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English, German Pages 567 [570] Year 2017
Politische Kultur und soziale Struktur der Römischen Republik Bilanzen und Perspektiven Herausgegeben von Matthias Haake und Ann-Cathrin Harders
Alte Geschichte Franz Steiner Verlag
Matthias Haake / Ann-Cathrin Harders (Hg.) Politische Kultur und soziale Struktur der Römischen Republik
Stolperstein vor dem ehemaligen Wohnhaus von Friedrich Münzer in der Heisstraße 1, Münster
Politische Kultur und soziale Struktur der Römischen Republik Bilanzen und Perspektiven Akten der internationalen Tagung anlässlich des 70. Todestages von Friedrich Münzer (Münster, 18.–20. Oktober 2012) Herausgegeben von Matthias Haake und Ann-Cathrin Harders
Franz Steiner Verlag
Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Fritz Thyssen Stiftung
Umschlagabbildung: Statue des Aulus Metellicus, sog. „Arringatore“ Etruskisch, 1. Viertel des 1. Jahrhunderts v. Chr. Florenz, Museo Archeologico © akg-images / Nimatallah Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2017 Satz: DTP + TEXT Eva Burri, Stuttgart Druck: Hubert & Co., Göttingen Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-11598-8 (Print) ISBN 978-3-515-11603-9 (E-Book)
VITA. Fridericus Hermannus Münzer in oppido Silesiae, quod vocatur Oppeln, die XXII. mensis Aprilis anni 1868 natus sum patre Emanuel, matre Olga e gente Unger, quos carissimos parentes adhuc vivos pio gratoque animo veneror. Fidei addictus sum iudaicae. Litterarum elementis in gymnasio regio Oppoliensi instructus, vere anni 1886 maturitatis testimonium adeptus universitatem Lipsiensem adii, ut studiis historicis et philologicis operam darem. Ibi per ter sex menses scholis interfui virorum doctissimorum: Biedermann, Gardthausen, Heinze, Maurenbrecher, Rib beck, Schreiber, Seydel, Springer, G. Voigt, Wachsmuth, F. Zarncke et per sex menses exercitationibus Gardthauseni. Berolinum inde me contuli, ubi audivi professores illustrissimos Bresslau, Curtius, Diels, Dilthey, Furt wängler, Hirschfeld, Hübner, Kiepert, Kirchhoff, Köhler, Lazarus, Paulsen, de Richthofen, Robert, de Treitschke, Vahlen, Wattenbach. Ad exercitationes mihi benigne aditum concesserunt Bresslau, Diels, Hirschfeld, Köhler, Mommsen. Quibus viris omnibus de me optime meritis imprimis Dielsio et Mommseno gratias ago quam maximas, praecipuas vero debeo Hirschfeldio, cuius consilio in studiis meis egregie adiutus sum. F. Münzer, De gente Valeria, Oppeln 1891
INHALTSVERZEICHNIS Vorwort............................................................................................................
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Ann-Cathrin Harders Einleitung ........................................................................................................
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I. FRIEDRICH MÜNZER – LEBEN UND WERK Josef Wiesehöfer Zur Vita Friedrich Münzers .............................................................................
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Hans-Joachim Böckenholt Friedrich Münzer und die „Geographia“ – ein Netzwerk von Freunden in den Jahren 1923–1938.................................................................................
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Wilfried Nippel Friedrich Münzer im wissenschaftsgeschichtlichen Kontext ..........................
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II. GRUNDLAGEN UND METHODEN Matthäus Heil Friedrich Münzer und die prosopographische Methode – Rückblick und Ausblick ..................................................................................
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Francis X. Ryan The Censorship of Acilius ............................................................................... 111 Heikki Solin Zur Entwicklung des römischen Namensystems ............................................. 135 Reinhard Wolters Mehr als die Familie: Tagesaktuelle Bezüge und exempla in der Denarprägung des späteren 2. Jahrhunderts v. Chr. ................................... 155 III. SOZIALE STRUKTUREN IN ROM Jochen Martin Verwandtschaftsbeziehungen und Handlungsmöglichkeiten von Männern und Frauen von der Frühzeit Roms bis zum Ende der Republik ...... 187 Ann-Cathrin Harders Familienbande(n): Die politische Bedeutung von Verwandtschaft in der römischen Republik .............................................................................. 197
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Inhaltsverzeichnis
Henrik Mouritsen Cicero’s familia urbana and the Social Structure of Late Republican Rome .. 215 Lisa M. Mignone Wohnintegration im republikanischen Rom .................................................... 231 IV. ROM, ITALIEN UND DAS REICH Yann Le Bohec Les esclaves dans le Bellum gallicum de César (Fortsetzung) ........................ 257 Francisco Pina Polo Pompey’s clientelae in Hispania: A Reappraisal ............................................. 269 Jonathan R. W. Prag Die römische Republik und der Westen .......................................................... 287 Michael Jung Die Ethnisierung des Bürgerkriegs. Zur Dynamisierung der Gewalt nach Sullas Rückkehr aus dem Osten.............................................................. 309 V. DIE FORMIERUNG DER FÜHRUNG Henriette van der Blom How to Make or Break a Public Career in Republican Rome through Public Speeches ............................................................................................... 325 Christoph Lundgreen Jeder Familie ihr Veto? Entscheidungsfindung und Entscheidungsverhinderung in der römischen Republik ................................. 335 Uwe Walter Spes pro periculis praemiorum. Risiko und Aktualität im politischen Agieren republikanischer Aristokraten ............................................................ 361 Bernhard Linke Die Nobilität und der Sieg: Eine komplizierte Beziehung .............................. 381 VI. ARISTOKRATISCHES AGIEREN IN GESELLSCHAFTLICHEN KONTEXTEN Jean-Jacques Aubert The Economic Aspects of Roman Sumptuary Legislation .............................. 403 Marlis Arnhold / Jörg Rüpke Appropriating and Shaping Religious Practices in the Roman Republic ........ 413
Inhaltsverzeichnis
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Matthias Haake Brüder – Ritter – Epikureer: Lucius und Appius Saufeius aus Praeneste in Latium, Rom und Athen .............................................................................. 429 VII. POLITISCHE KULTUR IN ROM – PLEBS UND ORDO SENATORIUS Karl-Joachim Hölkeskamp Politische Kultur – Karriere eines Konzepts. Ansätze und Anwendungen am Beispiel der römischen Republik............................................................... 457 Alexander Yakobson Consuls, Consulars, Aristocratic Competition and the People’s Judgment ..... 497 Egon Flaig Den Konsens mit dem Volk herstellen. Überlegungen zu den contiones ........ 517 Martin Jehne Das römische Volk als Bezugsgrösse und Machtfaktor ................................... 535 VIII. DAS ENDE DER REPUBLIK Erich S. Gruen The Last Generation of the Republic Revisited ............................................... 553
VORWORT Der vorliegende Band ist das Ergebnis einer internationalen Tagung, die vom 18. bis zum 20. Oktober 2012 aus Anlass des 70. Todestages von Friedrich Münzer an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster stattfand. Unser Dank gilt an erster Stelle der Fritz Thyssen Stiftung für die überaus großzügige finanzielle Förderung, ohne die diese Konferenz nicht hätte realisiert werden können; ohne ihre erneute Unterstützung durch die wohlwollende Gewährung eines Druckkostenzuschusses hätte der Tagungsband in seiner vorliegenden Form nicht publiziert werden können. Zu besonderem Dank wissen wir uns Peter Funke verpflichtet, der uns jederzeit mit Rat und Tat zur Seite stand und in keineswegs selbstverständlicher Weise jedwede Unterstützung zukommen ließ. Sehr danken möchten wir auch Uwe Walter, der das Projekt von Bielefeld aus begleitet und gefördert hat. Für ihre Hilfe bei der Organisation der Tagung sowie der Vorbereitung der Publikation gilt Marie Drauschke, Thea Fiegenbaum, Anja Hemminghaus, Eva Lange, Anna Linnemann, Lisa Stratmann, Andrew van Ross und Anne Wessels unser herzlicher Dank. Das Archiv der Universität Münster unter der Leitung von Sabine Happ hat uns dankenswerterweise Scans eines Fotos Friedrich Münzers sowie seiner Unterschrift für die Publikation zur Verfügung gestellt. Großen Dank schulden wir den Autorinnen und Autoren des Tagungsbandes für ihre Bereitschaft, zu einem Kolloquium zu Ehren von Friedrich Münzer beizutragen und gemeinsam mit uns die ‚politische Kultur und soziale Struktur der römischen Republik‘ zu diskutieren. Wir danken auch denjenigen Autorinnen und Autoren, die in Münster nicht vortragen konnten, dennoch aber Beiträge zum vorliegenden Band beigesteuert haben. Für die große Geduld und Nachsicht hinsichtlich der langen Dauer bis zur Publikation des Bandes stehen wir bei allen Beiträgerinnen und Beiträgern in ihrer Schuld. Schließlich möchten wir den weiteren Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Tagung danken, die durch ihre Diskussionsfreude zum Gelingen der Tagung wesentlich beigetragen haben. Last, but not least haben wir Thomas Schaber und Katharina Stüdemann vom Franz Steiner Verlag sehr herzlich zu danken, die unser „Friedrich Münzer-Projekt“ von Beginn an mit großem Vertrauen und bewährter Kompetenz unterstützt, gefördert und begleitet haben. Münster und Bielefeld, im September 2016 Matthias Haake / Ann-Cathrin Harders
EINLEITUNG Ann-Cathrin Harders, Bielefeld Am 20. Oktober 1942 starb der Münsteraner Althistoriker Friedrich Münzer im Ghetto Theresienstadt. Als junger Mann war Münzer vom Judentum zum Protestantismus konvertiert und fiel nach der NS-Ideologie unter die Bestimmungen der „Nürnberger Gesetze“. So wurden ihm nach seinem zunächst ehrenvollen Eintritt in den Ruhestand im Juli 1935 zum 31. Dezember 1935 zunächst die Lehrerlaubnis und später auch das Publikationsrecht abgesprochen. Ende Juli 1942 wurde der vierundsiebzigjährige Münzer aus Münster nach Theresienstadt deportiert; keine drei Monate später erlag er den Folgen einer dort grassierenden Enteritisepidemie.1 Mit Friedrich Münzer ist einer der wirkmächtigsten deutschen Althistoriker der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts als Opfer des NS-Regimes zu beklagen. Sein umfangreiches Œuvre ist vor allem durch seine Forschungen zur römischen Republik geprägt: So übernahm Münzer für die Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft die prosopographischen Artikel zur Republik beginnend mit dem Buchstaben C und sollte bis zu seiner Deportation an mehr als 5000 Einträgen arbeiten – eine Leistung, die Ernst Badian mit der Akribie von Theodor Mommsens Römischem Staatsrecht auf eine Stufe stellte und die das Fundament für zahlreiche Standardwerke zur römischen Republik bilden sollte.2 1920 legte Münzer als Synthese seiner Detailforschungen die Monographie Römische Adelsparteien und Adelsfamilien vor. Darin rekonstruierte er die familialen Verbindungen innerhalb der stadtrömischen Aristokratie, in deren Etablierung, Kultivierung sowie Rupturen er die Grundlage politischer Entscheidungen ausmachte.3 Der 70. Todestag von Friedrich Münzer war Anlass für die Ausrichtung einer internationalen Tagung, deren Ergebnisse im vorliegenden Band zusammengetragen sind. Sein Ziel ist es, dem Andenken Münzers Reverenz zu leisten. Geschehen 1 2
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Zur Vita Münzers s. Knepper/Wiesehöfer 1983 u. 1985 sowie die Beiträge von Josef Wie sehöfer und Hans-Joachim Böckenholt im vorliegenden Band. Zu Theresienstadt s. Benz 2013. Badian 1989: 604. Auf Münzers Arbeiten fußen T. R. S. Broughtons Magistrates of the Roman Republic (1951–1986), G. Niccolinis Fasti dei tribuni della plebe (1934), G. Sumners The Orators in Cicero’s Brutus: Prosopography and Chronology (1973) oder auch J. Rüpkes Fasti sacerdotum (2005), um nur die prominentesten zu nennen. Eine (unvollständige) Liste der RE-Artikel hat H.-J. Drexhage in Knepper/Wiesehöfer 1983: 169–259 vorgelegt; s. dazu Badian 1989: 603; Hölkeskamp 2012: XIV Anm. 5. – Münzers Kleine Schriften liegen nunmehr als Münzer 2012 vor. Zum wissenschaftsgeschichtlichen Kontext und der Wirkung der Adelsfamilien s. Hölkes kamp 2001 u. 2012 sowie die Beiträge von Wilfried Nippel und Matthäus Heil im vorliegenden Band.
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soll dies allerdings nicht durch eine allein biographisch-wissenschaftsgeschichtliche Perspektive, sondern vielmehr durch einen gemeinsamen Beitrag zu seinem zentralen Forschungsgegenstand – der römischen Republik: nämlich, durch eine Zusammenführung aktueller sozialgeschichtlicher Ansätze mit denen einer neuen Kulturgeschichte des Politischen. Die sozialen Strukturen werden als Fundament sowie in Wechselwirkung mit Aspekten der politischen Kultur gesehen, um die enorme Gruppenkohäsion und Normenkohärenz der römischen Führungsschicht sowie die „Gehorsamstiefe“4 der römischen Bevölkerung mit dem Ziel zu erörtern, die Spezifität der römisch-republikanischen Gesellschaft und den Erfolg wie das Scheitern ihres politischen Systems besser erfassen zu können. Die machtpolitische Entwicklung Roms ist (nicht nur) in der Antike beispiellos: Die latinische Stadt etablierte sich innerhalb weniger Jahrhunderte als Hegemonialmacht in Italien und in der Folge weit darüber hinaus, sodass sich ihr Einflussbereich vom westlichen Mittelmeerraum über den griechischen Osten bis in den Vorderen Orient hin erstreckte. Um die außergewöhnliche Herrschaftsfähigkeit zu erklären, wurden schon in der Antike die Mentalität und vor allem die Verfassung der römischen Republik herangezogen – das früheste Beispiel findet sich in den Historien des Griechen Polybios, der das Zusammenspiel von Senat, Magistraten und Volk von Rom als einzigartig bewertete.5 Auch nach ihrem Ende galt die römische Republik aufgrund ihrer lange andauernden Stabilität sowie der Fähigkeit zur Reichsbildung als Vorbild und inspirierte Historiker, politische Denker und Politiker bis in die Neuzeit – auch hier wurde die Verfassung wiederholt als Folie aufgegriffen, um zeitgenössische historische Entwicklungen zu diskutieren und Rom als mögliche Alternative wie Gegenbild anzuführen.6 Eine erste wissenschaftliche Behandlung, der ein systematisierender Zugriff zugeschrieben werden kann, wurde von Theodor Mommsen mit dem Römischen Staatsrecht (1871–1888) vorgelegt. Mommsen griff dabei eine von Juristen entwickelte Methode auf, private wie öffentliche Verhältnisse in Rechtsordnungen abbildbar und letztendlich erklärbar zu machen, und wandte diese auf eine historische Gesellschaft an. Sein Staatsrecht gab den Römern der Republik wie der Kaiserzeit, was diese selbst nicht ausformuliert hatten: eine für alle Bereiche des öffentlichen Lebens geltende Ordnung, deren zwingende Logik eben auch den Erfolg der res publica Romana verständlich mache. Mommsens konstitutioneller Zugriff auf die römische Gemeinschaft war von enormer Wirkungsmacht, jedoch ließ er historischen Wandel hinter das Zusammenwirken von bestimmten Grundprinzipien zurücktreten und verengte den Begriff des Politischen vor allem auf das Ineinandergreifen von Rechtsordnungen und Institutionen.7 4 5
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So ein Begriff von Flaig 2003: 13. Pol. 1,1,5; 3,2,6. Im Anschluss an die Vorstellung und Diskussion der römischen Institutionen und ihres Zusammenwirkens führt Polybios im sechsten Buch auch die römischen Sitten und Mentalität an, für die er exemplarisch die pompa funebris sowie die exempla nennt (Pol. 6,53,1–55,4); s. auch e. g. Sall. Cat. 10; Liv. praef. 9. S. etwa Linke 2011; Nippel 2011a u. 2011b; Sellers 2014. Zur Entstehung des Staatsrechts und der wissenschaftlichen Auseinandersetzung seitdem s. Nippel 2005a u. 2005b; Hölkeskamp 2005 und demnächst Walter (i. Vorb.). Eine Historisie-
Einleitung
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Erst neue Ansätze und Fragestellungen konnten die Mommsen’sche Systematik überwinden; dabei wurde über die Verfassung in ihren Institutionen hinausreichend deren gesellschaftliche Voraussetzung, die soziale Struktur des römischen Gemeinwesens, verstärkt in den Blick genommen. Matthias Gelzer positionierte sich im Vorwort zur Nobilität der römischen Republik (1912) als „Gesellschaftshistoriker“ und wandte sich explizit gegen Mommsens legalistischen Ansatz. Gelzer stellte in innovativer Weise die Sozialbeziehungen in den Mittelpunkt und vermochte aufzuzeigen, dass die Regimentsfähigkeit der römischen Elite von Phänomenen abhängig war, die seinerzeit erst langsam in den Fokus der Historiker gerieten – zu nennen sind hier insbesondere soziale Bindungsstrukturen wie clientela und amicitia sowie reziproke Verpflichtungen.8 Während Gelzer die horizontalen Verbindungen innerhalb der Führungsschicht ebenso wie die vertikale Verschränkung zwischen oberen und unteren Schichten behandelte, konzentrierte sich Friedrich Münzer auf den Kreis der führenden Familien: Deren Rivalitäten wie Kooperationen sah er als bestimmend an, um das Funktionieren der res publica Romana zu erklären. Den innovativen sozialhistorischen Aspekt seiner Analyse ordnete Münzer jedoch politikgeschichtlichen Zielen unter und maß der verwandtschaftlichen Beziehung im Sinne einer Verpflichtung als Basis politischen Handelns zu viel Gewicht bei. Sein Ansatz, über prosopographische Studien politische Netzwerke zu rekonstruieren, zusammen mit Gelzers Verweis auf den Stellenwert sozialer Verpflichtungen war vor allem international überaus wirkmächtig und prägte Werke wie Ronald Symes Roman Revolution (1939), Lily Ross Taylors Party Politics in the Age of Caesar (1949) oder noch Erich S. Gruens Last Generation of the Roman Republic (1974/19952).9 Erst Christian Meier brach mit der Vorstellung solch mächtiger Allianzen: In Res publica amissa (1966) stellte er die vielen sich überlappenden und sich kreuzenden Verpflichtungen innerhalb der Führungsschicht heraus und betonte, wie das politische Tagesgeschäft aufgrund der „breiten Streuung aller Macht“ unbeeindruckt von personalen Konstellationen in extremer Flexibilität abgewickelt wurde.10
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rung der Rechts- und Gesetzgebung und Einbettung in die soziale Ordnung legt Bleicken 1975 vor; zu Mommsen, s. ebd.: bes. 16–51. – Einen konzisen Forschungsüberblick zu Ansätzen und Modellen seit Mommsen bietet Jehne 2006; s. auch demnächst Walter (i. Vorb.). Eine Studie zu den Gesellschaftskonzeptionen bei Mommsen und Gelzer bereitet z. Zt. Simon Strauss im SFB 644 „Transformationen der Antike“ an der HU Berlin unter dem Arbeitstitel „Von Mommsen zu Gelzer. Von impliziten zu explizten Vorstellungen der antiken politischen Gesellschaft“ vor. Zu Gelzer s. noch immer Meier 1977. Siehe dazu Erich S. Gruens Beitrag im vorliegenden Band. – Alfred Heuss verweist auf die Wirkung Münzers im angelsächsischen Raum, räumt aber auch ein, dass Münzers Werk „allerdings mehr gerühmt als wirklich gelesen [werde], und das nicht ohne Grund. Seine Lektüre ist ein schwieriges Geschäft und lähmt nicht nur durch die trockene Form der Mitteilung die Spannkraft der Leser.“ (2003: 523 Anm. 24). Meier 1997: 190; zur Organisation der Macht s. ebd.: 174–190. Eine Rekapitulation zur römischen Ordnung liegt nunmehr mit Meier 2015 vor. – Einen neuen Ansatz, die vielfältigen Sozialbeziehungen in ihrer Genese, ihrem sozialen Ort und dem Modus der Kommunikation von Hierarchien zu fassen, bieten die Beiträge in Peachin 2011; die für Münzer, Gelzer und noch
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Seit den 1970er Jahren haben sozialgeschichtliche Perspektiven den politikgeschichtlichen Fokus auf die römische Geschichte abgelöst. Fragen nach dem Verhältnis zwischen Oberschicht und plebs urbana, nach der Konstituierung und Vermittlung von sozialem Status sowie das Interesse für soziale Konflikte fanden ebenso Eingang in die Forschung zur römischen Republik wie Untersuchungen zur Rolle von Frauen, Sklaven und Freigelassenen oder zur Bedeutung der Familie. Der Perspektivenwechsel auf die Lebensbedingungen der unteren Schichten ermutigte ferner, quantitative Methoden und demographische Modelle aus den Sozialwissenschaften auf ihre Brauchbarkeit für die römische Antike zu überprüfen und gegebenenfalls zu adaptieren – Ansätze, die vor allem Keith Hopkins und Peter Brunt verfolgten und die bis heute florieren.11 Ebenso wurden auch die Elite und ihr Verhältnis zu den unteren Schichten wieder in den Blick genommen und etwa im Rahmen der Debatte um Fergus Millars Thesen zu den demokratischen Elementen innerhalb der res publica kontrovers diskutiert.12 Seit den 1990er Jahren wurde der sozialhistorisch ausgerichtete Zweig der Forschung im Zuge des ‚linguistic‘ und des ‚cultural turn‘ um kulturwissenschaftlich inspirierte Methoden und Fragestellungen erweitert. Indem der formalistisch-konstitutionelle ebenso wie der rein sozialhistorische, auf Kategorien wie Interesse und (formalen) Status ausgerichtete Zugriff auf die res publica Romana aufgegeben wurden, öffnete sich das Feld für Forschungsthemen, die bis dato nicht als politisch relevant angesehen worden waren. In den Blickpunkt gelangten Fragen nach der Kommunikation und Interaktion zwischen Elite und Unterschichten sowie der Frage, wie Hierarchien und Herrschaftsansprüche vermittelt wurden. Politik wurde im Sinne einer neuen politischen Kulturgeschichte als Prozess des Aushandelns verstanden, Konsens zwischen den Gruppen – innerhalb der Elite wie auch zwischen Regierenden und Regierten – als Basis politischer Entscheidungen betont. Die Perspektive wurde von der Inhaltsseite von Politik auf die Ausdrucks- und Prozessseite gelenkt, was eine Weitung der nunmehr auch politisch relevanten Felder nach sich zog, so dass Fragen nach Identitäts- und Alteritätskonstruktionen gestellt sowie Themen wie die soziale Funktion der memoria oder Formen der symbolischrituellen Kommunikation und der Repräsentation der römischen Elite angegangen wurden.13 Mit der Diskussion um die politische Kultur stellt sich die Frage nach den Mitteln und dem Ort der politischen Willensbildung sowie der Herrschaftsfähigkeit der römischen Elite neu, so dass Bereiche, die intersektional zwischen den bekannten politischen Institutionen – wie etwa die contiones – stehen bzw. ihnen
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Meier so gewichtigen Beziehungen, die auf Verwandtschaft und Patronage gründen, werden jedoch gerade nicht in gesonderten Beiträgen behandelt. Zudem liegt das Hauptaugenmerk des Bandes (quellenbedingt) auf der Kaiserzeit. Zu Entwicklungen in der römischen Sozialgeschichte s. die einleitenden Worte in Peachin 2011: 3–13; einen Überblick über die Forschung bis 2011 liefert die Bibliographie in Alföldy 2014. Zu Millars Thesen s. v. a. Millar 1998 sowie die gesammelten Beiträge im zweiten Teil von Millar 2002. Gegenpositionen vertreten Harris 1990; North 1990; Hölkeskamp 2004 u. 2010 sowie Hurlet 2012. Vgl. etwa Linke 2000; Eigler 2003; Flaig 2003; Walter 2004.
Einleitung
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quasi vorgelagert sind – wie die römische domus – neue politische Relevanz erfahren haben.14 Das Zusammenspiel von vielfältigen sozialen Beziehungen und einer aufwändigen politischen Kultur in einem stadtstaatlichen Rahmen stellt ein Spezifikum der römischen Gesellschaft dar und ist der Ausgangspunkt, um die Frage nach dem Funktionieren und dem Erfolg der res publica Romana neu zu diskutieren: Wie schaffte es ein kleiner Teil des sozialen Stratums, die senatorische Elite, ohne einen umfangreichen Erzwingungsapparat eine unangefochtene Autorität über 99 % der Bevölkerung in Rom und Italien durchzusetzen? Was machte die Herrschaftsfähigkeit dieser Elite aus – warum war sie trotz der ständigen Rivalität um die begrenzten Ämter und Ehren so leistungsfähig auch unter extremer externer Bedrohung? Die Frage nach der Verflechtung zwischen sozialer Struktur und politischer Kultur bietet den Schlüssel, um die bemerkenswerte Kohärenz der römischen Elite sowie die Gehorsamstiefe der römischen und italischen Bevölkerung ebenso erklärbar zu machen wie das letztendliche Scheitern des politischen Systems der römischen Republik. Indem die Wechselwirkung der sozialen Strukturen und der politischen Kultur in den Mittelpunkt gestellt wird, können neue Einblicke in das Funktionieren einer einzigartigen historischen Formation gewonnen und die Forschung um die Bedeutung von politischer Kultur bereichert werden – und zudem das Andenken von Friedrich Münzer geehrt werden, der mit seiner Methode dazu beigetragen hat, die Diskussion um die Wechselwirkung zwischen den sozialen Beziehungen und dem politischen Handeln anzustoßen. Der Band wird daher mit einer Sektion eröffnet, die Friedrich Münzers Leben und Werk sowie dessen Wirkungsgeschichte gewidmet ist. In seinem Beitrag skizziert Josef Wiesehöfer die Biographie Friedrich Münzers als Leben eines Wissenschaftlers zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus. Er konzentriert sich dabei auf die letzten Lebensmonate Münzers im Lager Theresienstadt und präsentiert neu zugängliche Dokumente. Hans-Joachim Böckenholt stellt Münzers langjährige Mitgliedschaft in der „Geographischen Gesellschaft zur Erforschung des münsterländischen Tieflandbusens“ vor; die zum Teil launigen Protokolle über die wöchentlichen Wanderungen geben Einblick in das private Umfeld Münzers und die Formen außeruniversitären, akademisch-bildungsbürgerlichen Austausches und Geselligkeit. Ein für die „Geographia“ handschriftlich abgefasster Lebenslauf Münzers wird hier erstmals transkribiert und abgedruckt. Winfried Nippel verortet Friedrich Münzer schließlich im wissenschaftsgeschichtlichen Kontext. Im Vordergrund steht dabei die Monographie Römische Adelsfamilien und Adelsparteien, in der versucht wird, die römische Republik als Geschichte von Faktionenkämpfen und -zusammenschlüssen zu erklären. Nippel betont die Einzigartigkeit sowie die Problematik dieses Ansatzes, welcher weniger im deutschsprachigen Raum als vielmehr in der angelsächsischen Forschung ungemeine Wirkungsmacht entwi14
Vgl. etwa Jehne 1995; Hölkeskamp 2004 u. 2006; die Beiträge in Hölkeskamp 2009 u. Blö sel/Hölkeskamp 2011 sowie die Beiträge zur Bedeutung des paterfamilias und der patria potestas in Martin 2009. – Zur Entwicklung des Konzepts der politischen Kultur s. den Beitrag von Karl-Joachim Hölkeskamp im vorliegenden Band.
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ckeln sollte – auch wenn manch spätere Interpretation weit über Münzers Ansätze hinausging. Im Zentrum der zweiten Sektion stehen spezifische Quellengattungen sowie hilfswissenschaftliche Ansätze und Methoden:15 Der Beitrag von Matthäus Heil bildet dabei ein Scharnier zu den vorangegangenen Ausführungen. Er setzt sich ausführlich mit der prosopographischen Methode, wie sie Friedrich Münzer zugeschrieben wurde, sowie dessen Synthesen in den Adelsparteien auseinander, um mit Blick auf die prosopographischen Arbeiten für die RE sowie den bis heute andauernden Forschungen zur Prospographia Imperii Romani zu bilanzieren, was Prosopographie für die Erforschung der römischen Republik leisten kann. Francis X. Ryan führt die Methode an einem konkreten Fall vor: Ausgangspunkt bildet eine Passage bei Fronto über die Zensur eines Acilius, für die Ryan eine neue Lesart des schwierig überlieferten Briefs vorschlägt und grundsätzliche Überlegungen zur Zensur in den 60er Jahren des 1. Jahrhunderts v. Chr. anstellt. Sein Beitrag ist mehr als nur eine Hommage an Münzer, sondern verdeutlicht die Aktualität und Notwendigkeit prosopographischer Grundlagenforschung. Heikki Solin führt den Leser durch die Entwicklung des römischen Namenssystems von der Einnamigkeit zur Einführung des gentilicium und der bekannten tria nomina sowie schließlich zur Einnamigkeit in der Spätnantike zurück. Er führt dabei auch Inschriftenfunde im westfälischen Haltern an, um republikanisch/frühkaiserzeitliche Veränderungen in der römischen Onomastik deutlich machen zu können. Im Beitrag von Reinhard Wolters rückt mit der römischen Münzprägung eine bestimmte Quellengattung in den Fokus. Er bespricht den Einsatz von Legenden und Attributen sowie die Entwicklung von Motivsequenzen ab der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts und zeigt, wie die stark individualisierten Motive nicht als Werbemedien für im Wahlkampf stehende ältere Familienmitglieder zu sehen seien, sondern tagespolitische Bezüge herstellen und in dem aristokratischen Kampf um die Memorialkultur zu verorten sind und somit auf die beginnende Desintegration der Elite weisen. Die Beiträge der dritten Sektion nehmen unterschiedliche soziale Strukturen und Beziehungsnetze in den Blick: Analysiert werden familiale Bindungen, die Verortung aristokratischer domus in Rom sowie das Agieren von Imperiumträgern im Reich.16 Den Anfang machen zwei Beiträge zu Familie und Verwandtschaft: 15
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Der Konferenzbeitrag von Saskia Hin zu „Ancient statistics and the rise of demography. A historiography of demographic debate on Roman Italy“ erscheint an anderem Ort; vgl. Hin 2013. Die historische Demographie der römischen Republik ist in den letzten Jahren zu einem dynamischen Forschungszweig geworden. Längst geht es nicht mehr nur um Bevölkerungsund Zensuszahlen („manpower“), sondern auch um generatives Verhalten in den Familien, den Zusammenhang mit agrarischen Besitz- und Bewirtschaftungsformen, die italische Binnenmigration und die Voraussetzungen für die Skandalisierung sozialer Verhältnisse auf dem Land durch Ti. Gracchus und die sog. ‚populare Politik‘. S. für eine knappste Bilanz Schulz/Wal ter 2013: 628–635 mit neuerer Literatur. Der Konferenzbeitrag von Hans Beck zum Heiratsverhalten innerhalb des Senats ist in veränderter Form unter dem Titel „Beyond ‘Foreign Clienteles’ and ‘Foreign Clans’. Some Remarks on the Intermarriage between Roman and Italian Elites“, in: M. Jehne / F. Pina Polo (Hgg.), Foreign clientelae in the Roman Empire. A Reconsideration, Stuttgart 2015, 57–72 erschienen.
Einleitung
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Jochen Martin bespricht die Rolle des paterfamilias als Haupt der römischen familia und ordnet die patria potestas als häuslich-politische Gewalt ein, deren Entstehung in die Frühzeit der Republik fällt und durch die die patres über das Haus ihre politische Stellung festigten. Martin betont dabei die gegenseitige Abhängigkeit von politischer Organisation und agnatischer Autoritätsstruktur. Trotz der rechtlich-politischen Dominanz der Männer verweist Martin auch auf die Handlungsmöglichkeiten von Frauen, die während der langwierigen Kriege die Leitung der familiae übernahmen. Ann-Cathrin Harders schließt an die Ausführungen von Martin an und diskutiert die Bedeutung von familialen Verflechtungen aus einer sozial-anthropologischen Perspektive. Ausgehend von einer einzigartigen Verschränkung des gentilizischen, agnatischen und kognatischen Prinzips sowie eines stark exogamen Heiratsverhaltens stellt sie Verwandtschaft als gruppenfundierendes Element der ansonsten durch Konkurrenzkämpfe gefährdeten Kohäsion der Aristokratie vor. Für das 2. Jahrhundert verweist Harders auf entsprechende Veränderungen im Heiratsverhalten, die die politische Desintegration der Elite widerspiegeln und verstärkten. Der Ansatz, den Henrik Mouritsen in seinem Beitrag zu den Haushalten der Elite verfolgt, ist eher ‚klassisch‘ sozialhistorisch-quantifizierend angelegt. Ausgehend von Ciceros familia urbana fragt er nach der Personalstärke aristokratischer domus und den daraus sich ableitenden sozio-ökonomischen wie politischen Auswirkungen für die stadtrömische Gemeinschaft. Demnach waren ca. 120.000 Personen an die domus der Oberschicht gebunden, das heißt, dass die Haushalte der Elite einen essentiellen Teil der stadtrömischen Bevölkerung stellten. Mehr noch: Aufgrund der immensen Spezialisierung von Sklaven und Freigelassenen zweifelt Mouritsen die Entstehung einer unabhängigen Mittelschicht an, da deren autonome Arbeitsleistung nicht gebraucht wurde – dies zieht aber auch Fragen nach den Möglichkeiten und Grenzen politischer Partizipation der plebs nach sich, wenn eine solche Schicht fehlte. Lisa Mignone zieht für die Frage nach der Verflechtung zwischen Elite und plebs urbana die räumliche Dimension hinzu; sie behandelt in ihrem Beitrag die Integration der römischen Bürger in die Gemeinschaft, wie sie sich über die Anordnung von Wohnorten und -quartieren nachzeichnen lässt. Mignone zeigt auf, dass sich trotz der sozialen Gliederung der Gesellschaft in verschiedene ordines und eines großen Gefälles im Vermögen keine entsprechende topographische Stratifikation nachweisen lässt. Die Elite verteilte sich vielmehr auf das gesamte Stadtgebiet; eine Konzentration auf ein bestimmtes Viertel, den Palatin, sei als späte Entwicklung anzusprechen. Der stark lokale Kontakt zwischen Aristokrat und seiner Klientel wird damit als ein Schlüsselmoment für die Herrschaftsfähigkeit der Elite ausgemacht. Die vierte Sektion verortet das caput mundi in seinem Reich: Der Beitrag von Yann LeBohec führt von Rom nach Gallien in den Prozess der Herrschaftsbildung hinein; er setzt dabei Überlegungen von Karl-Wilhelm Welwei zum Umgang mit Kriegsgefangenen fort. Er diskutiert ausgehend von den Informationen in Caesars Bellum Gallicum die Anzahl und die rechtliche Situation der captivi sowie ihre Einsatzmöglichkeiten im römischen Wirtschaftsleben. Wie schon Mouritsen stellt LeBohec fest, dass der Markt nach Spezialisten verlangte und daher trotz der gro-
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ßen Anzahl an Kriegsgefangenen nur verhältnismäßig wenige gallische Sklaven nach Italien oder in die Provinzen transportiert wurden. Die Mehrheit der Kriegsgegner wurde vielmehr getötet oder aus politischen wie letztendlich ökonomischen Gründen freigelassen. Francisco Pina Polo thematisiert die sozialen Verbindungen zwischen der stadtrömischen Elite und dem Reich. Beispielhaft am Fall der clientela des Pompeius in Spanien diskutiert er die „foreign clientelae“ und widerlegt die These, dass diese quasi als Familienerbe und entscheidend für die Machtposition der Politiker in Rom anzusehen seien. Pina Polo plädiert für eine Neubewertung des seit der Studie von E. Badian etablierten Paradigmas: Die Provinzen seien nicht als Verlängerungen Roms aufzufassen, die Provinzialen hätten vielmehr eigene Interessen verfolgt, die sich nur temporär mit denen römischer Aristokraten trafen. Die Verankerung der römischen Herrschaft im Raum war nicht statisch, sondern musste individuell vor Ort jeweils neu verhandelt werden. Gegen statische Grundannahmen zur Reichsbildung im Westen wendet sich auch Jonathan Prag: Er problematisiert die Ost-West-Dichotomie in der antiken Überlieferung und der modernen Forschung zur römischen Expansion: Nach den Punischen Kriegen Roms dominierte keineswegs Roms Agieren im östlichen Mittelmeerraum; vielmehr wurden in und für die westlichen provinciae mehr Kommanden vergeben, mehr Legionen und Auxiliartruppen entsandt und disloziert, mehr Triumphe vergeben und öfter das Agieren korrupter Statthalter vor Gericht beleuchtet. Prag plädiert schließlich nicht nur für eine größere Bedeutung des Westens, sondern er fordert grundsätzlich einen stärker holistischen Ansatz, um die römische Expansion insgesamt verstehen zu wollen. Michael Jung bringt in seinem Beitrag stadtrömische Machtkämpfe mit dem Umgang römischer Politiker mit den vormaligen italischen Bundesgenossen im 1. Jahrhundert v. Chr. in Verbindung und thematisiert das bis dahin nicht gekannte Ausmaß an Gewalt während des sullanisch-marianischen Bürgerkriegs. Als Ursache benennt Jung die sullanische Strategie, den Konflikt zu ethnisieren: Indem Sulla die Bürgerrechtsvergabe an die Samniten nicht anerkannte, gestaltete er den internen Konflikt mit Marius in eine ethnische Auseinandersetzung mit einem römischen Erbfeind um – mit Folgen für die Kriegsführung. Die kompromisslose Haltung gegen einen externen Feind legitimierte Sullas Vorgehen, sie liefert aber auch eine Folie, die während späterer Konflikte abgerufen werden konnte. In der fünften Sektion geht es zurück nach Rom und zu der Frage, wie sich die Elite formierte und sich deren Mitglieder zueinander verhielten. Ausgangspunkt einer politischen Laufbahn war das Bekanntwerden bei den Wählern: Henriette van der Blom stellt dabei die hohe Bedeutung der öffentlichen Rede heraus. Mit Verweis auf Beispiele jenseits des Sonderfalls Cicero führt van der Blom unterschiedliche Karrierewege vor und analysiert die verschiedenen sozialen Orte, an denen sich ein junger Redner profilieren und positionieren konnte. Eine genuine Wahlkampfrede entwickelte sich in Rom jedoch nicht, auch hing die Karriere nicht allein von den rhetorischen Fähigkeiten ab – öffentliche Reden boten aber die Chance, ein glaubhaftes Image zu kreieren, und so eine Wählerschaft zu finden. Christoph Lundgreen fragt nach den Gründen für die erstaunliche Kohärenz in politischen Fragen innerhalb der Elite und verweist auf die vielen Obstruktionsmöglichkeiten,
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durch die Einzelne wie Gruppen politische Entscheidungsprozesse sprengen konnten – was jedoch auffällig selten geschah. Lundgreen legt dar, warum prinzipiell auf den Einsatz dieser Instrumente verzichtet wurde und gerade in diesem Verzicht der Erfolg der res publica Romana zu sehen sei. Er deutet demnach die gleichmäßige Verteilung der Vetorechte als Integrationsmoment: Der Umstand, dass jede Entscheidung strukturell verhindert werden konnte, stellte demnach die Basis für eine grundsätzliche Konsensfähigkeit der Elite her. Uwe Walter führt den Blick zurück auf das Individuum und fragt nach der Bereitschaft des Einzelnen, Risiken einzugehen und Situationen zu beschwören, deren Ausgang nicht berechenbar war. Das erkennbar risikoreiche Agieren einzelner Magistrate steht im scheinbaren Widerspruch zu einer Gesellschaft, in der Konflikte eingehegt und Konsens geschaffen wurde und in der aufgrund der klaren Hierarchien nur wenige Konfliktsituationen offen erschienen. Walter verweist dagegen auf die Notwendigkeit für römische Aristokraten, ihre situative Souveränität spektakulär zu beweisen, und betont das Annuitätsprinzip, durch das die römische Politik einen raschen, auf Handeln ausgerichteten Takt erhielt und das langjähriges, planvolles Verfolgen bestimmter Ziele nicht zuließ. Jenseits der vielen Mechanismen, durch die Homogenität und Geschlossenheit geschaffen wurde, war die hohe Risikobereitschaft kennzeichnend für das Verhaltensprofil römischer Politiker, um sich auszuzeichnen. Lässt Walter in seinem Beitrag das Kriegsgeschehen ausdrücklich außen vor, so thematisiert Bernhard Linke den individuellen militärischen Sieg im 3. Jahrhundert im Kontext inneraristokratischer Konkurrenz. Er verdeutlicht, wie Konsolidierungsversuche Einzelner mit dem Ziel, ‚große Siege‘ stetig in einen Wettbewerbsvorteil umzumünzen, auf eine aggressive, dynamische Politik anderer Aristokraten prallten, die ebenfalls an solchen Siegen partizipieren wollten. Siege und die damit verbundene Expansion erscheinen damit in Bezug auf die Aristokratie ambivalent: Zum einen sicherte die militärische Leistungsfähigkeit den Herrschaftsanspruch der Elite über den populus, zum anderen aber führte der individuelle große Erfolg zu erheblichen Friktionen innerhalb des ordo senatorius und destabilisierte dessen Homogenität – eine einheitliche Kriegspolitik des Senats lässt sich daher nicht ausmachen, sondern das Agieren im und mit dem Kriegsfall sei in Abhängigkeit situativer Personenkonstellationen zu sehen. Im Zentrum der sechsten Sektion stehen mit Wirtschaft, Religion und Philosophie drei weitere gesellschaftliche Felder, in denen aristokratische Konkurrenz ausgetragen wurde. Ausgehend von den leges sumptuariae analysiert Jean-Jacques Aubert wirtschaftliche Entwicklungen vom ausgehenden 3. Jahrhundert bis zum Ende der Republik und den Versuch einer rechtlichen Regulierung. Anhand der Gesetze lassen sich wirtschaftliches Wachstum, die Expansion der lokalen Wirtschaft hin zu einem ‚globalen‘ Markt, der Monetarisierungsprozess sowie der Anstieg privater Vermögen und ein neues Verständnis von Luxus festmachen. Auberts rechtlich-ökonomischer Blick öffnet den Blick auf die Wechselwirkung von Politik und Ökonomie und die Veränderungen, denen die aristokratische Lebensführung aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung unterworfen wurde. Auch Marlis Arn hold und Jörg Rüpke weisen in ihrem Beitrag auf diese Verflechtung hin, verstehen aber römische Religion trotz ihrer Bedeutung als einer „national civic practice“
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in erster Linie als Feld mit eigenen Regeln und eigener Logik, das ständig neu erzeugt wurde und sich als stark akteursabhängig erwies. Sie exemplifizieren dies an der Art, wie religiöse Praktiken einzelner Politiker aufgenommen wurden, sowie an Veränderungen im Tempelbau: Architektonische Innovationen führten nicht nur dazu, dass der Stifter sich sozial distinguieren konnte, sondern zogen Veränderungen im Ritualraum und im Ritual nach sich. Religiöse Normen und Traditionen konnten damit nicht nur durch politische Akteure aufgenommen und modifiziert, sondern auch individuell geformt werden. Mit der Philosophie bewegen wir uns dagegen in einem Betätigungsfeld der Elite, das von ‚außen‘ nach Rom getragen und welches trotz seiner Attraktivität stets und weiterhin als ‚griechisch‘ wahrgenommen wurde: Matthias Haake exemplifziert anhand einer prosopographischepigraphischen Studie zu den Brüdern L. und App. Saufeius aus Praeneste, welchen sozialen Stellenwert die Beschäftigung mit Philosophie in Rom einnahm, und diskutiert die Korrelationen von Philosophie, Lebensführung und – im vorliegenden Fall – literarischem Werk. Die Geschlossenheit der römischen Aristokratie war eine Grundvoraussetzung für ihre Herrschaftsfähigkeit; wie aber wurden politische Entscheidungen des Senats angenommen und in Gesetze überführt, über die der populus in den Komitien bestimmte? Wie wurde die soziale und politische Hierarchie vermittelt? Die siebte Sektion kreist um die Aushandlungsprozesse zwischen Elite und populus, beginnend mit dem Beitrag von Karl-Joachim Hölkeskamp, der die Karriere des Begriffs „political culture“ von der amerikanischen Politikwissenschaft in den 1950/60er Jahren bis zur althistorischen Forschung seit den 1990er Jahren nachzeichnet und seine Nutzbarmachung für die römische Republik aufzeigt. Um die Regeln und Verfahren der politischen Entscheidungsfindung zu verstehen, kann nicht allein die Inhaltsseite römischer Politik untersucht werden, vielmehr müssen die expressive Dimension von Politik, die Medien, Symbole und diskursiven Strategien, über die sich das kollektive Verständnis der politisch-gesellschaftlichen Ordnung greifen lassen, sowie die sozialen Rollen und damit verbundenen Erwartungen, in denen die Beteiligten agierten, einbezogen werden. Hölkeskamp betont den stadtstaatlichen Kontext, in dem in Rom Hierarchien inszeniert wurden, und exemplifiziert dies anhand von Triumph und pompa funebris. Alexander Yakobson führt in seinem Beitrag weg vom durchchoreographierten Spektakel hin zur weitaus ergebnisoffeneren Konfrontation zwischen Magistrat und stadtrömischer Bevölkerung vor Gericht und auf den rostra. Anders als van der Blom behandelt er nicht den ‚Politikneuling‘ und dessen Optionen, sondern fragt nach der Bedeutung der öffentlichen Meinung für etablierte Konsuln und Konsulare. Trotz der sozialen Inferiorität besaß die Anerkennung durch den populus immense Bedeutung für den Ruf eines Magistrats, sogar noch zum Karriereende. Yakobson analysiert die Ausdrucksseite, wie Konsulare dem populus begegneten, und führt als Kommunikationsform die duplicatio aus, eine Form der Selbsterniedrigung, durch die sich der höhergestellte Amtsträger Unterstützung und Anerkennung sichern konnte. Auch die Beiträge von Egon Flaig und Martin Jehne setzen hier an und konzentrieren sich auf eine bestimmte Situation, die Diskussion der Gesetzesanträge in der contio. Institutionell konnte das Volk nicht von Magistraten und Senat ignoriert werden, da
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es das formale Letztentscheidungsrecht in den Komitien besaß. Ausgehend von der Beobachtung, dass in den Volksversammlungen fast immer im Sinn des leitenden Magistraten abgestimmt, politische Entscheidungen also nicht in Frage gestellt wurden, untersucht Flaig die contiones als den Ort der politischen Konsensfindung in Rom. Unter Rückgriff auf Kategorien der Politischen Anthropologie und im Vergleich zum klassischen Athen zeigt er, wie in Rom die Zustimmung der Bürger zu Initiativen der Elite ausgehandelt und in den comitia formalisiert wurde. Die Bedeutung der contiones liegt darin, dass in diesem Raum politischer Nahbegegnungen der Wähler überzeugt werden musste und in der Diskussion gemessen werden konnte, wie weit die Zustimmung des populus zu den Anträgen ging. Die Vorversammlungen sind damit nicht in ihrer inhaltlichen Bedeutung zu gewichten und den comitia nachzustellen, vielmehr zeigt der Vorgang als solcher, wo und in welcher Form Konsens zwischen Elite und populus hergestellt wurde, der dann in der Volksversammlung selbst quasi nur aufgeführt wurde. Jehnes Beitrag vertieft diese Annahmen: Er führt aus, wie der Abstimmungsmodus in den Komitien verhinderte, dass Minderheiten sich organisieren konnten bzw., anders gewendet, wie der Abstimmungsmodus nach Stimmkörpern konsensualistische Grundhaltungen verstärkte. Da in den Volksversammlungen selbst nicht diskutiert wurde, mussten die Magistrate in den Vorversammlungen überzeugen und einzubringende Gesetze als ‚gemeinschaftsfähig‘ präsentieren und in den Reden vor dem Volk Grundnormen der römischen Ordnung ansprechen. Die aristokratische Konkurrenz spielte sich damit vor dem populus ab, der somit als wichtige diskursive Bezugsgröße mit eigener maiestas bestätigt und in die politischen Entscheidungsprozesse eingebunden wurde. Verschiedene Zeichen der Desintegration der Elite und Destabilisierung ihrer Herrschaftsfähigkeit, die sich ab der Wende vom 3. zum 2. Jahrhundert v. Chr. ausmachen lassen, wurden in vielen Beiträgen angesprochen; sie zeigen (einmal mehr) Risse im Bild der sogenannten ‚klassischen‘ römischen Republik auf. In der Coda kommt Erich S. Gruen zu Wort, der 40 Jahre nach dem Erscheinen von The Last Generation of the Roman Republic (1974; mit neuer Einleitung 19942), das methodisch an Friedrich Münzers Arbeiten angelehnt ist, seine Thesen zum Ende der Republik vor dem Hintergrund neuer Debatten um die politische Kultur reflektiert. Gruens Arbeit zeichnet sich dadurch aus, dass weniger auf das Scheitern als auf die enorme Beharrlichkeit des politischen Systems der römischen Republik abgehoben wird, ohne die Krisenerscheinungen der Republik – die Desintegration der Elite, die Probleme, ein Weltreich als Stadtstaat zu regieren, die Konzentration von Macht in den Händen einzelner Persönlichkeiten – zu negieren. An diesem Grundmotiv hält Gruen fest und nimmt in einer Tour d’horizon durch die letzten Jahrzehnte der Forschung zur politischen Kultur Aspekte auf, die erklären, was Rom im Innersten zusammenhält. Als entscheidendes Moment für den Zusammenbruch der Ordnung bewertet Gruen die Erfahrung des Bundesgenossenkriegs: Während sich das politische System nach den sullanisch-marianischen Auseinandersetzungen noch erholen konnte, wirkte das so noch nie gekannte Ausmaß an Gewalt zwischen 91 und 88 nicht nur auf die ‚man power‘, sondern vor allem auf die Mentalität. Nicht nur, dass ein Jahrhunderte altes System zusammenbrach, das maßgeblich für den Erfolg der
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römischen Expansion gewesen war: Die Gewalterfahrung barg in sich ein noch größeres Zerstörungspotential, dem die politische Ordnung nicht mehr gewachsen war. Die im vorliegenden Band versammelten Beiträge zeigen, wie im stadtstaatlichen Kontext Roms die Vernetzung der Elite untereinander sowie die enge soziale und topographische Verflechtung zwischen Führungsschicht und plebs urbana die Basis für die so spezifische römische Ordnung darstellt, „zu der sich die gesamte Bürgerschaft gleichsam mit Haut und Haaren auf sehr bestimmte Weise zusammenfügte“, um Christian Meier zu zitieren.17 Sie ist das Fundament für politisches Handeln in Rom, das jedoch wiederum nicht allein erklärt, wie politischer Konsens geschaffen und Entscheidungen getroffen werden. Die Bedeutung der politischen Institutionen, die Inhaltsseite des politischen Handelns wird dabei nicht negiert, aber erst die Untersuchung von Aspekten, die der Politischen Kultur zuzurechnen sind und eher in einem intersektionalen Bereich verortet sind – wie das Auftreten der Magistrate, die Art ihrer Kommunikation mit dem populus, die Choreographie von Prozessionen und Spektakeln – liefert Fleisch und Muskeln für das ansonsten so prekäre institutionelle Skelett. Das republikanische Rom kannte keine Ausdifferenzierung des Politischen, wie sie etwa für das Klassische Athen festzustellen ist; ihr Erfolg beruhte gerade in einer immensen Verdichtung verschiedener Felder, einer ‚gelebten Ordnung‘, in der sich soziale, konstitutionelle, religiöse, wirtschaftliche, rechtliche und politische Dimensionen nicht voneinander schieden, sondern sich gegenseitig bedingten. Das Bild des Organismus, das der historiographischen Tradition nach der Konsul Menenius Agrippa im Kontext der ersten seditio gebrauchte, um die Stände wieder zusammenzuführen, ließe sich hier entsprechend ausweiten:18 In Rom waren ‚Haut und Haare‘ politisch. Die Untersuchung der sozialen Strukturen wie auch der expressiv-symbolischen Dimensionen politischer Kommunikation, durch die soziale und politische Hierarchien geschaffen und auch akzeptabel gemacht werden, erweitert um die Dimension der Handlungsbedingungen und des situativen Agierens selbst, bilden daher einen Schlüssel, um die unhinterfragte Herrschaftsfähigkeit der römischen Nobilität und die Kohäsion der res publica Romana sowie damit einhergehend die erfolgreiche Reichsbildung Roms in Italien und im Mittelmeerraum zu erklären – der Blick auf soziale Struktur und politische Kultur legt dabei aber auch die Erosionen und das letztendliche Scheitern dieser Ordnung offen.
17 18
Meier 2015: 691. Liv. 2,32,8–12.
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I. FRIEDRICH MÜNZER – LEBEN UND WERK
ZUR VITA FRIEDRICH MÜNZERS* Josef Wiesehöfer, Kiel I. „Über jedes Zeichen Deiner unveränderten Freundschaft freue ich mich von ganzem Herzen und erwidere sie in derselben Gesinnung. Von mir selbst schreibe ich lieber nichts, Äußerlich geht es mir noch immer ganz gut, aber innerlich sieht es anders aus. Ich werde nächstens 71 Jahre alt, und ich frage mich: Warum und wozu? Nur an meiner Tochter habe ich Freude und Halt, solange sie – seit 2 1/4 Jahren verheiratet – noch an demselben Orte mit mir bleibt. In alter Freundschaft grüsst herzlich Dein F. Münzer“1
Dem Brief vom 13.2.1939 an den langjährigen Freund Michael Rostovtzeff, der erst ganz am Ende, nach zahlreichen fachlichen Bemerkungen, ins Persönliche übergeht, kann man entnehmen, wie einsam es um Friedrich Münzer kurz vor Kriegsbeginn geworden war. Zwar hielten seine ausländischen Freunde und Kollegen mit ihm brieflichen Kontakt und übersandten ihm ihre neuesten Aufsätze und Arbeiten, auf die Münzer zu antworten, die er zuweilen gar, wie im Falle der Passerinischen Behandlung des Senatus Consultum aus Adramytteion im zitierten Brief an Rostovtzeff, in Einzelheiten zu kommentieren suchte.2 Einziger wirklicher Halt allerdings in einer persönlich immer schwieriger werdenden Zeit, die damals immerhin bereits zahllose antijüdische gesetzliche Maßnahmen und nicht zuletzt den Pogrom vom 9. November 1938 gesehen hatte, war ihm die Tochter Margarete, und sie wird es auch sein, die sich, zusammen etwa mit Münzers ehemaligem Münsteraner Assistenten Erich Burck, inzwischen Latinist in Kiel und im Jahre 1942 im Felde, bis zum Ende für ihren Vater einsetzen wird.3 Friedrich Münzer hätte gewiss, hätte er eine Tagung zu seinen Ehren und die Edition seiner Kleinen Schriften miterleben können, in seiner überaus bescheidenen Art darum gebeten, nicht soviel Aufhebens um seine Person zu machen, sich stattdessen mit Eifer der weiteren prosopographischen und anderen Forschung zu widmen. Trotzdem, oder vielleicht gerade deshalb, sei es mir, dem – zusammen mit Alfred Kneppe – die Beschäftigung mit der Vita Friedrich Münzers vor ca. 30 Jahren zum Herzensanliegen wurde4 und die Notwendigkeit aufzeigte, „den Toten auf der Spur zu bleiben“, wie es Ilse Aichinger einmal ausdrückte, erlaubt, ein Wort des * 1 2 3 4
Für die Drucklegung wurde der Vortrag inhaltlich und sprachlich bearbeitet, der Charakter der freien Rede aber beibehalten. Wertvolle Hinweise zu Althistorikern in Theresienstadt verdanke ich der Kieler Staatsexamensarbeit von Johanna Wiedenmann (Gerolzhofen). Kreucher 2005: 105 (handschriftlicher Brief Nr. 46). Kreucher 2005: 102–104. Einzelheiten zu diesen Bemühungen finden sich in Kneppe/Wiesehöfer 1983: 141–143, 148. Kneppe/Wiesehöfer 1983 u. 1985; vgl. auch Badian 1989.
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Dankes zu sagen: Thomas T. und Thérèse Ridley für Ihre 1999 erschienene Übersetzung der „Adelsparteien“ ins Englische und ihre eindrucksvolle biographische Studie zu Friedrich Münzer,5 Ann-Cathrin Harders und Matthias Haake für die Ausrichtung dieser exzellent organisierten Tagung und die Edition von Münzers Opera Minora,6 Karl-Joachim Hölkeskamp für die längst überfällige wissenschaftsgeschichtliche Würdigung Münzers,7 der heute vor 70 Jahren in Theresienstadt ermordet wurde; anders möchte ich nämlich die Deportation und bewusste physische und psychische Demütigung und Vernachlässigung eines 74-jährigen verdienstvollen Gelehrten nicht gedeutet wissen. In meinem eigenen Beitrag kann und möchte ich nicht in allen Einzelheiten auf Friedrich Münzers Vita eingehen; man kann sich über sie sehr leicht in unserem Buch und in anderen Abhandlungen informieren. Stattdessen möchte ich, nach einem kurzen biographischen Überblick, einige neuere biographische Erkenntnisse, nicht zuletzt solche, die die letzten Jahre und Monate in Münzers Leben betreffen, vorlegen. Zudem möchte ich die Gelegenheit noch dazu nutzen, auf Desiderata althistorisch-wissenschaftsgeschichtlicher Forschung hinzuweisen. II. Friedrich Hermann Münzer wurde am 22. April 1868 als Kind wohlhabender jüdischer Eltern – der Vater Emanuel war Zigarrenfabrikbesitzer – in Oppeln in Oberschlesien geboren. Nach dem Abitur am königlich-katholischen Gymnasium ebendort studierte er seit 1886 in Leipzig und Berlin Geschichte und Klassische Philologie, in Berlin vor allem bei Theodor Mommsen, Hermann Diels und Otto Hirschfeld. Letzterer betreute auch Münzers Dissertation De gente Valeria, mit der letzterer 1891 sein Studium abschloss. In eben jenem Jahr trat Friedrich Münzer im Übrigen der evangelisch-lutherischen Kirche bei. Nachdem er 1892 sein Oberlehrerexamen abgelegt hatte, unternahm Münzer in den Jahren 1893 und 1894 eine Studienreise nach Rom, traf dort seine späteren Freunde Richard Wünsch (1869–1915) und Max Leberecht Strack (1867–1914), die beide im Ersten Weltkrieg fallen sollten, und begab sich anschließend nach Athen, wo er 1895 u. a. Michael Rostovtzeff (1870–1952) kennenlernte, mit dem ihn, wie das Zitat am Beginn des Beitrags zeigt, eine lebenslange Freundschaft verbinden sollte.8 1896 habilitierte sich Münzer mit der Arbeit „Beiträge zur Quellenkritik der Naturgeschichte des Plinius“, die 1897 erschien und 1988 nachgedruckt wurde, in Basel und wurde dort Privatdozent. 1902 erhielt er daselbst, dank des Einsatzes von Erich Bethe (1863–1940), ein Ordinariat; zu seinen Basler Studenten zählten u. a. Arnold von Salis (1881–1958), Albert Debrunner (1884–1958), Matthias Gelzer (1886–1974) und Peter von der Mühll (1885–1970). 1911 nahm Münzer einen Ruf als Ordinarius für Alte Geschichte in 5 6 7 8
Ridley/Ridley 1999. Münzer 2012. Hölkeskamp 2012. Zu dieser Beziehung (und dem Briefwechsel zwischen beiden) s. Kreucher 2005: 84–105.
Zur Vita Friedrich Münzers
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Königsberg an und wechselte schließlich 1921, als Nachfolger Otto Seecks (1850– 1921), nach Münster. 1897 hatte Münzer Clara Engels, die Tochter des Weinhändlers Carl Engels aus Bonn, geehelicht, die er gleichfalls in Athen kennengelernt hatte; zwei Schwestern der Braut waren mit den Klassischen Archäologen Bruno Sauer (1861–1919), der später an meiner Kieler Universität lehren sollte, und Paul Wolters (1858–1936), Ordinarius in Würzburg und München, verheiratet. Zur Eheschließung am 4. September hatten im Übrigen mit einem Telegramm aus Paris die Freunde und Kollegen Walther Amelung (1865–1927), Albrecht Dieterich (1866–1908), Max Siebourg (1863–1936), Johannes Sieveking (1869–1942), Iakov Ivanovich Smirnoff (1869–1918) und Michael Rostovtzeff gratuliert.9 Nach 21 Ehejahren, drei Jahre vor seinem Umzug nach Münster, hatte Münzer seine Frau verloren, die ein Opfer der damals grassierenden Grippewelle geworden war. Während der Ehe mit Clara Engels war die bereits erwähnte Tochter Margarete geboren worden, die Münzer später adoptierte und der er nach 1933 den Status einer „Arierin“ zu verschaffen verstand. In Münster ehelichte Münzer im Jahre 1924 die Witwe Clara Lunke, geb. Ploeger, die einen Sohn und eine Tochter mit in die Ehe brachte. Den überraschenden Tod seiner zweiten Frau am 17.2.1935, der ihn um den vermutlich lebensrettenden Status eines in sogenannter „privilegierter Mischehe“ lebenden ‚Juden‘ bringen sollte, kommentierte Friedrich Münzer in einem Brief vom 20.3. desselben Jahres an den „lieben (alten) Freund“ Rostovtzeff folgendermaßen: „Und während diese und andere Dinge [gemeint ist vor allem die Emeritierungsangelegenheit, J. W.] noch ungeklärt waren, erlitt meine liebe Frau plötzlich einen Schlaganfall, der die rechte Seite lähmte und ihr die Sprache fast vollständig raubte. Nach sechs Tagen, während denen vorübergehend einige Hoffnung aufleuchtete, war alles zu Ende, und der einzige Trost ist, dass ihr ein langes Leiden erspart blieb, wie es vor einigen Jahren ihren einen Bruder quälte. Nun war ich mit meiner ersten Frau über 21 und mit meiner zweiten – nach sechsjährigem Alleinsein – etwa 10 ½ Jahre verheiratet und stehe an der Schwelle des Alters wieder allein.“10
Kurz zuvor hatte, auch das teilte er Rostovtzeff mit, die über alles geliebte Tochter Margarete gesundheitlich „zwischen Tod und Leben“ geschwebt,11 und im Kriege sollte Münzer zudem noch Schwieger- und Stiefsohn verlieren. Münzer war, wie viele andere deutsche Professoren jener Zeit, von deutschnationaler Gesinnung: Er trauerte dem Kaiserreich, nicht zuletzt einer Person wie Bismarck, nach, war glühender Hindenburgverehrer und bemühte häufig genug in Vorträgen und Veröffentlichungen Parallelen zwischen der griechisch-römischen und der preußisch-deutschen Geschichte.12 Als akademischer Lehrer war Münzer, gemäß seinem Naturell, wohl nicht mitreißend, im persönlichen Umgang mit den Studenten zumeist zurückhaltend und ernst, denjenigen gegenüber jedoch, die sein Vertrauen gewonnen hatten und möglicherweise seine Doktoranden geworden wa9 10 11 12
Der Text des Telegramms findet sich in Kreucher 2005: 87 (Nr. 38). Kreucher 2005: 100 (Brief Nr. 45). Kreucher 2005: 100–101. Kneppe/Wiesehöfer 1983: 56–59.
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ren, war er, wie im Falle seiner Freunde und Kollegen, überaus liebenswürdig und hilfsbereit.13 Die Ereignisse nach dem 30. Januar 193314 bleiben in Münzers Briefen an Rostovtzeff unerwähnt, obgleich auch in Münsters Professoren- und Studentenschaft sehr früh Listen mit rassisch oder politisch unliebsamen Kollegen kursierten und jüdische Gelehrte schon im März 1933 am Betreten der Universität gehindert wurden; allerdings mag dieses Schweigen auch der Überlieferungssituation geschuldet sein. Der Entlassung aus dem Staatsdienst entging Münzer im Frühjahr 1933 deshalb, weil er bereits vor 1914 den Beamtenstatus erlangt hatte; stattdessen wurde er 1935 – man hatte inzwischen im „Gesetz über die Entpflichtung und Versetzung von Hochschullehrern“ das Emeritierungsalter von 68 auf 65 herabgesetzt – „in allen Ehren“ emeritiert.15 Zum 31.12.1935 – inzwischen waren die sog. Nürnberger Gesetze erlassen worden – entzog man Münzer dann jedoch die Lehrbefugnis16 und belegte ihn 1938 mit einem Publikationsverbot, das allerdings von Kollegen und Freunden z. T. umgangen wurde. Auch die Arbeit in der Universität war ihm seit dieser Zeit untersagt, doch sorgten Kollegen und, wie Münzer sie nennt, „Menschen, mit denen ich gern und freundschaftlich verkehre,“17 dafür, dass ihm zumindest Teile der benötigten Literatur in seine Wohnung in der Heisstraße 1 gebracht wurden. Es sei daran erinnert, dass sich unter den Helfern durchaus auch überzeugte Nationalsozialisten befanden,18 die die Behandlung des Kollegen als schäbig empfanden, während andere, der neuen Bewegung durchaus kritisch gegenüberstehende Gelehrte, die Kontakte allmählich einstellten. Alles führte zu der zunehmenden privaten Isolation Friedrich „Israel“ Münzers, wie sich Münzer ab dem 1.1.1939 zu nennen gezwungen war, in den letzten Jahren seines Lebens, auf die ich ja bereits hingewiesen hatte.19 Ein Angebot seines Freundes Hans Kluge, ihm bei der Auswanderung behilflich zu sein, lehnte Münzer ab, weil er sich nicht 13 14
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Kneppe/Wiesehöfer 1983: 65. Kneppe/Wiesehöfer 1983: 95–126. Zur ‚Gleichschaltungskommission‘ unter der Leitung des Orientalisten Anton Baumstark und den ersten Monaten nach der Machtergreifung s. Behnke 1978: 117 ff.; vgl. Fausser 2000: 44 ff. In dem Monumentalwerk Thamer/Droste/Happ 2012 zur „Universität Münster im Nationalsozialismus“ taucht der Name Friedrich Münzer nicht auf. Auch eine Geschichte des Instituts für Altertumskunde zwischen 1933 und 1945 sucht man in ihm vergeblich. Auch für die Althistorie und Archäologie in Münster nützlich: Fausser 2000. Schreiben des REM an den Kurator der Universität vom 23.7.1935 (UAMS, Bestand 10 Nr. 7); vgl. Kneppe/Wiesehöfer 1983: 110. Schreiben des Kurators an Münzer vom 20.2.1936 (UAMS, Bestand 5 Nr. 152); vgl. Kneppe/ Wiesehöfer 1983: 112. Kreucher 2005: 101. So der Klassische Philologe Walter Eberhardt, den Münzer am 29.5.1942 brieflich darum bat, Zitate in der Institutsbibliothek nachprüfen zu dürfen (UAMS, Bestand 178 Nr. 3 Bl. 68; zitiert nach Fausser 2000: 49) und der diesem Wunsch entsprach; vgl. auch Kneppe/Wiesehöfer 1983: 123 Anm. 51. Bei meinen Recherchen wurde mir Anfang der 1980er Jahre sogar mitgeteilt, Münzer habe mit dem Gedanken gespielt, sich, wie sein Bruder Richard 1940 in Hamburg, das Leben zu nehmen.
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von seiner Tochter trennen wollte und sich sicher auch die fatale Entwicklung hin zur Schoah nicht vorstellen konnte.20 Vor einem Umzug in eines von sieben sog. Judenhäusern in Münster wurde Münzer bewahrt, weil seine Adoptivtochter als „nichtjüdisch“ galt. Am 2.1.1940 wurden Teile von Münzers Vermögen auf Grund von „Sicherungsanordnungen“ für die „Judenvermögensabgabe“ beschlagnahmt. Acht Tage später musste er deshalb die Genehmigung einholen, seinen Bruder Richard, der sich am 24.1. schließlich das Leben nahm, weiterhin finanziell unterstützen zu dürfen. Im Februar desselben Jahres bat Münzer den Oberfinanzdirektor um die Erlaubnis, Wertpapiere an seine Tochter Margarete übertragen zu dürfen, und – nach einer weiteren „Sicherungsanordnung“ am 16.6.1942 – bat er kurz vor seiner Deportation nach Theresienstadt um eine Erhöhung des monatlichen Unterstützungsbeitrages für die Tochter, deren Ehemann am 20.5.1941 gefallen war. Seinem Antrag wurde teilweise stattgegeben.21 Wegen seiner eigenen jüdischen Abstammung wurde Friedrich Münzer am 31.7.1942 mit 74 Jahren und auf erschreckend brutale Weise nach Theresienstadt deportiert.22 Seiner Tochter Margarete (Grete) gelang es noch im Herbst 1942 – zusammen mit Freunden wie Erich Burck –, Münzer den Status eines sog. „A-Prominenten“ im Lager zu verschaffen; angeblich war man sogar bereit, ihn zu entlassen – allerdings nicht ins Reichsgebiet. Dieser Beschluss, der vermutlich nicht wirklich lebensrettend gewesen wäre, kam jedoch zu spät: Friedrich Münzer starb am 20. Oktober 1942 an einer der mangelnden Hygiene im Lager geschuldeten Darmentzündung, nachdem er sich zuvor noch kurze Zeit als Lektor in der kleinen evangelischen Gemeinschaft in Theresienstadt engagiert hatte. Ein Grab fand Münzer nicht; sein Epitaph findet sich weiterhin auf der Lunke’schen Familiengruft auf dem Friedhof in Münster.23 III. Im letzten Teil meines Beitrages darf ich nun noch einige neuere Erkenntnisse zu Münzers Aufenthalt in Theresienstadt vorstellen: Kurz vor seinem Tode zog Münzer, der bis dahin in Quartier Q 310/12 untergebracht gewesen war, d. h. in Haus 10 in der sog. Badgasse im Kasernenkomplex C IV, dank der Bemühungen seiner Tochter in das euphemistisch so genannte Prominentenquartier Q 408 um, das in
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Kneppe/Wiesehöfer 1983: 123 Anm. 47. Die Angaben zu den Vermögensverhältnissen finden sich in Möllenhoff/Schlautmann Overmeyer 2001a: 313. Zum folgenden s. Kneppe/Wiesehöfer 1983: 127–149. Zur vierten Deportation aus Münster (nach Theresienstadt) s. Möllenhoff/SchlautmannOvermeyer 2001b: 849–852, Namensliste: S. 1038–1042. – Zu Theresienstadt s. zuletzt Benz 2013. Freundliche Auskunft M. Haake. Eine Abbildung des Grabsteins findet sich in Kneppe/Wie sehöfer 1983: Abb. 10.
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unmittelbarer Nähe des Zentrums Theresienstadts lag.24 Er wohnte nun im selben Haus wie der bekannte Bonner Geograph Alfred Philippson (1864–1953), dem nicht zuletzt Sven Hedin den Prominentenstatus verschafft hatte.25 Philippsons Tochter Dora, die die Pflege ihres Vaters vor der Deportation in die Vernichtungslager bewahrte,26 schrieb in ihren Erinnerungen später dazu: „Am 1.X. war es soweit, wir (und noch 1 Prof. aus Münster [wohl Friedrich Münzer, J. W.]) zogen als 1. Prominente nach Q 408, hatten ein Zimmer für uns etwa 6 m lang und 3–3 ½ m breit, richtige Betten aus Metall mit Patentrahmen u. Roßhaarmatratze! Kleiderschrank jeder 1 Stuhl, dazu 1 Sessel für den alten Herrn.“27
Angemerkt sei, dass im Zuge der Herbsttransporte des Jahres 1944 zunehmend das Privileg der Prominenten, von Transporten in die Vernichtungslager ausgenommen zu sein, aufgehoben wurde und etliche bis dahin sich in Sicherheit wiegende Prominente für die Ostdeportation registriert und z. T. dort auch noch ermordet wurden. Im Sommer 1942 begann auch langsam das von den Häftlingen z. T. selbst organisierte, z. T. aber auch, um nicht zuletzt die Insassen und die ausländische Öffentlichkeit zu täuschen, von oben angeordnete kulturelle Leben in Theresienstadt, über das wir inzwischen sehr viel wissen.28 Wenn meine Informationen, die ich der in Theresienstadt inhaftierten Münchner Dichterin Gerty Spies29 verdanke, die diese ihrerseits aber nur von ihrer Freundin erhielt, stimmen, beteiligte sich auch Friedrich Münzer an ihm aktiv als Vortragender. Allerdings ist leider nicht bekannt, in welchem Rahmen, wie häufig und über welche Themen er referierte. Bei Gerty Spies heißt es: „Im Sommer 1942 begann es mit Vorträgen der Professoren Stein, Jakobson und Münzer (der seine Zuhörer in einem Hinterhof um sich zu versammeln pflegte. Er starb schon im selben Herbst, ein Opfer Theresienstadts.).“30
Es hat den Anschein, als ob hier auf eine Zeit angespielt wird, in der noch Versammlungen jeder Art und kulturelle Veranstaltungen verboten waren, weshalb man sich heimlich auf den Dachböden, in Hinterhöfen oder an sonstigen abgelegenen Orten traf. Wenn sich das Wachpersonal näherte, zerstreuten sich die Zuhörer sehr schnell wieder.
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Zu den „Prominenten“ in Theresienstadt s. Bondy 1995; Bernstein 1999: 31–40; Feuss 2002. Zu Philippson vgl. Mehmel 2001. Zu Dora Philippson s. Mehmel 1996. Rothe 1994: 318. Dora Philippson hat nach der Befreiung des Lagers 1945 in einem Bericht ihre Deportation und das Überleben in Theresienstadt geschildert (Rothe 1994). Der Bericht liegt außerdem in der Dauerausstellung der Gedenkstätte für die Bonner Opfer des Nationalsozialismus – An der Synagoge e. V. in der Franziskanerstraße 9 in Bonn aus. – Alfred Philippson berichtete später Erich Burck über seine Bekanntschaft mit Friedrich Münzer (Kneppe/Wie sehöfer 1983: 145). Benz 2013: 102–147. Zu Gerty Spies s. Benz 2013: 129 f. Spies 1984: 52.
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Der Name Stein in der Aufzählung könnte Sie stutzig gemacht haben. Es handelt sich dabei mit ziemlicher Sicherheit um den Prager Althistoriker Artur Stein, dessen Werk „Der römische Ritterstand“ aus dem Jahre 1927 auch Friedrich Münzer wohlwollend rezensiert31 und der, wie Münzer, prosopographisch für die RE gearbeitet hatte. Klaus Wachtel hat vor kurzem dankenswerterweise ausführlich an Stein und seinen Kollegen Edmund Groag erinnert.32 Stein war, zusammen mit seiner Frau, am 6. Juli 1942 in Theresienstadt angekommen, und von ihm wissen wir nun einiges über seine Vortragstätigkeit. Stein, der Theresienstadt um fünf Jahre überleben sollte und auch, zusammen mit Alfred Philippson, in einer Filmsequenz des Propagandafilms „Theresienstadt“ aus dem Jahre 1944 als Zuhörer bei einem Vortrag seines Schwagers Emil Utitz zu sehen ist,33 referierte bis 1944 vor allem über römische und antike jüdische Geschichte, aber etwa auch über Themen aus dem Bereich der Papyrologie.34 Es spricht viel dafür, dass sich Friedrich Münzer und Artur Stein im Herbst 1942 in Theresienstadt begegnet sind. Ein letztes: Philippson, Stein und Münzer waren nicht die einzigen Altertumskundler bzw. an Geschichte und Kultur des Mittelmeerraumes interessierten Wissenschaftler, die in Theresienstadt interniert waren: Besonders bekannt ist das Schicksal des niederländischen Althistorikers und Papyrologen David Cohen, der auch in Deutschland studiert und in Leiden und Amsterdam gelehrt hatte.35 Seit 1904 hatte sich Cohen in der zionistischen Bewegung engagiert und war Sponsor des jüdischen Jugendbundes und zionistischen Studentenverbandes gewesen. Cohen wurde Mitglied des Jüdischen Rats in Den Haag und Amsterdam. Wie schon während des Ersten Weltkrieges bemühte er sich seit 1933 und vor allem nach der deutschen Besetzung der Niederlande um die Aufnahme und Versorgung jüdischer Flüchtlinge. Ab dem 12. Februar 1941 führte Cohen gemeinsam mit Abraham Asscher die von den deutschen Besatzern initiierte Zwangsvereinigung des Joodse Raads, zunächst für Amsterdam und später für die gesamten Niederlande. Nach dem allmählichen Ausschluss der jüdischen Bevölkerung aus dem öffentlichen Leben war der Judenrat auch mit Bildungs-, Fürsorge- und elementaren Fragen, wie Kleidungs- und Lebensmittelbeschaffung, beschäftigt. Er versuchte durch Freistellungen möglichst viele jüdische Landsleute vor der Deportation – und damit vor der Ermordung – zu bewahren, was jedoch nicht gelang. Cohen wurde, wie auch andere Mitglieder des Joodse Raads, am 23. September 1943 als einer der letzten in den Niederlanden verbliebenen Juden über das Durchgangslager Westerbork nach Theresienstadt deportiert. Dort gehörte er ab September 1944 dem Ältestenrat an und überlebte in Theresienstadt bis zur Befreiung im Mai 1945. Wegen Kollaboration mit den deutschen Besatzern wurde er nach seiner Rückkehr in die Niederlande 31 32 33 34 35
Münzer 1928. Wachtel 2012. Die Karte zu A. Stein im sog. Prominentenalbum: http://www.ghetto-theresienstadt.de/pages/s/steina.htm (Zugriff: 24.5.2014). Sequenz 33: https://www.youtube.com/watch?v=UP8eYTwmPt0 (Minute 9:30 ff.; Zugriff 24.5.2014). Wachtel 2012: 150 f. Schrijvers 2000; Hájková 2002.
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festgenommen, und es wurde ein Ermittlungsverfahren gegen ihn eingeleitet. Nach der Einstellung dieses Verfahrens folgte 1947 ein Prozess vor einem jüdischen Gemeindegericht, das Cohen der Kollaboration für schuldig erkannte. Cohen, der seine Handlungen während der Besatzungszeit im Prozess rechtfertigte, wurde die Ausübung von Funktionen in jüdischen Ämtern untersagt. Nach der 1950 erfolgten Annullierung dieses Urteils nahm er seine Professur in Amsterdam wieder auf. 2010 veröffentlichte Erik Somers die Erinnerungen David Cohens, der 1967 verstarb, an die Jahre 1941–1943.36 IV. Die Geschichte David Cohens, den Münzer gekannt haben mag, aber nicht mehr in Theresienstadt wiedersah, leitet über zu meinen letzten kurzen Bemerkungen, die sich als Aufforderung verstehen, dringenden Desideraten althistorischer Forschung abzuhelfen. Dazu zählen nicht nur eine wirkliche wissenschaftliche Biographie Münzers – unsere Arbeit damals war dezidiert als Gedenkschrift gedacht –, sondern auch ausführliche Beiträge zu den zahlreichen bislang nicht oder nur ganz unzureichend gewürdigten altertumskundlichen Opfern nationalsozialistischer Unrechtsund Vernichtungspolitik, nicht zuletzt den zahlreichen diesbezüglichen Mordopfern aus den Ländern Osteuropas.37 Auch die Biographien und Forschungsinteressen von Personen aus unseren Fachgebieten, die sich dem Regime andienten, von ihm profitierten oder Lehr- und Publikationsnischen suchten, sind wichtige Forschungsgegenstände, für Untersuchungs-, nicht Strafrichter, wie Stefan Rebenich zu Recht betont hat.38 Schließlich ist, wie das Beispiel Münster zeigt, auch immer noch an vielen deutschen Universitäten das Kapitel der Geschichte unseres Fachs im 20. Jahrhundert zu schreiben. Eine Tagung wie diese macht dazu Mut. BIBLIOGRAPHIE Badian, E. 1989: Rezension: A. Kneppe / J. Wiesehöfer, Friedrich Münzer. Ein Althistoriker zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus, Bonn 1983, Gnomon 61, 600–605. Behnke, H. 1978: Semesterberichte. Ein Leben an deutschen Universitäten im Wandel der Zeit, Göttingen. Benz, W. 2013: Theresienstadt. Eine Geschichte von Täuschung und Vernichtung, München. Bernstein, E. 1999: Das Leben als Drama. Erinnerungen an Theresienstadt, hrsg. v. R. Bake / B. Kiupel, Dortmund. Bondy, R. 1995: Prominent auf Widerruf, in: Theresienstädter Studien und Dokumente, Prag, 136– 154. Fausser, K. 2000: Geschichtswissenschaft im Nationalsozialismus. Ein Beitrag zur Geschichte der Historischen Institute der Universität Münster 1933–1945, Münster. 36 37 38
Somers 2010. Ein entsprechendes Projekt des Autors und seines Posener Kollegen Krzysztof Królczyk ist in Vorbereitung. Rebenich 2001: 496.
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Feuß, A. 2002: Das Theresienstadt-Konvolut, Hamburg. Hájková, A. 2002: Die Juden aus den Niederlanden in Theresienstadt, in: Theresienstädter Studien und Dokumente, Jg. 9, 135–201. Hölkeskamp, K.-J. 2012: Friedrich Münzer – Werk und Wirkung, in: F. Münzer, Kleine Schriften, hg. v. M. Haake / A.-C. Harders, Stuttgart, XIII–XLVI. Kneppe, A. / Wiesehöfer, J. 1983: Friedrich Münzer. Ein Althistoriker zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus, Bonn. – 1985: Friedrich Münzer, in: R. Stupperich (Hg.), Westfälische Lebensbilder, Bd. XIII, Münster, 193–232. Kreucher, G. (Hg.) 2005: Rostovtzeffs Briefwechsel mit deutschsprachigen Altertumswissenschaftlern. Einleitung, Edition und Kommentar, Wiesbaden. Mehmel, A. 1996: Dora Philippson, in: A. Kuhn et al. (Hgg.), 100 Jahre Frauenstudium: Frauen der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Dortmund, 200–204. – 2001: Philippson, Alfred, in: Neue Deutsche Biographie (NDB), Band 20, Berlin, 399–400. Möllenhoff, G. / Schlautmann-Overmeyer, R. 2001a: Jüdische Familien in Münster 1918–1945, T. 1: Biographisches Lexikon, 2. Auflage, Münster. – 2001b: Jüdische Familien in Münster 1918–1945, T. 2,2: Abhandlungen und Dokumente 1935– 1945, 2. Auflage, Münster. Münzer, F. 1928: Rezension: A. Stein, Der römische Ritterstand. Ein Beitrag zur Social- und Personengeschichte des römischen Reiches, München 1927, HZ 138, 97–100. – 2012: Kleine Schriften, hg. v. M. Haake / A.-C. Harders, Stuttgart. Rebenich, S. 1981: Alte Geschichte in Demokratie und Diktatur: Der Fall Helmut Berve, Chiron 31, 457–496. Rothe, V. 1994: Jüdinnen in Bonn 1933–1945, in: A. Kuhn (Hg.), Frauenleben im NS-Alltag. Bonner Studien zur Frauengeschichte, Pfaffenweiler, 303–320. Schrijvers, P. 2000: Rome, Athene, Jeruzalem. Leven en werk van Prof. Dr. David Cohen, Groningen. Somers, E. 2010: Voorzitter van de Joodse Raad. De herinneringen van David Cohen (1941–1943). Ingeleid en geannoteerd door Erik Somers, Zutphen. Spies, G. 1984: Drei Jahre Theresienstadt, München. Thamer, H.-U. / Droste, D. / Happ, S. (Hgg.) 2012:. Die Universität Münster im Nationalsozialismus. Kontinuitäten und Brüche zwischen 1920 und 1960, 2 Bde., Münster. Wachtel, K. 2012: Arthur Stein (1871–1950) und Edmund Groag (1873–1945). Zwei jüdische Gelehrtenschicksale in Wien und Prag, in: K. Hruza (Hg.), Österreichische Historiker. Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Bd. 2, Wien, 129–167.
FRIEDRICH MÜNZER UND DIE „GEOGRAPHIA“ Ein Netzwerk von Freunden in den Jahren 1923–1938 Hans-Joachim Böckenholt, Münster Δείξε μου τους φίλους σου και θα σου πω ποιός είσαι. Zeige mir deine Freunde und ich sage dir, wer du bist!
Der folgende Beitrag beleuchtet einen knapp 15-jährigen Lebensabschnitt Friedrich Münzers, der im privaten Bereich vor allem durch seine Mitgliedschaft in der „Geographischen Gesellschaft zur Erforschung des münsterländischen Tieflandbusens“, der „Geographia“, geprägt ist. Bei wöchentlichen Wanderungen durch die münsterländische Parklandschaft eröffnete diese für einen festen Freundeskreis aus dem Bildungsbürgertum Münsters nicht nur regelmäßig terminierte Zeiträume zur Erholung von den Dienstgeschäften, sondern auch im Umfeld von größeren und kleineren Vorträgen gern wahrgenommene Gelegenheiten zum diskursiven Austausch über wissenschaftliche Fragestellungen und aktuelle Ereignisse. Das Besondere an dieser schon damals traditionsreichen, sich auf ca. 25 Mitglieder beschränkenden Gesellschaft ist, dass, abgesehen vom 1.3.–31.7.1926, von jeder Wanderung in den Jahren 1923 bis 1938 zumeist handschriftlich abgefasste, mehr oder weniger ausführliche Berichte mit Hinweisen auf aktuelle Tagesfragen, kulturelle Sehenswürdigkeiten, gesellschaftliche Probleme und wissenschaftliche Beiträge aus unterschiedlichen Fachbereichen in 28 Protokollbänden erhalten sind. Ergänzt durch handgeschriebene Lebensberichte der einzelnen Mitglieder und zusammenfassende Jahresberichte gestatten sie einen farbigen Einblick in das Geschehen dieser Jahre und dienen im Folgenden als zeit- und personengeschichtliche Quellen zur Ermittlung des privaten Umfeldes von Friedrich Münzer, der in den knapp 15 Jahren seiner Mitgliedschaft an 592 Wanderungen der „Geographia“ teilnahm und hier regelmäßig Erholung und interessengeleiteten Austausch suchte und fand, wie auch die 45 von ihm selbst verfassten, erhaltenen Berichte belegen. Alle folgenden Ausführungen orientieren sich eng an den überlieferten Jahresund nicht paginierten Wochenberichten, die als Belege unter Angabe des Datums der jeweiligen Wanderung nachgewiesen werden. 1. ERSTE BERUFLICHE KONTAKTE ZU EINZELNEN MITGLIEDERN DER „GEOGRAPHIA“ Als an der Westfälischen-Wilhelms-Universität zu Münster im Herbst 1920 der Althistoriker Otto Seeck emeritiert wurde, zeigte Friedrich Münzer, der seit 1911 als Ordinarius für Alte Geschichte an der Albertus-Universität in Königsberg forschte und lehrte, sehr bald Interesse an einem Wechsel in die Hauptstadt der Provinz
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Westfalen. Ausschlaggebend für diese berufliche Option war wohl der Tod seiner sehr geschätzten ersten Frau Clara, geb. Engels, die nach über 21-jähriger Ehe am 15.12.1918 einer Influenza-Infektion zum Opfer gefallen war. Zweifellos hatte aber auch „die ganze Not der Kriegszeit“, die das Leben in Königsberg von den ersten Kriegstagen an erheblich beeinträchtigte,1 seinen Wunsch nach einem Ortswechsel verstärkt. Zu nennen sind hier die vielen tausend Flüchtlinge, die die Verwaltung der Stadt und Universität belasteten, die Einquartierung Verwundeter in den Hörsälen der Universität, der stark eingeschränkte Vorlesungsbetrieb an der Albertina (mehr als die Hälfte der Studierenden und Dozenten waren zum Heeres- oder Lazarettdienst eingezogen), der Tod befreundeter Fachkollegen und vieler Studenten auf den Schlachtfeldern2 und die damit einhergehende Reduzierung des wissenschaftlichen Austausches. Für Münster als neuem Wirkungsort sprach, dass Münzer zu mehreren Mitgliedern des dortigen Instituts für Altertumskunde bereits Verbindungen pflegte und zum Teil mit ihnen sogar befreundet war. So lehrten hier sein alter Freund und Kollege aus der Zeit ihrer gemeinsamen Universitätstätigkeit in Basel Hermann Schöne, sein Schüler aus der Baseler Zeit, der Archäologe Arnold von Salis, und der Sprachwissenschaftler Otto Hoffmann, der von 1896 bis 1908 Extraordinarius in Königsberg gewesen war. Auch Otto Seeck, der Münzers wissenschaftliche Qualifikation besonders schätzte und dessen Berufung noch selbst wesentlich unterstützt hatte, kannte er persönlich.3 Zudem stützten ihn offenbar auch die Ordinarien der „benachbarten“ Lehrstühle für Klassische Philologie Karl Münscher und Peter Sonnenburg, zumal Münzers gerade erschienenes Buch Römische Adelsparteien und Adelsfamilien nach eigener Einschätzung seine wissenschaftliche Reputation entscheidend gefördert hatte.4 Vermutlich spielte aber neben der wissenschaftlichen Reputation Münzers auch dessen nationalkonservative Grundhaltung eine Rolle, die wahrscheinlich auf Grund früherer Kontakte die Akzeptanz des Bewerbers durch die Berufungskommission und ihrer Berater zusätzlich beförderte; denn zu der von Otto Hoffmann während des 1. Weltkriegs in Münster aufgebauten Gruppe von Universitätsprofessoren, die sich im Laufe der Kriegszeit zu einer Zentrale der expansionistischen Kriegszielpropaganda unter der Hochschullehrerschaft entwickelte, gehörten auch Otto Seeck und der Fachgeograph Wilhelm Meinardus, der damals noch in Münster lehrte und erst 1920 einem Ruf nach Göttingen folgte.5 Hoffmann wurde nach der Gründung der Deutschen Vaterlandspartei (DVLP), die nationalkonservative politische Gruppen bündelte, am 20.9.1917 Mitglied in ihrem erweiterten Vorstand. Im Oktober 1918 ist dann „die Münsteraner Ortsgruppe der DVLP anscheinend ziem1 2 3 4 5
Vgl. Album der Geographischen Gesellschaft zu Münster Westf. (Lebensbilder), Band I, Eintrittsnr. 87. Friedrich Hermann Münzer, Blatt 88, abgekürzt zitiert als „Autographischer Lebensabriss Münzer“, Scan mit einer Transkription abgedruckt auf S. 47–50. Kneppe/Wiesehöfer 1983: 43–49. Kneppe/Wiesehöfer 1983: 50 Anm. 3. Vgl. unten den „Autographischen Lebensabriss Münzer“. Zitiert nach Krüger 1992: 53–57.
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lich geschlossen zur neugegründeten Deutschnationalen Volkspartei übergetreten. … Hingegen sind keinerlei Verbindungen zur NSDAP erkennbar. Es ist kein Mitglied der Münsteraner NSDAP bekannt, das seine erste politisch-ideologische Heimat in der DVLP gefunden und dort seine primäre politische Sozialisation erfahren hätte.“6 Tatsächlich erhielt Münzer nach erfolgreichen Verhandlungen mit dem Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung in Berlin am 1.4.19217 den Ruf auf den Lehrstuhl für Alte Geschichte in Münster, den er auch ohne Zögern annahm, obwohl in den Berufungsvereinbarungen festgelegt worden war, dass er erst zum Wintersemester 1921/22 nach Münster versetzt werden sollte.8 Der Umzug erfolgte zum 1.10.19219 in die Gartenstraße 7. Das Haus gehörte dem angesehenen Verlagsbuchhändler Adolf Ludwig Schultze-Rhonhof (1867– 1923), der 1900 die alteingesessene Obertüschenʼsche Buchhandlung von Ernst Obertüschen (1830–1900) erworben hatte.10 Sowohl Schultze-Rhonhof als auch sein geschäftlicher Vorgänger Obertüschen sowie die bereits oben genannten Universitätsprofessoren Otto Hoffmann, Karl Münscher und Wilhelm Meinardus waren nicht nur auf Grund ihrer Forschungs-, Lehr- oder sonstigen beruflichen Tätigkeit miteinander bekannt, sondern als Mitglieder der „Geographischen Gesellschaft zur Erforschung des münsterländischen Tieflandbusens von 1884“ durch regelmäßige gemeinsame Unternehmungen sogar untereinander freundschaftlich verbunden. Im Institut für Altertumskunde kümmerte sich Friedrich Münzer nach seiner offiziellen Einführung am 4.11.1921 unverzüglich um die Ergänzung der Seminarbibliothek aus dem Nachlass Otto Seecks, der am 29.6.1921 verstorben war, und aus der Hinterlassenschaft des am 26.11.1921 verstorbenen Provinzialschulrats und Honorarprofessors für klassische Philologie Paul Cauer,11 der ebenfalls zu den Mitgliedern der „Geographia“ gehörte und vom 1.10.1919 bis zum 30.8.1921 ihr Präsident war.12 Vor dem Hintergrund der das Wirtschaftsleben lähmenden Reparationsforderungen, die nach der Organisation des passiven Widerstands die Besetzung des Ruhrgebiets und einen rapiden Niedergang von Industrie, Handel und Gewerbe, einen zunehmenden Mangel an Material in allen Bereichen des täglichen Lebens und eine wachsend hohe Arbeitslosigkeit sowie Hungerunruhen und gewaltsame Auseinandersetzungen zur Folge hatten, widmete sich Friedrich Münzer in dieser von einer galoppierenden Inflation gebeutelten und politisch äußerst angespannten Situation intensiv der Fülle immer schwieriger werdender Verwaltungsaufgaben im Institut für Altertumskunde. Trotz der dort kaum zu bewältigenden Probleme hat sich Münzer wohl so 6 7 8 9 10 11 12
Krüger 1992: 59. Vgl. unten den „Autographischen Lebensabriss Münzer“. Vgl. Kneppe/Wiesehöfer 1983: 51. Vgl. den „Autographischen Lebensabriss Münzer“ Berichte der Geographischen Gesellschaft zu Münster i. W., Bd. 58, Bericht vom 27.12.1923 (Petersen) und Nachruf vom 29.12.1923 (Breitfeld). Vgl. Kneppe/Wiesehöfer 1983: 52 Anm. 7. Vgl. die Nachrufe von Joseph Vaders im Bericht vom 22.12.1921 (Protokollband 56).
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schnell und unkompliziert nicht nur in die Institutsarbeit integrieren lassen, sondern sie auch im Rahmen der Möglichkeiten so gut bewältigt, dass er bereits nach zwei Jahren, am 15.10.1923, für ein Jahr das Amt eines der vier Dekane an der Westfälischen Wilhelms-Universität übernehmen und erfolgreich ausfüllen konnte.13 Angesichts des damit verbundenen Arbeitseinsatzes ist es erstaunlich, dass sich Münzer praktisch gleichzeitig und systematisch neben seinen dienstlichen Obliegenheiten einen privaten Freiraum schuf, der in den nächsten 15 Jahren einen erheblichen Teil seiner privaten Lebensführung ausfüllen sollte und nicht nur der Erholung, sondern auch der fachübergreifenden Weitung seines geistigen Horizonts diente. Angesprochen ist hier seine zweifellos über einen längeren Zeitraum vorbereitete Mitgliedschaft in der „Geographia“, in der sich regelmäßig an jedem Donnerstagnachmittag14 Universitätsprofessoren, Richter, Landes- und Kommunalpolitiker, Professoren vor allem des Gymnasiums Paulinum, aber auch anderer höherer Lehranstalten, sowie höhere Regierungsbeamte etc. zu einer Wanderung durch das Münsterland trafen, aus unterschiedlichen Blickwinkeln die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Probleme der Zeit beleuchteten, am Wege gelegene Boden- und Kunstdenkmäler besichtigten und sich von Fall zu Fall bei abendlichen Biersitzungen nach längeren oder kürzeren Vorträgen wissenschaftlich austauschten.15 2. GESCHICHTE UND EIGENART DER „GEOGRAPHIA“ Gegründet wurde diese Gesellschaft am Donnerstag, dem 2. Oktober 1884, von fünf jüngeren, miteinander befreundeten, wissenschaftlich und musisch besonders qualifizierten Lehrkräften des Königlich Paulinischen Gymnasiums zu Münster anlässlich einer nachmittäglichen Fußwanderung über Handorf und Haus Langen nach Westbevern. „Bei diesem Ausfluge wurde zuerst der Gedanke an die Gründung einer geographischen Gesellschaft angeregt, der allseitig lebhaft aufgegriffen und verfolgt wurde. Man konstituierte sich sofort provisorisch, wählte Brungert16 u. 13 14
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Bereits 1907 hatte er in Basel dieses Amt ausgefüllt. Zudem hatte er vor seiner Berufung nach Königsberg die Wahl zum Rektor in Basel abgelehnt (s. den „Autographischen Lebensabriss Münzer“). Erst am 30.6.1937 ist der reguläre Wandertag von Donnerstagnachmittag auf den Mittwochnachmittag verlegt worden. Grund für diese Veränderung im 53. Jahr der Gesellschaft war, dass die Beamten und Anwälte am Mittwochnachmittag dienstfrei hatten. Vgl. die Berichte vom 24.6.1937 und 30.6.1937 im 83. Band der Berichte über die Tätigkeit der Geographischen Gesellschaft und den Hinweis im 3. Teil der Lieder (1914–1939), S. 19, Anm. zum Lied 16. Diese damals bereits über 40 Jahre bestehende Gesellschaft, die etwas despektierlich von Margarete Brinkhaus, der Adoptivtochter von Friedrich Münzer, am 22.2.1982 in einem Interview mit Alfred Kneppe und Josef Wiesehöfer als „Trampelclub“ bezeichnet worden ist, ging seitdem in Unkenntnis des zugrundeliegenden Sachverhalts unter dieser Bezeichnung von Fall zu Fall in die Literatur über Münzer ein; s. Kneppe/Wiesehöfer 1983: 66 u. 112 u. 1985: 226; Ribhegge 1985: 166. Prof. Ludwig Berhard Heinrich Brungert (1847–1913), 1. Präsident der „Geographia“, Herausgeber u. a. der Neubearbeitung der 3. Auflage des Buches: „Das malerische und romantische Westfalen“ von Levin Schücking und Ferdinand Freiligrath, Paderborn 1890.
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Püning17 zum Präsidenten resp. Vizepräsidenten, Schlupp18 und Müller19 zu[m] Schriftführer und Schatzmeister. … Das erhebende Bewußtsein, den Keim zu einem großen Werke gelegt zu haben, hielt die Freunde bis in [die] späte Abendstunde im Hotel Schwarz [Schwarte] vereint. Püning.“20 Da bereits die Mitglieder der Gründergeneration der „Geographia“ nicht nur fundierte fachwissenschaftliche Kompetenzen in den damals vermittelten Schulfächern, vor allem in den alten Sprachen, besaßen, sondern auch mit den Besonderheiten der Region vertraut waren und zudem beachtliche musische Qualitäten aufwiesen, versteht man, dass der zunächst kollegial zusammengesetzte Kreis junger Lehrkräfte schnell großen Zuspruch fand und bereits zwei Wochen später 10 feste Mitglieder und am 22.3.1888 schon insgesamt 23 Mitglieder zählte. Offenbar achtete man von Anfang an sehr darauf, die Vielfalt wissenschaftlicher Fachbereiche zu erhalten und ordnete die erwarteten Vorträge nach dem Akademieprinzip 23 Sektionen zu. Inhaltlich war dieses ehrgeizige Ziel durchaus zu erreichen; denn das Gymnasium Paulinum war im 19. Jahrhundert die bedeutendste Bildungsinstitution nicht nur der Stadt Münster, sondern darüber hinaus der gesamten Provinz Westfalen.21 In Fortsetzung der Tradition der alten Gelehrtenschule hatte sich das Lehrerkollegium auch nach der Übernahme des preußischen Gymnasialmodells und dem damit verbundenen organisatorischen Verlust der engen Verzahnung mit der Königlichen Akademie zu Münster „in der Wissenschaft vielfach engagiert; mochte die organisatorische Verbindung zur Universität gelöst sein – das geistige Band zerriß nicht.“22 Beste Beispiele für diese weiterhin bestehende enge Verzahnung waren der bereits erwähnte akademische Zeichenlehrer Johannes Müller und Prof. Felix Hase. Letzterer war als Studienrat am Gymnasium Paulinum für germanische und romanische Sprachen als erster „fremdsprachlicher Lector“ aus dem Kreis preußischer Schulmänner bereits 1887 zum Lektor für die englische Sprache an der Königlichen Akademie zu Münster ernannt worden und nahm diese Aufgabe seit 1902 auch am Institut für Englische Philologie der Westfälischen Wilhelms-Universität wahr und förderte dort ab 1918 als Oberstudienrat und Universitätsprofessor in dieser Funktion maßgeblich die Entwicklung seines Fachs.23 17
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Prof. Dr. phil. Hermann Püning (1849–1928), Geheimer Studienrat für Mathematik und Physik am Gymnasium Paulinum in Münster, eigentlicher Gründer der „Geographia“. Seine wissenschaftlichen Abhandlungen, z. B. „Über Planimeter“ (1875) und Lehrbücher der Physik, Chemie und Mineralogie (1927–1946) waren über seinen Tod hinaus weit verbreitet. Otto Schlupp (1855–1897), Gymnasiallehrer am Gymnasium Paulinum. Johannes Müller (1848–1907), praktizierender Maler von Portraits und Genrebildern („Düsseldorfer Schule“) und akademischer Zeichenlehrer am Gymnasium Paulinum und an der Akademie in Münster. Tagebuch über die Tätigkeit der Geographischen Gesellschaft zur Erforschung des Münsterschen Tieflandbusens, 1884–1926, 1. Bd., Eintrag von „Donnerstag, 2. Oct. 1884“. Jeismann 1993: 676. Jeismann 1993: 678. Prof. Felix Anton Maria Hase (1858–1947), Oberstudienrat am Gymnasium Paulinum und „Lector der englischen Sprache“ an der Westfälischen Wilhelms-Universität bis zum Wintersemester 1927/28. Vgl. das „Album der Geographischen Gesellschaft“, Bd. 1, Nr. 28, Blatt 29.
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Herausragende Wissenschaftler und charismatische Persönlichkeiten der ersten Geographengeneration waren zudem der Privatdozent für Naturwissenschaften Dr. Fritz Westhoff („Longinus“) (1857–1896), der nach einer erstaunlichen Fülle von wissenschaftlichen Veröffentlichungen und oft zitierten Balladen bedauerlicherweise früh an einer Tetanusinfektion verstarb, und der bekannte Germanist und Volkskundler sowie erste Rektor der Universität Freiburg (Schweiz) Prof. Dr. phil. Franz Jostes (1858–1925). Aber auch die anderen Geographen vermochten während der Halbtagswanderungen und Biersitzungen nicht nur Erholung und Unterhaltung, sondern in verschiedenen Disziplinen auch jeweils umfassende Kenntnisse über die Natur, die Geschichte, Baudenkmäler, Literatur etc. zu vermitteln. Zweifellos erleichterte die besondere Verkehrsgunst Münsters24 den Mitgliedern der „Geographia“, ihr Anliegen zu verfolgen, attraktive Wanderungen durch die nähere Heimat mit solider Information über landeskundliche, kunstgeschichtliche und historische Besonderheiten anzureichern, auf den „Kaffeestationen“ Zeit für tiefere Einblicke in die Arbeitsbereiche der Wanderfreunde zu gewinnen und auch den Umtrunk in geselliger Runde bei musikalischen und poetischen Kreationen nicht zu vernachlässigen. Das machte die „Geographia“ so attraktiv, dass am 15.3.1928 eine Limitierung der Mitgliederzahl auf 25 ortsansässige aktive Wanderer beschlossen wurde, nachdem bereits 1896 aus der „Geographia“ ein weiterer Wanderverein, der Baumberge-Verein, gegründet worden war. Da Bewerbungen zur Aufnahme in die geographische Gesellschaft auch in früheren Zeiten nicht entgegengenommen worden sind, darf man davon ausgehen, dass eine Einladung zu Gast- oder Probewanderungen, wie auch heute noch, nur auf Vorschlag mindestens eines Mitglieds der „Geographia“ oder mehrerer Mitglieder erfolgt ist und eine Abstimmung über die Aufnahme mindestens drei Probewanderungen in sechs Wochen voraussetzte. Hinzu kam die Bestimmung, dass die Neuaufnahme ein einstimmiges Votum voraussetzte. Angesichts dieser Vorgaben wird deutlich, dass die Einladung Friedrich Münzers zu entsprechenden Probewanderungen wohl vorbereitet war und mindestens einen in der „Geographia“ angesehenen Fürsprecher gehabt haben muss, der ihn relativ gut kannte. Entsprechende Hinweise auf ein empfehlendes Mitglied der „Geographia“ fehlen in den Protokollen. Da Friedrich Münzer vor dem Hintergrund seiner wissenschaftlichen Karriere außerhalb der Universität im Zeitraum zwischen dem 1. Oktober 1921 und Oktober 1923, dem Zeitraum der ersten Probewanderung, wohl nur wenige wanderfreudige, der „Geographia“ bereits angehörende Herren neu kennengelernt haben dürfte, kämen also eigentlich nur die Professoren Otto Hoffmann und Karl Münscher sowie der Vermieter seiner Wohnung Adolf Ludwig Schultze-Rhonhof infrage. Da Karl Münscher längere Zeit krank war und nicht mitwandern konnte, spricht manches dafür, dass entweder Otto Hoffmann oder Adolf Schultze-Rhonhof eine Empfehlung für die Einladung zu ersten Gastwanderungen Friedrich Münzers gaben, da sie beide seit längerer Zeit Münzer kannten 24
Seit 1848 waren Eisenbahnfahrten bis nach Hamm, 1856 bis nach Rheine, 1871 nach Osnabrück, 1874/1880 nach Haltern, 1875 nach Gronau und 1887 bis nach Warendorf möglich. Vgl. dazu Menninghaus/Krause 1985: 85–87.
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und sich jeweils an den Probewanderungen zweimal bzw. einmal beteiligten, wie es den geographischen Gepflogenheiten entsprach. 3. ERSTE BEGEGNUNGEN MIT DER GEOGRAPHISCHEN GESELLSCHAFT Die erste Probewanderung nahm Friedrich Münzer trotz seines zehn Tage zuvor neu angetretenen Amtes als Dekan am 25.10.1923 wahr. Abgesehen von der herbstlichen Färbung der Landschaft und der Wahl des ansehnlichen, typisch westfälischen Hofes Buermann in Hiltrup, war die eigentliche „Kaffeestation“ jedoch eher ein „Reinfall“; denn die Wirtin hatte versäumt, einen eigenen Raum zu reservieren, so dass die Unterhaltung der zwölf Wanderer angesichts der übrigen (mithörenden) Gäste „ziemlich einförmig und stockend“ dahinfloss. Zudem war der brillant formulierende Protokollant der letzten Wanderung, Prof. Dr. Karl dʼEster, der 1924 einem Ruf auf den Lehrstuhl für Zeitungswissenschaft an der Universität München folgen sollte, unvorhergesehen nicht erschienen. Das war umso schmerzlicher, weil ein Vortrag angesichts der „zermürbenden Zustände der Gegenwart“ in diesem Wanderjahr schon lange nicht mehr angemeldet worden war. Und zu guter Letzt war an diesem Tag bereits für eine Portion Kornkaffee nicht mehr „nur“ 30 Millionen Mark, wie noch eine Woche zuvor, sondern jetzt sogar 300 Millionen Mark zu bezahlen. Schließlich entlud sich auf dem Heimweg „unter Sturmesbrausen mit einer anscheinend hageldurchmischten gewaltigen Regenböe“ ein „dunkles Gewölk“ über der Wandergruppe und hatte sie in kürzester Frist völlig durchnässt. Da zudem nach dem Bericht vom 28.6.1923 aus finanziellen Gründen der Betrieb der städtischen Straßenbahn in Münster gänzlich eingestellt und erst am 16.2.1924 wieder aufgenommen werden konnte,25 gestaltete sich der Heimweg doppelt unangenehm und lang. Kein Wunder, dass ein halblautes Stöhnen durch die Wandergruppe ging: „Hoffentlich läßt sich unser Gast durch dieses geographische Debakel nicht von der Teilnahme an weiteren Wanderungen abschrecken.“26 Er ließ sich nicht abschrecken! Schon am 1.11.1923 beteiligte er sich wiederum an einer Wanderung durch die Loddenbüsche nach Hiltrup, diesmal zur Gaststätte Voigt. Dort erfuhr er nun aus dem eine Woche zuvor vermissten Protokoll dʼEsters Genaueres über dessen Wohnungsnöte: 3½ Jahre sei er als Wohnungssuchender eingetragen, habe endlich eine Notwohnung in einem zum Abbruch vorgesehenen Haus erhalten, sei in die Ferien gefahren und musste nach seiner Rückkehr erleben, dass in seiner Notwohnung inzwischen Bauarbeiter die Waschküche und das Abort abgerissen hatten, so dass für ihn und einem zu Besuch weilenden japanischen Professor und dessen Ehefrau nur noch die Toiletten in der Universität zur Verfügung standen. Drei Monate bewohne er nun eine nicht mehr verschließbare Wohnung, in die es hineinregne. Auch eine Beschwerde beim Oberbürgermeister27 habe nichts 25 26 27
Bericht Schellers vom 28.2.1924. Vgl. dazu Pünder 2006: 101. Bericht Schöninghs vom 25.10.1923. Gemeint ist hier Oberbürgermeister Georg Sperlich.
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an diesen Zuständen geändert, berichtete er. Kein Wunder, dass vor dem Hintergrund derartiger Probleme die Stimmung der Wanderer sorgenschwer und niedergedrückt war und „die meisten der Herren Geographen … schwarz, tief schwarz in die Zukunft“ sahen,28 seitdem „sich der gallische Hahn … krächzend und die Flügel spreizend auf die Schlote Essens“ gesetzt hatte.29 Auch auf den beiden letzten Wanderungen, an denen Friedrich Münzer als Gast teilnahm, wurden vor allem erneut Wohnungsnöte, Stellenabbau, unbezahlbare Lebensmittelpreise (1 Portion Kornkaffee für 750 Milliarden Mark und 1,8 Billionen Mark für ein Brot), groteske finanzielle Machenschaften, gewaltsame Übergriffe französischer und belgischer Truppen, völlig unzulänglich gestaltete Gesetze und Verordnungen, kurzum das bestehende Sicherheits-, Wirtschafts- und Finanzelend thematisiert, das letztendlich nur noch mit der drastisch formulierten Humoreske kommentiert werden konnte, „daß die Berliner Klosettfrauen nun endlich einen Streikgrund gefunden haben, weil sie nicht länger nach dem Index, sondern wieder wertbeständig nach dem Podex bezahlt werden wollen.“30 Das Jahr 1923 war ein Ausnahmejahr, in dem die Geographen aus finanziellen Gründen weitgehend auf die gewohnten Bahnfahrten und Biersitzungen mit Vorträgen, Gedichten und Liedern verzichten sowie sich oft mit ungeheizten Gasträumen und selbst geschmierten Butterbroten bei ½ Portion Kornkaffee begnügen mussten.31 Dennoch gefielen Friedrich Münzer offenbar diese kreativ und humorvoll auf die Probleme der Zeit reagierende Wandergesellschaft und ihr rustikaler Umgang mit Unwettern, grundlosen Wegen und mageren Bewirtungen, so dass er sich mit einem Schreiben des Präsidenten Alexander Breitfeld vom 20.12.1923 in die „Geographia“ aufnehmen ließ.32
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Protokoll Geh. Justizrat Landgerichtsdirektor a. D. Franz Bueren vom 18.1.1923. Protokoll Oberstudiendirektor Dr. Julius Uppenkamp vom 11.1.1923. Bericht vom 15.11.1923, kompetent verfasst von dem langjährigen Oberbürgermeister von Gelsenkirchen Theodor Machens, der nach dem 1. Weltkrieg fluchtartig mit seiner Familie die Stadt seines verdienstvollen Wirkens verlassen musste und erst am 7.9.1919 Zuflucht in Münster fand, wo er schon eine Reihe von Jahren an der Universität Münster kommunalpolitische Vorlesungen gehalten hatte. Mitglied in der „Geographia“ war er seit dem 4.1.1923 (vgl. seinen autographischen Lebensabriss im Album der Geographischen Gesellschaft, Nr. 83, und den Nachruf ebd. auf Blatt 85). Der von Gymnasialprofessor Daniel Wilhelm Schöningh am 15.10.1923 verfasste Jahresbericht 1922/23 fasst die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der geographischen Veranstaltungen anschaulich zusammen. Launig berichtete Münzer in seinem „Jungfernprotokoll“ vom 10.1.1924: „Mit der feierlichen Mitteilung, daß die Geographen ihn als Mitglied aufgenommen hätten, wurde dem Unterzeichneten das [Protokoll-]Buch anvertraut und dadurch der Ritterschlag erteilt. Als Historiker muß er übrigens nachtragen, daß laut einer wertvollen, vom 20. Dec. 1923 datierten und von dem Präsidenten eigenhändig geschriebenen und unterzeichneten Urkunde, deren Rückseite in künstlerischem Druck Namen und Titel des Präsidenten enthält und für die künftige Geschichtsforschung durch einige weitere gedruckte Bemerkungen („auf – den – um – Uhr –zum – U. g. A. w. g.“ u. a.) noch manche Rätsel in sich bergen dürfte, seine Aufnahme bei der Wanderung des 20. December erfolgt ist.“
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Den Gepflogenheiten etablierter Mitglieder der „Geographia“ folgend, schrieb er einige Jahre darauf, wahrscheinlich im Herbst 1928, unter der Mitgliedsnummer 87 eigenhändig einen zweiseitigen Lebensabriss in das „Album der Geographischen Gesellschaft zu Münster Westf. I.“, der auf den folgenden Seiten in Kopie und transkribiert abgedruckt ist: 87. Friedrich Hermann Münzer Am 22. April 1868 wurde ich in Oppeln in Schlesien geboren. Meine Eltern waren der Zigarrenfabrikant und (spätere) Kgl. Kommerzienrat E. Münzer und seine Frau Olga geb. Unger; ich hatte nur einen Bruder, der um 4 Jahre jünger ist und noch immer mit mir in engster Verbindung steht. Von Herbst 1879 bis Ostern 1886 besuchte ich das Gymnasium meiner Vaterstadt und bestand dort nach 8½ Jahren das Abiturientenexamen. Die Beziehungen zu der alten Heimat lösten sich bald, da meine Eltern im J. 1887 von Oppeln nach Hamburg übersiedelten, und die ohnehin kleine Zahl unserer Verwandten in Schlesien durch Todesfälle sehr zusammenschmolz. Ich studierte von Ostern 1886 bis Herbst 1887 in Leipzig Geschichte und verwandte Fächer ohne rechte Anleitung, ging im Herbst 1887 nach Berlin, kam dort in die rechte, gute Schule und blieb dort hängen; ich schloß meine historischen und philologischen Studien 1891 mit der Promotion und 1892 mit dem Staatsexamen ab. Die römische Geschichte war zum Mittelpunkt meiner Studien geworden; daß ich noch einer der letzten unmittelbaren Schüler Th. Mommsens bin, ist immer mein Stolz gewesen. Von dem Staatsexamen machte ich keinen Gebrauch, sondern ging Anfang 1893 nach Italien und arbeitete dort hauptsächlich für die Sammlung der lateinischen Inschriften und an einem schon in Berlin begonnenen Buche. Ich durfte den Aufenthalt in Rom und Italien vom Herbst 1894 bis in den Sommer 1895 noch einen solchen in Griechenland anfügen, der mit einer heimlichen und manchen Widerstand findenden Verlobung schloß. Dann arbeitete ich noch ein Jahr lang in Berlin, vor allem an umfangreichen Artikeln über die Geschichte der römischen Republik für die „Realenzyklopädie der klassischen Altertumswissenschaft“, unter deren Mitarbeiter ich 1893 eingetreten war, und an jenem Buche „Beiträge zur Quellenkritik der Naturgeschichte des Plinius“, das 1897 erschien und mir vorher als Habilitationsschrift diente. Eine merkwürdige Verkettung von Umständen veranlaßte mich dazu, außerhalb der deutschen Grenzen, in Basel, als Privatdozent zu beginnen, und weitere Zufälligkeiten bestimmten meine folgende Entwicklung. Nachdem ich den Winter 1896/97 noch einmal in Rom verbracht hatte, folgten in Basel recht schwere Jahre, die ich [S. 2] ohne meine liebe Frau, die ich nach längerer Wartezeit heimführte, gewiß nicht ausgehalten hätte. Schließlich zeigte sich eine Aussicht auf eine feste Stellung; freilich war das Opfer das Aufgeben meines eigentlichen Faches, der alten Geschichte. So wurde ich Ostern 1902 außerordentlicher und schon im Herbst desselben Jahres ordentlicher Professor der klassischen, insbesondere lateinischen Sprache und Literatur in Basel und hatte ein voll gerütteltes Maß an Arbeit, da ich in kleineren Vorlesungen und in wissenschaftlichen Aufsätzen stets die alte Geschichte weiter trieb. Im J. 1907 war ich Dekan der Philosophischen Fakultät in Basel und in demselben Jahre erster Vorsitzender der dort tagenden 49. Versammlung Deutscher Philologen und Schulmänner; aber erst 1909 erhielt ich eine volle gesetzliche Stelle als Ordinarius mit entsprechendem Gehalt. In diesem Jahrzehnt war ich vielfach für das von der Berliner Akademie begonnene „Korpus“ der antiken Münzen tätig; ich reiste dafür im Sommer 1905 ein Vierteljahr in den Donau- und Balkanländern und war im Sommersemester 1908 beurlaubt, um in Berlin und anderen deutschen Münzkabinetten zu arbeiten. Ende 1911 erhielt ich, nachdem ich kurz vorher die Wahl zum Rektor
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Hans-Joachim Böckenholt in Basel abgelehnt hatte, einen Ruf als Ordinarius der alten Geschichte nach Königsberg i. Pr. und nahm ihn mit Freuden an, da er mir zugleich die Rückkehr in die Heimat und zu meinem eigentlichen Fache gewährte; außer Zeitschriftenaufsätzen und Enzyklopädieartikeln hatte ein Basler Rektoratsprogramm „Cacus der Rinderdieb“ dazu beigetragen. In Königsberg war ich von Ostern 1912 bis Herbst 1921, habe dort Gutes und Böses erlebt, die ganze Not der Kriegszeit und gerade vor Weihnachten 1918, in den trübsten Tagen den Verlust meiner guten Frau. In Jahrzehnten herangereift, erschien 1920 mein Buch „Römische Adelsparteien und Adelsfamilien“, dem ich in der Hauptsache verdanke, daß ich zum 1. April 1921 als Nachfolger O. Seecks nach Münster berufen wurde. Erst zum 1. Okt. 1921 siedelte ich hierher über. 1923/4 war ich hier Dekan der Philosophischen Fakultät. Im Dez. 1923 wurde ich in die Geographia aufgenommen, die mich 1927 zu ihrem Vizepräsidenten wählte und mir 1928 den Wanderstab verlieh. Im Herbst 1924 verheiratete ich mich zum zweiten Male in Münster mit Clara geb. Ploeger, verw. Lunke, die mir zu meiner Tochter erster Ehe einen Sohn und eine Tochter von ihrem ersten Manne mitbrachte. Im J. 1925 veröffentlichte ich in Buchform einige populäre Vorträge „Die politische Vernichtung des Griechentums“, die ebenso wie eine Festrede von 1927 („Die Entstehung des röm. Prinzipats“), eine sehr freundliche Aufnahme fanden. [Diesem eigenhändig von Friedrich Münzer geschriebenen, aber wohl aus Platzgründen nicht unterschriebenen und datierten Lebenslauf sind später von anderer Hand folgende Daten beigefügt worden:] Eingetreten 20.XII.1923
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1927/29 Vizepräsident [20.10.1927–23.5.192933] 1929/31 Präsident [Juni 1929–5.10.1931] 22. IV. 1938: EM. 26. XI. 1938 ausgetreten
Tod des Präsidenten Oberstudiendirektor August Franck, an dessen Stelle Friedrich Münzer zum Präsidenten gewählt worden ist und 2 ½ Jahre das Amt ausübte.
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4. MÜNZERS LEBEN IN UND MIT DEM FREUNDESKREIS DER „GEOGRAPHIA“ IN SELBSTZEUGNISSEN UND BERICHTEN In seinem Jahresbericht vom 16.10.192434 stellte der Schriftführer Daniel Wilhelm Schöningh fest, dass „seit der Einführung der neuen Währung35 eine gewisse Stetigkeit eingetreten ist, die uns eine langsame Besserung unseres Wirtschaftslebens und ein neues Aufblühen des Staates in Aussicht stellt, so ist auch im kleinen Kreise unserer Gesellschaft nach den krisenartigen Erschütterungen der Kriegs- und ersten Nachkriegszeit wieder Ruhe, Sicherheit und stetiges Weiterentwickeln zu beobachten, das uns hoffen läßt, die Geographia allmählich wieder so zu gestalten, wie sie vor dem Kriege war. Besonders angenehm wurde es empfunden, daß nicht mehr die schwindelnden Milliardengrößen des Vorjahres, sondern wieder die alte solide Pfennigrechnung in die Erscheinung trat. Ebenso verschwand zur allgemeinen Befriedigung der Roggenkaffee in der Versenkung, die Rückkehr zur altgewohnten Coffea arabica wurde als ein geographisches Fest mit allg. Befriedigung begrüßt.“
Allein Friedrich Münzer relativierte bereits nach einem Bericht vom 24.1.192436 diese aufkommende euphorische Stimmung, indem er wohl mit einem Augenzwinkern bemerkte, dass er immerhin „für seine ein Jahr andauernde Tätigkeit bei der Staatlichen wissenschaftlichen Prüfungskommission für die Provinzen Rheinland und Westfalen bare 150 Millionen Mark (= [zum Zeitpunkt des Berichts] 15 Pfennige) ausgezahlt erhalten habe.“ Des Weiteren führte Schöningh im oben bereits genannten Jahresbericht vom 16.10.192437 aus: „Angesichts der Tatsache, dass im letzten Wanderjahr gar keine Vorträge gehalten worden waren, war im letzten Jahresbericht die Hoffnung ausgesprochen worden, daß dieser gute alte Brauch doch wieder aufleben möge. Ein kleiner Anlauf dazu ist geschehen, insofern 3 Vorträge gehalten wurden. Es sprachen die Herren: Hase: Über die Einwanderung in die Vereinigten Staaten, Münzer: Über die Kantfeier in Königsberg, Uppenkamp: Über die neue Schulreform. Diese Vorträge wurden mit gr. Beifall aufgenommen, und sie haben hoffentlich die Wirkung, daß in Zukunft wieder regelmäßig und häufig derartig anregende Darbietungen zu verzeichnen sein mögen.“
Tatsächlich wurde die alte Vortragskultur nach dem Tiefpunkt des Inflationsjahres 1922/23 wieder belebt und umfasste nach dem etwas mühsamen Auftakt im Wanderjahr 1923/24 im nächsten Wanderjahr 1924/25 schon 13 größere und kleinere Vorträge. 1925/26 machten sich bereits wieder 18 Geographen an die Arbeit, ihre Wanderfreunde mit ihren wissenschaftlichen Untersuchungsergebnissen, mit historischen, landeskundlichen und kunstgeschichtlichen Themen, Reiseeindrücken und vor allem auch lokal- und regionalgeschichtlichen sowie aktuellen politischen Informationen zu Diskussionen anzuregen oder auch nur zu unterhalten. 1926/27 hatte 34 35 36 37
Berichte der Geographischen Gesellschaft, Bd. 58. Gemeint war die Einführung der Rentenmark als Zwischenwährung zur Stabilisierung der deutschen Währung nach dem Gesetz vom 13.10.1923. Bericht von Dr. Alexander Breitfeld zur Wanderung vom 24.1.1924. Berichte der Geographischen Gesellschaft, Bd. 58.
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man mit 28 kleineren und größeren Vorträgen wieder Vorkriegsniveau erreicht und konnte 1927/28 sogar mit 36 Beiträgen auf eine Spitzenbeteiligung zurückblicken.38 Vor diesem Hintergrund bekannte der im Geographenkreis hochgeschätzte Landtagsabgeordnete, Stadtverordnete und damalige Rektor der Westfälischen Wilhelms-Universität Prof. Otto Hoffmann während der traditionellen Bowle zum Jahresende am 29.12.1925 im Anschluss an eine schwungvolle Rede Hases auf Hoffmann und seine Eigenschaft als Politiker, Gelehrter etc., „daß es eigentlich Schuld der Geographia sei, wenn er aus der gelehrten in diese politische Tätigkeit hineingewachsen sei; in ihrem Kreise hätten sich alle seine politischen Gedanken und Überzeugungen entwickelt und vertieft. Er bedaure besonders schmerzlich, so oft den Wanderungen ferngeblieben zu sein und auch in Zukunft bleiben zu müssen, da sein Landtagsmandat ihn dazu zwinge; mit seinem Herzen aber sei er immer bei der Geogr.[aphia] und [ge]denke ihrer wehmütig an so manchem Donnerstag, den er in Berlin verbringen müsse. Sein Hoch galt dem Wachsen und Blühen unserer Gesellschaft.“39
Auch bei Friedrich Münzer hat man den Eindruck, dass er manche seiner wissenschaftlichen Arbeiten zuvor in der „Geographia“ vorstellte oder nachher zur Ergänzung und Erläuterung diskutieren ließ. Dieses gilt vor allem für seine Vorträge, die die Geschichte der römischen und griechischen Antike entfalteten und für die er im Kreis der „Geographia“ ein besonders interessiertes und sachkundiges Publikum fand. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang vor allem sein Vortrag auf dem „Bier- und Vortragsabend“ in der „Kreuzschanze“ am 10.12.1925 mit dem Titel: „Der geographische Gesichtskreis der antiken Welt.“ Leider ist dieser Vortrag nicht im Original erhalten, wohl aber in Gestalt eines recht ausführlichen Berichtes von Dr. Alexander Breitfeld dokumentiert: „Die großen Reiche des Altertums zwangen ihre Beherrscher, ihr Gebiet in mannigfacher Weise zu durchforschen. Das geschah z. B. im Reiche des Königs der Länder, wo Darius [regierte], der auch über die Grenzen seines Reiches hinaus z. B. nach Griechenland und Unteritalien Forschungsreisen unternehmen ließ und so die Veranlassung zum Entstehen einer geographischen Wissenschaft wurde, deren Begründer die Jonier waren und die ihren Sitz in Milet hatten. Thales von Milet und Anaximandros, der das Wissen von der Erde in einer Karte zusammenfaßte, sind ihre bedeutendsten Vertreter. Der Nachfahre des Anaximandros, Hekataios, fügte zu dem Bilde das Wort und schuf das erste geographische Handbuch, in dessen erstem Teile er Europa behandelte, während der zweite Teil sich mit Asien und Lykien befaßte. Herodot, der Vater der Geschichtsschreibung, sammelte in seinen Werken auch die bisherigen Kenntnisse von den Ländern und ihrer Bewohner und bereicherte sie sogleich in beträchtlichem Maße. In der Zeit der Perserkriege fand eine Bereicherung der geographischen Wissenschaft nicht statt. Die Griechen drangen wohl vielseitig an den Rändern der Länder vor, aber sie drangen nicht in die Länder hinein. Das Meer war für sie der vertraute Schauplatz ihrer Taten und das verbindende Glied der Länder. „Thalatta“ riefen sie freudig aus, als sie es nach langer Landwanderung endlich im Gesichtskreis aufblitzen sahen. Unter Alexander d. Gr. dehnt sich die Kenntnis der Länder gewaltig aus[.] Man denke nur an den Zug nach Indien. Das Eindringen in die Tropen erschloß den Gelehrten eine ganz neue Welt. Jahrhunderte lang zehrte die Wissenschaft von 38 39
Vgl. zu dem bereits genannten Jahresbericht vom 16.10.1924 auch die Jahresberichte vom 15.10.1925 (Bd. 61), vom 14.10.1926 (Bd. 63), vom 20.10.1927 (Bd. 65) und vom 25.10.1928 (Bd. 67). Wanderberichte der Geographischen Gesellschaft, Bd. 61.
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den Kenntnissen, die ihr durch diesen großen Soldaten und Staatsmann erschlossen worden waren. Theophrast wurde dadurch in den Stand gesetzt, seine Pflanzengeographie zu schreiben. Auch die innere Kolonisation der eroberten Länder wurde mit Erfolg betrieben. In Alexandria, Antiochia, Seleucia u. m. Orten finden wir die Namen ihrer Gründer wieder. Auch die Phantasie fand reiche Arbeit, und die Berichte über die Atlantis und andere Fabelländer wurden die Vorgänger für die geographischen Romane späterer Zeiten. Zur Zeit Alexanders d. Gr. fand auch eine Erweiterung der geogr. Kenntnisse im Westen der bekannten Welt statt. Entdeckungsfahrten durch die Straße von Gibraltar bis in den Norden Britanniens. Eratosthenes schuf um 250 eine neue Erdkarte. Dann kam die Gründung des römischen Weltreichs, dessen Verwaltung und Beherrschung zwangsläufig die Kenntnisse von den Ländern und ihren Bewohnern in ungeahnter Weise vermehrte. Aber wissenschaftliche und literarische Verwendung lag nicht im Sinne der soldatisch und verwaltungstechnisch wohl geschulten Römer. Hier setz[t]en wieder die ideal gerichteten Griechen ein. Polybios ist hervorgetreten. Er hat die Schauplätze der geschichtlichen Ereignisse besucht und eine Seereise durch die Straße von Gibraltar bis zur Südspitze von Marokko unternommen. Damals lüfteten sich die Nebel, die über den Alpen lagen, von denen man bisher keine Ahnung hatte. In abenteuerlicher Weise beschreibt man eine Fahrt von der Mündung des Istros40, diesen Fluß aufwärts und läßt sie, unbeirrt durch himmelan ragende Gebirgsketten, im ligurischen Meer an der Mündung der Rhone enden. Unter Augustus schließt sich das große römische Reich zu einem Ganzen zusammen, es ist saturiert. Die innere Verwaltung und Beherrschung erschließt neue Kenntnisse. Zwei bedeutende Werke sind damals entstanden, das des Strabo und die große römische Reichsvermessung. In den dem Augustus folgenden zweihundert Jahren wächst das Reich nur wenig. Dafür ist der innere Ausbau sehr gefördert worden. Der geographische Horizont erweitert sich immer mehr. Geographische Lehrbücher fanden damals weite Verbreitung. Seinen Ausdruck fand diese Erweiterung in dem Werke des Ptolemäus. Die Kenntnis des Nordostens fehlt vollständig. Afrika war immer noch für lange Jahrhunderte hindurch der dunkle Erdteil. Unter Nero findet aber eine Reise zur Erforschung der Nilquellen statt, die bis zum Sudan führte. Das Werk des Tacitus bringt uns einen bewunderungswürdigen Fortschritt in der Kenntnis dieses Landes, die der große Geschichtsschreiber seinen Landsleuten aufgrund von militärischen und kaufmännischen Berichten verschafft hat. Ein römischer Ritter, dessen Namen Tacitus nicht nennt, dringt von der Donau bis zum Samlande vor, dem Fundorte des vielbegehrten Bernsteins. So sahen wir, wie sich in dem großen Römerreiche eine gewaltige Tätigkeit entwickelt, die zunächst darauf gerichtet ist, die in ihm eingeschlossenen Gebiete fest in die Hand zu bekommen, die aber auch darüber hinaus der Wissenschaft reiche Quellen erschließt, aus denen sie die mannigfaltigsten Kenntnisse schöpft. Das Römerreich und die damalige Welt der Angelsachsen schufen die heutige Welt. Mit diesen allen verständlichen Parallelen schließt der Vortragende seinen Vortrag, für ihn der laute Beifall seiner Zuhörer und die beredten Worte des Präsidenten den gebührenden Dank bringen … Bewunderung erfüllte uns alle dafür, daß Münzer uns in so klarer und geistreicher Weise, in so vollendet schöner abgerundeter Darstellung mit so warmer und wahrer Begeisterung gezeigt hatte, wie weit die Antike in ihren Forschungen und in ihren Kenntnissen schon gewesen ist. Die großen Gedanken und Bestrebungen, die uns heute erfüllen, sie leiteten schon damals ihr Denken und ihr Handeln und führten sie schon damals zu Erkenntnissen, deren Art und Umfang unsere Achtung und Bewunderung verdient.“41
Mehrfach thematisierte Münzer im Geographenkreis das Werk des russischen Gelehrten Michail Rostovtzeff, der seit 1920 zunächst in Madison und seit 1925 in Yale wirkte und in seinem 1926 in Oxford erschienenen Buch die soziale und öko40 41
Antiker griechischer Name für die untere Donau. Wanderberichte der Geographischen Gesellschaft, Bd. 61, Auszug aus dem Bericht Alexander Breitfelds vom Bier- und Vortragsabend am 10.12.1925.
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nomische Geschichte des römischen Kaiserreichs behandelte. Nach Münzers Ansicht war dieses Werk des mit ihm seit einem Zusammentreffen in Athen 1895 befreundeten Althistorikers die bedeutendste Leistung auf diesem Gebiet seit dem Erscheinen von Theodor Mommsens Bänden über die Römische Geschichte. Zum ersten Mal „erfreute und fesselte Münzer durch Verlesen der Rezension, die von seiner Hand verfaßt kürzlich in der Orientalischen Literaturzeitung erschienen ist“, am 16.12.1926 die Geographen.42 Auch erläuterte und ergänzte er am 20.1.1927 in der „Geographia“ seine vielbeachtete, noch im selben Jahr veröffentlichte große Rede vom 18.1.1927 anlässlich der akademischen Reichsgründungsfeier in der Stadthalle zu Münster mit dem Thema: „Der Übergang der republikanischen Staatsform zum Kaisertum im römischen Reich.“43 Am 17.3.1932 nahm Münzer (als ehemaliger akademischer Schüler Mommsens) in einem kleineren Vortrag zu den Problemen der Bestimmung des Ortes der Varusschlacht Stellung, über die sich bereits am 11.9.1924 die Emotionen in der „Geographia“ entzündet hatten. Streitpunkt war in diesem Zusammenhang wohl vor allem die auf die Funde augusteischer Münzen in Barenaue bei Kalkriese gegründete Lokalisierung der Varusschlacht am Nordrand des Wiehengebirges durch Mommsen (1885).44 42
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Das Zitat findet sich im Bericht von Karl Münscher über Münzers Vortrag am 16.12.1926. Dieser bezieht sich auf seine in der „Orientalistischen Literaturzeitung“ 29, 1926, Sp. 982–985 erschienene Rezension des Buches von Michail Rostovtzeff, The Social and Economic History of the Roman Empire, Oxford 1926. Den Bericht dazu schrieb der pensionierte Landgerichtsdirektor Franz Bueren. Vgl. dazu auch Kneppe/Wiesehöfer 1983: 73 ff. Über diesen Tag berichtete Wilhelm Wiegmann: „Münzer setzte sich hauptsächlich auseinander mit dem Aufsatz von Walter Kolbe, der als Sonderheft der „Klio“ erschienen ist. Kolbe ist durch keinerlei lokalpatriotische Interessen belastet, die so häufig die unbefangene Erörterung der Fragen erschwert haben. Er nimmt einen vorsichtigen kritisch-abwägenden Standpunkt ein. Münzer erklärt sich mit seinem Verfahren conform. Auf zweierlei kommt es vor allem an: 1. Eine unbefangene Prüfung der literarischen Quellen. 2. Eine genaue Untersuchung der topographischen Verhältnisse. Was zunächst die literarischen Quellen betrifft, so ist leider festzustellen, dass unsere Kenntnis des Zeitraums von 10 v. Chr. bis 10 nach Chr. infolge des Fehlens einer zusammenhängenden historischen Schilderung recht mangelhaft ist. Wir wissen zwar aus Einzelberichten eine Menge Einzelheiten, jedoch hat kein zeitgenössischer Historiker diese Periode zum Gegenstand einer eingehenden in sich geschlossenen Darstellung gemacht. Infolgedessen sind auch die Angaben über die Varusschlacht ausserordentlich dürftig, auch stammen sie nur von Historikern späterer Zeiten. Münzer besprach nun diejenigen Stellen, wo die Varusschlacht erwähnt wird. Der älteste und, weil er als Zeitgenosse schreibt, beste Zeuge ist der griech. Geograph Strabo, der schreibt … drei Legionen, durch Vertragsbruch getäuscht, gingen, durch Überfall aus dem Hinterhalt getäuscht zu Grunde. Er bildete die Quelle für Cassius Dio, einen griech. Historiker des 2. u. 3. Jahrh., der Geschichte nach Annalistischer Methode schreibt. Sein Bericht ist verhältnismäßig ausführlich und sorgfältig, aber es fehlen bestimmte Ortsangaben, was sich erklärt aus dem Fehlen eigener Anschauungen, und dann war er ja 200 Jahre von den Ereignissen entfernt. Seine Ausführungen sind zugespitzt auf den Effekt und können keinen Anspruch auf wissenschaftliche Genauigkeit machen. Es ist schade, dass ein zeitgenössischer Geschichtsschreiber, wie Velleius Paterculus, der selbst
Friedrich Münzer und die „Geographia“
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Im Jahr 1936 hielt Friedrich Münzer zwei größere Vorträge, in denen er das Schicksal der griechischen Kolonie Kyrene und – vor dem Hintergrund der Olympischen Spiele – die Berichte der antiken Historiker zum Marathonlauf und die Marschleistungen griechischer Krieger thematisierte. In einem kleineren Beitrag sprach er zudem über die Gründe des Niedergangs des spartanischen Staates und stellte noch einmal im Hinblick auf das Olympiajahr die ersten Zeitungsartikel von 1895 über Olympia vor.45 Wie sich ein solcher Vortrag Münzers in einen typischen Wandertag der „Geographia“ eingefügt hat, kann man an Hand des Berichts von Carl Niemer über den Wandertag vom 13.8.1936 verfolgen. Der Weg führte 13 Wanderer von der Bahnstation „Klauenberg“ nach Freckenhorst, wo nach der Kaffeestation der „Kulturwart“ Dr. Ernst Moritz Walbe die eingehenden Erläuterungen zur Architektur und zu den Kunstschätzen der Freckenhorster Stiftskirche übernahm. Weiter ging es nach Warendorf, wo sich die Geographen im alten Gasthof Niemer dem Angebot eines „Warendorfer Töttchens“ und diverser Biersorten nicht entziehen konnten: „Mit einem solchen [Töttchen] stärkte sich auch Münzer, ehe er zu einem zeitgemässen & überaus fesselnden Vortrage über die Berichte der alten Geschichtsschreiber betreffend Ma-
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in Germanien gedient und sicher Arminius persönlich gekannt hat, sich auf summarische Andeutungen beschränkt. Sein feuilletonistisch gehaltener Abriss der Weltgeschichte berichtet nur in aller Kürze über die Varusschlacht. Er stellt zwar ausführlichere Schilderungen für eine spätere Zeit in Aussicht, aber es scheint bei diesem Versprechen geblieben zu sein. Erst ein ganzes Jahrh. später [= nach der Varusschlacht] schreibt Tacitus sein Werk: Ab excessu divi Augusti. Wie schon der Titel sagt, hat er die Zeit der Varusschlacht selbst nicht behandelt. Nur an einer Stelle blickt er zurück auf die Ereignisse des Jahres 9 im I. Buch, Kapitel 60–62. Er schildert hier, wie Germanicus auf das Varusschlachtfeld kommt und die Leichen der gefallenen Kämpfer bestatten lässt. Die geographischen Angaben sind ausserordentlich dürftig. Es ist die Rede vom Land zwischen Ems und Lippe und dem saltus Teutoburgiensis. Bei der Vieldeutigkeit des Wortes saltus ist uns mit dieser Bemerkung auch nicht wesentlich geholfen. Diese Ungenauigkeit erklärt sich einmal aus der ganzen Einstellung des Tacitus, dessen Interesse den Persönlichkeiten und nicht geographischen Verhältnissen gilt, und zweitens aus seiner Unkenntnis Germaniens. Erwähnt wurde dann noch der Bericht des Florus, eines Rhetors, was auch seiner Schilderung das Gepräge gibt. Publizistische Effekte werden stark herausgearbeitet. Nur das Wirkungsvollste wird ausgewählt. L. v. Ranke verteidigte zwar seine Darstellung, doch heute findet er wenig Anklang mehr. Seine Angaben sind sehr unbestimmt, was sich leicht aus dem grossen zeitl. Abstand [von der Varusschlacht] erklärt. Wenn wir das Fazit aus all diesen Quellen ziehen, so ist das Ergebnis recht dürftig. Nur in einem Punkt stimmen alle älteren Berichte überein: Sümpfe und Wälder müssen das charakteristische Kennzeichen des Schlachtfeldes gewesen sein. Dio spricht dagegen von einem bewaldeten Gebirge, auch von Schluchten ist die Rede. Was davon richtig ist, lässt sich schwer entscheiden. Und so wird sich wohl nie genau der Ort des Varusschlachtfeldes feststellen lassen, wenn nicht zuverlässige Bodenfunde uns zu Hilfe kommen. Aber auch die Wahrscheinlichkeit ist gering, da die Germanen später den Tumulus zerstörten.“ Die Geographen dankten für Münzers anregende und überzeugende Darlegungen mit freundlichem Beifall.“ Im Jahresbericht vom 22.10.1936 (Bd. 82 der Berichte über die Tätigkeit der „Geographischen Gesellschaft zur Erforschung des Münsterländischen Tieflandbusens“) listet Daniel Wilhelm Schöningh die hier genannten Vorträge auf.
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Hans-Joachim Böckenholt rathon-Laufs im besonderen und Marschleistungen griechischer Krieger im allgemeinen das Wort ergriff, aus seinem reichen Wissen um die Antike schöpfend. Wir hörten, daß der wichtigste Berichterstatter Herodot, 50 Jahre nach den Ereignissen, vom Marathonlauf keine Silbe erwähnt, aber wirklich grosse Marschleistungen hervorhebt, wie die des Schnellläufers Philippides… Von Eilmärschen ist öfter die Rede, z. B. von Athen bis Sparta, Eilmärsche von 220 km in 2 Tagen, … ferner von Gewaltmärschen der Athener in Länge von 40 km nach der Schlacht, sodass die Athener den um Cap Soúnion herumsegelnden Schiffen der Perser zuvorkamen und diese umkehren mussten. Vom eigentlichen Marathonlauf war 600 Jahre lang nichts zu hören, erst dann berichtete Plutarch, und später, 660 Jahre nachher, Lukian vom Marathonlauf. Bei Plutarch heisst es, der Läufer sei am Ziel mit den Worten[:] „Freut Euch, seid gegrüsst“, hingesunken, bei Lukian hatte der Marathonbote Philippides noch die Kraft: „Freut Euch, wir siegen“, zu rufen, worauf er starb. Aus dem eingehenden Vortrage Münzers schien mir hervorzugehen, daß, wenn auch ein gewisses Dunkel über dem Ereignis eines Marathonlaufs liegt, so doch wohl eine grosse sportliche Leistung irgend eines antiken Siegesboten diesen verschiedenen Berichten & Überlieferungen zu Grunde liegen dürfte, irgend ein Ereignis, das von der Vaterlandsliebe & Siegesbegeisterung antiker Kämpfer überstrahlt wird. Nach dem sehr beifällig aufgenommenen Vortrage Münzers durfte der Schreiber Ps. [des Protokolls] über seine Eindrücke während des sogenannten Marathonlaufs der Olympiade 1936 i. Berlin berichten. Dort war es einem jungen japanischen Studenten Keito Son46 vergönnt, den Siegerkranz an das Sonnenbanner des fernen Ostens zu heften und unvergesslich war es, wie dieser Marathonläufer in der Abenddämmerung des von über 100 000 begeisterten Menschen besetzten Riesenovales des Stadions im Dunkel des Marathontores unter den züngelnden Feuerbränden des von griechischer Sonne entfachten Olympischen Feuers erschien, wie er dann später wie leblos auf sein Lager sank unter den Freudentränen seiner Landsleute. Auch das war diesem Sieger zweifellos Dienst am Vaterlande.“47
Wie man sieht, zeichnete sich auch dieser Beitrag Münzers zum historischen Hintergrund des Marathonlaufs – wie schon seine Ausführungen zum Ort der Varusschlacht – durch eine vorsichtig abwägende, textkritische Haltung aus. Dennoch blieben offenbar bei einigen Wanderfreunden Zweifel an der fehlenden Belegbarkeit des historischen Hintergrundes für diesen berühmten Langstreckenlauf und zogen das aktuelle Große Herder-Lexikon von 1933 zu Rate. Daraufhin antwortete Münzer aus seinem Kurzurlaub in Bad Rothenfelde den Zweiflern pünktlich zum nächsten Wandertag auf einer Postkarte vom 19.8.1936, die am 20.8.2016 nach dem Bericht von Felix Hase „durch die Eigenart ihrer dichterischen Form und der reichen Fülle der Gedanken bewundernde Freude erweckte …“:48 46
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Gemeint ist hier Son Kitei, der 1912 in dem 1910 bis 1945 vom japanischen Kaiserreich annektierten Korea geboren war und sich selbst Sohn Kee-chung nannte. Er startete unter der japanischen Flagge und war gezwungen, seinen eigentlichen Namen der japanischen Aussprache anzupassen. Als koreanischer Patriot weigerte er sich aber, mit seinem japanischen Namen zu unterschreiben und wandte sich demonstrativ bei der Siegerehrung von der japanischen Flagge ab. Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Sohn_Kee-chung (Zugriff vom 11.5.2016). Auszug aus dem Bericht des Weinhändlers Carl Niemer vom 13.8.1936 (Bd. 82). Die im Schlusssatz erfolgte Interpretation Niemers gilt angesichts der oben für Son Kitei dargestellten biographischen Fakten gewiss nicht dem Kaiserreich Japan. Diese Postkarte liegt lose in dem Bericht vom 20.8.1936, Bd. 82 der Berichte über die Tätigkeit der Geographischen Gesellschaft.
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Herr Präsident!49 Ich melde Daß ich in Rothenfelde Zur Zeit herum mich treibe Und darum ferne bleibe Am morgigen Donnerstage. – Am vorigen ward die Frage Von Schultze und OasenMeyer gestellt: Sie lasen In Herders Lexikon50, Daß ein Diomedon, Der in Olympia schon Gesiegt, aus Marathon Die Botschaft von der Schlacht Hätt` nach Athen gebracht. Drum ging ich auf die Suche, Fand auch in manchem Buche Verzeichnet die antiken Der Olympioniken Und Helden jeder Sorte. Allein mit keinem Worte Sprach irgendein Buch von Dem Herrn Diomedon. Daher kann ich mitnichten Etwas von ihm berichten, Weil ewig sind von gestern Klio und ihre Schwestern, Und was im „Herder“ steht, Ist nicht mehr up to date. – Nur dieses wußtʼ die Muse – Für Niemer –, daß Max Kruse51 Den Siegesboten schuf, Der nach Berlin einst [„]luf“52, Die Hand drückt auf das Herz Und stehen blieb – in Erz. – Ich schließe diese KnittelVerse und übermittelʼ Dem Führer und den andern Die durch die Heide wandern
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Adressiert ist die Postkarte an den Präsidenten der „Geographia“ Landgerichtsrat Franz Kiesekamp. Der Große Herder. Vierte, völlig neu bearbeitete Auflage von Herders Konversationslexikon. Siebter Band, Freiburg 1933, S. 1574, Stichwort: „Marathonlauf, „… benannt nach dem sagenhaften Lauf eines Eilboten 490 v. Chr., des Olympiasiegers Diomedon, von Marathon nach Athen, der dort nach Verkündung des Siegs zus.brach.“ Max Kruse (1854–1942) schuf 1881 den „Siegesboten von Marathon“ vor der National-Galerie in Berlin (Der Grosse Brockhaus, 6. Band, Wiesbaden 1955, S. 678). Wohl eine die Berliner Mundart des Reimes wegen nicht ganz korrekt imitierende Lautversion von „lief“.
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Hans-Joachim Böckenholt Zum Kaffee und zum Bier, Viel Grüße für und für!
F. Münzer
Bad Rothenfelde Bergstr. 57 d. 19.8.36
Passend zum 23.9.1937 erinnerte Friedrich Münzer im Rahmen eines Vortrags mit dem Thema „Cicero und Augustus“ an den vor 2000 Jahren am 23. September 63 v. Chr. geborenen späteren römischen Kaisers Augustus und legte an Stelle des fehlenden Berichts einen handschriftlich verfassten Précis seines Vortrags in den entsprechenden 84. Berichtsband. Die Inhaltsangabe sei hier nachfolgend transkribiert, weil sie dem Leser auch einen kleinen Einblick in die Nutzung der von Münzer besonders geförderten prosopographischen Erkenntnisse gibt: „Das Thema war im Hinblick auf den 2000. Geburtstag des unter Ciceros Consulat am 23. Sept. 63 v. Chr. geborenen Kaisers Augustus gewählt: ‚Cicero und Augustus‘. Eine vervielfältigte Stammtafel mit der Darstellung der Familienbeziehungen von Cicero, Caesar, Augustus erleichterte das Verständnis der Ausführungen. Der Vortrag ging aus von den Familien und zeigte, wie ums J. 100 v. Chr. der Vater Ciceros und der Großvater des Augustus, C. Octavius, in kleinen latinischen Landstädten in ähnlichen Verhältnissen lebten und ihren Söhnen ermöglichten, die politische Laufbahn in Rom einzuschlagen. Die nächste Generation, Marcus Tullius Cicero und sein jüngerer Bruder Quintus, und C. Octavius, der Vater des Augustus, gelangten sodann mit nur 40 Jahren zur Praetur, Cicero darüber hinaus im J. 63 zum Consulat, ebenso von den ungefähr gleichaltrigen Männern im J. 59 Caesar, der Sprößling eines alten, aber zurückgebliebenen Adelsgeschlechtes. Der Vortragende verweilte längere Zeit bei der Vermischung der ursprünglich getrennten Stände der Patrizier und der Plebejer, bei ihrer Verschmelzung zur Nobilität, zumal auch durch Wechselheiraten, bei dem Aufstieg in der Beamtenlaufbahn und bei der beherrschenden Stellung, die Cäsar im J. 60 durch sein Bündnis mit Pompeius und Crassus und im J. 59 als Consul gewann. Daß die mit Cäsar verschwägerten Altersgenossen, namentlich der Mann seiner Schwestertochter, der Vater des Augustus, von seiner Unterstützung Vorteil zogen, verhinderte der Tod. Der Vortragende sprang dann über zu der Zeit von Cäsars Alleinherrschaft und plötzlichem Ende, wie [?] der einsam gewordene Herrscher seinen jungen Großneffen Octavius als den nächsten männlichen Blutsverwandten an sich heranzuziehen begann und in seinem Testamente zum Sohne annahm. Es folgte die Darstellung der wechselvollen Ereignisse vom Frühjahr 44 bis Ende 43, Annahme der Erbschaft Caesars durch den noch nicht 19 Jahre alten Adoptivsohn, dessen Verbindung mit Cicero und den Republikanern, der Gegensatz zu dem Consul Marcus Antonius, der als überlebender Kollege Caesars dessen politische Erbschaft erstrebte, der Ausbruch des Kampfes, Ciceros große Führerrolle im Mutinaischen Kriege und der von ihm geförderte Eintritt des Octavians ins öffentliche Leben, die Entscheidung des Kampfes und der Umschwung, das erzwungene Consulat des Octavian, seine Loslösung von Cicero, seine Einigung mit Antonius und den Caesarianern, Triumvirat und Proskriptionen, Cicero als deren vornehmstes Opfer und die folgende Entwicklung wurden kurz berührt. Ein Ausblick auf Ciceros Nachleben in den Zeiten der Spannung zwischen Octavian und Antonius bis zur Schlacht bei Actium und in denen der vollen Alleinherrschaft des Augustus bildete den Schluß.“ [Friedrich Münzer]
Der letzte große Vortrag Münzers in der „Geographia“ über ein Thema der römischen Geschichte motivierte am 23.2.1938 immerhin 21 von 24 ortsansässigen Geographen, sich von Münzers Ausführungen über die Außenpolitik des Augustus einfangen zu lassen. Diese außerordentlich hohe Zahl interessierter Geographen ist
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gewiss nicht nur dem von Dr. Wilhelm Meyer kolportierten Gerücht zu verdanken, dass sich der Vortrag „mit den vestalischen Jungfrauen53 befassen werde“, sondern war sicherlich in einer Zeit massiver Repressionen vor allem gegenüber Juden, denen ja öffentliche Vorträge untersagt waren, auch eine Geste der wissenschaftlichen Anerkennung und Wertschätzung.54 53 54
Dieser Hinweis beruht wohl darauf, dass 1937 ein Aufsatz Münzers über „Die römischen Vestalinnen bis zur Kaiserzeit“ erschienen war (Philologus 92, 1937, 47–67, 199–222). Der sehr konzentrierte und gut lesbare Bericht von Wilhelm Meyer verdient es, in Auszügen wiedergegeben zu werden: „Diese große Zahl lässt bereits ersehen, mit welcher Spannung man Münzers Vortrag, von dem man am Kaffeetisch geflüstert hatte, dass er sich mit den vestalischen Jungfrauen befassen werde, erwartete. Tatsächlich blieben die vestalischen Jungfrauen, die man als die heidnischen Vorläuferinnen der „Armen Clarissen“ bezeichnen könnte, diesmal hinter dem Vorhang, aber unsere hochgespannten Erwartungen wurden durch den Vortrag noch weit übertroffen. Münzer hatte sich einen Ausschnitt aus dem glanzvollen Augusteischen Zeitalter als Gegenstand seines Vortrages gewählt, nämlich „Die Aussenpolitik des Augustus“. Ich würde die Nachwirkung des Vortrages nur schmälern, wenn ich in unzulänglicher Weise auf knappem Raume die Fülle des uns Gebotenen auch nur im Umriss nachzuzeichnen unternähme. Nur auf wenige wesentliche Punkte will ich mich beschränken. Der unheilvollen Serie schwerer Eroberungskriege und innerer Umwälzungen folgte die als ‚glückliche‘ gepriesene Zeit der Augusteischen Herrschaft. Es waltete wieder Ordnung und Friede im Staate, so dass der Janustempel eine unverhältnismäßig lange Spanne hindurch geschlossen bleiben konnte. Augustus liess die Formen der alten Republik bestehen, übernahm aber selbst alle republikanischen Ämter bezw. liess sie sich scheinbar widerstrebend vom Senat übertragen. Er schuf ein stehendes machtvolles Heer und erhöhte die eigene Macht durch Schaffung einer Leibgarde, der Prätorianer. Die Herrschaft über die Provinzen teilte er mit dem Senat, dem er die inneren Provinzen zuwies, während er die äusseren übernahm, deren ständige Grenzgefährdung ihm zwangsläufig den Oberbefehl über das Heer sicherte. Zwar mied er nicht die Kriege, aber er benutzte sie nur als Werkzeuge zur Befriedung und zur Grenzsicherung. Die Eroberungsfeldzüge waren nicht Teil seines Programms, er lehnte es sogar ab, den Spuren seines Grossoheims Caesar nach Britannien zu folgen. Nicht glaubte er unterlassen zu dürfen, die Schmach der Niederlage des Crassus gegen die Part[h]er – das Gegenstück zur Varusschlacht – zu sühnen, aber er bewirkte dies auf friedlichem Wege, indem er die Rückgabe der von den Part[h]ern eroberten Feldzeichen im Verständigungswege erlangte, was von den Römern als Triumph gefeiert wurde. Er unterwarf Spanien, insbesondere die Asturer und Kantabrer und machte die Donau durch Eroberung von Rätien, Noricum, Pannonien zur Nordgrenze des Reiches. Sein Stiefsohn Drusus unternahm drei Feldzüge (12–9 v. Chr.), legte am Rhein eine Reihe von Festungen an und drang bis zur Elbe vor. Auf dem Rückzug starb er infolge Sturzes mit dem Pferde. Der Bruder Tiberius unterwarf – weniger durch Waffengewalt als durch Unterhandlung und List – die westlichen Volksstämme der Germanen zwischen Rhein und Elbe. Die Unvorsicht und Ungeschicklichkeit des Varus und der Genius eines Armin ermöglichte es den Germanen, die Römerherrschaft abzuschütteln. Die folgenden Rachefeldzüge des Germanicus und Cäcina und des Ersteren Teilerfolg bei Idistaviso konnten die endgültige Befreiung nur vorübergehend aufhalten. Die Schlacht im Teutoburger Walde – 9 n. Chr. – an sich – nach der Zahl der Legionen – kein übermässig großes Ereignis – war doch durch ihre Wirkung auf Augustus von welthistorischer Bedeutung. Denn der Kaiser gab es schliesslich auf, Germanien zu unterwerfen und überliess es sich selbst. Rom geriet nun am Rhein in eine Verteidigungsstellung und Germanien blieb frei und unromanisiert. Das linke Rheinufer wurde durch die Anlage eines Limes gegen Ausfälle
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Zeitgeschichtlichen oder aktuellen landeskundlichen Themen widmete sich Friedrich Münzer im Kreis der „Geographia“ nur selten. Entsprechende Hinweise geben die Berichte nur auf einen Vortrag im Jahr 1929 über die Kurische Nehrung, wahrscheinlich in Erinnerung an seine Zeit in Königsberg, sowie auf die 100-JahrFeier des Historischen Vereins in Münster im März 1932 und auf Münzers eigene Erinnerungen an den Tod und das Begräbnis Kaiser Wilhelms I., vorgetragen zu dessen 50. Todestag am 9. März 1938.55 Im Zentrum der Aktivitäten Münzers und seiner Freunde in der „Geographia“ standen selbstverständlich die anregenden Ausflüge und erholsamen Wanderungen in das nahe und weitere Münsterland. Angereichert wurden auch sie durch kleinere Vorträge zu den besuchten Objekten am Wege, durch erläuternde Hinweise auf aktuelle kulturelle und politische Ereignisse und durch Berichte über unterhaltsame Erlebnisse auf Reisen und daheim. Insofern spiegeln die zahlreichen überlieferten Protokollbände ein unmittelbares Bild aktueller Verhältnisse und persönlicher Befindlichkeiten vor allem in den ersten Jahren der Weimarer Republik. Parteipolitische Ereignisse wurden während der Weimarer Zeit nur am Rande thematisiert, vor allem wenn sie während der Wahlkämpfe das Bild der Öffentlichkeit dominierten. So schrieb Friedrich Münzer in seinem Bericht über die Wanderung am 1.5.1924: „In Angelmodde waren an den Häusern und Zäunen rings um die Kirche mehr Wahlplakate zu sehen als in Münster; die Agitation der Deutsch-Nationalen und Deutsch-Völkischen schien besonders rührig zu sein … [ein Dutzend Geographen hatten sich inzwischen im kleinen Zimmer bei Kinnebrock versammelt] … Es wurde eine lange Sitzung. Die Unterhaltung bewegte sich erst auf verschiedenen Gebieten und es zeigte sich dabei u. a., wie wenig sichere Kenntnis von der Umgestaltung und Organisation der preußischen Verwaltung in neueren Zeiten sogar bei Unsereinen zu finden ist; aber das Erfreuliche ist, wie sich dann die lückenhaften Kenntnisse der Einzelnen ergänzen, und aus der Diskussion manche Belehrung quillt. Nach der Verlesung des Protokolls der vorigen Wanderung erteilte der Präsident [Dr. Alexander Breitfeld] dem Unterzeichneten das Wort zu seinem Bericht über die Kantfeier in Königsberg, an der er teilgenommen hatte. Mit besonderer Freude entnahmen daraus alle, welch eine treffliche patriotische Gesinnung dort im fernen, vom Reiche abgetrennten Nordosten Jung und Alt beseelte.56 Darauf erhielt Uppenkamp57 das Wort zu einem eingehenden Vortrage über die neue Schulreform …“
Man sieht, die Berichte über die durchgeführten Wanderungen beschränken sich nicht nur auf die persönlichen Bereiche, sondern beziehen auch Zeitereignisse in die Gespräche ein und bewerten sie. Politische Äußerungen extremer Einstellungen werden aber offensichtlich vermieden. Trotz der immer noch spürbaren Mangelwirtschaft in vielen Bereichen besteht auf Grund der relativ einheitlichen gehobe-
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der Germanen gesichert. Am 19. August 14 n. Chr. starb Augustus 76jährig ohne Hinterlassung eines direkten Leibeserben. Er hatte aber das Reich im Innern und nach aussen so gesichert, dass sein Nachfolger Tiberius ohne nennenswerte Schwierigkeiten die Herrschaft übernehmen konnte. Den Bericht über die Wanderung und den Vortrag an diesem Tag schrieb Münzer selbst. Aus dieser Bemerkung wird bereits die nationalkonservative Grundhaltung nicht nur Münzers, sondern auch der meisten Anwesenden deutlich. Dr. Julius Uppenkamp war Oberstudiendirektor und 1921–1939 Leiter des Gymnasiums Paulinum.
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nen Sozialstruktur der zumeist im Öffentlichen Dienst beschäftigten Geographen ein grundsätzlich positives Verhältnis zum Staat. Die meisten Geographen folgten daher in den 1920er Jahren eher „einer national und liberal betonten Linie“;58 kommunistische und nationalsozialistische Positionen finden sich in dieser Zeit nicht. Wird von Auftritten oder Handlungen von Kommunisten oder Nationalsozialisten berichtet, wird eine deutliche Ablehnung artikuliert.59 Wilhelm Meyer greift dagegen zum eleganten Florett in seinem schönen satirischen Gedicht „Geograph im Himmel“ vom 5.5.1932, das hier aber nur in einem kurzen Auszug zitiert werden kann: „ … Auch im Kirchenliedersingen Tatest Du es nicht weit bringen; Doch die ‚Königin von Böhmen‘ Tat der Kehle oft entströmen, Grimmig sangst Du Liderjahn [Liederjan] Dieses Lied vom Christian; Um den Christian zu schauen, Musst Du in der Hölle brauen! Doch auf diese Strafʼ verzicht ich, Wenn Dein Wahlzettel war richtig. Petrus schaffʼ ihn schnell herbei, Dass man sehʼ, wie solcher sei. Petrus stürzt im Nurmilauf: Richtig: Hitler steht darauf. Schleppt ihn ab von seinem Stuhl, Apage, zum Höllenpfuhl!“ Rief der Herr mit Wut und Kummer, Hier hat Brüning nur ʼne Nummer! …“
1933 sind aber auch andere Töne vernehmbar, sogar bei dem sonst so moderat und vermittelnd die Jahresberichte formulierenden Daniel Wilhelm Schöningh in seinem 71. Lebensjahr, der nun in seinem Jahresbericht 1932/33, S. 2 voller Hoffnung der neuen Regierung vertraut: „Froher und stolzer schauen wir in die Zukunft, zumal wir Deutsche seit dem Frühling dieses Jahres durch die tiefgehende Umwäl58 59
Dr. jur. Werner Kreuz in: „100 Jahre Geographia – 2.10.1884–2.10.1984“, [Hrsg. Wilfried Hidde], priv. Vervielfältigung 1984, S. 141 f. So schreibt z. B. der Verfasser bekannter und z. T. bis heute genutzter Unterrichtswerke für das Fach Latein Dr. Albert Linnenkugel in seinem Wanderbericht vom 22.11.1923: „ … denn der Furor politicus geht wieder um in deutschen Landen und grunzt vor Behagen, wenn er auf ein Menschengrüppchen trifft, deren Galle und Gebißbehälter noch intakt sind. Bayrische Brauseköpfe unter Führung des Österreichers Hitler haben sich in München einen Putsch geleistet, der in all seiner Theatralischen Aufmachung der starken, gut vorbereiteten Gegenwirkung schon in wenigen Stunden erlag. Gierig würgt jetzt der Moloch der öffentlichen Meinung an diesem neuen Fraß. Hitler bereitet ihm weiter keine Beschwerden …“. Derselbe Autor schreibt in seinem Bericht vom 18.9.1924: „Von den Heiligen des Himmels kommt man in begreiflicher Ideenverbindung auf die Großen dieser Erde zu sprechen. Zufällig ist es ein ganz Unheiliger, auf den man verfällt: Ludendorff, nach dem man in gewissen Teilen Deutschlands schon gern die bissigsten Hunde benennen möchte, wenn der Name nicht so lang und man des Einflusses sicher wäre, den er eventuell auf die Hunde ausüben könnte.“
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zung unseres gesamten Staat[s]- und Wirtschaftslebens, die aufs engste mit der Person unseres genialen Reichskanzlers Adolf Hitler verbunden ist, als ein nach den jämmerlichen und in mancher Beziehung schmachvollen Verhältnissen der letzten 14 Jahre innerlich erneutes und kraftvoll geeintes Volk im dritten Reiche unverkennbar einer neuen und glücklichen Zukunft entgegen gehen.“ Während des nationalsozialistischen Regimes unterblieben weitgehend öffentlichkeitswirksame Aktivitäten; auch bemühte man sich um Zurückhaltung bei der Abfassung der regelmäßigen Berichte über Wanderungen und sonstigen Unternehmungen, bot hingegen sehr viele selbst organisierte, eher unverfängliche historische, kulturelle und landeskundliche Vorträge in den Stammgaststätten Münsters und des Umlandes an und entwickelte vor der ständig drohenden Überwachung einen (politisch eigentlich nicht geduldeten) Rückzug in die private Sphäre. In den Protokollen entfaltete man sowohl graphisch als auch sprachlich originelle Formen. Während z. B. der künstlerisch sehr begabte Direktor der Baugewerkschule Alexander Petersen die am 27.10.1932 unterwegs mit Mühe überstandene Auseinandersetzung mit einem aggressiven Bullen als Comicstrip darstellte, versuchten andere mit in niederdeutscher oder auch lateinischer Sprache abgefassten Protokollen Aufmerksamkeit und Originalität zu entwickeln. Weiter verbreitet waren aber gereimte Formen, nicht nur als Preisgedichte oder Liedertexte, sondern auch als poetische Protokolle. Weithin anerkannter Meister in diesem Genre war der Rechtsanwalt und Notar Dr. Wilhelm Meyer. Aber auch Friedrich Münzer versuchte sich mit Erfolg an dieser Berichtsform, so dass hier ein Beispiel aus der nationalsozialistischen Zeit zitiert werden soll: „Donnerstag d. 4. Februar 1937 Endpunkt Straßenbahnlinie 2 – Amelsbüren – Hiltrup An dem vierten Februar Vier die Zahl der Wanderer war. Von dem Vorstand sah man keinen, Weil die Rechtswahrer vereinen Sollte die Gefolgschaftspflicht60, Und die Lehrer kamen nicht, Weil durch Prüfungen in Menge Arg sie waren im Gedränge. Mancher mochtʼ an Grippe leiden Oder wolltʼ den Wind vermeiden. – Kurz und gut: So waren wir Endgültig nicht mehr als vier. 60
Die Rechtsordnung des Dritten Reiches beruhte auf dem Grundsatz: „Recht und Wille des Führers sind eins“; damit war das rechtsstaatliche Prinzip der Gewaltenteilung aufgegeben worden. Die Formulierung, dass die Gefolgschaftspflicht die Rechtswahrer vereinen sollte, ist angesichts der ja auch Münzer bekannten massiven rechtswidrigen Übergriffe der nationalsozialistischen Justiz vor allem gegen Juden vielleicht sogar ironisch gemeint, da schon der Begriff eines Gefolgschaftskurses für Richter auf das Ziel dieses Kurses verweist, das rechtsstaatliche Prinzip der Gewaltenteilung und damit den Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit aufzugeben (vgl. Anm. 67).
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Niemer61, Dulheuer62 und Litten63 Und ich selbst als Letzter schritten Friedlich still gen Amelsbüren. – Ließ von vorn der Wind sich spüren, Und versank der Fuß im Schlamm Auf dem Kappenberger Damm, Mäßigte sich unsre Hast. Unterwegs wurdʼ aufgepaßt, Ob am Bohrturm bei Haus Looz Schon des Erdöls Quelle floß64, doch war nur ein Wasserbecken Vor der Hand dort zu entdecken. Wiedau ließ man liegen links, Und um fünf Uhr schließlich gings Hin zu Freitags Gastwirtschaft, Um zu holen neue Kraft. Wohl für Zwanzig war der Tisch Aufgestellt, gebacken frisch, Eingeheizt gut; aber leider War von Geographen weiter Hier auch keiner zu erblicken. Drum von mäßigem Entzücken Zeugt des Vierblattes Empfang, Bis es Niemer doch gelang [,] Daß der Wirtin Herz er wärmte, Als er liebenswürdig schwärmte Von dem köstlichen Genuß, Den ihr Spekulatius, – Hausgebäck Spezialität, – Ihm noch stets bereitet hättʼ. Sonst ich von dem kleinen Kreis Wenig zu berichten weiß. – Diesen Mangel zu verhüllen Wählʼ ich das bekannte Mittel, Daß ich gießʼ in diese KnittelVerse meinen magren Stoff, Wofür ich auf Nachsicht hoffʼ, Wie vor Jahren der verehrte Führer Breitfeld sie gewährte Mir ob eben dieses Tricks. – Protokollband Nummer X65! – Diesmal legt das Protokoll 61 62 63 64 65
Carl Niemer, Weingroßhändler, 1876–1945. Dr. jur. Johann Heinrich Dulheuer, Finanzgerichtspräsident, 1868–1940. Paul Litten, zur damaligen Zeit Landgerichtsdirektor, nach dem Krieg Senatspräsident am OLG Hamm, 1879–1959. Im Bericht vom 23.2.1938 schreibt Wilhelm Meyer, dass im Rahmen einer Erdölprospektionsbohrung bei Haus Looz der mit 51 m höchste Bohrturm Europas errichtet worden sei. Dieser Hinweis bezieht sich auf das ebenfalls von Münzer in Gedichtform verfasste Protokoll vom 23.12.1925 in Band 61. Damals war Dr. Alexander Breitfeld turnusgemäß nicht mehr Präsident der „Geographia“, sondern als sein unmittelbarer Nachfolger Georg Wilhelm Herborn.
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Hans-Joachim Böckenholt Litten vor, des Beifalls Zoll Klangvoller als ein Terzett Ihm ein Chor gespendet hättʼ. Dann erinnʼre ich mich nur, Daß man sprach von Litʼratur, Von den Dichtern, deren Stärke In dem Vortrag eigner Werke Nicht grad immer braucht zu liegen, Wenn sie auch mit viel Vergnügen Sich des öfteren lassen hören, Weil das Geld einbringt und Ehren. – Um halb sieben Uhr verließen Wir das Dorf. Mit trocknen Füßen Rückten wir bei Sternenschein Um halb acht in Hiltrup ein, Dann wir schlenderten gemütlich, Die Chaussee war rein und friedlich, Fahrräder und Autos fehlten Zwar nicht ganz, doch störten selten. – Bis nach Münster ging der Zug, War noch eben Zeit genug, Nach dem Korn hinabzustürzen Zwei Glas Bier. Der Wirt wolltʼ würzen Uns den Trank durch Unterhaltung Und er wärʼ in der Entfaltung Freundlicher Vertraulichkeit Fortgeschritten rasch und weit, Wärʼs nicht höchste Zeit gewesen, Unsre Fahrkarten zu lösen. – Gerade jetzt fiel Regen nieder Und in Münster tat erʼs wieder, Sodaß aus des Bahnhofs Halle Schnell ins Conti eilten alle Als in einen sichern Hafen. Und in dieser Bucht eintrafen Nach und nach noch weitre drei. Als der einzʼge Meyer zwei66 Vom Gefolgschaftskurs der Richter67, Ferner Schöningh68 und Wiethüchter69; Dieser schröpfte jenen, da Er ihn gerade vor sich sah Und ihn seltner als die Andern Überfallen kann beim Wandern. –
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Dr. jur. August Meyer, Landgerichtsrat, 1881–1956 (im Unterschied zu dem „Balladendichter der Geographia“ Rechtsanwalt Dr. jur. Wilhelm Meyer). Erneut wird hier, wenn auch variiert, mit der begrifflichen Kombination „Gefolgschaftskurs der Richter“ implizit Kritik an der Erziehung zum Verzicht auf das rechtsstaatliche Prinzips der Gewaltenteilung geübt, die den Verlust der richterlichen Unabhängigkeit zur Folge hat. Prof. Daniel Wilhelm Schöningh, Studienrat am Gymnasium Paulinum, 1862–1938. Heinrich August Wiethüchter, Studienrat am Gymnasium Paulinum, 1884–1979, Kassierer der „Geographia“.
Friedrich Münzer und die „Geographia“
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So sind abends nun zu sieben Wir beisammen froh geblieben, Ließen uns das Bier gut schmecken, Leuchteten in manche Ecken Unsrer Welt mit Geisteslichtern, Brachen auf noch leidlich nüchtern, Als der letzte Trambahnwagen, Der ins Kreuzviertel zu tragen Pflegt die Wanderer und Trinker, Seine Lichter, seine Winker In der Ferne ließ er scheinen. – Mauritzwärts gingʼs mit den Beinen70. F. Münzer“
In der „Geographia“ wurde natürlich nicht nur gewandert, über die täglich anstehenden Probleme politisiert und in vielen längeren und kürzeren Vorträgen Erlebtes, Gelesenes und Erforschtes unter den interessierten Wanderfreunden ausgetauscht und diskutiert, sondern auch aus gegebenen Anlässen intensiv gefeiert. Für Friedrich Münzer gab es bereits wenige Monate nach seiner Aufnahme in die „Geographia“ einen ersten Anlass: Schon am 2.10.1924 hatte der Vizepräsident Georg Wilhelm Herborn der Gesellschaft mitgeteilt, dass die Gesellschaft am 4.10.1924 „unserem Geographen, Herrn Münzer“ zum Tag seiner Hochzeit „eine Blumenspende und einen Glückwunsch zusenden“ werde. Bei seinem nächsten Erscheinen am 16.10.1924 beantragte dieser, dem Anlass entsprechend, eine Runde setzen zu dürfen, zu der er, wie der Protokollant Wilhelm Bitter71 berichtete, „seiner Freude Ausdruck gab, Mitglied der Ges. zu sein, in der er so viele schöne Stunden der Erholung verlebt habe u. noch zu verbringen gedenke. Er habe dort manches gefunden, was er sonst in Münster vermißt habe. Er dankte der Gesellschaft nochmals für alle aus Anlaß seiner Verheiratung erwiesenen Aufmerksamkeiten. Er wolle mit dem Münsterland mehr und mehr verwachsen, zumal auch seine Gattin von echten Westfalen abstamme. Er wolle der Gesellschaft treu bleiben und sich rege an den Ausflügen beteiligen, u. seine nunmehrige höhere Instanz, seine Frau Gemahlin, habe dazu bereits verständnisvoll die Genehmigung erteilt. Er schloß mit einem Hoch auf die Gesellschaft. Walbe72 antwortete mit einer Rede auf die Frau Prof. Münzer und die junge Ehe. Die Geographia sei eine Spenderin des Frohsinns u. Glücks außerhalb der Familie u. ergänze deren Wohltaten zur Verschönerung des Daseins. Voll der aufrichtigsten Wünsche stimmte die Corona in das donnernde Hoch auf Familie Münzer ein.“
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Nach dem Tode seiner zweiten Frau im Jahr 1935 war Münzer von der Erphostraße 40, in der er seit dem Frühjahr 1926 nach langer Suche eine größere Wohnung gefunden hatte, in die Heisstraße 1 umgezogen. Wilhelm Bitter war bis zu seiner Pensionierung am 31.3.1924 Oberregierungsrat und Dezernent bei der Reichsbahndirektion Münster. Oberstudienrat Prof. Dr. Walbe war Gymnasiallehrer für Deutsch und Griechisch am SchillerGymnasium in Münster.
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Hans-Joachim Böckenholt
Tatsächlich hielt Friedrich Münzer während der ihm noch vergönnten gut 14 Jahre seiner Mitgliedschaft sein Versprechen. Wie in den 28 erhaltenen Bänden mit handschriftlich verfassten Berichten über jede einzelne geographische Wanderung und zahlreichen Jahresberichten aus der Zeit seiner Aufnahme in die Gesellschaft bis zum Novemberpogrom 1938 nachzulesen ist, hat Friedrich Münzer an 592 Wanderungen teilgenommen und 46 von ihm selbst handschriftlich verfasste Berichte geschrieben, von denen 45 erhalten sind.73 Eine solch hohe Frequenz an Wanderungen (ca. 40 Wanderungen/Jahr) war nur möglich, weil er von vornherein am Donnerstagnachmittag, dem damals noch regelmäßigen Wandertag der „Geographia“, keine Vorlesungen und Seminare angeboten hat und die familiären Verpflichtungen kein Hindernis darstellten. Zudem hat er 1½ Jahre lang die Funktion eines Vizepräsidenten und 2½ Jahre die eines Präsidenten ausgeübt,74 etwa 10 größere Vorträge in der „Geographia“ gehalten und eine Reihe von Gedichten verfasst, von denen – abgesehen von zwei gereimten Protokollen – leider nur ein Preisgedicht auf den 70. Geburtstag von Dr. Joseph Vaders am 27.6.1930 und ein poetischer Postkartengruß vom 19.8.1936 mit einer Stellungnahme zur Forschung über den Marathonlauf erhalten sind. Er war also trotz seines bescheidenen, zurückhaltenden Wesens nicht nur stets ein überdurchschnittlich eifriges wanderndes Mitglied der „Geographia“, sondern auch eine „tragende Säule“ in ihrem gesellschaftlichen Leben. Dieses wird auch deutlich in dem Bericht von der Generalversammlung vom 9.10.1930, in der Friedrich Münzer, der nach dem Tod des Präsidenten Oberstudiendirektor Prof. August Franck am 23.5.1929 diesem aus der Position des Vizepräsidenten in das Amt des Präsidenten gefolgt war und nun hohes Lob empfing: „Das Zusammenleben der Gesellschaft war im allgemeinen vorbildlich zu nennen; persönliche Streitigkeiten und Reibereien kamen nicht vor; jeder sieht, wenn er auch seine polit. und religiösen Ansichten für sich hat und sie vertritt, im anderen den gleichberechtigten Standesgenossen, mit dem ihm eins, die Liebe zur Mutter Natur, in schönster Harmonie vereinigt. Ausserdem haben sich viele Mitglieder der Gesellschaft rühmlich um das Wohl des Ganzen verdient gemacht, vor allem der Präsident [Münzer], der in vorbildlicher Weise den anderen mit Hingebung und gutem Beispiel voranging.“75
So ist es nicht erstaunlich, dass er auch für das nächste Wanderjahr per Zuruf wiedergewählt wurde. Am Ende seiner Präsidentschaft, die satzungsgemäß nur eine zweimalige Wiederwahl gestattete, wurde das oben ausgeführte Lob des nun aus dem Amt scheidenden Präsidenten nicht nur wiederholt, sondern noch einmal bekräftigt: „Hinsichtlich des Zusammenlebens der Gesellschaft kann nur das Lob wiederholt werden, welches in dieser Beziehung im vorigen Jahresbericht ausführlich ausgesprochen und begründet worden ist. Allen schwebten die 3 Leitsterne Natur, Freund73 74 75
Der 62. Protokollband (März-Juli 1926) ist vor Jahren einmal zu Forschungszwecken ausgeliehen und nach dem plötzlichen Tod des Entleihers wohl mit dem Nachlass entsorgt worden. Vizepräsident war Münzer von Oktober 1927 bis Mai 1929. Im Juni 1929 wurde er Präsident in der Nachfolge des am 23.5.1929 verstorbenen Präsidenten Oberstudiendirektor August Franck. In diesem Amt blieb er nach zweimaliger Wiederwahl bis zum 30.9.1931. Jahresbericht 1930/31 von Prof. Daniel Wilhelm Schöningh, S. 4.
Friedrich Münzer und die „Geographia“
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Das obige, im Biergarten der traditionsreichen Handorfer Gaststätte Pröbsting aufgenommene Foto zeigt Friedrich Münzer, der am 10. Juli 1930 als Präsident inmitten einer Gruppe von Geographen am Tisch sitzt (3. v. r.), eingerahmt von den Ehrenmitgliedern Felix Hase (l.) und Joseph Vaders (r.). Vaders hatte aus Anlass seines 70. Geburtstags eine Runde Bier spendiert.
schaft, Vaterland vor Augen … besonderes Lob wegen seiner vorbildlichen Hingabe an die Aufgabe der Gesellschaft, besonders auch an die Aufrechterhaltung der guten alten geograph. Sitten verdient der Präsident [Münzer],“76 der nach dem Verlesen dieses Berichts in der Generalversammlung vom 5.10.1931 noch einmal das Wort ergriff und „in warmen, tiefempfundenen Worten hervorhob, daß neben der Liebe zur Natur und der Freude am Wandern nur eine [:] die Liebe zum Vaterlande.“ Die Summe allen Lobes nahm er jedoch gerührt am 4.5.1938 aus Anlass seines 70. Geburtstages (22.4.1938) entgegen, verbunden mit der Verleihung der Ehrenmitgliedschaft.77 Schon im „Vorspruch“ des 85. Berichtsbandes war von Dr. Rudolf Schulze78, dem Archivar der Gesellschaft, in poetischer Form auf dieses Ereignis hingewiesen worden:
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Jahresbericht 1931/32 von Prof. Daniel Wilhelm Schöningh, S. 5. S. den Bericht vom 4.5.1938 in Bd. 85. Studienrat am Gymnasium Paulinum, Herausgeber der Festschrift dieser Schule 1947 und anderer bekannter historischer Werke.
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Hans-Joachim Böckenholt „Noch ist der kecke Monat [April] nicht zu Ende, da reiben wir uns wiederum die Hände Und freuen uns nun auf das 4. Fest, [22. IV. 38] Wenn Friedrich Münzer sieben Jahreszehnte läßt Versinken in der Zeiten ewʼges Meer Und kommt als voller Siebziger daher! Seit 15 Jahren fast ist er getreulich mitmarschiert Und hat der Ehrenämter zwei gar wohl geführt: Des Vize- und des Ersten Präsidenten. Auch hat er unter scharfen Konkurrenten Die schönste Ehrung, die den Geographen ziert, Den Wanderstab gar redlich sich errungen. Als Klios Jünger weiß er uns die Zeiten Des Altertums ganz klärlich auszudeuten.“
Tatsächlich folgte eine würdevolle Feier im Hotel Monopol an der Salzstraße 34. Der Berichter Oberstudienrat Dr. Peter Paul Wagner berichtet: „Vor fast der gesamten „Wanderkameradschaft“ der „Geographia“ wußte der Herr Präsident [Landgerichtsrat Gustav Mulert] unser Empfinden und unsere Wünsche in seiner den Menschen, Wissenschaftler und Geographen Münzer feiernden Rede beredt Ausdruck zu geben. Unter begeisternder Zustimmung der Festversammlung verkündete der Präsident, daß Prof. Münzer zum Ehrenmitglied der G. G. [Geographischen Gesellschaft] erhoben worden sei. Der in Stoff und Schrift nachher hinlänglich bewunderte Ehrenmitgliedsbrief wurde überreicht. Die Entgegnungs- und Danksagungsrede des Gefeierten entzieht sich einer Berichterstattung, weil sie in einer ganz besonderen Weise Herzenstöne anzuschlagen vermochte, die bei dem Hörer in der gleichen besonderen Weise Widerhall erweckten. Mit Ausdrücken des Beifalls und Dankes vernahm die Gesellschaft, daß unser neues Ehrenmitglied einen namhaften Betrag mit dem Wunsch stiftete, daß dieser der Pflege der Geschichte unserer Gesellschaft in irgend einer Form, z. B. in der Vervielfältigung der Jahresberichte verwendet werden möge. Der Berufskamerad79 unseres neuen Ehrenmitgliedes zeichnete mit wenigen feinen Strichen dessen Wesensart und die Wechselbeziehungen zwischen ihm und seinen Kongeographen. Wie in jeder Ich:Du und Ich:Wir – Beziehung so gilt auch hier das Gesetz des Gebens und Nehmens nach C. F. Meyers Wort aus dem ‚Römischen Brunnen‘: ‚Und jede nimmt u. gibt zugleich‘. Der Dichter-Geograph Ebert transponierte mit Hilfe eines Knittelverspoemes die Stimmung von Ernst auf Heiter. Das wissenschaftliche Arbeitsfeld des Geburtstagskindes gab den Leitton des Gedichtes, u. der Dichter wurde der Blumenbote der antiken Götter, die dem in der Nachbarschaft grabenden Forscher ihren Glückwunsch nicht vorenthalten wollten. Schließlich mußte der Gefeierte sich noch eine 2fache Vivisektion gefallen lassen, eine mit Hilfe der Zahl, die andere mit Hilfe dichterischer Wesensschau. Jene nahm unser Archivar u. Statistiker Schulz, diese unser Hauspoet Meyer I vor.80 Dort blieb kein Schritt des Geographen Münzer ungezählt, hier wurde unter Anwendung phänomenologischer Verfahren und geistvoller Gegenüberstellungen das Bild des jüngsten Ehrenmitgliedes scharf herausgemeißelt.
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Damit ist Prof. Dr. Otto Hoffmann gemeint, den Schöningh in seinem Jahresbericht als Festredner ausdrücklich nennt. Gemeint ist hier Rechtsanwalt und Notar Dr. Wilhelm Meyer.
Friedrich Münzer und die „Geographia“ Unserem Friedrich Münzer zum siebenzigsten Wiegenfeste. Melodie: Strömt herbei ihr Völkerscharen. Siebzig Jahre, siebzig Lenze, Oft in sturmbewegter Zeit, Streuet Blumen, windet Kränze, Haltet den Pokal bereit. Wenigen sind sie verliehen, Wenigen so jung und froh, Wohl ihm, der bis hier gediehen, Puer pedʼ et poculo. Unsʼrem Münzer klingt die Leier, Schaut, das Firmament erbebt, Der Olymp zu dieser Feier Frohbewegt herniederschwebt. Ihm, der Hellas Ruhm verkündet, Der auch Romas Glanz verschönt, Wird die Fackel heutʼ gezündet, Und Augustus selbst ihn krönt. Seinen Geistesflug begleiten Liess er uns, und Grosses sehn, Herrlich ließ er alte Zeiten Jung vor unsʼrem Augʼ erstehn. Wenn wir aus dem Diesseits flohen, Wo uns Last und Sorge bannt, Führt er uns zu den Heroen Nach dem schönen Griechenland. Lasst der Gegenwart uns lauschen, Geographen, froh und frei, Hört des Waldes Eichen rauschen Jubelnd ihre Melodei. „Vivat“ rufen ohne Stocken Fink und Amsel, Flur und Hain, Und der Dörfer helle Glocken Stimmen froh und festlich ein. Grüsset ihn, den Wetterfesten, Der vor keiner Wolke bang, Ob ihn Regenschauer nässten, Ob die Windsbraut ihn umschlang. Keiner, der auf leichten Schwingen Mit uns zog wie er so treu, und der Wanderstab mit Ringen Zierte immer ihn aufs neu. Auch im Präsidentenamte, Wie hielt hoch er unsʼren Schild, Jeder sich für ihn entflammte, Denn gerecht er war und mild. Selbst in Albersloh vor Jahren,
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Hans-Joachim Böckenholt Als die Spaltung klafft wie nie, Liess gerechten Groll er fahren, Frevlen Meuterern verzieh! Mit dem „Thomas“ Münzer selig Hat zum Glück er nichts gemein, Den als Vorbild nicht empfehl ich, Er verübte Räubereiʼn, Und Verderber war der Jugend, Hetzte Bauern, ward verbrannt, Schaut, welchʼ Ausbund aller Tugend Uns in „Friederich“ erstand! Lange bleibʼ uns noch erhalten, Lieber Münzer, jung und froh, Mögest Deine Kraft entfalten Oft in dulci jubilo! Münster dehnt sich in die Weiten, Land wird Stadt, Entfernung steigt, Aber Du wirst mit uns schreiten, Bis die Stadt die Ems erreicht! W. Mr.81 Daß die Geographen nunmehr auch singend mitreden durften zum Preis und Lob unseres lieben Geburtstagskindes, schuf den vom Dichter vorgelebten Frohsinn. Der Abend war zu Ende; die Ehrenstunde des Gefeierten wurde die Gelegenheit, daß jeder Geograph seiner Geographia sich von Neuem verbunden fühlte u. ihr das Treuegelübde erneuerte.“
Aus all dem geht hervor, dass Friedrich Münzer in der „Geographia“ eine Gesellschaft gefunden hatte, die genau wie er auf längeren Wanderungen einhellig immer wieder den Reiz der münsterländischen Parklandschaft mit ihren charakteristischen Siedlungen und Baudenkmälern bewunderte und zur Erholung genoss sowie mit unterschiedlichen Abtönungen sich aus einer nationalkonservativen, zum Teil auch patriotischen Haltung heraus für ihre Heimat und das Vaterland einsetzte. Zudem achtete sie – wie auch Münzer selbst – gemäß der Tradition des Bildungsstandorts Münster auf einen qualifizierten Austausch wissenschaftlicher Erkenntnisse und pflegte darüber hinaus einen freundschaftlich-respektvollen, einander wertschätzenden Umgang der Mitglieder untereinander, der bei geselligen Veranstaltungen, Speis und Trank mit dem damals bereits über 70 Titel umfassenden gedruckten Liedgut und zahlreichen geist- und humorvollen Gelegenheitsgedichten Frohsinn und gelöste Stimmungen erzeugte.82
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Wilhelm Meyer (1938). Leider sind die meisten von den Mitgliedern der „Geographia“ verfassten Gelegenheitsgedichte im 2. Weltkrieg verloren gegangen. Erhalten ist jedoch in wenigen Exemplaren aus unterschiedlichen Nachlässen das gedruckte, aus drei Teilen bestehende Liederbuch mit 93 (1939) selbst verfassten Liedern und einem Anhang, der allgemeines Liedgut enthielt.
Friedrich Münzer und die „Geographia“
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5. DAS NOVEMBERPOGROM IN MÜNSTER – PAUL LITTEN UND FRIEDRICH MÜNZER VERLASSEN DIE „GEOGRAPHIA“ AM 24.11. BZW. 26.11.1938 Warum Friedrich Münzer und sein Wanderfreund Paul Litten fast zeitgleich die von beiden außerordentlich geschätzte „Geographia“, die zumindest für Friedrich Münzer die Qualität seiner eigentlichen gesellschaftlichen Heimat gewonnen hatte, gut zwei Wochen nach der furchtbaren Pogromnacht des 9./10.11.1938 verließen, lässt sich leider nicht eindeutig klären, da die Austrittserklärungen von Münzer und seinem Wanderfreund Landgerichtsdirektor Paul Litten, der ebenfalls von Geburt her jüdischer Konfession war und mit etwa 12 Jahren zur evangelisch-lutherischen Konfession übertrat, wie auch viele andere Archivalien verloren sind. In der mündlichen Überlieferung ist zwar häufiger die Rede davon, dass beiden der Austritt von Mitgliedern der „Geographia“ „nahegelegt“ worden sei, was aber angesichts der Gesten tiefen Bedauerns bei den von dieser Reaktion überraschten Geographen eher unwahrscheinlich ist. Vor diesem Hintergrund hat der langjährige Präsident der „Geographia“ in den 1980er Jahren, Studiendirektor Wilfried Hidde, sich am 28.9.1984 mit dem Sohn Paul Littens, Herrn Dr. jur. Hans Litten, in Verbindung setzen können und ihn danach gefragt, ob sein Vater oder Herr Prof. Münzer von irgendeiner Seite her angestoßen worden seien, aus der „Geographia“ auszutreten. Dr. Hans Littens antwortete daraufhin am 4.10.1984.83 „Ob mein Vater noch einen Anstoß brauchte, um sich von dem Geografenkreis zu trennen, weiß ich heute nicht mehr, wohl aber, dass er davon überzeugt war, dem Freundeskreis nach Lage der Dinge mit seiner Person keine Schwierigkeiten machen zu dürfen. Jedenfalls sind ihm viele der Herren Freunde bis zum bitteren Ende geblieben, so vor allem der Rechtsanwalt Ebert, mit dem zusammen ich bei der GESTAPO meinen damals 65jährigen Vater noch vor einem Arbeitseinsatz bewahren konnte, bis er dann 1944 doch noch „geholt“ wurde, …“84
Münzer ist der Austritt aus der „Geographia“, die ihm so viel Anerkennung und persönliche Wertschätzung entgegengebracht hat, gewiss besonders schwer gefallen, stand er doch, abgesehen von seiner Stieftochter, die inzwischen verheiratet war, nun allein da. Zwar erhielt er, genau wie Litten, auch nach seinem Austritt immer wieder Besuch von seinen alten Wanderfreunden, allein es fehlte der regelmäßige gesellige alltägliche und wissenschaftliche Austausch. Der zeitlich eng beieinander liegende Doppelaustritt legt aber nahe, dass zwischen Münzer und dem in Justizangelegenheiten erfahrenen Litten Gespräche darüber im Vorfeld stattgefunden haben, zumal sie am 9.11.38 noch gemeinsam Teilnehmer der regulären Mittwochswanderung waren.
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Dieser Brief kann im Archiv der „Geographia“ zur Gänze eingesehen werden. Paul Litten wurde dann 1944 zu einem Arbeitseinsatz bei Kassel deportiert. Von dort aus gelang ihm mit Hilfe seiner Tochter Dorli die Flucht nach Sendenhorst, wo er von seinem Nachbarn zunächst im dortigen Krankenhaus und später auf einem abgelegenen Kotten versteckt worden ist, so dass er überlebt hat. Vgl. dazu die ausführlichen Berichte in Möllenhoff/ SchlautmannOvermeyer 1995: 274 f. u. 2001: 1078–1081.
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Aber auch die Geographische Gesellschaft war von diesem Doppelaustritt schmerzlich berührt. Schon die Ereignisse vom 9./10.11.1938 hatten im Protokoll Carl Niemers vom 16.11.1938 einen missbilligenden Niederschlag gefunden,85 während sich in Münzers Protokoll vom 12.11.1938 wohl aus tiefer Betroffenheit kein einziges Wort über den staatlich flankierten Terror gegenüber den jüdischen Bürgern und ihren Einrichtungen während des Pogroms findet. Zudem schreibt Landgerichtsrat August Meyer in seinem Bericht vom 16.11.1938: „Der trübe Novembertag, der heute nicht nur auf der Natur, sondern auch aus besonderem Anlass auf der ganzen Geographia lastet, hatte nur 8 Wanderer … Der ursprünglich angesetzte Vortrag über die Kelten musste wegen Besprechung interner Angelegenheiten, die bei allen Anwesenden ein Gefühl der Trauer und Wehmut auslösten, ausfallen. Gegen 23 Uhr trennte man sich in dem Bewusstsein, dass die Geographia nicht nur das Wandern, sondern auch das Prinzip der Freundschaft zu schätzen/schützen weiß.“
Auch im Prolog86 des neuen Wanderjahres und im Jahresbericht87 finden sich bedauernde Worte über den Austritt Littens und Münzers nach den Ereignissen der Pogromnacht. Ende Juli 1942 erfolgte dann die Deportation Friedrich Münzers in das Ghetto Theresienstadt, wo er am 1. August eintraf und am 20.10.1942 an einer Darmentzündung verstarb.88 Seine das geistige und gesellige Klima der „Geographia“ in wesentlichen Grundzügen mitbestimmende Rolle blieben jedoch in der „Geographia“ unvergessen, was am 28.11.1942 im Protokoll des 58. Stiftungsfestes von Dr. Robert Heesing ausdrücklich dokumentiert ist:89 „Nachdem man gut gespeist hatte, begann unser Präsident Schulze seine Rede. Er ging ein auf die Tätigkeit der Gesellschaft im verflossenen Jahre (siehe Jahresbericht), verlas Briefe u. a. von Hölscher und Meinardus, die der Gesellschaft zum Feste alles Gute wünschten, und gedachte dann in warmen Worten des verstorbenen Mitgliedes der Gesellschaft, Prof. Dr. Münzer, seiner Tätigkeit als Vorsitzender und seiner wissenschaftlichen Arbeiten. Die Gesellschaft erhob sich zu Ehren des Verstorbenen.“
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„Aber wie wohltuend berührte diese Ruhe über allen Wipfeln des stillen Havichhorster Forstes, wie befreiend wirkte das weite Bild der Werselandschaft um die alte Mühle nach all der Unruhe, welche die erschütternden Ereignisse der letzten Tage uns im Ausland und im Inland gebracht hatten und nach deren Sinn man sich vergebens fragt.“ (Bericht Niemers vom 16.11.1938). „Zum Glück in diesem Jahre riss Freund Hein, / Kein Opferlamm aus unsʼren stolzen Reihʼn. / Doch treue Freunde jählings uns verliessen, / Die Wunde klafft und will nur schwer sich schließen.“ (Dr. Wilhelm Meyer: Vorspruch zum Jahresbericht 1938/39). „Die Beteiligung an den Wanderungen war, im ganzen genommen, geringer als in den letzten Wanderjahren. Der einzige Grund hierfür ist, dass zwei sehr fleißige und regelmäßige Wanderer – nämlich Münzer und Litten – von Dezember 1938 nicht mehr mitwandern konnten … Und es ist wohl keiner unter uns, der diese treuen und altbewährten Wanderer an den Mittwochen nicht schmerzlich vermisst hätte!“ (Dr. Rudolf Schulze: Jahresbericht 1938/39, S. 5 f.). Siehe Kneppe/Wiesehöfer 1983: 136–149. Bericht vom Stiftungsfest am 28.11.1942 im 94. Band der Berichte über die Tätigkeit der Geographischen Gesellschaft.
Friedrich Münzer und die „Geographia“
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Auch nach dem 2. Weltkrieg wurde immer wieder beim Verlesen von Altprotokollen seiner gedacht. Zudem pflegten Mitglieder der „Geographia“ in regelmäßigen Abständen auf dem Zentralfriedhof zu Münster das Grab Clara Münzers, geb. Ploeger, der zweiten Ehefrau Friedrich Münzers, da der dortige Grabstein auch an Friedrich Münzer erinnert. An der Verlegung eines „Stolpersteins“ am 13.11.2005 vor der letzten Wohnung Münzers in der Heisstraße 1 beteiligten sich u. a. 18 Mitglieder der „Geographia“. QUELLEN UND LITERATUR Ungedruckte Quellen Album der Geographischen Gesellschaft zu Münster Westf., Band 1, [besteht aus einer chronologisch nach dem Eintrittsdatum geordneten Abfolge kurzer, handschriftlich abgefasster Biographien, später Autobiographien, z. T. mit eingeklebten Photographien, Totenzetteln und sonstigen die Lebensabrisse ergänzenden Zeitungsartikeln und eingelegten Hinweisen aller Mitglieder der Geographischen Gesellschaft. Die Lebensläufe vieler der vor dem 1. Weltkrieg eingetretenen Mitglieder sind von Felix Hase und Joseph Vaders, z. T. posthum, nachgetragen worden.] Tagebuch über die Thätigkeit der Geographischen Gesellschaft zur Erforschung des Münsterschen Tieflandbusens, 1. Band, 2. Oktober 1884–9. März 1886 2. Band, 11. März 1886–1. Juni 1887 3. Band, 7. Juli 1887–9. Februar 1888 [die fehlenden 4 Berichte aus dem Juni 1887 sind bereits 1887 im Hause von Dr. Peter Hermann Kopp verlorengegangen, wie er zu Beginn dieses Bandes bekennt.] 4. Band, 16. Februar 1888–14. Juni 1888, ……… Berichte der Geographischen Gesellschaft zu Münster i./W.:90 Band 58, 24. Mai 1923–6. November 1924, Band 59, 13. November 1924–12. März 1925, Band 60, 19. März 1925–1. Oktober 1925, Band 61, 8. Oktober 1925–25. Februar 1926, [Band 62 ist nach einem Todesfall bedauerlicherweise im Nachlass verlorengegangen] Band 63, 5. August 1926–20. Januar 1927, Band 64, 27. Januar 1927–23. Juni 1927, Band 65, 30. Juni 1927–1. Dezember 1927, Band 66, 8. Dezember 1927–21. Juni 1928 90
Ein besonders herzlicher Dank gilt dem Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Hamm a. D. und „Pater Geographiae“ Dr. jur. Werner Kreuz, der seit über 56 Jahren Mitglied der „Geographia“ ist, regelmäßig Altprotokolle vorliest, viele, manchmal nahezu unlesbare handschriftliche Protokolle der Jahre 1919–1927 in jahrelanger Arbeit zu transkribieren half und auch für diesen Aufsatz nicht nur bei der Überprüfung früherer Transkriptionen, sondern auch bei etlichen erstmalig transkribierten handschriftlichen Texten stets hilfsbereit Lesehilfen leistete.
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Hans-Joachim Böckenholt Band 67, 28. Juni 1928–3. 1. 1929, Band 68, 10. Januar 1929–1. August 1929, Band 69, 8. August 1929–9. Januar 1930, Band 70, 16. Januar 1930–21. August 1930, Band 71, 28. August 1930–30. Januar 1931, Band 72, 5. Februar 1931–10. September 1931, Band 73, 17. September 1931–24. März 1932, Band 74, 31. März 1932–6. Oktober 1932, Band 75, 13. Oktober 1932–11. Mai 1933, Band 76, 18. Mai 1933–26. Oktober 1933, Band 77, 2. November 1933–22. März 1934, Band 78, 29. März 1934–19. Juli 1934, Band 79, 26. Juli 1934–14. Februar 1935, Band 80, 21. Februar 1935–4. Juli 1935, Band 81, 11. Juli 1935–20. Februar 1936, Band 82, 27. Februar 1936–5. November 1936, Band 83, 12. November 1936–28. Juli 1937, Band 84, 4. August 1937–9. Februar 1938, Band 85, 16. Februar 1938–5. Oktober 1938, Band 86, 12. Oktober 1938–8. Februar 1939, …… Band 94, 22. Juli 1942–12. Mai 1943.
Maschinenschriftlich vervielfältigte Jahresberichte der Geographischen Gesellschaft zur Erforschung des Münsterländischen Tieflandbusens, verfasst von Prof. Wilhelm Daniel Schöningh (bis 1932/33), Dr. Heinrich Ebert (1933/34) und Dr. Rudolf Schulze (1937/38 und 1938/39) über die Wanderjahre: 1. Oktober 1930 bis 30. September 1931, mit einem Vorspruch zum Jahresbericht 1930/31 von Wilhelm Meyer (19.11.1931), 1. Oktober 1931 bis 30. September 1932, mit einem Vorspruch zum neuen Wanderjahr 1932/33 und der Ballade „Geograph im Himmel“ von Wilhelm Meyer (5. 5. 1932), 1. Oktober 1932 bis 30. September 1933, mit einem Vorspruch zum Wanderjahr 1932/33 und einem Verzeichnis der ansässigen Mitglieder der Geographia mit ihrer Adresse, ihrem Geburtsjahr und -ort, ihrer Berufsbezeichnung und dem Jahr ihrer Aufnahme sowie einem Cartoon über die „Bullenschlacht bei Vorbergs Hügel am 27. Oktober 1932“ von Alexander Petersen, 1. Oktober 1933 bis 30. September 1934, mit einem Vorspruch zum Jahresbericht 1933/34 von Wilhelm Meyer, 1. Oktober 1937 bis 30. September 1938, mit einem Vorspruch zum Jahresbericht 1937/38 von Wilhelm Meyer und einem Nachruf auf Prof. Daniel Wilhelm Schöningh, 1. Oktober 1938 bis 30. September 1939, mit einem Vorspruch zum Jahresbericht 1938/39 von Wilhelm Meyer. Zwei Bände mit Transkriptionen handschriftlich verfasster Berichte von Wanderungen, Jahresberichten, Generalversammlungen, Stiftungsfesten und Jubiläen, gelesen und diktiert von Vors. Richter am OLG a. D. Dr. Werner Kreuz, in eine maschinenschriftliche Fassung übertragen von Richter am OLG a. D. Karl-Heinz Prinz, Min. Dir. a. D. Reinhard Aldejohann, und drucktechnisch wie im Layout betreut von Landesverw. Dir. a. D. Heinrich Westemeyer, OStD a. D. Werner Bronstering und Vors. Richter am OLG a. D. Dr. jur. Manfred Nordloh: 1. Band: Die Protokolle vom 4. 1. 1923 bis 29. 12. 1927, 353 Seiten, 2003 als Privatdruck in wenigen Exemplaren vervielfältigt und gebunden. 2. Band: Die Protokolle vom 2. 1. 1919 bis 28. 12. 1922, 205 Seiten, 2009 als Privatdruck in wenigen Exemplaren vervielfältigt und gebunden.
Friedrich Münzer und die „Geographia“
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Lieder der Geographischen Gesellschaft zu Münster i. W., 1895 als Manuskript gedruckt in der Buchdruckerei Aschendorff in Münster, 79 S. [51 Lieder]. Neue Lieder der Geographischen Gesellschaft zu Münster i. W., 1899–1913, als Manuskript gedruckt o. J., [1913], 20 S. [21 Lieder]. Dritter Teil der Lieder (1914–1939) mit einer erläuternden Vorbemerkung. Hrsg. v. R. Schulze, Münster 1939 [21 Lieder].
Bibliographie N. N. 1993: Geographische Gesellschaft zur Erforschung des Münsterischen Tieflandbusens 1884– 1984, in: Rückblicke in eigener Sache. Bürger-Initiativen zur Stadtgeschichte, Katalog zur Ausstellung des Stadtarchivs Münster im Rathaus und Stadthaus I vom 18. April bis 23. Mai 1993, Regensburg, 303–304. Hidde, W. 1997: „Geographia“ und das Paulinum, in: G. Lassalle (Hg.), 1200 Jahre Paulinum in Münster 797–1997, Münster, 340–342. – 1984: 100 Jahre Geographia. Strukturierte Sammlung von Berichten in ihrem historischen Kontext, selbst verfassten Gedichten und Liedern, Nachrufen etc. Jeismann, K.-E. 1993: Die Bildungsinstitutionen zwischen 1815 und 1945, in: F.-J. Jakobi (Hg.), Geschichte der Stadt Münster, Bd. 2, Münster, 663–726. Kneppe, A. / Wiesehöfer, J. 1983: Friedrich Münzer. Ein Althistoriker zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus, Bonn. – 1985: Friedrich Münzer, in: R. Stupperich (Hg.), Westfälische Lebensbilder, Bd. 13, Münster, 213–232. Krüger, G. 1992: „Treudeutsch allewege!“ Gruppen, Vereine und Verbände der Rechten in Münster (1887–1929/30), Münster. Menninghaus, W. / Krause, G. 1985: Die Königlich Westphälische Eisenbahn, Lübbecke. Möllenhoff, G. / Schlautmann-Overmeyer, R. 1995: Jüdische Familien in Münster 1918–1945. Teil 1: Biographisches Lexikon, Münster. –1998: Jüdische Familien in Münster 1918–1945. Teil 2.1: Abhandlungen und Dokumente 1918– 1935, Münster. – 2001: Jüdische Familien in Münster 1918–1945. Teil 2.2: Abhandlungen und Dokumente 1935– 1945, Münster. Nordloh, M. / Westemeyer, H. (Hgg.) 2010: Die Mitglieder der Gesellschaft von 1884 bis 2010, Geographische Gesellschaft zur Erforschung des münsterländischen Tieflandbusens von 1884, Münster (Privatdruck). Pünder, T. 2006: Georg Sperlich. Oberbürgermeister von Münster in der Weimarer Republik, Münster. Ribhegge, W. 1985: Geschichte der Universität Münster, Münster.
FRIEDRICH MÜNZER IM WISSENSCHAFTSGESCHICHTLICHEN KONTEXT* Wilfried Nippel, Berlin Es ist nicht leicht, Friedrich Münzer (1868–1942) in disziplingeschichtlicher Hinsicht einzuordnen.1 Er hat mit den Berufungen nach Basel (1902, nach Habilitation ebenda 1896),2 Königsberg (1912) und Münster (1921)3 sicherlich eine beachtliche, aber keine herausragende Karriere im Fach gemacht. Er gehörte zum Typus des ‚stillen Gelehrten‘, hat nicht, wie manche Koryphäe die Rolle des Wissenschaftlers mit der des Teilzeitpolitikers und/oder politischen Publizisten kumuliert. Er gehörte nicht zu den ‚big men‘ des Universitätsbetriebs, die überall bei Personalentscheidungen an den Strippen zogen. Er ist nicht mit programmatischen Stellungnahmen zur Entwicklung des Faches hervorgetreten und auch nicht in eine jener großen Kontroversen verwickelt gewesen, an deren Protagonisten man sich auch dann noch erinnert, wenn der Gegenstand des Streites schon längst verschwommen ist. Er hat keine nennenswerte Schüler im Sinne des universitären Patronagesystems gehabt, wurde jedoch posthum als Begründer einer wissenschaftlichen Schule verstanden, deren spätere tatsächliche oder vermeintliche Repräsentanten gerade nicht über persönliche Beziehungen zu Münzer verfügt hatten. Münzers Wirkung beruht im Wesentlichen auf zwei Faktoren: den über 5000 prosopographischen Artikeln für die Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft, die seit 1897 erschienen und deren letzte erst posthum in den 1960er Jahren herauskamen,4 und auf seiner Monographie, Römische Adelsparteien und Adelsfamilien, von 1920. Georg Wissowa, der 1890 die Neubearbeitung der von August Pauly 1837 begonnenen Realencyclopädie übernommen hatte,5 hat 1893 Münzer die Artikel zur * 1 2
3 4 5
Die Vortragsform wurde beibehalten, Belege sind knapp gehalten worden. Münzers Biographie und sein Schicksal als Opfer des NS-Regimes werden hier nicht behandelt; s. dazu Kneppe/Wiesehöfer 1983 sowie den Beitrag von J. Wiesehöfer in diesem Band. Während an den meisten deutschen Universitäten im späteren 19. Jahrhundert eigenständige Lehrstühle für Alte Geschichte eingerichtet worden waren, war dies an der kleinen Universität Basel noch nicht geschehen, so dass Münzer hier eine Professur für „klassische Philologie und (römische) Altertumskunde“ bekleidete; s. Kneppe/Wiesehöfer 1983: 20 ff. Zur Verselbständigung der Alten Geschichte kam es hier erst in den frühen 1930er Jahren; s. die Beiträge in Burckhardt 2011. Münzer beklagte sich 1931 über die unzureichende Bibliotheksausstattung in Münster; s. Gabba 2002. S. das Schriftenverzeichnis bei Kneppe/Wiesehöfer 1983 mit den Ergänzungen in der Rezension von Badian 1989. Zur Geschichte dieses Unternehmens s. u. a. Irmscher 1985; Classen 2010.
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Prosopographie der römischen Republik ab dem dritten Band bzw. dem Buchstaben C übertragen.6 Warum die Wahl auf den damals 25-jährigen Münzer fiel, der zwei Jahre zuvor bei Otto Hirschfeld mit einer Arbeit über die gens Valeria promoviert hatte, ist meines Wissens nicht bekannt. Da aber Wissowa sich bei der Auswahl der Mitarbeiter generell auf den Rat der, wie er sagte, „hochverehrten Führer unserer Wissenschaft“ verließ,7 wird man eine Empfehlung von Hirschfeld oder einer anderen Koryphäe vermuten können. Aus der Rückschau würde man alternativ, allein auf Grund der Publikationslage, auch an Conrad Cichorius als Bearbeiter für solche Artikel denken können. Er hatte 1886 über die ältesten Consullisten promoviert. Unter der Ägide von Cichorius sollten später in Breslau ab 1908 ein halbes Dutzend Dissertationen mit Verzeichnissen von Magistraten, Legaten und Priesterkollegien erscheinen.8 Die Ergebnisse diverser eigener, auf langjährigen prosopographischen Untersuchungen beruhender Studien hat Cichorius erst 1922 in seinem Sammelband Römische Studien vorgelegt. Die Ähnlichkeit im methodischen Ansatz mit Münzer ist evident; größere Wirkung hat dieses Buch aber anscheinend nicht erzielt, was auch mit seinem Charakter einer eher heterogenen Sammlung von Einzelstudien zusammenhängt.9 Mit Wissowas Beauftragung von Münzer ging die Verantwortung für die prosopographischen Artikel von Elimar Klebs, der über 700, aber eher kurze Einträge zu den Buchstaben A–B verfasst hat, auf Münzer über. Auch hier ist unklar, ob Klebs, der am kaiserzeitlichen Prosopographie-Projekt der Berliner Akademie arbeitete, weitere Arbeitsaufträge nicht übernehmen konnte oder wollte oder ob er eher wegen der ihm nachgesagten persönlichen Unverträglichkeit oder aus anderen Gründen sozusagen „ausgebootet“ worden ist.10 Offen ist weiter, ob Münzer mit seiner Bearbeitung dieser Personenartikel nicht weiter ging, als Wissowa ursprünglich geplant hatte. In dessen Vorwort zum ersten Band der RE heißt es, es sollten die „Namen aller historisch irgendwie bedeutsamen Persönlichkeiten“ aufgenommen werden, ohne dass damit Konkurrenz zu einem Eigennamen-Wörterbuch geplant sei.11 Das ist sicherlich ein flexibles Kriterium; 6 7 8 9 10
11
Münzer 1920 im Vorwort, S. IX. Wissowa 1894: IV; s. auch Unte 2003: 367–398. S. Nicolet 1970: 1212; diese Breslauer Dissertationen lassen sich in der Liste bei Broughton 1952: 503–505 finden. Zu Cichorius s. weiter Braunert 1968. Cichorius 1922. Otto 1926 bedauerte in seiner Rezension, dass Cichorius kein wirkliches Äquivalent zu Münzers Adelsparteien für die späte Republik und frühe Kaiserzeit vorgelegt habe. Klebs hat diese Arbeit wohl nur als Brotberuf betrachtet, verfolgte andere wissenschaftlichen Interessen und hatte die Neigung, sich mit anderen (darunter Mommsen) zu überwerfen; s. dazu Heil/Wannack (i. Dr.; bisher unveröffentlichter Vortragstext, den mir M. Heil freundlicherweise zugänglich gemacht hat). – Wissowa wollte angesichts des Erscheinens der PIR Zahl und Umfang der in die RE aufzunehmenden Personenartikel zur Kaiserzeit reduzieren und eine entsprechende Kooperation beider Unternehmen herbeiführen, wofür sich Klebs nicht sonderlich kooperativ zeigte; s. Wissowas Briefe an Mommsen vom 19. Mai und 8. Juni 1896 in: Scheid/Wirbelauer 2008: 207–209. Wissowa 1894: V.
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aber Münzer hat nicht nur extensiv ausgelegt, was unter „irgendwie historisch bedeutsam“ zu verstehen sei, sondern auch mit seinen detaillierten Darstellungen und der Rekonstruktion zahlreicher Stemmata vermutlich viel mehr geleistet, als ursprünglich geplant war. Grundsätzlich hat Wissowa seinen Beiträgern freie Hand gelassen, was dann auch rasch dazu führte, dass sich die Realencyklopädie zu einem von den Herausgebern kaum noch steuerbaren Großunternehmen entwickelte. Hinsichtlich der Vorbilder für die Vielzahl personenkundlicher Artikel kommt die ursprüngliche Realencyklopädie (in sechs Bänden 1837–1852), die diese nur sparsam aufgenommen hatte, nicht in Frage. Zu nennen ist vielmehr zunächst das Werk von Wilhelm Drumann, Geschichte Roms in seinem Übergange von der republikanischen zur monarchischen Verfassung oder Pompeius, Caesar, Cicero und ihre Zeitgenossen nach Geschlechtern und mit genealogischen Tabellen, das in sechs Bänden 1834 bis 1844 erschienen war. Drumann sagte in seiner Vorrede zum ersten Band, dass er die Notwendigkeit des Übergangs zur Monarchie belegen wolle und es gerade in solchen Umbruchzeiten auf die führenden Persönlichkeiten ankomme. Sein Werk solle keine „Sammlungen von Lebensbeschreibungen sein, sondern eine auf Lebensbeschreibungen gegründete Geschichte Roms“ in der Spätphase der Republik. Aber Herkunft, häusliche Verhältnisse, Privatleben sollten mehr behandelt werden als in allgemeiner Geschichte üblich sei; deshalb sei auch eine alphabetische Anordnung angebracht.12 Diese Anordnung ist sofort auf großes Unverständnis gestoßen, was Drumann auch mit seinem Rechtfertigungsversuch in der Vorrede zu seinem dritten Band (1837) nicht ausräumen konnte.13 Viele Zeitgenossen haben sich zudem an Drumanns kritischem Bild von Cicero als Politiker gestoßen, bis ihnen dann Mommsens Cicero-Kritik in seiner Römischen Geschichte neuen Anlass zur Empörung lieferte.14 Eduard Meyer hat 1919 Drumanns Werk als „das bizarrste Produkt deutscher Gelehrsamkeit“ bezeichnet, da hier die Krise der Revolution in alphabetisch sortierte Familiengeschichten aufgelöst werde; auf solch eine absurde Idee würde niemand hinsichtlich der englischen oder französischen Revolution kommen.15 Das ist gewiss zutreffend, aber Meyer hat ganz offensichtlich den Titel „Geschichte Roms etc.“ beziehungsweise Drumanns Selbstdeutung viel zu ernst genommen. Das Werk war vor allem ein wertvolles personengeschichtliches Handbuch.16 Mommsen hat es in diesem Sinne ausgiebig benutzt. In seinem Römischen Staatsrecht finden sich ca. 140 Verweise auf Drumann, durchgängig ohne Kommentar, einfach als Verweis auf Belege zur Entlastung des eigenen Apparats.17
12 13 14 15 16 17
Drumann 1834: VI. Drumann 1837: III–IX. S. u. a. Anonymus 1837; Aly 1896. Eine Rückschau auf die Debatten des 19. Jahrhunderts bieten Canfora 1988 u. Schmidt 1988. Meyer 1922: X f. [Vorwort von 1919]. Mit diesem Argument setzte sich Bardt 1904 für die Anschaffung der Neubearbeitung von Paul Groebe (1899–1929) durch Gymnasialbibliotheken ein: Man dürfe sich durch die CiceroKritik nicht davon abhalten lassen. Belege bei Kaufmann/Wannack 2010: 40–42.
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Münzer selbst hat einmal auf das zweite wichtige Vorbild hingewiesen, indem er schrieb, Theodor Mommsen habe „die antike Personenkunde als eine neue historische Hilfswissenschaft“ ins Leben gerufen.18 Gemeint ist das Projekt einer kaiserzeitlichen Prosopographie, das aus dem Inschriften-Projekt erwachsen war. Die Arbeit daran war mit einem Stab freier Mitarbeiter bereits 1874 begonnen worden; erst 1886 wurde mit Hermann Dessau, Elimar Klebs und Paul von Rohden ein Werkvertrag über die Herausgabe eines Druckwerks abgeschlossen, dessen Publikation sich aber wegen diverser Schwierigkeiten und persönlicher Querelen immer wieder verzögerte. Erst 1897/98 erschienen die drei Bände der Prosopographia Imperii Romani, die in der Fachwelt einhellig begrüßt wurden, wenn sich auch bald die Notwendigkeit einer Weiterbearbeitung abzeichnete, die dann bekanntlich wiederum unter einem ungünstigen Stern stehen sollte.19 Die Notwendigkeit und Nützlichkeit prosopographischer Verzeichnisse war also fest etabliert, als Münzer sich an seine Artikel machte. Aber es war eben eine ‚Hilfswissenschaft‘ in dem Sinne, dass hier Materialien für alle denkbaren Zwecke, nicht im Hinblick auf ein spezifisches Erkenntnis- oder Untersuchungsziel aufbereitet werden sollten. Auch Münzer hat hier weitgehende Enthaltsamkeit gezeigt, seine minutiösen Rekonstruktionen von Beamtenjahren und Verwandtschaftsverhältnissen nicht in weitergehende, grundsätzliche Ausführungen zum Charakter römischer Politik eingebunden. Insofern konnten diese Artikel wiederum die Grundlagen für die Rekonstruktion der Beamtenlisten in Robert Broughtons Magistrates of the Roman Republic und für weitere Untersuchungen zu diversen Magistraturen bieten. Es ist schwer zu sagen, wieweit Münzer als Autor eigenen Rechts wahrgenommen worden wäre, wenn es bei diesen Artikeln geblieben wäre, so überwältigend die Textmassen und der Detailreichtum auch sind. Wer z. B. später bei Broughton die Information fand, dass eine bestimmte Person als Nr. XY unter dem Lemma mit dem entsprechenden Gentilnomen in der Realencyclopädie zu finden ist, und eine schnelle Information suchte, wird nicht notwendig realisiert haben, wer der Verfasser war, vor allem wenn die Autorenangabe erst viele Einträge bzw. Seiten später erfolgte. Eine mit Münzers Namen verbundene Theorie oder These ergab sich erst aus seinem Buch über die Römischen Adelsparteien von 1920, aber auch dies mit Verzögerung. Für das folgende verweise ich auf verschiedene Ausführungen von KarlJoachim Hölkeskamp,20 denen ich in der Sache nichts hinzuzufügen habe, sondern aus denen ich hier nur in stark reduzierter Form einige Aspekte wiedergebe. Münzer gibt im Vorwort an, dass dieses Buch aus der Arbeit an seinen Personenartikeln entstanden sei, er daran über Jahre gearbeitet habe, es aber immer wieder zu Verzögerung gekommen sei und er schließlich angesichts des Weltkrieges die Hoffnung auf eine Veröffentlichung schon aufgegeben habe. Man kann viel18 19 20
Münzer 1928: 97–100. S. Wannack 2007: 43 ff. U. a. Hölkeskamp 2001 (Rezensionsessay zur englischen Übersetzung von Münzers Adelsparteien); Hölkeskamp 2012.
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leicht vermuten, dass er sich nicht immer auf entsagungsvolle Kärrnerarbeit beschränken wollte. Dem Buch merkt man jedoch den langwierigen Entstehungsprozess an. Es ist eigentlich mehr eine Sammlung von aufeinanderfolgenden Abhandlungen zu Aspekten römischer Politik von der Mitte des 4. Jahrhunderts bis zur Zeit Caesars als eine durchkomponierte Monographie. Eine Einleitung zu Untersuchungszielen und Methode und möglicher Verortung in der Forschungslage fehlt – auch wenn man bedenken muss, dass dies in der damaligen Zeit nicht unüblich war. In einer Selbstrezension, die Münzer 1925 verfasst hat, gab er den Rat, man möge mit dem Schluss beginnen, um einen wirklichen Eindruck vom Inhalt des Buches zu gewinnen.21 Aber auch dieses Schlusskapitel, das eine Zusammenstellung der materiellen Ergebnisse der einzelnen Kapitel bietet, bringt keinen wirklichen Aufschluss über – wie wir heute sagen würden – Münzers ‚Theorie‘. Diese muss man vielmehr aus verstreuten einzelnen Ausführungen bzw. aus dem Gang der Untersuchungen selbst entnehmen. Evident ist, dass Münzer von der Zuverlässigkeit der Fasten seit der mittleren Republik ausgeht22 und meint, hinter den nackten Daten eine Struktur römischer Politik auch dann erkennen könne, wenn die Quellen dazu nichts hergeben oder die Vergangenheit bewusst verfälscht haben – deshalb die Formel von den aufzudeckenden arcana imperii der römischen Aristokratie,23 die immer wieder als Schlüsselbegriff interpretiert wird. Münzer ging von der Beobachtung aus, dass in den Beamtenlisten immer wieder bestimmte Gentilnamen auftauchen und sich immer wieder Kombinationen von Namen in bestimmten Jahren wiederholen, während sich andere ausschlossen, „anzogen oder abstießen“ in seiner bekannten Formel.24 Er folgerte daraus, dass es innerhalb des römischen Adels feste Gruppierungen gegeben habe, die generationsüberdauernd Bestand gehabt hätten und deren Zusammensetzung auf den Verwandtschafts-, Adoptions- und Heiratsverbindungen beruhten, die er im einzelnen eruierte – wobei er nebenbei auch Korrekturen zu seinen RE-Artikeln anbrachte, die dann zum Teil später übersehen worden sind.25 Aber das alles wird in hypothetischer Form vorgebracht, Kontinuitätsannahmen werden durch das Feststellen von Brüchen und Neuformierungen immer wieder konterkariert. Das ist zunächst im Sinne der diversen Versuche in der Alten Geschichte zu verstehen, ‚Mommsen zu überwinden‘, einerseits dessen Konzentration auf das Staatsrecht, andererseits dessen Bild von Parteien – Konservative versus Fortschrittliche – in der Römischen Geschichte, auch wenn Münzer selbst noch gelegentlich von der ‚demokratischen Partei‘ in der mittleren und späten Republik spricht.26 Verbunden war das mit einer Reduzierung römischer Politik allein auf 21
22 23 24 25 26
Münzer 1925. Münzer sagt, er entspreche damit einem Wunsch des Herausgebers der Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte (es gab mehrere, gemeint sein könnte Georg von Below); er nahm die Gelegenheit wahr, auf zwischenzeitlich erfolgte Stellungnahmen zu seinem Buch einzugehen. S. auch Münzer 1927: 596. Münzer 1920: 133, 317, 427. Münzer 1920: 2. S. Ridley 1996 u. 1998. Münzer 1920: 31, 95, 360 u. pass.
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die Auseinandersetzung um die Wahlen, wobei weder dem Senat noch der Volksversammlung eine wie auch immer zu definierende eigenständige Rolle zugewiesen wurde. Allerdings benötigte Münzer doch Mommsens Römisches Staatsrecht, um aus den formalen Kompetenzen des Wahlleiters herzuleiten, dass dieser (nach vorherigen Absprachen) das Ergebnis der Wahl maßgeblich beeinflussen konnte, so dass unter seiner Ägide jeweils Verwandte gewählt wurden.27 Die zeitgenössische Reaktion war eher gering, wofür auch die Münzersche Selbstrezension ein Indiz ist. Immerhin meinte Ernst Hohl, Münzer biete wirkliche, nicht eine gerade modische Soziologie28 – wir sind in der Zeit, in der die Etablierung von Soziologie als eigenständige akademische Disziplin umstritten war.29 Eine Ausnahme stellen zwei Rezensionen von Matthias Gelzer dar,30 der 1912 seine Nobilität der Römischen Republik veröffentlicht hatte.31 Gelzer hatte 1905– 1907 auch bei Münzer in Basel studiert, sich aber von diesem nur mäßig beeindruckt gezeigt.32 Für seine Monographie zur Nobilität hatte er die bis dahin erschienenen RE-Artikel von Münzer verwenden können, er nutzte sie vor allem, um mit prosopographischen Daten zu belegen, dass in der späten Republik der Begriff der Nobilität nur für consularische Familien verwendet werde. In seinen Stellungnahmen zu Münzer ließ Gelzer nur leichte Vorbehalte anklingen, begrüßte das Werk vielmehr als Bestätigung seiner eigenen These; die Fähigkeit einer kleinen Gruppe, sich immer wieder in den Oberämtern zu repräsentieren, sei aus den Nahund Treuverhältnissen zu erklären, die Münzer nunmehr in eine längerfristige historische Perspektive gerückt habe. Münzer seinerseits bezog sich verschiedentlich auf Gelzer im Sinne einer grundsätzlichen Übereinstimmung beider Positionen.33 Sachlich war diese Kongruenz kaum zutreffend, denn Gelzer hatte nie von festen, dauerhaften Faktionen auf Basis von Familienbindungen gesprochen, und Verwandtschaftsverhältnisse waren für ihn nur einer unter verschiedenen Faktoren, welche die Nah- und Treuverhältnissen bedingten, die sich aber auf Individuen bezogen, und welche durch ihre vielfältigen Überlappungen stabile Gruppenbildungen geradezu unmöglich machten. Gelzer hatte dem Anspruch nach auch zeigen wollen, wie damit die Aristokratie die gesamte Bürgerschaft durchdrang, also die Politik nicht auf ein Spiel innerhalb einer kleinen Elite reduzieren wollen. Allerdings ist dies bei Gelzer mehr eine Suggestion gewesen, als dass er diese vertikalen Bindungen wirklich nachgezeichnet hätte. Beide, Münzer und Gelzer, haben also entweder die erheblichen Unterschiede ihrer Ansätze nicht erkannt oder bewusst 27 28 29 30 31 32
33
Münzer 1920: v. a. 14 f. Hohl 1920. S. nur die Polemik von von Below 1919. Gelzer 1921a (Rezensionsessay zu Münzers Adelsparteien, wieder in Gelzer 1962: 186– 195) u. 1921b (wieder in Gelzer 1962: 196–200); vgl. Badian 1967. Wieder in: Gelzer 1962: 15–135 u. als ND Stuttgart 1983. Strasburger 1977: 85. Erst nach Gelzers Rückkehr nach Basel 1909 kam es zu näherem Kontakt mit Münzer, der Gelzer die RE-Artikel zur ciceronischen Zeit überließ; aus der Arbeit an diesen Artikeln sind Gelzer dann die Einsichten in die Struktur der römischen Nobilität erwachsen; s. Meier 1977: 33. Münzer 1920: v. a. 192 u. 223.
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heruntergespielt, um jeweils eine Bestätigung ihrer Ansichten vorweisen oder auch den zeitlichen Geltungsbereich ihres jeweiligen Modells ausweiten zu können. Seine Differenz zu Münzer hat Gelzer deutlich erst 1951 in seiner Rezension von Howard Scullard, Roman Politics 220 to 150 BC, dargelegt.34 Hier distanzierte er sich von der von Scullard aus Münzer übernommenen und noch verschärften Grundannahme, aus der Nachfolge im Consulat auf die Existenz fester Gruppen zu schließen, die Kandidaten aufstellten und auch im Senat einheitlich agierten. Alfred Heuß hat dann fünf Jahre später Scullards Buch vernichtend rezensiert, gleichzeitig Münzers Adelsparteien auf den Status einer Materialsammlung reduziert, dem Autor aber immerhin zugutegehalten, dass er sich des hypothetischen Charakters seiner Annahmen im Gegensatz zu seinen Nachfolgern noch bewusst gewesen sei.35 Das verweist auf eine merkwürdige Verschiebung in unterschiedlichen nationalen Forschungskontexten. In Deutschland galt Münzer weitgehend als obsolet; die von Gelzer ausgehenden Arbeiten von Hermann Strasburger und Christian Meier hatten immer deutlicher die Abkehr von einer Faktionentheorie verfochten. Schließlich hat dann Rolf Rilinger in seiner von Meier36 angeregten Dissertation über den Wahlleiter, dem kein entscheidender Einfluss auf das Ergebnis der Wahlen zukomme, einer Grundannahme von Münzer den Boden entzogen.37 Münzers Adelsparteien zum wichtigsten Buch über die römische Politik zu erklären,38 wäre wohl auch zuvor keinem deutschen Althistoriker in den Sinn gekommen. Von einer ‚Münzer school‘ – im Sinne eines forschungsstrategischen Ansatzes – war dagegen seit den 1950er Jahren in der angelsächsischen Forschung die Rede,39 sei es affirmativ, sei es kritisch. Letztlich ging es um die Bedeutung rekonstruierbarer Personalbeziehungen im Hinblick auf die politischen Entscheidungsprozesse, die mit jeweils unterschiedlichen Akzentuierungen von Ronald Syme, H. H. Scullard, Ernest Badian und anderen vertreten wurde, was dann wiederum von Arnaldo Momigliano, Hugh Last, Adrian Sherwin-White und anderen bestritten wurde.40 Wie viel das noch mit Münzer zu tun hat, ist von Fall zu Fall unterschiedlich. Badian hat sich z. B. einerseits zur Münzer-Schule bekannt, andererseits dessen Grundannahmen stark relativiert.41 Generell hat man den Eindruck, dass 34 35 36 37 38
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Gelzer 1950 (wieder in: Gelzer 1962: 200–210); vgl. auch Gelzer 1953/54 (wieder in: Gelzer 1963: 345–348). Heuss 1956. S. Meier 1966. Rilinger 1976. So aber Ridley 1986: 475 bzw. 474: „the most important book ever written on Roman politics“, während Gelzers Arbeit als „one of the most important books ever written on Roman politics“ bezeichnet wird. Für Balsdon 1965: 578, waren Münzers Adelsparteien, und Gelzers Nobilität „joint foundation … of nearly all the best work on Roman republican history which has been done in the last forty years“. S. SherwinWhite 1956: 1. S. die Belege bei Broughton 1972 und in den beiden Artikeln von Hölkeskamp 2001 u. 2012. Badian 1962: 216 Anm. 78.
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Münzer einfach zur Chiffre für die unterstellte oder bestrittene Bedeutung des prosopographischen Ansatzes wurde,42 wobei es wahrscheinlich auch einer Prosopographie der beteiligten Forscher bedürfte, um hinter diesen wechselseitigen Kritiken mögliche akademische Fraktionsbildungen aufzudecken. Eine ironische Wendung hat dann der Bezug auf Münzer in der durch Fergus Millar43 ausgelösten Debatte über den quasi-demokratischen Charakter der römischen Politik in der späteren Republik genommen, als dies als Befreiung von einer deutschen, auf die Aristokratie fixierten Orthodoxie gefeiert wurde, für welche die Namen Münzer, Gelzer, Strasburger, Meier stehen sollen.44 Das ist so grotesk, dass es keines weiteren Kommentars bedarf.45 Ob die nach verschiedenen früheren Anläufen 1999 erschienene englische Übersetzung von Münzers Adelsparteien an dieser vermeintlichen Genealogie etwas ändert, scheint nicht ausgemacht.46 Eine wirkliche Auseinandersetzung mit Münzer hat eigentlich nur Karl-Joachim Hölkeskamp 1987 unternommen, indem er dessen Rekonstruktion für die mittlere Republik zum Ausgangspunkt seiner eigenen Untersuchung machte.47 Auch wenn dann von Münzers Faktionen im Ergebnis nichts übrig blieb, kann ihm insofern doch eine wichtige Pionierrolle attestiert werden, als er das Bild einer strikten Trennung zwischen Patriciern und Plebeiern in Frage gestellt und die Bedeutung einer plebeischen, mit Teilen des Patriciats verflochtenen Elite betont und damit den Anstoß zu einer differenzierten Sicht auf den Ständekampf und seine Überwindung geliefert hatte. Vielleicht – aber das ist nur eine vage Vermutung – kann man eine weitere Nachwirkung Münzers auch darin sehen, dass er die Bedeutung der Bekleidung von Priesterämtern für das Prestige einzelner Aristokraten betont hat, ein Aspekt, der nach meinem Eindruck erst in der jüngeren Forschung wieder größere Beachtung gefunden hat. Alles in allem ergibt sich für Münzers Adelsparteien eine Gemengelage aus Wirkung, und sei es der Provokation von Widerspruch, und Nicht-Wirkung, produktiven und unproduktiven Missverständnissen – also eher ein Normalfall in der Disziplingeschichte. Münzers Ausnahmestellung beruht weiterhin auf seinen REArtikeln.
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In diesem Sinne auch Davies 1968, der diese „Methode“ als nicht anwendbar für das strukturell ganz andersartige politische System Athens erklärt. S. Millar 1984 u. 1986, der seine Kritik auf Gelzer konzentriert hatte, ohne diesen mit Münzer in einen Topf zu werfen. So z. B. Wiseman 2002: 305 ff. Die Feststellung von Brunt 1988: 443 f., dass Christian Meier die schärfste Kritik an Münzer und dessen Rezeption in der angelsächsischen Forschung geleistet habe, scheint vergessen zu sein. Münzer 1999. In seiner Rezension wünschte sich Evans 2004, dass von dieser Übersetzung eine Art Rehabilitation des prosopographischen Ansatzes ausgehe. Hölkeskamp 1987.
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II. GRUNDLAGEN UND METHODEN
FRIEDRICH MÜNZER UND DIE PROSOPOGRAPHISCHE METHODE Rückblick und Ausblick Matthäus Heil, Berlin 1. DIE ‚PROSOPOGRAPHISCHE METHODE‘ Friedrich Münzer1 gehörte einer verbreiteten Ansicht zufolge zu den Urhebern der „prosopographischen Methode“, und diese sei – so wird heute meist hinzugefügt – nicht nur etwas altmodisch, sondern auch mit einiger Reserve zu betrachten.2 Aber was ist dies für eine Methode? Eine klare, verbindliche Definition lässt sich kaum ermitteln. Friedrich Münzer hat auch nicht den Anspruch erhoben, eine solche Methode erfunden zu haben. Ausdrücke wie ‚prosopographical approach‘3 oder ‚prosopographical method‘ oder eben ‚prosopographische Methode‘ begegnen allem Anschein nach erst ab den 1960er und 1970er Jahren – also zu einer Zeit, als bereits viele weitere prosopographisch inspirierte Arbeiten vorlagen, nicht zuletzt Ronald Symes magistrale Roman Revolution. Überdies werden diese Ausdrücke je nach Autor und Kontext in unterschiedlichem Sinn gebraucht. Grob kann man einen engeren und einen weiteren Sprachgebrauch unterscheiden. In einem mehr allgemeinen Sinn meint ‚prosopographische Methode‘ alle Verfahren, um aus personenkundlichen Daten historische Schlüsse zu ziehen.4 Der engere Sprachgebrauch beschränkt sich auf die Anwendung solcher Verfahren für die politische Geschichte und meint meist den Versuch, politische Entscheidungen überwiegend oder ausschließlich aus den persönlichen Beziehungen der Beteiligten zu erklären. Bemerkenswerterweise findet sich letzteres vor allem bei denjenigen, die ein solches Vorgehen ablehnen.5 1
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Die folgenden Überlegungen beschäftigen sich mit Münzers wissenschaftlicher Leistung. Seine Lebensgeschichte wird dabei als im Prinzip bekannt vorausgesetzt, denn sie ist mittlerweile gut erforscht. S. besonders Kneppe/Wiesehöfer 1983 und den Beitrag von J. Wiesehö fer im vorliegenden Band. Hervorzuheben ist ferner die Sammlung seiner kleinen Schriften (Münzer 2012) mit einem instruktiven und wichtigen Vorwort von K.-J. Hölkeskamp (Höl keskamp 2012). Explizit zugeschrieben wurde ihm die ‚prosopographische Methode‘ von Rilinger 1976: 2 u. ö. – Zum heute gängigen Bild vgl. beispielsweise A. Hartmann: Tutorium Quercopolitanum, Punkt 14.2 (http://www.gnomon.ku-eichstaett.de/LAG/proseminar/Seminarreader/lm_ pg_38701.html; Zugriff 18.3.2014), einer Website zur Einführung in das Fach Alte Geschichte. So Broughton 1972. In diesem Sinn Eck 2003; Verboven/Carlier/Dumolyn 2007; ähnlich Den Boer 1969. Toynbee 1965, 1: 326–330 (zugleich der früheste mir bekannte Beleg für ‚prosopographical method‘ und ‚prosopographical approach‘); Hölkeskamp 2001: 93, 98, 100. – Rilinger 1976:
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Münzers Arbeiten – vor allem sein Buch „Römische Adelsparteien und Adelsfamilien“ von 1920 – wurden also erst in der späteren Rückschau unter die ‚prosopographische Methode‘ in der engeren, politikgeschichtlichen Bedeutung des Ausdrucks subsumiert. Dies hat aber zur Folge, dass Münzer fast stets im Lichte späterer Autoren gelesen wird, die Anregungen von ihm aufgriffen und eigenständig weiterführten.6 Die englischsprachige Forschung scheint Münzer hauptsächlich aus einem Buch von Howard H. Scullard7 zu kennen, der sich zwar auf Münzer berief, aber eine deutlich andere Auffassung von der römischen Geschichte vertrat. Häufig werden alle diese Autoren zu einer Gruppe zusammengefasst und ohne weitere Differenzierung mit Tadel belegt,8 und einige prominente Kritiker nennen nicht einmal mehr die Namen derer, gegen die sie sich wenden.9 So kommt es, dass Münzer – direkt oder indirekt – auch für Thesen haftbar gemacht wird, die er gar nicht vertreten hat, zumindest nicht in der beanstandeten Form. Beispielsweise liest man: „Auf das Konzept von der Beherrschung der römischen Politik durch eine kleine Führungsclique, die weite Kreise der Bevölkerung in ein gigantischen Patronagesystem eingebunden hat, haben vor allem Münzer und Scullard die Vorstellung aufgepfropft, die Politik habe vordringlich aus Konkurrenzkämpfen von Adelsfaktionen bestanden, die wesentlich durch Verwandtschaftsbeziehungen dauerhaft zusammengeschweißt gewesen seinen. Diese These kann zumindest in ihrer extremeren Form als widerlegt gelten …“.10 Jedoch findet sich bei Münzer nichts zu dem hier angesprochenen Patronagesystem; erst Scullard hat so argumentiert. Ferner spielte Münzer zwar immer wieder mit dem Gedanken an konkurrierende, um prominente Familien gruppierte ‚Adelsparteien‘, doch erst spätere Autoren haben die römische Innenpolitik auf die Auseinandersetzung von starren, dauerhaften, verwandtschaftsbasierten Politiker-Verbindungen reduziert (die sogenannte ‚Faktionsthese‘).11 Münzer selbst kannte sein Quellenmaterial zu gut, um nicht zu wissen, dass sich politische Konstellationen auch rasch ändern konnten, und er hatte auch ein Auge für Kräfte außerhalb der Adelscliquen. Entsprechend
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2–6 benutzt die beiden hier skizzierten Sprechweisen gleichzeitig, ohne auf das damit verbundene Problem hinzuweisen. – Zur Diskussion um die Prosopographie in den späten 1960ern und frühen 1970er Jahren s. knapp Barnes 2007: 86 (mit Literaturangaben). Dies gilt auch für Rilinger 1976 u. Hölkeskamp 2001, obwohl letzterer das Problem durchaus wahrnimmt (ebd.: 96). Unter den Autoren, die die spätere Wahrnehmung prägten, sind u. a. Schur 1927 u. Scullard 1973 (zuerst 1951) zu nennen, ferner auch Taylor 1949. – Wie schon Bengtson 1983: 9 (zuerst 1967) anmerkte, wurden Münzers Arbeiten meist „mehr gelobt als gelesen“. Scullard 1973 (mit einer neuen Einleitung zur zweiten Auflage, S. XV–XXXIII, in der er auf die Kritik an der ersten Auflage von 1951 einging). Das Werk war u. a. von Matthias Gelzer sehr kritisch besprochen worden (Gelzer 1950). – Eine englische Übersetzung von Münzers Buch ist erst seit 1999 verfügbar (Münzer 1999). Sie kam sozusagen um Jahrzehnte zu spät. S. die Kritik bei Brunt 1988: 443–502. Er beschränkte sich darauf, Schwächen bloßzulegen. Doch geben er und andere Kritiker keine eigene Antwort, wie der von Münzer vorgelegte Befund zu erklären ist. – Zur Geschichte der Diskussion vgl. Ward 2004: 103 (mit Literatur). Wiseman 1976; Millar 1998. Jehne 1995: 3. So Schur 1927; Scullard 1973.
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findet man bei ihm auch Sätze wie „Bei dem lebhaften Hin- und Herwogen der inneren Kämpfe nahmen damals die Parteien alle paar Monate neue Orientierungen und Gruppierungen vor“12 oder „Das römische Volk hat sich zu dieser Zeit nicht dem Einfluß einzelner Faktionen blindlings ergeben, sondern sich seine Willensfreiheit bewahrt …“.13 Es wäre jedoch irreführend, Münzer allein als das Opfer von Missverständnissen hinzustellen. Er hat es seinen Lesern nicht leicht gemacht, ihn richtig zu verstehen, zumal seine verstreuten Anmerkungen zu den Funktionsprinzipien der römischen Republik kein ganz konsistentes, scharf konturiertes Bild ergeben. Auch bei sorgfältiger Prüfung wird man bilanzieren müssen, dass sein Werk nicht nur inhaltliche Defizite und Schwachstellen hat, sondern dass es vor allem viele naheliegende Fragen offen ließ – mehr noch: dass es solche Fragen nicht einmal richtig wahrnahm.14 Doch ist – bei aller berechtigten Kritik – auch etliches auf der Haben-Seite zu verbuchen. Münzers Buch von 1920 wurde zu Recht viel beachtet. Er bot neue Ansätze, die innere Geschichte der römischen Republik wenigstens teilweise zu erschließen. Auch wenn sich nicht alle Aspekte seiner Deutung als haltbar erweisen, so präsentierte er in jedem Fall einen Befund, der auch heute kaum übergangen werden kann: Die Angehörigen von ein paar Dutzend Familien (oder noch weniger) bekleideten in der römischen Republik einen Großteil der hohen Ämter15 und diese Familien waren überdies stark untereinander verflochten. Damit hat er den Weg zu einem neuen, keineswegs ganz überholten Verständnis der römischen Republik zu ebnen geholfen. Es wäre allerdings wenig sinnvoll, lediglich einer Rehabilitierung Münzers das Wort zu reden; auch die Schichten der nicht immer adäquaten Rezeption freizulegen, wäre für sich genommen nur ein wissenschaftshistorisches Anliegen. Jedoch ist zugleich mit Münzers (vermeintlichen oder tatsächlichen) Thesen auch die Art, wie er arbeitete, in die Diskussion geraten: die Prosopographie.16 Meist wird suggeriert, Münzers generelle Aussagen ergäben sich notwendig aus seiner Arbeitsweise, und wenn die Ergebnisse falsch seien, müsse es auch die Methode sein.17 Doch wurde kaum je ernsthaft geprüft, wie folgerichtig Münzer eigentlich vorgegangen ist (und wie folgerichtig diejenigen, die sich in seine Nachfolge stellten). 12 13
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Münzer 1920: 339 zur Zeit um 60 v. Chr. – Insofern läuft auch die Kritik von Meier 1966 (bes. 182–190) teilweise ins Leere. Münzer 1920: 208 zur Zeit um 180 v. Chr. Vgl. auch ebd.: 194, 208, 251. – Hölkeskamp 2001: 104; 2004: 15 u. ähnlich 2011: 54 unterstellt Münzer ein statisches Bild von der römischen Aristokratie (s. z. B. Hölkeskamp 2001: 104: „ … Münzer’s model of a self-sufficient and, as it were, introverted oligarchy exclusively (pre)occupied with a sterile ‘frozen waste’ sort of permanent factionalism …“.). Bei der Lektüre des Textes (Münzer 1920) ergibt sich ein anderes Bild, s. unten S. 99 f.; 106. Ausführlicher dazu unten S. 97–108. Bestätigt u. a. durch die revidierten Consul-Listen von Badian 1990. Hölkeskamp 2001: 100. In diesem Sinne Rilinger 1976: 6. – Rilinger 1976: 196 setzt allerdings voraus, dass man die ‚prosopographische Methode‘ unabhängig von der ‚Faktionsthese‘ verwenden könne.
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Damit steht zugleich die Frage im Raum, ob die prosopographischen Daten nicht auch auf andere Weise sinnvoll genutzt werden könnten. So wäre eine erneute, genaue Lektüre von Münzers Adelsparteien und Adelsfamilien vielleicht keine ganz überflüssige Mühe. Doch sollte man zunächst einen Blick auf seine methodischen Voraussetzungen werfen, d. h. auf die Entstehung der modernen Prosopographie. Dann kann man einen Ausblick wagen, wie Münzers Erbe möglicherweise fruchtbar gemacht werden kann – jenseits einer Kritik, die sich in der bloßen Destruktion zu gefallen scheint. 2. DIE ANFÄNGE DER PROSOPOGRAPHIE Friedrich Münzer betrieb sein Leben lang vor allem Prosopographie (im Sinne einer strukturierten Sammlung von Daten über Personen). Er hatte die moderne Prosopographie aber nicht erfunden, sondern er gehörte sozusagen zur zweiten Generation derer, die auf diesem Feld arbeiteten. Das Wort Prosopographie – also Personenkunde – geht bis auf die Humanisten des 16. Jahrhunderts zurück.18 In den folgenden Jahrhunderten wurde mit dem Wort in der Gelehrtensprache ein Personenindex zu einem bestimmten Werk oder Quellencorpus bezeichnet.19 Die moderne Prosopographie nahm – zumindest was das klassische Altertum betrifft – ihren Anfang im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts an der Preußischen Akademie der Wissenschaften.20 Dort brachte Theodor Mommsen mit einem Antrag von 1874 die erste Auflage der Prosopographia Imperii Romani auf den Weg,21 und beinahe gleichzeitig wurde mit der Ausarbeitung der Prosopographia Attica begonnen – beides Personenlexika. Die erste Auflage der PIR wurde von Elimar Klebs, Hermann Dessau und Paul v. Rohden bearbeitet und erschien 1897/98 in drei Bänden.22 In den Jahren 1901–1903 folgte die von Johannes Kirchner erarbeitete Prosopographia Attica in zwei Bänden.23 Anlass für die Erstellung der Lexika war ein pragmatisches Informationsbedürfnis. Insbesondere für die römische Kaiserzeit und für Attica waren viele Inschriften verfügbar geworden (die im Corpus Inscriptionum Latinarum und im Corpus Inscriptionum Atticarum bzw. den Inscriptiones Graecae gesammelt wurden), die Nachrichten über eine Unzahl von Personen enthielten. Für die römische Kaiserzeit ließen sich diese Informationen zudem häufig mit Angaben aus der antiken Literatur kombinie18 19 20
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Göbler 1537. Vgl. Bulst 1986; Heil 2011. Gothofredus 1665; Groen van Prinsterer 1823. Dies fehlt im viel zitierten Artikel von Stone 1971, der über die Vorgänge außerhalb der englischsprachigen Welt nicht allzu gut informiert ist. Für ihn beginnt die moderne Prosopographie mit einem Werk von Charles Beard von 1913 und besonders mit einem Buch von Lewis B. Namier von 1929. Auch Münzer kommt bei ihm nur beiläufig vor. S. Eck 2003. Dessau/Klebs/Rohden 1897/98. – Zu Hermann Dessau s. Wannack 2007 (dort auch alle erreichbaren Informationen zu Paul v. Rohden); zu Elimar Klebs s. Heil/Wannack (i. Dr.). S. ferner Schmidt 2009. Kirchner 1901–1903.
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ren und durch Zeugnisse von Münzen und Papyri ergänzen. Die Lexika sollten die verstreuten Daten zusammenführen und sie – so weit wie möglich – nach dem Muster von Kurzbiographien ordnen. Sie waren Geschöpfe des wissenschaftlichen Positivismus und typische Produkte von Mommsens Berliner ‚Wissenschaftsfabrik‘. Mommsen gab in seinem Vorwort zur PIR zu erkennen, dass er über den Titel ‚Prosopographie‘ nicht glücklich war, doch behielt man die traditionelle Bezeichnung bei.24 Inhaltlich waren die Lexika Werke neuer Art, denn ihr Ziel war nicht mehr die Erschließung eines Textes oder eines Textcorpus, sondern die unmittelbare Erfassung einer Gruppe von Personen – soweit dies die Quellen eben zuließen. Das Untersuchungsfeld verschob sich damit von der Philologie zur Historie. Bei der PIR konzentrierte man sich erklärtermaßen auf die politische und soziale Elite, ließ also die Abertausenden von Grabinschriften gewöhnlicher Personen beiseite. Prosopographie in diesem Sinne war eine Hilfswissenschaft ohne spezifisches Ziel und ohne klare Fragestellung – und blieb es für lange Zeit. Mit der Erarbeitung der Lexika gingen keine methodischen Reflexionen einher. Das war nicht ohne Problem, denn auch beim Sammeln muss man eigentlich wissen, wonach man sucht – die Auswahlkriterien waren im Fall der PIR etwas freihändig festgelegt.25 Andererseits hat der Verzicht auf eine ausgearbeitete Theorie wahrscheinlich auch verhindert, dass der mögliche Erkenntniswert der neuen Instrumente vorschnell beschnitten wurde. Denn vermutlich hätte sie die Sammlung ausschließlich auf die Fragen verengt, die damals als aktuell galten. In jedem Fall haben die Prosopographien unversehens (und ohne dass man es recht bemerkte) methodisches Neuland betreten – im Grunde brachten sie einen sozialwissenschaftlichen Ansatz in eine noch weitgehend von der Textauslegung beherrschten Geschichtswissenschaft. Im idealen Fall ließen sich so Zusammenhänge aufdecken, die in den Quellen nicht ausdrücklich thematisiert werden, und es ließ sich das faktische Funktionieren eines sozialen Systems sichtbar machen, über das sich auch die Beteiligten auf Grund ihrer je beschränkten Perspektive nicht völlig im klaren waren. Um das Potential der Instrumente nutzbar zu machen, bedurfte es allerdings neuer, wirklich fruchtbarer Fragen. 3. MÜNZER UND DIE REALENCYCLOPÄDIE Die römische Republik war von den Berliner prosopographischen Unternehmungen nicht bearbeitet worden.26 Für diese Epoche lagen (und liegen) fast nur literarische Quellen vor, und zwar gut aufgearbeitete Klassiker. Breit dokumentiert 24 25
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Dessau/Klebs/Rohden 1897/98: VI. Erfasst werden sollten – neben den Kaisern und ihren Angehörigen – alle Senatoren und alle Ritter ab dem Rang eines procurator und ihre Angehörigen, ferner alle Personen, die in den literarischen Quellen erwähnt werden (außer den Christen). Dieses letzte Kriterium liegt auf einer anderen Ebene und führte zu Unschärfen beim Kreis der aufzunehmenden Personen. Geplant wurde dort eine Prosopographie der Spätantike, wo das Quellenmaterial ebenfalls sehr unübersichtlich ist. Wegen zu großer Ambitionen blieb das Projekt aber stecken, und das bereits gesammelte Material wurde in den 1960er Jahren an die britischen Bearbeiter der Prosopography of the Later Roman Empire weitergegeben: s. Jones/Mattingly/Morris 1971: V.
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sind – vor allem durch das corpus Ciceronianum – nur die letzten Jahrzehnte der Republik. Für die Zeit davor ist die Überlieferung mit komplizierten Fragen der Quellenkritik belastet, und wegen ihrer Ausrichtung auf die großen res gestae werden fast nur die hohen Amtsträger erwähnt. Anderes als Elitenprosopographie ist hier praktisch nicht möglich. Erst in der allumfassenden Realencyclopädie der klassischen Altertumswissenschaft, die ab 1893 erschien, wurden auch die Personen aus dieser Epoche der Vollständigkeit halber mitbehandelt. Der Herausgeber Georg Wissowa hat die Artikel zunächst Mitarbeitern der PIR anvertraut: Paul v. Rohden sollte die Kaiserzeit bearbeiten und Elimar Klebs die Zeit der Republik. Letzterer ging die Aufgabe ohne großes Engagement an; für die ersten Bände der RE verfasste er überwiegend sehr knappe Artikel, die zum Teil die beschränkte Überlieferung noch weiter verkürzten. Bereits 1897 ließ er sich von der Mitarbeit entbinden, um sich einem eigenen, rein literargeschichtlichen Projekt zuzuwenden.27 Damit kam die Stunde des jungen Dr. Friedrich Münzer. Er war mit einer einschlägigen Arbeit De gente Valeria promoviert worden, und sein Lehrer, der Mommsen-Schüler Otto Hirschfeld, empfahl ihn bei Wissowa.28 Für Münzer wurden die Artikel für die RE zur eigentlichen Lebensaufgabe und er hat bis zu seinem Tode daran gearbeitet. Sie werden zu Recht allseits für ihre hohe Qualität, ihre Zuverlässigkeit und ihre Vollständigkeit gelobt. Münzer ergänzte sie – soweit möglich – durch Stemmata. Die Verwandtschaftsbeziehungen, auf die in den Quellen oft hingewiesen wird, verfolgte er mit Interesse und suchte sie durch eigene Hypothesen zu vervollständigen; diese bleiben allerdings zum Teil bestreitbar. Seit Münzers Tagen sind nicht allzu viele neue Quellen hinzugekommen. Weit überwiegend handelt es sich um griechische Inschriften aus den östlichen Provinzen des römischen Reiches, von denen kaum eine vor dem 2. Jahrhundert v. Chr. datiert. Zusammen mit dem Magistraten-Katalog von T. R. S. Broughton29 bieten Münzers RE-Artikel noch immer eine gute Grundlage für die Beschäftigung mit den Personen der römischen Republik.30 Bis zu diesem Punkt sind Münzers prosopographische Arbeiten als Hilfswissenschaft einzuordnen: evident nützlich, aber unspektakulär. In der Vereinzelung der Lexikon-Artikel wird das Erkenntnispotential der Sammlung nicht recht sichtbar. Erst in der Zusammenschau zeigt sich unter anderem, wie stark die Republik von einem kleinen Kreis führender Familien bestimmt wurde. Viele der hohen Be27 28
29 30
S. Heil / Wannack (i. Dr.). Zu Klebs’ RE-Artikeln s. auch die deutlichen Worte von Brough ton 1951/52: I. Übrigens musste auch Paul v. Rohden – krankheitshalber – die Arbeit an der RE aufgeben. Nachfolger wurden ebenfalls zwei Schüler Hirschfelds, nämlich Edmund Groag und Arthur Stein. Später wurden sie auch mit der Erstellung der zweiten Auflage der Prosopographia Imperii Romani beauftragt. Zu ihnen s. Wachtel 2012. Broughton 1951/1952 (mit einem Nachtrag: Broughton 1986). Wünschenswert wäre aber eine leicht handhabbare und fortlaufend aktualisierte Übersicht über die seit der RE (und Broughton 1951/1952 u. 1986) hinzugekommenen Quellen sowie über die wesentlichen neuen Diskussionsbeiträge. Dieser Dienst für die Forschung ließe sich leicht als Internet-Plattform einrichten; er bedürfte allerdings fester Bearbeiter.
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amten, der Magistrate mit imperium, waren bezeugtermaßen oder höchstwahrscheinlich die Söhne und Nachfahren von früheren hohen Beamten. Es lassen sich ganze Dynastien von hohen Amtsträgern nachverfolgen: Die Cornelii Scipiones, die Caecilii Metelli, die Domitii Ahenobarbi, verschiedene Zweige der Fabii, Valerii und Claudii und einige weitere. Das war bereits den Zeitgenossen völlig geläufig.31 Das aber bedeutet: Mommsens Beschreibung der Republik als Verfassungsstaat (besonders in seinem Staatsrecht) ist zwar nicht falsch, aber stark defektiv. Die Republik wurde von Kräften und Faktoren jenseits der staatsrechtlichen Ordnung bestimmt, die zu ignorieren zu einem schiefen und falschen Bild führt – einem bloßen modernen Wunschbild. Die Forschungen, die Mommsen selbst angestoßen hatte, führten also binnen weniger Jahrzehnte zur halben Entwertung seines Hauptwerks. Allerdings wurde dies zunächst nicht in voller Deutlichkeit formuliert. 4. ADELSPARTEIEN UND ADELSFAMILIEN Im Jahr 1920 hat Friedrich Münzer nach langen Verzögerungen das erwähnte Buch über „Adelsparteien und Adelsfamilien“ veröffentlichen können. Es ist allerdings nur zum kleineren Teil eine auswertende Zusammenschau der vielen prosopographischen Einzelstudien. Oder zugespitzt formuliert: Das Werk bietet keine umfassende Theorie; es ist nicht das ‚Thesenbuch‘, als das es oft gelesen und kritisiert wird – im Gegenteil.32 Vieles, was als These erscheinen mag, ergab sich einfach aus der Fortschreibung der Arbeitsweise, in die Münzer hineingewachsen war. Das Werk ist parallel zur Arbeit an der RE entstanden, und es liest sich auf weite Strecken so, als sei ein großer Stapel von RE-Artikeln zu führenden Familien in loser Ordnung zusammengeschrieben worden.33 Entsprechend ermüdend, gera31
32 33
Zu den Caecilii Metelli s. z. B. Cic. Verr. 1,29 (zu Q. Caecilius Metellus Creticus, cos. 69 v. Chr.): … te non fato, ut ceteros ex vestra familia, sed opera sua (scil. die des Verres) consulem factum. – „Du seiest nicht durch das Schicksal, wie die anderen aus deiner Familie, Konsul geworden, sondern durch seine Hilfe.“ (Übers. M. Fuhrmann) Cicero spielte damit auf einen Vers des Dichters Naevius an, der sich gegen die Caecilii Metelli aus der Zeit des HannibalKrieges gerichtet hatte, Ps.-Asc. ad loc.: dictum facete et contumeliose in Metellos antiquum Naevii est, „fato Metelli Romae fiunt consules”. – „Das ist ein alter Ausspruch des Naevius gegen die Metelli – witzig und herabsetzend zugleich: ‚Durch das Verhängnis werden die Metelli zu Konsuln in Rom.‘“ Zu der großen Zahl der hohen Beamten aus der Familie der Caecilii Metelli s. auch Vell. 2,11,3. – Vgl. auch, wie Q. Caecilius Metellus Numidicus die Ambitionen des Aufsteigers C. Marius verspottet, Sall. Iug. 64,1–4; Plut. Mar. 8,6. – Die Dokumentation zu den Cornelii Scipiones oder den Domitii Ahenobarbi anzuführen, ist hier nicht nötig. Die Kritik zitiert bezeichnenderweise vor allem aus der Einleitung und der Zusammenfassung von Münzers Werk (s. z. B. Rilinger 1976: 2; Hölkeskamp 2001: 92, 93, 101). Dieses erschöpft sich aber nicht darin, die dort angerissenen Gedanken zu explizieren. Damit hängt wohl auch zusammen, dass Münzer nur knapp und punktuell auf die Fachliteratur eingeht. Gelzer 1912 wird zwar zitiert, aber der zweite, die römische Sozialstruktur betreffende Teil wird nicht für wesentliche Argumente herangezogen. Erst in der Rezeption wurden Gelzer und Münzer oft als Archegeten einer gemeinsamen wissenschaftlichen Richtung aufgefasst. Sie selbst sahen dies nicht so. Gelzer hat Münzer mehrfach deutlich kritisiert (s. z. B. Gelzer 1950).
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dezu einschläfernd ist die Lektüre auf weiten Strecken. Münzer nutzte die Gelegenheit, um Familienverhältnisse in fortlaufendem Text – statt zerteilt in Einzelartikel – zu erörtern und um quellenkritischen Fragen zu diskutieren (und nebenher auch teilweise die Artikel von Klebs zu ergänzen). Lange Passagen gelten der – teils hypothetischen – Rekonstruktion von verwandtschaftlichen Zusammenhängen, ohne dass man ein übergreifendes Beweisziel erkennt. Oder anders gesagt: Münzer hatte Mühe, seine überbordende Menge an Stoff zu bändigen und zu durchdringen. Vermutlich lag ihm die positivistische Spezialuntersuchung erheblich mehr als die Monographie, die eine durchdachte Abgrenzung des Themas und die strukturierte Präsentation des gewählten Gegenstands verlangt.34 Indem er seine prosopographischen Studien dennoch in Form einer Monographie präsentierte, gewannen sie aber unversehens ein anderes Erscheinungsbild. Münzers Thema ergab sich unmittelbar aus seiner bisherigen Arbeit: die patrizisch-plebeische Nobilität, die mit den leges Liciniae-Sextiae entstanden war. Für das Buch hat er seinen Stoff grob chronologisch geordnet; was ihm vorschwebte, war offenbar eine innere Geschichte der römischen Republik von 367 v. Chr. bis zu deren Ende an Hand der führenden Familien. Damit berührte er eine empfindliche Forschungslücke. Denn die kriegsgeschichtlich orientierte Überlieferung lässt wenig über das Innenleben der Republik gerade in der Zeit erkennen, als sie zur Weltherrschaft aufstieg. In der Moderne hatten Mommsen und andere die innenpolitischen Frontstellungen des 19. Jahrhunderts in die römische Republik zurückprojiziert, aber dies war spätestens in der Generation nach ihm als unzulänglicher Anachronismus empfunden worden. Neue Ideen waren willkommen. Münzers Konzentration auf die führenden Familien impliziert fundamentale und folgenschwere Ausgrenzungen: Nicht nur die gesamte äußere Geschichte bleibt weg, sondern ebenso alle Personen, die nicht zu einer der führenden gentes gehörten – auch die kleineren senatorischen Geschlechter wurden übergangen, und selbst C. Marius und M. Tullius Cicero (der auch für Münzer zu den Hauptquellen gehört) werden als politische Figuren nur beiläufig erwähnt, denn sie waren homines novi. Die Rolle des Volkes (und des Ritterstandes) wird erst recht nicht eingehend gewürdigt. Münzer behauptet nicht, dass all dies unwichtig gewesen sei, aber er stellt auch keine Reflexionen an, welches relative Gewicht sie gegenüber den untersuchten Familien besaßen. Bei eiliger Lektüre mag sich der Eindruck einstellen, Münzer glaube an eine vollständige Dominanz der nobiles. Neben der Stoffpräsentation versuchte Münzer auch, Gründe und Zusammenhänge im Agieren der großen Familien sichtbar zu machen. Er tat dies allerdings auf recht eigenwillige und unsystematische Weise und ohne nähere Rechenschaftslegung. Hier seien zwei Probleme etwas näher betrachtet: Seine Begrifflichkeit und sein Umgang mit Hypothesen. Schon in frühen Rezensionen wurde zu Recht kritisiert, dass Münzer ohne jede Zurückhaltung die politische Sprache des wilhelminischen Deutschland auf die römische Republik applizierte.35 Es ist da nicht nur von „Parteien“ die Rede, sondern 34 35
Das legt auch ein Blick in seine kleinen Schriften (Münzer 2012) nahe. S. Münzer 1925. Vgl. dazu auch Hölkeskamp 2001: 97.
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auch von der „Staatskirche“, von „geistlichen Würden“, von „Fürsten“ und dem „Fürstenstand“, von „Junkern“, von „Revolution“ und „Reaktion“ oder „Restauration“ und von „Demokratie“ und einer „demokratischen Bewegung“.36 Manches erweist sich als modernistische Übersetzung antiker Termini: Der ‚Hohepriester‘ ist der pontifex maximus, der ‚Fürst‘ (meistens) der princeps senatus37 und mit ‚Kirche‘ oder ‚geistlichen Ämtern‘ sind die staatlichen Funktionen gemeint, die wir dem Bereich der Religion zuordnen würden (v. a. die Priesterämter). Anderswo wird die Wortwahl zum Hindernis für die Wahrnehmung. Münzer redet von einer ‚demokratische Bewegung‘ in Rom: „Seit der Gracchischen Revolution ging es ersichtlich abwärts mit dem alten hohen Adel in Rom. Die demokratische Flut schwoll unaufhaltsam an …“.38 Am Ende habe Rom gar eine „demokratischen Verfassung“ gehabt.39 Aber mit ‚Demokratie‘ fasst Münzer alle Bestrebungen zusammen, die Rolle der Nobilität zugunsten des Volkes zurückzudrängen oder einzuschränken – von den Ständekämpfen über C. Flaminius zur Zeit des Hannibal-Krieges und den Gracchen bis zu Iulius Caesar. Dass dies keine einheitliche, zusammenhängende Bewegung war, ist offensichtlich; eine Einheit bildete sie allenfalls in der Wahrnehmung einiger nobiles, die ihre Privilegien gefährdet sahen.40 Ähnliches gilt für Münzers Gebrauch der Worte ‚Partei‘ oder ‚Adelspartei‘, deren zweites sogar im Titel vorkommt. Er bezeichnet damit jede Art von politischer Gruppierung, unabhängig von ihrer Größe, Zusammensetzung und innerer Struktur.41 Münzer dachte an einen fortschreitenden Wandel in der Natur der ‚Parteien‘ im Lauf der römischen Geschichte: Die Patrizier und die Plebejer seien die ersten Parteien gewesen,42 doch habe es dann auch Parteien innerhalb der Plebs 36
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42
„Staatskirche“: z. B. Münzer 1920: 79, 361; vgl. „Staat und Kirche“ ebd.: 4; „geistliche Würde“ ebd.: 118; „geistliche Würdenträger“ ebd.: 171; „Fürsten“ ebd.: 409; „Fürstenstand“ ebd.: 98, 317; „Fürstenwürde“ ebd.: 100; „Junker“ ebd.: 189, 249; „revolutionäre und reaktionäre Strömungen“ ebd.: 423; „Restauration“ ebd.: 309, „Reaktion“ ebd.: 250; „Demokratie“ ebd.: 217, 321, vgl. 220, 222, 249, 289 Anm. 1, 404 Anm. 1, 406, 418, 423, 427 u. ö.; „demokratischen Bewegung“ ebd.: 182, 289 Anm. 1; „starke demokratische Bewegung“ ebd.: 220, „demokratische Flut“ ebd.: 283, 302. S. Münzer 1920: 100, 251, 409. Allerdings bezeichnet er auch die gentes maiores der Patrizier als Fürstenstand (Münzer 1920: 98, 317 u. ö.). Münzer 1920: 283. Allerdings neigt er der Meinung zu, dass der Adel seine Position trotzdem bis zu einem gewissen Grad behaupten konnte: ebd.: 427. Münzer 1920: 427; vgl. ebd.: 217: „vollendete Demokratie“. Anzufügen wäre vielleicht, dass sich Teile der konservativen Elite des wilhelminischen Deutschland durch eine ‚demokratische Flut‘ gefährdet glaubten. Ob Münzer dies ebenfalls so sah, entzieht sich meiner Kenntnis. Natürlich steht lateinisch pars/partes (vgl. Münzer 1920: 246 zu Cicero) und factio im Hintergrund, aber Münzers Sprachgebrauch deckt sich damit nicht. – In der Forschung wird immer wieder der erste Satz aus Münzers Einleitung zitiert: „Jede politische Partei strebt nach Macht und nach der Herrschaft im Staate“ (Münzer 1920: 1). Aber damit war nicht gemeint, dass sich das Wesen der Parteien im Streben nach Macht erschöpfe, denn der Satz geht weiter: „ … mag ihr Ziel die Erhaltung oder die Veränderung des Bestehenden sein“ (d. h. Münzer erkennt an, dass Parteien spezifische politische Programme haben können). Anders aufgefasst u. a. von Hölkeskamp 2001: 99. Münzer 1920: 1, 109.
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gegeben.43 Sodann spricht er von der „demokratischen Partei“44 (die es seiner Meinung nach immer gab) und von der „Partei des Adels“45 – beide also durch ihre politischen Ziele definiert. Doch auch von der „Mittelpartei“46 oder der „Ordnungspartei“47 ist die Rede. Für die Zeit zwischen 367 v. Chr. und der späten Republik spricht er sodann an vielen Stellen von Parteien, die um große Adelsfamilien gruppiert waren (worauf dann die ‚Faktionsthese‘ rekurrierte):48 eine um die Fabier gruppierte Partei,49 die scipionische Partei,50 die fulvisch-aemilische,51 die der Servilier52 usw. Verwandtschaften und auch der Einfluss der Frauen hätten für die Parteibildung eine wesentliche Rolle gespielt.53 Anderswo bezeichnet er die Caecilii Metelli als die mächtigste Adelspartei54 – demnach wären Familie und Partei identisch. Allerdings nennt Münzer auch Fälle, in denen Angehörige derselben Familie als politische Gegner agierten;55 er wusste, dass die Familien nicht immer eine politische Aktionsgemeinschaft bildeten. Ferner seien die Kämpfe teilweise zugleich persönlicher wie prinzipieller Art gewesen.56 Für die Zeit der späten Republik redet Münzer sodann von der „caesarischen Partei“57, die also um einen einzelnen Anführer gruppiert war. Neben dem Wechsel der Partei-Bündnisse58 betont er immer wieder den Wandel der Parteien,59 ohne auf die Ursachen näher einzugehen. Auch spricht er über Parteiführer, aber nicht über die innere Struktur der Parteien. Derart disparate Phänomene mit dem gleichen Wort zu bele43 44 45 46 47 48
49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59
Münzer 1920: 8. Münzer 1920: 31, 95, 360. Münzer 1920: 163. Münzer 1920: 26, 369, 419; vgl. ebd.: 311. Münzer 1920: 7. Rilinger 1976: 186–189 referiert Münzer 1920 so, als habe dieser klar gesagt, welche Familie welchem Faktionsblock zugehörte, und er präsentiert auch eine entsprechende Liste. Bei Münzer 1920 selbst liest sich dies weit vorsichtiger, nämlich als Überlegungen zu den Verbindungen unter einzelnen Familien. Münzer selbst stellte – sicher bewusst – nie eine solche Liste zusammen. – In diesem Zusammenhang wird auch oft Münzer 1920: 1 zitiert: „ … auf Gemeinsamkeit des Blutes und der Herkunft beruhte wiederum die Gemeinsamkeit der Anschauungen und Interessen, der Zusammenschluss zu einer Partei“; vgl. auch ebd.: 6–7. Aber das kann nicht für alles gelten, was Münzer anderswo eine Partei nannte. Münzer 1920: 61, 67, 73, 117. Münzer 1920: 118, 183, 194, 244, 263 u. ö. Münzer 1920: 148, 248. Münzer 1920: 144, 347. Münzer 1920: 358, 372, 416, 420, 427; vgl. ebd.: 154 zur Wirkung von Familienbündnissen. Damit hängt auch zusammen, wenn er (z. B. ebd.: 147) von „Familienpolitik“ spricht. – Er postuliert ebd.: 201 auch einen geheimen Vertrag zwischen Familien und ihrem Anhang. Münzer 1920: 423. Vgl. auch ebd.: 144 „Familienregierung“; 145 „Geschlechtsherrschaft“. Münzer 1920: 108–109, 272, 293. – Hierher gehört auch der Beleg für eine Liebesheirat (ebd.: 104), der zeigt, dass nicht alle Eheverbindungen das Ergebnis eines strategischen Kalküls waren. Münzer 1920: 195. Münzer 1920: 369 u. ö. S. z. B. Münzer 1920: 164. Münzer 1920: 339, 416 f., 421 f.
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gen, war nur möglich, weil Münzers Partei-Begriff inhaltlich sehr unbestimmt blieb – was zugleich bedeutet, dass er als analytisches Instrument eigentlich untauglich ist. Erst spätere Autoren haben ein gewisses Maß an Konsistenz hergestellt, indem sie einen Teilaspekt verabsolutierten: die (angeblich) um große Familien gruppierten Adelsparteien. Der Preis dafür war die Missachtung der Empirie. Auch bei der weiteren Interpretation seines prosopographischen Befundes lässt es Münzer an gedanklicher und begrifflicher Trennschärfe fehlen. Wenn mehrere Angehörige einer gens innerhalb kurzer Zeit in den Verzeichnissen der hohen Beamten auftauchen, spricht er oft von der ‚Vorherrschaft‘ oder ‚Dominanz‘ dieser Familie.60 Das ist allenfalls vertretbar im Sinn einer statistischen Aussage, heißt aber nicht zwingend, dass die Familie tatsächlich einen entscheidenden Einfluss auf die Politik der res publica ausübte. Münzer hat sich jedoch nicht um weitere Abklärungen bemüht. Es wäre auszuschließen, dass der Befund auf Zufallseffekten beruhte,61 es wäre zu prüfen, ob die Familie als Einheit handelte, und man müsste einen vergleichenden Blick auf die führenden Personen im Senat werfen. Ähnlich unvorsichtig postuliert Münzer ein Bündnis von Familien, wenn diese mehrfach gemeinsam in den fasti auftreten.62 Auch hier werden andere Erklärungsmöglichkeiten nicht ausgelotet. Man muss wohl von übereilten Schlüssen sprechen. Ähnliches gilt für die Fälle, in denen Münzer Hypothesen zur Erklärung von Zusammenhängen heranzieht. So führt er es auf den Einfluss des Wahlleiters zurück, dass Brüder oder nahe Verwandte kurz nacheinander hohen Ämtern erlangen konnten.63 In der Tat gibt es Hinweise, dass der Wahlleiter zumindest in einigen Phasen der römischen Republik den Ausgang der Wahlen wesentlich beeinflussen konnte.64 Allerdings nennt Münzer auch Fälle, in denen Personen gewählt wurden, die dem Wahlleiter nicht genehm waren,65 und er weiß um erfolglose Kandidaturen.66 Eigentlich hätte er folgern müssen, dass der Verweis auf den Wahlleiter nicht alles erklärt. Aber andere Möglichkeiten werden nicht näher in
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Münzer 1920: 53, 61, 91, 110,143, 202, 316 u. ö. – Der Hinweis auf die beherrschende Stellung des Scipio Aemilianus (ebd.: 245) ist aber etwas anderes. Dazu eine Modell-Überlegung: In der Regel gelangten nobiles nur einmal im fortgeschrittenen Lebensalter zum Konsulat. Gab es in einer Familie mehrere, etwa gleichaltrige Brüder oder nahe Verwandte, gelangten sie in kurzer Zeitfolge in das Alter, in dem sie am ehesten eine Wahlchance hatten. Und wenn alle einen oder mehrere Söhne hatten (die ungefähr gleich alt waren), konnte dies eine Generation später erneut geschehen. – Der hier erwogene Effekt dürfte eine umso größere Rolle spielen, je stärker der cursus honorum rechtlich und faktisch reglementiert war. S. z. B. Münzer 1920: 23. S. z. B. Münzer 1920: 14 f., 124, 265. – Die These wurde oft kritisiert, s. besonders Toynbee 1965,1: 328 f.; Rilinger 1976. Letzterer schreibt (ebd.: 170) diese These „den Prosopographen“ zu. Münzer 1920:196 zitiert Liv. 40,17,7–18,1. S. ferner bes. Münzer 1920: 8, 124 f., 192. Münzer 1920: 125, 248. Münzer 1920:193. – Ebd.: 159 setzt er offenbar voraus, dass sich die Gentilverbände nicht immer bei den Wahlen auswirkten.
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Erwägung gezogen.67 Insbesondere geht Münzer nicht näher auf die Spezifika der römischen Wahlen ein.68 Dabei hätte es nahe gelegen, dass die Unterstützung von Kandidaten durch angesehene Personen sowie die Aktivierung von persönlichen Bindungen eine Rolle spielten.69 Ganz unbeachtet bleibt auch die Bedeutung der Bekanntheit oder Prominenz an sich. In einer Gesellschaft ohne Parteien (im modernen Sinn von Wahlvereinigungen) hatten bekannte Kandidaten fast zwangsläufig bessere Chancen als gänzlich unbekannte.70 Mehr noch: Da die Absolvierung eines Amtes die Bekanntheit erhöhte, stiegen damit auch die Wahlchancen bei weiteren Bewerbungen. Die Bekanntheit reproduzierte sich im politischen Prozess quasi von selbst. Und Erstbewerber konnten von der Bekanntheit angesehener Verwandter profitieren. Es ist kein Zufall, dass nahezu alle lateinischen Ausdrücke für die Angehörigen des „Adels“ der mittleren und späten Republik auf deren öffentli67
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Es läge beispielsweise nahe, dass Brüder oder nahe Verwandte zwar gemeinsam Wahlkampf betrieben, aber nicht gegeneinander antraten, d. h. nicht im gleichen Jahr kandidierten, sondern kurz hintereinander. Der zweite konnte dann möglicherweise vom Erfolg und der Bekanntheit des ersten profitieren. Er erwähnt gelegentlich Wahlkämpfe (z. B. Münzer 1920: 187, 192, 197), entwickelt daraus aber keine Argumente. Wenn er von Wahlverbindungen der Parteien spricht (z. B. Münzer 1920: 124), hat er letztlich doch nur die Rolle des Wahlleiters im Auge. – Ansonsten schreibt er den ‚Parteien‘ keine große Rolle für die Organisation des Wahlkampfes und der Wahlwerbung zu, womit er letztlich wohl recht hat, denn die römischen factiones waren (anders als moderne Parteien) in der Regel keine Wahlvereinigungen. Wie erwähnt, hat vor allem Scullard 1973 zu solchen Erklärungen gegriffen, wurde dafür aber viel kritisiert. In der Tat stellte er sich den Vorgang sehr mechanisch vor. Aber grundsätzlich scheint der Gedanke tragfähig. Dafür lassen sich etliche Hinweise finden und dies legt auch der Vergleich mit modernen Wahlvorgängen außerhalb der etablierten westlichen Parteiendemokratien nahe. Zur Illustration eine zugegebenermaßen sehr vereinfachte Modellrechnung, die lediglich das Prinzip verdeutlichen soll: Angenommen, es bewerben sich fünf Kandidaten um ein Amt, die alle den Wählern unbekannt sind. Dann werden sich die Stimmen etwa gleichmäßig auf alle fünf verteilen, d. h. jeder kann mit ca. 20 % rechnen und das tatsächliche Ergebnis hängt von Zufallsschwankungen ab. Nehmen wir nun an, einer der fünf Kandidaten sei hinlänglich bekannt und ein Viertel der Wähler ließe sich davon beeindrucken. Dann verteilen sich nur 75 % der Stimmen gleichmäßig. Nehmen wir überdies an, dass vom verbleibenden Viertel nur die Hälfte (d. h. ein Achtel) für den bekannten Kandidaten stimmt und dass die andere Hälfte – z. B. weil sie ein negatives Bild von ihm hat – absichtlich für andere Kandidaten votiert. Selbst dann bekommt der bekannte Kandidat 26,5 % der Stimmen (15 % als Anteil von denen, die planlos abstimmen, und 12,5 % von denen, die ihn wegen seiner Bekanntheit wählten). Die übrigen Kandidaten können nur mit 18,125 % rechnen (15 % von den planlos Stimmenden und je 3,125 % Proteststimmen gegen den bekannten Kandidaten, die sich gleichmäßig auf die übrigen verteilen). Damit hat der bekannte Kandidat mit einem Vorsprung von fast 9 % gewonnen. Wenn man das römische Wahlverfahren zugrunde legt, wird die Modellrechnung wesentlich komplexer, aber die Bekanntheit (oder genauer: der relative Vorsprung an Bekanntheit gegenüber der Konkurrenz) würde sogar eine noch größere Hebelwirkung entfalten. Wäre der hier vorgestellte Fall in den comitia centuriata zur Abstimmung gelangt, hätte der prominente Kandidat wohl alle Centurien für sich gewonnen bzw. die Wahl wäre vorzeitig abgebrochen worden. Einigermaßen offen würde das Rennen erst, wenn mehrere prominente Kandidaten gegeneinander anträten. – Zur Bedeutung von Prominenz für die Lebensgestaltung vgl. auch Beck 2008.
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che Bekanntheit verweisen. Denn nobilitas geht auf noscere zurück, clarus meint ‚hell leuchtend‘ im Sinn von ‚berühmt‘ – und so weiter.71 Münzer wusste dies selbstverständlich, hat aber nichts daraus gemacht. 5. BILANZ UND AUSBLICK All dies wurde nicht angeführt, um den vielgescholtenen Münzer noch mehr in ein schlechtes Licht zu rücken. Vielmehr ging es darum festzustellen, wo genau die Probleme liegen, denn erst so sind weitere Schlussfolgerungen möglich. Es dürfte deutlich geworden sein, dass von einer festen Methode bei Münzer nicht die Rede sein kann. Mit seinen eher tastenden Versuchen, die Prosopographie in die politische Geschichte einzubringen, hat er sich auf ein damals neues, schwieriges Feld begeben. Dass dabei etliches Stückwerk blieb, braucht eigentlich nicht zu erstaunen. Bemerkenswert ist eher, dass die nachfolgende Forschung seine Schlüsse nicht geprüft und diskutiert, sondern tel quel übernommen und sogar noch zugespitzt hat – und dass dies überwiegend Autoren taten, die sich selbst nicht intensiv mit dem prosopographischen Befund auseinandergesetzt haben, auf dem vorgeblich alles basierte.72 Erst so ergab sich der Eindruck, mit einem speziellen Verfahren das Funktionsgeheimnis der römischen Republik enthüllt zu haben.73 Auch die Kritik beschäftigte sich weniger mit den internen methodischen Schwächen solcher Darlegungen als mit ihrem unplausiblen Endergebnis und sie führte Gegenargumente an, die auf Quellen und Argumenten ganz anderer Art beruhten.74 All dies bedeutet aber, dass die Frage nach der Anwendbarkeit der Prosopographie für die Geschichte der römischen Republik mit der Diskussion um Münzer und seine Nachfolger noch nicht abgeschlossen ist. Denn gerade weil diese nicht auf der einzig möglichen methodischen Weise vorgegangen sind, bedeutet die berechtigte Kritik an ihnen nicht ohne weiteres, dass die Prosopographie hier generell fehl am Platze sei. Man kann und muss neu nachdenken, was sie leisten kann und was nicht. In der Zeit nach Münzer wurde in einer weltanschaulichen Weise über Prosopographie gestritten, die wenig weiterhilft. So stellte z. B. Arnaldo Momigliano in einer Rezension zu Ronald Symes Roman Revolution den Wert von Prosopographie grundsätzlich in Frage – unter anderem mit dem Argument, die Geschichte sei die Geschichte von (geistesgeschichtlichen) Problemen, nicht von Menschen oder
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Anders ist dies lediglich bei patricii: Der Ausdruck knüpft an die quasi-natürlichen Autoritätsverhältnisse in der Familie an. Schur 1927; Taylor 1949; Scullard 1973. Toynbee 1965, 1: 326 f.; Rilinger 1976: 1; Hölkeskamp 2001: 93; 2004: 15 u. 2011: 54. – Ob Münzer das selbst so gesehen hat, ist nicht klar. Er spricht an drei Stellen mit einer taciteischen Wendung von den arcana imperii der Oligarchie (Münzer 1920: 133, 317, 427). Aber nur eine, etwas enigmatisch formulierte Stelle (S. 427) kann so gelesen werden, als rede er von einem generellen, geheim gehaltenen Funktionsprinzip. In den anderen geht es lediglich um Entstellungen in der historischen Überlieferung zugunsten der Nobilität. So Rilinger 1976; Brunt 1988: 443–502; Millar 1998.
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Gruppen.75 Das kann man mit Fug und Recht auch anders sehen, und es wäre genauso nach der Tragweite geistesgeschichtlicher Studien zu fragen. Hugh Last meinte in einer Rezension zu Lily Ross Taylor, Parteien würden immer an Hand politischer Ziele gebildet.76 Das formuliert aber lediglich ein neuzeitliches Ideal. Warum soll es nicht vorgekommen sein, dass sich Personen zusammenschlossen, weil sie einander ohnehin kannten und sich gemeinsam besser behaupten konnten? Auf der anderen Seite suggerierte Ronald Syme, dass es in Wahrheit überall nur Oligarchien gebe77 und dass diese durch persönliche Verbindungen sowie durch handfeste Interessen bestimmt seien. Die Entlarvung wohltönender Propaganda mag ihren Charme haben, doch kann Symes Sichtweise ihrerseits zur Ideologie werden. In jedem Fall sind die Funktionseliten politischer Systeme nicht immer von gleicher Art und es wäre gerade eine historische Aufgabe, ihr jeweiliges Profil und ihre interne Ordnung näher zu bestimmen. Auch allgemeine Theorien über Elitenzirkulationen haben sich bislang als wenig anwendbar erwiesen.78 Statt sich ins Allgemeine zu flüchten, sollte man sich den konkreten Gegenständen zuwenden und prüfen, ob und auf welche Weise prosopographische Untersuchungen etwas zu ihrer Kenntnis beitragen können. Wie sich gezeigt haben dürfte, sind Material und Methode in der Prosopographie keine fest verschmolzene Einheit. So kann man Prosopographie im Sinn der Aufarbeitung des personenkundlichen Befundes und die Arten weiterführender Analyse zumindest gedanklich voneinander trennen. Und für die Auswertung gibt es nicht nur eine einzige, umfassende ‚prosopographische Methode‘, sondern es sind viele Verfahren gleichermaßen in Betracht zu ziehen. Der von Münzer (und anderen) ermittelte personenkundliche Befund zur römischen Republik ist weithin stabil und wenig zu erschüttern. In der Forschung ist er auch weithin akzeptiert, sei es stillschweigend oder explizit. Ebenso sind die daran gemachten Beobachtungen über die Herkunft vieler Inhaber hoher Ämter aus wenigen führenden Familien nicht wegzudiskutieren. So erscheint es im Prinzip nach wie vor als angemessen, die römische Republik – zumal die mittlere – als ein stark 75
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Momigliano 1940: 77 f.: „History is the history of problems, not of individuals or of groups. If the tacit assumption of much prosopographical research ist that people are moved by personal or family ambition, the assumption is not merely one-sided; it substitutes generic trends for concrete situations.“ Er beklagt (ebd.: 76 f.), dass „spiritual interest“ bzw. „spiritual needs“ vernachlässigt würden. – Vielleicht hat es mit dieser Einstellung zu tun, dass Momigliano zwar eine Fülle interessanter (v. a. geistes- und überlieferungsgeschichtlicher) Einzelstudien verfasst hat, dass ihm aber nie eine größere historische Darstellung gelungen ist. Last 1950: 361: „… men did not become amici in the political sense without a political reason. They did not formulate a common policy because something non-political had first made them amici …“. Syme 1952: 7: „In all ages, whatever the form and name of government, may it be monarchy, republic, or democracy, an oligarchy lurks behind the façade“; vgl. ebd.: 18, 34. S. dazu Höl keskamp 2010: 5. – Wenig zum Thema beitragen kann die vergleichende Studie von Winters 2011, denn dem Titel zum Trotz geht es dort nicht um Oligarchie als politischer Herrschaftsform, sondern um Reichtum und die Strategien der Reichen, ihre Position zu behaupten. Pareto 1980 stellt lediglich Behauptungen auf, bleibt den empirischen Nachweis aber schuldig.
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von den großen Geschlechtern (dem ‚Adel‘) geprägtes Gemeinwesen zu beschreiben. Wo diese Daten ignoriert werden, ergibt sich fast notwendig ein schiefes Gesamtbild – wie z. B. in Fergus Millars viel diskutiertem und erklärtermaßen einseitigem Buch über The Crowd in Rome in the Late Republic.79 Er bemühte sich, durch eine traditionelle Interpretation literarischer Quellen die Bedeutung des gewöhnlichen Volkes herauszustreichen, um schließlich zu konstatieren, die römische Republik sei eine Spielart von Demokratie gewesen.80 Doch unterlässt er es, das tatsächliche Gewicht des Volkes gegenüber den anderen politischen Faktoren zu bestimmen, und wirft nicht einmal einen genaueren Blick auf das soziale Profil derjenigen, die die von ihm untersuchten großen Volksreden gehalten haben. Dies hätte ernüchternd wirken können. Das Buch wurde nicht ohne Grund mit einiger Reserve aufgenommen.81 Wenn man freilich die Rolle der führenden Familien anerkennt, verliert die römische Republik nahezu gänzlich ihren Wert als Projektionsfläche für den modernen Diskurs um die ideale, anzustrebende Staatsform – ein Gedanke, der zumal in der englischsprachigen Welt eine lange Tradition bis in die Gegenwart hat.82 Für weitergehende Auswertungen des prosopographischen Befundes sollte besser überlegt und geplant vorgegangen werden als dies bei Münzer der Fall war. Unter anderem sollte man die Spezifika des (aufgearbeiteten) Materials mitbedenken. Anders als bei rein statistischen Erhebungen wird versucht, einzelne Personen einer Gruppe zu erfassen. Durchführbar ist dies, wo man es mit Gruppen zu tun hat, die nicht unübersehbar groß sind, also z. B. nicht mit einem ganzen Volk, sondern mit dessen Führungselite. Zugleich mit der Orientierung an Einzelpersonen kann man auch die Verbindungen zwischen ihnen registrieren. Ferner bedarf es klarer, weiterführender (und beantwortbarer) Fragen. Diese ergeben sich nicht ohne weiteres aus den Zeugnissen selbst, sondern müssen erarbeitet (und dann kontrolliert angewandt) werden. Insofern ist Prosopographie eher ein Werkzeug als ein völlig eigenständiges Erkenntnismittel. Immerhin lassen sich im Idealfall Phänomene erfassen, die in den literarischen Quellen nicht hervorgehoben werden. Dass zentrale Begriffe (wie ‚Adel‘) immer wieder an Hand des Befundes auf ihre Anwendbarkeit hin überprüft werden müssen, versteht sich von selbst. Als ein – im Prinzip – sozialwissenschaftliches Verfahren lassen sich prosopographische Untersuchungen primär und vor allem für die Sozialgeschichtliche nutzbar machen. Es liegt besonders nahe, Individuen systematisch zu vergleichen und so das Sozialprofil einer ganzen Gruppe zu bestimmen. Für die römische Kaiserzeit ist dies – allerdings bei deutlich besserer Quellenlage – auch in großem Umfang geschehen, und hier konnten überdies wesentliche Teile der Verwaltungsstruktur 79 80 81 82
Millar 1998; vgl. ebd.: 4: „This book is, and is intended to be, a one-sided contribution …“. Millar 1998: 208: „a variety of democracy“; vgl. ebd.: 11, 210, 225. – Millar 1998 fasst die Zeit von 80–50 v. Chr. ins Auge (die nach Münzer die Phase der ‚demokratischen Flut‘ war). In einer Reihe vorausgehender Aufsätze hatte er auch die Epochen davor behandelt. Hölkeskamp 2000; Nippel 2001 (vgl. ders., So was nannte man nicht Stimmenkauf, in: FAZ vom 28.9.1999, S. 10); Ward 2004 (mit weiterer Literatur); Hölkeskamp 2010. Einiges Anschauungsmaterial liefern Bell 2000; Millar 2002. Das Problem wurde klar herausgearbeitet von Ward 2004 (ebd.: 103 auch weitere Literatur zur Diskussionsgeschichte).
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rekonstruiert werden. Letzteres ist für die Zeit der römischen Republik kaum relevant, doch die Sozialgeschichte dieser Epoche kann ohne Prosopographie kaum auskommen. So demonstriert z. B. Münzers wenig beachtetes Kapitel über zugewanderte Adelsgeschlechter,83 wie veränderlich die römische Aristokratie auch in der frühen und mittleren Republik war – und wie man auch über diese Epoche zu Erkenntnissen gelangen kann. So gesehen wäre es nur eine Art Nebeneffekt, wenn man mit prosopographischen Mitteln auch einen Beitrag zur unmittelbaren Rekonstruktion der politischen Geschichte leisten könnte. In der Diskussion um Münzer und seine Nachfolger ist dies in den Mittelpunkt gerückt, und so soll auch hier kurz darauf eingegangen werden. Von Interesse ist die Frage nicht zuletzt deshalb, weil man für die römische Republik fast ausschließlich auf literarische Quellen angewiesen ist, die ihre sehr eigene Sichtweise haben. Mit Mitteln der Prosopographie lassen sich vor allem Rahmenbedingungen politischen Handelns rekonstruieren. Dazu gehören die von Münzer mit Recht besonders beachteten persönlichen Verbindungen unter den Akteuren – oder moderner gesprochen: das Netzwerk, über das sie verfügten.84 Solche Verbindungen sind zwar noch keine politischen Allianzen, aber eine mögliche Vorstufe dazu. Ein Seitenblick auf einige allgemeine Charakteristika der römischen Republik legt nahe, dass eine prosopographische Betrachtung nicht von Anfang an zur Erfolglosigkeit verurteilt ist. Es handelte sich bekanntlich um eine Agrargesellschaft, in der auf den Familienzusammenhalt großer Wert gelegt wurde – pietas gehörte zu den zentralen Tugenden. Klientelbeziehungen und andere persönliche Verpflichtungsverhältnisse existierten nicht nur, sondern wurden offen benannt und sogar rechtlich privilegiert – mehr als in anderen beobachtbaren klientelistischen Gesellschaften;85 die soziologische Terminologie lehnt sich nicht ohne Grund an das römische Beispiel an. Politische Führungsrollen zu übernehmen, konnte sich praktisch nur ein beschränkter Kreis von Großgrundbesitzern leisten.86 Der Bereich der Politik war nicht aus der allgemeinen Gesellschaft ausdifferenziert, sodass die politische Funktionselite weitgehend mit dem obersten Stratum der sozialen Hierarchie identisch war. Der Zusammenhang zwischen Sozialem und der Politik ist evident. Da es kein Analogon zu den modernen politischen Parteien gab (die bekanntlich erst im Gefolge der Französischen Revolution entstanden sind), musste die politi83 84
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Münzer 1920: 46–97. Seit einiger Zeit wird versucht, die – stark formalisierte – sozialwissenschaftliche Netzwerkanalyse auch für die Geschichtswissenschaften fruchtbar zu machen (s. http://historicalnetwork research.org/; zum soziologischen Hintergrund vgl. Jansen 2011). Die Nähe zur Prosopographie liegt auf der Hand. Eine erfolgreiche Anwendung für die Geschichte der römischen Republik steht – soweit ich sehe – noch aus. Vgl. allerdings Graham/Ruffini 2007. Vgl. z. B. Boissevain 1966 (zum neuzeitlichen Sizilien). – Gegen Brunt 1988: 382–442. Dieser neigt der seltsamen Auffassung zu, die Wichtigkeit einer sozialen Institution bemesse sich darin, wieviel von ihr geredet werde. In den literarischen Quellen wird dies nicht allenthalben betont, da es für die Autoren zu den Selbstverständlichkeiten gehörte. Beim Lesen mancher moderner Beiträge (wie Brunt 1988: 443–502; Millar 1998) entsteht bisweilen der Eindruck, als sei dies vergessen worden.
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sche Willensbildung auf anderen Wegen vor sich gehen. Da die Möglichkeiten der Diskussion und Antragstellung in der Volksversammlung stark eingeschränkt, aber auch im Senat nicht völlig frei waren, konnte nicht allein die Kraft des besseren Arguments wirken. Sowohl die Beeinflussung des Meinungsbildes als auch die (temporäre) Bildung von (mehr oder minder losen) politischen Aktionsgruppen kam wohl kaum ohne den Rückgriff auf persönliche Verbindungen aus. Der gelegentlich vorgebrachte Einwand, sich überkreuzende Bindungen müssten sich gegenseitig paralysiert haben, wirkt demgegenüber eher weltfremd.87 Entsprechend dürfte für alle, die politisch wirken wollten, die Pflege von Beziehungen enorm wichtig gewesen sein – und entsprechend die Kohäsion in der politischen Führungsgruppe verstärkt haben.88 Auch unter solchen Umständen kann der bloße Blick auf die Personenverbindungen nur im Ausnahmefall eine zureichende Erklärung für eine politische Entscheidung liefern.89 Aber in Verbindung mit anderen Methoden können prosopographische Überlegungen durchaus einiges beitragen, wie nicht zuletzt Ronald Syme in seinem epochemachenden Werk The Roman Revolution demonstriert hat.90 Ihm stand das Wissen über die Personen und ihre Verbindungen zu Gebote, er wusste aber genauso gut die literarischen Quellen zu handhaben und er hatte für sein Buch eine (damals neue) leitende Idee. Eine solch glückliche Kombination wird nicht immer gelingen. Aber in der Prosopographie liegt die Chance, sich ein Stück weit aus der Abhängigkeit von den literarischen Quellen zu befreien; man kann unter Umständen sogar eine Handhabe gewinnen, um deren Verzerrungen zu korrigieren. Und wenn sich ein Werkzeug als nützlich erweist, sollte man es verwenden.91
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So z. B. Wiseman 1976. – Gelten würde das Argument nur, wenn einander diametral widersprechende Bindungen mit mathematischer Präzision genau dieselbe Stärke gehabt hätten. Wenn eine Person in konkurrierenden Bindungen stand und zu einer Entscheidung aufgefordert wurde, wäre es für den Betroffenen überdies aus spieltheoretischer Sicht die ungünstigste aller Strategien, sich nicht zu entscheiden. Denn dann wären Retorsionen von allen Seiten zu erwarten, ohne dass dem eine Belohnung gegenüberstünde. Selbst mit einer willkürlichen Entscheidung für eine Seite käme der Betroffene zu einem günstigeren Ergebnis (den Retorsionen der einen Seite stünden dann die Belohnungen der anderen gegenüber). Real würde der Betroffene der einen Seite seine Weigerung zu erklären (d. h. die Schäden zu minimieren) und der anderen seine besondere Anstrengung zu verdeutlichen (d. h. die Belohnungen zu maximieren) versuchen. Barnes 2007: 84 merkt (mit Blick auf Brunt 1988: 463–68) an, dass auch die Kritiker der ‚prosopographischen Methode‘ in ihren Forschungen zur römischen Geschichte nicht an der Prosopographie vorbeikämen. Für die Kaiserzeit scheint mir das für den Regierungsantritt Trajans immerhin gelungen, s. Eck 2002. Hier kann auch klar ausgeschlossen werden, dass konkurrierende politische Programme oder andere Gesichtspunkte eine wesentliche Rolle spielten. Syme 1952 (zuerst 1939). Zum Verständnis als Werkzeug auch Barnes 2007.
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THE CENSORSHIP OF ACILIUS Francis X. Ryan, Los Angeles Scholarship being very specialized, and Fronto having virtually no relevance for the Roman republic, few historians of the period are likely to be directly acquainted with his work, but students of the magisterial fasti have long had at least a limited and indirect acquaintance with it because of two consecutive letters, each of which mentions a republican magistrate attested nowhere else, the censor Acilius and the plebeian tribune M. Lucilius. They also know that the two magistrates, despite their common origin, have fared differently in the secondary literature: Friedrich Münzer, and T. R. S. Broughton initially, rejected the name Acilius as incorrect, though the latter afterwards changed his mind in response to an article by Monique Dondin. Despite this divergence, all three scholars – and they are the ones to whom the historian of today is most likely to turn, and beyond whom he will not go, if he, relying upon them, does not proceed to familiarize himself with the text – are in complete agreement about the relationship between the two letters and the magistrates named in them. Thus Münzer wrote: “M. Lucilius, Volkstribun … wurde … von den Censoren, von deren Namen der eine als Acilius überliefert wird, mit einer Rüge belegt”; Broughton, entering M. Lucilius among the plebeian tribunes in his original publication in the appendix entitled “Magistrates of Uncertain Date,” began: “A Tribune of the Plebs who was censured by a Censor named Acilius”; Dondin in turn commenced her article with the following sentence: “Un échange épistolaire entre Fronton et Marc Aurèle évoque, hors de tout contexte chronologique, un épisode qui mit aux prises un censeur, Acilius, à un tribun de la plèbe, Lucilius.”1 In the meantime, however, Michael P. J. van den Hout has denied that the two letters constitute an exchange, and in disassociating the two magistrates he in fact had a remote predecessor in Carl de Boor, whom he credited with having “rightly seen that the case of Acilius and that of M. Lucilius are not the same”; both stressed that the tribune named in the second letter does not answer the query for the name of a tribune which we find in the first, since it comes in the text of a new rhetorical assignment.2 Münzer and Broughton, however, did not cite de Boor in their entries on M. Lucilius, and while Dondin did cite him, including the relevant page, she missed this elucidation and therefore all three treatments can be said to fall into the period when the judgment of de Boor was forgotten; in fact, we do not know of any scholar
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Münzer 1927: 1638; Broughton 1952: 470; Dondin 1979: 126. van den Hout 1999: 204; de Boor 1873: 93; the latter had deemed it impossible to render a judgment on Acilius in the absence of further evidence, “praesertim cum Lucilium eundem esse ac tribunum ab Acilio notatum persuaderi mihi non possit.”
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before van den Hout, writing 126 years later, who was aware of it.3 In the present paper, then, we shall focus on the one letter which mentions Acilius, and give now in full the text and apparatus of van den Hout (Leipzig 1988), followed by an English version made with the help of C. R. Haines (Loeb edd. 1919, 1928). 5,26(41). Magistro Meo (1) ego adeo perscripsi (tu mitte aliud quod scribam), sed librarius meus non praesto fuit, qui transcriberet. scripsi autem non ex mea sententia, nam et festinavi et tua ista valetudo aliquantu|lum detrivit mihi; sed veniam cras petam, cum mittam. (2) vale mi dulcissime magister. domina mea mater salutem tibi dicit. nomen tribuni plebis, cui inposuit tam Acilius censor, quem scripsi, mitte mihi. tu Orelli ut V et Mai2 si vis Studemund at Hauler || notam Mai2 tam V | Atilius de Boor || scripsi Haines 5,26(41). To my instructor. (1) I for my part have finished writing (you may send4 something else which I may write), but my copyist was not at hand to transcribe. I have however not written to my liking, for I not only rushed, but that ill health of yours also impaired me somewhat;5 but I shall beg indulgence tomorrow, when I send it. (2) Be well, my dearest instructor. The lady, my mother, wishes you health. The name of the tribune of the plebs, on whom Acilius as censor, whom I have depicted, imposed the mark, send to me.
In the nineteenth century, when Acilius came to light, the censorial fasti were sufficiently incomplete, or seemed sufficiently uncertain, that the identity and date of Acilius censor did not follow immediately from acceptance of the name as transmitted;6 the progress in the meantime has been such that both the identity of the man and the date of the office are free from doubt so long as the transmitted name is 3
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Although van den Hout 1999: 204 himself claims that de Boor in disjoining the two magistrates was “followed by P. Willems,” the only view of de Boor which Willems 1885: 421 mentioned was his conclusion that the censor Acilius does not belong in 64. Willems at that point was merely concerned to establish that there was no lectio between 70 and 61; he then took up the lectio of 61, without either trying to name the other censor of 64 or to situate Acilius in the censorial fasti; far from stating or implying that Acilius and M. Lucilius are unconnected, when he refers to Borghesi dating “le censeur Acilius dont parle Fronton, et qui nota le tribun M. Lucilius,” he seems to be relating his own view also. (Strictly speaking, however, the Acilius censor mentioned in the Frontonian correspondence is not mentioned by Fronto.) In support of Orelli one could adduce for the employment of the pronoun with the imperative Fro. ad M. Caes. 2,2,8: tu prior lege et, si quis inerit barbarismus, tu, qui a Graecis litteris recentior es, corrige atque ita matri redde. Rejecting the “un po” offered by Portalupi 1961, van den Hout 1999: 203 glossed aliquantulum with “a good deal,” yet our dictionary defines the noun with “a small amount, a fair amount” and the adverb with “to a small extent, somewhat, slightly” (OLD, s. vv.), and the word is in form a diminutive, after all. It seems pertinent to note that we cannot be certain about the nature or seriousness of the malady, which need not be identical with the small ulcer (ulcusculum) mentioned in the following letter; and further, that health is so recurrent a theme in the correspondence that there can be no presumption that the problem was grave. Thus de Boor 1873: 93, the expert in these matters, criticizing Borghesi (1865: 32–39 for believing that an Acilius could only be fitted into the year 64, did not rule out the M’. Acilii Balbi (coss. 150, 114) prominent in the preceding century.
The Censorship of Acilius
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accepted: the censor in question must be M’. Acilius Glabrio (cos. 67) since the censorship in question must be that of 64. The problem can also be looked at from another angle: one censor of 64 is otherwise unknown, and although one could speculate about his identity, the only chance we have of filling the remaining spot in the college with an unqueried incumbent is to accept that the latter was in fact the censor named in our text of Marcus. Since historians yearn for precise information, we therefore find ourselves wanting the name in the letter of Marcus to be correct, and we should be aware of this inclination, lest we make too easy for ourselves the task of proving it correct. Although Broughton was persuaded that “M. Dondin has made a strong case for Borghesi’s suggestion,”7 in our opinion what she demonstrated was her own unfamiliarity with, and the truth of, the ninth commandment of Karl Lehrs: “Du sollst nicht glauben, daß zehn schlechte Gründe gleich sind einem guten.”8 For among her many arguments, although brought forward in a discussion enriched by several worthwhile observations, one will search in vain for a single cogent one, and arguments which have no force when taken alone do not somehow acquire force when taken together; there might be a vague notion that the balance can be tipped if only enough feathers are added to the pan, but a better analogy would be drawn from the realm of mathematics: no matter how many times one adds zero to itself, the result will never be greater than zero. For more than a century de Boor was considered to have shown that Marcus could not have been talking about a censor of 64 since Dio informs us that the plebeian tribunes blocked the lectio senatus then.9 The scholars who suggested a slight emendation of Acilius tacitly assumed that Marcus was in possession of correct historical information and himself wrote the name correctly, but that it was corrupted in the process of transmission: a very reasonable assumption, given what happens to names in the process of transmission and the distinction which we see Marcus himself making between the name of the censor which he is confident he knows and the name of the tribune at which he does not even guess. Conrad Cichorius, while not discussing the historical knowledge of Marcus explicitly, nevertheless impinged on the topic, but just as Dondin wanted the name Acilius to be right, he wanted it to be wrong. The father of the poet C. Lucilius, whose brother was a member of the senate, was quite conceivably a senator himself; being ignorant of the contribution of de Boor separating the two magistrates, Cichorius assumed that the only obstacle to identifying the M. Lucilius mentioned by Fronto with the father of the poet was the name Acilius: “Nun kennen wir einen Censor Acilius überhaupt garnicht, aber es liegt wohl auch nur ein Irrtum seitens des Marcus vor, wie schon die stillschweigende Rektifizierung in der Antwort des Fronto (“a censoribus” im Gegensatz zu “Acilius censor” des Marcus) nahe legt.”10 Cichorius did not even 7 8 9 10
Broughton 1986: 3. Lehrs 1902: 476. de Boor 1873: 93, after ruling in the Balbi, continued: “Accedit quod anno 690 intercessione tribunorum ne senatus quidem lectionem factam esse Dio (XXXVII,9.4) testatur; quando autem nisi in senatu legendo notam Lucilio impositum [sic] esse statuamus?” Cichorius 1908: 21.
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raise the possibility of a corruption, and one cannot help thinking that this possibility went undeveloped because he did not want to find a name similar to Acilius, since he also believed that the likeliest occasion for the humiliation of the father of the poet, whom he supposed to have been born ca. 200–190 and to have held curule office in the 150s, was either the censorship of 154–153 or that of 147–146,11 the incumbents of which – M. Valerius Messalla (cos. 161) and C. Cassius Longinus (cos. 171), L. Cornelius Lentulus Lupus (cos. 156) and L. Marcius Censorinus (cos. 149) – did not bear names which strongly resemble Acilius. Given the alternatives he presented, it is not surprising to see Cichorius favoring the later pair: “Der eine von diesen ist nun aber niemand anders als L. Cornelius Lentulus Lupus, der Todfeind unseres Dichters, den er bis an sein Lebensende und noch darüber hinaus mit grimmigem Haß verfolgt hat.”12 But the notion of a silent correction, for one believing that the name mentioned by Marcus was flatly wrong, is not persuasive: if Fronto had replied to Marcus and corrected censor with censoribus, one would have to take this correction to mean that Acilius acted with his colleague rather than alone, and it was along these lines that Dondin, who assumed that Fronto was replying to Marcus, sought to defend the latter.13 Moreover, when assuming, as Cichorius did, that the second letter answers the first, inasmuch as the posited prosopographical mistake on the part of Marcus was not explicitly corrected by Fronto, any substitution which a modern scholar makes for Acilius is bound to appear arbitrary, as Cichorius, who was very tentative about his interpretation,14 was himself the first to admit, and if this treatment appeared too radical to Münzer,15 who likewise assumed that M. Lucilius provides the name sought by Marcus, how much more so it must appear to us, who do not believe that there is any slightest reason to look for a connection between Acilius and the father of the poet Lucilius. When arguing, against Cichorius, that Acilius was not a historical error, Dondin, realizing that a dispute between a censor and a tribune was not unexampled,16 maintained that the name of the censor alone was a decisive clue to the conflict Marcus had in mind: “Comment, s’il ne s’était pas réellement agi d’un censeur nommé Acilius, Fronton, qui ne disposait que du nom comme indice, aurait-il pu savoir à quel désaccord son élève faisait allusion puisque plusieurs cas de même 11 12 13 14 15
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Cichorius 1908: 21 f. Cichorius 1908: 22. Dondin 1979: 130: “il ne faut y voir que la trace du nécessaire accord des censeurs quant aux blâmes.” Whether that accord in fact would have been necessary in this case remains unclear. Cichorius 1908: 22: “Leider sind die obigen Anhaltspunkte zu unsicher, um mehr als eine einfache Möglichkeit bezeichnen zu können.” Münzer 1909: 182: “um … die Erzählung von dem Volkstribunen M. Lucilius bei Fronto … zeitlich zu bestimmen, darf man doch kaum den unhaltbaren Namen des Acilius censor einfach fallen lassen …, sondern müßte prüfen, ob hier nicht eine leichte Verbesserung vorzunehmen wäre … ”. Although the example she gives for another “épisode du blâme,” the exclusion of M. Duronius from the senate by the censors of 97–96 Dondin 1979: 130, is not a true parallel, since – to express ourselves cautiously in order to avoid going into the matter further – it is not established that Duronius was an incumbent tribune of the plebs at the time.
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nature pouvaient être en cause?”17 While the name of the censor is not the only clue to the identity of the tribune which the question itself provides, Dondin was nevertheless right to stress the importance of the name of the censor as an indication of the identity of the tribune, yet she failed to distinguish here between the name which Marcus wrote and the name which has come down to us; one who does so will realize that her observation not only assumes the reliability of Marcus as a historical informant, but also the reliability of the process of transmission, and beyond that, of the process of recovering the text from the palimpsest in which it resides (a circumstance never mentioned by Dondin). Plainly Marcus could not have left out the one name which he believed himself to know if he had left no other clue, nor if any other clue he left applied to more than one tribune, and so it may indeed be regarded as crucial, but just as plainly the indicative nature of the name applies only to the name as actually written by Marcus, and which we, of course, have no way of verifying. We must not confound the lost autograph letter with the latest Teubner, but separately determine how much credence is to be placed in our informant on the one hand, and how much confidence in the relaying of his information on the other. First, the communication of the name. Replying to de Boor, who had not only been unwilling to register Acilius as a censor of 64, but had even cast doubt upon the service of any Acilius in the censorship by suggesting that the passage is a further testimonium for M. Atilius Regulus (Cos. I 227), made censor in 214,18 Dondin decried “l’inconvénient de nécessiter la correction (Acilius en Atilius) d’un manuscrit sur lequel les sources sont unanimes.”19 The evidence is not unanimous, but unique: for the letter in question there is no manuscript other than V, the Vatican codex. It is nevertheless possible to modify and so salvage the observed lack of variance: we do occasionally see in the apparatus different readings of the underlying text in the palimpsest, stemming not only from different scholars, but even from the same scholar at different times; it is then fair to point out that the decipherment of the name apparently was not problematic. In addition, we do meet with corrections and comments added in the codex itself in a second hand, and here, too, it is fair to note the absence of divergence, but in this case the silence counts for less, since any native speaker is in a position to fix a fault or gloss an obscurity of language, while far fewer possess enough historical knowledge to recognize a wrong name as such, to say nothing of replacing it with the right one. Undoubtedly Dondin was right to prefer the transmitted name to an emended one, and that preference remains despite the fact that there is no second manuscript seeming to confirm it; if on the other hand our independent knowledge of an episode makes it impossible to retain a transmitted name except by special pleading, then emendation is preferable, and when it requires a change of just one letter it should not cause any uneasiness. One must recognize that names, like numerals, are highly susceptible to corruption, names because they are less familiar than other 17 18 19
Dondin 1979: 131. de Boor 1873: 93: “Vel ea suspicio me movit sitne fortasse levissima mutatione ignoti censoris Acili nomen ex Atili factum censoris anni 540 in rhetorum scholis ob severitatem celeberrimi.” Dondin 1979: 129.
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words, but whereas the miswriting of a numeral, whether through omission, reduplication or misunderstanding of a letter, will often yield a correctly written though distinct numeral, the miswriting of a name will yield a correctly written different name usually only when misread by the one writing it; otherwise miswritten names will have been easily recognized as misspelled, by learned readers if not by all scribes, and so will have been corrected. But we must reckon here with miscorrections, since misspelled names must often have been corrected on the basis of onomastic knowledge rather than historical knowledge; and just as there is no practical limit to the corruptibility of a name, there is no practical limit to its miscorrection, since beyond a certain stage of corruption every gentile name, at least typical ones ending in -ius such as we are dealing with here, looks like every other, and can therefore be miscorrected into every other.20 Once we judge Acilius a miscorrection of a corrupted name which we shall never see, we can hardly exclude the possibility that that corruption was severe, and so must admit that Acilius could conceal every single censor of the republican period with the sole exception of the one who bore no gentilicium ending in -ius, M. Perperna (cos. 92, cens. 86). For the uncertainty surrounding a potentially miscorrected name there are remedies. Although Münzer later judged that Acilius probably arose from Atilius,21 earlier he had mentioned as an alternative Caecilius,22 and there are other names in the censorial fasti which closely resemble the paradosis, above all Aelius and Aemilius, and, not far behind, Gellius and Licinius. Our assessment is complicated by the absence of a praenominal initial, than which nothing falls out of a text more quickly. We can nevertheless say, on the condition that Marcus omitted the praenominal initial as well as any cognomen which the man either used himself or had attributed to him by others, that Marcus seems to have been speaking about a man who was the only representative of his gens in the censorial fasti; the argument is not decisive, for despite the assertion that the name alone was the only clue given to Fronto, in fact Marcus specifies an action which we may for the nonce characterize as a clash with an incumbent tribune and which, as such, was not at all common and therefore could quite easily be the only incident of the sort involving a censor from that gens. Without wanting to get lost in details, we note further that the incident described in the letter is made rarer still by the precise information given on the 20 21 22
To take but one example: the C. Atilius of Val.Max. 3,2,7, in a corrected manuscript as well as the epitome of Paris M. Atilius, is M. Papirius at Liv. 5,41,9, and was identified by Ogilvie 1965: 726 with M. Papirius Mugillanus (cos. 411). Münzer 1927: 1638: “Da kein Acilius Censor gewesen ist, scheint der Name verderbt, am ehesten aus Atilius.” Münzer 1909: 182: “etwa Atilius, was in die Zeit des ersten Punischen Krieges führen würde, oder acilius” [we set pointed brackets for his square ones]. Neither here nor in the RE did Münzer cite de Boor as a predecessor in proposing Atilius, and that he had not consulted that dissertation on the earlier occasion seems confirmed by his dating of Atilius to the time of the First Punic War, for de Boor 1873: 93 had alone mentioned the Atilius who was censor during the Second Punic War; the latter, who “nach ausdrücklichen Angaben sehr streng war und auch mit einem Volkstribunen in Streit geriet” (Münzer 1927: 1638), was the only censor Atilius more closely described by Münzer on the later occasion.
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nature of that clash, for there was not just one way for censors and tribunes to clash: the censor himself had more than one weapon at his disposal for use against miscreants, to say nothing of how tribunes might frustrate censors.23 The only possible emendation mentioned by de Boor, the only one still mentioned by Münzer in the RE, and the only one considered by Dondin fails to meet this test, since three Atilii served in the censorship, each with a different cognomen (Caiatinus in 247, Bulbus in 234, Regulus in 214). Of Acilius and the six other orthographically similar nomina mentioned above, the only ones which meet this test are Acilius and Gellius; the five remaining names have more than one representative, and they exhibit a difference in cognomina. The assumption that Marcus in his query would have put the name of the censor itself in an unambiguous, or at any rate less ambiguous form, to the extent that it is valid, therefore increases our confidence in the correctness of the paradosis, leaving Gellius as an alternative. Although emendation must always be a last resort, it is very awkward indeed that we have turned up Gellius of all names as an alternative, for the other clue we get is the action imputed by Marcus to the censor, inposuit tam, and when L. Gellius (cos. 72) was censor in 70, as every historian of the republic knows, 64 men were expelled from the senate, more than at any other lectio in republican history. Thus the only action ascribed to Acilius censor fits L. Gellius perfectly, but was deemed, by de Boor and all his successors until Dondin, unacceptable as a testimonium of a censorship of M’. Acilius Glabrio which must have been held in 64, for Dio (37,9,4) assures us that the censors accomplished nothing then due to the opposition of the tribunes to their revision of the senatorial roll. But before we begin to examine Dio we must finish up with Marcus, for so far we have discussed only the quality of the transmission, not the quality of what was transmitted. 23
Thus the censors who took office in 214, one of whom died before they disposed of the lustrum, began to be prosecuted by a certain L.(?) Metellus as soon as he became tribune of the plebs, because, we are told, quaestorem eum proximo anno adempto equo tribu moverant atque aerarium fecerant (“In his quaestorship the year before they had taken away his horse, removed him from his tribe and made him an aerarian”; Liv. 24,43,3, trans. F. G. Moore). Dondin 1979: 128 f. indeed discussed this episode because the surviving censor, M. Atilius Regulus, had been suspected by de Boor to be lurking behind Acilius; addressing the question whether the lectio was valid without the lustrum, she opined: “on est sûr que les censeurs de 214 avaient terminé la lectio puisque leur fermeté envers les sénateurs leur valut un différend avec le questeur M. Metellus” (p. 129); the “fermeté,” however, as the quotation above shows, was not revealed in the lectio senatus, but in the recognitio equitum and the assessment of civium capita, two quite discrete responsibilities of the censors. After considering and rejecting the possibility that Fronto mixed up Lucilius and Metellus, since the malfeasance in office exhibited by the former is very different from the despair on active duty (Liv. 24,43,3: propter coniurationem deserendae Italiae – “on account of the conspiracy to desert Italy”) exhibited by the latter, Dondin compounded her error by concluding that the proposal of de Boor could only be admitted by referring it to the other Atilian censors and “une époque beaucoup plus ancienne” (actually, a short to only moderately long generation earlier), since that of 214 “peut être éliminé” – as if, by some law of history, we are limited to one dispute between censors and tribunes per censorship.
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Dondin did not seek to portray Marcus as a dependable source of information on republican history in general, but constructed a much more intriguing case for him as a good source on Acilius in particular. After recognizing that the incident must have been rather famous if Marcus could hope to elicit from his tutor the name of the tribune from so brief a description, she continued: “De plus, la formule Acilius quem scripsi rend improbable une erreur sur un sujet que Marc Aurèle avait déjà approfondi.”24 In her text she said no more, but already this little is inconcinnous: for if the incident was so well known, his knowledge of it need not require that he had gone further into it himself. Nevertheless, Dondin in the appended note left no doubt that she envisaged Marcus as having conducted a special study focussing on the same Acilius or on the tribunate: “La formule quem scripsi semble indiquer que Marc Aurèle avait, soit déjà traité du personnage d’Acilius, dans un autre contexte, soit déjà abordé le sujet même du tribunat de la plèbe et en avait discuté avec Fronton.”25 The conclusion about the priority of the work in question to the letter follows clearly enough from the tense of the verb; it is apparent that the antecedent of quem is Acilius censor, whether the study be thought devoted to him or not. Without wanting to go further into the Latin now, we state our agreement with van den Hout in his judgment that the context in which Marcus handled Acilius censor was none other than the rhetorical exercise mentioned at the start of the letter;26 Acilius was then merely a supporting example adduced in his latest composition, not the subject of nor included in a special study, and presumably not investigated in any sense where he was taken into account, for it would hardly have been useful to advert to him if it had been necessary to establish the facts of his case. So far, then, we have found no reason to think that Marcus had any sort of exceptional interest in or familiarity with M’. Glabrio. But Dondin had one more trick up her sleeve. Without either explicitly ruling out the possibility that Marcus had already tackled the subject of the plebeian tribunate, or explicitly ruling in the possibility that he had already treated the same Acilius in another context, she continued: “On connaît, par les restes de la correspondance, un exercice rhétorique ayant pour thème un autre membre de la famille des Acilii Glabriones (V,37 et 38), le consul de 91 que Domitien contraignit à combattre un lion puis fit exécuter.”27 At first glance, then, it seems possible that Marcus did acquire a certain expertise on the whole clan when doing this assignment.28 On this exchange van den Hout has provided very useful guidance: “Fronto takes a 24 25 26 27 28
Dondin 1979: 131. Dondin 1979: 131 n. 1. Cf. van den Hout 1999: 20: “Marcus … only wants to know the name of the tribunus plebis, in order to fill it in before his secretary makes a fair copy.” Dondin 1979: 131 n. 1. The mere fact that the letter containing the assignment on the lion-slayer (ep. 5,22[37]) is placed earlier in the book does not prove that that letter and therefore the assignment itself was earlier, since the fifth book is not chronologically arranged; it seems likely to us, however, that the assignment on the lion-slayer was both relatively earlier and absolutely early, but we can excuse ourselves from justifying that judgment here inasmuch as it is not a point in dispute between us and Dondin, who simply assumed that the letters are ordered chronologically.
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hypothetical case, but Marcus want to have more historical data … Marcus is embarrassed by the facts given by Fronto.”29 Fronto seems to have deliberately mixed fact and fiction, transporting the scandalous incident across time and space so that the consul populi Romani (ep. 5,22[37]) might the more easily be denounced before the censors – itself no usual republican proceeding –, an occasion providing a convenient setting for the rhetorical exercise; in reality it was the emperor Domitianus who had forced M’. Acilius Glabrio (cos. 91) to fight in a spectacle on his Alban villa during a festival (Dio 67,14,3) and later had him killed in exile (Suet. Dom. 10,2). Marcus, uneager to begin work on the assignment, wrote back asking not only about the date and location of the incident, but whether it was a retelling: quando id factum et an Romae? num illud dicis in Albano factum sub Domitiano?; after some complaining, the short note ends rescribe statim de tempore.30 Clearly then Marcus was not ignorant of this scandalous incident, but he seems to have been waiting for an assurance that the subject matter was historical rather than fantastic before commencing with the assignment, and since that assurance, based on what we know from other sources, would not have been forthcoming, we have to infer that he never wrote on this theme; thus when we inquire more closely into the matter we realize that the assignment on the lion-slayer, which at first glance seems to have presented Marcus with the opportunity to deepen his knowledge of the Acilii Glabriones, in reality would not have had that result, and not only because he was so resistant to the fictionalized topic that he never wrote on it, but also precisely because the assignment was a fictionalization of the historical incident which would not have required him to learn more about the Glabrio who was consul under and later executed by Domitianus. Lest it be argued that Marcus did not need to learn more by actually doing the assignment, for his initial queries to his teacher reveal that he was already well versed in the matter, we hasten to point out, firstly, that the incident is likely to have been notorious, if variously told,31 in which case familiarity with it, or a version of it, does not indicate a special level of knowledge about the family of that consul, and secondly, that Marcus, when asking Fronto whether he had in mind what had transpired about 50 years earlier, localized it in time – sub Domitiano – and space – in Albano – without ever naming the consul populi Romani concerned. It might seem quite natural that Marcus in a brief and hurriedly written response to the new assignment distinguished the incident of which it reminded him by naming the emperor rather than the comparatively obscure consul, especially since the former was so central to the event; nevertheless, one can legitimately wonder whether Marcus was able to remember the name of the latter. A more heedful case for having confidence in Marcus might begin by pointing out that his preference for historical settings is no mere guess of van den Hout, but 29 30 31
van den Hout 1999: 199. Remains would otherwise lead us to expect a historical backdrop in conjunction with a suasoria rather than a controversia; cf. Sehlmeyer 2009: 137. Front. ep. 5,23[38]: „ When did it occur and was it at Rome? Do you mean that the event took place under Domitian at his Alban Villa? … Let me know the date by return.” (transl. C. R. Haines). Cf. Iuv. 4,99–101.
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evinced clearly enough in a remark, unfortunately corrupt, in the terse reply to the assignment on the lion-slayer, adverting to the sort of subject which he had sought (ep. 5,23[38]: qualem petieram), and that this preference presupposes a certain familiarity with Roman history, for he must have had some exposure to it in order to learn that he had a liking for it. Worth mentioning also is the circumstance, however difficult to assess, that we do not see Marcus asking about the names of the censors after getting the assignment on M. Lucilius, which reads simply a censoribus notatur (ep. 5,27[42]). We can hardly expect that Marcus, who wanted to know the name of the tribune punished by Acilius, although that incident was a mere supporting example, would have been content to remain ignorant of the names of the censors who punished M. Lucilius, since they were the ones presiding over the dispute for which he was writing opposing speeches; it is altogether possible that a letter containing, or even consisting in, a query on that very point has been lost; even if not, the failure of Marcus to write such a letter could be variously explained: he might indeed have known the answer thanks to his previous reading, or he might have found the answer at his own initiative. Whether his initiative involved consulting books is difficult to say; since we see him writing to Fronto for the name of a chastened tribune, he might have endeavored to learn the names of the censors in question by writing to others, or by asking either them or Fronto in person. For anyone desiring to defend the historical knowledge possessed by Marcus the very fact that he has to ask for the name of the tribune is concerning; the absence of his copyist cannot be taken as an indication that he was traveling, for he expected to be able to send a clean copy on the following day. What is more, he expected to be able to include in the final version information received from Fronto in the meantime, which places beyond doubt the presence of both men in the capital; he ought therefore to have had his entire library at his disposal when he wrote to Fronto seeking the name, and it remains quite possible that he did avail himself of it when doing the assignment which he had just completed. Before upbraiding the pampered prince for expecting his teacher to do his work for him, however, we should remember his age, consider that he had heard about the incident instead of reading about it and so did not know where to look, or that he simply could not remember where he did read it, and that finding it in a large number of unindexed or poorly indexed scrolls was like searching for a needle in a haystack. We must also give credit to Marcus for knowing the difference between what he knew and what he did not know, a capacity not shared by all the ancients who wrote on historical topics, many of whom were content to transmit their best guesses as fact; this praise must however be tempered with the observation that Marcus expected Fronto, his teacher after all, either to know more history, or at any rate to be better at discovering discrete historical information. Space does not allow us to inquire further into the historical knowledge of Marcus. When one sets Marcus and Dio side by side and poses very directly the question whom we should rather believe, as a general proposition, regarding events of Roman republican history, it would be hard to develop an argument for favoring Marcus; yet it is not so much the case that we have positive reasons to doubt or reject Marcus as that we have positive reasons to believe or prefer Dio: Marcus was definitely a young
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man when he wrote the letter, aged 18–24 years, if we follow the dating accepted by van den Hout,32 whereas Dio was a man in middle age, if not already when he commenced his research, then certainly by the time he began writing; again, Marcus never aspired to being a historian, whereas Dio became one whom even critical scholars today are willing to trust on details not recorded elsewhere. Upon reflection one will realize that Dio also has an advantage over Marcus with respect to the nature of what each reports: Dio gives an account devoid of details, neither mentioning any names nor revealing how the tribunes stymied the censors, and so reduced to a minimum the opportunity to commit an error; Marcus alludes to a single episode, disclosing a proper name and a particular action. Thus Dio to be wrong must be wrong about very large matters, affecting the complete membership of two colleges and the entire senate, whereas Marcus to be wrong must misunderstand a dispute involving just one member from each of two colleges, but no other members of the senate. It is easier to believe that the source concentrating on a single incident lost sight of the big picture than that a source attempting to do no more than to give the big picture nevertheless got it fundamentally wrong. Dondin did not question the action which she believed Marcus to have attributed to one censor of 64, but ended by rejecting the inaction which Dio attributed to both. The impeachment of Dio was not sudden, at least from her point of view; summing up the preceding ten pages, she stated: “Tous ces arguments affaiblissent la crédibilité du récit de Dion Cassius.”33 She had begun by determining that Plutarch was preferable to Dio in their accounts of the censorship of 65: “Le récit de Plutarque, vraisemblable sous tous ses aspects, est préférable à celui de Dion Cassius (qui l’enrichit cependant).”34 Plutarch (Crass. 13) had indeed specifically mentioned their failure to perform the scrutiny of the senate, the fitness exam of the cavalry, or the census of the citizens, whereas Dio had contented himself with the more general statement that they failed to perform any of their duties; to historians, who crave details, this might make Plutarch “préférable,” but does nothing to weaken “la crédibilité” of Dio. The essential difference between the two accounts is the subject over which they make the colleagues quarrel, Plutarch having Catulus oppose Crassus when he undertook to make Egypt subject to tribute, Dio having them differ on the admission of Transpadanes to the citizen body. Since Plutarch no more mentions the dispute recorded by Dio than Dio does that found in Plutarch, one could just as easily maintain that the account of Plutarch “enrichit” the account of Dio, and in consequence, as long as one accepts the historicity of both disputes and cannot discover how the censors themselves ranked them in importance, there are no grounds for deeming one account superior to the other. One cannot quite shake the feeling that Dondin, presented in Marcus and Dio with two contradictory sources, only one of which allowed her to fill the gap in the censorial fasti for 64, was looking for arguments to discredit the other. Thereby she failed to notice, de32 33 34
van den Hout 1999: 202: “139–145: Marcus is engaged in writing controversiae or suasoriae for Fronto.” Dondin 1979: 142. Dondin 1979: 135.
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spite her extensive discussion of the censorship of 65, the most obvious shortcoming in the two accounts: both sources name a dispute connected with the duties of the census proper, and so do not explain why the censors could not complete the lectio, which was regularly finished in the first calendar year of a censorship, and was independent of the census itself. We thus find Dondin accepting the missed lectio which two sources attest, but neither actually explains, while rejecting the missed lectio which is explained by the one source recording it. The wish is fathering the thought again when Dondin goes on to argue that the interval between lectiones becomes incredibly long once we agree that there was no lectio after 70 until 61: “On ne trouve de parallèle à cette situation qu’aux époques de crise où le fonctionnement des institutions est officiellement suspendu: de 86 à 70; les années 65/64 auraient donc connu un retour à la situation d’exception du gouvernement syllanien, dégradation qui paraît excessive.”35 The comparison is deceptive, since in fact there had been a lectio in 81; the years which may properly be compared are those in which a lectio was due but not discharged, 76–71 in the one case and 65–62 in the other, and anyone comparing these two specific periods would be hard pressed to make the case that the later one was marked by calmer political conditions. The scholar who reaches this point, whether testing a thesis or not, ought to notice that the essential difference between the two periods culminating in delayed but successful lectiones was the failure even to try to have one administered by electing censors in the years 76–71. Furthermore, no scholar worth his salt would blithely assume that crisis conditions suffice to explain delayed lectiones, for the Romans managed to hold lectiones on schedule, or even ahead of schedule, all throughout the Second Punic War, than which no greater crisis had ever to be confronted in republican times. Lacking such awareness, Dondin was neither able to ask why the Romans at least attempted in the 60s what they failed even to attempt in the 70s, nor to recognize the need to look for a more proximate cause of the delay in lectiones. With so much said in favor or in defense of Dio before examining him, let us see whether our confidence was misplaced. Closing his brief account of the censors of 65 with the words οὐδὲν οὐδὲ τῶν ἄλλων ἔπραξαν, ἀλλὰ καὶ τὴν ἀρχὴν ἀπεῖπον (“so they did not even perform any of their other duties, but resigned their office”; Cass. Dio 37,9,3), he continued: καὶ διὰ τοῦτο καὶ οἱ διάδοχοι αὐτῶν ἐν τῷ ὑστέρῳ ἔτει ἐποίησαν, ἐμποδισάντων σφᾶς τῶν δημάρχων πρὸς τὸν τῆς βουλῆς κατάλογον, δέει τοῦ μὴ τῆς γερουσίας αὐτοὺς ἐκπεσεῖν.36
E. Cary (Loeb ed. 1914) translated: “And for the same reason their successors, too, did nothing in the following year, inasmuch as the tribunes hindered them in regard to the senatorial list, fearing that they themselves might be expelled from that body.” 35 36
Dondin 1979: 138. Cass. Dio 37,9,4. Boissevain 1895 credited the supplement to “R. St.,” which he resolved in the appropriate place (p. cxxv): “Roberti Stephani editio princeps, sive lectio codici sive Roberto ipsi debeatur.”
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For the sense of the passage some supplement is clearly necessary, and the adverbial “also” assures us that here the same pronoun was used which we find combined with a verb of identical meaning in the preceding section. The resultant inconsequence of the censorship is justified by the internal evidence of the passage: since the lectio preceded the census proper, or at any rate all but preliminary work of the census proper, it is not surprising to be told that censors who resigned because the lectio was being obstructed accomplished nothing. One hesitates, however, to affirm that the passage now makes perfect sense, for the link Dio makes between the two abortive censorships is, on a first reading, hard to grasp: for he had mentioned just one substantive dispute between the censors of 65, that concerning Transpadane citizenship, and not a single one between those of 64. Dondin, observing that “la formule par laquelle Dion Cassius introduit son récit des événements de l’année 64 les lie explicitement, quoique de façon obscure (διὰ τοῦτο), à ceux de 65,” referred to Ernst Hardy “sur l’interprétation contradictoire de cette liaison.”37 Hardy was engaging with Jacobus Matthijs Nap, who had criticized the prepositional phrase as tantamount to a statement that the Transpadane question caused the resignation of the censors of 64 as well,38 a notion which he judged untenable on the ground that the prevention of the lectio kept census matters from ever being addressed.39 Hardy himself rejoined that Dio was not mistaken, because both censors belonged to “the popular party” and the lectio was blocked merely as a means to the end of preventing the censors from enrolling new citizens, and thus it was possible for the censors of 64 to resign “both on account of the tribunes’ veto and of the Transpadane difficulty,” because “the two causes were ultimately connected.”40 We pass over the assumption, common to Nap and Hardy, that the lectio was a prerequisite for the census,41 and draw attention to another commonality, their conviction that the prepositional phrase references the Transpadane dispute, a conviction entertained by Dondin, who then at the end of her article, as if having misgivings about rejecting the failed lectio of Dio, exploited it by suggesting that what Dio reports under 64 should be transferred to and combined with what he reports under 65.42 A different criticism, but not considerably less radical, and not either necessary or cogent, for the prepositional phrase, if not transparent, is at least translucent when read in con37 38 39 40 41
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Dondin 1979: 142 and n. 2. Nap 1910: 36: “Zijne woorden … geven aanleiding tot de opvatting, dat het verschil in meening omtrent de vraag of de census zich tot Gallia Transpadana moest uitstrekken, ook de censoren van 64 v. Chr. heeft belemmerd in de vervulling hunner taak.” Nap 1910: 36: “onhoudbaar.” Hardy 1924: 58, 60. The treatment of Hardy 1924: 60 is marred not only by the simplistic assumption that the desire to extend citizenship to the Transpadani was a recognizably “popular” position, opposed by “the optimates,” but by slipshoddiness: thus a proof that both censors belonged to “the same party” is “the fact … that both resigned,” as if the other might have remained in office; again, we are told that the tribunes are “left by Nap without a motive” because he did not realize that Dio had supplied one, for he had misunderstood the relevant clause to be reporting a fear, on the part of the censors themselves, of retaliation by prosecution for perduellio, “or, as Dio less correctly puts it, by loss of senatorial rank.” Dondin 1979: 142 f.
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text: it goes with the immediately preceding clause, which Dondin did not quote. When Dio writes that the successors of the censors of 65 accomplished nothing in the next year “on account of this,” he means on account of the fact that they resigned, not on account of the Transpadane question; his brief survey of the censorship of 64 does contain another cause, but also another effect: the opposition of the tribunes causes the resignation of the censors, and the resignation of the censors causes them also to leave no lasting accomplishment. We shall be able to render a surer judgment if we approach Dio without bias. It is true that the lectio and the census were independent of each other, and that the censors therefore in theory might have forgone the lectio and proceeded to their remaining duties, but perhaps one or each of them was unwilling to do so, especially if some tribunician interference was expected in that sphere of their activity as well. There is the consideration that the perverse tribunes would not have been in office beyond 9 December, so that it must at first have seemed necessary only to defer the lectio, not to renounce it, for at that point the censors would have been only about half-way through their term, which had begun later than that of the tribunes, and was half-again as long. Upon consideration, then, it becomes obvious that the reason Dio gives for the resignation of the censors of 64 cannot be the whole explanation; rather, they resigned not only because they faced obstruction from the tribunes of 64, but because they knew that at least one tribune of 63 was like-minded; that circumstance would have become obvious at the latest in mid-December, at senate meetings over which the new tribunes presided, but in all probability much earlier still, following their election, since tribunes-designate seem to have enjoyed priority in senatorial debates.43 The point at which the censors gave up hope of effectuating a new roster of senators might then have come fairly soon after the tribunician elections, which perhaps took place in September; their resignation could then have occurred by early October, their term possibly being around six months in duration. Dondin determined that the tribunes might have blocked the lectio through “une intercessio collective dont le but avoué n’aurait pas correspondu au propos réel.”44 It would not count heavily against the historicity of the obstruction if we concede that the tribunes who had the fear which Dio ascribes to them might well have claimed to be following another goal than that of saving themselves; Roman politicians were capable of finding pretexts.45 But a far more serious problem is presented by her observation: the “propos réel” perhaps seemed “real” to her because it is explicitly attested by Dio, unlike the pretext, whatever it might have been, which she assumes to have been used, but it did not occur to her to ask why the “propos réel” should be regarded as more “real” than anything else which Dio maintains. Upon addressing the question one will recognize at once that Dondin committed a rather large error by failing to make a very basic distinction between 43 44 45
Ryan 1998: 250. Dondin 1979: 136–138. The moralizing case which Roman politicians made against the proposals to erect a permanent theater was just such a pretext; v. Ryan 2006: 103 f.
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public and private information: she doubted and eventually rejected what Dio tells us about tribunician activity in 64, while never once doubting what he tells us about the motivations of the tribunes of 64. We must ask how Dio ascertained their true feelings, if in fact they pretended to have other reasons for acting as they did. It is not inconceivable that his account goes back to a good contemporary source which makes this distinction, but the possibility seems very remote when we remember how quickly he handled the two successive censorships; it is much more probable that Dio was basically right about the public information which he transmitted, failure of the lectio through the opposition of the tribunes, and wrong about the private information which he transmitted, their motivation, especially since we know of a demographic problem affecting the senate at that very time; the fear of the tribunes must have been invented by some writer, probably a predecessor of Dio, who had only the public information on the activity of the tribunes at his disposal and knew nothing of the demographic situation; this explanation might have been presented as a fact – i. e., not distinguished from the tradition – already at its first appearance, and at any rate was soon transmitted as an independent fact alongside the public fact from which it had been inferred, just as happened in other cases. The true motivation of the tribunes of 64 is made obvious by the anomalous lectio of 61, in which the censors are recorded as having enrolled all ex-magistrates, καὶ ὑπὲρ τὸν ἀριθμόν (Cass. Dio 37,46,4). Dondin, who had turned to this lectio in the hope that it might shed some light on the previous one, hastened to maintain that this leniency was of no significance: “Cette procédure ‘illégale’ ne peut être interprétée comme le reflet de l’absence de révisions de la liste depuis dix ans: il aurait été simple de respecter les normes en n’inscrivant pas les magistrats inférieurs les plus récents.”46 Here again her work suffers from overhastiness: her knowledge that “les normes” were not respected in 61 ought to have caused her to rethink her judgment, revealed two pages earlier, that the 60s were not to be likened to “époques de crise.” That she did not understand the situation confronted by the post-Sullan censors is confirmed by this claim, since the men in question were in fact currently members of the senate, entitled to attend by virtue of their election: the act of not inscribing them in actuality was an act of expulsion. In any case, even if Dio had merely indicated that the censors in office in 61 held the lectio that year, without any indication of irregularities or indeed any other details, the very fact that another pair was in office just three years after the last has to be taken as corroboration of what Dio says about their predecessors, namely, that they accomplished nothing, for otherwise they as successors would have been elected two years ahead of schedule, an extraordinary circumstance which would require explanation and is not to be made credible, given the fact that no censors succeeding a successfully completed term came into office even one year ahead of time after 210. That Dondin completely failed to address the shortness of the interval between what she considered two successful lectiones is a defect all the more glaring when one remembers that she had adverted to the length of the interval entailed by acceptance of Dio, deeming it a ground for doubting his accuracy: “Il en découle que, pendant une décennie, 46
Dondin 1979: 140.
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de 69 à 61, la liste sénatoriale n’a pas été mise à jour.”47 The argument is in any case baseless, since it was not the censors who did the updating, but the presiding officers, and their doing so made it very much easier for the Romans to get from 81 to 70, and from 70 to 61, without holding a lectio. But in fact Dio did attest an irregularity in the lectio of 61, the first one to be completed in nine years, despite two abortive attempts, and a scholar ought at least to raise the question whether that irregularity contributed to or was even responsible for the success of the lectio, all the more so since the irregularity in question concerns so fundamental a matter as the total number of senators. If we knew only what the censors did, enroll more than the previously respected total number, there might yet be something to be said for the argument of Dondin that their action should not be taken as an indication that there was no lectio in 64, but we also learn how the censors came to do what they did: not by some arbitrary exercise of discretion, choosing men who had not held a legally qualifying office, in which case we certainly could imagine that the previous pair of censors had chosen the full number of senators, were we not told otherwise, but instead merely by retaining men who had already gained the right to attend the senate through election to qualifying magistracies. Far from exercising discretion by adding men chosen of their own volition, they refrained from exercising it by excluding men when adherence to the theretofore respected total number would have required it. There is no reason to think that the problem attested for 61 emerged only within that triennium; quite the opposite. Excessive annual increases in senate numbers largely explain both the tardiness of and the resistance to lectiones in the post-Sullan period on the one hand and the unsuitability of the comparison to the time of the Hannibalic War as a justification for the advancement of lectiones on the other. In the earlier period, when the number of new attendees produced by automatic recruitment was not large enough to offset more than partially ordinary losses, the institution of the senate experienced extraordinary ones, and the anticipation in 216 of the lectio due in 215, or again in 214 of the one due in 211, together with the attempt in 210 to accelerate that expected in 209, all leave little cause for wonderment. Conversely, in the later period, when the number of new attendees produced by automatic recruitment was more than adequate to compensate for ordinary losses, the occurrence of an expedited lectio without any foreign or civil war causing unusually large ones would force us to follow Roman tradition and suppose that a plague which arose after the (ex hypothesi completed) lectio of 64 had devastated the ranks of those summoned to meetings,48 a fairly bad plague, since if it had merely carried off a number roughly equivalent to the extra members, there would have been no gaps in the ranks and hence no need to conduct a lectio. And once we recognize that the underlying cause of the increase in senate numbers was the failure of Sulla to consider age when
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Dondin 1979: 138. A plague which sickened, but did not kill, was invented or accepted by writers who were at a loss to explain why the games to Apollo were made annual; v. Ryan 2006: 92 f.
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newly enrolling perhaps 3/4 of the total membership in 81,49 a foreseeable end date for the excessive recruitment emerges,50 and we can understand why the Romans at least attempted to hold a timely lectio in the mid-60s: attrition among the Sullan appointees would have become more significant, thus lessening the number of expulsions necessary to bring the total back down to 600.51 From this vantage point the old solution, the assumption that the name Acilius has been faultily transmitted, appears to be an instance of conciliatory criticism, excusing us from finding any error either on the part of Marcus or on that of Dio, but a heavy price is exacted: in judging Acilius the miswriting of an accurate name which had been misread or the miscorrection of an accurate name which had been corrupted, we prevent ourselves from ever learning the name which Marcus wrote; one could however console oneself with the thought that the name of the censor – whatever it was – is in all probability otherwise known. To Cichorius, falsely believing Acilius and M. Lucilius to be opponents, accusing Marcus of getting the name Acilius wrong might have seemed a small price to pay in order to create a biography for the father of the poet he was investigating, and to Dondin judging the inefficacy of the lectio a mistake of Dio seemed a necessary price to pay in order to save Acilius. But there is a fourth way to resolve the contradiction: Marcus might have erred not about the name of the censor, and therefore about the year of the incident, but about the efficacy of the action he describes, turning a potential act of exclusion into an actual one. Even so the two accounts would not yet be brought into harmony, because Marcus clearly believed that the action he describes affected just one member of the college, but it does not follow that either Marcus or Dio must be found in error about the number of tribunes concerned; once we realize that the account of Dio is verisimilar insofar as it makes tribunes worried about exclusion act on their suspicions, we can tolerate variation in the number of men, since we are dealing with a potential event which never transpired. The attractiveness of this new option is hardly to be overstated: it allows us to reach the laudable goal of Dondin, filling the gap in the censorial fasti for 64 through acceptance of Acilius, by a much less violent means; instead of attributing to one of our better sources an outright error about so readily ascertainable and so important a fact as the occurrence of a lectio, we can get by with attributing to a source difficult to gauge an error which might be pardoned as mere inexactness; nor would this rescue come at a high price, since other information about the Roman republic owed to Marcus, the value of which we would henceforth have to discount, does not exist.
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As was pointed out some time ago by Ryan 1998: 288 n. 265: “Sulla ignored demographics and chose too many younger men in his lectio, so that death was not creating the vacancies which the quaestorship was relentlessly filling none the less.”. Hence there was no ground either for ending recruitment through the quaestorship or permanently reducing the number of quaestors. Conceivably still in 65 and in 64 recruitment exceeded attrition, but then by less than in 75–74; if the total number of senators was still increasing annually in the later 60s, however slightly, or merely in equilibrium at an excessive level, then there was, in either case, no reason to attempt in 63 and in 62 what had proved impossible in 65 and in 64.
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Although one could extract still more interpretations from the text as established, due to constraints of space we forgo an exposition of ultimately less compelling exegeses in order to ask whether the entire attempt to reconcile Marcus and Dio has not been the chase of the chimera, for nothing in the letter which actually comes from the reed-pen of Marcus contradicts Dio in any way. The nota under discussion does not first present a problem only when brought into relation with external evidence, but already at its first appearance in its own context; scholarly treatment of it ought to have reminded us, as the research on Lucilius by Cichorius did Münzer, “daß es keine feste Grenze zwischen den Gebieten der klassischen Philologie und der alten Geschichte gibt und geben kann.”52 No scholar, not even van den Hout in his commentary, has taken notice of the state of preservation of the sentence in question, and no scholar other than van den Hout in his commentary has remarked upon its Latinity. Given the belief that the nota which Acilius is shown imposing on a tribune contradicts the report that the censors accomplished nothing, one might expect some historian long since to have pointed out that the nota, indispensable to the perceived contradiction, is not secure. But the attention paid to the text has been far too scant to permit such an observation. Münzer, who was engaged in writing an entry on the M. Lucilius mentioned in the following letter, contented himself with speaking of a “Rüge”; similarly, Broughton at first said only that Lucilius “was censured,” but later that Acilius “imposed a nota” or “gave him a nota”; it seems worse still that Borghesi, de Boor, Dondin, and Nicolet all quote notam in context as if it were the transmitted reading, although this insouciance, it must be admitted, finds a large measure of justification in the published texts, for notam had been printed without brackets in the very beginning by Mai, and was still so printed later by Naber and Haines; even van den Hout, who quite properly printed tam in his text, later took inposuit notam as a lemma in his commentary; Cichorius performed something of an Ehrenrettung for historians by placing the first syllable in (square) brackets in his quotation.53 A historian who uses the brackets, but has nothing to add, has at least done his duty, and he has failed in his duty if he omits both brackets and comment, unless the emendation is without alternative.54 If we go back to the first edition of the letter, we find that the emendation was no mere conjecture, but fortified by Mai in a footnote as follows: “Cod. tam. Sed enim in seq. ep. tribunus notatur.”55 On the contrary, the obstreperous tribune appearing in the next letter, as we have seen, was distinguished from the tribune in the letter of Marcus by de Boor just 50 years later; thus, although the only reason ever adduced for it was exposed as false over 140 years ago, the emendation has never been doubted. The fact that the evidence for the emendation has vanished does not 52 53 54 55
Münzer 1909: 180. Münzer 1927: 1638; Broughton 1952: 470, Broughton 1986: 2, 128; Borghesi 1865: 32; de Boor 1873: 92; Dondin 1979: 126; Nicolet 1980: 114 n. 8; van den Hout 1999: 204; Cichorius 1908: 21. Naber 1867: 83 n. 6 did at least inform us “Codex: tam. Correxit Maius”; Haines 1919: 214, printing notam but leaving no indication of the manuscript reading, obviously felt very confident about the emendation indeed. Mai 1823: 125 n. d.
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mean that the emendation is wrong or untenable, of course, since an emendation resting on conjecture can still be right. To be acceptable an emendation must both seem necessary and improve the sense; here alteration definitely is required, since the sentence makes little sense as written, and it is clear where it is required, since tam has nothing to modify and inposuit needs a direct object; the small supplement in tam results in a much better text, replacing the superfluous adverb with an essential noun and confusion with sense. The emendation which has gone unquestioned for some 190 years might then have been retained if it had been examined. But the acceptability of conjectural emendations is undeniably subjective, and even those which are unsatisfactory might be gratefully received by scholars who are not themselves able to think of anything better. It will hardly be long, once we give ourselves permission to look for an alternative, before we hit upon the restoration tam. No historical argument thereagainst would be persuasive. Clearly the censors possessed the power to fine,56 and no weight would attach to the absence of a parallel, if none can be found: since the Ciceronian age is so much better attested than the preceding time, it can happen that even tralatician elements of the republican constitution are first attested then,57 and since the age was also one in which constitutional rules could be honored in the breach,58 the apparent novelty of an action does not provide a sufficient reason to deny its historicity. Indeed, since the tribunes were engaged in an unprecedented activity, prematurely ending a process which we otherwise do not see them so much as interrupting or delaying, we can hardly insist that the censors whose work they aborted could not possibly have departed from precedent in their response. Nor is it troublesome that only one of the ten obstructionists was fined; herefrom we learn that the fine would not have been a direct reaction to the revolutionary use which the tribunes made of their power, but something else; it is not difficult to imagine one of the ten, on the occasion or occasions when the censors attempted to have the new list proclaimed, making a remark to Acilius which the latter interpreted as insolent and a diminution of the majesty of his office.59 Whether the fine would ever have been paid is a separate question, but we need not believe that Acilius himself 56 57 58
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Cf. Mommsen 1887: 355: “der Censor kann multiren, jedoch wahrscheinlich nur innerhalb der Provocationsgrenze.” Thus prosopographical evidence for the precedence of consuls-designate in senatorial debate begins in 63, but the practice, known to be ancestral, had probably been instituted before 265; cf. Ryan 1998: 252–259. Wherein plebeian tribunes constituted no exception; thus in 67, on the day set for voting on the bill of C. Cornelius on dispensations, after P. Servilius Globulus had forbidden the clerk to prompt and the herald to proclaim, Cornelius himself read out the text on the tablet (Asc. 58C); similar events transpired in 62, when Q. Metellus Nepos proposed summoning Pompeius to Italia against Catilina, although our source (Plut. Cat. min. 28) knows nothing of a herald, mentioning only one attendant, who must be the clerk since he takes the law in hand in order to read it: when M. Cato did not permit him to do so, Metellus took it and began to read, whereupon Cato snatched away the tablet, and when Metellus began to recite the law from memory, Q. Minucius Thermus used his hand to shut up his mouth. Not dissimilar is the case of the aged bachelors monetarily penalized by the censors of 403 (Val. Max. 2,9,1): even if one wished to consider (as Broughton 1951: 82) the aera poenae nomine
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expected it to be: he might have acted spontaneously, angered by some insult, visiting upon the tribune the same punishment which he would have inflicted on a privatus for the same offense, without stopping to consider the immunity of the tribune, or again, despite realizing, even in the heat of the moment, that the tribune would claim his plebeian office as protection, simply because he was upset at the frustration of the lectio and wanted to retaliate. We should also consider whether Acilius achieved his goal, which was not to separate the tribune from the relatively small fine which he as a censor was allowed to exact on his own authority, but to embarrass his opponent by making his arguably indecorous conduct notorious.60 We are thus presented with a choice between tam and tam. The internal evidence does not take us very far. The language of the clause containing the emendation did not escape the notice of van den Hout altogether: “Inposuit notam is not an official term (Sen. epist. 6,5 is different): usual is imponere ignominiam, contumeliam, culpam.”61 A question which van den Hout failed to raise now comes to the fore: what verb we should expect with tam. To this question there does not seem to be an answer, for we find many different verbs with that noun, not one in preponderance; or rather, the sources lead us to expect here, if anything, some formulation with the verb notare rather than that noun. But we could hardly criticize Marcus for writing inposuit with tam, especially given the definition “to inflict (punishment, injury, etc.); to lay (blame on someone)”.62 The other noun, however, we do find combined with the same verb in the same context when we see Livius recording a fine considered to have been imposed on three cities in Etruria in 294: multa praesens quingentum milium aeris in singulas civitates imposita.63 Thus an examination of Latin usage, while yielding no exact parallel for inponere with notam in a senatorial context, does not allow us to rule out such a conjunction; on the other hand, as there is just one passage in all
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which they were forced to pay a tax, those who complained seem to have been forced to pay iterum, which approaches a fine for talking out of turn. Similarly, incumbent magistrates were sued, or put on notice of prosecution, under the Scantinian law in part at least because their status did not protect them therefrom (cf. Ryan 1994: 162), and perhaps also because the charges brought thereunder were more discreditable than others of which their opponents might have availed themselves. Without going further into the matter we note as an essentially rather exact parallel instances in which a man recorded that an opponent declined a challenge to a sponsio: the point was never adjudicated and no single uncia had changed hands, but it was of some use in bludgeoning an opponent. van den Hout 1999: 204. OLD, s. v., 12b. The letter of Marcus is cited here. Liv. 10,37,5. – The preposition has been supplied by us for the sake of balance; the preceding sentence ends indutias in quadraginta annos impetraverunt. Cf. Liv. 2,42,7: nec in praesens modo sed in venientem etiam annum, and especially Liv. 33,30,8: Valerius Antias quaternum milium pondo argenti vectigal in decem annos impositum regi tradit; Claudius in annos triginta quaterna milia pondo et ducena, in praesens viginti milia pondo; the text of the latter passage is reproduced from J. Briscoe (Stuttgart 1991), but the in before praesens here only goes back as far as Madvig 1860: 389 f.
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of Latin suggesting that multam could be the object of inponere,64 no strong preference for tam emerges, especially since with it one might have expected dicere instead.65 Restoring tam instead of tam would remove the discrepancy between Marcus and Dio at once.66 We could justify a preference for tam alone on the ground that it would be wrong to insist on repairing a corrupted text in a way which imports into it a historical error. Even though we cannot flatly deny that Marcus made such an error, neither is it possible to argue persuasively in favor of it: for we would have to claim that the only source to preserve the name of the other censor of 64 lacked basic information about his conduct in that office. But a decisive argument against retaining the supplement of Mai is provided by the motivation for the tribunician resistance reported by Dio, false though it is. Certainly it was possible for them to fear what might ultimately befall one, but if a tradition known to Marcus held that only one tribune of 64 sustained a nota,67 it ought also to have been known to the sources of Dio and to have precluded, or at the very least to have caused a modification, of the assertion about their motivation. Upon establishing the text nomen tribuni plebis, cui inposuit tam Acilius censor … mitte mihi, we can see why nothing more needed to be said to identify the incident: the only Acilius ever to have served as censor was quite possibly the only one ever to have imposed a fine on a tribune of the plebs, and it is not difficult to believe that he did so only upon one. We turn to the two words omitted from the quotation just given. On the lemma quem scripsi van den Hout remarked: “cannot mean ‘of whom I wrote’ (Haines); it is ‘whom I have finished writing’ (perfectum praesens), a brachylogy for ‘whose case I have finished.’”68 At the outset one is tempted instead to translate “depict,” an attested meaning of scribo with a personal direct object (Lewis-Short, s. v., II,α), since that English verb, too, is transitive. A seemingly similar use of scribo with a personal direct object by Cicero (Att. 12,49,2), eum Marium quem scripsissem, deceives, since the name is the title of a poem and so replaces carmen;69 such a use of scribo can also be found in the writings of Fronto, who identified Apollonius Rhodius as qui Argonautas scripsit (de orat. 7). Closer parallels for quem scripsi are
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There is a vaguer association in a military history which contains a thought ending conventui eorum HS L multae nomine imponit (Bell. Afr. 97,2). Cf. Cic. Phil. 11,18: Crassus consul pontifex maximus Flacco collegae flamini Martiali multam dixit. And therewith the only reason to consider emending Acilius to Gellius. It would be special pleading to take Marcus to mean that there was just one tribune who received a nota from M’. Glabrio alone, so that some might have received a nota from L. Cotta alone, and the rest one from them jointly. van den Hout 1999: 204; two criticisms: the preterite “wrote” ought rather to be transformed into the present perfect in English with “have written”; one cannot use “whom” in English as the direct object of either “I have finished writing” or “I have written” (on the contrary, “whom” would be in each case an unambiguous indirect object). D. R. Shackleton Bailey (Loeb ed. 1999) translated “the ‘Marius’ composed by me.”
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provided by verse passages.70 The failure of the dictionaries we have consulted (Lewis-Short, OLD) to cite prose instances naturally causes concern, all the more so since one need but add a short prefix to the same verb to produce the same meaning, “to describe” or “depict,” in prose, the resultant usage being far from uncommon; thus in Cicero we find describo with a personal direct object (or in the passive with a personal subject) several times (Sull. 82; Pis. 68, 80; Mil. 47; Phil. 2,113; Corn. I fr. 43Cr; Fund. fr. 5Cr; Q. fr. 2,3,3). Thus we can see that the emendation of scripsi which Haines contemplated in an awkwardly worded footnote, “Query scripsti,”71 not only attempts to solve a problem which is not there, the place where Marcus might have dealt with Acilius, by transferring responsibility for him to Fronto, but also overlooks the problem which is there, quem governed by scripsi in prose. But translating quem scripsi is one thing, and fully appreciating it is another. Five of the Ciceronian passages we have cited are collected in a dictionary under the definition “evidenter significare (opp. aperte nominare)” (TLL 5,1,662,61); in English one could say “to allude to unmistakably.”72 Two of the Ciceronian passages there listed, thanks to the context, establish that that definition is correct: thus quia sunt descripti consulares (Sull. 82) follows up accusati sunt uno nomine consulares (§ 81),73 and illis, quos describis (Pis. 80) continues quis enim non intellegit quos dicas? (§ 75). One of the passages not listed there contains all the proof needed in the same sentence: me videlicet latronem ac sicarium abiecti homines et perditi describebant (Mil. 47); although the context does make it even more clear – the sentence quoted follows the words Milonis manu caedem esse factam, consilio vero maioris alicuius –, we learn already from me videlicet that it was Cicero who was being “plainly” or “manifestly” described. There ought also to have been mention of two valuable comments of Victorinus, who introduced the quotation from the pro Milone, wrongly sourced to the De domo sua, as follows: “item subvenit in eo genere dictionis ubi aliquem pudor aut metus est nominare (Vict. Def. 41St)”; on a rather opaque fragment from the pro Fundanio he explained: “in metu fuerat nominare, ideo ergo descriptus est” (p. 41St). In light of what he says we should state that shame and fear do not exhaust the reasons why a writer might choose to sketch rather than to name. Marcus clearly had stylistic grounds for engaging in the practice: he did not want his treatment of the dispute to name just one of the two parties, but either both or neither. Strictly then it is not true, as van den Hout claimed, that “he only wants to know the name of the tribunus plebis, in order to fill it in before 70
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Hor. Carm. 1,6,13–14: quis Martem tunica tectum adamantina | digne scripserit?; Hor. Sat. 2,1,16–17: attamen et iustum poteras et scribere fortem, | Scipiadam ut sapiens Lucilius; Prop. 2,10,8: bella canam quando scripta puella mea est; Mart. 5,53,1: Colchida quid scribis, quid scribis, amice, Thyesten? Misreported by van den Hout 1988 in his apparatus: “scripsi Haines”; his tentative suggestion should read scripsi. Berry 1996: 299 glossed descripti “‘referred to (by description),’ i. e. without naming names”; perhaps clearer is the explanation of Nägelsbach 1905: 598, whom he cited: “Unser metaphorisch gedachtes anspielen auf eine Person oder Sache heißt nicht selten describere.” As Berry 1996: 299 pointed out.
The Censorship of Acilius
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his secretary makes a fair copy”;74 rather with scripsi we are being told by Marcus that he has in fact suppressed the name he knew from his rough draft, but that he will have it included by his copyist in the final draft, if Fronto can send him the other by the next day. Thus scripsi also reveals that Marcus was not completely confident that Fronto would be able to supply the information in time, perhaps even, that he was somewhat doubtful that his teacher would be able to do so. Without qualms we maintain that the last sentence in the letter upon which we have focused should henceforth be written thus: nomen tribuni plebis, cui inposuit tam Acilius censor, quem scripsi, mitte mihi. The emended verb may be translated in the present perfect to bring out the reference to the composition: “The name of the tribune of the plebs, on whom the censor Acilius, whom I have depicted anonymously, imposed a fine, send to me.” M’. Acilius Glabrio, whose censorship is clearly attested in a source in no wise at variance with the external evidence, may be entered in the fasti under 64 without reservation. The presumably impertinent plebeian tribune remains without a nomen, unless he was the only one of 64 known to us, Q. Mucius Orestinus. BIBLIOGRAPHY Berry, D. H. 1996: Cicero: pro P. Sulla oratio, Cambridge. Boissevain, U. P. 1895: Cassii Dionis Cocceiani historiarvm Romanarvm qvae svpersvnt, Vol. I, Berlin. Boor, C. de 1873: Fasti censorii, Berlin. Borghesi, B. 1865: Œuvres complètes, vol. 4, Paris. Broughton, T. R. S. 1951: The Magistrates of the Roman Republic. Vol. I: 509 B. C.–100 B. C., New York. – 1952: The Magistrates of the Roman Republic. Vol. II: 99 B. C.–31 B. C., New York. – 1986: The Magistrates of the Roman Republic. Vol. III: Supplement, Atlanta, GA. Cichorius, C. 1908: Untersuchungen zu Lucilius, Berlin. Dondin, M. 1979: Pour une identification du censeur de 64, REL 57, 126–144. Hardy, E. G. 1924: The Transpadane Question and the Alien Act of 65 or 64 B. C., in: Some Problems in Roman History. Ten Essays bearing on the Administrative and Legislative Work of Julius Ceaesar, Oxford, 43–67 [orig. 1916]. Hout, M. P. J. van den 1999: A Commentary on the Letters of M. Cornelius Fronto, Leiden. Lehrs, K. 1902: Kleine Schriften von Karl Lehrs, ed. A. Ludwich, Königsberg i. Pr. Madvig, J. N. 1860: Emendationes Livianae, Kopenhagen. Mommsen, T. 1887: Römisches Staatsrecht, vol. 2,1, Leipzig3. Münzer, F. 1909: Lucilius und seine Zeitgenossen nach den neuesten Untersuchungen, N. Jahrb. f. d. klass. Altert. 23, 180–195. – 1927: s. v. Lucilius Nr. 12, RE XIII, 1638. Nägelsbach, K. F. 1905: von Nägelsbach’s Lateinische Stilistik, 9th ed. by I. Müller, Nürnberg. Nap, J. M. 1910: Dateering en Rechtskarakter der z. g. lex Julia municipalis, Amsterdam. Nicolet, C. 1980: Les censeurs de 61 av. J.-C., in: Nicolet, C. (Hg.), Insula Sacra. La loi Gabinia-Calpurnia de Délos (58 av. J.-C.), Rom, 111–125. Ogilvie, R. M. 1965: A Commentary on Livy, Books 1–5, Oxford.
74
van den Hout 1999: 203.
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Francis X. Ryan
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ZUR ENTWICKLUNG DES RÖMISCHEN NAMENSYSTEMS Heikki Solin, Helsinki Die Römer und die übrigen Völker Mittelitaliens hatten in der klassischen Zeit ein Namensystem, das sich von der indogermanischen Sitte der Einnamigkeit scharf unterschied. Die offizielle Bezeichnung eines männlichen freigeborenen römischen Bürgers umfasste fünf Bestandteile. Als Beispiel sei Ciceros Name M. Tullius M. f. Cor. Cicero angeführt. Dieser bestand aus praenomen, dem Vornamen (Marcus),1 nomen gentilicium, dem Familiennamen (Tullius),2 Patronymikon (Marci filius), dem mitunter noch der Name des Großvaters folgen konnte (in diesem Fall wäre er Marci nepos) und gelegentlich noch weiterer Ahnen, der Tribusbezeichnung (Cornelia sc. tribu), die oft weggelassen werden konnte (und im Namen von Frauen fehlte), je nach dem wie offiziell die betreffende Urkunde war, und schließlich das Cognomen (Cicero),3 sofern die Person eines besaß. Die Bezeichnung war gesetzlich festgelegt: In der lex Iulia municipalis aus dem Jahr 45 v. Chr. lesen wir, dass nomina, praenomina, patres aut patronos, tribus, cognomina in tabulas publicas (d. h. die Zensuslisten) referunda curato;4 ähnlich finden wir in der lex repetundarum von 123/2 v. Chr.: quos legerit, eos patrem tribum cognomenque indicet.5 In der außerbehördlichen Praxis wurden diese Regeln lockerer gehandhabt. Es ist aber wahrscheinlich, dass die italischen Völker (und die Etrusker) ursprünglich nur einen Namen geführt haben. In dem spätantiken Traktat De praenominibus 1 wird Varro zitiert, nach dem „die Namen in Italien aus einem Bestandteil seien“ – simplicia in Italia nomina fuisse. Varro zog diesen Schluss aus der mythologischen Nomenklatur: Romulus, Remus, Faustulus. Aus der römischen Frühzeit besitzen wir die Fibula Praenestina aus dem 7. Jahrhundert v. Chr. mit dem Text Manios med fhefhaked Numasioi, bzw. auf klassischem Latein: Manius me fecit Numerio.6 Strenggenommen zeigt aber dieser Fall noch nicht, dass damals die Einnamigkeit herrschte, und sodann verwundert das Fehlen des Patronymikons. Mit 1 2 3 4 5 6
Das grundlegende Werk zu den römischen Vornamen ist Salomies 1987. Ferner Salomies 2008. Grundlegend Schulze 1904. Grundlegend zu den lateinischen Cognomina Kajanto 1965. Zu Cognomina, die sprachlich gesehen griechischer Herkunft sind, s. Solin 1971 u. 2003. CIL I2 593, 146–149. CIL I2 583. CIL I2 3 = ILS 8561. Man hat in letzter Zeit, teilweise sehr heftig, über die Echtheit der Fibel diskutiert, die jetzt feststehen dürfte, vgl. mehrere Beiträge in Örmä/Sandberg 2011, und in Bullettino di Paletnologia italiana 99 (2011–2014), darunter neue chemisch-mineralogische Analysen der Fibel, die deren Echtheit unwiderleglich nachgewiesen haben. Die anderen ältesten lateinischen Inschriften bis etwa 500 v. Chr. enthalten keine sicheren onomastischen Elemente (abgesehen vom Lapis Satricanus CIL I2 2832, ca. 500 v. Chr. mit Erwähnung von Pop-
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Heikki Solin
Blick auf vergleichbare Evidenzen ließe sich annehmen, dass über die indogermanische Sprache auch das indogermanische Namensystem vererbt werden würde, das in benachbarten Sprachen wie im Keltischen herrschte. Doch es muss festgestellt werden, dass die uns überlieferten alten Einzelnamen, die späteren Vornamen mitgerechnet, morphologisch und semasiologisch sehr weit entfernt von denen des Keltischen, Germanischen, Slawischen, Griechischen usw. sind, deren Namenschatz von Namenskomposita und hochtrabenden Vollnamen charakterisiert war. Das System mit einem Namen überdauert aber nicht in die historische Zeit. Es wurde im Zuge einer Revolution des italischen Namenwesens abgeschafft, nämlich durch die Einführung eines erblichen Familiennamens, eines Gentilnamens, wie es die Römer nannten (nomen gentilicium oder nomen gentile oder bloß nomen oder bloß gentilicium). Somit wurde zum ersten Mal in der Geschichte Europas eine onomastische Untergliederung der Individuen einer Gemeinschaft möglich, die besonders in größeren Gemeinwesen nützlich ist; zum anderen wurde eine Kennzeichnung aller Personen der gleichen väterlichen Deszendenz möglich, was etwa in Rechtsfragen wichtig werden konnte. Auch bildet das Paar Individualname – Familienname (praenomen – gentile) eine tragfähige Basis für die Etablierung weiterer differenzierender Namenglieder. Auch in anderen Bereichen der antiken Welt findet sich die Zugehörigkeit zu einer Abstammungsreihe angegeben, so bei der Priesterfamilie der Κήρυκες in Athen oder beim persischen Königshaus der Achämeniden (Haxāmanišiya). Doch nur in Mittelitalien im 7. Jahrhundert ist die Angabe der Familienzugehörigkeit zum festen Bestandteil des Namens geworden. Wir können nicht genau sagen, wann der Gentilname in Gebrauch kam. Der Verlauf der Innovation kann, wie folgt, gewesen sein. Der Ausgangspunkt in allen italischen Sprachen waren die Patronymika. Im Latein scheint das Patronymikon aus dem Namen des Vaters durch Hinzufügung des Suffixes -ius abgeleitet zu sein. So wurde ein Quintus, Marcus’ Sohn mit Quintus Marcius ausgedrückt. Der Name Marcius wurde also ursprünglich adjektivisch gebraucht als ‚der einem Marcus gehört‘. Ab einem gewissen Zeitpunkt (möglicherweise durch eine ‚offizielle‘ Bestimmung oder gemeinsame Entscheidung der Bürger) gingen diese ephemeren Patronymika in einen festen Namen über. In der Tat wird die Entstehung des römischen Namensystems wahrscheinlich in den zu erblichen Gentilnamen gewordenen Patronymika zu suchen sein, da die meisten Gentilnamen im alten Mittelitalien ursprüngliche Patronymika waren. Für die vorhistorische Existenz adjektivischer Patronymika bei den Italikern können Parallelen in anderen indogermanischen Sprachen herangezogen werden (so etwa im Griechischen Τελαμώνιος Αἴας), ein Typus, der auch in einigen italischen Sprachen belegt zu sein scheint, so dass wegen der großen Ähnlichkeiten im Namensystem der italischen Völker die Patronymika auch im Lateinischen existiert haben dürften. Außerdem kennen wir aus literarischen Quellen Beispiele für allerdings nichthistorische Personen wie Hostus Hostilius,
lios Valesios [= Publius Valerius]). Höchstens könnte man in CIL I2 4 Duenos = Bonus als den Namen des Herstellers des Gefäßes auffassen, das bleibt aber unsicher.
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der legendäre Großvater des Tullus Hostilius,7 oder Numa Marcius Marci filius, der erste Pontifex, aus der Zeit des Numa Pompilius.8 Die große Frage aber ist, wo, wann und wie die Erstarrung der Patronymika und ihre Umbildung zu festen Gentilnamen stattfanden. Möglicherweise ist dieser Prozess irgendwo zwischen oberem Tiber und Tyrrhenischem Meer erfolgt, also in der Kontaktzone zwischen Etruskern, Sabellern und Latinern. Die gesellschaftlichen und sprachlichen Voraussetzungen haben wohl die Italiker mit der Rolle des pater familias geliefert;9 er übte die patria potestas nicht nur über seine Kinder, sondern auch über deren Nachkommen aus, weswegen es nachvollziehbar erscheint, dass das Patronymikon seiner weiteren Nachkommen von seinem Namen und nicht von dem des leiblichen Vaters abgeleitet wurde, dass also in einer Familie mehrere Generationen das gleiche zweite Namenselement tragen konnten, was gewiss zu dessen Änderung zu einem festen Gentilnamen beitrug. Der Zeitpunkt des Gentilnamensystems in Rom wird wohl gegen Ende des 7. Jahrhunderts v. Chr. anzusetzen sein. Die Etrusker haben aber das Gentilnamensystem frühzeitig übernommen und waren dann maßgeblich an seiner Ausbreitung in Italien beteiligt.10 Am Ende des 7. Jahrhunderts war das Gentilnamensystem in Rom wohl schon einigermaßen etabliert. Zum Gesamtnamen gehört auch das Patronymikon, also die Filiationsangabe. Die (in vielen Urkundenarten fakultative) Tribusangabe ist den Bürgerlisten zu verdanken, die der Überlieferung nach König Servius Tullius Mitte des 6. Jahrhunderts v. Chr. im Rahmen der Einführung der Zensur erstellen ließ. Auch die Abkürzung der Vornamen durch Siglen muss bei derselben Gelegenheit eingeführt worden sein. Die Verwendung von Siglen setzt wiederum eine starke Reduzierung der Zahl der verfügbaren Vornamen voraus, was in gewissen Situationen der Identifizierung der Person schaden konnte. Eine Abhilfe dazu – neben der Angabe der Filiation – war die Einführung des cognomen, das in der historischen Überlieferung seit Anfang der Republik ein Charakteristikum der römischen Aristokratie wird. Die faktische Einführung des cognomen stellt ein schwieriges Problem dar. Die erste Urkunde, in der ein zeitgenössisches cognomen überliefert ist, ist der Sarkophag des P. Cornelio (= Cornelius) P. f. Scapola pont(i)fex max. aus der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts v. Chr.;11 darauf folgen die Sarkophage aus dem Grab der Scipionen, von denen der älteste, der des L. Cornelius Scipio Barbatus,12 zeigt, dass Scipio in der Familie ein erbliches cognomen geworden war. In den Magistratslisten werden von Beginn an die Cognomina gesetzt. Den Listen der eponymen Magistrate kann man im Ganzen eine gewisse Plausibilität zuschreiben, auch wenn ihre Glaubwürdigkeit in den ältesten Teilen kontrovers und von Interpolationen heimgesucht sein mag; doch glaube ich, dass insgesamt die Echtheit der Listen 7 8 9 10 11 12
Plin. NH 16,11; Vir. ill. 2,7; Macr. Sat. 1,6,16. Zum Praenomen Hostus s. Salomies 1987: 30 f.; zu Numa Marcius, ebd.: 38 f. Liv. 1,20,5; ohne Filiation: Tac. ann. 6,11,1. Vgl. die Beiträge von Jochen Martin und Ann-Cathrin Harders im vorliegenden Band, in denen allerdings die Entwicklung der patria potestas in einen anderen Kontext gesetzt wird. Zu diesen Fragen vgl. Rix 1972: 700–758; Solin 2013. CIL I2 2835. CIL I2 6.7.
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auch in den älteren Teilen zu akzeptieren ist, abgesehen von den ersten Kollegien.13 Was aber speziell die Cognomina anbelangt, werden sie normalerweise in der Nomenklatur der Konsuln und anderen Magistrate der ersten zwei Jahrhunderte der Republik für spätere Zusätze gehalten. Vieles spricht aber dafür, dass zumindest ein Teil auch der Cognomina dieser Periode korrekt überliefert wurden – wenn auch nicht alle. Wahrscheinlich waren die Cognomina zuerst inoffizielle, in der familiären Praxis gebrauchte Benennungen, die erst allmählich offiziellen Charakter annahmen, weswegen sie bis zum 2. Jahrhundert v. Chr. oft in gewissen Urkundensorten fehlen konnten,14 doch den Fasti wurden sie früh eingereiht. Seit Ende des 4. Jahrhunderts v. Chr. sieht man, wie das cognomen erblich werden kann, was zur Ingebrauchnahme zusätzlicher Cognomina beitrug. So wurden in zahlreichen Zweigen der Cornelii Scipiones neue Cognomina eingeführt: die Cornelii Scipiones Asinae, Barbati, Nasicae. Die neuen Cognomina konnten, wie die drei angeführten, auch erblich werden, und sogar ein drittes konnte in Gebrauch kommen. So kennen wir einen Patrizier P. Cornelius Scipio Nasica Corculum (RE 353), Konsul 162 und 155 v. Chr. samt seinem Sohn (RE 354, Konsul 138) und Enkel (RE 355, Konsul 111), beide P. Cornelius Scipio Nasica Serapio benannt; Serapio wurde dem ersteren von einem Streithammel, dem Volkstribunen C. Curiatius, als Beiname wegen seiner Ähnlichkeit mit irgendeinem verachteten Sklaven oder Freigelassenen dieses Namens angehängt.15 Trotz des verächtlichen Charakters des Beinamens blieb er in Gebrauch, und zwar nicht nur unter dem Volke; Cicero nennt den Mann bloß Sarapio, und diesen Beinamen kann man auch aus den Fasti Hydatiani eruieren;16 wohlgemerkt fehlt er aber sonst in den Fasti und anderen Quellen. Aber nicht alle senatorischen gentes führten ein cognomen, so etwa normalerweise weder die Antonii noch die Duillii.17 Auch in der Kaiserzeit konnte es noch 13 14 15 16 17
Zu diesen schwierigen Fragen s. Solin 2009: 251–293. So z. B. am Ende einer Urkunde in Konsulatsdatierungen: Da manche plebejische Konsuln kein Cognomen führten, hat man der Gleichförmigkeit wegen das Cognomen im Namen auch jenes Magistrats weggelassen, der ein solches führte. Liv. epit. 55; Val. Max. 9,14,3; Plin. NH 7,54; 21,10. Vgl. die grundlegenden biographischen Skizzen zu den drei Cornelii in Münzer 1904. Cic. Att. 6,1,17; in den Fasti Hydatiani ist der Beiname zu Nasica Rabione (Raptone S) entstellt. Die Antonii können ausnahmsweise ein Cognomen führen: Q. Antonius Balbus hieß der Praetor wohl in 83 (RE 41), wobei anzumerken ist, dass während Balbus an sich ein redender Name sein kann, sein Träger ihn als ‚offiziellen‘ Namen führte, da er ihn in seinen Münzen (RRC 379 Nr. 364) setzte. Im Namen des Volkstribuns 44 L. Antonius Pietas (RE 23) wurde das cognomen nie förmlich anerkannt. Hybrida im Namen des Konsuls 63 C. Antonius M. f., M. n., Sohn des Redners M. Antonius (RE 19), ist ein Spottname, den nur Plin. NH 8, 213 gibt. Und schließlich M. Antonius Creticus (RE 29), Vater des Triumvirn, der seinen Beinamen nicht wegen seiner Misserfolge gegen die Kreter zum Spott erhielt, wie bisher normalerweise gedacht; dazu zuletzt Linderski 1990 = Linderski 1995: 436–443, 667, mit neuen Nachträgen in Linderski 2007: 632 f.; Solin 1994: 85. – Anders stehen T. Antonius Merenda (RE 78) und Q. Antonius Merenda (RE 77), Decemviri 450/449 bzw. 422; sie werden allgemein für Plebejer gehalten (so zuletzt Broughton 1951: 47), trotz der Tatsache, dass Livius (3,35; 4,3,17) für beide Jahre die Decemviri sämtlich für Patrizier hält (ähnlich auch Dion. Halt. Ant. 10,58) und dass nach Liv. 5,12,9 zum ersten Mal im Jahre 400 ein Plebejer zum Consulartribunat gelangte; dadurch ver-
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gelegentlich fehlen, wie etwa im Fall des Kaisers L. Vitellius. Mit der Anerkennung des cognomen hat aber das klassische römische Namensystem seine endgültige Form erreicht. Das cognomen wurde nur im Etruskischen und Lateinischen, nicht aber den anderen italischen Sprachen verwendet. Das Etruskische hat aber wohl nichts Wesentliches zu Gestalt und Entwicklung des römischen cognomen beigetragen, wie auch umgekehrt. Von einem gemeinsamen Ausgangspunkt abgesehen verlief die onomastische Entwicklung der beiden Völker unabhängig voneinander.18 – Was die römische Plebs angeht, war in ihrem Namen bis zum Ende der Republik das cognomen nur eine fakultative Komponente. Führen konnte das gemeine Volk cognomina schon früher, aber ihr Gebrauch blieb noch während des 2. Jahrhunderts v. Chr. sehr sporadisch. Doch in Anlehnung an das Muster der senatorischen Namengebung nahm man davon (wenn auch selten) Gebrauch. Zu Beginn der augusteischen Zeit fand ein Boom statt, und die cognomina wurden schnell normaler Bestandteil auch in der Namensgebung des gemeinen Volkes.19 In der Munizipalaristokratie gewisser Städte in Italien (feststellbar in Praenenste und Tibur) nahm das cognomen schon früher eine beständige Stellung ein.20 Zu einzelnen Bestandteilen des römischen Namens in republikanischer Zeit: Die Vornamen, praenomina, erwuchsen aus der ältesten Schicht der Benennungsweise von Personen mit einem Namen, eine Sitte, die auf die uritalische Zeit zurückgeht, da die für viele indogermanischen Sprachen charakteristischen Namenkomposita zugunsten einstämmiger Namen aufgegeben wurden. Morphologisch und semasiologisch vertreten die Vornamen eine Vielfalt von Bildungen. Als diesbezügliche Namen konnten zur Personenbezeichnung geeignete Appellativa dienen, doch sind nur sehr wenige Vornamen mehr mit einem Appellativum identisch, abgesehen von den Numeralpraenomina Quintus, Sextus usw.21sowie von Einzelfällen wie Postumus (das sich auch auf die Geburt bezieht), was die Ermittlung der appellativischen Basis dieser Namen erschwert. Man kann auch die Existenz von unbelegten Vornamen dieser Art nachweisen; gelegentlich können auch die entsprechenden Appellativa verschwunden sein, wie im Fall *gavidus ~ *Gavidus, die beide einmal im Lateinischen existiert haben müssen.22 Die Geltung als Eigenname konnte durch Suffixe verdeutlicht werden, z. B. durch das individualisierende
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festigte sich in der Forschung die Meinung, die späteren Antonier allesamt als Plebejer zu führen. Doch brauchen diese zwei Magistrate des 5. Jahrhunderts nicht mit den plebejischen Antoniern zu tun zu haben und können einem sonst unbekannten Antonier-Geschlecht der frühen Republik zugerechnet werden, eine durchaus mögliche Annahme bei der schlechten Quellenlage jener Zeit. – Von den Duillii hat der Konsulartribun C. (kaum Cn., weil bei Liv. 5,13,3) Duillius K. f. K. n. (RE 8) das Cognomen Longus; dagegen gibt es keine Gewähr, dass auch der Konsulartribun 450/449 K. Duillius (RE 4) denselben Beinamen geführt hätte. Dazu Rix 1963. Das haben die statistischen Beobachtungen von Salomies 1987: 277–279 deutlich gezeigt. Zum Phänomen der Einführung des Cognomens in der stadtrömischenr Plebs und in der munizipalen Namengebung als Ganzes s. Solin 1991. Sie geben nicht die Geburtsreihenfolge der Söhne an, wie oft gedacht, sondern den Geburtsmonat; vgl. z. B. Petersen 1962: 347–354; Salomies 2009: 515–531. Vgl. Solin 2003: 167–170.
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-ōn- (Kaeso, Volero), durch diminutives -(e)lo- (Proculus) oder durch sonst feminines -ā- (Numa, Agrippa). Einige Vornamen sind etruskischer Herkunft, so Aulus, Numa, Sertor, Spurius und wohl auch Publius, Servius,23 Tullus. Oskische Vornamen wie Eppius, Herius, Mamus, Maraeus, Minatus, Novius, Paccius, Salvius, Spurius, Statius und Vibius finden sich in lateinischen Inschriften besonders der späteren Republik (die drei letztgenannten häufig). Jeder Mann konnte nur einen Vornahmen führen (außer im Fall der Polyonymie in der Kaiserzeit).24In republikanischen Familien war man bestrebt, den Söhnen unterschiedliche Vornamen zu geben, wobei der älteste normalerweise den des Vaters bekam. Starb dieser oder wurde er von einer anderen Familie adoptiert, wurde der Name dem zweiten Sohn zugelegt, damit der Vorname in der Familie erhalten blieb (es kam also beim nächsten Sohn zu einer Namensänderung).25 Die Frauen der klassischen Zeit führten in Rom keine Vornamen. Außerhalb Roms hatten sie jedoch in republikanischer Zeit durchaus Vornamen, wie etwa reiche epigraphische Belege aus Praeneste und Pisaurum zeigen; sie waren entweder durch Motion aus Männervornamen gebildete Namen oder deskriptive Bezeichnungen, die wahrscheinlich die Geburtsordnung angaben (Maior, Minor, Maxuma, Paulla, Secunda usw.).26 Zu den gentilicia: Die meisten römischen Gentilnamen (wie auch die der übrigen Italiker) der frühen Republik sind ursprünglich Patronymika (s. oben). Neben -ius war ein weiteres Suffix -ilius (Hostilius zu Hostus, Lucilius zu Lucius) in Gebrauch. Die im Bereich vom Zentralappennin bis Kampanien häufigen Gentilnamen auf -i(e)dius sind oskischer Herkunft wie Ovi(e)dius (und manche Vornamen oskischer Herkunft auf -ius wurden auch als beliebte Gentilnamen verwendet, wie etwa Statius, Vibius), die auf -na und viele auf -mnius, -rnius, -ennius etruskischer Herkunft (Caecina, Volumnius, Perpernius, Velcennius), so wie Aurelius.27 Viele Gentilnamen sind von bekannten cognomina abgeleitet, wie Claudius zu Claudus oder Plautius zu Plautus, die wohl alte Individualnamen wiedergeben (auch wenn sie nicht als Vornamen belegt sind). Bei einem weiteren, nicht geringen Teil patronymisch aussehender Gentilnamen ist die sprachliche Herkunft nicht mehr zu bestimmen, z. B. für Fabius, Cornelius, Calpurnius (vielleicht etruskisch), Sulpicius, Terentius. Eine zweite Quelle bilden die Ethnika: Ältestes Beispiel ist Tarquinius mit lateinischer Endung aus dem etruskischen Namen der Heimatstadt des fünften Königs Roms, Tarχna, abgeleitet; jünger, aber noch republikanisch sind Gabinius (aus Gabii) und Norbanus (aus Norba). Eine reiche Quelle römischer Gentilnamen war die Latinisierung derjenigen von Sabellern und Etruskern, die römisches Bürgerrecht erlangten. Meistens bestand diese nur in der Einführung lateinischer Flexionsendungen und des Suffixes -ijo-, manchmal auch in der Anpassung unlateini23 24 25 26 27
Anders Rix 1995: 730, der Servius zu servus stellt. Vgl. aber Salomies 1987: 48. Dazu Salomies 1992. Vgl. Salomies 1987: 204–211. Schon Münzer hat ähnliche Beobachtungen gemacht, z. B. hinsichtlich der Söhne des älteren Cato (Münzer 1920: 328). Dazu Kajava 1995. Das klassische Werk Schulze 1904 übertreibt stark den Einfluss des Etruskischen im lateinischen Gentilnamenrepertoire.
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scher Laute und Lautverbindungen: Cluvius (umbrisch Cluviieri), Cafatius (etruskisch Cafate), Arrius (etr. Arntni).28 Cognomina: Soweit sich aus den dürftigen und teilweise widerspruchsvollen Quellen überhaupt etwas Sicheres herauslesen lässt, waren die Cognomina zuerst als Zunamen in Gebrauch, die den ersten Namensträger auf irgendeine Weise charakterisierten (um oft schon innerhalb einer Generation erblich zu werden). Ferner waren Namen wie Aventinensis, Caeliomontanus, Capitolinus, Collatinus,29 Esquilinus, Vaticanus usw. ursprünglich wohl reine Herkunftsbezeichnungen (z. B. P. Maelius Sp. f. Capitolinus, Kriegstribun mit konsularischer Gewalt 400 und 396 [RE 4], hatte seinen Beinamen von seines Vaters Wohnung am Abhang des Kapitols),30 konnten sich aber in den Familien bald zu ‚richtigen‘ Namen wandeln. Diese alle stammen aus der frühen Republik, weswegen ihre Überlieferung und ihr Charakter als offiziell anerkannte Namen nicht immer sicher feststehen; dazu kommt die Tatsache, dass es oft schwierig ist, aus der Tradition herauszulesen, ob eine Bezeichnung dieser Art schon im Namen der betreffenden Person die Funktion eines Cognomens eingenommen hat oder nicht.31 Während der späteren Republik auftauchende cognomina wie Soranus oder Sabinus sind dagegen schon ein fester Bestandteil des römischen Namens geworden und, was wichtig ist zu erinnern, oft besagen sie nichts über die Herkunft des Namensträgers oder geben überhaupt keinen Anhaltspunkt zum betreffenden Land oder Stadt; ein Paradebeispiel dafür ist Atticus, das von Anfang an weder bei den Namensgebern noch bei den Sprachteilhabern etwaige Assoziationen mit Athen oder Attika erweckt hat. Aber auch beim Gebrauch von Sabinus ist das Verhältnis zum Sabinerland schon früh verdunkelt worden; dieses cognomen war seit der mittleren Republik in allen Volksschichten derart verbreitet, dass die Zeitgenossen kaum je über eine sabinische Herkunft eines Trägers dieses Cognomens nachdachten (auch hatte das Ethnikon manche positive Ideenassoziationen eingenommen). Ähnlich ist dies bei Gallus, das ja ein vielschichtiges semantisches Wortfeld aufweist.32 Eine Sache für sich sind die sog. Siegerbeinamen, die einen losen Bestandteil des römischen Namens darstellten und oft verschwinden konnten, ohne eine Spur in der Namengebung der Familie und der Nachkommen des Feldherrn zu hinterlassen.33 Wenn aber diese Art von Namen erblich wird, können sie früher oder später in persönliche cognomina übergehen. Das erste einigermaßen sichere Beispiel eines Siegerbeinamens ist Privernas, den L. Aemilius Mamercinus (RE 101), wie es in den Triumphalfasten steht, wegen seines Sieges über die Privernaten im Jahre 329 erhalten haben soll, der aber sonst
28 29 30 31 32 33
Einiges zu neuen Gentilnamentypen in der Kaiserzeit in Solin 2013: 752 f. Die Geschichtlichkeit des einzigen Trägers dieses Beinamens während der Republik L. Tarquinius Collatinus (RE 8), der Tradition zufolge Amtskollege von M. Iunius Brutus als Konsul 509, ist nicht sicher. Zu seinem cognomen und zu dem der Manlii Capitolini s. Solin 2009: 278–280. Zur Problematik dieser Namengattung s. Solin 2009: 276–283. Zu Namen dieser Gattung s. Solin 1993: 1–33. Zu Sabinus besonders ebd., 32 f. Zu dieser Namensgattung Solin 1982: 426 f.
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weder in der Senatorenschicht noch sonst als cognomen belegt ist.34 Aber schon der folgende beglaubigte Siegerbeiname, Messalla, den M’. Valerius Maximus (RE 247) wegen seines Sieges über Messana im Jahre 263 erhielt, wurde erblich. Sein Sohn (RE 251) hat nach den Kapitolinischen Fasti den neuerworbenen Beinamen allein geführt, während die Fasti Hydatiani und das Chronicon Paschale ihm auch Maximus beilegen. Von ihm an steht Messalla als Familiencognomen des Zweiges fest und diesem kann noch ein persönliches cognomen folgen, was seit M. Valerius Messalla Niger, Konsul 61 v. Chr. (RE 266) und M. Valerius Messalla Rufus, Konsul 53 v. Chr. (RE 268) überliefert ist. Der Name Messalla hält sich im Geschlecht bis ins 3. Jahrhundert, noch der Konsul von 214 hieß L. Valerius Messalla, und wenn dies der ganze Name ist, dann hat Messalla später vielleicht die Funktion des persönlichen Cognomens angenommen. Zur inhaltlichen und semasiologischen Vielfalt der cognomina während der Republik: Sprachlich konnten die cognomina lateinisch, griechisch und ‚barbarisch‘ sein. Die (gebildeten) römischen Namengeber und Sprachteilhaber konnten oft Namen als griechisch (unter Umständen auch als ‚barbarisch‘) identifizieren und über ihre ‚Bedeutung‘ nachdenken. Der Gebrauch griechischer Namen setzte in Rom Mitte des 7. Jahrhunderts mit einem Korinther namens Κλεῖκλος, geritzt auf einer korinthischen Vasenscherbe, ein (es ist aber nicht ganz sicher, ob er zur ansässigen Einwohnerschaft Roms gehörte, doch spricht die Fundstelle der Vase in einem Grab dafür).35 Seit etwa 300 v. Chr. als Sklavenname belegt, nimmt ihre Verwendung in Rom während der späten Republik explosionsartig zu, und sie bleiben bis zum ausgehenden Altertum ein wesentlicher Teil des römischen Namenwesens. Bis zum Anfang des 2. Jahrhunderts n. Chr. fast ausschließlich bei Sklaven und Freigelassenen (und bei Peregrinen) gebraucht, dringen sie in der späteren Kaiserzeit mehr und mehr in die Namengebung aller juristischen Klassen ein. Sie waren also tief bis in die Kaiserzeit mit einem Stigma von Sklavenbezeichnungen versehen – bis auf eine Ausnahme: das auffällige Phänomen, dass seit der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts v. Chr. einige Familien der römischen Nobilität griechische cognomina führen. Der erste Name dieser Art ist Philo von Q. Publilius (Konsul 339, 327, 320 und 315; RE 11). Als zweites Beispiel folgt dann P. Sempronius Sophus, Konsul 304 (RE 85), mit seinem gleichnamigen Sohn, Konsul 268 (RE 86). Des 34
35
Vgl. Solin 1982: 426. In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass Münzer 1920: 40 den Beinamen für Aemilius Mamercinus sozusagen gerettet hat, indem er gezeigt hat, dass die in ciceronischer Zeit verbreitete Auffassung, nach welcher nicht er, sondern sein Amtskollege C. Plautius Decianus der eigentliche Bezwinger von Privernum gewesen wäre, nicht beweisfähig ist, da diese Auffassung auf der Propaganda der Plautii Hypsaei beruht. – Privernas Prifernas ist einmal als cognomen belegt: CIL VI 200 VIII, 5 (70 n. Chr.) [Se]x. Afranius Prifernas. Dagegen war der Gentilname Prifernius Privernius in Gebrauch, wenn auch nur selten belegt; außer der senatorischen Familie der Prifernii Paeti (s. PIR2 VI S 393; vgl. die Ritter PIR2 P 935 f., vielleicht auch 933 hierher gehörig) kennen wir Prifernius aus CIL XI 206; AE 1917/1918, 118 (Rom); 1976, 525 (Doclea in Dalmatien); 1999, 299 (Rom); 40. BRGK 129 (Rottweil). Privernius: CIL X 6454 (Privernum); XVI 22 und sonst (Zeuge auf Militärdiplomen); AE 1998, 964c (Köln). CIL XV 6186. Zur Deutung vgl. Solin 1983: 180–182.
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weiteren ist Q. Marcius Philippus (Konsul 281; RE 78),36 Sohn des Q. Marcius Tremulus (RE 106, Konsul 306 und 288) zu nennen, dessen einer Enkel, Q. Marcius Philippus (RE 79), denselben Beinamen führt, während ein Vetter dieses Enkels, wie sein Vater ein Gaius, das neue Cognomen Figulus empfing (RE 61); auch dessen Sohn (RE 62) und Enkel (RE 63), beide ebenfalls Gaii, führen diesen neuen Beinamen. Der Beiname Philippus findet sich noch in der nächsten Generation in den Fasten, und eine Anzahl von L. Marcii Philippi sind aus etwas jüngerer Zeit bezeugt.37 – ‚Barbarische‘ Namen (die nur in geringer Zahl belegt sind) werden in Rom so gut wie ausschließlich von aus dem betreffenden Land gebürtigen Sklaven und Freigelassenen geführt.38 Was die Entwicklung der Typologie des römischen Cognomens anbelangt, so hat sich das Cognomenrepertoire zwischen der Republik und der Spätantike einer völligen Veränderung ausgesetzt. Viele aus der republikanischen Zeit überlieferte cognomina verschwinden während der späteren Kaiserzeit, und besonders von den in christlichen Urkunden belegten Namen kommen bei weitem nicht alle in der Republik vor.39 Wie schon bemerkt, waren die frühesten cognomina inoffizielle, im Familienkreis gebrauchte oder auch von anderen geprägte Zunamen,40 die den ersten Namensträger auf irgendeine Weise charakterisierten. Sie konnten ursprünglich Spitznamen gewesen sein, andererseits aber in kurzer Zeit eine mehr offizielle Stellung im Namen der betreffenden Person erlangen. Von Herkunftsbezeichnungen, die sich zu cognomina wandelten, war schon die Rede. Aus Spitznamen hervorgegangene cognomina beziehen sich vor allem auf physische Eigenschaften der Person; Namen wie Albus, Albinus, Longus, Flavus, Helva,41 Maximus, Rufus, Rutilus (einige der frühesten Belege dieser Beinamen können Interpolationen sein) sind seit der frühen Republik als Nobilitätscognomina bezeugt.42 Deren gibt es mehrere. Einen interessanten Einzelfall stellt Brutus dar. Dieser Beiname ist in die Namengebung der plebejischen Iunii Bruti in der zweite Hälfte des 4. Jahrhunderts eingeschlichen und bald ein erbliches cognomen geworden (die ersten, die ihn geführt haben, sind D. Iunius Brutus Scaeva, Konsul 325 [RE 60], und C. Iunius C. f. C. n. Bubulcus Brutus, Konsul 317 [RE 62]); gebildet ist er aus dem dialektalen Adjektiv brutus, das ursprünglich die Bedeutung ‚schwer‘ innehatte.43 Auf wel36 37 38 39 40
41 42 43
Zu ihm vgl. auch Münzer 1920: 64. Aufgezählt in Solin 2003: 234. Zu den übrigen mit einem griechischen cognomen versehenen Senatoren der republikanischen Zeit s. Solin 2012a: 97; zum ganzen Phänomen ebd.: 96–99. Zur Sache vgl. Solin 1977b u. 2001: 321–326. Dazu Solin 1977a. Man muss mit beiden Möglichkeiten rechnen, der Prägung eines Cognomens innerhalb oder außerhalb der Familie der Mitglieder der frühen Nobilität, doch geht Alföldi 1966 zu weit, wenn er denkt, dass hauptsächlich die römische Plebs solche Zunamen erfunden hätte. Vgl. Solin 2009: 288. Es scheint sich, pace Schulze 1904: 417 f., um einen lateinischen Namen zu handeln, vgl. Solin 2009: 285. Einiges in Solin 2009: 285 f. Vgl. Paul. Fest. p. 31 brutum antiqui gravem dicebant. Ferner vgl. den oskischen Vornamen Brutulus: Liv. 8,39,12 (Brutulus Papius).
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chem Wege Brutus dem Namen des patrizischen Konsuls von 509 angehängt worden ist, stellt ein schwer lösbares Problem dar, auf das wir hier nicht näher eingehen können.44 Ein ähnliches Problem bietet Caecus, als cognomen des Appius Claudius, Censor 312 (RE 91), überliefert, das er nach den Alten und der Mehrheit der Forscher wegen seiner Blindheit erhalten hätte; mir scheint vielmehr ein etruskischer Namen vorzuliegen (vgl. Caecina, Caecius), und dass er erblindet sei, wurde dann aus dem Cognomen erschlossen.45 – Aufgrund geistiger Eigenschaften gebildete Namen waren weniger modisch,46 und einige von ihnen, wie Brutus (als Beiname des Begründers der Republik) interpoliert; auch die Authentizität (wie auch die sprachliche Erklärung) von Imperiosus als Cognomen in der gens Manlia im 4. Jahrhundert (RE 53, 54, 57) bleibt unsicher. Einige aus der frühen Republik bezeugte cognomina scheinen alte Individualnamen, d. h. praenomina zu vertreten, wie Mamerc(in)us, Proculus, Cossus, Papus und andere.47 An die Lebensstellung anknüpfende Namen sind z. B. Augurinus und Regulus. Der erstere stellt einen interessanten und in der Republik auch einmaligen Fall dar: Er ist nur bei den Genuciern und Minuciern bezeugt, und da C. Genucius (RE 3) und M. Minucius Faesus (RE 42) sich unter den ersten aufgrund der lex Ogulnia im Jahre 300 gewählten fünf plebejischen Auguren fanden, ist es denkbar, dass Minucius Faesus diesen Beinamen seinen Nachkommen übertragen hätte, umso mehr als in den Münzen von C. Minucius Augurinus (Münzmeister 135: RRC 242) und T. Minucius Augurinus (Münzmeister 134: RRC 243) der Augur von 300 abgebildet ist.48 Regulus wiederum ist seit 335 im Namen des Konsuls M. Atilius Regulus Calenus (RE 49) überliefert, der Grundname Rex dagegen erst seit 171 im Namen des nur aus Liv. 43,1,12 bekannten Senators P. Marcius Rex (RE 89). Die (sehr unvollständige) Liste soll mit einigen Namen enden, deren Etymologie dunkel bleibt, wie Pulvillus oder Rocus.49 Namen von Peregrinen: Die Peregrinen gebrauchten ihren Individualnamen und ihr Patronymikon mit oder ohne Abkürzung von filius -ia, sowohl in den Provinzen wie auch in Rom und Italien: Gorgias Irenionis f. Mylaeus grammaticus CIL
44 45 46 47 48
49
Ich verweise auf meine Ausführungen in Solin 2009: 267 f. Ich habe versucht, in Solin 2009: 268., plausible Gründe für diese Erklärung vorzubringen. Auf diese Möglichkeit wies schon Beloch 1926: 49 hin. Vgl. Solin 2009: 286. Dazu Solin 2009: 286 f. Dazu kommt C. Minucius Augurinus (RE 30), Volkstribun 184(?). Bei den plebejischen Genuciern ist der Beiname nicht überliefert, vielleicht weil die Familie bald ausstarb. Dagegen ist Augurinus in Namen von älteren patrizischen, in den Fasten des 5. und 4. Jahrhunderts erwähnten Genuciern und Minuciern interpoliert; das wurde zum ersten Mal von Mommsen 1864: 65–68 nachgewiesen. Vgl. auch Solin 2009: 265 f. Vgl. Solin 2009: 274 f. Kajanto 1965: 348 leitet Pulvillus aus pulvillus, Diminutiv von pulvinus, kaum stichhaltig ab. Die Geschichte dieses Namens ist sehr kompliziert, ganz abgesehen davon, dass die Geschichtlichkeit des ersten Namensträgers, des Konsuls von 509 und 507, Q. Horatius Pulvillus (RE 15) umstritten ist, auch die Überlieferung der zwei übrigen mit diesem Beinamen versehenen Horatii (RE 13, 14) ist voller Probleme, auf die ich hier nicht näher eingehen kann.
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VI 33859 (Rom, um Christi Geburt).50 Bei der Vergabe des römischen Bürgerrechts behielt der Neubürger gewöhnlich seinen Individualnamen als cognomen, den Vor- und Gentilnamen konnte er aber prinzipiell frei wählen.51 In der Republik konnte es ein leitender Staatsmann sein wie Sulla, Pompeius oder Caesar oder aber ein Proconsul wie z. B. der gleich unten zu erwähnende C. Valerius Flaccus war der Verleiher des Bürgerrechts, deren Namen der Neubürger annahm; es finden sich viele Beispiele von durch Pompeius Magnus mit dem Bürgerrecht beschenkte Pompeii, z. B. Pompeius Trogus, Großvater des gleichnamigen Historikers, aus dem Gebiet der Vocontii, oder Cn. Pompeius Basiliscus aus Messana.52 Der Neubürger konnte aber auch den Namen eines Freundes oder Wohltäters nehmen, der bei der Vergabe des Bürgerrechts vermittelt hatte.53 Das Patronymikon dieser Neubürger ist nur selten bezeugt; es muss wohl normalerweise der Individualname des Vaters gewesen sein.54 In der Kaiserzeit war es üblich, dass der Neubürger den Vor- und Gentilnamen des herrschenden Kaisers annahm, doch konnte er auch die eines provinzialen Amtsträgers annehmen, der gegenüber dem Kaiser als Vermittler gewirkt hatte.55 Namen von Sklaven und Freigelassenen:56 Sklavennamen sind seit Ende des 4. Jahrhunderts v. Chr. überliefert, und zwar als cognomina von Freigelassenen, die ihre einstigen Rufnamen als cognomina beibehielten. Überliefert sind sie zumeist in literarischen Quellen; über Namen der großen Masse der gemeinen Sklaven ist vor Ende des 2. Jahrhunderts v. Chr. allerdings wenig bekannt.57 Sieht man von selten bezeugten älteren Fällen ab, in denen ein Sklave nur mit seinem Namen angeführt wird,58 wird in Inschriften des 2. Jahrhunderts v. Chr. gewöhnlich im Namen des Sklaven der Gentilname seines Herrn gebraucht: z. B. Diodotus Seius C., 50 51
52 53
54 55 56 57 58
Theoretisch könnte der Mann auch Sklave gewesen sein, denn auch Sklaven konnten in römischen Inschriften (ausnahmsweise) ein Patronymikon führen (s. Solin 1971: 39), doch dürfte der Peregrinenstatus in diesem Fall feststehen. Dazu vgl. O’Brien Moore 1942: 38–49; Badian 1958: 302–308 (eine Liste der singillatim civitate donati, abgesehen von der turma Salluitana [CIL I2 709 = ILS 8888] und den von Caesar mit dem Bürgerrecht bedachten Provinzialen); SherwinWhite 1973: 291–311 u. pass.; Salomies 1993; Pina Polo 2015: 19–41 (mit Kritik an der früheren Forschung, doch selbst etwas unergiebig; s. auch andere Beiträge in demselben Band). Trogus: Iust. 43,5,11 f.; Basiliscus: Cic. Verr. 2,4,25. Dazu mehrere Beispiele bei Cicero; z. B. Verr. 2,4,37: Q. Lutatius Diodorus erhält das Bürgerrecht von Sulla Q. Catuli beneficio; oder fam. 13,36,1 ei (sc. Demetrio Megae) Dolabella rogatu meo civitatem a Caesare impetravit, qua in re ego interfui; itaque nunc P. Cornelius vocatur. So im Namen des von Pompeius Magnus mit dem Bürgerrecht beschenkten Historikers und Politikers Cn. Pompeius Theophanes aus Mytilene (RE V A, Sp. 2090–2127 s. v. Theophanes Nr. 1): IG XII 2, 150 Γναίωι Πομπηίωι Ἰεροίτα υἴωι Θεοφάνη. Schönes Beispiel bietet CIL XI 3943: der im Jahre 87 geborene Arzt C. Calpurnius Asclaepiades, Prusa ad Olympum, medicus parentibus et sibi et fratribus civitates VII a divo Traiano impetravit. Zu diesem Fall Salomies 1993: 144. Vgl. Solin 2013: 764–767, wo die ältere Literatur verzeichnet ist. Vgl. Solin 2008: 104–106. Ein Beispiel Carpus aus dem 3. Jahrhundert v. Chr. in CIL I2 2902c.
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Cn. s(ervus).59 Auch Freigelassene konnten im 3. und 2. Jahrhundert servi genannt werden.60 Der Gentilname wurde dann oft abgekürzt und als Genitiv empfunden: Philemo Helvi(us) A. s.61 wurde als Philemo Helvi A(uli) servus umgedeutet. Dies wird im 1. Jahrhundert v. Chr. die übliche Form. Seit augusteischer Zeit wird die Wortstellung im Namen des Herrn die normale, also Vorname + Gentilname: Dama L. Titi servus.62 Servus wird meistens mit s. abgekürzt oder ganz weggelassen; bei Sklavinnen steht daneben oft ancilla. Wenn der Sklave freigelassen wurde, nahm er den Gentilnamen des Herrn und seit dem 1. Jahrhundert v. Chr. regelmäßig auch dessen Vornamen (früher führte er oft einen anderen Vornamen als den seines Herrn) und behielt seinen Individualnamen als cognomen bei. Doch bis Ende des 2. Jahrhunderts v. Chr. war den Freigelassenen die Führung des ursprünglichen Rufnamens amtlich verwehrt,63 doch konnte sie nicht unterdrückt werden, wie man daraus sieht, dass ihre Verwendung zwischen 300 v. Chr. und der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts v. Chr. bei römischen Autoren, nicht aber inschriftlich, dokumentiert ist.64 Nach dem Gentilnamen folgte die Angabe des Freigelassenenstatus, die aber in der privaten Sphäre oft unterdrückt wurde durch den Vornamen (seltener durch den Gentilnamen oder das cognomen) des Herrn im Genetiv.65 Adoptionsnamen: In republikanischer Zeit nahm ein Adoptierter in der Regel den Namen seines Adoptivvaters an, konnte aber ans Ende des neuen Namens den Gentilnamen seines leiblichen Vaters als mit dem Suffix -ianus versehenen Beinamen übertragen. Das klassische Beispiel ist der jüngere Scipio, P. Cornelius Scipio Aemilianus, leiblicher Sohn des Pydnahelden L. Aemilius Paullus. Der Adoptierte konnte ferner sein ursprüngliches cognomen als solches beibehalten: M. Terentius Varro Lucullus, Konsul 73 v. Chr., war Bruder des L. Licinius Lucullus und adoptiert von M. Terentius Varro.66 In der Kaiserzeit gab es zahlreiche Möglichkeiten, Adoptionen und familiäre Verbindungen aufzuzeigen.67 Die große Umwälzung des römischen Namenwesens ist in die Zeit der ausgehenden Republik zu datieren, genauer in die stürmische Zeit der vierziger und dreißiger Jahre v. Chr. Bis zum Ende der Republik blieb das praenomen der Individualname par excellence in römischen Familien, da in der Nobilität das cognomen vielfach erblich wurde; die einfachen Bürger führten bis dahin noch nur selten cogno59 60 61 62 63
64 65 66 67
CIL I2 2235. Beispiel CIL I2 413 Servio[s] Gabinio[s] T. s. (wenn am Anfang des Namenformulars das praenomen steht, handelt es sich um einen Freigelassenen). CIL I2 681. Zu diesen frühen Formen der Nomenklatur grundlegend Oxé 1904. So lautet das geläufige Dogma, das auf Mommsen 1864: 58–60, zurückgeht, und es liegt kein Grund vor, dessen Stichhaltigkeit in Zweifel zu ziehen, was den amtlichen Gebrauch der Namen angeht (das älteste sicher datierte Zeugnis von einem Freigelassenen mit cognomen ist CIL I2 673 aus dem Jahr 112 oder 111). Vgl. Solin 1971: 92 f. Belege in Solin 2008: 104–106; 2012a: 94 f. Zu den verschiedenen Möglichkeiten, den Freigelassenennamen zu gestalten, s. Solin 2013: 765–767. Gute Übersicht bei Shackleton Bailey 1991: 53–86. Dazu vor allem Salomies 1992.
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mina. Was geschah aber nun in der Triumviratszeit und in den letzten Jahrzehnten vor Christi Geburt? Ein Indiz lässt sich – dem Anlass der Tagung entsprechend – passenderweise in Westfalen greifen: In den römischen Militäranlagen bei Haltern an der Lippe ist eine große Anzahl von Gefäßinschriften zutage gekommen, in denen Namen des Personals und der Angehörigen der Militärverwaltung eingeritzt sind; deren maßgebliche Edition stammt von B. Galsterer, Die Graffiti auf der römischen Gefäßkeramik aus Haltern (1983). Die Inschriften lassen sich in die mittelaugusteische Zeit, etwa zwischen 8/5 v. Chr. und 9 n. Chr. datieren. Nun werden in den Graffiti nicht ganz selten cognomina im Namen der erwähnten Personen angeführt. Der Editorin zufolge, deren Erkenntnisse in der Forschung meist Anklang gefunden haben, würde das auf höhere Chargen, Centurionen oder Tribunen hinweisen, da einfache Legionäre in augusteischer Zeit noch selten Cognomina geführt hätten. Dem ist teilweise zuzustimmen, denn in der Tat fehlte das cognomen oft im Namen der Legionäre, die in jener Zeit noch vielfach aus Italien stammten. Insgesamt ist die Deutung jedoch abzulehnen.68 Denn in den Namensformeln fehlt sehr oft der Vorname, was in jener Zeit bei höheren Chargen unerhört gewesen wäre. Vielmehr ist in den Graffiti ein deutlicher Hinweis auf provinziale Namenverwendung zu erkennen. Seit Christi Geburt begann nämlich eine Änderung, wodurch das cognomen allmählich die Stellung des Individualnamens einzunehmen im Begriff war. Und diese grundlegende Veränderung im onomastischen System scheint sich außerhalb des Senatorenstandes durchgesetzt zu haben, und zwar zuerst unter den Provinzialen und den Freigelassenen. Die Söhne des gallischen Häuptlings C. Valerius Caburus, der im Jahre 83 v. Chr. das Bürgerrecht von C. Valerius Flaccus erhalten hatte, hießen C. Valerius Procillus und C. Valerius Domnotaurus.69 Wichtig dabei ist, dass die Söhne das Bürgerrecht (und somit ihren Vornamen) nicht gleichzeitig mit ihrem Vater erhielten, wie aus Caesars Wortlaut hervorgeht, sondern wohl beträchtlich später, das heißt, dass ihr praenomen zunächst von ihrem Vater herrührt. In solchen Konstellationen war der Gebrauch nur eines Vornamens in der Familie eher Regel als Ausnahme, also ganz anders als in den echtrömischen Familien der republikanischen Zeit, wo normalerweise nur der älteste Sohn den väterlichen Vornamen erbte, während die übrigen Söhne einen anderen Vornamen führen mussten; und dies trug zur Verlegung des Individualnamens von praenomen zu cognomen entschieden bei. Das Halterner Material untermauert diese These. Dasselbe bei den Freigelassenen. Denn seit Ende der Republik bzw. zu Beginn des augusteischen Prinzipats nahmen die Freigelassenen regelmäßig den Vornamen ihres Patrons an; vorher konnten sie einen beliebigen Vornamen führen. So wurde jetzt aber das cognomen als ihr Individualname geführt (in älterer Zeit konnten die Freigelassenen das cognomen entbehren, aber seit den letzten Jahrzehnten der Republik führten sie es regelmäßig),70 das auch sonst ja als ihr ehemaliger Sklaven68 69 70
Vgl. dazu Solin 1989. Caes. Gall. 1,47. Zur Frage vgl. Solin 1974: 125–130; Panciera 1977: 192–198; CébeillacGervasoni 1989: 89–100.
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name nicht erblich sein konnte. Seit den immer häufiger werdenden Bürgerrechtsverleihungen und massenhaft eintretenden Freilassungen vor allem kaiserlicher Sklaven wurde die schon an sich geringe Zahl der gebräuchlichen Vornamen noch weiter eingeengt. Wenn während des Prinzipats ein guter Teil der mit dem Bürgerrecht bedachten Personen des römischen Reiches aus C. Iulii, Ti. Claudii, Ti. Flavii, M. Ulpii, P. oder T. Aelii, M. Aurelii (dies besonders seit der Constitutio Antoniniana vom 212 n. Chr.), oder auch M. Valerii bestand, versteht man, wie drastisch die Bedeutung der Vornamen abnahm (auch sonst waren nur zwei Vornamen, Lucius und Quintus, in normalem Gebrauch geblieben). Die Entwicklung vom persönlichen praenomen zum persönlichen cognomen während der Kaiserzeit vollzog sich allmählich auch in der Oberklasse, als an die Stelle der ausgestorbenen alten Adelsfamilien immer häufiger neue Senatorenschichten aus den Provinzen traten. So trug die allmähliche Zunahme der Provinzialen im Senat ihren Teil dazu bei, dass in einer Senatorenfamilie der Prinzipatszeit mehr und mehr nur ein praenomen in Gebrauch war. So führen die drei Brüder Q. Tineius Rufus, Q. Tineius Sacerdos und Q. Tineius Clemens (Konsuln respektive von 182, 192 und 195 n. Chr.) alle dasselbe praenomen, aber verschiedene, das heißt persönliche cognomina, was jetzt so gut wie eine Regel geworden war. Der Gebrauch der Vornamen war längst fakultativ geworden; doch konnte sich die römische Aristokratie ihrer bis tief in die christliche Zeit bedienen, lange nachdem deren Nennung in offiziellen Urkunden nicht mehr verlangt wurde. Der letzte Römer, von dem wir wissen, dass er einen ‚klassischen‘ Vornamen führte, ist Q. Aurelius Memmius Symmachus, Konsul des Jahres 485 n. Chr. Teilweise dieselben Gründe haben zum allmählichen Verschwinden des Gentilnamens geführt. Während in der vorgerückten Kaiserzeit noch ein guter Teil der Bevölkerung kaiserliche Gentilicia führte, waren auch sie im Begriff, ihre identifikatorische Funktion einzubüßen. Das Verschwinden des Gentilnamens ist aber viel langsamer vor sich gegangen als das des praenomen, und zwar vornehmlich aus zwei Gründen. Zum ersten handelt es sich nicht um einen Individualnamen, sondern um eine Bezeichnung der Zugehörigkeit der Person zu einem Großverband, zu einer gens; und während das praenomen einfach überflüssig geworden war, verhielt es sich beim Gentilnamen nicht so, dass dieser immerhin in der Hinsicht ein zentraler Bestandteil des römischen Namens war, als er den Namensträger als Mitglied einer gens wie auch als römischen Bürger qualifizierte. Auch waren viele alte, traditionsschwere Gentilnamen mit einem starken Prestigewert behaftet, weswegen man auf sie nicht verzichten wollte; ein banaler Vorname besaß einen solchen Prestigewert nicht. Zum zweiten war die Zahl der Gentilnamen viel größer als die der Praenomina, weswegen ihre Ausrottung mehr Zeit in Anspruch nahm. Doch ereilte auch den Gentilnamen das Schicksal des allmählichen Verschwindens. Er war seit jeher kein Rufname gewesen (dessen Stellung das cognomen vom praenomen eingenommen hatte) und war also zur näheren Identifizierung des Namensträgers unzureichend. Dies wurde besonders akut, als die kaiserlichen Namen unter der römischen Bevölkerung die Oberhand gewonnen hatten und so die Zahl der üblicherweise gebrauchten Gentilnamen drastisch abzunehmen begann. Aber solange es etwa aus administrativen Zwecken von Belang war, die Zugehörigkeit zu
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einer gens, die ja als Personalverband bestehen blieb, auszudrücken, ließ man den Gentilnamen in Gebrauch, auch wenn seine identifikatorische Funktion, besonders nach 212 n. Chr., an Bedeutung sehr abgenommen hatte. Von jetzt an zeigte Aurelius für die Neubürger nicht so sehr die Zugehörigkeit zur gens Aurelia als vielmehr den Besitz des römischen Bürgerrechts an. Ähnlich wurde Flavius in der Spätantike zu einem bloßen Rangtitel.71 Um die Frage zu beantworten, wann und wie das Verschwinden des Gentilnamens vor sich ging, müssen wir, ganz wie beim Vornamen, zuerst zwischen dem faktischen Verschwinden des Gentilnamens und seiner fakultativen Auslassung unterscheiden. Aus der epigraphischen Dokumentation der Kaiserzeit geht hervor, dass ein und dieselbe Person entweder mit oder ohne Gentilnamen genannt werden konnte. Wenn das gentilicium bis zum 4. Jahrhundert n. Chr. (und teilweise noch länger) offiziell als Merkmal eines Bürgers in Gebrauch blieb, so hörte danach allmählich die offizielle Kontrolle derart auf, dass es in weiten Kreisen der Bevölkerung einfach als ein fakultatives Element empfunden und folglich weggelassen wurde und schließlich verschwand. Zum realen Verschwinden des Gentilnamens: Wenn der Schein nicht trügt, ist die große Scheidelinie in der konstantinischen Zeit zu suchen. Diesen Eindruck bekommt man aus der Analyse der stadtrömischen altchristlichen Inschriften: Vor 313 n. Chr. tragen von allen epigraphisch erwähnten Personen circa 55 % das bloße cognomen, während der entsprechende Prozentsatz für die Jahre 313–410 n. Chr. circa 96 % und für die Jahre 500–600 n. Chr. circa 97 % beträgt.72 Der von diesen Zahlen gebotene Befund wird noch dadurch erhärtet, dass sich in dem vorkonstantinischen Material unter den mit bloßem cognomen Angeführten noch viele Sklaven finden, während eine größere Präsenz von Sklaven im nachkonstantinischen Material nicht wahrscheinlich ist. Es wäre z. B. unvorstellbar, dass die über hundert Mitglieder des Corpus tabernariorum, die in einem auf zwischen 402 und 408 datierten Edikt73 mit bloßem cognomen genannt werden, allesamt Sklaven gewesen wären. Im Gegenteil spricht der Typ der Urkunde dafür, dass die Tabernarii mit vollständigem Namen verzeichnet wurden, das heißt, dass sie keine Gentilnamen mehr besaßen. Ich habe schon die spätere Entwicklung des römischen Namenwesens gestreift. Das römische Namensystem wurde in der christlichen Antike weiteren Umwandlungen hin zur Einnamigkeit ausgesetzt, wie anhand der stadtrömischen Dokumentation zu sehen ist. Dasselbe Bild ergibt sich überall im Römischen Reich, oder genauer ausgedrückt, der Anteil der mit gentile und cognomen versehenen Personen ist noch geringer als in Rom, was wohl auf zwei Ursachen zurückzuführen ist: zum ersten darauf, dass die christlichen Inschriften in den Provinzen, in denen die Einnamigkeit noch stärker herrschte, durchschnittlich späteren Datums sind als die stadtrömischen; zum zweiten auf den Einfluss der provinzialen Namengebungsgewohnheiten, weil besonders in den entlegenen Gegenden der Gentilname als Im71 72 73
Vgl. dazu z. B. Mócsy: 1964; Salway 1994: 138 f.; Salomies 2012: 1–26. Dazu Kajanto 1977b: 421–430. CIL VI 9920.
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portware nicht so fest in der Nomenklatur verankert war wie in Rom und Italien. Man kann die Etablierung der Einnamigkeit in manchen Provinzen sogar statistisch untermauern, wenn auch an manchen Orten das Material zu geringfügig ist, um weitreichende Schlüsse zu erlauben: so etwa in Gallien, wo unter anderem die reiche epigraphische Überlieferung von Trier und die Konzilakten aus den drei letzten Jahrhunderten des Altertums zur Verfügung stehen.74 Zu dieser Entwicklung gibt es allerdings ein paar markante Ausnahmen: Altava und Pomaria in der Mauretania Caesariensis, wo aus einem nicht zu ermittelnden Grund in christlichen Inschriften bis ins 7. Jahrhundert der Gebrauch der Gentilnamen überwog,75 und Abellinum in Campanien, dessen lokale Aristokratie sich nach dem Zeugnis der bis Mitte des 6. Jahrhunderts reichenden Inschriften der Gentilnamen bediente.76 Und die stadtrömische Reichsaristokratie behielt den Gentilnamen bis tief in das 6., ja sogar in das 7. Jahrhundert bei. Dennoch wurde die Zahl der verfügbaren Gentilnamen immer geringer.77 Doch setzte sich die Benennung einer Person nur mit einem Namen nicht konsequent in der spätantiken Gesellschaft durch. Wie schon bemerkt, behaupteten sich die Gentilnamen lange in der Reichsaristokratie. Dazu tritt das Phänomen der Polyonymie, die ihre Wurzeln in der älteren Kaiserzeit hat,78 nun aber ein charakteristischer Zug der römischen Aristokratie der Spätantike wurde (jedoch nicht der neuen aus den Provinzen stammenden Führungsschichten); und dies hat die Stellung des Gentilnamens weiter abgeschwächt, indem der Namensträger bei aller Namensvielfalt durch einen sog. ‚diakritischen‘ Namen identifizierbar sein musste. Dieser Name nahm in der Regel die letzte Stelle in der Namensequenz eines Polyonymen ein, und es war dieser Name, der im amtlichen Sprachgebrauch wie auch in den Rechtsquellen verwendet wurde.79 Daneben finden sich allerlei Supernomina und Signa, von denen besonders die letztgenannten, soweit sie die sog. getrennten Signa vertreten, charakteristisch für die römische Oberklasse waren.80 Doch setzte sich die Einnamigkeit mehr und mehr durch, vor allem in der Namengebung der unteren Schichten, was man deutlich anhand der oben erwähnten Dokumentation feststellen kann. Was also vorliegt, ist eine langsame Entwicklung, die nicht nur das Namensystem betrifft, sondern auch den Inhalt der Namen, indem in der Namenwahl ein Übergang von der heidnischen zur christlichen Vorstellungswelt sichtbar wird. Dieser Prozess vollzog sich aber sehr langsam und ohne einen ideologischen Bruch; zumal in der Namenswahl neben den religiösen auch andere Motive eine Rolle spielten. Erst Recht kann man nicht von einer Sprengung des paganen Namensystems durch das Christentum sprechen.81
74 75 76 77 78 79 80 81
Dazu vgl. Kajanto 1973: 383–395 u. 1990: 59–66. Vgl. Kajanto 1990: 424 f. Es sei noch ein Einzelbeleg aus Aradi in der Byzacena aus dem 5. Jahrhundert angeführt: AE 2011, 1585 Helvia Dativa. Vgl. Solin 1998: 475 f. u. 2012b: 220 f. Im allgemeinen vgl. Solin 2013: 774–777 u. pass. Vgl. Salomies 1992. Zur Polyonymie vgl. z. B. Cameron 1985: 164–182; Salomies 1990. Dazu s. Kajanto 1966; Solin 2013: 762 f., 777 f. So drückt sich noch z. B. Leppin 2003: 36 aus.
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Am Ende der antiken römischen Namengebung steht also – mit den oben angedeuteten Ausnahmen – die Einnamigkeit, ganz wie zu Beginn der römischen Geschichte. Die ursprüngliche Einnamigkeit, die sich zur Zwei- und Dreinamigkeit und sogar zu einer Polyonymie, verziert mit allerlei Anhängseln wie Supernomina, entwickelt hatte, war, wenn auch mit neuen Mitteln, wieder in Gebrauch gekommen. Damit begann das Spiel von neuem: Wieder entstanden Familiennamen, in Italien in den Zentren des städtischen Lebens vom 9. Jahrhundert an, zuerst in Venedig und Mailand, seit dem 10. Jahrhundert dann in Florenz. Diese neuen Familiennamen haben aber mit den römischen Gentilnamen nichts zu tun, sie spiegeln eine neue Welt wider. BIBLIOGRAPHIE Alföldi, A. 1966: Les cognomina des magistrats de la République romaine, in: Mélanges d’archéologie et d’histoire offerts à A. Piganiol, Paris, 709–722. Badian, E. 1958: Foreign clientelae (264–70 B. C.), Oxford. Beloch, K. J. 1926: Römische Geschichte bis zum Beginn der punischen Kriege, Berlin. Broughton, T. R. S. 1951: The Magistrates of the Roman Republic. Vol. I: 509 B. C.–100 B. C. New York. Cameron, A. 1985: Polyonomy in the Late Roman Aristocracy: The Case of Petronius Probus, JRS 75, 164–182. Cébeillac-Gervasoni, M. 1989: Le cognomen des affranchis. Quelques remarques de chronologie, in: Annales Latini Arvernorum. Bulletin de groupe d’études latines de l’Université de Clermont 16, 89–100. Galsterer, B. 1983: Die Graffiti auf der Gefäßkeramik aus Haltern, Münster. Kajanto, I. 1965: The Latin cognomina, Helsinki. – 1966: Supernomina. A Study of Latin Epigraphy, Helsinki. – 1973: The Disappearance of Classical Nomenclature in the Merovingian Period, in: O. S. Due et al. (Hgg.), Classica et Mediaevalia. Francisco Blatt septuagenario dedicata, 383–395. – 1977a: On the Chronology of the cognomen in the Republican Period, in: L’onomastique latine (13–15 octobre 1975), Paris, 63–70. – 1977b: The Emergence of the Late Single Name System, in: L’onomastique latine (13–15 octobre 1975), Paris, 421–430. – 1990: Onomastica romana alle soglie del medioevo, in: D. Kremer (Hg.), Dictionnaire historique des noms de famille romans (Tréves, 10–13 décembre 1987), 59–66. Kajava, M. 1995: Roman Female praenomina. Studies in the Nomenclature of Roman Women, Rom. Leppin, V. 2003: s. v. Name, RGG 64, 33–41. Linderski, J. 1990: The Surname of M. Antonius Creticus and the cognomina ex victis gentibus, ZPE 80, 157–164. – 1995: Roman Questions. Selected Papers, Stuttgart. – 2007: Roman Questions II. Selected Papers, Stuttgart. Mócsy, A. 1964: Der Name Flavius als Rangbezeichnung in der Spätantike, in: Akten des IV. Internationalen Kongresses für griechische und lateinische Epigraphik (Wien, 17. bis 22. September 1962), 257–263. Mommsen, T. 1864: Die römischen Eigennamen der republikanischen und augusteischen Zeit, in: Ders., Römische Forschungen, 1. Band, Berlin, 1–68. Münzer, F. 1904: s. v. P. Cornelius Scipio Nasica Corculum; P. Cornelius Scipio Nasica Serapio Nr. 353–355, RE IV, 1497–1505.
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MEHR ALS DIE FAMILIE Tagesaktuelle Bezüge und exempla in der Denarprägung des späteren 2. Jahrhunderts v. Chr. Reinhard Wolters, Wien Zentraler Beitrag der Römischen Republik für die Entwicklung der Geldform Münze, weit über die Antike hinaus, ist die erstmalige konsequente Nutzung der Münzbilder als Medium wechselnder Repräsentationswünsche und der Kommunikation. An Stelle gleichbleibender Bildmotive, wie sie insbesondere in der griechischen Welt der sofortigen Identifikation des Prägeherrn im äußeren Verkehr dienten, erschienen auf den römischen Denaren ab der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts v. Chr. in immer schnellerer Folge gänzlich neu konzipierte Bilder. Unter den Voraussetzungen einer im wachsenden Weltreich zunehmend konkurrenzlos werdenden Währung, für die es kein Außen mehr gab, dienten die Münzen der Römer fortan vor allem zur Kommunikation innerhalb der eigenen Gesellschaft. Eine zweite Besonderheit der republikanischen Münzprägung ist, dass die Namen der für die Prägung Verantwortlichen vielfach auf den Münzen selbst zu erkennen sind. Aus den anfänglichen der Kontrolle dienenden Siglen und Monogrammen wuchsen die immer ausführlicher geschriebenen Namen der tresviri monetales heraus, jungen Männer aus der römischen Aristokratie, die das zu den minores magistratus gehörende Jahresamt vor Eintritt in den cursus honorum bekleideten. Nirgendwo sonst ist es für die Antike in dieser Geschlossenheit möglich, die Urheber der verschiedenen Münzbilder so präzise anzusprechen, zumal viele als Mitglieder der führenden Familien aus literarischer oder epigraphischer Überlieferung bekannt werden. Im Gegenzug sind die Münzen eine wertvolle Quelle für die Geschichte eben dieser Aristokratie. Nicht zuletzt Friedrich Münzer hat die Münzen der Republik in seinen prosopographischen Studien regelmäßig ausgewertet und sie sind zentraler Bestandteil seiner zahlreichen RE-Artikel. Zu den wichtigsten wissenschaftlichen Fortschritten der republikanischen Numismatik in der Zeit nach Münzer zählt die präzisierte Chronologie. Die verbreitete Auffassung von den republikanischen Prägungen als ‚Familienmünzen‘ resultierte seit der Renaissance in Materialvorlagen, welche die Münzen nach gentes ordneten und zumal bei einer alphabetischen Anordnung ihrer historischen Kontexte beraubten. Eine letzte große Synthese dieser Art ist die zweibändige Description historique et chronologique des monnaies de la république romaine von Ernest Babelon, das zu Friedrich Münzers Zeit maßgebliche Standardwerk.1 Im Gegensatz dazu
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Babelon 1885/86.
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verfolgte in den späten 1960 und den 1970 Jahren Michael Crawford einen konsequent historischen Ansatz und ordnete das Material auf der Basis von Münzhorten, womit er einen zuvor bereits von Bartolomeo Borghesi und Theodor Mommsen beschrittenen Weg wieder aufnahm. Durch serielle Anordnung der in bestimmten Horten schon oder noch nicht vorkommenden Münzen wurde eine relative Abfolge erzielt, die sich an gewissen Eckpunkten immer wieder absolutchronologisch verankern ließ.2 Zu den Vorteilen dieser eher technisch erzielten Chronologie zählt, dass sie von der literarischen Überlieferung unabhängig ist und so die Gefahren minimiert, bei der historischen Auswertung von Münzen Zirkelschlüssen zu erliegen. Auch wenn die zumeist jahrgenau gegebenen Datierungen in Crawfords Katalog etwas darüber hinwegtäuschen, dass durchaus noch kleinere Spielräume existieren – vor allem neue Hortevidenzen sowie Einzelinterpretationen von Münzen haben in den Jahrzehnten nach Crawford wichtige Korrekturvorschläge erbracht3 –, so hat sich sein Katalog zu Recht als neuer Standard durchgesetzt. An ihn sind auch die in der älteren Literatur getroffenen Zuordnungen und Datierungen zu überprüfen und oft zu korrigieren. Die Gesamtsicht auf die Entwicklung der Münzbilder in der Römischen Republik ist von diesen Präzisierungen allerdings kaum berührt.4 Die gängigen Periodisierungen betonen die mit der Einführung des Denars am Ende des 3. Jahrhunderts v. Chr. erreichte Standardisierung der Münzbilder in den einzelnen Nominalen. Die Denare sowie ihre silbernen Teilstücke trugen anfangs auf dem Avers stets den Kopf der Roma und auf dem Revers die mit eingelegten Lanzen parallel reitenden Dioskuren (Abb. 1).5 Die neuen Dioskuren-Münzen entsprachen ganz dem Muster der griechischen Städteprägungen wie den ‚Eulen‘ von Athen, den ‚Pferdchen‘ von Korinth oder den ‚Schildkröten‘ von Ägina, die jeweils wappenartig auf den Prägeherrn verwiesen.
Abb. 1: RRC 44/5, 4,48 g, 2h, Inv.-Nr.: RÖ 786
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Mommsen 1860: 411–417; Crawford 1969 u. 1974; zur Würdigung: Burnett 1987b. Wichtig sind Hersh 1977 sowie für die Jahre 150–90 v. Chr.: Mattingly 2004b; für 78–50 v. Chr.: Hollstein 1993; für 49–42 v. Chr.: Woytek 2003. Vgl. etwa Alföldi 1956: 71–76; Zehnacker 1973: Bd. 1, 477–509; Crawford 1974: 712– 744; Woytek 2012: 325–329; Hölscher 2014: 27 f. RRC 44/5–7. Für die Zeit vor den Denaren: Burnett 2012. Die Bronzemünzen der Denarzeit haben in der Regel gleichbleibende Prora-Reverse und nominalspezifische Averse. Die Abbildungen mit der Angabe den Inventarnummer „GR“ oder „RÖ“ stammen aus dem Münzkabinett des Kunsthistorischen Museums in Wien. Mein besonderer Dank gilt Klaus Vondrovec für Anfertigung der Fotos und Genehmigung zum Abdruck.
Mehr als die Familie: Tagesaktuelle Bezüge und exempla in der Denarprägung
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Zwei bis drei Generationen später, in der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts v. Chr., wurden diese ‚public types‘ durch eine Vielzahl neuer Münzbilder ergänzt und schließlich abgelöst. Betont werden von der Forschung die Bezüge der neuen Münzbilder auf die Familien der jeweils zuständigen Münzmeister und die Münzen selbst werden als ‚private types‘ oder ‚Familienprägungen‘ charakterisiert. Im öffentlichen Wettstreit über Rang und Ansehen hätte sich die Aristokratie in dieser Phase auch des Mediums Münze bemächtigt.7 Konkretes Ziel der Münzmeister sei es gewesen, sich vor allem über die Herausstellung ihrer Abkunft für die weitere politische Karriere zu empfehlen.8 In einer dritten Phase seien die Familienmünzen von der sogenannten Machthaberpropaganda abgelöst worden. Mit der Orientierung an den Großen ihrer Zeit, wie Sulla oder Pompeius, sowie mit den eskalierenden innenpolitischen Auseinandersetzungen hätten die tagespolitischen Bezüge zugenommen.9 Als dann mit Caesar erstmals auch das Porträt eines noch lebenden Römers auf den Aversen erschien, hatten die Münzen nicht nur im Hinblick auf Machthaber- und Gegenwartsbezogenheit, sondern auch der äußeren Form nach die Repräsentationsformen der Kaiserzeit erreicht. Eine etwas abweichende Perspektive auf die Zielsetzung der sogenannten Familienmünzen stellten vor einigen Jahren Andrew Meadows und Jonathan Williams zur Diskussion. In Anlehnung an die Studie von Harriet Flower betteten sie die Münzen in die Memorialkultur der Römischen Republik ein und sahen sie als eine den Bauwerken, Statuen, Inschriften und Gemälden oder den öffentlichen Inszenierungen wie Spielen, dem Feiern von Triumphen oder den öffentlichen Reden gleichwertige Ausdrucksform.10 Sämtliche Äußerungen hätten der Repräsentation gedient, und sie seien im aristokratischen Wettbewerb Instrumente der Aneignung der Geschichte gewesen. Zumal in einer Zeit, als auf dem Forum Romanum immer wieder Räumungen von den auf eigener Faust errichteten Monumenten der führenden Familien vorgenommen werden mussten, hätte die Aristokratie nun auch die Münzen als ein neues Medium entdeckt. Die Differenz der These von Meadows und Williams zu den bisherigen Deutungen ist, dass die Münzbilder als Instrument der Selbstdarstellung und der Monumentalisierung der jeweiligen Familiengeschichte nicht mehr Zweck (für die weitere politische Karriere), sondern bereits das
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Anschaulich Mommsen 1860: 364: „Statt der alten frommen und einförmigen Stempel (beginnt) die Hoffart patricischer Jungen mit den oft sehr zweifelhaften Großtaten ihrer nicht selten ebenso zweifelhaften Ahnen den engen Doppelkreis zu füllen.“ Mommsen fährt fort: „Man braucht die Geschichtsbücher nicht, um einzusehen, dass es mit der Republik zu Ende ging.“ Hollstein 1993: 4: „Familienpropaganda zur Förderung der eigenen Karriere“ (mit der älteren Literatur); ähnlich Woytek 2012: 326 f.; zuletzt Hölscher 2014: 27: „the mint authorities discovered coins as an efficient medium through which they could draw, at the beginning of their career, a large audience’s attention to their personal political ambitions.“ Dies wurde für die Zeit von 78–50 v. Chr. von Hollstein 1993 gründlich herausgearbeitet. Zu Fragestellung und Ergebnis ebd.: 3 f.; 400. Meadows/Williams 2001; vgl. Flower 1996.
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Ziel sind. Oder in anderer Formulierung: Das Amt selbst wurde zum Mittel, mit dem diese Form der Repräsentation möglich wurde.11 Eher noch stärker als bei der traditionellen Deutung werden von Meadows und Williams die Münzbilder dieser Phase als Familienprägungen gesehen. Dabei ist durchaus bemerkenswert, dass für die neu aufgekommenen Münzbilder in der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts v. Chr. Familienbezüge zwar allgemein postuliert werden, überzeugende Verbindungslinien jedoch längst nicht immer aufgezeigt werden konnten. Aktuelle Anlässe werden für die Münzen des späten 2. Jahrhunderts v. Chr. hingegen kaum noch thematisiert bzw. explizit verneint. Dazu mag manche ältere Deutung beigetragen haben, die sich nach Vorlage der verbesserten Chronologie als von ihren Voraussetzungen unmöglich herausstellte.12 Doch selbst dort, wo auch von der jüngeren Forschung für vereinzelte Denare dieser Zeit tagesaktuelle Bezüge angemerkt worden sind, konnten sich diese Interpretationen vor dem Modell der oben skizzierten Gesamtentwicklung nicht wirklich durchsetzen.13 Dieser Befund soll im Folgenden Anlass sein für einen Versuch, die frühesten neuen Denartypen, mithin die entscheidende Schnittstelle für den Übergang der dichten Nutzung der Münzen als Medium, noch einmal auf mögliche tagespolitische Zusammenhänge zu befragen. Um es gleich vorweg zu nehmen: Es scheint, dass das Aufkommen neuer Münzbilder deutlich weniger von familiären Repräsentationswünschen vorangetrieben wurde, als von konkreten tagespolitischen Umständen und daraus rührenden Absichten. 1. DIE LEX GABINIA ALS URSACHE FÜR FAMILIENMOTIVE? Der Durchbruch zu völlig neu konzipierten Münzbildern kann auf der Grundlage der Crawfordschen Chronologie um das Jahr 137 v. Chr. angesetzt werden. Die Abkehr von der etablierten Repräsentation der res publica fällt damit in eine Zeit, als sich die römische Führungsschicht in bislang ungekannter Qualität öffentlich gegeneinander wandte und zunehmend auch das Volk in ihre Konflikte mit einbezog.14 11
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Entsprechend bleiben Meadows/Williams 2001: 49 gegenüber dem unterschiedlich konnotierten Begriff und überhaupt dem Konzept „Propaganda“ skeptisch. Ziel sei die Repräsentation gewesen, nicht das Überzeugen. In diesem Sinne sprechen sie von „memoria“ und auf den Münzen dargestellten „res gestae“ der Familie. Vgl. etwa für die hier zu behandelnden Münzen die Interpretationen von Mattingly 1977 (= 1928): 55–57. Crawford 1974 diskutiert in seinem Katalogteil häufiger tagesaktuelle Bezüge, in seiner auswertenden Gesamtskizze (712–725) gewinnen diese jedoch kaum eigenes Gewicht. Hollstein 1993 weist tagesaktuelle Bezüge für die Zeit ab 78 v. Chr. nach und geht davon aus, dass diese in signifikantem Umfang erst jetzt einsetzten. Dort auch 387–391 die methodisch wichtige Herausarbeitung verschiedener Bedeutungsebenen. Gegenüber tagesaktuellen Bezügen bis in die Zeit des Marius ausdrücklich skeptisch bleiben Meadows/Williams 2001: 38 f.; Mattin gly 2004b: 221. Woytek 2012: 327 sieht tagesaktuelle Bezüge ab Marius. Zur Entwicklung immer noch: Meier 1997: insbes. 116–151. Mit Verweis auf die Bildsprache: Hölscher 1980: 271 u. 2014.
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In den Münzen wird die Desintegration der römischen Führungsschicht bereits einige Jahre vor dem Auftreten des ersten Gracchen sichtbar. Unmittelbar mit den innenpolitischen Entwicklungen dieser Jahre verband den Paradigmenwechsel in den Münzbildern Peter Wiseman, indem er die neuen Münzbilder auf die leges tabellariae und insbesondere die lex Gabinia von 139 v. Chr. zurückführte: Ursächlich für den Übergang zu den ‚private types‘ seien die nach 139 v. Chr. in Rom durchgeführten Geheimen Wahlen gewesen.15 Wisemans Idee erhellt schlagartig und ist nicht nur von der Chronologie verführerisch. Die für die neuen Münzbilder postulierte Funktion der Werbung setzte bei den Umworbenen, also den römischen Bürgern als Nutzern der Münzen, die Möglichkeit der Entscheidung voraus. Entsprechend bereiteten geheime Wahlen erst die Voraussetzungen, unter denen Werbung Sinn machte. Denn normalerweise waren in Rom die Stimmen der Bürger durch Klientelbeziehungen fest gebunden und die öffentliche Abstimmung machte das korrekte Verhalten für jedermann kontrollierbar. Dieses wurde durch die lex Gabinia aufgehoben. Parallel dazu erkennt Wiseman eine steigende Attraktivität des Münzmeisteramts in diesen Jahren, was sich sowohl in den renommierten Familiennamen als auch dem teils höheren Alter der Kandidaten dokumentiere. Die These des direkten Zusammenhangs von lex Gabinia und dem Übergang zu den ‚private types‘, bei denen sich die Münzmeister insbesondere über ihre Abkunft empfahlen, setzte sich, nicht zuletzt auch durch die Übernahme in Crawfords Standardwerk, schnell durch und gilt heute als „generally accepted“.16 Doch lassen schon die Einschränkungen des cursus honorum einen derartigen direkten Zusammenhang nicht ganz so einfach erscheinen. Denn zum einen betrug der Abstand für die Münzmeister bis zum nächsten Wahlamt in der Regel mehrere Jahre.17 Dies gilt selbst für jene Periode der Aufwertung, in der viele Münzmeister das Amt nach Crawford als Ersatz für die Ädilität nahmen und schon bald zur Prätur aufstiegen.18 Der zeitliche Abstand bis zur Erlangung des Konsulats, als jeden Aufwand rechtfertigendes Ziel, unterschritt schließlich selten 10 Jahre19: Eine den modernen Wahlkämpfen ähnliche Werbung als auf zeitnahe Reziprozität gerichtete Maßnahme war unter diesen Umständen schwerlich möglich. Allenfalls eine langfristig angelegte Imagebildung war denkbar, mit dem Risiko jedoch, dass kein Münzmeister konkret davon ausgehen konnte, tatsächlich einmal für ein Wahlamt kandidieren zu dürfen. So haben von der Forschung vorgenommene Vergleiche zwischen Familienthemen auf Münzen einerseits und eingetretenem Erfolg bei der Ämterbesetzung andererseits auch keine allgemein anerkannten Korrelationen auf15 16 17 18 19
Wiseman 1971: 4 f., 148 f. So Evans 2011: 657; vgl. Crawford 1974: 710 f., 728; Mattingly 2004b: 217; Woytek 2012: 327. Zum Amt: Woytek 2003: 83–86. Eine direkt im Anschluss an das Münzmeisteramt bekleidete Quästur war wohl eher die ausdrücklich vermerkte Ausnahme. Übersichten zu den Karrieren bei Hamilton 1969: 197–199; Crawford 1974: 708–711; Hollstein 1993: 382–385. Crawford 1974: 729. Crawford 1974: 729; Mattingly 2004a: 44 f.
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zeigen können.20 Doch ein solches Verfahren ist schon vom Ansatz problematisch: Ein weiterer Karriereverlauf lässt sich kaum als Argument für oder gegen eine mögliche Absicht nutzen, da Werbung eben auch erfolglos sein kann. Ein anderer Aspekt ist, dass die auf Wiseman folgende Forschung außerhalb der Numismatik keine derart engen Zusammenhänge zwischen der lex Gabinia und der Desintegration der Führungsschicht mehr sieht.21 So stellte die Einführung der geheimen Wahlen laut Martin Jehne keinen Angriff auf das Patronagesystem dar. Die lex Gabinia hätte in Zeiten aufkeimender Spannungen ganz im Gegenteil eher pazifizierend gewirkt und wäre von der Absicht getragen worden, das Bindungswesen zu stabilisieren. Denn durch die geheimen Wahlen seien die mehrfachen Klientelbeziehungen der Bürger, die bei Abstimmungen stets Konflikte mit sich bringen mussten, schlichtweg nicht mehr sichtbar geworden. Erst mit der lex Papiria von 131/130 v. Chr., durch die auch Gesetzesanträge über die Volksversammlung eingebracht werden konnten, seien die leges tabellariae zu einem Instrument im innenpolitischen Kampf geworden, doch dürfe eine solche Perspektive nicht auf die Zeit zuvor übertragen werden.22 Schließlich sind auch die numismatischen Voraussetzungen etwas differenzierter, als es bei Wiseman scheint, und sie verweisen auf Übergänge: Der lex Gabinia ging zeitlich bereits die Gruppe der sogenannten ‚wagenfahrenden Gottheiten‘ voraus.23 Dies waren Variationen der ab den 190er Jahren als zweiter Denartyp aufgekommenen Luna in der biga, bei denen sowohl die Zugtiere als auch die im Wagen fahrende Figur wechselten. Durch den formal gleichbleibenden Grundtyp sahen sich die verschiedenen Reverse auf dem ersten Blick zum Verwechseln ähnlich, doch fraglos wurden mit den neuen Wagenlenkern auch neue Bedeutungen konstruiert. Später geprägte Münzen mit inhaltlich eindeutig zu dechiffrierenden ‚wagenfahrenden Gottheiten‘ machen zumindest für einen Teil dieser Münztypen Familienbezüge wahrscheinlich.24 Und ebenso gibt es auf einigen Bronzemünzen der Jahre vor der lex Gabinia von der Forschung als Familienbezüge interpretierte Ergänzungen und Varianten, die bereits über die Funktion von Münzmeisterkennzeichnungen hinausgehen.25 So schlagend Wisemans Idee auf den ersten Blick erscheint, so bleibt doch festzuhalten, dass es weder von der Chronologie noch von den Intentionen der lex Gabinia einen stimmigen Rahmen für eine kausale Verbindung zwischen diesem
20 21 22 23 24 25
Hamilton 1969 sieht keine signifikanten Verbindung, anders Wiseman 1971: 4 f. Skeptisch bleiben auch Meadows/Williams 2001: 39 f. Wiseman 1971: 4. Jehne 1993: insbes. 607 f. Ähnlich Lundgreen 2009, der auch in der Praxis keine großen Veränderungen erkennt. Insbes. RRC 221–232 (144–138 v. Chr.). Zur Gruppe und ihren zumeist griechischen Vorbildern: Böhm 1997: 5–14. Vgl. unten S. 162 mit Abb. 4 f. Crawford diskutiert in seinem Katalogteil zwar mögliche Familienbezüge, klassifiziert die zeitlich vor der lex Gabinia datierenden Münzen in seiner Zusammenschau jedoch insgesamt als künstlerische Experimente; Crawford 1974: 728 mit Anm. 6. RRC 149/1–5; 205/2–6; dazu Crawford 1974: 721 u. 726 f.
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Gesetz und einem Übergang zu den individualisierten Münztypen gibt.26 Für die vordergründig so verführerische These lassen sich keine Evidenzen beibringen. Zu konzedieren ist jedoch, dass die leges tabellariae im republikanischen Rom in der Folge durchaus für das Thema Öffentlichkeit und für Möglichkeiten der Werbung sensibilisierten. Die Gesetze wurden Voraussetzungen für einen neuen Diskurs darüber, wie das Volk denkt und wie es zu gewinnen sei bzw. welche Rolle der Öffentlichkeit zukam. Eindrucksvolle Spiegelungen davon finden sich in Ciceros ausführlichen Kommentierungen der leges tabellariae in De legibus, und für die so überaus facettenreiche Denkschrift des Q. Tullius Cicero zum Verhalten während eines Wahlkampfs sind die Geheimen Wahlen unabdingbare Vorrausetzung.27 Dieses neue Bewusstsein für Öffentlichkeit und Werbung wird auf die Nutzung der Münzbilder als Kommunikationsmittel ohne Zweifel zurückgewirkt haben. Eine inhaltliche Festschreibung der neuen Bilder als ‚Familientypen‘, ‚monumentalisierte Erinnerung‘ und insbesondere ‚Wahlwerbung‘ ist damit allerdings nicht verbunden und schränkt das Deutungsspektrum völlig unnötig ein. 2. EXEMPLA STATT FAMILIENPROPAGANDA? DIE ERSTEN NEUEN MÜNZTYPEN Der Übergang zu wechselnden Münzbildern vollzog sich in den Denaren, dem ab der Mitte des 2. Jahrhunderts v. Chr. geldwirtschaftlich wichtigsten Nominal. Das seit der Einführung des Denars übliche Dioskurenmotiv im Revers wurde ab den späten 190er Jahren durch das Motiv der Luna in der biga ergänzt (Abb. 2). Beide Bilder wurden fortan im Wechsel ausgeprägt. Nachdem dann vor der Mitte des 2. Jahrhunderts für mehr als ein Jahrzehnt überwiegend Bronzen hergestellt worden waren, erschien bei der Wiederaufnahme der Denarprägung um 157 v. Chr. zumeist nicht mehr Luna, sondern Victoria in der biga (Abb. 3).28 Der mit Luna und Victoria spezifizierte biga-Typ wurde anderthalb Jahrzehnte später zum Ausgangspunkt sich
Abb. 2: RRC 138/1, 4,05 g, 12h, Inst. für Numismatik, Univ. Wien 26 27 28
Abb. 3: RRC 197/1a-b, 3,83 g, 1h, Inv.-Nr.: RÖ 91
Ähnlich Meadows/Williams 2001: 40, die an diesem Erklärungsmodell „over-simplicity“ bemängeln. Zu den Gesetzen aus betont optimatischer Perspektive: Cic. leg. 3,33–36. Zum Commentariolum petitionis (u. a. mit Frage der Urheberschaft): Laser 2001. Luna: erstmals RRC 133/3 (194–190 v. Chr.); Victoria: erstmals RRC 197/1a u. b (157–149 v. Chr.). Sowohl Luna als auch Victoria in der biga sind in der Folge nicht an bestimmte Münzmeisterfamilien gebunden, mithin ‚public types‘. Vgl. auch unten Anm. 30.
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beschleunigender Neuerungen, nämlich für die bereits angesprochenen ‚wagenfahrenden Gottheiten‘: Ab ca. 144 v. Chr. lösten sich Iupiter, Diana, Luna, Victoria, Herkules und vermutlich Mars jeweils in einer biga oder quadriga untereinander ab, wobei die Wagen von wechselnden, zum Teil den Figuren im Wagen inhaltlich zugeordneten Tieren oder Mischwesen gezogen wurden. Der gleichbleibende Kopf der Roma im Avers sowie das der Form nach zum Verwechseln ähnliche Grundmotiv im Revers vermochten die Veränderung zwar etwas zu überdecken, doch grundsätzlich war mit den ‚wagenfahrenden Gottheiten‘ bereits das Prinzip wechselnder Münzbilder erreicht. Die Bezeichnung bigati für die römischen Denare dürfte auf diese Zeit zurückgehen. Sie verband die verschiedenen Darstellungen und Bedeutungen wieder zu einem auf die Form bezogenen Gemeinsamen.29 Die Iulier variierten das Motiv der Gottheit im Wagen dahingehend, dass Eroten eine biga mit Venus zogen (Abb. 4), und ähnlich zeigten die Meteller Iupiter in einem mit zwei Elefanten bespannten Wagen (Abb. 5). Aufgrund dieser eindeutigen Anspielungen auf die Familien der Münzmeister werden für die ‚wagenfahrenden Gottheiten‘ gemeinhin Familienbezüge gesucht, doch sind die Nachweise nicht durchgehend zu führen.30 Im Hinblick auf die Gesamtentwicklung scheint es allerdings so, dass die auf die Münzmeister bezogenen Kontrollsymbole in vielen Fällen bis zu den Darstellungen der ‚wagenfahrenden Gottheiten‘ wuchsen und so das Hauptmotiv der Reverse verwandelten.31 In einer zunehmenden Grenzerweiterung wurden die Münzbilder von den tresviri monetales als in der eigenen Verfügbarkeit betrachtet, und es gab niemanden, der den jungen Männern dabei Schranken setzte.
Abb. 4: RRC 320/1, 4,07 g, 8h, Inv.-Nr.: RÖ 2240
Abb. 5: RRC 269/1, 3,83 g, 10h, Inv.-Nr.: RÖ 940
Ab 137 v. Chr. erschienen dann auch der formalen Komposition nach völlig neue Münzbilder. Sie variierten kein Schema mehr, das die qualitative Veränderung erst 29 30
31
Mit den Quellen zuletzt Pedroni 2010. Iulier: RRC 258/1 (129 v. Chr.); vgl. 320/1 (103 v. Chr.); Meteller: RRC 269/1 (125 v. Chr.). Die ‚wagenfahrenden Gottheiten‘ setzten sich in den 130er und 120er Jahren mit neuen Bildtypen fort. Neben den diesbezüglichen Familientypen sind die allgemein auf Siege verweisenden Varianten mit Victoria oder Iupiter im Wagen sicherlich eher als ‚öffentlich‘ zu klassifizieren. Doch auch Darstellungen von Apollo, Diana, Herculus, Iuno, Mars, Minerva, Sol und selbst Venus wurden von Münzmeistern mehrerer Familien genutzt und eine exklusive Zuordnung ist nicht möglich. Hölscher 1967: 80 ordnet die ‚wagenfahrenden Gottheiten‘ einem grundsätzlich „triumphalen Charakter“ unter, was aber wohl zu kurz greift. Vgl. etwa für die Meteller: RRC 262/1 (128 v. Chr.: Elefantenkopf als Beizeichen); RRC 263/1 (127 v. Chr.: Elefantenkopf im Makedonischen Schild); RRC 269/1 (125 v. Chr.: Elefantenbiga).
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auf den zweiten Blick sichtbar machte, sondern das Neue kam direkt und war für jedermann sofort ersichtlich. Egal, wie man zu der Frage der Wahrnehmung von Münzbildern in der Antike steht, von einer Beachtung und Diskussion dieser revolutionär neuen Münzbilder unter den Zeitgenossen muss man zwingend ausgehen.32 Den Anfang machten drei Reverse: Eine Szene mit der römischen Lupa (Abb. 6), eine sogenannte Eidszene (Abb. 7) sowie wohl zwei Jahre später die Darstellung einer reich geschmückten Säule mit Begleitpersonen, die in etwas abgewandelter Form von einem weiteren Münzmeister derselben Familie kurz darauf wiederholt wurde (Abb. 8 f.).
Abb. 6: RRC 235/1c, 3,82 g, 12h, Inv.-Nr.: RÖ 3344
Abb. 7: RRC 234/1, 3,80 g, 10h, Inv.-Nr.: RÖ 4079
Abb. 8: RRC 242/1, 3,95 g, 9h, Inv.-Nr.: RÖ 35627
Abb. 9: RRC 243/1, 3,97 g, 11h, Inv.-Nr.: RÖ 2953
Dem Münzmeistergremium des Jahres 137 v. Chr. ordnet Crawford noch eine Darstellung des Apollo in quadriga zu. In seiner wichtigen Alternativchronologie für diese Jahre schließt sich Mattingly der Datierung des Lupa-Typs 137 v. Chr. an, datiert die Eidszene aus historischen Erwägungen aber erst ein Jahr später. Die Münzen mit Säulendarstellungen werden von Mattingly in die Jahre 133 und 128 v. Chr. gesetzt, bei überdies veränderter Reihenfolge.33 Den zumindest derzeit nicht aufzulösenden chronologischen Spielräumen soll im Folgenden mit einer Art „Cluster-Analyse“ genügt werden, d. h. weder soll eine jahrgenaue Datierung noch eine fixe relative Reihenfolge zum Argument werden. An Stelle dessen wird nach vorherrschenden Themenfeldern in breiteren Zeitabschnitten sowie nach wechselnden Rhythmen der Innovation und Tradition in der Bildfindung gesucht. Das Grundgerüst bleibt die Chronologie Crawfords; die Nennung alternativer Datierungen aus der Zeit nach Crawford soll die möglichen Spielräume veranschaulichen. 32 33
Zur Forschungsdiskussion Wolters 1999: 255–339. Mattingly 2004b: 213–217.
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a) Der Lupa- bzw. Fostulus-Typ (RRC 235/1) Den Lupa- bzw. Fostulus-Typ Münze nutzte William Metcalf vor einigen Jahren als Fallstudie, um Zirkelschlüsse im disziplinenübergreifenden Austausch zu illustrieren, in diesem Fall zwischen Numismatik und Prosopographie (Abb. 6). Der Revers zeigt die Romulus und Remus säugende Lupa vor dem Feigenbaum (ficus Ruminalis), in dem drei Vögel, wohl Spechte, sitzen. Links neben dem Baum steht mit charakteristischem Hut und Stab ein Hirte. Umgeben ist das Motiv von der Legende SEX POM FOSTLVS. Dargestellt ist die Episode aus der mythischen Frühgeschichte Roms, als der Hirte Fostulus die von ihrem Großonkel Amulius ausgesetzten Zwillinge Romulus und Remus auffand, die der Hirte in sein Haus nahm und von seiner Frau aufziehen ließ.34 Zunächst ist völlig unklar, wie der Familienname des Münzmeisters aufzulösen ist: Vor allem Pompeius und Pomponius kommen in Frage.35 Über die gens Pompeiana ist vor dem Ende des 2. Jahrhunderts v. Chr. so gut wie nichts bekannt, entsprechend auch nichts, was eine Verbindung zwischen Münzbild und Familientradition herzustellen erlaubte. Die Pomponii hingegen reklamierten in späteren Münzbildern ihre Abstammung von Pompo, dem Sohn des Königs Numa.36 Für einen Rückgriff auf Romulus und Remus gibt es, über diese Münze hinaus, weder für die eine, noch für die andere gens einen weiteren Beleg. Von dem Ansatz möglicher Familienpropaganda her muss die Entscheidung über den mutmaßlichen Münzmeister offen bleiben. Eine weitere Frage ist, ob FOSTLVS als cognomen zum Namen des Münzmeisters gehört, oder ob die Legende den Hirten benennt. Crawford entscheidet sich für die zweite Variante und verweist auf Beischriften römischer Denare, die die Funktion hatten, das Verständnis neuer Münzbilder zu sichern. Allerdings setzte diese Entwicklung erst Jahrzehnte später ein und zeitnahe Parallelen fehlen.37 Zu bedenken ist aber auch, dass Fostulus durch die Szene, die sich geradezu attributiv zu dem Hirten verhält, hinreichend identifiziert ist. Ähnliche Szenen des Fostulus mit Feigenbaum, Specht, Lupa sowie den Zwillingen waren in etlichen Abbildungen, insbesondere in der Glyptik, und nicht weniger durch literarische Bearbeitungen weit verbreitet.38 Eine beschreibende Legende zur Identifizierung des Hirten war für einen Römer schwerlich erforderlich. Form und Verlauf der Legende sprechen ebenfalls gegen eine solche Lesart. Denn die Reverslegende hat eine einheitliche Buchstabengröße, eine gleich bleibende Richtung und sie bildet einen homogenen Schreib- und Lesefluss. Schließlich fügt sich ein cognomen FOSTLVS in die Entwicklung der in diesen Jahren 34 35 36 37 38
Zu den verschiedenen Versionen in der Überlieferung: Gigon 1972. Metcalf 1999, mit Verweis auf die wechselnde Einordnung dieses Münzmeisters bei Brough ton 1952, 2: 429 sowie Broughton 1986, 3: 160. RRC 334/1 (ca. 97 v. Chr.). Später sah sich Sextus Pompeius als Sohn des Neptun. Vgl. etwa RRC 393/1a (76/75 v. Chr.): Genius mit GPR; 396/1a (74 v. Chr.): MONETA; 411/1 (65 v. Chr.): SIBYLLA; 416/1 (62 v. Chr.): BON EVENT etc.; für Reverse: 367/1 (82 v. Chr.): L. SVLLA IMP. Metcalf 1999: 5 f. mit Anm. 9. Beispiele bei Evans 1992: 59–71; Böhm 1997: 77–79.
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immer ausführlicher geschriebenen und bis zu den tria nomina reichenden Münzmeisternamen.39 Sowohl formale Gesichtspunkte als auch die Entwicklung der Eigennamen auf den Münzen sprechen dafür, dass es sich bei FOSTLVS um das cognomen des Münzmeisters handelt. Die Lupa-Darstellung war in der römischen Münzprägung nicht völlig unbekannt. Ähnlich wie der – gleich vorzustellende – Eidszenentyp hatte sie ein Vorbild in der Didrachmenprägung des 3. Jahrhunderts v. Chr. (Abb. 10).40 Meadows und Williams nehmen diese beiden Münzen entsprechend als zentrales Argument für ihre These, dass die neu aufgekommenen Denarbilder vor allem der Monumentalisierung und dem Kampf um die Erinnerung dienten: „These designs effectively commemorate and monumentalize earlier coins“41.
Abb. 10: RRC 20/1, 6,89 g, 6h, Inv.-Nr.: GR 1079
Eine so pauschale Festlegung übergeht allerdings die erheblichen Differenzen in den Darstellungen. Sie haben auch Auswirkungen auf die Bedeutung der Bilder. Denn im Vergleich zur Didrachme ist der Revers des Denars weitaus komplexer und erzählender. Bei der ersten Münze dürfte es sich um die Abbildung des Standbilds der Lupa mit den Zwillingen handeln, das Anfang des 3. Jahrhunderts v. Chr. auf dem Forum Romanum aufgestellt worden war.42 Auf den Denaren ist dagegen eine komplexe Szene von großer Lebhaftigkeit dargestellt. Der Baum konstituiert einen Raum, in dem der Hirte mit erhobenem Arm auf die von den Spechten und der Wölfin versorgten Zwillinge trifft. Kernpunkt der Szene ist entsprechend weniger die Lupa, als die Situation des Auffindens, womit der Blick auf die Rolle des Hirten 39 40 41
42
Erstmals erscheinen die tria nomina rund 10 Jahre zuvor, zunächst auf Avers und Revers verteilt. Evans 1992: 65 f. mit Anm. 17. Alle drei Namensbestandteile auf einer Seite kurz darauf bei RRC 243/1 (134 v. Chr.). RRC 20 (269–266 v. Chr.); RRC 28 f. (225–212 v. Chr.); zur Datierung der Didrachmen auch Hollstein 1988/89 mit weiterer Literatur. Meadows/Williams 2001: 38 f.; vgl. 49: „we propose monumentality as the heading under which the unique phenomenon of the changing coin types of the late Republic should be investigated”. Ähnlich Walter 2004: 31; Hölscher 2014. Den von Meadows/Williams als Schlüsseltypen hervorgehobenen beiden Denaren geht bereits der Iupiter in quadriga als Wiederholung eines Didrachmentyps voraus (RRC 221/1; vgl. 30/1), mit dem die Reihe der ‚wagenfahrenden Gottheiten‘ eröffnet wurde. RRC 20/1 (269–266 v. Chr.); dazu auch RRC 39/3 (217–215 v. Chr.), die Darstellung der Lupa auf dem Avers eines Sextans, sowie RRC 183/1–6 (169–158 v. Chr.) die Lupa mit Zwillingen vor der Prora. Zum Standbild: Liv. 10,23,11 f.; Dion. Hal. 1,79,8; s. Hollstein 1988/89: 140– 142.
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gelenkt wird. Unter der Voraussetzung, dass FOSTLVS cognomen des Münzmeisters ist, stellt die Münze Verbindungen zwischen dem Hirten und der Familie des Monetalen her. Seine Familie reiht sich über die hier beschworene Abkunft in den Kreis derjenigen ein, die unersetzbare Verdienste für Rom geleistet haben. Zwar ist das gewählte Thema ein Teil der Geschichte der Stadt und somit ‚öffentlich‘, gleichwohl wird es in einer Art vorgebracht, dass der Rolle des Fostulus das entscheidende Gewicht zufällt. Der Vorfahr wird zur Bedingung für die Existenz Roms. Die Anlehnung an das Bild der Didrachme mag ein Weg zur Übermittlung einer Botschaft in der Form des Bekannten gewesen sein, doch die darin enthaltene Aussage ist neu. Das Verfahren setzt das Prinzip der vordergründigen Beibehaltung der äußeren Form bei wechselnden Inhalten fort, wie es in der unmittelbar vorangegangenen Gruppe der ‚wagenfahrenden Gottheiten‘ zu beobachten war. Der Fostulus-Münztyp ist um 137 v. Chr. in großen Mengen ausgeprägt worden, wurde als Münzbild später jedoch nicht wieder aufgenommen.43 Zwei Jahrzehnte darauf zeigte ein für diese Zeit singulärer, weil anonym bleibender Denar die Lupa mit den Zwillingen gemeinsam mit einer auf Waffen sitzenden Roma.44 Die auf die Zwillinge blickende Roma scheint an Stelle des Fostulus getreten zu sein, doch abgesehen davon existieren keine inhaltlichen Verbindungen zu unserem Stück. Und auch für Fost(u)lus als cognomen fehlt jeder weitere Beleg. Möglicherweise ist diese fehlende Rezeption ein Indiz, dass sich die mit dem spektakulären Münzbild verbundene Aneignung des Sextus Pom(…) Fost(u)lus nicht durchzusetzen vermochte. b) Eidszene (RRC 234/1) Der zweite neue Münztyp zeigt im Revers drei Figuren: Eine mittlere knieende Figur hält in ihren Armen ein Ferkel. Gerahmt wird sie rechts und links von einem bärtigen ungerüsteten sowie einem bartlosen gerüsteten Krieger, die in ihrer Linken jeweils einen Speer halten. In ihrer Rechten führen sie ein Schwert, mit dem sie das Ferkel berühren (Abb. 7). Münzmeisters ist TI(tus) VETVR(ius). Das Bild wiederholt die Reverse des sogenannten Eidszenengoldes, eine Gruppe außerordentlicher Prägungen am Ende der Didrachmenzeit (Abb. 11). Völlig neu ist der Avers. Auf
Abb. 11: RRC 28/1, 6,82 g, 7h, Inv.-Nr.: GR 1072
43 44
Metcalf 1999: 7. RRC 287/1 (115/114 v. Chr.).
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ihm ist erstmals in der Denarprägung nicht mehr Roma zu sehen, sondern Mars. Da das Eidszenengold den doppelköpfigen Ianus auf den Aversen zeigte, fällt der Auswahl des Mars besonderes Gewicht zu. Crawford sieht in ihm eine Anspielung auf T. Viturius Philo, den flamen Martialis von 204 v. Chr.45 Doch der Austausch der Stadtgöttin für die Anspielung auf das Priesteramt eines Ahnen wäre eine ganz erhebliche Grenzüberschreitung, und für eine solche private Aneignung der Münzvorderseite gibt es in den nächsten Jahrzehnten keine Nachfolge. Eine andere Erklärung erscheint weniger grundstürzend: Im Jahr zuvor war in einer Variation der ‚wagenfahrenden Gottheiten‘ ein kämpfender Krieger, wahrscheinlich Mars, in einer quadriga zu sehen, der einen Gefangenen hinter sich herzog. Den Kopf der Roma auf dem Avers umgab ein Lorbeerkranz, als erstmalige Variation des RomaMotivs.46 In diesem Kontext scheint es naheliegender, dass der Mars im Avers die Kriegsthematik des Vorjahres aufnahm.47 Für das während des Zweiten Römisch-Karthagischen Krieges geprägte Eidszenengold verweist schon die Metallwahl auf die kriegsbedingten Nöte.48 Die Reversdarstellung illustriert den durch das Ferkelopfer sakral bestätigten Abschluss eines Vertrags zwischen einem römischen Feldherrn und einem fremden Anführer49. In der Krise des zweiten Römisch-Karthagischen Krieges scheint das Motiv an die Allianz zwischen Rom und seinen Verbündeten zu appellieren. Das römische Motiv wurde noch während des Krieges als Drachme in Spanien sowie in Atella und Capua für lokale Buntmetalle wiederholt.50 Erneut aufgenommen wurde es im 1. Jahrhundert v. Chr. während des Bundesgenossenkrieges von den Italikern. Sie erweiterten das Grundmotiv bis zur Darstellung von acht Schwörenden, die sich nun völlig symmetrisch gegenüberstanden.51 Die zunehmende Zahl der Schwörenden verweist auf einen offensichtlich immer größer werdenden Kreis Gleichgestellter. Sowohl in den verschiedenen historischen Situationen als auch aus den wechselnden Perspektiven der Ausprägenden blieb das Thema die gegenseitige Verpflichtung. 45 46 47 48 49
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Crawford 1974: 266. Auch Mattingly 2004b: 218 sucht mit Mamurius Veturius, dem mythischen Schmied des Numa, einen Familienbezug. RRC 232/1 (138 v. Chr.). Die Quadranten dieses Münzmeisters bilden ebenfalls eine Ausnahme, da sie keine Prora im Revers zeigen: RRC 234/2a u. b. Zum Typ und zur Datierung mit der älteren Literatur Hollstein 1988/89: 147 f. Das wohl synthetisch zu verstehende Münzmotiv verbindet Elemente des Militärs mit jenen des Fetialrechts. Die Spannung zeigt sich in den unterschiedlichen Deutungen: Zuletzt mit umfangreichem Forschungsüberblick Richardson 2008 (ikonographisch jedoch nicht stimmige Deutung als Foedus mit Pater Patratus) sowie Zollschan 2011, die sich wieder der Interpretation von Bleicken 1963 als coniuratio anschließt. Spanien: GarciaBellido 2011: 679; Atella: Rutter 2001: Nr. 466; Capua: Rutter 2001: Nr. 487. Rutter datiert die Stücke von Atella und Capua in Zeit des Bündnisses mit Karthago (216–211), doch das fraglos römische Vorbild macht einen Zeitpunkt nach der Rückkehr ins Bündnis mit Rom wahrscheinlicher. Rutter 2001: Nr. 408–428; vgl. Campana 1987. Bei dem mit ähnlichen Personen und Schwein ausgestatteten Münztyp RRC 312/1 (106 v. Chr.) fehlen ikonographische Hinweise auf einen Schwur.
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Crawford bezieht die Darstellung des Denars von 137 v. Chr. auf das foedus der Konsuln Sp. Postumius und T. Veturius Calvinus mit den Samniten im Jahre 321 v. Chr., also auf einen Vorfahren des Münzmeisters. Damals schlossen die mit ihrem Heer bei den Caudinischen Pässen eingekesselten Konsuln einen für Rom eher ehrenrührigen Vertrag, durch den die römischen Legionen jedoch gerettet werden konnten. Der Senat soll aber die Anerkennung des Vertrags verweigert haben.52 Nun war ein vom Senat verweigerter Vertragsabschluss eines Feldherrn in den frühen 130er Jahren allerdings kein neutrales Thema in Rom, denn die Stadt war gespalten in den Streit um die Anerkennung von Verträgen ihrer Feldherrn mit den Spaniern. Zum einen war dies die Abmachung des in Spanien mit wenig Erfolg agierenden homo novus Q. Pompeius, deren Existenz dieser dann gegenüber seinem Nachfolger im Kommando selbst verleugnete. Als die Numantiner sich über das Verhalten des Pompeius beim Senat beschwerten, stärkte dieser dem Proconsuln den Rücken und kam auch nicht dem Antrag nach, den wortbrüchigen Pompeius an die Numantiner auszuliefern.53 Zwei Jahre später, 137 v. Chr., handelte Tiberius Gracchus als Quästor des Konsuls Gaius Hostilius Mancinus erneut einen Vertrag mit den Numantinern aus. In diesem Fall verweigerte der Senat dem Vertrag die Zustimmung. Doch das Abkommen hatte es dem römischen Feldherrn ermöglicht, seine von den Spaniern eingekesselten Truppen zu retten, eine Situation ähnlich wie zwei Jahrhunderte zuvor an den Caudinischen Pässen. Da dem Vertragsabschluss nicht mehr rückgängig zu machende Konsequenzen zugunsten Roms gefolgt waren, stellte die Verweigerung der Anerkennung durch den Senat ein besonderes Stück römischer Perfidie dar. Um sich selbst von Schuld freizusprechen, wurde der gefesselte Mancinus vor den Toren der Stadt den Numantinern zur Auslieferung angeboten. Diese weigerten sich jedoch, das unmoralische Angebot anzunehmen und derart die römische Seite zu entlasten.54 Vor diesem Hintergrund war das Münzbild des Veturius nicht nur Rückerinnerung, sondern ihm wuchs in den 130er Jahren zwingend Aktualität zu. Die Übernahme des Eidszenenmotivs war in dieser Situation eine bewusste Entscheidung, und unstrittig wollte Veturius in einer aktuellen bzw. soeben abgeschlossenen Diskussion Stellung beziehen. Die Darstellung einer eidlichen Verpflichtung durch zwei Krieger kann als inhaltliche Position nur darin münden, dass die von Feldherrn abgeschlossenen Verträge gelten.55 Crawford, der den Münzmeister als Cousin des Tiberius Gracchus anspricht, führt gute Gründe an, dass die Tradition über die verweigerte Anerkennung des an den Caudinischen Pässen geschlossenen Vertrags überhaupt erst unter dem Eindruck der Ereignisse von Numantia entstanden 52 53 54 55
Zu den verschiedenen Schichten der Überlieferung: Crawford 1973. Zu den Vorgängen und zur unterschiedlichen Überlieferung: Miltner 1952: 2056. Cic. Caecin. 98; Liv. per. 56. Ausführlich Crawford 1973. Crawford setzt die Münze aus historischen Gründen ins Jahr 137 v. Chr. Mattingly 2004b: 216 folgt inhaltlich, datiert die Münze aber 136 v. Chr., da erst in diesem Jahr die Diskussion über den im vorangegangenen Herbst abgeschlossenen MancinusVertrag ihren Höhepunkt erreichte.
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ist. Da das Münzbild an den Abschluss eines als legitim dargestellten Vertrags erinnerte, könne die Ablehnung des Vertrags von 321 v. Chr. zum Zeitpunkt der Ausprägung noch keine Orthodoxie gewesen sein. Das Münzbild gebe vielmehr ganz im Gegenteil ein exemplum für die fides Romana. Erst unter dem Eindruck des nicht bestätigten Mancinus-Vertrags hätte sich die von der Mehrheitsmeinung getragene Version hinsichtlich der schon zwei Jahrhunderte zuvor verweigerten Zustimmung ausgebildet und die Geschichte ihre drastische Wendung erfahren. Unter anderem sei das damalige foedus des Feldherrn jetzt nur noch als sponsio beschrieben worden, um der Ablehnung durch den Senat einen auch rechtlich weniger anstößigen Rahmen zu geben.56 Mit aller Vorsicht kann man eine solche Interpretation vielleicht zum Anlass nehmen, in dem POMP der Fostulusmünze – wie dieses schon Theodor Mommsen aufgrund des in dieser gens weit verbreiteten praenomen Sextus tat57 – einen Pompeius zu erkennen: Denn auch der Name des Pompeius war in diesen Jahren äußerst prominent und durch den ersten von Q. Pompeius verhandelten Vertrag gleichfalls eng mit dem Fall Numantia verbunden. Crawford interpretiert das Fostulus-Thema als Ausdruck des imperialen Anspruchs Roms und sieht auf diese Weise im Münzbild eine Unterstützung für den zurückgewiesenen Mancinus-Vertrag.58 Von Crawford nicht ausgesprochene Konsequenz ist allerdings, dass dieses Münzmotiv dann eine Gegenposition zu der nach seiner Abfolge im selben Münzmeistergremium ausgeprägten Eidszene bezieht, welche ja gerade die Vertragstreue betonte. Innerhalb eines Münzmeistergremiums wären dann auf eine zeitgenössische Kontroverse zwei völlig konträre Antworten formuliert worden. Die Forschung nach Crawford ist hingegen nicht bereit, im Fostulus-Denar aktuelle Bezüge zu erkennen: Er wird durchgehend als allein auf Rom bezogener Münztyp interpretiert und damit ans Ende der ‚öffentlichen‘ Bilder gesetzt. Erst die Eidszene des Veturius oder aber die Säulendarstellung der Minucii hätte die Reihe der ‚Familienmünzen‘ eröffnet.59 Doch sowohl Crawfords Erklärung als auch die Beschreibung des FostulusTyps als ‚öffentlich‘ übergehen den so prominent die Szene bestimmenden Hirten. Gemeinsam mit dem nicht weniger hervorstechenden Münzmeisternamen wäre zu überlegen, ob in der Situation dieser Jahre das Stück nicht vor allem der Statuserhöhung der gens Pompeiana diente: Eine im Bild illustrierte und im – möglicherweise gezielt ambivalent platzierten – cognomen vorgenommene Ansippung an Roms prominenten Hirten, mit der sich der Makel der niederen Herkunft veredeln ließ.60 56 57 58 59 60
Crawford 1973: 6. Mommsen 1860: 552. Crawford 1974: 267 f. Evans 1992: 63; 71; Meadows/Williams 2001: 38–44; Mattingly 2004b: 216–219; Evans 2011. Beginn der Familienprägungen ausdrücklich erst mit den Minucius-Münzen nach Höl scher 2014: 27, da der Eidszenentyp unverständlich bleibe. Zum Vorwurf der niederen Herkunft der Pompeii: Cic. Verr. 2,5,181; Cic. Brut. 96; Cic. Font. 23; Mur. 16; s. Gelzer 1983: 12. Annahme des cognomen Fostulus erst mit dieser Münzen auch nach Grueber 1910: Bd. 1, 131.
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Spezifisch, doch nicht befriedigend erklärt ist darüber hinaus das dem Romakopf auf dem Avers beigefügte Gefäß auf den Aversen. Für dessen dickbauchige Form mit einem Henkel und ohne Hals gibt es auf den republikanischen Münzen keine Parallele. Crawford bezieht es in Kombination mit dem Reversbild auf den Kult der Rumina. Dies erklärt allerdings nicht das Vorkommen dieses Gefäßes auch auf den Bronzen dieses Münzmeisters.61 Ob schon bei dem Fostulusstück ein Gefäß für die Aufnahme der tabellae gemeint ist – in Anspielung auf die lex Cassia oder gar auf die erfolglos betriebene Anklage gegen Q. Pompeius – ist m. E. zu erwägen, auch wenn es zu jener Zeit noch kein Vorbild für ein solches Abstimmungsgefäß geben konnte.62 Quellenbedingt – sowohl was die unzureichende literarische Überlieferung als auch die letztlich nicht definitiv jahrgenau datierbaren Münzen betrifft – stößt man bei diesen Überlegungen an Grenzen und weitere Hypothesen dürften der Sache eher schaden. Doch selbst wenn Aussage- und Wirkungsabsicht der Münzbilder nicht gänzlich aufgedeckt werden können, so sind die Bezüge zu den in diesen Jahren prominent verhandelten tagespolitischen Themen nicht zu übersehen. Von einem Zeitgenossen werden diese aktuellen Verbindungslinien – zumal vor dem Hintergrund der spektakulären Abkehr von den bekannten Münzbildern – nicht nur assoziiert, sondern intensiv wachgerufen worden sein, und die mit diesen Münzbildern erinnerten oder konstruierten Familientraditionen traten eher ergänzend hinzu. c) Die Columna Minucia (RRC 242/1 u. 243/1) Der dritte neue Münztyp erscheint unter aufeinanderfolgenden Münzmeistern derselben Familie in zwei verschiedenen Varianten (Abb. 8 f.): Einmal ist eine sich nach oben verjüngende horizontal profilierte Säule mit weit auskragendem Kapitel dargestellt, von dem an Bändern Glocken herabhängen. Auf der Säule erhebt sich eine Figur in toga mit einem Stab in der Rechten. Links neben der Säule steht ein zu ihr gewandter togatus, der seinen linken Fuß auf einen modius setzt. Die beiden demonstrativ hochgehaltenen Gegenstände in seinen Händen bleiben undeutlich: Mit großer Wahrscheinlichkeit trägt er in seiner Linken einen Brotlaib und in der Rechten einen Scheffel. Dieser Figur gegenüber steht rechts von der Säule ein weiterer togatus, dessen Haupt verhüllt ist und der mit seiner Rechten einen lituus emporhält. Beide Figuren blicken zur Säule, auf manchen Exemplaren geht der Blick zu dem die Säule bekrönenden togatus empor. Der Fuß der Säule ist eingerahmt von zwei Löwenprotomen und zwei überdimensionierten Getreideähren. Die Figuren beiderseits der Säule stehen leicht erhöht auf Podesten: Möglicherweise 61 62
Crawford 1974: 268. Eine Deutung als capis bzw. sitella ist m. E. auszuschließen: Solche sind zwar ebenfalls einhenkelig, doch schlanker und stets mit langem Hals: etwa RRC 405/4; 456/1 etc.; vgl. auch Stewart 1997. Folgend: RRC 266/1 (126 v. Chr.); 292/1 (113/112 v. Chr.); 413/1 (63 v. Chr.); 428/1 u. 2 (55 v. Chr.); vgl. Hollstein 1993: 191–196, 301–305; Marshall 1997; Ritter 1998: 609. Zur undeutlich bleibenden Anklage gegen Pompeius: Cic. Font. 23; Val. Max. 8,5,1.
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handelt es sich um eine Gesamtanlage, in der die mittige Säule etwas vertieft eingebunden ist. Die Legende C. AVG im oberen Abschnitt rahmt die Figur auf der Säule ein. Der zweite Münztyp zeigt dasselbe Motiv in deutlich abgekürzter Form: Die Säule verjüngt sich nicht nach oben, das kleine Kapitel kragt nicht heraus und trägt auch keine Glocken. Die Getreideähren an der Basis sind noch zu sehen, jedoch keine Löwenprotomen. Die Figur auf der Säule ist in Relation zum Gesamtbild kleiner und weniger detailliert ausgeführt, auf vielen Abschlägen ist sie schon außerhalb des Bildes. Die Figuren rechts und links der Säule sind hingegen in Haltung und Ausstattung vergleichbar, jetzt allerdings ohne Podest. Beide Figuren gewinnen durch die Reduktion der Säule an Gewicht. Die Legende ist wesentlich ausführlicher: Im oberen Abschnitt ist prominent ROMA zu lesen, hinzu tritt die ausführliche Fassung des Münzmeisternamens: TI MINVCI CF AVGVRINI. Parallel zu den Denaren dieser zweiten Gruppe wurden Aesnominale ausgeprägt, die u. a. durch einen lituus als gemeinsames Beizeichen im Revers aneinander gebunden sind.63 Die Figuren werden von der Forschung uneinheitlich angesprochen. Bei dem togatus mit dem lituus handelt es sich sicherlich um den Auguren des Jahres 300 v. Chr., M. Minucius Faesus. Er zählte im Anschluss an die lex Ogulnia zu den ersten Plebejern im Augurenkollegium. Weniger eindeutig ist die linke Figur: Brotlaib, Scheffel und der sicher zu identifizierende modius sprechen allerdings dafür, dass es sich um L. Minucius Augurinus, den praefectus annonae von 440/439 v. Chr. handelt.64 Für die Figur auf der Säule werden Zuschreibungen als Gott, Ahnherr oder anderer Vorfahr der Familie diskutiert. Aufgrund der toga ist die Deutung als Gott, auch wenn diesbezüglich zuletzt Consus vorgeschlagen wurde, auszuschließen.65 Aus literarischer Überlieferung ist die Columna Minucia bekannt, eine Ehrensäule für L. Minucius Augurinus. Auf dessen Initiative hin wurde in einer Phase stadtrömischen Mangels der Getreidepreis gestützt, und man ließ dem Volk das Getreide zu dem Fixpreis von einem As pro modius zukommen. Als Dank dafür wurde ihm eine Säule errichtet.66 Selbst wenn auf dem Münzbild mit dem Auguren auf einen weiteren Vorfahren der Minucii angespielt wird, so stellen Säule, modius
63 64 65
66
RRC 243/2–5. Die umgekehrte Reihenfolge bei Mattingly 2004b: 213–217. Der zunehmend ausführlicher geschriebene Münzmeisternamen sowie das als Monogramm X geschriebene Wertzeichen sind Argumente für die Reihenfolge Crawfords. Liv. 4,16,2–4. Crawford erkennt in der Figur auf der Säule den L. Minucius. Links der Säule sieht er einen der Konsuln von 492 oder 491 v. Chr. Als Standbild des bei Cannae gefallenen M. Minucius Rufus interpretiert Walter 2004: 31 f. die Säule, mit weiterer Literatur. Gründer der gens nach Wise man 1998: 94; Consus nach Evans 2011: 659 f. Liv. 4,16,2: … quia frumentum Maelianum assibus in modios aestimatum plebi divisit – „weil er das Getreide des Maelius, den Scheffel zu einem as, an die Plebs verteilte.“ (Übers. H. J. Hillen); vgl. auch Plin. NH 18,4; 34,21. Die Überlieferung zu der Säule ist nicht eindeutig, Livius spricht an dieser Stelle von einem vergoldeten Rind. Ausführlich zur Überlieferung und zum Standort: Wiseman 1998.
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und Getreideähren, Scheffel und Brot das Thema Getreideversorgung und die diesbezüglichen Verdienste der Minucii in den Vordergrund. Mit diesem Thema stehen die Münzen der Minucii in ihrer Zeit nicht isoliert: Auch auf den um 134 v. Chr. geprägten Münzen des M. Marcius gibt es Hinweise auf Getreide (Abb. 12): Der Grundtyp, eine nach rechts in einer biga eilende Victoria, ist zunächst unauffällig. Doch davor sind zwei überdimensionierte Ähren ins Bild gesetzt. Sie wiederholen sich nicht auf den zugehörigen Bronzen, sind also keine Beizeichen, sondern eindeutig Motiv. Ergänzt wird das Motiv der Ähre durch einen modius, der auf dem Avers jeweils hinter dem Kopf der Roma zu sehen ist.67 Getreideähre und modius werden zu Recht als Hinweise auf den Vorfahren Mn. Marcius identifiziert. Er soll als Aedil erstmals dem Volk Getreide zu einem garantierten Preis von einem As pro modius gegeben haben.68
Abb. 12: RRC 245/1, 3,88 g, 5h, Inv.-Nr.: RÖ 2737
Sowohl bei den Minucii als auch bei M. Marcius erinnern die Münztypen zwar an Vorfahren, doch konnten Fragen der Getreideversorgung in diesen Jahren ebenfalls nicht völlig unverfänglich verhandelt werden. Nach der Mitte des 2. Jahrhunderts v. Chr. war es in Rom wiederholt zu Problemen mit der Getreideversorgung gekommen. Die kontinuierlich wachsende Stadtbevölkerung konnte zwar durch die neuen Bezugsquellen aus Sizilien, Sardinien und Nordafrika versorgt werden, doch allein schon die erforderlichen Mengen hoben im Fall von Missernten oder äußeren Erschütterungen, wie etwa dem Sklavenkrieg auf Sizilien, die Krisenanfälligkeit regelmäßig auf ein innenpolitisch gefährliches Niveau. Zudem mussten die Legionen mit Getreide versorgt werden, die bei der Anlieferung des Überseegetreides Vorrang besaßen. Versorgungsengpässe in der Hauptstadt scheinen mit Phasen zu korrespondieren, in denen viele Legionen im Feld standen. So werden die Jahre 142 und 138 v. Chr. als Mangeljahre für Rom bekannt, gleichzeitig standen vor Numantia sieben bis acht Legionen.69 Die Heranschaffung von zusätzlichem Getreide für die Hauptstadt war eher zur Regel als zur Ausnahme geworden, und jedes Mal bot sie ambitionierten Aristokraten die Gelegenheit, sich durch private Initiative und gegebenenfalls sogar kostenlose Verteilung von Getreide zu profilieren.
67 68 69
RRC 245/1 (134 v. Chr.). Plin. NH 18,15: Manius Marcius aedilis plebis primum frumentum populo in assibus datavit. – „Der Volksädil Manius Marcius gab zum ersten Mal dem Volk den modius Getreide für einen as.“ (Übers. R. König). Mit den Quellen Garnsey/Rathbone 1985.
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Die uneinheitlich und auch nicht widerspruchsfrei überlieferte Geschichte zum praefectus annonae Lucius Minucius ist mit den Umtrieben des Spurius Maelius verbunden. In einer Versorgungskrise soll Maelius mit privaten Mitteln Getreide angekauft und in der Hauptstadt kostenlos verteilt haben. Maelius wurde daraufhin verdächtigt, das Königtum anzustreben. L. Minucius zeigte Maelius an, doch als dieser sich weigerte, vor dem zum Diktator eingesetzten L. Quinctius Cincinnatus zu erscheinen, wurde er von dessen magister equitum C. Servilius Ahala erschlagen. Das Problem der Rechtmäßigkeit der Tötung des Maelius, für das in dieser Version mit der Einfügung des Diktators eine dem späteren senatus consultum ultimum gleichkommende Antwort gefunden wurde, ist wohl erst nach der Tötung des Tiberius oder gar erst Gaius Gracchus in die Geschichte getragen worden.70 Doch der Konflikt zwischen der durch Maelius verkörperten privaten und der durch Minucius personifizierten öffentlichen Fürsorge gehört zum älteren Kern.71 Eine institutionalisierte Lösung dieses Problems gelang schließlich Gaius Gracchus mit der lex frumentaria.72 Sie bewegte sich genau im Bereich des von L. Minucius bzw. Mn. Marcius Praktizierten, nämlich die Abgabe des Getreides an die plebs urbana einerseits durch zuständige stadtrömische Magistrate, andererseits zu einem Fixpreis. Das für das Militär etablierte Verfahren wurde damit auf die stadtrömische Bevölkerung übertragen. Die Münzbilder der Minucii und des Marcius zeigten mithin über das Beispiel der Vorfahren einen Lösungsweg für die hauptstädtische Getreideversorgung an, wie sie ein Jahrzehnt später Gesetz wurde.73 Auch in diesen Fällen steht also der Blick auf die familiäre Vergangenheit ganz im Zeichen der Gegenwart. Blickt man von einem solchen Ergebnis zurück, so gewinnen für die Veränderungen in den Jahren zuvor ebenfalls die zeitgenössischen Bezüge an Gewicht: Denn schon die Einführung des Dioskurendenars auf dem Höhepunkt des Zweiten 70 71 72 73
Liv. 4,11,8–16,2. Zu den Schichten der Maelius-Erzählung detailliert Walt 1997: 319–324; vgl. auch Wiseman 1998. Wiseman 1998: 99. Erdkamp 2000: insbes. 67–70. Mattingly 2004b: 220 setzt auch beide Stücke in Verbindung, sieht jedoch keine tagesaktuellen Bezüge, sondern einen Wettbewerb zwischen den Minucii und Marcii: „M. Marcius M. f. is probably son of the plebeian aedile who ca. 150 first distributed grain to the people at an as to the modius. His claim apparently spurred Ti. Minucius Augurinus to run for moneyer and assert the much earlier priority in this matter of a distant ancestor to 429“. Doch auch die Münztypen RRC 260/1 (128 v. Chr.: Kornähre unter Victoria in biga) und 261/1 (128 v. Chr.: Kornähre hinter Kopf der Roma) rufen in diesen Jahren das Getreidethema auf, ohne dass sich inhaltliche Verbindungen zu den Vorfahren der durchaus prominenten Familien des T. Cloelius bzw. Cn. Domitius (Ahenobarbus) herstellen lassen. Ganz im Sinne der lex Gabinia-These deutet Craw ford 1974: 710 f., 729 alle Münzbilder mit Getreidemotiv als ‚aedilizische‘ Typen („moneyership as a substitute for an aedilship“): „It is almost as if the moneyers concerned place on their coins as an indication of what they would have provided if they had been elected Aediles“ (729). In diesem Sinne wird auch der Löwenkämpfer auf RRC 261/1 interpretiert, während der an gleicher Position platzierte Elefantenkopf auf RRC 262/1 nicht als Wahlversprechen, sondern als Hinweis auf die Meteller gedeutet wird. Vgl. zur Diskussion von Fragen der Getreideversorgung im Jahre 138 v. Chr. auch Vell. 3,7,3.
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Römisch-Karthagischen Krieges war nicht nur geldwirtschaftlich, sondern mit der auf die Kriegssituation bezogenen Auswahl der rettenden Zwillinge auch im Bildmotiv der aktuellen politischen Situation geschuldet.74 Nicht weniger dürfte der Wechsel von der Luna zur Victoria in der biga zeitlich nach dem Sieg von Pydna mit der damaligen Hochstimmung zu verbinden sein.75 Das Aufscheinen des Iupiter in der quadriga um 144 v. Chr., als erste Wiederholung eines Didrachmenmotivs in der Denarprägung und Auftakt der Reihe der ‚wagenfahrenden Gottheiten‘, folgte fast unmittelbar auf die Besiegung Karthagos und Korinths sowie die Errichtung der beiden neuen Provinzen Africa und Macedonia mit dem Anschluss Achaeas. Und auf Kriegsruhm verweist schließlich auch der 138 v. Chr. auf dem Avers um den Kopf der Roma erscheinende Lorbeerkranz, dessen Revers Mars oder einen Krieger mit Gefangenem in der quadriga zeigte.76 Für alle genannten Veränderungen lassen sich keine Familienbezüge benennen. Die Reihe wird schließlich durch die Eidszenen-, Fostulus- und Minucierreverse nicht nur chronologisch, sondern in der Aufnahme aktueller Stimmungen und Themen auch inhaltlich fortgesetzt. Bemerkenswert ist allerdings in diesen Fällen, dass die Bilder – im Gegensatz zu den vorangegangenen Siegesbekundungen – keine kollektive Selbstvergewisserung mehr bekundeten, sondern innenpolitische Diskussionen in den Blick nahmen. An ein ‚äußeres‘ Publikum war bei diesen Münzbildern nicht mehr gedacht.77 d) Tagespolitische Bezüge und exempla Für die in die frühe und früheste Republik verweisenden Rückerinnerungen stellt sich stets die Frage, ob es sich um tatsächliche Vergangenheiten oder um die Konstruktion Späterer handelt. Die Aneignung der Vergangenheit war im spätrepublikanischen Rom bekanntermaßen unkontrolliert und bereits die Zeitgenossen sahen das so.78 Als spätere Konstruktion deutet Crawford die Ablehnung des Vertrags an den Caudinischen Pässen durch den Senat, und in ganz anderer Wendung sieht Evans in den Münzen der Minucii den Versuch, die eigene Geschichte festzuschreiben, einschließlich des wohl hier erstmals beanspruchten cognomen Augurinus.79 In diesem Sinn war oben überlegt worden, ob nicht auch das cognomen Fostulus in der Situation der frühen 130er Jahre ein Versuch der Statuserhöhung der bis dahin kaum bekannten Pompeii war, ein Versuch, der sich letztlich nicht durchsetzen 74
75 76 77 78 79
Detailliert Hollstein 2008, der darüber hinaus familiäre Bezüge zu den damals amtierenden Konsuln vorschlägt. Dass der neue Münztyp nicht von Anfang an als gleichbleibend konzipiert war, zeigen Varianten mit carnyx und gallischem Schild, die noch während des Römisch-Karthagischen Krieges das Motiv aktualisierten: RRC 120/1 (206–200 v. Chr.). Crawford 1974: 721. RRC 232/1 (138 v. Chr.). Nach den Siegen über Karthago und Griechenland waren etwa auch Erfolge in Lusitanien zu feiern. Zum mitunter eng umgrenzten Publikum republikanischer Münzbilder: Wolters 2016. Etwa Liv. 8,40,4 f.; Cic. Brut. 62. Crawford 1973; Evans 2011: 660 f. Nach Evans wird mit dem Münzbild überhaupt erst der Anspruch auf Errichtung einer Säule erhoben.
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konnte. Doch eine geschlossene Untersuchung zur möglichen Rolle der republikanischen Münzbilder für die römische Vergangenheitskonstruktion steht noch aus. Eine Gemeinsamkeit der vorgestellten Stücke ist allerdings, dass ihre Bilder auf konkrete Handlungen bzw. konkret Handelnde verweisen und damit durchgehend über die Hervorhebung von Abkunft hinausgehen. Vielmehr stehen alle dargestellten Vorfahren für ein bestimmtes Verhalten, das überdies mit Fragen der Gegenwart verbunden ist. Derartige Verweise werden im Römischen mit dem Begriff exemplum erfasst.80 Exempla sind an konkrete Situationen gebunden, in denen sie als Leitbild in Erinnerung gerufen werden und Handlungsanweisungen geben. Dabei stehen nicht die exempla ausübenden Personen im Vordergrund, sondern deren über die konkreten Umstände hinausgehenden, überzeitlich gültigen Eigenschaften und Verhaltensweisen. Eindeutig ist dies bei der Eidszene, die mit der Darstellung des Vertragsabschlusses für die fides (Romana) steht und zu verschiedenen Zeiten als Chiffre für Vertragstreue Verwendung fand. L. Augurinus sowie der dezenter in Erinnerung gebrachte Mn. Marcius verkörpern die erfolgreiche Getreidefürsorge im Amt und beide zeigen mit der Regulierung des Preises denselben Lösungsweg auf. Etwas schwieriger ist der Fall des Fostulus, der zunächst einmal Verdienste der Pompeii für Rom ins Zentrum stellt. Man kann mutmaßen, ob Fostulus darüber hinaus, in Anlehnung an die aktuelle Kontroverse um Q. Pompeius, für ‚richtiges Verhalten‘ steht: Auch Fostulus wurde durch das geheim gehaltene Aufziehen der Zwillinge – wobei er nach einer anderen Version der Geschichte bereits das ihm angetragene Aussetzen der Zwillinge verweigert hatte – gegenüber seinem Herrn Amulius wortbrüchig, stand damit aber auf der moralisch besseren Seite und tat das für Rom Richtige. In allen Fällen wagten sich die Münzmeister mit ihren tagespolitischen Stellungnahmen sehr weit vor. Unter einer solchen Perspektive der Aufnahme aktueller Kontroversen in den neuen Münzbildern, die fraglos mit dem vorherrschenden Paradigma der Familienwerbung auf breiterer Grundlage zu überprüfen und zu gewichten ist, stellt sich der Übergang zur Abkehr von den standardisierten Denarbildern jedenfalls sehr anders dar. 3. BESCHLEUNIGUNG UND ENTSCHLEUNIGUNG: RHYTHMEN DER VERÄNDERUNG Der weitere Weg kann nur noch kurz skizziert werden:81 In den Jahren von ca. 133 bis 129 v. Chr. trugen die Denare wieder ausschließlich ‚wagenfahrende Gottheiten‘ auf den Reversen. Dieses wiederholt sich zwischen ca. 123 und 116/115 v. Chr. 80 81
Zum Begriff: Walter 2004: 51 ff.; vgl. auch Hölkeskamp 2012. Hölscher 1980: 270 erweitert den Begriff auf Ehrenmonumente und historische Gemälde, die nicht allein das Vergangene darstellten, sondern Leitbegriffe seien. Die folgende Skizze versteht sich als Gegenentwurf zur konsequenten Interpretation dieser Münzen als Familienprägungen etwa bei Flower 1996: 333–338; Meadows – Williams 2001: 38–43; Mattingly 2004b: 217 f. Vgl. Woytek 2012: 326 f.; Hölscher 2014: 27–31.
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Crawford verbindet diese zweite Phase mit einer von ihm vorausgesetzten lex de ambitu oder einem senatus consultum, wodurch der privaten Aneignung der Münzbilder Einhalt geboten worden sei.82 Doch unabhängig davon, dass Crawfords Interpretation ein Verständnis der Münzen als Familienwerbung voraussetzt und überdies eine durch die Quellen nicht gedeckte Erklärung für das Wiedereinsetzen benötigt wird, fragt sich, ob nicht beide Pausen miteinander zu verbinden sind: Ist dies vielleicht die bislang von der Forschung vermisste Widerspiegelung der Auseinandersetzungen um die Gracchen in der Münzprägung? Zeigen würden sich diese nicht in programmatischen bzw. die Kontroversen inhaltlich aufnehmenden Münzbildern, sondern in dem Verstummen nach dem Scheitern des Tiberius bzw. der Vorsicht und abermaligem Verstummen nach dem Ende des Gaius Gracchus. Eine derartige Zurücknahme wäre im Einklang mit den restaurativen Tendenzen jeweils nach dem Scheitern der Brüder. An die erste Unterbrechung schließen dann um 129 v. Chr. Denare des Philippus an, die einen einzelnen Reiter zeigen. Mit dem hier möglicherweise in Anlehnung an den Großvater erstmals beanspruchten cognomen ist ein Familienbezug evident.83 Ob der Münztyp darüber hinaus mit einem aktuellen Thema, wie dem von Crawford erwogenen plebiscitum reddendorum equorum verwoben ist, lässt sich nicht eindeutig beantworten. Ein aktueller Kontext besitzt dann allerdings mit der Münze des N. Fabius Pictor von ca. 126 v. Chr. wieder höhere Wahrscheinlichkeit. Der Revers zeigt wohl nicht den Vorfahren des Münzmeisters, Q. Fabius Pictor, sondern Quirinus. Dieser ist mit Helm, Rüstung und Speer dargestellt, hält zugleich aber in der vorgestreckten Hand einen apex (Abb. 13).84 Von Hollstein wird dieses ganz im Sinne der Familienwerbung als Anspruch des Münzmeisters auf das in seiner Familie mehrmals bekleidete Amt eines flamen Quirinalis bezogen. Doch die Kombination aus Kriegsrüstung und demonstrativ hochgehaltenem apex war in der Lage, nicht nur eine vergangene, sondern ebenso eine zeitgenössische Kontroverse in Erinnerung zu rufen: Zu Beginn des 2. Jahrhunderts war aus der Familie des Münzmeisters der flamen Quirinalis Q. Fabius Pictor vom pontifex maximus daran gehindert worden,
Abb. 13: RRC 268/1b, 3,77 g, 9h, Inv.-Nr.: RÖ 1920
82 83 84
Crawford 1974: 729. RRC 259/1 (129 v. Chr.), von Mattingly 2004b: 208 auf 126 v. Chr. datiert; vgl. zum Münztyp auch RRC 293/1; zu den cognomina Kajanto 1965. RRC 268/1 (126 v. Chr.); von Mattingly 2004b: 208 auf 124 v. Chr. datiert. Die von Crawford als Fabius Pictor angesprochene Figur auf dem Revers wird von Hollstein 2011 überzeugend als (Kultbild des) Quirinus gedeutet.
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das ihm zugewiesene Kommando für die Provinz Sardinien zu übernehmen.85 131 v. Chr., also wenige Jahre vor Prägung der Münze, erstritt der pontifex maximus P. Licinius Crassus Dives Mucianus über einen Volksbeschluss den Oberbefehl im Kampf gegen Aristonikos. Dies war ihm möglich, weil er zuvor Kraft seines priesterlichen Amtes dem Mitkonsul L. Valerius Flaccus, der dieses Kommando ebenfalls anstrebte, den Gang in die Provinz verboten hatte, da er sich seinen Pflichten als flamen Martialis nicht entziehen dürfe. Doppelmoral und das Hinwegsetzen über die eigenen religiösen Pflichten gingen für Crassus nicht gut aus: Außerhalb Italiens wurde er im Feld besiegt und fiel als pontifex maximus.86 Es scheint, dass der Münzmeister N. Fabius Pictor mit seiner Münze dem Licinius Crassus in der Nachbetrachtung das bessere exemplum in der Einhaltung religiöser Verpflichtungen aus der eigenen Familie entgegensetze.87 Mehrere Münztypen der folgenden Jahre thematisieren das Bürger- und das Provokationsrecht: C. Cassius zeigte um 126 v. Chr. eine Libertas in der quadriga (Abb. 14).88 Sie erinnerte fraglos an die lex Cassia tabellaria zur geheimen Abstimmung in den Volksgerichten. Die Weiterentwicklung der Tabellargesetze wie die lex Papiria von 131 v. Chr., die lex Maria von 119 v. Chr. oder die lex Coelia von 107 v. Chr. verdeutlicht jedoch, dass eine solche Erinnerung in einer anhaltenden Diskussion stand. Ganz ähnlich zeigte wohl kurz darauf M. Porcius Laeca erneut Libertas in einer quadriga, die jetzt von einer fliegenden Victoria bekränzt wurde. Über den Namen des Münzmeisters erschließt sich die Verbindung zu den leges Porciae de provocatione. Doch auch diese waren nicht nur familienbezogene Rückerinnerung, sondern berührten eine zeitgenössische Auseinandersetzungen, nämlich die Frage nach der Stellung der Bundesgenossen:89 125 v. Chr. war der Antrag des M. Fulvius Flaccus gescheitert, den Bundesgenossen Bürger- oder Provoca-
Abb. 14: RRC 266/1, 3,81 g, 3h, Inv.-Nr.: RÖ 1280 85 86 87
88 89
Liv. 37,50,8; 51,1–6 (189 v. Chr.) mit Betonung der am Ende gezeigten Einsicht des Q. Fabius Pictor. Cic. Phil. 11,18; Liv. Per. 59. Dabei war es bereits der – als großer Kenner des Pontifikalrechts bekannt gewordene – Großvater des Crassus, der dem Prätor Q. Fabius Pictor 189 v. Chr. die Übernahme der ihm zugewiesenen Provinz Sardinien verboten hatte. Hollstein 2011 hat die Verbindung gesehen, deutet den Münztyp allerdings gleichwohl allein als Familientyp: „… dass der Münzmeister N. Fabius Pictor unter Anspielung auf Flaminat und Prätur seines Großvaters an die für diesen ungünstig endende innenpolitische Auseinandersetzung mit dem pontifex maximus erinnert haben soll, ist doch mehr als unwahrscheinlich“ (48). RRC 266/1 (126 v. Chr.; von Mattingly 2004: 208 auf 131 v. Chr. datiert). RRC 270/1 (125 v. Chr.; von Mattingly 2004: 208 auf 123 v. Chr. datiert). Zur engen Verbindung von provocatio und lex Cassia als Teil der Libertas: Ritter 1998: 612 f.
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tionsrecht zu verleihen. Kurz danach brachten C. Gracchus und – wenn auch mit völlig gegensätzlichen Absichten – M. Livius Drusus ähnliche Vorlagen ein. Erst im Italikerkrieg fand das Thema seine gewaltsame Lösung. Die Illustration einer provocatio-Szene durch P. Porcius Laeca nochmals zehn Jahre später um 110/109 v. Chr. ist ohne Frage gleichfalls diesem Komplex zuzuordnen (Abb. 15):90 Solange diese Diskussion noch offen war, funktionierten die Verweise auf die Vorfahren nicht als völlig entkontextualisierte oder monumentalisierende Erinnerung, sondern sie stießen die Betrachter auf aktuell verhandelte Fragen und zeigten bestimmte Positionen oder Lösungswege auf.91
Abb. 15: RRC 301/1, 3,70 g, 7h, Inv.-Nr.: RÖ 3456
Schließlich ist auch die Kriegs- und Siegesthematik dieser Jahre konkret und explizit zeitgenössisch: Die Siegesthemen von ca. 119/118 v. Chr. verweisen mit dem carnyx auf Siege über Gallier, vermutlich die Einrichtung der Gallia Narbonensis 121 v. Chr. (Abb. 16 f.).92 Die Erinnerung des M. Sergius Silus an seinen gleichnamigen Großvater – der im zweiten Römisch-Karthagischen Krieg zweimal von Hannibal gefangen genommen wurde und zweimal geflohen war, und als er seine rechte Hand im Kampf verloren hatte, mit seiner Linken weiterkämpfte – wird im Münzbild mit einem abgetrennten gallischen Haupt in der das Schwert führenden linken Hand aktualisiert (Abb. 18). In andauernden und wechselhaften Kriegszeiten
Abb. 16: RRC 281/1, 3,81 g, 11h, Inv.-Nr.: RÖ 2101
90 91 92
Abb. 17: RRC 282/1, 3,90 g, 4h, Inv.-Nr.: RÖ 886
RRC 301/1 (von Mattingly 2004: 206 auf 106 v. Chr. datiert). Dabei ist freilich über die Aufnahme des Themas hinaus die Richtung der Argumentation nicht erkennbar. Solange die jahrgenaue Datierung der Münzen nicht gesichert ist, bleibt es besser, zuspitzende Interpretationen zu vermeiden. RRC 281/1 u. 282/1 (von Mattingly 2004: 208 auf 118 u. 115 v. Chr. datiert).
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Abb. 18: RRC 286/1, 3,86 g, 8h, Inv.-Nr.: RÖ 3800
war er ein starkes exemplum für die römische Unbeugsamkeit.93 Ohne hier jetzt alle Münztypen der folgenden beiden Jahrzehnte auf ihre Aktualität zu befragen, wird doch hinreichend deutlich, dass der Weg zu den Denaren des Fundanius, die am Ende des Jahrhunderts mit dem triumphierenden Marius erstmals einen lebenden Mitmenschen im Revers zeigten, sich über eine lange Strecke zeitgenössischer Verweise zurückverfolgen lässt (Abb. 19-20).94
Abb. 19: RRC 326/1, 3,87 g, 6h, Inv.-Nr. RÖ 2076
Abb. 20: RRC 326/2, 1,79 g, 6h, Inst. für Numismatik, Univ. Wien
Insgesamt werden also tagespolitische Bezüge bereits in den ersten zwei Jahrzehnten der „neuen“ Münzbilder mehr oder weniger explizit gegeben, und von ihnen ging sogar der Durchbruch zu den wechselnden Denarbildern aus. Vor diesem Hintergrund sollte man auch eindeutige Familienbilder, wie etwa jene der Meteller, die als Geschlecht diese Jahrzehnte überragten, nicht nur als – allzu leicht überzeitlich verstandene – Monumentalisierung klassifizieren, sondern stets auch auf möglicherweise aktuell vorgebrachte Machtansprüche befragen.95 Ein Problem einer derartigen Perspektive mag noch sein, warum mehrmals gerade Angehörige solcher Familien in diesen Jahren das Münzmeisteramt bekleideten, die über exempla ihrer Vorfahren an zeitgenössische Probleme anknüpfen konnten, wie etwa die Minucii, Marcius, Pompeius oder Veturius. Dies kann ein Problem der 93
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95
RRC 286/1 (116/115 v. Chr.; von Mattingly 2004: 206 auf 113 v. Chr. datiert); Plin. NH 7,104–106. Vgl. ähnlich RRC 319/1 (103 v. Chr.). Man ist versucht, für diesen Münztyp eine Datierung nach der Niederlage von Noreia anzunehmen, doch auch hier muss die Datierung unabhängig von der Bildinterpretation gewonnen werden. RRC 326/1 (101 v. Chr.) mit dem auf einen Galliersieg verweisende Quinar mit carnyx und Gefangenem RRC 326/2. Der reitende Junge auf dem Denar macht eindeutig, dass es sich hier um die Erinnerung an eine historische Szene, keine Götterdarstellung handelt. Mattingly 2004b: 221 will auch in dieser quadriga-Darstellung noch keine tagesaktuellen Bezüge erkennen; anders zu Recht Woytek 2012: 327. So bereits Kritik die von Walter 2004: 31 mit Anm. 83 an Meadows/Williams 2001, die „die Aktualisierung des historischen Interesses durch die politischen Ereignisse ausblenden.“
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Beobachtungsbedingungen sein, möglicherweise hätten andere Münzmeister dieselben Probleme mit anderen Bezügen aufgegriffen. Möglich ist aber auch, dass dieses – soweit es sich in ihren Münzbildern nicht überhaupt um konstruierte Vergangenheit handelt – ganz bewusst so gesetzt wurde, unabhängig auch von der strittigen Frage nach Ernennung oder Wahl der Münzmeister in dieser Zeit.96 Könnte es ein, dass manche Kandidaten bereits mit dem Blick auf das Potential familiärer exempla gefördert wurden, damit diese sichtbar wurden? Aus einer derartigen Konstellation könnte dann sogar der Zwang der Münzmeister erwachsen sein, einer solchen Erwartung der Sichtbarmachung besonders zu entsprechen, bis hin zu einer Abänderung der etablierten Münzbilder. Eine solche breitere Einbettung des Handelns der Münzmeister in politische factiones – fast im Sinne Münzers – könnte eine Erklärung sein, warum sich gegen die Aneignung der Bilder durch die niederen Magistrate kein Widerstand bildete. Sie war von breiteren, über die Familie hinausgehenden Kreisen so gewollt. Doch genauso bemerkenswert ist, dass alle hier behandelten Münzmeister mit innovativen Münzbildern keine weitere Karriere machten. Auch dieses ist ein Indiz dafür, dass die Nutzung der Münzbilder als Karriereinstrument nicht das stimmigste Konzept ist. Ein Grund mag sein, dass derartige inhaltliche Positionierungen erhebliche Risiken bargen, Risiken, die sich nicht auszahlten. Hinzu kommt, dass alle sich besonders weit in die Tagespolitik vorwagenden Münzmeister nicht aus prominenten Familien stammten. Zieht man beides zusammen, so war offensichtlich von Anfang an gültig, was Wilhelm Hollstein für das 1. Jahrhundert v. Chr. aufzeigen konnte: Es waren die homines novi, die in ihrer Auswahl der Münzbilder eher zu konkreten Festlegungen bereit waren und die das höhere Risiko nicht scheuten.97 4. ZUSAMMENFASSUNG Gegenüber der vorherrschenden Erklärung als ‚Familienpropaganda‘ werden die tagespolitischen Anspielungen auf den Denarbildern des späteren 2. Jahrhundert v. Chr. akzentuiert. Auch wenn die oft noch nicht jahrgenau gesicherte Datierung der Münztypen Grenzen setzt und Einzelfälle der Interpretation strittig bleiben werden, so tritt in einer Art kumulativer Evidenz doch hinreichend zu Tage, dass die Themen der Münzbilder regelmäßig aktuelle Debatten und Entwicklungen berührten. Insbesondere scheint schon der Übergang zu den wechselnden Münzbildern in der Mitte der 130er Jahre v. Chr. von den aktuellen Auseinandersetzungen nicht abtrennbar zu sein. Gegen die communis opinio wird der lex Gabinia keine Rolle für den Paradigmenwechsel in der republikanischen Münzprägung zugemessen, und ebenso unterschätzt das Konzept der Monumentalisierung der Erinnerung die tagespolitischen Einbettungen und Interessen. Vor diesem Hintergrund sollte noch einmal auf breiterer Basis überprüft werden, in wie weit als Familiengeschichte 96 97
Mit Diskussion zuletzt Woytek 2003: 85, der für diese Phase die Ernennung favorisiert. Doch auch im Fall der Wahl der Münzmeister konnten führende Aristokraten Roms die Kandidaten etwa durch die Begleitung bis zum Wahlplatz sichtbar unterstützen: Gelzer 1983: 85 f. Hollstein 1993: 395 f.
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verstandene Münztypen der römischen Republik nicht viel häufiger exempla waren, die auf tagesaktuelle Kontroversen und Gruppierungen verweisen.
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III. SOZIALE STRUKTUREN IN ROM
VERWANDTSCHAFTSBEZIEHUNGEN UND HANDLUNGSMÖGLICHKEITEN VON MÄNNERN UND FRAUEN VON DER FRÜHZEIT ROMS BIS ZUM ENDE DER REPUBLIK Jochen Martin, Freiburg In den Forschungen zu den römischen Verwandtschaftsbeziehungen stehen die agnatischen Bindungen im Vordergrund,1 die rechtlich festgeschrieben und wichtig für die politische Führungsposition der adligen Familienväter sind. Die erste Rechtsquelle zur kognatischen Verwandtschaft findet sich erst im Prätorischen Erbrecht der späten Republik, aber ihre Regeln – etwa zu den Heiratsverboten – sind wahrscheinlich älter als die zur agnatischen familia. Um das zu zeigen, muss ich in den ersten beiden Abschnitten häufiger auf frühere Arbeiten zurückgreifen.2 1. DIE AGNATISCHE FAMILIA UND DIE MACHT DER MÄNNER Die agnatische familia umfasst alle diejenigen, die sich im selben Hausverband befinden oder noch befänden, wenn ihr gemeinsamer Vater oder Vorvater noch am Leben wäre. An ihrer Spitze steht der paterfamilias, der Hausvater, der zu dieser Position erst aufsteigen kann, wenn sein eigener paterfamilias stirbt. Ein Haussohn, der verheiratet ist, dessen eigener Familienvater aber noch lebt, ist also nicht paterfamilias. Deshalb hat Yan Thoma betont, dass es sich bei ihm um eine Rechtskonstruktion handelt – sonst wäre nicht einsichtig, dass einem verheirateten Haussohn mit Kindern dieses Prädikat nicht zukäme.3 Die Handlungsmöglichkeiten des paterfamilias sind zusammengefasst in der vitae necisque potestas. So lautet die Formel für die Adrogation eines gewaltfreien Mannes, die vor der Volksversammlung stattfand: „Ihr möget beschließen, daß L. Valerius dem L. Titius so nach Recht und Gesetz Sohn sei, als ob er von ihm als Vater und seiner Familienmutter geboren wäre, und daß ihm [sc. dem L. Titius als adoptierenden Vater] die Gewalt über Leben und Tod gegenüber ihm [sc. dem zu adoptierenden Sohn] zustehe, wie sie dem Vater gegenüber einem [sc. natürlichen] Sohn zusteht.“4 1 2 3 4
Vgl. den Überblick bei Harders 2012. Martin 2009a; 2009b; 2009c; 2009d u. 2009e, wo sich auch ausführlichere Verweise auf die Forschungsliteratur finden. Thomas 1984. Gell. 5,19,9: Velitis, iubeatis, uti L. Valerius L. Titio tam iure legeque filius siet, quam si ex eo patre matreque familias eius natus esset, utique ei vitae necisque in eum potestas siet, uti patri endo filio est.
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Diese Vollgewalt des paterfamilias ist also rechtlich festgelegt. Und sie wird (außer gegenüber der Ehefrau) in ihrer extremen Form nur in Anspruch genommen bei politischen Vergehen. Als im Jahre 139 T. Manlius Torquatus unter Einwilligung des Senats über seinen Sohn Decius Silanus, der von den Bundesgenossen Geld angenommen hatte, eine gerichtliche Untersuchung durchführte und ihn dann verstieß, gebrauchte er die Formel: „Ich urteile, dass er der res publica und meines Hauses unwürdig ist, und befehle, dass er sich sofort aus meiner Nähe zu entfernen hat.“5 Die Hausväter sind also Teil des rechtlichen und politischen Systems der Republik, sie repräsentieren gegenüber den ihrer Gewalt Unterworfenen diese Republik. Ein zentraler Inhalt ihrer Gewalt war, die politische Zuverlässigkeit von Gewaltunterworfenen zu garantieren. Deutlich wird das u. a. auch darin, dass Sklaven und Klienten, wenn sie Eide leisteten, dies beim Genius ihres paterfamilias taten. Dieser Genius des Hausherrn wird von allen Hausbewohnern verehrt, insbesondere am Geburtstag des paterfamilias, der auch der Geburtstag von dessen Genius ist. Dieser stellt also auch die Macht des Hausvaters dar.6 Auch zum agnatischen Verwandtschaftskreis gehörte die Ehefrau des paterfamilias, die materfamilias, wenn sie, was bis um 200 üblich war, bei der Heirat in die Familiengewalt des Mannes, die manus, übergetreten war. Sie hatte dann in der familia denselben Status wie ihre Kinder und erbte auch wie diese. Dagegen konnten ihre Kinder in der gesetzmäßigen Erbfolge sie nicht beerben, es sei denn, sie machte ein Testament, wozu sie wahrscheinlich seit dem 4. Jh. berechtigt war. Während der Titel paterfamilias einen Mann bezeichnet, der keine agnatischen Vorfahren mehr über sich hat, ist die materfamilias die Ehefrau des paterfamilias, gewinnt also ihren Titel in Bezug auf ihren Mann. Außer dass sie mit ihren Kindern Erbin ihres Mannes ist, hat sie keine weiteren Rechte, kann z. B. nicht adoptieren, nicht Vormund für ihre Kinder sein, auch testamentarisch keinen Vormund bestellen. Sie bleibt also in den Grenzen ihrer eigenen Person, kann sich als Person nicht fortsetzen, weshalb der Jurist Ulpian formuliert: „Die Frau ist sowohl der Anfang als auch das Ende ihrer Familie.“7 Auch die Ehefrau war der Strafgewalt des paterfamilias unterworfen, dies freilich nicht anlässlich politischer Vergehen. Dazu schreibt der ältere Cato: „Wenn ein Mann die Scheidung vollzieht, richtet er bei seiner Frau gleichsam als Censor. Er hat sozusagen unumschränkte magistratische Gewalt (imperium). Wenn die Frau etwas Schändliches oder Hässliches getan hat, wird sie betraft (multitatur). Wenn sie Wein getrunken hat, wenn sie mit einem fremden Mann Unzucht getrieben hat, wird sie verurteilt (condemnatur).“ Über das Tötungsrecht schreibt Cato: „Wenn du deine Frau beim Ehebruch angetroffen hast, darfst Du sie straflos ohne Urteil töten.“8 Hier wird also die Urteils- und Strafgewalt verglichen mit der Gewalt des 5 6 7 8
Val. Max. 5,8,3: … et re publica eum et domo mea indignum iudico protinusque e conspectu meo abire iubeo. Cf. Eisenhut 1979. Dig. 50,16,195,5: Mulier autem familiae suae et caput et finis est. Bei Gell. 10,23,4–5: Vir … cum divortium fecit, mulieri iudex pro censore est, imperium, quod videtur, habet, si quid perverse taetreque factum est a muliere; multatur, si vinum bibit; si cum
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Censors und dem magistratischen Imperium. Wenn eine Frau beim Ehebruch nicht ertappt, aber dessen angeklagt wurde, dann entschied darüber ein Hausgericht, dem auch cognati angehörten. Es ist für die Republik kein konkreter Fall überliefert, in dem eine Frau von ihrem paterfamilias getötet worden wäre. Aber die Regelungen sind aufschlussreich für den republikanischen Herrschaftsdiskurs mit seiner Verschränkung von häuslicher und politischer Macht. Nur Mitglieder der senatorischen Führungsschicht waren im Vollsinn Hausväter. Ihnen war neben den Hausangehörigen eine Vielzahl von Klienten zugeordnet, die sie vor Gericht vertreten und auch sonst unterstützen mussten. Ihr Klientelherr durfte die Klienten keinesfalls hintergehen. Schon in der Zwölftafel-Gesetzgebung findet sich die Bestimmung: „Ein Patron, der einen Klienten hintergeht, soll den Göttern verfallen sein.“9 Die Sakration ist die schärfste Strafe, die wir aus den Zwölftafeln kennen. Ferner durfte man vor Gericht gegen einen Verwandten für einen Klienten zeugen, aber nicht umgekehrt. Schließlich gehörten zum römischen Haushalt zahlreiche Sklaven und Sklavinnen, die sowohl im Haus als auch in der Landwirtschaft sowie für handwerkliche Arbeiten eingesetzt wurden. Sie konnten zwar zu wichtigen Vertrauenspositionen aufsteigen, waren aber im Konfliktfall rechtlos. Der paterfamilias war nicht derjenige, der im Hause alles selber regelte. Neben der Aufrechterhaltung der politischen und häuslichen Disziplin und der Verwaltung des Vermögens kam ihm als spezifische Aufgabe nur das Opfern zu. Frauen durften kein Schlachtmesser besitzen und keine Opfertiere töten, ebenso war ihnen der Umgang mit gesalzenem Speltmehl (mola salsa) und unvermischtem Wein, die über die Opfertiere gesprengt wurden, verboten. Aber es gab, anders als in Griechenland, keine getrennten Bereiche für Männer und Frauen, die auch nicht von Gastmählern von Männern (und damit auch von politischen Beratungen) ausgeschlossen waren. Römische patres waren nun nicht nur im Haus Repräsentanten der res publica – ihr wichtigster Tätigkeitsbereich war die Politik und die Kriegsführung. Ihre Opferbereitschaft und die der plebs im Krieg ist immer wieder bewundert worden. Grundlage dafür war ein tiefer Normenkonsens zwischen der Führungsschicht und der plebs.10 Er beruhte zum einen darauf, dass auch der römische Adel in Kriegen hohe Blutopfer brachte – so fielen in den ersten vier Jahren des 2. Punischen Krieges sehr viele der 300 Senatoren. Die adligen Befehlshaber kämpften also mit und konnten ihre empfangenen Wunden z. B. in Volksversammlungen zeigen und gleichsam als Argumente nutzen. Ferner demonstrierten sie ihre Nähe zu den Soldaten durch Teilnahme an oft unbeliebten soldatischen Tätigkeiten, wie z. B. Schanzarbeiten.
9 10
alieno viro probri quid fecit, condemnatur. – In adulterio uxorem tuam si prehendisses, sine iudicio inpune necares. (Übers. E. Meyer-Zwiffelhoffer). XII Taf. 8,21: Patronus si clienti fraudem fecerit, sacer esto. Flaig 1993 (auch zum Folgenden).
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Zweitens beruhte der Normenkonsens darauf, dass der römische Adel sich einer strikten Organisation unterwarf. Standesmäßig waren alle Adligen gleich. Politisch gliederten sie sich nach Rangklassen, die sich nach den bekleideten Ämtern bemaßen. Bei Ranggleichheit gab es weitere Unterscheidungskriterien wie z. B. Seniorität oder das Ansehen einer gens. Die politischen Unterschiede wurden sichtbar gemacht durch Rangabzeichen, Amtsabzeichen und die Kleidung. Es blieb also kein Raum für die ästhetische Lebensform und die spontane Agonalität, wie sie für den griechischen Adel kennzeichnend waren. Männlichkeit wurde hier also domestiziert, durch die strikten Regeln politscher Kommunikation. Das männliche Individuum sollte hinter seinen politischen, militärischen und religiösen Funktionen zurücktreten. Cicero hat das einmal so ausgedrückt: „Es ist nämlich die eigentliche Aufgabe des Beamten einzusehen, dass er die Rolle der civitas (personam civitatis) ausübt, ihre Würde und ihr Ansehen aufrecht erhalten, Gesetze wahren, Recht bestimmen und daran denken muss, dass sie seiner Verlässlichkeit anvertraut sind.“11 Der Begriff „persona“ wird, wie das griechische „prosopon“, auch für die Rolle des Schauspielers gebraucht, aber der griechische Begriff ist nie auf politische Amtsträger angewandt worden; eine Rom entsprechende Objektivierung des Amtes hat in Griechenland nicht stattgefunden. Gerade sie aber, d. h. die Ausrichtung des Handelns auf die res publica, bildete die Grundlage für den hohen Normenkonsens zwischen Ober- und Unterschichten und die Opferbereitschaft beider. 2. DIE KOGNATISCHE VERWANDTSCHAFT UND DER EINFLUSS DER FRAUEN Anders als die agnatische Verwandtschaftsordnung ist die kognatische bis in die späte Republik hinein nicht gesetzlich fixiert, aber ihre Regeln werden, wie Bettini gezeigt hat,12 strikt eingehalten. Ich nenne folgende Sachverhalte: •
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11 12 13
Die römische markierte Verwandtschaftsterminologie – in ihr wird jeder Verwandtschaftsgrad mit einem eigenen Begriff bezeichnet – reicht bis zum sechsten Grad der kognatischen Verwandtschaft. Bis zum Ende des 3. Jahrhunderts v. Chr. darf innerhalb dieses Kreises nicht geheiratet werden. Es herrschen also extensive Exogamieregeln, die zwar kurz vor 200 etwas zurückgenommen (Verbot der Heirat von Verwandten bis zum vierten Grad), aber vielfach weiter beachtet wurden. Die römische Frau muss ihre männlichen Verwandten bis zum sechsten Grad küssen, wenn sie sie an einem Tag zum ersten Mal sieht.13 Noch Ambrosius nennt diesen Kuss ein sollemne, ein religiosisimum sacramentum, also ein hei-
Cic. off. 1,124; vgl. Fuhrmann 1979. Bettini 1992: pass. Pol. fr. 11a,4.
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•
• •
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ligstes Zeichen, nämlich für die kognatische Verwandtschaft.14 Nur dieser Verwandtenkuss ist in der Öffentlichkeit erlaubt – Ehepaare z. B. dürfen sich in der Öffentlichkeit nicht küssen. Der Mutterbruder und die Mutterschwester, avunculus und matertera, sind verpflichtet, ihren Neffen und Nichten in allen Angelegenheiten beizustehen – darauf deuten auch ihre Namen: matertera wird als „quasi mater altera“ gedeutet;15 sie holte more veterum das Heiratsomen für ihre Nichte ein.16Avunculus ist von avus abgeleitet, der im Hinblick auf seine Enkel als gutmütig vorgestellt wird. Der Vaterbruder und die Vaterschwester, patruus und amita, unterstützen dagegen die Disziplinierungsfunktion des Vaters, sodass Cicero den Vaterbruder als Censor oder Magister bezeichnen kann.17 Es ist verboten, kognatische Verwandte vor Gericht zu ziehen; umgekehrt besteht eine Pflicht zum Unterhalt. Im 2. Jh. v. Chr. werden auch die kognatischen Verwandten bis zum sechsten Grad sowie die sobrino nati zur legitimen Erbfolge berufen, freilich nur, wenn Hausangehörige und Agnaten fehlen18 – das ist die erste gesetzliche Regelung, in der die cognati auftauchen.
Über die Frau des paterfamilias werden nicht nur zwei agnatische familiae miteinander verbunden; über die Seitenverwandten von Mann und Frau entsteht auch ein weiterer kognatischer Verwandtschaftskreis, in dem die cognati des Mannes und der Frau in eine verwandtschaftliche Beziehung zueinander treten. Die Frau schafft also eine Verbindung, die den Status sowohl ihrer Herkunftsfamilie als auch den der Familie, in die sie einheiratet, erhöhen kann. Welchen Wert das für die adligen Familien hatte, geht daraus hervor, dass in den Atrien der Adelshäuser, in denen seit der späten Republik kunstvoll gestaltete Stammbäume aufgestellt wurden, auch die mütterliche Linie berücksichtigt wurde. Ferner wurden auch häufig politische Bündnisse durch Ehen bekräftigt, die nach dem Ende einer Zusammenarbeit wieder aufgelöst werden konnten. Auch antike Schriftsteller betonen den Wert der kognatischen Verwandtschaft für den Zusammenhalt der Gesellschaft. Cicero spricht davon, dass die Blutsverbindung die Menschen durch Wohlwollen und Liebe (benevolentia und caritas) vereint.19 Nach Augustinus erging das Verbot, nahe Verwandte zu heiraten, mit Rücksicht auf die Liebe: „Denn die Menschen, für die die Eintracht heilsam und gut ist, sollten durch die Bande von mancherlei Verwandtschaften aneinander geknüpft werden. Es sollte nicht immer einer mit einem anderen in vielen Verwandtschaftsverhältnissen stehen, sondern diese sollten sich einzeln auf Einzelne verteilen und
14 15 16 17 18 19
Ambr. epist. 1,60[92],7. Fest. 136L. Cic. div. 1,104, vgl. Val. Max. 1,5,4. Cic. Cael. 25. Kaser 1971: 700. Cic. off. 1,54.
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zur Förderung des Gemeinschaftsleben (ad socialem vitam) sich vielfach auf möglichst viele erstrecken.“20 Einen sinnfälligen Ausdruck findet die Position des Augustinus im römischen Fest der Cara Cognatio, das am letzten Tag der Parentalia gefeiert wurde. Die cognati sollten dabei miteinander speisen und alle Streitigkeiten untereinander beilegen. Spätestens in den letzten beiden Jahrhunderten der Republik, in denen die manus-Ehe immer mehr außer Gebrauch kam, wurde der Status der verheirateten und unverheirateten Frauen weiter dadurch gestärkt, dass sie vor allem von ihren Brüdern und Kindern mit hohen Geldsummen ausgestattet wurden. Dieses Geld ging den gesetzmäßigen Erben verloren; deshalb wurde 169 eine lex Voconia verabschiedet, durch die es Frauen verboten wurde, aus dem Legat eines Bürgers mehr anzunehmen, als der Alleinerbe oder alle Miterben zusammen erhielten.21 Dadurch sollte der Haupterbe geschützt werden. Der ältere Cato unterstützte das Gesetz und führte dabei aus: „Am Anfang hat Euch die Frau eine große Mitgift ins Haus gebracht; dann bekommt sie vieles Geld, das sie nicht in die Gewalt des Mannes gibt; dieses Geld gibt sie ihrem Manne leihweise. Nachher, wenn sie in Zorn geraten ist, befiehlt sie ihrem persönlichen Sklaven, dem Manne nachzugehen und es dem Manne abzufordern.“22 Die lex Voconia wurde später durch ein weiteres Gesetz ergänzt, aber es gab trotzdem viele Frauen, deren Reichtum für Männer wie Martial ein Horror war: Vxorem quare locupletem ducere nolim quaeritis? Vxori nubere nolo meae. Inferior matrona suo sit, Prisce, marito: non aliter fiunt femina uirque pares. „Warum ich nicht eine reichere Frau mir wünsche zu nehmen, fragt ihr? Frau meiner Frau werden, das möchte ich nicht. Unter dem Manne, mein Priscus, muss immer stehen die Gattin. Sonst stehen Mann und Frau nie in der Ehe sich gleich.“23
Im letzten Jahrhundert der Republik hat Rom praktisch dauernd Kriege geführt und musste die Verwaltung eroberter Gebiete – die Zahl der Provinzen nahm ständig zu – organisieren. Zudem wurden in den Bürgerkriegen viele Männer in die Verbannung geschickt. In dieser Situation mussten Frauen, ob sie in manus-Ehe verheiratet waren oder nicht, die häusliche Basis des politisch-militärischen Handelns ihrer Männer sichern und die Führung oft riesiger Haushalte übernehmen. Einen Ein20
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Aug. civ. 15,16: … ut homines, quibus esset utilis atque honesta concordia, diuersarum necessitudinum uinculis necterentur, nec unus in uno multas haberet, sed singulae spargerentur in singulos ac sic ad socialem uitam diligentius conligandam plurimae plurimos obtinerent. (Übers. W. Thimme). Vgl. Kaser 1971: 756. Gell. 17,6,1: Principio vobis mulier magnam dotem adtulit; tum magnam pecuniam recipit, quam in viri potestatem non conmittit, eam pecuniam viro mutuam dat; postea, ubi irata facta est, servum recepticium sectari atque flagitare virum iubet. (Übers. nach O. Schönberger). Mart. 8,12 (Übers. R. Helm).
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druck davon vermitteln, wie Rosmarie Günther gezeigt hat, Grabmonumente, in denen auch Bedienstete beigesetzt wurden, deren Zahl in die Hunderte gehen konnte. Ihre Aufgaben betrafen z. B. Finanzverwaltung und Buchhaltung, Empfang von Gästen, generell die gesellschaftliche Repräsentation, das Bauhandwerk, die persönliche Körperpflege der Hausherrin, die Kleidung und Einkäufe. Alle Bediensteten „empfingen ihre Anweisungen von der Herrin (domina) des Hauses, die verantwortlich dafür war, dass der Betrieb reibungslos ablief.“24 Frauen fiel also oft die Aufgabe zu, den Besitz zu wahren und zu verteidigen. Ein anschauliches Beispiel dafür liefert die sogenannte Laudatio Turiae. 3. EINE ZEIT OHNE AGNATISCHE FAMILIA UND PATERFAMILIAS? Die rechtlichen Regelungen zur hausväterlichen Gewalt gehören in die römische Republik. Ob es so etwas wie die patria potestas im Rahmen einer agnatischen familia vor der Republik gegeben hat, wissen wir nicht. Zwei Phänomene, die hier abschließend noch besprochen werden sollen, sprechen eher dagegen. Im Ritus der feierlichsten Form der Eheschließung, der confarreatio, haben, wie Rechtshistoriker mit Verwunderung bemerken, weder der paterfamilias der Braut noch der des Bräutigams einen Platz. Er findet im Beisein des flamen Dialis (und später auch des pontifex maximus) vor zehn Zeugen statt, die man vielleicht als kognatische Verwandte der Frau bzw. des Mannes deuten darf. Da ein Heiratsverbot bis zum sechsten Grad der kognatischen Verwandtschaft besteht, treten bei der confarreatio zwei kognatische Verwandtschaftsgruppen in eine nähere Beziehung zueinander, was durch die zehn Zeugen bekräftigt wird. Die beiden zukünftigen Eheleute handeln selbstständig. Ob durch den Ritus, wie später in der Republik, die manus des Ehemannes über die Ehefrau begründet wird, ist in der Forschung umstritten.25 Der flamen Dialis steht (mit dem rex sacrorum) der Würde nach an der Spitze der römischen Priesterschaften. Sein Priestertum geht schon in die Frühzeit zurück. Er musste aus einer durch confarreatio geschlossenen Ehe stammen und selber in einer solchen Ehe verheiratet sein und zwar mit einer univira. Die Frau des flamen Dialis trug immer einen feuerfarbenen Brautschleier als Glücksbringer und webte das rituelle Gewand ihres Mannes, der nicht länger als drei Tage dem Ehebett fernbleiben und sich nicht scheiden lassen durfte. Starb die Frau, musste er sein Amt aufgeben. Bei allen religiösen Zeremonien war sie anwesend. John Scheid formu24 25
Günther 2000: 356. Vgl. Kaser 1971: 76 f. mit weiterer Literatur. Kaser, ebd.: 77 Anm. 8 vermutet zu den zehn Zeugen: „Vielleicht je fünf Zeugen von jeder Seite?“ Ich halte diese Vermutung für einsichtig. – Zum Problem der manus bemerkt Kaser, ebd.: 77: „Auffällig ist, daß von einer Mitwirkung des paterfamilias nicht die Rede ist, und daß sich in der Symbolik des Akts der Übertritt der Frau in die Gewalt des Mannes nicht ausdrückt.“ Vorstellbar wäre, dass ebenso wie in der Republik die patria potestas gegenüber Haussöhnen, so auch die manus gegenüber der Ehefrau neu geschaffen wurde.
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liert deshalb zutreffend: „Es war das flaminische Ehepaar, das die Macht des Gottes verkörperte, und nicht einer von beiden allein – auch der Mann nicht.“26 Das Priestertum des flamen Dialis sowie der Ritus der confarreatio können als Hinweise darauf interpretiert werden, dass in der römischen Frühzeit erstens der Status der Frau ein selbstständigerer war als in der Republik und dass zweitens die starke Stellung des paterfamilias innerhalb des agnatischen Verwandtschaftssystems eine Schöpfung der frühen römischen Republik war, eine Rechtskonstruktion, durch welche die adligen patres auch politisch ihre Stellung in der Nachfolge der Könige befestigten. In den letzten Jahrzehnten der Republik und in der Kaiserzeit wurde dagegen wiederum die Stellung der Frau gestärkt und die patria potestas abgeschwächt. Die Hausväter waren stark, nur solange die Republik stark war. Es gab also eine gegenseitige Abhängigkeit zwischen der politischen Ordnung und den agnatischen Autoritätsstrukturen. Was die kognatische Verwandtschaft betrifft, so wurde das ursprüngliche Heiratsverbot bis zum sechsten Grad schon in der Republik und dann wieder unter Nero zurückgenommen, aber die übrigen Nahbeziehungen blieben erhalten. BIBLIOGRAPHIE Bettini, M. 1992: Familie und Verwandtschaft im antiken Rom, Frankfurt/M./New York (ital. 1986). Eisenhut, E. 1979: s. v. Genius, KlP 2, 1979, 741–742. Flaig, E. 1993: Politische Lebensführung und ästhetische Kultur, HistAnth 1, 193–217. Fuhrmann, M. 1979: Persona. Ein römischer Rollenbegriff, in: O. Marquard / K. Stierle (Hgg.), Identität, München, 83–106. Günther, R. 2000: Matrona, vilica und ornatix. Frauenarbeit in Rom zwischen Topos und Alltagswirklichkeit, in: T. Späth – B. Wagner-Hasel (Hgg.), Frauenwelten in der Antike. Geschlechterordnung und weibliche Lebenspraxis, Stuttgart/Weimar, 350–376. Harders, A.-C. 2012: Beyond Oikos and Domus: Modern Kinship Studies and the Ancient Family, in: R. Laurence / A. Strömberg (Hgg.), Families in the Greco-Roman World, London/New York, 10–26. Kaser, M. 1971: Das römische Privatrecht, 1. Abschnitt, München. Martin, J. 2009: Bedingungen menschlichen Handelns in der Antike. Gesammelte Beiträge zur Historischen Anthropologie, hg. v. W. Schmitz, Stuttgart. – 2009a: Das Vaterland der Väter. Familia, Politik und cognatische Verwandtschaft in Rom, in: Martin 2009, 311–328. – 2009b: Die Bedeutung der Familie als eines Rahmens für Geschlechterbeziehungen, in: Martin 2009, 329–344. – 2009c: Formen sozialer Kontrolle im republikanischen Rom, in: Martin 2009, 345–362. – 2009d: Familie, Verwandtschaft und Staat in der römischen Republik, in: Martin 2009, 363–374. – 2009e: Zur Anthropologie von Heiratsregeln und Besitzübertragung. 10 Jahre nach den GoodyThesen, in: Martin 2009, 375–388. Meyer-Zwiffelhoffer, E. 1995: Im Zeichen des Phallus. Die Ordnung des Geschlechtslebens im antiken Rom, Frankfurt/M./New York.
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Scheid 1993: 441 f. (Zitat 442).
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Scheid, J. 1993: Die Rolle der Frauen in der römischen Religion, in: G. Duby / M. Perrot (Hgg.), Geschichte der Frauen. Bd. 1: Antike, hrsg. v. P. Schmitt Pantel, Frankfurt/M./New York, 417– 449 (franz. 1991). Thomas, Y. 1984: Vitae necisque potestas. Le père, la cité, la mort, in: Du châtiment dans la cité. Supplices corporels et peine de mort dans le monde antique. Table ronde organisée par l’École Française de Rome avec le concours du Centre National de la Recherche Scientifique (Rome, 9–11 novembre 1982), Paris, 499–548.
FAMILIENBANDE(N) Die politische Bedeutung von Verwandtschaft in der römischen Republik Ann-Cathrin Harders, Bielefeld „Jede politische Partei strebt nach der Macht und nach der Herrschaft im Staate, mag ihr Ziel die Erhaltung oder die Veränderung des Bestehenden sein. Über seine Berechtigung und Notwendigkeit und über seine Unhaltbarkeit und Verbesserungsfähigkeit gehen die Meinungen auseinander; dieser große Gegensatz erzeugt den Streit, der niemals endet.“1 Mit diesen Worten beginnt Friedrich Münzer seine große und wirkungsmächtige Studie zu den Römischen Adelsfamilien und Adelsparteien, in der er nach grundsätzlichen Mustern von Herrschaft und politischem Handeln während der römischen Republik fragt. Im Zuge seiner monumentalen Detailforschungen zur Prosopographie der republikanischen Elite erkannte Münzer genealogische Muster, die er als politische Wahlverwandtschaften interpretierte: „Auftauchen, Beharren, Verschwinden eines Namens in der Liste berechtigt zu Folgerungen auf Emporkommen, Blühen, Vergehen des Geschlechts; die Erweiterung wie die Abschließung der zur Regierung berechtigten und befähigten Gesellschaftskreise tritt beim Vergleichen solcher Beobachtungen zutage. … Wenn manche Namen sich gleichsam anziehen und öfter zusammenfinden, andere sich abstoßen und fliehen, so ahnt er Verbindungen und Gegnerschaften, die Grundlagen für die Entstehung und die Umgestaltung der Parteien.“2 Münzer legte eine Rekonstruktion dessen vor, was die „in ihren Kreisen wurzelnde“ Geschichtsschreibung „mit Stillschweigen“ übergangen und, den taciteischen Begriff auf die Republik gemünzt, als „Arcana Imperii der Oligarchie“3 zu schützen suchte: die Rivalitäten und Kooperationen der römischen Adelsgeschlechter, die Münzer als entscheidende Gestaltungskräfte für die Geschicke der res publica Romana ansah.4 In einem wissenschaftlichen Kontext, in dem der Blick auf die Verfasstheit der römischen Gesellschaft immer noch durch Theodor Mommsens staatsrechtlichlegalistischen Ansatz gelenkt wurde, hatte Münzer in innovativer Weise die Sozialbeziehungen der republikanischen Elite in den Mittelpunkt seiner Deutung der römischen Geschichte gestellt. Er ordnete jedoch den sozialhistorischen Aspekt sei-
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Münzer 1920: 1. Zur Wirkungsmacht der Adelsparteien s. Hölkeskamp 2012: XIX–XXXVIII. S. auch die Beiträge von Wilfried Nippel und Matthäus Heil im vorliegenden Band. Münzer 1920: 2. Münzer 1920: 427. Der Münzer’sche Ansatz wurde in jüngster Zeit von Zmeskal 2009 aufgegriffen, der mithilfe von Personentafeln versucht, die adfinen Verbindungen innerhalb der römischen Elite auf eine empirische Basis zu stellen. S. zu diesem Ansatz Hölkeskamp 2011; Harders 2011a.
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nes Ansatzes politikgeschichtlichen Zielen unter; die Frage nach der Bedeutung der verschiedenartigen Verbindungen zwischen den aristokratischen Häusern wurde nicht systematisch angegangen, sondern fand ihre Antwort in einer genealogischen Rekonstruktion – Münzers Ansatz unterschied sich dabei grundsätzlich von dem seines Basler Nachfolgers Matthias Gelzer, der in eher proto-strukturalistischer Manier die römische Elite als Statusgruppe fasste, deren Herrschaftsgrundlage nicht auf familiären Verbindungen, sondern auf der Pflege mannigfaltiger Abhängigkeitsbeziehungen basierte.5 Trotz der Verschiedenheit der methodischen Zugänge wiesen beide Studien den Weg, das politische Handeln der römischen Aristokratie in großer Abhängigkeit von Phänomenen zu sehen, die seinerzeit erst langsam in den Fokus der Historiker gerieten – zu nennen sind hier insbesondere soziale Bindungsstrukturen. Friedrich Münzers Deutung der römischen Geschichte als Geschichte von sich zusammenschießenden Familien und deren Kämpfen um die höchsten Ämter sollte vor allem im angelsächsischen Raum besondere Wirkmächtigkeit entfalten; so nennt ihn etwa Ronald Syme in seinem Vorwort der Roman Revolution als wichtigen Einfluss.6 Die Vorstellung rivalisierender Parteien führte jedoch auch zu manchen Vereinfachungen und Verabsolutierungen, die Münzer in dieser Form vermutlich nicht mitgetragen hätte – und schließlich zur Ablehnung einer solchen prosopographischen Methode zugunsten neuerer sozial- und kulturwissenschaftlicher Ansätze.7 Mit dem Niedergang der Faktionenthese ließ auch das Interesse an Familien- und Verwandtschaftsverbindungen in der römischen Republik nach – sieht man einmal von hartgesottenen Prosopographen „zealously track[ing] down uncles – and aunts and cousins, too,“8 ab. So wird zwar die aristokratische domus als ein entscheidender Ort der politischen Kommunikation und damit der politischen Kultur Roms betrachtet, und anhand von convivium oder salutatio lässt sich zeigen, wie die Elite untereinander sowie mit ihren Klienten interagierte und Hierarchien performiert wurden,9 die Untersuchung verwandtschaftlicher Verbindungen ist dagegen ins Abseits geraten. So sei als rezentes Beispiel das Oxford Handbook of Roman Social Relations angeführt, in dem Familie zwar noch als Ort der Sozialisation geführt wird, Verwandtschaft als wichtige soziale Beziehung per se jedoch nicht behandelt wird.10 Ähnliches gilt auch für die andere Perspektive von der Familiengeschichte her: Forschungen zur Struktur und den Aufgaben der römischen Familie, die seit den
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Gelzer 1912. Zur Bedeutung des Ansatzes s. immer noch Meier 1977. Syme 1939: VIII. Vgl. Hölkeskamp 2001 (2002) zur englischen Übersetzung der Adelsparteien u. Hölkeskamp 2011. S. auch den Beitrag von Erich S. Gruen im vorliegenden Band. Ward 1997: 66–67. Vgl. Starr 1987: 41. Rilinger 1997. S. die Arbeiten von Goldbeck 2010 u. Schnurbusch 2011. Peachin 2011. Vgl. auch den Band von Rawson 2011, in dem die Bedeutung überhäuslicher Verwandtschaftsbeziehungen allein für Griechenland im Beitrag von Jérôme Wilgaux thematisiert wird. S. dazu Harders 2011b u. 2016.
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1980er Jahren beständig an Zulauf gefunden haben,11 verorten ihren Forschungsgegenstand sehr oft in einem unpolitischen, quasi „privaten“ Umfeld, obwohl sich die Heranziehung der modernen Kategorien „privat“ und „öffentlich“ gerade für Rom als nicht tragfähig erwiesen hat.12 In Übernahme von Ansätzen aus der Familiengeschichte der Neuzeit13 wird in erster Linie die Bewältigung des Alltags, dem sogenannten „life-cycle approach“ folgend, der Ablauf der Lebensphasen, Vorstellungen von Kindheit und Jugend, das Verhältnis der Geschlechter im Eheleben oder Verwandtschaft als überhäusliche Solidargemeinschaft in den Blick genommen; der Einfluss, den diese Bereiche auch auf die politische Sphäre haben können, wird aber eher ausgeblendet. Dass diese Beschränkung überwunden werden kann und muss, haben wiederholt die Arbeiten von Yan Thomas, Maurizio Bettini, Bernhard Linke und Jochen Martin gezeigt, um nur einige zu nennen. Während Bettini die Bedeutung der kognatischen Verwandtschaft – also der Verwandten mütterlicherseits – herausgearbeitet hat, haben Thomas und Martin auf die disziplinarische Funktion des paterfamilias hingewiesen und ihn als „père civique“ bzw. „Magistrat im Haus“ mit Aufgaben für und im Namen der res publica betitelt.14 Diese Überlegungen bilden die Basis für die nachfolgenden Bemerkungen, und anhand einer Diskussion der verschiedenen Prinzipien, nach denen in Rom Verwandtschaftsgruppen aufgebaut wurden, soll die politische Funktion von Verwandtschaft, so wie sie in spezifischer Form für die res publica Romana zu greifen ist, zur Diskussion gestellt werden. Der Ansatz ist dabei der Historischen Anthropologie entliehen, als Ausgangspunkt dient jedoch eine Bemerkung von Friedrich Münzer, der im Schlusskapitel seiner Adelsparteien konstatiert: „Alte Familienbande wurden von frischen angeknüpft und neue Fäden hinüber und herüber geschlungen; der ganze Kreis der vornehmen Gesellschaft war versippt und verschwägert und bildete schließlich nur eine große Familie.“15 Schon Peter Wiseman hat Münzer selbst angeführt, um die Problematik der Faktionenthese zu illustrieren: Wenn letztendlich jeder Aristokrat verwandtschaftliche Bindungen (in welcher Form auch immer) zu seinen peers ins Feld führen konnte, so lassen sich nur schwer und nur unter Vernachlässigung bestimmter Bande politische Parteien rekonstruieren.16 Nichtsdestotrotz rührt Münzers Beob11 12 13 14 15 16
S. etwa die Ergebnisse der fünf „Roman Family Conferences“, die seit den 1980ern unter der Ägide von Beryl Rawson veranstaltet wurden: Rawson 1986 u. 1991; Rawson/Weaver 1997; George 2005; Dasen/Späth 2010. Vgl. Winterling 2005. Exemplarisch für eine Verortung der Familie in einem „privaten“ Rahmen s. das entsprechende Kapitel von Veyne 1989 oder die Überblicksdarstellungen von Di xon 1992 u. Krause 2003. Einen Überblick bietet Gestrich 2013: 68 u. 92; s. auch Reinhard 2004: 272 f. für die Vormoderne. Zum life-cycle-approach für Rom s. Harlow/Laurence 2002. Bettini 1992; Thomas 1986: 228; Martin 2009b: 312–314; Linke 2014. Zur Kritik an Bettinis Thesen s. Saller 1997; s. dazu die Entgegnung von Bettini 2002. S. auch den Beitrag von Jochen Martin im vorliegenden Band. Münzer 1920: 425. Wiseman 1976.
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achtung an einem Spezifikum der römischen Gesellschaft, nämlich der Art und Weise, wie verwandtschaftliche Strukturen konstruiert und kultiviert wurden, die eben zu einem solchen bemerkenswerten Effekt einer großen elitären Familie führten. Bedeutsam ist die Kombination dreier Prinzipien, nach denen verwandtschaftliche Gruppen aufgebaut und kultiviert werden können und die kurz rekapituliert werden sollen: Die römische Gesellschaft zeichnet sich im Vergleich etwa zu der Entwicklung in Griechenland, vor allem greifbar in Athen, dadurch aus, dass sich sehr früh gentilizische, also Clan-Strukturen durchsetzten. Die Ursprünge der gentilizischen Verbände liegen im Dunkeln und sind in der Forschung umstritten.17 Sichtbar wurde die Zugehörigkeit zu einer gens durch einen Namenszusatz, das nomen gentile, das ab 700 v. Chr. nachweisbar ist. Erst sekundär wurde ein Individuum durch seinen Individualnamen bestimmt; später kam noch das cognomen dazu, durch das sich die verschiedenen Zweige, stirpes, einer gens namentlich differenzieren konnten.18 Die römische Gesellschaft unterschied sich durch diese Entwicklung von den Gemeinschaften, in denen weiterhin der Bezug auf den Vater und Großvater namentlich durch das Patronymikon geleistet wurde. Der Einzelne bestimmte sich damit nicht mehr in Bezug auf ein anderes Individuum, sondern ging in einer Gruppe auf, deren Mitglieder in keinem „exakt abgestuften Verhältnis untereinander“19 standen. Zusammengehalten wurde diese Gruppe in erster Linie durch den Namen und ein eher diffuses Bewusstsein, einen gemeinsamen Stammvater ins Feld führen zu können, von dem der Name hergeleitet worden war.20 Diese relativ lockere Assoziation mit einer bestimmten Gruppe machte Missbrauch möglich, so dass die Annahme eines falschen Gentilnomen unter Strafe gestellt wurde.21 Die Gentilen pflegten ihre Gruppenidentität weiterhin durch die Übernahme bestimmter sacra publica und Pflege spezifischer sacra privata: So ist für die gens Fabia überliefert, dass die Gentilen spezifische Rituale auf dem Quirinal verrichteten; erhalten ist ebenfalls eine Altarinschrift aus Bovilla, in der die Julii für den Kult des Vediovis verantwortlich gezeichnet werden.22 Im Recht wurden die Gentilen als Gruppe nach den Agnaten in der Intestatserbfolge berücksichtigt und konnten, ebenfalls nach den Agnaten, für die Übernahme von Vormundschaften herangezogen werden – auch wenn unklar bleibt, wie ein solcher Erbfall faktisch organisiert 17 18
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Einen Überblick zur Forschung bietet Smith 2006, Part I chap. 2. Vgl. Cic. top. 15, der in seiner Definition einer gens auf den gemeinsamen Namen verweist. Zu der sprachlichen Entwicklung s. ausführlich Rix 1972: bes. 740–756 sowie Linke 1995: 70– 74. S. auch den Beitrag von Heikki Solin im vorliegenden Band, der jedoch eine andere Entwicklung des Verwandtschaftssystems als die hier diskutierte annimmt. Linke 1995: 27. S. Smith 2006: 32–44 zu den historischen und legendären Abstammungsreihen. Pap. 48,10,13 pr. Zur gens Fabia s. Liv. 5,46,2–3; s. auch Dion. Hal. 9,19,1; Val. Max. 1,1,11; Cass. Dio frg. 25,5–6. Zu Vediovis und den Julii: CIL I2 807 = ILS 2988 = ILLRP 270. S. dazu Smith 2006: 44, der auch auf die religiösen Aktivitäten der Nautii, Pinarii und Potitii verweist, die Kulte für Minerva respektive Hercules betrieben und die Ara Maxima pflegten. S. auch die Definition der sacra privata bei Festus 284L: at privata, quae pro hominibus, familiis, gentibus fiunt.
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werden sollte, da die gentes akephal strukturiert waren.23 Trotz der diffusen Struktur haben wir Hinweise, dass die Handlungsfähigkeit der gentes als Großgruppe noch in historischer Zeit gegeben war: Livius berichtet, wie die Fabier in Reaktion auf die Angriffe aus Veii unter der Führung des Konsuls von 479, Kaeso Fabius, einen Feldzug organisierten, an dem angeblich 306 Fabier teilnahmen. Die gens wurde der Überlieferung nach in einen Hinterhalt gelockt, dem nur ein Fabier entkommen konnte – trotz der topischen Ausschmückung der Episode ist die Historizität der Kampagne nicht zu bezweifeln und zeigt, wie im 5. Jahrhundert die gentes noch eigene Kriegsführung im Namen der Gemeinschaft betrieben.24 Grundsätzlich sind die Autoritätsverhältnisse innerhalb einer solchen Clanstruktur nicht durch das Verwandtschaftssystem automatisch vorgegeben. Einen pater gentis korrespondierend zum paterfamilias hat es nicht gegeben; die Führung einer gens konnte nicht mit Verweis auf eine bestimmte familiale Position formal beansprucht werden, sondern sie beruhte, wie es Smith ausdrückt, auf Konsens oder „force majeure“.25 Gentilizische Strukturen sind ahnenzentriert: Über die zum Teil nicht immer historisch nachweisbare, sondern vielmehr angenommene und nachträglich konstruierte Abstammung von einem gemeinsamen Ahnherrn wird eine solche Großgruppe konstituiert – in der Clanstruktur orientiert sich die kognatische Verwandtschaftsgruppe vertikal in der Zeit: Das Individuum reiht sich dabei historisch ein – ein Umstand, der in Rom vor allem während der pompa funebris sichtbar wurde und politisch instrumentalisiert werden konnte.26 Das kognatische Prinzip strukturiert dagegen familiale Beziehungen in einer anderen Weise: Sind Clanstrukturen vertikal in der Zeit orientiert, gewinnt die Verwandtschaftsgruppe von einem Individuum, einem Ego, aus an Substanz und umfasst Beziehungen zwischen zunächst zwei Personen, dem Ego und der Person, die als verwandt betrachtet und angesprochen wird. Eine kognatisch strukturierte Gruppe umfasst dabei sowohl Beziehungen, die über den Vater vermittelt werden, als auch die über die Mutter. Anders als die Abstammungsgemeinschaft gens lässt sich die Verwandtschaftsgruppe cognatio als eine horizontal orientierte, synchrone Struktur beschreiben. Im Mittelpunkt stehen weniger die verstorbenen Vorfahren, die Deszendenzgruppe, als die noch lebende, aktive Verwandtschaft – und das Potential, das sich aus diesem Beziehungs-
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XII Tab. V,5 zur Erbfolge und V,7a zur Tutel über Wahnsinnige. Vgl. Smith 2006: 51. Die Erbfolge durch die Gentilen ist durch Cicero (Cic. Verr. 1,115; de Or. 1,176) noch für das 1. Jh. v. Chr. belegt, aus den Passagen wird jedoch nicht ersichtlich, wie im Detail vorgegangen wird. Kaser 1955: 48, vermutet als Grundlage für diese Regelung kommunal verwalteten Grundbesitz der Gentilen; unter Gaius war die gentile Erbfolge außer Übung (Gai. Inst. 3,17; s. Kaser ebd.: 582). Liv. 2,48–50; s. auch Diod. 11,53,6; Dion. Hal. 9,20–22. Vgl. Linke 1995: 157 f., der auf ähnliches Handeln der Veturii und Quinctii verweist und gegen Welwei 1993 argumentiert, welcher sodales und nicht die Gentilen im Aufgebot des Kaeso Fabius identifiziert; s. auch Smith 2006: 290–295. Smith 2006: 34. S. dazu die nachfolgenden Ausführungen.
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kreis ergibt. Cognatio und gens stellen also zwei unterschiedliche Prinzipien dar, ein Individuum in einer Gruppe aufgehen zu lassen. Im römischen Heiratsverhalten ist meines Erachtens ein Hinweis darauf zu sehen, dass diese beiden Prinzipien relativ früh kombiniert wurden. Die römischen gentes blieben gerade nicht auf sich beschränkt und exklusivierten sich durch ein endogames Heiratsverhalten – im Gegenteil: In der Frühphase der res publica wurden außergewöhnlich weite und komplexe Heiratsverbote entwickelt, die ohne Parallele in den mediterranen Gesellschaften sind. Das Eingehen eines iustum matrimonium war zwischen Personen bis zum sechsten Grad agnatischer wie kognatischer Verwandtschaft (also drittem Grad nach moderner Rechnung) nicht anerkannt; es galt als incestum und nefarium und wurde durch Sakral- wie Zivilrecht geahndet.27 Die gentes waren demnach gehalten, sich über Heirat zueinander in Beziehung zu setzen und kognatische Verwandtschaft aufzubauen. Maurizio Bettini hat gezeigt, wie dieser kognatische Kreis in verschiedener Weise markiert und kultiviert wurde: Im Lateinischen lässt sich eine Verwandtschaftsterminologie greifen, die unter anthropologischen Gesichtspunkten dem sogenannten „Sudanesischen Muster“ beziehungsweise einem bifurkativ-kollateralen Typ folgt. Dabei wird jeder Position inklusive der Cousins und Kusinen ein spezifischer, deskriptiver Terminus zugeordnet – im Lateinischen sogar bis zu besagtem sechsten Grad der Verwandtschaft. Diese linguistische Markierung wird flankiert durch die Form der Anrede: Eine Römerin sprach die männlichen Verwandten in diesem Kreis mit frater an. Und mehr noch: Nach dem ius osculi hatte eine Römerin besagte Verwandte täglich mit einem Kuss zu begrüßen, während es als unsittlich galt, den Ehemann in der Öffentlichkeit zu küssen. Der Kuss war demnach entsexualisiert und nur bezogen auf die Männer, die gerade nicht geheiratet werden konnten. Weiterhin traf sich die kognatische Verwandtschaft während eines spezifischen Festes, der cara cognatio, währenddessen Streitigkeiten innerhalb der Gruppe beigelegt werden sollten.28 27
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Parallel zu den sehr weitreichenden Verboten bildeten sich jedoch keine präskriptiven Gebote aus, die die Wahl des Ehepartners wiederum eingeengt hätten. Vgl. Corbett 1930: 48; Bet tini 1992: 153–178; Fayer 2005: 393–396 Anm. 215; Harders 2008: 23. Zu den nuptiae nefariae: Gai. Inst. 1,59–64; Paul. Dig. 23,2,39,1; Pomp. Dig. 23,2,8; Ulp. Dig. 25,7,1,3; Paul. Dig. 23,1,14,2 f. Zur Ahndung s. Cic. leg. 2,9,22; Cluent. 15; nat. deor. 3,74; Ascon. Mil. 40 KS. Das Heiratsverbot wurde im 3. Jh. vom sechsten auf den dritten Grad eingeengt: s. Liv. frg. 12; Tac. Ann. 12,6. S. dazu auch die folgenden Ausführungen. Zur Terminologie: Festus 379L; Dig. 38,10,1–10; Inst. Iust. 3,6,1–12. Zur Anrede als frater: Festus 379L = Gallus Aelius 24Fun; s. Bettini 1992: 157–163. Zum ius osculi: Pol. 6,11a,4 = Athen. 10,440e; Cato frg. 412 = Plin. Nat. 14,90,2; Cic. rep. 4,6 = Nonius p. 306,3; Gell. 10,23,1,5; Plut. Mor. 265D. S. Corbett 1930: 47–51; Bettini 1992: 163–170; Harders 2008: 23 f. Zur zensorischen Rüge bei einem öffentlichen Kuss unter Eheleuten s. Plut. Cat. 17,7; s. dazu Bettini 1992: 167 f. Zur cara cognatio/Caristia am 22. Februar: Ov. Fast. 2,631 f.; Val. Max. 2,1,8. Bettini ebd., untersucht zudem die Erwartungen, die an bestimmte verwandtschaftliche Positionen gerichtet waren, und stellt unterschiedliche Rollenbilder für die Verwandten mütterlicherseits und väterlicherseits fest. Zur Bedeutung der Kognaten als „Ordnungssystem der römischen Gesellschaft“ s. Martin 2009a: 363–365. Die kognatische Verwandtschaft wurde zudem auch im Kontext der pompa funebris in Form der Maskenträger präsentiert; s. dazu die nachfolgenden Bemerkungen zur pompa.
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Das dritte Prinzip, nach dem in Rom Verwandtschaftsgruppen organisiert wurden, die agnatio, wird bewusst an das Ende gestellt, obwohl es den rechtlichen Diskurs über die römische Familie dominiert. Während die cognatio bilateral die Verwandtschaft mütterlicher- wie väterlicherseits einschließt, verläuft eine agnatische Filiation allein über die Verwandten väterlicher Seite. Über das exklusivere agnatische Prinzip können eindeutige Regeln formuliert werden, um die Übergabe von Vermögen, des Namens und des Kults sowie die Etablierung von familialer Autorität zu bestimmen, da jedes Individuum nur einer bestimmten Familieneinheit zugeordnet werden und nicht, wie in der cognatio, Ansprüche an zwei Familiengruppen stellen kann. Nach römischen Verständnis beruhte eine agnatische Relation jedoch nicht auf biologischer Vaterschaft, sondern stellt ein Rechtskonstrukt dar: Nur die Personen, die unter der patria potestas des paterfamilias standen (oder stehen würden, wenn dieser noch am Leben wäre), wurden als Agnaten angesehen.29 Legitim geborene Söhne und Töchter konnten die patria potestas durch Emanzipation, Adoption oder Eingehen einer manus-Ehe verlassen und waren dementsprechend nicht mehr Teil ihrer natalen familia. Das uniliniale agnatische Prinzip wurde rechtlich als cognatio legitima bzw. civilis gefasst, die bilaterale cognatio dagegen dem Naturrecht zugeschrieben. Die Agnaten wurden in Erbfällen und Vormundschaftsfragen den Gentilen und Kognaten vorgezogen; auch kultisch bildeten sie eine Einheit. Ihnen oblag der Ahnenkult für die divi parentes und die di manes.30 Die rechtliche Vorrangstellung der Agnaten führte in der Forschung dazu, die agnatio als das entscheidende soziale Ordnungsprinzip anzusehen, durch das gentilizische und insbesonders kognatische Strukturen verdrängt und obsolet wurden. Diese Deutung greift jedoch meines Erachtens zu kurz: In den wenigen Hinweisen, die uns vor allem Gaius über das Eingehen einer confarreatio, der wohl ältesten und würdevollsten Form der Eheschließung übermittelt, fällt auf, dass ausgerechnet dem paterfamilias keine Rolle im Ritual zugeschrieben wird, obwohl durch die confarreatio nicht nur die Ehe, sondern auch die manus des Ehemanns über seine Braut gestiftet wurde. Der Akt der Eheschließung wird vielmehr unter der Anwesenheit des flamen Dialis, des pontifex maximus wie auch von zehn nicht weiter spezifizierten Zeugen vorgenommen.31 Diese Lücke ist erklärungsbedürftig. Ich 29 30 31
Zur rechtlichen Definition der agnati: Ulp. Dig. 50,60,195. Zum agnatischen und kognatischen Prinzip s. Harders 2013: 20–26. Zur cognatio legitima: Gai. Inst. 1,56; Ulp. Dig. 1,4,24,1. Zum Ahnenkult während der Parentalia s. Wissowa 1971: 232 f.; Scullard 1985: 113–117. Zur kultischen Rolle des paterfamilias s. Harders 2014: 22–25. Gai. Inst. 1,112; Reg. 9; Serv. Georg. 1,31; Dion. Hal. Ant. 2,25. Zur confarreatio s. Rossbach 1853: 95–146; Corbett 1930: 71–78; Treggiari 1991: 16 f., 21–24; Fayer 2004: 223–245; Hersch 2010: 25–27. Auch in den Ausführungen des Gaius, ebd., zu der coemptio und der Etablierung der manus durch usus wird nicht deutlich, ob und wie der paterfamilias involviert war. Eine ausführliche Diskussion dieser Frage findet sich bei Rossbach 1853: 160 u. 73–81, der mit Verweis auf Cic. Flac. 34 (hier willigt der Tutor in eine usus-Ehe ein), in beiden Fällen für eine Beteiligung des paterfamilias plädiert, für diese aber keine Bestätigung durch die antiken Zeugnisse anführen kann.
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schließe mich der Deutung von Jochen Martin an, in dem beschriebenen Ritus einen Anachronismus zu sehen: Das zeremonielle Fehlen des pater während der confarreatio, aber auch seine mangelnde Bedeutung im Manzipationsritus der coemptio und der Ehe beruhend auf usus weisen darauf hin, dass die Beteiligung des paterfamilias für den Akt der Eheschließung nachrangig war. Zudem war, anders als etwa im klassischen athenischen Recht, auch die Zustimmung des paterfamilias nicht allein entscheidend für das Zustandekommen einer Ehe; diese wurde durch den Konsens des pater der Braut, des Bräutigams (sowie gegebenenfalls seines paterfamilias) sowie schließlich der Braut selbst initiiert und war nur solange von Bestand, wie die Eheleute an ihr festhielten. Wie in Konfliktfällen – etwa wenn Braut oder Bräutigam nicht den Willen ihres jeweiligen paterfamilias teilten – rechtlich oder praktisch vorzugehen war, lösen die antiken Zeugnisse nicht auf. Mehr noch: es scheint, als wenn die kognatischen Verwandten ebenfalls eine Rolle bei der Partnerwahl und den Hochzeitsfeierlichkeiten einnahmen.32 Die rechtliche Diskussion um die Beteiligung des paterfamilias ist wohl vielmehr auf eine spätere Entwicklung zurückzuführen, in Zuge dessen die beschriebenen Rituale mit der conventio in manum und dem Übertritt der Braut in eine andere agnatische Gruppe in Verbindung gebracht wurden. Die bei der confarreatio angeführten zehn Zeugen können stattdessen als Mitglieder der verschiedenen gentes erklärt werden, die die Verbindung zwischen den gentilen Verbänden begleiteten und bezeugten.33 Martin plädiert dafür, das agnatische Prinzip, das in der Figur des allmächtigen paterfamilias die römische familia vor allem in den rechtlichen Belangen dominierte, als wesentlich für das Verständnis der politischen und gesellschaftlichen Organisation der res publica Romana zu sehen. Über die familia wurde das Individuum in die Gemeinschaft integriert und durch den pater kontrolliert, dessen allumfassende patria potestas darauf ausgerichtet war, Verstöße gegen das Wohl der Gemeinschaft zu disziplinieren und, wenn nötig, mit dem Tode zu bestrafen.34 Das Fehlen des pater in den archaischen Eheriten liefert einen Hinweis, dass die Ausbildung der agnatischen familiae mit dem paterfamilias an ihrer Spitze als eine spätere Entwicklung zu sehen ist, entstanden aus der Notwendigkeit einer starken Formierung und Disziplinierung nach innen, um den starken Druck und die Angriffe auf das junge römische Gemeinwesen von außen standhalten zu können.35 Weder das gentilizische noch das kognatische Prinzip waren darauf ausgelegt, Kleingruppen mit eindeutigen Autoritätsverhältnissen zu strukturieren. Das heißt nicht, dass diese Organisationsprinzipien und die darauf beruhenden Gruppen obsolet und durch kleine agnatische familiae abgelöst wurden: Durch die kognatische Verwandtschaft 32 33 34
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Zum Konsens: Paul. Dig. 23,2,2. S. Martin 2009c: 337 f. Zur Rolle der matertera während der Hochzeitsvorbereitung: Bettini 1992: 106 f. Martin 2009b: 326; Martin 2009c: 338 f. Smith 2006: 30 f. sieht in dem Eheverbot bis zum sechsten Grad entsprechend eine Regel zur Verflechtung der gentes. Martin 2009a: 368. Vgl. Thomas 1996, der Rom dementsprechend als „Stadt der Väter“ tituliert, u. Linke 2014, der die autonomen Familien mit dem paterfamilias an der Spitze als Grundlage für die Ausbildung von Staatlichkeit in der frühen Republik sieht. S. dazu auch den Beitrag von Jochen Martin im vorliegenden Band. Martin 2009d: 264 f.
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wurden die agnatischen Verbände in überhäusliche Beziehungsgeflechte eingebettet. Gerade für die Elite bedeutete das Gebot zur Exogamie bei gleichzeitiger sozialer Endogamie, dass die um Ehre und Rang konkurrierenden patres durch cognatio „versippt und verschwägert“ waren und eine „große Familie“ bildeten, um Münzers Worte wieder aufzugreifen. Cognatio kann daher als ein wichtiges gruppenstabilisierendes Moment gefasst werden, da es untergründig als Korrelativ zur Konkurrenz um die politischen Ämter wirkte; die Wirkung dieser Struktur erklärt eben auch die besondere Kohäsion der römischen Aristokratie und trug aufgrund dessen zu ihrer Herrschaftsfähigkeit als Gruppe über den Rest der Gemeinschaft wesentlich bei. Den Römern war der besondere integrative Effekt von cognatio und allgemeiner adfinitas bewusst: Die Möglichkeit, über adfinitas in bestimmte Gruppen einheiraten zu können, wird unter anderem sowohl an der Vergabe des conubium an Nicht-Römer als auch in der historiographischen Erinnerung an die lex Canuleia, also das Eheeingehungsrecht zwischen Patriziern und Plebejern, deutlich gemacht.36 Während die besondere Kombination vor allem des agnatischen und kognatischen Prinzips entscheidend zur Formierung der Elite beitrug, kann umgekehrt die Desintegration der römischen Führungsschicht auch mit Veränderungen in den Verwandtschaftsstrukturen und dem Umgang mit Verwandtschaft in Verbindung gebracht werden. Dies soll abschließend an drei Aspekten zur Diskussion gestellt werden: der pompa funebris sowie Veränderungen im Heiratsverhalten, die in der Wende vom 3. zum 2. Jahrhundert v. Chr. zu fassen sind. Die römische pompa funebris ist beispiellos in den antiken Gesellschaften und stellt einen wichtigen Aspekt der politischen Kultur der Republik dar.37 Egon Flaig hat die pompa als Zurschaustellung des symbolischen Kapitals einer gens bezeichnet, die mithilfe der imagines maiorum und den Schauspielern, die diese trugen, ihre Leistungsträger in einer beeindruckenden Parade vom Haus des Verstorbenen auf das Forum Romanum marschieren ließ.38 Diese politisch instrumentalisierte Erinnerung an die Vorfahren steht jedoch, wie immer wieder hervorgehoben wurde, in keinerlei Zusammenhang zum Ahnenkult. Die Feiern zum Totengedenken fanden anders als die pompa nicht in, vor und für die stadtrömische Öffentlichkeit statt – wichtiger noch: Die Toten wurden nicht individuell kommemoriert, sondern sie gingen ungeachtet ihrer politischen Leistungen in die Vielfalt der di parentes sowie nach drei Generationen in die Anonymität der maiores ein. Der von den Römern praktizierte „Drei-Ahnen-Kult“ spiegelte die allgemein geringe Abstammungstiefe der Deszendenzgruppen wider.39 Auch die im Atrium aufbewahrten imagines maiorum, die so große Bedeutung während der pompa hatten, spielten im Kontext des 36 37 38 39
S. dazu ausführlich Harders 2008: 31–41, 318 f. S. auch Harders 2010. S. Beck 2015 zum Aufbau sozialer Beziehungen über adfinitas zwischen der stadtrömischen Aristokratie und den italischen Munizipien. S. dazu auch die Ausführungen von K.-J. Hölkeskamp im vorliegenden Band. Als locus classicus für die pompa: Pol. 6,53–54,3. S. Flaig 2003: 49–70; Flower 2006. Zu den imagines s. Flower 1996: 32–59, 114 f. Zum Eindruck einer pompa in Rom s. Johanson 2011. S. Linke 1995: 24–26.
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Totenkultes etwa während der Parentalia keine Rolle; die kultische Verehrung der Toten war vielmehr der pompa genau entgegengesetzt: Sie fand nicht in der Öffentlichkeit, sondern im Haus und am Grab der Toten sowie im familialen Umfeld statt.40 Über den Ursprung der pompa funebris kann nur gemutmaßt werden: Harriet Flower und Luca Giuliani sprechen sich für eine Datierung in das späte 4. bzw. frühe 3. Jahrhundert aus. Sie verweisen auf die Neugestaltung des forum Romanum in diesem Zeitraum und werten das Zeremoniell als Ausdruck eines verschärften Konkurrenzdenkens zwischen den gentes beziehungsweise zwischen einzelnen Politikern der Nobilität, durch das die politischen Leistungen einer gens beim Tod eines ihrer Mitglieder (ob dieser selbst ein Amt bekleidet hatte, war nicht ausschlaggebend) in Rom ausgestellt werden konnten und mitsamt der öffentlichen Leichenrede quasi als eine Wahlempfehlung für die noch lebenden männlichen Familienmitglieder wirkten.41 Wie schnell ein solches politisches Instrument aufgenommen werden und sich etablieren konnte, ist besser belegt für die pompae weiblicher Familienmitglieder: Die erste „weibliche“ pompa ist über die laudatio funebris für eine Popilia durch ihren Sohn Q. Lutatius Catulus wahrscheinlich im Jahr seines Konsulats 102 v. Chr. belegt; nur zehn Jahre scheinen, folgt man einer Rede des Crassus, die Cicero wiedergibt, pompae für Frauen der Elite Standard geworden sein.42 Dies verwundert nicht, war die pompa doch Teil einer agonalen Adelskultur und bot nunmehr auch im Vorfeld der Bestattungen von Frauen eine weitere Möglichkeit für Aristokraten, das symbolische Kapital ihrer Familie im stadtrömischen Raum zu präsentieren. In den pompae wurde nicht allein die agnatische Lineage dargestellt, sondern auch die Masken der kognatischen Verwandten mitgeführt; es wurde also auch auf das „matrimoniale Prestige“43 einer Familie hingewiesen. Durch den spezifischen Charakter der pompa, nur jene Ahnen auftreten zu lassen, die Ämter und damit Leistungen für die res publica erbracht hatten, die Ahnen und Adfinen also zu sortieren und zu hierarchisieren, wurde aber gerade nicht auf den integrativen Charakter von Verwandtschaft abgehoben, sondern die Distinktion betont. Verwandtschaft stellte damit nicht mehr eine subkutane soziale Struktur dar, die durch ihren integrativen Charakter die Kohäsion und Stabilität der römischen Aristokratie als Gruppe sicherte, sondern Verwandtschaft wurde in dieser außergewöhnlichen und neuen Form der Ahnenparade offen präsentiert, hierarchisiert und exklusiviert und wirkte damit in der Folge desintegrierend. Zum zweiten Punkt, dem Heiratsverhalten der römischen Aristokratie: Die schon genannten ungewöhnlich weiten Heiratsverbote wurden Mitte/Ende des 3. Jahrhunderts eingeschränkt;44 es war demnach möglich, auch innerhalb des 40 41 42 43 44
Vgl. Flower 1996: 210 zum Ahnenkult: „Nothing could be further removed from the imago, which was always a representation of an individual office-holding family member and a device for recalling his life and character”; s. auch Giuliani 2008: 153. Flower 1996: 42 f.; Giuliani 2008: 153. Cic. de orat. 2,11,44; 2,225; s. Flower 1996: 122–125. So Flaig 2003: 62–66. Livius berichtet im 20. Buch von der Heirat des Patriziers P. Celius innerhalb des sechsten Grads (Liv. frg. 12; vgl. Tac. Ann. 12,6); dieser Verstoß gegen die archaischen Heiratsregeln
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sechsten Grades der Verwandtschaft einen Ehepartner zu wählen.45 Anfang des 2. Jahrhunderts sind solcherart mögliche Ehen zwischen Cousins ausgerechnet für die Cornelii Scipiones überliefert: P. Scipio Nasica Corculum heiratete um 180 mit der älteren der beiden Töchter des Africanus maior die Enkelin seines Großonkels und damit innerhalb des sechsten Grades. Durch die Ehe wurden die zwei Zweige der Scipiones, die sich aus der Nachkommenschaft des L. Scipio, Konsul von 259, gebildet hatten, wieder zusammen- und durch den gemeinsamen Sohn P. Scipio Nasica Serapio, Konsul von 138, fortgeführt.46 Der adoptierte Africanus-Enkel Aemilianus ging noch einen Schritt weiter und ehelichte seine Cousine ersten Grades, Sempronia – vor seiner Adoption hatte zwischen dem leiblichen Sohn des L. Aemilius Paullus und seiner nunmehrigen Schwiegermutter, der jüngeren Cornelia, Vetternschaft bestanden, sie war seine amitina gewesen. Henri Etcheto argumentiert, dass die Ehe noch durch den Adoptivater des jüngeren Africanus arrangiert wurde, um Blut und Namen der Scipionen wieder zusammen zu bringen: Während Aemilianus als rechtlicher Erbe das nomen kontinuieren konnte, brachte Sempronia über ihre Mutter das genus des älteren Africanus mit in die Ehe.47 Angesichts der eher diffusen römischen Vorstellungen von Blut als verwandtschaftskonstituierendes Moment ist es fraglich, ob diese Unterscheidung zwischen bilateraler cognatio naturalis und unilateraler cognatio legitima, also agnatischer Verwandtschaft, die Etcheto in diesem Fall vorannimmt, entscheidend war;48 unbestritten ist jedoch, dass die Ehe zwischen Aemilianus und Sempronia das höchst exklusive Heiratsverhalten der Cornelii Scipiones auf die Spitze trieb und damit besonders anschaulich neue Strategien im Aufbau von Verwandtschaftsgruppen aufzeigte.49
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führte der Tradition nach gar zu einer seditio populi; auch wenn die Passage nicht zuletzt aufgrund philologischer Anachronismen des livianischen Epitomators in der Forschung umstritten ist, ist an einer Weitung der Heiratsregeln nicht zu zweifeln; s. Bettini 1992: 164–165; Har ders 2008: 41 f. mit weiteren Angaben. Trotz dieser Möglichkeit setzte sich jedoch die Ehe zwischen Cousins in Rom nicht als Regel durch; s. Saller/Shaw 1984, die sich gegen die These von Jack Goody stellen, in Rom seien intragentile Ehen bevorzugt worden, um Vermögen innerhalb der Verwandtschaftsgruppe zu halten (zuletzt Goody 2003: 42 f.). So auch Martin 2009 f. Zu Scipio Nasica s. Etcheto 2012: 170 f.; zu Cornelia s. ebd.: 174 f. Der gemeinsame Sohn konnte damit seine Verbindung zum berühmten Großvater politisch aktivierten (vgl. Diod. 34–3,33,1); die Eheschließung ermöglichte zudem, nomen und genus der Scipiones Africani zu perpetuieren, so Etcheto 2012: 56. Dass jedoch auf familiale Kohäsion nicht zwingend politische Kooperation zu folgen hatte, zeigen die unterschiedlichen politischen Haltungen der Africanus-Enkel Scipio Nasica Serapio, Tib. Gracchus und P. Scipio Aemilianus an. Etcheto 2012: 58. S. dazu Harders 2013. Ebenso exklusiv scheinen sich die Cornelier hinsichtlich ihres Adoptionsverhaltens gezeigt haben: Während Martin 2009 f. Adoption unter die Tauschbeziehungen reiht, durch die sich die römische Elite in Verbindung zueinander gesetzt hat, wählten die Cornelier dieses Mittel anscheinend nur im familiären Notfall – und im Fall vom kinderlosen Scipio Aemilianus noch nicht einmal dann; s. Etcheto 2012: 56 f. Noch exklusiver gerierten sich die Claudier, die bis zur Adoption des Nero durch Claudius keine Nicht-Claudier aufnahmen (s. Tac. Ann. 12,25; Suet. Claud. 39).
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Die Einschränkung der Exogamieregel führte dazu, dass mit der Möglichkeit der Cousinenehe Allianzen (hier anthropologisch und nicht im politischen Sinne Münzers gedacht) zwischen zwei Familien in der nächsten Generation wiederholt werden konnten.50 Der Aufbau von Verwandtschaftsgruppen erfuhr damit eine neue Dynamik: Während die alte Regel auf den Aufbau weiter horizontaler Beziehungen zielte, beförderte die neue Regelung die Möglichkeit, Familiengruppen aus dem großen aristokratischen Beziehungsgeflecht herauszunehmen – und es verwundert nicht, dass ein solches Verhalten ausgerechnet durch die politisch immens erfolgreichen, aber auch umstrittenen patrizischen Cornelii Scipiones praktiziert wurde, die sich dadurch von ihren peers abhoben und abgrenzten.51 Ich möchte mit Scipio Africanus und einer letzten Überlegung schließen, die die Problematik, Verwandtschaftsstrukturen bewusst zu funktionalisieren, offenlegt: Der unglaubliche militärische Erfolg und das daraus resultierende Selbstbewusstsein des älteren Scipio stellte in vorher nicht gekanntem Maße das Prinzip aristokratischer Gleichheit in Frage und rührte an der Kohäsion der Senatsaristokratie. Scipios Ansprüche, seine inszenierte Näher zu Iupiter Optimus Maximus, sein Auftreten gegenüber der plebs urbana (und deren Reaktion darauf), sein Verstoß gegen den aristokratischen Comment führten dazu, dass befürchtet werden konnte, Scipio wolle sich über seine peers erheben.52 Die Anklagen, die gegen den jüngeren Asiaticus 187 v. Chr. erhoben wurden, wie dieser mit der Beute aus dem Krieg gegen Antiochos III. umgegangen war, stehen dabei im Kontext eines generell problematischen Umgangs mit sieghaften Feldherrn, sie stellen aber auch den Höhepunkt der Auseinandersetzungen zwischen Senat und den Scipionen dar. Auch Africanus wurde als Zeuge geladen und gab seiner Indignation Ausdruck, indem er die Rechnungsbücher seines Bruders demonstrativ zerriss.53 Der Senat ging jedoch nicht nur konfrontativ vor: Um dem Konflikt mit dem Einzelnen zu begegnen, griffen die Senatoren der literarischen Überlieferung nach 50
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Die Überlegung, ein solches Heiratsverhalten diene in erster Linie dazu, Vermögen in Form vor allem der Mitgift innerhalb einer Gruppe zu halten (s. Anm. 45), verkennt, dass die Diffusion von Vermögen durch Heiraten, aber auch durch die Vergabe von Legaten ein probates Mittel darstellte, um Sozialbeziehungen innerhalb der Führungsschicht, aber auch zwischen Elite und den ihr abhängigen Schichten zu etablieren und kultivieren; s. Martin 2009 f. Vgl. Etcheto 2012: 61 f., der das homogame Heiratsverhalten der Cornelii Scipiones betont. Diese verweigerten seiner prosopographischen Analyse nach auch Eheverbindungen mit Töchtern von homines novi bzw. aus Italien; zur Vernetzung zwischen den stadtrömischen und italischen Eliten via adfinitas s. Beck 2015. Hypergamen Strategien wurde damit eine Absage erteilt. Vgl. Pol. 22,14,1. Invidia, superbia und die Sorge um ein regnum in senatu werden leitmotivisch von Livius verwandt: Liv. 38,50,8; 38,51,3 f.; 38,54,6. 10; 38,60,10. Vgl. Val. Max. 8,1 damn. 1. Zur Problematik des militärischen Sieges im 3. Jahrhundert s. den Beitrag von B. Linke im vorliegenden Band; zum Auftreten Scipios s. ebd. Zur politischen Stellung v. a. der Brüder Africanus und Asiaticus und den Verdächtigungen gegen sie s. Etcheto 2012: 121– 135. Vgl. Etcheto 2012: 165. Zu den sogenannten ‚Scipionenprozessen‘ s. auch Scullard 1970: 210–224; Gruen 1995 (zu Africanus’ Auftritt: 79); Beck 2005: 363 f. S. auch die Beiträge von Bernhard Linke und Alexander Yakobson im vorliegenden Band.
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auf ein bekanntes, in dieser spezifisch expliziten Form aber noch nicht angewandtes Mittel zurück. Livius schildert dramatisch, wie der Volkstribun Tib. Sempronius Gracchus, ein erklärter Gegner der Scipionen, einschritt, als L. Scipio abgeführt werden sollte: Er könne nicht tatenlos zusehen, wie der Bruder des Africanus in denselben carcer geführt werden sollte, in den Africanus Roms Gegner gesperrt habe. Bemerkenswerterweise sitzt der Senat während dieser Szene zum Mahl auf dem Capitol (Senatum eo die forte in Capitolio cenantem); Livius datiert die Situation damit auf das epulum Iovis, ein Fest zugunsten Jupiters, das an den Iden des November während der ludi plebeii gefeiert wurde. Das gemeinsame Mahl zeigte rituell die Handlungsfähigkeit und Geschlossenheit des Senats auf, der sich in der Livianischen Darstellung auch prompt erhebt, um die Verlobung zwischen Scipios jüngerer Tochter und Gracchus zu verlangen. Diese wird unverzüglich und feierlich (sollemne) durchgeführt – und eine entsprechende religiöse Aufladung des Aktes im Angesicht der capitolinischen Trias, deren Bildnisse dem Mahl präsidierten, ist damit auch gegeben.54 Die Authentizität dieser Szene wird nicht nur in der Forschung angezweifelt; schon Livius meldet Zweifel an der Historizität der Episode an, die er so eindrücklich schildert.55 Nichtsdestotrotz wird die Verlobung von Scipios Tochter Cornelia mit Gracchus als wirkungsvolles Beispiel kommemoriert, wie politische Feindschaft, inimicitia, überwunden werden konnte, und findet sich so auch in den Rhetorikbüchern wieder.56 Das Stiften von adfinitas wurde demnach als probates Mittel angesehen, Scipio wieder in die Adelsgemeinschaft zurückzuführen, wobei es nachrangig ist, ob die Verlobung in dieser so dramatischen Form und auf Instigation des Senats tatsächlich zustande kam. Der Fall bleibt instruktiv, da das, was ich als die „politische Allianzehe“ der späten Republik bezeichnen möchte, und das vielleicht am ehesten mit den Münzer‘schen Familienallianzen vereinbar ist, wiederum mit den Scipionen, hier ihrem berühmtesten Vertreter, als Anfangspunkt verbunden wird. Eine solche Ehe konnte im Prinzip nicht funktionieren; und dies lässt sich schon an Africanus zeigen, der sich eben nicht mit dem Senat aussöhnte, sondern sich verbittert auf seinen Landsitz in Liternum zurückzog und wohl dort 183 v. Chr. verstarb.57 Mechanismen, die als Tiefenstruktur die einzelnen Häuser miteinander in Beziehung setzten, wurden quasi an die Oberfläche geholt und mit der Hoffnung beladen, feste Bindungen zwischen aufgrund ihres Sozialprestiges und der damit verbundenen Machtposition kaum kommensurablen Personen zu etablieren oder diese wie54
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Liv. 38,57,2–8. Vgl. die Kurzversion bei Val. Max. 4,2,3. Auch bei Gell. 12,8,1–4 bietet das Bankett des Senats den Rahmen der Verlobung, ohne jedoch zu nennen, dass die Senatoren aktiv die Verbindung propagierten. Zum senatorischen Bankett während des epulum Iovis: Gell. 12,8,2. Zum Fest s. Scullard 1980: 262–264. Ein Bestandteil der Episode – Scipio informiert seine Ehefrau Aemilia über die Verlobung der Tochter, die sich erbost zeigt, nicht konsultiert worden zu sein – findet sich mit verändertem Personal eine Generation später wieder: der Verlobung der Claudia mit Tib. Gracchus filius (Plut. Tib. Gracch. 4,4). Plutarch betont, die ‚richtige‘ Geschichte wiederzugeben, da Cornelia erst nach dem Tod ihres Vaters verlobt wurde. Zu Cornelias Ehe s. Dixon 2007: 4 f. Cic. inv. 1,91; Sen. Contr. 5,2,3; s. auch Cass. Dio 19 frg. 65. Scullard 1970: 223 f.
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der an die Senatsaristokratie zurückzubinden: Später konnten weder die Ehe zwischen Caesar und Pompeius über Caesars Tochter Iulia, noch der Versuch, Pompeius über die Heirat mit Cornelia Metella, einer Tochter des Q. Caecilius Metellus Pius Scipio (cos. 52), wieder an den Senat zu binden, oder auch das Bestreben, eine Verständigung zwischen Octavian und Antonius über Octavia zu zementieren, letztendlich erfolgreich sein. Die integrativen Effekte von Verwandtschaft wurden vielmehr semantisch überhöht, die Ehe zwischen Antonius und Octavia sogar hymnisch gefeiert, als ob dies den Bedeutungsverlust der ursprünglichen Funktion ausgeglichen und die Einbindung in das „Familiennetz“ der römischen Aristokratie gesichert hätte.58 Die Ambitionen der Männer, die der aristokratischen Gleichheit nicht zuletzt aufgrund ihrer militärischen, sozialen und finanziellen Möglichkeiten entwachsen waren, konnten durch adfinitas nicht eingehegt werden; es blieben – angefangen bei Scipio Africanus und zuletzt während der Verlobung zwischen Antonius und Octavia in Brundisium59 – zwar semantisch aufgeladene und hoch spektakuläre Handlungen, die aber letztendlich symbolisch überfrachtet waren und kein adequates Instrument mehr darstellten, mithilfe dessen aristokratische Kohäsion hergestellt werden konnte. Die Betrachtung von Verwandtschaftsstrukturen zeigt daher nach beides: Die kongeniale Kombination dreier verwandtschaftlicher Prinzipien ist als wichtiges fundierendes Element für die ungeheure Kohäsion der römischen Elite zu sehen, da sie sowohl die einzelnen familiae zueinander in Beziehung setzte als auch die Möglichkeit bot, neue Verbände aufzunehmen und qua Heirat zu integrieren. Das kognatische Beziehungsgeflecht bestätigte die Elite als eine bestimmte Gruppe und bot ein Gegengewicht zu den ansonsten zentrifugalen Kräften politischer Rivalität und Agonalität. Die römische Aristokratie stand trotz des starken Hierarchiegefälles, das durch die Vergabe der Ämter jedes Jahr mit aufs neue gemischt wurde, als geschlossene Gruppe gegenüber dem populus Romanus – und diese grundsätzliche Geschlossenheit erklärt mit, wie die enorme „Gehorsamstiefe“60 des populus überhaupt erst etabliert werden konnte. Was für eine entscheidende Zutat die ständigen Verheiratungen innerhalb der Elite für deren Kohäsion waren, macht das gegenläufige Heiratsverhalten der Aristokraten im archaischen Griechenland deutlich: Hier wurden die Bräute nicht innerhalb der lokalen Gemeinschaft gewählt, sondern durch Ehen wurden überregionale Netzwerke zwischen den Aristokraten verschiedener poleis gestiftet. Dieses nicht auf die polis bezogene Heiratsverhalten führte jedoch auch dazu, dass die lokalen basileis unverbunden nebeneinander standen und eben keine geschlossene Gruppe bildeten, der es in der Folge nicht gelang, ihre „soziale Überlegenheit in formale 58 59
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S. dazu ausführlich Harders 2008: 51–59; zu Antonius und Octavia s. ebd.: 275–280, zum Scheitern: 288–297. Appian zufolge löste die Verlobung bei den Soldaten größere Begeisterung aus als der Abschluss des Vertrags zwischen den Triumvirn (App. Civ. 5,64). Auch der Senat wurde involviert und sorgte für eine Dispens, so dass die Witwe Octavia so kurz nach dem Tod ihres Mannes Marcellus wieder heiraten konnte – die Ehe wurde damit zu einer Staatsangelegenheit (Plut. Ant. 31,2 f.); zur Ehe s. Harders 2008: 275–280. Flaig 2003: 13.
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Herrschaft“61 zu überführen. Das kompetitive Verhalten der griechischen Aristokraten, ihre extreme Agonalität wurde eben nicht durch eine spezifische soziale Struktur wie Verwandtschaft konterkariert und im Zaum gehalten. Das lokal exogame Verhalten kann daher auch zu den „verpassten Chancen“ gerechnet werden, die Winfried Schmitz hinsichtlich der griechischen Aristokratie bilanziert.62 Zurück zu Rom: Während hier adfinitas eines der Momente war, das die gentes und agnatischen familiae miteinander verband, damit die Geschlossenheit der Aristokratie fundierte und sie in der Folge als Gruppe regimentsfähig machte, können ebenso anhand der Veränderungen der Verwandtschaftsstruktur zur Wende vom 3. zum 2. Jahrhundert und dem Umgang damit Auflösungserscheinungen eben dieser Gruppenkohäsion verfolgt werden – etwa im veränderten Heiratsverhalten63 und der semantischen Überhöhung von einzelnen Ehen. Die große römische „Adelsfamilie“ erodierte: Durch die pompae funebris wurden die Hierarchien innerhalb der Elite spektakulär verdeutlicht und Distinktion erzielt; Familien wie die Cornelier oder Claudier waren stolz auf ihre Exklusivität und verweigerten durch Absagen an Ehen oder Adoptionen familiale Beziehungen mit anderen. Es ist nicht zu eruieren, wodurch diese Veränderungen im Einzelnen angestoßen wurden, sie zeigten aber unterschwellige Wirkung und beeinflussten mithin die Desintegration von Roms Führungsschicht als Gruppe. Die Spezifika der Strukturen römischer Verwandtschaft stellen dabei in beiderlei Hinsicht – im Positiven wie im Negativen – immanent politische Phänomene dar – wenn auch nicht im Münzer‘schen Sinne. BIBLIOGRAPHIE Beck, H. 2005: Karriere und Hierarchie. Die römische Aristokratie und die Anfänge des cursus honorum in der mittleren Republik, Berlin. – 2015: Beyond ‚Foreign Clienteles‘ and ‚Foreign Clans‘. Some Remarks on the Intermarriage between Roman and Italian Elites, in: M. Jehne, F. Pina Polo (Hgg.), Foreign clientelae in the Roman Empire. A Reconsideration, Stuttgart 57–72. Bettini, M. 1992: Familie und Verwandtschaft im antiken Rom, Frankfurt/M./New York. – 2002: The Metamorphosis of ‚Texts‘ into ‚Sources‘ in Roman Social History. Some Examples from Richard Saller’s Roman Kinship: Structure and Sentiment, QS 56, 199–226. Corbett, P. E. 1930: The Roman Law of Marriage, Oxford. Dasen, V. / Späth, T. (Hgg.) 2010: Children, Memory, and Family Identity in Roman Culture, Oxford. Dixon, S. 1992: The Roman Family, Baltimore/London. – 2007: Cornelia. Mother of the Gracchi, London/New York. Etcheto, H. 2012: Les Scipions. Famille et pouvoir à Rome à l’époque républicaine, Bordeaux.
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Schmitz 2008: 43–45. Schmitz 2008: 50–52. Schon SteinHölkeskamp 1989: 24–27 nennt die mangelnde Bedeutung überhäuslicher Verwandtschaftsstrukturen als Grund für die „vergleichsweise prekäre Kohärenz und mangelnde ständische Geschlossenheit des archaischen Adels“ (27). Neben der Einschränkung des Exogamiegebots lässt sich m. E. auch das Verschwinden der manus-Ehe im 2./1. Jh. v. Chr. mit solchen Desintegrationsprozessen parallelisieren; s. Hard ers 2008: 42–44.
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CICERO’S FAMILIA URBANA AND THE SOCIAL STRUCTURE OF LATE REPUBLICAN ROME* Henrik Mouritsen, London Given the extraordinary richness of our evidence for the personal life of Cicero, his familia urbana offers a natural starting point for an investigation into the relationship between slavery, aristocratic households and the social structure of the late republic. Let us begin at micro level by looking first at the relationship between Cicero and one of his best documented servants, M. Pomponius Dionysius, the freedman of Atticus who had been passed on to his patron’s close friend. The fascinating story begins in November 56 when Cicero first mentions him in a letter to Atticus, declaring how happy he is to spend a day with Dionysius. The freedman, of whom Cicero had been fond already before his manumission, apparently stayed with him the following year as a literary assistant. But in 54 he returned to Atticus’ service, since Cicero at some point sends his regards and expresses his hope he will come back as a teacher for his son. That did indeed happen later in the year, when Cicero rejoices in the prospect of his return. Precisely how long he stayed this time is not clear but throughout 51 and most of the following year he is the object of Cicero’s repeated, often effusive praise. In December 51 Cicero reluctantly let Dionysius return to Atticus and that visit led to a serious cooling of their relationship. Cicero felt that Dionysius had not shown himself sufficiently grateful and even bad-mouthed him. A total break came in February 49 when Cicero had to leave Rome and Dionysius refused to follow. Cicero was furious and dismissed him in harsh terms despite Atticus’ continued confidence in the freedman and attempts at interceding on his behalf. During most of the year 49 the grief Dionysius caused Cicero is a recurrent theme in his letters to Atticus and given the breakdown in relations it comes as no surprise that he subsequently fades from our records. However, in 45 he suddenly reappears, apparently having regained Cicero’s favour, but without any explicit indications how and when the reconciliation took place.1 The story is illuminating in a number of ways, not least for the revealing light it casts on the structure and dynamics of elite households as well as on the values * 1
I am grateful to Roland Mayer, Sophie Lunn-Rockliffe and Peter Garnsey for their valuable comments and advice on this paper as well as to the organisers and participants in the Münster colloquium. Cic. Att. 4,8a,1 (SB 82); 4,11,2 (SB 86); 4,13,1 (SB 87); 4,14,2 (SB 88); 4,15,1. 10 (SB 90); 4,18,5 (SB 92); 4,19,2 (SB 93); 5,3,3 (SB 96); 5,6,3 (SB 102); 6,1,12. 13 (SB 115); 6,2,3 (SB 116); 7,3,10 (SB 126); 7,4,1 (SB 127); 7,5,3 (SB 128); 7,7,1 (SB 130); 7,8,1 (SB 131); 7,18,3 (SB 142); 7,26,3 (SB 150); 8,4,1. 2 (SB 156); 8,5,1 (SB 157); 8,10 (SB 159); 9,12,2 (SB 179); 9,15,5 (SB 183); 10,2,2 (SB 192); 10,16,1 (SB 208); 13,2b (SB 304); 13,33a,1 (SB 330).
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and ideals that shaped them. Firstly, it underscores the remarkable closeness and familiarity, even dependency, that existed between the rulers of the empire and their current and former slaves, on whom they relied in almost every aspect of their lives, be they public or private, practical, managerial, or intellectual. To meet these needs staff was required with advanced levels of education, general competence and a wide variety of specialist skills. Secondly, the Dionysius episode draws attention to the often-overlooked question of how the elite obtained the staff they required and the considerations that informed their strategies in this field. Many servants may have been born, selected and trained within the household itself, and some members of the elite such as Atticus, relied entirely on homebred slaves and freedmen, although Cornelius Nepos implies this was not the norm.2 Usually we find a combination of homebred staff and skilled slaves bought on the market. The latter were not suitable for all roles, for while they may have been well trained they were essentially strangers, in whom a master/patron naturally would be reluctant to invest too much trust – Roman literature being full of cautionary tales of deceitful servants. An alternative option was therefore the sharing of staff among close friends. Dionysius had been loaned by Atticus, and there are signs that such arrangements may not have been unique, one of Cicero’s freedmen also working for Atticus as an accountant.3 These employment strategies remind us that the familia remained the basic unit of the social and economic organisation of labour in Rome. In the Dionysius story there is no hint that external labour was ever contemplated. He was not replaced by an outsider nor did he find another employer afterwards. Similarly, when a freedman was expelled from Atticus’ household for misconduct, he did not simply join another familia but became an independent teacher, one of the few liberal professions in Rome.4 The particular value of freedmen lay in their personal debt and devotedness to their patron. In this case that included both Cicero and Atticus, who had assumed joint patronal responsibilities, as underlined by the decision to give Dionysius Cicero’s praenomen.5 The unique benefits associated with this type of staff were expressed through a distinct language of praise and blame. And while hard work, modesty and frugality were considered important libertine qualities, their primary virtue was loyalty to their patron. Cicero thus praises Dionysius not just for his personal and professional qualities as doctus, sanctus, plenus offici, frugi, and even vir bonus, which clearly went beyond the bounds of normal praise, but also for being “studiosum meae laudis” and deeply devoted to Atticus and Cice2 3
4 5
Corn. Nep. Att. 13,3–4. When Cicero went to Cilicia he also borrowed Atticus’ servant Nicanor, the task of governing a province requiring specialised staff not readily available among his existing staff members: Cic. Att. 5,3,3 (SB 96); 5,20,9 (SB 113). It is also unclear to whom the slave Eros, who worked for Cicero as a dispensator, actually belonged, Cicero or Atticus. Catullus offers a glimpse of similar staff sharing, with the poet having to admit that the litter bearers he had mentioned to his girlfriend actually belonged to his friend C. Cinna, but adding that it does not really matter since what belongs to Cinna belongs to him (Cat. 10,21–32). Suet. Gramm. 16. Cic. Att. 4,15,1 (SB 90).
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ro.6 It followed that ingratia constituted the ultimately libertine transgression and was met with harsh condemnation.7 As we saw, at the slightest sign of disobedience, or even independence of the patron, the freedman faced complete dismissal and potentially disastrous relegation from the household. As it becomes clear from these brief observations, there were obvious advantages to the familia structure, above all the personal control it entailed, and its ability to provide incentives, positive as well as negative, at all levels of the household, from menial workers to the most trusted confidants. It also constituted a closed labour system, almost an economic microcosm, with its own internal hierarchies that ranged from humble workers to privileged personal advisors.8 The writings of Cicero provide important insights into the structure of elite households, both in passing references to his own and others’ familiae and in normative statements about the ideal domus, which leave no doubt as to the overall importance of domestic staff as a reflection of the social standing of the dominus. But the wealth of detail found particularly in his letters may also allow us to move beyond general questions of structure and values and explore issues of scale, which are crucial to understanding the place of elite households in the Roman social landscape as a whole. A few opening comments on the nature of the Ciceronian evidence may be appropriate, mostly to dispel some of the misunderstandings that characterised the only previous study of Cicero’s household, which argued that it was remarkably modest and did not meet the usual standards for an aristocratic familia.9 The claim is inherently unlikely, not least because it would make Cicero’s attack on Piso’s undignified household incomprehensible; indeed such criticism would surely have backfired if his own familia had been equally challenged.10 As importantly, the argument fails to appreciate the limitations of the Ciceronian evidence, which presents only a very partial picture of his familia. As a rule Cicero’s correspondence mentions only those members of his familia who are either 1) directly relevant to the letter in question, above all the messengers, tabellarii, 2) the librarians and copyists involved in the production of his literary works, or 3) the most trusted staff members to whom he would write directly or 6
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Cic. Att. 7,4,1 (SB 127); 6,1,12 (SB 115): homo nec doctior nec sanctior fieri potest nec tui meique amantior – “no one could be more learned or high principled or more attached to you and me.” (Transl. D. R. Shackleton Bailey). In Att. 5,9,3 (SB 102), Cicero assures Atticus of Dionysius’ devotion to him; cf. 7,7,1 (SB 130): tuique amantissimus. After the breakdown of relations Cicero instantly denounced Dionysius as superbus and ingratus as well as “male sanum” and impurus and sceleratus: Cic. Att. 8,4 (SB 156); 8,10 (SB 159); 9,15,5 (SB 183). On Dionysius’ refusal to follow Cicero he remarks: nihil cognovi ingratius (Cic. Att. 8,4,1 [SB 156]). Cicero’s dismissal of Dionysius as a Greek suggests that he may not have been a verna, casting doubt on Nepos’ claim that Atticus relied entirely on homebred slaves: Att. 7,18,3 (SB 142). A hint of this stratification is found in Cicero’s reference to Caesar’s large entourage which included libertis minus lautis servisque, less elevated sections of the household: Cic. Att. 13,52,2 (SB 353). Garland 1992, followed by e. g. Hasegawa 2005: 38. For a discussion of this argument see Appendix 1. Cic. Pis. 67.
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refer to in the context of financial negotiations and similar confidential matters. Slaves and freedmen performing more menial tasks barely feature at all, and none of them is mentioned by name. Neither is there any trace of female staff members or children. It is, in other words, evident that the named servants represent only a relatively minor, highly select sub-section of the household. It is with these limitations in mind we should approach the question of scale. Although there is occasional uncertainty as to which correspondent a given messenger belongs and whether the household may have contained homonymous slaves a plausible estimate of named staff members during the years between 58 and his death in 43 comes to twenty-two, the large majority concentrated in the final years from which most of the surviving evidence derives.11 However, the incidental nature of the evidence suggests that our documentation is far from complete, even for this part of the familia. Thus several staff members feature only once or in unusual circumstances. For example, in 58 a slave called Orpheus, perhaps a dotal slave of Terentia, appears in the exceptional context of Cicero’s exile and the threat it posed to his household.12 Despite Cicero’s high 11
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Acastus: Cic. fam. 16,14,2 (SB 41); fam. 16,10,2 (SB 43); fam. 14,5,1 (SB 119); fam. 16,5,2 (SB 124); Att. 6,9,1 (SB 123); 7,1,1 (SB 124); (53–50, delivering letters); Aegypta: Att. 8,15,1 (SB 165); Att. 12,37,1 (SB 276); Att. 13,3,2 (SB 308); fam. 16,15,1 f. (SB 42) (53–45, delivering letters); Alexander: Att. 12,2a,2 (SB 301) (45, delivering letter); Andricus: fam. 16,13 (SB 40); fam. 16,14,1 (SB 41) (53, delivering letter); Apella: Att. 4,8a,1 (SB 82), (56, delivering letter); Aristocritus: fam. 14,3,1. 4 (SB 9), (58, delivering letters); Cephalio: Att. 7,12 (SB 149), Att. 9,19,4 (SB 189), Att. 10,1,2 (SB 190), Att. 10,2,1 (SB 192), Att. 10,15,1 (SB 207), Att. 11,12,1 (SB 223), Att. 11,16,4 (SB 227) (49–7, delivering letters – Shackleton Bailey does not identify the owner, but it this must be Cicero, since he delivered to both Quintus and Atticus, who is also asked to pass a letter to him); Chrysippus: Q.fr. 3,4,5 (SB 24), Q.fr. 3,5–6,6 (SB 25), Att. 7,2,8 (SB 125), Att. 7,5,3 (SB 128); (54–50, working in library); Dexippus: fam. 14,3,3 f. (SB 9), (58, delivering letters); Dionysius: Att. 9,3,1 (SB 170); fam. 13,77,3 (SB 212); fam. 5,9,2 (SB 255), fam. 5,11,3 (SB 257); fam. 5,10a,1 (SB 259); (49–46/5, working in library, cf. below p. 227–228, delivering message); Ero:, Att. 12,7,1 (SB 244), Att. 12,18,3 (SB 254), Att. 12,21,4 (SB 260), Att. 12,2a,1 (SB 301), Att. 13,30,1 (SB 303), Att. 13,12,4 (SB 320), Att. 13,50,5 (SB 348), Att. 14,18,2 (SB 373), Att. 14,21,1 (SB 375), Att. 15,15,1. 4 (SB 393), Att. 15,17,1 f. (SB 394), Att. 15,20,4 (SB 397), Att. 16,1,1. 6 (SB 409), Att. 16,2,1 (SB 412), Att. 16,3,1 (SB 413), Att. 16,11,7 (SB 420), Att. 16,13,3 (SB 423), Att. 16,15,5 (SB 426), (46–4, dispensator and delivering letters); Harpalus: fam. 16,24,1 (SB 350) (44, delivering letter, either Cicero’s or Atticus’ slave); Hermia: fam. 16,15 (SB 42) (53, delivering letter); Hilarus: Att. 12,37,1 (SB 276), Att. 13,19,1 (SB 326) (45, librarius delivering letter); Isidorus: Att. 11,4a (SB 214), Att. 11,4 (SB 215) (48, delivering letters); Mario: fam. 16,1,1 f. (SB 120), fam. 16,2 (SB 121), fam. 16,3,2 (SB 122), fam. 16,5,1 (SB 124) (50, delivering letters); Orpheus: fam. 14,4,4 (SB 6), (58, role unknown); Phaeto: Att. 3,8,2 (SB 53); Q.fr. 1,4,4 (SB 4), (58, delivering letters); Philotimus: Att. 10,7,2 (SB 198), Att. 13,33,1 (SB 309); fam. 151,1(?) (49–45, librarius delivering letter); Pollex: Att. 8,5,1 (SB 157), Att. 11,4a (SB 214), 13,46,1. 3 (SB 338), Att. 13,47 (SB 339), Att. 13,48,1 (SB 345), fam. 14,6 (SB 158), (49–45, a pedibus and messenger); Spintharus: Att. 13,25,3 (SB 333) (45, librarius); Tiro: pass. Prior to 58 just two servants are recorded, both in 61: Hilarus, ratiocinator, Att. 1,12,2 (SB 12), and Sositheus, anagnostes, Att. 1,12,2:4 (SB 12). In uncertain cases I have generally followed Shackleton Bailey 1965–70; 1977; 1980. For a different list see Smadja 1976: 79–82. Cic. fam. 14,4,4 (SB 6).
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opinion of him – and the trust he apparently enjoyed – we never hear of him again. Likewise, in 53 when Tiro fell ill in Greece, two otherwise unrecorded slaves, Andricus and Hermia, suddenly emerge as messengers, never to reappear in the correspondence.13 Most likely, therefore, the figure is just a minimum and in reality there would have been others within this category who receive no explicit mention and therefore fall below our radar. The next question is whether the figure of twenty-two can be used for anything, given its incomplete nature. What we need is a context into which the known members of the familia can be slotted or, in other words, a framework for assessing what proportion the recorded members may have constituted of the household as a whole. From a variety of sources we know that the Roman elite valued specialisation in the household and treasured the ideal of domestic self-sufficiency, which again was closely linked to the preference for personally controlled staff. Treggiari’s classic study of the household of Livia demonstrated its extraordinary degree of professional differentiation and there is ample evidence, not least epigraphic, that other elite households displayed a similar variety of functions, including stewards, footmen, litter bearers, staff for personal service and grooming, such as cubicularii, barbers, bath attendants, masseurs, dressers and wardrobe assistants, cooks, bakers and kitchen and serving staff, maintenance staff, builders and gardeners.14 As already noted, it would seem clear from Cicero’s attack on Piso’s mean and undignified familia that his own household broadly conformed to this model, although we only have passing references to cooks, atrienses and cubicularii. Indirect evidence for the scale and capacity is also provided by, for example, his ability to host Caesar when he arrived with a vast entourage. The suggested instances of ‘multi-tasking’ and staff shortage in Cicero’s household are unpersuasive.15 The most detailed information about the composition of elite households comes from the early imperial columbaria of the Statilii Tauri and the Volusii Saturnini, which may give us a rough idea of the number of staff employed in different roles. Inevitably this evidence poses a number of problems that will have to be taken into account when evaluating the statistics.16 It should be noted that job titles feature in only a minority of epitaphs. However, there are no grounds for assuming that it af13 14
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Cic. fam. 16,14,1 (SB 41); 16,15,1 f. (SB 42). Treggiari 1975. The preoccupation with specialisation features already in Plaut. Trin. 252– 254, while the extended anecdote in Rhet. ad Her. 4,63 f. underlines the social importance attached to large and diverse urban households. Cicero commented on the huge scale and diversity of skills of Chrysogonus’ household (Cic. Rosc. Am. 133), but only reproached him for those who catered to pleasure and luxury, such as musicians; the presence of trades such as “cocos, pistores, lecticarios” was unremarkable. The general importance of the ‘quality’ of domestic slaves is indicated too by Cicero’s reference to Verres’ appropriation of the pirates’ captives qui aliquid formae aetatis artificiique habebant – “those who had any beauty, or youth, or skill” (Cic. Verr. 2,5,64; cf. Verr. 2,5,73: formosi homines et adulescentes et artifices). Cf. appendix 1 below. In Q.fr. 3,7(9),4 (SB 27) from 54 BCE Cicero complains about an acute shortage of slaves but without indicating what level of staffing was considered necessary or appropriate. For a detailed discussion see Mouritsen 2013.
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fected the relative distribution of functions, since high and low appear to be fairly equally represented, the trusted administrators as well as the humble litter bearers. It is entirely possible that elite households of the early Empire may have expanded in size compared to those of the republic, but again there is no compelling reason why this would have skewed the relative balance of domestic functions. For the purpose of this exercise we may isolate the particular functions that feature in Cicero’s letters, including clerical and administrative staff, from the rest such as those involved in personal care and attendance, the running of the household, catering, and house maintenance. If we apply this approach to the Statilian columbarium, the largest and most comprehensive of the surviving private monuments, we find that the ‘Ciceronian’ sections cover twenty-five, or 18 per cent, of the 138 male servants recorded with job titles.17 This figure of course gives only the broadest sense of scale and a number of factors must be taken into account that might affect comparability.18 Thus commemoration with job titles was for some reason more common for slaves than for freedmen, which might have an impact on the profile, and there are also signs that some of the most high-ranking freedmen may not have been buried in the columbarium itself.19 Still, the effect on the overall share of ‘Ciceronian’ staff is probably limited, since posts such as dispensatores, tabellarii, librarii and others in that category remain fairly well represented. If we briefly compare these findings with the columbarium of the Volusii, we find a rather different picture, but that is undoubtedly due to issues of survival and recording as well as its distinct, far less inclusive social profile, which means that
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The ‘Ciceronian staff’ is defined as those who performed functions similar to those mentioned in Cicero’s correspondence, i. e. administrators, librarians, doctors, secretaries, and personal attendants. The total figure for staff with job titles excludes those Statilian slaves and freedmen who worked outside the household, e. g. in the amphitheatre of Statilius Taurus and his horti. Cicero may have been unusual in contracting the management of his urban properties out and other members of the elite probably employed their own insularii, cf. Frier 1978. Some of the builders in the Statilian household may have been primarily looking after commercial properties but that hardly affects comparability since most members of the elite had urban investments and associated maintenance staff. Artifices appear to have been a standard element of elite households, as illustrated by Cicero’s references to the young C. Malleolus’ “familiam magnam”, which included “multos artifices” as well as “homines formosos et litteratos” (Cic. Verr. 2,1,91 f.). The substantial contingent of bodyguards, germani, in the Statilian household may have been uncommon under the empire, but would presumably have been a regular feature during the turbulent days of the late republic. It is of course possible that some of the messengers mentioned by Cicero normally carried out other functions, delivery of letters being an ‘opportunistic’ activity. It is unlikely, however, that these would belong to the menial sections of the household; not only was it a responsible task but also one that typically involved a verbal message of a highly confidential nature, cf. Niki tinski 2001. Hasegawa 2005: 31, suggested that those commemorated without job titles had no defined function in the household. That seems highly questionable, not least in light of the disparity between slaves and freed and between different elite columbaria, which rather suggests the importance of purely epigraphic factors.
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the ‘Ciceronian’ jobs make up a much larger proportion there.20 Because of the under-representation of the more humble sections of the Volusian household, the distribution pattern found in the Statilian material must be regarded the more accurate, although that too of course must be taken with all due caveats for vagaries of transmission and localised epigraphic practices. Nevertheless, if the figures from that columbarium are taken as a rough guide to the likely composition of an aristocratic household and applied to the recorded members of Cicero’s familia, we reach a figure that can hardly have fallen below one hundred adult male slaves and freedmen. To this figure should, of course, be added the female staff members, whose share of the household must remain conjectural. No female staff members are mentioned by Cicero, but they must have made up a significant proportion, even if it was not entirely balanced. Thus, while there may not have been complete gender parity, it seems unlikely that their numbers would have fallen far below that of male staff. For comparison, in the early imperial columbaria women make up around a third of those commemorated, and here epigraphic factors may have pulled the figure down slightly.21 Even greater uncertainty attaches to the question of children in the household, for while the familia may not have been entirely self-sustainable, the widespread presence of slave families and hence slave offspring must be considered highly probable; after all, what was unusual about Atticus’ familia was not the presence of vernae but his complete reliance on staff born and raised under his own roof.22 Finally the marital arrangements must be taken into account, since spouses at the time of Cicero had separate finances and to some extent also staff, which meant that many of the functions we have just discussed would have been doubled up. Precisely how many we can only speculate, but as a woman of substance Terentia obviously had her own personal servants, attendants, maids, dressers, secretaries, accountants, etc., some of whom are mentioned by Cicero, above all the administrator and general advisor Philotimus, who also served Cicero.23 What emerges with some clarity from this material is the fact that elite households had grown to a very substantial size already during the late republic, easily reaching into triple figures and often far beyond. In this context it should also be borne in mind that Cicero by no means ranked among the richest members of his class, as Plutarch explicitly noted,24 and these observations in turn allow us to make some conjectures regarding the overall scale of elite households in Rome. If we set the average senatorial household – quite conservatively – at 100 slaves and 20
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The material from the Volusian columbarium is generally of higher quality than that from the Statilian with numerous expensively decorated inscriptions and funerary altars. It thus seems to have catered predominantly for the upper echelons of the household and it therefore comes as no surprise that the ‘Ciceronian’ section here make up almost half of those commemorated with job titles. See Mouritsen 2013: 49–52. Cf. e. g. my discussion in Mouritsen 2011a. In addition to Philotimus himself, his slave Eros is also documented: Cic. Att. 10,15,1 (SB 207). Plut. Cic. 7,3: “His fortune was sufficient for his expenses but was still small, …” – οὐσίαν δὲ μικρὰν μέν, ἱκανὴν δὲ καὶ ταῖς δαπάναις ἐπαρκῆ κεκτημένος …
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freedmen we get a minimum of 60,000 members of senatorial familiae, which given the enormous size of the largest ones probably errs on the side of caution. Moreover, the senatorial class was of course just the pinnacle of the social hierarchy, and outside their order there existed a substantial stratum of affluent Romans able to emulate their domestic display. To establish a more comprehensive picture of elite households we must therefore add the rich equites, some of whom were wealthier than many senators, including Atticus whose household, judging from the staff members recorded in Cicero’s letters, probably exceeded that of his consular friend.25 The definition of equites – and hence also their numbers – in the late republic is much debated.26 Traditionally the censors nominated 1800 equites equo publico but that criterion appears to have become largely obsolete by Cicero’s time, when a broader definition based on the equestrian census qualification appears to have applied.27 Their number cannot be estimated with any degree of certainty. However, if purely for the sake of argument we assume double the number of urban equites to that of senators and set their average household at half that of a senator, we get an additional 60,000 servants in the capital. This estimate is deliberately conservative, and also outside the two highest ordines there would have been plenty of households belonging to the prima classis which enjoyed considerable wealth. They should be counted as integral parts of the elite whose ideology and lifestyle they shared. Again, this social stratum as well as the size of their households defies any attempt at quantification, but they too must be taken into account when attempting to reconstruct the social landscape of Rome.28 As these ‘guesstimates’ suggest, the households of the extended elite would have made up a very substantial proportion of the urban adult population, probably well in excess of 120,000. Such a figure might seem excessive at first, but we are 25
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Twenty-three members of Atticus’ household are recorded, all messengers or clerical and administrative staff (references are to Cic. Att.): Alexio 7,2,3 (SB 125), 13,25,3 (SB 333); Alexis 5,20,9 (SB 113), 7,2,3 (SB 125), 7,7,7 (SB 130), 12,10 (SB 247), 16,15,1 (SB 426); Amianus 6,1,13 (SB 115), cf. 5,15,3 (SB 108); Antaeus 13,44,3 (SB 336); Demea 13,31,1 (SB 302), 13,30,1 (SB 303); Demetrius 14,17,1 (SB 371); Democritus 6,1,13 (SB 115); Dionysius 4,8,2 (SB 79); Dionysius (see n. 1 above); Eutychides 4,16,9 (SB 89), 4,15,1 (SB 90), 5,9,1 (SB 102); Menophilus 4,8,2 (SB 79), cf. 4,5,3 (SB 80); Metrodorus 15,1a,2 (SB 378) (Atticus’ servant?); Musca 12,40,1 (SB 281); Nicanor 5,3,3 (SB 96), 5,20,9 (SB 113); Pamphilus 7,2,2 (SB 125); Pharnaces 13,29,3 (SB 300), 13,44,3 (SB 336); Phemius 5,20,9 (SB 113); Philadelphus 1,11,2 (SB 7); Philogenes 5,13,2 (SB 106), 5,20,8 (SB 113), 6,2,1. 10 (SB 116), 6,3,1 (SB 117), 7,5,3 (SB 128), 7,7,2 (SB 130); Salvius 9,7,1 (SB 174); 13,44,3 (SB 336), 16,2,6 (SB 412); Satyrus 12,22,2 (SB 261); Syrus 12,22,2 (SB 261),15,17,1 (SB 394); Tisamenus 12,10 (SB 247). E. g. Henderson 1963; Nicolet 1966; Wiseman 1970; and most recently Giovannini 2010. There is little trace of equites equo publico in the first century, Cicero mentioning them only twice: in the context of a spurious dedication made by this group to their ‘patron’ L. Antonius (Cic. Phil. 6,13), and in an antiquarian reference to the eighteen centuries created in regal times (Cic. rep. 2,36). Otherwise Cicero pays no attention to this criterion neither in his references to the ordo equester nor when mentioning individual equites. The latter are all described simply as equites Romani, with no further suggestion that they might be separated into two categories. Some of these pillars of Roman society may of course have been domi nobiles who had their main residence elsewhere.
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after all dealing with a class that drew on the resources of a vast empire and attached considerable importance to the scale and quality of their households, which became markers of social status and personal refinement. During this period the urban residences of the elite remained subject to a fairly strict code of conduct which policed unseemly ostentation. The paradoxical result was that while the town houses themselves stayed comparatively modest, the staffing they housed became an important outlet for competitive display and grew correspondingly in both scale and complexity. This process gave the elite a remarkable physical presence in terms of the sheer magnitude of their households, which had reached striking proportions and came to form complex internal hierarchies of status, skill and education. And while it may seem banal to observe that these domestic units were based on the institution of slavery, there are wide implications of this simple fact. Most fundamentally it had a profound knock-on effect on the Roman ‘labour market’, which was largely reduced to low skilled, short-term jobs. Since the elite insisted on exercising personal authority over their staff and ideally purchased no services outside the household, a class of skilled professionals had little chance of emerging, partly because there was limited access to training and education and partly because of the scarce employment opportunities.29 The elite’s preference for tied labour would also have limited social mobility. From the late republic onwards Rome is often perceived as an increasingly dynamic social environment with a considerable degree of mobility. There are indeed examples of spectacular advancements, such as the fabulously wealthy C. Caecilius Isidorus whose epitaph is recorded by the elder Pliny,30 but like Isidorus most of these climbers were in fact freedmen and thus members of a social category whose intrinsic ambiguities made them both outsiders and insiders at the same time. While stigmatised as former slaves, they also enjoyed close personal connections with the elite from whose resources they often drew substantial benefits. For that reason social climbing – to the extent it occurred – was predominantly channelled through the familia. Roman slavery differed in significant ways from the practices we find in other societies employing unfree labour.31 Most importantly it operated with an unparalleled level of manumission, which was made possible through the formalised integration of ex-slaves into the familial units of their owners. This facilitated continuity of service and made Roman slavery far more efficient as a system for the ex29
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Among the rare exceptions were architects, whose services even the elite required only intermittently. Still, even here the aristocratic unease is apparent from Cicero’s letters to Quintus, which shows he preferred to have the freedman Philotimus in charge rather than the hired architect Diphilus (Cic.Q.fr. 3,1,1 f. [SB 21]; 3,7(9),7 [SB 27]). Medicine was another example, and in this case Cicero’s doctor, Alexio, although not his own freedman, seems in some way to have been personally tied to him. He may potentially have been another of Atticus’ freedmen who had been passed on to Cicero, as suggested by the fact that Atticus apparently kept his will: Cic. Att. 15,1,1 (SB 377); 15,2,4 (SB 379); 15,3,2 (SB 380). Plin. NH 33,135. For a fuller version of this argument see Mouritsen 2011b.
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ploitation of unfree labour, particularly in urban contexts where it became applicable also to highly responsible and specialised functions. A wide range of incentives were provided across the board ensuring compliance and application among both slaves and freedmen, who came to form part of a single labour structure. Slaves were offered favours of various kinds, e. g. peculia, vicarii, spouses, training and formal education, promotion to more responsible roles, and finally freedom, which elevated them to the highest tier within the domestic hierarchy. At that stage their continued service became embedded in a new framework of incentives including promotion and investment as well the prospect of financial security through annuities and inheritances. The benefits accruing to freedmen who stayed in line were extensive. Many had their own slave holdings and business interests, as also illustrated by the story of Dionysius, who had separate finances and servants.32 In this respect he was far from unique but these affluent freedmen were merely the most successful beneficiaries of what was a much wider system of promotion within the familial sphere. Thus, the ability to purchase slaves and properties undoubtedly derived from their role as trusted advisors, managers and administrators, which brought with it a range of opportunities for enrichment. From the patron’s point of view an added advantage of investing in freedmen was his guaranteed share of the estate; indeed if he freed informally it would all eventually revert to him. The freedman’s ambitions might occasionally clash with his obligations towards the patron, as indeed happened in the case of Dionysius, who was unable to follow Cicero when his own affairs required his attention. In those situations patrons typically had a number of sanctions available, the most radical being relegation from the household with the attendant loss of support, a fate Dionysius only escaped because he managed to retain Atticus’ favour.33 The fact that many freedmen also had unfree relatives in the familia would also have provided a powerful incentive to conform. Roman slavery was therefore an intricate and multi-layered system of ‘carrot and stick’ which made it suitable for a wide variety of working environments, including large aristocratic domus, trade and urban production. Importantly, it facilitated delegation of responsibilities to dependants who could be put in charge of separate functions or processes. There are wide implications of this labour structure for our understanding of Roman social society in general and not least the question of social stratification. The notion of a Roman ‘middle class’, usually associated with the tabernae-dwelling population, has recently been revived, but those working in these units are more likely to have been slaves and freedmen, who tend to
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Cic. Att. 8,10 (SB 159); 10,16,1 (SB 208). According to Garland 1992: 166 “Dionysius seems to have felt there were better rewards to be had in other households”; but there is no evidence to support this view and Dionysius appears to have remained firmly attached to Atticus. Freedmen moving between households are almost unheard of, an exceptional case being that of P. Licinius Apollonius who offered his literary services to leading principes after – and only after – his patron had perished at Carrhae: Cic.fam. 13,16,2 (SB 316).
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occupy the economic space typically associated with the ‘middle classes’ of later historical periods.34 In Rome these functions appear to have been performed by a category of people that was inseparable from the elite – here taken in its widest sense as the propertied classes – socially, legally and financially. Indeed, as Tacitus later observed, the better part of the plebs – by which he presumably meant the more affluent – was the one most closely linked to the great houses of Rome.35 Thus, the scale and pervasiveness of urban slavery would have shaped the lives of all inhabitants of the city whatever their social station, since the extensive use and availability of unfree labour enabled the elite to operate what seems to have been an almost closed economic system which produced few opportunities for outsiders and generated a very limited ‘trickle down’ effect. The likely result would have been increased social polarisation and a widening gap between top and bottom, for while there of course were Romans of middling economic means they never came to form a distinct social category, let alone a ‘middle class’; indeed the more limited resources of this ‘middling’ group would often have left them economically exposed and made their social position precarious.36 Finally, it is worth noting that these particular labour strategies have implications that go beyond the narrow boundaries of ‘social history’ and influence our understanding of wider historical questions. Thus the distinct patterns of social stratification suggested above must be borne in mind also when we approach issues that are normally classified as ‘political’, particularly those related to popular participation and engagement. Households and employment have not typically been considered in that context, but no aspect of Roman life, public or private, could have remained unaffected by the existence of large-scale urban slavery or the attendant values and economic strategies that dictated the flow of resources throughout society. At the most basic level it follows that generalised notions of the ‘people’, so often found in modern discussions of Roman politics, are too undifferentiated to be helpful. The ‘people’ was not just highly diverse but also structured and divided along lines very different from those with which we are familiar from other pre-modern societies. Most discussions of the late Republic tend to assume an unbroken socio-economic continuum that encompassed wealthy aristocrats at one end of the scale and the abjectly destitute at the other, with affluent bourgeoisies, lower middle classes and various groups of working poor ranked somewhere in-between. 34 35 36
Veyne 2000; Mayer 2012; cf. my review Mouritsen 2012. Tac. hist. 1,4,3. Scheidel 2006 questioned the polarised model of Roman society, partly by reference to the graded census classes which would suggest a continuum of wealth. But one wonders whether these ‘middling’ property owners might not primarily have been a rural or municipal phenomenon, given the pressures on space in the metropolis (and the familial structures described in this paper) which created a natural division of urban property into domus for the better-off and tenanted insulae for the mass of population. Moreover, the lowering of the census qualifications for the fifth class and corresponding increase for the first would seem to imply a widening gap between rich and poor not just in the city but also in the countryside. On changes to the census see Rathbone 1993.
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While this conceptualisation may seem logical, even natural, it is unlikely to capture the complex, and in several respects unique, social reality that obtained in late Republican Rome. Most doubtful is the existence of a separate category of working but independent, educated and materially comfortable Romans which has become a mainstay of recent discussions of republican politics. And if we discount this putative class, it becomes difficult to maintain the notion of a ‘politically active plebs’ characterised by regular and informed participation in governmental processes. APPENDIX 1: ‘STAFF SHORTAGE AND MULTI-TASKING’ IN CICERO’S HOUSEHOLD In one of the few previous studies dedicated to Cicero’s familia Garland 1992 argued that his household suffered from an almost endemic shortage of staff which forced his slaves and freedmen to perform multiple tasks, with scant regard for the prevalent ideals of specialisation and domestic ostentation. However, as the following examples demonstrate, the thesis is based on a systematic misreading of the ancient evidence. In Att. 6.2.5 (SB 116), Cicero refers to ‘cubicularius’, but the use of the singular does not, as Garland (164) claims, imply that he had brought only one personal servant with him to Cilicia. Cicero comment emphasises the honest, ‘above-board’ nature of his administration, pointing out that the provincials have direct access to him and that nothing is done ‘through a cubicularius’. Likewise no particular significance can be attached to the fact that Plutarch (Cic. 15), refers to ‘the doorkeeper’ being summoned, when leading principes came to see the consul in the middle of the night; indeed, the plural would have made little sense in this context (Garland ibid.). Similarly, when Cicero writes to Atticus (Att. 4,11,2 [SB 86]) that he had taken only Dionysius with him to Tusculum, that does not mean that the two travelled alone (unthinkable for a Roman senator) but that he did not bring anyone else who mattered in the household (contra Garland 1992: 169). Garland further argues that Cicero uses “vague terms such as ‘servi et ancillae’ and ‘domesticis’”, which he suggests indicates lack of specific functions and a small household.37 However, the latter is a general reference to Quintus’ entourage in Asia for which a detailed listing of individual roles would have been superfluous, while the former does not even refer to Cicero’s own household but to that of Hortensius. It is claimed (167) that Cicero’s atriensis “was expected not only to usher in guests, but also to keep the hall clean”, with reference to Cic. Parad. 5,37. Firstly, however, the text is poorly transmitted and partly reconstructed (cf. J. Molager’s Budé edition pp. 145–8). Secondly, the passage does not refer to Cicero’s own household but forms part of a philosophical argument about undue attachment to material things. Thirdly, there is in fact no mention of atrienses cleaning the atrium, 37
Cic. Verr. 2,3,8; Q.fr. 1,1,12 (SB 1).
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since Cicero describes slaves who handle precious objects and ‘polish, oil, dust and sprinkle’ them: Qui tractant ista, qui tergent, qui ungunt, qui verrunt, qui spargunt. In Att. 7,2 (SB 125) Cicero mentions an ‘operarius’ who had absconded, but that does not allow us to conclude that the slave was therefore, as Garland suggests (165), a ‘jack of all trades’. The slave in question is explicitly contrasted with another runaway slave, Chrysippus, who had some degree of education. Cicero is therefore dismissing the former as a less important loss, whose name and precise domestic function he does not even bother to state. Garland (165) further claims that there is a ‘surprising absence of any mention of vernae in Cicero’s house’, but that is in fact quite unremarkable when one considers that Cicero by and large mentions only senior and clerical staff. Garland’s contention (166) that: “As for a teacher, he had to borrow Pomponius Dionysius from Atticus and was unable to get another teacher when he decamped”, is misleading, for while Cicero clearly felt aggrieved when he left – because of his previous sympathy for the freedmen and extensive use of his literary services – there is no evidence that he could not pay for a replacement. The sharing of staff with Atticus worked both ways, since Cicero passed his ratiocinator Hilarus on to his friend, an arrangement notably absent from Garland’s discussion. It is further implied (166) that Cicero could not afford a doctor, but his strong reaction to Alexio’s death may be understood partly as a personal lament and partly as a complaint about the difficulty of finding good, reliable doctors in Rome. Garland suggests that members of Cicero’s staff, contrary to prevailing norms, performed several different functions (166), but there is little evidence to support that claim. The most senior and trusted freedmen such as Tiro and Philotimus would assist their patron in all aspects of his activities, occasionally even handling important letters.38 Indeed, the delivery of private correspondence was an altogether more complex operation than Garland allows for. The task might be highly sensitive and often involved confidential verbal messages, and while dedicated tabellarii existed, other staff members and friends of the dominus might also perform this role on a more opportunistic basis.39 Such flexibility was therefore not a sign of staff shortage nor was it exclusive to Cicero’s household; also in Atticus’ household clerical staff would sometimes deliver letters, e. g. his copyist Pharnaces (Cic. Att. 13,29,3 [SB 300]; 13,44,3 [SB 336]). Garland (167) states that the runaway slave Dionysius was both anagnosta, reader, and “responsible for his library”, apparently based on Cic. fam. 13,77 (SB 212) and fam. 5,9 (SB 255) (although the latter is not mentioned). The first is a request sent December 46 to P. Sulpicius Rufus, governor of Illyricum, asking him to find his slave Dionysius, who had stolen book from the library of which he was in charge. The second letter is from Vatinius dated July 45, who had since taken control over the province. He informs Cicero that “They tell me that a runaway slave of 38 39
Part of the problem also stems from Garland’s confusion of the two homonymous Philotimi who both worked in Cicero’s household (167). In Att. 12,37,1 (SB 276) Cicero distinguishes between letters delivered by other staff, in this case Hilarus, and those by dedicated tabellarii.
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yours, a reader, is with the Vardaei”, but one cannot deduce that Dionysius therefore performed two jobs. Since Cicero, as far as we can tell, never contacted Vatinius directly on this matter, the latter’s information would have been second- or thirdhand and hence possibly inaccurate. A misunderstanding is in fact quite likely since book theft might have been associated with a reader as well as with a librarian. Garland’s suggestion (168), based on Cic. Att. 1,11 (SB 7), that Atticus despatched Philadelphus to boost the number of slaves accompanying Cicero whilst on election campaign is unfounded; likewise the claim that Philotimus accompanied “Cicero on his election campaign”, seen as yet another instance of ‘multi-tasking’. When Cicero sent the tabellarius Aegypta to Greece to keep the bed-ridden Tiro company in Greece, Garland (167) interprets it as an instance of ‘multi-tasking’ – as if the Roman elite had dedicated staff to look after freedmen who had been taken ill abroad. There are, in short, no compelling reasons to assume that Cicero’s household was particularly small or inadequate. As noted above, many passing references suggest a familia of perfectly respectable size with the appropriate degree of specialisation. Not only did Cicero have a dedicated reader, anagnosta, he was also able to send several staff members, including a cook, to Greece in look after Tiro in 53, and host the vast entourage of Caesar at his villa at Cumae, only requiring additional security staff. APPENDIX 2: MALE DOMESTIC STAFF WITH RECORDED JOB TITLES IN THE COLUMBARIUM OF THE STATILII TAURI40 ‘Ciceronian type’ staff: 25 = 18 % 8 dispensatores (6266, 6267, 6268, 6269, 6270, 6271, 6272, 6273, 6274, 6275, 6276, 6277, 6278, 6279); 2 tabellarii (6342, 6357); 2 a manu (6273, 6595); 1 actarius (6224); 3 pedisequi (6332, 6333, 6334?); 1 ad hereditates (6291); 1 librarius a manu (6314); 1 librarius (6315); 3 tabularii (6358, 6359, 6596); 2 medici (6319, 6320); 1 ad locationes41 (6316). Other domestic staff: 113 = 82 % Security and transport: 27 13 lecticarii (6218, 6302, 6303, 6304, 6305, 6306, 6307, 6308, 6309, 6310, 6311, 6312, 6313); 1 supra lecticarius (6301); 9 germani (bodyguards) (6221, 6230, 6231, 6232, 6233, 6234, 6235, 6236, 6237); 1 germanus armiger (6229); 1 viator (6375); 1 strator (6352); 1 asturconarius (a type of groom?) (6238). Child care: 5 1 capsarius (6245); 4 paedagogi (6327, 6328, 6329, 6330). 40
41
The list includes only staff members recorded in inscriptions found in the columbarium itself, not those whose epitaphs were discovered elsewhere, since only the former can with certainty be assigned to the same household. The figures therefore differ from those given by Hasegawa 2005: 30–51. For the epigraphic evidence see Caldelli/Ricci 1999. All references are to CIL VI. The person was presumably in charge of letting contracts, suggesting a relatively senior administrator who should be included among the ‘Ciceronian’ staff despite dealing with external business.
Cicero’s familia urbana and the Social Structure of Late Republican Rome
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Building maintenance and gardening: 14 3 fabri tignuarii (6363, 6364, 6365a=9419); 3 fabri (6283, 6284, 6285); 1 faber structor parietarius (6354); 1 structor (6353); 1 marmorarius (6318); 1 ad aedificia (6225); 1 ex hortis (6282); 1 topiarius (6369); 1 ex hortis topiarius (6370); 1 ex hortis atriensis (6241). Catering: 10 3 pistores (6219, 6337, 6338); 1 fartor (6286); 4 coci (6246, 6247, 6248, 6249); 1 opsonator (6619); 1 salarius (salter?) (6347). Personal care: 12 9 unctores (6215, 6343, 6377, 6378, 6380, 6381, 6382); 2 tonsores (6366, 6367); 1 balneator 6243. Clothes production and maintenance: 13 2 coloratores (dyer/cleaner?)42; (6217, 6250, 6251); 3 fullones (6287, 6288, 6289); 1 sutor (6355); 1 lanipendus (6300); 2 textores (6360, 6361); 1 sarcinator (clothes mender) (6348); 1 vestiarius (6373); 2 ad vestem (6372, 6374). Housekeeping and general staff: 25 1ostiarius (6215, 6217); 1 cellarius (6216); 4 horrearii (6292, 6293, 6294, 6295); 14 cubicularii (6254, 6254, 6255, 6256, 6257, 6258, 6259, 6260, 6261, 6262, 6263, 6264, 6265, 6615); 5 atrienses (6215, 6239, 6240, 6242, 6250). Other domestic staff: 7 1 calator XVvirorum (6244); 2 veterani (3851?, 6371); 1 symphoniacus (6356); 2 comoedi (6252, 6253); 1 silentiarius(?) (6217). Staff working outside the household: 15 5 insularii (6215, 6217, 6296, 6297, 6298); 1 insularius ex hortis pompeianis (6299); 1 ex hortis scatonianis (6281); 1 a monumento (6322); 1 ex Albano (6280); 1 custos de amphitheatro (6226); 1 ostiarius ad amphitheat. (6227); 1 de amphitheatro (6228); 2 velarii (6258, 6371); 1 mensor (6321).
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42
Cf. Wild 1992.
230
Henrik Mouritsen
Nicolet, C. 1966: L’ordre équestre à l’époque républicaine (312–43 av. J.-C.), Paris. Nikitinski, O. 2001: Die (mündliche) Rolle von Briefboten bei Cicero, in: L. Benz (Hg.), ScriptOralia Romana. Die Römische Literatur zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit, Tübingen, 229–247. Rathbone, D. W. 1993: The census Qualifications of the assidui and the prima classis, in: H. Sancisi-Weerdenburg et al. (Hgg.), De Agricultura: In Memoriam Pieter Willem de Neeve, Amsterdam, 121–152. Scheidel, W. 2006: Stratification, Deprivation and Quality of Life, in: M. Atkins / R. Osborne (Hgg.), Poverty in the Roman World, Cambridge, 40–59. Shackleton Bailey, D. R. 1965–1970: Cicero’s Letters to Atticus I–VII, Cambridge. – 1977: Cicero: Epistulae ad familiares I–II, Cambridge. – 1980: Cicero: Epistulae ad Quintum fratrem et M. Brutum, Cambridge. Smadja, E. 1976: Esclaves et affranchis dans la correspondance de Cicéron: les relations esclavagistes, in: Texte, politique, idéologie: Cicéron. Pour une analyse du système esclavagiste, le fonctionnement du texte cicéronien, Paris, 73–108. Treggiari, S. 1975: Jobs in the Household of Livia, PBSR 43, 48–77. Veyne, P. 2000: La ‘plèbe moyenne’ sous le Haut-Empire, Annales HSS 55, 1169–1199. Wild, J.-P. 1992: Colorator, Glotta 70, 96–99. Wiseman, T. P. 1970: The Definition of Eques Romanus in the Late Republic and Early Empire, Historia 19, 67–83.
WOHNINTEGRATION IM REPUBLIKANISCHEN ROM Lisa M. Mignone, Providence/RI Die Art und Weise, wie, wo und in welcher Form öffentliche monumentale Bauten in Rom errichtet wurden, steht seit einiger Zeit im Fokus der Forschung,1 während die Muster städtischer Wohnbesiedlung („residential patterns“) auf ein weitaus geringeres Interesse stoßen.2 Dieser Aufsatz untersucht, inwieweit es möglich ist, sozial definierte Siedlungs- und Wohnstrukturen in Rom zur Zeit der Republik zu rekonstruieren. Dabei soll weniger von der Frage „Where did the Romans live?“3 ausgegangen, als vielmehr nach dem sozialen Differenzierungsgrad im antiken Stadtbild gefragt werden; inwieweit lebte Roms Elite von den nicht-elitären Schichten getrennt? Um dies beantworten zu können, soll zunächst die Wirkung der römischen Institutionen und die Interessen der römischen Amtsträger bezüglich der urbanen Entwicklung diskutiert und kontrastiv moderne Stadtentwicklungstheorien in den Blick genommen werden. Abschließend werden archäologische und literarische Zeugnisse sowie das soziale Kolorit von Roms vici, den Stadtvierteln, gegen Ende der Republik beleuchtet. Ausgehend von der Hypothese, dass die Gestalt der Stadt kulturelle Praktiken abbildet und gleichzeitig soziale Verhaltensmuster festlegt,4 soll die These vertreten werden, dass Roms transurbane Wohnvielfalt zur Stabilität und relativen Sicherheit des städtischen Lebens bis in die letzten Jahrzehnte der Republik beitrug. 1. BAUEN UND LEBEN IN DER UNGEPLANTEN STADT Als zu Beginn des Prinzipats das Stadtbild Roms durch das Bauprogramm des Augustus verändert wurde, beklagt Livius den generellen Zustand der Entropie, der den Wiederaufbau der Stadt nach dem Galliereinfall kennzeichnete: „Und man fing allgemein an, die Stadt wiederaufzubauen … Die Eile verhinderte, dass man sich darum kümmerte, die Häuserzeilen auszurichten; denn der Unterschied zwischen Eigenem und Fremden war aufgehoben, und man baute, wo etwas frei war. Das ist der Grund dafür, dass die alten Abwasserkanäle, die ursprünglich durch öffentlichen Grund geführt worden waren,
1 2 3 4
S. z. B. Hölkeskamp 2006; Torelli 2006: bes. 92; Cornell 2000; Favro 1996: 151–164; Ziolkowski 1992; Orlin 1997. Robinson 1992 vermeidet es, die Siedlungstrukturen zu diskutieren. Vgl. die überholte Arbeit von Witherstine 1926, in der lediglich die Elite Roms thematisiert wird. Zu den „neighborhood effects“ vgl. besonders Sampson/Morenoff/Gannon-Rowley 2002: 443–478; Madanipour 1998; Warren 1978.
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Lisa M. Mignone jetzt immer wieder unter Privathäusern verlaufen und dass der Grundriss der Stadt mehr nach einer Besitzergreifung aussieht als nach einer planmäßigen Aufteilung.“5
Das Rastersystem war schon seit dem 7. Jahrhundert v. Chr. in Italien bekannt und fand lange vor Livius als Strukturprinzip für die Anlage römischer Militärlager und Kolonien weitläufige Verwendung.6 Doch das caput mundi widerstand einer solchen klaren Formalisierung und symmetrischen Gliederung. Rom war eine im Einklang mit den geographischen Konturen, der kulturellen Topographie sowie den dort ausgeübten Tätigkeiten organisch gewachsene Stadt. Folglich erscheint Rom in gewisser Weise als eine Stadt ohne Struktur. In republikanischer Zeit konzentrierte sich jede Form der Stadtentwicklung auf lokale Einheiten, nämlich individuelle Bautätigkeit. Baukomplexe, sofern sie überhaupt existierten, berücksichtigten nie die Stadt in ihrer Gesamtheit – geschweige denn, dass Bebauungspläne entwickelt wurden.7 Wenn der Plan einer Stadt tatsächlich als eine topographische Manifestation des sozialen, ökonomischen, politischen und religiösen Systems seiner entsprechenden Bewohner betrachtet werden kann, ließe sich – wenigstens teilweise – die republikanische Verfassung für Roms ungeplantes Stadtbild verantwortlich machen. Im republikanischen Rom existierte kein eigenes Amt, das für transurbane Modelle, die Entwicklung, die Verschönerung oder auch Reglementierungen hinsichtlich des Stadtbildes zuständig war. Die Magistrate finanzierten einzelne öffentliche Gebäude als persönliche Geschenke an die Gemeinschaft, gewissermaßen als Wohltätigkeit gegenüber der res publica. Diese durch einzelne Bürger geschaffenen Strukturen dienten als Träger individualistischer Eigenwerbung und durch sie wurde die architektonische Landschaft gestaltet. Bauprojekte und Initiativen für urbane Gestaltung erfordern allerdings mehr als nur die Vision und den Willen: Man benötigt Entscheidungsgewalt, Zeit und die entsprechende Finanzkraft. Mit der besonderen Ausnahme des Zensors amtierte aber kein Magistrat in Rom länger als ein Jahr, und in dieser Zeit wurde sein Zugang zum Staatsschatz streng kontrolliert.8 Eingriffe in das Stadtbild wurden durch jährliche Wahlen auf ein überschaubares Maß eingeschränkt. Die Amtsträger hatten schlicht nicht die notwendige Zeit, um sich für längerfristige Bauprojekte einzusetzen. Zudem mangelte es ihnen auch an finanziellen Mitteln. Bis überseeische Expansionen und transalpine Eroberungen zu persönlichem und öffentlichem Wohlstand führten, fielen Bauprojekte entsprechend bescheiden aus. 5
6 7 8
Liv. 5,55: … promisce urbs aedificari coepta. … Festinatio curam exemit vicos dirigendi, dum omisso sui alienique discrimine in vacuo aedificant. Ea est causa ut veteres cloacae, primo per publicum ductae, nunc privata passim subeant tecta, formaque urbis sit occupatae magis quam divisae similis. (Übers. H. J. Hillen). WallaceHadrill 2008: 274. Spätere Datierungen bei Stanislawksi 1946: 116–117; Ward Perkins 1955: 130. Vgl. z. B. zu den verschiedenen Bauprojekten Caesars Favro 1996: 60–78, der von einer „city of fragments“ spricht. Robinson 1992: 16. Lintott 1999: 117 nimmt an, dass die Begrenzung der Amtszeit des Censors tatsächlich vom Zeitplan seiner Projekte vorgeschrieben war.
Wohnintegration im republikanischen Rom
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Die Folge solch beschränkter Finanzmittel und reglementierter Amtsdauer war eine „city of fragments“, die sich eher durch das schiere Anwachsen von Monumenten als durch ihre urbane Organisation auszeichnete. Einzelne und von Einzelnen geschaffene Bauleistungen übersäten die städtische Landschaft, ohne einen kohärenten oder kohäsiven Plan zu bilden. Nur wenn es den Magistraten gelang, Macht über mehr als ein Jahr zu auszuüben, war eine breiter angelegte Transformation der Stadt möglich. Roms Umgestaltung von einer Stadt aus Ziegeln zu einer Stadt aus Marmor konnte nur dann eintreten (und tat es denn auch), als die kollektive Herrschaft jährlich gewählter Amtsträger der Republik durch die ausgeweitete Herrschaft einer einzigen Person abgelöst wurde, wie beispielsweise durch Sulla, Caesar oder Augustus. Aber auch wenn letzterer die Gewalt in der res publica für 44 Jahre monopolisierte und in der gesamten Stadt Bautätigkeiten initiierte, wurde eine einheitliche urbane Gestaltung nicht durchgesetzt – es blieb bei der Ausschmückung des Bestehenden. Die einzelnen Baukörper wirkten weder im Verbund, noch waren sie aufeinander oder auf die städtische Landschaft abgestimmt, was notwendig gewesen wäre, um Rom eine Art Struktur zu geben. Insgesamt zeichnete sich Augustus für eine Vielzahl religiöser und ziviler Bauwerke verantwortlich und gab der Stadt ein neues Verwaltungssystem, aber er unternahm nicht viel, um stadtplanerisch zu wirken und den Stadtvierteln eine Struktur zu verleihen. Es scheint also, als habe Augustus den Bau und Ausbau von Straßen, die urbane, soziale und ökonomische Infrastruktur sowie auch das Wohnungswesen sich selbst überlassen. So wurde insbesondere privater Wohnraum zu marktüblichen Preisen erworben oder blieb unangetastet. Sowohl Augustus als auch zuvor Caesar kümmerten sich um Ankauf, Abbruch und Einrichtung von frei finanziertem Wohnungsbau, nicht aber um dessen Organisation oder Standortbestimmung. So bot Caesar den jeweiligen Eigentümern exorbitante Preise für ihre domus und andere aedificia an den Abhängen des Kapitols und des Argiletum, dem künftigen Ort des Caesarforums, während Augustus auf Mittel wie Erpressung verzichtete mit der Folge, dass er beim Bau seines eigenen Forums Kompromisse in der Symmetrie eingehen musste. Beide Fälle belegen das Desinteresse der Machthaber, Bauvorhaben selbst auf einem begrenzten Raum neu zu strukturieren.9 Ferner deutet diese Episode an, dass der städtische Raum in Rom mit Wohnhäusern gefüllt war. Nach und trotz der massiven Bautätigkeit und Neudefinition spezieller Bereiche der Stadt im Laufe des 1. Jahrhunderts v. Chr. beurteilt Livius Rom immer noch als eine schlecht angelegte Stadt. Livius’ Bezugspunkt waren dabei nicht die zivilen und religiösen Monumente der Stadt, sondern ihre Wohnbauten: Diese beanspruchten jedweden Teil der Stadt, ohne auch nur irgendeinem Plan, einer Ordnung oder Gebietsaufteilung zu folgen.
9
Es gilt zu berücksichtigen, dass die meisten der durch die Proskriptionen konfiszierten Grundstücke und Immobilien nur die Besitzer wechselten und nicht umfassenden stadtplanerischen oder transurbanen Gestaltungen und Neustrukturierungen unterworfen wurden.
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2. DIFFERENZIERUNG, VERTEILUNG UND SPEZIALISIERUNG Es lässt sich kein sorgfältiges städtisches Programm von Seiten der Amtsträger oder Alleinherrscher ausmachen, durch das die Wohnbebauung in Rom gelenkt wurde. Diktierten dann Topographie, Bezahlbarkeit und bestimmte Handlungsweisen (insbesondere Erwerbstätigkeit und Verkehr) die städtischen Wohnmuster? Es hat sich als wertvoll erwiesen, Konzepte und Ansichten moderner Urbanismusforscher dafür heranzuziehen, um über Verhaltens- und Wohnmuster im antiken Rom nachzudenken und vorgefasste Meinungen bezüglich urbaner Ausgestaltungsformen zu überdenken. Die Stadtentwicklungsmodelle von Ernst Burgess (Ringmodell), Homer Hoyt (Sektorenmodell) sowie Chauncy Harris und Edward Ullmann (Mehrkernemodell) haben sich lange als die ‚klassischen Modelle‘ behauptet, anhand derer urbane Sozialstrukturen und die starke räumliche Differenzierung von sozialen und wirtschaftlichen Gruppierungen in der modernen Stadt interpretiert werden.10 Diese Modelle beruhen jedoch auf empirischen Grundlagen, die aus Städten gezogen wurden, welche ein plötzliches und rapides Anwachsen und einen dramatischen demographischen Wandel erfahren haben.11 So beeinflusste die geschaffene Infrastruktur für ein mechanisiertes Verkehrswesen die Modelle der urbanen Landnutzung in starkem Maße, und die ansteigende Motorisierung der Gesellschaft definierte die urbane und suburbane Entwicklung neu. Im Kontext dieser Veränderungen durch moderne Fahrzeugtechnik wurden zonale und urbane Planungen gewissenhaft in den Städten eingeführt – oft konkret auf die Eisenbahn und den Mittelklasse-Pendlerwagen ausgerichtet.12 Der Gegensatz zum antiken Rom liegt auf der Hand. Dort zog sich die städtische Elite nicht zurück, um Pendlervororte zu bilden. Vormoderne technologische Einschränkungen betrafen nicht nur Bewegung und Transport, sondern auch Erwerb, Zubereitung und Lagerung von Nahrungsmitteln, die hoch verderblich waren und nur in begrenzten Mengen vorlagen. Rom bedeckte eine Fläche von 4000 Hektar und hatte etwa eine Million Einwohner.13 Jeglicher Transport war ‚belebt‘: Wohin auch immer sich die Römer bewegten, sie gingen zu Fuß oder wurden von Füßen bzw. Hufen getragen. Doch bleibt der Umkreis, innerhalb dessen sich der Durchschnittsrömer in der Stadt bewegte, unklar: War er in hohem Maße beweglich oder beschränkte sich sein Leben hauptsächlich auf die Nachbarschaft? War eine Ausrichtung auf andere Teile der Großstadt ungewöhnlich? Soziale Verhaltensmuster, die sich aus Wohnbebauungsplänen ergeben, die auf der Grundlage industrieller und postindustrieller Modelle entwickelt wurden, können nicht auf vormoderne Großstädte rückprojiziert werden. 10 11 12 13
Burgess 1925; Hoyt 1939; Harris/Ullman 1945: 7–17. Eine allgemeine Einführung in das Werk und die Methode Hoyts findet sich bei Fyfe/Kenny 2005: 28–29. In seinen während des Krieges verfassten Schriften räumte Hoyt die transformativen Effekte des Automobils auf die Stadt und ihre Sektoren ein: Hoyt 1941 u. 1943; vgl. Hall 2002: 478. Hall 2002: 478. Zur Einwohnerzahl Roms s. Lo Cascio 1997; Scheidel 2009; Turchin/Scheidel 2009. Selbst dann, wenn dieser spekulative Zensus halbiert würde, verlöre das Argument nicht an Stärke.
Wohnintegration im republikanischen Rom
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Die anhaltende Zentralität des Forums als dem entscheidenden Kristallisationspunkt für Handel, Politik und Religion in Rom unterstützt Modelle, in denen ein „Central Business District“ (CBD) eine wesentliche Rolle bei der Strukturierung städtischer Modelle spielt. Die Einführung sekundärer Gewerbegebiete durch das Harris – Ullman-Modell erweist sich für unsere Vorstellung von Roms Gestalt als hilfreich. In diesem „Mehrkernemodell“ dienen nämlich solche sekundären Gewerbegebiete besonders den unmittelbaren Bedürfnissen derjenigen, die mehr als eine tagesübliche Fußdistanz von dem CBD entfernt wohnen, und durch sie werden lokale Nachbarschaftsaktivitäten gestaltet. Selbstverständlich zogen sich Bürger aus der Oberschicht nicht zurück, um einen großstädtischen Einzugsbereich um das caput mundi zu bilden; wir müssen aber die zwei wesentlichen Faktoren von Roms Ausdehnung und Bevölkerungsgröße im Auge behalten. Da personelle Ressourcen innerhalb der antiken Stadt ausgeschöpft wurden, empfiehlt sich die Analyse anhand eines städtischen Modells wie desjenigen von Harris – Ullman, das einen einzigen zentralen Distrikt (etwa für Handel oder Gewerbe) vorsieht, der durch zahlreiche weitere, zerstreut liegende Zentren erweitert sein konnte. Obgleich dieses Modell zur Erklärung der anwachsenden (mechanisierten) städtischen Mobilität entwickelt wurde, bietet dieses polyzentrische Konzept die Möglichkeit, wohnspezifische, wirtschaftliche und soziale Muster in vormodernen Großstädten zu prognostizieren, in denen eine beträchtliche Einwohnerzahl in ihren täglichen Bewegungen eingeschränkt war. 1960 wurde ein alternativer Entwurf für eine urbane Flächennutzung für diejenigen Städte vorgestellt, die bereits vor dem motorisierten Massenverkehr existierten. Sjobergs The Preindustrial City war weniger bahnbrechend, was seinen Inhalt oder seine Methode angeht, als in seinen Überlegungen zu den speziellen Bedürfnissen und Einschränkungen, die besonders in einer vorindustriellen Stadt auftraten. Sein Modell der Differenzierung der urbanen Fläche bevorzugte die Sektoren Religion und Regierung gegenüber Handel und Industrie. Dabei wurden religiöse Privilegien und die Regierungspositionen von der Elite monopolisiert, weshalb sie auch das präindustrielle Stadtzentrum dominierte. Dagegen wurden Unterschichten und „ausgestoßene Gruppen“ vom Zentrum weg zur Peripherie vertrieben.14 Dieses Modell liefert einen interessanten Beitrag zu den angesprochenen ‚belebten‘ Bewegungsmitteln, da es aufzeigt, dass die Unterschicht am meisten und weitesten unterwegs war – eben zu Fuß. Sjobergs vorindustrielle Stadt war mithin gekennzeichnet durch extreme soziale Ungleichheiten. Sjobergs Studie hat hauptsächlich wegen ihrer mangelnden Stringenz und ihren breit angelegten Theorien, denen es meist einer empirischen Grundlage mangelt, Kritik erfahren.15 Die verallgemeinernden Aussagen berücksichtigen keine diachronen Veränderungen bei den urbanen Modellen, die ihrerseits als Reaktion auf Änderungen im Rahmen sozialer Interaktionen und der ökonomischen Organisation auftreten. Zudem unterscheiden sich die sozialen, wirtschaftlichen und topographischen Kräfte, die das antike Rom geprägt haben, von den Verallgemeinerun14 15
Sjoberg 1965: 97–99, 323. Vgl. z. B. Murphey 1961: 270 f.
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gen, die Sjobergs hochdifferenziertes Modell zu untermauern helfen sollen. Trotzdem müssen die Einschränkungen, die Sjoberg für vorindustrielle Städte betont, auch für die Flächennutzung in Rom grundlegend gewesen sein: „the highly valued residence … is where fullest advantage may be taken of the city’s strategic facilities.“16 Doch was konstituierte diese „strategic facilities“ in Rom? Es ist wichtig zu betonen, dass Untersuchungen zum Leben im antiken Rom die ‚Gangbarkeit‘ und Mobilität zu berücksichtigen haben. Generell gesehen setzten der Besitz, der Unterhalt und die Nutzung von Tieren oder Sänftenträgern einen gewissen Reichtum voraus. Zudem waren die Mittel der Beförderung langsam, unbequem und unpraktisch. Huf- und Fußverkehr sowie der Transport von Produktionsmitteln beeinflussten die jeweiligen Siedlungs- und Handelsmodelle sowie -möglichkeiten innerhalb der Stadt. Vances This Scene of Man (1977) stellt insofern eine Alternative zu Sjobergs vorindustriellem Modell dar, als es die Geschichte der urbanen „Morphogenese“ vom Klassischen Athen bis zum modernen Southfield, Mississippi, aufspürte. Konkret auf das antike Rom bezogen bemerkte Vance, dass die organische Ausdehnung der Hügeldörfer in einen Synoikismos resultierte, weshalb die Stadtstruktur „could not be simple.“17 Vance betonte Roms schiere Unbeherrschbarkeit – die Stadt sei nämlich aufgrund ihrer außergewöhnlichen Größe, ihrer „excessive vitality“ und ihrer Zentralität in Hinblick auf das Reich unfähig gewesen, Gestalt anzunehmen.18 Anstatt zu untersuchen, wie es die ungeplante Stadt schaffte, eine an Größe nie dagewesene Einwohnerzahl auszuhalten, oder zu fragen, wie Roms Widerstand gegen eine bauliche Struktur als Abdruck eines sozialen Verhaltens und ökonomischer Interaktionen inmitten eines Weltreiches diente, wich Vance auf das folgende Problem aus: „The physical history of Rome must be considered; the city emerged and grew by the interplay of such diverse forces as to make a consistently grained morphology most unlikely.“19 In einem konstanten Zustand des Wachstums, von Gebäudeverfall und -errichtung ging es darum, den Wohlstand und die Bewohner, die in das caput mundi strömten und dieses zum Bersten füllten, miteinander in Einklang zu bringen. Vance folgert: „Efforts were made to give Rome the trappings of a properly ordered urban design, but they won little against the yeasty organic growth of the place.“20 Rom konnte also nur schwer einer geordneten Struktur unterworfen werden; Rom war eine „urban explosion“ voller insulae (Mietswohnungen), die organisch jedweden Raum füllten, der nicht von monumentalen Bauprogrammen beansprucht war.21 Dabei stolperte Vance auch über die oben zitierten Worte des Livius zu der Stadt von Hausbesetzern: occupata magis quam divisa. Während sich Vance noch auf die urbane Morphogenese konzentrierte, rückten die meisten Stadttheoretiker der 1970er und 1980er Jahre von der Formgebung der 16 17 18 19 20 21
Sjoberg 1965: 99. Vance 1990: 62. Vance 1990: 63. Vance 1990: 62. Vance 1990: 64. Vance 1990: 77.
Wohnintegration im republikanischen Rom
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Stadt ab und verwendeten statistische Analysen geographischer Daten, um Muster sozialer Interaktion, Mobilität und Wohnbebauung zu untersuchen.22 Die Beweiserbringung fand dabei auf empirischer Grundlage statt, die Analysen dagegen sollten weitgehend theoretisch sein, weshalb die Eigenheiten einzelner Städte ausgeblendet wurden: Raum wurde nicht mehr als eine Leerstelle angesehen, in der sich dynamische soziale Prozesse abspielten. Eine der treibenden Fragen zielte auf die Rolle, die die Klassen und ihre sozialen Beziehungen in der Stadtlandschaft spielten: Gab es eine „spatialization of class?“23 Diese Frage nimmt insofern Bezug auf das republikanische Rom und das Problem sozialer Verteilung in vormodernen Städten, als diese Studien systematisch den Wert und die Grenzen empirischer Beweise bei der Bestimmung geprüft haben, inwieweit eine urbane Struktur konzeptuelle Gleichheiten aufweist, wie etwa „class-consciousness“ und „labor aristocracy.“24 Mit anderen Worten: Bildete sich die individuelle Selbstidentifikation und kollektive Gruppenidentifikation erkennbar in Wohnstrukturen ab? Leider belegten die Ergebnisse dieser Studien gerade das Gegenteil, und die gleichen detaillierten Datensätze wurden dazu verwendet, diametral entgegengesetzte Argumente zu unterstützen. In Ermangelung städtischer Archive und regionaler Volkszählungen bleibt es den Althistorikern überlassen zu fragen, ob man überhaupt in der Lage sei, jegliche Art räumlicher Strukturen von sozialen Prozessen im antiken Rom zu greifen, wo doch die meisten Dokumente verloren sind und das soziale Bewusstsein weitaus geringer ausgebildet war als beispielsweise im England des 19. Jahrhunderts. Im Gegensatz zu diesen Analysen entwickelte sich jedoch die Untersuchung des Raumes als eigenständiges Phänomen fort. Bei diesem sogenannten „Spatial Turn“ wurde die entscheidende Rolle, welche die jeweilige Topographie bei der Bildung sozialer Verhaltensweisen und historischer Prozesse spielte, erkannt: Der Kategorie ‚Raum‘ wird Bedeutung an sich zugesprochen und ‚Raum‘ verleiht wiederum diachron angewachsenen gesellschaftlichen Bedeutungszusammenhängen Gewicht.25 Die Verfeinerung neuer analytischer und statistischer Ansätze intensivierte die Untersuchung geographischer und zeitlich isolierter urbaner Fallstudien, während grobe Verallgemeinerungen wie von Sjoberg und Vance vermieden wurden. Im Sog dieses Spatial Turn fragen historische Geographen nun nach „the meanings of both particular forms of residential arrangements and patterns and their implications for wider social relations“26 innerhalb eines bestimmten urbanen Kontextes während eines bestimmten Moments in der Geschichte. Bis dato weisen die Ergebnisse hauptsächlich in eine Richtung: So haben etwa zahlreiche Untersuchungen aufgezeigt, dass die Patrizier des frühneuzeitlichen Florenz, Venedig, Mailand und Paris über die jeweilige Stadtlandschaft verteilt wohnten – mit anderen Worten: Sie waren „omnipräsent“.27 Soziale Diffe22 23 24 25 26 27
Gunn 2001: 1. Gunn 2001: 2. Gunn 2001: 2. Gunn 2001: 11. Dunne/Janssens 2008: 26. Boutier 2008; Chauvard 2008; Cogné 2008.
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renzierung erfolgte eher innerhalb des Mikrokontextes von Straßen und Wohnvierteln und nicht im Kontext von Stadtteilen oder Regionen. Obgleich sich einige Städte durch eine höhere Konzentration an Elite-Haushalten im Stadtkern auszeichneten, blieb dieser Raum insgesamt „socially heterogeneous in character”28 und patrizische Wohnhäuser fanden sich gleichermaßen in allen anderen Teilen der Stadt. Auch wenn diese Studien soziale Abgrenzung oder Konzentration in verschiedenen Formen aufzeigen konnten, war dies ausschließlich bei den Eliten der Fall, nicht aber bei den unteren Schichten. Letztere waren überall zu finden. Diese sozio-räumlichen Modelle lassen sich auch auf Rom übertragen, wo sich die Wohnhäuser der Elite nicht nur auf dem Palatin konzentrierten, sondern meines Erachtens über alle Regionen der Stadt verteilt waren. Hieran sehen wir, dass die außerordentlich hohe Einwohnerzahl ein wesentliches Merkmal war, weshalb Rom als singulär in der Geschichte vormoderner Städte einzustufen ist. Rom war eine dicht besiedelte vorindustrielle Megalopolis im Zentrum einer reichsweiten Wirtschaft. Meine Hypothese geht nun davon aus, dass die eine Million Einwohner in unmittelbarer Nähe zu ihren hauptsächlichen sozialen und ökonomischen Tätigkeiten lebten und dass diese Nähe wenigstens zum Teil von der Entfernung bestimmt war, die ein jeder gewillt war, zu Fuß zurückzulegen. Diese Umstände bestimmten die urbane Gestaltung Roms und legen – analog zu den frühneuzeitlichen Vergleichsfällen – eher die Annahme eines Wohnmodells von transurbaner sozialer Verteilung als eine Konzentration von sozialen Randgruppen nahe. 3. DIE BEURTEILUNG DER ANTIKEN ZEUGNISSE Es bieten sich verschiedene moderne Urbanisierungstheorien an, die helfen können, die Komplexität der Besiedelung Roms besser zu verstehen – auch wenn teilweise nur negative Aussagen getroffen werden können. Dieses Verständnis wird ferner durch die archäologischen Überreste und literarischen Zeugnisse gefestigt. Vier Typen antiker Zeugnisse hinsichtlich der Raumnutzung in der römischen Welt – die spätantiken Regionenverzeichnisse, der severische Marmorplan, die Gestaltung Pompejis und das Leben in den vici – erlauben uns, transurbane Handlungsmodelle festzustellen, die uns die Rekonstruktion von Roms Besiedlungsmustern erschließen. a) Die Regionenverzeichnisse Die sogenannten Regionenverzeichnisse des 4. Jahrhunderts n. Chr. stellen ein unschätzbares Dokument zur Verteilungspraxis der Wohnräume in Rom dar. Beide Listen, das Curiosum und die Notitia, berichten von verschiedenen Landmarken in Rom gemäß den Augusteischen Regionen. Jede Sektion wird mit einer Quantifizierung örtlicher Bauwerke abgeschlossen: Wohnviertel, Privathäuser, Mietshäuser 28
Dunne/Janssens 2008: 22.
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(insulae), Magazine, Getreidespeicher, Bäder und Brunnen. Die Verzeichnisse erlauben dem Historiker, die strukturelle Zusammensetzung von Roms vierzehn Regionen zu vergleichen. Statistische Analysen haben die innere Konsistenz der angeführten Zahlenangaben aufgezeigt. Sie können daher nicht nur im Hinblick auf ihre absolute Größe akzeptiert werden, sondern auch als Grundlage vergleichender Kalkulationen hinsichtlich der Regionen untereinander.29 Das Verteilungsmuster der Bauwerke in den Regionenverzeichnissen deutet an, dass es keine transurbane Wohnabgrenzung in Rom gab. Das Verhältnis zwischen domus und insulae nimmt in einem konstanten Maß über alle Regionen hinweg ab.30 Die Dichte beider Wohntypen, insulae und domus, ist im Zentrum der Stadt am höchsten und nimmt ab, je mehr man sich der Peripherie nähert.31 Derweil konzentriert sich der Wohnraum pro Hektar hauptsächlich in den Regionen Forum, Palatin und Circus Maximus.32 Es scheint also, dass der Wunsch und in den meisten Fällen auch das Bedürfnis, in unmittelbarer Nähe zum politischen, administrativen und kommerziellen Zentrum der Stadt zu leben, die Wohnortwahl bestimmte, was freilich mit der Inkaufnahme von geringerer Wohnfläche verbunden war. Die „slow and laborious“33 Weise der Kommunikation und des Transports in den vorindustriellen Städten führte zu einer dichten Wohnkonzentration im Herzen der Stadt. Das wachsende Arbeitsangebot im Zentrum und der bequeme Zugang von dort zu allen Teilen der Stadt hatte eine höhere Einwohnerdichte zur Folge. Im Zentrum Roms lebten mithin diejenigen, die auch dort arbeiteten und dafür sorgten, dass die Stadt ‚funktionierte‘. Insgesamt belegen die Regionenverzeichnisse also keine transurbane soziale Abgrenzung. Inwieweit aber können die Regionenverzeichnisse aus dem 4. Jahrhundert n. Chr. als Beleg für die städtische Struktur des republikanischen Rom herangezo29 30
31
32 33
Storey 2002: 417. Beim Zahlenmaterial, das nicht beschädigt zu sein scheint, schwankt das Verhältnis von 1:21 bis 1:32 mit einem Durchschnittswert von 1:26. Über die 14 Regionen hinweg scheint es keine Beziehung zwischen dem Verhältnis der domus zu den insulae und der Gesamtzahl der Wohnungen pro Hektar zu geben. Eine Schwachstelle zeigt sich allerdings in dem Umstand, dass das Zahlenmaterial die Ausmaße der Wohnkomplexe unberücksichtigt lässt: Fünf domus auf dem Palatin könnten zusammen kleiner sein als eine einzige domus auf dem Esquilin oder umgekehrt. Regionen gemäß abnehmender Dichte an insulae pro Hektar (höchste → niedrigste): Palatin [X], Forum Romanum [VII], Circus Maximus [XI], Caelius [II], Isis et Serapis [III], Templum Pacis [IV], Piscina Publica [XII], Via Lata [VII], Porta Capena [I], Aventin [XIII], Esquilin [V], Alta Semita [VI], Circus Flaminius [IX], Transtiberim [XIV]. – Regionen gemäß abnehmender Dichte an domus pro Hektar: Forum Romanum, Palatin, Circus Maximus, Esquilin, Porta Capena, Via Lata, Caelius, Isis et Serapis, Templum Pacis, Piscina Publica, Aventin, Alta Semita, Circus Flaminius, Transtiberim. Die Abweichungen bei der Größe der Regionen und der Anzahl der domus pro Region setzt dem Vergleichspotenzial dieser Verhältnisse Grenzen. Sowohl der Aventin als auch das Forum Romanum verzeichnen 130 domus, unterscheiden sich aber aufgrund der unterschiedlichen Größe der beiden Regionen in ihrer jeweiligen Dichte der domus. Regionen gemäß abnehmender Dichte an Wohnstätten (domus + insulae) pro Hektar: Forum Romanum, Palatin, Circus Maximus, Caelius, Isis et Serapis, Templum Pacis, Piscina Publica, Via Lata, Porta Capena, Aventin, Esquilin, Alta Semita, Circus Flaminius, Transtiberim. Vgl. Packer 1967: 87.
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gen werden? Die Verwendung weiterer archäologischer und literarischer Zeugnisse, die bis in die Republik zurückreichen, mag bei der Beurteilung hilfreich sein, ob die Flächennutzungsstrategien im Großen und Ganzen stabil blieben oder modifiziert wurden. Tatsächlich zeugen die greifbaren Evidenzen durchweg von einer stadtweiten sozio-ökonomischen Verteilung des Wohnraums. b) Die Forma Urbis Romae Die Forma Urbis Romae bildet die Stadt des späten 2. bzw. frühen 3. Jahrhunderts n. Chr. ab. Der monumentale Plan stellt die Grundrisse der städtischen Bauwerke eingeritzt in Marmor dar – von den bedeutenden öffentlichen Monumenten bis hin zu privaten Treppenhäusern sowie evtl. sogar einzelnen Bäumen. Wie bei den Regionenverzeichnissen ist der ursprüngliche Verwendungszweck unbekannt und die Identifikation der individuellen Einheiten bleibt ebenso wie die Typologie der aufgeführten Baustrukturen umstritten.34 Weiter verschärft wird das Problem durch die Tatsache, dass nur 10 bis 15 % des Plans erhalten sind, mithin also nur ein kleiner Teil, der zudem in 1186 Fragmenten überliefert ist. Aus diesem Grund bleibt die exakte Position und sogar Ausrichtung zahlreicher Fragmente ungeklärt. Aus diesen Einschränkungen lässt sich jedoch umgekehrt wieder auf urbane Modelle schließen, zu denen einmal mehr die Verbreitung unterklassiger Wohneinheiten oder tabernae in der gesamten Stadt gehören. Die taberna, das römische Ladengeschäft, bestand aus Vielzweckräumen zum Verkauf von Produkten und Dienstleistungen und sie diente voraussichtlich auch als Wohnstätte des Ladenbesitzers.35 Als „hallmark of Roman urbanism“36 gilt die taberna als wesentlich für das Wachstum und Funktionieren des caput mundi. Die Verlagerung und Kommodifizierung von zunächst noch Dienstleistungen und der Produktion von Gütern aus dem Kontext des Haushalts hin zum städtischen Markt sorgte für die Herausbildung und konstante Expansion der „taberna-world.“37 Roms tabernae begünstigten nicht nur die Redistribution von Produkten (von den lokalen landwirtschaftlichen Erzeugnissen und Lebensmitteln bis hin zu Gegenständen des persönlichen Gebrauchs und Luxusgütern), sondern hielten ebenso das ökonomische und soziale Leben einer freien und freigelassenen städtischen Bevölkerung aufrecht. Es ist hierbei wichtig zu betonen, dass das Wirtschaftssystem der taberna – neben anderen sozialen, politischen und ökonomischen Formen von Gefolgschaft oder Verpflichtung, wie der Patronage – ein Vehikel für urbane Kohäsion 34 35
36 37
Eine allgemeine Einführung in die Forma Urbis, ihre Möglichkeiten und Probleme bieten z. B. Koller et al. 2005; Reynolds 1996; RodríguezAlmeida 1981 u. 2002; Carettoni et al. 1960. Es ist nicht das Ziel dieses Beitrags, die Reichweite der Begriffe zu diskutieren, die die Römer den architektonischen Räumen, die sie bewohnten, beilegten. Für die hier geführte Argumentation scheint es gerechtfertigt, die tabernae als einen Typus der insulae zu begreifen, die bereits in der Diskussion der Regionenverzeichnisse behandelt wurden. Purcell 1994: 664; Boethius 1960: Kap. 2, 4. Der Begriff wurde von Purcell 1994 geprägt.
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bot. Über die tabernae „the plebeian was integrated fully and in a complex way into the social structure of the whole city.“38 Die Forma Urbis zeigt auf, dass diese Integration in die städtische Struktur viel eher auf räumlicher und topographischer Ebene erfolgte als auf ökonomischer und sozialer. Tabernae sind in Rom seit dem 6. Jahrhundert v. Chr. nachzuweisen, als sie gemeinsam mit der Urbanisierung des Forums auftraten.39 Der sprunghafte Anstieg der taberna-Kultur als soziales und ökonomisches Phänomen war eng mit der Expansion der Absatzmärkte des römischen Reiches im ganzen Mittelmeerraum verbunden. Während die Regionenverzeichnisse nur grobe Zahlen ohne irgendeinen Hinweis auf die präzise Verortung oder Verteilung der insulae und domus innerhalb jeder Region aufweisen, zeigt der Marmorplan die vollständige Verbreitung der tabernae in der ganzen Stadt auf. Zur Entstehungszeit des severischen Marmorplans war Rom also komplett mit tabernae übersät. In seiner Untersuchung zur Forma Urbis beobachtete Reynolds daher treffend: „[tabernae] seem to be everywhere, in rows and groups and in corners, along the merest alleys and widest avenues, densely filling areas both grand and obscure; almost the entire city appears to be thickly furnished with these rooms.“40 Dass lediglich 10–15 % des Gesamtplanes erhalten sind und dass die Erhaltung der einzelnen Bruchstücke (zum größten Teil) dem Zufall geschuldet ist, bestätigt die Hypothese einer transurbanen sozioökonomischen Verteilung. Die taberna-Welt war demnach kein isoliertes Phänomen, sondern umfasste ganz Rom. Diese ‚Welt‘ bestand weder aus der Elite noch aus Besitz- und Wohnungslosen. Sie bestand vielmehr aus denjenigen Römern, die Dienstleistungen anboten und Güter verkauften und dank ihrer Geschäftigkeit die Großstadt am Laufen hielten. Da sie überall anzutreffen waren, deutet der Marmorplan eine transurbane soziale Wohnintegration in der gesamten Stadt an. c) Der Vergleich mit Pompeji Aufgrund des uneinheitlichen Charakters der archäologischen Befunde und des Mangels an systematischen Studien zu Wohnzeugnissen in Rom lassen sich solide Schlussfolgerungen, die die tatsächliche organische Erscheinung und Verteilung der Wohnkomplexe im caput mundi betreffen, nur schwer ziehen. Ein Quervergleich mit Pompeji, wo die archäologischen Überreste besser erhalten und erforscht sind, gibt dem Bild, das wir aus den Regionenkatalogen und der Forma Urbis gewinnen, schärfere Konturen, zumal gerade in den letzten drei Jahrzehnten das Thema der räumlichen Abgrenzung in Pompeji sich einer substanziellen und kritischen Erforschung erfreute. Untersuchungen zum Grundrissplan Pompejis und zu den relativen Anteilen der Stadt, die für kommerzielle bzw. industrielle und wohnliche bzw. zivile Zwecke und Tätigkeitsbereiche bestimmt waren, dienten Raper, Pirson und Ellis als Grund38 39 40
Purcell 1994: 667. Liv. 1,35,10; Dion. Hal. ant. 3,67,4. Reynolds 1996: 155.
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lage, die sozialen Interaktionen der pompejanischen Stadtbevölkerung zu interpretieren.41 Die Ergebnisse zeigen für ganz Pompeji eine vollständige Integration von wohnlichen und kommerziellen Bereichen. Obgleich Geschäfte gehäuft an Straßenfronten und Verkehrsknotenpunkten anzutreffen sind, findet man sie überall in der Stadt und sogar in denjenigen Gebieten, die ausgesprochenen Wohncharakter aufweisen. Zusammenfassend urteilt Raper: „in toto … land use is indeed intermingled … [and] the urban land use is consistent in its diversification.“42 Pompeji lässt sich nicht in Kategorien wie Konzentration oder Segregation ökonomischer, wohnlicher und ziviler Tätigkeitsbereiche einteilen. Pompeji präsentiert sich vielmehr als eine Stadt, in der tabernae und Werkstätten überall zu finden sind. Es gibt keinen separierten Wohnbereich für die Unterschicht oder ein Gebiet, das im Sinne eines Ghettos für die pompejanische plebs urbana bestimmt war. Ähnlich hat die Untersuchung von Wallace-Hadrill zu Wohnräumen in Pompeji und Herkulaneum aufgezeigt, dass trotz der ungleichen Verteilung von persönlichem Wohlstand, Familien- und Haushaltsgröße in der römischen Gesellschaft die Städte Pompeji und Herkulaneum durch eine klare Verteilung der jeweiligen Wohneinheiten charakterisiert sind.43 Allgemein reichte der Wohnraum von kleinen Geschäften zu großen, mehrgeschossigen Häusern, wobei die durchschnittliche Hausgröße in Herkulaneum und Pompeji ungefähr identisch war; beide Städte waren ebenso „remarkably consistent in broadly similar distribution of different sizes within each sample.“44 Große domus treten nicht geballt in nur einem einzigen Gebiet auf und sind auch nicht isoliert von Wohngegenden der unteren Schichten, dem Gewerbe oder den Produktionsstätten. Stattdessen standen in jedem Teil von Pompeji und Herkulaneum Geschäfte und herrschaftliche Häuser, Werkstätten und kleine Häuser nebeneinander. Ausgrabungen haben ein stadtweites Muster sukzessiver Industrialisierung und Kommerzialisierung als integralen Bestandteil der urbanen Entwicklung offengelegt. Diese Aktivitäten lassen sich nicht nur in bestimmten Gegenden lokalisieren: Sie waren über die ganze Stadt verteilt und in sie inkorporiert. Dieser Prozess folgt genau dem Typus der Städtebildung, den wir schon auf der Forma Urbis sehen konnten und wie er nun auch in Pompeji zu finden ist: Werkstätten und andere Mieteinheiten umgeben zerstreut liegende große Wohnhäuser. Sowohl Grahame als auch Robinson haben diese Heterogenität der Raumnutzung als wichtiges Phänomen zu Gunsten des sozialen Wettbewerbs gedeutet, der die städtische Hierarchie aufrechterhielt: Die Häuser der Elite waren so über die ganze Stadt verteilt, dass die Eigentümer nicht in direkter und unmittelbarer Konkurrenz zueinander standen.45 41 42
43 44 45
Raper 1977; Pirson 1999; Ellis 2004. Raper 1977: 216. Zur Verteilung der kommerziellen und handwerklichen Tätigkeit als einen Index für transurbane Mannigfaltigkeit in der Praxis der Flächennutzung vgl. auch La Torre 1988: 75–102. Ellis 2004 behandelt die Lokalisierung von Bars an Straßenfronten und Durchgangsstraßen. WallaceHadrill 1994. WallaceHadrill 1994: 75. Grahame 2000; Robinson 1997. Robinson verbindet die räumliche Verteilung der Elite mit der Kontrolle, die sie über ihre jeweiligen Stadtviertel ausgeübt hätten. Das Modell würde
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Immer wieder decken Untersuchungen zu Pompeji ein urbanes Konzept auf, das durch sozio-räumliche Integration charakterisiert ist. Durch die gegenseitige Durchdringung des wohnlichen und gewerblichen Raums fungierten die Wohnund Gewerbebauten als funktionale und integrative Einheit. Bewohner von Pompeji und Herkulaneum mit unterschiedlichstem sozialen und wirtschaftlichen Status – inklusive der Elite – residierten in unmittelbarem Kontakt zu kommerziellen Tätigkeitsbereichen, in denen sie direkt oder indirekt beschäftigt waren. Städtischer Grundstücksbesitz ergänzte den auf Landwirtschaft basierenden Wohlstand und das Einkommen der Elite; Immobilienbesitzer maximierten ihre Profite, indem sie ihren Besitz durch die Vermietungen von Wohnraum, tabernae und officinae (Werkstätten) in der ganzen Stadt und sogar in ihren eigenen Häusern bis zum Äußersten ausschöpften. Was haben die sozialen, ökonomischen und räumlichen Modelle, wie sie in einer süditalischen Kolonie wie Pompeji zu finden sind, mit Rom zu tun? Relativ viel, wie literarische und archäologische Zeugnisse aus Rom selbst nahelegen. So zeigen etwa Carandinis jüngste Ausgrabungen, dass die Via Sacra, „a prime location for the political elite”, zu allen Zeiten von großen domus mit dazugehörigen Geschäften entlang der Straßenfront gesäumt war.46 Ferner bestätigt die annalistische Tradition, die uns Livius überliefert, dieses sozio-ökonomische Raummodell. So wütete der Brand des Jahres 210 v. Chr. auf dem Forum und zerstörte die dortigen tabernae samt den dahinter liegenden Privathäusern.47 Die Basiliken des Cato und des Ti. Sempronius Gracchus aus dem 2. Jahrhundert v. Chr. wurden auf dem Boden errichtet, der vorher von Metzgerläden, tabernae und Privathäusern der Elite, inklusive desjenigen des Scipio Africanus, eingenommen wurde.48 Die Tatsache, dass, so lange die Via Sacra und das Forum Häuser der Elite beherbergten, diese dadurch gleichzeitig frei von sozialer Abgrenzung blieben, belegt eindrucksvoll die römische Praxis und Einstellung zu sozio-räumlichen Mustern. Die archäologischen und literarischen Zeugnisse, so karg sie auch sein mögen, weisen jedenfalls für Rom auf eine stadtweite soziale Integration hin.
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demjenigen des mittelalterlichen Rom und Florenz und dem des modernen Manila ähneln, s. dazu WallaceHadrill 2008: 271–275. Die Studie von Kaiser 2000 weist ähnliche Ergebnisse für die römische Kolonie Empúries auf: Jeder Häuserblock beherbergte nie mehr als eine Elite-domus und die Wohneinheiten der Nichtelite füllten die Grundstücke zwischen den domus. Zusammen mit den tabernae befanden sich diese Elite-domus an Straßen mit hohem Verkehrsaufkommen in der gesamten Kolonie. Weiterführende Untersuchungen zu anderen römischen Siedlungen werden deutlich machen, inwieweit diese städtischen Modelle Merkmal der römischen Gesellschaft waren. Wallace Hadrill 1994: 130–131; Carandini 2010: pass. Liv. 26,27,1–4. Liv. 39,44,7; 44,16,10.
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d) Vici und Bandengewalt in Rom Quellen zur Architekturgeschichte des Forums und der Via Sacra belegen, dass Mitglieder aus allen Gesellschaftsschichten dort wohnten. Die Gliederung Roms in Stadtviertel (vici) weist darauf hin, dass spätestens in augusteischer Zeit in jedem Bereich der Stadt Bewohner mit einem niedrigen Status (Freigelassene und Sklaven) angetroffen – und organisiert – werden konnten. Im Jahr 7 v. Chr. gliederte Augustus Rom durch die Schaffung von 14 administrativen regiones neu, die er seinerseits in Stadtviertel (vici) unterteilte. Der vicus wurde zum Kern einer Reihe ortsgebundener Tätigkeiten, die nach außen ausgerichtet waren, ins Freie und auf die Straße. Schreine mit den jeweiligen Gottheiten (lares) an den Straßenkreuzungen umfassten den vicus und gaben ihm eine wesentliche religiöse Dimension. Für diejenigen, die an den Aktivitäten der Stadtviertel teilnahmen, war der vicus Ausgangspunkt für lokalen Zusammenhalt und soziale Gemeinschaft. Die Ernennung einer lokalen Verwaltung, vicomagistri und vicoministri, bot Freigelassenen wie Sklaven gleichermaßen ein konkurrenzbetontes Ventil sowohl beim Streben nach einem Amt als auch für euergetische Schenkungen an den vicus. Diese Magistraturen eröffneten Freigelassenen und Sklaven einen Zugang, um an den Entscheidungen des Gemeinwesens zu partizipieren. Und schlussendlich diente dieses System den Interessen des Augustus insofern, als es die munizipale Mikroverwaltung und transurbane Kommunikation erleichterte sowie die innerstädtische Sicherheit und Stabilität erhöhte. Obwohl die administrative Umgestaltung den princeps zwei Jahrzehnte in Anspruch nahm, zügelte der Eingriff die auf den vici basierenden Unruhen, die von Zeit zu Zeit die Republik im Laufe des 1. Jahrhunderts v. Chr. aus dem Gleichgewicht brachten. Es gibt nur sehr wenige Hinweise auf die Tätigkeiten in und den Umgang mit den vici vor den urbanen Neuerungen unter Augustus. Fast alle davon beziehen sich auf Zeiten stadtweiter Agitation und Gewaltanwendung unter dem Ruder eines Demagogen. An dieser Stelle können die römischen vici nicht ausführlich diskutiert werden; stattdessen möchte ich mich darauf beschränken zu zeigen, inwiefern die vici-Struktur ein Abbild für die transurbane Verbreitung der plebs urbana darstellte und wie diese vici dafür verwendet werden konnten, lokale Banden von jetzt auf gleich in der ganzen Stadt zu mobilisieren. Gerade die Beispiele unter der Prätur des M. Marius Gratidianus im Jahre 85 v. Chr. sowie unter dem Tribunat des C. Manilius im Jahre 67 v. Chr. und des P. Clodius Pulcher im Jahre 58 v. Chr. belegen, wie stark die Manipulationsgefahr der vici sein konnte und weshalb der princeps dafür Sorge tragen musste, sie mit Blick auf die Verehrung seiner eigenen lares Augusti hin neu auszurichten. Die Episoden können zudem als Beleg für die angenommene urbane Struktur Roms angeführt werden, als da Aufrührer aus jedem Teil der Stadt kommen konnten. Im Jahre 85 v. Chr., als L. Cornelius Cinna und seine popularen Unterstützer die Stadt beherrschten, peitschten die Prätoren und Tribunen gemeinsam eine allgemeine Münzreform durch. Der Prätor M. Marius Gratidianus beanspruchte hierfür die alleinige Verantwortung für sich und erwarb sich eine beispiellose Beliebtheit bei der Stadtbevölkerung, die in der Aufstellung von Statuen und in der Ver-
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brennung von Weihrauch an den Schreinen des Stadtviertels zu seinen Ehren gipfelte.49 Cicero berichtet von der Absicht des Gratidianus, diese stadtweite Unterstützung zu benutzen, um in das Konsulat gewählt zu werden, doch wurden seine politischen Ambitionen von seinen politischen Gefährten auf eine abermalige Prätur zurückgestutzt.50 Im Jahre 82 kehrte L. Cornelius Sulla mit seinen Streitkräften von seiner Kampagne im Osten zurück und erlangte erneut mithilfe blutiger Kämpfe die Kontrolle über die Stadt. Die Hinrichtung und Verstümmelung des Gratidianus war dabei besonders grässlich.51 Zudem wurden als Warnung für andere, die seinem Beispiel nacheifern wollten, seine Statuen gestürzt. Wenigstens ein vicus zeigte dagegen die neue Gefolgschaft dem Diktator gegenüber dadurch, dass sie nun ihm ein Standbild aufstellten.52 Lott merkt an, dass der Rückgriff des Gratidianus auf die vici als populare Unterstützung aufzeigt, wie „the voting power wielded by lower class residents of the city could be effectively organized vicatim.“53 Binnen einer Generation machte sich ein anderer popularis das politische Potenzial der Stadtviertel zu Nutze. Im Dezember 67 schlug der neugewählte Tribun C. Manilius ein Gesetz vor, welches vorsah, die Freigelassenen Roms über alle 35 Wahltribus zu verteilen, statt sie in den vieren zu belassen, auf die sie beschränkt waren. Dieser Vorschlag hätte schlagartig die Wählermacht der römischen Freigelassenen erhöht.54 Manilius terminierte die Wahlen just auf den Tag der Compitalia, des Fests der Straßenkreuzungen, um die herum die vici organisiert waren. Die Wahl des Termins zeigt die scharfsinnige Strategie auf, durch die Manilius die Organisation der Stadtviertel an sich reißen wollte. Die Eile, mit der das Gesetz verkündet und darüber abgestimmt wurde (innerhalb von drei Wochen, nachdem Manilius sein Amt angetreten hatte), korrespondiert mit der geschickten Wahl des Termins an einem städtischen Feiertag. Aufgrund genau dieser technischen (und zeitlichen) Unregelmäßigkeiten war Manilius schließlich in der Lage, die Unterstützung von Seiten des Volkes für das Gesetz – und letztlich auch für sich selbst – organisieren und einsetzen zu können. Lott führt aus: „On Compitalia the people who were most likely to support Manilius’ law [d. h. Freigelassene und ihre Sympathisanten] were already out in the streets celebrating the ludi Compitalicii. They could easily be mobilized, 49 50 51 52 53 54
Cic. off. 3,80; Sen. ira 3,18,1; Plin. NH 33,132. Broughton 1952: 87. Die Datierung der Prätur des Gratidianus ist umstritten – nicht aber, dass er Prätor war. Cic. tog. cand. frg. 2; 9;10;16 Puccioni = Ascon. 83,26–84,1; 90,3–5; 87,16–18; 89,25–7; Sall. hist. 1,44M; Liv. Per. 88; Val. Max. 9,2,1; Luc. 2,173–93; Sen. ira 3,18.1; Flor. epit. 2,9.26 = 3,21,26. CIL 6,1297 = ILS 872 = ILLRP 352. S. Tarpin 2002: 325; Lott 2004: 49. WallaceHadrill 2008: 267 hält diese Umwidmung an Sulla nicht für einmalig. Lott 2004: 49. Zur Beschränkung der Freigelassenen auf vier tribus und den daraus resultierenden anhaltenden Spannungen s. Treggiari 1969: 47–50. Gruen 1974: 408 bemerkt, dass das Gesetz selbst, dadurch dass Freigelassenen den tribus ihrer ehemaligen Herren zugewiesen wurden, mit den Interessen der Patrone übereinstimmte und „need not be taken as a radical or disruptive move.“
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perhaps by their respective magistri vici, to attend Manilius’ assembly and vote en masse.“55 Dass der Tag mit Gewalt und Blutvergießen endete, unterstreicht die Stärke und den Einsatz des popularen Netzwerks, das Manilius aufgrund des transurbanen Arrangements der Nachbarschaft mobilisieren konnte. Lott urteilt abschließend, dass „Manilius’ actions show just how Rome’s lower classes could be organized and mobilized for collective action on a municipal scale.“56 Die Episode um die Compitalia des Manilius zeigt ebenso wie die Verehrung des Gratidianus, in welcher Form und in welchem Ausmaß populare Politiker in der Lage waren, die vici Roms zu manipulieren, um ihre Unterstützerbasis von Stadtviertel zu Stadtviertel und schließlich über die ganze Stadt hinweg auszuweiten. Als schließlich P. Clodius Pulcher zur plebs übertrat und seine eigenen Schlägertrupps im Jahre 58 anwarb, war der Rückgriff auf die vici zur Ausübung von Macht und zur Sicherung von Rückhalt allgemein anerkannt.57 Es ist gut belegt, wie Clodius durch seinen Gefolgsmann Sex. Cloelius die vici und ihren Festtag in einem noch nie dagewesenen Ausmaß manipulierte.58 Einer der auffälligsten Aspekte der politischen Manöver des Clodius lag darin, dass er in der öffentlichen Wahrnehmung aber nicht als jemand galt, der sich sich politische Unterstützung durch das ‚Klinkenputzen‘ von Stadtviertel zu Stadtviertel erworben hatte. Stattdessen platzierte ihn Cicero auf dem Forum, auf dem aurelischen Tribunal.59 In einer Rede des Jahres 57 antwortete Cicero Clodius mit ironischen Unterton: „Als du beim aurelischen Tribunal ganz offen Leute anwarbst, nicht nur Freie, sondern auch Sklaven, die du aus allen Gassen (ex omnibus vicis) zusammengetrommelt hattest, da hast du zweifellos keinerlei Gewalttätigkeiten vorbereitet“.60 Und an anderer Stelle: „Dieselben Konsuln sahen zu, wie beim aurelischen Tribunal unter dem Deckmantel von Kultvereinen Sklaven ausgehoben wurden: Man warb die Leute gassenweise (vicatim) an und teilte sie in Hundertschaften ein; man hetzte sie auf zu Gewalt und Tätlichkeiten, zu Mord und Plünderung.”61 Cicero stellte Clodius als jemanden dar, der auf die vici zurückgriff, um seine eigene paramilitärische städti-
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Lott 2004: 50. Lott 2004: 50. Es ist auch zu berücksichtigen, dass Sallust und Cicero davon berichten, wie Lentulus seine Freigelassenen und Klienten durch die vici und tabernae schickte, um Verbündete für die Verschwörung des Jahres 63 v. Chr. anzuwerben: Sall. Catil. 50; Cic. Catil. 4,17. Zur Forschungsdebatte zu den Ereignissen rund um die ludi Compitalicii des Jahres 58 und ihre Auswirkungen s. besonders Laurence 1991 u. Lott 2004: 51–55; ebenso Tatum 1999: 117– 118; Lintott 1999: 77–83; Sumi 1997; Nippel 1995: 70–78; Damon 1992; Fraschetti 1990; Vanderbroeck 1987. Zusätzlich zu den unten zitierten zwei Reden erinnert Cicero an das Ereignis in Cic. Pis. 11; p.red.ad Quir. 13. Vgl. Flambard 1977: 123 u. Treggiari 1969: 173. Cic. dom. 54: Cum in tribunali Aurelio conscribebas palam non modo liberos sed etiam servos, ex omnibus vicis concitatos, vim tum videlicet non parabas. (Übers. M. Fuhrmann). Cic. Sest. 34: isdemque consulibus inspectantibus servorum dilectus habebatur pro tribunali Aurelio nomine conlegiorum, cum vicatim homines conscriberentur, decuriarentur, ad vim, ad manus, ad caedem, ad direptionem incitarentur. (Übers. M. Fuhrmann).
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sche Streitkraft zu organisieren.62 In Bezug auf den Ort, die Methode und die Zielsetzung parodierte und forderte Clodiusʼ Aushebung den offiziellen dilectus heraus, der normalerweise vom Konsul außerhalb der Stadt in den Ovilia ausgeführt wurde.63 Das Bild der vici-Mitglieder, die die Einschreibung auf dem Forum durchführten, zeigt, wie Clodius die Konsolidierung seiner stadtweiten Unterstützung bis ins Extrem zu steigern vermochte. Clodius ging nicht in die vici, sie kamen zu ihm und zwar in das administrative, politische und urbane Herz der res publica: auf das Forum.64 Selbst wenn man die Passagen von ihren ciceronischen Auschmückungen befreit, belegt die Episode eindrücklich, wie die Tribunen „a centralized system of command and control that tied his supporters from different neighborhood communities together into a single political force,”65 schufen. Wenn wir die Rekonstruktion von Laurence akzeptieren, monopolisierte Clodius auf diese Weise die auf den vici basierende Macht, so dass seinen Rivalen nurmehr der Ausweg blieb, Gladiatoren und Berufsschläger zu engagieren.66 Der vicus erscheint nicht oft in der Geschichte der späten Republik, aber wenn wir ihn greifen können, dann zielt der Kontext auf stadtweite Unruhen und die Mobilisierung der plebs urbana durch radikale Politiker ab. Indem diese die Macht in den vici und durch diese zu festigen suchten, waren Männer wie Gratidianus, Manilius und Clodius in der Lage, politische Unruhen an der Basis anzuzetteln, jedoch mit stadtweiten Konsequenzen. Wallace-Hadrill bemerkt, dass „the vici act as potentially subversive formations which empower the plebs infima, craftsmen and artisans, including several people of servile origin, and act as a political reservoir of alternative power into which the revolutionary can tap.“67 Weiter vermutet er, dass „the model … is the street gang.“68 Es ist aber zu betonen, dass Teile etwa der ‚Clodius-Gang‘ über die ganze Stadt hinweg verteilt waren. Hinsichtlich der Analyse spätrepublikanischer Gewaltformen, bei denen auch lokale Unruhestifter rekrutiert wurden, ist freilich nicht an moderne urbane Banden zu denken, die im Wesentlichen ein örtliches – und örtlich begrenztes – Phänomen darstellen und die ihre Identität über ‚Revierkämpfe‘ innerhalb und über vielseitig beanspruchtes Gebiet bekräftigen. Die Unruhestifter aus den vici dagegen waren mit sozio-politischen Themen beschäftigt und ihr Verhalten ist eher dem von Randalierern und Steinewerfern zu vergleichen. Die Funktionsweise der vici dürfte in der Republik mehr oder weniger informell geregelt worden sein. Die Systematisierung unter Augustus sowohl der Regionen als auch der Stadtviertel als formelle administrative Einheiten legte das politische 62 63 64 65 66 67 68
Zur militaristischen Sprache s. Lott 2004: 58. Der Verweis auf die Aufnahme von Sklaven (servi) ist wohl eher rhetorisch motiviert und spiegelt nicht die tatsächlichen Umstände wider; zu Ciceros Abwertung der liberi als „servi“ s. Treggiari 1969: 265 f. Richardson 1992: 400 f. Zur Zusammenführung des stadtweiten Mobs auf dem Forum während einer anderen Gelegenheit s. Sumi 1997: 102. Lott 2004: 60. Zu Milos Bande s. Laurence 1991. WallaceHadrill 2008: 268. WallaceHadrill 2008: 268.
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Potenzial der vici lahm und ordnete ihre Gefolgschaft seiner eigenen Kontrolle unter. Alternativ hätte Augustus die vici gänzlich abschaffen können, wie es Caesar vor ihm unternommen hatte.69 Stattdessen aber nutzte er sie, wie schon die Möchtegernumstürzler des ersten vorchristlichen Jahrhunderts vor ihm, um seine Macht in der ganzen Stadt zu festigen. Sein Eingriff war weit mehr als eine simple Aufräumaktion und das Wiederaufleben einer republikanischen Tradition;70 die Formalisierung der städtischen Einheiten war sorgfältig darauf abgestimmt, die Sicherheit und Stabilität auf lokaler und munizipaler Ebene wiederherzustellen und jedwede römische Straßenkreuzung nicht nur mit seinen lares Augusti (von nun an die allen vici vorstehenden Gottheiten), sondern auch mit seiner persönlichen Macht und Autorität auszustatten. Die Stadt Rom bestand aus Regionen, die ihrerseits in Stadtviertel eingeteilt waren. Vici gab es überall, und es waren eben diese Kleinstteilchen, die die Stadt ausmachten. Populare Politiker, die in den vici Anhänger für ihre Sache anwarben, waren nicht nur deswegen gefährlich, weil sie eine eigene, örtlich gebundene Schlägertruppe um sich scharten, sondern weil ihre Anziehungskraft auch auf die Bewohner der übrigen Stadtvierteln wirken konnte. Ihre Macht gründete mithin nicht nur auf einem isolierten Teil der Stadt, sondern durchdrang sie vicatim. Die Kenntnis, die wir über die vici haben – über ihre Zusammensetzung und Verteilung (innerhalb der Regionen und über die ganze Stadt verteilt), ihre Anhänger und ihre politische/paramilitärische Ausbeutung in der späten Republik – belegt, dass die Wohnmuster in Rom ein hohes Maß an sozialer Integration aufwiesen. Die Tatsache nun, dass Rom die Summe seiner vici war, widerlegt jedwede Vorstellung einer sozialen ‚distrification‘ innerhalb entscheidender städtischer Bereiche, wie etwa einer regio. Kurzum, es gab keine sozial determinierten ‚Ghettos‘; es gab keinen ‚plebejischen Destrikt‘. Die plebs urbana war wie die vici, die sie bewohnten, überall. 4. SCHLUSSFOLGERUNGEN UND PERSPEKTIVEN Die literarischen, historischen und archäologischen Quellen zu Wohnmodellen in Rom sprudeln nicht reichlich, doch sie lassen die Annahme zu, dass Rom eine Stadt ohne Stadtplanung war oder überhaupt viel planhaftes Bauen zuließ. Künftige Untersuchungen zur Räumlichkeit und Topographie stadtrömischer sozialer Netzwerke und Verhaltensmuster (insbesondere der Patronage), kombiniert mit weiterführenden Studien zur Verortung, Chronologie und den demographischen Folgen des Aufbaus einer urbanen Infrastruktur (Abwasserkanäle, Brunnen und Straßennetze) werden dazu beitragen, die urbanen Muster Roms präziser herauszuarbeiten. Nimmt man den „yeasty organic growth“71 Roms von seinen Hügeldörfern zur größten Stadt des vorindustriellen Westens sowie den Mangel an schnellen Trans69 70 71
Lott 2004: 61–64. WallaceHadrill 2008: 268. Vance 1990: 64.
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portmitteln zur Beförderung von Personen oder Gütern und schließlich ein auf Patronage basierendes soziales System als Ausgangspunkt, dann wird man – wenn überhaupt – auf ein mehrzentriges soziales Modell zurückgreifen müssen. Ungeachtet, wie man den Begriff ‚plebejisch‘ definieren mag, lässt sich in eine solche Rekonstruktion von Roms sozialen Mustern die Vorstellung von einem charakteristischen ‚plebejischen Stadtteil‘ nicht unterbringen. Es ist wenig wahrscheinlich (und auch kaum belegbar), dass sich die sozio-räumlichen Entwürfe von Roms Hügeln – mit Ausnahme vielleicht des Palatin – signifikant voneinander unterschieden. Denn die antiken Quellen lassen in Kombination mit vergleichenden Studien vermuten, dass die Wohnmuster auf dem Aventin sich wahrscheinlich nicht von denjenigen auf dem Quirinal, Esquilin, Cispius oder Caelius unterschieden. Althistoriker weisen gerne darauf hin, dass Rom die erste westliche Stadt war, deren Bevölkerung die Millionengrenze erreichte, was wohl schon in Zeiten der späten Republik der Fall war. Dabei ist bemerkenswert, dass diese einzigartige Megalopolis über keine polizeiliche Einrichtung verfügte.72 Neuere Forschungen haben betont, dass Polizeikräfte per se ein relativ modernes Phänomen darstellen. Rom blieb aber nicht nur, was seine Größe anbelangt, einzigartig, sondern auch, was die strenge Abwehrhaltung gegen den Einzug militärischer Einheiten in die Stadt zur Zeit der Republik betrifft. Verschiedene Städte des vormodernen kaiserlichen China wiesen eine vergleichbare Einwohnerzahl auf, doch wurde in ihnen die städtische Ordnung durch regelmäßige Volkszählungen, sorgfältige Gebietseinteilung und die Wachsamkeit einer großstädtischen Wachmannschaft bewahrt, die Verbrechen aktiv durch regelmäßige und andauernde Patrouillen verhinderte. Zeitgenössische empirische Daten veranlassten Städteforscher in den 1970er Jahren zu der Vermutung, dass die räumliche Kontrolle (d. h. soziale Gebietsaufteilung) von städtischen Subkulturen die Segregation von konfliktiven Gruppen gewährleiste und dadurch ihre Interaktion definiere. Dennoch ist diese soziale Balkanisierung allein nicht in der Lage, Gewalt in der Stadt zu verhindern. Jüngste Studien haben die soziale Abgrenzung als Mittel, die städtische Sicherheit aufrechtzuerhalten, in Frage gestellt. Im modernen Amerika beispielsweise hat die Konzentration und Isolation von sozial Benachteiligten zu einer steigenden Zahl tödlich endender Gewaltausbrüche geführt.73 Die Bewahrung „urbaner Toleranz“ bedarf einer städtischen Polizeigewalt, um diese wohldefinierten räumlichen Grenzen zu festigen.74 Fallstudien zur Qing-Dynastie in China (Mitte 17. bis Mitte 18. Jahrhundert), zum osmanischen Konstantinopel (besonders 16. bis 17. Jahrhundert), zu Paris (Mitte 17. bis 18. Jahrhundert) und Edo (18. bis 19. Jahrhundert) haben nachgewiesen, dass eine bürokratisierte und in der ganzen Stadt sicht- und 72 73
74
Fuhrmann 2012; Nippel 1995: bes. 35–84 u. 1984; Lintott 1968: bes. 9–23 u. 67–88; Run ciman 1983; Terry/Hartigan 1982 sowie jüngst Kelly 2013. Die Mehrheit der Forschung spricht in diesem Kontext von Rassentrennung. Peterson/Krivo 1999 haben jedoch aufgezeigt, dass eine Konzentration von sozial benachteiligten Gruppen zu einer höheren Zahl von Tötungsdelikten führt als Rassentrennung. Bemerkenswerterweise erinnert der Vorschlag der Autoren auf S. 486, um dem Gewaltpotential von sozialen Randgruppen entgegenzuwirken, an die Maßnahmen des Augustus zur Neustrukturierung der vici. Karp/Stone/Yoels 1977: 131–161; DrayNovey 1993.
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hörbar präsente Polizeitruppe für die Artikulierung, Aufrechterhaltung und Durchsetzung von abgegrenzten Zonen innerhalb eines höchst differenzierten Stadtplans wesentlich war.75 Es scheint also, dass städtische Gebietsaufteilung wenigstens der Androhung von Gewalt zur Festigung und Aufrechterhaltung der abgetrennten und eingegrenzten Einwohnerschaft bedurfte. Die folgende Frage bleibt bestehen: Wie konnten größtenteils Frieden und Ordnung im republikanischen Rom weitgehend aufrechterhalten werden, wenn sich die Bewohner doch hauptsächlich auf gegenseitige Selbsthilfe und ein Klientelsystem zur persönlichen Sicherheit verließen? Die Verräumlichung der Studien zum Klientelwesen, das heißt in gewissem Maße die Kombination der prosopographischen Rekonstruktionen Friedrich Münzers mit topographischer Forschung, vermag unser Verständnis zu den Wohnmustern in Rom dereinst verbessern. Noch aber scheint dies wegen der lediglich begrenzt zur Verfügung stehenden Informationen ausgeschlossen. Zudem ist noch der Frage nachzugehen, ob Roms transurbane soziale Integration eine bestimmte Strategie zur Verhinderung von Verbrechen förderte, die heute unter dem Titel des „Crime prevention through environmental design“ (CPTED) diskutiert wird.76 Weiterführende Studien zur Integrationssoziologie von Eliten und Nicht-Eliten innerhalb und über die Stadt hinweg werden aufzeigen, inwieweit Roms Mangel an städtischer Planung und Aufteilung in Bezirke Gewalt verhinderte und Rechnung für die transurbane Stabilität des caput mundi während der Republik trug. BIBLIOGRAPHIE Boëthius, A. 1960: Nero’s Golden House, Ann Arbor. Boutier, J. 2008: L’espace résidentiel de la noblesse florentine (XVIe-XVIIIe siècle), in: J. Dunne / P. Janssens (Hgg.), Living in the City. Elites and their Residences, 1500–1900, Turnhout, 29–55. Broughton, T. R. S. 1951: The Magistrates of the Roman Republic. Vol. I: 509 B. C.–100 B. C. New York. – 1952: The Magistrates of the Roman Republic. Vol. II: 99 B. C.–31 B. C., New York. – 1986: The Magistrates of the Roman Republic. Vol. III: Supplement, Atlanta, GA. Burgess, E. 1925: The Growth of the City: An Introduction to a Research Project, in: R. Park / E. Burgess (Hgg.), The City. Suggestions for Investigation of Human Behavior in the Urban Environment, Chicago, 47–62 (ND 1967). Carandini, A. 2010: Le case del potere nell’antica Roma, Rom. Carettoni, G. et al. (Hgg.) 1960: La pianta marmorea di Roma antica. Forma Urbis Romae, Rom. Chauvard, J-F. 2008: Palais urbains et maisons de campagne: les résidences des élites vénitiennes à l’époque modern, in: Dunne/Janssens 2008, 57–77. Cogné, A. 2008: Les résidences du patriciat milanais au XVIIIe siècle, in: Dunne/Janssens 2008, 78–101. Cornell T. J. 2000: The City of Rome in the Middle Republic (c. 400–100 BC), in: J. Coulston / H. Dodge (Hgg.), Ancient Rome. The Archaeology of the Eternal City, Oxford, 42–60. 75 76
DrayNovey 1993. Diese multidisziplinäre Strategie wurde von Kriminologen entwickelt; sie setzt auf die Veränderung umfeldbedingter Einflussfaktoren, um Verbrechen zu verhindern und Gewalt zu kontrollieren; s. dazu Mair/Mair 2003.
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IV. ROM, ITALIEN UND DAS REICH
LES ESCLAVES DANS LE BELLUM GALLICUM DE CÉSAR (Fortsetzung) Yann Le Bohec, Paris Le sous-titre Fortsetzung se veut un hommage au livre remarquable qui a été écrit par le Professeur Welwei, Sub corona vendere, ouvrage qui traite la question mais seulement jusqu’en 201 avant J.-C.1 Il a paru intéressant de sauter par-dessus les siècles et d’arriver à la guerre des Gaules pour trois raisons : les esclaves ont été très étudiés,2 César a été très étudié,3 mais les esclaves dans César n’ont jamais été étudiés ou,4 du moins, ce sujet n’a pas été traité dans des travaux mentionnés par les publications récentes. Les auteurs qui ont abordé cette thématique ne se sont guère attardés sur elle et, sans doute influencés par l’idéologie marxiste, ont décrit un César acharné dans la quête des esclaves.5 C’est ce schéma qu’il faudra soumettre à un nouvel examen. L’enquête se limitera au Bellum gallicum, aux personnes réduites en esclavage par les Romains, et elle ne prendra pas en considération le Bellum ciuile ni le corpus césarien, parce que ces ouvrages décrivent une guerre civile, qui s’inscrit donc dans un contexte juridique très différent. En effet, le droit, public et privé, est au centre du sujet et, de ce point de vue, les barbares ne pouvaient pas être considérés comme les Romains. 1. L’ASPECT JURIDIQUE : DÉFINITION Dans le texte de César, il n’est pas toujours facile d’identifier les esclaves qui posent un problème de vocabulaire. Certes, on trouve les mots seruus6 et seruitus7, notam1 2 3
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Welwei 2000 : 8–181. Ouvrages anciens et fondamentaux : Wallon 1879 ; Westermann 1955 : 12–180 ; Heinrichs 2001 : 628s. ; Giuffrè 1996 : 509–534 : esclaves et déserteurs, mais pendant l’Antiquité Tardive ; Schumacher 2001 : 41–43 et 71. En dernier lieu : Alföldy 2011 : 89–117. Bibliographie : Christ 1980 : 133–135 (sur César) et 135s. (sur le Bellum gallicum) ; Christ 1982 : 75–91 passe sans transitions de Spartacus à Sextus Pompée. Quelques titres : Jehne 1997 ; Le Bohec 2001 ; Baltrusch 2007. Mérite une mention spéciale : Christ 1994, qui permet de comprendre comment les historiens travaillent sur ce personnage. On trouve quelques réflexions éparses dans Harmand 1967 : 157–160, 258, 329, 344 et 413s. ; Loreto 2006 : 177–190. Il n’y a rien dans Dumont 1987, ni dans Carandini 1998, ni dans Alföldy 2011, cité (ouvrages importants, pris à titre d’exemples). À titre d’exemples : Cunliffe 1993 : 122–143, en parle dès la p. 107 ; Schumacher 2001. Caes. Gall. 1,27,3 ; 7,20,9 ; 8,10,4 (rappelons que le livre 8 du Caes. Gall. a été écrit par Hirtius et non par César). Caes. Gall. 1,51,3 ; 2,16,5.
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ment dans l’expression in seruitutem ou sous la forme de l’adjectif seruilis dans seruilis tumultus8, allusion à la guerre de Spartacus ;9 un autre terme, plus rare, mancipia, n’est présent que dans le Bellum africum10, autrement dit dans un texte au latin peu élégant. Toutefois, dans ces cas, il n’y a pas de problème d’identification. Mais on doit aussi ajouter aux précédents des hommes qui sont tombés dans ce statut pour s’être rendus au terme d’un combat, pour avoir accepté de devenir des captifs, et ils sont désignés par le participe passé capti, ou des prisonniers, et on les appelle d’un substantif, les captiui11. On sait que, dans tous les droits antiques, et surtout dans le droit romain, celui qui se rendait à l’ennemi devenait un prisonnier et qu’il était par définition un esclave. Dans les récits d’histoire militaire, les esclaves étaient souvent des prisonniers ; on ne s’étonnera donc pas que le mot captiui revienne plus souvent que serui. César semble regrouper les captiui et les perfugae, les captiui et les fugitiui.12 Mais le transfuge était un déserteur, un soldat qui avait quitté son armée pour passer dans l’armée de l’ennemi.13 Par définition, il ne pouvait pas être un esclave à l’origine, puisqu’il avait été soldat ; en effet les soldats étaient des hommes libres, puisque les esclaves n’étaient pas jugés dignes de porter les armes (nous reviendrons plus loin sur ce point). Les traductions françaises sont malheureusement souvent encombrées de faux-sens. Ainsi, le grand latiniste et spécialiste de César qu’était L.-A. Constans traduit fugitiui par « esclaves » dans un passage où des cavaliers quittent le camp des Romains pour passer dans celui des Gaulois. Le problème se complique avec les calones, les caculae et les lixae. Pour les premiers, Paul Festus assurait que calones militum serui dicti (sunt).14 Toutefois, le mot s’appliquait à une fonction, à un métier, et pas à un statut juridique et, dès l’époque de César, il est ambigu ; il peut être employé pour des hommes libres.15 Ils étaient des valets et si César dit une fois qu’ils se trouvaient exposés aux coups de l’ennemi, étant sans armure, c’est dans une circonstance très particulière, où les soldats étaient en difficulté et où leurs valets sont intervenus avec des pierres ; ils n’avaient évidemment aucune protection. Il en va de même, à peu de chose près, avec le cacula et le lixa qui posent deux autres problèmes délicats. Si Cicéron mentionne un cacula comme servant d’un centurion, qui était un officier subalterne plutôt qu’un sous-officier,16 César n’emploie pas ce mot qui est rare et de plus difficile à comprendre. Quant au lixa, qui n’est pas attesté dans le Bellum gallicum, il était sans doute un civil suivant l’armée, sans doute attaché au train ou plutôt chargé de procurer des loisirs aux 8 9 10 11 12 13 14 15 16
Caes. Gall. 1,40,5. En dernier lieu, voir Le Bohec 2016. Bell. Afr. 47,3. Caes. Gall. 1,22,1 ; 1,50,4 ; 2,16,1 ; 5,8,6 ; 5,48,2 ; 5,52,4 ; 5,72,1 ; 6,3,2 ; 7,90,3 ; 8,17,1 ; 8,3,3. Caes. Gall. 1,23,2 (fugitiui) ; 5,72,1 (perfugae). Là-dessus, voir Wolff 2009. Caes. Gall. 2,24,2 ; 2,26,5 ; 2,27,1 ; 6,36,1 ; 6,36,3 ; 6,40,1 ; 6,40,5. ThLL 2,1, col. 178–179, s. v. Calo. Cic. Att. 5,21,4. Voir Harmand 1967 : 329 et 344.
Les esclaves dans le Bellum gallicum de César (Fortsetzung)
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soldats.17 Dans ces deux cas, on peut toujours se demander si l’on a affaire à un métier, une fonction, ou à un statut juridique. 2. L’ASPECT JURIDIQUE : LA PERTE DE LA LIBERTÉ En théorie, la perte de la liberté résultait d’un processus simple : le vaincu et tous les siens devenaient esclaves du vainqueur, s’il acceptait de se constituer prisonnier sur le champ de bataille. Il y avait néanmoins des moyens d’échapper à ce triste sort, on le verra. Au centre de la définition se trouve la question du butin. « Ce que nous prenons à l’ennemi, dit le juriste Gaius, devient nôtre également par considération naturelle ».18 La coutume apportait une précision : « Le butin d’une ville prise d’assaut (appartient) aux soldats et celui d’une ville qui a capitulé aux chefs ».19 Dans le cas de la guerre des Gaules, un passage de César, à propos des Nerviens qui venaient d’être défaits, donne au butin le nom de praeda et précise qu’il était composé des prisonniers (captiui) et du bétail (pecus), probablement ce qui avait le plus de valeur.20 Et, dans ce cas, il ne fait aucun doute que les prisonniers étaient devenus des esclaves. Les esclaves étaient donc d’abord les soldats qui s’étaient rendus et qui, prisonniers, devenaient par le fait même esclave. Ce point peut paraître une évidence, mais il a été rarement développé ; tout les historiens sont néanmoins d’accord pour reconnaître que la guerre fournissait l’essentiel de cette main d’œuvre bon marché.21 Mais les épouses des vaincus devenaient également les esclaves des vainqueurs. Les textes ne s’appesantissent pas sur ce sujet, parce qu’il relevait de l’évidence. Quand un général avant une bataille disait aux soldats qu’ils se battaient pour leurs femmes et leurs enfants, ce n’était pas de la pure rhétorique.22 D’ailleurs a-t-on envie de faire de l’éloquence dans ces circonstances ? Et César montre bien que les combattants, à l’approche de l’ennemi, essayaient de mettre les femmes à l’abri ; ainsi firent les Germains en 58 et les Nerviens en 57.23 Ils savaient qu’elles seraient réduites elles aussi en servitude et que les vainqueurs les violeraient systématique17
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Harmand 1967 : 157 cite notamment Bell. Afr. 84,1 ; l’intervention d’un lixa dans la bataille de Thapsus ne prouve pas qu’il était un soldat, et l’on a peut-être la même occurrence que pour les calones qui ont été cités plus haut parce qu’ils avaient participé à un combat. Sur calo, voir aussi : Rouland 1975 : 34, ouvrage repris dans la colléction Latomus, vol. 151, 1977 (Bruxelles) (ibid., autres discussions sur cacula et lixa, mots absents du Caes. Gall.) ; Petriko vits 1980 : 1027–1035 : ils étaient des organisateurs de spectacles. Gai. inst. 2,69 : Ea quoque, quae ex hostibus capiuntur, naturali ratione nostra fiunt. Tac. hist. 3,19,6 (voir 33) : expugnatae urbis praedam ad militem, deditae ad duces pertinere. Caes. Gall. 6,3,2 (Nerviens) ; 6,18,1 (Ménapes). Harmand 1967 : 413s. ; Bradley 1994 : 27 et 32–34 ; il relève le mépris qui pesait sur ces hommes, d’après une phrase de Quintilien, inst. 11,3,83. Lendon 1999 : 187–226. Caes. Gall. 1,51,3 (Suèves, Germains) et 2,16,5 (Nerviens, Belges).
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ment après leur victoire, pour se défouler de la peur qu’ils avaient ressentie pendant le corps à corps, pour mieux humilier les vaincus et pour apprendre à ces femmes quel était leur nouveau statut. César passe sous silence ces viols, non pas parce qu’il les désapprouve, mais parce qu’ils n’ont pas d’intérêt pour lui : c’était trop banal. Un passage du Bellum gallicum a été rarement commenté sans doute parce qu’il n’a pas été compris ou parce qu’il a paru aux commentateurs ne présenter qu’un intérêt mineur. Lorsque les Romains arrivèrent devant Gergovie, en 52, juste après le début de la révolte, les Gaulois étaient occupés à réparer le rempart oriental de leur grande ville. Des femmes virent que les légionnaires s’avançaient sans crainte et qu’ils entreprenaient les uns de défoncer la porte de la ville, les autres d’escalader le rempart. Quelques-unes d’entre elles se mirent nues devant eux, d’autres glissèrent le long du mur pour se jeter dans leurs bras.24 Il ne faut pas croire que c’était là une attitude courante. Mais, quelques semaines auparavant, les Romains avaient pris Avaricum (Bourges) et, rendus furieux par la trahison des Gaulois qui avaient massacré des Romains à Cenabum (Orléans), excédés par la durée du siège, ils n’avaient fait aucun prisonnier ; ils avaient tué tous les habitants, sans tenir compte de leur âge ni de leur sexe.25 Ces dames de Gergovie voulaient sauver leur vie à défaut de leur vertu. Elles incitaient les Romains à faire l’amour et pas la guerre. Si César ne mentionne pas les enfants, c’est parce que leur sort était évident, et n’était pas intéressant à ses yeux. En revanche, il rappelle que les esclaves fugitifs devaient être restitués ;26 ils faisaient partie du lot des esclaves pris aux vaincus. Tous les autres biens qui se trouvaient sous les tentes des vaincus ou dans leurs villes faisaient partie du butin, au même titre que les humains. César ne parle pas des valeurs qui s’y trouvaient, sauf par allusion, mais il insiste sur le bétail qui semble avoir eu une importance particulière en Gaule, notamment chez les Nerviens et chez les Ménapes, comme on l’a dit ; leurs troupeaux devaient être gras et abondants. Concrètement, César semble avoir pris tous les pouvoirs et ne pas s’être conduit comme faisaient les chefs de l’époque de Polybe ou de l’époque de Tacite. Trois cas sont attestés. Il pouvait décider souverainement de donner des esclaves aux soldats. Il pouvait mettre en vente les prisonniers, sans que l’on sache avec précision comment s’effectuaient les transactions ; il la mentionne seulement par le verbe uendere ; ainsi fit-il de 53.000 Atuatuques en 57.27 Il pouvait enfin les faire vendre aux enchères, « sous la couronne », sub corona.28 Cette expression a été étudiée dans le beau livre du Professeur Welwei cité plus haut, et nous n’y reviendrons pas sauf pour rappeler deux points. D’une part, Aulu-Gelle a expliqué le sens de cette expression.29 Les marchands d’esclaves devaient indiquer d’où provenaient leurs marchandises. Quand ils ne le 24 25 26 27 28 29
Caes. Gall. 7,47,5–6. Le Bohec 2011. Caes. Gall. 7,28,4–5. Caes. Gall. 1,27,3. Caes. Gall. 2,33,7 (voir 6). Caes. Gall. 3,16,4. Gell. 6,4.
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savaient pas, ils devaient coiffer les esclaves d’un bonnet appelé pilleus. Quand c’étaient des prisonniers de guerre, ils leur mettaient sur la tête des couronnes de feuillage. D’autre part, cette pratique permet de mieux comprendre le sort des Vénètes vaincus en 56. César considéra que ce peuple, en retenant comme captifs des « ambassadeurs », n’avait pas respecté le droit « international » de l’époque, un droit non écrit, coutumier et universellement accepté. Omni senatu necato, reliquosque sub corona uendidit – « Il fit mettre à mort tous les sénateurs et il vendit les autres sous la couronne ». Les premiers commentateurs ont considéré que César avait anéanti le peuple des Vénètes, qu’il avait commis un génocide. En réalité, il n’a fait vendre que les combattants pris les armes à la main. Les hommes qui ne se trouvaient pas dans ce cas, les vieillards, les femmes et les enfants furent épargnés. Cette bienveillance s’explique peut-être par un sentiment d’humanité qui se cachait profondément chez ce proconsul par ailleurs d’une grande indifférence devant le malheur des humains. Il s’explique peut-être aussi par le peu d’intérêt qu’offraient des esclaves sans qualification professionnelle particulière. C’était là une des caractéristiques du temps : les Italiens ne recherchaient plus une main d’œuvre incompétente et à bon marché ; ils voulaient des esclaves capables de rendre des services exigeant du talent. Un mot de Cicéron a été souvent négligé, mais il apporte des précisions intéressantes. L’orateur venait d’apprendre que le proconsul envisageait de débarquer en Bretagne. Il s’en étonna dans une lettre adressée à son ami Atticus : qu’allait-il faire dans cette île ? On ne pouvait y trouver ni lettrés, ni musiciens.30 On voit donc quel genre d’hommes était recherché sur les marchés d’esclaves. 3. LES MOYENS D’ÉCHAPPER À L’ESCLAVAGE D’ailleurs, tous les prisonniers n’étaient pas destinés à l’esclavage et l’on sait qu’existaient des moyens d’échapper à ce destin. La mort vient au premier rang. Les légionnaires, qui ne tenaient pas à faire des prisonniers ni à avoir des esclaves à tout prix, pouvaient décider de tuer tous les ennemis. C’est ce qui arrivait parfois quand ils étaient excédés pour une raison ou pour une autre et l’on a évoqué plus haut le cas d’Avaricum (Bourges). César, rapportant la prise de la ville, s’étonna tout de même parce que ses soldats ne prenaient même pas le temps de faire du butin ; ils tuaient tout ce qui vivait. En 53, il ne fit pas de prisonniers chez les Éburons, victimes d’une guerre d’extermination31 En 52, il mit à sac Cenabum et quelques petits sites, plus Avaricum déjà mentionnée.32 En 51, après la reddition d’Uxellodunum, il fit couper les mains à tous ceux qui avaient pris les armes,33 traitement qui les rendait impropres au statut d’esclaves et qui les condamnait à 30 31 32 33
Cic. fam. 7,7,1 et Att. 4,16,7. (= Cic. Corresp. 139,1 et 140,7). Caes. Gall. 6,32. Caes. Gall. 7,3 (Cenabum), 7,11 et 12. Caes. Gall. 8,44.
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mort pour la plupart d’entre eux, en raison des crises cardiaques, des hémorragies, de la septicémie et du tétanos. En outre, les soldats vaincus avaient toujours la possibilité de se suicider, de se donner « la mort volontaire » comme l’appelle Jean-Louis Voisin. Le récit de la bataille du Teutoburg, rapporté par Dion Cassius, montre des exemples de soldats romains qui préfèrent la mort à l’esclavage.34 César, en outre, pouvait libérer des captifs sans pour autant avoir le sentiment de mettre en danger l’économie de l’empire. Il l’a fait pour des raisons qu’il n’a pas jugées utile de préciser. En 58, les survivants des Helvètes vaincus sont renvoyés dans leurs montagnes. Mais, après la reddition de Vercingétorix, il dit clairement qu’il accorde la liberté aux Arvernes et aux Éduens qui étaient avec son ennemi à Alésia dans un but politique : ils appartenaient à deux grands peuples de la Gaule et il espérait gagner leur amitié en libérant ces hommes qui s’étaient égarés.35 En outre, les bénéficiaires de cette grâce devenaient les obligés du généreux donateur ; en droit romain, ils se transformaient en clients et lui en patron, ce qui créait des liens très forts, du point de vue de la psychologie, de la morale et de la loi. Cette générosité avait tout de même représenté la perte de 20.000 esclaves ; on voit que ce n’était pas impossible. 4. LA QUESTION DU NOMBRE Ce chiffre de 20.000 guerriers libérés conduit à poser la question des effectifs d’esclaves pris ou libérés. Quels chiffres peuvent être avancés ? Les historiens de la guerre des Gaules ont avancé des chiffres très variables, allant de 400.000 à 1.000.000 d’hommes réduits en servitude.36 César reste très discret sur ce point, sans doute parce qu’il n’y attachait pas une grande importance et parce que ses lecteurs savaient à quel ordre de grandeur il fallait penser. Nous nous trouvons devant trois possibilités et devant un débat à reprendre. Dans un seul cas, César donne un chiffre précis : 53.000 esclaves pris chez les Atuatuques.37 S’il apporte cette précision, c’est peut-être parce que ce total était exceptionnel ; mais dans quel sens ? Très grand ou très petit ? On ne sait. Dans plusieurs passages, il reste dans le vague : « beaucoup »38 ou « peu nombreux »39 ; ou encore « quelques milliers »40. Sur le mont Auxois, à Alésia, Vercingé34 35 36
37 38 39 40
Cass. Dio. 56,18–24. Caes. Gall. 7,90,3 ; Harmand 1967 : 413s. D’après App. Celt. 1 : 1.000.000 d’hommes. Il mentionne aussi 400 peuples soumis (invraisemblable) et 800 agglomérations détruites (étonnant). Plut. Caes. 15,5 : il a vaincu beaucoup de peuples et il s’est montré très clément à l’égard des prisonniers ; Vell. 2,47,1 : plus de 400.000 morts. Là-dessus, Volkmann 1990 : 51 et 116 ; Schumacher 2001, cité plus haut, décrit un César réalisant « un asservissement massif » (point devue excessif, comme on le verra). Caes. Gall. 2,33,7 (voir 6). Caes. Gall. 5,23,1 (à la fin de la campagne en Bretagne) ; 6,3,2 (chez les Nerviens). Caes. Gall. 1,50,4 ; 5,48,2 ; 5,52,4 ; 5,72,1. Caes. Gall. 8,3,3 (d’après Hirtius et pas César, il est vrai).
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torix avait concentré 80.000 soldats d’élite. César en libéra 20.000, Éduens et Arvernes. Un certain nombre de ces combattants étaient morts lors des tentatives d’assaut contre le rempart des Romains. Les autres survivants, puisqu’ils n’ont pas été libérés, furent vendus comme esclaves ; mais il est impossible de les chiffrer. Dans le cas des Vénètes, il faut penser à plusieurs dizaines de milliers d’hommes, dans les 40 à 50.000, car c’était là l’effectif d’une armée capable de s’opposer aux légions du proconsul. Souvent, la réduction en esclavage n’est même pas mentionnée dans le Bellum gallicum. Peut-on reprendre le débat ? Il est tout au moins permis d’essayer. Deux éléments peuvent nous guider : pour une grande bataille, il fallait mettre en jeu plusieurs dizaines de milliers d’hommes, de 40 à 50.000 comme on vient de le dire. Dans le cas d’un siège, on peut compter sur un chiffre analogue, puisque les Atuatuques, déjà mentionnés, avaient fourni 53.000 esclaves. Il est évidemment difficile de dire si telle ou telle ville avait 40 ou 50.000 habitants, ou plus, ou moins, suivant que la guerre était là ou non. On peut, à la suite de J. Harmand, et en complétant son travail, dresser une liste des grands sièges et des principales batailles de cette guerre.41 En 58, les Helvètes sont battus près d’Autun, mais non réduits en servitude (nous mettons de côté les Suèves d’Arioviste, des Germains).42 Des Belges divers furent vaincus en 57, notamment les Nerviens au Sabis ;43 puis, à leur tour, Vénètes44 et Aquitains45, en 56 ; les Bretons en 55 et 5446. Des rencontres diverses eurent lieu en 53, et César décida notamment d’exterminer les Éburons.47 Il y eut plusieurs sièges en 52, Cenabum,48 des petits sites comme Vellaunodunum et Nouiodunum49, Avaricum50, Alésia51 ; une seule bataille importante est attestée, la bataille de Lutèce52. Enfin, en 51, on peut retenir les sièges d’Uxellodunum53 et de Lemonum54, et les cam41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54
Harmand 1967 : 413s. Liste très incomplète établie par Volkmann 1990 : 51–52. Caes. Gall. 1,29,3 : sur 263.000 Helvètes recensés avant la campagne, seuls 110.000 purent rentrer chez eux. Caes. Gall. 2,28,3 ; nous préférons parler de bataille du Sabis plutôt que de bataille de la Sambre, l’identification n’étant plus assurée. De 600 sénateurs, ils étaient réduits à 3, et de 60.000 guerriers à 500 : César « leur laissa la jouissance de leurs terres et de leurs villes ». Caes. Gall. 3,16,4 (voir plus haut). Caes. Gall. 3,26,6 : sur les 50.000 combattants, un quart seulement échappa aux coups des légionnaires. Caes. Gall. 4,36 (en 55, César ne prend que des otages) ; 5,22,4 (en 54, il demande en plus un tribut). Caes. Gall. 6,32 ; ce fut un vrai génocide puisque le nom même d’Éburon disparut. Caes. Gall. 7,3 ; il fallait venger le massacre des citoyens romains qui avaient été tués dans cette agglomération. Caes. Gall. 7,11 (Vellaunodunum) et 12 (Nouiodunum). Caes. Gall. 7,28,4–5 : sur 40.000 habitants, seuls 800 hommes réussirent à s’enfuir. Le Bohec 2012 ; Volkmann 1990; on compte au moins 50.000 esclaves parce que César devait récompenser les soldats de 10 légions (en réalité, elles étaient sans doute au nombre de 12). Caes. Gall. 7,62 : ce fut un grand massacre, mais César ne donne pas de précisions sur le nombre de morts. Caes. Gall. 8,44, par Hirtius (sans indication de chiffres). Caes. Gall. 8,26,2 : cas particulier, des Gaulois sont assiégés par des Gaulois.
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pagnes conduites contre les Bituriges55, les Carnutes56, les Bellovaques57 et les Armoricains58. Au total, on peut additionner cinq grands sièges plus deux petits, six grandes batailles et cinq campagnes. Si nous comptons une moyenne très approximative de 50.000 personnes impliquées dans chacun de ces épisodes, nous arrivons à environ 800.000 personnes. Mais souvent les vaincus ont été soit anéantis soit épargnés, en sorte que le nombre total d’esclaves ramenés de Gaule nous paraît finalement bien plus modeste qu’on ne l’a dit dans le passé. 5. LES FONCTIONS DES ESCLAVES Le petit nombre d’esclaves retenus par César s’explique par sa politique et par les fonctions auxquelles il les destinait. D’une part, il voulait montrer sa générosité, sa clementia, pour inciter les adversaires potentiels à éviter le conflit. D’autre part, et surtout, il tenait compte de ce qu’il pouvait faire des prisonniers. Un étonnant paradoxe peut être relevé ici. Alors que les esclaves ne servaient normalement pas dans l’armée romaine, parce qu’ils étaient indignes de porter les armes (surtout ceux qui s’étaient rendus), c’est dans le domaine militaire qu’ils étaient le plus souvent utilisés ; peut-être vaudrait-il mieux dire : « paramilitaire ». Marcien, au IIIe siècle, le rappelle : Ab omni militia serui prohibentur ; alioquin, capite puniuntur.59 Il est vrai que Macrobe dit que César, manquant d’hommes libres pour en faire des soldats, mobilisa des esclaves.60 Mais ce texte paraît invraisemblable ; à ce moment-là, l’Italie et l’empire pouvaient fournir autant de recrues qu’il en était besoin61. Dans un autre passage, on voit les calones intervenir, « sans armures » précise César, au cœur d’une bataille62. Cette mention veut simplement dire qu’ils étaient déterminés et qu’ils ont montré du courage, puisqu’ils n’étaient pas des soldats et donc n’avaient en règle normale aucune arme, ni défensive ni offensive63. Le plus souvent, les captifs, candidats au statut d’esclaves, étaient très utilisés pour le renseignement.64 Ils étaient très souvent accompagnés par des transfuges 55 56 57 58 59 60 61 62 63 64
Caes. Gall. 8,3,3 : avant leur entrée sur le territoire biturige proprement dit, les Romains avaient fait plusieurs milliers de prisonniers. Caes. Gall. 8,4–5 et 31 (toujours pas de précisions chiffrées). Caes. Gall. 8,21,3, et 22,2 : plusieurs milliers d’hommes ont péri, et César ne demande rien. Caes. Gall. 8,31,4. Dig. 49,16,11. Macr. 1,32. Harmand 1967 : 258 ; Welwei 1988 : 5–27 : le recrutement d’esclaves a existé, mais il est exceptionnel. Nous pensons que les esclaves devaient recevoir la liberté avant d’être inscrits sur les listes de soldats. Caes. Gall. 2,27,1. Sur calo, voir aussi : Rouland 1975. Harmand 1967 : 157–160, se fonde surtout sur des références prises dans le Bellum ciuile et dans le corpus césarien. Caes. Gall. 5,72,1 ; Austin/Rankov 1995.
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qui étaient aussi bavards qu’eux. Plusieurs types d’informations peuvent être recensés. Le plus simple, c’est le renseignement historique : César, une fois vainqueur, veut comprendre ce qu’il n’a pas compris à un moment quelconque de l’action. Après la bataille d’Autun, il pose des questions à des Helvètes qui se sont rendus.65 De même, en 54, des Bretons lui expliquent que leurs compatriotes ont eu peur à la vue des vaisseaux des Romains.66 Il ne s’agissait pas d’une simple curiosité scientifique ; ces interrogatoires permettaient de mieux préparer la suite des opérations. On passe à un degré supérieur de l’intérêt militaire avec le renseignement tactique. Toujours en 54, d’autres Bretons qui ont été faits prisonniers disent aux Romains où leurs compatriotes ont installé des pièges, à savoir des pieux cachés sur la rive de la Tamise et dans l’eau.67 Plus tard, en 52, Vercingétorix décide de changer de tactique ; il se rapproche d’Avaricum et il prépare une embuscade ; lui aussi est trahi par les siens, des captifs.68 Le renseignement stratégique rend aussi de grands services à César qui cherche à interroger des prisonniers. Avant la bataille décisive contre Arioviste, un coup de main livre à César des captifs qui lui révèlent les projets d’Arioviste.69 En 54, c’est encore par des prisonniers qu’il apprend que les troupes de Sabinus et de Cota ont été anéanties dans une embuscade et que Cicéron est assiégé dans son camp par des Gaulois.70 En 52, les plans de Vercingétorix sont dévoilés au Romain par des captifs et des transfuges.71 En 51, il suffit d’un prisonnier pour que César soit informé des projets de Correos le Bellovaque.72 On rapprochera de ce dernier cas le renseignement géographique. César a appris que les Nerviens sont installés près du Sabis où ils l’attendent ; il fait interroger des captifs pour découvrir où se trouve ce fleuve.73 Les prisonniers ou les esclaves ne sont pas seulement utilisés pour le renseignement. Ils peuvent faciliter le recours au stratagème, à la ruse qui est, dans ce cas, une forme de guerre psychologique. En 52, Vercingétorix déguise des esclaves en légionnaires, leur donne l’ordre de dire qu’ils sont affamés, et il les présente à ses lieutenants pour leur rendre courage.74 Outre les activités « paramilitaires » des esclaves, on relève des finalités évidemment civiles. Parfois, ils se livraient à des activités dont la nature n’est pas précisée. Avant la bataille d’Autun, en 58, un certain nombre d’entre eux prirent la fuite vers le camp des Gaulois ; après la défaite de ces derniers, ils furent récupérés
65 66 67 68 69 70 71 72 73 74
Caes. Gall. 1,22,1. Caes. Gall. 5,8,6. Caes. Gall. 5,18,4. Caes. Gall. 7,18,1. Caes. Gall. 1,50,4. Caes. Gall. 5,48,2, et 52,4. Caes. Gall. 7,72,1 (il s’agit du siège d’Alésia). Caes. Gall. 8,17,1. Caes. Gall. 2,16,1. Caes. Gall. 7,20,9.
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par leurs anciens maîtres75. L’histoire ne dit pas ce qui se passa alors, mais on peut supposer que des punitions leur furent infligées.76 Leur utilité est au moins soupçonnée dans d’autres cas. Les soldats avaient des serui, des calones ou des mancipia77, qu’ils utilisaient sans doute pour leurs besoins domestiques, faire la cuisine, entretenir le linge et les armes, etc. Ils pouvaient même être envoyés en corvées de fourrage.78 D’autres étaient vendus à des marchands qui suivaient l’armée et qui les revendaient à l’arrière, en Italie ou dans les provinces. César rappelle que des Cimbres et des Teutons, vaincus à Aix et Verceil en 102 et 101 avant J.-C., furent transformés en gladiateurs et qu’ils participèrent à la révolte de Spartacus entre 73 et 71.79 Il est toutefois raisonnable de supposer que ceux qui avaient quelque autre talent que leur force brute pouvaient devenir domestiques, comptables, secrétaires, etc. 6. BILAN La lecture du Bellum gallicum montre que César ne se lançait pas dans une quête forcenée des esclaves. Les ennemis pouvaient être anéantis physiquement sans drame pour les vainqueurs, et les prisonniers de guerre étaient souvent libérés. Il en résulte que le nombre d’esclaves fournis par la guerre des Gaules a sans doute été bien moindre qu’on ne l’a dit. Ni l’armée romaine ni les exploitants italiens de cette époque – il faut bien préciser : de cette époque – ne recherchaient d’hommes ne possédant aucune qualification. En revanche, les domestiques, les comptables, les secrétaires, les cuisiniers, les musiciens, …, et ceux qu’on pouvait leur assimiler, ceux que l’on appelle parfois les esclaves aux mains blanches, étaient davantage demandés sur les marchés italiens ou provinciaux. BIBLIOGRAPHIE Alföldy, G. 2011 : Römische Sozialgeschichte, Stuttgart4. Austin, N. J. E. / Rankov, N. B. 1995 : Exploratio. Military and Political Intelligence in the Roman World from the Second Punic War to the Battle of Adrianople, London. Baltrusch, E. 2007 : Caesar, Darmstadt. Bradley, K. 1994 : Slavery and Society at Rome, Cambridge. Carandini, A. 1998 : Schiavi in Italia, Rom. Christ, K. 1980 : Römische Geschichte, Darmstadt. – 1982 : Römische Geschichte und Wissenschaftsgeschichte 1 : Römische Republik und Augusteischer Principat, Darmstadt. – 1994 : Caesar. Annäherungen an einen Diktator, München. 75 76 77 78 79
Caes. Gall. 1,27,3. Rouland 1975 : 28s. et 34 ; Watson 1987 : 115–133. Le mot ne se trouve que dans Bell. Afr. 47,3. Caes. Gall. 7,20,9 ; 8,10,4. Caes. Gall. 1,40,5.
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POMPEY’S CLIENTELAE IN HISPANIA A Reappraisal* Francisco Pina Polo, Zaragoza It is commonplace in the biographies of Pompey the Great to refer to the vast clientelae he acquired as the fundamental basis of his influence in Rome.1 The clientelae he inherited from his father Pompeius Strabo in Picenum allegedly constituted his starting point and might have served to promote Pompey in the early stages of his political career.2 From then on, each of his victorious interventions in various regions of the Empire would have resulted in his acquiring massive clientelae. Pompey would thus have been not only the great patron of Picenum but also one of the main patrons in Cisalpine Gaul, Gallia Narbonensis, Sicily, Sardinia, Africa, Hispania and the Orient. Many of these biographies suggest that every time Pompey took command of an army to face Sertorius, the pirates, Mithridates, etc., he had in mind two main objectives: firstly military victory, but also the accrual of numerous clients amongst defeated populations in order to gather universal clientelae.3 It is hardly surprising that Ernst Badian, in his Foreign Clientelae, dedicated a full chapter to analysing Pompey’s rise in Rome as a result of the increase in his provincial clientelae.4 Badian considered the actions of the Roman imperator a good example of his general thesis that personal relations established between provincials and prominent Roman individuals could have been the basis for Roman control over the provinces of the Empire.5 When Badian described how Pompey aimed to take command over operations against Sertorius in Hispania, he claimed: “During the next few years Pompey pacified Gaul and (with the help of Metellus) Spain. With the military details we are not concerned. What interests us is the extension of his personal influence over the remaining Western provinces – except for * 1 2 3
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Project “Las clientelas provinciales en el Occidente del Imperio romano” (HAR2010–16449), Ministerio de Ciencia e Innovación, Gobierno de España. – This paper was written during my stay as a Member of the Institute for Advanced Study in Princeton in 2012. Gelzer 1962: 95: “Seine Machtstellung beruhte auf seinen Clientelen.” Seager 1979: 2: “Picenum, the scene of Strabo’s greatest success, was also the chief source of his own power and of the clientela that was his most useful legacy to his son.” Pompey could have also inherited significant clientelae from his father in the Cisalpine (p. 88). Seager 1979: 55: in the Orient Pompey amassed enormous wealth but more importantly an unprecedented number of clientelae: “Not merely individuals and cities but provinces and kingdoms acknowledged him as their patron.” Christ 2004: 214 f.: Pompey’s stay in Sicily, the north of Africa, Hispania and the Orient secured him immense clientelae in all the regions of the Empire. Badian 1958: 252–284. Badian 1958: 262.
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Sardinia, relatively unimportant: after the Cisalpine, Sicily and Africa, he now extends his power over the Transalpine and the Iberian Peninsula. This is not accidental: we have seen that Pompey’s experiences and actions reveal the deliberate acquisition and use of personal power”.6 Badian later concluded: “… Pompey first combines the client army and a network of clientelae spanning the Roman world into the bases of personal predominance”.7 * Scholarship, therefore, is unanimous: Pompey had huge provincial clientelae across the Roman Empire, and this was one of the bases of his influence in Rome. Yet, two questions arise in response to that unanimity: do ancient sources provide sufficient evidence to support this claim? To what extent did these provincial clientelae actually support Pompey’s power? This matter obviously exceeds the purposes of this paper, as I wish to focus mainly on Hispania, one of the territories in which Pompey might have played the role of the great patron. A letter from Dolabella to Cicero in May of 48 is usually mentioned as testimony to the existence of large Pompeian clientelae.8 Dolabella stated that Pompey “used to boast about his clientelae of kings and peoples”. The phrase in itself does not prove that such clientelae existed. It does state that Pompey used to flaunt them and that he unquestionably used his relations with provincials as a political tool – difficult as it might be to differentiate between clientela and amicitia.9 It is apparent that, given the non-contractual nature of client-patron relationships, there was no register of clients or any document that might demonstrate Pompey’s claims, though his brilliant intervention as imperator in various regions of the Empire might have rendered such personal propaganda quite credible.10 However, the rest of Dolabella’s letter to Cicero also makes worthwhile reading, because he regretted that neither Pompey’s past glory nor the clientelae he exhibited had served him in defeating Caesar or even in making an honourable retreat. Quite the opposite, in fact, as at that point in the civil war Pompey had been expelled from Italy, 6 7 8
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Badian 1958: 278. Badian 1958: 290. Cic. fam. 9,9,2: Animadvertis Cn. Pompeium nec nominis sui nec rerum gestarum gloria neque etiam regum ac nationum clientelis, quas ostentare crebro solebat, esse tutum, et hoc etiam, quod infimo cuique contingit, illi non posse contingere, ut honeste effugere possit, pulso Italia, amissis Hispaniis, capto exercitu veterano, circumvallato nunc denique, quod nescio an nulli umquam nostro acciderit imperatori. – “You observe that neither by the glamour of his name and achievements, nor by his patronage of divers kings and peoples, which he used frequently to boast about, has Cn. Pompeius been protected, and that even that boon which any man of the lowest rank can claim – the possibility of escape without dishonour – cannot be granted to him, expelled as he is from Italy, both the Spains lost, his army of veterans captured, and finally himself now beleaguered – a thing that has never happened before, I believe, to any general of ours.” (trans. W. G. Williams). See Burton 2003; Burton 2011. Schoenlin Nicols 1992: 190: “Success in advertising the extent and importance of one’s clientele became very important. Truth in advertising, however, was at that point hard to verify.”
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his army had been defeated and he had lost the two provinces in Hispania, enduring a debacle not been suffered by any other Roman general. Dolabella seems implicitly to wonder where those vast Pompeian clientelae were, and of what benefit they had been during the war. He was quite right to do so, because opposition against Caesar had been remarkably feeble. Caesar’s advance towards Rome in 49 was extraordinarily rapid after crossing the Rubicon and met with no significant resistance, even in Picenum, a region considered the main stronghold of the Pompeian family.11 Having taken control of the situation in Rome, and instead of pursuing the Pompeians into Greece, Caesar chose to head for Hispania, where the bulk of Pompey’s army was under the command of his legates. Resistance did not last long there either. In Hispania Citerior, Pompey’s defeat at the battle of Ilerda resulted in Caesar gaining control over the province. In Caesar’s account he mentions the support of a series of indigenous peoples – Tarraconenses, Iacetani (perhaps better Lacetani), Ausetani, Illurgavonenses, Oscenses and Calagurritani, as being crucial to the final outcome of the battle.12 All of them were living in North-Eastern Hispania, a region in which Pompey had been most active during the Sertorian war and where a higher presence of Pompeian clients could be expected. War moved next to Hispania Ulterior. There, Pompey’s inexpert legate M. Terentius Varro met with the hostility of some of the most important cities (Carmo, Gades, Corduba and Italica), which prompted his surrender without a fight.13 Hence, as Dolabella claimed in his letter, Hispania fell into Caesar’s hands in a matter of a few months. We can then legitimately pose the same question that was implicitly asked by Dolabella: what about the supposedly extensive clientelae that Pompey had in Hispania? Did they play any part at all in the struggle? * The most recent and far-reaching study of Pompey’s clientelae in Hispania has been conducted by Luis Amela.14 He synthesizes and expands the theses formerly held by other scholars, concluding that Pompey’s clientela achieved great relevance and extent as much in Hispania Citerior as in the Ulterior, and as much on the coast as inland.15 In his opinion, the creation of those provincial clientelae could have been a planned objective resulting from a carefully thought-out strategy. Pompey would have aspired to control the territory and its resources by creating a network of clients. From the early stages of his political and military career he would have tried to establish personal relationships in every possible region. In that sense, Pompey would have understood better than any other Roman politician that in order to achieve individual power over the entire Roman Empire, the assistance of provincials would be required.16 11 12 13 14 15 16
Cic. Att. 7,13; 7,21. Caes. civ. 1,60. Caes. civ. 2,19–20. Amela Valverde 2002. Amela Valverde 2002: 315–317. Amela Valverde 2002: 315.
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As in Picenum, Pompey’s clientelae in Hispania supposedly originated through contacts inherited from his father Pompeius Strabo. According to Amela, the first attested clients of the Pompeian family were actually the cavalry of the turma Salluitana, who were granted citizenship by Pompeius Strabo, as the so-called Bronze of Ascoli certifies.17 But it was the Sertorian war that might have made possible the creation and consolidation in the 70’s of the Pompeian clientela in Hispania. In the following two decades, contacts between Hispanians and Pompey would have survived through unknown intermediaries, and been resumed directly with the appointment of Pompey as the governor for both Hispanian provinces between 55 and 49. After the Sertorian war Pompey never returned to Hispania, though during that time legates acting on his behalf could have secured and expanded his clientelae.18 These clientelae might have consisted of individuals from all social sectors. In accordance with Amela, from both a qualitative and a quantitative viewpoint their relevance would have become apparent during the civil war, during which clientelae would have shown greater loyalty towards Pompey, particularly on the military field and even after Caesar’s victory. The prestige that Pompey the Great enjoyed in Hispania would have remained unsullied after the civil war despite his defeat, as demonstrated by the fact that many Hispanians took the name Pompeius.19 These conclusions are essentially the same as those reached by previous scholars. Based on the fact that provincial clientelae were inherited by the descendants of those who owned them, von Premerstein emphasized the continuity and commitment of Pompeian clientelae in Hispania for three generations: Pompeius Strabo, Pompey the Great and his sons Gnaeus and Sextus.20 Matthias Gelzer classified Pompey the Great as the major patron of Hispania and highlighted the loyalty of the Hispanian clients, which his sons inherited after his death to confront Caesar.21 More recently, Robin Seager categorically stated: “He (i. e. Pompey) built up clientelae all over Spain, which remained loyal even in the civil war against Caesar, despite Caesar’s efforts to establish his own influence during his governorship in 61”.22 Along the same line, Badian thought that Pompey took advantage of the contacts inherited from his father to control Hispania. He considered this to be evident above all from the unwavering loyalty shown by Hispanians towards Pompey and by the abundant recurrence of the name Pompeius in inscriptions throughout Hispania. In Badian’s opinion, Hispanians bearing the name Pompeius were descendants of those who had been given Roman citizenship by Pompey, and who would have become from that moment on his clients.23 * 17 18 19 20 21 22 23
CIL I2 709 = CIL VI 37045 = ILLRP 515 = ILS 8888. Amela Valverde 2002: 316. Amela Valverde 2002: 317. Premerstein 1937: 17. Gelzer 1949: 53. Seager 1979: 17. Badian 1958: 278. Also Seager 1979: 21 sees the granting of citizenship as the tool that enabled Pompey to create his network of clientelae.
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It is therefore unanimously accepted amongst scholars that Pompey the Great set up an extensive network of personal clientelae in Hispania which originated in the actions of his father Strabo, or even much earlier, as we shall see; that onomastics in Hispania clearly reflected Pompeian clientelae; and that Pompeian clients in Hispania always remained loyal to Pompey and to his sons. Despite general unanimity these conclusions must be qualified, if not directly challenged.24 A common starting point for all these interpretations is the alleged hereditary nature of provincial clientelae, based on the principle that clientelae in Rome were also hereditary. To what extent may that principle apply to provincial clientelae and what did it actually entail? In this respect, we must bear in mind first of all that the hereditary principle would in any case only apply within a family, not within a gens, since gentilician clientelae did not exist.25 In other words, references to provincial clientelae should mean the clientela of one particular individual or at most a family, but we cannot conceive of the clientela of the gens Pompeia in Hispania, just as the clientela of the gens Fabia, Claudia or Sempronia, for instance, did not exist. In Hispania, the first Pompeius to hold political office was Quintus Pompeius, consul in 141 and governor then of Hispania Citerior. Amela considers his actions in Celtiberia to be an advance of the later influence of the gens Pompeia in Hispania.26 In his opinion, some of the Pompeii detected in Celtiberia may have taken on that name from Q. Pompeius, who moved throughout an area in which some of the cavalry of the turma Salluitana were later recruited and in which Pompey the Great fought against Sertorius. Amela sees a connection between these facts and considers that Q. Pompeius might have made the name Pompeius known amongst Hispanian indigenous people and established initial contacts, which were continued by his descendants. Consequently he concludes that Q. Pompeius laid the foundations of Pompeian clientela in Hispania.27 Nonetheless, despite the homonymy there are no indications whatsoever of Quintus Pompeius belonging to the same family as Pompeius Strabo and Pompey the Great.28 It is therefore pointless to talk about family clientela or even less so gentilician clientela passed on through inheritance. Neither should we suppose that provincials would assume that all Romans of the same name were related, and consequently that a relationship established with one Pompeius automatically applied to all Pompeii. As in Rome, friendly or client-patron relations established in the provinces were above all of an individual nature. It is in theory possible that they might have extended to other family members, but this must not be seen as a duty deriving from the relationship. On the other hand, a client-patron relationship had to be nurtured to be of any use, which is to say that the patron had somehow to be 24 25 26 27 28
I share to a great extent the opinions put forward in this respect by Schoenlin Nicols 1992: specifically on Hispania 65–96. See also Dingmann 2007: esp. 254–282. See now a methodological reconsideration of foreign clientelae in Pina Polo 2015. Amela Valverde 2002: 84. Cf. Amela Valverde 2000a. Amela Valverde 2002: 87. Seager 1979: 1 considers the degree of kinship between Quintus Pompeius and Pompey the Great quite obscure, and in any event not very close.
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visible. This is why it is difficult to accept that the Hispanians who knew Quintus Pompeius and could have established some form of relationship with him in 141– 140 would have remained loyal for decades, through various generations, to a supposed family none of whose members they knew, and whose later presence in Hispania is not recorded. The second supposed landmark in the process of the creation of Pompeian clientelae in Hispania must be placed in the first century, within the context of the Social War. It is conventional to consider the members of the turma Salluitana mentioned in the Bronze of Ascoli as the main embryo of Pompeian clientela in Hispania Citerior. As is well known, they were a group of cavalry recruited in several Hispanian towns to act as auxiliary troops in the bellum Sociale. During the war they fought under the command of Pompeius Strabo at the siege of Asculum and were granted Roman citizenship as a reward for their courage. Criniti pointed out that the Hispanian equites might have enrolled deliberately to fight under Pompeius Strabo precisely because they were previously Pompeian clients.29 However, nothing lends weight to such an assumption, which is based on the unverified relationship between Strabo and the consul of 141 Quintus Pompeius. Nor does it seem likely that a group of Hispanians would have formed a military union of their own free will to join the ranks of their patronus. It all seems to point to the fact that the turma was recruited by the governor of Hispania Citerior at the time, Valerius Flaccus, and that once in Italy it was posted to the northern front where it joined the troops of Pompeius Strabo.30 What might have happened to these new Roman citizens after the bellum Sociale is totally unknown, though it is assumed that they must have returned to their hometowns in Hispania, where they would have remained loyal Pompeian clients from that point onwards out of gratitude for the honour they had received. Badian stated that the granting of citizenship by Pompeius Strabo must not be seen as an attempt to obtain personal power in Hispania, but certainly as “a long-term investment”.31 Given that Pompeius Strabo was never in Hispania, it is understood that it was his son Pompey the Great who benefited from this long-term investment. But what exactly is this supposed to mean exactly? Thirty Hispanian cavalrymen are mentioned in the Bronze of Ascoli. They came from towns in the Ebro valley. Without a doubt other Hispanians fought in the bellum Sociale, but their number is impossible to determine. As well as the members of the turma Salluitana other Hispanians might also have been given Roman citizenship, though at any rate it must have been a small minority. In the Republican period provincials were seldom granted citizenship. This was an extraordinary act arising from exceptional circumstances, as the epigraphic document clearly reflects. Even if we were to accept as conceivable that the new citizens returned to Hispania and remained loyal to their benefactor, we should seriously question that this could 29 30 31
Criniti 1970: 184 f. Cf. Amela Valverde 2000b and 2002: 90. Pina Polo 2003. Badian 1958: 278 n. 3. Cf. Amela Valverde 2002: 88: “El Bronce de Ascoli… podría explicar el posterior vigor del partido pompeyano en territorio peninsular.”
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have had any significant weight when Pompey the Great arrived in Hispania in the following decade to confront Sertorius. The ten towns mentioned in the Bronze of Ascoli are but a small proportion of the localities known on the Ebro valley in Antiquity, and are mostly of apparently lesser relevance. It is not credible that the towns in which these equites lived might have acted as the engine to create an extensive Pompeian clientela in such a vast territory. The effect, if it existed, must only have been local, since the cavalry were probably prestigious aristocrats who had some influence in their hometowns. Holding Roman citizenship placed them above their compatriots and reinforced their already prominent position in society. But this does not mean that upon their return to Hispania, and prompted by their influence, all the inhabitants of their towns automatically embraced Pompeian clientela, and it is even less plausible that they should feel compelled to take the side of a member of the Pompeian family in a military conflict. In conclusion, when the son of Pompeius Strabo arrived in Hispania with his legions it is possible, at most, that the cavalry of the former turma Salluitana, if still alive, had a friendly disposition towards him, which does not necessarily mean that they felt duty-bound to join his ranks in the war against Sertorius. And even if they felt so in a personal capacity, this does not mean that the entire population of their towns shared their feelings. Hispania Citerior was certainly the scene of battles fought between Pompeian and Sertorian troops as well as that of Pompey’s final victory. His triumph was, in any event, the result of his superior legions contending alongside the troops of Metellus in Hispania Ulterior, and not due to the supposed support of historical clients of the Pompeian family. Had these clients existed they would have amounted to a minute proportion of the population in Hispania. To be precise, it is evident from historical sources regarding this period that Sertorius had massive support in Hispania, while there are no indications of a Pompeian clientela that might have exerted any sort of influence on the outcome of the confrontation. Pompey was placed in command of the war against Sertorius in 77.32 He stayed in Hispania until 71, when he returned triumphantly to Rome. He never went back to Hispania, though he was the governor of both provinces through his legates in the 50’s. In the approximately six years of his stay in Hispania, he covered part of the Mediterranean coast, the Ebro valley and Celtiberia, reaching as far as the Duero valley in his fight against Sertorians. Consequently, Pompey was never personally in a large part of Hispania Citerior and never in Hispania Ulterior. During the Sertorian war his relationship with the indigenous population was generally not very friendly, as many of them were loyal allies of Sertorius and were therefore enemies of the senatorial troops. Even after Sertorius was murdered some towns in Hispania Citerior such as Osca (Huesca), Calagurris (Calahorra), Uxama (Osma) and others remained hostile towards Pompey until he crushed all resistance. In the last few months of 72 and in early 71, Pompey committed himself to reward and punish the indigenous peoples of Hispania Citerior according to the position they had taken during the war. He ordered the deportation of groups of Arevaci, Celtibe32
On the Sertorian war see Spann 1976; García Morá 1991; Konrad 1994 and 1995.
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rians and Vettones, and promoted the founding of cities such as Lugdunum of the Convenae in southern France and Pompelo (Pamplona) in the territory of the Vascones.33 Before setting off for Rome he had a monument built in the eastern Pyrenean border between Gaul and Hispania, and possibly another on the western side of the Pyrenees.34 Pompey presented himself in Rome not only as the victor in the war against Sertorius but above all as the victor over a large number of indigenous peoples. According to Pliny, the aforementioned monument in the Pyrenees alluded to the 876 oppida that had been subdued by him both in Hispania and in Gaul between the Alps and the border with Hispania Ulterior.35 The abundant archaeological sites in the northeast of the Iberian Peninsula whose destruction has been attributed to the Sertorian war demonstrate the brutality of the conflict.36 Under such circumstances it is plausible that the defeated indigenous population must have borne considerable resentment towards Pompey, who must have been viewed mainly as an enemy rather than as a patronus. It does not stand to reason to consider, as sometimes has been the case, that a defeated people would automatically become part of the clientela of the imperator who had subdued them.37 The deditio of a town or people involved their subjugation to Rome (sub imperio populi Romani), but did not entail the establishment of a personal or collective relationship with the victor.38 One of the actions attributed to Pompey in Hispania is the founding of Pompelo (Pamplona). The town would have been founded when the Sertorian war ended and, according to Strabo, its name was equivalent to Pompeiopolis, that is, “the city of Pompey”.39 Some have viewed the founding of Pompelo as a collective act of clientelism on the side of the Vascones towards Pompey. The Vascones would supposedly have been the allies of Pompey during the Sertorian war, and the Roman general would have rewarded them with the foundation of this urban centre while the indigenous people would have responded by giving his name to the town. I have argued elsewhere that the idea of some form of friendship between the Vascones
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Pina Polo 2004 and 2009a. Beltrán Lloris / Pina Polo 1994. Plin. NH 3,18: Citerioris Hispaniae sicut conplurium provinciarum aliquantum vetus formas mutata est, utpote cum Pompeius Magnus tropaeis suis, quae statuebat in Pyrenaeo, DCCCLXXVI oppida ab Alpibus ad fines Hispaniae ulterioris in dicionem ab se redacta testatus sit. – “The old shape of Hither Spain has been considerably altered, as has been that of several provinces, in as much as Pompey the Great on his trophies which he set up in the Pyrenees testified that he had brought into subject 876 towns between the Alps and the borders of Further Spain.” (transl. H. Rackham). A good example is Valentia, a city destroyed by Pompey (Sall. hist. 2,98,6). Archaeological remains found in the forum have revealed the cruelty endured by the defeated. See Ribera i Lacomba/Calvo Gálvez 1995. On the destruction caused by the Sertorian war in the Ebro valley, see Beltrán Lloris 2002. Brunt 1988: 406. Badian 1958: 4–7, considered that the deditio was an important way of acquiring provincial clientelae though not automatically. Pina Polo 2015: 32–36. Strab. 3,4,10.
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and Pompey comes from a misinterpretation of a passage in Sallust.40 In my opinion, there is no reason to accept the existence of an alliance of Vascones with Pompey and, ultimately, with the Roman senate. The founding in Hispania of indigenous cities legally ranked as peregrinae and bearing the name of a Roman imperator was always subsequent to the defeat of the indigenous people. This is the case for Gracchurris, Brutobriga and Valeria. Their location, name and inhabitants were imposed by Rome through her triumphant generals: Ti. Sempronius Graccus after his victory over the Celtiberians in 179,41 D. Iunius Brutus after the defeat of the Lusitanians around 135, and probably Valerius Flaccus after defeating the Celtiberians in 93, in a war in which, according to Appian, thousands of indigenous people were killed.42 The founding of Pompelo bears some similarities to that of these towns and must be seen from the Roman perspective of imposition of her predominance, and not as an indigenous choice following some Roman reward. The name of Pompelo was not an indigenous decision to honour Pompey, but was in itself a symbol of Roman dominion and the glory of the victor. In my understanding, this interpretation opens up the possibility that Vascones might have been enemies of Pompey and not his allies during the Sertorian war. It can be deduced from the previous arguments that the thesis maintaining that Pompey might have acquired massive clientelae in Hispania as a result of his victory over Sertorius is not acceptable. This does not mean that new personal links were not established with provincials, though proportionally their number was small and was probably limited to relevant individuals within their communities. We know that the two generals who fought against Sertorius in the name of the senate, Pompey and Metellus, granted Roman citizenship to a large enough number of Hispanians to make it necessary to enact a consular law in the year 72, lex Gellia Cornelia, to ratify the measures taken by both imperatores during and after the Sertorian war.43 However, the Roman senate was at the time quite reluctant to give provincials Roman citizenship. It is conceivable that Metellus and Pompey may have granted citizenship to tens of Hispanians, but always on an individual basis, never collectively. What impact did the change in legal status have on names? Some or even many of these new citizens could have taken on the name of their benefactors and perhaps become their clients. However the use of onomastics as an instrument for the iden40 41
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Pina Polo 2009b and 2011a. According to Livy’s Periochae, Graccus founded Gracchurris after defeating the Celtiberians as a symbol and monument to his exploits: Celtiberos victos in deditionem accepit, monimentumque operum suorum Gracchurim, oppidum in Hispania, constituit (Liv. per. 41) – “The proconsul Tiberius Sempronius Gracchus conquered and received the surrender of the Celtiberians, and as a monument to his labour established a town, Gracchuris, in Spain.” (trans. E. T. Sage and A. C. Schlesinger). App. Ib. 100. In the speech in favour of Archias, Cicero claims that Metellus Pius granted citizenship to many: qui civitate multos donavit (Cic. Arch. 26). In a passage in Pro Balbo, Cicero exemplifies this behaviour saying that Metellus Pius gave citizenship to a Quintus Fabius from Saguntum (Balb. 50).
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tification of provincial clientelae must be taken with great caution, since it is known that not all new Roman citizens took on the name of the person who had granted them citizenship. The clearest instance is that of Cornelius Balbus. He was actually given citizenship by Pompey for his conduct during the Sertorian war, but clearly did not take on his benefactor’s name.44 This is by no means the only known instance,45 so there must have been a certain amount of freedom on the part of new citizens in deciding upon their new name. This clearly questions the methodology used by Badian to identify provincial clientelae through names as well as that of the studies conducted by Knapp and Dyson specifically on Hispania.46 And it means that not all the indigenous persons called Pompeius must necessarily be identified as the clients of a Pompeius, nor did all Pompey the Great’s clients bear his name. The qualitative aspect of those potential provincial clientelae is, however, more significant. In order to understand how they may have worked we must bear in mind that a contract between the patron and the client setting forth their mutual obligations did not exist. The relationship was voluntary and could be discontinued at any time. Consequently, as in Rome and in Italy, an individual – or a community – could have more than one patron and could shift patron based on their interests at any given time. It is important to bear in mind that most of the provincials who were granted Roman citizenship by an imperator must have been members of the elite within their communities. Their social status facilitated contact with other Roman leaders and opened up the possibility of establishing new personal relationships.47 In other words, even if we accept that during the Sertorian war Pompey did create a selective network of clients, this does not mean that those clients and their descendants undertook to maintain unwavering and exclusive loyalty towards him and his descendants. Balbus is another good example because, despite receiving Roman citizenship from Pompey, he declared himself a loyal supporter of Caesar in Rome. This did not represent any betrayal on the side of Balbus, but a reasonable choice based on his personal and ideological interests.48 In conclusion, Pompey the Great possibly did create client-patron relationships with a number of Hispanians during his stay in Hispania Citerior, as Metellus Pius may also have done in Hispania Ulterior. However, there is no reason to believe that those clientelae spread throughout the entire territory and that Pompey became from then on the great patronus of Hispanians. It is likely that they constituted proportionally a very small group.
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Cic. Balb. 19. Cf. Pina Polo 2011b. See Cic. Balb. 50–51. Knapp 1978; Dyson 1980–81. See in this respect Pina Polo 2015: 24–31. Cf. Schoenlin Nicols 1992: 93. We also have the example of Pompeius Trogus’ family. As he himself claimed (Iust. 43,5,11– 12), his grandfather was given citizenship by Pompey during the Sertorian war, but this did not prevent his father from serving under Caesar as a secretary. And the name of course did not condition the political position of an individual. In the war between Caesar and the sons of Pompey in Hispania we find a Q. Pompeius Niger, eques Romanus Italicensis, fighting in Caesar’s flank (Bell. Hisp. 25,4).
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All in all, do the sources provide specific evidence to support the existence of these clientelae? Between the end of the Sertorian war and the beginning of the civil war an episode that took place in 65 has been adduced as an indication of the magnitude and fidelity of Pompeian clientelae in Hispania. Cn. Calpurnius Piso, Pompey’s political enemy, was appointed governor of Hispania Citerior. According to Sallust, he was murdered in the province by Hispanian cavalry.49 Sallust gives two possible explanations for this occurrence. Some believed that the governor was killed by the provincials because of his unjust and cruel conduct. To others, a group of Pompey’s loyal clients were responsible, killing the governor in order to please their patron. Sallust does not declare himself in favour of either of these theories. Yet, one century later, Asconius stated without hesitation that the murderers were Pompeian clients.50 Available data make it impossible to discern the truth. It was, at any event, an isolated episode which at most would reveal the existence in Hispania of Pompeian clients of a certain social standing. This is perfectly acceptable but does not confirm the thesis of extensive Pompeian clientelae. Nonetheless, in my opinion the thesis that it was Hispanian – or even personal – vengeance against a bad governor is far more plausible. The murder of Piso might have been used a posteriori by the enemies of Pompey in Rome to circulate the idea that he was behind it. In any event, that would certainly mean that it was credible in Rome that Pompeian clients might be acting in Hispania.51 The only explicit testimony to the existence of Pompeian clientelae in Hispania corresponds precisely to Pompey’s main enemy. In his account of the civil war Caesar claims that Pompey had created in Hispania Citerior magnas clientelas, and for this reason it was particularly important for him not to leave any war unfinished in Hispania before setting off for Greece in pursuit of the Pompeians.52 In a previous passage, Caesar says that Pompey was well-known in Celtiberia while Caesar himself was practically unknown.53 Nonetheless, he makes it clear that the position of Hispanians was by no means homogenous. While many Hispanians who had been defeated in the Sertorian war feared Pompey even in his absence, others had maintained amicitia towards him for the beneficia it granted them. Caesar echoed something that was unquestionably part of Pompey’s habitual propaganda: the extraordinary scope of his provincial clientelae. But he did this deliberately: by emphasizing the great support Pompey purportedly enjoyed in His-
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Sall. Catil. 19. Ascon. 92C.: occisus…, ut quidam credebant, a Cn. Pompei clientibus. – “He met his death … allegedly at the hands of Pompey’s agents.” (trans. S. Squires). Badian 1958: 279 accepts this thesis as an indication of the “fanatical loyalty” of Hispanians towards Pompey. Badian 1996: 280 himself claims that Piso was sent to Hispania by a motion proposed by Crassus in order to tackle the influence Pompey had over the province. For Amela Valverde 2002: 102, the murder of Piso demonstrates Pompey’s supremacy over Hispania. Hillman 1989: 140. Cf. Dingmann 2007: 266 f. Caes. civ. 2,18,7. Caes. civ. 1,61,3.
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pania and minimizing his own, Caesar implicitly magnified his own victory.54 The truth is that the war in Hispania was quickly concluded within a very small area, because there was no real Pompeian resistance against Caesar beyond the battle of Ilerda – the hometown of some of the cavalry of the honoured turma Salluitana. In any event, we must insist on the fact that there are no traces of alleged extensive Pompeian clientelae exerting their influence on the unfolding of the conflict in the year 49. After the murder of Pompey in Alexandria and the Pompeian defeat in Thapsus, the final episode of the civil war took place in the south of Hispania. The two sons of Pompey moved with what was left of their army towards the Guadalquivir valley, where they commanded a revolt with the involvement of several cities. The common interpretation is that the Pompeians went to Hispania because it was there that Pompey the Great had traditionally had the support of his numerous clientelae. This interpretation seems to be corroborated by a speech that the author of the bellum Africanum attributes to Cato Uticensis.55 The speech is obviously a reconstruction based on the presumed reasoning of Cato. He incited Cn. Pompeius to follow the example set by his father and not to surrender, and in particular Cato encouraged him to take advantage of his father’s clientelae (paternas clientelas). As in the previously mentioned Caesarian passages, the appeal to clientelae should be seen within the context of Pompeian propaganda itself rather than having any practical meaning. In any event, it is striking that Pompey’s sons did not go to Hispania Citerior, with its supposedly wide Pompeian clientelae, but instead chose Hispania Ulterior, where their father had never even set foot and where consequently Pompey’s influence there must have been much less strong.56 No anti-Caesarean resistance had existed in 49 in Hispania Ul54
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Schoenlin Nicols 1992: 86 n. 71. Dingmann 2007: 272 f., considers this explanation insufficient. In his opinion, what Caesar implicitly remarked was that he not only had defeated Pompey in Hispania but that he had snatched his clientelae: “Caesar erwähnte ausdrücklich und bewusst die Bindungen seines Gegners Pompeius zu Beginn des Bürgerkrieges, um sich selbst zum Abschluss des Feldzuges als Patron beider spanischen Provinzen darzustellen.” In my opinion, however, this point of view makes an erroneous simplification by viewing Pompey’s and Caesar’s relations with provincials exclusively from the perspective of acquiring clientelae. On the other hand, it seems to be based on the principle that the provincials were mere pawns in the hands of Roman politicians who necessarily had to fall in behind one leader or the other. Bell. Afr. 22: Tu contra et patris nobilitate et dignitate et per te ipse satis animi magnitudine diligentiaque praeditus nonne eniteris et proficisceris ad paternas clientelas auxilium tibi reique publicae atque optimo cuique efflagitatum? – “Whereas in your case not only are you endowed with the fame and prestige of your father, but you yourself are also adequately endowed on your own account with nobility of nature and with earnestness. Will you not therefore make an effort and set out in quest of your father’s clients to demand their assistance for yourself, for the state and for every loyal citizen?” (trans. A. G. Way). Cornelius Balbus, from Gades, could be an example of the fact that Pompey had also started individual relations in Hispania Ulterior with prominent persons who had taken part in the Sertorian war, though these contacts were necessarily scarcer than those with the population in Hispania Citerior. In any event, as I have already emphasised, Balbus is not precisely a good example of a loyal Pompeian client.
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terior: precisely the opposite. Pompey’s legate Varro had not met with any support in the main cities of the province and had therefore surrendered to Caesar without fighting. Why had Hispania Ulterior all of a sudden become a Pompeian bastion? The explanation of what happened in Hispania Ulterior does not lie in the existence of Pompeian clientelae in the region, but in the behaviour of Q. Cassius Longinus as governor of the province.57 When Caesar left Hispania in 49 he placed Longinus in charge of Hispania Ulterior. Longinus used his leading position to amass a fortune through extortion and theft.58 This added to the expenses involved in the maintenance of the legions and infuriated the provincials to the point that there was a failed attempt at murdering the governor. The situation was aggravated further by the mutiny of the legions under his command until Longinus was finally deposed and replaced by C. Trebonius.59 By then the province was in a state of open rebellion from various cities in the Guadalquivir valley. It was in this context that Pompey’s sons arrived in Hispania. They chose Hispania Ulterior because they could take advantage there of the indignation of the mutinous legions and of many provincials in taking their final stand against Caesar. But the attitude of the Hispanians must not be seen as a Pompeian move based on alleged fidelity originating in traditional client-patron links, of which none were reported for 49.60 Likewise, in that year Caesar’s victory in Hispania Ulterior had no connection with his clientelae in that province. Hispanian cities and their inhabitants had their own interests, and these ultimately determined their position in the conflict, as demonstrated by the internal debates revealed by ancient sources within some of the cities.61 In fact, the way in which the bellum Hispaniense – which could certainly be biased against Pompey – narrates the arrival of Cn. Pompeius in Hispania does not match the arrival of a patronus who meets clients devoted to his cause.62 On the contrary, Pompeius would gradually have increased his army both voluntarily and by force, and in that process some cities joined him while others shut their doors to him. In the origin of the bellum Hispaniense in the years 46 and 45 we must not therefore see a movement promoted by Pompeian clients, but a provincial rebellion against the abuse of a specific governor who could be indirectly linked to Caesar as 57 58 59 60 61
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See Schoenlin Nicols 1992: 69–81. Caes. civ. 2,21,4; Bell. Alex. 48,1. Cf. Broughton 1952: 261. Bell. Alex. 49–64; Bell. Hisp. 42,4; Cass. Dio 42,15,1. Gelzer 1968: 241 f. refers to the revolt against Longinus as a “Pompeian rebellion”. Bell. Hisp. 2; 20–22; 34–35; 37. The fact that some cities remained opposed to Caesar even after his victory in Munda in March 45 must be understood in the context of internal conflicts amongst themselves and in the evolution of the war itself, not as a sign of fanatic loyalty towards Pompey. Bell. Hisp. 1. See also Cass. Dio 43,29, where neither client-patron relations nor fidelity to Pompey the Great are mentioned as the reason why the provincials and legions in Hispania Ulterior came into contact with the Pompeians in the north of Africa. However, later on (43,30,1) the Greek author claims that some cities in Hispania backed Pompeius on his arrival both because of their discontent towards their rulers and of the reputation of his father Pompey the Great.
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the person responsible for appointing him.63 The international context turned Hispania Ulterior into the scene of the final battle between Caesarians and Pompeians, but the outbreak of the bellum Hispaniense should not be perceived as a confrontation between Caesarian and Pompeian clientelae. Neither should we believe in a long-running war in Hispania that supposedly shows the existence of Pompeian resistance, because the events of 49 and those of 46–45 must be seen as separate episodes, though both of them are within the framework of the civil war.64 * In conclusion, there is no doubt that Pompey used his relationship with provincials throughout the Empire as a form of self-representation and personal promotion. We may suppose that Pompey managed to create within Roman society an image of himself as a great universal patronus. This perception eventually crystallised in ancient historiography and was accepted enthusiastically by modern scholarship. It seems that this image was increasingly strengthened by historiography over time and was definitively consolidated in Plutarch and Cassius Dio.65 The latter, in particular, emphasised the extensive international connections made by Pompey, especially in the Orient, with kings, princes and cities.66 It is striking, however, that of all the numerous references made to Pompey by his contemporary Cicero in speeches and letters, he never refers to provincial clientelae as one of the reasons for Pompey’s influence in Rome, though in the speech in defence of the rogatio Manilia Cicero does mention the auctoritas that Pompey enjoyed amongst provincials, especially in the Orient. Without a doubt, what we know of Pompey’s actions in the provinces, including the evidence of honorary inscriptions known to us, especially in the Eastern Mediterranean,67 shows that his relationships with eminent figures and communities did actually exist. These clientelae gave him added prestige within Roman society and may have served to aggrandise the public image that Pompey had amongst his contemporaries, but they were not the deciding factor in his leading role in Rome from the beginning of the 70’s. His influence was due to other factors, both to the balance of power within the senate and within the Roman society in general
63 64
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It is true that the author of the Bellum Alexandrinum (58) presents the leader of the mutiny, Thorius, calling on the name of Pompey before the troops to promote rebellion. But he clarifies that it was more probably hatred towards Caesar than devotion to Pompey. Cf. Cass. Dio 42,15. It must be pointed out that the Pompey the Great’s younger son, Sextus, sought shelter in the land of the Lacetani, in north-eastern Hispania, after the battle of Munda. This piece of information is reported by Cassius Dio (45,10,1; cf. Strab. 3,4,10), who adds that the indigenous population gladly received Sextus because of the good memory they kept of his father. Thus, Cassius Dio is consistent in his vision of Pompey as a good patronus. But the Lacetani probably supported Caesar in the battle of Ilerda in 49 (see above). Schoenlin Nicols 1992: 196. Cass. Dio 37,20,4–5. Cf. Amela Valverde 2001.
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and, above all, to his repeated military victories over Sertorius, Spartacus, the pirates in the Mediterranean and Mithridates. The assumption by Roman society that Pompey had provincial clientelae was without a doubt a source of credit to him. But the practical effectiveness of those clientelae may have had both in Roman politics and in the provinces is dubious. On the one hand it is obvious that his provincial clients did not vote in the elections or have direct influence on the decisions of the senate. On the other hand, it must be recalled that the provinces were not mere extensions of Rome, but had their own problems and concerns. It is particularly hard to envisage those Hispanians who lived in towns – and even less so those in the country – along the valleys of the Ebro, Duero or Guadalquivir, in Celtiberia or Lusitania, following the day-to-day machinations of Roman politics, or being interested in the identity of the leaders in Rome, and even less so in taking the part of one side or the other. The provincials were only forced to take an interest when conflicts in Rome came to Hispania and the Hispanians had to take sides or try to remain neutral. It is hardly consistent to support the notion that Hispania Citerior was devoted to the Pompeians when the civil war began, based on the fact that Pompey’s legates had been working on the ground since 56, as if their mission consisted of accruing their leader’s list of clients.68 And it is equally absurd to convey the image of Caesar during his stays in Hispania Ulterior as a leader obsessed with gaining clientelae that might match Pompey’s, as if it were a competition and as if both imperatores had been preparing for the civil war two decades earlier.69 As a matter of fact, Pompeian or Caesarian clientelae do not appear to have played any relevant role in Hispania in 49 nor may the bellum Hispaniense of 46–45 be viewed as a war promoted by Pompeian clients. We must correct the idea firmly established in scholarship that Pompey was the great patron of the Hispanians, above all, though not exclusively, in Hispania Citerior. Without a doubt Pompey established personal relationships with Hispanians which could generically be referred to as clientelae, though the term does not have a technical meaning and may encompass other types of relationships. But so did many other Roman generals who were in Hispania during the process of conquest. It makes no sense to believe that those relations were exclusive and involved loyalty to Pompey and his family for generations. Many Hispanians did not have special relationships with Romans. Others, either on an individual basis or collectively as members of a community, could have had good relations with some Romans. It may be accepted that some Hispanians were the clients of several patrons, but the society in Hispania should not be seen as an immense network of personal relations as the basis for Roman dominion of the territory, as though almost every Hispanian family had its patronus in Rome. Nor can provincial clients be viewed as simple instruments in the hands of the great Roman imperatores in their struggle for power, 68
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Amela Valverde 2002: 102 supposes that Pompey would have had in Hispania and in other provinces intermediaries or links between him and his friends that would have served him to maintain and expand his relations. There are no indications of this in the sources: it is mere speculation. See Pina Polo 2008.
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as though their relationship remained indelible for generations and entailed duties beyond what truly mattered: the local and personal interests of the provincials themselves. As a general principle, provinces must no longer be seen as a field for the acquisition of clientelae to be later used in Rome’s political struggles. BIBLIOGRAPHY Amela Valverde, L. 2000a: Q. Pompeyo en la Celtiberia, Celtiberia 96, 257–276. – 2000b: La Turma Salluitana y su relación con la clientela pompeyana, Veleia 17, 79–92. – 2001: Inscripciones honoríficas dedicadas a Pompeyo Magno, Faventia 23, 87–102. – 2002: Las clientelas de Cneo Pompeyo Magno en Hispania, Barcelona. Badian, E. 1958: Foreign Clientelae (264–70 B. C.), Oxford. – 1996: Gnaeus Calpurnius Piso, in: S. Hornblower / A. Spawforth (Hgg.), The Oxford Classical Dictionary, Oxford, 280. Beltrán Lloris, F. / Pina Polo, F. 1994: Roma y los Pirineos: la formación de una frontera, Chiron 24, 103–133. Beltrán Lloris, M. 2002: Sertorius dans la vallée de l’Ebre, Pallas 60, 45–92. Broughton, T. R. S. 1952: The Magistrates of the Roman Republic. Vol. II: 99 B. C.–31 B. C., New York. Brunt, P. A. 1988: Clientela, in: P. A. Brunt, The Fall of the Roman Republic and Related Essays, Oxford, 382–442. Burton, P. J. 2003: Clientela or Amicitia? Modeling Roman International Behaviour in the Middle Republic (264–146 BC)”, Klio 85, 333–369. – 2011: Friendship and Empire. Roman Diplomacy and Imperialism in the Middle Republic (353– 146 BC), Cambridge. Christ, K. 2004: Pompeius: Der Feldherr Roms. Eine Biographie, Munich. Criniti, N. 1970: L’epigrafe di Asculum di Gn. Pompeo Strabone, Milan. Dingmann, M. 2007: Pompeius Magnus. Machtgrundlagen eines spätrepublikanischen Politikers, Osnabrück. Dyson, S. L. 1980–81: The Distribution of Roman Republican Family Names in the Iberian Peninsula, AncSoc 11–12, 257–299. García Morá, F. 1991: Un episodio de la Hispania republicana: la guerra de Sertorio, Granada. Gelzer, M. 1949: Pompeius, Munich. – 1962: Die Nobilität der römischen Republik, in: ders., Kleine Schriften, Bd. 1, hrsg. v. H. Strasburger / C. Meier, Wiesbaden, 17–135. – 1968: Caesar: Politician and Statesman, Cambridge (first published in German 1921). Hillman, T. P. 1989: The Reputation of Cn. Pompeius Magnus among his Contemporaries from 83 to 59 B. C., Diss. New York. Knapp, R. L. 1978: The Origins of Provincial Prosopography in the West, AncSoc 9, 187–222. Konrad, C. F. 1994: Plutarch’s Sertorius. A historical commentary, Chapel Hill/London. – 1995: A new chronology of the Sertorian war, Athenaeum 83, 157–187. Pina Polo, F. 2003: ¿Por qué fue reclutada la Turma Salluitana en Salduie?, Gerión 21, 197–204. – 2004: Deportaciones como castigo e instrumento de colonización durante la República romana. El caso de Hispania, in: F. Marco / F. Pina Polo / J. Remesal (Hgg.), Vivir en tierra extraña. Emigración e integración cultural en el mundo antiguo, Barcelona, 211–246. – 2008: Hispania of Caesar and Pompey: A Conflict of clientelae?, in: Mª P. García-Bellido / A. Mostalac / A. Jiménez (Hgg.), Del Imperium de Pompeyo a la Auctoritas de Augusto. Homenaje a Michael Grant, Anejos de AEspA XLVII, Madrid, 41–48. – 2009a: Deportation of Indigenous Population as a Strategy for Roman Dominion in Hispania, in: A. Morillo / N. Hanel / E. Martín (Hgg.), Limes XX. XX Congreso Internacional de Estudios sobre la Frontera Romana, Gladius 13, Madrid, vol. 1, 281–288.
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DIE RÖMISCHE REPUBLIK UND DER WESTEN* Jonathan R. W. Prag, Oxford In diesem Beitrag geht es darum, der Begrenztheit, wie sie in der bisherigen Forschung zum römischen Imperialismus im 3.–1. Jahrhundert v. Chr. wahrzunehmen ist, entgegenzutreten. Mein Gegenentwurf, der im Folgenden in vorläufiger Form skizziert wird, basiert auf der Einsicht, dass die Aufteilung in Osten und Westen, die in fast allen Diskussionen zum Thema vorherrscht, ein fast gänzlich artifizielles Konstrukt ist und unsere Bemühungen, die Entwicklung des Römisches Reiches zu verstehen, grundlegend behindert. Trotz der stetig anwachsenden Forschung hat die gut dreißig Jahre alte Klage von William Harris zu einem erheblichen Maße weiterhin Bestand: „The failure of narrative history to explain why the Romans behaved as they did, or even to give a coherent description of what they did, should be plain to any reflective person.“1 Ich beginne damit, einige der Ursachen für diese Ost/ West-Aufteilung aufzuzeigen, um dann Vorschläge vorzustellen, wie dieses Forschungsparadigma möglicherweise zu überwinden ist – dabei behaupte ich nicht, dass wir uns nunmehr allein auf den Westen fokussieren müssten, sondern vielmehr, dass ein holistischer Ansatz erforderlich ist, der in erster Linie auf einer stärker systematischen Analyse von Verhaltensmustern basiert, oder, um William Harris wieder aufzugreifen, einer kohärenteren Beschreibung dessen, was die Römer taten. Die Ost/West-Aufteilung (grob definiert durch eine Nord-Süd-Achse, die westlich der Kyrenaika verläuft und durch die Adria führt) prägt nicht allein nur die Forschung zur römischen Expansion: Sie bildet vielmehr ein Artefakt aus größeren Mustern im historiographischen Narrativ zur antiken Mittelmeerwelt. Es lässt sich korrespondierend die Tendenz greifen, den westlichen Mittelmeerraum in den Untersuchungen zum Hellenismus auszulassen. Weder der Forschungsfokus der letzten Jahrzehnte auf dem Hellenistischen Italien – exemplarisch sei auf das Standardwerk Hellenismus in Mittelitalien verwiesen –, noch das gleichzeitig aufkommende Interesse an Karthago führten dazu, dass sich die grundsätzliche Trennung in östli*
1
Der Titel wurde mir von den Organisatoren vorgeschlagen, und ich habe ihn gerne als Herausforderung angenommen. In diesem Aufsatz lege ich meine ersten Gedanken zum umfassenderen Problem des republikanischen Imperialismus dar, auf das ich im Rahmen einer British Academy Fellowship 2016 noch detaillierter eingehen werde. Die Auseinandersetzung bleibt bewusst kurz und nur geringfügig mit Verweisen versehen, da sie als Gedankenspiel gedacht ist. Ich bin Matthias Haake und Ann-Cathrin Harders überaus dankbar für ihre Einladung, an einer faszinierenden Konferenz teilzunehmen, für ihre Geduld und Unterstützung in Bezug auf die schriftliche Fassung und für ihr großzügiges Angebot, diesen Aufsatz ins Deutsche zu übersetzen. Harris 1984: 13.
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che und westliche Narrative bis jetzt wesentlich verändert hat.2 Dieses generelle Phänomen lässt sich gut anhand der modernen Forschung veranschaulichen, in der die Zweiteilung des Narrativs in das vierte Jahrhundert fällt. Während der Mittelmeerraum der Archaik und Klassik, in dem sowohl Griechen als auch Phöniker agierten und in Beziehung zu regionalen eisenzeitlichen Kulturen traten, weit in den Westen reicht, wird dies im Hellenismus durch ein Narrativ-Paar ersetzt: im Osten die Eroberungen Alexanders und der Aufstieg der Diadochenreiche; im Westen der Aufstieg Roms. Diese zwei Narrative werden schließlich im Laufe der zweiten Hälfte der hellenistischen Periode unter dem Banner der römischen Eroberung wieder vereint. Als herausragendes Beispiel sei hierfür die zweite Auflage der Cambridge Ancient History und ihre Aufteilung angeführt: Band VI ‚The Fourth Century‘, Band VII.i ‚The Hellenistic World‘, Band VII.ii ‚The Rise of Rome to 220 B. C.‘, und schließlich Band VIII ‚Rome and the Mediterranean to 133 B. C.‘ Unterhalb der Ebene solch globaler Geschichtswerke ist die Aufteilung häufig noch simpler, nämlich die in ‚Der Aufstieg Roms‘ oder ‚Die hellenistische Welt‘. Es ist wert, zumindest kurz zu betonen, dass der ‚Vater‘ des Hellenismus, Johann Gustav Droysen, für diese Teilung nicht, zumindest nicht direkt, verantwortlich ist: Für Droysen stellte der Westen das Mittelmeer als Ganzes dar und in dem dritten Band seiner Geschichte des Hellenismus weitet er das Narrativ dementsprechend bis hin zu den Säulen des Herakles und Gades aus und sowohl Rom als auch Karthago spielen bedeutende Rollen. Es sind die jüngsten Werke zum Hellenismus, in denen die strengere Trennung Anwendung findet.3 Das spezifische Phänomen, das ich hier thematisieren möchte, ist die Tendenz, das westliche Mittelmeer ganz oder zu großen Teilen aus dem Narrativ – und der Analyse – des römischen Imperialismus in der Zeit nach dem Zweiten Punischen Krieg (also nach 200 v. Chr.) auszusparen. In der römischen Geschichtsschreibung scheint diese Ost/West-Trennung in den ‚Meistererzählungen‘ zum dritten und zweiten Jahrhundert erstarkt und sogar fest etabliert worden zu sein durch die Debatte über das Ausmaß des römischen Wissens über bzw. die Interaktion mit der griechischen Welt vor dem Ende des dritten Jahrhunderts v. Chr. und dem Zweiten Makedonischen Krieg. Es ist nicht notwendig, diese spezielle Debatte, deren erster Protagonist Maurice Holleaux war, an dieser Stelle in ihren Details wiederzugeben. Im Wesentlichen bestritt Holleaux die Realität jeglicher verschiedentlich belegter politischer Kontakte seitens der Römer mit der griechischen Welt östlich der Adria vor dem Ende des dritten Jahrhunderts. Seine Polemik gegen jene Historiker mit „blühender Phantasie“, wie er sie nannte, die dies akzeptierten, richtete sich explizit gegen eine Forschungsrichtung, die mit Droysen begann und durch Mommsen fortgeführt worden war. Holleaux wiederholte seine Thesen in englischer Sprache in der ersten Ausgabe der Cambridge Ancient History, und danach hat sich diese Po2
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Vgl. Zanker 1976 und aktueller z. B. Osanna/Torelli 2006; Wallace Hadrill 2008; Co livicchi 2011. Zu Karthago und dem Punischen Mittelmeerraum s. nun Quinn/Vella 2014. Das hier nur angedeutete Problem des Mittelmeerraums im Hellenismus wird ausführlicher behandelt in Prag/Quinn 2013: 1–10. Z. B. Droysen 1877–78: III, 6, 114–15, 183; vgl. Prag/Quinn 2013: 5 f.
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sition in unterschiedlichem Maße durchgesetzt. Diese Perspektive blieb im Wesentlichen in Erich Gruens Hellenistic World and the Coming of Rome unberührt (und wurde damit indirekt verstärkt) und wurde nunmehr von Arthur Eckstein in zwei aktuellen Monographien explizit wiederaufgelegt.4 Die Betonung des Eintritts Roms in den griechischen Osten im zweiten Jahrhundert hat jedoch nicht nur dazu geführt, eine Ost/West-Trennung in den Narrativen über die römische Expansion zu verstärken, sondern auch zu einer Tendenz, den Westen in Untersuchungen zur römischen Expansion auszusparen oder zumindest nur geringfügig zu thematisieren, besonders nach diesem Zeitpunkt. So räumt die Cambridge Ancient History (Band VIII2: ‚Rome and the Mediterranean to 133 BC‘) lediglich ein einzelnes Kapitel den Ereignissen und Aktivitäten westlich von Italien nach 200 v. Chr. ein, und dies ist insofern emblematisch für den Umgang mit dem Westen, als dass es sich um einen fragmentierten regionalen Überblick handelt.5 Roms Aktivitäten im Westen, wenn sie überhaupt untersucht werden, werden in wenig systematischer Art und Weise mit eher regionalem Fokus losgelöst von den Ereignissen im Osten behandelt, wodurch jegliche Form einer umfassenderen Beurteilung verhindert wird. Dies steht in einem an sich offensichtlichen Kontrast zu den implizit globalisierenden Untersuchungen zu ‚Rom und dem griechischen Osten‘: Studien über Spanien ragen heraus; Nordafrika kommt andererseits kaum vor. Wird ein Vergleich oder Überblick angestrebt, so führt dies zu einer sehr unausgeglichenen Beurteilung, die häufig einen Vergleich einer einzelnen Region im Westen mit dem griechischen Osten als Ganzes beinhaltet, wie es John Richardsons klassische Studie Hispaniae (1986) veranschaulicht. Richardson beschließt seine Untersuchung mit der überaus verallgemeinernden These von „two patterns of imperialism, eastern and western“, die auf einem Vergleich zwischen der Behandlung Makedoniens und Spaniens basiert, wobei er als Muster für den Osten fortdauernde Diplomatie und gelegentlich offenen Krieg und für den Westen andauernde Kriegsführung festund entgegenstellt. Dies wird von der ausdrücklichen Überzeugung begleitet, dass dieses Modell fast universell östlich und westlich ausgeweitet werden kann.6 Ein solcher Ansatz neigt auch dazu, jene Regionen auszublenden, die als Ausnahmen nicht dem Modell entsprechen (egal ob im Osten oder im Westen), was wiederum nur die Frage erneut aufwirft. Richardson selbst fährt in demselben Fazit direkt damit fort, die Region Gallia Narbonensis als eine solche Ausnahme abzutun. In der jüngsten Forschung findet dieser Trend seine extremste Ausprägung in Arthur Ecksteins Überblick über den römischen Imperialismus im Blackwell Com4
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Holleaux 1921: 2 Anm. 4–7 (moderne Historiker als „gens d’imagination“); vgl. Holleaux 1928; 1930a u. 1930b; Gruen 1984: 8 („Roman ‚imperialism‘ is not my subject. Rather it is the Roman experience in Hellas.“); Eckstein 2006a u. 2008; vgl. die jüngste Beurteilung von Smith/Yarrow 2012: 3–11(wenngleich mit einem etwas anderen Schwerpunkt). Harris 1989. S. zuletzt Osgood 2014, dem es nicht gelingt, die Schwierigkeiten eines regionalen Narrativs und der Periodisierung zu bewältigen; bezeichnenderweise wurde der Beitrag als Ergänzung zur zweiten Auflage beauftragt; in der ersten Auflage (Flower 2004) wurde der römische Imperialismus nur durch Kapitel zu den Punischen Kriegen und ‚Rom und der Griechische Osten‘ abgedeckt. Richardson 1986: 179.
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panion to the Roman Republic (2006): Der westliche Mittelmeerraum findet auf den ersten Seiten keine Erwähnung; die Beobachtung, dass es 167 v. Chr. keine Provinz im griechischen Osten gab, lässt die rhetorische Frage zu, „In what sense then was Rome in the mid-second century already an ‚empire‘?“7 Der westliche Teil des Imperiums wird anschließend nur kurz erwähnt, um die Ablehnung nichteinträglicher Provinzen anzuführen, gedanklich verbunden mit der Annahme der Etablierung der pax romana in verschiedenen Regionen (so ist bspw. Norditalien nach 190 v. Chr. befriedet; Gallien wird nie erwähnt). Die dargebotene Analyse basiert gänzlich auf den römischen Aktivitäten im Osten. Verständlicherweise spiegelt dieser Beitrag im Kleinen Ecksteins überaus wichtige Monographien Mediterranean Anarchy (2006) und Rome Enters the Greek East (2008) wider. In beiden Arbeiten wird ein Ansatz des politischen Realismus aus dem Theorieangebot der Internationalen Beziehungen angewandt, um für die grundsätzliche Korrektheit von Polybiosʼ Bewertung des Jahres 200 v. Chr. als Schlüsselmoment im Wandel des Mächtegleichgewichtes im (östlichen) Mittelmeerraum zu argumentieren. Eckstein selbst merkt an, dass er Holleaux ausdrücklich wiederaufgreift; Holleaux wiederum griff für seine Interpretation auf Polybios zurück.8 Bekanntermaßen betont Polybios Roms Überquerung der Adria im Jahr 229 v. Chr. als das erste Mal, dass die Römer in diesen Teil Europas vordrangen und mit den Griechen in Beziehung traten, und, noch schematischer, behauptet er, dass Titus Quinctius Flamininus der erste war, der 198 v. Chr. eine Armee nach Griechenland führte.9 Ich möchte an dieser Stelle nicht in das Für und Wider dieser speziellen Debatte einsteigen. Sich darüber zu streiten, ob die Ost/West-Interaktion früher oder später begann, birgt die Gefahr, das Gesamtbild zu verschleiern, nämlich die Annahme einer Ost/West-Aufteilung an sich. Der Fokus liegt hier vielmehr darauf, diese Aufteilung, so wie sie sich entwickelt hat, zu verstehen – und zu überwinden. Nichtsdestotrotz weist die Debatte um Rom und den griechischen Osten, wie bereits angedeutet, auf einen der beiden Hauptgründe für diese Aufteilung hin, den ich hier berücksichtigen möchte, nämlich Polybios und die überlieferte historiographische Tradition. Es gilt, eine weitere Kernaussage aus Polybiosʼ schematischer Beschreibung der Stationen der römischen Expansion zu betrachten: „Denn nachdem die Römer in dem erwähnten Krieg die Karthager besiegt hatten und damit den größten, den entscheidenden Schritt auf dem Wege zur Weltherrschaft glauben durften getan zu haben, da zuerst wagten sie, ihre Hände nach dem übrigen auszustrecken und mit Heeresmacht nach Griechenland und dem asiatischen Raum hinüberzugehen.“10
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Eckstein 2006b: 568; vgl. 2006a: 5: „having conquered the West, the Romans now turned immediately to the East“ (hier als Meinung Dritter ausgegeben, aber dann in Kapitel 5 untersucht und bestärkt und schließlich als Vorläufer zu den auf den Osten fokussierten Kapiteln 6 u. 7 dargestellt). Eckstein 2008: 6; vgl. Walbank 1963: 5 zu Holleaux: „he and his supporters have sometimes been charged with ‚polybiolatry‘“. Pol. 2,2,1 f.; 18,12,5. Pol. 1,3,6: τῷ γὰρ προειρημένῳ πολέμῳ κρατήσαντες Ῥωμαῖοι Καρχηδονίων καὶ νομίσαντες τὸ κυριώτατον καὶ μέγιστον μέρος αὑτοῖς ἠνύσθαι πρὸς τὴν τῶν ὅλων ἐπιβολήν, οὕτως καὶ
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Den Aspekt, den ich hier hervorheben möchte, ist nicht der, der bereits erwähnt wurde und der im Zentrum von Ecksteins Analyse steht, nämlich die potenzielle Bedeutung des Makedonischen Krieges am Ende des dritten Jahrhunderts und der gleichzeitige Zusammenbruch der ptolemäischen Macht; stattdessen soll es vielmehr um die Konsequenzen dieses polybianischen Schemas für den Inhalt seiner Historien gehen. Der Wendepunkt 200 v. Chr. wird in Polybiosʼ zweiter Einleitung zu Beginn des dritten Buchs wieder aufgegriffen, in der er den geplanten Inhalt seiner Historien zusammenfasst. Nach der Erwähnung des römischen Siegs bei Zama (202 v. Chr.) und des sogenannten „Pakts der Könige“ stellt er fest: „Dann werden wir, nach einem kurzen Überblick über die Kämpfe der Römer und Karthager in Iberien, Libyen und Sizilien, mit unserer Erzählung, wie es die Verlagerung des Schwerpunkts der Ereignisse erfordert, ganz nach Griechenland hinübergehen.“11
In der nachfolgenden Zusammenfassung wird nichts erwähnt, was westlich der Adria passiert wäre, bis wir die „verwirrte und gestörte“ Zeit erreichen, die in den späten 150er Jahren anbrach: „Diese Periode, in der die Dinge erneut in Fluss kamen, umfasst den Krieg der Römer gegen die Keltiberer und Vaccaeer …“12 Es ist hervorzuheben, dass in den überlieferten Fragmenten des Polybios von Buch 16 an (also der Berichterstattung ab 201/200 v. Chr.) das westliche Imperium fast vollständig ausgespart wird. Es gibt zwei rein zufällige Hinweise auf die Entsendung von Konsuln nach Norditalien/Gallia Cisalpina in den Büchern 18 und 25; es gibt ein einzelnes Kapitel im 31. Buch über Verhandlungen zwischen Massinissa und Karthago im Jahr 161 v. Chr.; und es findet sich ein kurzer Bericht im 33. Buch über den Feldzug eines Konsuls gegen die Ligurer im Jahr 154 v. Chr. zur Unterstützung von Massalia.13 Lediglich im geographischen Exkurs im 34. Buch taucht der westliche Mittelmeerraum wieder auf, und dem folgen im 35. Buch die Anfänge des „ Krieges wie Feuer“ in Spanien, so wie es in der zweiten Einleitung im dritten Buch angekündigt wurde. Die überlieferten Passagen der so genannten res Italicae, wie sie fragmentarisch in den Büchern 16–33 vorliegen, beschäftigen sich ausnahmslos mit Gesandtschaften, die aus dem östlichen Mittelmeerraum nach Rom geschickt wurden. Weiterhin gilt zu beachten, dass Polybios seine Historien ursprünglich auf 30 Bücher anlegte, in denen die Geschehnisse bis in das Jahr 167 v. Chr. behandelt werden sollten – so wie er es in der Einleitung zum ersten Buch aufführt. Nach diesem Plan sollten die Bücher 1–15 den Leser bis in das Jahr 201 v. Chr. und dem Ende des Zweiten Punischen Kriegs, also dem Krieg im Westen, begleiten; die Bücher 16–30 sollten dann ein gänzlich hellenozentrischer Be-
11 12 13
τότε πρῶτον ἐθάρσησαν ἐπὶ τὰ λοιπὰ τὰς χεῖρας ἐκτείνειν καὶ περαιοῦσθαι μετὰ δυνάμεως εἴς τε τὴν Ἑλλάδα καὶ τοὺς κατὰ τὴν Ἀσίαν τόπους. (Übers. H. Drexler). Pol. 3,3,1: μετὰ δὲ ταῦτα συγκεφαλαιωσάμενοι τὰς ἐν Ἰβηρίᾳ καὶ Λιβύῃ καὶ Σικελίᾳ πράξεις Ῥωμαίων καὶ Καρχηδονίων μεταβιβάσομεν τὴν διήγησιν ὁλοσχερῶς εἰς τοὺς κατὰ τὴν Ἑλλάδα τόπους ἅμα ταῖς τῶν πραγμάτων μεταβολαῖς. (Übers. H. Drexler). Pol. 3,5,1–6: ἦν δ᾽ ἡ προειρημένη κίνησις, ἐν ᾗ Ῥωμαῖοι μὲν πρὸς Κελτίβηρας καὶ Οὐακκαίους ἐξήνεγκαν πόλεμον. (Übers. H. Drexler). Zu den in den Norden abgesandten Konsuln: Pol. 18,11.1 f. (197 v. Chr.); 25,4,1 (177 v. Chr.); Massinissa und Karthago: Pol. 31,21; Massalia: Pol. 33,8–10.
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richt der römischen Eroberung Griechenlands werden. Schon Matthias Gelzer verwies auf das offensichtlich fehlende Interesse des Polybios an den Ereignissen im Westen, und Walbank stellt fest, dass viele der Hinweise auf den Westen in den frühen Büchern wie spätere Ergänzungen erscheinen und wohl Teile der polybianischen Revision des Textes nach 146 darstellen – aber diese Beobachtung wird selten aufgegriffen.14 Es ist natürlich unangemessen, Polybios dafür die Schuld zu geben: Sein Werk ist nicht nur unvollständig überliefert, sondern Polybios versuchte zudem eine Geschichte über die römische Eroberung seiner griechischen Welt für ein griechisches Publikum zu schreiben. Sein persönliches Interesse am Westen ist sehr gut belegt, sei es durch seine Entscheidung, seine Historien überhaupt erst zu schreiben, durch seinen verloren gegangenen Bericht über den Numantinischen Krieg oder durch seine Expeditionen in Spanien und an der atlantischen Küste Spaniens und Nordafrikas; zudem soll es hier nicht um die allgemeinere Frage nach Polybiosʼ geographischen Kenntnissen oder seiner Konzeptualisierung der oikoumene gehen.15 Vielmehr besteht die Bedeutung dieser nahezu vollständigen Absenz des Westens in Polybiosʼ Bericht über die Zeit zwischen 200 und 154 v. Chr. darin, wie sie unsere Beurteilung des römischen Imperialismus und der römischen Geschichte im Allgemeinen vor allem im zweiten Jahrhundert beeinflusste.16 Man könnte meinen, dass dieser Einfluss durch Livius und die Bücher 31–45 gebrochen werden müsste. Eine vollständige Analyse des livianischen Berichts über die Zeit von 200 bis 167 v. Chr. muss an anderer Stelle erfolgen, aber schon eine kurze Einschätzung macht schnell deutlich, dass Livius vergleichsweise wenig dazu beiträgt, ein narratives Gleichgewicht wieder herzustellen, da er sich, was den Osten angeht, zum einen stark an Polybios anlehnt, und er andererseits selbst nicht ausgeglichen die Ereignisse in Osten und Westen wiedergibt (ca. 55 % zu den ‚östlichen‘ und 45 % zu den ‚westlichen‘ Ereignissen). Das ‚westliche Narrativ‘ hat wiederum eine ganz andere und sehr romanozentrierte Form (‚annalistisch‘ im historiographischen Sinn und romanozentriert), das mit den ausführlichen polybianischen Berichten über die östlichen Kampagnen kontrastiert. Von größerer historiographischer Bedeutung ist wohl der Umstand, dass der Verlust des livianischen Werks, in dem die Ereignisse nach 167 v. Chr. thematisiert werden, das auf Polybios zentrierte Narrativ für die erste Hälfte des zweiten Jahrhunderts verstärkt, und insbesondere die begrenzte Überlieferung beider Autoren zusammen fördert den traditionellen Wechsel des historiographischen Fokus weg von den äußeren Angelegenheiten ab Mitte des zweiten Jahrhunderts hin zur Innenpolitik seit den Gracchen. Die Frage der Periodisierung des römischen Imperialismus ist in der aktuellen For14 15 16
Gelzer 1964a u. 1964b; Walbank 1972: 23 f. Siehe z. B. Pédech 1964: 515–597; Walbank 1972: 122–129 u. 1979: 563–569; Clarke 1999: 77–128. Das Fehlen von Quellen führt SherwinWhite als Rechtfertigung für den Ost-Fokus in Roman Foreign Policy in the East (1984) an, dessen Einleitung (1–17), das sollte erwähnt werden, eine der scharfsinnigeren Analysen des Ungleichgewichts liefert, das Sherwin-White jedoch bewusst aufrechterhält.
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schung nicht weniger tief verwurzelt als die Ost-West-Einteilung, wobei die Mitte des zweiten Jahrhunderts vorrangig als Wendepunkt gesehen wird. Während das Jahr 146 v. Chr. lange Zeit als Wasserscheide gesehen wurde, wurde in der jüngsten Forschung diese chronologische Aufteilung in Frage gestellt und stattdessen vorgeschlagen, die pax Romana bereits nach 200/180 v. Chr. als das dominierende Thema anzusehen.17 Mir scheint, dass dies gerade durch die Studie wieder gestärkt wurde, die in den letzten 50 Jahren am meisten dazu beigetragen hat, Schwung in die Forschung über den römischen Imperialismus zu bringen und die zufälligerweise die einzige ist, die geographisch und chronologisch ganzheitlich angelegt ist – eben aufgrund der Natur ihrer These: William Harrisʼ War and Imperialism in Republican Rome, 327–70 B. C.18 Ein zweiter Grund, warum der Westen eine so geringe Beachtung erfährt, ist in den wechselhaften Forschungsdiskussionen zum römischen Imperialismus zu erkennen. Historisch betrachtet war das mangelnde Interesse am Westens nach 200 v. Chr. nicht immer derart extrem gegeben, wie bereits angemerkt etwa bei Droysen. In seiner Römischen Geschichte steigt Theodor Mommsen in das zweite vorchristliche Jahrhundert mit Kapiteln ein, in denen er Ost und West vergleicht: Aber sowohl seine Analyse der römischen Expansion, die auf der Überlegung basiert, dass Rom regional unterschiedliche Vorgehensweisen der Annektierung anwandte, als auch insbesondere die Ansicht, dass Rom sich, nach einen anfänglichen Aktivitätsschub im Westen, abgeneigt gegen die Annexion von Territorien (im Sinne einer Provinzialisierung) zeigte, sind lange in Ungnade gefallen – ein Umstand, der möglicherweise dadurch herbeigeführt wurde, dass Holleaux mit seiner Intention, das Narrativ über die Ost/West-Expansion umzugestalten, sich sowohl von Droysen als auch von Mommsen bewusst absetzte. Die Ablehnung von Interpretationen des römischen Imperialismus, die auf die Annexionen abheben, wurde in den letzten Jahrzehnten bestärkt durch etwas, das man als ‚provincial turn‘ bezeichnen könnte. Gemeint ist damit, dass (richtigerweise) die Fluidität des Konzepts einer provincia sowie auch überhaupt die Abwesenheit eines klar definierten geographischen Rahmens nicht nur für provincia, sondern auch für den Begriff imperium selbst vor dem Ende der Republik betont wird.19 Diese Entwicklung wird durch den aktuellen Forschungstrend unterstützt, sowohl die Institutionalisierung als auch das Steuerwesen in den frühen Stadien der römischen Expansion in ihrer Bedeutung niedriger einzuschätzen.20 Die Bedeutung der Provinzialisierung wird zurzeit beständig de17 18
19 20
Eckstein 2006b: 581. Harris 1979; Badian 1958 ist auch chronologisch und geographisch umfassend (264–70 v. Chr.), aber seitdem ziehen fast alle Arbeiten, von denen sich viele direkt auf eines oder beide dieser Werke beziehen, entweder eine geographische oder chronologische Linie, wobei das Jahr 146 v. Chr. offensichtlich an Bedeutung als Grenze zunimmt: z. B. Badian 1968 (post 146 v. Chr.); KalletMarx 1995 (post 146.); Eckstein 2006a (bis in die 180er) u. 2008 (bis 170); Burton 2011 (bis 146). Jetzt besonders Richardson 2008 (vgl. Lavan 2013), aber auch schon Derow 1979; Lintott 1981, Richardson 1986; KalletMarx 1995. Ñaco del Hoyo 2003 liefert den vielleicht minimalistischsten Ansatz, wie Besteuerung im Republikanischen Imperium durchgesetzt wurde.
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konstruiert (ein Phänomen, das vorrangig im Westen in der früheren Phase beobachtet werden kann) und verbunden mit der kontinuierlichen Forderung, den Osten als Sonderfall zu behandeln; hinter all dem steht, wie ich zum Schluss argumentieren werde, der Umstand, dass weiterhin nicht die Tatsache anerkannt wird, dass die Vielfalt in der römischen Praxis (welche für sich anerkannt wird) massiv gegen solcherart geographische Aufteilungen spricht.21 Die Bewertung des römischen Steuerwesens spiegelt in Teilen wider, wie ein weiteres veraltetes Erklärungsmodell zum römischen Imperialismus verworfen wird, nämlich das des Handelsimperialismus. Trotz der Kritik an früheren Ansätzen zu einem kommerziellen Imperialismus schenkte Tenney Frank zu Beginn des 20. Jahrhunderts dem Westen weitaus mehr Beachtung, eben gerade weil er die ökonomischen Aspekte der römischen Aktivitäten noch hervorhob und tabellarisch ordnete.22 Zweifellos ist das aus der Frühneuzeitforschung entlehnte Konzept eines ökonomischen Imperialismus nicht direkt auf Rom übertragbar, aber vielleicht wurde das Kind mit dem Bade ausgeschüttet.23 Harris war bestrebt, das Gleichgewicht wieder herzustellen, indem er den ökonomischen Imperativ der Kriegsbeute betonte – aber dieser Schritt hat häufig zur Folge, dass die an sich sehr vereinzelten Mega-Triumphe zu Kampagnen im griechischen Osten aus dem zweiten Jahrhundert überbetont werden. Weiterhin führt dies dazu, den Wahrheitswert des römischen Diskurses über die Hellenisierung, luxuria, Korruption und den moralischen Verfall leichtfertig zu akzeptieren, was wiederum diese eher singulären Vorkommnisse betont.24 Es ist überraschend, wie schnell wir die Rhetorik über den Reichtum akzeptieren, den Pompeius mit seinem Triumph im Jahr 61 v. Chr. nach Rom brachte, und durch die vermittelt wird, dass nur der Osten – und das auch nur nach 61 – finanziell bedeutsam war und dessen Eroberung nunmehr einen echten Wandel einläutete.25 Diese Episode – sowie die Rhetorik Ciceros über Pompeiusʼ Kommanden –scheint die Grundlage für die immer wieder zu findenden Einschätzungen zu bilden, dass sich die Provinzen nicht ausgezahlt hätten. Tatsächlich scheint das ganze Thema besonders anfällig für die Gefahr zu sein, die „history by anecdote“
21 22
23 24 25
Die römische Anpassungsfähigkeit ist selbst ein Klischee (z. B. Diod. 23,2), aber dies wurde zugunsten größerer Deutungsmuster ausgeblendet. Frank 1914 lehnt ein merkantilistisches Modell ab, führt aber trotzdem die Gewinne des Reiches en détail auf; vgl. Frank 1933. Beispielhaft für sehr negative Einschätzungen eines ökonomischen Imperativs im Römischen Imperialismus s. Badian 1968: 10 f. u. jetzt Eckstein 2006b: 570 f. (gerichtet z. T. gegen Harris 1979 u.1984). Die neuere Entwicklung, die Beschränkungen um die Debatte zur ‚antiken Wirtschaft‘ aufzulösen, findet sich bei Kay 2014 (teilweise in den Fußstapfen von Frank 1933), der die Bemühungen vorantreibt, wirtschaftliche Aspekte des römischen Imperialismus im 2. Jahrhundert wieder in den Vordergrund zu rücken. Vgl. die vehemente Ablehnung durch Badian 1968: 18–28: „no such motives can be seen.“ Harris 1979: bes. 54–104; umfassend in den Beiträgen in Harris 1984; Rich 1993 stellt das herausragende Beispiel für einen Mittelweg dar. Vgl. Badian 1968: 78 zu Pompeius u. Plut. Pomp. 45 (und ebd., 19: „It is unlikely … that at this time any province was even paying its way, except for peaceful and prosperous Sicily.“); vgl. Eckstein 2006: 570 f., 583 (bisweilen Badian unmittelbar folgend).
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inhärent ist.26 Steuern und Kriegsbeute flossen in dieser Zeit regelmäßig aus dem gesamten Westen, angefangen mit Sizilien und Sardinien im dritten Jahrhundert und Spanien im frühen zweiten Jahrhundert (ganz abgesehen von Nordafrika); dies wird oftmals ignoriert und es stellt ein Versäumnis dar, wenn nicht der Gesamtkontext betrachtet wird und stattdessen die einmaligen und insbesondere die viel größeren und späteren Gewinne aus dem Osten in den Fokus genommen werden. Die Daten, die Tenney Frank für den Zeitraum 200–157 v. Chr. zusammengestellt hat, mögen zwar nicht ideal sein, aber sie stellen trotzdem eine (die einzige?) Grundlage dar, um einen Eindruck von den Einnahmen in dieser Periode zu gewinnen.27 Seinen Berechnungen zufolge stammt weit unter einem Drittel der Einnahmen der res publica in dieser Zeit aus der Welt östlich der Adria. Gleichzeitig rührten etwa 10 % der Gesamteinnahmen dieser Zeit aus Beute her, die im Osten gemacht wurde und die natürlich äußerst sichtbar und leicht zu transportieren war – das Potenzial, daraus den spezifischen Diskurs über luxuria und die Auswirkungen der griechischen Kultur zu generieren, sollte offensichtlich sein, wenn auch möglicherweise irreführend. Es reicht nicht, ökonomische Überlegungen (im weitesten Sinne) kurzerhand abzulehnen; jeder Gegenvorschlag muss sich mit den Befunden und mit der Begrenztheit eben dieser Befunde auseinandersetzen, ganz egal wie unbefriedigend die Antworten ausfallen mögen.28 Ein dritter Wandel in den Herangehensweisen zum römischen Imperialismus im Laufe des 20. Jahrhunderts führt uns zurück zu Friedrich Münzer und der sogenannten prosopographischen Methode (und damit zum Anlass dieses Beitrags). Die einzige bedeutsame Aussage zur Außenpolitik, die ich in den Adelsparteien finden kann, ist die Beobachtung, dass die „Scipionische Partei“ im zweiten Jahrhundert eine besondere Beziehung und Verbindung zu Spanien unterhielt;29 Münzer war jedoch mehr an den Grundlagen aristokratischer Konkurrenz interessiert und deutet nicht an, dass dieser Wettbewerb durch externe Erwägungen, wie etwa die Außenpolitik, motiviert gewesen wäre.30 Im Gegensatz dazu werden in späteren Arbeiten wie denen von Filippo Càssola oder Hugh Scullard Entscheidungen, die das Imperium betreffen, unmittelbar an die Prosopographie rückgekoppelt und als durch die Interessen familienbasierter Parteien und deren Unterstützer motiviert bewertet. Auch Ernst Badians vielfach missbrauchtes Modell zu den Foreign clientelae stellt 26 27 28 29
30
S. z. B. Gossman 2003; Saller 1980. Frank 1933: 126–141. S. jetzt Kay 2014 mit einem neuen Versuch, eine solche Analyse vorzunehmen. Münzer 1920: 418: „Für die Geschichte Spaniens war es auf lange bestimmend, dass die Scipionische Partei die hier auftauchenden Fragen als ihre besondere Domäne ansah; nur weil dergleichen in diesem Buche bloß gelegentlich und flüchtig gestreift werden konnte …, sei es einmal ausdrücklich betont.“ Obwohl man mit Blick auf den vorherigen Paragraph die unterschwellige Akzeptanz des Einflusses durch den Merkantilismus feststellen könnte, wie z. B. in Münzer 1920: 51: „Den Hintergrund für die kräftige Förderung, die Scipios afrikanische Expedition von den führenden etruskischen See- und Handelsstädten erhielt (Liv. 28,45,14–18) bildet doch auch die nachsichtige Duldung der üblen Geschäftspraktiken dieser Kreise von seiten der regierenden Herren in Rom, die in der Angelegenheit des M. Postumius aus Pyrgoi zutage trat (Liv. 25,3,12).“
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in vielerlei Hinsicht eine Erweiterung dieses Ansatzes dar.31 Diese Untersuchungen sind in große Ungnade gefallen, aber als eine Folge der Art und Weise, wie das Pendel zwischen den unterschiedlichen Ansätzen schwingt, ist der letztliche Verlust eines wichtigen Interpretationsmodells, das dem zugrunde liegt, zu beanstanden, nämlich, den Imperialismus aus der Perspektive interner Debatten und individueller Interessen zu betrachten – etwas, das nur teilweise durch Eckstein wiederaufgegriffen wird, wenn er die Rolle des individuellen Generals im Feld betont.32 Die viel geschmähte Arbeit von Filippo Càssola ist ein nützliches Beispiel dafür, was durch einen solchen Paradigmenwechsel verloren gehen kann: Càssola argumentierte nicht nur dafür, als Movens in der römischen Außenpolitik die Familien und andere interpersonelle Gruppierungen zu sehen, sondern dass ein großer Teil dieser individuellen Motivation stark auf ökonomische Aspekte ausgerichtet war. Ein solcher Ansatz, in dem prosopographischer Exzess mit überzogenen Ideen von einer kapitalistischen Bourgeoisie, die Rom regierte, kombiniert wird, war möglicherweise schon von Beginn an in zweierlei Hinsicht zum Scheitern verurteilt.33 Aber vieles, was Càssola über die römische Hegemonie (nicht Annexion) zu sagen hatte, erscheint überraschend modern, zumal er sich vehement gegen das Erbe von Holleaux aussprach: „Maurice Holleaux ritiene invece che il senato romano sia stato composto di rozzi contadini, incapaci di vedere oltre il proprio naso.“34 Eine weiterhin andauernde Herausforderung, den römischen Imperialismus verstehen zu wollen, stellt die Frage nach der Konzeptualisierung der römischen Außenpolitik, ihrer Ausgestaltung sowie ihrer Handlungsträger und deren ‚agency‘ dar. Solange nicht die Anstrengung unternommen wird, einen notwendigerweise holistischen Ansatz zur Untersuchung der römischen Verhaltensmuster anzuwenden, ist es auch hier schwierig abzuschätzen, wie sich die Forschungsdiskussion weiterentwickeln kann. Die wachsende Abneigung gegen ökonomische wie auch Parteien annehmende prosopographische Analysen hat wiederum die Aufmerksamkeit vermindert, die dem Westen im Rahmen der Beurteilung des römischen Imperialismus geschenkt wurde, da der westliche Teil des Imperiums häufig die ergiebigere Quellenlage für diese beiden Herangehensweisen lieferte (gerade auch weil er schon von einem frühen Zeitpunkt an regelmäßig im Fokus römischer Aktivitäten stand – siehe dazu unten). Parallel dazu resultierte auch aus der Abkehr von den Ideen der Annektierung und der damit verbundenen Zurückweisung der territorialen Bedeutung der provinica (vor der späten Republik) eine Vernachlässigung des Westens in unseren Untersuchungen, schließlich ist nicht zu bestreiten, dass es mehr ‚reguläre‘ Provin31 32 33 34
Càssola 1962; Scullard 1973; Badian 1958. Eckstein 1987. Besonders Càssola 1962: 50–71. Càssola 1962: 67. Vgl. Culham 2008 in ihrer Rezension zu Eckstein 2006a : „I share Eckstein’s pessimistic assumption that most classicists and historians of antiquity simply assume that Harris is right to attribute Roman dominance of the Mediterranean world to a combination of a sick cultural proclivity for violence, extreme militarization, and a senate with the morality of a biker gang.“
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zen im Westen zu einem früheren Zeitpunkt gab.35 Der rezente Fokus beispielsweise auf diplomatischen Interaktionen hat unvermeidlich einen stärkeren Fokus auf den Osten gelegt, für den literarische wie auch epigraphischen Zeugnisse reichlicher vorhanden sind – trotz paralleler Bemühungen, Diplomatiemuster für den Westen zu erforschen.36 Ungeachtet der oben genannten Kommentare ist es sicherlich nicht mein Ziel vorzuschlagen, dass wir beispielsweise einfach den ökonomischen Imperialismus wiederaufleben lassen oder Familiengruppierungen mit wirtschaftlichen Interessen zu rekonstruieren versuchen sollten. Trotzdem sollten wir uns davor in Acht nehmen, solche Ansätze einfach abzulehnen, weil sie nicht alles beantworten können. Vielmehr ist eine ausgewogene Beurteilung des Ganzen dringend geboten. Um zu einer solchen ausgeglicheneren Beurteilung zu kommen, möchte ich im letzten Teil dieses Beitrags als ersten Schritt einige sehr vorläufige Datensätze vorstellen – verbunden mit der Hoffnung, damit die dringende Notwendigkeit der Reintegration des Westens in die Untersuchungen über den römischen Imperialismus nach 200 v. Chr. deutlich machen zu können. Keiner dieser Datensätze ist gänzlich neu, und ich bin häufig für die Zusammenstellung der Daten stark auf ältere Literatur angewiesen. Ich habe die Präsentation dieser Informationen jedoch noch nie in dieser Form oder in einer solchen chronologischen und/oder geographischen Bandbreite gesehen. Die verwendeten Daten sind Teil eines laufenden Projektes und werden im Laufe des Jahres 2016 verfeinert und verbessert; es ist aber nicht wahrscheinlich, dass sich die grundlegenden Muster (noch) ändern werden.37 Ich beginne mit der Verteilung der Kommanden in den Provinzen. Obwohl die Dichte der Zuweisung von Provinzen an Konsuln und der römischen Feldzüge in Norditalien in der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts schon mehrfach und mit Nachdruck hervorgehoben worden ist, wurden die bisherigen Analysen meines Wissens nach nie auf die ganze Zeitspanne ausgeweitet (Abb. 1).38 Die solche Bewertung von Provinzzuteilungen kann sinnvollerweise auch auf Prätoren ausgedehnt werden, auch wenn die Anzahl der bekannten prätorischen Provinzen in dieser Zeit möglicherweise nicht ausreichend ist, als dass es sich lohnen würde, die Ergebnisse in gleicher Weise auf einer Karte darzustellen (mit dem Abbruch der Überlieferung von Livius sinkt die Zahl der formal bestätigten prätorischen Provinzen im Zeitraum 165–81 v. Chr. auf ca. 15 %). Nichtsdestotrotz können wir plausibel annehmen, dass nicht mehr als 20 %, möglicherweise deutlich weniger, der 620 im 2. Jahrhundert v. Chr. ernannten Prätoren östlich der Adria dienten. Was für eine
35 36 37 38
Zur Diskussion über die Einrichtung ‚regulärer‘ Provinzen s. Ferrary 2008 u. 2010. S. z. B. Eilers 2009; das Material zum Westen findet sich zusammengestellt unter www.occidens.es. Überarbeitete Datensätze werden im Rahmen eines Projektes mit dem Titel ‚Remodelling Roman Imperialism‘, das von der British Academy finanziert wird (2016), entwickelt und online gestellt. Z. B. Gabba 1990: 199; Millar 1984: 1 f.; TwymanBriggs 1992; Sherwin White 1984: 1–17 (er weist ebd., 12 Anm. 20 auf eine geplante Untersuchung hin, die jedoch nie veröffentlicht wurde).
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Abb. 1: Zuweisung konsularischer Provinzen im Zeitraum 264–91 v. Chr. n = 348, von denen 60 nicht zuzuordnen und eingetragen sind (Die Daten wurden vor allem Broughton 1951–1952 entnommen). Die Kartengrundlage wurde ‚Wargames‘ (1:18.000.000), realisiert durch Daniel P Huffman, Project Linework, entnommen. Download unter der Vorgabe der Creative Commons Lizenz www.projectlinework.org am 09.09.2015. Gestaltet durch Jonathan Prag.
Geschichte sollen wir über diese Zeit schreiben, wenn die große Mehrheit aller Imperiumträger dieser Zeit ihre Kommanden westlich der Adria innehatten? Diese Beobachtung wird gestärkt, wenn wir die Tabellen zur Verteilung der Legionen von Afzelius, Toynbee und Brunt zusammenführen (Abb. 2). Im Zeitraum 200–91 v. Chr. waren von den ungefähr 749 Jahreseinsätzen der Legionen (grob definiert als die Aushebung und Entsendung einer einzelnen Legion für den Feldzug eines bestimmten Jahres) nur 93 im Osten (12 %) lokalisiert; sobald die italischen Verbündeten zu dieser Gleichung hinzugerechnet werden (numerisch mindestens noch einmal dieselbe Anzahl), kann die quantitative Präsenz von Römern und Italikern in militarisierter Form im Westen (und nicht im Osten) nicht ignoriert werden. Grob gefasst ist die Latinisierung des Westens möglicherweise nicht überraschend, und zwar nicht aufgrund der Abwesenheit von Griechen, sondern vielmehr aufgrund der vergleichsweise starken römischen und italischen Präsenz im Westen in dieser Periode. Wie bereits oben angedeutet, wird durch die Hervorhebung der gelegentlichen großen Triumphe aus den Ostfeldzügen in der literarischen Überlieferung die Realität dessen verfehlt, was in Rom tatsächlich wahrgenommen und erfahren wurde. Der numerische Großteil der Triumphe resultierte aus den Aktivitäten im Westen, und sehr viele der visuellen und verbalen Darstellungen der Eroberungen, die dem römischen Volk präsentiert wurden, waren grundsätzlich mit den Eroberungen im Westen assoziiert (Abb. 3). Die hier dargestellten Zahlen sind dem jüngsten Aufsatz von John Rich entnommen, der die Erforschung über Triumphmuster in der republikanischen Zeit auf ein neues Fundament stellt und weit über die Bemühungen
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Abb. 2: Entsendung von Legionen östlich und westlich der Adria im Zeitraum 200–91 v. Chr. Daten für den Zeitraum 200–168 v. Chr. stammen von toynBee 1965: Bd. 2, 652 tab. IV (nach afzelius 1944); 167–91 v. Chr. von Brunt 1987: 432–33 Tab. XIII. Das Schaubild wurde erstellt von Jonathan Prag mithilfe von MS Excel und Daniel’s XL Toolbox (http://xltoolbox.sourceforge. net/, unter Vorgabe der GNU General Public License v2).
dieses Beitrags hinausgeht.39 Wir sollten zudem stärker weitere Punkte miteinbeziehen, wie beispielsweise, dass die erste fabula praetetxta, die militärische Großtaten wiedergibt, Naeviusʼ Clastidium war, in der die Niederwerfung der insubrischen Gallier durch M. Claudius Marcellus thematisiert wird. Die ersten Spiele ex voto waren die des Scipio Africanus nach seinem Feldzug in Spanien im Jahr 205 und nochmals nach der Kampagne in Afrika im Jahr 200; das erste Triumph-Gemälde entstand mit der Überfahrt nach Sizilien; die ersten ‚Karten‘ zu den Eroberungen (wie auch immer diese genau aussahen) bezogen sich auf Italien und Sardinien.40 Alles Vorgenannte mag dazu beitragen, das Argument zu bestärken, das John Richardson in Hispaniae (1986) anbringt, nämlich, dass die römische Präsenz im Westen „created the institutions of law, taxation and urban settlement which turned 39
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Rich 2014; siehe Abb. 5 zu den Regionen, für die Triumphe gewährt wurden. Rich 2014: 209 stellt fest, dass abgesehen von der ungewöhnlichen Phase 200–166 v. Chr., während der Spanien, Italien und der Osten als Ausgangspunkte für Triumphe dominierten, die Verteilung weiter gestreut war und nur im geringen Maße an einzelne spezifische Regionen zurückgeführt werden kann. S. passenderweise Klar 2006: 165–170 zu Spielen und Theater; vgl. Leigh 2010 für die Wirkung des Ersten Punischen Krieges auf die Literatur; zu Bildern und Karten s. z. B. Hölscher 2006: 40 (Plin. NH 35,22 zu Messallas Gemälde); Nicolet 1991: 99 (Varro rust. 1,2,1 u. Liv. 41,28,10 zu Karten von Italien und Sardinien).
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Abb. 3: Geographische Ursprünge für die Vergabe von Triumphen im Zeitraum 264–50 v. Chr. Die Daten stammen aus rich 2014: 210 Table 5. n = 136 (signifikant unterrepräsentiert ist die Phase 165–130 v. Chr., rich 2014: 207); die ‚halben Zahlen‘ weisen auf einen einzelnen Triumph, der für Siege und Eroberungen in mehreren Provinzen gewährt wurde. Die Kartengrundlage wurde ‚Wargames‘ (1:18.000.000), realisiert durch Daniel P Huffman, Project Linework, entnommen. Download unter der Vorgabe der Creative Commons Lizenz www.projectlinework.org am 09.09.2015. Gestaltet durch Jonathan Prag.
provinciae into provinces“ und „… in the period between the war with Hannibal and the dictatorship of Sulla, formed the matrix of the Roman empire.”41 Ich möchte jedoch dafür argumentieren, dass es an der Zeit ist, jegliche Ost/West-Dichotomie aufzugeben. Die eigentliche Zeitspanne, in der es ‚reguläre‘ Provinzen im Westen gab und in der deren Einrichtung im Osten vermutlich vermieden wurde, ist vergleichsweise kurz; wir sprechen über einen Zeitraum von nicht mehr als 70 Jahren, in denen es im Westen (nicht weniger als im Osten) Regionen gab, denen keine Provinzmagistrate vorstanden, obwohl man solche hätte einrichten können. Trotz des ‚provincial turn‘ scheinen wir unsere Obsession für die provincia als das strukturierende Element in den Diskussionen über den römischen Imperialismus nicht überwunden zu haben. Wenn wir akzeptieren, dass die provincia ein weitaus weniger konkretes Konzept in der Phase vor Sulla war, dann müssen wir gleichzeitig die Annahme überdenken, dass es deswegen eine Art grundlegende Dichotomie zwischen einem provinzialisierten Imperium und einer nicht-provinzialisierten Hegemonie gegeben haben muss. Es verwundert, dass John Richardson in seinem ausgezeichneten Buch über die Language of Empire (2008) zwar alle Fälle, in denen die Begriffe imperium und provincia Verwendung finden, analysiert, allerdings wenige Schlüsse ex negativo zieht. Die bedeutendste römische Beschreibung des Imperi41
Richardson 1986: 180.
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ums, die uns aus dem zweiten Jahrhundert v. Chr. vorliegt, ist die erste Zeile der gracchischen lex repetundarum: quoi socium nominisve Latini exterarumve nationum, quoive in arbitratu dicione potestate amicitiave populi Romani.42 Erst mit Cicero liegen uns Listen vor, in denen die provinciae einbezogen sind.43 Während wir langsam aber stetig unsere Annahmen von einer institutionalisierten republikanischen Herrschaftspraxis im Reich dekonstruieren (auch angesichts des sehr fluiden und reichsweit angewandten Konzepts des socius et amicus populi Romani), lohnt es, sich zu fragen, ob es einen wirklichen Unterschied machte, wenn eine politische Gemeinschaft, wie beispielsweise eine polis oder eine Stammesgemeinschaft, die mit der römischen Macht konfrontiert worden war, nunmehr in einer Region lag, der ein regulärer Magistrat vorstand, oder aber in einer Region lag, der keiner vorstand – und zwar über die rein praktische Überlegung hinaus, dass ein römischer Magistrat relativ nahe zur Hand und potenziell geneigt wäre, ab einem gewissen Grad innerer politischer Streitigkeiten direkt einzugreifen.44 Die Art der Anwesenheit dieses römischen Magistrats und seine Möglichkeiten waren in jeder einzelnen Region, die als provincia eingeteilt war, unterschiedlich: etwa, ob er Truppen hatte, wie lange er und seine Vorgänger etabliert waren, ob und welche regionalen Maßnahmen wie etwa Besteuerung getroffen worden waren usw. Aber auch die Art der römischen Anwesenheit in einer Region, der aktuell kein regulärer Magistrat vorstand, war nicht weniger vielschichtig. Ein weitaus differenzierter, den Ost/West-Gegensatz ausblendender Ansatz zur Erforschung der römischen imperialen Praxis und ihrer Wirkung ist dringend notwendig, einer, der die Idee einer imperialen Handlungsweise, die auf dem praktischen Level der individuellen politischen Gemeinschaft operierte, aufnimmt und nicht das potenziell leere Konzept der provincia priorisiert. Brücken in diese Richtung sind gelegentlich schon geschlagen worden: In Coinage and Money under the Roman Republic (1985) stellt Michael Crawford in Bezug auf Roms Handlungen in Verbindung mit dem lokalen Münzwesen im Reich im zweiten Jahrhundert fest, dass „the divorce between Roman imperialism in the east
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Crawford 1996: 65 Nr. 1: „Wer zu der Gruppe der Bundesgenossen oder denjenigen latinischen Namens oder den auswärtigen Völkern gehört oder wer unter dem Rechtsspruch oder der Amtsgewalt oder in Freundschaft zu dem römischen Volk steht …“ Vgl. Rhet. Her. 4,9,13; Cic. Verr. 2,5,168; s. Richardson 2008: 55–92. Dieser Aspekt ist nicht neu, aber die Implikationen scheinen nicht bis zu Ende gedacht worden sein. Vgl. schon Brunt 1990: 298: „In form the status of such allies and friends of Rome beyond provincial frontiers was no different from that of others like Massilia whose territories constituted enclaves within a province. In reality the degree of their dependence was determined by the advantages or disadvantages that might induce Rome to punish or overlook disobedience to her will.“ Ähnlich ebd., 300: „A recent writer has drawn a distinction between the Roman empire stricto and lato sensu, the former comprising only territory under Rome’s own administration and the latter the subordinate states as well. This is clearly a useful tool of analysis, but it does not correspond to Roman usage.” Ähnlich z. B. Hurlet 2009: 14; sogar Ba dian 1968: 9. Richardson 1986: 178 f. verweist auch auf diesen Punkt, jedoch um die ‚Annexierungstheorie‘ abzulehnen und sie durch eine andere Dichotomie zu ersetzen.
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and west was perhaps not as great as is sometime suggested.“45 Ernst Badian schlug einst vor, dass die Beziehungen zwischen Karthago und Massinissa in der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts eine Geschichte liefern „of the attitude of Rome to her two client states; and it is, to some extent, the experience of their subservience that moulded Rome’s attitude towards her Eastern friends and allies“, und nicht andersherum. Aber sobald eine Deutung wie Badians clientela-Modell in Ungnade fällt, wird sogleich jede Einzelerkenntnis mitabgelehnt. Polybios selbst zieht in dem Brief der Scipionen an Prusias von Bithynien Beispiele früherer römischer Vorgehensweisen in Spanien, Afrika und Griechenland heran, um zu veranschaulichen, was sie in Bezug auf die Könige in Asien tun würden. Solche Versuche, Ost und West in der römischen Handlungsweise miteinander zu verbinden, scheinen selten und unterschätzt zu sein.46 Ich fasse anhand dreier anschaulicher Beispiele kurz zusammen, die meiner Meinung nach zugunsten eines stärker holistischen Ansatzes sprechen, der auf die Vielfalt auf lokaler und regionaler Ebene reagiert. Das erste Beispiel ist möglicherweise ein offensichtliches: Die Repetundenprozesse entstanden nach Beschwerden aus Spanien in der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts, stellen aber der Überlieferung nach ein reichsweites Phänomen dar (Abb. 4). Berücksichtigt man das oben genannte Gleichgewicht von Triumphen und Militärdienst (und folglich Beute sowie Besteuerungsmodellen), legt diese Entwicklung den Schluss nahe, dass dem Westen eine bedeutendere Rolle in der Interpretation des Dekadenzdiskurses durch das Reich zugeschrieben werden sollte, welcher in der Forschung zu eilfertig mit den kulturellen Tropen rund um die Hellenisierung verknüpft und durch diese subsumiert wird. Das zweite, vielleicht weniger offensichtliche Beispiel dreht sich um den römischen Einsatz lokaler Kräfte als Hilfstruppen für die militärischen Kampagnen (Abb. 5). Der Einsatz und die Entsendung solcher Truppen ist ein bemerkenswert reichsweites Phänomen und findet sich sehr gleichmäßig verteilt. Eine Analyse, in der die Ost/West-Aufteilung Anwendung findet, wäre hierbei weitestgehend sinnlos, da solche Truppen grundsätzlich in lokalen Kontexten eingesetzt wurden und daher die Konzentration und Muster ungefähr gleich ausfallen, egal welche Aufteilungen man vorzieht – es ist vielmehr die Praxis, die das Verhalten der Römer im sich etablierenden Reich veranschaulicht.47 Das dritte Beispiel weist auf ein spannendes und selten wahrgenommenes Phänomen, nämlich den Bau von Straßen im weiteren ‚provinzialen‘ Imperium: Den epigraphischen Zeugnissen nach scheint es, als hätten die Römer in nur wenigen Jahrzehnten im späten zweiten Jahrhundert
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Crawford 1985: 132. Er stellt fest, dass der iberische Denar, das Provinzmünzwesen im sizilischen Westen und Veränderungen in Prägemustern im griechischen Osten ungefähr gleichzeitig in der Mitte des zweiten Jahrhunderts v. Chr. stattfanden. Er vermutet ebd., dass die römischen Erfahrungen im griechischen Osten wohl mit zu der Etablierung des iberischen denarius wie auch der Schaffung einer spezifisch romano-sizilischen Münzprägung führten. Badian 1958: 126; s. Pol. 21,11,6–9. Diese Daten wurden im Rahmen eines früheren Projekts zu auxilia externa erhoben; vgl. ausführlicher Prag 2007; 2011a; 2011b; 2015; eine Monographie zu diesem Thema ist in Arbeit.
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Abb. 4: Geographische Ursprünge der Repetundenprozesse in der späten Republik. Daten nach alexander 1990. n = 58, von denen 19 nicht zuzuordnen sind. Die Kartengrundlage wurde ‚Wargames‘ (1:18.000.000), realisiert durch Daniel P Huffman, Project Linework, entnommen. Download unter Vorgabe der Creative Commons Lizenz www.projectlinework.org am 09.09.2015. Gestaltet durch Jonathan Prag.
Abb. 5: Rekrutierung von auxilia externa 264–49 v. Chr., Daten basieren auf dem literarischen oder epigraphischen Nachweis eines tatsächlichen Einsatzes. n = 470, von denen ein Fall nicht ermittelbar und nicht eingetragen ist. Die Kartengrundlage wurde ‚Wargames‘ (1:18.000.000), realisiert durch Daniel P Huffman, Project Linework, entnommen. Download unter Vorgabe der Creative Commons Lizenz www.projectlinework.org am 09.09.2015. Gestaltet durch Jonathan Prag.
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v. Chr. Straßen quer durch ihr entstehendes Reich gebaut, von Spanien bis nach Pamphylien.48 Friedrich Münzer, der Ehrenempfänger dieses Bandes, basierte seine Forschung auf einer unermüdlichen Zusammenstellung von Zeugnissen zu den einzelnen Personen der Römischen Republik. Die Erforschung des römischen Imperialismus wurde immer wieder geformt durch tief verwurzelte Diskurse um Kategorien wie Kultur und Rechtfertigung, die bis zu den Anfängen zurückreichen. Sie können kaum ignoriert werden und natürlich schreibt jeder Historiker seine ‚Geschichte‘ im Rahmen und für seine eigene Zeit und seinen eigenen sozialen Ort, aber vielleicht ist es an der Zeit, die Diskussion auf einer ganz anderen, systematischeren Grundlage neu zu beginnen. Ansonsten wird die vorherrschende Meinung über die römische Expansion unverändert bleiben, dominiert von einer literarischen Trope und grundsätzlich irreführend: „For all that Pliny, himself only following Virgil, might grow dewy-eyed about Rome’s bringing gentle manners to the world, he knew as well as other Romans that it was what they had acquired from their empire that had brought a revolution in manners to Roman Italy. For although Rome’s first major overseas war was against the Carthaginians, in the middle of the third century BC, it only took over Carthaginian territory after 146 BC; Rome’s serious acquisition of an overseas empire started with the conquest of the world of Greek cities in the 190s BC, and captivation followed. ‚Captive Greece captured her fierce conqueror and brought arts to rustic Latium‘, in the much-repeated phrase of Horace.“49
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DIE ETHNISIERUNG DES BÜRGERKRIEGS Zur Dynamisierung der Gewalt nach Sullas Rückkehr aus dem Osten Michael Jung, Münster „In der Tat ist Sulla eine von den wunderbarsten, man darf vielleicht sogar sagen eine einzige Erscheinung in der Geschichte“, so lautete das berühmte Fazit von Theodor Mommsen über eine der umstrittensten Figuren der späten römischen Republik.1 Der wunderbare Charakter der sullanischen Blutspur in der Geschichte der Republik mag sich nicht jedem Zeitgenossen, aber auch nicht jedem Historiker erschließen – die einzigartig neue Dimension von Gewaltanwendung innerhalb der politischen Auseinandersetzung stellte aber einen markanten Bruch dar. Nach seiner Landung in Brundisium bei der Rückkehr aus dem Osten entfesselte Sulla eine Dynamik der Gewalt, die nicht nur in Rom selbst, sondern darüber hinaus auf der italischen Halbinsel tausende Opfer fordern konnte. Diese Gewalteskalation besaß viele Dimensionen – es handelte sich um einen zerstörerischen Machtkampf innerhalb der Führungselite ebenso wie um die Fortsetzung eines Kampfes um die Frage der Zugehörigkeit zum Verband der römischen Bürger. Die verschiedenen Konfliktfelder waren vielfältig miteinander verknüpft, und die militärische Auseinandersetzung ließ die Grenzen zwischen ihnen so verschwimmen, dass ein hochdynamischer Konflikt mit einem ungekannten Gewaltpotenzial sich entfesselte. Dieser Beitrag soll keinesfalls den Anspruch erheben, die dramatische Eskalation der Gewaltanwendung insgesamt erklären zu wollen. Ein vielfach unberücksichtigt gebliebener Aspekt aber soll untersucht werden, der in der Analyse der römischen Bürgerkriege in unseren so stark auf die Führungseliten konzentrierten Berichten oft nur am Rande erörtert oder nur gestreift wird, obwohl er nicht den einzigen, aber einen wichtigen Beitrag zur Entgrenzung der Gewaltanwendung geleistet hat: Das war die Ethnisierung des Konflikts. Im marianisch-sullanischen Bürgerkrieg kämpften von Anfang bis zum Ende längst nicht nur römische Bürger, vielmehr war die Frage, wer denn nun eigentlich römischer Bürger sein sollte, selbst eines der zentralen Themen des Konflikts. Anders als etwa die Quellendarstellung des Appian es suggeriert,2 war der vorausgehende Bundesgenossenkrieg keinesfalls abgeschlossen, als die Lage in Rom eska-
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Mommsen 1909: 367. App. civ.1,53 spricht vom Ende des Bundesgenossenkriegs und der Aufnahme aller Italiker in die römische civitas mit Ausnahme der Lucaner und Samniten, die jedoch kurz darauf ebenfalls das Ziel erreicht hätten. Appian führt nichts näher zum Zeitpunkt dieser Gewährung an die zunächst Ausgeschlossenen an.
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lierte.3 Vielmehr verschränkten sich die beiden Konfliktfelder auf vielfältige Weise und boten so die Grundlage, dass im weiteren Verlauf der Bürgerkrieges ethnisch motivierte Gewalt zu einem charakteristischen und dynamisierenden Element der Gewaltanwendung werden konnte. Eine Schlüsselrolle spielt dabei der ungelöste Konflikt mit den Samniten.4 Als sich nämlich die Auseinandersetzung in Rom um das Oberkommando des Mithridates-Kriegs zuspitzte, da stand Sulla mit seinen Truppen an der Südfront des Bundesgenossenkriegs in Samnium. Das Kommando übergab er dem Metellus Pius, der den Kampf insbesondere um Nola weiterführen sollte.5 Die dramatische Zuspitzung der Situation in Rom nach dem Abmarsch Sullas führte dazu, dass der bedrängte Senat bereit war, Metellus mit den Samniten verhandeln zu lassen, um Truppen für den innerrömischen Konflikt freizubekommen. Einem Bericht Cassius Dios können wir entnehmen, wie die samnitische Antwort auf die Sondierung ausfiel: ὅτι οἱ Ῥωμαῖοι στασιάσαντες πρὸς ἀλλήλους τὸν Μέτελλον μετεπέμψαντο, κελεύσαντες αὐτῷ πρὸς τοὺς Σαυνίτας, ὅπως ποτ᾽ ἂν δύνηται, συμβῆναι: οὗτοι γὰρ ἔτι τότε μόνοι τὴν Καμπανίαν καὶ τὴν ἐπέκεινα αὐτῆς ἐκακούργουν. ὁ δὲ τούτοις οὐκ ἐσπείσατο: τήν τε γὰρ πολιτείαν ἠξίουν οὐχ ἑαυτοῖς μόνον ἀλλὰ καὶ τοῖς ηὐτομοληκόσι πρὸς σφᾶς δοθῆναι, καὶ οὔτε τι τῆς λείας ἣν εἶχον ἀποδοῦναι 1 ἤθελον, καὶ τοὺς αἰχμαλώτους τούς τε αὐτομόλους σφῶν πάντας ἀπῄτουν, ὥστε μηδὲ τοὺς βουλευτὰς τὴν εἰρήνην ἔτι τὴν πρὸς αὐτοὺς ἐπὶ τούτοις ἑλέσθαι. Als die Römer den Bürgerkrieg begannen, schickten sie Gesandte zu Metellus und befahlen ihm, mit den Samniten ein Friedensabkommen zu schließen, so gut wie er es zustande bringen könnte; denn zu diesem Zeitpunkt verwüsteten nur noch sie alleine Kampanien und das jenseits davon gelegene Gebiet. Trotzdem schloss Metellus keinen Vertrag mit ihnen ab, denn diese forderten, dass das Bürgerrecht nicht nur an sie, sondern auch an diejenigen vergeben werden solle, die zu ihnen übergelaufen seien, und außerdem weigerten sie sich, die gemachte Beute zu übergeben. Am Ende forderten sie außerdem noch alle Gefangenen und Überläufer aus ihren Truppen zurück. So wollten sogar die Senatoren keinen Frieden mehr mit ihnen abschließen.6 3
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Zum Gesamtproblem des Rechtsstatus der socii und der sich daraus ergebenden innenpolitischen Zuspitzung vgl. jetzt Kendall 2013: 282–283 und zur lex Plautia Papiria s. ebd., 816– 830 u. Dart 2014: 171–187. Unabhängig von der Frage, inwieweit alle italischen populi in die Verleihung der civitas einbezogen waren, war vor allem die Frage der Einbeziehung in die einzelnen tribus strittig. Durch die Verteilung der Neubürger auf die tribus wurde das ursprüngliche Ziel eines faktischen Ausschlusses von politischen Entscheidungen in Rom weiterhin erreicht und bildete, so vor allem Kendall, einen entscheidenden Grund, den Konflikt in der innenpolitischen Konfrontation zwischen Sulla und Marius in veränderter Form weiter eskalieren zu lassen. Inwieweit der Konflikt aufgrund eines römischen Chauvinismus ungelöst blieb, ist dabei im Einzelnen in der Forschung durchaus strittig. So argumentiert etwa Keaveney 1987: 102 im Sinne eines spezifischen römischen Überlegenheitsgefühls. Dagegen arbeitet Isaac 2004: pass., bes. 23–25, heraus, dass ein „Rassismus“ im Sinne eines vollständig ethnisch begründeten Überlegenheitsgefühls so nicht existierte, wohl aber ein deutlich markiertes Bewusstsein sozialer und geographischer Differenz, das in Kategorien von Superiorität und Inferiorität dachte. Dagegen beruht die Studie von Salmon 1967 fast komplett auf der These, dass die politische Identität der Samniten als Kontrapunkt zur römischen konstruiert wurde. Vgl. App. civ. 1,50 u. 65. Cass. Dio frg. 102,7 (alle Übers. M. Jung).
Die Ethnisierung des Bürgerkriegs
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An dieser Stelle wird bereits eines deutlich: Zu Beginn des Bürgerkrieges ist der Bundesgenossenkrieg keineswegs beendet, sondern er dauert weiter an. Metellus und mit ihm die optimatische Seite des Senats sind zu Zugeständnissen an die Samniten nicht bereit – denn die Samniten verlangen nichts anderes als einen Friedensschluss auf Augenhöhe und ein Eingeständnis der Römer, sie nicht bezwungen zu haben.7 Metellus und die Sullaner lehnen ab, schaffen damit aber zugleich eine politische Möglichkeit für die Gegenseite, ihnen hier gefährlich zu werden.8 Denn nach der Machtübernahme durch Cinna und der Rückkehr des Marius und den blutigen Kämpfen in Rom scheint die nun siegreiche Seite wenig Probleme darin gesehen zu haben, den Samniten nun das zu gewähren, was sie verlangten. Der Bericht Appians fasst das Ende des Bundesgenossenkrieges durchaus gegen die Chronologie der Ereignisse, aber im Sinne einer Bündelung des Stoffs relativ pauschal zusammen: καὶ τάδε μὲν ἦν περὶ τὴν Ἰταλίαν ἀμφὶ τὸν συμμαχικὸν πόλεμον, ἀκμάσαντα δὴ μάλιστα μέχρι τῶνδε, ἕως Ἰταλία πᾶσα προσεχώρησεν ἐς τὴν Ῥωμαίων πολιτείαν, χωρίς γε Λευκανῶν καὶ Σαυνιτῶν τότε: δοκοῦσι γάρ μοι καὶ οἵδε τυχεῖν, ὧν ἔχρῃζον, ὕστερον. Und dies waren die Ereignisse in Italien in Bezug auf den Bundesgenossenkrieg, der so lange schon gewütet hatte, bis ganz Italien in das römische Bürgerrecht aufgenommen wurde, bis auf die Lucaner und Samniten. Auch diese scheinen mir aber, allerdings etwas später, ihr Ziel erreicht zu haben.9
Über die genauen Umstände des Kampfes gegen die Samniten berichtet er kurz darauf präziser in Zusammenhang mit der optimatischen Strategie im Bellum Octavianum: Καικίλιον δὲ Μέτελλον τὰ λείψανα τοῦ συμμαχικοῦ πολέμου πρὸς Σαυνίτας διατιθέμενον, ἐκέλευον ὅπῃ δύναιτο εὐπρεπῶς διαλυσάμενον ἐπικουρεῖν τῇ πατρίδι πολιορκουμένῃ. οὐ συμβαίνοντος δὲ Σαυνίταις ἐς ἃ ᾔτουν τοῦ Μετέλλου, ὁ Μάριος αἰσθόμενος συνέθετο τοῖς Σαυνίταις ἐπὶ πᾶσιν οἷς ᾔτουν παρὰ τοῦ Μετέλλου. ὧδε μὲν δὴ καὶ Σαυνῖται Μαρίῳ συνεμάχουν. So befahlen sie [scil. die Consuln] Caecilius Metellus, der gerade damit beschäftigt war, die letzten Kämpfe des Bundesgenossenkrieges mit den Samniten zu beenden, den Befehl, unter möglichst ehrenhaften Bedingungen ein Friedensabkommen zu schließen und dann seiner belagerten Heimatstadt Hilfe zu bringen. Metellus aber bewilligte die Forderungen der Samniten nicht, und Marius bemerkte dies, bewilligte ihnen ihre kompletten an Metellus gerichteten Forderungen und kam so zu einem Abkommen mit den Samniten, die so nun auch Partner des Marius wurden.10
Es spricht vor dem Hintergrund dieser Entwicklung nichts dafür, dass ein samnitisches Heer weiterhin in Italien unter Waffen stand – von dem samnitischen Feldherrn Papius Mutilus, der den römischen Truppen im Bundesgenossenkrieg so vielfältige Schwierigkeiten gemacht hatte, hören wir jedenfalls in den Quellen nichts 7 8 9 10
Vgl. zu den samnitischen Forderungen Salmon 1967: 375. Grat. Lic. 35,28–30. Hierzu Kendall 2013: 516–518 mit Anm. 66. Zur folgenden Einbeziehung der Samniten in Kämpfe auf marianischer Seite Lovano 2002: 40. Zur Beteiligung Fimbrias an den Verhandlungen auf marianischer Seite Rawson 1987: 168. App. civ. 1,53 App. civ. 1,68.
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mehr – was ebenfalls gegen eine kontinuierliche Fortsetzung des Kampfes mit den Römern in dieser Zeit spricht, genau wie das spätere Bündnis der Samniten mit der marianischen Seite. Wichtige Städte wie Nola und Praeneste scheinen, deutet man die Quellenzeugnisse richtig, spätestens 87 v. Chr. das volle römische Bürgerrecht erhalten haben.11 Zudem waren die Samniten, die im Bundesgenossenkrieg gegen die Römer kämpften, keineswegs identisch mit jenen, die wir gegen Sulla unter Waffen sehen: Im Bundesgenossenkrieg werden in den Quellen die Pentri und die Hirpini als Insurgenten genannt, aber nirgends die Caudini. Im späteren Konflikt ist der Kreis der kämpfenden populi viel größer: Er umfasst nicht nur die vorherigen, sondern auch die Caudini, die Sabelli aus Capua und Messana.12 Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass in Samnium in den weiteren 80er Jahren v. Chr. eine mehr oder weniger gespannte Ruhe geherrscht haben dürfte; es spricht jedenfalls nichts für eine Fortsetzung der Kämpfe. Der Bundesgenossenkrieg hätte beendet sein können.13 Nach der Landung Sullas in Brundisium stellte sich jedoch recht bald die Frage, wie der Rückkehrer, der so unverhohlen dem stadtrömischen Regime mit einer militärischen Aktion drohte, sich zu den zwischenzeitlich erfolgten politischen Antworten auf die Fragen des Bundesgenossenkrieges stellen würde. Für die Beurteilung der von Sulla gefundenen politischen Antworten sind mehrere Aspekte von Belang. Zum einen wird nirgendwo in unseren Quellen erwähnt, dass sich Sulla auf dem Weg von Brundisium nach Norden irgendwo ein aus Samniten gebildetes Heer entgegenstellte – im Gegenteil: Sulla stellte sich nach dem cinnanischen Debakel zuerst gar kein Heer entgegen, sondern das Regime in Rom musste erst einmal Truppen sammeln und zeigte sich denkbar schlecht vorbereitet. Aber auch die Samniten scheinen zunächst einmal abgewartet zu haben, wie sich die Lage weiter entwickelte bzw. unternahmen jedenfalls als Stammesverband keine für uns rekonstruierbare, dem Vorgehen im Bundesgenossenkrieg vergleichbare Mobilisierung. Vielmehr dürften sie Teil der für beide Bürgerkriegsparteien erwähnten Sondierungen14 und Truppenaushebungsaktionen im italischen Raum gewesen sein. Velleius Paterculus schildert eine Phase allgemeiner intensiver Verhandlungen: tanta cum quiete exercitum per Calabriam Apuliamque cum singulari cura frugum, agrorum, hominum, urbium perduxit in Campaniam temptavitque iustis legibus et aequis conditionibus bellum componere. Mit solchem Verzicht auf Kriegshandlungen führte er seine Heere durch Kalabrien und Apulien, mit einer einzigartigen Rücksicht auf die Ernte, die Felder, die Menschen und die Städte, und er versuchte, mit fairen Abkommen und zu günstigen Bedingungen den Krieg zu beenden.15
Das bedeutet aber zugleich auch, dass Sulla durch samnitisches Kerngebiet zog, ohne dass es dabei zu militärischen Handlungen größerer Art gekommen wäre – im 11 12 13 14 15
Salmon 1967: 376; vgl. Liv. epit. 89; App. civ. 1,65. Vgl. zu dieser Frage Keaveney 1981. Vgl. Dart 2014: 202. Zu den Verhandlungen und zu Sullas Haltung gegenüber den Samniten s. Santangelo 2007: 67–78. Vell. 2,25,1.
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Gegenteil, Velleius schließt dies beinahe aus mit seiner Formulierung tanta cum quiete. Auf der anderen Seite stieß aber bereits zu einem frühen Zeitpunkt, mit seinen Truppen aus Africa kommend, wo er sich versteckt gehalten hatte, Metellus zu Sulla.16 Dieser verfügte nicht nur über Truppen, sondern auch immer noch über ein proconsularisches imperium – und zwar jenes, das er vor der Übernahme der Macht in Rom durch die Marianer gegen die Samniten von Sulla übernommen hatte. Mit dem Vorrücken der immer zahlreicher werdenden sullanischen Truppen nach Norden drängte die Bürgerrechtsfrage zu einer Entscheidung. In der Livius-Epitome findet sich dazu einen wichtigen Hinweis auf das Ergebnis der Verhandlungen: Sulla cum Italicis populis, ne timeretur ab his uelut erepturus ciuitatem et suffragii ius nuper datum, foedus percussit. Sulla schloss mit den italischen Völkern ein Bündnis, damit er nicht ängstlich so angesehen würde, als ob er ihnen das gerade gewonnene Bürgerrecht und das Recht auf Abstimmung in Rom wieder zu rauben im Begriff wäre.17
Sulla war also grundsätzlich bereit, die inzwischen gefundenen Lösungen des Bundesgenossenkonflikts zu ratifizieren, wohl auch, um damit die Hände frei zu haben für den aktuellen politischen Konflikt, bei welchem es um mehr als nur ein Problem des Bürgerrechts ging; aber es ging natürlich auch darum, in Italien Truppen rekrutieren zu können für die bevorstehende Auseinandersetzung mit dem stadtrömischen Regime. Aus den späteren Ereignissen ergibt sich aber, dass eine große Gruppe von Sulla ausgenommen geblieben sein muss – entgegen der Pauschalität der LiviusZusammenfassung: Das waren die Samniten (und wohl auch die Lucaner), denen Sulla das römische Bürgerrecht verweigerte und damit die Ratifizierung der von den Marianern getroffenen Entscheidungen.18 In Plutarchs Sulla-Biographie werden die Samniten dabei als „alte Feinde der Römer von alters her“ bezeichnet,19 eine Formulierung, die – wie noch zu zeigen sein wird – wohl sicherlich auf die sullanische Propaganda selbst zurückgeht. In der Forschung hat dies dazu geführt, dass psychologisierend auf die Gründe für Sullas ‚Samnitenhass‘ eingegangen wurde. Dabei wurde dieser Samnitenhass auch als eine Art gentilizisch motiviertes Programm gewertet, hatte doch ein Vorfahr Sullas im Dritten Samnitenkrieg gegen diese gefochten.20 Das Problem bei diesem Hinweis ist, dass es sich um eine mo16 17 18
19 20
App. civ. 1,80; dort auch der explizite Hinweis auf das fortdauernd gültige imperium proconsulare. Liv. epit. 86. Liv epit. 88: Samnitibus, qui soli ex Italicis populis nondum arma posuerant. – Dies dürfte exakt die Begründung sein, mit denen die sullanischen Sieger vorgingen: Aus der selbst verweigerten Ratifizierung des Bürgerrechtsabkommens entstehen so Rebellen, die die Waffen nicht niedergelegt haben. Plut. Sull. 29,4. Christ 2002: 54; die Niederlage des Rufinus im Vierten Samnitenkrieg wird als Grund für das Ende seiner Karriere und den folgenden Bedeutungsverlust seiner gens herangezogen, vgl. Salmon 1967: 282–285, 383. Auch wenn diese Konstruktion sicher viel Plausibilität für sich
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derne gelehrte Konstruktion handelt, die ohne jeden Beleg in den Quellen bleibt, dass sie für Sulla handlungsleitend war. Auch ohne diese Konstruktion wird jedoch hinreichend klar: Sulla traf hier eine politische Grundsatzentscheidung, die in mehrfacher Hinsicht von fundamentaler Bedeutung für den weiteren Verlauf des Konflikts war. Die Entscheidung, die Samniten nicht in die Ratifizierung der inzwischen gefundenen Lösung des Bundesgenossenproblems einzubeziehen, war weder zwingend noch alternativlos: Angesichts der militärischen Lage wäre es sicherlich auch möglich gewesen, die Samniten ebenso wie die anderen populi in ihren Rechten zu bestätigen. Wenn Sulla es dennoch nicht tat, so gab es dafür eindeutig nur politische Gründe. Zum einen mag es Sulla zweckmäßig erschienen sein, die von Metellus verantwortete Entscheidung, den Frieden nicht abzuschließen, aufrechtzuerhalten – zeigte man damit doch Grundsatztreue und zugleich auch dem stadtrömischen Regime den fundamentalen politischen Revisionsanspruch auf und erlaubte es zugleich Metellus, mit seinem bisherigen imperium proconsulare an seiner Seite zu verbleiben. Zum anderen aber gelang es damit, den bevorstehenden Konflikt zu ethnisieren, ihn in die Kontinuität des Bundesgenossenkrieges zu stellen und damit als ein angemessenes Vorgehen gegen die Feinde Roms darzustellen. Sulla führte in seinem Verständnis den Krieg gegen eine Art ‚Erbfeind‘ der Römer nur weiter, in Wirklichkeit aber nahm er ihn neu auf. Damit gestaltete er den Bürgerkrieg bewusst zu einem ethnischen Konflikt mit den Samniten aus – und wichtiger als die psychologischen Voraussetzungen, die ihn dazu bewegt haben mögen, waren die Folgen dieser Entscheidung für die Kriegführung des Bürgerkriegs selbst. Wir können für die folgenden kriegerischen Auseinandersetzungen in Italien zwei Entwicklungen feststellen. Zum einen änderte sich die Kriegführung fundamental, sobald samnitische Kontingente in die Kampfhandlungen eingriffen. Zum anderen wurde der Konflikt in der Propaganda zu einem auf ethnischer Differenz beruhenden Krieg überhöht. Beides führte, das sei vorweggenommen, zu einer Eskalation der Gewaltanwendung. Bei einem Blick auf die Strategie der Kriegführung kann man zunächst festhalten, dass sich nach Beginn der militärischen Auseinandersetzungen sehr rasch zeigte, dass die marianischen Heere sich als außerordentlich instabil erwiesen.21 Neben der Inkompetenz mancher Führungsfiguren kam offenbar auch hinzu, dass die Heere beim ersten Feindkontakt und einer drohenden Niederlage ebenso schnell zerfielen, wie sie aufgestellt worden waren. Sulla dagegen konnte sich auf einen Truppenkern stützen, der ihm noch aus dem Mithridates-Feldzug treu ergeben war, und der nach der Landung in Brundisium aufgestockt und erweitert wurde. Die Beispiele für den Zerfall der Heere der anderen Seite sind evident: Bekannt ist das Beispiel des Con-
21
hat, führen die Quellen explizit nur den eigentlichen Anlass für den Sturz des Rufinus, einen Verstoß gegen die Tafelluxusgesetze, als Grund an, so Gell. 4,8,7; Val. Max. 2,9,4; Plut Sull. 1,1; Flor. 1,33,22. Wenn Sulla auch sicher mit dieser Geschichte eng vertraut war (so Kendall 2013: 442), wird man doch nicht wie Salmon allein schon aus dieser gentilizischen Vorgeschichte einen pauschalen Samnitenhass Sullas konstruieren können, der völlig bestimmend und handlungsleitend wurde. Zu der Frage, inwieweit die Berichte über das Ende der Herrschaft Cinnas und seiner Gruppierung auch von sullanischer Propaganda gefärbt sind, vgl. Frier 1971.
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suls Scipio, der Sulla entgegen zog. In den sicher auf Sulla selbst zurückgehenden Quellenberichten wird dann ausführlich geschildert, wie Sulla zunächst mit Scipio verhandelt, während dessen Einheiten sich den Werbeversuchen der sullanischen Soldaten gegenübersehen. Mit Erfolg: Am Ende hat Scipio kein Heer mehr, eine blutige Schlacht ist vermieden. Für diese bemerkenswerte Instabilität der marianischen Heere gibt es weitere Beispiele, die uns hier nicht weiter beschäftigen sollen. Sie stellen lediglich einen bemerkenswerten Kontrast dar zu Konfrontationen der Gegner, bei denen es nicht nur keine Verhandlungslösungen gab, sondern auch eine Gewaltanwendung, die sich bis zum Blutrausch steigern konnte. Untersucht man diese Beispiele, dann fällt auf, dass in jeder der regelrechten Schlachten, die es gab, erhebliche samnitische Kontingente beteiligt waren, und dass der Kampf mit besonderer Verbissenheit ohne die Möglichkeit zu einem vorzeitigen Ausscheiden aus dem Konflikt geführt wurde. Hierfür lassen sich eine Reihe von Belegen anführen: Als Carbo sein kampfbereites Heer auf der Flucht verlässt, da bleibt das Heer trotz dieser Katastrophe zunächst weitgehend intakt, um schließlich nach der Niederlage von Clusium doch zu zerfallen. Vor allem aber das samnitische Kontingent bleibt unter Waffen und setzt den Kampf trotz der sich immer schwieriger entwickelnden Lage weiter fort: Σαυνιτῶν τε αὐτῷ χειρὶ πολλῇ προθύμως περὶ τὰ στενὰ κακοπαθούντων, ἀπογνοὺς ἁπάντων ἀσθενῶς ἔφευγε σὺν τοῖς φίλοις ἐς Λιβύην ἐξ Ἰταλίας ὕπατος ἔτι ὤν, ὡς Λιβύην παραστησόμενος ἀντὶ τῆς Ἰταλίας. τῶν δ᾽ ὑπολειφθέντων οἱ μὲν ἀμφὶ τὸ Κλούσιον Πομπηίῳ συνενεχθέντες ἐς μάχην ἀπέβαλον ἐς δισμυρίους, καὶ ὡς ἐπὶ συμφορᾷ μεγίστῃ καὶ τὸ λοιπὸν τοῦδε τοῦ στρατοῦ ἐς τὰς πατρίδας κατὰ μέρη διελύθη: Καρρίνας δὲ καὶ Μάρκιος καὶ Δαμάσιππος οἷς εἶχον ἅπασιν ἐπὶ τὰ στενὰ ἐχώρουν ὡς ὁμοῦ τοῖς Σαυνίταις βιασόμενοι πάντως αὐτὰ περᾶσαι. Ihm leistete schließlich auch noch ein gewaltiges Kontingent an Samniten, die entschlossen alle Anstrengungen am Pass auf sich nahmen, Unterstützung, so gab er doch alle Hoffnung auf und floh, obwohl er noch Konsul war, auf erbärmliche Art mit seinen Freunden aus Italien nach Afrika, um dieses Land an Stelle von Italien auf seine Seite zu ziehen. Von den Streitkräften, die er verlassen hatte, traf sich das Heer um Clusium zum Kampf mit Pompeius und verlor dabei etwa 20.000 Mann. Es ist nachvollziehbar, dass nach dieser Katastrophe der Rest der Armee ohne Zusammenhalt Richtung Heimat sich auflöste. Carinas, Marcius und Damasippus aber rückten mit allen verfügbaren Truppen auf den Pass vor, um zusammen mit den Samniten mit aller Macht den Durchmarsch zu erzwingen.22
Ähnlich sieht die Lage bei der katastrophalen Niederlage des jüngeren Marius bei Sacriportus aus, bevor er sich in der Stadt Praeneste verschanzt. Hier berichtet Appian von einer Situation, in der die geschlagenen Soldaten noch vor Beginn der eigentlichen Schlacht ihre Waffen von sich werfen und in Scharen zu Sulla überlaufen – unter denen, die bis zum bitteren Ende unter den Mauern der Stadt weiterkämpfen, sind auch hier die Samniten. Und selbst, als die Schlacht beendet ist, geht das Morden weiter – Sullas Vorgehen ist dadurch gekennzeichnet, zwar Soldaten der anderen Seite seinen Truppen einzugliedern, aber das mit Samniten nicht nur nicht zu tun, sondern auch keine samnitischen Gefangenen zu machen, sondern eine radikale Auslöschung der kampffähigen Samniten umzusetzen: 22
App. civ. 1,92.
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Michael Jung ἀρχομένου δ᾽ ἐνδιδόναι τοῦ λαιοῦ μέρους, σπεῖραι πέντε πεζῶν καὶ δύο ἱππέων οὐκ ἀναμείνασαι τὴν τροπὴν ἐκφανῆναι τά τε σημεῖα ἔρριψαν ὁμοῦ καὶ πρὸς τὸν Σύλλαν μετετίθε ντο. καὶ τόδ᾽ εὐθὺς ἦρχε τῷ Μαρίῳ δυσχεροῦς ἥττης. κοπτόμενοι γὰρ ἐς Πραινεστὸν ἔφευγον ἅπαντες, ἑπομένου τοῦ Σύλλα σὺν δρόμῳ. καὶ οἱ Πραινέστιοι τοὺς μὲν πρώτους αὐτῶν εἰσεδέ ξαντο, Σύλλα δ᾽ ἐπικειμένου τὰς πύλας ἀπέκλεισαν καὶ Μάριον καλῳδίοις ἀνιμήσαντο. πολὺς δ᾽ ἄλλος ἐκ τοῦδε περὶ τοῖς τείχεσιν ἐγίγνετο φόνος, καὶ πλῆθος αἰχμαλώτων ὁ Σύλλας ἔλαβεν, ὧν τοὺς Σαυνίτας ἔκτεινε πάντας ὡς αἰεὶ χαλεποὺς Ῥωμαίοις γενομένους. Als jedoch sein linker Flügel zu wanken anfing, warteten fünf Kohorten und zwei Reiterschwadronen die endgültige Niederlage nicht ab, warfen dagegen komplett ihre Feldzeichen auf den Boden und liefen zu Sulla über. Damit begann für Marius sofort die Katastrophe. Ohne jeden Zusammenhalt floh nämlich die komplette Armee in Richtung von Praeneste, während Sulla dieser im Eilmarsch nachsetzte. Die Einwohner der Stadt nahmen die ersten Ankömmlinge noch auf, doch als Sulla nachdrängte, verschlossen sie ihre Tore und zogen Marius an Seilen die Mauern hoch. Daraufhin kam es um die Mauern herum zu einem weiteren großen Gemetzel, und Sulla konnte eine Menge Gefangene machen, von denen er alle Samniten als ständige Feinde der Römer töten ließ.23
In der Schlacht an der Porta Collina sind es schließlich vor allem die Samniten unter ihrem Feldherrn Pontius Telesinus, die überhaupt die Schlacht erzwingen und Sulla zum ersten und einzigen Mal an den Rand einer Niederlage bringen. Auch hier sind es die Samniten, die die Schlacht entschlossen anstreben, auch hier scheint eine Vermeidung der Schlacht oder ein vorzeitiger Abbruch so gut wie ausgeschlossen. Das letzte Beispiel ist schließlich Praeneste, das noch zu behandeln sein wird. Diese vier Beispiele zeigen eines: Ganz offensichtlich neigten die marianischen, aber auch das sullanischen Heere dazu, Schlachten vorzeitig abzubrechen bzw. auch Verhandlungslösungen sowie das Überlaufen zur siegreichen Seite hin einer exzessiven Gewaltanwendung vorzuziehen. Das war regelmäßig aber dann nicht der Fall, wenn größere samnitische Kontingente einen relevanten Teil des Heeres ausmachen – dann waren Kompromisse ausgeschlossen. Insofern, so können wir festhalten, trug die Anwesenheit samnitischer Kontingente zu einer größeren und exzessiveren Gewaltanwendung bei, als das möglicherweise sonst der Fall gewesen wäre; und ganz offensichtlich spielte das Feindbild der Samniten, die Ethnisierung des Konflikts also, eine entscheidende Rolle dabei, diese Gewaltanwendung zu legitimieren, aber auch zu provozieren. Sulla gestaltete das Feindbild so, dass ein Kampf ohne Kompromisse möglich wurde und gewollt war. Die sullanische Propaganda war bemüht, die Samniten zu einer Art Erbfeind der Römer zu gestalten und dem eigenen Kampf so eine politisch-historische Legitimation zu verleihen, die er sonst nicht besessen hätte. Die Ethnisierung des Konflikts wurde bewusst zu dessen Verschärfung eingesetzt und sollte vor allem die eigenen Reihen schließen und einen Zerfall der Kampfkraft verhindern. Unsere Quellen sprechen mehrfach von dem Willen, die Samniten als Kämpfer auszurotten und ihre politische Existenz als eigener, politisch verfasster Ethnos auf der italischen Halbinsel zu beenden, mithin also den Status der Samniten nicht nur im Hinblick auf die unter Marius erlangten Privilegierung zu revidieren, sondern sehr viel
23
App. civ. 1,87.
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grundsätzlicher ihre Existenz in Frage zu stellen.24 Kein Römer, so lautete die sullanische Propaganda, werde sicher sein, solange die Samniten als politische Macht fortbestünden.25 Bei Plutarch heißen die Samniten an einer Stelle, die sicherlich auf Sulla selbst zurückgeht, in der Darstellung der Schlacht an der Porta Collina τὰ ἔχθιστα τῇ Ῥώμῃ καὶ τὰ πολεμικώτατα φῦλα.26 Und noch deutlicher werden die Absichten Sullas bei Strabon: πολλαῖς μάχαις καταλύσας τὴν τῶν Ἰταλιωτῶν ἐπανάστασιν τούτους σχεδόν τι μόνους συμμένοντας ἑώρα καὶ ὁμοίως ὁρμῶντας, ὥστε καὶ ἐπ᾽ αὐτὴν τὴν Ῥώμην ἐλθεῖν, συνέστη πρὸ τοῦ τείχους αὐτοῖς … προγραφάς τε ποιούμενος οὐκ ἐπαύσατο πρὶν ἢ πάντας τοὺς ἐν ὀνόματι Σαυνιτῶν διέφθειρεν ἢ ἐκ τῆς Ἰταλίας ἐξέβαλε: πρὸς δὲ τοὺς αἰτιωμένους τὴν ἐπὶ τοσοῦτον ὀργὴν ἔφη καταμαθεῖν ἐκ τῆς πείρας, ὡς οὐδέποτ᾽ ἂν εἰρήνην ἀγάγοι Ῥωμαίων οὐδὲ εἷς, ἕως ἂν συμμένωσι καθ᾽ ἑαυτοὺς Σαυνῖται. Nachdem er in vielen Schlachten den Aufstand der Italiker beendet hatte, erkannte er, dass die Samniten, fast schon ganz auf sich allein gestellt, weiter zusammenhielten und es weiterhin betrieben, auf Rom selbst zu marschieren und vor den Mauern zusammenkamen. … Und er weiter die Proskriptionen nicht beenden würde, bis er entweder alle Samniten von Bedeutung vernichtet oder aber sie aus Italien vertrieben hätte. Und denen, die ihn für solch maßlosen Hass kritisierten, erwiderte er, das er aus Erfahrung wisse, dass kein Römer jemals in Frieden leben könne, solange die Samniten zusammenhielten als ein eigenständiges Volk.27
Hier wird deutlich, dass die sullanische Propaganda ganz offensichtlich bemüht war, die Samniten zu einem Gegner zu gestalten, dessen eigenständige politische Existenz, deren ethnischer Zusammenhalt eine grundlegende, dauerhafte und historisch belegbare Gefährdung Roms darstellte. Insbesondere die Verwendung des Ausdrucks ὀνόμα ist bemerkenswert, was nur mit nomen rückübersetzt werden kann und dann wohl so interpretiert werden muss, dass es hier um das politische Ziel der Aufhebung der politischen und sozialen Einheit des Verbands des samnitischen Ethnos geht. Die Gefahr, so die sullanische Propaganda, sei gewaltig.28 So wird beispielsweise dem samnitischen Feldherrn Pontius Telesinus29 eine Drohung in den Mund gelegt, die er vor der Schlacht an der Porta Collina ausgestoßen haben soll: Telesinus dictitansque adesse Romanis ultimum diem vociferabatur eruendam delendamque urbem, adiiciens numquam defuturos raptores Italicae libertatis lupos, nisi silva, in quam refugere solerent, esset excisa.
24 25 26 27 28
29
Zur Frage von ethnischer bzw. „nationaler“ Identität im Rom s. Walbank 1972. Strab. 5,4,11. Plut. Sull. 29,4: „die romfeindlichsten und kriegstüchtigsten Völker“ (Übers. K. Ziegler). Strab. 5,4,11. Die Frage, inwieweit es hier um persönlichen oder gar rassistischen Hass geht, führt wohl nicht zum Ziel, vgl. in diesem Sinne Keaveney 1982: 182; 189 mit Anm. 39. Zu Recht lehnt Ken dall 2013: 671 f. mit Anm. 69 dies ab. Sullas Strategie war von Anfang an eine politische, die auf Mobilisierung, aber auch Legitimation zielte. Der Kampf gegen die Samniten ordnete den präzedenzlosen Bürgerkrieg in die Kontinuität der Kämpfe der altrömischen Zeit ein und ließ ihn so gerechtfertigt erscheinen. Zur Prosopographie vgl. Salmon 1967: 379 mit Anm. 9; Dart 2014: 207.
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Michael Jung Telesinus rief laut, dass für die Römer ihr letzter Tag gekommen sei, und er schrie, dass die Stadt vernichtet und zerstört werden müsse, dabei fügte er hinzu, dass es niemals an Wölfen, den Räubern der italischen Freiheit fehlen werde, wenn nicht der Wald, in den sie sich gewöhnlich zurückziehen würden, vernichtet wäre.30
Abgesehen davon, dass die Lage vor der Schlacht sicher nicht so war, dass man realistischerweise von einer Vernichtung der römischen Macht insgesamt ausgehen konnte, dramatisiert das hier dem Telesinus zugeschriebene Wort wohl eher die Gefahr im Sinne der sullanischen Deutung. Rom selbst ist von seinen geschworenen Feinden bedroht – und die Gefahr ist von historischer Dimension: Der von Sulla in den Kampf gezwungene Samnit Telesinus schwillt zur gefährlichen Größe Hannibals an.31 Das politische Kalkül hinter dieser Parallelisierung ist allzu offensichtlich. Hier droht der Untergang der Stadt, eine Vernichtung der Römer durch ihre Erbfeinde. So zynisch angesichts der eingangs geschilderten tatsächlichen militärisch-politischen Lage bei der Rückkehr Sullas diese Propaganda erscheinen muss, so wirkungsvoll und so ‚notwendig‘ war sie aber offenbar, um den Sieg Sullas überhaupt erst zu ermöglichen.32 Sie erzeugte jedoch keineswegs nur mehr Einsatzfreude im Kampf, sondern auch eine Gewaltdynamik, die im Bürgerkrieg ihresgleichen suchte. Mit dem Ende der Kämpfe war das Morden nämlich keinesfalls beendet. Und sowohl nach dem Sieg an der Porta Collina als auch nach der Einnahme Praenestes mündet der aus politischem Kalkül ethnisch aufgeladene Kampf in Szenen, die ethnisch motivierte Gewalt und Auslöschung umsetzen. Die Gewaltspirale dreht sich auch nach dem Sieg weiter, und die Samniten fallen ethnisch motivierter Gewalt Sullas zum Opfer – das ist die Konsequenz dieser bewussten ethnischen Aufladung des Bürgerkriegs. Nach dem Sieg von Praeneste findet beispielsweise eine regelrechte Selektion unter den Gefangenen statt. καὶ τοὺς ἐν Πραινεστῷ προσέταξε χωρὶς ὅπλων προελθεῖν ἅπαντας ἐς τὸ πεδίον καὶ προελθ όντων τοὺς μὲν ἑαυτῷ τι χρησίμους γενομένους, ὀλίγους πάμπαν, ἐξείλετο, τοὺς δὲ λοιποὺς ἐκέλευσεν ἐς τρία ἀπ᾽ ἀλλήλων διαστῆναι, Ῥωμαίους τε καὶ Σαυνίτας καὶ Πραινεστίους: ἐπεὶ δὲ διέστησαν, τοῖς μὲν Ῥωμαίοις ἐπεκήρυξεν, ὅτι καὶ οἵδε ἄξια θανάτου δεδράκασι, καὶ 30 31
32
Vell. 2,27,2. Der Vergleich der Samniten mit den Puniern muss direkt aus sullanischen Quellen stammen; er taucht in fast allen Quellen in nur leichter Variation auf, vgl. hierzu Diod. 37,2,15; Flor. 2,6,11. Während Diodor sogar die rhetorische exaggeratio anwendet, dass dieser Krieg an Zerstörung alle früheren, also auch den Punischen, übertroffen habe, parallelisiert Florus direkt mit Pyrrhos und Hannibal. Vgl. hierzu auch Salmon 1967: 347 mit Anm. 1. Plut. Sull. 29, 4 berichtet über die Situation vor der Schlacht der Porta Collina – übrigens auch ein passend symbolischer Ort, sollen doch im 4. Jahrhundert v. Chr. auch die Gallier durch dieses Tor in die Stadt eingedrungen sein, was die Gefahr noch einmal unterstreicht –, dass Sulla aus seinem Umfeld vor einem vorzeitigen Schlachtbeginn gewarnt worden sei: Es handele sich hier nicht um Gegner wie Marius oder Carbo, sondern um Samniten, die alten Feinde der Römer. Sulla aber habe entschlossen zum Angriff blasen lassen – die ganze Stilisierung zeigt, welch hohe Bedeutung die Ethnisierung des Konflikts als Legitimationsstrategie einschließlich des Hannibal-Rekurses besaß, und wie sie offenbar Motivation erzeugen konnte. Es dürfte kaum ein Zweifel bestehen, dass diese Schilderungen aus der Autobiographie Sullas stammen.
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συγγνώμην ἔδωκεν ὅμως, τοὺς δὲ ἑτέρους κατηκόντισεν ἅπαντας: γύναια δ᾽ αὐτῶν καὶ παιδία μεθῆκεν ἀπαθεῖς ἀπιέναι. Alle übrigen Gefangenen in Praeneste ließ er auf die Ebene herauskommen ohne Waffen, dann wählte er aus ihnen nur sehr wenige aus, die ihm auf irgendeine Art einen Gefallen erwiesen hatten, und dann befahl er dem Rest, sich in drei Gruppen getrennt aufzustellen, Römer, Samniten und die Bewohner von Praeneste. Danach ließ er den Römern durch einen Herold mitteilen, dass sie den Tod verdient hätten wegen ihrer Verbrechen, er sie aber trotzdem begnadige. Die übrigen ließ er bis auf den letzten Mann niedermetzeln, nur ihre Frauen und Kinder durften unversehrt abziehen.33
Das Bild der Selektion der Gefangenen und der systematischen Tötung aller Samniten und Praenestiner entspricht dem brutalen Vorgehen Sullas auch nach der Schlacht an der Porta Collina, auch dort sollen am Morgen nach dem Ende der Schlacht mehrere tausend Soldaten getötet worden sein. An dieser Stelle setzte Sulla die Schrecken des Massenmords sogar als Drohmittel gegen die nebenan versammelten Senatoren ein, denen er seine politischen Bedingungen diktierte. Für unseren Zusammenhang von größerem Interesse ist hier, dass Sullas Vernichtungsabsicht sich offenbar grundsätzlich auf alle kampffähigen Samniten, auf die Männer des Stammes bezog. Die Schonung von Frauen und Kindern unterscheidet den Vorgang selbstverständlich von genozidalen Ereignissen der Moderne, nichtsdestotrotz muss hier auch festgehalten werden, dass Sullas Vorgehen selbstverständlich geeignet war, die Samniten als politische und soziale Größe im italischen Raum grundlegend auszuschalten, was der von Strabo geschilderten Absicht Sullas durchaus entsprochen hätte. Die brutale Auslöschung tausender samnitischer Männer war die Konsequenz der bewussten Entscheidung zur Gestaltung des Konflikts als einer auf ethnischer Differenz beruhenden Auseinandersetzung – aus sullanischer Sicht war es die Ausschaltung eines alten Erbfeinds der Römer, eine Rettung aus der Gefahr, vergleichbar mit der Errettung vor Hannibal. Insofern hatte erneut ein Cornelier Rom vor dem Untergang bewahrt – ein Ereignis, das mit der Stiftung der ludi Victoriae dann auch angemessen gefeiert wurde. Auch das war nur möglich, weil der Bürgerkriegskonflikt zur Entscheidungsschlacht gegen die Samniten umgestaltet und uminterpretiert worden war. Ein Sieg über die innenpolitischen Widersacher, was ja eine ebenso grundsätzliche Dimension dieses mörderischen Konflikts war, hätte diese politische Chance nicht geboten. Umgekehrt erlaubte die exzessive Gewalt gegen die Samniten eine veritable und glaubwürdige Drohung gegen diese innenpolitischen Gegner, die sich mit dem Erbfeind eingelassen hatten, wie sie sich in der beklemmenden Szene in der Senatssitzung am Morgen nach der Schlacht an der Porta Collina manifestiert. Der Bericht über den gemeinsamen Selbstmord des jüngeren Marius mit dem jüngeren Bruder des Pontius Telesinus in Praeneste, wie sie sich gemeinsam ins Schwert stürzen, machte die politische Diskreditierung des inneren Feinds noch einmal deutlich. Diese Verknüpfung erlaubte es Sulla, seine Gewaltanwendung zu eskalieren, aber auch, seinen Sieg in einer Form zu feiern, der scheinbar an traditionelle Formen anknüpfte, wie etwa mit den Ludi Victoriae. 33
App. civ. 1,94.
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Michael Jung
Die Samniten, die Opfer dieser bewussten politischen Entscheidung Sullas, zahlten einen hohen Preis: Neben dem Verlust der marianischen Bürgerrechtsprivilegien, stand ihr Siedlungsgebiet nun als Verteilungsmasse bereit für die sullanischen Veteranen.34 Eine eigenständige politische und kulturelle Identität der Samniten war vernichtet,35 und Strabo zieht noch für die frühe Kaiserzeit eine trübe Bilanz der regionalen Situation: τοιγάρ τοι νυνὶ κῶμαι γεγόνασιν αἱ πόλεις: ἔνιαι δ᾽ ἐκλελοίπασι τελέως, Βοιανὸν Αἰσερνία Πάννα Τελεσία συνεχὴς Ὀυενάφρῳ καὶ ἄλλαι τοιαῦται, ὧν οὐδεμίαν ἄξιον ἡγεῖσθαι πόλιν: ἡμεῖς δ᾽ ἐπέξιμεν μέχρι τοῦ μετρίου διὰ τὴν τῆς Ἰταλίας δόξαν καὶ δύναμιν. Und ihre Städte sind inzwischen heutzutage mehr zu kleinen Orten geworden (obwohl einige komplett zerstört wurden), Bovianum, Aesernia, Panna, Telesia (nahe bei Venafrum), und andere wie diese. Keine von ihnen kann noch als Stadt betrachtet warden. Wir aber gehen hier ausführlich ins Detail wegen des Ruhms und der Stärke Italiens.36
So lässt sich die Bilanz der Gewaltspirale gegen die Samniten in drei Thesen zusammenfassen: 1. Die exzessive Gewaltanwendung im marianisch-sullanischen Bürgerkrieg ist ohne den vorhergehenden Bundesgenossenkrieg nicht denkbar. Hier standen sich zum ersten Mal frühere Kameraden in feindlichen Heeren gegenüber, wichtige Hemmschwellen wurden hier übertreten. Nichtsdestotrotz genügt diese historische Erfahrung allein nicht, um die Gewalteskalation im folgenden Bürgerkrieg zu erklären. Es war eine bewusste politische Entscheidung Sullas, die Bürgerrechtsentscheidungen seiner Gegner nicht zu ratifizieren und den Konflikt mit den Samniten und Lucanern wiederaufzunehmen. Er setzte den Konflikt nicht fort, er begann ihn neu, und er tat dies, um die Gewalt des Bürgerkriegs mit dem Mantel einer angeblich gegen den samnitischen Erbfeind gerichteten Kampflegitimation zu camouflieren. 2. Die Gestaltung des Bürgerkriegs zu einem angeblich in Wahrheit ethnischen Konflikt mit den alten Feinden der Römer war ein im Sinne seines Urhebers erfolgreiches Modell, das nicht nur einen höheren inneren Zusammenhalt der sullanischen Heere garantierte, sondern darüber hinaus die Gewaltanwendung als grundsätzlich vereinbar mit den Normen und Regeln der Republik darstellen sollte. Die bewusste Entgrenzung der Gewalt gegenüber den sich in ihrer politischen Verfassung, in Sprache und Kultur unterscheidenden Samniten unterschied sich dabei deutlich vom Vorgehen gegenüber anderen feindlichen Kontingenten, bei denen die Gewaltanwendung häufiger abgebrochen oder vermieden werden konnte. Mit dieser Strategie lieferte Sulla ein Vorbild für spä34
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Vgl. zur Zerstörung des traditionellen Siedlungsgebiets auch Flor. 1,11,8, der festhält, dass Samnium als solches nicht mehr zu erkennen gewesen sei. Ob man dies als rhetorische Übertreibung betrachten soll, wie Salmon 1967: 387 meinte, sei dahingestellt – die systematische Zerstörung eines ethnisch-politischen Zusammenhangs und einer Identität von Samniten scheint jedenfalls offensichtlich geplant und erreicht worden zu sein. Zur politischen Situation in der Folgezeit vgl. auch Bisham 2007; WulffAlonso 2002; SherwinWhite 1973: 119–174. Strab. 5,4,11.
Die Ethnisierung des Bürgerkriegs
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tere Bürgerkriegsgeneräle – man denke nur an Caesar oder an Octavian mit seiner gegen Kleopatra und den hellenistischen Osten gerichteten Propaganda vor Actium. Eine Ethnisierung des Bürgerkriegs war ein im Sinne der politischen Strategien seiner Urheber erfolgreiches, zukunftsweisendes und anschlussfähiges Modell. 3. Mit seinem Vorgehen schuf Sulla erst, was er zu bekämpfen vorgab. Während es im Bundesgenossenkrieg keine einheitlich samnitische Haltung gegeben hatte – relevante Gruppen hielten sich neutral oder sogar prorömisch –, zwang Sulla mit seiner politischen Entscheidung die Samniten erst zusammen und schuf so jene Kampfgemeinschaft, die tatsächlich weite Teile des wenig munizipal organisierten Verbandes zusammenschloss. Das Ergebnis des ungleichen Kampfes war die Vernichtung der politischen Identität und Handlungsfähigkeit der Samniten als italischer populus, die Umverteilung des Eigentums und damit auch die Vernichtung der ökonomischen Grundlagen einer eigenständigen ethnischen Existenz im Italien der späten Republik. Ich hoffe, gezeigt zu haben, dass die Ethnisierung des Konflikts ein wichtiges, aber sicher nicht das einzige oder entscheidende Instrument darstellte, um die Gewaltanwendung im marianisch-sullanischen Bürgerkrieg eskalieren zu lassen. BIBLIOGRAPHIE Bispham, E. 2007: From Asculum to Actium. The Municipalization of Italy from the Social War to Augustus, Oxford. Christ, K. 2002: Sulla. Eine römische Karriere, München. Dart, C. J. 2015: The Social War, 91 to 88 BCE. A History of the Italian insurgency against the Roman Republic, Farnham. Frier, B. 1971: Sulla’s Propaganda. The Collapse of the Cinnan Repulic, AJPh 92, 585–604. Isaac, B. 2004: The Invention of Racism in Classical Antiquity, Princeton. Keaveney, A. 1981 Sulla, the Marsi, and the Hirpini, CPh 76, 292–296. – 1982: Sulla, the Last Republican, London. – 1987: Rome and the Unification of Italy, London. Kendall, S. 2013: The Struggle for Roman Citizenship. Romans, Allies, and the Wars of 91–77 BCE, Piscataway. Lovano, M. 2002: The Age of Cinna. Crucible of Late Republican Rome, Stuttgart. Mommsen, T. 1903: Römische Geschichte. Bd 2, Berlin9. Rawson, E. 1987: Sallust on the Eighties?, CQ 29, 327–346. Santangelo, F. 2007: Sulla, the Elites and the Empire. A Study of Roman Policies in Italy and the Greek East; Leiden. Salmon, E. T. 1967: Samnium and the Samnits, Cambridge. Sherwin-White, A. N. 1973: The Roman Citizenship, Oxford. Walbank, F. W. 1972: Nationality as a Factor in Roman History, HSCPh 76, 145–168. Wulff-Alonso, F. 2002: Roma e Italia de la Guerra Social a la retirada di Sila (90–79 a. C.), Brüssel.
V. DIE FORMIERUNG DER FÜHRUNG
HOW TO MAKE OR BREAK A PUBLIC CAREER IN REPUBLICAN ROME THROUGH PUBLIC SPEECHES Henriette van der Blom, Birmingham For a modern observer of Roman republican politics, one is struck by the near absence of electoral speeches. It is difficult to imagine electoral campaigns in modern-day democracies without the many public speeches delivered by candidates to expound their political standpoint and their credentials to political power. Yet this is the picture we must adopt for Roman republican elections.1 This striking fact creates a host of questions: why did Roman politicians not engage in outright and full-scale campaign speeches when oratory played such a central role in politics? What did candidates do instead in order to canvass the voters? And how did oratory affect political careers and career moves if not through electoral speeches? The scope of this study does not allow answering these questions in full. Instead, this study aims to discuss instances and aspects of how oratory in a civic setting was used to shape and influence political careers in the late Roman republic. The nature of our sources means that Cicero is the obvious source for republican political activity and the best documented example of a Roman politician, but his unusual background as a politically successful homo novus and his atypical career trajectory (his steely focus on oratory as main means to political offices and his continued forensic activity throughout his career) makes his case unrepresentative of what a Roman politician could do to further his career. It would not be prudent to discard the enormously rich information which Cicero gives in his works, but this study shall focus on the oratorical activities and careers of other politicians of the late Republic in order to better understand the role of oratory for career-making. One way to look at career-making in the Republic is to focus on what could be called factors for electoral success. These include: ancestry from a family famous for generals and politicians; wealth; patronage and networking; fame from a military career; personal appearance, charm, or charisma; and oratorical skills. All of these could potentially help a politician to secure election in that he could exploit the factor or factors which appeared the strongest in his case and downplay those which he thought the weakest. However, it seems that no factor would always and in itself be more important than another factor, and therefore, it is not possible to set up a universal hierarchy of factors for electoral success. This conclusion is based on detailed studies of seven prominent politicians of the late Republic: Gaius Gracchus, Marius, Pompey, Caesar, Piso Caesoninus, Cato the Younger, and Marcus 1
Tatum 2007 and 2013.
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Antonius the triumvir. Their careers suggest that there was no monolithic way of forging a political career; instead we face a multifaceted and complex picture of what could make or break a political career.2 Here, a number of examples of the ways in which politicians of the late republic used oratory to promote their careers shall be presented and discussed. Although not exhaustive, these examples will show some of the variety in usage and outcomes, and thereby underline the main point about the complex picture of career-making in Rome. The conclusion presents some further thoughts on what these examples can tell us about the Roman republican political system. 1. MAKING A NAME The first priority for any politician is to be recognised by the electorate – and hopefully for something positive. That held true for Roman republican politicians too. A young man could try to make a name for himself through clever references to illustrious ancestry or through military exploits, possibly helped by money, but some form of communication of these credentials had to be found. Public speaking was a major medium, but most public speeches would have been made by magistrates or magistrates elect. There were fewer chances for addressing the public before election to the first political office, but one option was relatively accessible: prosecution in the courts.3 Cicero springs to mind here, but there are many other examples of this strategy. Caesar, for instance, was said to have put himself in the eyes of the public by prosecuting Cn. Cornelius Dolabella (cos. 81 BCE) in 77 or 76 BCE, and C. Antonius Hybrida (cos. 63 BCE) in 76 BCE, both de repetundis but in two separate high-profile trials.4 Although Caesar lost both cases, the sources argue that he made a name for himself as a brilliant orator. Caesar subsequently circulated a written version of his speech against Dolabella, which resulted in a strong ancient reception and even the survival of a few fragments today.5 Not all orators sent out their speeches as text, so Caesar’s decision to do so appears a conscious attempt to 2 3 4
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van der Blom 2016 provides case studies of all but Marius. Prosecution was considered appropriate for young men only, hence Cicero’s explanation of his wish to prosecute Verres in 70 BCE: Cic. div. in Caec. 1; 70. For the dating in relation to Caesar’s trip to Apollonius Molon at Rhodes: Plut. Caes. 3–4 says that the trip to Molon came before both trials; Suet. Iul. 4 says after the Dolabella-trial, but fails to mention the Antonius-trial; Gruen 1966 and Pelling 2011: ad Plut. Caes. 3.1 think after both trials. See also Pelling 2002: 92–93, on the chronological displacement of events in Plutarch. Hybrida-trial: Ascon. 84C. Plut. Caes. 4 is confused on this matter, see Pelling 1980: 128 f.; Lewis 2006: ad Ascon. 84C; and Pelling 2011: ad Plut. Caesar 4,1–3. See also Q.Cic. pet. 8. For the Hybrida-case itself, see Damon/Mackay 1995. Cicero went to hear the speeches of Dolabella’s advocates; Hortensius and Cotta (Cic. Brut. 317), further underlining the high profile of the case. Dolabella himself spoke (Suet. Iul. 49,1 with Osgood 2008: 688 f.). Both cases in Alexander 1990: nos. 140 and 141. Mentioned in: Vell. 2,43,3; Ascon. 26C; Tac. dial. 34.7; Suet. Iul. 4,1; 55,1; Val. Max. 8,9,3; Plut. Caes. 4; Gell. 4,16,8.
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cash in on his oratorical success and broaden out his audience and his potential for fame. More unusual was Cato the Younger’s first entry on the public scene sometime in the late 70s BCE when he was in his twenties.6 Unhappy with the tribunes’ decision to pull down a pillar in the Basilica Porcia, dedicated by his famous ancestor Cato the Elder, the younger Cato challenged the decision in what was probably a civil suit and he delivered an eloquent speech to support his view. Although Plutarch, our main source to this event, may have allowed Cato’s later fame for filibustering and straight talking to colour his description, it seems that Cato used his first forensic speech to signal his attention to tradition and familial pietas.7 He was already working on the public profile which was to become his main asset in his claim to political magistracies and influence. We have no information about early prosecution speeches delivered by Cato, but he appears to have used this occasion almost as if a prosecution and it certainly helped make his name recognisable to the public. While Cato the Younger to some extent appears to have voluntarily built on the public image of his great-grandfather, Cato the Elder, Gaius Gracchus had a name before canvassing for his first magistracy simply by being Tiberius Gracchus’ brother and colleague on Tiberius’ agrarian commission. In the years between Tiberius’ death and Gaius’ tribunate, Gaius delivered speeches in the courts and contiones in which he indicated his political support of Tiberius’ cause and his hostility to Tiberius’ opponents.8 Where other young ambitious men had to seek out opportunities for public speaking, Gaius was sought out by others to supply their cause with the brand of the Sempronii Gracchi. Gaius willingly lent his support to these causes which were closely related to Tiberius’ case, but he also used these occasions to publicise his version of the events surrounding Tiberius’ death and the subsequent judicial aftermath. It was not just an attempt to clear Tiberius’ name but a necessary first step towards a political career for himself. Most young men of the nobility could build on ancestral fame when making a name for themselves – only new men arrived with a blank sheet – but few had to work against such negative associations and expectations within the elite as did Gaius Gracchus. What the people thought is more difficult to gauge, but the name of Gracchus was certainly well known to them before Gaius sought his first political office. 2. NETWORKING AND SPEAKING FOR OTHERS While public speaking could help in creating and maintaining a public profile, a politician could also use his oratorical talents to build political networks which could pay off at a later date. One prominent example is Caesar’s speech in support of Pompey’s extraordinary command against the pirates in 67 BCE or that against 6 7 8
Plutarch’s narrative does not allow us to date the episode precisely, but it must have taken place early in Cato’s career; Fehrle 1983: 68 f., suggests sometime in the period 75–72 BCE. Plut. Cato Min. 5,1–3 with Geiger 2000: 215 f. Plut. C. Gracchus 1,3; Liv. Per. 59; Char. 313,18; 255,29; 262,18; 287,25.
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Mithridates in 66 BCE, or probably both.9 Pompey’s great popularity with the people was worth tapping into and Pompey himself might look favourably to Caesar at a later stage. Indeed, Caesar’s efforts on Pompey’s behalf may have made Pompey more open to Caesar’s offer of a political alliance in 60 BCE. Of course, networking often also takes place behind the scenes. It is therefore more difficult to track now, but some indication can be deduced nevertheless. For example, Piso Caesoninus – Cicero’s enemy whom he so eloquently criticised in the In Pisonem – delivered very few speeches in the courts or the contio but nevertheless enjoyed a stellar political career with all magistracies obtained suo anno and crowned by the censorship. Most of his known speeches were delivered in the senate and his ancestral lustre will have appealed to his senatorial peers. We must conclude that Piso did not build his career on military exploits or oratory but instead on his ancestry and his elite network, which included his marriage alliance with Caesar.10 Also M. Licinius Crassus was a master in off-stage politics. Often accused of being involved in contentious political issues, he was very hard to pin down.11 An even clearer example of a skilful networker is Pompey. While not a bad orator, in spite of Cicero’s remarks, Pompey often avoided opportunities to address a public audience and instead preferred to work through others, especially junior magistrates such as tribunes. One striking example are his activities leading up to his major grain supply commission in autumn 57 BCE, where he made the tribune Messius propose a generous enlargement of the proposed command in order to make the original proposal seem moderate and to see how far the senate was willing to go. In this case, Pompey used this tactic of letting others speak his cause to obtain a major provincia on which to build his further career.12 Generally, this tactic enabled Pompey to measure public opinion before making his own move, cover his tracks to protect himself against later criticism, and attract maximum attention when he did speak – making himself appear more important, crucial even, to the 9
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Plut. Pomp. 25,3; Cass. Dio 36.43.2. Strasburger 1938: 63, 100 f.; Gruen 1974: 80 n. 142; Seager 1979: 33 n. 49 and Watkins 1987 on whether Caesar backed the lex Gabinia or lex Manilia. See Gruen 1974: 65 f. for a discussion of the individuals behind the opposition to Pompey’s command and the command against Mithridates the following year. Furthermore, Plutarch’s wording suggests that the opposition to the bill was only among high-ranking senators, opening up the possibility that Caesar’s support was joined by other low-ranking senators. Caesar may also have spoken in 63 BCE in support of a tribunician bill to grant Pompey extraordinary honours for his victories in the East (Cass. Dio 37,21,1–4; cf. Vell. 2,40,4). van der Blom 2013. For example, allegations of implication in the fictitious ‘first Catilinarian conspiracy’: Asc. 83C, and in the actual conspiracy of 63 BCE: Sall. Catil. 48,3–4; his bribery to get Clodius acquitted in Bona Dea trial: Cic. Att. 1,16,5; his involvement in sorting out the restoration of Ptolemy Auletes to the Egyptian throne: Cic. fam. 1,1,3; ad Q. fr. 2,3,2–4. The cura annonae of 57 BCE: Cic. Att. 4,1,7; Cic. dom. 15–16; 18–20: 25–27; Plut. Pomp. 49; Cass. Dio 39,9,3; App. civ. 2,18; Liv. Per. 104; or the question of the Campanian land of 57–56 BCE: Cic. ad Q. fr. 2,1,1; or his movements in the issue of the reinstatement of Ptolemy XII Auletes to the throne in Egypt: Cic. Rab. Post. 6; Cic. Fam. 1,1; 1,2; 1,5b; 1,7,3; Cic. Q. fr. 2,2,3.
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government of the republic. By speaking, more or less openly, through others, Pompey could make his opinion known without explicitly voicing this opinion himself.13 Such networking was useful in many political situations, including outright canvass for political office. In one of the few electoral campaigns we know of, Marius’ for his first consulship of 107 BCE, Marius enlisted the help of soldiers and publicani operating in the province of Africa, where Marius was stationed on Metellus Numidicus’ staff, to write letters to their contacts in Rome about Metellus’ shortcomings as a general and Marius’ abilities should he be elected consul and then commander against Jugurtha in Africa. Moreover, in Italy, farmers, city labourers and, importantly, tribunes backed Marius’ campaign against Metellus. The tribunes delivered speeches in the contio to this effect and publicly circulated the letters of the soldiers and publicani in order to stir up the people against Metellus.14 By drawing on his network among his soldiers, equestrians, lower classes and tribunes, Marius managed to exploit general dissatisfaction with the senatorial elite and present himself as the only viable and virtuous alternative to Metellus.15 When he himself arrived in Rome just before the voting, his network had prepared the grounds for his election to the consulship and, from there, his appointment to the command in Africa. It was therefore not the oratory of Marius himself which made the difference, but partly that of the tribunes speaking on his behalf in the contio, just as Caesar and others did on Pompey’s behalf. 3. SELF-PRAISE While Roman republican politicians did not deliver what we would term election speeches, they still had to negotiate the difficult issue of how to praise oneself without causing odium. In an excursus on the dangers and possibilities of self-praise, Quintilian singles out Pompey as particularly eloquent when speaking of his own exploits.16 Pompey’s triumph of 61 BCE offered great chances to display this eloquence and Pliny paraphrases Pompey’s speech in a contio at this occasion where Pompey declared that he had found Asia the remotest of the provinces but made it into a central dominion of his country.17 Tremendously flattering to himself, of course, but such a formulation also flattered his audience as participants in the glo-
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van der Blom 2011. Sall. Iug. 64–65,5; 73; Plut. Mar. 7,4–8. For further discussion of Marius’ letter-writing campaign, see Yakobson 1999: 13–19; Tatum 2013. Thus, Taylor 1962: 20 argues that tribunes had “a great influence” on Marius’ career. On Marius’ use of various support groups, as described by Sallust, see Paul 1984: 186–191. Flower 2013 compares Marius’ use of networks for his election campaign with Ti. Gracchus’ use of networks in the summer of 133 BCE. Quint. inst. 11,1,17–28; the passage on Pompey is 11,1,36. Plin. NH 7,99. Two possible further snippets from such a triumphant speech: Plut. Pomp. 54;1; Oros. 6,6,4.
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rious expansion of their country,18 and it was bound to boost his popularity with the people. The people, it seems, enjoyed hearing the tales of victorious battles and splendid achievements, and licence seems to have been given to triumphant generals to sing their own praises. In the senate, however, such rhetoric would not have gone down well; the senate as a collective had always tried to resist the superiority of any single member and so self-praise was regarded with disdain. Instead, Pompey could use his tactic of letting junior magistrates speak, notionally for themselves, but really on his behalf. Caesar exploited another occasion at which some level of self-praise was accepted. Funeral speeches were usually delivered by a young male relative of the deceased, and by praising the deceased, the young speaker could highlight the achievements of his ancestor and hope that some of the lustre rubbed off on himself. Caesar’s speech in honour of his aunt Julia was innovative in honouring a woman and particularly evocative in that he spoke of her divine and kingly descent, thereby suggesting that he too was descended from a goddess and a king, without saying so explicitly.19 He was, of course, later to exploit the divine link in his planned building of the temple to Venus Genetrix and in his self-presentation when dictator.20 Generally, self-praise had to be done subtly and indirectly, unless when addressing the adoring people as a popular and victorious general. 4. ARTICULATING CAREER CHOICES Self-praise was, in essence, used to boost one’s public image as a successful general or politician, but it could also be used to communicate to the public a crucial career change. In Pompey’s first contio speech, delivered in the autumn of 71 BCE when he was already consul-elect but still operating as military general, he exploited the two main political issues at the time: the discontent with Sulla’s curbing of the tribunes’ powers and the corruption of the senatorial juries. Both his proposals were received favourably by the crowd.21 But apart from the political message in his speech, his very action of speaking to the people in a meeting duly called signalled his will to participate in regular political activity and to follow the rules and tradition of domestic and civic political life – in contrast to his past military activity as self-proclaimed general over a privately collected army and as Sulla’s henchman in the civil war of the 80s BCE. Pompey’s speech was as much about his political 18 19 20 21
As argued by Steel 2001: 212 f. Suet. Iul. 6,1; Plut. Caes. 5,1. Only one known precedent for such a funeral speech for a woman: Cic. de orat. 2,44; cf. Münzer 1927: 2072. Weinstock 1971 explores this at length. Cic. Verr. 1,44–45; Sall. hist. 4,39–40 with McGushin 1994: ad loc.; Ps-Asc. ad Cic. Verr. 1,45 (Stangl 1964: 220); Plut. Pomp. 21,4; App. civ. 1,121. Cicero’s description must be read in the context of his Verrine speeches in which he warns the senatorial judges against acquitting Verres and thus confirming the public opinion of senatorial corruption; this context may explain Cicero’s depiction of the special popularity enjoyed by the proposal to tackle the corruption of the senatorial courts.
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stance as it was an articulation of his tremendous career change from a victorious general in contempt of the law to a civil, law-abiding and influential politician. A public explanation for a surprising career choice would not only help explain to the public how such a career choice made sense within the profile of the individual politician, but also provide a further opportunity to communicate a public message. Cato the Younger certainly used his unexpected canvass for and election to the tribunate of the plebs in 63 BCE as a platform for explaining himself and promoting his political profile. Plutarch has an anecdote in which it is said that Cato stopped his holiday travels to Lucania when he heard that Pompey’s supporter Metellus Nepos would canvass for the tribunate. Having previously declined the suggestion to stand for the tribunate, he was now determined to become elected in order to provide a necessary block to Nepos’ expected tribunician activity.22 Although Plutarch’s description of his motivation is both rhetorical and romantic, such an anecdote could stem from Cato and his supporters in an attempt to use this occasion to publicise Cato’s stance against Pompey and Nepos, which fitted into his reputation for traditional conservative views against individual dominance in politics. Plutarch makes it clear that the news of Cato’s candidacy spread quickly and effectively in the city; it is not difficult to imagine that the news of the candidacy was accompanied with the dramatic story about Cato’s sudden halt on the road to Lucania, and his selfless sacrifice of his well-earned holiday for the sake of the res publica. 5. CREATING A PUBLIC PROFILE All these varied efforts were aimed at one crucial goal: the creation of a credible and appealing public persona for the politician in question. In fact, it seems that none of the individual factors such as ancestry, wealth, patronage, charisma, or military achievements was more important for electoral success than the others, and that the one uniting factor for success was the crucial ability to present a credible and appealing public profile to the electorate. If a politician managed to communicate a narrative about his capabilities and career choices, and if he managed to excite his audience, he stood a much better chance with the electorate and with his senatorial peers. While Gaius Gracchus projected an image of brotherly pietas and concern for the welfare of the common people in order to promote his claim to political office and influence, Pompey created a public persona as military genius and natural leader as platform for his political ambitions. And both used public speeches to support their self-fashioning, although not exclusively. Once a name had been made, it had to be nurtured and defended. Cato the Younger seems to have been incredibly successful, partly helped by the reception immediately after his suicide and beyond. Here was a man whose political project and life could be used by others to promote their own political interests or philosophical outlook, as did Cicero and Caesar, subsequently Seneca, Lucan and Taci22
Plut. Cato Min. 20.
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tus. However, Cato himself was as aware of the importance of possessing a consistent public profile and he played on his image of an austere, principled Stoic wedded to traditional notions of the Republic and impeccable morals. That he was also a pragmatic politician is often overlooked; his profile simply overshadows this aspect of his career. Caesar too worked tirelessly in his early career to present himself as a man of the people: his speeches in favour of the supporters of Lepidus,23 of Pompey,24 and his lenient proposal in the Catilinarian debate are just a few of his many attempts to appear as people-friendly as possible.25 A politician could not always control the occasion or, indeed, the attacks on his public persona. If a private citizen, he had no immediate access to a public audience, but had to go through a convening magistrate to address the public. At meetings, neither the other speakers nor the audience could be fully controlled. Indeed, Pompey had to endure having his past as Sulla’s henchman thrown at him when trying to belittle Helvius Mancia;26 Piso spoke out against Cicero’s criticism and received Cicero’s blistering In Pisonem in response;27 and Antonius suffered Cicero’s eloquence to his detriment in 44 and 43 BCE – so much so that it is Cicero’s picture of Antonius that has survived. Breaking a political career through public speech was a risk any politician had to run, whether their own speeches or those of others. While difficult to control, it was crucial to attempt building a consistent and appealing profile as the foundation for popular favour and political advancement. It was the opinion of others which decided the way a political career was going and any successful politician would have been aware of this and have adjusted his activities accordingly. 6. CONCLUSIONS These observations about career making in the late Roman republic and the role of oratory therein provide, admittedly, a small and somewhat impressionistic sample only. But they can still tell us something about the political system in Rome. The republican political system did not work in terms of good versus bad oratory, as Cicero would have us believe in his history of Roman orators, the Brutus. In this work, oratorical ability forms Cicero’s expressed criterion for inclusion in his history of great Roman orators operating in republican politics, although an underlying criterion seems to have been political stance too.28 Instead, the instances discussed here show that the political system was more geared towards success in communicating a credible public profile and justifying career choices. 23 24 25 26 27 28
Suet. Iul. 5; Gell. 13,3,5. Cf. Cass. Dio 44,47,4. Plut. Pomp. 25,3; Cass. Dio 36,43,2. Cic. Catil. 4,6–10; Sall. Catil. 51; Plut. Caes. 7,7–9; Cass. Dio 37,36,1; App. civ. 2,1,6; Iul. Victor RhL p. 379, 15. Val. Max. 6,2,8, who provides further examples of Pompey as the object of abusive licence. For discussion see Steel 2001: 146 f. Cic. Pis. with Nisbet 1961. Steel 2003.
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The sheer variety in approaches to using oratory for career purposes moreover indicates that no one career trajectory can be taken as representative, however well-understood it is, but that one has to examine a number of careers in order to appreciate some of the mechanisms for career promotion through oratory. Firstly, that it was possible to combine various approaches and public images in one person – for example, Caesar was well-known for his forensic oratory, but also nurtured an image as a people-friendly politician; Marius was the military man but also stood out for his anti-senatorial rhetoric. Secondly, that the various political institutions provided a certain framework for career-making and self-promotion but that it was those individuals who were willing to exploit these institutions and frameworks to their limit, who could really make a splash – for instance, Caesar exploited the death of his wife to innovate the genre of funeral speeches traditionally delivered to men to include young women too; Cato may even have invented the filibuster speech and certainly introduced the genre on a broader scale in political life. Thirdly, that the late republic saw a convergence of different media to articulate public personae and claims to political influence. Alongside oratorical communication, physical objects such as coinage, inscriptions, statues, and building works, and textual expressions such as laudatory poetry and prose were used to further articulate a public persona or provide further aspects of a public image. Indeed, the late republic witnessed new ways of self-promotion and an increasing use of existing types of self-promotion such as the growing number of references to ancestors in coinage,29 the increasingly competitive building activity in Rome (for example, Pompey’s theatre complex and Caesar’s plans for a new Forum),30 the proliferation of autobiographical works,31 and the increasing circulation of written versions of contio-speeches.32 These physical and textual ways of expressing and supporting a public profile provide important contexts for the oratorical ways of promoting a political career that I have discussed here. This work is in tremendous debt to Münzer’s enormous knowledge of individuals and their lives. A study such as this on the interplay between oratory and political career would have been almost impossible to carry out without Münzer’s prosopographical studies. With this discussion, I hope to have shown one way of using the immensely rich material that Münzer has provided to give us further insights into political life in republican Rome.
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Meadows/Williams 2001. Termed “competitive aedificatio” by Purcell 1993: 125. Smith 2009. Mouritsen 2013.
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Henriette van der Blom
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JEDER FAMILIE IHR VETO? Entscheidungsfindung und Entscheidungsverhinderung in der römischen Republik* Christoph Lundgreen, Dresden/Rom EINLEITUNG Wenn sich alle einig sind, ist das Treffen einer Entscheidung zumeist unproblematisch. Schwieriger wird eine Entscheidungsfindung bei Dissens – sei es inhaltlicher Art in Form divergierender Interessen, sei es formaler Natur in Gestalt eines Verweises auf angeblich entgegenstehende Normen und/oder Verfahren. Dieses Spannungsfeld von Entscheidungsfindung und Entscheidungsverhinderung soll im Folgenden in vier Schritten behandelt werden. Ausgangspunkt ist zunächst eine ungewöhnlich hohe Ansammlung von Vetoträgern und Blockademöglichkeiten im politischen System der römischen Republik, was in meiner Terminologie auch als negative powers firmiert (1).1 Daran schließt sich die Frage an, wie das System eigentlich funktioniert hat, wie überhaupt Entscheidungen getroffen wurden. Während die Erklärungen älterer Forschungen letztlich auf den besonderen Charakter der Römer abheben (2), kann mit Hilfe der auf Giovanni Sartori beruhenden Unterscheidung von Kosten und Risiken bei Entscheidungen gezeigt werden, wie ein System mit vielen Vetoträgern nicht nur irgendwie, sondern sogar sehr gut funktioniert (3). Da sich darüber hinaus Hinweise finden lassen, dass die Römer diese Blockademacht gezielt auf Mitglieder verschiedener familiae und gentes verteilten, soll abschließend überprüft werden, ob die genannten Einheiten sogar alle ein Vetorecht besaßen oder zumindest die breite Verteilung der Vetorechte für die Integration der Elite förderlich war (4). Am Ende steht das nur auf den ersten Blick paradoxe Resultat, dass Entscheidungen vor allem deshalb getroffen werden konnten, weil man sie strukturell auch hätte verhindern können.
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Ann-Cathrin Harders und Matthias Haake ist herzlich für die Einladung nach Münster zu danken, und ebenso allen TeilnehmerInnen für die sehr anregenden Diskussionen während der Tagung. Vgl. für die Formulierung „potere negativo“ bereits Catalano 1971 (dazu mehr in Anm. 34). Da der Schwerpunkt dementsprechend auf den Vetoträgern und damit auf der Entscheidungsverhinderung liegt, findet keine Auseinandersetzung mit den in jüngerer Zeit erschienen Studien zu Formen der Entscheidungsfindung durch Los (Buchstein 2009) oder Mehrheit (Flaig 2013a u. 2013b) statt.
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1. DAS STRUKTURELLE RISIKO VON PATTSITUATIONEN IN ROM 200 v. Chr. gab es bei der Wahl der Aedilen in Rom ein Problem. Gewählt worden war mit C. Valerius Flaccus der amtierende flamen Dialis. Wie jeder gewählte Magistrat musste er nun binnen fünf Tagen einen Eid leisten, sich an die bestehenden Gesetze zu halten.2 Valerius Flaccus aber war als flamen Dialis mit einer Vielzahl von Tabus belegt und zahlreichen Einschränkungen unterworfen, u. a. durfte er nicht schwören, konnte also seinen Eid nicht leisten.3 Ist, wie in diesem Fall, ein und dieselbe Handlung zur gleichen Zeit geboten wie verboten, bedeutet dies eine Normenkollision. Darunter versteht man abstrakt den Widerspruch von Sollensvorschrift und Verbotsnorm. Ein solcher Widerspruch muss aufgelöst werden, um die Aporie zu vermeiden, dass für ein Individuum normkonformes Verhalten gar nicht möglich ist.4 Verschiedene Lösungsmechanismen sind dafür denkbar: Es gibt einerseits generelle Meta-Regeln, wie z. B. „lex posteriori derogat priori“, und andererseits individuelle Entscheidungen durch den Schiedsspruch einer übergeordneten Instanz oder auch den prinzipiellen Konsens aller Beteiligten – wie im Fall von Valerius Flaccus. Und wie wurde Flaccus’ Normenkollision gelöst? Der frisch gewählte Aedil bat den Senat, ihn von den gesetzlichen Vorschriften des zu erbringenden Eides zu entbinden (legibus solveretur). Der Senat reagierte wohlwollend und beschloss, so Livius weiter, „wenn der Ädil mit der Billigung der Konsuln einen stelle, der für ihn den Eid leiste, sollten die Konsuln, wenn es ihnen gut scheine, mit den Volkstribunen verhandeln, dass sie die Sache vor das Volk brächten.“5 Und so geschah es auch: Man schlug seinen Bruder, L. Valerius Flaccus, vor, der den Eid stellvertretend leisten könne, die Volkstribune brachten einen entsprechenden Antrag vor dem Volk ein, das Volk stimmte zu. Der Eid des Lucius ermöglichte dann dem Gaius seine Amtszeit als Aedil. Diese Episode ist in vielfacher Weise bemerkenswert, von der offensichtlichen Wählbarkeit eines Kandidaten, der keinen Amtseid leisten kann, über die interessante Konstruktion eines „Eides zugunsten eines Dritten“ bis hin zur Person des C. Valerius Flaccus allgemein. Jener war neun Jahre zuvor als 2
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Für dieses ius iurandum in leges s. Mommsen 1887a: 620 u. Kunkel/Wittmann 1995: 94–96. Zugegebenermaßen ließe sich an dieser Stelle auch ein grundsätzliches rechtshistorisches Problem bzw. ein Problem der Rekonstruktion von Normen diskutieren, denn der im Folgenden behandelte Konfliktfall bildet nicht nur die Abweichung von der Regel, sondern auch den frühsten Beleg für die Regel; s. hierfür Lundgreen (i. Dr.): 27–29. Für das Verbot zu schwören s. Gell. 10,15,5 u. Festus p. 92,25L; zu den Einschränkungen der flamines allgemein s. Simón 1996. Vgl. Röhl/Röhl 2008: 585–595. Für die gleich diskutierten Lösungsmechanismen durch Metaregeln im Bereich der römischen leges s. weiter Lundgreen 2014: 176–182. Liv. 31,50,7–10: C. Valerius Flaccus, quem praesentem creaverant, quia flamen Dialis erat iurare in leges non poterat; magistratum autem plus quinque dies, nisi qui iurasset in leges, non licebat gerere. Petente Flacco ut legibus solveretur, senatus decrevit ut si aedilis qui pro se iuraret arbitratu consulum daret, consules si iis videretur cum tribunis plebis agerent uti ad plebem ferrent. Datus qui iuraret pro fratre L. Valerius Flaccus praetor designatus; tribuni ad plebem tulerunt plebesque sicvit ut perinde esset ac si ipse aedilis iurasset. (Übers. H. J. Hillen).
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Taugenichts und Verschwender gegen seinen Willen zum flamen Dialis geweiht worden, hatte sich dann angeblich rasch gewandelt und sein Amt sehr sorgfältig versehen, bis er mit seinem Anspruch, als flamen Dialis einen Sitz im Senat einzunehmen, eine größere Debatte auslöste. 184 wurde er schließlich zum Prätor gewählt, was eine gelenkte Losung und die Fremdenprätur zur Folge hatte, um – wie im hier diskutierten Fall – Amtspflichten und religiöse Einschränkungen in Einklang zu bringen.6 Unter dem Fokus von Entscheidungsfindung und -verhinderung ist aber eines noch interessanter: das außerordentliche Zusammenspiel verschiedener Institutionen und Akteure: Senat, Konsuln, Volkstribune, Volk sind alle beteiligt.7 Die Auflösung des Konflikts zwischen gebotenem Amtseid und verbotenem Schwur setzte offensichtlich Einvernehmen verschiedener, in diesem Fall sogar aller relevanten Institutionen voraus. Das Motto könnte lauten: Ist man sich einig, ist alles möglich. Dies mag nun für vormoderne Gesellschaften auf den ersten Blick nicht überraschen, hält man doch den genuinen Wert eines Verfahrens meist für eine „Errungenschaft“ der Moderne. Und in der Tat, die Vorstellung, an einer Norm festzuhalten, wenn sich alle einig sind, anders zu handeln, ist für die römische Republik nicht passend. Daneben sind aber jede Menge formale Regeln festzustellen, von Altersfristen und Iterationsverboten für Ämter über klare Fristen für Bewerbungen und Gesetzesvorschläge bis hin zur unterschiedlichen Rechtsqualität jedes einzelnen Tages im Kalender. Vorstellungen eines laxen Umgangs mit Formvorschriften führen also ebenfalls in die Irre. Treffender ist somit der Satz: Wo kein Kläger, da kein Richter. Denn so wie ein Gericht erst tätig wird, wenn jemand es anruft, so bedeutet die vorgestellte Flexibilität im politischen Raum der res publica zunächst nur, dass niemand – d. h. niemand relevantes – gegen Entscheidung und/oder Verfahren Unmut äußerte oder Widerstand anmeldete.8 Fokussiert man die Frage nach der Entscheidungsfindung damit auf das Fehlen von Protest und Einspruch, steht das nötige Zusammenspiel der „Verfassungsorgane“ im Mittelpunkt. Die notwendige Kooperation der Institutionen der römischen Republik ist schon von Polybios in seiner berühmten Darstellung der römischen Verfassung im sechsten Buch seiner Historien gewürdigt worden. Im Abschnitt 15 werden erst die 6
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Für die Wahl gegen Widerstand und Änderung seines Charakters s. Liv. 27,8,4–10; Val. Max. 6,9,3. Für die spätere Wahl zum Prätor und gelenkte sortitio s. Liv. 39,45,4. Vgl. zu seiner Karriere insgesamt Linke 2009 sowie für die Normenkollisionen auch Lundgreen 2011: 163–175. Meine Deutung der Episode ist nicht unumstritten. Richard 1968: 789, z. B. will hier Verhinderungsversuche des pontifex maximus P. Licinius Crassus Dives erkennen. Da das Schwurverbot aber auch sonst auftaucht und die Rolle des pontifex maximus in den Quellen nicht weiter thematisiert wird, kann ich dem nicht folgen und sehe das Entscheidende im kreativen Umgehen des Schwurverbots, vgl. in dieser Richtung auch Vanggaard 1988: 63. Im Hintergrund steht, dass ein Regelverstoß nicht nur immer erst im Nachhinein angezeigt werden kann, sondern auch durch das Anzeigen erst mit konstituiert wird, vgl. dazu Ortmann 2003: 54 u. 192 f. Der Einfachheit halber sieht dieses Modell von der modernen „Erfindung“ des Staatsanwalts ab; für die in Rom nötige private Initiative zur Rechtserlangung wie -durchsetzung s. Liebs 2014: 238–245.
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Pflichten der Konsuln aufgezählt, dann das Risiko benannt, die Sympathie von Senat und Volk gering zu schätzen. Im Abschnitt 16 wird betont, dass der Senat von Entscheidungen der Volksversammlung abhängig ist und bei Widerspruch nur eines einzigen Volkstribunen sich nicht einmal beraten könne. Das Volk schließlich, im Abschnitt 17, ist wiederum vom Senat abhängig und geprägt von der unbegrenzten Befehlsgewalt der Konsuln im Krieg. Danach folgt, quasi als Zusammenfassung, der Satz: „Obgleich jede der drei Komponenten eine solche Macht hat, einander zu schaden und auch zu helfen, sind sie in allen schwierigen Lagen so zweckmäßig miteinander verbunden, dass man unmöglich eine bessere Verfassungsform als diese finden kann“9 Der letzte Satz wird häufig im Kontext von Polybios’ Bewunderung der römischen Mischverfassung gelesen, doch nennt Polybios hier auch klar die andere Seite der Interdependenz: eine strukturell mögliche gegenseitige Blockade und Pattsituation (βλάπτειν). Untersucht man Konfliktfälle zwischen den Institutionen, kann man dieses Ergebnis einer Pattsituation zunächst allerdings nur teilweise bestätigen, denn man stößt schnell auf einen klaren Primat der Volksversammlung gegenüber dem Senat. Dieser klaren rechtlichen Hierarchie werden meist die sozio-politischen Rahmenbedingungen, die Zusammensetzung der Volksversammlungen, ihre Abhängigkeit von Magistraten sowie die kleine Anzahl der nur zehn abgelehnten Beschlüsse entgegengesetzt, was aber an dem Primat der Versammlung prinzipiell nichts ändert.10 Die Volksversammlung kann Entscheidungen des Senats bestätigen oder verwerfen, nicht umgekehrt – jedenfalls nicht direkt. Damit klingt bereits an, dass eine klare Hierarchie der Institutionen nicht auszumachen ist, denn hinzuzunehmen ist der Bereich von Recht und Religion, Staat und Kult, Divination und priesterlicher Gutachten; ein Bereich, der in Ermangelung besserer Ausdrücke als Sakralrecht benannt 9
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Pol. 6,18,1 f.: Τοιαύτης δ’ οὔσης τῆς ἑκάστου τῶν μερῶν δυνάμεως εἰς τὸ καὶ βλάπτειν καὶ συνεργεῖν ἀλλήλοις, πρὸς πάσας συμβαίνει τὰς περιστάσεις δεόντως ἔχειν τὴν ἁρμογὴν αὐτῶν, ὥστε μὴ οἷόν τ’ εἶναι ταύτης εὑρεῖν ἀμείνω πολιτείας σύστασιν. (Übers. K. F. Eisen). Was bei Polybios in den angesprochenen Stellen Senat, Volk und Konsuln heißt, darf man getrost auch mit Senat – Volksversammlung – Magistratur wiedergeben, so ungenau Polybios’ Begrifflichkeit an dieser Stelle ist, so sehr trifft die Beobachtung auf alle genannten Institutionen zu. Zum Problem von Volk und Volksversammlung bei Polybios’ Analyse Roms s. Welwei 2002; zur Kompetenz der Volkstribune gegen den Senat vgl. Kunkel/Wittmann 1995: 601–607. Zur berühmten Mischverfassung sei hier allein auf v. Fritz 1954 u. den Kommentar von Walbank 1970 verwiesen. Dass diese (griechische) Systematisierung zur Beschreibung der „Ordnung der römischen Republik“ nicht ausreicht, hat Meier 2015 eindrucksvoll unterstrichen. Für die nur zehn von Volksversammlungen abgelehnten Anträge vgl. Nippel 1988: 55 sowie Flaig 1995: 77–100 u. 2003: 175–180, der hieraus sein Argument von den Comitien als Konsensorgan ableitet und demgegenüber die Rolle der contiones als Ort betont, in dem vorher Widerstand getestet und manches dann vielleicht gar nicht eingebracht wurde. Zu den contiones s. weiter MorsteinMarx 2004; zur Rolle der Rhetorik und den Rednern vor dem Volk Hölkeskamp 1995; Pina Polo 1996 u. Jehne 2000; 2003 u. 2011. Die zahlreichen Forschungen (und Ergebnisse) zur politischen Kultur der römischen Republik und Rolle des Volkes sind von den Kompetenzen der Volksversammlung dennoch zu trennen; für letztere s. neben den entsprechenden Passagen von Mommsen immer noch Botsford 1909 u. Taylor 1966. Zur hier ebenfalls einschlägigen wiewohl mittlerweile abklingenden Fergus-Millar-Debatte sei nur auf Hölkeskamp 2004 u. aktualisiert 2010 verwiesen.
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werden soll.11 Hier wird meist eine Schranke für Entscheidungen – und d. h. Veränderungen – durch die Versammlungen gesehen. Zwei verschiedene Aspekte mögen als Beispiele genügen, immer geht es um Gutachten religiöser Experten. Zum einen ist der Streit um Ciceros Haus bzw. sein Grundstück anzuführen, also die Frage, ob die Weihung einer Säulenhalle durch Clodius an die Libertas gültig und das Grundstück damit res sacra war oder nicht. Hierauf ließ der Senat die pontifices ein Gutachten erstellen und übernahm, als die Antwort negativ war, d. h. ein Formfehler festgestellt wurde, diesen Beschluss und erklärte die Weihung für ungültig.12 Zum anderen ist an Auguren, präziser noch an „Einsprüche“ einzelner Auguren nach bzw. durch Beobachtung des Himmels zu denken.13 Während bei Wahlen ein sofortiger Rücktritt die Folge war, konnte bei Gesetzesvorlagen ein auguraler Einspruch zwar ignoriert werden, bot dann aber dem Senat nach vorherigem sakralrechtlichen Gutachten die Möglichkeit einer nachträglichen Ungültigkeitserklärung. Schön ist dies anhand der Befragung von Auguren in einer contio durch Clodius zu sehen. Auf die Frage, ob Caesar Gesetze auf Grund der permanenten spectio des Bibulus eigentlich gültig sein, lautet die Antwort sinngemäß: Fragte man uns offiziell, sähen wir die Gesetze als ungültig an – aber man fragt uns ja nicht.14 So wie die Zusammensetzung der Volksversammlung unter der Frage nach deren institutioneller Kompetenz nicht relevant ist, so ändert hier die politische Zurückhaltung der Senatoren, die Maßnahmen des Eroberers Galliens nicht alle aufzuheben, nichts an der rechtlichen Kompetenz des Senats als Institution: Gutachten wurden nur auf Senatsbeschluss überhaupt angefertigt und mussten danach mit einem zweiten Senatsbeschluss auch übernommen,15 also quasi von der sakralrechtlichen Sphäre in die politische hinüber 11
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Die Rolle der Religion und damit auch der Priesterschaften wird erst in jüngerer Zeit in der ‚Verfassungsforschung‘ gewürdigt, s. beispielsweise die Überblicke von Brennan 2004 oder North 2006 sowie für die Konsuln Pina Polo 2011: bes. 21–57. Auch bei den Römern selbst standen in der Überlieferung zunächst militärische Ämter stark im Vordergrund, vgl. Smith 2006: 313 f.: „The sources are dominated by the chief magistracy, and to some extent this must have been inevitable given that, if the Roman historians had anything to go on for the early Republic, it was a list of consuls (or consular tribunes). It is also likely that any records predominantly covered military affairs, in which the consuls, consular tribunes and dictators were key. Yet without the priests, very little could be done.“ Die große Bandbreite auch innerhalb der Priester hat Rüpke 2011 noch einmal unterstrichen, im Folgenden geht es aber ausschließlich um pontifices und vor allem um Auguren. Der Formfehler war darin zu sehen, dass Clodius vor der Weihung keinen Volksbeschluss in dieser Sache erwirkt hatte, vgl. Cic. Att. 4,2,3. Zu dieser – sakral-rechtlich nicht ganz einfachen – Argumentation und Rückgabe des Grundstückes s. Tatum 1999: 187–193, Stroh 2004 u. North 2014: 71–78. Zumindest in der späten Republik wird das reine Beobachten des Himmels bereits mit einem negativen Vorzeichen gleichgesetzt, vgl. Cic. dom. 39 und s. dazu Bleicken 1957: 470. Cicero selbst weist (leg. 2,31) dem Recht der Auguren das größte Gewicht und den höchsten Rang zu; zu diesen Passagen s. v. Albrecht 2014. Vgl. Cic. dom. 39 f.; har. resp. 48. Zur Frage der Gültigkeit der Gesetze Caesars s. weiter Lundgreen 2011: Anm. 434. Für den Unterschied zwischen sakralrechtlichen und politischen Konsequenzen vgl. auch Varro ling. 6,30. Vgl. Mommsen 1887b: 18 f. sowie vor allem Linderski 1971: 309 u. 1986: bes. 2161–2166, dessen Arbeiten (zusammen mit denen von Valeton 1891) für dieses Gebiet unübertroffen sind.
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geholt werden. Der Senat gibt priesterlichen Entscheidungen und Gutachten damit nicht nur politisches Gewicht, sondern verleiht ihnen überhaupt erst, modern gesprochen, „öffentlich-rechtliche Qualität“. Den Ausführungen des letzten Abschnitts zum Trotz lässt sich aber auch keine Normenhierarchie mit dem Sakralrecht an der Spitze ausmachen. Vielmehr führen die Beobachtungen zu einer Art „Widerspruchsschleife“, denn ein Senatsbeschluss als solcher hätte ja von der Versammlung wieder aufgehoben werden können – wie alle senatus consulta.16 Das hier inhärente Risiko einer Pattsituation wird noch deutlicher, wenn man sich die immer mindestens doppelte Besetzung der Magistraturen und die damit verbundenen Inter- und vor allem Intra-Organkontrollen vergegenwärtig. Ganz zu schweigen vom Vetorecht der zehn (!) Volkstribune, wo einer allein alles blockieren konnte.17 Die Widerspruchsschleife auf der Ebene der Institutionen und die strukturellen Blockademöglichkeiten durch Magistrate, Volkstribune und Priester haben manchen veranlasst, von „checks & balances“ zu sprechen, die nirgends „wirkungsvoller realisiert wurde[n] als in der römischen Republik.“18 16
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Der Begriff „Widerspruchsschleife“ stammt von Rüpke 2005: 1450; für meine These von Normsphären statt Normenhierarchie vgl. auch Lundgreen 2011: 259–273 sowie 2014: 199– 206. Giovanninis These von den Auguren als „les gardiens de la constitution romaine“ und „l’équivalent d’une Cour constitutionnelle“ (Giovannini 1998: 106) ist daher so nicht haltbar; spannend bleibt seine Beobachtung, dass die Auspizien im militärischen Bereich meist mit dem Senatswillen im Einklang standen (109). Gleiches gilt aber auch für Vorstellungen vom Senat als „corte costituzionale“ (Nocera 1940: 292) oder von den Tribunen als Verfassungswächtern (vgl. so bereits Bleicken 1968: 90–93); gegen die generell vergebliche Suche nach einer alle überragenden, souveränen Instanz s. zuletzt Meier 2015: bes. 646–648 sowie weiter im Text. Zu denken ist nur an das von Sallust beschriebene Kaufen eines Tribuns durch Jughurta, um vor Anklagen und allem anderem sicher zu sein (Sall. Iug. 33.34); vgl. Lübtow 1955: 103: „Durch ein einfaches, unmotiviertes und von jeder Rechenschaft befreites Veto konnten die Volkstribunen jeden Akt der adligen Staatsleiter auf dem Gebiet der Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung verhindern und so die Staatsmaschine zum Stillstand bringen.“; ähnlich schon Meyer 1895: 1 f.: „Weitaus das merkwürdigste und seltsamste unter allen Gebilden der römischen Verfassung ist das Tribunat: ein durch und durch revolutionäres Amt, seinem Wesen nach die Negation aller regelmäßigen Staatsgewalt, allen legitimen Ämtern übergeordnet und befugt, in jedem Augenblick den ganzen Staat brachzulegen.“ Für die Schwierigkeiten, auch von Mommsen, das Volkstribunat in ein rationales, rechtliches Verfassungsmodell einzuordnen, s. Badian 1996, 190 f. Loewenstein 1971: 12. Die Personalunion von Senatoren und religiösen Spezialisten (s. nur Szemler 1972 u. 1986) wird das Phänomen noch verstärkt haben, wobei die Römer selbst ihre ‚Rollenunterschiede‘ durchaus reflektiert haben. Im Rahmen der erwähnten Auseinandersetzung um Ciceros Haus kommt es im Senat zu einer Befragung der pontifices, von der Cicero in einem Brief an Atticus (4,2,4) Folgendes berichtet: tum M. Lucullus de omnium conlegarum sententia respondit religionis iudices pontifices fuisse, legis esse senatum; se et conlegas suos de religione statuisse, in senatu de lege statuturos cum senatu. – „Im Namen des Gesamtkollegiums antwortete M. Lucullus, die Pontifices hätten über die religiöse Seite der Frage zu befinden gehabt, die juristische sei Sache des Senats; er und seine Kollegen hätten über die religiöse Seite entschieden, über die juristische würden sie als Senatoren im Senat mitentscheiden“ (Übers. H. Kasten); Rüpke 2001: 73 spricht in diesem Zusammenhang von „kognitiver Dissonanz“. Für die vielfachen Überschneidungen zwischen den nur in moderner Perspektive getrennt gedachten Bereichen von Politik und Religion s. mit weiteren Verweisen Lundgreen
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2. DIE DEUTUNG DER FORSCHUNG UND DER KORPSGEIST DER ELITE Das beschriebene strukturelle Risiko einer Pattsituation in Rom durch die vielen negative powers wird von der Forschung seit langem wahrgenommen. Selten ist es indes so deutlich gesehen und so pointiert formuliert worden wie von Alfred Heuss: „Die römische Verfassung, die sich in dieser Weise aus dem Ständekampf heraus entwickelt hat, war ihrem Normen- und Kompetenzbestand nach ein sehr merkwürdiges Gebilde. Gestellt war sie, abgesehen von den beschlußfassenden Versammlungen des Volkes (sog. comitia), auf die Beamten, römisch gesprochen, die Magistratur, welcher dem Volke gegenüber insofern ein Vorrang zukam, als sie allein zur Einberufung der Volksversammlungen und damit zur Beschlußinitiative berechtigt war. Ihr eigenes Gestaltungsprinzip lag in der Mehrzahl der Amtsstellen und ihrer jährlichen Ablösung (Annuität). Hierbei war der Gesichtspunkt maßgebend, einen Mißbrauch der staatlichen Macht zu verhindern. Die begrenzte Dauer ließ keinen persönlichen Amtsbesitz aufkommen, und die Mehrzahl auch gleicher Amtsträger schloß den Grundsatz ein, daß individuelle Amtshandlungen nur dann gültig wurden, wenn sie als von der Gesamtheit der betreffenden Beamten vollzogen angesehen wurden. Praktisch war dies daran zu erkennen, daß von seiten eines Kollegen kein Widerspruch erhoben wurde, und umgekehrt war die Folge unvermeidlich, daß jeder Einspruch von dieser Seite jegliche Amtshandlung zu Fall brachte. Das Verbot war immer stärker als das Gebot. Derselbe Grundsatz galt im allgemeinen auch für das Verhältnis der höheren Magistrate zu den niedrigeren, insofern als es hier keine positive Weisungsbefugnis gab, d. h. die Vorstellung eines Instanzenzuges völlig fehlte, und diese jenen nur dann zu weichen hatten, wenn sie auf einen Widerspruch trafen. Bedenkt man ferner, daß die Volkstribune innerhalb der Stadt ein durchgängiges Veto gegen jeden Beamten besaßen und obendrein ein dichtes Netzwerk von Kautelen des Sakralrechts bestand, dann scheinen die äußeren Verfassungsbedingungen lediglich den einen Zug zum Ausdruck zubringen, einheitliche Aktionen von vornherein lahmzulegen, wenn nicht gar diese Negation zu einer grundsätzlichen Anarchie zu treiben.“19
Wie aber, so die Frage, die sich sofort im Anschluss stellt, hat das römische „System“ dann überhaupt – und auch noch so gut – funktioniert? Für Heuss lag die Antwort im „Organismus des sozialen Lebens“ und in einem „der Gemeinschaft innenwohnenden Regulationsvermögen.“ Gemeint ist der „Korpsgeist“ der Elite und die Geltung der Spielregel vom mos maiorum: „Es ist klar, dass der ‚Buchstabe‘ der Verfassung nicht ausreichte. Er besagte, für sich genommen, eher das Gegenteil. Also mußte hinter ihm eine ordnende und ausrichtende Kraft stehen, welche einem unsichtbaren Gesetz gehorchte und den ‚richtigen‘ Gebrauch der an sich höchst unvollkommenen äußeren Verfassungsapparatur gewährleistete. Dem war in der Tat so, und das ‚Geheimnis‘ der römischen Größe beruht ausschließlich auf diesem inneren Element, keinesfalls auf der technischen Zubereitung des Staates. Es war das nichts anderes als der Organismus des sozialen Lebens in Rom, kurz gesagt, die römische Gesellschaft mit dem ihr innewohnenden Regulationsvermögen. Aus dem Ständekampf war sie als ein durch und durch gesunder Körper, der die Maße seines Daseins in sich trug, hervorgegangen, wohlgefügt und in natürlichem Ebenmaß sich von unten nach oben aufbauend. Ihre Spitze genoß so viel Ansehen und Vertrauen, daß diese sich ohne Umständlichkeit in Herrschaft und Führung umsetzte. Und bei den Angehörigen der oberen Schicht war genug Korpsgeist vorhanden, um persönliche Gegensätze in einem ausbalancierten Zusammenspiel aufzuheben. Die Spielregel, auf die man
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2011, 138–146, 26 u. 2013: 191–195 sowie die Beiträge in Richardson/Santangelo 2011, in TellegenCouperus 2012 u. in Urso 2014 (darin bes. North 2014: 75–78). Heuss 2001: 37.
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Christoph Lundgreen sich in erster Linie berief, war das Herkommen, die Tradition oder römisch gesprochen: der mos maiorum. Von hier aus wurde alles Auseinanderstrebende und alles die schwache Hülle der Verfassung Sprengende zusammengehalten, allen auf Schritt und Tritt sich darbietenden Verlockungen widerstanden. Auf dem lebendigen Bewußtsein, was man von selbst zu tun hatte, beruhte die Ordnung des römischen Lebens.“20
Die Frage ist, wie weit man mit einer solchen Antwort kommt. Man kann sie in zwei Argumente unterteilen, zum einen geht es um die allgemeine Akzeptanz einer verbindlichen Spielregel, zum anderen um die inhaltliche Konkretisierung letzterer durch den Verweis auf den mos maiorum. Beides ist aber, wenngleich aus verschiedenen Gründen, als Erklärung nicht ausreichend. Für den Bereich des mos maiorum bzw. die in diesem Zusammenhang oft evozierten exempla ist darauf hinzuweisen, dass zumindest in Konfliktfällen eine erstaunliche Flexibilität vorherrscht. Man kann einem exemplum folgen, muss es aber nicht. Zudem lassen sich, spätestens mit der Entstehung der römischen Geschichtsschreibung und des (Auf-/Er-)Findens neuer alter Fälle, meist immer exempla sowohl für als auch gegen eine Entscheidung anführen. Nimmt man Ciceros Rede für den Oberbefehl des Pompeius hinzu, der für die Vorfahren in Anspruch nimmt, sich zwar im Frieden am Herkommen, im Krieg aber an der Zweckmäßigkeit orientiert zu haben, wird die konstatierte Flexibilität noch unterstrichen.21 Zusammenfassend lässt sich behaupten, dass exempla – und damit auch mos maiorum – eher die Argumentationsform, die rhetorische Art und Weise des Diskurses bilden, als tatsächliche, inhaltliche Argumente.22 Und für die Frage von Entscheidungsfindung und Entscheidungsverhinderung muss in diesem Zusammenhang noch eine weitere römische Besonderheit genannt werden: das strukturelle Vermeiden von Entscheidungen, die über die Lösung eines konkreten Einzelfalls hinausgingen – was ebenfalls die Flexibilität des Systems im Ganzen unterstreicht. Fallen exempla aber somit als Richtschnur des Handelns zumindest im Fall von Dissens aus, bleibt schlicht die Beobachtung des Korpsgeistes der Elite bestehen, den man vielleicht mit einer allgemeinen Einstellung, es nicht zu weit zu treiben, wiedergeben kann. In diese Richtung weist auch Christian Meier, der Ende der 70er 20 21
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Heuss 2001: 37 f. Vgl. Cic. imp. Cn. Pomp. 60: Non dicam hoc loco maiores nostros semper in pace consuetudini, in bello utilitati paruisse, semper ad novos casus temporum novorum consiliorum rationes accommodasse. – „Ich will an dieser Stelle nicht erwähnen, dass sich unsere Vorfahren im Frieden stets vom Herkommen, jedoch im Kriege von der Zweckmäßigkeit haben leiten lassen, dass sie die Grundsätze für neue Entschlüsse stets von neuen Zeitereignissen abhängig machten.“ (Übers. M. Fuhrmann). Wie wirkmächtig die Vorstellung war, in Zeiten der Not Flexibilität über Tradition und Nützlichkeit über Herkommen zu stellen, sich im Normalfall aber an der Vergangenheit zu orientieren, ist später gut an der Konstruktion des augusteischen Prinzipats zu sehen, vgl. Jehne 2012. Dieser Absatz beruht auf meinen Ergebnissen zur Lösung bzw. Nicht-Lösung von Regelkonflikten durch den Rekurs auf exempla; vgl. Lundgreen 2011: 273–277. Aus der Fülle von Literatur seien hier nur einige hervorgehoben: Kornhardt 1936 u. Braun 2002 für die These, dass in Streitfällen immer für beide Positionen exempla zur Verfügung standen, David 1993 für die Neu-Konstruktion von Fällen in der Vergangenheit als Ausgleichsakt gegenüber älteren Familien, Blösel 2000 für die Begriffsgeschichte von mos maiorum u. Nippel 2008 für die freie und unverbindliche Auslegung von Präzedenzfällen.
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und Anfang der 80er Jahre in verschiedenen Aufsätzen immer wieder das Modell eines Kompetenzkerns mit unscharfen und sich überschneidenden Rändern entworfen hat, dabei politische Machtverhältnisse als Teil der Verfassungswirklichkeit auffasst, für selbige aber einen strukturellen Verzicht auf die konkrete Durchsetzung eines prinzipiell unbegrenzten Rechts feststellt.23 Diese Formel des Verzichts auf Ausübung eigentlich unbegrenzter Rechte steht dabei in der Tradition Rudolph v. Jherings, der über die tribunizische Gewalt ausgeführt hat: „Die stillschweigende Bedingung für die Ausübung aller jener Befugnisse ist das Dasein der Voraussetzungen, welche ihren Gebrauch rechtfertigen.“24 Überlegt man aber, wie diese stillschweigende Bedingung eingehalten wurde, landet man wieder bei den Begriffen von Heuss, dem Organismus des sozialen Lebens und dem der Gemeinschaft innewohnenden Regulationsvermögen. Dies ist – das muss betont werden – auch sicher nicht falsch, aber es trifft in dieser allgemeinen Form wohl auf jede Gesellschaft zu; man könnte einen Bogen schlagen von Ronald Syme „no oligarchy could survive if its members refused to abide by the rules“ zu Ernst-Wolfgang Böckenförde und den Voraussetzungen, von denen der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt, die er aber selbst nicht garantieren kann.25 Eine solche Aussage ist nun nicht nur für die oben beschriebenen Spezifika des römischen Systems zu abstrakt, sondern verschiebt auch bloß die Frage, warum die römische Gesellschaft eben diesen Charakter hatte. Hinzu kommt, dass Deutungen eines „Volkscharakters“ – so sehr sich die Römer mit allen Geschichten von heldenhaften Einsätzen und persönlichen Aufopferungen rei publicae causa dafür anbieten – oft ein fader Beigeschmack anhaftet.26 Der Haupteinwand aber ist noch ein anderer. Alle hier genannten Erklärungen setzen an der Frage an, wie man ein angeblich defizitäres System mit charakterlicher Stärke aushalten bzw. am Laufen halten konnte. Nicht gefragt wird: Wie kam es dazu? Warum wurde es nie geändert? Und völlig außer Acht bleibt die umgekehrte Überlegung, ob dieses System nicht vielleicht auch Vorteile hatte. Nötig ist m. E. ein Modell, welches weniger im Charakter der Römer fündig wird, als vielmehr das Entscheidungssystem der Rö23 24 25
26
Zu denken ist besonders an Meier 1978 u. 1984a sowie jüngst Meier 2015: bes. 601 f., 618, 681 f., 690–693. Jhering 1894: 267; für weitere, ähnliche Formulierungen s. Keller 2005: 178. Syme 1939: 57 f.; Böckenförde 2006: 112. Beides stimmt natürlich. S. für Roms Elite zuletzt Mouritsen 2013: 396: „The main challenge to the survival of oligarchic systems typically comes from within the ranks of the ruling class itself. The formalized sharing of power among groups of families always requires strong internal cohesion as well as effective means of enforcing collective discipline. Safeguards must be in place to prevent attempts at usurping unwarranted powers.“ Zur Rolle gemeinsamer Wertüberzeugungen in diesem Zusammenhang s. Keller 2005. Ein weiteres Resultat sind unfreiwillig komische Deutungen, die mehr über die Zeit des Autors als über die römische Republik aussagen, vgl. etwa Loewenstein 1971: 11: „Der Römer war kein Prinzipienreiter, wie es etwa der traditionelle Deutsche und erst Recht der Franzose ist, in der inneren Politik war er jederzeit zu Kompromissen geneigt, und statt, wie die Griechen, ihr Seelenheil in Agonistik suchend, war die bis ins 2. Jahrhundert hinein mehr oder minder homogen gebliebene patrizisch-plebejische Adelsklasse durchaus bereit, sich mit einem halben Laib Brot zu begnügen, wenn der ganze nicht zu bekommen war.“
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mer nicht trotz der vielen negative powers erklärt, sondern diese als Teil mit vielleicht eigenem Wert begreift. 3. ENTSCHEIDUNGSKOSTEN UND ENTSCHEIDUNGSRISIKEN Hilfreich sind an dieser Stelle Ausführungen des italienisch-amerikanischen Politikwissenschaftlers Giovanni Sartori, der analytisch zwischen internen Entscheidungskosten und externen Entscheidungsrisiken unterscheidet.27 Kosten bestehen für die Entscheidenden in Zeit, Aufwand und Erschöpfung; Risiken tragen in dieser Definition alle diejenigen, für die die Entscheidung gilt, die aber nicht an ihrem Zustandekommen beteiligt sind. Der Aspekt der externen Risiken braucht an dieser Stelle zunächst nicht weiterverfolgt zu werden, zumal sich Sartoris Vorschlag zur Senkung des Risikos durch eine repräsentative Zusammensetzung der Gruppe der Entscheidenden nicht leicht auf die römische Elite übertragen lässt. Von Interesse sind vielmehr zunächst die Kosten einer Entscheidung, die abhängig sind von der sog. Entscheidungsregel; das ist die Regel, nach der Entscheidungen getroffen werden. Reine Mehrheitsentscheidungen haben die geringsten Kosten, dafür aber den Nachteil, dass sie bloß die Präferenzen der Beteiligten abbilden, nicht aber die Intensität dieser Präferenzen. Letzteren trägt nur eine Einstimmigkeitsregel optimal Rechnung, wobei dann aber die Entscheidungskosten sehr hoch werden, da quasi jeder an der Entscheidung Beteiligter ein Vetorecht besitzt. Für Sartori muss stets ein Kompromiss zwischen Praktikabilität und Sicherheit erreicht werden, was sich an den verschiedenen Qualifizierungen einer Mehrheit je nach Entscheidungsmaterie ablesen lässt; zu denken wäre beispielsweise an die qualifizierte Mehrheit bei Verfassungsänderungen gegenüber der nur relativen bei der Verabschiedung einfacher Gesetze. An dieser Stelle werden nun die erwähnten externen Risiken wieder interessant und man kann festhalten, dass sich Kosten und Risiken einer Entscheidung umgekehrt proportional zueinander verhalten: Entscheidet der Diktator allein, sind die Kosten gleich null und das Risiko ist maximal, entscheiden alle gemeinsam, ist das Risiko gleich null, aber die Kosten sind unendlich hoch. Bei allen Mittelwegen gilt, dass die Berücksichtigung individueller Präferenzen (durch Mehrheitsentscheidungen) noch keine großen Kosten, die Berücksichtigung der Intensität der Präferenzen (optimal bei Einstimmigkeit) dagegen sehr hohe Kosten mit sich bringt. Und hier liegt der Bezug zur römischen Republik. Zwar ist dort nirgends, weder im Senat, noch in der Volksversammlung, noch, absichtlich vage formuliert, „in der Elite“ für irgendeine Entscheidung Einstimmigkeit gefordert, doch bietet das Modell mit Kosten und Risiken eine gute analytische Beschreibung der hier im ersten Teil vorgestellten möglichen Pattsituationen. Und die hohe An27
Vgl. für das Folgende Sartori 1984: 83–96 u. 1990: 212–233. Es geht dabei um sog. kollektivierte Entscheidungen, d. h. Entscheidungen, die für eine Menge gelten, die größer ist als die Gruppe der Entscheidenden. Die Debatte um Konsens und Konsenssysteme geht über Sartori noch weit hinaus, für einen Überblick zu Voraussetzungen und Konsequenzen verschiedener solcher Theorien für die Alte Geschichte s. jetzt Timmer 2014 u. 2015.
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zahl von Personen mit Verhinderungskompetenzen und Vetomacht – mindestens ist an zehn Volkstribune, alle Auguren, vielleicht auch an die beiden Konsuln oder an weitere Priester zu denken28 – führt in Rom zu sehr hohen Entscheidungskosten. Wie man die reine Anzahl von Vetoträgern zu gewichten hat, ist indes umstritten. Nach George Tsebilis hat eine höhere Zahl der „veto players“ nur dann Konsequenzen, wenn deren Interessen nicht mit denen der bereits vorhandenen veto players identisch sind; er nennt dies rule of absorbtion.29 So korrekt dies abstrakt ist, lässt es gleichwohl die Möglichkeit von Einschüchterung, Erpressung, Überredung und Bestechung außer Acht, was bei – beispielsweise – nur einem Volkstribun leichter möglich wäre als bei zehn.30 Weiter bedeutet eine so hohe Anzahl struktureller Vetoträger – Tsebilis spricht von „institutional veto player“ – auch ein erhöhtes Risiko unterschiedlicher Präferenzen und damit eine höhere „policy stability“ bzw. eine geringere Wahrscheinlichkeit einer Veränderung des status quo.31 Nichts 28 29 30
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Z. B. müsste an die pontifices gedacht werden, schon wegen ihrer Verfügung über den Kalender, worin durchaus auch negative powers zu sehen sind, vgl. dazu Santangelo 2011: 178– 182; für die ganze Bandbreite ihrer Tätigkeiten s. zuletzt North 2014. Tsebelis 2002: 25–33. Sartori 1997: 217 spricht davon, dass nur bei „unabhängigem Gewicht“ der Beteiligten deren Anzahl in direkter Beziehung zu den Kosten steht. Interessant ist, dass die Anzahl von zehn Volkstribunen in der Forschung different bewertet worden ist. Mommsen 1887a: 269 sah angesichts der (allerdings nicht unbedingt historischen) Fälle von inter-tribunizischer Interzession in der Frühzeit in der Anzahl der Volkstribune ein Korrektiv gegenüber der Institution als Ganzer. Dagegen meinte Bleicken 1968: 76, dass die hohe Anzahl schlicht den Fortbestand des Gremiums sichern sollte und zudem half, mit größerer Autorität auftreten zu können. Ich tendiere zu Bleicken, aber beides fällt letztlich in der hier eingeschlagenen Perspektive zusammen: Bei Konsens in der Sache war es irrelevant und bei Dissens führte es in jedem Fall zur besprochenen Kraft der Negation und dem Vorrang des status quo vor jeder Veränderung, mit der zehnfachen Chance, einen einzelnen für ein Veto zu gewinnen. – Zur Diskussion über die Anzahl der Volkstribunen zu Beginn ihrer Existenz s. Lanfranchi 2015: 66–78, der von ursprünglich zwei Positionen im Jahr 493 ausgeht, welche dann 471 auf vier und schließlich wohl 449 auf zehn erhöht wurden (78). Tsebelis 2002: 2–6, 19–24. Die möglichen weiteren Konsequenzen einer high policy stability, wie Government oder Regime instability sowie bureaucratic und judicial independence, müssen hier nicht interessieren. Sie beziehen sich so konkret auf moderne Systeme, dass eine Übertragung auf die Verhältnisse der römischen Republik nicht sinnvoll ist. Problematischer ist, dass Tsebelis aus Gründen der Komplexitätsreduzierung in seinem Modell die Fälle ausschließt, in denen ein Vetospieler für individuelle Gegenleistungen oder die Aussicht, sich in einem künftigen Konfliktfall durchsetzen zu können, seine Präferenzen verändert, vgl. Tseblis 2002: 9 Anm. 7: „Here I am excluding cases where a player receives specific payoffs to do so. For example, he may receive a promise that in the future his preferences on another issue will be decisive. I do not argue that such cases are impossible, but I do argue that if they are included they make almost all outcomes acceptable on the basis of such a logroll, and make any systematic analysis impossible.“ Damit reduziert Tsebilis das Modell m. E. auf die institutionelle Verfassungsanalyse, wie weit der Ansatz für den auf Kompromissen beruhenden Bereich der Politik taugt, ist unsicher, steht hier aber auch nicht zur Debatte. Dies gilt zumal, als im Folgenden genau dieser Problematik mit Sartoris Gremien-Modell Rechnung getragen wird, vgl. weiter im Text. Die von Tsebelis verwendeten Grundaxiome zu veto players bleiben als Ausgangspunkt nützlich. – Zur mittlerweile üblichen Aufteilung von „Politik“ in polity (Form/Struktur), policy (Inhalt) und politics (Prozess) s. beispielsweise Patzelt 2007: 28 f.
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anderes meint Sartori mit der Formulierung der hohen Entscheidungskosten, wobei die Formulierung einer „high policy stability“ für die römische Republik noch eingängiger ist. Es ist eine gute analytische „Übersetzung“ des Befundes einer konservativen Gesellschaft, in der das „Verbot immer stärker war als das Gebot“.32 Die sich anschließende Frage ist daher nun, ob diese moderne Analyse von Entscheidungskosten und -risiken nicht auch ein Modell für die römische Republik bietet. Sartori weist an dieser Stelle auf die Rolle von Gremien und Ausschüssen hin, deren Besonderheit es sei, Entscheidungen in einem kontinuierlichen Entscheidungskontext zu treffen. Hier kann aus dem Nachteil ungleicher Intensität von Präferenzen ein Vorteil werden. Das Schlagwort lautet: „Mechanismus der zeitverschobenen gegenseitigen Kompensation.“33 Gemeint ist damit das (ja klassisch römische) Prinzip des do ut des. A gibt nach, verzichtet auf Durchsetzung seiner schwachen Präferenz, kann sich aber sicher sein bzw. es zumindest erwarten, dass B auch irgendwann nachgibt, nämlich genau dann, wenn A seine starke Präferenz durchsetzen möchte. In Rom wird nun ein Nachgeben der Vetoträger gerade durch ihre Vetomöglichkeit erleichtert. Die Sicherheit, alles blockieren zu können, wenn eine Seite „zu viel“ durchsetzen will, wird die Kompromissfähigkeit dabei ebenso erhöht haben wie die prinzipielle Notwendigkeit der Zusammenarbeit. Gerade weil kein Vetoträger allein etwas gegen die anderen Vetoträger durchsetzen kann, sondern auf deren Zustimmung bzw. Veto-Verzicht angewiesen ist, wird auch er mit seinem Veto zurückhaltend umgehen – ganz so, wie Heuss, Meier und andere es immer beschrieben haben.34 Die Kernfrage ist jetzt, was in Rom als Gremium angesehen werden soll – zumal Sartori darunter eine kleine interagierende Gruppe mit etwa drei bis dreißig 32
33 34
Heuss 2001: 37 (oben im Kontext zitiert). – Für die von Tsebilis (in der vorangehenden Anmerkung) konstatierte „judicial independence“ bei einer high policy stabilty kann man in der Figur der Anpassung durch Neuinterpretation alter Normen ein funktionales Äquivalent sehen, vgl. für die Rolle der exempla oben Anm. 22 u. speziell für die Rolle der Auguren Linderski 1986: 2153. Sartori 1997: 229. Für den kontinuierlichen, nicht diskreten Entscheidungskontext, in dem „ein Strom von Fragen durch Verknüpfung behandelt wird“, s. auch ebd.: 224 (beide Hervorhebungen im Original). Auch hier kann Sartori 1997: 221 zitiert werden, der für die modernen Demokratien festhält: „Es ist einfach falsch, eine Mehrheit, die keine absolute ist, als Minderheitsherrschaft zu bezeichnen. Die Macht, etwas zu blockieren, ist etwas völlig anderes als die Macht, etwas durchzusetzen. Eine Minderheit, die etwas blockiert, ist also nicht dasselbe wie eine ‘Minderheitsherrschaft.’ Herrschaft besteht in Entscheidungen und nicht in Nichtentscheidungen. Anders gesagt, Nichtentscheidungen (Verhinderung einer Aktion) behindern oder beschränken gewiß das ‘Herrschen’ oder blockieren es sogar, aber sie sind nicht die Macht zu entscheiden. Sie können ihre Präferenzen nicht durchsetzen – sie können sie nur schützen.“ (Hervorhebungen im Original). Diese Differenz „dei poteri e ‘potere negativo’“ findet sich (mit Rekurs auf die Volkstribunen Roms wie auch die italienische Verfassung von 1947) in verschiedenen Arbeiten von Catalano, vgl. nur 1971: 116–125 (m. w. V. 124 Anm. 24). Für Kritik an der Veto-Macht von Minderheiten bei weitgehendem Verzicht auf Mehrheitsentscheidungen s. Flaig 2013c: VIII–X, der dementsprechend vor dem von ihm konstatierten Verschwinden der Mehrheitsentscheidung warnt (2013a: 475–505).
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Mitgliedern versteht.35 Solch ein Gremium hat es in Rom nicht direkt gegeben, aber es soll ja auch gar nicht an die Entscheidungsfindung in einer Institution, wie etwa im Senat, gedacht werden, sondern es geht um die Entscheidungsfindung innerhalb der Elite insgesamt.36 Diese Gruppe muss in keiner Weise trennscharf zu bezeichnen sein, und man muss auch nicht am Begriff des Gremiums festhalten, sondern kann Sartoris Theoriegebäude hier verlassen und die Grundgedanken für die römische Republik entsprechend modifizieren. Unter anderen, das hat Jan Timmer angeregt, müsste man darauf Rücksicht nehmen, dass bestimmte Akteure durchaus die Präferenzen anderer Akteure bestimmen können.37 Dies spricht dafür, hier mit dem unscharfen Begriff der „obersten Elite“ zu operieren, einer Gruppe, die sich in verschiedenen Rollen begegnet und für die sich dann die ursprünglich für Gremien innerhalb des modernen Parlamentarismus entwickelte Theorie Sartoris gut anwenden lässt. Zu denken ist damit an die Interaktionsgruppe von amtierenden Magistraten und Volkstribunen, Priestern sowie vielleicht den führenden Senatoren, wie den „Ersten unter den Ersten“ (Christian Meier), die zwar kein Vetorecht besaßen, aber durch persönlichen Einfluss leicht einen der vielen Vetoträger gewinnen konnten. Eine „ungleiche Verteilung der Intensität von Präferenzen und ein kontinuierlicher Strom von Entscheidungen“38 lassen sich jedenfalls für diese Gruppe ebenso plausibel annehmen wie eine stete Kosten-Nutzen-Rechnung bezüglich der Entscheidungen im Spannungsverhältnis von Vetomacht und Verzicht auf Vetoausübung. Dabei hat – dies als letzter Aspekt – das Konsenssystem, wie Sartoris Entscheidungskostentheorie auch genannt wird, nichts mit Konsens in der Sache zu tun, eher im Gegenteil.39 Es bietet einen Modus gerade für Dissens und die strukturelle Blockademöglichkeit. Mit Hilfe dieses Modells kann also erklärt werden, 35 36
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Vgl. Sartori 1997: 228. Dass es hier wie in Lundgreen 2011: 277–285 nicht um die Entscheidungen im Senat geht, ist eines der Missverständnisse von Flaig 2015; ganz abgesehen davon, dass entgegen seiner Ansicht auch ein Betrachten des Senats unter diesem Gesichtspunkt durchaus möglich ist, so Timmer 2009 u. jetzt auch 2015: 49–52. Der Dissens liegt darin, dass ein Konsenssystem im Sinne Sartoris jeden Kompromiss am Ende einer Verhandlung als Ergebnis akzeptieren kann, wohingegen Flaig, Kompromissen weniger zugeneigt, der engeren Auffassung von Philippe Urfalino folgt, bei der es auf tatsächlichen Konsens in der Sache, also Präferenzänderung auf Grund überzeugender Argumentation ankommt, siehe hierzu Timmer 2014: 93–97 (zu Urfalino bes. Anm. 22) u. 2015: 56. Timmer 2014: 97. Vgl. meine Kritik an Tsebelis oben in Anm. 31. Sartori 1984: 95; für die Formulierung von C. Meier s. Meier 1984b, der 2015: 688 f. noch einmal die Rolle des Senats und seiner obersten Rangklasse betont hat. Konsens wird hier also eher als „Fehlen von Widerspruch“ denn als „gemeinsame Überzeugung“ verstanden; zu diesen beiden Varianten s. weiter Timmer 2014: 88–93 u. 2015: 56–58. Es geht damit gerade nicht um die Frage, wo und wie im Verhältnis von Elite zum Volk durch eine „Rhetorik der Inklusion“ eine „Konsensfassade“ hergestellt oder auf „einen Grundkonsens verwiesen“ wurde, s. dazu Hölkeskamp 2013 (Zitate 113; 119 f.) sowie grundsätzlich Casci one 2003, der die Rolle von Konsens dem Begriff wie dem Konzept nach nicht nur für das öffentliche Recht und politische System der römischen Republik, sondern auch für das römische Privatrecht untersucht hat.
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wieso das römische System trotz der ausgeprägten negative powers gut funktionieren konnte, ja es deutet darauf hin, dass es sogar wegen der negative powers gut funktionierte. Zu denken ist in diesem Kontext auch daran, dass Rom keine wirkliche Exekutive oder Verwaltung hatte, von einer Polizei oder auch nur einem funktionalen Äquivalent dafür ganz zu schweigen.40 Entscheidungen waren also in ihrer Durchsetzung und Implementierung immer in besonderem Maße von ihrer Akzeptanz abhängig. Je mehr Personen nun beispielsweise ein Gesetz im Vorfeld hätten verhindern können, umso größer erscheint dessen Chance auf Geltung. Das Modell erklärt damit zwar nicht, wie es zu solch einem System gekommen ist, kann aber plausibel machen, warum es zum einen funktionierte und zum anderen – soweit wir wissen – nie in Frage gestellte wurde.41 Anstatt den (vermeintlichen) Missbrauch von Vorzeichen und tribunizischem Veto in der späten Republik zu betonen, sollte also generell eher auf die integrative Kraft der negative powers abgestellt werden, die zumindest die Gruppe der Vetoträger zur Zusammenarbeit nötigte.42 4. INTEGRATION DURCH VERTEILUNG DER VETOMACHT – JEDER FAMILIE IHR VETO? Die These der Integration durch Vetomacht soll in diesem letzten Punkt noch weiter verfolgt werden. Ausgangspunkt ist die Beobachtung, dass die Römer nicht nur viele Träger von Vetomacht hatten, sondern auch penibel darauf achteten, dass kein einziger dieser Vielen an der potentiellen Ausübung seines veto gehindert wurde. Zumindest zwei Episoden weisen in diese Richtung: Zum einen die von Livius geschilderte Einschränkung des passiven Wahlrechts auf Grund der Ämter des Vaters, 40 41
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Vgl. nur Nippel 1988. Wittmann weist darauf hin, dass Sulla in seinen einschränkenden Maßnahmen bezüglich des Volkstribunats das tribunizische Veto nicht angetastet hat (Kunkel/Wittmann 1995: 656 f.). Diskutieren könnte man allerdings die lex Clodia de agendo cum populo, mit der angeblich die in der lex Aelia geregelte Obstruktion durch Himmelsbeobachtung eingeschränkt wurde. Eine solche Einschränkung hätte in der hier benutzten Terminologie die Vetomacht und somit die policy stability vermindert, was den Weg für Änderungen erleichtert bzw. die Entscheidungskosten (leicht) gesenkt hätte. Die Quellenlage ist hier letztlich zu fragmentarisch, es passte aber zur letzten Deutung des Gesetzes von Tatum 1999: 132 f., der davon ausgeht, dass Clodius nur regelte, was seit der steten spectio des Bibulus problematisch und strittig geworden war, nämlich die Frage der persönlichen Anwesenheit bei der Meldung der Himmelsbeobachtung. Bibulus’ Verhalten hatte in der Tat das hier beschriebene System von Entscheidungsfindung und -verhinderung gesprengt, was eine gewisse Reform oder Reaktion plausibel erscheinen lässt. Dagegen sind Ciceros Vorwürfe, Clodius hätte die auspicia und/oder die intercessio abgeschafft, entweder missverstanden worden oder schlicht absurd, vgl. dazu, zu allen weiteren Problemen und den großen Diskussionen der Forschung nur Tatum 1999: 125–133. Dafür, dass die nie eingeschränkten Kollisionsmöglichkeiten (672 f.) eben nicht nur „störende Nebenfolge waren, sondern im Gegenteil große Vorteile boten“, s. jetzt auch Meier 2015: 680, der dementsprechend überlegt, die Interzession weniger als Verbietungsrecht denn als Einspruch und Aufschub für weitere Verhandlungen zu konzipieren, was sehr gut zu der hier vorgeschlagenen Deutung passt, vgl. weiter im Text.
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zum anderen der Verweis von Cassius Dio auf ein Gesetz zur Zusammensetzung der Priesterschaften. Beide deuten letztlich daraufhin, dass die Vetomacht nicht in zu wenigen Familien konzentriert werden sollte – eine Beobachtung, die mit ihrem Fokus auf den veto players über die gängige Darstellung der Kompetenzaufteilung nach Ende der Königszeit noch hinausgeht.43 203 v. Chr. taucht der Vater des Konsuls C. Servilius aus langer Kriegsgefangenschaft bei den Galliern wieder auf. Für den Sohn mag dies – darüber schweigen die Quellen – persönlich Anlass zu großer Freude gewesen sein, rechtlich stellte es ihn offensichtlich vor einige Probleme. Denn während der Abwesenheit des Vaters, den man fälschlicherweise für tot gehalten hatte, hatte C. Servilius klassisch römisch Karriere gemacht, war im cursus honorum vorangeschritten und vor seinem Konsulat (u. a.) plebejischer Aedil und Volkstribun gewesen. Dies aber war offensichtlich nicht erlaubt, so lange der Vater Magistrat war. Livius jedenfalls berichtet, dass Servilius die daher drohende Strafe nur auf Grund eines Volksbeschlusses erspart blieb, was im Umkehrschluss die Norm deutlich werden lässt, dass der Sohn eines Magistraten kein plebejisches Amt ausüben durfte.44 Als Erklärung kommt hier nur in Betracht, dass eine mögliche Kollision von tribunicia und patria potestas vermieden werden sollte.45 Dies gilt insbesondere, als sich im Konfliktfall wohl die patria potestas durchgesetzt hätte – zu denken ist an den berühmten Fall von 232 v. Chr., als der Vater des Flaminius seine patria potestas gegen den Sohn und Volkstribunen ins Feld und diesen von der Rednertribüne hinfort führte. Ob dies so stimmt, sei dahin gestellt, doch die Art und Weise der Überlieferung – bei Cicero als rhetorischer Lehrfall und dann bei Valerius Maximus als exemplum – deutet darauf hin, dass die Römer sich hier ein altes Prinzip vergegenwärtigten.46 Es war also offensichtlich wichtig, dass nicht auch nur ein einziger Volkstribun als Vetoträger ausfiel.
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Vgl. etwa Mouritsen 2013: 384: „Informing the political practices and conventions of republican Rome were a set of fundamental concerns, all focussed on the spreading of power and the prevention of undue influence being concentrated in the hands of a single individual or small groups of families.“ Ähnlich Smith 2006: 311–314. Liv. 30,19,7–10. Meine Deutung folgt hier Aymard 1943, s. in diesem Sinn auch weiter UngernSternberg 2005: 385 Anm. 11; Ferrary 2008 u. Lanfranchi 2015: 327 f., der weiter darauf hinweist, dass erst im Jahr 49 mit L. Marcius Philippus ein Volkstribun auftaucht, dessen Vater curulischer Magistrat war und bei Amtsantritt noch lebte. – Die Episode insgesamt und die in sich unstimmige Überlieferung bei Livius lassen viele Fragen offen, vgl. dazu Lundgreen 2011: 83 f. Cic. inv. 2,52; Val. Max. 5,4,5. Valerius Maximus ordnet den Fall unter die Rubrik de pietate erga parentes et fratres et patriam. In den anderen Fällen gibt Coriolanus den Bitten seiner Mutter nach (5,4,1), rettet Scipio Africanus das Leben seines Vaters (5,4,2), bedroht Manlius den Volkstribunen, der seinen strengen Vater anklagen will (5,4,3), verklagt M. Cotta am Tag seiner Volljährigkeit den Ankläger seines Vaters Cn. Carbus (5,4,4) und wird der Triumph des Ap. Claudius 143 nur durch das Eingreifen seiner Tochter und Vestalin Claudia ermöglicht (5,4,6); die Fälle von Manlius und Ap. Claudius zeigen, ähnlich wie der hier verhandelte Fall, die unterschiedlichen Rechtssphären in der römischen Republik.
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Der zweite Hinweis stammt von Cassius Dio, der ein Gesetz überliefert, welches ausdrücklich untersagte, dass zwei Angehörige der gleichen gens zu ein und derselben Zeit Mitglied in einer Priesterschaft waren. Der Konsul P. Cornelius Lentulus Spinther soll daraufhin im Jahr 57 v. Chr. seinen Sohn in die gens Manlia versetzt haben, um dessen Aufnahme in das Kollegium der Auguren zu erwirken, so dass – so Dio weiter – das Gesetz dem Buchstaben nach gewahrt, in Wirklichkeit aber aufgehoben wurde.47 Auch hier geht es nicht um das einmalige Unterlaufen einer Vorschrift, sondern darum, dass für den Normalfall die Mitgliedschaft in einer Priesterschaft möglichst weit gestreut sein sollte – vielleicht um Ruhm und Ehre weit zu verteilen, vielleicht aber auch, um mögliche Vetomacht nicht zu sehr zu konzentrieren bzw. möglichst viele an ihr partizipieren zu lassen. John North hat zumindest in Family Strategy and Priesthood in the late Republic herausgestellt, dass erstens Vater und Sohn kaum je in einem Kollegium zusammen vertreten waren und dass zweitens – was hier noch wichtiger ist – die führenden Familien Roms es insgesamt im Modus der Kooptation schafften, die Plätze in allen Priesterschaften halbwegs gerecht untereinander zu verteilen. Die lex Domitia von 104/103 v. Chr., auf die Dio hier nach North verweist, deutet er dementsprechend als einen Versuch, auch nach der Ablösung der Kooptation durch Wahl, die Plätze in den Priesterschaften weiterhin „gerecht“ aufzuteilen.48 Der gemeinsame Nenner beider Hinweise liegt in der Verteilung von Vetomacht nach Kriterien persönlicher Verwandtschaft, im ersten Fall bezieht es sich auf die Familie, im zweiten auf die gens. Der Versuchung, in einem Beitrag zu Ehren Friedrich Münzers diese Beobachtung auszubauen, kann nicht widerstanden werden.49 Anregend sind weiter die Thesen von Bernhard Linke, der die unge47
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Cass. Dio 39,17,2: καὶ οὕτως ὁ νόμος ἐν τοῖς ἑαυτοῦ ῥήμασι μείνας ἔργῳ κατελύθη. – „Dadurch blieb das Gesetz zwar dem Buchstaben nach gewahrt, wurde aber in Wirklichkeit aufgehoben“ (Übers. O. Veh). Die Stelle von Dio wirft viele Probleme auf, die hier nicht weiter verfolgt werden sollen, s. zuletzt North 2011: 46–53, sowie die nächste Anmerkung. North 1990: 538 f.; Zustimmung auch von John Scheid im abgedruckten Tagungskommentar (649–650). Dass, zumindest von 219 bis 167, Mitglieder der gleichen gens nicht in Priesterkollegien auftauchen, hat bereits Bardt 1871: 34–36, beobachtet, der gleichwohl auch die Problematik der Stelle von Cassius Dio diskutiert. Allenfalls für die Auguren will Barth eine Regelung dieser Frage anerkennen, wo es bei ursprünglich nur drei patrizischen Stellen auch einleuchtet. Es bleibt die schwierige Frage nach mos oder ius bzw. lex – und auch bei der expliziten Regelung ist umstritten, ob dies durch die lex Domitia 104/103 erfolgte, so North 1990 u. erneut 2011, oder erst durch die lex Labiena 63, so Drummond 2008: 385. Hier ist nicht der Ort, um auf die komplizierte, weil viel zu fragmentarische Quellenlage der beiden Gesetze einzugehen, s. für eine Diskussion aller Möglichkeiten North 2011. Das Argument einer austarierten Verteilung bleibt in jedem Fall bestehen, vgl. ebd: 58: „both Domitius and Labienus tried to legislate so as to spread the priesthoods among the leading families, replacing a long-established convention, needed when they brought law into an area where it had not previously had a role.“ Dies gilt zumal, da in jüngerer Zeit auch wieder Studien zu einzelnen ‚Geschlechtern‘ erscheinen, zu denken wäre etwa an DondinPayre 1993 (über die Acilii Glabriones), Hofmann Löbl 1996 (über die Calpurnii), Richardson 2012 (über die Flavier) oder Torregaray Pa gola 1998 u. Etcheto 2012 (über die Scipionen). Der Rückgriff auf Münzer selbst bzw. auf die noch eher von Syme, Scullard und anderen in seiner Folge entwickelte Vorstellung von
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heure Einsatzbereitschaft der römischen Bevölkerung auf den Schlachtfeldern Italiens mit der gelungenen Integration der mittleren Bauernschichten erklärt, denen in Form der großen Kompetenzen der patria potestas ein nach innen fast souveräner, von der politischen Sphäre nicht tangierter Bereich zugestanden worden war.50 Könnte man nicht, davon inspiriert, überlegen, ob die breite Verteilung der negative powers die politische Integration der obersten Elite gefördert hat? Hat jede Familie gleichsam ein Veto, könnte sie – dem von Sartori inspirierten Ansatz folgend – nicht nur alles blockieren, sondern, im Gegenteil, im Zuge der intertemporalen gegenseitigen Kooperation manche Entscheidungen anderer hinnehmen und mittragen, dafür aber auch selbst eigene Interessen durchsetzen. Die Verteilung der Blockademacht nach Kriterien der Verwandtschaft führte in diesem Modell somit zu einer politischen Integration der Elite. Die These des letzten Absatzes bietet vielfältige Angriffsflächen. Die beste Form einer Erhärtung oder Falsifizierung wäre eine prosopographische Analyse. Diese zeigte sofort, dass das Modell eines Vetorechts für alle Familien nicht funktioniert.51 So viele Vetoträger hatte dann selbst die römische Republik nicht, und zwar auch dann nicht, wenn man neben den hier angedachten und behandelten Auguren und Volkstribunen noch andere Ämter zu diesem Kreis hinzuzählen wollte oder man anstelle der Verteilung von Vetomacht an die Familien eine Distribution unter den gentes annähme. Wobei hier hinzu kommt, dass gar nicht klar ist, was genau unter gens zu verstehen ist. Folgt man der Analyse von Smith, der die fragmentarische und oft widersprüchliche Quellenlage von allen Seiten betrachtet hat, so sorgten die gentes durch die Erbmöglichkeit außerhalb der familia vor allem für das ökonomische Überleben einzelner patrizischer Familien und förderten durch verschiedene religiöse Verpflichtungen eine, wenngleich letztlich unklare, Gruppenidentität.52 Während er den gentes damit keine genuin politische Funktion zumisst,53 weist er eindrück-
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festen politischen Allianzen bestimmter Familien ist dagegen kaum noch populär, wiewohl eine Überprüfung bestimmter Verbindungslinien im Einzelfall durchaus lohnenswert ist. Zum Œuvre Münzers, das weit über seine Römische Adelsparteien hinausreicht, s. Hölkeskamp 2012 sowie die übernächste Anmerkung. Linke 2006. Dass dies mit Hilfe von Broughtons Magistrates of the Roman Republic, Niccolinis Fasti dei tribuni della plebe und Rüpkes Fasti sacerdotum überhaupt verhältnismäßig leicht überprüfbar ist, verdankt sich zum großen Teil den ungezählten RE-Artikeln von Münzer, vgl. Hölkeskamp 2012: XV–XVII. Vgl. Smith 2006: bes. 323 f. u. 339; zur Quellenlage insgesamt 1–64. Ein größeres Gewicht erhalten die gentes bei Linke 1995: 153–172, der die gens ins 9. und sogar 10. Jahrhundert zurückverfolgt, sie nach der etruskischen Herrschaft als föderale Struktur gestärkt sieht und erst mit der Schaffung der Obermagistratur Mitte des 5. Jahrhunderts eine Beschränkung ihrer Autonomie erkennt. Vgl. Smith 2006: 2: „gens has been more important as part of an argument than as a social institution“ und „we must also remember that whilst we hear about the gens in connection with a number of quiet disparate matters – nomenclature, religion, land, burial rites, inheritance practices, exogamous marriage, patrician privilege – nowhere do we hear a clear statement that membership of a gens was the key to political power“ (64). Damit stellt sich Smith auch explizit gegen Münzer bzw. folgt dessen Kritikern (338 f.).
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lich auf eine „roughly distributive function in terms of political and priestly office“ hin, „which weakend central authority“.54 Auch wenn die in Hommage an Münzer stark pointierte Frage nach einem Veto pro Familie oder gens verneint werden muss, führt diese Überlegung dazu, den bekannten – und vom Ergebnis der Stabilität her betrachteten auch außerordentlich erfolgreichen – Prozess der Machtverteilung innerhalb der römischen Elite noch ein bisschen weiter auszuleuchten. Denn neben der Kollegialität, der Losung von Aufgaben, der klar begrenzten Macht des Diktators und anderen Mechanismen, die einer Machtkonzentration und damit letztlich einer Monarchie entgegenwirken sollten, erscheint nun die Gruppe der Vetoträger in hellem Licht. Diese bilden wichtige, institutionalisierte Verhandlungspartner, auf deren (eigene oder „gekaufte“) Präferenzen Rücksicht genommen werden muss, deren negative powers aber nicht nur wegen des ausgeprägten „Korpsgeistes der Elite“ keinen Stillstand des Systems provozieren, sondern mit der Komponente des Veto-Verzichts im intertemporalen Tausch Kompromisse gerade ermöglichen. Für die These einer Integration durch Teilhabe an Verhinderungskompetenz ist denn auch gar keine exakte Entsprechung von veto players und Familien von Nöten. Es geht nicht um arithmetische Verteilung von Kompetenzen, sondern um das (immer unsaubere) Aushandeln von politischer Macht. Lässt man die historische Dimension der Entwicklung solcher Art bewusst unscharf, ist festzuhalten, dass Angehörige der gleichen gens in einem Kollegium der Auguren nicht ausgeschlossen, aber unerwünscht waren, dass die Mitgliedschaft für Individuen in gleich zwei Priesterschaften möglich, aber selten war.55 Nicht beteiligte Familien (oder gentes) werden entweder bald wieder berücksichtigt oder aber verschwinden aus dem Kreis der „führenden Familien.“ Ein wichtiges Datum markiert dann die Öffnung der Priesterschaften für Plebejer durch die lex Ogulnia von 300 v. Chr.56 Im hier vorgestellten Modell ging es dort dann zwar auch um Prestige und Sichtbarkeit lebenslanger Prominenzrollen, aber vor allem – jedenfalls bei den Auguren – um den Zugang zur Vetomacht. Vielmehr als man als Mitglied einer Priesterschaft qua „Amt“ hätte bewirken können, war mit religiöser Autorität zu verhindern bzw. eben durch den Verzicht auf Verhinderung im politischen Aushandlungsprozess zu erreichen. An diesem Verfahren wurden die führenden Plebejer nun beteiligt, was das politische System in Rom auf breitere Füße stellte und somit die politische Akzeptanz insgesamt erweiterte.57 Und Gleiches gilt für die Entwicklung des ursprünglich revolutionären, zur Eindämmung patrizischer Über54 55 56 57
Smith 2006: 307 u. 311, s. hierzu generell 306–315. S. hierfür bereits Bardt 1871: 34–39, der ausführt „dass von den Würden des Staates jedes ihrer Glieder jeder etwas, aber jeder möglichst wenig erhielt, damit der Wert der Gabe hoch in der Schätzung bleibe“ (35). Vgl. nur Elster 2003: 103–106. Münzer 1920: 182 kommentiert diesen Befund mit Bezug auf die Oberpriesterwürde: „Es läßt sich denken, daß die Patricier gerade d i e s e n Bestrebungen der führenden Plebeier im Anfange heftigen Widerstand entgegensetzten und sie öfter vereitelten, als begünstigten. Aber mit der Zeit fanden sie es doch vorteilhafter, die Macht mit einem kleinen Kreise, als mit der großen Masse der Plebeier zu teilen“ (Hervorhebung im Original).
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griffe entstandenen Volkstribunats, dessen systemstabilisierende Rolle vor allem Jochen Bleicken betont hat.58 Zwar beschränken sich seine Ausführungen auf die klassische Republik, doch stellt er prononciert fest, dass das Tribunat vom Zeitpunkt seiner Anerkennung, d. h. ab dem politischen Kompromiss der licinischsextischen Gesetze und der Öffnung des Konsulats für Plebejer, kein politisches Ziel mehr hatte und ohne konkrete Aufgabe blieb.59 Umgekehrt erscheint so die Ausdehnung des tribunizischen Vetos auf alle, auch nicht genuin plebejische Interessen berührende Bereiche als langsamer Prozess steigender Akzeptanz wie damit auch Inanspruchnahme der Tribune durch den Senat.60 Damit aber war auch ein Eingehen auf und eine Verbindung mit führenden Familien unumgänglich: „Einmal in die Senatsdebatten hineingezogen, wird sich der Tribun jedoch nicht selten hinter einen Mann von großem Gewicht, hinter ein Geschlecht oder eine Interessengruppe von Geschlechtern gestellt und ihnen, auch wenn sie nicht mehr die Mehrheit des Senats darstellten, weiter zugehört haben.“61 Auch für solche politische Einflussnahme ist nun eine numerische Entsprechung der Tribunen-Anzahl für Familien oder gentes nicht erforderlich. Schon gar 58
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Vgl. Bleicken 1968: 3, 151; für die 150 Jahre nach der lex Hortensia als Übergangszeit zwischen dem revolutionären Ursprung und der Veränderung durch die Gracchen s. auch 104. Generell sind Bleickens Arbeiten (neben 1968 auch 1981) immer noch grundlegend und der hohe Wert seiner Analyse liegt genau darin, dass er (in Absetzung von Mommsen und Niccolini) neben den rechtlichen Aspekten auch die politische Rolle der Volkstribune untersucht. Mein Ansatz folgt klar dieser letztlich instrumentellen Deutung des Volkstribunats; die Vorstellung von den Tribunen als „Volksvertreter“, die irgendwie an einen (wie auch immer festzustellenden) Willen des (ebenfalls nicht leicht zu definierenden) Volkes gebunden sind, die sich von Polybios (6,16,5) über Herzog 1884 (bes. 1136 f. u. 1146) bis hin zu Flaig 2003 (216 f.) ziehen, halte ich für die römische Republik für problematisch, vgl. hier nur Walbank 1970: 691 f. Für die Ursprünge des Volkstribunats (und noch mehr der Volkstribune) s. nun Lanfranchi 2015, zum „revolutionären Ursprung“ dort u. a. 279–281. Bleicken 1981: 94. Bleicken 1968: 8 f., 93 f. u. 1981: 95–98. In eine solche Ausweitung von Kompetenzen bzw. Zuständigkeiten passt dann auch die von Linderski 1971: 321 konstatierte Abstraktion eines ius de caelo servandi für die Volkstribunen aus dem ihnen nicht zugänglichen Auspizienkomplex heraus. Bleicken 1968: 93. Bleicken benutzt dies (ebd.: 97–89 sowie 1981: 89 f.) zu Recht als Argument gegen Mommsens – an der Nomophylakie angelehnte – Vorstellung der Tribune als Verfassungswächter. Doch sein Argument unterstellt stillschweigend, dass es im allgemeinen Interesse gelegen habe, am mos festzuhalten. Ohne die generelle Vorliebe der Römer für eine high policy stability in Frage stellen zu wollen, ist dennoch im Nicht-Ausnutzen vorhandener Vetomöglichkeiten vielleicht auch ein Hinweis zu sehen sein, dass gewisse Anpassungen doch gewünscht waren. In Anlehnung an Steinmetz 1993 könnte man formulieren, dass Änderungen machbar, aber nicht sagbar waren. Des Weiteren hat Lanfranchi 2015 für die Zeit vor 287 überzeugend gerade den Volkstribunen die Rolle von „bâtisseurs du système républicain“ (27) und sogar „maïeuticiens de la République classique“ (650) zugewiesen; eine Konzeption, die der hier vertretenen Vorstellung von Konsens durch Vetoverzicht nicht entgegenstehen muss. Zum einen konzentrieren sich meine Ausführungen auf das Interzessionsrecht der Volkstribune, lassen also z. B. ihre Gesetzgebung außen vor, zum anderen bedeuten negativ powers eben nicht automatisch Stillstand, sondern nur das Risiko von Stillstand, der politisch immer überwunden werden kann.
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nicht in der hier vorgeschlagenen, und über Bleicken hinausgehenden Lesart der Integration durch den Verzicht auf die Ausübung des Vetos. Hier gilt schlicht: je mehr Familien (oder gentes) mit Hilfe eines Tribuns eine Entscheidung potentiell verhindern (d. h. die Entscheidungskosten erhöhen) konnten, desto mehr Familien (oder gentes) standen im Fall einer getroffenen Entscheidung auch hinter ihr (d. h. desto geringer waren die Entscheidungsrisiken). Dass es dabei – was Bleicken stark macht – vor 188 gar nicht und vor 133 v. Chr. insgesamt nur selten zu einer Interzession von Tribunen gegen Tribune kam, zeigt m. E. weniger die ursprüngliche Intention des Amtes als „Abwehrwaffe gegen das patrizische Imperium“,62 als den hier vorgeschlagenen Verzicht auf Ausübung des Veto nach Verhandlungen im Vorfeld. Wobei dies zugegebener Maßen ein argumentum e silentio ist, für das neben der plausiblen Einbettung in das vorgeschlagene Modell nichts als die lange Dauer und Stabilität der römischen Republik sprechen. Inwieweit das hier vorgeschlagene Modell als System reflektiert wurde, ist dann auch eine ganz andere Frage. Die Debatten um die Aufhebung der Sullanischen Einschränkung für das Volkstribunat sowie die berühmten Passagen Ciceros über das Volkstribunat als notwendige Ergänzung der res publica laufen eher auf allgemeine Dinge wie die Koppelung der Institution mit der Freiheit und Wohlfahrt des Volkes hinaus.63 Allerdings könnte hier eine Erklärung für die Ausschreitungen 133 zu sehen sein, da das Ignorieren des kollegialen Veto in der hier vorgestellten Sichtweise an den Grundfesten der Republik rüttelte. Es lag nicht so sehr an Gracchus’ Versuch, inhaltlich etwas Neues durchsetzen zu wollen oder den Senat zu umgehen. Entscheidend war vielmehr die Absetzung seines Kollegen Octavius. Hier wurde der Rahmen gesprengt, der sonst Dissens von Gewaltanwendung unterschied und der die Grundbedingung für Kompromisse und Nachgeben jeder Art war: Die prinzipielle Geltung des Veto.64 Setzte man sich über die für die Republik konstitutiven nega62 63
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Bleicken 1968: 76; vgl. auch oben Anm. 30. Zur Diskussion von Cic. rep. 2,57–59 u. leg. 3,23–26 s. nur Heuss 1975: 31–36 sowie Girar det 1977 und Thommen 1988, die unterstreichen, dass Cicero das Tribunat immer als Institution des ganzen Volkes, als Teil des populus und nicht als Teil der plebs auffasst, und hierin (ob zutreffend oder nicht) einen notwendigen Bestandteil der res publica sieht. Dies passt ebenso gut zur hier vorgelegten Deutung der Volkstribune als integrativem Element wie die Tatsache, dass diese insgesamt auch in der sog. späten Republik überwiegend nicht im Gegensatz zur Senatsmehrheit standen, was Thommen 1989 (u. a. 256) zu Recht betont. – In jüngerer Zeit hat Russel 2015 gegenüber dem durch die Motive von Krise, Devianz und Verfall geprägten Diskurs antiker Autoren bezüglich des Volkstribunats überlegt, ob die Tribune stattdessen nicht vielleicht sogar zu sehr für die Kontinuität statt für (nötigen) Wandel standen, was erneut an die „high policy stability“ denken lässt. Plut. Ti. Gracch. 12; App. civ. 1,12 (52–54). Vgl. vor allem Mommsen 1903/2010: 102: „Es war Revolution gegen den Geist der Verfassung, als Gracchus die Domänenfrage vor das Volk brachte; Revolution auch gegen den Buchstaben, als er das Korrektiv der Staatsmaschine, durch welches der Senat die Eingriffe in sein Regiment verfassungsmäßig beseitigte, die tribunizische Interzession durch die mit unwürdiger Sophistik gerechtfertigte Absetzung seines Kollegen nicht bloß für jetzt, sondern für alle Folgezeit zerstörte.“ Dem ist auch gegen Behrends’ Idee einer Absetzung wegen Nicht-Erfüllung (anstelle bloßer Schlechterfüllung) des Amtes zu folgen (Behrends 1980); s. weiter Bleicken 1988: 281–291. Kritik an beiden Protagonisten äußern
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tive powers einfach hinweg – wie später auch Caesar gegenüber Bibulus – blieben zur Entscheidungsfindung nur noch die tatsächlichen Machtverhältnisse. RÉSUMÉ Die Frage nach einem Veto für jede Familie oder gens (vgl. Punkt 4) musste verneint werden. Sie hat aber den Blick dafür geschärft, dass nicht nur generell die Macht in Rom immer auf mehrere Schultern verteilt wurde, sondern auch speziell die Vetoträger einem größeren Kreis angehörten. Dass es dennoch nur theoretisch, nicht tatsächlich zu einer gegenseitigen Blockade und Pattsituation in Rom kam (vgl. Punkt 1), muss nicht allein mit Rekurs auf den besonderen Charakter der Römer und die Kohäsion der römischen Elite erklärt werden (vgl. Punkt 2). Viel mehr zeigt ein – maßgeblich von Sartori inspiriertes – entscheidungstheoretisches Modell, dass die vielen Vetoträger zwar die Kosten einer Entscheidung, damit umgekehrt aber hernach auch deren Akzeptanz erhöhten. Nimmt man noch hinzu, dass viele der Entscheidungen in einem kontinuierlichen Prozess getroffen wurden, kann weiter mit der Figur des intertemporalen Tauschprozesses sogar erklärt werden, wie gerade durch die strukturelle Möglichkeit einer Entscheidungsverhinderung die Entscheidungsfindung erleichtert werden konnte (vgl. Punkt 3). Das hier vorgeschlagene Modell kann damit zwar nicht erklären, wie und wann genau es zu den konstatierten negative powers in Rom gekommen ist. Es zeigt aber erstens, wieso die negative powers nicht strukturell begrenzt wurden, und beleuchtet zweitens das große integrative Potential sowohl der Öffnung der Priesterschaften als auch des Volkstribunats. Die Geschichte der römischen Republik ist damit auch eine Geschichte der steten und erfolgreichen Erweiterung ihrer Führungsschicht; erst an ihrem Ende steht eine Entscheidung, die der simpelsten Entscheidungsregel überhaupt folgt: der Entscheidung des Stärksten. Das politische System der Republik ist also nicht an den vielen negative powers gescheitert, die immer ebenso eine Bremse wie einen Sicherheitsmechanismus bedeutet haben, sondern eher an ihrer Nicht-Beachtung und am Ende am Vorrang der Waffen, die ganz eigenen Entscheidungsregeln folg(t)en.
Meier 1968: 98 u. Badian 1972: 712, dessen Argument in diesem Kontext allerdings schwierig ist, denn was hätte ein tribunizisches Veto gegen die Absetzung ihres Kollegen genützt, wenn Tiberius klar machte, dass er sich eben an ein Veto nicht gebunden fühlte? Die Legalität des intertribunizischen Veto von Octavius unterstreichen noch einmal Morgan/Walsh 1978: 204– 207; dass jener mit dem halsstarrigen Beharren darauf in aussichtsloser Lage und gegen den offensichtlichen Willen des zumindest versammelten Volkes seinerseits römische Wertvorstellungen eklatant verletzte, steht außer Frage, s. hierzu eindrucksvoll Flaig 2005: bes. 216–220.
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SPES PRO PERICULIS PRAEMIORUM Risiko und Aktualität im politischen Agieren republikanischer Aristokraten* Uwe Walter, Bielefeld Zum Andenken an Jochen Bleicken (1926–2005) Die neueren Forschungen zur politischen Kultur der römischen Republik1 folgen zwei einigermaßen klaren Fluchtlinien: Es geht um die Aufrechterhaltung und Reproduktion der sozialen und politischen Sphäre durch Rituale und andere berechenbare Praktiken – prominent etwa in den verschiedenen pompae, vom Leichenzug bis zum Triumph, oder in den Volksversammlungen –, außerdem durch Zeichen im Raum und exemplarische Erzählungen von gegenwärtiger Vergangenheit. Es geht ferner um die Dämpfung und Einhegung von Konflikten, die nur in sehr begrenztem Maße durch das historisch gewachsene und vielfach inkonsistente Institutionengefüge geleistet werden konnte, sowie um die Frage, wie Konsense hergestellt wurden und wie – als eine Voraussetzung dafür – sowohl in der aristokratischen Elite als auch bei den einfachen Bürgern die Bereitschaft (oder Disposition) formiert wurde, den eigenen Rang, die eigene Rolle zu akzeptieren und zugleich optimal auszufüllen; hier sind etwa die Arbeiten zu den Wahlen und Abstimmungen, den Verhandlungen im Senat oder der Kommunikation zwischen Elite und breiter Bevölkerung zu nennen, aber auch zur Rechtsfigur des pater familias oder zur Konstruktion eines mos maiorum. Stabilisierung, Wiederholung, Aushandlung – auf *
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Die folgenden Ausführungen berühren sich mit Walter 2009 und führen das dort v. a. gegen Ende Skizzierte fort; vgl. ferner Walter 2014a u. 2014b. Kontingenz und Zufall hat jüngst Vogt 2011 umfassend historisch und theoretisch aufgearbeitet. – Dem Charakter eines Entwurfes Rechnung tragend ist die Forschungsdiskussion im Folgenden nicht ausführlich dokumentiert. Eine breiter angelegte Studie zum Thema bereitet z. Zt. Andrew van Ross im Essener Graduiertenkolleg 1919 „Vorsorge, Voraussicht, Vorhersage: Kontingenzbewältigung durch Zukunftshandeln“ unter meiner Co-Betreuung vor. Unter dem Arbeitstitel „Kontingenztoleranz und -vermeidung in der politischen Kultur der römischen Republik (3.–1. Jh. v. Chr.) wird u. a. untersucht, wie „bestimmte historische oder strukturelle Konfigurationen die einseitige Hinwendung zu besonders riskanten Formen des politischen Handelns beförderten“ (Exposé). – Die am ehesten mit den hier skizzierten Fragen und Überlegungen kongruierende Gesamtdarstellung stammt von einem ‚Außenseiter‘: Holland 2015. Nur vom Titel her interessant, aber hier kaum einschlägig ist Langlands 2011; wie immer höchst instruktiv hingegen das Inventar der „hazards of life“, das Syme 1986: 15–31 zusammengestellt hat, doch geht es dort nicht um gesuchte Risiken, sondern um erfahrene Rückschläge, etwa durch unerwartbares Ableben oder gescheiterte Reproduktion. Dazu grundlegend und mit umfassenden Literaturhinweisen Hölkeskamp 2004; 2006; 2009 u. 2010; kritisch Crawford 2011; dazu wiederum die Replik von Hölkeskamp 2011a.
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diese Trias laufen wichtige Stränge der einschlägigen Forschung zu, in höchst fruchtbarer Ergänzung zum institutionenkundlichen bzw. staatsrechtlichen Ansatz, der in seiner Ausrichtung zwei Fragen nicht hinreichend akzentuieren, geschweige denn beantworten konnte: Welche Kräfte bewegten die Akteure, so zu handeln, wie sie es taten? Und: Warum produzierte das Dynamik auslösende, aber in mancherlei Hinsicht auch problematische institutionelle Gefüge der Republik nicht viel öfter letale Blockaden und Konflikte? Dass es Widersprüche, Pattsituationen und scheiternde Aushandlungsprozesse gab, ist angesichts der Erosion und letztendlichen Außerkraftsetzung der republikanischen Ordnung sozusagen evident. Die zwischen 133 und 30 mehrfach ins zivile Gefüge einbrechenden und im langjährigen Mittel deutlich eskalierenden Gewalthandlungen legen davon beredt Zeugnis ab.2 Doch auch unterhalb der Eskalation zur offenen Gewalt haben Konfliktkonstellationen und ihre ‚Lösungen‘ vermehrtes Interesse gefunden, zuletzt in den Arbeiten von Egon Flaig zu den zwingenden Gesten in konfrontativen, von Blockade oder Eskalation bedrohten Situationen sowie in der Studie von Christoph Lundgreen zu den Regelkonflikten.3 Dabei erscheint – auch dies ein generelles Merkmal der neueren Forschung – die ‚Schwelle‘ von 133 niedriger, die sog. ‚klassische‘ Republik in der Zeit davor also ‚unordentlicher‘, als es die traditionelle Periodisierung und Nomenklatur vermittelten. Die genannten Forschungen untersuchen ihren Gegenstand, wie es naheliegt, relational und praxeologisch, d. h. als dynamisches Geflecht von Sprechakten, Handlungen und Begründungen. In der folgenden kurzen Skizze soll komplementär dazu eher nach dem Individuum und seinem Habitus (verstanden als System von Dispositionen) gefragt werden4, genauer: nach dem einzelnen Aristokraten und seiner Bereitschaft, sich in Gefahr zu begeben, Risiken einzugehen und immer wieder Situationen entstehen zu lassen, die für ihn weitgehend unberechenbar sein mussten. Es geht mir dabei nicht um das rem publicam capessere5 generell, also um die grundsätzliche Entscheidung, in die Ämterlaufbahn einzutreten, sich dem prü2 3 4 5
Vgl. App. civ. 1,4–9; s. Walter (i. Dr.). Vgl. Flaig 2003: 99–122; Lundgreen 2011. Vgl. zur theoretischen Grundlegung Flaig 2004. Für diesen Ausdruck im Zusammenhang des spätrepublikanischen Diskurses um eine politische Lebensführung s. z. B. Cic. Sest. 22–23 (Hervorhebungen U. W.): videbamus genus vitae, desidiam, inertiam; inclusas eius libidines qui paulo propius accesserant intuebantur … laudabat homo doctus philosophos nescio quos, neque eorum tamen nomina poterat dicere, sed tamen eos laudabat maxime qui dicuntur praeter ceteros esse auctores et laudatores voluptatis; cuius et quo tempore et quo modo non quaerebat, verbum ipsum omnibus (viribus) animi et corporis devorarat; eosdemque praeclare dicere aiebat sapientis omnia sua causa facere, rem publicam capessere hominem bene sanum non oportere, nihil esse praestabilius otiosa vita, plena et conferta voluptatibus; eos autem qui dicerent dignitati esse serviendum, rei publicae consulendum, offici rationem in omni vita, non commodi esse ducendam, adeunda pro patria pericula, vulnera excipienda, mortem oppetendam, vaticinari atque insanire dicebat. – „Wir sahen die Lebensweise, die Trägheit, die Untätigkeit; wer etwas näher herantrat, bemerkte die heimlichen Lüste. … Denn der hochgebildete Mann pries irgendwelche Philosophen, freilich ohne deren Namen nennen zu können; jedenfalls pries er vor allem diejenigen, von denen es heißt, sie seien
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fenden Blick der Öffentlichkeit auszusetzen und sich über Jahre hinweg immer wieder mit z. T. den gleichen Konkurrenten zu messen. Diese Entscheidung war zwar gedanklich durchaus nicht alternativlos, wie eine aufschlussreiche Passage im Weltgedicht des Lukrez (ca. 55 v. Chr.) zeigt,6 und Ciceros Kritik an den sich dem politischen Betrieb zumindest phasenweise, nämlich amissa re publica, entziehenden Fischteichbesitzern7 ist bekannt, ebenso Catos Wort von der „höchsten Gefahr“, die das Wirken für die res publica darstelle.8 Aber wir müssen die grundsätzliche Entscheidung für die Politik gemäß der bekannten konstruktivistischen Definition des römischen Adels, wie sie Christian Meier formuliert hat,9 als gesetzt annehmen. War die Grundentscheidung freilich einmal getroffen, gab es Optionen: Man konnte nach Erreichen der Prätur aus dem Rennen aussteigen, wenn es gar keine Aussicht gab, auch noch das unverändert nur zwei Stellen im Jahr bietende und daher sehr viel härter umkämpfte Konsulat zu erreichen; vor allem für Magistrate, die nicht aus der Nobilität kamen, stellte sie öfter den Gipfel ihres cursus dar.10 Manchen war das wohl auch nicht so wichtig wie anderen. Ausgeklammert sei hier ferner der Bereich taktischer Entscheidungen im Krieg, wenn es darum ging, eine Schlacht anzubieten oder anzunehmen – und damit ein Geschehen in Gang zu setzen, dessen Ausgang selbst unter günstigen Bedingungen nicht wirklich kalkuliert werden konnte – oder das eben nicht zu tun. Von der Sache her und zumal
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mehr als alle anderen die Anwälte und Lobredner der Lust. Er fragte nicht nach dem Wesen, den Voraussetzungen und den Schranken dieser Lust; einzig das Wort hatte er mit allen Fasern seiner Seele und seines Körpers in sich aufgenommen. Er meinte auch, dieselben Leute behaupteten mit Recht, dass, wer klug sei, alles um des eigenen Vorteils willen tue, dass sich ein Mensch, der noch bei Trost sei, nicht mit Politik befassen dürfe und dass nichts schöner sei als ein müßiges, bis an den Rand mit Vergnügungen angefülltes Leben. Doch diejenigen, die da behaupteten, man müsse seine Würde über alles stellen, dem Gemeinwesen dienen, sich während des ganzen Lebens von der Pflicht, nicht vom Eigennutz leiten lassen, für das Vaterland Gefahren auf sich nehmen, Wunden empfangen und den Tod erleiden – die, meinte er, seien Schwarmgeister und Tollhäusler.“ (Übers. M. Fuhrmann, mit Modifikationen). Vgl. ebd. 103; ferner [Sall.] ep. 2,1,1. Für die situationsbezogene Bedeutung des Ausdrucks („sich aktuell politisch einmischen“) s. Cic. Att. 16,7,7; Q.Cic. pet. 53; Liv. 34,2,11. Lucr. 2,7–13 (Hervorhebungen U. W.): sed nihil dulcius est, bene quam munita tenere / edita doctrina sapientum templa serena, / despicere unde queas alios passimque videre / errare atque viam palantis quaerere vitae, / certare ingenio, contendere nobilitate, / noctes atque dies niti praestante labore / ad summas emergere opes rerumque potiri. – „Am liebsten bewohnt man die hohen, heiteren Räume, / die durch die Lehre der Weisen in Sicherheit angelegt wurden. / Kannst du von dort doch herabschauen auf die andern und sehen, / wie sie umherirren, weithin schweifend den Lebensweg suchen, / wetteifernd streiten an geistigen Gaben, um Würden und Ränge, / Tag sich und Nacht mit beträchtlicher Anstrengung eifrig bemühen, / aufwärtszuklimmen zu Reichtum und Macht und politischem Einfluss.“ (Übers. D. Ebener). Cic. Att. 1,18,6 mit Macr. Sat. 3,15,6; vgl. Cic. Att. 1,19,6; 2,1,7. ORF frg. 21: „Ich habe schon lange erkannt und verstanden und glaube, sich mit Eifer um das Gemeinwesen zu kümmern stellt die höchste Gefahr dar“ (Egoque iam pridem cognovi atque intellexi atque arbitror rem publicam curare industrie summum periculum esse). Meier 1980: 46 f.: „Daher kam es, daß Adel und Führung der res publica in einer wohl beispiellosen Weise praktisch das gleiche bedeuteten: Wer Politik trieb, gehörte zum Adel, und wer zum Adel gehörte, betrieb Politik.“ Dazu Hölkeskamp 2010: 87. Vgl. Märtin 2012: 96–98; vgl. 120–124.
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als ein habitusbildendes Moment gehört dieses Feld von Handlungsoptionen selbstverständlich dazu, da Kriegführung zumindest bis Anfang des 1. Jahrhunderts v. Chr. zu den regelmäßig wahrgenommenen Aufgaben von Imperiumträgern gehörte. Erinnert sei nur daran, wie die von Fabius Maximus nach Cannae durchgesetzte Strategie gegen Hannibal in ihrer Zeit durchaus heftig angefeindet wurde; der ‚Cunctator‘ wurde, wie Hans Beck gezeigt hat, erst im Rückblick durch den Erfolg und den traditionsprägenden Ennius-Vers vom unus homo nobis cunctando restituit rem zu einem ehrenden Beinamen.11 Es würde jedenfalls, das sei hier angefügt, gewiss lohnen, einmal alle einschlägigen Passagen in der antiken Historiographie auf diese Frage hin durchzusehen und zu ermitteln, welche Motive und Erwägungen dem jeweils Verantwortlichen dabei unterlegt werden – ein Satz wie „Hoch fliege der Würfel!“ dürfte dabei nur eine Möglichkeit gebildet haben. Der Satz führt zugleich zu einem dritten Ausweichmanöver: Caesar wird hier vollständig ausgeblendet, zum einen, weil Martin Jehne für diesen das hier in Rede stehende Thema schon glänzend bewältigt hat,12 zum anderen, weil es so oder so eine petitio principii wäre, Caesar für eine zu skizzierende politische Anthropologie des situativen Entscheidungshandelns in der hohen und späten römischen Republik heranzuziehen, gleich ob als ‚Normalfall‘ oder als ‚Sonderfall‘.13 Was meint der Untertitel „Risiko und Aktualität im politischen Agieren republikanischer Aristokraten“? Es geht um die auffällige Bereitschaft der Akteure, auch außerhalb des Krieges Situationen hinzunehmen oder gar herbeizuführen, deren Ausgang nicht berechenbar war und in denen es an einer einzigen Geste, einer kurzen Aussage des Gegenüber oder den Reaktionen der übrigen Anwesenden hing, ob der Moment gerettet wurde oder eine Eskalation in Gang kam, deren Ergebnis niemand kalkulieren konnte. Man wende nicht ein, dass im Raum der Kontingenz kein Handeln ohne Risiko ist und die menschliche Existenz schlechthin durch die Möglichkeit des Scheiterns bestimmt ist. Es kommt darauf an, ob die kulturell definierten Handlungsroutinen und Erwartungsdispositionen diese allgegenwärtigen Universalien sichtbar machen, sie gar verstärken, oder ob sie das nicht tun. Hier ist die Bandbreite groß, vom scheinbar ‚archaischen‘ Zweikampf, der die Entscheidung aufs äußerste zuspitzt und sie zugleich aus der vorgelagerten Gemengekonstellation gleichsam herausnimmt, bis hin zu den gremienzentrierten multilateralen Konsensmaschinen der aktuellen Europäischen Union beziehungsweise des Euroraumes, wo durch immer neue Kompromisse sowie durch die Aufhebung von Entscheidungen und Verantwortlichkeiten in Pfadabhängigkeiten und Prozessualitäten sogar Interessenkonflikte oder unterschiedliche Grundauffassungen semantisch und rhetorisch zum Verschwinden gebracht werden. Auch der Vergleich nur innerhalb der Antike zeigt hier schon auf den ersten Blick eine bemerkenswerte Bandbreite von 11
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Beck 2005: 287–301; Enn. ann. 363 Skutsch. – Auf einer anderen Ebene liegt die nach der Entscheidung zur Schlacht bevorzugte Art, diese zu führen. Hier neigten römische Feldherren öfter dazu, aus einer starken Defensive heraus den Gegner ‘kommen’ zu lassen, als dass sie selbst taktisch offensiv geworden wären; vgl. dazu neuerdings Schulz 2012: 186–189. Jehne 2009. Ganz dem Geniekult bzw. der Psychologisierung verfallen ist Dobesch 1998; vgl. v. a. 182 f.
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Möglichkeiten. So spielte unter den Optionen militärischer Gewalt in der frührömischen Aristokratie der Zweikampf eine gewisse Rolle14 und bildete dieser durch Gestalten wie T. Manlius Torquatus und M. Valerius Corvus zumindest bis zum Ende des 4. Jahrhunderts (immer unter Wahrung der Disziplin) eine exemplum-fähige Möglichkeit, anders als im Heerwesen der griechischen Polis (wo es immerhin das epische Vorbild der Ilias gab). Auf die Differenzen kommt es an. Damit wäre auch dem Einwand zu begegnen, dass die Bereitschaft zum Risiko generell zur aristokratischen Existenz gehört und damit so etwas wie eine universalhistorische Konstante darstellt. Max Weber – der sich ansonsten nicht viel mit dem Adel beschäftigt hat – sah in diesem Sinne mit Recht unter Adligen eine „auf persönliche Bewährung in Krisensituationen ausrichtende Tradition“ wirksam, die sie „von sich aus eine Bewährung in der Krise suchen“15 ließ. In Rom wirkte der einschlägige Belohnungsapparat, von den militärischen Auszeichnungen (coronae) bis zum Triumph, hier gewiss verstärkend. Für die Republik gilt jedenfalls, was Claude Nicolet lapidar so formulierte: „Roms politisches Leben ist … von Beginn an ruhelos. Ständig riskiert man dort etwas, und zu allererst sein Leben.“16 Einige bekannte Beispiele: 168 übergab C. Popilius Laenas (cos. 172, 158) als Gesandter König Antiochos IV. bei Eleusis in der Nähe von Alexandria den Senatsbeschluss, der den Seleukiden zur Räumung Ägyptens aufforderte. Als dieser erklärte, er wolle sich darüber mit seinen philoi beraten, zog Popilius mit dem Stock, den er in der Hand hielt, einen Kreis um den König und sagte: „Bevor du aus diesem Kreis heraustrittst, gib mir Antwort, was ich dem Senat berichten soll!“ Angesichts „dieses so barschen Befehls“ stand der König eine Zeitlang wie betäubt da; dann fügte er sich: „Ich werde tun, was der Senat für gut hält.“17 Eine Machtprojektion zweifellos, aber doch wohl auch ein demonstrativ eingegangenes Risiko für den Vertreter Roms, der aktuell kein Heer bei sich hatte. Zu bekannt, um hier ausführlich referiert werden zu müssen, ist die von Plutarch geschilderte Szene des Jahres 133, in der die Tribune Ti. Gracchus und C. Octavius auf offener Bühne um die Aufrechterhaltung von Octavius’ Interzession und seine Absetzung durch das Volk ringen.18 Hier geht es mir nicht primär um das von Egon Flaig schlüssig gedeutete Geflecht von zwingenden Bittgesten, sondern darum, dass die Akteure es gleich mehrfach darauf ankommen ließen, ihre eigenen Optionen und den Fortgang der Dinge ganz und gar der unkalkulierbaren Entscheidung eines Gegenüber anzuvertrauen. Schon zuvor hatte Ti. Gracchus seine rogatio 14 15 16
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Oakley 1985; Lendon 2005: 172–176, 218–220; für die literarische Darstellung s. Fries 1985 u. Martino 2008. Vgl. Franzmann 2008: 356. Nicolet 1997: 66. Wichtig ist der Hinweis auf die hohen Verluste der Aristokratie in kollektiven Katastrophen: 170 gefallene Senatoren in den ersten drei Jahren des Hannibalkrieges; ferner die in den Bürgerkriegen Umgekommenen und die (in den Quellen zahlenmäßig vielleicht etwas zu hoch veranschlagten) Opfer der Proskriptionen Sullas und der Triumvirn; dazu Hin ard 1985 mit den Listen 327–411 u. 413–552. Liv. 45,12,3–6; Pol. 29,27. Plut. Ti. Gracch. 10–12.
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vor das concilium plebis gebracht, ohne zuvor den Senat konsultiert zu haben (möglicherweise in falscher Einschätzung der Mehrheitsmeinung dort, aber durchaus nicht gegen die gängige politische Praxis), und hatte sein Kollege M. Octavius ein Veto angekündigt, ohne dazu ausdrücklich vom Senat aufgefordert worden zu sein.19 Durch öffentliches Händefassen, Flehen und Weinen – wie es zuvor schon zwei Konsulare dem Tiberius gegenüber getan hatten – einen enormen symbolischen Druck aufzubauen erhöhte zwar einerseits die Chance, den eigenen Willen durchzusetzen, exponierte aber andererseits beide Kontrahenten in extremer Weise und verstärkte die Folgen, die vermutlich eintraten, falls keiner von beiden nachgab. Will man mit Flaig von einer „habituellen Konsensorientiertheit“20 der politischen Kommunikation in Rom sprechen, so erscheint das hohe Risiko, das zumindest in dieser Situation eingegangen wurde, durchaus erklärungsbedürftig – zumal die Gegner der rogatio durch ihr Auftreten in Trauerkleidung, Ti. Gracchus aber durch das demonstrative Tragen einer Waffe den Druck zuvor noch verstärkt hatten. Zwar mochte ein Nachgeben unter der „emotionalen Einwirkung“ der öffentlich inszenierten Gesten naheliegen, weil es mit Anerkennung belohnt werden konnte. Das funktionierte offenbar in den meisten Fällen auch – aber wenn nicht, konnte der zu entrichtende Preis dramatisch in die Höhe schnellen. Nun sind die Risikohaltigkeit von Situationen und die Risikobereitschaft der Akteure gewiss nicht zu trennen von der schon vielfach beobachteten Spannung zwischen dem betont zivilen Charakter der politischen Interaktion in Rom einerseits – niemand trug normalerweise Waffen und es gab dort keine bewaffnete Ordnungsmacht – und der jederzeit möglichen Eskalation, von lautstarken Meinungskundgebungen über symbolische Aktionen (Zerbrechen der fasces21) hin zu tödlicher Gewalt22 andererseits. Diese Spannung auszuhalten – und mit ihr die Möglichkeit, physisch angegriffen und versehrt zu werden – gehörte vermutlich zum Habitustraining römischer Aristokraten, die ja generell ‚auf Tuchfühlung‘ mit einfachen Bürgern lebten und diesen ständig begegneten. Aber zwischen „aushalten“ und „suchen“ besteht doch noch ein Unterschied. Das illustriert ein Ereignis im Januar 62: Der Volkstribun Q. Caecilius Metellus Nepos hatte beantragt, Pompeius in Abwesenheit zum Konsul zu ernennen, um die Armee Catilinas in Etrurien niederzuwerfen.23 Plutarchs (hier zusammengeraffte) Darstellung ist sehr plastisch: Am Tag, als das Volk über die Vorlage abstimmen sollte, hatte Metellus eine bewaffnete Streitmacht auf dem Forum bereitgestellt. Auf der von seinem Amtskollegen Cato angeführten Gegenseite waren die vornehmsten Männer der res publica zu finden. Sie begnügten sich aber damit, „Catos Unwillen zu teilen, sich mit ihm beleidigt zu fühlen, an tatkräftige Hilfe im Kampf dachten sie kaum. In seinem Haus herrschten Angst und tiefe Niedergeschlagen19 20 21 22 23
Vgl. Märtin 2012: 315, 354, 360 f. Bei Plut. Ti. Gracch. 10,2 ist nur von „vielen und mächtigen Männern“ die Rede, die Octavius zum Einschreiten aufforderten. Flaig 2003: 106 f. Dazu de Libero 2001. Vgl. Heaton 1939; Smith 1966 u. 1977; Lintott 1968; Nippel 1981 u. 1988. Für das Folgende: Plut. Cato min. 27,1–28,6; Cass. Dio 37,43,2–3; s. Fehrle 1983: 102 f.
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heit.“ Nur Cato selbst blieb ruhig. Als er am nächsten Morgen den Tempel der Dioskuren von Bewaffneten umringt und die Stufen von Gladiatoren besetzt sah, während Metellus mit Caesar an seiner Seite oben saß, setzte er, von Minucius Thermus begleitet, seinen Weg ohne Zögern fort. Die Leute, welche auf den Stufen postiert waren, machten ihnen Platz, ließen aber sonst niemanden durch. „Rasch war er oben und setzte sich hin, mitten zwischen Metellus und Caesar hinein, so dass ihr Zwiegespräch miteins zerschnitten war. Die beiden gerieten völlig aus der Fassung, während die Gutgesinnten, staunend ob Catos Entschlossenheit und kühnem Selbstvertrauen, näher herandrängten und ihm zuriefen, er möge den Mut nicht sinken lassen. Auch sich selber munterten sie gegenseitig auf, zusammenzustehen und auszuharren, damit sie nicht zu Verrätern würden an der Freiheit und an dem Manne, der für die Freiheit kämpfe.“ Es folgt die bekannte Szene, wie die Verlesung des Gesetzesantrages von Cato und Minucius Thermus verhindert wird. Dann: „Metellus erkannte, dass er es mit hartnäckigen Gegnern zu tun hatte, und da ihm auch das Volk abtrünnig wurde und sich dorthin wandte, wo es den Erfolg witterte, ließ er plötzlich einen Haufen Bewaffneter mit furchtbarem Geschrei anstürmen. Jetzt stob alles auseinander, einzig Cato hielt stand, obschon er von oben mit Steinen und Knütteln beworfen wurde. Allein Murena brachte es nicht über sich, diesem Treiben tatenlos zuzusehen. Er hielt seine Toga vor Cato hin und schrie den Werfenden zu, sie sollten innehalten. Dann umschlang er den Bedrohten und führte ihn, als er sich endlich seinem Zureden fügte, in den Dioskurentempel.“ Die Auseinandersetzung wogte noch eine Weile hin und her; worauf es ankommt, sollte aber deutlich geworden sein. Cicero rühmte einige Jahre später den festen Mut und die virtus Catos.24 Adiit tum periculum – „er ist das Risiko eingegangen“, so die lapidare Feststellung. Doch selbst wenn Cato im Prozess der Ausformung der Tradition über die Szene von seinen Gesinnungsfreunden herausgehoben werden sollte und wir zudem die offenkundige szenische Dramatisierung der Schilderung berücksichtigen müssen, bleibt sein Handeln – die Menge nur mit seinem sakrosankten Körper zu teilen, den (ja ebenfalls sakrosankten) Tribunenkollegen physisch anzugehen, dem Ansturm Bewaffneter standzuhalten – m. E. doch erklärungsbedürftig. Denn wo Steine fliegen, hört jede Kontrolle, jede Berechenbarkeit schlicht auf. Wie derlei ausgehen konnte, stand jedem damals Erwachsenen aus den Ereignissen der 80erJahre noch deutlich vor Augen. Angesichts der Szenerie musste die Gewalteskalation sogar als wahrscheinlich eingeschätzt werden. 24
Cic. Sest. 62: Quid ego de singulari magnitudine animi eius ac de incredibili virtute dicam? meministis illum diem cum, templo a conlega occupato, nobis omnibus de vita eius viri et civis timentibus, ipse animo firmissimo venit in templum, et clamorem hominum auctoritate impetum improborum virtute sedavit. adiit tum periculum, sed adiit ob eam causam quae quanta fuerit iam mihi dicere non est necesse. – „Was soll ich über seine beispiellose Charakterstärke und seinen wunderbaren Mannesmut sagen? Ihr erinnert euch noch an jenen Tag: ein Tempel von einem seiner Kollegen besetzt, wir alle in Angst um das Leben eines solchen Mannes und Bürgers. Er selbst aber betrat mit größter Unerschrockenheit den Tempel und er brachte durch sein festes Auftreten das Geschrei der Menge, durch seinen Mannesmut das Wüten der Verworfenen zur Ruhe. Er hat sich damals in Gefahr begeben, aber er tat dies aus einem bestimmten Grunde – wie wichtig dieser war, das brauche ich jetzt nicht auszusprechen.“ (eigene Übersetzung).
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Ein kleineres Beispiel: Im Jahr 113 befand sich der bekannte Redner M. Antonius auf dem Weg nach Asia, wo er seine Quästur antreten sollte. In Brundisium erreichte ihn ein Brief, L. Cassius klage ihn wegen Verkehrs mit einer Vestalin an. Cassius’ Gerichtshof war berüchtigt als scopulus reorum. Obwohl Antonius als Amtsträger in seiner Provinz Immunität genoss und ein anderer vielleicht darauf gesetzt hätte, Zeit zu gewinnen, eilte er sogleich nach Rom zurück, stellte sich zuversichtlich dem Prozess und wurde (selbstredend) freigesprochen.25 Valerius Maximus berichtet die Episode als Exemplum in der Rubrik fiducia sui. Das Wort periculum bedeutet bekanntlich neben ‚Gefahr‘ und ‚Risiko‘26 auch ‚Prozess‘ und ‚Anklage‘, und ein politisch motivierter Prozess stellte seit 149 v. Chr., dann verstärkt seit der Gracchenzeit für viele Angehörige der politischen Elite eine handfeste Drohung dar, für einige auch eine schmerzliche Erfahrung, der indes nur entgehen konnte, wer gänzlich unauffällig blieb.27 Zwar endete nur ein kleiner Teil der Verfahren tatsächlich mit einer Verurteilung, doch Jahre wie 109, als gleich vier Konsulare ins Exil gehen mussten, blieben in Erinnerung.28 Ebenso wichtig für die Mentalitätsbildung – sich durch eine später vielleicht drohende Anklage nicht von einer Handlung abschrecken zu lassen – dürfte aber gewesen sein, dass eine solche Anklage kaum vorauszusehen war und überdies auch gar keine irgendwie berechenbare Korrelation zwischen einem vorgelagerten (Fehl-)Verhalten und der Wahrscheinlichkeit eines Prozesses oder gar einer Verurteilung bestehen musste. Schwieriger einzuschätzen, weil alternative Handlungsoptionen nicht so offen auf der Hand liegen, ist die bekannte Verhandlung des Cn. Pompeius mit seinen Soldaten in Africa nach dem von Sulla schriftlich übersandten Abberufungsbefehl. Wie wenig berechenbar eine derartige Situation sein konnte, zeigt der Vergleich mit einem ähnlichen Vorgang im Jahr 88: Der Senat hatte damals dem Konsul Pompeius Rufus aufgetragen, das von Cn. Pompeius Strabo befehligte Heer zu übernehmen. Nachdem der Konsul ins Lager gekommen war und das Kommando von Strabo übernommen hatte, wurde er beim ersten Opfer in einem Soldatenauflauf getötet. Strabo führte das Kommando weiter; einem Strang der Überlieferung zufolge war er der Urheber des Soldatenaufruhrs gewesen.29 Danach hatte er bis zu seinem Tod infolge einer Seuche immer wieder Gehorsamskonflikte mit den Soldaten auszutragen. Man wird annehmen müssen, dass sein Sohn Pompeius Magnus die Ereignisse lebhaft vor Augen hatte, als er 81 oder 80 nach seinem Sieg über das Heer des Cn. Domitius Ahenobarbus bei der Rückkehr nach Utica schriftlich Sullas Weisung erhielt, fünf Legionen zu entlassen und mit der einen verbliebenen seinen 25 26
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Val. Max. 3,7,9. So schon bei Plaut. Bacch. 752: „Im Vertrauen auf mich habe ich begonnen, auf mein Risiko führe ich das Werk nun aus“ (mea fiducia opu’ conduxi et meo periculo rem gero; ähnlich Persa 524: suo periculo is emat qui eam mercabitur); Ter. Heaut. 314: „Nichts Großes und nichts der Erinnerung Würdiges lässt ohne ein Risiko je sich erreichen!“ (non fit sine periclo facinu’ magnum nec memorabile). Vgl. Cic. Verr. 5,50: navem … sumptu periculoque armatam atque ornatam; OLD2 1478 s. v. periculum 4b. Vgl. allg. Gruen 1968; Alexander 1990. Vgl. Cic. Brut. 128. Vgl. Gelzer 1944: 75 f. mit den Belegen.
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Nachfolger zu erwarten.30 Plutarch zufolge hielt sich Pompeius sehr zurück, während die Soldaten sich empörten, auf Sulla schimpften und den Feldherren ihrer Loyalität versicherten. Pompeius versuchte, sie zu beruhigen, drang aber nicht durch, worauf er vom Tribunal hinabstieg und weinend in sein Zelt ging. Die Soldaten holten ihn zurück, und es „wurde ein großer Teil des Tages damit zugebracht, dass sie ihn aufforderten, zu bleiben und das Kommando weiterzuführen, und er sie bat, zu gehorchen und nicht zu meutern, bis er, da sie heftig in ihn drangen und ihn niederzuschreien begannen, schwur, er werde sich töten, wenn sie Gewalt gegen ihn brauchten, worauf sie dann endlich abließen“. Ob Pompeius einen Impuls zum Aufbegehren der Soldaten gegeben hatte, davon verlautet nichts, aber sein Verhalten deutet darauf hin, dass er die Eskalation in Kauf nahm. Sein Insistieren, der Rückzug ins Zelt und das Weinen signalisierten eine äußerste affektive Nähe und ein sich Ausliefern, gipfelnd in der Selbstmorddrohung am Ende. Selbstverständlich wollte Pompeius das Kommando nicht abgeben und suchte das Bild zu vermitteln, dass zwischen ihn und seine Armee das sprichwörtliche Blatt Papier keinen Platz gehabt hätte. Aber wenn die Szene nicht durchchoreographiert war – wofür nichts spricht –, musste ihm das Risiko einer zeitlich so ausgedehnten, stressgeladenen, mehrfach bis zum Äußersten geführten Kommunikation mit Truppen einer Bürgerkriegsarmee bewusst sein – abgesehen davon konnte er nicht absehen, wie anschließend Sulla reagieren würde. Freilich gab der Dictator nach, und Pompeius konnte dem ganzen Vorgang entnehmen, dass hohe Einsätze auch belohnt werden.31 Das waren nur fünf Szenen. Wie häufig war ein so riskantes Verhalten? Das aus den Quellen zu ermitteln, einen Katalog zusammenzustellen und ein Inventar der „unterschiedlichen Situationstypen der römischen Politik“32 zu entwickeln, um die „Handlungshorizonte“ der Akteure33 zu rekonstruieren, wäre reizvoll und eine Aufgabe künftiger Forschung.34 Zu berücksichtigen wären sicher die Besonderheiten jedes einzelnen Falles: das militärisch-machtpolitische Übergewicht Roms im Jahr 168, die eingerastete und kommunikativ offenbar nicht mehr einzufangende Konfrontation zwischen Ti. Gracchus und der Senatsmehrheit 133, die riskante tumultuarische Aushandlung von Loyalität und Gehorsam durch Pompeius 81/80, die 63/62 beginnende Selbstinszenierung Catos als unerschrockener Kämpfer gegen unrepublikanische Politik. (Im Antonius-Exemplum fehlt der Kontext.) Auch die ‚Größe‘ und Tragweite wären zu berücksichtigen: Handelt es sich um eine kurzfristig gefällte, situative Entscheidung eines Einzelnen, oder geht es wie im Vorfeld des Bürgerkrieges 49 „um eine Situation, in der viele Individuen bereits zahlreiche Op-
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Plut. Pomp. 13,1; vgl. Gelzer 1944: 95 f. Das folgende Plut.-Zitat im Text: Pomp. 13,4–5 (Übers. K. Ziegler): καὶ πολὺ μέρος τῆς ἡμέρας ἀνηλώθη, τῶν μὲν μένειν καὶ ἄρχειν κελευόντων, τοῦ δὲ πείθεσθαι δεομένου καὶ μὴ στασιάζειν, ἄχρι οὗ προσλιπαρούντων καὶ καταβοώντων ὤμοσεν ἀναιρήσειν ἑαυτὸν εἰ βιάζοιντο, καὶ μόλις οὕτως ἐπαύσαντο. Für weitere Szenen weinender Feldherren vor meuternden Legionen s. Flaig 2003: 110–115. Flaig 2003: 120. So bei Jehne 2009. S. o. Anm. *.
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tionen durchgespielt und ihre Präferenzen und Methoden veränderten Bedingungen angepasst hatten“35? Ich möchte hier aber eher im Sinne einer politischen Anthropologie fragen: Welche strukturellen Rahmenbedingungen und antrainierten Dispositionen machten ein solches Risikoverhalten möglich, ja legten es offenkundig nahe? Denn zumindest einige bekannte Parameter der soziopolitischen Kultur der Republik und zumal der Aristokratie würden es durchaus erwarten lassen, dass die situative Zuspitzung eines Dissenses zur Konfrontation eher vermieden, Offenheit und Unberechenbarkeit gerade nicht zugelassen oder gar herbeigeführt wurden. Hierzu gehören die Hierarchisierung aller sozialen Beziehungen und das in diesen ausgeprägt wirksame Rangdenken: An sich offene Konfliktsituationen waren nach dieser Maßgabe gar nicht offen, der Ausgang also berechenbar.36 Auch war der Kreis der regelmäßig mit politischen Aushandlungen und Entscheidungen befassten Akteure verhältnismäßig klein und hatte er im Senat einen stabilen Ort, was prinzipiell eine gute Voraussetzung darstellt, ‚hinter den Kulissen‘ Entscheidungen vorzubereiten und Konsense auszuhandeln.37 Hinzu kamen die erleichterte Kommunikation durch Geselligkeit und Briefkultur, die soziale Homogenität der politischen Klasse und die räumliche Konzentration in der Stadt Rom. Vorgelagerte Absprachen, deals und Konfliktlösungen gab es sicher auch sehr oft, und in Ciceros Korrespondenz gibt es durchaus Hinweise darauf – bemerkenswert erscheint gleichwohl, dass sich im öffentlichen Diskurs, also der Rhetorik und Geschichtsschreibung, dafür kaum Belege finden. Und wenn, dann scheiterte ein solches Bemühen, wie etwa Ende 64, als der designierte Konsul Cicero nach eigener Aussage versuchte, sich mit den parallel amtierenden Volkstribunen politisch ins Benehmen zu setzen und an ihrer Agenda mitzuwirken – er traf auf verschlossene Türen. ‚Diskursfähig‘ waren weit eher das markige Wort, die starke Geste, die mutige Handlung. Woher also, noch einmal, die „besondere Offenheit und Bereitschaft dazu, sich Krisen zu stellen bzw. sie aufzusuchen oder herbeizuführen und zu bewältigen“38. Den eindeutigen Befund fasst Peter Scholz so zusammen: „In ungewissen, heiklen Situationen tendierte ein Mitglied der republikanischen Senatsaristokratie dazu, lieber Unwägbarkeiten in Kauf zu nehmen und diese auszuhalten – und sich damit der Zukunft offen zu stellen –, als nicht die Chance zu ergreifen, das Ungewisse handelnd zu erschließen.“ Tom Holland formuliert das bildhafter und drastischer: Das „Schicksal eines Römers, der die Süße des Ruhmes gekostet hatte, (konnte) häufig in einer verzehrenden Ruhelosigkeit und der nagenden, unstillbaren Gier eines Süchtigen enden“.39 Den „Zwang zur steten Bewährung und Risikobereitschaft“ (Scholz) mit der Eigenart der Sozialisation und Erziehung in Zusammenhang zu bringen leuchtet gewiss ein, erklärt aber nur die Tatsache der Übertragung und Sta35 36 37 38 39
Jehne 2009: 91. Vgl. etwa Val. Max. 3,7,8: Glaubwürdigkeitsduell zwischen M. Aemilius Scaurus und einem gewissen Varius Severus Sucronensis. Zum Rangdenken s. Rilinger 1991. Dazu demn. eine größere Untersuchung von M. Cristina Rosillo López. Scholz 2011: 355 f., das folgende Zitat im Text 356. Holland 2015: 89.
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bilisierung dieses Habitus, nicht die Gründe dafür, warum er immer wieder aktualisiert wurde. Man kann, was Bildungsinhalte angeht, gewiss auf exempla im Mythos verweisen, die für die Grundfigur der Entscheidung zum Schwierigeren standen: Herakles am Scheideweg war auch in Rom geläufig,40 und die bewusste Wahl des Achilleus für ein kurzes, ruhmvolles Leben, gegen eine Heimkehr und einen späten Tod, dürfte ebenfalls zum Bildungsgut gehört haben.41 In der (auto-)biographischen Traditionsbildung zu prominenten Gestalten der späten Republik spiegeln sich Figurationen dieser Art jedenfalls wider. So berichtete der Geschichtsschreiber Coelius Antipater eine offenbar verbreitete Anekdote: Dem C. Gracchus sei, als er sich um die Quästur bewarb, sein Bruder Tiberius im Traum erschienen und habe ihm angekündigt, wenn er auch zögere, werde er dennoch des gleichen Todes sterben, den er selbst erlitten hatte. Plutarch spitzt das noch zu: Gaius sei zunächst jedem Amt aus dem Wege gegangen und habe in selbstgewählter Zurückgezogenheit gelebt.42 Bekannt ist auch die durch Augustus selbst sowie durch Nikolaos von Damaskus geprägte Überlieferung, der von Caesar testamentarisch adoptierte C. Octavius habe sich erst nach längeren Beratungen mit engen Vertrauten und gegen den ausdrücklichen Rat seines Stiefvaters L. Marcius Philippus zur – höchst risikoreichen – Annahme des Testaments mit allen daraus folgenden Implikationen entschlossen43 – 40 41 42 43
Vgl. Cic. off. 1,118, fast wörtlich aus Xen. mem. 2,1,21 übersetzt; vgl. Cic. fam. 5,12,3. Hom. Il. 9,410–416; 18,88–106; vgl. Hor. carm. 2,16,29–30. Coelius Antipater FRH 11 F 58 (nach Cic. div. 1,56); vgl. Plut. C. Gracchus 1,7. Nic. Dam. 18,53–55 (Übers. J. Malitz): „Auch sein Stiefvater Philippus schrieb ihm und bat, das Erbe Caesars nicht anzutreten; er solle sich in Acht nehmen vor dem Namen, dessentwegen Caesar dies erlitten habe. Er riet ihm, sich politisch ganz ruhig zu verhalten und ein ungestörtes Leben zu führen. Octavian wusste zwar, dass Philippus dies gut meinte, doch war er anderer Meinung. Er schmiedete bereits große Pläne und war voller Zuversicht, obwohl er dabei Mühen und Gefahren (πόνον καὶ κίνδυνον) auf sich nahm und die Feindschaft seiner Gegner auf sich zog, denen er nicht gefallen würde mit seiner Weigerung, auf einen solchen Namen und auf eine solche Machtstellung zu verzichten, zumal das Vaterland ihn ermutigte und ihn zur Übernahme der väterlichen Ehren aufrief, die ihm von Rechts wegen zustünden; denn sowohl aufgrund seiner Verwandtschaft als auch aus gesetzlichen Gründen stünden ihm als nächstem Verwandten und adoptiertem Sohn diese Ämter zu. Dies durchzusetzen und Caesar zu rächen, der so viel erlitten hatte, das schien ihm der gerechteste Weg zu sein. So dachte er und unterrichtete Philippus darüber, den er allerdings nicht recht überzeugen konnte. (54) Die Mutter Atia freute sich über das ruhmreiche Schicksal und die Größe der Machtstellung, die sie auf ihren Sohn zukommen sah. Sie war sich aber auch darüber im Klaren, dass das Unternehmen voller Schrecken und Gefahren (φόβων τε καὶ κινδύνων) war, und da sie wusste, was ihrem Onkel Caesar zugestoßen war, missbilligte sie es auch schon wieder. Sie schwankte zwischen den Meinungen ihres Mannes Philippus und ihres Sohnes. Deswegen war sie voller Sorgen, zum einen, wenn sie sich die vielen Gefahren aufzählte, die jemand erwarteten, der die Herrschaft über alle anstrebte, und dann war sie wieder hochgemut, wenn sie sich die Größe seiner Macht und seines Ansehens ausmalte. Deswegen wagte sie es zwar nicht, den Sohn von seinen großen Plänen und der Ausübung seiner gerechten Vergeltung abzubringen, doch trieb sie ihn wegen der Ungewissheit des Schicksals auch nicht dazu an. Gleichwohl gestand sie ihm zu, den Namen Caesars zu führen, und sie selbst war sogar die erste, die das billigte. (55) Nachdem Octavian sich auch bei allen seinen Freunden danach erkundigt hatte, was sie darüber dachten, nahm er ohne zu zögern den Namen und die Adoption an, vom Glück begünstigt und begleitet von günstigen Vorzeichen.“
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obwohl er tatsächlich in der damaligen Situation kaum eine Wahl hatte.44 Über die Historizität derartiger Deliberationen zu entscheiden erscheint nicht möglich. Eine plausible Begründung für tatsächliches Risikoverhalten gibt Scholz selbst: Römische Aristokraten und zumal Amtsträger hatten in sehr verschiedenen Handlungsbereichen45 zu beweisen, dass sie jederzeit souverän und angemessen zu sprechen und zu handeln imstande waren. Immer wieder hatten sie „in Streitfällen, in heiklen diplomatischen Angelegenheiten, in Notsituationen, in denen die Geltung routinierter Gegenmaßnahmen unsicher geworden war, Entscheidungen mit oft unabsehbaren Folgen zu treffen, hierfür eine gewisse zutreffende Vorahnung zu entwickeln und neue Verhaltensregeln zu finden, sofern die Wirkung bewährter Praktiken erschöpft war. … Sie sahen sich … immer wieder genötigt, gegebenenfalls neue, unbekannte und unter Umständen riskante Maßnahmen und Mittel zu ersinnen und einzusetzen.“46 Auch wenn Mimesis der Älteren, exempla und familiale Verhaltensmuster die Zahl der Handlungsoptionen einschränken mochten, war doch der ‚Aktionsradius‘ eines Patrons oder eines Konsuls sehr weit. Die stadtstaatliche Konzentration schuf eine hohe Dichte von Kommunikationssituationen mit ganz unterschiedlichen Gegenübern, die nicht immer leicht auszurechnen oder durch das Autoritätsgefälle domestiziert waren. In Reden vor Gericht und vor dem Volk war nicht nur situative Wendigkeit gefordert, dort wurde Spontaneität auch inszeniert. Das von Hoch und Niedrig besuchte Theater mit seinen Peripetien auf der Bühne und Interaktionen zwischen den Zuschauern kann geradezu als der Schnellkochtopf einer von Aktualität geprägten performativen Kultur gelten; nicht ohne Grund hat man im Agieren der Konsuln in Rom, das nach der sullanischen Magistraturreform in der Regel ihr Handlungsfeld darstellte, die theatralische Dimension hervorgehoben.47 Und ein Feldherr kommunizierte zwar nicht täglich direkt mit den Soldaten – die ja zugleich Bürger bzw. Verbündete waren –, aber in kritischen Situationen, bei drohenden Meutereien etwa, musste er genau das tun. Sein Risiko war dabei hoch, wie nicht nur das Pompeius-Beispiel zeigt, zumal da solche Konstellationen selten entstanden und sie zu bewältigen daher kaum trainierbar war. Zu den Rahmenbedingungen der Risikobereitschaft in gesuchten Situationen gehörten ferner bestimmte wertgeschätzte Eigenschaften guten aristokratischen Handelns, namentlich virtus und spes. Beider Personifikation erhielt wie noch andere im 3. Jh. je einen Tempel; diese Tempel wurden bekanntlich regelmäßig als von einem Imperiumträger in kritischen Situationen gelobt gedacht. Eng mit virtus und spes zusammen gehört animus bzw. magnus animus. Ulrich Knoche hat in einer Studie über magnitudo animi gezeigt, dass animus die Eigenschaft bezeichnen konnte, sich in misslicher Lage zu bewähren. Seine Richtung erlangt animus durch das Hinzutreten von spes. „Spes gehört … zum animus, wenn man spes als eine Grundhaltung ansieht, die den Menschen vor der Resignation bewahrt und ihn auch 44 45 46 47
Bleicken 1998: 45. Vgl. Beck 2008. Scholz 2011: 370 Hölkeskamp 2011b.
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unter den gefährlichsten Umständen auf den Sieg hoffen läßt.“48 Die dadurch ausgelöste Betätigung führt zur virtus. Auf Risiko zu setzen bedeutet nun nicht, ein mögliches Scheitern einfach auszublenden. Im Gegenteil: Ersteres fällt generell leichter, wenn letzteres unter bestimmten Umständen abgedämpft wird. In diesem Zusammenhang ist zuerst an den eher milden Umgang der Römer mit ihren imperatores victi zu erinnern – wie es in der athenischen Demokratie undenkbar gewesen wäre.49 Auch bot die Einbettung des einzelnen Aristokraten in einen größeren familialen Verband gewisse Sicherheiten: Vor Gericht konnte das Aufgebot der Kinder und Verwandten eine Verurteilung abwenden (wie bei Servius Galba 149); wenn die genealogische Kontinuität bedroht war, konnte dies durch Adoption abgewendet werden;50 und das Risiko, gegen den Willen des Senats und gegen tribunizischen Widerstand einen Triumph zu feiern, trug sich leichter, wenn auf dem Triumphwagen eine Vestalin in Person der eigenen Schwester mitfuhr, die einen Zwischenfall unwahrscheinlicher machte.51 Und schließlich wurde, folgt man Valerius Maximus, die casuum varietas, der jähe Wechsel des Glücks innerhalb einer Karriere, an markanten Beispielen memoriert.52 Selbstverständlich spielte auch die inneraristokratische Konkurrenz für die Risikoaffinität der politischen Klasse eine wesentliche Rolle, und zwar in Verbindung mit dem dynamisierend wirkenden kurzen Rhythmus der Politik. Es gab in der Römischen Republik bis kurz vor ihrem Ende so gut wie keine Möglichkeiten, über die Zeit eine konsolidierte Machtposition aufzubauen oder eine längerfristige Agenda zu formulieren und umzusetzen. Stabile politische Allianzen oder gar die einst vielbeschriebenen Adelsparteien existierten nicht, und jeder Imperiumträger, jeder Volkstribun hatte – jedenfalls im Regelfall – genau ein Jahr zur Verfügung, in dem sich entschied, ob mehr stattfand als Routine und Ritual. Gewiss: ‚Durchschnittliche‘ Begabungen, ohne deren große Zahl kein politisches System existieren kann,53 fanden ihren Platz und ihre Anerkennung; und die waren dann vielleicht auch nicht besonders risikobereit. Aber entscheidend war, welche Dispositionen jemanden herausragen ließen. Ich denke, man kann die habitus- und struktur-
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Knoche 1962: 37, unter Verweis auf Stellen wie Cic. Q. fr. 1,2,16 (Ende 59; Übers. H. Kasten): „Mir persönlich jedoch wird es an Helfern wahrscheinlich nicht fehlen. Erstaunlich, wie die Leute sich zur Verfügung stellen, sich anbieten, ihren Beistand versprechen. So habe ich viel Hoffnung und noch mehr Vertrauen (cum spe sum maxima tum maiore etiam animo): die Hoffnung, unbedingt als Sieger aus dem Kampfe hervorzugehen, das Vertrauen, bei den gegenwärtigen Zuständen selbst einen bösen Zufall nicht fürchten zu brauchen.“ Vgl. Rosenstein 1990; Tatum 1991; Märtin 2012: 150–178. Nicht gesehen habe ich R. Kath, Nulla mentio pacis – Untersuchungen zum Umgang der Römer mit militärischen Rückschlägen in der Zeit der Republik. Diss. phil. Dresden 2004; vgl. Kath 2010 (behandelt die memoriale Dimension). Simon Lentzsch (Köln) fertigt z. Zt. eine Dissertation zum Thema an. Vgl. Corbier 1991. Ap. Claudius im Jahr 143; vgl. Lundgreen 2011: 239–243. Val. Max. 6,9,10–15. So treffend M. Jehne (mündl. Diskussionsbeitrag).
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formierende Kraft des Annuitätsprinzips kaum überschätzen.54 Es trug einerseits zur enormen Kraftentfaltung der römischen Machtmaschine bei, produzierte aber auch Verwerfungen und Katastrophen.55 Wie sehr man mit der Disposition zur Aktivität, ja Aggressivität rechnete und sie im Überschießen für schädlich hielt, zeigen die Exempla (nicht nur bei den Manlii Torquati), die militärische disciplina und staatsmännisches consilium einfordern; blindes Losstürmen (temeritas) war in jedem Fall negativ konnotiert. Immerhin, wer einen Feldzug nicht innerhalb eines Jahres zum Abschluss brachte, konnte unter bestimmten, für ihn günstigen Umständen eine Verlängerung seines Kommandos erreichen. Um aber einen Krieg langfristig, planvoll und mit umfassender Vorbereitung führen zu können – was eben auch erfordern mochte, abzuwarten und den richtigen Moment abzupassen –, musste die Kurzfristigkeit des Amtes mit imperium für gewisse Zeit suspendiert werden: durch Lockerungen wie im Hannibalkrieg, Iteration wie bei Marius oder von vornherein längerfristige aufgabenbezogene Kommanden wie erstmals für Pompeius, der diese Art der risikoscheuen Kriegführung dann auch zu seiner zweiten Natur machen sollte. Doch außerhalb des Krieges, im Kampf um die oberen Ämter, brach auf dem Marsfeld jedes Jahr aufs Neue das Fieber aus und war „die Spannung des Wahltags eine der aufregendsten Erfahrungen des bürgerlichen Lebens“56. Eine Erfahrung, die oft genug dazu nötigte, Kontingenztoleranz zu entwickeln, gehörte es doch, wie Cicero einmal öffentlich einräumte, untrennbar zum Leben für die res publica, „vom Sturm der Volksmeinung und ihren Fluten hin und her geworfen zu werden und die Launen des Volkes gelassen zu ertragen“.57 Eine Niederlage (repulsa) bei 54
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Neben der auf ein Jahr begrenzten Zeit, als Amtsträger aktiv zu handeln, müssen selbstverständlich auch andere institutionelle Rahmenbedingungen in Rechnung gestellt werden, namentlich die erheblichen Spielräume für Volkstribune, die jederzeit Themen und Akteure politisieren und mobilisieren konnten. Dagegen bestanden zwar Abwehrmöglichkeiten, aber diese einzusetzen produzierte womöglich neue Risikopotentiale. Vgl. Bleckmann 2002 sowie den Beitrag von B. Linke in diesem Band. Holland 2015: 120. Cic. Planc. 11 Sin autem mavis esse iudicium, non tibi id rescindendum est sed ferendum. ‘male iudicavit populus.’ at iudicavit. ‘non debuit.’ at potuit. ‘non fero.’ at multi clarissimi et sapientissimi cives tulerunt. est enim haec condicio liberorum populorum praecipueque huius principis populi et omnium gentium domini atque victoris, posse suffragiis vel dare vel detrahere quod velit cuique; nostrum est autem, nostrum qui in hac tempestate populi iactemur et fluctibus ferre modice populi voluntates, adlicere alienas, retinere partas, placare turbatas; honores si magni non putemus, non servire populo; sin eos expetamus, non defetigari supplicando. – „Wenn du jedoch die Wahl lieber für ein Urteil halten möchtest, dann darfst du es nicht kassieren wollen, sondern musst es hinnehmen. ‚Das Volk hat schlecht geurteilt!‘ Aber es hat geurteilt. ‚Das durfte es nicht!‘ Doch, es konnte so handeln. ‚Das lasse ich mir nicht gefallen!‘ Doch, das haben sich schon viele hochangesehene und überaus einsichtsvolle Mitbürger gefallen lassen. Dies ist ja das Vorrecht freier Völker und besonders unseres Volkes, der Vormacht, des Herrn und Siegers über alle Völker: dass es durch die Wahlen einem jeden gewähren oder vorenthalten kann, was es will. Doch unsere Sache ist es, ja die unsere, die wir von diesem Sturm der Volksmeinung und ihren Fluten hin und her geworfen werden, die Launen des Volkes gelassen zu ertragen, seine Ungunst umzustimmen, seine Gunst zu erhalten, seine Aufwallungen zu beruhigen und nur dann, wenn wir nicht auf Ämter aus sind, dem Volk aus dem Wege
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der Wahl bedeutete bekanntlich in aller Regel keinen markanten Karriereknick oder gar das Ende aller Hoffnungen. Wer dann zusätzlich in den prägenden Jahren seiner politischen Sozialisation ‚abgehärtet‘ worden war und sich anschließend beim Blick auf seine Konkurrenten und die ‚Platzhirsche‘ gute Chancen ausrechnen konnte, hatte einen zusätzlichen Anreiz.58 Die Erfahrungen von Generationen bündelt Valerius Maximus eingangs seines Kapitels De repulsis: Wer die obwaltenden Faktoren kenne, vermöge Wahlniederlagen besser zu ertragen. Auch hochberühmte Bewerber mussten Rückschläge hinnehmen, und wo die gratia nichts ausrichte, bedürfe es der patientia.59 Und schließlich setzten bekanntlich die kompetitiven und grundsätzlich offenen, aber Sprösslinge von Etablierten zugleich massiv begünstigenden Mechanismen des Aufstiegs ins höchste Amt die Akteure unter Druck, irgendwie aufzufallen. Zwischen 249 und 50 v. Chr. hatten ca. 40 % aller Konsuln einen Vater, der ebenfalls das Oberamt erreicht hatte, aber nur 32 % einen Sohn im gleichen Amt.60 Es wäre interessant zu untersuchen, ob die 26 % der ins Konsulat Gewählten, die weder einen konsularischen Vorfahren (in männlicher Linie und bis zur dritten Generation zurück) noch einen entsprechenden Bruder oder Onkel und auch keinen prätorischen Vater aufzuweisen hatten,61 ein anderes Risikoverhaltensprofil an der Tag legten als die Söhne von prominenten und erfolgreichen Vätern. Diese hatten durch ihre Bekanntheit und das mitgebrachte familiale Kapital einen erheblichen Startvorteil; andererseits standen sie viel stärker unter Erfolgsdruck und sahen sich möglicherweise deshalb veranlasst, größere Risiken einzugehen. Das ist jedenfalls für Ti. Gracchus, den Sohn eines zweifachen Konsuls, ziemlich evident.62 Eine Rolle dürften auch die Zufälle der Reproduktion gespielt haben, wenn etwa die Hoffnun-
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zu gehen, uns hingegen, wenn wir danach streben, durch unermüdliches Bitten darum zu bemühen.“ (Übers. M. Fuhrmann, modifiziert; Hervorhebungen U. W). Vgl. Syme 1986: 26: „A man born in the decade 100–90, coming to years of understanding in warfare and proscriptions, learned hard lessons, with nothing to contradict in the sequel; and he derived encouragement from the mediocrity of his seniors in the oligarchy.“ Val. Max. 7,5 princ.: Campi quoque repraesentata condicio ambitiosam ingredientis viam ad fortius sustinendos parum prosperos comitiorum eventus utiliter instruxerit, quia propositis ante oculos clarissimorum virorum repulsis ut non minore cum spe honores, ita prudentiore cum animi iudicio petent meminerint que nefas non esse aliquid ab omnibus uni negari, cum saepe numero singuli cunctorum voluntatibus resistere fas esse duxerint, scientes etiam patientia quaeri debere quod gratia impetrari nequierit. – „Auch die Darstellung der Verhältnisse bei Wahlen wird denen, die nach Ämtern streben, eine hilfreiche Lehre sein, um ungünstige Wahlergebnisse besser zu ertragen. Denn wenn ihnen die Wahlniederlagen hochberühmter Männer vor Augen gestellt sind, werden sie sich um die Ehrenstellen zwar nicht mit weniger Hoffnung, aber doch mit größerer Klugheit und Überlegung bewerben, und sie werden sich erinnern, dass es kein Unrecht bedeutet, wenn einem einzelnen etwas von der Gesamtheit abgeschlagen wird, … Sie werden überdies verstehen, dass man sich mit Geduld um etwas bemühen muss, was man aufgrund seines Ansehens allein nicht hat erlangen können.“ (Übers. U. Blank-Sangmeister). Vgl. Hopkins 1983: 56. Hopkins 1983: 58. Vgl. Bleicken 1988.
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gen auf einem einzigen überlebenden Sohn ruhten und sich diese Konstellation gar häufte, wie bei den Domitii in der späten Republik.63 Die „Hoffnung auf Belohnungen, die in einem angemessenen Verhältnis zu den eingegangenen Risiken stehen“ (spes pro periculis praemiorum), wie es Cicero in der Rede für Cornelius Balbus formuliert, trieb nicht nur den tapferen Kämpfer aus Gades und späteren Intimus Caesars an, mit labor, assiduitas, dimicatio, virtus nach oben zu kommen (er sollte im Jahr 40 als erster gebürtiger Nichtrömer das Konsulat erreichen).64 Die sich zuspitzende Krisensituation als Voraussetzung unerschrockenen und situationsangemessenen Handelns (und Sprechens) stellte ein so vertrautes Moment, eine so gesuchte Distinktionschance dar, dass sie unter Umständen sogar konstruiert oder zumindest übertrieben als Menetekel an die Wand gemalt werden konnte. Ciceros Rhetorik in seinem Konsulat, sowohl gegen das Ackergesetz des Rullus65 (‚Griff nach der Weltmacht‘) wie auch gegen die sog. Verschwörung des Catilina, bietet dafür reiches Anschauungsmaterial. Der Handelnde war von Gefahren und Herausforderungen umstellt, von pericula labores contentiones inimicitiae, wie es in der Sestiana einmal heißt.66 Diese Vorstellung durchdrang den spätrepublikanischen Notstandsdiskurs, aber auch die populare Rhetorik, in der gern betont wurde, welche labores und pericula die Volkstribune im Kampf um die Interessen der kleinen Leute immer wieder auf sich genommen haben.67 Jedoch nicht allein Populare, der römische Aristokrat generell war nachgerade darauf geeicht, Risiken nicht zu scheuen. Sie konnten bisweilen sogar zur Droge werden, zumal wenn die anspornenden Erfolgsgeschichten größere Chancen hatten, memoriert zu werden, als die dämpfenden Beispiele von gescheiterten Wagnissen, und wenn ferner bei Transgressionen keine bestimmte, berechenbare Reaktion (und Sanktion) von Gegenkräften erwartet werden musste, sondern diese immer wieder neu ausgehandelt wurde. 63
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Vgl. Vell. 2,10,2: Notetur Domitiae familiae peculiaris quaedam et ut clarissima, ita artata numero felicitas. VII ante hunc nobilissimae simplicitatis iuvenem, Cn. Domitium, fuere, singuli omnino parentibus geniti, sed omnes ad consulatum sacerdotiaque, ad triumphi autem paene omnes peruenerunt insignia. – „Es verdient Beachtung, welch ein seltenes Glück die Familie der Domitier aufzuweisen hatte, umso bemerkenswerter bei der geringen Anzahl der Familienmitglieder. Vor unserem Gnaeus Domitius (cos. 32 n. Chr.), diesem jungen Mann von geradliniger, edler Art, wurden nämlich in dieser Familie jeweils sieben einzige Söhne geboren. Aber sie gelangten alle zum Konsulat und zu Priesterämtern, und fast alle auch zur Ehre eines Triumphes.“ (Übers. M. Giebel) Zu den Domitii, beginnend mit Cn. Domitius Ahenobarbus (cos. 192), s. Zmeskal 2009: 1, 111 f. Cic. Balb. 6: Haec sunt propria Corneli merita in rem publicam nostram, digna summo imperatore; praemia quidem ipsa non sunt in eius facto qui adeptus est, sed in eius qui dedit. donatus igitur est ob eas causas a Cn. Pompeio civitate. – „Dies sind die besonderen Dienste, die unser Gemeinwesen von Cornelius (Balbus) empfangen hat; die Mühe, die Ausdauer, der Kampfesmut und die Tapferkeit erwiesen ihn als seines großen Feldherrn würdig, und er rechnete mit Belohnungen, die den Gefahren entsprechen – über diese Belohnungen aber befindet nicht, wer sie empfängt, sondern wer sie gewährt.“ (Übers. M. Fuhrmann, modifiziert). Vgl. Walter et al. 2013. Cic. Sest. 86. Vgl. Sall. Iug. 85,18 (Mariusrede); Cic. Verr. 2,5; Sull. 5; s. Hellegouarc’h 1963: 249 u. 478.
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DIE NOBILITÄT UND DER SIEG Eine komplizierte Beziehung Bernhard Linke, Bochum 1. DIE NOBILITÄT IM 2. PUNISCHEN KRIEG Das Jahr 217 v. Chr. war kein gutes Jahr für die römische Republik. Bereits im Frühjahr hatte man am Trasimenischen See eine schwere Niederlage gegen Hannibal erlitten, bei der 15.000 Mann gefallen waren und ungefähr ebenso viele in Kriegsgefangenschaft gerieten.1 Danach war der Weg für Hannibal nach Mittelund Süditalien frei und der karthagische Feldherr konnte mit seinem Heer fast ungehindert durch römische Kerngebiete ziehen. Für ein erfolgsverwöhntes Gemeinwesen, das in den zurückliegenden 50 Jahren zur Vormacht im westlichen Mittelmeer aufgestiegen war, stellte dies einen schweren Rückschlag dar. Aus Sicht der senatorischen Oberschicht war diese Entwicklung allerdings nur die Konsequenz aus den verfehlten Personalentscheidungen, die die römische Volksversammlung in dieser heißen Phase des Hannibalkrieges getroffen hatte. Gegen den massiven Widerstand der römischen Nobilität hatte das Volk einen Mann zum Konsul für 217 v. Chr. gewählt, der vor dem zweiten Krieg gegen Karthago über Jahre hinweg die Senatoren herausgefordert hatte und es auf diese Weise vermochte, eine ganz ungewöhnliche Karriere gerade auf der Basis einer intensiven Konfrontation mit dem Senat zu absolvieren: C. Flamininus.2 Als Volkstribun, Konsul und Censor hatte er die pointierte politische Devianz als Markenzeichen seines öffentlichen Auftretens entwickelt. Diese Tendenz setzte er zu Beginn des Krieges fort. Immerhin wählte das Volk ihn dann tatsächlich in dieser militärisch äußerst angespannten Lage zum Konsul. Seine Wahl durch die nach Reichtum gestaffelten comitia centuriata zeigt, dass auch ein großer Teil der wohlhabenden Nicht-Senatoren sehr wohl der Meinung war, dass seine Strategie sinnvoll sei und seiner Person trotz bzw. gerade wegen der vielfältigen Konfrontation vertraute. Diese Auseinandersetzungen verweisen auf eine tiefere Erschütterung der Autorität der senatorischen Oberschicht in der Bevölkerung. Doch führte Flaminius die römischen Truppen schließlich nicht zum Erfolg, sondern in die verheerende Niederlage
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Die Hauptquellen zur Schlacht am Trasimenischen See sind Pol. 3,80–85; Liv. 22,3–6 u. App. Hann. 9,38–10,41, s. a. Cic. nat. 2,8; div. 1,77–78; Plut. Fab. 3,1–2; Flor. 1,22,13; Val. Max 1,6,6; zu den militärischen Abläufen s. Seibert 1993a: 147–156. Zur Karriere von Gaius Flaminius s. Wild 1994; Beck 2005a: 244–268; Meissner 2000; De velin 1979.
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am Trasimenischen See, die von der römischen Annalistik mit einer Vielzahl bedrohlicher religiöser Vorzeichen und Begleiterscheinungen umrahmt wird.3 Trotz dieses ersten Scheiterns eines offensiven Ansatzes in der Kriegsführung ließen die politischen Debatten über die richtige Ausrichtung der militärischen Strategie nicht nach. Die Querelen setzten sich vielmehr in den Streitigkeiten zwischen dem defensiv orientierten dictator Q. Fabius Maximus und seinem für ein offensives Vorgehen plädierenden Stellvertreter M. Minucius Rufus fort.4 Gelöst werden konnten sie nicht, im Gegenteil, sie drohten, die militärische Handlungsfähigkeit zu lähmen. Schließlich griff man zu der überraschenden Maßnahme, den magister equitum dem dictator gleichzustellen und damit faktisch die Diktatur wieder abzuschaffen. Dies zeigt die Probleme, diesen Streit durch eine sinnvolle Lösung zu beenden. So wundert es auch nicht, dass die militärische Strategie weiterhin das zentrale Thema im kommenden Wahlkampf blieb. Mit C. Terentius Varro trat nun ein Mann auf, der erneut und vehement die etablierte Oberschicht herausforderte, indem er die Linie von Flaminius und Minucius aufnahm, und auf diese Weise ebenso zum Konsul gewählt wurde. Der Hass der Oberschicht ist noch an den wenig schmeichelhaften Beschreibungen seiner Herkunft in der römischen Geschichtsschreibung ablesbar.5 Der Weg zur Katastrophe von Cannae war bereitet und es wirkt wie ein schlechter Scherz des Schicksals, dass Varro im Gegensatz zu seinem Kollegen Aemilius Paullus als einer der wenigen Römer den Untergang des römischen Heeres überlebte.6 Die Rückschläge und Katastrophen zu Beginn des zweiten punischen Krieges wirken wie ein großes schicksalhaftes Mahnmal für das römische Volk, den Verlockungen des Populismus von unbedachten Aufsteigern zu widerstehen und stattdessen sein Schicksal in die Hände der erfahrenen Vertreter der Nobilität zu legen, deren Angehörige sich durch ihre Leistung für den Staat bewährt hatten. In diese Richtung ist auch der Tenor der römischen Überlieferung ausgerichtet. Die Abkehr breiter Bevölkerungsteile von der Akzeptanz der politischen Vorherrschaft der althergebrachten Nobilität hätte zu Beginn des Hannibalkrieges zehntausenden Römern das Leben gekostet und die römische Gesellschaft an den Rand des Abgrundes gebracht. Erst als die besonnenen Kräfte aus der Führungsschicht, allen voran Fabius Maximus Cunctator, die Oberhand gewannen, wendete sich das Blatt und Rom geriet auf die Siegerstraße. Die Geste des Senates, dem geschlagenen Konsul Varro nach der Schlacht von Cannae entgegenzugehen und ihn trotz seiner Verantwortung für die Katastrophe ehrenvoll zu empfangen, wirkt wie ein souveränes
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Vgl. Linke 2000: 277–282. Zum Konflikt zwischen Fabius Maximus und Minucius Rufus s. Liv. 22,8,6–18,10 u. 23,1– 30,10; Pol. 3,101–105; Plut. Fab. 8–13; App. Hann. 12,51–52. Liv. 22,25,18–19. Zur Schlacht bei Cannae s. als Hauptquellen Liv. 22,40,4–49,18; Pol. 3,107–117; App. Hann. 17,73–26,111; Plut. Fab. 15–16; Cass. Dio frg. 57,23–29; Zon. 9,1; Flor. 1,22,15–18; Val. Max. 3,2,11 u. 5,6,4; zu den modernen Interpretationen s. Dayle 2002; Seibert 1993b: 227–234.
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Zeichen der Nobilität gegenüber dem ganzen Volk, die folgenschweren Devianzen zu vergessen und nun gemeinsam nach vorne zu schauen.7 2. DIE AMBIVALENZ DER GROSSEN SIEGE Diese Lesart der Ereignisse passt gut in das Bild einer über Jahrhunderte erfolgreichen Militärelite, die ihren Führungsanspruch aus ihrer kollektiven Leistungsfähigkeit für die res publica ableitete.8 Sie konnte besser als andere Mitglieder der Gesellschaft die Lage einschätzen und in der gemeinschaftlichen Beratung im Senat den Erfolg im Krieg sichern. Destruktiver, individueller Ehrgeiz auf Seiten der Aufsteiger wurde also mit der konstruktiven Gemeinsamkeit auf Seiten der Nobilität kontrastiert, die diesen kollektiven Anspruch in Monumenten und Ritualen immer wieder im öffentlichen Raum erneuerte. Diese Deutung bekommt aber Risse, wenn man die Situation vor Cannae genauer betrachtet. In einem bizarren Wahlkampf, der sich mitten in einer ‚Weltkriegssituation‘ abspielte, bei der der Gegner in unmittelbarer Nähe präsent war, stand Varro in keiner Weise einer geschlossenen Front von nobiles gegenüber, die gemeinsam versuchten, das Schlimmste für die res publica zu verhindern.9 So kandidierten für die plebejische Konsulatsstelle gegen Varro der Pontifex Maximus C. Atilius Serranus und der Augur Q. Aelius Paetus.10 Man einigte sich also nicht auf einen Kandidaten, um Varro zu verhindern, sondern es traten zwei Plebejer an, die sich Chancen auf das Konsulat ausrechneten. Interessant ist zudem, dass sich gleich drei Patrizier – P. Cornelius Merenda, L. Manlius Vulso, M. Aemilius Lepidus – um die zweite, den Patriziern vorbehaltene Konsulatsstelle bewarben, die Varro nicht erhalten konnte. Das Ganze endete in einem Desaster. Außer Varro wurde kein anderer Kandidat gewählt. Die Oberschicht stand tief gespalten da. Erst nach diesem politischen Desaster überlegte man sich, dass die bisherigen Kandidaten offensichtlich nicht den notwendigen Einfluss hätten, und überredete Aemilius Paullus, der eigentlich nicht wollte und beim Volk unbeliebt war, zu kandidieren. Er wurde nur gewählt, weil es keinen Gegenkandidaten gab.11 Trotz mehrjähriger Probleme mit Flaminius, trotz der Katastrophe vom Trasimenischen See und trotz der langwierigen Auseinandersetzungen mit Minucius Rufus und dem intensiven Wahlkampf des Parvenus Varro gab es also keine Einheits7 8 9 10 11
Liv. 22,61,14; s. a. Märtin 2012: 152 f. Harris 1979: 10–41. Zum Wahlkampf von 216 v. Chr. s. Twyman 1984, der die Darstellung bei Livius für historisch ansieht, u. Gruen 1978, der den Bericht von Livius im Kern für richtig hält, aber die Nachnominierung von Paullus als unhistorisch ansieht; s. a. Beck 2005a: 290–292. Während Polybios (3,106,1) nur die Ergebnisse der Wahl angibt, nennt Livius auch die Namen der Kandidaten (22,35,1–4). In der Sicht Münzers war dies auf die Aktivitäten einer Gruppe von nobiles zurückzuführen, die u. a. aus Scipio Asina, Veturius Philo, Aemilius Paullus und M. Livius Salinator bestand. Diese Gruppe war nach Münzer bereits im Jahr 220 v. Chr. bei den Wahlen in Erscheinung getreten, möglicherweise um die Folgen der Zensur des Flaminius abzumildern; s. Münzer 1920: 124 f.
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front in der Nobilität. Der Grund dafür dürfte darin gelegen haben, dass das Konsulat gerade zu diesem Zeitpunkt viel zu attraktiv war, als dass man im Vorhinein potentielle Kandidaten davon abhalten konnte zu kandidieren. Die Attraktivität dürfte aber kaum darin gelegen haben, dass alle sich darum rissen, im Amt gegen die populäre Offensivstrategie des Varro zu opponieren und sich damit in ihrer Amtszeit bei der Bevölkerung extrem unbeliebt zu machen. Viel wahrscheinlicher ist es, daß die nobiles sahen, dass der nun mit äußerster Kraft gegen Hannibal gerichtete Feldzug eine äußerst hohe Siegeswahrscheinlichkeit besaß. Die Republik mobilisierte mit 80.000 Mann das größte Heer ihrer Geschichte.12 Der mögliche – angesichts dieser Zahlen scheinbar sichere – Sieg über Hannibal trieb die nobiles zur Kandidatur. Dies setzte aber voraus, dass es in der Amtszeit auch zu einem Angriff kam. Offensichtlich wollten auch die Kandidaten aus der Nobilität dasselbe wie Varro: die unbedingte Offensive. Der Ehrgeiz und die Individualisierung in der Nobilität waren also mindestens so stark wie bei Varro selbst und verhinderten eine koordinierte Vorgehensweise im Wahlkampf. Erst der verheerende Wahlausgang, als keiner gewählt wurde, führte bei den nobiles zu einer Disziplinierung und der Kandidatur des Aemilius Paullus. Pointiert könnte man sagen: Die Basis für die großen politischen Streitigkeiten in dieser Zeit war gerade die mangelnde Fähigkeit der Nobilität in den eigenen Reihen den individuellen Ehrgeiz zugunsten kollektiven Handelns zu bändigen. Flaminius und Varro machten als Aufsteiger nur das, was auch die Oberschicht vorführte. Genau dies ließ sie so gefährlich werden! Die einzelnen nobiles agierten wie Varro, und in der öffentlichen Wahrnehmung unterstützten die Aristokraten mit diesem persönlichen Ehrgeiz und ihrem destruktiven Wahlkampf untereinander die Plausibilität von Varros Plädoyer für eine offensive Strategie. Daher konnte man diesen auch nach der Schlacht nicht so einfach zum Sündenbock machen wie Flaminius. Schließlich ging der Senat ihm sogar entgegen.13 In dieser komplexen Gemengelage ist es nicht ganz leicht, die Interessen der römischen Nobilität als Gruppe vor der großen Schlacht gegen Hannibal zu skizzieren. Die Katastrophe von Cannae, die in ihrer niederschmetternden Wucht die antiken Berichte beherrscht, überdeckt die Fragen nach der Situation vor der Schlacht, als das noch intakte Heer mit beiden Feldherrn auszog: Was hätte aus der Sicht der Oberschicht – angesichts der ablehnenden Haltung gegenüber dem Aufsteiger Varro – einen erfolgreicher Ausgang dargestellt? Die dominierende Rolle, die die Verzögerungstaktik des Fabius Cunctator nach der Schlacht spielte, führt oft dazu, dass die römische Überlieferung dieses Vorgehen schon vorher als sinnvoll suggeriert, wie die Berichte über den Konflikt zwischen Fabius und Minucius Rufus zeigen. Aber wäre ein nicht stattfindender Feldzug nach der Aufstellung eines riesigen Heeres, das kaum versorgt werden konnte und letztlich dieselben Probleme im Nachschub erleben würde wie die Karthager, weil es nicht dezentral und flexibel agieren konnte, ein Idealszenario für die Ober12 13
Zur Stärke des römischen Heeres s. Pol. 3,107,9; App. Ann. 17,76; Plut. Fab. 15,1; s. a. Seibert 1993a: 228 f.; Zimmermann 2011: 284–287. Vgl. Rosenstein 1990: 84–87, 139 f. Zur Resozialisierung des Varro s. a. Geist 2009: 77–95.
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schicht gewesen? Welchen Eindruck hätte eine ereignisarme Feldzugssaison auf der Basis eines täglichen Wechsels des Oberkommandos auf die in einem Lager zusammengefassten Soldaten gemacht? Welche Folgen hätte eine derart aktionsfeindliche Strategie angesichts der enormen Mobilisierung und Konzentration militärischer Kräfte für die Moral der Bevölkerung gehabt und vor allem auch für die Glaubwürdigkeit des Führungsanspruches der Nobilität, zumal im folgenden Jahr das Problem weiter bestanden hätte? Geht man davon aus, dass die Angehörigen der Nobilität nicht so zynisch waren, sich eine erneute Niederlage herbei zu wünschen, um die innenpolitische Lage wieder besser kontrollieren zu können, bleibt nur ein Sieg des römischen Heeres als sinnvolles Ziel. Nachdem die meisten Senatoren aber so vehement gegen die offensive Strategie eingetreten waren, wäre dies vor allem ein Erfolg des Varro und seiner Anhänger gewesen. Im Fall eines großen Sieges über Hannibal wäre die Nobilität mit einer machtvollen politischen Gegenströmung unter dessen Führung konfrontiert gewesen, die sie nur schwer hätte beherrschen können. Während der einzelne nobilis also in Kriegssituationen immer ein klares Ziel und eine eindeutige Strategie besaß, nämlich den direkten Erwerb größtmöglichen Ruhmes und Prestiges für sich selbst, war die Situation für die Nobilität als Gruppe im Fall großer Konfliktkonstellationen komplizierter. Hier zeigt sich, dass die römische Nobilität bei aller Betonung ihrer militärischen Sieghaftigkeit ein schwieriges Verhältnis zum Sieg selbst hatte. Die Beziehung der römischen Oberschicht zum Krieg und vor allem zum Sieg war durch drei Faktoren geprägt: 1. Die möglichen militärischen Leistungen und Erfolge im Krieg waren ein wichtiger Faktor für die Dynamik der individuellen Karriere eines jeden nobilis. 2. Die Aura des Erfolges und der Aufstieg zur Großmacht sicherten ganz wesentlich den politischen Dominanzanspruch der Oberschicht insgesamt. 3. Diese positiven Faktoren standen immer auch in einem Spannungsverhältnis zur gesteigerten Konkurrenz im Vorfeld eines großen Kriegszuges und zu den politischen Rückwirkungen eines möglichen Sieges. Im Falle eines großen Krieges bestand die Möglichkeit, dass die Konkurrenz um die Führungspositionen im Vorfeld so stark eskalierte, dass sie nicht mehr durch die rahmenden Mechanismen der Gruppe eingehegt werden konnte und damit eine öffentliche Destabilisierung des kollektiven Führungsanspruchs stattfand. Und im Falle eines großen Sieges drohte die Gefahr, dass das enorme situative Prestige der Sieger zur Stabilisierung partikularistischer Vorteile einzelner bzw. durch Gruppen innerhalb der Gesellschaft genutzt würde und auf diese Weise die kollektive Dominanz der Nobilität herausgefordert wurde. Alle drei Faktoren waren also kaum harmonisch miteinander vereinbar. Dieses nobilitäre Dilemma wurde in einer ‚Weltkriegssituation‘, in der es zur Zuspitzung von militärischen Entscheidungen und einer Konzentration der militärischen Kapazitäten kam, besonders deutlich. Daraus resultierten die Schwierigkeiten der Nobilität bei der Findung einer einheitlichen Strategie gegen Hannibal, die bei Livius mit den Händen zu greifen ist und zu diesem Zeitpunkt auch den Menschen außerhalb der Führungskreise bewusst wurde.
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3. DER BEKÄMPFTE SIEGER Das spannungsreiche Verhältnis der römischen Nobilität zum Sieg wird auch im weiteren Verlauf des Zweiten Punischen Krieges deutlich. Ohne Zweifel brachte die Oberschicht im Lauf des wechselvollen Konflikts eine beachtliche Zahl von Erfolgen zustande, die die Legitimation ihrer gesellschaftlichen Dominanz wieder stärkte und damit ihre Position festigte. Doch der erfolgreiche und glänzende Abschluss des Krieges erweist ein weiteres Mal die Schwierigkeiten, die die römische Nobilität mit den großen Siegen und vor allem mit den großen Siegern hatte. Beendet wurde der Konflikt durch den bedeutenden Feldherrn P. Cornelius Scipio, der in diesem Krieg eine ganz außergewöhnliche Karriere absolviert hatte.14 Schon seine Berufung auf ein Kommando mit imperium ohne die Bekleidung eines entsprechenden Amtes im jungen Alter von 24 Jahren war ein ganz ungewöhnlicher Akt gewesen.15 Und Scipio war der Mann, diese besonderen Anfänge in ihrer Strahlkraft weiter zu entfalten. Nach seinen Siegen in Spanien verhielt sich der Senat daher ihm gegenüber sehr zögerlich und das Oberkommando für die Landung in Afrika und die nötigen Truppen kamen eher gegen eine unwillige Oberschicht zustande.16 Scipio, so merkt Livius an, habe sich nicht mehr mit einem durchschnittlichen Ruhm (modica gloria) zufrieden gegeben: Nicht um Krieg zu führen, sondern um ihn zu beenden, sei er Konsul geworden.17 Folgerichtig inszenierte er sich schon bei der Abfahrt von Sizilien nach Africa in einer Form, die deutlich werden ließ, dass die Truppen nicht in ein militärisches Wagnis aufbrächen, sondern dass der Feldzug von Anfang an eher ein Siegeszug sein würde.18 Nach dem dann doch schwer errungenen Sieg gestaltete Scipio seine Rückkehr nach Rom seit seiner Landung in Süditalien als eine Art entgrenzten Triumphzug. Aus ganz Italien strömten die Menschen herbei, um den erfolgreichen Sieger zu sehen und die Truppen zu begleiten: „Nachdem zu Lande und auf Meer der Friede erreicht war, schiffte er das Heer ein und setzte nach Lilybaeum auf Sizilien über. Von dort schickte er einen großen Teil der Soldaten auf Schiffen weiter; er selbst gelangte durch Italien, das sich über den Frieden nicht weniger freute als über den Sieg und wo man nicht nur aus den Städten herausströmte, um ihm Ehre 14 15 16 17
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Zu Scipio Africanus s. Beck 2005a: 328–367; Scullard 1970. Liv. 26,18,3–19,9; App. Iber. 18,68; Val. Max.3,7,1a; s. a. Seibert 1993a: 327 f. Liv. 28,40,1,-28,45,9; Plut. Fab. 25; App. Hann. 55,229–230; Pun. 7,26–29; Val. Max. 3,7,1c; s. a. Lundgreen 2011: 123–124. Liv. 28,40,1: Cum Africam provinciam extra sortem P. Scipioni destinari hominess fama ferrent et ipse nulla iam modica gloria contentus non ad gerendum modo bellum, sed ad finiendum diceret se consulem declaratum neque id aliter fierei posse, quam si ipse in Africam exercitum transportasset, et acturum se id per populum aperte ferret, si senates adversaretur. – „Die Leute verbreiteten allgemein, Afrika werde für P. Scipio ohne Losen als neuer Aufgabenbereich bestimmt. Er selbst, der sich mit einem mäßigen Ruhm nicht mehr zufriedengab, sagte, er sei zum Konsul ernannt worden, nicht nur um den Krieg zu führen, sondern um ihn zu beenden, und dies könne nicht anders geschehen, als wenn er selbst mit seinem Heer nach Afrika übersetze; und er erklärte offen, er werde das mit Hilfe des Volkes durchsetzen, wenn der Senat sich dagegenstelle.“ (Übers. H. J. Hillen). Fabrizi 2014.
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zu erweisen, sondern auch Scharen der Landbevölkerung die Wege belagerten, nach Rom und zog in dem berühmtesten aller Triumphzüge in die Stadt ein.“19 Dieser Triumphzug übertraf in der Tat alles bisher Dagewesene an Pracht und imperialer Inszenierung.20 Obwohl er dann 199 v. Chr. zügig die Censur bekleidete, verlief Scipios Reintegration in die Oberschicht nach dem großen Sieg jedoch schwierig. Die ostentativ zur Schau getragene Nähe zu Jupiter Optimus Maximus, die weit über das Normalmaß hinausging, provozierte die anderen Mitglieder der Oberschicht, da der fein austarierte Zugang zu der wichtigsten Gottheit der Republik eine entscheidende Grundlage der kollektiven Ordnung war. Die enorme Energie, mit der Scipio schließlich ein weiteres großes Kommando gegen Antiochos III. anstrebte, und die Art und Weise wie er den Willen der Aristokratie, dies zu unterbinden, umging, indem er als Legat unter dem Oberkommando seines Bruders in den Krieg zog, führte schließlich zu einer entschlossenen Gegenreaktion.21 Trug sein Triumphzug schon Züge der räumlichen Entgrenzung, so zielte sein unbedingtes Streben nach einem erneuten Kommando auf eine zeitliche Entgrenzung seiner Sieghaftigkeit. Genau auf diesen Kernaspekt hob auch Scipio in seiner berühmten Reaktion auf eine Anklage vor der Volksversammlung ab, als er begleitet von einer großen Mengen von Freunden zum Prozess erschien und darauf hinwies, dass es der Jahrestag seines großen Sieges von Zama wäre.22 Dabei soll er sogar seine corona triumphalis aufgesetzt haben.23 Begleitet von allen Teilnehmern der Versammlung – bis auf die Ankläger – ging er dann auf das Kapitol, um Jupiter zu opfern. Danach soll er noch viele andere Heiligtümer aufgesucht haben, so dass der Tag noch feierlicher als sein Triumph gewesen sei.24 Hier wird die ganze Sprengkraft des großen Sieges auf das institutionelle Gefüge der Republik deutlich. Diese persönliche Dynamik wurde in Rom durch die starke Fokussierung der Zeremonialkultur des Sieges auf die Person des Feldherrn gesteigert, die in deutlichem Kontrast zum kollektiven Führungsanspruch der Oberschicht insgesamt stand. Beim Triumph stand der siegreiche Feldherr ganz im Zentrum des Rituals. Er war ausgestattet wie Jupiter, auf seine Person und sein Erschei19
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Liv. 30,45,1–2: Pace terra marique parta, exercitu in naves imposito in Sciliam Lilybaeum traiecit. Inde magna parte militum navibus missa ipse per laetam pace non minus quam victoria Italiam effusis non urbibus modo ad habendos honores, sed agrestium etiam turba obsidente vias Romam pervenit triumphoque omnium clarrissimo urbem est invectus (Übers. angelehnt an H. J. Hillen). Vgl. Pol. 16,23,5–7; Liv. 30,45,2–5; Val. Max. 5,2,5; App. Lib. 66; s. a. Scullard 1970: 160; Versnel 1970: 95 f.; Itgenshorst 2005: 15–17, 62–66, 108–110. Vgl. Scullard 1970: 190–210 u. Beck 2005a: 358–364. Liv. 38,51,6–14; Val. Max. 3,7,1 g. Val. Max. 3,7,1: Quo ingenti frequentia in forum deductus rostra conscendit capitique suo corona triumphali imposita. – „Von einer großen Menge auf das Forum begleitet bestieg er die Rednerbühne und setzte seine corona triumphalis auf.“ Liv. 38,51,14: Celebratior is prope dies favore hominum et aestimatione vera magnitudinis eius fuit, quam quo triumphans de Syphace rege et Cartageniensibus urbem est invectus. – „Dieser Tag war durch die Anhänglichkeit der Menschen und die wahre Einschätzung seiner Größe fast festlicher als der, an dem er im Triumph über König Syphax und die Karthager in die Stadt einzog.“ (Übers. H. J. Hillen).
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nen in der Stadt war der ganze Ablauf der Feier ausgerichtet.25 Nach der Feier konnte er Spiele geben, die den Anlass in seiner Bedeutung unterstrichen. Hier stand ihm ein großer Teil der Beute zur Verfügung, die er weitgehend nach eigenem Ermessen aufteilen und verwenden konnte. Der Anteil, den seine Soldaten erhielten, war ein persönlicher Gunstbeweis von ihm, und sie dankten es ihm beim Triumphzug durch die ostentative Demonstration von Loyalität und Nähe, die selbst noch in den Spottliedern auf seine kleinen Schwächen deutlich wurde. Nach den Triumphfeiern konnte der Feldherr seinem Sieg durch ein Monument oder einen Tempel, den er im Feld gelobt hatte, dauerhafte Präsenz in der Memorialkultur der res publica verleihen. Diese starke Ausrichtung des eigentlich kollektiv errungenen Sieges auf die Person des Feldherrn hat Egon Flaig pointiert als Enteignung des gesamten populus zugunsten der Oberkommandeure bezeichnet, die allerdings erstaunlicherweise freiwillig erfolgte.26 Vielleicht war das besonders Gefährliche bei Scipio aus der Sicht der übrigen nobiles weniger die Tatsache, dass er sich den Sieg aneignete, sondern vielmehr, dass Heer bzw. das Volk den Sieg auf Dauer stellten. Dies schlug sich nicht nur in der demonstrativen Akzeptanz seines späteren Verweises auf den Sieg im Rahmen des Prozesses nieder, bei der er sogar Teile der situativen Triumphaltracht erneut in der Öffentlichkeit trug. Darüber hinaus wurde Scipio als ersten römischen Feldherrn die Ehre zuteil, die Erinnerung an seinen Sieg in seinem neuen Cognomen ‚Africanus‘ fortleben zu lassen.27 So war der Sieg im öffentlichen Raum immer präsent und konnte – wie bei dem Verweis auf den Jahrestag von Zama oder beim demonstrativen Bezug auf Jupiter Optimus Maximus – in seiner gesellschaftlichen Strahlkraft leicht aktualisiert werden.28 Vor dem Friedensschluss mit Karthago hatte der Senat durch die Einsetzung einer Zehnmännerkommission zum Abschluss des Friedens genau diese personale Fokussierung zu verhindern versucht. Der Sieg sollte als ein Erfolg der gesamten Nobilität erscheinen.29 Doch dieses Bestreben, den Ruhm breit zu streuen, scheiterte in diesem Fall an dem strahlenden Image von Scipio. 25 26
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Vgl. Linke 2009; Beck 2005b. Flaig 2003: 39: „Indem sie (sc. die Senatoren und das Volk) an den rituellen Vorgängen in ihrer Rolle als Zuschauer und Mitfeiernde teilnahmen, anerkannten sie, dass er, der Triumphator, den Sieg errungen hatte – einen Sieg für sie, für das Volk und den Senat. Dies war nichts weniger als eine feierliche Übereignung des Sieges. Der Sieg gehörte fortan dem Triumphator; stets konnte er sich darauf berufen. Und vielleicht verfiel er irgendwann auf den Gedanken, dass der Sieg ihm ganz allein gehöre. … Sämtliche anderen Bürger, die mit ihm gekämpft hatten, wurden regelrecht symbolisch enteignet.“ Vgl. Liv. 30,45,6–7; s. a. Val. Max 4,1,6 mit den angedachten, aber von Scipio zurückgewiesenen Ehrungen nach dem Triumph. Vgl. Val. Max. 4,1,8, der angibt, dass Tib. Sempronius Gracchus sen. als Volkstribun die Befreiung von Scipio Asiaticus aus dem Gefängnis, in dem er wegen seines Unvermögens, die Geldstrafe zu bezahlen, saß, mit der Begründung befreit wurde, er könne nicht im selben Gefängnis wie die Gefangenen aus seinem Triumphzug sitzen; eine ähnliche Angabe allerdings mit anderen Abweichungen und bezogen auf P. Scipio Africanus macht Liv. 38,52,1-53-7. Vgl. Beck 2005a: 353 f.: „Wie damals (sc. 241 v. Chr.) signalisierte auch das jetzige Verfahren, daß der Sieg nicht allein als Verdienst eines Feldherrn verstanden werden sollte, sondern vor allem und insbesondere als kollektive Errungenschaft der herrschenden politischen Klasse.“
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Der Prozess gegen seinen Bruder Lucius wegen der mangelnden Rechnungslegung im Krieg gegen Antiochus und gegen ihn, dessen eigentlicher Kernvorwurf nicht ganz klar ist, verweist auf das Streben der Nobilität, die außergewöhnliche Position Scipios zu beseitigen.30 4. DIE SIEGER IN DER HISTORISCHEN ERINNERUNG Nun könnte man zunächst vermuten, dass die Probleme bei der Integration von Scipio Africanus ein situativer Aspekt in der politischen Realität des 2. Jahrhunderts v. Chr. nach den langen Kriegen gegen Karthago und den großen Erfolgen im Osten waren. Doch bei einem gezielten Blick in die römische Überlieferung wird deutlich, dass sich es keineswegs um eine singuläre Ausnahmekonstellation handelte. So weisen ausgerechnet die Schilderungen zum Leben des M. Furius Camillus, einer der schillerndsten Figuren in der römischen Geschichtstradition, ähnlich ambivalente Züge auf. In den Quellen erscheint Camillus als großer Sieger, der die lange Belagerung der Nachbarstadt Veii 396 v. Chr. beendete, und als großer Held, der die Gallier gerade in dem Moment vernichtend schlug, als sie die Demütigung der Römer nach der Eroberung der Stadt durch die Lösegeldzahlung auf die Spitze trieben.31 Parallel zu diesen militärischen Leistungen zieht sich eine dauerhafte Ausrichtung seines Handelns an den Maßstäben römischer Werte, vor allem der pietas, als roter Faden durch die antiken Darstellungen. Diese Idealtypisierung steht jedoch in einem eigentümlichen Kontrast zu den Reaktionen auf den großen Erfolg über Veii und zu den Handlungen von Camillus im Kontext dieses Erfolges. So wird sein Triumph mit einer Quadriga mit weißen Pferden als arrogant und anmaßend beschrieben.32 Er sei mehr glänzend als willkommen gewesen. Zudem entstand nach dem hart errungenen Sieg ein heftiger Streit über die Beuteverteilung.33 In diesem konfliktträchtigen Zusammenhang soll Camillus von den Volkstribunen Ungerechtigkeiten und eigene, unzulässige Bereicherung vorgeworfen worden sein, die zu einer Anklage und schließlich zum Exil des großen Siegers geführt hätten. Erst die Rettung Roms von den Galliern hätte sein Renommee wiederhergestellt. Die Figur des Camillus, die das 5. Buch im Geschichtswerk von Livius beherrscht, hat eine lebhafte Diskussion ausgelöst.34 So betonen einige Forscher, dass
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Beck verweist zu Recht darauf, dass diese Einhegung der Sieger im Fall des Friedensvertrags der Lutatius-Brüder nach dem ersten Punischen Krieg 241 v. Chr. gut funktioniert hat. Zu den Prozessen gegen die Scipionen s. Liv. 38,50,4–60,10; Gell. 6,19,8; Val. Max. 4,1,8; 3,7,1; Pol. 23,14,2–3, der allerdings primär auf das selbstbewusste Auftreten Scipios eingeht; Plut. Cato mai. 15,1. Zur Forschungsdiskussion um diese Prozesse s. Scullard 1970: 210–224, der den zweiten Prozess für eine Erfindung der Annalistik hält; dagegen Beck 2005a: 363–365. Zum Kontext s. Cornell 1995: 309–320. Liv. 5,23,6; Plut. Cam. 7. Liv. 5,32,8; Plut. Cam. 7 Einen klaren Überblick zu der Forschung gibt Walter 2004: 382–407; s. a. die Aufsätze in Coudry/Späth 2001; Täubler 1987; Tränkle 1998; allgemeine Überlegungen zur Bedeutung ‚der großen Männer‘ im kollektiven Gedächtnis der Römer finden sich bei Späth 1998.
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die persönlichen Züge in der Darstellung bei Livius als auch in der Biographie Plutarchs so schwach konturiert seien, dass sich das Bild eines historischen Individuums kaum abzeichne. Dominiert würden die Schilderungen hingegen von stereotyp wirkenden Einzelepisoden, die nach Meinung vieler Historiker eher Appellcharakter hätten und weniger eine reale Persönlichkeit beschreiben.35 Das Ganze sei eher als Konstrukt zur Verarbeitung herber Rückschläge nach großen Erfolgen zu werten. Die Frage nach der Historizität einzelner Aspekte in den antiken Angaben ist sehr komplex, muss aber an dieser Stelle nicht vertiefend erörtert werden, da unabhängig von ihrer Beantwortung die Aussagekraft der geschilderten Abläufe für die römische Gesellschaft der mittleren Republik erhalten bleibt. Entweder sind es historische Ereignisse, die als klare Zeugnisse der politischen Realität des 4. Jahrhunderts v. Chr. gewertet werden können, oder aber es handelt sich um historisierende Konstrukte aus späterer Zeit, die allerdings gerade aufgrund ihres konstruierten Charakters umso schärfer die grundsätzliche Einstellung der Oberschicht zu diesen Problemstellungen wiedergäben.36 Positiv tritt uns Camillus als Rächer nach einer Niederlage, als Bewahrer der Stadt Rom angesichts der Bestrebungen nach Veii umzusiedeln und als Vertreter klarer Werte im sozialen Leben entgegen. Als Sieger wird er jedoch ambivalent dargestellt. Wenn die modernen Deutungen recht haben, die in den Schilderungen klare Parallelen zu den Prozessen gegen die beiden Scipionen in den achtziger Jahren des 2. Jahrhunderts v. Chr. sehen,37 dann wäre diese Ambivalenz von den Historikern aus der römischen Oberschicht bewusst konstruiert worden. Sichtlich war der Typus des großen Siegers nicht unbedingt positiv konnotiert und sollte dies auch nicht sein. Die Ambivalenz von Camillus wird in der historischen Überlieferung noch dadurch akzentuiert, dass er mit M. Manlius Capitolinus, dem Konsul von 392 v. Chr., ein ‚revolutionäres alter ego‘ hat. Durch die Rettung des Capitols vor den nächtlich angreifenden Galliern hat Manlius Capitolinus zweifellos den Nimbus des individuellen Heldenhaften. Im Kontrast zu den umstrittenen Beuteregelungen des Camillus soll sich Capitolinus in den römischen Darstellungen vehement für die Rechte der armen Bevölkerung eingesetzt haben, zu deren Gunsten er sogar seinen Besitz im Gebiet von Veii verkauft haben soll. Dieses Verhalten wurde ihm aber als Aufhetzung der Unterschicht und Streben nach der Alleinherrschaft angelastet. Nach einem Prozess wurde er hingerichtet. Schon für den Prozess werden die Schwierigkeiten bei den Gerichtsverhandlungen angesichts der Großtat des Angeklagten hervorgehoben. Nach dem Tode werden auftretende Seuchen von den anti-
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Besonders weit geht in dieser Hinsicht Bruun 2000, für den der große Held und sein Wirken eine reine Fiktion ist. Vgl. Walter 2004: 385: „M. Furius Camillus ist also nur als Gestalt der geschichtlichen Erinnerung und Selbstvergewisserung wirklich greifbar, als Sinnträger und konstruierter Held, nicht als Handlungsträger.“ Ogilvie 1970: 670 f.; zu weiteren Diskussion der möglichen Parallelen s. Walter 2004: 390.
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ken Autoren als Hinweis darauf gewertet, dass die Götter mit dem Urteil nicht einverstanden gewesen seien.38 In dem Erzählkomplex von der Belagerung Veiis bis nach dem Galliersturm werden also die beiden Hauptfiguren in einer eigenartig komplementären Form dargestellt. Einerseits der souveräne Feldherr und Bewahrer der Werte, der allerdings wenig sensibel gegenüber der ärmeren Bevölkerung agiert und im persönlichen Siegesrausch bemerkenswerterweise nicht das rechte Maß zu finden weiß. Andererseits der jugendlich dynamisch wirkende Capitolinus, der als persönlicher Held und Freund des Volkes glänzt, aber dabei den Verdacht entstehen lässt, die ganze Ordnung beseitigen zu wollen. Erst nach der Niederlage gegen die Gallier entsteht die Ordnung neu und Camillus wird im Kampf gegen die Gallier selbst zum Helden stilisiert, da er den gegnerischen Anführer eigenhändig getötet haben soll. Der Sieg, der eine Niederlage ausgleicht und den Status quo ante halbwegs wiederherstellt, nachdem die Stadt schreckliche Schäden – auch und vor allem im ideellen und sakralen Bereich – erlitten hat, dieser Sieg wird zur Basis der Ordnung und macht Camillus zum erneuten Gründer Roms. Der originäre Sieg über Veii hingegen ist eher der Ausgangspunkt für eine innergesellschaftliche Spaltung, zu der auch Camillus beiträgt. Eindeutige Helden sucht der Leser also selbst nach dem großen Sieg über Veii vergebens. Schaut man sich vor dem Hintergrund dieser Überlegungen die Siegerkultur in der römischen Republik insgesamt an, so stellt man fest, dass es zwar große Helden, aber erstaunlicherweise kaum positiv konnotierte große Sieger gab: nicht Camillus nach Veii, nicht Scipio nach dem 2. Punischen Krieg. Die historische Memorialkultur an die großen Helden der Republik ist in bemerkenswerter Weise zumeist nicht primär durch den Bezug auf ihre großen Siege bestimmt, auch wenn sie militärisch aktiv waren. Dies zeigt auch das Beispiel des T. Manlius Torquatus, der wie kaum ein anderer die Werte der Oberschicht und der gesamten römischen Gesellschaft von früher Jugend an verkörperte und damit zu einer Leitfigur der republikanischen Ethik wurde.39 Schon als junger Mann soll er seinen Vater zu seinem eigenen Nachteil gegen einen Volkstribun beschützt haben, der die übermäßige Strenge des Vaters öffentlich sanktionieren wollte.40 Dieses Vorgehen ließ ihn zum idealen Sohn in den Wertmaßstäben der Römer werden. Als junger Militärtribun tötete er eigenhändig einen hünenhaften Gallier in einem ritualisierten Zweikampf und trug dessen goldenen Halsreif (torques) als Zeichen seiner persönlichen Leistungsfähigkeit, die sich auch im Cognomen Torquatus nieder-
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Zum Prozess gegen Capitolinus s. Liv. 6,14,1–20,16, der zum Schluss seines Berichtes auf Seuchen hinweist, die nach der Hinrichtung von Manlius Capitolinus aufgetreten seien und von vielen als Strafe der Götter für die Hinrichtung des Helden gewertet worden seien; zur Rettung des Capitols durch Manlius s. Liv. 5,47,1–8; Dion. Hal. 13,7–8; Diod. 14,116,6; Plut. Cam. 27,3–5; zu der Figur des Capitolinus in der römischen Überlieferung s. a. Chassignet 2001 u. Vigourt 2001; s. a. Chaplin 2000: 83–85. Zu Manlius Torquatus als Symbolfigur s. Bettini 1992: 17–21; Linke 2014. Liv. 7,4,3–5,9; Sen. ben. 3,37,4; Cic. off. 3,112; Val. Max. 5,4,3; 6,9,1; Auct. vir. ill. 3,28,1; App. Samn. 2; Zon. 7,24.
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schlug.41 Als Konsul befahl er dann seinerseits unerbittlich seinen eigenen Sohn hinzurichten, nachdem dieser sich in der großen Schlacht gegen die Latiner nicht an seine Befehle gehalten hatte.42 Gehorsame Unterordnung unter die väterliche Strenge, eigene Leistungsfähigkeit im Kampf und konsequente Durchsetzung militärischer Ordnung, all dies ging in seiner Person eine bemerkenswerte Synthese ein, die seinen Platz als außergewöhnliches exemplum in der römischen Geschichte begründete. Nur eines war Manlius Torquatus nicht: Ein großer Sieger. Zwar war er einer der beiden kommandierenden Konsuln in der wichtigen Schlacht gegen die Latiner (340 v. Chr.), deren Bedeutung sich an der symbolisch hoch aufgeladenen Erinnerung zeigt. Doch war der eigentliche Begründer des Sieges sein Mitkonsul P. Decius Mus, der für diese Rolle sogar von den Göttern auserwählt worden war. Beide Konsuln hatten vor der Schlacht in parallelen Träumen von Jupiter die Botschaft erhalten, dass einer von ihnen sich im Kampf opfern müsse, damit die römische Seite gewänne. Durch die Deutung von Vorzeichen wurde eindeutig klar, dass dies Decius Mus zugedacht war und so vollzog dieser während der Schlacht die ritualisierte Selbstopferung in Form der devotio und die Römer gewannen.43 Dass Manlius Torquatus nach dem Kampf seinen eigenen Sohn hinrichten ließ, macht ihn zweifellos zu einem herausragenden Vertreter römischer Tugendideale, aber als Vater war er in dieser furchtbaren Situation auch ein Verlierer,44 zumal die Jungmannschaften ihn dafür gehasst haben sollen.45 Die Hinrichtung des Sohnes verweist auf die Grundlagen der Gesellschaft, die Grundlage des Sieges war aber das Selbstopfer des Decius, der damit zum Sieger in der Schlacht wurde. Noch klarer tritt uns diese Loslösung des Heldenhaften vom militärischen Sieg im Fall des Fabius Maximus Cunctator entgegen. Auch er geht nicht als großer Sieger in die Geschichte ein. Zwar legte er – in der Darstellung der römischen Geschichtsschreibung – die langfristige Grundlage für den Sieg über Hannibal, doch war es gerade der Verzicht auf entscheidende Kampfhandlungen, also auf eigene große Siege, der ihn so berühmt machte und ihn in einen klaren Kontrast zu Scipio Africanus stellte.46 Der Nichtsieger als Held – dies ist eine ungewöhnliche Form von Berühmtheit für eine Aristokratie, die sich durch erfolgreiche Kriegsführung legitimiert. 41 42 43 44 45
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Liv. 7,10,4. Liv. 8,6,14–7,22; s. a. Front. Strat. 4,1,40; Cic. fin. 2,60; Val. Max. 6,9,1; Gell. 1,13,7. Zur devotio des Decius in der Schlacht gegen die Latiner 340 v. Chr. s. Liv. 8,68–16 u. 9,1–14; Val. Max. 1,7,3; Zon. 7,26; Cic. fin. 2,61; Auct. de vir. Ill. 26,4; zum historischen Kontext s. Cornell 1995: 347–352 u. Linke 2013. Vgl. Liv. 8,12,1. Bei Liv 8,7,17 lässt der Autor Torquatus selbst von einem triste exemplum sprechen; zum Hass der jungen Soldaten, der sein Leben lang anhielt s. Liv. 8,12,1: … iuventutem et tunc et omni vita deinde aversatam eum exsecratamque. – „ … dass ihn dagegen die Jugend damals und in seinem ganzen späteren Leben verschmäht und verflucht hat.“ (Übers. H. J. Hillen). Berühmt wurde die Formulierung von Ennius: cunctando restituit rem (Ann. 12, 363 Skutsch); s. a. Cic. Cat. mai 12; rep. 5,10; Liv. 30,26,9; s. dazu und zum Beinamen ‚Cunctator‘ Stanton 1971; Chaplin 2000: 92–102, 114–123.
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5. DIE NOBILITÄT UND DIE DYNAMIK DES KRIEGES Lässt man die gegebenen Beispiele Revue passieren, kann man sich des Eindruckes nicht erwehren, dass gerade militärische Entscheidungssituationen strukturelle Probleme für die Nobilität mit sich brachten, weil ihre stark individualisiert ausgerichtete Leistungskultur kaum in der Lage war, langfristig die Folgen der Siege, aber auch die Konkurrenzkonstellation vor bedeutenden Entscheidungen zu kontrollieren und in gemeinschaftsorientierte Strukturen einzubinden. Insgesamt entsteht also ein eigenartiges Bild der römischen Nobilität und ihrer politischen Handlungskompetenz im kriegerischen Bereich, das durch die Spannung von individuellen und kollektiven Erfolgserwartungen geprägt ist, die starke Zielkonflikte in der römischen Politik auslösten. So bedarf die Nobilität ohne Zweifel als Grundlage für die Legitimation ihrer Dominanz der militärischen Erfolge.47 Doch wirkt sie dabei nicht selten als die Getriebene, die von inneren Spannungen in Entscheidungssituationen hinein gedrängt wird, die sie nur mit Mühe als kontrolliert darstellen kann und deren Resultate sie nur mit großem Aufwand in die Strukturen kollektiver Herrschaft einhegen konnte. Klar zeigen sich diese Spannungen beim Ausbruch und Verlauf des Ersten Punischen Krieges. Schon zu Beginn des Krieges 264 v. Chr. verfolgte die Oberschicht keine klare Linie gegenüber dem ehrgeizigen Konsul Ap. Claudius Caudex und delegierte die Angelegenheit an das Volk.48 Dies war die Grundlage für einen weiteren Aggressionszyklus, in dessen Verlauf die gemeinschaftsorientierte Rhetorik in Rom mit der an rein individuellen Motiven orientierten Handlungsweise der Kommandeure im Feld kontrastierte.49 Ein prägnantes Beispiel dafür ist das Verhalten des M. Atilius Regulus nach der Landung in Afrika 257 v. Chr. Er begnügte sich nicht – wie vorgesehen – mit der Sicherung der Stellung und dem Warten auf seinen Nachfolger, sondern ging in die Offensive.50 Dabei war er allerdings so erfolgreich, dass die Karthager ein Friedensangebot machten. Diese glänzende Chance, den Krieg unter günstigen Bedingungen zu beenden, verspielte der Kommandeur jedoch durch die Maßlosigkeit seiner Forderungen an die karthagische Seite, die sich angesichts dieser Haltung der Römer zur Fortsetzung des Krieges entschloss. Die Ursache für diese starre Haltung war offensichtlich Regulus‘ Bestreben, den Krieg in jedem Fall unter seinem Kommando zu beenden.51 Dazu musste er dem Senat einen Frieden präsentieren, dessen konkrete Konditionen sofort akzeptiert würden. Jede zeitliche Verzögerung hätte die Gefahr herauf beschworen, dass der Frieden erst von seinem Nachfolger endgültig besiegelt werden 47 48 49 50 51
Hölkeskamp 1993. Pol. 1,10,1–11.3; Zon. 8,8,6. In einer umfassenden Analyse hat Bleckmann 2002 die Zielkonflikte zwischen den kollektiven Zielen und den individuellen Handlungsmotiven der kommandierenden Magistrate vor Ort als dominante Faktoren im Kriegsverlauf analysiert. Zum Kommando von M. Atilius Regulus und seinem Scheitern s. Pol. 1,25–34; Zon. 8,12–14; Cass. Dio frg. 43,22; s. a. Beck 2005a: 229–243; Bleckmann 2002: 159–168; Fantar 1989: 75–84; Lazenby 1996; Rankov 2011: 155–159. Pol. 1,31,4; s. Liv. 30,30,23; Bleckmann 2002: 165–167.
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konnte und diesem damit die Ehre zuteil werden ließ, den Krieg endgültig beendet zu haben. Dieses Risiko wollte Regulus nicht eingehen. Am Ende seiner Expedition stand die dramatische Wendung, daß die Karthager es vermochten nun ihrerseits, die Römer zu schlagen und damit das ganze Unternehmen in die Katastrophe zu führen. Das Erstaunlichste am Wirken des Regulus ist jedoch die Tatsache, dass er trotz dieser desaströsen militärischen und politischen Leistung, die aus seinem persönlichen Ehrgeiz resultierte, in der kollektiven Erinnerung zu einem leuchtenden Vorbild für römische Tugenden wurde.52 Nach seiner Gefangennahme schickten die Karthager ihn nach Rom, mit dem Auftrag dort ein karthagisches Friedensangebot vorzulegen. Regulus habe geschworen, in jedem Fall zurückzukehren, auch wenn ihm im Fall der Ablehnung durch die Römer in Karthago die Todesstrafe drohte. In Rom habe er sich dann vehement gegen einen ungünstigen Friedensschluss ausgesprochen, auch wenn dies seinen sicheren Tod bedeutete. In Afrika sei er dann gefoltert und getötet worden. Mut, Ehrenhaftigkeit und die selbstlose Aufopferung für die res publica, für all diese Tugenden wurde die Figur des Regulus später verklärend memoriert.53 Wichtig ist in unserem Kontext ein anderer Aspekt: Die Geschichte des Regulus war später für die Oberschicht in der idealisierenden Erinnerung enorm anschlussfähig. Er überstrahlte nicht als der endgültige Sieger die anderen Aristokraten und nahm ihnen die Möglichkeit, sich ebenfalls zu profilieren. Im Gegenteil, seine Heldentat führte zur Fortsetzung des Krieges und die anderen Familien konnte sich dadurch hervortun, dass sie das militärische Desaster von Regulus mit vielen Mühen wieder wettmachten. Dies war ein geradezu ideales Szenario für die kollektive Konstruktion der Vergangenheit in der römischen Nobilität. 6. DIE NOBILITÄT UND DER SIEG – EINE KOMPLIZIERTE BEZIEHUNG Die Bedeutung des Krieges für die republikanische Oberschicht soll in keiner Weise geleugnet werden. Zweifellos war eine der entscheidenden Grundlagen der Herrschaft der römischen Nobilität ihre militärische Leistungsfähigkeit.54 Neben der Abschöpfung ökonomischer Ressourcen in Form von Beute (und in Italien Landkonfiskationen) waren die Kriege ein wichtiges Instrument, um allgemein konsensfähige Prestigeressourcen im Namen der res publica zu erwerben. Die Aristokratie inszenierte ihren Anspruch auf politische Vorherrschaft mit dem Verweis auf ihre 52 53
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Val. Max. 1,1,14; s. a. Cic. off. 3,99–101; fin. 5,82; Zon. 8,15; Liv. Per 18; App. Hann. 3; s. Gendre/Loutsch 2001; Kornhardt 1954; Hölkeskamp 1996: 313–315; Bleckmann 1998. Nun gibt es in der Forschung skeptische Stimmen, die z. B. darauf hinweisen, dass die Rückkehr nach Karthago vielleicht gar nicht so freiwillig erfolgte, sondern Verwandte des Regulus möglicherweise keine Lust hatten, ein hohes Lösegeld für den Verlierer zu zahlen, dessen politische Karriere in jedem Fall beendet war und der in Rom ein Schandfleck für die Familie gewesen wäre; s. Bleckmann 2002: 182; Bleckmann 1998: 69 f. Vgl. Hölkeskamp 2011: bes. 236–240; Harris 1979: pass.; Rich 1993.
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Leistungen für die Gesamtheit des populus Romanus.55 Dabei war sie sehr erfolgreich und die hohe Anerkennung, die ihre Leistungsethik in der Bevölkerung genoss, sicherte ihr die Einsatzbereitschaft der einfachen Bürger und stellte damit die personellen Ressourcen zur Verfügung, um ausgedehnte Eroberungen vornehmen zu können. Das Ziel der Ausführungen war es jedoch, ein differenzierteres Licht auf die Bedeutung einer aggressiven Außenpolitik und deren Rückwirkungen auf die inneren Strukturen zu werfen. Die Kernthese besteht darin, dass die erfolgreichen Kriege oft zu Konstellationen führten, in denen Teile der Nobilität versuchten, die Vorteile der neuen Situation für sich zu nutzen und ihre partikulare Dominanz auch gegenüber den Standesgenossen zu festigen. Diese Bestrebungen riefen ihrerseits Widerstand bei den anderen nobiles bzw. den Teilen der Gesellschaft, die an der Macht partizipieren wollten, hervor. Diese sahen durch die Prestige- und Ressourcenkonzentrationen nach großen Erfolgen ihre eigenen Machtchancen und -ambitionen gefährdet. Einerseits drängten sie auf einen größeren eigenen Anteil an der aggressiven Politik. Andererseits war man bestrebt, die dynamischen Rückwirkungen der Siege auf die gesellschaftliche Machtkonstellation zu begrenzen. So war die erfolgreiche Kriegsführung eine wichtige Grundlage für die Akzeptanz der nobilitären Vorherrschaft in der Republik, doch waren die Auswirkungen großer militärischer Erfolge für die einzelnen Angehörigen der Oberschicht und ihre politischen Netzwerke durchaus ambivalent. Nicht der singuläre, sondern der repetitive Sieg, nicht der herausragende, sondern der mittelmäßige Sieger waren systemadäquat. Zur Erhalt ihrer Vorherrschaft bedurfte die römische Nobilität also der seriellen Mittelmäßigkeit im militärischen Bereich. Genau dieses Grundmuster zeigt sich in der historischen Erinnerungskultur der res publica. Statt einer uneingeschränkten Überhöhung großer Siegerfiguren findet sich unter den herausragenden Persönlichkeiten, die im kollektiven Gedächtnis tradiert werden, eine große Bandbreite an individuellen Konstellationen: Scipio Africanus, der militärische Sieger, der zum politischen Verlierer wird, genauso wie Camillus, der aber durch die erneute Chance nach einer Niederlage gerettet wird. Ein anderer Fall sind die Decii als Sieger, die ihren Erfolg im Rahmen der devotio von vornherein mit dem Leben bezahlen: Der tote Sieger erscheint hier beinahe als der ideale Sieger. Dann Manlius Torquatus, der tugendhafte Held und vorbildliche Römer, der aber von den Göttern lediglich zum sekundären Sieger bestimmt wird; Atilius Regulus, der vom militärischen Verlierer zum politischen Helden wird; und schließlich Fabius Cunctator, der Nichtsieger als Held. Viele weitere Beispiele ließen sich anführen, wie den alten blinden Caecus, der ein Einlenken gegen Pyrrhos verhinderte und so – obwohl militärisch lange nicht mehr aktiv – zum Helden des Pyrrhoskrieges wird. Überschreitet der Sieg eine gewisse Größenordnung ist die Relativierung des Erfolges die Voraussetzung für die Wahrung der kollektiven Anschlussfähigkeit an 55
Zur römischen Aristokratie und ihren Strukturen s. Beck 2005 mit der älteren Literatur; zur Genese der Nobilität s. Hölkeskamp 2011: pass.; s. a. Bleicken 1981.
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diesen individuellen Erfolg durch die anderen Aristokraten. Dieser Grundsatz erklärt auch die egalisierenden Tendenzen innerhalb der rituellen Symbollogik. So gab es innerhalb der höchsten Ehre des Triumphes keine weitere Differenzierung. Es war egal, aus welchem Anlass diese Ehre gewährt wurde, der Ablauf blieb identisch, auch wenn zwischen den Dimensionen der gefeierten Siege Welten liegen konnten. Die Bestrebungen von Scipio Africanus, diese egalisierenden Grenzen zu überwinden, brachte ihm die entschlossene Gegenwehr vieler Standesgenossen ein. Es gab eben keinen Extraplatz für den ganz großen Sieg, der sich von den anderen Erfolgen abhob. Die Triumphe waren Rituale, die auf Wiederholbarkeit und gegenseitigem Verweis angelegt sein sollten. Dem Problem einer egalitären Langeweile, die der Wahrnehmung des Rituals in der Bevölkerung abträglich gewesen wäre, entging man bis zum Ende des 3. Jahrhunderts v. Chr. dadurch, dass es immer wieder zu starken Rückschlägen kam. Der aktuelle Erfolg erhielt seinen ‚Neuigkeitswert‘ also auch dadurch, dass die Niederlage als grundsätzliche Alternative den Römern lange Zeit deutlich präsent war. Diese ‚nützliche Funktion‘ der Niederlage, die die Aristokratie vom Druck entlastete, die Erfolge permanent zu steigern, könnte eine der Ursachen für die erstaunliche Frustrationstoleranz der römischen Oberschicht gegenüber militärisch unglücklich agierenden Mitgliedern gewesen sein.56 Durch die schwankende Erfolgsquote blieb auch der mittelmäßige Sieg als Leistung akzeptabel. Am Ende des 3. Jahrhunderts v. Chr. änderte sich allerdings die Lage. Rom wurde nach dem Sieg über Karthago zu mächtig für diese Logik. Die Erfolge wurden immer größer und die Siege innerhalb kürzester Zeit in enormen Ausmaß errungen. Die serielle Anschlussfähigkeit für die Leistungsdemonstrationen anderer nobiles drohte verloren zu gehen. Die militärischen Triumphe büßten zunehmend ihre Funktion für die Stabilisierung der kollektiven Herrschaftsansprüche der Nobilität ein und wurden immer stärker zu einer Demonstration individuellen und einzigartigen Leistungsvermögens. Gegen diese Tendenz wehrte sich die Nobilität mit innenpolitischen Prozessen und anderen öffentlichen Druckmitteln, die die Einfügung der herausragenden Individuen in die aristokratische Gemeinschaft erzwingen sollten, wie dies nicht nur bei Scipio Africanus, sondern auch bei M.‘ Acilius Glabrio, Cn. Manlius Vulso und M. Fulvius Nobilior der Fall war.57 Doch besaßen derartige juristische Rangordnungskorrekturen für den Machtanspruch der römischen Aristokratie einen höchst dysfunktionalen Charakter, machten sie die inneraristokratischen Probleme bei der Zuweisung von Status doch allzu sehr öffentlich. Diese zunehmenden Schwierigkeiten bei der produktiven Nutzung individueller Erfolge für die ganze Nobilität dürften die seit den sechziger Jahren des 2. Jahrhunderts v. Chr. zu beobachtende Abschwächung der imperialen Dynamik mit erklären. Für die res publica insgesamt, also den populus Romanus, waren die Siege in ihrer Größe beeindruckend, doch für die innere Stabilität der Nobilität wurden sie allmählich gefährlich.
56 57
Rosenstein 1990: pass. Vgl. Stolle 1999: 47–59.
Die Nobilität und der Sieg: Eine komplizierte Beziehung
397
Das politische Agieren des großen Siegers gegen die hellenistischen Mächte, L. Aemilius Paullus, ist in diesem Kontext bezeichnend. Obwohl er sich vor Ort in Griechenland nach seinem Sieg über Perseus als Person feiern ließ und dies über Monate hinweg, achtete er bei seiner Rückkehr nach Italien darauf, nicht zu sehr in der Pose des herausragenden Siegers hervorzustechen. So verteilte er den größten Teil der Beute – entgegen der Tradition – nicht aus eigener Machvollkommenheit an seine Soldaten und Freunde, sondern übergab ihn den staatlichen Institutionen. Auch sein eigener Anteil fiel demonstrativ bescheiden aus, er entschied sich also für eine etatistische Kollektivlogik, berücksichtigte dabei jedoch nicht, dass dadurch auch die bisher gültige Formel der Beuteverteilung als Kompensation für eine hohe militärische Partizipationsbereitschaft der Bevölkerung aufgegeben wurde. Offensichtlich hatte das exemplarische Vorgehen des Senats vor allem gegen Scipio Africanus nach dem Krieg gegen Antiochos III. seine Wirkung nicht verfehlt. Doch die betroffenen Soldaten hatten für dieses neuartige Verhalten kein Verständnis, zumal Aemilius Paullus aufgrund seiner Strenge nicht beliebt war. Der ostentative Widerstand seiner eigenen Soldaten in den politischen Gremien bei der Frage nach der Gewährung eines Triumphes hätte Aemilius Paullus fast um den krönenden Abschluß des erfolgreichen Feldzuges gebracht.58 Der Konflikt um den Triumph des Aemilius Paullus zeigt eindrücklich: Der Statusanspruch des einzelnen nobilis, die gemeinschaftlichen Anforderungen der Nobilität als Gruppe und die Interessen des populus waren nicht mehr so selbstverständlich durch die Konzentration auf militärische Erfolge in Einklang zu bringen. Geeignet dafür war der mittelmäßige Sieg, aber nicht der große Sieg. Die Beziehung der Nobilität zum Sieg blieb kompliziert. BIBLIOGRAPHIE Beck, H. 2005a: Karriere und Hierarchie. Die römische Aristokratie und die Anfänge des cursus honorum in der mittleren Republik, Berlin. Beck, H. 2005b: Züge in die Ewigkeit. Prozessionen durch das republikanische Rom, GFA 8, 73– 104. Bettini, M. 1992: Familie und Verwandtschaft im antiken Rom, Frankfurt/M. Bleckmann, B. 1998: Regulus bei Naevius: Zu Frg. 50 und 51 Blänsdorf, Philologus 142, 61–70. – 2002: Die römische Nobilität im Ersten Punischen Krieg. Untersuchungen zur aristokratischen Konkurrenz in der Republik, Berlin. Bleicken, J. 1981: Die Nobilität der römischen Republik, Gymnasium 88, 236–253 (= ders., Gesammelte Schriften I, Stuttgart 1998, 466–483). Bruun, C. 2000: ‚What Every Man in the Street Used to Know‘: M. Furius Camillus, Italic Legends and Roman Historiography, in: ders (Hg.), The Roman Middle Republic. Politics, Religion and Historiography, Rom, 41–68. Chaplin, J. 2000: Livy’s Exemplary History, Oxford. Chassignet, M. 2001: La ‚construction‘ des aspirant à la tyrannie: Sp. Cassius, Sp. Maelius et Manlius Capitolinus, in: Coudry/Späth 2001, 83–96. Cornell, T. 1995: The Beginnings of Rome, London, New York. 58
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VI. ARISTOKRATISCHES AGIEREN IN GESELLSCHAFTLICHEN KONTEXTEN
THE ECONOMIC ASPECTS OF ROMAN SUMPTUARY LEGISLATION Jean-Jacques Aubert, Neuchâtel/Neuenburg During the last two centuries of the Republican period conspicuous consumption by members of the Roman aristocracy was, at times, curbed by law. The so-called sumptuary laws (leges sumptuariae), which occasionally and cumulatively supplemented the censors’ regimen morum, are sporadically and all too elliptically mentioned in extant literary sources, but happen to have been discussed in bulk by two ancient scholars of the imperial period, the second-century antiquarian Aulus Gellius, in his Attic Nights (2,24; ca. 150), and the early-fifth-century essayist Macrobius, in his Saturnalia (3,17; ca. 420–430), two authors to whom we owe most of our evidence on the subject.1 It is remarkable that the latter, who certainly knew of the former’s work, seems to provide an independent account of the phenomenon, thus introducing additional, sometimes contradictory, or at least diverging pieces of information.2 Starting with the mention of an old senatorial decree limiting food expenditure, Gellius lists more than half a dozen statutes, the so-called leges Fannia, Licinia, Cornelia, Aemilia, Antia and Iulia, dated from 161 to the reign of Augustus or Tiberius, following the famous Augustan jurist Ateius Capito, author of a monograph – now lost – entitled Coniectanea or Miscellanies. Macrobius reaches even further back,3 starting with the law – assumedly the first – proposed by the plebeian tribune C. Orchius in 182/1. Macrobius’ list also includes the extension by the lex Didia of 143 of the provisions of the lex Fannia to “Italians” and presents the same sequence of statutes. However, the lex Iulia is replaced by an edict of Marcus Antonius, mentioned only through pretermission out of contempt for the instigator’s hypocrisy regarding his mistress Cleopatra’s notoriously outrageous spending. Both authors focus on legislation bearing on food consumption (leges cibariae), with a total of seven or eight statutes. A look at G. Rotondi’s list of sumptuary laws, largely followed and adopted by E. Baltrusch in his 1989 study of regimen morum and M. Elster in her catalogue of 1
2 3
Most recent literature: Bonamente 1980; Clemente 1981; Gabba 1981/1988; Baltrusch 1989; La Penna 1989; Wyetzner 1995 and 2002; Bottiglieri 2002 with Venturini 2004; Dauster 2003; Coudry 2004 and 2012; WallaceHadrill 2008; DariMattiacci/Pli secka 2012; Casinos Mora 2016. Bottiglieri 2002: 83 n. 1, quoting with some reservation Tuerk 1965: 394–398. Clemente 1981: 2–3, reporting that Macrobius’s account follows Sammonicus Serenus’s, an author of the Severan period who speaks of peer pressure as a source of impoverishment. Cf. Kaster 2011: 121. Both Gellius and Macrobius rely on Capito’s list, cf. Coudry 2004.
404
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mid-Republican laws down to 134, underlines that for both Gellius and Macrobius sumptuary legislation had a narrower scope than what modern scholars have identified as such.4 Conspicuous consumption has political, social, cultural, and economic causes and consequences, and, in the ancient world at least, a marked moral connotation.5 The main purpose of those resorting to such practices may consist in improving their chances at getting elected to public offices, be it a magistracy, priesthood, or military command, through enhancing their social visibility and attractiveness with more than their family status and previous career. Ambition fosters competition, to be exercised in various ways, the choice of which is culturally determined. In second-century BCE Rome, entertaining guests seems to have been the strategy of choice, though by no means the only one. Organizing banquets, gathering guests in large numbers, serving high quality food, or rare courses, all of this with due publicity, had its price, hence economic consequences.6 Overbidding, a natural phenomenon in an agonistic society, led to inflation in scale, nature, and frequency. The cost of such strategies and their impact upon individual families’ patrimonies were sure to prove socially disruptive and politically vain, if not counterproductive in the long run. The awareness of the risks attached to such behavior within the elite led lawmakers – who were obviously the first to suffer from it – to take steps to curb potentially (self-)damaging practices, as the censors, traditionally in charge of regimen morum, seem to have been unable or unwilling to control the situation. Paradoxically, sumptuary legislation originated at times with tribunes of the plebs and took the form of plebiscita. Arguably, a junior magistrate may have had a vested interest in limiting the expenses to be incurred in pursuing a political career.
4
5
6
Rotondi 1912/1990: 98 f.; Baltrusch 1989; Elster 2003. Similar lists are provided by Cou dry 2012: 512 f. and by DariMattiacci/Plisecka 2012: 201. For reasons yet unclear to me, Williamson 2005 seems to pay no attention whatsoever to sumptuary legislation, even though she lists all statutes in her Appendix C (451–473: List of Reliable Laws and Proposals by Year, Latin Name, and Subject, 350–25 BCE). In her conclusion, Coudry 2004: 169 emphasizes the political, cultural, and social dimensions of sumptuary legislation, but is well aware (159–160, esp. n. 110) of its economic side. Gabba 1981/1988 underlines the “significato eminente economico delle leggi suntuarie.” DariMatti acci/Plisecka 2012 specifically focus on the economic aspect of sumptuary legislation as a reflection or consequence of a “misalignment between political and economic power following the military and economic expansion of Rome in the last two centuries of the Republic.” I thank Prof. Dari-Mattiacci for providing me with a copy of this article shortly before submitting this paper. Clemente 1981: 1, 13 dismisses the economic purpose of sumptuary legislation, without denying the economic consequences of the behavior they tried to control.
405
The Economic Aspects of Roman Sumptuary Legislation
A short inventory shows that each statute had a specific purpose: List of recorded leges sumptuariae (cf. Gell. 2,24; Macr. Sat. 3,17)7 Date
Name
Type
Elster
Baltrusch
217?
Lex Metilia de fullonibus
Pleb.
#90
p. 50
215
Lex Oppia sumptuaria/de mulieribus
Pleb.
#98
p. 52
209
Lex Publicia de cereis
Pleb.
#112
p. 61
195
Lex Valeria Fundania de lege Oppia abroganda
Pleb.
#141
p. 52
182/1
Lex Orchia de coenis
Pleb.
#160
p. 77
161
Lex Fannia cibaria
#190
p. 81
143
Lex Didia sumptuaria
#208
p. 85
115
Lex Aemilia sumptuaria
b. 103, ca.170?
Lex Aufidia de feris Africae
b. 103
Lex Licinia sumptuaria
98?
Lex Duronia de lege Licinia abroganda
81
Lex Cornelia sumptuaria
71/68?
Lex Antia sumptuaria
55
Rogatio Pompeia sumptuaria
50
Rogatio Scribonia de itineribus?
46
Lex Iulia sumptuaria
p. 99
18?
Lex Iulia sumptuaria
p. 100
?
Lex convivalis quae dicitur Tappula
p. 86 Pleb.
p. 116, n. 525 p. 88
Pleb.
p. 92 p. 93
Pleb.?
p. 96 p. 98
Pleb.
Pleb.
–
p. 97, n. 392
1. Lex Orchia: Voted in 182/1, the lex Orchia aimed at setting a cap on the number of dinner guests to be invited.8 Our only source, Macrobius, does not specify how many were allowed, but describes the provisions of the law as “verbose” (verba prolixa), which suggests that the law may have taken into account different circumstances. It is evident that the larger the party, the more effective the canvassing and socializing, and the more costly the event. The provision may have offered a welcome excuse to hosts who could hide behind the law to ignore some would-be guests without risking offending them. There was no guarantee, though, that the 7 8
After Rotondi 1912/1990: 98 f.; cf. Coudry 2004: 170 f. and 2012, 512 f.; disputed cases are shaded. Rotondi 1912/1966: 276, with references to Macr. Sat. 3,17,2–3; Fest., s. v. Percunctatum (280; 282L) and Obsonitavere (220–221L); Scholia in Ciceronis orationes Bobiensia (Pro Sestio 138) 141 Stangl = 107 Hildebrandt; Liv. 39,6 for the historical background. See Clemente 1981: 6. Transgressions of the law triggered Cato’s vociferous remarks in more than one of his speeches.
406
Jean-Jacques Aubert
expenditure would be significantly lowered since what was saved on the limited number of guests could be spent on the luxuriousness of the courses.9 2. Lex Fannia: Macrobius presents the lex Fannia of 161 as a response to this very shortcoming of the lex Orchia.10 Introduced by no less than a consul, it calls for a cap on spending for banquets, with a higher amount permitted for special occasions. Gellius even provides some kind of a tariff, the maximum cost of average meals being estimated at 10 bronze asses, with exceptions at 30 (ten days a month) and 100 (for major game days and for the Saturnalia). Admittedly, the point was to restrain gluttony and drunkenness, reported as a common problem among the citizen population at the time. Pliny the Elder (NH 10,50,71,139) adds that the law prohibited serving fowl meat other than regular chicken, to the exclusion of fattened hens. Athenaios (Deipn. 6,108 Kaibel = 274 Gulick) records the unlikely number of three guests (five on market days) as the maximum allowed for a party, implicitly recalling the concern of Roman authorities regarding the private gathering of people as it had been regulated by the Senatusconsultum de Bacchanalibus of 186. The same author mentions a spending cap of two and a half drachmae, assumedly per meal, and a yearly maximum of fifteen talents for smoked meat. He cites the example of some members of the stoic school of thought as abiding by the provisions of the law while evading it by fixing prices with their suppliers, who happened to be their dependents. Gellius (2,24,2 and 20,1,23) refers to a senatorial decree issued the same year 161, in anticipation of, and accessory to, the lex Fannia, whereby senators would have called for a spending cap of 120 asses for meals, vegetables, bread, and wine not included, with special prohibition of imported wine and restriction on the display of silverware. Altogether, the spending cap seems to concern luxury items only, which, from a senatorial point of view, made sense in that it imposed no restriction on the number of guests, but protected the host from the social pressure to lavish unusual food and drinks. Incidentally, the senatorial decree bore on the sole occasion of the Ludi Megalenses, and regulated an ancient custom whereby members of the elite invited each other. 3. Lex Didia: Eighteen years later, in 143, the provisions of the lex Fannia were extended to all Roman citizens established in Italy, who had conveniently felt that the distance separating them from the city of Rome had exempted them from the restrictions imposed on its inhabitants. Even though the wording of our only source, Macrobius, is somewhat ambiguous, there is no reason to see in the lex Didia a first attempt to impose Roman law onto Italian, i. e. non-citizen, people (Italici being opposed to soli urbani cives).11 In addition, penalties were inflicted not only upon hosts, but also upon guests and witnesses/bystanders as accessories to the crime. 4. Lex Aemilia: The lex Fannia of 161 had drawn attention to the nature of the food served at meals. The consul M. Aemilius Scaurus, a new man of modest means at the start of his career (Val. Max. 4,4,11; Plut. mor. 318c), passed a law, possibly 9 10 11
For the context, see Liv. 39,6,6–9, on the import of luxury from Asia through military channels, culminating with the development of extravagant banqueting. Clemente 1981: 6. Rotondi 1912/1966: 295, with references to Macr. Sat. 3.17.6; Clemente 1981: 6 f.
The Economic Aspects of Roman Sumptuary Legislation
407
in 115, regulating courses with regards to some items, such as (domestic?) martins (glires), shellfish, and exotic birds (Plin. NH 8,82,57,223).12 Gellius (2,24,12) remarks that cost was not a factor to be considered. Let us note, however, that the chronology is uncertain, the lex Aemilia being attributed by Macrobius to the consul of 78, and possibly matched with a – separate – censorial edict dealing with luxury and musical events (Cassiod. chron. a. 639). 5. Lex Licinia: A late second-century statute,13 mentioned by Lucilius by 103, mocked by Laevius, and praised by one Favonius/Favorinus in a speech excerpted by Gellius (15,8), amends the lex Fannia in that it introduces a new tariff category for weddings (allowing for up to 200 asses on such occasions), and seems to raise lower categories of banquets from 10 to 30 (on normal days) and from 30 to 100 (on special occasions). In addition, the quantity of meat and preserves (salsamenta) is restricted, while products of the land (terra, vitis, arbor) can be freely served and consumed. Even though – or because – the lex Licinia blunted the rigor of the lex Fannia – pace Macrobius – while reenacting its purpose, it became the target of an attempted repeal a few years later (possibly in 98 or 97) on the part of the tribune M. Duronius, who was subsequently removed from the senate by the censors for that matter. Paradoxically, Favonius/Favorinus’s comment suggests that the mitigating aspect of the lex Licinia was lost to later observers, who saw in it primarily a renewed attempt at curbing extravagance in the face of the obsolescence of previous legislation (Macr. Sat. 3,17,7–10). Macrobius’s questionable interpretation suggests that the 30-as limit – down from 100? – applied to kalends, nones, and market days (nundinae), thus raising the question about the ides and other religious and civic holidays. 6. Lex Cornelia: With the lex Licinia the series of so-called leges cibariae comes to an end. The sumptuary laws of the first century BCE, starting with the lex Cornelia of 81 BCE, belong to a slightly different category, even though Gellius presents Sulla’s proposal as a mere reenactment of previous legislation, with due tariff adjustment, possibly taking inflation and monetary reform into account, raising the limit to 300 sestertii (no longer asses!) for dinner parties held on days of the kalends, ides, and nones, on game days, and on some solemn occasions (feriis quibusdam sollemnibus), while the rate applied to normal days was set at 30 sestertii, again marking an increase due to the change of monetary denominations. The fact is that none of the statutes following the lex Fannia can be understood – as ancient authors would like us to believe – as a mere reminder of previous intention, since
12 13
Rotondi 1912/1966: 320. Plin. NH 8,127,51,209 and 36,1,2,4 may refer to the same law, with its prohibition of all kinds of pork innards. Rotondi 1912/1966: 327–328, cautiously dates the lex Licinia to ante 103, while Clemente 1981: 7, favors the early date of 140 and attributes it to P. Licinius Crassus Mucianus Dives. Sauerwein 1970, followed by Dauester 2003: 65, dates it to 134. Aste 1941, followed by Coudry 2004: 154, suggests 131. The main evidence is Gell. 2,24,7–10; 15,8 (citing a speech by Favorinus/Favonius); and 20,1,23 (there mentioned in combination with the lex Fannia in what is obviously a reverse chronological order); Fest., s. v. Centenariae (47L); and Macr. Sat. 3,17,7–10.
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each of them introduces a tariff adjustment.14 This detail may even suggest that to be effective, sumptuary legislation had to adapt to price increases, and the available evidence, distributed every other twenty years, reflects a reasonable pace for a steadily growing economy over the second century BCE.15 According to Macrobius citing Ateius Capito, a lex Iulia attributed to Augustus continued the trend with respective rates of 200, 300, and 1000 sestertii, for each of the above-mentioned categories, and by the reign of Augustus or Tiberius, the rate for the second category (i. e. for festival days) went up from 300 to 2000. Sulla’s approach seems to have been somewhat different. According to Macrobius, the dictator tried to discourage aristocratic competition relying on serving expensive food at dinner parties by imposing artificially low prices. The effect of such a policy is twofold: either the targeted commodities became economically accessible to more and more customers, thus decreasing their social appeal as an extravagance to be afforded exclusively by the very best, in which case the law aimed at reducing spending rather than influencing eating habits; or it disrupted the line of supply by reducing the profit margin of traders in such commodities, assuming that the open market could be controlled and provided that the black market, if there were such a thing in Antiquity, would not fill the vacuum. The risk was that what the open market would not be able to provide anymore would come at a much higher price from the black market. However, since consumption of such commodities made no sense, from a social and political point of view, without some level of conspicuousness and publicity, Sulla’s sumptuary law is likely to have been somewhat effective. It may have been part of a larger set of legislation regulating gambling, funerals (Plut. Sull. 35), and other forms of private spending.16 7. Lex Antia: A statute of 71–68 stipulated that Roman magistrates should stay away from private parties. This kind of statute is akin to a lex de ambitu, i. e. on canvassing.17 It is not clear whether new limits for amounts of money to be spent on meals were set or previous ones confirmed. Let us conclude with a few remarks. Roman sumptuary legislation, admittedly poorly recorded in Republican sources, is rather homogeneous in its aims and methods. What do we learn from what remains – or can be reconstructed – of these seven pieces of legislation, mostly in the views of later commentators, Gellius and Macrobius, about the economy, economic thinking, and economic policy of the Roman political elite? Here are some thoughts:
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This is rightly pointed out by Coudry 2004: 158 esp. n. 106. Cf. Rotondi 1912/1966: 354 f., with Plut. Sull. 35,4; Gell. 2,24,11; Macr. Sat. 3,17,11–12. Coudry 2004: 159 esp. n. 110, with a sensible caveat regarding the reliability of figures in the manuscript transmission and comparative prices during that period. Wyetzner 1995 and 2002; Lonardi 2007. The connection between leges sumptuariae and leges de ambitu is noted by Clemente 1981: 9 with regards to the near coincidence in time of the lex Orchia (182) and the lex Baebia (181) on the one hand, and of the lex Fannia (161) and a second lex de ambitu of 159. See also Cou dry 2012: 499.
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First and foremost – and this is no surprise – the leges sumptuariae reflect the growth of the Roman economy at a steady pace during the later Republican period.18 Growth means that surpluses become available and tend to be channeled into private advantage and betterment, mostly social and political, but also cultural and economic. Economic growth calls for investment opportunities, which were culturally and legally quite limited in forms in the late Republican period.19 Second, surpluses are not limited to agricultural products. Private wealth takes many forms (landed, rural and urban, property, animals, slaves, precious metals, jewelry, silverware, furniture and artifacts, collector’s items, ship, cash, etc.). Surprisingly, conspicuous consumption and its control through sumptuary legislation affect mostly food, especially meat and unusual, i. e. exotic/imported commodities, and, to a lesser extent, funerary practices.20 Clothing, jewelry, transportation, housing, as symbols of status and wealth, are only marginally evoked (e. g. in the lex Oppia of 215 BCE), if at all. This fact may be culturally rather than economically motivated, but food undoubtedly holds a special place in a society where most people go hungry for most of their lives and face a monotonous, unappealing diet on a daily basis.21 Third, the economy goes through the process of monetization. Not only caps are expressed in monetary units (asses, sestertii), but the wording of the laws somewhat reflects the evolution of the monetary system. Even though it is known that coinage was not evenly used and available, the value of things tended to be universally expressed in monetary terms. Fourth, the economy is expanding from a mostly local phenomenon to a global one. Imports other than booty are competing with local products and may be viewed as an unnecessary threat to the local economy. Local products, on the other hand, are linked with agriculture, an activity that met with approval across the social and political spectrum. It may not be anachronistic to see in Republican sumptuary legislation an early attempt to protect local economic production in the wake of Hellenistic and Roman globalization. Fifth, the level of wealth can be very high for some people, already in the late Republican period. Money is available, but forms of productive investments are not obvious, nor diverse, nor necessarily very profitable, not to say risk free.22 While aristocrats are encouraged to invest in landed property (hence the villa phenomenon), this kind of investment was not flexible enough to meet the short-term, sometimes unpredictable, financial needs of a political career. Cash lies around and may accumulate, ready to be spent on consumption when not immediately needed for other purposes. Hence comes a new understanding of Shatzman 1975: 97: “Sumptuary laws too witness to the rise in the standard of living.” Aubert 2010. Ampolo 1984; Engels 1998. Landolfi 1990: 51–73 (ch. 2: Il ‘luxus mensae’ ovvero i rischi di una mancata frugalità nel II sec. A. C.). Aubert 2010.
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what luxury means: something one does with the feeling that it may need to be reduced or renounced at will, sometimes with the help of sumptuary legislation. Sixth and last, the purchasing power of money fluctuates in times and places. It affects prices according to the law of supply and demand. By controlling either one or the other, Roman officials believed they could change or at least influence the social and economic behavior of those whose means were significant enough to matter.
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APPROPRIATING AND SHAPING RELIGIOUS PRACTICES IN THE ROMAN REPUBLIC Marlis Arnhold, Bonn / Jörg Rüpke, Erfurt SUMMARY The important role of religion for the functioning and stability of the Roman republic(s), in particular from the late fourth century onwards, has been stressed in recent scholarship. The possibilities of distinction and competition in the field of religious practices have been acknowledged, too. However, such differences are not accorded any relevancy for the history of republican religion. The colloquium dedicated to the prosopographer Friedrich Münzer offers the instigation to look more closely at a particular field of elite competition in religious matters, i. e. the foundation of temples. However, not the questions of competition and political strategies are in the focus, but the problem of religious change. 1. A STARTING POINT: P. LICINIUS P. F. P. N. CRASSUS DIVES When one of us started working on a project in 1990, which never came to become his habilitation thesis, as it took him fifteen years to finish it,1 Friedrich Münzer’s Römische Adelsparteien und Adelsfamilien were his standing companion in sketching the religious biographies of Roman republican priests. In many instances arguments being tainted by this reading survived later revisions and made it into the final publication. Wherever Römische Adelsparteien did not make it into the notes, Friedrich Münzer crept into the short biographies in the skin of Pauly-Wissowa’s biographical lemmata. At the same time another view on Friedrich Münzer developed, when work was done on a little book on Eduard Norden’s work on Roman religion, analyzing and editing some of Norden’s letters.2 Norden, likewise born in 1868 and of Jewish origins, unlike Münzer managed to emigrate to Zürich late in 1938, but he died in 1941, a broken man.3 Münzer died at Theresienstadt.4 But let us return to Münzer’s prosopographical research and Rüpke’s use of it. Publius Licinius Crassus Dives is a case in point.5 Born in the early 230s BC he 1 2 3 4 5
Rüpke 2005. Rüpke 1993. Cf. Kytzler u. a. 1994; Fitzgerald 1999; Rüpke 1994a and 1994b; Kytzler 1990; Pawliczek 2011; Schröder 1999. See the paper of Josef Wiesehöfer in this volume. Cf. Rüpke 2008: no. 2235; on him Münzer 1920: 182–191.
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was elected pontifex maximus in 212 being in his mid-twenties, soon after his co-optation as pontifex, which not necessarily antedates 216. He became curule aedile in the same year 212, was elected censor in 210 (for 209) and reached a consulate in 205. His long period of office as supreme pontiff was characterized by a number of conflicts and innovations, forcing priests into offices, consuls into repeating major sacrifices, trying to establish rules about the definition of the monetary value of a vow in advance or to force certain priests to stay within Italy. All these episodes are well-known. Münzer has interpreted most of them as conflicts over the space of legitimate political action of adversaries, usually defined by the fact, whether the office holders are patricians or plebeians like Licinius himself. Given the rules of office-holding and the importance of relationships within and between families, such an interpretation retains a high degree of plausibility. This is first of all a narrative plausibility. The construction of a rational agent, maximizing his (or her) profit – in terms of offices reached, wealth gained, even symbolic capital accumulated – within the rules of a society makes for a narrative, which is easy to follow and plausible judged by readers who themselves entertain a self-image of being such utility maximizers. Of course, such individual strategies might clash, resulting in a narrative of sufficient contingency to introduce affections and pathos into the plot. Religion has held a special place in such narratives throughout the twentieth century – and beyond. “Roman religion was national and civic, and its practice was a political issue since it concerned the entire community. Most religious activities were performed in public following stringent rules, and their main purpose was to maintain or to restore the peace of the gods (pax deorum).”6 The quotation is from a book, which appeared in 2011 and introduces a chapter on “Consuls and civic religion”. The language betrays its purposes. The Latin quotation introduces the exotic element: The actions of the observed are informed by a tenet, which we, the observers, do not share. However, it is rule-based, hence far from our own concept of religion as irrational belief, and as such as fully intelligible as national, civic, and political practice. As long as the gods do not interfere – and they are very, even exceedingly often reluctant to do so (which is fully consonant with our expectations about figures like bearded Jove or helmeted Mars) –, religious practices are a freely available resource for national, civic, and political action. They are, to quote from the index of Münzer’s Adelsparteien, “Leichenfeiern”, “Priesterstellen”, “Sibyllinische Sprüche”, “Tempelweihen”, and “Triumphe” apart from all the different priesthoods and “Vestalinnen, Prozesse der”. That is a wide field of rituals, but does not pay any attention to central religious concepts of the presence and activity of the most important religious signs, the gods, concepts of deus and numen, of religious identities or the role accorded to religion in society and individual lives. Within the approach chosen, there was no necessity to do so. This chapter’s claim is similarly limited, but follows the opposite direction. From the perspectives of History of religion and Archaeology the claim will be proffered that the approach sketched so far needs a supplement. We will start by some more general considera6
Pina Polo 2011: 21.
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tions (2). On the basis of some important temple foundations of the second century BCE it will be argued that architectural change implied and indicated religious change (3). The role of individual decision in such activities is argued for in the final paragraph (4). 2. DIMENSIONS OF ANCIENT RELIGION There is more to ancient religion than fixed rules,7 divine compliance, and a huge field of instrumentalised practices. For the period under consideration (but probably in many other instances, too) religion should be conceived of as a whole field of practices,8 ideas, and institutions. These phenomena are loosely held together by a logic of their own, a tradition, which articulates and solves much more problems than only answering to the question, how religious capital is acquired and how it is transformed into political power. This logic is not simply given as a predetermined logic sui generis, but it is shaped by repetition and variation, discourse of participants as well as, at least from the second century BCE onwards, intellectual reflection in the form of antiquarian literature.9 Many deities introduced during the middle and late republic, from gods embodying social values like concord or virtue10 to healing and tutelary gods like Asclepius and Isis, illustrate the wide range of religious concerns. Logic implies a set of related rules, and I am not fully satisfied by the term, thinking of the precarious nature and many contradictions of and within this “logic”. If social rules should be working, however feebly, they must be felt to be binding norms of behaviour. Whether tacit or explicit, such a set must defy obvious inconsistency. The age of Crassus Dives was facing new challenges to existing rules. Since the end of the First Punic War and the conceptual definition of provinciae, religious logic had to deal with the new problem of a not only contingent, but conceptual discrepancy. On the one hand holding some offices implied duties in the city of Rome or its surroundings (which have always proved to be open to temporary replacement or postponement). On the other hand the possibility had developed of holding an office formally excluding presence in the city. The solution was looked for in another complex of problems, that is, the claims of patricians to specific religious competences. Without ever spelling out a clear rationale, plebeians and patricians cooperated in defining only such religious offices as unsuitable for foreign services, which by default demanded a patrician officeholder. To find such a solution took about half a century, two generations, and included manifold shifts, a sequence of flamines losing their priesthoods on account of minimal ritual mistakes, 7 8 9 10
See for a fruitful application of the concept of rules Lundgreen 2011. For the primacy of practices see Scheid 2003 and 2005. E. g. Feeney 1998; Bendlin/Rüpke 2009; Rüpke 2012b. These were no ‘mere personifications’, but were fully integrated into a wide range of religious practices: Clark 2007, similarly for Greece: Stafford 2000.
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the office of rex sacrorum being opened to plebeians and closed again, the flamen Dialis being denied of provincial offices and gaining a seat in the senate, a pontifex maximus voluntarily opting for an Italic region as a consular area of office, in Latin: provincia.11 We suggest “shaping” and “appropriating” as a pair of verbs, which might help to conceptualize the interaction of individual and society, or better: the action of an agent in a society, the culture of which is formed by these very agents. Even past agents are present only by memories held and repeated, by institutions reproduced, by monuments kept and reinforced by the present’s agents. We have to clearly admit that such a formulation, which seems to be tinged by presentism, intentionally has a polemical ring for a society, which is permanently arguing on the basis of what its maiores have done – a group of people always left in a helpful, shadowy plural and mist.12 It is adequate in particular for a society, which is characterized by a huge realm of oral practices and permanent demographic change also among its elite. Obviously, “appropriation” is taken from Michel de Certeau’s reflections on every day practices, the “arts de faire”.13 This implies the reception as well as modification of religious norms and traditions. For religion, such a statement might seem surprising. Frequently, religion is judged to be graspable as collective phenomena only. For historical religions, individual practices are easily reduced to ephemeral “religiosity”. Thus, we feel it important to clarify the bidirectional relationship between the agent and tradition by adding a second verb, “shaping”, even if this notion would be implied in the concept of appropriation. Shaping points to the fact that religious institutions in a broad sense are not only continued or modified, but frequently developed in individual practice. 3. CHANGE A few examples of such change illustrate the general point developed so far. Analyses of the conflicts between priests and their diverse understanding of their roles and duties, to which we have referred in the beginning, have been offered elsewhere.14 The instances from the end of the third down to the first century BCE point to the shaping of rules on the patrician-plebeian distinction and on strategies of filling – and also emptying – of priesthoods. The successful or unsuccessful attempts at modifying rules of priestly behaviour or of priestly institutions can be seen within this framework as individual radicalizations of religious roles. A good example is P. Cornelius Scipio Africanus, a Salian priest, who refrained from military operations for the full month of March in Asia minor.15 Other recent studies
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Cf. Rüpke 2012a. Cf. WallaceHadrill 1997 and 2008. Certeau 2007; for the use in contemporary “historical anthropology” cf. Lüdtke 2009. Rüpke 1996, 2010 and 2012c. Pol. 21,13,7–14 (drawing on Herakleides of Byzantion); see Rüpke 2010.
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have dwelled on the history of specific rituals, notably the triumph16 or theatre festivals and the role of individuals in those processes.17 The long list of deities introduced into Rome from the end of the fourth century onwards is another important phenomenon. What is misleadingly called “Roman pantheon” is shaped on the basis of decisions made by generals in the field and reflecting individual and situational motifs rather than familial or public institutions. The result is, however, not a wide array of exotic divine figures, but in particular in the case of Roman generals a list of well known, even if individually stressed deities.18 These decisions are one of the main factors defining religious infrastructure and hence public as individual religious practice in the city of Rome. Livy’s and others’ evidence of temple dedications could be seriously enlarged by a view onto the archaeological evidence of sanctuaries which reveals to which extend prevailing social norms and legal regulations could be bent. Showing this is possible since the construction of a temple presented far more than an action out of piety or gratitude towards a god. Employing a particular shape, spatial conception, decoration and equipment for a sanctuary were means to communicate specific messages and express a personal attitude towards the cultural, social, and all the same political contemporary environment. The round temples erected in and around Late Republican Rome illustrate that little has been left to chance when it came to defining one’s position within the social sphere of those ruling and owning the urbs. For instance, during the later second century BCE, a round temple alluding to Greek architectural traditions has been built at the left bank of the Tiber River in Rome. Situated to the south of the Temple of Portunus and just outside the Republican city wall, the round temple lacked both a podium as well as a front which would have introduced central-italic elements into its composition. Instead, the superstructures of the building raised above a set of low steps running around the outer of two circular foundation walls which carried the columns and the cella of the temple building.19 The columns had been placed on attic bases composed out of two tori and a hollow scotia in between them. Corinthian capitals crowned the fluted column shafts and led over to the entablature of which only few fragments of the coffers, the architrave, and cornice have been preserved.20 Even though little can be said about the precise looks of the entablature and the original form of the roof,21 the remaining nineteen of once twenty columns still allow for a comprehensive visual idea of the architectures’ appearance in antiquity.22 Distributed with an intercolumniation of little more than one column’s diam16 17 18 19 20 21 22
Itgenshorst 2005; Östenberg 2009; and less convincing PelikanPittenger 2008. Manuwald 2011. Cf. Orlin 1997. Rakob/Heilmeyer 1973: 3; Bratengeier 2010: 14. Fragments of the antefix and shingles made out of Lunesian marble belong to the second phase of the temple. Cf. Rakob/Heilmeyer 1973: 10, 30. Bratengeier 2010: 21 f. Ten of these nineteen columns have been made out of Pentelian marble, whereas the other nine consist out of marble from the quarries in Luna which only have been exploited from the second half of the first century BCE onwards. The use of Lunesian marble for these columns indi-
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eter – Rakob and Heilmeyer state that the distance from one column to the next equalled the lower diameter of the attic bases23 –, the columns concealed the cella behind them like a curtain. Being each 10.41–10.44 metres24 high, they also possessed exceedingly slender proportions as they would not have appeared in the Eastern Mediterranean.25 Thus, the entrance to the cella and the two windows flanking it could not be seen from a distance and any sign of frontality was avoided. Whenever opened, the door and windows let fairly much daylight into the room, which must have served to illuminate the cult statue placed into its centre. The position of the latter is implied by two foundation walls traversing one another within the circular foundation wall of the cella. The weight of a large statue would have been best supported at the intersection of both walls, indicating its central position.26 But also the material used for those parts of the architectures visible from the outside presented a new feature in the context of the later second century BCE. The columns including their bases and capitals, the entire entablature as well as the outer shell of the cella wall had all been erected out of white Pentelian marble from Attica, whereas indigenous stones have been employed for the other parts of the round temple. Even though itself only a fairly new building material – not employed before the mid second century BCE –, Travertine has been used for the blocks of the inner mantle of the cella wall, whereas the foundation structures were made out of Grotta Oscura tufa which was well known throughout the Republican period and in use until the late second century BCE.27 The lack of any technically more advanced structures in opus incertum or opus caementicium as well as the employment of both Travertine and Pentelian marble place the round temple temporally into the second half of the second century BCE.28 A terminus post quem is available in Velleius Paterculus’ statement that
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cates a second building phase for which there is further evidence (in detail cf. Rakob/Heil meyer 1973: 7–9). Despite these later reconstruction works, the plan of the building, the number, and distribution of the columns have never been changed. The building thus kept its original appearances throughout Roman times. Rakob/Heilmeyer 1973: 6; Vitruv refers to the pycnostyle rhythm of an intercolumiation of 1,5 diameters as the smallest in his ideal conception of architectures (Vitr. 3,3,1–3). The measurements of the ten Pentelian columns including their capitals are given here. The Lunesian columns of the second building phase differ in height by approximately 16–20 cm. The large variances in height are due to the subsidence of the ground preceding and necessitating the second building phase. The height of the building, however, remained the same during all the building phases. Cf. Rakob/Heilmeyer 1973: 17; Bratengeier 2010: 16. The Vitruvian ideal of column proportions is 1:10, whereas we find here proportions of 1:11: Rakob/Heilmeyer 1973: 6, 18, 39. Bratengeier 2010: 23. Rakob/Heilmeyer 1973: 35. Rakob and Heilmeyer go so far as to narrow the date of the temple’s construction down to the years around 100 BCE, respectively the beginning of the first century BCE (Rakob/Heilmeyer 1973: 23–31, 38; based on the style of the corinthian capitals). In general, nothing speaks against this view and a construction in temporal vicinity to Temple B of the Area Sacra di Largo Argentina cannot be excluded. However, the lack of opus incertum (or even opus caementi-
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the Temple of Jupiter Stator was the first temple erected out of marble in Rome.29 It had been vowed in 146 BCE and was dedicated three years later. The use of marble in large scale for buildings during the later half of the second century must have engaged people’s attention, since the material did not just display a preference for Greek culture but above all the financial means to afford the high costs of the transport from the Eastern Mediterranean, here, the Greek mainland. Even though the identity of the dedicator of the Round Temple at the Tiber is disputed,30 the desire to visualize economical wealth by means of the building is evident. The decision for the round instead of a rectangular layout furthermore presents a conscious consideration about what kind of form would and could be appropriate for a temple building in general and this case in particular.31 Despite the fact that this temple is not the first of circular shape in Rome as it is antedated, for instance, by the Temple of Vesta on the Forum Romanum,32 it still stands out from most temple buildings known till then in the urbs. Particularly in light of its design, the lack of a podium and any signs of frontality as well as in regard to the execution of the capitals, many modern scholars referred to the building as an architectural stranger.33 However, the building cannot simply be labelled as “Greek”. Not only are the building materials employed in parts of central-italic origin. Also the details of the plan, ornaments, and the closer look at technical aspects show that the round temple may have been planned by a Greek architect, but was realized in larger parts by – presumably local – carvers unfamiliar with marble as a building material.34 The
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cium) has never been taken into account in the discussion of the date and opus incertum has in fact been employed heavily in the foundations of Temple B. Thus, in view of the sole use of blocs made of Grotta Oscura tufa for the foundations of the Round Temple at the Tiber, a slightly earlier date than the one of Temple B and thus a construction between approximately 140 and 100 BCE seems justified in my opinion. The recent observations of LaRocca concerning the Temple of Mars in circo, in particular to the rhythm of the columns and the material, Pentelian (and not Parian) marble, used for these, as well as his remark to the “pressoché coevo” Round Temple at the Tiber (LaRocca 2011: 11) appear interesting. They hint at the question of a possible attribution of both temple buildings to the same architect, Hermodoros, who is known to have constructed the Temple of Jupiter Stator (vowed in 146 BCE) and is also attested to have planned the Temple of Mars in circo (vowed in 133 BCE). Vell. 1,11,15. The temple itself has been identified convincingly as sanctuary of Hercules Victor ad porta trigeminam. As possible dedicators L. Mummius and M. Octavius Herennus/Hersennus have been discussed with preference for the latter: Coarelli 1988: 185 f. Compare Seiler’s similar remark concerning the introduction of the peripteral tholos and the last decades of the fifth century BCE: Seiler 1986: 151. Cf. Caprioli 2007. Among others: Rakob/Heilmeyer 1973: 38. This becomes particularly evident in the design of the lower ends of the column’s fluting. The oblique, circular disc which can be found at the end of each flute would make sense if tufa or Travertine would have been used that would have been covered with stucco. Here however marble was employed and the discs remained oddly visible. Another sign of lacking experience in the use of marble has been noted for the bracing of the blocs of the Cella walls. Cf. Rakob/ Heilmeyer 1973: 6, 12, 38.
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dedicator and builder of the round temple thus heavily alluded to the idea of a Greek architectural model, but employed proportions for the elevating structures that resemble best those of more or less contemporary peripteral tholoi in and around the city of Rome.35 The Round Temple at the Tiber in Rome thus belongs into the row of architectures which Eugenio LaRocca recently referred to as products of an experimental phase.36 The erection of two round temples followed shortly after the one at the Tiber. In both cases, however, marble played a less prominent role as building material, even though the revetment with marble plaques cannot be excluded. Whereas one of these round temples has been built in Tivoli during the early first century BCE and appears comparatively moderate in its design, the round temple known as Temple B of the Area Sacra di Largo Argentina presents a particularly unconventional composition which reminds of squaring a circle. The temple in Tivoli stood next to a rectangular podium temple on a specifically constructed platform which enlarged the acropolis of the small town in the vicinity of Rome. This position guaranteed the general visibility of the peripteral tholos from the surrounding hills and the valley of the Aniene River. What could be seen, was a round temple of Corinthian order elevated by a podium that was 2.39 metres high37 and which added a decisive central-italic element to the architectures. The eighteen fluted columns were set on attic bases and reached, including their Italic-Corinthian capitals, a height of 7.10 metres.38 The spaces in between them correspond to the double value of their lower diameters rendering the temple systyl according to the Vitruvian principles.39 In contrast to the composition of the Round Temple at the Tiber, an appearance of fairly slender proportions and light architectures, here, has been realized by means of a smaller number of columns and lower diameters of their shafts.40 If especially intended to be seen from a distance, this was perhaps the better solution for this context than the dense curtain of columns of the Round Temple at the Tiber which shielded the view at the cella wall more than it allowed for it. Creating the most slender proportioned building however was certainly not the intention of the builders. More probably, a certain idea associated with the form of the peripteral tholos was alluded to. For that it sufficed to imitate the building type without the achievement of entirely new architectural innovations. In view of the site of this round temple the major aim may have been the reference to a certainly well-known building type from the city of Rome and thus to the social environment of the urbs. With the Round Temple at the Tiber, the 35
36 37 38 39 40
The metrics of the elevating architectures have been addressed as Roman in: Rakob/Heil meyer 1973: 17, 39; Bratengeier 2010: 16. – For examples of tholoi with contemporary proportions in Rome and vicinity, see the cases of the round temple at Tivoli and the Largo Argentina-Temple B discussed below. LaRocca 2011: 11–17. Bratengeier 2010: 52. Bratengeier 2010: 53 f. Bratengeier 2010: 54. The Round Temple at the Tiber presented shaft diameters of c. 96 cm. The 20 columns stood on a stylobat with a diameter of 16.52 m: Bratengeier 2010: 14–16.
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temple in Tivoli certainly alluded to one of the most prominent architectures in Rome, even though it had been realized much more in sense of a central-italic interpretation as is apparent in the addition of a podium, the italic-Corinthian form of the capitals as well as the number of the columns and the flutes of the shaft counting both eighteen.41 The fragmented state of preservation of the dedicatory inscription on the architrave of the round temple in Tivoli does not allow for a precise identification of the cult or the dedicator of the building42. However, the use of opus caementicium in the podium and opus incertum for the construction of the cella walls indicate a date in the early first century BCE.43 If the temple building has been erected contemporaneously or a few years after Temple B of the Largo Argentina can only be assumed. Temple B, identified as Temple of Fortuna Huisce Diei which has been vowed in 101 BCE by Q. Lutatius Catulus, differs in many respects from the two examples described above. Its architectures can be referred to as extravagant since an entirely new architectural conception of a tholos has been created for the building. Elevated by a podium of 2.50 metres height,44 the round temple presented eighteen columns standing on attic bases with doubled scotia in between the two tori. The shafts were crowned with Corinthian capitals. Together with these, the columns reached a height of about eleven metres.45 Each of them presented a lower shaft diameter of 1.10 metres.46 The proportions of this building did not reach the slender looks of the Round Temple at the Tiber, which was also due to the smaller number of columns. But also here, the proportions were not the main focus of this temple’s builder as can be seen in the following. Access to the podium could be gained by means of a broad stairway placed in front of the east side of the building where it corresponded with an enlarged intercolumnium that gave way to the cella entrance47. Inside the cella, the cult statue had not been placed into a central position as was most likely the case for the Round Temple at the Tiber, but had here been moved to the side opposing the cella entrance.48 Parts of the colossal statue of Fortuna have been found next to the temple building where they had been deposited at a later period.49 They comprise the head, right arm and feet fragments of the cult image and consist of white marble, once having belonged to an acrolith image. The lost body parts as well as the attributes of the statue consisted of other materials such as bronze, which displayed not 41 42 43 44 45 46 47 48 49
Cf. Bratengeier 2010: 52–55. Bratengeier 2010: 62 f. Cf. Bratengeier 2010: 62 f., for a summary of the debate concerning the construction date. On the building techniques: Bratengeier 2010: 52, 57. Coarelli 1981: 19. Coarelli 1981: 18. Coarelli 1981: 18. Bratengeier 2010: 36. For the foundation of the cult base, cf. MarchettiLonghi 1956–1958: 51. MarchettiLonghi 1956–58: 66–69. – Rome, Centrale Montemartini: Inv. nos. MC 2779– 2782.
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only various artistic skills but also financial means.50 The pierced earlobes of the statue head alone indicate that the image had been adorned with real earrings which must have been of enormous size since the colossal head itself was already 1.46 m high.51 The total height of the statue, which presented the goddess standing, can be estimated with around eight metres52 and must have filled more or less the entire height of the cella. With its circular shape the room framed the colossal image of the goddess which must have been visible from the forecourt whenever the cella doors stood open.53 The enlarged intercolumnium in front of the cella entrance, the frontal stairway which created the impression of an actual pronaos as well as the forecourt of the building contributed to the mise-en-scène of the statue. Presenting Catulus’ Fortuna Huiusce Diei, it celebrated the dedicator’s personal luck on a particular past day and gave it a presence that hardly could have been surpassed.54 The architectures were entirely designed as framework for this image and the meaning attributed to it by means of the specific epithet. More than any of the other described round temples has Temple B of the Largo Argentina been composed to articulate the individuality, extravagant self-esteem, and aspiration of its dedicator. If the strong allusion to Greek marble architectures of the dedicator of the Round Temple at the Tiber had already been unheard of, the mise-en-scène of Catulus’ Fortuna Huiusce Diei was outrageously provocative. The temple at Tivoli appears comparatively moderate in contrast. The three buildings briefly described here, thus illustrate various possibilities to articulate differing intentions and display one’s own person and attitude. This must always have happened within the set norms, as the buildings after all have been realized. But particularly the last of the three outlined cases indicates that the range of possibilities of what was acceptable was expandable to a certain extend. The selected examples are not the only round temples known to have existed in and around Rome,55 but illustrate the options of the later second and early first century BCE. Developments as outlined in these three examples would easily fit into a narrative of a history of art. Surely, such building activities are first of all traditional artisanship, following and applying technical, architectural, and aesthetic norms. And yet, we are accustomed to conceive of art as being produced by individuals, wishing to experiment, to express themselves and impress others. In such a perspective, art is feeding on change. Religion is not usually seen in the same perspective. Religion, and Roman 50 51 52
53 54 55
Arnhold 2011: 81. Martin 1987: 108; Arnhold 2011: 81. Cf. Martin 1987: 108 for the estimated height. The goddess must have been depicted standing as the pose of the right arm and the fingers of the right hand reveal. The arm supported an elongated object, perhaps a scepter that lay on the upwards turned inner side and passed the crook to the right where a hole can be found near the crook. Arnhold 2011: 81. Arnhold 2011: 81. A second round temple in vicinity to the Ara Maxima Herculis in Rome existed to the north of the monumental altar and was destroyed under Sixtus IV. Furthermore a round temple was dedicated to Vesta at the Forum Romanum, another one to Hercules Musarum surrounded by the Augustan Porticus Philippi.
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religion in particular, is regarded as feeding on tradition and repetition from time immemorial. Such is not the evidence just cited. It is significant religious change, if people are encouraged to visit a god on account of unusual architecture. It is significant religious change, if the statue is not just a visual reminder of a divine proprietor, but offers an overwhelming presence, dwarfing its visitors or appearing in the middle of the interior in bright light. It is significant religious change, if religious architecture sticks out of ordinary building not by a crowd of figures on its roof or the height of a podium, but by the quality and colour of its surface. Churches becoming museums is taken as one of the major indication of contemporary processes of secularization.56 Altering the height of a podium is forcing a major change on ritual. As we all have learned, the choreography of ritual, the closeness or distance of certain groups of participants to central ritual acts, and the visibility of this participation is of central importance for the social function of this very ritual.57 A high podium of differing size defines very different groups of close participants and heightens their visibility, reducing further bystanders on the ground to mere spectators. A ritual system which – from an unknown point in time onwards – differentiated between Roman and Greek modes of sacrifice within its own practice (and without correct ethnological reference) must have been very sensible to Greek forms and materials of temples and statues like the chryselephantine Iuppiter of L. Catulus of the Sullan rebuilding of the Capitoline temple. A history of Roman republican religion is far more than a narrative of different types and instances of instrumentalising religion at Rome. 4. HOW TO NARRATE ROMAN RELIGION Appropriating technical and architectural standards and shaping social and religious norms as illustrated in temple buildings is not the only challenge in describing religious changes. Two further examples shall illustrate this, a longer and a shorter one. Both concern methodological problems of a history of religion in the Roman republic. Norms reflect expectations, but expectations can change. They did so already in antiquity. Livy narrates in 26,19,3–6 about Scipio Africanus maior: fuit enim Scipio non ueris tantum uirtutibus mirabilis, sed arte quoque quadam ab iuuenta in ostentationem earum compositus, (4) pleraque apud multitudinem aut per nocturnas uisa species aut uelut diuinitus mente monita agens, siue et ipse capti quadam superstitione animi, siue ut imperia consiliaque uelut sorte oraculi missa sine cunctatione exsequerentur. (5) ad hoc iam inde ab initio praeparans animos, ex quo togam uirilem sumpsit nullo die prius ullam publicam priuatamque rem egit quam in Capitolium iret ingressusque aedem consideret et plerumque solus in secreto ibi tempus tereret. (6) hic mos per omnem uitam seruatus seu consulto seu temere uolgatae opinioni fidem apud quosdam fecit stirpis eum diuinae uirum esse. “For Scipio was remarkable not only for his real abilities, but thanks to a certain skill also had from his youth adapted himself to their display, doing most of his actions before the public either as if they were prompted by visions in the night or inspired by the gods, whether because
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Cf. Bräunlein 2004; Bräunlein 2009. Cf. Rappaport 1999.
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Marlis Arnhold / Jörg Rüpke he also was possessed by a certain superstition (capti quadam superstition animi), or in order that men might carry out without hesitation his commands and advice, as though emanating from an oracular response. More than that, preparing men’s minds from the very beginning, from the time when he put on the manly gown, there was not a day on which he did any business public or private without going first to the Capitol, and after he had entered the temple, sitting down and usually passing the time there alone in seclusion. This custom, which he maintained throughout his lifetime, confirmed in some men the belief, whether deliberately circulated or by chance, that he was a man of divine race” (trans. F. Gardner Moore).
Livy’s narrative betrays a sceptical distance, but leaves open the possibility of a genuine belief. A generation later, Valerius Maximus quotes the example again. Unfortunately, instead of his wording we only read later excerpts. Iulius Paris, less critical of ancient religion, reports in a factual tone: Scipio Africanus non ante ad negotio private vel publica ibat quam in cella Iovis Capitolini moratus fuisset, et ideo Iove genitus credebatur. “Scipio Africanus did not go to any private or public business before he had spent a time in the innermost chamber of Iuppiter Capitolinus, and thus he was believed to have been fathered by Iuppiter” (Val. Max. 1,2,2).
What is important, however, is the place in the composition. The anecdote is placed in the second chapter later entitled De simulata religione, which is introduced by Numa’s supposed talks with the goddess Aegeria (Val. Max.1,2,1). Thus, the contents of the following narratives are introduced under the notion of dubious religious pretensions, followed by a chapter on persons and groups who had crossed the threshold to illegitimate superstition (1,3). In Valerius’ view of Republican religion, adherence to strict rules is the basis characteristic of the period and its exemplary protagonists: Non mirum igitur, si pro eo imperio augendo custodiendoque pertinax deorum indulgentia semper excubuit, quo tam scrupulosa cura paruula quoque momenta religionis examinari uidentur, quia numquam remotos ab exactissimo cultu caerimoniarum oculos habuisse nostra ciuitas existimanda est. “It is not surprising that the gods have constantly watched over us, and have had the kindness to protect and expand our empire, since we seem to pay careful attention to the tiniest details of religious observance. It must not be imagined that our state ever allowed its eyes to wander from the strictest observance of religious ceremonies” (Val. Max. 1,1,8; trans. H. J. Walker).
With pleasure, however, Valerius points to Valerius Flaccus, one of the priests supposedly forced into service by P. Licinius Crassus Dives. He is reported as a case of conversion. In the book De mutatione morum aut fortunae (Val. Max. 6,9,3) he is praised for being postea modestiae et sanctitatis specimen, a model of modesty and sanctity. Again, Livy is consonant, trying to stop less positive evaluations of the change in a careful logical connection instead of mere juxtaposition of this to a second action of Flaccus: is ut animum eius cura sacrorum et caerimoniarum cepit, ita repente exuit antiquos mores ut nemo tota iuuentute haberetur prior nec probatior primoribus patrum, suis pariter alienisque, esset. (7) huius famae consensu elatus ad iustam fiduciam sui rem intermissam per multos annos ob indignitatem flaminum priorum repetiuit, ut in senatum introiret.
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“As soon as the charge of rites and ceremonies took possession of his mind, Gaius so suddenly put off his old character that no one among all the young men stood higher in the estimation and approval of the leading senators, both of his own family and of strangers alike. By the unanimity of this good report he was raised to a well-founded self-confidence, and claimed what had been in abeyance for many years owing to the unworthiness of former flamens, namely, that he should be admitted to the senate …” (Liv. 27,8,6–7; trans. F. Gardner Moore).
It is not political ambitions, but religious practices, that are held responsible. It is cura sacrorum rather than superstitio. And yet, it is the example of Scipio, which is being followed, by politicians like Marius, who opted for a German seer, or, as we learn from Seneca, by ordinary men. Shaping practices is not equivalent to determining tradition. But there is a second element, we would like to stress. Francesco Pina Polo, on whose definition of Roman religion we started, lists religious duties of consuls for a whole chapter. These duties appear as time consuming, hindering, and frequently uncomfortably placed in space and time.58 Religion is demanding and expensive. In a systemic view, this might be the price for its authority in other instances, national, civic, political. The reference to the gods, the ritual and financial expenditure to guarantee their support of the Roman people, that is, the pax deum implored in so many instances, renders such authority plausible. Much, and much successful work on the elite’s dealing with religion in the late Roman republic has been based on such a basis, the older and more recent prosopographical works cited in the beginning comprised. For an explanation of the variations described above, this is hardly sufficient. In a cognitive or better, to avoid misunderstandings, intellectual view, the belief level of Roman religion might simply have comprised much more than the single tenet of keeping the pax deum for the benefit of the community. But what? We do not offer a solution to this question, but an appeal to give a place to that kind of questions in our research on the Roman republic. BIBLIOGRAPHY Arnhold, M. 2011: Akteure des Wandels. Das Beispiel der sog. Area Sacra des Largo Argentina in Rom, Archäologische Informationen 34,1, 77–85. Bendlin, A. / Rüpke, J. (Hgg.) 2009: Römische Religion im historischen Wandel. Diskursentwicklung von Plautus bis Ovid, Stuttgart. Bratengeier, A. 2010: Die peripterale Tholos in der Geschichte der römischen Architektur, Hamburg. Bräunlein, P. (Hg.) 2004: Religion und Museum: zur visuellen Repräsentation von Religion/en im öffentlichen Raum, Kultur- und Museumsmanagement, Bielefeld. – 2009: Ikonische Repräsentation von Religion, in: H. G. Kippenberg / J. Rüpke / K. v. Stuckrad (Hgg.), Europäische Religionsgeschichte. Ein mehrfacher Pluralismus, Bd. II, Göttingen, 774–777. Caprioli, F. 2007: Vestae aeterna. L’Aedes Vestae e la sua decorazione architettonica, Rom. Certeau, M. de 2007: Arts de faire, Paris. Clark, A. J. 2007: Divine Qualities. Cult and Community in Republican Rome, Oxford. Coarelli, F. 1981: L’Area Sacra di Largo Argentina, Rom. – 1988: Il Foro Boario. Dalle origini alla fine della Repubblica, Rom. 58
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BRÜDER – RITTER – EPIKUREER Lucius und Appius Saufeius aus Praeneste in Latium, Rom und Athen* Matthias Haake, Münster „Und alle erkannten, daß dem Josef als Denkmal sein Werk bestimmt war und kein anderes.“ L. Feuchtwanger, Der Tag wird kommen, Stockholm 1945, 413. „Daß es im damaligen (sc. ciceronianischen) Rom außerhalb der führenden Kreise Leute gab, die in der Stille einen Kultus der Philosophie trieben, steht außer Zweifel; aber wir hören wenig von ihnen.“1
Philosophie in Rom und römische Philosophen – den Namen Friedrich Münzers wird man für gewöhnlich mit dieser Thematik nicht unbedingt in Verbindung bringen. Und grundsätzlich muss man trotz Münzers weitgespannter Interessen konstatieren, dass dies durchaus nicht ganz zu Unrecht geschieht. Dennoch gilt es hier ein zwar überraschendes, jedoch berechtigtes aber anzubringen. Es ist nämlich das Verdienst Münzers, vor ziemlich genau einhundert Jahren für einen bis dato nur wenig beachteten und weitestgehend gesichtslosen römischen Epikureer ein deutliches Profil herausgearbeitet zu haben:2 für den aus Praeneste stammenden, dem Ritterstand angehörenden Lucius Saufeius, der in Ciceros Korrespondenz mit Atticus sowie in Cornelius Nepos’ Atticus-Vita belegt ist3 und von dessen literarischer *
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Für Hinweise und Kritik weiß ich mich Nathan Gilbert (Durham) und Pierre Vesperini (Porto) zu Dank verpflichtet. Ersterem gilt darüber hinaus mein sehr herzlicher Dank für seine großzügige Bereitschaft, mir sein noch unveröffentlichtes Manuskript zu L. Saufeius (Gilbert i. Dr.) zur Lektüre und Verwendung zu überlassen. Maschek 2016 erschien zu spät, um in die vorliegenden Überlegungen einfließen zu können. Alle Daten sind, sofern nicht anders angegeben, v. Chr. zu verstehen. Vgl. Kroll 1933: 201. Münzer 1914 (= 2012b) – es war diese Miszelle, die vor mehr als anderthalb Jahrzehnten mein Interesse an der Person Friedrich Münzers weckte; vgl. auch Münzer 1921c. Die Annahme ist berechtigt, dass Münzer seine 1914 publizierte Miszelle im Rahmen seiner Arbeiten zum RE-Artikel zu L. Saufeius (Münzer 1921c) verfasste – sie wäre somit ein beredtes Zeugnis seiner ebenso sorgsamen wie oftmals allzu wenig beachteten, weit über rein prosopographische Fragestellungen hinausreichenden Interessen; vgl. in diesem Zusammenhang Haake/ Harders 2012: IX. Cic. Att. 1,3,1 (= 8,1 SB); 2,8,1 (= 28,1 SB); 4,6,1 (= 83,1 SB); 6,1,10 (= 115,10 SB); 6,9,4 (= 123,4 SB); 7,1,1 (= 124,1 SB); 7,2,4 (= 125,4 SB); 14,18,4 (= 373,4 SB); 15,4,2–3 (= 381,2–3 SB); 16,3,2 (= 413,2 SB) (nach Shackleton Bailey 1995: 87 s. v. Saufeius, L.); Nep. Att. 12,3.
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Tätigkeit sich ein Zeugnis im Servius-Kommentar zur Aeneis Vergils überliefert findet.4 Doch ist dieser epikureische Ritter nicht allein durch literarische Zeugnisse greifbar: Dreieinhalb Jahrzehnte nach dem Erscheinen von Münzers Miszelle war es Antony E. Raubitschek, der in Folge seiner epigraphischen Forschungen ein seinerzeit bereits in Teilen seit gut einem Jahrhundert bekanntes, nur fragmentarisch erhaltenes Monument von der Athener Akropolis überzeugend mit dem Epikureer in Verbindung zu bringen vermochte, wodurch das Profil des L. Saufeius eine weitere Schärfung erfuhr.5 Durch den Namen von Lucius’ Vater, der in der Inschrift dieses Monumentes angegeben ist, war Raubitschek darüber hinaus in der Lage, ein damals schon lange bekanntes epigraphisches Zeugnis aus Tusculum mit dem aus Praeneste stammenden ritterlichen Epikureer in Verbindung zu setzen.6 Obschon die Zahl der Quellen zu ‚unserem Saufeius‘7 zweifellos überschaubar ist, sind er und auch der im Schatten seines Bruders stehende Appius,8 obzwar in jeder Hinsicht nur ‚minor players‘, nichts desto trotz oder vielleicht gerade auch deshalb vielleicht ein ebenso lohnender wie angemessener Gegenstand für einen kleinen Beitrag zu Ehren von Friedrich Münzer. I. LUCIUS NOSTER9 UND SEIN BRUDER APPIUS – EINE PROSOPOGRAPHISCH-BIOGRAPHISCHE SKIZZE L. Saufeius, Sohn des Appius und der Caelia, wurde um das Jahr 110 geboren und starb nach 43. Er entstammte einer der führenden Familien der Oberschicht von Praeneste, der gens Saufeia, und gehörte dem ordo equester an.10 Die Saufeii, die in 4 5
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Serv. Aen. 1,6; s. auch HRR II, p. 8 (Saufeius frg. 1) Peter. Vgl. zudem FRHist I, 647 (A. Drummond). Vgl. Raubitschek 1949: 99–101 (= 1991: 340–342) zu IG II2 3897 (editiones priores: K. S. Pittakes, Ephemeris Archaiologike 1856: 1409 Nr. 2841 [nur frg. a + d]; LBW 62–66 [nicht zusammengefügt]; IG III 796–798 [frg. a–e]); s. auch J. u. L. Robert, BE 1950, 77. Zu dieser Inschrift s. auch unten S. 436 f. Bereits Hatzfeld 1919: 75 Anm. 6 hatte sich in gleicher Weise wie Raubitschek, jedoch nur wenig sichtbar und in aller Kürze, geäußert, so dass seine Vermutung in der Forschung keine angemessene Berücksichtigung fand. Vgl. Raubistchek 1949: 100 f. (= 1991: 341) zu CIL XIV 2624; s. auch unten S. 433. Nach Cic. Att. 6,9,4 (= 123,4 SB): nostrum Saufeium. Zu Cic. Att. 6,9 s. McConnell 2014: 150–156. Er ist allein bezeugt in Cic. Att. 6,1,10 (= 115,10 SB) (nach Shackleton Bailey 1995: 87 s. v. Saufeius, Ap.); s. dazu unten S. 434 mit Anm. 31. So Cic. Att. 7,2,4 (= 125,4 SB). Vgl. Münzer 1921c; Badian 1970–71: 374; Nicolet 1974: 1012 f. Nr. 313; Hinard 1985: 515 Nr. 117; Castner 1988: 64–67; Wikander 1989: 206 Nr. 19; Coarelli 1992: 264–267; Benferhat 2005: 169 f.; Follet 2016b. Zur Familie der Saufeii, für die in den letzten Jahrzehnten neue Mitglieder bekannt geworden sind (Granino Cecere 1989: bes. 145–148 [= AE 1989, 133]; Gatti 1996 [= AE 1996, 329a]), s. Münzer 1921a; Syme 1964: 121 (= 1979: 600); Wiseman 1971: 187; 259; Wikander 1989: bes. 208–211; CébeillacGervasoni 1998: 63 f., 166, 246; CébeillacGervasoni 2008a: 600, 604 sowie ausführlich Ellero 2007 u. 2010: 111–138; vgl. auch Gilbert (i. Dr.), Kap. 1. Als „the leading family of Late Republican Praeneste (i. e., vor 82)“ bezeichnet Wikander 1989: 209 die Saufeii; s. auch Rosenberg
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der modernen Forschung verschiedentlich als marianische ‚Parteigänger‘ eingeschätzt werden,11 als Familie von negotiatores zu bezeichnen, geht sicher nicht fehl.12 Trotz der einschneidenden Veränderungen, die Praeneste im Zusammenhang mit den Geschehnissen des Jahres 82 in demographischer, rechtlicher, politischer, urbanistischer, sozialer und kultureller Hinsicht widerfuhren,13 gelang es den Saufeii allem Anschein nach – ebenso wie einigen wenigen weiteren Familien der alten Oberschicht –, ihre führende Position in die neue Zeit hinein zu retten.14 Nicht von der Hand zu weisen ist die Annahme, dass sie vielleicht zu der kleinen Gruppe derjenigen gehörten, die – folgt man Appian – Sulla nach der Kapitulation Praenestes von der Massakrierung der Praenestiner ausnahm, da sie ihm auf irgendeine Weise nützlich gewesen waren.15 Womöglich sind die Saufeii auch zu denjenigen ‚happy few‘ (pauci) zu zählen, die Cicero in seiner Rede De lege agraria im Jahre 63 als die Besitzer des ager Praenestinum erwähnt.16 Wie dem im Einzelnen letztlich auch sein mag: Die Saufeii scheinen jedenfalls Praenestes ‚sacco di Sulla‘ verhält-
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1916: 119–121. Zu senatorischen Mitgliedern dieser gens vgl. Licordari 1982: 39 f. Ein inschriftliches Zeugnis für Saufeii aus dem 1. Jh. n. Chr. hat Panciera 1970: 134 f. (= 2006: 155 f.) (= AE 1971, 43) veröffentlicht: Es handelt sich dabei um einen Grabstein, in dem namentlich drei männliche (aurifi[ces de] Sacra vi[a]) und zwei weibliche Saufeii bezeugt sind, bei denen es sich wohl um Freigelassene handelt; s. dazu auch Papi 2002: 55. Zur Familie der Mutter ‚unserer‘ Saufeii, die der Linie der Publii Caelii der gens Caelia in Tusculum entstammte, vgl. Gorostidi Pi 2003. So etwa beispielsweise die allerdings keineswegs unproblematische Sichtweise von Zevi 1996: 243. Vgl. etwa u. a. Wikander 1989: 205; Nonnis 1999: 76–80, 97; s. ferner auch Solin 1983: 112 f. Vgl. dazu den ausgewogenen und resümierenden Überblick von Santangelo 2007: 137–145 mit Verweisen auf die entsprechenden Forschungsresultate, die zum Teil sehr kontrovers diskutiert werden; s. auch WallaceHadrill 2008: 106–116. S. Panciera 1970: 135 (= 2006: 156): „La gens Saufeia, originaria forse di Praeneste, dove fu tra le famiglie più influenti prima e dopo la deduzione della colonia sillana, …“ Vgl. in diesem Zusammenhang trotz der grundsätzlich nicht unberechtigten Kritik von Clauss 1977: 132 f. die Ausführungen von Degrassi 1969: 116 (= 1971: 7), der dabei Überlegungen von H. Des sau, CIL XIV, bes. p. 289 weiterführt. Vgl. aber auch Heintze 1956: 538 sowie insbesondere Harvey 1975: 43; s. zudem Kolbe 1968: 175. Die Ausführungen von Van Deman Magoffin 1908: bes. 99 f. müssen als überholt angesehen werden. App. civ. 1,94,437–438, bes. 437: Καὶ τοὺς ἐν Πραινεστῷ προσέταξε χωρὶς ὅπλων προελθεῖν ἅπαντας ἐς τὸ πεδίον καὶ προελθόντων τοὺς μὲν ἑαυτῷ τι χρησίμους γενομένους, ὀλίγους πάμπαν, ἐξείλετο, τοὺς δὲ λοιποὺς ἐκέλευσεν ἐς τρία ἀπ’ ἀλλήλων διαστῆναι, Ῥωμαίους τε καὶ Σαυνίτας καὶ Πραινεστίους. – „Alle sonstigen Gefangenen in Praeneste hieß er unbewaffnet auf die Ebene herauskommen, dann wählte er unter ihnen ganz wenige aus, die ihm nützlich gewesen waren, und befahl dem Rest, sich in drei Gruppen gesondert aufzustellen, Römer, Samniten und Praenestiner.“ (Übers. O. Veh). – Es sei an dieser Stelle dahingestellt, worin ihr Nutzen für Sulla bestanden haben mag. Vgl. auch CébeillacGervasoni 2008b: 56 Anm. 74. Verwiesen sei hier, trotz anderer Stoßrichtung, auf die Ausführungen von M. Jung in diesem Band: S. 318 f.; s. auch die Zusammenstellung der Quellenbelege bei Kendall 2013: 636 f. mit Anm. 1. Cic. leg. agr. 2,28,78. S. dazu Harvey 1975: bes. 52–56; Coarelli 1992: 267; Santangelo 2007: 145.
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nismäßig unbeschadet überstanden und ihren Platz auch in der neuen Elite der sullanischen Kolonie gefunden zu haben – ganz so, wie es der Familie allem Anschein nach überhaupt gelang, die Wirren der ausgehenden Republik weitestgehend doch recht schadlos zu überdauern. Gesicherte Einzelheiten über das Leben des L. Saufeius sind kaum bekannt, was auch daran liegen mag, dass er allem Anschein nach am politischen Geschehen seiner Zeit nicht aktiv, insbesondere im Sinne einer Ämterlaufbahn, partizipiert hat.17 Inwiefern diese politische Abstinenz durch sein Epikureertum bedingt war, ist trotz entsprechender Aussagen Ciceros in seinen Briefen an Atticus18 und eines weitgehenden diesbezüglichen Konsenses in der modernen Forschungsliteratur keineswegs mit Sicherheit zu sagen,19 sondern zumindest mit einer gewissen Skepsis zu sehen. Ohne hier eine Klärung anstreben zu können: Zumindest sollte in Erwägung gezogen werden, ob das Fernbleiben ‚unseres‘ Saufeius von politischen Ämtern in Rom nicht auch in einem Zusammenhang mit den Nachwirkungen der Geschehnisse des Jahres 82 zu sehen ist, in deren Folge Sulla beispielsweise Familienangehörige seiner Gegner vom stadtrömischen politischen Leben langfristig auszuschließen versuchte.20 Wann und wo L. Saufeius mit der Lehre Epikurs in Kontakt kam, lässt sich nur vermuten. Möglich ist, dass dies um das Jahr 90 geschah, als sich der Epikureer Phaidros für einige Zeit in Rom aufhielt, wo seinerzeit auch Cicero und Atticus, die sich in den späten 90er Jahren im Rahmen der Rechtsberatungen des Q. Mucius Scaevola kennengelernt hatten,21 mit dem athenischen Philosophen Bekanntschaft machten.22 Später weilte L. Saufeius mindestens einmal über einen länge17
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Vgl. etwa Wikander 1989: 206: „… uninterested in politics …“; Benferhat 2005: 169: „… et se tint à l’écart de la vie politique“; s. auch Taylor 1969: 473. Allein Momigliano 1941: 152 (= 1960: 379 f.) hat in dieser Hinsicht Zweifel geäußert: „The eques L. Saufeius is generally described as a man outside politics …, who was caught by chance in the proscriptions and escaped, thanks to Atticus. Exile in Athens and proscriptions give some ground for suspicion. … I much doubt whether this man was absorbed in the intermundia, as current opinion suggests.“ Auch wenn ich für Momiglianos Position grundsätzlich große Sympathien hege, so lässt sich seine Position doch schwerlich erhärten und muß daher hypothetisch bleiben. Vgl. insbes. Cic. Att. 4,6,1 (= 83,1 SB). Exemplarisch verwiesen sei auf Münzer 1921c: 256 f.: „… theoretischer und praktischer Bekenner Epikureischer Lehren (…) sein Epikureertum, besonders (…) sein Fernbleiben von allen politischen Angelegenheiten.“ Vgl. die Ausführungen von Hinard 2008: 107–120 bezüglich einer lex Cornelia de hostibus rei publicae (oder de hostibus publicis). Vgl. Steel 2013: 2; s. auch Gelzer 2014: 8 f. Zu Q. Mucius Scaevola (Augur) s. Münzer 1933a. So mit guten Gründen Ferrary 2014: 609 Anm. 75; s. auch Ferrary 2007: 41. Akzeptiert hat diese Annahme Follet 2016b; s. auch bereits Philippson 1938: 1557. Dagegen ist Badian 1976: 114 mit 126 Anm. 44 wie auch Rawson 1985b: 6 der Ansicht, dass Phaidros zu jener Zeit nicht in Rom, sondern in Athen weilte und Cicero ihn erst während seines Athenaufenthaltes persönlich kennenlernte. Nicht in gleicher Weise wahrscheinlich, jedoch nicht mit Sicherheit auszuschließen ist, dass Cicero und Atticus die Saufeius-Brüder erst 79 in Athen kennenlernten, als die beiden ersteren sich nachgewiesenermaßen über einen längeren Zeitraum in Athen aufhielten und u. a. auch mit Phaidros verkehrten; zu Ciceros Aufenthalt in Athen s. Drumann/
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ren Zeitraum hinweg in Athen, ohne damit der erste Saufeier gewesen zu sein, der in Griechenland nachweisbar ist;23 dass er Zeit seines Lebens zumindest ein weiteres Mal in jener Stadt war, steht außer Zweifel.24 Vom Athener demos wurde er zu einem nicht sicher bestimmbaren Zeitpunkt aus unbekannten Gründen geehrt.25 Wegen seiner umfangreichen Besitzungen in Italien fand er sich 43 – so Cornelius Nepos – zunächst auf der Proskriptionsliste der Triumvirn wieder. Seine Rettung verdankte er Atticus,26 mit dem ihn, ebenso wie mit Cicero, eine Freundschaft verband, die womöglich aus ihren gemeinsamen Studientagen bei Phaidros herrührte.27 Zeitlich nicht verorten lässt sich, wann seine Mutter Caelia ihrer Heimatgemeinde Tusculum eine Statue ihres Sohnes stiftete; auch über den Anlass ist nichts bekannt.28 Gestorben ist L. Saufeius zu einem unbekannten Zeitpunkt nach 43; die Rettung von der Proskriptionsliste ist das letzte bekannte Detail im Leben des epikureischen Ritters aus Praeneste.29
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Groebe 1919: 260–263; Daly 1950: 46; Gelzer 2014: 24 f.; vgl. auch Malaspina 2004: 59. Zu Phaidros s. Erler 1994: 273; Dorandi 2012; vgl. außerdem Sbordone 1968. Vgl. dazu etwa Hatzfeld 1912: 74 f.; Münzer 1921a; Wikander 1989: 211 f. Verwiesen sei auf den in Z. 2 u. 10 der Bilingue CIL I2 2236 = ILS 9237 = ILLRP 760 = I.Delos 1754 belegten Q. Saufeius P. f. Trebianus ([letztes Viertel des 2. Jh.s]; Wikander 1989: 207 Nr. 36; Bas lez 2002: 64 Anm. 63) sowie auf A. Saufeius (Wikander 1989: 206 Nr. 7), der durch seinen Freigelassenen G. Saufeius Zenodoros in I.Delos 1755, Z. 8–9 (ca. 100) und den Grabstein seines Sklaven Kallikles (CIL I2 3438 = EAD XXX 243 [frühes 1. Jh.]) bezeugt ist. Nep. Att. 12,3; vgl. dazu etwa Benferhat 2005: 169 Amn. 389; Follet 2016b. 43 hielt sich L. Saufeius seit mehreren Jahren in Athen auf: Nep. Att. 12,3; auch im Oktober 50 ist er in Athen, jedoch im Begriff abzureisen: Cic. Att. 6,9,4 (= 123,4 SB); s. auch Cic. Att. 7,1,1 (= 123,1 SB). Vgl. dazu unten S. 436–438. Nep. Att. 12,3. Vgl. in diesem Zusammenhang Hinard 1985: 287 Nr. 117, 316 Anm. 105 – hier wird L. Saufeius zurückhaltend-vorsichtig als Pompeianer aufgelistet ist. Grundsätzlich zu litterati, die auf Seiten des Pompeius standen, vgl. den allerdings nicht in jeder Hinsicht unproblematischen Beitrag von Della Corte 1990. Dass „les Saufei … étaient très liés à Cicéron“, hat Hinard 1985: 515 hervorgehoben; s. auch Gruen 1995: 343 f. mit den nur partiell überzeugenden Bemerkungen von Crawford 1984: 219 f. mit Anm. 4. CIL XIV 2624; s. auch Suppl. It. – Latium vetus 1, 353A. Vgl. zu dieser Inschrift Raubitschek 1949: 100 f. (= 1991: 340 f.). Zur Herkunft der Inschrift s. Dessau in CIL XIV, p. 262; Wikan der 1989: 206 Anm. 6; Ellero 2010: 122 Anm. 503. Ein exemplum novicium dieser Inschrift befindet sich im Museo Nazionale di Napoli: Mommsen, IRN 986* = ILMN I, 631 (mit Abb. Nr. 631 auf S. 395); s. auch Suppl. It. – Latium vetus 1, 353B. Zu CIL XIV 2624 vgl. die scheinbar in Unkenntnis der Identität von L. Saufeius gemachten Ausführungen von Gorostidi Pi 2003: 102–104, bes. 103 f.: „La intención de Caelia al donar a Tusculum una estatua del hijo habido con un prenestino puede interpretarse como un modo de resaltar la vinculación entre ambas ciudades representada en su propia persona, una Caelia madre y esposa de Saufeii, y no sería muy desatinado ver en el tal L. Saufeius un personaje notable en la administración de Praeneste.“ Vgl. auch Gorostidi Pi/Marchioni 2002: 191. Ob die in I.Magnesia 145 (s. Tuchelt 1979: 176 Magnesia a. M.03 [1. Jh.]; dazu wohl zugehörig: I.Magnesia 147b; s. Pinkwart 1973: 150 f. Nr. 2; Tuchelt 1979: 177 Magnesia a. M.03–1) geehrte Sopheia, Tochter des L. Sopheios und Ehefrau des anthypatos L. Valerius L. f. Flaccus (Wikander 1989: 208 Nr. 45), eine Tochter ‚unseres Saufeius‘ ist, ist durchaus möglich, jedoch nicht sicher; s. Nicolet 1974: 1013 Anm. 8; Hayne 1979: 231 f. Anm. 41; Wikander
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Weit weniger noch als über L. Saufeius ist über seinen Bruder Appius bekannt:30 Geboren zu einem unbekannten Zeitpunkt, starb er 51 und vermachte seinem Bruder nicht nur seinen Besitz, sondern auch seine Zuneigung, amor, zu Cicero.31 Diese Verbundenheit hatte sich vielfach, jedoch insbesondere im Zusammenhang mit dem Prozess gegen T. Munatius Plancus Bursa zu Ende des Jahres 52 oder zu Beginn des Jahres 51 manifestiert;32 einen politischen Hintergrund sollte man hier keineswegs zur Gänze ausschließen. Wie sein Bruder, so hielt sich auch Appius in Athen auf und wurde dort seitens des athenischen demos aus unbekannten Gründen zu einem nicht sicher bestimmbaren Zeitpunkt geehrt.33 Und wie sein Bruder, so war auch er, so darf man annehmen, der epikureischen Philosophie
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1989: 211. Bei diesem L. Valerius L. f. Flaccus handelt es sich nicht um den cos. suff. 86 (Ba dian 1990: 390), wie dies etwa von Münzer 1955b: 27 f. und ihm folgend Hayne 1978: 231 f. Anm. 41 noch in Unkenntnis von dessen nunmehr gesicherten Vatersnamen angenommen werden konnte, noch, wie Coarelli 1982: 438–440 vorgeschlagen hat, um L. Valerius L. f. L. n. Flaccus, den cos. 100 (Münzer 1955a; Badian 1990: 387), sondern um den Statthalter der Provinz Asia für 62/61, der 63 Praetor war (zu diesem Münzer 1891: 43 f. Nr. 28; Münzer 1955c; Broughton 1952: 167, 177 mit Broughton 1986: 212; Brennan 2000: 565 f. Nr. 14.6.6; s. auch Hayne 1978: 230 f.) und 59 in einem Repetundenprozess von Cicero (und Hortensius) erfolgreich verteidigt wurde. Zur Verwendung von anthypatos und zur Identifizierung von L. Valerius L. f. Flaccus vgl. Ferrary 2000: 345–350 Nr. 5 (= SEG LI 1590; zu einem Stemma der Valerii Flacci s. Ferrary 2000: 335 Abb. 2); W. Günther in I.Milet 3, p. 76; s. auch bereits WilamowitzMoelledorff 1900: 576 Anm. 2 (= 1937: 363 Anm. 2); Münzer 1909: 194 Anm. 2 (= 2012c: 527 Anm. 2). Zur Ehrung in Magnesia, die neben der Frau des L. Valerius L. f. Flaccus auch dessen Mutter Baebia (I.Magnesia 144) und die Tochter Polla Valeria (I. Magnesia 146) umfasste, s. Pinkwart 1973: 149–153; Tuchelt 1976: 76–79; Kajava 1990: 96–98; 110 Nr. 3, 115 f. Nr. 28 u. 36; Eule 2001: 170 f. Nr. 18–20; Ridgway 2002: 118–121; Krumeich 2010: 348; vgl. auch Erkelenz 2003: 254 Nr. 256–258a. Vgl. Wikander 1989: 206 Nr. 5; Follet 2016a. Die von Raubitschek 1949: 101 (= 1991: 341) vorsichtig geäußerte hypothetische Überlegung, den Namen M. Saufeius M. f. in Ascon. 55,1 zu Ap. Saufeius Ap.f. zu korrigieren und anzunehmen, „that Cicero defended Appius Saufeius and secured his acquittal“, mag zwar verlockend erscheinen, entbehrt aber jeder Grundlage – zumal man dann auch in Ascon. 32,12 M. Saufeius zu Ap. Saufeius korrigieren müsste. Zu M. Saufeius M. f., einem Gefolgsmann Milos, s. Münzer 1921d; Wikander 1989: 207 Nr. 22; vgl. auch Gruen 1995: 343 f.; Alexander 1990: 154 f. Nr. 313 f. Cic. Att. 6,1,10 (= 115,10 SB); wie amor hier aufzufassen ist, mag an dieser Stelle auf sich beruhen, da einem Nahverhältnis nicht zu zweifeln ist. Der Name Saufeius ist zwar verderbt überliefert, die Konjektur von F. Bücheler kann jedoch als gesichert angesehen werden; vgl. Shackleton Bailey 1968: 245 ad loc.; Wikander 1989: 206 Anm. 3. Bei T. Munatius Plancus Bursa handelt es sich um einen der Volkstribune von 52 (Broughton 1952: 235); zu ihm s. Münzer 1933b. Cicero hatte diesen zu einem unbekannten Zeitpunkt in einem Prozess unklaren Gegenstands erfolgreich verteidigt (dazu Crawford 1984: 228 f.), agierte aber Ende 52/Anfang 51 erfolgreich als Ankläger gegen den Mann, den er seinen eigenen Worten zu Folge mehr hasste als Clodius (Cic. fam. 7,2,2–3 [= 52,2–3 SB]). Zum Prozess, der, wie Brunt 1965a: 14 (= 1988a: 372 f.) betont hat, einzige neben dem gegen Verres, in dem Cicero als Ankläger auftrat, vgl. Gruen 1995: bes. 339, 346 f., 466; Crawford 1984: 230– 234; Alexander 1990: 159 f. Nr. 327; Deniaux 2006: 404. Vgl. dazu unten S. 438.
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verbunden.34 Ob der von Plinius überlieferte plötzliche Tod eines Ap. Saufeius auf ‚unseren‘ Appius oder ein anderes homonymes Mitglied der Familie zu beziehen ist, lässt sich nicht mit letztendlicher Sicherheit entscheiden.35 Ein nicht geringes Maß an Plausibilität kann die Annahme allerdings für sich beanspruchen, dass es sich bei jenem Ap. Saufeius, der starb, nachdem er nach seiner Rückkehr aus einem Bad zunächst Met getrunken und dann ein Ei geschlürft hatte, um ‚unseren‘ Appius handelt.36 II. L. UND AP. SAUFEIUS IN ATHEN – DAS ZEUGNIS DER INSCHRIFTEN37 Es sind zwei epigraphische Zeugnisse aus Athen, die mit L. und Ap. Saufeius in Beziehung stehen und wichtige Einblicke in die Lebenswelt des Bruderpaares erlauben. Eines der Zeugnisse stammt von der Akropolis, das andere von der Agora, genauer gesagt aus dem Eleusinion; beide waren mithin also in einem sakralen Kontext aufgestellt.38
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Dies lässt sich aus Raubitschek 1949: 101 f. Nr. 1 (= 1991: 342 Nr. 1) folgern, wenn man dessen Ausführungen akzeptiert; vgl. auch unten S. 438. Plin. NH 7,53(54),183. Zu dem ‚plinianischen‘ Ap. Saufeius s. Münzer 1921b; Wikander 1989: 206 Nr. 2. Die Plausibilität dieser Annahme, die von Coarelli 1992: 267 als sicher angenommen wird, speist sich nicht allein aus der Homonymität. Vielmehr führt Plinius ‚seinen‘ Ap. Saufeius in einer Reihe von männlichen Personen an, die eines plötzlichen Todes gestorben sind (Plin. NH 7,53(54),180–184). Bei dieser Aufzählung handelt es sich, wie aus Plin. NH 7,53(54),180 hervorgeht, um eine Auswahl aus einer entsprechenden Zusammenstellung in den Libri rerum memoriae dignarum des M. Verrius Flaccus (Ver. Flac. frg. 2 Egger ap. Plin. NH 7,53[54],180), der nach 60 in Praeneste geboren wurde; zu diesem Grammatiker s. Schmidt 2002; zu seinem besagten Werk vgl. Münzer 1897: 320 f.; Rabenhorst 1907: 1 f. Dass dieser auch Todesfälle aus der jüngeren Vergangenheit seiner Heimatstadt in seine Sammlung aufnahm, ist mehr als nur eine plausible Vermutung, zumal er auch einen Decimus Saufeius scriba (Plin. NH 7,53[54],183; Münzer 1921b; Wikander 1989: 206 Nr. 15) in seiner Liste führt, der allerdings – anders als von Wikander 1989: 206 Nr. 14 in Erwägung gezogen – in keinerlei Beziehung zu D. Saufeius Sopater (IG III 3373 = IG II2 12713 [2./3. Jh. n. Chr.]) steht. Auch wenn m. E. die Annahme der Identität ‚unseres‘ Ap. Saufeius mit dem plinianischen Homonymus durchaus wahrscheinlich ist, so ist weder auszuschließen, dass der plinianische Ap. Saufeius mit dem ebenfalls den Namen Appius tragenden Vater (Wikander 1989: 206 Nr. 4) von ‚unserem Lucius‘ und ‚unserem‘ Appius gleichzusetzen ist, noch, dass es sich um einen anderweitig unbekannten Angehörigen der Saufeii handelt. Vgl. dazu – mit anderer Perspektive – Haake 2007: 162–164; s. außerdem Koch Piettre 2005: 261–263; Parigi 2013: bes. 447. Zu diesen Aufstellungsorten von Ehrenstatuen vgl. grundsätzlich Ma 2013: 105; s. ferner auch Krumeich/Witschel 2009: 186–196.
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Die stark ergänzte Inschrift von der Akropolis, zusammengesetzt aus sieben Fragmenten, ist Teil eines Monumentes aus Marmor; der Text, der trotz der Ergänzungen als sicher angesehen werden darf, lautet folgendermaßen:39 [ὁ δῆμο]ς [Ἄππιον Σωφ]ήϊον Ἀππίου ὑὸν [ἀρετῆς ἕν]εκα ἀνέ[θ]ηκεν
Das Volk weihte (eine Statue des) Appius Saufeius, Sohn des Appius, der Tugend wegen
[Λε]ύκιος Σωφήϊος Ἀπ[πίου ὑὸ]ς Φαῖδρον [Λυσι]ά̣[δ]ου Β¢ε¢[ρενικίδη]ν τὸν ἑαυτ[οῦ κα]θηγη[τὴν ἀνέθηκεν]
Lucius Saufeius, Sohn des Appius, weihte (eine Statue des) Phaidros, Sohn des Lysiades, aus Berenikidai, seinen ‚Lehrmeister‘40
ὁ δ¢[ῆμος] [Λεύ]κιον Σωφήϊο¢[ν Ἀππίου ὑὸν] [ἀρε]τῆς ἕνεκ[α ἀνέθηκεν]
Das Volk weihte (eine Statue des) Lucius Saufeius, Sohn des Appius, der Tugend wegen
Bei dem nicht sicher datierbaren Monument handelt es sich um eine Kombination von öffentlichen Ehrungen und einer privaten Weihung:41 Während Ap. und L. Saufeius seitens des athenischen demos jeweils mit einer Statue wegen ihrer arete aus nicht weiter spezifizierten Gründen geehrt wurden, weihte letzterer eine Statue des ihm persönlich verbundenen epikureischen Philosophen Phaidros, Sohn des Lysiades, die zwischen den Brüdern aufgestellt war.42 Worin die Gründe für diese Melange aus öffentlicher Ehrung und privater Weihung zu suchen sein könnten, ist eine ebenso interessante wie letztlich unbeantwortbare und deswegen bis heute offene Frage. Die Annahme, dass es einen kausalen Nexus zwischen Ehrung und Weihung gegeben hat, liegt nahe und ist, obgleich nicht zu erhärten, nicht von der Hand zu weisen, aber eben auch nicht beweisbar; die Hypothese, dass die inhaltliche Verbindung in einem wie auch immer gearteten Zusammenhang mit der Philosophie steht, ist zwar attraktiv, muss jedoch spekulativ bleiben. Zu gerne wüsste man auch über die Ikonographie der heute verlorenen Statuentrias Näheres: Waren die beiden Brüder gemäß der seinerzeit gängigen Darstellungspraxis von Römern
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Bei dem hier vorgelegten Text handelt es sich um den von Mitsos 1965 [1966]: 79 f. mit Taf. 44 f. (= SEG XXIII 117) verbesserten Text, den Raubitschek 1949: 99–101 (= 1991: 340– 342) von IG II2 3897 vorgelegt hat; er ist ergänzt um D. PeppaDelmousou, AD 29, 1973– 1974 [1979] B1, 18 Nr. 5 mit Taf. 25 γ u. δ (= SEG XXIX 176): SEG XXIII 117 + SEG XXIX 176. Vgl. auch Payne 1984: 290 f.; Fisher 1986: 185; Haake 2007: 162 f. S. ferner Malouchou, ΑΡΜΑ 5, 171 Nr. 1220. Zur Bedeutung von kathegetes s. unten S. 437. Vgl. zu letzterem Aspekt Haake 2007: 163 f. mit Anm. 686. Hinsichtlich der Datierung hat Raubitschek 1949: 98 (= 1991: 339) die Ansicht vertreten, dass ‚unser‘ saufeiisches Monument in die Zeit nach der Rückkehr des Phaidros in seine Heimatstadt irgendwann vor 79 und vor seinem Tod um 70, am ehesten ca. 78, zu datieren ist. Vgl. in diesem Zusammenhang unten S. 437 Anm. 47. Zur Anordnung der Inschriften und Statuen des Monumentes ist Mitsos 1965 [1966]: 79 f. mit Taf. 44 grundlegend.
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in Athen als „‚zivile‘ Mantelträger“ in Szene gesetzt?43 Und wie verhielt es sich bei Phaidros – war er auf Grund verwendeter Bildschemata als Philosoph erkennbar?44 Dass Phaidros, dem womöglich auch T. Pomponius Atticus eine Statue auf der Akropolis weihte,45 sicher mit dem homonymen, der athenischen Oberschicht entstammenden epikureischen Philosophen zu identifizieren ist,46 lässt sich aus der Inschrift ableiten, in der er als kathegetes bezeichnet wird: Dieser Terminus bedeutet nämlich nicht nur allgemein ‚Lehrer‘, sondern war auch Bestandteil der epikureischen Schulterminologie.47 Neben dem Monument von der Akropolis gilt es das zweite epigraphische Zeugnis in den Blick zu nehmen: eine Inschrift auf einer marmornen Hermenbasis, die ursprünglich im Eleusinion auf der Agora aufgestellt war und deren Text stark ergänzt folgendermaßen lautet:48 43 44 45
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Zu den Darstellungsmodi römischer Bürger auf der Akropolis s. Krumeich 2007: 404–409 u. 2008: 355–361. Zur Darstellung von Philosophen in statuarischer Form im Hellenismus vgl. von den Hoff 1994: bes. 43–52, 189–194; s. auch Zanker 1995: 181 f. zur „Intellektualisierung des Bürgerporträts“ Vgl. Raubitschek 1949: 98 f. mit Taf. 3 [I. G., II2, 3899] (= 1991: 339 f. mit Taf. 25 [(45) I. G., II2, 3899]) zu IG II2 3899: [Τίτος] Π̣[ομπών-] | [ιος Τ]ίτου υ[ἱὸς] | [Φαῖ]δρον Λυ[σιά- | [δου] Βερενικί[δην] | [– – – – – –]. Zu diesem in der Forschung kaum rezipierten Vorschlag s. Haake 2007: 162. Zum sozialen Hintergrund des Phaidros s. Raubitschek 1949: 96 f. (= 1991: 337 f.); Haake 2007: 160 f., 165 f.; Dorandi 2012: 287 f. Zu Phaidros’ Sohn Lysiades (Kirchner 1927; Mün zer 1927 – beide Lemmata handeln von der gleichen Person), dem eponymen Archon 51/0, vgl. auch Rawson 1985a: 55–59 (= 1991: 455–459). Dies hat richtig Raubitschek 1949: 99 f. (= 1991: 340) erkannt, als er ein Fragment bestehend aus den Buchstaben ΘΗΓΗ IG II2 3897 zuweisen konnte; vgl. auch Haake 2007: 163. Zum Begriff kathegetes s. Dorandi 1999: 57. Ob Phaidros epikureischer Scholarch war, ist in der Forschung nicht unumstritten: Seine Bezeichnung als kathegetes diente Glucker 1978: 103 Anm. 19 als Argument dafür, dass Phaidros nicht unter die epikureischen Scholarchen zu rechnen sei, da der Terminus in einem epikureischen Zusammenhang „the title of a private tutor“ sei, „quite frequently used in Epicurean sources for a teacher who is not the head of the school.“ Dieses Argument ist allerdings nicht zwingend. Wenn man nicht überhaupt gewillt ist, den Sprachgebrauch von kathegetes in den Weihinschriften ‚unserer‘ Saufeii (SEG XXIII 117 + SEG XXIX 176; SEG XLVIII 233 [s. die nachfolgenden Ausführungen]) weniger doktrinär und formalistisch als Ausdruck eines schwerlich anders ausdrückbaren ‚Schüler-Lehrer-Verhältnisses‘ – man denke hier insbesondere auch an die Verwendung von ἑαυτοῦ in Junktur mit kathegetes – zu verstehen, dann ist folgende Überlegung in Betracht zu ziehen: Da nämlich auf Grundlage einer Aussage Phlegons von Tralleis (FGrHist 257 F 12,8 ap. Phot. bibl. 97 [II, p. 64] Henry) durchaus davon ausgegangen werden darf, dass Phaidros sehr wohl epikureischer Scholarch war, nämlich als Nachfolger Zenons von Sidon in den Jahren 75 bis 70, wäre Phaidros’ Antritt des Scholarchats der terminus ante quem für die Weihungen, die somit in die Zeit vor 75 zu datieren wären. Vgl. in diesem Zusammenhang Dorandi 2012: 288 f.; s. auch Haake 2007: 160. Zur Chronologie von Zenon und Phaidros s. Dorandi/Indelli/Tepedino Guerra 1979: 142. Die editio princeps stammt von Raubitschek 1949: 101 Nr. 1 (= 1991: 342 Nr. 1) (= SEG XLVIII 233) = Agora XXXI, p. 192 Nr. 20; s. zudem Agora III, p. 83; Agora XI, p. 127 f. Vgl. auch Haake 2007: 164.
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Matthias Haake [Ἄππιος Σωφήιος Ἀπ]πίο[υ] [υἱὸς Φαῖδρον Λυσιά]δου [Βερενι]κίδην τὸν ἑαυτοῦ [καθηγ]ητὴν ταῖν θεαῖν.
Appius Saufeius, Sohn des Appius, weihte (eine Statue des) Phaidros, Sohn des Lysiades, aus Berenikidai, seinen ‚Lehrermeister‘ den beiden Göttinnen.
Trotz des überaus fragmentarischen Zustandes der Inschrift werden die Ergänzungen, die seinerzeit Raubitschek vornahm, in der Forschung nahezu ausnahmslos als plausibel angesehen und nicht in Frage gestellt. Geht man von der Richtigkeit der Ergänzungen aus, so weihte wie Lucius auch Appius ein Bildnis des epikureischen Philosophen Phaidros, den er ebenfalls seinen kathegetes nennt. Als Aufstellungsort seiner Weihung, dem unter der Voraussetzung der Richtigkeit der Ergänzung einzigen Zeugnis für eine Verbindung des Appius zur Philosophie, wählte er hingegen einen anderen Kontext als sein Bruder: Appius dedizierte ‚seinen‘ Phaidros an die beiden Göttinnen (i. e., Demeter und Kore bzw. Persephone),49 und dementsprechend wurde seine Weihung im Eleusinion aufgestellt.50 Ist man hingegen wie Simone Follet nicht bereit, die vorgeschlagene und etablierte Ergänzung in dieser Inschrift zu akzeptieren, sondern möchte vielmehr annehmen, dass wie auf der Akropolis auch auf der Agora Lucius der Dedikant war,51 so lässt sich gegen eine Rekonstruktion der ersten Zeile der Weihinschrift in Form von [Λεύκιος Σωφήιος Ἀπ]πίο[υ] anstelle von [Ἄππιος Σωφήιος Ἀπ]πίο[υ] kein zwingendes epigraphisches Argument vorbringen. Festzuhalten wäre dann, dass vor allem für Lucius eine sich in Stein manifestierende Nahbeziehung zu Phaidros bestand, während sich in Bezug auf Appius, keinerlei diesbezügliche Aussage treffen ließe. Ein keineswegs über die Maßen belastbares Indiz, die seinerzeit von Raubitschek vorgeschlagene Ergänzung gegenüber Follets Skepsis zu präferieren, könnte man allerdings in der Positionierung der Statue des Phaidros zwischen den Bildnissen der beiden Brüder im Akropolismonument sehen. III. ZUM LITERARISCHEN PROFIL DES L. SAUFEIUS „[E]in Werk … zur Verbreitung der Epikureischen Lehren“52 – so schätzte Münzer prägnant und resümierend das literarische Prosaprodukt des L. Saufeius ein,53 von dem sich das eingangs erwähnte Zeugnis im Servius-Kommentar der Aeneis Vergils 49 50
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Skeptisch hat sich Castner 1988: 67 hinsichtlich Raubitscheks Ergänzungsvorschlag in Z. 1 f. geäußert. Der Umstand, dass mit Ap. Saufeius ein möglicher Anhänger Epikurs die Statue eines epikureischen Philosophen in einem Heiligtum weihte, hat Raubitschek 1949: 102 f. (= 1991: 342 f.) als erklärungsbedürftig angesehen; s. dazu Clay 1986: 12 Anm. 3 (= 1998: 77 Anm. 3); Smith 1996: 128 Anm. 63; Vesperini 2012: 251 f. Anm. 20. Womöglich wurde eine Statue des Phaidros auch von dessen Tochter in Eleusis als Teil eines größeren Monumentes Demeter und Kore geweiht: I.Eleusis 291, Z. 1–3 (I b); s. dazu Haake 2007: 164. Zu Epikur und Demeter sei verwiesen auf Lemke 1973: 64 f., 83 Anm. 33a. Vgl. Follet 2016a. Vgl. Münzer 1921c: 257. Vgl. auch die der zitierten Einschätzung zugrunde liegenden Ausführungen von Münzer 1914 (= 2012b).
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befindet.54 Diese Ansicht kann bislang als die communis opinio bezüglich der nur dort bezeugten Arbeit ‚unseres‘ Saufeius gelten.55 Allein Elizabeth Rawson hat vor mehr als dreißig Jahren kurz und beiläufig geäußert, dass es sich bei der fraglichen Schrift auch um „a historical or antiquarian work“ handeln könne, ohne dies allerdings weiter auszuführen.56 Bei näherer Betrachtung der besagten Textpassage, die die Grundlage für diese Einschätzungen darstellt und die Servius Auctus bzw. Servius Danielis zuzuweisen ist, zeigt sich Saufeius keineswegs als lediglich rezeptiver, sondern durchaus auch als kreativer Autor zur italischen Vor- und Frühgeschichte:57 Saufeius Latium dictum ait quod ibi latuerant incolae qui, quoniam in cavis montium vel occultis caventes sibi a feris beluis uel a valentioribus uel a tempestatibus habitaverint, Casci vocati sunt, quos posteri Aborigines cognominarunt, quoniam aliis ortos esse recognoscebant, ex quibus Latinos etiam dictos. Saufeius sagt, dass es (sc. das Gebiet) Latium genannt wird, weil sich die Bewohner dort verborgen hielten. Diese (Bewohner) wurden, weil sie in den Höhlen der Berge oder an anderen verborgenen Plätzen wohnten, um sich vor wilden Tieren oder vor an Kraft überlegenen (Menschen) oder vor Stürmen vorzusehen, Casci genannt, die spätere Generationen mit dem Namen Aborigines belegten, weil sie erkannten, dass sie von anderen (Menschen) abstammten; deswegen werden sie auch Latiner genannt.58
Dass es sich bei Saufeius um ‚unseren‘ Saufeius handelt, hat Münzer seinerzeit zu erweisen versucht,59 indem er eine inhaltliche Nähe dieser Passage bezüglich der primitiven Lebensweise der ‚frühen Latiner‘ zu einigen Versen im fünften Buch von Lukrez’ De rerum natura über das wenig zivilisierte Leben der frühen Men-
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Serv. Aen. 1,6; s. auch HRR II, p. 8 (Saufeius frg. 1) Peter. Wie Gilbert (i. Dr.): Kap. 1 Anm. 1 zu Recht betont, ist es eigentlich angemessener, im Zusammenhang von Textpassagen wie der vorliegenden mit Brunt 1980: 477 von ‚reliquia‘ denn von ‚Fragmenten‘ zu sprechen; s. dazu FRHist I, 3 Anm. 1. Vgl. etwa Bardon 1952: 207 f.; Haake 2007: 163; s. auch FRHist I, 647 (A. Drummond). Vgl. Rawson 1985b: 9 Anm. 28; s. auch FRHist I, 647 (A. Drummond). Serv. Aen. 1,6 – der Text folgt der Editio Harvardiana; s. auch HRR II, p. 8 (Saufeius frg. 1) Peter = GRF I, p. 438 (Saufeius) Funaioli; vgl. ferner Serv. Aen. 1,6 Baudou/Clément-Tarantino. Zur Zuweisung der Passage an Servius Auctus bzw. Servius Danielis s. Lloyd 1961: 300; zu dessen Kenntnis und Verwendung republikanischer Autoren vgl. resümierend Lloyd 1961: 323–327; Cameron 2011: 408–411; Sensal 2004 hinsichtlich von Texten der römischen Annalistik sowie MahéSimon 2011 in Bezug auf den Namen Italia. Für die komplexe und kontroverse Diskussion der ‚Serviusfrage‘ sei u. a. verwiesen auf Goold 1970: bes. 102–117; Ca meron 2011: 573–575; Vallat 2012; vgl. auch Kaster 1988: 169–197; FRHist I, 119–122 (J. Briscoe / J. Rich). Vgl. zu dieser Stelle Stok 2004: 116–118. Zur etymologischen Herleitung von Latium von latere ebenso wie zu den Casci und den Aborigines s. auch unten S. 442. Zum ‚vor-Münzer’schen‘ Forschungsstand vgl. Münzer 1914: 626 (= 2012b: 92): „Die meisten Neueren nehmen die Identität des von dem Interpolator zitierten Saufeius mit dem Freunde des Atticus schon deshalb an, weil kein anderer Mann desselben Namens als Schriftsteller nachweisbar ist, …“ Während Schanz 1909: 339 sich dahingehend äußert, dass in dieser Sache keine Entscheidung möglich sei, wird in Schanz/Hosius 1927: 481 die Identität des ‚servianischen‘ Saufeius mit dem republikanischen Epikureer als wahrscheinlich bezeichnet.
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schen herausstrich;60 er schlussfolgerte: „Diese nahe Berührung des einzigen Fragments eines Saufeius mit einem Prachtstück des begeisterten (sic) Propheten, den Epikur in Rom gefunden hat, dürfte es unzweifelhaft erscheinen lassen, dass dieser Saufeius der Epikureer ist.“61 Dass Münzer mit seiner Gleichsetzung das Richtige getroffen hat, lässt sich zwar nicht zweifelsfrei beweisen, ist allerdings nie begründet angezweifelt worden.62 Dies ist bis dato der Forschungsstand zu Saufeius’ Schrift. Er ist nun von Nathan Gilbert in seinem Aufsatz „Lucius Saufeius and His Lost Prehistory of Rome: Intellectual Culture in the Late Republic (Servius, ad Aen. 1.6)“ einer eingehenden Revision unterzogen worden, wobei wichtige alte Resultate zum Teil auf anderem, überzeugenderem Wege bestätigt und zentrale neue Ergebnisse erzielt werden konnten, so dass von einem wesentlich veränderten Bild von Saufeius’ literarischer Produktion gesprochen werden kann und muss.63 Drei Punkte seien hier herausgestellt. Erstens: Was die Frage der Autorschaft anbelangt, so kommt auch Gilbert zu dem Schluss, dass der epikureische Ritter „by far the most attractive, qualified and plausible candidate“ ist.64 Zweitens: Vor dem Hintergrund der Forschungsfortschritte zum Servius-Kommentar der Aeneis in den letzten einhundert Jahren zeigt Gilbert auf, dass die fragliche Passage Saufeius’ Ausführungen zwar nicht unbedingt wörtlich widergeben muss, es jedoch keinen Grund gibt, an der grundsätzlichen Authentizität des ‚Überrestes‘ zu zweifeln.65 Und schließlich und vor allem drittens: Es gelingt Gilbert durch eine literaturgeschichtliche Kontextualisierung mit guten Gründen darzulegen, dass Saufeius’ Werk keineswegs als philosophische Schrift zu charakterisieren ist – und zwar weder als „epikureische Werbeschrift“66 noch als zweifelsfrei von epikureischen Vorstellungen geprägte ‚Urgeschichte‘ Roms67 –, sondern dass sie vielmehr als ein zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt verfasstes Prosawerk über die frühe Geschichte Latiums anzusehen ist,68 die von griechischen literarischen Konventionen und Traditionen 60 61 62
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Lucr. 5,955–968; vgl. dazu Campbell 2003: 214–232 ad loc.; s. außerdem die generellen Darlegungen von Bailey 1947: 1472–1474 sowie auch Gale 1994: 164–177 zu Lucr. 5,925–987. So Münzer 1914: 627 f., hier 628 (= 2012b: 93 f., hier 94). Vgl. allein Castner 1988: 67. Ihre Aussage „Momigliano, however, doubts that this man had such intellectual abilities and interests“ deckt sich in keiner Weise mit dessen Ausführungen. Dort heißt es nämlich (Momigliano 1941: 152 [= 1960: 379 f.]): „A fragment in Servius, ad Aen. i, 6, points to a work of political and philosophical interest, which recalls Lucretius, v, 955 ff., as F. Münzer, Rh. Museum lxix, 1912, 625 explained; the work appeared in 44 B. C. (Cic. ad Att. xiv, 18).“ Vgl. Gilbert i. Dr. Nachfolgend werde ich Gilberts Ergebnisse nur kurz referieren, nicht jedoch seine Argumentation ausführlich darlegen. So Gilbert i. Dr.: Kap. 2. Vgl. Gilbert i. Dr.: Kap. 2. So die Formulierung von Haake 2007: 163. Vgl. Gilbert i. Dr.: Kap. 3. Momigliano 1941: 152 (= 1960: 379 f.) war unter Rekurs auf Cic. Att. 14,18,4 (= 373,4 SB) davon ausgegangen, dass Saufeius’ Schrift 44 erschienen sei. Dies basiert allerdings auf der Prämisse, dass der Text Saufei legisse vellem im Sinne von Saufei l i b r u m legisse vellem zu verstehen ist; vgl. dazu Tyrrell/Purser 1915: 296 ad loc.: „Saufei] sc. librum, though it is
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geprägt ist: „Saufeius, in other words, has used a Greek intellectual framework to explore the Roman past in Latin.“69 Hatte Münzer seinerzeit eine enge Verbindung, ja einen kausalen Nexus zwischen dem Autor und seiner epikureischen Prägung einerseits und dem Inhalt seiner Schrift andererseits postuliert, so zeigen die Darlegungen von Gilbert, dass diese auch heute noch und auch jenseits der ‚saufeiischen Frage‘ vielfach nur zu gerne angenommene Prämisse keineswegs zwingend ist – mit anderen Worten: Die philosophische Präferenz eines Autors muss nicht zwingend in seiner literarischen Produktion Niederschlag finden.70 Es steht außer Frage, dass sich anhand eines einzigen kurzen ‚Überrestes‘ keine zweifelsfrei gesicherte Aussage über das literarische Profil eines Autors treffen lässt, von dem nicht einmal mit Sicherheit bekannt ist, ob er nur ein einziges Werk verfasste, nämlich das, welchem der hier im Zentrum des Interesses stehende Passus entstammt, oder ob er, wie es Aussagen Ciceros keineswegs zwingend nahelegen, verschiedentlich schriftstellerisch tätig war.71 In gleicher Weise ist es ein in methodischer Hinsicht durchaus Unbehagen bereitendes Unterfangen, ausgehend allein von einer sehr kurzen Passage den Typus des ansonsten völlig unbekannten Herkunftswerkes zu bestimmen. Dennoch will es grundsätzlich plausibler und weniger voraussetzungsreich erscheinen, das vorliegende Textzeugnis als exemplarisch für den generellen Charakter von Saufeius’ Schrift anzusehen, als gerade in ihm ein der sonstigen Grundstruktur dieser Schrift entgegenstehendes Testimonium ausmachen zu wollen. Anders als dies einst Münzer und jüngst auch noch Andrew Drummond getan haben, ist für die fragliche Stelle also nicht „eher ein philosophischer als ein historischer“ Zusammenhang zu präferieren,72 sondern ein antiquarisch-historischer. Somit ist Saufeius’ Werk in das einst blühende Umfeld und heutige ‚Trümmerfeld‘73 der Literatur (spät)republikanischer bzw. hellenistischer Zeit zu verorten, die sich sowohl mit der Herkunft der Römer und der italischen Völkerschaften als
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doubtful whether this ellipse is allowable: cp. 559.2. We have seen above (595.3) that the name of the writer can be put for the book: cp. ~ Cottam, 646.3. Possibly epistulam (epla) was lost.“ Wie begründet Münzer 1914a: 626 (= 2012b: 92 [„… und nicht vielmehr l i t t e r a s “]), so fasst auch Shackleton Bailey 1967 gemäß seiner Übersetzung den elliptischen Satz auf („I should like to have read Saufeius’ letter.“); s. jetzt auch Gilbert i. Dr.: Kap. 1 Anm. 21. So resümierend Gilbert i. Dr.: Kap. 4. Vergleicht man Münzers nach wie vor grundlegende Studie zu „Atticus als Geschichtsschreiber“ (Münzer 1905 [= 2012a]), die gänzlich ohne Bezugnahme auf Atticus’ Affinität zur epikureischen Philosophie auskommt, mit seinen Überlegungen zu L. Saufeius, so drängt sich durchaus die Vermutung auf, dass der Wunsch, die Identifizierung des durch den Servius-Kommentar bezeugten Saufeius mit L. Saufeius aus Praeneste zu untermauern, nicht unwesentlich zur Forcierung des nunmehr dekonstruierten ‚Philosophiearguments‘ beigetragen haben mag. Vgl. etwa Münzer 1914a: 626 (= 2012b: 92); s. auch Shackleton Bailey 1965: 287 ad Cic. Att. 1,3,1 (= 8,1 SB); 368 ad 2,8,1 (= 28,1 SB). Vgl. Münzer 1914a: 628 (= 2012b: 94); FRHist I, 647 (A. Drummond). Dies nach dem berühmten und viel bemühten Titel von Strasburger 1977 (= 1990b).
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auch der Gründung von Städten auf der italischen Halbinsel beschäftigte,74 wobei eine Vielzahl von durchaus auch konkurrierenden ‚Rekonstruktionen der Vergangenheit(en)‘ à la mode grecque entstand, die auf ganz unterschiedliche Art und Weise aufeinander Bezug nehmen konnten75 – sei es, dass es Anknüpfungen gab, sei es, dass sie einander widersprachen.76 Dass ‚unser‘ Lucius mit den verschiedenen Versionen zur Frühzeit Latiums vertraut war, zeigt der erhaltene Textpassus ebenso wie der Umstand, dass er allem Anschein nach durchaus innovativ mit der ‚Geschichte‘ umzugehen wusste: Dies macht seine Etymologie für den Namen der Landschaft Latium deutlich, die ihm zufolge ursprünglich von den ansonsten nicht bezeugten Casci bewohnt war, die später als Aborigines bezeichnet wurden und schließlich den Namen Latiner (von latere) erhielten, nach dem das von ihnen bewohnte Gebiet benannt wurde.77 74
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Grundsätzlich zur origines gentium-Literatur s. noch immer Bickerman 1952 (= 1985); vgl. auch das Panorama in Fromentin/Gotteland 2001 und s. Gotter 2009: 110–121 zur Einordnung von Catos Origines in den Kontext römischer Historiographie. Für Latium, die Landschaft, aus der ‚unser‘ Saufeius stammte, vgl. MartínezPinna 2014 [2016]; exemplarisch sei auf die Gründungsgeschichten von Lanuvium, Tusculum, den Herkunftsort von Saufeiusʼ Mutter, und Praeneste, seine Heimatstadt, verwiesen: Neben der bekannten Gründungsgeschichte Lanuviums durch den argivischen König und Troiakämpfer Diomedes (App. civ. 2,20,74) ist seit nunmehr gut fünf Jahrzehnten durch epigraphische Funde aus Centuripe (Manganaro 1963 [1964] mit J. u. L. Robert, BE 1965, 499 [= SEG XLII 837]; dazu: Bat tistoni 2010: 147–153) und Taormina (Manganaro 1974 [= SEG XXVI 1123 iiiA]; dazu: Battistoni 2006: 175–177 [= SEG LVI 1106 iiiA]; s. Fab. Pict. F 1 Chassignet = FRH 1 F 1 = FRHist 1 T 7) eine alternative, auf Fabius Pictor zurückgehende Version bekannt, in der ein gewisser Lanoios als eponymer Gründer agiert (s. Manganaro 2006; Battistoni 2010: 154– 165; Prag 2010: 189–193; Manganaro 2011); vgl. zu den beiden Versionen etwa Briquel 2001; Zevi 2014 [2016]. Ausgehend von sieben zusammengehörigen, im öffentlichen Raum aufgestellten Basen für Orestes, Pylades, Iaso und Telegonus, Telemachos sowie den Dichter Diphilos (CIL XIV 2647–2651; s. auch Suppl. It. – Latium vetus 1, 310–314) einerseits und die der nicht sicher identifizierbaren römischen Konsuln Q. Caecilius Metellus sowie M. Fulvius Nobilior (CIL XIV 2600; 2601; s. auch Suppl. It. – Latium vetus 1, 305; 306) andererseits (und zwei weiteren unbeschrifteten Basen) hat sich Gorostidi Pi 2010 mit einer der Gründungstraditionen von Tusculum befasst – nämlich derjenigen um Telegonos, den Sohn des Odysseus und der Kirke. Für die Gründung von Praeneste gibt es einerseits eine sich (zumindest in der späteren Überlieferung) auf eine lokale Tradition berufende Version, die etwa bei Cato vorliegt und der zufolge die Stadt von einem gewissen Caeculus gegründet wurde (orig. 2,29 Chassignet = FRH 3 F 2,29 = FRHist 5 *F 67 ap. Schol. Veron. ad Verg. Aen. 7,681); vgl. dazu Brem mer/Horsfall 1987. Daneben steht andererseits die Geschichte von einem eponymen Gründer namens Praenestes, einem Enkel des Odysseus und Sohn des Latinus, die sich zuerst bei Zenodotos von Troizen findet: FGrHist 821 F 1a = BNJ 821 F 1a ap. Solin. 2,9. Vgl. Briquel 2001: 298 mit Anm. 13 zu den Belegen. Zum historisch-kulturellen Hintergrund sei etwa verwiesen auf Dench 2003; Farney 2014. Vgl. in diesem Zusammenhang etwa MartínezPinna 2004. Die Herleitung des Namens Latium von latere findet sich etwa auch in Verg. Aen. 8,321–323, wo es allerdings der Gott Saturn ist, der dem Land den Namen gibt, da er dort sicher im Verborgenen lebte (… Latiumque uocari / maluit, his quoniam latuisset [sc. Saturnus] tutus in oris.). Vergils Version ist die späterhin gängige; s. Münzer 1914a: 627 (= 2012b: 93); vgl. auch Maltby 1991: 328 s. v. Latium. Bei dem Namen Casci handelt es sich nach Skutsch 1985: 182 wohl um ein Autoschediasma des Saufeius. Das Adjektiv cascus ist in Verbindung
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IV. ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK: JENSEITS DES CURSUS – ZWEI BRÜDER, DIE PHILOSOPHIE, DIE POLITIK UND DAS GESCHÄFT Philosophen und Philosophie hielten im Zuge von Roms ‚cultural revolution‘ Einzug im Zentrum der Mittelmeermacht,78 so dass beispielsweise Eduard Fraenkel 1935 in seiner insbesondere, aber nicht nur im deutschsprachigen Raum weitgehend der Vergessenheit anheimgefallenen Oxforder Inaugural Lecture von der „naturalization of Greek philosophy in Rome“ ebenso sprach79 wie Richard Harder wenige Jahre zuvor 1929 einen verschiedentlich immer noch bemühten Beitrag unter dem Titel „Die Einbürgerung der Philosophie in Rom“ veröffentlicht hatte.80 Was genau unter der ‚Heimischwerdung‘ der in Rom stets als originär griechisch wahrgenommenen Philosophie zu verstehen ist81 und welche Konsequenzen dieser Prozess auf verschiedenen Ebenen mit sich brachte, ist eine komplexe und in all ihren Facetten bis heute weder erschöpfend behandelte noch zufriedenstellend beantwortete Frage,82 die hier auf sich beruhen mag und muss. Um die Rahmenbedingungen für die Philosophie im Zusammenhang mit ‚unseren‘ beiden Saufeii aufzuzeigen, sei an dieser Stelle allein folgendes festgehalten: Auch wenn die Beschäftigung mit der Philosophie in ‚Griechenland‘ wie auch in
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mit populus im Zusammenhang mit den Latinern bei Ennius bezeugt (ann. 1,19 Skutsch = 1,19 Flores; casci populi als Beschreibung für die Latiner) und wird von Varro zitiert: ling. 7,28; vgl. auch Cic. Tusc. 1,27. Nicht in jeder Hinsicht genau ist in diesem Zusammenhang Farney 2007: 41 (mit Anm. 6). Zu den Aborigines, die zuerst überhaupt bei Kallias von Syrakus (FGrHist 564 F5a = BNJ 564 F 5a ap. Dion. Hal. ant. 1,72,5) und dann von Lykophron (Lykophr. 1253 – die dort verwendete Form Βορειγόνων ist ein Hapax; s. dazu Hornblower 2015: 446 ad loc.) und erstmalig in der lateinischen Literatur von Cato (z. B. orig. 1,4 Chassignet = 6*a Schröder = FRH 3 F 1,4 = FRHist 5 *F 49a ap. Dion. Hal. ant. 1,11,1; 1,6 Chassignet = 5* Schröder = FRH 3 F 1,6 = FRHist 5 *F 63 ap. Serv. ad Verg. 1,6; 2,21 Chassignet = 17**a Schröder = FRH 3 F 2,21 = FRHist 5 **F 50 ap. Dion. Hal. ant. 2,49,2) bezeugt sind, vgl. Schröder 1971: 102–108; Golvers 1989; MartínezPinna 2002: 17–78. Gegen beispielsweise Letta 1984: bes. 427 hat Gotter 2003a: 128–131 ausgeführt, dass es Cato in seinen Origines war, der eine griechische Herkunft der Aborigines etablierte; zu Vergils Ansatz, die Aborgines zu einem indigenen italischen Volk zu machen, s. Briquel 1992. Die Formulierung „Roms ‚cultural revolution‘“ ist dem Titel von WallaceHadrill 2008 geschuldet, der in seiner fundamentalen Studie das Thema ‚Philosophie in Rom‘ allerdings nicht behandelt. So Fraenkel 1935: 25 (= 1964: 594). Harder 1929 (= 1960). Eine kurze Notiz in einer Ausgabe der Ostpreußischen Zeitung aus dem Februar 1929, von der sich eine Kopie in Harders Nachlass in der Bayerischen Staatsbibliothek findet (BSB Ana 651) zeigt, dass Harder zu Beginn des Jahres 1929 einen Vortrag unter gleichem Titel in der Königsberger Kantgesellschaft gehalten hat. Zu Richard Harder vgl. Schott 2008. Zur Philosophie als einem als griechisch wahrgenommenen Phänomen in Rom vgl. prägnant Striker 1995: 53; Gotter 2003b: 166. Aus der großen Anzahl wichtiger Studien zur Philosophie im republikanischen Rom seien hier lediglich Gruen 1990: 158–192; Bringmann 2003; Gotter 2003b; Scholz 2011: bes. 129– 172; Vesperini 2012 (dazu: Dorandi 2014); Ferrary 2014: u. a. 395–433 mit 726–728, 589– 615 mit 734; Anglade 2015 angeführt; vgl. außerdem Griffin 1989; Fuhrer 2012; Trapp 2014; Hine 2016: 13–19; s. ferner Haake i. Dr.: Kap. 3.
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‚Rom‘ primär ein sozial-exklusives Elitenphänomen war, so waren die Kontexte des Philosophierens, die Ordnung und die Regeln im philosophischen Diskurs, die gesellschaftliche und politische Rede über die Philosophie sowie die Semantik der Praxis des Philosophierens auf Grund der fundamentalen Differenzen zwischen den politischen Kulturen und sozialen Strukturen ‚Griechenlands‘ und ‚Roms‘ so verschieden,83 dass auch hinsichtlich der Philosophie von ‚zwei alten Geschichten‘ zu sprechen ist.84 In diesen beiden Welten bewegte sich ‚unser‘ Brüderpaar aus Praeneste, das während seines Lebens mit dem römischen ebenso wie mit dem athenischen ‚philosophischen Kosmos‘ in Berührung kam. Wie viele andere Mitglieder der regimentsfähigen Schicht85 Roms kamen auch L. und (so darf man trotz fehlender unzweifelhafter Zeugnisse annehmen) Ap. Saufeius in ihren jungen Jahren mit der Philosophie in Kontakt – ob dies allein für den Epikureismus oder auch für andere philosophische Richtungen gilt, lässt sich nicht mit Sicherheit entscheiden, auch wenn letzteres vor dem Hintergrund gängiger Praxis als wahrscheinlicher angesehen werden kann. Zufällig geschah dies keineswegs; vielmehr ist das ‚Philosophiestudium‘ in Rom oder an einem Ort in der östlichen Mittelmeerwelt, vorzugsweise Athen, als integraler Bestandteil der ‚Ausbildung‘ des männlichen Nachwuchses der römischen Oberschicht im zweiten und insbesondere ersten Jahrhundert anzusehen.86 Wie stark die Nähe zum Epikureismus die Lebensweisen ‚unserer‘ Saufeii prägte und wie ausgeprägt ihr Interesse an epikureischer Philosophie war, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Jedoch sollte man Epikurs Lehre schon aus strukturellen Gründen kaum eine entscheidende handlungsleitende Bedeutung zuschreiben, sondern allenfalls eine Rolle bei der nachträglichen Diskursivierung des bürgerlichen ‚way of life‘: Dass sie ‚Heil und Ruhe jenseits der Stürme der Politik‘ zu finden suchten,87 ist zwar allem Anschein nach dahingehend richtig, als dass sie keine Ämterlaufbahn absolvierten. Eine Involvierung in politische Angelegenheiten muss dies aber keineswegs ausschließen; vielmehr deuten zumindest einige Indizien stark darauf hin, dass beide Brüder zwar jenseits des cursus, nicht aber abseits des politischen Lebens standen, sondern vielmehr auf Grund ihrer sozialen Position und daraus resultierender Verpflichtungen durchaus in dieses eingebunden waren. Ob dieser Umstand individuellen Entscheidungen geschuldet gewesen ist oder aus einer die politische Partizipation der ‚letzten‘ Praenestiner in Rom einschränkenden gesetzlichen Regelung resultierte, ist schwerlich auszumachen. Eines epikureischen Impetus bedurfte es für den Lebensweg ‚unserer‘ Saufeii jedenfalls nicht notwendigerweise – als Mitglieder einer ritterlichen Familie von negotiatores gab 83 84 85 86 87
Verwiesen sei in diesem Zusammenhang nachdrücklich auf die wesentliche strukturelle Differenzen klar herausarbeitenden, grundlegenden Ausführungen von Gotter 2003b. Diese Formulierung ist Martin 1997 (= 2009) geschuldet. Dieser Begriff fand durch Gelzer 1912 [21982]: 2, 13 f., 16 (= 1962: 19, 31 f., 34) Eingang in die althistorische Forschung zur römischen Republik. Vgl. in diesem Zusammenhang statt vieler z. B. Daly 1950; Crawford 1978: 199 f. So Coarelli 1992: 267: „… cercarano salvezza e tranquillità fuori delle acque tempestose della politica …“
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es durchaus ökonomische Gründe für ein Leben jenseits einer römischen Ämterlaufbahn,88 jenseits des klassischen politischen Betätigungsfeldes für Mitglieder der Oberschicht. Gleiches gilt allerdings auch in Bezug auf ein oftmals postuliertes Leben der Muße in Athen:89 Mit Sicherheit verkehrten die beiden Brüder während ihrer dortigen Aufenthalte in den intellektuellen Zirkeln und epikureischen Kreisen der Stadt – aber warum sollten sie in Athen nicht auch respektive primär ihren wirtschaftlichen Interessen nachgegangen sein90 wie dies auch bei T. Pomponius Atticus, der geradezu als ein Paradebeispiel in die Hinsicht dienen kann, der Fall gewesen ist?91 Die saufeiischen Brüder – sie waren keine Sonderfälle, sondern sollten in gewisser Hinsicht als ‚Normalvertreter‘ derjenigen Angehörigen des Ritterstandes angesehen werden, die nicht den Sinn ihres Lebens in einer politischen Laufbahn sahen, jedoch keineswegs jenseits der Involvierung in politische Vorgänge standen – in dieser Hinsicht mag man sie als ‚Attici minores‘ bezeichnen, deren Leben sich zwischen Latium, Rom und Athen abspielte: Ihr Wohlstand basierte auf ihrer Tätigkeit als negotiatores, ihr Vermögen investierten sie zumindest in Teilen in Land; die Philosophie war Bestandteil ihres Lebens, bedingte aber keineswegs ihre Lebensweise oder prägte auch nicht im Falle des ritterlichen litteratus Lucius sein literarisches Werk. Mit ihrer Präferenz für den Epikureismus befanden sie sich in ‚guter Gesellschaft‘, übte diese philosophische Richtung doch in der späten Republik eine besondere Attraktivität auf männliche Angehörige der Oberschicht aus – nicht so sehr, weil sie, wie immer wieder angenommen, ‚Parteigänger‘ jedweder Couleur ansprach,92 sondern womöglich, weil sie in ganz besonderem Maße als ‚griechisch‘ angesehen wurde?93 BIBLIOGRAPHIE Alexander, M. C. 1990: Trials in the Late Roman Republic, 149 BC to 50 BC, Toronto. Andreau, J. 1999: Intérêts non agricoles des chevaliers romains (IIe sièle av. J.-C. – IIIe siècle ap. J.-C.), in: L’ordre équestre. Histoire d’une aristocratie (IIe sièle av. J.-C. – IIIe siècle ap. J.-C.). Actes du colloque international organisé par S. Demougin, H. Devijver (†) u. M.-T. Raepsaet-Charlier (Bruxelles-Leuven, 5–7 octobre 1995), Paris/Rom, 271–290. Anglade, L. 2015: Philosophie et politique à la fin de la République romaine: les exemples de Lucrèce et Atticus, RH 307, 739–769. 88 89 90 91 92 93
Vgl. grundlegend Brunt 1965b (= Brunt 1988b); s. zuletzt etwa Andreau 1999: 271–286; Verboeven 2007: 861–869; Bodel 2015: 34–43 So etwa Gerlo 1956: 50: „De Romeinse ridder en zakenman Lucius Saufeius had, evenals zijn grote vriend Atticus, Athene als tweede vaderland aangenommen, en er zich verschillende jaren gewijd aan de studie van de wijsbegeerte.“ Zu römischen Bürgern im hellenistischen Athen vgl. Habicht 1997; s. außerdem Geagan 1979: 375; Follet 2002; Telin 2016. Verwiesen sei in diesem Zusammenhang auf Perlwitz 1992: bes. 39–48. Vgl. in diesem Kontext u. a. Ferguson 1990: 2262; Timpe 2000: 42–48, 52–57; s. auch Sed ley 2009; MacGillivray 2012; Malitz 2012. Zu diesem Aspekt s. Vesperini 2012: 318 f.
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VII. POLITISCHE KULTUR IN ROM – PLEBS UND ORDO SENATORIUS
POLITISCHE KULTUR – KARRIERE EINES KONZEPTS Ansätze und Anwendungen am Beispiel der römischen Republik Karl-Joachim Hölkeskamp, Köln „Politik ist nicht mehr ‚Rückgrat‘, sondern ‚Kern‘ der Geschichte.“1
I. DEFINITION(EN) UND INSPIRATION(EN) In der modernen Althistorie taucht der Begriff ‚politische Kultur‘ meines Wissens erstmals am Ende des letzten Jahrhunderts auf. Im Jahre 1989 führte Josiah Ober das Konzept ‚political culture‘ in seinem grundlegenden Buch über Rollen, Status, Funktionen und Typologie der Redner und der Rede, der Rhetorik und der ‚diskursiven‘ Konstruktion der Demokratie in der politischen Kultur Athens im 4. Jahrhundert v. Chr. ein.2 Unabhängig davon überschrieb William Harris mit dem gleichen Begriff seine 1990 erschienene Replik auf John Norths Kritik an jener lange vorherrschenden Vorstellung einer Art Nullsummenspiel von ‚Parteien‘ und Faktionen innerhalb der Oligarchie, die dieser als die hergebrachte „frozen-waste theory“ der römisch-republikanischen Politik nach Friedrich Münzer, Matthias Gelzer und Ronald Syme bezeichnet hatte3 – mit diesem Austausch begann recht eigentlich die Debatte um Fergus Millars radikal-ikonoklastische Charakterisierung des „politischen Charakters“ der mittleren Republik als Variante der antiken Demokratie,
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Le Goff (1971) 1990: 352. – Der folgende Text ist die erheblich erweiterte Fassung eines Vortrages, den ich zunächst in einer englischen Version auf Einladung von William Harris bei dem Symposium „Crossing Boundaries. Ancient History Explores Its Future“ an der Columbia University im April 2012 und dann an den Departments of Classics der Universitäten Toronto und McGill in Montreal gehalten habe, wo Christer Bruun bzw. Hans Beck meine Gastgeber waren. Die deutsche Fassung habe ich im Oktober 2012 auf der internationalen Tagung in Münster vorgetragen, zu der mich Ann-Cathrin Harders und Matthias Haake eingeladen hatten. Mein Dank gilt den Organisatoren für ihre Gastfreundschaft und den anderen bei diesen Gelegenheiten anwesenden Kolleginnen und Kollegen für Kritik und mannigfache Anregungen, sowie – wieder einmal last, but definitely not least – Elke Stein-Hölkeskamp für überhaupt alles. Ober 1989: XIV; 35 f.; 339. Harris 1990; North 1990 u. (1990) 2004. Vgl. Jehne 2006: 4–9; MorsteinMarx 2009: 102–108 und zu Voraussetzungen und Vorannahmen, Entfaltung und Einfluss der traditionellen Rekonstruktion römisch-republikanischer Politik sowie zu ihrer Kritik und schrittweisen Dekonstruktion ausführlich Hölkeskamp 2001 u. 2012.
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die dem klassischen Athen durchaus nicht unähnlich gewesen sei.4 Diese Debatte dauert bis heute an – dabei geht es allerdings längst nicht mehr darum, ob diese Etikettierung der politischen Kultur der Republik als (eine Art von) Demokratie angemessen oder unangemessen ist.5 Paradoxerweise war es nämlich gerade Millar, der diesen Begriff zwar ebenso vermieden hatte wie eine systematische und theoretisch reflektierte Explikation seiner Konzepte und Kategorien, der aber seinerseits die zentralen Funktionen der Rhetorik, der öffentlichen Rede und des Redners vor dem versammelten Volk auf dem Forum Romanum, also einer direkten, ‚dichten‘ und besonders verdichteten Form der Kommunikation und Interaktion in den Mittelpunkt seiner ‚Lesung‘ der politischen Ordnung der Republik gestellt hatte – und gerade diese Perspektive spielt in der erwähnten Debatte um die römische Republik, ihre politische ‚Ordnung‘ und um den konkreten ‚Charakter‘ von Politik und ‚des Politischen‘ eine entscheidende Rolle. Um es im Stil der allgemeinen Theorieund Methodendiskussionen zu formulieren, die jetzt zunächst skizziert werden sollen: es geht um die diskursiven und performativen Dimensionen einer spezifischen historischen politischen Kultur. Die Karriere dieses Konzepts hatte allerdings erheblich früher und auf ganz anderen Feldern begonnen. Dabei bestand der allgemeine intellektuelle bzw. wissenschaftsgeschichtliche Hintergrund aus zwei Wurzeln, die ursprünglich aus ganz verschiedenen disziplinären Kontexten stammten, sich dann aber zumindest partiell miteinander kombinierten. Einerseits war das Konzept vor allem in den US-amerikanischen Politischen Wissenschaften schon seit den späten 1950er und frühen 1960er Jahren geprägt und theoretisch und methodisch weiter entfaltet worden – etwa durch Gabriel Almond, Sidney Verba und Lucian Pye.6 Ihr „einstellungszentriertes“ Konzept der ‚politischen Kultur(en)‘ und ihrer unterschiedlichen Typen und Ausprägungen in modernen Gesellschaften zielte zunächst auf eine empirische Analyse von subjektiven Meinungen und Überzeugungen, Kenntnissen und eben allgemeinen Einstellungen, also der kognitiven, affektiven und normativen Orientierungen von Individuen und Gruppen bezüglich Politik und politischem Handeln.7
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Millar (1984) 2002; (1986) 2002; (1989) 2002; (1995) 2002; (1995a) 2002 u. 1998. S. etwa die abgewogene Stellungnahme von North 1990; (1990) 2004: 148–152, 157 f. sowie 2002. S. zur systematischen Kritik von Methoden, Begrifflichkeit und Thesen Millars etwa Jehne 1995 u. 2006: 14–20; Hölkeskamp (2000) 2004 u. (2004) 2010: Kap. 1 und aus einer anderen Perspektive Mouritsen 2001: 3–6, 16 f. u. ö.; Tatum 2009. S. zu der Debatte insgesamt zuletzt Hurlet 2012 mit umfassender Dokumentation. S. zu Definition, Inhalt und empirischen Anwendungsmöglichkeiten des Konzepts etwa Al mond/Verba 1963; Pye/Verba 1965 (darin insbesondere die Einleitung von L. W. Pye: 3–26, und die Zusammenfassung von S. Verba: 512–560); Almond/Powell 1966; Pye 1968; Ro senbaum 1975. Vgl. zur Diskussion darüber in den Politikwissenschaften etwa Pateman 1971; Lehman 1972; Dittmer 1977; Chilton 1988; Fuchs 2007 sowie zu Rezeption und Weiterentwicklung des Ansatzes etwa Rohe 1990; Lipp 1996: 82–85, 87–90 u. pass.; Mergel 2002: 583 f. u. 2004: 414 f. Vgl. dazu Schwelling 2001: 604–609 (auch zum Begriff).
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Interessanterweise schloss ihre systematische Entfaltung einer Typologie politischer Kultur(en) als einer neuen, umfassend angelegten disziplinären Matrix (wenn auch nur en passant) einen Seitenblick auf den Typus eines „säkularisierten Stadtstaates“ ein. Dieser Sonderfall sei durch eine im Vergleich zur Moderne zwar „begrenzte Differenzierung“, aber immerhin „relativ komplexe soziale Strukturen“ charakterisiert – zu diesem speziellen Typ seien die griechischen Stadtstaaten, das republikanische Rom sowie einige Stadtstaaten des mittelalterlichen Europa zu rechnen. Deren urbane „stratifizierte Gesellschaften“ hätten sich durch verschiedene, sich aber regelmäßig überschneidende Statusunterschiede, ökonomische Differenzierung, Spezialisierung und Arbeitsteilung sowie durch verschiedene Formen der sozialen (Selbst-)Organisation, etwa in Zünften und Gilden, und auch durch besondere Varianten der politischen Repräsentation in „city assemblies“ ausgezeichnet. Da aber der ‚Stadtstaat‘ als Form politischer Organisation nun allenfalls noch von historischem Interesse sei, mache es wenig Sinn, die „verschiedenen Kategorien zu untersuchen, mit denen die Beispiele dieses Typs systematisch erfasst und analysiert“ werden könnten.8 Als Historiker der Vormoderne generell und der antiken ‚Republiken‘ im Besonderen wird man das naturgemäß durchaus anders sehen. Man muss sogar feststellen, dass das Interesse zumindest der im weitesten Sinne historischen Disziplinen an ‚Stadtstaaten‘, ‚city-states‘, an ihren kulturund/oder epochenspezifischen Ausprägungen von „state-ness“ bzw. Staatlichkeit und nicht zuletzt an ihrer je eigentümlichen politisch-kulturellen Verfasstheit durchaus ungebrochen ist und in den letzten Jahrzehnten eher noch zugenommen hat.9 Der andere Ursprung der Karriere des Konzepts liegt in den Debatten um die diversen ‚Wenden‘ der jüngeren Geschichte – vom ‚linguistic‘ bis zum ‚cultural turn‘, denen weitere ‚turns‘ (oder vielleicht eher: ‚sub-turns‘ unter dem Dach eines umfassenden ‚cultural turn‘) folgten, etwa der ‚anthropological‘, ‚spatial‘, ‚performative‘ und ‚communicative turn‘10 – und in deren Bedeutung für die neuen Fra8 9
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Almond/Powell 1966: 256–258. Vgl. allgemein etwa Burke 1986 u. Parker 2004, sowie Hansen 2000a u. 2000b. S. zur neueren Forschung zu ‚city-states‘ in den Zivilisationen des antiken Mittelmeerraumes und darüber hinaus neuerdings Scheidel 2013: 30–32 und etwa Hölkeskamp (2004) 2010: 71–75 u. ö., jeweils mit weiteren Nachweisen, und vor allem die Beiträge in den großen Sammelbänden von Griffeth/Thomas 1981; Molho/Raaflaub/Emlen 1991; Rich/WallaceHadrill 1991; Nichols/Charlton 1997; Hansen 2000 u. 2002; Hansen/Nielsen 2004; Bang/Scheidel 2013 u. Lundgreen 2014. Vgl. außerdem die einschlägige mediävistische und frühneuzeitliche Forschung, etwa Schlögl 2004; Krischer 2006; Weller 2006; Goppold 2007; Schil ling 2012, dort jeweils die Einleitungen zu theoretischen Grundlagen und methodischen Ansätzen; s. vor allem Schwerhoff 2011a und die übrigen Beiträge in Schwerhoff 2011, sowie zu den italienischen Städten bereits Martines 1979 und die entsprechenden Beiträge in Molho/Raaflaub/Emlen 1991; Hansen 2000 u. Boucheron/Matteoni 2005. S. zu den diversen ‚turns‘ die umfassende Analyse von BachmannMedick 2006, sowie Tschopp/Weber 2007: 82–122; Nünning/Nünning 2008, sowie Roller 2010 zu ‚culturebased approaches‘ in den (römischen) Altertumswissenschaften. Vgl. Nippel 1988 zu dem (nach seiner Ansicht eher begrenzten) Erklärungspotential der ‚social‘ bzw. ‚symbolic anthropology‘ für die (Alte) Geschichte. S. zum ‚performative turn‘ insbesondere FischerLichte
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gen und Zugänge, theoretischen Ansätze und methodischen Zugriffe der neueren Geschichtswissenschaft generell und der ‚neuen Kulturgeschichte‘, ihre Forschungsfelder und Varianten im Besonderen.11 Wie auch immer man zu diesen ‚turns‘ stehen mag: einerseits darf man mit einiger Genugtuung feststellen, dass die „inflationär gewordene Rede“ von immer schneller aufeinander folgenden ‚turns‘ einen heilsamen Effekt hat, weil sie nämlich als solche schon dafür sorgt, dass der „Einzigartigkeits- und Ausschließlichkeitsanspruch“ jedes einzelnen ‚turns‘ zunehmend „unterminiert oder ironisiert“ wird.12 Andererseits wird dadurch zugleich das Bewusstsein geschärft, dass derartige ‚Wend(ung)en‘ – selbst wenn deren Propheten regelmäßig diesen ambitionierten Anspruch erheben – keine grundstürzend neuen Entdeckungen, Erfindungen oder revolutionären ‚Paradigmenwechsel‘ sind: Hier geht es also um weniger und anderes als bei dieser radikalen und prinzipiellen Form der ‚Wendung‘, mit der man schon früher die einschneidenden Brüche mit geltenden epistemischen Systemen in der Geschichte der (‚exakten‘) Wissenschaften zu bezeichnen pflegte.13 Unter einem ‚turn‘ der eher gemäßigten Art sollte man vielmehr eine Erweiterung der Fragestellungen, theoretischen Ansätze und methodischen Zugriffe verstehen, die aus „Verschiebungen von Blickwinkeln und Zugängen, die bisher nicht oder wenig beleuchtete Seiten sichtbar werden lassen“, resultieren und eine durchaus vergleichbare anregende und innovative Wirkung entfalten können: „Es kann also gar nicht genug turns geben“, so Karl Schlögel treffend, „wenn es um die Entfaltung einer komplexen und der geschichtlichen Realität angemesseneren Wahrnehmung geht.“14 Genau um eine solche „Raffinierung und Steigerung der Wahrnehmung“ und die dadurch erst möglich werdende „Verfeinerung des Registers der Geschichtsschreibung“15 geht es auch bei der ‚neuen Politikgeschichte‘ bzw. ‚historischen Politikforschung‘, die sich als Kulturgeschichte der Politik respektive des Politischen in einem umfassenden Sinne begreift.16 Noch einmal allgemeiner formuliert: dieser
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2003; Kolesch 2004 und die Sammlung klassischer Texte bei Wirth 2002, sowie zur Rezeption dieses ‚turn‘ in der Geschichtswissenschaft: Martschukat/Patzold 2003a; Jaeger 2004: 532 f., und zum ‚spatial turn‘ zuletzt Scott 2013: 1–13; Östenberg et al. 2015a u. Hölkeskamp 2015, mit weiteren Nachweisen. S. dazu die Überblicke von Daniel 1993; 1997 u. 2002; Jaeger 2004; Tschopp/Weber 2007 und die „(Zwischen-)Bilanz“ von Tschopp 2009 sowie die Einführungen von Landwehr/ Stockhorst 2004 u. Maurer 2008. Schlögel 2003: 68. Vgl. zu dieser ‚Rede‘ am Beispiel des ‚linguistic turn‘ und zu dessen (begrenzter) Wirkung auf die Geschichtswissenschaften etwa Trabant 2005 u. Rexroth 2009: 84–86, mit weiteren Nachweisen. Vgl. zum Begriff Kuhn 1967 und dazu die Kritik von BachmannMedick 2006: 16–19. Schlögel 2003: 68; vgl. auch BachmannMedick 2006: 48. Schlögel 2003: 502. S. dazu den einführenden Überblick von SchornSchütte 2006: 67–86, 113–116, sowie vor allem Frevert 2002: 161–164 u. pass. sowie 2005: 21–26 u. pass.; Landwehr 2003: 95–117; Mergel 2002 u. 2004; StollbergRilinger 2005a; Freist 2005: 6–8. Leider fehlt das Stichwort ‚Politik‘ bzw. ‚das Politische‘ in dem Katalog zentraler Themen der neueren Kulturgeschichte bei Daniel 2002: 297–379. Auch bei Landwehr/Stockhorst 2004 u. Maurer 2008 erhält die ‚Kulturgeschichte der Politik‘ keine eigenen Kapitel.
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neue Blick auf die (im doppelten Sinne) kulturelle Einbettung des Politischen als „Medium der Macht“17 ist wiederum integraler Bestandteil eines umfassenden Paradigmenwechsels, der gewissermaßen im Gewand eines weiteren ‚turn‘ daherkommt, nämlich in einer „‚kommunikationstheoretischen Wende‘ in der Wahrnehmung historischer Gegenstände“, die keineswegs nur in der Neueren und Neuesten (Politik-) Geschichte in den Mittelpunkt des Interesses rückt: Nach diesem Ansatz soll ‚Politik‘ zunächst grundsätzlich nicht mehr als „eindimensionaler Akt oder Prozess“ begriffen werden, „in dem von oben nach unten dekretiert, regiert, entschieden wird“. Vielmehr soll Politik konsequent als ein „vor allem diskursiv und symbolisch konstruierter“ bzw. medial hergestellter Handlungs- und „Kommunikationsraum“, das Handeln in diesem Raum also als „kommunikatives Handeln“ im weitesten Sinne begriffen werden.18 Dieses Handeln umfasse alle konkreten Akte, die „der Herstellung, Darstellung und Durchsetzung von Entscheidungen mit dem Anspruch allgemeiner Verbindlichkeit“ und damit der „Durchsetzung von Herrschaft“ dienen – und zwar „bei Zuwiderhandlung oder Verweigerung im Zweifelsfall auch unter Androhung von Sanktionen“. Das kann auf die Dauer nur dann gelingen, wenn in dieser „kommunikativen Praxis politischer Prozesse“ immer auch der notwendige „Legitimitätsglaube an die Rechtmäßigkeit von Herrschaftsbeziehungen“ und die Akzeptanz der Ausübung von Macht in Gestalt der erwähnten Durchsetzung von verbindlichen, auch mit Sanktionen bewehrten Entscheidungen (re-)produziert werden.19 Ein solcher „formalisierter, prozessorientierter und zugleich auf die Konstruktion von Bedeutung ausgerichteter“ Begriff von ‚Politik‘, der darunter einen „im permanenten sozialen Vollzug konstituierte(n) Kommunikationszusammenhang“ versteht, definiert diese also als Komplex oder Serie von kommunikativen Akten, die eben nicht nur auf die „Herstellung“ solcher Entscheidungen und ihre Implementierung zielen; dieses Konzept schließt auch und zugleich die „Darstellung“ und Vermittlung dieser Entscheidungen als integralen Teil ihrer Hervorbringung und vor allem als Bedingung ihrer Verbindlichkeit, Geltung und Legitimität ein.20 Damit rückt die Dimension des Aushandelns von Agenden, Ansprüchen und ihrer Anerkennung, von Konflikten und Kompromissen zwischen Herrschern und Untertanen, Magistraten und Bürgern, Regierenden und Regierten, Eliten und breiten Schichten in jeweils kultur- und/oder epochenspezifischen Rollen, politischen 17 18
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Ich wandle hier die programmatisch-knappe Charakterisierung der Macht als „Medium des Politischen“ ab: Schlögl 2002: hier 104. Frevert 2002: 158 = 2005: 15 sowie etwa Haupt 2005: 305 u. 311; Andres/Geisthövel/ Schwengelbeck 2005: 9–15; Mergel 2002: 596–598. Vgl. bereits den Entwurf eines „political communication system“ als Konstitutivum von „political culture“ bei Dittmer 1977: 566–570 u. pass. Goppold 2007: 22 bzw. Andres/Geisthövel/Schwengelbeck 2005: 11 (Zitate). Diese Begrifflichkeit beruht natürlich auf Weber (1922) 1980: 122 f., 516, sowie 1968: 576–578, 580 f. zu den „Arten der legitimen Ordnung“ und zu ihren „Geltungsgründen“; vgl. Lüdtke 1991a: 11 f.; Freist 2005: 16 f., 26–34; Braddick 2005: 69 f., 71, 81 f., 88 u. pass. Schlögl 2004a: 21 f. u. 2002: 103, 109; StollbergRilinger 2001a: 12; 2005a: 21 u. 2010a: 11; Landwehr 2003: 105–115 u. danach Hölkeskamp 2009a: 38.
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Institutionen und gesellschaftlichen Konstellationen in den Blickpunkt – und dieses ‚Ver‘- und ‚Aushandeln‘ von Politik in einem impliziten Dialog, der ja nicht nur zwischen den sichtbaren Akteuren auf den institutionellen Bühnen der Politik stattfindet, und die darin notwendig beschlossene Reziprozität setzen wiederum Formen der Partizipation etwa der ‚Adressaten‘ politischen Entscheidungshandelns notwendig voraus. Idealiter erbringt diese Verschränkung „als wichtigste Leistung die ständige Vergewisserung und Verpflichtung aller Beteiligten“ und legt sie – über die konkrete Situation hinaus – auf Akzeptanz und Verbindlichkeit der geltenden Ordnung fest und stiftet bzw. (re-)produziert damit deren Legitimität.21 Als kommunikatives Handeln respektive Aushandeln in einer jeweils kulturspezifischen Konstellation partizipatorischer Reziprozität bedarf Politik notwendig des Mediums einer Sprache – wobei dieser Begriff in einem sehr weiten, ja metaphorischen Sinne zu verstehen ist. Denn dieses Medium besteht nicht nur (und nicht einmal unbedingt in erster Linie) aus einem „Sprechhandeln, das Informationen, Interessen, Botschaften, mitunter auch Befehle kommuniziert“22 – auch wenn das gesprochene Wort in öffentlicher Rede nicht nur etwa in den weitgehend oralen politischen Kulturen antiker Stadtstaaten gleich mehrere zentrale, auch und gerade symbolisch-expressive Funktionen zu erfüllen hatte (s. dazu unten). Die ‚Sprache‘ – oder genauer: die Medien – der „symbolischen Kommunikation“, um die sich das neue Konzept von Politik und politischer Kultur wesentlich dreht,23 besteht auch und vor allem in einem spezifischen und daher jeweils historisch zu bestimmenden Repertoire performativer Praktiken, das einerseits Rituale und Zeremonien, Feste, Feiern und andere Handlungen bis zu normierten Gesten und Gebärden als Träger und Vermittler symbolisch kodierter Inhalte und Botschaften umfasst24 – und dazu gehören nicht zuletzt die symbolisch-expressiven Dimensionen, die eben auch den nur scheinbar ausschließlich zweckrationalen technisch-instrumentellen Verfahren der Entscheidungsfindung und -durchsetzung eignen. Andererseits ist zu diesem Repertoire auch das gesamte kulturspezifische Inventar nichtsprachlicher Ausdrucksweisen zu rechnen: Bilder im umfassenden wie konkreten Sinne des Begriffs 21
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Althoff 1997: 373 u. 1999: 142 (Zitat). S. zu Charakter, Bedingungen und Formen von Partizipation als „Prinzip des Politischen“ aus philosophischer Sicht Gerhardt 2007 u. 2012: 316–334 u. ö. Vor diesem Hintergrund erscheint der Politikbegriff in dem seinerzeit vieldiskutierten (und auch -kritisierten) Buch von Moses Finley zur ‚Politik in der Antike‘ (Finley 1983 [1986]) noch zu konventionell und eng (Finley 1983: 11, 52 u. ö. = 1986: 23, 70 u. ö.; s. dazu jetzt Harris 2013a und die übrigen Beiträge in Harris 2013); die Kapitel zu „politics“ bzw. „politischem Handeln“ (3) und zu „participation“ (4) enthalten jedoch bereits darüber hinausweisende, dem neuen Politikbegriff sich annähernde Ansätze. Frevert 2002: 159 = 2005: 15. S. dazu StollbergRilinger 2004; Schlögl 2002: 109. Vgl. aus mediävistischer Sicht Alt hoff 1997 u. 1999; Althoff/Siep 2000; Rexroth 2009. S. zum vieldiskutierten (und höchst umstrittenen) Konzept des ‚Rituals‘ den luziden Überblick von Kolesch 2004: 287–290 und jetzt die souveräne Einführung in Rituale als „historische Phänomene“ von StollbergRilinger 2013. Vgl. etwa Wulf/Zirfas 2001 u. 2004a; Reh berg 2004 und die Beiträge in Caduff/PfaffCzarnecka 2002. S. zu Charakter, Strukturen und Funktionen antiker Feste etwa Beck/Wiemer 2009; Brandt/Iddeng 2012a u. Iddeng 2012.
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(einschließlich literarischer ‚Bilder‘ wie Allegorien), Architektur, Denkmäler und andere Monumente als visuelle Symbolisierungen von Macht, Herrschaft und Staatlichkeit. Dabei kann dieses Repertoire nicht nur zu deren „legitimierender Bestätigung“ dienen. Gerade in diesen Medien können auch (und gelegentlich zugleich) fundamentale „Werte und Normen vergegenwärtigt und bekräftigt“ werden, ohne dass es notwendig wird, „sie explizit diskursiv auszubuchstabieren und argumentativ zu begründen“25 – und das lässt wiederum die Unstrittigkeit dieser Werte und die eingeschriebene Selbstverständlichkeit ihrer Geltung ‚sichtbar‘ werden. Dagegen erlauben andere Medien mit andersartigem diskursiven Potential gelegentlich sogar eine „Austragung von Wertekonkurrenzen“26 – wie etwa in dem in jeder Hinsicht geradezu ‚klassischen‘ Fall der Tragödie im demokratischen Athen: Hier war und blieb das Theater zugleich ‚Bühne‘ (im realen wie metaphorischen Sinne) und zentrales Medium einer besonderen symbolischen Kommunikation über Werte und ihre Geltung, ihre Ambivalenzen und Kollisionen.27 Die kodierten Inhalte, (Be)Deutungen und Botschaften, die in diesen Medien vermittelt und verhandelt werden, müssen allerdings auch von allen Beteiligten an diesen Prozessen der symbolischen Kommunikation entschlüsselt und möglichst direkt gelesen werden können; denn diese wie jede andere Form der Kommunikation besteht ja nicht nur in der Formulierung und Kodierung von Inhalten, sondern bedarf immer auch des partizipatorischen Verstehens der Adressaten. In besonderem Maße gilt das offensichtlich für die in den erwähnten Medien rituell, bildlich oder auch sprachlich formulierten Symbole, die ja zunächst nur „uneindeutige Verweisungs- und Verdichtungszusammenhänge“ darstellen. Erst indem sie die Adressaten in einen gemeinsamen, vergesellschaftenden und integrierenden „interpretativen Zusammenhang“ ziehen, entfalten sie eine genuin politische Wirkung: Im Prozess des gemeinsamens (Aus-)Deutens der Symbole mit dem Ziel einer kollektiv bindenden Wert- und Sinnzuschreibung konstituieren sich die Beteiligten an dieser spezifischen Form der Kommunikation als „Erinnerungs- und Überzeugungsgemeinschaften“, welche die politische Identität der Gruppe wesentlich fundieren.28 Wenn man Politik als komplexen Prozess des Aushandelns begreift und dabei insbesondere auch die Reziprozität der Teilnahme an diesem Prozess in den Blick nimmt, ist damit allerdings keineswegs gesagt, dass solche Verhandlungen in einem hierarchie- und „herrschaftsfreien Raum unverstellter Kommunikation“ stattfinden. Und die genannte Partizipation und das dazu entwickelte Spektrum von spezifischen „habituellen Verfestigungen von Kommunikationssituationen“ nimmt auch keineswegs unbedingt (und empirisch-historisch nicht einmal häufig) die Gestalt einer voll entwickelten „gleichberechtigten Teilhabe“29 an. Gerade deswegen müs25 26 27 28 29
StollbergRilinger 2004: 506. SchornSchütte 2006: 104 f.; StollbergRilinger 2004: 505–511. S. dazu Hölkeskamp 2009a: 40 f., vgl. 16 f., 27 f., 48, mit weiteren Nachweisen. SchornSchütte 2006: 108 f. (nach Mergel 2002a). Vgl. zur Sache auch Gehrke 2003: 63–70. Frevert 2002: 158 = 2005: 15; Schlögl 2004a: 24 (Zitate). Vgl. Braddick/Walter 2001 zu Ebenen, Strategien und Medien des ‚Aushandelns‘ von Ordnung, Unterordnung und Hierarchie; Braddick 2005: 69 u. pass.
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sen die kommunikativen Prozesse des Aushandelns sowie Charakter, institutionelle Konstellationen und gesellschaftliche Figurationen der Partizipation in ihren jeweils epochen- und kulturspezifischen Ausprägungen, Graden und Formen bestimmt werden.30 Dazu muss immer auch und gerade der Blick auf die Regeln und Verfahren der Entscheidungsfindung gehören sowie darüber hinaus auf die Legitimierung dieser Regeln und die Akzeptanz der Entscheidungsträger, ihres Status, ihrer Rekrutierung, ihrer Ansprüche und ihrer ‚performance‘ – es geht also um ‚Macht‘ als kommunikativen Prozess und die Konstruktion, Reproduktion und Stabilisierung von Herrschaftsverhältnissen. Anders und genauer formuliert: ‚Macht‘ soll als „kommunikatives Verhältnis“ begriffen werden, „in dem bestimmten Individuen oder Kollektiven, aber auch sozialen und politischen Institutionen, Normen, intellektuellen, spirituellen und praktischen Kompetenzen sowie schließlich Medien aufgrund komplexer Zuschreibungs- bzw. Anerkennungsprozesse Legitimität, Vorrang, Überlegenheit oder Weisungsbefugnis zugesprochen wird“; umgekehrt können Personen oder Gruppen „durch bestimmte Verhaltensweisen“ in diesem kommunikativen Prozess diese Merkmale, Autorität und damit ihre Chancen, „den eigenen Willen in einem Gemeinschaftshandeln auch gegen den Widerstand anderer daran Beteiligter durchzusetzen“, erfolgreich generieren bzw. für sich reklamieren.31 Der ‚kulturalistisch gewendeten‘ neuen Politikgeschichte geht es also tatsächlich auch und vor allem um „Macht mit allen Formen ihrer Ausübung“ – im Gegensatz zu den typischen Unterstellungen der polemischen Kritik an dem neuen Ansatz wird nämlich hier gerade die Vielfalt und -gestaltigkeit von Macht, Herrschaft und Gewalt nicht nur besonders ernst genommen, sondern sogar in das Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt: Diese Politikgeschichte gibt sich eben nicht einem „Studium der Randbereiche des Politischen“ als Glasperlenspiel „mit den Symbolen im Staatsleben, seinen zeremoniellen signa extranea“ hin – natürlich nimmt sie die diskursiven Strategien in Gestalt „politischer Redeweisen und Argumentationsformen“ in den Blick; genauso selbstverständlich bemüht sie sich um die „Rekonstruktion vergangener Sinnwelten“ und fragt nach „Legitimationsmustern“ durch „Mythenbildung und Sinnkonstruktion“, nach Selbstverständnis bzw. „Selbstbildern der Mächtigen“.32 Diese Politikgeschichte insistiert allerdings darauf, dass 30
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Vgl. dazu die Beiträge in Marco Simón et al. 2006 und in Reinau/UngernSternberg 2013 und jetzt in Hammer 2015: Darin wird das Spektrum der Varianten von „participatory communities“ und deren konstitutive Dimensionen – von ‚Institutionen‘ und ‚Recht‘ über ‚soziale Normen‘, ‚Macht(lagerung)‘ und ‚Gruppierungsbildung‘ bis zu Rhetorik und ‚visual culture‘ systematisch vergleichend thematisiert; s. dazu K.-J. Hölkeskamp, in: sehepunkte 15, 2015, Nr. 6. Tschopp/Weber 2012a: 9; vgl. auch Landwehr 2003: 110–113. Die hier vorausgesetzte klassische Definition von ‚Macht‘ stammt bekanntlich von Max Weber (1922) 1980: 531, vgl. 28, 542 u. ö. Die Kritiker des kulturalistischen Ansatzes haben diese Fokussierung gelegentlich heruntergespielt oder ignoriert, so Nicklas 2004 in einer überspitzt polemischen Replik auf Landwehr 2003. Ich übernehme von Nicklas – zugegebenermaßen in ironischer Umkehrung seiner Attacke – die zitierten Begriffe: 5 bzw. 23, 22, 24 u. 21. Vgl. immer noch Kraus/Nicklas 2007a: 1, 12; Hochedlinger 2007: 245 sowie die Kritik an „Ansätze(n) und Perspektiven“ der „kon-
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„symbolische Praktiken und diskursive Strategien“ aller Art und das ganze Spektrum ihrer Medien, Formen und Inhalte von Ritualen und Zeremonien bis zu Festen und Spielen eben nicht als bloß „effektvolle Inszenierungen und ornamentale Äußerlichkeiten“ abgetan werden dürfen – vielmehr geht es darum, die jeweilige epochen- bzw. kulturspezifische, jedenfalls zentrale Rolle zu bestimmen, die Symbole, Praktiken und Strategien „schon bei der Konstitution von politischen Institutionen, Ordnungskategorien, Geltungs- und nicht zuletzt Herrschaftsansprüchen spielen“. Dazu müssen eingefahrene dichotome „Gegenüberstellungen wie die von ‚symbolischer‘ und ‚realer‘ Politik, von Schein und Sein, Form und Inhalt, von Deutungssystemen einerseits und Macht-, Herrschafts- und Interessenstrukturen andererseits“ aufgebrochen und aufgehoben werden.33 Genau darum geht es etwa auch bei dem Konzept der „figurativen Politik“, deren „phänomenologische und anthropologische Bestimmung“ die fundamentale Ebene der Macht ebenso einschließt wie die Dimensionen der „Übersetzung“ und „Vergegenwärtigung“ in Gestalt von „Symbolisierung, Inszenierung und Repräsentation“ einerseits und bei der institutionentheoretischen Annäherung an den Zusammenhang von Macht und ihrer symbolischen Repräsentation andererseits.34 Eine Kombination dieser Zugriffe will schließlich die schon vor einigen Jahren ausgerufene „praxeologische Wende“ im Gefolge Pierre Bourdieus leisten, die den Blick auf soziale Praktiken und performative Vollzüge konkreter Akteure richtet, „durch die soziales Geschehen in seiner Ordnung und seinem Wandel konstruiert“ werde.35 Mehr noch: eine praxeologische Geschichtswissenschaft will einen höchst anspruchsvollen integrativen Ansatz bieten, der „sich um eine Verbindung von Mikro- und Makrogeschichte“ bemüht, indem sie „die sozialhistorische Analyse von sozialen Milieus, Institutionen und sozialen Netzwerken mit der kulturhistorischen Untersuchung von Denkstilen, Verhaltensmustern und Diskursen“ verknüpft, was nicht nur etwa (vor)herrschende „Erwartungs – und Verhaltensdispositionen“, sondern eben auch „Sprache, Riten, Attitüden“ einschließen muss. Gesellschaftliche Kontexte und institutionelle Strukturen, die „symbolische Organisation von Wirklichkeit“ in und durch Diskurse und die darin eingebetteten konkreten Formen des Handelns individueller wie kollektiver Akteure sollen mithin als „kompatible Untersuchungsebenen“ begriffen werden.36 ***
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struktivistisch-kulturalistischen Politikgeschichte“ von „einer ‚traditionellen‘ problemorientiert-hermeneutischen Warte“ von Rödder 2006 (Zitate: 685). StollbergRilinger 2005a: 15 f. (Zitate). Vgl. bereits Daniel 1993: 92–95 zur „‚symbolischen Wende‘ der historischen Sozialwissenschaft“ (94) sowie Mergel 2002: 593–595 u. pass. Soeffner/Tänzler 2002: 21, 22–26 (Zitate) bzw. Göhler 1997a u. 1997b; Rehberg 1994: 70–73 sowie die übrigen Beiträge in Göhler 1997. Reichardt 2007: 44 f. (Zitat nach Bongaerts 2007: 249). Vgl. dazu allgemein Hörning 2004; Jaeger 2004: 531–534. Reichardt 2007: 44 f. u. pass. Vgl. zu einem solchen „integrative(n) Verständnis des Politischen“ bereits Langewiesche 1986: 22 f. (Zitate). S. auch Mergel 2002: 595–600 u. pass.
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Auf der Grundlage der erwähnten Angebote an Theorien, Konzepten und Kategorien hat sich mittlerweile ein Konzept von ‚politischer Kultur‘ entwickelt, das die Ansätze der modernen ‚Kulturgeschichte des Politischen‘ einerseits und der erwähnten politikwissenschaftlichen Richtung andererseits kombiniert. Diese Strategie soll es darüber hinaus ermöglichen, durchaus verschiedene theoretische Ansätze, methodische Zugriffe und Deutungsangebote miteinander zu verzahnen und in einen neuen, differenzierten und komplexen Kontext zu stellen – darin können dann auch die Impulse und Sichtweisen aus anderen Disziplinen eingehen, zu denen nicht nur Soziologie bzw. Sozial- und Kulturanthropologie und die moderne Kommunikationstheorie, sondern etwa auch die Wissenssoziologie und die neuere Institutionenanalyse zählen.37 Zunächst ist festzuhalten, dass ‚Politik‘ und das ‚Politische‘ grundsätzlich als mehrdimensional begriffen werden müssen. Einerseits gehört dazu deren „Inhaltsseite“, die allerdings keineswegs nur in der ‚Oberfläche‘ der explizit thematisierten und verhandelten Gegenstände und konkreten Agenden besteht. Zu dieser Inhaltsseite ist immer auch das „technisch-rationale“ System der Institutionen und Verfahren zu rechnen, in dem diese Agenden verhandelt, in verbindliche Entscheidungen gegossen, praktisch implementiert und durchgesetzt werden. Andererseits nimmt das hier entwickelte Konzept gezielt die „Ausdrucksseite“ und ihre „symbolischexpressiven” Dimensionen in den Blick,38 die ihrerseits wiederum nicht nur das kollektive Repertoire der geltenden Wertvorstellungen und Sinnkonzepte, Einstellungen und Grundüberzeugungen – mithin die ‚Mentalität(en)‘ einer gegebenen Gesellschaft –, sondern auch die erwähnten Medien, Symbole, visuellen und anderen Sprachen und diskursiven Strategien umfasst, durch die dieses Repertoire formuliert, entwickelt, kritisiert, modifiziert oder generell ver- und ausgehandelt wird. Die Ausdrucksseite einer gegebenen politischen Kultur beruht also zunächst auf dem Vorrat an geltenden Wertvorstellungen und Sinnkonzepten, allgemein geteilten Gewissheiten und Überzeugungen bezüglich Ordnung, Sitten und Bräuchen; dazu gehören sogar ganze Wirklichkeits- und Weltbilder und Systeme der Wahrnehmung, Deutung und Beurteilung der Lebenswelt – mithin das, was man (wieder einmal im Anschluss an Max Weber) als „nomologisches Wissen“ bezeichnen könnte. Dieses Wissen bezieht sich immer auf die Lebenswelt, indem es „Bedeutungs- und Handlungswissen“, Erfahrungs- und „Rezeptwissen“, Begriffe und Muster für die Wahrnehmung und Deutung der Realität und des Alltags und die Orientierung in ihnen bereitstellt. Dieses tief verwurzelte Wissen ist vortheoretisch und wird nicht reflektiert. Dieses Wissen hat darüber hinaus eine normative Seite – es umfasst damit etwa Regeln verschiedener Art und unterschiedlichen Verbindlichkeitsgrades, allgemein geteilte und gegenseitige Erwartungen an ‚richtiges‘ Verhalten in sozialen Rollen (und damit notwendig auch Vorstellungen und Maß-
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StollbergRilinger 2010: 4 f. sowie allgemein etwa Schimank 2004, jeweils mit weiteren Nachweisen. Begriffe nach Rohe 1990: 337–339 (s. dazu Schwelling 2001: 609–612) bzw. Stollberg Rilinger 2001a: 9, 12, 20 u. pass.
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stäbe der Beurteilung ‚falschen‘ Verhaltens).39 Grundsätzlich muss daher damit gerechnet werden, dass diese Ebene der kollektiven ethischen und kognitiven Dispositionen immer und überall auch die Einstellungen zu Politik, ihren Spielräumen, Gegenständen und Grenzen steuert. Und nicht zuletzt bestimmt diese Ebene auch wesentlich, was in einer gegebenen Ordnung überhaupt ‚politisierbar‘ ist, was also wann und wo, in welchem Kontext und auf welche Weise zum Thema diskursiver Verhandlung und offener Kontroverse gemacht bzw. auf die Agenda politischen Entscheidungshandeln gesetzt werden kann. Darüber hinaus werden auf dieser Ebene auch die Ansprüche an politische Führung, die Anforderungen und die Erwartungen an die einzelnen Handelnden wie an ganze politische Klassen, ihre Fähigkeiten und Möglichkeiten definiert – und das schließt die gesellschaftlich akzeptierten Regeln und Kriterien der Rekrutierung und Reproduktion politischer Handlungsträger und der Legitimierung von Eliten notwendig ein. Und nicht zuletzt gilt das gewissermaßen auch umgekehrt, nämlich für die Art und Weise der Erfüllung solcher Erwartungen durch die Handelnden, ihr individuelles und kollektives Selbstverständnis und ihre Selbstdarstellung, ihre Verhaltensmuster und Rollen – es gilt mithin für die gesamte komplexe ‚Dramaturgie‘ des politischen Handelns, öffentlichen Auftretens und ‚self-fashioning‘ überhaupt und damit für alle Formen und Ebenen des Umgangs einer politischen Klasse mit ihren individuellen Angehörigen, mit sich selbst als Gruppe wie mit den Beherrschten, wiederum individuell und kollektiv. Damit sind wir bei einer weiteren Ebene der höchst komplexen ‚Ausdrucksseite‘ einer politischen Kultur, nämlich der kognitiven Seite (im umfassenden Sinne des Begriffs): Hier geht es um die symbolischen, affektiven und ästhetischen Dimensionen, die für die Reproduktion der Legitimität des politischen Systems und die Vergewisserung des „Sinns“ bzw. der Sinnhaftigkeit von Politik und politischem Handeln, die Bestätigung von Zugehörigkeit und die Erzeugung von Zustimmung, die Stiftung und Pflege der kollektiven Identität der Gruppe, etwa einer Bürgerschaft oder auch einer sozialen bzw. politischen Elite, konstitutiv sind – anders formuliert, in der Metaphorik des ‚linguistic turn‘: Hier geht es um die „Sprache der Legitimierung“ einer soziopolitischen Ordnung, um das diskursive Umfeld, in dem diese Ordnung und ihr Anspruch auf Geltung und Legitimität nicht nur permanent verhandelt und bestätigt, sondern auch generiert und reproduziert werden. Diese ‚Sprache‘ umfasst einerseits ein spezifisches „Vokabular“ von Zeichen, Bildern, Mythen, Metaphern und Allegorien sowie von symbolischen Ausdrucksformen al39
S. dazu Hölkeskamp 2002: 132 f.; 2003: 89 f. (mit weiteren Nachweisen) u., mit Bezug auf Rom, (2004) 2010: 54 f., im Anschluss an Meier 1980: 339 f., 396 u. Weber 1968: 179, 192. Vgl. aus der Sicht des ‚praxeologischen‘ Ansatzes Hörning 2004: 144 (Zitat) u. pass.; Jaeger 2004: 538. Diese Bestimmung des Begriffs trifft sich übrigens mit Clifford Geertz „culture concept“ (1973: 89): „it denotes an historically transmitted pattern of meanings embodied in symbols, a system of inherited conceptions expressed in symbolic forms by means of which men communicate, perpetuate, and develop their knowledge about and attitudes toward life.“ S. zu „Regeln und Normen als Handlungsanleitungen und soziale(n) Konstruktionen“ zuletzt Lundgreen 2011: 29–50 sowie zu „informal norms, values, and social control“ in Griechenland bzw. Rom zuletzt Fisher 2015 bzw. Arena 2015.
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ler Art bis hin zu Gesten, Ritualen und Zeremonien, in denen das erwähnte ‚Ver‘bzw. ‚Aushandeln‘ abläuft. Andererseits bedarf diese ‚Sprache‘ einer „Grammatik“, also eines Vorrats an Usancen, Regeln und Konventionen, die die angemessene und akzeptierte Anwendung des ‚Vokabulars‘ bestimmen40 – übrigens erinnert diese Begrifflichkeit nicht zufällig an Christian Meiers Konzept einer „politischen Grammatik“ der späten Republik und ihrer ‚gewachsenen Verfassung‘,41 das avant la lettre die erwähnte Metaphorik des ‚linguistic turn‘ zu nutzen scheint. Dabei spielt der jeweils kultur-, epochen- und gesellschaftsspezifische Haushalt an performativen Ausdrucksformen eine besondere Rolle – gerade auch in Kulturen der „persönlichen physischen Präsenz“, der Unmittelbarkeit, Sichtbarkeit und des „unmittelbaren Handelns“:42 Theateraufführungen, Spiele und ‚Spektakel‘ aller Art,43 Feste, Zeremonien und alle Arten von „civic rituals“, zu denen in dieser Hinsicht eben auch formale Verfahren der politischen Entscheidungsfindung zu zählen sind44 – es ist ja längst anerkannt, dass „symbolisch-zeremonielle“ bzw. „symbolisch-expressive Funktionen“ und Formen von Ritualen einerseits und „technischinstrumentelle Funktionen“ von Verfahren, die auf „ergebnisoffene Entscheidungsfindung“ oder formale Inkraftsetzung zielen, andererseits sich eben „nicht einfach bestimmten Verfahrenstypen oder gar historischen Entwicklungsphasen zuordnen“ lassen. Weder sind also genuin „politische Verfahren“ nach rational anmutenden „Geschäftsordnungen“ einerseits und Zeremonien und Rituale andererseits vollständig und eindeutig voneinander abzugrenzen – und das gilt sowohl für vormoderne als auch für moderne politischen Kulturen –, noch darf daher nicht mit einer Art unilinearem Rationalisierungsprozess gerechnet werden.45 Das heißt des Weiteren: Auf der einen Seite haben auch genuin technisch-rationelle Verfahren immer auch symbolisch-zeremonielle Dimensionen und rituelle Formen; auf der anderen Seite haben Rituale und Zeremonien eine eigene, gewissermaßen autonome Funktion sui generis in der ‚Sprache der Legitimierung‘ und der komplexen Dramaturgie von Politik und Macht – dabei ist in vormodernen wie modernen politischen Kulturen mit einem schier unbegrenzten Spektrum von Mischungen und Überschneidungen zu rechnen. Auf je verschiedene Weise dienen alle Verfahren, Zeremonien und „civic rituals“ immer auch der regelmäßigen Reproduktion respektive affirmativen Bestätigung der „indigenous civic identity and ideology“, so ein Klassiker der kulturhisto40 41 42 43 44 45
Begriffe nach Braddick 2005: 69. Meier (1966) 1980: 23, 162–200 u. pass; vgl. neuerdings dens. 2015. S. dazu auch Lintott 1999; North 2006 und zuletzt Mouritsen 2015. Hölscher 1998: 69, 72, 69–76 u. pass. u. 2003: 164 und danach Hölkeskamp 2003: 85 f., u. 2014. Vgl. dazu insbesondere Dupont 1985 u. 2010; Coleman 2010 sowie Parker 1999 und die einschlägigen Beiträge in Christesen/Kyle 2014. S. zur performativen Dimension der (lateinischen) Literatur Lowrie 2010. Vgl. Flower 2004a u. Ziolkowski 2013. StollbergRilinger 2001a: 12 f. (Zitate) u. pass.; vgl. auch dies. 2010a: 10 f. und neuerdings Weller 2010 zu „Technik und Symbolik vormoderner Wahlverfahren“, sowie die diesbezüglichen Fallstudien in Dartmann/Wassilowsky/Weller 2010.
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risch gewendeten Renaissance-Forschung, nämlich Edward Muir.46 Diese „Identität“ beruhe auf einem breiten Konsens über soziale Normen und Werte: Diese Rituale inszenieren wiederum diese Werte, machen sie geradezu sicht- und greifbar und bestätigen dadurch die Geltung der ‚civic ideology‘ wie den Konsens darüber. Zugleich dienen sie auch noch als „medium of discourse“ zwischen den daran beteiligten (und diese Werte teilenden) Klassen, Ständen oder gesellschaftlichen Gruppen – anders formuliert: Als zentraler Bestandteil des jeweiligen kulturspezifischen ‚Vokabulars‘ und der ‚Grammatik‘ der symbolischen Kommunikation inszenieren und bestätigen ‚civic rituals‘ die jeweils gültige und legitime Ordnung aller sozialen Beziehungen. *** Daraus ergibt sich folgende programmatische Perspektive: Ein holistisches Modell einer politischen Kultur, also eine wirklich moderne theoriegeleitete, methodisch reflektierte und kontrollierte ‚Kulturgeschichte des Politischen‘ vormoderner wie moderner, historischer wie rezenter Kulturen muss nicht nur die verschiedenen Ebenen als solche, sondern vor allem ihre je spezifische Gewichtung, ihre Verschränkungen und Vernetzungen und schließlich die Dynamiken ihrer Interaktion thematisieren: erstens die ‚Oberflächenebene‘ der Gegenstände, Institutionen und formalen Verfahren des Entscheidungshandelns der Akteure in politicis, der Herstellung, Implementierung und Durchsetzung verbindlicher Entscheidungen; zweitens die gewissermaßen subkutane Ebene des jeweiligen Haushalts an geltenden Wertvorstellungen, Orientierungshorizonten und Sinnstiftungen; und vor allem drittens die diese gewissermaßen horizontalen Ebenen vertikal überschneidende symbolische Dimension politischen und sozialen Handelns, die das gesamte Spektrum der verbalen wie nonverbalen ‚Sprachen‘ der Kommunikation und performativen Formen der Interaktion umfasst. Ein solcher Ansatz müsste erstens nicht nur die bereits erwähnten Anregungen aus der modernen Ritualforschung integrieren, sondern könnte etwa auch von neueren methodischen Ansätzen und Interpretationsmodellen mittlerer Reichweite profitieren, wie etwa systemtheoretisch inspirierten Analysen von ‚Institutionen‘ und ‚Institutionalität‘, die (politische wie soziale) Institutionen nicht mehr statisch begreifen, sondern eher als symbolische Ordnungen und Figurationen in diachronen Prozessen, in denen Muster des Handelns, Funktionen und ihre ‚Erfindung‘ und Erfüllung durch Handlungsträger durch „Habitualisierung“, „Ritualisierung“, „Formalisierung“ und schließlich erst „Institutionalisierung“ ermöglicht bzw. generiert und stabilisiert werden. Mit anderen Worten: Institutionen müssen konsequent als „eminent geschichtliche Sachverhalte“ begriffen werden; denn als normative Strukturen, die aus der Wiederholung vergangenen Handelns, seiner Verfestigung und Verstetigung zu wiederholbaren Handlungsmustern entstehen, haben sie „immer eine Geschichte, deren Geschöpfe sie sind“ – und das heißt wiederum notwendig, dass sie nur aus dem „historischen Prozess, der sie heraufgebracht hat, zu begrei46
Muir 1981: 5.
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fen“ sind.47 Da das mutatis mutandis genauso für alle technisch-rationalen und symbolisch-expressiven Formen und Medien der Kommunikation gilt, liegt der mögliche Gewinn an Erklärungspotential aus einem Seitenblick auf die neuere historische Institutionenforschung auf der Hand – etwa wenn es um eine moderne, also institutionentheoretisch inspirierte Analyse des republikanischen Senats, seiner komplexen Funktionen und Beziehungen zu anderen Institutionen geht, um nur ein konkretes Feld zu nennen, auf dem sich dieser Gewinn realisieren lassen könnte.48 Zweitens kann ein solches holistisches Modell der Natur der Sache nach nicht ohne eine ausgeprägte komparative Dimension auskommen, durch die die Spannweite vergleichbarer soziopolitischer Strukturen49 und vor allem der denkbaren Varianten des ‚Vokabulars‘ und der ‚Grammatik‘ symbolischer Kommunikation etwa in Gestalt zeremonieller, ritueller und anderer ‚spektakulärer‘ Ausdrucksformen erst in den Blick genommen werden kann.50 Hier sollten die Angebote, die etwa der grundlegende, von Kurt Raaflaub und anderen bereits 1991 herausgegebene Sammelband, der die „Stadtstaaten der klassischen Antike und des mittelalterlichen Italien“ Athen und Rom einerseits und Florenz und Venedig andererseits51 enthalten hatte, systematisch wieder aufgenommen werden. Diese Angebote beruhen nicht zuletzt auf den innovativen Arbeiten des bereits erwähnten Edward Muir und anderer Vertreter einer ähnlichen Richtung der (amerikanischen) Frühneuzeitforschung wie Richard Trexler und Gene Brucker über Politik und Rituale, „civic world”, „civic values“ und „civic ideology“ im Europa der Vormoderne generell und in den italienischen Stadtstaaten des Spätmittelalters und der Renaissance im
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Acham 1992: 35; Berger/Luckmann (1966) 1980: 56–59, bes. 58 (Zitate); Melville 1992a; Mergel 2004: 416 f. S. dazu ausführlich Hölkeskamp 2003: 82–85, mit weiteren Nachweisen. Vgl. auch Rehberg 2004: 254–257 und zuletzt dessen wichtige tour d’horizon durch die moderne Institutionenanalyse: Rehberg 2012 und die Beiträge in Göhler 1994 u. 1997; Schimank 2004. Vgl. zum Verhältnis von Geschichtswissenschaft und Institutionentheorie(n) insbesondere Blänkner 1994 sowie zu ihren empirischen Anwendungen die bei Melville 1992 u. 2001 bzw. Melville/Vorländer 2002 u. Melville/Rehberg 2012 versammelten Fallstudien. S. zur Anwendbarkeit des Ansatzes auf die römische Republik Linke/Stemmler 2000a und die übrigen Beiträge zu konkreten Aspekten der kulturspezifischen ‚Institutionalität‘ in Linke/Stemmler 2000. S. dazu einstweilen Lintott 1999: 65–93; Hölkeskamp 2005: 120–129 u. pass.; Jehne 2013c, jeweils mit weiteren Nachweisen. Vgl. dazu etwa Martin (1990) 2009; (1997) 2009 u. (2002) 2009; Gehrke 2004 und jetzt Hammer 2015a, sowie die einzelnen Beiträge in Hammer 2015. Vgl. zu den Möglichkeiten und Perspektiven einer (in diesem Zusammenhang besonders relevanten) komparativen Analyse der Konstitution, der Herrschaftspraktiken und der Strategien des ‚self-fashioning‘ von Aristokratien neuerdings Beck/Scholz/Walter 2008a u. Walter 2008, sowie die Beiträge in Hammer 2015 und in Fisher/van Wees, die allerdings fast durchweg an der leider üblichen einseitig-selektiven anglozentrischen Wahrnehmung der einschlägigen Forschung leiden. Vgl. Bergmann 1999. Molho/Raaflaub/Emlen 1991. S. auch Hansen 2000a und die übrigen Beiträge in Hansen 2000, sowie die interessante Studie von Mouritsen 2011.
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Besonderen.52 Hinzu kommen weitere theoretische und methodische Anregungen, die nun von den wiederum weiterführenden, vom ‚communicative‘ bzw. ‚performative turn‘ im positiven Sinne inspirierten Arbeiten, etwa von Barbara Stollberg-Rilinger und Rudolf Schlögl, zu Politik zwischen Verfahren und Ritual, Interaktion und Kommunikation „unter Anwesenden“ als spezifische „kommunikative Form des Politischen in der vormodernen Stadt“ in vormodernen Kulturen der Präsenz und des unmittelbaren Handelns ausgehen.53 Last but not least sollte man drittens auch das Erklärungspotential der ebenfalls innovativen Rekonstruktion der radikal neuen ‚Sprache‘ der symbolischen Kommunikation in der eigentümlichen politischen Kultur der Französischen Revolution ausloten, die etwa von Lynn Hunt und Mona Ozouf in eindringlichen Analysen der „Poetik der Macht“ in den Medien der Rhetorik, der Bilder, Symbole und Praktiken generell respektive zur „Revolution als Fest“ und zum reichen Repertoire der revolutionären Feste im Besonderen vorgelegt worden sind. Dieser radikale Umbruch führt die zentrale Funktion symbolischer Praktiken besonders deutlich vor Augen, nämlich auf zweifache Weise: durch den „Prozess der Delegitimation einer Ordnung“ durch die Entweihung hergebrachter Rituale, die Zerstörung von Bildern und das Verbrennen von Symbolen und vor allem durch den daran erkennbar werdenden Konstruktionscharakter der neuen Ordnung, die ihrerseits „symbolisch-rituell durchgesetzt, verankert und auf Dauer gestellt werden muss“.54 Ein solches theoretisch begründetes umfassendes Konzept der ‚politischen Kultur‘ könnte eine Weiterführung und vielleicht sogar eine neue Stufe in der Entwicklung der neuen historischen Politikforschung allgemein und nicht zuletzt auch ganz speziell in der modernen Althistorie werden – wenn es den Test der empirischen Anwendbarkeit bzw. schlicht forschungspraktischen Operationalisierbarkeit besteht.
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Muir 1981 u. 1997 (s. dazu StollbergRilinger 2000: 391–393) und jetzt noch Muir 2004; Trexler (1980) 1991 (s. dazu Schwerhoff 1994); Brucker 1977: 302–318 u. ö. S. auch die einschlägigen Beiträge in Chiffoleau/Martines/Bagliani 1994; Najemy 2004; Howe 2007. S. aber Jaeger 2004: 536 zu den methodischen Problemen des Kulturvergleichs. StollbergRilinger 2000; 2001a; 2004 u. 2005a sowie zuletzt 2013: 114–123 bzw. Schlögl 2004a (Zitat); 2005; 2008 u. 2011. Hunt 1984: Part I, pass.; Ozouf 1976. Vgl. dazu StollbergRilinger 2005a: 21 (Zitat); Landwehr 2008: 152.
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II. ANWENDUNG(EN) – DIE RÖMISCHE REPUBLIK, ODER: EINE POLITISCHE KULTUR ALS ‚ENSEMBLE VON ENSEMBLES‘55 Wie immer gilt natürlich: Probieren geht über studieren – oder in dem bekannten Dictum von Goethes Mephisto, dass alle Theorie grau sei. Dabei wird man sich auch der Frage stellen müssen, ob hier alter Wein lediglich in neue Schläuche umgefüllt werde.56 Wenn diese modernen Ansätze empirisch und forschungspraktisch umgesetzt werden sollen, müssen wir ebenso grundsätzlich wie umfassend ansetzen. Konkret heißt das, dass wir die politische ‚Grammatik‘ des republikanischen Rom, das spezifische ‚Vokabular‘ der Wertkonzepte und Metaphern, der visuellen Symbole, der Rituale und überhaupt aller performativen Vollzüge in eine komplexe multidimensionale Rekonstruktion dieser politischen Kultur integrieren müssen57 – oder, um dieses ambitionierte Ziel in Clifford Geertz’ klassische Formel zu kleiden: Wir müssen lernen, diese Kultur der libera res publica als „Ensemble von Texten“ (im erweiterten Sinne des Begriffs) zu lesen, die jeweils selbst „Ensembles“ sind. Genauer gesagt: diese „Ensembles“ sind nicht nur konstitutive Teile oder Ebenen des großen „Ensembles“ der Kultur insgesamt, sondern sie haben ihrerseits immer auch Eigenlogiken und spezifische Eigenbedeutungen, die wiederum ihre Rollen und Funktionen, ihren Status und ihr Gewicht in ihrer Relation zu anderen Ensembles mitbestimmen. Diese „Ensembles“ sind eben nicht nur vielfältig miteinander vernetzt oder, so die vielzitierte Formulierung von Geertz, „unlösbar verstrickt“, sondern bilden gerade dadurch jenes vielzitierte „selbstgesponnene Gewebe von Bedeutungen“, innerhalb dessen sich Kommunikation, Interaktion und mithin auch politisches Handeln vollzieht.58 Im Fokus steht daher nicht mehr – oder genauer: nicht mehr nur – das Entscheidungshandeln von Feldherren, Magistraten und Senat, und es geht nicht mehr um die ‚Inhaltsseite‘ von angeblichen politischen Richtungen und Koalitionen, Trends und Tendenzen innerhalb der politischen Klasse im Sinne der eingangs erwähnten „frozen-waste theory“. Es geht auch nicht mehr – oder wiederum genauer: nicht mehr nur – um die sozialen Grund- und Rahmenbedingungen des Ensembles oder Subsystems der politischen Ordnung in Gestalt der Institutionen und Verfahren. Vielmehr rückt hier das, was die von Chris55
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Die folgenden Ausführungen beruhen auf einer Reihe früherer Publikationen: Hölkeskamp (1995) 2004; (1996) 2004 u. (2001) 2004; 2006; 2008; 2009; 2011, 2011a u. 2011c; 2013 u. 2013a. Meine Überlegungen zu den theoretischen und methodischen Ansätzen der bisherigen ‚Rekonstruktionen‘ der Republik, zu den gegenwärtigen Debatten und zu denkbaren zukünftigen Perspektiven der Forschung ([2004] 2010) sind ihrerseits zum Thema einer Debatte geworden: David 2006; Yakobson 2006; 2006a u. 2010: 282–285 u. pass.; Zecchini 2006; Craw ford 2011 (und dazu meine Replik: Hölkeskamp 2011b); Hurlet 2012. Jedenfalls vermutet Gehrke 2011: 354, dass Alfred Heuß genau diese Frage gestellt hätte. S. dazu den grundlegenden Überblick von Jehne 2006 sowie MorsteinMarx 2009: 107–110 u. pass. Leider fehlt ein einschlägiger Beitrag zum Thema ‚Politik‘, ‚politische Kultur‘ o. Ä. in dem (nach einem erkennbar ‚kulturalistischen‘ Programm angelegten) Sammelband von Bar chiesi/Scheidel 2010 – vgl. aber Roller 2010: 238 f. Geertz 1973: 452, 5 bzw. 89. S. aber die Kritik an Geertzʼ „inkonsistenten Kulturdefinitionen“ von Lipp 1996: 92 f. Bezeichnenderweise taucht der Begriff auch in dem ‚praxeologischen‘ Konzept von „Kultur als Praxis“ auf: Hörning 2004: 146 u. pass.
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tian Meier seinerzeit erstmals geforderte allgemeine Parteiungstheorie59 nur indirekt thematisiert hatte, in den Mittelpunkt des Interesses, nämlich das, was gerade nicht zum Gegenstand des politischen Handelns und der bewussten Reflektion wurde (oder werden konnte), was nicht auf die Agenda des Entscheidungshandelns kam, was eben nicht offen thematisiert und womöglich kontrovers debattiert werden konnte und das dennoch gewissermaßen implizit oder subkutan im politischen Diskurs präsent war und damit als Teil, ja als wesentliches Fundament dieses Systems anzusehen ist.60 Hinzu müssen mindestens zwei weitere, ihrerseits untereinander und mit diesen Ebenen „unlösbar verstrickte“ Ensembles kommen: Einerseits ist das jener kollektive mentale Horizont, den man mit dem erwähnten Konzept des „nomologischen Wissens“ bezeichnen könnte; andererseits ist es das ‚Ensemble‘, das seinerseits auch wiederum aus ‚Ensembles‘ gewissermaßen zweiten oder dritten Grades besteht – nämlich das gesamte Repertoire von Möglichkeiten, Medien und Formen, mit denen das Ensemble des nomologischen Wissens sichtbar gemacht, reproduziert und bestätigt, ergänzt und modifiziert und sonstwie ausgehandelt wird. Es geht hier um das ebenso reiche wie vielschichtige Spektrum von Pomp und Prozessionen, Ritualen und performativen Vollzügen aller Art, das sich mit dem Ensemble der formalen Verfahren überschneidet und es partiell überlagert. Mit anderen Worten – um es mit dem erwähnten Edward Muir zu formulieren: Wie das Venedig der Renaissance kann man das Rom der Republik mit Fug und Recht als „Republik der Prozessionen“ verstehen; wie die ‚Serenissima‘ war die libera res publica eine „Herrschaft durch Ritual“,61 also ein ‚Ensemble‘ von ‚civic rituals‘ im umfassenden Sinne, die ein dichtes Gewebe von Bildern und Symbolen, Botschaften und Bedeutungen bildeten, die die Allgegenwart und die komplexe Vernetzung von Machtstrukturen durch Ein-, Über- und Unterordnung in institutionellen, formalen und informellen Hierarchien inszenierten und dadurch reproduzierten und legitimierten. Und wie in der ‚Serenissima‘ war diese Sprache (oder ‚Poetik‘) der Macht in dieser Kultur der spektakulären Sichtbarkeit notwendig visuell und performativ – man denke nur an den Triumph und die pompa funebris, die beide als besonders vielschichtige und vielsagende ‚Ensembles‘ im vollen Sinne des Begriffs eine jeweils eigene ‚Grammatik‘ in Gestalt einer elaborierten Ritualsyntax einerseits und ein ‚Vokabular‘ von symbolisch hochgradig, zum Teil mehrfach aufgeladenen Bil-
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Meier 1976: 40–47; ders. (1966) 1980: XXXII–XLIII. Vgl. auch Hölkeskamp (1987) 2011: 14–17, 305 f.; (2004) 2010: 24, 30; 39 f., 51 f. u. ö. Zu diesem Zweck sollten nun auch die Frageansätze, Methoden und Erklärungspotentiale der ‚historischen Diskursanalyse‘ einbezogen und nutzbar gemacht werden, welche die (zumindest „in bestimmten Gesellschaften recht klar abgegrenzte[n]“) „Bereiche des Machbaren, Denkbaren und Sagbaren“ thematisiert: s. dazu Landwehr 2008 (Zitat: 21). Muir 1981: 185–189; vgl. allgemein auch ders. 1997: Kap. III 7 („Government as a ritual process“: 229–268). S. zu Rom Hölkeskamp 2011c u. 2014, sowie die Beiträge in Östenberg et al. 2015.
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dern und Zeichen andererseits aufweisen, was nicht zufällig gerade in jüngster Zeit vielfach thematisiert worden ist.62 Der Triumph war das besonders opulente Spektakel, in dem ein Imperiumsträger als siegreicher Feldherr an der Spitze seines Heeres in die Stadt zurückkehrte und durch die zentralen öffentlichen Räume vom Marsfeld durch den Circus Maximus über die Sacra via und das Forum zum Tempel des Iuppiter Optimus Maximus auf dem Capitol zog.63 Schon die Route dieser Prozession aus dem Außenraum militiae über das pomerium in den Innenraum domi und zum politisch-religiösen Zentrum der Stadt und des Imperiums bildete einen wesentlichen Aspekt der rituellen Syntax. Dazu gehörten natürlich auch deren weitere, immer wieder sofort erkennbaren konstitutiven Elemente – vom vielfältig symbolisch aufgeladenen Aufzug des Triumphators selbst über die Präsentation der Gefangenen und der Beute bis hin zu den wechselnden Lob- und Spottgesängen der mitziehenden Truppen. Die gesamte Syntax bestand aus einem höchst komplexen System von Zeichen und Botschaften, das sich keineswegs in einer bloßen Repräsentation eines konkreten Sieges und einer allgemeinen Sieghaftigkeit erschöpfte. Sie diente auch und vor allem der symbolischen Kommunikation zwischen dem Triumphator als einmalig erhöhtem Individuum einerseits, der politischen Klasse als Kollektiv, aus dem er kam und in das er zurückkehren musste, andererseits und dem populus Romanus als drittem ‚Teilnehmer‘, der in Gestalt des Publikums, das als institutionalisierte Bürgerschaft in der Versammlung den heimkehrenden Imperiumsträger in den Krieg geschickt hatte und das zugleich auch als Bürger-Soldaten in den Legionen im Gefolge des Triumphators gleich mehrfach (ko-)präsent war. In diesem kommunikativen Dreieck ging es um symbolische Ansprüche verschiedener Art, etwa auf Anund Übereignung des Sieges durch bzw. an den populus Romanus und seine Elite, um den daraus entstehenden kompensatorischen Anspruch des Triumphators auf besonderen Rang, dignitas und ideelle Prämien in Gestalt einer verstetigenden Monumentalisierung seines Ruhmes durch Denkmäler (was immer höchst sensibel und daher oft auch umstritten war)64, und auch um den kollektiven Anspruch der gens togata auf eine von den Göttern gewollte Überlegenheit. Das erwähnte kommunikative Dreieck beherrschte auch die rituelle Syntax der pompa funebris:65 Das Leichenbegängnis eines Angehörigen der politischen 62 63
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Vgl. dazu und zum folgenden insgesamt etwa Flower 2004a: 326–337, u. dies. 2011; Beck 2005a; Linke 2006; Hurlet 2012a: 162–165; Hölkeskamp 2008: 97–107, 109–114 u. (2004) 2010: 57–59, 112–115, 120, 123 u. ö., jeweils mit weiteren Nachweisen. Vgl. dazu insbesondere etwa Flaig 2003: 32–48 (dessen interessante Deutung des Triumphes als „individuelle Aneignung kollektiver Leistung“ aus meiner Sicht gegen den Strich zu lesen ist), ferner Itgenshorst 2005; Bastien 2007; Östenberg 2009 sowie Brilliant 1999 u. Patterson 2000: 31–35. S. zu der eigenwilligen Re- (oder eher: De-)Konstruktion des Triumphes durch Beard 2007 etwa Hölkeskamp 2010. Vgl. dazu Pittenger 2008 (und dazu Hölkeskamp 2010a) u. jetzt Lundgreen 2011: 178– 263. Vgl. dazu grundlegend Flower 1996: 91–158 u. pass.; Flaig 2003: 49–74; Blösel 2003: 53–66; Walter 2003: 259–267 u. 2004: 89–108; sowie Bodel 1999; Hölkeskamp 2008: 104–107 etc. u. neuerdings Favro/Johanson 2010; Blasi 2012; Flaig 2014 u. 2015.
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Klasse führte immer vom Haus des Verstorbenen zu einem anderen politisch-religiösen Zentrum Roms und des Reiches, zum Forum Romanum und zu den rostra am Comitium. Dabei ging es nicht in erster Linie um das letzte Geleit für den Verstorbenen selbst, sondern um seine rituelle Aufnahme und Einordnung in die Reihe seiner Vorfahren: Zu diesem Zweck waren diese in dieser Prozession symbolisch präsent, nämlich in Gestalt der wächsernen Porträtmasken (imagines), die sonst in Schränken im Atrium jenes Hauses aufbewahrt wurden, von dem die pompa ausgegangen war, und die nur bei Gelegenheiten wie dieser im vollen Sinne (wieder) ‚sichtbar‘ wurden. Die Masken wurden von Personen getragen, die den Rang des betreffenden Vorfahren genau repräsentierten: Sie waren in die Amtstracht des höchsten Amtes gekleidet, das er zu Lebzeiten erreicht hatte – die purpurgesäumte Toga des Praetors oder Consuls oder eben auch die goldbestickte Purpurtracht des Triumphators –, und sie wurden von einer dem Rang entsprechenden Anzahl von Liktoren in Trauerkleidung begleitet. Die Parade der Vorfahren war streng chronologisch geordnet und begann immer mit dem ältesten Ahn, der im Wortsinne Rang und Namen in die Familie in Gestalt von curulischen Ämtern (honores) eingebracht und damit den Grundstock ihres symbolischen Kapitals gelegt hatte. Hier wurde also kein konventioneller Stammbaum vorgeführt: Diejenigen Vorfahren, die (aus welchen Gründen auch immer) keine honores erreicht hatten, hatten in dieser Reihe der erfolgreichen Mehrer des symbolischen Kapitals der Familie eben nichts zu suchen. Das Kernstück der Ritualsyntax der pompa funebris bildete die laudatio auf den Verstorbenen, die von der Rednertribüne am Comitium gehalten wurde.66 Diese Rede, die wie das gesamte Ritual festen Regeln folgte, war nicht nur gewissermaßen die letzte, explizite und endgültige Bestätigung, dass der Verstorbene zu den Siegern in der allgegenwärtigen, permanenten und scharfen Konkurrenz um honores, dignitas und auctoritas innerhalb der politischen Klasse67 zählte und damit in die glorreiche Geschichte seiner Familie eingehen konnte; denn es ging bezeichnenderweise nicht nur um seine Karriere und seine Leistungen für die res publica im Dienst des populus – der Redner wandte sich auch an die symbolisch präsenten Ahnen, die sich auf curulischen Amtsstühlen niedergelassen hatten, und ging im zweiten Teil einer typischen laudatio auch auf die honores, Taten und Tugenden jedes einzelnen Vorfahren ein. In dieser Ritualsyntax verwiesen also Symbole und Rede, visuelle und performative Elemente so aufeinander, dass allen Anwesenden – den lebenden Angehörigen der Familie, ihren peers aus anderen großen gentes und dem ko-präsenten Volk auf dem Forum – die Chronik der glorreichen Tradition einer einzelnen Familie in einer medial dicht vernetzten und daher besonders eindringlichen Form im Wortsinne vorgeführt wurde. Mehr noch: zugleich sollte und konnte diese Tradition von Leistung und Erfolg in Politik und Krieg einerseits als Beitrag zum Aufstieg von res publica und Imperium zu gegenwärtiger Größe und 66 67
S. dazu insbesondere Kierdorf 1980; Hölkeskamp (1995) 2004: 219–221, 224 f., 228 f., 237 f. u. (1996) 2004: 188–190, sowie ausführlich Flower 1996: 128–158 u. zuletzt Covino 2011. Vgl. dazu Hölkeskamp (1987) 2011: XXIX–XXXI; Kap. VI und S. 329 u. 2006, jeweils mit weiteren Nachweisen, sowie allgemein zum Konzept der Konkurrenz ders. 2014a.
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damit als integraler Bestandteil der Geschichte des ganzen populus Romanus wahrgenommen werden, was andererseits auch noch als ebenso glanzvolle wie überzeugende Bestätigung der kollektiven Grundorientierungen, des Wertehorizontes und des Verhaltenscodes der politischen Klasse, ihres legitimierenden ‚self-fashioning‘ als Meritokratie und ihres daraus abgeleiteten Anspruchs auf Führung wirkte.68 *** Mit vollem Recht kann man die politische Kultur der römischen Republik also als „culture of spectacle“ bzw. „civilisation du spectacle“ bezeichnen.69 In einem weiteren Sinne der Begriffe ‚Spektakel‘, ‚Ritual‘ bzw. ‚Zeremonie‘ gehört daher auch das ganze Spektrum der ‚ritualisierten‘ Gesten des Umgangs, der Foren und Formen der symbolischen Kommunikation zwischen Hoch und Gering, nobiles und rangniedrigeren Senatoren, zwischen allen Senatoren und Volk, Patronen und Clienten, Magistraten und Versammlungen, Feldherren und Soldaten, Volkstribunen und plebs in diesen Zusammenhang. Denn alle diese informellen und formalen, unterschiedlich dicht institutionalisierten Beziehungen waren per definitionem und geradezu der Natur der Sache nach hierarchisch, gekennzeichnet durch eine steile Asymmetrie von Autorität und Macht.70 Allgegenwart und Alltäglichkeit der Generierung und Reproduktion von hierarchischer Distanz wurden nicht nur durch ein reiches Repertoire von visuellen Zeichen, Abzeichen und Emblemen, sondern auch durch die Art und Weise des Auftretens von Magistraten und Senatoren im umfassenden Sinne des Begriffs ‚sichtbar‘ gemacht. Selbst die öffentlichen Auftritte der ‚einfachen‘ Senatoren – wenn dieser Begriff überhaupt angemessen ist – auf dem Weg zum Forum oder zur Curie waren regelmäßig so etwas wie kleine pompae: Senatoren wurden immer von einem Gefolge begleitet; sie selbst waren durch ihre Kleidung, insbesondere den Purpurstreifen an der Tunika und besonderes Schuhwerk, sofort erkennbar, und vor allem sollten sie sich auch durch die kontrollierte, gemessene und betont würdevolle Art und Weise ihres Auftretens – also das, was mit Begriffen wie gravitas umschrieben wurde – in jeder Bedeutung des Begriffs auszeichnen. Mit Pierre Bourdieu könnte man von Hexis sprechen: Darunter sind die äußeren, sichtbaren Formen des Verhaltens, körperliche Haltungen, Gestik und Mimik zu verstehen – das alles trägt Bedeutung und vermittelt Botschaften, auch und vor allem in einer Kultur der Kommunikation und Interaktion zwischen Anwesenden. Die Hexis des römischen Senators diente der demonstrativen Markierung von Differenz und Distanz durch Distinktion.71 Die höheren Magistrate und Träger des imperium waren 68 69 70 71
Vgl. dazu etwa Hölkeskamp (1987) 2011: 204–240, 318–329, mit weiteren Nachweisen; ders. (2004) 2010: Kap. 7 u. pass.; Rosenstein 2006 und neuerdings Arena 2015. Flower 2004a: 322 u. pass. bzw. Dupont 1985. Vgl. dazu auch Beacham 1999: 1–44; Berg mann 1999; Bell 1997 u. 2004; Sumi 2005: 16–46 u. pass.; Dupont 2010; Coleman 2010. Vgl. bereits Martin (2002) 2009: 156 f. u. pass. S. aus einer interessanten Perspektive auch Jehne 2000; Mouritsen 2015 u. Tatum 2015. S. dazu grundlegend Flaig 1993; Martin (2002) 2009: 171 f. und neuerdings einstweilen Scholz 2005. S. zu Inhalt und Bedeutung der zentralen Kategorien Bourdieus – ‚Habitus‘,
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bei jedem Auftritt in der Stadt bzw. in Italien und den Provinzen erst recht von einer ehrfurchtgebietenden Aura umgeben – die Amtstracht, die purpurgesäumte toga praetexta, der Amtsstuhl (sella curulis) und vor allem die Liktoren mit den fasces, die das einfache Volk auf belebten Straßen und Plätzen auch einmal beiseite zu drängen und dadurch eben ‚auf Distanz‘ zu halten hatten, um dem Magistrat einen Weg zu bahnen, waren unmittelbar und für alle Beteiligten als unmissverständliche Zeichen zu lesen. Diese Zeichen und die Formen ihres performativen Einsatzes bildeten ein vernetztes System, das der demonstrativen Einforderung und permanenten Reproduktion der festen Ordnung von Über- und Unterordnung, Autorität und Reverenz, Befehl und Gehorsam diente.72 Dieses Prinzip der hierarchischen Ordnung der Lebenswelt galt selbst innerhalb des senatorischen Adels, der durch die Rangfolge der Ämter im cursus honorum, der sich im Prozess der Konsolidierung der patrizisch-plebeischen Elite und ihrer meritokratischen Ideologie schon seit dem frühen 3. Jh. v. Chr. schrittweise entwickelt und gefestigt hatte,73 in sich differenziert und stratifiziert war. In diesem Prozess entwickelte sich auch jene sehr spezifisch römisch-republikanische ‚Sprache der Legitimierung‘, die eine kontinuierliche diskursive Konstruktion von Ordnung, Hierarchie, Autorität und Gehorsam, Über- und Unterordnung ermöglichte und damit nicht nur der Repräsentation von Macht, sondern auch ihrer Generierung, Stabilisierung und Reproduktion diente. Die als besonders dicht erscheinende Vernetzung von abstraktem Wertekanon und ‚Ideologie‘, Regeln, kulturellen Praktiken und ‚civic rituals‘, Bildern und Botschaften konnte sich nur in einem spezifischen Kontext entwickeln, den man als ‚Stadtstaatlichkeit‘ bezeichnen könnte.74 Diese Variante von Staatlichkeit lässt sich nicht allein durch die fundamentalen, sehr allgemeinen Kriterien definieren, die in den meisten sozialanthropologischen Theorien als konstitutive Merkmale früher Staaten gelten:75 – –
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ein Mindestgrad an Zentralisierung und Institutionalisierung von entpersonalisierter Herrschaft in Gestalt von permanenten und funktional differenzierten Organen; ein entsprechender Mindestgrad an Formalisierung der Interaktion zwischen diesen Organen in Form von geregelten Verfahren der Streitschlichtung und generell der Herbeiführung, Implementierung und gegebenenfalls Durchsetzung verbindlicher Entscheidungen; ‚Feld‘ bzw. ‚Feldstruktur‘, ‚(symbolisches, soziales) Kapital‘ – etwa Raphael 2004 sowie zu ihrer empirischen Anwendung in der Analyse der römisch-republikanischen politischen Kultur außerdem Flaig 2004; s. auch ders. 2003. Vgl. dazu Gladigow 1972; Marshall 1984; Goltz 2000: 240–243 u. ö. u. zuletzt Hölkes kamp 2011c u. Östenberg 2015, jeweils mit weiteren Nachweisen. S. dazu grundlegend Beck 2005. Vgl. dazu und zum folgenden Hölkeskamp 2003: 85–87, u. ders. (2004) 2010: 67–75, 129 f., 135, jeweils mit weiteren Nachweisen. S. zur Problematik des Begriffs und zu seiner Anwendbarkeit auf die Antike etwa Walter 1998 u. zuletzt Lundgreen 2014a.
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die Konsolidierung dieser Strukturen auf einem Territorium, das als Herrschaftsraum definiert und markiert ist.
Die erwähnte republikanische Variante der ‚Stadtstaatlichkeit‘ hat darüber hinaus noch spezifische Charakteristika, die in den besonderen Bedingungen bestehen, unter denen politisches Handeln stattfindet. Hier sind die daran beteiligten Institutionen nicht entrückt und unsichtbar, sondern präsent und ganz dicht und unmittelbar aufeinander bezogen: Magistrate, Ratsorgane und Versammlungen treten sich immer direkt, ‚face-to-face‘ gegenüber – daher rührt etwa die zentrale Bedeutung der öffentlichen Rede, nicht nur in der hoch entwickelten Debattenkultur des demokratischen Athen,76 sondern auch in der oligarchisch-meritokratischen politischen Kultur der römischen Republik, deren eigentümlich asymmetrische Kommunikationsstruktur die allgegenwärtigen informellen und institutionell verfestigten soziopolitischen Hierarchien widerspiegelte und dabei zugleich reproduzierte.77 Denn auch hier war und blieb dieses Medium der Kommunikation das bei weitem wichtigste Vehikel, das die alltägliche, praktische Umsetzung der Interaktion zwischen Institutionen bzw. den in ihnen handelnden Personen und Gruppen überhaupt erst ermöglichte, solange diese Institutionen – wie etwa der Senat und die Volksversammlungen – bzw. alle wichtigen Verfahren der Entscheidung in ihnen ebenso wie die religiösen und sonstigen kollektiven rituellen Verrichtungen regelmäßig an den zentralen Ort wie die urbs Roma gebunden blieben. Mithin sind die zwischen diesen Organen ablaufenden, ihrerseits ebenfalls institutionalisierten Prozesse der Interaktion in eine überschaubare und permanent präsente ‚Öffentlichkeit‘ eingebettet,78 und zwar grundsätzlich und zugleich in mehrfacher Hinsicht: Erstens bleibt jedes politische Handeln sichtbar für alle Beteiligten, weil es vor und unter ihren Augen und (im doppelten Sinne des Begriffs) auf dem Forum einer mediterranen open-air-Kultur stattfindet – nämlich auf dem Forum Romanum und dem Comitium, dem Capitol und dem Marsfeld. Eine solche politische Kultur der persönlichen physischen Präsenz und des unmittelbaren Handelns mit ihrer besonderen Direktheit, Sichtbarkeit und Hörbarkeit auf allen Ebenen braucht ja eine entsprechende räumliche Dichte, nämlich die Verankerung ihrer verschiedenen Formen und Medien der Interaktion in eigens reservierten, markierten und abgegrenzten öffentlichen Räumen, die in die urbane Struktur der Stadt und ihre spezifische
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S. dazu Ober 1989; SteinHölkeskamp 2000; 2013 u. 2014, jeweils mit weiteren Nachweisen, ferner allgemein Roisman 2015. Vgl. etwa Hölkeskamp (1995) 2004; 2011; 2013 u. 2013a; MorsteinMarx 2004; David 2006a; Pina Polo 2011 u. 2012, jeweils mit weiteren Nachweisen. Das Interesse der neueren Forschung an dieser Ebene der römisch-republikanischen politischen Kultur wird durch die Beiträge in Smith/Covino 2011 u. Steel/van der Blom 2013 eindrucksvoll belegt. S. dazu zuletzt MorsteinMarx 2015. Auf die Debatte um Charakter, Konstitution und Funktion von ‚Öffentlichkeit(en)‘ in der Vormoderne, ihre ‚Ver-Ortung‘, ‚Fragmentierung‘ etc. kann hier nur hingewiesen werden: Schwerhoff 2004 u. 2011a; Krischer 2011, jeweils mit weiteren Nachweisen; Hölkeskamp 2014. S. zu Charakter und Konstitution von ‚Öffentlichkeit‘ als „politischer Form des Bewusstseins“ aus philosophischer Sicht jetzt die anregende Arbeit von Gerhardt 2012.
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politisch-religiöse Topographie eingebettet sind79 – dieses ‚Ensemble‘ der Ausdrucksseite der republikanischen politischen Kultur besteht wiederum aus einer Vielzahl von sich überschneidenden, sich ergänzenden und miteinander vernetzten Ebenen. Die öffentlichen Räume der Stadt sind ja nicht nur Ort und Rahmen politischen Handelns, sozialer Interaktion und ökonomischer Aktivitäten, sondern auch im Wortsinne ‚Schauplätze‘ der vielen religiösen Zeremonien und Feste: Die urbs Roma mit ihren Tempeln, Altären und Prozessionsrouten ist also auch eine sakrale Landschaft. Und nicht zuletzt machen diese und andere Bauten, Monumente und Denkmäler die Stadt auch noch zu einem großen ‚Schau-Platz‘ und zu einer „Erinnerungslandschaft“, also zu einem Raum der Bewahrung und Pflege des kulturellen Gedächtnisses der Bürgerschaft – mithin ihrer kollektiven Identität(en) und jener besonderen Art von mythhistorisch begründeten Sendungsbewusstsein, die Muir als „consciousness of a civic destiny“ umschrieben hat und die gerade die gens togata auszeichnete.80 Zweitens ist die erwähnte ‚Öffentlichkeit‘ als Bürgerschaft, als Gesamtheit des populus Romanus mit dem (Stadt-)Staat selbst identisch – nicht nur einem abstrakten ideologischen Anspruch nach, sondern wiederum auch konkret und sichtbar; denn diese ‚Identität‘ im doppelten Sinne wird permanent ‚öffentlich‘ durch die Vielzahl der auf diesen Foren regelmäßig vollzogenen ‚civic rituals‘ bestätigt und erneuert – ja, gerade diese Rituale müssen grundsätzlich und generell als „zentrales Medium zur Herstellung und Darstellung von Öffentlichkeit“ (im doppelten Sinne: als Raum und als „soziale Figuration“) in den verdichteten face to face-Gesellschaften vormoderner Städte begriffen werden.81 Drittens ist diese ‚Öffentlichkeit‘ in ihrer Gestalt als Versammlung ja selbst eine Institution, die an diesem Handeln und an allen Kommunikationsprozessen teilnimmt und dazu wiederum in eben denselben reservierten Räumen der politischsakral-memorialen Topographie der Stadt zusammentritt – in Rom sogar in mehreren Ausprägungen, nämlich nicht nur in den formellen Wahl-, Gesetzgebungs- und Volksgerichtsversammlungen, in den comitia centuriata bzw. tributa und den concilia plebis, sondern vor allem auch in den formlosen ‚beratenden‘ Versammlungen der contiones. Alle Formen der Versammlung des populus Romanus fungierten natürlich (im konkreten wie im metaphorischen Sinne) als wichtige ‚Foren‘ und Orte der Interaktion und Kommunikation zwischen der politischen Klasse und der Bür79
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Vgl. dazu grundlegend Hölscher (1998) 1999. S. zur Topographie der urbs Roma den knappen Überblick von Patterson 2000: 5–7, 13–17, 22 f. und die Forschungsberichte Patterson 1992: 186–200 u. 2010: 210–222, jeweils mit umfangreicher Dokumentation. S. jetzt außerdem Ziolkowski 2013; Bendlin 2013 und die übrigen einschlägigen Beiträge in Erdkamp 2013 sowie zuletzt Russell 2016. Muir 1981: 300 (Zitat). S. zur Sache etwa Hölscher 2001; Hölkeskamp (2001) 2004, vgl. auch ders. (1996) 2004 u. 2006a; Walter 2004: 118–121, 131–154, jeweils mit weiteren Nachweisen, sowie den Überblick von Ziolkowski 2013. Die besondere römische ‚Memorialkultur‘ ist in den letzten Jahren in den Mittelpunkt des Interesses der Forschung gerückt – s. Hölkeskamp (2001) 2004, 2006a u. 2014b mit weiteren Nachweisen, sowie die übrigen Beiträge in Galinsky 2014 u. 2016. So mit Recht Krischer 2011: 156 bzw. 132 (Zitate) u. pass.
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gerschaft – hier wurden immer wieder und regelmäßig, wenn auch zumeist implizit die Beziehungen zwischen ihnen, die gegenseitigen Erwartungen und Verpflichtungen im Rahmen des ‚Ensembles‘ der politischen Kultur ausgehandelt. III. NOCH EIN ENSEMBLE ALS EXEMPEL Ein besonders vielsagendes Beispiel sind zunächst die Rituale des Zusammentretens der Bürger auf Anordnung des versammlungsleitenden Magistrats und der folgenden Abstimmungen nach Klassen und Centurien bzw. Tribus auf dem Marsfeld oder auf dem Forum – von dem religiösen Zeremoniell der Eröffnung bis zur Verkündung und Inkraftsetzung des Abstimmungsergebnisses durch den Magistrat folgten sie einem komplexen, ritualisierten und symbolisch bedeutungsvollen Regelwerk.82 Die besondere Syntax der Versammlungen als Rituale diente auf eine für alle Beteiligten konkret erfahrene und daher besonders eindringliche Weise der Inszenierung und Affirmation von Zugehörigkeit und Integration, wie Martin Jehne jüngst herausgearbeitet hat:83 Die Zugehörigkeit des einzelnen civis Romanus zu einer Statusgruppe, einer (Vermögens-)Klasse bzw. einem Bürgerbezirk wurde dabei ebenso sichtbar wie die Zusammengehörigkeit dieser Gruppen und ihre Rolle im Rahmen des größeren Ganzen der res publica. Darüber hinaus kam in den Centuriatcomitien auch noch sinnfällig die hierarchische Ordnung des populus Romanus nach Rang und Vermögen zu einer regelmäßigen, sich wiederum rituell wiederholenden Darstellung. Dagegen stand in den comitia tributa und den concilia plebis die (formale) Gleichheit aller Bürger, die in einem Bezirk des Bürgergebietes ansässig und daher in die jeweilige Tribusliste eingetragen waren, deutlich im Vordergrund – und durch die jeweils unterschiedlichen Abstimmungsverfahren der verschiedenen Formen der Volksversammlung wurde die Sichtbarkeit und konkrete Erfahrbarkeit der „Hierarchisierung“ respektive „Egalisierung“ der abstimmenden Bürger noch verstärkt: Denn im Gegensatz zur Ordnung der Centuriatcomitien gab es bei den Tribusversammlungen keine feste, eben hierarchische Reihenfolge der Abstimmung, hier wurde die Reihung der Stimmeinheiten ausgelost. Vertikale und horizontale, hierarchisch und egalitär ausgelegte Zugehörigkeitsstrukturen ergänzten und überschnitten sich also, so dass ein besonders dichtes Netz von Integrationsebenen entstand, in dem jeder römische Bürger, jede Gruppe und jeder ‚Stand‘ des populus Romanus einen festen Platz und eine definierte Beziehung vor allem zu darüber und darunter positionierten Ebenen hatte: In diesem Netz bestätigten und 82 83
Vgl. dazu Lintott 1999: 43–49 und jetzt Hollard 2010 u. Jehne 2010 sowie ders. 2013a; Meier 2015: 620–650 u. pass. Jehne 2003 u. 2006: 17–23 sowie zuletzt 2013a u. 2014, auch zum folgenden. Jehne hat jetzt (2013a) die wichtige Differenzierung zwischen (formalen) „Partizipationsrechten“, (praktischrealen) „Partizipationsmöglichkeiten“, (faktischer) „Partizipationsbereitschaft“, (systemischstrukturellen) „Partizipationsfolgen“ und (kultur- bzw. systemsypezifischen) „Partizipationsformen“ eingeführt und die Vernetzung und gegenseitige Bedingtheit der verschiedenen Ebenen herausgearbeitet. S. dazu jetzt auch Hammer 2015a und die einzelnen Beiträge in Hammer 2015.
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stabilisierten sich Integration und ‚bürgerliche‘ Identität durch Zugehörigkeit zur gens togata, Differenzierung und Hierarchie, Zuordnung, Einordnung und Unterordnung gegenseitig. Was aber heißt das konkret in bezug auf das hierarchie- und machtgesättigte ‚Ensemble‘ der politischen Kultur der Republik? Hier ist es schlicht nicht genug (oder gar nicht möglich), Einfluss und Macht durch Machenschaften und Manöver hinter den Kulissen, durch Netzwerke in kleinen Zirkeln wie Faktionen und ‚Koterien‘ ausüben zu wollen. In dieser Kultur wird ‚Macht‘ überhaupt erst real, wenn sie sichtbar und öffentlich, im Wortsinne auf der erwähnten großen Bühne der openair-Kultur ausgeübt wird – und zwar wiederum im vollen Sinne: ‚Macht‘ und Herrschaft entstehen durch performativen Vollzug, ihre Ausübung besteht in einer rituell strukturierten Interaktion von Akteuren, Adressaten und der Bürgerschaft als ‚kopräsentem‘ Publikum, das die Dramaturgie, also den ‚Text‘ dieses Vollzuges, seine ‚Grammatik‘ und sein ‚Vokabular‘ ebenso versteht wie die Akteure. Das gilt mutatis mutandis auch für die erwähnten Hierarchien: Sie sind keineswegs einfach gegeben, sie konstituieren und reproduzieren sich eben nicht von selbst – vielmehr müssen sie ebenso öffentlich performativ und permanent sichtbar gemacht und damit begründet, bestätigt und erneuert werden. Diese römische Variante der ‚Sprache der Legitimierung‘ war darüber hinaus besonders wirkungsvoll, weil die ‚Ko-Präsenz‘ und erst recht die dabei zu spielenden ‚Nebenrollen‘ der ko-präsenten Bürgerschaft als Publikum und Ko-Akteur der meisten ‚civic rituals‘ eine ganz spezifische, gewissermaßen gesteigerte Art von Konsens (oder jedenfalls eine „Konsensfassade“ oder „-fiktion“84) reproduzierte, ja eine „Komplizenschaft“ generierte: Die Ausübung von Autorität und Macht durch die performative Herstellung von Hierarchien konnte hier als integraler Bestandteil, ja als eigentlicher Motor der Herrschaft als eines permanenten Interaktions- und Aushandlungsprozesses erscheinen, an dem Akteure wie Adressaten, Regierende wie Regierte, politische Klasse wie Bürgerschaft notwendig und natürlich beteiligt waren. Das bedeutet wiederum umgekehrt, dass diese Variante von Herrschaft einen besonders hohen Bedarf an ‚Ensembles‘, Foren, Formen und Medien unmittelbarer Kommunikation, performativer Interaktion und symbolischer Affirmation in Gestalt von ‚civic rituals‘ hatte. Diese ‚Ensembles‘ hatten nämlich nicht nur einfach dazu zu dienen, die Ausübung von Herrschaft zu kanalisieren und zu strukturieren, sondern mussten auch dafür sorgen, dass der Prozess der Herrschaft und seine jeweiligen konkreten Resultate verlässlich, berechenbar und akzeptabel waren, also die Erwartungen der daran Beteiligten bedient und bestätigt und dadurch wiederum Kontinuität, Stabilität und vor allem Legitimität des Prozes-
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Begriffe nach StollbergRilinger 2004: 520 u. 2005a: 20. Vgl. allgemein auch Muir 1997: 230 f. sowie zu Rom jetzt Jehne 2013 sowie 2013a: 125–136 zu den spezifischen „Eigenheiten“ des römischen Systems der Versammlungen, die eine „Verstärkung der Konsenssuggestion“ bewirkt hätten (125). Die Debatte um den Charakter der Versammlungen als „Konsens-“ oder/und (?) „Entscheidungsorganen“ ist nach wie vor nicht endgültig entschieden: vgl. dazu Flaig 2003: 155–180 u. zuletzt 2013: 366–370.
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ses selbst generiert wurden – erst dadurch wird „government by ritual“ im Sinne Edward Muirs überhaupt möglich. *** Die komplexe Vernetzung der verschiedenen Ensembles und Ebenen wird am Beispiel einer typisch römisch-republikanischen Institution, der erwähnten contiones, besonders deutlich.85 Das spezifische ‚Sub-Ensemble‘ der contio ist zugleich ein formales Verfahren mit einem eigenen Regelwerk und ein Ritual, in dessen Syntax das Medium der Rhetorik als zentrales Instrument der kommunikativen Interaktion und die performative soziale Rolle des demonstrativen Auftretens auf der großen Bühne eines eigens dazu institutionalisierten ‚Forums‘ eingeschrieben sind. Dadurch vernetzt dieses ‚Sub-Ensemble‘ seinerseits diese Ebenen zu einem symbolisch aufgeladenen ‚Text‘, der eine spezifische, eigene und eigentümliche Funktion als Schnittpunkt im Zentrum des Ensembles der Interaktion und Kommunikation zwischen politischer Klasse und Bürgerschaft im Rahmen des großen Ensembles einer politischen Kultur der persönlichen Präsenz und des unmittelbaren Handelns zu erfüllen hatte. Hier war ja der Ort, an dem die gesamten Geschäfte des populus Romanus, seines Imperiums und (damit) seiner politischen Klasse be- und verhandelt wurden; hier war also auch der Ort, an dem jedes aktive Mitglied dieser Klasse regelmäßig in einer seiner wichtigsten öffentlichen Rollen aufzutreten hatte – nämlich als Redner in den Debatten vor den anwesenden Bürgern, als Partei in Kontroversen über strittige Agenden auf der Tagesordnung der Politik wie als Anwalt oder Ankläger in Prozessen. Diese Rolle hatten alle zu erfüllen, die zur politischen Klasse gehörten oder gehören wollten – der junge Senator aus alter Familie ebenso wie der ehrgeizige homo novus ohne Ahnen, der subalterne, die höheren Ränge anstrebende Magistrat ebenso wie der bereits arrivierte Ex-Consul. Diese Rolle war in doppelter Hinsicht, pragmatisch wie strukturell, konstitutiv für die Zugehörigkeit zur Elite, sie war grundlegender Teil des permanenten self-fashioning und stand insofern gleichberechtigt neben denen des Senators und Patrons, des Magistrats und sogar des Feldherrn.86 Denn einerseits erreichte man ohne die Erfüllung dieser Rolle zumindest die zuletzt genannten Funktionen gar nicht erst – durch öffentliches Auftreten ‚bekannt‘ 85
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S. dazu Pina Polo 1996 u. jetzt grundlegend MorsteinMarx 2004 sowie Hiebel 2009. Vgl. auch Yakobson 2010: 293–297 u. pass.; Pina Polo 2011 u. 2012; Hölkeskamp (1995) 2004: 234–254 u. neuerdings 2013 u. 2013a, jeweils mit weiteren Nachweisen, sowie zuletzt noch Mouritsen 2013 u. Meier 2015: 621–624; MorsteinMarx 2013 u. Jehne 2013b. Auf die unterschiedlichen Positionen bezüglich der konkreten Zusammensetzung der Contionen und (damit) bezüglich ihrer Rolle und ihren Funktionen in der politischen Kultur der (späten) Republik kann hier nur hingewiesen werden. – Siehe auch die Beiträge von Martin Jehne und Egon Flaig im vorliegenden Band. Vgl. neuerdings Beck 2008 u. 2009 zu den verschiedenen „Rollen der Adligen“, ihrer jeweils unterschiedlichen Bedeutung und ihrer Komplementarität. S. allgemein Hölkeskamp 2011a u. Walter 2011, sowie die weiteren Beiträge zu einzelnen ‚Rollen‘ in Blösel/Hölkeskamp 2011.
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zu sein, war eine unabdingbare Voraussetzung der ‚Beförderung‘ zu höheren honores, zumal jenen mit imperium. Erst damit erreichte (oder bestätigte und erneuerte) man ja den Rang eines nobilis an der Spitze der internen Hierarchie des Senatsadels. Ursprünglich und im Kern bedeutete nobilis als Statuszuschreibung und Selbstbeschreibung ja bezeichnenderweise nichts anderes als ‚bekannt‘ und ‚angesehen‘ im umfassenden Sinne dieser Begriffe zu sein, was Konnotationen wie Prominenz, öffentliche Aufmerksamkeit und ein eigenes Image einschloss.87 Diese konkrete Bedeutung der Rolle war andererseits tief in die Struktur einer stadtstaatlichen politischen Kultur eingebettet, die auf der permanenten und intensiven Interaktion zwischen politischer Klasse und Volk beruhte; denn diese Interaktion bedurfte nicht nur der ‚technischen‘ Funktion der öffentlichen Rede als Medium der Kommunikation, sondern erfüllte auch und zugleich eine symbolisch-expressive Funktion; denn damit realisierte sich die Reziprozität der Hinwendung der politischen Klasse zum populus Romanus als Forum der Entscheidung und Quelle der Legitimität einerseits und der Bestätigung und Erneuerung dieser Klasse durch eben diesen populus vermittels Wahlen und anderer Formen der Zustimmung andererseits. Institutionen und Verfahren der Partizipation der Bürgerschaft, Comitien und Contionen, Wahlen und Gesetzgebung, Öffentlichkeit der Politik und permanente Präsenz, Sichtbarkeit und Aktivität der politischen Klasse im öffentlichen Raum erweisen sich also als Ensemble von Medien und Formen einer ‚hierarchischen‘ Kommunikation, die ihrerseits die strukturell notwendige Grundlage und Bedingung einer spezifischen aristokratischen politischen Kultur bilden, in der das (im weiteren Sinne des Begriffs) ‚institutionalisierte‘ Volk eine zentrale Rolle bei der Konstitution und Reproduktion einer Aristokratie als politischer Klasse zu erfüllen hat. Dabei waren gerade die Unmittelbarkeit und Sichtbarkeit aller Verfahren und sonstigen Praktiken, der Rituale und Zeremonien aller Art gerade durch die Kombination von Präsenz und Partizipation im (Aus-)Handeln als solche und für sich ein konstitutiver Aspekt des Repertoires der hierarchie- und konsens-generierenden Mechanismen – diese römisch-republikanische Besonderheit ist auch ein (wiederum im doppelten Sinne) ‚klassisches‘ und zugleich höchst eigentümliches Beispiel dafür, dass „Herrschen“ auf längere Sicht notwendig „vom Mit-Herrschen der Beherrschten abhängig“ ist.88
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Hölkeskamp (1987) 2011: 220 f., mit weiteren Nachweisen. Landwehr 2003: 111.
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CONSULS, CONSULARS, ARISTOCRATIC COMPETITION AND THE PEOPLE’S JUDGMENT Alexander Yakobson, Jerusalem How far did Roman consuls and consulars depend on public opinion? Since we are talking about the most powerful men in Rome, this question is obviously of crucial importance in trying to assess the character of the Republican political system. Of course, many people, including men of power who are not dependent on anybody’s votes, like to be popular and try to avoid unpopularity even when no direct necessity is involved. In that sense, public opinion surely influenced Rome’s senior politicians. But how far did they actually have to depend on it in preserving and enhancing their high position in the state? 1. MAGISTRATES AND THE PEOPLE “The Sovran people of the free Republic”, wrote Ronald Syme, “conferred its favours on whom it pleased. Popularity with the plebs was therefore essential”.1 This magisterial pronouncement naturally needs to be qualified in various ways, taking into account political and social realities. It does, however, convey an important truth: offices were conferred through elections that were free and often fiercely competitive between qualified candidates by an electorate that was (even in the less ‘popular’ centuriate assembly) at any rate much wider and more ‘popular’ than the social stratum from which the competitors emerged. But did popularity remain essential – rather than merely desirable – for Roman politicians beyond the point of obtaining the consulship? It stands to reason that someone who had reached the top of the normal cursus honorum was less dependent on popular favour than those who were still in the midst of their senatorial career, and knew they would have to face the electorate again in order to reach the summit of their ambitions. Those who gave up the hope of reaching higher office at an earlier stage were less dependent on the people than those still hoping for advancement (though some of the considerations suggested below as to why popularity was still important to consuls and consulars apply to such people as well). But it was surely an important advantage for the senatorial elite that its most powerful and influential members were by definition people who had already received from the voters (in the centuriate assembly) the highest prize that voters were normally able to confer. Does this mean that they could now afford 1
Syme 1939: 13.
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to forget about the people and concentrate wholly on their standing among their peers? The latter consideration was, certainly, of great importance to a Roman politician, throughout one’s career and particularly at this stage; and, naturally, popularity with one’s peers might be desirable for its own sake, just as (sometimes, surely, even more than) popularity with the general public. In this sense, there was, apart from all other considerations, a certain ‘structural’ logic to Cicero’s change, during his consulship, from what may be defined as a (moderate) popularis to a (relatively moderate) optimate. Had we known about other Roman consuls as much as we know about Cicero, it seems probable that other similar cases would have emerged. But for various reasons suggested below, having to do with the people’s voting power – both in elections that still greatly mattered to the politicians in question, and on other important occasions – it seems that a Roman politician could not afford to ignore the people (in itself, naturally, a broad category including different groups with different interests) even at this stage. This fully applies to Cicero’s case. The balance between those two – sometimes, though not invariably, conflicting – considerations, during the various stages of one’s senatorial career, was an important factor shaping the actual character of Republican politics. “I know, fellow citizens” – makes Sallust Marius say at the opening of his ‘popular’ speech in a contio in 107 – “that it is by very different methods (artes) that most men seek imperium from you and exercise it having obtained it: that at first they are industrious, humble (suplices) and modest, but afterwards they lead lives of indolence and arrogance (superbia). But the right course … is just the opposite; for as much as the whole commonwealth is of more value than a consulship or a praetorship, so much greater ought to be the care with which it is governed than that which is shown in seeking those offices.”2 What Marius refers to is probably, first and foremost, the contrast (no doubt often commented on in popular grumbling) between the customary behaviour of a candidate during actual petitio, when he had to be properly humble (supplex) in approaching potential voters, and the quick change to aristocratic haughtiness once the desired high office had been obtained. But the contrast probably applies more widely, which is perhaps why Marius speaks of (offices with) imperium, rather than any elected office, and describes the change in question as effecting one’s whole way of life (aetatem agere). The impression that the contrast applies to the whole period preceding one’s election to high office, and not just to canvassing, is strengthened further: “To make a moderate use of power is difficult for those have pretended to be virtuous out of ambition (per ambitionem); for me, who have spent my
2
Sall. Iug. 85,1–2: Scio ego, Quirites, plerosque non isdem artibus imperium a vobis petere et, postquam adepti sunt, gerere: primo industrios supplices modicos esse, dein per ignaviam et superbiam aetatem agere. Sed mihi contra ea videtur: nam quo pluris est universa res publica quam consulatus aut praetura, eo maiore cura illam administrari quam haec peti debere. – English translations will mostly follow the Loeb edition.
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entire life in exemplary conduct, habit has made right living a second nature.”3 Only having reached the summit (rather than after winning junior offices) could haughty aristocrats at last afford, arguably, to show their true colours (both in office and generally). One’s efforts to reach the praetorship or the consulship were not confined to the periods of official canvassing for those offices (or for the preceding ones); in a wider sense they took a large part of a senator’s adult life. “Striving hard for decades to win the consulship was the way of life most acceptable for members of the Roman elite”.4 This meant that long-time electoral considerations inevitably influenced, to some extent, one’s behavior at all times, and not just during actual canvassing – though obviously petitio was recognized as a special season with its own rules, when members of the elite were obliged to display an uncommon degree of humility. It is easy to believe that many of them were glad to discard it as soon as they were elected.5 From the senatorial point of view, probably well reflected in what Cicero says in Pro Sestio, magistrates were certainly not supposed to pander to the people in the way the candidates were obliged to. While elected by the people, they – above all, surely, the consuls – were to be guided by the senate on matters of public policy and were conceived, ideally, as the senate’s quasi ministri.6 Cicero stresses that the senate itself is elected ab universo populo (as a council of ex-magistrates) and even claims that membership in it is “open to the industry and virtue of all citizens”: the popular legitimacy of the senate is crucial to Cicero’s expectation that the people will willingly accept it leadership (and that of the magistrates guided by it).7 Modern scholars, wishing to stress the limits of popular power in the Roman Republic, sometimes point out that Roman magistrates, unlike modern democratic politicians, did not “represent” their voters and were not “responsible” to them.8 This view gains some support from the fact that magistrates in Rome (unlike Athens) could 3 4 5 6 7 8
Sall. Iug. 85,9: Illis difficile est in potestatibus temperare, qui per ambitionem sese probos simulavere; mihi, qui omnem aetatem in optimis artibus egi, bene facere iam ex consuetudine in naturam vertit. Jehne 2011: 211. See on this Tatum 2007. Cic. Sest. 137; cf. Rhet. Her. 4,47. Cf. e. g. Cic. leg. 3,27–28. Mouritsen 2001: 92 n. 3. Mouritsen adds that “ideally, popular tribunes may have been expected to protect and further the interests of the plebeians, but they did not represent them, nor were they directly responsible to them.” The reference to tribunes seems to echo what Polybius says about the tribunes in 6,16,5. Polybius’ formulation is in fact considerably more far-reaching: “the tribunes are always obliged to act as the people decree and to pay every attention to their wishes”. Of course, this statement, probably reflecting a widespread traditional expectation, did not dictate each tribune’s actual political behaviour any than what Cicero says in Pro Sestio – that of all magistrates. But as for protecting and furthering the interests of the people (not the same as following their wishes) this appears to have been, ideally and uncontroversially, the duty of every magistrate, not just of tribunes, and of the senate as a whole, as Cicero stresses in the passage in question (Cic. Sest. 137): “our ancestors” imposed on the senate the task of “plebis libertatem et commoda tueri atque augere”.
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not normally be removed by the people during their year of office; nor would they, normally, stand for re-election – the usual occasion on which political responsibility of modern politicians to their voters finds practical expression. But assuming that the magistrates did not, therefore, represent their voters in any real sense, and were in no way responsible to them, does not take full account of political realities. It owes too much to late-Republican (mainly Ciceronian) evidence about what was considered normative and desirable from the senatorial point of view, as well as to retrospective accounts – probably idealized – of middle-Republican ‘concordia’. A successful senatorial career required winning repeated popular elections. Whether an elected official would in practice be ready to follow the senatorial ‘line’ when the hoped-for harmony between the senate and the wider public opinion could not be preserved, would depend on a complicated set of often conflicting considerations. One of them must have been his career prospects – future occasions on which he expected to face the voters again. Consuls and consulars were indeed relatively less dependent on public opinion in this respect – but far from wholly independent, as we shall see. 2. MAGISTRATES’ RESPONSIBILITY AND THE PEOPLE’S JUDICIAL POWERS However, in terms of an ancient city-state, an elected official’s responsibility – both legal and political – to the people meant, first and foremost, that he was liable to be brought before a popular court for any wrongdoing he may have committed while in office. Such trials exacted a mixture of legal and political responsibility; the border-line between the two was, in many cases, hopelessly blurred by modern standards. On such occasions, popularity was highly important – often, no doubt, more than the strength of one’s legal case – and unpopularity could spell ruin. In this sense, Roman magistrates, including consuls, were certainly responsible to their voters. During most of the Republic’s history – though not during its last decades, when trials before the People were virtually replaced by prosecutions before quaestiones perpetuae – Roman consuls (and later, proconsuls) must have been keenly aware of the possibility that they would have to face the people as accused in a criminal trial. This must have focused their attention on the dangers of arousing the people’s anger. Consulars actively involved in public affairs had to take this possibility into account too. It seems very likely that the first standing court – the senatorial questio de repetundis established by lex Calpurnia in 149 – was set up with the intention of making proconsuls answerable, for alleged misconduct in the provinces, to fellow senators rather than to tribunes and popular assemblies under the growing practice, in the preceding period, of tribunician prosecutions before the people or tribuncian bills setting up extraordinary courts for specific cases.9 But the progressive replacement of popular trials by trials in jury-courts in the late Republic would prove a decidedly 9
See on this Gruen 1968: 8–15.
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mixed blessing from the senatorial point of view, since the senators failed, in the long run, to monopolize the membership of those juries. Political necessity, imposed repeatedly through the people’s voting power, dictated the presence – sometimes the domination – of equestrians in the standing courts.10 Subjection to the power of judges belonging to an order that was one step below them in the social hierarchy was keenly resented by senators. The traditional judicial authority of the Roman people as a whole seemed, or at least could be presented, as much preferable to having to submit to a judgment by equestrians,11 and the latter might prove more dangerous than the former when tensions arose between the two orders. Moreover, public trials before standing courts gave occasion to public pressure. Cicero claims, as a matter of common knowledge, that when an accused was subjected to hostile agitation by tribunes and to “turbulent” contiones, his chances of receiving a fair trial before a jury were gravely impaired12 – though he is obviously interested in overstating the point. Sallust notes that the equestrian quaestio Mamilia established in 109 was conducted “on the caprice of the plebs” – aspere violenterque et ex lubidine plebis.13 Among others, it condemned Lucius Opimius who had been acquitted by the People in 120 on charges arising from the killing of Gaius Gracchus and his supporters during his consulship in 121. It seems very possible that “alleged bribery by Jugurtha was made a pretext for elimination of the murderer of C. Gracchus”; Opimius’ downfall was, if so (at least partly) “the consequence of earlier popular resentment that could now seize upon a specious pretext to make itself felt.”14 At any rate, an equestrian jury, allegedly influenced by popular hostility, proved more dangerous to this ex-consul than the centuriate assembly in 120 had been (perhaps also thanks to the weighted vote of the better-off in this assembly); of course, we should bear in mind that “public opinion” and “the plebs” are broad categories that include different social groups, with different and sometimes changing attitudes. The iudicia publica of the later Republic, though no longer conducted before popular assemblies, still included a significant aspect of exacting public responsibility from high-ranking and powerful personages, including ex-consuls. In the last century of the Republic the senate, on several notorious occasions, felt threatened enough, and on the other hand strong and self-confident enough, to dispatch those whom it regarded as enemies of the established order without direct or indirect popular authority – and thus, in Republican terms, with at best dubious and hotly contested legality. That this could happen, repeatedly, certainly testifies to the power of the ruling class. But the powerful individuals who took responsibility for such decisions knew well that they were exposing themselves not just to unpop10 11 12 13 14
Popular trials did not disappear altogether even after Sulla. Cicero could still threaten Verres with prosecution before the assembly if he should be acquitted by a senatorial jury; s. Cic. Verr. 2,1,13–14. Cf. Cic. de Orat. 1,225–226. Cic. Cluent. 93–95. Sall. Iug. 40,5. Gruen 1968: 144. Cicero seems to be hinting at this; s. Cic. Brut. 128; Sest. 140; cf. rep. 6.
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ularity but, specifically, to the dangers that a Roman politician faced whenever he gave his enemies a potentially popular pretext for attacking him. All of Cicero’s Catilinarian speeches in 63, both in the senate and before the people, display clear awareness of this danger – sometimes hinted at, sometimes spelled out explicitly and emphatically.15 A consul at the height of his power, armed with the ‘emergency decree’, strongly supported by a massive senatorial majority and, apparently, a wide consensus of the higher classes; a consul, moreover, who at that point seems also to have enjoyed strong popular support – still had to reckon with the possibility that if he took a step as controversial as the execution of citizens, under any circumstances, was bound to be, all these assets would not necessarily be sufficient, in a changed public atmosphere, to ensure his safety. When this danger was realized, by Clodius’ assault on Cicero in 58 (a foretaste having been provided by a hostile tribune’s symbolic attack on Cicero’s last day in office), it was realized – and then reversed, by Cicero’s recall from exile – through a typically Republican combination of elitist and popular tools and, presumably, motivations (with a heavy admixture of violence and illegality that characterized this period). It is apparently the judicial aspect of dependence of public opinion, which in his days still regularly found expression in assembly trials, which is stressed by Polybius as the main reason why Roman consuls are obliged to conciliate the people: As for the people it is most indispensable for the consuls to conciliate them … for, as I said, it is the people which ratifies or annuls terms of peace and treaties, and what is most important, on laying down office the consuls are obliged to account for their actions to the people. So that in no respect is it safe for the consuls to neglect keeping in favour with both the senate and the people.16
The first reason mentioned by Polybius – confirmation of treaties – refers to an aspect of the people’s traditional legislative functions that seems to have fallen, largely if not wholly, into abeyance during the second century together with the people’s role in declaring wars.17 What remained, however, was that the standing of an active and influential senior statesmen would always heavily depend on his abil15 16
17
Cic. Catil. 1,5–6; 23; 28–29; 30. 2,3–4; 12; 14; 15. 3,27–29. 4,3; 9; 11; 20; 22; 23. Pol. 6,15,9–11: τοῦ γε μὴν δήμου στοχάζεσθαι καὶ λίαν αὐτοῖς ἀναγκαῖόν ἐστι […]: ὁ γὰρ τὰς διαλύσεις καὶ συνθήκας ἀκύρους καὶ κυρίας ποιῶν, ὡς ἐπάνω προεῖπον, οὗτός ἐστιν. τὸ δὲ μέγιστον ἀποτιθεμένους τὴν ἀρχὴν ἐν τούτῳ δεῖ τὰς εὐθύνας ὑπέχειν τῶν πεπραγμένων. ὥστε κατὰ μηδένα τρόπον ἀσφαλὲς εἶναι τοῖς στρατηγοῖς ὀλιγωρεῖν μήτε τῆς συγκλήτου μήτε τῆς τοῦ πλήθους εὐνοίας. There is no full certainty on this; see Lintott 1999: 197, 201. That we no longer hear about assembly votes on such matters may well have something to do with the loss of Livy’s narrative after 167, as well as perhaps with the fact that wars were now usually waged by Roman commanders in far-away provinces; the other side had, conventionally, to be blamed for starting, or provoking, hostilities, before matters could be referred back to the senate and people. As for treaties, Cicero could still, in 63, claim in a public speech that a foreign king could not be sure of his title to a territory assigned to him by a Roman consul because “you” – the people – have not ratified the treaty (Cic. leg. agr. 2,58), and blame his opponents for trying to prejudge an issue that was the people’s to decide. But all in all it does seem likely that the senate took over at least some of the people’s traditional powers in these fields.
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ity to ensure that assembly votes on various questions that mattered to him, personally and politically, would go his way. In the last decades of the Republic, legislative tribal assemblies became a particularly vital field for ambitious consuls and proconsuls, as repeated resort was made to laws de imperio conferring provincial imperium on individuals (not just on the ‘triumviri’ but on lesser men like Piso and Gabinius, consuls 58) or withdrawing it (Lucullus). In some cases, the outcome of a popular vote on a bill in the tribal assembly could be no less personally significant for a senior politician that the outcome of a trial. This was the case with the laws that led to the exile of P. Popillius Laenas, consul 132, who headed the questio against Tib. Gracchus’ supporters, to the exile of Metellus Numidicus over his refusal to swear the required oath under the agrarian law of Saturninus in 100, and to Cicero’s exile in 58.18 In two of those cases, ex-consuls were made to pay a price for their actions during their year in office; in all three of them, the men in question would need a subsequent law to secure their recall; in Cicero’s case, the centuriate asssembly voted for the recall, in the two others – the tribal one. Popularity might thus sometimes be a question of safety, and not merely influence and prestige, also in legislative assemblies. This naturally applies to legislative bills establishing a criminal quaestio – as was the case with the bill that set up the Mamilian commission, which led to the condemnation and exile of four consulars.19 But the main reason why, according to Polybius, it is unsafe for consuls to neglect keeping the people’s favour is that “on laying down office the consuls are obliged to account for their actions to the people”. No formal procedure of “giving account to the people” existed in Rome, nor is it clear why any such procedure, unless accompanied by the possibility of sanctions, should have been considered so crucially important. It seems likely that what is meant here is indeed the possibility of prosecuting ex-consuls in a popular assembly for wrong-doing while in office, thus forcing them to “give account to the people” for alleged misdeeds. Such prosecutions, undertaken by tribunes, were, as Polybius seems to argue, the main mechanism in the Roman “constitution” for making (ex-)consuls, in practice, responsible to their voters. This is how Polybius is often understood: “[the consul] requires popular good will if … he is to survive prosecution”.20 The crucial importance of this power, according to Polybius, is borne out by what he says in 6,14,6, where the 18
19 20
Similarly, the proconsular imperium of Q. Servilius Caepio was abrogated by a law in 105, and this was followed by another law causing his expulsion from the senate. A tribunician law in 107 transferred to Marius the proconsular commend of Metellus in Numidia, assigned to him by the senate; this was, to the latter, a grievous insult, though not a question of safety (Sall. Iug. 82,2–3; 86,5). According to Plutarch, Marius regarded the failure of his efforts to prevent the passing of the law for the recall of Metellus Numidicus by the people as a personal humiliation, and left the city “unable to endure the sight of Metellus returning” (Plut. Mar. 31,1). Cic. Brut. 128. Lintott 1999: 21; similarly, Walbank 1970: ad loc. As opposed to this Seager 2013: 251, holds that Polybius’ assertion here is “false, or at best seriously misleading”; hence (among other things), “this chapter reinforces the impression that the senate enjoyed a dominant position, while the competence of the people was very limited.”
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people’s right to try those who have held high office appears at the top of the list of the people’s prerogatives. The popular aspect of this “rendering of accounts” was not confined to assembly trials. Since tribunes of the plebs served as prosecutors, whether one would have to stand trial was in the first place heavily influenced by politics, and hence, to some extent, by public opinion; the same applies to the sponsoring of bills for instituting special judicial questiones, even before jury trials replaced trials before the assembly. The pitiful appeal for the people’s mercy by Sulpicius Galba, who is said to have avoided, in 149, a conviction for a treacherous massacre and enslavement of Lusitanians by tears and bringing his two children into the assembly, may have taken place in the face of a tribune’s legislative proposal to set up a quaestio for trying the case (thus Cic. Brut. 89) rather than at a iudicium populi (Liv. per. 49).21 That all those things also depended heavily on rivalries and alliances within the elite is undoubted, and not at all contradictory. Popular and elitist aspects of Republican politics were, here as elsewhere, inextricably linked. A politician’s unpopularity made him easy prey for elitist rivals, while his popularity deterred attacks and made him more valuable as an ally in aristocratic coalitions; aristocratic rivalries repeatedly put Roman ‘oligarchs’ – including the most powerful ones – at the mercy of the voters at popular trials. It is true that in all those political-judicial contests the elite, as such, could never be defeated, if only because the prosecuting tribunes belonged to it – in the wide and flexible, but still significant, sense of this term that includes the entire Roman class of office-holders and office-seekers. Such terms as “the elite” or “the ruling class” should not lure us, as they sometimes do, into forgetting that, in referring to the Roman Republic, they signify something much wider than just a narrow circle of noble clans (though this circle certainly wielded disproportional influence within the elite itself). But while the elite, thus defined, was unconquerable by definition, the relations between it and the voting populace, and the whole tenor of Roman public life, could hardly fail to be affected by the fact that every member of the elite, however high-placed, knew that he might have to depend on popular favour not only for his advancement but for his safety as well. 3. ‘THE TRIALS OF THE SCIPIOS’ There is much that is unclear and disputed about what is known as ‘the trials of the Scipios’ in the 180s.22 But this much is probably safe to assert: the affair demonstrates that not even the highest and most powerful personages in Rome were safe from a judicial-political attack, questioning their behaviour in office, launched by personal and political enemies. Nor could they wholly rely on their personal and family credit, and on past achievement and popularity, in order to repel such an attack successfully. Both Scipio brothers were accused of some financial wrong-doing during the war against Antioch the Great, which L. Scipio Asiagenus led as 21 22
Scullard 1951: 235 and n. 1. See on this Gruen 1995: 59–90; see also Vishnia 1996: 129–132; Briscoe 2008: 170–179.
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consul in 190, with his elder brother, P. Scipio Africanus, serving as his legate; in the case of Publius, charges relating to alleged transgressions earlier in his career are said to have been added.23 Publius Scipio, the more accomplished and popular of the two, is described as flouting the judicial procedure itself, during his trial before the assembly; he could only afford to do so because at that moment he is said to have enjoyed strong popular support.24 In the end, whatever the details, he did not prevail, retiring from Rome in bitter disappointment. It is doubtful whether his retirement to Liternum can be interpreted as merely a “gesture” of protest and “an act of disdain for a process that questioned his integrity”:25 it was bound to be taken as an admission of defeat, something that Scipio Africanus would hardly have volunteered to do. After his death, his brother Lucius, obviously less protected by personal popularity, was actually convicted, after a trial either before the assembly26 or before a special quaestio set up by it.27 He was sentenced to a heavy fine, threatened with imprisonment for non-payment, and only saved from it by the intervention of a tribune. There is no indication of a popular movement against the Scipios that was taken advantage of by their upper-class rivals and opponents. It is those opponents – notably, Cato – that apparently initiated the attack. Whatever differences there may have been between Cato and the ‘Scipionic circle’ on matters of public policy, this conflict was not ‘party-political’ in the late-Republican sense. Hence, it is usually analyzed purely in terms of Rome’s oligarchic policies and the complicated web of personal, family and factional ties and tensions within the ruling class. But a good oligarchic vendetta could not, under normal circumstances of Republican politics, be effectively pursued without involving public opinion and, at least indirectly and potentially, the people’s voting power. It had to rely on the public credit of the attacking side and sought to take advantage of the victims’ – and his supporters’ – unpopularity, or make him unpopular by publicly plausible accusations. It has been very plausibly suggested that, beyond personal and group rivalries, the affair of the Scipios presented an attempt, on the part of the ruling class, to impose its collective authority on (increasingly) powerful impertatores: “Roman aristocrats were determined that some limits on the fiscal authority of imperatores 23 24
25 26 27
Liv. 38; 51. Gruen 1995 suggests that no formal trial of Publius took place (85–86), though “some foundation does exist” (82) for the story of his indictment before the assembly (Pol. 23,14,2–3; Liv. 38,50–53; Gell. 4,18,3; Val. Max. 3,7,1; Vir. ill. 49,17; App. Syr. 40; Plut. Cato Mai. 15,2). According to his reconstruction, rather than a formal prosecution before the people that was adjourned after the demonstration of popular support elicited by Scipio’s invocation of the memory of Zama, there may have only been “a contio during the proceedings against Lucius [in 187] at which the charges were voiced and then met with fierce disdain by Scipio” (86), supported by the populace present. Scullard 1951: 298–303, reviewing the different versions, opts for a prosecution before the assembly (either centuriate or tribal) later abandoned after Scipio’s withdrawal from Rome. Gruen 1995: 87. According to Liv. 38,52, Scipio retired foreseeing continued struggles with the prosecuting tribunes, and unwilling to submit to the humiliation of standing trial. Gell. 6,18,11–19,8. Liv. 38,54,1–55,7.
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should be exercised… The general’s right to dispose of war-time spoils came under question in order to make it less arbitrary and subject to greater scrutiny”.28 Indeed, it is not surprising that in the decades during which Rome conquered the “inhabited world”, the question of how to deal with war-time spoils was treated as a crucial issue of public policy – thought it must have been highly important in earlier times as well. But the disposal of these spoils was, naturally, a matter of vital concern to the wider public and not just to the senatorial elite. Nor is there any reason to suppose that only aristocracy or the higher orders could be moved by arguments such as, according to Livy, were voiced by those who rejected the criticisms leveled against the very idea of prosecuting a man like P. Africanus. These arguments present such prosecutions precisely as a way of making sure that the highest magistrates and pro-magistrates are held “responsible to their voters”: Others took the ground that no single citizen should stand on such an eminence that he could not be required to answer according to law. Nothing contributed more towards maintaining liberty for all than the power of putting the most powerful citizen on his trial. What business, it was asked – not to mention the supreme interests of the State – could be entrusted to any man, if he had not to render an account for it? If a man cannot submit to laws which are the same for all, no force which may be employed against him is unlawful.29
4. SALINATOR Distribution of booty was, naturally, a matter in which the common people took keen interest. Marcus Livius Salinator, consul 219, was prosecuted the following year before the tribal assembly apparently for failing to distribute fairly, among his soldiers, the booty from the second Illyrian War; he was convicted and fined.30 It has been suggested that Salinator fell victim to the popular anger at the consuls of 219, and the majority of the senate, for failing to appreciate the gravity of the danger presented by Hannibal and embarking on a war in Illyria with the disappointing amount of booty it was to yield.31 If so, responsibility for a matter of public policy wider than distribution of booty was, at least partly and indirectly, exacted from the ex-consul in this case. Be that as it may, it is clear that the issue of booty and its distribution to soldiers was a regular and a highly sensitive point of friction between the wide powers of the Republic’s imperatores in the field and the power of public opinion, exerted, among other things, through iudicia populi. While capital cases 28 29
30 31
Gruen 1995: 77, 87. Liv. 38,50: Alii, neminem unum ciuem tantum eminere debere, ut legibus interrogari non possit; nihil tam aequandae libertatis esse quam potentissimum quemque posse dicere causam. Quid autem tuto cuiquam, nedum summam rem publicam, permitti, si ratio non sit reddenda? Qui ius aequum pati non possit, in eum uim haud iniustam esse. Frontin. strat. 4,1,45: M. Salinator consularis damnatus est a populo, quod praedam non aequaliter diviserat militibus. Vishnia 1996: 78–79. Naturally, this additional motivation does not exclude the official one. According to Vishnia (224), “Salinator … had learned his lesson: after the victory at the Metaurus he divided the booty generously: Liv. 28.9.17”.
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could only be decided by the less ‘democratic’ centuriate assembly, the power to impose fines – including heavy ones – on the most powerful men in the state, possessed by the tribal assembly, should not be made light of.32 In this case, the ex-consul’s reaction to his conviction was extreme: “he was so indignant at that disgrace that he removed to the country and for many years absented himself from the city …”33 Returning to Rome after seven years, he still “wore old clothing and long hair and beard, revealing outwardly … a notable memory of the disgrace he had incurred.” He was eventually persuaded by senior senators, who regarded him as the most suitable candidate, to run for a second consulship, and elected for 207. When he tried to resist these pressures, “accusing the civic community of inconsistency” (levitatem civitatis accusans), “the fathers would rebuke him [telling him] that, as in the case of parents, so the harshness of one’s native city must be appeased by suffering and bearing it.”34 It has been argued that the Roman ruling class not merely felt but openly and unabashedly displayed a sense of superiority vis-à-vis the common people; in addressing the populace, its members would employ, in striking contrast to what was customary in democratic Athens, the “rhetoric of self-conscious condescension”, “demand[ing], [at least implicitly], deference and obedience”.35 But aristocratic haughtiness, superiority and condescension, while certainly an important part of the picture, do not present the whole picture of the complicated relations between the Republican elite and the populace. In this instance, we hear a very different language – not addressed to the people for some manipulative purposes, but, according to Livy, as part of an exchange between a consular and the patres. This exchange is based on a mutual acknowledgement of popular power as a fundamental fact of political life. And both sides are described as equating the verdict of the tribal assembly with that of the civitas or the patria. The posture of ‘self-conscious condescension’ towards the people must have been what Roman nobles and senators regarded as their natural due. But their ability to adopt it openly depended on whether it would be acceptable to the people. And indeed, it appears to have been acceptable to the people to a degree which is wholly out of tune with modern democratic notions of civic equality, or anything that would have been acceptable in democratic Athens. Contemporary scholars regard this as clear proof of “the cultural hegemony of the ruling class.”36 In Roman terms, the claim of superiority over the rest of citizens on the part of magistrates and senators was based on their rank. But this rank had been conferred on them (in the case of nobles, also on their ancestors) by the people in competitive popular elec32
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There was in fact no “wall of separation” between the two assemblies: we hear of a case where the charge was “upgraded” following an outbreak of popular indignation during a trial in the tribal assembly, and the accused convicted on a capital charge by the comitia centuriata (Liv. 26,2–3). The defection of Salinator’s son-in-law, from Capua, to Hannibal, may have provided an additional reason for the length of his retirement; s. Scullard 1951: 68. Liv. 27,34, 12–15. Hölkeskamp 2013: 23; see also n. 44 with further references. See on this, e. g., Hölkeskamp 2010: pass.; MorsteinMarx 2013; Yakobson 2014.
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tions. There was in principle no contradiction, in Republican terms, between the magistrates’ (and ex-magistrates’) superiority over ordinary citizens and popular supremacy37 – which is not to say that considerable tensions between the two did not arise in practice. A ruling elite structured in this way was bound to be both ‘culturally hegemonic’ to a very significant degree and heavily dependent on public opinion. Elite superiority was accepted by public opinion, but its open expression was inevitably limited by dependence on it; and it placed particularly strong restraints on such expressions on two vitally important occasions when a Roman senator’s rank could be made or broken – popular elections and popular trials. M. Livius Salinator, elected censor following his second consulship, would display towards the people not self-assured condescension but rather deep-seated resentment over the humiliation they had once inflicted on him. In a symbolic gesture he reduced to aerarii 34 tribes of the Roman people – all but the sole tribe that had not voted for his conviction and for his subsequent election as consul for the second time and censor, and thus escaped his charge of inconsistency. This followed a symbolic mutual disfranchisement of the two censors; his colleague has testified against his at his trial. Growing public anger with the bickering censors prompted a tribune to take an unprecedented step of bringing a charge against both of them before the people; this was rejected by the senate “lest the censorship should be subject thereafter to the caprice of the people.”38 The tribune probably deferred to the senatorial consensus, or else he must have been thwarted by a colleague’s veto.39 The senate’s unwillingness to create a precedent for subjecting censors (or other sitting magistrates) to the people’s ‘caprice’ is easy to understand. But, of course, the prospect of an ‘ordinary’ prosecution after the end of one’s term inevitably subjected them, to a significant degree, to this same ‘popular caprice’, if less directly and immediately. This was an integral part of the system and could not be helped. Behaviour such as that of Salinator on this occasion could only be rational for someone who was at the end of his political career, no longer expecting to face the voters for his advancement. Moreover, a person behaving in this way, even at this late stage, had to be willing to give up, or at least put to grave risk, his ability in the future to help the electoral advancement of others, especially his juniors, as well his usefulness in future legislative and judicial contests involving the people – in other words, a very significant part of his whole standing as one of the principes civitatis. No wonder that even such a haughty (and embittered) aristocrat as Salinator did not reveal his true feelings towards the people during his second consulship40 or prior to his election as censor. Even so, someone who outraged public opinion too much still faced the prospect of having, in some future, to render account to the people through a trial. 37 38 39 40
Cf. MorsteinMarx 2011: 277 f. Liv. 29,37,17: ne postea obnoxia populari aurae censura esset. Thus Vishnia 1996: 82. By his generous distribution of booty in his second consulship he may have been sending the opposite message to public opinion – see n. 31 above and Liv. 28,9,17.
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5. AMBITIONS BEYOND THE (FIRST) CONSULSHIP Describing Cato the Elder’s changing way of life in his later years after his censorship H. H. Scullard suggests that Cato’s increasing dedication to self-enrichment and relaxation of his former strict moral standards must have hurt his popularity among “many small farmers of Italy”; “but that would make little difference to him since, unless he wished to advance the prospects of some younger man, he no longer needed their votes at the elections.”41 But the proviso “unless he wished to advance the prospects of some younger man” should not be thought to represent something accidental or peripheral to a senior Roman politician’s concerns. Of course, even at this stage, Cato had to be careful not to incur strong public hostility: this would have encouraged his many rivals and enemies to exploit his unpopularity by subjecting him to yet another of the numerous prosecutions which Cato underwent during his career, this time perhaps with a better chance of success.42 In order to face such a prospect, a Roman politician did not have to aggravate public opinion to the extent of there arising genuine public pressure for his prosecution by one of the members of the elite; it was enough for his (often, and certainly in the case of Cato, numerous) rivals within the elite to feel that his public standing had weakened enough to make him vulnerable. The elitist and popular aspects of Republican politics – elite ambitions and rivalries, and the people’s voting power, with the dynamics of public opinion – tended to activate and re-enforce each other. Cato himself, at any rate, did not refrain from engaging in this game, whereby senators dragged each other before the court of public opinion, even in the last year of his life: he attacked Sulpicius Galba (speaking either in support of a prosecution before the assembly or of a bill to set up a questio) at the age of 85.43 Such contests between Roman politicians, with the popular audience acting as judges, put to the test not merely the popularity and influence of the accused but that of the accusers as well. This is another reason why a senator who wanted to be active and influential in public life could not afford to be indifferent to his popularity. But when his own electoral prospects were no longer at stake, a senior Republic politician was indeed less dependent on public opinion – “unless he wished to advance the prospects of some younger man”. But of course he did wish, typically, to do so. He – a Roman politician who had reached the summit of his own electoral ambitions, and wished to be an influential member of the inner circle of the Roman elite – needed to be in a position to advance the prospects of various men (not necessarily young) who were his juniors, including candidates for the consulship (and sometimes beyond it – to the censor-
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Scullard 1951: 222. According to Pliny the Elder, Cato underwent 44 prosecutions (causam dixisse) – a record number, but they all ended in acquittal – Plin. NH 7,100). On Cato’s frequent prosecutions, one of which seems to have been based on charges relating to his conduct as consul, see Astin 1978: 60, 73, 107. Scullard 1951: 235.
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ship).44 His ability to help them depended on his popularity, and would be severely impeded by unpopularity. There was, of course, another important aspect to such assistance – one’s connections within the elite and ability to mobilize elite support for one’s favoured candidate. But the two aspects, for all the tensions between them, were also closely interconnected. In the end, elite support at the polls in order to bear fruit had to be translated into votes; many of these – also in the centuriate assembly – had to come from citizens well below the level of the Republican elite by any reasonable definition of what constituted it. Popularity was thus a highly valuable asset – and unpopularity, a serious handicap – for anyone who still wished to be an effective player in the game of aristocratic politics. This is precisely what Roman consuls and consulars were typically eager, and particularly well-positioned, to do. This discussion assumes, throughout, the familiar hierarchical structure of the Roman cursus honorum and the position of consulares as a well-defined category of leading members of the senate, active and influential. These important features of Republican politics appear to have emerged, in this form, only during the third century.45 It stands to reason that even in earlier times, much of the logic described here applied to many senators’ considerations. Among other things, ex-consuls must always have enjoyed high standing, and many of them will have wished to confirm and enhance this standing by assisting the advancement of junior members of the elite – including their own children, younger brothers, and more distant relatives. The kind of leadership with which the middle- and late-Republican consulars, constituting the highest layer of the multi-layer Republican hierarchy, provided the relatively broad senatorial elite had a distinctly ‘oligarchic’ flavour. At the same time, the more active and influential a senior Republican politician was over time the more dependent he was, in various ways that effected his dignity and standing, on public opinion. Describing the position of a Republican consularis, L. R. Taylor points out that he might still aspire to be elected consul for a second time, a censor, or priest (apart from pontifex maximus, elective since the third century – only after 104 BCE, when the election of priests was transferred to the people). However, … even if he fell short of the distinction of… a second consulship or a censorship or a priesthood, the ordinary consularis, with an influential place in the [senate], was in a position of great prestige. It was in no sense a position of leisure, for now he had to think of the maintenance of his dignitas, his rank, and he also had to concern himself with his family and particularly with his sons, who must achieve a career like his own. And that meant that he had to keep powerful
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Cf. Tatum 2003/4: 203: “senior figures, if they hoped to advance (and therefore gain a claim on) a younger man by deploying their influence in his behalf, had also to make exertions in order to sustain and to effectuate the clout they had previously accumulated”. See Jehne 2011. According to Jehne, the rise of the consulars as a class of full-time politicians increased the political importance of the city and its populace: “The consulares were so successful in making the senate (and the law courts and the assemblies!) the centre of politics that it became a risk to be absent from Rome, even if the reason for absence was military service.” (230).
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friends and make new ones that he had in fact to be a candidate all over again, this time for the younger generation.46
As for the expectation of additional electoral accomplishments after one’s (first) consulship, and its possible influence on the behaviour of consuls and consulars, we should think not only about those that eventually did reach these more-than-ordinary honours, but of the much larger group of people who tried to reach them, but failed or hoped, at some time, that they might eventually be able to reach them. Thus Cicero writes to Atticus in October 57 BCE about the possibility (eventually unrealized) that he might run for the censorship the following year, and the way it was influencing his conduct: I have allowed myself to be made legatus to Pompey … on condition that nothing should stand in the way of my being entirely free either to stand, if I choose, for the censorship – if the next consuls hold a censorial election … and meanwhile I thought it not disadvantageous to keep myself before the eyes of the citizens …47
Cicero was eventually elected augur, but had to wait for ten years after his consulship in order to obtain this prize, that he had long coveted.48 In his last year, 43, Cicero wrote to Brutus asking him to support the election of his twenty-two year old son as pontifex.49 According to Plutarch, Marius’ vacillating and allegedly duplicitous handling of the affair of Saturninus and his supporters in 100 BCE, which ended in the latter’s lynching despite the “public faith” pledged by the consul, made Marius obnoxious alike to the nobles and to the people, and when the time for electing censors came [in 98 BCE] he did not present himself as a candidate, although everyone expected that he would, but allowed other and inferior men to be elected, for fear that he would be defeated.50
Though Marius’ multiple consulships were of course highly exceptional, it is generally the case that, even with regards to one’s own electoral ambitions, the (first) consulship was not necessarily the final station and thus the end of one’s dependence on public opinion in this respect. As for being able to advance the careers of others – a consul, and still more so a consular, might well be thinking of his son, a younger brother, or a nephew. Perhaps we should take into account a much wider circle of relatives in this context. Precisely because concern for the standing of one’s family was so central to the aristocratic political culture, and family ties – in46 47 48 49 50
Taylor 1949: 33. Cic. Att. 4,2,6: ego me a Pompeio legari ita sum … quod nisi vellem mihi esset integrum ut, si comitia censorum proximi consules haberent, petere possem … et interea me esse in oculis civium … non alienum putavi. Cic. Att. 2,5,2. Cic. ad Brut. 1,5,3. Plut. Mar. 30,4: ἐκ τούτου τοῖς τε δυνατοῖς ἅμα καὶ τῷ δήμῳ προσκεκρουκώς, τιμητείας παραπεσούσης ἐπίδοξος ὢν οὐ μετῆλθεν, ἀλλ᾽ εἴασεν ἑτέρους ὑποδεεστέρους αἱρεθῆναι, δεδιὼς ἀποτυχεῖν. – See on this Gruen 1968: 190–192. Somewhat later he was, however, elected as augur (Cic. ad Brut. 1,5,53); “that suggests some continued influence in the tribes, which elected priestly officials” (192).
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cluding more distant ones – in the Roman elite were so politically important and are rightly considered as one of the elite’s most powerful resources, electoral considerations, as regards helping the advancement of one’s relatives, must have continued to weigh heavily on many a senior politician after he had fully realized his own electoral ambitions. 6. HELPING THE ADVANCEMENT OF OTHERS AND ONE’S STANDING WITHIN THE ELITE Naturally, the closer relatives presented a more pressing personal consideration. The advancement of more distant kin can, to a large degree, be ‘assimilated’ into the wider picture of one’s need to maintain and enhance one’s standing within the elite. This need would always – to the last days of one’s involvement in public life – include an element of competition with one’s peers. Beyond the point of having obtained the highest honours, and in some ways precisely then, a senior senator’s standing in the senate depended heavily on his ability to help advance the careers of junior senators – well beyond the circle of one’s relatives and familiares. Thus, popularity could never become superfluous; a strongly unpopular consular would find it difficult to perform this function, which was at the heart of the Republican political system and culture – precisely in their aristocratic aspect.51 Cicero’s letter to Decimus Brutus in 44, when other weighty matters were certainly on both men’s minds, asking him to support a candidate in praetorian elections, brings out the crucial importance of this aspect of Roman public life for a veteran consular, as well as the interconnection between the elitist and popular aspects of Roman electioneering: Lucius Lamia is a candidate for the praetorship. I am particularly intimate with him. There is a friendship of very old standing and very close between us … Besides that, I am under great obligations to him for kindness and good offices [in ‘Clodian times’, when Lamia defended Cicero and was relegated by the consul Gabinius in 58]. When the Roman people remembers this, it is most discreditable that I should forget it. Therefore, my dear Brutus, persuade yourself that I am a candidate for the praetorship (quapropter persuade tibi, mi Brute, me petere praeturam): for though Lamia is in a brilliant position and extremely popular, having conducted his aedileship with most magnificent liberality, yet I have taken up his cause as if these things were not so. Therefore, if you value me as highly as I feel sure you do, since you control certain centuries of the equites, among whom you are all-powerful, send word to our friend Lupus to secure the votes of those centuries for us.52
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This topic merits a fuller treatment than what as is allowed by the scope of the present paper, and I intend to attempt it elsewhere. Cic. fam. 11,16,2–3: L. Lamia praeturam petit. Hoc ego utor uno omnium plurimum: magna vetustas, magna consuetudo intercedit, quodque plurimum valet … Magno praeterea beneficio eius magnoque merito sum obligatus … Hoc cum populus Romanus meminit, me ipsum non meminisse turpissimum est. Quapropter persuade tibi, mi Brute, me petere praeturam; quamquam enim Lamia summo splendore, summa gratia est magnificentissimo munere aedilicio, tamen, quasi ea ita non essent, ego suscepi totum negotium. Nunc si me tanti facis, quanti certi
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“Persuade yourself that I am a candidate for the praetorship” – Cicero’s own standing, twenty years after his consulship, is put to the test by the petitio of Lamia. He therefore appeals to a fellow-‘oligarch’ in order to mobilize his support in securing the equestrian centuries – a highly important and relatively ‘oligarchic’ aspect of electioneering in the centuriate assembly (perhaps slightly exaggerating, for compliment’s sake, the extent of Brutus’ “all-powerfulness” in those centuries – in quibus regnas). He does not forget to point out that his protégé is in any case highly popular because of the “magnificent liberality” he had displayed as aedile – so that Brutus might not think that supporting his candidacy was an unsound investment of his own resources and gratia. When Cicero as consular describes himself as appealing directly to the people (in the tribal assembly) in support of a junior friend’s candidacy, he emphasizes, as the rhetorical context required, the Roman people’s sovereignty in bestowing its favours on competing members of the elite: Something, moreover, (I say it timidly, but still I must say it) – something we ourselves contributed to his success; not, indeed, by our riches, not by any invidious exertion of influence, not by any scarcely endurable stretch of power, but by the mention of his kindness to ourselves, by our pity for him, and by our prayers in his behalf. I appealed to the people; I went round the tribes, and besought and entreated them (appellavi populum tributim, summisi me et supplicavi); I asked even those who, of their own accord…volunteered their promises.53
Cicero’s “supplication” cannot be accounted for merely by the exigencies of this particular case and rhetorical context, and by the fact that Cicero was after all a homo novus. This is clearly shown by what Suetonius says about the way Augustus went about supporting his candidates for the offices of his “restored Republic”: “Whenever he took part in the election of magistrates, he went round the tribes with his candidates and entreated [for them] in the traditional manner” (supplicabatque more sollemni).54 It has been suggested that while “even senior figures had to exert efforts in order to advance young politicians and gain a claim on them”, “only the candidates themselves were obliged to beg.”55 The “senior figures” may not have been quite obliged to beg, and there was, no doubt, a difference between what was expected of them and what was expected of the candidate himself in this respect. But it certainly appears that it was customary for them to entreat the people directly and personally, and not just to accompany the candidate: for all his civilitas, Augustus would never have behaved in a way Suetonius describes using the verb “supplicare” had not
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facis, quoniam equitum centurias tenes, in quibus regnas, mitte ad Lupum nostrum, ut is nobis eas centurias conficiat. Cic. Planc. 24: aliquid praeterea – timide dicam, sed tamen dicendum est – non enim opibus, non invidiosa gratia, non potentia vix ferenda, sed commemoratione benefici, sed misericordia, sed precibus aliquid attulimus etiam nos. appellavi populum tributim, submisi me et supplicavi; ultro me hercule se mihi etiam offerentis, ultro pollicentis rogavi. – The context is Cicero’s support for the candidacy of Gnaeus Plancius, who had similarly supported him “in the Clodian times” for the office of aedile. Suet. Aug. 56,1. Tatum 2007: 115.
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such urgent personal appeals to voters been an established custom among Republican nobles and senior statesmen.56 Thus Cicero was not wholly wrong – for all that he was obviously over-dramatizing things – when he wrote that he himself was canvassing for praetorship while supporting the candidacy of his junior friend. His dignitas and gratia, his whole public standing, were involved and invested in this campaign – though of course not to the same extent as in the case of the candidate himself. A defeated candidate’s dolor repulsae57 would be shared, to a considerable extent, by his friends and supporters (naturally, more so in case of the closer ones), including his seniors.58 A senior Republican statesman could not wholly break free from his dependence on the electorate even when he no longer expected anything from it for himself – as long as he still wished to maintain and enhance his standing within the ruling class. 7. CONCLUSIONS Going now back to the opening question of this paper, it appears, for all the reasons mentioned above, that a typical Roman consul or consular could not afford to ignore public opinion and had powerful reasons to try to placate it. One’s (first) consulship did not by any means make these things redundant. Without bearing this in mind it is impossible, for example, to account for the career of Gaius Flaminius. This “new man”, branded by a hostile tradition as a “mob-courtier” and “demagogue” throughout his career,59 carried as tribune in 232 an agrarian law in the teeth of strong senatorial opposition, and went on nevertheless (or perhaps precisely because of this?) to be elected praetor and consul by the centuriate assembly. His first consulship in 223 was marked both by military success and a confrontation with the senate, and crowned by a triumph authorized by the people despite the senate’s refusal; he went on to censorship (220) and is said to have been the only senator who supported, in 218, the Claudian law curtailing the ability of senators and their sons to engage in profitable sea-trade. This, according to Livy, brought upon Flaminius great resentment on the part of the nobility as well as “the favour of the plebs and the second consulship” in 217,60 though it also seems likely that his election reflected popular discontent with the conduct of the war with Hannibal. According to H. H. Scullard, “his brilliant career had demonstrated the theoretical sovereignty of the Roman People.”61 But it seems that what his career demonstrated was that the
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Cf. Plut. Cato Min. 49,5–6; Cass. Dio 40,58,3: Cato refuses to entreat the people for their votes during his canvassing for the consulship, or to allow his friends to do so on his behalf; the people complain that he deprived them not only of money (by avoiding bribery) but also of their opportunity to bestow favour; he is defeated at the polls. Caes. civ. 1,4; cf. Cic. off. 1,71; see on this Tatum 2011: 133. Cf. Val. Max. 7,5,4; Plut. Cato Min. 49,6. Pol. 2,21,8; 3,80,3. Liv. 21,63. Scullard 1951: 44.
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sovereignty of the Roman People was – or at least might become, on occasion – far from merely theoretical. Under a narrowly-oligarchic reconstruction of the Republican political system such a career can scarcely be accounted for. It is then highly significant that it was possible, and in the “harmonious” middle Republic at that. It is no less significant that it is highly untypical, for any period of Republican history. The overwhelming majority of Roman politicians (including the “new men”) did not behave like that. Alongside the need to win popularity and to avoid unpopularity, there were powerful reasons – both of expediency and, no doubt, often of one’s strong personal predilection – for trying to win the approbation of the nobility, the senate and all the boni. Sometimes, though by no means invariably, these two types of considerations clashed.62 The obvious way to escape the resulting contradictory pressures and dilemmas was to curry favour with the people in a way that did not undermine one’s standing among the higher orders – and, by the same token, to cultivate one’s reputation among the boni without incurring popular hostility. There were many uncontroversial ways to win popularity; the most obvious and traditional one was, naturally, by wining military glory. And, of course, there were various ways – some of them quite respectable – of displaying one’s benevolence and generosity. Those who chose, at some point of their career, to play the ‘popular’ card in a politically controversial way, did not have to do so in quite the blatant way that is attributed to Gaius Flaminius and to the more radical of the late-Republican populares. We may, however, assume that, if not for the power of public opinion, both the Republic’s political history and the whole character of its public and social life would have looked very differently.
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Cicero, in De provinciis consularibus 38, dwells on this tension, making clear both the heavy price that a popularis politician might pay in terms this standing within the senate, and the senate’s need to be careful not to estrange, unnecessarily, powerful politicians enjoying wide popular support: “For this order has never heaped its distinctions and kindness on anyone who has subsequently thought any dignity preferable to that which he had obtained by your favour. For it is not possible for anyone to be a leader of the senate who has preferred to be a popularis…[But] if, after they have been tossed about on those surges, and have become wearied of their voyage amid the whims of the people, having been successful in the conduct of the affairs of the republic, they show their faces again in the senate-house, and wish to gain the favours of this most honourable order, I say that they are not only not to be repelled, but are to be received with open arms, and courted.” (Neminem umquam est hic ordo complexus honoribus et beneficiis suis, qui ullam dignitatem praestabiliorem ea, quam per vos esset adeptus, putarit. Nemo umquam hic potuit esse princeps, qui maluerit esse popularis… Qui si ex illa iactatione cursuque populari, bene gesta re publica, referunt aspectum in curiam atque huic amplissimae dignitati esse commendati volunt, non modo non repellendi sunt, verum etiam expetendi).
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DEN KONSENS MIT DEM VOLK HERSTELLEN Überlegungen zu den contiones Egon Flaig, Rostock Die politische Organisation der römischen Aristokratie war angelegt auf die Herstellung eines Konsenses, der die res publica zu konkretem Handeln befähigen sollte. Aber was heißt ‚Konsens‘? Der Begriff enthält mehrere soziologische Bestimmungen. Nicht gemeint ist hier der Konsens als Residualkategorie; als solche enthält der Begriff die Summe all jener Vorstellungen und Verhaltensmuster, die in jeder Kultur fraglos gegeben sind. Auch nicht gemeint ist jener Konsens, der durch ethische Homogenisierung entsteht, vor allem in der familialen Sozialisation. Auch nicht gemeint ist hier der Konsens als Produkt und als Produktion ständiger politischer und kultureller Homogenisierung der Bürgerschaft mittels eines semiotischen und rituellen Ensembles – in den pompae einerseits, im Arrangement materieller Elemente, urbanistischer, architektonischer, skulpturaler, epigraphischer Art, anderseits. Dieser Konsens ist fundamental für die vorgängige Bereitschaft zum politischen Gehorsam, aber er ist hier nicht thematisch. Sondern es geht um jenen Konsens, der sich äußert als formalisierte politische Zustimmung bei konkreten Entscheidungen. Seine Herstellung ist ein interaktiver Prozess. Im Falle des römischen Senates musste solcher Konsens keinesfalls umfassend sein und auch nicht explizit. Dennoch ist das Bemühen der Redner im Senat bemerkenswert, einen scheinbaren Konsens herzustellen, also einen Konsens, der darin bestand, dass niemand mehr der dominierenden Option widersprach; war dieser nicht zu erreichen, dann bemühten sich die Senatoren zumindest zu einem ‚zureichenden‘ Konsens zu gelangen, also zu einem überwiegenden Einverständnis der Konsulare, also der obersten Rangklasse. ‚Zureichend‘ bedeutete – je nach Sachlage und Thema – eine so überwiegende Ansicht, dass die Nichtzustimmenden auch dann darauf verzichteten, mit obstruktiven Mitteln einen Beschluss leerlaufen zu lassen, wenn sie in einer discessio ‚überstimmt‘ waren. Wie sehr die Senatoren sich dieses konsentische Gebahren angelegen sein ließen, ist das komplementäre Gegenstück auf der habituellen Ebene – zu der außerordentlichen Bedeutung der Obstruktion und der Obstruktionsmittel im politischen System. Um diese Konsensherstellung im Senat zu erklären, schlug ich vor 20 Jahren vor, das Modell von Giovanni Sartori zu nutzen: Konsens stellt sich her durch vertagte Gegenleistung in einem Gremium. Doch nachdem Jan Timmer starke Argumente vorgebracht hat, die mich nötigten, meinen Vorschlag zu überdenken, bin ich zurückgekehrt zur alten These von Theodor Mommsen, welche da lautet, dass der Senat nach der Mehrheitsregel – durch Auseinandertreten (discessio) – entschied.1 Zweifelsohne 1
Flaig 1992: 117–131; Timmer 2009; Flaig 2013: 372–383.
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spielten konsentische Praktiken im Vorfeld solcher Abstimmungen eine viel größere Rolle, als dies je in hellenischen Ratsversammlungen der Fall sein konnte. In diesem Aufsatz beschäftige ich mich nicht mit der Herstellung von Konsens im Senat, sondern mit der Zustimmung des Volkes zu konkreten rogationes. *** Fast einhellig hat die althistorische Forschung die Meinung geteilt, das römische Volk habe an der Politik dadurch partizipiert, dass es mittels institutionalisierter Verfahren am Prozess der Willensbildung teilnahm. Die Komitien, also die abstimmende Volksversammlung, waren demnach diejenige Institution, in der das Volk seinen politischen Willen ausdrückte. Jochen Bleicken nennt die Komitien demgemäß „das institutionalisierte Volk.“2 Das Volk habe in den Volksversammlungen Entscheidungen getroffen. Die Volksversammlung sei ein Entscheidungsorgan gewesen. Gegen diesen damals einhelligen Konsens habe ich 1995 Einspruch erhoben. Mein Einspruch lautet: Die römische Volksversammlung war kein Entscheidungsorgan. Hier die Gründe. Wilfried Nippel hat 1988 mit einigem understatement auf einen sehr merkwürdigen Charakterzug des römischen politischen Systems hingewiesen: „Zu den Eigenarten der Gesetzgebung in einer Volksversammlung … gehörte die kaum begrenzte Chance eines Antragstellers, für seine Gesetzesvorlage eine Mehrheit der tribus zu gewinnen, wenn es denn zur Abstimmung kam. Jedenfalls scheint kaum einmal ein Antrag von einigem Gewicht bei der Abstimmung selbst durchgefallen zu sein.“3 Walter Eder ist 1990 einen Schritt weiter gegangen und hat lapidar geschrieben: „Typically not a single rejection of a magistrate’s proposal is known.“4 Kein einziges normatives Gesetz, das ein Magistrat eingebracht hatte, scheiterte bei der Abstimmung. Anders gesagt: Die römische Volksversammlung stimmte fast immer so ab, wie es der die Versammlung leitende Magistrat wünschte. Das heißt, sie stimmten der rogatio fast immer zu. Man kann der althistorischen Wissenschaft nicht vorwerfen, dass sie diesen Sachverhalt missachtet hätte. Aber sie hat große Mühe, ihn konzeptuell zu fassen. Jochen Bleicken kommt das Verdienst zu, diese Sachlage offen zum Thema gemacht zu haben. Er tut dies jedoch mit den Begriffen der traditionellen Verfassungslehre. Er spricht von „Entartungserscheinungen“ und von einer „Degeneration der Volksversammlung“, von einer „Pervertierung der Komitien zu einer Apparatur, die in der Hand jedes ehrgeizigen Politikers jedes gewünschte Abstimmungsergebnis produzieren konnte.“ Konsequent behauptet er eine „immer größer werdende Spannung zwischen Norm und Wirklichkeit.“5 Er setzt also voraus, dass es einmal anders war. Stellt man die rechtliche Norm der historischen Wirklichkeit dichotomisch entgegen, dann raubt man dem Normbegriff seinen Erklärungswert. Wenn 2 3 4 5
Bleicken 1975: 285. Nippel 1988: 55. Eder 1991: 179. Bleicken 1975: 263, 268, 285, 268.
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die historischen Geschehnisse über Jahrhunderte einer Norm widersprechen, so heißt das, dass die Norm nicht wirkt. Eine nicht wirkende Norm ist aber nicht wirklich; sie verliert als analytische Kategorie ihren Sinn. Soll der Begriff ‚Norm‘ analytisch sinnvoll sein, dann ist es unzweckmäßig, die Norm aus verfassungstheoretischen Axiomen postulieren; es ist ergiebiger, sie abzuleiten von den realen Praktiken. Es ist untunlich, auf das Recht der abstimmenden Bürger zu verweisen, mit ‚nein‘ zu stimmen und den Antrag durchfallen zu lassen. In der politischen Praxis gebrauchte die weit überwiegende Mehrheit der abstimmenden Bürger niemals dieses Recht. Zurück zur fast lückenlosen Zustimmung des Volkes. Wie kam sie zustande? Normalerweise stellte man im Senat den ‚Konsens‘ her, bevor ein Amtsträger dann den betreffenden Antrag vor die Volksversammlung brachte. Diese einträchtige Haltung der Aristokratie war nach Jochen Bleicken verhängnisvoll für die Volksversammlung: Wenn die Gesamtheit der Nobilität als Einheit auftrat, dann blieb dem Volk nichts anderes übrig als zuzustimmen: „Gegenüber dem einheitlichen Willen aller Nobiles gab es keine Meinung im echten Sinne; man konnte nur mit ‚ja‘ stimmen: Die Einheit des Senats, der das soziale Prestige aller Nobiles verkörperte, wirkte auf die Meinungsbildung im Volk erstickend … Das Volk stimmte über die nach außen hin einheitliche Meinung der Nobilität ab und stimmte natürlich zu.“6 Wenn beides zutrifft, wenn einerseits das politische System auf den aristokratischen Konsens hin angelegt ist und wenn anderseits diese Eintracht auf das abstimmende Volk einen solchen Druck ausübt, dass es eigentlich nur zustimmen kann, dann lässt sich daraus nur folgern: Die Funktion der Volksversammlung in diesem System war eben die, zuzustimmen. So wird verständlich, weshalb Cicero in Pro Sestio (109) die zufällig zusammengewürfelten Tributkomitien den Zenturiatkomitien entgegensetzt; denn deren Zusammensetzung sei berechenbarer und deren Bereitschaft, die Politik des Senates zu unterstützen, sei erwartbarer. In den Tributkomitien hingegen bekamen leicht die Unterschichten das Übergewicht, und sie folgten nicht zweifelsfrei der Autorität der vornehmsten Senatoren. Wenn die Komitien den Konsens aussprachen, dann stellten sie – nach Cicero – den populus Romanus dar und drückten dessen voluntas aus. Somit artikulierten contiones und comitia manchmal wahrhaft den Willen des populus Romanus, manchmal nicht: comitiorum et contionum significationes sunt interdum verae, sunt non nunquam vitiatae et corruptae.7 Ganz folgerichtig erschienen ihm ludische Veranstaltungen wichtiger als die Tributkomitien. Ich habe 1995 vorgeschlagen, den Rahmen der Interpretation weitgehend zu wechseln. Unbestritten bleibt, dass den Beschlüssen der Komitien – als iussa populi oder leges – Verbindlichkeit für die gesamte res publica zuerkannt wurde. Aber wenn innerhalb des aristokratisch beherrschten Systems den Komitien die Funktion zufiel, in ‚letzter Instanz‘ verbindliche Regelungen für die gesamte politische Gemeinschaft zu treffen, dann bedeutete das weder, dass sie ‚souverän‘ waren, noch 6 7
Bleicken 1975: 273 f. Cic. Sest. 115: „Die Huldigungen von Komitien und gewöhnlichen Versammlungen sind manchmal aufrichtig, manchmal unecht und gekünstelt.“ (Übers: M. Fuhrmann).
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dass sie im präzisen Sinne des Wortes ‚entschieden‘. Wenn die Komitien so gut wie immer zustimmten, dann waren sie kein Entscheidungsorgan. Als definitorischen Behelf schlage ich vor: Die Komitien waren ein Konsensorgan – ein Organ, in welchem das römische Volk seinen Konsens mit der Politik der Aristokratie ausdrückte, im Zweifelsfall mit demjenigen Aristokraten, der gerade die Volksversammlung leitete.8 Es stellen sich damit aber eine Reihe neuer Fragen: 1. Waren die Komitien ein Konsensorgan, dann vollzog sich eine Abstimmung als Konsensritual. Die Funktion, der Gehalt und der Charakter eines solchen Rituals standen nicht ein für alle Mal fest. In jeder rituellen Situation, auch wenn die herrschaftliche Organisation des Rituals noch so dicht und zwingend zu sein scheint, sind bestimmte Gruppen imstande, in den zeremoniellen Ablauf einzugreifen und ihn zu verändern. Finden sie bei signifikanten Teilen der Teilnehmer Gehör, dann gerät die politische Semiotik des Rituals ins Wanken, denn es geschieht ja vor aller Augen etwas, was nicht vorgesehen war oder nicht geschehen soll. Gelingt es den Neuerern eventuell in schweren und wiederholten Kämpfen, diese Veränderung auf Dauer zu stellen, dann ist das ehemalige Ritual verschwunden und ein neues an seine Stelle getreten. Diese latente Instabilität der szenographischen Form und der politischen Semantik eines Rituals hat Victor Turner treffend ‚Liminalität‘ genannt.9 Der Charakter einer Institution und eines Zeremoniells ist gemäß diesem Konzept nur die Resultante konkreter Konfrontationen, in der sich ein Kräfteverhältnis zwischen beteiligten Gruppen ausdrückt, Der Begriff ‚Funktion‘ bezeichnet demgemäß keine ‚wesenseigene‘ Eigenschaft. Er drückt lediglich aus, dass den Komitien diese Rolle – den Konsens der Plebs mit der Politik der Aristokratie auf institutionalisierte Weise auszudrücken – solange zukam, wie die herrschende Klasse in der Lage war, die Komitien auf diese Rolle festzulegen. Ob ihr das gelang, hing ab vom Kräfteverhältnis innerhalb einer Konfiguration. Solche Kräfteverhältnisse können tatsächlich relativ stabil bleiben, sofern die Herrschenden einen ständigen, bisweilen einen beträchtlichen Kräfteaufwand leisten. 2. Wenn die Komitien kein Entscheidungsorgan waren, sondern ein Konsensorgan, dann war die Entscheidung normalerweise schon gefallen, bevor die Abstimmung begann. Wo fielen also die Entscheidungen? Und auf welche Weise? Ist eventuell der Begriff der Entscheidung zu modifizieren? Das politische System der Römischen Republik funktionierte wesentlich anders als eine griechische polis. Die poleis waren ‚machtzentrierte‘ Systeme, in welchen ein Organ letztlich entschied. Dieses Organ war – im buchstäblichen Sinne – ‚souverän‘. Anders in Rom. Rom war kein machtzentriertes politisches System. Hier ist kein oberstes ‚Entscheidungsorgan‘ ermittelbar.10 Entscheidungen fielen häufig in einem Intersektionsraum zwischen Senatsdebatten, tribunizischem Veto, sakraler Blockade und kollektiven Aktionen der plebs. Deutlicher: Die Konflikte fanden nicht nur innerhalb desjenigen Organs statt, welches letzten Endes gültig 8 9 10
Flaig 1995. Anregende Gedanken finden sich bei Turner 1989: 94–158. Begrifflich schärfer verfährt Sah lins 1992: 40–45, 133–153 u. vor allem Bourdieu 1987: 57–96, 147–179. Meier 1980; Meier 1984.
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entschied, wie das in Griechenland der Fall war. Sondern zwischen politischen Organen konnte es zu Konflikten kommen. Daher vollzog sich römische Politik großenteils in den Intersektionsräumen der politischen Institutionen. Aus diesem Grunde ist die Obstruktion ein kardinaler Faktor im Prozess des kollektiven Entscheidens; denn sie nötigte dazu, den Prozess der Willensbildung nochmals beginnen zu lassen.11 Aus diesem Intersektionsbereich greife ich ein Segment heraus, nämlich die contiones. Wie kam es dort zur Konsensherstellung? *** Um diese Frage angehen zu können, ist es ratsam, zunächst Ereignisse näher zu besehen, die ein Licht werfen auf Kräfteverhältnisse und Interaktionsformen. Aufschlussreich sind insbesondere die abgelehnten Anträge. Die Ablehnungen enthüllen das Kräfteverhältnis zwischen der herrschenden Klasse und den Bürgern; sie geben Aufschluss über die Gehorsamsmodalität. Somit erbringen sie einen höheren heuristischen Ertrag als der Normalfall. Überliefert sind folgende Vorgänge: 1. der tribunizische Antrag um 209 v. Chr., dem Marcellus das Imperium in Sizilien zu entziehen (Liv. 27,21,4); 2. der konsularische Antrag von 200 v. Chr., Makedonien den Krieg zu erklären (Liv. 31,6,1– 8.2); 3. ein beinahe gescheiterter tribunizischer Antrag von 167 v. Chr., dem siegreichen Aemilius Paulus einen Triumph zu gewähren (Liv. 45,35,3–36,10), 4. der Antrag des Volkstribuns L. Scribonius Libo 149 v. Chr., ein außerordentliches Gericht gegen Ser. Sulpicius Galba einzusetzen (Liv. per. 49,4); 5. der Antrag des L. Crassus 145 v. Chr., die Priesterkollegien durchs Volk wählen zu lassen (Cic. Lael. 96); 6. der Antrag des Volkstribuns Papirius Carbo 131 oder 130 v. Chr., den Tribunen die Wiederwahl zu gestatten (Cic. Lael. 96); 7. der Antrag auf ein Ackergesetz des Tribuns Marcius Philippus von 104 v. Chr. (Cic. off. 2,73).12 Der einzige überlieferte Vorgang eines von der Volksversammlung abgelehnten Antrages eines Magistrats ereignete sich 200 v. Chr. Der Senat hatte beschlossen, gegen König Philipp V. von Makedonien Krieg zu führen. Der Konsul Sulpicius Galba brachte den Antrag vor das Volk. Doch die Zenturiatkomitien lehnten den Antrag des Konsuls ab, mit überwältigender Mehrheit. Die Senatoren entrüsteten sich über das ungebührliche Verhalten des Volkes, sie machten einem Volkstribun schwere Vorwürfe, der gegen die Kriegserklärung agitiert hatte. Livius schreibt weiter: „Und jeder Senator bat für seine Person den Konsul, eine neue Abstimmung zur Entscheidung über seinen Antrag anzusetzen und die Gleichgültigkeit des Volkes zu züchtigen und dem Volk klarzumachen, welchen Schaden und welche Schande ein solcher Aufschub des Krieges bringe.“ Der Konsul bestellte die Bürger nochmals aufs Marsfeld, hielt eine contio ab, in welcher er mit einer geharnischten Rede für seinen Antrag warb; dann forderte er die Bürger auf: „Schreitet zur Ab11 12
Meier 1984. So erklärt sich die Wichtigkeit von ‚zwingenden Gesten‘ in der politischen Kultur Roms. Hierzu: Flaig 1997 u. 2003: 99–122. S. die Liste bei: Laser 1997: 45–80, hier 65–71. Das Thema ist systematisch behandelt in Flaig 2003: 155–212.
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stimmung mit dem Beistand der Götter und beschließt, was die Senatoren für gut befunden haben!“ Und nun erhielt er die Zustimmung zu seinem Antrag.13 Ein weiteres Ereignis illustriert, wie die herrschende Klasse – wenn man den Term im nichtmarxistischen Sinne gebraucht – einen Entscheidungsprozess revertierte. Im Jahre 167 kehrte Aemilius Paulus als siegreicher Feldherr im Krieg über König Perseus von Makedonien heim; der Senat beschloss, dass er einen Triumph feiern dürfe; ein Volkstribun sollte den Antrag vor die Volksversammlung bringen. Die Soldaten des Feldherrn waren von diesem sehr rau behandelt worden; sie zeigten keine große Lust, zur Volksversammlung zu kommen, um dem unbeliebten Feldherrn auch noch einen Triumph zu bewilligen. Bei der contio am Tag vor der Abstimmung ergriff aber ein Militärtribun aus patrizischem Geschlecht das Wort und forderte die Soldaten auf, doch zahlreich zu erscheinen, aber nicht, um mit ‚Ja‘ zu stimmen, sondern um den Antrag zu Fall zu bringen. Als am nächsten Tag der versammlungsleitende Tribun den Antrag zur Abstimmung stellte, stimmte eine Tribus nach der anderen gegen den Triumph des Aemilius Paulus. Daraufhin stürmten die ranghohen Senatoren mitsamt den Konsuln auf den Versammlungsplatz; sie drängten den Versammlungsleiter dazu, die Abstimmung abzubrechen und die Komitien an Ort und Stelle in eine contio zu transformieren. Während die Bürger sich neu aufstellten, bearbeiteten die Senatoren, wen sie kannten, und schalten den kecken Militärtribun öffentlich aus. Dann ergriff ein alter Konsular das Wort, tadelte die Abstimmenden und vollzog eine Ostentation seiner Narben. Er drohte, er werde sich auf die Brücken in den Stimmpferchen stellen und sich genau merken, welche Bürger mit ‚nein‘ stimmen. Danach wurde erneut abgestimmt. Und alle 35 Tribus bewilligten dem Aemilius Paulus seinen Triumph.14 Wenn die römische Oligarchie einen politischen Fehler korrigierte, dann tat sie das in der Regel in drei Schritten: Zuallererst stellte sie in den eigenen Reihen den Konsens her, nötigenfalls mit Pressionen gegen die Abweichler. Danach demonstrierte sie senatorische Geschlossenheit; dazu reichte schon die geballte Präsenz der ranghöchsten Senatoren auf der Tribüne bei den contiones und bei der Abstimmung; nötigenfalls nahmen die Senatoren als Patrone schnellen und direkten Einfluss auf die soziale Spitze ihrer Klientelpyramiden. Und schließlich leistete sie Überzeugungsarbeit.15 Dabei glitt der Ton vom sachlichen Argumentieren über ein paternalistisches und fürsorgliches Bitten bis zur autoritären Aufforderung, je nachdem, wie die Redner die Stimmung einschätzten.16 Aus diesen Fällen ist zu schließen, dass niemand davon ausging, die Volksversammlung könne anders abstimmen, als der Antragsteller wollte. Da die Abstimmung stets dazu führte, dass 13
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Zitate bei Liv. 31,6,5: et consulem pro se quisque hortari ut de integro comitia rogationi ferendae ediceret castigaretque segnitiam populi atque edoceret quanto damno dedecorique dilatio ea belli futura esset. … Ite in suffragium bene iuvantibus divis et, quae patres censuerunt, vos iubete!; 31,7,14 (Übers. n. H. J. Hillen) Der Antrag wurde also de facto nicht niedergestimmt, da die Abstimmung abgebrochen wurde. Eine semiotische Analyse dieser Episode findet sich in Flaig 2003: 123–136. S. Hölkeskamp 1995 u. 2006. Hölkeskamp 1995; Jehne 2000 u. 2011; Pina Polo 2011.
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das Volk zustimmte, war die Zustimmung gänzlich erwartbar. Alle Beteiligten wussten das, sowohl der Adel wie die nichtadligen Bürger. Von der Warte dieser Ergebnisse aus lassen sich die contiones als eigener Gegenstand gut in den Blick nehmen. Dass die contiones so lange Zeit außerhalb des Interesses der Forschung geblieben sind, schuldet sich einem einzigen Grund: Man hielt sie für unwichtig, da sie ja nicht abstimmten, also nicht ‚entschieden‘. Anders gesagt: Die contiones sind so lange unwichtig gewesen, wie man unter Politik den Bereich des institutionalisierten Entscheidens verstanden hat. Mit diesem Begriff von Politik lässt sich die griechische polis, vor allem in den Demokratien, relativ gut erfassen, weil dort die Volksversammlung, je nach Zeit und Ort in höherem oder geringerem Maße, tatsächlich ein Entscheidungsorgan war. Aber die konsentischen und rituellen Praktiken, an denen die römische Politik so reich ist, fasst er nicht. Dafür war eine forschungspraktische Achsenverschiebung nötig. Hierzu ein kurzes, aber längst überfälliges Wort. Entgegen einer anglozentrischen Sicht erfolgte diese Achsenverschiebung keineswegs durch die These von Fergus Millar, man habe die römische Republik als Demokratie anzusprechen. Wenn Millar ein politisches System, in dem die Bürger politisch ungleich sind und bei wichtigen Entscheidungen ein ungleiches Stimmrecht haben, für eine Demokratie hält, so ist das nur ein trauriges Symptom für den Mangel an elementarer Bildung in politischer Philosophie, welcher sich innerfachlich ausbreitet.17 Um freilich eine ‚Revolution‘ des althistorischen Blicks auf die Römische Republik einzuleiten, bedurfte es anderer fachlicher Neuausrichtungen. Die Initiativen dazu entsprangen nicht aus der anglophonen Forschung, sondern der frankophonen. Es war Claude Nicolet, der 1976 die Frage aufwarf, wie es dieser historisch spezifischen Aristokratie gelingen konnte, einen solch tiefgreifenden Gehorsam bei den beherrschten Bürgern aufrechtzuerhalten, wie das in Rom geschah; Nicolet verlangte darum nach einer ‚Grammatik‘ der römischen Politik. Im selben Jahr umriss Paul Veyne in Le Pain et le Cirque eine erstaunlich breites Inventar von Konzepten, welches erlaubte, ganz unterschiedliche Modaltäten der Kommunikation zwischen ‚aristokratischen‘ Führungsschichten und einer städtischen Bürgerschaft historisch zu sortieren. Jahre vor Millar – nämlich 1980 – hatte Jean-Michel David bereits damit begonnen, die ‚Performanzen‘ – er nannte sie ‚conduites symboliques‘ – zu erforschen, derer die Redner sich zu befleißigen hatten, sobald sie vor dem Volk standen. Es war eine akzentuiert praxeologische Umorientierung der althistorischen Forschung, welche es gestattete, das Problemfeld neu zu vermessen. Diese praxeologische Umorientierung hat Paul Veyne 1978 in seinem großartigen Foucault-Aufsatz programmatisch vorgeschlagen.18 In diesem Diskussionskontext vollzog sich eine Wende hin zu einer Kulturgeschichte des Politischen avant la lettre. Für diese ist bezeichnend, dass sie einen mehr oder weniger deutlichen Bruch gegenüber der traditionellen Sozialgeschichte vollzog. Sichtbar wurde dieser Bruch auf zwei Ebenen: Erstens gelang es Christian Meier 1980 und 1984, das Politische in Rom mit neuen theoretischen 17 18
So Flaig 1995 u. 2003: 155–174. Nicolet 1976; Veyne 1976 u. 1978; David 1980. Ein anderer Blick auf die Umbrüche der 80er Jahre findet sich bei Hölkeskamp 2004.
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Instrumenten – angelehnt an Max Weber und Hannah Arendt – systematisch zu umreißen und es abzusetzen vom Politischen in der hellenischen polis; zweitens berücksichtigen eine Reihe französischer Publikationen jene symbolische Dimension der politischen Kommunikation, welche Paul Veyne 1976 zum expliziten Gegenstand der althistorischen Forschung gemacht hatte. So rückte die kommunikative Dimension der Herrschaftspraxis ins Blickfeld; und so kam der hohe rhetorische Aufwand zum Vorschein, den gerade die ranghohen Senatoren in den contiones leisteten.19 Als die Millar’sche ‚Provokation‘ auf diese neue Forschungsmatrix traf, blieb sie ohne kognitive Effekte, obschon – wegen der enormen Dominanz der Anglophonie – es unumgänglich war, sie zu berücksichtigen. Das konzeptuelle Instrumentarium war theoretisch weit ausgereifter als der Millar’sche Ansatz, welcher nicht bloß einen fragwürdigen Gebrauch zentraler Kategorien der politischen Philosophie transportierte, sondern auch in krude Sozialgeschichte zurückführte. Die Wende zur Politischen Kultur und das begrifflich verfeinerte Augenmerk für die symbolische Dimension der politischen Kommunikation hat erlaubt, die begrifflichen Inventare zu bereichern mit Konzepten der Soziologie Pierre Bourdieus; und sie hat jenen Schub an neuen Forschungen bewirkt, der bis heute anhält. Es geht also nicht bloß darum, die contiones neu zu bewerten, um die Rolle des Volkes zu berücksichtigen. Sondern es geht um die Modalitäten der Kommunikation an diesem spezifischen Ort des Politischen in Rom. Und um Modalitäten zu erforschen, benötigt der Historiker Varianten und Grenzfälle. Zunächst ist eine Besonderheit ins Auge zu fassen: Die Volksbeschlüsse sind charakterisiert von einer seltsamen Dissoziierung von Abstimmen einerseits und Beraten anderseits. Dass beides getrennt sein muss, ist ein entscheidungslogisches Erfordernis. Aber der spezifische Charakter des römischen Falls verdeutlicht sich, wenn wir den historischen Vergleich einschalten: Auch in den hellenischen poleis wurde zuerst deliberiert, danach – mit einer deutlichen performativen Zäsur – abgestimmt. Allerdings beriet und beschloss bei den Griechen ein und dieselbe Versammlung; und sie tat das während einer Sitzung bis zu 15 Mal, je nachdem wieviele Traktanden die Tagesordnung vorsah. Das römische System hingegen verlangte, zu einem einzigen Antrag mindestens drei contiones einzuberufen, die an drei auseinanderliegenden Markttagen stattfinden sollten. Damit wurde die Deliberation in Intervalle zerlegt und vom Abstimmen temporal sehr weit entfernt. Dieser erstaunliche Abstand zwischen Beratung und Beschluss veränderte den Prozess der Willensbildung dramatisch. Die zeitliche Zerdehnung des kollektiven Entscheidens modifizierte die Sphäre des Politischen in Rom überhaupt. Ein signifikanter Teil der Zuhörer dürfte bei jeder contio gewechselt haben. Somit war eine kontinuierliche Debatte wie in griechischen Volksversammlungen gar nicht möglich. Doch für den Prozess des Überzeugens durch bessere Argumente ist eben die Kontinuität des Debattierens unabdingbar. Augenfällig gehorchte die römische contio einer anderen Logik als derjenigen des Überzeugens. In der Tat: Der rogator wiederholte diese ‚Beratung‘ mehrfach, indem er zum selben Thema mehrere contiones abhielt. Wenn 19
Nicolet 1976: 386–390; David 1980; 1992 u. 2006; Millar 1984; Pina Polo 1995 u. 1996; Jehne 1995; Hölkeskamp 1995; Flaig 1995 u. 2003; MorsteinMarx 2004.
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nun eine Beratung völlig einseitig abläuft, weil nur Redner auftreten, die der Antragsteller zuvor bestimmt hat, dann kommt die Wiederholung einer solchen ‚Beratung‘ schlicht einer ‚Mobilisierung‘ gleich. Die ‚Mobilisierung‘ ist eine Weise, politische Intensität zu erzeugen, die nicht notwendig aus der Überzeugtheit durch bessere Argumente herrührt. Gelingt diese ‚Mobilisierung‘, dann kommen die Bürger zur Abstimmung mit bereits festen Präferenzen. Falls sie diese immer noch nicht haben, was bei Wahlen häufig der Fall ist, werden sie sich nach ihren Nachbarn oder Freunden richten, mit denen sie oft Stunden in den Stimmpferchen auf engem Raum verbringen. Dieser Modus der Willensbildung erzeugt spezifische soziale Kosten: Als in der späten Republik die Frequenz der Volksbeschlüsse zunahm, stieg die Anzahl der contiones in exuberante Höhen. Daher tagten seit dem 2. Jh. v. Chr. häufig am selben Tag mehrere contiones; die Versammlungsleiter mussten also mit irgendwelchen gerade frei werdenden Arealen im engen urbanistischen Raum Roms vorlieb nehmen. Es bedurfte expliziter Prioritätsregeln, um dieser überschäumenden Versammlungsaktivität einigermaßen zu steuern.20 Sogar politisch aufmerksame Bürger, die über viel Zeit verfügten, konnten nicht überall zuhören, geschweige denn die einfacheren Bürger dieser großen Stadt. Außerdem war eine gute Akustik nur auf dem Comitium vor den Rostra zu haben.21 Und auch sie hält keinen Vergleich aus mit den akustisch exzellenten Ekklesiasterien und Theatern in den griechischen Städten.22 Aber die Versammlungsplätze griechischen Typs waren für das römische Stimmverfahren, welches nicht bloß viel Zeit verschlang, sondern auch große Areale benötigte, gar nicht geeignet. Die senatorische Aristokratie mobilisierte zwar unentwegt das Volk,23 weil unablässig contiones stattfanden; doch die Anzahl der Volksbeschlüsse war gering, wenn wir griechische Maßstäbe anlegen. *** Allerdings wandelte sich das System und somit auch das Verhalten. Die geheime Abstimmung veränderte die Funktion der contiones. Solange die römischen Bürger unter den Augen ihrer Patrone abstimmten, waren sie massivem politischen Druck ausgesetzt; und sie stimmten so, wie die Senatsmehrheit es wollte. Darum dienten die contiones der Mobilisierung, d. h. sie sollten die Bereitschaft erhöhen, einem Antrag zuzustimmen. Reichte diese Mobilisierung nicht aus, dann scheuten die Patrone nicht davor zurück, ihre Klienten direkt zu beeinflussen; sie stellten sich dazu auf die Brücken, über welche die abstimmenden Bürger gingen. Jeder Antragsteller, welcher eine senatsgestützte rogatio vorlegte, konnte sich darauf verlassen, dass 20 21 22 23
Bei so vielen contiones wurde das Band zwischen contio und Komitien – also die Kontinuität des Prozesses der Willensbildung – sehr rissig. Zur Vervielfachung der contiones s. Jehne 2006b: 221–234. Döbler 1999: 18–167; Hölkeskamp 2001. Flaig 2013: 194–196. Hölkeskamp 1995.
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das römische Volk zustimmte. Er musste das Risiko einer Ablehnung nicht befürchten. Doch mit der geheimen Abstimmung war es unmöglich, die Stimmabgabe der einzelnen Bürger zu kontrollieren. Ab 131 v. Chr. riskierten Volkstribune tatsächlich, dass die Bürger anders abstimmten, als er wollte. Und mit diesem Risiko veränderte sich die Rolle der contiones. Es sind für die mittlere und späte Republik nur fünf gescheiterte Anträge nachweisbar, alle tribunizisch. Aber wieviele davon kamen überhaupt zur Abstimmung? Ein flüchtiger Blick auf die Serie der fünf Fälle bestätigt, dass Volkstribunen darauf verzichteten, die Komitien einzuberufen, sobald sie bei den contiones bemerkten, dass der Widerstand zu groß war. Im Jahre 104 v. Chr. zog Marcus Philippus seine rogatio zurück, als er den Widerstand der Aristokratie zu spüren bekam. Der genaue Wortlaut des Berichtes bei Cicero lässt keinen Zweifel. In den Fällen 145 und 131 v. Chr. schaffte es jeweils eine konsularische Rede auf der contio, die Bürger gegen die betreffende rogatio einzunehmen. Also war die ablehnende Haltung der Bürger schon während der Reden vernehmbar. Daraus ist zu folgern, dass auch diese Anträge gar nicht vor die Komitien kamen. Es bleiben zwei Fälle; von diesen ist ein Ereignis aus dem Jahre 209 v. Chr. sehr unklar; lässt man ihn außer Betracht, dann bleibt nur einer: Unbestritten lehnten die Komitien im Jahr 149 v. Chr. eine rogatio in einer Abstimmung ab. Die contiones hatten somit bis 131 v. Chr. neben ihrer symbolischen Funktion nur eine instrumentelle Funktion, nämlich diejenige, das Volk zu ‚mobilisieren‘ für einen Antrag. Nun erhielten sie eine zweite instrumentelle Funktion. Sie lässt sich wie folgt darlegen. In der contio warb der rogator nicht bloß für den Antrag; er sondierte auch die Stimmung im Volke. Präferenzstärken zu prüfen ist etwas grundsätzlich Anderes, als das was die moderne Meinungsforschung tut. Die Sondage von Meinungen nimmt keine Rücksicht auf die Intensität, mit der jemand seine Meinung vertritt, obschon theoretisch sehr wohl bekannt ist, dass eine intensive Minderheit gegen eine laue Mehrheit die politische Oberhand gewinnen kann. Aber die modernen Demokratien verfügen in den allermeisten Organen und Verfahren über keine Möglichkeiten, diese Intensität zu ermitteln. Anders in Rom. Senatoren waren damit vertraut, dass Meinungen und Ansichten in der Kommunikation meistens veränderbar waren; und sie verfügten über Techniken, mit dem Sachverhalt umzugehen. Die vom rogator benannten Redner und Gegenredner und er selbst hatten im Verlauf einer contio auf die Reaktionen der zuhörenden Bürgerschaft zu achten und deren Qualität, Intensität und Tragweite zu ermitteln. Aufmerksam mussten sie beobachten, ob die Stimmung sich veränderte. Dabei konnte man irren. Es war im Vorhinein oft nicht abzusehen, wie entschlossen das Volk an einer Ablehnung festhielt. Denn es war sozial stark stratifiziert und hatte in vielen Fragen keine einheitlichen Interessen. Doch da Menschen normalerweise nicht von Interessen geleitet werden, sondern von Motiven, darf es nicht verwundern, dass je länger die Bürger den Versammlungen beiwohnten, desto mehr ihre zivische Identität über ihre anderen Identitäten die Oberhand gewann. Und diese zivische Identität war empfänglich für den Appell an Werte und Vorbilder, obschon der Grad dieser Empfänglichkeit schwankte. Zwar ist es unmöglich, zu rekonstruieren, in welchen Prozessen sich die Meinungsbildung vollzog; nichtsdestotrotz lassen sich die hauptsächlichen Faktoren
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ermitteln. Die stadtrömische Bürgerschaft war niemals eine amorphe Masse von atomisierten Individuen. Städtische Römer befanden sich in familialen, freundschaftlichen, nachbarschaftlichen, berufsgenossenschaftlichen (collegia) und klientelären Bindungen; und obendrein hatten sie einen großen Respekt vor Senat und Magistraten. Welche Bindungen überwogen, war hochgradig themenabhängig. Gewiss war eines: Die einfachen Römer trachteten danach, ihre Meinungen aufeinander abzustimmen, und zwar desto mehr, je länger sie einer contio beiwohnten. Und noch ein Zweites war unzweifelhaft: Die plebs reagierte desto einheitlicher, je mehr ein Antrag die moralischen Grundnormen der römischen Ordnung berührte; dann konvergierte der Volkswille rasch, und man konnte das Volk kaum noch umstimmen. Das wussten alle Senatoren aus langer kollektiver Erfahrung. Und diese Erfahrung war vor allem gefragt in jenen contiones, bei denen ein Antrag auf den Weg zu bringen war. Solche contiones waren ein ganz eigenes Feld der Interaktion zwischen Aristokraten und Volk; daraus erklärt sich der hohe rhetorische Aufwand; darum sprachen hier überproportional viele Konsulare und Praetorier.24 Die Komitien konnten nur deswegen als Konsensorgan fungieren, weil die contiones wie ein politischer Filter wirkten: In ihnen wurde die erforderliche Zustimmung erst hergestellt; in ihnen zeigte sich, ob Konsens partout nicht zu erreichen war. Denn Zustimmung ist stets ein Produkt von Kommunikation. Argumentierend, erinnernd, beschwörend, Gesten vollziehend hatten die Senatoren den vorgängigen Konsens zu aktualisieren und zu aktivieren, also jenen Konsens über die Grundnormen, Vorstellungen, Werte, Exempel und symbolischen Bezugspunkte, der alle Schichten des römischen Volkes verband. Denn er stellte die Basis dar, auf welcher die fallweise Zustimmung zu einzelnen Optionen erfolgte. Darum tat der rogator gut daran, während der aufeinander folgenden contiones aufmerksam die Zeichen zu lesen: Blieb der Beifall aus? Unterhielten sich die Zuhörer während der Reden? Kam Gemurre? Erhob sich Geschrei? Skandierten die Bürger Sprechchöre? Oder kam Applaus – nur leicht, oder bereits stärker? Erschallten laute Zurufe? Wurden die Namen der Redner laut skandiert? Der rogator hatte zu ermessen, ob die Zuhörer mühelos zustimmten, halbherzig blieben oder hartnäckig opponierten. Er musste abwägen, ob es lohnte, noch eine zweite oder dritte contio einzuberufen. Ranghohe Redner regten nicht selten an, den Antrag zu modifizieren. Das ist nicht verwunderlich: Sie hatten mehr Erfahrung; sie erfassten die Stimmung des Volkes treffender und schneller; und sie konnten ermessen, welche Änderungen Anklang fanden. Der Antragsteller war meist gut beraten, solche Vorschläge aufzugreifen, insbesondere wenn sie mit Beifall begrüßt wurden.25 Mehrten sich die Anzeichen, dass das Volk unbeirrbar in seiner Haltung verharrte, dann blieb ihm nichts anderes übrig, als einzulenken und den Antrag zurückzuziehen. Eine ansehnliche Menge von Initiativen scheiterte in den contiones, vor allem Ackergesetze und Einbürgerungsgesetze. So behauptet Cicero, zur Zeit der
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Pina Polo 1996: 52–64. So z. B. 167 v. Chr. (Liv. 44,21,1–7) und 60 v. Chr. (Cic. Att. 1,19,4). Dazu Hölkeskamp 1995; Jehne 2000. Zu Kippmomenten und Transformationsrisiken s. Flaig 2003: 155–232.
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großen popularen Tribunen seien rogationes häufig abgelehnt worden.26 Damit meint er keine tatsächlichen Abstimmungen (suffragia), sondern zurückgezogene Anträge. *** Doch der rogator stand nicht nur dem Volk gegenüber. Er musste auch an die Konsulare und Prätorier denken, die er zu reden einlud: er durfte sie nicht wiederholt dem Risiko aussetzen, vom Volk ausgebuht zu werden. Oder doch? Immerhin wagten einzelne Tribunen ziemlich risikoreiche Manöver. So ließ mancher Antragsteller ranghohe Senatoren, die im Senat dem Antrag opponierten, zum Volk sprechen, darauf rechnend, dass diese es nicht wagten, vor dem Volk an ihrer Opposition festzuhalten. Als 138 v. Chr. der Volkstribun C. Curiatus beantragte, mit einer außerordentlichen Subvention den momentan angestiegenen Getreidepreis in Rom zu senken, stieß er im Senat auf Widerstand. Dennoch berief er eine contio ein, um seine rogatio vorzustellen. Er lud beide Konsuln ein, vor dem Volk dazu Stellung zu nehmen. Doch das Kalkül des Tribunen ging nicht auf. Einer der beiden, P. Cornelius Scipio Nasica, sprach entschieden gegen den Antrag. Als das Volk unwillig lärmte, rief er: „Ich bitte Euch, Mitbürger, schweigt, denn ich weiß besser als Ihr, was der res publica nützt.“27 Erstaunlicherweise wurde das Volk still. Nasica missachtete demonstrativ das Gebot der Jovialität; denn auf sein überlegenes Wissen verweisend, riss der Konsul einen tiefen Graben zwischen der Aristokratie und den einfachen römischen Bürgern auf. Schlimmer noch: Die Aufforderung, den Mund zu halten, war ein äußerstes Mittel; sie enthüllte brüsk, dass die Kommunikation eine einseitige war: Senatoren redeten, die Bürger hatten gefälligst zuzuhören. Das Risiko einer solchen Performanz bemaß sich nach der Konstellation: Eine Geste dieser Art empfahl sich nur, wenn die Senatsspitze einmütig eine rogatio ablehnte oder befürwortete. Fehlte die Eintracht der Nobilität, riskierte Nasica, dass ihm die Bürger diesen Ton als individuelle Überheblichkeit ankreideten, sich umso heftiger erregten, nicht mehr zuhörten und überhaupt nicht mehr umzustimmen waren. Ja, er lief Gefahr, dass sie den Affront im Gedächtnis behielten, um es dem Beleidiger bei nächster Gelegenheit heimzuzahlen. Doch die Semantik verschob sich, falls Nasica nicht allein stand, falls die Front der Nobilität geschlossen war: Dieselbe Geste bedeutete nun plötzlich, dass eine ungemütliche politische Distanz zwischen der Aristokratie und dem Volk sich eingestellt hatte. Solche Distanz ertrug die römische plebs nur, wenn sie sehr entschlossen war und sich eine Sache so angelegen sein ließ, dass sie nicht mehr zurückwich. Fehlte diese Entschlossenheit, dann gerieten Teile der plebeischen Zuhörer in einen Wertekonflikt: War der Antrag tatsächlich so wichtig, dass man seinetwegen die concordia mit der Aristokratie aufs Spiel setzte? Die anfängliche Widerspenstigkeit der Bürger wurde desto prekärer, je beliebter oder geachteter der Senator war, der diese Geste wagte. Und dann kehrte 26 27
Cic. Sest. 105. Val. Max. 3,7,3: tacete, quaeso, Quirites … plus ego enim quam vos quid rei publicae expediat intellego.
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sich das moralische Kräfteverhältnis um: Denn nun hatte das Volk seinerseits Einsicht und Entgegenkommen zu zeigen, damit das Verhältnis vertrauensvoll und wohlwollend blieb. Der schlimmste bekannte Fall eines frontalen Zusammenstoßes zwischen einem Redner und dem Volk ereignete sich 131/130 v. Chr. Der Volkstribun C. Papirius Carbo promulgierte den Antrag, Volkstribunen solle gestattet sein, sich wiederwählen zu lassen. Das war eine brandgefährliche Sache. Zwei Jahre zuvor hatte Tiberius Gracchus eine Serie von Gesetzen am Senat vorbei durch die Volksversammlung gebracht und damit die Leitungsfunktion des Senates beträchtlich gestört. Zuletzt hatte Tiberius versucht, sich wiederwählen zu lassen; dabei hatten aufgebrachte Senatoren den sakrosankten Tribun auf dem Versammlungsplatz erschlagen. Wurde Carbos Antrag zum Gesetz, dann wurde die Tötung des Tribuns im Nachhinein ein noch schwereres Verbrechen, als es ohnehin schon war. Obendrein drohte aber, dass sich wiederholte, was Tiberius praktiziert hatte: Ein entschlossener und populärer Tribun konnte in alle erdenklichen politischen Bereiche hineinregieren, indem er entsprechende Gesetze von der Volksversammlung verabschieden ließ, und der Senat war außerstande, ihn zu stoppen, falls die Obstruktion versagte, d. h. falls andere Tribunen ihre Interzession gegen seine Anträge nicht durchsetzen konnten und falls die Meldung böser Omina nichts bewirkte. Und eine solche missliche Konstellation konnte – wenn Carbos Antrag zum Gesetz wurde – über Jahre gehen, denn ein mehrfach Wiedergewählter konnte – solange er im Amt war – nicht unter Anklage gestellt werden. Carbo fand freilich zuwenig Unterstützer unter den ranghohen Senatoren. Kein Konsular war bereit, auf der contio für den Antrag zu sprechen; es sprach allerdings der junge Bruder des ermordeten Tribuns, Gaius Gracchus, der noch kein Senator war. Gegen den Antrag redeten hochkarätige Konsulare, darunter Laelius und vor allem Scipio Aemilianus, zweifacher Consul und Zensorier, erfolgreichster lebender Feldherr, Eroberer von Karthago und Numantia, zweifacher Triumphator, der berühmteste Römer seiner Zeit, den die plebs über die Maßen schätzte. Carbo gedachte nun, die Gegenrede dieses prestigeumflorten Mannes mit einem Zug zu entwerten. Er ließ den hochrangigen Gegner seine gewichtige Rede halten; dann fragte er ihn, was er über die Tötung des Tiberius Gracchus denke. Aemilianus hatte zu jener Zeit, als das Massaker auf dem Forum stattfand, den Oberbefehl über die Truppen vor Numantia in Spanien innegehabt; anscheinend hatte er dort mit dem Vers aus der Odyssee – „Möge jeder zugrunde gehen, der solches verübt“ – die Ermordung des Volkstribuns beifällig kommentiert.28 Seine Meinung war anscheinend bekannt, aber er hatte sie in Rom bisher noch nicht offiziell ausgesprochen. Carbos Frage tat sensu stricto nichts zur Sache; dennoch brachte sie den Redner in eine üble Lage: Falls er jene Ermordung befürwortete, musste er damit rechnen, dass er bei der plebs schlagartig an Sympathie verlor und sogar in Misskredit geriet; missbilligte er sie, verriet er seine Freunde und seine eigene Einstellung. Und einfach die Antwort verweigern? Das war nicht ratsam, denn der kecke Tribun befragte ihn im kritischsten Augenblick überhaupt, nämlich vor dem versammelten Volk. 28
Plut. Tib. Gracch. 21,3; Diod. 34,7,3 = Hom. Od. 1,47.
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Keine Antwort zu geben, hieß Unwissenheit oder Unentschlossenheit vorzutäuschen – in einer Angelegenheit, die keine Neutralität zuließ; wer das tat, riskierte seine Glaubwürdigkeit. Solch ein tückisches Befragen hieß sponsio, es konnte verhängnisvoll werden. Auf den ersten Blick schien Carbos Frage keine sponsio einzuleiten, denn formal war sie keine Entscheidungsfrage. Doch in der konkreten politischen Situation musste Scipio Aemilianus sich de facto entscheiden; die Befragung hatte daher die Qualität einer sponsio. Scipio Aemilianus hatte sein enormes Prestige als Kapital innenpolitisch eingesetzt, gegen den Gesetzesantrag redend, hatte er es in die Waagschale geworfen. Nun war allerdings selbst das größte Prestige eines Senators nichts weiter als verlierbares symbolisches Kapital. Indem der Volkstribun dem ersten Senator Roms jene Stellungnahme abverlangte, erzeugte er eine Situation, in der Aemilianus just dieses Prestige verspielen konnte. Verweigerte er die Antwort, dann versteckte er vor dem Volk seine Meinung zur brisantesten politischen Frage. Was war dann seine Rede noch wert? Rechtfertigte er die Tötung des Tribuns, dann brachte er das Volk gegen sich auf. Wie gut seine Rede auch gewesen sein mag, ihr Effekt tendierte dann gegen Null. In beiden Fällen hatte der Volkstribun gewonnen. Plötzlich wirkte sich nachteilig für Scipio Aemilianus aus, dass die römische Politik aus strukturellen Gründen stark personalisiert war: Die Argumente zählten nicht mehr, sobald das Volk die Person ablehnte. Verurteilte er die Tötung, behielt er die Sympathien des Volkes und steigerte sie noch; doch er schuf eine schwer erträgliche Zwietracht im Führungskreis jener Verfechter einer härteren oligarchischen Regierungsweise, denen die Senatsautorität über alles ging und die sich beim Angriffs auf den sakrosankten Tribun und während der nachfolgenden standrechtlichen Massenhinrichtungen auf gefährliche Weise profiliert hatten. Aemilianus wollte sich nicht diskreditieren und versuchte es mit einem hypothetischen Schluss: Falls Tiberius Gracchus nach der Macht in der res publica gestrebt hatte, dann sei er, so scheine es ihm, zu Recht getötet worden.29 Die rhetorische Umformulierung in einen Konditionalsatz half nichts; weil viele der Anwesenden wussten, dass Aemilianus just das als wahr und gewiss voraussetzte, was er als hypothetische Bedingung ausdrückte. Die Bürger lärmten und buhten den vornehmsten Römer aus. Wäre dieser klug gewesen, hätte er es dabei belassen. Es war in der Sache ohnehin nichts mehr zu retten. Der Volkstribun hatte mit seinem Schachzug gesiegt: Die Rede des Aemilianus war um ihre Wirkung gebracht. Jede weitere Eskalation konnte nur Schaden bringen, weil sich dann erwartungsgemäß die Haltung des Volkes versteifte – und bei zureichender Vehemenz des Volkes fand sich üblicherweise auch kein Tribun mehr bereit, gegen die rogatio zu interzedieren. Hätte Scipio Aemilianus geschwiegen, wäre ihm die Chance geblieben, dass die Zeit wirkte und die römischen Bürger irgendwann sich wieder an das erinnerten, was seine großen Siege für die res publica bedeuteten. Doch der zweifache Triumphator glaubte, er dürfe es sich nicht gefallen lassen, dass die Hauptstädter ihn auspfiffen. Er ergriff das Wort und rief: „Wenn mich das Geschrei so vieler bewaffneter Feinde nicht erschreckt hat, wie soll mich dann Eures einschüchtern, Ihr, de29
Iure caesum videri. S.: Cic. de orat. 2,106; Vell. 2,4,4.
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nen Italien eine Stiefmutter ist?“30 Ein Fehlgriff. Zwar konnte man sich auf den feldherrlichen Ruhm berufen, wenn die persönliche Autorität bröckelte, doch durfte das nicht auf autoritäre Weise geschehen. Aemilianus verlor aber die Kontrolle; er beantwortete die Einbuße an Popularität mit aggressiver Anmaßung: Er erklärte die hauptstädtischen Bürger nicht bloß zu Nichtitalikern; sondern, sie bezichtigend, ihnen sei Italien nur eine Stiefmutter, beschimpfte er sie als Menschen, die nur darum zum römischen Bürgerrecht gekommen waren, weil man sie als Sklaven nach Italien gebracht und hier freigelassen hatte.31 In der gesamten Geschichte Roms findet sich kein Beispiel für eine schlimmere Beleidigung des römischen Volkes. Nicht bloß war unwahr, was der tobende Senator behauptete – denn nur eine schmale Marge der Plebs bestand aus Freigelassenen –, sondern er musste wissen, dass jeder freigeborene Römer von der obersten bis zur untersten Vermögensklasse stets und überall die Freigelassenen verachtete. Scipio Aemilianus hatte mutwillig in einem Wutausbruch das Band zerrissen, das ihn politisch mit den hauptstädtischen Römern vereinte. Diese Differenz im Auge zu behalten lohnt: Es war möglich, das Volk zu tadeln, weil es sich unrömisch verhielt oder nicht genügend Einsicht zeigte; und es war unmöglich und politisch tödlich, es zu beleidigen, ihm die Würde, Römer zu sein, abzusprechen. Ob man nun die contio überhaupt noch fortsetzen konnte, ist zweifelhaft. Wie sollten die Bürger dem selbsternannten Volksfeind noch ins Angesicht blicken und dabei ruhig bleiben? Und wie sollte der Volkstribun die contio weiterführen und die anderen Konsulare zum Reden aufrufen, als wäre nichts geschehen?32 Falls Scipio Aemilianus überhaupt bei Sinnen war, als er das Unsagbare hinausschrie, und falls er damit etwas beabsichtigte, dann allerhöchstens dies: mit einer spektakulären Geste das Volk so gegen sich aufzubringen, dass es weder möglich war, die contio weiterzuführen noch überhaupt diesen Antrag weiterhin zu behandeln. War das der Zweck seiner Beleidigung, dann hatte er mit Sicherheit nicht den Preis bedacht, den er allein zu bezahlen hatte. Vor aller Augen brach nicht nur die Popularität des vornehmsten Römers zusammen, sondern auch seine Autorität. Wahrscheinlich hat er niemals mehr vor einer contio sprechen können, das Risiko, dass die empörte plebs ihn niederschrie, war zu groß. Ihn überhaupt noch als Redner einzusetzen, musste jedwedem Antragsteller nur Schaden eintragen – und das für lange Zeit, denn die plebs urbana memorierte diese Ereignisse. Das Ausmaß dieses Absturzes wurde wenige Wochen später besiegelt: Als beide Consuln um das Kommando im bevorstehenden Krieg in Kleinasien stritten, lag es nahe, dem größten römischen Feldherrn auch diesen Krieg anzuvertrauen. Als die Komitien über die Vergabe des
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Vell. 2,4,4: hostium, inquit, armatorum totiens clamore non territus, qui possum vestro moveri, quorum noverca est Italia? Val. Max. 6,2,3. Nach Val. Max. 6,2,3 wäre die Versammlung ehrfürchtig verstummt. Das ist eine Legenda aurea. Denn keine römische Versammlung hat sich jemals von einem senatorischen Redner beleidigen lassen. Die späteren Ereignisse um Scipio Aemilianus sprechen eine ganz andere Sprache; sie zeigen, dass die plebs ihn als Volksfeind erachtete.
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Kommandos abstimmten, entschieden sich 33 Tribus gegen den verhassten Scipio, nur zwei für ihn.33 Kein populärer Senator war jemals so tief gestürzt. Doch der Nadir war noch nicht erreicht. Scipio Aemilianus hatte sich in das Ziel verbissen, die gesamte Agrarreform des Tiberius Gracchus zu Fall zu bringen und befürwortete ein Gesetz, das der Ackerkommission ihre richterliche Befugnis nehmen sollte. Als er auf einer contio dafür sprechen wollte, erscholl der Ruf: „Tötet den Tyrannen!“ Auch wenn die Initiative zu diesem Ruf von Anhängern der Gracchen gekommen sein sollte, reichte es, dass ein substantieller Teil der Anwesenden einstimmte.34 Seine Rede war zu Ende, bevor sie begann; denn weitaus geringere Störungen reichten aus, um Reden unhörbar und Redner mundtot zu machen. Seine berühmten Worte, mit ihm stehe und falle die res publica, inspiriert von jenem sozial verträglichen Größenwahn, der sich in der römischen Nobilität nicht selten fand, waren wohl für niemanden mehr vernehmbar, der nicht direkt neben ihm stand. Vielleicht in derselben Nacht starb er; die Umstände konnten nicht geklärt werden, da man nicht wagte, eine Mordanklage gegen Gaius Gracchus und Fulvius Flaccus zu erheben, offensichtlich weil große Teile der plebs ihre Freude über den Tod des Volksfeindes unverhohlen zeigten.35 Es war einem Volkstribun gelungen, mit einer einzigen Frage die Galionsfigur der oligarchischen Reaktion so schwer zu beschädigen, dass sie politisch untauglich wurde. Dafür brauchte man – wie stets in ähnlichen Situationen – einen Schuldigen. Nun hatte Scipio Aemilanus seine politische Demontage insofern selbst verschuldet, als er die Eskalation auslöste. Doch das war Deutungssache; und die Nobilität interpretierte anders: Die Schuld an dem unerhörten Ereignis trug der Volkstribun; denn er hatte mit seiner sponsio den fatalen Erdrutsch ausgelöst; Cicero nennt diese Frage später „aufrührerisch“ (seditiosus). Carbo war klug genug, seinen Antrag zurückzuziehen. Denn nun ging es ihm nicht mehr nur darum, ob der Antrag durchkam oder nicht, sondern vor allem darum, dass ihm die Senatsspitze nicht dauerhaft zur Last legte, was da geschehen war. Diese Grenzfälle illustrieren, wie sehr ein Antragsteller darauf bedacht sein musste, dass die von ihm aufgerufenen Redner nicht Popularität einbüßten, indem sie seinen Antrag verteidigten. Gleichzeitig musste er sich davor hüten, die Autorität jener prestigereicher Senatoren zu beschädigen, die er gegen seinen Antrag sprechen ließ. Sein eigenes Ansehen bei den hochrangigen Senatoren litt darunter; und nicht zuletzt davon hingen seine Chancen ab, die Karriereleiter hochzuklettern. Vor allem aber musste er den Antrag fallen lassen, wenn nichts ging; denn die Blamage, dass die Komitien den Antrag niederstimmten, wollte jeder rogator vermeiden. Auch in diesem Falle wurde Konsens hergestellt – nämlich dadurch, dass der rogator nachgab. Auch das ist eine Entscheidung. Fassen wir zusammen: wenn die Abstimmung sich auf eine Sachfrage richtete, fungierten die Komitien nicht als Entscheidungsorgan, sondern als Konsensorgan. 33 34 35
Cic. Phil. 11,8. App. civ. 1,19. Plut. Mor. 201F (= apophth. Scip. Min. 23); Plut. C. Gracchus 10,4; App. civ. 1,19. Dazu Astin 1967: 241.
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Das gilt sowohl für die Verabschiedung von normativen Gesetzen wie für die Beschlüsse zu konkreten Einzelfällen. Das Entscheiden geschah vorher, nämlich darüber, ob überhaupt ein Antrag zur Abstimmung gelangte oder nicht. Dieses Entscheiden über das Entscheiden fand außerhalb der Komitien statt, nämlich in den contiones. BIBLIOGRAPHIE Astin, A. E. 1967: Scipio Aemilianus, Oxford. Bleicken, J. 1975: Lex Publica. Gesetz und Recht in der römischen Republik, Berlin/New York. Bourdieu, P. 1987: Sozialer Sinn. Kritik der theoretischen Vernunft, Frankfurt/M. David, J.-M. 1980: Eloquentia popularis et conduites symboliques des orateurs de la fin de la République: Problèmes d’efficacité, QS 12, 171–211. – 1992: Compétence sociale et competence oratoire à la fin de la République: apprendre à ressembler, in: F. Frezouls (Hg.), La mobilité sociale dans le monde romain (Actes du colloque à Strasbourg 1988), Strasburg, 7–19. – 2006: Rhetoric and Public Life, in: N. Rosenstein / R. Morstein-Marx (Hgg.), A Companion to the Roman Republic, Oxford, 421–438. Döbler, C. 1999: Politische Agitation und Öffentlichkeit in der späten Republik, Frankfurt/M. Eder, W. 1991: Who Rules? Power and Participation in Athens and Rome, in: A. Molho / K. Raaflaub / J. Emlen (Hgg.), City States in Classical Antiquity and Medieval Italy, Stuttgart, 169– 196. Flaig, E. 1992: Den Kaiser herausfordern. Die Usurpation im Römischen Reich, Frankfurt/M./New York. – 1995: Entscheidung und Konsens. Zu den Feldern der politischen Kommunikation zwischen Aristokratie und Plebs, in: Jehne 1995a, 77–127. – 1997: Zwingende Gesten in der römischen Politik, in: E. Chvojka / R. van Dülmen / V. Jung (Hgg.), Neue Blicke. Historische Anthropologie in der Praxis, Wien/Köln/Weimar, 33–50. – 2003: Ritualisierte Politik. Zeichen Gesten und Herrschaft im Alten Rom, Göttingen. – 2013: Die Mehrheitsentscheidung. Entstehung und kulturelle Dynamik, Paderborn. Hiebel, D. 2009: Rôles institutionnel et politique de la contio sous la République Romaine (287–49 a. J-C), Paris. Hölkeskamp, K.-J. 1995: Oratoris maxima scaena. Reden vor dem Volk in der politischen Kultur der Republik, in: Jehne 1995a, 11–49. – 2000: The Roman Republic: Government of the People, by the People, for the People?, SCI 19, 203–223. – 2001: Capitol, Comitium und Forum. Öffentliche Räume, sakrale Topographie und Erinnerungslandschaften der römischen Republik, in: S. Faller (Hg.), Studien zu antiken Identitäten, Würzburg, 97–132. – 2004: Rekonstruktionen einer Republik. Die politische Kultur des antiken Rom und die Forschung der letzten Jahrzehnte, München. – 2006: Konsens und Konkurrenz. Die politische Kultur der römischen Republik in neuer Sicht, Klio 88, 360–396. Jehne, M. 1993: Geheime Abstimmung und Bindungswesen in der Römischen Republik, HZ 257, 593–613. – 1995a: Demokratie in Rom? Die Rolle des Volkes in der Politik der römischen Republik, Stuttgart. – 1995b: Die Beeinflussung von Entscheidungen durch ‚Bestechung‘: Zur Funktion des ambitus in der Römischen Republik, in: Jehne 1995a, 51–76. – 2000: Jovialität und Freiheit. Zur Institutionalisierung der Beziehung zwischen Ober- und Unterschichten in der Römischen Republik, in: B. Linke / M. Stemmler (Hgg.), Mos maiorum. Unter-
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DAS RÖMISCHE VOLK ALS BEZUGSGRÖSSE UND MACHTFAKTOR Martin Jehne, Dresden Der populus Romanus, das römische Volk, war das römische Gemeinwesen.1 Allerdings gehörte zu dieser Fundierung der politisch handlungsfähigen Gemeinschaft in Rom schon frühzeitig eine korporative Akzentuierung, liegt doch dem populus Romanus eine verfaßte Struktur zugrunde. Wenn es um bindende Entscheidungen ging, dann war die Bezugs- und Legitimationsgröße eben nicht die schlichte Addition der Bürger, sondern die in Untereinheiten gegliederte, organisierte Bürgerschaft, wie sie im populus Romanus zum Ausdruck gebracht werden konnte. Für die politisch aktive Oberschicht, letztlich der Senatorenstand, mit dessen Struktur und Aktivitäten sich Friedrich Münzer so intensiv beschäftigt hat,2 war das römische Volk in zweierlei Hinsicht eine Bezugsgröße: einerseits als Institution, die man nicht ignorieren konnte, da sie das formale Letztentscheidungsrecht in allen öffentlichen Angelegenheiten besaß, und andererseits als Diskurspartner, den man ebenfalls berücksichtigen musste, da man über das Volk die Politik in die gewünschte Richtung lenken und die Konkurrenz übertrumpfen konnte bzw. ohne entsprechende Anstrengungen riskierte, eben diesen Aktivitäten anderer Senatoren ausgeliefert zu sein. Diese Unterscheidung ist nicht völlig auf die zwischen comitia und contiones zu reduzieren, denn beide Bezugsgrößen erzeugten bei den Senatoren eine Melange aus Lenkungsanstrengungen, Anpassungsbestrebungen, rhetorischem Gemeinsinnszwang, rauschhaften Zustimmungs- und quälenden Ablehnungserfahrungen und formten die politische Kommunikation durchgängig. Im Folgenden will ich mich ganz knapp mit dem populus erst als Institution, dann als Diskursgröße beschäftigen und anschließend kurz diskutieren, inwiefern er als Machtfaktor zu begreifen ist.
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Darauf läuft schon die berühmte Definition Ciceros hinaus, rep. 1,39: … est igitur … res publica res populi. Im zwischenstaatlichen Kontext wird das römische Gemeinwesen manchmal schlicht als populus Romanus bezeichnet (vgl. z. B. die lex de provinciis praetoriis 101 v. Chr., Crawford 1996: I Nr. 12, Knidos-Version col. III Z. 31; 34; col. IV Z. 20), wenn auch öfter der Senat hinzutritt (vgl. Jehne 2014: 119 f.). Vgl. seine Monographie Münzer 1920. Zur Einordnung des Werkes jetzt vor allem Hölkes kamp 2012.
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1. DAS VOLK ALS INSTITUTION3 Die formalisierte Partizipation des römischen Volkes an den öffentlichen Angelegenheiten vollzog sich in den Volksversammlungen, wie es in antiken Stadtstaaten üblich war. Ungewöhnlich, ja wahrscheinlich singulär war es aber, dass Rom nicht nur eine abstimmende Volksversammlung besaß, sondern mindestens drei, wenn nicht gar vier, die unterschiedlich gegliedert und verfaßt waren. Im vorliegenden Zusammenhang ist diese Besonderheit zu berücksichtigen, aber ich kann darauf verzichten, all diese Volksversammlungen und ihre Einteilungen zu erklären.4 Dass die Römer stets in Stimmkörpern abstimmten, eröffnete eine Reihe von Möglichkeiten, Stimmen zu gewichten, ohne das Grundrecht anzutasten, dass jeder Bürger, ob arm oder reich, ob angesehen oder verachtet, genau eine Stimme hatte. Besonders deutlich tritt dies in den Centuriatcomitien hervor, in denen die Bürger nach dem Vermögen gestaffelt abstimmten.5 In den nach tribus, also nach den regionalen Bürgerbezirken gegliederten Versammlungen war die Ungleichwertigkeit der Stimmen bei weitem nicht so ausgeprägt, obwohl auch hier keine Anstrengungen unternommen wurden, die Mitgliederzahlen in den tribus einigermaßen anzugleichen.6 Die komplexen Reglements und Praktiken römischer Abstimmungen sorgten auch dafür, dass sich über die Entscheidungen des Volkes der Schleier des Konsenses legte. Ich will nur einen Punkt herausgreifen, der das verdeutlicht. Bei der Verkündigung des Resultats in einer Stimmkörperschaft wurde nur erklärt, wofür sich die Mehrheit entschieden hatte, ohne das genaue Ergebnis bekannt zu geben,7 und diese Sukzession von Ergebnisverkündigungen brach man ab, sobald die Mehrheit erreicht war. Das Verfahren hatte zur Folge, dass Minderheiten nicht erfuhren, wie stark sie eigentlich waren. Doch stand dahinter wohl nicht so sehr die bewußte, perfide Benachteiligung von Andersdenkenden als vielmehr die selbstverständliche Annahme, dass sich die römischen Bürger einer Mehrheit ohnehin anschlossen.8 Tatsächlich waren es sicherlich nicht nur die mehrheitsverstärkenden Elemente des Verfahrens, sondern ebenso die traditionellen Zustimmungsneigungen des populus Romanus, die dafür sorgten, dass der vorgelegte Antrag in den Ja-Nein-Entschei3 4
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Vgl. für eine ähnliche Kurzfassung auch schon Jehne 2014. Vgl. dazu die Standardwerke von Mommsen 1887: II 1, 369–419; Taylor 1966: 34–106, 121– 190; Staveley 1972: 121–190; Nicolet 1979: 295–380. Zum Charakter der Volksabstimmungen in der späten Republik jetzt auch Hollard 2010: 23–70. Auf Einzelverweise wird im Folgenden verzichtet. Für einen guten Überblick vgl. Bleicken 1995: 120–133. Die Stimmen der Vermögenderen hatten in den Centuriatcomitien aus einem doppelten Grund ein höheres Gewicht als die der Ärmeren: die Vermögenderen waren ihrer Anzahl nach weniger, hatten aber mehr Stimmkörperschaften. Vgl. auch Jehne 2013d: 109–111. Die Tatsache, dass die stadtrömische Bevölkerung in nur vier tribus von 35 eingeschrieben war, dürfte schon allein für eine Übergröße dieser tribus gesorgt haben. Hinzu kam noch die Regel, dass sämtliche Freigelassenen in die städtischen tribus aufgenommen wurden, was zeigt, dass man diese tribus für eine berechenbare Beeinflussung hinsichtlich ihres Abstimmungsverhaltens aufgegeben hatte. Vgl. dazu Jehne 2013d: 130–133. Vgl. Jehne 2003: 293 f.
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dungen der Gesetzesabstimmungen fast immer eine Mehrheit fand.9 Die Vorstellungswelt der römischen Führungsschicht verdeutlicht uns Ciceros Selbstaussage über seine Wahlsiege, die er mit Stolz als Wahl durch alle Centurien bezeichnete.10 Nach unserer Kenntnis des Verfahrens kann das nur bedeuten, dass er in den ersten 97 Centurien der Centuriatcomitien die Mehrheit erreichte und danach als Gewählter verkündet wurde. Die konsensualistische Grundhaltung der Römer legte es nahe, den Erfolg bei der Mehrheit ohne weitere Prüfung mit dem Ganzen zu identifizieren.11 Die römische Besonderheit der Abstimmung in Stimmkörperschaften produzierte noch einen weiteren Vorteil für das Funktionieren des politischen Systems – zumindest von der Warte der senatorischen Führungsschicht aus betrachtet: die völlige Unempfindlichkeit gegenüber einer verschwindend geringen Partizipationsquote. Wie in antiken Städten allgemein üblich, waren auch römische Volksversammlungen direkte Zusammentreffen der männlichen Bürger an zentralen Plätzen in der Hauptstadt, so dass man sein Stimmrecht nur ausüben konnte, indem man persönlich erschien. Spätestens als Rom im Laufe des 4. Jh.s v. Chr. fast ganz Mittelitalien annektiert hatte, wohnten nun immer mehr Bürger weit entfernt von Rom, so dass der Aufwand für die Ausübung des Stimmrechts enorm anstieg. Dennoch kam man nie auf die Idee, vom Prinzip der direkten Versammlungen in Rom abzurücken. Die Konsequenz dieser Verhältnisse liegt auf der Hand: Praktisch konnte ein immer größer werdender Anteil der Bürger von seinem Abstimmungsrecht keinen Gebrauch mehr machen.12 9 10
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Vgl. dazu Flaig 2003: 175 f., der nur zehn Fälle gefunden hat, in denen wir von der Ablehnung eines Gesetzesvorschlags durch die Comitien hören. S. auch Nippel 1988: 55 f. Praetur: Cic. Manil. 2: … cum propter dilationem comitiorum ter praetor primus centuriis cunctis renuntiatus sum – „ich wurde wegen des Abbruchs der Wahlen dreimal bei sämtlichen Zenturien an erster Stelle als Prätor ausgerufen“ (Übers. M. Fuhrmann); vgl. leg. agr. 2,4: … una vox universi populi Romani consulem declaravit – „[mich hat] ein einziger Ruf des gesamten römischen Volkes zum Konsul erklärt“ (Übers. M. Fuhrmann); Consulat und Praetur: Cic. off. 2,59: … pro amplitudine honorum, quos cunctis suffragiis adepti sumus nostro quidem anno – „im Verhältnis zur Größe der Ehren, die wir mit allen Stimmen im fälligen Jahr erreicht haben.” (Übers. K. Büchner); vgl. Ascon. p. 94 C.: … Cicero consul omnium consensu factus est. – „Cicero wurde mit Zustimmung aller zum Konsul gemacht.“ Vgl. auch schon Jehne 2013c: 151 f. Vgl. dazu Scheidel 2006: 217–220, der dabei die Kernbevölkerung, also die römischen Bürger, die in der Stadt Rom selbst und im näheren Umland lebten und mit vertretbarem Aufwand zur Versammlung erscheinen konnten, für die letzten Jahrzehnte der Republik auf ca. ein Fünftel der Gesamtbürgerzahl schätzt (215). Nach Mouritsen 2001: 20–23, 26–30, der die theoretische Höchstzahl der Besucher anhand des an den Versammlungsplätzen zur Verfügung stehenden Raumes sowie der Abstimmungs- und Auszählungsdauer kalkuliert, kann man auf dem Forum, wo Abstimmungen der Tributcomitien stattfanden, mit höchstens 10.000, auf dem Marsfeld, wo die Centuriatcomitien tagten und auch die Wahlen in den Tributcomitien abgehalten wurden, mit höchstens 30.000 Mann rechnen. Das ergibt einen Anteil von der Bürgerschaft von ca. 16,5 % für das Marsfeld und von ca. 5,5 % für das Forum. Die Zahlen von Scheidel 2006: 218 f. sind etwas höher, da er das Fassungsvermögen der Versammlungsplätze etwas höher ansetzt (14.000 für das Forum, 42.500 für das Marsfeld, vgl. a. O. 217 f.). Mouritsen 2001: 32 rechnet mit ca. 200.000 männlichen römischen Bürgern in Rom und nächster Umge-
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Gemessen an heutigen Erwartungen war die Wahlbeteiligung in Rom beschämend niedrig.13 Das hat die Römer nie veranlasst, an der Geltungskraft ihrer Volksbeschlüsse zu zweifeln oder über Änderungen nachzudenken, die eine größere Partizipation ermöglicht hätten,14 und auch in Zeiten massiver Spaltung wurde nicht der Wunsch laut, die Masse der vom Zentrum weit entfernt lebenden Bürger stärker zu beteiligen. Das lag allem Anschein nach nicht so sehr daran, dass die Gruppe der tatsächlich Partizipierenden ihre Sonderstellung behalten wollte,15 vielmehr ist nirgendwo zu fassen, dass die bescheidene Partizipationsrate jemals als Problem empfunden wurde. Die Römer hatten alle Entscheidungen seit Urzeiten in Volksversammlungen getroffen, die in Untereinheiten abstimmten, und das erleichterte offenkundig die Sichtweise, dass der populus Romanus als solcher, solange alle Untereinheiten vertreten waren, anwesend war. Selbst für dem Fall, dass tatsächlich einmal in einer Einheit weniger als fünf Zugehörige erschienen waren, gab es eine Lösung, indem man aus anderen Einheiten einige Bürger in die unterbesetzte loste, die dann dort abstimmten.16 Für die Römer scheint der populus in den Volksversammlungen immer vollständig gewesen zu sein, folglich gab es keinen Handlungsbedarf zur Partizipationssteigerung. Die römische Optik könnte man mit dem bekannten Diktum und Buchtitel moderner Demoskopie belegen: alle, nicht jeder.17
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bung in der Zeit der späten Republik, so dass die Höchstzahl der Wähler, die sich auf dem Marsfeld versammeln konnten, ca. 12 % der in der Nähe wohnenden Wahlberechtigten beträgt. Wohlgemerkt: das sind alles Kalkulationen von Maximalzahlen, aber wir haben fast keine Belege dafür, dass die versammelten Bürger dicht gedrängt standen. Man kann wohl davon ausgehen, dass die tatsächliche Beteiligung noch erheblich unter den Maximalzahlen lag, vgl. Mouritsen 2001: 20, 24, 28–30; Jehne 2006a: 223–225. Vgl. zum folgenden schon Jehne 2014. Immerhin gab Augustus seinen 28 Veteranencolonien in Italien das Privileg, dass die dortigen Mitglieder des Stadtrats zuhause ihre Stimme für die römischen Magistratswahlen abgeben konnten. Die Behälter mit den Stimmtäfelchen wurden nach Rom transportiert, die Stimmtäfelchen leerte man in die dortigen Wahlurnen, und die Stimmen zählte man dann zusammen mit den vor Ort direkt abgegebenen aus (Suet. Aug. 46). Doch handelt es sich dabei weniger um eine Initiative zur Milderung des faktischen Stimmrechtsentzugs der weiter von Rom entfernt wohnenden Römer als um ein weiteres Ehrenrecht der Veteranen, das auch gut zu dem überlieferten Recht passt, dass Veteranen nicht persönlich zum Census erscheinen mussten (verliehen im Veteranenprivileg des Octavian/Augustus, vgl. die Edition von Wolff 1986: Falttafel Nr. b, Z. 14–15a; s. auch CPL 103). Es ist auch sehr fraglich, ob diese aufwendige Beteiligung der Eliten unter den Veteranen lange beibehalten wurde. Diese Argumentation, man solle sich doch nicht von Neubürgern physisch verdrängen lassen, taucht allerdings in der Agitation des Consuls C. Fannius 122 auf, der sich bemühte, den Gesetzesantrag des C. Gracchus, die Latiner ins Bürgerrecht aufzunehmen, zu Fall zu bringen (Mal covati 1976: Nr. 32 F 3). Doch bezieht sich die geschürte Angst vor dem Verlust von Annehmlichkeiten auf die contiones und die Spiele, nicht auf die abstimmenden Versammlungen. Cic. Sest. 109; 112–114. Vgl. Taylor 1966: 76, 145 f. Anm. 41. Vgl. die analogen Regelungen in den kaiserzeitlichen Vorstimmcenturien, bezeugt durch die Tabula Hebana (Crawford 1996: I Nr. 37 Z. 32–34). S. dazu auch Jehne 2013c: 150 f. NoelleNeumann/Petersen 2005.
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2. VOLKSDISKURSE Den Beschlüssen des Volkes in den Versammlungen gingen mehr oder weniger intensive öffentliche Vorbereitungen auf die Entscheidungen voraus, in die das Volk einbezogen war. Bei den Gerichtscomitien wurde dreimal öffentlich verhandelt, bevor man in einer vierten Versammlung zur Abstimmung schritt – aber dieses Verfahren war in der späten Republik schon weitgehend außer Gebrauch gekommen und durch den Prozess vor einer Jury ersetzt worden, der allerdings weiterhin öffentlich auf dem Forum stattfand18 und seine Zuhörer anzog.19 Bei den Gesetzen war es vorgeschrieben, dass der Vorschlag knapp drei Wochen vor der Abstimmung öffentlich ausgehängt wurde,20 und zwischenzeitlich fanden dazu contiones statt. Hier wurden die zur Entscheidung anstehenden Fragen vorgestellt, manchmal sogar in Rede und Gegenrede ansatzweise diskutiert, und die Reaktionen der dabeistehenden Menge waren nicht ohne Bedeutung für das weitere Schicksal des Projekts,21 weshalb man den wahren Einfluss des Volkes auch in den contiones lokalisiert hat.22 Doch im vorliegenden Zusammenhang wichtiger ist das Faktum, dass uns Ciceros erhaltene Volksreden einen Einblick gewähren, wie denn eigentlich die Diskurse zwischen den Rednern aus der Führungsschicht und dem anwesenden Volk abliefen und welche Rolle im Gemeinwesen dem populus zugeschrieben wurde.23 Wie redet man nun mit dem Volk, wenn man sich in einer keineswegs ruhigen Umgebung ohne Mikrophon verständlich machen will? Wir finden hier die Gemeinsinnsrhetorik, die aus Redner und Volk eine Einheit machte, der es gleichermaßen um die salus communis, das Gemeinwohl ging.24 Dem populus wurde versichert, dass er das Letztentscheidungsrecht in den wesentlichen Angelegenheiten habe und dass der Redner dieses immer respektieren werde, selbst wenn er im konkreten Falle versuche, den populus von seiner bisherigen Meinung abzubringen.25 Der Diskurs war also in den contiones eindeutig volksbezogen, und das war ja auch nur folgerichtig, wenn doch die res publica eigentlich die res populi war.26 Die Gesamtsituation legt es dem Redner nahe, dem Volke nach dem Munde zu reden, und für das Volk bietet es sich an, eine unbequeme Äußerung in lauten Unmutsbe18 19 20 21 22 23
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Zum Comitialverfahren vgl. Kunkel 1962: 21–23; zu den Juryprozessen vgl. die Sammlung von Alexander 1990, der 391 Fälle zwischen 149 und 50 v. Chr. auflistet. Vgl. zur corona der Gerichtsredner z. B. Cic. Brut. 192; Flacc. 69; Mil. 1; Catull. 53. Vgl. zum trinundinum, der wohl 17-tägigen Ankündigungsperiode, Lintott 1965. Vgl. zur Kommunikationssituation der contiones vor allem Pina Polo 1996; MorsteinMarx 2004. Vor allem Flaig 1995: 92–96 u. 2003: 193–199. Neun Reden liegen noch vor: die Rede über die Kommandogewalt des Cn. Pompeius 66 v. Chr., die 2. und die 3. Rede über das Siedlungsgesetz 63 v. Chr., die Verteidigungsrede für C. Rabirius, der des Hochverrats angeklagt war, von 63 v. Chr., die 2. und die 3. Rede gegen Catilina von 63 v. Chr., die Dankesrede an das Volk nach der Rückkehr aus dem Exil von 57 v. Chr. und die 4. und die 6. Philippische Rede gegen Antonius von 44 bzw. 43 v. Chr. Vgl. etwa Cic. Manil. 48; 56; 64. Vgl. die Bemerkungen Ciceros in seiner 2. Rede über das Siedlungsgesetz (leg. agr. 2,16; 62). So Ciceros berühmte Definition, s. o. Anm. 1.
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kundungen untergehen zu lassen. Doch nach allem, was wir darüber wissen, waren die contiones nicht so einseitig und inhaltsleer. Zwar ist schon festzustellen, was Robert Morstein-Marx als „ideological monotony“ charakterisiert hat, konkret die universelle Einkleidung der Aussagen mit volksfreundlichen Versatzstücken unabhängig davon, welche Position der Redner gerade vertrat.27 Doch neben diesen verbalen Umsetzungen des Jovialitätsgestus, den Senatoren generell im öffentlichen Umgang mit dem Volk zu erbringen hatten,28 wurden durchaus Argumente präsentiert, warum der populus lieber dem aktuellen Redner folgen solle als anderen. In seiner Volksrede über das Siedlungsgesetz des Rullus im Jahre 63 v. Chr. brachte Cicero dem Volke nahe, dass es den Gesetzesvorschlag entgegen seiner spontanen Neigung, das Projekt zur Landverteilung zu unterstützen, lieber ablehnen solle.29 Zunächst einmal verdeutlichte Cicero seinem Publikum, dass es gutgläubig und unbedacht sei und daher der Beratung durch Profis bedürfe. Diese Schwäche verhandelte man im Volksdiskurs unter dem Terminus imprudentia, Unvorsichtigkeit, gegen die der Redner vorging, indem er das Volk zur diligentia, zur sorgfältigen Prüfung anhielt.30 Hinzu trat die Differenzierung in periti und imperiti, also Leute mit Erfahrung auf der Rednertribüne und Unerfahrene als Zuhörer davor.31 Eine solche Form der Hierarchisierung ließ sich der populus wohl gefallen. Weiter attackierte Cicero seinen Gegner, hier den Volkstribunen Servilius Rullus, der das Gesetz eingebracht hatte, als einen Lügner und Betrüger, der in Wahrheit nicht gemeinsinnig handele, also das Gemeinwohl und damit die salus populi Romani im Auge habe, sondern nur seine partikularen Interessen verfolge.32 Als es ihm gelang,
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Vgl. MorsteinMarx 2004: 206, 229–240. Tan 2008: 164–172 ist der Auffassung, dass dieser Eindruck von Monotonie dadurch verstärkt wurde, dass die allermeisten Redner offenbar von Hause aus volksfreundlich eingestellt waren, während Vertreter einer distanzierten Haltung gegenüber dem Volk eigene Auftritte in contiones vermieden. S. dazu schon Jehne 2013a: 59 Anm. 60. Zur Jovialität vgl. Jehne 2000: 214–217. Vgl. die Analyse bei Jehne 2011a: 113–116, 118–119. Cic. leg. agr. 2,25; 77; 82; vgl. Jehne 2011a: 114. Vgl. zum Volk als Menge von imperiti z. B. Cic. Mur. 38; Sest. 77; de orat. 3,195; Liv. 1,19,5; Ascon. p. 33 C (s. auch Jehne 2011a: 115), und bes. Cic. Lael. 95: contio, quae ex imperitissimis constat, … – „Eine Volksversammlung, die sich aus ganz unerfahrenen Leuten zusammensetzt…“ (Übers. M. Faltner). Mouritsen 2013: 70 Anm. 42 weist zu Recht darauf hin, dass es in dieser Passage darum geht, die Fähigkeit des unerfahrenen Volkes zu betonen, einen ihm nach dem Munde redenden Orator von einem sich selbst treu bleibenden zu unterscheiden (vgl. auch MorsteinMarx 2004: 69). Doch seine Auffassung, Cic. Brut. 223 zeige, dass die Rede zu auribus imperitorum sich spezifisch auf contiones von seditiosi beziehe, ist nicht ganz überzeugend; denn auch wenn an dieser Stelle von turbulentis contionibus die Rede ist, in denen man die Ohren der imperiti erreicht, so liegt doch der Gegensatz an dieser Stelle in Reden zu elegantis conventus auribus, und dahinter würde ich eher eine Richterjury oder vielleicht sogar den Senat vermuten als eine contio von periti, wie sie Mouritsen im Auge hat. Für imperiti als das Publikum einer contio ohne jeden Bezug zu einer seditio vgl. etwa Cic. fin. 2,74; s. auch 4,74 (bezogen auf die corona im Murena-Prozess, die ebenfalls nicht seditiosa war). Cic. leg. agr. 1,14; 2,21–22; 69; 3,3; 14. Vgl. Jehne 2011a: 118 f.
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das Vertrauen des Volkes in die Gemeinsinnigkeit des Rullus zu erschüttern, war es um die Gesetzesinitiative geschehen.33 Bei einer anderen erhaltenen Volksrede, mit der sich Cicero 66 v. Chr. für die Übertragung des großen Ostkommandos an Pompeius einsetzte, waren die Rahmenbedingungen von vornherein viel günstiger für den Redner. Diesmal vertrat er die Seite, die beim Volk ohnehin breite Zustimmung genoss, so dass er in der contio keinen großen Gegenwind befürchten musste.34 Allerdings gab es einflussreiche und angesehene Senatoren, die sich gegen den Vorschlag positioniert hatten, und die wollte Cicero schon deshalb nicht verprellen, weil das für seine Pläne, noch Consul zu werden, unvorteilhaft gewesen wäre. Folglich versicherte er den Consularen Hortensius und Catulus explizit, dass sie über die durch Rang, Erfahrung und Leistung erzeugte Autorität verfügten, um das Volk zu lenken und Urheber staatsfördernder Entscheidungen zu sein.35 Doch hebt er anschließend hervor, dass sich die Bedenken gegen die Übertragung einer weiteren umfassenden Befehlsgewalt an Pompeius, die im Wesentlichen mit grundsätzlichen Erwägungen der Machtbeschränkung und nicht mit Vorbehalten gegen die Person und ihr Leistungsvermögen motiviert wurden,36 schon bei dem vorangehenden Seeräuberkommando nicht durchgesetzt hatten und das Volk damals die richtige Entscheidung getroffen habe, wie man an dem grandiosen, schnellen Erfolg des Pompeius ersehen könne. Daher sollten sich in diesem neuen Fall, in dem es um die volle Wiederherstellung der römischen Macht im Osten ging, die großen Männer einmal mit ihren auctoritates der auctoritas populi beugen.37 33 34 35
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Ob die Drohung des Tribunen L. Caecilius, er werde sein Veto einlegen (Cic. Sull. 65), entscheidend zum Ende des Projekts beitrug (so Mouritsen 2001: 54 f., 63, 69), ist nicht zu prüfen. Vgl. knapp Jehne 2013a: 51 Anm. 16. Vgl. zu der Rede und den darin erkennbaren Argumentationen auch Jehne 2013a: 53–62. Cic. Manil. 51: At enim vir clarissimus, amantissimus rei publicae, vestris beneficiis amplissimis adfectus, Q. Catulus, itemque summis ornamentis honoris, fortunae, virtutis, ingeni praeditus, Q. Hortensius, ab hac ratione dissentiunt. Quorum ego auctoritatem apud vos multis locis plurimum valuisse et valere opportere confiteor. – „Indes, Q. Catulus, ein hochangesehener Mann, dem Staate leidenschaftlich zugetan und von euch mit den größten Gunstbezeigungen bedacht, sowie Q. Hortensius, dem die edelsten Güter der Ehre, des Vermögens, der Tatkraft und des Geistes zuteil wurden, sie raten von dieser Lösung ab. Ich gebe zu, dass euch deren Gutachten bei zahlreichen Gelegenheiten sehr viel bedeutet hat und auch bedeuten muss;“ (Übers. M. Fuhrmann). Vgl. zu diesem Konflikt schon Jehne 2013b: 39 f. Cic. Manil. 63–64: Qua re videant ne sit periniquum et non ferundum, illorum auctoritatem de Cn. Pompei dignitate a vobis comprobatam semper esse, vestrum ab illis de eodem homine iudicium populique Romani auctoritatem improbari; praesertim cum iam suo iure populus Romanus in hoc homine suam auctoritatem vel contra omnis qui dissentiunt possit defendere, propterea quod, isdem istis reclamantibus, vos unum illum ex omnibus delegistis quem bello praedonum praeponeretis. (64) Hoc si vos temere fecistis, et rei publicae parum consuluistis, recte isti studia vestra suis consiliis regere conantur. Sin autem vos plus tum in re publica vidistis, vos eis repugnantibus per vosmet ipsos dignitatem huic imperio, salutem orbi terrarum attulistis, aliquando isti principes et sibi et ceteris populi Romani universi auctoritati parendum esse fateantur. – „Es ist daher ganz gewiss sehr unbillig und nicht zu ertragen, dass ihr stets zugestimmt habt, wenn jene ihre Ansicht über Amt und Stellung des Cn. Pompeius äußerten,
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Dass Cicero hier von auctoritas populi spricht, ist weder selbstverständlich noch zufällig. Diese Formulierung erhellt schlaglichtartig den Hintergrund des römischen Volksdiskurses in den contiones, denn hier wird erkennbar, was die plebs contionalis, die Schar der regelmäßigen Besucher der Volksversammlungen,38 dazu gebracht haben könnte, so viel Zeit für den politischen Betrieb aufzuwenden. Auctoritas ist nämlich eigentlich eine Qualität, die nur den Senatoren zukommen kann.39 Dahinter steckt, dass man ein auctor in der res publica ist, also ein Urheber einer Aktion im Gemeinwesen. Hinter der auctoritas steht demnach das Initiativrecht, und das hatten in der römischen Republik nur amtierende Magistrate, die ja auch Senatoren waren, und sonstige Senatoren, die ja ehemalige Magistrate waren. Magistrate konnten das Volk versammeln und einen Vorschlag zur Abstimmung stellen, und Senatoren konnten im Senat einen Antrag stellen und einen Senatsbeschluss erwirken, der zwar formal noch nicht bindend war, aber über die häufig, wenn auch nicht immer erfolgende Bestätigung durch die Volksversammlungen verpflichtend werden konnte. Im eigentlichen Sinne konnte also ein einfacher Plebeier, der nie ein Senator werden würde, keine auctoritas haben. Daher ist es konsequent, dass Cicero nur dem versammelten populus auctoritas zuspricht, und das ist offenbar die einzige Art, in der ein normaler römischer Bürger auctoritas genießen kann: als Teil des Kollektivs populus, das sich in der Gruppe der Anwesenden in Volksversammlungen konkretisiert. Der Volksdiskurs, den die Führungsschicht vor allem in den contiones pflegte, war also mit Verbeugungen vor dem Entscheidungsrecht des populus verbunden und sprach dem von erfahrenen Senatoren angeleiteten populus auctoritas zu.
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dass sie hingegen euer Urteil über denselben Mann und die Willensmeinung des römischen Volkes zurückzuweisen versuchen. Überdies ist das römische Volk jetzt vollauf befugt, seine Meinung über diesen Mann gegen alle, die da Widerspruch erheben, durchzusetzen. Denn ihr habt, obwohl diese Leute laut ihr Missfallen kundtaten, aus allen den Einen erwählt, den Krieg gegen die Seeräuber zu leiten. Wenn ihr das unüberlegt getan und euch zu wenig um das Wohl des Staates gekümmert habt, dann versuchen sie mit Recht, eure Bestrebungen durch ihre Entschlüsse zu lenken. Wenn ihr jedoch damals die Lage des Staates besser erfasst und trotz ihres Widerstandes aus eigener Initiative dem Reiche Ansehen, dem Erdkreis Wohlfahrt verschafft habt, dann mögen diese führenden Männer endlich einmal zugeben, dass sie und ihr Anhang sich dem Willen des gesamten römischen Volkes fügen sollten.“ (Übers. M. Fuhrmann). Der Ausdruck plebs contionalis ist ein moderner Terminus, den Meier 1980: 114; vgl. Meier 1965: 614, eingeführt hat für eine Gruppe von einfachen Römern, die einen beachtlichen Teil ihrer Zeit in den contiones zu verbringen pflegten. Mouritsen 2001: 39–62, 130–131 (s. auch Mouritsen 2013: 65–78) hat die Existenz einer solchen Gruppe bezweifelt und argumentiert, man habe bei den contiones eher damit zu rechnen, dass die jeweilige Versammlung in erster Linie von Parteigängern des einberufenden Magistrats besucht wurde, welche aus der leisure class stammten (gegen diese Auffassung Jehne 2006a: 228–231). Der Dissens ist nicht endgültig aufzulösen, da die Quellen die Frage, wie so oft, nicht eindeutig entscheiden und da niemand bezweifelt, dass sowohl Bessergestellte als auch einfache Plebeier in contiones anwesend sein konnten und waren. Es fragt sich nur, wie häufig Leute aus den unterschiedlichen sozialen Gruppen präsent waren, wer im Normalfall die contio dominierte und welche Männer oft, welche selten contiones besuchten, und die strukturellen Überlegungen führen nicht auf sicheren Boden. Vgl. aber u. Anm. 53. Zur auctoritas vgl. etwa Bettini 2005.
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Gleichzeitig erwartete man von der Versammlung, dass sie ihr Handeln am Wohl der res publica ausrichtete. Wenn man sich also fragt, was die Angehörigen der plebs contionalis von ihrer mit beachtlichem Aufwand verbundenen Partizipation am politischen Leben eigentlich hatten, so sind es sicher nicht die materiellen Vorteile, die in eher bescheidenem Umfang für die einfachen Bürger zu erzielen waren,40 und auch in den tatsächlichen Entscheidungen waren die contionales eher selten prägend. Aber die Versammelten bekamen immer wieder zu hören, wie wichtig sie waren, und sie wurden mit rhetorischen Anerkennungen ihrer Bedeutung für das Wohlergehen der res publica überhäuft, so dass sie sich vermutlich wirklich als diejenigen verstanden, die mit ihrer Fürsorge zur Prosperität des Gemeinwesens wesentliches beitrugen. Im senatorischen Volksdiskurs wurde das anstehende Problem, das oft nur ein Problem der Führungsschicht war, zu einem Problem der Allgemeinheit erklärt, von der der nötige Gemeinsinn zum Engagement für die Problemlösung erwartet werden konnte. Und dem versammelten populus wurde Status zugewiesen, was für die Mitglieder der plebs contionalis besonders attraktiv gewesen sein dürfte, da sie außerhalb der Versammlungen als Individuen keinerlei Chance hatte, jemals so etwas wie einen höheren Status zu erlangen, der über den eines Freien und eines Bürgers hinausging. 3. DAS VOLK ALS MACHTFAKTOR Mittlerweile haben wir uns längst verabschiedet von der polaren Sichtweise auf die Republik, in der man sie nur entweder als Demokratie oder als Aristokratie klassifizieren konnte. Karl-Joachim Hölkeskamp hat die Unzulänglichkeit kontradiktorischer Gegensätze in diesem Kontext wunderbar dargelegt,41 und wir sollten uns auch nicht hinter dem Diktum von Ronald Syme verkriechen, das da lautet: „In all ages, whatever the form and name of government, be it monarchy, republic, or democracy, an oligarchy lurks behind the façade“42. Symes Einschätzung ist durchaus richtig, da es kein komplexeres soziopolitisches System gibt ohne Eliten, deren Status darauf basiert und dazu führt, dass sie mehr Einfluss haben als andere. Im Vorwort seines Klassikers über die Römische Revolution hat Syme im Übrigen auch in gebührender Weise hervorgehoben, dass seine Untersuchungen dieser römischen Elite ohne die Forschungen von Friedrich Münzer unmöglich gewesen wären.43 Doch folgt aus der universellen Einsicht, dass es in differenzierten Gesellschaften stets Eliten gibt, natürlich nicht, dass es nicht unterschiedliche Arten, Formen und Reichweiten der Partizipation unterelitärer Schichten gäbe, und noch viel weniger, 40 41 42 43
Anders Mouritsen 2013: 74. Aber die Menge der materiell motivierten Aktionen des Volkes scheint mir eher überschaubar zu sein, vgl. Jehne 2013a: 50–52. Hölkeskamp 2010: 76–97. Vgl. für eine knappe Darstellung der Forschungsgeschichte zum politischen System der römischen Republik Jehne 2006b. Syme 1952: 7. Syme 1952: VIII: „It will at once be evident how much the conception of the nature of Roman politics here expounded owes to the supreme example and guidance of Münzer: but for his work on Republican family-history, this book could hardly have existed.“
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dass solche Unterschiede irrelevant wären. Mein Focus liegt hier ohnehin mehr auf dem Volk als auf der Elite, und so stellt sich abschließend die Frage, in welcher Weise denn das Volk ein Machtfaktor war. Unmittelbar assoziiert man mit der Macht des Volkes die Massenaktionen, die mit physischer Gewalt oder deren Androhung Druck und Anpassungszwang erzeugten. Solche Aktionen kennen wir aus den antiken Darstellungen über die frühe Republik ebenso wie aus den teilweise zeitgenössischen Quellen über die späte Republik.44 Es ist bekannt, dass ein Teil dieser Gewalthandlungen der Spätrepublik von professionellen Schlägern im Auftrag einzelner Senatoren durchgeführt wurde,45 aber interessanter sind die unbezweifelbar spontanen Reaktionen und Aktionen des einfachen Volkes, die sich – wie Wilfried Nippel und Egon Flaig gezeigt haben – auf einen engen und offenbar lange weitertradierten Normenkonsens gründeten: Bei Verstößen gegen ihr internalisiertes Normenverständnis durch Angehörige der Führungsschicht konnten unterschiedlich zusammengesetzte Gruppen von einfachen Bürgern massiv und gewaltsam handeln, auch ohne dass es eine stabile, organisierte Führungsstruktur in der versammelten Menge geben musste.46 Eine solche versuchte dann erst Clodius, der mächtige Volkstribun des Jahres 58 v. Chr., zu etablieren und auf Dauer zu stellen, indem er verstärkt die collegia als Mobilisierungsinstrument einsetzte.47 Doch ist nicht recht zu sehen, ob er damit mittelfristig mehr erreichte als nach dem Auslaufen des Tribunats noch über eine gewaltbereite, ihm persönlich verbundene Anhängertruppe zu verfügen, während sein Gegenspieler Milo etwas Vergleichbares aus Profis, d. h. Gladiatoren und weiteren, wahrscheinlich ebenfalls geschulten Sklaven, kaufen und unterhalten musste.48 Noch weniger können wir ausmachen, wieviel von Clodius‘ Organisation seinen Tod überlebte. Gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Angehörigen der breiteren Bevölkerung, die als Anhängerscharen von bestimmten Mitgliedern der Führungsschicht organisiert waren, häuften sich in den letzten Jahren der Republik, aber dennoch kann man nicht sagen, dass sie wirklich den politischen Alltag repräsen-
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Zur frühen Republik, in der in unseren Berichten allerdings vor allem auch junge Patricier als gewaltbereite Gruppe auftauchen, vgl. etwa Lintott 1970; zur späteren Republik Lintott 1968. Zur Entstehung des Provocationsrechts aus der Selbsthilfe des Volkes vgl. Lintott 1972. Vgl. zu den Schlägertrupps Nowak 1973 (dort im Anhang eine Übersichtstafel über die Garden mit Hinweisen auf ihre Zusammensetzung). Nippel 1988: 68 f., 133–135; Nippel 1995: 39–46; Flaig 1995: 98 f., 127 u. 2003: 226–229. Vgl. Nippel 1981: 81–89; 1988: 111–128 u. 1995: 77–78; Benner 1987: 64–70; Tatum 1999: 117–119, 140–148. Zur Zusammensetzung von Milos Gang Cic. off. 2,58; Vat. 40; Sest. 84–90; 127; Ascon. p. 31 s. C. Vgl. Lintott 1968: 85; Nowak 1973: 147–151. Beim Aufeinandertreffen der beiden Trupps waren Milos Profis normalerweise überlegen, s. bes. Cic. Att. 4,3,3–5 (vgl. Nippel 1988: 114). In der Auseinandersetzung zwischen Clodius und Milo 52 bei Bovillae übertrafen Milos Schläger ihre Gegner allerdings auch zahlenmäßig ganz erheblich – zumindest wenn man akzeptiert, was Metellus Scipio behauptete (Ascon. p. 34 s. C., vgl. dazu Tatum 1999: 239 f.; Seager 2011: 106 f.).
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tierten.49 Das Volk war als Machtfaktor denn auch nicht erst dann präsent, wenn die rhetorischen Auseinandersetzungen bei den contiones in physische einmündeten. Allein die Tatsache, dass der Wettbewerb der Senatoren unter anderem vor dem Volk ausgetragen wurde, sorgte schon dafür, dass positive oder negative Reaktionen des Publikums in den Versammlungen nicht bedeutungslos waren. Hinzu kommt die extreme Abhängigkeit der Redner von der Disziplin der Zuhörer in einer Welt ohne Mikrophone. Als der Volkstribun A. Gabinius 67 für ein großes Kommando des Cn. Pompeius gegen die Seeräuber warb,50 stand das in der Hauptstadt aktive Volk voll und ganz hinter diesem Vorschlag, was zur Folge hatte, dass sich die oppositionellen Senatoren kaum in die Öffentlichkeit trauten. Dem ehrfurchtgebietenden Consular Catulus hörte man noch zu,51 aber der Tribun Roscius konnte nicht mehr sprechen, weil der Lärmpegel zu hoch war, und als er mit Gesten verdeutlichte, man solle Pompeius einen Kollegen geben, soll das Volk so laut aufgebrüllt haben, dass ein Rabe tot vom Himmel fiel.52 Massive Opposition der Zuhörer hatte naturgemäß eine einschüchternde Wirkung, nicht nur auf Raben. In der römischen Struktur besaß das Volk Macht im Alltag. Da Senatoren gar nicht umhin konnten, sich gelegentlich in contiones, aber auch bei anderen Gelegenheiten Gruppen von einfachen Bürgern physisch auszusetzen, ging von Missfallensbekundungen des Volkes oder auch nur mangelnder Begeisterung ein gewisser Druck aus, dem man manchmal widerstand, oft aber auch nicht.53 In Ermange49 50 51 52 53
Vgl. Nippel 1995: 47. Einen Eindruck von Frequenz und Charakter der Gewalttätigkeiten vermitteln die Kataloge von Lintott 1968: 209–216 (von 287 bis 44) und Vanderbroeck 1987: 218–267 (von 78 bis 49). Vgl. Ferrary 2007, der herausarbeitet, dass es sich um ein einziges Gesetz handelte, in dem sowohl definiert war, welche Kompetenzen der Kommandeur erhalten sollte, als auch klargestellt war, dass Pompeius dieses Kommando übernehmen sollte. Plut. Pomp. 25,10. Plut. Pomp. 25,11–12; vgl. Cass. Dio 36,30,3–4. Dazu Millar 1998: 81. Die These von Mouritsen 2001: 43–62 u. 2013: 76–78, es habe sich bei den Besuchern der contiones um die jeweiligen Anhänger des Versammlungsleiters gehandelt, so dass die unangenehme Dissenslage zwischen Redner und Publikum gar nicht entstehen konnte, ist problematisch, schon weil man auch wohlwollende Zuhörer verprellen kann. Vor allem aber ist in unseren Quellen zu greifen, dass es vorkam, dass sich Versammlungsbesucher nicht im Sinne des Veranstalters verhielten (vgl. etwa Ciceros Stolz, dass er aus der rogatio des Flavius 60 unter Zustimmung der contio alle Bestimmungen entfernt habe, die den Besitzenden Verluste gebracht hätten – es war offenbar die contio des Flavius, Cic. Att. 1,19,4, vgl. Hiebel 2009: 474). Selbst wenn man glaubt, dass solche Konfliktsituationen Ausnahmen waren, bleibt immer noch für die psychologische Disposition des Redners das Faktum, dass es die Fälle von widerständigen Zuhörern gab und dass man nicht genau berechnen konnte, ob nicht eine solche Lage bei der jetzigen Versammlung eintreten würde. Wichtig ist in diesem Kontext Cic. Brut. 289: At cum Attici dicunt, non modo a corona, quod est ipsum miserabile, sed etiam ab advocatis relinquuntur. – „Wenn aber diese unsere Attizisten sprechen, dann werden sie nicht nur von der Runde der Hörer allein gelassen, was schon schlimm genug ist, sondern sogar von ihren eigens bestellten Freunden.“ (Übers. B. Kytzler). Die genannten Attici sind die etwas früher in diesem Paragraphen genannten Attici nostri, also römische Redner, die sich bemühen, dem attischen Stilideal zu folgen und nicht dem asianischen. Relevant ist hier, dass Cicero, der diese Form des attischen Redestils als zu karg kritisiert, unter den Zuhörern – es handelt sich offenbar um Ge-
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lung von Sicherheitskräften konnte die Unzufriedenheit der Menge auch schnell bedrohlich werden. Zudem musste ohnehin jeder Senator damit rechnen, dass ein Kollege von der Möglichkeit Gebrauch machen würde, in einer contio seinen Standpunkt kräftig zu vertreten und Alternativpositionen massiv zu kritisieren. Damit man da nicht unterging, mussten Projekte ‚volksversammlungsvermittlungsfähig‘ sein. Als Konsequenz ergab sich daraus, dass der öffentliche politische Diskurs prinzipiell volksbezogen war. Der politische Diskurs lebte in Rom wie immer von Gemeinsinnsprätentionen, also von der permanenten Betonung, dass man eine Position deshalb befürworte, weil sie dem Wohl der res publica besser diene als die Konkurrenzempfehlung. Diese Grundhaltung musste aber regelmäßig fallbezogen konkretisiert werden gegenüber einigen normalen Bürgern, die bis zu einem gewissen Grade zufällig zusammenkamen, jedenfalls nicht verlässlich handverlesen waren. Dass dabei der Entfernung von den Realitäten Grenzen gesetzt waren, dafür sorgten die Konkurrenten aus der Oberschicht: In der römischen Republik war eine völlig deformierte, parteiische Präsentation der Tatsachen und eigenen Absichten nur begrenzt vermittelbar, nicht unbedingt weil das Volk es besser wusste, sondern eher weil der persönliche Gegner oder Mitbewerber geradezu gierig darauf lauerte, jede Angriffsfläche, die ein Redner bot, für die eigene Profilierung zu nutzen. Der Kenntnisstand der politischen Gegner über die Sachverhalte, die in der Volksversammlung vorgestellt und mit einer bestimmten Entscheidungsempfehlung versehen wurden, war im Normallfall ähnlich, grobe Entstellungen liefen also Gefahr, unbarmherzig entlarvt zu werden. Die Erfahrung mit einer versammelten Gruppe in einer contio, die keineswegs immer aus schon festgelegten Anhängern bestand und die sich nicht notwendig in wohliger Zustimmungsdisposition befand, erzeugte bei den römischen Rednern sicher einen gewissen Sog zur Anpassung an den Publikumsgeschmack. Nun ließen die zahlreichen Gelegenheiten, ja Notwendigkeiten, politische Entscheidungen öffentlich zu plausibilisieren, rein gruppenbezogene Begründungsformen ohnehin nicht zu, sondern verlangten die diskursive Orientierung am Gemeinwohl. Aber erst durch die Konkurrenz der Senatoren, die für ein beachtliches Ausmaß an Kontrolle sorgte, waren die Bemühungen, die eigene Politik als gemeinsinnig motiviert zu präsentieren, erheblich gesteigert etwa gegenüber einer Alleinherrschaft, in der Zweifel an den hehren Zielen des Herrschers nicht in öffentliche Kritik übersetzt werden können. Das Volk war die Bezugsinstanz, vor der die Meinungsverschie-
richtsreden – selbstverständlich zwei Gruppen unterscheidet: die advocati, also eine Gruppe von bestellten Anhängern, und die corona, die an dieser Stelle – so ist zu folgern – offenkundig die restlichen waren, die ohne Aufforderung durch den Redner gekommen waren. Mir scheint diese Passage die normale Publikumsstruktur nicht nur bei Gerichtsreden wiederzugeben: neben den eigenen Unterstützern gab es eben auch noch andere, die bei den öffentlichen Auftritten der Redner anwesend waren. In Cic. Brut. 290 wird das Ideal beschrieben: wenn ein Redner vor Gericht angekündigt ist, dann sollen die Leute so zahlreich zusammenlaufen, dass die Schreiber Plätze anweisen müssen, und dieses Publikum soll eine corona multiplex sein, also bestehend aus ganz unterschiedlichen Leuten.
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denheiten oft ausgetragen wurden, und hatte mit seiner Möglichkeit, dem einen oder dem anderen Zustimmung zu signalisieren, einen gewissen Einfluss. Diese Strukturen der Politik hatten logischerweise Konsequenzen für das Denken der Politiker. Natürlich ist der permanente Bezug auf die res publica, die ganze gemeinsinnige Rhetorik nicht als Beleg dafür zu nehmen, dass Senatoren nicht regelmäßig, vielleicht sogar vordringlich ihre Interessen verfolgten. Hinter dieser Diagnose steht aber keineswegs der schlichte Generalverdacht, jede menschliche Handlung und Haltung sei ausschließlich egoistisch motiviert, alle gemeinsinnige Rhetorik sei grundsätzlich nur aufgesetzt oder vorgeblendet. Vielmehr kann man davon ausgehen, dass es sich im menschlichen Motivationshaushalt stets um Gemengelagen handelt und dass sich der Gemeinsinn als Orientierung auf das Wohl der Gemeinschaft allein schon dadurch tief einprägen kann, dass er zur Verbesserung der Akzeptanz von Maßnahmen und Entscheidungen beschworen werden muss und so im politischen Diskurs permanent präsent ist.54 Auf Dauer kann sich wohl niemand der Kraft der selbst eingesetzten Diskurse völlig entziehen, so dass selbst dann, wenn es sich ursprünglich im Bewusstsein eines Akteurs um eine interessenverschleiernde Ideologie gehandelt haben sollte, die Trennung zwischen dem hegemonialem Diskurs, der bedient werden muss, und dem persönlichen Interesse, das den Diskursakteur motiviert, bis zu einem gewissen Grade verschwimmt. In der römischen Republik konnte also ein senatorischer Redner sehr bewusst das Gemeinwohl beschwören,55 obwohl ihm in der konkreten Situation seine Partikularinteressen sehr wichtig waren. Der permanente Gemeinsinnsdiskurs prägte so sein Denken und seine Art zu argumentieren, so dass er auch in diesen Kategorien befangen war. Das bedeutete aber, dass sich der Bezug auf den populus, ohne den man als Institution und Diskursgröße überhaupt nicht auskam, auch in Grenzziehungen und Hierarchisierungen des Planungshorizonts der Senatoren niederschlug. Jenseits aller gelegentlichen Pressionsmöglichkeiten mit Gewaltandrohung oder Gewaltausübung zeichnet sich also eine stabile Präsenz des Volkes als Machtfaktor ab, indem es aufgrund seiner Rolle in öffentlichen Kommunikationsprozessen die Diskursmöglichkeiten begrenzte. Wenn doch der populus das Gemeinwesen war, dann konnte er schon deshalb, weil sich politisches Handeln nur gemeinsinnig begründen ließ und weil die Gemeinsinnigkeit der Begründungen durch die Konkurrenten meist kontrolliert wurde, nicht machtlos sein.
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Vgl. dazu auch schon Jehne/Lundgreen 2013: 13 f.; Jehne 2013b: 24. Die Redetätigkeit war weitestgehend den Senatoren vorbehalten – im Senat ohnehin, aber auch in den Volksversammlungen, den contiones. Vgl. Pina Polo 1996: 34–38, v. a. 37, der betont, dass die uns bekannten Sprecher in Volksversammlungen fast ausschließlich Senatoren waren und gelegentlich auch einmal Ritter. Die Listen der uns bekannten Volksredner sind zusammengestellt von Pina Polo 1996: 178–182 (für die späte Republik); außerdem auch von Tan 2008: 188–200 (für die ciceronische Ära); Hiebel 2009: 468–478. Zu dem Problem, dass das Reden vor dem Volke faktisch den Senatoren vorbehalten war, auch wenn es formal nicht beschränkt war, s. auch Jehne 2011b: 71–73. Zur Gemeinsinnsrhetorik vgl. Jehne 2011a: 117–119 u. 2013a: 61 f.; Jehne/Lundgreen 2013: 13–15.
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Martin Jehne
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VIII. DAS ENDE DER REPUBLIK
THE LAST GENERATION OF THE REPUBLIC REVISITED Erich S. Gruen, Berkeley Friedrich Münzer stands as inspiration and ultimate forefather of this article. The paper had its origin at a conference in Münster called to pay tribute to Münzer at the university to which he devoted some of the most important years of his productive career. The organizers of the conference accorded to me the distinct honor and privilege of delivering the Festvortrag that closed the proceedings. It was a most welcome invitation for which I was deeply grateful. Friedrich Münzer had an indelible impact upon the scholarship of the Roman Republic, and I greatly appreciated the opportunity to lend my voice to the accolades paid to his accomplishments. Whatever value my early writings still possess for this subject, they owe a heavy debt to Münzer. Friedrich Münzer left a powerful legacy for me, indeed was a formative influence for many students of the Roman Republic of my generation. His extraordinary labors in producing several thousand articles on individual Republican figures in Pauly-Wissowa and his ingenious piecing together of many of them to form a new and original reconstruction in Römische Adelsparteien und Adelsfamilien constituted a remarkable achievement that set a whole new approach to the subject into motion.1 The first two books that I wrote would simply not have been possible, indeed I would never have dreamed of writing them, without Münzer’s pioneering efforts and the monumental volumes of Broughton’s Magistrates of the Roman Republic which relied so heavily upon them. Münzer’s researches dramatically turned around many decades of scholarship that viewed Roman history through a legalistic or constitutionalist lens or envisioned the Roman political scene as one dominated by an ideological divide between optimates and populares, between a “senatorial party” and a “popular party”2. Münzer did not indulge in much overt theorizing. But he brought a more complex and a deeper vision to the subject. His emphasis rested upon personal and familial connections among the principal houses of the nobility, a network of relationships accrued through genealogy, marriage alliances, and political cooperation. The effect of Münzer’s approach on scholars like Ronald Syme, Werner Schur, Howard Scullard, and Ernst Badian is palpable. It generated what several critics dubbed the “prosopographical school” of Roman history – almost always a negative term, and rarely, if ever, used by its supposed practitioners. 1
2
See the invaluable biography of Münzer by Kneppe/Wiesehöfer 1983. See also the summary of Münzer’s life and work by R. Ridley and T. Ridley, in the English translation of Münzer’s Römische Adelsparteien 1999: xix–lvii. For a more skeptical evaluation, see Hölkeskamp 2002: 92–105 and 2012: XIII–XLVI. This view has been revived recently by Wiseman 2009: 5–32.
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I was certainly caught up in what was probably the second generation of Roman historians enamored of the methods and conceptualization of Friedrich Münzer. It was a revelation for me and for several of my contemporaries. I still remember vividly, as a student at Oxford, pulling down a book from the shelves of Blackwell’s bookstore, with great excitement: Lily Ross Taylor’s Party Politics in the Age of Caesar. That set me on the path of Münzer which I pursued for the next fifteen years or so – and I never regretted it. Of course, the Münzerian reconstruction was limited, over-schematic, onesided, narrowly focused, and inadequate. The portrait of long-standing alliances, stretching for generations among elite families, based on bloodlines, marriage ties, and amicitiae, and attested to by collegiality or close conjunction in political office has long since been discredited, at least in the simplistic form adopted by some of Münzer’s epigoni, like Scullard, Schur, Briscoe – and, occasionally, Gruen. No need to go over that ground again.3 The assaults on Münzer’s edifice by scholars like Peter Brunt and, especially, Christian Meier have had telling effect.4 But this should not detract from the achievement itself. Prosopography, when employed cautiously and methodically as a form of collective biography and social history, can provide important depth to understanding collaborative behavior among informal and shifting combines of Roman leaders and supporters on the political scene.5 Münzer’s indefatigable probes into the countless nooks and crannies of Republican biographies of the famous through the obscure – without the assistance of electronic aids – remains a stunning accomplishment. And, although his construct of enduring and coherent family alliances among the major and minor gentes may no longer hold sway in the scholarship, his fundamental insight retains value. One might note also, what is often overlooked, Münzer’s sensitivity to the regular stream of non-Roman houses which enriched the composition of the political leadership almost from the start.6 The Republican political scene was neither dominated by an ideological duality nor reduced to anarchic competition among constantly fluctuating and repeatedly refashioned temporary combines. It is no accident that Roman nobles persistently nurtured their sons, whether natural or adopted, for political office and public service. Nor that aristocratic clans regularly intermarried within elite circles. We may be sure that this was rarely done out of affection or infatuation – romantic though that notion may be. Friedrich Münzer’s perceptivity still maintains its force. The Last Generation of the Roman Republic (LGRR) is certainly much beholden to it. The organizers of the conference that generated the present contribution expressed an intriguing and unexpected interest in having me return to this topic almost forty years after the book’s initial publication. That was most gratifying, though somewhat daunting. It prompted me at least to go back and read the book again. And the question they posed was provocative: if I were to rewrite the 3 4 5 6
Hölkeskamp 2010: 4–9. Meier 1966: 7–63; Brunt 1988: 443–502. Cf. Broughton 1972: 250–265; MorsteinMarx 2009a: 105–107. Münzer 1999: 48–93.
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book now, how would I do it differently? How should the subject be treated in the future? How would I evaluate now what I wrote then? Do the arguments still seem plausible? What changes would I make in a new edition? Do I have second thoughts? It should be said first of all, that a second edition could hardly be justified. Too much has transpired in the interim. The book belongs firmly to the period in which it was composed. But the invitation provided a welcome opportunity to reconsider some of the main propositions of the book in light of the considerable scholarship and important advances that have been made on the topic in the last four decades. That itself presented a formidable challenge. One can only scratch the surface in a short paper. It seemed best to limit the discussion to the most debated question and the most fraught issue: the end of the Republic – the culmination of the ‘Last Generation of the Roman Republic’. How to account for the breakdown and fall – if such there was. It will be useful to summarize the prevailing view in scholarship when that book first appeared – and what is probably still the prevailing view, despite that book.7 One might characterize it as the lachrymose view of the late Republic. According to that interpretation, the fate of the Republic was sealed long before its terminus. One can readily list the reasons. (1) Economic inequalities on the land and in the cities. (2) The growth of professional armies that owed primary loyalties to their generals rather than to the state. (3) Increasing violence and the breakdown of order at home. (4) The failure of the ruling classes who hardened into a narrow oligarchy and were absorbed in factional strife that paid little attention to common goals. (5) A gradual concentration of power in the hands of a few dominant individuals, notably Marius, Sulla, Pompey, and Caesar, whose personal ascendancy broke the corporate spirit of the state and rendered inevitable a clash between mighty forces that destroyed what was left of the Republic. (6) And, finally, a more general proposition, the resources and institutions of a city-state were simply inadequate to govern a far-flung empire, and ultimately broke under the strain. LGRR, of course, took an altogether different approach. A somewhat rosier one, it might be said, at least not so grim and foreboding. Its emphasis rested not on what tore the Republic apart in its final decades but on what held it together for so long. The study endeavored to point out that there were greater continuities in the Republic’s last generation than have often been acknowledged; that the traditional leadership of the state did not succumb meekly to an inexorable rise of powerful individuals; that the reforms of Sulla which aimed to entrench stability and aristocratic authority over the governing process remained largely in effect throughout the period: the expanded size of the senate, the restructuring of the criminal courts, the regulations for holding of magistracies, and civilian control over provincial commands. The so-called “triumvirs”, so the book argued, did not reduce the Republic to a private barony. Resistance to their aims by senatorial leaders like Cato the Younger or popular politicians like Clodius Pulcher frequently thwarted their plans. And electoral results in the 50s more often went against their candidates than for them. Traditional institutions continued to function, as illustrated by senatorial de7
Cf. the summary of positions in Hölkeskamp 2009b: 1–7.
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cisions, electoral contests, legislative activity, and judicial processes. Many of the families whose members had played major roles through much of Roman history continued to reach high office in the Republic’s final generation. The lists of consuls, as Ernst Badian’s careful study demonstrated, show that holders of that office, even in the last twenty years of the Republic, came overwhelmingly from families of consular background.8 Senatorial ranks were not closed, the large array of magistracies allowed for mobility and the infusion of new families. But continuity at the higher ranks, heavily staffed by members of aristocratic families who carried records of service and distinction over the decades maintained the ascendancy of what Karl Hölkeskamp has called a “meritocracy”9. Even the so-called “triumvirs”, as LGRR contended, did not aim to topple the established order. Pompey sought acceptance and prestige within the ranks of the senatorial elite and never deployed his military credentials to overturn the system. Caesar himself moved appropriately through the proper cursus honorum, combining appeals to popular interests with connections to the traditional leadership. Popular demonstrations were usually quite legitimate and acceptable, the grievances regularly acted upon. Violent episodes were in a decided minority. The idea of professional armies devoted to their commanders is exaggerated and misconceived. The vast majority of military commissions in the Republic’s final decades were accorded through conventional procedures and operated under conventional norms. The notion that a city-state could not govern an empire and that the Republic was bound to succumb to underlying forces that led to monarchical rule is highly questionable. It rests on a priori assumptions going back to Machiavelli and Montesquieu but still canvassed by scholars today.10 Hindsight might prompt such a conclusion, as it did for Dio Cassius, who lived under a long established monarchy and who declared its superiority over a “democracy” that could not exercise control over the vast stretches of the known world encompassing diverse peoples and nations.11 But that inference presumes a predetermined outcome, marshaling events in teleological fashion.12 It also ignores the fact that imperial holdings had indeed been controlled by the Republic for well over a century, and that no collapse nor any uprisings in the provinces prompted the conflict that pitted Romans against Romans and shattered the state.13 The fatal clash between Caesar and Pompey was neither inescapable nor premeditated.14 That point, stressed in LGRR, has gained support from several schol-
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11 12 13 14
Badian 1990: 371–413. Hölkeskamp 2006: 366–376. See, e. g., Meier 1966: 151–161; Welwei 1996: 485–489; Deininger 1998: 133–136; Un gernSternberg 1998: 607–624 u. 2004: 105; Flower 2010: 97–114. See the critical remarks of Welwei 1996: 485 f. and Girardet 1996: 218–225, with important bibliography at 219 n. 2 and 220 n. 5. Cass. Dio 44,2,1–4. Cf. UngernSternberg 1998: 610–612; MorsteinMarx/Rosenstein 2006: 629–635. Gruen 1974: 502 f.; Brunt 1988: 68–72; Eder 1996: 441–447. Gruen 1974: 449–497.
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ars. The idea of a predetermined outcome has been increasingly questioned.15 Other outcomes were certainly possible. A broad spectrum of possibilities lay between an inevitable “fall of the Republic” on the one hand and a merely accidental chain of events on the other.16 The contest followed from a series of miscalculations, inadequate communication, and distrust fostered by persons in both camps. Contingencies and unanticipated events played a critical role. Not that accident, coincidence, or random chance prevailed. Contingencies do not occur in a vacuum, as we have been reminded by Martin Jehne and Uwe Walter. Traditions and conventions matter, supplying the context within which events take place and decisions are made. Caesar could appeal to his dignitas as an integral part of the mos maiorum – that was the context – but his decision to cross the Rubicon depended upon a host of contingent events and a confluence of planned and unplanned developments.17 In general, continuity may characterize the Republic’s final decades more accurately than purported decadence, downward spiral, and inevitable failure. Cicero, of course, lamented about res publica amissa.18 And he made comparably exaggerated remarks from time to time, alluding to the faex Romuli, to the state dying of disease, to misery everywhere, to nothing more desperate than the Republic, to conflagration in his patria, to the absence of a res publica to provide any consolation, to the empty husks of the old Republic.19 Cicero’s rhetoric, however, as is well known, depends heavily upon his personal circumstances and his political fortunes. When matters seemed promising and the orator felt secure in his own situation, the rhetoric shifted sharply, and all seemed well with the res publica.20 One can hardly put much weight on Cicero’s moods.21 The claim that an inexorable fate drove the Republic to its doom does not carry conviction. The stress on continuity is the central thesis of The Last Generation of the Roman Republic. Indeed one might go even further. The book implicitly challenged the very idea that the Republic suffered a crisis in its final decades. Just what, in fact, constituted a crisis? Scholars have discerned crises at different points in late Republican history. Christian Meier’s famous formulation of a “crisis without an alternative” provides a powerful image.22 And it correctly encapsulates the idea 15
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See Welwei 1996: 487–489, with the comments of Deininger 1998: 127 f.; Girardet 1996: 247–251. Deininger 1998: 130–136, by contrast, sees the window of opportunity for preventing the fall of the Republic as gradually closing in its final years. A valuable summary of the scholarship can be found in Walter 2009: 27–34. Cf. Jehne 2009: 142–145, who stresses that, wherever one stands on that spectrum, the question of how much longer the Republic could have endured in the circumstances in which it found itself needs to be confronted. Unfortunately, one can hardly establish such a time-table. See the balanced discussions of Walter 2009: 37–45, and Jehne 2009: 150–159. For Caesar and dignitas, see Raaflaub 1974: 149–152, 212–225; MorsteinMarx 2009b: 122–135. Cic. Att. 1,18, 6. Cic. Att. 2,1,8; 2,20,3; 2,24,4; 2,25,2; 4,6,1; 4,18,2; 4,19,1; Q. fr. 1,2,15; rep. 5,2. For other comparable statements, see references in Meier 1966: 1 n. I; cf. Gruen 1974: 503 n. 9. References in Gruen 1974: 503 n. 10. On Cicero’s De Legibus and its implications for his thoughts on the Republican “crisis,” see Jehne 2003: 379–396. Cf. Gotter 1996: 543–559; Girardet 1996: 225–233. Meier 1966: 201–205. See also Jehne 2009: 145–150.
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that Romans thought strictly in terms of a republican government and never considered options other than the traditional institutions of the state right to the end. But when exactly did the crisis come? And how does one identify a crisis when it is there? This is not the place to offer a general theory of what constitutes a crisis and how helpful the idea is for understanding the mentality of the late Republic.23 The introduction to Meier’s second edition of Res publica amissa avoids specification and postulates a general tension between particular developments and an extended process in which the “crisis without alternative” was only part of a larger crisis.24 The provocative concept leaves the matter unsettled.25 Some scholars, like Girardet and Botermann, have argued that alternatives did exist, even acknowledged by Cicero.26 This implies some serious consideration of alternative means of organizing government, even if none other was preferable to the Republic. For von Ungern-Sternberg, the crisis was one of legitimacy of the established order, which he considers as challenged by a whole series of events from the tribunate of Ti. Gracchus to Sulla’s march on Rome. But just wherein lay the “crisis” is not spelled out.27 The recognition and definition of crisis remain elusive.28 The recent provocative reassessment by Harriet Flower appears to locate the turning points at various intervals, whether with the introduction of the secret ballot, the battle of Arausio, Sulla’s march on Rome, the failure of the Sullan constitution, the formation of the “first triumvirate”, Pompey’s third triumph, or Pompey’s sole consulship.29 Is it helpful to multiply crises? The very term loses its force when one can identify dramatic change almost every decade. LGRR questioned the proposition that Romans of the late Republic operated within intermittent or continuing crisis or indeed felt themselves to be under the cloud of a looming disaster. If LGRR were to be rewritten now, would it look very different? Most certainly. A new version of that study would take a quite dissimilar form. It would probably be a lot shorter for a start. But there would be more important changes. The continuities would still be stressed. It is vital to understand what kept the Republic alive for centuries, and not just to analyze and re-analyze what killed it. On that score, I would hold fast to the basic motif of the book. And it is good to know that some scholars at least have taken up a similar approach. But a rather different work would emerge. A principle weakness of LGRR is that it focuses too much on political and constitutional structures and institutions. To be sure, the fact that the law courts still operated, the senate still met and made decisions, the assemblies were called and voted, the elections still returned men from the traditional leadership of the state, etc. all exhibited continuities that marked familiar functions in the last generation. But those institutions did not supply the principal glue that 23 24 25 26 27 28 29
On the limitations of “crisis” as a historical tool generally, see Starn 1971: 3–22. A critique of its use by certain historians of the late Republic may be found in Bruhns 2003: 370–377. Meier 1980: XLIII–LIII. See the doubts of Bruhns 2003: 373–376. Girardet 1996: 247–251; Botermann 1989: 410–430. UngernSternberg 1998: 612–624; UngernSternberg 2004: 89–109. Hölkeskamp 2009b: 7–11; Jehne 2009: 148–150. Flower 2010: 61–153; see, e. g., 74, 81–82, 90–92, 108, 135–138, 145, 147, 151.
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held Roman society together. For that one has to look elsewhere, to items that were not treated in LGRR. A second edition would consider matters like rituals, ceremonies, performances, and traditions, elements that have received increasing attention in recent decades, what we currently call political culture. My own work in the past two decades and more has been essentially in cultural history rather than political history, although it has been in areas largely outside the realm of the Roman Republic. A new version of LGRR would bring other items to the forefront, like triumphs, spectacles, festivals, monuments, funeral processions, and civic rituals of every form. The Roman elite held its place not just by presenting familiar names to the voters but through repeated reminders of their repute and of achievements gained across the generations by their ancestors whose deeds were repeatedly brought before the public. They could rely on what we nowadays designate as “symbolic capital”30. A sense of community and common purpose, even in times of fierce competition, dissent, differences, and turmoil, was fostered in this fashion. We have rightly been reminded that the city of Rome consisted of locations for religious pageantry, for public ceremonies, temples, and parade routes that comprised a form of social landscape. Such practices put civic solidarity on exhibit, while at the same time reinforcing the hierarchical character of Roman society. Important research along these lines in the past two decades has constituted significant advance in calling attention to the role of ludi and festivals on the Roman calendar, of funeral games and gladiatorial contests, which provided stages for communication between elite society and the lower orders. They advertised a sense of common interest in the state’s traditions and ideals and underscored the bonds that tied together the interests of the classes. At the same time, conspicuous features like separate seating for the upper levels of society in the theater reminded the public that hierarchy remained a built-in element even on occasions of joint celebration. The work of scholars like Karl Hölkeskamp and Egon Flaig has been instrumental in placing such matters in the center of scholarly consciousness.31 Collective morality, expressing itself in concepts like virtus, fides, existimatio, dignitas, and honos, was deeply aristocratic. The office-holding class, it is true, was no closed shop and certainly not a hereditary nobility.32 Nor did they claim exclusive monopoly. But they did possess critical advantage in their close association with the maiores and their deep engagement with the traditions of the res publica itself. And they reached beyond an inner circle. The public displays were also forms of communication. They functioned not only to preserve a stratified society but also to involve the citizenry as a whole in the system. A delicate balance prevailed in a state governed by an ascendant aristocracy but one that depended upon the concurrence and consent of the broader citizenry. The political ambitions of noble families meant repeated competition for office and prestige within their ranks. That compe30 31 32
Hölkeskamp 2006: 385–396 and 2010: 107–124. Flaig 1995: 100–127; Hölkeskamp 2006: 377–385; 2009b: 18–21 and 2010: 53–75, with valuable bibliography. Hopkins/Burton 1983: 31–119; Hölkeskamp 2010: 76–97.
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tition, however, also presumed an underlying, though unexpressed, consensus among the populace for traditional leadership and a commitment to collaboration for collective ends. The joint acknowledgment of complementarity softened the ferocity of political competition and held clashes among the elite within limits. Public rituals, traditions, and displays played a central role in cementing relationships between the classes and preserving the balance.33 To put this more pointedly, take a matter on which there has been a great deal of discussion in the past two decades. It addressed a fundamental question about the nature of Roman politics in the Republic. The debate was sparked off, as is well known, by a series of articles in the 1980s and a subsequent book by Fergus Millar. He argued powerfully and cogently that the populace was no mere passive instrument of the nobiles or of noble factions, no mere manipulated clients of wealthy patrons, but critical players on the public scene – in short, the sovereign body of the Roman Republic.34 The controversy on this topic, unfortunately, focused largely on Millar’s claim that Rome was really a “democracy”, something that few scholars were willing to swallow.35 And indeed it is a dubious claim. The vast majority of Roman citizens were effectively disenfranchised by not being in Rome. The structure of the comitia centuriata gave a decided advantage to those of higher socio-economic status. The number of those who could be accommodated in the comitia tributa was small, and smaller still was the number of those who, for various economic reasons, would have been able to attend at all. As Cicero once remarked, the tributa sometimes passed laws with as few as five persons representing certain tribes – and even they had to be imported from other tribes!36 The active and effective agents were not the Roman citizenry in general, but residents of the city. Moreover, the participants comprised only those who happened to be present or were induced to vote by men of influence and interested parties who could have an impact. This hardly constituted a meaningful exercise of the “popular will”. The debate on Rome as a democracy has happily died down, the concept no longer commands much support, and we can pass over it. Concentration on this issue, in any case, missed the main point. Millar’s real contribution was not to raise the matter of “democracy”. More importantly, he presented the political drama of the late Republic as one that played itself out primarily in the Forum, in the open air, as the Roman people listened to speeches, observed criminal trials, engaged in demonstrations, and gathered to make its wishes felt. The close-knit circumstances of the Forum, where trials, contiones, and legislative meetings took place gave immediacy, energy, and intimacy to the public events that occupied the Roman people. One thinks, for example, of the public interrogation of
33 34 35 36
Cf. Hölkeskamp 2006: 377–385 and 2010: 98–106; Beck 2009: 66–71. Millar 1984: 1–19; 1986: 1–11; 1995: 91–113 and 1998: pass. See, e. g., North 1990: 12–21; Mouritsen 2001: 1–17, 144–148; Hölkeskamp 2010: 12–22. A succinct summary of the scholarly controversy can be found in Jehne 2006: 14–20. Cic. Sest. 109.
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Pompey regarding his views of Clodius in 62/1, or the rapid distribution of Bibulus’ edicta in 59. The institution of the contio holds particular importance in this regard. The valuable work of Francisco Pina Polo and Henrik Mouritsen put it back in the scholarly spotlight.37 Informal gatherings of the populus in contiones allowed for exchange, expressions of opinion, differences of views, even intense, occasionally vehement, outbursts. That does not mean that they served as genuine vehicles for expressing the popular will. Contiones could only be summoned by magistrates, and those who spoke had to be recognized by the presider. They often appear to be staged events, with handpicked participants, rather than authentic platforms from which to voice a variety of opinions. Robert Morstein-Marx made that point forcefully and persuasively a few years ago.38 But this by no means exhausts the significance of contiones. A deeper meaning held in these meetings in the Forum. Contiones, as Egon Flaig rightly emphasized, reiterated in public, almost as ritual performance, a link between the elite and the plebs, a joint interest in the workings of the polity, providing some of the public display that advertised the solidarity of the community.39 One can make a comparable point with regard to the significance of clientelae in Roman society. This too, of course, has received much scholarly debate. And here too a new version of LGRR would look quite different. At the time of publication it reiterated the prevailing conception that elite individuals and groups could count on hereditary clients who would loyally support their political ambitions and advance their careers. The idea had already come under fire by Christian Meier who saw that this formula was far too simplistic and who pointed to a complex network of personal relationships with multiple and overlapping obligations, sometimes modifying or conflicting with others. This plurality of interests fostered connections but could also fragment them, and should certainly not be reduced to simple ongoing and unassailable relationships.40 The assault on the old view of clientela was conducted on an even wider front by Peter Brunt who endeavored essentially to eradicate the concept from the Roman political scene.41 More recent discussions have been a little less radical, but cast further doubt on the significance of clientage as a tool for understanding the play of politics in the late Republic.42 A new consensus now acknowledges that prominent figures and families did not depend for political success upon the consistent allegiance of clients who were, in fact, fragmented, fluid, and fleeting. But this does not diminish the importance of patron-client relations as a cohesive force, even if largely a symbolic force, in the fabric of Roman society. To discuss the effects of patronage only on the political scene improperly narrows its 37 38 39 40 41 42
Pina Polo 1996: pass.; Mouritsen 2001: 38–62. See also Hölkeskamp 1995: 25–35. MorsteinMarx 2004: 119–159. See also Pina Polo 1996: 34–64. Flaig 1995: 91–100; see also the paper by Egon Flaig in this volume. Meier 1966: 24–63. Brunt 1988: 382–442. Millar 1998: 7–9; Hölkeskamp 2010: 33–39.
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scope. The relationship needs to be understood in terms of moral responsibility and social interdependence. The exercise of patronage and protection in the courts remained vital. And the broad range of associations, disclosed in Cicero’s letters of recommendation, reached into a variety of social levels and involved mutual accommodations that stretched well beyond the stage of high politics. The idea that such ties became loosened in the late Republic cannot hold; patronage networks running between Republic and Principate persisted.43 The evidence of Dionysius of Halicarnassus, writing in the Augustan period, who sees the bonds of patron and client as fundamental to Roman society from the very beginning of the Republic, reinforces the connection.44 One might consider the most conspicuous manifestation of this bond: the salutatio, the morning ritual whereby lines of clients queued up every day at the doors of a powerful man.45 They did not come for a handout, not even to request a favor. Nor did they necessarily engage in any activity in particular. They were just there. The act was largely a symbolic one, to lend authority and prestige to the aristocrat – and, in turn, to advertise the retainers’ access to him. The institution gained reinforcement by the crowds of attendants who accompanied politicians in the streets when they were canvassing for office or promoting public measures. As Q. Cicero says to M. Cicero in the Commentariolum petitionis, “see to it that both the number of your friends and their social diversity are made visible, that the publicani, equites, the men you have defended in court, the youths you have tutored in oratory, are all around you, and that a daily crowd of friends is in constant attendance.”46 Many, perhaps most, of those attendants might never vote for the candidate or for his legislative bills. The requirement of the secret ballot would make it impossible to tell. But that did not matter. The symbolic act itself, repeated with regularity, not only publicized the prestige of the patron, it signified the mutual benefits of the powerful and the dependent that integrated their places in society and that promoted the stability of the system. Topics such as these would gain prominence in a subsequent version of LGRR. But the task must be left, if it is to be done at all, to another author. All that said, however, a fundamental question still needs to be asked. If there was so much continuity, coherence, and consensus in the late Republic, what caused it to come crashing down? The answer offered in LGRR and often quoted since – not always in agreement – was that civil war caused the fall of the Republic, and not vice-versa. That is, the Republic was no mere empty shell ripe for toppling, just awaiting a final push for the collapse. It had, in fact, shown remarkable resiliency. Even after what seemed a devastating civil war in the 80s between Sullans and 43 44 45 46
Saller 1982: 7–78. Dion. Hal. 2,10,1–4. Cf. Beck 2009: 53 f. Q.Cic. pet. 3: deinde ut amicorum et multitudo et genera appareant. habes enim ea quae non multi homines novi habuerunt, omnis publicanos, totum fere equestrem ordinem, multa propria municipia, multos abs te defensos homines cuiusque ordinis, aliquot collegia, praeterea studio dicendi conciliatos plurimos adulescentulos, cotidianam amicorum assiduitatem et frequentiam.
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Marians, the res publica had rebounded. The reforms instituted by Sulla brought back stability, revived traditional practices, and, at least in large measure, endured for another generation. But that raises another obvious question. If the Republic survived in good health after the civil war of the 80s, why did it not do so after the contest of Caesar and Pompey? LGRR offered the explanation that the difference between those two struggles was vast – in extent, scale, and duration. The second contest did not engage Italy alone in the clash of mighty armies, but the resources and personnel of far-flung provinces, transforming a political battle into a Mediterranean war. It involved the dependents and beneficiaries of leading nobiles from Africa, Spain, Gaul, and the East. Their participation lent a massiveness and destructiveness that rendered the old order irrecoverable. That was the best answer that I could produce at the time. It must be said, however, that that answer no longer seems fully satisfactory. Second thoughts have materialized in the interim. The Republic certainly did not perish through sheer accident or a last minute surprise. A background existed that needs to be taken into account. And one circumstance in particular deserves special emphasis: the Social War, from 91 to 88 BCE, the momentous uprising by Italian cities and peoples against Rome. That clash proved to be a searing conflict, in many ways unlike any that Romans had ever experienced in their history. Diodorus Siculus, in whose lifetime this contest occurred, strikingly characterized it as a war greater than all its predecessors.47 This is not the time or the place to go into the causes of the Social War. Motives doubtless diverged among classes, groups, and communities, exacerbated by various events in the preceding years. For many scholars the Italians coveted Roman citizenship to gain a footing of equality for social and economic advantage or, more basically, for self-esteem earned by generations of collaboration with Romans but systematically denied, most dramatically in 91 when an effort to extend the franchise failed and its proposer was assassinated. For others the uprising represented not so much desire to become Roman citizens as to seek independence or separatism, growing out of a fierce hostility to Rome itself, as exhibited by the ferocity of the upheaval.48 Our sources indicate that the conflagration encompassed the Marsi, the Paeligni, the Vestini, the Marrucini, the Picentines, the Frentani, the Hirpini, the Venusini, the Campanians, the Apulians, the Lucanians, and, most ominously, the Samnites – in short, the major part of central Italy, the Apennine regions, and the coast of the Adriatic.49 According to Appian, all of these Italian nations had been hostile to Rome for some time; it was not a spur of the moment uprising.50
47 48 49 50
Diod. 37,2,1. On Italian motives in the Social War, see Gabba 1954: 41–114; Brunt 1965: 90–109; Sher winWhite 1973: 134–149; Keaveney 1987: 117–130; Mouritsen 1998: 137–151; Pobjoy 2000; Dench 2005: 117–131. App. civ. 1,39,175; Diod. 37,2,4; Liv. per. 72. App. civ. 1,39,175.
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On any reckoning, the disaffected socii generated a formidable rebellion indeed. And it could have been still more widespread. Etruscans and Umbrians largely stayed out of the fighting, but there was discontent and resistance there as well, requiring Roman measures to prevent outright rebellion.51 Bitter resentment manifested itself in the murder of a Roman praetor and his entourage in Asculum, followed by wholesale massacre of all Romans in the city, an event that helped to trigger the entire war.52 The battles that followed for more than two years claimed substantial numbers of casualties on both sides. Figures supplied by our sources are undoubtedly exaggerated for dramatic effect. One will not readily believe that the Italians mobilized 100,000 men right at the outset of the revolt, that they slew 2000 in one battle, 4000 in another, that a Roman consul lost most of his army of 30,000 infantry and 5000 cavalry, that he subsequently slaughtered 8000 of the enemy, or that 6000 of the Marsi were cut down in a single day – although we can well believe Appian’s comment that the Marsi raged like wild beasts as a consequence. The numbers mounted when Sulla took command in the south, killing 23,000 men in Nola, and 15,000 more fell at the hands of another Roman praetor.53 Whether or not one puts much credit in the figures, they reflect a savagery and ferociousness that must have taken a very heavy toll on manpower and mentality. In this bloody and traumatic contest Romans found themselves pitted against men who were trained and equipped like themselves, long-standing partners in joint enterprises and joint (even if unequal) rewards.54 The shattering of that partnership had serious consequences. The Romans ultimately beat down the rebellion. But their victory was facilitated by a significant concession. Late in the year 90 the assembly promulgated a consular law that offered Roman citizenship to all Italians who had not taken up arms or who had already laid them down.55 That offer began to turn the tide. But it is noteworthy that it did not halt the fighting, some of the most brutal of which was yet to come in 89. And certain peoples, like the Lucanians and Samnites, fought on with undiminished fervor well after Roman franchise had been accepted by others.56 Whatever the motives for rebellion or the reasons for capitulation, however, it is the effects that need to be emphasized. The contest brought anguish and agony, its consequences of monumental proportions. It subverted an alliance system painstakingly built up for centuries, and it undermined a collaboration that had been instrumental in extending Roman authority throughout the Mediterranean. In the aftermath, the Italians gained what many had sought: the bestowal of Roman citizenship everywhere south of the Po. But that plainly did not eradicate all of the bitterness and animosity. Nor did extension of the franchise bring automatic unification 51 52 53 54 55 56
App. civ. 1,49,211; 1,50,216; Liv. per. 74; Flor. 2,6,11; Oros. hist. 5,18,7. App. civ. 1,38,170–174; Liv. per. 72; Vell. 2,15,1. App. civ. 1,39–42; 1,46; 1,48; 1,50; 1,52. Salmon 1967: 345–370 does not question the figures. Cf. Diod. 37,22. Cic. Balb. 21; Vell. 2,16,4; App. civ. 1,49,212. Cf. App. civ. 1,53,231.
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of Italy. The upper classes in the municipalities may have benefited. Others did not enjoy a comparable advantage. There was no immediate or enthusiastic welcoming of the new order. The wounds of that fateful conflict failed to heal for well over a generation. What requires stress here is that the internal violence that gripped Italy in the Social War, the first real and mighty civil war, left a harsh legacy. Not that it should be seen as spawning one civil conflict after the next, a series of destructive episodes that led eventually to the ruin of the Republic. That was not the case. What the Social War did was to make it easier for Romans to resort to similar vehemence against fellow Romans, as they had against fellow Italians. It brought ready recourse to violence in the conflicts between Marians and Sullans, in the disputes over Sulla’s assignations and colonies, in the discontents exploited by Catiline, and in the final break between Caesarians and Pompeians. The repercussions of the Social War do not themselves account for the fall of the Republic. But they markedly intensified the passion and facilitated the recourse to destructiveness that ultimately made that fall possible, and they helped to unravel those threads of continuity that had marked the last generation of the Roman Republic. Friedrich Münzer never delivered an explicit pronouncement on what caused the fall of the Republic. That represents wise and prudent restraint by one who was so careful and meticulous a historian. But Münzer’s painstaking dissection of Roman politics, even if we question his approach and challenge his conclusions, remains an indispensable part of the thinking of any serious scholar of the late Republic. And I take pride in honoring his contribution to our subject.
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Friedrich Münzer
Kleine Schriften
herausgegeben von Matthias Haake und Ann-Cathrin Harders
Vor 70 Jahren, am 20. Oktober 1942, verstarb der Althistoriker Friedrich Münzer im Lager Theresienstadt. Friedrich Münzer ist vor allem für zwei große Arbeitsleistungen bekannt: seine über 5000 Personenartikel in der Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft, die bis heute eine unverzichtbare Grundlage für die Beschäftigung mit der römischen Republik darstellen, und die auf diesen prosopographischen Studien basierende Monographie Römische Adelsparteien und Adelsfamilien. Mit der Zusammenstellung der ‚Kleinen Schriften‘ soll nicht nur an einen der wichtigsten deutschen Althistoriker der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erinnert, sondern auch seine weniger bekannten, nichtsdestotrotz jedoch wichtigen Studien zur römischen Geschichte und lateinischen Literatur, insbesondere zur Historiographie wieder vergegenwärtigt werden. Ein Beitrag zu Werk und Wirkung Friedrich Münzers von Karl-Joachim Hölkeskamp eröffnet den Band.
XLVI, 578 Seiten mit Frontispiz. 978-3-515-10127-1 gebunden
Hier bestellen: www.steiner-verlag.de
Die prosopographischen Arbeiten des Althistorikers Friedrich Münzer bilden bis heute ein unerlässliches Fundament für die Erforschung der Römischen Republik. Seinem Andenken ist dieser Band gewidmet, in dem die Frage nach dem Erfolg und dem Niedergang der res publica neu gestellt wird. Der Fokus liegt dabei auf zwei Aspekten, die sich in der Forschungsdiskussion der letzten Jahre als entscheidend für das Verständnis des römischen Gemeinwesens herausgestellt haben: die politische Kultur sowie die soziale Struktur. Die Autorinnen und Autoren analysieren in ihren Beiträgen, wie die Wechselwirkungen von
komplexen Sozialbeziehungen einerseits und vielschichtigen Dimensionen politischen Handelns andererseits eine Ordnung generierten, die alle Bereiche des Lebens im antiken Rom nachhaltig prägte. Dazu gehörten beispielsweise Religion, Wirtschaft, die urbane Form der Stadt, Familienstrukturen, der Auftritt der Aristokraten vor dem Volk sowie Formen der politischen Entscheidungsfindung. Dadurch entstanden gesellschaftliche Kohäsion, Gehorsam und Handlungsfähigkeit; Verschiebungen in diesem Gefüge zogen aber entsprechende Erosionen nach sich und führten zum Scheitern der Republik.
www.steiner-verlag.de Franz Steiner Verlag
ISBN 978-3-515-11598-8