Vergleichende Physiologie der Tiere: Band 2 Bewegung und Reizerscheinungen 9783111363370, 9783111006192


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German Pages 148 [162] Year 1950

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A. Einleitung
B. Bewegung
C. Reizerscheinungen
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A. Geisteswissenschaften
B. Naturwissenschaften und Technik
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Vergleichende Physiologie der Tiere: Band 2 Bewegung und Reizerscheinungen
 9783111363370, 9783111006192

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SAMMLUNG GÖSCHEN BAND 973

VERGLEICHENDE PHYSIOLOGIE DER TIERE Von Dr.

K o n r a d

H e r t e r

o. Professor f ü r Zoologie an der H u m b o l d t - U n i v e r s i t ä t zu Berlin

Dritte

Auflage

der

„Tierphysiologie" II

Bewegung

und

Mit

110

Wa l t e r

Reizerscheinungen

Abbildungen

de G r u y t e r

Sc

Co.

vormals G. J . Göschen'sche Verlagshandlung - J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung Georg R e i m e r - K a r l J . T r ü b n e r - V e i t 8c C o m p . Berlin

1950

AlleRechte, i n s b e s o n d e r e das U b e r s e t z u n g s r e c h t , Von d e r V e r l a g s h a n d l u n g v o r b e h a l t e n

Ardiiv-Nr. Drui;k: Bonner

110 973

Universitäts-Buchdruckerei Printed

in

Gebr.

Germany

Sdieur

G.m.b.H.,

Bonn

5 A. Einleitung Grundeigenschaften der lebenden organischen Substanz sind: Stoff- und Energiewechsel, Bewegungsfähigkeit und Reizbarkeit. Die Physiologie des Stoff- und Energiewechsels der Tiere wurde im I. Teil dieses Buches behandelt*). Bewegungsfähigkeit und Reizbarkeit sind Eigenschaften der Organismen, die im allgemeinen eng miteinander zusammenhängen, da in den meisten Fällen Bewegungen als Reaktionen auf Reize auftreten. R e i z e sind physikalisch-chemische Vorgänge, die den Stoff- und Energiewechsel in bestimmter Weise verändern, was durch besondere Tätigkeiten des Organismus, die man R e a k t i o n e n nennt, zum Ausdruck kommt. Theoretisch kann jeder physikalische oder chemische Prozeß, der dem Organismus Energie zuführt oder entzieht, und dadurch die „energetische Situation" verändert, als Reiz wirken. Je nachdem, ob ein Reiz von außen einwirkt oder ob er durch Zustandsänderungen im Innern des Organismus entsteht, bezeichnet man ihn als äußeren oder als inneren Reiz. Die Zustandsänderung, die ein Reiz in der lebenden Substanz hervorruft, ist die E r r e g u n g . Was Erregung ist, welche Stoffwechselvorgänge ihr zugrunde liegen, ist unbekannt. Da die Energiemenge, die zum Zustandekommen der Reaktion nötig ist, nicht von dem Reiz geliefert wird, braucht die Stärke der Reaktion zu der des Reizes in keinem bestimmten Verhältnis zu stehen. Der Vorgang, der sich bei der Reizung im Plasma abspielt, ist ein Auslösungsvorgang. Die • Erregung ist der Impuls für die Auslösung der Reaktion. Die Erregung selbst ist kein elektrisches Phänomen, jedoch ist sie, wie die meisten Stoffwediselprozesse, von elektrischen Vorgängen begleitet. (Bei Erregung entstehen Aktionsströme, s. Teil I, S. 142.) "Wahrscheinlich besteht die Erregung in einer diemischen Veränderung der organischen Substanz (s. S. 23). ' ) H e r t e r , K . : Vergleichende Physiologie der T i e r e . 3. Auflage. 1. S t o f f - und Energiewechsel. Sammlung Göschen N r . 972. 1950.

6

Einleitung

Eine besondere Eigenschaft der Erregung ist, sich im Plasma (meist wellenförmig) auszubreiten, wobei sie von dem Reizort zu den Stellen, an denen die Reaktion stattfindet, fließt. Es findet also eine E r r e g u n g s l e i t u n g statt, deren Geschwindigkeit (s. S. 23 u. 25) temperaturabhängig ist, was für die chemische N a t u r des Erregungsvorganges spricht. Die R e a k t i o n kann in sehr verschiedenen Stoffwechselvorgängen bestehen: in Bewegung, Sekretion, Wachstum, Erzeugung von Elektrizität, Wärme oder Licht. Der Gesamtvorgang bei der Reizung eines Organismus läßt sich demnach in d r e i Phasen auflösen: 1. Primärer Reizerfolg = Erregung; 2. Sekundärer Reizerfolg = Erregungsleitung und 3. Tertiärer Reizerfolg - - Reaktion. D a die Reizbarkeit eine Grundeigenschaft der organischen Substanz ist, ist sie an keine bestimmten Strukturen gebunden und es gibt Tiere, die an allen Körperstellen reizbar sind und bei denen auch die Reaktionen an allen Körperstellen stattfinden können (z. B. Amöben). Bei den meisten Tieren jedoch hat sich eine Arbeitsteilung herausgebildet, die bedingt, daß die drei Phasen des Reizvorganges nur an bestimmten differenzierten Körperstellen ablaufen. Die Stellen, die durch den Reiz zunächst in Erregung versetzt werden, die den Reiz aufnehmen, sind die A u f n a h m e o r g a n e , R e z e p t o r e n oder S i n n e s o r g a n e oder -organellen (bei Einzellern). Von ihnen aus wird die Erregung auf besonderen L e i t u n g s b a h n e n , die bei den Metazoen durch die N e r v e n dargestellt werden, zu den E r f o l g s O r g a n e n (oder -organellen), den E f f e k t o r e n , geführt, wo sie eine Reaktion auslöst. Die Reaktion kann in der Betätigung von Muskeln, Drüsen, Leuchtorganen und entsprechenden Bildungen bestehen. D a m i t ein Reiz wirksam wird, d. h. eine Reaktion hervorruft, 'ist es nötig, daß er eine gewisse I n t e n s i t ä t hat, er muß seinen S c h w e l l e n w e r t erreichen. Es können jedoch auch schwächere — unterschwellige — Reize, die für sich allein unwirksam sind, zu einer Reaktion führen, wenn sie mehrmals hintereinander wirken (Reizsummation).

Plasmabewegung

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Die R e a k t i o n e n k ö n n e n mannigfaltiger A r t sein. O b e r die P r o d u k t i o n v o n W ä r m e , E l e k t r i z i t ä t u n d Licht w u r d e schon im I. Teil (auf S. 135 ff.) gesprochen. Von der Bewegung, der Energieform, die bei den Tieren besonders in die Augen fällt, soll im folgenden Kapitel die Rede sein:

B. Bewegung Man unterscheidet drei A r t e n : I.

Plasmabewegung

Das flüssige oder, halbfeste Plasma bewegt sich in der Zelle, die ihre Gestalt nicht v e r ä n d e r t , wodurch Kreisströme (Rotationsbewegung)- entstehen, die Durchmischung des Zellinhaltes b e w i r k e n ; oder aber durch Ä n d e r u n g e n der O b e r flächenspannung und Quellung sowie E n t q u e l l u n g der Kolloide (s. Teil I, S. 15) schiebt sich das Plasma in Form von

Abb.

1.

Amöboide Bewegung. a : Kriechen einer Limaxamöbe d u r d i „Fontänenströmung". b: „Schreiten" von Amoeba Proteus, c: „ R o l l e n " vor Amoeba verrucosa. Gestricheitc Pfeile: Richtungen der Plasmaströmurgen. Ausgezogene Pfeile: Fortbev/egungsrichtungcn. (In Anlehnung an \erschicdene Autoren).

Scheinfüßchen oder Pseudopodien an gewissen Stellen der Zelle vor. Diese sogenannte a m ö b o i d e Bewegung k o m m t bei R h i z o p o d e n (z. B. Amöben), den Keimzellen mancher Cölenteraten (z. B. Eier von Hydra) und den

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Bewegung

Wanderzellen (z. B. Leukocyten) vieler Tiere vor. Die einfachste Art ist die Bildung eines großen, lappenförmigen Pseudopodiums am physiologischen Vorderende durch sogenannte Fontänenströmung, bei der das oberflächliche flüssige Plasma an der Peripherie der Zelle nach hinten strömt, von wo es in einem axialen Vorstrom aach vorn fließt. Die ganze Zelle bewegt sich in Richtung des Pseudopodiums fort. Diese Bewegungsart ist für manche Amöben, z. B. für die sogenannten Limaxamöben (Abb. 1 a), typisch. Bei anderen, z. B. bei Amoeba proteus und Difflugia, kommt eine Art Schreiten auf den Pseudopodien vor (Abb. 1 b). Wieder andere Formen bewegen sich rollend oder wälzend vorwärts (Abb. 1 c). Bei einer anderen Art der Plasmabe'wegung, der A x o p o d i e n b e w e g u n g , die man bei Radiolarien und Foraminiferen beobachtet, werden fadenförmige Pseudopodien gebildet, die im Innern einen elastischen Achsenstab aus festerem Plasma (Stereoplasma) und außen eine kontraktile Hüllschicht (Rheoplasma) haben. Die Pseudopodien, die jederzeit wieder eingeschmolzen werden können, vermögen bei einigen Formen pendelnde Bewegungen auszuführen.

II.

Flimmerbewegung

Sie ist an bestimmte Strukturen, die relativ kurzen Wimpern = Cilien, die zu mehreren oder vielen an einer Zelle stehen, und die langen Geißeln Flagellen gebunden. Sie kommt bei vielen Protozoen (Ciliaten und Flagellaten) und niederen Metazoen (z. B. Turbellarien und Ctenophoren), sowie Larvenformen (z. B. Trochophora, Miracidien) als Fortbewegungsmittel vor. Bei den meisten Metazoen (Ausnahme Insekten) dient sie zum Transport von Massen in Hohlorganen (Kiemenkorb, Darm, Trachea, Nephridien, Gonoducte usw.) Ferner bewegen sich die meisten Spermatozoen durch Flimmerschlag. Die Flimmerzellen können eine oder mehrere Flimmern haben, die aus einem elastischen Achsenstab und einer kon-

Flimmerbewegung

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traktilen Plasmahülle (Kinoplasma) bestehen. Am Grunde der Flimmern liegen Basalkörner, von denen aus oft lange „Wurzelkegel" in das Innere der Zelle ziehen (Abb. 2). Die Tätigkeit der Flimmern besteht in einem Schwingen, das in einer Ebene (stets bei den Cilien), einem Kegelmantel, einer Peitschenfigur oder einer Spirale erfolgen kann. Man unterscheidet eine äußerst schnell erfolgende wirksame Phase, die „Beugung" oder den „aktiven Schlag", bei der die Flimmer starr ist (Abb. 2 a), und die relativ langsame, unwirksame Phase, die „Streckung" oder den „passiven Schlag", bei der sie Sdiema einer Flimsich so biegt, daß sie den geringsten Wi- " w e n " , b': beim derstand bietet (Abb. 2 b). Die Dauer des »passiven" Schlag, aktiven Schlages zu der des passiven verhält sich beim Froschrachenepithel wie 1 : 5 und bei Paramaecium wie 1 : 2 bis 3. Die Dauer einer ganzen Schwingung ist sehr verschieden nach Tierart und Organ und hängt auch von der Temperatur ab. Meist beträgt sie weniger als 1 Sekunde. Audi die Schlaghäufigkeit pro Sekunde ist sehr wechselnd (z.B. bei Euglena 1,43, beim Froschrachenepithel bei + 25° C 12,5). Meist liegen die Bedingungen für das Schlagen der Flimmern in diesen selbst, sind also unabhängig vom Nervensystem. Die Flimmerbewegung erfolgt autonom und automatisch. Die Flimmern eines abgelösten Epithelstücks schlagen weiter, ja sie tun dies auch noch nach Zerstörung der Zelle. Im Epithelverband schlagen die Flimmern der aneinandergrenzenden Zellen in gleicher Richtung und nacheinander (metachron). Die Erregung wird von Zelle zu Zelle weitergeleitet, weswegen die Koordination der Bewegung nach Zerstörung des Verbandes aufhört. Bei einigen Tieren (Ctenophoren, einigen Turbellarien und Larven) wird der Flimmerschlag durch zentrale Impulse reguliert, die wohl meist zeitliche und partielle Hemmungen der Bewegung veranlassen. Ähnlich ist es bei Parnrnatcinm, bei dem je nach der äußeren

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Bewegung

Reizsituation die Cilien vorwärts oder rückwärts schlagen oder auch stillstehen können. Isolierte Cilien schlagen jedoch hemmungslos. Zuweilen vereinigen sich viele Flimmern zu schwingenden Platten, Membranellen (Peristomwimpern von Ciliaten, Ruderplättchen der Ctenophoren), oder eine lange Geißel steht durch eine zarte H a u t , eine undulierende Membran, mit dem Zellkörper in Verbindung (7.. B. Trypanosomen, manche Spermatozoen). III.

Muskelbewegung

Die morphologische Grundlage der Muskelbewegung ist die M u s k e i f i b r i l l e , eine fadenförmige Plasmadifferenzierung, die die Fähigkeit des Plasmas, sich zu kontrahieren, in ganz besonders starkem M a ß e besitzt. Derartige Bildungen kommen schon bei Protozoen vor. In den kontraktilen Stielen der Vorticellen liegen sogenannte M y o i d e oder M y o n e m e, fibrilläre Strukturen, die sich bei der Zusammenziehung in Spiralen legen. "Wahrscheinlich sind die Fibrillen statisch-elastische Elemente und die K o n t r a k t i o n w i r d von der sie umgebenden Plasmahülle ausgeführt. Bei den Metazoen liegen die Muskel- oder Myofibrillen parallel nebeneinander in dem Plasma (Sarkoplasma) von Zellen, die, wenn sie einkernig sind, Muskelzellen, wenn sie mehrkernig sind, Muskelfasern genannt werden. Die Fasern, die von einer zarten H a u t , dem Sarkolemm, umgeben sind, können Längen von mehreren Zentimetern erreichen. Viele Muskelzellen oder -fasern, die zu Faserbündeln zusammengefaßt sind, bilden den Muskel (Abbildung 3). M a n unterscheidet nach der Beschaffenheit der Fibrillen platte und quergestreifte Muskeln. Bei beiden ist die kontraktile Substanz doppelbrechend. Die g l a t t e n Fib r i l l e n sind in ihrer ganzen Länge gleichmäßig doppelbrechend, so daß man einen gleichmäßigen submikroskopischen Bau in ihnen annehmen kann. Vielleicht liegen kontraktile Mizellen (Myosinmoleküle) in gleichmäßiger Verteilung in einer Intermizellarsubstanz (s. Abb. 8). Die querges t r e i f t e n F i b r i l l e n (Abb. 3) sind in viele Segmente (Myocommata) geteilt, die durch „Zwischenscheiben" vonein-

Muskelbewegung

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Abb. 3. Bau des quergestreiften Säugermuskels, a: Einzelne Muskelfaser (geschwärzter Teil aus b mit PfeiJ). b: Aus Faserbündeln zusammengesetzter Muskel. (Nach von Lengerken.) E = motorische Endplatte, F = Myofibrille, K Kerne, N = Nerv, S = Sarkolemjn.

a ander getrennt sind. Jedes Segment besteht aus einer anisotropen stark lichtbrechenden Schicht, die zwischen je einer isotropen schwach lichtbrechenden liegt. Die einzelnen Fibrillenschichten in jeder Muskelfaser liegen in einer Ebene. Im allgemeinen scheinen nur die anisotropen Schichten — die „Verkürzungsorte" — kontraktil zu sein. Bei der Kontraktion wird jedes Segment und damit der ganze Muskel kürzer und dicker. Dieses beruht auf Formveränderungen der Myosinmoleküle, wie neuere röntgenspektroskopische Untersuchungen zeigten. Die bei der Muskelkontraktion ablaufenden energieliefernden chemischen Prozesse sind noch nicht ganz aufgeklärt. Da die Verkürzung in Stickstoffatmosphäre stattfinden kann, wobei mechanische Arbeit geleistet und Wärme (Initialwärme) gebildet wird, muß es sich in der Arbeitspläne des Muskels um anoxydative Vorgänge handeln. Bei den Wirbeltieren wird dabei Adenosin-Triphosphorsäure in Adenilsäure und Phosphorsäure und Kreatinphosphorsäure (Phosphagen) in Kreatin und Phosphorsäure verwandelt. Die energieliefernden Ausgangsstoffe müssen immer wieder aus den Spaltprodukten aufgebaut werden, da ihr Bestand nicht abnimmt. Die für diesenWiederaufbau nötige Energie bezieht der Muskel höchst wahrscheinlich aus der Verwandlung von Glykogen (n [C 6 H 1 2 OB]) in Milchsäure (C3H0O3). Diese Umsetzung erfolgt auf Um-

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Bewegung

wegen über (z. T. noch unbekannte) Zwischenstufen, unter denen die Zucker-Phosphorsäure-Ester (Hexosephosphorsäuren) als Vorstufen der Milchsäurebildung („Lactacidogen") von Bedeutung sind. Sie zerfallen in Milchsäure und Phosphorsäure, aus der wieder Hexosephosphorsäure-Ester entstehen. Diese „Phosphorylierung" wird durch das Hormon Cortin aus der Nebennierenrinde (s. Teil I, S. 123) geregelt. Der quergestreifte Wirbeltiermuskel kann ohne 0 2 - Z u f u h r nur ganz kurze Zeit arbeiten; er ermüdet schnell und erholt sidi auch nicht wieder in der Ruhe. Dies liegt daran, daß zur Erholung während der Ruhe 1 / e bis 1 / 4 der Milchsäure zu C 0 2 und H 2 0 verbrannt werden muß, wozu 0 2 nötig ist. Die hierbei frei werdende Energie wird dazu verwendet, die übrige Milchsäure wieder zu Glykogen aufzubauen. Auch hierbei wird Wärme (Erholungswärme) erzeugt. Ober die entsprechenden Vorgänge bei Wirbellosen ist noch weniger bekannt; anstatt der Kreatinphosphorsäure kann bei ihnen Argininphosphor$äure verwendet werden. Die in den glatten Muskeln ablaufenden Prozesse sind noch weitgehend unerforscht. Z. T . scheinen sie sich ganz ohne Energieverbrauch zu vollziehen. Die Muskelsubstanz des Mensdien bestehe aus u n g e f ä h r 75°/o H 2 0 . 20°/o Eiweißstoffen (Myosin in den Fibrillen und Myogen im Sarkoplasma), l°/o A b b a u s t o f f e n , wie K r e a t i n , Mildisäure, H a r n s t o f f u. a., l°/o Kohlehydrate (hauptsächlich Glykogen), 1 % Fette und Lipoide und l,5°/o anorganisdie Salze.

Im allgemeinen arbeiten die quergestreiften Muskeln viel schneller als die glatten. Sie kommen daher meist bei schnell beweglichen Tieren (z.B. bei Arthropoden und bei Wirbeltieren als Skelettmuskeln) und bei schnell arbeitenden Organen anderer Tiere (z. B. in den Ringmuskeln der Medusen, den Schließmuskeln von Pecten, den Körpermuskeln von Sagitta, den Herzmuskeln usw.) vor. Glatte Muskeln findet man dagegen vorwiegend bei langsam beweglichen Wirbellosen und in träge arbeitenden Organen (z. B. Darm, Harnblase, Uterus, Gefäßwände usw.). Bei den Wirbeltieren kann man nach dem Gehalt an nicht zu Fibrillen differenziertem Plasma (Sarkoplasma) zwei Arten von quergestreiften Muskeln unterscheiden. Die sarkoplasmareichen roten Muskeln, die langsam, aber aus-

Muskelbewegung

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dauernd wirken und daher f ü r Dauerleistungen (z. B. Flugmuskeln gut fliegender Vögel) verwendet werden; und die plasmaarmen- (fibrillenreichen) blassen Muskeln, die schnell, aber wenig anhaltend, arbeiten. Man findet sie in Organen, die kurzfristige, schnelle Arbeiten leisten, wie in den Flattermuskeln schlechter Flieger (z. B. Hühner). Muskelkontraktion erfolgt nur auf R e i z u n g hin, and zwar f ü r gewöhnlich durch Impulse, die vom Nervensystem durch motorische Bahnen den Muskeln zufließen. Der Nerv tritt mit dem Muskel durch die m o t o r i s c h e n Endp l a t t e n (Abb. 3) in Verbindung, kleinen linsenförmigen Körpern unter dem Sarkolemm. Die Endplatten sind selbständige Organe, in denen die Erregungsleitung verzögert wird. Sie lassen sich durch Curarin, den wirksamen Bestandteil des indianischen Pfeilgiftes Curare (eines Pflanzenalkaloids), vorübergehend ausschalten, so daß die Erregung nicht von den Nerven auf den Muskel übergehen kann. Man nimmt an, daß die Endplatten durch die Nervenerregung zur Produktion eines elektrischen Stromes veranlaßt werden, der seinerseits die Muskelfaser erregt; oder, daß sie einen Reizstoff, das A c e t y l c h o l i n , den Essigsäureester des (CH 3 ) 3 < CH2 . N \ Chol ¡ n s I I OH I hervorbringen, der dies besorgt. [ CH2O . CO • C H J Der Muskel besitzt aber auch die Fähigkeit, auf Reize, die ihn d i r e k t treffen, durch Kontraktion zu antworten. Solche Reize können mechanisch (z. B. Kneifen oder Schlagen), chemisch (z. B. Säuren, Alkalien, Salze), thermisch oder elektrisch sein. Die elektrische Reizung ist für die experimentelle Nerv-Muskelphysiologie besonders wichtig, da sie leicht dosierbar ist und den Muskel nicht schädigt. Z u r Erforschung u n d Demonstration der Muskeltätigkeit bedient man sidi vielfadi des N e r v m u s k e l p r ä p a r a t s . Der Muskel (z. B. der M . gastrocnemius von Rana) wird mit seinem N e r v e n ( N . isdiiadicus) auspräpariert (Abb. 4 a), an einem Stativ befestigt u n d mit einem belasteten Sdireibhebel verbunden (Abb. 4 b), dessen Spitze auf der be-

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Bewegung

rußten rotierenden T r o m m e l eines K y m o g r a p h i o n s schreibt. Die Reizung (mit Elektroden) k a n n indirekt über den N e r v e n (Abb. 4 b) oder direkt am Muskel erfolgen.

Abb. 4. a: P r ä p a r a t i o n des Musculus gastrocnemius und des N e r v u s ischiadicus von Rana. b: N e r v e n m u s k e l p r ä p a r a t von Rana an einem Schreibhebel m o n t i e r t . Indirekte elektrische Reizung. (Nach H e r t e r.)

Ein einzelner überschwelliger kurz dauernder Reiz (z. B. ein Înduktionsschlag), der den Muskel t r i f f t , löst eine plötzliche Kontraktion — eine „Zuckung" — aus, bei der man Abb. 5. Kurve der Emzeizuckung eines M u s kels. M — Muskelschreib linie, R = Reizschreibung, a — b : L a tenzphase, b—c: Kontraktionsphase, c—d : Ex p ans i ons phase, d — e : elastische Nachsdiwankung

drei Phasen unterscheidet: 1. die Latenzphase (die Zeit zwischen dem Reizmoment und dem Beginn der Kontraktion), 2. die Kontraktionsphase und 3. die Expansionsphase. Die graphische "Wiedergabe einer solchen Zuckung (ein Myogramm) zeigt Abb. 5. Die Dauer der Zuckung und ihrer Phasen ist

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Muskelbewegung

nach Tier- und Muskelart sehr verschieden, wie folgende Beispiele zeigen: J Rann, \Musca, quergeslr.l Rana, .quergestr. Muskel T h o r a x m u s k e l glatter Muskel Latenzphase Kontraktionsphase Expansionsphase

0,008 Sek. 0,050 „ 0.075 „

0,0001 Sek. 0,0015 „ 0.0015 „

5 Sek. 15 „ 75 „

Ganze Zuckung

0,133 Sek.

0,0031 Sek.

95 Sek.

Bei Erhöhung der Reizintensität nimmt das Ausmaß der K o n t r a k t i o n bis zu einer gewissen Reizgröße, dem „maximalen Reiz", zu. Stärkere Reize vergrößern die K o n t r a k t i o n nicht mehr. Folgen mehrere maximale Reize so schnell a u f einander, d a ß der zweite Reiz den Muskel t r i f f t , bevor er

Abb. 6 K u r v e n von Dauerverkürzungen eines Muskels. a : unvollkommener, b: vollkommener T e t a nus. M — Muskelschreiblinie, R — Reizschreibung.

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wieder erschlafft ist, so summieren sich ihre Wirkungen, und die K o n t r a k t i o n wird stärker. Bei einer Reizfolge, die dem Muskel zwischen den einzelnen Impulsen eine kurze Erschlaffung gestattet, erhält man eine Dauerverkürzung, einen T e t a n u s , dessen K u r v e gezackt ist (unvollkommener T e tanus), w ä h r e n d eine schnellere Folge, die dies nicht erlaubt, eine glatte K u r v e (vollkommener Tetanus) liefert (Abb. 6). Alle natürlichen Kontraktionen quergestreifter Muskeln, auch kurze Schläge u. dergl., sind, bis auf wenige Ausnahmen (z.B. H e r z , s . T e i l I, S. 119) Tetani, also Dauerverkürzungen. W i r d ein Muskel längere Zeit hintereinander zur K o n t r a k t i o n veranlaßt, so w i r d diese allmählich immer schwächer und ist endlich überhaupt nicht mehr hervorzurufen; der Muskel e rrn Ü d e t, weil der Sauerstoff f ü r die Resynthese des G l y -

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Bewegung

kqgens (s. S. 12) nicht schnell genug herbeigeschafft werden kann. Nach Aufhören der Reizung erfolgt Erholung. Im lebenden Kjjrper sind die Muskeln fast stets (auch im Schlaf) in einem gewissen Spannungszustand, der Tonus genannt wird. Er wird bei den quergestreiften Muskeln vom Zentralnervensystem aufrechterhalten, das dauernd Impulse aussendet, durch die einzelne Fasern zur tetanischen Kontraktion angeregt werden. Dieser T e t a n o t o n u s kann von dem Muskel so lange ohne Ermüdung aufrechterhalten werden, weil wahrscheinlich die Impulse abwechselnd zu verschiedenen Fasergruppen in demselben Muskel geleitet werden. Es ist anzunehmen, daß jeder überschwellige Reiz die Muskelfaser zu maximaler Kontraktion veranlaßt. Daß dies beim ganzen Muskel nicht der Fall ist, liegt daran, daß meist nur ein Teil der Fasern gleichzeitig eingesetzt wird. Die Muskelfaser gehorcht dem „Alles- oder Nichts-Gesetz" (s. Teil 1, S. 121), der ganze Muskel jedoch nicht (vgl. S. 24). Bei der bisher betrachteten Reizungsart verkürzt sich der Muskel, verändert also seine Länge, während seine Spannung (Tonus) im unverkürzten und im verkürzten Zustand so groß ist, daß sie das angehängte Gewicht trägt, also gleich bleibt. Der Muskel arbeitet i s o t o n i s ch. Ist der Muskel mit beiden Enden zwischen zwei festen Punkten ausgespannt, so daß er sich nicht verkürzen kann, so erhöht er bei Reizung seine innere Spannung, behält aber seine Länge bei, er arbeitet isometrisih. Im Körper kommen o f t beide Arbeitsweisen miteinander kombiniert vor, z. B. heben die K a u muskeln der Säugetiere den Unterkiefer isotonisch und pressen ihn beim Beißen und Kauen isometrisch an den Oberkiefer. Während die tetanischen Dauerverkürzungen der quergestreiften Muskeln Energie benötigen und daher nur relativ kurze Zeit aufrecht erhalten werden können, haben g l a t t e M u s k e l n die Fähigkeit, bestimmte Verkürzungsgrade anscheinend ohne Energieverbrauch außerordentlich lange beizubehalten. Solche Muskeln verharren in ihnen aktiv oder passiv erteilten Längen gegen "Widerstände geraume Zeit, sie sind dann in einem bestimmten Verkürzungsgrad „gesperrt". Man nennt sie daher S p e r r - oder T r a g m u s k e l n . Sie

Muskelbewegung

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kontrahieren sich, im Gegensatz zu den schnell und wenig ausdauernden B e w e g u n g s - oder A r b e i t s m u s k e l n , nur langsam (s. Tabelle auf S. 15). Die Schalensdiließmuskeln der Muscheln bestehen aus Arbeitsmuskeln, die den schnellen Schalenschluß bewirken, und aus Sperrmuskeln, die die Schale wochenlang, selbst bei Belastung durch Gewichte, geschlossen halten können. Ihre Arbeitsleistung ist erheblidi, denn der Sperrmuskel der Auster z. B. vermag 12 kg pro 1 qcm Querschnitt zu tragen, während der Arbeitsmuskel desselben Tieres nur 0,5 kg hebt.

Eine besondere Eigenschaft einiger glatter Muskeln ist der sog. p l a s t i s c h e oder v i s k o s o i d e T o n u s , wie er z. B. in den Fußmuskeln von Schnecken auftritt. Belastet man einen Fuß von Helix, dessen nervöse Zentren (Pedalganglien) man entfernt hat, mit einem Gewicht, so dehnt er sich. Man kann diese Dehnung auf einem Kymographion aufschreiben lassen und erhält eine typische Kurve (Abb. 7). Die Dehnung Abb. 7 Dehnungsund Entlastungskurven zweier Füße der Weinbergschnecke (Helix pomatia) ohne Ganglien, a : Belastung 25 g, Entlastung auf 0 g, T e m p : + 16,75« C . b : Belastung 25 g, Entlastung auf 15 g, T e m p . : + 20,25° C. Z — Zeitschreibung (10 Sek.). (Nadi H e r t i i . )

erfolgt zunächst schnell (steiles Kurvenstück) und dann langsam und gleichmäßig, und zwar nimmt ihre Geschwindigkeit mit steigender Temperatur zu. Entfernt man das Gewicht, so kontrahiert sich der Muskel schnell ein kleines Stück und behält dann etwa seine Länge bei (a). Entlastet man nur um einen Teil des Gewichtes, so kontrahiert er sich weniger und dehnt sich dann langsam weiter (b). Dies wird vielleicht durch die Hypothese vorstellbar, daß in der glatten Muskelfibrille kontraktile Mizellen in einer plastischen Füllmasse 2

Hertel

Tierphysiologie II, 3. Aufl.

18

Bewegung

liegen (s. S. 10 und Abb. 8). W i r d die Fibrille belastet, so dehnen sich die elastischen Elemente schnell auf die der Last entsprechende Länge (schnelle Anfangsphasen der Kurven in Abb. 7 und Abb. 8 b). Die plastische Füllmasse wird durch

v

Abb.

8

Sdiema des möglitnen submikroskopischen Baues glatter Muskelfibrillen. Schwarz: elastische- k o n t r a k t i l e M i z e l len, g e p u n k t e t : plastische (viscosoide) Zwischcns u b s t a n z . a : F i b r i l l e in Ruhe, b: Beginn der D e h n u n g bei B e l a s t u n g , c: N a c n l ä n g e r e r D e h nung. d: Nach Entlastung. e: Isotonische elektrische Reizung.

die Last ebenfalls, und z w a r kontinuierlich, ausgezogen, so daß die Zwischenräume zwischen den kontraktilen Elementen größer werden und die Fibrille langsam immer länger wird (flache Teile der Kurven und Abb. 8 c). W i r d die Last entfernt, so hört diese plastische Dehnung auf und die kontraktilen Elemente ziehen sich elastisch schnell auf ihre Ursprungslängen zusammen, wodurch sich die Fibrille etwa um die Strecke der anfänglichen schnellen Dehnung verkürzt (rechtes aufsteigendes Stück der K u r v e a und Abb. 8 d). W i r d nur zum Teil entlastet, so ziehen sich die kontraktilen Elemente — maßgeblich der noch verbleibenden Last — nur um ein kleines Stück zusammen, und die plastische Dehnung geht mit verminderter Geschwindigkeit weiter (rechtes Ende, der K u r v e b). Als Modell kann man sich auch vorstellen, d a ß die einzelne Muskelfibrille aus hintereinander liegenden plastischen und elastischen Anteilen zusammengesetzt ist, sich also etwa wie ein Faden verhält, dessen eine H ä l f t e aus einer plastischen Masse (Gelatine, Plastilin) und dessen andere aus einem elastischen Stoff (Gummi) besteht (Abb. 9). W ä h r e n d der Be- und Entlastung lassen sich vom Schneckenfuß

Muskelbewegung

19

AktionsstrÖme ableiten. Dagegen zeigt die Galvanometersaite wahrend der kontinuierlichen Dehnung keine Ausschläge, obgleich der Muskel auch jetzt Arbeit leistet, da er ja das Abb. 9 Konstruktion der Dehnungs- und Entlastungskurven des Schneckenfußes, wenn die einzelne Muskelfibrille aus plastischen und elastischen Teilen zusammengesetzt ist. a: totale b: teilweise E n t lastung. Plastische Teile gestrichelt, elastische ausgezogen. (Nach H e r t e r.) e = Enden der plastischen Teile, Z = Zeiteinheit.

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Gewicht trägt. Der plastische oder viskosoide Tonus arbeitet demnach ohne Stoffwechselveränderungen und ohne Energieverbrauch. Der plastische Anteil verhält sich wie eine tote viskose Substanz, jedoch wird der Viskositätsgrad durch das Zentralnervensystem reguliert, da bei einem Helixfuß mit Pedalganglien die Dehnungskurve im ersten Teil steiler und dann ziemlich plötzlich („Umschlag") flacher v e r l ä u f t als bei dem ganglienlosen Fuß. Durch nervöse Impulse wird die Viskosität zuerst vermindert und dann erhöht (Zentraltonus). Bei faradischer Reizung kontrahieren sich nur die elastischen Elemente (Abb. 8 e), während die plastischen darauf nicht ansprechen. Daher verkürzt sich ein Helixfuß bei isotonischer faradischer Reizung relativ um so weniger, je stärker gedehnt Die Anordnung der Muskeln im Tierkörper bedingt dessen Bewegungsmöglichkeiten. Meist arbeiten die Muskeln gegen entgegengesetzt gerichtete K r ä f t e , die die Bewegung wieder rückgängig zu machen suchen. Solche Antagonisten können elastische K r ä f t e (z. B. Schloßbänder der Muscheln) oder andere Muskeln sein. 2*

20

Bewegung

Es lassen sich einige Hauptbewegungstypen unterscheiden. M u s k e l p a r e n c h y m b e w e g u n g wird von solchen Tieren und Organen ausgeführt, bei denen die Muskeln in einer kompakten Gewebsmasse, einem Parenchym, in verschiedenen Richtungen verlaufen. Meist gibt es Ring-, Längs-, Q u e r - und Dorsoventralmuskelzüge. J e nachdem, welche Muskeln sich ein- oder doppelseitig kontrahieren, können die verschiedensten Biegungen, Strekkungen oder Windungen ausgeführt werden {Abb. 10). Kontraktionswellen einiger der Muskelarten können der Fortbewegung dienen, wie beim Kriechen der Schnecken oder mancher Plattwürmer. Bei den Hirudineen wird der am Hinterende durch einen muskulösen Saugnapf angeheftete Körper durch Kontraktion der Ringmuskeln gestreckt, der Vordersaugnapf festgeheftet und durch K o n traktion der Längsmuskeln das Hinterende vorgebracht Abb. 10. und angeheftet, so daß einzelne Schritte erfplgen. Ein Umkehrgutes Beispiel für Muskelparenchymbewegung bietet die reaktion Zunge der Sauger. Wirken außenliegende Muskelschichten einer gegen einen mit Flüssigkeit oder anderem beweglichen Planarie. Inhalt gefüllten Hohlraum, so spricht man von H o Ii 1 (Nach P e a r l aus muskelbewegung. Hieran können nur RingJennings.) muskeln (Medusenschirm), nur Längsmuskeln (Nematoden) oder beide Müskelarten (Hautmuskelschlauch vieler Würmer, Därme) oder auch komplizierte Muskelgeflechte (Wirbeltierherz) beteiligt sein. Die Bewegung kann in Schlängelungen (viele W ü r m e r V Kontraktionswellen (Darmperistaltik, viele Würmer) oder in Pumpbewegungen (Herzen, Schwimmen der Medusen und Chephalopoden durch Rückstoß [s. Teil 1, S. 88] bestehen. Dem wechselnden Druck in den Hohlorganen _ kann sich die Muskelhülle in vielen Fällen vermöge ihrer plastischen Eigenschaften anpassen (z. B. bei der Harnblase). Werden feste Skeletteile, die gelenkig mit einander verbunden sind, bewegt, so können die hieran beteiligten Muskeln entweder innerhalb oder außerhalb dieser Skelette liegen. Bei den Arthropoden wirken die Muskeln gegen A u ß e n s k e l e t t e , indem einige von ihnen feste Chitinteile» die mit benachbarten durch zarte biegsame Gelenkhäute verbunden sind, von innen her in bestimmter Richtung bewegen. Andere bewegen diese Teile im entgegengesetzten Sinne. Die Flugbewegung der Insekten wird — außer bei den Libellen, die besondere Flugmuskeln haben — durch Verengung und Erweiterung des Thorax bedingt (Abb. 11). Durch Verl e g u n g des Chitinskeletts werden die Flügel passiv a u f - und abwärts geschlagen. Kontrahieren sich die Dorsoventralmuskeln, so flacht sich der Thorax ab, und die Flügel werden gehoben, wahrend beim Zusammenziehen ihrer Antagonisten, der Längs- und Schrägmuskeln, das U m gekehrte eintritt. Kleine, an den Flügelbasen ansetzende Muskeln, bewirken feinere Richtungsänderungen des Flügelschlages. Die so erreichte Schlagfrequenz kann sehr erheblich sein; bei der Honigbiene beträgt sie etwa 200 und bei der Stubenfliege gar über 300 Schläge pro Sekunde. Durch Wirkung von Muskeln, die v o n a u ß e n an Skelettstücke angreifen, erfolgt die Bewegung der Wirbeltiere. Die Beweglichkeit der Skeletteile gegeneinander wird durch Gelenke ermöglicht. Die Ausbildung und . Funktion dieser Gelenke ist sehr mannigfaltig und z . T . sehr verwickelt. An den Gliedmaßen (Abb. 12) wirken Antagonisten gegeneinander. Der Rhythmus des Arbeitens der Beuger und Strecker wird oft reflektorisch reguliert (s. S. 31).

Nervenphysiologie £

Abb.

11.

Schematisdier Querschnitt durch den T h o r a x einer A m e i s e . ( N a c h J a n e t aus Hesse.) Gestrichelte L i n i e : U m r i ß des erweiterten Thorax bei K o n t r a k t i o n der L ä n g s - ( L ) und S c h r ä g m u s k e l n ( S ) , D = D o ' r s o v e n t r a l m u s k e l n , F — F l ü g e l bei v e r engtem T h o r a x ( A u f w ä r t s b e w e g u n g ) , F} — Flügel bei e r w e i t e r t e m T h o r a x (Abwärtsbewegung), K = kleine M u s k e l n , die feinere Richtungsänderungen der Flügel bewirken.

21

A b b . 12. V o r d e r e x t r e m i t ä t des Hundes. (Nadi v o n Lengerken.) B = Beugemuskel, H " Humerus, R — Radius, S —Scapula, St = Streckmuskel, U = Ulna.

C. Reizerscheinungen I. Nervenphysiologie a) Allgemeines Die Physiologie der Reizersdieinungen behandelt die Vorgänge, die zwischen der Reizung und der Reaktion liegen, also das, was wir als primären und sekundären Reizerfolg bezeichneten (s. S. 6). Daraus ergibt sidi eine Einteilung des Stoffes in die Physiologie der Rezeptoren oder die S i n n e s p h y s i o l o g i e und die Physiologie der Erregungsleitung oder die N e r v e n p h y s i o l o g i e . Wenn auch der primäre Reizerfolg in der Regel in der Erregung der Sinnesorgane besteht, so ist es doch zweckmäßig, zuerst die Nervenphysiologie zu behandeln, weil in ihr die verwickelten Gesetz-

22 mäßigkeiten kommen.

Reizerscheinungen der Erregungsvorgänge

klarer

zum

Ausdruck

Bei d e n M e t a z o e n ist d i e E r r e g u n g s l e i t u n g i m w e sentlichen a n b e s t i m m t e S t r u k t u r e n g e b u n d e n , d i e m a n in i h r e r G e s a m t h e i t als N e r v e n s y s t e m e bezeichnet. Die Elemente dieser S y s t e m e sind die N e r v e n - o d e r G a n g l i e n z e l l e n . Eine solche Zelle, d i e m a n auch N e u r o n n e n n t ( A b b . 13), bes t e h t aus d e m k e r n h a l t i g e n Z e l l k ö r p e r , v o n d e m F o r t - , s ä t z e , d i e N e r v e n f a s e r n , a u s g e h e n : die D e n d r i t e n , die m e h r e r e N e u r o n e n m i t e i n a n d e r , u n d d i e N e u r i t e n o d e r A x o n e, d i e d i e N e r v e n z e l l e n m i t d e n R e z e p t o r e n o d e r E f f e k t o r e n v e r b i n d e n . Bei d e n meisten G a n g l i e n z e l l e n d e r W i r b e l t i e r e s i n d d i e N e u r i t e n v o n einer besonderen Scheide, d e r M a r k scheide o d e r M y e l i n h ü l l e , die hauptsächlich aus L i p o i d e n (s. T e i l I , S. 19) b e s t e h t , umschlossen. Diese k a n n wieder von einer zarten, mit Kernen und Einschnürungen ( R a n v i e r sehen Schnürringen) versehenen S c h w a n n sehen Scheide u m h ü l l t sein. D e r artige Nervenfortsätze nennt m a n m a r k h a l t i g . D i e d i s t a l e n E n d e n d e r N e r v e n Fortsätze v e r z w e i g e n sich m e h r o d e r w e n i g e r s t a r k . D i e V e r z w e i g u n g e n der markhaltigen Fasern an den Rezeptoren u n d E f f e k t o r e n — d i e E n d b ä u m c h c n — sind h ü l l e n los. Sie k ö n n e n m i t b e s o n d e r e n E n d o r ^ a n e n w i e d e n motorischen E n d p l a t t e n (s. S. 13 u n d A b b . 3) in V e r b i n d u n g s t e h e n . Durch die N e r v e n z e l l e u n d i h r e Fortsätze ziehen feine Fasern, die N e u r o f i b r i l 1 e n , die höchst wahrscheinlich die L e i t u n g s b a h n e n f ü r d i e E r r e g u n g d a r s t e l l e n , Sie v e r l a u f e n in den Fortsätzen parallel zueinander und können im Zellk ö r p e r N e t z e b i l d e n . I n den D e n d r i t e n m i t e i n a n d e r verbundener Neuronen gehen die Neurofibrillen ( w e n i g s t e n s bei W i r b e l t i e r e n ) vielleicht k o n t i n u i e r l i c h i n e i n a n d e r ü b e r . M e i s t e n s legen sich a b e r d i e F o r t s ä t z e w o h l n u r dicht a n e i n a n d e r (Neuroncnlehre), sie b i l d e n S y n a p s e n . Als N e r v e n bezeichnet m a n B ü n d e l v o n einigen o d e r v i e l e n N e u r i t e n , d i e durch B i n d e g e w e b e ( N e u r i l e m m ) v e r b u n d e n s i n d . Sie k ö n n e n beträchtliche L ä n g e n erreichen. M a n u n t e r scheidet 2 A r t e n v o n N e r v e n : solche, die E r r e g u n g e n von den Rezeptoren wegleiten, r e z e p t o r i s c h e , z e n t r i p e t a l e o d e r sensible N e r v e n , u n d solche,, die d e n E f f e k t o r e n E r r e g u n g e n z u f ü h r e n ; sie w e r d e n uls e f f e k t o r i s c h e , z e n t r i f u g a l e u n d je nach d e r A r t des E f f e k t o r s als motorische, sekretorische u s w . bezeichnet.

A b b . .13. Schema der Nervenzelle eines Wirbeltieres. A = Axon, D — Dendriten, E Endbäumchen, M = Markscheide, N = N e u r o f i b r i l l e n , R = ring, S = Scbzvannschc Scheide.

¿er scher

Schnür-

Die Erregung, die der N e r v leitet, wird ihm im lebenden Organismus im allgemeinen durch den Rezeptor zugeführt.

Nervenphysiologie Der N e r v selbst ist jedoch ebenfalls reizbar; d. h. es entsteht in ihm durch physikalisch-chemische Einflüsse Erregung. Diese Reize können in mechanischen, thermischen, elektrischen oder chemischen Vorgärigen bestehen (vgl. Muskel, S. 13). Was im Nerven bei der Reizung geschieht, d. h. was Erregung ist, wie sie entsteht und wie sie geleitet wird, ist nicht genau bekannt. Sehr wahrscheinlich ist Erregung ein chemischer Vorgang, da der Ruhestoffwechsel des Nerven bei Reizung erhöht wird, was sich in gesteigertem 0 2 - V e r b r a u c h und vermehrter Wärmebildung äußert. Auch ist der N e r v durch lipoidlösliche Stoffe (Alkohol, Äther, C h l o r o f o r m usw.) narkotisierbar und die Geschwindigkeit der Erregungsleitung ist. temperaturabhängig, wobei in gewissen Grenzen die v a n t ' H o f f s c h e Regel (s. Teil 1, S. 33) gilt. Bei der Erregung entstehen im Nerven bestimmte Stoffe — A k t i o n s s u b s t a n z e n —, von denen aas Acetylcholin (s. S. 13 ) und das Aneurin (s. Teil 1, S. 24) die wichtigsten sind. Ähnlich wie im Muskel scheint auch im Nerven Kreatin und Phosphorsäure aus Kreatinphosphorsäure gebildet zu werden (s. S. 11). Die durch einen Reiz erzeugte Erregung l ä u f t als Erregungswelle die Nervenfasern entlang, und zwar im e f f e k torischen markhaltigen N e r v der Wirbeltiere mit gleichbleibender Geschwindigkeit. Man kann diesen Vorgang mit dem Fortschreiten des Verbrennungsprozesses in einer Lunte (eiijem mit Schießpulver gefüllten'" Schlauch) vergleichen. W i r d die Lunte entzündet, so ist es gleichgültig, ob dies durch ein Streichholz oder durch ein Sauerstoffgebläse erfolgt; die zugeführte Wärmemenge m u ß nur so groß sein, d a ß das Pulver entzündet wird. Entsprechend erzeugt jeder überschwellige Reiz in der Nervenfaser eine gleichstarke Erregungswelle. D e r e f f e k t o r i s c h c N e r v d e r W i r beltiere gehorcht dem Alles- oder Nichts G e s e t z (vgl. S. 16). E i n B e w e i s h i e r f ü r l ä ß t sich w i e f o l g t e r b r i n g e n : D i e b e i d e n N o r v m u s k e l p r ä p a r a t e d e r W a d e n m u s k e l n eines Frosches w e r d e n so m o n t i e r t , d a ß i h r e N e r v e n in e i n e m f l ü s s i g e n N a r k o t i k u m ( 2 % i ^ e s U r e t h a n ) l i e g e n . D i e N a r k o s e s t r e c k e des e i n e n ist d o p p e l t so l a n g w i e d i e des a n d e r e n ( A b b . 14). B e i d e M u s k e l n s i n d m i t i s o t o n i s d i e n H e b e l n v e r b u n d e n , d i e

24

Reizerscheinungen ji

Abb. —i

II

14.

Schema der Versuchsanordnung zum Nachweis des Allesoder-Nichts-Gesetzes (Nach H e f t e r . ) 1 = Elektroden, 2 — kleine, 3 = große Narkosestrecke.

ihre Kontraktionslinien untereinander schreiben. Werden beide Nerven gleichzeitig mit denselben Elektroden mit Einzelöffnungsschlägen von maximaler Stärke gereizt, so kontrahieren sich beide Muskeln gleich stark. Nach wiederholter Reizung in kleinen Zeitabständen werden die Ausschläge beider Hebel gleichzeitig kleiner u n d hören bald darauf gleichzeitig auf (Abb. 14). Das N a r k o t i k u m durchdringt die N e r v e n langsam von außen her u n d erreicht bei beiden, d a sie gleich dick sind, gleichzeitig die Mitte und sperrt den Erregungsdurchgang, wie bei der Lunte, wenn sie von Wasser durchdrungen w i r d , der Funke erlischt, sobald die D ur ch f euch tun g die Mitte erreicht. Die Länge der narkotisierten (durchfeuchteten) Strecke ist belanglos. Solange noch Erregung durch die N e r venfaser fließen k a n n , gelangt sie ungeschwächt zum Muskel. D a ß die Ausschläge nach einer gewissen Zeit kleiner werden, liegt d a r a n , d a ß zuerst periphere N e r v e n f a s e r n ausgeschaltet und daher weniger Muskelfasern erregt werden. Durch die einzelne Nervenfaser geht die Erregung mit der gleichen Intensität. Die N e r v e n f a s e r leitet entweder „Alles" oder „Nichts".

Wenn das Pulver verbrannt ist, kann die Lunte erst wieder brennen, wenn sie neu gefüllt wird, was eine gewisse - Zeit beanspruchen würde. Entsprechend ist eine Nervenstrecke, über die eine Erregung gelaufen ist, eine kurze Zeit unerregbar, bis durch unbekannte Stoff Wechselprozesse der alte erregungsbereite Zustand wieder hergestellt ist. Der Nerv hat eine r e f r a k t ä r e P e r i o d e , die im markhaltigen Wirbeltiernerven einige a (1 a — 1/1000 Sek.) dauert. Für viele marklose Fasern gilt das Alles- oder Nichts-Gesetz nicht, sie leiten mit D e k r e m e n t , d. h. die Erregung nimmt während - der Leitung ab, sie ist daher um so größer

Nervenphysiologie

25

und durchläuft um so größere Strecken, je stärker der Reiz ist. Wie in der Lunte die Verbrennung in beiden Richtungen in gleicher Weise fortschreitet, so kann auch im Nerven die Erregung in beiden Richtungen fließen. Dies zeigt der sog. Zweizipfelversuch am Musculus gracilis von Rana, dessen motorischer N e r v sich gabele (Abb. 15V W i r d der Muskel zwischen der Gabelung durchschnitten und reizt man den Nerven in a, so erfolgt Zuckung beider H ä l f t e n . Dasselbe t r i t t jedoch auch ein, wenn man in b reizt.

Dagegen wird die Erregung in den motorischen Endplatten der Muskeln, in den Übergängen zu den Sinnesorganen, in den Synapsen zwischen den Neuronen und durch die Ganglienzellen nur in einer Richtung hindurchgelassen.

Schema a

Abb. 15. des Zweizipfelversuches, und b: Elektroden.

Abb. 16. Schema z u m Messen der Geschwindigkeit. der Erregungsleitung an einem Nervenmuskclp r ä p a r a t . a und b: Elektroden.

Bei längerer Reizung kann sowohl der Rezeptor als auch der Effektor ermüden (s .S. 12 u. 15). Auch in den Ganglienzellen sind Erschöpfungserscheinungen zu beobachten (Verschwinden der N i ß 1 sehen Körner). Dagegen ermüden die Nervenfasern praktisch nicht, wie unter anderem daraus hervorgeht, daß ein mit Curare (s. S. 13) vergiftetes Nervenmuskelpräparat, dessen Nerv man stundenlang elektrisch reizt, zuckt, sobald die Curarewirkung aufhört, so daß die Erregung den Muskel wieder erreichen kann. Die G e s c h w i n d i g k e i t der Erregungsleitung in den Nerven ist meßbar und f ü r die einzelnen Tier- und Nervenarten verschieden. Sie ist viel kleiner als die des elektrischen Stromes, woraus ebenfalls hervorgeht, daß die Erregung kein elektrischer Vorgang ist.

26

Reizerscheinungen

Z u m Messen d e r E r r e g u n g s g e s c h w i n d i g k e i t b e n u t z t m a n e i n N e r v m u s k e l p r ä p a r a t , dessen N e r v a n v e r s c h i e d e n e n S t e l l e n g e r e i z t w i r d ( A b b . 16). R e i z t m a n bei a , so zuckt d e r M u s k e l nach a ' S e k . , bei R e i z u n g in b . nach b' S e k . S e t z t m a n a — b = A , so ist d i e L e i t u n g s g e s c h w i n d i g k e i t A • .Man k a n n auch v o n z w e i S t e l l e n A k t i o n s s t r ö m e a b l e i t e n u n d a'-b' i h r e zeitliche D i f f e r e n z b e s t i m m e n . Es w u r d e n z. B. f o l g e n d e G e s c h w i n d i g keiten ermittelt: T e i d i m u s k e l (Anodonta), Ccrebro-Visceral-IConnektiv . 0,05 B l u t e g e l (Hirudo), Bauchmark 0,4 R e g e n w u r m (Lumbricus), Bauchmark 0,6 H u m m e r , Scherennerv 6—12 Frosch (Rana), N e r v des M u s c u l u s s a r t o r i u s . . . 3,3— 5,4 Frosch (Rana), N e r v u s ischiadicus bei + 1 8 , 8 b. + 20,2° C 18—29,4 P f e r d , marklose Fasern . 8 P f e r d , markhaltigc Fasern 30 Mensch, N e r v u s b r a c h i a l i s 70

m/Sck.

„ „

Im allgemeinen nimmt die Geschwindigkeit mit der Organisationshöhe und Lebhaftigkeit der Tiere zu. Sie kann in verschiedenen Nerven desselben Tieres verschieden sein. In der Regel ist sie in markhaltigen Nerven größer als in marklosen. Mit steigender Temperatur nimmt sie zu. Z. B. beträgt sie im N . ischiadicus von Rana. bei + 29,5 bis + 30,8 0 C 59 bis 72 m/Sek. Für die experimentelle Tierphysiologie sind elektrische Reize die wichtigsten Hilfsmittel, da sie leicht dosierbar sind und das Nervengewebe im allgemeinen nicht schädigen. Auch scheint die elektrische Reizung den natürlichen Vorgängen bei der Nervenerregung am ähnlichsten zu sein. Der elektrische Strom verursacht in den Geweben Ionen Verschiebungen, die wegen der f ü r An- und Kationen verschiedenen Durchlässigkeit der Zellmembranen Konzentrationsveränderungen und Verschiebungen der Ph-Werte (s.Teil 1, S. 12 u. 27) bedingen. Vielleicht werden hierdurch die die Erregung hervorrufenden chemischen Prozesse ausgelöst. Möglicherweise kommen die durch mechanische, thermische, chemische usw. Reizung der Nerven erzeugten Erregungen ebenfalls durch elektrische Reizung zustande, da bei jeder Erregung die erregte Stelle gegenüber der Umgebung negativ elektrisch wird, wodurch Aktionsströme entstehen (s. Teil 1, S. 142), die dann ihrerseits die die Erregung erzeugenden chemischen Vorgänge in Gang setzen

27

Nerveilphysiologie

können. Reizt man den Nerven eines Nervmuskelpräparates mit G l e i c h s t r o m , so zuckt der Muskel nur bei Stromschluß und bei stärkeren Strömen auch b;i S t r o m ö f f n u n g , wogegen der Muskel während des Fließens des Stromes in Ruhe bleibt. L ä ß t man den Strom ganz langsam von unterschwelliger Stärke ansteigen, so erfolgt auch bei Stromstärken, die bei plötzlichem Schluß maximale K o n t r a k t i o n verursachen keine Zuckung („Einschleichen" des Reizes). Für das Zustandekommen der Reaktion ist also die Z e i t der Stromentstehung von Bedeutung. W ä h r e n d des Stromflusses wird jedoch der innere Zustand des Nerven (durch Ionenverschiebung) ohne äußeren E f f e k t verändert; es wird nämlich an

Abb. 17. Schema zur Demonstration des A n - und Kat-Elektrotonus. a : absteigender, b: + — ansteigender Strom. Anode. — — K a t h o d e . Erklärung s. T e x t .

o

b

i—w 4—w

+

_

J-

+

der Anode ( + ) die Erregbarkeit des Nerven herabgesetzt oder gelähmt (An-Elektrotonus) und an der K a t h o d e (—) gesteigert (Kat-Elektrotonus). Es erfolgt daher bei der Schließung eines „absteigenden" überschwelligen Stromes (Abb. 17 a) stets eine Zuckung, während bei „ansteigender" Reizung (Abb. 17 b) der E f f e k t ausbleiben kann, weil die Erregung an der K a t h o d e (—) entsteht und an der Anode ( + ) vor Erreichung des Muskels gelähmt wird. Bei S t r o m ö f f n u n g geht die Erregung scheinbar von der Anode aus, was daran liegt, daß durch den Strom in dem Gewebe ein Gegenpotential erzeugt wird, das nach A u f h ö r e n des ursprünglichen Reizstromes einen Strom in entgegengesetzter Richtung (Poiarisationsstrom) verursacht, an dessen K a t h o d e jetzt die Erregung entsteht. Es handelt sich bei dem „Öffnungsreiz" also eigentlich ebenfalls um einen Stromschluß. So wird es verständlich, d a ß die Reizschwelle f ü r die Ö f f n u n g höher liegt als f ü r die Schließung.

28

Reizerscheinungen

Das Verhalten des indirekt mit Gleichstrom gereizten Muskels läßt sidi d u r d i das sog. P f 1 ü g e r sehe Gesetz ausdrücken: Absteigender S t r o m Ansteigender S t r o m Stromstärke Oeffnung Schluß Schluß Oeffnung sehwach

Zuckung

Ruhe

Zuckung

Ruhe

mittel

Zuckung

Zuckung

Zuckung

Zuckung

stark

Zuckung

seil wache Zckg. od.Ruhe

Ruhe

Zuckung

Ein Gleichstrom muß eine bestimmte kurze Zeit, die N u t z z e i t , fließen, um maximale Erregung hervorzurufen. Längerer Fluß vermehrt den Effekt nicht -mehr. Die Nutzzeit ist um so kürzer, je größer die Intensität des Stromes ist und je schneller er ansteigt. Die Nutzzeit ist wichtig zur Ermittlung einer für die Beurteilung der Erregbarkeit'von Nerven oder anderer Organe gebrauchten Größe, der K e n n z e i t oder C*h r o n a x i e. Es wird zuerst die G r u n d s t r o m s t ä r k e oder R h e o b a se bestimmt, das ist die Schwellenstromstärke für Dauerschließung eines Gleidistromes. Verdoppelt man die Intensität des Reizstromes und mißt für diese Intensität die Nutzzeit, so erhält man die Chronaxie. Sie ist im allgemeinen bei dicken Nerven kleiner als bei dünnen und ist um so kleiner je größer die Leitungsgeschwindigkeit ist. Z. B. beträgt sie bei Musdieln 8 bis 3, im Bauchmark von Hirudo 30, in dem von Lumbricus 20, im Nervus ischiadicus von Rana 0,3 und im Musculus bieeps des Mensdien 0,15 a (vgl. S. 26).

Bei Reizung mit W e c h s e l s t r o m wirkt in der Regel nur die Schließung, da die Dauer der einzelnen Phasen für eine Wirkung der Öffnung zu kurz ist. Die Frequenz des Wechselstroms muß so groß sein, daß die Dauer einer Phase so lang oder länger als die Nutzzeit ist. Die Reizschwelle liegt daher um so höher, je größer die Frequenz ist. Die Gesamtheit der miteinander verbundenen Ganglienzellen und ihrer Fortsätze bezeichnet man als N e r v e n s y s t e m e . Man unterscheidet zwei Typen, die diffusen und die konzentrierten. Bei d i f f u ' s e n N e r v e n s y s t e m e n oder N e r v e n n e t z e n , die bei manchen niederen Tieren (z. B. Cölenteraten) vorkommen, aber auch bei höheren neben den konzentrierten auftreten, bilden die Neuronen ein

29

Nervenphysiologie

mehr oder weniger dichtes Masdienwerk (Abb. 18). Einige Ganglienzellen stehen mit Rezeptoren, andere mit Effektoren in Verbindung. Erregungen können so von vielen Stellen der Peripherie aufgenommen und nach allen Seiten weitergeleitet werden. Dabei nimmt die Intensität der Erregung mit der Entfernung vom Rezeptor ab (Dekrement). O f t erfolgt die Erregungsausbreitung nach allen Seiten gleichmäßig, jedoch findet sich vielfach eine Art Polarisierung, d. h. die Erregung kann in dem Nervennetz nur nach einer Richtung fließen.

Abb. 18 Schema des diffusen Nervensystems von Hydra (Süßwasserpolyp..)

Abb. 19. Schemata von Reflexbögen. a: einfadister Fall (nur 1 N e u r o n ) , b : 2 Neuronen, c: das rezeptorisdie N e u r o n ist mit dem effektorischen d u r d i eine Schaltzelle (Zwischenneuron) verbunden, d : das rezeptorische N e u r o n ist mit 2 effektorisaien Neuronen verbunden. D = Drüse, e = effektorische N e u ronen, M = Muskeln, M z = Muskelzelle, r ~ rezeptorisdie Neuronen. S = Sdialtzellen, Si Sinnesepithel,

Z =

ZNS

Die peristaltisdie Bewegung des Wirbeltierdarms wird d u r d i N e r v e n netze (Nervenplexus) bedingt. Sie erfolgt immer in craniocaudaler Richtung. Schneidet man ein Darmstiidc heraus und läßt es umgekehrt "inheilen, so laufen in ihm die Kontraktionswellen von hinten nach vorn (antiperistaltisdie Bewegung).

Bei den k o n z e n t r i e r t e n Nervensystemen liegen die Körper der Nervenzellen zusammen, sie sind zu

30

Reizerscheinungen

besonderen Zentren, den G a n g l i e n , vereinigt. Von ihnen laufen die effektorischen Fasern zu den Erfolgsorganen und in sie treten die von den Rezeptoren kommenden sensiblen Neuriten ein. Die Massen der Ganglien bilden das Z e n t r a l n e r v e n s y s t e m (ZNS), während man die Summe der Neuriten als p e r i p h e r e s N e r v e n s y s t e m bezeichnet. Es gibt im ZNS mindestens zwei Arten von Ganglienzellen, rezeptorische oder sensible, deren Fasein, zu sensiblen Nerven vereinigt, die Erregung zentripetal dem ZNS zuleiten, und effektorische (motorische, sekretorische usw.), die sie zentrifugal zu den Erfolgsorganen weitergeben. Die Erregung kann nun direkt von den rezeptorischen auf die effektorischen Neuriten übertragen werden, jedoch sind oft dazwischen Schaltzellen oder Zwischenneuronen in die Leitung eingefügt. Die Fasern dieser Schaltzellen bilden mit denen der rezeptorischen und effektorischen Neuronen an den Übergangsstellen, den T r a n s f e r t z o n e n , starke Verzweigungen, die Nervenfilze oder N e u r o p i l e m e . Außerdem stehen im ZNS die Dendriten der einzelnen Zentren vielfach miteinander in Verbindung. Die Verbindung: Rezeptor — Leitungsbahn — Effektor Im einfachsten Fall nennt man einen R e f l e x b o g e n . besteht er nur aus einer Nervenzelle, die gleichzeitig Rezeptor und Leitungsbahn ist, und dem Erfolgsorgan, z. B. einer Muskelzelle (Abb. 19 a). Meist geht die Verbindung Rezeptor —• Effektor jedoch über mehrere Ganglienzellen. Dabei kann das rezeptorische Neuron direkt mit dem effektorischen verbunden sein (Abb. 19 b) v oder es sind Zwischenneuronen eingeschaltet (Abb. 19 c), oder die rezeptorische Ganglienzelle steht direkt oder indirekt mit mehreren Effektoren in Verbindung (Abb. 19 d). Der Reflexbogen ist die Grundlage für die physiologischen Erscheinungen, die man als R e f l e x e bezeichnet. Die primitivste Art des Reflexes ist der e i n f a c h e u n b e d i n g t e R e f l e x . Reizung des Rezeptors erzeugt eine Erregung, die durch eine sensible Faser zu einer sensiblen Ganglienzelle und von hier direkt zum Effektor oder — eventuell unter Benutzung einer oder mehrerer Schaltzellen — zu einem effektorischen Neuron geleitet wird. Durch

Nervenphysiologie

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dessen Neuriten gelangt sie zum E f f e k t o r , den sie zu einer bestimmten Reaktion veranlaßt. E i n b e k a n n t e s Beispiel ist d e r B e i n a n z i e h r e f l e x des Frosches: H ä n g t m a n e i n e n Frosch, d e m d u r c h E n t f e r n u n g des G e h i r n s die h ö h e r e n Z e n t r e n a u s g e s c h a l t e t s i n d , a m K o p f a u f u n d r e i z t eine Stelle d e r F u ß h a u t (2. B. mechanisch d u r c h K n e i f e n ) , so z i e h t er d a s b e t r e f f e n d e Bein a n . Der Reflexbogen geht von den Rezeptoren der F u ß h a u t über die sensiblen H a u t n e r v e n zu n e r v ö s e n Z e n t r e n des R ü d ^ e n m a r k s (s. S. 49) u n d v o n d o r t durch die motorischen Beinnerven zur Beinmuskulatur ( E f f e k t o r e n ) . N a c h Z e r s t ö r u n g des R ü c k e n m a r k s a n d e r b e t r e f f e n d e n S t e l l e o d e r D u r c h s c h n e i d u n g d e r N e r v e n ist d e r R e f l e x b o g e n u n t e r b r o c h e n , d e r R e f l e x nicht m e h r a u s l ö s b a r .

Beim z u s a m m e n g e s e t z t e n u n b e d i n g t e n Ref l e x ist der Reflexbogen gewissermaßen aufgespalten, d. h. wenige Rezeptoren stehen mit mehreren Effektoren, bzw. eine Anzahl Rezeptoren mit wenigen Effektoren in nervöser Verbindung. W e n n e i n Mensch o d e r e i n a n d e r e s W i r b e l t i e r i m D u n k e l n s t o l p e r t , werden die wenigen R e z e p t o r e n im O b e r l a b y r i n t h (s. S. 71 u. 79) gereizt, was reflektorische Lagekorrektionsbewegungen vieler H a l s - , R u m p f - u n d E x t r e m i t ä t e n m u s k e l n bedingt. Andererseits b e a n t w o r t e n manche niederen T i e r e ( n a m e n t l i c h sessile^ die v e r s c h i e d e n a r t i g s t e n R e i z e (mechanische, t h e r m i s c h e , o p t i s c h e , chemische, elektrische) d u r c h d i e s e l b e R e a k t i o n , e t w a Zusammenzienung („reflexarme Tiere").

Die dritte A r t der unbedingten Reflexe sind K e t t e n r e f l e x e oder R e f l e x k e t t e n . Hierbei wird durch den Erfolg der Reaktion eines Reflexbogens ein anderer in Tätigkeit gesetzt. Bei m a n c h e n M u s k e l s dessen diesen als R e i z wodurch wieder dem gedehnten der Wirbeltiere Exspiration aus

T i e r e n w i r d d u r c h d i e r e f l e k t o r i s c h e K o n t r a k t i o n e:nes A n t a g o n i s t (s. S. 19) gedehnt. Die D e h n u n g w i r k t auf ( p r o p r i o z e p t i v e r R e i z ) u n d v e r a n l a ß t seine K o n t r a k t i o n , d e r erste g e d e h n t w i r d u s w . D i e E r r e g u n g f l i e ß t i m m e r M u s k e l zu ( „ D e h n u n g s g e s e t z " V Bei d e r L u n g e n a t m u n g löst j e d e I n s p i r a t i o n r e f l e k t o r i s c h d i e d a r a u f f o l g e n d e u n d u m g e k e h r t (s. T e i l 1, S. 101).

Das A u s b l e i b e n des Erfolges in einem Reflexbogen kann das Uberspringen der Erregung auf einen anderen zur Folge haben. W i r d d e r h i r n l o s e Frosch a u f d e r rechten R ü c k e n h ä l f t e chemisch ger e i z t ( e t w a d u r c h B e t u p f e n m i t E s s i g s ä u r e ) , so wischt er m i t d e m rechten F u ß ü b e r die g e r e i z t e H a u t s t e l l e ( e i n f a c h e r , u n b e d i n g t e r R e f l e x ) . W i r d d a s rechte Bein a b g e s c h n i t t e n o d e r f e s t g e h a l t e n , so wischt er (nach e i n i g e n e r f o l g l o s e n V e r s u c h e n m i t d e m rechtcn Bein o d e r B e i n s t u m p f ) m i t a e m l i n k e n F u ß ü b e r d e n R e i z o r t . Bei d i e s e m „ W i s c h r e f l e x " s p r i n g t a l s o d i e E r r e g u n g nach U n t e r b r e c h u n g des „ n o r m a l e n " R e f l e x b o g e n s a u f einen a n d e r e n ü b e r , d e r f ü r g e w ö h n l i c h n i c h t in F u n k t i o n t r i t t . D i e E r -

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Reizerscheinungen

regung fließt d a h i n , w o sie am leichtesten verbraucht werden k a n n („Erregungsgesetz").

Die Beispiele für die zusammengesetzten unbedingten Reflexe und die Kettenreflexe zeigten, daß die einzelnen Reflexbögen bestimmte Beziehungen miteinander eingehen, daß sie zusammenarbeiten können. Es kann dadurch zu einer k o o r d i n i e r t e n Tätigkeit mehrerer Effektoren kommen. Es können jedoch auch komplizierte, durchaus koordiniert erscheinende Handlungen schon durch einfache, ganz unabhängig voneinander ablaufende Reflexe zustande kommen. Dies zeigt die Freßreaktion tnandier Medusen: Berührt ein Tentakel der Meduse einen N a h r u n g s k ö r p e r , von dem starke diemisdie Reize ausgehen (z. B. Fischfleisch), so rollt er sich u m ihn und biegt sich nadi dem Magenstiel hin. Gleichzeitig bewegt sich dieser ihm entgegen, und die Stelle des Glockenrandes, an der der T e n t a k e l sitzt, n ä h e r t sich ebenfalls dem M u n d e . (Abb. 20a). Schneidet man den T e n t a k e l , den Magenstiel und die betreffende Stelle des Glockenrandes ab und befestigt die drei Teile in natürlicher gegenseitiger Lage auf einer geeigneten Unterlage, so f ü h r e n sie alle drei, wenn man den Tentakel mit dem N a h r u n g s k ö r p e r in Berührung bringt, ebenfalls die oben geschilderten Bewegungen aus (Abb. 20 b). Die einzelnen Körperteile reagieren also ganz unabhängig voneinander. In jedem von ihnen löst derselbe (diemisdie) Reiz selbständige Reaktionen aus, deren Summe eine verwickelte einheitlidie H a n d lung vortäusdit. Man nennt Tiere, die nach diesem Schema reagieren, „Reflexrepubliken". Abb. 20. Schema der Freßreaktion einer Meduse, a: ganzes T i e r , b : T e i l stücke. Ausgezogen: Normalstellung, gestrichelt: Freßreaktion, G = Glodcenrand, M = Magenstiel, N — N a h r u n g s k ö r p e r , T = Tentakel,

Zum Wesen der unbedingten Reflexe gehört es, daß sie bei der gleichen Tierart unter den gleichen Bedingungen stets gleichartig verlaufen. Meist sind sie „zweckmäßig", d. h. sie bringen dem Tier unter natürlichen Verhältnissen irgendeinen Nutzen, bzw. bewahren es vor Schaden. Der unbedingte Reflex ist arteigen tüm 1ich, also erblich, und erfolgt zwangsläufig. Die Bedingungen, unter denen die Reflexe ablaufen, sind jedoch fast nie gleich; denn die äußeren und inneren Reize, die stets auf ein Tier einwirken oder auf es eingewirkt haben,

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bedingen, daß der Organismus sich zu jeder Zeit in einer etwas anderen Reizsituation befindet. Man nennt den jeweiligen Zustand des Tieres, der durch die Summe aller dieser Reize geschaffen wird, seinen p h y s i o l o g i s c h e n Zus t a n d oder seine „ S t i m m u n g". J e nach dem physiologischen Zustand kann ein bestimmter Reiz in etwas anderer Weise wirken. Durch gewisse Reize kann z. B. eine H e m m u n g bestimmter Reflexbahnen bedingt werden. T e m p e r a t u r e r n i e d r i g u n g w i r k t bei W e d i s e l w a r m e n meist h e m m e n d a u f die R e f l e x b ö g e n . U n t e r h a l b gewisser T e m p e r a t u r e n s i n d die F o r t p f l a n z u n g s - , Freß- und B e w e g u n g s r e f l e x e nur schwer öder ,garnicht a u s l ö s b a r .

Die Reflexerregbarkeit kann jedoch auch erhöht werden, .es kann B a h n u n g der Reflexbögen eintreten, so daß die Reflexe leichter hervorzurufen sind. B e u t e f a n g - und F r e ß r e f l e x e werden d u r d i H u n g e r , also durch innere R e i z e , g e b a n n t . D i e B e g a t t u n g s r e f l e x e werden durch chemische, v o n den Geschlechtsorganen a u s g e h e n d e R e i z e (Gesciilechtshormone, s. T e i l 1, S. 124, g e f ö r d e r t . D i e T i e r e werden dadurch in B e g a t t u n g s b e r e i t s c h a f t (Brunst) v e r s e t z t . Auch künstlich z u g e f ü h r t e chemische S t o f f e (z. B. Strychnin) können die R e f l e x e r r e g b a r k e i t erhöhen.

Bei den Tieren mit Zentralnervensystemen stehen die Reflexbögen direkt oder indirekt mit Anhäufungen von Ganglienzellen in Verbindung, die besondere Gruppen bilden und die man als Z e n t r e n bezeichnet. Solche Zentren können das Reflexgeschehen weitgehend beeinflussen. Da sie durch, rezeptorische Bahnen mit der Peripherie in Verbindung stehen, können ihnen von den verschiedensten Sinnesorganen Erregungen zufließen. Außerdem unterliegen sie der Einwirkung von Hormonen (s. Teil 1, S. 122) und anderen Blutreizen und von Temperaturveränderungen. Diese Faktoren bedingen es, daß die Zentren sich stets in einem gewissen — nach den Umständen wechselnden — A k t i v i t ä t s z u s t a n d befinden, gewissermaßen stets mit einer größeren oder kleineren Mehge von „Nervenenergie" aufgeladen sind. Sie können daher dauernd an die Peripherie Erregung abgeben, die bestimmte Effektoren in Tätigkeit setzt. S o b e f i n d e t sich die S k e l e t t m u s k u l a t u r der W i r b e l t i e r e auch in der R u h e in einem Ieiditen S p a n n u n g s z u s t a n d , einem T e t a n o t o n u s (s. S . 16). Ein a m K o p f a u f g e h ä n g t e r , hirnloser F r o s d i zieht die H i n t e r b e i n e , deren B e u g e m u s k e i n leicht k o n t r a h i e r t s i n d , e t w a s a n . Durchschneidet m a n d i e rezeptorischen oder die e f f e k t o r i s d i e n N e r v e n des einen Beines, so h ä n g t

3 H e r t e r Tierphjsiologie IT, j . Aufl.

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Reizerscheinungen

dieses schlaff herab (Abb. 21). Dieser B r o n d g e e s t sehe Versuch zeigt, d a ß Zentren im Rückenmark durch Erregungen, die ihnen durch die rezeptorischen N e r v e n zufließen, aktiviert werden und dauernd Impulse zu den Muskeln senden.

Abb. 21. Brondgeests Versuch. (Nach Herter.j S. T e x t .

Es ist anzunehmen, daß alle Sinnesorgane solchen „Reflextonus" verursachen. In vielen Fällen bewirkt die Erregung der Zentren eine Erhöhung der Aktivität der ihnen zugeordneten Effektoren, wie z. B. in den Atemzentren der Wirbeltiere, deren Erregung durch Blutreize die Atembewegungen verstärkt, während ihre Ausschaltung ihr A u f hören herbeiführt (s. Teil 1, S. 101). Solche Zentren nennt man E r r e g u n g s z e n t r e n . Bei manchen Zentren bewirkt die Erregung jedoch Hemmung der Reaktionen in den Effektoren. Derartige H e m m u n g s z e n t r e n liegen in den Oberschlundganglien vieler Wirbelloser. Schaltet man bei dem Ringelwurm Nereis beide Oberschlundganglien aus, so werden Bewegungsreflexe, die v o n Erregungszentren in den Unterschlundganglien in Gang gehalten werden, „enthemmt", und der W u r m l ä u f t ohne A u f h ö r e n umher. Ähnliches gilt f ü r den Freßreflex der Krabbe Carcinus maenas. Nach Ausschaltung der Oberschlundganglien f r i ß t sie ungehemmt weiter, wenn ihr auch der Magen p l a t z t .

Nervenphysiologie

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Eine merkwürdige Hemmungsersdieinung ist die sog. tierische H y p n o s e " . Man versteht d a r u n t e r die Erscheinung, d a ß viele Tiere, wenn sie in bestimmte Lagen (z. B. Rückenlagen gebracht und eine Zeitlang an der K o r r e k t u r dieser Lagen gehindert werden, lange in der aufgezwungenen Stellung in einer A r t Starre .verharren. Dieser Zustand kann nach der Ausschaltung des Gehirns (bei Fröschen) hervorgerufen werden, woraus hervorgeht, d a ß es sich um eine rein reflektorische E r - ' scheinung ohne M i t w i r k u n g höherer psychischer Faktoren handelt, die mit der menschlichen H y p n o s e nur schlecht verglichen werden k a n n . Wahrscheinlich erregt die Verhinderung der Lagerkorrektionsreflexe Hemmungszentren f ü r diese Reflexe. Charakteristisch f ü r die- „tierische H y p n o s e " ist, d a ß sie durch starke äußere Reize sofort abgebrochen w i r d , im Gegensatz zu den „ T o t s t e l l r e f l e x e n " (Thanatose), die bei vielen Tieren — namentlich bei Arthropoden — vorkommen. H i e r t r i t t der Zustand der Bewegungslosigkeit (Akinese) durch starke Reize (Berührung, Erschütterung) ein, wobei die Tiere o f t typische Stellungen annehmen. Erneute Reizung bewirkt Verstärkung und Verlängerung der Thanatose.

Zu den unbedingten Reflexen m u ß man auch die Reizreaktionen, die man als T r o p i s m e n und T a x i e n (s. S. 60) bezeichnet, rechnen. Es handelt sich um durch äußere Reize ausgelöste Bewegungen, die das Tier oder Teile seines Körpers in bestimmte räumliche Beziehungen zu den Reizorten und -richtungen bringen. Auch sie können durch übergeordnete Zentren und physiologische Zustände modifiziert werden. Die unbedingten Reflexe sind also erbliche, stereotype Vorgänge, deren Zustandekommen und Verlauf vom physiologischen Zustand abhängen und die durch übergeordnete Zentren modifiziert werden k ö n n e n . Tiere, die nur unbedingte Reflexe ausführen, nennt man „Reflexmaschinen". Bei den meisten Tieren wird das Verhalten jedoch nicht nur von Reflexen, d. h. von Reaktionen auf äußere Reize, bestimmt. Teile des Z N S können ohne Anregung von außen Impulse zur Peripherie senden, die bestimmte Handlungen veranlassen. Die Fortbewegungsreaktionen bei Anneliden, Arthropoden und Wirbeltieren können durch rhythmische I m pulse, die intrazentral entstehen und von den Zentren (im Bauch- bzw. Rückenmark) zu den Muskeln des Hautmuskelschlauches oder der Extremitäten geleitet werden, zustande kommen. Ein kopfloser Aal, dem die rezeptorischen Rückenmarksnerven durchschnitten sind, f ü h r t noch normale Schwimm3*

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Reizerscheinungen

bewegungen aus. Der Rhythmus kann durch äußere Reize und durch Änderungen in den Aktivitätszuständen der Zentren reguliert werden, ist an sich jedoch autonom. Einige Verhaltensweisen der Tiere werden also durch u m w e l t u n a b h ä n g i g e z e n t r a l n e r v ö s e A u t o m a t i s m e n hervorgerufen; ähnlich wie die Tätigkeiten des Wirbeltierherzens (s. Teil I, S. 119). Durch solche Automatismen, also erbliche, d. h. art- oder rasseeigentümliche, im ZNS entstehende Impulsfolgen, deren Auftreten und Verlauf durch innere physiologische Zustände •— namentlich durch Hormone — reguliert wird, kommen höchstwahrscheinlich die I n s t i n k t h a n d l u n g e n zustande. Dies sind gesetzmäßig verlaufende, oft sehr verwickelte Tätigkeitsfolgen, die meist durch äußere Reize in Gang gebracht werden. H ä u f i g sind diese „Auslöser" bestimmte, der Nahrung, dem Feind, dem Artgenossen, dem Geschlechtspartner, den Eltern, den Jungen usw. zukommende Eigenschaften (angeborene Schemata). In anderen Fällen sind es allgemeine Situationsreize, wie Temperatur, Jahreszeit, Tageszeit usw. Wenn die auslösenden Reize fehlen, „sucht" das Tier nach ihnen (Appetenzverhalten). Instinkthandlungen können auch „spontan" zur Ausführung kommen, gewissermaßen, als ob angestaute „Nervenenergie" abreagiert werden müßte. Dadurch kann die unter natürlichen U m ständen zweckmäßige Instinkthandlung „im J-eerlauf" ausgeführt und dadurch sinnlos oder sogar schädlich für das Tier werden. Bei vielen Vögeln beobachtet m a n l a n g e vor d e r Zeit des Nestbaues das Ergreifen und Auslegen von N i s t m a t e r i a l an versdiiedenen Stellen des Raumes. Zur N i s t z e i t kommt dann erst durch s i n n v o l l e L e n k u n g dieser H a n d l u n g e n das Nest z u s t a n d e . Die Z u g v ö g e l w e r d e n d u r d i periodisch a u f t r e t e n d e H o r m o n a u s s d i ü t t u n g e n im S p ä t s o m m e r oder Herbst in einen Zustand der W a n d e r b e r e i t s c h a f t v e r s e t z t , der sie z w i n g t , v i e l e T a g e oder Wochen hindurch mehrere Stunden ( o f t nachts^ h i n t e r e i n a n d e r zu f l i e g e n , w o d u r d i sie unter natürlichen Bedingungen den G e f a h r e n des n a h r u n g s armen, kalten nordischen W i n t e r s e n t f l i e h e n . W e n n aber manche K ä f i g vögel' (z. B. G r a s m ü d i e n ) , die stets bei gleicher T e m p e r a t u r u n d N a h r u n g gehalten w e r d e n , zu der Zeit, wenn ihre freien Artgenossen ziehen, Nacht f ü r N a d i t in ihrem engen G e f ä n g n i s u m h e r f l a t t e r n , sidi b l u t i g sdllagen und die Federn abbredien, so w i r d der ursprüngliche Zwedc der I n s t i n k t h a n d l u n g in sein Gegenteil v e r k e h r t . In der Gefangenschaft geborene Vögel verhalten sich ebenso; w i r haben es also m i t ererbten I n s t i n k t h a n a l u n g e n zu tun.

Nervenphysiologie

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Bei Tieren mit höher entwickeltem ZNS liegen in dessen vorderen Abschnitten sog. K o o r d i n a t i o n s - und A s s o z i a t i o n s z e n t r e n . Sie bestehen aus Ganglienzellen, deren Fasern die verschiedenen sensiblen und effektorischen Zentren in mannigfaltiger Weise miteinander verbinden." Diese Zentren erhalten aus den Sinneszentren Erregungen, die sie untereinander und mit effektorischen Zentren verknüpfen. Mit der steigenden Ausbildung der Assoziationszentren erlangen die Tiere in immer höherem Maße die Fähigkeit, Assoziationen zu bilden, d. h. zur Verknüpfung verschiedener Reize. Die nervöse Substanz hat die Eigenschaft, Spuren von Erregungen — E n g r a m m e — zurückzubehalten. Dies bewirkt in ihr eine kürzere oder längere Zeit anhaltende Veränderung, die den Erregungsablauf beeinflussen kann. Die Engramme können durch Reize, die bei ihrer Entstehung eine Rolle spielten, wieder in Erscheinung- treten, e k p h o r i e r t werden. Wirkt in Verbindung mit einem Reiz (Originalreiz), der eine bestimmte Reaktion bedingt, ein anderer Reiz (repräsentativer, bedingter oder Signalreiz), der allein diese Reaktion nicht hervorruft, auf ein Tier ein, so können die beiden Reize miteinander assoziiert werden, so daß später der Signalreiz allein zur Hervorbringung der Reaktion genügt. W i r d ein H u n d g e f ü t t e r t , so löst dieser diemisdie Originalreiz als unbedingten Reflex Speidielsekretion aus (s. Teil 1, S. 73). W i r d nun ledesmal gleichzeitig oder in zeitlicher V e r k n ü p f u n g mit dem Futterreiz irgendein anderer Reiz (z. B. eine bestimmte Farbe oder ein bestimmter T o n ) als Signalreiz geboten, so bildet sidi nach mehrmaliger W i e d e r holung dieser Reizkombination f r ü h e r oder später eine Assoziation zwischen O r i g i n a l - und Signalreiz und es genügt jetzt der letzte allein zur H e r v o r b r i n g u n g des Speichelflusses.

Auf der Bildung von Engrammen beruht die L e r n - oder D r e s s u r f ä h i g k e i t , die unter den Tieren weit verbreitet ist. Nicht nur im Experiment, sondern auch in der Natur lernen die einzelnen Individuen, auf bestimmte Reize oder Situationen durch gewisse Handlungen zu reagieren, die ihnen im allgemeinen Vorteile bringen oder sie vor Schaden bewahren. Die Individuen sammeln persönliche E r f a h r u n g e n , die selbstverständlich nicht erblich sind. Das Lernen erfolgt in den meisten Fällen nach der Methode von „ V e r s u c h u n d I r r t u m " , d. h. das Tier versucht, wenn es vor

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Reizerscheinungen.

eine Aufgabe gestellt wird, die ihm zur Verfügung stehenden Handlungsweisen, bis eine von. ihnen Erfolg bringt. Nach mehrmaliger Wiederholung w i r d dann gleich die erfolgreiche angewandt. Im Dressurexperiment pflegt m a n die „falschen" Lösungsversuche zu „bestrafen" und die „richtigen" zu „belohnen", bis das T i e r es gelernt hat, die falschen zu meiden und die richtigen anzustreben. Lernen durch „ N a c h a h m u n g" ist selten. Manche Vögel, bei denen der Artgesang nicht erblich ist, lernen ihn erst von älteren Artgenossen. Viele Vögel „spotten", d. h. sie ahmen die Lautäußerungen anderer Vögel oder auch andere T ö n e — wie die menschliche Sprache (Papageien, Star usw.) — nach. Eine seltene A r t des Lernens ist die „P r ä g u n g", w o r u n t e r man die Eigenart einiger Nestflüchter, die von ihren Eltern geführt werden, versteht, den großen, beweglichen K ö r p e r , den sie zuerst nach dem Schlüpfen kennen lernen, als Führer anzunehmen. Von im Brutschrank geschlüpften Graugänsen kann der Pfleger als Elter „geprägt" werden. Die Tiere lassen sich dann w ä h r e n d der ganzen Entwicklung u n d noch viel länger von ihm f ü h r e n .

Die höchste Leistung des Z N S , die wir von Tieren kennen, ist die E i n s i c h t . M a n versteht darunter die Erfassung von Kausalzusammenhängen. W e n n ein A f f e eine außer Reichweite liegende Frucht an dem an ihr befestigten Faden ohne Probieren oder vorherige E r f a h r u n g zu sich heranzieht (primäre Aufgabenlösung), so m u ß er „verstanden" haben, d a ß die Frucht mit dem Faden zusammenhängt und d a ß Ziehen am Faden das erstrebte Ziel in Reichweite bringt. Er hat, bevor er handelte, „innerlich" die ihm zu Gebote stehenden Handlungsmöglichkeiten „durchprobiert" und setzt dann gleich die zum Ziele f ü h r e n d e ein. Das einsichtige (intelligente) H a n d e l n äußert sich bei Tieren manchmal durch e c h t e n W e r k z e u g g e b r a u c h . So kann ein A f f e einen Stock aufnehmen und damit eine Frucht heranziehen oder mehrere Kisten herbeiholen und aufeinander stellen, um ein hoch hängendes Ziel zu erreichen. Schimpansen können sogar zwei Rohre, von denen jedes zu kurz ist, um das Ziel heranzuholen, ineinander stecken und sich so ihr Werkzeug verbessern; sie können gewissermaßen „Erfindungen machen". Einsichtiges Verhalten ist bisher nur bei den am höchsten stehenden

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Wirbeltieren — namentlich bei A f f e n (besonders Schimpansen) und Rabenvögeln — einwandfrei nachgewiesen. Die komplizierten Verhaltensweisen, die man z. T . bei höheren Tieren beobachtet, setzen sich meist aus mehreren der besprochenen nervösen Leistungen zusammen, die oft in schwer analysierbarer Weise miteinander verknüpft sind. Durch „ V e r s c h r ä n k u n g " von unbedingten Reflexen, Reflexketten, Taxien, Automatismen, Instinkten, Erlerntem und einsichtigem Verhalten kommt es zu verwickelten H a n d lungsfolgen von mehr oder weniger großer Plastizität. Beim Menschen treten bei vielen der nervösen Leistungen psychische Vorgänge auf, die man B e w u ß t s e i n nennt. Dies kann schon bei einfachen, unbedingten Reflexen der Fall sein, wie bei dem Patellarreflex (ein Schlag auf die Kniescheibensehne bewirkt schnelle Kontraktion des Unterschenkelstreckers), bei dem uns der Reiz und die Reaktion zum Bewußtsein kommen. Andere Reflexe, wie der Pupillenreflex (Belichtung der Netzhaut veranlaßt Pupillenverengung,

r

Abb.

22.

„Nervöse 1 * Strukturen bei Paramaecium (Infusor). ( N a c h R e e s aus von B u d d e n b r o c k . ) C = FFaasse r n , M : Cilien, F = TT " Tricho„Motorium", Cysten.

Abb.

23.

Bandförmig zugeschnittene zugeschnittene Meduse (Aurelia). (Nach

Romanes.)

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Reizerscheinungen

s. S. 132) verlaufen ganz unbewußt. D a wir das Bewußtsein nur aus unseren subjektiven Empfindungen kennen, über die Empfindungen der Tiere aber nichts wissen (s. S. 56), können wir nicht entscheiden, ob es den Tieren ebenfalls zukommt. Dies ist jedoch für höhere Tiere wahrscheinlich. b) Die Nervenphysiologie

bei den verschiedenen

Tiergruppen

V o n einer Nervenphysiologie der P r o t o z o e n kann man eigentlich nicht sprechen, vor allem, weil die Einzeller keine Nervensysteme, die ja immer aus Zellen aufgebaut sind, haben. Bei manchen der a m höchsten entwickelten Ciliaten (z. B. bei Paramaecium) sind faserartige Strukturen sichtbar gemacht worden, die v o n einem „ Z e n t r u m " („Motorium"') zu den Cilien und Trichocysten ziehen (Abb. 22), und solche, die diese OrganelUn miteinander verbinden. D a ß es sidi um „nervöse" S t r u k t u r e n h a n d e l t , ist jedoch sehr unwahrscheinlich. Organellen, die als Rezeptoren a u f g e f a ß t werden könnten, sind z. T . v o r h a n d e n (s. S. 61 und 112). Ferner haben viele Einzeller E f f e k t o r e n in Gestalt v o n Cilien, Geißeln (s. S. 8), Formen (z. B. Myoiden (s. S. 10) und Trichocysten. Den meisten Rhizopoden) fehlen jedoch derartige D i f f e r e n z i e r u n g e n . D i e Reizbarkeit des Plasmas ist nicht unbedingt an bestimmte S t r u k t u r e n gebunden. Es gibt bei Protozoen viele Vorgänge, die den nervösen Leistungen der Metazoen ähnlich sind. Viele Änderungen der energetischen Situation werden, wie bei den Vielzellern, durch entsprechende Reaktionen beantwortet. Diese Erscheinungen sind jedoch wohl v o n den nervösen V o r gängen bei den Metazoen wesensverschieden. O b P r o t o z o e n Assoziationen bilden können, ist fraglich. Der Erfolg von Versuchen, bei denen sie „lernten", gegen ihre natürliche „Neigung" ein R e i z f e l d , in dem sie „ b e s t r a f t " wurden, nach W e g f a l l des „Strafreizes" zu vermeiden, mag in manchen Fällen auf S e n s i b i l i s i e r u n g beruht haben. Bei Einzellern — wie auch bei anderen Tieren — kann nämlich die wiederholte W i r k u n g bestimmter Reize den physiologischen Zustand so v e r ä n d e r n , d a ß sie auf bis dahin i n d i f f e r e n t e oder unterschwellige Reize reagieren. Die S c h w ä m m e reagieren auf gewisse Reize (s. S. 69). Da sie kein Nervengewebe haben, müssen die Erregungen durch die Körperzellen weitergegeben werden. Die Nervensysteme der C ö l e n t e r a t e n sind N e t z e , deren Maschen bei niederen Formen (z. B. Hydra, Abb. 18) ziemlich gleich groß sind, während bei anderen die Ganglienzellen ungleichmäßig verteilt sein können. Sie verdichten sich bei Medusen zu einem N e r v e n r i n g am Glockenrande. Die Erregungsleitung erfolgt im allgemeinen langsam mit starkem Dekrement. Das N e r v e n n e t z ermöglicht eine weitgehende Zerschneidung der Tiere, ohne d a ß die Erregungsleitung a u f h ö r t . Man kann aus einer Meduse ein bandartiges Gebilde (Abb. 23) zu rechtschneiden, in dem die Erregung noch von einem Ende zum anderen fließt. Der R h y t h m u s der Schirmkontraktionen bei der Schwimmbewegung der Medusen (s. S. 20) wird durch Impulse reguliert, die von den Ra.idkörpern Statocysten [s. S. 79]), Augenflecken [s. S. 113]) ausgehen. Über das Verhalten von Cölenteraten als „Reflexrepubliken" w u r d e schon berichtet (s. S. 32). Einige Aktinien der Gezeitenzone breiten bei Flut die T e n t a k e l aus und ziehen sie bei Ebbe ein. Sie sollen diesen regelmäßigen R h y t h m u s auch in Aquarien bei gleichbleibendem Wasserstand eine Zeitlang beibehalten.

Nervenphysiologie

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Bei den niederen W ü r m e r n besteht das Nervensystem (Abb. 24) aus Längssträngen, die durch Querverbindungen (Kommissuren) verbunden sind und v o n denen periphere N e r v e n ausstrahlen. Das Ganze ist ziemlich netzartig. Die Längsstämme sind sog. Markstränge, d. h. sie enthalten außer Leitungsbahnen noch Ganglienzellen. Am Vorderende haben sie meist Verdickungen, „Cerebralganglien". Physiologisch sind die einzelnen Teile o f t etwa gleichwertig. Die Teilstücke einer Planarie bewegen sich noch koordiniert, drehen sich aus der Rückenlage um usw. Bei einigen Polycladen f u n k t i o n i e r e n jedoch die Cerebralganglien schon als übergeordnete Lokomotionszentren, deren Zerstörung die geordnete Fortbewegung verhindert. Die Nemertinen verhalten sich nervenphysiologisch ähnlich wie die Polycladen.

Abb. Nervensystem seite eines (Planaria (Nach B ü

24. der BauchStrudelwurmes gonocephala). t s c h 1 i.)

Abb. 25. des sedenNervensystem tären P o l y ä i ä t e n Sabella alveolata v o n der Ventral— seite. (Nach M e y e r aus Bütschli.) A = Antenne, B = Bauchmark, K = Kieme, O = Oberschlundganglion, U = U n t e r schlundganglion.

Eine scharfe T r e n n u n g zwischen zentralem und peripherem N e r v e n system ist bei den A n n e l i d e n durchgeführt. Das Z N S besteht aus dem paarigen, über dem V o r d e r d a r m gelegenen Obersdilundganglion, das durch Schlundkonnektive mit den Unters chlundganglien verbunden ist, Längsstränge verbinden diese mit dem ersten P a a r von Bauchganglien. Bauchganglien, die miteinander durch Kommissuren und Konnektive in Verbindung stehen und von denen periphere N e r v e n ausstrahlen, liegen in jedem Segment und bilden zusammen das strickleiterförmige Bauchmark (Abb. 25). Beim Regenwurm gehen von den Bauchganglien jeder Seite motorische Fasern zu der rechten u n d linken K ö r p e r m u s k u l a t u r (Abb. 26V Dagegen laufen die sensiblen Fasern von der Peripherie nur nach dem gleichseitigen Ganglion. Durch das ganze Bauchmark ziehen sich drei lange N e r v e n f a s e r n (Kolossalfasern oder Neurochorde), die segmentale Seitenzweige abgeben. Bei manchen Polychaeten (z, B. Nercis1

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Reizersdieinungen

liegen an J e n Oberschlundganglien Assoziationszentren — die gestielten oder pilzförmigen K ö r p e r ( C o r p o r a peduneulata) —, in denen Bahnen aus dem Bauchmark und von den Kopfsinnesorganen (Antennen, P a l p ' n , Augen) zusammenlaufen. Auf leichte Reizung eines Segmentes reagiert ein Regenwurm durch Anschwellung dieses Segmentes (unisegmentaler Reflexbogen), bei stärkerer Reizung greift die Schwellung auf benachbarte Segmente über (intersegmentaler Reflexbogen) und bei noch stärkerer reagiert der W u r m als Ganzes durch schnelle K o n t r a k t i o n e n und K r ü m mungen. Bei diesem „Zuckreflex" wird die Erregung durch die Kolossalfasern geleitet, und z w a r in der mittleren Faser von v o r n nach hinten, in den beiden seitlichen von hinten nach v o r n . Die Kriechbewegung des Regenwurms erfolgt durch von vorn nach hinten verlaufende

K

Abb. 26. Schcmatischer Querschnitt durch die Ventralregion eines Regenwurms. (Nach K ü h n . ) B = Bauchganglion, E = Epidermis, K = Kolossalfasern, L = Längsmuskeln, mE = motorische N e r v e n e n d i g u n g , m F = motorische N e r v e n f a s e r n , m Z = motorische Nervenzellen, R = Rezeptoren, rF = rezeptorische N e r v e n f a s e r n , R M = Ringmukeln, rz = rezeptorische Nervenzelle. Kontraktionswellen, wobei die nach hinten gerichteten Borsten das Zurüdigleiten verhindern. Beim Rückwärtskriechen werden sie uadi vorn umgestellt. Die K o n t r a k t i o n e n der Peristaltik (abwechselnde Z u sammenziehung der Längs-, und Ringmuskeln) werden hauptsächlich wohl durch zentralnervöse Automatismen (s. S. 35—36) b e w i r k t : andererseits jedoch auch durch Kettenreflexe (s. S. 31), indem durch, die K o n t r a k t i o n der Längsmuskeln in einem Segment auf das folgende ein mechanischer Zug ausgeübt w i r d , der dessen Muskeln zur K o n t r a k t i o n anregt. Daher f ü h r t ein W u r m , dem der Hautmuskelschlaudi unter Schonung des Bauchmarks zerschnitten ist, oder einer, der ganz d u r d i t r e n n t und dessen Teile durch Fäden miteinander verbunden sind, noch koordinierte peristaltischc Bewegungen aus. Beim Blutegel (Hirudo) sdieint die Gehbewegung mit Einzelschritten (s. S. 20) durch Impulse reguliert zu werden, die vom Unterschlundganglion und vom Analganglion (dem letzten Ganglion des Bauchmarks) ausgehen und die abwechselnde A n h e f t u n g und Ablösung der Saugnäpfe und entsprechende K o n t r a k t i o n oder Erschlaffung der Längsund Ringmuskeln bewirken, W o h l bei allen A r n e l i d e n ist das O b e r -

Nervenphysiologie

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schlundganglion Hemmungszentrum (s. S. 34). Ein Blutegel ohne Oberschlundganglion schwimmt viel häufiger und länger als ein normaler. Das Schwimmen wird durch Impulse aus dem Bauchmark hervorgerufen. Im normalen Wurm wird es durch das Oberschlundganglion unterdrückt und diese Hemmung z. T . vom Analganglion aus aufgehoben, wie daraus hervorgeht, daß ein Tier ohne Analganglion nicht schwimmt, nach Ausschaltung des Oberschlundganglions es jedoch in gesteigertem Maße tut. Die Anneliden sind schon imstande, zu lernen, wie Dressurversuche an Regenwürmern zeigen. Wird ein Wurm, der in einem T-Rohr kriecht, jedesmal, wenn er in einen Schenkel einbiegt, elektrisch gereizt, so lernt er es nach vielen (etwa 100^ Versuchen, diesen Schenkel zu vermeiden und nur noch oder vorwiegend den anderen zu benutzen. Bemerkenswert ist, daß diese Assoziation bestehen bleibt bzw. neu gebildet werden kann, wenn die Oberschlundganglien entfernt sind, ja selbst, wenn die fünf vordersten Segmente fehlen. Der Regenwurm hat gewissermaßen ein „segmentales Gedächtnis*.

Abb. 27. Schema des Nervensystems einer Schnecke (Aplysia). (Nach F r ö h l i c h aus von Buddenbrock.) ß = Buccalganglion, C = Cerebralganglion, N = peripheres Nervennetz, P = Peaalganglion, PI = Pleuralganglion, V = Viscéralganglion.

Abb. 28. Schema des „Halbtierversuches". (Nach H e r t e r.) I = gereizte, II = ungereizte Hälfte des Schneckenfußes. B Bleistäbe zur Verbindung der unter I liegenden Stanniolelektroden (E) mit den Elektrodenhaltern (H), Z = ZNS.

Unter den M o l l u s k e n haben die Chitonen ein Nervensystem, das — ähnlich wie bei den niederen Würmern — aus Marksträngen besteht. Die höher entwickelten Gruppen haben im allgemeinen drei Hauptganglienpaare, das Cerebral-, Pedal- und Visceralganglion, die durch Kommissuren

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Reizerscheinungen

und Konncktive verbunden sind. Außerdem können noch andere Ganglien, wie Pleural- und Buccalganglien, sowie periphere Nervennetze vorkommen (Abb. 27). Bei manchen G a s t r o p o a e n ist das p e r i p h e r e N e r v e n n e t z strickleiterartig ausgebildet, was eine große Selbständigkeit der einzelnen K ö r p e r p a r t i e n bedingt. Stücke von Limax können nodi relbständig kriechen. Bei den meisten Schnecken werden die Bewegungen von den Cerebral-; und Pedalganglien beherrscht. Besonders aufschlußreich zur Erforschung dieser Verhältnisse sind Versudie an „ H a l b t i e r e n " on Helix pomatia, d. h. an einem Schneckenfuß, dessen M u s k u l a t u r d u r d i einen medialen Längsschnitt unter Schonung des Z N S in zwei H ä l f t e n geteilt ist, von denen eine elektrisch gereizt werden kann (Abb, 28). Die Reizung verursacht K o n t r a k t i o n beider H ä l f t e n , wobei die direkt gereizte sich stärker kontrahiert als die andere, zu der die Erregung auf den Nervenbahnen über die Ganglien fließt. W e n n man nacheinander die Nervenbahnen und die einzelnen Ganglienteile zerstört, so v e r ä n d e r t sich das Verhältnis der Kontraktionsgrößen der beiden Fußhälften in gesetzmäßiger Weise. Es läßt sich feststellen, d a ß im Z N S von Helix pomatia drei Arten v o n nervösen Leitungsbahnen v e r l a u f e n : 1. E r r e g u n g s b a h n e n , die durdi periphere Reize erzeugte Erregungen Abb.

29.

Schema der Gehirnmasse eines C e p h a lopoden mit den wichtigsten Zentren. (Nadi von Uexküll aus von B u d d e n b r o c k.) B = Buccalganglion, Br = Brachialganglion, C 1 und C 2 = Cerebralganglien, I = I n f u n d i b u l a r g a n g l i o n , Oe r r Ösophagus, V = Visceralganglion, Z , - 3 Zentralganglien. Funktionen der Z e n t r e n : a : Zubeißen der K i e f e r , b : Fressen, c: F o r t schwimmen, d : Kriedien u. K l e t t e r n , e: Festsaugen, f : Loslassen der Saugn ä p f e , g u. h : Ein- u. Ausatmung, i : lokale M u s k e l k o n t r a k t i o n e n . zu den motorischen Zentren leiten. 2. A k t i v i t ä t s e r h ö h u n g s b a h n e n , die erregungssteigemde Faktoren von der Peripherie oder von Teilen des Z N S zu den motorischen Zentren f ü h r e n . 3. A k t i v i t ä t s v e r m i n d e r u n g s b a h n e n , die erregungssteigemde Faktoren von den motorischen Zentren weg zu anderen Stellen im Z N S leiten, wo sie „vernichtet" werden. Ferner zeigt der Halbtierversuch noch folgendes: Belastet man die eine H ä l f t e hoch, so dehnt sie sich s t a r k u n d k o m m t nach einiger Zeit in „Zentraltonus" (s. S. 19), d. h. durch Impulse vom Pedalganglion wird die Viskosität in den plastischen Teilen des F u ß muskels — und dadurch der Tonus — e r h ö h t , so d a ß der Fuß sich nur ganz langsam oder gar nicht weiterdehnt. Belastet m a n jetzt die andere H ä l f t e , so d a ß sie sich stark d e h n t , so verlängert sich auch die erste. M a n kann dies so deuten, d a ß die zweite H ä l f t e bei ihrer Belastung Tonus „benötigt", u m der passiven D e h n u n g W i d e r s t a n d leisten zu können. Er wird ihr aus den Pedalganglien zugeleitet, die dadurch an Tonus verlieren, den sie der ersten H ä l f t e entziehen. Deren T o n u s wird dadurch so vermindert, d a ß der Muskel die Last nidit mehr tragen kann und gedehnt w i r d . Im Cerebralganglion liegen bei einigen Formen (z. B. Aplysia) Hemmungszentren. Manche Schnecken (Ampullaria) lassen sich — ähnlich wie Regenwürmer — dressieren u n d Patellen kehren immer wieder

Ner venphysiol ogie

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an ihre „ W o h n o r t e " zurück, müssen also ein »Ortsgedächtnis" haben. Die meisten L a m e l l i b r a n c h i a t e n sind - r e f l e x a r m e " Tiere (s. S, 31), die mannigfaltige Reize durch Zurückziehen des Fußes und Schalensdiluß beantworten. Da an den die Ganglien miteinander verbindenden N e r v e n vielfach Anhäufungen von Nervenzellen vorkommen, sind die einzelnen Teile der Muscheßcörper relativ selbständig. Die komplizierteren Bewegungen, zu denen manche Arten f ä h i g sind, wie Eingraben, Spinnen (Mytilus), Schwimmen (Pecten), Putzbewegungen (Pesten) usw., werden vom Cerebralganglion aus geleitet. Bei den C e p h a l o p o d e n sind die H a u p t g a n g l i e n zu einer den Schlund umgebenden Gehimmasse k o n zentriert, in det Zentren f ü r die verschiedenen Reflexe liegen (Abb. 29). Außerdem sind noch besondere M a n t e l - (Stellar-), und Kiemonganglien

Q Abb. 30. Schemata des Insektengehirns, a : Ventralansicht, b:^ Seitenansicht. (Nach E i d m a n n.) ci Schnitt durch das Gehirn einer Ameisenarbeiterin, Camponotus Ugniperdus). Nach P i e t s c h k e r aus Claus-Grobben-Kühn.) A = Antennennerven, Ao — A o r t a , C. a. = C o r p o r a allata, C . c. == Corpora cardiaca, C . p . = C o r p o r a p e d u n e u l a t a , F = Frontalganglion, F. k . ~ F r o n t a l k o n n e k t i v , K = K o n n e k t i v zwischen rechtem und linkem T r i t o c e r e b u m , L. b. = Labialganglion, L.opt. Lobus opticus, M d = Mandibularganglion, Mx = Maxillarganglion^ N . l . = N e r v u s labralis, O = Oceilenstiele, ö = Ösophagus, P = • Protocerebrum, S = durchschnittener Sehstiel, „ Sg = Speichelgang, T = T r i t o c e r e b r u m , T h 1. = Thoracalganglion, U = Unterschlundganglion. vorhanden. I n den Armen verlaufen starke Nerven stränge^ mit Zella n h ä u f u n g e n , durch die Reflexbögen der S a u g n ä p f e gehen. Dies befähigt die abgetrennten Arme zu selbständigen H a n d l u n g e n , z. B. zum Ergreifen von Beute oder sogar z u r Übertragung des Spermas in das Weibchen (HectocotylusV In den Zentralganglien scheinen Koordinationszentren

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Reizerscheinungen

und in den Cerebralganglien Assoziationszentren zu liegen. Die Tintenschnecken sind die reizphysiologisch und psychisch am höchsten stehende) Mollusken. Lernvermögen ist mehrfach bei ihnen nachgewiesen worden. Das Nervensystem der A r t h r o p o d e n ist von dem der Anneliden abzuleiten, jedoch viel weiter differenziert. Das O b e r s c h l u n d -

Nervensystem einer Fleischfliege (Sarcophaga). (Nach Eidmann.) B = verschmolzene Bauchganglienkette, O zr Oberschlundganglion, U = U n t e r schlundganglion.

Innervierungsschema der Schere des Flußkrebses (Potamobius flaviatilis). (Nach J o r d a n und T o n n e r kombiniert.) E Ö = Erreger des ö f f ners, E S = Erreger des Schließers, H O ^ Hemmer des Ö f f n e r s , H S — H e m m e r des Schließers, ö = Ö f f n e r , S = Schließer.

g a n g l i o n oder < j e h i r n weist verschiedene Stufen der Ausbildung auf. Bei den a m höchsten entwickelten Insekten gliedert es sich in drei Hauptabschnitte ( A b b . 3 0 ) . Das Protocerebrum mit den Sehlappen (Lobi o p t i c i ) , die die Sehzentren enthalten, und auf dem die Ocellenstiele f ü r die Punktaugen sitzen, enthält mehrere Assoziationszentren, von denen die pilzförmigen K ö r p e r ( C o r p o r a peduneulata) die größten und wichtigsten sind (Abb. 30 c). In ihnen laufen Fasern aus fast allen T e i l e n des Z N S zusammen. Sie stellen übergeordnete Zentren für alle höheren Leistungen der Insekten dar. Am mächtigsten entwickelt ¿int. sie bei den H y m e n o p t e r e n , namentlich bei den „psychisch" am höchsten stehenden Arbeiterinnen der sozialen Formen. Der zweite Hirnabschjiitt, das Deutocerebrum, besteht im wesentlichen aus den Riechlappen ( L c b i o l f a c t o r i i l , aus denen die Antennennerven entspringen., V o n dem dritten H i r n t e i l , dem T r i t o c e r e b r u m , zieht der Labrainerv zur Oberlippe und das F r o n t a l k o n n e k t i v zu dem Frontalganglion des stomogastri6chen N e r v e n systems, das den D a r m und die Geschlechtsorgane innerviert. Das Tritocerebrum der einen Seite ist mit dem der anderen durch pine unter dem Ösophagus hindurchgehende Kommissur verbunden. Das U n t e r -

Nervenphysiologie

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s c h l u n d g a n g l i o n ist aus den M a n d i b u l a r - , Maxillar- und Labialganglien zusammengesetzt, die die entsprechenden Mundteile (s. T e i l I, S. 61) nervös versorgen. In der N ä h e des Gehirns und mit ihm nervös verbunden liegen an der Aorta die C o r p o r a allata u n d cardiaca (Abb. 30). Es sind inkretorische Drüsen, die z. T . H ä u t u n g s - und Vcrpuppuneshormone produzieren. Das B a u c h m a r k ist bei vielen Krebsen, M y r i a p o d e n , Insektenlarven und primitiven Insekten als Strickleiternervensystem ausgebildet. Bei zahlreichen Formen — z. B. Bradiyuren, Spinnen, vielen Insekten (Abb. 31) — sind die sinzeinen Ganglienpaare zu mehr oder weniger kompakten Massen verschmolzen. Das p e r i p h e r e N e r v e n s y s t e m ist d u r d i das Vorkommen aus-

a

b

c

Abb. 33. Schema der Gliedmaßenstellung der Schwimmkrabbe Portunus holsatus unter verschiedenen Bedingungen. (Nach H e r t e r.) a : normale R u h e stellung, b: nach Durchschneidung beider Schlundkonnektive, c: nach Durchschneidung des rechten Schlundkonnektivs, d : Reizung des rechten durchschnittenen Konnektivs mit schwachem Strom, e* Reizung der Oberschlundganglien mit schwachem Strom, f : Reizung der O b c r sdilundganglien mit stärkerem Strom. gedehnter Nervennetze mit eingestreuten Ganglienzellen (namentlich in den Intersegmentalhäuten) ausgezeichnet. Ferner ist bemerkenswert, d a ß die Muskeln durch einen dicken erregenden und einen dünnen hemmenden N e r v versorgt werden (Abb. 32). Die peripheren Nervennetze bedingen, d a ß bei manchen A r t h r o p o d e n abgetrennte Gliedmaßen noch beweglich sein können (z. B. bei Opilioniden) und ihren Muskeltonus behalten. Reizt m a r eine isolierte Krebsschere mit schwachen elektrischen Strömen, so ö f f n e t sie sich. d. h. der Erreger des Ö f f n e r s und der H e m m e r des Schließers wird erregt. Bei Reizung mit starken Strömen wird der E r reger des Schließers und der H e m m m e r des Ö f f n e r s erregt, es erfolgt Scherenschluß. Die Gangbeine der Arthropoden verhalten sich gleichsinnig, wobei dem Scherenschluß Beugung, der Ö f f n u n g Streckung entspricht. Durch die Doppelnerven mit verschiedenen Reizschwellen und die Einflüsse der Nervenplexus sind die nervenphysiologischcn V e r h ä l t nisse in den Arthropodenextremitäten sehr kompliziert. Die N e r v e n der Krebsschere scheinen z. T . dem Alles- oder Nichts-Gesetz zu gehorchen Die zahlreichen Reflexe, deren Bögen sich meist über mehrere Segmente erstrecken, gehen nicht durch die Oberschlundganglien, werden •cdoch von ihnen reguliert, und z w a r teils erregend, teils hemmend

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Reizerscheinungen

(s. Freßreflex von Carcinus, S. 34). Meist liegt ein primäres Reflexzcntrum im Bauchmark, ein Hemmungszentrum in einem hinteren Hirnteil und davor ein regulatorisches Zentrum, das die Hemmung situationsgemäß aufheben kann. Bei deeapoden Krebsen bewirkt Reizung, des Bauchmarks dasselbe wie direkte Reizung der Beine, d. h. schwache Reizung Streckung, starke Bsugung. Durchschneidung der Schlundkonnektive verursacht Beugung der Gangbeine (Abb. 33 b), einseitig nur auf der geschädigten Seite und Kreisgang (c). Durch schwache elektrische Reizung des Konnektivstümpfes kann die Beugung ausgeglichen werden (d), so daß die Krebse wieder normal gehen. Man kann also durch den elektrischen Reiz gewissermaßen die Impulse aus dem Gehirn ersetzen. Schwache Reizung des Gehirns am intakten Tier hat Beugung (e), stärkere Streckung f f ) zur Folge, also das entgegengesetzte Verhalten wie periphere oder Bauchmarkreizung. Der Aktivitätszustand dfis Gehirns bestimmt demnach im normalen Krebs den Aktivitätszustand der Zentren im Bauchmark. Bemerkenswert ist, daß bei der Sdiwimmkrabbe Portunus die Schwimmbeine sich im wesentlichen gerade umgekehrt verhalten wie die Gangbeine (Abb. 33). Die Ortsbeweftungsreaktionen werden bei den Arthropoden in ähnlicher Weise wie bei den Anneliden ('s. S. 42) dürch autonome Impulswellen im Bauchmark, die vom Gehirn und durch periphere Reize modifiziert werden können, verursacht. Nach Verlust der Unterschlundganglien verschwinden vielfach die Reflexe f ü r Ortsbewegung, Umdrehen, Verteidigung, Nahrungsaufnahme usw. Es müssen in ihnen viele wichtige Zentren liegen. Die Beinbewegungen beim Gang erfolgen in der Regel nach einem bestimmten Rhythmus; z. B. wird bei den sechsbeinigen• Insekten das 1. und 3. Bein einer Seite und das 2. deT Gegenseite gleichzeitig bewegt. Nach Verlust einiger Beine ändert sich der Rhythmus jedoch so, daß stets benachbarte Beine einer Seite abwechselnd, und über Kreuz gelegene Gleichzeitig arbeiten. Die Thoraxganglien, die diese Reaktionen beherrschen, sind also zu einer „plastischen Anpassung" an die Umstände fähig. Weit verbreitet ist bei den ArthroDoden die „tierische Hypnose" und die „Thanatose* (s. S. 35), die häufig: mit Katalepsie fUnempfindlichkeit gegen Reize, herabgesetzter Mnskeltonus» wächserne Biegsamkeit [Flexibilitas cerea] der Glieder) verbunden ist. Vielfach nehmen die Tiere dabei Stellungen ein, durch die sie sich optisch der Umgebung anpassen. Weit verbreitet sind Autotomiereflexe, d. h. das Abwerfen von Gliedmaßen an präformierten Stellen durch reflektorische Kontraktion bestimmter Muskeln auf starke Reize hin. Die Arthropoden — besonders die Insekten — sind tyoische Instinkttiere. Die komplizierten' H a n d lungen (Nestbau, Brutpflege, Orientierung usw."), die wir bei ihnen beobachten, verlaufen daher im allgemeinen mehr oder weniger starr. Manche Grabwespen pflegen, wenn sie mit ihrer Beute zu-ihrem Frdnest kommen, diese vor dem Eingang niederzulegen, in das Nest zu schlüpfen, nach kur7er Zeit wieder hervorzukommen und dann erst die Beute in den Bau zu ziehen. Legt man die Beute, während die Wespe im Nest ist, ein

w T G

Abb.

34.

Dressuranordnung f ü r Krebse. (Nach Y e r k e s aus Jennings.) G = Glasscheibe, T = Abteilung zum Einsetzen der Krebse, W Wasser.

Nervenphysiologie

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kleines Stück vom Eingang entfernt hin, so findet die wieder herausgekommene Wespe sie bald und schleppt sie zum Eingang zurück, jedoch nicht in diesen hinein; vielmehr läßt sie sie zunächst liegen und schlüpft wieder allein in den Bau. Wird die Beute nun wieder entfernt, jo erfolgt das gleich usw. Der Reiz, der durch das Heranbringen der Beute gesetzt wird, löst also automatisch die Reaktionsfolge: Beute hinlegen —• ins Nest kriechen aus, wenn die Handlungen auch sinnlos geworden sind. Andererseits zeigen viele Arthropoden ein Lernvermögen. Manche Krebse (Carcinus, Cambarus) lassen sich darauf dressieren, aus einem Kasten durch eine bestimmte Ö f f n u n g ins Wasser zu gelangen. Die eine Schmalseite des Kasjens (Abb. 34) war zur H ä l f t e durch eine Glasscheibe verschlossen, während die andere, offene Seite ins Wasser führte. Die Krebse wurden bei T in eine kleine Abteilung des Kastens gesetzt. Zunächst liefen bei 5 0 % der Versuche die Tiere direkt durch die Ö f f n u n g W ins Wasser, während sie bei 5 0 % in die Sackgasse bei der Glasscheibe G gerieten. Mit zunehmender Versuchszahl verschob sich das Verhältnis immer mehr zugunsten der offenen Seite, so daß nach 60 Versuchen 90ö/o der Krebse direkt zum Wasser liefen. Mannigfaltige Dressurversuche sind mit Insekten gemacht worden, von denen einige Beispiele noch besprochen werden (s. S. 102/03, 107, 132, 138). Die E c h i n o d e r m e n besitzen, außer peripheren Nervenplexus, drei Zentralnervensysteme, die jedoch physiologisch bisher noch nicht zu trennen sind. Im wesentlichen bestehen sie aus einem den Mund unigebenden Ringnervenstrang und fünf Radialnerven. Viele Reflexe, wie die Reaktionen der Stacheln und Pedicellarien, verlaufen nur *'n den Nervennetzen. Bei dem »Gang auf den Stacheln" der Seeigel wirkt das ZNS regulierend mit und bewirkt die Koordination. Die Kriechbewegung mittels der Ambulakralfüßchen wird vom Z N S beherrscht. Ein normaler Seestern kriecht meist mit einem Arm (Leitarm) voran. Wird der Uingnerv an zwei Stellen durchschnitten, so ist die Koordination gestört und die Arme können in entgegengesetzten Richtungen auseinanderstreben. Die Bewegungsrichtungen der einzelnen Arme werden durch die Erregungen, die ihnen von beiden Seiten des Ringes zufließen, bestimmt. Einzelne Arme der Seesterne verhalten sich wie ganze Tiere, sie kriechen koordiniert, drehen sich aus der Rückenlage um usw., so daß die Seesterne in weitem Maße dem T y p der „Reflexrepublik* (s. S. 32) entsprechen. Erstarrungs- und Autotomiereflexe kommen bei vielen Stachelhäutern vor. Manche See walzen (z. B. Synapta) reagieren auf starke Reize mit aktiver Durchschnürung des ganzen Körpers. Die Cutismuskulatur der Holothurien zeigt besonders ausgeprägt den plastischen Tonus (s. S. 17). Bei den T u n i k a t e n ist im Zusammenhang mit der sessilen Lebensweise das ZNS. zu einem dorsalen Ganglion reduziert. Außerdem kommen Nervennetze vor. Die festsitzenden Ascidien sind reflexarme Tiere, die die meisten Reize durch Kontraktion beantworten. Von den übrigen Formen ist nervenphysiologisch iwenig bekannt. Branchiostoma zeiet anatomisch ähnliche' Verhältnisse wie die Wirbeltiere, indem das ZNS aus einem dorsalen . Neurairohr mit vorderer Anschwellung besteht, von dem in jedem Segment ein dorsales und ein ventrales Nervenpaar ausgeht. Physiologisch ähnelt das Lan7ettf ischchcn insofern den Anneliden, als jedes Metamer ziemlich selbständig «reagiert. Das Vorderende ist reizbarer als der übrige Körper. Die W i r b e l t i e r e sind durch starke Konzentration der nervösen Zentren, sowie große Abhängigkeit aller Teile vom ZNS ausgezeichnet. Es gibt bei ihnen drei Zentrensysteme: das Rückenmark, das Gehirn und den Grenzstrang des Sympathicus.' An dem im Wirbelkanal gelegenen Rückenmark (Abb. 35) unterscheidet man eine innere um den 4 Herter

Tierphysiologie II, 3- Aufl,

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Reizerscheinungen F

Abb. 35. Schema des Rückenmarks. D = Drüse, E = effektorischc Zellen, F = Fasern, die versdiiedene Segmente verbinden, G ~ graue Substanz, GM = glatte Muskeln des Darmes, GS = sympathisches Ganglion, M — Muskeln, M N = motorischer N e r v , R = rezeptorische Nervenendigung in einem Epithel, Rc — Ramus communicans, RZ = rezeptorische Zellen, S = Schaltzelle, SG == Spinalganglion, S N = sensi'bler Nerv, SZ = Sinneszelle, W weiß,e Substanz, Z = Zentralkanal. Zcntralkanal gelegene graue Substanz („Schmetterlingsfigur" des Querschnitts), die die Körper der Neuronen enthält, und die äußere weiße Substanz, die aus Fasern besteht, durch die die einzelnen Markteile unter sich und mit dem Gehirn verbunden werden. I n den ventralen Säulen („Hörnern"^ der grauen Substanz liegen effektorische Ganglienzellen, deren Fasern in ventralen, segmental angeordneten effektorischen Nerven vereinigt, zu den Effektoren (Muskeln, Drüsen) ziehen. Die von den Rezeptoren der Peripherie kommenden sensiblen Fasern treten nicht direkt in das Rückenmark ein, sondern ziehen zu segmentalen Zentren, den außerhalb des Marks gelegenen Spinalganglien, von deren Neuronen Fortsätze in die dorsalen Säulen der grauen Substanz eintreten. Im Innern dieser Substanz liegen viele Schaltstellen,die die mannigfaltigen Reflexbögen miteinander verbinden. Die sensiblen und motorischen Erregungen laufen also auf verschiedenen Bahnen zum und vom Rückenmark, was sich leicht zeigen laßt, wenn man einem Frosch die redeten vorderen und die linken hinteren Wurzeln der Beinnerven durdisdineidet. Das rechte Bein ist dann unbeweglich, aber reizbar, während das linke beweglich jedoch nicht reizbar ist ( B e l l sdies Gesetz). Durch das Rückenmark gehen hauptsächlich die Reflexbögen für Abwehrreflexe (z. B. Wischreflex des Frosches, s. S. 31) und Ortsbewegungsreflexe. Die meisten Wirbeltiere können auch ohne Gehirn noch laufen, schwimmen oder springen; z. B. laufen geköpfte Hühner noch kurze Zeit umher. Bei den höheren Säugern ist dies nicht möglich, weil hier diese Reflexe unter Kontrolle der Sinnesorgane (besonders der Augen) stehen und

Nervenphysiologie

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Atmung und Herzschlag, deren Aufhören zum schnellen Tode führt, vom Gehirn aus in Betrieb gehalten werden. Die Rückenmarksreflexe werden hauptsachlich von der Haut oder den sensiblen Fasern in den Muskeln und Sehnen ausgelöst. Auch der Muskeltonus wird durch Hauterregungen, die durch das Rückenmark verlaufen (s. S. 33/34), beherrscht. Die Rückenmarksreflexe werden von übergeordneten Zentren reguliert, und zwar in der Hauptsache gehemmt. Bei manchen Tieren — z. B. beim Opossuyn — tritt nach Entfernung gewisser Hirnteile ruhelose Bewegung auf. Viele Rückenmarksreflexe verlaufen „unisegmental"; jedoch beeinflussen sich die verschiedenen Teile gegenseitig, so daß das Rückenmark vielfach „als Ganzes" wirkt. Außerdem können manche Reaktionen — wie etwa die Ortsbewegungen der Fische — durch intrazentrale Impulse, die das Rückenmark durchlaufen, („Automatismen", s. S. 36), beherrscht werden. Die Verbindungen der Rückenmarksteile unter sich und mit dem Gehirn

Wirbeltiergehirne. (Nach verschiedenen Autoren, z. T . verändert.) a—c: Frosch (Rana), d: Gans, e: Igel, f : Rind (jung, Sagittaischnitt). Hirnnerven: 1: N . olfactorius, 2: N . opticus, 3: N . oculomotorius, 4: N . trochlearis, 5: N . trigeminus, 6: N . abducens, 7: N. facialis, 8: N . stato-acusticus, 9: N . glossopharyngeus, 10: N, vagus, Iis N . accessorius, 12: N . hypoglossus. — B — Brücke (Pons) des Hinterhirns, C = Corpus callosum (Balken) des Vorderhirns, E = Epiphyse, H = Hypophyse, I = Infundibulum, K— Kleinhirn (Hinterhirn), L = Lobus (Bulbus) olfactorius, M — Mittelhart, N = Nachhirn, P = Paraphyse, S = 1. Spinalnerv, T = Thalamus opticus, V = Vorderhirn, Z = Zwischenhirn. 4*

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R e f e r s chein ungen

werden mit der Höherentwicklung der Organisation immer komplizierter und länger, u m schließlich bei den höchsten Säugetieren, bei denen es durchgehende Bahnen von der V o r d e r h i r n r i n d e (s. S. 53) bis in^ das Lendenmark gibt (z. B. die absteigenden P y r a m i d e n b a h n e n ) , ihren G i p f e l zu erreichen.

Abb. 37. Schematische Querschnitte luerschnitte durdi die V o r d e r h i r n e von Wirbeltieren. ( N a d i E d i n g e r aus K ü h n . ) a : R e p t i l , b: niederer Säuger (Beuteltier), _ c: höherer Säuger (Hund). A Ardiipallium,

L Das G e h i r n der Wirbeltiere (Abb. 36) gliedert sich von hinten nach v o r n in f ü n f Abschnitte: Im Nachhirn = : M-yelencephalon oder verlängertem Mark (Medulia oblongata) entspringen oder enden die meisten H i r n n e r v e n . Bei Fischen und Amphibien sind 10, bei den höheren Vertebraten 12 vorhanden, deren N a m e n und Aus- oder E i n t r i t t s stellen aus Abb. 36 efsichtlich sind. In der Medulia oblongata liegen die Zentren f ü r viele Reflexe, die durch diese N e r v e n v e r m i t t e l t werden z. B. Atemzentren [s. T e i l 1 S. 101]). Meist liegen weiter v o r n ü b e r geordnete Zentren, die die Reflexe regulieren, und z w a r zuerst ein Hemmungszentrum und noch weiter v o r n ein Erregungszentrum. Bei Fröschen liegt das Freßzentrum in der Medulia oblongata. W i r d diese k u r z hinter dem Kleinhirn durchschnitten, so wird jeder die Schnauze berührene Gegenstand gepadet (sensible Bahn: N . trigeminus, motorische: N . facialis), Zerschneidung des H i r n s vor dem K l e i n h i r n l ä ß t den Reflex verschwinden. Beim normalen oder vorderhirnlosen Frosch w i r d der Reflex optisch ausgelöst. Das Kleinhirn ( H i n t e r h i r n = Metencephalon) reguliert die K o o r d i n a t i o n der Körperbewegungen und den Muskeltonus. Ein l l e i n h i r n l o s e r H u n d kann alle Bewegungen a u s f ü h r e n ; sie werden jedoch übertrieben, beim Gehen werden z, B. die Beine übermäßig hoch gehoben, beim Fressen das Maul zu weit aufgerissen u n d _ dergl. Bei schnell beweglichen Tieren (Vögel, viele Fisdie, Säuger) ist in der Regel das Kleinhirn relativ groß und d i f f e r e n z i e r t . Das M i t t e l h i r n = Mesencephalon ist bei den niederen Wirbeltieren _ hauptsächlich Umschaltstation f ü r verschiedene Sinneserregungen. Bei den höheren ist es außerdem p r i m ä r e Endstelle der Sehnerven und daher bei gut «sehenden besonders stark entwickelt. Das Zwischenhirn _ = Diencephalcn dient bei den Säugern, bei denen es am meisten d i f f e r e n z i e r t ist, vorzugsweise der Umschaltung v o n Erregungen — besonders im Sehhügel ( T h a l a m u s opticusV lm Zwischenhirn enden die Fasern der sich

Nervenphysiologie

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vorher im Chiasma kreuzenden Sehnerven. An einer ventralen Ausstülpung des Diencephalon (Infundibulum) hängt die Hypophyse (s. Teil 1, S. 123). Dorsale Ausstülpungen sind die Paraphyse (unbekannter Funktion), die Epiphyse, die bei Petromyzon ein Lichtsinnesorgan, bei den höheren Wirbeltieren (Zirbeldrüse) eine inkretorische _ Drüse ist, und das Parietalorgan, das bei manchen Fischen und Reptilien als Lichtsinnesorgan funktioniert. Das Vorderhirn = Prosencephalon p Telencepnalon (Großhirn) besteht aus den beiden blasigen Hemisphären, deren Boden zu je einem Basalganglion (Corpus striatum) verdickt ist, während das Dach die H i r n r i n d e — das Pallium — bildet. Bei Fischen ist sie im wesentlichen „Riechhirn", sie enthält Neuronen, die mit den Anus a Vagina

Abb.

ßauch

38.

Motorische Zentren auf der linken Vor- Jr derhirnhemisphäre des Schimpansen. 4 (Nach S h e r r i n g t o'n und G r u n b ä u m aus i l ö b e r.) %cn, JS

"

Öffnung stimmkänder

Kauen

Riechiappen (Lobi olfactorii} in Verbindung stehen. Von den Amphibien an teilt sich die Rinde in ein der Riedlfunktion dienendes Archipallium und das lateral gelegene Neopallium (Abb. 37). Dieses wird immer großer und erlangt durch reichliche Faltenbildung bei den höheren baugem seine größte Entwicklung. Die Hirnrinde steht durch sehr verwickelte Fasersysteme mit den anderen Hirnteilen in Verbindung. Ihre einzelnen Bezirke sind in mannigfaltiger Weise miteinander verk n ü p f t . Während bei Fischen und Ampnibien, bei denen die Verhältnisse noch relativ einfach sind, Verlust des Vorderhirns das Verhalten nicht sehr wesentlich beeinflußt — Fische können sogar noch lernen —, sind vorderhirnlose * höhere Wirbeltiere in ihrem Verhalten sehr stark verändert. Vögel können zwar noch sehen und sich geordnet bewegen (auch i liegen), sind jedoch nicht fähig, Wahrnehmungen zu benutzen. Z. B. ergreiien und töten Raubvögel bewegte Beutetiere, fressen sie .jedoch nicht. Bei vorderhirnlosen Hunden sind die wichtigsten Sinne (Geruch, Gesicht, Gehör) ganz oder fast ganz verschwunden, "fast-, Gleichgewichtsund 'i emperatursinn jedoch erhalten. Alle höheren psychischen Leistungen sind vernichtet. Das Lernvermögen fehlt völlig. Nach nur einseitiger Vorderhirnausschaltung verschwinden die anfänglichen Störungen mit der Zeit. Eine Hemisphäre genügt also f ü r alle Funktionen. Bei den höheren Wirbeltieren hat ipan histologisch und physiologisch durch Ausschalt- und Reizversuche, sowie durch Ableitung von Aktionsströmen in der H i r n rinde Felder (Rindenfelder) nachgewiesen, die bestimmten Funktionen zugeordnet. sind. Man unterscheidet primäre und sekundäre Rindenfelder. Unter den ersten gibt es motorische (Abb. 38^ und sensible. Reizung der motorischen bewirkt koordinierte Bewegungen der zugeordneten Muskelkomplexe, Zerstörung der sensiblen Spnären verursacht funktio-

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Reize rscheinungen

nellcn Ausfall der betreffenden Sinnesorgane. Die Sekundärzentren stehen im Dienste höherer psychischer Funktionen. Vor allem bewirkt ihr Verlust das Verschwinden des Erinnerungsvermögens (Agnosie) und des eigentlichen „ H a n d e l n s " (Apraxie), d. h. der A u s f ü h r u n g bestimmter erlernter nicht a u t o m a t e n h a f t e r Bewegungen. Für die höchsten psychischen Leistungen — Verstehen, Wollen, bewußtes E m p f i n d e n usw. —