Vereinbarkeit gesetzlicher Öffnungsklauseln mit der Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG [1 ed.] 9783428533763, 9783428133765

In dieser rechtswissenschaftlichen Arbeit untersucht Franziska Drohsel eine in den letzten Jahren hoch umstrittene, arbe

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German Pages 266 Year 2010

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Vereinbarkeit gesetzlicher Öffnungsklauseln mit der Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG [1 ed.]
 9783428533763, 9783428133765

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1168

Vereinbarkeit gesetzlicher Öffnungsklauseln mit der Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG Von Franziska Drohsel

Duncker & Humblot · Berlin

FRANZISKA DROHSEL

Vereinbarkeit gesetzlicher Öffnungsklauseln mit der Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1168

Vereinbarkeit gesetzlicher Öffnungsklauseln mit der Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG

Von Franziska Drohsel

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin hat diese Arbeit im Jahre 2010 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2010 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: Process Media Consult GmbH, Darmstadt Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 978-3-428-13376-5 (Print) ISBN 978-3-428-53376-3 (E-Book) ISBN 978-3-428-83376-4 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2009/2010 von der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin als Dissertation angenommen. Rechtsprechung und Literatur sind bis Februar 2010 berücksichtigt. Mein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. Ulrich Battis, für die Betreuung und Förderung der Arbeit. An seinem Lehrstuhl war ich zunächst als studentische Hilfskraft und später als wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig. Der großzügig gewährte Freiraum, die lebendige und angenehme Arbeitsatmosphäre an seinem Lehrstuhl und das in mich gesetzte Vertrauen haben maßgeblich zur Ergreifung des Promotionsvorhabens und dessen Gelingen beigetragen. Dafür möchte ich mich bedanken. Herrn Prof. Dr. Wolfgang Däubler möchte ich herzlich für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens sowie die wertvollen Gespräche und weiterführenden Anmerkungen danken. Mein Dank gilt darüber hinaus Herrn Prof. Dr. Klaus-Joachim Grigoleit und Herrn Prof. Dr. Jens Kersten für zahlreiche Anregungen und Gespräche, die mir insbesondere bei der Themenwahl eine große Hilfe waren. Herrn Dr. Albert Ingold möchte ich danken für seine stete Diskussionsbereitschaft, seinen unerbittlichen Widerspruchsgeist und seine kontinuierliche Unterstützung, wodurch er maßgeblich zum Gelingen der Arbeit beigetragen hat. Danken möchte ich ferner meinen Freunden und Kollegen, vor allem Felicitas Kaape, Kristian König, Fabian Schmitz-Grethlein und Laura Schopp für ihre Hilfe und viele Diskussionen. Bei Paul Drohsel, Dr. Petra Drohsel und Wolfgang Wiemer möchte ich mich herzlich dafür bedanken, dass sie die Mühen des Korrekturlesens auf sich genommen haben. Die Friedrich-Ebert-Stiftung hat mich bereits während des Studiums mit einem Stipendium gefördert und mir die Erstellung der Arbeit durch ein Promotionsstipendium ermöglicht. Hierfür möchte ich mich bedanken. Der Hans-Böckler-Stiftung danke ich für die Gewährung eines großzügigen Druckkostenzuschusses, der mir die Publikation in dieser Schriftenreihe ermöglicht hat. Berlin, im Mai 2010

Franziska Drohsel

Inhaltsverzeichnis A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 I. Die Debatte über gesetzliche Öffnungsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 II. Die diskutierten Modelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 III. Die Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 IV. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22

B. Schutz des zwingenden Charakters der Tarifnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 I. Die Koalitionsfreiheit als Doppelgrundrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 1. Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 2. Historische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 3. Systematische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 4. Teleologische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 5. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 II. Rechtlicher Charakter der kollektiven Koalitionsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 1. Institutionelle Garantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 2. Lebenssachverhaltsgarantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 3. Institutsgarantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 III. Schutz der Betätigungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 1. Grundsätzlicher Schutz der Betätigungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 a) Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34

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Inhaltsverzeichnis b) Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 aa) Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 bb) Art. 9 Abs. 3 S. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 cc) Art. 9 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 c) Historische und genetische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 d) Teleologische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 e) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 2. Umfang der Betätigungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 3. Schutz der Tarifautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 a) Grundsätzlicher Schutz der Tarifautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 b) Umfang der Tarifautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 c) Ausgestaltung der Tarifautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 aa) Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 bb) Differenzierungsansätze in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 (1) Subjektive Motive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 (2) Abwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 (3) Ausgestaltungsbedürftigkeit aller Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 (4) Unterscheidung zwischen Regeln und Prinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . 56 (5) Unterscheidung anhand optimaler und nicht optimaler Gestaltung . . 56 (6) Handlungs- und Unterlassungsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 (7) Unterscheidung anhand nachteiliger Veränderung . . . . . . . . . . . . . . . 58 (8) Unterscheidung zwischen Privatrecht und Öffentlichem Recht . . . . . 59 (9) Keine Unterscheidung zwischen Eingriff und Ausgestaltung . . . . . . . 59 (a) Die Auffassung Bayreuthers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 (b) Die Auffassung Lübbe-Wolffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 (c) Die Auffassung Hensslers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 (d) Die Auffassung Schwarzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 cc) Trennung nach natürlichem und normativem Schutzbereich . . . . . . . . . . 63 (1) Normativer und natürlicher Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 (2) Tarifautonomie als Teil des normativen Schutzbereichs . . . . . . . . . . . 66 (a) Begründung der Normsetzungsbefugnis der Tarifparteien . . . . . . 67 (aa) Originärtheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 (bb) Integrationstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68

Inhaltsverzeichnis

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(cc) Mandatarische Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 (dd) Delegations- und Sanktionstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 (b) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 (3) Grenze der Ausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 dd) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 d) Objektiver Gehalt als Grenze der Ausgestaltung der Koalitionsfreiheit . . . . . 72 aa) Meinungsstand bzgl. des objektiv-rechtlichen Gehalts von Art. 9 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 (1) Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 (2) Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 (3) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 bb) Rechtliche Erfassung der Tarifautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 (1) Begriffsklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 (2) Charakter der Tarifautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 (a) Tarifautonomie als institutionelle Garantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 (b) Tarifautonomie als Institutsgarantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 (c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 cc) Auslegung zur Ermittlung des objektiv-rechtlichen Gehalts . . . . . . . . . . . 79 (1) Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 (a) Bundesverfassungsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 (b) Meinungsstand in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 (aa) Rein wirtschaftliche Vereinigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 (bb) Lohn- und Arbeitsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 (cc) Trennende Zuordnung zu Gewerkschaften und Arbeitgebern 82 (dd) Begriffspaare als Gesamtheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 (ee) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 (c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 (2) Historische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 (3) Teleologische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 (a) Zukunftsoffenheit der Koalitionsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 (aa) Verfassung und Verfassungswirklichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 88 (bb) Wirklichkeit und Koalitionsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 (b) Aktuelle Entwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 (aa) Arbeitslosigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 (bb) Globalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 (cc) Strukturveränderungen auf dem Arbeitsmarkt . . . . . . . . . . . 96

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Inhaltsverzeichnis (dd) Demographischer Wandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 (ee) Individualisierung – Wertewandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 e) Sinn und Zweck der Tarifautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 aa) Befriedungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 bb) Selbstbestimmung und Entlastung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 cc) Verteilungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 dd) Kartellfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 ee) Sinnvolle Ordnung des Arbeitslebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 ff) Ausgleich der strukturellen Unterlegenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 (1) Ausgleich als Zweck der Tarifautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 (2) Vorliegen einer strukturellen Unterlegenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 (a) Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 (b) Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 (c) Eigene Positionierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 (aa) Existentielle Abhängigkeit der Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . 119 (bb) Strukturelles Überangebot an Arbeitskräften . . . . . . . . . . . . 121 (cc) Gegenwärtige Situation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 (dd) Berücksichtigung aktueller Entwicklungen . . . . . . . . . . . . . . 124 (ee) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 (3) Ausgleichsfunktion und zwingender Charakter der Tarifnormen . . . . 125

IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 C. Überbetrieblichkeit als Erfordernis des Art. 9 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 I. Begriffsklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 II. Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 III. Auslegung des Wortlauts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 IV. Historische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 1. Hintergründe der Entstehung des Art. 159 WRV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 2. Schutz der Koalitionen in der WRV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 3. Überbetrieblichkeit als Erfordernis des Art. 159 WRV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 a) Überbetrieblichkeit als notwendiges Kriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 b) Unabhängigkeit der Koalitionen als notwendiges Kriterium . . . . . . . . . . . . . . 136

Inhaltsverzeichnis

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c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 4. Wortwahl nach 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 5. Wortwahl im Kontext der deutschen Vereinigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 6. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142

V. Systematische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 1. Stellung des Tarifvertragsgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 2. Dualismus von Betriebsverfassungs- und Tarifvertragsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . 144 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145

VI. Teleologische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 1. Befriedungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 2. Selbstbestimmung und Entlastung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 3. Verteilungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 4. Kartellfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 5. Sinnvolle Ordnung des Arbeitslebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 6. Ausgleich der strukturellen Unterlegenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 a) Parität zwischen Betriebsrat bzw. Belegschaft und Arbeitgeber . . . . . . . . . . . 148 aa) Bundesverfassungsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 bb) Formeller Paritätsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 cc) Normativer Paritätsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 dd) Materieller Paritätsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 ee) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 b) Parität zwischen Arbeitgeber und Betriebsgewerkschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 aa) Die Beispiele Bundespost und Bundesbahn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 bb) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158

VII. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160

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D. Vorgaben des europäischen und internationalen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 I. Europarechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 1. Allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 2. Europäische Menschenrechtskonvention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 3. Europäische Grundrechtscharta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 4. Europäische Sozialcharta von 1961 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 5. Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte (GSC) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 II. Internationales Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 1. Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 2. Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR)/ Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (IPWSKR) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 3. Übereinkommen der ILO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 E. Rechtfertigung des Eingriffs in die Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG . . . . 179 I. Eingriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 II. Rechtfertigung von Eingriffen in Art. 9 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 1. Schranken des Art. 9 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 a) Schranke aus Art. 9 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 b) Schranke aus Art. 2 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 aa) Direkte Anwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 bb) Analoge Anwendung der Schranke aus Art. 2 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . 182 cc) Art. 2 Abs. 1 GG als allgemeiner Freiheitsrechtsleitsatz . . . . . . . . . . . . . 183 dd) Art. 2 Abs. 1 GG als objektive Auslegungsregel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 ee) Einzelne Schranken der Schrankentrias als Begrenzung . . . . . . . . . . . . . . 184 ff) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 c) Schranke aus Art. 5 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 d) Schranke eines „Gemeinschaftsvorbehalts“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186

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e) Verfassungsimmanente Schranken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 aa) Grundrechte Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 (1) Wettbewerbsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 (2) Unternehmensfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 (3) Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb nach Art. 14 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 (4) Art. 9 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 (5) Art. 2 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 (6) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 bb) Rechtsgüter mit Verfassungsrang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 (1) Allgemeine Kriterien zur Bestimmung eines Rechtsgutes mit Verfassungsrang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 (a) Bildungs- und Erziehungsauftrag aus Art. 7 Abs. 1 GG . . . . . . . . 196 (b) Kompetenz-, Ermächtigungs- und Organisationsnormen . . . . . . . 197 (c) Sozialstaatsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 (d) Umweltschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 (e) Institutionelle Garantien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 (f) Sonn- und Feiertagsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 (g) Art. 79 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 (h) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 (2) Vorliegen eines Rechtsgutes mit Verfassungsrang . . . . . . . . . . . . . . . 203 (a) Gesetzgebungskompetenzen (Art. 74 Abs. 1 Nr. 11, 12 GG) . . . . 203 (b) Gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht (Art. 109 Abs. 2 GG) . . . 204 (c) Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 (aa) Bundesverfassungsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 (bb) Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 (cc) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 2. Rechtfertigung des konkreten Eingriffs durch die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 a) Geeignetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 aa) Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 bb) Geeignetheit der Maßnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 (1) Befürwortende Stimmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 (2) Ablehnende Stimmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 (a) Kritik am Plädoyer für geringere Löhne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215

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Inhaltsverzeichnis (b) Die Internationalisierung der Wirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 (c) Der angebliche Konflikt zwischen Arbeitsplatzbesitzern und arbeitslosen Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 (3) Historischer Rückblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 (4) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 b) Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 c) Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226

F. Zusammenfassung in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 I. Schutz des zwingenden Charakters der Tarifnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 II. Überbetrieblichkeit als Erfordernis des Art. 9 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 III. Vorgaben des europäischen und internationalen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 IV. Rechtfertigung des Eingriffs in die Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG . . . . . . 231 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262

A. Einleitung Fragen nach der Tarifautonomie, des Arbeitsmarkts und des Arbeitsrechts tangieren im Kern die Frage nach der Funktionsfähigkeit der Marktwirtschaft. Als Ausdruck eines Glaubens an die Ordnungskraft des freien Marktes ist die Privatautonomie als Mittel, mit dem Rechtsverhältnisse nach dem „freien Willen“ der Beteiligten gestaltet werden, ein bestimmendes Prinzip der geltenden Ordnung. Eine die Wirklichkeit zur Kenntnis nehmende Analyse kommt nicht umhin festzuhalten, dass die formale allgemeine Rechtsgleichheit in unserem Gesellschaftssystem jedoch mit realer sozialer Ungleichheit einhergeht.1 Der Arbeitsmarkt ist der Markt, der aufgrund seiner sozialgeschichtlichen Entwicklung dem marktwirtschaftlichen Wettbewerb durch die Koalitionsfreiheit, die Tarifautonomie und das Arbeitsrecht in Teilen entzogen ist. Der Ruf nach vollständiger Individualautonomie und der Rückgabe des Arbeitsmarktes an den freien Markt muss sich den Vorwurf gefallen lassen, die maximale Freiheit einiger weniger der real erreichbaren Freiheit aller vorzuziehen.2 Die Tarifautonomie ist seit Jahrzehnten in der öffentlichen Diskussion, war und ist Gegenstand juristischer Erörterungen, wurde und wird verteidigt wie bekämpft. Rechtlich findet sie ihre Gewährleistung auf verfassungsrechtlicher Ebene in der Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG.3 Ihre faktische Relevanz ist daran zu sehen, dass 2007 in Deutschland bei 32 % aller Betriebe und damit für 53 % aller Beschäftigten ein Branchentarifvertrag unmittelbar galt.4 Bei 3 % aller Betriebe mit 8 % aller Beschäftigten gab es Firmentarifverträge.5 Der letzte Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst gilt unmittelbar für 4, 2 Mio. Beschäftigte des Bundes und der Kommunen.6 Darüber hinaus wurde 2006 ein eigener Tarifvertrag für die Beschäftigten der

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Bundesregierung, Armuts- und Reichtumsbericht 2008, S. 1 ff. Säcker, Gruppenautonomie, S. 11. 3 BVerfGE 4, 96, 106; 18, 18, 28; 84, 212, 224; 100, 271, 282; 103, 293, 304; Bauer, in: Dreier, Art. 9, Rn. 82; Gneiting, in: Umbach/Clemens, Art. 9, Rn 112; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 9, Rn. 39; Kannengießer, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, Art. 9, Rn. 23; Badura, FS Berber, S. 30; Kemper, Koalitionsfreiheit, S. 137 f; Schaub, RdA 1995, S. 66; Dütz, JA 1987, S. 408. 4 Geschäftsbericht der BdA, 2008, S. 81. 5 Geschäftsbericht der BdA, 2008, S. 81. 6 Möller/Welkoborsky, NZA 2006, S. 1382; dazu: Pfohl, ZBR 2005, S. 329; Stühm/Goebel, DÖD 2005, S. 73; Hümmerich/Mäßen, NZA 2005, S. 961; Schürmann, PersR 2005, S. 379; Hofffmann, ZfPR 2005, S. 74 ff; Wurm, ZfPR 2005, S. 154 ff; Süllwold, ZfPR 2005, S. 116 ff. 2

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A. Einleitung

Länder vereinbart. Insgesamt bestehen gegenwärtig 70 600 gültige Tarifverträge in der Bundesrepublik.7 Trotz der Relevanz der Tarifautonomie sind wesentliche Fragen ihrer dogmatischen Verortung, ihres Schutzumfangs und ihrer Begrenzungen noch immer umstritten. Eine gewisse Anpassungsfähigkeit der Koalitionsfreiheit an veränderte gesellschaftliche, wirtschaftliche und soziale Voraussetzungen wird zwar von allen Seiten als notwendig erachtet8 und erscheint angesichts der besonderen Abhängigkeit koalitionsrechtlicher Fragen von eben diesen Umständen als sinnvoll. Das kann und darf aber nicht dazu führen, den Schutzumfang der Koalitionsfreiheit allein von gesellschaftlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Bedingungen abhängig zu machen. Kern von Recht ist dessen Geltung gegenüber allen dem Recht unterworfenen Individuen und zwar unabhängig davon, ob diese Geltung aktuell vor- oder nachteilhaft ist. Würde das Verständnis einer Norm demgegenüber von einer solchen Präferenzentscheidung abhängig gemacht, würden diejenigen, die gerade aufgrund politischer, wirtschaftlicher oder sozialer Macht eine Vormachtstellung einnehmen, über die Auslegung von Recht entscheiden. Recht ist die Konkretisierung politischer Entscheidungen und in einer Demokratie Ausdruck von politischen Mehrheitsentscheidungen. Aber die hiesige Rechtsordnung setzt einen Rahmen, in dem sich diese politischen Entscheidungen unabhängig von Machtverhältnissen bewegen dürfen: das ist das Verfassungsrecht. Das Grundgesetz soll davor schützen, dass bestimmte Rechte und Gewährleistungen den jeweiligen Machtverhältnissen geopfert werden.9 Natürlich verfügen nicht alle Normen des Grundgesetzes über den Schutz des Art. 79 Abs. 3 GG, aber Verfassungsänderungen unterliegen erheblich hohen Anforderungen und sind damit politischen Opportunitäten nicht in gleicher Weise unterworfen wie das einfache Recht. Dennoch beeinflussen gesellschaftliche Veränderungen Recht und lassen das Verständnis von Normen auch auf Ebene des Verfassungsrechts nicht unbeeinflusst.10 Die Frage ist, was zum festen Kern einer verfassungsrechtlichen Gewährleistung gehört, der nicht im Zuge gesellschaftlicher, wirtschaftlicher oder sozialer Veränderungen modifiziert werden kann. Daran schließt sich die Frage an, welche Veränderungen zu welchem anderen Normverständnis führen können. In dieser Arbeit wird die Möglichkeit eines veränderten Normverständnisses hinsichtlich der Koalitionsfreiheit anhand gesetzlicher Öffnungsklauseln, d. h. der Ermöglichung betrieblicher Abweichungen vom Tarifvertrag ohne Zustimmung der Ta7

WSI, Tarifhandbuch 2009, S. 101. Dietlein, in: Stern, Staatsrecht IV/1, § 112 V 3 a, S. 2049; Höfling, in: Sachs, Art. 9, Rn. 88; Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 9, Rn. 259; Kempen, in: Kempen/Zachert, TVG, Grundlagen, Rn. 130; Bayreuther, NZA 2005, S. 34. 9 BVerfGE 30, 1, 24; 84, 90, 120; 102, 370, 392 ff. 10 Grimm, in: HStR I, § 1, Rn. 49; Hofmann, in: HStR I, § 9, Rn. 63. 8

I. Die Debatte über gesetzliche Öffnungsklauseln

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rifvertragsparteien erörtert. Das Thema tangiert im Kern die Frage um die Ordnung des Arbeitslebens, von der nicht nur der materielle Stand jedes Einzelnen in der Bevölkerung, sondern auch die ökonomische Stabilität einer Volkswirtschaft abhängt.11

I. Die Debatte über gesetzliche Öffnungsklauseln Tarifnormen gelten gem. § 4 Abs. 1 TVG zwingend für die beiden durch Tarifvertrag gebundenen Tarifvertragsparteien. Sie wirken kraft ihrer Vereinbarung durch Mitgliedschaft in den tarifgebundenen Verbänden oder können durch den Gesetzgeber als allgemeinverbindlich erklärt werden. Vereinbarungen auf Betriebsebene über Arbeitsentgelte oder Gegenstände, die vom Tarifvertrag geregelt werden oder üblicherweise vom Tarifvertrag erfasst werden, sind derzeit über zwei Wege möglich. Entweder gibt es einen Haustarifvertrag bzw. Firmentarifvertrag, der zwischen der Gewerkschaft und dem Arbeitgeber (§ 2 Abs. 1 TVG) ausgehandelt wird, oder es wurde im Rahmen des Tarifvertrags eine Öffnungsklausel für betriebliche Abweichungen vereinbart (§ 4 Abs. 3 TVG und § 77 Abs. 3 S. 1 BetrVG). Abweichungen vom Tarifvertrag sind also gem. § 4 TVG auf betrieblicher Ebene möglich, allerdings nur mit Zustimmung der Tarifvertragsparteien. Prägend war insoweit die Burda-Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts. Im Falle von Burda hatte die Betriebsleitung des Burda-Konzerns in Offenburg sich an die Belegschaft gewandt und mitgeteilt, dass aufgrund eines verschärften Wettbewerbs umfassende Kostensenkungen notwendig seien, wenn Entlassungen vermieden werden sollten.12 Dieser Mitteilung folgten zahlreiche Verhandlungen.13 Letztlich wurde in einer Betriebsvereinbarung festgehalten, dass die Wochenarbeitszeit von 35 auf 39 Stunden bei einem Lohnausgleich von lediglich zwei Stunden verlängert werden sollte und Zuschläge für Nacht-, Wochenend- und Feiertagsarbeit ganz entfallen bzw. gekürzt werden sollten.14 Die Arbeitgeberseite verpflichtete sich im Gegenzug zu einer Beschäftigungsgarantie von vier Jahren für alle Betriebsangehörigen.15 98, 5 % der Belegschaft gaben eine schriftliche Erklärung ab, in der sie ihre Zustimmung zu der Vereinbarung mitteilten.16 Die IG Medien klagte, weil sie in dieser Betriebsvereinbarung einen Verstoß gegen den einschlägigen Manteltarifvertrag sah, der zwischen Gewerkschaft und dem Verband der Druckindustrie in Baden-Württemberg geschlossen wor11 12 13 14 15 16

S. hierzu Blanke, NZA 1990, S. 210. BAG, NJW 1999, S. 3281 f. BAG, NJW 1999, S. 3282. BAG, NJW 1999, S. 3282. BAG, NJW 1999, S. 3282. BAG, NJW 1999, S. 3282.

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A. Einleitung

den war.17 Das Bundesarbeitsgericht sah diese Vereinbarung als unrechtmäßig an, erkannte der Gewerkschaft einen Anspruch auf Unterlassen der Durchführung der Vereinbarung zu und erklärte, die Regelungsabrede werde nicht vom Günstigkeitsprinzip des § 4 Abs. 3 TVG erfasst.18 Diese Rechtsprechung erfuhr in der Literatur Zustimmung aber auch Kritik.19 Die Diskussion um das Verhältnis von Betriebs- und Tarifebene hält auf politischer wie auch auf juristischer Ebene nach wie vor an. Auf politischer Ebene sind es insbesondere CDU20, CSU21 und FDP22, die sich für gesetzliche Öffnungsklauseln aussprechen. Als Befürworter kann darüber hinaus die Monopolkommission, der Sachverständigenrat sowie der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit bezeichnet werden.23 Die BdA hat sich in seinem Geschäftsbericht 2008 dahingehend geäußert, dass „die Bedeutung individueller betrieblicher Gestaltungsspielräume“ zunehme und „der tarifpolitische Reformprozess hin zu einer neuen Balance zwischen tariflichen und betrieblichen Regelungen weiter konsequent fortgesetzt“ werden müsse.24 Arbeitgeberpräsident Hundt plädiert für tarifliche Öffnungsklauseln und lehnt eine Verlagerung tariflicher Kompetenzen auf die Betriebsparteien ab.25 In der juristischen Literatur gibt es eine Vielzahl von Stimmen, die sich für mehr betrieblichen Gestaltungsspielraum einsetzen. Der Juristentag hat sich durch Beschluss für gesetzliche Öffnungsklauseln mit einer Mehrheit von 94 zu 71 der Stimmen ausgesprochen.26 Nach Zöllner sei eine Flexibilisierung des Arbeitsrechts erfor17

BAG, NJW 1999, S. 3281. BAG, NJW 1999, S. 3281 ff. 19 Kritisch: Trappehl/Lambrich, NJW 1999, S. 3217; Hromodka, AuA 2000, S. 13 ff; Buchner, NZA 1999, S. 901 ff; Rüthers, NJW 2003, S. 551; Zustimmend: Däubler, AiB 1999, S. 481; Buschmann, PersR 1999, S. 531 ff; Schmidt, RdA 2004, S. 153; Dieterich, AuR 2005, S. 121 ff; zur Diskussion auch Küppers, Gerechtigkeit in der modernen Arbeitswelt, S. 308 ff. 20 „Die Gewerkschaften und die Arbeitgeberverbände sind aufgerufen, weiter Teile ihrer Verantwortung in die Betriebe abzugeben. So können zentral vereinbarte Rahmentarifverträge dezentral nach den spezifischen Bedürfnissen ausgefüllt werden. Diesen Prozess wollen wir durch eine rechtssichere Gestaltung betrieblicher Bündnisse ergänzen.“, CDU-Grundsatzprogramm von 2007, S. 58. 21 „Mitarbeiter, Betriebsräte und Unternehmer sollen gemeinsam mehr Gestaltungsmöglichkeiten erhalten. Dazu sind betriebliche Bündnisse für Arbeit ein wichtiger Beitrag.“, CSUGrundsatzprogramm von 2007, S. 65. 22 „Geringes Eigenkapital gefährdet Betriebe, und flächendeckende Tarifverträge nehmen den Spielraum für betriebsnahe Lohnfindung“, FDP-Grundsatzprogramm von 1997, S. 14. 23 Monopolkommission, BT-Drs. 12/8323, Ziffer 936 ff; Sachverständigenrat, Jahresgutachten 2003/2004, Ziffer 653; ders., Jahresgutachten 2002/2003, Ziffer 461 ff; Wissenschaftlicher Beirat beim BMAS, Gutachten 2004, S. 22. 24 Geschäftsbericht der BdA, 2008, S. 81. 25 Hundt, Bitburger Gespräche 1998, S. 42. 26 Beschluss des 61. DJT Bd. II/1 K 69, in dem es wörtlich unter 3.) heißt: „Den Betriebsparteien sollte durch Novellierung des § 4 Abs. 3 TVG und des § 77 Abs. 3 BetrVG 18

I. Die Debatte über gesetzliche Öffnungsklauseln

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derlich, um die „Selbstbestimmung und Anpassungsfähigkeit“ zu erhöhen.27 Auch nach Henssler ist eine genau umschriebene und zeitlich definierte Flexibilisierung erforderlich, „um den schwerfälligen Koloss Tarifautonomie lebensfähig zu erhalten“.28 Berthold will die gesamte Tarifvertragssperre für Betriebsvereinbarungen abschaffen und damit auch den „Arbeitskampf mit allen Konsequenzen auf der betrieblichen Ebene“ stattfinden lassen.29 So lange dies „zumindest gegenwärtig politisch nicht durchsetzbar“ sei, plädiert er für gesetzliche Öffnungsklauseln, die freiwillige Betriebsvereinbarungen ermöglichen.30 Für die Aufgabe des Tarifvorbehalts spricht sich Reuter aus: Wenn ein Betrieb die „Belastungen aus Tarifverträgen wirtschaftlich nicht verkraften“ könne, müsse es die Möglichkeit auf betrieblicher Ebene geben, dem Arbeitgeber Zugeständnisse zu machen.31 Aus demselben Grund plädiert auch Buchner für gesetzliche Öffnungsklauseln.32 Sodan spricht sich für eine verfassungskonforme Interpretation des § 77 Abs. 3 BetrVG aus, wonach die Tarifautonomie gegenüber der Betriebsautonomie subsidiär sei.33 Auf politischer Ebene gibt es zahlreiche Gegner einer Flexibilisierung des Arbeitsrechts. Auch wenn es in der SPD Stimmen wie die Gerhard Schröders als Bundeskanzler gab, die eine Diskussion über gesetzliche Öffnungsklauseln angemahnt haben,34 so hat sich dennoch die SPD mehrheitlich gegen gesetzliche Öffnungsklau-

gestattet werden, in einer konkret festzustellenden Notsituation durch Betriebsvereinbarungen tarifliche Leistungen vorübergehend herabzusetzen, wobei ein solcher Notfall nur anzunehmen ist, wenn das Unternehmen in seiner Existenz bedroht ist oder erhebliche Teile der Belegschaft ihren Arbeitsplatz zu verlieren drohen.“ 27 Zöllner, ZfA 1988, S. 274 f, der vorschlägt, dass es dem einzelnen Betrieb überlassen werden soll, ob der Tarifvertrag gelte oder nicht. 28 Henssler, ZfA 1994, S. 511. 29 Berthold, Bitburger Gespräche 1998, S. 35. 30 Berthold, Bitburger Gespräche 1998, S. 35. 31 Reuter, Bitburger Gespräche 1998, S. 85, der sich nicht nur „wegen seines Mangels an Folgerichtigkeit und sozialer Akzeptanz“ sondern auch aufgrund „fehlender Ordnungs- und Verteilungsfunktion“ für dessen Aufhebung ausspricht. 32 Buchner, DB 2003, S. 1514. 33 Sodan, Bitburger Gespräche 1998, S. 107, der ausführt, dass über Tarifvertrag lediglich die „Mindest- und Rahmenbedingungen“ geregelt werden könnten, während Betriebsvereinbarungen darüber hinausgehende Materien regeln und die Tarifnormen auch nichtig seien, wenn sie betriebsspezifische Angelegenheiten regeln würden. 34 „Dabei ist klar, dass Betriebsvereinbarungen zu Standort- und Arbeitsplatzsicherung, die auf der Grundlage von Öffnungsklauseln getroffen werden, dem Vorbehalt der Zustimmung durch die Tarifvertragsparteien unterliegen. Es muss aber auch klar sein, dass uns dogmatische Unbeweglichkeit ebenso wenig voranbringt wie aggressive Angriffe auf das Tarifsystem. In den Tarifverträgen muss durch geeignete Regelungen ein entsprechend flexibler Rahmen geschaffen werden. Das ist die Herausforderung für die Tarifpartner und es ist auch ihre Verantwortung. (…) Ich erwarte also, dass sich die Tarifparteien entlang dessen, was es bereits gibt – aber in weit größerem Umfang – auf betriebliche Bündnisse einigen, wie das in vielen Branchen bereits der Fall ist. Geschieht das nicht, wird der Gesetzgeber zu handeln haben“, Regierungserklärung von Gerhard Schröder am 14. März 2003 vor dem Deutschen Bundestag.

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A. Einleitung

seln ausgesprochen.35 Dies gilt auch für Bündnis 90/Die Grünen36 und die Linkspartei.37 Hinzukommt der DGB, der gesetzliche Öffnungsklauseln ablehnt.38 So hat der Vorsitzende Michael Sommer sich auch klar in der Öffentlichkeit positioniert.39 In der juristischen Literatur gibt es eine Vielzahl von Stimmen, die sich gegen gesetzliche Öffnungsklauseln aussprechen. Walker hält die Forderung nach umfassenden gesetzlichen Öffnungsklauseln ohne eine Verfassungsänderung für „schlicht unhaltbar“.40 Wisskirchen sieht verfassungsrechtliche Bedenken bei einer gesetzlichen Öffnungsklausel, da „Art. 9 Abs. 3 GG die Festlegung von Löhnen und sonstigen materiellen Arbeitsbedingungen durch unabdingbare Gesamtvereinbarungen ausschließlich den Koalitionen zugewiesen hat“.41 Junker führt aus, dass „eine tatbestandlich unbeschränkte gesetzliche Öffnungsklausel“ das Ende der Tarifautonomie bedeute und „eine vorherige Änderung des Grundgesetzes verlangen“ würde.42 Heinze vertritt die Auffassung, dass die Tarifvertragsparteien sich „im Rahmen des Art. 9 Abs. 3 GG nicht selbst entmündigen“ können und sie folglich den Rahmen für Öffnungsklauseln stets selber definieren müssen.43 Gegen eine „allgemeine betriebliche Öffnungsklausel ohne tatbestandliche Einschränkung“ spricht sich auch Konzen aus.44 Hanau führt gegen gesetzliche Öffnungsklauseln aus, dass auch für den Krisenfall betriebliche Institutionen zu schwach seien und der Vorrang der überbetrieblichen Interessenwahrnehmung zu gewährleisten sei.45 Den Betriebsparteien die Möglich35

„Die Tarifautonomie ist ein hohes Gut. Arbeitgeber und Arbeitnehmer entscheiden in Deutschland in eigener Zuständigkeit über Löhne und Arbeitsbedingungen. Dies bleibt unangetastet. Wir wollen starke und handlungsfähige Gewerkschaften, die große Teile der Belegschaften repräsentieren und streikfähig sind“, SPD-Grundsatzprogramm von 2007, S. 53. 36 „Tarifautonomie und starke Tarifpartner sind Grundlagen für die sozialpartnerschaftlichen Traditionen in der Bundesrepublik. Diese dürfen nicht ausgehöhlt werden. Wir halten fest an Flächentarifverträgen und starken Betriebsräten.“, Grundsatzprogramm von Bündnis 90/Die Grünen von 2002, S. 47. 37 „Aktionen der Gewerkschaften zum Erhalt von Arbeitsplätzen, Tarifverträgen und sozialen Rechten unterstützen wir solidarisch“, Programmtisches Gründungsdokument der Partei Die Linke, S. 8. 38 „Die Sicherung der Tarifautonomie ist hierfür unerlässlich; sie bleibt eine zentrale Aufgabe der Gewerkschaften. (…) Wir verurteilen, dass sich einzelne Unternehmen entziehen, z. B. durch tarifwidrige Betriebsvereinbarungen oder Individualverträge, die einen eindeutigen Rechtsbruch darstellen. (…) Bei aller Offenheit für situationsangepasste Lösungen bleibt klargestellt: Die Regelung von Entgelt und Arbeitsbedingungen in den Flächentarifen bleibt das zentrale Instrument, um Mindestbedingungen verbindlich festzulegen. Das Solidarprinzip tarifpolitischer Gestaltung darf nicht ausgehöhlt werden.“, DGB-Grundsatzprogramm von 1996, S. 12 f. 39 Handelsblatt vom 23.04.2009. 40 Walker, ZfA 1996, S. 370. 41 Wisskirchen, FS Hanau, S. 636. 42 Junker, ZfA 1996, S. 395. 43 Heinze, NZA 1995, S. 7. 44 Konzen, NZA 1995, S. 919. 45 Hanau, RdA 1993, S. 10 f.

II. Die diskutierten Modelle

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keit zu geben, materielle Arbeitsbedingungen selber vereinbaren zu können, widerspricht nach Schaub geltendem Recht und bedürfte einer Grundgesetzänderung.46 An der exemplarischen Darstellung wird deutlich, dass es sowohl auf der politischen als auch der juristischen Ebene diametral entgegengesetzte Einschätzungen und Positionen zur Frage der Vereinbarkeit von gesetzlichen Öffnungsklauseln mit der Koalitionsfreiheit gibt. Inwieweit diese Positionen verfassungsrechtlich haltbar sind, soll im Rahmen dieser Arbeit untersucht werden.

II. Die diskutierten Modelle Es gibt verschiedene Möglichkeiten, Abweichungen vom Tarifvertrag auf betrieblicher Ebene zu zulassen. Derzeit ist nach § 4 Abs. 3 TVG und § 77 Abs. 3 S. 2 BetrVG die Abweichung nur im Rahmen einer Öffnungsklausel im Tarifvertrag möglich. Regelmäßig regeln Öffnungsklauseln die Voraussetzungen, unter denen betriebliche Vereinbarungen geschlossen werden können und beinhalten einen Zustimmungsvorbehalt der Gewerkschaften. Man könnte an die ersatzlose Streichung des Wortes „zwingend“ in § 4 Abs. 1 TVG denken. Tarifliche Vereinbarungen stünden damit zur völligen Dispositionsbefugnis der Betriebsparteien. Die zwingende Wirkung eines Tarifvertrags wäre damit vollkommen beseitigt. Eine Alternative hierzu ist eine Änderung des § 77 Abs. 3 BetrVG.47 Tarifnormen könnten weiterhin zwingend gelten, aber die Betriebsparteien hätten die Möglichkeit, jederzeit von ihnen abweichen zu können. Eine andere Variante stellt die Ausdehnung des Günstigkeitsprinzips dar.48 Dabei soll die enge Auslegung des § 4 Abs. 3 TVG, welche die Arbeitsgerichte durch die Maßgabe des Sachgruppenvergleichs vorgenommen haben,49 verlassen werden.50 Stattdessen solle eine gesetzliche Klarstellung dahingehend erfolgen, „dass ein Arbeitnehmer auch durch den fest zugesagten Erhalt seines Arbeitsplatzes günstiger gestellt“ werde.51 Ein weiteres Modell ist eine gesetzliche Öffnungsklausel, die eine Abweichung vom Tarifvertrag ermöglicht. Die FDP hatte in ihren Gesetzesentwürfen vorgesehen, dass eine Abweichung vom Tarifvertrag durch eine Ausdehnung des Günstigkeitsver46

Schaub, NZA 1998, S. 617. Löwisch, JZ 1996, S. 819, nach dessen Ausführungen „mehr dafür zu sprechen scheint“, an dieser Stelle „mehr Elastizität in der Arbeitsmarktordnung“ zu gewähren. 48 Höfling/Burkiczak, NJW 2005, S. 469 ff; Picker, NZA 2002, S. 766 f; zum Günstigkeitsprinzip auch Adomeit, NJW 1984, S. 26 f und Blomeyer, NZA 1996, S. 337. 49 BAG, NZA 1999, S. 887 ff; BAG, NZA 2004, S. 669. 50 Robert, NZA 2004, S. 636 f. 51 Wissenschaftlicher Beirat beim BMAS, Gutachten 2004, S. 37. 47

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A. Einleitung

gleichs ermöglicht werden sollte, wenn zusätzliche Arbeitsplätze oder der Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen erzielt werden könnten und der Betriebsrat oder 75 % der Belegschaft zustimmen.52 In eine ähnliche Richtung ging der Gesetzesentwurf der CDU/CSU-Fraktion, die auch über den Günstigkeitsvergleich bei einer Zustimmung des Betriebsrates und zwei Dritteln der Belegschaft eine Abweichungsmöglichkeit vorgeschlagen hat.53 Darüber hinaus gibt es den Vorschlag, dass auch die Notlage eines Betriebes notwendige Voraussetzung für eine betriebliche Abweichung sein soll.54

III. Die Fragestellung Gemeinsam ist allen Vorschlägen, dass sie den Betriebsparteien – also Arbeitgebern und Betriebsräten bzw. Belegschaften – die Kompetenz geben wollen, vom Tarifvertrag auch ohne Zustimmung der Tarifvertragsparteien abzuweichen. In dieser Arbeit wird dieses Anliegen mit dem Begriff der gesetzlichen Öffnungsklauseln bezeichnet. Dabei geht es um die einfach-gesetzliche Ermöglichung, ohne Zustimmung der Tarifvertragsparteien auf Betriebsebene vom Tarifvertrag abweichen zu können. Der entscheidende Unterschied zu der derzeit geltenden Rechtslage liegt darin, dass die Tarifvertragsparteien der betrieblichen Abweichung nicht zustimmen müssen. Dabei sind zwei verfassungsrechtlich relevante Fragen betroffen. Zunächst ist dies die Frage, ob der zwingende Charakter von Tarifnormen verfassungsrechtlich geschützt ist. Die zweite Frage ist, ob der Abschluss von Tarifverträgen durch überbetrieblich organisierte Koalitionen erfolgen muss oder ob dies nicht auch die Betriebsparteien vornehmen könnten. Ob eine gesetzliche Änderung, die den zwingenden Charakter von Tarifnormen abschafft bzw. den Betriebsparteien die Kompetenz zum Abschluss von Tarifverträge verleiht, mit dem Verfassungsrecht im Einklang steht, ist Gegenstand dieser Arbeit.

IV. Gang der Untersuchung Im ersten Teil der Untersuchung wird der Frage nachgegangen, ob der zwingende Charakter von Tarifnormen verfassungsrechtlich geschützt ist. Einen Schwerpunkt nimmt dabei die Frage ein, ob eine derartige gesetzliche Regelung als Ausgestaltung der Koalitionsfreiheit anzusehen ist oder bereits einen Eingriff in dieselbe darstellt. Hierfür kommt es auf den objektiv-rechtlichen Gehalt des Art. 9 Abs. 3 GG an. Die 52 Gesetzentwurf vom 28. 01. 2000, BT-Drs. 14/2612; Gesetzentwurf vom 04. 07. 2001, BTDrs. 14/6548; Gesetzentwurf vom 25. 06. 2003, BT-Drs. 15/1225; zum Quorum von 75 % auch Konzen, NZA 1995, S. 919. 53 Gesetzentwurf vom 18. 06. 2003, BT-Drs. 15/1182. 54 Hromodka, NJW 2003, S. 1276 f; ders., DB 2003, S. 46; Wiedemann, FS Hanus, S. 620 f; in dem Sinne Bellig/Hartmann, NZA 1998, S. 60.

IV. Gang der Untersuchung

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Zukunftsoffenheit und der Sinn und Zweck des Art. 9 Abs. 3 GG wird verbunden mit der Frage behandelt, ob und wenn ja welche Veränderungen im gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und sozialen Bereich zu konstatieren sind und zu welchem veränderten verfassungsrechtlichen Verständnis der Norm diese führen könnten. Im zweiten Teil der Arbeit steht die Überbetrieblichkeit der Koalitionen im Mittelpunkt. Untersucht wird, ob Art. 9 Abs. 3 GG die Überbetrieblichkeit als zwingendes Kriterium für den Schutz durch die Koalitionsfreiheit vorschreibt. Dort wird erörtert, ob die Berücksichtigung gegenwärtiger Veränderungen zu einem neuen Normverständnis führt. Daran anschließend werden in einem dritten Teil die Einflüsse des Europarechts und des internationalen Rechts auf das Verständnis der Koalitionsfreiheit hinsichtlich der Überbetrieblichkeit und des zwingenden Charakters der Tarifnormen untersucht. Dabei steht insbesondere in Frage, ob die Berücksichtigung des Europarechts und des internationalen Rechts eine spezifische Auslegung der Koalitionsfreiheit bedingt oder nahe legt. Anknüpfend an die bisherigen Ergebnisse wird im vierten und letzten Teil festgehalten, dass gesetzliche Öffnungsklauseln in Art. 9 Abs. 3 GG eingreifen würden. Im Anschluss wird untersucht, ob ein solcher Eingriff gerechtfertigt werden könnte. Hierbei wird dargestellt, wie ein Eingriff in die Koalitionsfreiheit als vorbehaltloses Grundrecht überhaupt gerechtfertigt werden kann und ob für die vorgeschlagenen Modelle eine solche Rechtfertigung konkret möglich ist. Einen Schwerpunkt nimmt dabei die Frage ein, ob die Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit ein Gut mit Verfassungsrang ist und ob mit diesem die Rechtfertigung gesetzlicher Öffnungsklauseln begründet werden kann.

B. Schutz des zwingenden Charakters der Tarifnormen Nach § 4 Abs. 1 TVG entfalten die Rechtsnormen eines Tarifvertrags zwingend zwischen den Tarifgebundenen Geltung. Dies bedeutet, dass die Tarifnormen auch dann gelten, wenn individualvertraglich abweichende Bedingungen vereinbart wurden.1 In § 4 Abs. 3 TVG ist geregelt, dass Abweichungen vom Tarifvertrag möglich sind, wenn sie durch diesen gestattet werden.2 In § 77 Abs. 3 S. 2 BetrVG ist geregelt, dass ergänzende Betriebsvereinbarungen abgeschlossen werden können, wenn dies im Tarifvertrag zugelassen ist.3 Es ist folglich den Betriebsparteien vor Ort auch schon heute möglich, vom Tarifvertrag abzuweichen, wenn eine Zustimmung dafür durch die Tarifvertragsparteien vorliegt. Auch wenn es über diese tarifliche Öffnungsklausel zahlreiche Diskussionen gab,4 ist nicht zu verkennen, dass es nach geltender Rechtslage die Tarifvertragsparteien sind, die letztlich über die Zulässigkeit etwaiger Abweichungen entscheiden.5 Eine Gesetzesänderung, die Abweichungen vom Tarifvertrag ohne Beteiligung der Koalitionen ermöglicht, würde dazu führen, dass der zwingende Charakter von Tarifnormen eingeschränkt bzw. aufgehoben werden würde. Über eine Abweichung würden nicht mehr diejenigen entscheiden, die den Tarifvertrag vereinbaren, sondern die Betriebsparteien vor Ort. Eine solche Regelung wäre folglich nicht möglich, wenn der zwingende Charakter von Tarifnormen verfassungsrechtlich geboten und geschützt wäre.

I. Die Koalitionsfreiheit als Doppelgrundrecht Gesetzliche Öffnungsklauseln betreffen die Koalitionen in ihrer Wirkungsmacht und damit in ihrer Betätigungsmöglichkeit. Dies bedeutet, dass eine derartige Regelung lediglich die kollektive Koalitionsfreiheit tangieren kann. Zunächst ist also die 1 Deinert, in: Däubler, TVG, § 4, Rn. 531 ff; Stein, in: Kempen/Zachert, TVG, § 4, Rn. 14; Wank, Wiedemann, TVG, § 4, Rn. 369. 2 Wendeling-Schröder, in: Kempen/Zachert, TVG, § 4, Rn. 415 ff; Wank, Wiedemann, TVG, § 4, Rn. 587 ff; Deinert, in: Däubler, TVG, § 4, Rn. 549 ff. 3 Kreutz, in: Kraft/Wiese/Oetker/Raab/Weber/Franzen, BetrVG, § 77, Rn. 145 ff; Engels/ Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, § 77, Rn. 117 ff; Berg, in: Däubler/Kittner/Klebe, BetrVG, § 77, Rn. 73 ff; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 323. 4 S. z. B. Weyand, AuR 1989, S. 196 f; Kissel, NZA 1986, S. 76 ff; Lieb, NZA 1994, S. 289 ff; Hoyningen-Huen/Meier-Krenz, ZfA 1998, S. 301 ff. 5 Höfling, in: Sachs, Art. 9, Rn. 89; Hanau, RdA 1993, S. 5.

I. Die Koalitionsfreiheit als Doppelgrundrecht

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Frage zu behandeln, ob die kollektive Koalitionsfreiheit vom Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG erfasst ist, d. h. ob die Koalitionen selbst Träger des Grundrechts aus Art. 9 Abs. 3 GG sind. Dem Wortlaut nach gewährleistet Art. 9 Abs. 3 GG das Recht des Einzelnen, sich in Koalitionen zusammenzuschließen bzw. welche zu bilden. Damit liegt in jedem Fall ein Individualgrundrecht vor, auf das jeder einzelne Arbeitnehmer und Arbeitgeber sich beziehen kann.6 Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner bisherigen Rechtsprechung Art. 9 Abs. 3 GG als Doppelgrundrecht behandelt.7 Es sieht neben der individuellen Koalitionsfreiheit auch die kollektive Koalitionsfreiheit von Art. 9 Abs. 3 GG als geschützt an.8 Die herrschende Lehre ist dieser Auffassung weitgehend gefolgt.9 Auffassungen, die den Schutz der Koalitionen abweichend über Art. 9 Abs. 3 GG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 GG herleiten wollen, haben sich nicht durchgesetzt.10 Umstritten ist dabei die Frage, ob die Begründung des Schutzes der kollektiven Koalitionsfreiheit nur über den Rückgriff auf Art. 19 Abs. 3 GG möglich ist11 oder ob der Schutz unmittelbar aus Art. 9 Abs. 3 GG hervorgeht12.

6 Bauer, in: Dreier, Art. 9, Rn. 67; Kemper, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 9, Rn. 136; Gneiting, in: Umbach/Clemens, Art. 9, Rn. 94; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 9, Rn. 44; Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 9, Rn. 222; Kittner/Schiek, in: Alternativkommentar, Art. 9, Rn. 105; Gamillscheg, Grundrechte, S. 86 f. 7 BVerfGE 4, 96; 17, 319, 333; 50, 290, 367; 84, 212, 224; 94, 268, 282 f. 8 BVerfGE 4, 96; 17, 319, 333; 50, 290, 367; 84, 212, 224; 94, 268, 282 f. 9 Battis/Gusy, Staatsrecht, Rn. 430; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 9, Rn. 31, Däubler, in: Däubler, TVG, Einleitung, Rn. 68; Richardi, Münchener Handbuch I, § 9, Rn. 12; Kempen, in: Kempen/Zachert, TVG, Grundlagen, Rn. 74; Gneiting, in: Umbach/Clemens, Art. 9, Rn. 97; Dieterich, in: Erfurter Kommentar, Art. 9, Rn. 30, 38; Badura, Staatsrecht, Rn. 93; Leibholz/ Rinck, GG, Art. 9, Rn. 301; von Münch, BK, Art. 9, Rn. 141 (Zweitbearbeitung, 1966); Hamann/ Lenz, GG, Art. 9, Rn. 8 b); Kempen, FS Gitter, S. 439; Löwer, in: von Münch/Kunig, Art. 9, Rn. 68; Stern, Staatsrecht IV/1, § 112 IV 3 a); Rüfner, FS BVerfGE II, S. 58; Berg/Platow/ Schoof/Unterhinninghofen, TVG, Einleitung, Rn. 61; Fuchs/Reichhold, Tarifvertragsrecht, Rn. 15; Gamillscheg, Grundrechte, S. 87 f. 10 Schnorr, RdA 1955, S. 5. 11 Höfling, in: Sachs, Art. 9, Rn. 70; Scholz, in: HStR V, § 151, Rn. 9, 73 ff; Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 9, Rn. 187; Ipsen, Grundrechte, Rn. 661; Richardi, Münchener Handbuch I, § 9, Rn. 12. 12 BVerfGE 4, 96; 17, 319, 333; 50, 290, 367; 84, 212, 224; 94, 268, 282 f.; Däubler, in: ders., TVG, Einleitung, Rn. 70; Gneiting, in: Umbach/Clemens, Art. 9, Rn. 97; Kittner/Schiek, in: Alternativkommentar, Art. 9, Rn. 84.

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B. Schutz des zwingenden Charakters der Tarifnormen

1. Wortlaut Zunächst ist zu untersuchen, ob sich aus dem Wortlaut des Art. 9 Abs. 3 GG Anhaltspunkte dafür ergeben, ob auch Koalitionen unmittelbar Träger des Grundrechts sind. Unterschiedlich wird die Aufnahme des Vereinigungszwecks in Art. 9 Abs. 3 GG beurteilt. Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts und eines Teils der Literatur ergibt sich aus der Aufnahme des Vereinigungszwecks in den Wortlaut der Norm, dass Art. 9 Abs. 3 GG die Koalitionen als solche schütze.13 Dagegen wird eingewandt, dass die Nennung des Zwecks allein schon aus dem Grunde der Abgrenzung zur allgemeinen Vereinigungsfreiheit in Art. 9 Abs. 1 GG erforderlich sei und folglich nicht als Begründung für den Schutz der kollektiven Koalitionsfreiheit dienen könne.14 Außerdem sei die Begrenzung auf den Vereinigungszweck lediglich eine Kompensation, die angesichts der Erweiterung des grundrechtlichen Schutzes auf Ausländer in Art. 9 Abs. 3 GG und die Anordnung der unmittelbaren Drittwirkung in Art. 9 Abs. 3 GG vorgenommen worden sei.15 Dass die Nennung des Zwecks sowohl eine Abgrenzung zu Art. 9 Abs. 1 GG als auch eine Kompensation darstellen könnte, bedeutet keinesfalls zwingend, dass die Nennung des Zwecks nicht auch ein Indiz dafür ist, dass der Gesetzgeber damit jene Vereinigungen, die den Zweck überhaupt nur verfolgen können, schützen wollte. Die Aufnahme des Vereinigungszwecks, der den Koalitionen als Kollektiven obliegt, stellt zumindest ein Indiz dafür dar, dass mit Art. 9 Abs. 3 GG auch die Koalitionen selber geschützt werden sollen.

2. Historische Auslegung Für die Annahme des direkten Schutzes der Koalitionen aus Art. 9 Abs. 3 GG wird vorgebracht, dass zum Zeitpunkt der Verfassungsgesetzgebung der Schutz der kollektiven Koalitionsfreiheit selbstverständlich gewesen sei.16 Folglich hätte es ausdrücklich vermerkt werden müssen, wenn lediglich die individuelle Koalitionsfreiheit hätte geschützt werden sollen.17 Dies sei nicht geschehen und so könne davon ausgegangen werden, dass Art. 9 Abs. 3 GG nicht nur die individuelle, sondern auch die kollektive Koalitionsfreiheit schütze.18

13 BVerfGE 84, 212, 224; Däubler, in: ders., TVG, Einleitung, Rn. 70; Gneiting, in: Umbach/Clemens, Art. 9, Rn. 97; Kittner/Schiek, Alternativkommentar, Art. 9, Rn. 84. 14 Ipsen, Grundrechte, Rn. 661. 15 Reuter, RdA, 1994, S. 162; Burkiczak, Deregulierung, S. 144. 16 Söllner, AuR 1966, S. 263; Kempen, in: Kempen/Zachert, TVG, Grundlagen, Rn. 75; ähnlich Däubler, in: ders., TVG, Einleitung, Rn. 69. 17 Söllner, AuR 1966, S. 263. 18 Kempen, in: Kempen/Zachert, TVG, Grundlagen, Rn. 75.

I. Die Koalitionsfreiheit als Doppelgrundrecht

27

Die Qualität dieser Argumentation hängt maßgeblich davon ab, ob das Verständnis der Koalitionsfreiheit als Doppelgrundrecht zu Zeiten der Weimarer Reichsverfassung tatsächlich so einheitlich gewesen ist.19 Hinsichtlich der Weimarer Verfassung war die Frage des Schutzes der Vereinigung als solche umstritten,20 was anhand zweier hinsichtlich dieser Frage divergierender Entscheidungen des Reichsgerichts zu sehen ist. In einer Entscheidung hat das Reichsgericht ein Doppelgrundrecht angenommen.21 In einer anderen wurde dieses abgelehnt.22 Das Bundesverfassungsgericht ist aber der Auffassung, dass „unter Berücksichtigung des bestehenden verfassungsund arbeitsrechtlichen Zustandes in den Ländern von der rechtlichen Anerkennung der Sozialpartner als selbstverständlich“ ausgegangen werden konnte und ihre ausdrückliche Aufnahme aus diesem Grund entbehrlich war.23 Selbst wenn man unterstellen würde, die Koalitionsfreiheit sei zu Zeiten der Weimarer Reichsverfassung einheitlich interpretiert worden, kann die weitgehende Übernahme einer Norm lediglich ein Indiz dafür sein, dass der Verfassungsgeber dem vorherrschenden Verständnis folgen wollte. Es gab aber kein derartig einhelliges Verständnis zur Weimarer Reichsverfassung. Mit einer historischen Auslegung kann also weder positiv der Schutz des Doppelgrundrechts noch negativ die Nichtgewährung des Schutzes begründet werden.

3. Systematische Auslegung In systematischer Hinsicht gibt es gerade im Hinblick auf Art. 19 Abs. 3 GG erhebliche Vorbehalte hinsichtlich eines direkten Schutzes der kollektiven Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG.24 Die Grundrechte würden vom Individuum als Grundrechtssubjekt ausgehen.25 Deren Erstreckung auf juristische Personen sei nicht selbstverständlich und indem dieser Schutz direkt aus Art. 9 Abs. 3 GG entnommen werde, würde das verfassungsrechtlich vorgesehene Verhältnis zwischen Individualgrundrechten und Art. 19 Abs. 3 GG unterlaufen.26 Wenn ein Grundrecht unmittelbar auch Kollektive schützen wolle, seien diese ausdrücklich in dem Grundrecht, wie z. B. in Art. 6 Abs. 1 GG mit der Formulierung „Ehe und Familie“, erwähnt.27 Dies 19 Von einem Schutz der Koalition als solcher durch Art. 159 WRV geht beispielsweise Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. VI, S. 118 aus. 20 BVerfGE 4, 96, 101; Nörr, ZfA 1992, S. 370; Gusy geht wiederum davon aus, dass der Schutz der kollektiven Koalitionsfreiheit in der Weimarer Reichsverfassung anerkannt war, Gusy, Weimarer Reichsverfassung, S. 359. 21 RGZ 111, 199, 202. 22 RGZ 113, 33, 36 f. 23 BVerfGE 4, 96, 101 f. 24 Höfling, FS Friauf, S. 380. 25 Isensee, in: HStR V, § 118, Rn. 62. 26 Isensee, in: HStR V, § 118, Rn. 66; Burkiczak, Deregulierung, S. 146. 27 Burkiczak, Deregulierung, S. 146.

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B. Schutz des zwingenden Charakters der Tarifnormen

würde besonders auch im Hinblick auf Art. 21 GG deutlich.28 Art. 21 gewährleiste die freie Bildung von Parteien und weise diesen ausdrücklich eine Aufgabe zu.29 Hätte der Gesetzgeber die Koalitionen ebenso schützen wollen, hätte er diesen Schutz wie in Art. 21 GG ausdrücklich formulieren können.30 Zutreffend ist an diesen Bedenken, dass Art. 9 Abs. 3 GG im Gegensatz zu Art. 6 Abs. 1 GG oder Art. 21 GG ein zu schützendes Kollektiv nicht explizit nennt. Auch der Aussage, dass die Erstreckung eines grundrechtlichen Schutzes auf juristische Personen grundsätzlich über Art. 19 Abs. 3 GG hergestellt wird, ist zuzustimmen. Der Gesetzgeber hat sich zwar nicht für eine ausdrückliche Nennung der Koalitionen, aber für eine ausdrückliche Erwähnung des Vereinigungszwecks, der allein durch die Koalitionen verfolgt werden kann, entschieden. Die Nennung eines Zwecks, dem lediglich durch die in Art. 9 Abs. 3 GG genannten Kollektive nachgekommen werden kann, unterscheidet Art. 9 Abs. 3 GG von anderen Grundrechten und stellt zumindest ein Indiz dafür dar, dass der Schutz der Koalitionen selbst direkt Art. 9 Abs. 3 GG entnommen werden kann. Von Scholz wird vertreten, bei Art. 9 Abs. 3 GG würde es sich nicht um ein Doppelgrundrecht handeln, da das kollektive Freiheitsrecht grundsätzlich dem individualen Freiheitsrecht nachfolge und somit nicht die gleiche Ursprünglichkeit vorliegen würde, die für die Annahme eines Doppelgrundrechts erforderlich sei.31 Im Falle, dass das kollektive Grundrecht sich erst aus dem individualen Grundrecht ableiten lasse, könne das kollektive nicht das individuale Koalitionsrecht verdrängen.32 Außerdem wird vorgebracht, dass die kollektive Koalitionsfreiheit nicht deshalb geschützt werde, weil den Koalitionen eine bestimmte Aufgabe zukomme, sondern weil sie dem Schutz der individuellen Koalitionsfreiheit entspringe.33 Im Falle des Schutzes des „Kollektivs an sich“ würde der Kollektivität eine Bedeutung zukommen, die nicht der Koalition, sondern lediglich dem Zusammenwirken von Arbeitnehmern bzw. Arbeitgebern zukommen sollte.34 Das Entscheidende im Hinblick auf Art. 9 Abs. 3 GG sei, dass nicht das Kollektiv um seiner selbst willen, sondern vielmehr die kollektive Tätigkeit zur Verfolgung des in Art. 9 Abs. 3 GG festgeschriebenen Zweckes geschützt werde.35 Ansonsten würde der kollektiven Koalitionsfreiheit ein viel zu großes Eigengewicht zukommen, was zu Konflikten zwischen dem Individual- und Kollektivgrundrecht führen würde.36

28 29 30 31 32 33 34 35 36

Burikczak, Deregulierung, S. 147. Burikczak, Deregulierung, S. 147. Burikczak, Deregulierung, S. 147. Scholz, in: HStR VI, § 151, Rn. 9, 73 ff. Scholz, in: HStR VI, § 151, Rn. 75. Richardi, AöR 93 (1968), 243, 265. Zöllner, AöR 90 (1973), S. 79. Zöllner, AöR 90 (1973), S. 79 f. Zöllner, AöR 90 (1973), S. 80.

I. Die Koalitionsfreiheit als Doppelgrundrecht

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Diesen Argumentationen kann nicht gefolgt werden. Die Wahrnehmung der individuellen Koalitionsfreiheit macht die Gewährleistung der kollektiven erforderlich. Die Behauptung im Falle eines Schutzes der kollektiven Freiheit würden Interessen geschützt werden, die vom Schutz der individuellen Freiheit nicht umfasst sind, ist nicht zutreffend. Vielmehr ist es so, dass eine effektive Wahrnehmung der individuellen Freiheit den Schutz der kollektiven voraussetzt, da die hier in Rede stehenden Interessen eines einzelnen Koalitionsmitgliedes teilweise nur mit Hilfe eines Kollektivs durchsetzbar sind.37 Die Ausübung der individuellen Koalitionsfreiheit ist notwendigerweise auf die Betätigung mit anderen und damit auf kollektives Handeln angewiesen. Im Falle eines Doppelgrundrechts ist es stets denkbar, dass die kollektive die individuelle Freiheit und die individuelle die kollektive Freiheit einschränkt. Aus welchem Grund dies im Falle der Koalitionsfreiheit nicht geschehen dürfe, ist nicht nachvollziehbar.

4. Teleologische Auslegung Im Rahmen der teleologischen Auslegung wird besonders auf das Sozialstaatsgebot verwiesen, wobei über dessen Bedeutung für die Auslegung des Art. 9 Abs. 3 GG keine Einigkeit besteht. So wird in der Literatur vertreten, dass der Bezug auf das Sozialstaatsgebot für eine Auslegung des Art. 9 Abs. 3 GG als Doppelgrundrecht nicht zur Hilfe gezogen werden könne, da dieses nichts darüber aussage, wer Träger der Koalitionsfreiheit sei.38 Dagegen wird aber wiederum zutreffend eingewandt, dass angesichts des Bekenntnisses zum sozialen Rechtsstaat in Art. 20 Abs. 1 GG und Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG der Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG nicht ohne zwingenden Grund auf Individuen beschränkt werden könne.39 Für einen Schutz der kollektiven Koalitionsfreiheit wird vorgebracht, dass nur bei grundrechtlicher Gewährleistung derselben die Erreichung des in Art. 9 Abs. 3 GG verankerten Zweckes effektiv verfolgt werden könne.40 Das individuelle Koalitionsrecht kann nur im Zusammenhang mit anderen Arbeitnehmern bzw. Arbeitgebern ausgeübt werden. Um seine Interessen durchsetzen zu können, sei der Einzelne auf das gemeinsame Handeln mit anderen Akteuren angewiesen.41 Die Relevanz des kollektiven Elements bei der Ausübung der individuellen Koalitionsfreiheit ist eine Besonderheit des Art. 9 Abs. 3 GG.42 Ohne den Schutz der kollektiven bliebe

37 Vgl. Kittner/Schiek, in: Alternativkommentar, Art. 9, Rn. 84; Däubler, in: ders., TVG, Einleitung, Rn. 71; Galperin, AuR 1965, S. 1 f. 38 Burkiczak, Deregulierung, S. 149. 39 BVerfGE 4, 96, 102; Däubler, in: ders., TVG, Einleitung, Rn. 69 40 Däubler, in: ders., TVG, Einleitung, Rn. 71 41 Galperin, AuR 1965, S. 1 f; Kittner/Schiek, in: Alternativkommentar, Art. 9, Rn. 84. 42 Klutz, Friauf/Höfling, GG, Art. 9, Rn. 181.

30

B. Schutz des zwingenden Charakters der Tarifnormen

die individuelle Koalitionsfreiheit wirkungslos.43 Der Schutz des Kollektivs ist also notwendig, um den Sinn und Zweck des Art. 9 Abs. 3 GG zu gewährleisten sowie den Koalitionen die Verfolgung des koalitionsspezifischen Zwecks und damit die „Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ zu ermöglichen. Andere Autoren wiederum argumentieren besonders mit der „einseitigen Zweckrichtung“ des Art. 9 Abs. 3 GG hinsichtlich des Schutzes der Arbeitnehmer als der strukturell schwächeren Partei.44 Aus der Zweckrichtung der Koalitionsfreiheit, die Selbstbestimmung der Arbeitnehmer zu ermöglichen, ergebe sich die Notwendigkeit des Schutzes der kollektiven Koalitionsfreiheit, da dem Zweck auch die Mittel, d. h. in diesem Fall die Organisation in Kollektiven, zur Seite gestellt werden müssten.45 Zentraler Sinn und Zweck der Tarifautonomie ist der Ausgleich der strukturellen Unterlegenheit der Arbeitnehmer durch kollektives Handeln.46 Das gemeinsame Handeln mehrerer Personen ist danach notwendig. Würde man dieses nicht schützen, würde das nicht nur dem Sinn und Zweck zuwiderlaufen sondern es auch der einzelnen Person unmöglich machen, diesen Sinn und Zweck zu verfolgen. Nach der teleologischen Auslegung ist auch die kollektive Koalitionsfreiheit von Art. 9 Abs. 3 GG geschützt.

5. Zwischenergebnis Die Argumente, die lediglich der individuellen Koalitionsfreiheit den Schutz aus Art. 9 Abs. 3 GG zu sprechen wollen, sind nicht überzeugend. Die dargelegten Erwägungen legen im Ergebnis nahe, die kollektive Koalitionsfreiheit als von Art. 9 Abs. 3 GG erfasst zu betrachten. Das entspricht der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts und der herrschenden Lehre, die kollektive Koalitionsfreiheit von Art. 9 Abs. 3 GG als geschützt anzusehen.

II. Rechtlicher Charakter der kollektiven Koalitionsfreiheit Wie der Schutz der Koalitionen nach dem Grundgesetz konkret ausgestaltet ist, wird in der Folge behandelt. Dabei kommt in Betracht, dass die Koalitionen als institutionelle Garantie, Instituts- oder Sachverhaltsgarantie von Art. 9 Abs. 3 GG geschützt sind.

43

Säcker, Koalitionsfreiheit, S. 37. Kittner/Schiek, in: Alternativkommentar, Art. 9, Rn. 84. 45 Badura, Arbeitsrecht der Gegenwart 15, S. 20; Kittner/Schiek, in: Alternativkommentar, Art. 9, Rn. 84. 46 BVerfGE 84, 212, 229; 92, 365, 395. 44

II. Rechtlicher Charakter der kollektiven Koalitionsfreiheit

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1. Institutionelle Garantie Institutionelle Garantien gewährleisten eine staatliche Einrichtung und den öffentlich-rechtlichen Normenkomplex, der zu deren Bestand und Funktion erforderlich ist.47 Teilweise wird vertreten, dass die Koalitionen selber institutionell garantiert seien.48 So vertritt Schnorr die Auffassung, dass angesichts der Rolle, die den Koalitionen in der politischen und sozialen Wirklichkeit zukommt, die kollektive Koalitionsfreiheit weiter als die individuelle reichen müsse und folglich die Koalitionen institutionell garantiert sein müssten.49 Andere Stimmen nehmen eine institutionelle Garantie mit dem Verweis auf die Wahrnehmung besonderer öffentlicher Aufgaben durch die Koalitionen an.50 Biedenkopf begründet die institutionelle Garantie der Koalitionen mit der Normsetzungsbefugnis der Koalitionen.51 Die gesamten Argumente überzeugen indes nicht: Bei einer Koalition handelt es sich strukturell um eine privat-rechtliche Vereinigung, so dass die Annahme einer institutionellen Garantie evident ausscheidet.52 Sie gehören nicht dem hoheitlichen Bereich an und sind keine öffentlich-rechtlichen Funktionsträger.53 Sie können folglich unabhängig von ihrer politischen und sozialen Rolle, ihren Aufgaben und ihrer Normsetzungsbefugnis qua ihres privat-rechtlichen Status keine staatliche Einrichtung darstellen.54 Somit ist die Auffassung, die Koalitionen als institutionell garantiert anzusehen, abzulehnen.

2. Lebenssachverhaltsgarantie Ebenso muss der Annahme widersprochen werden, dass Art. 9 Abs. 3 GG eine Lebenssachverhaltsgarantie darstelle.55 Die gesellschaftlichen Sachverhalte „Gesellschaft“ oder „Verein“ sind zunächst lediglich soziologische Beschreibungen.56 47 Kemper, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 9, Rn. 95; vgl. zum Begriff eingehend Stern, Staatsrecht III/1, S. 791. 48 Säcker, Koalitionsfreiheit, S. 37 f; Schnorr, FS Molitor, S. 229, 234 ff. 49 Schnorr, FS Molitor, S. 229, 236. 50 Scheuner, Weber/Scheuner/Dietz, Koalitionsfreiheit, S. 38 f; vgl. dazu Rüthers, Streik und Verfassung, 1960, S. 72 f, der davon spricht, dass das Koalitionsgrundrecht eine institutionelle Garantie für die Koalitionen darstelle; in eine derartige Richtung argumentierend Müller, DB 1957, S. 719, der vertritt, dass Art. 9 Abs. 3 GG eine „institutionelle und funktionelle Garantie der Koalitionen selbst“ enthält. 51 Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, S. 105. 52 Löwer, in: von Münch/Kunig, Art. 9, Rn. 57; Kemper, Koalitionsfreiheit, S. 61 f; hierzu auch Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 251 f. 53 Wiedemann, Bindung der Tarifnormen, S. 58. 54 So auch Kemper, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 9, Rn. 95. 55 Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 9, Rn. 173, 28 f. 56 Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 9, Rn. 28.

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B. Schutz des zwingenden Charakters der Tarifnormen

Deren Entstehung ist Ausdruck von Grundrechtsausübung, bei der das einzelne Individuum grundrechtlichen Schutz in Anspruch nimmt.57 Der Schutz erfolgt jedoch unmittelbar und subjektbezogen.58 Eine objektiv-rechtliche Garantie ist für diese Betätigung nicht erforderlich.59

3. Institutsgarantie Eine Institutsgarantie gewährleistet eine Freiheit, deren Existenz nur durch die Bereitstellung einfachen Gesetzesrechts möglich ist, da die Grundrechtsträger nicht in der Lage sind, nur aufgrund ihres natürlichen Vermögens über diese Freiheit zu verfügen.60 Im Falle der Institutsgarantie wird nicht nur die Freiheit einer natürlichen Handlung gewährleistet, sondern vielmehr die Ausübung eines rechtlichen Könnens und damit eine Kompetenz garantiert. Der Grundrechtsträger erhält eine Handlungsfähigkeit in rechtlicher Hinsicht, die er ohne die entsprechende Norm nicht hätte. Teilweise wird vertreten, dass die Koalitionen als Institute garantiert seien.61 Eine Koalition an sich ist weder hinsichtlich ihrer Bildung, ihres Bestandes noch ihrer Organisation auf einfach-gesetzliche Normen angewiesen, sondern darin unabhängig von normativen Vorgaben.62 Eben die Notwendigkeit der einfach-gesetzlichen Konkretisierung einer verfassungsrechtlichen Schutznorm, ohne welche die gewährte Freiheit gar nicht in Anspruch genommen werden kann, ist Wesensmerkmal einer Institutsgarantie. Die Existenz und die Ausprägung des Koalitionswesens ist kein rechtliches Institut, sondern Ausdruck eines historisch vorkonstitutionellen, freiheitlichen Prozesses.63 Eine Umwandlung von Faktizität in Normativität verbietet sich.64 Eine solche Institutsgarantie scheidet folglich hinsichtlich der Koalitionen offensichtlich aus.65 Eine Koalition ist nicht in existentiell notwendiger Art und Weise auf ein die Freiheitsausübung erst ermöglichendes Recht angewiesen, wie das z. B. beim Eigentum oder der Ehe der Fall ist.66 Für ihre Existenz und ihre Interessenwahrnehmung ist nicht eine vorherige Rechtsordnungsentscheidung notwendig.

57

Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 9, Rn. 28. Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 9, Rn. 28. 59 Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 9, Rn. 28. 60 Kemper, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 9, Rn. 95; vgl. hierzu Stern, Staatsrecht III/ 1, S. 791. 61 Richardi, AöR 93 (1968), S. 243, 263. 62 Kemper, Koalitionsfreiheit, S. 63. 63 Burmeister, Arbeitnehmerinteressen und Verfassung, S. 140. 64 Burmeister, Arbeitnehmerinteressen und Verfassung, S. 140. 65 Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 253; Kemper, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 9, Rn. 95. 66 Löwer, in: von Münch/Kunig, Art. 9, Rn. 57; Kemper, Koalitionsfreiheit, S. 62. 58

III. Schutz der Betätigungsfreiheit

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4. Zwischenergebnis Der Schutz der Koalitionen erfolgt weder über eine Instituts- oder Sachverhaltsgarantie noch aus einer institutionellen Garantie. Aus dem Charakter des Schutzes der Koalitionen lassen sich folglich keine Rückschlüsse auf den Gewährleistungsinhalt des Art. 9 Abs. 3 GG ziehen.

III. Schutz der Betätigungsfreiheit Wenn eine Regelung eingeführt werden würde, die betriebliche Vereinbarungen auch ohne Zustimmung der Koalitionen ermöglicht, würde dies bedeuten, dass die Wirkungsmacht der Koalitionen erheblich geringer wäre. Eine geringere Wirkungsmacht und damit geminderte Einflussmöglichkeiten ziehen eine geringere Betätigungsmöglichkeit nach sich. Bevor also auf den spezifischen Schutz verbindlicher und zwingender Tarifnormen eingegangen werden kann, ist zunächst zu klären, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die Betätigungsfreiheit der Koalitionen von Art. 9 Abs. 3 GG geschützt ist. Wenn der Schutz der Betätigungsfreiheit bereits auf einer abstrakten Ebene zu verneinen wäre, bräuchte die konkrete Frage hinsichtlich der zwingenden und verbindlichen Tarifnormen schließlich gar nicht mehr behandelt werden. Die Wirkung von Tarifnormen ist auch eine Frage nach dem Bereich der Betätigungsfreiheit.

1. Grundsätzlicher Schutz der Betätigungsfreiheit Nach überwiegender Auffassung ist von Art. 9 Abs. 3GG auch der Schutz der Betätigungsfreiheit erfasst.67 Frühere Stimmen, nach denen die Betätigungsfreiheit nicht dem Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG unterstellt werden soll, haben sich in der Praxis nicht durchgesetzt.68 In jüngster Zeit wird aber vermehrt angeregt, die Betätigungs67

BVerfGE 17, 319, 333; 18, 18, 26; 20, 312, 319 f; 50, 290, 367; 55, 7, 21; 57, 220, 245; 93, 352, 357; Battis/Gusy, Staatrecht, Rn. 428; Bauer, in: Dreier, Art. 9, Rn. 82; Löwer, in: von Münch/Kunig, Art. 9, Rn. 57; Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 9, Rn. 241; Kannengießer, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, Art. 9, Rn. 12; Kittner/Schiek, in: Alternativkommentar, Art. 9 Abs. 3, Rn. 124; Gneiting, in: Umbach/Clemens, Art. 9, Rn. 110; Badura, Staatsrecht, Rn. 94; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 737; Bleckmann, Staatsrecht II, § 30, Rn. 53; Däubler, in: ders., TVG, Einleitung, Rn. 73; Wiedemann/Stumpf, TVG, Einleitung, Rn. 30; Birk, RdA 1995, S. 72; Otto, FS Zeuner, S. 127; Dieterich, AuR 2001, S. 390; Lerche, NJW 1987, S. 2467; Säcker, Koalitionsfreiheit, S. 33 f; Gerhardt, Koalitionsgesetz, S. 138 ff; Höfling, Vertragsfreiheit, S. 18; Kemper, Koalitionsfreiheit, S. 137; Frotscher, Wirtschaftsverfassungsrecht, Rn. 121. 68 So z. B. Erdmann, FS Sitzler, S. 51; in diese Richtung könnte auch Seiter, AöR 109 (1984), S. 96, verstanden werden, der betont, dass Art. 9 Abs. 3 GG ebenso wie Art. 159 WRV „seinem Wortlaut nach nichts über den Schutz der Koalitionsbetätigung“ (S. 96) besagt. Gleichzeitig verweist er aber anschließend auf die Rechtsprechung des Bundesverfas-

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B. Schutz des zwingenden Charakters der Tarifnormen

freiheit als nicht von Art. 9 Abs. 3 GG geschützt anzusehen,69 so dass an dieser Stelle die Frage zu behandeln ist, ob die Betätigungsfreiheit der Koalitionen von Art. 9 Abs. 3 GG geschützt ist. a) Wortlaut Vorgebracht wird, dass die Betätigungsfreiheit kaum von Art. 9 Abs. 3 GG umfasst sein könne, da im Wortlaut des Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG lediglich von „bilden“ die Rede sei.70 Richtig ist, dass im Wortlaut des Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG die Betätigungsfreiheit nicht explizit genannt wird. Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG knüpft aber den Schutz der Bildung – und zwar durch die Formulierung „zur“ – ausdrücklich daran, dass die Koalition die „Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ verfolgt. Eine Aufgabe in Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG derart hervorzuheben und die Verfolgung dieser Aufgabe nicht durch Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG zu schützen, erscheint paradox.71 Der Wortlaut spricht folglich dafür, die Betätigungsfreiheit dem Schutz des Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG zu unterstellen. b) Systematik Darüber hinaus ist im Rahmen einer systematischen Auslegung zu untersuchen, inwieweit Art. 9 Abs. 3 GG die Betätigungsfreiheit der Koalitionen enthält. aa) Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG Zunächst ist diesbezüglich darzustellen, ob sich im Rahmen einer systematischen Betrachtung aus Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG Rückschlüsse auf den Gewährleistungsgehalt des Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG ziehen lassen. Nach Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG sind Abreden, die das in Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG genannte Recht einschränken oder verhindern, rechtswidrig. Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG begründet eine unmittelbare Drittwirkung, d. h. die Geltung des Grundrechts nicht nur zwischen

sungsgerichts, nach der die Betätigung geschützt ist, und erörtert deren Gewährleistungsbereich. 69 So auch Burkiczak, Deregulierung, S. 296 ff; Lenz, Vorbehaltlose Grundrechte, S. 253 ff. 70 Lenz, Vorbehaltlose Grundrechte, S. 255 f; hierzu auch Burkiczak, Deregulierung, S. 296 ff. 71 Schwarze, JuS 1994, S. 655; gegen die Auffassung von Lenz, Vorbehaltlose Grundrechte, S. 256, dass es keine Anhaltspunkte dafür gäbe, dass die Betätigung auch von Art. 9 Abs. 3 GG geschützt werden müsse und vielmehr auch ein Schutz über Art. 2 Abs. 1 GG in Betracht komme, ist vorzubringen, dass es diesbezüglich ein sehr klares Argument gibt: den Wortlaut von Art. 9 Abs. 3 und Art. 2 Abs. 1 GG. Eine verfassungsrechtliche Norm, die ausdrücklich eine Aufgabe zuweist, indiziert mit diesem Wortlaut auch deren Schutz. Argumente gegen eine solche Indizwirkung bleibt Lenz schuldig. Anhaltspunkte für den Schutz der Betätigungsfreiheit durch andere Grundrechte sind nicht ersichtlich.

III. Schutz der Betätigungsfreiheit

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Staat und Bürgern, sondern auch im Verhältnis der Bürger zueinander.72 Wenn man nun von Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG auch die Betätigungsfreiheit als geschützt ansehen würde, so wird gerade in jüngster Zeit argumentiert, wäre im Bereich der Tarifautonomie und des Arbeitskampfes kaum eine Abrede denkbar, die nach Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG nicht rechtswidrig wäre.73 Eine Arbeitskampfmaßnahme der einen Seite verfolge stets den Zweck, die Arbeitskampfmaßnahme der anderen Seite zu behindern und verstoße damit immer gegen Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG.74 Dies würde eine Dauerkollision innerhalb eines Grundrechts nach sich ziehen und zur Neutralisierung der Grundrechtswirkungen führen.75 Inwieweit dieser Argumentation zugestimmt werden kann, ist im Rahmen einer Auslegung des Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG zu untersuchen. Der Wortlaut des Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG besagt, dass alle Maßnahmen bzw. Abreden, die das in Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG geschützte Recht einschränken oder behindern, rechtswidrig bzw. nichtig sind. Abreden werden als Vereinbarungen von mindestens zwei Seiten definiert.76 Umstritten ist, ob diese rechtsverbindlich ausgestaltet sein müssen,77 oder ob Vereinbarungen jedweder Art ausreichend sind78. Unter Maßnahmen werden dabei einseitige Handlungen oder Unterlassungen verstanden, die auch rein faktischer Natur sein können.79 Die Formulierung „einschränken“ legt nahe, dass jede Maßnahme oder Abrede die objektiv einschränkende Wirkung hat, unter Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG fällt. Gleichzeitig ist aus der Formulierung „zu behindern suchen“ zu schließen, dass auch jede subjektiv gewollte Behinderung von Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG erfasst ist. Das bedeutet, dass hinsichtlich der Abreden sowohl eine subjektiv gewollte, als auch eine objektiv vorliegende Beeinträchtigung ausreichend ist.80 Hinsichtlich von Maßnahmen indiziert die Formulierung „hierauf gerichtete Maßnahmen“ jedoch andererseits, dass eine faktische Beeinträchtigung von der handelnden Partei auch gewollt sein muss.81 Hierzu 72

BAGE 91, 210, 224; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 9, Rn. 31; Kemper, in: von Mangoldt/ Klein/Starck, Art. 9, Rn. 177; Höfling, in: Sachs, Art. 9, Rn. 124; Bauer, in: Dreier, Art. 9, Rn. 88. 73 Burkiczak, Deregulierung, S. 302. 74 Siehe hierzu Burkiczak, Deregulierung, S. 302; Lenz, Vorbehaltlose Grundrechte, S. 256. 75 Burkiczak, Deregulierung, S. 302; Lenz, Vorbehaltlose Grundrechte, S. 258. 76 Höfling, in: Sachs, Art. 9, Rn. 124; Löwer, von Münch, Art. 9, Rn. 86; Höfling/Burkiczak, RdA 2004, S. 266. 77 Kemper, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 9, Rn. 9, Rn. 180. 78 Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 9, Rn. 333; Löwer, in: von Münch/Kunig, Art. 9, Rn. 86; Höfling, in: Sachs, Art. 9, Rn. 124. 79 Höfling, in: Sachs, Art. 9, Rn. 124; Löwer, in: von Münch/Kunig, Art. 9, Rn. 88; a. A. Kemper, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 9, Rn. 180, der unter Maßnahmen einseitige Rechtsakte versteht. 80 Seiter, JZ 1979, S. 660; Löwer, in: von Münch/Kunig, Art. 9, Rn. 86; Kemper, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 9, Rn. 180; Bauer, in: Dreier, Art. 9, Rn. 88. 81 Höfling, in: Sachs, Art. 9, Rn. 180.

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B. Schutz des zwingenden Charakters der Tarifnormen

kann vorgebracht werden, dass der Wortlaut des Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG bei Abreden explizit zugleich subjektiv gewollte und objektiv faktische Beeinträchtigungen umfasst, während bei Maßnahmen ausdrücklich formuliert wurde, dass diese auf eine solche Beeinträchtigung gerichtet sein müssen. Hinsichtlich einer Abrede können die Beeinträchtigungen also objektiver Natur sein oder bloß subjektiv angestrebt werden. Bei einer Maßnahme muss immer ein subjektives Element vorliegen. Fraglich ist nun, was unter dem in Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG genannten geschützten Recht zu verstehen ist. Die Formulierung „dieses Recht“ bezieht sich auf das in Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG geschützte Recht. Vorgebracht wird, dass angesichts dieses Bezuges im Falle des Schutzes der Betätigungsfreiheit paradoxe Ergebnisse erzielt werden würden und Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG ein Indiz dafür sei, dass die Betätigungsfreiheit nicht von Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG umfasst sein könne.82 Deshalb ist Kern der Koalitionsfreiheit, dass es zwei Seiten – die Arbeitgeber und die Arbeitnehmer – gibt, die ihre Interessen im Rahmen der Koalitionsfreiheit versuchen durchzusetzen. Dies beinhaltet zwangsläufig, dass die eine Seite die Arbeitskampfmaßnahmen der anderen Seite verhindern möchte und auch diesbezügliche Handlungen vornimmt. „Gerade die interne Auseinandersetzung zwischen den Parteien ist Gegenstand der Freiheitsgewährleistung.“83 In Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG hinein zu interpretieren, dass jede Handlung, die darauf gerichtet ist oder faktisch bewirkt, die Betätigung der jeweils anderen Seite zu beeinflussen, rechtswidrig oder nichtig ist, würde die Koalitionsfreiheit faktisch aushebeln. Dieser Lesart des Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG kann deshalb nicht gefolgt werden. Handlungen, die durch Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG geschützt werden, wie z. B. der Abschluss von Vereinbarungen zwischen den Koalitionen oder innerhalb einer Koalitionen oder der Aufnahme von Kampfmaßnahmen, sollen eben gerade nicht durch Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG für rechtswidrig oder nichtig erklärt werden können.84 Von Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG geschützte Maßnahmen oder Abreden können nicht nur wegen eines vermeintlich hinderlichen Einflusses auf die gegnerische Seite von Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG erfasst werden.85 Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG ist vielmehr so zu verstehen, dass Maßnahmen und Abreden die darauf gerichtet sind oder faktisch bewirken, dass der anderen Seite das Recht auf Koalitionsfreiheit abgesprochen wird, rechtswidrig bzw. nichtig sind. Das ist nicht der Fall, wenn die Handlung der einen Seite darauf gerichtet ist, die Handlung der anderen Seite zu beeinflussen. Vertreten wird auch, dass Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG sich lediglich auf die individualrechtlichen Aspekte der Koalitionsfreiheit bezieht und die kollektivrechtliche Dimension nicht an der unmittelbaren Drittwirkung teilhat.86 Nach dieser Auffassung würde der Schutz der Koalitionsfreiheit in Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG enger als in 82 83 84 85 86

Lenz, Vorbehaltlose Grundrechte, S. 257 f. Kemper, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 9, Rn. 179. Kemper, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 9, Rn. 179. Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 9, Rn. 333, Fn. 3. Höfling/Burkiczak, RdA 2004, S. 268 f.

III. Schutz der Betätigungsfreiheit

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Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG zu verstehen sein. Allerdings nimmt Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG durch die Formulierung „dieses Recht“ explizit Bezug auf den Schutz des Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG, so dass es nicht überzeugend ist, für den Fall des ersten Satzes ein weiteres Verständnis als für den zweiten Satz zu Grunde zu legen. Auch die Beispiele, die für die vorgebliche Widersprüchlichkeit vorgebracht werden, würden bei einem hier vorgetragenen Verständnis der Koalitionsfreiheit nicht unter Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG fallen. Ziel einer tarifvertraglichen Vereinbarungspflicht zur Friedenspflicht ist nicht, einer Seite die Koalitionsfreiheit abzusprechen, sondern ausschließlich die Einigung auf einen Ausschluss von Maßnahmen des Arbeitskampfes für einen bestimmten Zeitraum. Ähnlich verhält es sich mit der Vereinbarung, Arbeitskampfmaßnahmen nicht vor einer Urabstimmung durchzuführen.87 Auch hierbei liegt eine Vereinbarung über die Art und Weise der Ausübung der Koalitionsfreiheit vor und keinesfalls eine Vereinbarung, mit der einer Seite ihr Recht auf Koalitionsfreiheit abgesprochen werden soll. Angesichts des hier vorgetragenen Verständnisses von Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG kommt es nicht zu widersprüchlichen Ergebnissen, so dass Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG nicht als Argument dafür herangezogen werden kann, dass die Betätigungsfreiheit nicht von Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG umfasst sein kann. bb) Art. 9 Abs. 3 S. 3 GG Als Argument für den Schutz der Betätigungsfreiheit durch Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG wird im Rahmen einer systematischen Betrachtung zudem mit Art. 9 Abs. 3 S. 3 GG argumentiert. Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts ist die Arbeitskampffreiheit von Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG geschützt, wofür auch Art. 9 Abs. 3 S. 3 GG spreche.88 Gegen ein derartiges Verständnis wird vorgebracht, dass Art. 9 Abs. 3 S. 3 GG erst 1968 im Rahmen der Notstandsgesetze in das Grundgesetz eingefügt worden sei und diese Einfügung nicht das Ziel verfolgt habe, den Gewährleistungsgehalt zu erweitern.89 Wenn der Verfassungsgeber in Art. 9 Abs. 3 S. 3 GG eine besondere Regelung hinsichtlich der Arbeitskämpfe trifft, ist es zunächst jedoch naheliegend davon auszugehen, dass er diese als einen Bereich der von Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG geschützten Koalitionsfreiheit ansieht. Damit wird keine Erweiterung des Schutzbereichs vorgenommen, sondern der Verfassungsgeber trifft für einen bestimmten Teil des Schutzbereichs eine spezielle Regelung. Der Verfassungsgeber hat mit Art. 9 Abs. 3 S. 3 GG kein grundsätzliches Bekenntnis zur kollektiven Betätigungsfreiheit der Koalitionen abgegeben,90 aber für einen Teilbereich eine Regelung geschaffen. So wird in der Ge87 88 89 90

Vgl. hierzu Höfling/Burkiczak, RdA 2004, S. 269. BVerfGE 84, 212, 225. Burkiczak, Deregulierung, S. 303; Lenz, Vorbehaltlose Grundrechte, S. 258. Vgl. Burkiczak, Deregulierung, S. 304.

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B. Schutz des zwingenden Charakters der Tarifnormen

setzesbegründung auch klargestellt, dass an der verfassungsrechtlichen Beurteilung von Arbeitskämpfen mit der Einfügung nichts geändert, sondern lediglich gewährleistet werden sollte, dass auch im Falle der Notstandsverfassung „die Gewährleistung des bisherigen Rechtszustandes“ vorzufinden ist.91 Dies bedeutet aber zugleich, dass der Gesetzgeber davon ausgegangen ist, dass Arbeitskämpfe und damit die Betätigungsfreiheit von Art. 9 Abs. 3 GG geschützt sind. Die in diesem Zusammenhang vorgebrachte Entgegnung, dass es sowohl in der Rechtsprechung als auch in der Literatur zum Zeitpunkt der Verfassungsänderung umstritten war, ob die Betätigungsfreiheit von Art. 9 Abs. 3 GG geschützt ist,92 überzeugt nicht. Die spezielle Frage des Schutzes von Aussperrung und Streik durch Art. 9 Abs. 3 GG ist nicht zu verwechseln mit der grundsätzlichen Frage nach dem Schutz der Betätigungsfreiheit. Letztere wurde bereits zu Zeiten der Einfügung des Art. 9 Abs. 3 S. 3 GG nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts93 und der ganz herrschenden Meinung im Schrifttum94 als durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützt angesehen. Die Frage, ob der verfassungsändernde Gesetzgeber mit der Einfügung des Satzes 3 eine normative Entscheidung treffen wollte,95 bezieht sich also vielmehr auf die Frage des Schutzes von Streik und Aussperrung und nicht auf den grundsätzlichen Schutz der Betätigungsfreiheit. Lenz bringt außerdem vor, dass sich Art. 9 Abs. 3 S. 3 GG als Schranken-Schranke mangels Schrankenvorbehalts in Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG kaum auf letzteren beziehen könne.96 Art. 9 Abs. 3 S. 3 GG sei deshalb vielmehr als Schranken-Schranke des Art. 2 Abs. 1 GG zu verstehen.97 Würde man dieser Auffassung folgen, hätte dies zur Konsequenz, dass Art. 9 Abs. 3 S. 3 GG zur Auslegung des Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG keine Berücksichtigung finden kann, da es sich allein um eine SchrankenSchranke des Art. 2 Abs. 1 GG handele. Es erscheint wenig überzeugend, eine Regelung, die durch den Verfassungsgeber im Kontext eines spezifischen Grundrechts (die Koalitionsfreiheit) verortet wurde und auf dieses auch inhaltlich Bezug nimmt (der Arbeitskampf), dem Regelungsbereich eines anderen Grundrechts zuzuordnen. Ebenso kann es nicht überzeugen, Art. 9 Abs. 3 S. 3 GG ausschließlich als Beschrän91

BT-Drs. V/2873, S. 3. Lenz, Vorbehaltlose Grundrechte, S. 258 f. 93 BVerfGE 4, 96, 101, 106; 17, 319, 333; 18, 18, 26; 20, 312, 319 f; 38, 386, 393. 94 Schäfer, AöR 93 (1968), S. 78; Galperin, FS Bogs, S. 89; Richardi, AöR 93 (1968), S. 262 mit weiteren Nachweisen. 95 Vgl. hierzu Engel, VVDStRL 59 (2000), S. 86, Fn. 170, der sich dagegen ausspricht, und auch Coester, Jura 1992, S. 85, der ausführt, dass mit Art. 9 Abs. 3 S. 3 GG „Arbeitskämpfe als rechtstatsächliches Phänomen von staatlichen Eingriffen“ (S. 85) freigehalten werden sollten, aber damit keine positive Gewährleistung und Regelung einhergehen sollte. Das wirft jedoch die Frage auf, wie die Nennung einer Handlung von Grundrechtssubjekten in der Verfassung rein rechtstatsächlich erfolgen kann, ohne damit nicht auch gleichzeitig eine Regelung vorzunehmen. 96 Lenz, Vorbehaltlose Grundrechte, S. 259. 97 Lenz, Vorbehaltlose Grundrechte, S. 259. 92

III. Schutz der Betätigungsfreiheit

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kung der Notstandsverfassung zuzuordnen, die unabhängig von Art. 9 Abs. 3 S. 1 und S. 2 GG sei.98 Wäre dies der Fall, wäre unerklärlich, weshalb der verfassungsändernde Gesetzgeber diese Änderung in Art. 9 Abs. 3 S. 3 GG vorgenommen haben sollte und nicht in Art. 2 Abs. 1 GG. Für beide Interpretationen müssten gewichtige Gründe vorliegen, da beide Auslegungen ein Verständnis vorschlagen, das dem Wortlaut entgegensteht. Solche starken Gründe werden jedoch nicht vorgebracht, so dass diesen Auffassungen nicht gefolgt werden kann. Art. 9 Abs. 3 S. 3 GG ist als eine Schranken-Schranke des Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG zu behandeln.99 Die Norm kann somit für die systematische Auslegung herangezogen werden. Art. 9 Abs. 3 S. 3 GG bietet keine Begründung für die Nicht-Gewährung des Schutzes der Betätigungsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG. Vielmehr gibt gewichtige Anhaltspunkte dafür, dass Art. 9 Abs. 3 S. 3 GG systematisch nahe legt, die Betätigungsfreiheit als von Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG geschützt anzusehen. cc) Art. 9 Abs. 1 GG Die Betrachtung des Art. 9 Abs. 1 GG legt nahe, für Art. 9 Abs. 3 GG einen größeren geschützten Betätigungsbereich als für die Vereinigungsfreiheit anzunehmen. Hinsichtlich der Vereinsbetätigungsfreiheit werden unterschiedliche Positionen eingenommen. Nach der einem weiten Verständnis folgenden Auffassung wird von Art. 9 Abs. 1 GG auch die externe Vereinsbetätigungsfreiheit geschützt.100 Demgegenüber gibt es auch eine sehr restriktive Auslegung, nach der Art. 9 Abs. 1 GG die Betätigungsfreiheit nicht schützt, sondern den Schutz in den einzelnen Freiheitsrechten ansiedelt.101 Die wohl herrschende vermittelnde Ansicht sieht die innere Betätigung des Vereins als geschützt an.102 Inwieweit die Betätigung darüber hinaus, wie z. B. bei der Mitgliederwerbung, geschützt ist, ist wiederum im Einzelnen umstritten.103 Als Begründung für einen engeren Schutz wird darauf verwiesen, dass dem Vereinszweck über Art. 9 Abs. 1 GG kein weitergehender Schutz zugewiesen werde als dem Zweck, den ein Individuum durch seine Handlung verfolge.104 Dies ist aber gerade der grundsätzliche Unterschied zwischen Art. 9 Abs. 1 GG und Art. 9 Abs. 3 GG. In Art. 9 Abs. 3 GG wird den Koalitionen gerade ein Zweck, dem ihre Betätigung zu dienen hat, zugesprochen. Der Zweck „Wahrung und Förde98

So aber Burkiczak, Deregulierung, S. 304 f. Richardi, JZ 1992, S. 29; Kemper, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 9, Rn. 187; Höfling, in: Sachs, Art. 9, Rn. 496; Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 9, Rn. 389. 100 Mutius, Jura 1984, S. 196; Stein/Frank, Staatsrecht, § 40 II 2 b. 101 Ipsen, Grundrechte, Rn. 553. 102 BVerfGE 50, 290, 354; 80, 244, 253; BVerfG, NJW 1996, S. 1203; Höfling, in: Sachs, Art. 9, Rn. 19; Steinmeyer, in: Umbach/Clemens, Art. 9, Rn. 34 f. 103 Vgl hierzu Höfling, in: Sachs, Art. 9, Rn. 19 f; Kepmer, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 9, Rn. 3 ff; Bauer, in: Dreier, Art. 9, Rn. 45 ff. 104 BVerfGE 70, 1, 25; BVerfG, NJW 1996, S. 1203; Höfling, in: Sachs, Art. 9, Rn. 19. 99

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B. Schutz des zwingenden Charakters der Tarifnormen

rung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ wird den Koalitionen verfassungsrechtlich gerade durch Art. 9 Abs. 3 GG aufgetragen, so dass dessen Verfolgung durch entsprechende Betätigung einen anderen Schutz erfahren muss als ein prinzipiell individuell verfolgbarer Zweck im Sinne des Art. 9 Abs. 1 GG. Der Umfang des Schutzes der Betätigungsfreiheit ist im Rahmen des Art. 9 Abs. 1 GG umstritten. Die Nennung eines von den Koalitionen zu verfolgenden Zwecks begründet jedoch einen wesentlichen Unterschied zwischen Art. 9 Abs. 1 GG und Art. 9 Abs. 3 GG. Die Betrachtung des Art. 9 Abs. 1 GG legt nahe, der Koalitionsfreiheit einen weiteren geschützten Betätigungsbereich zuzusprechen als der Vereinigungsfreiheit nach Art. 9 Abs. 1 GG. c) Historische und genetische Auslegung Des Weiteren sind die historischen Gesichtspunkte hinsichtlich eines Schutzes der Betätigungsfreiheit durch Art. 9 Abs. 3 GG zu untersuchen. Im Rahmen der Weimarer Reichsverfassung galt die Betätigungsfreiheit als geschützt.105 Allerdings ist dabei zu beachten, dass die Weimarer Reichsverfassungen zwei Normen, die im Zusammenhang mit der Koalitionsfreiheit standen, kannte: Art. 159 WRV und Art. 165 WRV. Art. 159 WRV lautet: „Die Vereinigungsfreiheit zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Alle Abreden und Maßnahmen, welche diese Freiheit einzuschränken oder zu behindern suchen, sind rechtswidrig.“ Der Wortlaut des Art. 165 WRV lautet wie folgt: „Die Arbeiter und Angestellten sind dazu berufen, gleichberechtigt in Gemeinschaft mit den Unternehmern an der Regelung der Lohnund Arbeitsbedingungen sowie an der gesamten wirtschaftlichen Entwicklung der produktiven Kräfte mitzuwirken. Die beiderseitigen Organisationen und ihre Vereinbarungen werden anerkannt.“ Art. 159 WRV findet sich fast wortgleich im Grundgesetz, während eine dem Art. 165 WRVentsprechende Regelung keinen Einzug erhalten hat.106 Folglich ist die Auffassung, die zu Zeiten der Weimarer Reichsverfassung absolut vorherrschend war, als solche nur sehr bedingt hinsichtlich des Art. 9 Abs. 3 GG aussagekräftig bzw. übertragbar. Dies wäre jedoch dann der Fall, wenn es Anhaltspunkte dafür gäbe, dass der Verfassungsgeber ein bestimmtes überkommenes Verständnis der Koalitionsfreiheit im Grundgesetz verankern wollte. Daran fehlt es hinsichtlich der Koalitionsfreiheit jedoch. Im Parlamentarischen Rat gab es über den Schutz der negativen Koalitionsfreiheit und des Streikrechts Auseinandersetzungen, hinsichtlich des grundsätzlichen Schutzes der Betätigungsfreiheit sind jedoch kaum Ausführungen zu finden.107 105

Vgl. Gusy, Weimarer Reichsverfassung, S. 359, 361 ff; Sinzheimer, Grundzüge des Arbeitsrechts, S. 44; Giese, Verfassung des deutschen Reiches, Art. 159, Rn. 3. 106 Trappehl/Lampbrich, NJW 1999, S. 3218. 107 JöR Bd. 1 n. F. (1951), S. 116 ff; Henssler, ZfA 1998, S. 3 ff.

III. Schutz der Betätigungsfreiheit

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Dies könnte so interpretiert werden, dass der Verfassungsgeber klar zum Ausdruck bringen wollte, dass es keine Veränderung zur Weimarer Reichsverfassung geben sollte, da es ansonsten dahingehende Äußerungen geben müsste.108 Die Tatsache, dass Art. 165 WRV nicht übernommen worden ist, könnte man wiederum aber auch so auslegen, dass damit der Schutzumfang verringert werden sollte.109 Überzeugend erscheint es demgegenüber angesichts der uneindeutigen Quellenlage festzuhalten, dass die historische Auslegung zu keinen eindeutigen Ergebnissen führt und im Rahmen des Normverständnisses von Art. 9 Abs. 3 GG vielmehr auf andere Auslegungsmöglichkeiten abzustellen ist. d) Teleologische Auslegung Im Folgenden wird untersucht, was sich aus einer teleologischen Auslegung für den Schutz der Betätigungsfreiheit ergibt. Das Bundesverfassungsgericht führt zur Begründung eines Schutzes der Betätigungsfreiheit aus, dass die Gewährleistung der Koalitionsfreiheit nur dann Sinn mache, wenn damit auch die Betätigung im Sinne der in Art. 9 Abs. 3 GG genannten Zwecke geschützt werde.110 Unter Betätigungsfreiheit der Koalitionen werde das Recht verstanden, durch koalitionsmäßige Betätigung die in der Verfassungsvorschrift genannten Zwecke zu verfolgen.111 Folglich ist all jene Betätigung, die darauf abziele, die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu gestalten und zu fördern, nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts geschützt.112 Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG würde ins Leere laufen, wenn nicht auch die Betätigung selbst geschützt werde.113 Die in Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG zugewiesenen Aufgaben könnten nur dann verfolgt werden, wenn den Koalitionen auch die Rechte für diese Verfolgung zugesprochen würden, und deshalb müsse die Betätigungsfreiheit auch von Art. 9 Abs. 3 GG geschützt werden.114

108

Dieterich, RdA 2002, S. 8; Säcker/Oetker, Tarifautonomie, S. 61; Kittner/Schiek, in: Alternativkommentar, Art. 9 Abs. 3, Rn. 22; Däubler, ders., Einleitung, Rn. 76; Kemper, Koalitionsfreiheit, S. 137 f. 109 Burkiczak, Deregulierung, S. 44 f, 311; Lenz, Vorbehaltlose Grundrechte, S. 261 f; Höfling/Burkiczak, RdA 2004, S. 271 f; Reuter, FS Hattenhauer, S. 419. 110 BVerfGE 17, 319, 333; 18, 18, 26; 20, 312, 319 f; dazu auch Zöllner, AöR 90 (1973), S. 85. 111 BVerfGE 50, 290, 367; 64, 208, 213; 94, 268, 283; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 9, Rn. 38. 112 BVerfGE 42, 133, 138; 50, 290, 367; 84, 212, 224; Gneiting, in: Umbach/Clemens, Art. 9, Rn. 110. 113 Zöllner, AöR 90 (1973), S. 85; Bleckmann, Staatsrecht II, § 30, Rn. 53; Kemper, Koalitionsfreiheit, S. 137. 114 Bleckmann, Staatsrecht II, § 30, Rn. 53.

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B. Schutz des zwingenden Charakters der Tarifnormen

Gegen eine solche Begründung des Schutzes der koalitionsspezifischen Betätigung wird vorgebracht, dass der These, die Betätigung der Koalitionen müsse grundrechtlichen Schutz finden, zugestimmt werde, dieser Schutz aber nicht über Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG erfolgen müsse, sondern vielmehr ein Schutz allein über Art. 2 Abs. 1 GG in Betracht komme.115 Die Bildung einer Koalition zu schützen und ihr über eine verfassungsrechtliche Norm eine spezifische Aufgabe zuzuweisen und dann nicht ihr Handeln zur Erfüllung dieser Aufgaben durch die gleiche Norm zu schützen, würde jedoch die Frage aufwerfen, warum diese Koalition und diese Aufgabe überhaupt in dieser Verfassungsnorm genannt ist.116 Wenn der Verfassungsgeber die Bildung der Koalitionen und deren Aufgaben in einer Norm schützt, gibt es keinerlei Anhaltspunkte dafür, den Schutz der Betätigung zur Verfolgung dieser Aufgaben nicht in der gleichen Norm, sondern in einer anderen zu verankern. Für eine Verortung der Betätigungsfreiheit in Art. 2 Abs. 1 GG müsste es Anhaltspunkte geben, da damit erhebliche dogmatische Konsequenzen verbunden wären. So unterliegt Art. 9 Abs. 3 GG im besonderen Maße der Ausgestaltung. Art. 2 Abs. 1 GG ist demgegenüber durch die Schrankentrias beschränkbar, während Art. 9 Abs. 3 GG vorbehaltlos gewährleistet ist. Vorgebracht wird auch, dass die Argumentation, nach der die Koalitionsfreiheit ohne Schutz der Betätigung sinnlos wäre, ein bloßes Effektivitätsargument ohne rechtliche Relevanz sei.117 Dem ist entgegen zu halten, dass es bei der Frage der Betätigungsfreiheit nicht darum geht, diese möglichst effektiv zu gewährleisten, sondern ausschließlich darum, den Koalitionen überhaupt zu ermöglichen, ihre durch Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG zugeschriebenen Aufgaben verfolgen zu können. Die Annahme, dabei würde es sich ausschließlich um Effektivitätsaspekte handeln, ist folglich nicht zutreffend. Auch der Behauptung, die Bildung und der Bestand einer Koalition sei aufgrund der Gefahr von „Repressionen vor allem von Seiten der Arbeitgeber und gegebenenfalls auch von Seiten des Staates“ besonders gefährdet und daher auf grundrechtlichen Schutz besonders angewiesen, während die Koalitionen bei ihrer Betätigung „aus sich heraus stark und daher weniger auf grundrechtlichen Schutz angewiesen“ seien,118 kann nicht gefolgt werden. Zum einen ist der Einschätzung, die Koalition sei grundsätzlich aus sich selbst heraus stark, zu widersprechen. Die Stärke jeder einzelnen Koalition ist unterschiedlich und variiert im Einzelfall. Vor allem ist aber bereits die Annahme, jede Koalition sei stark und brauche deshalb keinen grundrechtlichen Schutz, problematisch. Grundrechtlicher Schutz kann nicht daran ausgerichtet werden, ob ein Grundrechtsträger in historischen Momentaufnahmen erfolgreich ist und stark da steht. 115

Burkiczak, Deregulierung, S. 314. So auch Henssler, ZfA 1998, S. 3, der davon spricht, dass die Bildung einer Koalition ohne den Schutz eines „Mindestmaßes an Betätigung inhaltsleer und überflüssig“ (S. 3) ist. 117 Lenz, Vorbehaltlose Grundrechte, S. 259 f. 118 Lenz, Vorbehaltlose Grundrechte, S. 260. 116

III. Schutz der Betätigungsfreiheit

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Zum anderen sind keine Gründe erkennbar, warum die Bildung und der Bestand grundsätzlich mehr gefährdet sein soll als die Betätigung. Wenn es keine Koalition mehr gibt, kann sie sich auch nicht betätigen. Wenn sie sich aber nicht betätigen kann, stellt sich die Frage, wie sie ihre weitere Existenz sichern kann. Folglich erscheint es durchaus plausibler, sowohl die Bildung und den Bestand als auch die Betätigung grundrechtlich zu schützen. Anzufügen ist außerdem, dass der Schutz der Bildung und des Bestandes einer Koalition nach Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG daran gekoppelt ist, dass die Koalitionen dem Zweck der „Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ nachgehen. Angesichts der expliziten Verankerung des Koalitionszweckes im Grundgesetz erscheint es nicht vertretbar, die Verfolgung dieses Zwecks aus dem grundrechtlichen Schutz auszuschließen. Eine teleologische Auslegung ergibt somit, dass Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG auch die Betätigungsfreiheit schützt. e) Zwischenergebnis Aus der Auslegung folgt also, dass nach vorzugswürdiger Auffassung die spezifisch koalitionsmäßige Betätigung von Art. 9 Abs. 3 GG geschützt ist.

2. Umfang der Betätigungsfreiheit Grundsätzlich ist die Betätigung der Koalitionen von Art. 9 Abs. 3 GG erfasst. Damit ist jedoch noch nicht geklärt, in welchem Umfang die koalitionsspezifische Betätigung verfassungsrechtlich geschützt ist. Früher vertrat das Bundesverfassungsgericht, dass die Koalitionsfreiheit nur in einem Kernbereich gewährleistet sei.119 Dieser Kernbereich wurde teils mit der sogenannten „Unerlässlichkeits-Formel“ so umschrieben, dass lediglich die Betätigungen geschützt seien, die für die Sicherung und die Erhaltung einer Koalition als unerlässlich angesehen werden müssten.120 Teils wurde durch das Bundesverfassungsgericht aber auch die sogenannte „Abwägungsformel“ angewendet, wonach alle Betätigungen, die dem Schutzzweck dienen, geschützt seien, es sei denn, deren Beschränkung sei zum Schutz anderer Rechtsgüter erforderlich.121 In einigen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts fanden beide Formeln nebeneinander Anwendung.122

119 BVerfGE 17, 319, 333; 19, 303, 321; 28, 295, 306; 38, 281, 305; 50, 290, 369; 57, 220, 246; 58, 233, 247; 77, 1, 63. 120 BVerfGE 17, 319, 333; 19, 303, 321; 28, 295, 306; 38, 281, 305; 50, 290, 369; 58, 233, 247; 77, 1, 63; s. auch Lohs, BB 1996, S. 1273. 121 BVerfGE 28, 295, 306; 57, 220, 246. 122 BVerfGE 28, 295, 304 ff; 57, 220, 246.

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B. Schutz des zwingenden Charakters der Tarifnormen

Diese Rechtsprechung war vielfältiger Kritik ausgesetzt.123 In der Literatur wurden andere Ansätze zur Bestimmung des Schutzbereichs vertreten. So will Scholz zwischen der Koalitionsbestands-, der Koalitionsmittel-, der Koalitionszweck- und der Koalitionsverfahrensgarantie unterscheiden.124 Ob die einzelnen Garantien voneinander abgrenzbar sind, erscheint zweifelhaft. Eine Handlung, die dem Koalitionsweck dienen soll, kann auch Elemente zur Bestandssicherung oder der Koalitionsmittelgarantie aufweisen. Zudem scheint eine solche Zerteilung nicht zwingend erforderlich. Folgerichtig musste sich der Ansatz auch dem Vorwurf der Beliebigkeit aussetzen.125 Im Ergebnis kann ihm nicht gefolgt werden. Kemper wiederum will zwischen einem unmittelbaren und mittelbaren Schutzbereich unterscheiden.126 Den hier relevanten Bereich der Tarifautonomie unterstellt Kemper jedoch dem unmittelbaren Schutz,127 so dass sich aus diesem Ansatz für die hier behandelten Fragen keine Unterschiede zum Ansatz des Bundesverfassungsgerichts ergeben. Kritisiert wurde an der Kernbereichsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts insbesondere, dass aus dieser Formel nicht ersichtlich sei, ob das Erfordernis der Unerlässlichkeit bereits den Schutzbereich begrenze oder ob damit lediglich die Grenze für beschränkende Regelungen gezogen werden sollte.128 Würde man den Bereich der geschützten Tätigkeit von Koalitionen von vornherein auf unerlässliche Tätigkeiten beschränken und die Bestimmung der Unerlässlichkeit im Einzelfall den Gerichten überlassen, wäre die Selbstbestimmung der Koalitionen weitgehend durch staatliche Fremdbestimmung ersetzt.129 Das Verhältnis von Einzelgrundrecht und Wesensgehaltsgarantie nach Art. 19 Abs. 2 GG würde mit der Unerlässlichkeitsformel auf den Kopf gestellt, da der Schutzbereich größer als der nach Art. 19 Abs. 2 GG unantastbare Kern sein müsse.130 Kritisiert wurde außerdem, dass das Gericht die beiden Formeln parallel verwandt hat.131 Fraglich war diesbezüglich, auf welcher Ebene die Kernbereichsformel zur 123

Bauer, in: Dreier, Art. 9, Rn. 85; Höfling, in: Sachs, Art. 9, Rn. 72; Kemper, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 9, Rn. 86; Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 9, Rn. 249; Kittner/ Schiek, in: Alternativkommentar, Art. 9, Rn. 95; Kempen, in: Kempen/Zachert, TVG, Grundlagen, Rn. 115 ff; Farthmann/Coen, in: HdbVerfR, § 19, Rn. 30 ff; Zechlin, NJW 1985, S. 584, 591; Seiter, AöR 109 (1984), S. 99; Rüthers, JuS 1970, S. 608. 124 Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 9, Rn. 242 ff. 125 So Lenz, Vorbehaltlose Grundrechte, S. 252, Fn. 244; Kemper, Koalitionsfreiheit, S. 133 f, Fn. 1. 126 Kemper, Koalitionsfreiheit, S. 133 ff. 127 Kemper, Koalitionsfreiheit, S. 137 f. 128 Bauer, in: Dreier, Art. 9, Rn. 85; Höfling, in: Sachs, Art. 9, Rn. 72; Kemper, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 9, Rn. 86; Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 9, Rn. 249; Kittner/ Schiek, AK-GG, Art. 9, Rn. 95; Kempen, in: Kempen/Zachert, TVG, Grundlagen, Rn. 115 ff. 129 Kempen, in: Kempen/Zachert, TVG, Grundlagen, Rn 113. 130 Farthmann/Coen, in: HdbVerfR, § 19, Rn. 31. 131 Schwarze, JuS 1994, S. 654; Farthmann/Coen, in: HdbVerfR, § 19, Rn. 30.

III. Schutz der Betätigungsfreiheit

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Anwendung kommen sollte.132 Während die Kernbereichsformel so gedeutet werden konnte, als solle anhand dieser der Schutzbereich beschränkt werden, ließen die Erörterungen zur Abwägungsformel eher den Eindruck entstehen, dass es sich um Erwägungen auf der Ebene der Rechtfertigung handeln würde.133 Insbesondere wurde der parallelen Verwendung beider Formeln innere Widersprüchlichkeit vorgeworfen, da eine auf der Ebene der Rechtfertigung verortete Rechtsgüterabwägung, wie sie die Abwägungsformel impliziere, einen weiten Schutzbereich voraussetze.134 Gegen diese Kritik vertritt Gellermann, dass die parallele Verwendung beider Formeln bei einer der Rechtsprechung entsprechenden Auffassung widerspruchsfrei möglich sei.135 Der Gesetzgeber sei verpflichtet, den Koalitionen die unerlässlichen Erfordernisse, die zu einer Wahrnehmung der Koalitionsfreiheit notwendig seien, bereitzustellen.136 Vorenthalten könne der Gesetzgeber den Koalitionen im Rahmen der Abwägungsformel all jene Befugnisse, deren Nicht-Gewährung zum Schutz anderer Rechtsgüter geboten sei, wenn diese nicht unerlässlich wären.137 Die Abwägungsformel knüpfe also an die Entscheidungsfindung an. Die Unerlässlichkeitsformel markiere die Grenzen, die im Rahmen der Abwägung nicht überwunden werden könnten.138 Mittlerweile hat das Bundesverfassungsgericht klargestellt, dass eine Beschränkung des Schutzbereichs von Art. 9 Abs. 3 GG auf einen Kernbereich nicht zulässig ist, sondern das Kriterium der Unerlässlichkeit vielmehr für die Beurteilung der Zulässigkeit der Einschränkung von Bedeutung ist,139 und dies auch fortan bekräftigt140. Vom Schutzbereich erfasst seien alle Tätigkeiten, die als koalitionsspezifisch zu bewerten seien.141 Damit liegt seitens der Rechtsprechung eine „Aufgabe der Kernbereichslehre zumindest in der Variante der Unerlässlichkeitsformel“ vor.142 Inwieweit die „Abwägungsformel“ weiterhin verwendet wird, ist noch nicht abzusehen. Es deutet einiges daraufhin, dass diese im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zur Anwendung kommen soll und nicht zur Begrenzung des Schutzbereichs.143 132

Pieroth, FS 50 Jahre BVerfG II, S. 293, 305. Pieroth, FS 50 Jahre BVerfG II, S. 293, 305. 134 Vgl. hierzu Farthmann/Coen, in: HdbVerfR, § 19, Rn. 30 ff. 135 Gellermann, Grundrechte, S. 156 ff. 136 Gellermann, Grundrechte, S. 159. 137 Gellermann, Grundrechte, S. 159. 138 Gellermann, Grundrechte, S. 159. 139 BVerfGE 93, 352, 358 ff. 140 BVerfGE 94, 268, 283 ff; 100, 214, 221 f; 100, 271, 282. 141 BVerfGE 93, 352, 358 ff; 94, 268, 283; 100, 214, 221; 100, 271, 282; 103, 293, 304; Kemper, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 9, Rn. 9, Rn. 88; Heimes, MDR 1996, S. 563. 142 Vgl. Pieroth, FS 50 Jahre BVerfG II, S. 293, 305. 143 In diesem Sinne auch Pieroth, FS 50 Jahre BVerfG II, S. 293, 305 f, der davon ausgeht, dass die Abwägungsformel keine eigene Bedeutung mehr entfalten wird, „da sie mit den allgemeinen Grundsätzen der Rechtfertigung durch kollidierendes Verfassungsrecht identisch ist.“ 133

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B. Schutz des zwingenden Charakters der Tarifnormen

An dem Kriterium der Unerlässlichkeit wird aber von einigen Stimmen in der Literatur noch immer festgehalten.144 Der Befürchtung, dass bei einem Schutzbereichsverständnis, das die gesamte Betätigungsfreiheit schützt, der Schutz ausufern würde, ist jedoch nicht zu folgen. Zum einen ist darauf zu verweisen, dass der Schutz der koalitionsspezifischen Tätigkeiten von vornherein in Art. 9 Abs. 3 GG lediglich auf die Verfolgung der dort definierten Zwecke beschränkt ist und folglich bereits aus diesem Grund zumindest eine gewisse Verengung vorliegt.145 Zum anderen bedeutet ein weiter Schutzbereich nicht zwingend, dass damit auch alle Tätigkeiten, die in den Schutzbereich fallen, verfassungsrechtlich zulässig sind. Dieser bedeutet lediglich, dass eine Beschränkung dieser Tätigkeiten verfassungsmäßig gerechtfertigt werden muss.146 Vom Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG sind alle koalitionsspezifischen Tätigkeiten erfasst.

3. Schutz der Tarifautonomie Im Folgenden geht es darum herauszuarbeiten, wie der Schutz der Tarifautonomie verfassungsrechtlich gestaltet ist. Dafür ist zu zunächst zu behandeln, wie der Schutz der Tarifautonomie grundsätzlich ausfällt (a). Im Anschluss wird untersucht, inwieweit die Tarifautonomie der gesetzgeberischen Ausgestaltung unterliegt (b). Hiernach wird bearbeitet, wo die Grenze der Ausgestaltung gezogen werden kann (c). a) Grundsätzlicher Schutz der Tarifautonomie Nach überwiegender Auffassung ist die Tarifautonomie als Gegenstand der Betätigungsfreiheit der Koalitionen verfassungsrechtlich geschützt.147 Tarifautonomie ist die Freiheit der Koalitionen, Arbeitsbedingungen durch Tarifverträge zu regeln.148 144 Kemper, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 9, Rn. 120; vgl. hierzu auch Löwer, in: von Münch/Kunig, Art. 9, Rn. 57, der ausführt, dass das Bundesverfassungsgericht nur den Kernbereich der Koalitionsbetätigung als geschützt ansieht, „was insofern ohnehin selbstverständlich ist, weil es grenzenlose Freiheit nicht gibt“. 145 Kempen, in: Kempen/Zachert, TVG, Grundlagen, Rn. 113. 146 Hierzu vgl. Lübbe-Wolff, DB Beil 9/1988 (Heft 24), S. 2 f. 147 BVerfGE 4, 96, 106; 18, 18, 28; 84, 212, 224; 100, 271, 282; 103, 293, 304; Battis/Gusy, Staatsrecht, Rn. 430 f; Bauer, in: Dreier, Art. 9, Rn. 82; Gneiting, in: Umbach/Clemens, Art. 9, Rn. 112; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 9, Rn. 39; Kannengießer, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, Art. 9, Rn. 23; Badura, FS Berber, S. 30; Kemper, Koalitionsfreiheit, S. 137 f; Schaub, RdA 1995, S. 66; Dütz, JA 1987, S. 408; wenn man wie Burkiczak und Lenz die Betätigungsfreiheit bereits aus dem Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG ausklammert, ergibt sich daraus, dass auch die Tarifautonomie nicht von Art. 9 Abs. 3 GG als geschützt angesehen wird (so auch explizit Burkiczak, Deregulierung, S. 317). Diese Auffassung wurde aber bereits unter dem Punkt B) III) 1), S. 29 ff abgelehnt, so dass eine erneute Auseinandersetzung mit dieser Position entbehrlich ist. 148 Kittner/Schiek, in: Alternativkommentar, Art. 9, Rn. 130; Gneiting, in: Umbach/Clemens, Art. 9, Rn. 112.

III. Schutz der Betätigungsfreiheit

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Die Tarifparteien müssen in der Lage sein, dem verfassungsrechtlich anerkannten Zweck, die Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen, nachzukommen.149 Zentrales Instrument der Koalitionen hierfür ist der Abschluss von Tarifverträgen.150 Ein Tarifvertrag ist ein schriftlicher Vertrag zwischen einer oder mehreren Gewerkschaften auf der einen und einem Arbeitgeber oder mehreren Arbeitgebern oder Arbeitgeberverbänden auf der anderen Seite, in dem die arbeitsrechtlichen Pflichten und Rechte der Tarifvertragsparteien geregelt und Normen über Abschluss, Inhalt und Beendigung von Arbeitverhältnissen sowie über betriebliche, betriebsverfassungsrechtliche und gemeinsame Einrichtungen betreffende Fragen festgesetzt werden.151 Tarifautonomie bedeutet, dass der Staat sich in grundsätzlicher Hinsicht einer Einflussnahme im Betätigungsfeld der Koalitionen enthält.152 Die durch die Koalitionen regelbaren Materien werden durch das Begriffspaar der „Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ eingegrenzt.153 Vom Regelungsbereich der Tarifautonomie ist insbesondere die Ordnung des Arbeitsentgelts und der materiellen Arbeitsbedingungen umfasst.154 Ohne die Gewährleistung der Tarifautonomie wären die Koalitionen nicht in der Lage, den rechtlich vorgesehenen Zweck nach Art. 9 Abs. 3 GG zu verfolgen.155 Die Tarifautonomie ist also grundsätzlich von Art. 9 Abs. 3 GG geschützt. b) Umfang der Tarifautonomie Im Folgenden wird untersucht, in welchem Umfang die Tarifautonomie von Art. 9 Abs. 3 GG geschützt ist. Dabei stellt sich die Frage, ob der verbindliche Charakter von Tarifnormen vom Schutz der Koalitionsfreiheit erfasst wird. Hier wird untersucht, ob dem Gesetzgeber hinsichtlich der Tarifautonomie eine Ausgestaltungsbefugnis zukommt und gegebenenfalls in welchem Umfang diese besteht. Im Falle, dass dem Gesetzgeber hinsichtlich des Art. 9 Abs. 3 GG eine vollumfängliche Ausgestaltungskompetenz zusteht, stünde es auch in seiner Befugnis zu entscheiden, ob und wenn ja welches Tarifvertragssystem er bereitstellt. Dann stünde auch die Wahl eines Tarifvertragssystems ohne zwingenden Charakter der Tarifnormen zur gesetzgeberischen Disposition. Folglich muss zunächst geklärt werden, ob und in welchem Umfang der Gesetzgeber eine Ausgestaltungsbefugnis hat.

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Leibholz/Rinck, Art. 9, Rn. 501. BVerfGE 92, 26, 38; 103, 293, 304; Battis/Gusy, Staatsrecht, Rn. 431; Höfling, in: Sachs, Art. 9, Rn. 84; Wolter, AuR 1979, S. 195. 151 Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht II/1, S. 202 f. 152 BVerfGE 103, 293, 304; Gneiting, in: Umbach/Clemens, Art. 9, Rn. 113. 153 Höfling, in: Sachs, Art. 9, Rn. 87. 154 BVerfGE 100, 271, 282; 103, 293, 304. 155 Bauer, in: Dreier, Art. 9, Rn. 83; Kemper, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 9, Rn. 125. 150

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B. Schutz des zwingenden Charakters der Tarifnormen

c) Ausgestaltung der Tarifautonomie Für die Frage, ob und wenn ja in welchem Maße die Koalitionsfreiheit der Ausgestaltung durch den Gesetzgeber bedarf, ist zunächst entscheidend, wie die Ausgestaltung und der Eingriff im Rahmen des Art. 9 Abs. 3 GG voneinander abzugrenzen sind. Von einer Ausgestaltung wird gesprochen, wenn grundrechtlich bedeutsames staatliches Handeln vorliegt, das aber den negatorischen Schutz eines Grundrechts nicht auslöst.156 Im Falle des Eingriffs ist der negatorische Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG betroffen und das staatliche Handeln muss als Schranke von Art. 9 Abs. 3 GG gerechtfertigt werden.157 Die Frage der Unterscheidung zwischen Ausgestaltung und Eingriff ist folglich für die Verfassungsmäßigkeit des Tarifvertragssystems von entscheidender Bedeutung. Fraglich ist, wie ein solches staatliches Verhalten, das eben nicht den negatorischen Schutz auszulösen vermag, terminologisch zu fassen ist.158 Ein Teil der Literatur spricht von „sonstigen Grundrechtsbeeinträchtigungen“.159 Dieser Begriff birgt zum einen das Problem, das ihm eine einschränkende Tendenz innewohnt, obwohl dies sachgegenständlich gar nicht der Fall sein muss.160 Zum anderen wird dieser Begriff in anderen Teilen der Literatur für negatorischen Schutz auslösendes staatliches Handeln verwendet.161 Deshalb ist der Begriff „sonstige Grundrechtsbetroffenheit“ besser in der Lage, den Sachverhalt zu bezeichnen.162 Eingriff und Ausgestaltung auf der einen Seite und Schutzbereichsbeeinträchtigung und Grundrechtsbetroffenheit auf der anderen Seite stehen sich folglich gegenüber. Für die sonstige Grundrechtsbetroffenheit gelten andere Maßstäbe als bei einem Eingriff.163 Eine Ausgestaltung kann bestimmte Verhaltensweisen durch eine gesetzliche Regelung auch erst ermöglichen, indem beispielsweise die sich aus einer Institutsgarantie ergebenden Erfordernisse umgesetzt werden oder den grundrechtlichen Schutz- und Leistungsrechten nachgekommen wird.164

156 Alexy, Grundrechte, S. 300; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 209; Höfling, in: Sachs, Art. 9 Rn. 116; Gellermann, Grundrechte, S. 51; Burkiczak, Deregulierung, S. 154. 157 Gellermann, Grundrechte, S. 51; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 207; Jarass, AöR 120 (1995), S. 345, 367; Roth, Eingriffe, S. 125 f; Burkiczak, Deregulierung, S. 154; hierzu auch Sachs, JuS 1995, S. 303. 158 Zu der Frage s. auch Boerner, ZTR 1996, S. 443. 159 Jarass, AöR 120 (1995), S. 367. 160 Burkiczak, Deregulierung, S. 154. 161 Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2, § 78 I 2, S. 81; ders., JuS 1995, S. 303 ff. 162 Burkiczak, Deregulierung, S. 154. 163 Butzer, RdA 1994, S. 375, 380; Gellermann, Grundrechte, S. 54 f; Burkiczak, Deregulierung, S. 156. 164 Hoffmann-Riem, Der Staat 43, S. 223; Alexy, Grundrechte, S. 303 f; Butzer, RdA 1994, S. 375, 378; Gellermann, Grundrechte, S. 50 f.

III. Schutz der Betätigungsfreiheit

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Wenn der abwehrrechtliche Gehalt eines Grundrechts betroffen ist, liegt also ein Eingriff vor. Wenn eine sonstige Grundrechtsdimension tangiert ist, handelt es sich um eine Ausgestaltung. Ausgestaltung und Eingriff stehen folglich in einem Verhältnis der strengen Exklusivität.165 Deshalb ist im Folgenden abzugrenzen, wann sich staatliches Handeln als Eingriff oder Ausgestaltung darstellt. aa) Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Zunächst ist die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, was die Unterscheidung zwischen Ausgestaltung und Eingriff im Falle der Koalitionsfreiheit angeht, zu untersuchen. In der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Mai 1970 war lediglich zu lesen, dass die Tragweite der Koalitionsfreiheit durch den Gesetzgeber dahingehend zu bestimmen sei, „dass er die Befugnisse im einzelnen ausgestaltet und näher regelt“.166 Für die Frage, anhand welcher Kriterien die Abgrenzung zwischen Eingriff und Ausgestaltung vorgenommen werden könnte, können aus dieser Entscheidung keine Kriterien gezogen werden. Mit Entscheidung vom 19. Februar 1975 stellte das Bundesverfassungsgericht klar, dass lediglich ein „Kernbereich koalitionsmäßiger Betätigung“ geschützt sei und die Grundrechtsträger nicht „einen inhaltlich unbegrenzten und unbegrenzbaren Handlungsspielraum“ hätten.167 Es wurde zwar nicht deutlich, wie die hier in Frage stehende Unterscheidung vorzunehmen sein sollte. Klar wurde jedoch benannt, dass die Koalitionsfreiheit nach Auffassung des Gerichts hinsichtlich der Betätigungsfreiheit nur in einem Kernbereich geschützt sei. Diese Richtung wurde durch die Entscheidung vom 24. Mai 1977 zur Allgemeinverbindlichkeitserklärung bestätigt, in der das Bundesverfassungsgericht ausführte, dass es Aufgabe des Gesetzgebers sei, „die Betätigungsgarantie der Koalitionen in einer den besonderen Erfordernissen des jeweiligen Sachbereichs entsprechende Weise – in den Grenzen des Kernbereichs der Koalitionsfreiheit – näher zu regeln“.168 In dieser Entscheidung wurde darauf abgestellt, dass Art. 9 Abs. 3 GG lediglich einen Kernbereich schütze. Hinzu kamen jedoch die Ausführungen des Gerichts darüber, dass der Gesetzgeber den Umfang der Betätigungsfreiheit im Rahmen des Kernbereichs zu konkretisieren habe. In der Mitbestimmungsentscheidung vom 1. März 1979 führte das Gericht die Notwendigkeit der gesetzgeberischen Ausgestaltung durch „Schaffung der Rechtsinstitute und Normenkomplexe, die erforderlich sind, um die grundrechtlich garantier165

Butzer, RdA 1994, S. 378; Gellermann, Grundrechte, S. 54 f, 364; Burkiczak, Deregulierung, S. 158. 166 BVerfGE 28, 295, 306. 167 BVerfGE 38, 386, 393. 168 BVerfGE 44, 322, 341 f.

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B. Schutz des zwingenden Charakters der Tarifnormen

ten Freiheiten ausüben zu können“, ein.169 Während in den vorherigen Entscheidungen betont wurde, dass die Betätigungsfreiheit nicht vollumfänglich geschützt sei, der Gesetzgeber den Umfang bestimmen könne und dabei lediglich der Kernbereich zu wahren sei, wurde in dieser Entscheidung gesetzgeberisches Handeln nicht zwecks Beschränkung, sondern um eine adäquate Gewährleistung zu erreichen, für notwendig erachtet. Es fand insoweit eine perspektivische Verschiebung statt. In der Entscheidung vom 17. Februar 1981 bezüglich der gewerkschaftlichen Zutrittsrechte zu kirchlichen Einrichtungen wurde dieses Verständnis weiterverfolgt.170 Allerdings betonte das Gericht, dass „vor allem dort…, wo gewichtige Belange anderer, auch des Sozialpartners berührt werden“ eine Ausgestaltung unerlässlich sei.171 Man könnte also daran denken, dass das Gericht die Möglichkeit der gesetzgeberischen Ausgestaltung auf diesen Kollisions-Bereich beschränken wollte. Die Formulierung lässt aber eher darauf schließen, dass das Gericht hervorheben wollte, dass die Ausgestaltung für dieses Problemfeld besonders notwendig ist. In dieser Entscheidung wurde außerdem eine Begründung für einen weiten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers angedeutet. So führte das Gericht aus, dass der Gesetzgeber einen „weiten Spielraum zur Ausgestaltung“ brauche.172 Nur so wäre es ihm möglich, „die Voraussetzungen der Tariffähigkeit der jeweiligen gesellschaftlichen Wirklichkeit so anzupassen, dass die Koalitionen ihre Aufgabe erfüllen können“.173 Mit der Entscheidung vom 20. Oktober 1981 zur Aussperrung konkretisierte das Gericht den Kernbereich der Koalitionsfreiheit dahingehend, dass Art. 9 Abs. 3 GG die „Garantie eines gesetzlich geregelten und geschützten Tarifvertragssystems, dessen Partner frei gebildete Koalitionen im Sinne des Art. 9 Abs. 3 GG sein müssen“, enthalte.174 Die Betätigungsfreiheit dürfe im Rahmen der Ausgestaltung des Grundrechts folglich nicht soweit eingeschränkt werden, dass ein Tarifvertragssystem nicht mehr existierte. Ausführlich erläutert hat das Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung vom 2. März 1993, warum die Koalitionsfreiheit der Ausgestaltung bedarf und welche Erfordernisse zu beachten sind.175 Zunächst machte das Gericht Ausführungen zum Gewährleistungsgehalt des Art. 9 Abs. 3 GG. Dort hieß es, dass mit der Tarifautonomie ein Freiraum gewährleistet wird, „in dem Arbeitnehmer und Arbeitgeber ihre Interessensgegensätze in eigener Verantwortung austragen können“.176 Der Grund hierfür sei die historische Erfahrung, dass die Ergebnisse der ausgetragenen Konflikte zum einen mehr „den Interessen der widerstreitenden Gruppen“ und zum anderen auch 169 170 171 172 173 174 175 176

BVerfGE 50, 290, 368. BVerfGE 57, 220 ff. BVerfGE 57, 220, 246. BVerfGE 57, 220, 246. BVerfGE 57, 220, 246. BVerfGE 58, 233, 247 f. BVerfGE 88, 103 ff. BVerfGE 88, 103, 114.

III. Schutz der Betätigungsfreiheit

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dem Gemeinwohl eher gerecht würden.177 Im Anschluss folgte die Darstellung, dass der Schutz der individuellen Koalitionsfreiheit nicht nur vor staatlichen Eingriffen, sondern auch „vor staatlicher Einflussnahme erforderlich sei, als sie zum Austragen ihrer Interessengegensätze Kampfmittel mit beträchtlichen Auswirkungen auf den Gegner und die Allgemeinheit verwenden“.178 Zur Begründung eines Ausgestaltungserfordernisses durch den Gesetzgeber führte das Gericht aus: „Zum einen erfordert der Umstand, dass beide Tarifvertragsparteien den Schutz von Art. 9 Abs. 3 GG prinzipiell gleichermaßen genießen, bei seiner Ausübung aber in scharfem Gegensatz zueinander stehen, koordinierende Regelungen, die gewährleisten, dass die aufeinander bezogenen Grundrechtspositionen trotz ihres Gegensatzes nebeneinander bestehen können. Zum anderen macht die Möglichkeit des Einsatzes von Kampfmitteln rechtliche Rahmenbedingungen erforderlich, die sichern, dass Sinn und Zweck dieses Freiheitsrechts sowie seine Einbettung in die verfassungsrechtliche Ordnung gewahrt bleiben.“179

In dieser Entscheidung wies das Gericht also zunächst auf das Erfordernis der Tarifautonomie als einem von staatlicher Einflussnahme freien Betätigungsraum hin und begründete aus diesem Erfordernis die gesetzgeberische Ausgestaltung mit dem möglichen Interessengegensatz zwischen den Koalitionen und mit dem Einsatz von Kampfmitteln. Mit der Entscheidung vom 10. Januar 1995 machte das Bundesverfassungsgericht dann deutlich, dass eine Ausgestaltungsbefugnis dem Gesetzgeber zusteht, „soweit er Regelungen trifft, die erst die Voraussetzungen für eine Wahrnehmung des Freiheitsrechts bilden.“180 Bestätigt wurde, dass dies insbesondere gelte, wenn „es um die Regelung der Beziehungen zwischen Trägern widerstreitender Interessen geht“.181 Eine ausgestaltende Regelung müsse sich am Normziel orientieren und dürfe die Parität nicht verfälschen.182 Das Gericht betonte in der Entscheidung vom 4. April 1995 zum Arbeitsförderungsgesetz abermals den weiten Handlungsspielraum des Gesetzgebers und konkretisierte diese Aussage dahingehend, dass das Grundgesetz weder vorschreibe, „wie die gegensätzlichen Grundrechtspositionen im einzelnen abzugrenzen sind“, noch eine „Optimierung der Kampfbedingungen“ beinhalte.183 Gleichzeitig wurde die Grenze des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums benannt. Diese würde im „objektiven Gehalt des Art. 9 Abs. 3 GG“ liegen.184 177 178 179 180 181 182 183 184

BVerfGE 88, 103, 114 f. BVerfGE, 88, 103, 115. BVerfGE, 88, 103, 115. BVerfGE 92, 26, 41. BVerfGE 92, 26, 41. BVerfGE 92, 26, 41. BVerfGE 92, 365, 394. BVerfGE 92, 365, 394.

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B. Schutz des zwingenden Charakters der Tarifnormen

Der objektive Gehalt wurde wie folgt definiert: „Die Tarifautonomie muss als ein Bereich gewahrt bleiben, in dem die Tarifvertragsparteien ihre Angelegenheiten grundsätzlich selbstverantwortlich und ohne staatliche Einflussnahme regeln können. Ihre Funktionsfähigkeit darf nicht gefährdet werden. Die Koalitionen müssen ihren verfassungsrechtlich anerkannten Zweck, die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ihrer Mitglieder zu wahren und zu fördern, insbesondere durch den Abschluss von Tarifverträgen erfüllen können. Das Tarifvertragssystem ist darauf angelegt, die strukturelle Unterlegenheit der einzelnen Arbeitnehmer beim Abschluss von Arbeitsverträgen durch kollektives Handeln auszugleichen und damit ein annähernd gleichgewichtiges Aushandeln der Löhne und Arbeitsbedingungen zu ermöglichen. Funktionsfähig ist die Tarifautonomie folglich nur, solange zwischen den Tarifvertragsparteien ein ungefähres Kräftegleichgewicht – Parität – besteht.“185

Entscheidend ist danach, dass die Funktionsfähigkeit, d. h. die Parität und die Möglichkeit zum Arbeitskampf, gewahrt bleibt. Darauf folgend erläuterte das Bundesverfassungsgericht mit Entscheidung vom 14. November 1995, dass Einschränkungen, die „nicht zum Schutz anderer Rechtsgüter von der Sache her geboten sind“, unzulässig seien.186 Diese Formulierung ist weder eindeutig bei der Frage, ob sie sich auf den Schutzbereich oder die Rechtfertigung bezieht, noch ob sie für eine Ausgestaltung oder einen Eingriff gelten soll. Gleichzeitig führte das Gericht aus, dass der Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG nicht nur „auf den Bereich des Unerlässlichen“ beschränkt sei, sondern der Gesetzgeber auch außerhalb des Kernbereichs bei der Ausgestaltung der Betätigungsfreiheit die „Rücksichtnahme auf die Koalitionen und ihre Mitglieder“ zu beachten habe.187 Diese Aussage macht deutlich, dass das Gericht davon ausgeht, dass die einzelnen möglichen Tätigkeiten im Rahmen der Koalitionsfreiheit mit unterschiedlicher Intensität geschützt werden, da ein Teil als Kernbereich koalitionsspezifischer Betätigung unter besonders hohem Schutz steht, während einem anderen Teil geringerer Schutz zukommen soll. In der Entscheidung vom 21. Mai 1996 zum Gesetz über befristete Arbeitsverträge mit wissenschaftlichem Personal an Hochschulen und Forschungseinrichtungen betonte das Gericht, dass eine Ausgestaltungsbefugnis nicht nur dann bestehe, wenn die Verhältnisse der Tarifparteien zueinander berührt sind.188 Eine Ausgestaltung käme „jedenfalls dann in Betracht, wenn der Gesetzgeber sich darauf auf Grundrechte Dritter oder andere mit Verfassungsrang ausgestattete Rechte stützen kann“.189 Ob eine Regelung zum Schutz sonstiger Rechtsgüter möglich wäre, ließ das Gericht ausdrücklich offen.190 185 186 187 188 189 190

BVerfGE 92, 365, 394 f. BVerfGE 93, 352, 359. BVerfGE 93, 352, 359. BVerfGE 94, 268, 284. BVerfGE 94, 268, 284. BVerfGE 94, 268, 284.

III. Schutz der Betätigungsfreiheit

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Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das Bundesverfassungsgericht die Ausgestaltung der Tarifautonomie durch den Gesetzgeber für erforderlich hält. Begründet wurde dieses Ausgestaltungserfordernis mit der Konfrontationsstellung der Koalitionen zueinander und der Gewähr von Kampfmitteln.191 Das Kriterium für die Differenzierung zwischen Ausgestaltung und Eingriff ist also der objektive Gehalt des Art. 9 Abs. 3 GG, der nach Auffassung des Gerichts in der Funktionsfähigkeit des Tarifvertragssystems liegt, die wiederum die Parität der sozialen Gegenspieler sowie die Möglichkeit von Arbeitskampfmaßnahmen voraussetzt. Wenn dieser objektive Gehalt verletzt wird, liegt ein Eingriff vor. Wenn dies nicht der Fall ist, wird seitens des Bundesverfassungsgerichts eine Ausgestaltung angenommen. bb) Differenzierungsansätze in der Literatur In der Literatur wurde die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts stark kritisiert. Dementsprechend gab und gibt es zahlreiche differierende Versuche, die Figur der Ausgestaltung und des Eingriffs dogmatisch in den Griff zu bekommen. (1) Subjektive Motive Teilweise wird versucht, die Unterscheidung zwischen Ausgestaltung und Eingriff anhand subjektiver Maßstäbe vorzunehmen. So stellt Dieterich auf die Motive des Gesetzgebers ab.192 Entscheidend für die Annahme einer Ausgestaltung sei danach, dass es dem Gesetzgeber um die Gewährleistung der Funktionsfähigkeit des Tarifvertragssystems und der Parität der Gegenspieler gehe.193 Verfolge der Gesetzgeber aber andere, rechtspolitische Ziele, für die er den Handlungsspielraum der Koalitionen beschränkt, dann sei diese Handlung als Eingriff und nicht als Ausgestaltung zu werten und müsse den strengeren Anforderungen an einen Eingriff genügen.194 Wenn der Gesetzgeber eine Gesetzesänderung verabschieden würde, mit der gesetzliche Öffnungsklauseln möglich wären, und dies damit begründet würde, dass die Arbeitslosigkeit gesenkt werden solle, würde diese als Eingriff strengeren Rechtfertigungsanforderungen unterliegen. Würde der Gesetzgeber eine solche Gesetzesänderung damit begründen, dass im Bereich der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen tiefgreifende Veränderungen zu verzeichnen und zur Funktionsfähigkeit des Tarifvertragssystems Modifikationen erforderlich seien, würde diese Gesetzesänderung als Ausgestaltung behandelt werden, die anderen Maßstäben als ein Eingriff genügen müsste. Es erscheint äußerst fraglich, Maßstäbe für die Verfassungsmäßigkeit von 191 S. hierzu auch Cornils, Ausgestaltung, S. 398, der ausführt, dass seiner Auffassung nach das Bundesverfassungsgericht zum einen auf die „Rechtsabhängigkeit der in Rede stehenden Freiheit“ und zum anderen auf „Koordinierung gegenläufiger Grundrechtspositionen“ verweist. 192 Dieterich, DB 2001, S. 2398, 2401; ders., RdA 2002, S. 1, 11; nach Thüsing, Anm. zu BVerfG, EzA Art. 9 Nr. 60 unter III 4 wäre ein solcher Ansatz denkbar. 193 Dieterich, DB 2001, S. 2401; ders., RdA 2002, S. 1, 11 f. 194 Dieterich, DB 2001, S. 2401.

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B. Schutz des zwingenden Charakters der Tarifnormen

Gesetzen an den Motiven des Gesetzgebers auszurichten. Gesetzgeberische Motivationslagen sind darüber hinaus oftmals nicht eindeutig verifizierbar, so dass dieser Ansatz unpraktikabel erscheint und folglich abzulehnen ist. (2) Abwägung Alexy und Pieroth wollen demgegenüber immer dann einen Eingriff annehmen, wenn eine am Verhältnismäßigkeitsprinzip orientierte Abwägung erforderlich ist.195 Begründet wird diese Auffassung damit, dass bei Vorliegen widerstreitender Interessen und der etwaigen Beeinträchtigung eines Interesses zugunsten eines anderen Interesses eine Ausgestaltungsbefugnis nicht in Frage komme, da es ausschließlich eine Frage kollidierenden Verfassungsrechts sei, diese in Einklang zu bringen.196 Dieser Auffassung ist entgegenzuhalten, dass die Existenz divergierender Interessen weder für noch gegen die Annahme einer Ausgestaltung oder eines Eingriffs spricht, da ein etwaiger Ausgleich auf Rechtfertigungsebene stattfindet und nicht für die Qualifikation staatlichen Handelns als Ausgestaltung oder Eingriff eine Rolle spielt.197 Im Übrigen baut diese Auffassung ihre Argumentation vom Ergebnis her auf. Die Verhältnismäßigkeitsprüfung als Schranke-Schranke wird auf der Rechtfertigungsebene ausgelöst, die lediglich bei Annahme eines Eingriffs in den Schutzbereich geprüft wird. Die Auffassung kann also nicht überzeugen. (3) Ausgestaltungsbedürftigkeit aller Grundrechte Nach Häberle sind alle Grundrechte der Ausgestaltung fähig und bedürftig.198 Grundrechtsgewährleistungen bedeuten nach diesem Verständnis zweierlei. Zum einen gehe es um das Verbot der Grundrechtsverletzung und zum anderen um das Gebot der Grundrechtsausgestaltung.199 Für die Ausgestaltung heiße das letztlich, dass jede ausgestaltende Regelung, die das Grundrecht nicht „leitbildgerecht“ ausgestalte, gegen eben dieses Grundrecht verstoße.200 Je intensiver der Sozialbezug des Grundrechts sei, desto stärker werde die Ausgestaltungs- und gleichzeitige Begrenzungsbedürftigkeit des Grundrechts.201 Ausgestaltung bedeutet also nach Häberle, dass das Ziel der Verfassung verfolgt werde, die Grundrechte „im sozialen Leben“ zu verwirklichen.202 Durch die einfa195 196 197 198 199 200 201 202

Alexy, Grundrechte, S. 306; Pieroth, FS 50 Jahre BVerfG II, S. 293, 306 f. Pieroth, FS 50 Jahre BVerfG II, S. 293, 307. Burkiczak, Deregulierung, S. 160 f. Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S. 181. Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S. 182. Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S. 182. Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S. 182. Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S. 184.

III. Schutz der Betätigungsfreiheit

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chen Gesetze erlange die Verfassung erst „reale Geltung“, d. h. die Gesetzgebung kann als eine Art Mittlerin zwischen Verfassung und sozialer Wirklichkeit verstanden werden.203 Verfassungsnormen würden ihrer Natur nach Grundsätze darstellen, deren Konkretisierung als Aufgabe der Gesetzgebung zugewiesen sei.204 Angesichts der Weite von Verfassungssätzen komme dem Gesetzgeber folglich ein weiter Gestaltungsspielraum zu.205 Jedes Grundrecht unter den Vorbehalt der gesetzgeberischen Ausgestaltung zu stellen, würde jedoch dem Charakter derjenigen Grundrechte, die einen natürlichen Schutzbereich aufweisen, widersprechen.206 Kern derer ist eben gerade der prinzipielle Schutz eines Bereichs ohne Gewährleistung eines einfach-gesetzlichen Normenkomplexes. Anders verhält es sich selbstverständlich mit den Grundrechten, die einen normativen Schutzbereich aufweisen. Man könnte daran denken, dass nach dem Ansatz Häberles Ausgestaltung und Begrenzung ineinander verschwimmen und die Figur des Eingriffs und damit die gesamte Dreiteilung in Schutzbereich, Eingriff und Rechtfertigung aufgehoben werden.207 Der Ansatz Häberles wird aber im Schwerpunkt als Kritik an einem Grundrechtsverständnis, das Grundrechte ausschließlich als Abwehrrechte betrachtet, verstanden.208 Eine Aufgabe der Dreigliedrigkeit der Grundrechtsprüfung ist darunter nicht zu verstehen.209 Der Ansatz Häberles ist folglich mehr als ein Beitrag dahingehend zu sehen, dass gesetzgeberisches Handeln nicht nur als Einschränkung und Grundrechte nicht nur als Abwehrrechte zu behandeln sind. Vielmehr ist zu berücksichtigen, dass staatliches Handeln in Form von Ausgestaltung die Grundlage zur Wahrnehmung der gewährten Freiheit ist. Die abwehrrechtliche Dimension ist lediglich eine Funktion von Grundrechten. Für die hier zu klärende Frage nach der Differenzierung von Ausgestaltung und Eingriff hinsichtlich der Koalitionsfreiheit können die Ausführungen jedoch kaum fruchtbar gemacht werden. In jedem Fall kann dem Ansatz Häberles nicht gefolgt werden.

203

Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S. 184 f. Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S. 185. 205 Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S. 186. 206 Vgl. hierzu Lenz, Vorbehaltlose Grundrechte, S. 110 ff. 207 Vgl. zu dieser Frage Borowski, Grundrechte als Prinzipien, S. 208 ff. 208 Isensee, in: HStR V, § 111, Rn. 48; Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, S. 65 f; Gellermann, Grundrechte, S. 17. 209 Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, S. 65 f; Isensee, in: HStR V, § 111, Rn. 48; Gellermann, Grundrechte, S. 17. 204

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B. Schutz des zwingenden Charakters der Tarifnormen

(4) Unterscheidung zwischen Regeln und Prinzipien Es wird auch erwogen, die von Teilen der Literatur entwickelte Differenzierung zwischen Regeln und Prinzipien210 auf die Frage der Unterscheidbarkeit von Eingriff und Ausgestaltung anzuwenden.211 Als Prinzipien werden Normen verstanden, die in einem möglichst hohen Maß hinsichtlich ihrer rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten verwirklicht werden sollen.212 Dies bedeutet, dass der Umfang der Erfüllung ein unterschiedliches Maß erreichen kann und ein Prinzip vorschreibt, die optimale Realisierung zu erreichen.213 Regeln sind demgegenüber Normen, die bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen zwingend etwas gebieten und entweder erfüllt oder nicht erfüllt werden.214 Die Übertragung dieses Differenzierungsansatzes auf die Koalitionsfreiheit würde bedeuten, dass die Ausgestaltungsregelungen als Prinzipien und die Eingriffe als Regelungen zu behandeln sind.215 Dabei stellt sich die Problematik, dass Normen, die für die eine Koalition lediglich eine Optimierung bedeuten, für die andere bereits einen Eingriff begründen können.216 Im Übrigen besteht bei dieser Auffassung das Problem, dass auch anhand dieser Differenzierung kein Kriterium dafür vorliegt, wann von einer das Grundrecht einschränkenden Regelung und wann von einer das Grundrecht ausgestaltenden Regelung auszugehen ist, da eine Ausgestaltung zwangsläufig auch immer dazu führt, dass das Grundrecht Konturen und Grenzen begründet, die dann auch Eingriffscharakter haben können.217 Insoweit kommt es durch diese Differenzierung zu keinem praktikablen Nutzen für die Unterscheidung zwischen Eingriff und Ausgestaltung. (5) Unterscheidung anhand optimaler und nicht optimaler Gestaltung Höfling wiederum vertritt unter Bezugnahme auf die Unterscheidung von Regeln und Prinzipien, dass im Falle eines ausgestaltungsbedürftigen Grundrechts generell von einer Prinzipiennorm ausgegangen werden kann und leitet daraus die Notwendigkeit ihrer optimalen Realisierung ab.218 Erfolgt die optimale Realisierung nicht, so

210 Dworkin, Bürgerrechte, S. 54 ff; Alexy, Grundrechte, S. 75 ff; zur Anwendung dieser Unterscheidung auf das Planungsrecht s. Ingold, Erstplanungspflichten, S. 20. 211 S. dazu Borowski, Grundrechte als Prinzipien, S. 61 ff; hierzu auch Bayreuther, Tarifautonomie, S. 28 und Gellermann, Grundrechte, S. 66 ff, die das Optimierungsmodell im Ergebnis jedoch auch ablehnen). 212 Alexy, Grundrechte, S. 75 f. 213 Alexy, Grundrechte, S. 75 f. 214 Alexy, Grundrechte, S. 75 f. 215 Bayreuther, Tarifautonomie, S. 28. 216 Bayreuther, Tarifautonomie, S. 28. 217 Bayreuther, Tarifautonomie, S. 28. 218 Höfling, Vertragsfreiheit, S. 37.

III. Schutz der Betätigungsfreiheit

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liege eine Einschränkung des Prinzips vor.219 So könnte man daran denken, im Falle der optimalen Realisierung von einer Ausgestaltung auszugehen und ansonsten einen rechtfertigungsbedürftigen Eingriff anzunehmen. Zu prüfen wäre im Falle der Koalitionsfreiheit, ob die staatliche Regelung den Koalitionen optimale Handlungsmöglichkeit gewährleistet. Das Problem an diesem Ansatz ist die Idee eines optimalen Zustandes.220 Zunächst ist zu beachten, dass „der optimale Zustand“ für die Gewerkschaften und die Arbeitgeberverbände, die beide gleichermaßen Träger des Grundrechts der Koalitionsfreiheit sind, jeweils anders aussehen könnte. Folglich müsste geklärt werden, auf welchen Grundrechtsträger zur Bestimmung eines optimalen Zustandes abzustellen wäre. Außerdem steht in Frage, ob abstrakt und unabhängig von dem Problem der Interessensdivergenz die Bestimmung des optimalen Zustands gelingen könnte, da ein optimaler Zustand kaum unabhängig vom geltenden Recht, d. h. in Relation zum Bestehenden, bestimmt werden kann.221 Außerdem wäre es, selbst wenn man die Möglichkeit der Bestimmung eines solchen abstrakten Zustandes unterstellen würde, fragwürdig, dass es dem Gesetzgeber jemals gelingen wird, diesen herzustellen. Das würde wiederum bedeuten, dass quasi jedes staatliche Handeln auf dem betroffenen Gebiet als Eingriff behandelt wird und die Figur der Ausgestaltung praktisch überflüssig wird. Die Auffassung ist somit abzulehnen. (6) Handlungs- und Unterlassungsgebot Nach einem auf Bumke zurückgehenden Ansatz handelt es sich um eine Ausgestaltung, wenn ein Handlungsgebot realisiert wird und um eine Grundrechtsbegrenzung, wenn einem Unterlassungsgebot gefolgt wird.222 Dies bedeutet, dass im Falle einer Ausgestaltung einer grundrechtlichen Gewährleistung nachgekommen wird oder eine grundrechtlich gebotene Situation herzustellen ist.223 Bei einer Begrenzung ist ein verfassungswidriges Verhalten zu beseitigen.224 Bumke zufolge könnten Ausgestaltung und Begrenzung zwar deutlich voneinander abgegrenzt werden, aber ein staatliches Handeln könne beide Momente aufweisen, so dass Ausgestaltung und Begrenzung seinem Verständnis nach nicht in einem Verhältnis strenger Alternativität zueinander stünden.225 Eine nachteilige Berührung des Schutzbereichs kann dieser Auffassung nach sowohl einen Eingriff als auch eine Ausgestaltung darstellen.226 Abzustellen sei vielmehr auf den „handlungsgebieten-

219 220 221 222 223 224 225 226

Höfling, Vertragsfreiheit, S. 37. Lenz, Vorbehaltlose Grundrechte, S. 120 f. Lenz, Vorbehaltlose Grundrechte, S. 121. Bumke, Grundrechtsvorbehalt, S. 104 f. Bumke, Grundrechtsvorbehalt, S. 105. Bumke, Grundrechtsvorbehalt, S. 105. Bumke, Grundrechtsvorbehalt, S. 105; dagegen Butzer, RdA 1994, S. 375, 378. Bumke, Grundrechtsvorbehalt, S. 107.

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B. Schutz des zwingenden Charakters der Tarifnormen

den Grundrechtsgehalt“.227 Die verfassungsrechtlichen Anforderungen für Eingriff und Ausgestaltung würden sich dann aus den Grundrechtsgehalten „der betroffenen Gewährleistungen“ ergeben.228 Wendet man diese Betrachtung auf die Koalitionsfreiheit an, käme man dazu, zunächst den objektiven Gehalt von Art. 9 Abs. 3 GG zu ermitteln, um dann entscheiden zu können, ob gesetzliche Öffnungsklauseln einem Handlungs- oder einem Unterlassungsgebot folgen würden. Anhand dessen könnte dann ermittelt werden, ob eine ausgestaltende oder eingreifende Maßnahme vorliegt. Dem Ansatz Bumkes kann nicht gefolgt werden. Die Unterscheidung in Handlungs- und Unterlassungsgebote ist nicht möglich, da eine gesetzgeberische Maßnahme für ein Tarifvertragspartei ein Handlungsgebot und für die andere ein Unterlassungsgebot realisieren kann.229 Bumke kann dahingehend zugestimmt werden, dass sich aus dem Grundrechtsgehalt ableiten lässt, ob eine Ausgestaltung geboten ist. Hinsichtlich eines Eingriffs ist dieser Ansatz aber fragwürdig, da sich das Erfordernis eines Grundrechtseingriffs oftmals nicht aus dem Grundrecht, das eingeschränkt wird, sondern aus anderen, mit dem eingeschränkten Grundrecht kollidierenden Grundrechten ergibt. Im Ergebnis kann diese Auffassung folglich nicht überzeugen und ist abzulehnen. (7) Unterscheidung anhand nachteiliger Veränderung Teilweise wird die Unterscheidung zwischen Eingriff und Ausgestaltung daran festgemacht, ob in dem staatlichen Handeln eine nachteilige Veränderung für den entsprechenden Grundrechtsträger liegt.230 Wenn mit der Regelung ein Nachteil verbunden sei, liege ein Eingriff vor. Falls kein Nachteil festzustellen sei, handele es sich um eine Ausgestaltung. Zunächst ist an dieser Auffassung problematisch, dass sich eine Regelung auf dem Gebiet des Koalitionsrechts für die Gewerkschaften als nachteilig und gleichzeitig für 227

Bumke, Grundrechtsvorbehalt, S. 107. Bumke, Grundrechtsvorbehalt, S. 108. 229 Vgl. hierzu Bayreuther, Tarifautonomie, S. 27, der ausführt, dass sich staatliches Handeln für die eine Tarifpartei als Ausgestaltung und für die andere als Eingriff darstellen kann. 230 Lenz zitiert als Verfechter dieser Auffassung Manssen, Privatrechtsgestaltung, S. 170 ff, der sich zwar mit der Normbestandstheorie auseinandersetzt, aber einen solchen Unterscheidungsansatz nicht entwickelt; von Lenz, Vorbehaltlose Grundrechte, S. 121, Fn. 98, wird als Anhängerin eines solchen Ansatzes auch Lübbe-Wolff zitiert, die jedoch keinesfalls für jedes staatliche Handeln, das im Bereich eines normgeprägten Grundrechts liegt, bei einem Nachteil für den Grundrechtsträger einen Eingriff annimmt. Vgl. dazu Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, S. 127 ff. Zunächst ist zu sagen, dass es in dem Kapitel namentlich um institutionelle Garantien geht. So führt Lübbe-Wolff aus, dass im Falle der Rechtsinstitute nicht nur der „(Kern)Gehalt“ (S. 135), sondern auch der „Bereich nicht-essentieller institutsausformender Normbestände“ (S. 135) vor „sachlich unbegründeten oder sonst unverhältnismäßigen gesetzgeberischen Eingriffen“ (S. 135) geschützt sei. Dies bedeutet keinesfalls einen Schutz vor jeder nachteiligen Veränderung. 228

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die Arbeitgeberverbände als positiv darstellen kann. Eine nachteilige Wirkung ist folglich auf dem Gebiet des Koalitionsrechts nicht eindeutig feststellbar, da sich eine Regelung für verschiedene Grundrechtsträger unterschiedlich auswirken kann. Hinzukommt, dass dieser Ansatz darauf hinauslaufen würde, dass eine staatliche Regelung an einfachem Recht dergestalt gemessen werden würde, dass sie im Falle einer Veränderung des einfachen Rechts rechtfertigungsbedürftig wäre und im Falle der Nicht-Veränderung keine Rechtfertigungsbedürftigkeit vorliege.231 Das einfache Recht kann aber nicht Maßstab für die verfassungsrechtliche Zulässigkeit sein. Dieser Ansatz ist folglich abzulehnen. (8) Unterscheidung zwischen Privatrecht und Öffentlichem Recht Nach Lenz könne die Unterscheidung dergestalt vorgenommen werden, dass im Bereich eines normgeprägten Grundrechts Privatrecht als Ausgestaltung und öffentliches Recht als rechtfertigungsbedürftiger Eingriff gesehen wird.232 Privatrecht ist all jenes Recht, was die Rechtsverhältnisse der einzelnen, gleichgeordneten Mitglieder der Gesellschaft zueinander ordnet.233 Öffentliches Recht betrifft den Staat als Hoheitsträger und regelt die staatlichen Befugnisse.234 Die Frage, ob eine Ausgestaltung oder ein Eingriff vorliegt, kann jedoch nicht allgemein für alle normativ geprägten Grundrechte gleich beantwortet werden, sondern ist vom Gewährleistungsgehalt des jeweiligen Grundrechts abhängig. Im Falle der Ausgestaltung ist der Gesetzgeber zu der Schaffung eines Regelungssystems verpflichtet, bei dem er an das betreffende Grundrecht gebunden ist und er gleichzeitig einen Gestaltungsspielraum hat. Wieweit diese Bindung reicht, d. h. wie groß der Gestaltungsspielraum jeweils ist, muss im Falle eines jeden normativ geprägten Grundrechts ermittelt werden. Die Schaffung eines solchen Regelungssystems kann sich auf privatrechtliche Normen oder auf öffentlich-rechtliche Normen beziehen. Dies ist vom Grundrecht abhängig und besagt noch nichts darüber, ob die Regelung ausgestaltend oder eingreifend ist. Der Auffassung kann somit nicht gefolgt werden. (9) Keine Unterscheidung zwischen Eingriff und Ausgestaltung Teilweise wird grundsätzlich in Frage gestellt, ob die Unterscheidung zwischen Eingriff und Ausgestaltung sinnvoll ist. Nach Thüsing entbehrt die Abgrenzung zwischen Eingriff und Ausgestaltung einer Leitlinie.235 Jede Ausgestaltung würde gleichzeitig in ihrer Festlegung eine Be231 232 233 234 235

Vgl. auch Lenz, Vorbehaltlose Grundrechte, S. 123. Lenz, Vorbehaltlose Grundrechte, S. 131 ff. Larenz/Wolf, BGB, § 1, Rn. 1; Brox/Walker, BGB, § 1, Rn. 10. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 3, Rn. 13. Thüsing, FS 50 Jahre BAG, S. 892.

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grenzung implizieren und jeder Eingriff würde seinerseits die Tarifautonomie ausgestalten.236 Kahl hebt darauf ab, dass nicht überzeugend zwischen einem Eingriff und einer belastenden Ausgestaltung unterschieden werden könne.237 Folgerichtig werden verschiedene Begründungs-Ansätze vertreten, nach denen zwischen Ausgestaltung und Eingriff nicht zu unterscheiden sei. (a) Die Auffassung Bayreuthers Das Problem der Ausgestaltungsbedürftigkeit stellt sich auch bei anderen Grundrechten, wirft bei der Koalitionsfreiheit nach Bayreuther jedoch spezielle Fragen auf. Der Schutzbereich der Koalitionsfreiheit sei im Vergleich zu anderen Grundrechten wenig konkretisiert worden.238 Die Geschichte der Koalitionsfreiheit reiche kürzer zurück als die des Eigentums.239 Zum anderen sei die Konstruktion der Koalitionsfreiheit, indem sie auf den Ausgleich zwischen den verschiedenen Interessensgruppen abziele, bipolar.240 Vor dem Hintergrund der vermeintlichen vorbehaltlosen Gewährleistung der Koalitionsfreiheit und des gleichzeitigen Erfordernisses einer großen Flexibilität des Regelungserfordernisses sei auch die Konstruktionsnotwendigkeit des Ausgestaltungsvorbehalts zu verstehen.241 Die Grenzen von der Ausgestaltung zum Eingriff seien fließend und eine Differenzierung folglich weder möglich noch anzustreben.242 Die Gefahr, dass mit der gesetzgeberischen Ausgestaltung der Schutzbereich, welcher gerade vor staatlichen Handlungen schützen soll, durch eben jene staatlichen Maßnahmen eingeschränkt werde, ist Bayreuthers Verständnis nach evident.243 Letztlich sei es die Negierung eines freiheitsrechtlichen Verständnisses von Art. 9 Abs. 3 GG, wenn die Betätigung im Rahmen von Art. 9 Abs. 3 GG im Ergebnis immer von der staatlichen Genehmigung in Form der gesetzgeberischen Ausgestaltung abhängig gemacht würde.244 Angesichts des Abwehrcharakters von Grundrechten müsse eine derartige dogmatische Differenzierung diametral deren Funktion zuwiderlaufen.245 Alles, was den Schutzbereich berühre, greife in diesen auch ein und wenn dieses Eingreifen nicht verfassungsmäßig gerechtfertigt werden könne, sei es verfassungswidrig.246 Die Ausgestaltungsbefugnis sei folglich nicht für die Frage, was wie aus236 237 238 239 240 241 242 243 244 245 246

Thüsing, FS 50 Jahre BAG, S. 892. Kahl, AöR 131 (2006), S. 603 Bayreuther, Tarifautonomie, S. 28. Bayreuther, Tarifautonomie, S. 28. Bayreuther, Tarifautonomie, S. 28. Bayreuther, Tarifautonomie, S. 29. Bayreuther, Tarifautonomie, S. 30. Bayreuther, Tarifautonomie, S. 30. Bayreuther, Tarifautonomie, S. 30. Bayreuther, Tarifautonomie, S. 30. Bayreuther, Tarifautonomie, S. 31.

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gestaltet werden dürfe, relevant, sondern sage vielmehr darüber etwas aus, wann der Gesetzgeber ausgestalten müsse.247 Komme der Gesetzgeber dieser Pflicht zur Ausgestaltung nicht nach, greife er in den Schutzbereich der Koalitionsfreiheit ein und es liege ein Eingriff vor.248 Auch im Falle des als Ausgestaltung titulierten staatlichen Handelns ist nach der Auffassung Bayreuthers das jeweilige staatliche Handeln als Eingriff zu behandeln und im Rahmen der Eingriffsdogmatik die Verfassungsmäßigkeit der staatlichen Handlung zu prüfen.249 Wie im Einzelnen noch dargelegt wird,250 handelt es sich bei der Koalitionsfreiheit um einen Schutzbereich, dessen einer Teil als natürlicher Schutzbereich und dessen anderer Teil als normativer Schutzbereich begriffen werden muss. Hinsichtlich des Teilbereichs des natürlichen Schutzbereichs ist der Auffassung Bayreuthers, dass jegliches staatliches, den Schutzbereich tangierendes Handeln als Eingriff zu behandeln ist, zuzustimmen. Bezüglich des normativen Schutzbereichs kann dem jedoch nicht gefolgt werden. Die Ausübung der Tarifautonomie ist ohne die Ausgestaltung durch den Gesetzgeber nicht möglich. Regelungen, die diese Ausübung gewährleisten, konstituieren die Tarifautonomie und haben eine andere Funktion, als den natürlichen Schutzbereich der Koalitionsfreiheit einzuschränken. Im Rahmen der Ausgestaltung steht die Tarifautonomie außerdem keinesfalls zur freien Disposition des Gesetzgebers. Auch die Ausgestaltung ist an bestimmte Grenzen gebunden, die an späterer Stelle der Arbeit noch ausführlich zu behandeln sein werden.251 Der Auffassung Bayreuthers kann somit nicht gefolgt werden. (b) Die Auffassung Lübbe-Wolffs Lübbe-Wolff vertritt im Ergebnis die Auffassung, dass die Unterscheidung von Eingriff und Ausgestaltung hinfällig sei.252 Die einzige dogmatische Konsequenz der Unterscheidung zwischen Eingriff und Ausgestaltung sei, dass echte Eingriffsvorbehalte im Sinne der Differenzierung zwischen Eingriffs- und Ausgestaltungsregelungen, so es sich um nachkonstitutionelle Regelungen handelt, an das Zitiergebot gebunden seien.253 Regelungen, die lediglich ausgestalten, würden im Übrigen den gleichen Voraussetzungen unterliegen wie Eingriffsregelungen.254 Grundsätzlich sei zwar denkbar, dass aus der Unterscheidung dogmatische Konsequenzen wie z. B. unterschiedliche Anforderungen hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit einer Regelung hervorgingen, dies sei aber nach herrschender Betrachtung nicht der 247

Bayreuther, Tarifautonomie, S. 31. Bayreuther, Tarifautonomie, S. 32. 249 Bayreuther, Tarifautonomie, S. 30 ff. 250 Siehe B. III. 3. c) cc). 251 Siehe B. III. 3. d). 252 Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, S. 58 ff. 253 Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, S. 60; ähnlich von Münch, in: von Münch/Kunig, Vorb. Art. 1 – 19, Rn. 54. 254 Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, S. 60. 248

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Fall.255 Vielmehr sei es so, dass auch die Verfassungsmäßigkeit der als Regelung/Ausgestaltung titulierten Maßnahmen im Rahmen des Art. 12 GG oder des Art. 14 GG wie bei einem Eingriff anhand des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes geprüft werde.256 Da sich der Schutzbereich der Koalitionsfreiheit in einen normativen und einen natürlichen Teil ausdifferenziert, ist zur Gewährleistung des normativen Teils die Ausgestaltung durch den Gesetzgeber notwendig. Damit existieren im Rahmen der Koalitionsfreiheit Normen, die eine ausgestaltende Funktion haben. Man könnte natürlich trotz dieser unterschiedlichen Funktion, wie Lübbe-Wolff vorbringt, daran denken, ausgestaltende und einschränkende Normen gleich zu behandeln. Angesichts der unterschiedlichen Funktion der beiden Normentypen ist es aber entsprechend der verschiedenen Funktionen zweckmäßig auch einen anderen Prüfungsmaßstab anzulegen. Eine Norm, die den natürlichen Schutzbereich berührt, ist anhand des eingriffsdogmatischen Rechtfertigungsschemas zu prüfen. Eine Norm wiederum, die überhaupt erst den Schutzbereich in normativer Hinsicht konstituiert, ist anhand eines anderen Maßstabs zu prüfen. Natürlich ist der ausgestaltende Gesetzgeber auch an Grenzen gebunden,257 aber diese entsprechen nicht den Anforderungen eines Eingriffs. Folglich ist der Einschätzung Lübbe-Wolffs, die Unterscheidung sei hinfällig, hinsichtlich der Tarifautonomie nicht zuzustimmen. (c) Die Auffassung Hensslers Henssler ist der Auffassung, wenn die Koalition sich unmittelbar zur Verwirklichung des koalitionsspezifischen Zwecks betätige, könne der Schutz dieser Betätigung nicht in das freie Ermessen des Gesetzgebers gestellt werden.258 Dies würde der Hauptfunktion von Grundrechten, Abwehrrechte gegen staatliche Maßnahmen zu begründen, zuwiderlaufen.259 Entscheidend für die Annahme einer Ausgestaltung oder eines Eingriffs sei folglich, ob das betroffene Verhalten als Betätigung im koalitionsspezifischen Sinn verstanden werden könne.260 Wenn dies der Fall sei, stelle jede staatliche Maßnahme einen Eingriff dar.261 Dies bedeute, dass eine staatliche Handlung, die den Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG in der Weise betreffe, dass die koalitionsspezifische Betätigung betroffen sei, als Eingriff behandelt werden müsse. Das habe zur Konsequenz, dass die Kategorie der Ausgestaltung wegfalle. Gesetzgeberisches Handeln

255 256 257 258 259 260 261

Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, S. 61. Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, S. 60 ff. Siehe B. III. 3. d). Henssler, ZfA 1998, S. 1, 11 f. Henssler, ZfA 1998, S. 1, 11. Henssler, ZfA 1998, S. 1, 11 f. Henssler, ZfA 1998, S. 1 11.

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sei unter den skizzierten Voraussetzungen dann immer anhand der Eingriffsdogmatik zu prüfen. Problematisch an der Auffassung Hensslers ist, dass er die „koalitionsspezifische Betätigung“ als von Art. 9 Abs. 3 GG natürlich geschützt ansieht. Es gibt zwar einen von Art. 9 Abs. 3 GG natürlich geschützten Bereich, aber darüber hinaus gibt es gerade bezüglich der Tarifautonomie einen normativen Schutzbereich, welcher der Ausgestaltung bedarf, so dass die ausgestaltende Regelung die koalitionsspezifische Betätigung, die Henssler als gegeben voraussetzt, überhaupt erst ermöglicht.262 Nicht jede staatliche Maßnahme, welche die koalitionsspezifische Betätigung betrifft, kann folglich als Eingriff behandelt werden, so dass der Auffassung Hensslers nicht zu folgen ist. (d) Die Auffassung Schwarzes Schwarze setzt für die Differenzierung zwischen Eingriff und Ausgestaltung an der Intensität an, die staatliches Handeln für den Grundrechtsträger entfaltet.263 Ausgestaltungen seien jene Maßnahmen, die lediglich modifizieren und die Koalitionsfreiheit an sich unbeeinträchtigt lassen, während im Falle einer nicht nur unerheblichen Beeinträchtigung ein Eingriff anzunehmen sei.264 Ausgestaltung und Eingriff seien also nicht strukturell unterschiedlich, sondern unterschieden sich lediglich hinsichtlich der Intensität, d. h. nur in gradueller Hinsicht.265 Gegen diesen Ansatz ist jedoch einzuwenden, dass die Betrachtung, ob etwas lediglich modifizierend oder bereits beeinträchtigend ist, eine Wertentscheidung darstellt und als Grundlage für eine dogmatische Unterscheidung somit unpraktikabel ist.266 Ein derartiges Verständnis würde auch der Dipolarität, die der Koalitionsfreiheit immanent ist, nicht gerecht werden, schließlich kann sich eine Regelung für die Gewerkschaften als Ausgestaltung und für die Arbeitgeberverbände gleichzeitig als Eingriff darstellen.267 Dies spricht gegen die Auffassung Schwarzes. cc) Trennung nach natürlichem und normativem Schutzbereich Eine weitere Unterscheidungsmöglichkeit knüpft an die Differenzierung zwischen natürlichem und normgeprägtem Schutzbereich an.268 Danach liegt ein Eingriff 262

S. hierzu B. III. 3. c) cc). Schwarze, JuS 1994, S. 653, 659. 264 Schwarze, JuS 1994, S. 653, 659. 265 Schwarze, JuS 1994, S. 653, 659. 266 Bayreuther, Tarifautonomie, S. 27. 267 Bayreuther, Tarifautonomie, S. 27. 268 Friese, Koalitionsfreiheit, S. 214; ähnlich auch Gneiting, in: Umbach/Clemens, Art. 9, Rn. 127 und Höfling, in: Sachs, Art. 9, Rn. 77, die davon reden, dass Art. 9 Abs. 3 GG dort der Ausgestaltung bedürfe, wo Regelungen notwendige Voraussetzungen für die koalitionsspezifische Betätigung darstellten; in diesem Sinne auch Schwarze, JuS 1994, S. 657, der auf die 263

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vor, wenn eine staatliche Handlung den natürlichen Schutzbereich eines Grundrechts tangiert und eine Ausgestaltung, wenn der normgeprägte Schutzbereich betroffen ist.269 Im Falle der Ausgestaltung wird der Schutzbereich von innen her bestimmt und im Falle des Eingriffs wird von außen in den Schutzbereich eingegriffen.270 Normativgeprägte Grundrechte bedürfen der Ausgestaltung.271 Beim natürlichen Schutzbereich handelt es sich um Handlungen, die „zur Natur des Einzelnen“ gehören wie zu leben oder seinen Aufenthalt zu bestimmen bzw. als natürliche Geselligkeit wie der Austausch von Meinungen oder das Versammeln zu fassen sind.272 Von einem normgeprägten Schutzbereich wird allgemein gesprochen, wenn dem Einzelnen ein Handeln nicht qua Natur, sondern erst durch eine rechtliche Gestaltung möglich ist.273 Der Freiheitsgegenstand dieses Abwehrrechts wird erst durch andere Normen konstituiert.274 Das heißt, der Schutzbereich setzt zumindest teilweise die Geltung einfach-gesetzlicher Normen voraus.275

(1) Normativer und natürlicher Schutzbereich Behandelt werden muss zunächst, ob die Trennung zwischen natürlichen und normativen Schutzbereich in dieser prinzipiellen Form überhaupt möglich bzw. hinreichend scharf ist.276 Die Unterscheidung setzt nämlich voraus, dass es natürliche, nicht-konstituierte Freiheiten überhaupt gibt. So ließe sich gegen ein derartiges Verständnis vorbringen, dass letztlich jede Freiheit davon abhängt, dass diese von staatlicher Seite – sei es durch eine Verfassung oder durch einfach-gesetzliche Normen – gewährleistet wird. Gerade in einer derart komplexen Gesellschaft wie der bundesrepublikanischen ließe sich der Standpunkt vertreten, dass jegliches Handeln der rechtlichen Absicherung bedürfe. Grundrechte benötigten immer das Recht und würden nicht als „natürliche“ sondern als rechtliche Freiheiten Bedeutung entfalten.277 Ohne den staatlichen Inhalte der jeweiligen Betätigung abstellt und zwischen der Ausübung der natürlichen Freiheit und der Betätigung, die in die Rechtssphäre anderer eingreift, differenziert; zu der Unterscheidung ferner auch Nierhaus, AöR 116 (1991), S. 83 f; siehe auch Murswiek, DVBl 1994, S. 80, der eine Unterscheidung voraussetzt und ausführt: „Soweit der Staat in diesem Sinne die Verletzung der Rechte Dritter verbietet, schränkt er nur die ,natürliche, nicht aber die rechtliche Freiheit ein, die allein es in einer Rechtsordnung geben kann.“ 269 Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 217. 270 Voßkuhle/Kaiser, JuS 2009, S. 314. 271 Voßkuhle/Kaiser, JuS 2009, S. 314. 272 Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 210. 273 Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 209; s. hierzu auch Lerche, Übermaß, S. 107 ff, der jedoch von grundrechtsprägenden Normen spricht. 274 Poscher, Grundrechte, S. 133. 275 Poscher, Grundrechte, S. 132 f. 276 Zu dieser Frage vgl. Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, S. 82 ff. 277 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 304.

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Schutz dieser würde im Ergebnis keine Freiheit existieren, so dass alle Rechte als konstituiert betrachtet werden müssten. Ein Freiheitsverständnis, nach dem jegliche Freiheit rechtlich konstituiert ist, findet sich bereits bei Hegel.278 Eine kurze Betrachtung der Grundlinien dieses Verständnisses ist deshalb gewinnbringend, da sich dort die bis heute vorgebrachten zentralen Argumente wiederfinden.279 Hegel setzt bei der Annahme des Naturzustandes an, in dem sich freie Individuen gegenübertreten.280 Die Idee eines Naturzustandes, in dem der einzelne Mensch frei sei, diese Freiheit genießen und unbeschränkt ausüben könne, sei weder geschichtlich belegbar, noch ernsthaft vorstellbar.281 In einem solchen Naturzustande würde vielmehr ein „Zustand des Unrechts, der Gewalt, des ungebändigten Naturtriebs, unmenschlicher Taten und Empfindungen“ vorherrschen.282 Der Stärkere würde seine Rechte und Möglichkeiten ausüben können, jedoch nicht der Schwächere.283 Frei könne der Mensch erst werden, wenn er sich aus diesem Naturzustand befreie und in einen gesellschaftlichen Zustand eintritt, der dem Recht des Stärkeren Einhalt gebiete.284 Der Staat beschränke diese „stumpfen Empfindungen und rohen Triebe“ und damit die subjektive Freiheit.285 Diese Beschränkung ist jedoch die „Bedingung, aus welcher die Befreiung hervorgeht, und Gesellschaft und Staat sind Zustände, in welchen die Freiheit vielmehr verwirklicht wird.“286 Verfolgt man mit diesem Freiheitsverständnis die Frage, ob zwischen normativgeprägten und natürlichen Schutzbereich unterschieden werden kann, käme man dazu, dass letztlich die Existenz eines jeden Menschen auf die Existenz von Staatlichkeit angewiesen sei, nicht nur hinsichtlich des Schutzes vor Willkür, Unrecht und Gewalt sondern auch hinsichtlich der Schaffung der zum Überleben notwendigen zivilisatorischen Voraussetzungen.287 Folglich wäre auch die Wahrnehmung von Freiheiten an die Gewährleistung derer durch den Staat gebunden. Auch wenn man dieses Grundverständnis teilt, ist nicht zu leugnen, dass es ein Unterschied ist, ob es um die Äußerung einer Meinung geht oder um die Vereinbarung von Tarifnormen.288 Zu ersterem ist jeder Mensch grundsätzlich in der Lage. Zu letzterem braucht jede Partei die zunächst verliehene Befugnis und Kompetenz. Ohne zu bestreiten, dass auch die Glaubensfreiheit oder das Recht auf Leben in einer komple278

Hegel, Philosophie der Geschichte, S. 58 f; ders., Enzyklopädie III, § 502, S. 311 ff. S. hierzu Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, S. 82. 280 Hegel, Philosophie der Geschichte, S. 58 f. 281 Hegel, Philosophie der Geschichte, S. 58. 282 Hegel, Philosophie der Geschichte, S. 59. 283 Hegel, Enzyklopädie III, § 502, S. 311 f. 284 Hegel, Enzyklopädie III, § 502, S. 311 f. 285 Hegel, Philosophie der Geschichte, S. 59; auch ders., Hegel, Enzyklopädie III, § 539, S. 333 ff. 286 Hegel, Philosophie der Geschichte, S. 59. 287 Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, S. 84. 288 Vgl. hierzu Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, S. 84 f; Schwarze, JuS 1994, S. 657. 279

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xen Gesellschaft der rechtlichen Absicherung bedarf, gibt es solche Rechte, die jeder Mensch qua seiner natürlichen Verfassung ausüben kann, und wiederum andere Rechte, zu deren Ausübung jedem Menschen erst eine rechtliche Befugnis verliehen werden muss und die folglich rechtlich konstituiert sind. Für die Anerkennung natürlicher Grundrechte im Grundgesetz spricht insbesondere Art. 1 Abs. 1 GG, der in Satz 1 die Würde für unantastbar erklärt und im zweiten Satz die staatliche Gewalt zum Schutz und der Achtung eben dieser verpflichtet. In diesem Artikel ist nicht die Rede davon, dass die Menschenwürde erst zu verleihen ist, sondern diese wird als existent vorausgesetzt.289 Geht man nun davon aus, dass die Menschenwürde die „Wurzel aller Grundrechte“290 darstellt, kann man davon ausgehen, dass sich ein Gewährleistungskern natürlicher Freiheit in jedem Grundrecht wiederfindet.291 Als weiteres Indiz kann Art. 1 Abs. 2 GG vorgebracht werden, der von den „unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten“ spricht. Durch diese Formulierung findet eine Anknüpfung an die Idee der „vorstaatlichen Menschenrechte“ statt, mit der diese als existent vorausgesetzt werden.292 Die Existenz natürlicher und normativer Schutzbereiche ist also vorauszusetzen. (2) Tarifautonomie als Teil des normativen Schutzbereichs Auch im Bereich der Koalitionsfreiheit gibt es Tätigkeiten wie z. B. das Abhalten von Mitgliederversammlungen oder die Wahl von Vertretern, die ohne ein Zutun des Staates denkbar sind.293 Natürlich setzt die Existenz von Arbeitnehmern und Arbeitgebern und die Organisation von Arbeit eine gewisse Gesellschaftsorganisation voraus. Von daher könnte man auch diesbezüglich die These vertreten, dass alles von staatlicher Organisation abhängt und jede Handlungsmöglichkeit staatlich konstituiert ist. Gleichzeitig muss aber Berücksichtigung finden, dass die Möglichkeit, sich mit anderen Arbeitnehmern oder Arbeitgebern zusammenzuschließen, Sitzungen abzuhalten, Vertreter zu wählen etc., nicht von einer staatlich verliehenen Kompetenz abhängt. Diese Betätigungen sind grundsätzlich jedem Individuum möglich. Es kommt lediglich darauf an, dass der Staat dies nicht unterbindet. Im Falle der Tarifautonomie ist es anders gelagert. Zur Ausübung der Tarifautonomie, d. h. zum Abschluss von Tarifverträgen, ist kein Mensch allein qua seiner natürlichen Verfassung als Mensch in der Lage. Dazu bedarf es der Verleihung rechtlicher Befugnisse. Ohne die Gewährung dieser Befugnis durch die Schaffung eines einfach-gesetzlichen Regelungssystems wären die Koalitionen zur Ausübung der Tarifautonomie nicht in der

289 290 291 292 293

Lenz, Vorbehaltlose Grundrechte, S. 105. BVerfGE 93, 266, 293. Lenz, Vorbehaltlose Grundrechte, S. 106. Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 1, Rn. 127; Dreier, in: Dreier, Art. 1 II, Rn. 3. Schwarze, JuS 1994, S. 657.

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Lage.294 Isensee verweist diesbezüglich darauf, dass die normative Fassung des Grundrechtstatbestandes zum einen so offen und zum anderen so abstrakt ist, dass die Ausgestaltung notwendig sei, um die erforderliche Rechtssicherheit und Direktivkraft im konkreten Einzelfall zu entfalten.295 (a) Begründung der Normsetzungsbefugnis der Tarifparteien Einhellige Auffassung ist, dass Tarifvereinbarungen normativer Charakter zukommt.296 Es bestehen aber verschiedenen Auffassungen hinsichtlich der Frage, wie deren normative Wirkung zu begründen ist. So wird vertreten, dass die Normsetzungsbefugnis der Tarifparteien nicht darauf angewiesen sei, dass diese rechtlich „verliehen“ werde, da die Normsetzungsbefugnis vielmehr „vorstaatlich“ existiere.297 Würde man dieser Auffassung folgen, käme man nicht zu dem Ergebnis, dass die Frage der Tarifautonomie dem normativen Teil des Schutzbereichs von Art. 9 Abs. 3 GG unterfällt. Folglich ist an dieser Stelle zunächst zu erörtern, wie die Normsetzungsbefugnis der Koalitionen zu begründen ist. (aa) Originärtheorie Teilweise wird vertreten, die Normsetzungsbefugnis der Koalitionen sei originär, d. h. quasi vorstaatlich.298 Die normative Wirkung der Tarifnormen ergebe sich aus dem Schutzzweck des Tarifvertrages.299 Begründet wird dieses Verständnis überwiegend mit der Entstehungsgeschichte der Tarifautonomie. Sie sei teilweise gegen den Willen des Staates durch kollektives Handeln der Beteiligten durchgesetzt worden und erst nachträglich durch den Verfassungsgesetzgeber anerkannt worden, so dass sie folglich keiner staatlichen Delegation mehr bedürfe.300 Außerdem hätten die Tarifverträge von 1918 bis 1945 auch ohne gesetzliche Regelung normativ gegolten, so dass die Aufnahme der Koalitionsfreiheit in das Grundgesetz lediglich festschreibenden Charakter habe.301 Hiergegen ist jedoch einzuwenden, dass die Akzeptanz von Verträgen durch die Vertragsparteien noch nichts über einen vorhandenen bzw. nichtvorhandenen normativen Charakter 294 Höfling, in: Sachs, Art. 9, Rn. 78; Löwer, in: von Münch/Kunig, Art. 9, Rn. 60; Schwarze, JuS 1994, S. 657; Richardi, JZ 1992, S. 32; Cornils, Ausgestaltung, S. 424; Burkiczak, Deregulierung, S. 164; Kemper, Koalitionsfreiheit, S. 70 f. 295 Isensee, in: HStR V, § 115, Rn. 140. 296 BVerfGE 34, 307, 317; Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 9, Rn. 301; Badura, Staatsrecht, S. 152; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 1, Rn. 31; Kemper, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 9, Rn. 139; Höfling, FS Friauf, S. 386; Rupp, JZ 1998, S. 922. 297 Herschel, FS Bogs, S. 130 f; ders., AuR 1976, S. 117; s. auch Radke, FS Brenner, S. 139. 298 Herschel, FS Bogs, S. 130 f; ders., AuR 1976, S. 117; s. auch Radke, FS Brenner, S. 139 und zu dieser Auseinandersetzung Däubler, Mitbestimmung, S. 112 ff. 299 Kempen, in: Kempen/Zachert, TVG, Grundlagen, Rn. 194. 300 Kempen, in: Kempen/Zachert, TVG, Grundlagen, Rn. 194; ähnlich auch Herschel, FS Bogs, S. 130. 301 S. hierzu Kempen, in: Kempen/Zachert,TVG, Grundlagen, Rn. 194 ff.

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B. Schutz des zwingenden Charakters der Tarifnormen

der Verträge aussagt. Hinzukommt, dass die Aussage nicht zutreffend ist, da es bereits 1918 mit der „Verordnung über Tarifverträge, Arbeiter- und Angestelltenausschüsse und Schlichtung von Arbeitsstreitigkeiten“ eine Regelung gegeben hat, der kurze Zeit später die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Tarifautonomie mit Art. 165 WRV nachfolgte. Gegen ein derartiges „vorstaatliches“ Verständnis hinsichtlich der Tarifautonomie ist einzuwenden, dass lediglich der Staat Rechtsetzungsbefugnis hat.302 Die Rechtsetzungsbefugnis des Staates gründet sich auch nicht auf eine Art „vorstaatliche“ Existenz, sondern auf die demokratische Begründung derselben. Eine Rechtsetzungsmacht ohne demokratische Legitimation ist unter dem Grundgesetz allein schon aufgrund des Demokratie- und des Rechtsstaatsprinzips nicht denkbar.303 Ein weiterer dagegen vorzubringender Gesichtspunkt ist, dass es konstitutives Merkmal einer Rechtsordnung ist, dass diese auch durchsetzbar und zwangsbewehrt ist und aufgrund des staatlichen Gewaltmonopols dazu ausschließlich der Staat in der Lage ist.304 Die Originärtheorie muss aus den genannten Gründen abgelehnt werden. (bb) Integrationstheorie Nach der Integrationslehre soll Art. 9 Abs. 3 GG selbst bereits eine Ermächtigung zur Setzung von Tarifnormen enthalten.305 Art. 9 Abs. 3 GG beinhaltet jedoch keinerlei Angaben darüber, wie die konkrete Ausübung der gewährten Koalitionsfreiheit auszusehen hat.306 Kritisiert wird also zu recht, dass es nicht vertretbar sei, dem Wortlaut des Art. 9 Abs. 3 GG über den grundrechtlichen Gehalt hinaus eine Kompetenznorm zu entnehmen, deren Bereich undeutlich umrissen ist und die möglicherweise in einem Konkurrenzverhältnis zu der dem Gesetzgeber in Art. 74 Nr. 12 GG ausdrücklich zugewiesenen Kompetenz steht.307 Der Integrationslehre kann somit nicht gefolgt werden. (cc) Mandatarische Theorie Nach der mandatarischen Theorie wird die Rechtsetzungsbefugnis mit dem Verbandsbeitritt der Mitglieder begründet.308 Die Wirkung der Tarifnormen gehe auf die 302 Meik, Tarifautonomie, S. 29 f ; Badura, RdA 1974, S. 134 ; Kreutz, ZfA 1975, S. 70 ; Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 9, Rn. 301. 303 Gellermann, Grundrechte, S. 162; Meik, Tarifautonomie, S. 29 f; Burkiczak, Deregulierung, S. 165. 304 Kühnast, Grenzen, S. 59. 305 Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, S. 104 f; Weber, Tarifautonomie, S. 24; Burkiczak, Deregulierung, S. 165. 306 Bayreuther, Tarifautonomie, S. 174. 307 Gellermann, Grundrechte, S. 162; Burkiczak, Deregulierung, S. 165; Kemper, Koalitionsfreiheit, S. 75 f. 308 Zöllner, RdA 1962, S. 453 ff, 459 vertritt dort, dass die Tarifnormen lediglich hinsichtlich der Mitglieder, die sich freiwillig durch Beitritt der Regelungsmacht unterworfen

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Verbandssatzung der Koalition in Verbindung mit dem privatautonomen Beitritt der einzelnen Person in die Koalition zurück.309 Die Normsetzungsbefugnis der Koalitionen sei hernach die Ausübung kollektiver Privatautonomie. Als Grundlage der Tarifautonomie kann jedoch kaum ein privatautonomes Verhalten von Personen, die in Koalitionen eintreten, gesehen werden, sondern dabei muss Art. 9 Abs. 3 GG, der die Tarifautonomie verfassungsrechtlich gewährt, berücksichtigt werden.310 Auch wenn man davon ausgeht, dass die Tarifautonomie verfassungsrechtlich gewährt ist und lediglich die Geltung der Normen auf dem Verbandseintritt der Mitglieder beruht, kann der Lehre nicht gefolgt werden. Eine dogmatisch überzeugende Begründung der normativen Wirkung der Tarifnormen mittels des zivilrechtlichen Vertragsrechts wird nicht vorgebracht.311 Auch scheint das Argument, der Verbandsbeitritt impliziere eine Unterwerfung unter das künftige Tarifrecht, nicht stichhaltig. Zum Zeitpunkt des Beitritts noch nicht existierende Regeln können kaum Eingang in den Willen des Beitretenden finden.312 Dem Binnenrecht der jeweiligen Organisation, dem sich der Beitretende freiwillig durch Beitritt unterwirft, kann sich das Mitglied durch Austritt gem. § 39 Abs. 2 BGB entziehen. Dem Außenrecht kann sich das Mitglied aber aufgrund der Wirkung der Tarifnormen nach § 3 Abs. 3 TVG nicht entziehen. Weder diese längere Dauer der Tarifwirkung noch die Einbeziehung der Außenseiter in den Geltungsbereich betriebsverfassungsrechtlicher und betrieblicher Normen nach § 3 Abs. 2 TVG kann mit dem freiwilligen Verbandsbeitritt begründet werden.313 Im Übrigen müsste die Unterwerfung nicht nur unter die Satzungsgewalt einer Gewerkschaft oder eines Arbeitgeberverbandes erfolgen, sondern unter eine tarifautonome Regelung, die von beiden Seiten als Kompromiss ausgehandelt wurde. Ein Beitritt zu einer Gewerkschaft oder einem Arbeitgeberverband kann aber nicht als „Beitritt zum Regelungssystem, sondern nur zu einem Teil davon“ verstanden werden.314 Bayreuther vertritt demgegenüber, dass die Beitretenden zum Zeitpunkt des Beitritts haben, Wirkung entfalten, d. h. eine Rechtskrafterstreckung gegenüber Außenseitern scheidet seiner Auffassung nach aus; ders., RdA 1964, S. 446; vgl. Zöllner, Rechtsnatur der Tarifnormen, S. 24 ff, der dort auf S. 37 ausführt, dass Tarifnormen nur gelten „kraft Unterwerfung, also gerade nicht ohne Rücksicht auf den Willen des Betroffenen, wie das für „objektives“ Recht vorausgesetzt wird“. 309 S. hierzu Picker, ZfA 1998, S. 603; ders., NZA 2002, S. 768; ähnlich Singer, ZfA 1995, 616 f. 310 Kühnast, Grenzen, S. 54. 311 Kühnast, Grenzen, S. 55. 312 Oetker, SAE 1999, S. 151; Schlachter, FS Schaub, S. 651, 654; Kemper, Koalitionsfreiheit, S. 68. 313 Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 562 f; ders., Grundrechte, S. 104 f; ähnlich Dütz, Arbeitsrecht, Rn. 490, der rechtsgeschäftliche Begründungen mit dem Verweis auf §§ 4 Abs. S. 1, 3 Abs. 2 und 5 Abs. 4 TVG ablehnt. 314 Kühnast, Grenzen, S. 57; hierzu auch Waltermann, FS Söllner, S. 1267 f.

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B. Schutz des zwingenden Charakters der Tarifnormen

wüssten, dass ihr Verband für sie Tarifverträge abschließt, so dass der Beitritt als Legitimation zum Abschluss von Tarifverträgen verstanden werden könne.315 Es muss aber Berücksichtigung finden, dass es um die normative Wirkung des jeweils einzelnen Tarifvertrags geht. So erscheint es nicht vertretbar, die Wirkung eines Tarifvertrags, die im konkreten Fall überhaupt nicht dem Willen des einzelnen Tarifunterworfenen entspricht, nur mit einem Willensakt eben jener Tarifunterworfenen erklären zu wollen.316 Auch die mandatarische Theorie ist folglich abzulehnen. (dd) Delegations- und Sanktionstheorie Des Weiteren wird die Delegations- bzw. Sanktionstheorie vertreten. Dabei ist eine Grundannahme, dass die Tarifautonomie zwar von Art. 9 Abs. 3 GG geschützt ist und auch die Rechtsetzungsbefugnis der Koalitionen umfasst, aber diese noch nicht aus sich heraus existiert, so dass ein einfach-gesetzliches Normensystem erforderlich ist, dass diese Befugnis gewährt.317 Ob man hierbei mit der Delegationstheorie318 annimmt, dass der Gesetzgeber mit dem TVG eine Rechtsetzungsbefugnis an die Koalitionen delegiert oder ob vielmehr nach der Sanktionstheorie319 davon auszugehen ist, dass der Tarifvertrag nicht selbst sondern nur mittels Autorisierung durch das TVG normativen Charakter erhält, kann im Ergebnis dahinstehen.320 Damit die Tarifautonomie und damit die Normsetzungsbefugnis der Koalitionen dem negatorischen Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG unterfallen können, ist also zunächst die Gewährung dessen durch die Normen des einfachen Rechts erforderlich. Entscheidend ist, dass die Wirkung der Tarifnormen nicht vorstaatlich angesiedelt ist, nicht ohne Handeln des einfachen Gesetzgebers auf Grundlage des Art. 9 Abs. 3 GG denkbar ist und nicht auf dem Handeln privat-autonomer Subjekte, die einer Koalition beitreten, beruht. Wenn dies der Fall wäre, würde eine normative Ausgestaltung durch den einfachen Gesetzgeber zur Gewährleistung eines Tarifvertragssystems, das die Unabdingbarkeit und den zwingenden Charakter von Tarifnormen beinhaltet, nicht notwendig sein. Die Normsetzungsbefugnis der Tarifvertragsparteien beruht auf der Gewährleistung durch den Gesetzgeber.

315

Bayreuther, Tarifautonomie, S. 196 f, Kühnast, Grenzen, S. 58; ähnlich auch Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 565. 317 BVerfGE 4, 96, 108; 18, 18, 26; 44, 322, 340 f; BAGE 1, 258, 264; 4, 240, 251; 33, 140, 149; Gellermann, Grundrechte, S. 162; Höfling, FS Friauf, S. 386; Bayreuther, Tarifautonomie, S. 173. 318 BAGE 1, 258, 264; 4, 240, 251; Krüger, RdA 1957, 203; Kreutz, ZfA 1975, S. 70; Lieb/ Jacobs, Arbeitsrecht, Rn. 468 f; Peters/Ossenbühl, Übertragung, S. 15; Säcker, Gruppenautonomie, S. 267 f. 319 Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 9, Rn. 301; Schachtschneider, Der Staat 16 (1977), S. 511 ff. 320 So auch Bulla, DB 1980, S. 104. 316

III. Schutz der Betätigungsfreiheit

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Dies bedeutet, dass die Tarifautonomie nicht in den Bereich des natürlichen Schutzbereiches fällt, da für die Gewährleistung der Tarifautonomie ein einfach-gesetzliches Regelungswerk erforderlich ist. Die Tarifautonomie ist Teil des normativen Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG. (b) Zwischenergebnis Der Unterscheidung zwischen normativen und natürlichen Schutzbereich ist zu folgen. Die Frage, ob der Regelungsgegenstand dem normativen und natürlichen Schutzbereich unterfällt, ist das entscheidende Kriterium dafür, ob eine diesbezügliche Regelung als Eingriff oder als Ausgestaltung begriffen werden kann. Die Tarifautonomie fällt in den Bereich des normativen Schutzbereichs. Sie bedarf von vornherein der gesetzlichen Ausgestaltung.321 (3) Grenze der Ausgestaltung Die ausgestaltungsbedürftigen Grundrechte bedürfen zum einen der Ausgestaltung durch den Gesetzgeber und zum anderen verpflichten sie eben diesen Gesetzgeber.322 Das ist eine „Folge des Dilemmas, dass die höchsten Normen der Rechtsordnung zugleich die inhaltsärmsten sind.“323 Die Gewährleistung spezifischer Freiheiten ist Ausdruck von Wertentscheidungen, die nicht nur die Möglichkeit der Abwehr implizieren, sondern ebenso den Gesetzgeber zur Gewähr eben dieser Werte verpflichtet.324 Das ist der Fall, wenn ein Grundrecht nicht nur die Freiheit schützen soll, sondern mit der Freiheitsausübung gesellschaftlich bedeutende Aufgaben erfüllt werden sollen.325 Im Falle der Ausgestaltung würde der Gesetzgeber das Grundrecht „von innen“, d. h. aus seinem Wesen heraus, begrenzen, während er es im Falle eines Eingriffs „von außen“ beschränkt.326 Ausgestaltende Regelungen seien keine wirklichen Begrenzungen, da die reale Bedeutung des Grundrechts, das seinem Wesen entspricht, erst durch die Ausgestaltung zum Tragen kommt.327 Die Ausgestaltungsbedürftigkeit eines Grundrechts darf jedoch nicht dazu führen, dass der Gesetzgeber über dieses Grundrecht verfügt.328 Ein Grundrecht muss Vorgabe des einfachen Ge321

Vgl. hierzu BVerfGE 50, 290, 368; Kempen, in: Kempen/Zachert, TVG, Grundlagen, Rn. 111; Jarass, NZA 1990, S. 507. 322 Siehe dazu Nierhaus, AöR 116 (1991), S. 74 ff; Lerche, in: HStR V, § 121, Rn. 40, der jedoch von Grundrechtsprägung und Eingriff spricht; Kemper, Koalitionsfreiheit, S. 82. 323 Isensee, in: HStR V, § 115, Rn. 142. 324 Friese, Koalitionsfreiheit, S. 219. 325 Friese, Koalitionsfreiheit, S. 219; vgl. hierzu auch Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S. 192 f.; Jarass, AöR 110 (1985), S. 394. 326 Butzer, RdA 1994, 378. 327 BVerfGE 12, 45, 53; 28, 243, 259; Butzer, RdA 1994, S 378. 328 Herdegen, in: Maunz/Dürig, Art. 1 Abs. 3, Rn. 41; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 213; zur Problematik vgl. auch Höfling, FS Rüfner, S. 337 f, der anlässlich der Renaissance

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B. Schutz des zwingenden Charakters der Tarifnormen

setzes sein und darf nicht lediglich nach Maßgabe des einfachen Gesetzes gelten.329 Demnach ist die Statuierung einer Grenze erforderlich, ab dieser der Gesetzgeber nicht mehr ausgestaltet, sondern in den Schutzbereich eingreift.330 Der ausgestaltende Gesetzgeber hat grundsätzlich einen Gestaltungsspielraum331 hinsichtlich der Frage, wie er den normativen Teil des Schutzbereichs regeln möchte. Der Gestaltungsspielraum kann sich aber nur in dem Rahmen bewegen, in dem die Ausgestaltung dem Gehalt des jeweiligen Grundrechts entspricht. Die Grenze für diese Ausgestaltung ist der objektiv-rechtliche Gehalt der Koalitionsfreiheit.332 dd) Zwischenergebnis Die Tarifautonomie unterliegt der gesetzgeberischen Ausgestaltung. Der Gesetzgeber muss im Rahmen der Ausgestaltung jedoch den objektiv-rechtlichen Gehalt der Koalitionsfreiheit wahren. d) Objektiver Gehalt als Grenze der Ausgestaltung der Koalitionsfreiheit Die Tarifautonomie unterliegt der gesetzgeberischen Ausgestaltung, die den objektiv-rechtlichen Gehalt der Koalitionsfreiheit wahren muss. Gesetzliche Regelungen, die den objektiv-rechtlichen Gehalt betreffen, stellen einen Eingriff dar, der den Rechtfertigungsmaßstäben des Art. 9 Abs. 3 GG genügen muss. Würde der zwingende Charakter der Tarifnormen zum objektiv-rechtlichen Gehalt der Koalitionsfreiheit zählen, wäre eine Regelung, die diesen beseitigt, als Eingriff zu qualifizieren und müsste den Anforderungen an einen Eingriff genügen. Wäre dies nicht der Fall, könnte der Gesetzgeber mit einer Regelung den zwingenden Charakter abschaffen, ohne dass diese Regelung verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein müsste. So ist in der Folge die Frage zu behandeln, ob der zwingende Charakter der Tarifnormen als Teil des objektiv-rechtlichen Gehalts zu verstehen ist.

der Figur der Ausgestaltung die Gefahr sieht, dass grundrechtliche Betätigungsfreiheit „zur gestaltungsoffenen Variable eines staatlichen Gewährleistungssystems“ denaturiert. 329 Hierzu s. Isensee, in: HStR V, § 115, Rn. 142. 330 Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 213. 331 BVerfGE 50, 290, 369; so auch Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 9, Rn. 35; Friese, Koalitionsfreiheit, S. 231. 332 BVerfGE 92, 365, 394 ff; Mager, Einrichtungsgarantien, S. 245; Friese, Koalitionsfreiheit, S. 218; Leibholz/Rinck, Art. 9, Rn. 501; ähnlich auch Isensee, in: HStR V, § 115, Rn. 142, der davon spricht, dass diese Frage nur gelöst werden kann, wenn der einzelne Grundrechtstatbestand analysiert wird.

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aa) Meinungsstand bzgl. des objektiv-rechtlichen Gehalts von Art. 9 Abs. 3 GG In der Rechtsprechung und der Literatur existieren verschiedene Aussagen hinsichtlich des Gewährleistungsinhalts der Tarifautonomie.

(1) Rechtsprechung In der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 1. März 1979 heißt es, durch die Tarifautonomie sollen die Koalitionen „insbesondere Lohn- und sonstige materielle Arbeitsbedingungen in einem Bereich, in dem der Staat seine Regelungszuständigkeit weit zurückgenommen hat, in eigener Verantwortung und im Wesentlichen ohne staatliche Einflussnahme regeln“ können.333 Das Gericht hat wiederum mit Entscheidung vom 4. Juli 1995 hervorgehoben, dass eine gesetzliche Regelung dann nicht mehr zulässig sei, „wenn sie dazu führt, dass die Verhandlungsfähigkeit einer Tarifvertragspartei bei Tarifauseinandersetzungen einschließlich der Fähigkeit, einen wirksamen Arbeitskampf zu führen, nicht mehr gewahrt bleibt und ihre koalitionsmäßige Betätigung weitergehend beschränkt wird, als es zum Ausgleich der beiderseitigen Grundrechtspositionen erforderlich ist“.334 In der Entscheidung vom 10. Januar 1995 betont das Gericht aber, dass dem Gesetzgeber bei der Frage, ob die Parität zwischen den Tarifvertragsparteien gestört ist bzw. ob eine Regelung Auswirkung auf das Kräfteverhältnis hat, eine gewisse Einschätzungsprärogative zukommt.335 Darüber hinaus führt das Bundesverfassungsgericht aus, dass die Grenze der Ausgestaltung in der Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie zu sehen sei.336 „Die Koalitionen müssen ihren verfassungsrechtlich anerkannten Zweck, die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ihrer Mitglieder zu wahren, zu fördern, insbesondere durch den Abschluss von Tarifverträgen regeln können. (…) Der Gesetzgeber ist allerdings nicht verpflichtet, Disparitäten auszugleichen, die nicht strukturell bedingt sind, sondern auf inneren Schwächen einer Koalition beruhen.“337 Zudem haben ausgestaltende Regelungen nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts den entsprechenden Sachverhalt zu berücksichtigen.338 Außerdem müsse die Regelung dem Ausgleich unterschiedlicher Grundrechtspositionen hinsichtlich der Koalitionsfreiheit, dem Schutz der Grundrechte Dritter339 oder anderer 333

BVerfGE 50, 290, 367. BVerfGE 92, 365, 395; so auch Gneiting, in: Umbach/Clemens, Art. 9, Rn. 146. 335 BVerfGE 92, 26, 41. 336 BVerfGE 92, 365, 394 f. 337 BVerfGE 92, 365, 395 f. 338 BVerfGE 28, 295, 306; 50, 290, 369; 58, 233, 247; ebenso Bauer, in: Dreier, Art. 9, Rn. 92. 339 BVerfGE 84, 212, 228. 334

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B. Schutz des zwingenden Charakters der Tarifnormen

Rechtsgüter340 bzw. verfassungsrechtlich geschützter Rechtsgüter341 dienen und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen.342 (2) Literatur In der Literatur werden differierende Gewährleistungsinhalte des Art. 9 Abs. 3 GG angeführt. So spricht sich ein Teil der Stimmen in der Literatur entschieden für das durch die Tarifautonomie zu gewährleistende Moment der Selbstbestimmung aus und damit dafür, dass die Tarifautonomie als ein Bereich gesichert wird, in dem Koalitionen selbstverantwortlich und ohne staatliche Einflussnahme dem koalitionsspezifischen Zweck der Regelung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen nachkommen können.343 Von einem anderen Teil des Schrifttums wird betont, dass ein ungefähres Kräftegleichgewicht, d. h. die Parität der Sozialpartner, gewahrt werden müsste und eine Ausgestaltung, die diese Parität gefährdet, folglich unzulässig wäre.344 Andere wiederum gehen besonders auf den Grundsatz der Funktionsfähigkeit ein, dessen Erhalt eine gesetzliche Regelung zum Ziel haben muss.345 Teilweise werden auch in der Literatur mehrere Gesichtspunkte nebeneinander genannt, die durch eine gesetzliche Ausgestaltung nicht gefährdet werden dürften. Mager sieht den objektiven Gehalt der Koalitionsfreiheit zum einen in der Selbstverantwortlichkeit der Koalitionen und zum anderen in der Funktionsfähigkeit der Koalitionen, wozu sie insbesondere die Tarifautonomie, die ein ungefähres Kräftegleichgewicht (Parität) voraussetze, zählt.346 Fathmann/Coen betonen, dass objektiv-rechtliche Schranken der Ausgestaltung neben dem Grundsatz der Funktionsfähigkeit des Tarifsystems solche seien, die zum Schutze anderer Rechtsgüter als erforderlich anzusehen wären.347 Die Funktionsfähigkeit und eine ungefähre Kräftegleichheit (Parität) müssen nach Leibholz/Rinck gewährleistet werden, denn nur in diesem Falle sei ein annähernd gleichgewichtiges Aushandeln von Arbeitsbedingungen möglich.348

340

BVerfGE 28, 295, 306; 50, 290, 369; 58, 233, 247; 77, 1, 63. BVerfGE 84, 212, 228; 92, 26, 41. 342 BVerfGE 94, 268, 284; ebenso Bauer, in: Dreier, Art. 9, Rn. 92. 343 Löwer, in: von Münch/Kunig, Art. 9, Rn. 58; Leibholz/Rinck, Art. 9, Rn. 480; Bauer, in: Dreier, Art. 9, Rn. 92; Gneiting, in: Umbach/Clemens, Art. 9, Rn. 146. 344 Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 9, Rn. 47. 345 Däubler, ders., TVG, Rn. 128; Henssler, ZfA 1998, S. 14; Kannengießer, in: SchmidtBleibtreu/Klein, Art. 9, Rn. 24, 27. 346 Mager, Einrichtungsgarantien, S. 245. 347 Farthmann/Coen, in: HdbVerfR, § 19, Rn. 62. 348 Leibholz/Rinck, Art. 9, Rn. 501. 341

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(3) Stellungnahme So sehr die Benennung einzelne Gewährleistungsinhalte möglicherweise zu überzeugen vermag, so entbehrt die Rechtsprechung doch einer einheitlichen dogmatischen Linie.349 Verschiedene Gesichtspunkte werden teilweise einzeln in den Entscheidungen als objektiv-rechtlicher Gehalt ausgegeben oder kombiniert. Eine stringente Dogmatik der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in diesem Punkt ist daraus nicht zu entnehmen. In der Literatur gehen die Vorstellungen, was unter dem objektiv-rechtlichen Gehalt der Tarifautonomie zu verstehen ist, ebenfalls auseinander. Verschiedene Aspekte werden teilweise allein oder nebeneinander genannt. Eine dogmatische Begründung, die den einen oder anderen Aspekt als zwingenden Gewährleistungsinhalt vorgibt, findet sich nicht. Die Frage, was vom objektiv-rechtlichen Gehalt eines Grundrechts erfasst wird, ist aber die zentrale Frage zur Klärung, ob der zwingende Charakter der Tarifnormen vom Gewährleistungsinhalt des Art. 9 Abs. 3 GG umfasst ist. In der Folge soll deshalb untersucht werden, wie eine dogmatische Begründung zur Bestimmung des objektivrechtlichen Gehalts aussehen könnte. bb) Rechtliche Erfassung der Tarifautonomie Zunächst ist zu untersuchen, ob die Tarifautonomie eine Institutsgarantie, eine institutionelle Garantie oder Sachverhaltsgarantie darstellt und welche Rückschlüsse das auf den Gehalt der Tarifautonomie erlaubt. (1) Begriffsklärung Zunächst muss der Frage nachgegangen werden, was überhaupt tatsächlich unter dem Begriff der Tarifautonomie zu verstehen ist. Diesbezüglich werden verschiedene Formulierungen verwendet. Gneiting definiert, dass die Tarifautonomie die Freiheit sei, „Arbeitsbedingungen durch Tarifverträge regeln“ zu können.350 Höfling stellt darauf ab, dass die „Tarifautonomie als eigenverantwortliche Ordnung von Arbeitsund Wirtschaftsbedingungen durch Gesamtvereinbarung“ geschützt sei.351 Andere verweisen lediglich auf den „Abschluss von Tarifverträgen“352 oder „das Aushandeln und den Abschluss von Tarifverträgen“353 Auch das Bundesverfassungsgericht verwendet die Formulierung der „Aushandlung von Tarifverträgen“354 oder die Begriff349 So auch Dreschers, Entwicklung des Rechts des Tarifvertrags, S. 503; Cornils, Ausgestaltung, S. 403. 350 Gneiting, in: Umbach/Clemens, Art. 9, Rn. 112. 351 Höfling, in: Sachs, Art. 9, Rn. 84. 352 Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 9, Rn. 28. 353 Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 738; so auch Kannengießer, in: Schmidt-Bleibtreu/ Klein, Art. 9, Rn. 24. 354 BVerfGE 94, 268, 283.

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B. Schutz des zwingenden Charakters der Tarifnormen

lichkeit „Abschluss von Tarifverträgen“355, um die Tarifautonomie zu skizzieren. Bei anderen Stimmen in der Literatur wiederum heißt es, dass es Aufgabe der Koalitionen sei, „insbesondere Löhne und sonstige materielle Arbeitsbedingungen in einem von staatlicher Rechtsetzung frei gelassenen Raum in eigener Verantwortung und im Wesentlichen ohne staatlichen Einflussnahme durch unabdingbare Gesamtvereinbarungen sinnvoll zu ordnen“.356 Die Tarifautonomie diene dem „Abschluss von Tarifverträgen, in denen die Tarifpartner Regelungen über Löhne und Gehälter sowie sonstige Arbeitsbedingungen treffen“.357 Einigkeit besteht folglich darin, dass Kern der Tarifautonomie der Abschluss von Tarifverträgen ist. Diese sehr allgemeine Formulierung sagt aber noch nichts darüber aus, was der Schutz der Freiheit, Tarifverträge abschließen zu können, objektiv-rechtlich beinhaltet und insbesondere, ob daraus auch zu folgern ist, dass die abgeschlossenen Tarifverträge zwingenden Charakter haben müssen. (2) Charakter der Tarifautonomie Im Folgenden wird behandelt, wie die Tarifautonomie näher charakterisiert werden kann. (a) Tarifautonomie als institutionelle Garantie Angedacht werden kann, die Tarifautonomie als institutionelle Garantie zu behandeln. Institutionelle Garantien gewährleisten eine staatliche Einrichtung und den öffentlich-rechtlichen Normenkomplex, der zu deren Bestand und Funktion erforderlich ist.358 Teilweise wird vertreten, dass die Tarifautonomie als institutionelle Garantie geschützt sei.359 So geht Säcker davon aus, dass Art. 9 Abs. 3 GG eine Institutionsgarantie hinsichtlich der Selbstbestimmung der Koalitionen beinhalte.360 Als Begründung wird darauf verwiesen, dass die Koalitionen Träger der sozialen Selbstverwaltung seien und infolgedessen einen besonderen Status genießen würden. Bei einer Koalition und damit den Akteuren der Tarifautonomie handelt es sich um einen freiwilligen Zusammenschluss mehrerer Personen.361 Nach Battis/Gusy weisen auch die „meisten institutionellen Ausformungen der Tarifautonomie“ keinen Verfassungsrang auf und stehen zur Disposition des Gesetzgebers.362 Ihre Rechtsetzungs355 356 357 358 359 360 361 362

BVerfGE 84, 212, 224. Leibholz/Rinck, Art. 9, Rn. 480. Bauer, in: Dreier, Art. 9, Rn. 83. Kemper, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 9, Rn. 95. Biedenkopf, Grenzen der Tarifautonomie, S. 57. Säcker, Arbeitsrecht der Gegenwart 12, S. 65. Gneiting, in: Umbach/Clemens, Art. 9, Rn. 98. Battis/Gusy, Staatsrecht, Rn. 431.

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macht steht nicht in einem Bezug zu einer öffentlich-rechtlichen Einrichtung, sondern ist Ausdruck einer Freiheitsgewährleistung, die subjektiv-rechtlichen Charakter hat.363 Unabhängig von ihren Aufgaben und ihrem Status als Träger der sozialen Selbstverwaltung scheidet die Annahme einer institutionellen Garantie hinsichtlich der Tarifautonomie folglich aus. (b) Tarifautonomie als Institutsgarantie Demgegenüber kommt es in Betracht, die Tarifautonomie als Institutsgarantie zu begreifen. Eine Institutsgarantie gewährleistet eine Freiheit, deren Existenz nur durch die Bereitstellung einfachen Gesetzesrechts möglich ist, da die Grundrechtsträger nicht in der Lage sind, nur aufgrund ihres natürlichen Vermögens über diese Freiheit zu verfügen.364 Von Teilen der Literatur wird vertreten, dass die Tarifautonomie eine Institutsgarantie darstelle.365 Teilweise wird die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch dahingehend interpretiert, dass die Tarifautonomie als Institut in ständiger Rechtsprechung anerkannt worden sei, auch wenn die Begrifflichkeit „Institut“ nicht gefallen wäre, indem das Gericht die Gewährleistung eines Tarifvertragssystem für notwendig erachtet habe.366 Außerdem wird darauf abgestellt, dass Art. 9 Abs. 3 GG eine Institutsgarantie enthalte, die insbesondere den Kernbestand des Tarifvertragssystems einschließe.367 Für die Betrachtung der Tarifautonomie als Institutsgarantie werden verschiedene Gesichtspunkte vorgebracht. Es wird darauf verwiesen, dass die Tarifautonomie ebenso wie die Ehe und das Eigentum der einfach-gesetzlichen Konkretisierung bedürfe.368 Dagegen wird jedoch eingewandt, dass die Tarifautonomie im Gegensatz zur Gewährleistung der Ehe und des Eigentums keinen fixen Bereich, wie z. B. die Verehelichung, beinhalte, der geschützt wird. Es sei vielmehr so, dass der Bereich der geschützten Tätigkeit immer in Relation zu der Notwendigkeit der Tätigkeit für die Koalitionen und dem Gewicht der Rechtfertigungsgründe bestimmt werde.369 Der Begriff der „Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ sei außerdem zu zeitoffen, als dass man von einem gesicherten

363

Kemper, Koalitionsfreiheit, S. 97. Kemper, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 9, Rn. 95; ders, Koalitionsfreiheit, S. 94 ff. 365 Wiedemann, FS Stahlhacke, S. 680 ff; Kemper, Koalitionsfreiheit, S. 94; vgl. auch Hamann/Lenz, Art. 9 Anm. B 10, die davon sprechen, dass der Tarifvertrag als Institut geschützt sei; vgl. zu der Frage auch Rüthers, Streik und Verfassung, S. 33 ff, der sagt, dass Art. 9 Abs. 3 GG eine Einrichtungsgarantie beinhalte. 366 Wiedemann, FS Stahlhacke, S. 680. 367 Kannengießer, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, Art. 9, Rn. 20; Cornils, Ausgestaltung, S. 424. 368 Kemper, Koalitionsfreiheit, S. 94 f. 369 Bayreuther, Tarifautonomie, S. 175. 364

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und festen Gewährleistungsinhalt ausgehen könnte.370 Diesem Einwand kann aber wirksam entgegengehalten werden, dass die Tarifautonomie ebenfalls einen objektiv-rechtlichen Gehalt schützt, der nicht zur Disposition des Gesetzgebers stehe und dessen Gehalt sich keinesfalls nach opportunen Abwägungsgesichtspunkten bestimmt. Die Garantie umfasse, wie es bei Institutsgarantien üblich sei, nur einen bestimmten Kern der derzeitigen einfach-gesetzlichen Konkretisierung und nehme Bezug auf einen historisch gewachsenen Regelungsbestand.371 So wird gegen die Annahme einer Institutsgarantie vorgebracht, dass die Gefahr bestehe, dass auf dem Wege der Institutsgarantie eine Vorstellung vorgegeben werde, wie die Freiheitsverwirklichung zu gestalten sei und die historische gewachsenen, einfach-gesetzlichen Regelungen an der verfassungsrechtlichen Gewährleistung teilhaben können.372 Auch diesem Einwand kann nicht zugestimmt werden. Verfassungsrang hat lediglich der objektiv-rechtliche Gehalt des Art. 9 Abs. 3 GG und nicht der gesamte einfach-gesetzliche Normenkomplex in der gegenwärtigen Ausprägung.373 Gegen eine Institutsgarantie wird des Weiteren vorgebracht, dass die Koalitionen im Übrigen nicht dergestalt auf ein die Freiheitsausübung ermöglichendes Recht wie die Ehe oder das Eigentum angewiesen seien, da weder ihre Existenz noch ihre faktischen Handlungsmöglichkeiten von der Existenz eines Tarifsystems abhingen.374 Von Langen bringt beispielsweise vor, dass der Schutz bereits über Art. 9 Abs. 3 GG unmittelbar gewährt sei.375 Dem ist zu widersprechen. Ein Teil des Schutzbereichs der Koalitionsfreiheit ist natürlich und erfordert keine rechtliche Ausformung. Ein anderer Teil, und dazu gehört die Tarifautonomie, bedarf, wie bereits ausgeführt, der gesetzlichen Ausgestaltung.376 Die Tarifautonomie ist dergestalt zu begreifen, dass der Gesetzgeber qua Verfassung verpflichtet ist, ein einfach-gesetzliches Regelungssystem den Koalitionen zu gewährleisten, dass dem objektiv-rechtlichen Gehalt von Art. 9 Abs. 3 GG gerecht wird. Einwände, die Tarifautonomie sei nicht als Institutsgarantie zu begreifen, konnten nicht überzeugen. Selbst Bayreuther gesteht ein, dass die Gewährleistung des Tarifvertragssystems als eine Art „Mittelweg zwischen einer Institutsgarantie einerseits und dem objektiven Gehalt subjektiver Grundrechte andererseits“ zu sehen ist.377 Aus welchen Gründen indes eine Art „Mittelweg“ für die Tarifautonomie begründet werden soll, ist nicht nachvollziehbar.

370 371 372 373 374 375 376 377

Bayreuther, Tarifautonomie, S. 176. Kemper, Koalitionsfreiheit, S. 94 f. Wiedemann, Bindung der Tarifnormen, S. 58. Kemper, Koalitionsfreiheit, S. 97. Bayreuther, Tarifautonomie, S. 176. Von Langen, Tarif- zur Betriebsautonomie, S. 92. S. B. III. 3. c) cc) (2), S. 66 ff. Bayreuther, Tarifautonomie, S. 176.

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Dem entgegenstehend kommt es aber darauf an, welche Elemente der Tarifautonomie zwingend von der Verfassung vorgegeben werden und welche zur Disposition des Gesetzgebers stehen. Im Folgenden soll deshalb die Tarifautonomie ihrer Struktur nach als Institutsgarantie behandelt werden, im Rahmen derer ein bestimmter Gehalt aufgrund des Art. 9 Abs.3 GG zu verwirklichen ist. (c) Zwischenergebnis Die Tarifautonomie stellt nach zutreffender Ansicht eine Institutsgarantie dar. Diese Charakterisierung genügt aber hinsichtlich der Bestimmung des objektivrechtlichen Gehalts von Art. 9 Abs. 3 GG noch nicht, da diese nur bestätigt, dass der Gesetzgeber ein einfach-gesetzliches Regelungssystem gewährleisten muss. Offen bleibt weiterhin, wie dieses Regelungssystem ausgestaltet werden muss bzw. welchen Anforderungen es gerecht zu werden hat. cc) Auslegung zur Ermittlung des objektiv-rechtlichen Gehalts Die Bestimmung der Grenzen der Tarifautonomie hat sich an der objektiven Funktion der Tarifparteien zu orientieren. Der objektiv-rechtliche Gehalt der in Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie ist für die Frage der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit einer Regelung von gesetzlichen Öffnungsklauseln entscheidend. Eine derartige gesetzliche Regelung würde nur dann der Ausgestaltung durch den Gesetzgeber unterfallen bzw. nicht als Eingriff und damit nicht als rechtfertigungsbedürftig zu qualifizieren sein, wenn der zwingende Charakter von Tarifnormen nicht zum objektiv-rechtlichen Gehalt des Art. 9 Abs. 3 GG zählen würde. Im Wege der Auslegung ist zu ermitteln, was bzw. ob der zwingende Charakter von Tarifnormen zum objektiv-rechtlichen Gehalt der Tarifautonomie zu zählen ist. Aus den systematischen Gesichtspunkten lassen sich keine Rückschlüsse ziehen, so dass im Folgenden eine Wortlautauslegung sowie eine historische und teleologische Auslegung behandelt werden. (1) Wortlaut Im Wortlaut des Art. 9 Abs. 3 GG selber ist der Begriff der Tarifautonomie nicht enthalten. Den Koalitionen kommt nach der Verfassung jedoch die Aufgabe zu, die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu wahren und zu fördern. Folglich ist der Frage nachzugehen, wie diese Aufgabenzuweisung zu verstehen ist, da sich daraus möglicherweise Rückschlüsse auf den objektiv-rechtlichen Gehalt der Tarifautonomie ziehen lassen. Dabei geht es um die Frage, für welchen Bereich die Koalitionen eine Regelungskompetenz besitzen, d. h. ob die Tarifverträge auch wirtschaftliche Komplexe oder nur Fragen des Arbeitslebens regeln dürfen.

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(a) Bundesverfassungsgericht Das Bundesverfassungsgericht hat bisher in seiner Rechtsprechung auf eine klare Definition der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen verzichtet und sich auf andeutende Hinweise beschränkt.378 Die vom Bundesverfassungsgericht verwendete Formulierung „autonome Ordnung des Arbeitslebens“379 lässt auf eine Anknüpfung an den Lebenssachverhalt der Arbeitswelt schließen. Außerdem wurde mit den Formulierungen wie „Befriedung des Arbeitslebens“380 und „sinnvolle Ordnung des Arbeitslebens“381 gearbeitet. Weiter hat das Bundesverfassungsgericht betont, dass die Tätigkeit der Koalitionen nicht unmittelbar der „Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ dienen müsse, sondern eine mittelbare Wirkung für eine Zurechnung bereits ausreichend sei.382 Angesichts der Tatsache, dass das Bundesverfassungsgericht von einer separaten Definition der Arbeits- bzw. der Wirtschaftsbedingungen abgesehen und gleichzeitig der Begriff des Arbeitslebens im Zusammenhang mit der Aufgabenumschreibung der Tarifautonomie verwendet hat, könnte darauf geschlossen werden, dass das Gericht das Begriffspaar als Gesamtheit sieht, dessen Verbindung wiederum der Begriff des Arbeitslebens darstellt.383 Auch wenn das Bundesverfassungsgericht den Bereich des Arbeitslebens betont hat, erscheint fraglich, ob damit eine abschließende, exklusive Definition des Begriffs, die den Bereich des privat-wirtschaftlichen Sektors von dem Begriffspaar der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ausschließt, erfolgen sollte. Die Formulierung „insbesondere“384 legt vielmehr nahe, dass die Nennung der „Lohn- und Arbeitsbedingungen“ exemplarisch ist und es daneben noch weitere Bereiche gibt, die vom Begriffspaar der „Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ umfasst sein können. (b) Meinungsstand in der Literatur In der Literatur werden verschiedene Positionen hinsichtlich dessen vertreten, was unter der Begrifflichkeit „Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ im Sinne des Art. 9 Abs. 3 GG zu verstehen ist.

378 So auch Säcker/Oetker, Tarifautonomie, S. 45; Zöllner, AöR 90 (1973), S. 86; Weiss/ Weyand, BB 1990, S. 2110. 379 BVerfGE 44, 322, 341 f. 380 BVerfGE 18, 18, 27; 50, 290, 372; 58, 233, 248. 381 BVerfGE 4, 96, 107; 20, 312, 317; 44, 322, 342; 50, 290, 372; 58, 233, 247. 382 BVerfGE 28, 295, 305. 383 Vgl. hierzu Säcker/Oetker, Tarifautonomie, S. 45 f. 384 BVerfGE 44, 322, 340 f; 50, 290, 367; 58, 233, 246.

III. Schutz der Betätigungsfreiheit

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(aa) Rein wirtschaftliche Vereinigungen So wird von einigen Autoren vertreten, dass dem Begriff der Wirtschaftsbedingungen eine spezielle Bedeutung zukomme und sogar rein wirtschaftliche Vereinigungen vom Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG erfasst seien.385 Ein ähnlicher Ansatz wurde auch schon zu Art. 159 WRV vertreten.386 Dies würde bedeuten, dass auch rein wirtschaftliche Fragen im Rahmen der Tarifautonomie geregelt werden könnten. Gegen eine derartige Betrachtung spricht jedoch die historische Entstehung der Koalitionsfreiheit. Der enge Sachzusammenhang zwischen der Koalitionsfreiheit und dem Arbeitsrecht lässt darauf schließen, dass lediglich arbeitsrechtliche Vereinigungen geschützt werden sollen. Das Arbeitsrecht bezieht sich auf die Individuen in ihrer Funktion als Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Folglich ist davon auszugehen, dass sich die Begriffe „Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ lediglich auf den Arbeitsmarkt beziehen und rein wirtschaftliche Vereinigungen nicht vom Schutz erfasst sind.387 (bb) Lohn- und Arbeitsbedingungen Teilweise wird vertreten, dass das Begriffspaar der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen identisch mit dem Begriffspaar der Lohn- und Arbeitsbedingungen seien.388 In eine ähnliche Richtung gehen auch Zöllners Ausführungen, wenn er erläutert, dass Arbeitsbedingungen sich für den Unternehmer als Wirtschaftsbedingungen darstellen würden.389 Gegen ein derart enges Verständnis spricht jedoch die Entstehungsgeschichte der Formulierung. Bereits in § 152 Abs. 1 der RGewO von 1869 war die Rede von Lohn- und Arbeitsbedingungen.390 Allerdings wurde diese Formulierung in Art. 159 WRV nicht übernommen, sondern die Formulierung „Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ gewählt.391 Die Wahl dieser Formulierung ist als Ausdruck des Willens zu verstehen, den Aufgabenkreis der Koalitionen zu erweitern.392 Die Begriffe „Lohn- und Arbeitsbedingungen“ sind mit den „Arbeits- und Wirtschaftsbedin-

385

Hamann/Lenz, GG, Art. 9 Abs. 3 B 8 a; Dürig, NJW 1955, S. 729 ff. Richter, VerwArch 32 (1926), S. 12 f. 387 Meik, Tarifautonomie, S. 74; gegen den Schutz reiner Wirtschaftsverbände auch Berg/ Platow/Schoof/Unterhinninghofen, TVG, Rn. 62. 388 Forsthoff, BB 1965, S. 385; Weber, BB 1964, S. 766. 389 Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, § 8 III 1. 390 § 152 RGewO: „Alle Verbote und Strafbestimmungen gegen Gewerbetreibende, gewerbliche Gehilfen, Gesellen oder Fabrikarbeiter wegen Verabredungen und Vereinigungen zum Behufe der Erlangung günstiger Lohn- und Arbeitsbedingungen, insbesondere mittels Einstellung der Arbeit oder Entlassung der Arbeiter, werden aufgehoben.“ 391 Art. 159 WRV: „Die Vereinigungsfreiheit zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Alle Abreden und Maßnahmen, welche diese Freiheit einzuschränken oder zu behindern suchen, sind rechtswidrig.“ 392 Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 219; Meik, Tarifautonomie, S. 76; Kittner/ Schiek, in: Alternativkommentar, Art. 9, Rn. 93. 386

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B. Schutz des zwingenden Charakters der Tarifnormen

gungen“ folglich nicht identisch. Ansonsten könnte der Terminus der Wirtschaftsbedingungen im Übrigen auch aus dem Verfassungstext gestrichen werden.393 (cc) Trennende Zuordnung zu Gewerkschaften und Arbeitgebern Man könnte daran denken, dass das Begriffspaar nach den unterschiedlichen Trägern der Koalitionsfreiheit zu unterscheiden ist. Die Gewerkschaften würden die Arbeitsbedingungen und die Arbeitgeberkoalitionen die Wirtschaftsbedingungen wahren und fördern. Gegen diese Auffassung wird indes vorgebracht, dass die Wahl des Wortes „und“ zwischen den Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen dem widerspreche. Hätten die Wirtschaftsbedingungen auf die Arbeitgeber und die Arbeitsbedingungen auf die Gewerkschaften Bezug nehmen sollen, hätte man dies durch eine Wortwahl wie „auf der einen Seite – auf der anderen Seite“ anstelle der verbindenden Formulierung „und“ deutlich machen können.394 Unabhängig davon gibt die Formulierung des Verfassungstextes keinerlei Ansatzpunkte dafür, dass eine Trennung und Zuteilung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen auf die Gewerkschaften oder die Arbeitgeber angestrebt wurde. Ein derartiges Verständnis von Art. 9 Abs. 3 GG ist folglich abzulehnen. (dd) Begriffspaare als Gesamtheit Die wohl überwiegende Auffassung geht zu recht davon aus, dass die Einbeziehung der „Wirtschaftsbedingungen“ eine Erweiterung zu der Formulierung des in § 152 RGewO gewählten Terminus der „Lohn- und Arbeitsbedingungen“ darstellt.395 Teilweise finden sich Definitionen, nach denen die „Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ getrennt voneinander bestimmt werden. Danach seien Arbeitsbedingungen all jene Bedingungen, welche die Leistung abhängiger Arbeit zum Gegenstand hätten.396 Unter den Wirtschaftsbedingungen würden alle Bedingungen verstanden, welche die arbeitsrechtlich-sozialpolitischen Interessen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber beträfen.397 Dem steht jedoch die Frage entgegen, warum die Wirtschaftsbedingungen nicht auch tariflich regelbar sein sollen.398 Mittlerweile hat sich die Auffassung durchgesetzt, die „Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ und die „Wahrung und Förderung“ als eine Gesamtheit zu betrach-

393

Kittner/Schiek, in: Alternativkommentar, Art. 9, Rn. 93; Säcker/Oetker, Tarifautonomie,

S. 41. 394

Meik, Tarifautonomie, S. 77. Löwer, in: von Münch/Kunig, Art. 9, Rn. 69; Kittner/Schiek, in: Alternativkommentar, Art. 9, Rn. 93; Friese, Koalitionsfreiheit, S. 241; Badura, Arbeitsrecht der Gegenwart 15, S. 27. 396 Friese, Koalitionsfreiheit, S. 240; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 9, Rn. 34; Gneiting, in: Umbach/Clemens, Art. 9, Rn. 101. 397 Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 9, Rn. 34; Gneiting, in: Umbach/Clemens, Art. 9, Rn. 101. 398 So auch Meik, Tarifautonomie, S. 78. 395

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ten.399 Das Begriffspaar „Wahrung und Förderung“ sei Bezeichnung für die koalitionsspezifischen Bestrebungen.400 Die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen seien als „funktionale Einheit der sozialen und wirtschaftlichen Belange des Arbeitslebens“ zu begreifen.401 Angesichts der kaum möglichen Abgrenzung der beiden Begriffe voneinander und der Tatsache, dass die Formulierung „und“ auch so verstanden werden könnte, dass beide Begriffe gerade im Zusammenhang gesehen werden müssen, ist dieser Auffassung zuzustimmen. Strittig ist, inwieweit wirtschaftliche Fragen der tarifvertraglichen Einflussnahme unterstellt werden können.402 So wird vertreten, dass die Befugnisse der Koalitionen sich auf alle den Produktionsprozess betreffenden Fragen beziehen sollten.403 Dies würde in der Konsequenz bedeuten, dass die Tarifparteien auch auf wirtschaftliche Fragen unmittelbaren Einfluss hätten. Gegen ein weites Verständnis wird vorgebracht, dass der Begriff Wirtschaftsbedingungen dann nicht mehr im Bezug zum Begriff der Arbeitsbedingungen stehen würde.404 Den Koalitionen komme kein wirtschaftliches Mandat zu.405 Wiedemann befürwortet demgegenüber eine partielle Einbeziehung unternehmerischer Fragen in das Begriffspaar der „Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“.406 Er plädiert dafür, bei jeder Maßnahme zu prüfen, ob diese den Arbeitnehmer unmittelbar tangiere bzw. seinen Rechtskreis betreffe, zu dem alle rechtlichen und sozialen Belange der Arbeitnehmer zählten, die sich aus ihrem Verhältnis als Arbeitnehmer zum Arbeitgeber ergäben.407 Ebenso wird vertreten, dass eine Regelung immer dann unter das Begriffspaar falle, wenn der Arbeitgeber in seiner Funktion als Arbeitgeber oder der Arbeitnehmer in seiner Rolle als Arbeitnehmer betroffen sei.408 Der Wortlaut des Art. 9 Abs. 3 GG liefert erste Ansatzpunkte für ein zutreffendes Verständnis der Begrifflichkeit. Die Tatsache, dass der Verfassungsgeber die Formulierung „Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ und nicht nur die Nennung der Arbeitsbedingungen gewählt hat, legt nahe, dass der Aufgabenkreis der Koalitionen

399

Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 9, Rn. 257; Löwer, in: von Münch/Kunig, Art. 9, Rn. 72; Kittner/Schiek, in: Alternativkommentar, Art. 9, Rn. 93; Dütz, JA 1987, S. 410. 400 Meik, Tarifautonomie, S. 78. 401 Kempen, in: Kempen/Zachert, TVG, Grundl, Rn. 108; Wiedemann, FS Riesenfeld, S. 301, 302; Scholz, FS Rittner, 634; Badura, Arbeitsrecht der Gegenwart 15, S. 27. 402 Vgl. hierzu Säcker/Oetker, Tarifautonomie, S. 44 f. 403 Däubler, Mitbestimmung, S. 186 f; in diese Richtung Hensche, AuR 1971, S. 38, der sich dafür ausspricht, dass die Gewerkschaften „auch auf dem Gebiet und durch Gestaltung der Unternehmensverfassung“ ihrem koalitionsspezifischen Zweck nachkommen müssen. 404 Meik, Tarifautonomie, S. 79. 405 Beuthien, ZfA 1984, S. 13 f, Fn. 36; Meik, Tariautonomie, S. 80. 406 Wiedemann, FS Riesenfeld, S. 301, 302 f. 407 Wiedemann, FS Riesenfeld, S. 301, 303; in diese Richtung auch Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 220 f. 408 Karsten, Schuldrechtliche Tarifverträge, S. 137.

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über den Bereich der Arbeitsbedingungen hinausgehen soll.409 Gleichzeitig wird an der Formulierung auch deutlich, dass den Koalitionen kein „allgemeinpolitisches Mandat“ zukommt, sondern sich ihr Tätigkeitsbereich nur auf einen bestimmten Bereich beschränken soll.410 Die Tatsache, dass die beiden Bereiche durch den Begriff der Bedingungen miteinander verbunden sind, könnte so gedeutet werden, dass damit die Zusammengehörigkeit beider Begriffe zum Ausdruck gebracht werden sollte.411 Auch der Umstand, dass der Verfassungsgesetzgeber in Art. 74 Nr. 12 GG den Begriff „Arbeitsrecht“ gewählt und diesen in Art. 9 Abs. 3 GG nicht verwendet hat, lässt darauf schließen, dass sich der Tätigkeitsbereich des Art. 9 Abs. 3 GG nicht auf arbeitsrechtliche Gesichtspunkte reduzieren lässt.412 Weitere Anhaltspunkte lassen sich aus der Entstehungsgeschichte herleiten. In den Beratungen des Parlamentarischen Rates wurde erstmals über die Aufnahme der Koalitionsfreiheit gesprochen. Daraus allein lassen sich hinsichtlich einer Interpretation der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen keine Ansatzpunkte finden.413 In den Beratungen wurde aber eindeutig auf Art. 159 WRV Bezug genommen.414 Aufgrund der gleichen Begrifflichkeit in Art. 159 WRV und Art. 9 Abs. 3 GG ist davon auszugehen, dass der Verfassungsgeber dem Begriffspaar „Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ in Art. 9 Abs. 3 GG keine von Art. 159 WRVabweichende Bedeutung geben wollte.415 Ein einheitliches Verständnis der „Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ herrschte auch hinsichtlich des Art. 159 WRV nicht vor.416 Einigkeit bestand jedoch dahingehend, dass die Wahl des Begriffs der „Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ eine Erweiterung des sachlichen Gegenstandes im Vergleich zu der in § 152 RGewO verwendeten Formulierung der „Lohn- und Arbeitsbedingungen“ bedeuten sollte.417 Im Übrigen ist zur Interpretation des Art. 159 WRV auch Art. 165 WRV heranzuzie409 Löwer, in: von Münch/Kunig, Art. 9, Rn. 69; Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, TVG, Einleitung, Rn. 70; Hagemeier/Kempen/Zachert/Zilius, TVG, Einleitung, Rn. 87; Jarass, NZA 1990, S. 506. 410 Säcker/Oetker, Tarifautonomie S. 50 f; Söllner, Arbeitsrecht der Gegenwart 16, S. 27 f; vgl. auch Müller, Arbeitsrecht der Gegenwart 17, S. 22, der ausführt, dass der Wortlaut des Art. 9 Abs. 3 GG den Koalitionen nicht „einen inhaltlich unbegrenzten und unbegrenzbaren Handlungsspielraum“ einräume. 411 Säcker/Oetker, Tarifautonomie, S. 52; Friese, Koalitionsfreiheit, S. 242. 412 Säcker/Oetker, Tarifautonomie, S. 53. 413 Vgl. auch Säcker/Oetker, Tarifautonomie, S. 57. 414 JöR Bd. 1 n. F. (1951), S. 116 f. 415 BVerfGE 4, 96, 101 f; 19, 303, 319. 416 S. hierzu Richter, VerwArch Bd. 32 (1926), S. 13, der auch Vereinigungen, die „rein wirtschaftliche Interessen auf dem Gebiete der Produktion“ verfolgen, als geschützt ansieht; Stier-Somlo, Verfassung, S. 100 f lehnt den Schutz von „Trusts und Konsumvereinen“ über Art. 159 WRVab; Nipperdey, Reichsverfassung, Art. 159 III) 1) b) vertritt die Auffassung, unter Wirtschaftsbedingungen würden „alle arbeitsrechtlich-sozialpolitischen Interessen der Koalierten“ fallen. 417 Friese, Koalitionsfreiheit, S. 241; Badura, Arbeitsrecht der Gegenwart 15, S.27; Giese, Verfassung, des deutschen Reiches, Art. 159, Anm. 3.

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hen. Durch diese Norm wurde der Tätigkeitsbereich der Arbeitgeber und Arbeitnehmer mit den Worten beschrieben, dass beide Seiten „an der Regelung der Lohn- und Arbeitsbedingungen sowie an der gesamten wirtschaftlichen Entwicklung der produktiven Kräfte mitzuwirken“ haben. Da davon ausgegangen werden kann, dass der Tätigkeitsbereich der Koalitionen in Art. 165 WRV kein anderer als in Art. 159 WRV sein sollte, ist anzunehmen, dass der Tätigkeitsbereich in Art. 159 WRV entsprechend weit zu verstehen ist.418 Eine Verengung des Tätigkeitsbereichs der Koalitionen auf die Lohn- und Arbeitsbedingungen war nach der WRV folglich nicht möglich. Dies würde dafür sprechen, auch im Falle des Art. 9 Abs. 3 GG davon auszugehen, dass der Aufgabenkreis der Koalitionen weiter ist als einer, welcher nur „Lohn- und Arbeitsbedingungen“ umfasst. (ee) Zwischenergebnis Der überwiegenden Auffassung in der Literatur ist zu folgen. Die „Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ sind als funktionale Einheit zu betrachten. Es ist auch deutlich geworden, dass Art. 9 Abs. 3 GG nicht nur unmittelbar das Arbeitsleben betreffende Gesichtspunkte als Aufgabe der Koalitionen ansieht, sondern die Wahl des Begriffs der „Wirtschaftsbedingungen“ den Handlungsrahmen der Koalitionen erweitert. Dennoch liegt eine Tätigkeitsbeschränkung mit dieser Formulierung vor, denn sonst hätte der Verfassungsgeber den Tätigkeitsbereich überhaupt nicht umschreiben müssen. Um beiden Erwägungen gerecht zu werden, erscheint es adäquat, all jene Fragen als Aufgaben der Koalition anzusehen, welche die abhängige Arbeit im Betrieb – und sei es nur mittelbar – tangieren.419 (c) Ergebnis Hinsichtlich der Bestimmung des objektiv-rechtlichen Gehalts von Art. 9 Abs. 3 GG und der Frage des verfassungsrechtlichen Schutzes des zwingenden Charakters der Tarifnormen hat die Auseinandersetzung mit den Aufgaben der Koalitionen nur bedingt weitergeholfen. Deutlich geworden ist, dass den Koalitionen schon dem Wortlaut nach die Aufgabe der „Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ zukommt. Da diese Aufgabe verfassungsrechtlich vorgegeben ist, muss vom objektiv-rechtlichen Gehalt auch die Möglichkeit der Verfolgung dieser Aufgaben umfasst sein. Wäre dies nicht der Fall, würde eine solche verfassungsrechtlich vorgegebene Aufgabe keinen Sinn machen. Bei der Bestimmung des objektiv-rechtlichen Gehalts ist folglich darauf zu achten, dass den Koalitionen die Möglichkeit gegeben wird, ihren verfassungsrechtlich vorgegebenen Aufgaben gerecht werden zu können. 418

Säcker/Oetker, Tarifautonomie, S. 62. Im Ergebnis so auch Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 220 f; Löwisch/Rieble, TVG, Grundlagen, Rn. 19; Säcker/Oetker, Tarifautonomie; S. 72 f; Kittner/Schiek, in: Alternativkommentar, Art. 9, Rn. 93; von Langen, Tarif- zur Betriebsautonomie, S. 93; Wiedemann, FS Riesenfeld, S. 301, 302 f; Beuthien, ZfA 1984, S. 14; Friese, Koalitionsfreiheit, S. 243 ff; Meik, Tarifautonomie, S. 82. 419

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(2) Historische Auslegung Zu untersuchen ist des Weiteren, ob sich aus der Entstehungsgeschichte der Tarifautonomie Ansatzpunkte für die Bestimmung des objektiv-rechtlichen Gehalts der Tarifautonomie und insbesondere der Frage des Schutzes des zwingenden Charakters der Tarifnormen ergeben. Inwieweit Tarifnormen zwingender Charakter zuzusprechen ist, war bis zur ersten gesetzlichen Regelung durch die Tarifvertragsverordnung vom 23. 12. 1918 umstritten. In der Rechtsprechung wurde der zwingende Charakter teilweise angenommen, in der Mehrheit wohl abgelehnt.420 In der Literatur war der zwingende Charakter der Tarifnormen ebenfalls umstritten. So vertrat beispielsweise Rundstein, dass Tarifverträge absolute Geltung hätten.421 Diese beruhe nicht darauf, dass Tarifverträge einer abstrakten Norm glichen, sondern darauf, dass die Tarifparteien sich mit einem privatrechtlichen Vertrag im Wege einer Unterlassungsverpflichtung gegenseitig verpflichteten, keine tarifwidrigen Arbeitsverträge abzuschließen.422 Auch nach Lotmar kommt den Tarifverträgen zwingende Wirkung zu, die er mit einer Analogie zur Arbeitsordnung begründete.423 So führt er aus, es sei das höhere Prinzip, „dass eine generelle Norm, die im Interesse der schwächeren Kontrahenten den gleichen und im voraus bekannten Inhalt liefern soll, diesen Zweck verfehlt, wenn sie im gegebenen Fall durch den Kontrakt entkräftet werden kann“.424 Dies sei Aufgabe der Arbeitsordnung.425 Der Tarifvertrag habe eine ganz ähnliche Aufgabe und folglich müsse ihm die gleiche Wirkung zukommen.426 Sinzheimer stimmte dem insoweit zu, als dass er auch die Auffassung vertrat, dass eine rechtliche Reaktion bei Nichteinhaltung der Arbeitsnormen erforderlich sei um zu verhindern, dass Arbeitsnormen nicht der Willkür des Arbeitgebers unterliegen.427 Er ging jedoch von der obligatorischen Funktion des Arbeitsnormenvertrags aus, die sich dadurch ausdrücke, dass gegen den Arbeitsnormenvertrag verstoßendes Verhalten vertragswidrig sei und der anderen Partei Ansprüche wegen Vertragsverletzung begründe.428 Demgegenüber wurde der zwingende Charakter von Tarifnormen auch verneint.429 Jeder Teilnehmer einer Koalition könne von dieser Koalition zurücktreten und dann würde es ihm freistehen, sich von der Vereinbarung der Koalition loszusagen.430

420 421 422 423 424 425 426 427 428 429 430

S. hierzu Darstellung bei Dreschers, Entwicklung des Rechts des Tarifvertrags, S. 53. Rundstein, Tarifverträge und moderne Rechtswissenschaft, S. 147. Rundstein, Tarifverträge und moderne Rechtswissenschaft, S. 147. Lotmar, Arbeitsvertrag, S. 780 ff. Lotmar, Arbeitsvertrag, S. 785. Lotmar, Arbeitsvertrag, S. 785. Lotmar, Arbeitsvertrag, S. 785. Sinzheimer, Arbeitsnormenvertrag, S. 66. Sinzheimer, Arbeitsnormenvertrag, S. 67. Brogsitter, Tarifvertrag, S. 18 f. Brogsitter, Tarifvertrag, S. 19.

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In der ersten gesetzlichen Regelung des Tarifvertragswesens durch die „Verordnung über Tarifverträge, Arbeiter- und Angestelltenausschüsse und Schlichtung von Arbeitsstreitigkeiten“ vom 21. 12. 1918 wurde die zwingende Wirkung der Tarifnormen festgeschrieben. Im Wortlaut lautete § 1 Abs. 1 TVVO wie folgt: „Sind die Bedingungen für den Abschluss von Arbeitsverträgen zwischen Vereinigungen von Arbeitnehmern und einzelnen Arbeitgebern oder Vereinigungen von Arbeitgebern durch schriftlichen Vertrag geregelt (Tarifvertrag), so sind Arbeitsverträge zwischen den beteiligten Personen insoweit unwirksam, als sie von der tariflichen Regelung abweichen.“431

Vor diesem Hintergrund wurde die Tarifautonomie dann in Art. 165 Abs. 1 S. 2 WRV verfassungsrechtlich gewährleistet.432 Diese Norm wurde weitgehend so verstanden, dass die Abschaffung des zwingenden Charakters von tariflichen Normen fortan gegen Art. 165 Abs. 1 S. 2 WRV verstoßen hätte.433 Die Tarifautonomie wurde im Grundgesetz im Gegensatz zu Art. 165 Abs. 1 S. 2 WRV nicht ausdrücklich erwähnt, auch wenn Einigkeit dahingehend bestand, dass die Tarifautonomie von Art. 9 Abs. 3 GG weiterhin geschützt werden sollte.434 Anhaltspunkte für die Bestimmung des objektiv-rechtlichen Gehalts bzw. für die Frage, ob der zwingende Charakter der tariflichen Normen unter verfassungsrechtlichen Schutz zu stellen ist, wie es wohl hinsichtlich des Art. 165 Abs. 1 GG gesehen wurde, sind in der Entstehungsgeschichte des Art. 9 Abs. 3 GG im Parlamentarischen Rat jedoch nicht zu finden.435 Folglich hilft die historische Auslegung des Art. 9 Abs. 3 GG für die Bestimmung des objektiv-rechtlichen Gehalts der Tarifautonomie bzw. hinsichtlich des Schutzes des zwingenden Charakters der Tarifnormen nur bedingt weiter. (3) Teleologische Auslegung Im Rahmen der teleologischen Auslegung ist der Frage nachzugehen, was Sinn und Zweck der Tarifautonomie ist. Bereits festgestellt wurde, dass Art. 9 Abs. 3 GG die Tarifautonomie, d. h. den Abschluss von Tarifverträgen durch die Koalitionen, beinhaltet. Festgestellt wurde ebenfalls, dass die Koalitionen mit dem Mit431 RGBl. 1918, S. 1456; Übergangsgesetz vom 4. 3. 1919, RGBl. 1919, S. 285, in dem es in § 1 S. 2 heißt: „In Kraft bleiben auch alle von dem Rat der Volksbeauftragten oder der Reichsregierung bisher erlassenen und verkündeten Verordnungen“. 432 Däubler, in: ders., TVG, Einleitung A, Rn. 24; Gusy, Die Weimarer Reichsverfassung, S. 361; Tatarin-Tarnhenden, Berufsverbände und Wirtschaftsdemokratie, S. 31 ff; Giese, Verfassung des Deutschen Reiches, Art. 165, 2); Anschütz, Verfassung des deutschen Reichs, Art. 165, 3). 433 Dreschers, Entwicklung des Rechts des Tarifvertrags, S. 76; Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht II/1, S. 162; Nörr, ZfA 1986, S. 411. 434 BVerfGE 4, 96 ff; Däubler, in: ders., TVG, Einleitung A, Rn. 40; Meik, Tarifautonomie, S. 73. 435 Doemming /Füsslein /Matz, Jahrbuch des öffentlichen Rechts, S. 116 ff.

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tel der Tarifautonomie die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen wahren und fördern, d. h. all jene Aufgaben regeln sollen, welche die abhängige Arbeit im Betrieb tangieren. Dies heißt, dass der Staat den Koalitionen ermöglichen muss, unabhängig von staatlicher Einflussnahme Regelungen im Bereich des Wirtschafts- und Arbeitslebens vorzunehmen. Zum Kern der Tarifautonomie gehört also die formelle Tarifvertragsfreiheit, d. h. die Möglichkeit, vertragliche Regelungen zu vereinbaren, die zwischen den beiden Tarifgebundenen wirken.436 Um bestimmen zu können, ob der zwingende Charakter der Tarifnormen zur Wahrnehmung der Tarifvertragsfreiheit erforderlich ist, muss ermittelt werden, was der Sinn und Zweck der Tarifvertragsfreiheit ist. Wenn offen liegt, welcher Zweck verfolgt wird, kann entschieden werden, ob der zwingende Charakter der Tarifnormen zur Verfolgung dieses Zwecks notwendig ist. Bevor dieser Frage nachgegangen werden kann, ist dem besonderen Charakter der Koalitionsfreiheit als Grundrecht, dessen Garantie im Grundgesetz als „imperfekt“437 bzw. „zukunftsoffen“438 angesehen wird, Rechnung zu tragen. Dann kann untersucht werden, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang gesellschaftliche Veränderungen ein erneuertes Verständnis des Zwecks und dessen Verfolgung notwendig machen. (a) Zukunftsoffenheit der Koalitionsfreiheit Zunächst ist also die Frage zu behandeln, ob die Koalitionsfreiheit als zukunftsoffenes Grundrecht oder als starres Grundrecht, was die Berücksichtigung aktueller Entwicklungen ausschließt, verstanden werden kann und in welchem Umfang dies Konsequenzen nach sich zieht. (aa) Verfassung und Verfassungswirklichkeit Das Verhältnis zwischen Verfassung und Wirklichkeit ist stets ein virulentes.439 Die Normen der Verfassung sind nicht von der Wirklichkeit unabhängig, da sie in der Realität gelten und dort zu verwirklichen sind.440 Ihre Geltung kann folglich nicht losgelöst von der Wirklichkeit betrachtet werden, da die gesellschaftlichen Bedingungen beeinflussen, ob und auf welche Weise die Geltung einer Norm realisiert werden kann.441 Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Geltungsanspruch einer Norm als eigenes Element zu den Bedingungen hinzutritt.

436

BVerfGE 4, 96, 108; 44, 322, 341; 77, 7, 23; Kemper, in: von Mangold/Klein/Starck, Art. 9, Rn. 144. 437 Scholz, in: HStR VI, § 151, Rn. 15. 438 Höfling, in: Sachs, Art. 9, Rn. 88. 439 Zur Frage von Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit s. Grigoleit, Bundesverfassungsgericht und deutsche Frage, S. 115 ff. 440 Hesse, Normative Kraft der Verfassung, S. 8. 441 So führt Battis aus, dass „Sachgerechtigkeit, Lebensgerechtigkeit, Vernünftigkeit (…) als eines von mehreren Ordnungskategorien kunstgerechter Rechtfertigungsarbeit“ zu akzeptieren seien, FS Ipsen, S. 29.

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Zur Auslegung einer Norm kann deshalb weder ausschließlich auf die Faktizität noch auf die Normierung abgestellt werden, da dies „beinahe unvermeidlich in die Extreme der wirklichkeitsentleerten Norm oder der normentleerten Wirklichkeit“ führen würde.442 Es muss folglich darum gehen, die Normativität nicht der Wirklichkeit preiszugeben und gleichzeitig dafür Sorge zu tragen, dass die Norm nicht aufgrund der tatsächlichen Entwicklung gegenstandslos wird. Verfassungswirklichkeit und Verfassung stehen zueinander weder in einem Verhältnis der Identifikation noch der Gegenüberstellung. So formuliert Scholz, dass „um der Dynamik der staatlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen gerecht zu werden“ die Verfassung „letztlich auf die Elastizität der Unvollkommenheit angewiesen“ sei.443 Verfassungsrecht sei als „Verhaltensentwurf“ zu sehen, welcher der ständigen Verwirklichung bedarf und daher nicht statisch sondern dynamisch verstanden werden müsse.444 Die Verfassung soll das Leben, das geschichtlichen Veränderungen unterliegt, regeln, so dass der Inhalt der Verfassung eine gewisse Offenheit zur Bewältigung neuer oder modifizierter Problemlagen aufweisen muss.445 Gleichzeitig unterliegt die Verfassung nicht der vollkommenen Dynamik, sondern legt einen entschiedenen Bestand fest.446 Sowohl Offenheit als auch Starrheit sind notwendig, um gesellschaftlichen Veränderungen gerecht zu werden und gleichzeitig eine gewisse Konstanz zu wahren.447 So führte das Bundesverfassungsgericht aus, dass ein Element relativer Offenheit der Verfassung notwendig sei, „um einerseits dem geschichtlichen Wandel Rechnung zu tragen, der im besonderen Maße das wirtschaftliche Leben kennzeichnet, andererseits die normierende Kraft der Verfassung nicht aufs Spiel zu setzen“.448 Allgemeingültige Aussagen über das Verhältnis von Verfassung und Verfassungswirklichkeit sind folglich nur insoweit möglich, als dass sowohl ein gewisses Maß an Veränderungsfähigkeit als auch an Starrheit notwendig ist. Wie diesem Anliegen gerecht zu werden ist, muss im Einzelfall untersucht werden. (bb) Wirklichkeit und Koalitionsfreiheit Folglich kann die Verfassung grundsätzlich nicht als starr verstanden werden. Sie muss das Verhältnis zwischen Dynamik und Festigkeit wahren. Dies betrifft auch Art. 9 Abs. 3 GG. Darüber hinaus legt die Koalitionsfreiheit aufgrund ihrer Struktur eine besondere Offenheit nahe. So wird auch von zahlreichen Stimmen in der Literatur der Koalitionsfreiheit eine besondere Dynamik gegenüber gesellschaftlichen Entwicklungen zugeschrieben.

442 443 444 445 446 447 448

Hesse, Normative Kraft der Verfassung, S. 7. Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 20. Pestalozza, Der Staat 2 (1963), S. 426. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 23. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 24 f Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 36 f. BVerfGE 50, 290, 338.

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B. Schutz des zwingenden Charakters der Tarifnormen

Dietlein vertritt, dass die Koalitionsfreiheit als zeitoffen verstanden werden müsste.449 Nach Bayreuther sei die Koalitionsfreiheit in besonderem Maße der entwicklungsmäßigen Dynamik zugänglich.450 Höfling wiederum spricht von einer Zukunftsoffenheit der Koalitionsfreiheit und begründet dies damit, dass es unmöglich sei, Neuentwicklungen in der Arbeitswelt unberücksichtigt zu lassen.451 Von anderen wird ausgeführt, dass der Koalitionszweck sogar bewusst offengehalten wurde, damit die Koalitionen die Möglichkeit haben, ihre Aufgaben und ihre Funktion weiterzuentwickeln, um auf die aktuellen Entwicklungen im Arbeitsleben einzugehen.452 Auf eine abschließende und perfekte Regelung habe der Verfassungsgeber bewusst verzichtet, damit ein so entwicklungsabhängiger Tatbestand auf dem Gebiet der Wirtschafts- und Sozialpolitik nicht einer möglicherweise voreiligen Regelung unterliegt.453 Die historischen Besitzstände seien 1949 realtypisch im Grundrecht auf Koalitionsfreiheit festgehalten worden und wenn sich nun die Rahmenbedingungen gegenüber 1949 veränderten, müsste sich die konkrete Erscheinungsform des Art. 9 Abs. 3 GG auch verändern, um den Koalitionen weiterhin ein hohes Maß an Betätigungsmöglichkeiten zu gewähren.454 Dies habe natürlich zur Konsequenz, dass den Koalitionen ein hohes Maß an Gestaltungsmöglichkeit und Verantwortung zukomme.455 Die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen unterliegen einem ständigen Wandel, so dass es folglich auch einem Wandel unterliegt, was „Wahrung und Förderung von Wirtschafts- und Arbeitsbedingungen“ bedeutet. Dieser in Art. 9 Abs. 3 GG normierte Koalitionszweck zieht es folglich nach sich, dass die Koalitionsfreiheit als zukunftsoffen verstanden werden muss. Dies kann jedoch nicht bedeuten, dass die Koalitionsfreiheit ausschließlich anhand der jeweiligen Entwicklung zu bestimmen ist, da dies bedeuten würde, die normierende Kraft der Norm aufzugeben. Die Verfassung ist insgesamt nicht als starr zu verstehen und die Koalitionsfreiheit ist darüber hinaus im besonderen Maße als entwicklungsoffenes Grundrecht zu begreifen. Jedoch erscheint eine allgemeine Bestimmung, wie der Ausgleich zwischen der notwendigen Starrheit und der erforderlichen Offenheit zu lösen ist, nicht möglich. Vielmehr muss im Einzelfall untersucht werden, welche Entwicklungen zu verzeichnen sind und ob diese dazu führen, dass Sinn und Zweck der Norm sich verändern. Dies könnte der Fall sein, wenn ein ursprünglich mit dem Grundrecht verfolgter Zweck bereits erfüllt ist oder wenn der Sinn und Zweck des Grundrechts aufgrund zu verzeichnender Entwicklungen nicht mehr auf bisherigem Wege, sondern nur auf neuem Wege verfolgt werden kann.

449 450 451 452 453 454 455

Dietlein, in: Stern, Staatsrecht IV/1, § 112 V 3 a, S. 2049. Bayreuther, NZA 2005, S. 343. Höfling, in: Sachs, Art. 9, Rn. 88. Bayreuther, Tarifautonomie, S. 13 f; Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 9, Rn. 259. Scholz, in: HStR VI, § 151, Rn. 15. Kempen, in: Kempen/Zachert, TVG, Grundlagen, Rn. 130. Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 9, Rn. 163.

III. Schutz der Betätigungsfreiheit

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Konkret heißt dies, dass untersucht werden muss, ob es Entwicklungen gibt, die sich auf die mit der Tarifautonomie verfolgten Zwecke auswirken. Damit steht in Frage, ob der zwingende Charakter der Tarifnormen unter Berücksichtigung der gegenwärtigen Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ein erforderliches Mittel zur Förderung der mit der Tarifautonomie verfolgten Zwecke ist und damit zum objektivrechtlichen Gehalt der Tarifautonomie zu zählen ist. (b) Aktuelle Entwicklungen Vorgebracht wird von verschiedenen Autoren, dass unterschiedliche Entwicklungen in ökonomischer, sozialer und gesellschaftlicher Hinsicht zu verzeichnen sind, die auf die Welt der Arbeitsbeziehungen wirken würden und ein verändertes Verständnis erforderlich machten. So spricht beispielsweise Reuter davon, dass „Anpassungen an Veränderungen der Wirklichkeit“ notwendig seien.456 Diese müssten darin liegen, dass die Tarifautonomie im Gegensatz zur derzeit vorherrschenden Meinung bescheidener und die Betriebsautonomie weitergehender verstanden werden müssten.457 Nach Heinze sei in einigen Bereichen ein Gleichgewicht zwischen den Tarifparteien aufgrund technischer und wirtschaftlicher Entwicklungen wie z. B. der Globalisierung und der Just-in-time-Produktion nicht mehr vorhanden und die Tarifautonomie damit faktisch nicht mehr existent oder zumindest stark gefährdet.458 Andere führen aus, dass Billiglohnländer nach dem Ende des Realsozialismus näher gerückt seien, Arbeitsplätze exportiert werden würden und folglich in Frage stünde, ob weiterhin von den Tarifparteien Arbeitsbedingungen im Rahmen des Arbeitskampfes ausgehandelt werden sollten, was „zum Schaden der deutschen Volkswirtschaft, zum Schaden der deutschen Arbeitnehmer, zum Schaden der deutschen Arbeitgeber und zum Schaden aller deutschen Bürger“ sei.459 Nach Löwisch gebe es eine „Krise des Tarifvertragssystems“, deren Hauptursache die Globalisierung und Europäisierung der Märkte sei.460 Daneben gebe es „Komplizierung, Differenzierung und Kapitalintensivierung von Produktion und Dienstleistungen“, die ein höheres Bedürfnis nach flexiblen Antworten nach sich ziehe.461 Picker konstatiert, dass der Arbeitsmarkt zu stark reglementiert sei und dessen Anpassungsfähigkeit und Flexibilität allzu weit eingeschränkt sei.462 Dieterich führt aus, dass sich die Rahmenbedingungen in wirtschaftlicher und technologischer Hinsicht verändert hätten, in dem eine enorme Beschleunigung sowie eine Ausdehnung hin zum globalen Wettbewerb zu beobachten sei.463 456 457 458 459 460 461 462 463

Reuter, FS Schaub, S. 637. Reuter, FS Schaub, S. 637. Heinze, NZA 1997, S. 9. Ehmann/Schmidt, NZA 1995, S. 193. Löwisch, JZ 1996, S. 812. Löwisch, JZ 1996, S. 813. Picker, ZfA 2005, S. 356. Dieterich, DB 2001, S. 2398.

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B. Schutz des zwingenden Charakters der Tarifnormen

Unabhängig davon, wie die einzelnen Positionen zu beurteilen sind, ist festzuhalten, dass die Koalitionsfreiheit ein besonders entwicklungsoffenes Grundrecht ist, so dass veränderte Bedingungen im Verständnis der Koalitionsfreiheit Berücksichtigung finden müssen. Folglich ist es notwendig zu untersuchen, ob es Veränderungen gibt und gegebenenfalls in welcher Art und Weise diese ein erneuertes Verständnis erforderlich machen. Dabei ist zu erwähnen, dass eine eigenständige Untersuchung der in der Folge erläuterten Trends im Rahmen dieser Arbeit insbesondere vor dem Hintergrund, dass es sich dabei nicht um rechtswissenschaftliche Untersuchungen handelt, nicht zu leisten gewesen wäre. So werden hier insbesondere die Erkenntnisse der entsprechenden Literatur aus den sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Disziplinen zu Rate gezogen. Hervorzuheben ist des Weiteren, dass im Rahmen dieser Arbeit eine Fokussierung und Schwerpunktsetzung auf spezifische Bereiche erforderlich war. Das hat zwangsläufig zur Folge, dass nicht alles mit dieser Fragestellung im Zusammenhang Stehende behandelt werden konnte. Als einige der zentralen Trends, die sowohl in der rechtswissenschaftlichen als auch der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur genannt wurden und auf die im Folgenden deshalb auch näher eingegangen wird, sind Arbeitslosigkeit, Globalisierung, strukturelle Veränderungen am Arbeitsmarkt, demographische Entwicklung und die sogenannte Individualisierung bzw. der Wertewandel anzusehen. (aa) Arbeitslosigkeit Die lang anhaltende Arbeitslosigkeit ist eines der zentralen politischen Probleme der Gegenwart und hat sich durch die Finanz- und Wirtschaftskrise bereits verschärft bzw. droht, sich noch weiter zu verschärfen. In der deutschen Geschichte gab es seit Einführung einer amtlichen Statistik über die Arbeitslosigkeit keine derart lange Periode der Massenarbeitslosigkeit wie im letzten Vierteljahrhundert.464 Auch wenn die Arbeitslosigkeit im Jahre 2007 gesunken465 und im September 2008 gar bei 7, 2 % lag,466 ist angesichts der Finanz- und Wirtschaftskrise wieder ein Anstieg zu beobachten. So lag die Arbeitslosenquote im April wieder bei 8, 6 %.467 Rund 40 % der Arbeitslosen gelten mittlerweile als Langzeitarbeitslose.468 Massenarbeitslosigkeit hat zahlreiche Konsequenzen für eine Gesellschaft, aus denen sich auch der Stellenwert der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in der politischen Diskussion erklären lässt. Für die einzelne Person ohne Erwerbsarbeit ist die Arbeitslosigkeit oftmals in ökonomischer Hinsicht existenzbedrohend und darüber hinaus auch eine erhebliche seelische Belastung.469 Wenn eine hohe Zahl von Arbeits464

Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik, Memorandum 2007, S. 77. BMAS, Statistisches Taschenbuch 2008, Punkt 2.10. 466 Presse Info 067 der Bundesagentur für Arbeit vom 30.10.2008. 467 Presse Info 034 der Bundesagentur für Arbeit vom 30.04.2009. 468 Heinze, in: Siller/Dückert/Baumann, Arbeit der Zukunft, S. 99. 469 Mikl-Horke, Industrie- und Arbeitssoziologie, S. 227 ff; Altmann, Wirtschaftspolitik, S. 109; Albeck, in: Leben, Arbeitslosigkeit und Arbeitsmarktstatistik, S. 100 ff. 465

III. Schutz der Betätigungsfreiheit

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losen in einer Gesellschaft vorhanden ist, bedeutet dies, dass die Zahl derer, die Sozialversicherungsbeiträge zahlen, kleiner und die der Leistungsempfänger größer wird.470 Hinzukommt, dass Arbeitslosigkeit für den Staat Ausgaben in Form von Arbeitslosengeld, Sozialleistungen und Beiträgen für die Sozialversicherung sowie Mindereinnahmen in Gestalt von Steuer- und Beitragssausfällen bedeutet.471 Dies stellt die öffentlichen Haushalte vor Finanzierungsprobleme. Ein kontinuierliches Überangebot an Arbeitskräften wirkt daneben auch auf die Arbeits- und Wirtschaftsbeziehungen. Die Arbeitgeber können leichter Arbeitskräfte finden und ihre Ansprüche erhöhen, die Arbeitnehmer haben größere Schwierigkeit, einen Arbeitsplatz zu bekommen, und unterliegen einem Druck der Anspruchsanpassung nach unten.472 Gleichzeitig führt eine kontinuierliche Arbeitslosigkeit zu Akzeptanzproblemen hinsichtlich der geltenden Regelungsmechanismen, was auch das geltende Tarifvertragssystem betrifft. (bb) Globalisierung Einer der zentralen Trends, der von zahlreichen Autoren genannt wird, wenn es um die Beschreibung veränderter Bedingungen auf dem Gebiet der Arbeitsbeziehungen geht, ist die Globalisierung.473 Als ökonomische Globalisierung, die für die hier behandelten Fragen von Interesse ist, ist ein Prozess zu verstehen, bei dem „der Anteil grenzüberschreitender privatwirtschaftlicher Aktivitäten an der gesamten Wirtschaftsleistung von Ländern“ zunimmt.474 Inwieweit eine solche ökonomische Globalisierung zu beobachten ist und wie diese auf die Arbeitsbeziehungen in Deutschland wirkt, soll an dieser Stelle dergestalt behandelt werden, in dem zunächst einige Entwicklungen exemplarisch dargestellt und im Anschluss deren Auswirkungen untersucht werden. Ein Bereich, der in den letzten Jahren starken Veränderungen unterworfen war und internationale Handelsbeziehungen beeinflusst, ist der Kommunikations- und Transportbereich, wo eine enorme Reduktion der Kosten zu verzeichnen ist.475 Die neuen Kommunikationstechnologien wirken nicht nur auf die bisherige Produktion, indem Kommunikation leichter und schneller möglich wird, sondern schaffen einen Markt für Dienstleistungen, die an unterschiedlichen Orten erbracht und konsumiert werden können.476

470

Altmann, Wirtschaftspolitik, S. 114. Altmann, Wirtschaftspolitik, S. 114; hierzu auch: Albeck, in: Leben, Arbeitslosigkeit und Arbeitsmarktstatistik, S. 106. 472 Albeck, in: Leben, Arbeitslosigkeit und Arbeitsmarktstatistik, S. 104. 473 Waas, RdA 2007, S. 77; Rose, Tarifautonomie, S. 4; Dieterich, DB 2001, S. 2398. 474 Schirm, Globalisierung, S. 13; hierzu auch Rieger/Leibfried, Globalisierung, S. 29. 475 Kempen, WiSt 2009, S. 139; Perraton/Goldblatt/Held/McGrew, in: Beck, Politik der Globalisierung, S. 143; Altvater/Mahnkopf, Grenzen der Globalisierung, S. 217 ff, 252. 476 Habermas, in: Beck, Politik der Globalisierung, S. 70. 471

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B. Schutz des zwingenden Charakters der Tarifnormen

Gleichzeitig ist zu beobachten, dass materialintensive Produktion an Bedeutung verliert und damit herstellbare Faktoren wie Bildung, Lohnkosten, Subventionen und Infrastruktur an Bedeutung gewinnen.477 Dies alles führt dazu, dass die Bedeutung der natürlichen Grenzen verringert wird und grundsätzlich die Möglichkeit besteht, Produktionsprozesse zu zergliedern und den Ort des jeweiligen Produktionsschritts anhand der rentabelsten Bedingungen auszuwählen.478 Von einem beliebigen Austausch zwischen verschiedenen Standorten kann aber angesichts der Notwendigkeit von Infrastruktur, qualifizierten Arbeitskräften, politischer Stabilität etc. nicht gesprochen werden. Zu beobachten ist außerdem die Herausbildung und der Machtzuwachs von transnationalen Konzernen, die in unterschiedlichen Formen ihre Produktionen weltweit organisieren und die in Konkurrenz miteinander um Absatzmärkte und Einflussbereiche kämpfen.479 Ihre Anzahl hat sich seit den 70er Jahren mehr als verfünffacht.480 Sie wickeln am Beginn des 21. Jahrhunderts circa zwei Drittel des gesamten Welthandels ab.481 Die Veränderungen auf der technologischen Ebene konnten jedoch nur deshalb zu einer „Entgrenzung“ der Wirtschaft führen, weil die grenzüberschreitende Entwicklung durch die politische Ebene ermöglicht wurde.482 Dabei hat insbesondere die Politik des Internationalen Währungsfonds (IWF), der General Agreement on Tariffs and Trade (GATT) und die World Trade Organization (WTO) eine entscheidende Rolle gespielt.483 Bedeutung hatte dabei ganz zentral die kontinuierliche Politik der Liberalisierung des Welthandels.484 Dabei haben die GATT-Runden, in denen durch multilaterale Abkommen zwischen Staaten die Verringerung von Zöllen vorangetrieben wurde, eine entscheidende Bedeutung in dieser Entwicklung eingenommen.485 Folge davon ist die Bedeutungszunahme des Handels.486 Auch auf der Ebene der internationalen Finanzmärkte wurde insbesondere mit der Aufhebung des Bretton-Woods-Systems liberalisiert.487 Der Bedeutungszuwachs der internationalen Finanzmärkte ist dementsprechend insbesondere auf die Existenz fle477

Altvater/Mahnkopf, Grenzen der Globalisierung, S. 318. Perraton/Goldblatt/Held/McGrew, in: Beck, Politik der Globalisierung, S. 146. 479 Narr/Schubert, Weltökonomie, S. 47 ff. 480 Varvick, in: Woyke, Handwörterbuch Internationale Politik, S. 142. 481 Varvick, in: Woyke, Handwörterbuch Internationale Politik, S. 142. 482 Osterhammel/Petersson, Globalisierung, S. 106 f; zu globalisierten Finanzmärkten: Kempa, WiSt 2009, S. 139. 483 Schirm, Globalisierung, S. 15; Rieger/Leibfried, Globalisierung, S. 45 ff. 484 Kisker, in: Bischoff/Boccara/Zinn, Fusions-Welle, S. 91; Altvater/Mahnkopf, Grenzen der Globalisierung, S. 249 ff; zu den Handelsliberalisierungen s. Stieglitz, Schatten der Globalisierung, S. 76 ff. 485 Schirm, Internationale Politische Ökonomie, S. 91 f. 486 Martin/Schumann, Die Globalisierungsfalle, S. 152. 487 Huffschmid, in: ders., Privatisierung, S. 12. 478

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xibler Wechselkurse und die Liberalisierung der Kapitalmärkte zurückzuführen.488 Ein Beispiel für die Relevanz der Finanztransaktionen ist die Tatsache, dass von den 2000 Mrd. US-Dollar, die täglich an den Devisenmärkten bewegt werden, nicht einmal 15 % für den Welthandel notwendig sind.489 Das Volumen international gehandelter Finanzaktiva hat in den letzten dreißig Jahren noch rasanter zugenommen als der Weltgüterhandel und circa dreimal so viel wie das Weltsozialprodukt.490 Während das nominelle Brutto-Inlands-Produkt der Welt zwischen 1980 und 2007 von 10 auf 55 Billionen Dollar angestiegen ist, wuchs das Finanzvermögen von 12 auf 196 Billionen Dollar.491 Einen „Entgrenzungsschub“ stellte auch der Zusammenbruch des Realsozialismus dar. Zum einen in der Hinsicht, dass weitere Räume bzw. solche, die vorher vom Weltmarkt abgeschirmt waren, der marktwirtschaftlichen Ordnung unterworfen und dementsprechend erschlossen werden konnten.492 Zum anderen ging mit dem Ende des Realsozialismus die scheinbare Alternative zum marktwirtschaftlichen System verloren.493 So lange es die Marktwirtschaft und den Realsozialismus gegeben hat, spielte die Frage, welches System das bessere ist, eine Rolle in der politischen Auseinandersetzung. Die Frage der Gewährleistung von Lebensstandards konnte nicht nur als Kostenfaktor gesehen werden, sondern hatte bei der Frage des Erfolgs des jeweiligen Systems Bedeutung. Das Ende des Realsozialismus konnte von den Befürwortern des marktwirtschaftlichen Systems argumentativ zur Durchsetzung einer Politik der Marktöffnung zusätzlich genutzt werden. Aus dem Ausschnitt der hier angesprochenen Tendenzen können einige Rückschlüsse gezogen werden. Die Trends, die allenthalben mit dem Begriff der Globalisierung beschrieben werden, haben für die Welt der Arbeitsbeziehungen in Deutschland zahlreiche Auswirkungen, auch wenn vor Übertreibungen und Dramatisierungen zu warnen ist, da noch immer der größte Teil des Wirtschaftsgeschehens, d. h. Produktion und Konsum, auf nationaler Ebene stattfindet.494 Dennoch haben sich die Voraussetzungen für das Schaffen von Regelungen auf nationaler Ebene verändert.495 Davon sind natürlich auch die Regelungsinstrumente der Tarifautonomie betroffen.

488 Martin/Schumann, Globalisierungsfalle, S. 72 ff; Narr/Schubert, Globalisierung, S. 107 f.; Hirst/Thompson, in: Beck, Politik der Globalisierung, S. 98. 489 Varvick, in: Woyke, Handwörterbuch Internationale Politik, S. 141. 490 Kempa, WiSt 2009, S. 139. 491 Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik, Memorandum 2009 – Kurzbericht, S. 5. 492 Beck, in: ders., Politik der Globalisierung, S. 21; Neuschwander, in: Woyke, Handwörterbuch Internationale Politik, S. 169. 493 Altvater/Mahnkopf, Grenzen der Globalisierung, S. 383. 494 Schirm, Globalisierung, S. 14. 495 S. hierzu die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Lissabon-Vertrag: BVerfG, 2 BvE 2/08 vom 30.6.2009.

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B. Schutz des zwingenden Charakters der Tarifnormen

Raum und natürliche Barrieren haben an Bedeutung verloren, weil sie sich leichter, schneller und billiger überwinden lassen.496 So wird auch konstatiert, dass es aufgrund der tatsächlichen oder nur scheinbaren Mobilität des Kapitals schwieriger geworden sei, den Unternehmen soziale Verpflichtungen aufzuerlegen.497 Unternehmen und Staaten seien aufgrund der höheren Mobilität des Kapitals einem stärkeren Wettbewerb um Absatzmärkte und Standorte ausgesetzt.498 Der Bedeutungsverlust natürlicher Konkurrenzgrenzen und die Bedeutungszunahme der herstellbaren Standortfaktoren setzen die Nationalstaaten unter einen veränderten Druck. Sie haben den Eindruck, Standards von Rentabilität, Produktivität auf dem Weltmarkt entsprechen zu müssen, um Ansiedlungen von Wirtschaftsunternehmen zu erreichen bzw. Wegzüge zu verhindern, was immer mit dem Verlust oder dem Schaffen von neuen Arbeitsplätzen verbunden ist. Festgehalten werden muss also, dass die Arbeitnehmerseite stärker unter Druck steht, weil von Seiten der Arbeitgeber mit der Drohung des Weggangs und dem damit verbundenen Verlust von Arbeitsplätzen operiert werden kann. Dass diese abstrakte Möglichkeit nicht immer eine tatsächliche ist und das faktische Ausmaß des Wegzugs nicht den teilweise suggerierten entsprechen muss, ändert nichts daran, dass die Möglichkeit der Drohung und ihr Resonanzboden in der öffentlichen Wahrnehmung auf die Position der Arbeitnehmer im Verhältnis zum Arbeitgeber wirken. Hinzukommt, dass eine hohe Akzeptanz des Tarifsystems stark mit der Wirkung der Vereinheitlichung zusammenhing, die das System dadurch entfaltet, dass innerhalb einer Branche durch den Abschluss von Tarifverträgen einheitliche Bedingungen herrschen.499 Für eine Vereinheitlichung müssen jedoch auch tatsächlich alle Bewerber erfasst sein.500 Der Flächentarifvertrag gilt jedoch nur auf nationaler Ebene und entfaltet folglich auf internationaler Ebene keine Funktion der Vereinheitlichung. Dies führt zu Akzeptanzproblemen,501 auch wenn die nationale Ebene noch immer eine zentrale Rolle spielt und für diese Ebene der Tarifvertrag weiterhin die Wirkung der Vereinheitlichung hat. (cc) Strukturveränderungen auf dem Arbeitsmarkt Auf dem Arbeitsmarkt ist eine Vielzahl von Veränderungen zu beobachten. Hier sollen einige Trends exemplarisch herausgegriffen und auf ihre Bedeutung für die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen untersucht werden. Lange Zeit waren die Beschäftigungsverhältnisse in Deutschland von dem sogenannten Normalarbeitsverhältnis geprägt, welches sich idealtypisch durch vollzeitige 496

Osterhammel/Petersson, Globalisierung, S. 111. Streeck, in: Beck, Politik der Globalisierung, S. 180. 498 Schirm, Globalisierung, S. 17; hierzu auch: Wolter, AuR 2008, S. 326. 499 Vgl. hierzu Bispinck, WSI Mitteilungen 2003, S. 397. 500 Löwisch, JZ 1996, S. 812 f. 501 Zur Frage des Drucks aufgrund der Globalisierung hinsichtlich der Bindungskraft der Tarifverträge vgl. Klammer/Hoffmann, APuZ B 47 – 48/2003, S. 24. 497

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Arbeitsverträge, die auf den Mann als Alleinverdiener ausgerichtet waren, eine relativ stabile Entlohnung, die sich nach der Arbeitszeit, der familiären Situation und dem beruflichen Status orientierte, und eine betriebsförmige Organisation der Tätigkeit auszeichnete.502 Die Arbeitsverhältnisse sind im Gegensatz nun im zunehmenden Maße von Flexibilisierung503 betroffen und damit verliert das sogenannte Normalarbeitsverhältnis an Bedeutung. Die Teilzeitquote ist von 15, 7 % im Jahre 1991 auf 33 % im Jahr 2007 angestiegen.504 Die Leiharbeit hat allein von 2006 bis 2007 um 24,8 % zugenommen.505 Der Anteil befristeter Arbeitverhältnisse an der betrieblichen Gesamtbeschäftigung ist von 1996 bis 2006 von unter 4 % auf über 6 % gestiegen, was einem Anstieg von 65 % entspricht.506 Ein anderer relevanter Trend ist die Zunahme der Frauenerwerbstätigkeit. So ist die Erwerbsquote von Frauen zwischen 1960 und 2007 von 33,6 % auf 45,1 % angestiegen.507 Die Zunahme der Frauenerwerbstätigkeit hat verschiedene Folgen, die hier nicht vollumfänglich gewürdigt werden sollen. Für die hier behandelten Fragen sind insbesondere die Konsequenzen auf die Tarifautonomie von Bedeutung. Dabei muss Berücksichtigung finden, dass Frauen weniger gewerkschaftlich organisiert sind. Der Anteil von Frauen in den Gewerkschaften liegt bei 32 %, während jedoch über 43 % der Frauen einer Erwerbstätigkeit nachgehen.508 Aus verschiedenen Gründen sind Frauen überproportional in Teilzeitarbeitsverhältnissen anzutreffen509 und verstärken den Trend zur Schaffung von Teilzeitarbeitsverhältnissen oftmals sogar durch ihre Bedürfnisstruktur nach einem Arbeitsverhältnis, mit dem sich Arbeit und Familie miteinander vereinbaren lassen. Die erhöhte Erwerbstätigkeit der Frauen verstärkt zudem die Nachfrage nach haushaltsnahen Dienstleistungen. Zu beobachten ist die Expansion des Dienstleistungssektors.510 Die Beschäftigung im primären und sekundären Sektor nimmt immer weiter ab, während mehr Erwerbstätige dienstleistend tätig sind. Zwischen den Jahren 1996 und 2006 ist der Anteil der Beschäftigten im Dienstleistungsgewerbe von 60 % auf 72 % gestiegen, während der Anteil der Beschäftigten in der Industrie von 29 % auf 20 % gefallen ist.511 Des Weiteren ist ein Wandel in der betrieblichen Arbeitsorganisation zu verzeichnen. Die tayloristisch-fordistische Arbeitsorganisation, die sich durch eine starke Ar502

Schmid, Kocka/Offe, Arbeit, S. 269. S. hierzu u. a. Sennett, in: Ulrich/Maak, Wirtschaft in der Gesellschaft, S. 15 ff; sowie Zillian/Fecker, Flexibilisierung – Problem oder Lösung?. 504 BMAS, Statistisches Taschenbuch 2008, Punkt 2.5. 505 DGB, Arbeitsmarkt Aktuell, S. 4. 506 Presseinformation des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung vom 13.11.2008. 507 BMAS, Statistisches Taschenbuch 2008, Punkt 2.5. 508 Funk, APuZ B 47/48 – 2003, S. 18, Fn. 15. 509 BMFSJ, Gender Datenreport 2005, S. 121. 510 Parmentier, Dostal/Jansen/Parmentier, Wandel der Erwerbsarbeit, S. 9; zur Dienstleistungsgesellschaft: Bosch/Wagner, KZfSS 2003, S. 475 ff. 511 von Harenberg, Jahrbuch 2008, S. 89. 503

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B. Schutz des zwingenden Charakters der Tarifnormen

beitsteiligkeit in den Produktionsabläufen und eine zentralistische, hierarchische Organisation auszeichnete,512 wurde zunehmend abgelöst. Die Idee der schlanken Produktion erhielt Einzug. Teams aus gut ausgebildeten Arbeitskräften sollen auf jeder Ebene der Produktion mit Unterstützung automatisierter Maschinen massenhaft verschiedene Produkte erzeugen.513 Schlank wird die Art der Produktion genannt, weil sie im Vergleich zur tayloristisch geprägten Produktionsweise weniger Personal, weniger Raum, weniger Zeit braucht, in dem die Potentiale aller am Produktionsprozess Beteiligten optimal genutzt werden.514 Dies geht einher mit einer dezentraleren Organisierung, einer Vermehrung von Gruppenarbeit und flacheren Hierarchien.515 Die Informations- und Kommunikationstechnologien haben einen neuen Stellenwert bekommen.516 Durch die Entwicklung des Mobiltelefons, der Videokonferenz, des Faxes und des Internets haben sich die Kommunikationsmöglichkeiten stark vervielfältigt. Kennzeichen sind dafür beispielsweise der Einsatz und Verbreiterung der neuen Medien wie Mobilfunk, Computer und Internet in privaten Haushalten und in Arbeitsabläufen oder der Aufbau einer sogenannten Informationswirtschaft.517 So kann festgestellt werden, dass eine Verschiebung des Schwerpunktes weg von Sektoren, die durch materialintensive Güter geprägt sind, hin zu informations- und wissensintensiven Wirtschaftssektoren stattfindet.518 Im Dienstleistungs-, Kommunikations- und Informationsbereich und in den flexibilisierten Arbeitsverhältnissen ist der Organisationsgrad ebenso wie bei Frauen bisher schwächer. Die Veränderungen in der Arbeitsorganisation machen es angesichts von Teamarbeit und flacheren Hierarchien schwieriger, in sich diametral gegenüberstehende Interessen der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite zu teilen.519 So kann festgehalten werden, dass die Arbeitssektoren, in denen traditionell der Organisationsgrad sehr hoch war und die kollektiven Aushandlungsprozesse folglich von einer hohen Legitimation geprägt waren, an Bedeutung verlieren. Arbeitsplätze in Bereichen mit traditionell hohem Organisationsgrad wie der verarbeitenden Industrie werden abgebaut und gleichzeitig entstehen Arbeitsplätze in Branchen, die für die kollektive Organisierung schwieriger zu erschließen sind. Damit gewinnen Bereiche an Bedeutung, in denen bisher kein hoher Organisationsgrad zu verzeichnen war und

512

Vgl. hierzu Hirsch/Roth, Kapitalismus, S. 46 ff. Rifkin, Ende der Arbeit, S. 68; zur Gruppenarbeit: Wittel, ZfS 1998, S. 178 ff und Sennett, in: Ulrich/Maak, Wirtschaft in der Gesellschaft, S. 97. 514 Rifkin, Ende der Arbeit, S. 69. 515 Lutz, in: Schader-Stiftung, Schaderpreis 1997, S. 138; hierzu auch Minssen, ZfS 2001, S. 185 ff. 516 Waas, RdA 2007, S. 77. 517 Schäfers/Zapf, Handwörterbuch Gesellschaft, S. 319. 518 Altvater/Mahnkopf, Grenzen der Globalisierung, S. 277. 519 Vgl. hierzu Ladeur AöR 131 (2006), S. 661, der ausführt, dass die zunehmende Heterogenität der Organisationsstruktur in den Unternehmen der Hochtechnologie die Organisierung der Arbeitnehmer und Arbeitgeber erschwere. 513

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in denen eine kollektive Organisierung in den traditionellen Formen Gewerkschaft und Arbeitgeberverband strukturell auch schwerer möglich ist.520 (dd) Demographischer Wandel Ein weiterer gesellschaftlicher Trend, auf den an dieser Stelle einzugehen ist, betrifft die demographische Entwicklung.521 Während in den 70er Jahren die Folgen der demographischen Entwicklung insbesondere dergestalt problematisiert wurden, dass aufgrund geburtenstarker Jahrgänge das Arbeitskräftepotential von der Nachfrage nach Arbeitsplätzen nicht mehr absorbiert werden konnte,522 wird in den letzten Jahren ein Altersstrukturwandel konstatiert, der durch die Veralterung der Gesellschaft gekennzeichnet ist.523 Das Verhältnis der über 60-Jährigen im Vergleich zu den Personen, die sich im Alter zwischen 20 und 59 befinden, steigt seit 1994 an.524 Im Jahr 2030 ist davon auszugehen, dass auf drei 20-Jährige zwei Personen kommen, die über 60 Jahre alt sind.525 Wenn die geburtenstarken Jahrgänge ab 2020 in Rente gehen, wird sich der Trend der Veralterung auf dem Arbeitsmarkt noch erheblich verstärken.526 Derzeit kommen auf eine Person über 65 Jahre 3, 3 Personen im erwerbsfähigen Alter und dies soll sich bis zum Jahre 2050 ungefähr halbieren.527 Dies bedeutet, dass es mittelfristig an jungen Arbeitskräften mangeln wird und die Belegschaften immer älter werden.528 Sollte sich dieser Trend fortsetzen, hätte dies zur Folge, dass es zu einem Arbeitskräftemangel mit erheblichen Folgen für die Bedingungen im Arbeits- und Wirtschaftsleben kommt. Gleichzeitig gibt es zwischen dem Beschäftigungsgrad und dem Angebot an Arbeitskräften keinen zwingenden Zusammenhang.529 Vielmehr hängt das Verhältnis von Erwerbstätigen und Nicht-Erwerbstätigen von weiteren Faktoren wie z. B. der Wirtschafts- und Arbeitspolitik, dem Zuzug von Arbeitskräften aus anderen Staaten oder dem wirtschaftlichen Wachstumsprozess ab, auf den wiederum 520

Schroeder, APuZ B 47 – 48/2003, S. 7; s. hierzu auch Löwisch, der davon spricht, dass sich aus der „verändernden Zusammensetzung der Arbeitnehmerschaft“ Organisierungsprobleme für die Gewerkschaften ergeben, in: von Maydell/Kannengießer, Handbuch Sozialpolitik, S. 407. 521 S. hierzu Kersten, DVBl 2006, S. 942 ff. 522 Bonß/Heinz, in: Bonß/Heinz, Arbeitslosigkeit, S. 7; Mikl-Horke, Industrie- und Arbeitssoziologie, S. 224. 523 Kersten, DVBl 2006, S. 942; Waas, RdA 2007, S. 77; Hein/Mühlhaupt/Truger/Bartsch, WSI-Mitteilungen 2004, S. 294; Wallerath, JZ 2004, S. 950; Kaufmann, WSI-Mitteilungen 2007, S. 107 ff; Tutt, in: Barlösus/Schiek, Demographisierung, S. 43 f. 524 Funk, ApuZ B 47 – 48, S. 17. 525 Schmid/Heigl/Mai, Sozialprognose, S. 85. 526 Funk, ApuZ B 47 – 48, S. 17. 527 Reuter/Schlecht, WSI-Mitteilungen 2007, S. 98. 528 Funk, ApuZ B 47 – 48, S. 17. 529 Bonin/Clemens/Künemund, in: Herfurth/Kohli/Zimmermann, Arbeit in einer alternden Gesellschaft, S. 40.

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die demographische Entwicklung wirkt.530 Zudem gibt es in Deutschland keinen geschlossenen Arbeitsmarkt, da die Globalisierung auch zu einer verstärkten Mobilität der Arbeitnehmer geführt hat. Weltweit gibt es keinen Trend zur Veralterung in einem Maße, das einen Arbeitskräftemangel zu befürchten lässt. So lange dies nicht der Fall ist und junge Arbeitnehmer nach Deutschland kommen können, erscheint es nicht plausibel aus dem demographischen Wandel abzuleiten, dass in Deutschland Arbeitskräftemangel zu befürchten sei und die Gestaltung des Tarifvertragssystems darauf auszurichten sei. (ee) Individualisierung – Wertewandel Die sogenannte Individualisierung bzw. ein vermeintlicher Wertewandel ist eine weitere Entwicklung, die auf das Feld der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen wirkt.531 In der Soziologie gibt es seit etlichen Jahren eine Diskussion, inwieweit die Gesellschaft von einem Trend zur Individualisierung gekennzeichnet ist und die gesamte Gesellschaft einen Wertewandel durchläuft.532 Dabei geht es um die These, dass die das Leben der einzelnen Menschen ordnende Formen wie Klassenzugehörigkeit, Familienstrukturen etc. an Bindungswirkung verlieren und eine Lebensform dominant wird, die sich stark auf die eigene Person und Lebensgestaltung konzentriert.533 Als ein Beispiel wird dabei vorgebracht, dass das durchschnittliche Bildungsniveau in der Bevölkerung zugenommen habe und damit die beruflichen Möglichkeiten für jede einzelne Person zu- und die Bedeutung der Schicht- bzw. Klassenzugehörigkeit abnehmen würde.534 Ein anderes Indiz soll ein verändertes Verständnis von Ehe sein. Zweierbeziehungen in Form der Ehe stellten oftmals keine lebenslangen Bindungen mehr da, was an der Verzehnfachung der Scheidungsquote seit Beginn des 20. Jahrhunderts zu sehen sei.535 Mit diesen Entwicklungen würden die individuellen Möglichkeiten anwachsen und gleichzeitig das einzelne Individuum unter einen erhöhten Entscheidungsdruck setzen. Inwieweit diese Entwicklung zu einer Bedeutungszunahme sogenannter postmaterieller Werte wie Selbstverwirklichung führt536 und ob mit dieser Entwicklung mehr die Chance eines selbstbestimmten Lebens oder die Gefahr der Unsicherheit und der 530

Bonin/Clemens/Künemund, in: Herfurth/Kohli/Zimmermann, Arbeit in einer alternden Gesellschaft, S. 40. 531 Rose, Tarifautonomie, S. 41 f ; Waas, RdA 2007, S. 77; Oppolzer, AuR 1998, S. 51 ff. 532 Schroer, in: Kron, Individualisierung und Soziologie, S. 26 ff; Bender/Graßl, Dienstleistungsgesellschaft, S. 90 ff; Bauer, Bittlingmayer/Bauer, Wissensgesellschaft, S. 231 ff.; s. a. Beck, Risikogesellschaft. 533 Heinritz/Lautmann/Rammstedt/Wienold, Lexikon Soziologie, S. 293. 534 Matthies/Mückenberger/Offe/Peter/Raasch, Arbeit, S. 22. 535 Matthies/Mückenberger/Offe/Peter/Raasch, Arbeit, S. 22. 536 Dazu s. Willke, Zukunft unserer Arbeit, S. 226 ff; Hillmann, Wörterbuch der Soziologie, S. 41 f.

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fehlenden sozialen Einbettung einhergeht, ist umstritten537 und kann hier dahinstehen. Zweifelhaft erscheint insbesondere, dass die gesamte Gesellschaft von dieser Entwicklung betroffen sein soll. Die gleichzeitige Zunahme von Armut538 legt nahe, dass zumindest in Bevölkerungsmilieus, die von Armut betroffen sind, der Aspekt der Selbstverwirklichung in der Arbeit im Vergleich zum Erhalt der materiellen Lebenssicherung keine erhebliche Bedeutungszunahme erfahren hat. Der Fokus auf Selbstverwirklichung in der Arbeit in bestimmten Milieus sowie die wachsende Skepsis bezüglich Großorganisationen betrifft jedenfalls den Organisationsgrad in Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden.539 Die beschriebenen Entwicklungen können als ein Faktor für die rückläufige Organisierung und die mangelnde Akzeptanz des Tarifvertragssystems gesehen werden, was als Trend bereits auch bei der vorherigen Beschreibung der Globalisierung, der Strukturveränderungen und der Arbeitslosigkeit festgehalten wurde.

e) Sinn und Zweck der Tarifautonomie Vor dem Hintergrund der Veränderungen auf dem Feld der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen wird in der Folge untersucht, welche Zwecke mit der Tarifautonomie verfolgt werden und ob diese Zwecke vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen hinsichtlich der Arbeitslosigkeit, der Globalisierung, der Strukturveränderungen auf dem Arbeitsmarkt und dem Wertewandel den zwingenden Charakter der Tarifnormen erforderlich machen. aa) Befriedungsfunktion Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts ist es Aufgabe der Tarifautonomie, „das Arbeitsleben im einzelnen durch Tarifverträge sinnvoll zu ordnen (…) und so letztlich die Gemeinschaft sozial zu befrieden“.540 Auch in der Literatur wird vertreten, dass der Tarifautonomie eine soziale Befriedungsfunktion zukommt.541 Zu fragen ist, was unter einer solchen „Friedensfunktion“ zu verstehen ist. Es ließe sich die These vertreten, dass Gesellschaft und Recht an sich eine befriedende Funktion hätten. Schließlich befrieden das Recht und die gesellschaftliche Organisation den „Urzustand“ eines physischen Überlebenskampfes eines jeden gegen jeden und schaffe damit die Voraussetzungen eines friedlichen Zusammenlebens. Angesichts des Anliegens des Bundesverfassungsgerichts, die Tarifautonomie näher zu 537

Hillmann, Wörterbuch der Soziologie, S. 364. 2. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung, S. 19 ff; Klinger/König, Einfach Abgehängt, S. 9 ff. 539 Schroeder, APuZ 47 – 48/2003, S. 7. 540 BVerfGE 18, 18, 28. 541 Battis/Gusy, Staatsrecht, Rn. 431; Wiedemann, in: ders., TVG, Einleitung, Rn. 20 ff; Gentz, FS Schaub, S. 209 ff. 538

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B. Schutz des zwingenden Charakters der Tarifnormen

skizzieren, ist nicht davon auszugehen, dass sich die Aussage der zitierten Formulierung auf diese Bedeutung reduzieren lässt. Das legt nahe, dass die Verwendung des Begriffs „sozial“ nicht im Sinne von gesellschaftlich zu verstehen ist, sondern darauf schließen lässt, dass damit mehr eine Bedeutung gemeint ist, wie sie auch im Begriff des Sozialstaats mitschwingt.542 In Anbetracht dessen ist davon auszugehen, dass der Begriff der sozialen Befriedung zwei Komponenten aufweist. Die eine betrifft die Seite der Arbeitnehmer und bezieht sich auf das Anliegen, gerade angesichts der historischen Erfahrung von Hungerlöhnen und Kinderarbeit einen gewissen sozialen Standard für die Arbeitnehmer zu gewährleisten. Die andere betrifft die Seite der Arbeitgeber und die Folge sozialer Sicherheit. So solle für eine gewisse Stabilität und den Schutz vor sozialen Unruhen gesorgt werden. Die Tarifautonomie soll danach die soziale Integration der arbeitenden Bevölkerung und den Schutz vor sozialer Instabilität gewährleisten. Betrachtet man die Kategorie des sozialen Friedens, erscheint es äußerst fragwürdig, aus der Gewährleistung dessen den zwingenden Charakter der Tarifnormen herauszulesen. Natzel jedoch ist der Auffassung, dass die Friedensfunktion nicht mehr erfüllt werden kann, wenn den Parteien auf Betriebsebene tarifvertragsersetzende Befugnisse zugesprochen werden würden.543 Seiner Auffassung nach habe sich ein System etabliert, das hohe Akzeptanz bei den Betroffenen genießt, dadurch Stabilität gewährleistet und genau diese Stabilität durch eine solche Regelung gefährdet sei.544 Natzel ist dahingehend zuzustimmen, dass die Gefahr des Stabilitätsverlusts mit einer solchen Veränderung zweifelsohne gegeben ist. Insbesondere der Umstand, dass die Unterscheidung zwischen betrieblicher und tariflicher Ebene mit einer solchen Regelung unklarer, wenn nicht gar aufgehoben werden würde, lässt befürchten, dass Konflikte in die Betriebe geholt und nicht mehr auf überbetrieblicher Ebene durch die Tarifparteien geklärt werden. Eine solche Entwicklung würde der Friedensfunktion zuwiderlaufen. Jedoch ist der Begriff des sozialen Friedens sehr weit und zur Konkretisierung dessen gibt es kaum Anhaltspunkte. Sozialer Frieden kann grundsätzlich über ganz verschiedene Instrumente hergestellt werden, so dass es als sehr weitgehend erscheinen würde, daraus die Notwendigkeit des zwingenden Charakters der Tarifnormen herauszulesen. Aus der Befriedungsfunktion der Tarifautonomie allein lässt sich der zwingende Charakter der Tarifnormen also nicht herleiten.

542 543 544

Dorndorf, FS Kissel, S. 140 f. Natzel, NZA 2005, S. 904. Natzel, NZA 2005, S. 904.

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bb) Selbstbestimmung und Entlastung Die Tarifautonomie gewährleistet den Arbeitnehmern und Arbeitgebern, dass sie in eigener Verantwortung ihre Interessensgegensätze austragen können.545 Die Tarifautonomie müsse nach dem Bundesverfassungsgericht als „ein Bereich gewahrt bleiben, in dem die Tarifvertragsparteien ihre Angelegenheiten grundsätzlich selbstverantwortlich und ohne staatliche Einflussnahme regeln können“.546 Die Auseinandersetzung zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern wird durch die Gewährleistung der Tarifautonomie zumindest in Teilen aus dem staatlichen Entscheidungsfindungsprozess ausgeklammert. Durch die unmittelbare Beteiligung beider Seiten erhalten die Entscheidungen, die im Rahmen der Tarifautonomie getroffen werden, sowohl für die Seite der Arbeitnehmer als auch für die der Arbeitgeber eine hohe Legitimität.547 Nach dem Bundesverfassungsgericht findet diese Freiheit „ihren Grund in der historischen Erfahrung, dass auf diese Weise eher Ergebnisse erzielt werden, die den Interessen der widerstreitenden Gruppen und dem Gemeinwohl gerecht werden, als bei einer staatlichen Schlichtung.“548 Begründet wird dies damit, dass die Tarifvertragsparteien aufgrund ihrer unmittelbaren Betroffenheit und ihrer größeren Sachnähe besser als der demokratische Gesetzgeber in der Lage sind, Regelungen über ihre Arbeitsverhältnisse und die Arbeitsorganisation zu treffen.549 Dies hat zum einen eine entlastende Funktion für den Gesetzgeber und eine Selbstbestimmungsfunktion für die Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Für die Frage des zwingenden Charakters von Tarifnormen spielt diese Funktion jedoch keine relevante Rolle, da es bei dieser Funktion darum geht, dass der Staat Arbeitgebern und Arbeitnehmern die erforderliche Freiheit lässt. Für diese Funktion selber ist es grundsätzlich irrelevant, ob diese Selbstbestimmung auf der Ebene des Betriebes oder der Tarifvertragsparteien ausgeübt wird. cc) Verteilungsfunktion Teilweise wird auch vertreten, dass der Tarifautonomie eine Verteilungsfunktion zukommt.550 Dies hebt insbesondere auf die Lohn- und Einkommensgerechtigkeit ab. Zur Lohngerechtigkeit würde die Tarifautonomie beitragen, indem sie zum einen im Geltungsbereich eines Tarifvertrages ein einheitliches Lohngefüge schafft.551 Zum anderen würden die Tarifverträge in ihrer regionalen und branchenmäßigen Ausge545

BVerfGE 88, 103, 114 f; so auch Däubler, in: ders., TVG, Einleitung B, Rn. 82. BVerfGE 92, 265, 394; ebenso Löwer, in: von Münch/Kunig, Art. 9, Rn. 58; Leibholz/ Rinck, Art. 9, Rn. 480; Bauer, in: Dreier, Art. 9, Rn. 92; Gneiting, in: Umbach/Clemens, Art. 9, Rn. 146. 547 Däubler, in: ders., TVG, Einleitung B, Rn. 82. 548 BVerfGE 88, 103, 114 f. 549 BVerfGE 34, 307, 314. 550 Bispinck, WSI-Mitteilungen 2003, S. 397; Wiedemann, in: ders., TVG, Einleitung, Rn. 7 ff. 551 Natzel, NZA 1995, S. 904; Wiedemann, in: ders., TVG, Einleitung, Rn. 7. 546

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B. Schutz des zwingenden Charakters der Tarifnormen

staltung die Lohnstruktur in der ganzen Volkswirtschaft beeinflussen, indem sie eine Pilotfunktion für weitere Bereiche einnehmen.552 Im Rahmen der Einkommensgerechtigkeit geht es darum, dass die Arbeitnehmer bei der Einkommensverteilung des Sozialprodukts angemessen berücksichtigt werden.553 Aus der Verteilungsfunktion der Tarifautonomie ergibt sich jedoch nicht die Notwendigkeit des Schutzes des zwingenden Charakters von Tarifnormen. Fraglich wäre bereits, wie zu ermitteln ist, ob eine Regelung der Verteilungsfunktion zuwiderläuft, da der Begriff der Verteilung sehr weit ist und taugliche Kriterien, anhand derer beurteilt werden könnte, ob eine angemessene Verteilung vorliegt oder nicht, die rechtlich zwingend erforderlich sind und nicht auf einer politischen Beurteilung fußen, nicht ersichtlich sind. Im Übrigen dürfte sich eine „gerechte Verteilung“ auch über andere Instrumente als den zwingenden Charakter der Tarifnormen herstellen lassen, so dass sich die zwingende Erforderlichkeit aus dieser vermeintlichen Funktion nicht ergibt. dd) Kartellfunktion Des Weiteren wird vertreten, dass die Tarifautonomie eine Kartellfunktion innehabe.554 Hierfür wird vorgebracht, dass die Arbeitsbedingungen und die Entlohnung einheitlich durch Tarifverträge festgelegt werden, damit der Wettbewerb ausgeschaltet ist, da tariflich festgelegte Standards nicht unterschritten werden dürfen und so Tarifverträge vereinheitlichende Wirkung entfalten.555 Inwieweit die Tarifparteien jedoch als Kartell begriffen werden können, erscheint fraglich. Der Begriff des Kartells ist in § 1 GWB556 und in Art. 81 Abs.1 EG-Vertrag557 geregelt. Inhaltlich sind die bei552

Wiedemann, in: ders., TVG, Einleitung, Rn. 7. Wiedemann, in: ders., TVG, Einleitung, Rn. 9. 554 Kempen, in: Kempen/Zachert, TVG, Grundlagen, Rn. 103; Löwisch/Rieble, Grundlagen, Rn. 5; Däubler, in: ders., TVG, Einleitung B, Rn. 83; Bispinck, WSI-Mitteilungen 2003, S. 397. 555 Däubler, in: ders., TVG, Einleitung B, Rn. 83; Löwisch/Rieble, Grundlagen, Rn. 5. 556 § 1 GWB: „Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken, sind verboten.“ 557 Art. 81 Abs. 1 EG-Vertrag: „Mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar und verboten sind alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, welche den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes bezwecken oder bewirken, insbesondere - die unmittelbare oder mittelbare Festsetzung der An- oder Verkaufspreise oder sonstiger Geschäftsbedingungen; - die Einschränkung oder Kontrolle der Erzeugung, des Absatzes, der technischen Entwicklung oder der Investitionen; - die Aufteilung der Märkte oder Versorgungsquellen; - die Anwendung unterschiedlicher Bedingungen bei gleichwertigen Leistungen gegenüber Handelspartnern, wodurch diese im Wettbewerb benachteiligt werden; 553

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den Normen beinahe gleichlautend. Ein Kartell liegt danach vor, wenn Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen vorliegen, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken. Teilweise wird vertreten, dass Tarifverträge dem Kartellverbot unterfallen.558 Dem stehen jedoch erhebliche Einwände entgegen. Das Verbot von Kartellen schützt den funktionsfähigen Wettbewerb, der Voraussetzung für die wirtschaftliche Freiheit des Einzelnen ist.559 Daneben erfüllt das Verbot die Funktion des wirtschaftlichen Verbraucherschutzes, in dem es den schwächeren Marktteilnehmer, d. h. den Verbraucher, davor schützt, dass er schutzlos dem gemeinsamen Handeln der Marktgegenseite ausgeliefert ist. Im Kern geht es darum zu verhindern, dass die eine Seite der Marktgegenseite Bedingungen aufzwingen kann. Im Rahmen der Tarifautonomie vereinbaren jedoch die beiden sich gegenüberstehenden Seiten, Arbeitgeber und Arbeitnehmer, Bedingungen miteinander. Das heißt, dass ein abgestimmtes Verhalten gegenüber einer vermeintlichen Gegenseite nicht stattfindet, da die beiden Seiten selber solche Vereinbarungen schließen. Dies läuft der Anwendung des Begriffs der Kartelle auf die Tarifparteien bereits vollständig zuwider. Der EuGH begründete seine Position, dass Tarifverträge nicht unter Art. 81 Abs. 1 EG-Vertrag und damit unter das Kartellverbot fallen, damit, dass die „Erreichung der mit derartigen Verträgen angestrebten sozialpolitischen Ziele (…) ernsthaft gefährdet“ wäre, wenn Art. 81 Abs. 1 EG-Vertrag Geltung entfalten würde.560 Voraussetzung für die Annahme eines Kartells ist ein handelndes Unternehmen oder eine Unternehmensvereinigung.561 Ein Unternehmen zeichnet sich als eine Einheit aus, die wirtschaftlich tätig ist.562 Sowohl Gewerkschaften als auch Arbeitgeberverbände können am wirtschaftlichen Verkehr teilnehmen. Beim Aushandeln von Tarifverträgen sind sie jedoch nicht wirtschaftlich tätig, in dem sie Produkte oder Dienstleistungen anbieten, sondern kommen ihrer Funktion als Tarifpartner nach. Gewerkschaften und Arbeitgeber bzw. Arbeitgeberverbände stellen folglich in ihrer Funktion als Tarifpartner keine Unternehmen dar.563 Die Tarifvertragsparteien können nicht als Kartelle behandelt werden, so dass die Beschreibung der Funktion des Tarifvertrags mit Kartellierung in einem rechtlichen - die an den Abschluss von Verträgen geknüpfte Bedingung, dass die Vertragspartner zusätzliche Leistungen annehmen, die weder sachlich noch nach Handelsbrauch in Beziehung zum Vertragsgegenstand stehen.“ 558 Kulka, RdA 1988, S. 336 ff. 559 Breuer, in: HStR VI, § 148, Rn. 25. 560 EuGH, DB 2000, S. 826; dazu Fleischer, DB 2000, S. 821. 561 Zimmer, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 1, Rn. 24 ff. 562 Lettl, Kartellrecht, S. 25; Bechtold, in: ders., GWB, § 1, Rn. 6. 563 BAGE 62, 171, 182 ff; BAG, NJW 1990, S. 3038; Zimmer, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, § 1, Rn. 64; Bechtold, in: ders., GWB, § 1, Rn. 7; Emmerich, Kartellrecht, S. 253; v. Gamm, § 1, Rn. 13; Lettl, Kartellrecht, S. 25.

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B. Schutz des zwingenden Charakters der Tarifnormen

Sinne nicht zutreffend ist. Dabei sollte vielmehr der Begriff der Vereinheitlichung, die es auch tatsächlich ist, verwendet werden. Im Wissen, dass der Begriff der Kartellfunktion im rechtlichen Sinne nicht zutrifft, wird er im Weiteren unter diesem Vorbehalt angesichts der durchgängigen Verwendung in der Literatur auch hier angewandt. Dem Sinne nach ist hierbei aber lediglich eine vereinheitlichende Wirkung von Tarifverträgen gemeint. Eine Regelung, die den zwingenden Charakter der Tarifnormen faktisch abschafft, würde der vereinheitlichen Wirkung des Tarifvertragssystems bzw. der sogenannten Kartellfunktion zuwiderlaufen. Wenn Tarifnormen nicht mehr zwingenden Charakter inne hätten, könnte jedes Unternehmen bei entsprechender Zustimmung der Belegschaft bzw. des Betriebsrates vom Tarifvertrag abweichen und damit eben eine Kartellierung unterlaufen. Fraglich ist aber, ob die Tarifautonomie die Aufgabe der Kartellierung angesichts aktueller Entwicklungen wie z. B. der Globalisierung überhaupt noch erfüllen kann oder ob sie dazu faktisch nicht mehr in der Lage ist. Wäre dies der Fall, würde eine gesetzliche Änderung, die den zwingenden Charakter abschafft, nicht mehr der Kartellfunktion zuwiderlaufen, da diese Funktion von der Tarifautonomie gegenwärtig überhaupt nicht mehr ausgeübt werden könnte. Argumentiert werden könnte dahingehend, dass die Kartellierung des Arbeitsmarktes qua Globalisierung bereits nicht mehr möglich sei, da der Arbeitsmarkt kein nationaler sondern ein internationaler sei und auch der zwingende Charakter von Tarifnormen eine Kartellwirkung nicht mehr herbeiführen könne.564 Eine Kartellierung setzt folglich voraus, dass auch alle wesentlichen Wettbewerber vom System erfasst werden.565 So führt Löwisch aus, dass eine Kartellwirkung weitgehend ins Leere laufe, da sie den Wettbewerb nur noch im Inland abschwäche und der Flächentarifvertrag für die Unternehmen ein Hindernis sei, da er die Reaktion auf die ausländische Konkurrenz erschwere.566 Die Kartellierung der Arbeits- und Wirtschaftsbeziehungen auf nationaler Ebene ist trotz Globalisierung weiterhin möglich, auch wenn eine Kartellierung auf dieser Ebene nicht die gleichen Konsequenzen wie früher hat, da sie lediglich auf nationaler Ebene wirkt und die internationale Ebene hinsichtlich der Vergleichbarkeit von Löhnen und Arbeitsbedingungen eine immer größere Rolle spielt. Damit ist der Zweck, eine Kartellierung auf nationaler Ebene herzustellen, aber nicht vollständig obsolet und auf dieser Ebene weiterhin durch die Tarifautonomie verfolgbar. Dies bedeutet, dass die Tarifautonomie noch vereinheitlichende Wirkung bzw. Kartellfunktion hat und eine Regelung, die den zwingenden Charakter aufhebt, der Kartellfunktion widersprechen würde.

564 565 566

S. 28.

Zur Internationalisierung vgl. Gentz, FS Schaub, S. 208 f. Rose, Tarifautonomie, S. 48. Löwisch, JZ 1996, S. 812 f; Wissenschaftlicher Beirat beim BMAS, Gutachten 2004,

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Die Kartellwirkung von Tarifverträgen ist aber auf der faktischen Ebene und nicht auf der normativen Ebene anzusiedeln.567 Sinn und Zweck der Tarifautonomie ist nicht unmittelbar die Kartellierung auf dem Feld der Arbeitsbedingungen, sondern die Kartellierung ist Folge der Gestaltung der Arbeitsbeziehungen durch Vereinbarungen von Tarifvertragsparteien. Der Wille zur Vereinheitlichung durch Vereinbarungen auf kollektiver Ebene geht auf den Schutzgedanken zurück, dass der einzelne Arbeitnehmer als unterlegen im Verhältnis zum Arbeitgeber wahrgenommen wird und vor den Ergebnissen einer Vertragsverhandlung, die durch seine Unterlegenheit gekennzeichnet ist, durch eine Kollektivierung geschützt werden soll. Zweck ist also der Schutz und nicht die Kartellierung an sich. Der Kartellwirkung ist lediglich beschreibender Charakter zuzusprechen568 und somit kann der Umstand, dass gesetzliche Öffnungsklauseln der Kartellwirkung der Tarifautonomie zuwiderlaufen, lediglich als ein zusätzliches Argument für die Notwendigkeit zwingender Tarifnormen vorgebracht werden. Widerspricht eine gesetzliche Regelung der tatsächlichen Wirkung der Tarifautonomie, kann damit jedoch nicht begründet werden, dass diese den objektiv-rechtlichen Gehalt einer Regelung verletzt, da für die Verletzung des objektiv-rechtlichen Gehalts die Funktion bzw. Wirkung normativ geschützt und nicht nur tatsächlich vorhanden sein muss. Die Verletzung des objektiv-rechtlichen Gehalts der Tarifautonomie durch eine solche Regelung kann also mangels normativen Charakters der Kartellfunktion nicht auf diese Funktion gestützt werden. ee) Sinnvolle Ordnung des Arbeitslebens Das Bundesverfassungsgericht hat mehrfach in seinen Entscheidungen vertreten, dass die Tarifvertragsparteien die Aufgabe haben, eine sinnvolle Ordnung des Arbeitslebens herzustellen.569 Auch in der Literatur wird vertreten, dass dem Tarifvertrag eine Ordnungsfunktion zukomme.570 Fraglich ist aber, was konkret unter der Ordnungsfunktion zu verstehen ist. So wurde der Begriff der Ordnung in diesem Kontext teilweise sehr kritisch gesehen. Vorgebracht wurde, dass der Begriff der Ordnung auf die Akzeptanz eines jeden hinsichtlich seiner ihm zukommenden Position571 abziele und damit auf die Hinnah-

567

Löwisch/Rieble, Grundlagen, Rn. 5; Ehmann/Schmidt, NZA 1995, S. 202. So auch Däubler, in: ders., TVG, Einleitung B, Rn. 83. 569 BVerfGE 4, 96, 107; 18, 18, 28. 570 Battis/Gusy, Staatsrecht, Rn. 431; Wiedemann, in: ders., Einleitung, Rn. 13 ff; Natzel, NZA 2005, S. 904; Galperin, AuR 1965, S. 3; Mayer-Maly, DB 1965, S. 33; Herschel, Verhandlungen des 46. Deutschen Juristentages, Teil D, S. 12 ff. 571 Müller, RdA 1971, S. 327, der ausführt: „Ordnung, das ist zutiefst kein polizeistaatlicher Begriff und noch weniger ein Leerbegriff. Ordnung ist vielmehr dem Menschen gemäße und für ihn notwendige sinnvolle Ruhe, die eintritt und gegeben ist, weil jeder die ihm von der Sache her zukommende Position erhält und bewahrt.“ 568

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B. Schutz des zwingenden Charakters der Tarifnormen

me der bestehenden Ordnung mitsamt ihren Ungerechtigkeiten.572 Auch wenn man den Begriff der Ordnung grundsätzlich akzeptieren würde, stellte sich dennoch die Frage, worauf dieser abstellt. Galperin ist der Auffassung, dass der Tarifvertrag eine allgemeine Ordnungsfunktion habe und „der Schaffung einer gerechten und sozialen Ordnung des Arbeitslebens und der Erhaltung und Aufwärtsentwicklung der Wirtschaft“ diene.573 Nach Mayer-Maly sei der Tarifvertrag auf die „generelle Ordnung hin“ angelegt.574 Teilweise wird auch darauf abgehoben, dass das Tarifvertragssystem dahingehend ordnende Funktion innehabe, dass die rechtlichen Voraussetzungen für ein Arbeitsverhältnis sonst auf andere Art und mit mehr Aufwand entwickelt werden müssten.575 Herschel vertritt die Auffassung, dass die Koalitionen eine Ordnungsaufgabe wahrnehmen und die soziale Schutzfunktion lediglich „eine spezielle Entfaltung der allgemeinen Ordnungsfunktion“ darstelle.576 Dabei verweist er auf die historische Funktion der Gewerkschaften, die deutlich mache, dass sie immer eine ordnende Funktion eingenommen hätten.577 Als Beispiel führt er insbesondere das Verhalten der Gewerkschaften rund um das Stinnes-Legien-Abkommen vom 15. November 1918 an.578 Jedoch erscheint es äußerst fraglich, aus einem faktischen Verhalten einer Koalition in einer spezifischen historischen Situation eine normative Aufgabenzuschreibung begründen zu wollen.579 Der Tarifgedanke der Arbeiterbewegung ging nicht auf das Anliegen der Ordnung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen sondern auf den Willen der Durchsetzung eigener Interessen zurück. Zweck des Tarifvertragssystems war nicht die Ordnung und damit das Systems als solches, sondern die soziale Wirkung dessen.580 Grundsätzlich erfüllt jeder Vertrag eine Ordnungsfunktion, in dem er die Rechtsbeziehungen zwischen den Vertragsschließenden regelt.581 Der Tarifvertrag hat darüber hinaus noch ordnende Wirkung, da er Bedingungen für gesamte Regionen bzw. Branchen regelt.582 Außerdem erfüllen die Koalitionen ordnungspolitische Aufgaben im Arbeits- und Wirtschaftsleben.583 Inwieweit es sich hierbei um eine normativ festgelegte Funktion handelt, ist fraglich. So wird auch vertreten, dass die Ordnungsfunktion lediglich eine Wirkung des 572 573 574 575 576 577 578 579 580 581 582 583

Däubler, JuS 1972, S. 648. Galperin, AuR 1965, S. 3. Mayer-Maly, DB 1965, S. 33. Natzel, NZA 2005, S. 904. Herschel, Verhandlungen des 46. Deutschen Juristentages, Teil D, S. 14. Herschel, Verhandlungen des 46. Deutschen Juristentages, Teil D, S. 12 ff. Herschel, Verhandlungen des 46. Deutschen Juristentages, Teil D, S. 12 f. Kempen, in: Kempen/Zachert, TVG, Grundlagen, Rn. 99. Kempen, in: Kempen/Zachert, TVG, Grundlagen, Rn. 99. Wiedemann, in: ders., TVG, Grundlagen, Rn. 13. Wiedemann, in: ders., TVG, Grundlagen, Rn. 14. Hierzu: Wiedemann, in: ders., TVG, Grundlagen, Rn. 15.

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Tarifvertrages, aber nicht Zweck dessen sei.584 Tarifverträge hätten faktisch ordnende Wirkung, indem sie vereinheitlichende Arbeitsbedingungen herstellen.585 In jedem Fall wäre mit der Ordnungsfunktion nicht der zwingende Charakter der Tarifnormen zu begründen. Ordnung ist ein sehr weiter Begriff und kann dementsprechend in ganz unterschiedlicher Weise ausgefüllt werden. Jedenfalls ließe sich nicht vertreten, dass die ordnende Funktion des Tarifvertrags durch den nicht mehr zwingenden Charakter der Tarifnormen nicht gewahrt sei, da die Tarifautonomie auch in diesem Fall noch ordnende Wirkung – wenn auch nicht mehr im gleichen Umfang – für den Bereich der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen einnehmen würde. ff) Ausgleich der strukturellen Unterlegenheit Nach dem Bundesverfassungsgericht ist die Tarifautonomie „darauf angelegt, die strukturelle Unterlegenheit der einzelnen Arbeitnehmer beim Abschluss von Arbeitsverträgen durch kollektives Handeln auszugleichen und damit ein annähernd gleichgewichtiges Aushandeln der Löhne und Arbeitsbedingungen zu gewährleisten.“586 Auch nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts sei Grund des Tarifvertragssystems und Voraussetzung für das Funktionieren desselbigen ein System der freien Vereinbarungen, so dass sichergestellt werden müsse, dass nicht eine Seite der anderen Seite ihren Willen aufzwingen könne.587 Auch in der Literatur wird vertreten, dass Zweck der Tarifautonomie der Ausgleich der strukturellen Unterlegenheit des einzelnen Arbeitnehmers sei.588 Soziale Partnerschaft wäre nur möglich, wenn ein Gleichgewicht der Macht zwischen den Verhandelnden vorliegen würde.589 Aufgrund der strukturellen Unterlegenheit der Arbeitnehmer könne die Privatautonomie jedoch die Selbstbestimmung der Individuen nicht ausreichend gewährleisten.590 Im Folgenden soll zunächst untersucht werden, ob der Zweck des Ausgleichs der strukturellen Unterlegenheit der Arbeitnehmer tatsächlich ein mit der Tarifautonomie verfolgtes Anliegen darstellt. Im Anschluss wird die Frage behandelt, ob diese Unterlegenheit vorliegt und ob sich daran durch die skizzierten Veränderungen im Rahmen der Globalisierung, der Entwicklungen am Arbeitsmarkt, des Wertewandels und der Arbeitslosigkeit möglicherweise etwas ändern könnte. Nur bei Vorliegen einer 584

Kempen, in: Kempen/Zachert, TVG, Grundlagen, Rn. 99. Pfab, Tarifvertragliche Öffnungsklauseln, S. 118; Däubler, in: ders., TVG, Einleitung B, Rn. 83. 586 BVerfGE 84, 212, 229; 92, 365, 395. 587 BAGE 23, 292, 308. 588 Höfling, in: Sachs, Art. 9, Rn. 84; Gneiting, in: Umbach/Clemens, Art. 9, Rn. 112; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 9, Rn. 39; Bauer, in: Dreier, Art. 9, Rn. 83; Badura, Paritätische Mitbestimmung und Verfassung, S. 93; Däubler, in: ders., TVG, Einleitung B, Rn. 78; Wolter, AuR 1979, S. 195; Löwisch/Rieble, TVG, Grundlagen, Rn. 4; Wiedemann, in: ders., TVG, Einleitung, Rn. 3 ff. 589 Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 268. 590 Kempen, in: Kempen/Zachert, TVG, Grundlagen, Rn. 63. 585

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B. Schutz des zwingenden Charakters der Tarifnormen

strukturellen Unterlegenheit der Arbeitnehmer kann die Tarifautonomie schließlich den Ausgleich dieser Unterlegenheit bezwecken. Abschließend wird die Frage zu behandelt, ob der Zweck des Ausgleichs den Schutz des zwingenden Charakters der Tarifautonomie erforderlich macht. (1) Ausgleich als Zweck der Tarifautonomie Der Arbeitsvertrag, mit dem ein Arbeitsverhältnis begründet und inhaltlich bestimmt wird, ist das zentrale Instrument des Arbeitsrechts.591 Aufgrund der privatrechtlichen Natur des Arbeitsvertrags beruht er auf der Vertragsfreiheit.592 Der Großteil der Literatur ist der Auffassung, dass die Arbeitsvertragsfreiheit in Art. 12 Abs. 1 GG geschützt ist.593 Das Bundesverfassungsgericht vertritt dazu keine einheitliche Position, da der Schutz teils auch in Art. 12 Abs. 1 GG verortet wurde594, teils aber auch in Art. 2 Abs. 1 GG595. Entscheidend ist festzuhalten, dass die Arbeitsvertragsfreiheit als besondere Ausprägung der Privatautonomie verfassungsrechtlichen Schutz genießt. Grundsätzlich schützt die allgemeine Handlungsfreiheit gem. Art. 2 Abs. 1 GG die Privatautonomie, d. h. das Recht des Einzelnen, Rechtsverhältnisse nach seinem eigenen Willen zu gestalten.596 Die Privatautonomie beruht auf dem Grundgedanken, dass jeder Einzelne die Freiheit besitzen muss, selbst über seine Lebensverhältnisse entscheiden zu können.597 Grundsätzlich hat der Staat die Entscheidungen, die im Rahmen der Privatautonomie getroffen werden, zu respektieren. Allerdings besteht die Privatautonomie nur im Zusammenspiel mit den sonstigen Gesetzen und besonders mit den Grundrechten. Das Grundgesetz stellt keine wertneutrale Ordnung dar, da es objektive Grundentscheidungen getroffen hat und diese für alle Rechtsbereiche und somit auch für das Zivilrecht gelten.598 Die Freiheitsentfaltung des einen kann die Beschränkung oder gar Aufhebung der Entfaltungsmöglichkeiten des anderen bedeuten.599 Der grundrechtliche Schutz des Art. 2 Abs. 1 GG umfasst alle am Zivilrechtsverkehr Beteiligten, so dass sich die Frage stellt, wie die kollidierenden Grundrechtspositionen dieser in Einklang zu brin591

Kissel, Standortfaktor Arbeitsrecht, S. 118. Kissel, Standortfaktor Arbeitsrecht, S. 118. 593 Tettinger/Mann, Art. 12, Rn. 162; di Fabio, in: Maunz/Dürig, Art. 2, Rn. 103; Hillgruber, in: Umbach/Clemens, Art. 2, Rn. 262; Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 2, Rn. 146; Breuer, in: HStR VI, § 147, Rn. 63. 594 BVerfGE 81, 242, 254 ff. 595 BVerfGE 17, 232, 251; 50, 290, 366. 596 BVerfGE 8, 274, 328; 72, 155, 170; 89, 214, 231. 597 Medicus, BGB AT, Rn. 174; Brox/Walker, BGB AT, Rn. 25. 598 BVerfG, NJW 1990, S. 1470; zur Einheit der Rechtsordnung: Rüfner, in: Gedächtnisschrift für Martens, S. 216. 599 Höfling, Vertragsfreiheit, S. 45. 592

III. Schutz der Betätigungsfreiheit

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gen sind.600 Im Vertragsrecht geschieht dies durch den übereinstimmenden Willen beider Parteien, der sich im Vertragsschluss ausdrückt. Die Privatautonomie, die auf dem Prinzip der Selbstbestimmung basiert, setzt jedoch voraus, dass auch tatsächlich selbstbestimmt gehandelt wird. Wenn eine der beiden Parteien ein derart starkes Übergewicht hat, durch das er die Vertragsverhandlungen dominieren kann, handelt die andere Partei nicht aufgrund ihres freien Willens, sondern unterliegt letztlich der Fremdbestimmung.601 Da es der Staat ist, der die Mittel zur Durchsetzung vertragrechtlich erlangter Positionen zur Verfügung stellt und diese Positionen gegebenenfalls auch durchsetzt und angesichts dessen, dass Art. 2 Abs. 1 GG die freie Handlungsmöglichkeit beider Seiten d. h. auch der schwächeren, fremdbestimmten Partei schützt, muss im Falle der Fremdbestimmung eine Korrektur stattfinden.602 Für den Bereich der Arbeitsbeziehungen sieht das Bundesverfassungsgericht die Notwendigkeit der Korrektur aufgrund einer strukturellen Unterlegenheit der Arbeitnehmer, die durch eine Kollektivierung der Verhandlungen in Form der Tarifautonomie ausgeglichen werden soll.603 Die Figur der strukturellen Unterlegenheit und der damit einhergehenden Notwendigkeit der Korrektur wurde vom Bundesverfassungsgericht auch für den Bereich des Bürgschaftsrechts verwendet. Da müsse die Korrektur erfolgen, wenn „eine typisierbare Fallgestaltung, die eine strukturelle Unterlegenheit des einen Vertragsteils erkennen lässt“, vorliege und die Konsequenzen für den schwächeren Vertragsteil in einem ungewöhnlichen Maße belastend seien.604 Das ergebe sich aus der Privatautonomie nach Art. 2 Abs. 1 GG und dem Sozialstaatsprinzip nach Art. 20 Abs. 1 und Art. 28 Abs. 1 GG.605 Die Privatautonomie schützt das freie Handeln sowohl der stärkeren als auch der schwächeren Seite. Im Falle eines Ungleichgewichts könne der Vertragsschluss nicht als angemessener Ausgleich der kollidierenden Grundrechtspositionen gesehen werden, da die unterlegene Seite nicht mehr selbst- sondern fremdbestimmt handele. Bei der Frage, ob die freie Handlungsmöglichkeit der stärkeren oder der schwächeren Seite in einem solchem Fall der Vorrang eingeräumt werden sollte, muss die Privatautonomie im Zusammenhang mit den grundlegenden Wertentscheidungen des Grundgesetzes betrachtet werden.606 Unter Berücksichtigung des Sozialstaatsgebots 600

Hierzu siehe auch Preis, Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht, S. 45. BVerfG, NJW 1990, S. 1470; BVerfGE 89, 214, 232; hierzu auch Hirsch, BGB AT, Rn. 10, Raiser, ZRP 1978, S. 203, Bartholomomeyczik, AcP 166 (1966), S. 68; Wieland, in: Dreier, Art. 12, Rn. 151 ff. 602 BVerfGE 89, 214, 232; s. auch Hager, JZ 1994, S. 379. 603 BVerfGE 84, 212, 229; 92, 365, 395. 604 BVerfGE 89, 214, 232; BGHZ 140, 395, 397; hierzu u. a. Raiser, JZ 1958, S. 6. 605 BVerfGE 89, 214, 232. 606 Vgl. hierzu Badura, FS Herschel, S. 30, der ausführt, dass die Rechtfertigung für die privatrechtsgestaltende Wirkung der Grundrechte „konstruktiv in dem direktiven objektiven Gehalt der Grundrechte und substantiell in der daseinsbestimmenden Bedeutung des Arbeitsverhältnisses für den einzelnen Arbeitnehmer“ liegt. 601

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B. Schutz des zwingenden Charakters der Tarifnormen

ist folglich im Falle einer strukturellen Unterlegenheit der einen Seite eine staatliche Korrektur des privatautonom erzielten Vertragsergebnisses vorzunehmen. Inwieweit die Privatautonomie aufgrund der Annahme eines strukturellen Ungleichgewichts eingeschränkt werden kann, war Gegenstand zahlreicher Diskussionen und Erörterungen.607 Festzuhalten bleibt an dieser Stelle, dass das Bundesverfassungsgericht die Notwendigkeit einer Korrektur im Falle der strukturellen Unterlegenheit einer Vertragsseite nicht nur für den Bereich des Arbeitsrechts sondern auch im Falle der Bürgschaft608, des Handelsvertreters609, in bestimmten Fällen des Ehevertrages610, der Lebensversicherungsverträge611 und der betrieblichen Versorgungsanwartschaften612 angenommen hat.613 Der Gedanke, die strukturelle Unterlegenheit einer Verhandlungsseite auszugleichen, ist folglich einer, der auch in anderen Feldern Anwendung gefunden hat. Die Fragestellung ist dennoch anders gelagert als in den genannten Fällen, da die Einschränkung der Privatautonomie sich aus Art. 9 Abs. 3 GG ergibt und nicht wie beispielsweise im Falle der Bürgschaft oder des Handelsvertreters ein Ausgleich innerhalb des Art. 2 Abs. 1 GG vorgenommen wird, so dass eine umfassende Aufarbeitung der Auseinandersetzung über die Zulässigkeit staatlicher Eingriffe in die Vertragsfreiheit unterbleiben kann. Die Ausgleichsfunktion aus Art. 9 Abs. 3 GG entspricht auch den Argumenten, die sich auf die geschichtliche Entstehung der Koalitionsfreiheit beziehen. Für die Auslegung der Koalitionsfreiheit spielt die historische Entwicklung eine besondere Rolle, wie das Bundesverfassungsgericht mehrfach hervorgehoben hat.614 Dabei hat das Bundesverfassungsgericht darauf verwiesen, dass es sich bei der Koalitionsfreiheit eben nicht um ein klassisches Grundrecht handele.615 Die Entstehung des verfassungsrechtlichen Schutzes der Koalitionsfreiheit könne nur vor dem Hintergrund 607 Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1942), S. 130 ff; Hesse/Kauffmann, JZ 1995, S. 219 ff; Zöllner, AcP 196 (1996), S. 1 ff; Dürig, FS Nawiasky, S. 158 ff; Rehbein, JR 1995, S. 45 ff; di Fabio, in: Maunz/Dürig, Art. 2, Rn. 105 ff; Adomeit, NJW 1994, S. 2467 ff; Emmerich, JuS 1994, S. 251; Hager, JZ 1994, S. 373 ff; Singer, JZ 1995, S. 1133; ders., Selbstbestimmung, S. 8 ff; Fastrich, Inhaltskontrolle im Privatrecht, S. 29 ff; Richardi, Betriebsverfassung und Privatautonomie, S. 9 ff; Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität; S. 5 ff; Leisner, Grundrechte und Privatrecht, S. 170 ff; Isensee, FS Großfeld, S. 485 ff; Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, S. 174 ff; Kiethe/Groeschke, BB 1994, S. 2291 ff; Limbach, JuS 1985, S. 10 ff; Wolf, Entscheidungsfreiheit und Interessensausgleich, S. 101 ff; Raiser, JZ 1958, S. 1 ff; Canaris, AcP 184 (1984), S. 201 ff; ders., JuS 1989, S. 163 ff; Hillgruber, Schutz des Menschen, S. 153 ff, 176 f; Singer, JZ 1995, S. 1140; Böckenförde, NJW 1974, S. 1531 f. 608 BVerfGE 89, 214, 234; BVerfG, NJW 1996, S. 2021. 609 BVerfG, NJW 1990, S. 1471. 610 BVerfGE 103, 100 ff; BVerfG, NJW 2001, S. 2248. 611 BVerfG, NJW 2005, S. 2366. 612 BVerfGE 98, 365, 395. 613 BVerfG, NJW 1990, S. 1471. 614 BVerfGE 4, 96, 101, 106 ff; 19, 303, 314; 50, 290, 367; ebenso Däubler, in: ders., TVG, Einleitung B, Rn. 76; Pfab, Tarifvertragliche Öffnungsklauseln, S. 113 f. 615 BVerfGE 50, 290, 367.

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der Entwicklung der modernen Industriearbeit verstanden werden.616 So wird in Teilen der Literatur dahingehend argumentiert, dass die Vertragsfreiheit auf der Ebene des Einzelvertrags im Bereich des Arbeitsmarktes historisch versagt habe.617 Insbesondere bei der „sozialen Frage“ habe das Prinzip der Privatautonomie nicht funktioniert, wenn man sich zu Beginn der Marktwirtschaft die Existenz von Hungerlöhnen, Kinderarbeit und 16-Stunden-Tagen ansehen würde.618 Dies sei der geschichtliche Hintergrund für die Aufnahme der Koalitionsfreiheit in die Verfassung gewesen und damit komme der Tarifautonomie die Aufgabe zu, anstelle der ausschließlichen Geltung der Privatautonomie ein ordnungspolitisches Instrument zur Regelung des Arbeitsmarktes zu sein.619 Die Tarifautonomie soll das ungleiche Machtverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber durch kollektives Handeln ausgleichen.620 Damit konform geht auch der Verweis auf § 2 TVG. In § 2 TVG wird der einzelne Arbeitgeber als tariffähig erachtet, während es der einzelne Arbeitnehmer nicht ist. Dies stelle eine „rechtliche Bestätigung der imparitätischen Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehungen“ dar.621 Für die These, dass auch der Gesetzgeber von der strukturellen Unterlegenheit des Arbeitnehmers ausgegangen ist, sprechen auch weitere Normen des Arbeitsrechts wie z. B. das Kündigungsrecht, was dem Arbeitnehmer ein Kündigungsrecht ohne besonderen Grund zugesteht, während der Arbeitgeber einen bestimmten Grund geltend machen muss.622 Es erscheint folglich als legitimer Zweck, dass mit der Tarifautonomie die strukturelle Unterlegenheit der Arbeitnehmer durch kollektives Handeln ausgeglichen werden soll. (2) Vorliegen einer strukturellen Unterlegenheit Die Tarifautonomie kann diesen Zweck aber nur verfolgen, wenn eine solche Unterlegenheit der Arbeitnehmer auch tatsächlich vorliegt. So könnte auch dahingehend argumentiert werden, dass zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber rechtlich Gleichheit vorliege, da beide nicht gezwungen seien, einen Arbeitsvertrag abzuschließen, der nicht ihren Vorstellungen entspräche. Die strukturelle Unterlegenheit muss folglich also trotz dieser formalen Gleichheit festgestellt werden.

616

BVerfGE 50, 290, 367. Zöllner/Seiter, ZfA 1970, S. 149; Dorndorf, FS Kissel, S. 141; Roth, in: Forschungsinstitut für Wirtschaftsverfassung und Wettbewerb, Tarifautonomie und Kartellrecht, S. 10; hierzu auch Wiedemann, in: ders., TVG, Einleitung, Rn. 3. 618 Kempen, in: Kempen/Zachert, TVG, Grundlagen, Rn. 58. 619 Dorndorf, FS Kissel, S. 142. 620 Bayreuther, Tarifautonomie, S. 170; Schulze-Doll, Dezentralisierung der Tarifverhandlungen, S. 149. 621 Wolter, AuR 1979, S. 195. 622 Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 6 f. 617

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B. Schutz des zwingenden Charakters der Tarifnormen

(a) Rechtsprechung In den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Koalitionsfreiheit wurde festgehalten, dass die Tarifautonomie dazu diene, die strukturelle Unterlegenheit der Arbeitnehmer auszugleichen.623 Über die Frage, wie diese strukturelle Unterlegenheit begründet wird, gibt es in den Entscheidungen aber kaum Anhaltspunkte.624 Möglicherweise lassen sich Rückschlüsse auf das Arbeitsrecht aus der Verwendung des Begriffs der strukturellen Unterlegenheit durch das Bundesverfassungsgericht in anderen Bereichen ziehen.625 Die Fälle des Ehevertrages können dabei nicht weiterhelfen, da dort eine Unterlegenheit angenommen wurde, wenn eine schwangere Frau die Möglichkeit hat entweder allein für das Kind zu sorgen oder den Vater des Kindes durch eine Eheschließung mit einem, die Frau stark belastenden Vertrag, „in die Verantwortung einzubinden“.626 Da sie eine spezifische Lebenssituation voraussetzt, ist die angenommene Unterlegenheitssituation in diesem Fall nicht mit der Situation von Arbeitnehmern und Arbeitgebern vergleichbar, so dass aus dieser Entscheidung keine Maßstäbe für die Bestimmung eines Ungleichgewichts zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern gezogen werden können. Auch der Fall der Lebensversicherungsverträge bietet kaum Anhaltspunkte für Maßstäbe, anhand derer ein Ungleichgewicht zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber bestimmt werden könnte. In diesem Fall wurde eine strukturelle Unterlegenheitssituation der Versicherungsnehmer angenommen, weil der in § 14 Abs. 1 S. 4 VAG geregelte Ausschluss der Anwendung des § 415 BGB für die Fälle, in denen der Bestand von Lebensversicherungsverträgen von dem einen zu einem anderen Versicherungsunternehmen übertragen wird, die Versicherungsnehmer in ihren Möglichkeiten, ihre vertraglichen Rechte wahrzunehmen, einseitig und nachteilig beschränke.627 Das Ungleichgewicht wird in dem Fall der Lebensversicherungsverträge damit begründet, dass es sich für den Versicherungsnehmer bei einer Lebensversicherung um ein „für die weitere Lebensgestaltung besonders wichtiges Vertragsverhältnis“ handele und im Falle der Übertragung der Versicherungsnehmer jedoch aufgrund des gesetzlichen Ausschlusses keinerlei Möglichkeiten hat, seine „individuellen Interessen durch Einwirken auf die Bedingungen des Versicherungsübergangs eigenbestimmt zu verfolgen“ und ihm vielmehr ein neuer Schuldner aufgedrängt werde.628 Im Falle der Arbeitnehmer und Arbeitgeber geht es um ein Verhältnis, das bei Vertragsverhandlung besteht, während es sich in dem Fall der Lebensversicherungsverträge um eine spezifische Situation handelt, die aufgrund des Vertragsschlusses, der gesetz623 624 625 626 627 628

BVerfGE 84, 212, 229; 92, 365, 395. BVerfGE 84, 212, 229; 92, 365, 395. Zu der Rechtsprechung s. auch Cremer, FS Schnapp, S. 29 ff. BVerfGE 103, 89, 102. BVerfG, NJW 2005, S. 2366. BVerfG, NJW 2005, S. 2366.

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lichen Lage und der Übertragung entstanden ist und aufgrund deren Spezifik sich keine allgemeinen Maßstäbe für den Fall der Arbeitnehmer und Arbeitgeber entwickeln lassen. Im Falle des Verfalls von betrieblichen Versorgungsanwartschaften ging es um die Frage, wie mit Versorgungsanwartschaften im Falle vorzeitigen Ausscheidens umzugehen ist. Eine Unterlegenheit der Arbeitnehmer wurde angenommen, wenn diese Frage durch Einzelverträge ohne gesetzliche Vorgaben geregelt werden soll und wenn tarifliche Regelungen nicht bestehen, da die Selbstbestimmung beider Vertragsteile so nicht gewährleistet werden könne.629 Einzelverträge würde die Stellung des potentiellen Arbeitnehmers nicht zulassen, da er „hinsichtlich der betrieblichen Alterversorgung seinen Interessen“ nicht angemessen Geltung verschaffen könne.630 Er habe insbesondere deshalb eine schwache Verhandlungsposition, weil es bei der Frage um eine Regelung der vorzeitigen Vertragsbeendigung geht und ein besonderes Interesse an einer solchen Regelung regelmäßig die Einstellungschancen nicht erhöhen wird.631 Dabei geht es zwar um das Verhältnis von Arbeitnehmern und Arbeitgebern, jedoch für einen spezifischen Fall, in dem die öffentliche Hand Arbeitgeber ist, kein Tarifvertrag besteht und bei dem Gegenstand der Vereinbarung die Frage von Versorgungsanwartschaften ist. Die grundsätzliche Aussage, dass Einzelverträge ohne gesetzliche Vorgaben die Selbstbestimmung beider Vertragsseiten nicht garantieren können, trifft auch für eine Vereinbarung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu. Hier steht aber gerade in Frage, wie bestimmt werden kann, ob eine solche Unterlegenheitsposition vorliegt, so dass aus dieser Entscheidung ein konkreter Anhaltspunkt, anhand dessen die Unterlegenheit für das Verhältnis Arbeitgeber und Arbeitnehmer bemessen werden könnte, nicht ersichtlich ist. Im Falle der Handelsvertreter wurde vom Bundesverfassungsgericht ebenfalls ein strukturelles Ungleichgewicht angenommen.632 In der Mehrzahl sei von einer wirtschaftlichen Abhängigkeit der Handelsvertreter auszugehen und so würden diese „deshalb – bei typisierender Betrachtungsweise – nicht über ausreichende Verhandlungsstärke verfügen, um ihre Rechte und Pflichten mit den Unternehmen frei aushandeln zu können“.633 Das Bundesverfassungsgericht hebt dabei insbesondere auf Wettbewerbsabreden, die Handelsvertretern nach Vertragsschluss aufgezwungen werden, ab634 und knüpft damit an das spezifische Verhältnis zwischen dem Handelsvertreter und dessen Geschäftspartner an. Dieses ist aufgrund des Charakters eines Handelsvertretergeschäfts von einer besonderen Abhängigkeit des Handelsvertreters gekennzeichnet.635 Die Bestimmung eines Ungleichgewichts muss an den spezifi629 630 631 632 633 634 635

BVerfGE 98, 365, 395. BVerfGE 98, 365, 395. BVerfGE 98, 365, 395. BVerfG, NJW 1990, S. 1471. BVerfG, NJW 1990, S. 1471. BVerfG, NJW 1990, S. 1471. BVerfG, NJW 1990, S. 1471.

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B. Schutz des zwingenden Charakters der Tarifnormen

schen Gegebenheiten des Rechtsverhältnisses anknüpfen, weil sich nur aus diesem eine Unterlegen- oder Überlegenheitsstellung ergeben kann. Das ist für den Bereich der Handelsvertreter mit dem Kriterium der wirtschaftlichen Abhängigkeit, die auf die Frage der Bindung nach Vertragsschluss konkretisiert wurde, sicherlich der Fall. Fraglich ist, ob das Kriterium der wirtschaftlichen Abhängigkeit hinsichtlich der Arbeitnehmer auch so konkretisiert werden könnte, dass damit eine Begründung der wirtschaftlichen Abhängigkeit vorliegen würde. Aus den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts ist eine solche Konkretisierung jedenfalls nicht unmittelbar ableitbar. Im Falle der Bürgschaft macht das Bundesverfassungsgericht die Unterlegenheit insbesondere daran fest, dass die unterlegene Seite kein eigenes wirtschaftliches Interesse an dem Bürgschaftsvertrag aufweist, ein außerordentlich schwer abschätzbares Risiko für den Bürgen und eine ungewöhnlich hohe Belastung des Bürgen vorliegt.636 Im Rahmen von Arbeitsverträgen hat der Arbeitnehmer ein eigenes wirtschaftliches Interesse am Abschluss. Vorgebracht werden könnte, dass die Abschätzbarkeit der Risiken unterschiedlich ist, da der Arbeitgeber eine andere Informationsbasis hat um entscheiden zu können, welche Lohnhöhe bzw. welche Neueinstellung für das Unternehmen noch vertretbar ist. Ebenso könnte man daran denken, dass das Risiko für den Arbeitnehmer angesichts dessen, dass es bei ihm um den Lebensunterhalt geht, ein ungleich höheres ist. Der einzelne Arbeitsvertrag selber mit seinen konkreten Rechten und Pflichten beinhaltet aber sowohl für den Arbeitgeber als auch für den Arbeitnehmer ein überschaubares, also nicht ungewöhnlich hoch zu bewertendes Risiko. Folglich ist auch hier zu sagen, dass die Kriterien an die Spezifika eines Bürgschaftsverhältnisses anknüpfen und für den Bereich der Arbeitsorganisation ebenfalls nicht tauglich sind. Das Bundesarbeitsgericht hat im Falle der Arbeitnehmerhaftung eine strukturelle Unterlegenheit der Arbeitnehmer angenommen und daraus die entsprechende Anwendung des § 254 BGB und damit die beschränkte Haftung des Arbeitnehmers begründet.637 Dabei wurde festgehalten, dass die unterschiedliche „Vertragsstärke“ nicht vernachlässigt werden dürfe und eine „einseitige Belastung des Arbeitnehmers mit dem vollen Haftungsrisiko ohne Rücksicht auf das Betriebsrisiko des Arbeitgebers“ mit dem Grundgesetz nicht vereinbar sei.638 Eine nähere Begründung für die unterschiedliche Vertragsstärke erfolgte jedoch nicht, so dass auch diese Entscheidung hinsichtlich der Maßstabsbildung zur Bestimmung eines etwaigen Ungleichverhältnisses wenig weiterhilft. Im Rahmen der Entscheidung zur Rückzahlung der Weiterbildungskosten wurde vom Bundesarbeitsgericht ausgeführt, dass das Individualarbeitsrecht von einer strukturellen Unterlegenheit des einzelnen Arbeitnehmers im Verhältnis zum einzelnen Arbeitgeber gekennzeichnet ist, die auch in Zeiten der Vollbeschäftigung bestehe 636 637 638

BVerfGE 89, 214, 234. BAG, AuR 1995, S. 72; dazu Otto, AuR 1995, S. 72 ff; Schnauder, JuS 1995, S. 594 ff. BAG, AuR 1995, S. 72.

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und durch kollektivrechtliche Regelungen nicht beseitigt werde.639 Dies bestätigt zwar die Annahme einer grundsätzlichen Unterlegenheit des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber, bietet jedoch keine Ansatzpunkte zur Begründung dieser Unterlegenheit. Um konkrete Maßstäbe entwickeln zu können, anhand derer bestimmt werden könnte, ob ein strukturelles Unterlegenheitsverhältnis des Arbeitnehmers im Verhältnis zum Arbeitgeber vorliegt, hilft die Rechtsprechung wenig weiter. (b) Literatur In der Literatur werden verschiedene Ansätze zur Begründung der strukturellen Unterlegenheit der Arbeitnehmer vorgebracht. Teilweise wird die strukturelle Unterlegenheit des Arbeitnehmers auch schlicht als „unbestrittenes Allgemeingut“ betrachtet,640 was jedoch zur Identifizierung tragfähiger Kriterien zur Bestimmung eines strukturellen Ungleichgewichts wenig hilfreich ist. Dorndorf führt aus, dass die Unterlegenheit des Arbeitnehmers an der Eingliederung desselben in die Arbeitsorganisation zu sehen sei, da er zum einen über die Politik des Unternehmens nicht mitentscheiden könne und zum anderen von dieser abhängig sei.641 Zutreffend ist, dass bis auf die Regelungen zur Mitbestimmung der einzelne Arbeitnehmer keinen Einfluss auf die Unternehmenspolitik hat und gleichzeitig von dieser abhängig ist. Ein strukturelles Ungleichgewicht, das dazu führt, dass eine Partei nicht mehr selbstbestimmt handelt, muss zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses vorliegen. Ob ein solches gegeben ist, wenn die eine Seite nach Vertragsschluss nicht über die Politik des Unternehmens mitentscheiden kann, erscheint zumindest fraglich. Hierbei handelt es sich um Arbeitsbedingungen, die den Beteiligten bekannt sind und von denen nicht ersichtlich ist, wie sie auf den Arbeitnehmer einen derartigen Druck entfalten können, dass dieser bei Vertragsschluss fremdbestimmt agiert. Vorgebracht wird des Weiteren, dass die Unterlegenheit des Arbeitnehmers bereits durch die unterschiedliche „Anfangsausstattung“, die das Individuum mit Eintritt in das soziale Leben vorfinde, bedingt sei.642 Auch bei dieser Argumentation gilt, dass die strukturelle Unterlegenheit zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses vorliegen muss. Inwieweit eine vermeintlich geringere „Anfangsausstattung“, bei der auch nicht ersichtlich ist, ob sie sich auf die materielle, die Bildungskomponente oder etwas ganz anderes bezieht, zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses einen derartigen Druck auslöst, dass von Fremdbestimmung gesprochen werden muss, ist nicht erkennbar. Dass die Arbeitnehmer auch hinsichtlich der Anpassungsfähigkeit des Faktors Arbeit im Vergleich zum Faktor Kapital strukturell unterlegen seien, wird auch als ein

639 640 641 642

BAGE 76, 155, 169. Giesen, Rechtsgestaltung für den Betrieb, S. 248, Fn. 476. Dorndorf, FS Kissel, S. 147. Dorndorf, FS Kissel, S. 147.

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Begründungsargument ausgeführt.643 Dies sei allein deshalb schon der Fall, weil die Menge von Kapital relativ schnell verändert werden könne, während dies bei Arbeitskräften erheblich mehr Zeit in Anspruch nehme. Geld- und Realkapital könne sich leichter an veränderte Voraussetzungen anpassen als Menschen.644 Menschen könne man nicht so einfach in kurzer Zeit in großen Mengen „produzieren“.645 Realkapital könne beispielsweise durch Abschreibungen wieder liquide werden, dadurch eine andere Güterqualität annehmen und sei also in einem gewissen Maße formbar.646 Bei Menschen sei die „Formbarkeit“ durch Fort- und Weiterbildung erstens nur bedingt vorhanden, zweitens mit einem gewissen zeitlichen Aufwand und drittens mit erheblichen finanziellen Kosten verbunden. Auch in der Frage der räumlichen Mobilität könnten Menschen mit dem Real- und Geldkapital nicht mithalten,647 da der Umzug für Menschen nicht nur mit erheblichen individuellen Kosten sondern auch mit einem Verlassen des sozialen Umfeldes verbunden und von daher nicht immer derart leicht wie im Falle des Real- und Geldkapitals zu bewerkstelligen sei. Kapital sei zu jedem Zeitpunkt liquide und ändere seine Arbeitsfähigkeit nicht, während die Produktivität der Arbeit von Menschen sich im Laufe eines Lebens durchaus verändern könne.648 Es kann nicht bestritten werden, dass Realkapital anpassungsfähiger und mobiler als Humankapital ist. Arbeitgeber sind aber trotz der geringeren Anpassungsfähigkeit und der schlechteren Mobilität auf menschliche Arbeitskraft angewiesen, so dass mit dem Verweis auf die schlechtere Anpassungsfähigkeit der menschlichen Arbeitskraft noch nicht begründet ist, warum dies zu einer strukturellen Unterlegenheit führen muss, die den Arbeitnehmer zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses so stark dominiert, dass er fremdbestimmt handelt. (c) Eigene Positionierung Die Frage, ob ein Arbeitnehmer grundsätzlich in einem Verhältnis der strukturellen Unterlegenheit zum Arbeitgeber steht, ist mit einer rein rechtlichen Betrachtung nicht zu beantworten. Bei dieser Aufgabenzuschreibung geht es darum, eine erkannte und beschriebene Situation durch rechtliche Mittel zu verändern. Bewegt man sich auf der Ebene, ob diese Situation tatsächlich vorliegt, ist eine Behandlung der Frage auf deskriptiver Ebene unumgänglich. Die Behauptung der strukturellen Unterlegenheit der Arbeitnehmer knüpft an die Stellung des Individuums als Arbeitnehmer an. Folglich kann sich diese Unterlegen-

643 644 645 646 647 648

Brandes, ZfA 1986, S. 455 f. Brandes, ZfA 1986, S. 455. Brandes, ZfA 1986, S. 455. Brandes, ZfA 1986, S. 455. Brandes, ZfA 1986, S. 455. Brandes, ZfA 1986, S. 455.

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heit nur aus der gegenwärtigen Organisation der Arbeitsbeziehungen ergeben, so dass ein Blick auf das System der Wirtschafts- und Arbeitsordnung zu werfen ist. Unter Arbeit wird jede zielgerichtete Tätigkeit von Menschen verstanden, die der Existenzsicherung dient.649 Arbeit hat ein subjektives und ein objektives Element. Objektiv ist sie auf die Herstellung von Dienstleistungen, Waren und Gütern gerichtet.650 In subjektiver Hinsicht wohnt ihr die Dimension der gesellschaftlichen Anerkennung und der persönlichen Selbstverwirklichung inne.651 Die Frage, wie Arbeit in einer Gesellschaft organisiert wird, ist nicht zu trennen von der Frage der Wirtschaftsordnung. Ordnungsprinzip der Wirtschaft ist der Markt, d. h. ein System, das sich durch Angebot und Nachfrage selbst reguliert.652 Die Entscheidungen, welche Güter erzeugt und verbraucht werden, unterliegen weitgehend dem „freien Spiel der Kräfte“. Grundprinzip der marktwirtschaftlichen Ordnung ist die „Freiheit“ der handelnden Subjekte im wirtschaftlichen Verkehr.653 Diese Freiheit findet ihren Ausdruck insbesondere im verfassungsrechtlichen Schutz der Berufs- und Gewerbefreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG und der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG.654 Die marktwirtschaftliche Ordnung ist darüber hinaus durch die Zuteilung des Eigentums über den Markt gekennzeichnet.655 Ausprägung dessen ist Art. 14 GG, der Produktiveigentum und dessen privatnützige Verfügbarkeit garantiert.656 Die Herstellung und der Verbrauch von Gütern unterliegen folglich dem privatautonomen Verhalten von Individuen. Die Güter, die von diesen erwirtschaftet werden, sind dann eigentumsrechtlich geschützt. Beide Prinzipien haben zur Konsequenz, dass es einzelne Menschen gibt, die über Güter verfügen, mit denen sie produzieren können und wieder andere bestreiten ihren Lebensunterhalt durch den Verkauf ihrer Arbeitskraft. Dies bedeutet, dass die derzeitige Organisation der Arbeit dadurch geprägt ist, dass es Arbeitgeber und Arbeitnehmer gibt und Arbeitnehmer gegen Entlohnung ihre Arbeitskraft an Arbeitgeber verkaufen. (aa) Existentielle Abhängigkeit der Arbeitnehmer Es ließe sich sagen, dass die Arbeitgeber, um tatsächlich produzieren zu können, darauf angewiesen sind, dass Arbeitnehmer bei ihnen arbeiten und die Arbeitnehmer davon abhängig sind, dass Arbeitgeber sie einstellen, damit sie ihren Lebensunterhalt verdienen können. Folglich liege eine gegenseitige Abhängigkeit beider Seiten von-

649 650 651 652 653 654 655 656

Schäfers, Sozialstruktur, S. 165. Willke, Zukunft unserer Arbeit, S. 14. Hengsbach, in: Hoffmann/Kramer, Zukunft der Arbeitsgesellschaft, S. 21. Vgl. hierzu Limbach, JuS 1985, S. 11. Schäfers, Sozialstruktur, S. 175. Scholz, in: HStR VI, § 151, Rn. 23. Schäfers/Zapf, Handwörterbuch Gesellschaft, S. 712. Scholz, in: HStR VI, § 151, Rn. 23.

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einander vor und von einer strukturellen Unterlegenheit der Arbeitnehmer könne nicht die Rede sein. An dieser Stelle kann an das Kriterium der wirtschaftlichen Abhängigkeit, das vom Bundesverfassungsgericht zur Begründung einer strukturellen Unterlegenheit verwendet wird, angeknüpft werden.657 Den Arbeitnehmern geht es um ihre materielle Lebensgrundlage, d. h. ihren Arbeitsplatz oder ihren Lohn.658 Dem Arbeitgeber geht es in der Regel nicht um den Verlust der Lebensgrundlagen, sondern um Gewinn und Konkurrenzfähigkeit.659 Eine Partei, die auf den Abschluss eines Arbeitsvertrags angewiesen sei, um die Existenz zu sichern, so ließe sich argumentieren, befinde sich aufgrund dessen in der strukturell unterlegenen Position, da sie sich in einem ganz anderen Maße in einem Verhältnis der wirtschaftlichen Abhängigkeit befinde. Dieterich beispielsweise spricht auch davon, dass es die „existentielle Angewiesenheit auf Arbeitsmöglichkeiten“ ist, die das Schutzbedürfnis des Arbeitnehmers begründet.660 Jetzt ließe sich vertreten, dass grundsätzlich jeder die Chance hätte, sich selbständig zu machen und keinen Arbeitnehmerberuf auszuüben.661 Die Möglichkeit der Wahrnehmung einer selbständigen Tätigkeit hängt von subjektiven und objektiven Faktoren ab. Subjektiv erforderlich ist beispielsweise ein gewisses Maß an Begabungen, Fertigkeiten und Kenntnisse und objektiv sind bestimmte Merkmale der Produktionsweise, wie z. B. das Maß an Arbeitsteilung und technischem Niveau, zu berücksichtigen.662 Ob angesichts dessen für jeden Menschen die gleiche Chance besteht, in die Selbständigkeit zu gehen, kann an dieser Stelle dahinstehen. Es ist vielmehr zur Kenntnis zu nehmen, dass es einen großen Teil von Menschen gibt, die darauf angewiesen sind, einer abhängigen Tätigkeit nachzugehen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen und dabei ist es unerheblich, ob dies aufgrund von objektiven oder subjektiven Faktoren der Fall ist. Für die Frage der strukturellen Unterlegenheit ist es entscheidend, ob sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber zum Zeitpunkt des einzelnen Vertragsschlusses in einem Verhältnis der strukturellen Ungleichheit gegenüberstehen. Dafür ist nicht entscheidend, ob es abstrakt eine Vielzahl von anderen Möglichkeiten durch die Ausübung einer selbständigen Tätigkeit gibt, sondern ob der einzelne Arbeitnehmer in den Verhandlungen steht im Wissen, dass sein materieller Lebensunterhalt von diesem Arbeitsplatz abhängig ist. Dies wird man in der Mehrzahl bejahen können, so dass der Verweis auf die Möglichkeit der Selbständigkeit die strukturelle Gleichgewichtigkeit nicht zu begründen vermag. Gegen die Annahme eines strukturellen Ungleichgewichts könnte des Weiteren vorgebracht werden, dass die Arbeitnehmer sich derzeit nicht mehr in der strukturel657 658 659 660 661 662

Vgl. BVerfG, NJW 1990, S. 1471. Konzen, AcP 177 (1977), S. 527; Kreckel, Soziale Ungleichheit, S. 169. Zwanziger, DB 1994, S. 982; Konzen, AcP 177 (1977), S. 527. Dieterich, in: Erfurter Kommentar, Art. 9, Rn. 64. Hierzu vgl. Gast, Arbeitsrecht als Vertragsrecht, S. 19. Gast, Arbeitsrecht als Vertragsrecht, S. 19.

III. Schutz der Betätigungsfreiheit

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len Unterlegenheit befinden, da es keinesfalls mehr so sei, dass die Arbeitnehmer aufgrund existentieller Not an ihren Arbeitsplatz gebunden seien und längere Arbeitszeiten, schlechtere Löhne und Arbeitsbedingungen deshalb in Kauf nehmen müssten, da es die staatliche Garantie eines materiellen Existenzminimums gebe, das die Arbeitnehmer notfalls in Anspruch nehmen könnten.663 Die zwingende Not, einen Arbeitsplatz auszufüllen, weil sonst das materielle Überleben nicht mehr gesichert wäre, sei dadurch entfallen. Zu berücksichtigen ist hierbei, dass es natürlich zutreffend ist, dass der Druck, einen Arbeitsplatz anzunehmen, durch die staatliche Gewährleistung eines Existenzminimums reduziert wurde. Jedoch gibt es die Möglichkeit der Kürzung des Existenzminimums nach § 31 SGB II, wenn der Betroffene z. B. eine zumutbare Arbeit nicht aufnimmt. Dabei ist in § 31 Abs. 4 S. 2 SGB II bei der zweiten wiederholten Pflichtverletzung eine Kürzung von 100 % vorgesehen. In diesem Fall dürfte von einer existentiellen Not zur Aufnahme einer Arbeit ausgegangen werden. Unabhängig davon hat die Ausübung einer beruflichen Tätigkeit für den übergroßen Teil der Bevölkerung eine existentielle Bedeutung. Dabei spielt die finanzielle Komponente eine wesentliche Rolle, da die berufliche Tätigkeit und ihre Entlohnung den Lebensstandard entscheidend bestimmt.664 Erwerbsarbeit hat aber auch in vielerlei anderer Hinsicht zentrale Bedeutung. Sie wird als Möglichkeit zur Partizipation an gesellschaftlichen Prozessen und zur individuellen Persönlichkeitsentfaltung wahrgenommen. Nicht selten geht die Arbeitslosigkeit deshalb mit Gefühlen der Nutzund Wertlosigkeit der eigenen Leistungen und Fähigkeiten einher.665 Für den übergroßen Teil der Arbeitnehmer wird die Frage eines Arbeitsplatzes folglich als existentielle Frage wahrgenommen,666 während der Erhalt eines konkreten Arbeitsplatzes für den Arbeitgeber in der Regel eine Frage unter vielen ist. (bb) Strukturelles Überangebot an Arbeitskräften Eingewendet werden kann gegen die Annahme der strukturellen Unterlegenheit, dass es möglicherweise im Regelfall dem Arbeitgeber um die Frage der Höhe des Gewinns geht, wenn er über die Bedingungen eines Arbeitsvertrags verhandelt, aber grundsätzlich sei es genauso denkbar, dass ein Arbeitgeber keinesfalls über ein großes Vermögen verfüge und er auf die Arbeit von Arbeitnehmern existentiell angewiesen sei. Die Behauptung, Arbeitnehmer würden um Arbeitsplätze konkurrieren und wären damit im Nachteil, sei also nicht zutreffend, da es ebenso einen Wettbewerb der Arbeitgeber um Arbeitskräfte gebe könnte, in dem die Arbeitnehmer in der strukturell überlegenen Situation wären.667 Würde man diesem Gedanken folgen, hieße das 663

Reuter, RdA 1991, S. 195. Geißler, Sozialstruktur, S. 182 ff; Hengsbach, in: Hoffmann/Kramer, Zukunft der Arbeitsgesellschaft, S. 22. 665 Hierzu Geißler, Sozialstruktur, S. 184; Hengsbach, in: Hoffmann/Kramer, Zukunft der Arbeitsgesellschaft, S. 21 666 Altmann, Wirtschaftspolitik, S. 109. 667 Reuter, RdA 1991, S. 195; hierzu auch Gast, Arbeitsrecht als Vertragsrecht, S. 41 f und zur Frage der Relevanz der Ausweichmöglichkeit auf schwächere Vertragspartner, S. 57. 664

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B. Schutz des zwingenden Charakters der Tarifnormen

anzunehmen, dass auf der einen Seite die Arbeitgeber stehen und auf der anderen Seite die Arbeitnehmer, abwechselnd könne es mal auf der einen Seite und mal auf der anderen Seite einen Überschuss geben und je nach dem sei mal die eine und mal die andere Seite unterlegen. Ein System, das sich über den Markt organisiert, ist durch Konkurrenz gekennzeichnet. Dies führt dazu, dass es stets den Versuch geben wird, effizienter als die Mitbewerber zu wirtschaften. Zum Wirtschaften sind Produktionsfaktoren wie menschliche Arbeitskraft, Kapital und natürliche Ressourcen notwendig.668 Um gegen die Konkurrenz bestehen zu können, wird es stets den Versuch zu geben, die Produktionsfaktoren effizient einzusetzen, da es Ziel ist, die gewünschte Gütermenge mit möglichst wenig Einsatz und Mitteln herzustellen.669 Effizienter Einsatz heißt eben auch, die gleiche Menge an Gütern mit weniger Arbeitskräften herzustellen. Deshalb ist davon auszugehen, dass es konstant ein Überangebot an Arbeitskräften gibt bzw. ein immer wiederkehrendes Überangebot an Arbeitskräften geben wird, da es einen steten Drang zur Rationalisierung gibt. Ein Überangebot führt dazu, dass die Seite, die von einem Überangebot geprägt ist, sich in der konkreten Situation im Verhältnis der Unterlegenheit befindet, da die andere Seite damit drohen kann, gegebenenfalls andere Anbieter zu suchen. Hiergegen könnte eingewendet werden, dass der marktwirtschaftlichen Ordnung nicht nur die permanente Effektivierung sondern ebenso der Drang nach der Erschließung von neuen Märkten und Wachstum immanent sei. Das Maß, was an menschlichen Arbeitskräften durch maschinelle Arbeit ersetzt werden kann, könnte durch neue Märkte und Wachstum kompensiert werden. Dann würde es eben nicht zu einem strukturellen Überangebot von Arbeitskräften kommen. Gegen diesen Einwand sprechen verschiedene Aspekte. Ob es ein solch grenzenloses Wachstum gibt, erscheint zum einen zweifelhaft. Zum anderen ist es eine politische Entscheidung, ob eine solche Entwicklung unter gesellschaftlichen und ökologischen Gesichtspunkten wünschenswert ist.670 Angesichts der mangelnden Vorhersehbarkeit und Zweifeln an der Möglichkeit unbegrenzten Wachstums kann diese Entwicklungsmöglichkeit nicht zugrunde gelegt werden. Unabhängig davon, dass es Situationen geben kann, in denen es in bestimmten Branchen zu Arbeitskräftemangel oder einer besonders starken Position der Arbeitnehmer kommen kann, ändert dies grundsätzlich nichts daran, dass es strukturell aufgrund der marktwirtschaftlichen Organisation des Arbeits- und Wirtschaftslebens mehr Arbeitnehmer als Arbeitsplätze geben wird, so dass die Arbeitnehmer um Arbeitsplätze konkurrieren und die Arbeitgeber damit in der strukturell überlegenen Position sind. 668

Rogall, Volkswirtschaftslehre, S. 36 f. Hierzu Rogall, Volkswirtschaftslehre, S. 37. 670 Rogall, Volkswirtschaftslehre, S. 95; zum Begriff des Wachstums: Altmann, Wirtschaftspolitik, S. 38 ff. 669

III. Schutz der Betätigungsfreiheit

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(cc) Gegenwärtige Situation Darüber hinaus ist das gegenwärtige Verhältnis zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu untersuchen. Kreckel führt an, dass die Arbeitgeber aufgrund „ihrer überlegenen Organisationsfähigkeit, ihrer besseren Ressourcenausstattung, ihrer homogenen Interessenlage, ihrer höheren Flexibilität und ihrer größeren Konfliktfähigkeit“ über strategische Vorteile verfügen würden.671 Dem fügt Oppolzer hinzu, dass trotz Steigerung des Lebensstandards für weite Teile der Bevölkerungsschichten die „strukturelle Ungleichheit als qualitatives Merkmal ökonomischer Macht und Erwerbschancen“ sich stets reproduziert.672 Als Beispiele führt er die Entwicklung der Einkommens- und Vermögensverteilung an.673 An dieser Feststellung ändern auch die Auswirkungen der globalen Finanzkrise, durch die oftmals Vermögende stärker betroffen sind und Verluste erlitten haben, nichts. So ist die Lohnquote seit Anfang der 80er Jahre kontinuierlich gesunken.674 1991 betrug Lohnquote noch 71 %, im Jahre 2007 war es nur noch 65, 1 %.675 Der Anteil des Einkommens aus unselbständiger Arbeit am Volkseinkommen ist ein Indiz für die Verteilung der Einkommen zwischen Kapital und Arbeit. Während die Einkommen der Beschäftigten brutto wie netto im Jahr 2007 nur geringfügig über den Niveau von 1995 liegen, sind die privaten Vermögenseinkommen und Gewinne um 30, 6 % gestiegen.676 Darüber hinaus zeichnet auch die Vermögensverteilung ein deutliches Bild. So verfügen im Jahre 2003 die unteren 50 % der Haushalte über weniger als 4 % des gesamten Nettovermögens, während das oberste Zehntel der Haushalte knapp 47 % auf sich vereint.677 Natürlich muss Berücksichtigung finden, dass es hier nicht um die Betrachtung allgemeiner gesellschaftlicher Zustände geht, sondern die Frage behandelt wird, ob sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber im Verhältnis der strukturellen Unterlegenheit beim Abschluss eines Arbeitsvertrags gegenüberstehen. Die Frage der Verfügbarkeit gesellschaftlicher Ressourcen wie Geld und Kapital sind Indikatoren für ein gesellschaftliches Machtgefüge. Die Tatsache, dass dies sehr stark auf der Arbeitgeberseite konzentriert ist, hat zumindest Indizwirkung für eine Überlegenheitsstellung eben dieser Seite. Der Umstand, dass beispielsweise die Lohnquote in den letzten Jahren gesunken ist, legt nahe, nicht von einer Verringerung der Unterlegenheitsposition oder gar von einer Aufhebung der Unterlegenheit auszugehen678, son-

671 672 673 674 675 676 677 678

Kreckel, Soziale Ungleichheit, S. 166. Oppolzer, AuR 1998, S. 50 f. Oppolzer, AuR 1998, S. 50. Schäfers/Zapf, Handwörterbuch, S. 745 f. BMAS, Statistisches Handbuch 2008, Punkt 1.9. Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik, Memorandum – Kurzbericht 2009, S. 7. 3. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung vom Juli 2008, S. 308. In diese Richtung aber u. a. Heinze, NZA 1997, S. 2.

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B. Schutz des zwingenden Charakters der Tarifnormen

dern eher einen Trend zur Verschärfung der strukturellen Unterlegenheit festzustellen.679 Gegenwärtig gibt es darüber hinaus eine hohe Arbeitslosigkeit. Diese führt dazu, dass es ein Überangebot an Arbeitskräften und einen Mangel an Arbeitsplätzen gibt. Die Seite, auf der das Überangebot zu verorten ist, befindet sich in der strukturell unterlegenen Position, da die andere Seite stets vorbringen kann, dass sie gegebenenfalls eine andere Arbeitskraft einstellen könnte und würde. Auch wenn man folglich alle vorgebrachten Gesichtspunkte zur Begründung einer strukturellen Unterlegenheit ablehnt, ist zu berücksichtigen, dass so lange, wie es ein Überangebot an Arbeitskräften gibt, die Seite der Arbeitnehmer sich im Verhältnis der Unterlegenheit befindet. So lange es eine konstant hohe Arbeitslosigkeit gibt, ist in jedem Fall von einer strukturellen Unterlegenheit aufgrund der tatsächlichen Situation der Arbeitnehmer auszugehen. (dd) Berücksichtigung aktueller Entwicklungen Fraglich ist, ob aktuelle Entwicklungen zu einer Verschiebung im Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer geführt haben. Sodan konstatiert, dass angesichts von sogenannten Schwerpunktstreiks, die aufgrund der engen Verzahnung der Produktionsprozesse bereits zu erheblichen Schäden führen würden, die Arbeitgeberseite sich „inzwischen einer praktisch weit überlegenen Gewerkschaftsmacht gegenüber“ befindet.680 Dem kann jedoch nicht gefolgt werden. Die konstant hohe Arbeitslosigkeit begründet gegenwärtig eine faktische Unterlegenheit der Arbeitnehmer. Die Globalisierung führt zwar zu einem erhöhten Druck inländischer Unternehmern auf dem Weltmarkt, ändert aber keinesfalls etwas am Binnenverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, in dem sich die Arbeitnehmer noch immer in einem Verhältnis der Unterlegenheit befinden. Auch die Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt und der Trend zur Individualisierung führen zwar auf beiden Seite zu einer geringeren Akzeptanz der Tarifautonomie als Regelungsmechanismus, aber durch sie gibt es auch keinerlei Ansatzpunkte, anhand derer zu begründen wäre, warum der Arbeitnehmer nicht mehr als strukturell unterlegen, zu begreifen wäre. Anhand aktueller Entwicklungen ist also keine Funktionsveränderung der Tarifautonomie hinsichtlich der Funktion, die strukturelle Unterlegenheit der Arbeitnehmer durch kollektives Handeln auszugleichen, zu begründen. Vielmehr verschärft die gegenwärtige Entwicklung und dabei insbesondere die Massenarbeitslosigkeit die Unterlegenheitsposition der Arbeitnehmer. (ee) Zwischenergebnis Auch wenn es in bestimmten Konstellationen dazu kommen kann, dass es einen Mangel an Arbeitskräften gibt, bleibt es dabei, dass sich nach der derzeitigen Organisation des Wirtschafts- und Arbeitslebens Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht im 679 680

Oppolzer, AuR 1998, S. 51. Sodan, JZ 1998, S. 428.

III. Schutz der Betätigungsfreiheit

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gleichen Abhängigkeitsverhältnis gegenüberstehen. Hierfür gibt es gegenwärtig zumindest drei Begründungszusammenhänge. Erstens geht es für den Arbeitnehmer im Regelfall um den Erhalt seiner Lebensgrundlage, was zu einer schwächeren Verhandlungsposition führt. Zweitens führt das marktwirtschaftliche Prinzip dahin, menschliche Arbeit durch technologischen Fortschritt, Effizienz- und Effektivitätssteigerungen zu ersetzen, damit ein Überangebot von Arbeitskräften zu produzieren, so dass die Arbeitnehmer sich somit konstant oder immer wieder in einer strukturell unterlegenen Position befinden. Wenn man beiden Begründungen nicht folgen würde, wäre drittens auf das derzeit faktische vorhandene Überangebot an Arbeitskräften abzuheben, welches die Arbeitnehmer in eine strukturell unterlegene Position zwingt. Die Unterlegenheit der Arbeitnehmer ist vorhanden. Die Tarifautonomie verfolgt den Zweck, diese strukturelle Unterlegenheit des Arbeitnehmers durch kollektives Handeln auszugleichen. (3) Ausgleichsfunktion und zwingender Charakter der Tarifnormen Gesetzliche Öffnungsklauseln würden der Funktion der Tarifautonomie, die strukturelle Unterlegenheit der Arbeitnehmer durch kollektives Handeln auszugleichen, nicht nachkommen. Hätten Tarifverträge keinen zwingenden Charakter, würden diese lediglich den Stellenwert von Empfehlungen an die Betriebsparteien einnehmen.681 Nach Dieterich würden sie zum „schwächsten Gestaltungsmittel“ und hätten „praktisch nur noch die Aufgabe, Richtlinien zu entwickeln, auf deren Beachtung sich niemand verlassen könnte“.682 So sagt auch Däubler, dass es unzulässig wäre, „Tarifverträge zur Disposition der Betriebspartner zu stellen – ohne effektive zwingende Wirkung würden sie zu bloßen Empfehlungen degenerieren und ihre Schutzfunktion weitgehend einbüßen.“683 Würde die Idee der gesetzlichen Öffnungsklauseln vorsehen, dass der einzelne Arbeitnehmer in einer konkreten Situation über die Geltung des Tarifvertrags für ihn entscheiden sollte, wäre ein solcher Vorschlag mit Hinblick auf den Ausgleich der strukturellen Unterlegenheit abzulehnen. Wie die Frage zu behandeln ist, wenn eine Verlagerung der Entscheidungskompetenz auf die Belegschaft, den Betriebsrat oder eine „Betriebsgewerkschaft“ stattfindet, wird an späterer Stelle behandelt.684 Wenn der Ausgleich der strukturellen Unterlegenheit einen Zweck der Tarifautonomie darstellt, darf die Entscheidung über die Geltung der Tarifnomen nicht an den Arbeitnehmer im konkreten Fall delegiert werden, da die unterlegene Verhandlungsposition in diesem Moment bereits vorliegt. Es ist gerade der Sinn und Zweck des 681

Walker, ZfA 1996, S. 369; Meisen, Koalitionsfreiheit, S. 99, der davon spricht, dass „tarifvertragliche Regelungen zu bloßen Absichtserklärungen“ verkommen würden. 682 Dieterich, FS Richardi, S. 124; ders., KJ 2008, S. 77. 683 Däubler, in: ders., TVG, Einleitung B, Rn. 137. 684 Siehe unter C. IV. 6.

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B. Schutz des zwingenden Charakters der Tarifnormen

kollektiven Handelns, dass der einzelne Arbeitnehmer nicht allein die Arbeitsbedingungen aushandeln muss. Zieht man die Entscheidung über die Geltung der kollektiv ausgehandelten Normen wieder auf die Ebene des Einzelnen, liegt genau die gleiche Situation wie bei der einzelnen Verhandlung von Arbeitgeber und Arbeitnehmer über einen Arbeitsvertrag vor. Genau diese Situation der Unterlegenheit soll durch die Tarifautonomie vermieden werden. Die Schutzfunktion des Tarifvertrages erfordert gerade, dass die Geltung des Vertrags nicht zur Disposition der Geschützten steht.685 Der Arbeitnehmer als unterlegener Part soll eben gerade davor bewahrt werden, dass er aufgrund der Unterlegenheit einer möglicherweise für ihn ungünstigen Option zustimmt. Die Unterlegenheit soll durch die Kollektivierung der Verhandlungen über Arbeitsentgelt und -bedingungen kompensiert werden. Genau dies würde aber mit der Aufhebung des zwingenden Charakters mit aufgehoben werden. Folglich ist der zwingende Charakter der Tarifnormen von Art. 9 Abs. 3 GG verfassungsrechtlich geschützt.686 Anders kann dem zentralen Schutzzweck der Tarifautonomie nicht nachgekommen werden. Eine Regelung, die den zwingenden Charakter aufhebt, würde dem Sinn und Zweck der Tarifautonomie nicht nur widersprechen sondern ihn konterkarieren. Der Zweck des Ausgleichs der strukturellen Unterlegenheit kann nur durch die Gewährleistung des zwingenden Charakters der Tarifnormen verfolgt werden.

IV. Ergebnis Art. 9 Abs. 3 GG schützt den zwingenden Charakter von Tarifnormen. Eine gesetzliche Regelung, die den zwingenden Charakter aufhebt, tangiert den objektiv-rechtlichen Gehalt der Koalitionsfreiheit. Indem der verfassungsrechtlich geschützte Betätigungsbereich der Koalitionen, die Tarifautonomie, betroffen ist, ist der Schutzbereich der Koalitionsfreiheit berührt. Damit würde eine solche Regelung nicht der Ausgestaltung unterfallen, sondern muss als den Schutzbereich tangierende Regelung den Anforderungen an einen Eingriff genügen.

685

Reuter, ZfA 1995, S. 39. So im Ergebnis: BVerfGE 44, 322, 340 f; 55, 7, 23; BAG, NJW 1994, S. 538, 540; Gneiting, in: Umbach/Clemens, Art. 9, Rn. 115; Farthmann/Coen, in: HdbVerfR, § 19, Rn. 66; Kittner/Schiek, in: Alternativkommentar, Art. 9 Abs. 3, Rn. 130; Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht II/1, S. 232; Wiedemann, FS Stahlhacke, S. 682; Bayreuther, Tarifautonomie, S. 229; Dieterich, FS Richardi, S. 117; Berg/Platow/Schoof/Unterhinninghofen, TVG, Einleitung, Rn. 66; Fuchs/Reichhold, Tarifvertragsrecht, Rn. 18; Däubler, AuR 2005, S. 4; Kempen, in: Kempen/Zachert, TVG, Grundlagen, Rn. 149; Hanau, RdA 1993, S. 10; Müller, AuR 1992, S. 262; Kühnast, Grenzen, S. 67 ff. 686

C. Überbetrieblichkeit als Erfordernis des Art. 9 Abs. 3 GG Gegenwärtig werden die Tarifverträge von überbetrieblich organisierten Gewerkschaften und Arbeitgebern bzw. Arbeitgeberverbänden geschlossen. Fraglich ist, ob es die Koalitionsfreiheit erfordert, dass Vereinbarungen über die Arbeitsbedingungen, Arbeitsentgelte etc. von überbetrieblich agierenden Parteien geschlossen werden müssen oder ob es nicht ebenso möglich ist, dass diese auf betrieblicher Ebene verhandelt werden.1 Dies macht sich an dem Kriterium der Überbetrieblichkeit für die Annahme einer Koalition im Sinne des Art. 9 Abs. 3 GG fest. Sie betrifft insbesondere die Gewerkschaften, da die Möglichkeit des Haustarifvertrags, d. h. der Abschluss eines Tarifvertrags mit einem einzelnen Arbeitgeber, bereits heute gem. § 2 Abs. 1 TVG zulässig ist. Vertritt man die Auffassung, aus Art. 9 Abs. 3 GG ergebe sich, dass die Tarifautonomie nur durch überbetrieblich agierende Vereinigungen ausgeübt werden könne, ist das Kriterium der Überbetrieblichkeit einer Vereinigung ein zwingendes, um den Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG eröffnen zu können. In diesem Fall würde eine Verlagerung auf die betriebliche Ebene die Befugnisse der überbetrieblich agierenden Koalitionen mindern und somit würde ein rechtfertigungsbedürftiger Eingriff in die verfassungsrechtlich gewährleistete Koalitionsfreiheit vorliegen. Wenn hingegen das Erfordernis der Überbetrieblichkeit nicht als notwendig für die Annahme einer Koalition im Sinne des Art. 9 Abs. 3 GG angesehen werden würde, wäre mit einer gesetzlichen Regelung, welche die bisher den Tarifparteien zustehenden Befugnisse auf die betriebliche Ebene verlagert, keine verfassungsrechtliche Beeinträchtigung verbunden. Folglich ist die Frage zu untersuchen, ob eine Vereinigung überbetrieblich organisiert sein muss, um eine von Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Koalition darzustellen.

I. Begriffsklärung Das Kriterium der Überbetrieblichkeit meint, dass ein Zusammenschluss auf überbetrieblicher Grundlage organisiert sein muss, um eine Koalition im Sinne des Art. 9 Abs. 3 GG darzustellen.2 Dies setzt voraus, dass die Vereinigung über einen 1 2

Zu dieser Fragestellung: Hromadka, NJW 2003, S. 1276. Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 9, Rn. 212; Bauer, in: Dreier, Art. 9, Rn. 78.

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C. Überbetrieblichkeit als Erfordernis des Art. 9 Abs. 3 GG

Betrieb hinausgehen muss.3 Damit sind die sog. Werkvereine, die sich auf einen bestimmten Betrieb beziehen, ausgeschlossen.4 Zu berücksichtigen ist jedoch, dass der Begriff der Überbetrieblichkeit hinsichtlich der Unterscheidung zwischen Betrieb und Unternehmen nicht ganz exakt ist. Unter einem Betrieb wird die Organisationseinheit von Arbeitsmitteln verstanden, mit deren Hilfe eine Person alleine oder in Gemeinschaft mit ihren Mitarbeitern einen arbeitstechnischen Zweck kontinuierlich verfolgt.5 Ein Unternehmen wiederum ist die organisatorische Einheit, mit der ein Unternehmer seine, in der Regel wirtschaftlichen Ziele zu erreichen sucht.6 Ein Unternehmen kann aus mehreren Betrieben bestehen, während ein Betrieb mehreren Unternehmen gehören kann. Das Kriterium der Überbetrieblichkeit knüpft nach seinem Wortsinn ausschließlich an der Organisationseinheit des Betriebes an. Das Kriterium der Überbetrieblichkeit setzt zutreffend nicht nur eine Organisation auf überbetrieblicher Grundlage sondern auch über die Grenzen eines Unternehmens hinaus voraus.7 Folglich wird die Überbetrieblichkeit Arbeitnehmerzusammenschlüssen abgesprochen, die sich innerhalb eines einzelnen Unternehmens organisieren, auch wenn dieses aus verschiedenen Betrieben besteht.8 Dennoch wird dieser Begriff allgemein anerkannt und verwendet,9 so dass er auch in dieser Arbeit zugrunde gelegt wird.

II. Meinungsstand Es bestehen unterschiedliche Auffassungen darüber, ob die Voraussetzung der Überbetrieblichkeit ein erforderliches Kriterium für die Annahme einer Koalition im Sinne des Art. 9 Abs. 3 GG darstellt. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinen Entscheidungen das Kriterium der Überbetrieblichkeit als erforderlich angesehen.10 Diese Auffassung hat das Bundes3

Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, § 9 7) a), S. 406. Dazu Däubler, in: ders., TVG, Einleitung, Rn. 90. 5 BAGE 1, 175, 179; Hanau/Adomeit, Arbeitsrecht, Rn. 354; Hueck, in: Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht I, S. 81. 6 Hrmodka/Maschmann, Arbeitsrecht, § 3, Rn. 53; Hueck, in: Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht I, S. 85; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, § 44 II 2; Söllner, Grundriß des Arbeitsrechts, § 4 V. 7 Bauer, in: Dreier, Art. 9, Rn. 78. 8 Zöllner/Loritz, § 8 III 7; Stelling, NZA 1998, S. 921; Müller, Gewerkschaftsbegriff, S. 48 f. 9 BVerfGE 4, 96, 106 f; 18, 1, 28; 50, 287, 367 f; 58, 233, 247; BAG, NJW 1977, S. 1551; BAG, JZ 1977, S. 470, 471; BAG, NZA 1986, S. 332; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 734; Bergmann, Hömig/Seifert, Art. 9, Rn. 12; Model/Müller, Art. 9, Rn. 12; Kannengießer, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, Art. 9, Rn. 22; Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 9, Rn. 212; ders., in: HStRVI, § 151, Rn. 63; Leibholz/Rinck/Hesselberger, Art. 9, Rn. 301; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, § 9 II 7 a); Epping, Grundrechte, Rn. 702; Zöllner, AöR 90 (1973), S. 92. 10 BVerfGE 4, 96, 106 f; 18, 1, 28; 50, 287, 367 f; 58, 233, 247. 4

III. Auslegung des Wortlauts

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arbeitsgericht in seinen Entscheidungen geteilt.11 In der Literatur ist die Frage hingegen umstritten. Für einen Teil stellt die Überbetrieblichkeit ein notwendiges Kriterium zur Annahme einer Koalition dar.12 Nach Battis/Gusy ist die Überbetrieblichkeit entbehrlich, wenn im gesamten Bundesgebiet eine Branche nur einen Betrieb hat.13 Andere vertreten, wenn die Beschränkung auf ein Unternehmen nicht mit einer Einschränkung der Gegnerunabhängigkeit verbunden ist, kommt dem Kriterium keine eigenständige verfassungsrechtliche Bedeutung zu, so dass die Überbetrieblichkeit lediglich als Indiz für die Gegnerunabhängigkeit anzusehen ist.14 Nach einer vermittelnden Auffassung ist nicht erforderlich, dass der Zusammenschluss tatsächlich aus Arbeitnehmern von unterschiedlichen Unternehmen bzw. Betrieben besteht, sondern vielmehr ist es ausreichend, wenn der Zusammenschluss in seiner Satzung als überbetriebliche Vereinigung angelegt ist.15

III. Auslegung des Wortlauts Aus der Formulierung „für alle Berufe“ in Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG könnte geschlossen werden, dass nur eine berufsmäßige und keine am Betrieb orientierte Organisationsform unter den Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG fällt.16 Diese Interpretation widerspricht aber dem entstehungsgeschichtlichen Hintergrund dieser Formulierung.17 Der Zusatz „für alle Berufe“ wurde bereits in Art. 159 WRV verwendet und wurde später lediglich in das Grundgesetz übernommen. Hintergrund dieser Formulierung war die Situation im Kaiserreich, in der ausschließlich den Verbänden der gewerblichen und der im Bergbau tätigen Arbeitnehmer ein gewisser Schutz ihrer Koalitionsfreiheit durch die Regelungen der §§ 152, 153 RGewO zugestanden wurde. 1919 sollte mit der Formulierung des Art. 159 WRV das Recht auf koalitionsmäßige Beteiligung auch für Vereinigungen der nicht-gewerblichen Arbeitnehmer sichergestellt wer11

BAG, NJW 1977, S. 1551; BAG, JZ 1977, S. 470, 471; BAG, NZA 1986, S. 332. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 415; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 734; Bergmann, Hömig/Seifert, Art. 9, Rn. 12; Model/Müller, Art. 9, Rn. 12; Kannengießer, Schmidt-Bleibtreu/Klein, Art. 9, Rn. 22; Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 9, Rn. 212; ders., in: HStR VI, § 151, Rn. 63; Leibholz/Rinck, Art. 9, Rn. 301; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, § 9 II 7 a); Epping, Grundrechte, Rn. 702; Zöllner, AöR 90 (1973), S. 92. 13 Battis/Gusy, Staatsrecht, Rn. 427. 14 Kepmer, v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 9, Rn. 104; Gneiting, in: Umbach/Clemens, Art. 9 Abs. 3, Rn. 105; Kittner/Schiek, in: Alternativkommentar, Art. 9 Abs. 3, Rn. 115; Löwer, in: v. Münch/Kunig, Art. 9, Rn. 77; Bauer, in: Dreier, Art. 9, Rn. 78; Höfling, in: Sachs, Art. 9, Rn. 57; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 9, Rn. 24; v. Münch, in: Bonner Kommentar, Art. 9, Rn. 129; Wahl, Relativität des Gewerkschaftsbegriffs, S. 160; Däubler, in: ders., TVG, Einleitung, Rn. 90; Dieterich, in: Erfurter Kommentar, Art. 9, Rn. 25; Oetker, in: Wiedemann, TVG, § 2, Rn. 347; Franzen, RdA 2001, S. 6. 15 Löwisch, ZfA 1970, S. 295, 315 f. 16 Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht II/1, S. 71. 17 Schnorr, RdA 1955, S. 6 f. 12

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C. Überbetrieblichkeit als Erfordernis des Art. 9 Abs. 3 GG

den.18 Mit dem Zusatz sollte lediglich eine Erweiterung des Schutzbereiches auf nicht-gewerbliche Arbeitnehmer vorgenommen und keinesfalls eine Aussage über die Organisationsform der Koalitionen getroffen werden.19 Im Übrigen ist es anerkannt, dass auch nach dem Industrieverbandsprinzip organisierte Koalitionen unter den Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG fallen.20 Auch dies deutet darauf hin, dass mit der Formulierung „für alle Berufe“ keine Organisationsform festgeschrieben, sondern lediglich die Erweiterung des Schutzes auf alle Arbeitnehmer deutlich werden sollte. Die Formulierung „für alle Berufe“ indiziert somit nicht das Erfordernis der Überbetrieblichkeit.

IV. Historische Auslegung Im Rahmen der historischen Auslegung ist insbesondere Art. 159 WRV, dessen Entstehungsgeschichte sowie die Hintergründe der Entstehung des Art. 9 Abs. 3 GG zu behandeln.

1. Hintergründe der Entstehung des Art. 159 WRV In Art. 159 WRV wurde verfassungsrechtlich die Existenz von Koalitionen abgesichert. Dieser gibt folglich auch Auskunft darüber, welchen Charakter Koalitionen aufweisen müssen, um verfassungsrechtlichen Schutz zu genießen. Für das Verständnis des Art. 159 WRV, inwieweit lediglich überbetriebliche Vereinigungen die Koalitionsfreiheit in Anspruch nehmen können, sind die Hintergründe dessen Entstehung von Bedeutung. Die Grundlagen des modernen Arbeitsrechts, die Gewährleistung der Koalitionsfreiheit hängen untrennbar mit der Herausbildung eines marktbasierten Wirtschaftssystems und der damit entstehenden Arbeiterbewegung zusammen. Die Abkehr vom Feudalsystem hin zu einer individualistisch orientierten Marktwirtschaft bildete die Voraussetzung für die Entstehung des modernen Arbeitsrechts. Ohne die Veränderungen, die an der ökonomischen Basis Anfang und Mitte des 19. Jahrhunderts zu beobachten waren, ist die Entwicklung der Arbeiterbewegung und mit ihr das Entstehen des Tarifvertragssystems nicht denkbar.21 Der Begriff der „Industriellen Revolution“ beschreibt diese Entwicklung dahingehend, dass die handwerklich geprägte Arbeit 18 Anschütz, Verfassung des deutschen Reiches, § 159, Rn. 2; Meißner, Staatsrecht des Reichs, § 60, Rn. 3; Giese, Verfassung des deutschen Reichs, Art. 159, Rn. 2; Schnorr, RdA 1955, S. 7; Gusy, Weimarer Reichsverfassung, S. 357. 19 Rehbinder, DVBl 1982, S. 138; Müller, Gewerkschaftsbegriff, S. 60; Schnorr, RdA 1955, S. 7; Stelling, NZA 1998, S. 922. 20 Stelling, NZA 1998, S. 922; Rehbinder, DVBl 1982, S. 138. 21 Zachert, in: Kempen/Zachert, TVG, Grundlagen, Rn. 8.

IV. Historische Auslegung

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von der industriellen Produktion abgelöst wurde. Mit dieser Ablösung war die Auflösung feudaler Strukturen verbunden. Aus dem abhängigen Bauern wurde der „doppelt freie Lohnarbeiter“, der frei ist beim Verkauf seiner Arbeitskraft, aber ebenso frei vom Eigentum an Produktionsmitteln.22 Zunächst war das Arbeitsrecht von individuellen Vereinbarungen dominiert. So wurde in Preußen 1810, in Sachsen und den mittel- und süddeutschen Ländern im folgenden Jahrzehnt die Gewerbefreiheit durchgesetzt.23 Deren Konnexinstitut war die Arbeitsvertragsfreiheit.24 In dieser Zeit war die Situation der Lohnarbeiter von schlechten Arbeitsbedingungen, extensiven Arbeitszeiten, Kinderarbeit und geringer Entlohnung geprägt.25 Viele Arbeiter, darunter auch Kinder, arbeiteten über 90 Stunden pro Woche.26 In diesem sozialen Kontext entwickelten sich die ersten Formen der selbständigen Organisierung der Arbeiterklasse. Dabei spielte der staatliche Umgang mit Arbeitnehmerzusammenschlüssen eine zentrale Rolle.27 Anfang des 19. Jahrhunderts bestanden Koalitionsverbote, die sich ursprünglich gegen wandernde Handelsgesellen richteten und deren Ursprünge teilweise auf das Mittelalter zurückgingen.28 Ein Koalitionsverbot fand sich 1845 auch in der Allgemeinen Preußische Gewerbeordnung wieder.29 Dort heißt es in § 182 S. 1, dass „Gehilfen, Gesellen oder Fabrikarbeiter, welche entweder die Gewerbetreibenden selbst, oder die Obrigkeit zu gewissen Handlungen oder Zugeständnissen dadurch zu bestimmen suchen, dass sie die Einstellung der Arbeit oder die Verhinderung derselben bei einzelnen oder mehreren Gewerbetreibenden verabreden, oder zu einer solchen Verabredung Andere auffordern,“ mit Gefängnis bis zu einem Jahr bestraft werden sollen.30 In § 182 S. 2 wurde das Koalitionsverbot explizit „auf Arbeiter, welche bei Berg- und Hüttenwerken, Landstraßen, Eisenbahnen, Festungsbauten und anderen öffentlichen Anlagen beschäftigt sind“, ausgeweitet.31 In § 183 wurde die bloße Bildung einer solchen Vereinigung verboten.32

22

Marx, Kapital, S. 181 ff; Kaiser, KJ 1979, S. 71. Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 84. 24 Kaiser, KJ 1979, S. 65. 25 Kuczinkski, Lage der Arbeiter, S. 209 ff; Hueck, in: Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht II, S. 9; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 85 ff. 26 Henning, Industrialisierung in Deutschland, S. 196. 27 Dazu: Tatarin-Tarnheyden, Berufsstände und Wirtschaftsverfassung, S. 20. 28 Däubler, in: ders., TVG, Einleitung, Rn. 2. 29 Allgemeine Gewerbe-Ordnung für die Preußischen Staaten. Ein Hilfsbuch für Beamte und Gewerbetreibende, 3. Auflage, 1852, Magdeburg. 30 Allgemeine Gewerbe-Ordnung für die Preußischen Staaten. Ein Hilfsbuch für Beamte und Gewerbetreibende, 3. Auflage, 1852, Magdeburg. 31 Allgemeine Gewerbe-Ordnung für die Preußischen Staaten. Ein Hilfsbuch für Beamte und Gewerbetreibende, 3. Auflage, 1852, Magdeburg. 32 Allgemeine Gewerbe-Ordnung für die Preußischen Staaten. Ein Hilfsbuch für Beamte und Gewerbetreibende, 3. Auflage, 1852, Magdeburg. 23

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C. Überbetrieblichkeit als Erfordernis des Art. 9 Abs. 3 GG

Im Kontext der Revolution von 1848 hatten die Verbote keinen Bestand mehr und ein Vereinigungsrecht wurde im Rahmen der „Grundrechte des deutschen Volkes“ durch die Frankfurter Nationalversammlung beschlossen.33 § 162 der Frankfurter Reichsverfassung lautet: „Die Deutschen haben das Recht, Vereine zu bilden. Dieses Recht soll durch keine vorbeugende Maßregel beschränkt werden.“34 Allerdings wurden die Grundrechte mit dem sog. Bundesreaktionsbeschluss vom 23. 5. 1851 wieder aufgehoben.35 Dass die Gewerkschaftsidee nicht zerstört werden konnte, zeigten die Zusammenschlüsse der Buchdrucker und Zigarrenarbeiter in den 60er Jahren, denen eine Verbreitung folgte.36 Diese Gründungen und zahlreiche Streikaktionen in dieser Zeit zeigten, dass die Arbeiterbewegung trotz der Verbote neuen Auftrieb erhielt. Der Eindruck, dass diese sich nicht vollständig unterdrücken ließ und in Verhandlungen möglicherweise Vereinbarungen über Löhne und Arbeitsbedingungen ruhiger gestaltet werden könnten, mag einen Teil dazu beigetragen haben, dass in der Gewerbeordnung des Norddeutschen Bundes, der späteren Reichsgewerbeordnung, das Koalitionsverbot in §§ 152, 153 RGewO37 aufgehoben wurde.38 Dort heißt es in § 152, dass sämtliche „Verbote und Strafbestimmungen gegen Gewerbetreibende, gewerbliche Gehilfen, Gesellen oder Fabrikarbeiter wegen Verabredungen und Vereinigungen zum Behufe der Erlangung günstiger Lohn- und Arbeitsbedingungen, insbesondere mittels Einstellung der Arbeit oder Entlassung der Arbeiter“ aufgehoben werden.39 Allerdings betraf dies nicht alle Arbeiter, sondern lediglich jene, die im gewerblichen Bereich tätig waren.40 Die Arbeiterbewegung konnte in der folgenden Zeit zunehmende Erfolge verbuchen. Die Buchdrucker erkämpften nach langen Auseinandersetzungen 1873 den ersten Tarifvertrag.41 Die SPD konnte bei Wahlen immer größere Stimmenerfolge erzielen.42 1878 erging das „Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“.43 Die Koalitionsfreiheit blieb zwar formell unberührt, aber inner-

33

Kühne, Reichsverfassung der Paulskirche, S. 399 ff. Abgedruckt in: Kotulla, Deutsches Verfassungsrecht I, S. 1042 ff. 35 Kühne, Reichverfassung der Paulskirche, S. 89 f. 36 Schneider, Geschichte der Gewerkschaften S. 39 f. 37 Bundesgesetzblatt des Norddeutschen Bundes 1869, S. 245 ff. 38 Dreschers, Entwicklung des Rechts des Tarifvertrags, S. 27; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 92 f; Däubler, in: ders., TVG, Einleitung, Rn. 6; Kaskel, Arbeitsrecht, S. 224. 39 Bundesgesetzblatt des Norddeutschen Bundes 1869, S. 245 ff. 40 Nikisch, Arbeitrecht, S. 18 f. 41 Oetker, in: Wiedemann, TVG, Geschichte, Rn. 4; Bobke/Weinmann, Arbeitskampfrechtsprechung, S. 12. 42 Miller/Potthof, Geschichte der SPD, S. 284 ff. 43 RGBl 1878, S. 351 ff; dazu: Dreschers, Entwicklung des Rechts des Tarifvertrags, S. 29 f; Miller/Potthoff, Geschichte der SPD, S. 47. 34

IV. Historische Auslegung

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halb kurzer Zeit wurden zahlreiche gewerkschaftliche Zentralverbände und lokale Berufsvereine verboten.44 Nach dem Fall des „Sozialistengesetzes“ im Jahr 1890 konnte die Arbeiterbewegung ein rasantes Wachstum verzeichnen. Im Jahre 1891 lag die Zahl der gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmer bei gut 270 000 und im Jahre 1913 bereits bei über zwei Millionen.45 1914 waren es über drei Millionen, was mehr als 40 v. H. der Industriearbeiterschaft bzw. 26 v. H. aller im Gewerbe Tätigen waren.46 Anfang des 20. Jahrhunderts erlangte der Tarifvertrag zunehmende Bedeutung, in dem er sich in Gewerbezweigen, die von mittleren und kleineren Unternehmen wie dem Bauoder Grafikgewerbe oder dem Bereich der Metallverarbeitung geprägt waren, durchsetzte.47 1913 konnte man über 12.000 Tarifverträge für 218.000 Betriebe mit über zwei Millionen Beschäftigten zählen.48 Dabei waren 79, 5 % der Tarifverträge ohne Streik zustande gekommen.49 Gleichzeitig ist zu beachten, dass es in Kernbereichen der Wirtschaft wie der Chemie, der Schwerindustrie und des Bergbaus nur in sehr geringem Maße gelang, Tarifverträge durchzusetzen.50 1910 wurde der Tarifvertrag von der Rechtsprechung den allgemeinen Regeln des Vertragsrechts zugeordnet und als verbindlich anerkannt.51 Eine gesetzliche Regelung unterblieb, obwohl derartige Fragen Gegenstand juristischer Erörterungen waren52, im Reichstag diskutiert wurden53 und beispielsweise vom 29. Deutschen Juristentag 1908 eine ebensolche gesetzliche Regelung explizit eingefordert wurde54. Nach dem Ersten Weltkrieg war zunächst das „Abkommen über die Bildung einer Zentralarbeitsgemeinschaft“ vom 15. November 1918, auch bekannt als „Stinnes-Legien-Abkommen“, von Bedeutung.55 In diesem erkannten die Arbeitgeber die Gewerkschaften als „berufene Vertretung der Arbeiterschaft“ an. Darüber hinaus wur-

44

Umbreit, Gewerkschaftsbewegung, S. 3 f. Umbreit, Gewerkschaftsbewegung, S. 172; Grebing, Geschichte der Arbeiterbewegung, S. 102. 46 Henning, Industrialisierung in Deutschland, S. 275. 47 Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 103. 48 Grebing, Geschichte der Arbeiterbewegung, S. 103; Oetker, in: Wiedemann, TVG, Geschichte, Rn. 4. 49 Schneider, Geschichte der Gewerkschaften, S. 109. 50 Oetker, in: Wiedemann, TVG, Geschichte, Rn. 4. 51 RGZ 73, 92 ff. 52 Sinzheimer, Arbeitstarifgesetz, S. 18. 53 Dreschers, Entwicklung des Rechts des Tarifvertrags, S. 59 f ; Oetker, in: Wiedemann, TVG, Geschichte, Rn. 6. 54 Burkiczak, Deregulierung, S. 29; Dreschers, Entwicklung des Tarifvertragsrechts S. 62 f; Oetker, in: Wiedemann, TVG, Geschichte, Rn. 6. 55 von Lewinski, JuS 2009, S. 509. 45

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C. Überbetrieblichkeit als Erfordernis des Art. 9 Abs. 3 GG

den Kollektivvereinbarungen zwischen den Verbänden der Arbeitgeber und den Arbeitnehmerorganisationen über die Arbeitsbedingungen gebilligt.56 Die rechtliche Anerkennung von Tarifverträgen erfolgte nach der Novemberrevolution 1918 durch die „Verordnung über Tarifverträge, Arbeiter- und Angestelltenausschüsse und Schlichtung von Arbeitsstreitigkeiten“ vom 23. Dezember 1918.57 Dort hieß es in § 1, dass Arbeitsverträge insoweit unwirksam sind, „als sie von der tariflichen Regelung abweichen“.58 Darauf folgte die verfassungsrechtliche Anerkennung mit der Weimarer Reichsverfassung vom 11. August 1919, in der die Vereinigungsfreiheit in Art. 159 WRV und der Schutz der zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden geschlossenen Vereinbarungen in Art. 165 WRV festgeschrieben wurden. Die Gewerkschaften organisierten sich auf beruflich-fachlicher Ebene, so dass deren Bedeutung entsprechend zunahm und Ende 1922 fast 900.000 Betriebe mit 14, 6 Mio. Beschäftigten von einem Tarifvertrag erfasst waren.59

2. Schutz der Koalitionen in der WRV In Art. 159 WRV wird die Koalitionsfreiheit geschützt. Art. 159 WRV lautet: „Die Vereinigungsfreiheit zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Alle Abreden und Maßnahmen, welche diese Freiheit einzuschränken oder zu behindern suchen, sind rechtswidrig.“ Einigkeit besteht darüber, dass der Schutz der Freiheit, einer Koalition beizutreten60 und sich dementsprechend zu betätigen61, von Art. 159 WRV umfasst ist. Inwieweit Art. 159 WRVauch die negative Koalitionsfreiheit schützt und Koalitionen als solche Träger des Grundrechts sind, war umstritten.62 Mit Art. 165 WRV wurde die Koalitionsfreiheit in den Bereich des Wirtschaftslebens eingeordnet und die Bipolarität zwischen organisierten Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinteressen als zentraler Ordnungsfaktor der Arbeitsordnung qualifiziert.63 Der Wortlaut des Art. 165 WRV lautet wie folgt: „Die Arbeiter und Angestellten sind dazu berufen, gleichberechtigt in Gemeinschaft mit den Unternehmern an der 56 Oetker, in: Wiedemann, TVG, Geschichte, Rn. 7; Dreschers, Entwicklung des Tarifvertragsrechts S. 72. 57 RGBl 1918, S. 1456 ff. 58 RGBl 1918, S. 1456. 59 Däubler, in: ders., TVG, Einleitung, Rn. 25 a; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 118. 60 Englberger, Tarifautonomie, S. 138; Anschütz, Verfassung des Deutschen Reichs, § 159, Rn. 4; Poetzsch-Heffter, Reichsverfassung, § 159, Rn. 3d); Stier-Somlo, Verfassung, S. 100 ff. 61 Gusy, Weimarer Reichsverfassung, S. 359, 361 ff; Sinzheimer, Grundzüge des Arbeitsrechts, S. 44; Giese, Verfassung des deutschen Reiches, Art. 159, Rn. 3. 62 S. hierzu Nipperdey, in: ders., S. 407, 418 ff, 428 ff; zur negativen Koalitionsfreiheit s. Borchard, Differenzierungsklauseln, S. 41. 63 Höfling, in: Sachs, Art. 9, Rn. 50.

IV. Historische Auslegung

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Regelung der Lohn- und Arbeitsbedingungen sowie an der gesamten wirtschaftlichen Entwicklung der produktiven Kräfte mitzuwirken. Die beiderseitigen Organisationen und ihre Vereinbarungen werden anerkannt.“ Mit der Regelung des Art. 165 WRV sollte die Gleichberechtigung von Arbeitnehmern und Arbeitgebern gewährleistet werden.64 Gleichzeitig diente die Gewährleistung der Koalitionen dazu, die Tarifhoheit der Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände gegenüber der Räteorganisation des Art. 165 WRV abzuschirmen.65 Vom Programm des Art. 165 Abs. 2 bis 6 WRV sind lediglich die Betriebsräte verwirklicht worden. Der Dualismus von tariflicher und betrieblicher Ebene, der hier schon vorsichtig erkennbar war, hat sich auch später in der Bundesrepublik mit der Schaffung des BetrVG und des TVG durchgesetzt.

3. Überbetrieblichkeit als Erfordernis des Art. 159 WRV Zu Zeiten der Weimarer Republik war die Frage der Überbetrieblichkeit umstritten. a) Überbetrieblichkeit als notwendiges Kriterium Ein Teil der Literatur vertrat in der Weimarer Republik die Auffassung, dass die Überbetrieblichkeit eines Arbeitnehmerzusammenschlusses eine notwendige Voraussetzung für eine Koalition sei.66 Argumentiert wurde für diese Auffassung mit dem Wortlaut des Art. 159 WRV, der besagt, dass „für alle Berufe“ die Koalitionsfreiheit zu gewährleisten ist. Dies wurde dahingehend interpretiert, dass diese Formulierung lediglich den Zusammenschluss von Menschen mit dem gleichen Beruf bzw. des gleichen Wirtschaftszweiges aber nicht des gleichen Betriebes beinhalte.67 Außerdem wurden aus der Entstehungsgeschichte von den Befürwortern Argumente für die Überbetrieblichkeit als notwendiges Erfordernis abgeleitet. So wurde vorgebracht, dass Gewerkschaften ihre Organisation auf beruflich-fachlicher Grundlage vorangetrieben hätten, während die betrieblichen Werkvereine im dezidierten Gegensatz zu den Gewerkschaften gegründet worden seien.68 Bei den Werkvereinen bzw. gelben Gewerkschaften oder wirtschaftsfriedlichen Verbände handele es sich um Zusammenschlüsse von Arbeitnehmern, die sich oftmals auf Initiative und mit Unterstützung des Arbeitgebers gegründet und sich meist auf einen Betrieb beschränkt hätten.69 Mit der Formulierung „den wirtschaftlichen Vereinigungen der Arbeitnehmer“

64 65 66 67 68 69

Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 116. Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 116. Böker, Tariffähigkeit, S. 69 ff. Böker, Tariffähigkeit, S. 72. Nipperdey, in: ders., Art. 159, § 2 II) I) 3). Ramm, RdA 1968, S. 414.

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C. Überbetrieblichkeit als Erfordernis des Art. 9 Abs. 3 GG

habe der Gesetzgeber an den vorgefundenen Zustand anknüpfen und lediglich die originären Gewerkschaften unter Schutz stellen wollen.70 In Art. 161 II a des deutsch-polnischen Abkommens über Oberschlesien vom 15. 05. 1922, das den Begriff der Arbeitnehmervereinigung für den Geltungsbereich des Abkommens näher definiert hat, fand sich eine Regelung über die Frage der Arbeitnehmerzusammenschlüsse.71 Allerdings besagte dieser Artikel lediglich, dass die Mitgliedschaft nicht davon abhängig gemacht werden könne, zu einem bestimmten Betrieb zu gehören, aber nicht, dass ein Arbeitnehmerzusammenschluss, in den nur Arbeitnehmer eines bestimmten Betriebes eintreten, keine Koalition darstelle.72 Weiter wurde auf den Dualismus zwischen betrieblicher und beruflicher Organisation hingewiesen, der dafür spreche, das Kriterium der Überbetrieblichkeit als erforderlich anzusehen.73 Nach Herschels Auffassung seien Werkvereine „nicht gegnerrein, organisatorisch zu wenig bedeutend, ferner zu wenig zentralisiert, in ihrer Sozialauffassung zu wenig vom Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit beeinflusst und in ihrer Mentalität dem Geiste der Sozialpolitik zu fremd“.74 Er argumentiert daneben insbesondere damit, dass der Staat den Tarifparteien Hoheitsbefugnisse verleihe und diese nur Organisationen verliehen werden könnten, die dafür geeignet seien und er dies bei den Werkvereinen verneinen würde.75 b) Unabhängigkeit der Koalitionen als notwendiges Kriterium Nach einer weiteren Auffassung wurde die kollektive Koalitionsfreiheit derart verstanden, dass für den Schutz durch Art. 159 WRV die Eigenschaft der tatsächlichen Unabhängigkeit zwingende Voraussetzung erforderlich sei.76 Wie die tatsächliche Unabhängigkeit eines Arbeitnehmerzusammenschlusses zu bestimmen ist, war wiederum umstritten.

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Nipperdey, in: ders., Art. 159 § 2 II. I. 3. „Artikel 161 (1) Arbeitnehmervereinigungen im Sinne des Artikel 159 sind freiwillige Vereinigungen von Arbeitnehmern ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit, die sich unter Ablehnung politischer Ziele ausschließlich oder überwiegend mit der Regelung der Arbeitsverhältnisse durch Tarifvertrag beschäftigen. (2) Sie müssen ferner folgenden Bedingungen entsprechen: a) Die Mitgliedschaft darf von der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Betrieb nicht abhängig sein. b) Arbeitgeber dürfen nicht als Mitglieder aufgenommen, Unterstützungen oder sonstige Zuwendungen von Arbeitgeberseite dürfen nicht angenommen werden. c) Die Wahrnehmung der Interessen ihrer Mitglieder muss selbständig und unabhängig von nicht gewerkschaftlichen, insbesondere von politischen Einflüssen erfolgen.“ in: RGBl 1922 II, S. 237, 305. 72 Reiß, Tarifautonomie, S. 178. 73 Nipperdey, in: ders., Art. 159, § 2 II) I) 3). 74 Herschel, Tariffähigkeit, S. 38. 75 Herschel, Tariffähigkeit, S. 38. 76 Bloch, Tariffähigkeit, S. 22 ff. 71

IV. Historische Auslegung

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Die Rechtsprechung stellte auf den Einzelfall ab.77 Der Umstand, dass der Zusammenschluss lediglich aus Arbeitnehmern aus einem Betrieb besteht und der Arbeitgeber durch die Möglichkeit der Entlassung Einfluss auf den Zusammenschluss ausüben könne, sei bedeutend, aber führe nicht dazu, dass solche Zusammenschlüsse grundsätzlich keine Vereinigungen darstellten.78 Die fehlende Unabhängigkeit müsse im Einzelfall festgestellt werden.79 Auch ein Teil in der Literatur folgte der Auffassung der Rechtsprechung, dass es auf die Unabhängigkeit einer Vereinigung ankomme und bei einem Werkverein nicht generell behauptet werden könne, dass er diese Unabhängigkeit nicht habe.80 Es sei nicht gesagt, dass Werkvereinen grundsätzlich die Möglichkeit versagt sei, auf den Inhalt eines Tarifvertrags Einfluss zu nehmen.81 Wenn der Einfluss des Arbeitgebers allerdings „derartig überragend und ausschlaggebend sei, dass der Verein sich ihm nicht entziehen“ könne, würde es an der erforderlichen Tariffähigkeit fehlen.82 Teilweise wurde auch die Überbetrieblichkeit als Kriterium zur Bestimmung der Unabhängigkeit abgelehnt und die Bestimmung der Unabhängigkeit anhand organisatorischer, finanzieller, sozialer und geistiger Faktoren bevorzugt.83 Demgegenüber wurde in der Literatur aber auch vertreten, dass ein Arbeitnehmerzusammenschluss, der sich aus Arbeitnehmern eines Betriebes zusammensetzt, nicht unabhängig sein könne, so dass die Unabhängigkeit bei nicht überbetrieblichen Zusammenschlüssen grundsätzlich nicht gegeben sei.84 Die Abhängigkeit eines Werkvereins aufgrund von Kündigungsmöglichkeiten und Schließungen sei so groß, dass die Gewerkschaften nur auf überbetrieblicher Grundlage ihren „wichtigen sozialen und wirtschaftlichen Aufgaben“ nachkommen könnten.85 Sinzheimer vertrat, dass eine Gewerkschaft, die auf einen Betrieb beschränkt sei, nicht selbstständig und unabhängig sein könne.86 Die Unabhängigkeit werde „durch die Abhängigkeit, in der die Vereinsmitglieder und ihre Organe auf Grund ihrer Arbeitsverträge stehen“ gehemmt.87 Eine Vereinigung von Arbeitnehmern würde folglich voraussetzen, dass sie überbetrieblich organisiert ist und ihre Macht über den einzelnen Betrieb hinausgeht.88 77

RAGE 2, 299, 303 f; 3, 170, 172 f; 3, 357, 359. RAGE 2, 299, 303 f; Kaskel, Arbeitsrecht, S. 26, Fn. 5. 79 RAGE 2, 299, 303 f; Kaskel, Arbeitsrecht, S. 26, Fn. 5. 80 Tatarin-Tarnhenden, Berufsverbände und Wirtschaftsdemokratie S. 30 f.; Molitor, Kommentar TVVO, § 1 Rn. 10. 81 Bloch, Tariffähigkeit, S. 23. 82 Bloch, Tariffähigkeit, S. 23. 83 Scheer, Tariffähigkeit, S. 54 ff. 84 Sitzler, Tariffähigkeit, S. 19. 85 Sitzler, Tariffähigkeit, S. 19 f. 86 Sinzheimer, Grundzüge des Arbeitsrechts, S. 70, s.a. ders., Arbeitstarifgesetz, S. 55 ff. 87 Sinzheimer, Grundzüge des Arbeitsrechts, S. 70. 88 Sinzheimer, Grundzüge des Arbeitsrechts, S. 70 f. 78

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C. Überbetrieblichkeit als Erfordernis des Art. 9 Abs. 3 GG

c) Zwischenergebnis Hinsichtlich der Frage, ob eine Koalition auf überbetrieblicher Grundlage organisiert sein müsse, gab es in der Weimarer Republik unterschiedliche Positionen.89 Das Bundesverfassungsgericht hat mehrfach ausgeführt, dass in der Weimarer Zeit sowohl in Rechtsprechung als auch in Literatur die Überbetrieblichkeit als zwingende Voraussetzung für die Annahme einer Koalition im Sinne des Art. 159 WRV angesehen worden sei.90 Dieser Einschätzung kann nicht gefolgt werden. Somit gibt die weitgehende Übernahme des Wortlauts des Art. 159 WRV in Art. 9 Abs. 3 GG keinen Aufschluss darüber, ob der Gesetzgeber damit die Überbetrieblichkeit als notwendiges Kriterium vorausgesetzt wissen wollte oder nicht.

4. Wortwahl nach 1945 Die Beratungen zum Grundgesetz werden im Hinblick für die Frage der Überbetrieblichkeit im Folgenden behandelt. Der „Bayerische Entwurf eines Grundgesetzes für den Verfassungskonvent“, der bei den Beratungen auf Herrenchiemsee erhebliche Bedeutung spielte, hatte noch keinerlei dem jetzigen Grundgesetz vergleichbaren Freiheitsgarantien.91 Bezüglich der Länderverfassungen wurde lediglich in Art. 11 festgehalten, dass allgemeine Rechte zu gewährleisten seien.92 Die zu diesem Entwurf vorgelegten „Leitgedanken“ enthielten dann zwar Freiheits- und Bürgerrechte, aber die Koalitionsfreiheit kam dort noch nicht vor.93 Im Entwurf des Verfassungskonvents, der auf Herrenchiemsee als „Entwurf für ein Grundgesetz“ vorgelegt wurde, gab es einen Grundrechtskatalog, der aber lediglich die allgemeine Vereinigungsfreiheit und noch nicht die spezielle Gewährleistung der Koalitionsfreiheit enthielt.94 In den Beratungen des Ausschusses 89 Müller, Gewerkschaftsbegriff, S. 53; Stelling, NZA 1998, S. 922; Rehbinder, DVBl 1982, S. 138; Nipperdey, in: Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht II, Rn. 35. 90 BVerfGE 4, 96, 106 f; 18, 18, 28; so auch Dersch-Volkmar, ArbGG, § 10 5 b gg). 91 Bayerischer Entwurf eines Grundgesetzes für den Verfassungskonvent, S. 1 ff. 92 Bayerischer Entwurf eines Grundgesetzes für den Verfassungskonvent: „Art. 11 Die Landesverfassungen müssen folgenden Grundsätzen entsprechen: 1. Sie müssen die allgemeinen Rechte der Menschen und Bürger gewährleisten.“, Text in Deutscher Bundestag, Der Parlamentarische Rat 1948 – 1949 Bd. II, S. 1, 5. 93 Bayerische Leitgedanken für die Schaffung des Grundgesetzes: „Die Bürgerrechte sind: 1. Das Recht der freien Meinung, 2. das Vereinigungs- und Versammlungsrecht, 3. das Abstimmungs- und Wahlrecht, 4. das Recht auf Zulassung zu öffentlichen Ämtern, 5. das Recht auf verfassungsmäßige Gesetzgebung, 6. das Recht auf gesetzmäßige Verwaltung, 7. das Recht auf geordnetes und gerechtes Gericht, 8. das Antragsrecht und das Recht der Verfassungsbeschwerde.“ Text in Deutscher Bundestag, Der Parlamentarische Rat 1948 – 1949 Bd. II, S. 44 ff. 94 Entwurf eines Grundgesetzes:. „Art. 9 (1) Alle haben das Recht, Vereine oder Gesellschaften zu bilden. (2) Vereinigungen, die rechts- oder sittenwidrige Zwecke verfolgen oder die Demokratie oder die Völkerverständigung gefährden, sind verboten.“ Text in Deutscher Bundestag, Der Parlamentarische Rat 1948 – 1949 Bd. II, S. 579 ff.

IV. Historische Auslegung

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für Grundsatzfragen des Parlamentarischen Rates war die Vereinigungsfreiheit Gegenstand. Während die negative Koalitionsfreiheit explizit erörtert wurde, gibt es hinsichtlich der kollektiven Koalitionsfreiheit, der Betätigungsfreiheit der Koalitionen und der Tarifautonomie derartige Hinweise nicht.95 Auch wenn detaillierte Regelungen der Weimarer Reichsverfassung im Regelungsabschnitt zum „Wirtschaftsleben“ nicht in das Grundgesetz übernommen wurden, so ändert dies nichts an der grundsätzlichen Kontinuität.96 Die Zuordnung der Koalitionsfreiheit in den Grundrechtskatalog und nicht in einen Regelungsabschnitt zum „Arbeits- und Wirtschaftsleben“ hängt vielmehr damit zusammen, dass der Grundgesetzgeber sich hinsichtlich der Wirtschaftsform nicht festlegen wollte.97 Dabei ist zu beachten, dass die Wortwahl des Art. 9 Abs. 3 GG weitgehend dem Wortlaut des Art. 159 WRVentspricht. Dies lässt jedoch keine Rückschlüsse auf die Frage der Überbetrieblichkeit zu, da in der Weimarer Zeit umstritten war, ob lediglich überbetriebliche Zusammenschlüsse vom verfassungsrechtlichen Koalitionsbegriff erfasst sind. Aus der originären Entstehungsgeschichte des Art. 9 Abs. 3 GG heraus gibt es keine Anhaltspunkte dafür, ob der Verfassungsgesetzgeber mit dieser Formulierung betrieblich organisierte Zusammenschlüsse vom Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG ausschließen oder einschließen wollte.

5. Wortwahl im Kontext der deutschen Vereinigung Im Rahmen der Wiedervereinigung wurde der „Vertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion“ am 18. Mai 1990 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik geschlossen. In Art. 17, der mit „Grundsätze der Arbeitsrechtsordnung“ überschrieben worden ist, wurde festgeschrieben, dass die Koalitionsfreiheit und die Tarifautonomie gelten sollen.98 Darüber hinaus wurden Leitsätze vereinbart. Unter der Zwischenüberschrift „Sozialunion“ wurden diese im zweiten Unterpunkt hinsichtlich des Koalitionsbegriffs folgendermaßen umschrieben:„Tariffähige Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände müssen frei gebildet, gegnerfrei, auf überbetrieblicher Grundlage organisiert und unabhängig sein, sowie das geltende Tarifrecht als für sich verbindlich anerkennen; ferner müssen sie in der Lage sein, durch Ausüben von Druck auf den Ta95

Bericht des Unterausschusses I, Deutscher Bundestag, Der Parlamentarische Rat 1948 – 1949 Bd. II, S. 222 f und ebenso im Bericht über den Verfassungskonvent, Deutscher Bundestag, Der Parlamentarische Rat 1948 – 1949 Bd. II, S. 514 f. 96 Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 9, Rn. 155. 97 Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 9, Rn. 155. 98 BGBl. 1990 II, S. 537, 540: „Art. 17 Grundsätze der Arbeitsrechtsordnung. In der Deutschen Demokratischen Republik gelten Koalitionsfreiheit, Tarifautonomie, Arbeitskampfrecht, Betriebsverfassung, Unternehmensmitbestimmung und Kündigungsschutz entsprechend dem Recht der Bundesrepublik Deutschland; näheres ergibt sich aus dem Gemeinsamen Protokoll über die Leitsätze und den Anlagen II und III.“

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C. Überbetrieblichkeit als Erfordernis des Art. 9 Abs. 3 GG

rifpartner zu einem Tarifabschluss zu kommen.“99 Dort wurde explizit festgehalten, dass Koalitionen überbetrieblich organisiert sein müssten. Folglich ist zu klären, welche rechtliche Wirkung dem zukommt. Die rechtliche Bedeutung dieser Leitsätze ist umstritten. Nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts sei mit dem Staatsvertrag in Verbindung mit den Leitsätzen und dem Zustimmungsgesetz des Deutschen Bundestages vom 25. Juni 1990100 eine „wesentliche Änderung der Qualität der Kriterien für die Annahme einer Gewerkschaft eingetreten, die einer Gesetzesänderung gleichzusetzen ist“.101 Kempen ist der Auffassung, dass der Gesetzgeber § 2 TVG nachträglich „eine inhaltliche konkretisierende Erläuterung“ gegeben habe, die wie eine nachgeschobene Begründung zum Gesetz behandelt werden könnte.102 Bedeutung entfalte eine Gesetzesbegründung insbesondere, wenn sie in jüngerer Zeit erfolgt sei, da sie die Entscheidungsfindung des Gesetzgebers noch relativ wirklichkeitsnah wiedergebe.103 Müller führt an, dass sich zwei Staatswesen auf eine Definition der Tariffähigkeit geeinigt hätten und der Staatsvertrag damit „wenigstens eine – und zwar doch zu beachtende – Interpretationshilfe“ darstelle.104 Ähnlich argumentiert Richardi, nach dem der Staatvertrag „für die Interpretation des geltenden Arbeitsrechts ein grundlegendes Rechtsdokument sei“.105 Demgegenüber wird aber auch vertreten, dass es sich bei dem Staatsvertrag um eine gesetzlich verbindliche Auslegungsregel handelt.106 Der Staatsvertrag wurde in innerstaatliches Recht umgesetzt und damit beansprucht er für das Gebiet der ehemaligen DDR Geltung. Würde man die Geltung jedoch lediglich für das Gebiet der ehemaligen DDR annehmen, hätte dies zur Konsequenz, dass die Koalitionsfreiheit für den entsprechenden Zeitraum anders gestaltet gewesen wäre als in der alten Bundesrepublik. In Art. 1 des Staatsvertrags wird als Ziel die Errichtung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion und damit die Schaffung einer einheitlichen Rechtsordnung für beide Gebiete formuliert.107 Angesichts dieser angestrebten Rechtseinheit BGBl. 1990 II, S. 537, 545, Gemeinsames Protokoll über Leitsätze, Leitsatz A III Nr. 2. BGBl II 1990, S. 518 ff. 101 BAGE 95, 47, 57; gleichzeitig hatte das Bundesarbeitsgericht in BAGE 66, 258 die soziale Mächtigkeit als Voraussetzung zur Annahme der Tariffähigkeit ohne nähere Begründung hinsichtlich der Bedeutung des Staatsvertrages abgelehnt. 102 Kempen, in: Kempen/Zachert, TVG, Grundlagen, Rn. 47; ders., FS 50 Jahre BAG, S. 733, 735. 103 Kempen, FS 50 Jahre BAG, S. 733, 735. 104 Müller, DB 1992, S. 273, Fn. 43. 105 Richardi, DB 1990, S. 1615; später präzisierte er diese Formulierung in NZA 2004, S. 1028 dahingehend, dass die „Beurteilungskriterien einer tariffähigen Gewerkschaft keine andere Rechtsqualität“ durch den Staatsvertrag erhalten habe, sondern man für die „Interpretation auf dieses Rechtsdokument zurückgreifen könne“. 106 Kissel, NZA 1990, S. 549; Gitter, FS Kissel, S. 265, 271; Schrader, NZA 2001, S. 1340. 107 Vertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik: „Art. 1 Gegen99

100

IV. Historische Auslegung

141

zwischen DDR und Bundesrepublik könne es nicht das Ziel sein, unterschiedliche Gewährleistungsgehalte von Freiheitsrechten zuzulassen, sondern vielmehr müssten in beiden Staaten die gleichen Freiheitsrechte mit den gleichen Gewährleistungen gelten und die im Staatsvertrag enthaltenen Freiheitsgewährleistungen in der Bundesrepublik zumindest als verbindliche Auslegungsregeln zur Anwendung kommen.108 Hiergegen wird eingewandt, dass der Staatsvertrag Gesetzeskraft lediglich für die DDR entfaltet habe und im Übrigen mit dem Beitritt nach Art. 40 Abs. 1 Einigungsvertrag109 vom 30. 8. 1990 der Staatsvertrag gegenstandslos geworden sei.110 Die Geltung der Koalitionsfreiheit sei in Art. 8 des Einigungsvertrags111 geregelt. Mit dem Staatsvertrag sollte nur Übergangsrecht geschaffen werden und dieser könne deshalb lediglich als „unverbindliche Auslegungshilfe“ behandelt werden.112 Dagegen wird eingewandt, dass der Einigungsvertrag keine abschließenden und endgültigen Regelungen hinsichtlich der Koalitionsfreiheit enthalten habe und folglich keinesfalls sämtliche Regelungen des Staatsvertrags obsolet gewesen seien.113 Mit der Formulierung im Staatsvertrag hat der Gesetzgeber zumindest eine inhaltliche Bestätigung der von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien für eine Koalitionseigenschaft vorgenommen.114 Jedoch kann weder der Umstand, dass der Vertrag von einer verfassungsändernden Mehrheit angenommen wurde, noch die Tatsache, stand des Vertrags (1) Die Vertragsparteien errichten eine Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion.“, BGBl 1990 II, S. 537. 108 Gitter, in FS Kissel, S. 265, 271 f; Kissel, NZA 1990, S. 549 f, wo es hinsichtlich der hier in Frage stehenden Vorschrift heißt: „Auch diese Vorschrift, für die DDR gedacht wie die soeben erörterte Regelung zur Koalitionsfreiheit, geht in ihrem Normierungseffekt über den allein auf eine rechtliche Gesamtschau in der Rechtsprechung gegründeten Rechtszustand in der Bundesrepublik hinaus, und diese konkretisierende Vorschrift wird aus den oben angeführten Gründen im Interesse der Rechtseinheit auch in der Bundesrepublik jedenfalls als bindende Auslegungsregel anzusehen sein.“ 109 Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands – Einigungsvertrag –: „Art. 41 Verträge und Vereinbarungen (1) Die Verpflichtungen aus dem Vertrag vom 18. Mai 1990 über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts-, und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik gelten fort, soweit nicht in diesem Vertrag Abweichendes bestimmt wird oder die Vereinbarungen im Zuge der Herstellung der Einheit Deutschlands gegenstandslos werden“, BGBl II 1990, S. 889, 903. 110 Löwisch/Rieble, TVG, § 2, Rn. 7; Oetker, in: Wiedemann, TVG, § 2, Rn. 204; Peter, in: Däubler, TVG, § 2, Rn. 116. 111 Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands – Einigungsvertrag: „Art. 8 Überleitung von Bundesrecht. Mit dem Wirksamwerden des Beitritts tritt in dem in Artikel 3 genannten Gebiet Bundesrecht in Kraft, soweit es nicht in seinem Geltungsbereich auf bestimmte Länder oder Landesteile der Bundesrepublik Deutschland beschränkt ist und soweit durch diesen Vertrag, insbesondere dessen Anlage I, nichts anderes bestimmt wird.“, BGBl II 1990, S. 889, 892. 112 Löwisch/Rieble, TVG, § 2, Rn. 7. 113 Gitter, FS Kissel, S. 265, 271; Schrader, NZA 2001, S. 1340. 114 BAGE 95, 47, 56 ff; Kempen, FS 50 Jahre BAG, S. 733, 735.

142

C. Überbetrieblichkeit als Erfordernis des Art. 9 Abs. 3 GG

dass es sich bei dem Staatsvertrag um ein herausragendes Dokument für die deutsche Geschichte handelt, darüber hinwegtäuschen, dass der Staatsvertrag vom 18. Mai 1990 nicht Verfassungsqualität besitzt.115 Der Staatsvertrag hat mit der Zustimmung des Deutschen Bundestags und der Volkskammer der ehemaligen DDR den Charakter einfachen Rechts erlangt.116 Einfaches Gesetz kann nicht als verbindliche Auslegungshilfe für die Interpretation einer Verfassungsnorm angeführt werden.117 Im Rahmen der Auslegung des Tarifvertraggesetzes kann dem Staatsvertrag Ausstrahlungswirkung zukommen, für die Auslegung des Art. 9 Abs. 3 GG kann der Staatsvertrag jedoch unabhängig davon, wie man sich zu den hier im Einzelnen dargestellten Auffassungen verhält, keine eigenständige Bedeutung entfalten.118

6. Zwischenergebnis Aus der historischen Auslegung ergibt sich nicht, ob die Überbetrieblichkeit zwingendes Erfordernis des Schutzes durch Art. 9 Abs. 3 GG ist.

V. Systematische Auslegung Im Rahmen der systematischen Auslegung ist auf die Stellung des Tarifvertragsgesetzes und den Dualismus von Betriebsverfassungsgesetz und Tarifvertragsgesetz einzugehen.

1. Stellung des Tarifvertragsgesetzes Für einen betrieblich organisierte Vereinigungen ausschließenden Koalitionsbegriff wird teilweise auf die Wortwahl im Tarifvertragsgesetz verwiesen.119 Der Verfassungsausschuss und der anschließend später zusammengekommene Parlamentarische Rat haben sich im Rahmen der Ausarbeitung der Verfassung auch mit der Koalitionsfreiheit beschäftigt und gleichzeitig über ein Tarifvertragsgesetz verhandelt. Kempen vertritt, dass sich das „gleichzeitig verhandelte vorkonstitutionelle Tarifvertragsgesetz“ als „prägende Vorgabe für die konkrete Reichweite der Tarifautonomie und damit für die grundrechtliche Arbeitsverfassung“ dargestellt habe.120 Folglich 115

Säcker/Oetker, Tarifautonomie, Grundlagen, § 1, Fn. 2. Säcker/Oetker, Tarifautonomie, Grundlagen, § 1 Fn. 2. 117 Säcker/Oetker, Tarifautonomie, Grundlagen, § 1, Fn. 2; Oetker, FS Stahlhacke, S. 363, 386, Fn. 109. 118 So auch: Höfling/Burkiczak, RdA 2004, S. 268. 119 Kempen, in: Kempen/Zachert, TVG, Grundlagen, Rn. 44; zur Entstehungsgeschichte: Koselke, BB 1949, 83; Storch, BB 1949, S. 233. 120 Kempen, in: Kempen/Zachert, TVG, Grundl, Rn. 44. 116

V. Systematische Auslegung

143

könnten die wesentlichen Positionen des Gesetzes Hinweise für die Verfassungsinterpretation beinhalten.121 Die Wahl des Begriffs „Gewerkschaften“ im Tarifvertragsgesetz statt des zuvor verwendeten Begriffs „Vereinigungen von Arbeitnehmern“ könnte ein Indiz dahingehend sein, dass künftig nur noch überbetrieblich organisierte Zusammenschlüsse als Koalition angesehen werden sollten.122 Dieser Interpretation liegt zugrunde, dass die Werkvereine, d. h. die lediglich betrieblich organisierten Arbeitnehmervereinigungen, sich bewusst im Gegensatz zu den Gewerkschaften gegründet haben und sich dies auch in der unterschiedlichen Begrifflichkeit von Gewerkschaft auf der einen Seite und Vereinigung auf der anderen Seite niedergeschlagen habe.123 Die Verwendung des Gewerkschaftsbegriffs beinhaltet danach die Aussage, lediglich Gewerkschaften und keine Werkvereine umfassen zu wollen.124 Allerdings ließe sich auch vertreten, dass der Begriff der „Vereinigungen von Arbeitnehmern“ ebenso hätte verwendet werden können, aber man sich für den Begriff „Gewerkschaften“ entschieden habe, da dieser Begriff eher dem allgemeinen Sprachgebrauch entsprochen habe.125 Dies wiederum würde dagegen sprechen, in der Wortwahl ein Indiz für den Willen des Gesetzgebers zu sehen, die Überbetrieblichkeit als Erfordernis zu begreifen. Weiter wird vertreten, dass mit der Wortwahl der Anschluss an das sichergestellt werden sollte, was zum Begriff der Gewerkschaften bis dahin entwickelt und erarbeitet worden sei.126 Nipperdey vertritt dann auch die Auffassung, die bereits entwickelten Grundsätze im Tarifrecht müssten auch beim Verständnis des Begriffs Gewerkschaften im TVG berücksichtigt werden und so sieht er auch das Erfordernis der Überbetrieblichkeit als zu berücksichtigenden Grundsatz an.127 Da der Meinungsstand hinsichtlich des Kriteriums der Überbetrieblichkeit in der Weimarer Republik uneinheitlich war, lässt dieser Verweis nicht die Schlussfolgerung zu, der Gesetzgeber habe mit der Formulierung seine Absicht bekundet, nicht überbetriebliche Zusammenschlüsse vom Koalitionsrecht auszuschließen. 121

Kempen, in: Kempen/Zachert, TVG, Grundl, Rn. 44. Wiedemann, in: ders., TVG, § 2, Rn. 350. 123 Dreschers, Entwicklung des Rechts des Tarifvertrags, S. 150. 124 Wiedemann, in: ders., TVG, § 2, Rn. 350. 125 Herschel, ZfA 1973, S. 183, 189; in der Begründung zum Referentenentwurf des Zentralamtes für Arbeit (Lemgoer Entwurf) einer Verordnung über den Tarifvertrag ist bezüglich der Wahl des Begriffs „Gewerkschaften“ zu § 1 lediglich zu lesen: „Dabei dürfte es keine Meinungsverschiedenheiten darüber geben, was im Sinne der Verordnung unter einer Gewerkschaft zu verstehen ist.“ In der Begründung des Entwurfs eines Tarifvertragsgesetzes, aufgestellt vom Gewerkschaftsrat der Vereinten Zonen heißt es unter 5.: „Über die Tariffähigkeit besteht allseits Einigkeit, dass, ohne eine nähere Begriffsbestimmung zu geben, gesagt werden sollte, dass Gewerkschaften, Arbeitgeber und wirtschaftliche Vereinigungen von Arbeitgebern tariffähig sind.“ 126 Herschel, ZfA 1973, S. 183, 189. 127 Nipperdey, RdA 1949, S. 82 f. 122

144

C. Überbetrieblichkeit als Erfordernis des Art. 9 Abs. 3 GG

Unabhängig davon, welche Plausibilität den einzelnen Ausführungen zugesprochen werden kann, helfen diese bei der Auslegung der verfassungsrechtlichen Norm des Art. 9 Abs. 3 GG nicht weiter. Die Formulierung eines einfachen Gesetzes zur Auslegung einer Verfassungsnorm heranzuziehen, erscheint mehr als fragwürdig,128 so dass aus der Verwendung des Begriffs „Gewerkschaften“ nicht das Erfordernis der Überbetrieblichkeit für den Schutz durch Art. 9 Abs. 3 GG abgeleitet werden kann.

2. Dualismus von Betriebsverfassungs- und Tarifvertragsgesetz Der Gesetzgeber hat sich mit der Schaffung eines Betriebsverfassungsgesetzes und eines Tarifvertragsgesetzes für eine unterschiedliche Organisation und Behandlung der jeweiligen Interessen auf Betriebs- und Tarifebene entschieden.129 In beiden Fällen geht es um die kollektive Vertretung der Interessen der Arbeitnehmer. Auf der Tarifebene wird die Vertretung durch die Gewerkschaft vorgenommen und auf der Betriebsebene durch den Betriebsrat.130 Dabei gibt es eine klare Aufgabentrennung, die in § 2 Abs. 3 BetrVG Ausdruck findet. In mehrfacher Hinsicht unterscheidet sich die Interessenvertretung durch die Gewerkschaft und den Betriebsrat. Die gewerkschaftliche Interessenvertretung basiert auf einem rechtsgeschäftlichen Beitritt zu der Gewerkschaft, während die Interessenvertretung durch den Betriebsrat gesetzlich geregelt und an ein Arbeitsverhältnis im Betrieb geknüpft ist. Bei der Gewerkschaft ist der Tarifvertrag das Regelungsinstrument und beim Betriebsrat die Betriebsvereinbarung. Ein entscheidender Unterschied liegt auch in § 2 Abs. 1 BetrVG, in dem Arbeitgeber und Betriebsrat zur vertrauensvollen Zusammenarbeit im Wohle der Arbeitnehmer und des Betriebs aufgerufen sind und aus dem folgt, dass der Betriebsrat auch die Interessen des Betriebes vertreten muss.131 Eine äquivalente Regelung für die Gewerkschaften gibt es nicht. Die betriebsverfassungsrechtliche Friedenspflicht aus § 74 Abs. 2 BetrVG wird auch so verstanden, dass mit ihr Konflikte aus dem Betrieb herausgehalten werden sollen.132 Der Gesetzgeber hat sich zu einer Zweispurigkeit im kollektiven Arbeitsrecht entschieden, in der den Gewerkschaften im Gegensatz zu den Betriebsräten das Aushandeln und das Abschließen von Tarifverträgen zugewiesen sind.133 Eine Regelung, die

128 So auch Wiedemann, in: ders., TVG, § 2, Rn. 350, der ausführt, dass diese Gedanken nicht geeignet seien, „die Überbetrieblichkeit in den Rang einer unerlässlichen Voraussetzung für eine funktionsfähige Tarifautonomie zu erheben“. 129 Löwisch, ZfA 1970, S. 314; zur Entwicklung: Krause, RdA 2009, S. 129 ff. 130 Junker, Arbeitsrecht, Rn. 642. 131 Hanau/Adomeit, Arbeitsrecht Rn. 346; Hromadka/Maschmann, Arbeitsrecht, S. 251 f. 132 Natzel, NZA 2005, S. 904. 133 Junker, Arbeitsrecht, Rn. 642.

VI. Teleologische Auslegung

145

diese Kompetenz auf die Betriebsebene verlagerte, würde mit dem gesamten arbeitsrechtlichen System brechen. Diese grundsätzliche Unterscheidung könnte so verstanden werden, dass das Aushandeln und der Abschluss von Tarifverträgen den überbetrieblich agierenden Interessensorganisationen vorbehalten sein soll. Jedoch handelt es sich auch hier um ein einfach-gesetzliches Regelungssystem, das nicht herangezogen werden kann, um eine Verfassungsnorm auszulegen.

3. Zwischenergebnis Anhand der systematischen Auslegung lässt sich nicht der Schutz lediglich überbetrieblicher Vereinigungen durch die Koalitionsfreiheit begründen.

VI. Teleologische Auslegung Angesichts der Entwicklungsoffenheit der Koalitionsfreiheit134 ist im Rahmen der teleologischen Auslegung auch zu untersuchen, ob vor dem Hintergrund aktueller Entwicklungen, das Kriterium der Überbetrieblichkeit hinsichtlich des Sinns und des Zwecks der Koalitionsfreiheit erforderlich ist. Dabei geht es um die Frage, ob die bisher von überbetrieblichen Koalitionen geschlossenen Vereinbarungen auch auf betrieblicher Ebene ausgehandelt werden könnten. Folglich ist zu untersuchen, wie dem Sinn und Zweck der in Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie nachgekommen werden kann bzw. ob dem Sinn und Zweck nur mit überbetrieblich agierenden Parteien oder auch durch betriebliche Vereinigungen nachgekommen werden könnte. Somit ist zu prüfen, ob die bereits erörterten Zwecke der Tarifautonomie unter Berücksichtigung der ebenfalls schon behandelten aktuellen Entwicklungen (Arbeitslosigkeit, Globalisierung, Strukturveränderungen auf dem Arbeitsmarkt, demographische Entwicklung, Wertewandel)135 die Überbetrieblichkeit der Koalitionen erforderlich macht.

1. Befriedungsfunktion Der Tarifautonomie kommt eine Befriedungsfunktion zu.136 Das Aushandeln von Tarifverträgen auf die betriebliche Ebene zu verlagern, erscheint in Hinblick auf den innerbetrieblichen Frieden problematisch. Die Unterscheidung zwischen Betriebsverfassung und tariflicher Ebene dient gerade dem Anliegen, Konflikte aus dem Be134

Siehe B. III. 3. d) cc) (3) (a). Siehe B. III. 3. d) cc) (3) (b). 136 BVerfGE 18, 18, 28; Battis/Gusy, Staatsrecht, Rn. 431; Wiedemann, in: ders., TVG, Einleitung, Rn. 20 ff; Gentz, FS Schaub, S. 209 ff. 135

146

C. Überbetrieblichkeit als Erfordernis des Art. 9 Abs. 3 GG

trieb herauszuhalten.137 Wenn jedoch die Betriebspartner Gegenstände des Tarifvertrags aushandeln müssen, wird dies zwangsläufig dazu führen, dass Konflikte in den Betrieb wieder hereingezogen werden. Der innerbetriebliche Frieden wäre somit gefährdet. Allerdings ist der Begriff des sozialen Friedens sehr weit und unbestimmt. Sozialer Frieden ist darüber hinaus über verschiedene Wege erreichbar. Dass aus diesem die Notwendigkeit hergeleitet wird, dass lediglich durch überbetriebliche Koalitionen dieser verfolgt werden kann, erscheint nicht plausibel.

2. Selbstbestimmung und Entlastung Aus der Funktion der Selbstbestimmung der Arbeitnehmer und Arbeitgeber, ihre Interessen eigenverantwortlich aushandeln zu können, und der damit einhergehenden Entlastung des Gesetzgebers138 lässt sich die Notwendigkeit der Überbetrieblichkeit ebenfalls nicht begründen. Für die Erfüllung dieser Funktion ist entscheidend, dass der Staat beiden Seiten die Möglichkeit lässt, frei von staatlicher Einflussnahme eigenverantwortlich und selbstbestimmt Vereinbarungen auszuhandeln. Bedeutung hat hierbei die staatliche Zurücknahme. Daraus ergibt sich für die Frage, ob die Verhandlungen auf betrieblicher oder überbetrieblicher Ebene stattfinden müssten, keine zwingende Antwort.

3. Verteilungsfunktion Auch aus der teilweise vertretenen Verteilungsfunktion der Tarifautonomie139, die insbesondere auf die gerechte Verteilung von Einkommen abstellt, lässt sich das Erfordernis der Überbetrieblichkeit nicht begründen. Zum einen ist fraglich, wie eine angemessene Verteilung in rechtlicher Hinsicht ermittelt werden könnte und zum anderen ist diese mit unterschiedlichen Mitteln herstellbar, so dass aus dieser Funktion nicht die Notwendigkeit der Überbetrieblichkeit abgeleitet werden kann.

4. Kartellfunktion Fraglich ist, ob die Verlagerung der Kompetenzen auf die Betriebsebene gegen die sogenannte Kartellfunktion140 der Tarifautonomie verstößt. Auch wenn die Kartell137

Natzel, NZA 2005, S. 904. BVerfGE 88, 103, 114 f; 92, 265, 394; ebenso Löwer, in: von Münch/Kunig, Art. 9, Rn. 58; Leibholz/Rinck, Art. 9, Rn. 480; Bauer, in: Dreier, Art. 9, Rn. 92; Gneiting, Umbach/ Clemens, Art. 9, Rn. 146; Däubler, in: ders., TVG, Einleitung, Rn. 82. 139 Bispinck, WSI-Mitteilungen 2003, S. 397; Wiedemann, in: ders., TVG, Einleitung, Rn. 7 ff. 140 Kempen, in: Kempen/Zachert, TVG, Grundlagen, Rn. 103; Löwisch/Rieble, Grundlagen, Rn. 5; Däubler, in: ders., TVG, Einleitung B, Rn. 83; Bispinck, WSI-Mitteilungen 2003, S. 397. 138

VI. Teleologische Auslegung

147

funktion angesichts der Globalisierung und der Bedeutungszunahme der internationalen Märkte auch auf Ebene des Arbeitsmarktes nicht mehr die gleiche Wirkung entfaltet, wie dies vor Jahrzehnten der Fall war, kann die Tarifautonomie für den Arbeitsmarkt auf nationaler Ebene noch immer vereinheitlichende Wirkung entfalten. Die Kartellfunktion ist folglich keinesfalls hinfällig. Die bisherige Form der Tarifautonomie vereinheitlicht die Arbeitsbedingungen auf betrieblicher und überbetrieblicher Ebene. Würde man die Kompetenzen auf die betriebliche Ebene verlagern, hätte dies zur Folge, dass der vereinheitlichende Charakter auf überbetrieblicher Ebene nicht mehr vorhanden wäre. Eine derartige Regelung würde der vereinheitlichenden Wirkung bzw. der Kartellfunktion der Tarifautonomie zuwiderlaufen. Wie bereits erörtert, ist die Kartellfunktion der Tarifautonomie aber nicht eine Funktion in normativer Hinsicht, sondern lediglich auf tatsächlicher Ebene.141 Mit einer Beeinträchtigung der bisherigen faktischen Wirkung eines Regelungsinstruments kann ein Verstoß gegen den objektiv-rechtlichen Gehalt einer Verfassungsnorm nicht begründet werden.

5. Sinnvolle Ordnung des Arbeitslebens Ebenfalls wird der Tarifautonomie eine Ordnungsfunktion zugesprochen.142 So ließe sich vertreten, dass die Ordnung des Arbeitsmarktes auf überbetrieblicher Ebene der Ordnungsfunktion stärker gerecht würde, als eine Ordnung, in der jeder Betrieb für sich allein die Arbeitsbedingungen zwischen den Betriebsparteien aushandelt. Dem würde das Argument entsprechen, dass überbetriebliche Organisationen besser in der Lage seien, eine Lohn- und Tarifpolitik zu betreiben, welche die gesamtwirtschaftliche Entwicklung im Blick habe und dem schädlichen Betriebsegoismus entgegenwirke.143 Der Begriff der Ordnung ist jedoch sehr weit und es fehlt an konkretisierten Maßstäben, anhand derer untersucht werden könnte, ob eine ausreichende Ordnung vorläge. Darüber hinaus kann eine Ordnung auf verschiedene Weise hergestellt werden. Unabhängig von der Frage, ob der Ordnungsfunktion normativer Charakter zugesprochen werden kann,144 kann das Erfordernis der Überbetrieblichkeit mit der Ordnungsfunktion der Tarifautonomie nicht begründet werden.

141

Siehe B. III. 3. e) dd). BVerfGE 4, 96, 107; 18, 18, 28; Battis/Gusy, Staatsrecht, Rn. 431; Wiedemann, in: ders., Einleitung, Rn. 13 ff; Natzel, NZA 2005, S. 904; Galperin, AuR 1965, S. 3; Mayer-Maly, DB 1965, S. 33; Herschel, Verhandlungen des 46. Deutschen Juristentages, Teil D, S. 12 ff. 143 Zöllner/Loritz/Hergenröder, Arbeitsrecht, S. 97. 144 Pfab, Tarifvertragliche Öffnungsklauseln, S. 118; Däubler, in: ders., TVG, Einleitung B, Rn. 83. 142

148

C. Überbetrieblichkeit als Erfordernis des Art. 9 Abs. 3 GG

6. Ausgleich der strukturellen Unterlegenheit Die Tarifautonomie erfüllt die Aufgabe, die strukturelle Unterlegenheit des Arbeitnehmers durch kollektives Handeln auszugleichen.145 Auch wenn zahlreiche Entwicklungen wie die hohe Arbeitslosigkeit, die Globalisierung, die Strukturveränderungen auf dem Arbeitsmarkt und der sogenannte Wertewandel auf die Arbeitswelt wirken, ist die Unterlegenheitsposition der Arbeitnehmer nicht aufgehoben und somit ist es weiterhin Sinn und Zweck der Tarifautonomie, diesem Ungleichgewicht entgegen zu wirken.146 Der Ausgleich erfolgt im Rahmen der Tarifautonomie über die Kollektivierung des Handelns, die ein annähernd gleichgewichtiges Verhältnis ermöglichen soll.147 Es muss eine Parität, d. h. ein ungefähres Kräftegleichgewicht, zwischen den Koalitionen vorliegen.148 Die zu klärende Frage ist, ob für die Herstellung einer Parität die überbetriebliche Organisierung erforderlich ist. Bei den Gesetzesvorschlägen, die gesetzliche Öffnungsklauseln vorsehen, wird oftmals auf die Zustimmung des Betriebsrates oder die Belegschaft abgestellt.149 Folglich muss zunächst untersucht werden, ob zwischen den beiden Seiten, d. h. Betriebsrat oder Belegschaft auf der einen und Arbeitgeber auf der anderen Seite, ein Verhältnis der Parität gegeben ist. In einem zweiten Schritt wird behandelt, ob ein Verhältnis der Parität auf Betriebsebene unabhängig vom geltenden Tarifvertrags- und Betriebsverfassungssystem vorliegen könnte. a) Parität zwischen Betriebsrat bzw. Belegschaft und Arbeitgeber Die Frage ist, ob ein Gleichgewicht zwischen dem Arbeitgeber auf der einen und dem Betriebsrat bzw. der Belegschaft auf der anderen Seite vorliegen kann. Hierfür wird zunächst untersucht, wann ein Verhältnis der Parität vorliegt. Dabei wird die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts behandelt und im Anschluss werden

145 BVerfGE 84, 212, 229; 92, 365, 395; BAGE 23, 292, 308; Höfling, in: Sachs, Art. 9, Rn. 84; Gneiting, in: Umbach/Clemens, Art. 9, Rn. 112; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 9, Rn. 39; Bauer, in: Dreier, Art. 9, Rn. 83; Badura, Paritätische Mitbestimmung und Verfassung, S. 93; Däubler, in: ders., TVG, Einleitung B, Rn. 78; Wolter, AuR 1979, S. 195; Löwisch/Rieble, TVG, Grundlagen, Rn. 4; Wiedemann, in: ders., TVG, Einleitung, Rn. 3 ff. 146 Siehe B. III. 3. e) ff) (2). 147 Höfling, in: Sachs, Art. 9, Rn. 84; Gneiting, in: Umbach/Clemens, Art. 9, Rn. 112. 148 BVerfGE 84, 228 f; 92, 395; 92, 365, 395; Battis/Gusy, Staatsrecht, Rn. 431; Kemper, in: von Mangold/Klein/Starck, Art. 9, Rn. 942; Scheuner, DÖV 1965, S. 580; Steindorff, RdA 1965, S. 258; Leibholz/Rinck, Art. 9, Rn. 501; Mager, Einrichtungsgarantien, S. 245. 149 Der Gesetzesvorschlag der FDP sah z. B. die Zustimmung von 75 % der Belegschaft oder des Betriebsrates vor, Gesetzentwurf vom 28. 01. 2000, BT-Drs. 14/2612 und Gesetzentwurf vom 04. 07. 2001, BT-Drs. 14/6548; Gesetzentwurf vom 25. 06. 2003, BT-Drs. 15/1225; die CDU/CSU setzte die Zustimmung von 2/3 der Belegschaft und des Betriebsrates voraus, Gesetzentwurf vom 18. 06. 2003, BT-Drs. 15/1182.

VI. Teleologische Auslegung

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die verschiedenen Paritätsverständnisse untersucht und jeweils geprüft, ob danach eine Verlagerung auf die betriebliche Ebene zulässig ist. aa) Bundesverfassungsgericht Das Bundesverfassungsgericht führt zur Frage der Parität aus, dass eine Regelung dann nicht mehr zulässig ist, „wenn sie dazu führt, dass die Verhandlungsfähigkeit einer Tarifvertragspartei bei Tarifauseinandersetzungen einschließlich der Fähigkeit, einen wirksamen Arbeitskampf zu führen, nicht mehr gewahrt bleibt und ihre koalitionsmäßige Betätigung weitergehend beschränkt wird, als es zum Ausgleich der beiderseitigen Grundrechtspositionen erforderlich ist“.150 Die Parität der Sozialpartner dürfe nicht verfälscht werden.151 Weiter führt das Bundesverfassungsgericht aus, dass der Gesetzgeber nicht verpflichtet sei, „Disparitäten auszugleichen, die nicht strukturell bedingt sind, sondern auf inneren Schwächen einer Koalition beruhen.“152 Die Formulierung, dass die Gewerkschaft gezeigt habe, sie sei in der Lage, „auch unter Geltung der angegriffenen Regelung ihre Position gleichgewichtig zu vertreten“153, wird teilweise auch als Hinwendung zu einem konkret-materiellen Paritätsbegriff verstanden.154 Diesen explizit vertreten hat das Bundesverfassungsgericht jedoch nicht. Deshalb bleibt festzuhalten, dass in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht viel darüber zu finden ist, anhand welcher Kriterien die Parität zwischen den Koalitionen zu bestimmen ist155 und ob die Überbetrieblichkeit dafür erforderlich ist. bb) Formeller Paritätsbegriff In der Literatur gibt es einen Ansatz, der auf die Notwendigkeit einer formellen Parität im Rahmen des Art. 9 Abs. 3 GG abstellt.156 Zu untersuchen ist, ob nach dieser Betrachtung die Überbetrieblichkeit erforderlich ist, um ein paritätisches Verhältnis zu erreichen. Nipperdey führt aus, dass Parität nicht bedeute, dass „die Kampfmittel als solche gleich sein müssen, dass Chancengleichheit für den Sieg oder den größten Erfolg besteht, sondern dass das Kampfmittel die durchaus gleiche Wirkungskraft haben muss“.157 Entscheidend sei ausschließlich, dass Kampfmittel vorhanden sind und „nicht die eine oder andere Seite ihres angestammten Kampfmittels beraubt“

150 151 152 153 154 155 156 157

BVerfGE 92, 365, 395; so auch Giesen, Rechtsgestaltung für den Betrieb, S. 247 f. BVerfGE 92, 26, 41; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 9, Rn. 47. BVerfGE 92, 365, 396. BVerGE 92, 365, 400. Erbguth, Rechtsprechung zum Grundsatz der Parität, S. 256 f. Kemper, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 9, Rn. 153. Nipperdey, DB 1963, S. 1613. Nipperdey, DB 1963, S. 1613.

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C. Überbetrieblichkeit als Erfordernis des Art. 9 Abs. 3 GG

werde.158 Ähnlich argumentieren Battis/Gusy, die ausführen, dass Kampfmittel gleichwertig und gleichgewichtig sein müssten und im Falle der Zulässigkeit des Streiks die Aussperrung zu gewährleisten sei.159 Für die Arbeitnehmer ist der Streik, d. h. die planmäßige, von einem großen Teil der Arbeitnehmer, ohne Einverständnis der Arbeitgeber erfolgte Einstellung der Arbeit, und für die Arbeitgeber die Aussperrung, d. h. die planmäßige, ohne Einverständnis der Arbeitnehmer Ausschließung von Arbeitnehmern von der Arbeit bei gleichzeitiger Nichtzahlung des Lohnes, das wichtigste Arbeitskampfmittel.160 Der entscheidende Unterschied zwischen Streik und Aussperrung sei, dass der Unternehmer über die Existenz seines Gegenspielers verfügen, während die Arbeitnehmer ihrem Gegenüber lediglich „einen gewissen Vermögensschaden zufügen“ könnten.161 Die Streikenden und die Ausgesperrten erhalten von der Gewerkschaft finanzielle Unterstützung und die Arbeitgeber können die Gewerkschaften durch eine Ausdehnung des Arbeitskampfes fast beliebig in wirtschaftliche Probleme bringen.162 Die beiden Kampfmittel der Koalitionen seien von ganz verschiedener Art und damit „einem rein formalen Vergleich gar nicht zugänglich, so dass nicht auf formale Gesichtspunkte zur Entscheidung darüber, ob Parität gegeben sei, abgestellt werden kann.163 Gegen ein formelles Paritätsverständnis könnte also argumentiert werden, dass die Andersartigkeit von Streik und Aussperrung als die beiden zentralen Kampfmittel des Arbeitskampfes offensichtlich sei.164 Angesichts dessen könne nicht die Rede davon sein, dass sich Streik und Aussperrung diametral gegenüberstünden.165 Außerdem könnte eingewandt werden, dass der Bereich des Arbeitslebens einen zentralen Stellenwert für die Wirtschaft, die Stabilität der Währung, die Preisentwicklung, d. h. für die gesamte Gesellschaft einnimmt.166 Der Gedanke der Kampfparität würde in Art. 9 Abs. 3 GG „als soziologisch gegebenen angenommen“, da das Kräftegleichgewicht Voraussetzung der vom Staat eingeräumten Autonomie sei.167 Ein Verzicht staatlichen Einflusses sei auf das Korrelat von zwei gleichgewichtigen Partnern angewiesen, die sich wechselseitig kontrollierten und deren Verhandlungen gerade deshalb zu sachgerechten Ergebnissen führten.168 Inwieweit es tatsächlich gelingen könnte, zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften ein vollständig gleichgewichtiges Verhältnis herzustellen, kann an dieser Stelle offen bleiben. So 158 159 160 161 162 163 164 165 166 167 168

Nipperdey, DB 1963, S. 1613. Battis/Gusy, Staatsrecht, Rn. 431. Junker, Arbeitsrecht, Rn. 593 f. Däubler, JuS 1972, S. 647. Däubler, in: ders., Arbeitskampfrecht, S. 57; auch Heenen, Kampfparität, S. 82. Lübbe-Wolff, DB Beil 9/1988 (Heft 24), S. 4. Lübbe-Wolff, DB Beil 9/1988 (Heft 24), S. 4. Lübbe-Wolff, DB Beil 9/1988 (Heft 24), S. 4. Zöllner/Seiter, ZfA 1970, S. 156. Scheuner, in: Weber/Scheuner/Dietz, Koalitionsfreiheit, S. 71. Zöllner/Seiter, ZfA 1970, S. 157.

VI. Teleologische Auslegung

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hat auch das Bundesarbeitsgericht ausgeführt, dass eine „globale Gleichgewichtigkeit“ zwischen den Koalitionen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern niemals erreicht werden kann.169 Unabhängig davon bleibt aber festzuhalten, dass von staatlicher Seite darauf hingewirkt werden sollte, dass das Gleichgewicht zwischen beiden Seiten so groß wie möglich ist. Dies ausschließlich an der formalen Existenz von Kampfmitteln festzumachen, erscheint fragwürdig. Wenn man davon ausgehe, dass die Tarifautonomie kollektiv ausgeübte Privatautonomie sei, müsse gewährleistet werden, dass beide Parteien entsprechend ihres Selbstbestimmungsrechts frei handeln können, ohne aufgrund des Übergewichts einer Seite sich die Bedingungen des Vertrags diktieren lassen zu müssen.170 In dieser Situation erst kann mit einem inhaltlich gerechten Ergebnis gerechnet werden.171 Um den Anforderungen der Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG gerecht zu werden, sei folglich die materielle Chancengleichheit beider Seiten erforderlich.172 Bei einem ausschließlich formellen Ansatz würden die tatsächlichen Unterschiede, die gerade ausgeglichen werden sollen, um eine Parität herzustellen, vernachlässigt.173 Unabhängig von den Einwänden gegen eine ausschließliche Fokussierung auf die formelle Parität muss festgehalten werden, dass eine Parität zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat bzw. Belegschaft bei einem formellen Paritätsbegriff nicht vorliegt. Der Betriebsrat darf nach § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG keine Maßnahmen des Arbeitskampfes ergreifen. Für die Zulässigkeit eines Streiks ist es erforderlich, dass der Streik durch eine tariffähige Partei gem. § 2 TVG geführt wird.174 Darüber hinaus muss es um ein tariflich regelbares Ziel, d h. um den Abschluss eines Tarifvertrages und einen für einen Tarifvertrag zulässigen Inhalt gehen.175 Beide Voraussetzungen sind weder beim Betriebsrat noch bei der Belegschaft gegeben. Das Ergreifen einer Arbeitskampfmaßnahme durch den Betriebsrat oder die Belegschaft wäre folglich rechtswidrig und mit einer Vielzahl von Sanktionen verbunden. Dies bedeutet, dass es kein Recht der Belegschaft bzw. des Betriebes auf Ergreifen einer Arbeitskampfmaßnahme gibt. Es fehlt bereits die formelle Parität, da die Seite der Arbeitnehmer keine Möglichkeit des Arbeitskampfes hat, d. h. es bereits an einer Arbeitskampfmaßnahme der Arbeitnehmerseite, die mit einer der Arbeitgeber verglichen werden könnte, mangelt.

169

BAGE 33, 140, 165. Däubler, JuS 1972, S. 644. 171 Däubler, JuS 1972, S. 644. 172 Konzen, AcP 177 (1977), S. 26. 173 Wolf, ZfA 1971, S. 151. 174 Dütz, Arbeitsrecht, Rn. 614; Junker, Arbeitsrecht, Rn. 603; Hanau/Adomeit, Arbeitsrecht, Rn. 282. 175 Junker, Arbeitsrecht, Rn. 605 ff; Lieb/Jacobs, Arbeitsrecht, Rn. 585; Dütz, Arbeitsrecht, Rn. 618 ff. 170

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C. Überbetrieblichkeit als Erfordernis des Art. 9 Abs. 3 GG

cc) Normativer Paritätsbegriff Die Vertreter eines normativen Paritätsbegriffs gehen davon aus, dass die Koalitionen rechtlich gleichgeordnet seien.176 Das Prinzip der Kampfparität sei „Ergebnis einer gesellschaftlichen Wertentscheidung“.177 Entscheidend sei die normative Entscheidung zur Gleichgewichtigkeit und eine Betrachtung sozio-ökonomischer Tatsachen sei zu unterlassen.178 Da die Rechtsordnung von einer Gleichgewichtslage ausgehe, bedürften staatliche Eingriffe einer besonderen Legitimation.179 Jedoch wäre der Staat zum Handeln verpflichtet, wenn ein Ungleichgewicht der Sozialpartner vorliegen würde.180 Sämtliche Vorbehalte gegen ein formelles Paritätsverständnis können dem normativen ebenso entgegengehalten werden, da es die tatsächliche Lage zwischen den Koalitionen außen vorlässt. Eine „von Rechts wegen fingierte Parität der Sozialpartner“ würde noch kein Verhandlungsgleichgewicht gewährleisten, was die Tarifautonomie jedoch voraussetze.181 Dabei ist herauszuheben, dass annähernd gleichgewichtige Verhandlungschancen sich „weder formal fingieren noch normativ anordnen“ lassen, sondern diese „wenigstens in groben Zügen tatsächlich feststellbar sein“ müssen.182 Angesichts nicht vorhandener Arbeitskampfmittel für die Seite der Arbeitnehmer kann auch nach einem normativen Paritätsverständnis von einer Parität nicht ausgegangen werden, da es bereits an der Existenz von Arbeitskampfmitteln mangelt. Damit läge ein so großes Ungleichgewicht vor, dass auch nach dieser Auffassung staatliches Handeln erforderlich ist, um dem Ungleichgewicht entgegen zu wirken. dd) Materieller Paritätsbegriff Des Weiteren ist zu fragen, wie es sich verhält, wenn auf die materielle Parität abgestellt werden würde. Unter „materieller“ Parität wird eine Situation beider Koalitionen verstanden, in denen zwischen ihnen ein faktisches Gleichgewicht herrscht.183 Es geht folglich hiernach nicht nur um formale Gleichheit, sondern auch um ein gewisses Maß an materiellem, tatsächlichem Gleichgewicht, das nicht vorliegt, wenn es faktisch eine strukturelle Ungleichgewichtigkeit gibt.

176 177 178 179 180 181 182 183

Mayer-Maly, BB 1965, S. 831; ders., DB 1979, S. 98; Richardi, NJW 1978, S. 2061. Mayer-Maly, DB 1979, S. 98. Mayer-Maly, DB 1979, S. 98. Richardi, NJW 1978, S. 2061. Richardi, NJW 1978, S. 2061. Schuh, Streik und Aussperrung, S. 17. BAGE 30, 140, 162 f. Gneiting, in: Umbach/Clemens, Art. 9, Rn. 142; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 9, Rn. 47.

VI. Teleologische Auslegung

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Das Bundesarbeitsgericht ging zunächst von einer formalen Entsprechung der Kampfmittel Streik und Aussperrung aus.184 Später wurde der Paritätsgedanke dahingehend ausdifferenziert, dass auf die Durchsetzungschancen abgestellt und herausgehoben wurde, dass gewährleistet werden müsste, „dass nicht eine Tarifvertragspartei der anderen von vorneherein ihren Willen aufzwingen kann, sondern dass möglichst gleiche Verhandlungschancen bestehen“.185 In einer späteren Entscheidung führte das Gericht aus: „Ein funktionierendes Tarifvertragssystem setzt annähernd gleichgewichtige Verhandlungschancen der sozialen Gegenspieler voraus. Das erforderliche Verhandlungsgleichgewicht lässt sich aber weder formal fingieren noch normativ anordnen, es muss wenigstens in groben Zügen tatsächlich feststellbar sein. Deshalb hat der Große Senat den Grundsatz der formellen Parität aufgegeben, um zu einer materiellen Paritätsbetrachtung überzugehen.“186 Diese Auffassung wird dahingehend konkretisiert, dass der Paritätsbegriff sich „auf das Arsenal zulässiger Kampfmittel“ beziehe.187 „Situationsbedingte Vorteile“ müssten unberücksichtigt bleiben, da es auf Kriterien ankomme, „die einer typisierenden Betrachtung zugänglich“ seien.188 Auch der Bundesgerichtshof geht davon aus, dass die Tarifparteien sich mit annähernd paritätischen Verhandlungschancen gegenüberstehen müssten, da sich sonst „das Diktat des Stärkeren in einem freiheitswidrigen Sinne durchsetzen würde“.189 Ebenso wird in der Literatur vertreten, dass die formelle Parität nicht ausreiche, sondern eine materielle Parität zwischen beiden Seiten vorliegen müsse.190 Dies be-

184 BAGE 1, 291, 308 f, in der es heißt: „Im Rahmen der sozialen Adäquanz gilt aber auch der Grundsatz der Kampffreiheit, genauer der Freiheit der Wahl der Kampfmittel. Das ergibt sich aus den Grundsätzen des freiheitlichen sozialen Rechtsstaates (Art. 18, 20, 21, 28 GG), insbesondere aus der allgemeinen Entfaltungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) und aus dem Gesamtzusammenhang unserer wirtschafts- und sozialverfassungsrechtlichen Grundprinzipien. Zu diesen Grundsätzen gehört das freie Spiel der wirtschaftlichen Kräfte, das die gegensätzlichen Interessen der am Wirtschafts- und Sozialleben Beteiligten ausbalanciert. Im Verhältnis von Arbeitnehmern und Arbeitgebern bedeutet das, dass im äußersten Fall jede Gruppe der anderen ihre Leistung entziehen kann, um sie zu einem entsprechenden Verhalten zu zwingen und den sozialen und wirtschaftlichen Ausgleich auf dem Gebiete der Arbeitsbedingungen herbeizuführen. Dabei darf jede Gruppe in den Grenzen des legitimen Kampfes das ihre gemäße, historische überkommene, der Natur der Sache entsprechende Kampfmittel wählen. (…) Dem Streik der Gewerkschaften entspricht die Aussperrung, gleichgültig ob sie von einem Arbeitgeberverband beschlossen und von den einzelnen Arbeitgebern durchgeführt wird oder ob ein oder mehrere Arbeitgeber sie vornehmen.“ 185 BAGE 23, 292, 308. 186 BAGE 33, 140, 162 f. 187 BAGE 33, 140, 164. 188 BAGE 33, 140, 164. 189 BGH 18. 12. 1967 – AP Nr. 38 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 190 Däubler, JuS 1972, S. 644; Konzen, AcP 177 (1977), S. 526 f; Lieb, DB 1980, S. 2188; Steindorff, RdA 1965, S. 258; Frey, AuR 1963, S. 304; Säcker, DB 1969, S. 1892, Fn. 34; Seiter, JZ 1978, S. 416; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 9, Rn. 47.

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C. Überbetrieblichkeit als Erfordernis des Art. 9 Abs. 3 GG

deutet insbesondere, dass auf die tatsächlichen Kräfteverhältnisse abzustellen ist.191 Inwieweit dies geschehen sollte, ist wiederum umstritten. So wird vertreten, dass im Sinne einer Gesamtparität sämtliche Umstände zur Bestimmung des realen Kräfteverhältnisses berücksichtigt werden müssen.192 Demgegenüber wird aber auch vertreten, dass die Parität lediglich in einer typisierenden und Einzelfälle außer Betracht lassenden Weise zu verstehen und eben nicht auf die Vor- und Nachteile einer konkreten Situation abzustellen sei.193Angesichts der Tatsache, dass die materielle Verhandlungsstärke nicht losgelöst vom Ergebnis betrachtet werden kann, besteht die Gefahr, abhängig vom Ergebnis das Verhandlungsgleichgewicht als gegeben oder nicht gegeben anzusehen.194 Um dieser Gefahr zu begegnen, sei die Kampfparität nicht als konkrete sondern als abstrakt-generelle zu verstehen.195 Nach Scholz wiederum komme ein Agieren des Gesetzgebers hinsichtlich der materiellen Parität nur dann in Frage, wenn die tatsächliche Ungleichheit so groß ist, dass davon die formelle Parität beeinträchtigt wird.196 Bei Störungen in einem konkreten Arbeitskampf könne davon nicht ausgegangen werden, sondern es müsse eine evidente, allgemeine und gravierende Gleichgewichtsstörung vorliegen.197 Unabhängig davon, wie man die jeweiligen Positionen im Einzelnen beurteilt, kann eine Parität in materieller Hinsicht zwischen Betriebsrat bzw. Belegschaft und Arbeitgeber in keinerlei Hinsicht angenommen werden. Wenn die Seite der Arbeitnehmer nicht einmal die Möglichkeit des Arbeitskampfes hat, kann angesichts der strukturellen Unterlegenheit der Arbeitnehmer, für deren Ausgleich kollektives Handeln erforderlich ist, nicht von einem gleichgewichtigen Verhältnis ausgegangen werden. ee) Zwischenergebnis Gesetzliche Öffnungsklauseln würden nach sämtlichen Auffassungen dem Paritätsgedanken zwischen der Arbeitgeber- und der Arbeitnehmerseite zuwiderlaufen, da Parität zwischen den Arbeitgebern und den Arbeitnehmern nach derzeitiger Ge191

Rüthers, ZfA 1987, S. 10. Däubler, JuS 1972, S. 645, der davon spricht, dass dem Paritätsprinzip nur dann Rechnung getragen werden würde, „wenn in Bezug auf alle diese Ziele gleiche Durchsetzungschancen auch für die Arbeitnehmerseite bestehen“; Wohlgemuth, BB 1979, S. 113, nach dem alle Faktoren berücksichtigt werden müssen, „die in Regel den Verhandlungsausgang beeinflussen können“. 193 Dieterich, in: Erfurter Kommentar, Art. 9, Rn. 234; Lübbe-Wolff, DB Beil 9/1988 (Heft 24), S. 4; Lieb, DB 1980, S. 2188. 194 Lübbe-Wolff, DB Beil 9/1988 (Heft 24), S. 4; s. hierzu auch Goll, Arbeitskampfparität, S. 54 f. 195 Konzen, AcP 177 (1977), S. 527; Cornils, Ausgestaltung, S. 416, der von einer abstraktmateriellen und strukturellen Parität spricht. 196 Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 9, Rn. 292. 197 Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 9, Rn. 292. 192

VI. Teleologische Auslegung

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staltung des arbeitsrechtlichen Systems nicht auf betrieblicher Ebene möglich ist.198 Parität ist aber erforderlich, um die strukturelle Unterlegenheit des einzelnen Arbeitnehmers auszugleichen. Da ein Verhältnis der Parität im geltenden Tarifvertrags- und Betriebsverfassungssystem nur auf überbetrieblicher Ebene herstellbar ist, würde eine Kompetenzverlagerung von den Tarifvertragsparteien zu den Betriebsparteien dem von der Tarifautonomie verfolgten Zweck des Ausgleichs der strukturellen Unterlegenheit nicht gerecht werden. Die Ausgleichsfunktion kann die Tarifautonomie im geltenden Tarifvertrags- und Betriebsverfassungssystem nur erfüllen, wenn überbetrieblich agierende Koalitionen die Arbeitsbedingungen aushandeln. Eine Regelung, die den Betriebsparteien eine solche Befugnis gewährt, würde somit eine Beeinträchtigung der in Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie darstellen. b) Parität zwischen Arbeitgeber und Betriebsgewerkschaft Anders könnte die Situation möglicherweise dann beurteilt werden, wenn die Belegschaft oder der Betriebsrat mit gleichen Rechten wie eine Gewerkschaft ausgestattet werden würde.199 Beispielsweise Berthold schlägt eine Komplett-Verlagerung auf die Betriebsebene vor und meint, dass der gesamte Arbeitskampf mit sämtlichen Konsequenzen dort auszutragen sei.200 Derzeit existiert auf Betriebsebene eine Doppelstruktur, in der Arbeitnehmerinteressen sowohl über die Gewerkschaft als auch über den Betriebsrat wahrgenommen werden können, wobei auf rechtlicher Ebene erhebliche Unterschiede zwischen den beiden Formen der Interessenswahrnehmung herrschen.201 Das zweigliedrige System von betrieblicher Ebene auf der einen und tariflicher Ebene auf der anderen Seite basiert darauf, dass die Betriebsparteien mit besonderen Pflichten und Rechten ausgestattet, aber ohne Arbeitskampfrecht versehen zur Zusammenarbeit im Wohle des Betriebs und der Arbeitnehmer gem. § 2 BetrVG verpflichtet sind. Die Tarifvertragsparteien sind zwar nicht von einer Zusammenarbeit entbunden, verfügen jedoch über ein Arbeitskampfrecht. Verschiebt man diese Aufgabenzuweisung, hätte dies zur Konsequenz, dass die Auseinandersetzungen auf Ebene des Arbeitskampfes in die Betriebe hineingetragen und sich damit auch auf die Zusammenarbeit im Betrieb auswirken würden.202 Eine Regelung, welche 198

Farthmann, ZRP 1987, S. 226; so auch Kittner, FS Gitter, S. 418, der ausführt, dass es in dieser Situation keine Vertragsparität gebe „und wenn ja, ist es hier berechtigt, von einer „gestörten“ zu sprechen“. 199 Hierzu Hundt, Bitburger Gespräche 1998, S. 42: „Aber was wären die Folgen, wenn die Betriebsräte für originär tarifvertragliche Materien ein allumfassendes Verhandlungsmandat erhielten? Auf diese Weise erlangten sie Koalitionsrecht. Damit wüchse den Betriebsräten über kurz oder lang unweigerlich ein Streikrecht zu. Der Verteilungskonflikt wäre dort, wo ihn der Flächentarifvertrag heraushält, im einzelnen Betrieb.“ 200 Berthold, Bitburger Gespräche 1998, S. 35. 201 Däubler, in: Däubler/Kittner/Klebe, BetrVG, Einleitung, Rn. 50. 202 Natzel, NZA 2005, S. 903 f.

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die Betriebsparteien mit einem Recht zum Arbeitskampf ausstattet, würde das gesamte arbeitsrechtliche System mitsamt seiner Unterscheidung zwischen Tarifvertragsund Betriebsverfassungsebene angreifen.203 Sowohl beim Tarifvertrags- als auch beim Betriebsverfassungsgesetz handelt es sich jedoch um einfache Gesetze, so dass mit einem Verweis auf diese die Frage nach der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit nicht geklärt ist. Zu fragen ist, ob in dem Fall, dass sich Arbeitgeber und Betriebsgewerkschaft gegenüberstehen, die Parität gewahrt ist und der Funktion der Tarifautonomie, die strukturelle Unterlegenheit der Arbeitnehmer zu kompensieren, nachgekommen werden kann. aa) Die Beispiele Bundespost und Bundesbahn Dabei ist zunächst eine Auseinandersetzung mit der Bundespost und der Bundesbahn unerlässlich. Schließlich haben in beiden Fällen faktisch Betriebsgewerkschaften existiert, die als Gewerkschaften akzeptiert wurden, auch wenn sie sich lediglich auf einen Betrieb bezogen hatten und damit nicht überbetrieblich organisiert waren.204 Vor der Privatisierung der Deutschen Bundespost 1994 gab es die Gewerkschaft der Postbediensteten, der die Koalitionseigenschaft zugestanden wurde.205 Auch die Gewerkschaft der Eisenbahner wurde als Gewerkschaft qualifiziert.206 Letztere war nach § 2 ihrer Satzung aber als überbetriebliche angelegt, da sie Arbeitnehmern aus privaten Nebenbahnen offen stand.207 Aufgrund von Umstrukturierungen 203 Beispielsweise wären im Falle einer derartigen Änderung, wie Molitor ausführt, „die Prinzipien der Friedenspflicht und der vertrauensvollen Zusammenarbeit nicht mehr Maximen der Betriebsratsarbeit“, Molitor, FS Gitter, S. 489. 204 Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 9, Rn. 212; ders., in: HStR VI, § 151, Rn. 63; Löwer, in: von Münch/Kunig, Art. 9, Rn. 77; Kepmer, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 9, Rn. 104; Bleckmann, Staatsrecht II, § 30, Rn. 81; Kannengießer, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/ Hopfauf, Art. 9, Rn. 22. 205 Kepmer, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 9, Rn. 104; Kannengießer, in: SchmidtBleibtreu/Hofmann/Hopfauf, Art. 9, Rn. 22; Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 9, Rn. 212; zur Privatisierung: Battis, in: Sachs, Art. 143b, Rn. 1 ff; zur Gewerkschaft der Postbediensteten: Stelling, NZA 1998, S. 924. 206 Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 9, Rn. 212; Kepmer, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 9, Rn. 104; Kannengießer, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, Art. 9, Rn. 22; zur Gewerkschaft der Eisenbahner: Peter, in: Däubler, TVG, § 2, Rn. 51. 207 So heißt es in der Satzung, die auf dem Gewerkschaftstag 1984 beschlossen wurde und ab dem 1. Juli 1984 gültig war: „§ 2: 1. Das Organisationsgebiet der Gewerkschaft erstreckt sich auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland und Berlin. 2. Die GdED ist zuständig für: a) Beamte, Beamtenanwärter, Arbeiter und Angestellte sowie Nachwuchskräfte der Deutschen Bundesbahn (DB) und der Eisenbahn in Berlin, b) Beschäftigte der bundeseigenen Bahnen, c) Beschäftigte der betrieblichen Sozialeinrichtungen der DB und der betrieblichen Selbsthilfeeinrichtungen sowie der Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands,

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und der Verschmelzung der Deutschen Postgewerkschaft mit ver.di und des vergrößerten Zuständigkeitsbereichs von Transnet für weitere Eisenbahnunternehmen stellt sich die Frage heute nicht mehr, ob beiden Gewerkschaften die Koalitionseigenschaft trotz des fehlenden Erfordernisses der Überbetrieblichkeit zugesprochen werden kann.208 Nichtsdestotrotz ist die dogmatische Einordnung der ehemaligen „Betriebsgewerkschaften“ hier von Interesse, da sie Beispiele für Betriebsgewerkschaften darstellen könnten. So wird vertreten, dass die Behandlung der genannten Beispiele schlicht eine Ausnahme vom Prinzip der Überbetrieblichkeit dargestellt hat.209 Teilweise wird die Ausnahmebehandlung von Bundespost und Bundesbahn zum Anlass genommen um den Standpunkt zu vertreten, dass die Überbetrieblichkeit lediglich ein Indiz für die Gegnerunabhängigkeit sei.210 Andere vertreten, dass die Überbetrieblichkeit lediglich auf die soziale Mächtigkeit der Koalition hindeutet.211 Dem kann jedoch nicht gefolgt werden. Staatliche Monopolunternehmen stellen deshalb eine Ausnahme dar, weil es sich in diesem Bereich um „rechtlich dauerhaft unternehmensbezogen abgeschlossene Arbeitsmärkte“ handelt.212 Wirtschaftszweig und Betrieb decken sich.213 Wenn ein Betrieb einen ganzen Beruf umfasst, kommt die betriebliche einer überbetrieblichen Organisation gleich.214 Deshalb kann der Ausnahmefall staatlicher Monopolunternehmen nicht als Beweis dafür dienen, dem Kriterium der Überbetrieblichkeit letztlich nur Indizwirkung zuzusprechen. Er ist vielmehr als tatsächlicher Ausnahmefall aufgrund der Besonderheit staatlicher Monopolunternehmen zu behandeln.215

d) alle auf der Grundlage von Privatverträgen bei der DB sowie deren Tochter- bzw. Beteiligungsgesellschaften, den Bundesbahnversicherungsträgern und der Krankenversorgung der Bundesbahnbeamten (KVB) Beschäftigten, e) Rentner und Ruhestandsbeamte, die den Bereichen a) bis d) hervorgegangen sind, f) Hinterbliebene von Mitgliedern.“ 208 Peter, in: Däubler, TVG, § 2, Rn. 51. 209 Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 9, Rn. 212; ders., in: HStR VI, § 51, Rn. 63; Bauer, in: Dreier, Rn. 78; Löwer, in: von Münch/Kunig, Art. 9, Rn. 77; Kempen, in: Kempen/Zachert, TVG, § 2, Rn. 66; vgl. auch Zöllner/Loritz/Hergenröder, Arbeitsrecht, S. 97, die davon sprechen, dass in einem Falle, dass es nur ein Unternehmen gibt, das Kriterium der Überbetrieblichkeit „entfallen“ sollte. 210 Kittner/Schiek, in: Alternativkommentar, Art. 9, Rn. 115; Kepmer, in: von Mangoldt/ Klein/Starck, Art. 9, Rn. 104; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 9, Rn. 35; Gneiting, in: Umbach/ Clemens, Art. 9, Rn. 105; Bauer, in: Dreier, Art. 9, Rn. 78; Höfling, in: Sachs, Art. 9, Rn. 57; ders., RdA 1999, S. 184; ähnlich: Söllner, AuR 1976, S. 323. 211 Löwisch/Rieble, TVG, § 2, Rn. 52; Löwer, in: von Münch/Kunig, Art. 9, Rn. 77. 212 Kempen, in: Kempen/Zachert, TVG, § 2, Rn. 66. 213 Kannengießer, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, Art. 9, Rn. 22. 214 Böker, Tariffähigkeit, S. 73. 215 „Eine Ausnahme gilt nur in solchen Fällen, in denen der Betrieb, auf dessen Grundlage sich eine Arbeitnehmerschaft organisiert hat, von besonderem Umfange bzw. monopolartig veranlagt ist“, Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 9, Rn. 212.

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C. Überbetrieblichkeit als Erfordernis des Art. 9 Abs. 3 GG

Da die Beispiele von Post und Bahn aufgrund des Bezugs auf staatliche Monopolunternehmen Ausnahmen darstellen, können sie nicht als Argument für die Annahme einer Parität von Betriebsgewerkschaften mit ihren jeweiligen Arbeitgebern dienen. bb) Stellungnahme Grundsätzlich stellt sich die Frage, ob im Falle von Betriebsgewerkschaften gesetzliche Öffnungsklauseln noch Sinn machen würden. Ein Haustarifvertrag zwischen der Gewerkschaft und dem Arbeitgeber eines Betriebes ist schließlich bereits jetzt schon zulässig. Nach § 2 Abs. 2 TVG kann ein einzelner Arbeitgeber ebenso wie eine Vereinigung von Arbeitgebern Tarifvertragspartner einer Gewerkschaft sein.216 Die Entscheidung über den Abschluss von Flächen- oder Haustarifverträgen liegt bei den Tarifvertragsparteien und ist folglich keine rechtliche, sondern eine praktisch politische.217 Unabhängig davon ist die Frage zu stellen, ob Parität zwischen Betriebsgewerkschaft und Arbeitgeber vorliegen kann. Vorgebracht wird von Befürwortern eines notwendigen Erfordernisses der Überbetrieblichkeit, dass bei einer auf einen Betrieb bezogenen Gewerkschaft eine erhöhte Gefahr der Abhängigkeit besteht, da der Arbeitgeber stets die Möglichkeit der Kündigung habe.218 Dagegen wird mit dem geltenden Kündigungsrecht argumentiert, aufgrund dessen der Arbeitnehmer ausreichend geschützt sei.219 Darüber hinaus seien Einstellungen, die darauf gerichtet sind, den Mitgliederbestand der Gewerkschaft zu beeinflussen, nach § 134 BGB aufgrund eines Verstoßes gegen Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG nichtig.220 Dem ist entgegenzuhalten, dass das Kündigungsrecht nur bedingten Schutz bietet, die Schutzwirkung im Rahmen der zunehmenden Anzahl von befristeten Arbeitsverhältnissen stark reduziert ist und darüber hinaus der einzelne Arbeitgeber aufgrund des Umwandlungsgesetzes die Möglichkeit habe, das Unternehmen und damit auch den Organisationsbereich der Betriebsgewerkschaft zu verändern.221 Im Übrigen liegt der Umfang des Kündigungsrechts im Bereich des einfachen Rechts und kann somit nicht zur Begründung herangezogen werden, grundrechtliche Gewährleistungen zu reduzieren bzw. zu erweitern. Der Arbeitgeber hat die Möglichkeit der Kündigung. Eine Betriebsgewerkschaft hat diese Möglichkeit ihrem Arbeitgeber gegenüber nicht. Dies begründet ein Ungleichgewicht, da der eine Vertragspartner über die Existenz seines Vertragspartners disponieren kann.

216 217 218 219 220 221

Matthes, FS Schaub, S. 477. Molitor, FS Schaub, S. 491. Bauer, in: Dreier, GG, Rn. 78. Löwisch/Rieble, Münchener Handbuch III, § 243, Rn. 61; Franzen, RdA 2001, S. 6. Stelling, NZA 1998, S. 924. Kempen, in: Kempen/Zachert, TVG, § 2, Rn. 65.

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Bei einer Betriebsgewerkschaft besteht die Gefahr, dass der Arbeitgeber mit Auflösung, Entlassung oder Verlagerung ins Ausland drohen kann.222 Dem wird entgegengehalten, dass der Verweis auf die Gefahr der Erpressbarkeit nicht überzeuge, da die Gegnerunabhängigkeit stets zwingende Voraussetzung sei.223 Die zwingende Voraussetzung der Gegnerunabhängigkeit ist unbestritten, aber diese sagt lediglich etwas darüber aus, ob die Gewerkschaft vom sozialen Gegenspieler in finanzieller und personeller Hinsicht unabhängig ist.224 Damit ist noch nichts darüber gesagt, inwieweit eine Gewerkschaft durch Drohungen des Arbeitgebers hinsichtlich Arbeitsplatzabbaus erpressbar ist. Eine Betriebsgewerkschaft wäre in ihrem Mitgliederbestand direkt von den Personalentscheidungen ihres Arbeitgebers abhängig.225 Dieser Einwand kann nicht überzeugen. Gegen das Argument, die Überbetrieblichkeit sei erforderlich, um der Abhängigkeit der Arbeitnehmer im Betrieb etwas entgegen zu setzen, wird des Weiteren eingewandt, dass ein faktisches Machtgefälle kaum geeignet sei, um grundrechtliche Gewährleistungen zu bestimmen.226 Die Funktion der Tarifautonomie, die strukturelle Unterlegenheit des einzelnen Arbeitnehmers durch kollektives Handeln auszugleichen, knüpft an eine faktische Lage an und formuliert den Anspruch, dieser entgegenzuwirken. Folglich stellt die faktische Lage durchaus einen Gesichtspunkt dar, der bei der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit von Betriebsgewerkschaften Berücksichtigung finden muss. Der Gedanke der Kompensation der strukturellen Unterlegenheit des einzelnen Arbeitnehmers durch kollektives Handeln fußt auf der Kollektivität des Handelns. Die Kollektivität impliziert zwingend, dass nicht nur der einzelne Arbeitnehmer dem Arbeitgeber, sondern auch dass nicht die Belegschaft bzw. eine „Betriebsgewerkschaft“ dem Arbeitgeber allein gegenübersteht, weil die materielle Lebensgrundlage der Arbeitnehmer und auch der Vertreter der Betriebsgewerkschaft unmittelbar vom Arbeitgeber abhängt und sich diese Abhängigkeit in den Verhandlungen widerspiegelt. Eine Parität zwischen einer Betriebsgewerkschaft und dem Arbeitgeber gibt es aufgrund dieser Abhängigkeitssituation nicht. Deshalb soll die Unterlegenheit der Arbeitnehmer durch kollektives Handeln kompensiert werden. Diese Kompensation kann nur erfolgen, wenn die kollektiven Interessensvertreter überbetrieblich und damit nicht unmittelbar abhängig vom sozialen Gegenüber sind. Es ist auch angesichts von konstant hoher Arbeitslosigkeit, den Globalisierungsprozessen, strukturellen Veränderungen am Arbeitsmarkt, dem demographischen Wandel und eines vermeintlichen Wertewandels nicht ersichtlich, wie der Ausgleich 222

Peter, in: Däubler, TVG, § 2, Rn. 51. Oetker, in: Wiedemann, TVG, § 2, Rn. 349. 224 Gneiting, in: Umbach/Clemens, Art. 9, Rn. 102; Sodan, in: ders., Art. 9, Rn. 20; Höfling, RdA 1999, S. 184. 225 Kempen, in: Kempen/Zachert, TVG, § 2, Rn. 65; Dütz, Arbeitsrecht, Rn. 466; Hanau/ Adomeit, Arbeitsrecht, Rn. 173. 226 Dietlein, in: Stern, Staatsrecht IV/1, S. 2035. 223

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C. Überbetrieblichkeit als Erfordernis des Art. 9 Abs. 3 GG

der strukturellen Unterlegenheit auf andere Art und Weise erreicht werden kann, so dass auch vor dem Hintergrund und der Berücksichtigung aktueller Entwicklungen die Überbetrieblichkeit der Koalitionen erforderlich bleibt. Der Normzweck macht die Überbetrieblichkeit zum zwingenden Erfordernis.

VII. Ergebnis Das Erfordernis der Überbetrieblichkeit ist verfassungsrechtlich notwendig.

D. Vorgaben des europäischen und internationalen Rechts Fragen der Koalitionsfreiheit lassen sich ohne internationale Bezüge heute nicht mehr erörtern. Der EuGH kann verbindliche Vorgaben machen, Völkerrecht definiert staatliche Normgebundenheit, verschiedene Rechtsakte sind trotz mangelnder Rechtsverbindlichkeit bei der Auslegung nationaler Normen zu berücksichtigen, so dass perspektivische Wechselwirkungen in diesem normativen Beziehungsgeflecht nicht auszuschließen sind.1 Es ist zu prüfen, inwieweit andere Rechtsnormen in das deutsche Recht hineinwirken und daher bei der Frage der Verlagerung von Kompetenzen der Tarifvertragsparteien auf die Betriebsebene zu berücksichtigen sind.

I. Europarechtliche Vorgaben Zunächst werden die europarechtlichen Einwirkungen behandelt. Dabei ist zunächst die Wirkung auf die Auslegung des Art. 9 Abs. 3 GG durch die allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts mit Verfassungsrang und die EMRK zu untersuchen. Daraufhin wird die Frage unter der Voraussetzung des Inkrafttretens des Lissabonner Vertrags behandelt. Inwieweit die Europäische Sozialcharta (ESC) und die Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte (GSC) Rückschlüsse zulassen, ist im Anschluss Gegenstand.

1. Allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts Das europäische Gemeinschaftsrecht enthielt zunächst keine geschriebenen Grundrechte. Ausnahmen stellen das Diskriminierungsverbot nach Art. 12 und Art. 13 EGV sowie das Verbot des unterschiedlichen Entgelts für Frauen und Männer nach Art. 141 EGV und die Querschnittsklausel des Art. 3 Abs. 2 EGV dar. Die Grundfreiheiten weisen eine andere Zielrichtung auf, in dem sie an die Mitgliedsstaaten gerichtete Verbote konstituieren und somit einen anderen Regelungsadressaten haben.2 Die Unionsbürgerschaft gem. Art. 17 ff EGV gewährleistet verschiedene Rechte wie z. B. das Recht auf Freizügigkeit, auf diplomatischen und konsularischen Schutz, auf Wah1 2

Sunnus, AuR 2008, S. 9. Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 1, S. 20; Hobe, Europarecht, Rn. 524.

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D. Vorgaben des europäischen und internationalen Rechts

len etc., die aber keinen Grundrechtsschutz gegenüber Gemeinschaftsrechtsakten begründen.3 In § 137 EGV wird festgehalten, dass die Gemeinschaft in bestimmten Bereichen wie z. B. der Arbeitsumwelt, den Arbeitsbedingungen oder der sozialen Sicherheit die Mitgliedsstaaten besonders unterstützt. Hinsichtlich der Koalitionsfreiheit gibt es lediglich eine negative Ausnahme in Art. 137 Abs. 5 EGV,4 in dem festgehalten wird, dass der Art. 137 EGV „für das Arbeitsentgelt, das Koalitionsrecht, das Streikrecht sowie das Aussperrungsrecht“ nicht gilt und damit die Mitgliedsstaaten allein zuständig sind. Dies heißt, dass die Gemeinschaft keine Regelung auf Grundlage des Art. 137 EGVund damit auch des Art. 139 EGV treffen darf, welche eine dort genannte Materie betrifft. Das Koalitionsrecht umfasst sowohl die Bildung als auch die Betätigung von Koalitionen.5 Strittig ist, ob der Bereich des Tarifvertragsrechts vom Ausschluss umfasst ist.6 Für einen Ausschluss wird vorgebracht, dass das Tarifrecht Teil des Koalitionsrechts sei und folglich das Tarifrecht mit ausgeschlossen sei.7 Darüber hinaus sei auch das Arbeitskampfrecht vom Ausschluss erfasst und das Tarifrecht habe mit diesem Berührungspunkte, so dass auch dies für einen Ausschluss spreche.8 Dagegen könnte die fehlende Nennung des Tarifrechts trotz expliziter Aufzählung wie des Streikrechts sprechen. Auch wird das Tarifrecht in der Gemeinschafts-, der Sozial- und der Grundrechtscharta als eigenes Recht genannt, was ebenfalls dafür sprechen könnte, es vom Ausschluss als nicht umfasst anzusehen.9 Darüber hinaus ergebe sich aus der Formulierung in Art. 137 Abs. 1 lit f), in der von der „kollektiven Wahrnehmung der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinteressen“ die Rede ist, dass das Tarifrecht nicht vom Ausschluss des Art. 137 Abs. 5 EGVerfasst sei.10 Für die hier in Frage stehende Problematik hat der Streit jedoch keine Auswirkung. Art. 137 EGV betrifft die Unterstützung auf der einfachgesetzlichen Ebene und hier ist die Ebene der Verfassung angesprochen. Aus Art. 137 EGV lassen sich folglich keine Rückschlüsse für die Auslegung des Art. 9 Abs. 3 GG ziehen. Weder EUV noch der EGV enthalten bisher einen geschriebenen Katalog der Grundrechte. Gleichzeitig können grundsätzlich Akte der Gemeinschaftsorgane aufgrund des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts nicht an nationalen Grundrechten ge3

Hobe, Europarecht, Rn. 525 § 137 Abs. 6 EGV: „Dieser Artikel gilt nicht für das Arbeitsentgelt, das Koalitionsrecht, das Streikrecht sowie das Aussperrungsrecht.“ 5 Rebhahn/Reiner, Schwarze, EU-Kommentar, Art. 137 EGV, Rn. 58. 6 Dagegen: Rebhahn/Reiner, Schwarze, EU-Kommentar, Art. 137 EGV, Rn. 58; Langenfeld/Bennecke, in: Grabitz/Hilf, EU, Art. 137, Rn. 100; dafür: Krebber, in: Calliess/Ruffert/ Krebber, EUV/EGV, Art. 137, Rn. 9, hierzu auch: Kocher, AuR 2008, S. 13. 7 Krebber, in: /Ruffert/Krebber, EUV/EGV, Art. 137, Rn. 11. 8 Krebber, in: Calliess/Ruffert/Krebber, EUV/EGV, Art. 137, Rn. 11; Preis/Gotthardt, in: Oetker/Preis, Europäisches Arbeits- u Sozialrecht, B 1100, Rn. 43. 9 Vgl. Art. 12 der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer, Art. 6 der Europäischen Sozialcharta, Art. 28 Grundrechtscharta. 10 Langenfeld/Bennecke, in: Grabitz/Hilf, EU, Art. 137, Rn. 100. 4

I. Europarechtliche Vorgaben

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messen werden.11 Die EU ist bisher auch noch nicht Mitglied der EMRK, so dass auch deren Grundrechtsnormen nicht Maßstab für die Prüfung von EG-Rechtsakten sein können. Der EuGH hat mit Rückgriff auf die Verfassungstraditionen der Mitgliedsstaaten und die EMRK allgemeine Gemeinschaftsgrundsätze anerkannt, um keinen grundrechtsfreien Raum zu schaffen.12 So entwickelte der EuGH seine Rechtsprechung zum europäischen Grundrechtsschutz, die mit der Entscheidung zu dem Fall Stauder 1969 begann und in welcher der EuGH erstmalig Grundrechte als allgemeine Rechtsgrundsätze der Gemeinschaftsrechtsordnung, die der Gerichtshof zu wahren habe, anerkannte.13 Dem voraus ging eine Kritik am unzureichenden Grundrechtsschutz der europäischen Union, die in einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts14 und der italienischen Corte Costituzionale15 Ausdruck fand. Seitdem wurden vom EuGH zahlreiche allgemeine Rechtsgrundsätze entwickelt.16 Danach heißt es, dass die Beachtung der Grundrechte zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen gehört, deren Wahrung der Gerichtshof zu sichern hat.17 Als Rechtserkenntnisquellen dienen dem EuGH dabei die Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedsstaaten und internationale Verträge über den Schutz der Menschenrechte.18 Die Gewährleistung der Grundrechte müssen sich darüber hinaus, „aber auch in die Struktur und Ziele der Gemeinschaft einfügen“.19 Die Achtung der Grundrechte und Grundfreiheiten wurde in einer Gemeinsamen Erklärung des Parlaments, des Rats und der Kommission vom 5. 4. 1977 bereits hervorgehoben. In der Präambel der Einheitlichen Europäischen Akte und der Erklärung der Grundrechte und Grundfreiheiten des Europäischen Parlaments vom 12. 4. 1989

11 Pernice, NJW 1990, S. 2411 f; Fischer, Europarecht, Rn. 141; Calliess, in: Calliess/ Ruffert, Art. 1 GRC, Rn. 1. 12 EuGH, Rs- 29/69 Slg. 1969, S. 419 ff (Stauder); EuGH, Rs 11/70, Slg. 1970, S. 1125 ff (Internationale Handelsgemeinschaft); zur Entwicklung: Haltern, Europarecht, S. 422 ff. 13 EuGH Rs. 29/69, Slg. 1969, S. 419, 425 (Stauder); zu dieser Entwicklung: Calliess, JZ 2009, S. 113. 14 BVerfGE 37, 271 ff. 15 Urteil Nr. 232 vom 21. 4. 1989 (Spa-FRAGD vs lAmministrazione delle Finanze dello Stato), Il foro italiano 1990 I, S. 1857 – 1865. 16 Zur Entwicklung: Pernice, NJW 1990, S. 2412 ff; Kingreen, in: Calliess/Ruffert, Art. 6 EUV, Rn. 20 ff. 17 EuGH Rs. 11/70, Slg. 1970, S. 1125, 1135 (Internationale Handelsgesellschaft). 18 Zunächst waren es nur die Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedsstaaten wie in den Entscheidungen EuGH Rs. 29/69, Slg. 1969, S. 419, 425 (Stauder) und EuGH Rs. 11/70, Slg. 1970, S. 1125, 1135 (Internationale Handelsgesellschaft); später wurden auch internationale Verträge herangezogen wie z. B. in EuGH Rs. 4/73, Slg. 1974, S. 491, 507 (Nold); EuGH Rs. 44/79, Slg. 1979, S. 3727, 3745 (Hauer); dazu s. u. a.: Calliess/Kingreen, in: Calliess/ Ruffert, Art. 6 EUV, Rn. 33; Streinz, Europarecht, Rn. 761; Fischer, Europarecht, Rn. 141; Pernice/Mayer, in: Grabitz/Hilf, EU, nach Art. 6, Rn. 4; Zuleeg, DÖV 1992, S. 937 ff. 19 EuGH Rs. 11/70, Slg. 1970, S. 1125, 1135 (Internationale Handelsgesellschaft).

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D. Vorgaben des europäischen und internationalen Rechts

ist diesem ebenfalls Ausdruck verliehen worden. Dem kann jedoch keine rechtliche, sondern lediglich eine deklaratorische Wirkung zugesprochen werden.20 Mittlerweile ist in Art. 6 Abs. 2 EUV a.F. festgehalten, dass die Grundrechte zu achten sind, so wie die EMRK diese gewährleisten und wie sie sich aus den Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrecht ergeben.21 Die allgemeinen Grundsätze haben primärrechtlichen Rang.22 So es sich um Grundsätze handelt, die aufgrund des Art. 220 EGV in die Gemeinschaftsordnung überführt wurden, begründet sich ihr Rang damit, dass eine Übernahme kraft Vertragsbestimmung hinsichtlich des Ranges einer Übernahme durch Vertrag selber gleichkommt.23 So es sich um Prinzipien handelt, die auf den EGV zurückgehen, haben sie den gleichen Rang wie die Normen, denen sie entnommen werden.24 Die Grundrechtscharta hält ausdrücklich fest, dass die von ihr enthaltenen Rechte, die auch Teil der EMRK sind, in dem Umfang gewährleistet werden, in dem die EMRK dies tut. Wörtlich heißt es in Art. 52 Abs. 3 GRC: „So weit diese Charta Rechte enthält, die den durch die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten garantierten Rechten entsprechen, haben sie die gleiche Bedeutung und Tragweite, wie sie ihnen in der genannten Konvention verliehen wird. Diese Bestimmung steht dem nicht entgegen, dass das Recht der Union einen weiter gehenden Schutz gewährt.“ So lange die Grundrechtscharta noch keinen rechtsverbindlichen Charakter entfaltet,25 ist sie nicht der unmittelbare Prüfungsmaßstab. Ihr kommt aber dennoch eine erhebliche Signalwirkung zu.26 Es ist schwer vorstellbar, dass der Rat oder die Kommission bei der Schaffung von Gesetzen eine von ihnen proklamierte Charta ignoriert, so dass von einer Selbstverpflichtung der für die Legislative und Exekutive der Europäischen Union verantwortlichen Organe ausgegangen werden kann.27 Die Kommission geht davon aus, dass sie mittelbar gilt, da der Gerichtshof sie als Teil der allgemeinen Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts in seine Auslegung einbe-

20

Hobe, Europarecht, Rn. 527. Calliess, in: Calliess/Ruffert, Art. 1 GRC, Rn. 3; Streinz, Europarecht, S. 754. 22 Oppermann, Europarecht, S. 150; Kutscher, EuGZR 1978, S. 504; Schilling, EuGRZ 2000, S. 30. 23 Schilling, EuGRZ 2000, S. 30. 24 Schilling, EuGRZ 2000, S. 30. 25 Schubert, in: Heilmann/Schubert, in: Europa, S. 86; Engels, Verfassung und Arbeitskampfrecht, S. 354; Vizthum, EuR 2002, S. 16. 26 Tettinger, NJW 2001, S. 1010; Engels, Verfassung und Arbeitskampfrecht, S. 354; Grabenwarter, DVBl 2001, S. 11. 27 Streinz, FS Rengeling, S. 647; Alber, EurGRZ 2001, S. 353; Oppermann, DVBl 2003, S. 3; zu der Frage auch Grabenwarter, DVBl 2001, S. 11. 21

I. Europarechtliche Vorgaben

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zieht.28 Der Anwendungsbereich der Grundrechtscharta beschränkt sich auf die Organe und Einrichtungen der Union sowie auf die Mitgliedsländer insoweit, als sie europäisches Recht durchsetzen.29 Die Grundrechte aus der EMRK überschneiden sich mit den allgemeinen Grundsätzen weithin.30 Hinsichtlich der Charta stehen die Grundrechte selbständig nebeneinander.31 In Art. 6 Abs. 2 EUV n.F. heißt es ausdrücklich, dass die Grundrechte der EMRK und die allgemeinen Grundsätze mit Verfassungsrang Teil des Unionsrechts werden. Dem ist zu entnehmen, dass die Grundrechte der EMRK, der GRC und die allgemeinen Grundsätze nebeneinander stehen. Die Vereinigungsfreiheit wurde 1995 das erste Mal in der Entscheidung Bosman vom EuGH anerkannt.32 Bis dahin legte der EuGH unter Bezugnahme auf allgemeine Grundsätze des Arbeitsrechts Art. 24 a des Beamtenstatuts dahingehend aus, dass dem ein Recht entspringe, Gewerkschaften oder Berufsverbänden anzugehören.33 Das Gericht betont aber gleichzeitig auch, dass die Reichweite der Koalitionsfreiheit eine nationale Angelegenheit sei, da diese eben auch von nationalem Recht insbesondere geschützt werde.34 Diese Auffassung entspricht auch der Gestaltung von Art. 28 Grundrechtscharta, in dem auch ein grundsätzlicher Schutz der Koalitionsfreiheit enthalten ist und der für den konkreten Schutzumfang dann wiederum auf das nationale Regelwerk verweist. Auch eine Auslegungshilfe hinsichtlich der Notwendigkeit des verfassungsrechtlichen Schutzes des zwingenden Charakters von Tarifnormen und der Überbetrieblichkeit der Koalitionen lässt sich aus den allgemeinen Grundsätzen nicht entnehmen. Folglich ist die Prüfung der nationalen Regelung des Art. 9 Abs. 3 GG entscheidend.

2. Europäische Menschenrechtskonvention Die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) stellt einen multilateralen Vertrag dar, der dem Völkerrecht unterliegt und rechtliche Verpflichtungen unter den 28

Mitteilung der Kommission zum Status der Grundrechtscharta der Europäischen Union vom 11. Oktober 2000, KOM (2000) 644, Rn. 10; Engels, Verfassung und Arbeitskampfrecht, S. 354. 29 Art. 51 Abs. 1 S. 1 Grundrechtscharta: „Diese Charta gilt für die Organe und Einrichtungen der Union unter Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips und für die Mitgliedsstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union.“ 30 Jarass, EU-Grundrechte, S. 18. 31 Jarass, EU-Grundrechte, S. 18 f. 32 EuGH, Rs. C-415/93, Slg. 1995, I-4921, Rn. 79 (Bosman); ebenso dann EuGH, Rs. C 235/92, Slg. 1999, I-4539, Rn. 137 (Montecatini). 33 EuGH, Rs. 175/73, Slg. 1974, 917, Rn. 14/16 (Gewerkschaftsbund); EuGH, Rs. 44,46 und 49/74, Slg. 1975, 383, Rn. 11/16 (Action/Kommission); EuGH Rs. C-193/87, Slg. 1990, I95, Rn. 13 (Maurissen und Gewerkschaftsbund/Rechnungshof). 34 EuGH, NZA 2008, S. 127 f; a.A. Bücker, NZA 2008, S. 215.

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D. Vorgaben des europäischen und internationalen Rechts

Vertragsstaaten schafft.35 Bei der EMRK handelt es sich um ein Abkommen des Europarats vom 4. 11. 1950, das dem völkerrechtlichen Menschenrechtsschutz durch ein justizförmiges Verfahren auf internationaler Ebene eine effektive Durchsetzung gewährleistet.36 Sie gilt für die Unterzeichnerstaaten und die EU, die sich bisher in Art. 6 Abs. 2 EUV a. F. lediglich verpflichtete, die EMRK zu achten. Mittlerweile sind alle 41 Europarats-Staaten Vertragsparteien der EMRK.37 In den verschiedenen Ländern der Vertragsparteien genießt die EMRK unterschiedlichen Rang. In Österreich und Griechenland hat die EMRK Verfassungsrang.38 In den Niederlanden ist ihr sogar überverfassungsrechtlicher Rang zugesprochen worden39 und für die Schweiz wird ein Übergesetzesrang angenommen.40 Teilweise hat die EMRK eine Stellung zwischen Verfassung und einfachem Gesetz wie z. B. in Frankreich.41 In Deutschland haben die gesetzgebenden Körperschaften der EMRK gem. § 59 Abs. 2 GG zugestimmt.42 So hat die EMRK in Deutschland den Rang eines einfachen Gesetzes.43 Nach dem Bundesverfassungsgericht ist der Prüfungsmaßstab für ein einfaches Gesetz aber nicht nur der Einklang mit der EMRK sondern auch mit der Rechtsprechung des EGMR, so dass ein faktischer Vorrang der EMRK vor dem deutschen Recht vorliegt, der jedoch seine Grenzen in der deutschen Verfassung findet.44 Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts sind die EMRK darüber hinaus bei der Auslegung der Grundrechte zu beachten.45 35

Stern, in: Staatsrecht III/1, § 62 III 6 a, S. 277. Streinz, Europarecht, Rn. 73; Hobe, Europarecht, Rn. 46 ff; Hailbronner/Jochum, Europarecht I, Rn. 49 ff. 37 Knecht, Charta der Grundrechte, S. 33. 38 Breitenmoser/Riemer/Seitz, Praxis des Europarechts, S. 9; Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, Rn. 67; Streinz, Europarecht, Rn. 75; Stern, in: Staatsrecht III/1 § 62 III 6 b b, S. 278. 39 Ruffert, EuGRZ 2007, S. 246. 40 Stern, in: Staatsrecht III/1 § 62 III 6 b b, S. 278. 41 Ruffert, EuGRZ 2007, S. 246. 42 Gesetz über die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 7. August 1952, BGBl II, S. 685 ff; Bekanntmachung der Neufassung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 17. Mai 2002, BGBl II, S. 1054 ff. 43 Payandeh, JuS 2009, S. 212; Stern, in: Staatsrecht III/1, § 62 III 6 b a, S. 278; Breitenmoser/Riemer/Seitz, Praxis des Europarechts, S. 9; Ruffert, EuGRZ 2007, S. 246. 44 „Wenn das Konventionsrecht der Europäischen Menschenrechtskonvention und mit ihm der Bundesgesetzgeber auf der Grundlage von Art. 59 Abs. 2 GG eine unmittelbare Geltung der Rechtsentscheide angeordnet haben, so entfalten sie unterhalb des Verfassungsrechts diese Wirkung“, BVerfGE 111, 307, 319. 45 BVerfGE 74, 358, 370; 82, 106, 115; so heißt es in BVerfGE 74, 358, 370: „Bei der Auslegung des Grundgesetzes sind auch Inhalt und Entwicklungsstand der Europäischen Menschenrechtskonvention in Betracht zu ziehen, sofern dies nicht zu einer Einschränkung oder Minderung des Grundrechtsschutzes nach dem Grundgesetz führt, eine Wirkung, die die Konvention indes selbst ausgeschlossen wissen will (Art. 60 EMRK)“; siehe auch BVerfGE 111, 307, 317. 36

I. Europarechtliche Vorgaben

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Für die Frage der Koalitionsfreiheit ist Art. 11 EMRK46 von Bedeutung.47 Aus der Formulierung „zum Schutze ihrer Interessen“ kann entnommen werden, dass auch die Betätigungsfreiheit der Koalitionen vom Schutz erfasst ist.48 Die Reichweite der Koalitionsfreiheit ist jedoch umstritten.49 Nach dem EGMR schützt Art. 11 EMRK die Gewerkschaftsfreiheit als eine Form oder einen besonderen Aspekt der Vereinigungsfreiheit“, was aber wiederum nicht bedeutet, dass er „den Gewerkschaften und deren Mitgliedern nicht eine bestimmte Behandlung seitens des Staates wie insbesondere das Recht, dass er mit ihnen diesen oder jenen Tarifvertrag abschließt“, schützt.50 Die Worte „zum Schutze seiner Interessen“ weisen aber nach Auffassung des Gerichtshof „eindeutig auf ein Ziel und zeigen, dass die Konvention die Freiheit schützt, die beruflichen Interessen der Mitglieder einer Gewerkschaft durch kollektive Maßnahmen zu verteidigen, Maßnahmen, deren Durchführung und Entwicklung die Vertragsstaaten zugleich erlauben und möglich machen müssen.“51 Weiter wird ausgeführt, dass Art. 11 Abs. 1 EMRK jedem Staat die Wahl der Mittel überlasse.52 In einer späteren Entscheidung heißt es, es sei „anerkannt, dass der Abschluss von Tarifverträgen dazugehört“.53 Die Konvention verlange lediglich, „dass die staatliche Gesetzgebung den Gewerkschaften gestattet, und dies in einer Art und Weise, die dem Art. 11 nicht zuwiderläuft, zum Schutze der Interessen ihrer Mitglieder zu kämpfen“.54 Beachtung finden muss insbesondere die Entscheidung vom 12. November 2008, in der nicht nur das Streikrecht sondern auch das Recht auf Kollektivverhandlungen explizit als von Art. 11 EMRK geschützt angesehen wird.55

46 EMRK Art. 11 Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit: „Jede Person hat das Recht, sich frei und friedlich mit anderen zu versammeln und sich frei mit anderen zusammenzuschließen; dazu gehört auch das Recht, zum Schutz seiner Interessen Gewerkschaften zu gründen und Gewerkschaften beizutreten. Die Ausübung dieser Rechte darf nur mit Einschränkungen unterworfen werden, die gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind für die nationale oder öffentliche Sicherheit, zur Aufrechterhaltung der Ordnung oder zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer. Dieser Artikel steht rechtmäßigen Einschränkungen der Ausübung dieser Rechte für Angehörige der Streitkräfte, der Polizei oder der Staatsverwaltung nicht entgegen.“ 47 Scholz, AöR 106 (1981), S. 82 ff; Däubler, in: ders., TVG, Einleitung, Rn. 154; Marauhn, in: Ehlers, Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, § 4 V Rn. 81 ff, S. 123. 48 EGMR, EuGRZ 1980, S. 452; Marauhn, in: Ehlers, Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, § 4 V Rn. 83, S. 124; für den Schutz der Betätigungsfreiheit durch Art. 11 EMRK auch: Bröhmer, in: Grote/Marauhn, EMRK, Kap. 19, Rn. 106. 49 Marauhn, in: Ehlers, Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, § 4 V Rn. 86, S. 125. 50 EGMR, EuGRZ 1976, S. 64. 51 EGMR, EuGRZ 1976, S. 63. 52 EGMR, EuGRZ 1976, S. 63; so auch EGMR, ÖJZ 2003, S. 276. 53 EGMR, AuR 1997, S. 412 ; dazu auch Lörcher, AuR 1997, S. 411. 54 EGMR, EuGRZ 1976, S. 63. 55 EGMR vom 12. 11. 2008, Rs. 34503/07 (Demir, Baykara/Turkey), Rn. 145; Lörcher, AuR 2009, S. 229 ff.

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D. Vorgaben des europäischen und internationalen Rechts

Daraus lässt sich folgend weder entnehmen, dass die Kompetenzen der Tarifvertragsparteien bei eben diesen liegen müssen, noch dass sie auf die Betriebsebene verlagert werden müssen. Art. 11 EMRK bestimmt lediglich, dass die Ausübung der Koalitionsfreiheit nationalstaatlich gewährleistet werden muss. Die Bestimmung der Art und Weise obliegt den Vertragsstaaten.

3. Europäische Grundrechtscharta Die Gewährleistung von Grundrechten spielte im Prozess für einen Verfassungsvertrag eine zentrale Rolle. Nach dem Vertrag von Amsterdam (1997) und dem Vertrag von Nizza (2001) wurde in Europa ein Verfassungsvertrag unter Führung des ehemaligen französischen Staatspräsidenten Giscard dEstaing ausgehandelt, der in Rom am 29. 10. 2004 von den Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsstaaten unterzeichnet wurde. In den Niederlanden und in Frankreich wurde dieser Verfassungsvertrag jedoch durch Referenden von der Bevölkerung abgelehnt, so dass die notwendige Ratifikation durch alle Mitgliedsstaaten nicht erfolgen konnte.56 Damit war der Verfassungsvertrag zunächst gescheitert. Im Folgenden verständigte man sich im Juni 2007 in Brüssel darauf, lediglich einen Reformvertrag auszuhandeln. Dieser wurde am 18./19. 10. 2007 in Lissabon beschlossen und am 13. 12. 2007 unterzeichnet.57 Er ist damit aber noch nicht verbindlich. Die irische Bevölkerung lehnte im Juni 2008 mit 53, 4 % den Reformvertrag ab. In Kraft treten kann er jedoch nur, wenn alle Ratifikationsurkunden vorliegen. Folglich ist es derzeit offen, wie es mit dem Reformvertrag weitergeht. Der Reformvertrag behandelt in Art. 6 EUV n.F. die Frage der Grundrechte.58 So würde die Grundrechtscharta mit dem Reformvertrag nach Art. 6 Abs. 1 EUV n.F. 56

Oppermann, DVBl 2008, S. 475. Rat der EU, Dok. 6655/08; dazu Pernice, EuZW 2008, S. 65. 58 Art. 6 des Lissabonner Vertrages: „(1) Die Union erkennt die Rechte, Freiheiten und Grundsätze an, die in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 7. Dezember 2000 in der am 12. Dezember 2007 in Straßburg angepassten Fassung niedergelegt sind; die Charta der Grundrechte und die Verträge sind rechtlich gleichrangig. Durch die Bestimmungen der Charta werden die in den Verträgen festgelegten Zuständigkeiten der Union in keiner Weise erweitert. Die in der Charta niedergelegten Rechte, Freiheiten und Grundsätze werden gemäß den allgemeinen Bestimmungen des Titels VII der Charta, der ihre Auslegung und Anwendung regelt, und unter gebührender Berücksichtigung der in der Charta angeführten Erläuterungen, in denen die Quellen dieser Bestimmungen angegeben sind, ausgelegt. (2) Die Union tritt der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten bei. Dieser Beitritt ändert nicht die in den Verträgen festgelegten Zuständigkeiten der Union. (3) Die Grundrechte, wie sie in der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten gewährleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfas57

I. Europarechtliche Vorgaben

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Rechtsverbindlichkeit erlangen. Darüber hinaus würde die Union gem. Art. 6 Abs. 2 S. 1 EUV n.F. der EMRK beitreten. Dies würde bedeuten, dass die EU zukünftig nicht mehr mittelbar sondern formal und direkt an die EMRK gebunden wäre.59 Ein Beitritt würde jedoch eine entsprechende Änderung der EMRK in Art. 59 Abs. 1 EMRK voraussetzen, da der EMRK bisher lediglich Mitglieder des Europarates beitreten können und nach Art. 4 der Satzung des Europarates können das nur Staaten sein. Darüber hinaus müssten aber auch die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen erfüllt sein. Das heißt, dass ein einstimmiger Ratsbeschluss nach Zustimmung des Parlaments und dessen Ratifizierung durch die Mitgliedsstaaten vorliegen müsste. Mit dem Lissabonner Vertrag würde es folglich drei Kategorien von Gemeinschaftsgrundrechten geben. Das wären die Europäische Grundrechtscharta (GRC), die Grundrechte der EMRK und die allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts mit Verfassungsrang.60 Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union wurde am 7. Dezember 2000 vom Europäischen Parlament, vom Rat und der Kommission, die von ihrem Präsidenten bzw. dem Vorsitz vertreten wurde, feierlich proklamiert. Die GRC sollte ursprünglich der erste Teil des gescheiterten Verfassungsvertrags werden. Der Vertrag von Lissabon sieht nun vor, über Art. 6 Abs. 1 EUV n. F. die GRC in das Primärrecht mit einzubeziehen, was sich auf die Fassung vom 12. 12. 2007 bezieht. Damit wurde zwar keine textliche Übernahme vorgenommen, aber die GRC erlangt durch Verweisung Geltung.61 Sie ist damit ausdrücklich gleichrangig mit Primärrecht.62 Polen und das Vereinigte Königreich haben Vorbehalte angemeldet.63 Für die Koalitionsfreiheit hat insbesondere Art. 12 Abs. 1 GRC Bedeutung.64 Dieser entspricht Art. 11 EMRK.65 Art. 12 GRC schützt die Betätigungsfreiheit der Koalitionen.66 Das Recht, Tarifverträge auszuhandeln und abzuschließen, ist aber aussungsüberlieferungen der Mitgliedsstaaten ergeben, sind als allgemeine Grundsätze Teil des Unionsrechts.“ 59 Pache/Rösch, EUZW 2008, S. 520; Oppermann, DVBl 2008, S. 478. 60 Pache/Rösch, EuZW 2008, S. 521. 61 Lindner, BayVBl 2008, S. 428; Dauses, EuZW 2008, S. 449; Schiffauer, EuGRZ 2008, S. 3. nach Weber mutiere Art. 6 zum „Grundrechtsanerkennungsartikel“, EuZW 2008, S. 7. 62 Streinz, ZG 2008, S. 122; Terhechte, EuR 2008, S. 170. 63 Protokoll (Nr. 30) über die Anwendung der Charta der Grundrechte auf Polen und das Vereinigte Königreich (Rat der EU, Dok. 6655/08), hierzu Mehde, EuGRZ 2008, S. 269 ff. 64 Art. 12 Abs. 1 Grundrechtscharta: „Jede Person hat das Recht, sich insbesondere im politischen, gewerkschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Bereich auf allen Ebenen frei und friedlich mit anderen zu versammeln und frei mit anderen zusammenzuschließen, was das Recht jeder Person umfasst, zum Schutz ihrer Interessen Gewerkschaften zu gründen und Gewerkschaften beizutreten.“ 65 Däubler, AuR 2001, S. 382; Bernsdorff/Borowsky, Charta, Erläuterung zu Art. 12 der Grundrechtscharta, S. 23; Breitenmoser/Riemer/Seitz, Praxis des Europarechts, S. 313; Barriga, Entstehung der Charta, S. 90. 66 Engels, Verfassung und Arbeitskampfrecht, S. 357.

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drücklich in Art. 28 GRC geregelt.67 Die Formulierung „Kollektivverhandlungen“ betrifft das Recht, Tarifverträge zu verhandeln und zu schließen.68 Art. 28 GRC mache eine gesetzliche Ausgestaltung eines Tarifsystems und eine entsprechende Regelung hinsichtlich der Wirkung von Tarifverträgen erforderlich.69 Art. 28 GRC steht unter dem Vorbehalt der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften. So heißt es in den Erläuterungen des Präsidiums des Konvents, dass Kollektivmaßnahmen „durch die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten geregelt“ werden.70 Grundsätzlich muss die Gemeinschaft folglich die nationalen Rechtsvorschriften anerkennen.71 Im Zusammenhang mit Art. 51 Abs. 2 GRC72 ist das Anwendungsfeld des Art. 28 GRC begrenzt.73 Art. 28 GRC bietet die Hülle für einen Schutz, den dieser nicht selber bestimmt, sondern dabei auf die nationalen Normen verweist.74 Die Norm selber bestimmt lediglich, dass die betroffenen Positionen als Grundrechte der Union anerkannt werden.75 Eine Regelung im deutschen Rechtssystem, welche die Kompetenzen der Tarifvertragsparteien auf die Betriebsebene verlagert, würde folglich nicht gegen die Grundrechtscharta verstoßen, wenn diese Regelung nicht auch gegen eine deutsche Verfassungsnorm verstoßen würde. Schließlich sichert Art. 28 GRC lediglich ab, dass durch die Grundrechtscharta das nationale Schutzniveau hinsichtlich eines Tarifsystems auch auf europäischer Ebene gewährleistet ist. Es geht nicht darüber hinaus und auch nicht darunter, so dass letztlich die Prüfung von Art. 9 Abs. 3 GG entscheidend ist. Bei der Frage der Auslegung des Art. 9 Abs. 3 GG hilft Art. 28 GRC hinsichtlich gesetzlicher Öffnungsklauseln folglich nicht weiter.

4. Europäische Sozialcharta von 1961 Die Europäische Sozialcharta (ESC), die der Europarat verabschiedet hat, ist ein Übereinkommen, das die sozialen Grundrechte harmonisieren und den sozialstaatli67

Art. 28 Grundrechtscharta: „Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber oder ihre jeweiligen Organisationen haben nach dem Gemeinschaftsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten das Recht, Tarifverträge auf den geeigneten Ebenen auszuhandeln und zu schließen sowie bei Interessenkonflikten kollektive Maßnahmen zur Verteidigung ihrer Interessen, einschließlich Streiks, zu ergreifen.“ 68 Jarass, EU-Grundrechte, S. 342. 69 Holoubek, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 28 EGC, Rn. 15. 70 Bernsdorff/Borowsky, Charta, Erläuterung zu Art. 28 der Grundrechtscharta, S. 31. 71 Schubert, in: Heilmann/Schubert, Europa, S. 91. 72 Art. 51 Abs. 2 Grundrechtscharta: „Diese Charta begründet weder neue Zuständigkeiten noch neue Aufgaben für die Gemeinschaft und für die Union, noch ändert sie die in den Verträgen festgelegten Zuständigkeiten und Aufgaben.“ 73 Riedel, in: Meyer, Kommentar zur Charta, Art. 28, Rn. 27; Dorf, JZ 2005, S. 127 f. 74 Engels, Verfassung und Arbeitskampfrecht, S. 366. 75 Schmitz, JZ 2001, S. 841.

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chen Ausbau fördern soll.76 Die Ratifizierung ist aber nicht wie bei der EMRK Voraussetzung für den Beitritt zum Europarat.77 Andorra, Georgien, Mazedonien, Russland und die Schweiz haben zum Beispiel bis heute nicht ratifiziert.78 Die ESC vom 18. 10. 1961 ist in der Ursprungsfassung am 26. 2. 1965 in Kraft getreten. Im Jahre 1996 wurde die Charta revidiert und zur Unterzeichnung ausgelegt. Sie trat in ihrer revidierten Fassung am 1. 7. 1999 in Kraft. Von 24 Staaten wurde sie ratifiziert, wobei Deutschland die Ratifizierung noch nicht vorgenommen hat. Das Recht der Kollektivverhandlungen wurde jedoch keiner Änderung unterzogen, so dass die noch nicht erfolgte Ratifizierung für die hier behandelte Fragestellung nicht von Belang ist.79 Umstritten ist, ob die ESC für die Vertragsstaaten nur eine völkerrechtliche Verpflichtung darstellt oder ob sie subjektive Rechte begründet.80 In Art. 136 EGV ist festgehalten, dass die ESC als Orientierung dient.81 Als Auslegungshilfe sowohl für die nationale als auch die internationale Rechtsprechung erfährt die ESC erhebliche Bedeutung.82 So ist die ESC auch in Deutschland bei der Auslegung nationalen Rechts zu berücksichtigen.83 So hat das BAG festgehalten, dass die ESC eine völkerrechtliche Verpflichtung darstelle, „deren Regeln die Gerichte beachten müssen, wenn sie die im Gesetzesrecht bezüglich der Ordnung des Arbeitskampfes bestehen-

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Breitenmoser/Riemer/Seitz, Praxis des Europarechts, S. 151; hierzu auch Fabricius, Streik und Aussperrung im Internationalen Recht, S. 11 ff. 77 Breitenmoser/Riemer/Seitz, Praxis des Europarechts, S. 151. 78 Breitenmoser/Riemer/Seitz, Praxis des Europarechts, S. 151. 79 Rieble, RdA 2005, S. 203. 80 Lediglich für eine völkerrechtliche Verpflichtung: Riebel, RdA 2005, S. 203; Breitenmoser/Riemer/Seitz, Praxis des Europarechts, S. 152; Stern, in: Staatsrecht III/1, § 62 III 5, S. 276; Fritzsche, Menschenrechte, S. 80; für subjektive Rechte: Gitter, ZfA 1974, S. 136, der hinsichtlich Art. 6 Ziff. 4 ausführt „dass es sich bei Art. 6 Ziff. 4 um eine self – executing – Norm handelt, die ohne zusätzliche Transformierung in innerstaatliches Recht die Rechtsunterworfenen in den vertragsschließenden Staaten unmittelbar berechtigt und verpflichtet.“ Auch wenn der Auffassung von Gitter gefolgt werden würde, würde dies im Ergebnis hier nichts ändern, da lediglich von einer Verpflichtung zur Gewährleistung eines Arbeitskampfrechts ausgegangen werden könnte. Wie dieses genau auszusehen hätte, wäre dann aber wieder in der Zuständigkeit der nationalen Gesetzgebung. 81 Nach Rebhahn/Reiner ist die ESC weder unmittelbar anwendbar, noch könnten ihre subjektiven Rechte entnommen werden. Sie seien nicht Bestandteil des Gemeinschaftsrechts. „Ihre Funktion beschränkt sich auf Auslegungshilfe.“, Rebhahn/Reiner, in: Schwarze, EUKommentar, § 136, Rn. 10. 82 Zuleeg, EuGRZ 1992, S. 330 f; Breitenmoser/Riemer/Seitz, Praxis des Europarechts, S. 152. 83 BVerfGE 58, 233, 254, allerdings hat das Bundesverfassungsgericht offen gelassen, ob „die Europäische Sozialcharta unmittelbar geltendes Bundesrecht ist oder ob sie lediglich den Gesetzgeber und den rechtsfortbildenden Richter bindet oder wenigstens Auslegungsmittel für das nationale Recht ist“; Däubler, AuR 1998, S. 147.

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den Lücken anhand von Wertentscheidungen der Verfassung ausfüllen“.84 Auch der EuGH nimmt in seinen Entscheidungen auf die ESC Bezug.85 Die Vereinigungsfreiheit ist in Art. 5 ESC86 geregelt. Für die Koalitionsfreiheit hat insbesondere Art. 6 ESC87 Bedeutung. Dort ist ausdrücklich das Recht auf Kollektivverhandlungen geschützt.88 In Art. 31 ESC werden die in Teil I gewährten Rechte aber unter den Vorbehalt der Rechte und Freiheiten anderer, der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, der Sicherheit des Staates, der Volksgesundheit und der Sittlichkeit gestellt.89 Dies sieht weitergehende Beschränkungen als das Grundgesetz vor, so dass nicht davon auszugehen ist, dass das Schutzniveau höher als in Art. 9 Abs. 3 GG ist. Dem Recht auf Kollektivverhandlungen ist Deutschland durch den Schutz der Koalitionsfreiheit in Art. 9 Abs. 3 GG und dem TVG auf einfachgesetzlicher Ebene nachgekommen. Inwieweit ein solches Recht zwingende Tarifnormen bzw. überbe84

BAG, RdA 2003, S. 360. EuGH, Rs. C-116/06 (Kiiski), Rn. 48; EuGH, Rs. C-341/05 (Laval), Rn. 90. 86 Art. 5 – Das Vereinigungsrecht: „Um die Freiheit der Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu gewährleisten oder zu fördern, örtliche, nationale oder internationale Organisationen zum Schutze ihrer wirtschaftlichen und sozialen Interessen zu bilden und diesen Organisationen beizutreten, verpflichten sich die Vertragsparteien, diese Freiheit weder durch das innerstaatliche Recht noch durch dessen Anwendung zu beeinträchtigen. Inwieweit die in diesem Artikel vorgesehenen Garantien auf die Polizei Anwendung finden, bestimmt sich nach innerstaatlichem Recht. Das Prinzip und gegebenenfalls der Umfang der Anwendung dieser Garantien auf die Mitglieder der Streitkräfte bestimmen sich gleichfalls nach innerstaatlichem Recht.“ 87 Art. 6 Das Recht auf Kollektivverhandlungen: „Um die wirksame Ausübung des Rechtes auf Kollektivverhandlungen zu gewährleisten, verpflichten sich die Vertragsparteien, - gemeinsame Beratungen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern zu fördern; - Verfahren für freiwillige Verhandlungen zwischen Arbeitgebern oder Arbeitgeberorganisationen einerseits und Arbeitnehmerorganisationen andererseits zu fördern, soweit dies notwendig und zweckmäßig ist, mit dem Ziele, die Beschäftigungsbedingungen durch Gesamtarbeitsverträge zu regeln; - die Einrichtung und die Benutzung geeigneter Vermittlungs- und freiwilliger Schlichtungsverfahren zur Beilegung von Arbeitsstreitigkeiten zu fördern; und anerkennen: - das Recht der Arbeitnehmer und Arbeitgeber auf kollektive Maßnahmen einschließlich des Streikrechts im Falle von Interessenkonflikten, vorbehaltlich etwaiger Verpflichtungen aus geltenden Gesamtarbeitsverträgen.“ 88 Däubler, in: ders., TVG, Einleitung, Rn. 158. 89 Art. 31 ESC Einschränkungen: „Die in Teil I niedergelegten Rechte und Grundsätze dürfen nach ihrer Verwirklichung ebenso wie ihre in Teil II vorgesehene wirksame Ausübung anderen als den in diesen Teilen vorgesehenen Einschränkungen oder Begrenzungen nur unterliegen, wenn diese gesetzlich vorgeschrieben und in einer demokratischen Gesellschaft zum Schutze der Rechte und Freiheiten anderer oder zum Schutze der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, der Sicherheit des Staates, der Volksgesundheit und der Sittlichkeit notwendig sind. Von den nach dieser Charta zulässigen Einschränkungen der darin niedergelegten Rechte und Verpflichtungen darf für keinen anderen als den vorgesehenen Zweck Gebrauch gemacht werden.“ 85

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triebliche Tarifparteien notwendig macht, kann der ESC jedoch nicht entnommen werden, da diese lediglich ein Mindestmaß an Schutz einfordert, dessen Ausgestaltung dann wiederum den Nationalstaaten vorbehalten ist.

5. Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte (GSC) Die Gemeinschaftscharta stellt eine Erklärung des Europäischen Rates mit Ausnahme Großbritanniens dar. Sie wurde am 9. 12. 1989 unterzeichnet. Mittlerweile hat auch Großbritannien die Unterzeichnung 1998 vorgenommen. Relevant ist hier insbesondere der Abschnitt zu Koalitionsfreiheit und Tarifverhandlungen. Dabei wird in Titel I Nr. 11 das Koalitionsrecht genannt.90 Auch das Tarifrecht wird in Titel I Nr. 12 ausdrücklich erwähnt.91 Angesichts der Tatsache, dass die Gemeinschaftscharta in Art. 136 EGV genannt wird, kann zwar davon ausgegangen werden, dass die GSC in der Auslegung Berücksichtigung finden muss.92 Die GSC stellt jedoch lediglich eine politische Erklärung dar, der keine Rechtsverbindlichkeit zukommt.93 Der EuGH hat zwar in Entscheidungen auf die Gemeinschaftscharta Bezug genommen, jedoch daraus keine verbindliche Folge abgeleitet.94 Folglich kann ihr keine zwingende Folge für die Gestaltung des Koalitionsrechts in Deutschland entnommen werden.

II. Internationales Recht 1. Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR) Am 10. 12. 1948 verabschiedete die Generalversammlung der UNO die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte.95 Sie enthält neben der allgemeinen Vereinigungsfreiheit in Art. 20 AEMR96 auch die Koalitionsfreiheit in Art. 23 AEMR97. Bei der

90 Tit. 11 Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer: „Die Arbeitgeber und Arbeitnehmer in der Europäischen Gemeinschaft haben das Recht, sich zur Bildung beruflicher oder gewerkschaftlicher Vereinigungen ihrer Wahl frei zusammenzuschließen, um ihre wirtschaftlichen und sozialen Interessen zu vertreten.“ 91 Tit. 12 Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer: „Die Arbeitgeber und Arbeitgebervereinigungen einerseits und die Arbeitnehmervereinigungen andererseits haben das Recht, unter den Bedingungen der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten Tarifverträge auszuhandeln und zu schließen.“ 92 Hilbrandt, in: Heselhaus/Nowak, Handbuch der europäischen Grundrechte, § 35, Rn. 17. 93 Zuleeg, EuGRZ 1992, S. 330 f.; Rebhahn/Raiser, Art. 136 EGV, Rn. 10. 94 EuGH, Rs. C-17/99, Slg. 2001, I-4881, Rn. 39 (BECTU); EuGH, Rs. C-151/02, Slg. 2003, I-8389, Rn. 47 (Jaeger). 95 Fritzsche, Menschenrechte, S. 51.

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AEMR handelt es sich lediglich um eine Deklaration, der jedoch keine rechtliche Verbindlichkeit zukommt.98 Dies kann der Proklamation der Generalversammlung entnommen werden, in der es heißt, dass die Deklaration „als allgemeiner erstrebenswerter Standard für alle Völker und Nationen“ gedacht sei.99 Nichtsdestotrotz darf die „gewaltige moralische, politische und rechtliche Anstoßwirkung für die völkerrechtliche (und nationale) Entwicklung der Menschenrechte“ nicht unterschätzt werden.100 Aus ihr ergibt sich aber keine zwingende Folge für die Gestaltung der Koalitionsfreiheit in Deutschland.

2. Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR)/ Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (IPWSKR) Aufgrund des Ost-West-Konflikts gelang es nicht, die AEMR in den Status einer rechtsverbindlichen, einheitlichen Konvention zu überführen, so dass man sich dazu entschloss, zwei getrennte Konventionen zu entwickeln.101 Nach 20-jähriger Beratung war es am 16. 12. 1966 soweit, dass die Generalversammlung der Vereinten Nationen den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte und den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte annahm.102 Zehn weitere Jahre dauerte es, bis die Pakte in Folge von Ratifikationen in Kraft traten.103 Deutschland ist den Pakten völkerrechtsverbindlich beigetreten.104 Grundsätzlich besteht kein Anlass, die beiden Pakte unterschiedlich zu behandeln.105 96 Art. 20 AEMR: „Alle Menschen haben das Recht, sich friedlich zu versammeln und zu Vereinigungen zusammenzuschließen. Niemand darf gezwungen werden, einer Vereinigung anzugehören.“ 97 Art. 23 AEMR: „(…) 4. Jeder hat das Recht, zum Schutze seiner Interessen Gewerkschaften zu bilden und solchen beizutreten.“ 98 Leydecker, Tarifvertrag, S. 348 f; Stern, in: Staatsrecht III/1, § 62 II 4 b b, S. 256; Gitter, ZfA 1974, S. 132; Zuleeg, RdA 1974, S. 321; hierzu auch Klee, Verwirklichung wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Menschenrechte, S. 60. 99 Gitter, ZfA 1974, S. 132. 100 Stern, in: Staatsrecht III/1, § 62 II 4 b d, S. 258; dazu auch Däubler, in: ders., TVG, Einleitung, Rn. 150; Fritzsche, Menschenrechte, S. 53. 101 Fritzsche, Menschenrechte, S. 54. 102 Stern, in: Staatsrecht III/1, § 62 II 5, S. 261; Fritzsche, Menschenrechte, S. 54. 103 Kälin/Künzli, Universeller Menschenrechtsschutz, S. 46; Thomsen, Amnesty International, 50 Jahre AEMR, S. 19. 104 BGBl II 1973, S. 1533 ff und 1569 ff. 105 Däubler, in: ders., TVG, Einleitung, Rn. 151.

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Im Pakt für bürgerliche und politische Rechte106 ist das Recht, Gewerkschaften zu bilden und ihnen beizutreten, gewährleistet.107 Die Koalitionsfreiheit ist in Art. 8 des Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte gewährleistet.108 Inwieweit beide Pakte subjektive Rechte gewähren, ist umstritten.109 Allerdings heißt es in Art. 8 des Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, dass die Koalitionsfreiheit gewährleistet („ensure“) wird, während es in den anderen Artikeln lediglich heißt, dass Rechte anerkannt („recognized“) werden sollen.110 Unabhängig von der Frage subjektiver Rechte begründen die Pakte völkerrechtliche Verpflichtungen der Vertragsstaaten, was eine Verpflichtung dahingehend bedeutet, das nationale Recht auf das Niveau der Rechte in den Pakten zu bringen.111 In Art. 8 des Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte ist ausdrücklich die Betätigungsfreiheit geschützt.112 So wie die gesamte Koalitionsfreiheit ist auch der spezifische Bereich der Betätigungsfreiheit dem Vorbehalt unterstellt, dass Einschränkungen möglich sind, die für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ordnung oder für die Rechte und Freiheiten anderer erforderlich sind. Die Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG ist nur über verfassungsimmanente Schranken einschränkbar und geht damit im Schutzniveau weit über Art. 8 des Paktes hinaus.113 Art. 8 des Paktes macht ein Mindestmaß an Schutz hinsichtlich der Koalitionsfreiheit erforderlich. Für die Auslegung des Art. 9 Abs. 3 GG bezüglich der ÜberbetrieblichArt. 22 Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte: „(1) Jedermann hat das Recht, sich frei mit anderen zusammenzuschließen sowie zum Schutz seiner Interessen Gewerkschaften zu bilden und ihnen beizutreten.“ 107 Däubler, in: ders., Arbeitskampfrecht, Rn. 104 e. 108 Art. 8 Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte: „(1) Die Vertragsstaaten verpflichten sich, folgende Rechte zu gewährleisten: a) das Recht eines jeden, zur Förderung und zum Schutz seiner wirtschaftlichen und sozialen Interessen Gewerkschaften zu bilden oder einer Gewerkschaft eigener Wahl allein nach Maßgabe ihrer Vorschriften beizutreten. Die Ausübung dieses Rechts darf nur solchen Einschränkungen unterworfen werden, die gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen Sicherheit oder der öffentlichen Ordnung oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer erforderlich sind; b) das Recht der Gewerkschaften, nationale Vereinigungen oder Verbände zu gründen, sowie deren Recht, internationale Gewerkschaftsorganisationen zu bilden oder solchen beizutreten; c) das Recht der Gewerkschaften, sich frei zu betätigen, wobei nur solche Einschränkungen zulässig sind, die gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen Sicherheit oder der öffentlichen Ordnung oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer erforderlich sind; d) das Streikrecht, soweit es in Übereinstimmung mit der innerstaatlichen Rechtsordnung ausgeübt wird.“ 109 Tomuschat, VN 1978, S. 2 f; Leydecker, Tarifvertrag, S. 354; Stern, in: Staatsrecht III/1, § 62 II 5 c, S. 263; Nowak, Zuleeg, RdA 1974, S. 324. 110 Leydecker, Tarifvertrag, S. 354. 111 Stern, in: Staatsrecht III/1, § 62 II 5 b, S. 263; Leydecker, Tarifvertrag, S. 354. 112 Schiek, Europäisches Arbeitsrecht, Teil 1, Rn. 36. 113 Zuleeg, RdA 1974, S. 329. 106

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keit und des zwingenden Charakters von Tarifnormen kann aus Art. 8 des Paktes nichts entnommen werden.

3. Übereinkommen der ILO Als älteste Sonderorganisation der UNO hat die International Labour Organisation (ILO) sich in einigen Übereinkommen mit der Koalitionsfreiheit beschäftigt. Übereinkommen stellen Urkunden dar, die von der Internationalen Arbeitskonferenz verabschiedet werden und dann meist ein Jahr zur Ratifikation ausgelegt werden.114 Nach Ratifizierung durch die Mitgliedsstaaten verpflichten sie die Unterzeichnerstaaten wie ein völkerrechtlicher Vertrag.115 Ihre Einhaltung wird von einem speziellen Komitee überwacht. Inwieweit subjektive Rechte aus den ILO Übereinkommen ableitbar sind, ist umstritten und wurde vom Bundesarbeitsgericht bisher noch nicht entschieden.116 Auch das Bundesverwaltungsgericht hat sich zur Frage der subjektiven Rechte nicht explizit positioniert,117 und der BGH hat diesbezüglich ebenfalls keine Stellung bezogen.118 Nach dem Grundsatz der völkerrechtskonformen Auslegung müssen die ILO-Übereinkommen bei der Auslegung nationaler Rechtnormen in jedem Fall berücksichtigt werden.119 Zu untersuchen ist hier das Übereinkommen Nr. 87 von 1948, welches die Vereinigungsfreiheit und den Schutz des Vereinigungsrechts zum Gegenstand hatte.120 So ist in Art. 2 das Recht auf Bildung und Beitritt einer Gewerkschaft geregelt.121 Art. 11 verpflichtet die Mitgliedsstaaten zur Gewährleistung des Ausübungsrechts122 114

Köppen, Frank/Jenichen/Rosemann, Soziale Menschenrechte, S. 159 f. Wagner, Internationaler Schutz sozialer Rechte, S. 26; Gitter, ZfA 1974, S. 132; Fritzsche, Menschenrechte, S. 98. 116 Däubler, in: ders., Arbeitskampfrecht, S. 103; Brox/Rüthers, Arbeitsrecht, Rn. 96; Lörcher, AuR 1991, S. 102; Gitter, ZfA 1974, S. 133; zur Frage, ob ein Übereinkommen Gesetzes- oder Vertragscharakter innehat: Wagner, Internationaler Schutz sozialer Rechte, S. 27 ff. 117 BVerwGE 81, 212 ff; BVerwG, NJW 1987, S. 2691; das Gericht hat lediglich hinsichtlich des ILO-Übereinkommens 111 festgehalten, dass diesem „keine das innerstaatliche Recht unmittelbar ändernden Wirkungen“ zukomme, BVerwGE 76, 157, 160. 118 BGH, DB 1983, S. 2076 ff; BGH, JZ 1980, S. 657. 119 Leydecker, Tarifvertrag, S. 349; Löwisch/Rieble, in: Münchener Handbuch III, § 242, Rn. 89; Däubler, in: ders., Arbeitskampfrecht, Rn. 104; zur Frage des Beamtenstreikrechts: Lörcher, AuR 2009, S. 229 ff; ders., PersR 1991, S. 155 ff. 120 Hierzu Böhmert, Recht der ILO und sein Einfluss auf das deutsche Arbeitsrecht, S. 107 ff; Däubler, in: ders., TVG, Einleitung, Rn. 156. 121 Artikel 2 ILO-Übereinkommen Nr. 87: „Die Arbeitnehmer und Arbeitgeber ohne jeden Unterschied haben das Recht, ohne vorherige Genehmigung Organisationen nach eigener Wahl zu bilden und solchen Organisationen beizutreten, wobei lediglich die Bedingung gilt, dass sie deren Satzungen einhalten.“ 115

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und Art. 10 spezifiziert dahingehend, dass Organisationen im Sinne des Übereinkommens all jene sind, welche die Interessen der Arbeitnehmer oder Arbeitgeber fördern und schützen wollen.123 Teilweise wird vertreten, dass in Art. 8124 geregelt sei, dass die Betätigungsfreiheit ihre Grenzen in den nationalen Gesetzen finde.125 Jedoch besagt Art. 8 Abs. 2, dass die nationale Gesetzgebung die im Übereinkommen gewährten Rechte nicht schmälern dürfe, so dass diesem Standpunkt nicht zugestimmt werden kann. Das Übereinkommen Nr. 87 gewährleistet „die Koalitionsfreiheit nur in ganz allgemeiner Form und geht nicht über die Grundsätze hinaus, die ohnehin durch Art. 9 Abs. 3 GG verfassungsrechtlich abgesichert sind“.126 Folglich können aus diesem keine zwingenden Schlüsse für die Auslegung des Art. 9 Abs. 3 GG hinsichtlich der Überbetrieblichkeit und der zwingenden Wirkung von Tarifnormen gewonnen werden. Außerdem ist das Übereinkommen Nr. 98 von 1949 von Relevanz, in dem das Vereinigungsrecht und das Recht auf Kollektivverhandlungen behandelt wurde.127 In Art. 4 ist die Frage von Kollektivmaßnahmen explizit dahingehend angesprochen, dass die Länder Maßnahmen zu treffen haben, die freiwillige Abschlüsse von „Gesamtarbeitsverträgen“ fördern.128 Dies stelle eine staatliche Schutzpflicht zur Gewährleistung der Tarifautonomie dar.129 Dabei ist aber lediglich von Fördern und 122

Artikel 11 ILO-Übereinkommen Nr. 87: „Jedes Mitglied der Internationalen Arbeitsorganisation, für das dieses Übereinkommen in Kraft ist, verpflichtet sich, alle erforderlichen und geeigneten Maßnahmen zu treffen, um den Arbeitnehmern und Arbeitgebern die freie Ausübung des Vereinigungsrechts zu gewährleisten.“ 123 Artikel 10 ILO-Übereinkommen Nr. 87: „In diesem Übereinkommen bezeichnet der Ausdruck „Organisation“ jede Organisation von Arbeitnehmern oder Arbeitgebern, welche die Förderung und den Schutz der Interessen der Arbeitnehmer oder der Arbeitgeber zum Ziele hat.“ 124 Artikel 8 ILO-Übereinkommen Nr. 87: „1. Die Arbeitnehmer und die Arbeitgeber und ihre Organisationen haben sich gleich anderen Personen und organisierten Gemeinschaften bei Ausübung der ihnen durch dieses Übereinkommen zuerkannten Rechte an die Gesetze zu halten. 2. Die in diesen Übereinkommen vorgesehenen Rechte dürfen weder durch die innerstaatliche Gesetzgebung noch durch die Art ihrer Anwendung geschmälert werden.“ 125 Gitter, ZfA 1974, S. 133. 126 BVerfGE 58, 233, 255. 127 Hierzu Böhmert, Recht der ILO und sein Einfluss auf das deutsche Arbeitsrecht, S. 114 f. 128 Artikel 4 ILO-Übereinkommen Nr. 98: „Soweit erforderlich, sind den Landesverhältnissen angepasste Maßnahmen zu treffen, um im weitesten Umfang Entwicklung und Anwendung von Verfahren zu fördern, durch die Arbeitgeber oder Organisationen von Arbeitgebern einerseits und Organisationen von Arbeitnehmern andererseits freiwillig über den Abschluss von Gesamtarbeitsverträgen zur Regelung der Lohn- und Arbeitsbedingungen verhandeln können.“ 129 Däubler, in: ders., TVG, Einleitung, Rn. 157.

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nicht einer zwingenden Gewährleistung die Rede. Die Maßnahmen sind außerdem den jeweiligen Landesverhältnissen anzupassen. Das Schutzniveau, nach dem Gesamtarbeitsverträge zu fördern sind und ein spezifisches Eingehen auf die Landesgegebenheiten vorgesehen ist, ist folglich als niedriger im Verhältnis zur Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG anzusehen. Dem können keine zwingende Vorgaben für die Auslegung des Art. 9 Abs. 3 GG hinsichtlich des Charakters der Tarifnormen und der Überbetrieblichkeit entnommen werden.

III. Ergebnis Die Gewährleistung der Koalitionsfreiheit ist nach europäischen und internationalen Recht zwingend. Für ihre konkrete Ausgestaltung wird aber ein Freiraum zur Berücksichtigung nationaler Besonderheiten gelassen, so dass die zwingenden Vorgaben lediglich den allgemeinen Schutz betreffen. Für die Frage, ob der zwingende Charakter von Tarifnormen beizubehalten ist bzw. ob Tarifverträge lediglich von überbetrieblichen Vereinigungen ausgehandelt werden können, geben weder europäische noch internationale Normen zwingend eine Regelung vor.

E. Rechtfertigung des Eingriffs in die Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG Wie bereits festgestellt, tangieren gesetzliche Öffnungsklauseln den Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG und unterliegen nicht der Ausgestaltung.1 Zu klären ist des Weiteren, ob gesetzliche Öffnungsklauseln einen Eingriff in die Koalitionsfreiheit darstellen und ob dieser gerechtfertigt werden kann.

I. Eingriff Nach dem klassischen Eingriffsbegriff liegt ein Eingriff vor, wenn grundrechtliche Freiheiten durch ein „unmittelbar und gezielt (final) durch ein vom Staat verfügtes, erforderlichenfalls zwangsweise durchzusetzendes Ge- oder Verbot, also imperativ“ verkürzt werden.2 Bei einem Gesetz, das die Kompetenzen der Tarifvertragsparteien auf die betriebliche Ebene verlagert, handelt es sich um finales Handeln, das unmittelbare Wirkung entfaltet und auch durch entsprechende Verbote durchgesetzt werden könnte. Nach diesem Begriff liegt ein Eingriff vor. Der moderne Eingriffsbegriff geht von einem Eingriff aus, wenn den Grundrechtsträgern ein Verhalten, das vom Schutzbereich erfasst ist, teilweise oder ganz unmöglich gemacht wird, unabhängig davon ob diese Wirkung unbeabsichtigt oder final, mittelbar oder unmittelbar, faktisch oder rechtlich, mit oder ohne Befehl bzw. Zwang erfolgte und der öffentlichen Gewalt zugerechnet werden kann.3 Das grundrechtlich geschützte Verhalten, zwingende Tarifnormen von überbetrieblichen Koalitionen vereinbaren zu können, wird mit einer derartigen gesetzlichen Regelung unmittelbar unmöglich gemacht, was dem Gesetzgeber klar zuzurechnen und beabsichtigt ist.

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Siehe B. IV. BVerfGE 105, 279, 300; s. hierzu auch Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 1 Abs. 3, Rn. 265; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Vorb. vor Art. 1, Rn. 27; Sodan, in: ders., Art. 1 Vorb., Rn. 47; Voßkuhle/Kaiser, JuS 2009, S. 313. 3 Pieroth/Schlink, Grundrechte, S. 240; Voßkuhle/Kaiser, JuS 2009, S. 313; Sachs, in: ders., vor Art. 1, Rn. 84; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Vorb. vor Art. 1, Rn. 28. 2

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E. Rechtfertigung des Eingriffs in die Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG

Die verschiedenen Argumente für bzw. gegen die verschiedenen Verständnisse von einem Eingriff4 müssen angesichts des eindeutigen Vorliegens eines Eingriffs nicht behandelt werden.

II. Rechtfertigung von Eingriffen in Art. 9 Abs. 3 GG Hierfür wird zunächst gefragt, welche Schranken überhaupt zur Rechtfertigung eines Eingriffs in Art. 9 Abs. 3 GG herangezogen werden können (I). Danach wird behandelt, ob die Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit als Gut mit Verfassungsrang den Eingriff konkret rechtfertigen kann (II).

1. Schranken des Art. 9 Abs. 3 GG Bei der Koalitionsfreiheit handelt es sich um ein vorbehaltlos gewährleistetes Grundrecht.5 Umstritten ist, ob Schranken anderer Grundrechte anwendbar sind bzw. welche Schranken für Art. 9 Abs. 3 GG gelten. a) Schranke aus Art. 9 Abs. 2 GG Es wird vertreten, dass die Schranken des Art. 9 Abs. 2 GG auf die Koalitionsfreiheit anwendbar seien.6 Begründet wird diese Auffassung damit, dass die Koalitionsfreiheit ein Spezialfall der allgemeinen Vereinigungsfreiheit darstelle und folglich die Schranken der Vereinigungsfreiheit auch für die Koalitionsfreiheit gelten müssten.7 Das Bundesverfassungsgericht hat bisher in keiner Entscheidung auf die Schranken des Art. 9 Abs. 2 GG zurückgegriffen.8 So gibt es in der Literatur auch Stimmen, die es nicht für möglich erachten, die Schranken des Abs. 2 auf die Koalitionsfreiheit anzu-

4 Vgl. hierzu Jarass, in: Jarass/Pieroth, Vorb. vor Art. 1, Rn. 26 ff; Sachs, in: ders., vor Art. 1, Rn. 83 ff; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 238 ff; Sodan, in: ders., Art. 1 Vorb., Rn. 47 ff. 5 BVerfGE 84, 212, 228; 92, 26, 41; 94, 268, 284; 100, 214, 223; Sodan/Zimmermann, NJW 2009, S. 2003; Höfling, in: Sachs, Art. 9, Rn. 126; Gneiting, in: Umbach/Clemens, Art. 9, Rn. 136; Höfling, JZ 2000, S. 45; Kempen, in: Kempen/Zachert, TVG, Rn. 137: Däubler, in: ders., TVG, Einleitung, Rn. 131. 6 Löwer, in: von Münch/Kunig, Art. 9, Rn. 89; Bauer, in: Dreier, Art. 9, Rn. 93; Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 9, Rn. 337. 7 Bauer, in: Dreier, Art. 9, Rn. 93; Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 9, Rn. 337; Löwer, in: von Münch/Kunig, Art. 9, Rn. 89. 8 BVerfGE 84, 212, 228; 92, 26, 41; 94, 268, 284; 100, 214, 223 f.

II. Rechtfertigung von Eingriffen in Art. 9 Abs. 3 GG

181

wenden.9 Aufgrund der Stellung des Abs. 2 nach der Vereinigungsfreiheit, aber vor der Koalitionsfreiheit würden systematische Gründe gegen eine Übertragung sprechen.10 Im Übrigen wäre eine Koalition, die einen der Zwecke des Art. 9 Abs. 2 GG verfolge, keine Koalition im Sinne des Art. 9 Abs. 3 GG, da die Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen nicht den Strafgesetzen zuwiderlaufe oder sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richte.11 Für die hier in Frage stehende Rechtfertigung bleibt dieser Streit aber ohne Auswirkung. Der Gesetzgeber würde mit gesetzlichen Öffnungsklauseln keine Koalitionen verbieten, so dass eine Rechtfertigung über Art. 9 Abs. 2 GG ausscheidet. b) Schranke aus Art. 2 Abs. 1 GG Teilweise wird vertreten, dass Art. 2 Abs. 1 GG „als Anknüpfungspunkt für eine interpretative Ermittlung der immanenten Schranken der Grundrechte überhaupt“ diene.12 Es bestehen verschiedene Möglichkeiten, die Schrankentrias des Art. 2 Abs. 1 GG auf weitere Grundrechte anzuwenden. aa) Direkte Anwendung Nach einer Auffassung steht Art. 2 Abs. 1 GG als grundsätzlicher und übergeordneter Gedanke allen Freiheitsrechten voran, da es im Kern stets um die freie Entfaltung der Persönlichkeit gehe.13 Ipso iure seien die Schranken des Art. 2 Abs. 1GG allen anderen Freiheitsrechten immanent.14 Dem kann jedoch nicht gefolgt werden. Art. 2 Abs. 1 GG ist ein eigenständiges Grundrecht, das ein Auffanggrundrecht darstellt, wenn ein Schutz durch spezielle Grundrechte nicht greift.15 Dies ändert aber nichts daran, dass es selbständig neben den anderen Grundrechten steht und es folglich keinesfalls als „Muttergrundrecht“ bezeichnet werden kann.16 Dazu führt auch 9

Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 9, Rn. 49; Höfling, in: Sachs, Art. 9, Rn. 126 f; Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfau, Art. 9, Rn. 30; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 754 f; Schmidt, NJW 1965, S. 426; nach Gneiting sei ausschließlich zu erwägen, ob der Schutzbereich der Koalitionsfreiheit im Sinne des Art. 9 Abs. 2 GG verkürzt sei bzw. ob der verfassungsrechtliche Koalitionsbegriff ähnliche Einschränkungen impliziere, Gneiting, in: Umbach/ Clemens, Art. 9, Rn. 141. 10 Höfling, in: Sachs, Art. 9, Rn. 127; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 9, Rn. 49. 11 Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 755. 12 Böckenförde, JuS 1966, S. 363. 13 Peters, FS Laun, S. 677; Scholtissek spricht davon, dass „Art. 2 GG als eine Art Generalklausel“ verstanden werden könne, Scholtissek, NJW 1952, S. 563. 14 Peters, FS Laun, S. 677; Scholtissek, NJW 1952, S. 563. 15 BVerfGE 6, 32, 37; 19, 206, 225; 89, 1, 13; Grimm, Sondervotum BVerfGE 90, 137, 164, 167; Hillgruber, in: Umbach/Clemens, Art. 2 , Rn. 249. 16 Misera-Lang, Einschränkbarkeit vorbehaltloser Freiheitsgrundrechte, S. 89.

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E. Rechtfertigung des Eingriffs in die Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG

Frankenberg aus, dass ein solches Verständnis der Bedeutung spezieller Grundrechtsverbürgungen nicht gerecht werden würde.17 Art. 2 Abs. 1 GG hat aufgrund der „Eigentümlichkeit der Grenzenlosigkeit des Schutzbereichs“ spezifische Schranken, die aufgrund eben dieser Spezifik nicht auf die nachfolgenden Grundrechte angewandt werden können.18 Eine solche Anwendung würde im Ergebnis dazu führen, dass sämtliche Differenzierungen zur Begrenzung der einzelnen Grundrechte hinfällig werden würden.19 Das „Verhältnis der Subsidiarität des Art. 2 Abs. 1 GG zur Spezialität der Einzelfreiheitsrechte“ steht dem klar entgegen.20 bb) Analoge Anwendung der Schranke aus Art. 2 Abs. 1 GG Nach Lücke seien die Schranken des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG und damit die Grundrechte anderer und die Verfassungswerte der Gemeinschaft analog auf die vorbehaltlos gewährleisteten Freiheitsrechte anzuwenden.21 Für eine Analogie ist aber zunächst eine planwidrige Regelungslücke notwendig.22 Es erscheint zweifelhaft, dass die Vorbehaltlosigkeit der Koalitionsfreiheit planwidrig erfolgte. Auf dem Herrenchiemseer Konvent war vor dem Hintergrund der Erfahrungen in der Weimarer Republik die Überzeugung tragend, dass Grundrechte durch inhaltsleere Vorbehalte nicht vollständig zur Disposition des Gesetzgebers stehen dürften.23 Die Entscheidung, Art. 21 Abs. 3 und 4 HchEntw24 und damit einen Generalvorbehalt nicht zu übernehmen, kann als „eine bewusste Entscheidung für die Möglichkeit „schrankenlos“ formulierter Gewährleistungen“ verstanden werden,25 so dass von einer planwidrigen Regelungslücke im Falle vorbehaltlos gewährleisteter Grundrechte nicht ausgegangen werden kann. Außerdem steht die Systematik mit dem Spezialitätsverhältnis zwischen Art. 2 Abs. 1 GG und den weiteren Freiheitsrechten einer Anwendung einzelner 17

Frankenberg, KJ 1994, S. 434. Kunig, in: von Münch/Kunig, Art. 2, Rn. 90. 19 Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2, § 81, IV 4 b b, S. 549; Kloepfer, JZ 1986, S. 209. 20 BVerfGE 30, 173, 192; von Pollern, JuS 1977, S. 646. 21 Lücke, DÖV 2002, S. 93 ff. 22 Heinrichs, Palandt, Einleitung, Vor § 1, Rn. 48. 23 Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2, § 79 II 6 a, S. 267 f. 24 In Art. 21 Abs. 3 des Entwurfs hieß es: „(3) Die Grundrechte sind, soweit sich aus ihrem Inhalt nichts anderes ergibt, im Rahmen der allgemeinen Rechtsordnung zu verstehen. (4) Eine Einschränkung der Grundrechte ist nur durch Gesetz und unter der Voraussetzung zulässig, dass es die öffentliche Sicherheit, Sittlichkeit oder Gesundheit zwingend erfordert. Die Einschränkung eines Grundrechts oder die nähere Ausgestaltung durch Gesetz muss das Grundrecht als solches unangetastet lassen.“, Bericht über den Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee vom 10.–23. 8. 1948 in: Der Parl. Rat, 1948 – 1949. Akten und Protokolle, Bd. 2, Dok. Nr. 14, S. 582. 25 Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2, § 81 II 2, S. 501. 18

II. Rechtfertigung von Eingriffen in Art. 9 Abs. 3 GG

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Schranken des Art. 2 Abs. 1 GG auf andere Grundrechte entgegen.26 Dieser Auffassung kann somit nicht gefolgt werden. cc) Art. 2 Abs. 1 GG als allgemeiner Freiheitsrechtsleitsatz Klein wiederum vertritt, dass Art. 2 Abs. 1 GG „kein selbständiges Grundrecht, wohl aber eine aktuell geltende Norm des objektiven (Verfassungs-) Rechts“ sei.27 Dementsprechend stelle die Schrankentrias nicht eine besondere Schranke für eine besondere Grundrechtsbestimmung dar, sondern sie müsse vielmehr als allgemeine Schranke für die „Freiheitsrechtsbestimmungen“ verstanden werden.28 Diese dürfe jedoch nur dann Platz greifen, wenn nicht „schon die besonderen verfassungsunmittelbaren und die verfassungsmittelbaren Vorbehaltsschranken eingreifen“ würden.29 Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Die Grundrechtsqualität des Art. 2 Abs. 1 GG kann schon aufgrund der Formulierung in Art. 1 Abs. 3 GG, in der es heißt, dass die nachfolgenden Grundrechte bindend sind, nicht bestritten werden.30 Folglich kann der Interpretation des Art. 2 Abs. 1 GG als „Freiheitsrechtsleitsatz“ und nicht als selbständiges Grundrecht und der daraus abgeleiteten Übertragbarkeit der Schranken nicht zugestimmt werden.31 dd) Art. 2 Abs. 1 GG als objektive Auslegungsregel Dürig weist Art. 2 Abs. 1 GG eine Doppelbedeutung zu, nach der Art. 2 Abs. 1 GG zum einen Auffanggrundrecht und zum anderen objektive Auslegungsregel sei.32 Er findet es vorzugswürdig, über den „,Soweit-Satz des Art. 2 Abs. 1 GG Auslegungsmaßstäbe zur Gewinnung elementarer Schranken“ zu ermitteln.33 Aus diesem Satz kann interpretiert werden, „was niemals zur rechtlich anerkannten Freiheit“ gehöre.34 Auch wenn hierbei von einer Doppelbedeutung die Rede ist, kann dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Schrankentrias mit diesem Ansatz auf weitere Freiheits26

Misera-Lang, Einschränkbarkeit vorbehaltloser Freiheitsgrundrechte, S. 94. Klein, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, 2. Auflage, Art. 2, Anm. III 5 b). 28 Klein, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, 2. Auflage, Art. 2, Anm. IV. 29 Klein, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, 2. Auflage, Vorb. B XV 3 a). 30 von Pollern, JuS 1977, S. 645; Misera-Lang, Einschränkbarkeit vorbehaltloser Freiheitsgrundrechte, S. 90; dazu Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2, § 81 IV e a, S. 548. 31 Hierzu BVerfGE 30, 173, 192 f; Misera-Lang, Einschränkbarkeit vorbehaltloser Freiheitsgrundrechte, S. 90. 32 Dürig, JZ 1957, S. 170 ff; ähnlich auch Merten, JuS 1976, S. 347, nach dem die Schranken des Art. 2 Abs. 1 GG „einen Anhalts- und Ausgangspunkt für die Untersuchung, ob und gegebenenfalls mit welchen Modifizierungen“ die Schranken auch den anderen Grundrechten entnommen werden können. 33 Dürig, JZ 1957, S. 173. 34 Dürig, JZ 1957, S. 173; siehe auch ders., AöR 79 (1953/54), S. 63, wo er erläutert, dass in Art. 2 Abs. 1 GG das Grundgesetz „drei der Freiheit immanenten Schranken, außerhalb deren es bei allen Grundrechten keine Freiheit“ gebe, normiert. 27

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E. Rechtfertigung des Eingriffs in die Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG

rechte angewandt werden soll.35 Folglich sind die bereits dargelegten Bedenken auch hier einschlägig. ee) Einzelne Schranken der Schrankentrias als Begrenzung Teilweise wird versucht, einzelne Elemente der Schrankentrias auf weitere Grundrechte anzuwenden. In Bezug auf den Bereich des Tierschutzes gibt es den Versuch, das Sittengesetz aus Art. 2 Abs. 1 GG zu übertragen.36 Die Schrankentrias sei insbesondere mit Blick auf die verfassungsmäßige Ordnung hinsichtlich des Tierschutzes unanwendbar, aber einem Rückgriff auf das Sittengesetz stehe nichts entgegen.37 Im Falle des „Sprayers von Zürich“ wurde von einigen vertreten, dass die Rechte anderer zur Einschränkung der Kunstfreiheit mit herangezogen werden könnten.38 Auch wenn es dabei nicht um die Anwendung sämtlicher Schranken aus Art. 2 Abs. 1 GG sondern lediglich um eine Schranke geht, widerspricht ein solches Grundrechtsverständnis der gesamten differenzierten Schrankenarchitektur der Grundrechte.39 Außerdem erscheint die Auswahl der jeweils anzuwendenden Schranke zufällig und willkürlich.40 Auch dieser Interpretation des Art. 2 Abs. 1 GG kann deshalb nicht gefolgt werden. ff) Zwischenergebnis Wenn ein spezielles Freiheitsrecht einschlägig ist, kommt ein Rückgriff auf Art. 2 Abs. 1 GG hinsichtlich seines Schutzbereichs und seiner Schranken nicht in Betracht.41 Mit einem Rückgriff auf die Schranken des Art. 2 Abs. 1 GG können folglich gesetzliche Öffnungsklauseln nicht gerechtfertigt werden. c) Schranke aus Art. 5 Abs. 2 GG Vertreten wird des Weiteren, die Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG auf die Koalitionsfreiheit zu übertragen. Häberle vertritt den Ansatz, dass die allgemeinen Gesetze die wesensmäßigen Begrenzungen der Grundrechte seien und der Vorbehalt des allgemeinen Gesetzes den 35 36 37 38 39 40

Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2 § 81, IV 4 b c, S. 550. Kluge, ZRP 1992, S. 145. Kluge, ZRP 1992, S. 145. Heyde, FS Zeidler, S. 1437, nach dem Krieles Ansatz „zu eng und unbefriedigend“ sei. Kloepfer, JZ 1986, S. 209. S. hierzu auch Misera-Lang, Einschränkbarkeit vorbehaltloser Freiheitsgrundrechte,

S. 94. 41

BVerfGE 6, 32, 37; 19, 206, 225; 89, 1, 13; Scholz, in: HStR VI § 151, Rn. 120; Kunig, in: von Münch/Kunig, Art. 2, Rn. 90; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 314 ff; Misera-Lang, Einschränkbarkeit vorbehaltloser Freiheitsgrundrechte, S. 89; Frankenberg, KJ 1994, S. 434; Sachs, JuS 1995, S. 986.

II. Rechtfertigung von Eingriffen in Art. 9 Abs. 3 GG

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Grundrechten immanent sei.42 Sowohl Inhalt als auch Grenzen der Grundrechte würden sich aus der Totalität des verfassungsmäßigen Wertesystems ergeben.43 Jedoch ist das Grundrechtsverständnis Häberles aus bereits erläuterten Gründen abzulehnen,44 was sich damit auch auf die Konzeption der wesensmäßigen Begrenzung erstreckt. Rüfner vertritt, dass dem Vorbehalt der allgemeinen Gesetze auch andere Freiheitsrechte als Art. 5 Abs. 1 GG unterliegen.45 Allgemein sind seiner Auffassung nach Gesetze, die „nicht speziell den Bereich des in Frage stehenden Freiheitsrechts ansprechen, von denen der Gesetzgeber vielleicht sogar der Meinung war, sie berührten es nicht, weil sie zu seiner typischen Ausübung keinen Bezug“ hätten.46 Keiner dürfe sich unter Berufung auf Grundrechte über alle Schranken hinwegsetzen, sondern müsse die allgemeine Rechtsordnung berücksichtigen.47 Grundrechte können jedoch nicht durch Recht, das im Rang unterhalb des Verfassungsrechts angesiedelt ist, beschränkt werden, es sei denn, die Verfassung sieht eben dies vor.48 Dies ist bei vorbehaltlosen Grundrechten gerade nicht der Fall. Nach Bettermann müssten alle Grundrechte, welche die Gefahr beinhalteten, Privilegien zu begründen und damit dem Gleichheitssatz zuwiderzulaufen, der Schranke der allgemeinen Gesetze unterliegen.49 Er vertritt, dass es der Gleichheitsgrundsatz sei, „der hinter der Schranke der allgemeinen Gesetze“ stecke.50 Allgemeine Gesetze seien folglich die Gesetze, „deren Nichtbeachtung oder Nichtanwendung auf Träger oder bei Ausübung von Grundrechten aus Abs. 1 zur Privilegierung dieser Träger oder Verhaltensweisen führen“ würde.51 Sollte die Wahrnehmung eines Grundrechts zu einem Verstoß des Gleichheitssatzes führen, läge eine Grundrechtskollision vor, die im Wege der praktischen Konkordanz zu lösen wäre. Hierfür ist nicht die Konstruktion allgemeiner Gesetze zur Einschränkung vorbehaltloser Grundrechte erforderlich. Die Übertragung der Schranke eines speziellen Grundrechts auf ein weiteres würde zur Schrankennivellierung auf unterster Ebene führen und ist deshalb abzulehnen.52 Kriele ist der Auffassung, dass allgemeine Gesetze all jene Gesetze seien, die Rechtsverhältnisse oder Rechte allgemein regeln und nur zufällig ein Grundrecht be-

42

Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S. 51. Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S. 51. 44 Siehe B. III. 3. c) bb) (3). 45 Rüfner, Der Staat 7 (1969), S. 56. 46 Rüfner, Der Staat 7 (1969), S. 56. 47 Rüfner, Der Staat 7 (1969), S. 56. 48 Siehe E. II. e). 49 Bettermann, JZ 1964, S. 603 f. 50 Bettermann, JZ 1964, S. 603. 51 Bettermann, JZ 1964, S. 604. 52 Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2, § 81 IV 4 e b), S. 549; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 72; Bamberger, Verfassungswerte, S. 119. 43

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E. Rechtfertigung des Eingriffs in die Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG

treffen.53 Jedoch seien diese nur im Falle, dass sie zur öffentlichen Ordnung gehören, geeignet, ein vorbehaltloses Grundrecht einzuschränken. Eine Begründung, wie der differenzierten Schrankensystematik mit dem bloßen Verweis auf die Allgemeinheit eines Gesetzes zu entkommen sei,54 ist nicht ersichtlich. Den vorgebrachten Auffassungen, die mit unterschiedlichen Begründungen eine Anwendung der Schranke des Abs. 2 auf weitere Grundrechte annehmen, ist entgegen zu halten, dass die Systematik und der Wortlaut des Art. 5 Abs. 2 GG gegen eine Anwendung der Schranken des Abs. 2 auf weitere Grundrechte und damit auch auf die Koalitionsfreiheit sprechen.55 Die Formulierung „diese Rechte“ nimmt eindeutig Bezug auf den Absatz 1. Eine Anwendung der Schranken des Absatzes 2 würde darüber hinaus der Differenziertheit der gesamten Schrankensystematik zuwiderlaufen.56 Die Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG können nicht auf weitere Grundrechte angewandt werden.57 Die allgemeinen Gesetze stellen folglich keine Schranke für die vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechte und damit Art. 9 Abs. 3 GG dar. d) Schranke eines „Gemeinschaftsvorbehalts“ Des Weiteren wird vertreten, dass mit einem allgemeinen Gemeinschaftsvorbehalt ein Eingriff in die Koalitionsfreiheit gerechtfertigt werden könnte. Ein solcher allgemeiner Gemeinschaftsvorbehalt wurde vom Bundesverwaltungsgericht vertreten.58 Danach gehörte es zum „Inbegriff der Grundrechte, dass sie nicht in Anspruch genommen werden dürfen, wenn dadurch die für den Bestand der Gemeinschaft notwendigen Rechtsgüter gefährdet würden“.59 Begründet wurde diese Annahme insbesondere damit, dass die Wahrnehmung eines jeden Grundrechts von dem Bestand des Staates abhängig sei.60 Im Gegensatz dazu heißt es in den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts: Ein Grundrecht könne „weder durch die allgemeine Rechtsordnung noch durch eine unbestimmte Klausel relativiert werden, welche ohne verfassungsrechtlichen Ansatzpunkt und ohne ausreichende rechtsstaatliche Sicherung auf eine Gefähr-

53

Kriele, Vorbehaltlose Grundrechte, S. 625. Misera-Lang, Einschränkbarkeit vorbehaltloser Freiheitsgrundrechte, S. 105. 55 Bethge, in: Sachs, Art. 5, Rn. 197; Misera-Lang, Einschränkbarkeit vorbehaltloser Freiheitsgrundrechte, S. 97. 56 Kloepfer, JZ 1986, S. 209. 57 BVerfGE 67, 213, 228; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 5, Rn. 113; Zöbeley, in: Umbach/ Clemens, Art. 5, Rn. 255. 58 BVerwGE 2, 89, 94; 2, 295, 300; 3, 21, 24; 4, 95, 96; 4, 167, 171 f; 5, 153, 158 f; 6, 13, 17. 59 BVerwGE 3, 21, 24. 60 BVerwGE 89, 94; hierzu auch Krüger, NJW 1955, S. 204. 54

II. Rechtfertigung von Eingriffen in Art. 9 Abs. 3 GG

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dung der für den Bestand der staatlichen Gemeinschaft notwendigen Güter abhebt“.61 Jedoch hat auch das Bundesverfassungsgericht im Beschluss zum Radikalen-Erlass eine Schranke mit der Begründung angenommen, dass der Einzelne „sich diejenigen Schranken seiner Handlungsfreiheit gefallen lassen (müsse), die der Gesetzgeber zur Pflege und Förderung des sozialen Zusammenlebens in den Grenzen des bei dem gegebenen Sachverhalt allgemein Zumutbaren zieht, vorausgesetzt, dass dabei die Eigenständigkeit der Person gewahrt bleibt“.62 Die Annahme eines solchen allgemeinen Gemeinschaftsvorbehalts blieb jedoch vereinzelt. Letztlich hat sich die Auffassung durchgesetzt, dass „nur kollidierende Grundrechte Dritte und andere mit Verfassungsrang ausgestattete Rechtswerte (…) mit Rücksicht auf die Einheit der Verfassung und die von ihr geschützte gesamte Wertordnung ausnahmsweise imstande (sind), auch uneinschränkbare Grundrechte in einzelnen Beziehungen zu begrenzen“.63 In der Literatur ist die Konstruktion eines Gemeinschaftsvorbehalts auf zahlreiche Kritik gestoßen.64 Maunz kritisierte, dass „jeder Zusammenhang mit diesem Grundgesetzartikel, aber auch jede Bestimmtheit und vielleicht sogar Bestimmbarkeit“ aufgehoben sei.65 Bachof bemängelte, dass der Gemeinschaftsvorbehalt so vage sei, dass „jeglicher Missbrauchsmöglichkeit Tür und Tor“ geöffnet sei.66 Dass der Klausel der verfassungsrechtliche Anknüpfungspunkt fehle, wurde ebenfalls kritisiert.67 Zudem bestünde die Gefahr der Relativierung und sogar der Auflösung der Grundrechte. Im Übrigen würde ein solches Verständnis die gesamte differenzierte Schrankensystematik des Grundgesetzes negieren.68 Berücksichtigt werden muss insbesondere, dass es sich bei der koalitionsspezifischen Betätigung um einen verfassungsrechtlich geschützten Tätigkeit handelt. So führt Krebs aus: „Das Eingelagertsein der Grundrechte in die Totalität der gesamten Verfassungswertordnung bedingt ihre von Verfassungs wegen innewohnende Begrenzung.“69 Um den verfassungsrechtlich geschützten Raum zu verengen, muss dies aufgrund von Rechtsgütern mit Verfassungsrang geschehen. Ansonsten würden die Einheit der gesamten Verfassung und ihre geschützte Werteordnung gefährdet.70 Der Vorbehaltlosigkeit eines Grundrechts kommt eben gerade die Bedeutung zu, dass Begrenzungen nur von der Verfassung selber bestimmt werden können und eine Ein61

BVerfGE 30, 173, 193. BVerfGE 4, 7, 16; 39, 334, 367. 63 BVerfGE 28, 243, 261. 64 Bachof, JZ 1957, S. 337; Böckenförde, JuS 1966, S. 363; Maunz, BayVBl 1955, S. 216; von Pollern, JuS 1977, S. 647. 65 Maunz, BayVBl 1955, S. 216. 66 Bachof, JZ 1957, S. 337. 67 Schnapp, JuS 1978, S. 732; von Pollern, JuS 1977, S. 647. 68 Schnapp, JuS 1978, S. 733. 69 Krebs, Vorbehalt des Gesetzes, S. 114 f. 70 Vgl. hierzu BVerfGE 28, 243, 261. 62

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E. Rechtfertigung des Eingriffs in die Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG

schränkung ohne verfassungsrechtlichen Ansatzpunkt eine Gefahr für die von der Verfassung als notwendig zum Zusammenleben erachteten Rechtsgüter darstellen würde.71 Hesse hebt hervor: „Wie die grundrechtlichen Freiheitsgewährleistungen durch die Verfassung begründet werden, so können auch die Grenzen dieser Gewährleistungen ihre Grundlage allein in der Verfassung finden.“72 Mittlerweile hat selbst das Bundesverwaltungsgericht die Konstruktion eines Gemeinschaftsvorbehalts aufgegeben,73 so dass der allgemeine Gemeinschaftsvorbehalt als ungeschriebene Grundrechtsbegrenzung als überholt angesehen werden kann74 und folglich keine Schranke für die Koalitionsfreiheit darstellen kann. e) Verfassungsimmanente Schranken Die Koalitionsfreiheit kann nur durch Grundrechte und durch Rechtsgüter mit Verfassungsrang eingeschränkt werden.75 In der früheren Rechtsprechung war jedoch ein Eingriff in Art. 9 Abs. 3 GG bereits dann rechtmäßig, wenn er zum Schutze anderer Rechtsgüter geboten war.76 So hieß es, dass Schranken hinsichtlich des Betätigungsrechts der Koalitionen nur gezogen werden dürften, wenn sie „zum Schutz anderer Rechtsgüter von der Sache her geboten“ seien.77 In der neueren Rechtsprechung wird ein Eingriff nur dann für zulässig erachtet, wenn er zum Schutze der Grundrechte Dritter und anderer mit Verfassungsrang ausgestatteter Rechte erforderlich ist.78 Allerdings findet sich in den Entscheidungen die Formulierung, die Koalitionsfreiheit könne „jedenfalls zum Schutz von Gemeinwohlbelangen eingeschränkt werden, denen gleichermaßen verfassungsrechtlicher Rang gebührt“.79 Teilweise wird daraus und insbesondere aus der Verwendung des Wortes „jedenfalls“ geschlossen, dass mit dieser Formulierung die Möglichkeit offengehalten werden sollte, Eingriffe auch zum Schutze sonstiger Güter anzunehmen. Höfling führt aus, dass sich das Bundesverfassungsgericht „ein gewisses ,Hintertürchen“ lasse,80 und auch nach der Auffassung Pieroths würde das Bundes71

von Pollern, JuS 1977, S. 648; Schnapp, JuS 1978, S. 731 f; vgl. hierzu BVerfGE 30, 173,

193. 72

Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 309. BVerwGE 49, 202, 208 f. 74 Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2, § 81, IV 4 b a, S. 532. 75 Stern, in: Staatsrecht III/1, S. 2084; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 9, Rn. 50; Gneiting, in: Umbach/Clemens, Art. 9, Rn. 136; Bauer, in: Dreier, Art. 9, Rn. 94; Höfling, in: Sachs, Art. 9, Rn. 128; Kepmer, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 9, Rn. 91; Däubler, in: ders., Einleitung B, Rn. 13; Butzer, RdA 1999, S. 381; Sodan/Zimmermann, NJW 2009, S. 2003. 76 BVerfGE 28, 295, 306; 50, 290, 369; 58, 233, 247. 77 BVerfGE 28, 295. 306; 50, 290, 369; 58, 233, 247. 78 BVerfGE 84, 212, 228; 94, 268, 284; 103, 293, 306. 79 BVerfGE 100, 271, 283. 80 Höfling, JZ 2000, S. 45. 73

II. Rechtfertigung von Eingriffen in Art. 9 Abs. 3 GG

189

verfassungsgericht sich „immer noch eine Hintertüre“ offenlassen81. Thüsing meint, die Vorsicht in der Wortwahl deute darauf hin, „dass die Schranke so fest nicht steht und dass vergleichbar Art. 12 GG bereits vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls zur Regelung ausreichen können“.82 Diese Interpretationen erscheinen jedoch fragwürdig. Würde das Bundesverfassungsgericht Eingriffe auch zum Schutze anderer Rechtsgüter zulassen wollen, hätte es bei der Formulierung früherer Jahre bleiben können und nicht den Zusatz „mit verfassungsrechtlichen Rang“ ergänzen müssen. Grundsätzlich hat das Bundesverfassungsgericht hervorgehoben, dass die Grenzen in „Verfassungsbestimmungen aller Art“ und „nicht nur in den Grundrechten Dritter“ zu finden sind.83 So sei es geboten, „anhand einzelner Grundgesetzbestimmungen die konkret verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgüter festzustellen“.84 Weiter heißt es, dass auftretende Konflikte sich nur lösen lassen, „indem ermittelt wird, welche Verfassungsbestimmung für die konkret zu entscheidende Frage das höhere Gewicht hat. Die schwächere Norm darf nur so weit zurückgedrängt werden, wie das logisch und systematisch zwingend erscheint; ihr sachlicher Grundwertgehalt muss in jedem Fall respektiert werden.“85 Dies bedeutet, dass die Rechtsgüter mit Verfassungsrang abgewogen bzw. in ein Verhältnis der praktischen Konkordanz gebracht werden müssen.86 Jedoch gibt es auch in der Literatur Stimmen, welche eine Einschränkung der Koalitionsfreiheit aufgrund von Gemeinwohlbelangen für möglich erachten.87 Dafür könnte vorgebracht werden, dass der Verfassungsgeber lediglich die individuelle Koalitionsfreiheit regeln wollte und deshalb das Grundrecht vorbehaltlos ausgestaltet habe. Dieser Argumentationslinie kann jedoch nicht gefolgt werden. Art. 9 Abs. 3 GG schützt die kollektive Koalitionsfreiheit.88 Dennoch gibt es keinen Gesetzesvorbehalt. Art. 9 Abs. 3 GG ist nur durch verfassungsimmanente Schranken einschränkbar.89

81

Pieroth, FS BVerfG 50 Jahre II, S. 293, 308. Thüsing, FS 50 Jahre BAG, S. 889, 891 f. 83 BVerfGE 81, 278, 292. 84 BVerfGE 77, 240, 255. 85 BVerfGE 28, 243, 261. 86 BVerfGE 28, 243, 261; 30, 173, 195 f; 81, 278, 293; Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2, § 81 IV 5 e), S. 563. 87 Rüfner, RdA 1985, S. 195, der davon spricht, dass der Gesetzgeber hinreichende Möglichkeiten habe, „um des Gemeinwohlwillens die notwendigen Regelungen zu treffen, selbst wenn sie die Tarifvertragsparteien in ihrer Freiheit beschränken“. 88 Siehe B. I. 89 So Däubler, in: ders., TVG, Einleitung, Rn. 132. 82

190

E. Rechtfertigung des Eingriffs in die Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG

aa) Grundrechte Dritter Die Koalitionsfreiheit kann zum Schutze der Grundrechte Dritter beschränkt werden. Im Folgenden wird zu untersuchen sein, welche Grundrechte Dritter in Betracht kommen, um die Koalitionsfreiheit einzuschränken. (1) Wettbewerbsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG Angedacht werden kann, dass eine gesetzliche Regelung, die Abweichungen vom Tarifvertrag auch ohne Zustimmung der Tarifvertragsparteien zulässt, dem Schutz der Wettbewerbsfreiheit dient. Die Existenz von Tarifverträgen mit zwingender Wirkung könnte die Unternehmen einschränken, indem sie an die verbindlichen im Tarifvertrag vereinbarten Arbeitsbedingungen gebunden sind. Das Erfordernis der Überbetrieblichkeit könnte Unternehmen in ihrer freien Möglichkeit zur Festlegung von Lohn, Arbeitsbedingungen etc. begrenzen. In dem der Staat zwingende Tarifvereinbarungen zulässt bzw. die Überbetrieblichkeit vorschreibt, könnte er die Unternehmen in ihrem freien Wettbewerb beschränken. Vorab ist aber zu klären, wo die Wettbewerbsfreiheit zu verorten ist. Teilweise wird vertreten, dass die Wettbewerbsfreiheit in Art. 2 GG geschützt sei.90 Jarass vertritt, dass Art. 12 GG zum Schutz der Wettbewerbsfreiheit zum Tragen komme, wenn der Eingriff berufsregelnd sei und ansonsten Art. 2 Abs. 1 GG einschlägig sei.91 Murswiek vertritt demgegenüber, dass bei der Frage von Subventionen an einen Konkurrenten es näher liegen würde, einen Eingriff in Art. 3 GG anzunehmen.92 Scholz vertritt, dass der Schutz der Wettbewerbsfreiheit zwangsläufiges Ergebnisses des Schutzes von Art. 12 GG und Art. 14 GG ist und die Wettbewerbsfreiheit als Annexfreiheit auch von Art. 12 GG geschützt sei.93 Nach anderer Auffassung soll die Wettbewerbsfreiheit Art. 12 Abs. 1 GG unterfallen.94 Auf Art. 2 Abs. 1 GG könnten sich nur jene beziehen, die nicht zu den Trägern des Grundrechts aus Art. 12 Abs. 1 GG gehören.95 Die Möglichkeit, frei seinen Beruf wählen und ausüben zu können, führt zu einem Wettbewerb zwischen Unternehmen, Selbständigen, Handel- und Gewerbetreibenden etc.96 Art. 12 GG schützt die Gewerbefreiheit und die damit einhergehende Konkurrenz zwischen den Gewerbetreibenden und Art. 14 GG das unternehmerische Ei-

90 91 92 93 94

Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, Art. 2, Rn. 33. Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 12, Rn. 15 a. Murswiek, in: Sachs, Art. 2, Rn. 87. Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 12, Rn. 144. Manssen, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 9, Rn. 70; Lecheler, VVDStRL 43 (1985),

S. 55. 95

Manssen, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 9, Rn. 70; Lecheler, VVDStRL, 43 (1985),

S. 55. 96 BVerfGE 106, 275, 298 f; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 12, Rn. 15; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 814.

II. Rechtfertigung von Eingriffen in Art. 9 Abs. 3 GG

191

gentum und damit die konkurrierende Nutzung.97 Daraus „erwächst der Wettbewerb als reales Ergebnis freiheitlicher Grundrechtsausübung“.98 Die Berufsausübung von Unternehmen beinhalte das Verhalten am Wettbewerb und wird deshalb von Art. 12 GG geschützt.99 Ohne den Schutz der Möglichkeit, am Wettbewerb teilzunehmen, ist die Ausübung der Berufsfreiheit kaum denkbar, so dass die Wettbewerbsfreiheit als von Art. 12 GG geschützt zu betrachten ist.100 Die Wettbewerbsfreiheit ist der Berufsfreiheit folglich am sachnächsten101 und wird über Art. 12 GG geschützt.102 Geschützt wird der Wettbewerb durch Art. 12 Abs. 1 GG vor staatlichen Beeinträchtigungen.103 Zur Rechtfertigung könnte sich der Gesetzgeber folglich auf Art. 12 Abs. 1 GG berufen. Problematisch ist aber, ob gesetzliche Öffnungsklauseln tatsächlich der Wettbewerbsfreiheit dienen. Dies wäre der Fall, wenn die Existenz von zwingenden Tarifnormen die Wettbewerbsfreiheit bzw. das Erfordernis der Überbetrieblichkeit beeinträchtigen würde. Schließlich könnte sich die Abschaffung des zwingenden Charakters bzw. das Erfordernis der Überbetrieblichkeit von Tarifnormen dann auf die Wettbewerbsfreiheit berufen. Eine Beeinträchtigung der Wettbewerbsfreiheit würde vorliegen, wenn der Staat Konkurrenzvor- oder nachteile für bestimmte Unternehmen schafft.104 Die Gewährleistung der Tarifautonomie und damit die Ermöglichung freiwilliger tariflicher Vereinbarungen durch überbetriebliche Koalitionen kann aber nicht als parteiischer Eingriff in den Wettbewerb gedeutet werden, da die Entscheidung zum Abschluss von Tarifverträgen bei den Unternehmen selber liegt. Die Vereinbarungen und auch der Beitritt zu einer überbetrieblichen Koalition sind freiwillig. Vertreten wird jedoch, dass die Tarifautonomie die „allgemeine Wettbewerbsfreiheit deutscher Unternehmen bzw. Unternehmer existenzgefährdend“ beeinträchtige.105 Dies stellt auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit ab. So lange es trotz der Entwicklung in Europa und der internationalen Globalisierung die Möglichkeit nationalen Rechts gibt, wird es Unterschiede zwischen den rechtlichen Voraussetzungen für Unternehmen in den verschiedenen Ländern geben. Eine verfassungsrechtliche Problematik ergibt sich aus diesem Umstand noch nicht, da die Wettbewerbsfreiheit aus Art. 12 GG keinen internationalen Bezugsrahmen hat sondern einen nationalen. Eine staatliche Benachteiligung von Unternehmen, die der Tarifbindung unter97

Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 12, Rn. 144. Scholz, in: Maunz/Dürig, Art. 12, Rn. 144. 99 BVerfGE 32, 311; 106, 275, 298; Manssen, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 9, Rn. 70; Breuer, in: HStR VI, § 147, Rn. 63. 100 Glos, Deutsche Berufsfreiheit und europäische Grundfreiheiten, S. 172. 101 Glos, Deutsche Berufsfreiheit und europäische Grundfreiheiten, S. 173. 102 BVerfGE 32, 311, 317; 46, 120, 137; 105, 252, 265; 106, 275, 198; Erichsen, in: HStR VI, § 152, Rn. 62. 103 Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 12, Rn. 15; Umbach, in: Umbach/Clemens, Art. 12, Rn. 57. 104 Papier, in: HdbVerfR, § 18, Rn. 77, S. 834. 105 Sodan, JZ 1998, S. 425. 98

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E. Rechtfertigung des Eingriffs in die Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG

liegen, kann nicht angenommen werden, da der Abschluss von Tarifverträgen sowie der Beitritt zu einem Arbeitgeberverband freiwillig erfolgt. (2) Unternehmensfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG Wenn bei der Rechtfertigung des Eingriffs darauf abgehoben würde, dass den Unternehmen ein rentables Wirtschaften mit der bisherigen gesetzlichen Regelung nicht mehr möglich sei und eine Existenzgefährdung der Unternehmen vorliegen würde, käme eine Rechtfertigung über die Unternehmensfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG in Betracht. Die Gründung und Führung von Unternehmen ist von Art. 12 Abs. 1 GG geschützt.106 Dabei handelt es sich um eine Konkretisierung des Schutzbereiches der Berufsausübungsfreiheit, in dem die unternehmerische Betätigung im Rahmen von Groß-, Mittel- und Kleinbetrieben von der Verfassung geschützt wird.107 Konkret kann mit dem Rückgriff auf eine Existenznotlage von Unternehmen der Eingriff in die Koalitionsfreiheit nicht gerechtfertigt werden. Sowohl die Beteiligung an einer überbetrieblichen Koalition als auch an einem Tarifvertrag ist für die Arbeitgeberseite freiwillig. Eine existentielle Notlage ist für viele Betriebe im Jahr 2009 zweifelsohne zu konstatieren.108 So erwartet der IWF 2009 einen Rückgang des Welthandelsvolumens um 2, 8 %.109 Bereits im November 2008 ist in Deutschland ein Exportrückgang um 10, 6 % zu verzeichnen gewesen.110 Die wirtschaftliche Situation hat sich für einen erheblichen Teil der Unternehmen im Kontext der Finanz- und Wirtschaftskrise verschlechtert.111 Es ist jedoch nicht erkennbar, dass sich die im Zweifel existenzgefährdenden Situationen auf die Gesetzeslage hinsichtlich der Notwendigkeit der Überbetrieblichkeit oder des zwingenden Charakters von Tarifnormen zurückführen lassen. Eine Rechtfertigung des Eingriffs durch die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG ist somit abzulehnen.

106 BVerfGE 50, 290, 363; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 12, Rn. 8; Manssen, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 12, Rn. 68; Umbach, in: Umbach/Clemens, Art. 12, Rn. 47; Hofmann, Schmidt-Bleibtreu/Klein, Art. 12, Rn. 27. 107 Manssen, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 12, Rn. 68. 108 Blum/Ludwig, Wirtschaftsdienst 2008, S. 784. 109 Langhammer, Wirtschaftsdienst 2009, S. 147. 110 Langhammer, Wirtschaftsdienst 2009, S. 147. 111 Speziell zur Automobilindustrie: Schmidt, Wirtschaftsdienst 2009, S. 7 ff; zur Bauindustrie: Knipper, Wirtschaftsdienst 2009, S. 10 ff; zur chemischen Industrie: Tillmann, Wirtschaftsdienst 2009, S. 13 ff; zur Elektroindustrie: Mittelbach, Wirtschaftsdienst 2009, S. 15 ff; zum Maschinenbausektor: Wiechers, Wirtschaftsdienst 2009, S. 17 ff; zur IT-Telekommunikationsbranche: Pols, Wirtschaftsdienst 2009, S. 20; zur Versicherungswirtschaft: Wolgast, Wirtschaftsdienst 2009, S. 23 ff; allgemein u. a.: Kempa, Wirtschafsdienst 2008, S. 300 ff.

II. Rechtfertigung von Eingriffen in Art. 9 Abs. 3 GG

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(3) Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb nach Art. 14 Abs. 1 GG Würde darauf abgestellt werden, dass die Existenzgrundlage der Unternehmen ohne eine gesetzliche Regelung als gefährdet anzusehen ist, käme als Rechtfertigungsgrund das Grundrecht am Unternehmen, d. h. das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, in Betracht. Inwieweit das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb überhaupt von Art. 14 Abs. 1 GG geschützt ist, ist umstritten. Das Bundesverfassungsgericht ist hinsichtlich des Schutzes skeptisch.112 Der BGH, das BVerwG sowie weite Teile der Literatur nehmen den Schutz jedoch an.113 Beim Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb gehe es um den Schutz des Unternehmens in seiner Rechtsund Sachgesamtheit.114 Dies bedeute „alles das, was in seiner Gesamtheit den wirtschaftlichen Wert des konkreten Gewerbebetriebes ausmacht“.115 Der Schutz gehe über die Gewährleistung von Einzelrechten hinaus, da es gerade die spezifische Konstellation von Mitteln und ihres besonderen Einsatzes sei, was den Wert des Unternehmens ausmache und von Art. 14 GG geschützt sei.116 Wenn ein Unternehmen sich gegenwärtig in einer existenzgefährdenden Lage befindet, ist nicht ersichtlich, dass dies auf den zwingenden Charakter von Tarifnormen und das Erfordernis der Überbetrieblichkeit zurückzuführen ist. Vielmehr sind doch dafür viel eher mannigfaltige Gründe gerade mit Blick auf die Finanz- und Wirtschaftskrise ins Feld zu führen. Darüber hinaus ist sowohl der Beitritt zu einer überbetrieblichen Koalition als auch der Abschluss eines Tarifvertrags freiwillig. Eine Rechtfertigung kommt folglich unter keinen Gesichtspunkten in Betracht, so dass auf die unterschiedlichen Positionen nicht eingegangen werden muss. (4) Art. 9 Abs. 3 GG In Betracht könnte darüber hinaus kommen, dass Arbeitnehmer sich auf Art. 9 Abs. 3 GG berufen, um sich auf Betriebsebene zusammenzuschließen und Arbeitsbedingungen aushandeln zu können. Jedoch erfüllt ein Zusammenschluss auf Betriebsebene nicht die Anforderungen an eine Koalition im Sinne des Art. 9 Abs. 3

112

BVerfGE 51, 193, 221 f. BGHZ 111, 349, 356; BVerwGE 81, 49, 54; Badura, in: HdbVerfR, § 10 Rn. 94 ff; Dietlein, in: Stern, Staatsrecht IV/1, § 113 III 3 b, S 2191 ff; Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 14, Rn. 95; Wendt, in: Sachs, Art. 14, Rn. 26; Depenheuer, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 14, Rn. 132; Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, Art. 14, Rn. 14; dagegen: Berkemann, in: Umbach/Clemens, Art. 14, Rn. 146. 114 Wendt, in: Sachs, Art. 14, Rn. 26. 115 BGHZ 45, 150, 155. 116 Depenheuer, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 14, Rn. 132. 113

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E. Rechtfertigung des Eingriffs in die Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG

GG, da hierfür das Erfordernis der Überbetrieblichkeit notwendig ist,117 so dass sie sich nicht auf Art. 9 Abs. 3 GG berufen können. Darüber hinaus ist der Beitritt zu einer Koalition freiwillig, so dass Fragen der negativen Koalitionsfreiheit118 hier nicht zu behandeln sind. (5) Art. 2 Abs. 1 GG Außerdem könnte daran gedacht werden, dass die derzeitige gesetzliche Regelung hinsichtlich des zwingenden Charakters von Tarifnormen in die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG eingreift. Die Freiheit zur wirtschaftlichen Betätigung ist von Art. 2 Abs. 1 GG geschützt.119 Ebenso könnte daran gedacht werden, dass die Arbeitnehmer auf Betriebsebene sich auf die Handlungsfreiheit der Arbeitnehmer berufen, um von Tarifverträgen abweichen zu können. Art. 2 Abs. 1 GG kommt aber nur dann zur Anwendung, wenn ein Schutz durch besondere Grundrechtsbestimmungen nicht gewährleistet ist.120 Hier liegt eine Gewährleistung durch Art. 12 GG, Art. 14 GG und Art. 9 Abs. 3 GG vor, so dass Art. 2 Abs. 1 GG nicht einschlägig ist. (6) Zwischenergebnis Grundrechte Dritter stellen keine tauglichen Schranken dar, mit denen gesetzliche Öffnungsklauseln gerechtfertigt werden können. bb) Rechtsgüter mit Verfassungsrang Zu behandeln ist des Weiteren, ob der Eingriff durch Rechtsgüter mit Verfassungsrang gerechtfertigt werden kann. Das Bundesverfassungsgericht hat die Einschränkbarkeit von Grundrechten durch Rechtsgüter mit Verfassungsrang in zahlreichen Entscheidungen angenommen.121 Dafür spricht das Prinzip der Einheit der Verfassung, da es diesem entgegenlaufen würde, wenn einseitig die Funktion bzw. der Bestand verfassungsrechtlich geschützter Institutionen zugunsten der Grundrechte zurücktreten müssten.122 Wenn bestimmte Institutionen durch die Verfassung geschützt werden, kommt durch diesen Schutz 117

Siehe C. BVerfGE 50, 290, 367; 64, 208, 213 f; Bauer, in: Dreier, Art. 9, Rn. 81; Gneiting, in: Umbach/Clemens, Art. 9, Rn. 109; Sodan, in: ders., Art. 9, Abs. 22. 119 BVerfGE 12, 341, 347; 27, 375, 384; 290, 366; 65, 196, 210 f; 91, 207, 221; 98, 218, 259; Kunig, in: von Münch/Kunig, Art. 2, Rn. 16; Hillgruber, in: Umbach/Clemens, Art. 2, Rn. 123; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 2, Rn. 4 a; Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 2, Rn. 146; Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, Art. 2, Rn. 33; Murswiek, in: Sachs, Art. 2, Rn. 54. 120 BVerfGE 12, 341, 347; Hillgruber, in: Umbach/Clemens, Art. 2, Rn. 125. 121 BVerfGE 8, 332, 343; 28, 243, 261; 34, 165, 182; 35, 292, 236; 47, 46, 71; 57, 70, 99; 69, 1, 21; BVerfG, NJW 1984, S. 912. 122 Schnapp, JuS 1977, S. 733. 118

II. Rechtfertigung von Eingriffen in Art. 9 Abs. 3 GG

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zum Ausdruck, dass sie zur verfassungsmäßigen Ordnung ebenso dazugehören wie die Grundrechte.123 Teilweise wird mit Art. 1 Abs. 3 GG gegen die Beschränkung von Grundrechten durch Rechtsgüter mit Verfassungsrang argumentiert. Art. 1 Abs. 3 GG besage, dass die gesamte öffentliche Gewalt an die Grundrechte lückenlos und unmittelbar gebunden ist.124 Dem könne eine unterschiedliche Behandlung von Grundrechten und sonstigen Verfassungswerten entnommen werden.125 Art 1 Abs. 3 GG hebe die Grundrechte besonders hervor und so formuliert Bamberger: „Der verfassungsrechtlichen Bindung jeder Form der staatlichen Gewalt an die Grundrechte widerstrebt eine Grundrechtsbeschränkung durch nicht-grundrechtliche, wenngleich verfassungsrangige Prinzipien (Verfassungswerte).“126 Art. 1 Abs. 3 GG wiederhole nicht lediglich den Art. 20 Abs. 3 GG hinsichtlich der Grundrechte, sondern habe einen eigenständigen Anwendungsbereich.127 Verfassungswerte könnten niemals mit Grundrechten kollidieren, da ihnen „kraft ausdrücklicher Anordnung des Art. 1 Abs. 3 GG gegenüber den Grundrechten kein normativ beschränkender Gehalt zukommen“ könne.128 Die lückenlose Bindung an die Grundrechte muss aber nicht bedeuten, dass deshalb alle vorbehaltlosen Grundrechte nur durch Grundrechte eingeschränkt werden können. Grundrechte haben einen herausgehobenen Stellenwert, an den die öffentliche Gewalt gebunden ist. Jedoch gewährleisten die Grundrechte nur so weit einen Schutz, wie es die Verfassung vorsieht. Wenn die Verfassung die Möglichkeit einer Beschränkung von vorbehaltlosen Grundrechten durch kollidierendes Verfassungsrecht vorsieht, ist die öffentliche Gewalt in dem Ausmaß, wie es die Verfassung für das jeweils einschlägige Grundrecht vorsieht, an eben jenes gebunden. Der Auffassung, aus Art. 1 Abs. 3 GG zu entnehmen, dass Grundrechte nur durch kollidierende Grundrechte eingeschränkt werden können, kann nicht gefolgt werden. Kittner/Schiek sind der Auffassung, dass es an einem „Maßstab zur Gewichtung der grundrechtlich geschützten Koalitionsfreiheit und der übrigen Interessen“ fehle, wenn die Rechtfertigung aufgrund von Rechtsgütern mit Verfassungsrang ermöglicht werde.129 Es erscheine bedenklich, Eingriffe mit verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgütern zu begründen, wenn diese keine Grundrechtsqualität hätten.130 Auch Sachs bezeichnet es als fragwürdig, dass „mit Verfassungsrang ausgestattete Rechtswerte, Gemeinschaftsgüter“ herangezogen werden können, um Grundrechte einzuschränken, und fordert einen „Rückgriff auf konkrete normative Aussagen 123 124 125 126 127 128 129 130

Schnapp, JuS 1977, S. 733. BVerfGE 6, 386, 387; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 1, Rn. 31. Bamberger, Verfassungswerte, S. 138. Bamberger, Verfassungswerte, S. 138. Bamberger, Verfassungswerte, S. 139; a.A. Sachs, in: ders., Art. 1, Rn. 81. Bamberger, Verfassungswerte, S. 139. Kittner/Schiek, in: Alternativkommentar, Art. 9, Rn. 99. Kittner/Schiek, in: Alternativkommentar, Art. 9, Rn. 100.

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E. Rechtfertigung des Eingriffs in die Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG

des GG“.131 Nach Dreier habe das Bundesverfassungsgericht „in zum Teil bedenklicher Weite und Allgemeinheit“ mit Verfassungsrang ausgestattete Rechtsgüter anerkannt.132 Nach Wendt bedürfte „das zu fordernde Maß der ,Verfassungsbeschirmtheit von Rechtspositionen oder -gütern“ eine Berücksichtigung der „Eigenständigkeit, Eigengesetzlichkeit und Bedeutung des Grundrechts“.133 Lerche spricht davon, dass „nur kollidierende Güter mit eigenem konkreten Verfassungsrang“, die „nicht etwa bloße sozialstaatliche Wünschbarkeiten und vergleichbar blasse Direktiven“ enthalten, zur Einschränkbarkeit herangezogen werden könnten.134 Das Prinzip der Einheit der Verfassung spricht für eine Einschränkbarkeit von Grundrechten durch Rechtsgüter mit Verfassungsrang, da ansonsten die Grundrechte einseitig gegen verfassungsrechtlich geschützte Institutionen ausgespielt werden würden.135 Die Bedenken und Anforderungen an eine Einschränkung von Grundrechten sind im Einzelfall teilweise nachvollziehbar, widersprechen aber nicht grundsätzlich dem Ansatz, Grundrechte durch Rechtsgüter mit Verfassungsrang einzuschränken. Vielmehr ist im Einzelfall zu gewährleisten, dass eine Einschränkung nur unter Bezug auf eine konkrete verfassungsrechtlich gewährleistete Rechtsposition vorgenommen wird. Um entscheiden zu können, inwieweit hier ein konkretes Gut mit Verfassungsrang vorliegt, ist zunächst zu untersuchen, ob es entwickelte Kriterien gibt, anhand derer zu beurteilen ist, ob einem Gut Verfassungsrang zukommt. Hierfür werden zunächst die Rechtsgüter untersucht, für die der Verfassungsrang gemeinhin angenommen wird (aa). Im Anschluss wird untersucht, welcher Belang für gesetzliche Öffnungsklauseln in Betracht kommen könnte (bb). (1) Allgemeine Kriterien zur Bestimmung eines Rechtsgutes mit Verfassungsrang Es gibt zahlreiche Rechtsgüter, denen Verfassungsrang zugesprochen wird. Konkret ist zu untersuchen, ob aus diesen allgemeine Kriterien gewonnen werden können, die für den Fall der Koalitionsfreiheit übertragbar sind. (a) Bildungs- und Erziehungsauftrag aus Art. 7 Abs. 1 GG Hinsichtlich des staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrages ist auf die Organisationsnorm des Art. 7 GG zurückgegriffen worden. So heißt es in der Entscheidung, dass dem Staat ein Bildungs- und Erziehungsauftrag zukomme, der seine ver-

131 132 133 134 135

Sachs, in: ders., vor Art. 1, Rn. 121. Dreier, in: Dreier, Vorb., Rn. 140. Wendt, AöR 104 (1979), S. 435. Lerche, in: HStR V, § 122 Rn. 23, S. 789. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 309; Schnapp, JuS 1978, S. 733.

II. Rechtfertigung von Eingriffen in Art. 9 Abs. 3 GG

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fassungsrechtliche Grundlage in Art. 7 Abs. 1 GG findet.136 So führt das Bundesverfassungsgericht aus, dass die Schulaufsicht nach Art. 7 Abs. 1 GG „jedenfalls die Befugnis des Staates zur Planung und Organisation des Schulsystems (umfasst) mit dem Ziel, ein Schulsystem zu gewährleisten, das allen jungen Bürgern gemäß ihren Fähigkeiten die dem heutigen gesellschaftlichen Leben entsprechenden Bildungsmöglichkeiten eröffnet“.137 Der mit Verfassungsrang ausgestattete staatliche Bildungs- und Erziehungsauftrag aus Art. 7 Abs. 1 GG wird auch von der Literatur angenommen.138 Hier wird aus der ausdrücklichen Aufsicht des Staates über das Schulwesen eine Befugnis zur Organisation eben dessen entnommen. Dies ist mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar, da es keine ausdrückliche Aufgabenzuweisung hinsichtlich des Charakters von Tarifnormen oder der Überbetrieblichkeit wie im Falle des Art. 7 GG gibt. (b) Kompetenz-, Ermächtigungs- und Organisationsnormen Teilweise wurde die Annahme eines verfassungsrechtlichen Belangs an Kompetenzbestimmungen (Art. 73 Nr. 1, Art. 87 a GG), Ermächtigungsnormen (Art. 12 a GG) und Organisationsregelungen (Art. 115 b GG) geknüpft. So hat die Einrichtung und Funktionsfähigkeit der Bundeswehr nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts verfassungsrechtlichen Stellenwert.139 Zur Begründung wird darauf verwiesen, dass „Art. 12 a Abs. 1, Art. 73 Nr. 1 und Art. 87 a Abs. 1 Satz 1 GG die Wehrpflicht zu einer verfassungsrechtlichen Pflicht gemacht und eine verfassungsrechtliche Grundentscheidung für die militärische Verteidigung getroffen“ worden sei.140 Dies ist in späteren Entscheidungen bestätigt worden. Dort wurde hervorgehoben, dass der Verfassungsgeber mit den nachträglich eingefügten Vorschriften der Art. 12 a, 73 Nr. 1, 87 a und 115 b GG „eine verfassungsrechtliche Grundentscheidung für eine militärische Landesverteidigung getroffen“ habe und der Einrichtung und Funktionsfähigkeit verfassungsrechtlicher Rang zukomme.141 In einer späteren Entscheidung hat das Gericht lediglich im Leitsatz festgehalten, dass das Grundgesetz sich „für die militärische Landesverteidigung (Art. 24 Abs. 2, 87 a, 115 ff GG)“ entschieden habe.142

136

BVerfGE 47, 46, 71. BVerfGE 34, 165, 182. 138 Bader, in: Umbach/Clemens, Art. 7 I III, Rn. 22; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 7, Rn. 1; Schmitt-Kammler spricht vom staatlichen Erziehungs- und Bildungsauftrag als „eine nicht ganz selbstverständliche, aber im Grundsatz zu billigende Folgerung aus einer primär organisationsrechtlichen Bestimmung“, in: Sachs, Art. 7, Rn. 22. 139 BVerfGE 28, 243, 261. 140 BVerfGE 28, 243, 261. 141 BVerfGE 69, 1, 21. 142 BVerfGE 77, 170, LS 3 b. 137

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E. Rechtfertigung des Eingriffs in die Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG

In der Literatur ist diese Auffassung überwiegend bestätigt worden.143 Gleichzeitig hat sie auch Kritik erfahren.144 Im Sondervotum haben Böckenförde und Mahrenholz deutlich kritisiert, „aus bundesstaatlichen Kompetenzvorschriften (Art. 73 Nr. 1, 87 a GG), bloßen Ermächtigungsnormen (Art. 12 a GG) oder Organisationsregelungen (Art. 115 b GG)“ Schranken oder Begrenzungen von Grundrechten herzuleiten.145 Eine ausführliche Begründung für den verfassungsrechtlichen Rang der Funktionsfähigkeit und der Einrichtung der Bundeswehr erfolgt nicht. In den Entscheidungen werden mehrere Artikel genannt, die verschiedene Gehalte haben. Aus welchem Grund, das Zusammenspiel gerade dieser Grundgesetzartikel zu der Annahme eines Rechtsgutes mit Verfassungsrang führt, wird nicht dargelegt. Ein Maßstab, der auf den Bereich der Koalitionsfreiheit übertragbar wäre, ist somit nicht ersichtlich. (c) Sozialstaatsgebot Unter Berufung auf das Sozialstaatsgebot sind verschiedene Rechtsgüter mit Verfassungsrang ausgestattet worden. Hierzu zählt die Sozialversicherung. Sie „ist in ihrer heutigen Ausgestaltung, die sich längst nicht mehr auf die Abwehr ausgesprochener Notlagen und die Vorsorge für die sozial schwächsten Bevölkerungskreise beschränkt, ein besonders prägnanter Ausdruck des Sozialstaatsprinzips“.146 Auch die Arbeitslosenversicherung hat nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts verfassungsrechtlichen Rang.147 Zunächst hat das Gericht festgehalten, dass einer Begrenzung des Art. 4 Abs. 1 GG durch die Verfassung selber nichts entgegensteht.148 Im Anschluss führt es aus, dass es ein sozialstaatliches Gebot sei, „die Funktionsfähigkeit der Arbeitslosenversicherung zu gewährleisten“.149 Der Krankenversorgung ist ebenfalls verfassungsrechtlicher Rang zugesprochen worden.150 Sie stelle „ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut dar, für dessen Schutz der Staat von Verfassungs wegen (auch im Hinblick auf das Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG) zu sorgen“ habe.151 Darüber hinaus hebt das Gericht hervor, dass jeder Patient sich sicher sein müsse, „dass sein Grundrecht auf körperliche Un-

143 Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 12 a, Rn. 2 a; Gubelt, in: von Münch/Kunig, Art. 12 a, Rn. 1; Kokott, in: Sachs, Art. 12 a, Rn. 1. 144 Brunn, in: Umbach/Clemens, Art. 12 a, Rn. 13. 145 BVerfGE 69, 1, 59 f, abweichende Meinung. 146 BVerfGE 28, 324, 348. 147 BVerfG, NJW 1984, S. 912. 148 BVerfG, NJW 1984, S. 912. 149 BVerfG, NJW 1984, S. 912. 150 BVerfGE 57, 70, 99. 151 BVerfGE 57, 70, 99.

II. Rechtfertigung von Eingriffen in Art. 9 Abs. 3 GG

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versehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nach allen Regeln ärztlicher Kunst gewahrt wird“.152 Die Resozialisierung von Straftätern ist ebenso nach der Rechtsprechung verfassungsrechtlich abgesichert.153 Nach dem Bundesverfassungsgericht „verlangt das Sozialstaatsprinzip staatliche Vor- und Fürsorge für Gruppen der Gesellschaft, die auf Grund persönlicher Schwäche oder Schuld, Unfähigkeit oder gesellschaftlicher Benachteiligung in ihrer persönlichen und sozialen Entfaltung behindert sind; dazu gehören auch die Gefangenen und Entlassenen.“154 Die Resozialisierung diene dem Schutz der Gemeinschaft.155 Teilweise hat diese Rechtsprechung in der Literatur deutliche Kritik erfahren. So wurde grundsätzlich eingewendet, dass aus Staatsstrukturprinzipien keine Grundrechtsbeschränkungen abzuleiten seien, da die mangelnde Adressierung der Prinzipien dagegen spreche.156 Staatsstrukturprinzipen seien nicht an individuelle Adressaten, sondern lediglich an den Staat gerichtet.157 Deren Umsetzung sei „Angelegenheit seiner Binnenstruktur“.158 Gleichzeitig gab es auch zahlreiche die Rechtsprechung stützende Positionen. Auch nach Teilen der Literatur ist die Sozialversicherung Ausfluss des Sozialstaatsgebots.159 Auch wurde es geteilt, die Gesundheitsversorgung als durch das Sozialstaatsgebot nach Art. 20 Abs. 1 GG abgesichert zu betrachten.160 Ebenso gab es für die Entscheidung zu der Resozialisierung von Gefangenen unterstützende Beiträge.161 Allein an diesen drei Beispielen wird deutlich, dass es keine einheitliche Struktur gibt, mit der einem Rechtsgut aus dem Sozialstaatsgebot der Verfassungrang zugesprochen wird. Vielmehr werden auf den Einzelfall bezogene Argumente ins Feld geführt. (d) Umweltschutz Die Verpflichtung zum Schutz natürlicher Lebensgrundlagen ist in Art. 20 a GG festgehalten und als Staatsziel ausgestaltet.162 So beansprucht sie „als objektiv-recht152

BVerfGE 57, 70, 99. BVerfGE 35, 202, 236. 154 BVerfGE 35, 202, 236. 155 BVerfGE 35, 202, 236. 156 Schnapp, JuS 1978, S. 734. 157 Schnapp, JuS 1978, S. 734; Bamberger, Verfassungswerte, S. 113. 158 Schnapp, JuS 1978, S. 734; Bamberger, Verfassungswerte, S. 113. 159 Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 20, Rn. 115; Antoni, in: Hömig/Seifert, Art. 20, Rn. 4; Roellecke, in: Umbach/Clemens, Art. 9, Rn. 198; Schiek, in: Alternativkommentar, Art. 20, Rn. 81. 160 Schiek, in: Alternativkommentar, Art. 20, Rn. 87; Antoni, in: Hömig/Seifert, Art. 20, Rn. 4. 161 Roellecke, in: Umbach/Clemens, Art. 20, Rn. 200. 162 BVerwG, NJW 1995, S. 2649. 153

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E. Rechtfertigung des Eingriffs in die Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG

licher Verfassungssatz unmittelbare Geltung, auch wenn sie keine subjektiven Rechte begründet“.163 Dies wird in der Literatur überwiegend geteilt.164 Der Schutz natürlicher Lebensgrundlagen ist mit Belangen, mit denen die Einschränkung des Art. 9 Abs. 3 GG gerechtfertigt werden, nicht vergleichbar, da ersterer eine explizite Regelung in der Verfassung darstellt. Aus der Annahme des Schutzes natürlicher Lebensgrundlagen als Gut mit Verfassung lässt sich folglich kein Kriterium für die Frage der gesetzlichen Öffnungsklauseln entnehmen. (e) Institutionelle Garantien Teilweise wird an die Einrichtungsgarantien angeknüpft. In Art. 33 Abs. 5 GG enthält das Grundgesetz die institutionelle Garantie des Berufsbeamtentums.165 Der expliziten Verankerung in der Verfassung kann nach Auffassung der Rechtsprechung und der Literatur entnommen werden, dass Art. 33 Abs. 5 GG als Grundlage zur Einschränkung vorbehaltloser Grundrechte in Betracht kommt.166 Auch die kommunale Selbstverwaltung in Art. 28 Abs. 2 GG wird als institutionelle Garantie verstanden.167 Diese könne aber nicht als Ermächtigung zu Eingriffen in die Rechtsstellung Privater verstanden werden.168 In beiden Fällen werden andere Konsequenzen aus dem Charakter der institutionellen Garantie gezogen, so dass kein einheitlicher Maßstab erkennbar ist. In jedem Fall können keine Kriterien für die Tarifautonomie gewonnen werden, da die Tarifautonomie keine institutionelle Garantie darstellt. (f) Sonn- und Feiertagsschutz Der Sonn- und Feiertagsschutz stelle ein „verfassungsgesetzlich vorgeschriebenes Regelungselement dar“.169 Dies ergebe sich aus Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 139 WRV, aus denen sich die Zweckbestimmung des Sonn- und Feiertagsschut163

BVerwG, NJW 1995, S. 2649. Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 20 a, Rn. 1; Murswiek, in: Sachs, Art. 20 a, Rn. 15; Hömig, in: Hömig/Seifert, Art. 20, Rn 4; Model/Müller, GG, Art. 20 a; a.A. Bamberger, Verfassungswerte, S. 118, nach der Art. 20 a GG zwar eine Staatszielbestimmung darstellt, aber nicht zur Beschränkung vorbehaltloser Grundrechte taugt. 165 BVerfGE 8, 332, 343; Battis, in: Sachs, Art. 33, Rn. 65; Dollinger/Umbach, in: Umbach/ Clemens, Art. 33, Rn. 85; Jachmann, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 33, Rn. 40. 166 BVerfGE 19, 303, 322 f; 39, 334 ff; Battis, in: Sachs, Art. 33, Rn. 65; Pieroth, in: Jarass/ Pieroth, Art. 33, Rn. 44; Jachmann, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 33, Rn. 40; MiseraLang, Einschränkbarkeit vorbehaltloser Freiheitsgrundrechte, S. 334. 167 BVerGE 56, 298, 312; Löwer, in: von Münch/Kunig, Art. 28, Rn. 41; Tettinger, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 28, Rn. 154. 168 Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 28, Rn. 10; Tettinger, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 28, Rn. 165; Nierhaus, in: Sachs, Art. 28, Rn. 40; Löwer, in: von Münch/Kunig, Art. 28, Rn. 40. 169 BVerwG, NJW 1994, S. 1976. 164

II. Rechtfertigung von Eingriffen in Art. 9 Abs. 3 GG

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zes ableite.170 Der verfassungsrechtliche Gehalt des Sonn- und Feiertagsschutzes wird von der Literatur nicht in Frage gestellt.171 Angesichts der expliziten Regelung in Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 139 WRV ist der Fall nicht mit der in Frage stehenden Koalitionsfreiheit vergleichbar. Allgemeine Kriterien, die auf den hier in Rede stehenden Fall übertragen werden könnten, können hieraus auch nicht gewonnen werden. (g) Art. 79 Abs. 3 GG Angedacht werden kann, Art. 79 Abs. 3 GG als Maßstab für die Bestimmung eines Gutes mit Verfassungsrang heranzuziehen.172 Das würde bedeuten, dass nur die Grundsätze des Art. 1 GG und des Art. 20 GG in der Lage wären, Einschränkungen von Grundrechten zu rechtfertigen. Hinsichtlich der Grundsätze des Art. 1 GG ist festzuhalten, dass weitere Grundrechte nur insoweit erfasst sind, als sich der Menschenwürdegehalt auch aus Art. 1 Abs. 1 GG ergibt.173 Teilweise wird vertreten, dass alle Grundrechte einen Menschenwürdegehalt aufweisen.174 Außerdem zählten die Rechtsgleichheit und das Willkürverbot,175 ein Mindestmaß an justizstaatlichen Garantien,176 an personaler Autonomie177 sowie an demokratischer Willensbildung178 dazu. Darüber hinaus dürfen die in Art. 20 GG niedergelegten Grundsätze nicht berührt werden. Das betrifft die Republik, das Demokratie-, Rechtsstaats- und Sozialstaatsgebot. Es gilt ebenso, dass die Republik, das Demokratie-, Rechtsstaats- und Sozialstaatsgebot in anderen Bestimmungen des Grundgesetzes nur insoweit geschützt ist, wie es von Art. 20 GG erfasst ist.179 Was unter den Grundsätzen des Art. 20 GG verstanden werden kann, geht auseinander. Von besonderem Interesse, das die Bedeu170

BVerwG, NJW 1994, S. 1976. Ehlers, in: Sachs, Art. 140, Art. 139 WRV, Rn. 1, der im Schutz eine „institutionelle Garantie“ sieht; Bergmann, Art. 140, Rn. 24, der von einer „objektivrechtlichen Institutionsgarantie“ spricht. 172 So Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 334, wo es heißt: „Zur Rechtfertigung taugen allenfalls die Inhalte des Grundgesetzes, die das Grundgesetz selbst dem Alltag des Verfassungslebens entzieht und ausnahmsweise (Art. 79 Abs. 3) unberührbar und unveränderbar stellt: die Menschenwürde mit den Menschenwürdegehalten auch der anderen Grundrechte und die Grundsätze des Art. 20.“ 173 Bryde, in: von Münch/Kunig, Art. 79, Rn. 36; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 79, Rn. 10. 174 Stern, JuS 1985, S. 338; a.A. Dreier, in: Dreier, Art. 79, Rn 28. 175 BVerfGE 94, 12, 34; Hain, in: Sachs, Art. 79, Rn. 62; Rubel, in: Umbach/Clemens, Art. 79, Rn. 41; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 79, Rn. 10; Bryde, in: von Münch/Kunig, Art. 79, Rn. 36. 176 Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 79, Rn. 10; Dreier, in: Dreier, Art. 79, Rn. 32. 177 Dreier, in: ders., Art. 79, Rn. 32; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 79, Rn. 10. 178 Dreier, in: ders., Art. 79, Rn. 32; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 79, Rn. 10. 179 Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 79, Rn. 11. 171

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E. Rechtfertigung des Eingriffs in die Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG

tung der Koalitionsfreiheit für das Sozialgefüge zeigt, ist für Art. 9 Abs. 3 GG angesichts der Sachnähe dabei das Sozialstaatsgebot. Für die hier in Frage stehende Problematik der Koalitionsfreiheit ist insbesondere das Sozialstaatsgebot angesichts der Sachnähe von Relevanz. Dies verstärkt die Wirkung der Koalitionsfreiheit für das Sozialgefüge. Auch bei dieser Frage werden unterschiedliche Auffassungen vertreten. Hain vertritt, dass das Sozialstaatsprinzip auf der einen Seite keinen Rückschritt erlaube, allerdings auch keinen Fortschritt.180 Nach Bryde gehört ein menschenwürdiges Existenzminimum zu den unantastbaren Grundsätzen.181 Gleichzeitig sei in Art. 20 GG die Absage an einen „Nachtwächterstaat“ enthalten.182 Lücke/Sachs führen aus, dass angesichts der Offenheit des Grundsatzes auch gravierende Änderungen entscheidender Verfassungsnormen noch nicht das Sozialstaatsgebot berühren würden.183 Offensichtlich ist völlig umstritten, was zu den wesentlichen Grundsätzen im Rahmen des Sozialstaatsgebots zählen soll.184 Aufgrund der Unbestimmtheit der Formulierung „Grundsätze“ wird das Problem, was kollidierendes Verfassungsrecht ausmacht, verlagert. Letztlich muss nach dieser Auffassung das Problem bei der Bestimmung der Grundzüge von Art. 20 GG behandelt werden. Diese Verlagerung hilft zur inhaltlichen Klärung nicht weiter. Im Übrigen erscheint die Verengung auf die Grundzüge von Art. 20 GG sehr restriktiv. Ein zwingendes Argument für eben dieses ist nicht erkennbar. Im Übrigen spricht auch das Prinzip der Einheit der Verfassung gegen diese Auffassung. Wenn bestimmte Rechtsgüter von der Verfassung geschützt werden, bedeutet dieser Schutz eben gerade, dass sie zur verfassungsmäßigen Ordnung gehören – ebenso wie die Grundrechte. Würde man den Schutz auf die in Art. 1 und Art. 20 GG geschützten Rechtsgüter beziehen, würde dies der Einheit der Verfassung entgegen laufen. (h) Zwischenergebnis Ein bestimmtes Kriterium, anhand dessen zu untersuchen ist, ob ein Belang mit Verfassungsrang ausgestattet ist, ist weder in der Rechtsprechung noch in der Literatur ersichtlich. Vielmehr wird teilweise auf Kompetenz- und Ermächtigungsnormen, teilweise auf Staatszielbestimmungen, Organisationsregeln und Art. 79 GG abgestellt. Folglich sind dieser Überprüfung keinerlei Kriterien zu entnehmen, die auf die Koalitionsfreiheit Anwendung finden könnten.

180 181 182 183 184

Hain, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 79, Rn. 74. Bryde, in: von Münch/Kunig, Art. 79, Rn. 49. Bryde, in: von Münch/Kunig, Art. 79, Rn. 49. Lücke/Sachs, in: Sachs, Art. 79, Rn. 63. Misera-Lang, Einschränkbarkeit vorbehaltloser Freiheitsgrundrechte, S. 319.

II. Rechtfertigung von Eingriffen in Art. 9 Abs. 3 GG

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(2) Vorliegen eines Rechtsgutes mit Verfassungsrang Es muss folglich im konkreten Einzelfall untersucht werden, ob ein Rechtsgut mit Verfassungsrang vorliegt, mit dem der Eingriff in die Koalitionsfreiheit gerechtfertigt werden könnte. (a) Gesetzgebungskompetenzen (Art. 74 Abs. 1 Nr. 11, 12 GG) Angedacht werden kann, die Gesetzgebungskompetenzen des Bundes aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 11, 12 GG dahingehend zu verstehen, dass sie den Gesetzgeber zu Eingriffen in die Koalitionsfreiheit legitimieren, da dort der Bereich des Rechts der Wirtschaft und des Arbeitsrechts genannt ist.185 Das Bundesverfassungsgericht hat in früheren Entscheidungen angenommen, dass die Einschränkung eines vorbehaltlosen Grundrechts durch eine bundesstaatliche Kompetenzvorschrift möglich ist.186 Dem haben Mahrenholz und Böckenförde in einem Sondervotum deutlich widersprochen.187 Der Annahme, dass die Koalitionsfreiheit durch den Kompetenztitel aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 11, 12 GG eingeschränkt werden könnte, kann nicht zugestimmt werden.188 Reine Kompetenznormen sind keine verfassungsimmanenten Grundrechtsschranken.189 Der Katalog der Gesetzgebungszuständigkeiten dient der Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern und begründet keine Handlungspflichten.190 Die Aussage, dass eine Materie Landes- und nicht Bundessache ist, sagt nichts über die Bedeutung der jeweiligen Materie aus.191 Im Rahmen der Ausübung seiner Kompetenz kann der Gesetzgeber grundrechtliche Gesetzesvorbehalte ausschöpfen, aber jede Kompetenz dahin zu deuten, dass damit auch eine grundrechtliche Schranke vorhanden sei, würde bedeuten, die spezifische Schrankensystematik der Grundrechte zu unterlaufen. Kompetenztitel treffen eine Aussage über die Zuständigkeit und nicht über die materiellrechtliche Bedeutung der genannten Bereiche, so dass in einer Kompetenzzuweisung keine materiellrechtliche Grundrechtsschranke gesehen werden kann. Ein Eingriff in die Koalitionsfreiheit kann deshalb nicht mit Verweis auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 11, 12 GG gerechtfertigt werden.

185 Hierzu Höfling, JZ 2000, S. 45 f; allerdings führt Höfling im Jahr 2007 aus, dass „ein Rekurs auf die Gesetzgebungstitel des Bundes“ nicht in Betracht komme, Höfling, in: Sachs, Art. 9, Rn. 136. 186 BVerfGE 28, 243, 261; 69, 1, 21 f; wo es in beiden Fällen Art. 73 Nr. 1 GG war. 187 BVerfGE 69, 57, 59 f. 188 Pieroth, FS 50 Jahre BVerfG II, S. 293, 308 f. 189 Hufen, Staatsrecht II, S. 130; Schnapp, JuS 1977, S. 734; hierzu Wendt, AöR 104 (1979), S. 435. 190 Epping, Grundrechte, Rn. 79. 191 Epping, Grundrechte, Rn. 79.

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E. Rechtfertigung des Eingriffs in die Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG

(b) Gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht (Art. 109 Abs. 2 GG) Vertreten wird, dass mit Art. 109 Abs. 2 GG die Koalitionsfreiheit eingeschränkt werden kann.192 Art. 109 Abs. 2 GG hat das Ziel, dem gesamtwirtschaftlichen Gleichgewicht zu dienen.193 Unter dem gesamtwirtschaftlichen Gleichgewicht wird ein hoher Beschäftigungsstand, d. h. eine geringe Arbeitslosigkeit, die Stabilität des Preisniveaus, ein angemessenes Wirtschaftswachstum und ein außenwirtschaftliches Gleichgewicht verstanden.194 Es gibt eine Vielzahl von Normen, welche die staatliche Gewalt zur Vornahme bestimmter Maßnahmen zur Herstellung eines gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts berechtigen (Art. 104 a Abs. 4, 109 Abs. 4, 115 Abs. 1 S. 2 GG). Diese sind als abschließend zu bewerten.195 Art. 109 Abs. 2 GG ist eine organisationsrechtliche Norm, welche die staatlichen Möglichkeiten hinsichtlich des föderalen Aspekts ausrichtet, jedoch keine neuen Eingriffsbefugnisse schafft.196 Folglich kann ausschließlich allein mit Art. 109 Abs. 2 GG ein Eingriff in die Koalitionsfreiheit nicht gerechtfertigt werden. (c) Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit Diskutiert wird, ob zum Zwecke der Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit die Tarifautonomie eingeschränkt werden kann. Dafür ist zunächst zu klären, ob die Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit ein Gut mit Verfassungsrang ist. (aa) Bundesverfassungsgericht Das Bundesverfassungsgericht hat die Frage lange offen gelassen.197 In den Entscheidungen zur Lohnabstandsklausel und zu § 10 BUrlG hat sie dem Anliegen, Massenarbeitslosigkeit abzubauen, Verfassungsrang zuerkannt.198 Den Verfassungsrang hat das Gericht aus dem Sozialstaatsgebot (Art. 20 Abs. 1 GG) in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1, 12 Abs. 1 und 109 Abs. 2 GG hergeleitet. Konkret heißt es, dass das „Ziel, Massenarbeitslosigkeit durch Förderung von zusätzlich bereitgestellten Arbeitsplätzen zu bekämpfen“, Verfassungsrang habe.199 192

Butzer, RdA 1994, S. 382; Wieland, VVDStRL 59 (2000), S. 41 f. BVerfGE 100, 271, 285. 194 Heun, in: Dreier, Art. 109, Rn. 21; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 109, Rn. 5. 195 Burkiczak, Deregulierung, S. 274. 196 Friauf, VVDStRL 27 (1969), S. 33. 197 BVerfGE 21, 241, 251, dort wurde die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit als „Gemeinschaftswert; dessen Schutzbedürftigkeit…für die industrielle Massengesellschaft allgemein anerkannt und von der jeweiligen sonstigen Gesellschafts- oder Wirtschaftspolitik unabhängig“ ist. 198 BVerfGE 100, 271, 284; 103, 293, 307. 199 BVerfGE 100, 271, 284. 193

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Dabei könne sich der Gesetzgeber „auf das Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) berufen“.200 Aus dem Sozialstaatsgedanken entspringe zum einen die Verpflichtung des Gesetzgebers, für einen Ausgleich der sozialen Gegensätze zu sorgen, und zum anderen die Fürsorge für all jene, die aufgrund persönlicher oder gesellschaftlicher Umstände an ihrer Entfaltung gehindert seien.201 Wenn die Arbeitslosigkeit reduziert werde, führe das dazu, dass der zuvor Arbeitslose sein Grundrecht auf Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG wahrnehmen könne und so seine Persönlichkeit in der Arbeit entfalten könne.202 Ein hoher Beschäftigungsstand sichere zudem die finanzielle Stabilität der sozialen Sicherungssysteme.203 Außerdem könne sich der Gesetzgeber auf Art. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG beziehen, da er den einzelnen Arbeitslosen helfe, „sich durch Arbeit in ihrer Persönlichkeit zu entfalten und darüber Achtung und Selbstachtung zu erfahren“.204 Der Verlust der Erwerbsarbeit und damit der wirtschaftlichen Lebensgrundlage bedeute oftmals eine existentielle Notlage und betreffe die Person in ihrem Selbstwertgefühl.205 (bb) Literatur Diese Auffassung wird in der Literatur geteilt.206 Teilweise wird jedoch auch versucht, die Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit ausschließlich in Art. 12 GG zu verorten.207 Dabei wird aus Art. 12 GG eine Schutzpflicht des Staates gefolgert, Arbeitslosigkeit zu verhindern.208 Unterlegt wird die Annahme einer Schutzpflicht aus Art. 12 GG damit, dass nur bei nicht sehr hoher Arbeitslosigkeit das Grundrecht auf Berufsfreiheit aus Art. 12 GG ausgeübt werden kann.209 Die Gewährleistung der Berufsfreiheit setze „die Existenz bzw. Verfügbarkeit von Arbeits- bzw. Ausbildungsplätzen“ voraus, so dass sich aus Art. 12 GG die objektiv-rechtliche Pflicht des Staates herauslesen lasse, die tatsächlichen Bedingungen für die Wahrnehmung der Berufsfreiheit zu schaffen.210

200

BVerfGE 100, 271, 284. BVerfGE 100, 271, 284; Papier, RdA 1989, S. 139. 202 BVerfGE 103, 193, 307. 203 BVerfGE 103, 193, 307 ff. 204 BVerfGE 100, 271, 284. 205 BVerfGE 100, 271, 284. 206 Bauer, in: Dreier, Art 9, Rn. 94; Höfling, in: Sachs, Art. 9, Rn. 133 a; Pieroth, FS 50 Jahre BVerfG II, S. 293, 308; Henssler, ZfA 1998, S. 23. 207 Vgl. hierzu Burkiczak, Deregulierung, S. 267. 208 Vgl. hierzu Burkiczak, Deregulierung, S. 267. 209 Zezschwitz, DB 1973, S. 1441: „Der existenzsichernde Einsatz der Arbeitskraft, der heute für die Mehrzahl aller Menschen die einzige Quelle eigenverantwortlicher Lebensführung darstellt, wird an seiner Basis getroffen, wenn die in Art. 12 Abs. 1 garantierte Freiheit der Wahl von Arbeit und Arbeitsstätte zu Fall kommt, weil ausreichende Arbeitsmöglichkeiten nicht geschaffen werden können.“ 210 Kluth, DVBl 1999, S. 1152. 201

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E. Rechtfertigung des Eingriffs in die Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG

Nach Wieland genießt es „verfassungsrechtliche Dignität“, dem einzelnen Arbeitslosen helfen zu wollen, „die eigene Persönlichkeit zu entfalten und darüber Achtung und Selbstachtung zu erfahren (Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG)“.211 Kluth macht als verfassungsrechtlichen Anknüpfungspunkte Art. 12 Abs. 1 GG, das Sozialstaatsgebot gem. Art. 20 GG und den in Art. 104a Abs. 4 und Art. 109 Abs. 4 GG genannten hohen Beschäftigungsstand aus.212 Hinsichtlich der Berufsfreiheit argumentiert Kluth dahingehend, dass sich hieraus objektiv-rechtlich die Pflicht des Staates ableite, „durch geeignete Maßnahmen die tatsächlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der rechtlich verbürgten Freiheit zu schaffen“.213 Dazu trete das Sozialstaatsprinzip gem. Art. 20 GG.214 Mit der verfassungsrechtlichen Verankerung des Ziels des hohen Beschäftigungsstandes ließen sich die Maßnahmen gegen die Arbeitslosigkeit auch rechtfertigen, sie trete aber hinter Art. 12 und Art. 20 GG zurück.215 (cc) Stellungnahme Grundrechten können nur durch Rechtsgüter mit Verfassungsrang eingeschränkt, die „mit hinreichender Bestimmtheit aus den Normen des Grundgesetzes selbst folgen“.216 So führt das Bundesverfassungsgericht aus, dass zu beachten ist, „dass sich Einschränkungen dieses vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechts nicht formelhaft mit allgemeinen Zielen wie etwa dem ,Schutz der Verfassung oder der ,Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege rechtfertigen lassen; vielmehr müssen anhand einzelner Grundgesetzbestimmungen diejenigen verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgüter konkret herausgearbeitet werden“.217 Das bedeutet, dass der bloße Verweis auf vermeintliche Rechtsgüter mit Verfassungsrang nicht ausreichend ist, sondern auf konkrete Aussagen, d. h. insbesondere auf einzelne Bestimmungen zurückgegriffen werden muss.218 Angedacht wird des Weiteren, ob die Begründung des Verfassungsranges der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit mit mehreren Normen des Grundgesetzes zulässig ist.219 Dem Einwand kann nicht gefolgt werden. Es ist nicht einzusehen, warum ein Gut mit Verfassungsrang nicht mit Verweis auf mehrere grundgesetzliche Normen begründet werden könnte. Schließlich kann das Grundgesetz an mehreren Stellen von der Existenz entsprechender Handlungsmöglichkeiten ausgehen.220 211 212 213 214 215 216 217 218 219 220

Wieland, VVdStRL 59 (2000), S. 42. Kluth, DVBl 1999, S. 1151. Kluth, DVBl 1999, S. 1152. Kluth, DVBl 1999, S. 1152 f. Kluth, DVBl 1999, S. 1153. Misera-Lang, Einschränkbarkeit vorbehaltloser Freiheitsgrundrechte, S. 341. BVerfGE 81, 278, 293. Sachs, in: ders., Vor Art. 1, Rn. 121. Mis-Paulußen, Begrenzung vorbehaltlos gewährleisteter Grundrechte, S. 116. Misera-Lang, Einschränkbarkeit vorbehaltloser Freiheitsgrundrechte, S. 343.

II. Rechtfertigung von Eingriffen in Art. 9 Abs. 3 GG

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Hier ist auf das Sozialstaatsgebot (Art. 20 Abs. 1 GG) in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1, 12 Abs. 1 und 109 Abs. 2 GG zurückzugreifen. Es erscheint zutreffend, für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit das Sozialstaatsgebot zugrunde zu legen. Schließlich geht es um „die allgemeinen Folgen der Beschäftigungslosigkeit für das System der sozialen Sicherheit, die Integrationskraft einer Gesellschaft und damit mittelbar auch für die Stabilität des demokratischen Systems“.221 Das Sozialstaatsgebot beinhaltet den Auftrag an den Gesetzgeber dafür zu sorgen, dass die sozialen Gegensätze ausgeglichen werden und eine gerechte Sozialordnung hergestellt wird.222 Darüber hinaus verpflichtet es ihn zur Fürsorge für Personen, die aufgrund gesellschaftlicher Benachteiligung oder aufgrund persönlicher Umstände in ihren persönlichen und sozialen Entfaltungsmöglichkeiten behindert sind.223 Das Sozialstaatsgebot formuliert jedoch lediglich das Ziel und nicht die Mittel, so dass der Gesetzgeber selber frei darüber entscheiden kann, wie er diesen Zielen näher kommen möchte.224 Die Fürsorge des Staates im Falle der Arbeitslosigkeit ist nicht auf die finanzielle Unterstützung eines Arbeitslosen zu beschränken, sondern kann darüber hinaus auch Maßnahmen beinhalten, welche die Arbeitslosigkeit selbst bekämpfen.225 Eingewandt werden könnte, dass das Sozialstaatsgebot aufgrund seiner mangelnden inhaltlichen Präzision nicht zur Einschränkung von Grundrechten verwendet werden dürfe.226 Dieser Auffassung kann für den konkreten Fall nicht zugestimmt werden. Das Sozialstaatsgebot ist durch den Zusammenhang mit Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1, 12 Abs. 1 und 109 Abs. 2 GG präzisiert. Es rechtfertigt nicht allein den Eingriff, sondern wird unter Bezugnahme weiterer Verfassungsnormen zur Begründung eines spezifischen verfassungsrechtlichen Belangs herangezogen. Auch der Bezugnahme auf die Menschenwürde ist zuzustimmen. Sie geht auf die Berücksichtigung individueller Erfahrungen zurück, bei der Arbeitslosigkeit nicht selten mit einem Verlust des Selbstwertgefühls einhergeht. So erscheint der individuelle Bezug der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit hinsichtlich der Selbstachtung und damit der Würde jedes Einzelnen zutreffend. Dazu tritt die Komponente der freien Entfaltung eines jeden Menschen. Hierunter fällt auch die freie Entscheidung und Möglichkeit, seinen Beruf zu wählen und auszuüben. Beides ist faktisch nur gegeben, wenn es tatsächlich die Möglichkeit gibt und

221

Steiner, NZA 2005, S. 660. BVerfGE 22, 180, 204; zur Frage des Sozialstaatsgebotes vgl. Battis, PersV 1988, S. 27. 223 BVerfGE 45, 376, 387. 224 BVerfGE 22, 180, 204. 225 BVerfGE 100, 271, 284. 226 Sachs, JuS 1995, S. 987; Stern, in: Stern, Staatsrecht III/2, § 81 V 3 b), S. 577 f; Bamberger, Verfassungswerte, S. 113. 222

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E. Rechtfertigung des Eingriffs in die Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG

die Menschen ihren Beruf wählen können.227 Daher ist der Verweis auf Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 12 Abs. 1 GG ebenfalls zutreffend. Art. 109 Abs. 2 GG überträgt den Auftrag zu Sozialgestaltung in die Bereiche der Wirtschafts-, Finanz-, Haushalts- und Sozialpolitik und konkretisiert das Sozialstaatsgebot damit auf die Haushaltswirtschaft in dem Sinne, dass eine Gleichgewichtsvorsorge anzustreben ist.228 Außerdem hängt die finanzielle Stabilität des Systems der sozialen Sicherung von Arbeit ab, so dass auch vor diesem Hintergrund der Verweis auf Art. 109 Abs. 2 GG richtig ist. Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ist folglich unter Bezugnahme auf das Sozialstaatsgebot (Art. 20 Abs. 1 GG) in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1, 12 Abs. 1 und 109 Abs. 2 GG ein Gut mit Verfassungsrang, mit dem die Koalitionsfreiheit eingeschränkt werden kann.

2. Rechtfertigung des konkreten Eingriffs durch die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit Damit stellt sich die Frage, wann eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung gegeben ist. Eine Vorrangentscheidung zwischen der Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit und der Koalitionsfreiheit lässt sich nicht allgemein treffen, sondern muss im Hinblick auf die spezielle Problematik untersucht werden.229 Dabei sind die beiden Rechtsgüter miteinander abzuwägen.230 Ziel ist dabei die Herstellung praktischer Konkordanz.231 Dies bedeutet, dass sie „einander so zugeordnet werden, dass jedes von ihnen Wirklichkeit gewinnt“.232 Beide müssen begrenzt werden, um so optimale Wirksamkeit zu erlangen.233 Nach dem Bundesverfassungsgericht können die auftretenden Konflikte nur gelöst werden, indem „ermittelt wird, welches Prinzip bei der Entscheidung einer konkreten verfassungsrechtlichen Frage das höhere Gewicht hat“.234 Allerdings dürfe die „schwächere Norm nur so weit zurückgedrängt werden, 227 „Es bleibt erneut zu beobachten, dass unser Grundgesetz keine Rezepte, wohl aber ein Ziel enthält, das ebenso freiheitlich wie sozial ist: dass es hierzulande für freie Menschen Sinn haben muss zu arbeiten, so wie es ihre persönliche Freiheit erlaubt oder gebietet.“, Heinze, NZA 1991, S. 336. 228 Papier, RdA 1989, S. 140. 229 Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2, § 81 IV 5 e), S. 563. 230 BVerfGE 28, 243, 261; 77, 240, 255; Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2, § 81 IV 5 e), S. 563. 231 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 72; Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2, § 81 IV 5 e), S. 563. 232 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 72. 233 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 72. 234 BVerfGE 2, 1, 72 f.

II. Rechtfertigung von Eingriffen in Art. 9 Abs. 3 GG

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wie das logisch und systematisch zwingend erscheint; ihr sachlicher Grundwertgehalt muss in jedem Fall respektiert werden“.235 Das heißt, dass die Grenzziehungen verhältnismäßig sein müssen.236 Darüber hinaus bedarf der Eingriff der einfach-gesetzlichen Konkretisierung,237 was hier zu unterstellen ist. Verhältnismäßigkeit bezeichnet damit nicht ein Verhältnis zwischen einem konstanten Zweck und variablen Mitteln sondern zwischen zwei variablen Größen.238 Dieses dient „vor allem, aber nicht nur, der Aktualisierung und Effektuierung grundrechtlichen Freiheitsschutzes“.239 Verhältnismäßig ist ein Eingriff, wenn das Gesetz zur Ermöglichung gesetzlicher Öffnungsklauseln geeignet, erforderlich und angemessen ist, um die Massenarbeitslosigkeit zu bekämpfen.240 a) Geeignetheit Problematisch ist bereits, ob das Mittel von gesetzlichen Öffnungsklauseln geeignet ist, die Massenarbeitslosigkeit zu bekämpfen. Geeignet ist ein Mittel, wenn es den gewünschten Erfolg fördert, wobei die Möglichkeit der Zweckerreichung ausreichend ist.241 Bevor auf die Frage der tatsächlichen Geeignetheit eingegangen werden kann, muss jedoch die Frage behandelt werden, auf wessen Einschätzung hierbei abzustellen ist. aa) Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hieß es zunächst, dass den Tarifparteien eine Normsetzungsprärogative zukomme.242 Später wurde diese Auffassung dahingehend modifiziert, dass davon gesprochen wurde, dass den Tarifparteien ein Normsetzungsrecht, aber kein Normsetzungsmonopol zustehe.243 In den aktuellen Entscheidungen vertritt das Bundesverfassungsgericht folgende Auffassung: „Auf dem Gebiet der Arbeitsmarkt-, Sozial- und Wirtschaftsordnung gebührt dem Gesetzgeber ein besonders weitgehender Einschätzungs- und Prognosevorrang. (…) Es ist vornehmlich Sache des Gesetzgebers, auf der Grundlage seiner wirtschafts-, arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Vorstellungen und Ziele und unter Beachtung der Sachgesetzlichkeiten des betreffenden Sachgebiets zu entscheiden, wel-

235

BVerfGE 28, 243, 261. Battis/Schulte-Trux/Weber, DVBl 1991, S. 1173. 237 Höfling, in: Sachs, Art. 9, Rn. 128 b. 238 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 72. 239 Grabitz, AöR 98 (1973), S. 570. 240 Vgl.: BVerfGE 30, 292, 316 f; 67, 157, 173; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 279; Stern, in: Stern, Staatsrecht III/2, § 84 II), S. 775 ff. 241 BVerfGE 30, 292, 316; Pieroth/Schlink, Rn. 283; Manssen, Staatsrecht II, Rn. 166. 242 BVerfGE 44, 322, 341. 243 BVerfGE 94, 268, 284; hierzu auch Battis/Gusy, Staatsrecht, Rn. 431. 236

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E. Rechtfertigung des Eingriffs in die Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG

che Maßnahmen er im Interesse des Gemeinwohls ergreifen will.“244 Es ist zu konstatieren, dass die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in dieser Frage durchaus Wandlungen unterworfen war. Mittlerweile wird ein weitgehender Einschätzungs- und Prognosespielraum des Gesetzgebers vertreten In der Literatur ist diese Entwicklung teilweise auf starke Kritik gestoßen. Es erscheine aufgrund der größeren Sachnähe der Tarifparteien problematisch, wenn der Gesetzgeber seine Einschätzung anstelle derer der Tarifparteien setzen kann.245 Dies betrifft das Verhältnis zwischen dem Normsetzungsrecht der Tarifparteien und der Kompetenz des Gesetzgebers aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG. Einigkeit besteht in der Frage, dass die Tarifparteien kein Normsetzungsmonopol innehaben, wohl aber ein Recht auf Normsetzung.246 Daraus wird teilweise geschlossen, dass die konkurrierende Zuständigkeit über Art. 1 Abs. 3 GG zu lösen sei.247 Die Bindung des Gesetzgebers an die Grundrechte und damit auch an das Grundrecht auf Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG begründe einen grundsätzlichen Vorrang tariflicher Regelungen.248 Die Tarifautonomie wäre ansonsten „substanzlos, wenn den Koalitionen nicht korrespondierend eine eigene Einschätzungsprärogative zugebilligt“ werden würde.249 Zuzustimmen sei zwar der Annahme, dass der Gesetzgeber auf dem Gebiet der Wirtschafts- und Sozialpolitik einen großen Entscheidungsspielraum habe, dies gelte jedoch nicht für die Arbeitsordnung, die traditionell stets Gegenstand tariflicher Vereinbarungen war.250 Kempen führt an, dass mit den Entscheidungen zugelassen werde, dass der Gesetzgeber in zentrale tarifliche Regelungsbereiche wie die materiellen Arbeitsbedingungen und die Löhne eingreife.251 Es gehe beim Schutz der Koalitionsfreiheit „um den Schutz der Handlungsmöglichkeiten der Tarifvertragsparteien, also um ihre aktuelle Einschätzungsprärogative (…), die vor anderen Einschätzungen und Entscheidungen des Gesetzgebers geschützt sein soll“.252 Es werde „dem sozialstaatlich argumentierenden Gesetzgeber ein Gemeinwohl-Definitionsrecht und eine Normsetzungsprärogative zugestanden“, die ihm erhebliche Eingriffe in die Freiheitsrechte zubillige.253 Dieterich führt aus, dass die Tarifautonomie substanzlos werde, „wenn den Koalitionen nicht korrespondierend eine eigene Einschätzungsprärogative zugebilligt wird“.254 244

BVerfGE 103, 293, 307. Däubler, in: ders., TVG, Einleitung B, Rn. 136; Dieterich, in: Erfurter Kommentar, Art. 9, Rn. 88 f. 246 Battis/Gusy, Staatsrecht, Rn. 431; Wiedemann, in: ders., TVG, Einleitung, Rn. 107; Kempen, in: Kempen/Zachert, TVG, Grundlagen, Rn. 127. 247 Kempen, in: Kempen/Zachert, TVG, Grundlagen, Rn. 127. 248 Kempen, in: Kempen/Zachert, TVG, Grundlagen, Rn. 127. 249 Dieterich, in: Erfurter Kommentar, Art 9, Rn. 89. 250 Dieterich, RdA 2007, S. 75. 251 Kempen, in: Kempen/Zachert, TVG, Grundlagen, Rn. 125. 252 Kempen, in: Kempen/Zachert, TVG, Grundlagen, Rn. 125. 253 Kempen, in: Kempen/Zachert, TVG, Grundlagen, Rn. 126. 254 Dieterich, in: Erfurter Kommentar, Art. 9, Rn. 89; ders., AuR 2001, S. 392. 245

II. Rechtfertigung von Eingriffen in Art. 9 Abs. 3 GG

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Dem ist entgegenzuhalten, dass selbst eine Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers noch nicht dazu führt, dass ein Eingriff in ein Freiheitsrecht gebilligt wird. Schließlich betrifft die Frage der Einschätzung lediglich die Frage der Geeignetheit. Die Frage der Ordnung des Wirtschafts- und Soziallebens betrifft Politik im engeren Sinne, so dass dem demokratisch legitimierten Gesetzgeber ein gewisser Einschätzungsspielraum zukommen muss. Ansonsten würde er seiner Gestaltungsmöglichkeiten beraubt. Nichtsdestotrotz muss der Gesetzgeber ein Ziel verfolgen, dem Verfassungsrang zukommt, und ein Mittel wählen, was nicht evident ungeeignet, zudem erforderlich und angemessen ist, so dass von einer Zubilligung erheblicher Eingriffe in die Freiheitsrechte durch die Annahme eines größeren Entscheidungsspielraums nicht gesprochen werden kann. Weiter wird eingewandt, dass die Sachnähe nur dann nutzbar gemacht werden könne, wenn ihre Berücksichtigung auch im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung stattfinden müsse und sie nur beiseite geschoben werden könnte, wenn es eine nachprüfbare Begründung gebe.255 Dem ist zuzustimmen. Jedoch spielt die Berücksichtigung der Sachnähe erst im Rahmen der Angemessenheitsprüfung eine Rolle, da die Wirkkraft der Tarifautonomie umso mehr zunimmt, je stärker ein Bereich der höheren Sachnähe betroffen ist. Dem Gesetzgeber ist im Ergebnis eine Einschätzungsprärogative zuzugestehen. bb) Geeignetheit der Maßnahme Allerdings ist trotz der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers zu prüfen, ob gesetzliche Öffnungsklauseln geeignet sind, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Eine Maßnahme darf schließlich nicht grundsätzlich ungeeignet sein.256 Hinsichtlich der Frage, wie geeignet gesetzliche Öffnungsklauseln zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit sind, gibt es verschiedene Auffassungen. (1) Befürwortende Stimmen Es gibt zahlreiche Stimmen, die der Auffassung sind, dass die konkrete Ordnung des Arbeitsmarktes einen erheblichen Teil zu der Höhe der Arbeitslosigkeit beigetragen hat und in der Folge der Arbeitsmarkt zu flexibilisieren ist.257 Dabei sei die Ermöglichung der betrieblichen Abweichung vom Tarifvertrag eine geeignete Maßnah-

255

Dieterich, in: Erfurter Kommentar, Art. 9, Rn. 89. BVerfGE 103, 293, 307. 257 Sachverständigenrat, Jahresgutachten 2002/2003, Ziffer 462 ff; Wissenschaftlicher Beirat beim BMAS, Gutachten 2004, S. 22 ff; Woll, in: Maydell/Kannengießer, Handbuch Sozialpolitik, S. 497; Berthold, Bitburger Gespräche 1998, S. 30 f; Monopolkommission, BTDrs. 12/8232, Ziffer 936 f; Rüthers, Arbeitsgesellschaft, S. 56. 256

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me, die Arbeitslosigkeit zu senken. Hierfür werden unterschiedliche Begründungen vorgebracht.258 Die Monopolkommission befürwortet gesetzliche Öffnungsklauseln, da sie darin einen Beitrag zur Senkung der Arbeitslosigkeit sieht.259 Das Problem des deutschen Tarifsystems sei, dass der Tariflohn stets oberhalb des markträumenden Preises liege.260 Dies sei durch verschiedene Faktoren begründet.261 Eine Rolle spiele, dass Gewerkschaftsmitglieder für ihren gezahlten Beitrag eine Gegenleistung erwarten würden und die Gewerkschaftsführungen aus „Existenzsicherungsinteresse“, da sie auf Mitgliedsbeiträge angewiesen seien, dem entsprechen würden.262 Ein konstant markträumender Preis hätte zur Folge, dass die Nachfrage nach Arbeit zurückgehe und Arbeitsplätze, welche ihre Kosten nicht mehr erwirtschafteten, abgebaut werden würden und folglich Arbeitslosigkeit entstehe bzw. nicht ausreichend verringert werde.263 Die „Kartellstruktur“ des Arbeitsmarktes sei also eine Erklärung für die hohe Arbeitslosigkeit wenn auch nicht die einzige, da zahlreiche Faktoren zu eben dieser beitragen würden.264 Es gebe insbesondere drei Faktoren, welche die Wettbewerbsposition deutscher Unternehmen in den 90er Jahren erschwert und somit zu einer hohen Arbeitslosigkeit geführt hätten.265 Das ist erstens der Verlust der technologischen Überlegenheit der westlichen Industriestaaten, zweitens sind es die Folgen aus der Überwindung der Spaltung Europas aus dem Jahre 1989 und drittens die „kumulierten Starrheiten und Defizite in den ordnungspolitischen Rahmenbedingungen“.266 Die Monopolkommission befasse sich jedoch mit der Frage, wie „die Verträglichkeit der überkommenen Ordnungsstruktur mit einem Allgemeininteresse“ sichergestellt werden könne.267 Dabei handele es sich lediglich um einen Ausschnitt bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, jedoch sei dies ein „zentraler Ausschnitt“.268 Auch der Sachverständigenrat plädiert für eine Flexibilisierung des Arbeitsmarktes.269 Danach werde mit den Löhnen in nicht ausreichendem Maße Rücksicht auf die 258

Wissenschaftlicher Beirat beim BMAS, Gutachten 2004, S. 22 ff; Sachverständigenrat, Jahresgutachten 2002/2003, Ziffer 462 ff; Monopolkommission, BT-Drs. 12/8232, Ziffer 936 f; Woll, in: Maydell/Kannengießer, Handbuch Sozialpolitik, S. 497; Berthold, Bitburger Gespräche 1998, S. 30 f; Rüthers, Arbeitsgesellschaft, S. 56. Monopolkommission, BT-Drs. 12/ 8232, Ziffer 936 f. 259 Monopolkommission, BT-Drs. 12/8232, Ziffer 936 f. 260 Monopolkommission, BT-Drs. 12/8323, Ziffer 885. 261 Monopolkommission, BT-Drs. 12/8232, Ziffer 886. 262 Monopolkommission, BT-Drs. 12/8232, Ziffer 886. 263 Monopolkommission, BT-Drs. 12/8323, Ziffer 878. 264 Monopolkommission, BT-Drs. 12/8232, Ziffer 888. 265 Monopolkommission, BT-Drs. 12/8323, Ziffer 877 f. 266 Monopolkommission, BT-Drs. 12/8323, Ziffer 878. 267 Monopolkommission, BT-Drs. 12/8323, Ziffer 933. 268 Monopolkommission, BT-Drs. 12/8323, Ziffer 933. 269 Sachverständigenrat, Jahresgutachten 2003/2004, Ziffer 653; ders., Jahresgutachten 2002/2003, Ziffer 461 ff.

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gesamtwirtschaftliche Arbeitslosigkeit genommen.270 Es müssten vielmehr regionale Spezifika berücksichtigt werden.271 Im Falle, dass der Lohn und damit der Preis für Arbeitskräfte nicht auf die Situationen am Arbeitsmarkt angemessen reagiert, müsse sich die Menge, also die Beschäftigung anpassen und das hieße Arbeitslosigkeit.272 Im gegenwärtigen Tarifsystem bestehe das Problem, dass die starken Pilotregionen einer Branche Abschlüsse erzielten, die dann auf andere Tarifbezirke übertragen werden, obgleich deren wirtschaftliche Basis erheblich schwächer sei.273 Das habe zur Folge, dass die beschäftigten Arbeitnehmer sich zwar über Einkommenszuwächse freuen könnten, Menschen ohne Arbeit aber keinen Einstieg in Beschäftigung finden würden.274 Die Tarifvertragsparteien könnten darauf selber durch entsprechende Tarifvertragsabschlüsse bzw. der Möglichkeit von Öffnungsklauseln reagieren.275 So dies nicht in ausreichendem Umfang geschehe, sei jedoch der Gesetzgeber gefordert.276 Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit führt aus, dass die Voraussetzungen für betriebliche Arbeit sich in den letzten Jahren durch die Internationalisierung des Wettbewerbs, den Fortschritt im Technologiebereich und Veränderungen im Bereich der Produktion stark verändert hätten.277 Dadurch sei der Wettbewerbsdruck auf die Unternehmen stark gestiegen.278 Die Situationen vor Ort würden sich erheblich unterscheiden und so sei eine stärkere Flexibilität für die einzelnen Unternehmen erforderlich.279 Die Ursachen für die Beschäftigungsproblematik könnten zwar sehr vielfältig sein, aber die Lohnpolitik könnte den Beschäftigungsproblemen entgegenwirken.280 Zentrales Problem sei, dass die Löhne ständig erhöht worden seien, weil man vorausgesetzt habe, dass entsprechende Produktivitätsgewinne dies ausgleichen würden.281 Angesichts der Konkurrenz mit ausländischen Unternehmen gebe es die Situation, dass diese einen Standortvorteil hätten, wenn sie gleichzeitige Produktivitätszuwächse aber kein Lohnerhöhungen verbuchen könnten.282 Die beschäftigungspolitische Bedeutung der Lohnpolitik erklärt der Beirat dergestalt, dass sich die Gewinne der Unternehmen durch geringe Löhne verbessern würden, dadurch neue Investitionen und Arbeitsplätze entstünden, Arbeitslosigkeit zurückgehe und eine positive Wachstumsdynamik verzeichnet werden 270 271 272 273 274 275 276 277 278 279 280 281 282

Sachverständigenrat, Jahresgutachten 2002/2003, Ziffer 461. Sachverständigenrat, Jahresgutachten 2002/2003, Ziffer 461. Sachverständigenrat, Jahresgutachten 2002/2003, Ziffer 461. Sachverständigenrat, Jahresgutachten 2002/2003, Ziffer 461. Sachverständigenrat, Jahresgutachten 2002/2003, Ziffer 461. Sachverständigenrat, Jahresgutachten 2002/2003, Ziffer 462 ff. Sachverständigenrat, Jahresgutachten 2002/2003, Ziffer 466 ff. Wissenschaftlicher Beirat beim BMAS, Gutachten 2004, S. 2. Wissenschaftlicher Beirat beim BMAS, Gutachten 2004, S. 2. Wissenschaftlicher Beirat beim BMAS, Gutachten 2004, S. 2. Wissenschaftlicher Beirat beim BMAS, Gutachten 2004, S. 2. Wissenschaftlicher Beirat beim BMAS, Gutachten 2004, S. 5. Wissenschaftlicher Beirat beim BMAS, Gutachten 2004, S. 6.

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könne.283 Hinsichtlich der Entwicklung des Kostenniveaus spiele die Lohnpolitik folglich eine zentrale Rolle.284 Darüber hinaus sei die Lohngestaltung auch in Bezug auf die Flexibilität am Arbeitsmarkt von großer Bedeutung.285 Das sei entscheidend für die Bereitschaft eines Unternehmens, Investitionen zu tätigen.286 Nach Auffassung des wissenschaftlichen Beirates würden gesetzliche Öffnungsklauseln folglich einen erheblichen Beitrag zur Minderung der Arbeitslosigkeit beitragen.287 Vertreten wird des Weiteren, dass eine „Verlagerung der Entscheidungen an die Orte des Geschehens“ eine Reihe ökonomischer Vorteile mit sich bringe und dazu beitrage, die Arbeitslosigkeit zu beseitigen.288 Das derzeitige Arbeitsrecht sei durch die Interessenlage der „Arbeitsplatzbesitzer“ und nicht der Arbeitslosen geprägt.289 So würden die Arbeitsplatzbesitzer bei Lohnverhandlungen lediglich ihre Interessen aber nicht die Belange arbeitsloser Menschen im Blick haben.290 Dies würde sich ändern, wenn dies auf Betriebsebene verlagert werden würde.291 Nach Merz liegt die Ursache der Arbeitslosigkeit darin, dass der Arbeitsmarkt nicht mehr als Markt funktioniere, sondern vielmehr hochreguliert sei.292 Das freie Spiel der Kräfte, zwischen Angebot und Nachfrage, sei durch Tarifverträge gestört und würde Arbeitslosigkeit verursachen.293 Auch Reuter ist der Auffassung, dass die mangelnde Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt mitursächlich für die hohe Arbeitslosigkeit sei.294 Die mangelnde Möglichkeit der Anpassung der Arbeitsplätze führe zu einem Abbau oder würde zumindest verhindern, dass neue Arbeitsplätze geschaffen würden.295 Küppers vertritt die Auffassung, dass der Niedriglohnsektor in Deutschland zu gering ausgeprägt sei und die Arbeitslosigkeit deshalb so hoch sei.296 Die meisten Langzeitarbeitslosen hätten keine oder nur eine unzureichende Berufsausbildung.297 Für diese Menschen gebe es kaum noch Arbeitsplätze in Deutschland, „weil sie schlicht

283 284 285 286 287 288 289 290 291 292 293 294 295 296 297

Wissenschaftlicher Beirat beim BMAS, Gutachten 2004, S. 10. Wissenschaftlicher Beirat beim BMAS, Gutachten 2004, S. 10 f. Wissenschaftlicher Beirat beim BMAS, Gutachten 2004, S. 11. Wissenschaftlicher Beirat beim BMAS, Gutachten 2004, S. 11. Wissenschaftlicher Beirat beim BMAS, Gutachten 2004, S. 22 ff. Woll, in: Maydell/Kannengießer, Handbuch Sozialpolitik, S. 497. Woll, in: Maydell/Kannengießer, Handbuch Sozialpolitik, S. 497. Berthold, Bitburger Gespräche 1998, S. 30 f. Berthold, Bitburger Gespräche 1998, S. 30 f. Merz, Nur wer sich ändert, wird bestehen, S. 116. Merz, Nur wer sich ändert, wird bestehen, S. 116. Reuter, FS Hattenhauer, S. 417. Reuter, FS Hattenhauer, S. 417. Küppers, Gerechtigkeit in der modernen Arbeitsgesellschaft, S. 316 ff. Küppers, Gerechtigkeit in der modernen Arbeitsgesellschaft, S. 316.

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unbezahlbar“ seien.298 Wolle man diesen Menschen einen Arbeitsplatz bieten, müssten entsprechend untertarifliche und geringe Löhne möglich seien.299 Durch die Gestaltung der Tarifbeziehungen würden die Tarifpartner Arbeitslosen aber stattdessen den Weg auf den Arbeitsmarkt versperren.300 Nach Berthold müssten „die gestiegenen strukturellen Anpassungslasten der in die internationale Arbeitsteilung eingebundenen deutschen Volkswirtschaft über flexiblere reale Arbeitseinkommen und eine größere sektorale und berufliche Mobilität getragen“ werden.301 Würde dies nicht geschehen, sei steigende Arbeitslosigkeit die logische Folge.302 Im Übrigen wirke sich das Tarifsystems negativ auf die Investitionsbereitschaft aus, da das Risiko für Investitionen durch Flächentarife erhöht wird.303 Begründet wird dies damit, dass sich in Tarifverhandlungen nicht an den Gewinnen der einzelnen Unternehmen orientiert werde.304 Auch Rüthers sieht in den „Fehlsteuerungen der Tarifautonomie“ eine Ursache für die Beschäftigungskrise.305 „Auf unterschiedliche regionale Strukturen, Unternehmensgrößen und Ertragslagen“ sei von den zuständigen Verbänden nicht ausreichend Rücksicht genommen worden.306 Deshalb müsse von den marktwidrigen Tarifkartellen abgekehrt werden.307 (2) Ablehnende Stimmen Im Kern heben die Befürworter erstens auf das Erfordernis geringerer Löhne, zweitens auf die Internationalisierung und drittens auf den angeblichen Konflikt zwischen Arbeitsplatzbesitzer und Arbeitslosen ab. In der Folge sollen insbesondere diese drei Argumentationskreise besonders untersucht werden. (a) Kritik am Plädoyer für geringere Löhne Die Befürworter gesetzlicher Öffnungsklauseln tragen vor, dass geringere Löhne erforderlich seien, da diese zu mehr Beschäftigung führten und gesetzliche Öffnungsklauseln die Möglichkeit böten, dass einzelne Betriebe von dem hohen Lohnniveau der Tarifverträge abweichen könnten.

298 299 300 301 302 303 304 305 306 307

Küppers, Gerechtigkeit in der modernen Arbeitsgesellschaft, S. 316. Küppers, Gerechtigkeit in der modernen Arbeitsgesellschaft, S. 316 f. Küppers, Gerechtigkeit in der modernen Arbeitsgesellschaft, S. 317. Berthold, Bitburger Gespräche 1998, S. 26. Berthold, Bitburger Gespräche 1998, S. 26. Berthold, Bitburger Gespräche 1998, S. 28. Berthold, Bitburger Gespräche 1998, S. 28. Rüthers, Arbeitsgesellschaft, S. 56. Rüthers, Arbeitsgesellschaft, S. 56. Rüthers, Arbeitsgesellschaft, S. 56.

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E. Rechtfertigung des Eingriffs in die Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG

Angegriffen wird u. a. die Bewertung von Löhnen ausschließlich als Kostenfaktor und die damit einhergehende positive Bewertung von niedrigen Löhnen.308 Natürlich stellten Löhne auf der einen Seite einen Kostenfaktor für ein Unternehmen dar. Auf der anderen Seite seien sie ein wesentlicher Faktor für die Nachfrage.309 Bei konstant niedrigen Einkommen lahme die Binnenkonjunktur. Wenn das Wachstum des realen Brutto-Inland-Produkts hinter dem Produktivitätszuwachs zurückbleibe, entstehe Arbeitslosigkeit.310 Es gebe nur mehr Nachfrage nach Arbeit, wenn die Nachfrage der Verbraucher und damit der Absatz der Unternehmen steige.311 Das wichtigste Aggregat der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage seien die Löhne, so dass Lohnzurückhaltung einen Nachfragerückgang nach sich ziehe.312 Der Export habe in Deutschland eine große Relevanz,313 aber die Bedeutung der binnenkonjunkturellen Nachfrage werde nicht zuletzt in der Krise deutlich.314 Das zentrale Problem in Deutschland sei die geringe Binnenmarktnachfrage aufgrund eines schwachen öffentlichen und privaten Konsums.315 Für die schwache Binnenkaufkraft in Deutschland gebe es vielfältige Ursachen. Dabei wirkten zum einen politische Maßnahmen wie die Erhöhung der Mehrwertsteuer316 hemmend auf den privaten Konsum.317 Zum anderen spiele die Lohnentwicklung in den letzten Jahren hierbei eine Rolle. Nach vergleichenden Berechnungen der Europäischen Kommission seien die Reallöhne in Deutschland zwischen 2000 und 2007 um 1,4 % gestiegen.318 Damit liegt Deutschland auf dem vorletzten Platz. Nur in Spanien ist ein noch geringerer Anstieg zu verzeichnen. Das ist keinesfalls darauf zurückzuführen, dass es in Deutschland in den letzten Jahren allgemein keinen Anstieg der Einkommen geben hat. Das Volkseinkommen ist in diesen Jahren nach den Angaben des Statistischen Bundesamtes um knapp 20 % gestiegen.319 Das Arbeitnehmerentgelt, das aus dem Bruttolohn, dem Bruttogehalt und den Sozialbeiträgen des Arbeitgebers besteht, erhöhte sich von 2000 bis 2007 aber lediglich um 7,3 %, während die Einkommen aus Gewinn und Vermögen um 52 % stiegen.320

308

Grunert, WSI-Mitteilungen 2004, S. 597. Hickel, in: Schui/Paetow, S. 45; Bofinger, Grundzüge VWL, S. 346 ff. 310 Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik, Memorandum 2008, S. 80. 311 Bofinger, Wir sind besser, S. 180 f. 312 Huffschmidt, Schui/Paetow, S. 76. 313 AG Konjunktur, IW-Trends 4 – 2008, S. 39 f. 314 Zur Bedeutung der Inlandsnachfrage: Bofinger, Wir sind besser, S. 179. 315 Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik, Memorandum 2008, S. 59. 316 Die Erhöhung der Mehrwertsteuer um 3 % entspreche nach der Arbeitsgruppe Konjunktur einem direkten Kaufkraftverlust von über 20 Mrd. E oder 1, 5 % der privaten Konsumausgaben, Arbeitsgruppe Konjunktur, IW-Trends 4 – 2008, S. 45. 317 Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik, Memorandum 2008, S. 61. 318 Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik, Memorandum 2008, S. 72 f. 319 Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik, Memorandum 2008, S. 74. 320 Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik, Memorandum 2008, S. 74. 309

II. Rechtfertigung von Eingriffen in Art. 9 Abs. 3 GG

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Eine weitere Argumentation gegen das Erfordernis geringerer Löhne wirft den Befürwortern vor, dass sie nicht auf Basis empirischer Daten argumentierten, sondern lediglich mit Plausibilitätserwägungen arbeiteten.321 So ist festzustellen, dass im Jahre 2008 die Arbeitslosigkeit von 4,86 Mio. auf knapp 4,5 Mio. gesunken ist.322 Dies entspricht einem Rückgang der Arbeitslosenquote von 11,7 % auf 10,8 %.323 Da es keine Flexibilisierung des Tarifrechts gegeben hat, ist anhand dieser Entwicklung deutlich zu sehen, dass die Senkung der Arbeitslosigkeit zumindest auch mit anderen Faktoren zu tun hat und folglich eine geringere Arbeitslosigkeit über andere Veränderungen hergestellt werden kann. Gegen diese Argumente könnten die Befürworter einer Flexibilisierung ins Feld führen, dass es ihnen ja nicht im Allgemeinen um Lohnzurückhaltung gehe, sondern lediglich darum dass im konkreten Einzelfalle entschieden werden solle, da Lohnzurückhaltung im Einzelfall zur Beschäftigungssicherung eines Unternehmens beitragen könne. Auch wenn das im Einzelfall zutreffen kann, sagt dies aber noch nichts darüber aus, ob auch gesamtwirtschaftliche Beschäftigungseffekte damit erzielt werden können. Ein marktwirtschaftliches System ist von unterschiedlichen Erträgen der verschiedenen Unternehmen gekennzeichnet, die auf unterschiedliche technologische Niveaus zurückgehen können.324 Produkt- bzw. Prozessinnovationen können folglich Wettbewerbsvorteile gegenüber den Konkurrenten begründen, was gesamtwirtschaftlich zu Produktivitätssteigerungen führt.325 Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass bezüglich aller weiteren Produktionsfaktoren einheitliche Preise vorherrschen und das betrifft natürlich auch den Bereich der Arbeit. Eine Flexibilisierung der Löhne könnte folglich auch negative Auswirkungen auf die Innovationsbereitschaft haben, da der Wettbewerb nicht mehr im Schwerpunkt über Innovationen sondern über geringe Löhne ausgetragen werde.326 Außerdem stelle sich die Frage, wo die positiven Beschäftigungseffekte herkommen sollen. Die Marktanteile der schwächeren Unternehmen würden die stärkeren Unternehmen gewinnen.327 Dadurch entstünden aber noch keine zusätzlichen Arbeitsplätze. Der Behauptung des Wissenschaftlichen Beirates, dass die Löhne ständig erhöht worden seien, muss außerdem entgegengehalten werden, dass dies nicht zutreffend ist. Zwischen den Jahren 2002 und 2005 sind nach den Auswertungen des Sozio-ökonomischen Panels (SOEP) die Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer um 4 % zurückgegangen.328 Dem entspricht der Rückgang der Lohnquote, d. h. der Anteil der

321 322 323 324 325 326 327 328

Kremer, WSI-Mitteilungen 2007, S. 441. von Harenberg, Jahrbuch 2008, S. 88. von Harenberg, Jahrbuch 2008, S. 88. Grunert, WSI-Mitteilungen 2004, S. 597. Grunert, WSI-Mitteilungen 2004, S. 597. Grunert, WSI-Mitteilungen 2004, S. 597. Grunert, WSI-Mitteilungen 2004, S. 598. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung 2008, Kurzfassung, S. 8.

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E. Rechtfertigung des Eingriffs in die Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG

Arbeitnehmerentgelte am Volkseinkommen.329 Während sie 1976 bei 76,3 % des Bruttoinlandproduktes lag, ist sie bis 2007 auf 64,6 % gesunken.330 Im Übrigen gibt es seit Mitte der 90er Jahre einen kontinuierlich wachsenden Niedriglohnbereich.331 Die Niedriglohnquote ist von 1995 bis 2006 um 43 % von 15,0 auf 22,2 % angestiegen.332 Auch bei der Aussage der Monopolkommission, dass die Tariflöhne so hoch seien, weil die Gewerkschaftsfunktionäre um ihre Arbeitsplätze fürchten, muss eingewandt werden, dass dies mehr Populismus als Sachargument ist. Für die konkrete Verhandlungsführung der einzelnen Arbeitgeberverbände und der Gewerkschaften gibt es verschiedene Erwägungen. Nicht zuletzt müssen die konkrete Strategie und Taktik auch von den Mitgliedern unterstützt werden. Darüber hinaus wird eingewandt, dass selbst im Falle, dass man unterstellen würde, niedrige Löhne würden konstant zu höheren Gewinnen führen, dies nicht zwangsläufig zu mehr Arbeitsplätzen und einer geringeren Arbeitslosigkeit führen würde. Beispielsweise profitierten insbesondere die Unternehmen in Deutschland in den letzten Jahren von der prosperierenden globalen Nachfrage nach Konsum-, Investitionsgütern und Dienstleistungen, gaben das aber nicht in Form von Löhnen an die Arbeitnehmer weiter.333 Steigende Gewinne wurden nicht konsumiert, sondern durch Banken ins Ausland transferiert.334 Höhere Gewinne können, müssen jedoch nicht in Realinvestitionen fließen. Dem Einwand Bertholds, dass der Flächentarif zu geringeren Investitionen führt, kann nicht gefolgt werden. Das Risiko senkt sich für den einzelnen Unternehmer durch Flächentarifverträge vielmehr dahingehend, dass er die Komponente der Arbeitskosten für andere Unternehmen und sich selber mittelfristig im nationalen Maßstab absehen kann und nicht noch mit dem Risiko der radikalen Lohnkürzung bei Konkurrenten kalkulieren muss. Folglich lässt sich die Aussage, dass niedrige Löhne zu höheren Gewinnen und damit automatisch zu mehr Investitionen und damit auch zu mehr Arbeitsplätzen führten, nicht aufrecht erhalten. (b) Die Internationalisierung der Wirtschaft Der zweite zentrale Bezugspunkt der Befürworter ist die Internationalisierung der Wirtschaft. Es wird argumentiert, dass die Wirtschaft sich immer internationaler gestalte und der Wettbewerbsdruck nicht mehr nur zwischen inländischen Unternehmen, sondern auch mit Unternehmen aus der ganzen Welt stattfinde. Die Gestaltung 329

Huffschmid, Finanzmärkte, S. 142 f. Huffschmid, Finanzmärkte, S. 143, Schaubild 22; Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik, Memorandum 2008, S. 74. 331 BMAS, Bericht der AG Arbeitsmarkt, S. 5. 332 IAQ-Report 2008 – 01, Universität Duisburg/Essen, S. 3. 333 Schnabl, Wirtschaftsdienst 2009, S. 155. 334 Schnabl, Wirtschaftsdienst 2009, S. 155. 330

II. Rechtfertigung von Eingriffen in Art. 9 Abs. 3 GG

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des Arbeitsmarktes in Deutschland sei ein Nachteil im internationalen Wettbewerb, wodurch inländische Unternehmen schlechter dastünden und damit Arbeitslosigkeit entstehe. Dies hebt zum einen auch auf die bereits behandelte Variante niedrigerer Löhne ab. Zum anderen betrifft diese Argumentation die Möglichkeit, vom Tarifvertrag abzuweichen, um auf regionale Erfordernisse einzugehen und damit Flexibilität zu gewährleisten. Geringere Löhne könnten dann einen Wettbewerbsvorteil mit sich bringen, wenn die Kapitalintensität und Arbeitsproduktivität sehr gering ist.335 Seit dem zweiten Weltkrieg gäbe es aber eine deutliche Zunahme an Kapitalintensität und auch an Produktivität.336 Die Unterschiede seien international so groß, dass das Argument der geringen Löhne keiner empirischen Grundlage zugesprochen werden kann bzw. lediglich marginale Bereiche betroffen sind.337 Dass Wettbewerb sich verändert, wenn er nicht mehr im Schwerpunkt national sondern europäisch oder international stattfindet, ist offensichtlich. Fraglich ist, ob die zutreffende Antwort darauf ist, vereinheitlichende Standards aufzugeben und für Flexibilität auf der untersten und damit auf der Betriebsebene zu sorgen. Auf Betriebsebene ist die Position der Arbeitnehmerseite schwächer als auf einer überbetrieblichen, so dass in der Folge die Löhne oder die Arbeitsbedingungen für die Arbeitnehmer schlechter ausfallen würden. Dass mag im Einzelfall zu einer Gewinnmaximierung für die Unternehmen führen, was jedoch erstens nicht in jedem Fall zu Realinvestitionen und Arbeitsplätzen führt und wo zweitens nicht ausgemacht ist, dass dies gesamtwirtschaftlich zu weniger Arbeitslosigkeit führt. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob der Wettbewerb zwischen Unternehmen über Löhne und Arbeitsbedingungen geführt werden sollte oder ob nicht vielmehr einheitliche Sozialstandards zu setzen sind und der Wettbewerb über Innovation und Produktivität auszutragen ist.338 Es lässt sich durchaus der Standpunkt vertreten, dass die Verfassung mit ihrer Gewährleistung der Tarifautonomie eine dahingehende Entscheidung getroffen hat und die Entwicklung auf internationaler Ebene nicht eine Aufkündigung einheitlicher Sozialstandards auf der Ebene des Flächentarifvertrags sondern vielmehr den politischen Einsatz für eine Entsprechung auf europäischer und internationaler Ebene erforderlich macht. (c) Der angebliche Konflikt zwischen Arbeitsplatzbesitzern und arbeitslosen Menschen Drittens wird von den Befürwortern damit argumentiert, dass in Tarifverhandlungen nur die Interessen der Arbeitsplatzbesitzer und nicht der arbeitslosen Menschen berücksichtigt werden würden. Zutreffend ist, dass im Falle von Tarifverhandlungen 335 336 337 338

Schoeller, FS Mattfeld, S. 156. Schoeller, FS Mattfeld, S. 156. Schoeller, FS Mattfeld, S. 157. Zu der Frage Däubler, FS Küttner, S. 538.

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E. Rechtfertigung des Eingriffs in die Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG

Personen mit Arbeitsplätzen die Verhandlungen führen, welche die Interessensvertretung der betroffenen Arbeitnehmern und damit von Arbeitsplatzbesitzern zum Ziel haben. Dies ist aber auch auf Ebene des Betriebes der Fall. Hier ließe sich sogar vertreten, dass die Angst vor Verlust des Arbeitsplatzes noch viel stärker wirkt als auf überbetrieblicher Ebene, auf der nicht die unmittelbar Betroffenen die Verhandlungen führen. Der Verweis auf den angeblichen Konflikt zwischen Arbeitsplatzbesitzer und arbeitslosen Menschen kann die Geeignetheit gesetzlicher Öffnungsklauseln zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit nicht begründen. (3) Historischer Rückblick Auch ein historischer Rückblick wirft Zweifel an der Geeignetheit vor. Der Gesetzgeber in Deutschland versuchte nämlich bereits nach der Weltwirtschaftskrise, die Anfang der dreißiger Jahre Deutschland traf, durch Aufhebung der zwingenden Wirkung von Tarifnormen die Massenarbeitslosigkeit in den Griff zu bekommen.339 Dies wurde mittels einer Verordnung des Reichspräsidenten durchgesetzt.340 Durch die Verordnung wurde ermöglicht, dass vom Tarifvertrag nach unten abgewichen werden konnte.341 Darüber hinaus konnte der Arbeitgeber einen Schlichter anrufen, wenn seiner Einschätzung nach die Erfüllung tarifvertraglicher Pflichten eine Gefährdung des Betriebes darstelle.342 Dementsprechend war die Kritik der Gewerkschaften, die einen Einbruch in die Tarifautonomie befürchteten, groß.343 Der Gesetzgeber hob bereits Ende 1932 die Verordnungen wieder auf.344 Teilweise wird vertreten, dass die Aufhebung mangels Erfolges hinsichtlich der Erhöhung der Beschäfti-

339

Maschmann, Tarifautonomie, S. 187. Verordnung zur Vermehrung und Erhaltung der Arbeitsgelegenheit vom 5. September 1932, RGBl I, S. 433 ff. 341 § 1 der Verordnung zur Vermehrung und Erhaltung der Arbeitsgelegenheit vom 5. September 1932, RGBl I, S. 433: „Werden in einem Betrieb oder in einer Betriebsabteilung mehr Arbeiter beschäftigt als am 15. August oder im Durchschnitt der Monate Juni, Juli und August 1932, so ist der Arbeitgeber ohne Änderung des Arbeitsvertrags berechtigt, während der Dauer der Erhöhung der Arbeiterzahl, jedoch nicht für die Zeit vor dem 15. September 1932, die jeweiligen tarifvertraglichen Lohnsätze für die einunddreißigste bis vierzigste Wochenarbeitsstunde zu unterschreiten. Der § 1 Abs. 1 der Tarifvertragsordnung findet insoweit keine Anwendung.“ 342 § 7 Verordnung zur Vermehrung und Erhaltung der Arbeitsgelegenheit vom 5. September 1932, RGBl I, S. 434: “Gefährdet der Erfüllung der dem Arbeitgeber obliegenden tarifvertraglichen Verpflichtungen die Weiterführung eines Betriebes oder seine Wiederaufnahme infolge besonderer, diesen Betrieb betreffender, außerhalb seines Einflusses liegender Umstände, so kann der Schlichter den Arbeitgeber ermächtigen, die tarifvertraglichen Lohn- und Gehaltssätze im bestimmten Umfang ohne Änderung des Arbeitsvertrags zu unterschreiten. Der § 1 Abs. 1 Tarifvertragsordnung findet insoweit keine Anwendung.“ 343 Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. VII, S. 1088 f. 344 Verordnung über die Aufhebung der Verordnung zur Vermehrung und Erhaltung der Arbeitsgelegenheit vom 14. 12. 1932, RGBl. I, S. 545. 340

II. Rechtfertigung von Eingriffen in Art. 9 Abs. 3 GG

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gung erfolgte.345 Teilweise gibt es aber auch die Auffassung, dass die ursprüngliche Verordnung politisch unhaltbar war und darüber hinaus die neue Verordnung mehr im Einklang mit der sonstigen sozialpolitischen Richtung gestanden hätte.346 Eine eindeutige Bewertung hinsichtlich der Geeignetheit gesetzlicher Öffnungsklauseln allein aufgrund dieser historischen Betrachtung wäre schon aufgrund von Zweifeln hinsichtlich der historischen Vergleichbarkeit fragwürdig. Zumindest lässt sich festhalten, dass der historische Rückblick mehr Zweifel an der Geeignetheit aufkommen lässt, als er die Geeignetheit empirisch belegen kann. (4) Stellungnahme Dem Gesetzgeber steht ein gewisser Einschätzungsspielraum zu. Angesichts der zahlreichen Auffassungen, welche gesetzliche Öffnungsklauseln als wirksames Mittel zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ablehnen oder bejahen, muss festgehalten werden, dass die Frage umstritten ist. Damit kann angesichts der daraus erwachsenen Unübersehbarkeit bzw. Prognoseunsicherheit eine evidente Ungeeignetheit nicht angenommen werden. b) Erforderlichkeit Das Gesetz müsste den Anforderungen an die Erforderlichkeit genügen. Erforderlich ist ein Mittel, wenn kein milderes und gleich geeignetes Mittel zur Erreichung des legitimen Ziels vorliegt.347 Das Mittel darf in zeitlicher, räumlicher, sachlicher und personeller Hinsicht nicht weiter gehen, als es notwendig ist.348 Es gibt zahlreiche Vorschläge, wie die Arbeitslosigkeit bekämpft werden kann und es herrschen unterschiedliche Meinungen darüber vor, wie wirksam die verschiedenen Maßnahmen sind. Es gibt Positionen, die ein geringeres Existenzminimum fordern, um den Druck zu erhöhen, einen Arbeitsplatz annehmen zu müssen.349 Auch eine Flexibilisierung des Kündigungsschutzes ist eine Forderung, die zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit genannt wird.350 Demgegenüber wird aber auch vertreten, dass eine qualitatives Wachstum, ein moderner Sozialstaat, ein Angebot von öffentlich geförderter und gemeinwohlorientierter Arbeit und eine moderne Arbeitszeitpolitik im Kampf gegen Arbeitslosigkeit erforderlich seien.351 345

Maschmann, Tarifautonomie, S. 187. Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. VII, S. 1184. 347 Hufen, Staatsrecht II, S. 122; Manssen, Staatsrecht II, Rn. 167; Epping, Grundrechte, Rn. 53. 348 Höfling, Jura 1994, S. 172. 349 So z. B. Weise in der Wirtschaftswoche vom 27. 09. 2008: „Aber man muss auch kritisch hinterfragen, ob der Anreiz, eine Arbeit oder Ausbildung anzunehmen, für diese jungen Menschen möglicherweise deshalb zu gering ist, weil die Regelsätze zu hoch ausfallen.“ 350 Grundsatzprogramm der CDU von 2007, S. 58. 351 Grundsatzprogramm der SPD von 2007. 53. 346

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E. Rechtfertigung des Eingriffs in die Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG

Hinsichtlich der Wirksamkeit von gesetzlichen Öffnungsklauseln könnte man auch auf den Rückgang der Arbeitslosigkeit im Jahre 2008 verweisen. So ist die Arbeitslosenquote im September 2008 im Vergleich zum Vorjahr um 2,2 Prozentpunkte auf 7,4 gesunken.352 Das Tarifvertragssystem ist in der Zeit nicht flexibilisiert worden und die Arbeitslosigkeit ist dennoch zurückgegangen. Dies zeigt deutlich, dass andere Faktoren entscheidend die Höhe der Arbeitslosigkeit zumindest beeinflussen. Zu berücksichtigen ist ferner, dass mit einer solchen gesetzlichen Regelung fortan jeder Tarifvertrag keine zwingende Wirkung entfaltet und zwar unabhängig davon, ob er die Beschäftigungslage gefährdet oder nicht. Es erscheint somit äußerst zweifelhaft, dass die Erforderlichkeit anzunehmen ist, da die Gestaltung des Tarifvertragssystems in keinem Fall die einzige Ursache von Arbeitslosigkeit ist und es folglich in jedem Fall eine Reihe von anderen Mitteln zur Herstellung von Beschäftigung gibt.353 Darüber hinaus gibt es heute schon die Möglichkeit der Abweichung vom Tarifvertrag durch tarifvertragliche Öffnungsklauseln.354 Derzeit ist lediglich die Zustimmung der Tarifvertragsparteien erforderlich. Mit diesem Instrument können in einem tariflich vorgegebenen Rahmen bereits mit der geltenden Gesetzeslage „individuelle betriebliche Anpassungen“ vorgenommen werden.355 Darüber hinaus besteht schon heute die Möglichkeit den spezifischen Bedürfnissen eines Unternehmens durch den Abschluss eines Firmentarifvertrags Rechnung zu tragen.356 Es liegt jedoch im Rahmen des Einschätzungsspielraums des Gesetzgebers zu beurteilen, inwieweit das in Frage stehende Mittel der gesetzlichen Öffnungsklauseln notwendig ist bzw. ob es gleich geeignete Instrumente gäbe, welche die gleiche Wirkung hätten. Angesichts der Prognoseunsicherheit und der aus der Vielfalt der Meinungen erwachsenen Unübersehbarkeit lässt sich zumindest nicht festhalten, dass gesetzlichen Öffnungsklauseln evident eine mildere, aber gleich geeignete Maßnahme gegenübersteht. c) Angemessenheit Fraglich ist, ob die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne, d. h. die Angemessenheit, eines solchen Gesetzes vorliegen würde. Die beiden Rechtsgüter sind nicht gegeneinander auszuspielen, sondern beide so zu zuordnen, dass sie möglichst optimale Wirksamkeit erlangen.357 Die mit den widerstreitenden Verfassungsinhalten verknüpften Interessen sind einander gegenüberzustellen und im Hinblick auf die über-

352

Bundesagentur für Arbeit, Arbeits- und Ausbildungsmarkt, S. 15. Maschmann, Tarifautonomie, S. 187 f. 354 Küppers, Gerechtigkeit in der modernen Arbeitsgesellschaft, S. 315 f. 355 Schulze-Doll, Kontrollierte Dezentralisierung, S. 187. 356 Däubler, AuR 2005, S. 4. 357 Hufen, Staatsrecht II, S. 129; zur Frage der Rangordnung zwischen den Verfassungswerten s. Rusteberg, Grundrechtlicher Gewährleistungsgehalt, S. 52 ff. 353

II. Rechtfertigung von Eingriffen in Art. 9 Abs. 3 GG

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prüften Vorschriften abzuwägen.358 Das Bundesverfassungsgericht führt aus, dass die beiden verfassungsrechtlich geschützten Interessen in einen verhältnismäßigen Ausgleich gebracht werden müssen.359 Dies bedeutet in der Folge, dass nicht übermäßig in ein vorbehaltloses Grundrecht eingegriffen werden darf und gleichzeitig auch die staatliche Handlungspflicht nicht über Gebühr zu vernachlässigen ist.360 „Für Eingriffe in grundrechtlich geschützte Freiheiten ist zu fordern, dass bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht und der Dringlichkeit der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt bleibt, die Maßnahme also die Betroffenen nicht übermäßig belastet.“361 Darüber hinaus wird gefordert, dass „das Maß der den Einzelnen (…) treffenden Belastung noch in einem vernünftigen Verhältnis zu den der Allgemeinheit erwachsenden Vorteilen“ steht.362 Angemessen ist ein Gesetz, wenn im Rahmen einer Abwägung die mit dem Eingriff bezweckten Ziele die Ausübung der grundrechtlichen Freiheit überwiegen.363 Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung spielt die Sachnähe der Tarifparteien zu dem Regelungsgegenstand eine zentrale Rolle. Die Tarifvertragsparteien sind nach den Art. 9 Abs. 3 GG zugrundeliegenden Vorstellungen besser in der Lage, die gegenseitigen Interessen in einen angemessen Ausgleich zu bringen.364 Je mehr es sich um einen Gegenstand handele, den die Tarifparteien angemessen regeln könnten, nehme die Wirkkraft der Tarifautonomie zu.365 Hinsichtlich der gesetzlichen Öffnungsklauseln ist nicht in inhaltlicher Hinsicht fraglich, wie groß die Sachnähe zu den Tarifparteien ist. Hier steht in Frage, ob die Ermöglichung betrieblicher Abweichungen vom Tarifvertrag ohne Zustimmung der Tarifpartner als sachnah zu beurteilen ist. Es betrifft den Kern der Kompetenzen der Tarifparteien, da zur Disposition steht, ob die Tarifvertragsparteien weiterhin die Möglichkeit haben, im Rahmen von Tarifverträgen zwingende Vereinbarungen zu treffen. Bei Eingriffen in die autonome Verhandlung von Tarifverträgen ist die Wirkkraft des Grundrechts als besonders erheblich zu bezeichnen,366 so dass eine sehr große Sachnähe vorliegt. Zum anderen ist die Intensität des Eingriffs zu untersuchen. Ein Eingriff wirke umso intensiver, je mehr tarifliche Regelungen in dem Bereich üblich seien und am stärksten, wenn bereits bestehende tarifliche Vereinbarungen verdrängt werden.367 Hier muss differenziert werden zwischen den verschiedenen Vorschlägen, die von einer grundsätzlichen Übertragung der Kompetenz zum Abschluss von Tarif358 359 360 361 362 363 364 365 366 367

Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2, § 81 IV 5 e) a, S. 564. BVerfGE 28, 243, 261. Epping, Grundrechte, Rn. 85. BVerfGE 83, 1, 19. BVerfGE 76, 1, 51. Höfling, Jura 1994, S. 172; Michael, JuS 2001, S. 658. BVerfGE 94, 268, 285; 100, 271, 283 f. BVerfGE 94, 268, 285. Dieterich, in: Erfurter Kommentar, Art. 9, Rn. 88. BVerfGE 100, 271, 286. BVerfGE 94, 268, 285; Dieterich, in: Erfurter Kommentar, Art. 9, Rn. 88.

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E. Rechtfertigung des Eingriffs in die Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG

verträgen auf die Betriebsebene und der Abweichung vom Tarifvertrag in definierten Einzelfällen gehen. Die Intensität ist bei Vorschlägen, die eine Abweichung nur in bestimmten Einzelsituationen erlauben, geringer. Nichtsdestotrotz wäre aber auch dort die Konsequenz, dass zwingende tarifliche Vereinbarungen nicht mehr möglich sind. Die Geltung von Tarifnormen stünde zur Disposition der Betriebsparteien, so dass insgesamt von einer sehr starken Intensität auszugehen ist. Je größer der Schutz durch Art. 9 Abs. 3 GG ist, desto schwerwiegender müssen die Gründe für einen Eingriff sein.368 Aufgrund der hohen Intensität und Sachnähe des Eingriffs sind folglich schwerwiegende Gründe erforderlich. Die Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit hat Verfassungsrang. Die Bedeutung dieses Anliegens ist als hoch zu bewerten. Erwerbsarbeit stellt für den Großteil aller in unserer Gesellschaft lebenden Menschen die materielle Existenzgrundlage dar. Neben der materiellen Komponente spielt Erwerbsarbeit für das Selbstwertgefühl der meisten Menschen eine zentrale Rolle.369 Für das Individuum ist der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit als sehr bedeutsam zu bewerten. Auch für die Gesellschaftsorganisation ist Erwerbsarbeit entscheidend. Beispielsweise sind die sozialen Sicherungssysteme darauf angelegt, dass eine hohe Beschäftigungsquote erreicht wird. Die Bedeutung der Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit ist hoch zu bewerten. Unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips darf der Eingriff jedoch nicht so weit gehen, dass die Tarifautonomie funktionsunfähig wird.370 So führt das Bundesverfassungsgericht aus, dass „Beschränkungen der Tarifautonomie“ nur dann zulässig sind, wenn die Tarifautonomie „im Prinzip erhalten und funktionsfähig bleibt“.371 Die Tarifautonomie müsse als ein Bereich geschützt sein, in welchem beide Parteien ohne staatliche Einflussnahme und grundsätzlich selbstverantwortlich ihre Belange regeln können.372 So heißt es: „Ihre Funktionsfähigkeit darf nicht gefährdet werden. Die Koalitionen müssen ihren verfassungsrechtlich anerkannten Zweck, die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ihrer Mitglieder zu wahren und zu fördern, insbesondere durch den Abschluss von Tarifverträgen erfüllen können.“373 Zu klären ist, was zur Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie gehört. Kern der Tarifautonomie ist die Vereinbarung von Normen, die für beide Tarifparteien verbindlich gelten.374 Der Tarifautonomie liegt der Gedanke zugrunde, dass nur durch eine Kollektivierung der Interessen die strukturelle Unterlegenheit der Arbeitnehmer ausgeglichen werden kann. „Funktionsfähig ist die Tarifautonomie folglich nur, solange zwischen den Tarifvertragsparteien ein ungefähres Kräftegleichgewicht – Parität – 368

BVerfGE 94, 268, 284; 100, 271, 284; Gneiting, in: Umbach/Clemens, Art. 9, Rn. 145. BVerfGE 100, 271, 287 f. 370 BVerfGE 50, 290, 373; 92, 365, 394; Däubler, in: ders., TVG, Einleitung B, Rn. 137; Meisen, Koalitionsfreiheit, S. 94. 371 BVerfGE 50, 290, 373. 372 BVerfGE 92, 365, 394. 373 BVerfGE 92, 365, 394 f. 374 Kemper, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 9, Rn. 144. 369

II. Rechtfertigung von Eingriffen in Art. 9 Abs. 3 GG

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besteht.“375 Dabei ist insbesondere entscheidend, ob die Möglichkeit des wirksamen Arbeitskampfes zur Durchsetzung der jeweiligen Interessen vorhanden ist.376 Verlagert man die Entscheidung, ob die Normen des Tarifvertrags Geltung beanspruchen, auf die Betriebsparteien, muss folglich geprüft werden, ob diese die Möglichkeit des Arbeitskampfes haben. Weder die Belegschaft noch der Betriebsrat haben die Rechte zum Arbeitskampf. Im geltenden System wäre Parität zwischen der Betriebsebene und dem Arbeitgeber nicht herstellbar. Wenn die Belegschaft oder der Betriebrat mit Rechten zum Arbeitskampf ausgestattet werden würden, könnte zwar an eine mögliche Parität gedacht werden, liegt sie jedoch faktisch aufgrund der einseitigen Abhängigkeit der Arbeitnehmer von ihrem Arbeitgeber nicht vor.377 Die Existenz einer „Betriebsgewerkschaft“ ist unmittelbar von den Personalentscheidungen des konkreten Arbeitgebers abhängig.378 Osterhammel weist mit Blick auf die geschichtliche Entstehung des geltenden Tarifvertragssystems auf ein Paradox hin: „Erst die Einschränkung der Freiheit des Marktes durch Bildung von Verhandlungsmonopolen auf Arbeiterseite gab dem Einzelnen Freiheit von den Machtmitteln der Käufer von Arbeitskraft, vor allem der Möglichkeit, die um Beschäftigung konkurrierenden Arbeiter gegeneinander auszuspielen und kurzfristig zu kündigen.“379 Die unmittelbare Abhängigkeit wird im Falle der überbetrieblichen Organisation eben durch diese Überbetrieblichkeit und die damit nicht unmittelbar mögliche Erpressbarkeit kompensiert. Genau dieser Gesichtspunkt wird auch von den Befürwortern gesetzlicher Öffnungsklauseln gesehen. Ein Argument für Flächentarife sei die Herstellung sozialen Friedens und damit eine geringere Streikbereitschaft der Arbeitnehmer gewesen.380 „Der Gesetzgeber hat ganz gezielt das Regelungsmonopol zu Gunsten der Tarifparteien, insbesondere zum Schutz der Gewerkschaften, installiert.“381 Die Einschätzung ist, dass „die Bereitschaft der Arbeitnehmer, Konflikte auf betrieblicher Ebene eskalieren zu lassen, mit weltweit offeneren Güter- und Faktormärkten weiter“ zurückgehe.382 Unternehmen könnten heute schon leichter, die Möglichkeit wählen, ihr Unternehmen ins Ausland zu verlagern.383 Faktisch wird mit diesen Erwägungen aufgrund der internationalen Arbeitsteilung eine Verschiebung im Kräfteverhältnis Arbeitnehmer und Arbeitgeber wahrgenommen und aus dieser Verschiebung das unternehmerische Risiko für eine Verlagerung auf Betriebsebene als geringer eingestuft. Diese 375

BVerGE 92, 365, 395. BVerfGE 92, 365, 295. 377 Siehe B. III. 3. c) e) ff) (c). 378 Kempen, in: Kempen/Zachert, TVG, § 2, Rn. 65; Dütz, Arbeitsrecht, Rn. 466; Hanau/ Adomeit, Arbeitsrecht, Rn. 173. 379 Osterhammel, Verwandlung der Welt, S. 1008. 380 Berthold, Bitburger Gespräche 1998, S. 29 f. 381 Buchner, RdA 1998, S. 270. 382 Berthold, Bitburger Gespräche 1998, S. 30. 383 Berthold, Bitburger Gespräche 1998, S. 30. 376

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E. Rechtfertigung des Eingriffs in die Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG

Beobachtung könnte auch dazu führen, dass daraus der Schluss gezogen wird, dass die momentane Schwächung der Arbeitnehmer kompensiert werden muss, um eine gleichgewichtige Lage zwischen den beiden Seiten beizubehalten. Stattdessen wird mit der Forderung nach gesetzlichen Öffnungsklauseln eine Maßnahme diskutiert, mit der dieser Trend sogar verstärkt werden würde. All dies zeigt deutlich, dass die Frage der Parität nicht nur aktuell bleibt, sondern vielmehr verstärkt in Gefahr steht. Ein Tarifvertrag gestaltet sich meist nicht nach einem gerechten Empfinden oder der Sinnhaftigkeit sondern ist eine Frage der Macht.384 Aus diesem Grund ist die Frage des Gleichgewichts und der Parität auch eine, die im Rahmen der Tarifautonomie eine derart zentrale Rolle einnimmt. Wenn die Gleichgewichtslage nicht mehr gegeben ist, kann von einer funktionsfähigen Tarifautonomie nicht mehr gesprochen werden. Schließlich basiert die Tarifautonomie auf zwei Partnern die autonom und selbstbestimmt, Vereinbarungen miteinander aushandeln. Ist die eine Seite nicht mehr selbst-, sondern aufgrund des Machtungleichgewichts fremdbestimmt, kann hiervon nicht mehr die Rede sein. Der Arbeitgeber kann seine Verhandlungspartner entlassen. Die Arbeitnehmerseite kann dies nicht. Die Kompensation dieser ungleichen Situation wird durch die Überbetrieblichkeit vorgenommen. Auf Betriebsebene kann es aufgrund dieser Abhängigkeit weder durch den Betriebsrat noch durch die Belegschaft eine Seite geben, die wie eine überbetriebliche Gewerkschaft gleichgewichtig mit dem Arbeitgeber verhandeln kann. Wenn die Kompetenz, über die Geltung von Tarifnormen zu befinden, auf die Betriebsebene verlagert würde, ginge dies mit einer Verletzung des Erfordernisses der Parität einher. Wenn keine Parität mehr vorhanden ist, ist die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie nicht mehr gegeben. Dann ist der Eingriff nicht angemessen, da mit ihm die Tarifautonomie funktionsunfähig wird.

3. Ergebnis Gesetzliche Öffnungsklauseln sind nicht angemessen. Die Abschaffung des zwingenden Charakters von Tarifnormen bzw. die Verlagerung der Kompetenzen der Tarifvertragsparteien auf die Betriebsebene stellt einen Eingriff dar. Der Eingriff in das Grundrecht auf Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG kann nicht gerechtfertigt werden, da die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie mit einer solchen Regelung beseitigt werden würde. Eine solche Regelung stünde hiernach nicht im Einklang mit der Verfassung. 384

Steiner, NZA 2005, S 661: „Bemerken möchte ich nur, dass das BVerfG nicht so naiv ist zu glauben, dass die Lohn- und Entgeltfindung auf dem Arbeitsmarkt nur eine Frage der ökonomischen Wahrheit und das Ergebnis der Suche nach einer sozial gerechten Arbeitsordnung ist und nicht auch eine Frage der Macht.“

F. Zusammenfassung in Thesen Im Folgenden werden die Ergebnisse der Untersuchung knapp in Thesen zusammengefasst:

I. Schutz des zwingenden Charakters der Tarifnormen 1. Auch wenn der Schutz der Koalitionen durch Art. 9 Abs. 3 GG weder als Institutsgarantie noch als Sachverhaltsgarantie oder als institutionelle Garantie ausgestaltet ist, stellt Art. 9 Abs. 3 GG ein Doppelgrundrecht dar, das die individuelle und die kollektive Koalitionsfreiheit schützt. Davon sind der Schutz aller koalitionsspezifischen Betätigungen und damit auch der Schutz der Tarifautonomie umfasst. 2. Die Tarifautonomie als Institutsgarantie unterliegt der gesetzgeberischen Ausgestaltung. Die grundrechtsdogmatische Unterscheidung von Eingriff und Ausgestaltung ist anhand der Unterscheidung zwischen natürlichem und normativem Schutzbereich vorzunehmen. Ist der natürliche Schutzbereich betroffen, liegt stets ein Eingriff vor. Normativgeprägte Grundrechte sind im Gegensatz zu natürlichen Grundrechten auf gesetzgeberisches Handeln zur Gewährleistung ihres Schutzumfanges angewiesen. 3. Die Tarifautonomie unterfällt dem normativen Schutzbereich. Die Tarifautonomie lässt sich nicht vorstaatlich begründen. Der normative Charakter von Tarifvereinbarungen ist ohne gesetzgeberisches Handeln nicht möglich und kann auch nicht durch das Handeln privat-autonomer Subjekte begründet werden. Die Normsetzungsbefugnis der Tarifparteien beruht auf der Gewährleistung eines einfach-gesetzlichen Tarifvertragssystems. 4. Der normative Gestaltungsspielraum für die gesetzgeberische Ausgestaltung ist nicht grenzenlos, sondern muss sich am Gehalt des jeweiligen Grundrechts orientieren. Dies bedeutet, dass eine Regelung lediglich dann als Ausgestaltung zu behandeln ist, wenn sie den objektiv-rechtlichen Gehalt der Koalitionsfreiheit nicht verletzt. Anderenfalls handelt es sich um einen Eingriff in das jeweilige Grundrecht. 5. Die Koalitionen haben die Aufgabe, den in Art. 9 Abs. 3 GG vorgegebenen Zweck der Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu verfolgen. Das Begriffspaar der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ist als funktionale Einheit zu betrachten und erstreckt sich auf alle Fragen, welche die abhängige Arbeit

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F. Zusammenfassung in Thesen

im Betrieb betreffen. Ausgestaltende Regelungen müssen stets gewährleisten, dass die Koalitionen speziell diesen Zweck verfolgen können. 6. Art. 9 Abs. 3 GG ist aufgrund der Abhängigkeit von den gesellschaftlichen Entwicklungen im Bereich des Arbeitslebens ein entwicklungsoffenes Grundrecht. Das Verhältnis zwischen der notwendigen Dynamik im Verständnis der Norm und dem notwendig festen Rahmen der Verfassung kann nicht abstrakt sondern nur konkret bestimmt werden. Die seit Jahren zu beobachtende Massenarbeitslosigkeit, die Globalisierungsprozesse, die Strukturveränderungen auf dem Arbeitsmarkt, die demographische Entwicklung sowie der Wertewandel wirken auf das gesamte Arbeitsleben. Deren Wirkung auf Art. 9 Abs. 3 GG muss hinsichtlich des konkreten Einzelfalls untersucht werden 7. Zu den Aufgaben, die der Tarifautonomie zugeschrieben werden, gehören: eine Friedensfunktion, die Selbstbestimmung der Koalitionen und die Entlastung des Gesetzgebers, eine Verteilungsfunktion, eine Kartellwirkung, eine Ordnungsfunktion sowie der Ausgleich der strukturellen Unterlegenheit der Arbeitnehmer. 8. Der zwingende Charakter der Tarifnormen dient insbesondere dem Zweck, das strukturelle Ungleichgewicht der Arbeitnehmer im Verhältnis zum Arbeitgeber durch kollektives Handeln auszugleichen. Die Ausgleichsfunktion zur Herstellung eines Verhandlungsgleichgewichts ist auch in anderen Rechtsgebieten anerkannt. Im Bereich des Zivilrechts findet die Ausgleichsfunktion ihre verfassungsrechtliche Begründung in der Gewährleistung selbstbestimmten Handelns im Rahmen der Privatautonomie aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 und Art. 28 Abs. 1 GG. Privatautonomie setzt voraus, dass sich zwei Seiten auf gleicher Ebene gegenüberstehen und selbstbestimmt einen Vertrag abschließen können. Liegt eine so starke Unterlegenheit einer Seite vor, dass sie nicht mehr selbst- sondern fremdbestimmt handelt, ist gesetzgeberisches Handeln zur Herstellung einer Parität zwischen beiden Seiten notwendig. 9. Aufgrund der existentiellen Abhängigkeit des Arbeitnehmers von seinem Arbeitsplatz, dem Drang in einem marktwirtschaftlichen System zur ständigen Rationalisierung und dem derzeitigen faktischen Überangebot von Arbeitskräften gibt es eine strukturelle Ungleichheit der Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber. Auch wenn die Auswirkungen der konstant hohen Massenarbeitslosigkeit, der Globalisierung, der Strukturveränderungen, der demographischen Entwicklung und des Wertewandels auf den Bereich des Arbeitslebens als erheblich bezeichnet werden können, haben sie doch nicht das Verhältnis der strukturellen Ungleichgewichtigkeit zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber aufgehoben. Ein Zweck der Tarifautonomie ist damit noch immer der Ausgleich dieses Ungleichgewichts. 10. Der einzelne Arbeitnehmer soll durch kollektives Handeln vor der Unterlegenheitsposition bewahrt werden, in der er sich allein gegenüber dem Arbeitgeber befinden würde. Wenn die Geltung kollektiv vereinbarter Normen durch die Aufhebung des zwingenden Charakters von Tarifnormen zur Disposition des einzelnen Arbeitnehmers stünde, würde dies dem Schutzzweck der Tarifautonomie diametral entge-

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genlaufen. Aus der teleologischen Auslegung ergibt sich folglich, dass der zwingende Charakter von Tarifnormen durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützt ist. 11. Der zwingende Charakter von Tarifnormen ist verfassungsrechtlich durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützt. Eine gesetzliche Regelung, die den zwingenden Charakter aufheben würde, berührt den objektiv-rechtlichen Gehalt der Koalitionsfreiheit und unterfällt damit nicht mehr der Ausgestaltung. Sie tangiert den verfassungsrechtlich geschützten Betätigungsbereich der Koalitionen – die Tarifautonomie – und muss den Anforderungen an einen Eingriff genügen.

II. Überbetrieblichkeit als Erfordernis des Art. 9 Abs. 3 GG 12. Die historische Auslegung ergibt weder, dass Art. 9 Abs. 3 GG lediglich überbetriebliche Koalitionen schützen wollte, noch das Gegenteil. Bereits zu Zeiten der Weimarer Republik war die Frage in der juristischen Fachwelt umstritten. Aus den Beratungen zum Grundgesetz können keine Rückschlüsse hinsichtlich der Überbetrieblichkeit gezogen werden. Mit dem Wortlaut und einer systematischen Auslegung lässt sich das Erfordernis der Überbetrieblichkeit ebenfalls nicht begründen. 13. Ergiebiger ist die teleologische Auslegung: Zweck der Tarifautonomie ist der Ausgleich der strukturellen Unterlegenheit durch kollektives Handeln. Um dies zu gewährleisten, muss eine Parität zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern hergestellt werden. 14. Im (geltenden) Tarifvertrags- und Betriebsverfassungssystem ist ein Verhältnis der Parität nur auf überbetrieblicher Ebene möglich, so dass eine gesetzliche Regelung, nach der die Kompetenzen auf die Betriebsparteien verlagert werden, dem Zweck der Tarifautonomie nicht gerecht werden würde und den Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG beeinträchtigen würde. Weder Betriebsrat noch Belegschaft haben Kampfmittel zur Verfügung, so dass es schon am Vorliegen der gleichen Kampfmittel und damit der formalen Parität scheitert. Darüber hinaus besteht auch nach dem normativen Paritätsbegriff keine Parität, da es an der rechtlichen Gleichordnung angesichts des Fehlens von Kampfmitteln auf der Arbeitnehmerseite fehlt. Und auch nach dem materiellen Paritätsbegriff liegt eine Parität nicht vor, da von einem faktischen Gleichgewicht angesichts einer strukturellen Unterlegenheit der Arbeitnehmer und einem Fehlen von Kampfmitteln zur Interessendurchsetzung nicht ausgegangen werden kann. Parität ist aber notwendig, um dem Ungleichgewicht entgegenzuwirken. 15. Parität würde auch nicht erreicht, wenn es eine Betriebspartei gäbe, die mit den Rechten einer Gewerkschaft ausgestattet würde. Grundsätzlich stellt sich die Frage, ob eine derartige Regelung noch Sinn machen würde, da es die Möglichkeit des Haustarifvertrags bereits gibt. Die Beispiele Bundespost und Bundesbahn sind ebenso

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nicht verallgemeinerbar, weil es sich in beiden Fällen um abgeschlossene und staatlich organisierte Wirtschaftsbereiche handelt. Parität ist auf Betriebsebene nicht herstellbar. Die Betriebspartei ist unmittelbar von der Gegnerseite abhängig. Auch wenn der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber nicht allein gegenübersteht, kann der Arbeitgeber entlassen oder den Lohn kürzen. Weder der Betriebsrat noch die Belegschaft können jedoch den Arbeitgeber entlassen. Um dieser Abhängigkeit entgegenzuwirken, gibt es die Kollektivierung auf überbetrieblicher Grundlage. Auf Betriebsebene kann dieser Abhängigkeit nicht wirksam begegnet werden. 16. Nach Art. 9 Abs. 3 GG müssen Koalitionen überbetrieblich organisiert sein, da sie ihrem Zweck des Ausgleichs der strukturellen Unterlegenheit sonst nicht nachkommen können. Eine gesetzliche Regelung, welche die Kompetenz zum Abschluss von Tarifverträgen auf die betriebliche Ebene verlagert, beeinträchtigt den Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG.

III. Vorgaben des europäischen und internationalen Rechts 17. Internationales und europäisches Recht wirken in verschiedenen Dimensionen auf das nationale Recht. Deren Berücksichtigung führt aber nicht zu einem anderen Verständnis von Art. 9 Abs. 3 GG hinsichtlich der Überbetrieblichkeit und des zwingenden Charakters von Tarifnormen. 18. Weder der EUV noch der EGVenthalten einen geschriebenen Grundrechtskatalog. Die vom EuGH entwickelten allgemeinen Grundsätze mit Verfassungsrang haben primärrechtlichen Charakter. Hierzu gehört auch die Koalitionsfreiheit. Jedoch ist deren Reichweite Sache des nationalen Gesetzgebers, so dass auf die Prüfung nationaler Regelungen zu verweisen ist. 19. Die EMRK ist ein multilateraler Vertrag. Dieser hat in Deutschland zwar formal nur den Rang eines einfachen Gesetzes, ist aber bei der Auslegung von Grundrechten zu berücksichtigen. Art. 11 EMRK schützt die Koalitionsfreiheit. Jedoch ist die Bestimmung der Art und Weise des Schutzes Sache der einzelnen Staaten, so dass aus der EMRK keine Rückschlüsse für die Frage der Überbetrieblichkeit oder des zwingenden Charakters von Tarifnormen gewonnen werden können. 20. Wenn der Lissabonner Vertrag in Kraft tritt, wird die Grundrechtscharta gelten. In dieser wird die Koalitionsfreiheit in Art. 12 GRC geschützt und in Art. 28 GRC das Recht zum Abschluss von Tarifverträgen. Letzterer sichert aber lediglich, dass durch die Grundrechtscharta das jeweilige nationale Schutzniveau auf europäischer Ebene gewährleistet wird. Maßstab sind folglich die nationalen Normen und damit die Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG. 21. Im Rahmen der Auslegung nationaler Normen ist die Europäische Sozialcharta zu berücksichtigen, die in Art. 6 ESC die Koalitionsfreiheit schützt. Die Charta for-

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dert jedoch lediglich ein Mindestmaß an Schutz ein, aus dem sich nicht der Schutz der Überbetrieblichkeit oder des zwingenden Charakters von Tarifnormen entnehmen lässt. 22. Die Gemeinschaftscharta, die in Titel I Nr. 12 GSC das Recht auf Tarifverhandlungen enthält, stellt lediglich eine politische Erklärung dar, der kein rechtsverbindlicher Charakter zukommt. 23. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte enthält die Koalitionsfreiheit in Art. 23 AEMR. Sie ist jedoch eine Deklaration ohne rechtliche Verbindlichkeit. 24. Der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR) und der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (IPWSKR) begründen unabhängig von der Frage subjektiver Rechte völkerrechtliche Verpflichtungen der Vertragsstaaten. Art. 8 IPWSKR schützt aber lediglich ein Mindestmaß zur Gewährleistung der Koalitionsfreiheit, dem hinsichtlich der Auslegung in Bezug auf den zwingenden Charakter der Tarifnormen oder die Überbetrieblichkeit nichts entnommen werden kann. 25. Die ILO-Übereinkommen verpflichten nach Ratifizierung wie ein völkerrechtlicher Vertrag. Das Übereinkommen Nr. 87 schützt die Koalitionsfreiheit allgemein, aber geht nicht über das Schutzniveau hinaus, das durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistet ist. Im Übereinkommen Nr. 98 ist das Recht auf Kollektivverhandlungen geschützt. Auch hier ist jedoch nicht von einem höheren Schutzgehalt als in Art. 9 Abs. 3 GG auszugehen, so dass sich hinsichtlich der Überbetrieblichkeit und des Charakters der Tarifnormen keine zwingenden Vorgaben aus den Übereinkommen entnehmen lassen.

IV. Rechtfertigung des Eingriffs in die Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG 26. Eine gesetzliche Regelung, die gesetzliche Öffnungsklauseln ermöglicht, stellt nach dem klassischen und dem modernen Eingriffsbegriff einen Eingriff in den Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG dar. 27. Art. 9 Abs. 3 GG ist ein vorbehaltlos gewährleistetes Grundrecht, auf das entgegen teilweise vertretener Ansicht in der Literatur weder die Schranke des Art. 9 Abs. 2 GG noch des Art. 2 Abs. 1 GG oder des Art. 5 Abs. 2 GG anwendbar ist. Die Koalitionsfreiheit als Grundrecht kann eine Beschränkung nur in der Verfassung selber finden, so dass auch die Schranke eines Gemeinschaftsvorbehalts abzulehnen ist. Art. 9 Abs. 3 GG ist nur durch verfassungsimmanente Schranken, d. h. durch Grundrechte und durch Rechtsgüter mit Verfassungsrang, einschränkbar. 28. Konkret liegen keine Grundrechte Dritter vor, mit denen eine Einschränkung gerechtfertigt werden könnte. Weder die Wettbewerbsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG,

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die Unternehmensfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG, das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb aus Art. 14 Abs. 1 GG noch ein Berufen von Arbeitnehmern auf Betriebsebene auf Art. 9 Abs. 3 GG oder Art. 2 Abs. 1 GG sind als Schranke einschlägig. 29. Rechtsgüter mit Verfassungsrang, die mit der Koalitionsfreiheit kollidieren, sind in zahlreichen Fällen sowohl von der Rechtsprechung als auch von der Literatur angenommen worden. Allgemeine Grundsätze zur Bestimmung eines solchen Gutes, die für den Fall der Koalitionsfreiheit Anwendung finden könnten, können aus der Kasuistik nicht abstrahiert werden. 30. Aus den Gesetzgebungskompetenzen nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 11, 12 GG sowie dem Ziel des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts nach Art. 109 Abs. 2 GG kann kein Gut mit verfassungsrechtlichen Rang begründet werden, das einen Eingriff in die Koalitionsfreiheit rechtfertigen könnte. Die Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit stellt ein Gut mit verfassungsrechtlichem Rang dar, das sich aus dem Sozialstaatsgebot (Art. 20 Abs. 1 GG) in Verbindung mit der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG), der freien Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG), der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) und dem gesamtwirtschaftlichen Gleichgewicht (Art. 109 Abs. 2 GG) normativ herleiten lässt. 31. Die Koalitionsfreiheit und die Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit müssen im Wege praktischer Konkordanz in Einklang gebracht werden. Der Eingriff in die Koalitionsfreiheit ist als gerechtfertigt anzusehen, wenn er dem Gebot der Verhältnismäßigkeit entspricht. 32. An der Geeignetheit gesetzlicher Öffnungsklauseln zur Senkung der Arbeitslosigkeit bestehen erhebliche Zweifel. Ein zentrales Argument der Befürworter gesetzlicher Öffnungsklauseln ist die Möglichkeit, vom hohen Lohnniveau der Tarifverträge abweichen zu können. Löhne sind aber nicht nur ein Kostenfaktor sondern auch ein relevanter Faktor für die Nachfrage auf den Absatzmärkten. Die Bedeutung der binnenkonjunkturellen Nachfrage wird gerade in der Krise deutlich. Die Löhne sind in den letzten Jahren äußerst gering gestiegen. Geringere Löhne sind kein Garant für mehr Arbeitsplätze, da mehr Gewinn nicht in Realinvestitionen und Arbeitsplätze fließen muss. Für gesetzliche Öffnungsklauseln wird des Weiteren auf die Internationalisierung der Wirtschaft verwiesen. Für die Binnenkaufkraft sind hohe Löhne auch trotz der Globalisierung ein entscheidender Faktor. Außerdem ist es nicht zwingend sondern eine politische Entscheidung, internationale Konkurrenz über Löhne und nicht durch die Gewährleistung einheitlicher Sozialstandards auszutragen. Entscheidend ist jedoch, auf wessen Einschätzung abzustellen ist. Die Frage der Wirtschafts- und Arbeitsordnung betrifft Politik im engeren Sinne, so dass von einer erheblichen Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers auszugehen ist. Auch bei erheblichen Zweifeln kann diese nur bei evidenter Ungeeignetheit dem Gesetzgeber genommen werden. Diese kann angesichts der Vielfalt der Positionen und der daraus

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erwachsenden Unübersehbarkeit bzw. der damit einhergehenden Prognoseunsicherheit nicht angenommen werden. 33. Gerade angesichts des Rückgangs der Arbeitslosigkeit im Jahre 2008 erscheint es fraglich, dass kein milderes und gleich geeignetes Mittel als gesetzliche Öffnungsklauseln zur Reduzierung der Arbeitslosigkeit gegeben ist. Darüber hinaus gibt es die Möglichkeit der betrieblichen Abweichung vom Tarifvertrag mit Zustimmung der Tarifvertragsparteien bereits heute. Jedoch ist auch diesbezüglich auf die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers zu verweisen. 34. Gesetzliche Öffnungsklauseln sind aber nicht angemessen. Die Sachnähe der Tarifparteien, in deren originäre Regelungskompetenz eingegriffen wird, ist groß. Außerdem ist die Intensität des Eingriffs für die Tarifparteien hoch, da in den Kenbereich ihres Handlungsrahmens eingegriffen wird. Die Sachnähe und die Intensität machen schwerwiegende Gründe zur Rechtfertigung notwendig. Die Bedeutung der Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit ist als hoch zu bewerten. Der Eingriff darf aber unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsprinzips nur so weit gehen, dass die Tarifautonomie funktionsfähig bleibt. Es muss gewährleistet sein, dass der verfassungsrechtliche Zweck der „Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ durch Koalitionen im Sinne des Art. 9 Abs. 3 GG verfolgt werden kann. Dem wird durch die Vereinbarung von Tarifnormen durch zwei gleichgewichtige Seiten nachgekommen. Genau dies würde aber beseitigt werden, da die Unterlegenheit der Arbeitnehmer durch kollektives Handeln auf überbetrieblicher Ebene nicht mehr ausgeglichen würde. Damit wäre die Parität zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht mehr gegeben und die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie beseitigt. 35. Trotz verschiedener gesellschaftlicher Einwirkungen auf das Feld der Tarifautonomie bleibt es Aufgabe der Tarifautonomie, der strukturellen Unterlegenheit der Arbeitnehmer im Verhältnis zu den Arbeitgebern durch kollektives Handeln entgegenzuwirken. Um diesem Zweck nachzukommen, sind die Überbetrieblichkeit der Koalitionen und der zwingende Charakter der Tarifnormen notwendig. Eine gesetzliche Regelung, die die Kompetenz der Tarifparteien auf die Betriebsebene verlagert, stellt einen Eingriff in Art. 9 Abs. 3 GG dar, der nicht gerechtfertigt werden kann. Betriebliche Abweichungen vom Tarifvertrag sind nur mit Zustimmung der Tarifparteien möglich.

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Sachwortverzeichnis Abhängigkeit, wirtschaftliche 116, 120 Abrede 35 Abwägung 54 Abwägungsformel 43 Abwehrrechte 62 AEMR 173 Allgemeine Gemeinschaftsgrundsätze 163 Allgemeine Handlungsfreiheit 110, 195 Allgemeines Persönlichkeitsrecht 183 Allgemeinverbindlichkeitserklärung 49 Arbeiterbewegung 108, 132 Arbeiterklasse 130 Arbeitgeberkoalitionen 82 Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen 54, 73, 80 Arbeitsbedingungen 118, 126 Arbeitsbeziehungen 91, 93, 107 Arbeitsförderungsgesetz-Entscheidung 51 Arbeitskampf 35, 37, 52, 73, 156 Arbeitskampffreiheit 37 Arbeitskampfmittel 151 Arbeitslosenquote 217 Arbeitslosenversicherung 199 Arbeitslosigkeit 92, 124, 159 Arbeitsnormenvertrag 86 Arbeitsordnung 86 Arbeitsorganisation – betriebliche 97 – fordistisch 97 – tayloristisch 97 Arbeitswelt 80 Ausgestaltung 48 Ausgestaltungsbedürftigkeit 54, 60 Ausgestaltungsbefugnis 60 Ausgestaltungserfordernis 51 Ausgleichsfunktion 124 Außenseiter 69 Aussperrung 38 Befriedung des Arbeitslebens 80 Befristete Arbeitsverhältnisse 97

Befristete Arbeitsverträge 52 Belegschaft 22, 125, 148, 226 Beruf 130 Betätigungsfreiheit 33 Betrieb 129 Betriebsgewerkschaft 158, 225 Betriebsparteien 21, 24, 125, 156 Betriebsrat 22, 125, 148, 226 Betriebsvereinbarung 17, 24, 144 Betriebsverfassungsrecht 69, 144 Billiglohnländer 92 Binnenmarktnachfrage 216 Bosman-Entscheidung 165 Bretton-Woods-System 95 Bundesbahn 156 Bundespost 156 Burda-Entscheidung 17 Bürgschaftsrecht 111 Delegationstheorie 70 Demographische Veränderungen 92, 99, 159 Demokratieprinzip 68, 201 Dienstleistungssektor 98 Doppelgrundrecht, 24 Dualismus 145 Eingriff 48, 179 Einkommensverteilung 123 Einrichtungsgarantien 200 Einschätzungsprärogative 73, 209 EMRK 165 Entwicklungsoffenheit 78, 145 Ermächtigungsnorm 197 Europäische Sozialcharta 170 Existenzsicherung 119, 202, 221 Feudalsystem 131 Finanz- und Wirtschaftskrise 93 Finanzmärkte 95 Firmentarifvertrag 222 Flächentarifvertrag 96, 106, 158, 219, 225

Sachwortverzeichnis Flexibilisierung 97, 211 Frauenerwerbstätigkeit 97 Freie Entfaltung 207 Freiheitsverständnis 65 Fremdbestimmung 117 Friedensfunktion 102, 145 Friedenspflicht 37 Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie 52, 73, 224 GATT 94 Gegnerunabhängigkeit 129, 157 Gelbe Gewerkschaften 135 Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte 173 Gemeinschaftsvorbehalt 186 Gemeinwohl 210 Gewährleistungsgehalt 37, 59 Gewerbebetrieb, eingerichteter und ausgeübter 193 Gewerbefreiheit 131 Gewerkschaften 82, 156 Globalisierung 91, 124, 159 Grundfreiheiten 161 Grundrechtsausgestaltung s. Ausgestaltung Grundrechtsbeeinträchtigung 48 Grundrechtsbetroffenheit 48 Grundrechtscharta 168 Grundrechtsverletzung 54 Gruppenarbeit 98 Günstigkeitsprinzip 18, 21 Handelsvertreter-Entscheidung 112 Handlungsgebot 57 Haustarifvertrag 158 ILO-Übereinkommen 176 Individualgrundrecht 35 Individualisierung 92, 100 Industrieverbandsprinzip 130 Institutionelle Garantie 31, 76 Institutsgarantie 32, 77 Integrationstheorie 68 Interessensgegensätze 51, 103 Internationaler Währungsfond 94 Internationalisierung 218 Investitionen 215, 218

263

IPBPR 174 IPWSKR 174 Kampfbedingungen 52 Kampfmittel 51 Kartellfunktion 104, 146 Kernbereich 44 Klassenzugehörigkeit 100 Koalitionen 28 Koalitionsfreiheit – individuelle 25, 29, 31 – kollektive 25, 30 – negative 41, 195 Koalitionsverbote 132 Kollektive Privatautonomie 69 Kompetenzbestimmung 197 Kräftegleichgewicht 52, 74, 109, 148 Krankenversorgung 198 Kündigung 113, 137, 221 Lebenssachverhaltsgarantie 31 Leiharbeit 97 Liberalisierung 95 Lohnbedingungen 80 Lohnentwicklung 217 Lohnpolitik 104, 213 Lohnquote 123, 217 Mandatarische Theorie 69 Marktwirtschaft 15, 119, 131, 217 Menschenwürde 66, 201, 207 Mitbestimmungsentscheidung 49 Niedriglohnsektor 218 Normalarbeitsverhältnis 97 Normenkomplex, einfach-gesetzlicher 55 Normsetzungsbefugnis 31, 67 Normziel 51 Notstandsgesetze 37 Notstandsverfassung 38 Objektiv-rechtlicher Gehalt 72 Öffnungsklauseln – betriebliche 20 – gesetzliche 20 – tarifliche 21, 24, 222 Optimierung 56 Ordnung des Arbeitslebens 80, 107, 147

264

Sachwortverzeichnis

Organisationsgrad 98, 101 Organisationsregelung 198 Originärtheorie 67 Parität 51, 73, 148, 225 – abstrakt-generell 154 – formell 149 – konkret 154 – materiell 152 – normativ 152 Partizipation 121 Praktische Konkordanz 209 Prinzipien 56 Privatisierung 157 Produktionsprozess 83 Produktivität 118, 214, 220 Räteorganisation 136 Rationalisierungen 122 Realsozialismus 91, 95 Rechtfertigung 180 Rechtsetzungsbefugnis 70 Rechtsgut mit Verfassungsrang 196 Rechtsstaatsprinzip 68, 201 Regeln 56 Regelungssystem, einfach-gesetzliches 67 Sachgruppenvergleich 21 Sachnähe 103, 210, 223 Sanktionstheorie 70 Schranke der Koalitionsfreiheit 180 Schranken-Schranke 38 Schwerpunktstreiks 124 Selbstbestimmung 30, 103, 110, 146 Selbstverwaltung, soziale 77 Selbstverwirklichung 101 Soziale Gegensätze 207 Soziale Mächtigkeit 157 Soziale Partnerschaft 109 Soziale Sicherheit 102 Soziale Standards 102 Sozialistengesetz 133 Sozialpartner 27, 50, 74 Sozialstaatsgebot 29, 112, 201 Sozialversicherung 199 Staatsstrukturprinzipien 199 Standortwettbewerb 94, 96, 213 Stinnes-Legien-Abkommen 108

Streik 38, 134, 151 Streikrecht 41 Strukturelle Unterlegenheit 30, 109, 148 Strukturveränderungen 97 Tarifautonomie 35, 46 Tarifbezirke 213 Tariffähigkeit 50, 138 Tarifnormen 24, 33 Tarifpartei 83 Tarifvertrag 47, 134 Tarifvertragsfreiheit 88 Tarifvertragsordnung 86 Tarifvertragsparteien 20, 22, 24 Tarifvertragssystem 50, 77, 96 Teamarbeit 98 Technologischer Fortschritt 125 Teilzeitquote 97 Transnationale Konzerne 94 Überangebot 122 Überbetrieblichkeit 127 Unerlässlichkeits-Formel 43 Unmittelbare Drittwirkung 34, 37 Unterlassungsgebot 57 Unternehmensfreiheit 192 Urabstimmung 37 Verbandsbeitritt 69 Vereinheitlichung 96 Vereinigungsfreiheit 26, 39, 128, 139, 180 Vereinigungszweck 26, 28, 39 Vereinsbetätigungsfreiheit – externe 39 – interne 39 Verfassungsimmanente Schranken 188 Verhältnismäßigkeitsprinzip 54, 208 Vermögensverteilung 123 Verteilungsfunktion 104, 146 Vertragsfreiheit 110, 113 Wachstum 122, 216 Welthandel 94 Werkverein 129, 137 Wertewandel 92, 159 Wettbewerb 104, 218 Wettbewerbsfreiheit 190 Wiedervereinigung 140

Sachwortverzeichnis Wirtschaftliche Betätigungsfreiheit 194 Wirtschaftsbedingungen s. Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen WTO 94

Zutrittsrechte, gewerkschaftliche 50 Zwingende Wirkung 21

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