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German Pages 368 [393] Year 2023
Veröffentlichungen zum Verfahrensrecht Band 178 herausgegeben von
Rolf Stürner
Christian Lohr
Verbraucherstreitbeilegung und Verbraucherschutz Die Rolle des Rechts in der Verbraucherschlichtung nach dem VSBG
Mohr Siebeck
Christian Lohr, geboren 1990; Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Regensburg; Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Deutsches, Europäisches und Internationales Verfahrensrecht, Internationales Privatrecht sowie außergerichtlicher Streitbeilegung; Rechtsreferendariat im Oberlandesgerichtsbezirk Nürnberg; Rechtsanwalt in München.
Die Arbeit wurde von der Fakultät für Rechtswissenschaften der Universität Regensburg als Dissertation angenommen. ISBN 978-3-16-159991-0 / eISBN 978-3-16-160087-6 DOI 10.1628/978-3-16-160087-6 ISSN 0722-7574 / eISSN 2568-7255 (Veröffentlichungen zum Verfahrensrecht) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National bibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2021 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und gebunden. Printed in Germany.
Für Mama
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde von der Fakultät für Rechtswissenschaften der Universität Regensburg als Dissertation angenommen. Die mündliche Prüfung erfolgte im Sommer 2020. Mein herzlichster Dank gilt meinem akademischen Lehrer und Doktorvater Herrn Professor Dr. Christoph Althammer. Er hat mir nicht nur die Anregung zum Thema der vorliegenden Arbeit gegeben und mich während meines juristischen Werdegangs größtmöglich motiviert, unterstützt und gefördert, sondern mir gleichzeitig auch die für die Anfertigung der Arbeit nötige Freiheit gewährt. Der nicht nur fachliche Austausch mit ihm war und ist prägend für meine Fortentwicklung als Jurist. Ich bin außerordentlich dankbar, neben der Forschung auch im Rahmen meiner Mitarbeit an seinem Lehrstuhl (und als Teil des ausgezeichneten Lehrstuhlteams) wertvolle Erfahrungen sammeln zu dürfen. Herrn Professor Dr. Dr. h. c. Herbert Roth danke ich herzlich für die Begleitung dieser Arbeit als Zweitgutachter. Für die freundliche Aufnahme in die Schriftenreihe „Veröffentlichungen zum Verfahrensrecht“ bedanke ich mich bei Herrn Professor Dr. Dres. h.c. Rolf Stürner. Von Herzen danken möchte ich auch meiner Familie, ganz besonders meinen Eltern, Christoph Lohr und Beate Breidenbach-Lohr. Ihre uneingeschränkte Förderung, ihr vorbehaltloser Rückhalt sowie allgegenwärtiger und liebevoller Beistand sind der Grund für das Gelingen nicht nur dieser Arbeit. München im Frühjahr 2021
Christian Lohr
Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
VII
Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XIX
Erstes Kapitel: Streitbeilegung in Verbrauchersachen . . . . . . .
1
§ 1 „Schöne neue Schlichtungswelt“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
§ 2 Gang der Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3
Terminologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verbraucher- und Unternehmerbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verbraucherstreitigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ADR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5 6 7 8
Die alternative Streitbeilegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vermittlungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schlichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entscheidungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Schiedsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ombudsmannverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Interessensorientierung der außergerichtlichen Streitbeilegung 1. Verbraucherinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unternehmerinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das Interesse der Allgemeinheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
8 10 12 14 14 15 16 16 17 17
„Rationale Apathie“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Durchsetzungsdefizit in Verbrauchersachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der empirische Nachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Befund für Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
18 18 20 22
§ 6 Verbraucherrechtsdurchsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Prozessualer Verbraucherschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Individualrechtsschutz im Verbraucherrecht . . . . . . . . . . . . . . . a) Die nationale Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die europäische Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Europäische Verfahren für geringfügige Forderungen
25 26 27 27 27 28
§3 I. II. III. §4 I. II. III.
§5 I. II. III.
X
Inhaltsverzeichnis
bb) Europäisches Mahnverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Brüssel Ia-Verordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kollektiver Rechtsschutz in Verbrauchersachen . . . . . . . . . . . . a) Musterfeststellungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Europäische Entwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. „Kultur der Schlichtung“ – Die Entwicklung von VerbraucherADR in Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Historische Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. „Access to justice“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. ADR-Richtlinie und ODR-Verordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anwendungsbereich der ADR-Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. „Qualitätskriterien“ der ADR-Richtlinie – Ein Überblick über den Regelungsgehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zugang zu ADR-Verfahren und der „ADRGewährleistungsanspruch“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Fachwissen, Unabhängigkeit und Unparteilichkeit . . . . . c) Transparenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Effektivität und Effizienz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Fairness . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Handlungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Rechtmäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rechtssetzungskompetenz der Europäischen Union . . . . . . . . IV. Außergerichtliche Streitbeilegung in Deutschland . . . . . . . . . . . . V. Verbraucherstreitbeilegungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Rechtspolitische Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Rechtsdurchsetzungsbegriff in ADR-Verfahren . . . . . . . . 2. Zielsetzung der ADR-Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verfahrenszielsetzung des VSBG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Das Verhältnis von Verbraucherschlichtungsverfahren und Zivilgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Freiwilligkeit der Verbraucherschlichtung . . . . . . . . . . . . . b) Konkurrenzverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtsfortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Vorlagebefugnis aus Art. 267 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
29 29 30 32 35
71 72 73 77 79 80
Zweites Kapitel: Verbraucherschutz und ADR . . . . . . . . . . . . .
83
§ 7 Eignung von ADR für Verbraucherstreitigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Routine in der Konfliktaustragung – repeat player vs. one shotter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
83
36 37 40 43 44 47 47 49 51 51 53 53 54 55 55 58 60 62 62 64 68
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Inhaltsverzeichnis
1. Die Vorteile des repeat player in der alternativen Streitbeilegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ressourceneinsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Professionalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Konfliktroutine und Rationalitätsfallen . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verhandlungsmacht und Nichteinigungsalternativen . . . . . . . . II. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 8 Verfahrensrechtliche Mindeststandards – Das Recht der Verbraucherschlichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Notwendigkeit von Mindeststandards . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Zivilprozessuale Verfahrensgarantien in der Verbraucherschlichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Besondere Verbraucherschutzinstrumente der ADR-Richtlinie IV. Die Verfahrensvorgaben des VSBG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Freiwilligkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Freiwilligkeit der Teilnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Schlichtungsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Schlichtungszwang für Unternehmer . . . . . . . . . . . . . . cc) Prozesskostenrechtliche Privilegierung der Schlichtung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Freiwilligkeit des Ergebnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Faktische Bindungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Der Schlichtungsvorschlag im nachfolgenden Zivilprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtliches Gehör und Sachverhaltsaufklärung . . . . . . . . . . . . 3. Transparenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verfahrenstransparenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Das Effizienzgebot der Verbraucherschlichtung . . . . . . . . . . . . 5. Unabhängigkeit und Unparteilichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Schlichtungsstelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Streitmittler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Verletzung von Verfahrensvorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Abbruch des Schlichtungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Aufhebung des bereits angenommenen Schlichtungsvorschlages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Persönliche Haftung des Streitmittlers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Ergebnis zur Verfahrensgestaltung des VSBG – Recht der Verbraucherschlichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XI 87 87 88 90 93 94 95 96 98 99 100 101 101 103 104 106 108 109 111 112 114 115 116 118 120 121 123 125 125 126 128 130
XII
Inhaltsverzeichnis
Drittes Kapitel: Das Paradigma der Unabdingbarkeit im Rahmen des Verbrauchervertragsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
133
§ 9 Verbraucherschutz in Europa und Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die europäische Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die nationale Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
133 134 137
§ 10 Verbraucherschutzkonzeptionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der Marktbezug des unionalen Verbrauchervertragsrechts . . . . . II. Die strukturelle Unterlegenheit des Verbrauchers . . . . . . . . . . . . . III. Der Perspektivenwechsel mit Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie und das Verbraucherleitbild . . . . . . .
138 140 142
§ 11 Privatautonomie und Verbraucherschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
145
§ 12 Die Schutzinstrumente des Verbrauchervertragsrechts . . . . . . . . . . I. Informationspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Informations- und Transparenzparadigma . . . . . . . . . . . . 2. „Information overload“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Widerrufsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Halbzwingende Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zwingende Vertragsinhaltsregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Legitimation zwingender Vertragsinhaltsregelungen . . . . . a) Der Verbraucher als die „schwächere“ Vertragspartei . . . b) Zwingende Ausgestaltung und Vollharmonisierung . . . . . 2. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
148 149 149 151 152 155 157 157 159 161 164
§ 13 Die Abdingbarkeit der Verbraucherschutzrechte . . . . . . . . . . . . . . . I. Individualrechtsschutz oder Sicherung öffentlicher Interessen II. Die Kapitalisierung von Verbraucherschutzrechten . . . . . . . . . . . III. Tatsächliche Disposition und rechtsgeschäftliche Abdingbarkeit 1. Information . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verzichtsmöglichkeit bei Mitteilung der „Basisinformation“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Art. 246b § 1 Abs. 2 S. 2 EGBGB als Ausnahmetatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Der Normgehalt des § 312d Abs. 1 S. 2 BGB . . . . . . . . . . . 2. Widerrufsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Ausgestaltung des Widerrufsrechts vor Inkrafttreten des SMG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Wertung des § 308 Nr. 1 Hs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zwingende Vorgaben zum Vertragsinhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Informationspflichten und Vertragsinhalt . . . . . . . . . . . . .
164 165 166 169 170
143
171 172 173 173 176 178 180 181 181
4.
5.
6.
7.
Inhaltsverzeichnis
XIII
b) Vertragsinhaltsregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Verbrauchsgüterkaufrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Die Abweichungsmöglichkeit nach Mangelmitteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Die Ansicht Wertenbruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Pauschalreisevertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Reichweite des Paradigmas der Unabdingbarkeit . . . . . . . a) Der Vertragsschluss als zeitliche Grenze . . . . . . . . . . . . . . . b) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Der Umkehrschluss zu ex-post Verzichtsverboten . . . . . . . d) Die Zulassung von Verjährungsabreden . . . . . . . . . . . . . . . e) Der Wortlaut der europäischen Sekundärrechtsakte . . . . f) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verbraucherrechte als Gegenstand eines Vergleichs . . . . . . . . . a) Vergleichsfähigkeit und Schiedsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . b) Der Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Rechtsprechung der EuGH und das Paradigma der Unabdingbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Rechtssache Gruber und der „Verzicht“ des Verbrauchers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der EuGH und die Klausel-Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Klauseln mit verfahrensrechtlichem Bezug . . . . . . . . . bb) Klauseln mit materiell-rechtlichem Bezug . . . . . . . . . . c) Die Übertragung der Rechtsprechung auf das allgemeine Verbraucherprivatrecht – Die Rechtssachen Duarte Hueros und Faber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
182 182 183 184 185 187 187 187 188 190 190 191 191 192 192 193 195 195 196 197 198
199 201
Viertes Kapitel: Die Rolle des materiellen Rechts in der Verbraucherstreitbeilegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
203
§ 14 Das Verhältnis zwischen Verbraucher und Unternehmer in der Verbraucherschlichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
204
§ 15 Verbraucherschlichtung und Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Vereinbarung über die Verfahrensdurchführung . . . . . . . . . . . . . . II. Schlichtungsvereinbarung zwischen Verbraucher und Unternehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Schlichtungsvorschlag und Abschlussvereinbarung . . . . . . . . . . . IV. Materielles Verbraucherschutzrecht und Schlichtungsvorschlag 1. Die Schutzwirkung des Verbraucherrechts im Rahmen des Schlichtungsergebnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
204 205 205 207 208 210
XIV
Inhaltsverzeichnis
a) Der Rechtsgedanke aus § 491 Abs. 4 BGB . . . . . . . . . . . . . b) Novation und Änderungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Möglichkeit zum Widerruf des angenommenen Schlichtungsvorschlages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Widerrufsrecht de lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Widerrufsrecht de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 16 Recht als Konfliktlösungsinstrument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Konfliktlösung durch Rechtsanwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vom Gesetzessystem zum Konsenssystem . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Krise des modernen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Private Rechtssetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verbraucher und Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Unternehmerinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verbraucherinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) „win-win-Lösungen“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Rechtsbezogene Verfahrensgestaltung . . . . . . . . . . . . . 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Vorgaben der ADR-Richtlinie zur Rechtsanwendung . . . . . . . . . 1. Regelungen auf welche sich die Streitbeilegung stützen kann – Art. 7 Abs. 1 lit. i) ADR-RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die gebührende Berücksichtigung der Rechte der Parteien . . . 3. Information des Verbrauchers – EWG 42 ADR-Richtlinie . . . 4. Art. 9 Abs. 2 lit. b) ADR-Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 17 Die Lösung des Verbraucherkonflikts nach dem VSBG . . . . . . . . . I. Rechtsanwendung durch den Streitmittler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die rechtliche Bewertung – § 19 Abs. 1 S. 3 VSBG . . . . . . . . . . . . 1. Rechtliche Bewertung und Rechtsdienstleistung . . . . . . . . . . . 2. Qualifikationsanforderung an den Streitmittler . . . . . . . . . . . . a) Die Vorgaben des VSBG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Rechtskenntnisse des Streitmittlers . . . . . . . . . . . . bb) Verfahrensbezogene Qualifikationsalternativität . . . . (1) Eingriff in die Berufswahlfreiheit . . . . . . . . . . . . . . (2) Die systematische Stellung des § 6 Abs. 2 S. 2 VSBG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ergebnis zur Qualifikation des Streitmittlers . . . . . . . . . . . 3. Sachverhaltsaufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ablehnung der Verfahrensfortführung . . . . . . . . . . . . . . . . b) „Beweiserhebung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Aufklärung durch den Streitmittler . . . . . . . . . . . . . . .
210 211 213 213 214 214 215 216 218 219 221 222 223 224 224 227 228 229 230 230 232 233 233 234 234 235 237 239 240 241 243 244 246 246 248 249 250 251
Inhaltsverzeichnis
aa) Beweisschwierigkeiten und die „Untersuchungspflicht“ des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Bürgschaftsrechtsprechung des BVerfG . . . . . . . . cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Aufklärung durch die Konfliktparteien . . . . . . . . . . . . . . . aa) Allgemeine Beweislastumkehr im Verbrauchervertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Bedeutung der Sachverhaltsaufklärung und die Verfahrenseffizienz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Verstoß gegen die Mitwirkungspflicht . . . . . . . . . . . . . e) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Exkurs: Der Schutz der Vertraulichkeit . . . . . . . . . . . . . . . III. Zwischenergebnis – Rechtliche Bewertung als Rechtsanwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. „Außerrechtliche“ Faktoren und Verbraucher-ADR . . . . . . . . . . 1. Billigkeitsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unternehmerische Verhaltensregelwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Parteiinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Prozessrisikoanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XV 254 256 257 258 260 261 262 263 265 266 268 271 272 274 275
§ 18 Rechtsverwendung – Schlichtungsvorschlag und zwingendes Verbraucherschutzrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Vorgaben der ADR-Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Rechtmäßigkeitsprinzip in der Entwicklung . . . . . . . . . . . 2. Das argumentum e contrario zu Art. 11 Abs. 1 ADRRichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Vorgaben des deutschen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Spezialgesetzliche Vorgaben und Verfahrensordnungen unterschiedlicher Verbraucherschlichtungsstellen nach dem VSBG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Wortlaut des § 19 Abs. 1 S. 2 VSBG . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) „Soll“-Vorschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Rechtsbindung im VSBG-RefE . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das Prinzip der informierten Autonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ius cogens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Transparenz- und Informationsmodell . . . . . . . . . . . . c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Effektivität der Verbraucherschlichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ergebnis zur Rechtsverwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Exkurs: Auswirkungen auf den Prozessvergleich . . . . . . . . . . . . .
282 284 285 285 286 286 287 288 290 291 292 294
§ 19 Endergebnis zur Rolle des materiellen Rechts in der Verbraucherschlichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
295
276 277 277 280 281
XVI
Inhaltsverzeichnis
Fünftes Kapitel: Verfahrensbezogene Folgefragen . . . . . . . . . .
299
§ 20 Vollstreckbarkeit des Verfahrensergebnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Verbraucherschlichtungsstelle als Gütestelle gem. § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Durchsetzung des Schlichtungsergebnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . .
299
§ 21 Gerichtliche Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Rechtswegsperre? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die gerichtliche Überprüfung des Schlichtungsergebnisses . . . . . 1. Verstoß gegen zentrale Verfahrenselemente . . . . . . . . . . . . . . . . 2. §§ 307 ff. BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
302 303 305 305 307
Sechstes Kapitel: Grenzüberschreitende Verbraucherstreitigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
309
§ 22 ADR-Richtlinie und Brüssel Ia-Verordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . .
309
§ 23 Grenzüberschreitende Verbraucherkonflikte und „geltendes Recht“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Rechtsanwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtsverwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
313 314 316 317
Siebentes Kapitel: Die Auswirkungen der Verbraucherschlichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
319
§ 24 Wandel der Streitkultur und Verbraucherschutz durch ADR? . . . .
319
§ 25 Der Unternehmer und die Verbraucherschlichtung . . . . . . . . . . . . . I. Kostentragungslast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Interessen des Unternehmers – Verbraucherschlichtung als Marktfaktor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
321 322
§ 26 Die Konkurrenz zwischen der Schlichtung und dem staatlichen Gerichtsverfahren – Modernisierung der ZPO? . . . . . . . . . . . . . . . . I. Reform des § 495a ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Richterliche Hinweispflicht und Aufklärungsbemühungen . . . . . III. Kollektiver Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Online-Gerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
300 301
324 325 326 329 329 331 334 336
Inhaltsverzeichnis
XVII
Achtes Kapitel: Zusammenfassung der Ergebnisse und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
337
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
343
Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
365
Abkürzungsverzeichnis a. A. a. a. O. Abl. Abs. ADR ADR-Richtlinie, ADR-RL ADR-Richtlinie (Vorschlag), ADR-RL (Vorschlag) a. E. AEUV
a. F. a. M. AG AGB Alt. Anh. Anl. Anm. AnwBl Art. AS Aufl. Bd. BGB BGBl. BGH BGHZ BMJV BORA BRAK BRAK-Mitt. BRAO BR-Drucks. Brüssel Ia-VO
anderer Ansicht am angegebenen Ort Amtsblatt der Europäischen Union Absatz Alternative Dispute Resolution Richtlinie über die alternative Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006 / 2004 und der Richtlinie 2009 / 22 / EG (ADR Richtlinie) Vorschlag für Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Formen der alternativen Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2009/22/EG (Richtlinie über alternative Streitbeilegung), KOM (2011) 793 endg. am Ende Konsolidierte Fassungen des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union 2012/C 326/01 alte Fassung anderer Meinung Amtsgericht Allgemeine Geschäftsbedingungen Alternative Anhang Anlage Anmerkung Anwaltsblatt Artikel Alternative Streitbeilegung Auflage Band Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz Berufsordnung für Rechtsanwälte Bundesrechtsanwaltskammer Mitteilungen der Bundesrechtsanwaltskammer Bundesrechtsanwaltsordnung Bundesratsdrucksache Verordnung (EU) Nr. 1215 / 2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständig-
XX
bspw. BT-Drucks. Buchst. BVerfG BVerfGE BVerwG BVerwGE bzw. ca. CMLR DAV ders. d. h. dies. DRB DRiG DRiZ ECC-Net Einl. EGBGB EGZPO EMRK EnWG endg. Enforcement-RL
etc. EU EuGH EU-Grundrechtecharta e. V. EWR EWG f., ff. FAZ Fernabsatz-RL
FIN-Net Fn. FOS FS GbR gem. GewArch GG
Abkürzungsverzeichnis keit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen beispielsweise Bundestagsdrucksache Buchstabe Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts beziehungsweise circa Common Market Law Review Deutscher Anwaltverein derselbe das heißt dieselbe(n) Deutscher Richterbund Deutsches Richtergesetz Deutsche Richterzeitung Netzwerk der Europäischen Verbraucherzentren Einleitung Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche Einführungsgesetz zur Zivilprozessordnung Europäische Menschenrechtskonvention Energiewirtschaftsgesetz endgültig Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums et cetera Europäische Union Europäischer Gerichtshof Charta der Grundrechte der Europäischen Union eingetragener Verein Europäischer Wirtschaftsraum Erwägungsgrund, Erwägungsgründe folgende Frankfurter Allgemeine Zeitung Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz Netzwerk der Schlichtungsstellen für Finanzdienstleistungen Fußnote Financial Ombudsman Service Festschrift Gesellschaft bürgerlichen Rechts gemäß Gewerbearchiv, Zeitschrift für Wirtschaftsverwaltungsrecht Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
Abkürzungsverzeichnis ggf. GmbH GPR h. L. h. M. Halbs. HaustürgeschäfteRL
XXI
gegebenenfalls Gesellschaft mit beschränkter Haftung Zeitschrift für das Privatrecht der Europäischen Union herrschende Lehre herrschende Meinung Halbsatz Richtlinie 85/577/EWG des Rates vom 20. Dezember 1985 betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen Hervorh. d. Verf. Hervorhebung des Verfassers Hrsg. Herausgeber i. d. F. in der Fassung i. d. R. in der Regel i. e. S. im engeren Sinne IHKG Gesetz zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern insbes. insbesondere i. R. d. im Rahmen der / des i. S., i. S. d., i. S. e., im Sinne, im Sinne des / der, im Sinne eines, i. S. v. im Sinne von i. V. in Verbindung i. V. m. in Verbindung mit i. w. S. im weiteren Sinne JAPO Ausbildungs- und Prüfungsordnung für Juristen – Bayern JZ JuristenZeitung Kap. Kapitel KartellschadensRichtlinie 2014/104/EU des Europäischen Parlaments und des ersatz-RL Rates vom 26. November 2014 über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach nationalem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union KG Kammergericht Klausel-RL Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über mißbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen krit. kritisch LG Landgericht Lit. Literatur lit. Buchstabe LuftSchlichtV Luftverkehrsschlichtungsverordnung LuftVG Luftverkehrsgesetz m. Anm. mit Anmerkungen MDR Monatsschrift für Deutsches Recht, Zeitschrift für die Zivilrechtspraxis m. E. meines Erachtens MedG / MediationsG Mediationsgesetz Mediations-RL Richtlinie 2008/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Mai 2008 über bestimmte Aspekte der Mediation in Zivilund Handelssachen MMR MultiMedia und Recht, Zeitschrift für Informations-, Telekommunikations- und Medienrecht
XXII MFK-DiskE
Abkürzungsverzeichnis
Diskussionsentwurf für ein Gesetz zur Einführung einer Musterfeststellungsklage m. w. N. mit weiteren Nachweisen n. F. neue Fassung NJ Neue Justiz, Zeitschrift für Rechtsentwicklung und Rechtsprechung NJW Neue Juristische Wochenschrift Nr. Nummer / n ODR Online Dispute Resolution / Online-Streitbeilegung ODR-Verordnung, Verordnung (EU) Nr. 524 / 2013 des Europäischen Parlaments ODR-VO und Rates vom 21. Mai 2013 über die Online-Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten OLG Oberlandesgericht OVG Oberverwaltungsgericht Pauschalreise-RL Richtlinie (EU) 2015/2302 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2015 über Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen (ABl. L 326 vom 11.12.2015, S. 1). Produkthaftungs-RL Richtlinie 85/374/EWG des Rates vom 25. Juli 1985 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte Prozesskostenhilfe- Richtlinie 2003/8/EG des Rates vom 27. Januar 2003 zur VerbesRL serung des Zugangs zum Recht bei Streitsachen mit grenzüberschreitendem Bezug durch Festlegung gemeinsamer Mindestvorschriften für die Prozesskostenhilfe in derartigen Streitsachen RDG Rechtsdienstleistungsgesetz RefE Referentenentwurf RegE Regierungsentwurf RL Richtlinie Rn. Randnummer RRa ReiseRecht aktuell, Zeitschrift für das Tourismusrecht Rspr. Rechtsprechung S. Seite s. siehe s. a. siehe auch SchiedsVZ Zeitschrift für Schiedsverfahren SchliO Schlichtungsordnung s. o. siehe oben sog. sogenannt söp Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr str. streitig s. u. siehe unten Timesharing-RL Richtlinie 94/47/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 1994 zum Schutz der Erwerber im Hinblick auf bestimmte Aspekte von Verträgen über den Erwerb von Teilzeitnutzungsrechten an Immobilien TKG Telekommunikationsgesetz u. a. unter anderem, und andere Übk. Übereinkommen UGP-RL Richtlinie 2006/114/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über irreführende und vergleichende Werbung
Abkürzungsverzeichnis UKlaG u. U. Urt. v. VerbraucherrechteRL
XXIII
Unterlassungsklagengesetz unter Umständen Urteil vom, von Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 über die Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates und der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 85/577/EWG des Rates und der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates Verbrauchsgüterkauf- Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des RL Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter VG Verwaltungsgericht VGH Verwaltungsgerichtshof VO Verordnung Vorbem. / Vor. Vorbemerkung VSBG Verbraucherstreitbeilegungsgesetz VSBG-RefE Referentenentwurf zur Umsetzung der ADR-Richtlinie und zur Durchführung der ODR-Verordnung VSBG-RegE Regierungsentwurf zur Umsetzung der ADR-Richtlinie und zur Durchführung ODR-Verordnung VSBInfoV Verbraucherstreitbeilegungs-Informationspflichtenverordnung VuR Verbraucher und Recht, Zeitschrift für Wirtschafts- und Verbraucherrecht VVG Versicherungsvertragsgesetz VZBV Verbraucherzentrale Bundesverband WEG Wohnungseigentumsgesetz WM Wertpapier-Mitteilungen, Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht WohnimmobilienRichtlinie 2014/17/EU des Europäischen Parlaments und des kredit-RL Rates vom 4. Februar 2014 über Wohnimmobilienkreditverträge für Verbraucher und zur Änderung der Richtlinien 2008/48/EG und 2013/36/EU und der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 z. B. zum Beispiel ZEuP Zeitschrift für Europäisches Privatrecht ZIP Zeitschrift für Wirtschaftsrecht ZKM Zeitschrift für Konfliktmanagement ZMediatAusbV Zertifizierte-Mediatoren-Ausbildungs-Verordnung ZPO Zivilprozessordnung z. T. zum Teil ZUM Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht zust. zustimmend zz. zurzeit ZZP Zeitschrift für Zivilprozess
Erstes Kapitel:
Streitbeilegung in Verbrauchersachen § 1 „Schöne neue Schlichtungswelt“ Am 1. April 2016 ist das Verbraucherstreitbeilegungsgesetz (VSBG) als Kernregelung des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie über alternative Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten und zur Durchführung der Verordnung über Online-Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten1 in Kraft getreten. Initiiert durch die ADR-Richtlinie und ODR-Verordnung des europäischen Gesetzgebers wird mit diesem Gesetz ein neues Kapitel im Bereich der alternativen Streitbeilegung eröffnet. Mit Umsetzung der ADR-RL hat der deutsche Gesetzgeber nun ein Sonderverfahrensrecht für Verbraucher geschaffen. Um den Zugang des Verbrauchers zum Recht zu stärken und das Verbraucherschutzniveau zu erhöhen, sollen für Konflikte zwischen dem Verbraucher und Unternehmer alternative Streitbeilegungsverfahren etabliert werden, die außerhalb des staatlichen Ziviljustizsystems eine Geltendmachung von Verbraucherrechten vor einer neutralen Institution ermöglichen. Der Grundgedanke des Unionsgesetzgebers ist dabei, den Verbraucher als Akteur auf dem Binnenmarkt nicht nur durch materielle Rechtsvorschriften zu schützen, sondern gleichzeitig sicherzustellen, dass diese Verbraucherrechte auch durchgesetzt werden.2 Da sich nach Ansicht der EU die staatlichen Gerichtsverfahren dazu aber nur bedingt eignen, gilt es, die individuelle Verbraucherrechtsdurchsetzung und insbesondere die Zufriedenheit des Verbrauchers als Konsument auf dem Binnenmarkt auf andere Weise – über außergerichtliches Streitbeilegungsangebote – sicherzustellen. Der Weg in eine „Schöne neue Schlichtungswelt“3 ist eröffnet. Die erst relativ spät einsetzende rechtswissenschaftliche Diskussion über die Alternative Dispute Resolution (ADR) als Instrument zur Geltendmachung von Verbraucherrechten steht diametral dem weit gefassten Anwendungsbereich der Verbraucherschlichtung entgegen.
1
BGBl. 2016 I, S. 254, berichtigt S. 1039. Vgl. dazu nur die Binnenmarktakte I, KOM (2011) 206 endg. 11. 3 So Eidenmüller/Engel, FAZ 12.07.2013, S. 7, in Reminiszenz an den dystopischen Roman Brave New World von Huxley. 2
2
Erstes Kapitel: Streitbeilegung in Verbrauchersachen
Gegenstand des Verfahrens können nämlich neben Problemen bei geringwertigen Online-Käufen oder Unklarheiten eines im Rahmen einer Haustürsituation abgeschlossenen Versicherungsvertrages, ebenso der Streit im Zusammenhang mit einem Wohnraummietvertrages (§ 312 Abs. 4 S. 1 BGB)4, Konflikte im Bereich der Wohnungseigentumsverwaltung5 und möglicherweise sogar die Infragestellung eines nach § 311b Abs. 1 BGB notariell beurkundeten Grundstückskaufvertrages sein.6 Schon allein dieser weitgefasste Anwendungsbereich sowie die quasi-gerichtliche Ausgestaltung und Zielsetzung des Verfahrens zeigen das erhebliche Potential der Verbraucherschlichtung, zum einen für die Reichweite des Rechtsschutzes des Verbrauchers, zum anderen hinsichtlich der Auswirkungen auf das Rechtsschutzsystem im Ganzen. Nicht aus dem Blick geraten darf gerade in diesem Zusammenhang, dass der Verbraucherbegriff nur der Umschreibung einer bestimmten Rolle dient, in der die natürliche Person im Rechtsverkehr auftritt und somit nicht als Statusbegriff aufzufassen ist.7 Gleichzeitig folgt daraus, dass jede natürliche Person, gänzlich unabhängig von ihren individuellen Fähigkeiten und Eigenschaften, Verbraucher sein kann oder anders ausgedrückt: Verbraucher sind wir alle.8 Zwar belegen die bisherigen Erfahrungen mit dem Verbraucherstreitbeilegungsverfahren, dass die tatsächliche Inanspruchnahme hinter den geäußerten Erwartungen zurück bleibt9. Die Auseinandersetzung mit dem 4
Beachte auch, dass die Verbraucherrechte-RL Wohnraummietverträge explizit nicht erfassen will (Art. 3 Abs. 3 lit. f) sowie EWG 26). Koch, VuR 2016, 92 ff. 5 Nach dem BGH ist „die Wohnungseigentümergemeinschaft im Interesse des Verbraucherschutzes der in ihr zusammengeschlossenen, nicht gewerblich handelnden natürlichen Personen dann einem Verbraucher gem. § 13 BGB gleichzustellen ist, wenn ihr wenigstens ein Verbraucher angehört und sie ein Rechtsgeschäft zu einem Zweck abschließt, der weder einer gewerblichen noch einer selbstständigen beruflichen Tätigkeit dient“, BGH NJW 2015, 3228 ff., 3230 Rn. 30. 6 Althammer, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 117 ff.; Althammer, in: ders. (Hrsg.), Verbraucherstreitbeilegung: Aktuelle Perspektiven für die Umsetzung der ADR-Richtlinie, 2015, S. 9 ff., 14. Die Reichweite der möglichen Konfliktgegenstände verdeutlicht auch die Übersicht der Allgemeine Verbraucherschlichtungsstelle über die einzelnen Streitgegenstandskategorien im Tätigkeitsbericht 2017, S. 3, abrufbar unter: https://www.verbraucher-schlichter.de/media/file/53.Taetigkeitsbericht 20 17.pdf (geprüft am 01.11.2020). 7 Bamberger, in: Hau/Poseck (Hrsg.), BeckOK BGB, 2020, § 13 Rn. 9; Alexander, in: Gsell/Krüger/Lorenz u. a. (Hrsg.), BeckOGK, § 13 Rn. 152 ff.; H. Roth, in: Bruns (Hrsg.), Die Zukunft des Zivilprozesses, 2014, S. 69 ff., 81; ders., in: Kronke (Hrsg.), Grenzen überwinden – Prinzipien bewahren, 2011, S. 715 ff., 722 f.; Engel/Stark, ZEuP 2015, 32 ff. 8 Siehe insoweit auch der Verweis auf John F. Kennedy mit seiner „Verbraucherbotschaft“ aus dem Jahre 1962: „Consumers, by definition, include us all“, zitiert nach Engel/ Stark, ZEuP 2015, 32 ff. 9 Ging die Gesetzesbegründung zum Verbraucherstreitbeilegungsgesetz für die nähere
§ 2 Gang der Darstellung
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Konfliktbeilegungsverfahren erscheint aber schon deshalb notwendig, da dem Verbraucher-ADR-Verfahren das Potential zuerkannt wird, eine Veränderung in der Rechtskultur herbeizuführen.10
§ 2 Gang der Darstellung Die vorliegende Arbeit nimmt die Entwicklung im Bereich der alternativen Streitbeilegung in Verbrauchersachen in den Blick und analysiert die verfahrensmäßige Ausgestaltung durch die ADR-RL und das VSBG. Im Mittelpunkt steht dabei die Bedeutung des materiellen Rechts für die Verbraucherschlichtung. Unter Berücksichtigung des Rückgangs der Klageeingangszahlen bei den staatlichen Gerichten wird auch die Frage nach einem gesellschaftlichen Wandel weg von einem Ihering’schen „Kampf ums Recht“ hin zu einer „Kultur der Schlichtung“ gestellt werden müssen. Zu Beginn sollen die bestehenden Möglichkeiten zur Verbraucherrechtsdurchsetzung aufgezeigt und die Frage nach einem Durchsetzungsdefizit, auch unter Zugrundelegung empirischer Beobachtungen beantwortet werden. Nach der Erörterung der justiziellen Individual- und Kollektiv-Rechtsschutzinstrumente folgt eine Besprechung der ADR-Richtlinie sowie auch Zukunft noch von einem Zuwachs um weitere 60.000 Streitbeilegungsanträge zu den geschätzten jährlichen 60.000 Verbraucherbeschwerden bei bestehenden Schlichtungsstellen aus (vgl. BT Drucks 18/5089, S. 42 ff.), so weist eine Zusammenschau der Jahres- und Tätigkeitsberichte der nach dem VSBG anerkannten oder eingerichteten Verbraucherschlichtungsstellen für das Jahr 2016 in der Summe ca. 62.800 Schlichtungsanträge aus, vgl. dazu Althammer/Lohr, DRiZ 2017, 354 ff.; Tombrink, BRAK-Mitteilungen 2017, 142 ff., 154 f. Vgl. aktuell Greger, Verbraucherschlichtung bleibt hinter den Erwartungen zurück, 2018 (https://www.schlichtungs-forum.de/neuigkeiten/verbraucherschlichtung-b leibt-hinter-den-erwartungen-zurueck/#more-744) (geprüft am 01.11.2020); sowie Verbraucherschlichtungsbericht 2018, abrufbar unter https://www.bundesjustizamt.de/DE/S haredDocs/Publikationen/Verbraucherschutz/Verbraucherschlichtungsbericht 2018.p df;jsessionid=D213B156FC148933F91FCDE5156FEFD3.2 cid386? blob=publication File&v=5 (geprüft am 01.11.2020). Gleichzeitig ist allerdings branchenspezifisch ein erheblicher Anstieg der Schlichtungsanträge zu verzeichnen, söp Halbjahresbilanz 2018 (Anstieg um 37 % im Vergleich zum Vorjahr), abrufbar unter: https://soep-online.de/assets/ files/s%C3%B6p-Halbjahresbilanz%202018.pdf (geprüft am 01.11.2020). 10 Vgl. Althammer, in: ders. (Hrsg.), Verbraucherstreitbeilegung: Aktuelle Perspektiven für die Umsetzung der ADR-Richtlinie, 2015, S. 9 ff.; Papier, IWRZ 2016, 14 ff., 18 „grundlegende Veränderung des Rechtssystems“; Grupp, AnwBl 2015, 186 ff. In negativer Hinsicht, in Form eines „Bedeutungsverlusts der Zivilgerichtsbarkeit durch Verbrauchermediation“, vgl. statt vieler H. Roth, JZ 2013, 637 ff. In positiver Hinsicht, durch eine „Stärkung des Rechts durch eine gewandelte Streitkultur“, vgl. Jaeger, AnwBl 2015, 573 ff., ebenso positiv Hirsch, NJW 2013, 2088 ff. Zu einer entsprechenden Diskussion mahnend auch Wendland, KritV CritQ Rcrit 99 (2016), 301 ff., 303 f.
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Erstes Kapitel: Streitbeilegung in Verbrauchersachen
des Verbraucherstreitbeilegungsgesetzes. Aufgrund des fehlenden Verfahrensbezugs und des mindestharmonisierenden Ansatzes der ADR-RL können schon an dieser Stelle die konkreten „Qualitätskriterien“ des europäischen Rechtssetzungsaktes erörtert werden. Nach einem knappen Überblick über die wesentlichen Regelungen des Verbraucherstreitbeilegungsgesetzes, der im Laufe der Arbeit noch vertieft werden wird, gilt es die Verfahrenszielsetzung der Verbraucherschlichtung zu klären und das Verhältnis zur staatlichen Zivilgerichtsbarkeit zu untersuchen. Das folgende Kapitel widmet sich dann zunächst der grundsätzlichen Frage nach der Eignung der ADR-Verfahren für die Beilegung von Verbraucherstreitfällen. Gerade in alternativen Streitbeilegungsverfahren ist klärungsbedürftig, ob und inwieweit der Verbraucher eines Schutzes vor Übervorteilung bedarf. Setzt sich also der materiell-rechtliche Schutz des Verbrauchers auch im Rahmen des Verfahrens fort? Neben der Frage nach der konkreten Ausgestaltung der verfahrensbezogenen Mindeststandards des VSBG, müssen auch mögliche Konsequenzen einer Verletzung dieser Vorgaben untersucht werden. Im Mittelpunkt steht in diesem Kapitel also die rechtliche Ausgestaltung des Verfahrens oder kurz gesagt: Das Recht der Verbraucherschlichtung. Das dritte Kapitel beschäftigt sich als Vorarbeit für den Hauptteil dieser Arbeit mit der verbindlichen Geltungsanordnung des Verbrauchervertragsrechts. Neben der Darstellung der Entwicklung des Verbraucherschutzes und der unterschiedlichen Verbraucherschutzkonzeptionen, wird das Prinzip der Privatautonomie an Hand der einzelnen Schutzinstrumente (Information, Widerruf, Inhaltsvorgaben) erörtert. Dabei soll insbesondere die absolute Geltung des Paradigmas der Unabdingbarkeit auch unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des EuGH kritisch betrachtet werden. Im Hauptteil der Arbeit wird die Rolle des Rechts in der Verbraucherschlichtung untersucht. Dabei gilt es zunächst die rechtliche Ausgestaltung des Verhältnisses zwischen den beiden Konfliktparteien im Zuge der Verfahrensdurchführung zu verdeutlichen. In diesem Zusammenhang muss auch die Frage geklärt werden, ob das materielle Verbraucherrecht im Rahmen einer konfliktbeilegenden Vereinbarung Geltung beanspruchen kann. Als Kernpunkt werden dann die Rechtsanwendung und die Rechtsverwendung in der Verbraucherschlichtung analysiert. In einem ersten Abschnitt erfolgt die Untersuchung, ob die Bearbeitung des Konfliktfalls durch den Streitmittler eine Anwendung des materiellen Rechts voraussetzt oder ob nur außerrechtliche Faktoren bei der Erarbeitung eines Schlichtungsvorschlages relevant werden. Entscheidend wird hier sein, ob (auch) im Bereich des Verbraucherrechts eine „Krise des modernen Rechts“ anzunehmen ist.
§ 3 Terminologie
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Daran anschließend und gleichsam als Folgefrage soll, unter Rückgriff auf die Ergebnisse in Kapitel III, die vielfach betonte11 Problematik, ob die privatautonome Vereinbarung zwischen den Parteien zur Beilegung des Konfliktfalls in Gestalt des vom Streitmittler empfohlenen Schlichtungsvorschlages von zwingendem Verbraucherschutzrecht abweichen kann, aufgearbeitet werden. Konkret geht es dabei um die Ausgestaltung einer rechtsverbindlichen Vereinbarung zur Streitbeilegung (Rechtsverwendung) und die Reichweite der Privatautonomie in konfliktbeilegenden Verbraucherverträgen. Zum Abschluss des Kapitels werden die Bindungswirkung und die Möglichkeit einer gerichtlichen Kontrolle des Schlichtungsergebnisses untersucht, sowie der Frage nach der Vollstreckbarkeit der Vereinbarung nachgegangen. Vor einer Zusammenfassung der Ergebnisse und einem Blick auf die aktuellen gesetzgeberischen Aktivitäten12, soll versucht werden, die Auswirkungen der Verbraucherschlichtung auf die Rechtskultur, die Wirtschaft und das Ziviljustizsystem zu umreißen. Die Arbeit folgt in ihrem methodischen Vorgehen einem interdisziplinären Ansatz. So ist schon die zentrale Forschungsfrage nach der Bedeutung des Rechts an der Schnittstelle zwischen Verfahrensrecht und materiellem Recht einzuordnen. Auch die Entscheidung über die Eignung der ADR-Instrumente für die Beilegung von Verbraucherstreitfällen kann ohne die Berücksichtigung ökonomischer, sozialer und psychologischer Faktoren nicht verlässlich getroffen werden.
§ 3 Terminologie Zum Beginn sind die in dieser Arbeit verwendeten Begrifflichkeiten vorzustellen und etwaige Besonderheiten aufzuzeigen. Die Feststellung, dass alle Personen- und Funktionsbezeichnungen in dieser Arbeit für Frauen und Männer in gleicher Weise gelten, erscheint mit Blick auf Art. 3 Abs. 2 GG eine Selbstverständlichkeit, soll hier aber gerade aufgrund der aktuellen gesellschaftlichen Debatte ausdrücklich hervorgehoben werden.13 11 Vgl. nur Althammer, in: ders. (Hrsg.), Verbraucherstreitbeilegung: Aktuelle Perspektiven für die Umsetzung der ADR-Richtlinie, 2015, S. 9 ff., 14 ff.; H. Roth, DRiZ 2015, 24 ff., 25 f.; Schmidt-Kessel, in: ders. (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 9 ff., 17 f.; Meller-Hannich/Höland/Krausbeck, ZEuP 2014, 8 ff., 35; Gsell, ZZP 128 (2015), 189 ff., 193 f., 199 f. 12 Gesetz zur Änderung von Vorschriften über die außergerichtliche Streitbeilegung in Verbrauchersachen und zur Änderung weiterer Gesetze, BGBl. I 2019 S. 1942. 13 Vgl. nur BGH, Urt. v. 13.03.2018 – VI ZR 143/17.
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Erstes Kapitel: Streitbeilegung in Verbrauchersachen
Klärungsbedürftig erscheinen zunächst der Verbraucher- und Unternehmerbegriff sowie die Fragen, was unter einer Verbraucherstreitigkeit und einer grenzübergreifenden Verbraucherstreitigkeit zu verstehen ist.
I. Verbraucher- und Unternehmerbegriff In Art. 4 Abs. 1 lit. a) und b) der ADR-Richtlinie findet sich die übliche14, unionsautonome Definition der Begriffe „Verbraucher“ und „Unternehmer“. Verbraucher ist demnach „jede natürliche Person, die zu Zwecken handelt, die nicht ihrer gewerblichen, geschäftlichen, handwerklichen oder beruflichen Tätigkeit zugeordnet werden können“. Mit Blick auf die Verträge mit gemischtem Zweck (sog. dual use-Verträge), stellt die Kommission in Übereinstimmung mit der Verbraucherrechte-RL15 klar, dass von einem Verbraucher auszugehen ist, wenn der gewerbliche Zweck des rechtgeschäftlichen Handelns so gering ist, dass er im Gesamtkontext des Geschäftes als nicht überwiegend anzusehen ist.16 Für das deutsche Umsetzungsgesetz soll sich der Verbraucherbegriff aus § 13 BGB ergeben.17 Dieser ist zwar weitergehender als der Verbraucherbegriff nach der ADR-Richtlinie, denn es werden auch Verträge erfasst, die einer unselbstständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden können. Allerdings stellt der § 4 Abs. 1 a. E. VSBG insoweit einen Gleichlauf her, indem arbeitsvertragliche Streitigkeiten aus dem Anwendungsbereich des VSBG ausgenommen werden. Bedenklich ist, dass der deutsche Gesetzgeber den Anwendungsbereich des VSBG auch auf gesetzliche Ansprüche erweitert,18 sich gleichzeitig aber ausschließlich auf einen Antragssteller oder Antragsgegner in der Verbraucher- bzw. Unternehmerrolle festlegt (§ 4 Abs. 3 VSBG; vgl. auch arg. e. § 4 Abs. 1). Bekanntermaßen knüpfen aber sowohl der Verbraucher- wie der Unternehmerbegriff in §§ 13, 14 BGB an ein Rechtsgeschäft an. Auflösen ließe sich die Problematik, indem man vergleichbar zu § 29c Abs. 1 ZPO 14
Siehe dazu nur Nachweise bei Rühl, ZZP 127 (2014), 61 ff., 64 Fn. 11. Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 über die Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates und der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 85/577/EWG des Rates und der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, ABl. EU Nr. L 304/64 vom 22. November 2011. 16 Siehe EWG 18 ADR-Richtlinie sowie EWG 17 der Verbraucherrechte-RL; die Rechtsprechung des EuGH, Urt. v. 20.01.2005, Rs. C-464/01 – Gruber, Slg. 2005, I-458 zu dual use -Verträgen muss somit in Frage gestellt werden Rühl, ZZP 127 (2014), 61 ff., 65; H. Roth, in: Kronke (Hrsg.), Grenzen überwinden – Prinzipien bewahren, 2011, S. 715 ff., 720; Loacker, JZ 2013, 234 ff. 17 BT-Drucks. 18/5089, 52. 18 BT-Drucks. 18/5089, 50, 53. 15
§ 3 Terminologie
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voraussetzt, dass der geltend gemachte Anspruch seine „Grundlage“ in einem Verbrauchervertrag (dort: § 312b BGB) zu finden hat.19 Insoweit wären dann auch gesetzliche und „vertragsähnliche“ Ansprüche erfasst. Denkbar wäre auch eine Anknüpfung an den im Zuge der Musterfeststellungsklage neu eingefügten verfahrensrechtlichen Verbraucherbegriff20 in § 29c Abs. 2 ZPO. Demnach soll es nicht auf die „rechtsgeschäftliche Entstehung des einzelnen Anspruchs“ ankommen, sondern „vielmehr darauf, dass der Verbraucher bei Erwerb des Anspruchs oder der Begründung des Rechtsverhältnisses nicht überwiegend im Rahmen seiner gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit handelte“21. Ob hier allerdings der rechtsgeschäftliche Bezug gänzlich aufgegeben wird, ist schon aus systematischen Gründen sowie nach dem Wortlaut der Begründung fraglich.22 Weiterhin ist hervorzuheben, dass zwar sowohl nach der ADR-Richtlinie als auch nach dem § 13 BGB der Verbraucher als natürliche Person zu verstehen ist, der BGH aber die Gesellschaft bürgerlichen Rechts23 sowie Wohnungseigentümergemeinschaften24 unter bestimmten Voraussetzungen schon als vom Tatbestand des § 13 BGB erfasst angesehen hat, sodass ein weites Feld für Verbraucher-ADR-Verfahren eröffnet ist.25 Hinsichtlich des Unternehmerbegriffs, der sich aus Art. 4 Abs. 1 lit. b) ADR-Richtlinie ergibt und im Regelungsgehalt mit § 14 BGB übereinstimmt, bestehen keine Besonderheiten.
II. Verbraucherstreitigkeit Als Verbraucherstreitigkeit, Verbraucherkonflikt und Verbraucherangelegenheit wird der Streit zwischen einem Verbraucher und Unternehmer aufgrund einer rechtsgeschäftlichen Verbindung bezeichnet. Dabei handelt es sich um einen Konflikt, der auf einem Verbrauchervertrag gem. § 310 Abs. 3 BGB basiert. Synonym wird auch von consumer-to-business-Konflikten (c2b-Konflikt) oder business-to-consumer-Konflikten (b2c-Konflikt) gesprochen, abhängig davon, von welchem Rechtsträger der Beschwerdeanlass
19 BGH NJW-RR 2011, 1137 ff., 1138; BGH NJW 2003, 1190 ff., 1191; H. Roth, in: Stein/Jonas, Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232014, § 29c Rn. 7; Schultzky, in: Zöller, Zivilprozessordnung, 332020, § 29c Rn. 4. 20 Aktuell dazu Meller-Hannich, in: Artz/Harke/Gsell (Hrsg.), Wer ist der Verbraucher?, 2018, S. 193 ff. 21 Vgl. BT-Drucks. 19/2507, 20. 22 BT-Drucks. 19/2507, 20, spricht von der in § 29c Abs. 1 „einzufügenden Definition“,. weiter wird auf „konkurrierende“ Ansprüche abgestellt. 23 BGHZ 149, 84. 24 BGHZ 204, 325. 25 Prütting, AnwBl 2016, 190 ff., 192.
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Erstes Kapitel: Streitbeilegung in Verbrauchersachen
ausgeht. Anders als die schon im Kurztitel zum Ausdruck gebrachte Beschränkung der ADR-Richtlinie auf Verbraucherbeschwerden26, will das nationale Umsetzungsgesetz nicht nur solche Streitigkeiten erfassen, bei denen der Verbraucher einen Anspruch gegen den Unternehmer gelten macht, sondern unabhängig von der Person des Anspruchsstellers, alle Konflikte zwischen Verbraucher und Unternehmer (vgl. § 4 Abs. 3 VSBG). In überschießender Umsetzung greift das VSBG allerdings auch Ansprüche aus gesetzlichen Schuldverhältnissen auf und hat damit im Vergleich zur ADR-RL27 auch in sachlicher Hinsicht einen erweiterten Anwendungsbereich.28 Schon aufgrund der Bedeutung, die die Europäische Kommission dem grenzübergreifenden Handel als eine Säule der Wirtschaftstätigkeit der Union beimisst29, sei an dieser Stelle auf den Begriff der „grenzübergreifenden Streitigkeit“ hingewiesen. Gem. Art. 4 Abs. 1 lit. f) ADR-Richtlinie ist eine solche zu bejahen, sofern zwischen dem Verbraucher, der „zum Zeitpunkt der Bestellung der Waren oder Dienstleistungen in einem anderen als dem Mitgliedstaat wohnt, in dem der Unternehmer niedergelassen ist“ und eben diesem Unternehmer ein Streit entsteht.
III. ADR Die Begriffe außergerichtliche Streitbeilegung, alternative Streitbeilegung (AS) und das angloamerikanische Akronym ADR (Alternative Dispute Resolution) werden im Folgenden synonym, für die umfangreichen Möglichkeiten, einen Rechtsstreit außerhalb der staatlichen Justiz zu lösen, verwendet.30
§ 4 Die alternative Streitbeilegung Die alternative Streitbeilegung bezeichnet als Sammelbegriff unterschiedliche Mechanismen und Institutionen zur Lösung eines Konfliktfalls. Nach dem weitestgehenden Begriffsverständnis können hierunter alle Möglichkeiten einer nicht streitigen Konfliktlösung verstanden werden. So bietet auch die ZPO mit dem Mahnverfahren (§§ 688 ff. ZPO) und dem selbstständigen Beweisverfahren (§§ 485 ff. ZPO), sowie dem Verfahren vor dem Güterichter 26
Siehe Hayungs, ZKM 2013, 86 ff., 88 Fn. 6. Streitigkeiten über „vertragliche Verpflichtungen aus Kaufverträgen oder Dienstleistungsverträgen“, Art. 2 Abs. 1 ADR-RL. 28 BT-Drucks. 18/5089, 50, 53. 29 Siehe insofern nur EWG 11 ADR-Richtlinie. Dazu eingehend unter § 22 und § 23. 30 Zur Terminologie Berlin, ZKM 2013, 108 ff., 109. 27
§ 4 Die alternative Streitbeilegung
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(§ 278 Abs. 5 ZPO) in ihrem Kernbereich Vorgaben, die letztendlich der Vermeidung eines Rechtsstreits vor den staatlichen Gerichten dienen sollen. Selbst bei der Durchführung des zivilprozessualen Regelverfahrens ist der Richter grundsätzlich verpflichtet, vor der streitigen mündlichen Verhandlung im Rahmen der Güteverhandlung die gütliche Beilegung des Rechtsstreits anzuregen (§ 278 Abs. 2–4 ZPO).31 Auch im weiteren Verfahrensverlauf ist die gütliche Beilegung des Rechtsstreits in jeder Verfahrenslage zu fördern (§ 278 Abs. 1 und 6; § 278a ZPO). Mit dem Begriff der alternativen Streitbeilegung sollen aber gerade auch alle von einer richterlichen Streitentscheidung losgelösten Verfahren der Konfliktbeilegung (siehe z. B. Schlichtungs-, Schieds- und Gütestellenverfahren, die Ombudsleute, Clearingstellen, Schieds- und Schlichtungsverfahren sowie Shuttle-Schlichtung, Adjudikation, Mini Trial, Early Neutral Evaluation und Online-Schlichtung)32 erfasst werden. Um dieses weit gefasste Feld unterschiedlicher und sich überschneidender Verfahren einzugrenzen, und da die verschiedenen Methoden der alternativen Streitbeilegung kaum exakt zu unterscheiden33 sind, soll sich die Darstellung hier auf die wohl in der Praxis gängigsten Formen der außergerichtlichen Streitbeilegung – Mediations-, Schlichtungs- und Schiedsverfahren – beschränken. Schon an dieser Stelle sei allerdings festgestellt, dass sowohl die ADR-RL als auch das VSBG grundsätzlich verfahrensoffen ausgestaltet sind. Eine Festlegung auf einen speziellen Verfahrenstyp erfolgt zumindest nicht ausdrücklich. Ausdrücklich ausgeblendet bleiben alle Verfahren, in denen sich ein Richter um die gütliche Beilegung eines Rechtsstreits im Rahmen eines Gerichtsverfahrens bemüht (vgl. nur Art. 2 Abs. 2 lit. d) und EWG 23 ADR-RL). Regelungsgegenstand ist nur die außergerichtliche Beilegung von Rechtsstreitigkeiten. Ebenso ist die Richtlinie nicht anwendbar auf Verfahren vor unternehmensinternen Beschwerdestellen, sowie für die „Grundform der Konfliktlösung“34, nämlich der direkten Verhandlung zwischen den Parteien ohne festes Verfahren und ohne einen neutralen Dritten.35
31
Erwähnt werden soll hier auch der obligatorische Schlichtungsversuch nach § 15a EGZPO, dessen Anwendungsbereich allerdings aufgrund der jeweiligen landesrechtlichen Vorgaben, primär auf Streitigkeiten im Bereich des Nachbarrechts begrenzt ist, vgl. dazu Gruber, in: Krüger/Rauscher/Adolphsen (Hrsg.), Münchener Kommentar ZPO, 52017, § 15a EGZPO Rn. 22 Fn. 65. 32 Aufzählung nach BT-Drucks. 17/5335, 11. 33 Vgl. nur Überblick bei Mähler/Mähler, in: Büchting (Hrsg.), Beck’sches Rechtsanwalts-Handbuch, 2011, § 47 Rn. 2 ff., 32 ff.; Klowait/Gläßer, in: Klowait/Gläßer (Hrsg.), Mediationsgesetz, 2018, Teil 1, Nr. 1, Rn. 28 ff.; Aufsatzreihe „ADR-Verfahren im Vergleich“, Unberath, ZKM 2012, 74 f. 34 Greger, SchlHA 2010, 30 ff., 30. 35 Art. 2 Abs. 1, Abs. 2 lit, a), b) und e) sowie EWG 23 ADR-Richtlinie.
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Erstes Kapitel: Streitbeilegung in Verbrauchersachen
Nach dem dieser Arbeit zugrundeliegenden Verständnis, ist für die alternative Streitbeilegung zum einen die Positionierung außerhalb des staatlichen Zivilprozesses und zum anderen eine Konfliktbearbeitung, die nicht notwendigerweise auf einer Anwendung des materiellen Rechts beruhen muss, charakteristisch. Grundgedanke aller alternativen Streitbeilegungsinstrumente ist dabei den Konfliktbeteiligten die Entscheidung über den für die Konfliktlösung relevanten Kommunikationscode oder Entscheidungsmaßstab zu überlassen. Das materielle Recht stellt folglich nicht automatisch den ausschlaggebenden Beurteilungsmaßstab dar, vielmehr soll den Parteien die Möglichkeit gegeben werden, auch weitere, für sie streitrelevante Faktoren, einzubeziehen. Ausweislich des Art. 2 Abs. 1 gilt die ADR-Richtlinie für Verfahren, deren Ziel es ist, die Parteien zusammenzubringen und sie zu einer gütlichen Einigung zu veranlassen. Ferner erfasst sie Verfahren, die einen Lösungsvorschlag eines neutralen Dritten vorsehen und Verfahren, die mit einer verbindlichen Entscheidung des neutralen Dritten enden, wobei auch Kombinationen dieser Verfahren möglich sind (vgl. EWG 21 ADR-RL). Terminologisch und inhaltlich sind damit Vermittlungs-, Schlichtungs- und Entscheidungsverfahren umfasst. Die Abgrenzung der verschiedenen Möglichkeiten der Konfliktbearbeitung erfolgt im Rahmen der ADR-Richtlinie nach der Reichweite der Einflussmöglichkeit des neutralen Dritten bei der Entscheidungsfindung.
I. Vermittlungsverfahren Unter dem Vermitteln ist die Verhandlungs- und Versöhnungsunterstützung durch einen neutralen Dritten zu verstehen, der die Streitparteien beim Versuch einer einvernehmlichen Konfliktlösung begleitet. Als ein klassisches Vermittlungsverfahren ist dabei das Mediationsverfahren anzusehen. Die Mediation ist ausweislich § 1 Abs. 1 Mediationsgesetz (MediationsG)36 „ein vertrauliches und strukturiertes Verfahren, bei dem die Parteien mithilfe eines oder mehrerer Mediatoren freiwillig und eigenverantwortlich eine einvernehmliche Beilegung ihres Konflikts anstreben“. Dem Mediator obliegt als unabhängigen und allparteiischen Dritten die Aufgabe der Verhandlungsleitung und Strukturierung des Kommunikationsprozesses zwischen den Parteien. Ihm kommt allerdings keine Entscheidungsmacht zu.37 Er darf da36
Artikel 1 des Gesetzes zur Förderung der Mediation und anderer Verfahren der außergerichtlichen Konfliktbeilegung vom 21. Juli 2012 (BGBl. 2012 I, S. 1577). 37 Breidenbach, Mediation, 1995, S. 4 ff., 137; Hagel, in: Klowait/Gläßer (Hrsg.), Mediationsgesetz, 2018§ 1 Rn. 20 ff.; § 1 Abs. 2 MediationsG; siehe zum Ablauf eines Mediationsverfahrens Dendorfer, in: Rasmussen-Bonne (Hrsg.), Balancing of interests, 2005, S. 99 ff., 103 ff.; Rinnert, in: Tamm/Tonner/Tamm-Tonner (Hrsg.), Verbraucherrecht, 2012, S. 1319 ff., 1327 f.
§ 4 Die alternative Streitbeilegung
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her auch keinen Druck auf die Parteien ausüben und sollte die Parteien auch nicht durch einen eigenen Lösungsvorschlag beeinflussen. Aufgrund der Verfahrensgestaltung ist die Mediation als ein grundsätzlich nicht-rechtsorientiertes Verfahren einzuordnen, indem die Lösung des Konflikts nicht auf einer Rechtsanwendung, sondern auf den bilateralen Verhandlungen zwischen den Streitparteien basiert. In Abgrenzung zum gerichtlichen Verfahren ist das Ziel hier gerade nicht die Reduktion der komplexen Wirklichkeit auf Basis von Anspruch und Verpflichtung, um normativ richtige Entscheidungen treffen zu können38, sondern die Interessenorientierung von Verfahrensgestaltung und Ergebnis.39 Die Parteien sollen nicht an die vom Gesetz vorgegebenen Anspruchsgrundlagen gebunden sein, sondern die hinter dem Rechtsanspruch verborgenen Interessen offenbaren und so den Lösungsraum erweitern.40 Dieser erweiterte Spielraum eröffnet Potential für eine interessensgerechte und möglichste umfassende Befriedung der konfliktbehafteten Beziehung. Besonders attraktiv wird eine solche Vermittlung dort, wo ein Streit auf einer komplexen Beziehungssituation oder einer langfristigen Verbindung zwischen den Streitparteien basiert.41 Durch das Mediationsgesetz42 vom 21. Juli 2012 wurde, angestoßen durch die europäische Mediations-RL43, eine zusammenhängende gesetzliche Verfahrensregelung geschaffen. Mit Inkrafttreten der ZMediatAusbV am 1. September 2017 dürfen sich darüber hinaus besonders qualifizierte Mediatoren als „zertifizierte Mediatoren“ bezeichnen. Die Mediation stellt gerade auch aufgrund der verstärkten gesetzgeberischen Aktivität in diesem Bereich das wohl bekannteste Verfahren der alternativen Streitbeilegung dar. So spricht Prantl in der Süddeutschen Zeitung im Zuge des Inkrafttretens des Mediationsgesetzes, von einem „Jahrhundertgesetz, das die Rechtskultur in Deutschland völlig verändern könnte“44. Mit Blick auf die hohen Erwartungen an das Mediationsgesetz, ist der im Juli
38 Mähler/Mähler, in: Breidenbach/Henssler (Hrsg.), Mediation für Juristen, 1997, S. 13 ff., 18. 39 Wendenburg, Der Schutz der schwächeren Partei in der Mediation, 2013, S. 12 f., 39; Gottwald, WM 52 (1998), 1257 ff., 1260; Mähler/Mähler, in: Breidenbach/Henssler (Hrsg.), Mediation für Juristen, 1997, S. 13 ff., 18 f. 40 Duve/Eidenmüller/Hacke, Mediation in der Wirtschaft, 22011, 187 ff. 41 Schwab/Rosenberg/Gottwald, Zivilprozessrecht, 182018, § 88 Rn. 23 ff. 42 BGBl. 2012 I, S. 1577. 43 Richtlinie 2008/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Mai 2008 über bestimmte Aspekte der Mediation in Zivil- und Handelssachen, ABl. EU Nr. L 136/3 vom 24.Mai 2008. 44 Prantl, Abschied vom Kampf bis zur letzten Instanz, 2. Juli 2012 (http://www.suedd eutsche.de/politik/mediation-statt-rechtsstreit-abschied-vom-kampf-bis-zur-letzten-insta nz-1.1398787) (geprüft am 01.11.2020).
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Erstes Kapitel: Streitbeilegung in Verbrauchersachen
2017 von der Bundesregierung beschlossene Evaluationsbericht über die Auswirkungen des Gesetzes allerdings ernüchternd.45
II. Schlichtung Die Streitbeilegung durch Schlichtung ist – trotz eines fehlenden einheitlichen Regelungskonzepts46 – praktisch nicht unbedeutend. So fand sich bereits vor Inkrafttreten des VSBG ein breites Netzwerk institutioneller Schlichtungsstellen für fast alle Lebensbereiche.47 Eine Legaldefinition der Schlichtung als Konfliktbearbeitungsverfahren findet sich allerdings nicht. Schon aus § 5a Abs. 3 S. 1 DRiG sowie § 2 S. 1 JAPO folgt aber, dass es sich in Abgrenzung zu Schiedsverfahren und Mediation um ein eigenständiges Verfahren der alternativen Streitbeilegung handeln muss. Auch die landesgesetzlichen Regelungen48, die von der Möglichkeit des § 15a EGZPO Gebrauch gemacht haben, liefern keine begriffliche Aufklärung. Aus dem Umkehrschluss zu § 1029 Abs. 1 ZPO lässt sich zunächst ableiten, dass dem Schlichter keine Entscheidungskompetenz zukommen kann. Die rechtsgeschäftliche Begründung von Entscheidungskompetenzen wird als Schiedsvereinbarung definiert.49 Die Schlichtung ist folglich nicht auf die verbindliche Entscheidung durch einen Dritten ausgerichtet. Ähnlich wie im Rahmen eines Mediationsverfahrens sollen die Konfliktparteien zunächst einvernehmlich und eigenverantwortlich unter der Leitung eines neutralen Dritten (Schlichter) die Beilegung der Streitigkeit versuchen. Sofern allerdings auf diesem Weg kein zufriedenstellendes Ergebnis erreicht werden kann, ist der Schlichter berufen, den Parteien einen Lösungsvorschlag50 zu unterbreiten. Der Schlichter muss sich daher eingehend mit dem Sachverhalt auseinandersetzen und benötigt für seinen Vorschlag einen konkreten Maßstab oder Orientierungsrahmen (Recht, Billigkeitserwägungen, eigene Gerechtigkeitsvorstellungen etc.). 45 Siehe in diesem Kontext den ernüchternden Evaluationsbericht 2017 der Bundesregierung über die Auswirkungen des Mediationsgesetzes, abrufbar unter: https://www.bmj v.de/SharedDocs/Downloads/DE/StudienUntersuchungenFachbuecher/Evaluationsberi cht Mediationsgesetz.pdf? blob=publicationFile&v=1 (geprüft am 01.11.2020). 46 Röthemeyer, ZKM 2013, 47 ff. 47 Vgl. dazu Überblick bei Greger/Münchhausen, Verhandlungs- und Konfliktmanagement für Anwälte, 2010, 130 ff.; siehe auch Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 2019, Einleitung Rn. 25. 48 Überblick bei Saenger, in: Saenger/Bendtsen (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 62015, § 15a EGZPO Rn. 11. 49 Prütting, in: Prütting/Krafka (Hrsg.), Außergerichtliche Streitschlichtung, 2003, Rn. 5; Röthemeyer, ZKM 2013, 47 ff., 48. 50 Auf die Bezeichnung als Schlichterspruch bzw. Schlichtungsspruch ist in den Fällen mangelnder Bindungswirkung zu verzichten.
§ 4 Die alternative Streitbeilegung
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Da ihm die Aufgabe obliegt, die inhaltliche Verantwortung für den Konfliktlösungsvorschlag und damit letztendlich für die Konfliktlösung an sich zu übernehmen, bietet sich das Merkmal der Eigenverantwortlichkeit als Abgrenzungskriterium zur Mediation und Schiedsverfahren an.51 Konzentriert sich der Mediator primär auf die Kommunikationsförderung und -unterstützung und betrachtet die Beilegung des Konflikts als Aufgabe der Parteien, liegt der Fokus des Schlichters auf der Lösung des Konflikts oder besser auf dem von ihm zu entwickelnden Lösungsvorschlag.52 Im Rahmen des Schiedsverfahrens hingegen ist die Eigenverantwortlichkeit auf ein Minimum reduziert. Haben sich die Parteien zur Durchführung eines Schiedsverfahrens entschieden, ist das Ergebnis für sie verbindlich und die Beschreitung des Rechtswegs nur noch in Ausnahmefällen möglich. Die Schlichtung wird als Konfliktbearbeitungsverfahren zwar vereinzelt erwähnt, beispielsweise die obligatorische Schlichtung aufgrund § 15a EGZPO in einigen Bundesländern53 sowie die branchenspezifische institutionelle Schlichtung54 mit jeweils eigenen Verfahrensregeln. Eine gesetzgeberische Normierung in Form eines allgemeinen Schlichtungsgesetzes blieb aber bisher aus. Unter diesem Aspekt ist zumindest bemerkenswert, dass das deutsche Umsetzungsgesetz die Schlichtung – bereits terminologisch – als das vorzugswürdige Konfliktbeilegungsverfahren postuliert.55 Ob demnach auch für das deutsche Umsetzungsgesetz die Prämisse der Verfahrensoffenheit gilt, erscheint zweifelhaft. Vielmehr besteht Grund zu der Annahme, dass mit dem VSBG der Weg zu einem umfassenden Schlichtungsgesetz geebnet werden soll.56 Dafür spricht auch der im Gegensatz zur ADR-Richtlinie doch erheblich ausgeweitete sachliche und personelle Anwendungsbereich. 51
So wohl auch BT-Drucks. 17/5335, S. 10; Röthemeyer, ZKM 2013, 47 ff., 49. Röthemeyer, ZKM 2013, 47 ff., 49. 53 Überblick bei Saenger, in: Saenger/Bendtsen (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 2015, § 15a EGZPO Rn. 11. 54 Siehe z. B.: Energiewirtschaft (§§ 111a, 111b Energiewirtschaftsgesetz [EnWG]), Finanzdienstleistungen (§ 14 Unterlassungsklagegesetz [UKlaG]; § 342 Kapitalanlagegesetzbuch [KAGB]), Versicherungswirtschaft (§ 214 Abs. 1 Nr. 1 Versicherungsvertragsgesetz [VGG]), Personenverkehr (§ 37 Eisenbahnverordnung EVO; § 6 EU-FahrgastrechteSchiff-Gesetz [EU-FahrRSchG]; § 6 EU-Fahrgastrechte-Kraftiomnibus-Gesetz [EUFahrRBusG]; §§ 57 ff. Luftverkehrsgesetz [LuftVG]), Telekommunikation (§ 47a Telekommunikatonsgesetz [TKG]), darüber hinaus bestehen Schlichtungsstellen an Ärzte-, Architekten- und Rechtsanwaltskammern. 55 Insofern kritisch Conen/Gramlich, NJ 2014, 494 ff.; Radimersky, Alternative Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten im Lichte der europäischen und deutschen Gesetzgebung, 14.02.2015; Trossen, SchiedsVZ 2015, 187 ff.; siehe aber auch BTDrucks. 18/5089, S. 41. 56 So auch BT-Drucks. 18/6921(neu), 6. Ebenso jetzt der Verbraucherschlichtungsbericht 2018 (Fn. 9), S. 14 „[…] das Verbraucherstreitbeilegungsgesetz (VSBG) als neues ,Grundgesetz‘ der außergerichtlichen Streitbeilegung in Deutschland.“. Dazu auch unter § 6 VI 3. 52
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Erstes Kapitel: Streitbeilegung in Verbrauchersachen
III. Entscheidungsverfahren Die letzte in diesem Zusammenhang vorzustellende Verfahrensart der alternativen Streitbeilegung sind sog. Entscheidungsverfahren. 1. Schiedsverfahren Das Schiedsverfahren57 (§§ 1025 ff. ZPO) stellt dabei den paradigmatischen Fall eines Streitbeilegungsverfahrens dar, in dem den Konfliktparteien die Lösung durch einen neutralen Dritten auferlegt wird. Die Entscheidung des Konfliktfalls entfaltet die Wirkung eines rechtskräftigen gerichtlichen Urteils (§ 1055 ZPO) und ist nur sehr eingeschränkt durch staatliche Gerichte überprüfbar. Die Schiedsgerichte stellen damit eine echte private Gerichtsbarkeit dar, die an die Stelle der staatlichen Gerichte tritt. Folgerichtig ist auch die Rolle des Schiedsrichters noch deutlich direkter als die des Schlichters auf Ermittlung, Bewertung und Entscheidung des Streitfalls ausgerichtet.58 An die Stelle der Parteientscheidung über die Beilegung einer Streitigkeit tritt im Schiedsverfahren eine Drittentscheidung. Maßstab für den Schiedsrichter sind dabei grundsätzlich die materiellen Rechtsnormen der durch die Parteien bestimmten Rechtsordnung. Die Parteien können das Schiedsgericht allerdings auch zu einer Entscheidung nach Billigkeit ermächtigen (§ 1051 ZPO). Die substituierende Wirkung der Schiedsvereinbarung wird vor allem durch die Schiedseinrede (§ 1032 Abs. 1 ZPO), die grundsätzlich zur Unzulässigkeit einer Klage vor den staatlichen Gerichten führt, und die nur eingeschränkte Kontrollmöglichkeit (§ 1059 ZPO) sichergestellt. Hohe Attraktivität kommt der Schiedsgerichtsbarkeit im Zusammenhang mit aufwendigen Wirtschaftsstreitigkeiten zu, da das Verfahren hierfür vielfach Vorteile59 bietet. So ermöglicht das Verfahren eine effizientere Streiterledigung als im Rahmen eines staatlichen Zivilprozesses und kann gleichzeitig eine imageschädigende Öffentlichkeit (§ 169 GVG) vermeiden. Durchaus umstritten60 ist allerdings, ob es sich aufgrund der starken Formalisierung und Institutionalisierung bei Schiedsverfahren noch um Verfahren der alternativen Streitbeilegung im engeren Sinne handelt. Da Entscheidungsverfah57 Siehe dazu Walter, ZZP 103 (1990), 141 ff.; H. Roth, ZZP 129 (2016), 3 ff., 7 f.; Steiner, SchiedsVZ 2013, 15 ff. Mit Blick auf die ADR-Richtlinie eingehend Wagner, in: Geimer (Hrsg.), Ars aequi et boni in mundo, 2014, S. 679 ff. 58 Röthemeyer, ZKM 2013, 47 ff., 50. 59 Siehe dazu Schwab/Rosenberg/Gottwald, Zivilprozessrecht, 182018, § 175 Rn. 6. 60 Hess, in: Verhandlungen des Siebenundsechzigsten Deutschen Juristentages, 2008, S. 1 ff. Dendorfer-Ditges, in: Klowait/Gläßer (Hrsg.), Mediationsgesetz, 2018, Teil 3, Nr. 11, Rn. 1 (m. w. N.); Kleinschmidt, ZZP 128 (2015), 215 ff., 236 ff.; Walter, ZZP 103 (1990), 141 ff.; Hess, ZZP 118 (2005), 427 ff., 429; Katzenmeier, ZZP 115 (2002), 51 ff., 65 f.
§ 4 Die alternative Streitbeilegung
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ren aber ausweislich der Art. 10 und Art. 11 ADR-Richtlinie, als Streitbeilegungsmechanismen von der ADR-Richtlinie erfasst werden61, ist im Rahmen dieser Arbeit auch das Schiedsverfahren als alternative Konfliktbeilegungsverfahren zu verstehen. Allerdings eignet sich die Schiedsgerichtbarkeit nur bedingt zur Beilegung von Verbraucherkonflikten62, sodass sie im Folgenden nicht im Mittelpunkt der Untersuchung stehen wird.63 Zwar kann Partei eines Schiedsverfahrens jedermann (auch ein Unternehmer und ein Verbraucher) sein, vorwiegend handelt es sich aber um Verfahren mit überdurchschnittlich hohen Streitwerten, da die anfallenden Kosten sonst außer Verhältnis stünden.64 2. Ombudsmannverfahren Mit Blick auf Verbraucherstreitigkeiten ist die Schiedsgerichtsbarkeit von sog. Ombudsmann-Verfahren abzugrenzen. So existieren vornehmlich im Bereich der Versicherungs- und Bankenwirtschaft private Kundenbeschwerdestellen, deren Ziel die Konfliktbereinigung zwischen Kunde und Anbieter ist. Wesensmerkmal dieser Ombudsstellen ist dabei, dass der Schlichtungsvorschlag für den Kunden unverbindlich, für den Unternehmer allerdings bis zu einem bestimmten Betrag einseitig verbindlich ist. Über diesem Betrag ist die „Empfehlung“ für beide Seiten unverbindlich.65 Die verfahrensrechtliche Einordnung ist aufgrund der einseitigen Verbindlichkeit nicht eindeutig. Man wird den Schlichtungsspruch des Ombudsmannes allerdings nicht als Schiedsspruch qualifizieren können, da der Schiedsspruch immer für beide Parteien verbindlich ist (§ 1055 i. V. m. § 325 Abs. 1 ZPO) und keinen Gültigkeitsvorbehalt für eine Seite kennt.66 Richti61
Kleinschmidt, ZZP 128 (2015), 215 ff., 236 ff.; Meller-Hannich/Höland/Krausbeck, ZEuP 2014, 8 ff., 26; Rühl, ZZP 127 (2014), 61 ff., 67. 62 Münch, in: Krüger/Rauscher/Adolphsen (Hrsg.), Münchener Kommentar ZPO, 5 2017, § 1031 Rn. 45a. Siehe zur Verbraucherschiedsgerichtsbarkeit auch Wagner/Quinke, JZ 2005, 932 ff.; Weihe, Der Schutz der Verbraucher im Recht der Schiedsgerichtsbarkeit, 2005 m. w. N. 63 Siehe aber Eidenmüller, in: Stiftung Gesellschaft für Rechtspolitik/Institut für Rechtspolitik an der Universität Trier (Hrsg.), Bitburger Gespräche/Bitburger Gespräche Jahrbuch 2016, 2016, S. 101 ff. 64 Schwab/Rosenberg/Gottwald, Zivilprozessrecht, 182018, § 88 Rn. 26 spricht von über 200.000 Euro Streitwert, ab denen die anfallenden Kosten nicht mehr außer Verhältnis zu diesem stünden. 65 Hippel, Der Ombudsmann im Bank- und Versicherungswesen, 2000; Süß, Streitbeilegungsmechanismen im Verbraucherrecht, 2011, 196 ff. Zum Versicherungsombudsmann eingehend Lorenz, VersR 2004, 541 ff. Zum Bankenombudsmann – insb. unter Berücksichtigung der ADR-RL Schmitt, VuR 30 (2015), 134 ff. 66 Hippel, Der Ombudsmann im Bank- und Versicherungswesen, 2000, 33 ff., 89 m. w. N.; Lorenz, VersR 2004, 541 ff., 545, 547.
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gerweise ist das Verfahren vor einem Ombudsmann als spezifisches Branchenschlichtungsverfahren einzuordnen, welches zu einem bedingten (kausalen oder negativen) Schuldanerkenntnis zugunsten des Kunden führt.67
IV. Interessensorientierung der außergerichtlichen Streitbeilegung In Abgrenzung zum staatlichen Gerichtsverfahren soll die außergerichtliche Streitbeilegung vornehmlich den Interessen der Parteien Rechnung tragen. Dem Grundsatz nach basiert jede Form der alternativen Streitbeilegung auf dem Gedanken, dass das auf autoritative Entscheidung ausgerichtete Gerichtsverfahren oder das staatliche Recht als Beurteilungsmaßstab den Interessen der Parteien nicht immer in vollem Umfang entspricht. In beiderlei Hinsicht bietet die alternative Streitbeilegung Lösungsvorschläge an. So kann der Konflikt in einem Schiedsverfahren mit einem verbindlichen Schiedsspruch enden, der allerdings nicht notwendigerweise auf eine Rechtsanwendung, sondern auch auf Billigkeitsgesichtspunkte gestützt werden kann (vgl. nur § 1051 Abs. 3 S. 1 ZPO). Oder die Parteien übernehmen im Rahmen einer Mediation, die nur die äußeren Rahmenbedingungen der Konfliktbeilegung vorgibt, die eigentliche Bearbeitung und Lösung des Konflikts selbst. 1. Verbraucherinteresse Die Interessen der Parteien spiegeln zum einen deren Erwartungshaltung an das ADR-Verfahren wider, zum anderen soll ihre Berücksichtigung der Schlüssel für eine zufriedenstellende Konfliktlösung sein.68 Für den Verbraucher stehen bei der Konfliktbearbeitung ein möglichst geringer Ressourceneinsatz (insb. von Zeit und Geld), sowie eine möglichst einfache Verfahrenseinleitung und -durchführung im Mittelpunkt. Elementar ist für ihn auch, dass er mit seinem Anliegen Gehör findet und vom Unternehmer ernst genommen wird.69 Dabei darf allerdings nie aus dem Blick geraten, dass das
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Hippel, Der Ombudsmann im Bank- und Versicherungswesen, 2000, 96 ff., 112 f.; Münch, in: Krüger/Rauscher/Adolphsen (Hrsg.), Münchener Kommentar ZPO, 52017, Vor § 1025 Rn. 40. A. A. Hopt, in: Baumbach/Hopt (Hrsg.), Handelsgesetzbuch, 392020, Bankgeschäfte Rn. A/56: Vertrag zugunsten Dritter zwischen Ombudsinstitution und Unternehmer; Süß, Streitbeilegungsmechanismen im Verbraucherrecht, 2011, 219 ff., 261 f. Ombudsentscheidung als Feststellungsvertrag, dessen Inhalt gem. § 317 BGB analog durch den Ombudsmann festgelegt wird. 68 Fisher/Ury/Patton, Getting to yes, 21999, 40 ff. 69 Scherpe, Außergerichtliche Streitbeilegung in Verbrauchersachen, 2002, 23; Berlin, Alternative Streitbeilegung in Verbraucherkonflikten, 2014, 147 ff.
§ 4 Die alternative Streitbeilegung
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vordringlichste Ziel des Verbrauchers immer auch die Durchsetzung seiner Rechtsposition sein wird.70 2. Unternehmerinteresse Im Mittelpunkt des unternehmerischen Interesses steht im Rahmen der alternativen Streitbeilegung insbesondere der Erhalt der Kundenbindung.71 Ein funktionierendes Beschwerdemanagement dient der Kundenzufriedenheit und Kundenloyalität. Gerade in Branchen, die typischerweise nur durch eine kurzfristige und wenig komplexe Leistungsbeziehung gekennzeichnet sind, sind diese Faktoren von entscheidender Bedeutung. Der hohe Wettbewerbsdruck und die entsprechend gesteigerte Wechselbereitschaft des Verbrauchers machen den Erhalt oder die Wiederherstellung einer guten Kundenbeziehung zu einem kaum zu überschätzendem Faktor. Ein weiteres Unternehmerinteresse ist die Verbesserung der Unternehmensreputation und die gleichzeitige Vermeidung imageschädigender Zivilprozesse.72 Insofern entspricht die weitgehend fehlende Öffentlichkeit der alternativen Streitbeilegung dem Interesse des beteiligten Unternehmers. Ebenso wie dem Verbraucher ist ihm darüber hinaus an einer möglichst zügigen und ressourcenschonenden Konfliktlösung gelegen. Ziel ist dabei allerdings nicht die Durchsetzung von Rechtspositionen, sondern vielmehr die nachhaltige Befriedung des Konflikts und die Förderung der Kundenzufriedenheit.73 3. Das Interesse der Allgemeinheit Diese ausschließliche Fokussierung auf die Interessen der Konfliktparteien schließt im Umkehrschluss eine Berücksichtigung überindividueller Interessen aus. Die außergerichtliche Streitbeilegung eignet sich damit nicht zur Sicherung von Kollektivgütern und Allgemeininteressen. Allerdings darf das Interesse der Allgemeinheit an Rechtssicherheit und Rechtsfortbildung durch alternative Verfahren nicht gefährdet werden. Die Verwirklichung und
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Vgl. § 16 I 2, § 17 IV 3. Zu Recht kritisch mit Blick auf die Berücksichtigung von Interessen in der Verbraucherschlichtung H. Roth, JZ 2013, 637 ff., 642. 71 Gläßer/Hammes/Kirchhoff, Konfliktmanagement in der deutschen Wirtschaft – Entwicklungen eines Jahrzehnts, 2016 (https://www.ikm.europa-uni.de/de/Studie V.pdf) (geprüft am 01.11.2020), 63 f.; Scherpe, Außergerichtliche Streitbeilegung in Verbrauchersachen, 2002, 24 ff. 72 Hess, ZZP 118 (2005), 427 ff., 439; Eidenmüller/Engel, ZZP 128 (2015), 149 ff., 151; H. Roth, ZZP 129 (2016), 3 ff., 16. 73 Berlin, Alternative Streitbeilegung in Verbraucherkonflikten, 2014, 154 ff.; Scherpe, Außergerichtliche Streitbeilegung in Verbrauchersachen, 2002, 199.
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Fortentwicklung des materiellen Rechts im Rahmen der gerichtlichen Konfliktbearbeitung muss auch weiterhin gewährleistet sein.74
§ 5 „Rationale Apathie“ Wesensmerkmal eines funktionierenden Rechtsstaates ist die Garantie, dass die durch die Rechtsordnung geschaffenen Rechte in einem geordneten und effektiven Verfahren durchgesetzt werden können. Dieses Recht auf einen effektiven Rechtsschutz ist sowohl im Grundgesetz75, als auch im Art. 47 der EU-Grundrechtecharta verbürgt, und schlussendlich Ausdruck des staatlichen Gewaltmonopols, welches ein Selbsthilferecht76 des Einzelnen nur in engen Grenzen zulässt. Bestünden keine wirkungsvollen Verfahren zum Individualrechtsschutz oder wäre der Zugang zu solchen Verfahren Teilen der Bevölkerung unmittelbar oder mittelbar versperrt, so stünde die vom Gesetzgeber vorgegebene Ordnung und die von der Rechtsgemeinschaft erlebte Wirklichkeit in einem Widerspruch.77 Für Verbraucherstreitigkeiten scheint der europäische Gesetzgeber eine solche Divergenz zwischen Recht und Wirklichkeit anzunehmen. Dem umfassenden Schutz durch materiellrechtliche Vorschriften und der weitreichenden Gewähr spezifischer Verbraucherrechte, steht die Realität einer als unzureichend angesehenen Durchsetzung entgegen.
I. Durchsetzungsdefizit in Verbrauchersachen Kaum ein Rechtsgebiet ist von ähnlich ausgeprägter gesetzgeberischer Aktivität gezeichnet wie das Verbraucherschutzrecht. Zur Steigerung der Aktivität des Verbrauchers am Binnenmarkt entstehen zu seinen Gunsten immer umfassendere Schutzvorgaben. Diesem hohen Schutzniveau steht gleichsam konträr allerdings ein justizielles Durchsetzungsdefizit entgegen, das letztendlich die Wirksamkeit des (Gemeinschafts-)Rechts beeinträchtigt.78 Die 74
Sehr kritisch aus diesem Grunde mit Blick auf das VSBG, Halfmeier, VuR Sonderheft 2016, 17 ff. Siehe dazu unter § 6 VI 4, VII und § 16 I. 75 Dieser allgemeine Justizgewährungsanspruch findet seine Grundlage in Art. 2 Abs. 1 GG i.V. mit dem Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 3 GG, vgl. BVerfGE 88, 118 ff., 123; 97, 169 ff., 185; 107, 395 ff., 404, 407. 76 Vgl. die allgemeinen Regelungen der §§ 229 ff., sowie die speziellen in den §§ 562b, 581 Abs. 2, § 704 S. 2, den §§ 859 f., 867, 1005 und § 910 BGB. 77 KOM (93) 576 endg. 4. 78 Meller-Hannich, in: Althammer (Hrsg.), Verbraucherstreitbeilegung: Aktuelle Perspektiven für die Umsetzung der ADR-Richtlinie, 2015, S. 19 ff., 24 f.; Rühl, RIW 59 (2013), 737 ff., 738. Das Recht wirksam sein muss, erscheint als Selbstverständlichkeit (für das EU-Recht, Art. 19 EUV), vgl. Basedow, JZ 2018, 1 ff., 2.
§ 5 „Rationale Apathie“
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durch das materielle Recht gewährten Schutzpositionen bleiben wirkungslos, solange nicht eine effektive Rechtsdurchsetzung sichergestellt ist. Scherpe hat in seiner Untersuchung zur außergerichtlichen Streitbeilegung in Verbrauchersachen ausführlich dargestellt, worauf die Defizite und Barrieren bei der gerichtlichen Durchsetzung von Verbraucheransprüchen zurückzuführen sind.79 Neben sozial, ökonomisch und justiziell bedingten Zugangshindernissen, ist gerade bei Verbraucherstreitigkeiten ein sog. „rationales Desinteresse“80 bzw. eine „rationale Apathie“ des Verbrauchers mit Blick auf die Konfliktaustragung festzustellen. Insbesondere bei geringen Streitwerten stehen sowohl der immaterielle wie materielle Aufwand der Rechtsverfolgung – selbst im Falle eines Verfahrensgewinns – außer Verhältnis zum Ertrag.81 So ist heute weitgehend anerkannt, dass die Durchsetzung von Ansprüchen aus Verbraucherverträgen mit nicht unerheblichen Schwierigkeiten für den Verbraucher verbunden ist.82 Gerade im grenzüberschreitenden Kontext 79
Scherpe, Außergerichtliche Streitbeilegung in Verbrauchersachen, 2002, 7 ff. Siehe dazu insb. ders., Außergerichtliche Streitbeilegung in Verbrauchersachen, 2002, 19 f. m. w. N.; vgl. auch Althammer, in: ders. (Hrsg.), Verbraucherstreitbeilegung: Aktuelle Perspektiven für die Umsetzung der ADR-Richtlinie, 2015, S. 9 ff., 16; Meller-Hannich, in: Althammer (Hrsg.), Verbraucherstreitbeilegung: Aktuelle Perspektiven für die Umsetzung der ADR-Richtlinie, 2015, S. 19 ff., 41. 81 So auch bereits die Kommission in den Erwägungsgründen zur Empfehlung der Kommission 98/257/EG vom 30. März 1998 betreffend die Grundsätze für Einrichtungen, die für die außergerichtliche Beilegung von Verbraucherrechtsstreitigkeiten zuständig sind, ABl. EG Nr. L 115/31. 82 Vgl. zum Ganzen Heetkamp, Online Dispute Resolution bei grenzüberschreitenden Verbraucherverträgen, 2018, 22 ff.; Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, 2016, 30 ff.; Berlin, Alternative Streitbeilegung in Verbraucherkonflikten, 2014, 53 ff.; Wendenburg, Der Schutz der schwächeren Partei in der Mediation, 2013, 189 f. „avoidance“; Scherpe, Außergerichtliche Streitbeilegung in Verbrauchersachen, 2002, 8 ff.; Elser, Mediation als Verbraucher-ADR-Verfahren, 2015, 67 ff.; Süß, Streitbeilegungsmechanismen im Verbraucherrecht, 2011, 1 ff.; Kocher, Funktionen der Rechtsprechung, 2007, 1 ff.; Koch, Verbraucherprozessrecht, 1990, 3 ff.; Reich/Micklitz, Europäisches Verbraucherrecht, 42003, §§ 28–32; Tamm, Verbraucherschutzrecht, 2011, 808 ff.; Meller-Hannich, in: Althammer (Hrsg.), Verbraucherstreitbeilegung: Aktuelle Perspektiven für die Umsetzung der ADRRichtlinie, 2015, S. 19 ff., 24 f.; Stürner, in: Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (Hrsg.), Alternative Streitbeilegung – Reden statt Klagen, 2013, S. 9 ff.; Rühl, RIW 59 (2013), 737 ff., 738 m. w. N.; Kramme, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 141 ff.; Hess, ZZP 118 (2005), 427 ff., 438; Hirsch, in: Wandt (Hrsg.), Versicherungsrecht, Haftungs- und Schadensrecht, 2014, S. 159 ff., 163 ff.; ders., VuR 29 (2014), 205 f.; Berlin, in: Tamm/Tonner/Bergmann (Hrsg.), Verbraucherrecht, 2016, § 23 Rn. 18 f.; Prütting, JZ 1985, 261 ff. Siehe auch schon Mitteilung der Kommission „Aktionsplan für den Zugang der Verbraucher zum Recht und die Beilegung von Rechtsstreitigkeiten der Verbraucher im Binnenmarkt“, KOM (96) 13 endg. 7 ff. Nur am Rande sei an dieser Stelle angemerkt, dass sowohl ADR-Richtlinie und ODR80
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sind diese Barrieren aufgrund der stärkeren Ausprägung bestimmter Faktoren (fehlende Rechts- und Sprachkenntnis; tendenziell höhere Kosten; Einschaltung ausländischer Anwälte; usw.) noch wesentlich höher. Diese Barriere bei der Verbraucherrechtsdurchsetzung hat nicht nur der Gesetzgeber erkannt und durch unterschiedliche Maßnahmen versucht abzumildern83, auch die Rechtsprechung nimmt sie mehrfach in den Blick. Wenn der EuGH beispielsweise für das Verbraucherprivatrecht judiziert, dass der Verbraucher, der im Falle des Kaufes einer mangelbehafteten Sache seinen gesetzlichen Nachlieferungsanspruch84 geltend macht oder sein Widerrufsrecht85 ausübt, grundsätzlich keinen Nutzungsersatz schuldet, obwohl er die Sache schon ausgiebig nutzen konnte, so ist diese Rechtsprechung auch auf eine Auslegung des Rechts zurückzuführen, die insbesondere den Aspekt einer möglichst effektiven Rechtsdurchsetzung im Blick hat.86 Die Bemühungen zum Abbau der rationalen Apathie finden sich also sowohl in der Gesetzgebung wie auch in der Rechtsprechung des EuGH. Ein Großteil der Verbraucher verzichtet dennoch in vielen Fällen auf eine gerichtliche Rechtsdurchsetzung und passt vielmehr sein Konsumverhalten an, mit negativen Auswirkungen für den europäischen Binnenmarkt.87
II. Der empirische Nachweis Unter Bezugnahme auf die Eurobarometer-Untersuchung aus dem Jahr 201188 geht die Europäische Kommission davon aus, dass etwas 20 % der europäischen Verbraucher beim Erwerb von Waren und Dienstleistungen im Binnenmarkt auf Probleme stoßen.89 Auf diese Weise entstünde den Verbrau-
Verordnung nicht notwendigerweise zu einer Verbesserung bei grenzüberschreitenden Streitigkeiten beitragen werden. So spricht H. Roth zu Recht von einer Aushebelung des Klägergerichtsstands (Art. 18 Abs. 1 EuGVVO), sollte sich der Verbraucher in diesen Fällen an eine ausländische Verbraucherschlichtungsstelle wenden müssen, vgl. H. Roth, DRiZ 2015, 24 ff., 26; mit Verweis auf Hess, in: Althammer (Hrsg.), Freiwilligkeit, Zwang und Gerechtigkeit im Kontext der Mediation, 2013, S. 25 ff., 42 und Meller-Hannich/Höland/Krausbeck, ZEuP 2014, 8 ff., 33, ebenso Rühl, RIW 59 (2013), 737 ff., 740, 742. 83 Vgl. dazu unter § 6. 84 Siehe § 475 Abs. 3 S. 1 BGB (§ 474 Abs. 2 S. 1 a. F.) 85 Siehe § 357 Abs. 7 BGB, der einen Verschlechterungswertersatz bei gleichzeitigem Ausschluss des Nutzungswertersatzes normiert. 86 Der EuGH versteht den Nutzungsersatzanspruch ausdrücklich als Hindernis für die Ausübung der entsprechenden Verbraucherrechte, vgl. EuGH, Urt. v. 17.04.2008, C-404/06 – Quelle AG, Slg. 2008, I-2685 Rn. 34; EuGH, Urt. v. 03.09.2009, C-489/07 – Messner, Slg. 2009, I-7315 Rn. 19. 87 Eidenmüller/Engel, ZIP 2013, 1704 ff., 1706. 88 Special Eurobarometer 342 – Consumer empowerment, 2011. 89 ADR-RL (Vorschlag), S. 2.
§ 5 „Rationale Apathie“
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chern ein wirtschaftlicher Schaden in Höhe von 0,4 % des EU-BIP (zur Zeit des Richtlinienvorschlags ca. 50 Milliarden Euro).90 Gleichzeitig sei aber fast jeder zweite Verbraucher (43 %) nicht bereit, bei einem Streitwert von unter 500,– Euro den Rechtsweg zu beschreiten.91 Andererseits geben 38 % der Verbraucher an, bei einem Streitwert von unter 200,– Euro eine Konfliktlösung im Rahmen eines außergerichtlichen Verfahrens vorzuziehen.92 Auch auf dieser – zumindest diskussionswürdigen93 – empirischen Grundlage, begründet die Kommission im Bereich der Verbraucherstreitigkeiten den Vorzug der alternativen Streitbeilegung vor einer streitigen Rechtsdurchsetzung im Rahmen eines Zivilverfahrens. Durchaus zutreffend ist dabei, dass viele Unionsstaaten gerade im Bereich der niedrigschwelligen Konflikte über einen nur unzureichenden Zugang zur Ziviljustiz verfügen. Als Beispiele seien hier nur die erheblichen Kosten des englischen Zivilprozesses94, sowie die unter dem Gebot justice delayed is justice denied kaum hinnehmbare durchschnittliche Verfahrensdauer eines italienischen Zivilprozesses angesprochen.95 Zumindest die europäischen Gesetzgebungsakte sind damit immer auch vor dem Hintergrund einer nachhaltigen Vertrauenskrise der staatlichen Justizsysteme in vielen EUMitgliedstaaten zu sehen.96
90 ADR-RL (Vorschlag), S. 2. Kritsch zu dieser Zahl Rühl, in: Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (Hrsg.), Alternative Streitbeilegung – Reden statt Klagen, 2013, S. 26 ff.; dies., RIW 59 (2013), 737 ff., 742; Hess, in: Althammer (Hrsg.), Freiwilligkeit, Zwang und Gerechtigkeit im Kontext der Mediation, 2013, S. 25 ff., 42. 91 Special Eurobarometer 342 – Consumer empowerment, 2011, S. 217. 92 Special Eurobarometer 342 – Consumer empowerment, 2011, S. 222; siehe dazu aber auch Flash Eurobarometer 385, Justice in the EU, S. 53 ff., wonach ca. die Hälft aller Befragten bei einem Konfliktfall mit einem Unternehmer eine außergerichtliche Streitbeilegung unter Mithilfe eines neutralen Dritten anstreben würden. Nur 8 % der Befragten würden auch beim Bestehen eines solchen ADR-Angebots den Rechtsweg einschlagen, wohingegen der überwiegende Teil versuchen würde, den Konflikt in direkten Verhandlungen mit dem Unternehmer zu lösen. 93 Rühl, RIW 59 (2013), 737 ff., 742. 94 Hodges/Benöhr/Creutzfeldt-Banda, Consumer ADR in Europe, 2012, 253 ff. 95 So gibt das EU-Justizbarometer 2018, eine durchschnittliche Verfahrensdauer von über 500 Tagen für die 1. Instanz, 1.000 Tage für die 2. Instanz und über 1.400 Tage für die 3. Instanz an (Figure 9). Siehe für den Bereich Verbraucherschutz Figure 21. Vgl. dazu auch den Bericht des Internationalen Währungsfonds von 2014, IMF Country Report No. 14/284 – Italy, S. 4 f. 96 Hess, in: Althammer (Hrsg.), Freiwilligkeit, Zwang und Gerechtigkeit im Kontext der Mediation, 2013, S. 25 ff., 34 Fn. 45. Darüber hinaus soll allerdings nicht unerwähnt bleiben, dass bei der Etablierung dieser „zweiten Spur der Anspruchsdurchsetzung“ wohl auch kompetenztaktische Erwägungen eine Rolle gespielt haben, vgl. dazu unter § 6 III 4.
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III. Der Befund für Deutschland Für Deutschland wird vielfach darauf verwiesen, dass der Verbraucher erst ab einem durchschnittlichen Streitwert von 1.950, – Euro bereit sei den Rechtsweg zu beschreiten.97 Schon die empirische Grundlage dieser Annahme trübt allerdings das Bild vom prozessscheuen Verbraucher. Die entsprechende Studie weist nämlich auch einen Anteil von 17 % der Befragten aus, die bei einem Streitwert von unter 500,– Euro die Justiz anrufen würden. Bei einem Streitwert von 500,– bis 1.000,– Euro kommen weitere 11 % hinzu. Für 22 % der befragten Verbraucher liegt die Grenze schließlich im Bereich von 1.000,– bis 2.500,– Euro. Unberücksichtigt blieb dabei aber die weit überwiegende Gruppe der Befragten (34 %), die die Antwortmöglichkeit „unmöglich zu sagen, keine Angabe“ gewählt haben. So verwundert es wenig, dass das Eurobarometer der Europäischen Kommission ein etwas anders Bild zeigt: Schon 33 % der deutschen Verbraucher würden bei einem Streitwert von bis zu 200,– Euro eine gerichtliche Klärung in Erwägung ziehen.98 Für Deutschland erscheint also der Befund, dass der Bürger im Bereich der geringwertigen Streitigkeiten grundsätzlich auf eine Anrufung der Gerichte verzichten würde, zumindest zweifelhaft. Das Statistische Bundesamt weist für das Jahr 2016 bei einem Streitwert bis 1000,– Euro insgesamt über 450.000 erledigte Verfahren aus.99 Dies entspricht in etwa der Hälfte (47,8 %) aller bei den Amtsgerichten erledigten Verfahren für dieses Jahr. Bis zu einem Streitwert von 600,– Euro wurden 2016 vor den Amtsgerichten über 326.000 Verfahren und bis zu einem Wert von 300,– Euro immerhin noch über 169.000 Verfahren erledigt.100 Für das Jahr 2017 ist der prozentuale Anteil der erledigten Verfahren bis zu einem Streitwert von 1000,– Euro mit 47,7 % nahezu identisch geblieben.101 Über 228.000 (2017: >213.000102) zivilprozes97 Siehe Roland Rechtsreport 2014, S. 36 abrufbar unter: https://www.roland-rechtssch utz.de/media/rechtsschutz/pdf/unternehmen 1/ROLAND Rechtsreport 2014.pdf (geprüft am 01.11.2020). Darauf bezugnehmend u. a. Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz Heiko Maas, Rede zur Eröffnung des 66. Deutschen Anwaltstags am 11. Juni 2015, abrufbar unter: http://www.bmjv.de/SharedDocs/Reden/DE/2015/06112015 D eutscher Anwaltstag.html (geprüft am 01.11.2020); Hirsch, ZKM 2015, 141 ff., 142. Vgl. auch Niewisch-Lennartz, ZKM 2015, 136 ff. 98 Siehe dazu Europäische Kommission, Special Eurobarometer 342, Consumer empowerment, abrufbar unter: http://ec.europa.eu/consumers/consumer empowerment/doc s/report eurobarometer 342 en.pdf (geprüft 24.07.2019), S. 216 ff. 99 Statistisches Bundesamt, Fachserie 10 Reihe 2.1 – 2016, S. 26 abrufbar unter: htt ps://www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/Rechtspflege/GerichtePersonal/Zivil gerichte2100210167004.pdf? blob=publicationFile (geprüft am 01.11.2020). 100 Statistisches Bundesamt, Fachserie 10 Reihe 2.1 – 2016, S. 26. 101 Statistisches Bundesamt, Fachserie 10 Reihe 2.1 – 2017, S. 26. 102 Statistisches Bundesamt, Fachserie 10 Reihe 2.1 – 2017, S. 18.
§ 5 „Rationale Apathie“
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suale Verfahren hatten dabei Kauf-, Reisevertrags- und Kredit-/Leasingsachen sowie Ansprüche aus Versicherungsverträgen (ohne Verkehrsunfallsachen) zum Gegenstand und damit vertragliche Konstellationen, bei denen die Beteiligung eines Verbrauchers zumindest nicht unwahrscheinlich ist.103 Selbstverständlich lassen diese Daten keinen belastbareren Rückschluss auf die hier in Rede stehende Rechtsdurchsetzungsquote bei Verbraucherstreitigkeiten zu. Allerdings vermögen sie doch in gewissem Umfang der Behauptung einer gänzlich fehlenden Inanspruchnahme des Justizangebotes bei geringen Streitwerten entgegenzutreten.104 Gleichzeitig wird aber deutlich, dass sich die Bedenken hinsichtlich eines Konkurrenzverhältnisses105 zwischen ADR und Justiz nicht mit der Behauptung entkräften lassen, ein solches würde schon deshalb nicht bestehen, da in Bagatellsachen eine gerichtliche Geltendmachung schon a priori ausscheide und insofern gar keine Überschneidung vorliege. Der statistische Befund zeigt vielmehr, dass der Verbraucher auch im Bereich der eher geringwertigen Streitigkeiten – zumindest in Deutschland – zur Durchsetzung seiner Ansprüche im Klageweg bereit ist. Dies überrascht auch deshalb wenig, vergegenwärtigt man sich, dass in Deutschland knapp die Hälfte aller Haushalte über eine Rechtsschutzversicherung verfügen.106 Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang aber auch auf Folgendes: Streitwertunabhängig ist sowohl für die Amts-, als auch die Landgerichte im Jahr 2017 ein neuer Tiefstand der Klageeingangszahlen zu verzeichnen.107 Worauf dieser kontinuierliche Rückgang der im Einzelnen zurückzuführen ist, ist Gegenstand entsprechender wissenschaftlicher Analysen und bis jetzt noch nicht hinreichend geklärt.108 Nachweisbar ist allerdings, dass die Klageeingangszahlen in allen Zweigen der Zivil-, Arbeits-, Finanz-, Verwaltungsund Sozialgerichtsbarkeit absinken, sodass die fehlende Bereitschaft zum Gerichtsprozess – zumindest statistisch – nicht nur den Bereich der niedrigschwelligen Verbraucherstreitigkeiten betrifft.109 103
Statistisches Bundesamt, Fachserie 10 Reihe 2.1 – 2016, S. 18. Althammer/Lohr, DRiZ 2017, 354 ff., 357 f. Ebenso auch Limperg, BRAK-Mitteilungen 46 (2015), 225 ff., 227, mit dem Hinweis: „Manchmal tun Bürger also offensichtlich andere Dinge, als sie in Umfragen angeben“. 105 Siehe dazu unter § 6 VI 4. 106 Röthemeyer, VuR Sonderheft 2016, 9 ff., 11 Fn 13. Auf die weiteren Ausgleichsinstrumente wie Prozesskostenhilfe, sowie Beratungshilfe und die Inanspruchnahme von privaten Prozessfinanzierern sei an dieser Stelle nur hingewiesen, vgl. H. Roth, in: Schulze (Hrsg.), Europäisches Privatrecht in Vielfalt geeint, 2014, S. 79 ff. 107 Statistisches Bundesamt, Fachserie 10 Reihe 2.1 – 2017, S. 12 f. 108 Siehe dazu Höland/Meller-Hannich (Hrsg.), Nichts zu klagen? Der Rückgang der Klageeingangszahlen in der Justiz, 2016; Wagner, Rechtsstandort Deutschland im Wettbewerb, 2017, 113 ff. 109 Höland/Meller-Hannich (Hrsg.), Nichts zu klagen? Der Rückgang der Klageeingangszahlen in der Justiz, 2016, 12. 104
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Erstes Kapitel: Streitbeilegung in Verbrauchersachen
Die vorstehenden Ausführungen haben deutlich gemacht, dass durchaus Zweifel an der Grundannahme der Europäischen Kommission hinsichtlich der negativen Auswirkungen von Dauer, Kosten und Effizienz der staatlichen Zivilgerichtsbarkeit110 auf die Verbraucherrechtsdurchsetzung in Deutschland angebracht sind.111 Wäre dem Verbraucherschutz also nicht mehr mit einer Modernisierung und entsprechenden Anpassung des staatlichen Justizsystems genutzt?112 Nach Ansicht des europäischen Gesetzgebers sollen die Schwierigkeiten im Bereich der Verbraucherrechtsdurchsetzung aber gerade nicht über eine Anpassung des staatlichen Gerichtsverfahrens113, als vielmehr über die flächendeckende Etablierung eines Parallelsystem zur Geltendmachung von Verbraucheransprüchen, bewältigt werden. Da eine durch den europäischen Gesetzgeber instruierte Änderung der nationalen Zivilprozessordnungen nur unter den Voraussetzungen des Art. 81 AEUV möglich ist, richtet sich der Fokus der Kommission auf die Instrumente der alternativen Konfliktlösung, allerdings ohne deren Eignung und Leistungsfähigkeit für Verbraucherstreitigkeiten eingehender zu evaluieren oder theoretisch zu begründen.114 Man wird nämlich schon ganz grundsätzlich die Frage stellen müssen, ob die Schwellenangst des Verbrauchers mit Blick auf die Durchsetzung seiner
110 Deutlich schon H. Roth, JZ 2013, 637 ff., 641 f. Vgl. auch Hirtz, NJW 2014, 2529 ff., „Die durchschnittliche Verfahrensdauer ist in Deutschland – sowohl im europäischen als auch im außereuropäischen Bereich – vorbildlich gering.“ (S. 2530); Küspert, in: Althammer/Weller (Hrsg.), Europäische Mindeststandards für Spruchkörper, 2017, S. 55 ff.; Stadler, ZZP 128 (2015), 165 ff., 185; Niewisch-Lennartz, ZKM 2015, 136 ff., 137 f.; Dies, in: Bundesrat Plenarprotokoll 935, Anlage 19, S. 287 f. 111 H. Roth, JZ 2013, 637 ff., 641 f.; ders., DRiZ 2015, 24 ff., 25; Eidenmüller/Engel, ZZP 128 (2015), 149 ff., 151. Man beachte dabei auch, dass Deutschland über eine hohe Abdeckung mit Rechtsschutzversicherungen verfügt (21,8 Millionen Verträge im Jahr 2015); siehe dazu Röthemeyer, VuR Sonderheft 2016, 9 ff., 11; H. Roth, JZ 2013, 637 ff., 641 f. 112 Niewisch-Lennartz, in: Bundesrat Plenarprotokoll 935, Anlage 19, S. 287 f., 287 (C), „Wir haben mit der Justiz die fachkundige, unabhängige und in jeder Hinsicht funktionsfähige Institution zur Bearbeitung von Rechtsstreitigkeiten, auch und gerade im Verbraucherbereich. Wenn wir im Lichte der Ziele der Richtlinie das Gerichtsangebot kritisch prüfen, könnten wir auf die Idee kommen, zu Fragen wie technisch moderner Zugang oder Streitwert-Gebühren-Relation Nachbesserungen im Zivilprozess vorzunehmen. Damit aber, und das ist in gewisser Weise eine Ironie europäischer Kompetenzstrategien, würden wir zwar das Ziel der Richtlinie erfüllen, den von ihr ausgesprochenen Auftrag aber verfehlen.“. Dazu auch H. Roth, ZZP 129 (2016), 3 ff.; Calliess, in: Ständige Deputation des Deutschen Juristentages (Hrsg.), Verhandlungen des 70. Deutschen Juristentages, 2014, S. 5, 29, 41, 97 es drohe eine „zum Prozessschwund führende Privatisierung der Justiz“. Siehe dazu unten § 26. 113 Siehe dazu unter § 6 II. 114 Röthemeyer, in: Borowski/Röthemeyer/Steike (Hrsg.), VSBG, 2016, Einführung Rn. 14 ff.
§ 6 Verbraucherrechtsdurchsetzung
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Rechte durch das Angebot alternativer Konfliktlösungsinstrumente vollumfänglich beseitigt werden kann.115 Vielmehr scheinen gerade Verfahren der außergerichtlichen Streitbeilegung eher den informierten und mündigen Bürger anzusprechen, sodass trotz eines entsprechenden Schlichtungsangebots ein Durchsetzungsdefizit bestehen bleiben könnte.116 Im Übrigen sind alternative Rechtsdurchsetzungsinstrumente in besonderem Maße in solchen Mitgliedstaaten attraktiv, die über ein nur unzureichend funktionierendes Ziviljustizsystem verfügen.117 Schon die Europäische Kommission führt im EWG 15 ADR-RL aus, dass die alternative Streitbeilegung in den Mitgliedstaaten von Bedeutung sein wird, in denen es „einen beträchtlichen Rückstand an anhängigen Gerichtsverfahren gibt, wodurch Unionsbürgern das Recht auf einen fairen Prozess innerhalb einer angemessenen Frist vorenthalten wird“. Dies wird man für Deutschland allerdings mit dem Vorstehenden nicht ohne Weiteres annehmen dürfen.
§ 6 Verbraucherrechtsdurchsetzung Trotz der bereits aufgezeigten Einschränkungen erweist sich die individuelle Durchsetzung der Verbraucherrechte in der Gesamtübersicht als lückenhaft.118 Die Hindernisse für eine gerichtliche Geltendmachung liegen dabei gerade auch in der Rolle des Verbrauchers als Marktteilnehmer begründet.119 Bedeutung haben – wie bereits oben dargestellt120 – neben einer unzureichenden Kenntnis des materiellen Rechts und des Verfahrens sowie einer geringen Konflikterfahrung und Frustrationsschwelle, insbesondere das nicht unerhebliche Ressourcenrisiko, mit Blick auf den notwendigen Einsatz von Zeit
115
Eidenmüller, JZ 2015, 539 ff., 541 f.; Wagner, CMLR 2014, 165 ff., 194; Rühl, in: Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (Hrsg.), Alternative Streitbeilegung – Reden statt Klagen, 2013, S. 26 ff., 36; Althammer, in: ders. (Hrsg.), Verbraucherstreitbeilegung: Aktuelle Perspektiven für die Umsetzung der ADRRichtlinie, 2015, S. 9 ff., 16 f., insb. mit Blick auf Massen- und Streuschäden. 116 Prütting, JZ 1985, 261 ff., 268; ebenso Frank/Henke/Singbartl, VuR 2016, 333 ff., 336. 117 Eidenmüller/Engel, ZZP 128 (2015), 149 ff., 151. 118 „Der Rechtsschutz ist die Achillesferse des Verbraucherrechts“, Kocher, in: Tamm/ Tonner/Bergmann (Hrsg.), Verbraucherrecht, 2016, § 24 Rn. 1. Vgl. aktuell Meller-Hannich, in: Artz/Harke/Gsell (Hrsg.), Wer ist der Verbraucher?, 2018, S. 193 ff., 205 f. Siehe auch Nachweise bei Erstes Kapitel § 5 I Fn. 78. 119 Scherpe, Außergerichtliche Streitbeilegung in Verbrauchersachen, 2002, 9 ff.; Koch, Verbraucherprozessrecht, 1990, 60 ff. 120 Oben § 5 I.
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und vor allem Geld, dem der Verbraucher als Kläger ausgesetzt ist (§ 12 Abs. 1 S. 1 GKG).121 Das materielle Recht wird aber nur insoweit von Bedeutung sein, wie der Rechtsverkehr auf die Durchsetzung dieser Rechte vertrauen kann. Keiner besonderen Hervorhebung bedarf die Feststellung, dass mit der Statuierung materiell-rechtlicher Regelungen noch nichts über die Einhaltung dieser Rechte gesagt ist.122 Besonders evident werden die Schwierigkeiten bei der Rechtsdurchsetzung dort, wo ein hoher materiell-rechtlicher Schutzstandard auf einen geringen Streitwert trifft. So verwundert es nicht, dass gerade Fragen der Verbraucherrechtsdurchsetzung schon früh das Interesse des Gesetzgebers sowie der Wissenschaft geweckt haben.123
I. Prozessualer Verbraucherschutz Unzweifelhaft ist, dass die Streitwerthöhe schon aus verfassungsrechtlicher Sicht keinen Einfluss auf die Möglichkeit einer gerichtlichen Rechtsdurchsetzung haben darf (vgl. Art. 6 Abs. 1 EMRK; Art. 47 Abs. 2 EU-Grundrechtecharta; Art. 3, 20 und 28 GG). Die Instrumente der Prozesskostenhilfe (§§ 114 ff. ZPO)124 und Beratungshilfe125 sichern dabei den aus Art. 3 Abs. 1 GG und dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Grundsatz der prozessualen Chancengleichheit ab.126
121 Ausführlich dazu Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, 2016, 30 ff.; Scherpe, Außergerichtliche Streitbeilegung in Verbrauchersachen, 2002, 7 ff. 122 Wagner, in: Zekoll/Bälz/Amelung (Hrsg.), Formalisation and flexibilisation in dispute resolution, 2014, S. 369 ff., 372 f. 123 Koch, Verbraucherprozessrecht, 1990; Scherpe, Außergerichtliche Streitbeilegung in Verbrauchersachen, 2002; Tamm, Verbraucherschutzrecht, 2011, 806 ff.; Süß, Streitbeilegungsmechanismen im Verbraucherrecht, 2011; Berlin, Alternative Streitbeilegung in Verbraucherkonflikten, 2014. Siehe aktuell Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, 2016; Kotzur, Die außergerichtliche Realisierung grenzüberschreitender Verbraucherforderungen, 2018; Basedow, JZ 2018, 1 ff. 124 Für grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe, beachte § 1078 ZPO. Dazu aktuell BGH BeckRS 2018, 16381. 125 Siehe auch Basedow, JZ 2018, 1 ff., 9, der die Prozesskosten- und Beratungshilfe, in Verbindung mit der Zunahme von Rechtsschutzversicherungen als „Subventionierung von Verbraucherstreitigkeiten“ bezeichnet. 126 Vgl. BVerfG NJW 2000, 1936 ff.
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1. Individualrechtsschutz im Verbraucherrecht a) Die nationale Perspektive Im Bereich des nationalen Verfahrensrechts kommt es nur vereinzelt zu Modifikationen, um den Schutz des Verbrauchers zu gewährleisten. Zwar kennt das deutsche Zivilprozessrecht einige Vorschriften, die ausdrücklich auf den Verbraucher Bezug nehmen (vgl. §§ 29c, 1031 Abs. 5 ZPO) oder zumindest eine verbraucherschützende Tendenz (vgl. nur §§ 29 Abs. 2, 38 Abs. 3, 114 ff., 495a ZPO; § 26 Abs. 1 FernUSG; § 215 Abs. 1 VGG) aufweisen, ein Sonderprozessrecht in Form eines Verbraucherprozessrechts existiert allerdings – zumindest bislang – nicht.127 Die Idee zur Einführung eines verbraucherspezifischen Schnellverfahrens ohne Instanzenzug vor den Amtsgerichten wie Calliess es in seinem Gutachten zum 70. Deutschen Juristentag vorgeschlagen hat, ist vom Gesetzgeber – wohl auch aufgrund der Unklarheiten bei der tatsächlichen Ausgestaltung – bisher nicht aufgegriffen worden.128 Darüber hinaus wird man es gerade als die Stärke eines einheitlichen Prozessrechts ansehen können, dass im Grundsatz jedes Zivilverfahren nach gleichen Verfahrensregeln abläuft und „die Wahrung aller verfahrensmäßigen Garantien und eine ordnungsgemäße Prozessführung“129 unabhängig vom Streitwert ist. An dieser Stelle sei im Übrigen daran erinnert, dass die ZPO mit dem Verfahren nach billigem Ermessen gem. § 495a ZPO ein entsprechend effizientes Bagatellverfahren bereithält.130 b) Die europäische Perspektive Im Rahmen einer Beschäftigung mit der Verbraucherrechtsdurchsetzung bietet sich auch ein Blick auf die europäischen Justizinitiativen an. So stellen die Etablierung eines effektiven Rechtsschutzes und die Verbesserung der Durchsetzung der Verbraucherrechte zwei wesentliche Ziele des Verbrau-
127 Überzeugend gegen die Etablierung von Sonderprozessrechten H. Roth, in: Bruns (Hrsg.), Die Zukunft des Zivilprozesses, 2014, S. 69 ff.; ders., ZZP 129 (2016), 3 ff., 22 ff.; ders., in: Gottwald (Hrsg.), Recht und Gesellschaft in Deutschland und Japan, 2009, S. 149 ff., 166 f.; Prütting, AnwBl 2013, 401 ff., 402. Dazu auch unter § 26. 128 Calliess, in: Ständige Deputation des Deutschen Juristentages (Hrsg.), Verhandlungen des 70. Deutschen Juristentages, 2014, S. 5, A 98, 108. Kritisch dazu H. Roth, JZ 2014, 801 ff., 806 f. 129 Prütting, AnwBl 2013, 401 ff., 402. 130 Ob die vorgesehenen Verfahrensvereinfachungen allerdings tatsächlich zu einer Entlastung führen, ist empirisch bisher nicht untersucht Deppenkemper, in: Rauscher/Krüger/ Becker-Eberhard (Hrsg.), Münchener Kommentar ZPO, 62020, § 495a Rn. 1 ff. Im Jahr 2016 ergingen 30,5 % der streitigen Urteile vor den deutschen Amtsgerichten im Verfahren gem. § 495a ZPO, vgl. Statistisches Bundesamt, Fachserie 10 Reihe 2.1, Rechtspflege Zivilgerichte 2016, S. 22.
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cherprogramms 2014–2020 der Union dar.131 Als Regelungsakte zu nennen sind hier insbesondere das Europäische Verfahren für geringfügige Forderungen (EuGFVO)132 und das Europäische Mahnverfahren (EuMahnVO)133. Schon kompetenzbedingt (Art. 81 AEUV) rückt bei diesen Regelungen die Erleichterung der grenzüberschreitenden Rechtsdurchsetzung in den Vordergrund. aa) Europäische Verfahren für geringfügige Forderungen Das Europäische Bagatellverfahren steht dem Rechtssuchenden als Alternative zu den bestehenden innerstaatlichen Verfahren der Mitgliedstaaten zur Verfügung (siehe dazu §§ 1097 ff. ZPO). Der personelle Anwendungsbereich ist dabei nicht auf Verbraucher beschränkt, gleichwohl erscheint das Verfahren aufgrund der Maximal-Streitwertgrenze von 5.000,– Euro (zuvor: 2.000,– Euro) für viele Verbraucherstreitigkeiten besonders relevant.134 Das vorrangig schriftlich durchzuführende, formularbasierte Verfahren führt zu einem Urteil, das in jedem anderen Mitgliedstaat anerkannt wird und ohne Exequatur vollstreckbar ist. Grundsätzlich soll binnen 30 Tagen nach Zugang der Antwort der Parteien ein Bagatellurteil ohne mündliche Verhandlung ergehen (Art. 7 EuGFVO). Gerade das Zurückdrängen des Mündlichkeitsprinzips unter gleichzeitiger Erweiterung des sachlichen Anwendungsbereichs der Verordnung ist dabei wiederholt Gegenstand kritischer Anmerkungen gewesen.135 131 Vgl. Ziel III und IV der Verordnung (EU) Nr. 254/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über ein mehrjähriges Verbraucherprogramm für die Jahre 2014–2020 und zur Aufhebung des Beschlusses Nr. 1926/2006/EG, ABl. EU Nr. L 84/42. 132 Verordnung (EG) Nr. 861/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen, ABl. EU Nr. L 199/1, ber. 2015 ABl. EU Nr. L 141/118, geändert durch Art. 1 der Verordnung (EU) 2015/2421 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2015 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 861/2007 zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen und der Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens, ABl. EU Nr. L 341/1. 133 Verordnung Nr. 1896/2006 vom 12.12.2006 zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens, ABl. EU Nr. L 399/1, geändert durch Art. 2 der Verordnung (EU) 2015/2421. 134 Siehe auch EWG 3 EuGFVO „Die in dieser Verordnung vorgeschlagenen Verbesserungen am europäischen Verfahren für geringfügige Forderungen sollen den Verbrauchern wirksame Rechtsmittel an die Hand geben und so zur Durchsetzung ihrer Rechte in der Praxis beitragen.“. 135 Siehe zuletzt Leipold, in: Brinkmann/Effer-Uhe/Völzmann-Stickelbrock u. a. (Hrsg.), Dogmatik im Dienst von Gerechtigkeit, Rechtssicherheit und Rechtsentwicklung, 2018, S. 401 ff. mit umfangreichen Nachweisen; Kotzur, Die außergerichtliche Realisierung grenzüberschreitender Verbraucherforderungen, 2018, 24 ff.
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bb) Europäisches Mahnverfahren Neben diesem kontradiktorischen Verfahren etabliert die Union auch ein europäisches Mahnverfahren zur Durchsetzung grenzüberschreitender Forderungen („Europäischer Zahlungsbefehl“).136 In Abweichung vom deutschen Mahnverfahren wird der Europäische Zahlungsbefehl (vgl. auch §§ 1087 ff. ZPO) bei Verstreichenlassen der 30-tägigen Einspruchsfrist ohne Weiteres für vollstreckbar erklärt (vgl. Art. 18 EuMahnVO). Insbesondere mit Blick auf die Ausgestaltung des Europäischen Mahnverfahrens muss gefragt werden, ob es sich bei diesen speziellen Bagatellverfahren nicht eher um Rechtsschutzinstrumente gegen den als für den Verbraucher handeln könnte.137 Verfahren zur Durchsetzung geringwertiger Streitigkeiten wird schon seit jeher die Sorge entgegengebracht, dass sich die verbesserten Möglichkeiten zur Rechtsdurchsetzung auch gegen diejenigen wenden könnte, die durch die entsprechenden Maßnahmen eigentlich geschützt werden sollten.138 Der effizienzorientierte access to justice-Gedanke der Bagatelljustiz steht nämlich in vielen Fällen in einem Spannungsverhältnis zu elementaren Prozessgrundsätzen. cc) Brüssel Ia-Verordnung Allerdings beschränkt sich die Union nicht nur auf die Einführung bestimmter Rechtsdurchsetzungsverfahren, sondern erleichtert auf europäischer Ebene auch die gerichtliche Geltendmachung von Verbraucherrechten. So besteht mit dem Art. 18 Brüssel Ia-VO für grenzüberschreitende Verbraucherverträge in Abweichung vom Grundsatz des actor sequitur forum rei eine Spezialzuständigkeit für die Gerichte am Wohnsitz des Verbrauchers. Die Art. 17 ff. Brüssel Ia-VO dienen dem prozessualen Verbraucherschutz, indem sie für den Verbraucher eine Klagemöglichkeit an seinem Wohnsitzstaat zulassen und ihn gleichzeitig vor einer Gerichtspflicht in einem anderen Mitgliedstaat bewahren.139
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Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, § 10 Rn. 48 ff. So ders., ZZP 118 (2005), 427 ff., 430. Vgl. auch Koch, Verbraucherprozessrecht, 1990, 103 f. für das deutsche Mahnverfahren gem. §§ 688 ff. ZPO, wobei das Kriterium der Zugänglichkeit des Verfahrens ebenso wenig verbraucherfreundlich ausgestaltet ist, wie im Rahmen der EuMahnVO, vgl. dazu auch Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, 2016, 169; Weber, VuR Sonderheft 2016, 22 ff., 25, nach der sowohl das Verfahren nach der EuGFVO, wie EuMahnVO in der Praxis regelmäßig gegen Verbraucher Anwendung findet. 138 Hau, RabelsZ 81 (2017), 570 ff., 592 f. 139 Eingehend dazu das sechste Kapitel (§ 22 und § 23). 137
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Erstes Kapitel: Streitbeilegung in Verbrauchersachen
2. Kollektiver Rechtsschutz in Verbrauchersachen Neben den Instrumenten der Individualrechtsdurchsetzung bieten sich Mechanismen des kollektiven Rechtsschutzes, insbesondere im Bereich der sog. Massen- und Streuschäden, an.140 Die rechtspolitische Diskussion um kollektive gerichtliche Schutzinstrumente hat nicht nur auf europäischer Ebene, sondern auch in Deutschland, wohl hauptsächlich bedingt durch den sog. „Abgasskandal“, merklich an Auftrieb gewonnen. Im Zentrum steht dabei immer die Erkenntnis, dass die rationale Apathie bei Kleinstschäden einer Individualrechtsdurchsetzung entgegensteht.141 Im Rahmen kollektiver Rechtsschutzinstrumente sollen die individuellen Ansprüche gebündelt beurteilt werden. Auf diese Weise lässt sich zum einen eine effizientere Konfliktbearbeitung sicherstellen und zum anderen das Prozessrisiko für den Einzelnen minimieren. Neben kollektiven Klageformen i.e.S., wie der Sammeloder Gruppenklage, haben auch die Verbands- und Musterklage eine kollektivschützende Ausrichtung. Kommt es im Rahmen der Ersteren regelmäßig zu einer Bündelung oder Zusammenfassung der einzelnen Ansprüche, so sind sowohl die Muster- als auch die Verbandsklage genuine Individualklagen. Die kollektivierte Geltendmachung von Einzelansprüchen im Rahmen einer eigenen Verfahrensform ist dem deutschen Zivilprozessrecht grundsätzlich fremd. Das nationale Zivilverfahrensrecht ist geprägt durch den Zweiparteienprozess über einen bestimmten Anspruch (Streitgegenstand).142 Allerdings kennt das deutsche Recht gerade auch unter Verbraucherschutzgesichtspunkten eine Verbandsklagebefugnis bei Verstößen gegen das Wettbewerbsrecht. So können Verbraucherverbände nach den Vorschriften des UKlaG und UWG Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche geltend machen und gem. § 10 UWG sowie § 34a GWB die wirtschaftlichen Vorteile solcher Rechtsverstöße abschöpfen.143 Hervorzuheben ist an dieser Stelle, 140 Vgl. schon Koch, Verbraucherprozessrecht, 1990, 39 ff. Eingehend das Gutachten von Meller-Hannich, in: Verhandlungen des 72. Deutschen Juristentages, 2018, Gutachten A. 141 Meller-Hannich, in: Verhandlungen des 72. Deutschen Juristentages, 2018, A 24 ff. Dieses Rechtsschutzdefizit kann letztendlich zu einem Marktversagen führen. In jedem Fall schwächt es die Rolle Deutschlands im Wettbewerb der Rechtsordnungen. Weber, VuR Sonderheft 2016, 22 ff., 29, bringt es mit dem Ausspruch „fehlt Rechtsdurchsetzung, fehlen Anreize zu gesetzestreuem Verhalten“ auf den Punkt. 142 Zwar lässt die ZPO neben einer objektiven, auch eine subjektive Klagehäufung zu. Die subjektive Klagehäufung führt aber nicht zu einem Mehrparteienverfahren, vielmehr steht jeder Streitgenosse in einem eigenen Prozessrechtsverhältnis zum Gegner. Das Gericht kann für jeden Streitgenossen unterschiedlich urteilen. Im Übrigen kennt die ZPO die Beteiligung Dritter am Rechtsstreit nur ohne dass diese selbst Partei des Prozesses wird. 143 Überblick bei Kocher, in: Tamm/Tonner/Bergmann (Hrsg.), Verbraucherrecht, 2016, § 24 Rn. 49 ff.; Micklitz, Gutachten A zum 69. Deutschen Juristentag, A 96 ff. mit kritischem Blick auf die Effektivität; Tamm, Verbraucherschutzrecht, 2011, 835 ff.
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dass der BGH den Unterlassungsanspruch aus § 1 UKlaG nicht lex specialis gegenüber dem Folgenbeseitigungsanspruch gem. § 8 Abs. 1 UWG ansieht, und so durchaus die Beseitigung der durch die Verwendung rechtswidriger AGB eingetretenen Störungen gem. § 8 Abs. 1 UWG verlangt werden kann.144 Dem Grunde nach bejaht der BGH dabei, dass diese Folgenbeseitigung auch zu einem Zahlungsanspruch führen kann. Dementsprechend verurteilte das OLG Dresden (Az.: 14 U 82/16) nun mit Bezug auf diese BGHEntscheidung die Dresdner Volksbank Raiffeisenbank zur Rückzahlung von zu Unrecht erhobener „Pfändungsgebühren“.145 Im Bereich des Anlagerechts besteht darüber hinaus mit dem KapMuG bis Ende 2020 ein spezialgesetzliches Verfahren für Musterprozesse in kapitalmarktrechtlichen Streitigkeiten. Dem Grunde nach kann das zuständige Oberlandesgericht im Musterverfahren bei Vorliegen von mindestens zehn Verfahren, in denen sich Tatsachen- und Rechtsfragen gleichlautend stellen, diese in einem Musterbescheid mit Bindungswirkung für die Parteien klären.146 Gleichzeitig sind die Verbraucherverbände und -organisationen gem. § 79 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 ZPO dazu berechtigt Verbraucherforderungen sowohl als Prozessbevollmächtigte, als auch im Wege einer Abtretung oder gewillkürten Prozessstandschaft ohne Rechtsanwalt (vgl. auch § 79 Abs. 1 S. 2 ZPO; § 8 Abs. 1 Nr. 4 RDG) in einem Zivilprozess geltend zu machen (Einziehungsklagen). Mit Ausnahme der letztgenannten Möglichkeit führen die Klagen allerdings nicht zu einer Durchsetzung der individuellen Verbraucherrechte, sondern zielen vielmehr auf eine Verhaltenssteuerung des Unternehmers ab.147 Die Beschränkung auf zivilrechtliche Sondergebiete sowie die wenig effizienten Möglichkeiten zur kollektiven Durchsetzung der individuellen Verbraucherrechte führt zur Feststellung, dass in Deutschland kein zufriedenstellender Rechtsschutz im verbraucherrechtlich relevanten Bereich der Mas144
BGH GRUR 2018, 423 ff. Rn. 41 ff. OLG Dresden: Rechtswidrig vereinnahmte Kundengelder müssen unaufgefordert zurückgezahlt werden, becklink 2009575. Vgl. auch VuR 2018, 266 ff. Dezidiert A. A. Bornkamm, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen (Hrsg.), UWG, 372019, § 8 UWG Rn. 1.107 f. „Ein derartiger auf Zahlung an die Verbraucher gerichteter Folgenbeseitigungsanspruch passt in keiner Weise in das System des UWG, das den betroffenen Verbrauchern überhaupt keine, geschweige denn Ansprüche auf Zahlung von Schadensersatz zuerkennt.“. 146 Kocher, in: Tamm/Tonner/Bergmann (Hrsg.), Verbraucherrecht, 2016, § 24 Rn. 17 m. w. N. 147 Aus der Evaluation der verschiedenen kollektiven Rechtsschutzinstrumente ergibt sich dann auch, dass diese Klageinstrumente nicht immer die gehoffte Effektivität aufweisen, vgl. Meller-Hannich/Höland, Gutachten Evaluierung der Effektivität kollektiver Rechtsschutzinstrumente, 2011 (geprüft am 01.11.2020) 23 ff., 141 ff., 169 ff. 145
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sen- und insbesondere der Streuschäden besteht.148 So hat das BMJV im Juli 2017 einen Diskussionsentwurf für ein Gesetz zur Einführung einer Musterfeststellungsklage (MFK-DiskE) veröffentlicht.149 Ziel des Gesetzes ist, die „gerichtliche Rechtsverfolgung der Ansprüche einer Vielzahl gleichartig geschädigter Verbraucherinnen und Verbraucher wirksam auszugestalten“ ohne dabei auf ein „zivilrechtliches Sondergebiet“ beschränkt zu sein.150 a) Musterfeststellungsklage Am 14. Juni 2018 hat der Deutsche Bundestag das Gesetz zur Einführung einer zivilprozessualen Musterfeststellungsklage, in der durch den Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz geänderten Fassung beschlossen.151 Das Gesetz trat größtenteils am 1. November 2018 in Kraft. Das Musterfeststellungsverfahren152 ist im – mit Inkrafttreten des FamFG aufgehobenen – 6. Buch der ZPO (§§ 606 ff.) normiert. Ziel der Musterfeststellungsklage ist nach § 606 S. 1 ZPO „die Feststellung des Vorliegens oder Nichtvorliegens von tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen für das Bestehen oder Nichtbestehen von Ansprüchen oder Rechtsverhältnissen (Feststellungsziele) zwischen Verbrauchern und einem Unternehmer“. Aktivlegitimiert sind nur sog. „qualifizierte Einrichtungen“ und nicht eine Gruppe von Verbrauchern (§ 606 S. 1 ZPO).153 An diese Einrichtungen stellt das Gesetz in § 606 Abs. 1 S. 2 ZPO weitgehende Anforderungen, hauptsächlich wohl um missbräuchliche Klagen zu verhindern.154 Nach § 606 Abs. 3 148
Vgl. nur Gsell/Meller-Hannich/Stadler, NJW-Aktuell 2016, 14 f. Abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokum ente/DiskE Musterfeststellungsklage.pdf? blob=publicationFile&v=3 (geprüft am 01.11.2020). 150 Vgl. MFK-DiskE S. 11. 151 Deutscher Bundestag: Plenarprotokoll 19/39 v. 14. Juni 2018, S. 3753 B. Siehe dazu BT-Drucks. 19/2507 sowie BT-Drucks. 19/2741. 152 Überblick siehe bei Meller-Hannich, NJW-Beil 2018, 29 ff.; Halfmeier, ZRP 2017, 201 ff.; Kranz, NZG 2017, 1099 ff.; Habbe/Gieseler, BB 2017, 2188 ff.; Krausbeck, DAR 2017, 567 ff. Ausführlich Bewertung bei Meller-Hannich, in: Verhandlungen des 72. Deutschen Juristentages, 2018, A 48 ff. Zum nicht veröffentlichten Referentenentwurf siehe Stadler, VuR 2018, 83 ff. Siehe auch die überwiegend kritischen Stellungnahmen der Sachverständigen im Rechtsausschuss, abrufbar unter https://www.bundestag.de/ausschuesse/ a06 Recht/anhoerungen archiv/stellungnahmen/558740 (geprüft am 01.11.2020). 153 Problematisch ist dies insb. mit Blick auf Nicht-Erfassung ad hoc, für ein konkretes Massenschadensereignis, gebildeter Einrichtungen und Interessensvereinigungen. Siehe dazu auch EWG 18 und unter III. 6 der Empfehlung der Kommission 2013/396/EU über die Gemeinsamen Grundsätze für kollektive Unterlassungs- und Schadensersatzverfahren. Der Entwurf will damit aber einer „missbräuchlichen Klageindustrie“ entgegenwirken und schließt somit Einrichtungen aus, die nur für den Zweck einer Musterfeststellungsklage gegründet worden sind. 154 BT-Drucks. 19/2507, 19. 149
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ZPO muss zur Zulässigkeit der Musterfeststellungsklage durch den Kläger glaubhaft gemacht werden, dass von dem Feststellungsziel Ansprüche und Rechtsverhältnisse von mindestens zehn Verbrauchern abhängen und zwei Monate nach öffentlicher Bekanntmachung der Musterfeststellungsklage mindestens 50 Verbraucher ihre Ansprüche oder Rechtsverhältnisse zur Eintragung in das Klageregister wirksam angemeldet haben. Zu begrüßen ist, dass die Zahl der betroffenen Verbraucher für die Klageerhebung in der Beschlussfassung nicht sehr hoch angesetzt wurde. So zeigt die Erfahrung mit der Einziehungsklage nach § 79 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 ZPO, dass die Zusammenstellung mehrerer individueller Ansprüche erheblichen Aufwand für die Verbände erfordert, was schlussendlich die Effektivität dieser Rechtsdurchsetzungsmöglichkeit vermindert.155 Nach § 613 Abs. 1 ZPO soll das Musterurteil den Verbraucher nur dann binden, sofern dieser seine Ansprüche in ein Klageregister spätestens bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung angemeldet hat (§ 609 ZPO). Eine inhaltliche Prüfung der Ansprüche findet hier nicht statt (§ 608 Abs. 2 S. 2 ZPO). Umstritten war im Gesetzgebungsverfahren die genaue Ausgestaltung der Bindungswirkung. So sah der Diskussionsentwurf156 noch zwei Alternativen vor: 1. Die Feststellungen des Musterurteils entfalten nur dann Bindungswirkung zwischen dem Beklagten und dem Verbraucher, der seinen Anspruch ordnungsgemäß angemeldet hat, wenn sich der Verbraucher auf dieses Urteil beruft oder 2. Die Feststellungen des Urteils sind unabhängig vom Willen des Verbrauchers – sollte dieser seine Anspruchsanmeldung nicht bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung zurücknehmen – für diesen bindend.157 Dies gilt auch im Falle der Klageabweisung. Die endgültige Fassung folgt nun ausweislich des § 613 Abs. 1 ZPO der zweiten Alternative. Eine Gehörsverletzung sei durch ein solche umfassende Bindungswirkung nicht zu besorgen, da es der freien Entscheidung des Verbrauchers obliege, ob er sich zur Eintragung in das Klageregister anmelden und am Ausgang des Musterfeststellungsverfahrens teilhaben möchte.158 Diese fast apodiktische Feststellung überzeugt nicht. Ein Verfahren, das zu einer bindenden Entscheidung für den Verbraucher führt, muss diesem als unmittelbar Betroffenen auch die Möglichkeit zur Äußerung und Information geben. Der Verbraucher hat allerdings auf die konkrete Prozessführung durch den Kläger keinerlei Einfluss und kann die Anmeldung (§ 608 Abs. 1 und 3 155
BT-Drucks. 19/2507, 12. BT-Drucks. 19/2507. 157 Siehe dazu MFK-DiskE, S. 20. 158 Vgl. BT-Drucks. 19/2507, 27. 156
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ZPO) nur bis zum Ablauf des Tages vor Beginn des ersten Termins vornehmen oder zurücknehmen.159 Schon der Name des Gesetzes macht deutlich, dass das Ziel der Musterfeststellungsklage zwar die verbindliche Entscheidung über zentrale Tatsachen- und Rechtsfragen ist, das Verfahren allerdings nicht der Durchsetzung individueller Leistungsansprüche des jeweiligen Verbrauchers dient. Eine echte Gruppen- oder Sammelklage und damit ein kollektives Rechtsdurchsetzungsinstrument i.e.S. stand durch die Regierungsparteien160 demnach nie zur Diskussion.161 Auch nach Durchführung eines Musterverfahrens wird der Verbraucher bei entsprechender Leistungsverweigerung des Unternehmers noch zur Einleitung eines Individualverfahrens gezwungen sein. An dieser Stelle sieht der Gesetzgeber neben der Möglichkeit der gerichtlichen Rechtsdurchsetzung162 insbesondere das Potential der außergerichtlichen Streitschlichtung in Form des Verbraucherstreitbeilegungsgesetzes (vgl. dazu unter § 26 III).163 Im Ergebnis erscheint die Musterfeststellungsklage gerade wegen der Notwendigkeit eines Nachverfahrens zur Rechtsdurchsetzung kaum geeignet, hinreichenden Rechtsschutz im Bereich der StrEU- und Massenschäden zu gewährleisten. Die rationale Apathie des Verbrauchers dadurch überwinden zu wollen, indem man von ihm verlangt, gleich zweimal die Initiative zu ergreifen, erscheint geradezu grotesk.164 Insofern überrascht es auch kaum, dass die Vorschläge auf europäischer Ebene weit über den nationalen Rechtssetzungsakt hinausgehen. 159
Vgl. dazu auch Stellungnahmen der Sachverständigen im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages Meller-Hannich, S. 5, 7 f., abrufbar unter: https://www.bundestag.de/b lob/558748/7fd3b668ffe333ea6512b5f9a3a320e4/meller-hannich-data.pdf (geprüft am 01.11.2020) und Augenhofer, S. 6, abrufbar unter https://www.bundestag.de/blob/559766/e 2830003053f0ea58835d3677fd5e072/augenhofer-data.pdf (geprüft am 01.11.2020) sowie die Kritik in den Empfehlungen der Ausschüsse des Bundesrates, BR-Drucks. 176/1/18, 7. 160 Siehe nur der konkurrierende Entwurf vom 12. Dezember 2017 der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, der eine Gruppenklage vorschlägt, BT-Drucks. 19/243. 161 Zu Recht kritisch Stadler, VuR 2018, 83 ff., 84 ff. 162 Insofern könnte sich die Einziehungsklage gem. § 79 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 ZPO als mögliches Instrument erweisen. Zwar ist die Bündelung mehrerer Ansprüche in dieser Situation bereits erfolgt, für eine Leistungsklage müssten dann aber für jeden Fall gesondert die weiteren Voraussetzungen für die Durchsetzung eines Anspruchs ermittelt und dargelegt werden (z. B. Kausalität und Schadenshöhe), vgl. Basedow, JZ 2018, 1 ff., 9. Mit Blick auf die verfügbaren Ressourcen der Verbraucherschutzzentralen erscheint dieses Vorgehen nur in Einzelfällen wahrscheinlich. 163 Siehe BT-Drucks. 19/2507, 11: „Die beabsichtigte Musterfeststellungsklage ergänzt damit die bereits etablierten Verfahren außergerichtlicher Streitbeilegung um den Aspekt prozessualer Durchsetzung, ohne die etablierten Verfahren zu beschränken oder zu verdrängen.“. 164 Deutlich auch Stadler, VuR 2018, 83 ff., 84.
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b) Europäische Entwicklungen Schon die Empfehlung der Kommission von 2013 sah echte Gruppen- und Sammelklagen als effizientes Mittel der kollektiven Rechtsdurchsetzung im Bereich der Verbraucherstreitigkeiten an.165 Im Rahmen des Maßnahmenpaketes „New Deal for Consumers“ befasst sich das Europäische Parlament aktuell mit dem Entwurf eines Richtlinienvorschlags der EU-Kommission vom April 2018 für Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher.166 Neben den bestehenden Regelungen über Unterlassungsklagen aufgrund von Verstößen gegen verbraucherschützendes Unionsrecht, zeichnet sich der Entwurf insbesondere durch die Möglichkeit einer auf Folgenbeseitigung (insb. Schadensersatz, Nacherfüllung oder Rückabwicklung) und damit auf Leistung gerichteten Verbandsklage aus (vgl. Art. 6 Abs. 1 RLVorschlag). Nach diesem Richtlinienentwurf bestünde die Möglichkeit neben der Unterlassung bestimmter AGB, auch im Klageweg die Rückübertragung unrechtmäßiger Zahlungen und weitere Sekundärrechte (Nacherfüllung, Minderung, Schadensersatz, etc.) mit unmittelbarer Wirkung für die betroffenen Verbraucher geltend zu machen.167 Nur in dem Fall, dass die Bezifferung der konkreten individuellen Schäden zu komplex ist, soll für das Gericht die Möglichkeit bestehen, durch Feststellungsurteil die Haftung des Unternehmers dem Grunde nach zu beurteilen. Ebenso wie im Entwurf zum Musterfeststellungsverfahren sollen dabei aber nur „qualifizierte Einrichtungen“ klagebefugt sein, um das Risiko missbräuchlicher oder unbegründeter Klagen zu minimieren. Hierbei wird es sich meist um einen Verbraucherschutzverband handeln, wobei der Richtlinienvorschlag ausdrücklich auch ad hoc Einrichtungen, die nur aufgrund eines konkreten Massenschadensereignisses gebildet wurden, zulassen möchte. Besonders kritisch gesehen wird allerdings generell, dass vom Ver-
165
Empfehlung der Kommission 2013/396/EU über die Gemeinsamen Grundsätze für kollektive Unterlassungs- und Schadensersatzverfahren. Siehe dazu den Bericht der Kommission über die Umsetzung der Empfehlung, KOM (2018) 40 endg. Einen Überblick über die Kodifikationen in den einzelnen Mitgliedstaaten der EU gibt Meller-Hannich, in: Verhandlungen des 72. Deutschen Juristentages, 2018, A 17 ff. 166 Proposal for a Directive of the European Parliament and of the Council on representative actions for the protection of the collective interests of consumers, and repealing Directive 2009/22/EC, KOM (2018) 184 endg. Siehe hierzu auch die Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments vom 26. März 2019, A8–0447/2018. Der New Deal ist in zwei Teile gegliedert. Zum einen die Einführung der Verbandsklage in allen europäischen Mitgliedsstaaten, zum anderen die Überarbeitung der materiellen Verbraucherschutzvorschriften (siehe dazu KOM [2018], 185 endg.). 167 In diesem Zusammenhang sei nochmals auf die aktuelle Rspr. des BGH und des OLG Dresden im Zusammenhang mit dem Folgenbeseitigungsanspruch aus § 8 Abs. 1 UWG verwiesen, vgl. unter § 6 I 2.
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braucher keinerlei Aktivität gefordert wird (also weder eine opt-in, noch eine opt-out Lösung), sondern die „qualifizierte Einrichtung“ Ansprüche der Verbraucher unabhängig von deren Willen einklagen kann (EWG 20, Art. 6 Abs. 1 S. 2 RL-Vorschlag).168 Allerdings stellt der Vorschlag zum einen sicher, dass dem Verbraucher durch eine solche Verbandsklage keine Rechtsnachteile entstehen, er also weiterhin Individualansprüche gegen den Unternehmer geltend machen kann (Art. 6 Abs. 4, Art. 8 Abs. 6 RL-Vorschlag), zum anderen muss die „qualifizierte Einrichtung“ hohe Zulassungskriterien erfüllen, um eine „Klageindustrie“ zu vermeiden (Art. 7 des RL-Vorschlags). Ist die Bindungswirkung für den Verbraucher also begrenzt, stellt der Art. 10 des Richtlinienvorschlags fest, dass der in einer behördlichen oder gerichtlichen Entscheidung festgestellte Rechtsverstoß eines Unternehmers unwiderlegbar auch für weitere Rechtsbehelfe gegen den Unternehmer wegen derselben Verletzungshandlung feststeht.169
II. „Kultur der Schlichtung“ – Die Entwicklung von Verbraucher-ADR in Europa Neben den justiziellen Möglichkeiten zur Rechtsdurchsetzung werden gleichsam als „zweite Spur“ Instrumente der alternativen Streitbeilegung als Möglichkeit zur Geltendmachung der Verbraucherrechte forciert. Zwar stand das materielle Verbrauchervertragsrecht und die Frage seiner Durchsetzbarkeit schon früh als Kernanliegen im Zentrum der europäischen Verbraucherschutzpolitik, allerdings zeigte sich im Bereich verbindlicher Rechtsakte zur effektiven Durchsetzung der Verbraucherrechte eine gewisse Zurückhaltung.170 So erkannte der Rat schon in einer Entschließung aus dem Jahr 1975, dass Verbraucher bei der Verwirklichung ihrer Rechte besonderen Problemen gegenüberstehen.171 Seit dem Amsterdamer Vertrag fokussiert
168 Vgl. https://industrie.de/top/6589/ (geprüft am 01.11.2020); https://www.juve.de/nac hrichten/namenundnachrichten/2018/04/eu-entwurf-zu-sammelklagen-krasse-neuerungdie-unsere-rechts-systematik-aushebelt (geprüft am 01.11.2020). 169 Eine vergleichbare Regelung kennt das Kartellrecht in § 33b GWB. Siehe aber die Abänderung 83 in der Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments vom 26. März 2019 die insoweit nur noch davon spricht, dass diese Entscheidung „als Beweismittel für die Feststellung, dass ein Verstoß vorliegt bzw. dass kein Verstoß vorliegt, betrachtet wird“. 170 Hess, in: Althammer (Hrsg.), Freiwilligkeit, Zwang und Gerechtigkeit im Kontext der Mediation, 2013, S. 25 ff. 171 ABl. EU Nr. C 92/1 vom 25. April 1975; so soll der Verbraucher einen Anspruch auf eine „angemessene Wiedergutmachung von Schäden, und zwar mittels schneller, wirksamer und wenig kostspieliger Verfahren“ haben. Siehe zum Ganzen auch Reich/Micklitz, Europäisches Verbraucherrecht, 42003, § 32.
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sich die Justizpolitik der Europäischen Union nun auf den Zugang der Unionsbürger zum Recht bzw. der Justiz (access to justice).172 1. Historische Entwicklung Als „Meilenstein“173 für die alternative Streitbeilegung kann das Grünbuch174 der Kommission aus dem Jahre 1993 über den Zugang der Verbraucher zum Recht und die Beilegung von Rechtsstreitigkeiten der Verbraucher im Binnenmarkt bezeichnet werden. Dort macht die Kommission deutlich, dass eine effiziente Durchsetzung der Rechte der Verbraucher möglich sein muss, um die Wirksamkeit des Unionsrechts nicht zu beeinträchtigen. Ohne wirksame Verfahren zur Rechtsdurchsetzung würden die Fälle der Nichterfüllung vertraglicher Pflichten zunehmen und so mittelfristig das Funktionieren des gemeinsamen Marktes beeinträchtigen.175 Eine kostspielige gerichtliche Beilegung der Verbraucherstreitsache erscheint der Kommission allerdings in den meisten Fällen aufgrund des oft nur geringen Werts von Verbraucherverträgen als ineffizient.176 Dementsprechend werden eingehendere und rechtsvergleichende Überlegungen zur Förderung des ADR-Verfahrens als kostengünstige, schnelle und effektive Alternative zum staatlichen Gerichtsverfahren angestellt. Bereits in diesem Grünbuch macht die Kommission deutlich, dass solche Verfahren gewisse Mindeststandards einzuhalten haben, um nicht als „irreführende Werbung“ aufgefasst zu werden und das Konzept einer „Alternativ-Justiz“ (sic) auf Dauer in Frage zu stellen.177 Auch grenzüberschreitende Verbraucherstreitigkeiten rücken erstmals in den Fokus der Kommission. Die These, der „durchschnittliche“ Verbraucher begebe sich nicht zum Einkaufen ins Ausland, ließe sich nicht mehr aufrechterhalten, sodass ein unionsrechtlicher Lösungsansatz als vorzugswürdig herausgestellt wird.178 Als Folgemaßnahme veröffentlichte die Kommission im Jahr 1996 die Mitteilung „Aktionsplan für den Zugang der Verbraucher zum Recht und die Beilegung von Rechtsstreitigkeiten der Verbraucher im Binnenmarkt“179. Hier werden Eckpunkte einer europäischen Förderung von Verfahren zur Beilegung innergemeinschaftlicher Verbraucherstreitsachen herausgearbei172
Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, S. 596; ders., in: Althammer (Hrsg.), Freiwilligkeit, Zwang und Gerechtigkeit im Kontext der Mediation, 2013, S. 25 ff., 26 173 So H. Roth, JZ 2013, 637 ff., 638. Siehe auch Reich/Micklitz, Europäisches Verbraucherrecht, 42003, § 32.2 „Durchbruch“. 174 KOM (93) 576 endg. 175 KOM (93) 576 endg. 7. 176 KOM (93) 576 endg. 7 Fn. 14a. 177 KOM (93) 576 endg. 94. 178 KOM (93) 576 endg. 11 ff. 179 KOM (96) 13 endg.
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tet und ein entsprechender Initiativkatalog vorgestellt. Insbesondere wird als kennzeichnendes Merkmal solcher Streitfälle ganz allgemein das Missverhältnis zwischen wirtschaftlichem Nutzen und den Kosten der gerichtlichen Beilegung hervorgehoben.180 Mitgliedstaaten die sich für eine „Kultur der Schlichtung“181 bei Verbraucherkonflikten entschieden haben, sollen durch die im Rahmen der Mitteilung festgelegten Kriterien weiter gefördert und unterstützt werden. Ziel ist es, das Vertrauen der Verbraucher in Mechanismen der alternativen Streitbeilegung zu stärken.182 Ausdrücklich auf Schlichtungsverfahren bezieht sich die Empfehlung der Kommission aus dem Jahre 1998.183 Der Rechtsakt gilt ausschließlich für Verfahren, die unabhängig von ihrer Bezeichnung, durch die aktive Intervention eines Dritten, der eine Lösung vorschlägt oder vorschreibt, zu einer Beilegung der Streitigkeit führen. Die Empfehlung stellt für die außergerichtliche Beilegung von Rechtsstreitigkeiten die Prinzipien der Unabhängigkeit, Transparenz, der kontradiktorischen Verfahrensweise, der Effizienz, der Rechtmäßigkeit (d. h. Bindung an zwingendes Verbraucherschutzrecht), der Handlungsfreiheit und der Vertretung als Verfahrensgrundsätze fest. Für Verfahren, die eine Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten dadurch fördern, dass ein Dritter die Parteien zusammenbringt und ihnen hilft, eine einvernehmliche Lösung zu finden, sollen entsprechend einer weiteren Empfehlung der Kommission aus dem Jahre 2001184 nur noch die vier leitenden Prinzipien der Unabhängigkeit, Transparenz, Effizienz und der Fairness maßgeblich sein. Bemerkenswerterweise entfällt aber – unter anderem – nicht mehr das Prinzip der Rechtmäßigkeit. Obwohl es sich um keine verbindlichen Rechtsakte handelt (Art. 288 Abs. 5 AEUV), führten diese Vorgaben zu einer deutlichen Verrechtlichung und „Prozessualisierung“ der alternativen Streitbeilegung185 und sind inso-
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KOM (96) 13 endg. 4 ff. KOM (96) 13 endg. 14. 182 Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, 583. 183 Empfehlung der Kommission 98/257/EG vom 30. März 1998 betreffend die Grundsätze für Einrichtungen, die für die außergerichtliche Beilegung von Verbraucherrechtsstreitigkeiten zuständig sind, ABl. EG Nr. L 115/31; eingehender dazu Mayr/Weber, ZfRV 2007, 163 ff.; Scherpe, Außergerichtliche Streitbeilegung in Verbrauchersachen, 2002, S. 48 ff.; Hess, in: Althammer (Hrsg.), Freiwilligkeit, Zwang und Gerechtigkeit im Kontext der Mediation, 2013, S. 25 ff., 27. 184 Empfehlung der Kommission 2001/310/EG vom 4. April 2001 über die Grundsätze für an der einvernehmlichen Beilegung von Verbraucherrechtsstreitigkeiten beteiligte außergerichtliche Einrichtungen, ABl. EG Nr. L 109/56; eingehender dazu Mayr/Weber, ZfRV 2007, 163 ff.; Hess, in: Althammer (Hrsg.), Freiwilligkeit, Zwang und Gerechtigkeit im Kontext der Mediation, 2013, S. 25 ff., 27 f. 185 So sahen z. B. § 57 Abs. 2 LuftVG a. F. und § 11b Abs. 4 EnWG a. F. die Beachtung dieser Empfehlung ausdrücklich vor. 181
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fern, auch aufgrund der programmatischen Besetzung eines innovativen Rechtsgebietes durch die Kommission, als rechtspolitisch bedeutsam anzusehen.186 Im Zuge dieser Empfehlungen kam es zur Gründung des EEJ-Net (ab 2005 – nach Zusammenschluss mit den Euroguichets – ECC-Net) als europäisches Netzwerk für die außergerichtliche Streitbeilegung. Dieses Netzwerk unterhielt in jedem Mitgliedstaat sog. Clearingstellen, die in grenzüberschreitenden Konfliktfällen die Koordination zwischen den jeweiligen Schlichtungsinstitutionen erleichtern sollten.187 Funktionell wird diese Aufgabe nun von der im Rahmen der ODR-VO eingerichteten ODR-Plattform übernommen. Die Mediationsrichtlinie aus dem Jahr 2008 stellt dann den ersten verbindlichen Rechtsakt im Bereich der alternativen Streitbeilegung und damit einen zwischenzeitlichen Höhepunkt der ADR-Bewegung dar. Ziel der Richtlinie ist bei grenzüberschreitenden Streitigkeiten den Konfliktparteien die Mediation, als ein „strukturiertes Verfahren […], in dem zwei oder mehr Streitparteien mit Hilfe eines Mediators auf freiwilliger Basis selbst versuchen, eine Vereinbarung über die Beilegung ihrer Streitigkeiten zu erzielen“ (Art. 3 Abs. 1 lit. a) Mediations-RL), zur Lösung des Konfliktes zur Verfügung zu stellen. Trotz ihres erheblich eingeschränkten Anwendungsbereichs188, hat der Rechtsakt weitreichende Impulse in den nationalen Rechtsordnungen ausgelöst und zur Überarbeitung und Modernisierung der jeweils eigenen Regelungsmodelle in den Mitgliedstaaten geführt.189 Mit dem Vertrag von Lissabon (2009) wird in Art. 81 Abs. 1, 2 lit. g) AEUV die Entwicklung und Förderung alternativer Methoden zur Streitbeilegung als Regelungsziel der Union nun schließlich auch primärrechtlich ausdrücklich festgeschrieben. Kompetenzbedingt beschränkt sich die Norm allerdings auf Zivilsachen mit grenzüberschreitendem Bezug. Im Folgejahr erhielten die außergerichtlichen Streitbeilegungsmechanismen durch die Alassini-Entscheidung des EuGH ihren höchstrichterlichen Segen.190 Aus europäischer Perspektive stehen einem vorgeschalteten obli186
Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, S. 583 f. Ders., Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, S. 584 f.; ders., ZZP 118 (2005), 427 ff., 452 f.; Heetkamp, Online Dispute Resolution bei grenzüberschreitenden Verbraucherverträgen, 2018, 72 ff. 188 Ursprüngliches Ziel des Richtliniengebers war es, eine umfassende Rahmenregelung zur Mediation in Zivilsachen zu konzipieren, was allerdings an dem erheblichen Widerstand der Mitgliedstaaten im Rat scheiterte. 189 Dazu Eidenmüller/Prause, NJW 2008, 2737 ff.; Hess, in: Althammer (Hrsg.), Freiwilligkeit, Zwang und Gerechtigkeit im Kontext der Mediation, 2013, S. 25 ff., 31 f. Dass diese überschießende Wirkung vom Richtliniengeber durchaus intendiert war, zeigt EWG 8 der Mediations-RL. 190 EuGH, Urt. v. 18.03.2010, verb. Rs. C-317/08, C-318/08, C-319/08 und C-320/08 – Alassini, Slg. 2010, I-2213; siehe dazu auch Wagner, CMLR 2014, 165 ff., 171 ff.; Reich, 187
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gatorischen Online-Streitschlichtungsverfahren dann keine Einwände entgegen, wenn „dieses Verfahren nicht zu einer die Parteien bindenden Entscheidung führt, keine wesentliche Verzögerung für die Erhebung einer Klage bewirkt, die Verjährung der betroffenen Ansprüche hemmt und für die Parteien keine oder nur geringe Kosten mit sich bringt, vorausgesetzt jedoch, dass die elektronische Kommunikation nicht das einzige Mittel des Zugangs zu diesem Streitbeilegungsverfahren bildet und dass Maßnahmen des vorläufigen Rechtsschutzes in Ausnahmefällen möglich sind, in denen die Dringlichkeit der Lage dies verlangt“.191 Den gesetzgeberischen Höhepunkt der Entwicklung der alternativen Streitbeilegung in Verbrauchersachen stellt nun das Maßnahmenpaket aus ADR-RL und ODR-VO vom 21. Mai 2013 dar. 2. „Access to justice“ Inhaltlicher Schwerpunkt der vorstehenden Akte der Europäischen Union ist die Frage nach dem Zugang der Verbraucher zum Recht (access to justice). Schon im Grünbuch 1993 hält die Kommission fest, dass es sich beim Zugang zum Recht um ein Menschenrecht und gleichzeitig um die Vorbedingung der Wirksamkeit jeder Rechtsordnung und zwar sowohl der gemeinschaftlichen Unionsrechtsordnung, als auch der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen handelt.192 Für die Europäische Union erweist sich die Problematik über den effektiven Zugang zum Recht bei (grenzüberschreitenden) Verbraucherstreitigkeiten als maßgeblicher Faktor für die weitere Entwicklung des europäischen Binnenmarktes.193 So sollen die Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Beilegung von Verbraucherstreitigkeiten das ordnungsgemäße Funktionieren des Binnenmarktes in gleicher Weise behindern, wie technische oder steuerliche Hemmnisse.194 Diese Hindernisse gilt es zu beseitigen.
Individueller und kollektiver Rechtsschutz im EU-Verbraucherrecht, 2012, S. 44 f.; Stürner, ZZP 127 (2014), 271 ff., 325. Diese Rspr. wird bestätigt durch EuGH, Urt. v. 14.06.2017, Rs. C-75/16 – Banco Popolare, ECLI:EU:C:2017:457. Mit Bezug auf die ADR-Richtlinie stellt das Gericht aber fest, dass nach Art. 8 lit. b) ADR-Richtlinie ein Verbraucherstreitbeilegungsverfahren ohne anwaltliche Unterstützung geführt werden können muss, sowie nach Art. 9 Abs. 2 lit. a) ADR-Richtlinie Verbraucher das Verfahren jederzeit ohne nähere Begründung abbrechen können müssen. 191 EuGH, Urt. v. 18.03.2010, verb. Rs. C-317/08, C-318/08, C-319/08 und C-320/08 – Alassini, Slg. 2010, I-2213 Rn. 67 192 KOM (93) 576 endg. 4; siehe insofern nun nur Art. 6 EMRK sowie Art. 47 EUGrundrechtecharta. 193 Siehe insofern nur Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschuss „Die Vollendung des Binnenmarktes und der Verbraucherschutz“, ABl. EG Nr. C 339/16 vom 31. Dezember 1991. 194 KOM (96) 13 endg. 8 f.
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Im Rahmen der sog. Binnenmarktakte I wird der effektive Zugang zum Recht durch alternative Streitbeilegung als eine von zwölf Leitaktionen zur Förderung des europäischen Binnenmarktes eingestuft.195 Der gemeinschaftliche Binnenmarkt und der access to justice-Gedanke sind somit als Kernelemente der europäischen ADR-Entwicklung miteinander verbunden. Unklar ist allerdings, was genau unter dem Leitmotiv access to justice zu verstehen ist. Denkbar ist sowohl ein Begriffsverständnis, dass den verfahrensunabhängigen „Zugang zum Recht“ in den Fokus stellt. Andererseits lässt sich unter access to justice auch die Erleichterung der gerichtlichen Rechtsdurchsetzung im Sinne eines verbesserten „Zugangs zur Justiz“ in Verbraucherstreitfällen durch den Abbau von justiziellen Zugangsbarrieren begreifen. Der europäische Gesetzgeber ist in seinem Begriffsverständnis nicht konsequent.196 Er versteht unter access to justice sowohl den außergerichtlichen Zugang zum Recht197, als auch den vereinfachten Zugang zum gerichtlichen Rechtsschutz198. Aufgrund der Anationalität alternativer Streitbeilegungsmechanismen ist die Entwicklung effektiver ADR-Verfahren für die Europäische Union allerdings von gesteigertem Interesse. In Ermangelung einer eigenen europäischen Zivilgerichtsbarkeit, ist das Europarecht auf seine Beachtung und Durchsetzung durch die nationalen Gerichte angewiesen.199 Da die Europäische Union hier allerdings Defizite ausgemacht hat, soll der Auf- und Ausbau eines alternativen Streitbeilegungssystems Abhilfe schaffen. In diesem Zusammenhang überrascht es wenig, dass schon die Mitteilung der Kommission von 1996 die Förderung außergerichtlicher Verfahren gegenüber der Vereinfachung eines Zugangs zum Gerichtsverfahren bei niedrigem Streit-
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Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen, Binnenmarktakte, Zwölf Hebel zur Förderung von Wachstum und Vertrauen „Gemeinsam für neues Wachstum“, KOM (2011) 206 endg. 11 mit dem Hinweis, dass eine effektive Rechtsanwendung dem Verbraucher Verluste in einem geschätzten Umfang von 0,16 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) der Europäischen Union ersparen würde. (siehe dazu auch KOM [2011] 793 endg. 2.; siehe dazu auch Isermann/Berlin, VuR 2012, 47 ff.; Kramme, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 141 ff.; Stürner, in: Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (Hrsg.), Alternative Streitbeilegung – Reden statt Klagen, 2013, S. 9 ff. 196 Exemplarisch nur Tampere Europäischer Rat 15. und 16. Oktober 1999 Schlussfolgerungen des Vorsitzes, V. 197 Vgl. nur KOM (93) 576; KOM (96) 13 endg.; Empfehlung der Kommission 2001/310/EG; KOM (2002) 196 endg. 198 Vgl. auch EWG 1 und 3 Brüssel Ia-VO; Art. 1 Abs. 1 und passim ProzesskostenhilfeRL. 199 Wagner/Thole, in: Baetge/Hein/Hinden (Hrsg.), Die richtige Ordnung, 2008, S. 915 ff., 916.
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wert als prioritär ansieht.200 Im Rahmen der ADR-Richtlinie bringt der europäische Gesetzgeber deutlich seine Enttäuschung über den zögerlichen Ausbau und den unzureichenden Zugang zu Möglichkeiten der alternativen Streitbeilegung zum Ausdruck.201 Aufgrund der fehlenden Resonanz der Mitgliedstaaten sieht sich die EU-Kommission zum eigenen gesetzgeberischen Tätigwerden im Bereich der alternativen Streitbeilegung gezwungen. Der access to justice-Gedanke dient nun nicht mehr zur Rechtfertigung eines Ausbaus der justiziellen Rechtsdurchsetzung202, sondern soll die gesetzgeberische Etablierung von Instrumenten der alternativen Streitbeilegung legitimieren. War das ursprüngliche Kernanliegen der Europäischen Union, den Zugang zum Recht durch die Vereinfachung des Zugangs zur gerichtlichen Streiterledigung durch Abbau von ökonomischen und sozialen Zugangsbarrieren zu erleichtern und die justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen, im Sinne eines erleichterten Zugangs zur staatlichen Justiz, auszubauen203, so hat sich dieses Verständnis von access to justice quasi in das Gegenteil verkehrt.204 Im Mittelpunkt des Interesses steht nicht mehr die gerichtliche Rechtsdurchsetzung, sondern vielmehr die Förderung des Binnenmarkts durch Schaffung von Möglichkeiten zur außergerichtlichen Streitbeilegung zwischen Verbrauchern und Unternehmern.205 Ausweislich des Perspektivenwechsels sollen nach Ansicht der EU-Kommission die ADRVerfahren dem Verbrauchervertrauen und der Aktivität der Verbraucher am Binnenmarkt mehr dienen, als die streitige Anspruchsdurchsetzung im Zivilverfahren.206 200
KOM (96) 13 endg. 13 f.; siehe insofern auch KOM (2002) 196 endg. 5 „Für die Institutionen der Europäischen Union schließlich stellt die alternative Streitbeilegung eine – mehrfach bekräftigte – politische Priorität dar“. 201 Siehe dazu nur EWG 5 ADR-Richtlinie. 202 Oben § 6 I 1 b). 203 Siehe nur Brüssel Ia-VO, EuVTVO, EuZustellVO, EuMahnVO, EuBagatellVO, Brüssel IIa-VO, EuBewVO, EuInsVO usw.; dazu auch Weber, VuR Sonderheft 2016, 22 ff., 23 ff. 204 Gottwald, in: Faber (Hrsg.), Demokratie in Staat und Wirtschaft, 2002, S. 233 ff., 242; Meller-Hannich/Höland/Krausbeck, ZEuP 2014, 8 ff., 32 f.; Meller-Hannich, in: Althammer (Hrsg.), Verbraucherstreitbeilegung: Aktuelle Perspektiven für die Umsetzung der ADR-Richtlinie, 2015, S. 19 ff., 39 ff. 205 So auch H. Roth, DRiZ 2015, 24 ff. Siehe aber auch schon KOM (1998), 198 endg. Fn. 1 „Als ,Zugang des Verbrauchers zum Recht‘ gilt im Sinne dieser Mitteilung der Zugang zur praktischen Ausübung der Rechte und nicht der Zugang zum Recht im engeren Sinne, also zu den Gerichten. 206 So auch der Befund von Meller-Hannich/Höland/Krausbeck, ZEuP 2014, 8 ff., 9; Corte´s, Legal Studies Vol. 35 (2015), 114 ff. A. A. Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, 586 f., der mit Blick auf die Entwicklung eines spezifischen Prozessrechts bei grenzüberschreitenden Gerichtsverfahren, die Notwendigkeit eines entsprechenden Schlichtungsverfahrens auf Gemeinschaftsebene bejaht.
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In diesem Zusammenhang wurde bereits früh der Verdacht geäußert, dass ADR und der „Zugang zum Recht“ möglicherweise eher sich widersprechende Ansätze sein könnten, und der Argumentationstopos vom verbesserten Zugang zum Recht verdrängt wird durch die bloße Hoffnung auf einen erleichterten Zugang zum europäischen Binnenmarkt und einer entsprechend erhöhten Aktivität des Verbrauchers als Marktakteur.207 Pointiert stellt Münch die Frage, ob die alternative Streitbeilegung noch als Instrument des Rechtsschutzes oder nicht vielmehr als „sedierende Beruhigungspille“ zu verstehen ist.208
III. ADR-Richtlinie und ODR-Verordnung Am 21. Mai 2013 hat die Europäische Union die Richtlinie über die alternative Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten (sog. ADR-Richtlinie) erlassen, die am 18. Juli 2013 in Kraft getreten ist. Die ADR-Richtlinie stellt in Zusammenhang mit der ODR-Verordnung das aktuellste und weitgehendste Projekt der Europäischen Union im Bereich der alternativen Streitbeilegung in Verbrauchersachen dar. Das Regelungspaket der EU-Kommission soll den Binnenmarkt durch ein kohärentes und flächendeckendes Angebot an Stellen zur alternativen Streitbeilegung fördern und mit Hilfe der Normierung von Mindeststandards das Vertrauen der Verbraucher in ADRVerfahren steigern.209 Ziel der ODR-Verordnung ist die Einrichtung einer Online-Plattform, die als zentrale Anlaufstelle zur Unterstützung der außergerichtlichen Beilegung von Streitigkeiten aus Online-Rechtsgeschäften zwischen Verbrauchern und Unternehmern dienen soll.210 Die eigentliche Streitbeilegung erfolgt dann in der Regel aber nicht online, sondern durch eine nationale Streitbeilegungsstelle, die den Anforderungen der ADR-Richtlinie genügt.211 Da die ADR-Richtlinie sich nicht auf ein bestimmtes alternatives Streitbeilegungsverfahren festlegt, findet sie auch auf Verfahren Anwendung, in 207
So H. Roth, DRiZ 2015, 24 ff.; Gottwald, in: Faber (Hrsg.), Demokratie in Staat und Wirtschaft, 2002, S. 233 ff.; Meller-Hannich, in: Althammer (Hrsg.), Verbraucherstreitbeilegung: Aktuelle Perspektiven für die Umsetzung der ADR-Richtlinie, 2015, S. 19 ff., 23; Engel, NJW 2015, 1633 ff.; Hess, ZZP 118 (2005), 427 ff., 456. 208 Münch, in: Rauscher/Krüger/Becker-Eberhard (Hrsg.), Münchener Kommentar ZPO, 62020, vor § 1025 Rn. 63. 209 Hayungs, ZKM 2013, 86 ff. 210 Siehe Art. 1 sowie EWG 18 der ODR-Verordnung. 211 Beachte aber, dass den ADR-Stellen ausweislich des Art. 5 Abs. 4 lit. d) der ODRVerordnung ein elektronisches Fallbearbeitungsinstrument für einer Online-Streitbeilegung bereitgestellt werden soll; siehe insofern auch Hayungs, ZKM 2013, 86 ff. Eingehend zum Ganzen Althammer, in: Faust/Schäfer (Hrsg.), Zivilrechtliche und rechtsökonomische Probleme des Internet und der künstlichen Intelligenz, 2019, S. 249 ff., 256 ff.
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denen die AS-Stelle eine Lösung vorschlägt oder sogar vorschreibt, sowie auf solche, deren Ziel eine „autonome“ gütliche Einigung zwischen den Parteien ist (Art. 2 Abs. 1 ADR-Richtlinie). Diese horizontale Geltung für alle Verfahren der außergerichtlichen Streitbeilegung (mit Ausnahme bloßer Verhandlungen und unternehmensinternen Beschwerdestellen) soll der bereits bestehenden, unterschiedlichen Streitbeilegungskultur der Mitgliedstaaten Rechnung tragen.212 Um einen lückenlosen Zugang zu gewährleisten, sieht die Richtlinie, bei zu geringer Abdeckung mit vornehmlich privaten AS-Stellen213, die Einrichtung einer „ergänzenden AS-Stelle“ durch die Mitgliedstaaten vor (Art. 5 Abs. 3 ADR-Richtlinie). Einen weiteren Regelungsschwerpunkt der ADR-Richtlinie stellt die Festlegung bestimmter Mindeststandards dar. Die Verfahren nach der ADRRichtlinie sollen die Leitprinzipien Fachwissen, Unparteilichkeit sowie Unabhängigkeit, Transparenz, Effektivität, Fairness, Handlungsfreiheit und Rechtmäßigkeit gewährleisten.214 Da der Rechtsakt eine einheitliche Verfahrensordnung nicht vorsieht, obliegt die Ausgestaltung konkreter Verfahrensregelungen und die Durchführung des Streitbeilegungsverfahrens dann der jeweiligen nationalen AS-Stelle. 1. Anwendungsbereich der ADR-Richtlinie Ausweislich des Art. 2 Abs. 1 ADR-Richtlinie erfasst der sachliche Anwendungsbereich der Richtlinie inländische sowie grenzübergreifende „Streitigkeiten über vertragliche Verpflichtungen aus Kaufverträgen oder Dienstleistungsverträgen zwischen einem in der Union niedergelassenen Unternehmer und einem in der Union wohnhaften Verbraucher“.215 Hervorzuheben ist, dass die Richtlinie sowohl auf grenzüberschreitende als auch auf rein innerstaatliche Streitigkeiten Anwendung finden soll. Ausgenommen sind nach Art. 2 Abs. 2 lit. c), h) und i) ADR-RL nichtwirtschaftliche Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, Gesundheitsdienstleistungen und öffentliche Anbieter von Weiter- und Hochschulbildung. Darüber hinaus aber auch Arbeitsverträge216 und Verträge über unentgeltliche Leistungen, da diese schon 212
EWG 19, EWG 15 ADR-Richtlinie; Hirsch, in: Wandt (Hrsg.), Versicherungsrecht, Haftungs- und Schadensrecht, 2014, S. 159 ff., 171. 213 Siehe nur EWG 46 ADR-Richtlinie, sowie BT-Drucks. 18/5089, 40; Elser, Mediation als Verbraucher-ADR-Verfahren, 2015, 322; Meller-Hannich, in: Althammer (Hrsg.), Verbraucherstreitbeilegung: Aktuelle Perspektiven für die Umsetzung der ADR-Richtlinie, 2015, S. 19 ff., 20; Schmidt-Kessel, in: ders. (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 9 ff., 24. 214 Eingehender zu diesen Mindeststandards § 6 III 2. 215 Definition siehe Art. 4 Abs. 1 lit. c) und d). 216 Da Verträge bei denen der Verbraucher sich zur Übereignung der Ware oder zur
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regelmäßig nicht vom Dienstleistungsbegriff217 des EU-Rechts erfasst werden. Bemerkenswerterweise bezieht der europäische Gesetzgeber ausweislich des EWG 16 auch Streitigkeiten aus dem Verkauf digitaler Inhalte gegen Entgelt in den Anwendungsbereich der ADR-Richtlinie mit ein. Der Begriff der „Ware“, der nach herkömmlichem Verständnis nur körperliche Gegenstände erfasst, wird somit im europäischen Sekundärrecht auch auf unkörperliche Gegenstände erweitert.218 Diskussionswürdig erscheint die Frage, ob der Terminus „vertragliche Verpflichtungen“ auch vorvertragliche Verbindungen, Angelegenheiten der Produkthaftung oder die Rückabwicklung von Verträgen über das Rücktritts- oder das Bereicherungsrecht erfasst.219 Zwar ist es mangels Vollharmonisierungsansatzes220 der Richtlinie dem jeweiligen Mitgliedstaat überlassen, ob er im Rahmen der Richtlinienumsetzung einen überschießenden Ansatz wählt, allerdings birgt dies dann das Risiko einer grundsätzlich zu vermeidenden gespalten Auslegung, da bestimmte Streitigkeiten zwar in den sachlichen Anwendungsbereich des mitgliedstaatlichen Umsetzungsgesetzes fallen werden, von der ADR-Richtlinie allerdings nicht erfasst sind. Diese Problematik und weitere Abgrenzungsfragen stellen sich auch mit Blick auf die von der ADR-Richtlinie erfassten Vertragstypen. So lassen sich beispielsweise Verträge, die eine Gebrauchsüberlassung zum Gegenstand haben (z. B. Mietverträge), nicht unter den europäischen Begriff der Dienstleitung subsumieren.221 Der personelle Anwendungsbereich der ADR-Richtlinie beschränkt sich auf in der Union niedergelassene222 Unternehmer und in der Union wohnErbringung der Dienstleistung verpflichtet nicht von der Richtlinie erfasst werden, ist es hier ohne Relevanz, ob der Arbeitnehmer als Verbraucher i. S. d. europäischen Verbraucherrechts und § 13 BGB anzusehen ist; so auch Hayungs, ZKM 2013, 86 ff.; MellerHannich, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 45 ff., 53. 217 Siehe Art. 57 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). 218 Rühl, ZZP 127 (2014), 61 ff., 68 f. m. w. N. Siehe dazu nun Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte der Bereitstellung digitaler Inhalte, KOM (2015) 634 endg. und Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte des Online-Warenhandels und anderer Formen des Fernabsatzes, KOM (2015), 635 endg. Zu beiden Rechtsakten Wendland, EuZW 2016, 126 ff. Zu letzterem vgl. nun aber KOM (2017) 637 endg. 219 Meller-Hannich, in: Althammer (Hrsg.), Verbraucherstreitbeilegung: Aktuelle Perspektiven für die Umsetzung der ADR-Richtlinie, 2015, S. 19 ff., 27; ablehnend Reich, Individueller und kollektiver Rechtsschutz im EU-Verbraucherrecht, 2012, S. 48. 220 Siehe insoweit nur Art. 2 Abs. 3 ADR-Richtlinie. 221 Hein/Kropholler (Hrsg.), Europäisches Zivilprozessrecht, 2011, Art. 5 EuGVO, Rn. 44 m. w. N.; a. A. wohl Hayungs, ZKM 2013, 86 ff.; kritisch zu dem begrenzten Anwendungsbereich Rühl, RIW 59 (2013), 737 ff., 741; Hirsch, NJW 2013, 2088 ff., 2089. 222 Siehe zum Begriff der „Niederlassung“ im Verhältnis zu verwandten Sekundärrechtsakten Rühl, ZZP 127 (2014), 61 ff., 65 f.
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hafte Verbraucher. Dies steht im Widerspruch zur Brüssel Ia-VO, welche für den EU-Verbraucher (vgl. Art. 6, Art. 17 und Art. 18 Brüssel Ia-VO) grundsätzlich unabdingbar (Art. 19 Brüssel Ia-VO) anordnet, dass er einen drittstaatlichen Unternehmer auch in Europa und in seinem eigenen Mitgliedstaat verklagen kann.223 Es ist schwer nachvollziehbar, aus welchem Grund der europäische Gesetzgeber hier nicht für einen Gleichlauf der ADR-Richtlinie und der Brüssel Ia-VO Sorge getragen hat.224 Von der Richtlinie erfasst werden ausschließlich Streitbeilegungsmechanismen, die von einem Verbraucher gegen einen Unternehmer eingeleitet werden können („c2b“). Weder Konflikte zwischen Unternehmern („b2b“), noch solche zwischen Verbrauchern („c2c“) und Verfahren von einem Unternehmer gegen einen Verbraucher („b2c“) fallen in den Anwendungsbereich (siehe Art. 2 Abs. 2 lit. d) und g) ADR-Richtlinie). Unter Berücksichtigung des EWG 10 ADR-RL, der von einem „einfachen und schnellen Rechtsschutz für Verbraucher und Unternehmer [Hervorh. d. Verf.]“ spricht, vermag gerade die letztgenannte Einschränkung nicht zu überzeugen.225 Begründet wird sie mit der verbraucherschützenden Grundausrichtung der ADR-Richtlinie.226 Abgesehen von dieser zumindest diskussionswürdigen227 Behauptung, liegt die Frage nahe, weshalb die ADR-Richtlinie auf Beschwerden kleiner und mittlerer Unternehmen, die ebenfalls ein nachvollziehbares Interesse an einem schnellen und kostengünstigen Alternativverfahren haben, keine Anwendung finden soll. Diese Thematik verliert ihre Brisanz auch dann nicht, wenn man annimmt, dass aus Art. 5 Abs. 2 lit. e) ADR-Richtlinie eine Annahmepflicht der ADR-Stellen für Beschwerden eines Unternehmers gegen einen Verbraucher folgt, da in solchen Fällen ja der Anwendungsbereich der ODR-Verordnung eröffnet sei (siehe Art. Art. 2 Abs. 2 ODR-Verordnung).228 Dies gilt umso mehr da unklar ist, ob diese Verfahren, die eindeutig nicht vom Anwendungsbereich der ADR-Richtlinie
223 Meller-Hannich, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 45 ff., 65. 224 Dazu unten § 22. 225 An dieser Stelle anzumerken ist, dass der Vorschlag für die Richtlinie über alternative Streitbeilegung – KOM (2011) 793 endg. – Beschwerden von Unternehmern gegen Verbraucher erfassen wollte (S. 5); dazu auch Conen/Gramlich, NJ 2014, 494 ff., 496 die diese Begrenzung im Anwendungsbereich insbesondere mit Vergleich auf die Mediationsrichtlinie (RL 2008/52/EG) als inkonsequent ansehen. 226 Hayungs, ZKM 2013, 86 ff., 88; Rühl, ZZP 127 (2014), 61 ff., 63; siehe dazu auch Corte´s, Legal Studies Vol. 35 (2015), 114 ff., 117. 227 Dazu Rühl, in: Ackermann (Hrsg.), Privat- und Wirtschaftsrecht in Europa, 2015, S. 459 ff., 480 f. 228 So Meller-Hannich, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 45 ff., 61.
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erfasst werden, denselben verfahrensrechtlichen Mindeststandards unterliegen, wie das von einem Verbraucher eingeleitete Verfahren.229 2. „Qualitätskriterien“ der ADR-Richtlinie – Ein Überblick über den Regelungsgehalt Mit Blick auf die alternative Streitbeilegung bei Verbraucherkonflikten hat der Unionsgesetzgeber die Notwendigkeit zu einer Formalisierung bereits früh gesehen und Vorschläge für bestimmte Mindeststandards zu Sicherung der Verfahrensgerechtigkeit formuliert.230 In Fortführung der Empfehlungen 98/257/EG (s.o.) und 2001/310/EG werden einige der dort genannten Grundsätze durch die Richtlinie nun zu verbindlichen Vorgaben für die AS-Stellen. Um das Vertrauen der Unionsbürger in die Instrumente der alternativen Streitbeilegung zu stärken und gleiche Ausgangsbedingungen für alle ASStellen zu schaffen, sieht die ADR-Richtlinie verschiedene „Qualitätsgrundsätze“ (vgl. EWG 37 ADR-RL) vor. Im Mittelpunkt steht dabei immer ausdrücklich die Erhöhung des Verbraucherschutzniveaus. Die Artt. 5 bis 11 ADR-Richtlinie enthalten nun verbindliche Maßgaben hinsichtlich des Zugangs zu AS-Verfahren (Art. 5), des Fachwissens, der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit (Art. 6), der Transparenz (Art. 7), der Effektivität (Art. 8), der Fairness (Art. 9), der Handlungsfreiheit (Art. 10) und der Rechtmäßigkeit (Art. 11). a) Zugang zu ADR-Verfahren und der „ADR-Gewährleistungsanspruch“ Um dem Verbraucher flächendeckend ADR-Verfahren anbieten zu können, verpflichtet der Unionsgesetzgeber in Art. 5 Abs. 1 ADR-Richtlinie die Mitgliedstaaten dazu, den Zugang der Verbraucher zu AS-Verfahren zu erleichtern und dafür Sorge zu tragen, „dass unter diese Richtlinie fallenden Streitigkeiten, an denen ein in ihrem jeweiligen Hoheitsgebiet niedergelassener Unternehmer beteiligt ist, einer AS-Stelle vorgelegt werden können, die den Anforderungen dieser Richtlinie genügt“. Die zentrale Stellung der Norm lässt sich mit der Bedeutung eines leichten und effektiven Zugangs zu den Instrumenten der außergerichtlichen Streitbeilegung für den Erfolg der ADR-Richtlinie erklären. Mit dieser mitgliedstaatlichen Pflicht zur Einrichtung, Förderung und Überwachung der nationalen AS-Stellen geht ein Anspruch auf Zugang zu einem alternativen Streitbeilegungsverfahren einher. Im Anwendungsbereich der Richtlinie tritt neben den nationalen, allgemeinen Justizgewährleis-
229 Siehe dazu Hess, in: Althammer (Hrsg.), Freiwilligkeit, Zwang und Gerechtigkeit im Kontext der Mediation, 2013, S. 25 ff., 40. 230 Vgl. oben § 6 II 1.
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tungsanspruch ein sog. „ADR-Gewährleistungsanspruch“.231 Dies entspricht der Forderung Hoffmann-Riems, der die Auffassung vertritt, dass der Staat zwar für eine angemessene Funktionsweise der alternativen Streitbeilegung verantwortlich sein soll (Gewährleistungsverantwortung), allerdings selbst nicht die konkreten Ergebnisse zu verantworten hat (Erfüllungsverantwortung).232 Anders als im Rahmen der Justizgewähr muss der Staat alternative Streitbeilegungsstellen grundsätzlich nicht selbst betreiben, sondern hat lediglich für ein flächendeckendes Vorhandensein zu sorgen. Auch handelt es sich bei diesem Gewährleistungsanspruch nicht um ein subjektives Recht des Verbrauchers. Vielmehr steht dem Bürger bei fehlender oder unzureichender Umsetzung ein Staatshaftungsanspruch gegen den Mitgliedstaat zu.233 Ob und inwieweit dieser „ADR-Gewährleistungsanspruch“ in Konkurrenz zu dem allgemeinen Justizgewährleistungsanspruch steht und den Zugang zu den staatlichen Gerichten möglicherweise sogar erschwert, bedarf im weiteren Verlauf noch einer genaueren Untersuchung.234 Allerdings machen sowohl die Vorgaben der ADR-RL, als auch des VSBG deutlich, dass dem Gesetzgeber die Problematik bewusst ist und er die alternative Streitbeilegung in keinem Fall als Hindernis für den Justizgewährleistungsanspruch verstanden wissen will.235 Vielmehr soll zwischen ADR und Justiz ein sinnvolles und synergetisches Verhältnis ermöglicht werden. Die Mitgliedstaaten können ihrer Einrichtungsverpflichtung durch Zuständigkeitsanpassungen bei den bereits bestehenden Streitbeilegungsstellen 231 So Meller-Hannich/Höland/Krausbeck, ZEuP 2014, 8 ff., 17; Meller-Hannich, in: Althammer (Hrsg.), Verbraucherstreitbeilegung: Aktuelle Perspektiven für die Umsetzung der ADR-Richtlinie, 2015, S. 19 ff., 20; Schmidt-Kessel, in: ders. (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 9 ff., 25 f.; ders., in: Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (Hrsg.), Alternative Streitbeilegung – Reden statt Klagen, 2013, S. 59 ff., 60 f.; Hayungs, ZKM 2013, 86 ff., 87; Berlin, Alternative Streitbeilegung in Verbraucherkonflikten, 2014, S. 109; Engel, AnwBl 2013, 478 ff., 480; siehe auch Art. 5 Abs. 3 ADR-Richtlinie „Gewährleistung der vollständigen Abdeckung und des Zugangs zu AS-Stellen“. 232 Hoffmann-Riem, ZRP 1997, 190 ff., 193. 233 Tonner, Zur Umsetzung der AS-Richtlinie (Richtlinie 2013/11/EU) nebst Entwurf eines Gesetzes über alternative Streitbeilegung, 2014, S. 31 mit Verweis auf die „Frankovich“-Rechtsprechung des EuGH –EuGH, Urt. v. 19.11.1991, verb. Rs. C-6/90 und C-9/90 – Frankovich, Slg. 1991, I-5357. 234 Dazu Hirsch, in: Wandt (Hrsg.), Versicherungsrecht, Haftungs- und Schadensrecht, 2014, S. 159 ff., 164 Fn. 18; Schmidt-Kessel, in: ders. (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 9 ff., 26; Engel, NJW 2015, 1633 ff. 235 Art. 1 a. E., Art. 10 Abs. 1, EWG 45, 49, 60 ADR-RL sowie §§ 5 Abs. 2, 19 Abs. 3 VSBG, BT-Drucks. 18/6904, 74. Siehe dazu auch Schmidt-Kessel, in: ders. (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 9 ff., 26 ff.; Eidenmüller/Engel, ZIP 2013, 1704 ff., 1707; Hirsch, in: Wandt (Hrsg.), Versicherungsrecht, Haftungs- und Schadensrecht, 2014, S. 159 ff., 163 ff.; Tonner, ZKM 2015, 132 ff., 133.
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oder aber durch die Gründung neuer Stellen nachkommen.236 Die ADRRichtlinie unterscheidet dem Grunde nach nicht zwischen AS-Stellen in staatlicher und privater Trägerschaft, wobei sie durchaus die privat organisierte Einrichtung als Regelfall im Auge hat.237 Um einen richtlinienkonformen, lückenlosen Zugang gewährleisten zu können, werden die Mitgliedstaaten allerdings auf die Einrichtung einer „ergänzenden AS-Stelle“ gem. Art. 5 Abs. 3 ADR-Richtlinie in staatlicher Trägerschaft kaum verzichten können.238 In Art. 5 Abs. 4 ADR-Richtlinie werden verschiedene Zugangsschranken normiert, unter deren Voraussetzung eine Ablehnung des Antrages auf Durchführung eines ADR-Verfahrens durch die AS-Stelle möglich sein soll. Mit Blick auf das propagandierte Kooperationsverhältnis zwischen ADR und Justiz ist zumindest erstaunlich, dass eine Ablehnung wegen rechtsgrundsätzlicher Bedeutung dem Wortlaut nach nicht vorgesehen ist.239 b) Fachwissen, Unabhängigkeit und Unparteilichkeit Der Art. 6 ADR-Richtlinie soll das Fachwissen der mit der Streitbeilegung betrauten Person, sowie deren Unabhängigkeit und Unparteilichkeit gewährleisten. Für das Vertrauen der Bürger in die alternative Streitbeilegung, sind die Unabhängigkeit und Integrität der AS-Stelle sowie das Fachwissen des Streitmittlers von zentraler Bedeutung.240 Die mit der Verfahrensführung betraute Person muss demnach über das Wissen und die Fähigkeiten verfügen, die für die außergerichtliche Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten erforderlich sind, sowie ein allgemeines Rechtsverständnis aufweisen, um die Folgen der Streitigkeit zu verstehen.241 Die systematische Angliederung der Anforderungen an das Fachwissen in den Artikel über die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit legt nahe, dass der Verfahrensverantwortliche aufgrund seiner Qualifikation, ein bestehendes Ungleichgewicht zwischen den Konfliktparteien ausgleichen kann.242 Was allerdings unter den allgemeinen Rechtskenntnissen zu verstehen ist und
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EWG 24 ADR-RL. Vgl. EWG 46 ADR-RL. 238 Tonner, Zur Umsetzung der AS-Richtlinie (Richtlinie 2013/11/EU) nebst Entwurf eines Gesetzes über alternative Streitbeilegung, 2014, S. 30; Hirsch, NJW 2013, 2088 ff., 2090. 239 Dies bemängelt auch Rühl, ZZP 127 (2014), 61 ff., 72 Fn. 46. 240 Siehe EWG 32, 36 ADR-RL; so auch Hodges/Benöhr/Creutzfeldt-Banda, Consumer ADR in Europe, 2012, 440 ff. 241 Siehe EWG 36 ADR-RL. 242 Berlin, Alternative Streitbeilegung in Verbraucherkonflikten, 2014, 115; Tonner, Zur Umsetzung der AS-Richtlinie (Richtlinie 2013/11/EU) nebst Entwurf eines Gesetzes über alternative Streitbeilegung, 2014, 33. 237
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auf welche Art und Weise diese nachzuweisen sind, bleibt unklar. Ausweislich des Art. 6 Abs. 6 ADR-Richtlinie können die AS-Stellen zwar freiwillige Schulungen anbieten, um eine solche Qualifizierung zu erreichen, eine inhaltliche Präzisierung des Begriffsverständnisses findet sich allerdings nicht. Mit Blick auf die Komplexität des Verbraucherrechts und die Möglichkeit auch verbindliche Entscheidungen über den Konfliktfall zu treffen (Art. 11 ADRRL) überrascht es, dass der europäische Gesetzgeber eine eingehendere juristische Qualifikation nicht für erforderlich zu halten scheint (EWG 36 a. E.).243 Der Art. 6 ADR-Richtlinie fordert darüber hinaus, dass der Verfahrensverantwortliche unabhängig und unparteiisch ist, ohne allerdings festzulegen, wie die Begriffe voneinander abzugrenzen sind.244 Er soll weisungsfrei tätig werden, für einen bestimmten Mindestzeitraum berufen werden und unabhängig vom Verfahrensergebnis vergütet werden. Kritisiert wird, dass die Richtlinie nicht in dem gebotenen Umfang zwischen Unabhängigkeit der Person und Unabhängigkeit der Institution Schlichtungsstelle differenziert.245 Zwar sind unternehmenseigene Schlichtungsstellen nicht vom Anwendungsbereich der Richtlinie erfasst (siehe Art. 2 Abs. 2 lit. b)), die Einrichtung unternehmensnaher ADR-Stellen soll aber unter erhöhten Voraussetzungen (vgl. Art. 6 Abs. 3 sowie Abs. 4 ADR-Richtlinie) möglich sein. Dass die Richtlinie im Grundsatz somit unternehmensnahe AS-Stellen akzeptiert und nicht völlige (insb. finanzielle) Unabhängigkeit fordert, die wohl auch nur in staatlicher Trägerschaft gewährleistet werden könnte, lässt sich aus praktischen und finanziellen Gründen nachvollziehen. Letztlich führt es jedoch dazu, dass eine völlige Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Verbraucherstreibeilegung nicht realisierbar ist.246
243 Siehe insofern auch kritisch Althammer, in: ders. (Hrsg.), Verbraucherstreitbeilegung: Aktuelle Perspektiven für die Umsetzung der ADR-Richtlinie, 2015, S. 9 ff., 16; H. Roth, DRiZ 2015, 24 ff., 25; Hess, JZ 2015, 548 ff., 553; ders., ZZP 118 (2005), 427 ff., 450 f.; Meller-Hannich/Höland/Krausbeck, ZEuP 2014, 8 ff., 37; Tonner, Zur Umsetzung der ASRichtlinie (Richtlinie 2013/11/EU) nebst Entwurf eines Gesetzes über alternative Streitbeilegung, 2014, 33. Durch den Artikel 1 des Gesetzes zur Reform des Bauvertragsrechts, zur Änderung der kaufrechtlichen Mängelhaftung, zur Stärkung des zivilprozessualen Rechtsschutzes und zum maschinellen Siegel im Grundbuch- und Schiffsregisterverfahren, BGBl. 2017 I Nr. 23, S. 969, wird die Rechtsanwendung vereinfacht, da die Rechtsprechung des BGH und EuGH im Bereich der kaufrechtlichen Mängelhaftung nun Niederschlag im Gesetz gefunden hat. Zur Qualifikation des Verfahrensverantwortlichen eingehend unter § 17 II 2. 244 Berlin, Alternative Streitbeilegung in Verbraucherkonflikten, 2014, 116; Althammer, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 117 ff., 122. 245 Althammer, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 117 ff., 124; dazu auch Hess, ZZP 118 (2005), 427 ff., 445 f. 246 Eingehender dazu Stadler, ZZP 128 (2015), 165 ff.; Althammer, in: Schmidt-Kessel
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c) Transparenz Die ADR-Richtlinie normiert zwei unterschiedliche Arten der Transparenz. Zum einen die Transparenz hinsichtlich des Zugangs zu und der Information über ADR-Verfahren (Art. 7 Abs. 1), zum anderen die Transparenz mit Blick auf die einzelnen Verfahrensschritte und insbesondere das Verfahrensergebnis (Art. 7 Abs. 2). Von zentraler Bedeutung ist die, durch die Bereitstellung von Informationen für den Verbraucher, zu erzielende Erhöhung des Bekanntheitsgrades von Verfahren zur alternativen Streitbeilegung. Mit Hilfe des jährlichen Tätigkeitsberichts gem. Art. 7 Abs. 2 sollen vorwiegend statistische Angaben die Transparenz der Verfahrensdurchführung gewährleisten.247 Ein besonderes Augenmerk verdient die Vorgabe des Art. 7 Abs. 2 lit. b) ADR-Richtlinie, welche eine Veröffentlichungspflicht für systematische und signifikante Problemstellungen zwischen Verbraucher und Unternehmer fordert. Allerdings ergibt sich aus dieser Berichtspflicht keine Pflicht zur Veröffentlichung der Lösungsvorschläge des Streitmittlers. Im Hinblick auf die Rechtssicherheit für Verbraucher und Unternehmer sowie das Interesse der Allgemeinheit wäre eine qualifizierte Veröffentlichungspflicht der Entscheidungsvorschläge des Streitmittlers vorzugswürdig gewesen.248 Im Unterschied zur Mediationsrichtlinie, die zwar auch eine Information der Öffentlichkeit verlangt, aber vor allem die Vertraulichkeit der Mediation betont (Art. 7 Mediations-RL), rückt die ADR-RL die Transparenz des Verfahrens und des Verfahrensergebnisses ganz in den Vordergrund. d) Effektivität und Effizienz Die wesentlichen Merkmale einer effektiven außergerichtlichen Streitbeilegung sind nach der Ansicht des europäischen Gesetzgebers der niedrigschwellige Zugang und eine zügige Konfliktbearbeitung. So soll das Verfahren online, wie offline verfügbar und leicht zugänglich sein, geringe oder keine Kosten auf Seiten des Verbrauchers erzeugen, mit oder ohne Rechtsberater durchgeführt werden können und in der Regel innerhalb von 90 Tagen nach Eingang der Beschwerdeakte mit einem Ergebnis abgeschlossen werden. Das Effektivitätsgebot führt faktisch auch dazu, dass es in Verbraucherstreitbeilegungsverfahren nur ausnahmsweise zu mündlichen Verhandlungen kommen wird. Mit Blick auf den, in Rechtsangelegenheiten typi(Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 117 ff.; mit Blick auf die Mediation Kleinschmidt, ZZP 128 (2015), 215 ff., 229 f. und Wagner, ZKM 2013, 104 ff., 105. 247 Wolf, NJW 2015, 1656 ff., 1660. 248 Hess, JZ 2015, 548 ff., 553; Tamm, VuR Sonderheft 2016, 51 ff., 56; Tonner, ZKM 2015, 132 ff., 134; ders., Zur Umsetzung der AS-Richtlinie (Richtlinie 2013/11/EU) nebst Entwurf eines Gesetzes über alternative Streitbeilegung, 2014, 36 f.; Lohr, in: Althammer/ Meller-Hannich (Hrsg.), VSBG Verbraucherstreitbeilegungsgesetz, 2017, § 22 Rn. 7 ff.
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scherweise eher unerfahrenen, Verbraucher wird sich die fehlende mündliche Erörterung der Streitsache zu seinem Nachteil auswirken.249 Im Gegensatz zu den Empfehlungen 1998 und 2001 enthält die ADRRichtlinie auch keine Regelung mehr, die ein aktives Einwirken auf die Parteien zur Gewährleistung der Effektivität ermöglicht.250 Der Aspekt der Verfahrensdauer kann nach EWG 15 ADR-RL für die Mitgliedstaaten von Bedeutung sein, in denen es einen beträchtlichen Rückstand an anhängigen Gerichtsverfahren gibt, wodurch Unionsbürgern das Recht auf einen fairen Prozess innerhalb einer angemessenen Frist vorenthalten wird.251 Ob die Verbraucherstreitbeilegung in Deutschland im Verhältnis zum staatlichen Gerichtsprozess tatsächlich das bedeutend schnellere Konfliktlösungsinstrument darstellt, gilt es abzuwarten, kann aber mit guten Gründen bezweifelt werden.252 Die Vorgaben machen deutlich, dass die ADR-Richtlinie die Effektivität von Verbraucher-ADR-Verfahren weniger daran misst, ob sie eine Durchsetzung der materiellen Rechtspositionen zur ermöglichen vermag, sondern den Fokus vielmehr auf einen niedrigschwelligen Zugang und eine rasche Beilegung des Konflikts legt.253 Die Streitigkeit soll möglichst einfach, schnell und für den Verbraucher möglichst kostengünstig geklärt werden.254 Die effiziente Befriedung der Konfliktparteien wird damit zu einem zentralen Verfahrenszweck der ADR-Richtlinie.255 Im Mittelpunkt steht also nicht der Rechtsschutz, sondern vielmehr eine Streitbeendigung, durch einen möglichst schonenden Ressourceneinsatz. Dass dies nicht notwendigerweise als Vorteil gesehen werden muss, wird sich im Rahmen dieser Arbeit noch zeigen.256 249 Tonner, Zur Umsetzung der AS-Richtlinie (Richtlinie 2013/11/EU) nebst Entwurf eines Gesetzes über alternative Streitbeilegung, 2014, 37; Stadler, ZZP 128 (2015), 165 ff., 181 f.; Stürner, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 87 ff., 103; Borowski, VuR Sonderheft 2016, 45 ff. 250 Siehe dazu Grundsatz IV der Empfehlung von 1998 sowie Grundsatz C der Empfehlung von 2001. 251 Siehe dazu auch oben § 5. 252 Stürner, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 87 ff., 106; Niewisch-Lennartz, ZKM 2015, 136 ff., 138 jeweils m. w. N.; zum Effektivitätsgebot (bzw. der Verfahrensökonomie) als selbständige Verfahrensmaxime Stürner, ZZP 127 (2014), 271 ff., 311 ff. Siehe auch schon § 5 III. 253 Gsell, ZZP 128 (2015), 189 ff., 192 Fn. 10. Siehe zur Frage der Rechtsdurchsetzung als Verfahrensziel unter § 6 VI. 254 Vgl. nur die Erwägungsgründe 4, 5, 6, sowie Art. 8 Abs. 1 lit. c) ADR-RL. 255 Dazu eingehend unter § 6 VI 2. 256 Siehe hier schon H. Roth, ZZP 129 (2016), 3 ff., 7, 10 mit weiteren Bedenken bezüglich des Kriterium Effizienz in der Sphäre hoheitlicher Gewalt; Stürner, ZZP 127 (2014), 271 ff., 311 ff. Zum Effizienzkriterium bei Spruchkörpern siehe auch Gsell, in: Althammer/ Weller (Hrsg.), Europäische Mindeststandards für Spruchkörper, 2017, S. 33 ff.
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e) Fairness In Art. 9 ADR-Richtlinie findet der Grundsatz der Fairness Niederschlag. Diese soll durch die kontradiktorische Verfahrensweise und das Recht auf Gehör beider Parteien sowie bei Verfahren, die mit einem Lösungsvorschlag enden, zusätzlich durch die Möglichkeit der jederzeitigen Beendigung des Verfahrens und durch die Information über die Rechtsfolgen der Zustimmung zu einem Lösungsvorschlag sichergestellt werden. Die Vorgaben des Art. 9 Abs. 2 beziehen sich demnach sowohl auf die Freiwilligkeit der Teilnahme als auch auf die Freiwilligkeit hinsichtlich der Akzeptanz des Ergebnisses.257 Mit Blick auf die Forschungsfrage dieser Arbeit verdient der Art. 9 Abs. 2 lit. b) iii ADR-RL Hervorhebung, der vorschreibt, dass die Parteien darüber informiert werden, dass die vorgeschlagene Lösung anders258 sein kann als das Ergebnis eines Gerichtsverfahrens, in dem Rechtsvorschriften angewandt werden. Für das Vorschlagsverfahren folgt daraus als argumentum e contrario, dass Rechtsvorschriften nicht – oder zumindest nicht erstrangig – entscheidungserheblich sein müssen. Ein weiteres wesentliches Element des Fairnessgrundsatzes ist die durch Art. 9 Abs. 1 lit. a) ADR-RL festgeschriebene Möglichkeit „innerhalb einer angemessenen Frist ihre Meinung zu äußern, von der AS-Stelle die von der Gegenpartei vorgebrachten Argumente, Beweise, Unterlagen und Fakten sowie etwaige Feststellungen und Gutachten von Experten zu erhalten und hierzu Stellung nehmen zu können“. Letztendlich wird hier in Grundzügen das Recht auf rechtliches Gehör umschrieben. f) Handlungsfreiheit Ausweislich des Art. 10 ADR-Richtlinie sind die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet sicherzustellen, dass Vereinbarungen zur Einreichung einer Beschwerde bei einer AS-Stelle für Verbraucher nicht verbindlich sind, wenn sie vor dem Entstehen der Streitigkeit getroffen wurden und dem Verbraucher dauerhaft das Recht entziehen, die Gerichte zur Beilegung des Streitfalls anzurufen. Nicht erfasst sind folglich Mediations- und Schlichtungsklauseln, die die Parteien zur Durchführung eines alternativen Streitbeilegungsverfahrens verpflichten und somit nur vorübergehend die Beschreitung des Rechtswegs verhindern können.259 Vereinbaren die Parteien für den Konfliktfall die Durchführung eines Schlichtungsverfahrens, so ist damit ein nur bedingt 257
Berlin, Alternative Streitbeilegung in Verbraucherkonflikten, 2014, 130. Der Richtlinienvorschlag (KOM [2011] 793 endg. 18) sprach noch davon, dass der Vorschlag ungünstiger sein kann als das Ergebnis eines Gerichtsverfahrens. 259 Eidenmüller/Engel, ZIP 2013, 1704 ff., 1707; Meller-Hannich, in: Althammer (Hrsg.), Verbraucherstreitbeilegung: Aktuelle Perspektiven für die Umsetzung der ADR-Richtlinie, 2015, S. 19 ff., 36. 258
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aufschiebender Verzicht auf staatlichen Rechtsschutz verbunden und der Weg zur gerichtlichen Entscheidung im Falle des Scheiterns der Einigung wieder offen.260 In dieser Hinsicht haben die Mitgliedstaaten nach Art. 12 ADR-RL auch sicherzustellen, dass der Lauf der Verjährung während der Durchführung eines AS-Verfahrens gehemmt wird. Zweifelhaft ist, welche Auswirkungen der Art. 10 Abs. 1 (sowie EWG 43) ADR-Richtlinie auf Schiedsvereinbarungen zwischen Verbraucher und Unternehmer hat (siehe § 1031 Abs. 5 ZPO).261 Sollte das AS-Verfahren mit einer für den Verbraucher verbindlichen Entscheidung enden, so sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass die auferlegte Lösung nur dann Verbindlichkeit erlangt, wenn der Verbraucher über den verbindlichen Charakter informiert wurde und er die Verbindlichkeit ausdrücklich akzeptiert hat (Art. 10 Abs. 2). g) Rechtmäßigkeit Der Art. 11 ADR-Richtlinie normiert das Prinzip der Rechtmäßigkeit. War in der Empfehlung der Kommission aus dem Jahre 1998262 noch der Grundsatz der Rechtmäßigkeit für alle Verfahrensvarianten263 vorgesehen, so untersagt die ADR-Richtlinie eine Abweichung von zwingenden Verbraucherschutzvorschriften ausdrücklich nur bei Verfahren, die mit einer durch den Streitmittler auferlegten Lösung enden. Sofern Verbraucher und Unternehmer ihren gewöhnlichen Aufenthalt im selben Mitgliedstaat haben, ist das zwingende Verbraucherschutzrecht dieses Staates maßgeblich. Sollte es sich um einen grenzüberschreitenden Konflikt handeln, darf der Verbraucher nicht den Schutz durch zwingende Verbraucherschutzvorschriften verlieren, den er bei einer gerichtlichen Entscheidung nach den Vorgaben des Internationalen Privatrechts264 hätte.
260
Unberath, NJW 2011, 1320 ff. Siehe dazu Kleinschmidt, ZZP 128 (2015), 215 ff., 239 ff.; Schmidt-Kessel, in: ders. (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 9 ff., 22 m. w. N. Fries hält den § 1031 Abs. 5 ZPO nun für europarechtswidrig Fries, Wie weit reicht der Zugang zur Justiz?, 2016 (http://www.verbraucherstreitbeilegung.de/eugh-c-75-16-zugang-zur-justiz/) (geprüft am 01.11.2020). 262 ABl. EG Nr. L 115/31 vom 30. März 1998. 263 Zwar spricht die Empfehlung von Entscheidungen, darunter sind aber „bindende Entscheidungen, Empfehlungen oder Vergleichsvorschläge außergerichtlicher Einrichtungen zu verstehen, die von den Parteien akzeptiert werden müssen“, (ABl. EG Nr. L 115/32). 264 Art. 6 der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I), ABl. EU Nr. L 177/6 vom 4. Juli 2008 bzw. bei Fällen mit Bezug zu Dänemark Art. 5 des Übereinkommens von Rom vom 19. Juni 1980 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (EVÜ). 261
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Unklar bleibt allerdings, ob und welche Rolle das Recht in Einigungs- und Vorschlagsverfahren spielen soll und in welchem Verhältnis das Recht zu den sonstigen Bewertungsmaßstäben (siehe dazu nur Art. 7 Abs. 1 lit. i) ADRRichtlinie) und Interessen steht. 3. Zwischenergebnis Mit dem Perspektivenwechsel in der access to justice-Diskussion im Bereich des Individualrechtsschutzes, weg von einem Barrierenabbau im Bereich der justiziellen Rechtsdurchsetzung und hin zu der Etablierung alternativer Konfliktbearbeitungsinstrumente, hat eine erhebliche Formalisierung und Verrechtlichung der alternativen Streitbeilegung eingesetzt, welche nun in der ADR-Richtlinie ihren Höhepunkt findet.265 Nach dem Willen des europäischen Gesetzgebers sollen die Möglichkeiten der alternativen Streitbeilegung im Verbraucherbereich auf einheitlichen Mindeststandards beruhen und entsprechend harmonisiert werden. Primäres Ziel ist dabei die Stärkung des europäischen Binnenmarktes. Begünstigt wird der Ausbau durch das Fehlen einer autonomen Gerichtsbarkeit der Union in den Mitgliedstaaten und der Möglichkeit, mit der alternativen Streitbeilegung ein eigenständiges, europäisches Verfahren außerhalb der mitgliedstaatlichen Justizsysteme aufzubauen.266 Die Agenda der Union im Bereich der Verbraucherstreitigkeiten lässt sich demnach wohl wie folgt zusammenfassen: Der Individualrechtsschutz soll aus Effizienzgründen in der alternativen Streitbeilegung stattfinden; für StrEU- und Massenschäden gilt es justizielle Kollektivverfahren267 zu etablieren. Der Befund, dass sich ADR-Verfahren im Bereich von Verbraucherstreitigkeiten nach dem Willen des europäische Gesetzgebers von den „alternativen“ zu den „originären“ Konfliktbeilegungsverfahren entwickeln sollen, kann somit nicht a priori in Abrede gestellt werden.268 4. Rechtssetzungskompetenz der Europäischen Union Mit Blick auf den sachlichen Anwendungsbereich der ADR-Richtlinie, der nicht nur grenzübergreifende, sondern auch rein innerstaatliche Streitigkeiten umfasst, stellte sich schon im europäischen Gesetzgebungsprozess die Frage nach der Kompetenz zum Erlass der Richtlinie. So hat der Bundesrat durch Beschluss der Europakammer vorgetragen, dass das Tätigwerden der 265 Meller-Hannich, in: Althammer (Hrsg.), Verbraucherstreitbeilegung: Aktuelle Perspektiven für die Umsetzung der ADR-Richtlinie, 2015, S. 19 ff., 40. 266 Wagner/Thole, in: Baetge/Hein/Hinden (Hrsg.), Die richtige Ordnung, 2008, S. 915 ff., 916. 267 Siehe dazu den Richtlinienvorschlag KOM (2018) 184 endg. Vgl. § 6 I 2 b). 268 Siehe dazu Greger, SchlHA 2010, 30 ff., 31.
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EU keine Rechtsgrundlage in den Verträgen findet und zudem nicht den Subsidiaritätsgrundsatz wahrt.269 Der europäische Gesetzgeber nennt Art. 114 AEUV (i. V. m. Art. 169 Abs. 2 lit. a) AEUV) als Rechtsgrundlage sowohl der ADR-Richtlinie als auch der ODR-Verordnung.270 Dies überrascht schon deshalb, da mit Art. 81 AEUV eine speziellere und insofern auch näherliegende EU-Kompetenz besteht. Da Art. 81 Abs. 1, 2 lit. g) AUEV aber nur zu Regelung grenzüberschreitender Sachverhalte271 berechtigt, rein nationale Sachverhalte somit nicht erfasst werden könnten272, ist die Norm als Ermächtigungsgrundlage zur Schaffung eines flächendeckenden Zugangs zur alternativen Beilegung von Verbraucherstreitigkeiten aus Sicht des europäischen Gesetzgebers ungeeignet.273 Die Binnenmarktkompetenz des Art. 114 AEUV kennt eine solche Begrenzung nicht. Ob der Art. 114 i. V. m. Art. 169 Abs. 2 lit. a) AEUV allerdings für das zu beurteilende Regelungspaket der Kommission eine hinreichende Ermächtigungsgrundlage darstellt, kann aus mehreren Gründen bezweifelt werden.274 269
Siehe BR-Drucks. 772/11 vom 24.01.2012; insoweit entsprechend auch die Rüge der Ersten Kammer des niederländischen Parlamentes, Stellungnahme vom 24.01.2012 (http://www.ipex.eu/IPEXL-WEB/scrutiny/COD20110373/nleer.do?appLug=DE) (geprüft am 01.11.2020). 270 EWG 1 ADR-Richtlinie; EWG 1 ODR-Verordnung. 271 Leible, in: Streinz/Bings (Hrsg.), EUV, AEUV, 22012, Art. 81 AEUV Rn. 7 ff. 272 Rossi, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV, AEUV, 52016, Art. 81 AEUV Rn. 5. 273 So auch Reich, Individueller und kollektiver Rechtsschutz im EU-Verbraucherrecht, 2012, S. 47; ders., ERCL 2014, 258 ff., 267; Niewisch-Lennartz, ZKM 2015, 136 ff., 137; H. Roth, DRiZ 2015, 24 ff., 25; Rühl, in: Ackermann (Hrsg.), Privat- und Wirtschaftsrecht in Europa, 2015, S. 459 ff., 482 ff.; dies., RIW 59 (2013), 737 ff., 738 Fn. 11; Meller-Hannich, in: Althammer (Hrsg.), Verbraucherstreitbeilegung: Aktuelle Perspektiven für die Umsetzung der ADR-Richtlinie, 2015, S. 19 ff., 25 f.; Eidenmüller/Engel, Ohio State Journal on Dispute Resolution 2014, 261 ff., 294 f.; Engel, NJW 2015, 1633 ff., 1634; Fries, Richtlinie über Alternative Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten (AS-Richtlinie, ADRRichtlinie), 2013 (http://www.verbraucherstreitbeilegung.de/as-richtlinie/) (geprüft am 01.11.2020) der darauf hinweist, dass die Kommission auch Dänemark, Großbritannien und Irland einbeziehen wollte, für die Rechtsakte nach Art. 81 AEUV nicht gelten. 274 Rühl, in: Ackermann (Hrsg.), Privat- und Wirtschaftsrecht in Europa, 2015, S. 459 ff.; dies., RIW 59 (2013), 737 ff.; Reich, Individueller und kollektiver Rechtsschutz im EU-Verbraucherrecht, 2012, S. 47; Eidenmüller/Engel, ZIP 2013, 1704 ff., 1707 die ebenso wie H. Roth, DRiZ 2015, 24 ff., 25 von einem ultra-vires-Akt ausgehen; Eidenmüller/Engel, Ohio State Journal on Dispute Resolution 2014, 261 ff., 294 f.; Meller-Hannich, in: Althammer (Hrsg.), Verbraucherstreitbeilegung: Aktuelle Perspektiven für die Umsetzung der ADR-Richtlinie, 2015, S. 19 ff., 25 f.; Meller-Hannich/Höland/Krausbeck, ZEuP 2014, 8 ff., 15 f.; H. Roth, JZ 2013, 637 ff., 642; Engel, NJW 2015, 1633 ff., 1634; a. A. Hakenberg, EWS 2014, 181 ff., 183; Goldhammer, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 197 ff., 199; Conen/Gramlich, NJ 2014, 494 ff., 495; wohl auch
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Zum einen wird man annehmen müssen, dass es sich bei Art. 81 AEUV, der unter Abs. 2 lit. g) die „Entwicklung von alternativen Methoden für die Beilegung von Streitigkeiten“ als Normzweck ausweist, um eine speziellere Rechtsangleichungsvorschrift handelt, die als lex specialis den Art. 114 AEUV verdrängt.275 Zum anderen lässt sich mit guten Gründen auch an der – für Art. 114 AEUV notwendigen – Binnenmarktfinalität der ADR-Richtlinie zweifeln.276 Abgesehen von der Frage, ob die alternative Beilegung von grenzübergreifenden und inländischen Verbraucherstreitigkeiten dem europäischen Binnenmarkt zu Gute kommt, ist eine Regelung für innerstaatliche Sachverhalte die keinen Binnenmarktbezug aufweisen zumindest nicht erforderlich und stellt folglich einen Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz des Art. 5 Abs. 1 S. 2, Abs. 4 EUV dar.277 Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass das Regelungspaket zusätzlich auf Art. 169 Abs. 2 lit. a) AEUV gestützt wird. Ob die ADR-Richtlinie nämlich der Gewährleistung bzw. Erhöhung des Verbraucherschutzniveaus in der Union dient, kann durchaus auch in Zweifel gezogen werden.278 Mit Blick auf die Entscheidung des deutschen Gesetzgebers die Richtlinie trotz dieser Bedenken umzusetzen, bedarf die Frage der Gesetzgebungskompetenz letztlich aber keiner weitergehenden Diskussion.279
Grupp, AnwBl 2015, 186 ff., 187; zu weitergehenden europarechtlichen Bedenken siehe Korte, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 171 ff. 275 Eidenmüller/Engel, ZIP 2013, 1704 ff., 1706; Leible/Schröder, in: Streinz/Bings (Hrsg.), EUV, AEUV, 22012, Art. 114 Rn. 133. 276 Rühl, in: Ackermann (Hrsg.), Privat- und Wirtschaftsrecht in Europa, 2015, S. 459 ff., 461 ff.; Grupp, AnwBl 2015, 186 ff., 193 „es ist eine ironische Randnotiz, dass die Regelungswirkung nicht den eigentlichen kompetenzgebenden Bereich – den Binnenmarkt – erreicht, sondern vielmehr den nationalen Zivilprozess“. 277 Rühl, in: Ackermann (Hrsg.), Privat- und Wirtschaftsrecht in Europa, 2015, S. 459 ff., 474 ff.; so ähnlich auch Engel, NJW 2015, 1633 ff., 1634; H. Roth, DRiZ 2015, 24 ff., 25; ders., JZ 2013, 637 ff., 642 die jeweils einen Verstoß gegen den Subsidiaritätsgrundsatz aus Art. 5 Abs. 3 EUV rügen; siehe aber EWG 60 ADR-Richtlinie, der – wenig überraschend – feststellt, dass „diese Verordnung nicht über das zur Erreichung des Ziels erforderliche Maß“ hinausgeht und folglich dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht; siehe dazu auch mit eingehenderer Begründung: Europäisches Parlament Plenarsitzungsdokument A7-0280/201, S. 92 ff. 278 Meller-Hannich/Höland/Krausbeck, ZEuP 2014, 8 ff., 16; Meller-Hannich, in: Althammer (Hrsg.), Verbraucherstreitbeilegung: Aktuelle Perspektiven für die Umsetzung der ADR-Richtlinie, 2015, S. 19 ff., 26; Rühl, in: Ackermann (Hrsg.), Privat- und Wirtschaftsrecht in Europa, 2015, S. 459 ff., 478, 481 f., 484 f., 487. 279 Eine Nichtigkeitsklage gem. Art. 263 AEUV wurde im Gesetzgebungsverfahren nicht erwogen.
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IV. Außergerichtliche Streitbeilegung in Deutschland Außergerichtliche bzw. alternative Streitbeilegung gibt es, seit es die gerichtliche Streitentscheidung gibt.280 Sie ist Gegenstand diverser gesetzlicher Regelungen (z. B. das Mediationsgesetz vom 21. Juli 2012; § 15a EGZPO; §§ 253 III, 278a, 1025 ff. ZPO usw.). Die vor allem im angloamerikanischen Raum ausgelöste Euphorie bezüglich der alternativen Streitbeilegung, kam Ende der 1970er Jahre auch in Deutschland an.281 So entwickelten und etablierten sich unter dem Stichwort „Schlichten ist besser als Richten“282 schon frühzeitig branchenspezifische Angebote für die einvernehmliche Beilegung von Streitigkeiten zwischen Verbrauchern und Unternehmern.283 Es handelte sich dabei überwiegend um sektorale Schieds- und Schlichtungsstellen, die vornehmlich von Unternehmen und Wirtschaftsverbänden eingerichtet und getragen wurden, ohne in jedem Fall eine besondere Spezialisierung auf Verbraucherkonflikte aufzuweisen.284 Daneben bestanden allerdings auch Einrichtungen, die von staatlichen Behörden, wie beispielsweise der Bundesnetzagentur (Schlichtungsstelle Telekommunikation) oder des Bundesamtes für Justiz (Schlichtungsstelle Luftverkehr), geschaffen wurden. Erklärtes Ziel der Etablierung außergerichtlicher Konfliktbehandlungsinstitutionen war dabei, neben dem Abbau gerichtlicher Zugangs- und Erfolgsbarrieren für bestimmte Bevölkerungsgruppen und einer Veränderung der Streitkultur, aber auch das fiskalpolitische Anliegen einer Entlastung der Justiz.285
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So enthielt schon die CPO vom 30.01.1877 in ihrem 10. Buch (§§ 851–872) ausführliche Regelungen zum schiedsgerichtlichen Verfahren. 281 Prütting, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 157 ff., 159 ff.; Prütting/Krafka (Hrsg.), Außergerichtliche Streitschlichtung, 2003, Rn. 17 ff., 40 ff., 72. 282 Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (Hrsg.), Schlichten ist besser als Richten, 1983. 283 Überblick bei Hodges/Benöhr/Creutzfeldt-Banda, Consumer ADR in Europe, 2012, 73 ff.; Berlin, in: Althammer/Meller-Hannich (Hrsg.), VSBG Verbraucherstreitbeilegungsgesetz, 2017, Überblick Rn. 27 ff.; ebenso Ders., in: Tamm/Tonner/Bergmann (Hrsg.), Verbraucherrecht, 2016, § 23 Rn. 16; Micklitz, Gutachten A zum 69. Deutschen Juristentag, A92 ff.; Basedow, JZ 2018, 1 ff., 10 f.; Greger/Münchhausen, Verhandlungs- und Konfliktmanagement für Anwälte, 2010, 130 ff.; siehe auch Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 2019, Einleitung Rn. 25. 284 Tonner, Zur Umsetzung der AS-Richtlinie (Richtlinie 2013/11/EU) nebst Entwurf eines Gesetzes über alternative Streitbeilegung, 2014, 18 ff. 285 Hoffmann-Riem, ZRP 1997, 190 ff.; Prütting, JZ 1985, 261 ff., 268 f., vgl. auch den Hinweis des damaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Benda, auch die Rechtsgewährung sei „ein knappes Gut“, Benda, DRiZ 1979, 357 ff., 362. Siehe jetzt aber Höland/Meller-Hannich (Hrsg.), Nichts zu klagen? Der Rückgang der Klageeingangszahlen in der Justiz, 2016.
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Die verfassungsrechtliche „Adelung“286 der alternativen Streitbeilegung erfolgte durch das Bundesverfassungsgericht dann 2007. Das Gericht stellte fest, dass in der obligatorischen Streitschlichtung zwar möglicherweise eine Beeinträchtigung des Justizgewährungsanspruchs zu sehen sei, führt dann aber aus: „Der möglichen Beeinträchtigung stehen hinreichende Vorteile für die Rechtsuchenden gegenüber. Im Erfolgsfalle führt die außergerichtliche Streitschlichtung dazu, dass eine Inanspruchnahme der staatlichen Gerichte wegen der schon erreichten Einigung entfällt, so dass die Streitschlichtung für die Betroffenen kostengünstiger und vielfach wohl auch schneller erfolgen kann als eine gerichtliche Auseinandersetzung. Führt sie zu Lösungen, die in der Rechtsordnung so nicht vorgesehen sind, die von den Betroffenen aber – wie ihr Konsens zeigt – als gerecht empfunden werden, dann deutet auch dies auf eine befriedende Bewältigung des Konflikts hin. Eine zunächst streitige Problemlage durch eine einverständliche Lösung zu bewältigen, ist auch in einem Rechtsstaat grundsätzlich vorzugswürdig gegenüber einer richterlichen Streitentscheidung.“287
Eine Studie im Auftrag der Europäischen Kommission nennt für Deutschland für das Jahr 2009 247 ADR-Stellen, und weist damit die mit Abstand größte Anzahl in Europa aus.288 Aufgrund der von dem Gesetzgeber geschätzten Anzahl von ca. 60.000 Streitbeilegungsanträgen jährlich (Stand 2015)289, scheinen diese Streitbeilegungsinstrumente, trotz des fehlenden flächendeckenden Angebots und des unzusammenhängenden Systems privater Stellen, durchaus einen gewissen Bekanntheitsgrad bei den Verbrauchern erreicht zu haben.290 Nichtsdestotrotz wird man gerade im Bagatellbereich der alternativen Streitbeilegung ein weitaus größeres und bislang ungenutztes Potential attestieren müssen. Auf dieser Feststellung basieren der europäische Gesetzgebungsakt291 sowie das nationale Umsetzungsgesetz292.293 Folgerichtig soll nach dem Willen des europäischen sowie des deutschen Gesetz286
Sehr kritisch Stürner, ZZP 127 (2014), 271 ff., 325 Fn. 261, sowie 331 Fn. 281. BVerfG NJW-RR 2007, 1073 ff., 1074. Diese Rechtsprechung wird im Laufe der Arbeit noch mehrfach in Bezug genommen werden. An dieser Stelle soll sie allerdings nur zur Verdeutlichung der schlichtungsfreundlichen Tendenz in Rspr. und Gesetzgebung dienen. 288 Civic Consulting, Study on the use of Alternative Dispute Resolution in the European Union, 2009 (http://www.civic-consulting.de/reports/adr study.pdf) (geprüft am 01.11.2020), 11 f. 289 BT-Drucks. 18/5089, 42. Siehe dazu auch Deutlmoser/Engel, MMR 2012, 433 ff., 435. 290 Zum Vertrauen der Verbraucher in die alternative Streitbeilegung siehe Creutzfeld, ZKM 19 (2016), 12 ff. 291 Vgl. nur deutlich EWG 5 ADR-RL und passim. 292 BT-Drucks. 18/5089, 36 ff. 293 Siehe aber auch Niewisch-Lennartz, ZKM 2015, 136 ff., 138, die zu bedenken gibt, dass es nicht ausgeschlossen sei, „dass die erwähnten existierenden Verfahren den tatsächlichen Gesamtbedarf decken“. 287
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Erstes Kapitel: Streitbeilegung in Verbrauchersachen
gebers den etablierten Schlichtungsstellen eine Vorbild- und Leitfunktion, im Rahmen der Verbraucherstreitbeilegung nach dem VSBG, zukommen.294
V. Verbraucherstreitbeilegungsgesetz Am 1. April 2016 sind die wesentlichen Teile des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie über alternative Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten und zur Durchführung der Verordnung über Online-Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten295 in Kraft getreten.296 Das zentrale und wohl wichtigste Regelungspaket ist dabei das in Art. 1 niedergelegte „Gesetz über die alternative Streitbeilegung in Verbrauchersachen (Verbraucherstreitbeilegungsgesetz – VSBG)“. Der Gesetzgeber schafft damit eine zusammenhängende Regelung für die Einrichtung und Anerkennung von Verbraucherschlichtungsstellen (§§ 2 ff. VSBG) sowie verfahrensrechtlichen Mindestvorgaben (§§ 11 ff. VSBG) für die Ausgestaltung des Streitbeilegungsverfahrens. Abgesehen von einigen Ausnahmen soll grundsätzlich für jede Verbraucherstreitigkeit die Möglichkeit bestehen, den Konflikt auf Antrag des Verbrauchers in einem Schlichtungsverfahren zu bearbeiten. Zentral ist dabei, dass sowohl die Verfahrensdurchführung als auch das Ergebnis der Schlichtung für den Verbraucher nur Angebotscharakter hat (sog. Prinzip der doppelten Freiwilligkeit, §§ 5 Abs. 2, 15 VSBG). Für den Verbraucher darf daher weder der Rechtsweg ausgeschlossen sein noch das Verfahren zu einer auferlegten Lösung führen (§ 5 Abs. 2 VSBG). Die Errichtung einer flächendeckenden Schlichtungsstruktur überträgt der Gesetzgeber vornehmlich privaten Trägern, die durch ihre Struktur (§§ 3, 9 VSBG) allerdings Gewähr für eine unabhängige und unparteiische Verfahrensdurchführung bieten müssen. Die behördliche Einrichtung von Schlichtungsstellen ist demgegenüber subsidiär.297
294
BT-Drucks. 18/5089, 39; siehe aus europäischer Perspektive EWG 24 ADR-Richt-
linie. 295
BGBl. 2016 I, S. 254, berichtigt S. 1039. Vgl. nun Gesetz zur Änderung von Vorschriften über die außergerichtliche Streitbeilegung in Verbrauchersachen und zur Änderung weiterer Gesetze, BGBl. I 2019 S. 1942. 297 Sechs der insgesamt 27 Verbraucherschlichtungsstellen in Deutschland (Stand: Januar 2019) sind behördliche Schlichtungsstellen, Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft (§ 191f BRAO); Schlichtungsstelle Post der Bundesnetzagentur (§ 18 PostG, § 10 Postdienstleistungsverordnung); Verbraucherschlichtungsstelle Telekommunikation der Bundesnetzagentur (§ 47a TKG); Schlichtungsstelle bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (§ 14 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 UKlaG); Schlichtungsstelle bei der Deutschen Bundesbank (§ 14 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 UKlaG); Schlichtungsstelle Luftverkehr beim Bundesamt für Justiz (§ 57a Abs. 1 S. 1 LuftVG). 296
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Als wesentliche Vorgaben finden sich im VSBG insb. Ausführungen zur Person des verfahrensverantwortlichen Streitmittlers (§§ 6 ff., 21 VSBG), zu den Kosten (§§ 23, 31 VSBG) und der Dauer der Verfahrensdurchführung (§ 20 VSBG) sowie der Gewährung rechtlichen Gehörs (§§ 16, 17 VSBG) und der Ausgestaltung des Schlichtungsvorschlages (§ 19 VSBG). Die genaue Strukturierung des Verfahrens obliegt dann allerdings der Verfahrensordnung der jeweiligen Stelle (§ 5 Abs. 1 VSBG). Geprägt ist das VSBG ebenso wie die ADR-Richtlinie von diversen Informationspflichten, die zum einen den Unternehmer, zum anderen die Verbraucherschlichtungsstelle oder den jeweiligen Streitmittler verpflichten. Dieses Transparenz- und Informationsprinzip dient dabei einerseits dem gesetzgeberischen Anliegen den Bekanntheitsgrad der alternativen Streitbeilegung zu steigern, stellt andererseits aber auch ein ganz grundsätzliches Element der europäischen Verbraucherschutzkonzeption dar.298 Sowohl die ADR-Richtlinie, als auch das VSBG haben zu einer – zwar spät299 einsetzenden – aber umso lebhafter geführten (Grundsatz-)Diskussion über Verbraucher-ADR geführt.300 So befürchtet H. Roth den „Bedeutungsverlust der Zivilgerichtsbarkeit durch Verbrauchermediation“301 und spricht von einem „Verbraucherschutz zweiter Klasse“302, während Eidenmüller/Engel sogar vor einer „Schlichtungsfalle“303 und Engel vor „Mehr Zugang zu weniger Recht“304 warnen. Auf der anderen Seite wird mit dem Gesetzesvorhaben auch die Hoffnung auf einen „Neuen Zugang zum Recht“305 oder sogar einer „Stärkung des Rechts durch eine gewandelte Streitkultur“306 verbunden. Drei Jahre nach Inkrafttreten der Regelung lassen sich die exakten Auswirkungen der ADR-Richtlinie und des VSBG zwar noch nicht vorhersehen. Zumindest kann aber bisher wohl weder von einem durch die Verbraucherstreitbeilegung initiierten Bedeutungsverlust der Zivilgerichtsbarkeit noch von einer gewandelten Streitkultur gesprochen werden.307
298
Ausführlich §§ 9 ff. (insb. § 12 I). Hirsch, in: Wandt (Hrsg.), Versicherungsrecht, Haftungs- und Schadensrecht, 2014, S. 159 ff., 160. 300 Überblick bei Engel, NJW 2015, 1633 ff., 1635; Wendland, KritV CritQ Rcrit 99 (2016), 301 ff., 304 Fn. 1. 301 Roth, JZ 2013, 637 ff. 302 Ders., DRiZ 2015, 24 ff. Ebenso auch Stürner, ZZP 127 (2014), 271 ff., 330 f. mit der Warnung vor einer „prozessualen Klassengesellschaft“. 303 Eidenmüller/Engel, ZIP 2013, 1704 ff. 304 Engel, NJW 2015, 1633 ff. 305 Hirsch, in: Wandt (Hrsg.), Versicherungsrecht, Haftungs- und Schadensrecht, 2014, S. 159 ff.; ders., NJW 2013, 2088 ff. 306 Jaeger, AnwBl 2015, 573 ff. 307 Althammer/Lohr, DRiZ 2017, 354 ff. 299
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Die Kritik entzündet sich im Allgemeinen an dem Umstand, dass die Einhaltung elementarer Verfahrensgarantien zweifelhaft erscheint, und im Besonderen an der unklaren Rolle des Rechts im Rahmen des Schlichtungsvorschlages durch den Streitmittler in einem Rechtsbereich, der vornehmlich durch zwingende Vorgaben zum Schutz des Verbrauchers gekennzeichnet ist. Beide Fragen sollen im Laufe der vorliegenden Arbeit eingehender betrachtet werden. Zunächst und damit quasi als Ausgangspunkt der Untersuchung gilt es allerdings die rechtpolitische und verfahrensrechtliche Zielsetzung der Verbraucherstreitbeilegung zu klären. Fraglich ist nämlich, ob sich aus dem Ziel bzw. Zweck des Verbraucher-ADR-Verfahrens eine Rechtfertigung für die Erweiterung der Parteiherrschaft über die Grenzen der rechtsgeschäftlichen Handlungsfreiheit hinaus ergeben kann. Sofern dies zu verneinen ist, kann sich die Befugnis zur Lösung vom Recht nur aus dem materiellen Recht selbst, insbesondere aus einer etwaigen Begrenzung seines Geltungs- und Durchsetzungswillens in Verfahren der alternativen Streitbeilegung ergeben.
VI. Rechtspolitische Zielsetzung Hatte die bisherige europäische Rechtspolitik primär auf den Schutz des Verbrauchers durch die Justiz gesetzt308, so steht nun die Etablierung eines unabhängigen Systems zur Geltendmachung der Verbraucherrechte im Fokus des gesetzgeberischen Interesses.309 Unklar ist dabei, ob diese Konfliktlösungsverfahren auf die Durchsetzung materieller Rechte gerichtet sind oder andere Verfahrenszielsetzungen in Betracht kommen. 1. Der Rechtsdurchsetzungsbegriff in ADR-Verfahren In ADR-Verfahren besteht Anlass zur Frage, was unter der Rechtsdurchsetzung im Kontext der außergerichtlichen Streitbeilegung zu verstehen ist und ob der Begriff für diesen Bereich neu akzentuiert werden sollte. So sehen Zekoll/Elser310 zum einen den Zugang zum Recht im Sinne der Möglichkeit, bei einer Institution Gehör zu finden, und zum anderen die Verwirklichung des Rechts in objektiver Hinsicht, im Sinne einer Rechtsbewahrung als spezifische Merkmale der Rechtsdurchsetzung an. Verbraucher
308
Siehe dazu oben § 6 I. H. Roth, ZZP 129 (2016), 3 ff., 5; Meller-Hannich/Höland/Krausbeck, ZEuP 2014, 8 ff., 31 ff., die analysieren, dass aus Sicht des europäischen Gesetzgebers ADR und ODR eher als gerichtliche Entscheidungen dem Verbrauchervertrauen und dem europäischen Binnenmarkt dienen (S. 9). 310 Zekoll/Elser, in: Althammer (Hrsg.), Verbraucherstreitbeilegung: Aktuelle Perspektiven für die Umsetzung der ADR-Richtlinie, 2015, Bd. 4, S. 55 ff. 309
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ADR-Verfahren seien in der Lage das erste Element dieses Verständnisses der Rechtsdurchsetzung zu erfüllen. Für die Wahrung des objektiven Rechts eignen sich solche Verfahren allerdings nicht. Der Rechtsdurchsetzungsbegriff soll nach Ansicht von Zekoll/Elser daher im Rahmen von VerbraucherADR-Verfahren insoweit abgewandelt werden, dass hierunter ausschließlich der verbesserte Zugang zum Recht sowie Konfliktlösung durch privatautonome Konsensbildung und mit nachhaltiger Ergebnisakzeptanz, zu verstehen ist.311 Wobei mit dem erleichterten Zugang zum Recht im Wesentlichen die durch das Bereitstellen von ADR-Dienstleistern geschaffene Möglichkeit gemeint ist, sein Begehren vorzubringen. Die individuelle Rechtsverwirklichung und die objektive Rechtsbewährung sollen demnach nicht wesentliche Merkmale des Rechtsdurchsetzungsbegriffs in ADR-Verfahren sein. Aus welchem Grund der Begriff im Zusammenhang mit der alternativen Konfliktlösung allerdings einem Perspektivenwechsel unterzogen werden sollte, ist nicht klar. Gerade in ADR-Verfahren ist die Rechtsdurchsetzung als Verfahrenszielbeschreibung nur dann zu bejahen, sollte der Interessenskonflikt zwischen den Rechtssubjekten dem geltenden materiellen Recht entsprechend ausgeglichen werden. Rechtsdurchsetzung meint eine bewusst oder unbewusst Ausrichtung an der Rechtslage.312 Ein anderes Verständnis läuft Gefahr die Abgrenzung zu einem Verfahren dessen Ziel die Befriedung der Parteien ist, zu verwässern. Die (partielle) Rechtsdurchsetzung kann dabei freilich mit der Befriedung zusammenfallen. Allerdings kann diese auch ganz ohne die Durchsetzung von Rechtsnormen eintreten.313 Für die Akzeptanz und den Erfolg eines Konfliktbearbeitungsinstruments ist die Transparenz hinsichtlich des Verfahrensziels aber von entscheidender Bedeutung: Nur so kann eine selbstbestimmte Verfahrenswahl durch den Rechteinhaber gewährleistet werden.314 Weiterhin ist zu befürchten, dass ein anderes Verständnis des Rechtsdurchsetzungsbegriffs Gefahr läuft, das vornehmlichste Interesse des Verbrauchers in der Konfliktsituation mit einem Unternehmer auszublenden: Der Verbraucher will nicht nur durch materiell-rechtliche Vorgaben geschützt sein, sondern diese Rechte im Konfliktfall auch durchsetzen.315 Sofern der Verbraucher auf die gerichtliche Durchsetzung dieser Ansprüche verzichtet, lässt sich dies kaum mit einem grundsätzlichen Desinteresse an
311 Dies., in: Althammer (Hrsg.), Verbraucherstreitbeilegung: Aktuelle Perspektiven für die Umsetzung der ADR-Richtlinie, 2015, Bd. 4, S. 55 ff., 57 f., 83; ebenso wohl auch das Verständnis von Conen/Gramlich, NJ 2014, 494 ff., 495. 312 Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, 2016, 16; H. Roth, in: Gottwald (Hrsg.), Recht und Gesellschaft in Deutschland und Japan, 2009, S. 149 ff., 152 f. 313 Basedow, JZ 2018, 1 ff., 7. Siehe dazu auch H. Roth, ZfPW 2017, 129 ff., 141 f. 314 Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, 2016, 104 f., 224 f. 315 Eingehend dazu unter § 16 I 2 b).
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der Rechtsdurchsetzung oder einer auf andere Ziele gerichteten Interessenslage, sondern vielmehr mit faktischen Zugangsbarrieren zu geeigneten Instrumenten der Rechtsdurchsetzung im Bereich der Bagatellstreitigkeiten erklären. Sich nun in den speziell für Verbraucherstreitigkeiten geschaffenen ADRVerfahren nur auf die niedrigschwellige Möglichkeit zur Konsensbildung zu beschränken und die Verwirklichung des materiellen Rechts schon begriffsdefinitorisch als Verfahrenszweck auszuschließen, erscheint mit Blick auf die Zielrichtung des Verbraucherschutzrechts als wertungswidersprüchlich.316 Nur am Rande sei darauf hingewiesen, dass der Rechtsverkehr bei einem Verfahren welches die Rechtsdurchsetzung als Verfahrensziel angibt, denknotwendig auch die Möglichkeit zur zwangsweisen Durchsetzung bei einer Nichtbefolgung des Verfahrensergebnisses erwartet. Eine solche wäre dann recht unproblematisch möglich, wenn das Ergebnis des Verbraucherschlichtungsverfahrens direkt zu einem Vollstreckungstitel führen würde. Gerade dies ist für die Verbraucherschlichtung aber umstritten.317 Der Hinweis, dass der Unternehmer bei freiwilliger Teilnahme an dem Schlichtungsverfahren und der anschließenden Zustimmung zum Ergebnis seiner entsprechenden Verpflichtung auch nachkommen wird, mag für die überwiegenden Fälle zutreffend sein, eine Garantie für eine Durchsetzung der Vereinbarung folgt daraus selbstverständlich nicht. Im Rahmen der alternativen Konfliktlösung besteht demnach kein Bedarf für eine Neuakzentuierung des Rechtsdurchsetzungsbegriffs. Im Folgenden gilt es zu klären, ob Verbraucher-ADR-Verfahren die Rechtsdurchsetzung als primären Verfahrenszweck vorgeben. Die entscheidende Frage ist somit die nach der Verfahrenszielsetzung von VerbraucherADR-Verfahren gemäß der ADR-Richtlinie bzw. dem VSBG. 2. Zielsetzung der ADR-Richtlinie Die ADR-Richtlinie ist in diesem Aspekt nicht so eindeutig, wie auf den ersten Blick vermutet werden könnte. So beschreibt zwar der Art. 1 S. 1 ADR-Richtlinie als Zweck der Richtlinie „das Erreichen eines hohen Verbraucherschutzniveaus“, allerdings könnte diese Erhöhung des Verbraucherschutzniveaus primär allein im Zugang zu alternativen Streitbeilegungsinstrumenten gesehen werden. Ausweislich der Erwägungsgründe (u.a. EWG 3, 4, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 15, 60) und der Bezugnahme auf Art. 114 AEUV scheint ein vordringlichstes Ziel auch die Stärkung des europäischen Binnen-
316 Eidenmüller/Engel, ZIP 2013, 1704 ff. (passim); Stürner, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 87 ff., 101. 317 Siehe dazu unter § 20.
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marktes zu sein.318 Nicht klar ist, ob von der Zielvorgabe „Erreichen eines hohen Verbraucherschutzniveaus“ auf die Durchsetzung der spezifischen Verbraucherrechte als Verfahrensziel geschlossen werden kann.319 Die Vorgaben der ADR-Richtlinie zur Gestaltung des Streitbeilegungsverfahrens vermitteln den Eindruck, dass hier ein kostengünstiges, effizientes und sicheres Verfahren etabliert werden soll, das die Geltendmachung und Durchsetzung der Verbraucherrechte ermöglicht.320 So spricht beispielsweise auch die Erläuterung zu dem österreichischen Alternative-Streitbeilegung-Gesetz davon, dass „klare Zielsetzung des Maßnahmenpaketes aus ADR-Richtlinie und ODR-Verordnung ist […], die Durchsetzung von Verbraucheransprüchen zu erleichtern“321. Ähnlich äußert sich der europäische Gesetzgeber, wenn er die alternative Streitbeilegung als zweite Spur der grenzüberschreitenden Anspruchsdurchsetzung verstanden wissen will.322 Dass die Rechtsdurchsetzung aber nicht notwendigerweise Ziel des Verfahrens nach der ADR-Richtlinie ist, folgt schon aus der Tatsache, dass es im Belieben der AS-Stelle steht, ob und inwieweit die Streitbeilegung auf Rechtsvorschriften oder andere Regelungen – die ADR-Richtlinie nennt in Art. 7 Abs. 1 lit. i) ADR-RL noch Billigkeitserwägungen und Verhaltenskodizes – gestützt wird. Entsprechend macht auch die Aufklärungspflicht in Art. 9 Abs. 2 lit. b) iii) ADR-RL deutlich, dass der Schlichtungsvorschlag anders sein kann, als das Ergebnis eines Gerichtsverfahrens in dem Rechtsvorschriften angewendet werden.323 Zwar soll bei Entscheidungsverfahren eine Abweichung von zwingendem Verbraucherschutzrecht nicht möglich sein (Art. 11 ADR-RL), eine Bindung des Verfahrens an das Recht als Bewertungsmaßstab lässt sich daraus allerdings auch nicht ableiten. So kann auch hier das Verfahrensergebnis auf Billigkeitserwägungen beruhen, solange es nur nicht von zwingenden Schutzvorgaben abweicht.
318
Siehe SEK (2011) 1409 endgültig, S. 7. Deutlich auch die Zusammenfassung der ADR-Richtlinie, die unter der Überschrift „Key Points“ das Richtlinien-Ziel so beschreibt: „The goal of this legislation is to ensure the proper functioning of the EU’s single market“. Vgl. auch Kotzur, VuR 2015, 243 ff. 319 Siehe insofern EWG 54 ADR-Richtlinie der eine enge Zusammenarbeit zwischen AS-Stellen und nationalen Behörden verlangt, um die „wirksame Anwendung von Rechtsakten der Union im Bereich des Verbraucherschutzes zu stärken“. 320 Beachte die Bezeichnung als „Rechtsbehelfsverfahren“ (Art. 2 Abs. 3, Art. 3, EWG 5 ADR-Richtlinie) oder „Rechtsschutz“ (EWG 8, 10, 27 ADR-Richtlinie); Engel, NJW 2015, 1633 ff., 1635. 321 Siehe 697 der Beilagen XXV. GP – Regierungsvorlage – Erläuterungen, abrufbar unter: http://t1p.de/echa (geprüft am 01.11.2020) 322 Deutlich noch im Aktionsplan 1996, KOM (96) 13 endg. Vgl. auch Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, 595. 323 Siehe oben § 6 III 2 e).
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Auch sprechen die niedrigen Anforderungen an das Fachwissen (siehe Art. 6 Abs. 1 lit. a) ADR-RL) der mit der Streitbeilegung betrauten Person nicht für ein Verfahren, das vornehmlich der Rechtsdurchsetzung dient. Anders als im Rahmen des deutschen Umsetzungsgesetzes verzichtet die ADRRichtlinie weitestgehend darauf den Bezug zum materiellen Verbraucherrecht herzustellen und vermeidet es in der endgültigen Fassung von der alternativen Streitbeilegung als Instrument zur Verbesserung des Rechtsschutzes für Verbraucher zu sprechen.324 Nach alledem setzt die ADR-Richtlinie also die Durchsetzung des Verbraucherrechts nicht in den Mittelpunkt des Verfahrens.325 Vielmehr geht es um eine zügige Streiterledigung, vornehmlich durch Einigung der Parteien mit Hilfe eines Schlichtungsvorschlages, zur Belebung und Förderung des europäischen Binnenmarktes, denn um Durchsetzung des materiellen Verbraucherrechts.326 Insofern spricht Wagner auch von law enforcement light oder rough justice als Leitbild der ADR-RL.327 Eine solche Zielsetzung dient dann möglicherweise dem obskuren Kriterium der individuellen Verbraucherzufriedenheit, ob sie allerdings auch flächendeckend zur Förderung des Verbraucherschutzes328 beiträgt, ist frag324 Siehe dazu noch Richtlinienvorschlag KOM (2011) 793 endg.; Riehm, JZ 2016, 866 ff. 325 Wagner, CMLR 2014, 165 ff., 180 ff. befürchtet sogar eine Schwächung der Verbraucherrechtsdurchsetzung durch die Etablierung von ADR-Verfahren bei Verbraucherstreitigkeiten. 326 Gsell, ZZP 128 (2015), 189 ff., 191; Althammer, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 117 ff., 134; Eidenmüller/Engel, Ohio State Journal on Dispute Resolution 2014, 261 ff., 287 („The consumer dispute system designed by the EU promises effective consumer protection but will yield hardly more than effective consumer sedation“); Rühl, in: Ackermann (Hrsg.), Privat- und Wirtschaftsrecht in Europa, 2015, S. 459 ff., 482 f.; Stürner, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 87 ff., 90; H. Roth, JZ 2013, 637 ff., 642; Meller-Hannich/Höland/Krausbeck, ZEuP 2014, 8 ff., 32; Meller-Hannich, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 45 ff., 53, 56; Schmidt-Kessel, in: ders. (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 9 ff., 34; siehe auch Genn, Yale Journal of Law & the Humanities 2012, 397 ff., 411 „The outcome of mediation, therefore, is not about just settlement it is just about settlement“; Halfmeier, VuR Sonderheft 2016, 17 ff.; a. A. Zekoll/Elser, in: Althammer (Hrsg.), Verbraucherstreitbeilegung: Aktuelle Perspektiven für die Umsetzung der ADR-Richtlinie, 2015, Bd. 4, S. 55 ff., 56 ff.; Rühl, ZZP 127 (2014), 61 ff., 98; Conen/Gramlich, NJ 2014, 494 ff., 495; Gläßer, in: Althammer (Hrsg.), Verbraucherstreitbeilegung: Aktuelle Perspektiven für die Umsetzung der ADR-Richtlinie, 2015, S. 85 ff., 98; Eidenmüller/Engel, ZIP 2013, 1704 ff., 1705 die der EU eine Irreführung der Verbraucher vorwerfen, „wenn sie [EU] ihnen Rechtsdurchsetzung verspricht, um sie dann systematisch mit intransparenten Vergleichen oder Schlichtungssprüchen abzufinden“. 327 Wagner, ZKM 2013, 104 ff., 105; ders., CMLR 2014, 165 ff., 177 f. 328 Skeptisch in dieser Hinsicht dazu Meller-Hannich, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 45 ff., 56.
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lich.329 Die in den Schlichtungsverfahren gefundenen „Näherungswerte“ an das materielle Recht, mögen evtl. den einen oder anderen Verbraucher zufriedenstellen, auf lange Sicht läuft ein unangewendetes Recht allerdings Gefahr zu verkümmern, sollte es nicht mehr oder nicht im notwendigen Umfang Gegenstand der öffentlichen Auslegung, Anwendung und des öffentlichen Diskurses sein. Nicht unwahrscheinlich ist, dass das fehlende Bekenntnis zur Anwendung des materiellen Verbraucherschutzrechts letztendlich das Ziel einer Stärkung des europäischen Binnenmarktes torpediert. Verlassen die Verbraucherschlichtungsverfahren den Bezug zum materiellen Recht und wird das materielle Verbraucherrecht in dem Verbraucherschlichtungsverfahren nicht entsprechend durchgesetzt, so sind negative Auswirkungen auf den Binnenmarkt unvermeidlich.330 Allerdings lässt sich die unklare Verfahrenszielbeschreibung im Rahmen der ADR-Richtlinie zum Teil durch ihren verfahrensoffenen Ansatz nachvollziehen. So entspricht es durchaus den Vorstellungen und Vorgaben der ADR-Richtlinie, wenn z. B. in einem Mediationsverfahren eine rein interessensorientierte Lösung fern von rechtlichen Überlegungen anvisiert wird.331 Man wird den EWG 31 ADR-RL, dass Streitigkeiten unter „gebührender Berücksichtigung der Rechte der Parteien“ beizulegen sind, so verstehen können, dass sich das Maß der Rechtsorientierung flexibel nach dem jeweiligen Verfahren und seinen Verfahrens- bzw. Entscheidungsgrundlagen zu richten hat.332 Auch Art. 7 Abs. 1 lit. i) ADR-RL ist so auszulegen, dass je nach Gestaltung und Verlauf des Verfahrens, die das Verfahren und dessen Abschluss regierenden Regeln verschieden sein können. Im Ergebnis überlässt die ADR-Richtlinie damit die Frage, ob Verbraucher-ADR-Verfahren auch der Verbraucherrechtsdurchsetzung dienen sollen, den jeweiligen Mitgliedstaaten.
329
Zweifelnd insb. Rühl, in: Ackermann (Hrsg.), Privat- und Wirtschaftsrecht in Europa, 2015, S. 459 ff., 480 ff.; Eidenmüller/Engel, Ohio State Journal on Dispute Resolution 2014, 261 ff.; 277; dies., ZIP 2013, 1704 ff., 1707; Meller-Hannich/Höland/Krausbeck, ZEuP 2014, 8 ff.; Meller-Hannich, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 45 ff., 56; siehe auch Koch, Verbraucherprozessrecht, 1990, S. 57 ff. Auf Zustimmung stößt die mit der ADR-Richtlinie verfolgt Zielsetzung z. B. bei Hirsch, NJW 2013, 2088 ff.; Jaeger, AnwBl 2015, 573 ff. 330 Wolf, NJW 2015, 1656 ff., 1658 Fn. 16; Zekoll/Elser, in: Althammer (Hrsg.), Verbraucherstreitbeilegung: Aktuelle Perspektiven für die Umsetzung der ADR-Richtlinie, 2015, Bd. 4, S. 55 ff., 68 Fn. 31. Für die Perspektive des kollektiven Rechtsschutzes Frank/ Henke/Singbartl, VuR 2016, 333 ff., 337. 331 Hirsch, in: Wandt (Hrsg.), Versicherungsrecht, Haftungs- und Schadensrecht, 2014, S. 159 ff., 167 f.; a. A. Wagner, ZKM 2013, 104 ff., der die ADR-Richtlinie für nicht mit dem Leitbild der Mediation vereinbar hält. 332 Gsell, ZZP 128 (2015), 189 ff., 200.
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3. Verfahrenszielsetzung des VSBG Die Zielvorgaben des deutschen Gesetzgebers für das Verbraucherschlichtungsverfahren nach dem VSBG sind letztlich nicht aufschlussreicher. So werden Begriffe wie Verbraucherschutz, Stärkung des Verbrauchervertrauens und die Steigerung der Attraktivität des deutschen Marktes als Ziele des deutschen Umsetzungsgesetzes angeführt.333 Es soll ein für den Verbraucher leicht zugängliches, niedrigschwelliges Streitbeilegungsverfahren geschaffen werden, das den durch die Richtlinie vorgeschriebenen Qualitätsanforderungen genügt und so den Zugang des Verbrauchers zum Recht erleichtert. Welchem Verfahrensziel die Verbraucherschlichtung dabei dienen soll, bleibt allerdings unklar. So führt Riehm aus, dass das VSBG nicht „der Verbraucherrechtsdurchsetzung, sondern der Verbraucherinteressenwahrung“ diene.334 Das VSBG erhebe nicht den Anspruch Rechtsschutz zu gewährleisten oder das materielle Verbraucherrecht durchzusetzen.335 Andere machen deutlich, dass die Verbraucherschlichtung nicht notwendigerweise an die Durchsetzung des materiellen Verbraucherrechts gebunden sei.336Fries schreibt dem Verfahren Züge einer Chimäre zur, die man „wechselnd als Rechtsdurchsetzungsverfahren oder als Imagepflegeinstrumente für Unternehmer“ betrachten könne.337 Offensichtlich fällt also eine genaue Verfahrenszielbeschreibung des VSBG schwer. Allerdings will der nationale Gesetzgeber das Verbraucherschlichtungsverfahren wohl (auch) als ein Verfahren zur Rechtsdurchsetzung verstanden wissen.338 Da das Gesetz Verfahren die mit einem verbindlichen Ergebnis für den Verbraucher enden, nicht erfasst (§ 5 Abs. 2 VSBG) und die grundsätzlich vom VSBG erfasste mediative Vermittlung bei der überwiegenden Zahl der 333
BT-Drucks. 18/5089, 42. Siehe die Bundestagsabgeordnete Weisgerber, die die Umsetzung der ADR-Richtlinie als das wichtigste verbraucherschützende Gesetzesvorhaben der Legislaturperiode begreift, Deutscher Bundestag: Plenarprotokoll 18/143 v. 3. Dezember 2015, S. 14080 D. 334 Riehm, JZ 2016, 866 ff., 867. 335 So wohl auch Hirsch, NJW 2013, 2088 ff. 336 Gsell, ZZP 128 (2015), 189 ff. 337 Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, 2016, 198 ff. 338 Unter der Überschrift „Bedeutung des Vorhabens für Verbraucher und Unternehmer“ nennt der Regierungsentwurf die außergerichtliche Streitbeilegung als eine „wichtige zusätzliche Möglichkeit zur Rechtsdurchsetzung“ BT-Drucks. 18/5089, 38; ebenso der Verbraucherpolitische Bericht der Bundesregierung 2016, S. 14 (abrufbar unter: https://www.b mjv.de/ SharedDocs/Downloads/DE/Artikel/08 242016 verbraucherpolitischer Bericht 16.pdf? blob=publicationFile&v=1 [geprüft am 01.11.2020]). Ebenso stellt die Bundesregierung auf ihrer Webseite die Schlichtung explizit als Instrument zur Durchsetzung der Verbraucherrechte vor, um den Gang vor Gericht zu verhindern, vgl. https://w ww.bundesregierung.de/Webs/Breg/DE/Themen/Tipps-fuer-Verbraucher/2-Verbraucher rechte/1/ node.html (geprüft am 01.11.2020).
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Verbraucherstreitigkeiten schon aus Zeit- und Kostengründen ausscheiden wird, liegt es nahe, dass im Großteil der Fälle die Verfahren mit einem unverbindlichen Schlichtungsvorschlag durch den Streitmittler enden werden.339 Dass der Gesetzgeber die Schlichtung trotz eines grundsätzlich verfahrensoffenen Ansatzes als Konfliktbeilegungsinstrument präferiert, verdeutlicht auch der § 30 Abs. 4 S. 1 VSBG, der für die staatlichen Universalschlichtungsstellen die Erstattung eines Schlichtungsvorschlages verpflichtend vorgibt.340 Gerade für diese Verfahrensgestaltung hat es der Gesetzgeber allerdings versäumt, eine eindeutige Position für oder gegen eine Rechtsbindung des Schlichtungsvorschlages einzunehmen.341 So fordert der § 19 Abs. 1 S. 2 VSBG: „Der Schlichtungsvorschlag soll am geltenden Recht ausgerichtet sein und soll insbesondere die zwingenden Verbraucherschutzgesetze beachten“ [Hervorh. d. Verf.]. Zwar kann die Vorschrift hier noch nicht umfassend bewertet werden, schon jetzt ist aber festzustellen, dass der Streitmittler zwar wohl rechtsorientiert zu arbeiten hat, eine umfassende Rechtsbindung aus dieser Vorschrift aber gerade nicht folgt.342 Ob der abstrakte Hinweis, dass der Vorschlag des Streitmittlers von dem Ergebnis eines gerichtlichen Verfahrens abweichen kann (§ 16 Abs. 1 Nr. 3, § 19 Abs. 3 VSBG), ausreichen wird, um dem Verbraucher zu verdeutlichen, dass die Aufgabe des Verbraucherschlichtungsverfahrens nicht an erster Stelle die Durchsetzung seiner Rechte ist, kann bezweifelt werden. Offenbar will der Gesetzgeber das Verfahren nach dem VSBG, das mit einem Schlichtungsvorschlag gem. § 19 VSBG endet, als ein rechtsorientiertes Verfahren (wobei das Ausmaß der Rechtsorientierung unklar ist) verstanden wissen, dessen primäres Ziel dann aber hauptsächlich eine schnelle und res-
339 Sowie Althammer, in: ders. (Hrsg.), Verbraucherstreitbeilegung: Aktuelle Perspektiven für die Umsetzung der ADR-Richtlinie, 2015, S. 9 ff., 11; Gläßer, in: Althammer (Hrsg.), Verbraucherstreitbeilegung: Aktuelle Perspektiven für die Umsetzung der ADRRichtlinie, 2015, S. 85 ff.; H. Roth, JZ 2013, 637 ff., 642; Roder/Röthemeyer/Braun, Verbraucherstreitbeilegungsgesetz, 2017, 96; deutlich auch Wendland, KritV CritQ Rcrit 99 (2016), 301 ff., 309. Im Übrigen steht die mediative Konfliktlösung auch nicht im Fokus der Richtlinie, wie sich bereits aus Art. 3 Abs. 2 der ADR-Richtlinie ergibt; dazu Tonner, Zur Umsetzung der AS-Richtlinie (Richtlinie 2013/11/EU) nebst Entwurf eines Gesetzes über alternative Streitbeilegung, 2014, 16 f. 340 Dazu auch BT-Drucks. 18/5089, 41, 70. Kritisch dazu Conen/Gramlich, NJ 2014, 494 ff. 341 Gsell, ZZP 128 (2015), 189 ff., 207, rügt diese Unklarheit und hält den § 19 VSBG insoweit für nicht gelungen. Ebenso Niewisch-Lennartz, ZKM 2015, 136 ff., 139 die sich für rechtsferne Konfliktlösungen ausspricht und insofern den § 19 VSBG für verfehlt hält. 342 Siehe BT-Drucks. 18/5089, 63 mit dem Hinweis, dass der Streitmittler nicht in derselben Weise rechtlich gebunden ist wie ein Gericht; Röthemeyer, in: Borowski/Röthemeyer/Steike (Hrsg.), VSBG, 2016, § 19 Rn. 29.
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sourcenschonende Lösung des Konflikts zwischen Verbraucher und Unternehmer ist. Den Vorwurf der Irreführung des Verbrauchers den Eidenmüller/Engel dem europäischen Gesetzgeber machen, könnte sich so meines Erachtens eher in Bezug auf den deutschen Umsetzungsgesetzgeber als zustimmungswürdig erweisen. Auch werden die bereits bestehenden343 Erwartungen der Verbraucher an eine erleichterte und kostengünstigere Rechtsdurchsetzung in dem Verbraucherschlichtungsverfahren durch mehrere Äußerungen im Gesetzgebungsverfahren344 weiter bestärkt. So spricht beispielsweise der Bundestagsabgeordnete Rhode davon, dass die Verfahrensgestaltung sicherstellt, dass die „Schiedssprüche [sic] fachkundig und rechtlich einwandfrei“ sind.345 Auch der Regierungsentwurf versteht die Verbraucherschlichtung als eine Ergänzung des gerichtlichen Rechtsschutzes, die folglich auch zu einer Verbesserung des Verbraucherrechtsschutzes insgesamt führt. Beispielsweise findet sich dort die Formulierung, dass das Verfahren nach dem VSBG „für Verbraucher eine wichtige zusätzliche Möglichkeit zur Rechtsdurchsetzung“ darstellen soll.346 Darüber hinaus ist auch die Verfahrensgestaltung geeignet, durch das bewusste Nachahmen justizförmiger Verfahrensvorgaben347, der 343 Zu den Erwartungen der Verbraucher an ADR-Stellen vgl. Creutzfeld, ZKM 19 (2016), 12 ff., 14. So auch Rühl, ZRP 2014, 8 ff., 11, die sich von dem deutschen Umsetzungsgesetz die Verbesserung der „Durchsetzung von Ansprüchen aus Verbraucherverträgen“ erhofft. Tamm, VuR Sonderheft 2016, 51 ff. spricht sogar von einer „verbesserten Durchsetzung von Verbraucherrechten“ in Schlichtungsverfahren; ebenso Hirsch, ZKM 2015, 141 ff., 142 der die außergerichtliche Streitbeilegung als „spezifisches verfahrensrechtliches Instrument zur schnellen, kostengünstigen und barrierefreien Durchsetzung des materiellen Verbraucherschutzrechts“ darstellt. Siehe auch Scherpe, Außergerichtliche Streitbeilegung in Verbrauchersachen, 2002, 7 f., der die Rechtsdurchsetzung als primäres Ziel der Verbraucher begreift. 344 BT-Drucks. 18/6904, 66. Vgl. auch die Äußerung des Parl. Staatssekretärs Kelber, dass VSBG führe zu „mehr Gerechtigkeit im Alltag“, Deutscher Bundestag: Plenarprotokoll 18/143 v. 3. Dezember 2015, S. 14083 D. Vgl. des Weiteren auch Beiträge der Bundestagsabgeordneten Weisgerber und Künast, Deutscher Bundestag: Plenarprotokoll 18/143 v. 3. Dezember 2015, S. 14080 D, 14082 D sowie Rohde, Deutscher Bundestag: Plenarprotokoll 18/109 v. 11. Juni 2015, S. 10544 D. 345 Deutscher Bundestag: Plenarprotokoll 18/143 v. 3. Dezember 2015, S. 14081 B. 346 BT-Drucks. 18/ 5089, 38. 347 So spricht H. Roth, DRiZ 2015, 24 ff., 25, von einer „bewusste[n] Nachahmung von Justizstrukturen“. Ähnlich wohl auch Althammer, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 117 ff., 136, wenn er ausführt, es sei unbefriedigend, „wenn durch das VSBG suggeriert wird, die Masse der Verbraucher erhielte einen am Recht orientierten und justizäquivalenten Lösungsvorschlag“ (insbesondere mit Bezug auf die durch den VSBG-RefE noch vorgesehenen geringen Qualifikationsanforderungen an den Streitmittler); ebenso Stürner, ZZP 127 (2014), 271 ff., 319 f., sieht die „Gefahr eines institutionalisierten rechtlichen Lockvogelangebots“; Stadler, ZZP 128 (2015), 165 ff., 186 spricht mit Blick auf das Postulat der Unabhängigkeit der Schlichtungsstelle von einem
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Verbraucherschlichtung das Siegel eines speziellen Rechtsdurchsetzungsinstruments für Verbraucherstreitigkeiten aufzudrücken. Anders als in einem Mediationsverfahren wird der Eindruck erweckt, dass eine Konfliktlösung nach Recht und Gesetz intendiert ist. Das entspricht auch den Erwartungen, die Verbraucher in Deutschland an ADR-Stellen haben. So erhoffen sich die Beschwerdeführer, neben der zügigen Klärung der Sachlage und einer fairen Bewertung der Rechtslage, insbesondere auch die Durchsetzung ihrer Ansprüche.348 Ein vornehmliches Interesse der Verbraucher ist somit die Rechtsdurchsetzung349, sodass ein Verfahren, das der Verbraucherinteressenwahrung dienen soll350, notwendigerweise auch die Durchsetzung des Rechts im Blick haben sollte. Dass also der eigentliche Verfahrenszweck des VSBG und der vom Gesetzgeber kommunizierte Zweck der Verbraucherschlichtung als besonderes Instrument zur Verbraucherrechtsdurchsetzung nicht übereinstimmen, sollte durch das Vorstehende deutlich geworden sein. Anstelle der individuellen Rechtsdurchsetzung steht vielmehr die konsensuale, rechtsorientierte Konflikterledigung. 4. Das Verhältnis von Verbraucherschlichtungsverfahren und Zivilgerichtsbarkeit Die Schwierigkeiten bei der Verfahrenszielbeschreibung geben Anlass zur Diskussion über das unklare Verhältnis des ADR-Verfahrens zum staatlichen Gerichtsverfahren. Der europäische und deutsche Gesetzgeber äußern sich mehrfach dahingehend, dass das Verbraucher-ADR-Verfahren den Zivilprozess ergänzen soll und insofern kein Konkurrenzverhältnis besteht.351 Ebenso versteht Hirsch die alternative Streitbeilegung als komplementär zum Gerichtsverfahren, da hier eine Rechtsverfolgung bei geringwertigen Streitigkeiten ermöglicht wird, die einer gerichtlichen Klärung nur in seltenen Fällen oder gar nicht zugeführt werden.352 Die Vermutung liegt aber „Etikettenschwindel“; Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, 2016, 226 f.; Rühl, in: Ackermann (Hrsg.), Privat- und Wirtschaftsrecht in Europa, 2015, S. 459 ff., 482. 348 Siehe Creutzfeld, ZKM 19 (2016), 12 ff., 14 mit Bezug auf die Oxford Studie „Trusting the Middle-Man: Impact and Legitimacy of Ombudsmen in Europe“. 349 Siehe dazu unten § 16 I 2 b). 350 So Riehm, JZ 2016, 866 ff., 867. 351 BT-Drucks. 18/5089, 38; siehe EWG 45, 60, Art. 9 Abs. 2 lit. b) ii), Art. 10 Abs. 1 ADR-Richtlinie. 352 Hirsch, in: Wandt (Hrsg.), Versicherungsrecht, Haftungs- und Schadensrecht, 2014, S. 159 ff., 163 ff.; ders., NJW 2013, 2088 ff., 2094; ders., in: Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (Hrsg.), Alternative Streitbeilegung – Reden statt Klagen, 2013, S. 43 ff., 44; ebenso auch Greger, ZZP 128 (2015), 137 ff., 138 f.; Tonner, ZKM 2015, 132 ff., 133; Gläßer, in: Althammer (Hrsg.), Verbraucherstreitbeilegung: Aktuelle Perspektiven für die Umsetzung der ADR-Richtlinie, 2015, S. 85 ff., 99.
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nahe, dass eine solche quasi-symbiotische Beziehung zwischen ADR-Verfahren und staatlichem Gerichtsverfahren zwar überaus wünschenswert, in Anbetracht der Ausgestaltung des Verbraucherschlichtungsverfahrens nach dem VSBG, wohl aber durchaus zweifelhaft ist. a) Freiwilligkeit der Verbraucherschlichtung Gegen eine solche Verdrängung des Zivilprozesses durch Verbraucherschlichtungsverfahren scheint zunächst die von der ADR-Richtlinie und dem VSBG postulierte Freiwilligkeit des Verfahrens zu sprechen. Wenn die Einleitung und Beendigung des Verbraucherschlichtungsverfahrens im Belieben des Verbrauchers stehen und er jederzeit die Möglichkeit hat das Verfahren abzubrechen (bzw. den Vorschlag des Streitmittlers abzulehnen) und den Rechtsweg zu beschreiten, dann kann zwischen dem Verbraucherschlichtungsverfahren und der staatlichen Ziviljustiz keine Konkurrenz bestehen. Allerdings unterliegt eine solche Argumentation einem gewissen Trugschluss. Zum einen erscheint es inkonsequent, dem Verbraucher zunächst ein rationales Desinteresse am Zivilverfahren zu attestieren, dann aber quasi im selben Atemzug ausführen, dass er ja jederzeit die Möglichkeit zur Beendigung des Schlichtungsverfahrens und zur Anrufung der Gerichte habe. Gerade dies scheint in Verbrauchersachen oftmals nicht der Fall zu sein. Wenig überzeugend ist auch, dem Verbraucher, dem aus Kostengründen und juristischer Unkenntnis nicht zugemutet wird, vor Gericht zu klagen, zu unterstellen, er wäre doch in der Lage einen nachteiligen Schlichtervorschlag oder eine ungenügende Verfahrensführung zu erkennen und könne das Verfahren dann abbrechen, um den Konflikt gerichtlich klären zu lassen.353 Eine solche Ansicht verkennt die „faktische Bindungswirkung“354 die von dem Schlichtungsvorschlag ausgehen wird. Die Gefahr, dass die überwiegende Anzahl der Verbraucher in dem Verbraucherschlichtungsverfahren „hängenbleibt“ und sich mit einem, im Vergleich zu dem Ergebnis eines Zivilprozess, ungünstigeren Verfahrensausgang zufrieden gibt, sollte nicht unterschätzt werden.355 Auch der Gesetzgeber hat dieses Risiko im Verlauf des Gesetzgebungsprozesses erkannt und in dem § 309 Nr. 14 BGB ein Klauselverbot für sog. Schlichtungsklauseln aufgenommen. Auf diese Weise soll einem etwaigen Missbrauch des ADR-Verfahrens durch eine verfahrensverzögernde Vorschaltung einer erfolglosen Streitbeilegung vorgebeugt werden.356 Über AGB können Unternehmer den Verbraucher nicht mehr zur Teilnahme an einem Schlichtungsverfahren verpflichten.357 Ungelöst ist allerdings weiterhin die 353
So aber wohl Gaier, NJW 2016, 1367 ff., 1368. Dazu unter § 8 IV 1 b) aa). 355 Engel, NJW 2015, 1633 ff., 1635 (m. w. N.). 356 BT-Drucks. 18/6904, 74. 357 Zu beachten ist darüber hinaus auch, dass die Wirkung der Schlichtungsklauseln, die 354
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Behandlung solcher Schlichtungsklauseln in Allgemeinen Rechtsschutzbedingungen.358 b) Konkurrenzverhältnis Es ist nicht unwahrscheinlich, dass nach einer anfänglichen Skepsis gegenüber dem noch unbekannten Verbraucherschlichtungsverfahren, bei einer überwiegenden Mehrheit der Verbraucherstreitigkeiten, d. h. auch bei den Fällen, die vorher einer gerichtlichen Klärung zugeführt wurden, das „ressourcenschonendere“ ADR-Verfahren dem Zivilprozess vorgezogen werden wird. Aufgrund des fehlenden Kostenrisikos besteht die Möglichkeit, dass die Verbraucher flächendeckend zuerst und vorrangig ihr Heil in der außergerichtlichen Streitbeilegung suchen werden.359 Spätestens beim Abfassen der Klageschrift müssen sich die Parteien mit der Frage auseinandersetzen, ob nicht eine außergerichtliche Streitbeilegung vorzugswürdig ist (vgl. § 253 Abs. 3 Nr. 1 ZPO). Auch im Fall einer rechtlichen Beratung des Verbrauchers ist nicht fernliegend, dass der Rechtsanwalt in der Vielzahl der Fälle zunächst zur Durchführung eines für den Verbraucher grundsätzlich kostenlosen (vgl. § 23 VSBG) Verbraucherschlichtungsverfahrens raten wird, auch um das Risiko einer Haftung zu vermeiden (vgl. im Übrigen auch § 1 Abs. 3 BRAO).360 Anstatt gesetzgeberische Überlegungen hinsichtlich einer Reformierung und Modernisierung des Justizangebotes361 anzustellen, wird das Zivilverfahren so zumindest teilweise durch das Verbraucherschlichtungsverfahren substituiert. Wenn das Verbraucherschlichtungsverfahren ebenso wie der staatliche Zivilprozess362 für sich in Anspruch nimmt (oder zumindest den Eindruck die gerichtliche Geltendmachung der Ansprüche des Verbrauchers gegen den Unternehmer von dem Versuch einer vorhergehenden außergerichtlichen Streitbeilegung abhängig machen auch nicht überschätzt werden darf. So wäre es dem Verbraucher freilich unbenommen, einen Schlichtungsantrag zu stellen, die Schlichtung dann aber alsbald einseitig wieder zu beenden. Siehe zu neu eingeführten § 309 Nr. 14 BGB Hau, MDR 2017, 853 ff. 358 Siehe dazu unter § 8 IV 1 a) aa). 359 Eindringlich Rühl, in: Ackermann (Hrsg.), Privat- und Wirtschaftsrecht in Europa, 2015, S. 459 ff., 482. 360 So auch die Präsidentin des Bundesgerichtshofes Bettina Limperg im Rahmen Ihres Vortrages „Streitkultur im Wandel – Wieviel Konkurrenz verträgt die Justiz“ am 10. Mai 2016 in Regensburg, Vortrag vor der Juristischen Studiengesellschaft Regensburg e. V.; so auch Greger, MDR 2016, 365 ff., 368. Zum Bestehen einer entsprechenden Aufklärungspflicht für den Rechtsanwalt Heese, Beratungspflichten, 2015, 349, 361 f. 361 H. Roth, ZZP 129 (2016), 3 ff., 24, spricht von der Notwendigkeit einer „Weiterentwicklung des staatlichen Zivilprozesses durch verstärkte ideelle und finanzielle Hinwendung nach Art der ,Modellpflege‘“. Vgl. auch unter § 26. 362 Freilich stand die Frage nach dem Prozesszweck immer wieder im Fokus der wissenschaftlichen Auseinandersetzung. Allerdings ist heute allgemein anerkannt, dass die
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erweckt) ein Verfahren zur Durchsetzung subjektiver Rechte zu sein, so besteht offensichtlich ein Konkurrenzverhältnis zwischen staatlicher Rechtsdurchsetzung und (vornehmlich) privater Schlichtung.363 Das gilt umso mehr, wenn dem Vorschlag des Streitmittlers eine „faktische Bindungswirkung“ zukommt.364 Die vielfach geäußerte Befürchtung, dass die Etablierung eines solchen Parallelsystems der Rechtskultur und speziell dem Verbraucherschutzrecht eher schaden als nutzen wird, erscheint somit durchaus begründet. Die Erkenntnis, dass das auf die Durchsetzung der subjektiven Rechtspositionen gerichtete staatliche Gerichtsverfahren nicht für alle Arten von Konflikten die optimale Lösungsform bieten kann, ist ubiquitär. Ebenso offensichtlich ist aber auch, dass nicht für alle Konflikte eine eigenverantwortliche Konsenslösung vorzuziehen ist.365 Insofern gilt das Motto „fitting the forum to the fuss“.366 Wenn die alternative bzw. außergerichtliche Konfliktlösung der gerichtlichen Streiterledigung aber pauschal vorgezogen wird, bleibt außer Acht, dass es sich hierbei um zwei grundverschiedene Konfliktbearbeitungsindividuelle Rechtsdurchsetzung der Hauptzweck des Zivilprozesses ist, siehe statt vieler Stein/Jonas, Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232014, vor § 1 Rn. 5 ff.; Schwab/Rosenberg/Gottwald, Zivilprozessrecht, 182018, § 1 Rn. 5 ff.; Althammer, Streitgegenstand und Interesse, 2012, 238 ff. Siehe zu den neueren Entwicklungen im Prozessrecht H. Roth, ZfPW 2017, 129 ff. 363 Stadler, ZZP 128 (2015), 165 ff., 165; Althammer, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 117 ff., 134 f.; ders., in: ders. (Hrsg.), Verbraucherstreitbeilegung: Aktuelle Perspektiven für die Umsetzung der ADR-Richtlinie, 2015, S. 9 ff., 12 f.; H. Roth, JZ 2013, 637 ff.; Engel, NJW 2015, 1633 ff., 1635; Koch, Verbraucherprozessrecht, 1990, 18; Stürner, GPR 2014, 122 ff.; Hess, in: Althammer (Hrsg.), Freiwilligkeit, Zwang und Gerechtigkeit im Kontext der Mediation, 2013, S. 25 ff., 43, der davon ausgeht, dass die ADR-Richtlinie „das Verhältnis von gerichtlicher und außergerichtlicher Konfliktlösung verändert und mittelfristig durchaus weite Bereiche der Streiterledigung aus dem staatlichen Justizsystem herauslösen wird“; H. Roth, ZZP 129 (2016), 3 ff., 5 ff.; Stürner, GPR 2014, 122 ff., 127; Stürner, ZZP 127 (2014), 271 ff., 317; Röthemeyer, VuR Sonderheft 2016, 9 ff.; Halfmeier, VuR Sonderheft 2016, 17 ff., 20 f.; Hess/Pelzer, in: Gelinsky (Hrsg.), Schlichten statt richten, 2015, S. 35 ff., 38; Meller-Hannich/Höland/Krausbeck, ZEuP 2014, 8 ff., 38; Elser, Mediation als Verbraucher-ADR-Verfahren, 2015, 57 ff.; Hess, JZ 2015, 548 ff.; Althammer, in: Fankhauser/Widmer Lüchinger/Klingler u. a. (Hrsg.), Das Zivilrecht und seine Durchsetzung, 2016, S. 1 ff., 7, spricht von „justizäquivalenten und justizsubstituierenden Aufgaben“. Insb. zum Verfahren vor den Amtsgerichten, vgl. nur BT-Drucks. 18/5089 S. 69 unten. 364 Pelzer, ZKM 2015, 43 ff., 43; Schmidt-Kessel, in: ders. (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 9 ff., 26; Nicklisch, in: Böckstiegel (Hrsg.), Festschrift für Arthur Bülow, 1981, S. 159 ff., 176. Siehe auch Eidenmüller/Engel, ZZP 128 (2015), 149 ff., 160, die von einem „Hängenbleiben“ in der Verbraucherschlichtung sprechen. 365 Hoffmann-Riem, Modernisierung von Recht und Justiz, 2001, 75. 366 Greger/Unberath/Steffek (Hrsg.), Recht der alternativen Konfliktlösung, 22016, A. Einl. Rn. 5.
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instrumente handelt, die sich zwar im Idealfall ergänzen, allerdings zum Wohle der Rechtsschutzsuchenden nie in Konkurrenz treten sollten.367 Aus diesem Grund erscheint auch die Formulierung der These des Bundesverfassungsgerichts „eine zunächst streitige Problemlage durch eine einverständliche Lösung zu bewältigen, ist auch in einem Rechtsstaat grundsätzlich vorzugswürdig gegenüber einer richterlichen Streitentscheidung“368 in dieser Allgemeinheit als unausgewogen und ohne rechtspolitische Weitsicht.369 Die Verschiedenartigkeit der Konflikte macht eine differenzierte Betrachtung der unterschiedlichen Konfliktbewältigungsformen geradezu unumgänglich. Sollte die alternative Streitbeilegung allerdings nicht mehr als Ergänzung, sondern vielmehr als Ersatz zum staatlichen Gerichtsprozess verstanden werden, so besteht auch die Gefahr, dass das Recht als Konfliktlösungsmaßstab an Bedeutung verliert. Treten ausgehandelte oder von einem Dritten vorgeschlagene Kompromisse an die Stelle der Rechtsanwendung, so wird das geschriebene Recht zu einem reinen „Papier-Recht“ ohne jegliche gesellschaftliche Akzeptanz.370 Verbraucher-ADR-Verfahren erweisen sich sicherlich als wertvolle und konstruktive Ergänzung zu nationalen Ziviljustizsystemen, die größere Leistungsdefizite aufweisen, insbesondere was die Forderung nach effektivem Rechtsschutz in angemessener Zeitdauer betrifft (siehe EWG 15 ADRRichtlinie). Da sich das deutsche Ziviljustizsystem allerdings durch eine hohe Erledigungseffizienz, durch ungebrochen hohe Vertrauenswerte in der Bevölkerung und vor allem durch einen qualitativ hochwertigen Rechtsschutz auszeichnet, erscheinen die Gefahren für das etablierte staatliche Rechtsschutzsystem umso größer.371 367 Siehe dazu Caponi, RabelsZ 79 (2015), 117 ff., 126 ff., mit dem terminologischen Hinweis, dass im Rahmen der außergerichtlichen Streitbeilegung das Adjektiv „alternativ“ unangebracht ist. 368 BVerfG NJW-RR 2007, 1073, 1074. Siehe dazu auch Hirsch, NJW 2013, 2088 ff., 2093; ders., in: Wandt (Hrsg.), Versicherungsrecht, Haftungs- und Schadensrecht, 2014, S. 159 ff., 174, der nahelegt, dass man diese Aussage des BVerfG als einen Hinweis auf die Subsidiarität der gerichtlichen Streitentscheidung gegenüber der außergerichtlichen Streitbeilegung verstehen kann. 369 Außerordentlich kritisch dazu Stürner, ZZP 127 (2014), 271 ff., 325, 331, der die Entscheidung des BVerfG als „kurzsichtig, unüberlegt und […] ausgesprochen unausgewogen“ bezeichnet, sowie feststellt, dass „ein solcher gedanklicher Ausrutscher […] in einer so grundsätzlichen rechtspolitischen Frage“ eigentlich nicht unterlaufen dürfe; ebenso auch Gsell, in: Mindeststandards (Althammer), S. 38 Fn. 28 („bedenklich apodiktisch“). Siehe auch Risse, in: Eidenmüller (Hrsg.), Alternative Streitbeilegung, 2011, S. 133 ff., 140 f. 370 Siehe Llewellyn, Columbia Law Review 30 (1930), 431 ff., 447 ff. spricht von „real rules“ und „paper rules“. 371 Hodges/Benöhr/Creutzfeldt-Banda, Consumer ADR in Europe, 2012, S. 74, die gerichtliche Durchsetzung von Verbraucheransprüchen wird in Deutschland als „günstig,
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Die Rechtstradition des zivilprozessualen „Kampf ums Recht“ im Sinne Rudolf von Iherings wird verdrängt und dabei zumindest in Teilen durch eine scheinbar effizientere und interessensgerechtere „Schlichtungskultur“ ersetzt. Schlussendlich droht die Dreiteilung der Streitbeilegung in Schiedsgerichtsbarkeit, Zivilprozess und Schlichtung, was letztendlich das Entstehen einer prozessualen Klassengesellschaft begünstigen kann.372 Dieser Wandel in der Streitkultur scheint vom europäischen Gesetzgeber intendiert, trotz entgegenstehender „Lippen-Bekenntnisse“373; die Aussicht auf einen gerichtlichen Rechtsstreit beeinträchtigt nach Ansicht des europäischen Gesetzgebers den Binnenmarkt mehr, als das er ihm nutzt.374 Auch der nationale Gesetzgeber verspricht sich wohl eine Entlastung der Justiz – ohne dass eine solche Entlastung nötig wäre – und erwartet zumindest eine Teil-Substitution des Zivilprozesses.375 So verwundert es kaum, dass der § 30 Abs. 1 Nr. 4 VSBG die „Zuständigkeit“ der Universalschlichtungsstellen der Länder376 auf einen maximalen Streitwert von 5000,– Euro begrenzt. Auch mit Blick auf § 23 Nr. 1 GVG scheint der Hinweis auf eine reine Ergänzungsfunktion der Verbraucherschlichtung dann doch etwas euphemistisch. Ebenso ermöglicht der deutsche Gesetzgeber mit der Öffnungsklausel des § 4 Abs. 3 VSBG die Entwicklung einer umfassenden ADR-Landschaft, die weit über den Anwendungsbereich der ADR-Richtlinie hinausgeht und begünstigt so langfristig das Entstehen einer niedrigschwelligen Parallelstruktur zur bestehenden Justiz. schnell, effizient und kostenmäßig vorhersehbar“ angesehen. So auch Prütting, in: Kölner Juristische Gesellschaft (Hrsg.), Festschrift 30 Jahre Kölner Juristische Gesellschaft, 2015, S. 237 ff., 238; Niewisch-Lennartz, ZKM 2015, 136 ff., 137 f.; Kramme, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 141 ff., 141; Eidenmüller/Engel, ZZP 128 (2015), 149 ff., 151; H. Roth, DRiZ 2015, 24 ff., 25; ders., JZ 2013, 637 ff., 641; Engel, NJW 2015, 1633 ff., 1634 f.; Roland-Rechtsreport 2016, S. 13. 372 H. Roth, DRiZ 2015, 24 ff., 26 f.; ders., ZZP 129 (2016), 3 ff., 5. 373 Althammer, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 117 ff., 135. Siehe auch das im Grünbuch der Kommission von 1993 zum Ausdruck kommende Verständnis von Verbraucher-ADR-Verfahren als „Alternativ“-Justiz KOM (93) 576 endg. 94. 374 Meller-Hannich/Höland/Krausbeck, ZEuP 2014, 8 ff., 32 f. 375 Siehe BT-Drucks. 18/5089, 3; Beiträge des Bundestagsabgeordneten Rohde, Deutscher Bundestag: Plenarprotokoll 18/143 v. 3. Dezember 2015, S. 14081 A. Zum Rückgang der Klageeingangszahlen siehe Höland/Meller-Hannich (Hrsg.), Nichts zu klagen? Der Rückgang der Klageeingangszahlen in der Justiz, 2016; sowie Hirtz, NJW 2014, 2529 ff.; Eidenmüller/Engel, Ohio State Journal on Dispute Resolution 2014, 261 ff., 268; Prütting, in: Kölner Juristische Gesellschaft (Hrsg.), Festschrift 30 Jahre Kölner Juristische Gesellschaft, 2015, S. 237 ff., 239. 376 Siehe jetzt allerdings §§ 29 f. VSBG nF, Gesetz zur Änderung von Vorschriften über die außergerichtliche Streitbeilegung in Verbrauchersachen und zur Änderung weiterer Gesetze, BGBl. I 2019 S. 1942.
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c) Rechtsfortbildung Mit der Teil-Substitution der staatlichen Gerichtsbarkeit dürfte auch die in Art. 92 GG verbürgte institutionelle Garantie der Rechtsprechung als verfassungsrechtlicher Mindeststandard (sowie Art. 95 GG) betroffen sein.377 Zwar ist klar, dass es bei der Schlichtung nicht um Rechtsprechung im Sinne einer „letztverbindlichen Klärung der Rechtslage“378 handelt. Es besteht aber durchaus die Möglichkeit, dass sich die Verbraucherschlichtung nach dem VSBG faktisch zu einer Form der „Ersatz-Rechtsprechung“ im Bereich der Verbraucher-Unternehmer Konflikte entwickeln könnte. Eine massenhafte Befolgung der Schlichtungsvorschläge der Streitmittler führt letztendlich dazu, dass der Rechtsbereich des Verbraucherrechts der Rechtsanwendung und Rechtsfortbildung durch staatliche Gerichte zumindest in Teilbereichen entzogen wird.379 Spätestens ab diesem Zeitpunkt, wird man die Schlichtung nicht mehr ohne Weiteres als verfassungsrechtlich unbedenklich ansehen können.380 Die hier angesprochene Problematik der Rechtsfortbildung erscheint als überaus empfindlich, insbesondere im Hinblick auf die durch die Reform des Revisionsrechts im Jahr 2013 (siehe § 555 Abs. 3 sowie § 565 S. 2 ZPO) wieder in den Fokus gerückte Bedeutung als Verfahrenszweck, gerade auch für Verbraucherstreitigkeiten.381 Sollte der höchstrichterlichen Rechtsprechung das zur Rechtsfortentwicklung notwendige Fallmaterial nicht mehr zur Verfügung gestellt werden, kann sie ihre Funktion in der Rechtsordnung nicht mehr ohne Weiteres wahrnehmen.382 Um dem Rechtsfortbildungsauftrag Rechnung zu tragen, ist die rechtsprechende dritte Staatsgewalt auf die kontinuierliche Anrufung durch die streitenden Parteien angewiesen. Sie muss mit konkreten Konfliktkonstellationen und verschiedenen Konfliktebenen versorgt werden, damit Recht seine Steuerungswirkung ausüben und fortent-
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Althammer, in: ders. (Hrsg.), Verbraucherstreitbeilegung: Aktuelle Perspektiven für die Umsetzung der ADR-Richtlinie, 2015, S. 9 ff., 12 f. 378 So die Definition des BVerfG NJW 2001, 1048 ff., 1052. 379 Prütting, in: Kölner Juristische Gesellschaft (Hrsg.), Festschrift 30 Jahre Kölner Juristische Gesellschaft, 2015, S. 237 ff., 240; siehe insofern auch schon der Befund Calliess, dass durch die Hinwendung der Konfliktbewältigung zu Mechanismen außerhalb der staatlichen Gerichte die „Gefahr rechtlich nicht kontrollierbarer Parallelstrukturen“ gerade auch im Verbrauchervertragsrecht besteht, Calliess, in: Ständige Deputation des Deutschen Juristentages (Hrsg.), Verhandlungen des 70. Deutschen Juristentages, 2014, S. 5 380 Vgl. Papier, IWRZ 2016, 14 ff., 15, 18. 381 BT-Drucks. 17/13948, S. 35 f. Dazu Althammer, in: Bruns (Hrsg.), Die Zukunft des Zivilprozesses, 2014, S. 87 ff., 100 ff.; Fuchs, JZ 2013, 990 ff. 382 Zur Bedeutung der Rechtsprechung für die Herausbildung von Verbraucherrecht vgl. Tamm, VuR Sonderheft 2016, 51 ff., 52 f.
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wickeln kann.383 Sollte die erforderliche Fallanzahl ausbleiben, droht im Extremfall ein unvorteilhafter Kreislauf, da die Justiz nicht mehr in der Lage wäre, allgemeine Rechtserkenntnisse zu ähnlich gelagerten Fällen zu formulieren und die Parteien aufgrund dieser Unsicherheit dann aber auch gerade diese „unsicheren“ Fälle der Verbraucherschlichtung als kostengünstigeres und risikoärmeres Verfahren zuführen würden, anstatt eine gerichtliche Klärung zu forcieren.384 Auch der Gesetzgeber hat diese Problem erkannt und mit § 14 Abs. 2 Nr. 4 lit. b) VSBG einen Ablehnungsgrund für den Fall geschaffen, dass die Streitigkeit eine ungeklärte grundsätzliche Rechtsfrage betrifft. Ob der Streitmittler und insbesondere der als Streitmittler tätige zertifizierte Mediator allerdings in der Lage sein wird, eine solche Rechtsgrundsätzlichkeit zu erkennen, darf bezweifelt werden. Abgesehen von der Unbestimmtheit dieses Rechtsbegriffs, kann die Rechtsgrundsätzlichkeit ohne eine ausführliche (rechtliche) Befassung mit dem Fall kaum seriös festgestellt werden.385 Nur am Rande sei angemerkt, dass insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Rechtsfortbildung die Einführung eines effektiven Systems des kollektiven justiziellen Rechtsschutzes weiter vorangetrieben werden sollte.386 Gänzlich verfehlt wäre es, die rechtspolitische Diskussion über die Möglichkeiten des kollektiven Rechtsschutzes mit Verweis auf die Einführung des VSBG als überflüssig zurückzuweisen.387 Eine nur sehr schwache Abhilfe mit Blick auf die Rechtsfortbildungsproblematik verspricht die in §§ 34, 42 Abs. 1 Nr. 4 VSBG i. V. m. § 4 VSBInfoV vorgesehene Veröffentlichungspflicht sog. Tätigkeitsberichte durch die einzelnen Schlichtungsstellen. In diesen sind unter anderem solche Ge-
383
Kocher, Funktionen der Rechtsprechung, 2007, 489 (m. w. N.); Goldhammer, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 197 ff., 201 f. 384 Althammer, in: Brocker/Knops/Roth (Hrsg.), Festschrift für Heinz Georg Bamberger zum 70. Geburtstag – Recht und soziale Gerechtigkeit, 2017, S. 1 ff., 6. 385 Kocher, Funktionen der Rechtsprechung, 2007, 464. 386 Siehe dazu auch EWG 27 ADR-RL, wonach das „System des kollektiven Rechtsschutzes und der leichte Zugang zu AS […] einander ergänzende und nicht sich gegenseitig ausschließende Verfahren sein“ sollten. 387 Siehe zu dieser Befürchtung Stadler, ZZP 128 (2015), 165 ff., 187. Ebenso auch schon Eidenmüller/Engel, Ohio State Journal on Dispute Resolution 2014, 261 ff., 293. Vgl. dazu nur FAZ, Verbraucherschutz: Unionsfraktion stellt sich gegen die „Sammelklage“, 24.10.2016 (http://www.faz.net/aktuell/finanzen/meine-finanzen/geld-ausgeben/verbrauch erschutz-unionsfraktion-stellt-sich-gegen-die-sammelklage-14491849.html) (geprüft am 01.11.2020). Siehe auch die Verbraucherschutzbeauftragte der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, unter https://www.cducsu.de/presse/pressemitteilungen/moeglichkeiten-der-ver braucherschlichtung-nutzen (geprüft am 01.11.2020). Zum VSBG und Sammelklagen auch Frank/Henke/Singbartl, VuR 2016, 333 ff.; eindringlich auch Tamm, VuR Sonderheft 2016, 51 ff., 59.
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schäftspraktiken darzustellen, die auffällig häufig Anlass für Anträge auf Durchführung von Streitbeilegungsverfahren waren (§§ 34 Abs. 3, 42 Abs. 1 Nr. 4 VSBG i. V. m. § 4 Abs. 1 Nr. 2 VSBInfoV). Darüber hinaus bleibt es der Verbraucherschlichtungsstelle unbenommen „interessante Einzelfallentscheidungen“ (sic!) in anonymisierter Form in den Bericht mit aufzunehmen.388 Die Qualität und der Informationsgehalt der einzelnen Tätigkeitsberichte werden sich demnach in hohem Maße unterscheiden.389 Sollte sich das Alternativitätsverhältnis von Schlichtung und Gerichtsverfahren in Verbraucherstreitigkeiten bewahrheiten, so wird die Notwendigkeit einer flächendeckenden Veröffentlichungspflicht „interessanter Einzelfallentscheidungen“ zur Befriedung des berechtigten Informationsinteresses der (Fach-) Öffentlichkeit und zur Schaffung von Rechtssicherheit kaum mehr in Abrede gestellt werden können.390 Das Spannungsfeld zwischen der Vertraulichkeit der alternativen Streitbeilegung und der Transparenz sollte im Bereich der Verbraucherstreitbeilegung aus Gründen des Verbraucherschutzes immer zugunsten der Transparenz aufgelöst werden.391 d) Vorlagebefugnis aus Art. 267 AEUV Noch weitergehend fordert Basedow aus europäischer Perspektive die Etablierung einer Vorlagebefugnis gem. Art. 267 AUEV auch für die Stellen der alternativen Streitbeilegung in Verbrauchersachen. Nur so sei die einheitliche Anwendung des EU-Rechts in den Mitgliedstaaten sicherzustellen.392 Diese Ansicht überzeugt. So beeinflussen die Ergebnisse des Verfahrens vor den Schlichtungsstellen aufgrund ihres quasi-gerichtlichen Charakters die Reichweite des Rechtsschutzes für den Verbraucher wesentlich. Zwar hat der EuGH vor Inkrafttreten der ADR-RL mehrmals klargestellt, dass Schiedsstellen nicht als Gerichte i. S. d. Art. 267 AEUV anzusehen seien, sodass dies dann wohl erst Recht für Verfahren gelten muss, die ohne verbindliche Entscheidung eines Dritten enden.393 Für eine solche Vorlagepflicht – auch von Verbraucher388
BR-Drucks. 530/15, S. 11. Vergleiche insofern nur den ausführlichen Tätigkeitsbericht der Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft mit dem Tätigkeitsbericht der Allgemeinen Verbraucherschlichtungsstelle. 390 Tamm, VuR Sonderheft 2016, 51 ff., 56 f.; dazu auch Liepin, in: Althammer/MellerHannich (Hrsg.), VSBG Verbraucherstreitbeilegungsgesetz, 2017, § 34 Rn. 7 ff. Zu dem Spannungsverhältnis zwischen Transparenz und Vertraulichkeit siehe Lohr, in: dies., VSBG Verbraucherstreitbeilegungsgesetz, 2017, § 22 Rn. 7 ff.; a. A. Berlin, VuR Sonderheft 2016, 36 ff. 391 Ausführlich dazu Lohr, in: Althammer/Meller-Hannich (Hrsg.), VSBG Verbraucherstreitbeilegungsgesetz, 2017, § 22 Rn. 7 ff. 392 Basedow, EuZW 2015, 1 f., 2. 393 EuGH, Urt. v. 23.03.1982, Rs. 102/81 – Nordsee, Slg. 1982, I-1095, Rn. 12; EuGH, 389
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schlichtungsstellen – spricht aber die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Broekmeulen, in welcher der Gerichtshof ausführt, dass ein Spruchkörper, der „seine Aufgaben mit Zustimmung und unter Mitwirkung der Behörden wahrnimmt und dessen in einem streitigen Verfahren getroffenen Entscheidungen faktisch als endgültig hingenommen werden, so daß es auf einem Gebiet, das die Anwendung des Gemeinschaftsrechts betrifft, in der Praxis keinen effektiven Rechtsbehelf zu den ordentlichen Gerichten gibt, als ein Gericht eines Mitgliedstaats im Sinne von Art. 177 EWG-Vertrag angesehen werden“394 muss. Diese Ausführungen überzeugen letztendlich auch für die Schlichtungsstellen nach der ADR-RL. Dies gilt umso mehr, sollten die nachfolgenden Ausführungen zeigen, dass der verfahrensverantwortliche Streitmittler zur Rechtsanwendung berufen ist. Die abschließende Klärung dieser Frage obliegt freilich dem EuGH.
VII. Zwischenergebnis Das Ergebnis des Verbraucherschlichtungsverfahrens wird geprägt sein von einer Konfliktlösung auf Basis des gegenseitigen Nachgebens. Auf Seiten des Unternehmers beruhend auf Imageüberlegungen oder einer Vermeidungsstrategie mit Blick auf die Schaffung eines unvorteilhaften Präzedenzfalls. Auf Seiten des Verbrauchers aus Effizienzgründen und dem kostenlosen Angebot der Streitschlichtung. In keinem Fall aber darf das gegenseitige Nachgeben auf die Unkenntnis über die der jeweiligen Partei tatsächlich zustehenden Rechte zurückzuführen sein. Sollte die Rechtsanwendung im Schlichtungsverfahren nicht gewährleistet werden können, droht der Geltungsanspruch des Rechts zu verwässern und damit verbunden ein Verlust an Rechtssicherheit. Gleichzeitig steht zu befürchten, dass das Verbraucherschutzrecht seine verhaltenssteuernde Wirkung einbüßen wird, wenn der Unternehmer davon ausgehen kann, dass eine vollumfängliche Durchsetzung der Verbraucherrechte nicht zu erwarten ist.395 Das rechtliche Schutzniveau hängt nicht davon ab, ob ein bestimmter Anspruch theoretisch besteht, sondern davon, ob der bestehende Anspruch tatsächlich durchgesetzt werden kann. So beruhen sowohl die Beachtung des
Urt. v. 27.01.2005, Rs. C-125/04 – Denuit und Cordenier, Slg. 2005, I-923.; EuGH, Urt. v. 06.03.2018, Rs. C-284/16 – Achmea, ECLI:EU:C:2018:158 Rn. 18 ff., dazu auch Behrens, EuZW 2018, 49 f. 394 EuGH Urt. v. 06.10.1981, Rs. C-246/80 – Broekmeulen, ECLI:EU:C:1981:218 Rn. 17. 395 Scherpe, Außergerichtliche Streitbeilegung in Verbrauchersachen, 2002, 37 f.; Eidenmüller/Engel, ZIP 2013, 1704 ff.; Halfmeier, VuR Sonderheft 2016, 17 ff.; Zekoll/Elser, in: Althammer (Hrsg.), Verbraucherstreitbeilegung: Aktuelle Perspektiven für die Umsetzung der ADR-Richtlinie, 2015, Bd. 4, S. 55 ff.
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Verbindlichkeitsanspruchs und damit auch die Funktionsfähigkeit des Rechts als Verhaltenssteuerungsinstrument in erheblichem Maße auf seiner Durchsetzungsfähigkeit.396 Die Möglichkeit der verfahrensförmigen Geltendmachung und insbesondere die Durchsetzung im Streitfall ist entscheidende Voraussetzung für die Wirksamkeit einer jeden materiellen Rechtsposition. Das Recht kann nämlich nicht nur als eine normative Anleitung zur Lösung von Konflikten verstanden werden, sondern stellt auch ein generalisierendes Medium der Information über normativ begründete Erwartungen dar.397 Ein staatlich zertifiziertes Verfahren, das sich die Erhöhung des Verbraucherschutzniveaus auf die Fahne schreibt, aus Effizienzgesichtspunkten allerdings eine Auseinandersetzung mit den relevanten Rechtsvorgaben vermeidet und sich außerhalb der Rechtsordnung positioniert, untergräbt die Steuerungsfunktion des Rechts und kann der Rechtskultur langfristig mehr schaden als nutzen. Vornehmlichstes Ziel des Verbraucherschlichtungsverfahrens kann daher nicht die unbedingte Friedensstiftung unter Ausblendung der verfassten Rechtsordnung und Auflösung des Konflikts in einem „bewusst rechtsfreien Raum“ sein, sondern nur die effiziente aber in jedem Fall rechtsorientierte Konfliktbeilegung. Dabei muss der Gerichtsprozess als etabliertes Verfahren zur Rechtsdurchsetzung als „Benchmark“ für die alternative Streitbeilegung wirken.398 Allerdings ist auch einem zu idealisierten Bild einer stets des Recht verwirklichenden Rechtsprechung entgegenzutreten. So ist die Vorstellung, dass die Rechte des Verbrauchers in einem Zivilprozess in jedem Fall zur Geltung kommen und er im Schlichtungsverfahren folglich nur einen Bruchteil von dem erlangen kann, was ihm im Falle des Obsiegens im Zivilprozess zustehen würde, nicht überzeugend.399 Gleichzeitig darf aber nicht außer Acht gelassen werden, dass die Instrumente der alternativen Streitbeilegung das Potential haben, die Art. 92 GG sowie Art. 95 GG in ihrem justiziellen Kernbereich im Bereich des Verbraucherrechts faktisch und funktional auszuhöhlen.400
396
Schöbener/Knauff, Allgemeine Staatslehre, 32016, Rn. 154t. Meller-Hannich/Höland/Krausbeck, ZEuP 2014, 8 ff., 35. 398 Risse, ZKM 2012, 75 ff., 79; Jaeger, AnwBl 2015, 573 ff., 575. 399 Zekoll/Elser, in: Althammer (Hrsg.), Verbraucherstreitbeilegung: Aktuelle Perspektiven für die Umsetzung der ADR-Richtlinie, 2015, Bd. 4, S. 55 ff., 66 ff.; Riehm, JZ 2016, 866 ff., 872; Ulrici, in: Rauscher/Krüger/Becker-Eberhard (Hrsg.), Münchener Kommentar ZPO, 62020, Anh. 2 zu § 278a Rn. 5 mit Verweis auf BAG NZA 2010, 1250 ff. für einen besonders abschreckendes Beispiel „richterlicher Einigungsbemühungen“. 400 H. Roth, JZ 2013, 637 ff., 644; Goldhammer, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 197 ff., 199 ff.; Stürner, ZZP 127 (2014), 271 ff., 325. 397
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Erstes Kapitel: Streitbeilegung in Verbrauchersachen
Erweist sich die Stärkung der Verbraucherschlichtung als Multiplikator für die seit den frühen 2000er-Jahren sinkenden Klageeingangszahlen bei der staatlichen Ziviljustiz, sind die weiteren rechtspolitischen Folgen unabsehbar.401
401
Siehe dazu Höland/Meller-Hannich (Hrsg.), Nichts zu klagen? Der Rückgang der Klageeingangszahlen in der Justiz, 2016; Hirtz, NJW 2014, 2529 ff.
Zweites Kapitel:
Verbraucherschutz und ADR Zuvörderstes Anliegen der alternativen Streitbeilegung ist die Fortsetzung der Privatautonomie im Bereich der Konfliktbearbeitung. Mehr noch als der Zivilprozess, der mit dem Verhandlungsgrundsatz und der Dispositionsmaxime die Verfahrensherrschaft der Parteien betont, sollen eine möglichst informelle und methodenoffene Verfahrensgestaltung zu einer Befriedung des Konfliktfalls in Selbstverantwortung der Parteien führen. Im Mittelpunkt stehen dabei nicht notwendigerweise die Rechtspositionen der Parteien, sondern vielmehr die dahinterliegenden Interessen und Bedürfnisse. Die Möglichkeit von gesetzlichen (materiell-rechtlichen oder verfahrensrechtlichen) Vorgaben abzuweichen ist dabei das Wesensmerkmal der Verfahren zur alternativen Streitbeilegung. Das Ziel ist es auch die Konfliktbearbeitung einer möglichst privatautonomen Ausgestaltung zu öffnen. Gerade im Bereich des Verbraucherschutzrechts wird dabei doch ein gewisses Spannungsverhältnis offenbar, wenn der Gesetzgeber auf materiellrechtlicher Ebene in die privatautonome Gestaltungsfreiheit der Parteien eingreift, die Prinzipien der außergerichtlichen Streitbeilegung allerdings entscheidend auf dem Prinzip der Privatautonomie basieren.
§ 7 Eignung von ADR für Verbraucherstreitigkeiten Mit Blick auf die im Zuge der Umsetzung der ADR-Richtlinie entfachte rechtswissenschaftliche Kritik scheint zunächst klärungsbedürftig, ob sich die Instrumente der alternativen Streitbeilegung überhaupt zur Lösung typischer Verbraucherstreitigkeiten eignen. Die vorgebrachte Kritik richtet sich zwar überwiegend gegen die konkreten Vorschläge zur Ausgestaltung des Verfahrens, oftmals werden allerdings auch Zweifel hinsichtlich der grundsätzlichen Eignung im Bereich der Verbraucherrechtsdurchsetzung deutlich. So bezeichnen es Eidenmüller/Engel aufgrund des marktkorrektiven Charakters des Verbraucherschutzrechts als inkonsistent, Verbraucherstreitigkeiten einer privatautonomen und insofern auch marktbezogenen Konflikt-
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Zweites Kapitel: Verbraucherschutz und ADR
lösung „zurückzugeben“.1 Gerade die Fokussierung auf die Gestaltungsfreiheit der Parteien berge die Gefahr, dass sich etwaige Machtungleichgewichte in der Konfliktbearbeitung fortsetzen oder manifestieren und die schwächere Partei so dem Risiko einer Übervorteilung ausgesetzt wird.2 Ein wesentlicher Vorteil der alternativen Verfahren ist die Möglichkeit der Einbeziehung von (außerrechtlichen) Kriterien und Aspekten, die in einem staatlichen Gerichtsverfahren möglicherweise unberücksichtigt bleiben würden. Gerade diese Offenheit bietet aber auch Raum für die Ausbildung und Verstärkung von Machtfaktoren. Strukturell verankerte Missstände können auf diese Weise weiter bestehen.3 Besonders nahe liegt eine Ungleichverteilung von Verhandlungsmacht4 und damit das Risiko einer Übervorteilung im Rahmen von ADR-Verfahren im hier interessierenden Verhältnis des Verbrauchers zum Unternehmer. Wenig verwunderlich ist demnach die mehrheitlich kritische Beurteilung der ADR-Richtlinie und des deutschen Umsetzungsgesetzes in der rechtspolitischen Debatte. So wird mit Blick auf Verbraucher-ADR von einer „Schlichtungsfalle“5, „light justice“6 oder „ZweiKlassen-Justiz“7 gesprochen, die einen Anreiz für Unternehmer zum „kalkulierten Rechtsbruch“8 schafft und zu einem „Verbraucherschutz zweiter Klasse“9 führt. Angesprochen ist damit die Vermutung, dass die strukturelle Ungleichgewichtslage zwischen Verbraucher und Unternehmer sich auch auf verfahrensrechtlicher Ebene auswirken kann. Schon der historische Gesetzgeber erkannte das Risiko einer Übervorteilung im Falle einer konkreten wirtschaftlichen oder sozialen Überlegenheit
1
Eidenmüller/Engel, ZIP 2013, 1704 ff., 1705. Siehe dazu Wendenburg, Der Schutz der schwächeren Partei in der Mediation, 2013, 46 ff., der das Risiko der Übervorteilung der schwächeren Partei insb. im Bereich der Mediation sieht. M. E. besteht diese Gefahr allerdings bei allen Arten der alternativen Streitbeilegung, solange keine spezifischen verfahrensrechtlichen Schutzinstrumente zugunsten der schwächeren Konfliktpartei bereitgestellt werden. Die Auswirkungen des Machtungleichgewichts auch den konkreten Konflikt sind aber umso geringer, umso mehr Macht einer dritten Person im Rahmen des Verfahrens zukommt (z. B. Mediator, Schlichter, Schiedsrichter, Richter). Das Risiko einer Übervorteilung nimmt also mit dem zunehmenden Einfluss des mit der Streitbehandlung betrauten Dritten ab. Siehe dazu unter § 7 II. 3 Metzger, in: Breidenbach/Henssler (Hrsg.), Mediation für Juristen, 1997, S. 183 ff., 192. 4 Ausführlich zur Verhandlungsmacht in Konflikten Wendenburg, Der Schutz der schwächeren Partei in der Mediation, 2013, 93 ff. 5 Eidenmüller/Engel, ZIP 2013, 1704 ff. 6 Wagner, ZKM 2013, 104 ff. 7 Meller-Hannich/Höland/Krausbeck, ZEuP 2014, 8 ff., 38. 8 Eidenmüller/Engel, ZIP 2013, 1704 ff., 1709. 9 H. Roth, DRiZ 2015, 24 ff. 2
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einer Partei. So war ausweislich des § 1025 Abs. 2 ZPO a.F. ein Schiedsvertrag dann unwirksam, „wenn eine Partei ihre […] Überlegenheit dazu ausgenutzt hat, den anderen Teil zu seinem Abschluß oder zur Annahme von Bestimmungen zu nötigen, die ihr im Verfahren […] ein Übergewicht über den anderen Teil einräumen“. Aber auch der moderne Gesetzgeber geht in bestimmten Konfliktsituationen von einem so erheblichen Machtungleichgewicht aus, dass er sich zur Intervention gezwungen sieht. So wird individualarbeitsrechtlichen Streitigkeiten gem. §§ 4, 2 Abs. 1 u. 2 i. V. m. § 101 Abs. 1 u. 2 ArbGG und gem. § 1030 Abs. 2 ZPO Streitigkeiten über den Bestand von Wohnraummietverhältnissen die Schiedsfähigkeit versagt. Mit Blick auf den Schutz des Verbrauchers verlangt der § 1031 Abs. 5 ZPO für Schiedsgerichtsvereinbarungen mit Beteiligung eines Verbrauchers eine verschärfte Schriftform (vgl. aber § 37h WpHG). Um Verbrauchern die Risiken, die mit einem Verzicht auf den Rechtsschutz vor staatlichen Gerichten verbunden sind, hinreichend deutlich vor Augen zu führen, muss die Schiedsvereinbarung in einer von den Parteien eigenhändig unterzeichneten gesonderten Urkunde enthalten sein. Der Gesetzgeber stellt auf diese Weise sicher, dass der Schutz, den das materielle Recht der schwächeren Partei garantiert auch verfahrensmäßig abgesichert ist.10 Wesentlicher Unterschied zur Schlichtung ist allerdings, dass die Schiedsverfahren zu einer verbindlichen Entscheidung des Rechtsstreits führen, dessen Überprüfung durch staatliche Gerichte nur in eng begrenzten Ausnahmefällen möglich ist (vgl. § 1026 ZPO, insb. § 1059 Abs. 2 ZPO). Allerdings können auch nicht-bindende ADR-Verfahren ein Risiko für die Partei darstellen, die typischerweise mit weniger Verhandlungsmacht ausgestattet ist. So weist u.a. Scherpe darauf hin, dass neben dem drohenden Verlust von Zinsansprüchen (vgl. § 291 BGB) oder einer möglichen Verjährung (beachte jetzt aber § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB) von dem Ergebnis eines nicht nicht-bindenden Verfahrens, auch eine „faktische Bindungswirkung“ ausgehen kann.11 Der durch die Schlichtungsempfehlung ausgelöste Einigungsdruck hat erhebliche Auswirkungen auf das weitere Konfliktverhalten der „schwächeren“ Partei.12 10
Germelmann (Hrsg.), Arbeitsgerichtsgesetz, 2013, § 4 Rn. 1; Münch, in: Krüger/Rauscher/Adolphsen (Hrsg.), Münchener Kommentar ZPO, 52017, § 1031 Rn. 7; Hausmann, in: Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 2016, Verfahrensrecht für internationale Verträge Rn. 507. 11 Scherpe, Außergerichtliche Streitbeilegung in Verbrauchersachen, 2002, 255, 273; Nicklisch, in: Böckstiegel (Hrsg.), Festschrift für Arthur Bülow, 1981, S. 159 ff., 168, 176. Eingehend unter § 8 IV 1 b aa). 12 Mit Blick auf den Unternehmer der die Bewältigung von Rechtsstreitigkeiten im Rahmen seiner Unternehmensorganisation einplanen muss und in seinem Geschäftsbereich im Verhältnis zum Verbraucher wohl meist als „Konfliktaustragungs-Routinier“ (bzw. repeat player) bezeichnet werden kann, gilt dies so nicht ohne Weiteres, insbesondere im nicht unüblichen Fall einer anwaltlichen Vertretung des Unternehmers.
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I. Die Routine in der Konfliktaustragung – repeat player vs. one shotter Ein unausgewogenes Machtverhältnis zwischen den Parteien ist demnach geeignet, ein Hindernis für eine faire einvernehmliche Streiterledigung darzustellen.13 Die mit mehr Verhandlungsmacht ausgestattete Partei kann versucht sein, ihre Vorstellungen einer Konfliktlösung der Gegenpartei aufzuoktroyieren. Dann wäre die alternative Streitbeilegung allerdings nicht mehr Ausdruck des der Privatautonomie zugrundeliegenden Prinzips einer freien Selbstbestimmung beider Parteien14, sondern ein nützliches Instrument zur Umgehung der Rechte des schwächeren Konfliktgegners. Insbesondere im Bereich der Verbraucher-ADR-Verfahren zeigen sich Faktoren, die ein Übervorteilungsrisiko des Verbrauchers begünstigen können. Um eine strukturell bedingte Ungleichgewichtslage in Verbraucher-ADR-Verfahren zu begründen, bietet sich die von Galanter15 entwickelte Kategorisierung an, die zwischen dem konflikterfahrenen repeat player und dem weniger erfahrenen one shotter unterscheidet.16 So stellt Galanter für das Gerichtsverfahren die These auf, dass der repeat player im Vergleich zum one shotter eher in der Lage ist, Machtressourcen zu mobilisieren und das staatliche Gerichtssystem zu seinem Vorteil zu nutzen. Entscheidendes Kriterium zur Unterscheidung zwischen repeat player und one shotter ist dabei die Frequenz der Konfliktaustragung. So ist derjenige, der in einer gewissen Regelmäßigkeit mit der Bearbeitung von Konfliktsituationen konfrontiert ist, eher in der Lage auf einen bestimmten Erfahrungsschatz zurückzugreifen und eine substantiierte Vorgehensweise zu entwickeln, als derjenige, für den der Konflikt mit einem Geschäftspartner oder gar die gerichtliche Auseinandersetzung ein eher singuläres Ereignis darstellt. Eine solche Konstellation kann dann im Zusammenspiel mit weiteren Faktoren ein Übervorteilungsrisiko für die weniger konflikterfahrene Partei begründen. Bender17 übertrug diese Annahme auf Verbraucherstreitigkeiten vor deutschen Gerichten und bestätigte die These in seinen rechtstatsächlichen Un13
Fiss, The Yale Law Journal 93 (1984), 1073 ff., 1076 ff.; Hager, Konflikt und Konsens, 2001, 72 ff.; Wendenburg, Der Schutz der schwächeren Partei in der Mediation, 2013, 46 ff.; Ehlke, Das Wirkungsprivileg des Vergleichsvertrages, 1985, 32 ff. 14 BVerfG NJW 2011, 1339 Rn. 34; BVerfG NJW 1990, 1469 15 Galanter, Law & Society Review, Vol. 9, No. 1, Litigation and Dispute Processing: Part One 1974, 95 ff. 16 Siehe dazu auch Gottwald, in: Faber (Hrsg.), Demokratie in Staat und Wirtschaft, 2002, S. 233 ff. Zu den deutschen Bezeichnungen „Streitaustragungsroutiniers“ und „Streitaustragungslaien“ vgl. Wendenburg, Der Schutz der schwächeren Partei in der Mediation, 2013, 145 Fn. 257. 17 Bender, Rechtstatsachen zum Verbraucherschutz, 1988, 85 ff.; Bender/Schumacher, Erfolgsbarrieren vor Gericht, 1980.
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tersuchungen. Der Unternehmer ist aufgrund mehrerer Faktoren, die insbesondere auf seine Konfliktaustragungsroutine zurückzuführen sind, dem Verbraucher im Streitfall überlegen und nützt diese Überlegenheit auch regelmäßig aus.18 1. Die Vorteile des repeat player in der alternativen Streitbeilegung Schon Galanter führt aus, dass sein Modell über das staatliche Gerichtsverfahren hinaus auch auf Verfahren der alternativen Konfliktbearbeitung Anwendung finden kann.19 Auch Prütting warnt mit Blick auf die außergerichtliche Schlichtung in den USA, dass das in Prozessen beobachtete Chancengefälle zwischen häufig prozessierenden Geschäftsleuten und nur ausnahmsweise vor Gericht stehenden Privatpersonen, in gleicher Weise in Schlichtungsverfahren auszumachen ist.20 Insbesondere in diesen, im Vergleich zum staatlichen Gerichtsverfahren wenig regulierten Verfahren, scheint eine strukturelle Überlegenheit des Konfliktroutiniers im Verhältnis zum Streitaustragungslaien geradezu evident, da die Absicherung einer verfahrensrechtlichen Waffengleichheit kaum gewährleistet werden kann. Im Folgenden soll gezeigt werden, dass sich die Kategorisierung in repeat player und one shotter auch dazu eignet, eine Ungleichgewichtslage im Verhältnis von Verbraucher zu Unternehmer in ADR-Verfahren zu begründen. Die Schutzbedürftigkeit des Verbrauchers kann nicht pauschal angenommen werden, sondern muss anhand solcher Faktoren begründet werden, denen im Rahmen eines ADR-Verfahrens besondere Relevanz zukommt. a) Ressourceneinsatz Der Unternehmer wird typischerweise auf größere finanzielle Ressourcen zurückgreifen können als der Verbraucher. Dies ist in mehrfacher Hinsicht von Bedeutung. So ist der Unternehmer beispielsweise ohne Weiteres in der Lage alle im Rahmen einer Streitbehandlung anfallenden Kosten zu tragen und kann deshalb grundsätzlich das Konfliktbearbeitungsforum wählen, welches seiner Interessenslage am ehesten entspricht. Die ökonomischen Barrieren für den Unternehmer sind selbst bei einem vergleichsweise geringen Streitwert weit niedriger als für einen Verbraucher. Selbstverständlich sind die hierbei anfallenden Kosten auch für diesen wichtige Kalkulationsposten, sie bilden aber im Regelfall keine faktische Zugangsbarriere, zumal dem Unternehmer Summierungs- und Degressionseffekte zu Gute kom-
18
Röhl, Rechtssoziologie, 1987, 500 ff., 503. Galanter, Law & Society Review, Vol. 9, No. 1, Litigation and Dispute Processing: Part One 1974, 95 ff., 98, 124. 20 Prütting, JZ 1985, 261 ff., 269 m. w. N. 19
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men.21 So kann es sich für ihn selbst bei einem geringen Streitwert lohnen, in eine verhältnismäßig aufwendige Konfliktbearbeitung zu investieren, sofern sich daraus Handlungsmuster für gleichgelagerte zukünftige Konfliktsituationen ergeben können.22 Die Fähigkeit zum souveränen Umgang mit den direkten und indirekten Kosten von Konfliktbearbeitungsinstrumenten ist ein wesentlicher Vorteil des repeat player. Die Ausstattung des Unternehmers mit größeren finanziellen Ressourcen führt des Weiteren dazu, dass sich der Unternehmer bester professioneller Hilfe bedienen kann und die Konfliktbearbeitung einem mit Verhandlungsführung und Verfahrensrecht vertrauten Experten als Dienstleister übertragen kann. Im Gegensatz dazu, wird der Durchschnittsverbraucher oft schon die Notwendigkeit einer fachlichen Beratung auch in ADR-Verfahren unterschätzen und zur Vermeidung weitergehender Kosten auf eine Beratung verzichten. Nur in Ausnahmefällen wird er in außergerichtlichen Verfahren auf eine solche zurückgreifen, ohne freilich davor gefeit zu sein, dass die fachliche Qualität deutlich hinter der spezialisierten Beratung eines repeat player zurückbleiben kann.23 Aufgrund der fehlenden spezifischen Rechtskenntnisse des Verbrauchers, wird er die ihm zustehenden Rechte nur bedingt als „Rückzugsposten“ in ADR-Verfahren zu seinen Gunsten einbringen können. Weder das materielle Recht noch spezielle Verfahrensrechte werden ihm in der Weise geläufig sein, dass eine korrekte Anwendung auf den konkreten Streitfall zu erwarten ist.24 Anders als der Unternehmer verfügt der Verbraucher in der Regel also weder über die notwendigen Kenntnisse, noch über die finanzielle Ausstattung den Streitfall vollumfänglich rechtlich aufzuarbeiten. b) Professionalisierung Im Gegensatz zum Verbraucher, zeichnet sich der Unternehmer durch ein Mindestmaß an Professionalisierung aus. Schon der Tatbestand des § 14 BGB setzt eine entsprechende Erheblichkeitsschwelle fest. Merkmal der unternehmerischen Tätigkeit ist der Abschluss von Rechtsgeschäften in Ausübung einer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit. Erforderlich ist ein selbständiges, planvolles und auf Dauer angelegtes wirtschaftliches Handeln. Der Unternehmer ist in seinem gewohnten Geschäftskreis regelmäßig mit gleichen oder ähnlichen Rahmenbedingungen konfrontiert und kann folglich auf einen substantiierten Erfahrungsschatz zurückgreifen. Als professi-
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Röhl, Rechtssoziologie, 1987, 503. Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, 2016, 47. 23 Ders., Verbraucherrechtsdurchsetzung, 2016, 31 ff. 24 H. Roth, JZ 2013, 637 ff., 638. 22
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oneller Marktakteur verfügt er über bereichsspezifische Fach- und Rechtskenntnisse, die im Regelfall deutlich über den Kenntnissen des Verbrauchers liegen werden. Dieser Informations- und Erfahrungsvorsprung des repeat player wird sich in alternativen Konfliktbearbeitungsformen zu seinen Gunsten auswirken. Schon die vertragliche Ausgestaltung der Beziehung zum Verbraucher wird von dem Bemühen gekennzeichnet sein, die eigenen Interessen abzusichern. Das Bedürfnis nach einer rechtlich fundierten Kalkulationsgrundlage gebietet es, das Verhältnis zum Vertragspartner nach Möglichkeit umfassend und abschließend zu regeln. So werden die ausgearbeiteten Geschäftsbedingungen auf einer sorgfältigen ökonomischen und juristischen Folgenabwägung beruhen, um etwaige Nachteile auf Seiten des Unternehmers möglichst zu verhindern. Auch wird der Unternehmer versuchen, die Vertragskonzeption so zu gestalten, dass ihm im Konfliktfall eine möglichst günstige Ausgangsposition zukommt. Dieses Vorgehen ist auch nicht per se verwerflich oder über die gesetzlichen Einschränkungen zum Schutze des Verbrauches hinaus weiter korrekturbedürftig, es liegt aber nahe, dass sich die Auseinandersetzung mit den tatsächlichen und rechtlichen Aspekten einer möglichen Konfliktsituation schon im Vorfeld einer rechtsgeschäftlichen Bindung, dann im konkreten Konfliktfall als Vorteil auf Seiten der vertragsgestaltenden Partei erweisen wird. Um einer Übervorteilung des Verbrauchers durch diesen „Sog des vorformulierten Gedankens“25 entgegenzuwirken, sieht der Gesetzgeber bei Verbraucherverträgen einen modifizierten gerichtlichen Kontrollmaßstab bei der Prüfung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen vor. In diesem Zusammenhang haben Eidenmüller/Engel26 schon früh im Gesetzgebungsverfahren darauf hingewiesen, dass der Unternehmer aufgrund seiner Position als vertragsgestaltende Partei versucht sein könnte, den Verbraucher über sog. „Schlichtungsklauseln“ in den AGB von der Beschreitung des Rechtsweges abzuhalten. Eine solche Vorschaltung des ADR-Verfahrens wäre auch grundsätzlich mit den verfassungsrechtlichen27 und primärrechtlichen28 Vorgaben vereinbar, sofern das ADR-Verfahren zu keiner bindenden Entscheidung führt und keine wesentliche Verzögerung für die Erhebung der Klage bewirkt. Wenn sich nun der deutsche Gesetzgeber mit der Einführung des
25 H. Roth, in: Lorenz (Hrsg.), Karlsruher Forum 2011: Verbraucherschutz – Entwicklungen und Grenzen, 2012, Bd. 46, S. 5 ff., 31. 26 Eidenmüller/Engel, ZIP 2013, 1704 ff., 1707, 1709; dies., ZZP 128 (2015), 149 ff. (passim). 27 BVerfG NJW-RR 2007, 1073, 1075. 28 EuGH, Urt. v. 18.03.2010, verb. Rs. C-317/08, C-318/08, C-319/08 und C-320/08 – Alassini, Slg. 2010, I-2213; siehe dazu auch Wagner, CMLR 2014, 165 ff., 171 ff. Bestätigt durch EuGH, Urt. v. 14.06.2017, Rs. C-75/16 – Menini und Rampanelli v. Banco Popolare, ECLI:EU:C:2017:457.
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§ 309 Nr. 14 BGB zu einem Verbot solcher „Schlichtungsklauseln“ veranlasst sieht, macht er damit deutlich, dass die überlegene Position des Unternehmers einen Missbrauch der Verbraucherschlichtung befürchten lässt.29 c) Konfliktroutine und Rationalitätsfallen Die Auseinandersetzungen mit dem Vertragspartner, sei es im Verhältnis zu anderen Unternehmern oder in Bezug auf den Verbraucher als Kunden, ist für den Unternehmer ein ganz wesentlicher Teil seiner geschäftlichen Tätigkeit. Die regelmäßige Konfrontation mit konfliktträchtigen Konstellationen führt zu einem wertvollen Erfahrungsvorsprung mit Blick auf Techniken zur Konfliktvermeidung und Strategien zur Konfliktbearbeitung. Dem Unternehmer wird beispielsweise eine detaillierte Schilderung des konfliktrelevanten Bereichs der geschäftlichen Beziehung und eine entsprechende Auseinandersetzung mit der Frage nach dem Ziel der Konfliktbearbeitung weniger schwerfallen, als dem Verbraucher.30 Auch in ADR-Verfahren können sich eine geringere Fachkunde und ein weniger formalisierter Umgang mit dem Konflikt als Nachteil für den Verbraucher darstellen. Deutlich wird dies bereits mit Blick auf den, für die Einleitung eines Verbraucher-ADR-Verfahrens notwendigen Schlichtungsantrag. So fordert der BGH für den Eintritt der Hemmungswirkung gem. § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB regelmäßig einen hinreichend individualisierten Antrag. Sowohl der BGH31, als auch die Oberlandesgerichte32 haben bereits mehrfach zu der Frage eines zur Verjährungshemmung geeigneten Güteantrags Stellung genommen und dabei bestimmte formelle und inhaltliche Anforderungen formuliert. Zwar sind die Vorgaben nicht ohne Weiteres auf den verfahrenseinleitenden Antrag nach dem VSBG übertragbar, allerdings hat der BGH bereits dargelegt, dass er ein solches Vorgehen grundsätzlich für vereinbar mit den europäischen Vorgaben hält.33 Ausweislich des Kammer29
Vgl. BT-Drucks. 18/6904, 74; Weiler, in: BeckOGK BGB § 309 Rn. 3. Koch, Verbraucherprozessrecht, 1990, 23 f. 31 BGH, Urt. v. 18.06.2015 – III ZR 198/14 (BGHZ 206, 41) – Güteantrag-I-Urteil; BGH, Urt. v. 20.08.2015 – III ZR 373/14 (NJW 2015, 3297) – Güteantrag-II-Urteil; BGH, Urt. v. 03.09.2015 – III ZR 347/14 (juris); BGH, Urt. v. 15.10.2015 – III ZR 170/14 (NJWRR 2016, 372); BGH, Beschl. v. 13.08.2015 – III ZR 380/14 (BeckRS 2015, 15051); BGH, Beschl. v. 13.08.2015 – III ZR 358/14 (BKR 2015, 527); BGH, Urt. v. 28.10.2015 – IV ZR 526/14 (ZKM 2016, 32 m. Anm. Althammer/Lohr); BGH, Urt. v. 28.10.2015 – IV ZR 405/14 (NJW 2016, 236 m. Anm. Althammer/Lohr); BGH, Beschl. v. 28.01.2016 – III ZR 116/15 (BeckRS 2016, 03517); BGH, Beschl. v. 12.01.2017 – III ZR 289/16 (juris). 32 OLG Hamm, Urt. v. 4.12.2014 – 34 U 30/14 (NJOZ 2015, 1095); OLG Karlsruhe, Urt. v. 11.11.2014 – 17 U 258/13 (WM 2015, 474); OLG Düsseldorf, Urt. v. 6.11.2014 – 16 U 19/14 (juris); OLG Frankfurt, Urt. v. 09.07.2014 – 17 U 172/13 (juris). 33 BGH, Beschl. v. 07.12.2016 – IV ZR 238/15 (BeckRS 2016, 21253) 30
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beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 10. September 2015 bestehen gegen die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken.34 Neben den in der Verfahrensordnung der jeweiligen ADR-Stelle aufgestellten Anforderungen an den Güteantrag, muss der Antragssteller sein Begehr, den geltend gemachten prozessualen Anspruch sowie den im Rahmen des Verfahrens erhobenen Vorwurf gegen den Antragsgegner hinreichend deutlich artikulieren. Insbesondere das Verfahrensziel muss dabei so konkret wie möglich angegeben werden, um sowohl dem Schlichter als auch dem Antragsgegner einen Rückschluss auf die Art und den Umfang des geltend gemachten Anspruchs zu ermöglichen.35 Insbesondere der Blick in die Instanzrechtsprechung36 legt die Vermutung nahe, dass stellenweise an den das Schlichtungsverfahren einleitenden Schriftsatz eines (nicht anwaltlichen vertretenen) Antragstellers bereits höhere Anforderungen gestellt werden, als an die von einem Rechtsanwalt einzureichende Klageschrift.37 So überrascht der Befund von Borowski nicht, wenn er feststellt, dass der verfahrenseinleitende Antrag in der Verbraucherschlichtung eher einer zivilprozessualen Klageschrift, als einem einfachen Brief gleichen sollte.38 Unter Berücksichtigung der europäischen Vorgaben, respektive EWG 45 und Art. 12 Abs. 1 ADR-RL und dem Gebot des unkomplizierten und einfachen Zugangs zur alternativen Streitbeilegung, können diese vergleichsweisen hohen Anforderungen nicht unwidersprochen bleiben.39 Ob der Verbraucher die Notwendigkeit zur Individualisierung erkennt oder in jedem Fall überhaupt in der Lage sein wird, diesen Anforderungen gerecht zu werden, darf wohl bezweifelt werden.40 Dies gilt umso mehr, da das VSBG die schriftliche Verfahrensdurchführung als Regelfall ansieht (§§ 11, 17 Abs. 2
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Kammerbeschluss ohne Begründung vom 10. September 2015 – 1 BvR 1817/15 (ju-
ris). 35
BGH, Urt. v. 18.06.2015 – III ZR 198/14 (BGHZ 206, 41). Vgl. Steike/Borowski, VuR 2017, 218 ff., 220 (allerdings ohne weitergehenden Nachweis). 37 BGH VuR 2015, 467 ff., 470 m. Anm. Borowski, der zu Recht darauf hinweist, dass der BGH die verjährungshemmende Wirkung auch bei einer unschlüssigen und unsubstantiierten Klageschrift bejaht. 38 Borowski, VuR Sonderheft 2016, 45 ff., 49. Dazu auch Meller-Hannich, in: Brinkmann/Effer-Uhe/Völzmann-Stickelbrock u. a. (Hrsg.), Dogmatik im Dienst von Gerechtigkeit, Rechtssicherheit und Rechtsentwicklung, 2018, S. 63 ff., 69. 39 Steike, in: Borowski/Röthemeyer/Steike (Hrsg.), VSBG, 2016, § 204 BGB Rn. 15 vertritt die Auffassung, dass die vom BGH in den Güteantrags-Urteilen I und II verlangten Anforderungen mit dem Inkrafttreten des VSBG nicht weiter aufrechterhalten werden können. 40 Lindner, jurisPR-BGHZivilR 20/2015 Anm. 1 spricht insofern von einer „Verjährungsfalle“. 36
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VSBG), um den zeitlichen und organisatorischen Aufwand der Schlichtungsstelle so gering wie möglich zu halten.41 Allerdings kann auf eine Individualisierung nicht gänzlich verzichtet werden, da nur so die widerstreitenden Interessen der Parteien in Ausgleich zu bringen sind. Im Ergebnis wird man die Lösung in der trennscharfen Unterscheidung zwischen einer notwendigen Individualisierung und der im Rahmen des Schlichtungsantrags nicht erforderlichen Substantiierung des Anspruchs sehen können.42 Als weiterer Vorteil auf Seiten des konflikterfahreneren Unternehmers erweist sich, dass er anders als der Verbraucher die Konfliktsituation grundsätzlich als weniger „lästig“ wahrnimmt. Für den Verbraucher ist die Konfrontationssituation üblicherweise zunächst ungewohnt und sein Verhalten durch eine gewisse Konfliktscheue und eine, im Verlauf des Verfahrens zunehmende, Konfliktmüdigkeit determiniert.43 Das Konfliktverhalten des Verbrauchers wird je nach Konstellation nicht nur durch rationale Überlegungen, sondern auch durch affektive und emotionale Aspekte bestimmt werden. So zeigt die Verhaltensökonomik beispielsweise, dass der Mensch zur Selbstüberschätzung insbesondere mit Blick auf Information und Urteilsvermögen (Overconfidence-Effekt) neigt, und nach dem EndowmentEffekt eine Ware als wertvoller bewertet, sobald er sie besitzt. Diese psychologischen Dispositionen und kognitiven Barrieren der Parteien sind insbesondere in konsensorientierten ADR-Verfahren geeignet, eine rationale Bewertung der Konfliktsituation zu erschweren (sog. Rationalitätsfallen).44 Zwar gilt dies sowohl für den repeat player als auch den one shotter, allerdings verfügt die weniger konflikterfahrene Partei meist nicht über die notwendige Distanz zum Konflikt, um eine solche Verzerrung zu erkennen.45 Da die professionelle Bearbeitung von Konfliktsituationen für den Unternehmer ein wesentlicher Bereich seiner Geschäftstätigkeit ist, verfügt er auch in diesem Bereich über einen größeren Erfahrungsschatz als der Verbraucher. Er kann entsprechende Faktoren identifizieren und sein Verhalten dementsprechend anpassen oder den Einfluss solcher Rationalitätsfallen durch bestimmte Regulierungsmaßnahmen größtenteils minimieren. Auch kann durch den be-
41 Das die Verbraucherschlichtungsstellen die Einreichung eines verfahrenseinleitenden Antrages in mündlicher Form ermöglichen werden wird, ist kaum vorstellbar, vgl. Halm, in: Althammer/Meller-Hannich (Hrsg.), VSBG Verbraucherstreitbeilegungsgesetz, 2017, § 11 Rn. 6. Beachte insofern § 496 ZPO dessen Normzweck gerade auf die Verbesserung der Lage der anwaltlich nicht vertretenen Partei abzielt und Barrieren vor dem Zugang zum Gericht abbauen soll. Vgl. BT-Drucks. 7/2729, S. 56. 42 Deutlich BGH NJW-RR 2016, 372 ff., 373 Rn. 17 m. w. N. 43 Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, 2016, 36 ff. 44 Siehe dazu ausführlich Wendenburg, Der Schutz der schwächeren Partei in der Mediation, 2013, 161 ff. 45 Röhl, Rechtssoziologie, 1987, 506.
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wussten Einsatz bestimmter Verhandlungsstrategien (z. B. Anchoring) die Kommunikation im Konfliktfall in Richtung eines bestimmten Verhandlungsziels beeinflusst werden. Der Unternehmer ist also in der Lage sein Vorgehen bei bestimmten, oft auftretenden „Standardkonflikten“ zu planen und mit Hilfe seiner Fachkenntnisse das potentielle Ergebnis eines Konfliktbearbeitungsverfahrens abzuschätzen und entsprechend zu bewerten. 2. Verhandlungsmacht und Nichteinigungsalternativen All dies macht eine im Verhältnis zum Verbraucher stärkere Position des Unternehmers im Konflikt durchaus plausibel. Für den mit weniger Verhandlungsmacht ausgestatteten Verbraucher wird somit das gerichtliche Verfahren als Rückfallposition umso bedeutsamer, schützt es doch prinzipiell denjenigen der über weniger Machtressourcen verfügt.46 Der Gefahr einer Übervorteilung des Verbrauchers kann entgegengehalten werden, dass die Streitbeilegung mit Hilfe eines ADR-Verfahrens auf einer selbstbestimmten Entscheidung des Verbrauchers beruht. Sowohl die Durchführung des Schlichtungsverfahrens als auch rechtliche Bindungswirkung des Schlichtungsvorschlages sollen Ausdruck einer freiwilligen Entscheidung der beteiligten Rechtssubjekte sein. Unter diesen Vorzeichen scheint die Annahme, dass die Akzeptanz eines ungünstigen Vergleichs ohne entsprechende rechtliche Kenntnis und ohne eine Rechtsberatung nichts anderes ist, als die Verwirklichung des durch Unverstand erhöhten persönlichen Lebensrisikos, durchaus nachvollziehbar.47 Allerdings trägt die Aussage, dass insbesondere in solchen Konstellationen, in denen eine Übervorteilung droht, niemand gezwungen sei, seine Rechtsverhältnisse privat zu regeln,48 durchaus paradoxe Züge, wenn man dabei im Blick hält, dass in der Mehrzahl der Bagatellstreitigkeiten ein Absehen von einer außergerichtlichen Konfliktlösung auf einen Verzicht der Rechtegeltendmachung hinauslaufen wird. So ist die zur Auslösung gerichtlicher Maßnahmen notwendige Reizschwelle für den Verbraucher wohl um ein Vielfaches höher, als für den Unternehmer. Zwar ist dem oft gezeichneten Bild von einem gerichtsscheuen Verbraucher in dieser Absolutheit nicht zuzustimmen49, allerdings wurde schon oben ausgeführt, dass für bestimmte Bagatellstreitigkeiten eine zivilprozessuale Rechtegeltendmachung mit Blick auf eine rationale Kosten-Nutzen-Analyse praktisch ausscheidet.50 Der Ver-
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Gottwald, WM 52 (1998), 1257 ff., 1258. Ehlke, Das Wirkungsprivileg des Vergleichsvertrages, 1985, 33 f. 48 Ders., Das Wirkungsprivileg des Vergleichsvertrages, 1985, 36. 49 Oben § 5 III. 50 Oben § 5 I und § 6 I. 47
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braucher wird in der Praxis keine echte Wahl zwischen der gerichtlichen Geltendmachung seiner Rechte und der Durchführung eines außergerichtlichen Streitbeilegungsverfahren haben, vielmehr wird er oftmals vor der Entscheidung stehen, entweder das Ergebnis der außergerichtlichen Verfahrens zu akzeptieren oder auf eine Durchsetzung seiner Rechte gänzlich zu verzichten. Die Klageerhebung ist für den Verbraucher also in vielen Fällen keine realistische Nichteinigungsalternative. Die Situation des Verbrauchers in der Verhandlung wird zudem dadurch verschlechtert, dass auch dem Unternehmer dieser Umstand bekannt sein wird. Die Drohung des Verbrauchers mit der Beschreitung des Rechtswegs erweist sich dann in Bagatellstreitsachen wohl als der sprichwörtliche „zahnlose Tiger“.
II. Zwischenergebnis Das Verhältnis von Verbraucher zum Unternehmer im Konfliktfall zeichnet sich folglich durch sein strukturell bedingtes Ungleichgewicht aus, das insbesondere auf einen Informations- und Erfahrungsvorsprung des Unternehmers als repeat player zurückzuführen ist.51 Als Konsequenz dieses Befundes ließe sich die Ansicht vertreten, dass im Bereich sozialer Schutzrechte und insofern gerade auch im Verbraucherrecht eine außergerichtliche Streitbearbeitung ausscheiden muss, da das Risiko einer Übervorteilung der mit weniger Verhandlungsmacht ausgestatteten Konfliktpartei zu hoch ist.52 Mediation und Schlichtung, die auf die Kompetenz der Beteiligten zur privatautonomen Konfliktbeilegung setzen, würden damit für die Beilegung von Verbraucherstreitigkeiten ausscheiden.53 Eine solche Ansicht übersieht aber, dass gerade Konfliktlösungsformen mit Drittintervention durchaus das Potential haben, eine entsprechende Basis für eine einvernehmliche Konfliktbearbeitung zu ermöglichen.54 Ansatzpunkt sollte also vielmehr die Erkenntnis sein, dass alternative Verfahren ein gewisses Mindestmaß an Verfahrensgrundsätzen vorsehen müssen, um eine Übervorteilung der weniger mächtigen Partei zu vermeiden.55 Gerade die
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Hess, ZZP 118 (2005), 427 ff., 445 spricht von einer „prozessualen Unterlegenheit des Verbrauchers“. 52 Breidenbach, Mediation, 1995, 252 ff. 53 Eidenmüller, ZKM 2015, 131. 54 Elser, Mediation als Verbraucher-ADR-Verfahren, 2015, 144; Engel/Hornuf, SchiedsVZ 2012, 26 ff. 55 Althammer, in: Brocker/Knops/Roth (Hrsg.), Festschrift für Heinz Georg Bamberger zum 70. Geburtstag – Recht und soziale Gerechtigkeit, 2017, S. 1 ff.; ders., in: Fankhauser/Widmer Lüchinger/Klingler u. a. (Hrsg.), Das Zivilrecht und seine Durchsetzung, 2016, S. 1 ff.; ders., in: Althammer/Weller (Hrsg.), Europäische Mindeststandards für
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Einbindung eines unparteilichen und unabhängigen Dritten zur Gewährleistung einer fairen Verfahrensführung ist dabei von besonderer Bedeutung. Die unterschiedlichen Machtverhältnisse der Parteien werden sich auf den konkreten Konflikt umso geringer auswirken können, umso mehr Macht die Konfliktparteien einer dritten Person im Rahmen des Verfahrens zukommen lassen (z. B. Mediator, Schlichter, Schiedsrichter, Richter). Das Risiko einer Übervorteilung nimmt folglich mit dem zunehmenden Einfluss des mit der Streitbehandlung betrauten Dritten ab.56 Entsprechend versteht der Gesetzgeber die Konfliktbearbeitung in einem Schlichtungsverfahren als das Leitbild für Verbraucher-ADR.57 Das Verfahrensdesign der Verbraucherschlichtung nach dem VSBG ist nicht auf eine autonome Konfliktlösung durch die Parteien ausgerichtet, sondern zielt vielmehr auf den verfahrensabschließenden Vergleichsvorschlag des Streitmittlers ab. Die Bewertung des Konflikts durch den Streitmittler ist nicht ultima ratio, sondern primärer Verfahrenszweck.
§ 8 Verfahrensrechtliche Mindeststandards – Das Recht der Verbraucherschlichtung Die Gefahr der Übervorteilung eines Beteiligten muss durch verfahrensmäßige Sicherungen verringert werden.58 Auch Schlichtungsverfahren sind – wie das Vorstehende gezeigt hat – nur dann für die Beilegung von Verbraucherstreitigkeiten geeignet, wenn die Grenzen der Privatautonomie im materiellen Recht um Grenzen der Autonomie im Verfahren ergänzt und fortgesetzt werden.59 Dabei darf freilich nicht aus dem Blick geraten, dass die für ADRVerfahren so zentrale Verfahrensoffenheit und -effizienz in einem Spannungsfeld zu der Fixierung verbindlicher Verfahrensstandards steht. Die Gewährleistung der Waffengleichheit zwischen den Verfahrensbeteiligten ist folglich in Verfahren der außergerichtlichen Streitbeilegung mit besonderen Schwierigkeiten verbunden.60 Allerdings kann schon von einer strukturierten Bearbeitung des Konfliktfalls und dem Gefühl von einem neutralen Dritten
Spruchkörper, 2017, S. 87 ff.; Hess, JZ 2015, 548 ff.; Tonner, in: Krämer (Hrsg.), Law and diffuse interests in the European legal order, 1997, S. 861 ff.; Eidenmüller, JZ 2015, 539 ff., 544. 56 Hacke, Der ADR-Vertrag, 2001, 190 f.; Elser, Mediation als Verbraucher-ADRVerfahren, 2015, 142 Fn. 444. 57 Vgl. oben § 6 VI 3. 58 Eidenmüller, JZ 2015, 539 ff., 544; Hess, ZZP 118 (2005), 427 ff., 445. 59 Gottwald, WM 52 (1998), 1257 ff., 1258. 60 Hirtz, NJW 2012, 1686 ff., 1687; Meller-Hannich/Höland/Krausbeck, ZEuP 2014, 8 ff., 35; Stürner, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 87 ff.
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mit dem streitgegenständlichen Anliegen ernst genommen zu werden, also der erlebten Verfahrensgerechtigkeit, eine nicht unerhebliche Befriedungsfunktion ausgehen.61 Auch insofern spielen verbindliche Vorgaben zum Verfahrensablauf eine elementare Rolle. Im Mittelpunkt des Folgenden steht also die Formalisierung – oder treffender – Verrechtlichung der alternativen Streitbeilegung. Neben der Darstellung der Verfahrensgrundsätze (Recht der Verbraucherschlichtung) ist für die Frage nach einer Schutzmöglichkeit vor Übervorteilung, auch die Bedeutung des Rechts als Konfliktlösungsinstrument in den Blick zu nehmen (Recht in der Verbraucherschlichtung) – siehe dazu im vierten Kapitel der Arbeit.
I. Die Notwendigkeit von Mindeststandards Der vornehmlichste Zweck von Verfahrensregeln ist die Sicherung der Verfahrensgerechtigkeit. Gleichzeitig legitimieren sie das Verfahrensergebnis62 und erhöhen die Verfahrenszufriedenheit63 der Konfliktbeteiligten. Da die Verbraucherschlichtung auf die freiwillige Akzeptanz angewiesen ist, muss sowohl die Verfahrensgestaltung als auch das Ergebnis die Parteien überzeugen. Dabei zeigt sich, dass die Beteiligten eher bereit sind, einen Vorschlag zur Konfliktlösung zu akzeptieren, sofern dieser das Ergebnis eines fairen und insbesondere auch als fair empfundenen Prozesses ist. Der Erfolg der Verbraucherschlichtung ist also in erheblichem Maße von einer interessensgerechten Verfahrensausgestaltung abhängig. Die Notwendigkeit zur Normierung bestimmter rechtsstaatlicher Mindestvorgaben folgt auch aus der justizäquivalenten Aufgabenstellung der Verbraucherschlichtung.64 Das gesetzgeberische Leitbild ist die Konfliktbearbeitung in einem Schlichtungsverfahren. Insofern sind die verfahrensrechtlichen Vorgaben hieran auszurichten. Niedrigere Standards oder gar der Verzicht auf eine genaue Festlegung unter Verweis auf die Verfahrensoffenheit von Richtlinie und Umsetzungsgesetz würden nicht überzeugen. Anders als im Rahmen von verhandlungsbasierten ADR-Verfahren (z. B. Mediation)
61 Siehe dazu auch Prütting, in: Münch (Hrsg.), Prozessrecht und materielles Recht, 2015, S. 261 ff., 263 f.; Luhmann, Legitimation durch Verfahren, 1969. Dazu auch Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 61991, 176 ff. 62 Luhmann, Legitimation durch Verfahren, 1969; Hoffmann-Riem, ZRP 1997, 190 ff., 191; Stürner, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 87 ff., 88; Risse, ZKM 2012, 75 ff., 76. 63 Creutzfeld, ZKM 19 (2016), 12 ff., 15. 64 Althammer, in: Fankhauser/Widmer Lüchinger/Klingler u. a. (Hrsg.), Das Zivilrecht und seine Durchsetzung, 2016, S. 1 ff., 7.
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wird einem Dritten im Rahmen der Verbraucherschlichtung die (freilich unverbindliche) Lösung des Konflikts aufgegeben.65 Stets zu beachten ist allerdings, dass die Flexibilität, Nichtförmlichkeit und Effizienz, als Wesensmerkmale der außergerichtlichen Streitbeilegungsverfahren, ein zurückhaltendes Vorgehen des Gesetzgebers mit Blick auf die Normierung verbindlicher Vorgaben und die Formalisierung des Verfahrens gebieten. Der Gesetzgeber steht also vor der komplexen Aufgabe, einen Ausgleich zwischen einer effizienten Verfahrensgestaltung und der Herstellung und Wahrung verfahrensrechtlicher Fairness zu schaffen. Verschärft wird die Problematik dadurch, dass sich mit Blick auf den Schutz des Verbrauchers eine gesteigerte Formalisierungsnotwendigkeit ergibt, um eine Übervorteilung zu vermeiden. Sollte der Verbraucher verfahrensrechtlich aber umfassend abgesichert sein, wäre im Gegenzug eine weniger enge Bindung an materiell-rechtliche Schutzvorschriften zugunsten eines flexibleren Schlichtungsergebnisses durchaus hinnehmbar. Althammer spricht insofern davon, dass ein „Defizit“ an materiell-rechtlicher Gewissheit durch ein „Plus“ an verfahrensrechtlichen Schutzstandards ausgeglichen werden könnte.66 Wurde die rechtspolitische Zielsetzung der ADR-Richtlinie und des VSBG schon an anderer Stelle näher beleuchtet, so darf nicht außer Acht gelassen werden, dass sowohl der europäische67 als auch der nationale Rechtsakt68 die Stärkung des Verbraucherschutzes zum Ziel haben. Die Bedeutung des materiellen Verbraucherschutzrechts wird also auch davon abhängig sein, ob der Verbraucherschlichtung der Ausgleich der regelmäßig schwächeren Position des Verbrauchers durch entsprechende Verfahrensvorgaben gelingt.
65 Siehe Hess, JZ 2015, 548 ff., 548, jede Form der Streitbeilegung unter der Beteiligung eines Dritten hat verfahrensrechtliche Mindeststandards einzuhalten. 66 Althammer, in: Brocker/Knops/Roth (Hrsg.), Festschrift für Heinz Georg Bamberger zum 70. Geburtstag – Recht und soziale Gerechtigkeit, 2017, S. 1 ff., 5. 67 Vgl. nur Art. 1 S. 1 sowie EWG 1, 54, 60 ADR-Richtlinie. Dazu auch oben § 6 VI 2. 68 Siehe dazu unter § 6 VI 3.
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II. Zivilprozessuale Verfahrensgarantien in der Verbraucherschlichtung Vielfach diskutiert wurde im Zuge der Umsetzung der ADR-Richtlinie auch die Frage der Anwendung oder Übertragbarkeit zivilprozessualer Verfahrensgrundsätze auf die Verbraucherschlichtung.69 Zumindest begrifflich suchen sowohl der europäische als auch der nationale Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der Verfahrensvorgaben die Nähe zu zivilprozessuale Mindestgarantien.70 Eine direkte Anwendung konstitutionalisierter Verfahrensrechte – in Rede stehen hier sowohl die wesentlichen Maßstäbe des deutschen Rechts aus Art. 97, 101 und 103 GG, sowie auf europäischer Ebene insbesondere die Art. 6 Abs. 1 EMRK und Art. 47 EU-Grundrechtecharta – auf freiwillige ADR-Verfahren wird man mit Blick auf den Wortlaut der Vorschriften und auf die Rechtsprechung des EGMR allerdings verneinen müssen.71 Die Tatsache, dass den Parteien jederzeit die Beschreitung des Rechtswegs offensteht und sowohl die Beteiligung, als auch die Annahme des Schlichtungsvorschlages auf einer freiwilligen Entscheidung der Parteien beruht, spricht auch gegen eine direkte Anwendung zivilprozessualer Mindeststandards.72 In jedem Fall muss den zivilprozessualen Mindeststandards aber eine Ausstrahlungswirkung zukommen. Die justizäquivalenten und verbraucherschützenden Verfahrenszielvorgaben des VSBG legen eine gewisse Leit- und Orientierungsfunktion dieser Mindestgarantien bei der Ausgestaltung der Verbraucherschlichtung nahe.73 Nur eine rechtsstaatlichen Grundsätzen ge69
Eingehend Hess, JZ 2015, 548 ff.; ders., ZZP 118 (2005), 427 ff.; Stadler, ZZP 128 (2015), 165 ff., 166; Althammer, in: Althammer/Weller (Hrsg.), Europäische Mindeststandards für Spruchkörper, 2017, S. 87 ff., insb. 92 ff.; ders., in: Brocker/Knops/Roth (Hrsg.), Festschrift für Heinz Georg Bamberger zum 70. Geburtstag – Recht und soziale Gerechtigkeit, 2017, S. 1 ff.; ders., in: Fankhauser/Widmer Lüchinger/Klingler u. a. (Hrsg.), Das Zivilrecht und seine Durchsetzung, 2016, S. 1 ff. 70 Kritisch dazu Stürner, ZZP 127 (2014), 271 ff., 319 ff.; H. Roth, DRiZ 2015, 24 ff., 25; Engel, NJW 2015, 1633 ff., 1635 „irreführende Anleihen“; Althammer, in: Althammer/ Weller (Hrsg.), Europäische Mindeststandards für Spruchkörper, 2017, S. 87 ff., 91 „hochtrabende Begriffe“; ders., in: Fankhauser/Widmer Lüchinger/Klingler u. a. (Hrsg.), Das Zivilrecht und seine Durchsetzung, 2016, S. 1 ff., 10. 71 EGMR, Urt. v. 28.10.2010, Suda v. Czech Rep., Application no. 18479/06; Althammer, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 117 ff., 119; Stadler, ZZP 128 (2015), 165 ff., 166; Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, 2016, 21 ff. 72 Vgl. dazu aber oben § 6 VI 4 d) mit Blick auf Art. 267 AEUV. Im Ergebnis kann die Frage einer direkten Anwendung aber wohl offenbleiben, da zumindest eine entsprechende Anwendung zu befürworten ist. 73 Hess, JZ 2015, 548 ff.; Althammer, in: Fankhauser/Widmer Lüchinger/Klingler u. a. (Hrsg.), Das Zivilrecht und seine Durchsetzung, 2016, S. 1 ff., 7 ff.; Hess, JZ 2015, 548 ff.; Stürner, ZZP 127 (2014), 271 ff., 319 f. Althammer, in: Althammer/Weller (Hrsg.), Euro-
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nügende Verfahrensgestaltung wird auf die Akzeptanz der Beteiligten stoßen. Überzeugend ist diese Ansicht auch schon deshalb, da die Einrichtung der Verbraucherschlichtungsstelle von staatlicher Seite erfolgen kann, in jedem Fall aber unter staatlichem Anerkennungsvorbehalt steht.74 Unter diesem Gesichtspunkt zwingt schon Art. 20 Abs. 3 GG zu einem Mindestmaß an rechtsstaatlicher Verfahrensgestaltung.
III. Besondere Verbraucherschutzinstrumente der ADR-Richtlinie Wurde die rechtspolitische Zielsetzung des europäischen Rechtsaktes an anderer Stelle näher in den Blick genommen, so darf doch nicht außer Acht gelassen werden, dass die ADR-Richtlinie auch als Instrument zur Stärkung des Verbraucherschutzes verstanden wird.75 An dieser Stelle ist zu fragen, ob die Richtlinie Verfahrensgarantien postuliert, die vornehmlich dem Schutz des Verbrauchers im Rahmen der ADRVerfahren dienen, ob also die Stärkung des Verbraucherschutzes nicht nur durch die Bereitstellung von ADR-Verfahren, sondern auch mit Hilfe bestimmter europaweiter ADR-Mindeststandards erreicht werden soll. Es wurde bereits ausgeführt, dass die ADR-Richtlinie bestimmte verfahrensrechtliche „Qualitätsgrundsätze“ im Rahmen der Verfahren angewendet wissen will.76 Fraglich ist, ob diese Grundsätze auch den Schutz des Verbrauchers im Verfahren bezwecken. Neben dem schon angesprochenen ADR-Gewährleistungsanspruch aus Art. 5 Abs. 1 ADR-RL, finden sich speziell verbraucherschützende Vorgaben an mehreren Stellen. So erfasst der Geltungsbereich der Richtlinie keine Verfahren, die vor Verbraucherbeschwerdestellen eröffnet werden, welche der Unternehmer betreibt (Art. 2 Abs. 2 lit. b) ADR-RL) oder Verfahren, die vom Unternehmer gegen den Verbraucher eingeleitet werden (Art. 2 Abs. 2 lit. g) ADR-RL). Ebenso sieht die Richtlinie besondere Anforderungen an die Unabhängigkeit und Transparenz vor, sollte der Mitgliedstaat eine Beschäftigung oder Bezahlung des Streitmittlers ausschließlich von einem einzelnen Unternehmer oder Unternehmerverband für zulässig erachten (Art. 2 Abs. 2 lit. a), Art. 6 Abs. 3, 4, 5 ADR-RL).
päische Mindeststandards für Spruchkörper, 2017, S. 87 ff., 93 f., 97 ff. sieht beispielsweise eine Ergänzungsbedürftigkeit der §§ 7, 8 VSBG mit Blick auf die Geschäftsverteilung einer Verbraucherschlichtungsstelle mit mehreren Streitmittlern. 74 Althammer, in: Althammer/Weller (Hrsg.), Europäische Mindeststandards für Spruchkörper, 2017, S. 87 ff., 101; Stadler, ZZP 128 (2015), 165 ff., 167 f. 75 Siehe oben unter § 6 VI 2. Vgl. auch Art. 1 S. 1 sowie EWG 1, 54, 60 ADR-Richtlinie. Auch nennt der Richtlinientext die Verbraucherschutzkompetenz des Art. 169 Abs. 2 lit. a) AEUV als Grundlage für den Gesetzgebungsakt. 76 Oben § 6 III 2.
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Dem Abbau der rationalen Apathie des Verbrauchers dient der Art. 8 Abs. 1 lit. c) ADR-RL, der festlegt, dass das AS-Verfahren für den Verbraucher kostengünstig oder kostenlos zugänglich sein muss. Für den Verbraucher postuliert der Art. 9 Abs. 2 lit. a) ADR-RL weiter ausdrücklich das Prinzip der Freiwilligkeit. Dieser muss demnach zu jedem Zeitpunkt die Möglichkeit haben, das AS-Verfahren zu beenden. Ausweislich des Art. 12 Abs. 1 ADR-RL müssen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass die Einleitung des AS-Verfahrens die Verjährung hemmt. Besondere Hervorhebung verdienen die verbraucherschützenden Vorgaben des Art. 10 Abs. 1 und Art. 11 ADR-RL. Diese Vorschriften, die zum einen dem Verbraucher die Möglichkeit der Beschreitung des Rechtswegs offenhalten, sowie sicherstellen, dass eine verbindliche Entscheidung der Schlichtungsstelle nicht zu einer Abweichung von zwingendem Verbraucherschutzrecht führt, dienen ausschließlich dem Schutz des Verbrauchers vor einer Übervorteilung im Verbraucher-ADR-Verfahren. Der europäische Rechtssetzungsakt kennt folglich unterschiedliche verfahrensrechtliche safe guards zugunsten des Verbrauchers.77 Da die ADRRichtlinie allerdings nur Mindestanforderungen an das Verfahren normiert, kann die Frage eines hinreichenden Übervorteilungsschutzes nur im Kontext des nationalen Umsetzungsaktes hinreichend präzise beantwortet werden.
IV. Die Verfahrensvorgaben des VSBG Der deutsche Gesetzgeber normiert im VSBG die verfahrensrechtlichen Mindestvorgaben der Verbraucherschlichtung. Diese sollen einen einheitlichen Qualitätsstandard des Verfahrens sicherstellen und zur Erhöhung des Verbraucherschutzniveaus beitragen.78 Dabei ist der deutsche Gesetzgeber an die Vorgaben der europäischen ADR-Richtlinie gebunden, wobei vereinzelt von der Möglichkeit einer überschießenden Umsetzung Gebrauch gemacht wurde.79 Um die bestehende Schlichtungskultur nicht zu beschädigen und den Besonderheiten einzelner Wirtschaftsbereiche ausreichend Rechnung zu tragen, überantwortet der Gesetzgeber die nähere Ausgestaltung des Verfahrens dem Verantwortungsbereich der jeweiligen Schlichtungsstellen. Die angewandte Konfliktbeilegungsmethode und die eigene Verfahrensordnung bestimmen dann den konkreten Verfahrensablauf. Nichtsdestotrotz soll das Verbraucherschlichtungsverfahren unter der Beachtung bestimmter Prinzipien und unter der Zugrundelegung verfahrens77
A. A. allerdings Althammer, in: Brocker/Knops/Roth (Hrsg.), Festschrift für Heinz Georg Bamberger zum 70. Geburtstag – Recht und soziale Gerechtigkeit, 2017, S. 1 ff., 5. 78 BT-Drucks. 18/5089, 39. 79 Siehe BT-Drucks. 18/5089, 39, der Gesetzgeber möchte nur „einige wenige zusätzliche Anforderungen“ gegenüber der Richtlinie aufstellen.
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rechtlicher Mindestvorgaben durchgeführt werden. Zu diesen, durch das VSBG vorgegebenen Qualitätsgrundsätzen, zählen die Freiwilligkeit der Verfahrensdurchführung und die Unverbindlichkeit des Ergebnisses („doppelte Freiwilligkeit“), die Gewährung rechtlichen Gehörs, die Transparenz und die Effizienz des Verfahrens sowie die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Streitmittlers. Über das Anerkennungserfordernis gem. §§ 2 Abs. 2, 24 f. VSBG übernimmt der Staat die Gewähr für die Einhaltung dieser Maßgaben und garantiert so, dass die Verbraucherschlichtung bestimmte rechtsstaatliche Grundsätze nicht unterschreitet. Im Folgenden sollen die vom Gesetzgeber als Mindeststandards der Verbraucherschlichtung bezeichneten Verfahrensvorgaben, insbesondere unter dem Aspekt der verbraucherschützenden Ausrichtung des VSBG untersucht werden. 1. Freiwilligkeit Kernelement der Idee der Verbraucherstreitbeilegung nach ADR-Richtlinie und dem VSBG ist das Prinzip der doppelten Freiwilligkeit. Darunter ist einerseits, die Freiwilligkeit der Teilnahme an dem Verfahren und andererseits, die Freiwilligkeit hinsichtlich der Befolgung des Ergebnisses für beide Parteien zu verstehen. Der Leitgedanke ist dabei, dass Grundlage der einvernehmlichen Konfliktbeilegung die Gewährleistung der Parteiautonomie ist und die Vorteile der ADR-Verfahren sich nur dann voll entfalten, wenn die Parteien freiwillig an diesen Verfahren teilnehmen und ernsthaft an einer Einigung interessiert sind.80 a) Freiwilligkeit der Teilnahme Die Freiwilligkeit der Teilnahme von Verbraucher und Unternehmer folgt aus § 15 VSBG. Nach Abs. 1 kann der Antragssteller jederzeit und ohne Begründung81 den Schlichtungsantrag zurücknehmen oder der weiteren Durchführung des Verfahrens widersprechen. Dementsprechend steht es dem Antragsgegner gem. Abs. 2 offen, durch die Erklärung der Nichtteilnahme oder bei fehlender Bereitschaft zur Verfahrensdurchführung die Verfahrensbeendigung durch den Streitmittler zu veranlassen. Anders als der europäische Gesetzgeber (vgl. Art. 2 Abs. 2 lit. g) ADR-Richtlinie) verzichtet der nationale Gesetzgeber ausweislich des § 4 Abs. 3 VSBG darauf, die Freiwilligkeit der Teilnahme des Verbrauchers zusätzlich darüber sicherzustellen, dass nur 80
BT-Drucks. 18/5089, 40. Bemerkenswert hierzu allerdings Eidenmüller, JZ 2015, 539 ff., 542 ff.; aber auch Eidenmüller/Engel, ZZP 128 (2015), 149 ff., 155 f.; siehe aber S. 153 81 Siehe hierzu auch EuGH, Urt. v. 14.06.2017, Rs. C-75/16 – Banco Popolare, ECLI:EU:C:2017:457. Dazu schon unter § 6 II 1.
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der Verbraucher zur Einleitung eines Verbraucherschlichtungsverfahrens ermächtigt wird. Weiterhin wurde davon abgesehen, eine flächendeckende Verpflichtung der Unternehmer zur Teilnahme an Verbraucherschlichtung einzuführen.82 Unberührt bleibt freilich eine Verpflichtung zur Teilnahme, sollte sich diese aus besonderen Rechtsvorschriften (§ 111b Abs. 1 S. 2 EnWG, §§ 57 ff. LuftVG, § 47a Abs. 1 TKG), Satzungen oder vertraglichen Abreden ergeben.83 Die in § 15 Abs. 2 Hs. 2 VSBG als Ausnahme normierte Fallgestaltung, stellt in der Praxis die Regel dar, da ein Großteil der Verbraucherschlichtungsstellen ihre Zuständigkeit auf Unternehmen beschränkt hat, die sich dem jeweiligen Trägerverein der AS-Stelle angeschlossen haben.84 Ausweislich des § 36 VSBG hat der Unternehmer, der AGB verwendet oder eine Webseite unterhält, den Verbraucher regelmäßig über seine Teilnahmebereitschaft in Kenntnis zu setzen.85 Eine Begrenzung des Freiwilligkeitsprinzips lässt sich wohl nicht aus § 15 Abs. 3 VSBG ableiten. Zwar könnte aus Abs. 3 im Wege eines Umkehrschlusses gefolgert werden, dass eine Einschränkung der Verfahrensbeendigungsmöglichkeiten auch für den Verbraucher zulässig ist, solange eine Verfahrensbeendigung aufgrund eines erheblichen Verfahrensmangels nicht ausgeschlossen wird.86 Allerdings verkennt eine solche Ansicht, dass der Norm wohl nur deklaratorische Wirkung zukommen soll.87 So macht § 15 Abs. 3 VSBG vielmehr deutlich, dass die Verfahrensbeendigung wegen einem erheblichen Verfahrensmangel in keinem Fall ausgeschlossen werden darf.88 Eine weitergehende Auslegung würde darüber hinaus auch dem Wortlaut des in dieser Vorschrift umgesetzten Art. 9 Abs. 2 lit. a) ADR-Richtlinie wider-
82 Ein solcher flächendeckender Zwang der Unternehmer in die Verbraucherschlichtung wäre unter Wahrung des Art. 47 EU-Grundrechtecharta durchaus mit der ADRRichtlinie vereinbar gewesen (siehe EWG 49, Art. 1 S. 2 ADR-Richtlinie). Siehe für einen solchen auch Berlin, Alternative Streitbeilegung in Verbraucherkonflikten, 2014, 319 ff.; Tonner, ZKM 2015, 132 ff., 135. Für eine Ausweitung der gesetzlichen Teilnahmeverpflichtungen für Unternehmer siehe BR/Drucks. 258/15 (Beschluss), 19, 36; Schobel, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 219 ff., 225. Vgl. dazu auch unten § 8 IV 1 a) bb) und unter § 26 III. 83 Heetkamp, in: Althammer/Meller-Hannich (Hrsg.), VSBG Verbraucherstreitbeilegungsgesetz, 2017, § 15 Rn. 18 ff. 84 So auch Verbraucherschlichtungsbericht 2018 (Erstes Kapitel Fn. 9), S. 67. 85 Allerdings stellt Greger fest, dass diese Informationspflicht sonderlich ernst genommen wird, vgl. https://www.schlichtungs-forum.de/neuigkeiten/vsbg-zeigt-bisher-wenig-w irkung/ (geprüft am 01.11.2020) 86 Heetkamp, in: Althammer/Meller-Hannich (Hrsg.), VSBG Verbraucherstreitbeilegungsgesetz, 2017, § 15 Rn. 36. 87 BT-Drucks. 18/5089, 62. Siehe dazu aber auch noch unter § 8 V 1. 88 Greger/Unberath/Steffek (Hrsg.), Recht der alternativen Konfliktlösung, 22016, § 15 Rn. 5.
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sprechen, der eine jederzeitige Beendigungsmöglichkeit vollumfänglich in das Belieben der Parteien stellt.89 aa) Schlichtungsklauseln Als vorrangig verbraucherschützend kann die – trotz entsprechender Anregungen aus der Wissenschaft90 – erst spät im Gesetzgebungsverfahren erfolgte Normierung des Verbots sog. Schlichtungsklauseln in § 309 Nr. 14 BGB verstanden werden.91 Das Gesetz verhindert demnach Bestimmungen in AGB, „wonach der andere Vertragsteil seine Ansprüche gegen den Verwender gerichtlich nur geltend machen darf, nachdem er eine gütliche Einigung in einem Verfahren zur außergerichtlichen Streitbeilegung versucht hat“. Erst recht unzulässig sind folglich auch Vereinbarungen, die eine Teilnahmepflicht des Verbrauchers unter einem peremptorischen Ausschluss des Rechtsweges vorsehen (§ 5 Abs. 2 VSBG). Allerdings hat der EuGH klargestellt, dass die ADR-Richtlinie nationalen Rechtsvorschriften nicht entgegenstehe, die in Rechtsstreitigkeiten, an denen Verbraucher beteiligt sind, die verpflichtende Durchführung einer alternativen Streitbeilegung vor Erhebung einer gerichtlichen Klage vorsehen, solange der Verbraucher diese Konfliktbeilegung ohne Angabe von Gründen und sanktionslos abbrechen kann.92 Eine obligatorische Verbraucherschlichtung wäre daher ohne Weiteres möglich.93 Zum Problem für den Rechtsschutzsuchenden könnten in Zukunft Klauseln in Allgemeinen Rechtsschutzbedingungen (ARB) werden, die – möglicherweise in günstigeren Tarifen – die Gewährung der Versicherungsleistung von einer vorweg durchgeführten Verbraucherschlichtung abhängig machen.94 So kommt vor dem Hintergrund, dass fast 50 % der privaten Haushalte in Deutschland rechtsschutzversichert sind, der Verfahrenswahlpolitik der Rechtsschutzversicherer entscheidende Bedeutung bei der Frage nach
89 Nach Art. 9 Abs. 2 lit. a) ADR-Richtlinie sollen die Parteien „in jedem Stadium die Möglichkeit haben, das Verfahren abzubrechen, wenn sie die Durchführung oder den Ablauf das Verfahrens für unbefriedigend [Hervorh. d. Verf.] erachten“. Ebenso die englische Fassung „The parties have the possibility of withdrawing from the procedure at any stage if they are dissatisfied [Hervorh. d. Verf.] with the performance or the operation of the procedure“. 90 Insb. Eidenmüller/Engel, ZZP 128 (2015), 149 ff., 161; dies., ZIP 2013, 1704 ff., 1709. 91 BT-Drucks. 18/6904, 36. Ohne dass der Wortlaut der Vorschrift den personellen Anwendungsbereich begrenzt, wird man wohl davon ausgehen können, dass Unternehmer als Verwender solcher Klauseln auftreten werden. Davon geht im Übrigen auch der Gesetzgeber aus, siehe BT-Drucks. 18/6904, 74. 92 EuGH, Urt. v. 14.06.2017, Rs. C-75/16 – Banco Popolare, ECLI:EU:C:2017:457. 93 Vgl. auch BVerfG NJW-RR 2007, 1073 ff.; Papier, IWRZ 2016, 14 ff. 94 Siehe dazu sogleich unter cc).
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dem Verhältnis von Zivilverfahren zu ADR-Verfahren zu. Die Rechtsschutzversicherer nehmen nämlich bei der Konfliktbehandlung eine zentrale Lotsenfunktion ein.95 Mit Blick auf die im Vergleich zum Gerichtsverfahren geringen Kosten, scheint eine zunehmende Präferenz für ADR-Verfahren zumindest nicht unwahrscheinlich. So können die Rechtsschutzversicherer die alternativen Konfliktlösungsangebote als attraktive Instrumente zur Gestaltung kostengünstiger Versicherungsangebote, aber natürlich auch als Möglichkeit zur Reduzierung der Kosten der zu erbringenden Versicherungsleistungen verstehen. Entsprechende Vorgaben in den Allgemeinen Rechtsschutzbedingungen (ARB) würden dann beispielsweise vorsehen, dass eine Deckung für die gerichtliche Rechtsverfolgung oder eine anwaltliche Beratung erst nach einem erfolglosen Schlichtungsversuch gewährt wird.96 Dass eine solche Regelung gegen § 307 Abs. 1 S. 1 BGB verstößt, ist unwahrscheinlich.97 Der neu eingeführte § 309 Nr. 14 BGB würde einer solchen Vorgabe jedenfalls nicht entgegenstehen.98 Sollte sich dieses Vorgehen zur gängigen Praxis der deutschen Versicherungswirtschaft entwickeln, so steht zu befürchten, dass der staatliche Zivilprozess im Bereich der Verbraucherkonflikte im Vergleich zu der institutionalisierten Verbraucherschlichtung deutlich an Attraktivität verlieren wird. Folgerichtig fordern Eidenmüller/ Engel ein Tätigwerden des Gesetzgebers mit dem Ziel, solche Schlichtungsklauseln in ARB zu verbieten.99 bb) Schlichtungszwang für Unternehmer Ist das Prinzip der Freiwilligkeit auf Seiten des Verbrauchers ausdrücklich verankert, so gilt dies für den Unternehmer nicht. Für diesen ist sowohl eine Verpflichtung zur Verfahrensdurchführung als auch eine einseitige Bindung an den Schlichtungsvorschlag durch die jeweilige Verfahrensordnung der Schlichtungsstelle nicht ausgeschlossen. Viele Schlichtungsstellen sehen eine
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Engel, NJW 2015, 1633 ff., 1636. Kritsch dazu H. Roth, in: Althammer (Hrsg.), Freiwilligkeit, Zwang und Gerechtigkeit im Kontext der Mediation, 2013, S. 109 ff., 111. 97 Siehe hierzu insbesondere das Urteil des VI. Zivilsenats des OLGFrankfurt a.M. vom 09.04.2015 – 6 U 110/14, BeckRS 2015, 08049 (v. a. Rn. 22 und 25) und die Beschwerdeentscheidung des BGH zu vorstehendem Urteil, BGH v. 14.01.2016 – I ZR 98/15, VersR 2016, 1113, 1114, mit Verweis auf die nach § 125 VVG bestehenden Vertragsfreiheit. Vgl. auch Böhm/Fries, VersR 2016, 1092 ff. 98 Siehe dazu Eidenmüller, in: Stiftung Gesellschaft für Rechtspolitik/Institut für Rechtspolitik an der Universität Trier (Hrsg.), Bitburger Gespräche/Bitburger Gespräche Jahrbuch 2016, 2016, S. 101 ff.8, 11; Eidenmüller/Engel, ZZP 128 (2015), 149 ff., 161; Hau, MDR 2017, 853 ff., 855; ders., in: Hau/Schmidt/Lindacher (Hrsg.), Trierer Festschrift für Walter F. Lindacher zum 80. Geburtstag, 2017, S. 139 ff., 148. 99 Eidenmüller/Engel, ZZP 128 (2015), 149 ff., 162. 96
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Beteiligungspflicht des Unternehmers bereits de lege lata vor.100 Am Beispiel des § 111b Abs. 1 S. 2 EnWG, der bei Antragsstellung des Verbrauchers eine Verpflichtung des Energieversorgungsunternehmens und gem. § 111b Abs. 6 EnWG auch eine entsprechende Kostentragungslast des Unternehmers für das Verfahren vorsieht, zeigt sich, welche wirtschaftliche Bedeutung ein solcher Schlichtungszwang haben kann. So hat das OLG Köln bestätigt, dass einer Klage der Schlichtungsstelle Energie e.V. gegen einen Energieversorger auf Zahlung von 88.449,77 Euro für Verfahrenskosten gem. § 111b Abs. 6 EnWG i. V. m. § 11 Abs. 1 und 2 VerfO vollumfänglich stattzugeben ist.101 Weder sei in dem § 111b EnWG – und insbesondere in der verpflichtenden Teilnahme – ein Verfassungsverstoß zu sehen102, noch sei zu beanstanden, dass dem Unternehmer die Kostentragungslast auch dann trifft, sollte der Schlichtungsantrag des Verbrauchers nicht erfolgreich sein.103 Als unvereinbar mit dem Justizgewähranspruch des Unternehmers wird man allerdings eine Kombination beider Pflichten unter gleichzeitigem Ausschluss des Rechtswegs zu den staatlichen Gerichten ansehen können.104 De lege lata besteht für viele Unternehmer bisher nur die Pflicht, auf der Website oder in den AGB darüber zu informieren, ob er sich der alternativen Streitbeilegung unterwirft oder nicht (§ 36 VSBG). Ein möglicher Imageschaden des Unternehmers bei Erklärung der Nichtteilnahme wird durch den
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Siehe oben § 8 IV 1 a). Für eine allgemeine Teilnahmepflicht der Unternehmer an der Verbraucherschlichtung BR-Drucks. 258/15 (Beschluss), S. 35 ff.; Hirsch, NJW 2013, 2088 ff., 2090; ders., in: Wandt (Hrsg.), Versicherungsrecht, Haftungs- und Schadensrecht, 2014, S. 159 ff., 172; Berlin, Alternative Streitbeilegung in Verbraucherkonflikten, 2014, 319 ff.; Tonner, ZKM 2015, 132 ff., 135; Schobel, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 219 ff., 225; Stellungnahme der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) zum RefE, S. 16 f., abrufbar unter: https://www.vzbv.de/sites/default/files/ downloads/Verbraucherstreitbeilegung-Gesetz-Referentenentwurf-Stellungnahme-vzbv2015-01-23.pdf (geprüft am 01.11.2020). Gerade unter diesem Aspekt scheint sich auch ein gewisser öffentlicher Druck zu entwickeln, vgl. Report Mainz, Sendung vom 14. August 2018. Gegen eine allgemeine Schlichtungspflicht Eidenmüller/Engel, ZZP 128 (2015), 149 ff., 155 f. 101 OLG Köln BeckRS 2016, 06398 = EnWZ 2016, 180 ff. (m. Anm. Ahnis). Die Nichtzulassungsbeschwerde des betroffenen Unternehmens hat der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 15. November 2016 zurückgewiesen, sodass das Urteil rechtskräftig ist. Vgl. Tätigkeitsbericht der Schlichtungsstelle Energie 2016, S. 4. 102 Vgl. dazu insb. OLG Köln BeckRS 2016, 06398 Rn. 44 ff., 56. 103 A. a. O. Rn. 57 ff. 104 Schmidt-Kessel, in: ders. (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 9 ff., 27; Tonner, Zur Umsetzung der AS-Richtlinie (Richtlinie 2013/11/EU) nebst Entwurf eines Gesetzes über alternative Streitbeilegung, 2014, S. 31; Prütting, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 157 ff., 162. A. A. wohl Hirsch, NJW 2013, 2088 ff., 2093. Siehe dazu unter § 21 I.
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Gesetzgeber dabei intendiert.105 Es bleibt abzuwarten, ob der Gesetzgeber seine im Gesetzgebungsverfahren formulierte ablehnende Haltung106 hinsichtlich einer branchenspezifischen oder sogar flächendeckenden, gesetzlichen Beteiligungspflicht auf Seiten der Unternehmer aufrechterhalten wird, sollte der Erfolg der Verbraucherschlichtung in Folge sich abzeichnender mangelnder Teilnahmebereitschaft ausbleiben.107 Am Rande sei hier angemerkt, dass sich die oftmals geäußerten Bedenken eines Effektivitätsverlustes bei einem Zwang zur außergerichtlichen Streitbeilegung zumindest empirisch nicht nachweisen lassen.108 Auch zeigen die Erfahrungen der Schlichtung im Luftverkehr, dass die gesetzliche Regelung einer behördlichen Auffangschlichtung mit einer Kostenlast für alle, nicht an einem privaten Schlichtungsverfahren teilnehmenden Unternehmer (§§ 57 ff. LuftVG) im Bereich des öffentlichen Personenverkehrs, zu einem entsprechenden „Umdenken“ auf Seiten der Unternehmer führen kann.109 cc) Prozesskostenrechtliche Privilegierung der Schlichtung? In der bisherigen Debatte nur am Rande thematisiert wurde die Frage einer möglichen prozesskostenrechtlichen Privilegierung bzw. Sanktionierung eines durchgeführten oder gescheiterten Verbraucherschlichtungsverfahrens.110 So hat Althammer mit Bezug auf die Entwicklung in England nach 105
Kritisch Greger, ZZP 128 (2015), 137 ff., 142 f. (allerdings noch zum VSBG RefE). Dazu bereits Stellungnahme des Bundesrates für eine sektorale Erweiterung der Teilnahmeverpflichtung, BR-Drucks. 258/15 (Beschluss), S. 35 ff. und die entsprechende Gegenäußerung der Bundesregierung, BT-Drucks. 18/5760, S. 30. Vgl. auch den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, BT-Drucks. 18/6921 (neu), S. 2 ff. Auf europäischer Ebene vgl. die Formulierung des EWG 49 ADR-Richtlinie. 107 Vgl. Stellungnahme des Bundesrates und Gegenäußerung der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften über die außergerichtliche Streitbeilegung in Verbrauchersachen und zur Änderung weiterer Gesetze, BTDrucks. 19/10991, 9. Zum Erfolg der Verbraucherschlichtung in der Praxis Althammer/ Lohr, DRiZ 2017, 354 ff. Siehe auch Greger, Verbraucherschlichtung bleibt hinter den Erwartungen zurück, 2018 (https://www.schlichtungs-forum.de/neuigkeiten/verbraucher schlichtung-bleibt-hinter-den-erwartungen-zurueck/#more-744) (geprüft am 01.11.2020), der ausdrücklich auf den hohen Anteil der Nichtbeteiligung der Antragsgegner hinweist. Siehe dazu auch den Tätigkeitsbericht 2017 der Allgemeinen Verbraucherschlichtungsstelle, abrufbar unter https://www.verbraucher-schlichter.de/media/file/53.Taetigkeitsberi cht 2017.pdf (geprüft am 01.11.2020). Vgl. dazu auch unter § 26 III. 108 Vgl. BR-Drucks. 258/15 (Beschluss), S. 36; überzeugend Eidenmüller, JZ 2015, 539 ff., 542 f. Anders wohl Verbraucherschlichtungsbericht 2018 (Erstes Kapitel Fn. 9), S. 68 f. 109 Vgl. nur söp Halbjahresbilanz 2018, 12.07.2018, abrufbar unter: https://soep-onlin e.de/assets/files/s%C3%B6p-Halbjahresbilanz%202018.pdf (geprüft am 01.11.2020) 110 Prütting, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 157 ff., 165; Stürner, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 87 ff., 94; der sich gegen Kostennachteile in einem späteren Prozess ausspricht. 106
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dem sog. Woolf-Report auch für Deutschland die Inanspruchnahme des Prozesskostenrechts als Mittel zur Stärkung alternativer Konfliktlösungsinstrumente in den Blick genommen.111 Eine Sanktionierung über das Recht der Prozesskostenhilfe, in dem die gerichtliche Rechtsverfolgung ohne vorherigen Versuch einer außergerichtlichen Schlichtung als mutwillig i. S. d. § 114 ZPO angesehen wird112, muss dabei allerdings abgelehnt werden. Zum einen verkennt eine solche Ansicht, dass der staatliche Zivilprozess das effektivere Mittel zur Rechtsdurchsetzung darstellt, zum anderen ist zu befürchten, dass es so zu einer Schlechterstellung der bedürftigen gegenüber der nichtbedürftigen Partei kommen kann, welche nicht zu rechtfertigen ist.113 Spätestens die Einführung des Schlichtungsklauselverbots in § 309 Nr. 14 BGB macht deutlich, dass die Prozesskostenhilfe für eine hinreichend erfolgsversprechende Rechtsverfolgung de lege lata nicht mit dem Hinweis auf das mögliche ADR-Verfahren und insofern wegen Mutwilligkeit (§ 114 Abs. 2 ZPO) abgelehnt werden kann.114 Schlussendlich wäre eine kostenrechtliche Sanktion des Verbrauchers mit der Rechtsprechung des EuGH nicht in Einklang zu bringen.115 Bei einer Förderung der außergerichtlichen Schlichtungsmechanismen über das Kostenrecht, muss also die Schaffung positiver Anreize im Vordergrund stehen.116 Eine Grundlage für einen solchen Kostenanreiz findet sich in § 69b GKG. Die kurzfristig und ohne Begründung im Rahmen des Gesetzes zur Förderung der Mediation und anderer Verfahren der außergerichtlichen Konfliktbeilegung eingeführte Norm117, ermächtigt die Landesregierungen durch Rechtsverordnung bestimmte Verfahrensgebühren zu ermäßigen oder ganz entfallen zu lassen, wenn ein Verfahren der außergerichtlichen Konfliktbeilegung zur Beendigung des Gerichtsverfahrens führt. Die Vorschrift zeigt damit einen grundsätzlich zustimmungswürdigen Weg auf, muss im Ergebnis 111
Althammer, JZ 2006, 69 ff.; ders., in: Althammer/Eisele/Ittner u. a. (Hrsg.), Grundfragen und Grenzen der Mediation, 2012, S. 9 ff.; dazu auch Hess, in: Verhandlungen des Siebenundsechzigsten Deutschen Juristentages, 2008, S. 1 ff., 116 f. 112 So LG Aurich, NJW 1986, 792; LG Dortmund, JZ 1988, 255; zu einer ähnlichen Entscheidung das AG Bochum siehe Althammer, JZ 2006, 69 ff., 72. 113 Prütting, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 157 ff., 165; Althammer, JZ 2006, 69 ff., 73; Wache, in: Rauscher/Krüger/Becker-Eberhard (Hrsg.), Münchener Kommentar ZPO, 62020, § 114 Rn. 79; Fischer, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 2019, § 114 Rn. 31. 114 Hau, in: Hau/Schmidt/Lindacher (Hrsg.), Trierer Festschrift für Walter F. Lindacher zum 80. Geburtstag, 2017, S. 139 ff., 148. 115 EuGH, Urt. v. 14.06.2017, Rs. C-75/16 – Banco Popolare, ECLI:EU:C:2017:457. Vgl. dazu schon oben § 8 IV 1 a). 116 Stadler, ZZP 128 (2015), 165 ff., 167 Vgl. auch schon Althammer, JZ 2006, 69 ff., 75 f. 117 BT-Drucks. 17/10102, S. 2; S. 296A.
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allerdings als wenig geglückt bezeichnet werden. So wird der Kostenanreiz zum einen systemfremd an die jeweilige Haushaltslage des betreffenden Bundeslandes gekoppelt118, zum anderen ist die Anerkennung eines außergerichtlichen Einigungsversuches von einer vorherigen Klageerhebung abhängig. Nicht honoriert wird demnach ein vor Klageerhebung erfolgter Einigungsversuch, obwohl ein solcher regelmäßig erfolgsversprechender sein wird. Das Land Niedersachsen hat als erstes Bundesland am 19. Juni 2018 eine dementsprechende Verordnung entlassen, wonach für vor dem Verwaltungs-, Sozial-, Finanz- oder Arbeitsgericht erhobene Klagen oder Anträge, die nach einer außergerichtlichen Einigung der Parteien zurückgenommen werden, keine Gerichtsgebühren anfallen.119 Dies gründet auf der oftmals angeordneten Ausschlussfrist, welche im Regelfall so kurz bemessen ist, dass eine gütliche Einigung vor Klage- oder Antragserhebung nur schwer möglich ist. Denkbar wäre auch eine ADR-freundliche Auslegung bzw. Änderung des Kostenrechts und ein Überdenken des in § 91 Abs. 1 ZPO zum Ausdruck kommenden „Alles oder Nichts“-Prinzips. Vorbildfunktion könnte auch dem §§ 150 Abs. 4 S. 2, 81 FamFG zukommen, der dem Gericht im Falle einer gütlichen Konfliktbearbeitung die Möglichkeit einer Kostenentscheidung nach billigem Ermessen ermöglicht.120 b) Freiwilligkeit des Ergebnisses Das zweite Element der Freiwilligkeit ist die sich aus §§ 5 Abs. 2, 19 VSBG ergebende Unverbindlichkeit des Schlichtungsvorschlages. Die Freiwilligkeit gilt demnach auch für das Verfahrensergebnis. Erst durch die Annahme des Vorschlages durch die Parteien kommt es zu einer verbindlichen Vereinbarung über die Beilegung der Streitigkeit. Für den Verbraucher ist diese Vorgabe zwingend, wohingegen der Unternehmer sich bereits im Voraus dem Schlichtungsvorschlag unterwerfen kann (§ 19 Abs. 4 VSBG). So sieht beispielsweise die Verfahrensordnung des Ver-
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H. Roth, in: Althammer (Hrsg.), Freiwilligkeit, Zwang und Gerechtigkeit im Kontext der Mediation, 2013, S. 109 ff., 111 f. 119 Vgl. dazu die Presseinformation der Niedersächsischen Staatskanzlei in der die Verordnung im Wortlaut aufgeführt wird, http://www.stk.niedersachsen.de/aktuelles/pressei nformationen/niedersachsen-als-bundesweiter-vorreiter-gerichtsgebuehren-entfallen-beiauergerichtlicher-konfliktbeilegung-vor-fachgerichten-165779.html (geprüft am 01.11. 2020). 120 Althammer, JZ 2006, 69 ff., 74 ff.; ders., in: Althammer/Eisele/Ittner u. a. (Hrsg.), Grundfragen und Grenzen der Mediation, 2012, S. 9 ff. So auch Hess, in: Verhandlungen des Siebenundsechzigsten Deutschen Juristentages, 2008, S. 1 ff., 116 f.; Eidenmüller, JZ 2015, 539 ff., 547. Ausdrücklich a. A. etwa Stürner, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 87 ff., 94; wohl auch Prütting, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 157 ff., 165.
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sicherungsombudsmannes bis zu einem Beschwerdewert von 10.000, – Euro, eine für den Versicherer bindende Entscheidung vor121 und nach § 11 der Verfahrensordnung der Nahverkehr-Schlichtungsstelle SNUB sind die Schlichtungsvorschläge für die Unternehmen sogar generell verbindlich (Schlichtungsspruch). Die Freiwilligkeit des Verfahrens kennzeichnet der Gesetzgeber zu Recht als Kernelement der Verbraucherschlichtung. An mehreren Stellen sind allerdings Zweifel angebracht, ob das Freiwilligkeitsprinzip für den Verbraucher entsprechend verfahrensrechtlich abgesichert ist. aa) Faktische Bindungswirkung Bereits mehrfach wurde die Problematik einer sog. faktischen Bindungswirkung der Verbraucherschlichtung aufgeworfen.122 Angesprochen ist damit die Vermutung, dass dem Verfahrensergebnis für den Verbraucher123 zwar keine rechtliche, in bestimmten Konstellationen aber durchaus eine faktische Verbindlichkeit aufgrund eines erheblichen Einigungsdrucks zukommen kann.124 So besteht die Gefahr, dass der Verbraucher selbst bei einem zweifelhaften Verfahrensausgang, den Schlichtungsvorschlag akzeptieren und von einer Klage Abstand nehmen wird. Die mit der staatlichen Anerkennung der Schlichtungsstelle einhergehende gesteigerte Autorität der schlichtenden
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Vgl. §§ 10 Abs. 3 S. 2, 11 Verfahrensordnung des Versicherungsombudsmannes. Vgl. auch § 6 Abs. 5 lit. a) Verfahrensordnung des Ombudsmanns der privaten Banken; § 15 Abs. 4 Verfahrensordnung der Ombudsstelle für Investmentfonds; § 17 Abs. 3 Nr. 1 Verfahrensordnung der Ombudsstelle für Sachwerte und Investmentvermögen. 122 § 6 VI 4, § 7. 123 Mit Blick auf den Unternehmer der die Bewältigung von Rechtsstreitigkeiten im Rahmen seiner Unternehmensorganisation einplanen muss und in seinem Geschäftsbereich im Verhältnis zum Verbraucher wohl meist als „Konfliktaustragungs-Routinier“ (bzw. repeat player) bezeichnet werden kann, kann eine solche faktische Bindungswirkung nicht ohne Weiteres angenommen werden. Dies gilt insbesondere im nicht unüblichen Fall einer anwaltlichen Vertretung des Unternehmers. 124 Siehe dazu Süß, Streitbeilegungsmechanismen im Verbraucherrecht, 2011, S. 245; H. Roth, JZ 2013, 637 ff., 643; Prütting, in: Althammer/Meller-Hannich (Hrsg.), VSBG Verbraucherstreitbeilegungsgesetz, 2017, § 19 Rn. 4 spricht von einer „autoritativen Funktion“ des Schlichtungsvorschlages. Ebenso Stürner, in: Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (Hrsg.), Alternative Streitbeilegung – Reden statt Klagen, 2013, S. 9 ff., 23; Nicklisch, in: Böckstiegel (Hrsg.), Festschrift für Arthur Bülow, 1981, S. 159 ff., 168, 176; Scherpe, Außergerichtliche Streitbeilegung in Verbrauchersachen, 2002, 255, 273; Eidenmüller, JZ 2015, 539 ff., 539 Fn. 9; Pelzer, ZKM 2015, 43 ff., 43; Schmidt-Kessel, in: ders. (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 9 ff., 26; Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, 2016, S. 227. Siehe auch Eidenmüller/Engel, ZZP 128 (2015), 149 ff., 160, die von einem „Hängenbleiben“ in der Verbraucherschlichtung sprechen.
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Stelle, mögliche ADR-typische Warnungen vor den Nachteilen eines staatlichen Gerichtsverfahrens (hohe Kosten, großer Zeitaufwand, unsicheres Ergebnis), unter gleichzeitiger Hervorhebung der Vorteile einer außergerichtlichen Einigung (keine Kosten, schnelle Konfliktbearbeitung, sicheres Ergebnis) sowie das in Aussicht stellen einer sofortigen Leistung des Unternehmers, lassen ein Absehen der Verbraucher von einem neuen, zeit- und kostspieligen – und im Ergebnis ungewissen Gerichtsverfahren – sowie die Zustimmung zu einem vorliegenden Schlichtungsvorschlag plausibel erscheinen.125 Dies gilt wohl zum einen für den Fall, dass der Schlichtungsvorschlag dem Verbraucher weniger zuerkennt als ihm eigentlich rechtlich zusteht, da zu befürchten ist, dass der Verbraucher getreu dem Motto „der Spatz in der Hand ist besser als die Taube auf dem Dach“ handeln wird.126 Gerade in Fällen, in denen eine gerichtliche Anspruchsdurchsetzung bereits von vornherein ausscheidet, steht der Verbraucher vor der Wahl den Schlichtungsvorschlag zu akzeptieren oder vollumfänglich auf seinem Schaden „sitzenzubleiben“. Zum anderen kann sich ein für den Verbraucher nachteiliger Schlichtungsvorschlag als „Katalysator“ für die rationale Apathie mit Blick auf eine gerichtliche Rechtsdurchsetzung erweisen. Kommt der Streitmittler zu dem Ergebnis, dass der Antrag des Verbrauchers unbegründet ist, so wäre es verfehlt anzunehmen, dass eine solche Mitteilung keinen Einfluss auf das weitere Konfliktverhalten des Verbrauchers hat.127 Dies gilt umso mehr, sollte der Person des Streitmittlers eine entsprechend hohe Anerkennung zukommen.128 So wird man dem Befund von Eidenmüller/Engel, dass derjenige, der „mit seinem Anliegen einmal vor dem ehemaligen BGH-Präsidenten129 gescheitert ist […] kaum mehr ein Amtsgericht mit seiner Forderung behelligen“130 wird, durchaus eine gewisse Berechtigung zusprechen müssen.131 125
Wendland, KritV CritQ Rcrit 99 (2016), 301 ff., 308. Hess, in: Stumpf/Kainer/Baldus (Hrsg.), Privatrecht, Wirtschaftsrecht, Verfassungsrecht, 2015, S. 390 ff., 394; Eidenmüller, in: Stiftung Gesellschaft für Rechtspolitik/Institut für Rechtspolitik an der Universität Trier (Hrsg.), Bitburger Gespräche/Bitburger Gespräche Jahrbuch 2016, 2016, S. 101 ff. S. 11; Eidenmüller/Engel, ZIP 2013, 1704 ff., 1707; Gsell, ZZP 128 (2015), 189 ff., 196 f. Siehe zu entsprechenden, freilich nicht repräsentativen, Praxisbeispielen Fries, Verbraucherschlichtung: Zwei Praxisbeispiele, 2015 (http://www.verbraucherstreitbeilegung. de/verbraucherschlichtung-praxisbeispiele/) (geprüft am 01.11.2020); Schmitt, VuR 30 (2015), 134 ff., 135 ff. 127 Nicklisch, in: Böckstiegel (Hrsg.), Festschrift für Arthur Bülow, 1981, S. 159 ff., 176. 128 Eidenmüller/Engel, ZIP 2013, 1704 ff., 1707; Schmidt-Kessel, in: ders. (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 9 ff., 19 spricht von der „besonderen Richtigkeitsgewähr“, welche dem Schlichtungsvorschlag zukommt. 129 Verweis auf den Versicherungsombudsmann Günter Hirsch. 130 Eidenmüller/Engel, ZIP 2013, 1704 ff., 1707. 131 Auch wenn dies selbstverständlich nicht dahingehend missverstanden werden darf, 126
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Sehr zweifelhaft ist dabei, ob der pauschale Hinweis, dass der Schlichtungsvorschlag von dem Ergebnis eines Gerichtsverfahrens abweichen kann und es dem Verbraucher freisteht, den Vorschlag abzulehnen und die Gerichte anzurufen (vgl. § 19 Abs. 3 VSBG), einem solchen Einigungsdruck ausreichend entgegenzuwirken vermag. Auch wenn eine rechtliche Bindung an das Verfahrensergebnis auf Seiten des Verbrauchers ausgeschlossen ist, so wird die Freiwilligkeit ihre Grenzen im Konfliktverhalten des one shotter finden. bb) Der Schlichtungsvorschlag im nachfolgenden Zivilprozess Auch aus einer anderen Perspektive scheint eine faktische Bindungswirkung des Schlichtungsvorschlages nicht gänzlich fernliegend. So stellt sich die Frage, welche Auswirkungen ein erfolgloser – weil von den Parteien abgelehnter – Schlichtungsvorschlag auf ein späteres Gerichtsverfahren haben könnte.132 Möglicherweise wird nämlich ein überzeugend begründeter Schlichtungsvorschlag für das staatliche Gericht eine gewisse Präjudizwirkung entfalten (zur Frage der gerichtlichen Überprüfbarkeit siehe unter § 21).133Prütting zieht insoweit eine Parallele zu ärztlichen Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen, für die die Rechtsprechung wiederholt festgestellt hat, dass ein im Rahmen eines Schlichtungsverfahrens erstelltes Gutachten im Wege des Urkundenbeweises in den Prozess eingeführt werden kann.134 Im Ergebnis verneint er die Gleichstellung des Schlichtungsvorschlages des Streitmittlers mit einem fachärztlichen Gutachten und folglich auch eine entsprechende präjudizielle Wirkung des Schlichtungsvorschlages. Zu einem anderen Ergebnis ließe sich aber wohl dann kommen, sollte der Streitmittler seinen Schlichtungsvorschlag vornehmlich auf Grundlage branchenspezifischer Fachkenntnisse begründen.135
dass Personen die ihr Berufsleben lang zum Teil in hervorgehobenen richterlichen Ämtern tätig waren und ihre Rechtstreue, Unabhängigkeit und Kompetenz unter Beweis gestellt haben, nunmehr ihr Amt als Schlichter dazu missbrauchen würden, Verbraucher um ihr Recht zu bringen. So der berechtigte Einwand von Hirsch, in: Wandt (Hrsg.), Versicherungsrecht, Haftungs- und Schadensrecht, 2014, S. 159 ff., 163 ff., 169 Fn. 33. 132 Dazu schon Nicklisch, in: Böckstiegel (Hrsg.), Festschrift für Arthur Bülow, 1981, S. 159 ff., 168. 133 Prütting, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 157 ff., 167 f. 134 Dass., in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 157 ff., 167 f., mit Verweis auf BGH NJW 1999, 1802 f.; BGH NJW 1987, 2300 f.; OVG Münster NJW 1999, 1802; OLG Köln VersR 1990, 311. Siehe dazu auch BGH MDR 1993, 516; BGH MDR 2008, 915. 135 Dazu unten § 17 IV.
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Aus prozessualer Sicht ist allerdings zu beachten, dass aufgrund der in § 22 S. 1 VSBG normierten gesetzlichen Verschwiegenheitspflicht für den Streitmittler ein Zeugnisverweigerungsrecht gem. § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO im Zivilverfahren und in allen weiteren Verfahrensordnungen136 besteht, die auf § 383 ZPO verweisen.137 In Bezug auf etwaige Urkunden und sonstige Unterlagen, die die beteiligten Parteien in das Verfahren eingebracht haben und die bei dem Streitmittler verblieben sind, können der Streitmittler und seine Hilfspersonen gem. § 142 Abs. 2 i. V. m. § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO nicht zur Vorlage verpflichtet werden. Entsprechendes gilt auch für Unterlagen, die im Rahmen des Streitbeilegungsverfahrens erarbeitet wurden, insbesondere für den Schlichtungsvorschlag des Streitmittlers.138 2. Rechtliches Gehör und Sachverhaltsaufklärung Der § 17 Abs. 1 VSBG stellt für die Verbraucherschlichtung klar, dass den Parteien rechtliches Gehör zu gewähren ist. Das Bundesverfassungsgericht bezeichnet das rechtliche Gehör als „das prozessuale Urrecht des Menschen“139, sodass man wohl bei allen kontradiktorisch ausgestalteten Konfliktbearbeitungsverfahren die Gehörsgewährung als eine rechtsstaatliche Mindestanforderung ansehen können wird.140 Unter diesem Gesichtspunkt muss der Kerngehalt des für das staatliche Gerichtsverfahren in Art. 103 Abs. 1 GG verankerten Anspruchs auf rechtliches Gehör auf Verfahren nach dem VSBG übertragen werden. Die Parteien sollen ausreichend Gelegenheit haben, Tatsachen und Bewertungen vorzutragen und zum jeweiligen Vortrag der Gegenseite oder verfahrensrelevanten Äußerungen Dritter Stellung zu nehmen. Darüber hinaus schreibt der Grundsatz auch eine Berücksichtigungspflicht der Schlichtungsstelle hinsichtlich des Vorgebrachten fest.141 Die Darlegungen der Parteien
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Siehe z. B. § 29 Abs. 2 FamFG, § 46 Abs. 2 ArbGG i. V. m. § 495 ZPO, § 98 VwGO, kein Zeugnisverweigerungsrecht besteht für den Strafprozess, da der Streitmittler keinem der im § 53 StPO genannten Berufsbilder entspricht. Vgl. auch Röthemeyer, in: Borowski/ Röthemeyer/Steike (Hrsg.), VSBG, 2016, § 22 VSBG Rn. 16. 137 Althammer, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 117 ff., 132; für die Mediation siehe Goltermann, in: Klowait/Gläßer (Hrsg.), Mediationsgesetz, 2018, Teil 2 § 4 Rn. 9. 138 Vgl. Lohr, in: Althammer/Meller-Hannich (Hrsg.), VSBG Verbraucherstreitbeilegungsgesetz, 2017, § 22 Rn. 12. 139 BVerfG NJW 1980, 2698. 140 Ebenso BGH NJW 1959, 982 der das Recht auf Gehörsgewährung als Teil der „natürlichen Gerechtigkeit“ ansieht, welches folglich auch bei nichtstaatlichen Verfahren Anwendung finden muss. Siehe auch Stadler, ZZP 128 (2015), 165 ff., 181. 141 Heetkamp, in: Althammer/Meller-Hannich (Hrsg.), VSBG Verbraucherstreitbeilegungsgesetz, 2017, § 17 Rn. 6.
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bilden damit die Tatsachengrundlage für den Schlichtungsvorschlag nach § 19 VSBG.142 Die Gehörsgewährung kann auch nicht durch einen Verweis auf den – im Rahmen von alternativen Konfliktbearbeitungsverfahren – hohen Stellenwert der Vertraulichkeit (siehe § 22 VSBG) beschränkt werden.143 In Abweichung von § 2 Abs. 3 S. 3 MediationsG ist die Durchführung vertraulicher Einzelgespräche mit den Parteien grundsätzlich nicht mit den Vorgaben des VSBG vereinbar.144 Der Stellenwert der Gehörsgewährung kann gerade für Verbraucherstreitigkeiten nicht hoch genug eingeschätzt werden. In diesen Konfliktsituationen kommt nämlich der vom Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung zum rechtlichen Gehör aus der Menschenwürde abgeleiteten Forderung nach einer Subjektstellung des beteiligten Bürgers besondere Bedeutung zu.145 So verbindet der Verbraucher mit der Einleitung eines alternativen Verfahrens vor allem auch die Erwartung, vor einer neutralen Institution seine Sicht des Konfliktfalls vortragen zu können und mit seinem Anliegen ernst genommen zu werden.146 In einem engen Zusammenhang mit der Gehörsgewährung steht die Frage der Ermittlung des Sachverhalts. Anders als in der Mediation wird von dem Schlichter die Bewertung des individuellen Konfliktfalls verlangt. Dem Streitmittler müssen daher die wesentlichen Tatsachen des Konfliktfalls bekannt sein. Der Gesetzgeber stellt in diesem Zusammenhang nur fest, dass der Streitmittler „grundsätzlich keine ,Amtsermittlung‘ betreiben“147 muss und weiter, dass eine „umfassende Aufklärung der Sach- und Rechtslage […] zur Streitbeilegung häufig nicht erforderlich“148 sei. Die Darstellung des Konfliktstoffes ist primär den Parteien aufgegeben. Dem Verbraucherschlich-
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BT-Drucks. 18/5089, 62. Zur Vertraulichkeit in Verfahren nach dem VSBG Lohr, in: Althammer/MellerHannich (Hrsg.), VSBG Verbraucherstreitbeilegungsgesetz, 2017, § 22 Rn. 4 ff. 144 Greger, VuR 2016, 392 f. 145 BVerfGE 89, 28 ff., 35; BVerfGE 107, 395 ff., 409; siehe dazu auch Stürner, in: Münch (Hrsg.), Prozessrecht und materielles Recht, 2015, S. 359 ff., 371 f. 146 Creutzfeld, ZKM 19 (2016), 12 ff.; Berlin, Alternative Streitbeilegung in Verbraucherkonflikten, 2014, 150 f.; Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, 2016, 89 f. 147 BT-Drucks. 18/5089, 62. Dass der europäische Gesetzgeber einen solchen möglicherweise vor Augen hatte könnte sich aus der Empfehlung der Kommission 98/257/EG ergeben, wo es heißt: „Um Effizienz und Billigkeit der Verfahren zu fördern, erscheint es geboten, der zuständigen Einrichtung eine aktive Rolle zuzuerkennen, die es ihr gestattet, alle für die Beilegung eines Streitfalls zweckdienlichen Elemente heranzuziehen. Eine solche aktive Rolle erweist sich umso wichtiger, als bei außergerichtlichen Verfahren die Parteien vielfach ohne Beistand durch Rechtsberater handeln.“. 148 BT-Drucks. 18/5089, 38. 143
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tungsverfahren liegt damit also eine Art Beibringungsgrundsatz zugrunde (vgl. §§ 19, 17 Abs. 1 VSBG).149 Mit Einverständnis der Parteien soll die „Erhebung von Beweisen“150 möglich sein. Eine solche „Beweisaufnahme“ durch den Streitmittler wird aber schon aufgrund fehlender Zwangsbefugnisse mit grundsätzlichen Schwierigkeiten verbunden sein.151 Allerdings ergibt sich schon aus § 17 Abs. 1 S. 2 und § 20 Abs. 1 S. 1 VSBG, dass der Gesetzgeber bei der Ermittlung des Sachverhalts keine völlige Passivität des Streitmittler fordert.152 Vielmehr empfiehlt sich, auch unter dem Aspekt einer möglichst kurzen Verfahrensdauer, eine an § 139 ZPO und § 142 ZPO orientierte aktive Rolle des Verfahrensverantwortlichen, selbstverständlich unter Beachtung des Neutralitätsgebots.153 Im Übrigen spricht der Ablehnungsgrund gem. § 14 Abs. 2 Nr. 4 lit. a) Alt. 1 VSBG eher für als gegen eine Bemühung um die Aufklärung des Sachverhalts. Wenn die Klärung des Sachverhalts nur mit unangemessenem Aufwand möglich ist, sollte die Schlichtungsordnung eher die Ablehnung der Verfahrensfortführung, als die Erstattung eines Schlichtungsvorschlages vorsehen. Da die Aufklärung des Konfliktsachverhalts zu einer der zentralen Schwierigkeiten der Verbraucherschlichtung zählt, wird auf diese Problematik noch zurückzukommen sein.154 3. Transparenz Auf europäischer und nationaler Ebene soll der Schutz der Verbraucher durch den Ausgleich von Informationsdefiziten sichergestellt werden (sog. Informationsmodell).155 Die Aufklärung des Verbrauchers ist letztendlich die 149
So ausdrücklich Kramme, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 141 ff., 144 f. 150 BT-Drucks. 18/5089, 63. 151 Siehe auch den Ablehnungsgrund § 14 Abs. 2 Nr. 4 a VSBG sowie BTDrucks. 18/5089, 61; Röthemeyer, in: Borowski/Röthemeyer/Steike (Hrsg.), VSBG, 2016, § 19 Rn. 21 ff. 152 Stadler, ZZP 128 (2015), 165 ff., 184. 153 Althammer, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 117 ff., 138 f.; ders., in: Fankhauser/Widmer Lüchinger/Klingler u. a. (Hrsg.), Das Zivilrecht und seine Durchsetzung, 2016, S. 1 ff., 13; Roder/Röthemeyer/Braun, Verbraucherstreitbeilegungsgesetz, 2017, S. 137 f. 154 Vgl. unten § 17 II 3. 155 Siehe nur Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, 2005, 180 ff.; Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher, 1983, 62 ff.; Eidenmüller, JZ 2005, 216 ff., 221; Heiderhoff, Grundstrukturen des nationalen und europäischen Verbrauchervertragsrechts, 2004, 266 ff.; 366 ff.; H. Roth, in: Lorenz (Hrsg.), Karlsruher Forum 2011: Verbraucherschutz – Entwicklungen und Grenzen, 2012, Bd. 46, S. 5 ff., 41 ff.
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notwendige Konsequenz aus dem Leitbild des mündigen Verbrauchers. Gerade die fehlende Kenntnis über verfahrensrelevante Gesichtspunkte verhindert nach Ansicht des Gesetzgebers eine faire Konfliktbeilegung. So überrascht es nicht, dass sowohl die ADR-Richtlinie als auch das deutsche Umsetzungsgesetz zahlreiche Informationspflichten auf Seiten der Schlichtungsstelle und des Unternehmers vorsieht. Ziel der Verbraucherschlichtung ist die Ermöglichung einer vollumfänglich selbstbestimmten Entscheidung der Parteien, zum einen mit Blick auf die Frage der Einleitung des Verbraucherschlichtungsverfahrens, und zum anderen hinsichtlich der verfahrensabschließenden Vereinbarung. Da sich eine solche allerdings nur auf Basis einer umfassenden Transparenz bzw. Informiertheit der Konfliktbeteiligten herstellen lassen wird, spricht Niewisch-Lennartz zutreffend von dem „Prinzip der informierten Autonomie“ als Leitprinzip der Verbraucherschlichtung.156 Das Informations- und Transparenzgebot soll dem mündigen Verbraucher so die Möglichkeit eröffnen sich selbst zu schützen. Die für die Parteien wohl wesentlichste Frage nach der Information über die Rechtslage als Entscheidungsgrundlage für die Annahme oder Ablehnung des Schlichtungsvorschlages, soll hier zunächst außen vor bleiben, vielmehr steht die Transparenz des Verfahrensablaufs im Mittelpunkt der Darstellung. a) Verfahrenstransparenz Ausweislich der §§ 36, 37 VSBG hat der Unternehmer den Verbraucher über seine Bereitschaft oder Verpflichtung zur Teilnahme an einem Streitbeilegungsverfahren sowie über die zuständige Verbraucherschlichtungsstelle zu informieren. Neben der Information des Verbrauchers ist das Ziel der Vorschrift insbesondere auch die Steigerung des Bekanntheitsgrades der ADRVerfahren , sowie die Etablierung als Qualitätsmerkmal und Marketingaspekt.157 Im Falle des § 36 VSBG hat die Information auf der Webseite des Unternehmers und unter Umständen zusammen mit den AGBs zu erfolgen (§ 36 Abs. 2 VSBG). Zu begrüßen ist, dass der BGH die Anforderung an dieses Erklärung mit Blick auf das gesetzgeberische Ziel entsprechend hoch ansetzt und insbesondere eine Mitteilung, die Bereitschaft zu einer Teilnahme an einem Streitbeilegungsverfahren vor einer Verbraucherschlichtungsstelle könne „im Einzelfall“ erklärt werden, als nicht ausreichend klar und verständlich im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 1 VSBG ansieht.158 156
Niewisch-Lennartz, ZKM 2015, 136 ff., 139. Siehe zum Konzept des informed consent in der Mediation Wendenburg, Der Schutz der schwächeren Partei in der Mediation, 2013, 336 f. 157 BT-Drucks. 18/5089, S. 38; Roder/Röthemeyer/Braun, Verbraucherstreitbeilegungsgesetz, 2017, S. 173; Janzen, VuR Sonderheft 2016, 4 ff., 8. 158 BGH BeckRS 2019, 20993. Für die oft vorzufindende Mitteilung, der Unternehmer sei „grundsätzlich“ bereit, dürfte Entsprechendes gelten, vgl. Greger, BGH verlangt klare
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Über die Informationspflichten des Unternehmers hinaus, sieht der Gesetzgeber weitreichende Auskunftspflichten auf Seite der Schlichtungsstelle vor. Diese hat den Verbraucher über ihre Zuständigkeit sowie die wesentlichen Grundzüge des Verfahrens auf ihrer Webseite umfassend zu informieren (siehe §§ 10, 42 Abs. 1 Nr. 3 i. V. m. § 3 VSBInfoV). In Ergänzung legt der § 16 VSBG fest, dass die Parteien mit der Einleitung des Verfahrens über ihre zentralen Verfahrensrechte und über den Ablauf und die Rechtsnatur des Streitbeilegungsverfahrens zu unterrichten sind.159 b) Kritik Die Umsetzung der Transparenzvorgaben des Art. 7 Abs. 1 ADR-Richtlinie erfolgt zum einen in §§ 10, 42 Abs. 1 Nr. 3 i. V. m. § 3 VSBInfoV, zum anderen in § 16 VSBG. Dies lässt eine Wertungsentscheidung des Gesetzgebers erkennen: Nur die in § 16 Abs. 1 VSBG genannten Vorgaben erscheinen dem Gesetzgeber als so zentral, dass die Parteien hierauf gesondert hinzuweisen sind. Überraschenderweise verzichtet der Gesetzgeber darauf, die „Angaben zu den Regelungen und Erwägungen, auf die sich die Verbraucherschlichtungsstelle bei der Beilegung der Streitigkeit stützen kann“, in den Kanon der verfahrenswesentlichen Informationen gem. § 16 Abs. 1 VSBG aufzunehmen. Vielmehr erachtet er es als ausreichend, wenn die Schlichtungsstelle darüber gem. §§ 10, 42 Abs. 1 Nr. 3 i. V. m. § 3 Nr. 6 VSBInfoV auf ihrer Webseite informiert. Der Verfahrenstransparenz dient dieses Vorgehen allerdings nicht.160 Es steht zu befürchten, dass die Verfahrensordnungen der Schlichtungsstellen im Wesentlichen den Inhalt der § 19 Abs. 1 VSBG wiedergeben werden und dem Verbraucher so eine Konfliktlösung nach Recht und Gesetz suggeriert wird, die eigentliche Konfliktlösung dann aber hauptsächlich auf außerrechtlichen Parametern und Fairnessgesichtspunkten beruht.161
Angaben zur Schlichtungsbereitschaft, abrufbar unter: https://www.schlichtungs-forum.d e/neuigkeiten/bgh-verlangt-klare-angaben-zur-schlichtungsbereitschaft/ (geprüfte am: 17.09.2019). 159 BT-Drucks. 18/5089, S. 62. 160 Kritisch insofern auch Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, 2016, 224 f. 161 Siehe dazu auch § 18 II 1. Exemplarisch sei hier nur die durch den Bund geförderte, bundesweit tätige, Allgemeine Verbraucherschlichtungsstelle i. S. d. § 43 VSBG, das „Zentrum für Schlichtung e. V.“ mit Sitz in Kehl genannt (der ausweislich des § 43 VSBG eine gewisse Vorbildfunktion zukommt), die in der Verfahrensordnung unter § 8.1 quasi wortlautgleich auf § 19 Abs. 1 VSBG Bezug nimmt, an weniger prominenter Stelle dann aber ausführt, dass sich der Schlichtungsvorschlag auch auf Billigkeitserwägungen stützen kann (siehe dazu Punkt 16 der FAQ, abrufbar unter: https://www.verbraucher-schlichter.d e/informationen/haeufig-gestellte-fragen3#Frage%2016 [geprüft am 01.11.2020]).
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Auch an anderer Stelle wäre zum Schutz des Verbrauchers eine weiterreichende Informationspflicht der Schlichtungsstelle wünschenswert gewesen. So fordern § 16 Abs. 1 Nr. 3 VSBG bei der Einleitung des Verfahrens und § 19 Abs. 3 S. 1 VSBG beim Abschluss des Verfahrens durch einen Schlichtungsvorschlag jeweils die Mitteilung an die Partei, dass das Ergebnis von dem Ergebnis eines gerichtlichen Verfahrens abweichen kann.162 Dem Grunde nach ist diese Mitteilungspflicht zu begrüßen. Zweifelhaft erscheint allerdings, dass ein solch allgemeiner und abstrakter Hinweis in der Lage sein wird, dem Informationsbedürfnis der Parteien ausreichend Rechnung zu tragen. Interessensgerechter wäre wohl eine Hinweispflicht, die den Parteien im Rahmen des Schlichtungsvorschlages explizit aufzeigt, an welcher Stelle und aus welchem Grund der Vorschlag sich nicht auf rechtliche Erwägungen stützt.163 Ob man de lege lata allerdings eine so weitgehende Informationspflicht insbesondere mit Blick auf § 19 Abs. 3 S. 1 VSBG annehmen können wird, ist unklar.164 Zwar ließe sich vertreten, dass bei einer zweimaligen Normierung derselben Informationspflicht der letzteren keinerlei weiterer Informationsgehalt zukommt und deshalb an den § 19 Abs. 3 S. 1 VSBG strengere Anforderungen zu stellen sind, als an § 16 Abs. 1 Nr. 3 VSBG. Eine Auslegung des § 19 Abs. 3 S. 1 VSBG die zu einer konkreten und fallbezogenen Information der Parteien führt, würde allerdings in jedem Fall eine umfassende juristische Qualifikation erfordern.165 Geradezu widersprüchlich mutet es an, wenn der Gesetzgeber es für ausreichend erachtet, dass eine transparenzfördernde Informationspflicht des Unternehmers in dessen AGB wiedergegeben wird (vgl. § 36 Abs. 2 Nr. 2 VSBG).166 Liegt doch einer der Gründe für die Inhaltskontrolle der Allge162
Die Vorschriften setzten Art. 9 Abs. 2 lit. b) iii) ADR-Richtlinie um. Bemerkenswert ist, dass der Art. 9 Abs. 2 lit. a) ii) des vorhergehenden Richtlinienvorschlages (KOM [2011] 793 endg.) eine Information des Verbrauchers darüber vorsah, dass „die empfohlene Lösung ungünstiger [Hervorh. d. Verf.] sein kann als das Ergebnis eines Gerichtsverfahrens, in dem Rechtsvorschriften angewandt werden“. 163 In diese Richtung auch Kramme, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 141 ff., 151 f.,156 164 Prütting, in: Althammer/Meller-Hannich (Hrsg.), VSBG Verbraucherstreitbeilegungsgesetz, 2017, § 19 Rn. 27; Röthemeyer, in: Borowski/Röthemeyer/Steike (Hrsg.), VSBG, 2016, § 19 Rn. 58, der allerdings eine konkrete Auseinandersetzung mit der möglichen Abweichung zur Rechtslage als im Einzelfall sinnvoll erachtet. 165 Siehe dementsprechend unter § 17 II 2. 166 Meller-Hannich, in: Althammer (Hrsg.), Verbraucherstreitbeilegung: Aktuelle Perspektiven für die Umsetzung der ADR-Richtlinie, 2015, S. 19 ff., 34. In vielen Fällen wird dies freilich dadurch abgemildert, dass der Unternehmer über eine Webseite verfügt und in diesem Fall die Information auch kumulativ auf der Webseite bereitstellen muss (wohl aber str.), siehe dazu Braun/Weiser, in: Althammer/Meller-Hannich (Hrsg.), VSBG Verbraucherstreitbeilegungsgesetz, 2017, § 36 Rn. 31.
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meinen Geschäftsbedingungen in den prohibitiv hohen „Transaktionskosten“, die dem Kunden durch eine eingehende Beschäftigung mit den Vertragsbedingungen entstehen würden.167 Angesprochen sei abschließend bereits hier die Problematik eines information overload, welche zu einer schlechteren Verbraucherentscheidung führen kann.168 Im Zusammenhang mit allgemeinen Auskunftspflichten im Rahmen der alternativen Streitbeilegung sollte bedacht werden, dass bereits das streitige Rechtsverhältnis unzählige Informationspflichten enthält.169 Ebenso wird eine Vereinbarung zwischen dem Verbraucher und Unternehmer über die Beilegung des Konflikts zu einer Informationsverpflichtung auf Seiten des Unternehmers führen können.170 Hinzu kommen dann noch die dargestellten Auskunftspflichten des Unternehmers und der Schlichtungsstelle nach dem VSBG. Dass die durch solch vielfältige Informationspflichten verursachte Informationsflut zu einer Überforderung und somit zu einer Unsicherheit des Verbrauchers führen kann, ist wissenschaftlich nachgewiesen und bereits vielfach diskutiert worden.171 Die verbraucherschützende Wirkung einer zwar möglichst umfassenden, aber sehr allgemein gehaltenen Information, sollte daher nicht überschätzt werden. 4. Das Effizienzgebot der Verbraucherschlichtung Die Gewährleistung einer ressourcenschonenden und schnellen Konfliktbearbeitung ist ein wesentliches Argument für die Förderung der alternativen Streitbeilegung. Die Einsparung von Kosten und Zeit wird als entscheidender Mehrwert der Verbraucherschlichtung gegenüber anderen Konfliktbearbeitungsverfahren angesehen. Unter dem Begriff der Effizienz ist demzufolge die möglichst ressourcenschonende Lösung des Konflikts zu verstehen. Obwohl der Europäische und der nationale Gesetzgeber auf eine eindeutige Normierung verzichten, wird man doch nicht umhinkommen, den Grundsatz der Verfahrenseffizienz als ein wesentliches Prinzip der Verbraucherschlichtung anzusehen.172 167
Siehe ausführlich dazu Basedow, in: Krüger/Säcker/Rixecker (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, 82019, Vor. §§ 305 ff. Rn. 5 (m. w. N.). 168 Vgl. dazu auch § 12 I 2. 169 Siehe unter § 12 I. So enthält § 312a Abs. 2 BGB i. V. m. Art. 246 EGBGB allgemeine Informationspflichten, die quasi für alle Verbraucherverträge gelten. Dazu Heiderhoff, Europäisches Privatrecht, 42016, 115, 147. 170 Vgl. dazu unter § 15 IV. 171 Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, 2005, 208, 226; Heiderhoff, Europäisches Privatrecht, 42016, 114 (m. w. N.); Rühl, RIW 59 (2013), 737 ff., 743; Eidenmüller, JZ 2005, 216 ff., 218 ff.; 221; Gsell, JZ 2012, 809 ff., 817; Wolf/Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 112016, § 10 Rn. 72 (m. w. N.); Stadler, in: Jauernig, Bürgerliches Gesetzbuch, 162015, § 312d Rn. 3. 172 Vgl. § 6 VI 3.
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Hinsichtlich der Kosten für das Verfahren folgt aus § 23 VSBG, dass die Verbraucherschlichtung, mit Ausnahme für den Fall einer missbräuchlichen Antragsstellung, für den Verbraucher kostenlos angeboten werden muss. Die Finanzierung der Schlichtung wird ganz (oder weitestgehend) der Wirtschaft überantwortet. Die sich daraus ergebenden Bedenken hinsichtlich der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Schlichtungsstelle werden im folgenden Abschnitt diskutiert.173 Auch aus anderen Gründen erscheint diese Vorgabe aber weit weniger den Verbraucherinteressen zu entsprechen, als zunächst angenommen. Zum einen ist kaum vorstellbar, dass sich eine Kostentragungspflicht der Unternehmer nicht auf das Verbraucherpreisniveau auswirken wird.174 Vielmehr wird indirekt die Gesamtheit der Verbraucher die Kosten für die Bereitstellung und Nutzung der Verbraucherschlichtung tragen, auch wenn das Verfahren nur von einigen wenigen genutzt werden sollte.175 Zum anderen führt die Kostentragungspflicht nur der Unternehmer dazu, dass diese zum Großteil auf eine Teilnahme an der Verbraucherschlichtung verzichten. Für die Erhöhung des Bekanntheitsgrades und den Erfolg der Verbraucherschlichtung als Konfliktbearbeitungsinstrument ist aber gerade die unternehmerische Akzeptanz des Verfahrens elementar.176 Die Kostenlosigkeit des ADR-Verfahrens für den Verbraucher kann sich letztendlich als Pyrrhussieg erweisen. Auch die konkrete Verfahrensgestaltung folgt in vielerlei Hinsicht dem Effizienzgebot. So sieht der § 20 Abs. 2 VSBG zur Ermöglichung einer möglichst schnellen Streitbeilegung eine Verfahrensdauer von 90 Tagen vor. Dabei ist allerdings zu beachten, dass diese Frist nicht mit dem Antrag des Verbrauchers, sondern erst mit „Eingang der vollständigen Beschwerdeakte“ zu laufen beginnt. Des Weiteren kann die Frist bei besonders schwierigen Streitigkeiten oder mit Zustimmung der Parteien verlängert werden (§ 23 Abs. 3 VSBG). Ob die Verbraucherschlichtung unter dem Aspekt der Verfahrensdauer im Vergleich zum Zivilprozess aber ein attraktives Modell der Konfliktbearbeitung darstellt, erscheint zweifelhaft. Vergegenwärtigt man sich, dass die Erledigungsdauer mehr als der Hälfte177 aller amtsgerichtlichen 173
Vgl. § 8 IV 5. So aber die Begründung zum VSBG-RegE BT-Drucks. 18/5089, S. 3, 49. 175 Vgl. Lohr, in: Althammer/Meller-Hannich (Hrsg.), VSBG Verbraucherstreitbeilegungsgesetz, 2017, § 23 Rn. 10; Elser, Mediation als Verbraucher-ADR-Verfahren, 2015, 124, 319 f. 176 Siehe dazu auch unter § 25. Vorstellbar ist allerdings, dass der europäische Gesetzgeber bei ausbleibenden Eingangszahlen das Prinzip der Freiwilligkeit auf Seiten des Unternehmers begrenzt und eine einseitige Pflicht zur Teilnahme einführt. Siehe dazu oben § 8 IV 1 a) bb). 177 JMBl. Nr. 7/2018 vom 13. Juni 2018, Az.: B3 – 1441 – VI – 43/2018, 2913-J., Lfd. Nr. d. Tabelle 77.00 (Bayerische Justizstatistik 2018). Ebenso kritisch H. Roth, JZ 2013, 637 ff., 642; Stadler, ZZP 128 (2015), 165 ff., 185. 174
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Verfahren in Bayern im Jahre 2017 nicht mehr als drei Monaten betragen hat und die Verfahrens naturgemäß zu einem vollstreckungsfähigen Ergebnis führen, hält sich der Effizienzvorteil der Verbraucherschlichtung unter diesem Gesichtspunkt in Grenzen.178 Höchst problematisch ist bei der Hervorhebung des Effizienzgedankens allerdings die damit regelmäßig einhergehende Verdrängung anerkannter Prozessgrundsätze.179 Trotz der begrifflichen Übernahme durch das VSBG in § 17, wird das Recht auf rechtliches Gehör durch eine fehlende oder verkürzte Beweisaufnahme eingeschränkt. In Abweichung vom zivilprozessualen Mündlichkeitsgrundsatz (§ 128 Abs. 1 ZPO) sieht das VSBG die schriftliche Verfahrensdurchführung (§ 17 Abs. 2 VSBG) vor. Eine mündliche Erörterung des Streitfalls im Rahmen eines Termins wird die absolute Ausnahme bleiben. Der Verbraucher ist demnach regelmäßig angehalten, sein Anliegen, mit Blick auf die verjährungshemmende Wirkung des Schlichtungsantrages, möglichst konkret schriftlich vorzutragen.180 Die Bereitstellung eines Formularschlichtungsantrages durch die Schlichtungsstelle könnte für den Verbraucher in dieser Hinsicht förderlich sein. Unverständlich ist aus welchem Grund das VSBG nicht die (fakultative) Nutzung moderner elektronischer Kommunikationstechnologien (z. B. von Video-Konferenzen) vorsieht, um einen mündlichen Vortrag zu ermöglichen.181 5. Unabhängigkeit und Unparteilichkeit Für den staatlichen Zivilprozess ist die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Gerichts ein anerkannter Mindeststandard und wesentliches Element eines fairen Verfahrens (Art. 6 Abs. 1 EMRK, Art. 47 Abs. 2 EU-Grundrechtecharta; für Deutschland: Art. 97 GG). Auch für den Erfolg von ADRVerfahren werden diese Faktoren ganz wesentlich sein. So meiden Verbraucher wie Unternehmer ADR-Anbieter, die den Eindruck fehlender Unabhängigkeit oder Unparteilichkeit erwecken.182 Das Vertrauen der Parteien in die Streitbeilegung ist davon abhängig, ob die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit zum einen mit Blick auf den verfahrensleitenden Streitmittler als auch hinsichtlich der jeweiligen Institution gewährleistet ist.183 Es überrascht demnach nicht, dass der Gesetzgeber hier sehr weitgehende und detaillierte Vorgaben macht. 178
Zur Vollstreckung des Ergebnisses einer Verbraucherschlichtung siehe unter § 20. H. Roth, ZZP 129 (2016), 3 ff., 7; Stürner, in: Münch (Hrsg.), Prozessrecht und materielles Recht, 2015, S. 359 ff., 372 ff.; ders., ZZP 127 (2014), 271 ff., 316 ff. 180 Siehe dazu schon oben § 7 I 1 b). 181 Siehe dazu beispielsweise Art. 8 der Verordnung über das Europäische Verfahren für geringfügige Forderungen. 182 Hodges/Benöhr/Creutzfeldt-Banda, Consumer ADR in Europe, 2012, 444. 183 Elser, Mediation als Verbraucher-ADR-Verfahren, 2015, 297. Siehe auch EWG 22, 32, 33, 34 ADR-Richtlinie, sowie BT-Drucks. 18/5089, S. 74. 179
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a) Die Schlichtungsstelle Mit Hilfe der § 1 Abs. 2, § 3 und § 9 VSBG will der deutsche Gesetzgeber die Unabhängigkeit der Schlichtungsstelle institutionell absichern. So schließt § 1 Abs. 2 VSBG Kundenbeschwerdestellen und Stellen, die faktisch nur einem einzigen Unternehmer zuzurechnen sind, vom Anwendungsbereich des Gesetzes aus.184 Der Träger der Verbraucherschlichtungsstelle muss ein eingetragener Verein185 sein (§ 3 S. 1 VSBG). Für den Fall, dass dieser Verein einseitig Verbraucher- oder Unternehmerinteressen wahrnimmt oder durch einen Unternehmer- oder Verbraucherverband finanziert wird, hat ein vom Haushalt des Trägers getrennter, zweckgebundener und ausreichender Haushalt für den Betrieb der Verbraucherschlichtungsstelle zur Verfügung zu stehen (§ 3 S. 2 VSBG).186 Ob diese Vorgaben letztlich ausreichen um die Unabhängigkeit der Verbraucherschlichtungsstelle zu sichern, scheint zumindest in solchen Branchen nicht gewährleistet, in denen mehrere ADR-Anbieter miteinander konkurrieren und bzw. oder ein Schlichtungszwang auf Seiten der Unternehmer nicht vorgesehen ist.187 Da das VSBG die Finanzierung der Schlichtung überwiegend der Unternehmerseite auferlegt, scheint ein Kampf der Schlichtungsstellen auf dem Markt um die Beteiligung der Unternehmer nicht unwahrscheinlich, mit dementsprechenden Bedenken hinsichtlich der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Schlichtung.188 Außer Acht bleiben bei dieser Kritik freilich behördliche (§ 28 VSBG) und Universalschlichtungsstellen (§ 29 VSBG), da hier die Abhängigkeitsproblematik aufgrund der staatlichen Finanzierung ausgeschlossen werden kann. Über die Vorgaben der ADR-Richtlinie geht der Gesetzgeber allerdings hinaus, wenn er in § 9 VSBG vorschreibt, dass Interessensverbände an be184
Ausweislich des Art. 6 Abs. 4 ADR-Richtlinie wäre die Zulassung einer ausschließlich von einem Unternehmer getragenen Schlichtungsstelle durchaus möglich, der Gesetzgeber hat sich aber aus „strukturelle Bedenken gegen die Neutralität und Unabhängigkeit“ einer solchen Streitbeilegungsstelle gegen die Erfassung durch das VSBG entschieden (siehe BT-Drucks. 18/5089, S. 20). 185 Siehe zur Gesetzgebungsgeschichte Fries, in: Althammer/Meller-Hannich (Hrsg.), VSBG Verbraucherstreitbeilegungsgesetz, 2017, § 3 Rn. 1. 186 Siehe insofern schon Art. 6 Abs. 4 S. 1 ADR-Richtlinie. 187 Greger, in: Greger/Unberath/Steffek (Hrsg.), Recht der alternativen Konfliktlösung, 2 2016, VSBG § 7 Rn. 2; Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, 2016, 206 f. Freilich ohne näheren Bezug zum VSBG: Stürner, ZZP 127 (2014), 271 ff., 319 f., der anführt, dass sich das Ergebnis des ADR-Verfahrens für „die unternehmerischen Mitglieder der tragenden Institution lohnen muss“. 188 Althammer, in: Althammer/Meller-Hannich (Hrsg.), VSBG Verbraucherstreitbeilegungsgesetz, 2017, § 7 Rn. 2 kritisch auch Schmitt, VuR 30 (2015), 134 ff., 139; Roder/ Röthemeyer/Braun, Verbraucherstreitbeilegungsgesetz, 2017, S. 78. Zur Finanzierung Lohr, in: Althammer/Meller-Hannich (Hrsg.), VSBG Verbraucherstreitbeilegungsgesetz, 2017, § 23 Rn. 9 f.
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stimmten verfahrenswesentlichen Vorgängen der Verbraucherschlichtungsstelle zu beteiligen sind. Diese Vorgabe soll ausweislich der Begründung des Regierungsentwurfs das Vertrauen in die Neutralität der Schlichtungsstelle stärken.189 Anders als noch der Referentenentwurf190, der in § 8 eine Beteiligung von Verbraucherverbänden bei sämtlichen Schlichtungsstellen vorsah, ist diese nun nur noch im Falle einer Trägerschaft oder Finanzierung der Schlichtungsstelle durch einen Unternehmerverband angeordnet.191 Allerdings verzichtet der Gesetzgeber darauf, nähere Vorgaben zu der Ausgestaltung der Beteiligung zu machen. So folgt aus § 25 Abs. 3 VSBG, dass die beteiligten Verbände grundsätzlich kein Vetorecht im Hinblick auf die in § 9 VSBG genannten Entscheidungen haben, sondern eine Abweichung von einer Empfehlung eines beteiligten Verbands lediglich zu begründen ist.192 Aus welchem Grund der Gesetzgeber im Falle des § 9 VSBG nicht die Einrichtung eines paritätisch besetzten Beirats vorschreibt, bleibt unklar.193 Dies verwundert umso mehr, da auch die Gesetzesbegründung hervorhebt, dass ein solches Vorgehen der Praxis vieler in Deutschland tätigen, sektorspezifischen Verbraucherschlichtungsstellen entspricht.194 Im Ergebnis wird man den Vorgaben des VSBG zur Sicherung der Unabhängigkeit der Schlichtungsstelle also noch Verbesserungsbedarf attestieren müssen.195
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Vgl. BT-Drucks. 18/5089, S. 58. Referentenentwurf des VSBG (RefE-VSBG) abrufbar unter http://www.bmjv.de/S haredDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE zum Verbraucherstreitbeilegun gsgesetz.pdf? blob=publicationFile&v=5 (geprüft am 01.11.2020). 191 Dasselbe gilt ausweislich des § 9 Abs. 2 VSBG auch im umgekehrten Fall. Wird also eine Verbraucherschlichtungsstelle von einem Verbraucherverband finanziert oder getragen, ist die Beteiligung eines Unternehmerverbandes erforderlich. 192 Kritisch zu der inkonsequenten Verbandsbeteiligung im VSBG-RefE, Goldhammer, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 197 ff., 214 ff. 193 Eindringlich auch Tamm, VuR Sonderheft 2016, 51 ff., 54 f.; ebenso Steike, VuR Sonderheft 2016, 43 ff.; Tonner, Zur Umsetzung der AS-Richtlinie (Richtlinie 2013/11/EU) nebst Entwurf eines Gesetzes über alternative Streitbeilegung, 2014, S. 34 f.; Hirsch, NJW 2013, 2088 ff., 2091. 194 Vgl. BT-Drucks. 18/5089, S. 58. Vgl. bspw. § 6 LuftSchlichtV, § 191f Abs. 3 BRAO, § 6 Satzung des Versicherungsombudsmann e. V. Beachte auch der Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen BT-Drucks. 18/6921, S. 2. 195 Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, 2016, 207; beachte insofern Hess, ZZP 118 (2005), 427 ff., 446, der davon ausgeht, dass „eine völlige Unparteilichkeit der Institutionen“, die eine Verbraucherschlichtung durchführen, in der Praxis kaum herzustellen sein wird; ebenso auch Althammer, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 117 ff., 123 f., der anmerkt, dass auch „auch staatlich bezahlte Richter zuweilen in Verfahren entscheiden, in denen ihr Dienstherr selbst Partei ist“; so auch Hirsch, in: Wandt (Hrsg.), Versicherungsrecht, Haftungs- und Schadensrecht, 2014, S. 159 ff., 169 f. 190
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b) Der Streitmittler Von weit größerer Bedeutung für den Erfolg der Schlichtung wird aber die Gewährleistung der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des verfahrensverantwortlichen Streitmittlers sein. Die Akzeptanz des Schlichtungsvorschlages gem. § 19 VSBG durch die Parteien hängt überwiegend davon ab, ob der Streitmittler im Verfahren unabhängig und unparteiisch aufgetreten ist.196 Da er ebenso wie der Mediator – und anders als der Richter – keine vom Staat zugewiesene Autorität besitzt, wird letztendlich die Neutralität197 zur Hauptquelle seiner Autorität. Der Streitmittler steht, als die den Parteien gegenüber verfahrensverantwortliche Person, im besonderen Fokus des Gesetzgebers. So stellt der § 7 Abs. 1 VSBG klar, dass der Streitmittler für eine unparteiische und faire Verfahrensführung verantwortlich (siehe auch § 6 Abs. 1 S. 1 VSBG), sowie unabhängig und an keine Weisungen gebunden ist. Dies gilt nicht nur mit Blick auf die Parteien, vielmehr findet auch das Direktionsrecht (§ 106 Abs. 1 GewO, § 315 BGB) der Schlichtungsstelle als Arbeitgeber des Streitmittlers dann seine Grenzen, sollte es die Stellung des Streitmittlers bei der Durchführung des Verfahrens und seinen Einfluss auf das Verfahrensergebnis berühren.198 Weiterhin wird die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit über Vorgaben zur Vergütung (§ 7 Abs. 2 VSBG), eine Offenbarungspflicht gegenüber dem Träger der Schlichtungsstelle und den Parteien hinsichtlich einer möglichen Beeinträchtigung der Neutralität (§ 7 Abs. 3 und 4 VSBG, inkl. einem Tätigkeitsverbot siehe § 7 Abs. 4 S. 2 VSBG) sowie eine Mindestamtsdauer mit einer nur beschränkten Möglichkeit der Abberufung (§ 8 VSBG) abgesichert.199 Kritisch beurteilt wurde vielfach die Höhe der in § 6 Abs. 3 VSBG normierten Karenzzeit von drei Jahren für Personen, welche der Unternehmer- oder Verbraucherseite in bestimmter Weise nahe stehen.200 Bei dieser
196 Der Gesetzgeber betont an mehreren Stellen der Begründung des Regierungsentwurfes die Bedeutung der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit und das Vertrauen der Partei in dieselben, vgl. BT-Drucks. 18/5089, S. 56, 74. Ebenso die ADR-Richtlinie vgl. oben § 6 III 2 b). 197 Der Begriff der Neutralität soll im Rahmen dieser Arbeit insbesondere in Bezug auf ADR-Verfahren als Sammelbegriff für die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit verstanden werden. 198 BT-Drucks. 18/5089, S. 56. Siehe dazu auch Althammer, in: Althammer/MellerHannich (Hrsg.), VSBG Verbraucherstreitbeilegungsgesetz, 2017, § 7 Rn. 9 ff. 199 Siehe zum Ganzen guter Überblick bei Roder/Röthemeyer/Braun, Verbraucherstreitbeilegungsgesetz, 2017, S. 77 ff. 200 Stadler, ZZP 128 (2015), 165 ff., 174 f.; Althammer, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 117 ff., 128 f. – „zu lange Karenzzeit“; Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, 2016, 208 f. – „zu kurze Karenzzeit“.
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Kritik überzeugt insbesondere der Vergleich zu den Vorgaben des § 3 Abs. 2 MediationsG, der eine Tätigkeitsbeschränkung des Mediators vor, während und nach der Mediation vorsieht. Obwohl der Einfluss des Streitmittlers auf das Verfahren nach der gesetzgeberischen Idealvorstellung erheblich über den eines Mediators hinausgehen wird201, verzichtet das VSBG unverständlicherweise auf ein nachträgliches Tätigkeitsverbot. Im Ergebnis scheint es sich um eine kaum überzeugende Regelung mit bloßem Symbolcharakter zu handeln.202 Eine elementare Bedeutung für die unabhängige und unparteiische Verfahrensführung kommt der Qualifikation des Streitmittlers in fachlicher Hinsicht zu. Die Parteien werden nur auf eine neutrale und faire Bearbeitung des Konfliktfalls vertrauen, wenn sie davon ausgehen können, dass der Verfahrensverantwortliche über eine entsprechende fachliche Kompetenz verfügt. Die Verbraucherstreitbelegung betrifft Auseinandersetzungen mit prägender, rechtlicher Einkleidung, sodass eine Konfliktbehandlung ohne spezifische Kenntnisse im Verbraucherrecht wenig erfolgversprechend anmutet. Insofern verwundert es, dass der europäische Gesetzgeber in Art. 6 Abs. 1 ADR-Richtlinie keine besonderen Kenntnisse im Verbraucherrecht, sondern ausschließlich ein „allgemeines Rechtsverständnis“ voraussetzt. Der nationale Gesetzgeber scheint hier prima facie weiter zu gehen und fordert „Rechtskenntnisse, insbesondere im Verbraucherrecht“ sowie „das Fachwissen und die Fähigkeiten […] die für die Beilegung von Streitigkeiten […] erforderlich sind“ (§ 6 Abs. 2 S. 1 VSBG).203 Darüber hinaus und quasi als „Nachweis“204 der fachlichen Eignung muss der Streitmittler die Befähigung zum Richteramt besitzen oder zertifizierter Mediator205 sein, ohne dass sich aus dem Gesetzestext eine Abstimmung auf die jeweilige Verfahrensart ergibt. Da vor allem nicht klar ist, was mit der Wendung „erforderliche Rechtskenntnisse“ gemeint ist und auf welche Weise der Streitmittler diese nachzuweisen hat, erscheinen Zweifel angebracht, ob eine hinreichende Qualifi201 Siehe aber Althammer, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 117 ff., 128; Stadler, ZZP 128 (2015), 165 ff., 174. 202 Näher dazu Roder/Röthemeyer/Braun, Verbraucherstreitbeilegungsgesetz, 2017, S. 81 f. 203 Erwähnenswert ist dabei allerdings, dass noch der Referentenentwurf in § 5 Abs. 2 VSBG-RefE „allgemeine Rechtskenntnisse“ als ausreichend erachtet hat. 204 BT-Drucks. 18/6904, 71. 205 Siehe dazu Verordnung über die Aus- und Fortbildung von zertifizierten Mediatoren, BGBl. 2016 I. S. 1994. Der Begriff „zertifizierter Mediator“ ist aber irreführend, da die Zertifizierung nicht von einer staatlichen Stelle vorgenommen wird, sondern dem Mediator bei Erfüllung der entsprechenden Voraussetzungen die Möglichkeit gibt sich selbst als zertifiziert zu bezeichnen („Selbstzertifizierung“). Dazu Röthemeyer, in: Borowski/Röthemeyer/Steike (Hrsg.), VSBG, 2016, § 6 Rn. 36 f.; Fries, in: Althammer/Meller-Hannich (Hrsg.), VSBG Verbraucherstreitbeilegungsgesetz, 2017, § 6 Rn. 25.
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kation des Streitmittlers, insbesondere in rechtlicher Hinsicht, durch das VSBG gewährleistet ist. Besonders problematisch wird dies, wenn man sich vor Augen führt, dass die eigentliche Schlichtungsarbeit bei Stellen mit einem entsprechend hohen Fallaufkommen nicht unmittelbar durch den Streitmittler i. S. d. § 6 VSBG, sondern vielmehr durch einen Mitarbeiter erfolgen wird, auf welchen der § 6 Abs. 2 VSBG aber keine Anwendung findet.206 Eine unzureichende juristische Qualifikation lässt nicht nur Zweifel an der Qualität der Verbraucherschlichtung aufkommen, vielmehr erscheint auch das Postulat einer fairen Verfahrensführung gefährdet, sollte der Unternehmer der einzige Verfahrensbeteiligte mit einer entsprechenden juristischen Kompetenz sein.207 Aufgrund der zentralen Rolle bei der Ausgestaltung des Verbraucherschlichtungsverfahrens wird auf die Frage nach der Qualifikation des Streitmittlers noch im Hauptteil dieser Arbeit zurückzukommen sein.208
V. Verletzung von Verfahrensvorgaben Weitgehend unklar ist, wie mit einer Verletzung der Verfahrensvorgaben umzugehen ist. Der § 26 Abs. 2 VSBG sieht in Umsetzung des Art. 20 Abs. 2 UAbs. 3 ADR-RL die Möglichkeit eines Widerrufs der Anerkennung als Verbraucherschlichtungsstelle für den Fall vor, sollte die Schlichtungsstelle die „organisatorischen und fachlichen Anforderungen an die Streitbeilegung in Verbrauchersachen“ nicht mehr erfüllen.209 Dieser Widerruf der Anerkennung hat allerdings lediglich prospektive ex-nunc-Wirkung und damit keinerlei Auswirkung auf ein bereits unter der Verletzung von Verfahrensvorgaben zustande gekommenes Schlichtungsergebnis. 1. Abbruch des Schlichtungsverfahrens Der Verzicht auf eine Regelung für den Fall eines Verstoßes gegen Mindestvorgaben des VSBG lässt sich auf die Freiwilligkeit der Verfahrensdurchführung und die Unverbindlichkeit des Schlichtungsvorschlages zurückführen. So sind ausweislich des § 15 Abs. 1 und Abs. 2 VSBG die Parteien berechtigt, das Schlichtungsverfahren jederzeit abzubrechen. Der Gesetzgeber sieht folglich keinen Grund für einen speziellen Beendigungstatbestand im Falle der Verletzung von Verfahrensvorgaben. Dennoch stellt der § 15 Abs. 3
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Eidenmüller/Engel, ZIP 2013, 1704 ff., 1707 Fn. 36. Davor warnt auch Tonner, Zur Umsetzung der AS-Richtlinie (Richtlinie 2013/11/EU) nebst Entwurf eines Gesetzes über alternative Streitbeilegung, 2014, 33. 208 Vgl. § 17 II 2. 209 Der AS-Stelle hat dabei allerdings in jedem Fall eine dreimonatige Frist zur Abhilfe zu gewähren (§ 26 Abs. 1 VSBG). 207
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VSBG fest, dass „das Recht einer Partei, das Streitbeilegungsverfahren bei Vorliegen eines erheblichen Verfahrensmangels zu beenden, […] nicht beschränkt werden“ darf. Der Gesetzgeber schreibt der Norm – aus seiner Sicht folgerichtig – lediglich klarstellende Wirkung zu.210 Dabei verkennt er allerdings, dass dem § 15 Abs. 3 VSBG im Falle einer verpflichtenden Teilnahme am Schlichtungsverfahren durchaus ein eigener Regelungsbereich zukommt. Die Möglichkeit zur jederzeitigen grundlosen Beendigung besteht nämlich für die teilnahmepflichtige Partei nicht. Die Norm macht daher deutlich, dass auch für diese die Möglichkeit zur Verfahrensbeendigung bestehen muss, sollte es fehlerhaft durchgeführt werden.211 Unter welchen Voraussetzungen ein erheblicher Verfahrensmangel angenommen werden kann, wird im Einzelfall geklärt werden müssen. Zumindest bei der Verletzung einer der wesentlichen – eben dargestellten – Verfahrensgarantien durch die Schlichtungsstelle oder den Streitmittler, liegt ein solcher allerdings nahe. Der Schutz der Parteien wird durch das VSBG folglich primär durch die Möglichkeit zur jederzeitigen Beendigung des Schlichtungsverfahrens gewährleistet.212 Darüber hinaus wird man den Parteien bei der Verletzung von Verfahrensvorgaben einen Anspruch auf Ersatz des entstandenen Schadens zuerkennen müssen. Aus dem Schlichtungsverfahrensvertrag213 folgt eine vertragliche Haftung der Schlichtungsstelle gegenüber den Parteien (§ 280 Abs. 1 BGB ggf. i. V. m. § 241 Abs. 2 BGB), wobei der Streitmittler regelmäßig als verfassungsmäßig berufener Vertreter gem. § 31 BGB oder zumindest als Erfüllungsgehilfe gem. § 278 BGB auftreten wird. Dabei hat der Geschädigte das Vorliegen eines kausalen Schadens aufgrund der Pflichtverletzung des Streitmittlers nachzuweisen, was sich im Falle der Verletzung von Verfahrensvorgaben äußerst schwierig gestalten kann. 2. Aufhebung des bereits angenommenen Schlichtungsvorschlages In Betracht kommt aber weiterhin auch die Situation, dass ein Konfliktbeteiligter die Verletzung von Verfahrensregeln erst nach Annahme des Schlichtungsvorschlages und Beendigung des Verfahrens beanstandet. Unklar ist dann, ob eine Verletzung der Verfahrensvorgaben des VSBG Auswirkungen auf die Gültigkeit des Schlichtungsergebnisses hat, wenn die Parteien den Vorschlag in Unkenntnis des Verfahrensverstoßes angenommen haben. Nicht unwahrscheinlich ist, dass die rügende Konfliktpartei ein Interesse an der Beseitigung des Verfahrensergebnisses haben wird.214 210
BT-Drucks. 18/5089, S. 62. Greger/Unberath/Steffek (Hrsg.), Recht der alternativen Konfliktlösung, 22016, § 15 VSBG Rn. 5. 212 Siehe dazu aber auch noch unter § 21. 213 Vgl. dazu § 15 I. 214 Zur gerichtlichen Geltendmachng vgl. unter § 21. 211
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Das VSBG kennt kein verfahrensrechtliches Instrumentarium, um die Behauptung zu überprüfen, ein Schlichtungsergebnis sei unter der Verletzung von Verfahrensvorgaben zustande gekommen.215 Weder gibt es eine übergeordnete Schlichtungsstelle als Kontrollinstanz, noch ist eine gerichtliche Überprüfung vergleichbar zu § 1059 ZPO bei Schiedssprüchen vorgesehen.216 Auch an dieser Stelle lässt sich die Zurückhaltung des Gesetzgebers nur mit der fehlenden Verbindlichkeit des Schlichtungsvorschlages erklären. Da mit der Annahme des Schlichtungsvorschlages durch beide Parteien ein materiell-rechtlicher Vertrag über die Konfliktlösung zustande kommt, wird man zur Geltendmachung möglicher Einwände gegen die Verfahrensdurchführung ebenso auf die Regelungen des materiellen Rechts zurückgreifen müssen.217 Der Verstoß gegen die Vorgaben des VSBG im Rahmen der Konfliktbeilegung könnte die Parteien zur Anfechtung gem. § 119 Abs. 2 BGB, sowie möglicherweise gem. § 123 BGB berechtigen. Mit Blick auf ein Anfechtungsrecht aus § 119 Abs. 2 BGB wird man die Einhaltung der Verfahrensvorgaben durch den Streitmittler als verkehrswesentliche Eigenschaft ansehen können. Dies gilt umso mehr, als dem Streitmittler mit der Formulierung des Schlichtungsvorschlages eine unmittelbare Verantwortung für das Ergebnis der Schlichtung zukommt. Zwar bezieht sich der Abs. 2 in erster Linie auf die Person des Erklärungsempfängers – hier also die jeweils andere Konfliktpartei – allerdings ist allgemein anerkannt, dass dann, wenn nach dem Sinn und Zweck eines Geschäftes, die Eigenschaften eines Dritten bedeutsam sind, auch ein Irrtum über diese eine Anfechtung begründen kann.218 Da der Streitmittler den Parteien gegenüber für eine ordnungsgemäße und faire Verfahrensdurchführung verantwortlich ist, sind etwaige Mängel in der Verfahrensführung diesem zuzurechnen. Zu beachten ist dabei allerdings, dass eine Anfechtung der vergleichsweisen Einigung wegen eines Irrtums über einen Punkt ausscheiden soll, der Gegenstand des durch den Schlichtungsvorschlag beseitigten Streits ist.219 215 Vgl. zur Fassung des § 26 VSBG nach dem Gesetz zur Änderung von Vorschriften über die außergerichtliche Streitbeilegung in Verbrauchersachen und zur Änderung weiterer Gesetze, BGBl. I 2019 S. 1942 unter § 21. 216 Um zu verhindern, dass Effizienzvorteil der Schlichtung durch Folgeprozesse wieder aufgezehrt werden, schlägt Stürner für verbindliche Schlichtungsverfahren eine Orientierung an § 1059 ZPO vor, vgl. Stürner, in: Juristische Studiengesellschaft Karlsruhe (Hrsg.), Jahresband 2014, 2015, S. 63 ff., 82. 217 Vgl. zum Ganzen unter § 21 II. 218 Siehe statt vieler Wendtland, in: Hau/Poseck (Hrsg.), BeckOK BGB, 2020, § 119 Rn. 41; Armbrüster, in: Säcker/Armbrüster (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, 82018, § 119 Rn. 126, jeweils m. w. N. 219 BGH NJW 1983, 2035; Stürner, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 87 ff., 114; Wendtland, in: Hau/Poseck (Hrsg.), BeckOK BGB, 2020, § 119 Rn. 12
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Zweites Kapitel: Verbraucherschutz und ADR
Eine Anfechtung des Schlichtungsergebnisses nach § 123 BGB vor allem mit Blick auf mögliche Erklärungen des Streitmittlers „ins Blaue hinein“220 wird regelmäßig aufgrund § 123 Abs. 2 S. 1 BGB ausscheiden. Auch ein Anspruch aus culpa in contrahendo auf Rückgängigmachung der Vereinbarung im Wege der Naturalrestitution, wird in der Regel – mangels Einordnung des Streitmittlers als Erfüllungsgehilfe für eine Partei des Schlichtungsergebnisses – am fehlenden Verschulden des Vertragspartners scheitern. Weiterhin kommt in dieser Konstellation auch ein Anspruch auf Vertragsanpassung oder die Möglichkeit zum Rücktritt aufgrund einer Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) in Frage.221 Dies gilt insbesondere für den Fall, dass beide Parteien im Rahmen der Konfliktbeilegung einer beachtlichen Fehlvorstellung unterlegen sind (§ 313 Abs. 2 BGB).222 Insoweit ist allerdings bei einer vergleichsweisen Streitbeilegung der speziellere § 779 Abs. 1 BGB zu beachten.223 Liegen die Voraussetzungen des § 779 BGB vor, ist der Vergleich schon ex lege unwirksam. 3. Persönliche Haftung des Streitmittlers Eine direkte vertragliche Haftung des Streitmittlers kann mangels entsprechender Verbindung zu den Konfliktparteien nicht angenommen werden.224 Nicht ausgeschlossen erscheint auf den ersten Blick allerdings eine Haftung des Streitmittlers bei einer Verletzung der Verfahrensvorgaben gem. §§ 311 Abs. 3, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB. Zwar erscheint noch die Frage ob der Streitmittler ein unmittelbares wirtschaftliches Eigeninteresse am Vertragsschluss zwischen den Konfliktparteien hat, zumindest diskussionswürdig, in jedem Fall bringen die Parteien allerdings dem Streitmittler aufgrund seiner besonderen Sachkunde ein gesteigertes Maß an Vertrauen entgegen. Dieses Vertrauen wirkt sich dann ganz maßgeblich auf den Abschluss des Vertrags 220 Vgl. BGH NJW 1995, 955 ff., 956; BGH NJW 1975, 642 ff., 645; BGH NJW 1981, 1441 ff., 1442; BGH NJW 2015, 1669 ff., 1670. Erforderlich ist dafür freilich, dass der Unternehmer als Erklärungsempfänger den Verstoß gegen die Verfahrenvorgabe (hier: rechtliche Bewertung) erkennt, da die Täuschung ja nicht von ihm selbst begangen wird (§ 123 Abs. 2 S. 1 BGB). 221 Greger/Unberath/Steffek (Hrsg.), Recht der alternativen Konfliktlösung, 22016, § 2 MedG Rn. 329, freilich mit Blick auf die Mediation. Allerdings muss dies auch für den Streitmittlers gelten, der weit intensiver in die Konfliktbeilegung eingreifen kann, als der Mediator. Siehe auch Caponi, RabelsZ 79 (2015), 117 ff., 136 ff. 222 Finkenauer, in: Krüger/Säcker/Rixecker (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, 8 2019, § 313 Rn. 146. 223 Insb. die Einschränkung des § 779 Abs. 2 Hs. 2 BGB. Es ist ja gerade das Regelungsziel des Vergleichs, einen Rückgriff auf alte Streitpunkte zu verhindern, vgl. Gröschler, in: Soergel/Siebert/Wolf (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch, § 779 Rn. 40; Finkenauer, in: Krüger/Säcker/Rixecker (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, 82019, § 313 Rn. 174. 224 Pelzer, ZKM 2015, 43 ff., 46. Siehe oben § 15 I.
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zur Konfliktbeilegung aus.225 Dem Grunde nach scheint damit eine Haftung aus §§ 311 Abs. 3, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB begründet. Ob dieses Ergebnis mit Blick auf den Ausnahmecharakter der Haftung aus § 311 Abs. 3 BGB und die verfahrensmäßig neutrale Zwischenstellung des Streitmittlers allerdings wertungsgerecht ist, erscheint zweifelhaft. Die notwendige Korrektur findet sich im Erfordernis einer Zurechnung zu einem Interessenskreis der Parteien. So will der § 311 Abs. 3 BGB nämlich nur eine die Haftung des potentiellen Vertragspartners ergänzende Verantwortlichkeit begründen.226 Da der Streitmittler aber ausweislich seiner verfahrensrechtlichen Stellung nicht dem Lager einer Konfliktpartei zugerechnet werden kann, muss eine Haftung gem. § 311 Abs. 3 BGB ausscheiden. Für eine persönliche Haftung des Streitmittlers bedarf es vielmehr eine vertraglichen oder vorvertraglichen Rechtsbeziehung zu den Parteien oder einer unerlaubten Handlung des Streitmittlers.227 Durchaus denkbar ist allerdings eine Haftung gem. § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. parteischützenden Normen des VSBG als Schutzgesetz sowie im Falle einer vorsätzlichen Schädigung durch den Streitmittler ein Anspruch aus § 826 BGB. Die unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BGH zur Haftung des Schiedsrichters228 naheliegende Frage, ob auch im Bereich der Schlichtung eine entsprechende Haftungsbeschränkung vergleichbar zum sog. Richterprivileg (§ 839 Abs. 2 S. 1 BGB) angenommen werden sollte, ist im Kontext der Verbraucherstreitbeilegung nach dem VSBG differenziert zu beantworten. Das VSBG sieht eine solche Privilegierung nicht vor. Sollte allerdings der Schlichtungsvorschlag ausweislich der Verfahrensordnung der Schlichtungsstelle bindende Wirkung für den Unternehmer haben, wird man von einer stillschweigenden Vereinbarung einer Haftungsbeschränkung im Schlichtungsverfahrensvertrag ausgehen müssen. Der Streitmittler übernimmt in 225
Siehe dazu Begr. RegE, BT-Drucks. 14/6040 S. 163; Emmerich, in: Krüger/Säcker/ Rixecker (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, 82019, § 311 Rn. 172 ff., 182 ff.; Looschelders, Schuldrecht, Allgemeiner Teil, 182020, Rn. 178 ff.; Becker, in: Dauner-Lieb/Langen, §§ 241 – 853 BGB, 32016, § 311 Rn. 126 ff. 226 Löwisch/Feldmann, in: Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 2018, § 311 Rn. 167, 200; Medicus/Lorenz, Schuldrecht I – Allgemeiner Teil, 212015, Rn. 541 f.; Herresthal, in: Gsell/Krüger/Lorenz u. a. (Hrsg.), BeckOGK, § 311 Rn. 512 f.; Sutschet, in: Hau/Poseck (Hrsg.), BeckOK BGB, 2020, § 311 Rn. 118. 227 Ebenso wohl vgl. Nachweise bei Zweites Kapitel Fn. 226, vgl. auch § 675 Abs. 2 BGB. A. A. wohl Canaris, ZHR 1999, 206 ff., 226; Koch, AcP 204 (2004), 59 ff., 77. 228 BGH NJW 1954, 1763 sieht es als stillschweigend von den Parteien des Schiedsvertrags vereinbart, dass Schiedsrichter aus Vertrag nicht schärfer haften sollen als die Richter staatlicher Gerichte nach § 839 Abs. 2. Siehe dazu auch RGZ 65, 175; Wöstmann, in: Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 2020, § 839 Rn. 332 f.; Schlosser, in: Stein/Jonas, Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232014, vor § 1025 Rn. 16.
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Zweites Kapitel: Verbraucherschutz und ADR
diesem Fall nämlich eine dem Schiedsrichter bzw. staatlichen Richter vergleichbare Aufgabe. Mit Blick auf den justizäquivalenten bzw. justizsubsituierenden Aufgabenbereich der Verbraucherschlichtung und das weitgehende Pflichtenprogramm erscheint aber auch im Bereich der unverbindlichen Schlichtungsvorschläge eine Tendenz zur Haftungsprivilegierung diskussionswürdig.229 In jedem Fall sind dabei die Grenzen des § 276 Abs. 3 BGB und – im Falle der Qualifizierung der Verfahrensordnung als AGB – des § 309 Nr. 7 lit. b) zu beachten.230 Eine solche Haftungsbeschränkung entspricht im Übrigen auch der Grundausrichtung des VSBG. Zwar ist der Streitmittler den Parteien gegenüber für die ordnungsgemäße Verfahrensdurchführung verantwortlich (§ 6 Abs. 1 VSBG), eine persönliche Haftung soll dabei aber weitgehend ausgeschlossen werden (vgl. auch den Rechtsgedanken aus § 675 Abs. 2 BGB).
VI. Ergebnis zur Verfahrensgestaltung des VSBG – Recht der Verbraucherschlichtung Die gesetzgeberischen Vorgaben zur Gestaltung des Verbraucherschlichtungsverfahrens verdienen unter vielen Gesichtspunkten Zuspruch. So ist deutlich geworden ist, dass die Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten nur im Rahmen einer „regulierten Selbstregulierung“231 gelingen kann. Bei der Ausgestaltung des Schlichtungsverfahrens muss der interessensgerechte Ausgleich zwischen dem Gebot einer flexiblen sowie effizienten Verfahrensabwicklung und der umfassenden Wahrung verfahrensrechtlicher Fairness bewerkstelligt werden. An vielen Stellen erweisen sich die Vorgaben allerdings gerade unter dem Aspekt der verbraucherschützenden Ausrichtung des Gesetzgebungsaktes als defizitär. So sind insbesondere die Möglichkeiten zur Sachverhaltsaufklärung und die unklaren Anforderungen an die Qualifikation des Streitmittlers mit Blick auf ihre verfahrensentscheidenden Rollen noch nicht hinreichend geklärt.232 Die weitgehend fehlende Öffentlichkeit des Verfahrens sowie des Verfahrensergebnisses, die faktische Bindungswirkung des Schlichtungsvorschlages
229 In diese Richtung auch Schmidt-Kessel, in: ders. (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 233 ff., 237; sowie Ulrici, in: Rauscher/Krüger/Becker-Eberhard (Hrsg.), Münchener Kommentar ZPO, 62020, Anhang 2 zu § 278a. Rn. 45. A. A. Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, 2016, 212 f.; Pelzer, ZKM 2015, 43 ff., 46; Hirsch, ZKM 2015, 141 ff., 143. 230 Siehe dazu auch Röthemeyer, in: Borowski/Röthemeyer/Steike (Hrsg.), VSBG, 2016, § 19 Rn. 88 f. 231 Hoffmann-Riem, ZRP 1997, 190 ff., 193. 232 Eingehend dazu unter § 17 II 2 und 3.
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und das Fehlen einer Kontrollinstanz stellen aus Sicht des Verbraucherschutzes weitere Problemschwerpunkte dar. Der Gesetzgeber verlässt sich an vielen Stellen auf eine detailliertere und problemorientiertere Ausgestaltung durch die Verfahrensordnungen der jeweiligen Schlichtungsstelle. Viele Verbraucherschlichtungsstellen gehen dabei über die Anforderungen des VSBG hinaus.233
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Vgl. exemplarisch die Verfahrensordnung des Versicherungsombudsmann e. V. oder der Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr e. V. (söp).
Drittes Kapitel:
Das Paradigma der Unabdingbarkeit im Rahmen des Verbrauchervertragsrechts § 9 Verbraucherschutz in Europa und Deutschland Um die Frage nach der Rolle des Verbraucherschutzrechts in der Verbraucherstreitbeilegung beantworten zu können, muss dessen Entwicklung in Deutschland und Europa näher betrachtet werden. Die Bedeutung von Verbraucher-ADR lässt sich nur im Gesamtzusammenhang der Ausgestaltung des materiellen Verbraucherschutzes nachvollziehen. Das Verbraucherschutzrecht hat sich als von einem durch punktuelle nationale gesetzgeberische Maßnahmen geprägten Rechtsgebiet zu einem Hauptbetätigungsfeld der Europäischen Union und des nationalen Gesetzgebers entwickelt. Verbraucherpolitisch motivierte Rechtsakte sind ebenso populär wie zahlreich. Fraglich ist allerdings, was genau unter dem Begriff Verbraucherschutzrecht1 zu verstehen ist. Ausgeschlossen sind solche Bereiche, die nicht das Rechtssubjekt in seiner spezifischen Rolle als „Verbraucher“ bzw. als „Konsument“ im Verhältnis zum Unternehmer erfassen. Vielmehr dient dieser Begriff der Umschreibung eines Konglomerats an Rechtsnormen, das dem Schutz der Interessen der privaten Endverbraucher in ihrem Verhältnis zum Anbieter dient und insofern für die Stellung des Verbrauchers in seiner Rolle als Abnehmer Bedeutung erlangt.2 Das Verbraucherrecht soll dabei vor allem auch einem Marktversagen entgegenwirken und die Erhaltung und Förderung der Marktfreiheit sicherstellen.3 Unter dem materiellen Verbraucherschutzrecht sind also insbesondere zivilrechtliche Rechtsregeln zu verstehen, die den Schutz des Verbrauchers in seinem Verhältnis zum Unternehmer und gegenüber sonstigen Marktteilnehmern „besser“ stellen. Verbraucherschutzrecht findet sich darüber hinaus in öffentlich-rechtlichen Vorschriften sowie im Wettbewerbsrecht und in einigen Fällen sogar im Strafrecht.4 Im Rahmen dieser Arbeit soll sich die Be-
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Siehe zur Unterscheidung von Verbraucherrecht und Verbraucherschutzrecht Tamm, Verbraucherschutzrecht, 2011, 62 ff. 2 Dies., Verbraucherschutzrecht, 2011, 11 m. w. N. 3 Reymann, Das Sonderprivatrecht der Handels- und Verbraucherverträge, 2009, 78. 4 Siehe Überblick bei Tamm, Verbraucherschutzrecht, 2011, S. 59 ff.
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Drittes Kapitel: Das Paradigma der Unabdingbarkeit
trachtung allerdings auf das zivilrechtliche Verbraucherschutzrecht – auch als Verbraucherprivatrecht bezeichnet – und hierbei explizit auf das Vertragsrecht beschränken. Gegenstand der Untersuchung sind die konkreten europäischen und nationalen Vorgaben zur rechtsgeschäftlichen Ausgestaltung der Beziehung zwischen Verbraucher und Unternehmer. An dieser Stelle soll in der gebotenen Kürze das Verhältnis des nationalen, zum europäischen Verbrauchervertragsrecht dargestellt werden. Wird im Rahmen dieser Arbeit vom europäischen Verbrauchervertragsrecht gesprochen, so sind damit überwiegend die vielfachen Regelungsvorgaben des europäischen Gesetzgebers in den entsprechenden Richtlinien gemeint. Dieses Richtlinienrecht verpflichtet allerdings die Bürger untereinander nicht, da ihm keine unmittelbare Wirkung im Horizontalverhältnis zukommt (vgl. Art. 288 Abs. 3 AEUV) und hat demnach auch keinen Anwendungsvorrang vor den mitgliedstaatlichen Umsetzungsvorschriften. Allerdings folgt aus Art. 288 Abs. 3 AEUV und der in Art. 4 Abs. 3 EUV zugrundgelegten Pflicht zur gemeinschaftlichen Loyalität, dass das nationale Recht richtlinienkonform auszulegen ist, um so der Zielsetzung des europäischen Sekundärrechts zur größtmöglichen Wirksamkeit zu verhelfen.5 Daraus folgt, dass auch bei der Anwendung der nationalen Normen der Regelungsgehalt des Richtlinienrechts beachtet werden muss und diesem im Konfliktfall der Vorrang zukommt. Dementsprechend liegt die Letztentscheidungskompetenz bei Zweifeln über Auslegungsfragen ausschließlich beim EuGH (vgl. Art. 267 AEUV). Eine Beurteilung der materiell-rechtlichen Fragen kann daher immer nur mit Blick auf das zugrundeliegende Richtlinienrecht beantwortet werden. Dies gilt ausdrücklich zwar nur im harmonisierten Rechtsbereichen, allerdings sollte zur Herstellung und Erhaltung eines einheitlichen Schutzstandards das gesamte nationale Verbrauchervertragsrecht diesen Aspekt berücksichtigen.
I. Die europäische Perspektive Die 2009 in Kraft getretene „Charta der Grundrechte der Europäischen Union“ erhebt den Verbraucherschutz (Art. 38) zu einem Grundsatz und schreibt so ein hohes Verbraucherschutzniveau nun auch auf der Ebene des Primärrechts fest.6 Bis heute stellt allerdings das Sekundärrecht den maßgeblichen Motor für die Entwicklung eines europäischen Verbraucherschutzes 5
Vgl. nur Ruffert, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV, AEUV, 2016, Art. 288 AEUV Rn. 77 ff.; Roth/Jopen, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 2015, § 13 Rn. 3 ff.; Heiderhoff, Europäisches Privatrecht, 42016, 58 f.; Herresthal, JuS 54 (2014), 289 ff. 6 Jarass, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 22013, Art. 38 Rn. 3.
§ 9 Verbraucherschutz in Europa und Deutschland
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dar.7 So zählen die Haustürwiderrufs-Richtlinie8, die Richtlinie über missbräuchliche Vertragsklauseln9, die Fernabsatz-Richtlinie10 und die Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie11 zu den zentralen Gesetzgebungsakten im Bereich des Verbrauchervertragsrechts. Die sekundärrechtlichen Maßnahmen der EU folgten dabei zunächst dem Grundsatz der Mindestharmonisierung, sodass es in Europa zwar zu einer Rechtsannährung bzw. Rechtsangleichung, aber nicht zu einer Vereinheitlichung im Bereich des Verbraucherrechts kam.12 Da die Mitgliedstaaten die Richtlinienvorgaben nicht 1:1 umsetzen müssen, war ihnen unbenommen ein höheres Verbraucherschutzniveau zu normieren. Eine verbraucherpolitische Kehrtwende begann dann bereits mit dem verbraucherpolitischen Aktionsplan 2002–200613 und fand ihren gesetzgeberischen Niederschlag zunächst in der Novellierung der VerbraucherkreditRL14 sowie der Time-Sharing-RL15.16 Spätestens mit Inkrafttreten der Verbraucherrechte-RL17 signalisiert der europäische Gesetzgeber nun den Wandel weg von der Mindestharmonisierung hin zum Prinzip der Vollhar7 Ausführlich dazu Reymann, Das Sonderprivatrecht der Handels- und Verbraucherverträge, 2009, 83 ff.; Tamm, Verbraucherschutzrecht, 2011, 189 ff. 8 Richtlinie 85/577/EWG des Rates vom 20. Dezember 1985 betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen, ABl. EG Nr. L 372/31 vom 31. Dezember 1985. 9 Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über mißbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, ABl. EG Nr. L 95/29 vom 21. April 1993. 10 Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz, ABl. EG Nr. L 144/19 vom 4. Juni 1997. 11 Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter, ABl. EG Nr. L 171/2 vom 7. Juli 1999. 12 Tamm/Tonner/Bergmann (Hrsg.), Verbraucherrecht, 2016, § 3 Rn. 2. 13 KOM (2002) 208 endg., ABl. EU C137/2 vom 8. Juni 2002. Deutlich dann die Verbraucherpolitische Strategie 2007–2013, KOM (2007) 99 endg. 14 Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 23. April 2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates, ABl. EG Nr. L 133/66 vom 22. Mai 2008. 15 Richtlinie 2008/122/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 14. Januar 2009 über den Schutz der Verbraucher im Hinblick auf bestimmte Aspekte von Teilzeitnutzungsverträgen, Verträgen über langfristige Urlaubsprodukte sowie Wiederverkaufsund Tauschverträgen, ABl. EG Nr. L 33/10 vom 2. Februar 2009. 16 Zum Ganzen Reich, ZEuP 2010, 7 ff. 17 Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 25. Oktober 2011 über die Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates und der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 85/577/EWG des Rates und der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, ABl. EG Nr. L 304/64 vom 22. November 2011.
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Drittes Kapitel: Das Paradigma der Unabdingbarkeit
monisierung.18 Die Zielvorgabe der Verbraucherrechte-RL war es, die Rechte der Verbraucher im ganzen Vertragsrecht zu vereinheitlichen und umfassend zu regeln, um so das Vertrauen der Verbraucher in den europäischen Binnenmarkt zu stärken.19 Demzufolge sah der Vorschlag einer Richtlinie über Rechte der Verbraucher20 vor, das Konzept der Mindestharmonisierung zugunsten einer Vollharmonisierung des Verbraucherrechts gänzlich aufzugeben.21 Danach hätten die Mitgliedstaaten auch zugunsten des Verbrauchers nicht mehr von dem von der europäischen Rechtsnorm vorgegebenen Schutzniveau abweichen können. Nach teils erheblicher Kritik22 an dem Richtlinienentwurf trat die Richtlinie Ende 2011 in stark geänderter Form in Kraft. Das ursprüngliche Konzept einer Zusammenfassung von Haustürgeschäfte-Richtlinie, Fernabsatz-Richtlinie, Klausel-Richtlinie und Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie in einem Instrument wurde aufgegeben. Harmonisiert wurden nur noch bestimmte Aspekte im Bereich des Fernabsatzes und der außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verbraucherverträge. Das Konzept der Vollharmonisierung wurde dabei dem Grunde nach beibehalten, in Gestalt einer „targeted harmonisation“ allerdings erheblich abgemildert.23
18 Art. 4 Verbraucherrechte-RL. Auch die neue Pauschalreiserichtlinie (Richtlinie (EU) 2015/2302 des Europ. Parlaments u. des Rates über Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen, ABl. 2015 L 326, 1) folgt dem Vollharmonisierungsprinzip (Art. 4 Pauschalreise-RL); siehe dazu Tonner, EuZW 2016, 95 ff. Vgl. auch Art. 3 des geänderten Richtlinienentwurfs zu vertragsrechtlichen Aspekten des Warenhandels, KOM (2017) 637 endg. 19 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlamentes und des Rates über Rechte der Verbraucher, KOM (2008) 614 endg. 2. 20 KOM (2008) 614 endg. 21 Siehe dazu Gsell/Herresthal (Hrsg.), Vollharmonisierung im Privatrecht, 2009; Stürner (Hrsg.), Vollharmonisierung im Europäischen Verbraucherrecht?, 2010; Grundmann, JZ 2013, 53 ff.; Wendehorst, in: Grigoleit/Petersen (Hrsg.), Privatrechtsdogmatik im 21. Jahrhundert, 2017, S. 681 ff., 693 f., spricht mit Blick auf die Vorgabe einheitlich zu verwendender Formblätter von einer den Art. 288 Unterabs. 3 AEUV verletzenden „UltraVollharmonisierung“. 22 Micklitz/Reich, EuZW 2009, 279 ff.; Tonner/Tamm, JZ 2009, 277 ff.; Berger, ZEuP 2009, 451 ff., 453 ff.; Wendehorst, GPR 2015, 55 ff. 23 Die Vollharmonisierung gilt damit nur im konkreten Regelungsbereich der unionsrechtlichen Vorschrift. Siehe zum Ganzen Herresthal, in: Bar/Wudarski (Hrsg.), Deutschland und Polen in der europäischen Rechtsgemeinschaft, 2012, S. 25 ff., 51 ff. Die gegenwärtige Form der Vollharmonisierung ist also keine Totalharmonisierung. Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlamentes und des Rates über Rechte der Verbraucher, KOM (2008) 614 endg. 3. Zur Umsetzung der Verbraucherrechte-RL in Deutschland, siehe Wendehorst, NJW 2014, 577 ff.; Tamm, in: Tamm/Tonner/Bergmann (Hrsg.), Verbraucherrecht, 2016, § 8 Rn. 5 ff.
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II. Die nationale Perspektive Die Anfänge des Verbraucherrechts in Deutschland in den 1970er Jahren, waren vor allem geprägt, durch eine vielschichtige und äußerst kontrovers geführte Diskussion, über die Methodik und Mittel der Ausgestaltung eines Schutzrechts für den Verbraucher. Im Kern ging es um die Frage, ob es der Begründung eines verbraucherschützenden Sonderprivatrechts bedarf oder ob der Verbraucherschutz auch unter Beibehaltung der Einheit des Privatrechts zufriedenstellend verwirklicht werden kann.24 Schlussendlich wird man annehmen müssen, dass diese Auseinandersetzung wohl zu einer gewissen Lähmung der nationalen Verbraucherschutzpolitik geführt hat.25 Gleichzeitig entwickelte die Europäische Union eine erhebliche Aktivität in diesem Rechtsbereich, was letztlich zu einem eigenen europäischen Sonderprivatrecht führte.26 Auf nationaler Ebene hat die im Zuge der Schuldrechtsmodernisierung 2002 begonnene Implementierung, der die verbraucherschützenden Sekundärrechtsakte umsetzenden Sondergesetze in das BGB, die rechtswissenschaftliche Diskussion um die Legitimation und rechtssystematische Stellung des Verbraucherschutzrechts erneut entfacht.27 Aufgrund des überwiegend unionsrechtlichen Hintergrundes kommt es in gewissem Maße zu einer Europäisierung des deutschen Zivilrechts. Allerdings bestehen im Verbraucherrecht durchaus Unterschiede zwischen dem nationalen und dem europäischen Rechtsverständnis. Versteht sich das nationale Verbraucherrecht eher als soziales Schutzrecht, im Sinne eines Schwächerenschutzes aufgrund struktureller Unterlegenheit, so ist der Verbraucherschutz auf europäischer Ebene mehr marktpolitische Entscheidung, als Ausdruck einer sozialschützenden Agenda.28 24 Vgl. nur Reich/Tonner/Wegener, Verbraucher und Recht, 1976 und Lieb, AcP 178 (1978), 196 ff.; Westermann, AcP 178 (1978), 150 ff. 25 Micklitz/Purnhagen, in: Säcker/Armbrüster (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, 8 2018, Vor. §§ 13, 14 Rn. 6, bezeichnen die deutsche Verbrauchergesetzgebung als „politisch kraftlos und gesetzgeberisch konzeptionslos“. 26 Dies soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass insbesondere die bestehenden deutschen Regelungen die europäische Rechtsetzung inspirierte, vgl. Tamm, Verbraucherschutzrecht, 2011, 186 f.; mit Blick auf das AGB-Recht spricht Schlosser, in: Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 2019, Vorbemerkung zu §§ 305 ff. Rn. 24, von einer „Erfolgsbilanz des deutschen AGB-Rechts“. 27 Micklitz/Purnhagen, in: Säcker/Armbrüster (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, 8 2018, Vor. §§ 13, 14 Rn. 1 ff., 15 ff.; Heiderhoff, Grundstrukturen des nationalen und europäischen Verbrauchervertragsrechts, 2004, 248 ff.; Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, 2005, 1 ff.; Tamm, Verbraucherschutzrecht, 2011, 1 ff. 28 So werden 57 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) der EU durch Verbraucherausgaben erwirtschaftet (Europäische Kommission (Hrsg.), EU-Veröffentlichungen – Verbraucher, 2016, S. 3.). Die Kommission spricht insofern von einer „politischen Entscheidung“
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Drittes Kapitel: Das Paradigma der Unabdingbarkeit
§ 10 Verbraucherschutzkonzeptionen Der Befund, dass dem Verbraucher sowohl im Bereich des Bürgerlichen Rechts wie auch im Bereich des europäischen Prozessrechts eine rechtliche Sonderbehandlung zukommt und auch für das deutsche Prozessrecht ein sog. „Verbraucherprozessrecht“29 als rechtspolitisch wünschenswert angedacht wird, führt notwendigerweise zu der Frage nach der privatrechtsdogmatischen Legitimation dieser Verbraucherrechte. Wie ist die „Ungleichbehandlung“ der Marktteilnehmer und somit die Durchbrechung des Prinzips formal-abstrakter Gleichheit zu rechtfertigen?30 Leitgedanke ist hierbei vielfach der „Schutz des Schwächeren“ im Recht durch die Kompensation etwaiger Ungleichgewichtslagen.31 So beruht die Rechtfertigung der besonderen Regeln des Verbraucherschutzes auf der Hypothese, der „schwächere“ Verbraucher sei zu einem hinreichenden Selbstschutz gegenüber dem „stärkeren“ Unternehmer auch unter Berücksichtigung der „natürlichen“ Schutzmechanismen von Markt und Wettbewerb nicht in der Lage.32 Diskutiert werden zwei unterschiedliche Grundströmungen, die im Detail allerdings äußerst vielschichtig sind.33 Die Darstellung soll sich hier auf das Wesentliche beschränken. Das sog. liberale Informationsmodell betont die privatautonome Eigenständigkeit des Verbrauchers, sieht allerdings die Vertragsparität aufgrund eines Informationsdefizits auf Seiten des Verbrauchers typischerweise als gestört an.34 Der Verbraucher ist demnach in der Lage ökonomisch rational zu hinsichtlich der ob und wie verbraucherschützender Maßnahme, vgl. Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen Verbraucherpolitische Strategie 2002—2006, KOM (2002) 208 endg. unter 2. Vgl. dazu auch Micklitz, Gutachten A zum 69. Deutschen Juristentag, A 14 ff.; Gsell in: Staudinger/Beckmann/Martinek (Hrsg.), J. von Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen – Eckpfeiler des Zivilrechts, 2014, Verbraucherschutz Rn. 5 ff.; Heiderhoff, Grundstrukturen des nationalen und europäischen Verbrauchervertragsrechts, 2004, 219 ff. 29 Kritisch dazu H. Roth, in: Stein/Jonas, Kommentar zur Zivilprozessordnung, 23 2014, § 29c Rn. 2; siehe auch Koch, Verbraucherprozessrecht, 1990. 30 Dauner-Lieb, in: Hopt (Hrsg.), Europäisierung des Handels- und Wirtschaftsrechts, 2006, S. 279 ff., 287 ff.; dies., Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher, 1983, 23. 31 Micklitz/Purnhagen, in: Säcker/Armbrüster (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, 8 2018, Vor. §§ 13, 14 Rn. 38; Tamm, Verbraucherschutzrecht, 2011, 9 ff. 32 Grigoleit, AcP 210 (2010), 354 ff., 372 f. 33 Zum Ganzen ausführlich Tamm, Verbraucherschutzrecht, 2011, 135 ff.; Sedlmeier, Rechtsgeschäftliche Selbstbestimmung im Verbrauchervertrag, 2012, 81 ff. (insb. 195 ff.). 34 Eingehend Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher, 1983, 62 ff.
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handeln und seine Interessen hinreichend wahrzunehmen, sofern er nur angemessen informiert und aufgeklärt ist.35 Mittelpunkt einer solchen Verbraucherschutzkonzeption ist also primär die Ermöglichung einer privatautonomen Verbraucherentscheidung auf Basis ausreichender Information.36 Die Schutzbedürftigkeit des Verbrauchers soll dabei nicht grundsätzlich, sondern nur in bestimmten, typisierten Situationen und Vertragsgestaltungen bejaht werden.37 Eine solche Ansicht entspricht dem privatrechtlichen Prinzip der formal-abstrakten Gleichheit der Privatrechtssubjekte.38 Denn es ist nicht ein bestimmter Personenkreis, der eine rechtliche Sonderbehandlung erhält, sondern jeder Bürger genießt in den gesetzlich vorgesehenen Vertragskonstellationen den gleichen Schutz.39 Insofern weist dieses Modell die Vorstellung einer rollenspezifischen Unterlegenheit zurück und sieht den Anknüpfungspunkt primär im Rahmen der konkreten Vertragsschlusssituation.40 Im Kontrast dazu, legt das soziale Schutzmodell die Idee eines strukturell schwächeren Verbrauchers zugrunde, der aufgrund wirtschaftlicher, psychologischer und intellektueller Unterlegenheit schutzbedürftig ist, wobei bloße Information des Verbrauchers zur Kompensation des Ungleichgewichts nicht ausreichen soll.41 Der Verbraucher ist also per se im Verhältnis zum Unternehmer benachteiligt und in seiner Rolle als Verbraucher schutzwürdig. Ob in der konkreten Fallgestaltung eine Schutzbedürftigkeit des Verbrauchers überhaupt besteht, ist belanglos. Vielmehr wird diese aus der allgemeinen Angewiesenheit des Verbrauchers auf Konsum abgeleitet.42 Mit einem solchen sozialen Konzept verbindet sich ein eher interventionistisches, mit dem Instrument des zwingenden Rechts agierenden Modells des Verbraucherschutzes.43 35
Tamm, Verbraucherschutzrecht, 2011, 138. Pfeiffer, in: Soergel/Siebert/Wolf (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch, § 13 Rn. 18. 37 Micklitz/Purnhagen, in: Säcker/Armbrüster (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, 8 2018, Vor. §§ 13, 14 Rn. 42 ff. 38 Zum Prinzip der formal-abstrakten Gleichheit und dem liberalen Sozialmodell des BGB, Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher, 1983, 51 ff. 39 Pfeiffer, in: Soergel/Siebert/Wolf (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch, § 13 Rn. 19; Heiderhoff, Grundstrukturen des nationalen und europäischen Verbrauchervertragsrechts, 2004, 247; insoweit auch der Verweis auf John F. Kennedy mit seiner „Verbraucherbotschaft“ aus dem Jahre 1962: „Consumers, by definition, include us all“, zitiert nach Engel/ Stark, ZEuP 2015, 32 ff. 40 Micklitz/Purnhagen, in: Säcker/Armbrüster (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, 8 2018, Vor. §§ 13, 14 Rn. 42. 41 Siehe nur BVerfG NJW 1994, 36 ff., 38 f.; BGH NJW 2005, 1045 ff., 1047; Tamm, Verbraucherschutzrecht, 2011, 141 ff. m. w. N. 42 Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher, 1983, 140. 43 Pfeiffer, in: Soergel/Siebert/Wolf (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch, § 13 Rn. 18. 36
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Drittes Kapitel: Das Paradigma der Unabdingbarkeit
I. Der Marktbezug des unionalen Verbrauchervertragsrechts Das unionale Verbrauchervertragsrecht stellt unter Ausrichtung auf den Marktbezug vermehrt den Gedanken des selbstverantwortlichen Verbrauchers in den Vordergrund. Dieser ist als Marktteilnehmer und selbstständiger Marktakteur aktiv in die Austauschprozesse involviert.44 Die Europäische Kommission versteht ihn gleichsam als Motor des Binnenmarktes, der durch seine Entscheidungen am Markt zu einem wirtschaftlichen Wandel beiträgt.45 Der Verbraucher ist also zur selbstbestimmten Entscheidungsfindung in der Lage, muss zur Wahrnehmung seiner Rolle und Funktion aber erst rechtlich mit den notwendigen Kompetenzen und Befugnissen ausgestattet werden.46 Auch hier trifft man wieder auf den Begriff der rationalen Apathie: Vielfach ist der Verbraucher bei Austauschgeschäften des täglichen Lebens nicht bereit, Aufwand in die Beschaffung der wesentlichen Informationen zu investieren, da dieser in keinem Verhältnis zur Bedeutung des Geschäfts stehen würde.47 Die Sicherstellung einer materiell privatautonomen Entscheidung auf Seiten des Verbrauchers steht damit im Mittelpunkt des unionalen Verbrauchervertragsrechts. Primär soll dies über die Bereitstellung der vertragswesentlichen Informationen geschehen (Informationsparadigma des EUVerbrauchervertragsrechts48). Das Leitbild des europäischen Verbrauchervertragsrechts ist damit grundsätzlich der mündige, durchschnittlich informierte, aufmerksame und verständige Verbraucher.49 Mitgliedstaatliche
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Alexander, in: Gsell/Krüger/Lorenz u. a. (Hrsg.), BeckOGK, § 13 Rn. 45. Siehe nur Verbraucherpolitische Strategie der EU (2007–2013), KOM (2007) 99 endg. 1. 46 Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, 2005, 73 ff.; Micklitz/ Purnhagen, in: Säcker/Armbrüster (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, 82018, Vor. §§ 13, 14 Rn. 63; ausführlich Heiderhoff, Grundstrukturen des nationalen und europäischen Verbrauchervertragsrechts, 2004, 219 ff.; 331 ff. Deutlich auch KOM (2007) 99 endg. 1. 47 Scherpe, Außergerichtliche Streitbeilegung in Verbrauchersachen, 2002, 36. 48 Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht, 1999, 47 f.; Heiderhoff, Europäisches Privatrecht, 42016, 115 f.; Grundmann, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 2015, § 9 Rn. 41 ff.; vgl. auch EuGH, Urt. v. 20.02.1979, Rs. C-120/78 – Cassis de Dijon, EuZW-Sonderausgabe 2017, 14 ff., 18 Rn. 13. 49 Vgl. Europäische Verbraucheragenda für mehr Vertrauen und mehr Wachstum, KOM (2012) 225 endg. 1. Ausführlich Heiderhoff, Grundstrukturen des nationalen und europäischen Verbrauchervertragsrechts, 2004, 281 ff., 289: „Das Leitbild ist der vernünftige Bürger in entspannter Aufmerksamkeit.“. Die Rechtsprechung des EuGH zum Verbraucherleitbild betrifft überwiegend die Europäischen Grundfreiheiten sowie das Wettbewerbsrecht, ist also auf das Verbrauchervertragsrecht nicht unmittelbar übertragbar. Dennoch wird man eine nicht unerhebliche Indizwirkung annehmen können. Siehe aus der Rspr. des EuGH: Urt. v. 06.07.1995, Rs. C-470/93 – Mars GmbH, Slg. 1995, I-1923 Rn. 24; EuGH, Urt. v. 16.07.1998, Rs. C-210/96 – Gut Springenheide, Slg. 1998, I-4657 Rn. 31; 45
§ 10 Verbraucherschutzkonzeptionen
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Verbraucherschutzvorschriften versteht der europäische Gesetzgeber in diesem Zusammenhang oftmals eher als Hindernis für die Realisierung des Binnenmarktes. Da die Beeinträchtigung einer europäischen Grundfreiheit nach der Cassis-de-Dijon Rechtsprechung des EuGH50 nicht per se zur Unanwendbarkeit der (zwingenden) nationalen Rechtsnorm führt, ist der EU-Gesetzgeber nun dazu übergegangen ist, den Kernbereich des Verbraucherschutzes selbst zu regeln.51 Der europäische Verbraucherschutz ist auf Unionsebene also dem Binnenmarktziel nachgeordnet, weshalb es kaum verwundert Art. 114 AEUV im überwiegenden Teil der verbraucherschützenden Regelungsakte als Rechtsgrundlage vorzufinden.52 Der Charakterisierung des europäischen Verbraucherschutzrechts als „by-product“ zur Binnenmarktpolitik kann somit durchaus das Wort geredet werden.53 Zwar hatte sich im Bereich des Sekundärrechts eine „Akzentverschiebung“54 hin zu einer verstärkten Schutzpolitik als Hauptzweck der Rechtssetzungsakte angedeutet. Auch zeichnet der EuGH mehrmals das Bild eines (strukturell) unterlegenen Verbrauchers, der „sich gegenüber dem Gewerbetreibenden in einer schwächeren Verhandlungsposition befindet und einen geringeren Informationsstand besitzt“55, was inhaltlich eher einem sozialen Schutzmodell entspricht. Diese Entwicklung erscheint mit Blick auf den Regelungsansatz der Vollharmonisierung im Verbraucherrecht allerdings nun wieder in Frage gestellt. Speziell im Vertragsrecht sieht der europäische Gesetzgeber das Verbraucherrecht als wesentlichen „Türöffner“ für gemeinEuGH Urt. v. 13.01.2000, Rs. C-220/98 Este´e Lauder, Slg. 2000, I-117 Rn. 27, 30; EuGH Urt. v. 08.04.2003, Rs. C-44/01 – Pippig Augenoptik, Slg. 2003, I-3095 Rn. 55; EuGH Urt. v. 19.09.2006, Rs. C-356/04 – Lidl Belgium Slg. 2006, I-8525 Rn. 78; EuGH Urt. v. 19.04.2007, Rs. C-381/05 – De Landtsheer Emmanuel SA gegen Comite´ Interprofessionnel du Vin de Champagne u.a., Slg. 2007, I-3115 Rn. 23. Siehe jetzt aber EuGH, Urt. v. 20.09.2017, Rs. C-186/16 – Banca Romaˆneasca˘ SA, ECLI:EU:C:2017:703 Rn. 47, 51. 50 EuGH, Urt. v. 20.02.1979, Rs. C–120/78 – Cassis de Dijon, ECLI:EU:C:1979:42 = EuZW-Sonderausgabe 2017, 14 ff. 51 Tonner, in: Tamm/Tonner/Bergmann (Hrsg.), Verbraucherrecht, 2016, § 3 Rn. 28. 52 Krebber, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV, AEUV, 2016, Art. 169 Rn. 18 m. w. N. 53 Tonner, in: Tamm/Tonner/Bergmann (Hrsg.), Verbraucherrecht, 2016, § 3 Rn. 27. 54 Lurger, in: Streinz/Bings (Hrsg.), EUV, AEUV, 2012, Art. 169 AEUV Rn. 31. 55 EuGH, Urt. v. 27.06.2000, verb. Rs. C-240/98 bis C-244/98 – Oce´ano, Slg. 2000, I-4941 Rn. 25. Entsprechend auch EuGH Urt. v. 09.03.2006, Rs. C-421/04 – Mostaza Claro, Slg. 2006, I-10 421, Rn. 36. Vgl. auch EuGH Urt. v. 04.06.2009, Rs. C-243/08 – Pannon GSM, Slg. 2009, I-4713 Rn. 15; EuGH Urt. v. 06.10.2009, Rs. C-40/08 – Asturcom, Slg. 2009, I-9579 Rn. 29; EuGH Urt. v. 14.06.2012, Rs. C-618/10 – Banco Espan˜ol de Credito, ECLI:EU:C:2012:349 Rn. 39; EuGH Urt. v. 21.03.2013, Rs. C-92/11 – RWE Vertrieb, ECLI:EU:C:2013:180 Rn. 41; EuGH Urt. v. 30.05.2013, Rs. C-488/11 – Asbeek Brusse und de Man Garabito, ECLI:EU:C:2013:341 Rn. 31; EuGH Urt. v. 26.01.2017, Rs. C-421/14 – Banco Primus SA ECLI:EU:C:2017:60 Rn. 40.
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Drittes Kapitel: Das Paradigma der Unabdingbarkeit
schaftsweite Harmonisierungsbestrebungen an.56 In Verbindung mit der übermäßigen Marktorientierung steht zu befürchten, dass mit Hilfe der Vollharmonisierung das bestehende Verbraucherschutzniveau nach unten eingeebnet wird.57 Ob und inwieweit diese Sorgen durch die weitere Entwicklung des europäischen Verbraucherschutzes tatsächlich bestätigt werden, bleibt abzuwarten.58
II. Die strukturelle Unterlegenheit des Verbrauchers Für Deutschland lässt sich erkennen, dass der Verbraucherschutz aus der Idee des Schwächerenschutzes abgeleitet wird und sich am Gedanken des strukturell unterlegenen Verbrauchers orientiert.59 Der Schutz des Schwächeren bildet einen Grund für die Legitimierung von Eingriffen in die Privatautonomie, da anerkannt ist, dass bei erheblicher Störung der Vertragsgerechtigkeit ein staatliches Eingreifen möglich sein muss.60 Den Begriff der strukturellen Unterlegenheit greift das Bundesverfassungsgericht in seinem „Bürgschafts-Beschluss“ auf und leitet aus Art. 2 Abs. 1 GG und dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 GG) ab, dass die tatsächliche Selbstbestimmung des Einzelnen zwingende Voraussetzung für eine privatautonome Entscheidung ist und insofern Korrekturen durch die Zivilrechtsordnung möglich sein müssen.61 Hat nämlich eine der Vertragsparteien ein so 56 Reymann, Das Sonderprivatrecht der Handels- und Verbraucherverträge, 2009, 91 f.; Tamm, Verbraucherschutzrecht, 2011, 284 ff. 57 Reich, ZEuP 2010, 7 ff.; Micklitz/Reich, EuZW 2009, 279 ff. Absenkung des Schutzniveaus im Interesse einer „Binnenmarktdurchdringung“; Tamm, Verbraucherschutzrecht, 2011, 240 ff., 304 ff.; Reich, in: The´venoz/Reich/Stauder (Hrsg.), Droit de la consommation, 2006, S. 357 ff., 374 ff. D 58 Zum Ganzen Gsell/Herresthal (Hrsg.), Vollharmonisierung im Privatrecht, 2009; Reich, ZEuP 2010, 7 ff. Nach Tonner, in: Tamm/Tonner/Bergmann (Hrsg.), Verbraucherrecht, 2016, § 3 Rn. 55 ff., verhindert die Eingrenzung des Vollharmonisierungsprinzips (targeted harmonisation) tiefere Eingriffe in nationale Rechtsordnungen. Allerdings kommt es durch die Umsetzung der Verbraucherrechte-RL durchaus zu einer Absinken des Verbraucherschutzniveaus in Deutschland, vgl. Tonner, VuR 2014, 23 ff., 24; Lorenz, in: Westermann/Säcker/Rixecker, Münchener Kommentar BGB, 82019, Vor § 474 Rn. 5b. 59 Heiderhoff, Grundstrukturen des nationalen und europäischen Verbrauchervertragsrechts, 2004, 244 f., 250 ff., 257 f., 280. 60 Wolf, in: Soergel/Siebert/Wolf (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch, Vor § 145 Rn. 29, 35 ff.; Busche, in: Säcker/Armbrüster (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, 82018, Vor. § 145 Rn. 6; C. Armbrüster, in: Erman, BGB, 162020, Vor. § 145 Rn. 36. 61 BVerfG NJW 1994, 36, 38. Im Wesentlichen hat sich das Bundesverfassungsgericht in drei Entscheidungen mit den Auswirkungen von typischen Ungleichgewichtslagen auf das Privatrecht befasst; vgl. neben BVerfG NJW 1994, 36 ff. noch BVerfG NJW 1990, 1469 ff. („Handelsvertreter“) sowie BVerfG NJW 2001, 957 ff. („Inhaltskontrolle von Eheverträgen“). Siehe auch BVerfG NJW 2005, 2363 ff.; BVerfG NJW 2005, 2376 ff.; BVerfG NJW 2011, 1339 ff.
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starkes Übergewicht, dass er den Vertragsinhalt faktisch einseitig bestimmen kann, bewirkt dies für den anderen Vertragsteil eine nicht hinnehmbare Fremdbestimmung.62 Wie soeben gezeigt, ist auch dem EuGH die Annahme einer strukturellen Unterlegenheit des Verbrauchers grundsätzlich nicht fremd. Unklar an dieser Konzeption ist freilich, wie diese strukturelle Ungleichgewichtslagen festzustellen sind und welche Art von Unterlegenheit aus welchen Gründen einen Schwächerenschutz erfordert.63 Mit Umsetzung der Verbraucherrechte-RL hat der Gesetzgeber diese Schwierigkeiten hinter sich gelassen und sich dazu entschieden in solche Verträge mit Hilfe verbraucherschützender Regelungen einzugreifen, die als „Verbraucherverträge“ gem. § 310 Abs. 3 BGB zu verstehen sind.64 Das rechtsgeschäftliche Zusammentreffen von Verbraucher und Unternehmer ist somit notwendige und ausreichende Voraussetzung für die Anwendung paritätsausgleichender Regelungen.65 Vielfach müssen darüber hinaus aber weiterhin noch situative und vertragsspezifische Umstände hinzutreten, aus denen eine beachtliche66 Beeinträchtigung der Vertragsparität resultiert. Allerdings ist eine spezifische Vertragssituation nicht mehr notwendiger Anknüpfungspunkt für verbraucherschützende Maßnahmen, was schon die Anordnung „Allgemeiner Pflichten und Grundsätze“ in § 312a BGB zeigt.67
III. Der Perspektivenwechsel mit Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie und das Verbraucherleitbild Eine Verbraucherschutzkonzeption die neben der rollenspezifischen Komponente noch eine situative Gefährdungslage fordert und damit an dem sozialen Schutzgedanken festhält, wird man als von der marktbezogenen Verbraucherrechtskonzeption der Union überlagert ansehen müssen.68 Wenig 62
BVerfG NJW 1990, 1469, 1470. Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, 2005, 142 Fn. 136. 64 Tamm, Verbraucherschutzrecht, 2011, 177 f. 65 Bülow/Artz, Verbraucherprivatrecht, 52016, 7. Völlige Parität zwischen den Vertragsparteien wird allerdings nie herstellbar sein, sodass die zu fordernde Vertragsparität nur als Optimierungsgebot zu verstehen ist, vgl. Canaris, AcP 200 (2000), 273 ff., 280. Generell kritisch zu Gleichgewichtslage als Voraussetzung für privatautonome Entscheidungen, Medicus, Abschied von der Privatautonomie im Schuldrecht?, 1994, 19 ff. 66 Siehe aber H. Roth, in: Lorenz (Hrsg.), Karlsruher Forum 2011: Verbraucherschutz – Entwicklungen und Grenzen, 2012, Bd. 46, S. 5 ff., 14; Heiderhoff, Grundstrukturen des nationalen und europäischen Verbrauchervertragsrechts, 2004, 314 f. 67 Gsell, in: Staudinger/Beckmann/Martinek (Hrsg.), J. von Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen – Eckpfeiler des Zivilrechts, 2014, L. Verbraucherschutz Rn. 40, bezeichnet die §§ 312, 312a, 312k BGB als den „allgemeinen Teil des Verbraucherrechts“. 68 Mit der Befürchtung einer Potenzierung der Verdichtung des Rechts Heiderhoff, Grundstrukturen des nationalen und europäischen Verbrauchervertragsrechts, 2004, 292. 63
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Drittes Kapitel: Das Paradigma der Unabdingbarkeit
überzeugend ist die Anknüpfung an eine geschäftliche oder rechtliche Unerfahrenheit bzw. Ungewandtheit, ebenso wie die Annahme einer wirtschaftlichen Unterlegenheit des Verbrauchers. Ausgangspunkt ist vielmehr, dass jedem Teilnehmer am Rechtsverkehr gestattet wird, sich in der Verbraucherrolle sorgloser und unangespannter zu verhalten, als im Rahmen einer gewerblichen oder freiberuflichen Tätigkeit.69 Dafür spricht schon die Konsumorientiertheit des europäischen Verbrauchervertragsrechts. Der Verbraucher ist nicht bereit, für jede noch so geringwertige Konsumentscheidung viel Zeit und Energie zu investieren. Er vertraut vielmehr auf die Regulierungsfähigkeit des Marktes. Wo diese versagt, ist die Legislative gefordert. Auch für den Gesetzgeber darf dann allerdings nicht aus dem Blick geraten, dass der Verbraucher dem Grunde nach zur Wahrnehmung seiner Interessen in der Lage ist. Er erwartet aber, dass die Konsumgüter ein Mindestmaß an Sicherheit und Gebrauchstauglichkeit aufweisen und ihm ein hinreichendes Gewährleistungssystem sowie angemessene Instrumente der Rechtsdurchsetzung zur Verfügung stehen.70 Gerade dieses Bild eines vertrauenden Verbrauchers hebt der europäische Gesetzgeber auch im Rahmen der ADR-RL mehrmals hervor.71 Ohne die intensiv geführte Diskussion72 nach dem Verbraucherleitbild eingehender nachzeichnen zu wollen, wird man auch für das nationale Verbrauchervertragsrecht von dem am Grundsatz der Selbstverantwortung orientierten Leitbild eines durchschnittlich gebildeten, kritischen und verständigen Verbrauchers ausgehen können, der sich unbefangen im Geschäftsverkehr bewegt.73 69
Siehe dazu schon Teichmann, in: Hönn (Hrsg.), Festschrift für Alfons Kraft zum 70. Geburtstag, 1998, S. 629 ff.; fortgeführt von Heiderhoff, Grundstrukturen des nationalen und europäischen Verbrauchervertragsrechts, 2004, 288 f. Dass allerdings auch eine solche Konzeption Widersprüche aufweist, zeigt der Blick auf das Reiserecht (siehe dazu unter § 13 III 3 b) bb)) sowie die Anwendung des Verbraucherkreditrechts §§ 491 ff. BGB auf Existenzgründer (§ 513 BGB). 70 Vgl. dazu Friedrich-Ebert-Stiftung, Verbraucherschutz und Verbraucherpolitik im Urteil der Bevölkerung, 8/2016 (http://library.fes.de/pdf-files/wiso/12584.pdf) (geprüft am 01.11.2020), S. 11 f. 71 So sprechen die Erwägungsgründe 3, 4, 6, 11, 15, 32, 36 und 37 ADR-RL von der Gewährleistung und Erhöhung dieses „Verbrauchervertrauens“. 72 Die Diskussion wird dabei auch jenseits der Fachöffentlichkeit geführt, vgl. Müller, Was ist denn „mündig“?, 2018 (http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/vzbv-chef-mueller-a ltes-verbraucherleitbild-hat-ausgedient-15477790.html) (geprüft am 01.11.2020) gegen Schnellenbach, Unmündige Verbraucher als neues Leitbild, 2018 (http://www.faz.net/aktue ll/wirtschaft/verbraucherschuetzer-propagieren-fragwuerdiges-leitbild-15455696.html?p rintPagedArticle=true#pageIndex 0) (geprüft am 01.11.2020). 73 BGH WM 2009, 932 ff., 934 Rn. 16; BGH WM 2009, 350 ff., 351 Rn. 16; BGH WM 2005, 1166 ff., 1168. Vgl. auch BT-Drucks. 16/1408, S. 7 („Leitbild des mündigen Verbrauchers“). Siehe auch Alexander, in: Gsell/Krüger/Lorenz u. a. (Hrsg.), BeckOGK, § 13
§ 11 Privatautonomie und Verbraucherschutz
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Allerdings dürfen verhaltensökonomische Erkenntnisse bei der Ausfüllung des Leitbilds nicht außer Acht bleiben.74 Dass der homo oeconomicus als Verhaltensmodell der Ökonomie dabei die Verbraucherrealität nur bedingt abzeichnen kann, hat die empirische Verhaltensforschung mit Blick auf bestehende Rationalitätsdefizite dargelegt.75 Auch ein normativ zu bestimmendes Verbraucherleitbild sollte diese Erkenntnisquellen aufgreifen. Demnach muss dem „mündigen Verbraucher“ empirisch der „vertrauende“ (confident), „verletzliche“ (vulnerable) und „verantwortungsvolle“ (responsible) Verbraucher entgegengestellt werden.76
§ 11 Privatautonomie und Verbraucherschutz Das ehernste Prinzip unserer Privatrechtsordnung ist die Freiheit der Rechtssubjekte, in freier Selbstbestimmung darüber zu entscheiden, wie sie ihre Lebensverhältnisse im Rahmen der Rechtsordnung gestalten möchten.77 Der Gedanke der Privatautonomie findet im Vertragsrecht dadurch Ausdruck, dass über das „ob“ (Abschlussfreiheit“) und über das „wie“ (Inhaltsfreiheit) einer vertraglichen Beziehung privatautonom – im gegenseitigen Einvernehmen – entschieden werden kann (Vertragsfreiheit).78 Auch das europäische Privatrecht baut dabei auf dem Gedanken der Vertragsfreiheit und der Privatautonomie auf. Zwar erwähnen weder der EUV, noch der AEUV oder die EU-Grundrechtecharta die Privatautonomie oder die Vertragsfreiheit ausdrücklich79, nichtsdestotrotz finden sich im primären, wie sekundären Gemeinschaftsrecht vielfach positive Bekenntnisse zur Eigenverantwortlichkeit
Rn. 370 ff.; Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, 2005, 140 ff.; Heiderhoff, Grundstrukturen des nationalen und europäischen Verbrauchervertragsrechts, 2004, 288 ff.; Sedlmeier, Rechtsgeschäftliche Selbstbestimmung im Verbrauchervertrag, 2012, 340 ff.; Hommelhoff, Verbraucherschutz im System des deutschen und europäischen Privatrechts, 1996, 12 ff.; 74 Engel/Stark, ZEuP 2015, 32 ff., 38 ff.; Eidenmüller, JZ 2005, 216 ff. 75 Schellenbach, List Forum für Wirtschafts- und Finanzpolitik, Sonderheft 2014, 239 ff.; Eidenmüller, JZ 2005, 216 ff., 218 ff. 76 Micklitz/Oehler/Piorkowsky u.a., Der vertrauende, der verletzliche oder der verantwortungsvolle Verbraucher?, 2010 (https://www.vzbv.de/sites/default/files/downloads/Str ategie verbraucherpolitik Wiss BeiratBMELV 2010.pdf) (geprüft am 01.11.2020); Micklitz, Gutachten A zum 69. Deutschen Juristentag, A 38 ff. 77 Flume, Allgemeiner Teil des bürgerlichen Rechts, Teil II, 41992, § 1, 1. S. 1 ff.; Kötz, Vertragsrecht, 22012, § 1 Rn. 22. Das BVerfG leitet den Schutz der Privatautonomie aus dem Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreit gem. Art. 2 Abs. 1 GG vgl. nur BVerfGE 8, 274 ff., 328; 70, 115 ff., 123 ab. 78 Flume, Allgemeiner Teil des bürgerlichen Rechts, Teil II, 41992, 12. 79 Siehe aber Art. 16 EU-Grundrechtecharta.
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Drittes Kapitel: Das Paradigma der Unabdingbarkeit
der Rechtssubjekte.80 Ebenso genießt die Vertragsfreiheit eine umfassende Anerkennung in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes.81 Dieser Freiheit werden von der Rechtsordnung allerdings in bestimmten Konstellationen Grenzen gesetzt, indem durch zwingende Vorgaben den Parteien die Fähigkeit abgesprochen wird, bestimmte Abreden rechtswirksam zu vereinbaren. Den Privatrechtsakteuren fehlt dort also die rechtsgeschäftliche Gestaltungsbefugnis. Bei einer Abweichung der Parteien von den zwingenden Vorgaben contra legem bedarf es deshalb auch keines Rückgriffs auf § 134 BGB. Die von § 134 BGB vorausgesetzte Gestaltungsfreiheit fehlt in dieser Konstellation nämlich regelmäßig. Die Frage ob das Rechtsgeschäft nichtig oder trotz Verbotswidrigkeit gültig ist, stellt sich hier deshalb gar nicht.82 Der Vertrag ist vielmehr in direkter oder analoger Anwendung des § 306 BGB mit dem gesetzlichen Inhalt wirksam (vgl. auch § 312a Abs. 6 BGB).83 80 Schulze, GPR 2005, 56 ff., 57 ff.; Remien, Zwingendes Vertragsrecht und Grundfreiheiten des EG-Vertrages, 2003, 178; Heiderhoff, Europäisches Privatrecht, 42016, 106 ff.; Schmidt-Kessel, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 2015, § 17 Rn. 41; Sedlmeier, Rechtsgeschäftliche Selbstbestimmung im Verbrauchervertrag, 2012, 196 ff.; Basedow, in: Bitburger Gespräche, 2009, S. 85 ff., 89 ff.; Vogel, Verbrauchervertragsrecht und allgemeines Vertragsrecht, 2006, 277; Heiderhoff, Grundstrukturen des nationalen und europäischen Verbrauchervertragsrechts, 2004, 318 f.; Grundmann, JZ 2000, 1133 ff.; Bruns, JZ 2007, 385 ff., 392 ff. Auch der gemeinsame Referenzrahmen nennt die Vertragsfreiheit als wesentlichen Grundsatz, vgl. Bar, Principles, definitions and model rules of European Private Law, 2009, 62 f. 81 Vgl. EuGH, Urt. v. 16.01.1979, Rs. 151/78 – Sukkerfabriken Nykoebing, Slg. 1979, 1 Rn. 19 f.; EuGH, Urt. v. 05.10.1999, Rs. C-240/97, Slg. 1999, I-6571, Rn. 99. Ausführlich zur umfassenden Anerkennung der Vertragsfreiheit in der Rechtsprechung des EuGH Basedow, in: Bitburger Gespräche, 2009, S. 85 ff., 93 ff.; Remien, Zwingendes Vertragsrecht und Grundfreiheiten des EG-Vertrages, 2003, 34 ff. 82 Flume, Allgemeiner Teil des bürgerlichen Rechts, Teil II, 41992, § 17, 2. S. 342 f.; Wolf/ Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 112016, § 45 Rn. 4; Armbrüster, in: Säcker/Armbrüster (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, 82018, § 134 Rn. 5; Ellenberger, in: Brudermüller/Ellenberger/Götz u. a. (Hrsg.), Palandt Bürgerliches Gesetzbuch, 792020, § 134 Rn. 5. Anders aber Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, 2005, 22 ff. „Eine abweichende Vereinbarung ist nach § 134 BGB nichtig“; so auch OLG Karlsruhe, WM 2006. 396 ff., 399. 83 Wendehorst, in: Krüger/Säcker/Rixecker (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, 8 2019, § 312k Rn. 9; Thüsing, in: Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 2019, § 312i Rn. 13. So wohl auch H. Roth, in: Lorenz (Hrsg.), Karlsruher Forum 2011: Verbraucherschutz – Entwicklungen und Grenzen, 2012, Bd. 46, S. 5 ff., 39, mit Verweis auf BGH NJW 2011, 76 Rn. 25. Zu § 475 BGB a. F. vgl. BT-Drucks. 14/7052, 199. Zu § 312a Abs. 6 BGB vgl. BT-Drucks. 17/12637, 54. Bei Verstößen gegen zwingende verbraucherschutzrechtliche Vorschriften gilt demnach in Abweichung von § 139 BGB der Vorrang der Teilnichtigkeit vor der Totalnichtigkeit, vgl. H. Roth, in: Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 2020, § 139 Rn. 16; Ellenberger, in: Brudermüller/Ellenberger/ Götz u. a. (Hrsg.), Palandt Bürgerliches Gesetzbuch, 792020, § 139 Rn. 18.
§ 11 Privatautonomie und Verbraucherschutz
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Traditionell werden die Vorgaben des Verbraucherschutzrechts aufgrund ihrer vornehmlich zwingenden Ausgestaltung als Eingriff in die Vertragsfreiheit aufgefasst.84 Überwiegend basiert diese Ansicht auf einem formellen Verständnis der Vertragsfreiheit. Die formelle Vertragsfreiheit wird allerdings nicht schrankenlos gewährt, sondern oftmals erheblich eingeschränkt. So stellte schon 1889 Otto von Gierkes fest: „Schrankenlose Vertragsfreiheit zerstört sich selbst. Eine furchtbare Waffe in der Hand des Starken, ein stumpfes Werkzeug in der Hand des Schwachen, wird sie zum Mittel der Unterdrückung des Einen durch den Anderen, der schonungslosen Ausbeutung geistiger und wirtschaftlicher Übermacht. Das Gesetz, welches mit rücksichtslosem Formalismus aus der freien rechtsgeschäftlichen Bewegung die gewollten oder als gewollt anzunehmenden Folgen entspringen läßt, bringt unter dem Schein einer Friedensordnung das bellum omnium contra omnes in legale Formen. Mehr als je hat heute auch das Privatrecht den Beruf, den Schwachen gegen den Starken, das Wohl der Gesamtheit gegen die Selbstsucht der Einzelnen zu schützen.“85.
Der Begriff der „schrankenlosen Vertragsfreiheit“ führt auch schon notwendigerweise zu einem Selbstwiderspruch. Mit Kant ist Freiheit ohne Schranken nicht vorstellbar: Die Freiheit des Einen muss dort enden, wo die Freiheit eines Anderen beginnt. Dem Prinzip der Privatautonomie ist also eine Grenzziehung immanent. Insoweit kann nicht jede Einschränkung der Vertragsfreiheit gleichzeitig eine Negation dieses Prinzips bedeuten.86 Aus dieser Erkenntnis hat sich ein materielles Verständnis der Vertragsfreiheit entwickelt.87 Zwingendes Vertragsrecht ist demnach nicht notwendigerweise eine Einschränkung von Vertragsfreiheit, sondern kann vielmehr Voraussetzung ihrer Ermöglichung sein. Gesichert werden soll auf diese Weise nicht die formelle Freiheit, sondern auch die tatsächliche Selbstbestimmung und Selbstverantwortung der Rechtssubjekte, im Sinne einer materiell verstandenen Freiheit.88 Um von Selbstbestimmung und Vertragsfreiheit sinnvoll Gebrauch zu machen, muss also der Verbraucher die Möglichkeit haben, „wirklich“ selbst zu bestimmen.89 Die Willensfreiheit ist somit nicht nur abstrakt-generell zu verstehen, sondern umfasst die tatsächliche, individuelle Fähigkeit zur freien Willensbildung sowie das Fehlen einer Fremdbestimmung und ist mithin
84
Vgl. nur Bruns, JZ 2007, 385 ff. Gierke, Die soziale Aufgabe des Privatrechts, 1889, 28. 86 Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, 1970, 43, 56, 60 f. 87 Grundlegend dazu Canaris, AcP 200 (2000), 273 ff.; siehe auch Überblick bei Tamm, in: Tamm/Tonner/Bergmann (Hrsg.), Verbraucherrecht, 2016, § 1 Rn. 42 ff. 88 Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, 2005, 10 ff. Aus europäischer Perspektive Riesenhuber, Europäisches Vertragsrecht, 22006, 358 ff. 89 BVerfG NJW 1994, 36 ff., 38 f. 85
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auch materiell geprägt.90 Nach diesem Verständnis können verbraucherrechtliche Regelungen durchaus als Werkzeug zur Herstellung oder Gewährleistung materieller Selbstbestimmung aufgefasst werden.91 Gleichzeitig wird hier aber deutlich, welche Gefahr von einem solchen Verständnis der Privatautonomie im Vertragsrecht ausgeht: Beginnt die Rechtsordnung zu bestimmen, was die Rechtssubjekte „wirklich“ wollen, so bleibt von dem Grundsatz der Selbstbestimmung nicht mehr viel übrig. Ziel sollte daher grundsätzlich immer nur sein, die Fähigkeit des Einzelnen zu einer tatsächlich selbstbestimmten Entscheidung zu verbessern. Nichtsdestotrotz und ohne die Diskussion nach dem Wesen der Vertragsfreiheit als zentrales Element der Privatautonomie vertiefen zu wollen, gewinnt man aber schon nach einem kursorischen Überblick über das Verbrauchervertragsrecht den Eindruck, dass aus der berühmten Forderung nach dem „Tropfen sozialen Öls“92, vielmehr eine solche Fülle an Schmiermittel geworden ist, was letztlich mit einem liberalistischen Verständnis der Vertragsfreiheit nicht mehr in Einklang zu bringen ist.93
§ 12 Die Schutzinstrumente des Verbrauchervertragsrechts Im zivilrechtlichen Bereich hat sich gerade das Vertragsrecht über die Jahre zu einem Schwerpunkt der, vom Gedanken des Verbraucherschutzes getragenen, gesetzgeberischen Tätigkeiten entwickelt. Verbraucherschutz soll im vorvertraglichen Bereich, vor allem durch das Aufstellen von tätigkeits-, produkt- oder geschäftsbezogenen Informationspflichten sowie im Bereich der Vertragsdurchführung durch das Verbot abweichender Regelungen gewährleistet werden. Darüber hinaus sieht das Gesetz in bestimmten Fällen eine einseitige (grundlose) Lösungsmöglichkeit zugunsten des Verbrauchers vor.
90 Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, 1970, 111 ff. 91 Statt vieler Gsell, JZ 2012, 809 ff., 814. Siehe aber auch Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 42015, 144 ff., mit dem Hinweis, dass sich die durch die verbraucherrechtlichen Anforderungen entstehenden Kosten beim Unternehmer, für marktschwache Mitbewerber als Erschwernis beim Marktzugang auswirken können, was dann dem Wettbewerb und damit letztendlich dem Verbraucherschutz wieder abträglich ist. 92 Gierke, Die soziale Aufgabe des Privatrechts, 1889, 10. Dabei darf allerdings nicht aus dem Blick geraten, dass diese Forderung ganz vordringlich auf den Bereich des Arbeitsrechts beschränkt war und es nicht um eine umfassende Kodifikation des Individualschutzes in allen Geschäftsbereichen ging, vgl. Micklitz, Gutachten A zum 69. Deutschen Juristentag, A26 f. 93 Zu Recht kritisch daher H. Roth, in: Lorenz (Hrsg.), Karlsruher Forum 2011: Verbraucherschutz – Entwicklungen und Grenzen, 2012, Bd. 46, S. 5 ff., 40 f.
§ 12 Die Schutzinstrumente des Verbrauchervertragsrechts
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I. Informationspflichten Allgemein basiert die normative Rechtfertigung von Informationspflichten auf der Feststellung, dass sich Informationsasymmetrien hemmend auf die Entfaltung des Marktes auswirken und sogar zu einem partiellen Marktversagen führen können.94 Demnach sind sie generell zu vermeiden oder auszugleichen. Das Bestehen eines Informationsgefälles beeinträchtigt die Möglichkeit, eine selbstbestimmte rechtsgeschäftliche Entscheidung zu treffen. Grundlage einer solchen ist regelmäßig nämlich die Kenntnis der vertragsrelevanten Gesichtspunkte. Eine nicht nur in formeller Hinsicht, sondern auch materiell selbstbestimmte Entscheidung95 ist nur dann möglich, sofern eine hinreichende und sachlich zutreffende Entscheidungsgrundlage besteht. Aus dem Grundsatz der informationellen Selbstverantwortung folgt allerdings, dass in einer privatautonomen Vertragsordnung die Parteien nicht nur für den Vertragsschluss, sondern prinzipiell auch selbst für die notwendige Informationsgewinnung zur Willensbildung verantwortlich sind.96 Im Bereich der Verbraucherverträge wird dieses Grundparadigma nun durchbrochen. 1. Das Informations- und Transparenzparadigma Der Verbraucher wird grundsätzlich für informierbar und fähig gehalten, die Information im rechtsgeschäftlichen Ablauf zu seinem Schutz einzusetzen. Die Beschaffung und Übermittlung der vertragsrelevanten Gesichtspunkte obliegt allerdings zu großen Teilen dem Unternehmer. Die Grundregel lautet
94 Zum Ganzen ausführlich Grundmann, JZ 2000, 1133 ff., 1137 m. w. N.; Eidenmüller, in: Eidenmüller/Faust/Grigoleit u. a. (Hrsg.), Revision des Verbraucher-acquis, 2011, S. 109 ff., 129 ff.; Reymann, Das Sonderprivatrecht der Handels- und Verbraucherverträge, 2009, 14 f. Siehe auch BT/Drucks. 16/1408, S. 7: „Unzureichender Informationszugang ist auch aus volkswirtschaftlichen Gründen nachteilig. Verbraucherentscheidungen sind in der Marktwirtschaft ein entscheidender Faktor für die Steuerung des Gesamtsystems. Beruhen die Kaufentscheidungen vieler Verbraucherinnen und Verbraucher regelmäßig auf falschen oder unvollständigen Informationen, so verliert das Marktsystem seine Lenkungskräfte und damit seine besondere Effizienz bei der Allokation der Ressourcen. Im extremen Fall können Informationsdefizite zum weitgehenden Zusammenbruch von Märkten führen und erhebliche volkswirtschaftliche Schäden zur Folge haben. Maßnahmen zur Verbesserung der Verbraucherinformation dienen daher auch dem besseren Funktionieren der Märkte.“. 95 Siehe dazu Canaris, AcP 200 (2000), 273 ff. 96 Emmerich, in: Krüger/Säcker/Rixecker (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, 8 2019, § 311 Rn. 66. Dem caveat emptor-Prinzip kommt damit über das Kaufrecht hinaus allgemeingültige Wirkung zu, vgl. Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, 2005, 180 f. Freilich sind Ausnahmen für solche Tatsachen anerkannt, die den Vertragszweck vereiteln oder erheblich gefährden können.
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Drittes Kapitel: Das Paradigma der Unabdingbarkeit
nach Grundmann, dass „die Partei, die auf die Information ungleich leichter zugreifen kann, alle erheblichen Informationen weiterzugeben hat“97. Die Verantwortlichkeit für eine hinreichende Information überträgt das Gesetz demnach überwiegend dem Unternehmer, wenn es in zahlreichen Vorschriften des Verbraucherrechts Informations- und Transparenzförderpflichten zugunsten des Verbrauchers postuliert.98 Da diese Informationspflichten lediglich den Einigungsprozess unterstützen indem sie größere Markttransparenz schaffen, allerdings nicht die tatsächliche Kenntnisnahme und Verwertung der Information voraussetzten, handelt es sich um wettbewerbsfördernde, marktkomplementäre Instrumente. Die Vorgaben zielen demnach primär auf die Verwirklichung der rechtsgeschäftlichen Selbstbestimmung und weniger auf die Gewährleistung eines objektiv ausgewogenen bzw. gerechten Vertrages ab. Mit Meller-Hannich „besteht auch im Verbraucherrecht trotz wohlinformierter Grundlage die Freiheit zum ungünstigen oder unausgewogenen Vertrag fort“99. Schon aufgrund dieser vergleichsweise geringen Eingriffsintensität, wird man den Informationsregeln den Vorrang vor Verbotsregeln einräumen müssen.100 Dementsprechend postuliert auch der EuGH in der Rechtssache Cassis de Dijon den Vorrang des Transparenz- und Informationsmodelles vor einem Verbotsmodell.101 Das Transparenzgebot und das Informationsparadigma stellen folglich die wichtigsten konkreten Elemente des Verbrauchervertragsrechts dar und sind spätestens mit der Verbraucherrechte-RL (Art. 5, Art. 6) zu einem allgemeinen unionsrechtlichen Prinzip erstarkt.102 97
Grundmann, JZ 2005, 860 ff., 865. Zu den einzelnen Informationspflichten nach dem Umsetzungsgesetz zur Verbraucherrechte-RL, vgl. Tamm, VuR 2014, 9 ff.; ausführlicher Überblick bei Weiler, in: Tamm/ Tonner/Bergmann (Hrsg.), Verbraucherrecht, 2016, § 13 Rn. 9 ff. Aus europäischer Perspektive Heiderhoff, Europäisches Privatrecht, 42016, 145 ff. Ausführlich auch MellerHannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, 2005, 183 ff., freilich zur alten Rechtslage. 99 Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, 2005, 182. Siehe dazu auch Flume, Allgemeiner Teil des bürgerlichen Rechts, Teil II, 41992, § 1 5, S. 6, der den Satz stat pro ratione voluntas, als Grundgedanken der Privatautonomie beschreibt. 100 Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht, 1999, 47 f., 200; Heiderhoff, Europäisches Privatrecht, 42016, 115 f.; Grundmann, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 2015, § 9 Rn. 41 ff. 101 EuGH, Urt. v. 20.02.1979, Rs. C-120/78 – Cassis de Dijon, EuZW-Sonderausgabe 2017, 14 ff., 18 Rn. 13. Vgl. auch EuGH, Urt. v. 05.12.2000, Rs. C-448/98 – Guimont, ECLI:EU:C:2000:663 Rn. 31 ff. 102 Vgl. Weiler, in: Tamm/Tonner/Bergmann (Hrsg.), Verbraucherrecht, 2016, § 13 Rn. 7; Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, 2005, 180 ff.; Heiderhoff, Grundstrukturen des nationalen und europäischen Verbrauchervertragsrechts, 2004, 166 ff.; Grundmann, JZ 2000, 1133 ff.; Heiderhoff, Europäisches Privatrecht, 42016, 114 ff.; 98
§ 12 Die Schutzinstrumente des Verbrauchervertragsrechts
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Auch im nationalen Recht wird die Bedeutung der Information für den Verbraucherschutz hervorgehoben. Am Beispiel des Verbraucherbauvertrages zeigt sich, dass hier kein umfassend neuer Vertragstyp geschaffen werden soll (vgl. § 650i Abs. 2 BGB). Das Ziel ist vielmehr die hinreichende (vorvertragliche) Information des Verbrauchers sicherzustellen (§ 650i Abs. 2, § 650j BGB).103 2. „Information overload“ Unter dem Stichwort „information overload“ muss an dieser Stelle die Frage nach der Sinnhaftigkeit einer solchen Informationsfülle aufgeworfen werden. Unbestritten ist, dass die menschliche Informationsaufnahme- und Verarbeitungskompetenz begrenzt und unterschiedlich stark ausgeprägt ist. Überschreitet die Information eine bestimmte Quote an Anzahl und Komplexität, nimmt die Informationsverarbeitung und damit auch die Entscheidungsqualität signifikant ab.104 Eine fehlende Struktur in der Darstellung und im Umfang der gesetzlich vorgegebenen Information kann sich so als nachteilig für den Verbraucherschutz erweisen. Bei einem solchen „information overload“ führen die Informationspflichten dann zu „kontraintentionalen Effekten“105. Eine rationale Informationsverarbeitung als Basis für eine selbstbestimmte Entscheidung ist in diesem Fall nicht mehr möglich. Erschwerend tritt hinzu, dass der Verbraucher diese Einbuße an Entscheidungsqualität nicht wahrnimmt, sondern sich vielmehr für umfassend informiert hält.106
Tamm, Verbraucherschutzrecht, 2011, 347 ff.; Weiler, in: Tamm/Tonner/Bergmann (Hrsg.), Verbraucherrecht, 2016, § 13 (insb. Rn. 9 ff.); Dauner-Lieb, in: Hopt (Hrsg.), Europäisierung des Handels- und Wirtschaftsrechts, 2006, S. 279 ff., 291 f.; Vogel, Verbrauchervertragsrecht und allgemeines Vertragsrecht, 2006, 133: Information ist „primäres Mittel als auch primäres Ziel des Europäischen Verbrauchervertragsrecht“. 103 Begründung des RegE zum Gesetz zur Reform des Bauvertragsrechts, BTDrucks. 18/8486, 61 f. 104 Zum Ganzen ausführlich Kind, Die Grenzen des Verbraucherschutzes durch Information – aufgezeigt am Teilzeitwohnrechtegesetz, 1998; Martinek, in: Grundmann (Hrsg.), Systembildung und Systemlücken in Kerngebieten des Europäischen Privatrechts, 2000, S. 511 ff.; Sedlmeier, Rechtsgeschäftliche Selbstbestimmung im Verbrauchervertrag, 2012, 134 ff. 105 Martinek, in: Grundmann (Hrsg.), Systembildung und Systemlücken in Kerngebieten des Europäischen Privatrechts, 2000, S. 511 ff., 524. 106 Heiderhoff, Grundstrukturen des nationalen und europäischen Verbrauchervertragsrechts, 2004, 269; Kind, Die Grenzen des Verbraucherschutzes durch Information – aufgezeigt am Teilzeitwohnrechtegesetz, 1998, 514; Martinek, in: Grundmann (Hrsg.), Systembildung und Systemlücken in Kerngebieten des Europäischen Privatrechts, 2000, S. 511 ff., 526.
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Ganz allgemein zeigen sich die Grenzen des Verbraucherschutzes durch Information dort, wo Rationalitätsdefizite die Fähigkeit und Bereitschaft zur Informationsaufnahme und -verarbeitung beschränken oder sogar verhindern.107 Pointiert lässt sich die Frage stellen, ob die Bezeichnung als „Informationspflicht“ den Kern des Regelungsgehalts trifft; geht es nicht eher um den Zugang zu bestimmten Daten oder Datensätzen? In diesem Zusammenhang erscheint der Hinweis angebracht, dass obwohl mit Umsetzung der Verbraucherrechte-RL eine bessere Struktur der Information erreicht wird, die Fülle der (vorvertraglichen) Informationspflichten weiter zugenommen hat.108 So enthält Art. 246 Abs. 1 EGBGB einen umfassenden Katalog an vorvertraglichen Pflichtinformationen, die gem. §§ 312a Abs. 2, 312 BGB grundsätzlich und allgemein für alle entgeltlichen Verbraucherverträge gelten.109 Auch unter diesem Gesichtspunkt sei daran erinnert, dass elementare Prinzipien der ADR-Richtlinie und folglich auch der Verbraucherschlichtung nach dem VSBG die Transparenz und Information des Verbrauchers sind. Beide Aspekte werden als wesentliche Instrumente zur Verfahrenssicherung eingesetzt.110 Mit Blick auf die kognitiven Barrieren auf Seiten des Verbrauchers und die Gefahren einer Überinformation erscheinen die allgemeinen Transparenz- und Informationsvorgaben des VSBG in ihrer Wirkung aber zumindest zweifelhaft.111
II. Widerrufsrechte Die Informationspflichten werden ergänzt um ein weiteres Instrument des Verbraucherschutzes: Das nach § 355 Abs. 2 S. 1 BGB grundsätzlich auf 14 Tage beschränkte Widerrufsrecht des Verbrauchers. Es basiert auf der Annahme, dass die rechtsgeschäftliche Erklärung des Verbrauchers zunächst 107
Zum Ganzen ausführlich Sedlmeier, Rechtsgeschäftliche Selbstbestimmung im Verbrauchervertrag, 2012, 134 ff. Da sich die Verpflichtung zur Information nicht in jedem Fall zum Schwächeren- bzw. Schwächstenschutz eignet, versteht Heiderhoff den Vorrang der Information vor eingreifenden Maßnahmen – wie zwingendem Recht – nicht als konsistentes Prinzip, vgl. Heiderhoff, Grundstrukturen des nationalen und europäischen Verbrauchervertragsrechts, 2004, 367, 371. In ähnliche Richtung auch Schön, in: Heldrich (Hrsg.), Festschrift für Claus-Wilhelm Canaris zum 70. Geburtstag, 2007, S. 1191 ff., 1207 f. 108 Siehe dazu nur Tamm, VuR 2014, 9 ff.; Heiderhoff, Europäisches Privatrecht, 42016, 147. 109 Beachte aber den Wortlaut des Art. 246 Abs. 1 EGBGB, der von keinem Informationsbedürfnis ausgeht, sofern sich die Information „aus den Umständen“ ergibt, sowie Art. 246 Abs. 2 EGBGB der eine Ausnahme für Geschäfte des täglichen Lebens vorsieht. 110 Vgl. § 8 IV 3. 111 Vgl. schon § 8 IV 3 b).
§ 12 Die Schutzinstrumente des Verbrauchervertragsrechts
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nicht ausreichend frei getroffen wurde. Dem Verbraucher soll die Möglichkeit gegeben werden, den Vertragsschluss zu überdenken und die rechtliche Bindung ohne weitere Voraussetzungen rückgängig zu machen. Ebenso wie die Pflicht zur Information, handelt es sich um ein marktkompensatorisches Instrument, da die materielle Gerechtigkeit der vertraglichen Gestaltung keine Rolle spielt. Die einzelnen Widerrufsrechte sind dabei in Deutschland jeweils im Zusammenhang mit dem maßgeblichen Vertragstyp geregelt.112 Die Rechtfertigung und Begründung für dieses Vertragslösungsrechts erscheint dabei, je nach Vertragsart mal überzeugender, mal weniger plausibel. Greift das Schutzinstrument nach Ansicht vieler doch in das Prinzip der unbedingten Bindung an einen geschlossenen Vertrag (pacta sunt servanda) und damit in den elementaren Grundsatz eines privatautonomen Vertragsrechts ein.113 Ohne die Diskussion nach der normativen Rechtfertigung114 des verbraucherschützenden Widerrufsrechts in seinen Einzelheiten nachzuzeichnen, sei angemerkt, dass der pacta sunt servanda-Grundsatz wohl erst dann vollumfänglich Geltung beanspruchen kann, sollte der Vertragsschluss auf einer materiell privatautonomen Entscheidung des Verbrauchers beruhen.115 Ein Eingriff kann also schon dann nicht vorliegen, wenn der selbstbestimmte Vertragsschluss nicht gewährleistet ist. Überzeugend ist also die Annahme, das Widerrufsrecht verlängere die Phase des grundsätzlich im
112 § 312g Abs. 1 BGB für außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge und Fernabsatzverträge; § 485 BGB für Verträge über Teilzeit-Wohnrechte; § 495 Abs. 1 BGB für Verbraucherdarlehensverträge; § 510 Abs. 2 BGB für Ratenlieferungsverträge, § 514 Abs. 2 unentgeltliche Darlehensverträge bzw. Finanzierungshilfen, sowie außerhalb des BGB nach § 4 Abs. 1 S. 1 FernUSG Fernunterichtsverträge. Sedlmeier, Rechtsgeschäftliche Selbstbestimmung im Verbrauchervertrag, 2012, 233, bezeichnet das Widerrufsrecht dar als „vertragstypenbezogen“. 113 Canaris, AcP 200 (2000), 273 ff., 344; Eidenmüller, AcP 210 (2010), 67 ff.; Vogel, Verbrauchervertragsrecht und allgemeines Vertragsrecht, 2006, 232; Micklitz, ZEuP 1998, 253 ff., 265 ff. „kompetitives Vertragsrecht“. 114 Ausführlich dazu Eidenmüller, in: Eidenmüller/Faust/Grigoleit u. a. (Hrsg.), Revision des Verbraucher-acquis, 2011, S. 109 ff., 129 ff.; weitgehend übereinstimmend ders., AcP 210 (2010), 67 ff.; Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, 2005, 151 ff.; Wagner, in: Eidenmüller/Faust/Grigoleit u. a. (Hrsg.), Revision des Verbraucheracquis, 2011, S. 1 ff., 21 ff.; H. Roth, in: Lorenz (Hrsg.), Karlsruher Forum 2011: Verbraucherschutz – Entwicklungen und Grenzen, 2012, Bd. 46, S. 5 ff., 27 ff., 35 ff. 115 Ausführlich zum formellen und materiellen Verständnis der Privatautonomie und deren Bedeutung für das verbraucherschützende Widerrufsrecht, schon Fuchs, AcP 196 (1996), 313 ff., 327 ff., 343 f. Demzufolge sieht Heiderhoff, Europäisches Privatrecht, 4 2016, 112, im Widerrufsrecht eine Stärkung der Vertragsfreiheit. Vgl. auch Heiderhoff, Grundstrukturen des nationalen und europäischen Verbrauchervertragsrechts, 2004, 374 f. Ebenso wohl Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, 2005, 171 ff., 177; Vogel, Verbrauchervertragsrecht und allgemeines Vertragsrecht, 2006, 275; Hoffmann, JZ 2012, 1156 ff., 1156 f. m. w. N.
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Drittes Kapitel: Das Paradigma der Unabdingbarkeit
Vorfeld angesiedelten Entscheidungsprozesses über das Zustandekommen des Rechtsgeschäfts hinaus um die Dauer der Widerrufsfrist.116 Auch diese Argumentation muss allerdings begründen, warum die Verpflichtung zur vorvertraglichen Information nicht zur Gewährleistung einer privatautonomen Entscheidung ausreicht.117 Ausschlaggebend ist dabei, dass die spezifischen Risiken der entsprechenden Vertragsgestaltung als so erheblich für den Verbraucher eingestuft werden, dass dem Verbraucher in der Widerrufsfrist die Möglichkeit zur eingehenderen Information über Inhalt und Rechtsfolgen des Rechtsgeschäfts gegeben werden soll.118 Insofern lässt sich weder im europäischen, noch im nationalen Verbraucherrecht eine Ablösung des Grundsatzes der Bindungswirkung von Verträgen, durch die Etablierung eines Rechtsprinzips der Widerruflichkeit von Verbrauchererklärungen vorfinden: Ein allein an der Verbraucherrolle anknüpfendes allgemeines Widerrufsrecht existiert nicht.119 Am Rande sei hier angemerkt, dass dem Widerrufsrecht im Rahmen des tatsächlichen Marktverhaltens des Verbrauchers wohl weniger Bedeutung zukommt, als durch den erheblichen Vorwurf eines Verstoßes gegen die Privatautonomie möglicherwiese angenommen werden könnte.120 Die verhält116 Sedlmeier, Rechtsgeschäftliche Selbstbestimmung im Verbrauchervertrag, 2012, 239 ff.; Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, 2005, 175 ff.; Vogel, Verbrauchervertragsrecht und allgemeines Vertragsrecht, 2006, 274. 117 Tamm, Verbraucherschutzrecht, 2011, 388. 118 Sedlmeier, Rechtsgeschäftliche Selbstbestimmung im Verbrauchervertrag, 2012, 231 ff.; Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, 2005, 175 ff.; H. Roth, in: Lorenz (Hrsg.), Karlsruher Forum 2011: Verbraucherschutz – Entwicklungen und Grenzen, 2012, Bd. 46, S. 5 ff., 28, sieht nur im Falle einer „Haustürsituation“ ein überzeugungskräftiges Argument für den Verbraucherschutz. Insofern sieht ders., in: Lorenz (Hrsg.), Karlsruher Forum 2011: Verbraucherschutz – Entwicklungen und Grenzen, 2012, Bd. 46, S. 5 ff., 35, keine „einheitliche ratio für Widerrufsrechte“, mit Verweis auf Eidenmüller, AcP 210 (2010), 67 ff. 119 Heiderhoff, Europäisches Privatrecht, 42016, 112 f.; Heiderhoff, Grundstrukturen des nationalen und europäischen Verbrauchervertragsrechts, 2004, 379; Sedlmeier, Rechtsgeschäftliche Selbstbestimmung im Verbrauchervertrag, 2012, 158. 120 Ausführlich Sedlmeier, Rechtsgeschäftliche Selbstbestimmung im Verbrauchervertrag, 2012, 241 ff.; Eidenmüller, JZ 2005, 216 ff., 221 f.; Bechtold, Die Grenzen zwingenden Vertragsrechts, 2012, 93 ff.; Benedict, AcP 206 (2006), 56 ff., 81 Fn. 72. Valide aktuelle Zahlen zu Widerufsquoten im Verbrauchervertragsrecht sind, soweit ersichtlich nicht verfügbar. Allerdings wird man Einschätzungen die eine Widerrufsquote von bis zu 28,5 % (vgl. https://www.shopanbieter.de/3584-widerruf-nagt-an-marge-ist-oft-missbraeuchlich20-nicht-wiederverkaufbar-verschlechterung-befuerchtet) ausweisen, kaum als repräsentatives Bild für die Widerrufspraxis ansehen können. Realistischer erscheint das durch den Bundesverband E-Commerce und Versandhandel Deutschland (bevh) in Auftrag gegebene Gutachten mit dem Titel „E-Commerce und Paketdienste“ (abrufbar unter: https://www.bevh.org/uploads/media/140901 E-Commerce und Paketdienste.pdf). Das Gutachten weist für das Jahr 2013 im Fernabsatzgeschäft, und damit für einen Vertriebs-
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nismäßig geringen Widerrufsquoten sagen zwar wenig über die Legitimation des Schutzinstruments aus, können aber dem oft gegen das Gestaltungsrecht vorgebrachten Einwand einer flächendeckenden opportunistischen Ausnutzung121 der Widerrufsmöglichkeit durch den Verbraucher entgegentreten. Mit Blick auf ADR-Verfahren kann das Widerrufsrecht nicht nur als Konfliktgegenstand relevant werden, sondern bietet sich möglicherweise auch als Möglichkeit zur Verfahrenssicherung in der Verbraucherschlichtung an. So streitet Wendenburg für die Einführung eines 14-tägigen Widerrufsrechts zum Schutz der schwächeren Partei in der Mediation.122 Dieser Gedanke soll an anderer Stelle nochmals aufgegriffen und vertieft werden.123
III. Halbzwingende Rechte Als das zentrale Instrument zur Sicherung des Verbraucherschutzstandards wird man die halbzwingende Anordnung der Verbraucherrechte ansehen müssen. So bezeichnet der Vorschlag der Kommission zur Verbrauchsgüterkaufrichtlinie die Normierung der Unabdingbarkeit als die „klassische Bestimmung“ des europäischen Verbrauchervertragsrechts.124 Das zwingende Vertragsrecht stellt – ebenso wie die Inhaltskontrolle – eine gesetzliche Wertung an die Stelle einer privaten Vereinbarung. Damit wird vom Grundsatz der Vertragsfreiheit und der formellen Richtigkeitsgewähr abgewichen. Die Gerechtigkeitsvorstellungen der Parteien, die sich in der vertraglichen Vereinbarung manifestieren, werden ersetzt durch einen von der Rechtsordnung vorgeschriebenen Gerechtigkeitsrahmen.125 Zwingendes Recht begrenzt folglich die formelle Privatautonomie und insb. die Vertragsfreiheit, damit die Gewährleistung höherrangiger Interessen – nämlich insbesondere die materielle Privatautonomie – ermöglicht wird. Im geltenden Verbrauchervertragsrecht finden sich dabei durchweg sog. halbzwingende Normen, die einer rechtsgeschäftlichen Disposition zu bereich, der tendenziell wohl von höheren Widerufsquoten betroffen ist, als bspw. Verbraucherkreditverträge, eine Retourenquote von 7 % aus. Ein vergleichbares Bild zeichnet die Erhebung der IFH Köln – ECC Köln bei der 55,2 % der 239 Onlinemarktplatzhändler im Jahr 2016 eine monatliche Retourenquote von 0–2 % angeben, 2–6 % – 25,6 %; 6–10 % – 17,6; 10–20 % – 1,7 % (Statista, Retouren im Online-Handel). 121 Schwintowski, EWS 2001, 201 ff., 207 f. Im Übrigen zeigt die im E-Commerce oft anzutreffende Praxis der freiwilligen Einräumung von Rückgabemöglichkeiten mit großzügigerer Frist, dass die verhaltensökonomischen Begründungen für die niedrige Quote auf der Anbieterseite aufgegriffen werden, vgl. Eidenmüller, JZ 2005, 216 ff., 219. 122 Wendenburg, Der Schutz der schwächeren Partei in der Mediation, 2013, 341 ff., 352 ff. 123 Dazu § 15 IV 2. 124 KOM (95) 520 endg. 17. 125 Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, 2005, 22 ff.
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Drittes Kapitel: Das Paradigma der Unabdingbarkeit
Lasten des Verbrauchers entgegenstehen, eine Abweichung zugunsten des Verbrauchers allerdings zulassen.126 Gewährleistet werden soll auf diese Weise ein „Mindestsockel von Verbraucherrechten“127.128 Unabdingbar sind daher insbesondere die verbraucherschützenden Aufklärungs- und Informationspflichten sowie das jeweilige Widerrufsrecht. Dies soll hier allerdings nicht im Mittelpunkt der Erörterung stehen. Angemerkt sei nur Folgendes: Derselbe Sachgrund, der die Information oder Widerufsmöglichkeit erfordert, macht es unerlässlich, dass die entsprechende Norm zwingend ausgestaltet ist.129 Darüber hinaus determiniert das zwingende Recht aber auch den konkreten Vertragsinhalt, indem es bestimmte Abreden für unzulässig erklärt oder den Vertragsinhalt in Teilbereichen verbindlich vorgibt.130 Ganz grundsätzlich ist also zwischen abschlussbezogenen und inhaltsgestaltenden zwingenden Verbrauchervertragsrechten zu unterscheiden.131 Gerade die Letzteren sollen im Mittelpunkt der folgenden Ausführungen stehen.
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Für das Verbrauchervertragsrecht siehe insb. § 312k Abs. 1 BGB für die besonderen Vertriebsformen; § 476 Abs. 1 und Abs. 2 BGB für den Verbrauchsgüterkauf; § 487 BGB für Teilzeit-Wohnrechte-Verträge und ähnliche Verträge; § 512 BGB für Verbraucherdarlehen und ähnliche Verträge; § 655e Abs. 1 BGB für die Vermittlung von Verbraucherdarlehen und ähnlichen Verträgen. Beachte auch die halbzwingende Natur der Widerrufsregelungen nach den §§ 355 ff. BGB gem. § 361 Abs. 2 BGB. 127 EWG 5 der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie. 128 Siehe allgemein dazu Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, 2005, 248 f. 129 Tamm, Verbraucherschutzrecht, 2011, 416 f.; Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, 2005, 231; Grigoleit, in: Basedow/Hopt/Zimmermann u. a. (Hrsg.), Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts Band II, 2009, S. 1822 ff., 1823 f., 1826; Sedlmeier, Rechtsgeschäftliche Selbstbestimmung im Verbrauchervertrag, 2012, 280. Kritisch dazu aber Eidenmüller, in: Eidenmüller/Faust/Grigoleit u. a. (Hrsg.), Revision des Verbraucher-acquis, 2011, S. 109 ff., 131 ff. Zum Gedanken eines optionalen Widerrufsrecht Wagner, in: Eidenmüller/Faust/Grigoleit u. a. (Hrsg.), Revision des Verbraucheracquis, 2011, S. 1 ff., 29 f.; sowie Eidenmüller, in: Eidenmüller/Faust/Grigoleit u. a. (Hrsg.), Revision des Verbraucher-acquis, 2011, S. 109 ff., 134 ff. 130 Siehe die Regelungen über den Verbrauchsgüterkauf (§ 475, 476 BGB), Verbraucherkreditverträge (§ 492 BGB i. V. m. Art. 247 EGBGB), Verbraucherbauvertrag (§ 650i ff. BGB). Insb. für Entgeltvereinbarungen beachte die für alle Verbraucherverträge geltenden Vorschriften des § 312a Abs. 3 – 5 BGB. Genannt sei hier auch der Pauschalreisevertrag (§ 651a BGB), der trotz seiner verbraucherschützenden Grundausrichtung nicht als Verbrauchervertrag verstanden werden soll, da er nicht an den Begriff des Verbrauchers gem. § 13 BGB anknüpft. 131 Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht, 1999, 200.
§ 12 Die Schutzinstrumente des Verbrauchervertragsrechts
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IV. Zwingende Vertragsinhaltsregelungen Aus ökonomischer Sicht beruhen zwingende Regelungen im Vertragsrecht allesamt auf der Korrektur eines Marktversagens.132 Die Annahme eines solchen ist der Ausgangspunkt dafür, dass ein fairer Aushandlungsprozess zwischen den Parteien nicht denkbar erscheint und folglich bestimmte Regelungsbereiche der privatautonomen Disposition entzogen werden müssen. Die Anordnung zwingender Vertragsinhalte stellt – anders als die Verpflichtung zur Information und die Einräumung des Widerrufsrechts – ein marktkompensatorisches Instrument dar. Ziel dieser Regelungen ist damit nicht die Gewährleistung einer selbstbestimmten Entscheidung, sondern die Verhinderung rechtsgeschäftlicher Vereinbarungen, die zu einer nicht hinnehmbaren Übervorteilung des Verbrauchers führen, oder anders ausgedrückt: Das Ziel ist die Gewährleistung materiell gerechter Verträge.133 Die mit der Anordnung inhaltlich zwingender Vorgaben verbundene Eingriffsintensität mahnt allerdings zu gesetzgeberischer Zurückhaltung.134 1. Die Legitimation zwingender Vertragsinhaltsregelungen Da auch der europäische Gesetzgeber vom Grundprinzip der Vertragsfreiheit ausgeht, bedarf zwingendes Vertragsrecht als Einschränkung der Privatautonomie regelmäßig einer Begründung.135 Schon ein erster kursorischer Überblick zeigt eine erstaunliche Präferenz für die Anordnung der halbseitig zwingenden Geltung von Verbraucherschutzvorschriften. So legt der Art. 25 der Verbraucherrechte-RL ausdrücklich fest, dass die Verbraucher „auf die Rechte, die ihnen mit den einzelstaatlichen Maßnahmen zur Umsetzung dieser Richtlinie eingeräumt werden, nicht verzichten“ können und weiter „Vertragsklauseln, die einen Verzicht auf die sich aus dieser Richtlinie ergebenden Rechte oder deren Einschränkung unmittelbar oder mittelbar bewirken, […] für den Verbraucher nicht bindend“ sind. Eine Begründung für die einseitig zwingende Anordnung enthält die Richtlinie ebenso wie die entsprechenden Vorgängervorschriften nicht.
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Bechtold, Die Grenzen zwingenden Vertragsrechts, 2012, S. 43 ff.; Kötz, Vertragsrecht, 22012, § 1 Rn. 36; Eidenmüller/Engel, ZIP 2013, 1704 ff.; Eidenmüller, ZKM 2015, 131; Wagner, ZEuP 2010, 243 ff., 253; Reymann, Das Sonderprivatrecht der Handels- und Verbraucherverträge, 2009, 78; Basedow, in: Bitburger Gespräche, 2009, S. 85 ff., 87. 133 So mit Blick auf die zwingende Anordnung des Art. 6 Abs. 1 Klausel-RL der EuGH, Urt. v. 09.03.2006, Rs. C-421/04 – Mostaza Claro, Slg. 2006, I-10 421, Rn. 36. 134 Wagner, in: Eidenmüller/Faust/Grigoleit u. a. (Hrsg.), Revision des Verbraucheracquis, 2011, S. 1 ff., 52 a. E. 135 Ders., in: Eidenmüller/Faust/Grigoleit u. a. (Hrsg.), Revision des Verbraucher-acquis, 2011, S. 1 ff., 3. Siehe dazu auch schon § 11.
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Drittes Kapitel: Das Paradigma der Unabdingbarkeit
Ganz besondere Bedeutung kommt der europäischen Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie zu. Hier scheint nämlich die pauschale Annahme einer vertragstypischen Gefährdung der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit des Verbrauchers besonders fernliegend.136 Art. 7 Abs. 1 der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie legt aber fest, dass „Vertragsklauseln oder mit dem Verkäufer vor dessen Unterrichtung über die Vertragswidrigkeit getroffene Vereinbarungen, durch welche die mit dieser Richtlinie gewährten Rechte unmittelbar oder mittelbar außer Kraft gesetzt oder eingeschränkt werden“ für den Verbraucher nicht bindend sind. In einem Halbsatz des EWG 22 begründet der Gesetzgeber das Unabdingbarkeitspostulat mit der lapidaren Feststellung, dass Vereinbarungen, welche die Verbraucherrechte einschränken oder außer Kraft setzen „den gesetzlichen Schutz aushöhlen würde[n]“. Dass diese Begründung für den Schutz des Verbrauchsgüterkäufers einen Zirkelschluss darstellt, ist evident.137 Da als Begründungsansatz für den zwingenden Schutz des Verbrauchers im Kaufrecht das undifferenzierte Berufen auf eine gefährliche Abschlusssituation138, das Abstellen auf einen besonders komplexen Vertragsinhalt139 oder die Annahme einer strukturellen Unterlegenheit gegenüber dem Unternehmer ausscheidet140, ließe den Schluss auf eine objektive Nichtakzeptanz von Abweichungen vom gesetzlichen Gewährleistungsrecht durch die Rechtsordnung im Rahmen des Verbrauchsgüterkaufs zu. Dem widerspricht allerdings, dass der Gesetzgeber im selben Atemzug ein berechtigtes Interesse beider Parteien an der Einschränkung oder am Ausschluss der Käuferrechte anerkennt (vgl. Art. 7 Verbrauchsgüterkauf-RL; § 476 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 BGB).141 Der weitere Überblick über das bestehende Verbrauchervertragsrecht macht deutlich, dass der Gesetzgeber durch umfangreiche Interventionen ein
136 Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, 2005, 245, der Kauf als das „Grundgeschäft des Konsums“ sei nicht durch eine entsprechende Gefährdungslage gekennzeichnet. Vgl. aber auch Weidenkaff, in: Brudermüller/Ellenberger/Götz u. a. (Hrsg.), Palandt Bürgerliches Gesetzbuch, 792020, § 476 Rn. 1 „moderne, aggressive Vertriebsmethoden“. 137 Canaris, AcP 200 (2000), 273 ff., 362 f. 138 Weidenkaff, in: Brudermüller/Ellenberger/Götz u. a. (Hrsg.), Palandt Bürgerliches Gesetzbuch, 792020, § 476 Rn. 1. 139 So für den Gebrauchtwagenhandel Gsell, JZ 2012, 809 ff., 814 f. 140 H. Roth, in: Lorenz (Hrsg.), Karlsruher Forum 2011: Verbraucherschutz – Entwicklungen und Grenzen, 2012, Bd. 46, S. 5 ff., 32 ff.; Wagner, in: Eidenmüller/Faust/Grigoleit u. a. (Hrsg.), Revision des Verbraucher-acquis, 2011, S. 1 ff., 35 ff.; Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, 2005, 245. 141 Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, 2005, 249; Wagner, in: Eidenmüller/Faust/Grigoleit u. a. (Hrsg.), Revision des Verbraucher-acquis, 2011, S. 1 ff., 37, 52.
§ 12 Die Schutzinstrumente des Verbrauchervertragsrechts
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so dichtes Netz an zwingenden Vorgaben geknüpft hat, dass in bestimmten Bereichen geradezu von „regulierten Verträgen“ gesprochen werden kann.142 Dass sich diese Beschränkungen als überregulierende Markteingriffe darstellen können, die dann eher zu einem Nachteil des Verbrauchers führen, indem sie einen kompletten Wirtschaftsbereich dem wettbewerbsrechtlichen Vertragsmechanismus entziehen, wird am Beispiel des Gebrauchtwagenkaufs evident.143 Letztendlich stellt sich die Frage, ob neben den verbraucherschützenden Sonderregeln und einer weit ausgebauten Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff. BGB überhaupt die Notwendigkeit für zwingende Vorgaben hinsichtlich des Vertragsinhalts besteht.144 a) Der Verbraucher als die „schwächere“ Vertragspartei Kein tragfähiger Gesichtspunkt zur Legitimation zwingender Vertragsinhaltsregelungen ist der Schutz des Verbrauchers als „schwächere“ Vertragspartei. Der Gesetzgeber macht durch die Verbraucherschutzvorschriften ja gerade deutlich, dass er den Verbraucher als durchaus im Stande ansieht, privatautonom zu handeln. Der Schutz vor spezifischen vertraglichen Risiken wird zum einen mit Hilfe der Verpflichtung des Unternehmers zur Information und zum anderen über die Gewährung eines Lösungsrechts für den Verbraucher sichergestellt. Den Schutz vor einer Übervorteilung durch einen entsprechenden Vertragsinhalt und damit auch die Sicherung weitgehend materiell gerechter Verträge, gewährleistet die umfassende Möglichkeit zur Klauselkontrolle gem. §§ 307 ff. BGB. Regelungsgrund ist dort aber nicht der Schutz vor einer wirtschaftlichen Übermacht des Vertragspartners, sondern vielmehr die Störung der Richtigkeitsgewähr des Vertrags durch die einseitige Vorgabe des Vertragsinhalts (der sogenannte „Sog des vorformu-
142 Kötz, Vertragsrecht, 22012, § 1 Rn. 44; H. Roth, in: Lorenz (Hrsg.), Karlsruher Forum 2011: Verbraucherschutz – Entwicklungen und Grenzen, 2012, Bd. 46, S. 5 ff., 39. Mit Blick auf Art. 7 der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie äußerst kritisch Canaris, AcP 200 (2000), 273 ff., 362 ff. 143 H. Roth, in: Lorenz (Hrsg.), Karlsruher Forum 2011: Verbraucherschutz – Entwicklungen und Grenzen, 2012, Bd. 46, S. 5 ff., 40; Martinek, in: Grundmann (Hrsg.), Systembildung und Systemlücken in Kerngebieten des Europäischen Privatrechts, 2000, S. 511 ff., 535 ff., der von Martinek vorgeschlagene Weg über das Agenturgeschäft, wird vom BGH mit der Bejahung eines Umgehungsgeschäfts § 476 Abs. 1 S. 2 BGB versperrt (vgl. nur Weidenkaff, in: Brudermüller/Ellenberger/Götz u. a. (Hrsg.), Palandt Bürgerliches Gesetzbuch, 792020, § 474 Rn. 5a); sehr kritisch zu einem zwingenden Kaufrecht Wagner, in: Eidenmüller/Faust/Grigoleit u. a. (Hrsg.), Revision des Verbraucher-acquis, 2011, S. 1 ff., 37 ff. 144 Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht, 1999, 197; Wagner, in: Eidenmüller/ Faust/Grigoleit u. a. (Hrsg.), Revision des Verbraucher-acquis, 2011, S. 1 ff., 36 f. mit Blick auf das Verbrauchsgüterkaufrecht.
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Drittes Kapitel: Das Paradigma der Unabdingbarkeit
lierten Gedankens“145). Hinsichtlich des konkreten Vertragsinhalts besteht für den Verwender im Verhältnis zu seinem Vertragspartner demnach ein Informationsvorsprung, den der Vertragspartner aufgrund entsprechend hoher „Transaktionskosten“146 nur dann versuchen wird auszugleichen, sollte der Nutzen größer sein als die Kosten.147 Hinzu tritt – gleichsam bedingt durch das Informations- und Motivationsgefälle – der Ausfall eines Wettbewerbsmechanismus um die „besseren“ Vertragsbedingungen. Um einem partiellen Marktversagen entgegenzuwirken, ist folglich eine Inhaltskontrolle durch die Gerichte geboten.148 Da der Verbraucher insoweit eher einem „rationalen Desinteresse“ unterliegt als der Unternehmer, modifiziert § 310 Abs. 3 BGB die Klauselkontrolle in diesem Verhältnis.149 Festzuhalten bleibt also, dass der Verbraucher sowohl beim Vertragsabschluss als auch hinsichtlich eines unbilligen Vertragsinhalts vor Übervorteilung geschützt wird, sollte eine selbstbestimmte Entscheidung typischerweise nicht zu erwarten sein. Wenn aber die Verhinderung materiell ungerechter Verträge durch die Inhaltskontrolle und der selbstbestimmte Vertragsabschluss mit Hilfe zwingender Informations- und Widerrufsrechte sichergestellt wird, so muss umso dringlicher die Frage nach der Rechtfertigung inhaltlich zwingender Vorgaben gestellt werden. Der Gesetzgeber sieht ganz offensichtlich über die Inhaltskontrolle hinaus die Notwendigkeit für eine Beschränkung der Inhaltsfreiheit. Der Einwand, auch im Bereich der im Einzelnen ausgehandelten Individualvereinbarung bestünde ein „rationales Desinteresse“ des Verbrauchers am exakten Vertragsinhalt150, läuft dann schlussendlich aber auf ein paternalistisches Rechtsverständnis und ein Leitbild vom unmündigen Verbraucher hinaus. Ein solches bestimmt aber – wie schon gezeigt – weder die Normgebung des europäischen noch die des deutschen Gesetzgebers. 145 H. Roth, in: Lorenz (Hrsg.), Karlsruher Forum 2011: Verbraucherschutz – Entwicklungen und Grenzen, 2012, Bd. 46, S. 5 ff., 31. 146 Kötz, Vertragsrecht, 22012, § 1 Rn. 55 f.; Basedow, in: Krüger/Säcker/Rixecker (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, 82019, Vor. §§ 305 ff. Rn. 5; Schön, in: Heldrich (Hrsg.), Festschrift für Claus-Wilhelm Canaris zum 70. Geburtstag, 2007, S. 1191 ff., 1205 ff. 147 Tamm, Verbraucherschutzrecht, 2011, 532 ff.; Wagner, Prozeßverträge, 1998, 126 ff.; Dauner-Lieb, Verbraucherschutz durch Ausbildung eines Sonderprivatrechts für Verbraucher, 1983, 73. 148 Basedow, in: Krüger/Säcker/Rixecker (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, 8 2019, Vor. §§ 305 ff. Rn. 5; Wagner, Prozeßverträge, 1998, 127; Tamm, Verbraucherschutzrecht, 2011, 534 f. jeweils m. w. N. 149 Ausführlich Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, 2005, 237 ff.; Jansen, in: Eidenmüller/Faust/Grigoleit u. a. (Hrsg.), Revision des Verbraucheracquis, 2011, S. 53 ff.; Wagner, in: Eidenmüller/Faust/Grigoleit u. a. (Hrsg.), Revision des Verbraucher-acquis, 2011, S. 1 ff., 47 f. 150 So wohl Kötz, Vertragsrecht, 22012, § 1 Rn. 49.
§ 12 Die Schutzinstrumente des Verbrauchervertragsrechts
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b) Zwingende Ausgestaltung und Vollharmonisierung Denkbar wäre es, die Begründung für die zwingende Ausgestaltung des verbraucherschützenden Sekundärrechts allein in den Harmonisierungsbestrebungen der Union zu sehen.151 Das Konzept der Mindestharmonisierung im Vertikalverhältnis, wird im Bereich des Verbrauchervertragsrechts (und damit im Horizontalverhältnis) regelmäßig mit der Anordnung zwingenden Rechts verknüpft. Durch die Unabdingbarkeit bestimmter Mindestrechte soll so ein einheitlicher Mindestschutz des Verbrauchers sichergestellt werden.152 Dies erscheint aus Sicht der EU schon deshalb notwendig, da gerade das Verbraucherschutzrecht ein Normbereich ist, in dem der Binnenmarkt mit zahlreichen unterschiedlichen Vorschriften zwingenden Rechts konfrontiert wird, die nach der Cassis-Rspr. des EuGH nicht ohne Weiteres gegen Primärrecht verstoßen.153 Die Anordnung der zwingenden Geltung im Sekundärrecht kann bei abstrakter Betrachtung als Wegbereiter bzw. „Vorläufer“ für das nun Einzug haltende Vollharmonisierungsprinzip verstanden werden. Freilich handelt es sich um zwei gänzlich unterschiedliche Gestaltungsmittel, dennoch scheint die Zielsetzung identisch. Die von Wagner getroffene Feststellung, dass die Anordnung zwingenden Rechts mit der Vollharmonisierung „nichts zu tun hat“154, überzeugt m. E. also nicht vollumfänglich. Diese Überlegung soll im Folgenden anhand der Betrachtung des Richtlinienvorschlages über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte des Warenhandels155 exemplarisch näher untersucht werden. Nach dem Scheitern des Gemeinsamen Europäischen Kaufrechts156 wendet sich der europäische Gesetzgeber nun erneut dem Verbrauchsgüterkauf als „Grundgeschäft des Konsums“157 zu.158 Ziel der Kommission ist die Ersetzung der Verbrauchs151
In diese Richtung wohl auch Riesenhuber, Europäisches Vertragsrecht, 22006, 365. Wertenbruch, in: Soergel/Siebert/Wolf (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch, § 475 Rn. 6 ff. 153 Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht, 1999, 20 f.; Grigoleit, AcP 210 (2010), 354 ff., 373. 154 Wagner, ZEuP 2010, 243 ff., 247. 155 KOM (2017) 637 endg. 156 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlamentes und des Rates über ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht, KOM (2011) 635 endg. Sieh dazu Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschaftsund Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen KOM (2014) 910 endg., Annex 2, Nr. 60. 157 Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, 2005, 245. 158 Siehe vormals Vorschlag für eine Richtlinie über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte des Online-Warenhandels und anderer Formen des Fernabsatzes von Waren, KOM (2015) 635 endg. Dieser wurde im Oktober 2017 von der EU-Kommission erheblich erweitert. Mit der Erfassung des Einzelhandels soll nun die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie 152
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Drittes Kapitel: Das Paradigma der Unabdingbarkeit
güterkaufrichtlinie 1999/44/EG durch einen vollharmonisierenden Rechtsakt. Ebenso wie die Verbraucherrechte-RL spricht auch dieser Richtlinienentwurf von zu hohen Transaktionskosten beim Abschluss grenzüberschreitender Verträge.159 Diese gilt es zu senken oder gänzlich abzubauen, auch indem die vollharmonisierende Regelung den wesentlichen Vertragsinhalt verbindlich vorgibt.160 Unzweifelhaft betrifft die Vollharmonisierung nur das Vertikalverhältnis zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaat, während sich die Unabdingbarkeitsvorgabe ausschließlich auf das Horizontalverhältnis zwischen den privatrechtlichen Rechtssubjekten bezieht. Es scheint allerdings durchaus auch plausibel, dass die Union die Unabdingbarkeitsvorgabe gleichsam als die Fortsetzung des Vollharmonisierungsprinzips in das Horizontalverhältnis begreift. Demnach geht es ihr nicht nur um die Angleichung unterschiedlicher nationaler Vertragsvorschriften, sondern – noch viel weitgehender – um die unionsweite Verhinderung privatautonomer Abweichungen von diesen Vorgaben zugunsten des Vertrauens in den Binnenmarkt. Die zwingende Festlegung des inhaltlichen Kernbereichs bestimmter Vertragsgestaltungen wird als kostensenkend und demnach als marktfördernd angesehen. Erst mit einer solchen Angleichung auch der zwingenden Verbrauchervertragsvorschriften erscheint das Ziel einer „vollständigen Harmonisierung“ verwirklicht.161 Diese Rechtsvereinheitlichung wird somit zum Begründungsansatz für eine zwingende Ausgestaltung des Verbrauchervertragsrechts.162 Mit Wagner lässt sich ohne Weiteres kritisieren, dass ein solcher Ansatz das marktreale Verhalten der Unternehmer verkennt, denn kein
1999/44/EG ersetzt werden. Siehe nun geänderter Vorschlag für eine Richtlinie über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte des Warenhandels, zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinie 2009/22/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, KOM (2017) 637 endg. 159 KOM (2017) 637 endg. 7 f. 160 KOM (2017) 637 endg. 9, 15 161 Siehe nur EWG 9 des Richtlinienentwurfs, KOM (2017) 637 endg. 15. Vgl. auch ebd. S. 5 („[…] vollständige Harmonisierung der Vertragsmäßigkeitskriterien, der Hierarchie der Rechtsbehelfe, die den Verbrauchern zur Verfügung stehen, und der Modalitäten für ihre Inanspruchnahme […]“), S. 6 („[…] vollständige Harmonisierung wichtiger nationaler vertragsrechtlicher Bestimmungen […]“), S. 7 („[…] die vollständige Harmonisierung ausgewählter verbindlicher Vorschriften […]“), S. 9 („Der Schwerpunkt liegt auf der weiteren Harmonisierung zwingender Bestimmungen des EU-Verbrauchervertragsrechts. […]“). Hierbei wird offenbar, dass der Richtlinienentwurf in dieser Hinsicht größtenteils von dem Vorschlag für ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht, KOM (2011) 635 endg. (vgl. insb. EWG 12, Art. 11) beseelt ist. 162 Dezidiert anderer Auffassung ist Grigoleit, in: Basedow/Hopt/Zimmermann u. a. (Hrsg.), Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts Band II, 2009, S. 1822 ff., 1827 f.
§ 12 Die Schutzinstrumente des Verbrauchervertragsrechts
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Unternehmer wird Abweichungen von dem vollharmonisierten aber dispositiven Richtlinienrecht vorsehen, würde er die Transaktionskosten höher bewerten als den Nutzen.163 Aus Sicht des EU-Gesetzgebers hat die Anordnung allerdings einen entscheidenden Vorteil: Kommt es für die Feststellung der Missbräuchlichkeit einer einzelnen Vertragsklausel in der Klauselkontrolle wesentlich auf die nationale Vertragsrechtsordnung164 an, so ist mit der Anordnung zwingenden Rechts nicht nur die missbräuchliche, sondern schlichtweg jede abweichende Vereinbarung ausgeschlossen. Ein Rückgriff auf die nationalen Rechtssysteme demnach nicht mehr notwendig.165 Mit der Anordnung solcher verbindlicher Rechtsregeln lässt sich also eine einheitliche Anwendung des europäischen Verbrauchervertragsrechts sicherstellen.166 Insofern stützen die vorstehenden Untersuchungen die Annahme, dass der europäische Gesetzgeber das zwingende Verbrauchervertragsrecht – neben den schon dargestellten Begründungsansätzen – insbesondere als Harmonisierungsinstrument versteht, welches das Vertrauen der Marktteilnehmer (hier sind sowohl die Verbraucher als auch die Unternehmer gemeint) stärken soll.167 Das ius cogens ist also keine Begleiterscheinung der Vollharmonisierung, sondern vielmehr als Wegbereiter für ein vollständig harmonisiertes Verbrauchervertragsrecht anzusehen. Ob daneben noch die Sicherung einer materiell gerechten Vertragsgestaltung eine Rolle spielt, kann durchaus bezweifelt werden. Eine solche Kombination von Inhaltskontrolle und zwingend angeordnetem Vertragsinhalt im Zusammenhang mit der vollharmonisierenden Ausrichtung der europäischen Gesetzgebungsakte, lässt allerdings einen unverhältnismäßigen und deshalb verfassungswidrigen Eingriff in die Vertragsfreiheit nicht unwahrscheinlich erscheinen.168
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Wagner, ZEuP 2010, 243 ff., 247 f. EuGH, Urt. v. 01.04.2004, Rs C-237/02 – Freiburger Kommunalbauten, ECLI:EU:C:2004:209, Rn. 21. 165 Vgl. Vogel, Verbrauchervertragsrecht und allgemeines Vertragsrecht, 2006, 170, der insoweit feststellt, dass die praktische Bedeutung der Klausel-RL bei zunehmender Harmonisierung an Bedeutung einbüßen wird. Die Klausel-RL sei lediglich „Auffangschutzinstrument“ für den nichtharmonisierten Bereich des Verbrauchervertragsrechts. 166 Siehe dazu auch Basedow, in: Bitburger Gespräche, 2009, S. 85 ff., 97 f. 167 Heiderhoff, Grundstrukturen des nationalen und europäischen Verbrauchervertragsrechts, 2004, 270 ff., allerdings mit Fokus auf das Verbrauchervertrauen. 168 In diese Richtung wohl auch Canaris, AcP 200 (2000), 273 ff., 363 f.; H. Roth, in: Lorenz (Hrsg.), Karlsruher Forum 2011: Verbraucherschutz – Entwicklungen und Grenzen, 2012, Bd. 46, S. 5 ff., 40 f.; Grigoleit, AcP 210 (2010), 354 ff., 371 f. 164
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Drittes Kapitel: Das Paradigma der Unabdingbarkeit
2. Zwischenergebnis Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, dass der europäische Gesetzgeber den halbseitig zwingenden Gestaltungsmodus als wesentliches Element seiner Verbraucherschutzkonzeption ansieht und die Anordnung zwingender Vertragsinhalte als Instrument zur Harmonisierung des Verbrauchervertragsrechts verwendet. Dass die Anordnungen zwingender Vertragsinhalte dabei allerdings auf einem schwachen Fundament stehen, sollten die vorstehenden Ausführungen deutlich gemacht haben.
§ 13 Die Abdingbarkeit der Verbraucherschutzrechte Der durch die entsprechenden Vorschriften zugunsten des Verbrauchers gewährte Schutz ist als Mindestgarantie nicht dispositiv. Nicht klar ist allerdings, wie weit dieser zwingende Charakter der Verbraucherschutzvorschriften tatsächlich reicht. Der Wortlaut der Unabdingbarkeitsvorgaben im Verbraucherrecht ist eindeutig: Von den Vorschriften darf „nicht zum Nachteil des Verbrauchers abgewichen werden“169. Stellenweise stehen die Vorgaben allerdings unter dem Vorbehalt einer möglichen anderen Bestimmung („soweit nichts anderes bestimmt ist“170). Die Unabdingbarkeitsanordnung gilt also schon dem Wortlaut nach nicht absolut. Eine Sonderstellung nimmt der § 476 Abs. 1 S. 1 BGB ein, der eine Abweichung von bestimmten kaufrechtlichen Mängelrechten von der Kenntnis des Verbrauchers von der Mangelhaftigkeit des Kaufgegenstandes abhängig macht.171 In teleologischer Erweiterung und aufgrund der richtlinienkonformen Auslegung der Vorschriften, wird man das Verbot abweichender Vereinbarung zu Lasten des Verbrauchers auch auf den einseitigen Verzicht des Verbrauchers ausweiten müssen.172
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§§ 241a Abs. 3, 312k Abs. 1 S. 1, 361 Abs. 2 S. 1, 487 S. 1, 650o S. 1, 655e Abs. 1 S. 1
BGB. 170
§ 312k Abs. 1 S. 1 BGB und § 361 Abs. 2 S. 1 BGB. Entgegen des Wortlautes des § 476 Abs. 1 S. 1 BGB kommt es nicht auf die Mitteilung an den Unternehmer, sondern – nach dem Schutzzweck der Norm – vielmehr auf die Kenntnis des Verbrauchers vom Mangel im Zeitpunkt der Vereinbarung. Nur dann soll der Verbraucher über seine Rechte disponieren dürfen; vgl. Matusche-Beckmann, in: Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 2014, § 475 Rn. 35; Augenhofer, in: Gsell/ Krüger/Lorenz u. a. (Hrsg.), BeckOGK, § 476 Rn. 24. Ausführlich dazu unter § 13 III 3 b) aa). 172 Die entsprechenden Richtlinien normieren sämtlich ein Verzichtsverbot zu Lasten des Verbrauchers vgl. Art. 25 UAbs. 1 Richtlinie 2011/83/EU (Verbraucherrechte-RL), Art. 22 Abs. 2 Richtlinie 2008/48/EG (Verbraucherkredit-RL), Art. 12 Abs. 1 Richtlinie 171
§ 13 Die Abdingbarkeit der Verbraucherschutzrechte
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I. Individualrechtsschutz oder Sicherung öffentlicher Interessen Vielfach wird zwingenden Rechten eine individualistische Schutzfunktion im Sinne der Gewährleistung von Vertragsgerechtigkeit zugeschrieben.173 Andere Vorschriften dienen primär überindividuellen Allgemeinbelangen, indem sie den Schutz des öffentlichen Interesses sowie des allgemeinen Rechtsverkehrs bezwecken.174 Mit Wagner soll hier versucht werden, diese Differenzierung beizubehalten.175 Gerade im Bereich des Verbrauchervertragsrechts, ließe sich eine am Gemeinwohl orientierte Ausrichtung wohl gut begründen. Die Anordnung zwingenden Verbraucherschutzrechts wäre dann nicht ausschließlich individualschützend ausgerichtet, sondern würde auch dem Allgemeininteresse dienen. Ziel wäre damit nicht nur die Gewährleistung der wirtschaftlichen Selbstbestimmung des Verbrauchers, sondern auch – und nach dem oben Dargestellten, wohl mehr als grundsätzlich angenommen wird – die Verringerung von Transaktionskosten und die damit verbundene Stärkung des Binnenmarktes. Wo die Selbstregulation des Marktes versagt, bedarf es nicht nur im Interesse des Einzelnen, als vielmehr auch zum Schutz aller Marktteilnehmer, eines Eingreifen des Staates. Schon die lauterkeitsrechtliche Bedeutung des Verbraucherschutzrechts (vgl. insb. § 3 Abs. 2 UWG; § 2 UKlaG) stützt die Annahme, dass neben dem Schutz der freien und informierten Entscheidung des Verbrauchers, auch die wirtschaftlichen Interessen der rechtmäßig handelnden Mitbewerber geschützt werden sollen.176 Das zwingende Vertragsrecht hat somit nicht nur eine individualschützende, sondern auch eine kollektivschützende Seite. Gleichsam kann dies nicht zur Notwendigkeit einer absoluten Rechtsgeltung des Verbrauchervertragsrechts um jeden Preis führen, mit der Konsequenz, jeder individualvertraglichen Abweichung von den Schutzvorgaben die Wirksamkeit zu versagen. Im Verbrauchervertragsrecht bedarf es gerade keiner Rechtsbehauptung um jeden Preis.177 Oder anders ausgedrückt: Das zwingende Verbrauchervertragsrecht schützt primär keine Allgemeininteressen.
2008/122/EG (EU-Immobilien-TeilzeitnutzungrechteRL 2009), Art. 12 Abs. 1 Richtlinie 2002/65/EG (Finanzdienstleistungs-Fernabsatz-RL). Für § 5 FernAbsG durch den Gesetzgeber festgestellt, vgl. BT-Drucks 14/2658 S. 45; Thüsing, in: Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 2012, § 312i Rn. 8. 173 Wagner, Prozeßverträge, 1998, 73 insb. mit Blick auf §§ 104 ff., 1896 ff., 138, 242 BGB und die Vorschriften des AGBG. 174 BGH NJW-RR 2008, 1050 Rn. 13 zu § 134 BGB. 175 Wagner, Prozeßverträge, 1998, 74. 176 Siehe nur EWG 6 S. 1 UGP-RL. 177 Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, 2016, 53.
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Drittes Kapitel: Das Paradigma der Unabdingbarkeit
Die verbrauchschutzrechtlichen Vorgaben des nationalen wie europäischen Vertragsrechts sind vornehmlich darauf ausgerichtet eine privatautonome Entscheidung des Verbrauchers zu ermöglichen. Die oben dargestellten Aspekte des Kollektivschutzes sind lediglich als Rechtsreflex des Individualschutzes zu sehen und basieren letztendlich auf der Einsicht, dass der Verbraucher auf die Individualrechtsdurchsetzung oftmals aufgrund der rationalen Apathie verzichtet.
II. Die Kapitalisierung von Verbraucherschutzrechten Abweichungen sind allerdings immer dann möglich, wenn sie den Verbraucher begünstigen. Auch insoweit ist die Unabdingbarkeitsvorgabe also nicht absolut. Eine freiwillige Besserstellung will der Gesetzgeber ausdrücklich nicht verhindern. Dabei ist allerdings nicht eine wirtschaftliche Betrachtung der Gesamtvereinbarung entscheidend, sondern ausschließlich die rechtliche Analyse der individuellen Regelung, welche die Rechtsposition des Verbrauchers verändert. Maßgeblich ist, ob die konkrete Abweichung für den Verbraucher günstiger, als die gesetzliche Schutzvorgabe ist (Bsp.: Verlängerung der Widerrufsfrist, Rücksendung als Widerruf, Übernahme der Rücksendekosten usw.).178 Dabei kann es keine Rolle spielen, ob die abbedungene Einzelnorm durch eine vorteilhafte Regelung ausgeglichen wird. Eine Kompensation des Rechtsverzichts ist nicht möglich.179 Dies gilt es im Folgenden näher zu untersuchen. Das Stichwort von der Kapitalisierung der Verbraucherschutzvorschriften180 soll eine Konstellation veranschaulichen, in der der Verbraucher gegenüber dem Unternehmer, um diesem eine Gegenleistung für ein etwaiges Entgegenkommen anbieten zu können, zusagt, von der Geltendmachung entsprechender Schutzrechte abzusehen. In diesem Zusammenhang erscheint die Rechtsprechung des VIII. Zivilsenats des BGH181 aufschlussreich. Dem Urteil liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Der klagende Verbraucher hatte von einem Unternehmer Matratzen erstanden, welche von diesem mit einer „Tiefpreisgarantie“ beworben
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Das Vollharmonisierungsprinzip steht einer solchen den Verbraucher begünstigenden Vertragsgestaltung selbstverständlich nicht entgegen. Dies verpflichtet nur den Umsetzungsgesetzgeber im Vertikalverhältnis. 179 Ganz h. M. vgl. Busch, in: Gsell/Krüger/Lorenz u. a. (Hrsg.), BeckOGK, § 312k Rn. 9; Wendehorst, in: Krüger/Säcker/Rixecker (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, 8 2019, § 312k Rn. 7; Westermann, in: Erman, BGB, 162020, § 312k Rn. 3; Thüsing, in: Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 2019, § 312i Rn. 7. A. A. allerdings Nobbe, Das Günstigkeitsprinzip im Verbrauchervertragsrecht, 2007, 119 ff. 180 Fries, VuR 2016, 273 ff., 275 181 BGH NJW 2016, 1951 ff.
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wurden. Im Nachhinein bat der Verbraucher, mit Verweis auf ein günstigeres Angebot, um die Erstattung des Differenzbetrages, damit er von dem ihm zustehenden Widerrufsrecht absehe. Zu einer Zahlung durch den Unternehmer kam es nicht, sodass der Verbraucher den Kaufvertrag widerrief. Der Senat bejaht nun den Rückerstattungsanspruch des Verbrauchers aufgrund eines wirksamen Widerrufs und verneint den von Seiten des Unternehmers vorgebrachten Rechtsmissbrauchseinwand. In dieser Entscheidung hätte der BGH zu der grundsätzlichen Frage Stellung beziehen können, ob eine solche Vereinbarung, also der „Abkauf“ eines Schutzrechts – oder anders ausgedrückt – ein „Erkauf der Dispositivität“182 im Verbrauchervertragsrecht, zulässig ist. Wäre also eine solche Vereinbarung trotz des zwingenden Charakters des Widerrufsrechts wirksam? Wie hätte der BGH den Fall entschieden, hätte der Unternehmer dem Verbraucher den Preisnachlass gewährt, dieser aber dann dennoch den Vertrag widerrufen? Eine ausdrückliche Positionierung zu diesem Problem in einem obiter dictum vermeidet der Senat, was mit Blick auf die unionsrechtliche Bedeutung der Problematik nicht verwundert. Er formuliert allerdings, dass „der Kläger lediglich versucht [hat], mit Hilfe der ihm zustehenden (Verbraucher-) Rechte für sich selbst günstigere Vertragsbedingungen auszuhandeln. Ein solches Verhalten steht im Einklang mit den vorbezeichneten gesetzlichen Regelungen zum Widerrufsrecht des Verbrauchers.“183.
Der Senat hält die „wirtschaftliche“ Nutzung der Schutzrechte also wohl für unbedenklich. Fraglich ist allerdings, ob sich aus dieser Entscheidung die grundsätzliche Zulässigkeit abweichender Vereinbarungen im Verbrauchervertragsrecht ergibt und der Verbraucher die ihm zustehenden Schutzrechte zu individuell vorteilhaften Vertragsgestaltungen einsetzen kann. Im Ergebnis würde dies auf eine Geltung des – vor allem aus dem Arbeitsrecht (§ 4 Abs. 3 TVG) bekannten – Günstigkeitsprinzip auch im Verbrauchervertragsrecht hinauslaufen.184 Ansatzpunkt ist dabei, dass eine Abweichung von den Schutzvorschriften nur dann ausgeschlossen sein soll, wenn diese zu einem Nachteil beim Verbraucher führt. Nicht nur im Rahmen des Verbrauchsgüterkaufrechts, sondern ganz allgemein im Verbrauchervertragsrecht, wird die Abdingbarkeit der Verbraucherrechte dann bejaht, sollte dies dem eindeutigen Interesse des Verbrauchers dienen. In Abweichung zu einer abstrakt-generellen Betrachtung der Vertragsgestaltung für die Frage der Nachteilhaftigkeit, ließe sich ebenso vertreten, im
182
Nietsch, AcP 210 (2010), 723 ff., 728 f., 744, spricht von dem „Konzept einer entgeltlichen Dispositivität“. 183 BGH a. a. O. Rn. 17, 21. 184 Ausführlich Nobbe, Das Günstigkeitsprinzip im Verbrauchervertragsrecht, 2007, 119 ff.
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Drittes Kapitel: Das Paradigma der Unabdingbarkeit
Wege einer Gesamtabwägung zu dem Ergebnis zu kommen, dass die konkrete Gestaltung den Individualinteressen des Verbrauchers in diesem Fall eher entspricht, als die zwingenden gesetzlichen Vorgaben. Die Abbedingung wäre nach diesem Verständnis eben gerade nicht zum Nachteil, sondern zum Vorteil des Verbrauchers und damit sowohl nach nationalem, wie auch nach europäischem Recht zulässig. Mit der h. M. ist ein solche „Verrechnung“ nachteiliger und vorteilhafter Abreden allerdings abzulehnen.185 Schon die praktischen Schwierigkeiten einer konkreten Saldierung sind mit dem Verbraucherschutzgedanken kaum vereinbar.186 Eine solche Gesamtwürdigung der nachteiligen und vorteilhaften Vereinbarungen würde dem Gebot der Rechtsklarheit bzw. -sicherheit zuwiderlaufen und langfristig die Gefahr des flächendeckenden Absinkens des Verbraucherschutzniveaus bergen. Im Übrigen entspricht ein solches Vorgehen weder dem Willen des nationalen, noch dem europäischen Gesetzgeber187. Würde der deutsche Gesetzgeber prinzipiell im Anwendungsbereich zwingenden Rechts von der Zulässigkeit einer solchen Saldierung ausgehen, so wäre das ausdrückliche Abstellen auf einen „gleichwertigen Ausgleich“ im Rahmen des § 478 Abs. 2 S. 1 BGB, für die Wirksamkeit einer Freistellungsvereinbarung zwischen Lieferant und Verkäufer, unnötig. Vielmehr würde sich dieses Ergebnis ja schon daraus ergeben, dass eine solche Vereinbarung nicht „zum Nachteil des Unternehmers“ (§ 478 Abs. 2 S. 1 BGB) von der zwingenden Geltung188 seiner Rechte als Rückgriffsgläubiger abweichen würde. Da der Gesetzgeber die Kompensationsmöglichkeit nur im Rahmen des Verkäuferregresses vorsieht, im Anwendungsbereich des § 476 BGB auf eine entsprechende Normierung aber verzichtet, liegt es nahe, dass zum Schutz des Verbrauchers ein solcher Ausgleich gerade nicht zulässig sein soll.189 Die im Rahmen des § 476 Abs. 1 BGB genannten Normen haben damit zugunsten des Verbrauchers rechtlich zwingenden Charakter, während die von § 478 Abs. 2 S. 1 BGB erfassten Vorgaben lediglich in „wirtschaftlicher“ Hinsicht zwingend sind.190 Ein solcher Abkauf von Gläubigerrechten bzw. 185
Siehe dazu die Nachweise bei Drittes Kapitel Fn. 179. Koch, in: Erman, BGB, 162020, § 312k Rn. 3. 187 Heiderhoff, Europäisches Privatrecht, 42016, 249 f. 188 Die im Rahmen des § 478 Abs. 2 S. 1 BGB vorgesehene Unabdingbarkeit wird mehrheitlich kritisch gesehen, vgl. Faust, in: Hau/Poseck (Hrsg.), BeckOK BGB, 2020, § 478 Rn. 34 ff. „rechtspolitisch fragwürdig“; Lorenz, in: Westermann/Säcker/Rixecker, Münchener Kommentar BGB, 82019, § 478 Rn. 41 („verfassungsrechtlich in Bezug auf die Gewährleistung der Privatautonomie nicht unbedenklich“). 189 Entsprechendes ergibt sich auch aus der Gesetzesbegründung zu § 478 Abs. 5 BGB a. F.: „Da hier nur Ansprüche zwischen Unternehmern geregelt werden, wurde davon abgesehen, die Ansprüche im Rückgriffsverhältnis in vollem Umfang zwingend auszugestalten.“, BT-Drucks. 14/6040, 249. 190 Nach der Gesetzesbegründung sollen die Regressrechte des Verkäufers „grundsätz186
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„Erkauf der Dispositivität“ stellt als Mittel zum Paritätsausgleich ein absolutes Novum dar191, sodass der § 478 Abs. 2 S. 1 BGB als Ausnahmevorschrift ohne Modellcharakter anzusehen ist. Die Geltung eines allgemeinen Günstigkeitsprinzips im Verbraucherschutzrecht ist mit diesen Argumenten abzulehnen.192 Auch aus der eingangs angesprochenen Entscheidung des BGH folgt keine andere Wertung. Insbesondere lässt sich aufgrund dieser nicht auf eine grundsätzliche Zulässigkeit abweichender Vereinbarungen im Verbrauchervertragsrecht schließen. Anstelle der Zulassung eines rechtsgeschäftlichen Erlasses des Widerrufsrechts erscheint es in einem solchen Fall vorzugswürdig, bei einer entsprechend unverbindlichen Absichtserklärung des Verbrauchers, die absprachewidrige Ausübung des Widerrufsrechts dann als rechtsmissbräuchlich einzuordnen (venire contra factum proprium193) und dem Verbraucher aus diesem Grund die Möglichkeit zum Widerruf zu versagen.
III. Tatsächliche Disposition und rechtsgeschäftliche Abdingbarkeit Schon aus der grundrechtlich geschützten negativen Handlungsfreiheit folgt, dass für die Parteien kein Zwang zur Durchsetzung eines entstandenen Anspruchs oder zur Geltendmachung von begünstigenden Rechten besteht. Vielmehr akzeptiert die Rechtsordnung die tatsächliche Disposition über das geschützte Recht, in dem sie gem. § 814 BGB regelmäßig die Rückforderung des in Kenntnis der Nichtschuld Geleisteten ausschließt (vgl. ebenso § 656 Abs. 1 S. BGB, § 762 Abs. 1 S. 2 BGB). Dies gilt ausweislich des § 817 S. 2 BGB grundsätzlich sogar im Fall des Verstoßes gegen Normen, die die Sicherung öffentlicher Interessen betreffen.194 Derjenige, der seine Leistung bewusst außerhalb der Wertungen der Rechtsordnung erbringt, darf nicht auf Rechtsschutz bezüglich einer Rückabwicklung vertrauen. Mit der Anordnung zwingenden Rechts ist also kein absolutes Durchsetzungsgebot verbunden. Eine tatsächliche Disposition entgegen den Vorgaben materiellrechtlich zwingender Normen ist daher ohne Weiteres möglich.
lich dispositiv“ sein, vgl. BT-Drucks. 14/6040, 249. Kritisch dazu Wertenbruch, in: Soergel/ Siebert/Wolf (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch, § 478 Rn. 155. 191 Lorenz, in: Westermann/Säcker/Rixecker, Münchener Kommentar BGB, 82019, § 478 Rn. 41. 192 A. A. Nobbe, Das Günstigkeitsprinzip im Verbrauchervertragsrecht, 2007, 119 ff.; Adomeit, JZ 2003, 1053 f. (mit Bezug auf das Verbrauchsgüterkaufrecht). 193 Siehe dazu auch unter § 13 III 6 a). 194 Zur möglichen teleologischen Einschränkung des § 817 S. 2 BGB in diesen Fällen siehe Schwab, in: Habersack, Münchener Kommentar BGB, 82020, § 817 Rn. 22 ff. m. w. N.
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Drittes Kapitel: Das Paradigma der Unabdingbarkeit
Diese Feststellung kann aber nicht ausreichen, um die Zulässigkeit einer rechtsgeschäftlichen Abweichung von zwingendem Recht zu begründen. Hat der tatsächliche Verzicht des Verbrauchers auf die Geltendmachung seiner Rechte nämlich nur Konsequenzen mit Blick auf die Durchsetzbarkeit des Anspruchs (insb. unter dem Aspekt der Verjährung), so führt der einseitige Verzicht oder der rechtsgeschäftliche Erlass regelmäßig zum endgültigen Untergang der Forderung. Anders als der tatsächliche „Verzicht“, der ohne ein hinzutretendes Zeitmoment keinerlei Rechtsfolgen für den „Verzichtenden“ hat195, vernichtet die rechtsgeschäftliche Vereinbarung den Anspruch. Der Vergleich zwischen tatsächlicher und rechtlicher Disposition überzeugt schon aus diesem Grund nicht. Im Folgenden gilt es anhand der für unabdingbar erklärten einzelnen Schutzinstrumente zu untersuchen, wie weit diese Unabdingbarkeitsanordnung des Verbrauchervertragsrechts reicht. Wird dabei von einem Verzicht des Verbrauchers auf ein ihn begünstigendes Recht gesprochen, so ist dies hier im untechnischen Sinne zu verstehen, sodass sowohl der einseitige Verzicht als auch der Abschluss eines Erlassvertrags davon erfasst werden.196 1. Information Festgestellt wurde bereits, dass der Regelungsgrund der verbraucherschützenden Informationspflichten in der Ermöglichung einer hinreichenden und sachlich zutreffenden Entscheidungsgrundlage als Basis für das rechtsgeschäftliche Handeln des Verbraucher zu sehen ist. Die Informationspflichten des Unternehmers sind dabei als Rechtspflichten i. S. d. § 241 Abs. 2 BGB zu verstehen.197 Der Unternehmer ist zur Bereitstellung der Information in der vorgegebenen Art und Weise an den Verbraucher verpflichtet. Darüber hin-
195 Dies gilt nicht nur für die Verjährung bzw. Verfristung, sondern nach h. M. auch für die Verwirkung, vgl. Schubert, in: Krüger/Säcker/Rixecker (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, 82019, § 242 Rn. 363 ff. 196 Zu beachten ist nämlich, dass das Schuldrecht nur den einseitigen Verzicht auf Gestaltungsrechte und Einreden kennt, im Falle eines begünstigenden Anspruchs bedarf es demnach einer rechtsgeschäftlichen Vereinbarung über den Erlass der Schuld zwischen Verbraucher und Unternehmer i. S. d. § 397 Abs. 1 BGB, vgl. nur BGH NJW 1987, 3203 ff.; BGH NJW 2015, 2872, Rn. 10; BGH DNotZ 2016, 265 ff. Rn. 24. Siehe dazu nur Paffenholz, in: Gsell/Krüger/Lorenz u. a. (Hrsg.), BeckOGK, § 397 Rn. 6. 197 Dementsprechend kommt bei einer schuldhaften Verletzung der Informationspflichten ein Schadensersatzanspruch des Verbrauchers gem. § 280 Abs. 1 (ggf. i. V. m. § 311 Abs. 2) BGB in Betracht, vgl. BT-Drucks. 17/12637, S. 51, 54; Wendehorst, in: Krüger/ Säcker/Rixecker (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, 82019, § 312d Rn. 19 m. w. N. Beachte jetzt aber auch § 312d Abs. 1 S. 2 BGB.
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aus obliegt ihm im Konfliktfall die Beweislast für den Nachweis der Erfüllung dieser Informationspflicht.198 Da dem Verbraucher die vertragswesentlichen Informationen aber lediglich „zur Verfügung zu stellen“ sind, kann es nicht darauf ankommen, dass die Information vom Verbraucher auch tatsächlich zur Kenntnis genommen wird und er diese seiner rechtsgeschäftlichen Willensbetätigung zugrunde legt.199 Die Verbraucherinformationspflichten verschaffen damit lediglich einen Informationszugang. Der Unternehmer muss nicht (und kann es wohl auch gar nicht) sicherstellen, dass er mit einem hinreichend informierten Verbraucher kontrahiert. a) Verzichtsmöglichkeit bei Mitteilung der „Basisinformation“ Da es maßgeblich nur die Bereitstellung der Information und nicht auf die tatsächliche Kenntnisnahme durch den Verbraucher ankommt, wird vielfach im Schrifttum vertreten, dass der Verbraucher auch rechtsgeschäftlich auf diese Information verzichten können muss. So sei es „verfassungsrechtlich bedenklich, wollte man jeden Verbraucher bzw. Kunden zwingen, sich ggf. endlos laufende Tonbänder anzuhören bzw. eine Vielzahl von Bildschirmseiten zu betrachten, deren Inhalt er vielleicht kennt oder der ihn nicht interessiert“200. Dies soll allerdings nur unter der Einschränkung gelten, dass dem Verbraucher ausdrücklich mitgeteilt wurde, um welche Information es sich handelt und er die theoretische Möglichkeit hat vom Inhalt Kenntnis zu nehmen.201 Unklar ist dabei, wie der Umfang dieser „Basisinformation“ überhaupt zu bestimmen ist. Letztendlich wird man doch bezweifeln müssen, dass die Erfüllung dieser Vorgabe zu einem erheblich anderen Ergebnis führt, als die Zurverfügungstellung der Pflichtinformationen. Vielmehr würde ein klar umrissener Informationskatalog durch eine, in ihrer Reichweite und ihren
198 Vgl. § 312k Abs. 2. Die Vorschrift wird man unter Anwendung des europäischen Effektivitätsgrundsatzes auf sämtliche verbraucherschützenden Informationspflichten des Verbrauchervertragsrechts analog anwenden müssen, vgl. EuGH, Urt. v. 18.12.2014, Rs. C-449/13 – CA Consumer Finance SA v. Bakkaus, ECLI:EU:C:2014:2464 Rn. 27. Nach Schulte-Nölke, in: Dörner/Ebert/Hoeren u. a., Bürgerliches Gesetzbuch, 92017, § 312 k Rn. 2 gilt die Norm auch über das Verbrauchervertragsrecht hinaus bei Unterlassungsansprüche nach § 8 UWG und nach § 2 UKlaG. 199 Vgl. nur Artt. 246 ff. EGBGB; §§ 312f, 356b, 358 Abs. 4, 482 Abs. 1 BGB. Ebenso siehe § 312i BGB der informationsähnliche Pflichten normiert. 200 Wendehorst, in: Krüger/Säcker/Rixecker (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, 8 2019, § 312k Rn. 4; ebenso Thüsing, in: Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 2019, § 312i Rn. 11; wohl auch Busch, in: Gsell/Krüger/Lorenz u. a. (Hrsg.), BeckOGK, § 312k Rn. 8.2. 201 Siehe a. a. O.
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Drittes Kapitel: Das Paradigma der Unabdingbarkeit
Umfang nicht festgelegte, Pflicht zur „Basisinformation“ ersetzt. Die daraus resultierenden Rechtsunsicherheiten sind nicht hinnehmbar und mit dem verbraucherschützenden Telos nicht in Einklang zu bringen, sodass diese Ansicht abzulehnen ist. Ein rechtsgeschäftlicher Verzicht auf die Information soll nach der hier vertretenen Auffassung nicht möglich sein. Eine andere Ansicht verkennt, dass der Verbraucher an keiner Stelle gezwungen wird, die bereitgestellte Information zur Kenntnis zu nehmen. Der von Wendehorst behauptete Zwang zur Informationsaufnahme, sollte die Abdingbarkeit nicht bejaht werden, lässt auf ein zu weites Verständnis der Informationsverpflichtung schließen. In Konsequenz dieser Ansicht wäre nämlich nicht nur der Unternehmer zur Bereitstellung, sondern darüber hinaus auch der Verbraucher zur tatsächlichen Kenntnisnahme der Information verpflichtet. Spätestens hier wird evident, dass eine solche Argumentation in sich widersprüchlich ist. Wenn das Gesetz nach seinem Wortlaut schon klarstellt, dass kein Zwang zur Informationsaufnahme durch den Verbraucher besteht, so kann doch die Annahme eines solchen Zwangs nicht als Argument zur Begründung eines rechtsgeschäftlichen Verzichts herangezogen werden. b) Art. 246b § 1 Abs. 2 S. 2 EGBGB als Ausnahmetatbestand Im Übrigen lässt sich die hier vertretene Auffassung, die eine Verzichtsmöglichkeit verneint, auf ein systematisches Argument stützen. Nach Art. 246b § 1 Abs. 2 S. 2 EGBGB ist unter bestimmten Voraussetzungen bei einem fernmündlichen Kontakt der Verzicht des Verbrauchers auf die Übermittlung detaillierterer vorvertraglicher Informationen möglich.202 Der Gesetzgeber lässt also in einem besonderen Ausnahmetatbestand den Verzicht des Verbrauchers und damit die Abdingbarkeit der Bereitstellung von Informationen durch den Unternehmer ausdrücklich zu. Im Umkehrschluss kann das dann aber für alle anderen Situationen nur als Bestätigung des Abdingbarkeitsverbots verstanden werden.203 Über Art. 246b § 1 Abs. 2 EGBGB hinaus soll ein rechtsgeschäftlicher Verzicht auf verbraucherschützende Information nicht möglich sein. Die Norm entfaltet insoweit eine Sperrwirkung.204 Diese Ansicht wird im Übrigen auch durch die Verbraucherrechte-RL bekräftigt, hat der europäische Gesetzgeber doch hier die fun-
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Zweck der Vorschrift ist die Verhinderung einer Überforderung des Verbrauchers bei sprachlich vermittelter Kommunikation. Allgemein zum Problem des information overload unter § 12 I 2. 203 Koch, in: Erman, BGB, 162020, § 312d Rn. 60. 204 Wendehorst, in: Krüger/Säcker/Rixecker (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, 8 2019, § 312d Anh. II Rn. 40; Koch, in: Erman, BGB, 162020, § 312d Rn. 60; Busch, in: Gsell/ Krüger/Lorenz u. a. (Hrsg.), BeckOGK, Art. 246b § 1 Rn. 42.
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damentale Bedeutung der Information für die Gewährleistung einer privatautonomen Entscheidung des Verbrauchers nochmals hervorgehoben.205 c) Der Normgehalt des § 312d Abs. 1 S. 2 BGB Auch aus § 312d Abs. 1 S. 2 BGB folgt kein anderes Ergebnis. In Umsetzung des Art. 6 Abs. 5 Verbraucherrechte-RL stellt die Norm zunächst klar, dass die in Erfüllung der Informationspflichten gemachten Angaben des Unternehmers Vertragsbestandteil werden und sich der Unternehmer an den getroffenen Aussagen festhalten lassen muss.206 Mit ausdrücklicher Zustimmung des Verbrauchers besteht allerdings die Möglichkeit, den Vertragsinhalt in dieser Hinsicht nachträglich zu ändern. Der § 312d Abs. 1 S. 2 BGB lässt dabei nur zu, dass die Parteien in Abweichung von § 312d Abs. 1 S. 1 BGB ausdrücklich vereinbaren können, dass bestimmte Informationen nicht Vertragsinhalt werden. Eine Vereinbarung über die Erfüllung der Informationspflicht an sich, ist aber nicht möglich (vgl. auch § 484 Abs. 2 BGB, dazu unter § 13 III 3 a)). Darüber hinaus gilt zu bedenken, dass die Verpflichtung des Unternehmers zur Information nicht nur eine vertragsrechtliche Komponente, sondern ausweislich des § 2 Abs. 2 UKlaG, sowie § 8 UWG auch eine lauterkeitsrechtliche Komponente hat.207 Über die individuellen, vertragsrechtlichen Schutzmechanismen hinaus, besteht also das Bedürfnis nach einer kollektivschützenden, wettbewerbsrechtlichen Sanktionierung des Unternehmers bei einem Verstoß gegen die Informationspflichten. Wie dieses Schutzanliegen dann allerdings mit dem Zulassen einer individualvertraglichen Abbedingung in Einklang zu bringen wäre, ist unklar. 2. Widerrufsrecht Mit Blick auf die verbraucherschützenden Widerrufsrechte208 stellt der Gesetzgeber fest, dass von den Ausübungsvoraussetzungen und Rechtsfolgen der §§ 355 ff. BGB „soweit nichts anderes bestimmt ist, nicht zum Nachteil des Verbrauchers abgewichen werden“ (§ 361 Abs. 2 S. 1 BGB) kann. Abgesehen von einer ausdrücklichen Zulassung der privatautonomen Abwei-
205
Vgl. Art. 6 Abs. 5 Verbraucherrechte-RL. BT-Drucks. 17/12637, S. 54. 207 Alexander, WRP 2014, 501 ff., 507 ff. 208 § 312g Abs. 1 BGB für außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge und Fernabsatzverträge, § 485 BGB für Verträge über Teilzeit-Wohnrechte, § 495 Abs. 1 BGB für Verbraucherdarlehensverträge, § 510 Abs. 2 BGB für Ratenlieferungsverträge, § 514 Abs. 2 unentgeltliche Darlehensverträge bzw. Finanzierungshilfen, § 650l BGB für den Verbraucherbauvertrag sowie außerhalb des BGB nach § 4 Abs. 1 S. 1 FernUSG. 206
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Drittes Kapitel: Das Paradigma der Unabdingbarkeit
chung209 sind die Voraussetzungen und Rechtsfolgen des Widerrufsrechts abschließend (§ 361 Abs. 1 BGB) und für die Parteien zwingend vorgegeben. Für die Frage nach der Abdingbarkeit des Widerrufsrechts als Gestaltungsrecht sagt dieser Normkomplex nichts aus. Die §§ 355 ff. BGB setzen vielmehr das Bestehen eines verbraucherschützenden Widerrufsrechts voraus, sodass die jeweils widerrufsgewährende Norm in den Blick zu nehmen ist. Im Verbrauchervertragsrecht des BGB folgt die grundsätzliche Unabdingbarkeit demnach aus § 312k Abs. 1 S. 1 (für das Widerrufsrecht aus § 312g Abs. 1), aus § 487 S. 1 (für das Widerrufsrecht aus § 485) sowie aus § 512 S. 1 (für die Widerrufsrechte aus § 495 Abs. 1, § 510 Abs. 2, § 514 Abs. 2 BGB) und § 650o (für § 650l BGB). Eine Argumentation, die für die Möglichkeit eines Verzichts streitet, muss begründen, aus welchem Grund der vertragliche Verzicht nicht mit demselben Mangel behaftet ist, wie das Ausgangsrechtsverhältnis. De lege lata210 quasi unumstritten ist, dass ein vor Vertragsschluss erklärter Verzicht des Verbrauchers auf sein Widerrufsrecht nicht zulässig ist.211 Kontrovers diskutiert wird allerdings die Frage, ob nach Vertragsschluss ein solcher möglich sein muss. Als Argument für eine solche Verzichtsmöglichkeit des Verbrauchers, wird Folgendes ausgeführt: Da der Gesetzgeber dem Verbraucher die freie Entscheidung hinsichtlich der Ausübung seines Widerrufsrechts überlässt, muss demzufolge auch ein Verzicht auf das Recht möglich sein, da andernfalls eine übermäßige Entmündigung des Verbrauchers zu besorgen ist.212 Stellenweise wird die Zulässigkeit eines Verzichts von einer ordnungsgemäßen Widerrufsbelehrung durch den Unternehmer abhängig gemacht, da nur in diesem Fall eine informierte und damit mündige Entscheidung des Verbrauchers sichergestellt werden könne.213 209
Siehe bspw. § 357 Abs. 3 S. 2 BGB. Für eine optionales Widerrufsrecht de lege ferenda vgl. Eidenmüller, in: Eidenmüller/ Faust/Grigoleit u. a. (Hrsg.), Revision des Verbraucher-acquis, 2011, S. 109 ff., 134 ff. 211 Koch, in: Erman, BGB, 162020, § 312k Rn. 5; Junker, in: Junker/Beckmann/Rüßmann u. a. (Hrsg.), jurisPK-BGB Band 2, 2017, § 312k Rn. 6; Kaiser, in: Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 2012, § 355 Rn. 89. 212 Franzen, in: Westermann/Säcker/Rixecker, Münchener Kommentar BGB, 82019, § 487 Rn. 4; Koch, in: Erman, BGB, 162020, § 487 Rn. 2; Härting, Fernabsatzgesetz, 2000, § 5 Rn. 5 f. FernAbsG. Die Beiträge von Fuchs, AcP 196 (1996), 313 ff., 352 ff.; Krämer, ZIP 1997, 93 ff. können nur schwerlich auf die heutige Rechtslage übertragen werden, siehe dazu sogleich. 213 Thüsing, in: Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 2019, § 312i Rn. 10, allerdings unter der Vorgabe, dass der Verbraucher ordnungsgemäß über sein Widerrufsrecht belehrt wurde. Nur in diesem Fall ist der Verbraucher zu einer mündigen Entscheidung fähig. Ebenso Koch, in: Erman, BGB, 162020, § 312k Rn. 7; Kaiser, in: Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 2012, § 355 Rn. 90; Haertlein/Schultheiß, in: Gsell/Krüger/Lorenz u. a. (Hrsg.), BeckOGK, § 512 Rn. 11; Hönninger, in: Junker/ Beckmann/Rüßmann u. a. (Hrsg.), jurisPK-BGB Band 2, 2017, § 361 Rn. 5. 210
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Diese Argumentation läuft aber gleich in mehrfacher Hinsicht fehl.214 Bereits an anderer Stelle215 wurde dargestellt, dass der Vergleich zwischen einem tatsächlichen und rechtlichen bzw. rechtsgeschäftlichen Verzicht schon mit Blick auf die jeweiligen Folgen nicht überzeugen kann. Der bindende Verzicht auf das Gestaltungsrecht kann nicht mit einer jederzeit abänderbaren und insofern unverbindlichen Entscheidung des Verbrauchers das Widerrufsrecht nicht ausüben zu wollen verglichen werden. Etwas anderes könnte nur dann gelten, würde das Gesetz eine rechtsgeschäftliche Verkürzung der Widerrufsfrist für zulässig erachten.216 Weder die entsprechenden Richtlinien noch die nationalen Umsetzungsgesetze sehen aber diese Möglichkeit vor. Vielmehr ist ausweislich der §§ 361 Abs. 2 S. 1, 355 Abs. 2 S. 1 BGB keine Abweichung von der 14-tägigen Widerrufsfrist möglich. Dies lässt eine eindeutige Wertungsentscheidung des Gesetzgebers zwischen den Interessen des Unternehmers und der Notwendigkeit des Verbraucherschutzes erkennen: Der Verbraucher soll mindestens 14 Tage217 lang die Möglichkeit haben sich ohne weitere Gründe von dem Vertrag zu lösen; der Unternehmer erlangt nach Ablauf der Widerrufsfrist Rechtssicherheit und muss nicht mehr mit einer unbegründeten Rückabwicklung rechnen. Der argumentatorische Schluss von einem tatsächlichen, auf die Zulässigkeit eines rechtlichen Verzichts, überzeugt aber auch deshalb nicht, da das Untätigbleiben zu keinerlei Rechtsfolge für den Verbraucher führt. Anders als nach der Rechtslage vor der Schuldrechtsreform, kommt dem alleinigen Nichtstun des Verbrauchers keinerlei rechtlicher Gestaltungswert mehr zu (siehe dazu sogleich unter § 13 III 2 a)).218 Nach dem klaren Willen des Ge214
Junker, in: Junker/Beckmann/Rüßmann u. a. (Hrsg.), jurisPK-BGB Band 2, 2017, § 312k Rn. 9 f.; Meier, in: Gsell/Krüger/Lorenz u. a. (Hrsg.), BeckOGK, § 487 Rn. 7; Schürnbrand, in: Westermann/Schürnbrand, Münchener Kommentar BGB, 82019, § 512 Rn. 5; Möller, in: Hau/Poseck (Hrsg.), BeckOK BGB, 2020,§ 512 Rn. 1 ff. 215 Oben § 13 III. 216 Der Verzicht würde de facto nichts anderes bewirken als eine Verkürzung der Widerrufsfrist. 217 Mit Umsetzung der Verbraucherrechte-RL führt auch eine nicht ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung grundsätzlich nicht zu einer Fristverlängerung (mit Ausnahme von § 356b Abs. 2 S. 3 BGB). Vgl. zur alten Rechtslage § 355 Abs. 2 S. 3 BGB. Allerdings ist in Bezug auf alle von § 355 BGB erfassten Widerrufsrechte ein von § 355 Abs. 2 S. 2 BGB abweichender Beginn der Widerrufsfrist erst mit ordnungsgemäßen Widerrufsbelehrung vorgesehen vgl. § 356 Abs. 3 S. 1, § 356a Abs. 2, 3 S. 1, § 356b Abs. 1, 2, § 356c Abs. 1 BGB. Vorgesehen ist jetzt allerdings auch – ohne Rücksicht auf einen Informationsmangel – eine absolute Höchstfrist von 12 Monaten und 14 Tagen für die Ausübung des Widerrufsrechts, siehe §§ 356 Abs. 3 S. 2, 356a Abs. 4 S. 2, 356b Abs. 2 S. 4, 356c Abs. 2 S. 2 BGB. Für Finanzdienstleistungen besteht allerdings weiterhin ein sog. „ewiges Widerrufsrecht“ (§ 356 Abs. 3 S. 3 BGB). 218 So war es zur alten Rechtslage höchst umstritten, ob das Widerrufsrecht als rechtshindernde Einwendung (Rspr.) oder als atypisches Gestaltungsrecht (Lit.) anzusehen ist, vgl. nur Bülow, ZIP 1998, 945 ff., 946 f.
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Drittes Kapitel: Das Paradigma der Unabdingbarkeit
setzgebers soll erst – und nur – der Ablauf der Widerrufsfrist zum Erlöschen der Widerrufsmöglichkeit führen. Die normierten Ausnahmevorschriften, die ein vorzeitiges Erlöschen bei vollständiger Diensterbringung bzw. Ausführungsbeginn und entsprechender Information sowie Zustimmung des Verbrauchers vorsehen (vgl. § 356 Abs. 4 und 5 BGB), bestätigen die hier vertretene Ansicht. Der Gesetzgeber sieht für die Fälle, in denen ein Widerrufsrecht des Verbrauchers nicht wertungsgerecht wäre, einen Erlöschenstatbestand vor. Das kann im Umkehrschluss nur bedeuten, dass in allen übrigen Fällen die Widerrufsmöglichkeit für mindestens 14 Tage gegeben sein muss. Entsprechend kommt nach Umsetzung der Verbraucherrechte-RL auch eine Verwirkung des Widerrufsrechts kaum mehr in Betracht. Wurde eine solche zur alten Rechtslage in Ausnahmefällen noch bejaht,219 ist spätestens mit Abschaffung des „ewigen Widerrufsrechts“ (vgl. § 355 Abs. 4 S. 3 a.F.) ein schutzwürdiges Interesse des Unternehmers bei längerer Nichtausübung des Widerrufsrechts (insbesondere mit Blick auf die mögliche Nachholung der Belehrung220) kaum mehr denkbar.221 a) Die Ausgestaltung des Widerrufsrechts vor Inkrafttreten des SMG Eine Ansicht, die die Abdingbarkeit des Widerrufsrechts bejahen möchte, lässt die Gesetzesgenese außer Acht. Im Mittelpunkt steht die rechtliche Konstruktion des verbraucherschützenden Widerrufsrechts. Vor Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes im Jahr 2002 galt der widerrufliche Vertrag als schwebend unwirksam. Eine Bindung der Parteien an den Vertragsinhalt trat demnach erst mit Ablauf der Widerrufsfrist ein. Bis zu diesem Zeitpunkt bestanden zwischen den Parteien also weder Primär- noch Sekundäransprüche. Die Wirksamkeit des Vertrages hing also vom Fristablauf und der Untätigkeit des Verbrauchers ab.222 Diese rechtliche Gestaltung fand sich in den zentralen Vorschriften des damaligen Verbrauchervertrags-
219
Kaiser, in: Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 2012, § 355 Rn. 91. A. A. Schürnbrand, JZ 2009, 133 ff. 220 Mit Verweis auch Art. 10 Abs. 2 Verbraucherrechte-RL, vgl. Wendehorst, NJW 2014, 577 ff., 582. 221 Knops, NJW 2018, 425 ff.; Mörsdorf, in: Gsell/Krüger/Lorenz u. a. (Hrsg.), BeckOGK, § 355 Rn. 86: Hönninger, in: Junker/Beckmann/Rüßmann u. a. (Hrsg.), jurisPKBGB Band 2, 2017, § 355 Rn. 60. A. A. Fritsche, in: Krüger/Säcker/Rixecker (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, 82019, § 356 Rn. 34. Für Finanzdienstleistungen kann der § 356 Abs. 3 S. 3 BGB wohl zu einer differenzierteren Bewertung zwingen, vgl. OLG Düsseldorf BeckRS 2016, 2209, aber auch BGH BKR 2016, 463 ff., 466 ff. Rn. 34 ff., 39, 41 (zu § 495 Abs. 1 BGB a. F.). 222 Bülow, ZIP 1998, 945 ff., 946.
§ 13 Die Abdingbarkeit der Verbraucherschutzrechte
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rechts (VerbrKrG223, HausTWG224, TzWrG225).226 Um dem Verbraucher die Möglichkeit zu geben eine endgültige vertragliche Bindung auch schon vor Ablauf der Widerrufsfrist herbeizuführen, wurde von vielen die Möglichkeit eines einseitigen Verzichts des Verbrauchers auf das Widerrufsrecht überzeugend bejaht.227 Der Verbraucher muss in Kenntnis seiner Rechtsposition die Entscheidung treffen können endgültig am Vertrag festzuhalten, um dann sofort die vertragliche Leistung zu erhalten. Insoweit kann die Beendigung eines rechtlichen Schwebezustandes nicht als nachteilig für den Verbraucher angesehen werden.228 Diese Argumentation hat mit der heutigen Rechtslage allerdings an Überzeugungskraft eingebüßt. Mit Umsetzung der Fernabsatz-RL und durch die Schuldrechtsreform229 wurde das Modell der sog. schwebenden Wirksamkeit230 für alle widerruflichen Verbraucherverträge eingeführt und das Widerrufsrecht für alle Vertragstypen vereinheitlicht. Der damals neu eingeführte § 361a Abs. 1 S. 1 BGB a.F. (entspricht wortlautgleich dem § 355 Abs. 1 S. 1 BGB) formulierte: „Wird einem Verbraucher durch Gesetz ein Widerrufsrecht nach dieser Vorschrift eingeräumt, so sind der Verbraucher und der Unternehmer an ihre auf den Abschluss des Ver-
223 § 7 Abs. 1 VerbrKrG i. d. F. vom 17. Dezember 1990: „Die auf den Abschluß eines Kreditvertrages gerichtete Willenserklärung des Verbrauchers wird erst wirksam, wenn der Verbraucher sie nicht binnen einer Frist von einer Woche schriftlich widerruft.“. 224 § 1 Abs. 1 HausTWG i. d. F. vom 16.01.1986: „Eine auf den Abschluß eines Vertrages über eine entgeltliche Leistung gerichtete Willenserklärung […] wird erst wirksam, wenn der Kunde sie nicht binnen einer Frist von einer Woche schriftlich widerruft.“. 225 § 5 Abs. 1 TzWrG i. d. F. vom 20. Dezember 1996: „Die auf den Abschluß des Vertrages gerichtete Willenserklärung des Erwerbers wird erst wirksam, wenn er sie nicht binnen einer Frist von zehn Tagen schriftlich widerruft.“. 226 Vgl. nur ausführlich Fuchs, AcP 196 (1996), 313 ff., 344 ff.; Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, 2005, 156 ff. Zunächst nur in Randbereichen war die Konstruktion einer „schwebenden Wirksamkeit“ des Vertrags vorgesehen, vgl. § 4 FenUSG a. F., § 8 Abs. 4 VVG, § 126 InvG. 227 Vgl. insbesondere Fuchs, AcP 196 (1996), 313 ff., 352 ff.; Krämer, ZIP 1997, 93 ff. A. A. vgl. Bülow, ZIP 1998, 945 ff., 947 f., mit allerdings wenig überzeugender Argumentation. 228 Fuchs, AcP 196 (1996), 313 ff., 354 f. 229 Ausdrücklich genannt wird das Konzept des schwebend wirksamen Vertrags in der Begründung zum Schuldrechtsmodernisierungsgesetz allerdings nur am Rande, vgl. BTDrucks. 14/6040, 200. 230 Angemerkt sei hier, dass diese Bezeichnung in der Lit. auf Kritik gestoßen ist (vgl. nur Nachweise bei Kaiser, in: Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 2012, § 355 Rn. 23), da das kodifizierte Zivilrecht die rechtsdogmatische Konstruktion der „schwebenden Wirksamkeit“ nicht kennt.
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Drittes Kapitel: Das Paradigma der Unabdingbarkeit
trags gerichteten Willenserklärungen nicht mehr gebunden, wenn der Verbraucher seine Willenserklärung fristgerecht widerrufen hat.“ [Hervorh. d. Verf.].231
Eine vertragliche Bindung und beiderseitige Erfüllungsansprüche entstehen also mit Vertragsschluss zwischen Unternehmer und Verbraucher; bis zum Ablauf der Widerrufsfrist hat der Verbraucher allerdings die Möglichkeit sich durch einseitige Erklärung vom Vertrag zu lösen.232 Insofern stellen Bülow/Artz auch fest, dass „der Streit über die Verzichtbarkeit schlechthin […] seine praktische Bedeutung verloren“ hat.233 b) Die Wertung des § 308 Nr. 1 Hs. 2 BGB Eine andere Bewertung und damit ein Argument für die Verzichtsmöglichkeit könnte sich aus § 308 Nr. 1 Hs. 2 BGB ergeben. Die Vorschrift erklärt den in AGB getroffenen Vorbehalt für zulässig, erst nach dem Ablauf der Widerrufsfrist gem. § 355 Abs. 1, 2 BGB zu leisten. Der Erfüllungsanspruch des Verbrauchers wird also erst mit Ablauf der Widerrufsfrist fällig. Nach dem gesetzgeberischen Willen soll eine entsprechende Vereinbarung nicht gegen die Unabdingbarkeitsvorgaben verstoßen. Dies folgt schon aus dem Regelungszusammenhang. Es wäre gänzlich sinnwidrig eine Ausnahme für ein Klauselverbot vorzusehen, wenn die entsprechende Vereinbarung schon nach allgemeinen Regeln unzulässig wäre.234 Telos der Norm ist dabei die Wahrung des wirtschaftlichen Interesses des Unternehmers die Fälligkeit seiner Leistung hinauszuschieben, solange der Verbraucher die Möglichkeit hat, sich jederzeit durch Widerruf vom Vertrag zu lösen.235 Grundsätzlich stellt daher also das Abwarten der Widerrufsfrist durch den Unternehmer keinen unwirksamen Leistungsvorbehalt dar.236 Mit der Möglichkeit einer solchen Abrede besteht aber gleichzeitig für den Verbraucher das nachvollziehbare und grundsätzlich schutzwürdige Interesse an einer schnellstmöglichen Fälligkeit der Leistungserbringung. Dies
231 Vgl. BT-Drucks. 14/2658, 47 („Damit wird die Konstruktion der schwebenden Wirksamkeit für alle Verbraucherschutzgesetze eingeführt.“). 232 Hinsichtlich der Rechtsnatur des verbraucherschützenden Widerrufsrechts ist mit Neuregelung durch das VerbRRl-UG und dem Entfall der Rückkopplung an das Rücktrittsrecht, von einem eigenständigen Rechtsinstitut auszugehen, welches allerdings dogmatische Gemeinsamkeiten mit dem Rücktrittsrecht aufweist; vgl. Hönninger, in: Junker/ Beckmann/Rüßmann u. a. (Hrsg.), jurisPK-BGB Band 2, 2017, § 355 Rn. 15; Mörsdorf, in: Gsell/Krüger/Lorenz u. a. (Hrsg.), BeckOGK, § 355 Rn. 23. 233 So Bülow/Artz, NJW 2000, 2049 ff., 2052. 234 Entsprechend Becker, in: Hau/Poseck (Hrsg.), BeckOK BGB, 2020,§ 308 Nr. 1 Rn. 29. 235 Wurmnest, in: Krüger/Säcker/Rixecker (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, 8 2019, § 308 Nr. 1 Rn. 24. 236 BT-Drucks. 14/2658, 51.
§ 13 Die Abdingbarkeit der Verbraucherschutzrechte
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könnte folglich die Notwendigkeit der Zulassung einer Verzichtsmöglichkeit für den Verbraucher begründen. Dabei darf allerdings nicht übersehen werden, dass die Norm von dem Beginn der Widerrufsfrist mit Vertragsschluss ausgeht. Für die Fälle, in denen die Frist erst mit Erhalt der Ware beginnt (§ 356 Abs. 2 Nr. 1 BGB), kann § 308 Nr. 1 Hs. 2 BGB keine Anwendung finden, da dies zu einem unbegrenzten Hinausschieben der Fälligkeit führen könnte.237 Die Norm ist demgemäß auf die verbrauchervertraglichen Konstellationen teleologisch zu reduzieren, in denen die Widerrufsfrist grundsätzlich mit Vertragsschluss beginnt.238 Praktische Auswirkungen hat die Vorschrift somit bei Teilzeit-Wohnrechteverträgen, Verbraucherdarlehensverträgen, Geschäften über Finanzierungshilfen, Ratenlieferungsverträge und Verbraucherbauverträgen. In diesen Konstellationen kann der Unternehmer grundsätzlich die Fälligkeit seiner Leistungspflicht auf den Ablauf der Widerrufsfrist hinausschieben. Dies kann freilich nur im Falle einer ordnungsgemäßen Belehrung des Verbrauchers über sein Widerrufsrecht gelten, da der Beginn der Widerrufsfrist regelmäßig von der ordnungsgemäßen Belehrung abhängt und dem Unternehmer andernfalls aus seinem Rechtsverstoß ein Vorteil erwachsen würde. Dem Unternehmer ist also bei fehlerhafter Belehrung die Berufung auf die Klausel gem. § 242 BGB zu versagen.239 Im Fall des § 308 Nr. 1 BGB muss dann aber ein Verzicht des Verbrauchers auf das ihm zustehende Widerrufsrecht möglich sein. Lässt man im Interesse des Unternehmers ein Hinausschieben des Fälligkeitszeitpunktes in AGB unter ausdrücklicher Bezugnahme auf das verbraucherschützende Gestaltungsrecht zu, so muss für den Verbraucher, schon zur Vermeidung eines Wertungswiderspruchs, die Möglichkeit bestehen, auf eben dieses Recht zu verzichten um den Fälligkeitszeitpunkt der Leistungspflicht des Unternehmers vorzuverlegen. Dies gilt umso mehr, da der Verbraucher nicht zur Verweigerung der Gegenleistung bis zum Ende der Widerrufsfrist berechtigt
237
So wohl auch schon die Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 14/2658, 51. Vgl. Grüneberg, in: Brudermüller/Ellenberger/Götz u. a. (Hrsg.), Palandt Bürgerliches Gesetzbuch, 79 2020, § 308 Rn. 9. In diesen Fällen wäre eine entsprechende Klausel nach § 307 Abs. 1 BGB unwirksam, vgl. Dammann, in: Wolf/Lindacher/Pfeiffer u. a. (Hrsg.), AGB-Recht, 2013, § 308 Nr. 1 Rn. 30. 238 Mit Blick auf die umfangreichen Ausnahmevorschriften scheint dabei die Grundnorm des § 355 Abs. 2 S. 2 BGB eher die Ausnahme als die Regel zu sein. 239 Grüneberg, in: Brudermüller/Ellenberger/Götz u. a. (Hrsg.), Palandt Bürgerliches Gesetzbuch, 792020, § 308 Rn. 9; differenzierend Dammann, in: Wolf/Lindacher/Pfeiffer u. a. (Hrsg.), AGB-Recht, 2013, § 308 Nr. 1 Rn. 30. Kollmann, in: Dauner-Lieb/Langen, §§ 241 – 853 BGB, 32016, § 308 Rn. 22 will wegen dem fehlenden Verweis auf die Sonderregelungen der §§ 356 ff. in § 308 Nr. 1 Hs. 2 BGB, die Norm in diesen Fällen unangewendet lassen, was letztlich zum selben Ergebnis führt.
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Drittes Kapitel: Das Paradigma der Unabdingbarkeit
ist.240 Hat der Verbraucher den Verzicht auf sein Widerrufsrecht im Falle des § 308 Nr. 1 BGB nach Vertragsschluss erklärt, so wird der Unsicherheitszustand, der durch das Bestehen des Widerrufsrechts begründet wurde, schon vor Fristablauf beendet, sodass sich der Unternehmer folgerichtig auch nicht mehr auf eine entsprechende Verschiebung der Leistungszeit mit Blick auf die Widerrufsfrist berufen kann. Nur diese Verzichtsmöglichkeit wird den Interessen der Vertragsparteien im Falle des § 308 Nr. 1 Hs. 2 BGB hinreichend gerecht.241 Dass das Gesetz die Möglichkeit zum Widerruf partiell den Interessen der Vertragsparteien unterordnet, zeigt im Übrigen auch der Blick auf die Erlöschenstatbestände des § 356 Abs. 4 und 5 BGB. c) Zwischenergebnis Nach dem Vorstehenden kann als Ergebnis festgehalten werden, dass sowohl eine rechtsgeschäftliche Abweichung von den zwingenden Vorgaben des §§ 355 ff. BGB, sowie der einseitige Verzicht des Verbrauchers auf sein Widerrufsrecht grundsätzlich nicht möglich ist. Dies gilt unbestritten vor Vertragsschluss, sowie prinzipiell auch nach Abschluss des Vertrags.242 Die Argumente, die für eine allgemeine Verzichtsmöglichkeit sprechen, können nicht überzeugen. Von dem Grundsatz der zwingenden Geltung des Widerrufsrechts ist allerdings dann eine Ausnahme zu machen, sollte der Verbraucher ein schutzwürdiges Interesse an einem Verzicht auf die Widerrufsmöglichkeit haben. Ein solches Interesse lässt sich im Zusammenhang mit dem § 308 Nr. 1 Hs. 2 BGB annehmen. Nur durch das Zulassen einer Verzichtsmöglichkeit kommt das Interesse des Verbrauchers an einer sofortigen Leistungserbringung hinreichend zur Geltung. Über die Notwendigkeit der Belehrung über das Wi-
240
Nur das Bestehen des Widerrufsrechts gibt dem Verbraucher keine dilatorische Einrede, vgl. Koch, in: Erman, BGB, 162020, § 355 Rn. 4; Fritsche, in: Krüger/Säcker/Rixecker (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, 82019, § 355 Rn. 39. A. A. Grüneberg, in: Brudermüller/Ellenberger/Götz u. a. (Hrsg.), Palandt Bürgerliches Gesetzbuch, 792020, § 355 Rn. 3. 241 Zur Notwendigkeit einer Entscheidung des EuGH in dieser Frage, vgl. Rieble, in: Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 2017, § 397 Rn. 80. 242 So wohl auch die ganz h. M. Grüneberg, in: Brudermüller/Ellenberger/Götz u. a. (Hrsg.), Palandt Bürgerliches Gesetzbuch, 792020, § 312k Rn. 2; Busch, in: Gsell/Krüger/ Lorenz u. a. (Hrsg.), BeckOGK, § 312k Rn. 8.1; Junker, in: Junker/Beckmann/Rüßmann u. a. (Hrsg.), jurisPK-BGB Band 2, 2017, § 312k Rn. 9; Stadler, in: Jauernig, Bürgerliches Gesetzbuch, 162015, § 312k Rn. 2; Ring, in: Dauner-Lieb/Langen, §§ 241 – 853 BGB, 3 2016, § 312k Rn. 3; Eckert, in: Hau/Poseck (Hrsg.), BeckOK BGB, 2020, § 487 Rn. 2; Meier, in: Gsell/Krüger/Lorenz u. a. (Hrsg.), BeckOGK, § 487 Rn. 7; Möller, in: Hau/Poseck (Hrsg.), BeckOK BGB, 2020, § 512 Rn. 1 ff.
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derrufsrecht wird sichergestellt, dass der Verbraucher eine hinreichend informierte Entscheidung trifft. 3. Zwingende Vorgaben zum Vertragsinhalt Bereits dargelegt wurde, dass das Verbrauchervertragsrecht vereinzelt Vorschriften kennt, die den zulässigen Inhalt von Rechtsgeschäften zwingend vorgeben, indem sie bestimmte Abreden untersagen oder verbindlich vorgeben. Im Mittelpunkt steht dabei nicht der Schutz des Verbrauchers bei Vertragsschluss, sondern die Determinierung der konkreten Vertragsabwicklung und -durchführung. Die Position des Verbrauchers als nachfragender Marktteilnehmer soll unmittelbar verbessert werden. Die zwingende Anordnung gilt dabei auch „gegenüber einem aufgeklärten und kundigen Verbraucher, der unbeeinflusst vom Unternehmer und aus bewusstem Kalkül auf Rechtspositionen verzichten möchte“243. Für die rechtswissenschaftliche Verbraucherforschung hat Eidenmüller die Kritik an dem vollkommen rational handelnden Marktakteurs der Verhaltensökonomie auf einige typische schuldrechtliche Instrumente des Verbraucherschutzes übertragen.244 Für die Anordnung zwingender Vertragsinhaltsregelungen könnte demnach „ein empirisch dokumentierter Überoptimismus hinsichtlich unserer eigenen Leistungsfähigkeit sowie die Unterschätzung von Risiken, insbesondere bei zukunftsbezogenen Entscheidungen“245 von besonderer Bedeutung sein.246 a) Informationspflichten und Vertragsinhalt Der mehrfach vorgesehene Einbezug der in Erfüllung der Informationspflichten gemachten Angaben in den Vertragsinhalt (vgl. insb. § 312d Abs. 1 S. 2 BGB; § 492 Abs. 2 BGB; § 484 Abs. 2 S. 1 BGB) wurde an anderer Stelle bereits angesprochen (vgl. § 13 III 1 c)). Regelungsgrund ist die bindende Festlegung des Unternehmers auf die in Erfüllung der Informationspflicht gemachten Aussagen, sowie die Sicherstellung einer umfassenden Informationsmöglichkeit für den Verbraucher.247 Allerdings haben die vom Gesetzgeber als Information bezeichneten Vorgaben teilweise den Charakter von Vertragsbedingungen.248
243
Schürnbrand, JZ 2009, 133 ff., 135. Vgl. Eidenmüller, JZ 2005, 216 ff., 221 ff. 245 Ders., JZ 2005, 216 ff., 223. 246 Dass solche Inhaltsvorgaben – außerhalb der Klauselkontrolle – letztlich aber auf schwachem Fundament stehen, wurde bereits dargelegt (vgl. § 12 IV). 247 BT-Drucks. 17/13951, S. 73; Wendehorst, in: Krüger/Säcker/Rixecker (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, 82019, § 312d Rn. 7. 248 Wendehorst, in: dies., Münchener Kommentar BGB, 82019, § 312d Rn. 12 f. 244
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Drittes Kapitel: Das Paradigma der Unabdingbarkeit
Wenn diese Vorschriften nun vorsehen, dass die Information nur dann Vertragsinhalt wird, sofern sie nicht vorher abgeändert wurde, folgt daraus, dass der Vertragsinhalt durch Vereinbarung zwischen Unternehmer und Verbraucher (sowie in Ausnahmefällen sogar einseitig) zur Disposition steht. Allerdings ist das primäre Ziel dieser Vorschriften die normative Absicherung der Verantwortlichkeit des Unternehmers für (vor)vertraglich Angaben. Aus diesen Vorgaben lässt sich folglich keine grundsätzliche Zulässigkeit abweichender (nachträglicher) Vereinbarungen über zwingende Verbraucherschutzvorschriften ableiten.249 b) Vertragsinhaltsregelungen Tatsächliche Regelungen hinsichtlich des zwingenden Vertragsinhalts finden sich im Verbrauchervertragsrecht weniger als zunächst angenommen. Das europäische Vertragsrecht respektiert den Grundsatz der Inhaltsfreiheit. Auch im Bereich des Verbrauchervertragsrechts obliegt die Bestimmung der Primärleistungspflichten grundsätzlich den Parteien.250 Zwingende inhaltliche Vorgaben sind vielmehr die Ausnahme denn die Regel.251 Dies entspricht dem vom EuGH postulierten Vorrang des Transparenzmodelles vor einem Verbotsmodell.252 Vorgaben hinsichtlich des Vertragsinhalts normiert beispielsweise der § 312a Abs. 3 bis 5 BGB für die Vereinbarung von Zusatzentgelten, sowie die Regelung des Einwendungsdurchgriffs bei verbundenen Verträgen (§ 359 BGB). Vornehmlich finden sich inhaltliche Vorgaben allerdings im Rahmen der Regelung der jeweiligen Verbrauchervertragstypen. So legt beispielsweise der § 493 Abs. 3 BGB die Vorgaben zur einseitigen Änderung des Sollzinssatzes eines Verbraucherdarlehensvertrages und der § 501 BGB die Pflicht zur Kostenermäßigung bei vorzeitiger Erfüllung durch den Verbraucher fest.253 aa) Verbrauchsgüterkaufrecht Besondere Hervorhebung verdienen die Regelungen über den Verbrauchsgüterkauf. Der § 476 Abs. 1 S. 1 BGB ordnet für die wesentlichen Rechte des Käufers und die besonderen Vorgaben des Verbrauchsgüterkaufrechts (§§ 474 ff.) das Verbot abweichender Vereinbarungen zum Nachteil des Verbrauchers an. Die Bestimmung der Primärleistung bleibt freilich den Parteien 249
So auch Wendehorst, in: dies., Münchener Kommentar BGB, 82019, § 312d Rn. 6. Vogel, Verbrauchervertragsrecht und allgemeines Vertragsrecht, 2006, 131; Repgen, Kein Abschied von der Privatautonomie, 2001, 82 f. 251 Riesenhuber, Europäisches Vertragsrecht, 22006, 365. 252 Siehe dazu § 12 I 1. 253 Bspw. noch § 499 BGB für die Vereinbarung über Kündigungsrechte oder die Möglichkeit der Leistungsverweigerung des Darlehensgebers. 250
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überlassen, sodass gerade hier der subjektiven Entscheidung über die Vertragsmäßigkeit des Kaufgegenstandes besondere Bedeutung zukommt.254 (1) Die Abweichungsmöglichkeit nach Mangelmitteilung Allerdings enthält der § 476 Abs. 1 S. 1 BGB eine Einschränkung des Abdingbarkeitsverbots, die bisher für das Verbrauchervertragsrecht einmalig ist. Die Norm erfasst nur solche Vereinbarungen, die „vor Mitteilung eines Mangels an den Unternehmer“ getroffen wurden. Im Umkehrschluss sind Vereinbarungen über die Käuferrechte (§§ 433 ff., 474 ff. BGB) nach Mangelmitteilung in den gesetzlichen Grenzen ohne Weiteres zulässig. Das Erfordernis der Mangelmitteilung soll dabei Rechtssicherheit über die Kenntnis von der Mangelhaftigkeit schaffen, indem das Tatbestandsmerkmal eine Kommunikation zwischen Verbraucher und Unternehmer voraussetzt.255 Der eigentliche Grund für die „Dispositivitätsanordnung“ ist dann aber nicht – wie der Wortlaut nahe legen könnte – die Kenntnis des Unternehmers von dem Mangel, sondern vielmehr die Kenntnis des Verbrauchers von der Vertragswidrigkeit.256 Nur wenn dieser von der nicht vertragsgemäßen Leistung Kenntnis hat, kann er über die ihm zustehenden Rechte disponieren. Folgerichtig wird die Mitteilung nur eines Dritten an den Unternehmer oder eine anderweitige Kenntniserlangung nicht ausreichen, um eine haftungsbeschränkende Vereinbarung zuzulassen.257 Mit Blick auf das Ziel der Vorschrift, ist die Dispositionsfreiheit umfassend zu verstehen. Abweichungen sind also nicht nur in Bezug auf den konkreten Mangel, sondern hinsichtlich des gesamten Vertragsinhalts möglich.258 Mit Kenntnis, von der nicht vertragsgemäßen Leistung ist, der Verbraucher also nicht mehr im selben Maße schutzwürdig. 254 Dieser Vorrang der privatautonomen Vereinbarung bestimmt wesentlich die Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie (vgl. Art. 2 Abs. 1 VerbGKRL). Vgl. Meller-Hannich, Verbraucherschutz im Schuldvertragsrecht, 2005, 253 ff.; Repgen, Kein Abschied von der Privatautonomie, 2001, 82 ff. 255 Faust, in: Hau/Poseck (Hrsg.), BeckOK BGB, 2020, § 476 Rn. 16. Dementsprechend wird man die Mangelmitteilung als empfangsbedürftig ansehen müssen, vgl. Wertenbruch, in: Soergel/Siebert/Wolf (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch, § 475 Rn. 13; Lorenz, in: Westermann/Säcker/Rixecker, Münchener Kommentar BGB, 82019, § 475 Rn. 13b. 256 Matusche-Beckmann, in: Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 2014, § 475 Rn. 35. 257 Lorenz, in: Westermann/Säcker/Rixecker, Münchener Kommentar BGB, 82019, § 476 Rn. 13; Hau/Poseck (Hrsg.), BeckOK BGB, 2020,§ 476 Rn. 16; Matusche-Beckmann, in: Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 2015, § 475 Rn. 35. 258 Grunewald, in: Erman, BGB, 162020, § 476 Rn. 2; LG Essen BeckRS 2013, 19783. A. A. (nur hinsichtlich des konkret mitgeteilten Mangels) Weidenkaff, in: Brudermüller/ Ellenberger/Götz u. a. (Hrsg.), Palandt Bürgerliches Gesetzbuch, 792020, § 476 Rn. 3a; Faust, in: Hau/Poseck (Hrsg.), BeckOK BGB, 2020, § 476 Rn. 23 jeweils m. w. N.
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Drittes Kapitel: Das Paradigma der Unabdingbarkeit
Fraglich ist, wie diese Ausnahmevorschrift, mit der in den übrigen Bereichen absolut angeordneten Unabdingbarkeit der Verbraucherrechte in Einklang zu bringen ist. Besonders augenfällig wird die Problematik bei § 475 Abs. 1 und Abs. 2 BGB. Diese Vorgaben sind nicht aufgrund der Umsetzung der Verbrauchsgüterkauf-RL geschaffen worden, sondern basieren auf Art. 18 Abs. 1 bzw. Art. 20 S. 2 der Verbraucherrechte-RL. Schon der Regelungsgehalt der Absätze (verzögerte Leistung bzw. Gefahrtragung bei zufälligem Untergang) passt nicht zu dem, auf den Zeitpunkt der Mangelmitteilung abstellenden Normgehalt des § 476 Abs. 1 S. 1 BGB. Auch aus diesem Grund wird eine auch nach Mangelmitteilung getroffene Vereinbarung, die von § 475 Abs. 1 oder Abs. 2 BGB abweicht, nicht zulässig sein können. Bestätigt wird dies durch die in Art. 25 Verbraucherrechte-RL getroffene Anordnung der zwingenden Geltung der verbraucherschützenden Vorgaben. Ein mit dem Art. 7 Verbrauchsgüterkauf-RL vergleichbares Zeitmoment kennt der Art. 25 nicht. Nach dem auch im europäischen Sekundärrecht geltenden Grundsatzes lex posterior derogat legi priori, genießt der Art. 25 Verbraucherrechte-RL insofern Anwendungsvorrang.259 (2) Die Ansicht Wertenbruchs Im Rahmen des § 476 BGB vertritt Wertenbruch allerdings ein anderes Verständnis der dort festgelegten Abweichungsmöglichkeit.260 Mit Bezug auf den Wortlaut des § 476 Abs. 1 S. 1 BGB will er Abweichungen dann zulassen, wenn sich nicht der Unternehmer, sondern der Verbraucher auf eine von den §§ 433 ff., 474 ff. abweichende Regelung beruft. Dies aus dem Wortlaut der Norm abzuleiten erscheint mir aber nicht unproblematisch. Der § 476 Abs. 1 S. 1 BGB bezieht sich schon systematisch auf die Vereinbarung zwischen Verbraucher und Unternehmer im Ganzen. Vergegenwärtigt man sich nun die synallagmatische Verknüpfung von Verkäufer- und Käuferansprüchen, so wird für eine Aufspaltung in für den Verbraucher nachteilige und vorteilhafte Abweichungen kein Raum mehr bleiben.261 Aus dieser Verknüpfung folgt dann nämlich auch, dass der Verbraucher, sofern er die Erfüllung einer abweichenden Vereinbarung fordert, seine Gegenleistung nicht mehr mit dem Verweis auf § 476 Abs. 1 S. 1 BGB verweigern kann. Im Ergebnis führt die Gestaltung also zu einer Bindung des Verbrauchers an eine Vereinbarung, die von den ihm zustehenden Schutzrechten abweicht, ohne
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Augenhofer, in: Gsell/Krüger/Lorenz u. a. (Hrsg.), BeckOGK, § 475 Rn. 15 ff., § 476 Rn. 15 f. a. A. Faust, in: Hau/Poseck (Hrsg.), BeckOK BGB, 2020, § 476 Rn. 16a. 260 Wertenbruch, in: Soergel/Siebert/Wolf (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch, § 475 Rn. 70 f. 261 So auch BGH NJW 2011, 3435 ff., 3437.
§ 13 Die Abdingbarkeit der Verbraucherschutzrechte
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Rücksicht auf das Tatbestandsmerkmal der Unterrichtung über die Vertragswidrigkeit zu nehmen. Dieses Ergebnis muss mit Blick auf den eindeutigen Wortlaut des Art. 7 Abs. 1 VerbGKRL aber als unionsrechtswidrig abgelehnt werden. bb) Pauschalreisevertragsrecht Unter dem Aspekt einer zwingenden Festlegung von Vertragsinhalten, bietet sich auch ein Blick auf den in den §§ 651a ff. BGB ab 1. Juli 2018 neu geregelten Pauschalreisevertrag an.262 Die Übertragung der reiserechtlichen Wertungen auf das übrige Verbrauchervertragsrecht ist dabei freilich nicht ohne Weiteres möglich. Durch die fehlende Anknüpfung an den tradierten Verbraucherbegriff schützt das Reiserecht jeden Reisenden unabhängig von seiner Rolle im Markt.263 Grundsätzlich erfasst sind damit auch Reisen zu einem geschäftlichen Zweck. Allerdings ist der Anwendungsbereich im neu geregelten Reiserecht dann nicht mehr eröffnet, wenn zwischen dem Reisenden und dem Unternehmer ein „Rahmenvertrag über die Erbringung von Geschäftsreisen“ besteht.264 Für die Darstellungen zu § 651y BGB, der die Möglichkeit zur Abweichung von den festgeschriebenen Anordnungen regelt, hat dies allerdings keine Auswirkung: Ist eine Vereinbarung über die unabdingbaren Rechte für den Reisenden nach Vertragsschluss ausgeschlossen, so muss dies erst Recht für den Reisenden in der Verbraucherrolle gelten.265 Die Vorgaben der Pauschalreise-RL (Art. 1, EWG 51) machen deutlich, dass primäres Ziel die Erreichung eines hohen Verbraucherschutzniveaus ist. Auch wenn der Reisevertrag nicht an den Begriff des Verbrauchers anknüpft, so kann er doch wegen seiner verbraucherschützenden Grundausrichtung als Verbrauchervertrag im weiteren Sinne qualifiziert werden.266 Im Rahmen des Reisevertragsrechts sind die überwiegenden Vertragsinhalte und Rechte des Reisenden zwingend festgelegt. Ein einseitiger Verzicht oder eine rechtsgeschäftliche Abweichung zu Lasten des Reisenden ist nicht möglich. Ausweislich des § 651y S. 1 BGB legen die Vorgaben der §§ 651a ff. 262 Siehe nun aber 1. Juli 2018 die neuen Regelungen der §§ 651a–651y durch das Dritte Gesetz zur Änderung reiserechtlicher Vorschriften, BGBl. 2017, I. S. 2394 zur Umsetzung der neuen Pauschalreise-RL. Siehe kritisch dazu Tonner, MDR 72 (2018), 305 ff. 263 Die Pauschalreise-RL 90/314/EWG normiert insofern in Art. 2 Nr. 4 einen über den üblichen Verbraucherbegriff hinausgehenden persönlichen Anwendungsbereich. 264 Siehe insofern EWG 7, Art. 2 Abs. 2 lit. c) der neuen Pauschalreise-RL, sowie § 651a Abs. 5 Nr. 3 BGB. 265 Beachte allerdings den Anwendungsausschluss des § 651a Abs. 5 BGB. 266 Vgl. Tonner, in: Henssler, Münchener Kommentar BGB, 72017, Vor. §§ 651a ff. Rn. 78, mit dem Hinweis, dass der Reisevertrag der erste, aus Verbraucherschutzgründen durchweg zwingend ausgestaltete Vertragstyp des BGB war.
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Drittes Kapitel: Das Paradigma der Unabdingbarkeit
einen zwingenden Schutzstandard fest. Fraglich ist allerdings, ob mit Blick auf die Regelung in § 476 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 BGB eine teleologische Reduktion des § 651y BGB für solche Vereinbarungen angenommen werden kann, die nach Mangelmitteilung267 des Reisenden zustande gekommen sind und von diesen zwingenden Inhaltsvorgaben abweichen. Regelmäßig wurde dies in der reiserechtlichen Rechtsprechung mit Blick auf die höchstrichterlichen Entscheidungen zur sog. „Erlass-Falle“ für die Vorgängervorschrift § 651 m BGB a.F. bejaht. Eine Abweichung soll demnach zulässig sein, wenn zwischen der Forderung des Reisenden und dem als Abfindung angebotenen Betrag kein krasses Missverhältnis besteht und sich der Reisende in keiner „Drucksituation“ befindet.268 Die Rechtsprechung befasst sich bei der Beurteilung der Zulässigkeit solcher Vergleichsvereinbarungen aber an keiner Stelle mit der naheliegenden Frage nach einem möglichen Verstoß gegen die Zwingendstellung gem. § 651 m S. 1 BGB a.F. Dies überrascht insofern, da der Wortlaut der Norm ja ausdrücklich gegen solche Abreden spricht. Der Zulassung einer Abweichung stand bis zur Neufassung des Reiserechts aber auch der § 651 m S. 2 BGB a.F. entgegen. Aus der Norm folgte nämlich die Zulässigkeit von Verjährungsabreden vor der Mangelmitteilung des Reisenden.269 Aus der systematischen Stellung lässt sich der eindeutige gesetzgeberische Wille schlussfolgern, dass auch bei Kenntnis des Reisenden vom Mangel eine für ihn nachteilige Vereinbarungen nicht zulässig sein soll, mit Ausnahme der nach § 651 m S. 2 BGB a.F. möglichen Abmachung über die Verjährungsfrist.270 Oder anders ausgedrückt: Die Kenntnis von einem Reisemangel berechtigt nur zu Vereinbarungen über die Verjährung; weitere Rechtskürzungen sollen im Interesse des Reisenden vermieden werden.271 Die nun neugefasste Unabdingbarkeitsvorgabe in § 651y kennt die Möglichkeit
267 Ebenso wie im Verbrauchsgüterkaufvertrag, kann das entscheidende Kriterium nicht die Kenntnis des Reiseveranstalters sein. Vielmehr kommt es darauf an, dass der Reisende den Mangel kennt, bevor er eine Vereinbarung über seine Rechte trifft. (siehe dazu oben § 13 III 3 a) aa) (1)) Die Mangelmitteilung an den Unternehmer ist nur aus Gründen der Rechtssicherheit erforderlich. 268 Zur „Erlass-Falle“ vgl. nur BGH NJW 1990, 1655 ff.; BGH NJW 2001, 2324 f. Zur entsprechenden reiserechtlichen Rechtsprechung vgl. OLG Düsseldorf BeckRS 2008, 03758; LG Frankfurt a.M. BeckRS 2009, 27191; AG Duisburg BeckRS 2015, 09984. Insofern wohl zustimmend Seiler, in: Erman, BGB – Band I, 122008, § 651 m Rn. 2. Siehe dazu auch Schmid/Hopperdietzel, NJW 2009, 652 f. 269 Tonner, in: Henssler, Münchener Kommentar BGB, 72017, § 651 m Rn. 10. 270 Staudinger, in: Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 2016, § 651 m Rn. 14 ff. Eingehend hierzu Ullenboom, ReiseRecht aktuell 24 (2016), 162 ff. A. A. Sprau, in: Brudermüller/Ellenberger/Götz u. a. (Hrsg.), Palandt Bürgerliches Gesetzbuch, 79 2020, § 651 m Rn. 1; Geib, in: Hau/Poseck (Hrsg.), BeckOK BGB, 2020, § 651 m Rn. 3. 271 So auch die Gesetzesbegründung BT-Drucks. 14/6040, S. 269 „Das Reiserecht wird mithin in einem eng eingegrenzten Bereich dispositives Recht.“.
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solcher Verjährungsabreden nicht mehr.272 Allerdings folgt daraus kein anderes Ergebnis. Vielmehr wird dadurch die absolute Unabdingbarkeit der §§ 651a ff. BGB bestätigt.273 c) Zwischenergebnis Die zwingenden Vorgaben hinsichtlich des Vertragsinhalts scheinen somit absolut zu wirken. Sieht der Gesetzgeber Raum für privatautonome Vereinbarungen, ordnet er dies als Ausnahme von dem zwingenden Geltungsbereich ausdrücklich an. 4. Die Reichweite des Paradigmas der Unabdingbarkeit Wurde im Vorstehenden die zwingende sachliche Reichweite der entsprechenden Regelungsbereiche dargelegt, soll im Folgenden die Frage nach einer Differenzierung des Unabdingbarkeitsgebots in zeitlicher Hinsicht im Mittelpunkt stehen. Dieser Aspekt wurde im Bereich des verbraucherschützenden Widerrufsrechts bereits angesprochen und soll nun hier allgemein, für alle Verbraucherschutzrechte untersucht werden. a) Der Vertragsschluss als zeitliche Grenze Denkbar wäre es, das Verbot abweichender Vereinbarungen nicht auf solche Ansprüche und Rechte zu beziehen, die zum Zeitpunkt der Vereinbarung bereits entstanden sind.274 Die Anspruchsentstehung ist grundsätzlich unabhängig von der Kenntnis des jeweiligen Anspruchsberechtigten zu dem Zeitpunkt zu bejahen, an dem alle anspruchsbegründenden Tatsachen verwirklicht worden sind (arg. e. § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB). Für das Vertragsrecht bedeutet dies, dass vertragliche Gewährleistungsansprüche und sonstige Schutzrechte grundsätzlich mit Vertragsschluss entstehen. Nach diesem Verständnis wären also die zwingenden Regelungen des Verbrauchervertragsrechts nach Vertragsschluss auch zu Lasten des Verbrauchers abdingbar (ex-post).275 Das Abstellen auf ein solches Zeitmoment ist dem Vertragsrecht dabei nicht fremd. Das BGB kennt mit Blick auf die überragende Bedeutung der Privatautonomie grundsätzlich nur das Verbot des 272
Tonner, in: Henssler, Münchener Kommentar BGB, 72017, § 651 m Rn. 12. Ebenso entfällt die Ausschlussfrist in § 651g Abs. 1 BGB a. F. 274 In diese Richtung für das Pauschalreiserecht Seiler, in: Erman, BGB – Band I, 12 2008, § 651 m Rn. 2. 275 Wagner, in: Eidenmüller/Faust/Grigoleit u. a. (Hrsg.), Revision des Verbraucheracquis, 2011, S. 1 ff., 48 f.; Vogel, Verbrauchervertragsrecht und allgemeines Vertragsrecht, 2006, 131 f.; Herb, Europäisches Gemeinschaftsrecht und nationaler Zivilprozess, 2007, 241 ff. Für das deutsche Recht Wagner, Prozeßverträge, 1998, 106 ff., 119 ff. 273
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Drittes Kapitel: Das Paradigma der Unabdingbarkeit
Vorausverzichts (ex-ante).276 So kann gem. § 276 Abs. 3 BGB die Haftung für vorsätzliche Schädigungen nicht im Voraus erlassen werden. Eine vergleichbare Unabdingbarkeitsgrenze sieht auch der § 619 BGB vor. Ebenso ist ein Vorauserlass der Gewährleistungsrechte (§§ 444, 536d, 639 BGB) ausgeschlossen, soweit dem Schuldner Arglist in Bezug auf die Mangelhaftigkeit des Vertragsgenstandes vorzuwerfen ist. Ein nachträglicher Erlass bleibt dort aber immer möglich.277 Die Parteien können über einmal entstandene Rechte frei verfügen. Ob man allerdings die inhaltlich zwingenden Vorgaben des „richtliniendeterminierten“ nationalen Verbraucherschutzrechts auch in zeitlicher Hinsicht absolut zwingend einordnen muss, ist bisher nicht eindeutig geklärt. Wagner und Vogel sehen im Vertragsschluss die zeitliche Grenze des inhaltlich zwingenden Charakters.278 Ab diesem Zeitpunkt sollen die Parteien ihre vertraglichen Rechte und Pflichten frei modifizieren können. Mit Vertragsschluss habe der Verbraucher eine rechtlich so geschützte Stellung inne, dass er auf diesen Schutz nicht mehr leichtfertig verzichten werde. So wird „mit Vertragsschluß […] der zwingende gesetzliche Schutz des Verbrauchers durch den dispositiven vertraglichen Schutz abgelöst“279. Eine solche Argumentation wirkt dem ersten Anschein nach überzeugend, ist Schutzgrund des Verbraucherrechts doch vielfach eine besonders prekäre Vertragsabschlusssituation, die eine rechtliche Intervention erforderlich macht. Ex-ante ist demnach die Verfügung über den geschützten Bereich unzulässig, während ex-post die entstandenen Rechte zur Disposition der Parteien stehen sollen.280 b) Kritik Letztendlich kann dieser Ansicht aber nicht gefolgt werden. Ganz abgesehen von dem Umstand, dass gerade zwingende Inhaltsvorgaben nicht nur die Privatautonomie des Verbrauchers beim Abschluss des Vertrages sichern
276 Dieses Zeitmoment kennen dabei bspw. §§ 202 Abs. 1; 248 Abs. 1; 276 Abs. 3; 288 Abs. 6; 476; 533; 619; 702a Abs. 1 BGB. 277 Mit Blick auf die §§ 444, 536d, 639 BGB gilt dies natürlich nur, sofern der Käufer zwischenzeitlich ebenfalls Kenntnis vom Mangel erlangt hat, vgl. Stöber, in: Gsell/Krüger/ Lorenz u. a. (Hrsg.), BeckOGK, § 444 Rn. 53. Ausführlich auch Wagner, Prozeßverträge, 1998, 107 ff. 278 Vogel, Verbrauchervertragsrecht und allgemeines Vertragsrecht, 2006, 131 f.; Wagner, in: Eidenmüller/Faust/Grigoleit u. a. (Hrsg.), Revision des Verbraucher-acquis, 2011, S. 1 ff., 48 f. Herb, Europäisches Gemeinschaftsrecht und nationaler Zivilprozess, 2007, 241 ff., bejaht grundsätzlich die Dispositionsfreiheit ex post, will dies mit Blick auf den eindeutigen Wortlaut des Art. 6 Haustürgeschäfte-RL dann aber doch vom Zweck der zwingenden Vorschrift abhängig machen (S. 243 ff.). 279 Vogel, Verbrauchervertragsrecht und allgemeines Vertragsrecht, 2006, 132. 280 Hierzu ausführlich auch Wagner, Prozeßverträge, 1998, 114 ff.
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wollen, sondern sich ausdrücklich auch auf die Durchführung des bereits geschlossenen Vertrages und damit auf die Zeit nach Vertragsschluss (expost) beziehen281, scheint schon das alleinige Abstellen auf den Vertragsschluss als maßgeblichen Zeitpunkt nicht überzeugend. Eine solche Ansicht muss nämlich darlegen, aus welchen Gründen sich der Gesetzgeber, in der einzig gesetzlich normierten Möglichkeit, abweichende Vereinbarungen zum Nachteil des Verbrauchers im Vertragsrecht zu treffen, für ein anderes Vorgehen entscheidet. Im Rahmen des § 476 BGB kommt es nämlich auf die positive Kenntnis der Mangelhaftigkeit des Kaufgegenstandes an und damit gerade nicht auf den Vertragsschluss bzw. die Anspruchsentstehung.282 Für eine wirksame rechtsgeschäftliche Abweichung reicht also das kenntnisunabhängige tatsächliche Entstehen der Ansprüche nicht aus. Vielmehr muss sich der Verbraucher über die haftungsbeschränkende Bedeutung der Vereinbarung im Klaren sein, was durch das Erfordernis einer Mangel-Mitteilung an den Unternehmer sichergestellt wird.283 Ähnlich verhält es sich mit den verfahrensrechtlichen Vorgaben, die erst nach Streitentstehung eine Abweichung von verbraucherschützenden Vorgaben auch zu Lasten des Verbrauchers ermöglichen (vgl. Art. 19 Nr. 1 Brüssel Ia-VO, Art. 10 Abs. 1 ADR-RL ebenso § 38 Abs. 3 Nr. 1 ZPO freilich ohne Bezug auf den Verbraucher). Zeitlicher Anknüpfungspunkt ist hier gerade nicht die Entstehung des Rechts, sondern ausdrücklich erst das „Entstehen einer Streitigkeit“. Dies bestätigt die Wertung, dass der Bereich vor der (konfliktbasierten) Störung in der vertraglichen Austauschbeziehung für den Verbraucher mit Blick auf eine mögliche Übervorteilung durch den Unternehmer nicht minder riskant ist. So vermag beispielsweise schon der Warenaustausch den Verbraucher zu einer Überschätzung seiner Marktstellung verleiten und ein Abkaufen zunächst „unnötiger“ – weil noch nicht relevanter – Rechtspositionen durch den Unternehmer für diesen einfacher machen.284 So wird beispielsweise die praktische Bedeutung und Reichweite einer Gewährleistungsbeschränkung auf das Nachbesserungsrecht unter Gewährung eines Preisnachlasses oder Gutscheins dem Verbraucher erst im Falle der Vertragswidrigkeit oder im Rahmen eines Streits mit dem Unternehmer bewusst werden.285 Für das Verbrauchervertragsrecht ist also ausschlaggebend, ob dem verzichtenden Verbraucher die haftungsbeschränkende Bedeutung einer Vereinbarung hinreichend klar ist. 281 Schlussantrag der Generalanwältin Kokott zur Rs. C-32/12 (Duarte Hueros), BeckRS 2013, 80437 Rn. 42 ff. 282 Zum Telos der Mangelmitteilung, siehe oben § 13 III 3 b) aa) (1). 283 Faust, in: Hau/Poseck (Hrsg.), BeckOK BGB, 2020, § 476 Rn. 16. 284 Zu den entsprechenden Rationalitätsfallen, vgl. schon § 7 I 1 c). 285 Riesenhuber, Europäisches Vertragsrecht, 22006, 305.
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Drittes Kapitel: Das Paradigma der Unabdingbarkeit
c) Der Umkehrschluss zu ex-post Verzichtsverboten Eine rechtsgeschäftliche Dispositionsbefugnis ex-post lässt sich auch nicht mit einem Umkehrschluss zu ausdrücklichen ex-post Verzichtsverboten (§ 4 Abs. 4 S. 1 TVG, § 77 Abs. 4 S. 2 BetrVG) begründen286, da in diesem Fall konsequenterweise in einem weiteren argumentum e contrario zu den ex-ante Verzichtsverboten des Schuldrechts (vgl. §§ 248 Abs. 1, 276 Abs. 3, 288 Abs. 6, 476 Abs. 1, 619 und 702a Abs. 1 BGB; § 14 ProdHaftG) der vergleichsweise Rechtsverzicht sogar schon vor Rechtsentstehung möglich sein müsste.287 Dass ein solches Ergebnis dem deutschen Verbraucherrecht widerspricht und darüber hinaus evident europarechtswidrig wäre, bedarf keiner näheren Ausführung. d) Die Zulassung von Verjährungsabreden Wertungswidersprüchlich ist eine solches Abstellen auf den Vertragsschluss allerdings auch mit Blick auf die Möglichkeit von Verjährungsabreden. Nach dem ausdrücklichen Wortlaut der § 476 Abs. 2 (sowie § 651 m S. 2 BGB a.F.) sind rechtsgeschäftliche Verkürzungen der speziellen gesetzlichen Verjährungsfristen vor und auch nach Vertragsschluss nur beschränkt zulässig. So sind jedenfalls dann Vereinbarungen über die Verjährung ausgeschlossen, soweit sie zu einer Verjährungsfrist von weniger als einem Jahr führen. Erst nach Mitteilung des Mangels ist eine beliebige Verkürzung der Verjährung im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben (vgl. § 202 BGB) möglich. Man wird die Frage stellen müssen, welchen Sinn diese eindeutigen Vorgaben hinsichtlich der Zulässigkeit von Abreden über die Anspruchsverjährung haben, wenn de lege lata schon die Möglichkeit bestünde nach Vertragsschluss über die entsprechenden Ansprüche vollumfänglich zu disponieren. Die entsprechenden Normen wären schlicht überflüssig. Die aktuelle Rechtsprechung des EuGH288, die letztendlich zur Europarechtswidrigkeit des § 476 Abs. 2 BGB führt, hat für diese Frage kein anderes Ergebnis zur Folge.289
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Siehe dazu Wagner, Prozeßverträge, 1998, 114 ff., 119 f. Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, 2016, 72. 288 EuGH, Urt. vom 13.07.2017, Rs. C-133/16 – Ferenschild, ECLI:EU:C:2017:541. 289 Der EuGH unterscheidet in seiner Entscheidung zwischen der Haftungsdauer und der Verjährungsfrist, die dem deutschen Recht in dieser Form grundsätzlich fremd ist (vgl. BT-Drucks. 14/6040, 81). Die Verbrauchsgüterkauf-RL lasse nur eine Begrenzung der Haftungsdauer auf ein Jahr bei gebrauchten Sachen zu. Verjährungsabreden seien danach immer unwirksam, sofern sie nicht in Kenntnis der Mangelhaftigkeit der Kaufsache vereinbart wurden (Art. 7 Verbrauchsgüterkauf-RL). Vgl. dazu Leenen, JZ 2018, 284 ff. 287
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e) Der Wortlaut der europäischen Sekundärrechtsakte Auch die Vorgaben des europäischen Sekundärrechts lassen nicht den Schluss zu, dass der Verbraucher nach Vertragsschluss nicht mehr schutzwürdig ist. So spricht der EWG 58 der Verbraucherrechte-RL davon, dass dem Verbraucher „der mit dieser Richtlinie gewährte Schutz nicht entzogen werden“ könne. Der EWG 22 der Verbrauchsgüterkauf-RL formuliert, dass die eingeräumten Rechte nicht abbedungen oder „außer Kraft“ gesetzt werden dürfen. Schon der Wortlaut legt dabei nahe, dass nicht nur eine Beschränkung vor Vertragsschluss, sondern auch eine Abweichung zu Lasten des Verbrauchers nach Vertragsschluss ausgeschlossen werden soll. So kann schon begrifflich nur „entzogen“ oder „außer Kraft“ gesetzt werden, was zu einem früheren Zeitpunkt schon bestand.290 Eindeutig formuliert auch der EWG 19 der Timesharing-RL. Demnach sei sicherzustellen, „dass den Verbrauchern nach Maßgabe dieser Richtlinie gewährte Schutz […] sowohl im vorvertraglichen Stadium als auch im Vertragsverhältnis umfassend wirksam ist […]“. f) Zwischenergebnis Mit der ganz herrschenden Meinung wird man also auch nach Vertragsschluss grundsätzlich von einer Fortwirkung des Unabdingbarkeitspostulats ausgehen können.291 Die zwingenden Normen des Verbrauchervertragsrechts sollen nicht nur die Entstehung bestimmter Rechte und Ansprüche sicherstellen, sondern darüber hinaus auch den Verzicht auf entstandene Ansprüche ausschließen, soweit nicht die Kenntnis des Verbrauchers über die ihm zustehenden Rechte sichergestellt ist.
290
Vgl. auch die englische Fassung des EWG 22 Verbrauchsgüterkauf-RL „[…] the parties may not, by common consent, restrict or waive the rights granted to consumers […]“ [Hervorh. d. Verf.]. 291 So besteht auch bei den Befürwortern der objektiven Vergleichsfähigkeit (siehe dazu sogleich unter § 13 III 5) weitgehend Einigkeit darüber, dass die Unabdingbarkeitsanordnung auch nach Vertragsschluss bzw. Anspruchsentstehung fortwirkt. Vgl. nur Grüneberg, in: Brudermüller/Ellenberger/Götz u. a. (Hrsg.), Palandt Bürgerliches Gesetzbuch, 79 2020, § 312k Rn. 2 „Das Verbot gilt bis zur restlosen Abwicklung des Vertrages“. Ebenso Busch, in: Gsell/Krüger/Lorenz u. a. (Hrsg.), BeckOGK, § 312k Rn. 10; Junker, in: Junker/ Beckmann/Rüßmann u. a. (Hrsg.), jurisPK-BGB Band 2, 2017, § 312k Rn. 5 ff. Wendehorst, in: Krüger/Säcker/Rixecker (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, 82019, § 312k Rn. 5; Habersack, in: Habersack, Münchener Kommentar BGB, 82020, § 779 Rn. 11.
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Drittes Kapitel: Das Paradigma der Unabdingbarkeit
5. Verbraucherrechte als Gegenstand eines Vergleichs Bisher nur am Rande angesprochen wurde die sich mit Blick auf die Thematik der Arbeit aufdrängende Frage der Dispositionsbefugnis des Verbrauchers im Rahmen eines materiell-rechtlichen Vergleichs. Zu untersuchen ist, ob Verbraucher und Unternehmer über den Konfliktgegenstand auch dann einen Vergleich schließen dürfen, wenn dieser zu einer Abweichung von zwingendem Verbraucherschutzrecht führen würde. In Frage steht demnach die objektive Vergleichsfähigkeit von Verbraucherstreitigkeiten. a) Vergleichsfähigkeit und Schiedsfähigkeit Einen ersten Anhaltspunkt könnte dabei eine an die objektive Schiedsfähigkeit gem. § 1030 ZPO anknüpfende Betrachtung bieten. So begründet auch halbzwingendes Recht zum Schutz einer Vertragspartei keine Unzulässigkeit der schiedsrichterlichen Streitbeilegung.292 Eine ausdrückliche Sonderreglung enthalten der § 1030 Abs. 2 ZPO, der Schiedsvereinbarungen über Wohnraummietstreitigkeiten die Wirksamkeit versagt, und §§ 4, 2 Abs. 1 u. 2 i. V. m. § 101 Abs. 1 u. 2 ArbGG für arbeitsrechtliche Streitigkeiten. Aus dem Umkehrschluss zu diesen Ausnahmeregelungen293 sowie § 1031 Abs. 5 ZPO wird man folgern müssen, dass auch bei Verbraucherstreitigkeiten grundsätzlich der Weg einer schiedsrichterlichen Konfliktbearbeitung offensteht (vgl. auch Art. 11 ADR-RL). Schiedsklauseln sind somit beispielsweise in Außergeschäftsraumverträgen, Fernabsatzverträgen oder Verbrauchsgüterkaufverträgen durchaus möglich.294 Allerdings lässt diese Anerkennung der Schiedsfähigkeit keinen Rückschluss auf die objektive Vergleichsfähigkeit der Streitsache zu. Mit dem Gesetz zur Neuregelung des Schiedsverfahrensrechts295 ist nämlich der Zusammenhang zwischen der Vergleichs- und der Schiedsfähigkeit weitgehend entfallen.296 Ebenso wie die fehlende Befugnis zum Vergleich grundsätzlich kein ausschlaggebendes Argument mehr gegen die schiedsgerichtliche Entscheidung der Rechtsstreitigkeit sein kann, ist daher der Schluss von der Schiedsfähigkeit auf die Möglichkeit und Reichweite eines materiell-rechtlichen Vergleichs möglich.
292
Vgl. BT-Drucks. 13/5274, S. 34; Schlosser, in: Stein/Jonas, Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232014, § 1030 Rn. 8. 293 Münch, in: Krüger/Rauscher/Adolphsen (Hrsg.), Münchener Kommentar ZPO, 5 2017, § 1030 Rn. 15. 294 Schlosser, in: Stein/Jonas, Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232014, § 1030 Rn. 8. 295 Gesetz zur Neuregelung des Schiedsverfahrensrechts (Schiedsverfahrens-Neuregelungsgesetz – SchiedsVfG), v. 22.12.1997 BGBl. I S. 3224. 296 Vgl. BT-Drucks. 13/5274, S. 34 re. Spalte. Siehe zur alten Rechtslage Wagner, Prozeßverträge, 1998, 99 ff.
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b) Der Meinungsstand Mit Blick auf die Unabdingbarkeit des Verbrauchervertragsrechts wird vielfach angenommen, dass auch im Rahmen eines Vergleichs der Verzicht des Verbrauchers auf Schutzrechte grundsätzlich nicht möglich sein soll.297 Ausgenommen davon ist freilich das Verbrauchsgüterkaufrecht, für welches der § 476 Abs. 1 S. 1 BGB nach Mangelmitteilung ausdrücklich Abweichungen zum Zwecke der vergleichsweisen Konfliktbeilegung zulässt.298 Einige Stimmen bejahen allerdings eine Abweichungsmöglichkeit über eine entsprechende Anwendung des § 144 BGB, sofern der Mangel in der Willensbildung des Verbrauchers behoben wurde.299 Eine direkte Anwendung des § 144 BGB scheitert schon am Wortlaut der Norm. Aber auch an einer entsprechenden Anwendung bestehen Zweifel. So fehlt es wohl schon an einer vergleichbaren Interessenslage, da ein anfechtbares Rechtsgeschäft grundsätzlich von Anfang an wirksam ist und durch einseitige Erklärung die (Weiter-)Geltung des Rechtsgeschäfts bestätigt werden kann. Gerade die Wirksamkeit der Vereinbarung wird man bei einem Verstoß gegen zwingende Rechte aber verneinen müssen. Eine entsprechende Anwendung verkennt den Unterschied zwischen § 144 BGB und § 141 BGB.300 Andere formulieren den Einwand, das Verbot abweichender Vereinbarungen im Verbrauchervertragsrechts würde sich nur auf den jeweiligen Grundvertrag und nicht auf einen etwaigen Vergleich beziehen.301 Dies überzeugt nicht. Der Bezug zum streitigen Grundvertrag (Rechtsverhältnis) ist dem Vergleich gem. § 779 BGB immanent. Selbst wenn man entgegen der ganz herrschenden Meinung im Rahmen des Vergleichs prinzipiell auf das Merkmal der Verfügungsbefugnis verzichten wollte302, formulieren die Vorgaben des Verbrauchervertragsrechts zwingende inhaltliche Zulässigkeitsschranken für die Ausgestaltung dieses Rechtsverhältnisses.
297 Vgl. Hoffmann, in: Gsell/Krüger/Lorenz u. a. (Hrsg.), BeckOGK, § 779 Rn. 61. Für den Reisevertrag: Ullenboom, ReiseRecht aktuell 24 (2016), 162 ff., 167; Staudinger, in: Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 2016, § 651 m Rn. 16. 298 BT-Drucks. 14/6040, 244 re. Spalte: „Damit werden insbesondere Vergleiche von dem Verbot abweichender Vereinbarungen nicht erfasst.“. Aus europäischer Perspektive vgl. Art. 7 Abs. 1 Verbrauchsgüterkauf-RL. Der EWG 12 Verbrauchsgüterkauf-RL führt aus, dass in „Fällen von Vertragswidrigkeit […] der Verkäufer dem Verbraucher zur Erzielung einer gütlichen Einigung stets jede zur Verfügung stehende Abhilfemöglichkeit anbieten“ kann. 299 So Hoffmann, in: Gsell/Krüger/Lorenz u. a. (Hrsg.), BeckOGK, § 779 Rn. 61. 300 Busche, in: Säcker/Armbrüster (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, 82018, § 144 Rn. 1. 301 So aber Geib, in: Hau/Poseck (Hrsg.), BeckOK BGB, 2020, § 651 m Rn. 3 a. E. 302 Bork, Der Vergleich, 1988, 226 ff.
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Drittes Kapitel: Das Paradigma der Unabdingbarkeit
Zur Frage der Zulässigkeit einer vergleichsweisen Absprache im Bereich zwingenden Gesetzesrechts hat der BGH schon mehrfach entschieden, dass „ein Vergleich, durch den die Ungewissheit darüber, was der Gesetzeslage entspricht, durch gegenseitiges Nachgeben beseitigt wird, trotz eines Widerspruchs zu zwingendem Recht wirksam [ist], wenn der Vergleichsinhalt den Bereich nicht verlässt, der bei objektiver Beurteilung ernstlich zweifelhaft ist“303.
Ob sich diese Rechtsprechung allerdings ohne Weiteres auf den Bereich der zwingenden Vorgaben des Verbrauchervertragsrechts übertragen lässt, ist unklar.304 Die wohl überwiegende Meinung in der rechtswissenschaftlichen Literatur neigt dazu, auch im Bereich halbzwingender Vorschriften des Verbraucherschutzrechts des BGB eine vergleichsweise Regelung zuzulassen. Der Verbraucher soll demnach auf die ihn begünstigenden Schutzrechte verzichten können, wenn dies zu einer Beilegung des Konfliktfalls führt. Die Einzelheiten sind dabei freilich umstritten. So gehen einige Autoren ohne weitere Voraussetzung von der grundsätzlichen Dispositionsbefugnis im Rahmen eines Vergleichs aus.305 Andere machen diese – unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BGH – von einem Streit oder einer Ungewissheit über Tatsachen oder einer unklaren Rechtslage abhängig.306Gröschler will nur Vergleiche über Tatsachenfragen als zulässig ansehen, dies aber auch dann, wenn sie im Zusammenhang mit Rechtsfragen stehen.307 Ebenso wie im Arbeitsrecht308 sollen folglich auch im Verbrauchervertragsrecht sog. Tatsachenver303
BGH NJW-RR 2012, 866 ff., 869 Rn. 23; BGH NJW 2012, 61 f., 62 Rn. 12; BGH NJW-RR 2007, 263 ff., 264 Rn. 17; BGH NJW 1976, 194 f., 195. 304 Dies bejahend wohl H. Roth, JZ 2013, 637 ff., 643. 305 Thüsing, in: Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 2019, § 312i Rn. 12; Busch, in: Gsell/Krüger/Lorenz u. a. (Hrsg.), BeckOGK, § 312k Rn. 10; Koch, in: Erman, BGB, 162020, § 312k Rn. 3; Haertlein/Schultheiß, in: Gsell/Krüger/Lorenz u. a. (Hrsg.), BeckOGK, § 512 Rn. 12; Geib, in: Hau/Poseck (Hrsg.), BeckOK BGB, 2020, § 651 m Rn. 3 a. E. 306 Vgl. Grüneberg, in: Brudermüller/Ellenberger/Götz u. a. (Hrsg.), Palandt Bürgerliches Gesetzbuch, 792020, § 312k Rn. 2; Habersack, in: Habersack, Münchener Kommentar BGB, 82020, § 779 Rn. 11; Junker, in: Junker/Beckmann/Rüßmann u. a. (Hrsg.), jurisPKBGB Band 2, 2017, § 312k Rn. 11; Wendehorst, in: Krüger/Säcker/Rixecker (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, 82019, § 312k Rn. 6; Stürner, in: Prütting/Wegen/Weinreich (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch, 152020, § 312k Rn. 3. 307 Gröschler, in: Soergel/Siebert/Wolf (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch, § 779 Rn. 10. 308 Siehe Thüsing, in: Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 2019, § 312i Rn. 12; Grüneberg, in: Brudermüller/Ellenberger/Götz u. a. (Hrsg.), Palandt Bürgerliches Gesetzbuch, 792020, § 312k Rn. 2; Stürner, in: Prütting/Wegen/Weinreich (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch, 152020, § 312k Rn. 3. So hat das BAG entschieden, dass ein nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses abgeschlossener Vergleich, durch den der Arbeitnehmer seinem früheren Arbeitgeber einen fälligen Lohnfortzahlungsanspruch erlässt, nicht unwirksam ist, vgl. BAG NJW 1977, 1213 ff.; vgl. dazu Schliemann/Vogelsang, in: Henssler/ Willemsen/Kalb (Hrsg.), Arbeitsrecht, 2018, § 12 EFZG Rn. 6 ff.
§ 13 Die Abdingbarkeit der Verbraucherschutzrechte
195
gleiche, also Vergleiche, die im Rahmen eines Konflikts abgeschlossen werden in dem die anspruchsbegründenden Tatsachen zwischen den Parteien streitig sind, zulässig sein. Einigkeit besteht bei den Befürwortern einer vergleichsweisen Dispositionsbefugnis des Verbrauchers allerdings hinsichtlich der Begründung: Ziel der Unabdingbarkeitsvorgaben des Verbrauchervertragsrechts kann es nicht sein, den Verbraucher zur Geltendmachung seiner Rechte in einen möglicherweise aussichtslosen Zivilprozess mit allen damit verbundenen Unannehmlichkeiten und Kostenrisiken zu zwingen, oder sogar dazu zu führen, dass der Verbraucher auf eine Geltendmachung angesichts des Prozessrisikos generell verzichtet.309 Mit Inkrafttreten des VSBG büßt diese Argumentation nun aber ganz offensichtlich an Überzeugungskraft ein. Der Verbraucher muss zur Geltendmachung seiner Rechte nicht mehr notwendigerweise ein gerichtliches Verfahren anstrengen, sondern kann mit der Verbraucherschlichtung auf ein bereichsspezifisches Konfliktbearbeitungssystem zurückgreifen. Im Übrigen sei daran erinnert, dass die Rechtsprechung zur Vergleichsfähigkeit zwingender Rechte ganz überwiegend zu Rechtsgebieten ergangen ist, in denen „über die Abweichung von zwingendem Recht hinaus noch besondere Pflichtbindungen der Vergleichspartei bestehen“310, sodass fraglich ist, ob sich diese ohne Weiteres auf das Verbrauchervertragsrecht übertragen lässt. 6. Die Rechtsprechung der EuGH und das Paradigma der Unabdingbarkeit Schon aufgrund der weitgehend europäischen Prägung des Verbrauchervertragsrechts muss eine Untersuchung, die sich mit der zwingenden Anordnung von Verbraucherschutzvorgaben beschäftigt, in jedem Fall die Rechtsprechung des EuGH in den Blick nehmen. a) Die Rechtssache Gruber und der „Verzicht“ des Verbrauchers In der Rechtssache Gruber311 hat sich der EuGH erstmals mit der Problematik gemischter Verträge (sog. dual use) im Bereich des europäischen Verfahrensrechts befasst. Er spricht sich im Anwendungsbereich der Artt. 13 ff. EuGVÜ
309 Insb. Wendehorst, in: Krüger/Säcker/Rixecker (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, 82019, § 312k Rn. 5; Busch, in: Gsell/Krüger/Lorenz u. a. (Hrsg.), BeckOGK, § 312k Rn. 10; Thüsing, in: Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 2019, § 312i Rn. 12; Junker, in: Junker/Beckmann/Rüßmann u. a. (Hrsg.), jurisPK-BGB Band 2, 2017, § 312k Rn. 12; Maume, in: Hau/Poseck (Hrsg.), BeckOK BGB, 2020, § 312k Rn. 5. 310 Riehm, JZ 2016, 866 ff., 870. 311 EuGH, Urt. v. 20.01.2005, Rs. C-464/01 – Gruber, Slg. 2005, I-458; Reich, EuZW 2005, 241 ff., 244 f.
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Drittes Kapitel: Das Paradigma der Unabdingbarkeit
(jetzt Artt. 17 ff. Brüssel Ia-VO) für eine „enge“ Auslegung aus. Insbesondere versagt der Gerichtshof dem klagenden Landwirt Gruber die Berufung auf den Verbrauchergerichtsstand, da dieser bei seinem gutgläubigen Vertragspartner (BayWa AG) den Eindruck erweckt habe, er handle bei dem konkreten Rechtsgeschäft – hier die Eindachung seines Anwesens, das sowohl landwirtschaftlich als auch privat genutzt wird – zu beruflich-gewerblichen Zwecken. Der Gerichtshof formuliert hier ausdrücklich, dass die Zuständigkeitsvorschriften für Verbrauchersachen dann keine Anwendung finden sollen, wenn der Verbraucher durch sein Verhalten den Eindruck erweckt, auf den dort vorgesehenen Schutz zu „verzichten“.312 Mit Blick auf diese Wortwahl des EuGH könnte man zu dem naheliegenden Schluss kommen, dass ein Verzicht des Verbrauchers auf verbraucherschützende Vorgaben möglich sein muss. Mehrere Aspekte sprechen gegen eine so weitreichende Wirkung des Judikats. Zum einen lässt sich diese Rechtsprechung zum prozessualen Verbraucherbegriff nicht ohne Weiteres auf das materielle Verbrauchervertragsrecht übertragen. Die dem jeweiligen Regelungsbereich zugrundeliegenden (Schutz-) Grundsätze unterscheiden sich erheblich.313 Zum anderen ist sehr unwahrscheinlich, dass der EuGH auf diese Weise – quasi als Randnotiz – die allgemeine Zulässigkeit des Verzichts auf verbraucherschützende Vorgaben, entgegen der eindeutigen Regelungen im Sekundärrecht, feststellen wollte. Bei näherer Betrachtung geht es in der Rechtssache Gruber um das Schaffen eines Vertrauenstatbestandes durch vorhergehendes Verhalten. In einem solchen Fall ist aber eine nachfolgende Berufung auf begünstigende Rechte nicht als Verzicht anzusehen, sondern vielmehr mit dem Einwand widersprüchlichen Verhaltens (venire contra factum proprium) als unzulässig zurückzuweisen. Insofern spricht Reich auch von einer missverständlichen Verwendung des Begriffs „Verzicht“.314 b) Der EuGH und die Klausel-Richtlinie Die Rechtsprechung des EuGH zur Klausel-RL ist vor allem deshalb von erheblicher Bedeutung, da der Gerichtshof hier wiederholt eine amtswegige Prüfkompetenz des nationalen Gerichts statuiert hat. So urteilte er zunächst in der Rechtssache Oce´ano Grupo315, dass das nationale Gericht von Amts
312
A. a. O., Rn. 53. Vgl. nur Micklitz/Purnhagen, in: Säcker/Armbrüster (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, 82018, § 13 Rn. 53; Ebers, VuR 2005, 361 ff., 365. 314 Reich, EuZW 2005, 241 ff., 244, 245. 315 EuGH, Urt. v. 27.06.2000, verb. Rs. C-240/98 bis C-244/98 – Oce´ano Grupo, ECLI:EU:C:2000:346. 313
§ 13 Die Abdingbarkeit der Verbraucherschutzrechte
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wegen prüfen kann, ob eine Klausel des ihm vorliegenden Vertrages missbräuchlich i. S. d. RL 93/13/EWG ist und weitete diese Rechtsprechung in der Rechtssache Mostaza Claro316 aus, indem er nicht nur die Befugnis, sondern vielmehr die amtswegige Pflicht zur Missbräuchlichkeitskontrolle durch das Gericht statuierte. Diese Auffassung hat der EuGH insbesondere in den Rechtssachen Pannon317, Asturcom318, Jo˝rös319 und Banif Plus Bank320 fortgesetzt. Ihren vorläufigen Höhepunkt fand die Rechtsprechung dann in der Entscheidung VB Pe´nzügyi Lı´zing321, in der der EuGH feststellte, dass die mitgliedstaatlichen Gerichte nicht nur von Amts wegen verpflichtet sind, den Klauselinhalt rechtlich zu würdigen, sondern gegebenenfalls die entscheidenden Tatsachen durch amtswegige Untersuchungsmaßnahmen erforschen müssen (Amtsermittlung). Als normative Grundlage dient dem Gerichtshof dabei der europäische Effektivitätsgrundsatz. Nur im Rahmen einer solchen amtswegigen Prüfpflicht sei die Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte auch tatsächlich möglich. Dieser – mit Blick auf die Einschränkung mitgliedstaatlicher Verfahrensmaximen bei Verfahren mit Verbraucherbeteiligung – höchst umstrittene Ansatz des EuGH322, soll hier allerdings mit Blick auf die Fragestellung der Arbeit in den Hintergrund rücken. Die Rechtsprechung des EuGH verdient nämlich noch unter einem weiteren Gesichtspunkt Beachtung, der bislang – soweit ersichtlich – nicht herausgestellt wurde. So lassen die Äußerungen des Gerichtshofs meines Erachtens die absolute Unabdingbarkeitsanordnung des zwingenden Verbraucherschutzrechts zumindest zweifelhaft erscheinen. aa) Klauseln mit verfahrensrechtlichem Bezug Grundlage dieser Annahme sind die Ausführungen des EuGH im Rahmen der soeben dargestellten Entscheidungen. Der Gerichtshof macht dort nämlich deutlich, dass im Falle einer Aufklärung des Verbrauchers über die Miss316
EuGH, Urt. vom 26.10.2006, Rs. C-168/05 – Mostaza Claro, Slg. 2006, I-10421. EuGH, Urt. v. 04.06.2009, Rs. C-243/08 – Pannon GSM, Slg. 2009, I-4713. 318 EuGH, Urt. vom 06.10.2009, Rs. C-40/08 – Asturcom, ECLI:EU:C:2009:615. 319 EuGH, Urt. vom 30.05.2013, Rs. C-397/11 – Jo˝rös/Aegon Magyarorsza´g Hitel Zrt., ECLI:EU:C:2013:340. 320 EuGH, Urt. v. 21.02.2013, Rs. C-472/11 – Banif Plus Bank Zrt/Csaba Csipai u. a., ECLI:EU:C:2013:88. 321 EuGH, Urt. v. 09. 11. 2010, Rs. C-137/08 – VB Pe´nzügyi Lı´zing, Slg. 2010 I-10847. 322 Vgl. dazu nur Althammer, in: Weller/Althammer (Hrsg.), Mindeststandards im europäischen Zivilprozessrecht, 2015, S. 3 ff. und H. Roth, in: Münch (Hrsg.), Prozessrecht und materielles Recht, 2015, S. 283 ff., 292 ff. Siehe dazu auch unten § 26 II. 317
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Drittes Kapitel: Das Paradigma der Unabdingbarkeit
bräuchlichkeit einer Klausel und über die sich daraus ergebenden Rechtsfolgen durch das Gericht, die Möglichkeit für den Verbraucher bestehen soll, die fragliche missbräuchliche Klauselbestimmung trotzdem zur Anwendung kommen zu lassen. Konkret formuliert der Gerichtshof zunächst in der Rechtssache Pannon GSM noch reichlich kompliziert, dass das nationale Gericht „die fragliche Klausel jedoch dann nicht unangewendet lässt, wenn der Verbraucher nach einem Hinweis dieses Gerichts die Missbräuchlichkeit und Unverbindlichkeit nicht geltend machen möchte.“323. Als Reaktion auf dieses Urteil kritisiert die ungarische Rechtswissenschaft, der EuGH degradiere mit einer solchen Hinweispflicht, den entscheidungsbefugten Richter zu einem konfliktberatenden Mediator.324 Der Richter muss dem Verbraucher die Missbräuchlichkeit der Klausel darlegen, sollte der Verbraucher bei Kenntnis der Missbräuchlichkeit auf die Anwendung bestehen, ist der Richter aber nicht mehr an die zwingenden Vorgaben der Klausel-RL gebunden, sondern muss die fraglich Klausel im konkreten Fall anwenden. Der Wille des konfliktbeteiligten Verbrauchers steht damit über der zwingend angeordneten Unverbindlichkeit (Art. 6 Abs. 1 Klausel-RL325) missbräuchlicher Klauseln. Man wird nicht umhinkommen festzustellen, dass der bisher als absolut angenommene Geltungsanspruch der zwingenden Vorgaben des Unionsrechts mit diesen Urteilen wohl zu bröckeln beginnt. Der EuGH beschränkt seine Rechtsprechung nämlich nicht nur auf Klauseln mit verfahrensrechtlichem Bezug. bb) Klauseln mit materiell-rechtlichem Bezug Betraf die Rechtssache Pannon GSM eine missbräuchliche Gerichtsstandsklausel, genauer die Frage einer möglichen Prorogation326, und damit, so wie viele der Folgeentscheidungen, eine verfahrensrechtliche Problematik, so setzt der EuGH mit seinem Urteil in der Rechtsache Jo˝rös sowie in der Rechtssache Banif Plus Bank seine Rechtsprechung im materiell-rechtlichen Verbrauchervertragsrecht (dort: Klauseln eines Darlehensvertrages) fort. Er formuliert unter Bezugnahme auf Pannon GSM, „dass das nationale Gericht eine Vertragsklausel, die es für missbräuchlich hält, unangewendet lassen muss, sofern der Verbraucher dem nicht nach einem entsprechenden Hinweis dieses Gerichts widerspricht“327. In der Rechtssache Banif Plus Bank 323 EuGH, Urt. v. 04.06.2009, Rs. C-243/08 – Pannon GSM, Slg. 2009, I-4713 Rn. 33, vgl. auch 35. 324 Zitiert nach Osztovits/Nemessa´nyi, ZfRV 2010, 22 ff., 25 Rn. 27. 325 Vgl. EuGH, Urt. vom 26.10.2006, Rs. C-168/05 – Mostaza Claro, Slg. 2006, I-10421, Rn. 36; EuGH Urt. v. 26.01.2017, Rs. C-421/14 – Banco Primus SA, ECLI:EU:C:2017:60 Rn. 41. 326 Vgl. Heinig, EuZW 2009, 885 ff., 886. 327 EuGH, Urt. vom 30.05.2013, Rs. C-397/11 – Jo˝rös/Aegon Magyarorsza´g Hitel Zrt., ECLI:EU:C:2013:340 Rn. 41.
§ 13 Die Abdingbarkeit der Verbraucherschutzrechte
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macht der Gerichtshof dann noch weiter deutlich, dass das nationale Gericht nach dem Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens verpflichtet sei, „den vom Verbraucher geäußerten Willen zu berücksichtigen, wenn dieser im Wissen um die Unverbindlichkeit einer missbräuchlichen Klausel gleichwohl angibt, dass er gegen deren Nichtanwendung sei, und so nach vorheriger Aufklärung seine freie Einwilligung in die fragliche Klausel erteilt.“328. Dem Verbraucher soll es demnach ausdrücklich freistehen, bei entsprechender Information durch das nationale Gericht, auf den zwingenden Schutz der Klausel-RL zu verzichten und auch eine missbräuchliche Klausel zur Anwendung kommen zu lassen. Bei hinreichender Information des Verbrauchers stehen also zumindest die Vorgaben der Klausel-RL einem Schutzverzicht des Verbrauchers nicht entgegen. Dies verwundert insofern, da der EuGH in der Rechtssache Mostaza Claro noch die Bedeutung der zwingend angeordneten Unverbindlichkeit missbräuchlicher Klauseln mit Blick auf den Verbraucherschutz ausdrücklich hervorgehoben hat.329 Allerdings überzeugt die Rechtsprechung des EuGH zumindest unter diesem Aspekt330. Zum einen entspricht sie dem Vorrang des Informations- bzw. Transparenzgebots in der europäischen Verbraucherschutzkonzeption. Zum anderen kann der Verbraucher nur so vor einem aufgedrängten, ihm möglicherweise völlig unerwünschten Schutz bewahrt werden.331 Dieses Verständnis ist schlussendlich nichts anderes, als die Ermöglichung einer privatautonomen Entscheidung im Verfahren.332 c) Die Übertragung der Rechtsprechung auf das allgemeine Verbraucherprivatrecht – Die Rechtssachen Duarte Hueros und Faber Fraglich ist aber, ob sich diese Aussagen des Gerichtshofs auch auf die Schutzvorgaben außerhalb des Anwendungsbereichs der Klausel-RL übertragen lassen. Kann der Verbraucher also auch im allgemeinen Verbrauchervertragsrecht der Anwendung zwingender Verbraucherschutzvorschriften nach einem entsprechenden Hinweis durch das Gericht widersprechen bzw. auf den Schutz zwingender Vorgaben verzichten? 328 EuGH, Urt. v. 21.02.2013, Rs. C-472/11 – Banif Plus Bank Zrt/Csaba Csipai u. a., ECLI:EU:C:2013:88 Rn. 35. 329 EuGH, Urt. vom 26.10.2006, Rs. C-168/05 – Mostaza Claro, Slg. 2006, I-10421, Rn. 36; bestätigt in EuGH, Urt. vom 06.10.2009, Rs. C-40/08 – Asturcom, ECLI:EU:C:2009:615, Rn. 30, 50 f. Siehe dazu auch Osztovits/Nemessa´nyi, ZfRV 2010, 22 ff., 25. 330 Zu den Bedenken aus zivilprozessualer Sicht, vgl. § 26 II. 331 Vgl. zutreffend Schlussantrag der Generalanwältin Trstenjak zur Rs. C-137/08 (VB Pe´nzügyi Lı´zing), Rn. 106; Heinig, EuZW 2009, 885 ff., 886. 332 So Basedow, in: Krüger/Säcker/Rixecker (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, 8 2019, Vor. §§ 305 ff. Rn. 39.
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Drittes Kapitel: Das Paradigma der Unabdingbarkeit
Die dargestellten Entscheidungen des EuGH waren zur Frage der Beachtung der verbraucherschützenden Vorgaben der Klausel-RL von Amts wegen ergangen. Mit den Entscheidungen in der Rechtssache Duarte Hueros333 sowie der Rechtssache Faber334 überträgt der EuGH seine Rechtsprechung nun aber auch in den Kernbereich des Verbrauchervertragsrechts. Zwar hatte sich die Generalanwältin Kokott in ihrem Schlussantrag ausdrücklich gegen ein solches Vorgehen ausgesprochen.335 Der Gerichtshof ist dem allerdings nicht gefolgt. Nach dem Urteil in der Rechtssache Faber müssen die nationalen Gerichte die Frage des Handelns in der Verbraucherrolle von Amts wegen prüfen (sowie unter Umständen sogar entsprechende Ermittlungen vornehmen336) und die nationale Umsetzungsvorschrift der Beweislastregelung in Art. 5 Abs. 3 VerbGKRL von Amts wegen beachten.337 In der Rechtssache Duarte Hueros338 geht der Gerichtshof noch weiter und bejaht die Minderung eines Kaufpreises von Amts wegen. Nach der Argumentation des EuGH ist die Erwartung an den Verbraucher, sich eigenständig auf die verbraucherschützenden Vorschriften zu berufen, nicht mit dem Effektivitätsgrundsatz vereinbar.339 Abgesehen von den vielen weiteren Problemen die diese Rechtsprechung mit Blick auf die Grundsätze des nationalen Zivilverfahrensrecht aufwirft340, stellt sich die Frage ob auch die zweite – und im Kontext dieser Arbeit wohl bedeutsamere – Grundaussage der Rechtsprechung des EuGH zur Klausel-RL auf das allgemeine europäische Verbrauchervertragsrecht übertragen werden kann. Kann also der Verbraucher nach einem entsprechenden Hinweis durch den Richter, auf zwingende Vorgaben des vertraglichen Verbraucherschutzrechts wirksam verzichten? In der Rechtssache Faber, wie Duarte Hueros hat der EuGH auf eine ausdrückliche Bezugnahme zu den Entscheidungen zur Klausel-RL unter diesem Gesichtspunkt zwar verzichtet. Im Rahmen eines argumentum a fortiori wird man aber auch diesen Aspekt der Rechtsprechung zur Klausel-RL auf das zwingende Verbrauchervertragsrecht übertragen können. Wird nämlich dem Verbraucher im Anwendungsbereich der Klausel-RL, welche auch eine Abschreckung der Unternehmen zum Ziel hat341, die Option zu einem solchen 333
EuGH, Urt. v. 03.10.2013, Rs. C-32/12 – Duarte Hueros, ECLI:EU:C:2013:637. EuGH, Urt. v. 04.06.2015, Rs. C-497/13 – Faber, ECLI:EU:C:2015:357. 335 Siehe dazu auch den Schlussantrag der Generalanwältin Kokott zur Rs. C-32/12 (Duarte Hueros), BeckRS 2013, 80437 Rn. 42 ff. 336 EuGH Rs. Faber (a. a. O.) Rn. 40. 337 EuGH Rs. Faber (a. a. O.) Rn. 46, 56 f. 338 Dazu Sala, euvr 2014, 178 ff. 339 Vgl. EuGH Rs. Duarte Hueros (a. a. O.), Rn. 39; EuGH Rs. Faber (a. a. O.) Rn. 46 (beachte insb. die hervorzuhebende Klarstellung in Rn. 47, dass dies unabhängig davon gilt, ob der Verbraucher anwaltlich vertreten ist). 340 Vgl. § 26 II. 341 Siehe dazu den letzten Erwägungsgrund der Klausel-RL wonach der Verwendung 334
§ 13 Die Abdingbarkeit der Verbraucherschutzrechte
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Schutzverzichts gegeben, so kann für das sonstige Verbrauchervertragsrecht nichts anderes gelten. Oder anders ausgedrückt, ist ein individueller Schutzverzicht sogar im Bezug zu solchen Rechten möglich, die ausdrücklich auch das Allgemeininteresse schützen, so muss diese Möglichkeit doch erst Recht auch dort bestehen, wo nur ein individuelle Interesse an einer ordnungsgemäßen Vertragsdurchführung geschützt wird. Auch hier muss der Verbraucher demnach die Möglichkeit haben an bestimmten Abreden, trotz Verstoßes gegen die Unabdingbarkeitsanordnung, nach einem entsprechenden Hinweis durch das Gericht, festzuhalten und den Unternehmer zur Erfüllung aufzufordern.342 Die Tatsache, dass der EuGH seine Rechtsprechung auf das europäische Effektivitätsgebot stützt, kann in diesem Zusammenhang zu keinem anderen Ergebnis führen. Wenn – wie gezeigt – das Ziel der verbraucherschützenden Sekundärrechtsakte die Sicherung der privatautonomen Entscheidung des Verbrauchers ist, so muss für den Verbraucher spätestens nach einem Hinweis des Gerichts die Möglichkeit bestehen, die durch die EU-Vorgaben sicherzustellende Privatautonomie auch tatsächlich auszuüben. Mit den Worten Würthweins – welche freilich für das nationale Recht formuliert wurden – ist es dem Gericht aus „Respekt vor der freien Willensentscheidung des mündigen Bürgers versagt, ihn zum Wohlverhalten gegenüber sich selbst zu zwingen“343. 7. Zwischenergebnis Der Schutz durch das zwingende Verbrauchervertragsrecht ist nicht absolut. Vielmehr ist unter Zugrundelegung des europäischen Verbraucherschutzkonzepts dann eine Abweichung von zwingenden Schutzvorgaben möglich, sofern sichergestellt ist, dass diese auf einer hinreichend informierten Entscheidung des Verbrauchers beruht. Für das europäische Privatrecht findet sich in Art. II. – 1:102 Abs. 3 des Modell-Regelwerks Draft Common Frame of Reference (DCFR) für ein gemeinsames europäisches Vertragsrecht der Vorschlag, dass die Unabdingbarkeitsvorgaben einem Verzicht auf Schutzrechte dann nicht mehr entgegenstehen, wenn diese Rechte bereits entstanden sind und der verzichtenden Partei bekannt sind.344 missbräuchlicher Klauseln ganz allgemein „ein Ende gesetzt“ werden soll. Vgl. auch den Schlussantrag der Generalanwältin Kokott zur Rs. C-32/12 (Duarte Hueros), BeckRS 2013, 80437 Rn. 46 f. 342 Dass der Unternehmer die Erfüllung nicht mit Verweis auf die Unabdingbarkeitsvorgaben des Verbrauchervertragsrechts verweigern kann, folgt schon aus dem Telos der jeweiligen Norm; vgl. BGH NJW 2007, 674 ff., 678 Rn. 44. 343 Würthwein, Umfang und Grenzen des Parteieinflusses auf die Urteilsgrundlagen im Zivilprozeß, 1977, 132. 344 Art. II. – 1:102 Abs. 3 DCFR: „A provision to the effect that parties may not exclude
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Drittes Kapitel: Das Paradigma der Unabdingbarkeit
Dies entspricht der hier vertretenen Ansicht, dass die bloße Entstehung des Rechts ebensowenig ausschlaggebend sein kann, wie das Kriterium der Streitthematisierung345. Vielmehr ist als weiteres und zentrales Element die Information des Verbrauchers zu fordern. Der normative Anknüpfungspunkt für dieses Verständnis findet sich in der einzigen materiellen Norm des Verbrauchervertragsrechts, die sich mit einer Abweichung von zwingenden Vorgaben auseinandersetzt. Wenn der § 476 Abs. 1 S. 1 BGB von der „Mitteilung des Mangels“ spricht, so ist weitgehend anerkannt, dass es maßgeblich auf die Kenntnis des Verbrauchers mit Blick auf die Vertragswidrigkeit der Kaufsache ankommt.346 Das Verbrauchsgüterkaufrecht stellt auf diese Weise sicher, dass der Käufer in besonderer Weise informiert über seine gesetzlich festgelegten Gewährleistungsrechte verfügen soll, nämlich in Kenntnis der Vertragswidrigkeit.347 Die Disposition über zwingendes Recht ist folglich nur möglich, sofern eine hinreichende Information des Verbrauchers sichergestellt ist. Der § 476 S. 1 BGB bringt damit ebenso wie der Art. 7 Abs. 1 S. 1 VerbGKRL eine Grundauffassung des (europäischen) Verbrauchervertragsrechts zum Ausdruck: Den Parteien ist dann die freie Entscheidung über die Gestaltung ihrer Rechtsverhältnisse zu überlassen, wenn beide Seiten über die für eine Entscheidung wesentlichen Punkte informiert sind und die vollen Konsequenzen ihrer Entscheidung absehen können.348
the application of a rule or derogate from or vary its effects does not prevent a party from waiving a right which has already arisen and of which that party is aware.“. Eingehend auch Wagner, in: Eidenmüller/Faust/Grigoleit u. a. (Hrsg.), Revision des Verbraucheracquis, 2011, S. 1 ff., 12 ff. Vgl. auch Hess, in: Stumpf/Kainer/Baldus (Hrsg.), Privatrecht, Wirtschaftsrecht, Verfassungsrecht, 2015, S. 390 ff. 345 So Hau, ZfPW 2018, 385 ff. 346 Statt vieler Matusche-Beckmann, in: Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 2013, § 475 Rn. 35 und Riesenhuber, Europäisches Vertragsrecht, 22006, S. 304 Rn. 753. 347 Riesenhuber, in: Grundmann/Kerber/Weatherill (Hrsg.), Party Autonomy and the Role of Information in the Internal Market, 2001, S. 348 ff., 357 f. 348 So ausdrücklich Magnus, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 2010, Art. 7 Verbrauchsgüterkauf-RL Rn. 5.
Viertes Kapitel:
Die Rolle des materiellen Rechts in der Verbraucherstreitbeilegung Wurde im ersten sowie zweiten Kapitel das Recht der Verbraucherschlichtung in Form von verfahrensrechtlichen Rahmenregelungen als Mindestvorgaben zur Ausgestaltung des Verfahrens dargestellt1, so soll es im Folgenden um die Rolle des Rechts in der Verbraucherschlichtung gehen. Für die Einordnung des VSBG als rechtsorientiertes Konfliktbeilegungsverfahrens ist die Frage nach der Bedeutung des materiellen Rechts und insbesondere des verbraucherschützenden Vertragsrechts von ausschlaggebender Bedeutung. Das Verbraucherschlichtungsverfahren vermag nur dann einen ernsthaften Beitrag zum Verbraucherschutz zu leisten, sofern die Berücksichtigung der Interessen der Verfahrensteilnehmer in ausreichendem Maße sichergestellt ist. Letztlich ist die Klärung der Frage auch ausschlaggebend dafür, ob man das Verfahren als Vehikel unredlicher Unternehmer zu einem „kalkulierten Rechtsbruch“2 und als Ausdruck eines „Verbraucherschutz zweiter Klasse“3 begreift oder in diesem einen förderungsbedürftigen neuen Zugang zum Recht sieht, welches den Rechtsschutz durch staatliche Gerichte komplementieren4 könnte. Ausgangspunkt der Darstellung ist das Verhältnis von alternativer Streitschlichtung und staatlichem Recht, und somit die „uralte, nie lösbare und doch zur Lösung stets aufgegebene Spannung von Freiheit und [staatlicher] Ordnung“5. Die Bandbreite der verschiedenen Ansichten über diese Thematik zeigt die Brisanz der Fragestellung. So spricht einerseits die ehemalige Schlichterin der Rechtsanwaltschaft Jaeger6 mit Blick auf das VSBG von der Stärkung des Rechts, andererseits prognostiziert Engel durch das VSBG „Mehr Zugang zu weniger Recht“7.
1
§ 6 III, V und § 8. Eidenmüller/Engel, ZIP 2013, 1704 ff., 1707, 1709. 3 H. Roth, DRiZ 2015, 24 ff. 4 Statt vieler Hirsch, NJW 2013, 2088 ff. 5 Hager, Konflikt und Konsens, 2001, Vorwort. 6 Jaeger, AnwBl 2015, 573 ff. 7 Engel, NJW 2015, 1633 ff. 2
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Viertes Kapitel: Die Rolle des materiellen Rechts
§ 14 Das Verhältnis zwischen Verbraucher und Unternehmer in der Verbraucherschlichtung Verbraucher und Unternehmer stehen sich am Markt in vielfältiger Hinsicht als Rechtssubjekte mit divergierenden Interessen gegenüber.8 Die Konsumorientiertheit des Verbrauchers sorgt dafür, dass er sich oftmals als Kontrahent des Unternehmers am Markt wiederfindet. Der Gesetzgeber geht in diesem Verhältnis von einer so wesentlichen Störung der Vertragsparität und damit auch der Vertragsgerechtigkeit aus, dass er sich zu umfassenden gesetzlichen Schutzvorschriften zugunsten des Verbrauchers veranlasst sieht.9 Diese gesetzgeberischen Maßnahmen führen dazu, dass das Verhältnis zwischen Verbraucher und Unternehmer schon mit dem ersten geschäftlichen Kontakt durch umfangreiche (zwingende) Vorschriften rechtlich determiniert wird. Soeben wurde dargestellt, dass schon in bestimmten Situationen der Vertragsanbahnung, spätestens aber mit Vertragsschluss, das Verhältnis zwischen Verbraucher und Unternehmer einem komplexen Regelungsregime unterworfen wird.10 Abweichungen von gesetzlichen Vorgaben sind – wenn überhaupt – nur in engen Grenzen möglich und belasten oftmals den Unternehmer mit dem Risiko einer Auslegung der vertraglichen Vereinbarung zu seinen Lasten.11
§ 15 Verbraucherschlichtung und Recht Offensichtlich ist, dass das Recht nicht nur als Beurteilungskriterium im Rahmen der Lösung des Konflikts maßgeblich ist, sondern bereits die Gestaltung und konkrete Durchführung des Schlichtungsverfahrens prägt, dieses also nicht in einem rechtsfreien Raum stattfindet.12 Im Ansatzpunkt geht es dabei um die Verrechtlichung der alternativen Streitbeilegung. Bereits ausgeführt wurde, dass das VSBG als rechtliche Rahmenregelung den Ablauf der Verbraucherschlichtung determiniert. Zwar regelt das VSBG das Verfahren der Verbraucherschlichtung in Grundzügen, darüber hinaus bestehen aber zahlreiche ungeklärte Verfahrensfragen, die im Rahmen der Verfahrensordnung der jeweiligen Schlichtungsstelle oder durch privatautonome Vereinbarungen zu klären sind.
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Tamm/Tonner/Bergmann (Hrsg.), Verbraucherrecht, 2016, § 1 Rn. 5. Zur Legitimation dieser Schutzvorschriften siehe § 7 II und § 8 I. 10 Bülow/Artz, Verbraucherprivatrecht, 52016, 40, bezeichnen diese Normen als „Allgemeinen Teil des Verbraucherprivatrechts“. Siehe dazu nur oben in Kapitel III. 11 Vgl. nur § 310 Abs. 3 Nr. 2 i. V. m. § 305c Abs. 2 BGB. 12 Siehe dazu ausführlich Hacke, Der ADR-Vertrag, 2001, S. 31 ff. 9
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Für den Ablauf sind also sowohl die Vorgaben des VSBG, sowie auch die jeweilige Verfahrensordnung der Schlichtungsstelle maßgeblich. Verbindlichkeit erlangt diese durch den Schlichtungsverfahrensvertrag zwischen der ASStelle und den Parteien. Denkbar sind darüber hinaus vertragliche Vereinbarungen zwischen Verbraucher und Unternehmer über die Durchführung eines ADR-Verfahrens (Schlichtungsvereinbarung)13 sowie ein Beteiligungsvertrag des Unternehmers mit der Streitbeilegungsstelle.14
I. Vereinbarung über die Verfahrensdurchführung Die Vereinbarung über die Durchführung des Verbraucherschlichtungsverfahrens (Schlichtungsverfahrensvertrag) verbindet die Verbraucherschlichtungsstelle vertraglich sowohl mit dem Unternehmer als auch mit dem Verbraucher.15 Die Schlichtungsstelle erklärt sich bereit das Verbraucherschlichtungsverfahren nach dem VSBG und nach der jeweiligen Verfahrensordnung der Schlichtungsstelle durchzuführen. Der Vertragsschluss kommt dabei durch die Annahme des an die Allgemeinheit gerichteten Angebots der Schlichtungsstelle zur Durchführung der Verbraucherschlichtung zustande.16 Bei dem Schlichtungsverfahrensvertrag handelt es sich um einen entgeltlichen Geschäftsbesorgungsvertrag gem. § 675 Abs. 1 BGB mit Dienstvertragscharakter sofern nur Vermittlungsbemühungen des Streitmittlers geschuldet sind und mit Werkvertragscharakter, sollte die Verfahrensordnung die Erarbeitung eines Schlichtungsvorschlages vorsehen.17 Vertragspartner ist nach der Konzeption des VSBG allein die Schlichtungsstelle. Eine Vertragsbeziehung zwischen den Parteien und dem Streitmittler besteht folglich nicht.18 Vertragsbestandteil sind neben der jeweiligen Verfahrensordnung der ASStelle, auch die verbindlichen Mindestverfahrensbestimmungen19 des VSBG.
II. Schlichtungsvereinbarung zwischen Verbraucher und Unternehmer Davon zu unterscheiden ist eine Vereinbarung zwischen den Konfliktparteien, ein Schlichtungsverfahren zur Beilegung des Streits durchzuführen.
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Siehe dazu Friedrich, Die Konsensvereinbarung im Zivilrecht, 2003. Gössl, in: Walz (Hrsg.), Das ADR-Formular-Buch, 22017, S. 136 ff., 154 f. 15 Vgl. Steike, in: Borowski/Röthemeyer/Steike (Hrsg.), VSBG, 2016, § 5 Rn. 2. 16 Ulrici, in: Rauscher/Krüger/Becker-Eberhard (Hrsg.), Münchener Kommentar ZPO, 62020, Anhang 2 zu § 278a Rn. 45. 17 Ausführlich Hacke, Der ADR-Vertrag, 2001, 33, 65 ff., 274. 18 Röthemeyer, in: Borowski/Röthemeyer/Steike (Hrsg.), VSBG, 2016, § 19 Rn. 82; Gössl, RIW 2016, 473 ff., 475; Pelzer, ZKM 2015, 43 ff., 46. Vgl. dazu oben § 8 V 3. 19 Vgl. dazu oben § 8. 14
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Das VSBG sieht eine solche nicht vor; vielmehr hängt die Verfahrenseinleitung grundsätzlich von einem Antrag durch den Verbraucher ab. Die Parteien können eine solche Vereinbarung aber privatautonom vor und nach der Entstehung eines Konflikts treffen. Sollte die vor Entstehung des Konflikts getroffene Abrede zwischen Verbraucher und Unternehmer allerdings das Recht des Verbrauchers beschränken, die Gerichte zur Klärung der Streitigkeit anzurufen (dilatorischer Klageverzicht), so kann dies rechtswirksam nur individualvertraglich vereinbart werden. Nach dem, mit Umsetzung der ADR-Richtlinie neu eingefügten, § 309 Nr. 14 BGB, ist nun „eine Bestimmung, wonach der andere Vertragsteil seine Ansprüche gegen den Verwender gerichtlich nur geltend machen darf, nachdem er eine gütliche Einigung in einem Verfahren zur außergerichtlichen Streitbeilegung versucht hat“ in Allgemeinen Geschäftsbedingungen unwirksam. Eine individualvertragliche Schlichtungsvereinbarung (beachte aber § 310 Abs. 3 BGB) wird man allerdings sowohl ex-post, vor der Streitentstehung, wie ex-ante, nach der Streitentstehung, als zulässig ansehen können.20 Der Art. 10 Abs. 1 ADR-Richtlinie sowie § 5 Abs. 2 VSBG stehen dem nicht entgegen, da der Rechtsweg nicht dauerhaft und endgültig, sondern nur vorübergehend ausgeschlossen wird. Einem entsprechenden zeitlich begrenzten pactum de non petendo kommt freilich mit der Beendigung der Schlichtung keine Bedeutung mehr zu, sodass unter Verbraucherschutzgesichtspunkten keine andere Wertung erforderlich ist.21 Ob allerdings mit der bloßen individualvertraglichen Vereinbarung zwischen den Parteien, im Konfliktfall eine Schlichtung durchzuführen, mit Einführung des § 309 Nr. 14 BGB weiterhin von einem konkludent vereinbarten dilatorischen Klageverzicht ausgegangen werden kann22, erscheint zweifelhaft.
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Eidenmüller/Engel, ZZP 128 (2015), 149 ff., 156, die allerdings nur ex post ausgehandelte Schlichtungsvereinbarungen als unproblematisch ansehen. Eingehend dazu oben § 8 IV 1 a) aa). 21 Hess, in: Verhandlungen des Siebenundsechzigsten Deutschen Juristentages, 2008, S. 1 ff. freilich mit Bezug auf die Mediationsvereinbarung; Prütting, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 157 ff., 163; Hacke, Der ADR-Vertrag, 2001, 116 ff.; Friedrich, Die Konsensvereinbarung im Zivilrecht, 2003, 173 ff. Generell kritisch hinsichtlich eines dauerhaften pactum de non petendo H. Roth, in: Stein/Jonas, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 232016, vor § 253 Rn. 129. Denkbar wäre aber ein „Wiederaufleben“ des pactum de non petendo im Falle einer nachfolgenden Klage eines Verfahrensbeteiligten, sollte sich aus der (ergänzenden) Auslegung der Schlichtungsabrede ergeben, dass bei der Geltendmachung der Unwirksamkeit des Schlichtungsvorschlages das Schlichtungsverfahren fortzusetzen ist, vgl. dazu Greger, in: Greger/Unberath/Steffek (Hrsg.), Recht der alternativen Konfliktlösung, 22016, E Rn. 236. 22 Vgl. dazu Unberath, NJW 2011, 1320 ff., 1321 m. w. N.
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Für die Konfliktbeilegung förderlich können je nach Fallgestaltung auch Verschwiegenheitsabreden oder Vereinbarungen über das Unterbleiben von Vollstreckungsversuchen aus bereits bestehenden Vollstreckungstiteln sein. Sollten die Konfliktparteien auf eine vertragliche Vereinbarung verzichtet haben, so besteht zwischen diesen jedenfalls mit Beginn des Schlichtungsverfahrens ein vorvertragliches Schuldverhältnis i. S. d. § 311 Abs. 2 BGB.23
III. Schlichtungsvorschlag und Abschlussvereinbarung Anders als ein verbindliches Verfahren erreicht die Verbraucherschlichtung das Ziel der Konfliktbeilegung nicht unmittelbar autoritativ. Notwendig ist vielmehr eine vertragliche Fixierung der erfolgreichen Konfliktbeendigung. Im Rahmen einer Konfliktbeilegung durch Mediation (§ 18 VSBG) handelt es sich dabei um eine Abschlussvereinbarung gem. § 2 Abs. 6 S. 3 MediationsG. Im Falle einer Schlichtung, kommt durch die fristgerechte (§ 19 Abs. 3 S. 3 VSBG) Annahme des Schlichtungsvorschlages zwischen den Parteien ein Vertrag mit dem Inhalt des Vorschlags zustande. Die Verbraucherschlichtungsstelle wird insofern als Vertreterin beider Parteien tätig (vgl. § 19 Abs. 3 i. V. m. § 21 VSBG).24 Als materiell-rechtliche Abrede bindet der Schlichtungsvorschlag die Parteien, soweit keine rechtshindernden Einwendungen vorliegen. Anders als der Verbraucher, kann sich der Unternehmer bereits vorab dem Schlichtungsvorschlag unterwerfen (§ 19 Abs. 4, sowie Umkehrschluss aus § 5 Abs. 2 VSBG), sodass das Zustandekommen einer vertraglichen Bindung nur noch vom Willen des Verbrauchers abhängt. Das Ergebnis des Verfahrens ist aber auch dem Unternehmer in jedem Fall gem. § 21 VSBG in Textform (§ 126b BGB) zu übermitteln. Im Regelfall wird es sich bei dieser Vereinbarung über die Streitbeilegung um einen materiell-rechtlichen Vergleich gem. § 779 BGB handeln.25 Nach der gesetzgeberischen Legaldefinition ist der Vergleich ein Vertrag, durch den die Parteien einen Streit oder eine Unsicherheit über ein Rechtsverhältnis im Wege des gegenseitigen Nachgebens beseitigen. Die Vorschrift setzt demnach zunächst ein Rechtsverhältnis voraus, wobei der Begriff weit zu verstehen ist
23
Ebenso Ulrici, in: Rauscher/Krüger/Becker-Eberhard (Hrsg.), Münchener Kommentar ZPO, 62020, Anhang 2 zu § 278a Rn. 45. 24 Röthemeyer, in: Borowski/Röthemeyer/Steike (Hrsg.), VSBG, 2016, § 19 Rn. 64 ff.; Greger, in: Greger/Unberath/Steffek (Hrsg.), Recht der alternativen Konfliktlösung, 2 2016, § 19 VSBG Rn. 10. 25 Vgl. nur BT-Drucks. 18/5089, S. 63; Stürner, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 87 ff., 108; Althammer/Meller-Hannich (Hrsg.), VSBG Verbraucherstreitbeilegungsgesetz, 2017, § 19 Rn. 26; Greger/Unberath/Steffek (Hrsg.), Recht der alternativen Konfliktlösung, 22016, § 19 Rn. 10; Röthemeyer, in: Borowski/Röthemeyer/Steike (Hrsg.), VSBG, 2016, § 19 Rn. 63.
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und ebenfalls Gestaltungsrechte erfasst.26 Das „gegenseitige Nachgeben“ wird nach herrschender Ansicht äußerst großzügig beurteilt; so ist es als ausreichend anzusehen, sollten sich die Parteien, um zu einer Einigung zu gelangen, einander nur geringfügig entgegenkommen.27 Der Ausdruck ist folglich nicht im juristisch-technischen Sinne, sondern vielmehr nach dem alltäglichen Sprachgebrauch zu verstehen.28 Kein Vergleich liegt allerdings dann vor, sollte eine Partei den Standpunkt der anderen vollumfänglich anerkennen. Naheliegend ist dann eine Einordnung als selbstständiges Schuldversprechen (§ 780 BGB) bzw. -anerkenntnis (§ 781 BGB) oder kausales Schuldanerkenntnis, sowie als Erlass (§ 397 Abs. 1 BGB) oder negatives Schuldanerkenntnis (§ 397 Abs. 2 BGB). Ein bedingtes, kausales oder negatives Schuldanerkenntnis zugunsten des Verbrauchers liegt insbesondere dann nahe, sollte sich der Unternehmer bereits im Voraus dem Schlichtungsvorschlag des Streitmittlers unterworfen haben.29 Verbraucher und Unternehmer können auch Inhalt und Eigenschaft einer Forderung ändern oder im Wege der Novation eine neue Forderung begründen. Da die Typenfreiheit des Schuldrechts die Parteien nicht auf bestimmte gesetzlich normierte Gestaltungsmöglichkeiten beschränkt, findet die rechtsgeschäftliche Vereinbarung ihre Grenze nur in den allgemeinen Zulässigkeitsschranken.
IV. Materielles Verbraucherschutzrecht und Schlichtungsvorschlag Die Abschlussvereinbarung im Rahmen der Verbraucherschlichtung wird durchweg als Verbrauchervertrag gem. § 310 Abs. 3 BGB zu klassifizieren sein. Fraglich ist, inwieweit der angenommene Schlichtungsvorschlag den Schutzmechanismen des allgemeinen Verbrauchervertragsrechts in den §§ 312 ff. BGB unterliegt.30 Mit der Umsetzung der Verbraucherrechtrichtlinie gelten für Verbraucherverträge ohne Rücksicht auf den konkreten Vertragsinhalt oder eine spezielle Vertriebsform besondere Anforderungen. Die Anwendbarkeit der §§ 312 ff. BGB setzt dabei nur eine „entgeltliche Leistung des Unternehmers“ voraus.31 Entgeltlichkeit ist in diesem Zusammenhang allerdings sehr umfas26
Vgl. nur Hau, in: Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 2020, § 779 Rn. 2. 27 Habersack, in: Henssler, Münchener Kommentar BGB, 82020, § 779 Rn. 26 f.; Giesler, in: Dauner-Lieb/Langen, §§ 241 – 853 BGB, 32016, § 779 Rn. 18 ff. jeweils m. w. N. 28 Brudermüller/Ellenberger/Götz u. a. (Hrsg.), Palandt Bürgerliches Gesetzbuch, 79 2020, § 779 Rn. 9, mit Verweis auf BGH NJW 1963, 637. 29 Siehe dazu § 8 IV 1. 30 Dazu schon Schmidt-Kessel, in: ders. (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 9 ff., 17. 31 Zur Umstrittenheit des Merkmals: Wendehorst, in: Krüger/Säcker/Rixecker (Hrsg.),
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send zu verstehen. So reicht es aus, wenn der Leistung des Unternehmers irgendeine Verpflichtung auf Seiten des Verbrauchers entgegensteht.32 Diese weitgehende Auslegung ist schon deshalb geboten, da der Art. 3 VerbRRl eine solche Abgrenzung bei der Festlegung des Richtliniengeltungsbereichs nicht kennt, sondern vielmehr von „jeglichen Verträgen“ spricht.33 Entsprechend wird man auch Vergleiche und Änderungsverträge, als vom Anwendungsbereich der §§ 312 ff. BGB erfasst, ansehen können.34 Zweifelhaft könnte an dieser Stelle lediglich sein, ob einseitige Rechtsgeschäfte vom Schutzbereich der §§ 312 ff. BGB erfasst werden. Im Falle der einseitigen Verpflichtung wird man den Verbraucher allerdings als noch schutzwürdiger ansehen müssen, sodass der Wortlaut hier richtlinienkonform teleologisch zu reduzieren ist.35 Eine Bereichsausnahme für Abschlussvereinbarungen nach einer erfolgreichen Konfliktbeilegung kann dem § 312 Abs. 2 BGB nicht entnommen werden. Vielmehr spricht die Tatsache, dass auf eine dahingehende Ausnahmevorschrift verzichtet wurde, für die Anwendung der Schutzvorgaben. So Münchener Kommentar BGB, 82019, § 312 Rn. 18 ff.; Busch, in: Gsell/Krüger/Lorenz u. a. (Hrsg.), BeckOGK, § 312 Rn. 9 ff. 32 Siehe dazu Wendehorst, in: Krüger/Säcker/Rixecker (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, 82019, § 312 Rn. 19 „Alles was ein Unternehmer von einem Verbraucher erhält, das in irgendeiner Form für ihn nützlich ist, hat daher als Entgelt zu zählen“ und weiter: es „erscheint fraglich, ob bei unternehmerischem Handeln iSv § 14 echte Unentgeltlichkeit überhaupt denkbar ist.“ (Rn. 20); so auch schon Thüsing, in: Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 2019, § 312 Rn. 19 ff. Ebenso Schulte-Nölke, in: Dörner/Ebert/ Hoeren u. a., Bürgerliches Gesetzbuch, 92017, § 312 Rn. 9; Hoffmann, in: Gsell/Krüger/ Lorenz u. a. (Hrsg.), BeckOGK, § 779 Rn. 114. 33 Zustimmungswürdig Wendehorst, in: Krüger/Säcker/Rixecker (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, 82019, § 312 Rn. 19 m. w. N. 34 BGH NJW-RR 2008, 643, 644 f.; Grüneberg, in: Brudermüller/Ellenberger/Götz u. a. (Hrsg.), Palandt Bürgerliches Gesetzbuch, 792020, § 312 Rn. 4; Koch, in: Erman, BGB, 16 2020, § 312 Rn. 8 m. w. N.; Hoffmann, in: Gsell/Krüger/Lorenz u. a. (Hrsg.), BeckOGK, § 779 Rn. 114; Ring, in: Dauner-Lieb/Langen, §§ 241 – 853 BGB, 32016, § 312 Rn. 11. Zu § 312 a. F.: Thüsing, in: Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 2019, § 312 Rn. 20. Ob dies mit Blick auf § 312 Abs. 2 Nr. 13 auch für den Prozessvergleich gilt ist unklar, eher befürwortend Wendehorst, in: Krüger/Säcker/Rixecker (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, 82019, § 312 Rn. 60. A. A. wohl Greger, in: Greger/Unberath/Steffek (Hrsg.), Recht der alternativen Konfliktlösung, 22016, Teil D Rn. 414. 35 Koch, in: Erman, BGB, 162020, § 312 Rn. 9; Schulte-Nölke, in: Dörner/Ebert/Hoeren u. a., Bürgerliches Gesetzbuch, 92017, § 312 Rn. 5; Busch, in: Gsell/Krüger/Lorenz u. a. (Hrsg.), BeckOGK, § 312 Rn. 9.1. Zu § 312 a. F.: Thüsing, in: Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 2019, § 312 Rn. 23; Masuch, in: Krüger (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, 82019, § 312 Rn. 29; offengelassen in BGH NJW 2000, 2268 ff. Lediglich im (äußerst seltenen) Fall, dass der Verbraucher eine Leistung erhält, ohne dafür selbst irgendeine Leistungsverpflichtung einzugehen, fehlt es an der Schutzbedürftigkeit des Verbrauchers, sodass eine Anwendung der §§ 312 ff. BGB ausscheidet.
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hat der europäische Normgeber im Rahmen der Verbraucherrechte-RL auf eine Beschränkung des Anwendungsbereichs für Vergleiche verzichtet, obwohl er eine solche an anderer Stelle durchaus vorsieht (vgl. EWG 17 und Art. 3 Abs. 2 lit. e) Wohnimmobilienkreditrichtlinie [Richtlinie 2014/17/ЕU] sowie Art. 2 Abs. 2 lit. i) Verbraucherkreditrichtlinie [Richtlinie 2008/ 48/EG]). Die Vereinbarung zwischen dem Verbraucher und Unternehmer über die Beilegung des Konflikts wird demzufolge regelmäßig zumindest zu einer Informationsverpflichtung36 des Unternehmers nach § 312a Abs. 2 S. 1 BGB i. V. m. Art. 246 EGBGB (oder entsprechenden Spezialvorschriften37) führen. 1. Die Schutzwirkung des Verbraucherrechts im Rahmen des Schlichtungsergebnisses Die logische Folgefrage ist dann, ob für die vergleichsweise Abschlussvereinbarung bei Vorliegen der weiteren Tatbestandsvoraussetzungen, ebenso die speziellen materiell-rechtlichen Verbraucherschutzvorschriften der §§ 310 Abs. 3, 312 ff., 474 ff., 481 ff., 491 ff., 506 ff. sowie 510 BGB gelten. Um das Ziel der Konfliktbeilegung zu erreichen, wirken die Parteien auf das Ausgangsrechtsverhältnis ein. Je nach konkreter Ausgestaltung führt die Abschlussvereinbarung der Verbraucherschlichtung zum ganz oder teilweisen Erlass bestimmter Rechte, zum Entstehen neuer Rechtsansprüche oder zu einer Abänderung des bestehenden Schuldverhältnisses. Nur in Ausnahmefällen ist von einer Aufhebung des bisherigen Rechtsverhältnisses und der Begründung eines neuen an dessen Stelle tretenden Schuldgrundes (Novation) auszugehen.38 a) Der Rechtsgedanke aus § 491 Abs. 4 BGB Der § 491 Abs. 4 BGB, der einen Teil der verbraucherschützenden Vorschriften39 im Falle eines gerichtlich Vergleichs, sollte dieser entweder gem. §§ 159 ff. ZPO protokolliert oder im Beschlusswege gem. § 278 Abs. 6 ZPO
36 Zur Problematik eines „information overload“ siehe unter § 12 I 2. Beachte auch, dass nach Art. 246 Abs. 1 EGBGB eine Informationspflicht des Unternehmers entfällt, sofern sich die Informationen „aus den Umständen“ ergeben. Kritisch dazu Tamm, VuR 2014, 9 ff., 10 ff. 37 Vgl. § 312d BGB i. V. m. Art. 246a und Art. 246b EGBGB; §§ 491 ff. BGB. 38 BGH NJW-RR 1987, 1426 f.; NJW 2002, 1503 f.; 2003, 3345 ff., 3346; 2010, 2652 ff., 2653; BAG NJW 2015, 1198 ff., 1200; Hau, in: Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 2020, § 779 Rn. 38 f. m. w. N.; Hoffmann, in: Gsell/Krüger/Lorenz u. a. (Hrsg.), BeckOGK, 2017, § 779 Rn. 70. Zur Rechtsnatur des Vergleichs allgemein Habersack, in: Henssler, Münchener Kommentar BGB, 82020, § 779 Rn. 31 ff. 39 § 358 Abs. 2 und 4, sowie §§ 491a–495, §§ 505a–505e BGB.
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festgestellt worden sei, entfallen lässt, kann schon aufgrund seines Charakters als Ausnahmetatbestand keinen Analogieschluss begründen.40 Auch wird man aus der Regelung keinen allgemeinen Rechtsgedanken ableiten können, dass verbraucherschützende Regelungen im Falle einer vergleichsweisen Streitbeilegung grundsätzlich entbehrlich wären. Die Norm ist explizit nur auf gerichtliche Vergleiche beschränkt, um dem gesetzgeberischen Anliegen einer amtlichen Prüfung und Belehrung ausreichend Rechnung zu tragen, sodass eine Einbeziehung außergerichtlicher Vergleiche abzulehnen ist.41 Nicht unerwähnt sollte allerdings bleiben, dass der europäische Gesetzgeber in dieser Hinsicht deutlich großzügiger bzw. nachlässiger agiert. So will er, ausweislich des der deutschen Norm zugrundeliegenden Richtlinientextes, auch solche Verträge nicht in den Schutzbereich miteinbeziehen, die das „Ergebnis […] eines Vergleichs vor einer anderen gesetzlich befugten Stelle“ sind.42 Dabei stellt die Regelung auch in der Normgebung des europäischen Gesetzgebers eine Ausnahme dar, welche im Rahmen der VerbraucherrechteRL nicht aufgegriffen wurde. Im Umkehrschluss folgt daraus, dass auch bei einem konfliktbeilegenden Vergleich grundsätzlich die Schutzwirkung des Verbraucherrechts bestehen bleiben soll.43 b) Novation und Änderungsvertrag Nach Greger sollen die Schutzwirkungen nur im Falle einer Novation und nicht im Falle einer vergleichsweisen Konfliktbeilegung gelten.44 Die Einschränkung überzeugt in dieser Absolutheit nicht. Änderungsverträge und Vergleiche haben mitunter völlig gleiche Auswirkungen für den Verbraucher wie der Neuabschluss eines Vertrages. Aus diesem Grund sollten sie vom Schutzzweck der jeweiligen Verbraucherschutznorm zumindest dann erfasst 40 Schürnbrand, in: Westermann/Säcker/Rixecker, Münchener Kommentar BGB, 2019, § 491 Rn. 73 (zu § 491 Abs. 3 a. F.); Nietsch, in: Erman, BGB, 162020, § 491 Rn. 34; Kessal-Wulf, in: Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 2012, § 491 Rn. 89. 41 Ganz h. M. Kessal-Wulf, in: Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 2012, § 491 Rn. 89 (zu § 491 Abs. 3 a. F.); Schürnbrand, in: Westermann/Säcker/Rixecker, Münchener Kommentar BGB, 82019, § 491 Rn. 75; Knops, in: Gsell/Krüger/Lorenz u. a. (Hrsg.), BeckOGK, § 491 Rn. 135; Nietsch, in: Erman, BGB, 162020, § 491 Rn. 34. 42 Vgl. EWG 17 und Art. 3 Abs. 2 lit. e) Wohnimmobilienkreditrichtlinie (Richtlinie 2014/17/ЕU) sowie Art. 2 Abs. 2 lit. i) Verbraucherkreditrichtlinie (Richtlinie 2008/48/EG). 43 So auch Krüger/Säcker/Rixecker (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, 82019, § 312 Rn. 60. 44 Greger, in: Greger/Unberath/Steffek (Hrsg.), Recht der alternativen Konfliktlösung, 2 2016, Teil D Rn. 413 f.; siehe aber auch Ders., in: dies., Recht der alternativen Konfliktlösung, 22016, § 2 MediationsG Rn. 291 ff., 304. So auch LG Karlsruhe NJW-RR 1992, 973 f. zum Haustürwiderrufsgesetz. 8
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werden, wenn die Vereinbarung zur Konfliktbeilegung ähnliche Auswirkungen haben wie der Neuabschluss eines entsprechenden Vertrages.45 Dies gilt beispielsweise nicht in dem Fall, dass zwischen einem Kreditinstitut und dem Verbraucher ein Vergleich abgeschlossen wird, um Rechtsunsicherheiten hinsichtlich eines bereits bestehenden Darlehens auszuschließen. Da dem Verbraucher kein neues Kapitalnutzungsrecht eingeräumt wird, fällt eine solche Vereinbarung nicht unter den Schutzzweck der §§ 491 ff. BGB.46 Entscheidend ist dabei, dass der Verbraucher nicht in einer vergleichbaren Entscheidungssituation wie bei einem Neuabschluss eines Darlehensvertrages steht. Kommt es im Rahmen eines Vergleichs aber zu einer Anspruchsbegründung zu Lasten des Verbrauchers, so wird man auch hier die Anwendbarkeit der besonderen verbraucherschützenden Normen bejahen können. Beim Vorliegen der weiteren Tatbestandsmerkmale sind somit die einschlägigen verbraucherschützenden Vorgaben zu beachten, wenn die vergleichsweise Vertragsanpassung bzw. -änderung einem Neuabschluss gleichkommt. Denkbar sind mehrere Konstellationen, in denen die Abschlussvereinbarung den vertriebsbezogenen Voraussetzungen der jeweiligen Verbraucherschutznormen unterfällt. So werden beispielsweise im Fall eines mündlichen und bei gleichzeitiger Anwesenheit beider Parteien durchgeführten Verbraucherstreitbeilegungsverfahrens (insb. in Form der Mediation, § 18 VSBG), dessen Ergebnis dann in einer Abschlussvereinbarung festgehalten wird, die Vorgaben über den außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag (§ 312b BGB) erfüllt sein. Da der Verbraucher in diesen Fällen möglicherweise einem besonderen psychologischen Druck ausgesetzt ist (harmony ideology)47, spricht auch der Normzweck für eine Einbeziehung in den Schutzbereich. Möglich ist auch, dass sich die Parteien im Rahmen einer Verbraucherschlichtung vergleichsweise einigen, dass die aus einem anderen Schuldverhältnis resultierende Zahlungspflicht des Verbrauchers künftig nach Darlehensrecht geschuldet werden soll.48 Im Falle der Entgeltlichkeit unterliegt ein
45 Siehe BGH NJW-RR 2008, 643, 644 f.; OLG Koblenz MMR 2012, 456 f.; LG Münster NJW 2008, 2858 f. So auch Koch, in: Erman, BGB, 162020, § 312 Rn. 8; Hoffmann, in: Gsell/ Krüger/Lorenz u. a. (Hrsg.), BeckOGK, 2017, § 779 Rn. 114 f.; Thüsing, in: Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 2020, § 779 Rn. 20; Franz, JuS 2007, 14 ff.; ders., JR 2007, 89 ff. 46 Vgl. OLG Karlsruhe, Urt. v. 25. April 2006 – 17 U 213/05 –, juris. 47 Siehe dazu nur unter § 7 I. Vgl. zur Beschränkung der Willensbildungsfreiheit auf Seiten des Verbrauchers im Falle einer Mediation Wendenburg, Der Schutz der schwächeren Partei in der Mediation, 2013, 155 ff., zum Begriff harmony ideology S. 178 ff. 48 Berger, in: Westermann/Säcker/Rixecker, Münchener Kommentar BGB, 82019, § 488 Rn. 19.
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solches Vereinbarungsdarlehen als Schuldabänderungsvertrag dann den §§ 491 ff. BGB.49 Entsprechendes gilt gem. §§ 506 ff. BGB auch im Falle der Vereinbarung eines außergerichtlichen Ratenzahlungsvergleichs.50 2. Die Möglichkeit zum Widerruf des angenommenen Schlichtungsvorschlages Im Zusammenhang mit dem materiellen Verbraucherschutzrecht stellt sich auch die Frage nach dem Bestehen eines Widerrufsrechts zugunsten des Verbrauchers, um sich ohne Angabe eines Grundes durch einseitige Erklärung von dem vereinbarten Schlichtungsergebnis lösen zu können.51 a) Widerrufsrecht de lege lata De lege lata wird die Annahme eines verbraucherschützenden Widerrufstatbestands nur in Sonderkonstellationen vorstellbar sein. Insbesondere ist der Schlichtungsvorschlag schon aufgrund der schriftlichen Verfahrensdurchführung an sich nicht als Außergeschäftsraumvertrag oder mangels eines „für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems“ als Fernabsatzgeschäft einzuordnen.52 Das Bestehen eines Widerrufsrechts liegt allerdings dann nahe, sollte es im Rahmen einer mediativ durchgeführten Verbraucherschlichtung bei gleichzeitiger persönlicher Anwesenheit von Verbraucher und Unternehmer zu einer Abschlussvereinbarung kommen (§§ 312b Abs. 1, 312g Abs. 1 BGB). Dies ist im Ergebnis auch wertungsgerecht. In dem Fall finden nämlich die besonderen Schutzvorgaben der §§ 19, 20 VSBG keine Anwendung, sodass das Bestehen eines 14-tägigen Lösungsrechts für den Verbraucher angemessen erscheint. Dass dies mit dem Selbstverständnis eines außergerichtlichen Konfliktlösungsinstruments, den Streit allumfassend und abschließend zu lösen, kollidieren wird, muss aufgrund des fehlenden verfahrensmäßigen Schutzes vor Übervorteilung hingenommen werden.53 49
Schürnbrand, in: Westermann/Schürnbrand, Münchener Kommentar BGB, 82019, § 491 Rn. 40 f.; Gsell/Krüger/Lorenz u. a. (Hrsg.), BeckOGK, 2017, § 491 Rn. 48 ff. 50 Schürnbrand, in: Westermann/Schürnbrand, Münchener Kommentar BGB, 82019, § 506 Rn. 10; Seifert, in: Soergel/Siebert/Wolf (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch, § 506 Rn. 14. 51 Zu den weiteren Lösungsmöglichkeiten von der vertraglichen Vereinbarung, siehe unter § 8 V. 52 Schmidt-Kessel, in: ders. (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 9 ff., 17. 53 Siehe für die Mediation Wendenburg, Der Schutz der schwächeren Partei in der Mediation, 2013, 341 ff., der für die Verhandlungsunerfahrenere Partei ein 14-tägiges Widerrufsrecht de lege ferenda dann befürwortet, sollte diese auf eine anwaltliche Beratung verzichtet haben.
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Viertes Kapitel: Die Rolle des materiellen Rechts
b) Widerrufsrecht de lege ferenda De lege ferenda erscheint die Einführung eines Widerrufsrechts als Schutzvorgabe gegen eine Übervorteilung des Verbrauchers in der Verbraucherschlichtung kaum zielführend.54 Der Schutzgedanke des Verbraucherwiderrufs liegt in der Bereitstellung einer zusätzlichen Zeitspanne um den Vertragsabschluss zu „überdenken“. Grundsätzlich würde sich dieses Schutzinstrument also auch im Rahmen der vertraglichen Fixierung des Schlichtungsergebnisses anbieten. Dabei bliebe dann allerdings außer Acht, dass schon das VSBG selbst in § 19 Abs. 3 S. 3 VSBG eine solche Überlegungsfrist vorsieht und auf diese Weise die rechtsgeschäftliche Selbstbestimmung und eine hinreichend überlegte Vertragsentscheidung des Verbrauchers absichern möchte. Die Einräumung einer weiteren Frist mit völlig identischer Zielsetzung, erscheint unter diesem Gesichtspunkt nicht zielführend. Zu fordern ist allerdings, dass die vom VSBG vorgesehene Frist zur Erklärung über die Annahme des Schlichtungsvorschlages aus verbraucherschützenden Gesichtspunkten 14 Tage nicht unterschreiten sollte.55 Aus demselben Grund überzeugt auch der Verweis auf den, in den überwiegenden Fällen unter Widerrufsvorbehalt abgeschlossenen und insofern aufschiebend bedingten Prozessvergleich nicht. Das Vorgehen beruht dort oftmals auf der Notwendigkeit, den von einem Prozessvertreter (vgl. § 81 ZPO) abgeschlossenen Vergleich nochmals im Detail mit dem Mandanten abzusprechen und räumt den Parteien eine Überlegungsfrist ein. Diese Situation ist aber mit der Situation im Rahmen der Verbraucherschlichtung nicht vergleichbar. Hier wird der Vorschlag den Parteien schriftlich mitgeteilt und ex lege eine Überlegungsfrist eingeräumt.
V. Zwischenergebnis Das Recht stellt in Gestalt des VSBG, der konkreten Verfahrensordnung und den etwaigen vertraglichen Abreden zwischen den Parteien, sowie zwischen der Schlichtungsstelle und den Parteien einen verbindlichen Ordnungsrahmen für die Verbraucherschlichtung dar. Es dient dabei der Sicherung der Verfahrensdurchführung, sowie der verbindlichen Fixierung des Verfahrensergebnisses und schützt somit beide Parteien.
54 a. A. Hau, ZfPW 2018, 385 ff., 401. Für die Mediation Wendenburg, Der Schutz der schwächeren Partei in der Mediation, 2013, 341 ff., 55 Röthemeyer, in: Borowski/Röthemeyer/Steike (Hrsg.), VSBG, 2016, § 19 Rn. 61, hält in jedem Fall die einmonatige Berufungsfrist gem. § 517 ZPO für ausreichend, weist aber darauf hin, dass in der vorgesetzlichen Praxis teilweise aber auch längere Fristen (sechs Wochen) vorgesehen wurden.
§ 16 Recht als Konfliktlösungsinstrument
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Auch im Rahmen der Abschlussvereinbarung nach einer Verbraucherschlichtung finden allerdings die verbraucherschützenden Vorschriften des Vertragsrechts Anwendung. Die Tatsache, dass es sich hierbei um eine konfliktbeilegende Abschlussvereinbarung handelt, der ein Schlichtungsverfahren vorangegangen ist, kann damit erst bei der Frage nach einer Möglichkeit des Verbrauchers auf die Schutzvorgaben zu verzichten, eine Rolle spielen. Eine andere Auffassung, die schon die grundsätzliche Unanwendbarkeit der verbraucherschützenden Normen auf die Abschlussvereinbarung vertritt, steht in der Pflicht, den Wertungswiderspruch zu § 491 Abs. 4 BGB zu begründen. Diese Spezialnorm für Verbraucherdarlehensverträge versagt dem Verbraucher den vollumfänglichen Schutz nämlich – wie gezeigt – selbst im Falle eines gerichtlichen Vergleichs nicht. So bleiben die zentralen Vorschriften über Vertragsdurchführung und Abwicklung des Verbraucherdarlehens (§§ 496 ff. BGB) auch in diesem Fall weiterhin anwendbar. Wenn der Gesetzgeber eine Abweichung von einzelnen verbraucherschützenden Spezialregeln also nur im Falle eines gerichtlichen Vergleichs gestattet, da die gerichtliche Mitwirkung den Schutz des Verbrauchers hinreichen sicherstellt56, so wird man kaum annehmen können, dass dies für außergerichtliche Verfahren in noch weitergehendem Maße zu gelten hat. Vielmehr muss der Verbraucher auch im Rahmen der Abschlussvereinbarung dem Schutz der entsprechenden Normen unterfallen.57 Entscheidend ist, dass die Frage nach der Entstehung der Schutzrechte, von der gänzlich anderen Problematik zu trennen ist, ob der Verbraucher im Rahmen einer Abschlussvereinbarung in der Verbraucherschlichtung wirksam auf diese entstandenen Schutzvorschriften verzichten kann.
§ 16 Recht als Konfliktlösungsinstrument Das Recht ist ein Instrument der rationalen Konfliktlösung.58 Diese Konfliktbereinigungsfunktion59 zeigt sich schon daran, dass das materielle Recht für jeden Streitfall ein mögliches Ergebnis bereithält. Aufgrund ihres parlamentar-demokratischen Fundaments wird man die Rechtsordnung als den maßgeblichen objektivierten Fairness- und Gerechtigkeitsstandard für die Abwägung und Beurteilung der regelmäßig auftretenden Interessensgegensätze ansehen können.60 Das Recht stellt einen grundsätzlich allumfassend 56
Siehe BT-Drucks. 11/5462 vom 25.10.1989, S. 18 zu § 2 Abs. 2 VerbrKrG-E. Ulrici, in: Rauscher/Krüger/Becker-Eberhard (Hrsg.), Münchener Kommentar ZPO, 62020, Anhang 2 zu § 278a Rn. 79. 58 Pfordten, JZ 2008, 641 ff. 59 Kocher, Funktionen der Rechtsprechung, 2007, 35 ff.; Basedow, JZ 2018, 1 ff. 60 Risse, BB 1999, Beilage 9, 1 ff., 1. 57
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Viertes Kapitel: Die Rolle des materiellen Rechts
akzeptierten Maßstab da. Die Rechtssubjekte richten ihr Verhalten an diesem Grundsatz aus und unterliegen ihm im Konfliktfall. Dabei darf aber nicht außer Acht gelassen werden, dass der Konfliktlösungsmaßstab nicht grundsätzlich zwingend vorgegeben wird. Vielmehr steht es den Konfliktparteien offen, den Streit auch unter Zugrundelegung anderer Maßstäbe zu lösen. Davon unabhängig wird die Rechtsordnung aber freilich nicht jedes auf eine solche Weise zustande gekommene Ergebnis akzeptieren. Mit Blick auf das stark ausdifferenzierte Verbraucherschutzrecht erhält die Frage, welche Bedeutung das VSBG dem materiellen Recht während des Schlichtungsverfahrens beimisst, besondere Bedeutung. So hat sich bereits gezeigt, dass das VSBG, ebenso wie die ADR-Richtlinie, die Verbraucherschlichtung nicht als ein ausschließlich an rechtliche Vorgaben gebundenes Verfahren präsentiert.61 Im Kern wird es daher im Folgenden um die Frage gehen, ob der Streitmittler im Rahmen des Verbraucherschlichtungsverfahrens das materielle Recht als entscheidenden Faktor bei der Erarbeitung einer Konfliktlösung heranzuziehen hat oder ob er insofern auch andere Maßstäbe und Erwägungen berücksichtigen kann. Davon abzugrenzen, obwohl eng verbunden, ist die sich daran anschließende Problematik, ob und inwieweit das Schlichtungsergebnis von den Vorgaben des materiellen Rechts, insbesondere den halbseitig zwingenden Verbraucherschutzvorschriften abweichen kann. Zu unterscheiden ist folglich schlagwortartig zwischen der Rechtsanwendung während des Schlichtungsverfahrens und der Rechtsverwendung im Rahmen des Schlichtungsvorschlages.62 Rechtsanwendung meint demnach die Lösung des Konflikts unter Zuhilfenahme vornehmlich gesetzlicher Normierungen und rechtlicher Wertungen. Unter der Rechtsverwendung ist die rechtsverbindliche Manifestierung der im Rahmen des Verbraucherschlichtungsverfahrens gefundenen Ergebnisse zu verstehen.
I. Konfliktlösung durch Rechtsanwendung Die Frage der Rechtsanwendung im Rahmen der Verbraucherstreitbeilegung liegt schon deshalb nahe, da das VSBG an mehreren Stellen im Verfahren zumindest eine rechtliche Bewertung durch den Streitmittler verlangt. Mit Blick auf die grundsätzliche Zielsetzung von ADR-Verfahren , die primär die eigenverantwortlich entwickelte und beiderseitig interessensgerechte Lösung, denn die verbindliche Entscheidung des Konflikts durch einen Dritten
61
Gsell, ZZP 128 (2015), 189 ff., 199. Siehe für die Mediation Mähler/Mähler, in: Heussen/Hamm (Hrsg.), Beck’sches Rechtsanwalts-Handbuch, 112016, § 48 Rn. 80 ff.; Köper, Die Rolle des Rechts im Mediationsverfahren, 2003, S. 76 ff. 62
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zum Ziel hat, vermag diese Hervorhebung des Rechts zu überraschen. Andererseits machen sowohl der europäische als auch der nationale Rechtsakt deutlich, dass die Konfliktbearbeitung auf eine andere, interessensbezogenere Weise, als in einem Zivilverfahren erfolgen soll. Die im Allgemeinen wachsende Bedeutung der konsensualen Streiterledigung wirft dabei die Frage auf, ob die Konfliktlösung aufgrund der Anwendung von Rechtsnormen noch dem Interesse der Parteien entspricht und stellt auch die Konfliktlösungsfunktion des staatlichen Rechts in Frage. Auch aus einer anderen Perspektive verdient die Rechtsanwendung in alternativen Konfliktbeilegungsverfahren Beachtung. So wurde in der Diskussion um die Ausgestaltung des VSBG vielfach die verhaltenssteuernde Wirkung von Rechtsnormen in den Blick genommen.63 Dabei ist weitgehend anerkannt, dass auch dem Privatrecht die Erreichung von bestimmten Steuerungszielen immanent ist.64 Im Ergebnis ist dies die Fortsetzung des Ihering’schen Gedankens, dass in jeder Individualrechtsverletzung gleichzeitig auch eine Verletzung des Rechts im Ganzen zu sehen ist. Kommt es nun in bestimmten Rechtsgebieten nicht mehr zu einer Durchsetzung des Rechts, so besteht die Gefahr, dass diese Steuerungswirkung abnimmt und sich im Ergebnis die Rechtsordnung in Teilbereichen aufgibt. Ein Verfahren, welches das Recht nur als einen von mehreren Bewertungsparametern ausweist, läuft Gefahr, keine hinreichende Anreizwirkung zu rechtskonformen Marktverhalten zu setzen. Vielmehr kann es sogar die Anreize zum Rechtsbruch verstärken, müssen die Privatrechtsakteure mit keiner Sanktionierung ihres Verhaltens rechnen.65 Insofern kann von der Gefahr eines wirtschaftlich kalkulierten Rechtsbruchs gesprochen werden, sollte die Nichteinhaltung bestimmter Rechtsvorgaben für den Unternehmer unter diesen Voraussetzungen günstiger sein, als die Befolgung des Rechts.66 Letztendlich steht dann eine wettbewerbliche Abwärtsspirale zu befürchten, da rechtstreue Unternehmer vielfach vom Markt verdrängt werden könnten.67 63 Eidenmüller/Engel, ZIP 2013, 1704 ff.; Zekoll/Elser, in: Althammer (Hrsg.), Verbraucherstreitbeilegung: Aktuelle Perspektiven für die Umsetzung der ADR-Richtlinie, 2015, Bd. 4, S. 55 ff.; Halfmeier, VuR Sonderheft 2016, 17 ff. Vgl. auch schon Scherpe, Außergerichtliche Streitbeilegung in Verbrauchersachen, 2002, 37 f. und allgemein Wagner, AcP 206 (2006), 352 ff. 64 Wagner, AcP 206 (2006), 352 ff., 364 ff., 389 ff. 65 Eingehend Halfmeier, VuR Sonderheft 2016, 17 ff.; siehe aber auch Wagner, CMLR 2014, 165 ff., 185 ff. 66 Eidenmüller/Engel, ZIP 2013, 1704 ff., 1707; Eidenmüller, in: Stiftung Gesellschaft für Rechtspolitik/Institut für Rechtspolitik an der Universität Trier (Hrsg.), Bitburger Gespräche/Bitburger Gespräche Jahrbuch 2016, 2016, S. 101 ff., 110; Scherpe, Außergerichtliche Streitbeilegung in Verbrauchersachen, 2002, 37 f.; H. Roth, DRiZ 2015, 24 ff., 27. 67 Wagner, in: Zekoll/Bälz/Amelung (Hrsg.), Formalisation and flexibilisation in dispute resolution, 2014, S. 369 ff., 373. Dagegen Zekoll/Elser, in: Althammer (Hrsg.), Ver-
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Viertes Kapitel: Die Rolle des materiellen Rechts
Bei alledem darf aber Folgendes nicht außer Acht bleiben: Die vorstehende Kritik geht wohl überwiegend davon aus, dass der Zivilprozess in jedem Fall die optimale Rechtsdurchsetzung bewirkt. Zum einen ist es aber, wie bereits gezeigt, eine unrealistische Vorstellung, dass der Verbraucher in jeder nicht gelösten Konfliktsituation die gerichtliche Rechtsdurchsetzung anstrengen wird. Dies gilt insbesondere bei Massen-, StrEU- und Kleinstschäden. Zum anderen basiert die Kritik an ADR-Systemen wohl auch auf einem doch sehr idealisierten Verständnis vom staatlichen Zivilprozess. Zwar ist grundsätzlich richtig, dass im Falle eines tatsächlich bestehenden Anspruches des Verbrauchers gegen den Unternehmer grundsätzlich schon jeder individuell außergerichtlich regulierte Schadensfall das Ausbleiben eines Präjudizes und damit eine Kosteneinsparung für den Unternehmer und einen Verlust für die Gesamtheit der Verbraucher bedeutet.68 Allerdings ist auch Ziel und Zweck des Zivilprozesses ganz vordringlich der Schutz des Individualinteresses.69 Diese individualistische Sichtweise wird auch nicht durch die Rückkehr zur Erschwerung der Revisionsrücknahme (§ 565 ZPO) in Frage gestellt. Eine einvernehmliche Disposition über den Verfahrensgegenstand bleibt auch hier möglich. Mit der Dispositionsmaxime und dem Verhandlungsgrundsatz schlicht unvereinbar wäre es, sollte eine den Interessen der Parteien entsprechende und damit einzelfallgerechte Beilegung des Konfliktfalls unter Hinweis auf die Allgemeinwohlbelange und die Notwendigkeit entsprechender Präzedenzentscheidungen abgelehnt werden. Richtig ist aber in jedem Fall, dass die alternative Streitbeilegung durch die Fokussierung auf „win-win-Lösungen“ und die Aufdeckung möglicher Bedürfnisparallelen gerade zur Vermeidung solcher Präzedenzen beiträgt.70 1. Vom Gesetzessystem zum Konsenssystem Stürner71, H. Roth72 und Bruns73 beschreiben die Verbraucherschlichtung vor allem aufgrund der unklaren Rolle des Rechts, als Symptom eines Trends zu einer rechtsfernen Gesellschaft. Diskussionswürdig erscheint damit die grundsätzliche Frage, ob die Konfliktbehandlung durch Rechtsanwendung noch als gesellschaftlich wünschenswert erachtet werden kann. Die Beantbraucherstreitbeilegung: Aktuelle Perspektiven für die Umsetzung der ADR-Richtlinie, 2015, Bd. 4, S. 55 ff., 60 ff. 68 Engel/Hornuf, SchiedsVZ 2012, 26 ff., 27. Siehe eingehend dazu Fiss, The Yale Law Journal 93 (1984), 1073 ff.; Risse, in: Eidenmüller (Hrsg.), Alternative Streitbeilegung, 2011, S. 133 ff. 69 Althammer, Streitgegenstand und Interesse, 2012, 240 ff. 70 Engel/Hornuf, SchiedsVZ 2012, 26 ff., 28. 71 Stürner, ZZP 127 (2014), 271 ff., 329. 72 H. Roth, ZZP 129 (2016), 3 ff., 24. 73 Zitiert nach Engel, NJW 2015, 1633 ff., 1637 Fn. 54.
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wortung hängt entscheidend davon ab, welche Bedeutung die Gesellschaft dem Recht zuerkennt.74 Soll die Privatrechtsordnung als Lebensordnung begriffen werden und deshalb im Zweifel auch durchgesetzt werden, oder stellt das Recht nur das finale Konfliktlösungsinstrument dar, welches nur in denjenigen Fällen zu Anwendung kommen soll, in denen es zu keiner ausdrücklichen oder stillschweigenden Einigung kommt.75 a) Krise des modernen Rechts Dem Recht kommt in der Gesellschaft eine Ordnungsfunktion zu, indem es „die Möglichkeit schafft, dass die Menschen in der Gesellschaft zusammenleben können; es organisiert die Gesellschaft und ihre Gliederung und sichert ihre Integration und Stabilität.“76. Das Recht gibt dabei einen Ordnungsrahmen vor, der das Verhalten der Rechtsunterworfenen so koordiniert, dass ein Zusammenleben gelingt und gefördert wird. Kernelement ist folglich die Abgrenzung der Freiheitsphären durch Sicherung und Beschränkung. Dass die Rechtsgeltung notwendig ist, um ein funktionsfähiges gesellschaftliches Zusammenleben zu gewährleisten ist grundsätzlich jedem Bürger bewusst.77 Im Falle einer Überregulation droht allerdings die Gefahr, dass die Steuerungsfunktion (und letztlich auch die Konfliktbereinigungsfunktion) des Rechts verkümmert und die – auch durch die gesteigerte Materialisierung geweckte – Erwartungshaltung der Gesellschaft gegenüber dem Recht kaum mehr befriedigt werden kann.78 Insofern lässt sich von einer „Krise des modernen Rechts“ sprechen.79 Die Entwicklung des Rechts zeichnet sich durch eine immer weiter zunehmende Komplexität aus, die insbesondere auf eine hochfrequente gesetzgeberische Aktivität und eine kaum mehr zu überblickende Kasuistik zurückzuführen ist.80 Zum einen existieren eine Reihe von ungelösten Problemfel-
74
Hierzu aktuell Basedow, JZ 2018, 1 ff. Stürner, ZZP 127 (2014), 271 ff., 329. 76 Raiser, Grundlagen der Rechtssoziologie, 62013, 187. 77 Stürner, ZZP 127 (2014), 271 ff., 330. 78 Hoffmann-Riem, ZRP 1997, 190 ff., 191. 79 Hager, Konflikt und Konsens, 2001, 16 ff.; siehe ebenso Mähler/Mähler, in: Heussen/ Hamm (Hrsg.), Beck’sches Rechtsanwalts-Handbuch, 112016, § 48 Rn. 27 ff. Sehr drastisch der Schweizer Jurist Kurer, der in einem Beitrag für die Neue Züricher Zeitung insbesondere mit Blick auf die fortschreitende Digitalisierung feststellt: „In dieser Welt löst sich das Recht wie ein Zucker in der Teetasse langsam auf und wird ersetzt durch Global Standards, Parteiprogramme, populistische Impulse, endlose regulatorische Regeln und langfädige Rechtsdokumente.“. Abrufbar unter https://www.nzz.ch/bildstrecken/bildstrecken-feuille ton/rechtsanwaelte-und-neue-technologien-der-jurist-im-digitalen-holozaen-ld.14594 (geprüft am 01.11.2020). 80 Hoffmann-Riem, ZRP 1997, 190 ff., 191; Hager, Konflikt und Konsens, 2001, 16. 75
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Viertes Kapitel: Die Rolle des materiellen Rechts
dern, zum anderen können sich die den bestehenden Gesetzen zugrundeliegenden Anknüpfungstatbestände nicht in jedem Fall den, durch Globalisierung und Informationszuwachs äußerst schnelllebigen gesellschaftlichen Verhältnissen anpassen. Die Rechtskenntnisse der Bürger und die Rechtssicherheit insgesamt nehmen also immer mehr ab.81 Sofern der Gesetzgeber durch eine verstärkte Verrechtlichung Abhilfe zu schaffen gedenkt, verschärft er die Problematik nur weiter. Dies betrifft vor allem das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, das Kapitalanlegerrecht, das Reisevertragsrecht und das europarechtlich determinierte Verbraucherschutzrecht.82 Die Stärkung gerade der Position des Verbrauchers soll nach dem Willen des EU-Gesetzgebers dabei primär dem europäischen Binnenmarktes dienen.83 Das Recht wird also verstärkt zur gesellschaftlichen Steuerung und zur Beeinflussung gerade auch ökonomischer Verhältnisse eingesetzt. Eine weitreichende Regulierung durch das Recht lähmt aber die individuelle Entfaltungsfreiheit und Initiative. Darüber hinaus zeigt die Erfahrung, dass komplexe Regelungsprogramme des Gesetzgebers nur unvollkommen erfüllt werden und zahlreiche unerwünschte und unbeabsichtigte Nebenfolgen haben können.84 Bei einer solchen „Krise des Rechts“ droht das Recht als Steuerungsinstrument zu versagen. Gerade die europaweit voranschreitende Stärkung des Verbraucherschutzes, korreliert überwiegend nicht mit der erlebten Realität der Verbraucher hinsichtlich der Geltendmachung ihrer Rechte. Eine zentrale Rolle spielt dabei freilich die sog. rationale Apathie der Verbraucher bei der Durchsetzung ihrer Rechte. Überdies wird die Entwicklung aber auch auf eine zunehmenden Komplexität und schwer handhabbare Fülle der maßgeblichen rechtlichen Vorgaben zurückzuführen sein.85 Kann das Recht den
81
Siehe Risse, BB 1999, Beilage 9, 1 ff. Fn. 11. Höland/Meller-Hannich, in: dies. (Hrsg.), Nichts zu klagen? Der Rückgang der Klageeingangszahlen in der Justiz, 2016, S. 11 ff. 15. 83 Stürner, Markt und Wettbewerb über alles?, 2007, 287 ff. 84 Raiser, Grundlagen der Rechtssoziologie, 62013, 369 f., 247 ff. 85 Der Roland Rechtsreport 2016 nennt insbesondere die zu lange Verfahrensdauer aufgrund der Arbeitsüberlastung der Gerichte, eine als uneinheitlich wahrgenommene Rechtsprechung und zu komplizierte Gesetze als wesentliche Kritikpunkte des deutschen Rechts- und Justizsystem aus Sicht der Bevölkerung. Allerdings wird die Kritik an der Verständlichkeit der Gesetzestexte heute seltener vorgebracht als vor fünf Jahren, (vgl. Roland Rechtsreport 2016, S. 18 f.). Siehe auch KOM (2002) 196 endg. 7 f., „Die Vielzahl der Rechtsvorschriften, ihre Komplexität und ihr ausgeprägter fachspezifischer Charakter erschweren es dem Bürger zusätzlich, seine Rechte wahrzunehmen.“, dass dieser Befund der Kommission muss allerdings als reichlich inkonsistent bezeichnet werden. Einerseits trägt der EU-Gesetzgeber weitestgehend zur der Erhöhung der Komplexität des Rechts bei, andererseits hält er dieses Recht dann aber für ungeeignet, um zu einer zufriedenstellenden Lösung beizutragen. 82
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Erwartungen der Gesellschaft nicht gerecht werden, so besteht die Möglichkeit, dass sich die Enttäuschung zu einer Rechtsfeindschaft transformiert.86 Entsprechende Anzeichen in der Bevölkerung lassen eine solche Vertrauenskrise des Rechts nicht unwahrscheinlich erscheinen. So schwankt das Vertrauen der Bevölkerung in die Gesetze seit 2005 zwischen 45 und 76 Prozent.87 Hinzu kommt, dass gleichzeitig die Klageeingangszahlen in der Justiz immer weiter sinken.88 Eine Entfernung der Gesellschaft vom Recht scheint also durchaus plausibel.89 b) Private Rechtssetzung Den Ausgangspunkt dieser Untersuchung stellt die Einsicht dar, dass das Recht nicht in jedem Fall in der Lage ist die Lebenswirklichkeit der Parteien in entsprechendem Maße abzubilden. Durch privatautonome Vereinbarungen wird folglich für das jeweilige Verhältnis das entsprechende „Recht“ in Form einer privaten Rechtssetzung selbst bestimmt.90 Der Staat ist bei der Rechtssetzung nicht unmittelbar beteiligt, vielmehr schaffen die Parteien ihr eigenes „materielles Recht“, das auf den jeweils individuellen Gerechtigkeitsvorstellungen basiert.91 Es kommt zu einer Privatisierung des Privatrechts. Die logische Konsequenz ist dann aber auch, dass die Vereinbarungen der Parteien nicht am Maßstab des staatlichen Rechts zu messen sind. Vielmehr müssen die individuellen Gerechtigkeitsvorstellungen und Interessen der Parteien und somit ihr selbstgesetztes Recht ausschlaggebend sein. Die Instrumente der alternativen Streitbeilegung greifen diesen Gedanken auf und Ermöglichen eine Konfliktbearbeitung, die nicht notwendigerweise auf rechtlichen Maßstäben und justiziablen Aspekten beruht. Auch ist vielfach nicht die Entscheidung des Konfliktfalls durch einen Dritten vorgesehen, sondern den Parteien wird die einvernehmliche Konfliktbearbeitung in Selbstverantwortung übertragen. Mit Hilfe dieser Rückführung des Konflikts an die Betroffenen zur Selbstregulierung kann die Komplexität des Konflikts reduziert, eine übergroße Erwartungshaltung gezügelt, und die
86
So drastisch Hager, Konflikt und Konsens, 2001, 18. Roland Rechtsreport 2016, S. 13. 88 Höland/Meller-Hannich (Hrsg.), Nichts zu klagen? Der Rückgang der Klageeingangszahlen in der Justiz, 2016; Hirtz, NJW 2014, 2529 ff. 89 Siehe zuletzt Wendland, Mediation und Zivilprozess, 2017, 70 ff. 90 Schöbener/Knauff, Allgemeine Staatslehre, 32016, Rn. 154u. 91 Gottwald, Streitbeilegung ohne Urteil, 1981, 51. Mit Blick auf die Erscheinungsformen digitaler Konfliktlösung sowie elektronischer Konfliktprävention insbesondere im E-Commerce-Handel, vgl. Althammer, in: Faust/Schäfer (Hrsg.), Zivilrechtliche und rechtsökonomische Probleme des Internet und der künstlichen Intelligenz, 2019, S. 249 ff., 258 ff., 265 ff. 87
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Viertes Kapitel: Die Rolle des materiellen Rechts
Selbstverantwortung der Parteien gesteigert werden.92 Diese Selbstregulierung wird man folglich auch als die konfliktbezogene Ausprägung der Privatautonomie verstehen können. Ein solches Verständnis der Konfliktbearbeitung und die sich abzeichnende Zunahme kooperativer Konfliktlösungen haben das Potential einen Wandel in der Konfliktkultur herbeizuführen. Der Ihering’sche Gedanke des Kampfes ums Recht wird so ergänzt – oder in Teilbereichen ersetzt – durch einen „Streit um den Konsens“.93 Dem staatlichen Recht kommt dann nur noch Bedeutung als „Leitregelungsform“ zu und setzt letztendlich die Grenze für die Zulässigkeit vertraglicher Vereinbarungen.94 Anschaulich wird dies am Beispiel des Bezahldienstleisters PayPal und dessen Käuferschutzprogramm. Die Konfliktlösung basiert hier nicht auf einer Anwendung des komplexen staatlichen Gewährleistungsprinzips, sondern im Wesentlichen auf dem Leitspruch, dass „Geld und Ware nie bei derselben Person sein dürfen“. Insofern ist Fries Recht zu geben, wenn er von einem Versagen des Rechtsstaats ausgeht, sollte das PayPal-Recht das Rechtsempfinden der Marktteilnehmer so gut treffen, dass die Geltendmachung gesetzlicher Ansprüche die absolute Ausnahme bleibt.95 2. Verbraucher und Recht Überzeugt das Recht noch als Mittel zur Lösung von Konflikten, insbesondere mit Blick auf Verbraucherstreitigkeiten? Das Recht ermöglicht eine Reduktion der im praktischen Leben herrschenden Komplexität auf vergleichsweise wenige Parameter, die für die Konfliktlösung relevant werden. Diese Einbeziehung des Rechts in die konfliktbehaftete Beziehung wird von den Befürwortern der Alternativen Streitbeilegung quasi als die „Wurzel allen Übels“ angesehen.96 Die Verrechtlichung des Konflikts bietet nämlich keine Garantie dafür, dass die gerade für 92
Hager, Konflikt und Konsens, 2001, 39. Mähler/Mähler, in: Breidenbach/Henssler (Hrsg.), Mediation für Juristen, 1997, S. 13 ff., 17. 94 Schöbener/Knauff, Allgemeine Staatslehre, 32016, Rn. 154v. 95 Fries, NJW 2016, 2860 ff., 2861. Dazu auch Adolphsen, BRAK-Mitteilungen 48 (2017), 147 ff., 150 ff.; Basedow, JZ 2018, 1 ff. und Althammer, in: Faust/Schäfer (Hrsg.), Zivilrechtliche und rechtsökonomische Probleme des Internet und der künstlichen Intelligenz, 2019, S. 249 ff., 267: „Sofern nun aber in Fällen digitaler Konfliktlösung ein intelligentes System zwar einen für den Einzelfall passenden, aber einen von den kodifizierten Regeln des materiellen Rechts abweichenden Lösungsvorschlag erarbeitet, könnte es schrittweise in der Summe der Transaktionen zu einer mittelbaren Unterwanderung der geltenden Zivilrechtsordnung kommen, so dass deren Modellvorstellung gänzlich in Frage gestellt wird.“. 96 Siehe bei Prütting, JZ 1985, 261 ff., 262 f.; Mähler/Mähler, in: Heussen/Hamm (Hrsg.), Beck’sches Rechtsanwalts-Handbuch, 112016, § 48 Rn. 81, „für die Mediation verbietet es sich „das Gesetzesrecht als Maßstab für die Entscheidung zugrunde zu legen“. 93
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die Konfliktbeteiligten wesentlichen Aspekte thematisiert werden.97 Vielmehr ist die rechtliche Kommunikation zu stark auf „Positionen“, d. h. vorweg gedachten Ergebnissen und Ja/Nein-Entscheidungen orientiert.98 Das Recht versagt folglich aufgrund dieser Reduktionsstrategie als Konfliktlösungsinstrument, da solche Interessen, die außerhalb der rechtlichen Relevanzdefinition bleiben, keine Berücksichtigung finden. Die Ausblendung der Interessen, die besondere Bedeutung oder Wichtigkeit für die jeweilige Partei haben, verhindert dann eine bedürfnisgerechte Konfliktbewältigung und kann so Anlass für zukünftige Konflikte sein. Mit Hilfe der alternativen Streitbeilegung soll der binäre Schematismus zwischen Recht und Unrecht aufgebrochen werden.99 Das Recht muss in einer verhandlungsbasierten Konfliktbearbeitung als Kommunikationscode sogar gänzlich ausscheiden. Kerngedanke ist dabei, dass die Konfliktparteien, das was sie als gerecht empfinden, selbst bestimmen sollen.100 Dass mit einer Stärkung der alternativen Konfliktlösung nach diesem Verständnis das Recht in zunehmendem Maße an Bedeutung verlieren wird, ist offensichtlich. Dies gilt gerade dann, wird das Verhandlungssystem nicht als Ergänzung, sondern als Alternative und somit in Konkurrenz zu dem bestehenden Normdurchsetzungsverfahren aufgebaut. Im Folgenden gilt es die Interessen der Verfahrensbeteiligten herauszuarbeiten. Richten sich diese in der Verbraucherschlichtung eher auf ein „ADR-typisches“ Ausblenden des Rechts oder steht gerade die Rechtsanwendung im Mittelpunkt des Interesses der Konfliktparteien. a) Unternehmerinteresse Der Unternehmer wird in einem ADR-Verfahren ein Interesse an der Offenlegung weiterer, für eine rechtliche Beurteilung an sich irrelevanter, Informationen durch den Verbraucher haben. Diese können Unternehmen dann gezielt zur Qualitätssicherung und geschäftlichen Optimierung nutzen.101 Weiterhin lanciert der Unternehmer durch die Teilnahme ein verbraucherfreundliches Image und verbessert so seine Marktreputation. In diesem Zusammenhang besteht auch ein erhebliches Interesse der Unternehmer am Ausschluss der Öffentlichkeit im Verfahren, sowie einer möglichst restriktiven Veröffentlichungspraxis mit Blick auf das Schlichtungsergebnis. Eidenmüller/Engel ist daher zuzustimmen, wenn sie feststellen, dass die Unterneh-
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Hoffmann-Riem, Modernisierung von Recht und Justiz, 2001, 65. Kocher, Funktionen der Rechtsprechung, 2007, 119 m. w. N. 99 Stürner, ZZP 127 (2014), 271 ff., 316. 100 Greger, SchlHA 2010, 30 ff. 101 Scherpe, Außergerichtliche Streitbeilegung in Verbrauchersachen, 2002, 28 f.
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mer vornehmlich außerrechtliche Interessen verfolgen, die geradezu klassisch für eine außergerichtliche Streitbeilegung sprechen.102 Für eine Rechtsanwendung im ADR-Verfahren spricht aus Sicht des Unternehmers aber die Tatsache, dass die Konfliktbearbeitung dann einem bekannten Maßstab zugrunde liegt und der Unternehmer folglich sein (Konflikt-)Verhalten dementsprechend ausrichten kann. Der Schlichtungsvorschlag durch den Streitmittler wird für den Unternehmer – zumindest in Grundzügen – vorhersehbar sein. Dieses Maß an Rechtssicherheit fördert und erleichtert das geschäftliche Handeln des Unternehmers. b) Verbraucherinteresse Mit Blick auf den verbraucherschlichtungstypischen Normalfall, der von einem Antrag des Verbrauchers gegen den Unternehmer ausgeht (vgl. § 4 Abs. 1 VSBG), ist die Frage nach dem Interesse des Verbrauchers an einer Konfliktlösung durch Rechtsanwendung von besonderer Bedeutung. Der Erfolg der Verbraucherstreitbeilegung wird doch primär von der Inanspruchnahme des Verfahrens durch die Verbraucher bestimmt werden. Hat der Verbraucher also ein Interesse an einer rechtsbezogenen Konfliktbearbeitung oder stehen außerrechtliche Aspekte im Fokus seines Interesses? aa) „win-win-Lösungen“? Als Verfahrensziel definiert die Alternative Streitbeilegung durchweg die Ermöglichung von sog. „win-win-Lösungen“.103 In Konflikten, an denen diverse unterschiedliche Interessen und Interessensträger beteiligt sind, liegt es nahe, dass bei einer ausschließlich am Recht orientierten Konfliktbearbeitung, die Chance für eine möglichst alle Aspekte des Konflikts einbeziehende Lösung geringer ist, als im Falle einer umfassenden Aufarbeitung des Streitfalls. In komplexen Beziehungssituationen soll durch das Ausblenden des Rechts und die Fokussierung auf die Interessen der Parteien ein Kooperationsgewinn ermöglicht werden.104 Das Erzielen einer solchen „win-win-Lösung“ hängt dabei aber schon regelmäßig in erheblichem Umfang von der Bereitschaft der Parteien zur eigenverantwortlichen Bewältigung des Konflikts ab. Eine für beide Seiten gewinnbringende Lösung ist nur dann wahrscheinlich, wenn sich die Parteien intensiv mit den Interessen der Gegenseite auseinandersetzen.105 102
Eidenmüller/Engel, ZZP 128 (2015), 149 ff., 151. Siehe statt vieler Breidenbach, in: Breidenbach/Henssler (Hrsg.), Mediation für Juristen, 1997, S. 1 ff., 5. 104 Hoffmann-Riem, Modernisierung von Recht und Justiz, 2001, 70. 105 Risse, BB 1999, Beilage 9, 1 ff., 4. So sieht Art. 3 li. A) Mediations-RL sieht vor, dass die Parteien bei der Mediation „selbst versuchen“, den Streit beizulegen. Vgl. auch EWG 10 und 13 Mediations-RL. 103
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Gerade aber in den Fällen der Verbraucherschlichtung, die mit einem Einigungsvorschlag des Streitmittlers enden, wird eine solche eigenständige Bewältigung des Konflikts – wenn überhaupt – nur sehr halbherzig stattfinden.106 Vielmehr werden sich die Parteien auf den Austausch von Stellungnahmen beschränken, der nicht einmal direkt, sondern nur schriftlich und indirekt über den Streitmittler vonstattengeht (vgl. § 17 VSBG). Hinsichtlich der endgültigen Lösung des Konflikts bauen die Parteien dann auf den Schlichtungsvorschlag des Streitmittlers. Eine selbstständige Bearbeitung des Streitfalls durch die Konfliktparteien ist im Rahmen der Verbraucherstreitbeilegung gar nicht vorgesehen. Auch wird meines Erachtens in den allermeisten Verbraucherstreitigkeiten das Ziel einer „win-win-Lösungen“ auf eine Quadratur des Kreises107 hinauslaufen. Dieses Idealbild der Konfliktlösung geht davon aus, dass eine komplexe Konfliktbeziehung durch die Offenbarung der Interessen und Wünsche der Beteiligten zufriedenstellender gelöst werden kann, als unter zur Hilfenahme von Rechtsnormen. In komplexen Handlungssituationen sind, aufgrund der Vielzahl von Erwartungen und Interessen, Tauschprozesse und Kreditbeziehungen möglich, die das Zustandekommen einer „win-win-Lösung“ befördern können. Wichtige Variable ist demnach die Komplexität der Beziehung zwischen den streitenden Parteien.108 Das Verhältnis zwischen Verbraucher und Unternehmer zeichnet sich in den überwiegenden Fällen aber gerade nicht durch eine komplexen Interaktionszusammenhang aus, wie er zum Beispiel in auf Dauer angelegten sozialen Beziehungen zu bejahen ist (Familienverhältnis, Arbeitsverhältnis, Nachbarschaftsverhältnis). Vielmehr wird auf beiden Seiten nur eine einzige spezifische Erwartung begründet: der vereinbarte Leistungsaustausch. Das Verhältnis zwischen Verbraucher – Unternehmer kennzeichnet weiterhin typischerweise eine eher kurzfristige, auf den „Verbrauch“ ausgerichtete Beziehung. Eine langfristige Bindung an den Gewerbetreibenden ist für den Verbraucher von untergeordnetem Interesse oder gar völlig irrelevant.109 Viel wahrscheinlicher besteht gerade im Konfliktfall an der Beendigung der Beziehung sogar ein vornehmliches Interesse des Verbrauchers.110 Da er im Regelfall nicht auf einen speziellen Wettbewerber angewiesen sein wird, hat er dann die Möglichkeit seinen Anbieter auf dem Markt neu zu wählen.111 106
Siehe schon ders., BB 1999, Beilage 9, 1 ff., 7 Fn. 46. So allgemein für die Schlichtung Münch, in: Krüger/Rauscher/Adolphsen (Hrsg.), Münchener Kommentar ZPO, 52017, vor § 1025 Rn. 30. 108 Röhl, Rechtssoziologie, 1987, 459 f. 109 Scherpe, Außergerichtliche Streitbeilegung in Verbrauchersachen, 2002, 7; Stürner, in: Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (Hrsg.), Alternative Streitbeilegung – Reden statt Klagen, 2013, S. 9 ff., 25. 110 Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, 2016, 59. 111 Eidenmüller, in: Stiftung Gesellschaft für Rechtspolitik/Institut für Rechtspolitik an 107
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Das Verhältnis Verbraucher – Unternehmer zeichnet sich also im LuhmannÆschen Sinne durch Verhaltenserwartungen aus, die nicht auf eine konkrete Person oder eine bestimmte Rolle, sondern ausschließlich auf ein bestimmtes Programm bzw. eine bestimmte Norm bezogen sind.112 Verbraucher und Unternehmer sind lediglich Teil von Konditionalprogrammen, die „bestimmte Ursachen als Auslöser bestimmten Handelns in einem Wenn/DannSchema festlegen“.113 Weitere Erwartungen werden im Verhältnis Verbraucher – Unternehmer im Regelfall nicht begründet, sodass im Konfliktfall auch keine weiteren Erwartungen und Interessen einbezogen werden können um einen Kooperationsgewinn zu erzielen. Fries beschreibt dies anschaulich mit dem Bild eines Trichters, der sich mit sinkendem Streitwert immer weiter verjüngt, sodass von einem ganzen Interessensbündel bei hohen Streitwerten, bei geringwertigen Konflikten nur noch das Interesse an einer ressourcenschonenden Rechtsdurchsetzung übrig bleibt.114 Die Beziehung zwischen Verbraucher und Unternehmer ist insofern von geringerer Komplexität. Da im Regelfall kaum weitere Ausgleichmöglichkeiten zur Verfügung stehen, führt der Konflikt notwendigerweise zu einem Nullsummenspiel: Was der einen Seite zugesprochen wird, verliert die andere. Das soll allerdings nicht bedeuten, dass in Verbraucherkonflikten eine eigenverantwortliche Konfliktbearbeitung grundsätzlich ausgeschlossen wäre.115 Zum einen sind selbstverständlich auch im Verhältnis Verbraucher – Unternehmer komplexere Konfliktsituationen denkbar, die eine außerrechtliche Einigung wahrscheinlich machen. Zum anderen können auch weniger komplexe Konfliktfälle ohne Zuhilfenahme eines Zivilverfahrens reguliert werden.116 In dieser Konstellation muss die alternative Streitbeilegung aber die Rechtspositionen der Parteien in den Mittelpunkt stellen, da die Bereitschaft zur einvernehmlichen Konfliktlösung gerade nicht aus der konflikttypischen Situation folgt, sondern vielmehr in der Befürchtung eines langwierigen und ressourcenintensiven Zivilprozesses begründet liegt. Würde der Universität Trier (Hrsg.), Bitburger Gespräche/Bitburger Gespräche Jahrbuch 2016, 2016, S. 101 ff., 110. Als Ausnahme dazu kann möglichweise der Versicherungssektor, sowie der Energiesektor gesehen werden, Stürner, in: Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (Hrsg.), Alternative Streitbeilegung – Reden statt Klagen, 2013, S. 9 ff., 25. 112 Luhmann, Rechtssoziologie, 31987, 85 ff. 113 Ders., Rechtssoziologie, 31987, 88. 114 Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, 2016, 59. 115 Vgl. dazu auch schon oben § 7. Siehe exemplarisch auch die Schilderungen des Versicherungsombudsmannes Günter Hirsch in Maas, Verbraucherschutzgesetz – Schlichtungsstellen sollen den Gang vor Gericht ersparen, 30.11.2015 (http://www.deutschlandfu nk.de/verbraucherschutzgesetz-schlichtungsstellen-sollen-den-gang.724.de.html?dram:a rticle id=338429) (geprüft am 01.11.2020). 116 Röhl, Rechtssoziologie, 1987, 460.
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man aus der Offenheit für ein alternatives Verfahren nun den Schluss ziehen, dem Verbraucher sei nicht vorrangig an einem rechtsbezogenen Verfahrensausgestaltung gelegen, käme dies einer petitio principii gleich. bb) Rechtsbezogene Verfahrensgestaltung Für die Mehrzahl der Verbraucherstreitigkeiten ist demzufolge anzunehmen, dass im Falle eines Konfliktes der Verbraucher kein Interesse an einer selbstgestalteten Konfliktlösung haben wird. Vielmehr entspricht die normbezogene Konfliktlösung auch im Bereich der alternativen Streitbeilegung grundsätzlich dem Interesse des Verbrauchers. Sinn und Zweck des Verbraucherrechts ist ja gerade die Verbesserung von Macht- und Verhandlungspositionen. Insofern ist wenig überraschend, dass der Verbraucher ein gesteigertes Interesse an der Thematisierung des Rechts im Konfliktfall hat. Der Fokus des Verbrauchers liegt in den überwiegenden Fällen auf der Vertragserfüllung oder auf Ansprüchen wegen des Scheiterns des Vertrags.117 Er erwartet und vertraut auf eine Klärung der Sach- und Rechtslage durch einen neutralen Dritten. Dies gilt wohl umso mehr, tritt dieser Dritte mit dem Nimbus einer staatlichen Zertifizierung unter ausdrücklichem Hinweis auf die Beilegung von Verbraucherstreitigkeiten auf.118 Für den Verbraucher maßgeblich ist also nicht die Selbstbestimmung im Konfliktfall, sondern die Wahrung seiner gesetzlichen Rechte. Dies deckt sich im Übrigen auch mit den Erwartungen des Gesetzgebers. Gesetzgeberisches Leitbild ist nicht die eigenverantwortliche Konfliktlösung durch die Parteien, sondern das auf einen Lösungsvorschlag des Streitmittlers ausgerichtete, formalisierte und schriftliche Schlichtungsverfahren.119 Im Übrigen bleibt unklar, wie die für eine Mediation so zentrale Interessensermittlung in einem schriftlich durchgeführten Verfahren (vgl. § 17 Abs. 2 VSBG) bewerkstelligt werden sollte. Schon aus Effizienzgründen wird eine gezielte Erforschung außerrechtlicher Interessen der Parteien nur in Sonderfällen stattfinden können.120
117 Koch, Verbraucherprozessrecht, 1990, 95; Scherpe, Außergerichtliche Streitbeilegung in Verbrauchersachen, 2002, 8. 118 In diese Richtung wohl auch Hodges/Benöhr/Creutzfeldt-Banda, Consumer ADR in Europe, 2012, 413 f. 119 Röthemeyer, in: Borowski/Röthemeyer/Steike (Hrsg.), VSBG, 2016, § 18 Rn. 22 ff. Siehe Festlegung des § 30 Abs. 4 S. 1 VSBG auf die Schlichtung, dazu auch BTDrucks. 18/5089, 70, des Weiteren BT-Drucks. 18/5089, 41. Siehe auch schon unter § 6 VI 3. 120 Insofern zustimmungswürdig Wendland, KritV CritQ Rcrit 99 (2016), 301 ff., 312.
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3. Zwischenergebnis Die aufgeworfene Frage nach einer Krise des Rechts als Konfliktbearbeitungsinstrument muss damit im Bereich der Verbraucherstreitigkeiten verneint werden. Der Verbraucher, dem der Gesetzgeber im Rahmen des materiellen Rechts zubilligt sich im privaten Bereich „flüchtiger“ bzw. „unvorsichtiger“ zu verhalten121 als im geschäftlichen Bereich, erwartet vom Normgeber, dass sich dieser Schutz im Konfliktfall auch entsprechend fortsetzt. In den weit überwiegenden Fällen hat der Verbraucher damit kein Interesse an einer aufwendigen, eigenverantwortlichen Konfliktbearbeitung. Vielmehr schätzt er gerade in dieser Situation das Gesetzesrecht als Konfliktlösungsmaßstab.122 Der Verbraucher vertraut also auf die staatlichen Schutzvorgaben.123 Im Mittelpunkt des Verbraucherinteresses steht damit nicht ein Vorschlag nach Billigkeitserwägungen oder die Vorbereitung eines möglichst umfassenden Interessensausgleichs, sondern die rechtliche Bewertung des streitigen Sachverhalts und die Durchsetzung der ihm zustehenden Rechte.124 Dieser Befund liegt schon deshalb nahe, da im Bereich des Verbrauchervertragsrechts kaum Raum bleibt für individuelle Abreden, die den Gerechtigkeitsvorstellungen der Parteien näherkommen könnten als das Gesetzesrecht. Insofern kann auch nicht auf einen individuell festgelegten bzw. ausgehandelten Gerechtigkeitsmaßstab zurückgegriffen werden. Des Weiteren setzt eine solche Einigung im Regelfall eine intensive Beschäftigung mit dem Streitfall voraus. An die Stelle der Rechtsgeltung muss dann nämlich die
121
Siehe dazu oben § 10 III. Siehe auch Breidenbach, Mediation, 1995, 234 ff. der ausführt, dass gerade in Verbraucherkonflikten die fehlende Verhandlungsmacht die notwendige Thematisierung von Recht verhindere. 123 Siehe dazu die im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung durchgeführte repräsentative Studie des Institut für Demoskopie Allensbach „Verbraucherschutz und Verbraucherpolitik im Urteil der Bevölkerung“, in der Befragung sprechen sich zwei Drittel der Verbraucher dafür aus, dass der „Staat die Menschen vor Risiken schützen soll, indem er vieles regelt und vorschreibt. In dieser Haltung drückt sich letzten Endes das große Vertrauen der Bürger innen gegenüber dem Staat und seinen Kontrollmechanismen aus. Die große Mehrheit vertraut darauf, dass der Staat Anwalt der Interessen der Bürger innen ist und diese eventuell sogar besser wahrnehmen und vertreten kann als die Bürger innen selbst. Dies heißt im Umkehrschluss auch, dass die große Mehrheit bereit ist, sich im Bereich des Verbraucherschutzes vieles vorschreiben zu lassen und den gesetzlichen Regelungen vertraut.“, vgl. Friedrich-Ebert-Stiftung, Verbraucherschutz und Verbraucherpolitik im Urteil der Bevölkerung, 8/2016 (http://library.fes.de/pdf-files/wiso/12584.pdf) (geprüft am 01.11.2020), S. 11 ff. 124 Siehe dazu auch Hess, ZZP 118 (2005), 427 ff., 438 f., 456; Scherpe, Außergerichtliche Streitbeilegung in Verbrauchersachen, 2002, 7 f., 23; Koch, Verbraucherprozessrecht, 1990, 126 f.; Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, 2016, 51 ff.; Eidenmüller/Engel, ZZP 128 (2015), 149 ff., 151. 122
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„permanente Neuverhandlung eines Ausgleichs widerstreitender Interessen“125 treten. Dass dieser weitreichende Gestaltungsspielraum und ein solches Maß an Selbstbestimmung tatsächlich der Erwartungshaltung der Verbraucher entsprechen, muss bezweifelt werden. Notwendig ist folglich nicht eine privatautonome Konfliktbewältigung, sondern mehr Zugang zum Recht, im Sinne einer erleichterten Geltendmachung der verbraucherschützenden Vorschriften.126 Gerade auch die Entwicklungen des materiellen Verbraucherschutzrechts konsolidieren eine entsprechende Erwartungshaltung der Verbraucher.
II. Vorgaben der ADR-Richtlinie zur Rechtsanwendung Welche Regelungen trifft der europäischen Gesetzgeber mit Blick auf die Rechtsanwendung in Verbraucher-ADR-Verfahren in der ADR-Richtlinie? Unter dem Aspekt eines in vielen Bereichen vollharmonisierten Verbraucherrechts ist es reichlich erstaunlich, dass die Richtlinie auf eine exakte Vorgabe zur Frage der Rechtsanwendung in Verbraucher-ADR-Verfahren verzichtet.127 Rechtsgrundlage für den ersten, den Bereich der alternativen Streitbeilegung tiefergehend regelnden Rechtssetzungsakt – die Richtlinie 2008/52/EG über bestimmte Aspekte der Mediation in Zivil- und Handelssachen (Mediationsrichtlinie) – war Art. 67 Abs. 5, Art. 65, Art. 61 EGV über die justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen. Anders als die ADR-Richtlinie bezieht sich die Mediationsrichtlinie nicht auf die Binnenmarktkompetenz des Art. 114 AEUV. Der offensichtliche Grund für die Wahl des Art. 114 AEUV ist die fehlende Begrenzung auf grenzübergreifende Sachverhalte. Der EUGesetzgeber hatte die Etablierung eines flächendeckenden ADR-Systems vor Augen, welches insbesondere auch rein innerstaatliche Sachverhalte erfassen soll.128 Schon diese Zielsetzung vermag die Vermeidung der sehr viel näher liegenden Kompetenzgrundlage des Art. 81 Abs. 1, Abs. 2 lit. g) AEUV erklären. Denkbar wäre darüber hinaus auch, dass der EU-Gesetzgeber so verdeutlichen will, dass die ADR-Richtlinie zuvorderst als Instrument zur Belebung des Binnenmarktes und nur nachrangig als Mittel zur – insbesondere auch grenzüberschreitenden – Anspruchsdurchsetzung zu verstehen ist. 125
Stürner, in: Münch (Hrsg.), Prozessrecht und materielles Recht, 2015, S. 359 ff., 375. Breidenbach, Mediation, 1995, 253. 127 Art. 11 ADR-Richtlinie der das Kriterium der Rechtmäßigkeit normiert, betrifft vorwiegend die Frage der Rechtsverwendung im Rahmen einer auferlegten Lösung (siehe dazu unter § 18). 128 Zur Kritik an der Wahl der Ermächtigungsgrundlage siehe oben unter § 6 III 4, sowie eindringlich Rühl, in: Ackermann (Hrsg.), Privat- und Wirtschaftsrecht in Europa, 2015, S. 459 ff. 126
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In diese Richtung lassen sich unter anderem auch die Erwägungsgründe 3 und 4 ADR-Richtlinie lesen. Schon aus der Wahl der Kompetenzgrundlage allerdings auf eine generelle Ablehnung der rechtsbezogenen Streitbehandlung in ADR-Verfahren zu schließen, erscheint, auch aufgrund der zahlreichen näherliegenden Aspekte die für die Wahl der Rechtsgrundlage ausschlaggebend waren129, übereilt. 1. Regelungen auf welche sich die Streitbeilegung stützen kann – Art. 7 Abs. 1 lit. i) ADR-RL Die Richtlinie nimmt an mehreren Stellen Bezug auf das Recht, sodass sich daraus möglicherweise Rückschlüsse auf die Rechtsanwendung im Rahmen von Verbraucher-ADR-Verfahren ableiten lassen. Ausweislich des Art. 7 Abs. 1 lit. i) ADR-Richtlinie muss das AS-Verfahren nicht notwendigerweise auf Grundlage der Anwendung von Rechtsvorschriften zu einer Konfliktlösung führen. Vielmehr soll eine Bewertung des Streitfalls auch mit Hilfe anderer Faktoren möglich sein. Der Rechtsakt nennt hier neben den Rechtsvorschriften, beispielsweise Billigkeitserwägungen und Verhaltenskodizes, ohne eine Präferenz anzugeben. Diese Variabilität ist mit Blick auf die verfahrensoffene Gestaltung durchaus plausibel. Eine Konfliktbearbeitung, die sich ausschließlich an Recht und Gesetz orientiert, ist durch den europäischen Gesetzgeber also nicht zwingend vorgegeben. Dies gilt insbesondere auch für Verfahren, die mit einer auferlegten Lösung enden. Denn aus Art. 11 ADR-Richtlinie folgt nur, dass die auferlegte Lösung nicht dazu führen darf, dass der Verbraucher den Schutz verliert, der ihm durch die Bestimmungen gewährt wird, von denen gemäß dem Recht des Mitgliedstaats, in dem der Verbraucher und der Unternehmer ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, nicht durch Vereinbarung abgewichen werden darf. Daraus ergibt sich allerdings nicht, dass eine solche Lösung durch eine Anwendung des materiellen Rechts herbeigeführt werden muss. Vielmehr können auch hier andere, nicht-rechtliche Aspekte, die Entscheidungsfindung beeinflussen. Durch Art. 11 ADR-RL wird dann lediglich sichergestellt, dass diese Entscheidung nicht von zwingendem Verbraucherschutzrecht abweicht.130 2. Die gebührende Berücksichtigung der Rechte der Parteien An anderer Stelle wird allerdings deutlich, dass sich die Richtlinie auch nicht von jeglicher Orientierung am materiellen Recht lösen will. So fordert der
129 130
Vgl. oben § 6 III 4. So wohl auch Meller-Hannich/Höland/Krausbeck, ZEuP 2014, 8 ff., 27.
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europäische Gesetzgeber in EWG 31 ADR-Richtlinie, dass die „Streitigkeiten in fairer, praktischer und verhältnismäßiger Art und Weise auf der Grundlage einer objektiven Bewertung der Umstände der Beschwerde und unter gebührender Berücksichtigung der Rechte der Parteien“ [Hervorh. d. Verf.] beigelegt werden. Unklar ist, was der Gesetzgeber unter der gebührenden Berücksichtigung des Rechts versteht. Mit Blick auf die verfahrensoffene Gestaltung der ADRRichtlinie, die sämtliche alternativen Streitbeilegungsvarianten erfassen möchte, wird man die Formulierung nur so verstehen können, dass sich das Maß der Rechtsorientierung flexibel nach der jeweiligen Verfahrensart richten soll.131 Dies liegt schon deshalb nahe, da das Abstellen auf ausschließlich rechtsbezogene Erwägungen in einem Mediationsverfahren ebenso wesensfremd wäre, wie eine Entscheidung aufgrund überwiegend interessensbezogener Aspekte in einem Schiedsverfahren.132 Die jeweiligen Rechtspositionen der Parteien müssen demnach aber nicht notwendigerweise Gegenstand des ADR-Verfahrens sein.133 Nach der ADR-Richtlinie steht es nämlich im Ermessen der jeweiligen AS-Stelle, welche Verfahrensart zur Anwendung kommen soll. Folglich muss auch die Entscheidung, ob die Konfliktlösung auf einer Rechtsanwendung basieren sollte, der Verfahrensordnung der Schlichtungsstelle entnommen werden. Die weitgehende Autonomie der AS-Stelle spiegelt sich auch in EWG 15 ADR-RL wider. Dieser stellt klar, dass für die Entwicklung eines gut funktionierenden AS-Systems die innerstaatlichen Rechtstraditionen der bestehenden Verbraucher-ADR-Stellen von maßgeblicher Bedeutung sind. Andererseits verspricht sich der Richtliniengeber ausweislich des EWG 54 ADR-Richtlinie durch AS-Verfahren eine verstärkte Anwendung von Rechtsakten der Union im Bereich des Verbraucherschutzes. Der Wortlaut des Erwägungsgrundes und seine systematische Stellung lassen erkennen, dass der EU-Gesetzgeber hier primär die zentrale Bedeutung der Zusammenarbeit zwischen AS-Stellen und staatlichen Behörden herausstellen wollte. Dennoch nimmt er wohl auch die AS-Stellen zur Stärkung der Rechtsanwendung und insofern auch zur Stärkung des Verbraucherschutzes (EWG 60 ADR-RL) in die Verantwortung. Wie genau diese Stärkung der Anwendung verbraucherschützender Vorschriften auszusehen hat, erschließt sich allerdings nicht.
131
Gsell, ZZP 128 (2015), 189 ff., 200. Siehe aber Wagner, ZKM 2013, 104 ff., 107 (und passim), der die Vorgaben der ADR-Richtlinie für unvereinbar mit dem Charakter der Mediation hält. 133 Meller-Hannich/Höland/Krausbeck, ZEuP 2014, 8 ff., 26. 132
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3. Information des Verbrauchers – EWG 42 ADR-Richtlinie Da der deutsche Gesetzgeber Verfahren, die mit einer verbindlichen Lösung für den Verbraucher enden, nicht dem Anwendungsbereich des VSBG unterwirft und im Übrigen die Konfliktlösung durch eine Schlichtungsvorschlag als für das Verbraucherrecht vorzugswürdige Verfahrensart charakterisiert wird134, muss die Richtlinie insbesondere auch hinsichtlich spezieller Vorgaben zu dem Vorschlagsverfahren in den Blick genommen werden. An anderer Stelle wurde bereits dargestellt, dass ein wesentliches Instrument des europäischen Verbraucherschutzes die Bereitstellung von Information ist. Insofern rückt der EWG 42 ADR-RL in den Fokus. Im Sinne des europäischen Verbraucherleitbildes soll mit Hilfe der Bereitstellung umfassender Informationen über die Rechte des Verbrauchers und die jeweiligen Konsequenzen der Entscheidungen im Rahmen des Verfahrens, die Fairness von Verbraucher-ADR gewährleistet werden. Gerade für Verfahren, in denen den Parteien eine Lösung vorgeschlagen wird, fordert der EU-Gesetzgeber, dass die AS-Stellen „die Verbraucher über ihre Rechte informieren“ soll. Fraglich ist, wie weit diese Informationsverpflichtung der AS-Stelle reicht. Gsell sieht hierin keine umfassende Informationspflicht mit Blick auf die konkrete Verbraucherstreitigkeit, möglicherweise sogar vergleichbar zu einem Rechtsgutachten. Dies werde deutlich, wenn man die konkreten Informationspflichten in den Blick nimmt, die die ADR-Richtlinie in Art. 9 Abs. 2 lit. b), c) und d) unter dem Verfahrensprinzip „Fairness“ postuliert. So stellt Gsell fest, dass die angeordneten Informationspflichten eher auf die „Information über die verfahrensrechtlichen Implikationen des jeweiligen StreitbeilegungsmechanismusÆ“ abzielen.135 Dies gelte umso mehr, da der Erwägungsgrund im Wesentlichen schon im ursprünglichen Kommissionsentwurf der ADR-Richtlinie enthalten war, der Richtlinienvorschlag im Übrigen aber keine weiteren Aussagen zum materiellen Recht machte, insb. das Kriterium der Rechtmäßigkeit nicht nannte.136 Die Ansicht berücksichtigt allerdings nicht, dass der Richtlinienvorschlag nur den Satz 1 des EWG 42 enthielt. Danach ist sicherzustellen, dass die Parteien „in vollem Umfang über ihre Rechte und die Folgen von Entscheidungen, die sie im Rahmen eines AS-Verfahrens treffen, informiert sind“.
134
BT-Drucks. 18/5089, 41, 70; Althammer, in: ders. (Hrsg.), Verbraucherstreitbeilegung: Aktuelle Perspektiven für die Umsetzung der ADR-Richtlinie, 2015, S. 9 ff., 11; Gläßer, in: Althammer (Hrsg.), Verbraucherstreitbeilegung: Aktuelle Perspektiven für die Umsetzung der ADR-Richtlinie, 2015, S. 85 ff.; H. Roth, JZ 2013, 637 ff., 642. Vgl. oben § 6 VI 3. 135 Gsell, ZZP 128 (2015), 189 ff., 201. 136 Siehe EWG 21 ADR-Richtlinie (E), KOM (2011) 793 endg.
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Sieht der Satz 2 nun explizit für Vorschlagsverfahren vor, dass die „AS-Stellen […] die Verbraucher über ihre Rechte informieren [sollten], bevor sie einer vorgeschlagenen Lösung zustimmen oder diese befolgen“, so müssen damit wohl gesteigerte Anforderungen an die Information durch den Verfahrensverantwortlichen verbunden sein. Zwar wird ein „allgemeines Rechtsverständnis“ gem. Art. 6 Abs. 1 lit. a) ADR-Richtlinie kaum genügen, um eine umfassende rechtliche Bewertung des Konflikts vorzunehmen. Es darf aber nicht aus dem Blick geraten, dass die Richtlinie lediglich Mindeststandards formuliert. So sind auch höhere Anforderungen an die Qualifikation durchaus von der Richtlinie gedeckt.137 Nur so viel: Hat der Verfahrensverantwortliche im Rahmen eines Vorschlagsverfahrens die Beteiligten über die Rechtswirkungen zu informieren, die die Zustimmung zu einer vorgeschlagenen Lösung mit sich bringt (Art. 9 Abs. 2 lit. c) ADR-RL), so sind offensichtlich Rechtskenntnisse des Verbraucherrechts erforderlich. 4. Art. 9 Abs. 2 lit. b) ADR-Richtlinie Hervorhebung verdient für diese „Vorschlagsverfahren“ des Weiteren der Art. 9 Abs. 2 lit. b) iii) ADR-Richtlinie. Dieser fordert, dass die Parteien darüber zu informieren sind, dass die vorgeschlagene Lösung „anders sein kann als das Ergebnis eines Gerichtsverfahrens, in dem Rechtsvorschriften angewandt werden“. Anders noch als der Richtlinienvorschlag spricht die endgültige Fassung nun nicht mehr von einem Lösungsvorschlag, der „ungünstiger“ sein kann als das Ergebnis eines Gerichtsverfahrens.138 Aus Art. 9 Abs. 2 lit. b) iii) ADR-Richtlinie lässt sich aber durchaus die Folgerung ableiten, dass die vorgeschlagene Lösung nicht das Ergebnis der Anwendung von Rechtsvorschriften sein muss. Der Wortlaut der Vorschrift legt nahe, dass in Vorschlagsverfahren eine Rechtsanwendung vergleichbar zu einem Gerichtsverfahren nicht notwendig ist. 5. Zwischenergebnis In Verbraucher-ADR-Verfahren kann das materielle Recht zur Lösung der Verbraucherstreitigkeit Anwendung finden. Weder in Vorschlagsverfahren noch in Entscheidungsverfahren ist dies aber nach der ADR-Richtlinie zwingend vorgesehen. Die Frage nach welchen Kriterien der Konflikt zu lösen ist, überlässt die Richtlinie vielmehr der jeweiligen AS-Stelle bzw. dem zuständigen Streitmittler. Mit Blick auf die Vollharmonisierung des Verbraucherrechts und der insofern immer weiter fortschreitenden rechtlichen Determi-
137 138
Ausführlich unter § 16 III 2 b). Siehe Art. 9 Abs. 2 lit. a) ii) ADR-Richtlinie (E), KOM (2011) 793 endg.
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nierung des Verbraucher-Unternehmer Verhältnisses ist dies zwar überraschend, als rechtspolitische Entscheidung des europäischen Gesetzgebers allerdings hinzunehmen. Da es sich bei der ADR-Richtlinie nicht um eine vollharmonisierenden Rechtsakt handelt, obliegt die gesetzgeberische Letztverantwortung hinsichtlich dieser Frage jedenfalls den Mitgliedstaaten.
§ 17 Die Lösung des Verbraucherkonflikts nach dem VSBG Fraglich ist, ob die weitgehende Verfahrensautonomie auch Wesensmerkmal des VSBG ist oder ob der deutsche Gesetzgeber die Frage der Rechtsanwendung in der Verbraucherschlichtung präziser beantwortet. Bevor der zentralen Frage nach der Konfliktlösung durch Rechtsanwendung nachgegangen wird, soll zunächst überprüft werden, ob das VSBG auch an anderer Stelle vom Verfahrensverantwortlichen die Anwendung von Rechtsvorschriften verlangt. Das Folgende wird zeigen, dass der Gesetzgeber die Anwendung von Rechtsvorschriften zu den Kernaufgaben des Streitmittlers zählt.
I. Rechtsanwendung durch den Streitmittler Bereits zu Beginn eines Verbraucherschlichtungsverfahrens kann der Verfahrensverantwortliche zu einer rechtlichen Bewertung gezwungen sein. So sieht der § 14 Abs. 1 Nr. 3 lit. a) VSBG vor, dass der Streitmittler das Schlichtungsverfahren abzulehnen hat, sofern der vom Verbraucher geltend gemachte Anspruch verjährt ist und der Unternehmer sich auf die Verjährung beruft. Der Gesetzgeber fordert somit eine, in vielen Fällen durchaus anspruchsvolle und konkrete Prüfung der Verjährungsreglungen des BGB und eventuell sogar die Überprüfung der Zulässigkeit privatautonomer Abweichungen (§ 202 BGB).139 Diese rechtliche Bewertung ist dann ausschlaggebend für die Frage, ob es überhaupt zur Durchführung eines Verbraucherschlichtungsverfahrens kommt und ist damit quasi eine Frage der „Zulässigkeit“. Nicht weniger bedeutsam ist der Ablehnungsgrund in § 14 Abs. 2 Nr. 4 lit. b) VSBG. Hier wird dem Streitmittler die Aufgabe übertragen, die Rechtsgrundsätzlichkeit einer Fallgestaltung zu erkennen, und sollte er diese bejahen, das Verfahren abzulehnen. Erforderlich sind somit zum einen, die präzise rechtliche Prüfung der vorgetragenen Stellungnahmen sowie zum anderen, ein ausgeprägtes Problembewusstsein mit Blick auf ausfüllungsbe-
139 Eingeschränkt wird die Zulässigkeit verjährungserleichternder Vereinbarungen zum Beispiel beim Verbrauchsgüterkauf (§§ 475 Abs. 2 und 3; 478 Abs. 4 und 5, 479 BGB), im Reisevertragsrecht (§§ 651 m S. 2, 651g Abs. 2 BGB).
§ 17 Die Lösung des Verbraucherkonflikts nach dem VSBG
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dürftige Gesetzeslücken und eine entsprechende Kenntnis der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Gerade für das Verbraucherrecht wird darüber hinaus auch die Rechtsprechungsentwicklung des EuGH von entscheidender Bedeutung sein. Das VSBG verlangt also auch hier eine rechtliche Bewertung des konkreten Sachverhalts. Anders als auf Basis einer solchen Rechtsanwendung wird eine ernsthafte Beurteilung der Rechtsgrundsätzlichkeit auch gar nicht erfolgen können. So sehr diese Vorschrift grundsätzlich an Zustimmung verdient, sei doch am Rande die Bemerkung erlaubt, dass es befremdlich anmutet, den Streitmittlern (mit unklarer juristischer Expertise) die Verantwortung dafür zu übertragen, die Rechtsprechung mit ausreichendem Fallmaterial zur Erfüllung des Rechtsfortbildungsauftrags im Bereich der geringwertigen Verbraucherstreitigkeiten zu „versorgen“.140 Darüber hinaus ist die Ausgestaltung des Schlichtungsgesetzes auch weithin geprägt von einem Denken in Ansprüchen. So findet sich etwa in § 14 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 3 lit. a), Abs. 5 und § 30 Abs. 1 Nr. 5, Nr. 6 lit. a) der „streitige Anspruch“, sowie in § 31 Abs. 2 der „geltend gemachte(n) Anspruch“. Diese Anspruchsorientierung entspricht dabei dem Interesse des Verbrauchers.141 Auch hier wird der Streitmittler aber durch entsprechende Rechtsanwendung zunächst das exakte Begehr des Verbrauchers herausarbeiten müssen. Das Gesetz meint in den überwiegenden Fällen nämlich nicht den einzelnen materiell-rechtlichen Anspruch i. S. d. § 194 Abs. 1 BGB, sondern vielmehr einen verfahrensrechtlichen Anspruchsbegriff vergleichbar zum zivilprozessualen Streitgegenstand, im Sinne eines konkreten Begehrens auf Grundlage eines bestimmten Sachverhalts.142 Schon vor der Lösung des Konflikts erwartet der Gesetzgeber vom Streitmittler demnach die Fähigkeit zur Bewertung und Lösung zentraler Rechtsfragen. Die Anwendung des Rechts gehört zu einem elementaren Tätigkeitsbereich des Streitmittlers. Auch aus diesem Grund scheinen die Qualifikationsanforderungen an den Streitmittler unklar.143
II. Die rechtliche Bewertung – § 19 Abs. 1 S. 3 VSBG Mittelpunkt der nachfolgenden Untersuchung wird nun die Frage sein, ob der Schlichtungsvorschlag das Ergebnis der Anwendung von Rechtsnormen auf den konkreten Konfliktsachverhalt im Sinne einer juristischen Subsum140
Auch aus diesem Grund, vgl. § 17 II 2. § 16 I 2 b). 142 Vgl. zum Streitgegenstandsbegriff nur H. Roth, in: Stein/Jonas, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 232016, Vor. § 253 Rn. 6 ff.; Schwab/Rosenberg/Gottwald, Zivilprozessrecht, 182018, § 93 Rn. 1 ff. 143 Siehe dazu sogleich unter § 17 II 2. 141
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Viertes Kapitel: Die Rolle des materiellen Rechts
tion ist, oder ob die Konfliktlösung vornehmlich auf anderen Maßstäben beruhen sollte. Fordert also das Gesetz vom Streitmittler die Anwendung materiell rechtlicher Normen zur Lösung des Konflikts? Dem VSBG lassen sich zu dieser Problematik an mehreren Stellen entsprechende Hinweise entnehmen. Gegen eine Lösung der Verbraucherstreitigkeit, die ausschließlich auf einer Anwendung des Rechts beruht, sprechen die Informationsverpflichtungen in §§ 16 Abs. 1 Nr. 3, 19 Abs. 3 S. 1 VSBG, die den Verbraucher darüber aufklären sollen, dass der Schlichtungsvorschlag von dem Ergebnis eines gerichtlichen Verfahrens abweichen kann. Zwar könnte sich der Informationsgehalt dieser Aufklärungspflicht in dem selbstverständlichen Hinweis erschöpfen, dass ein Gericht nicht an die rechtliche Auffassung des Streitmittlers gebunden ist, sondern durchaus eine abweichende Rechtsauffassung vertreten kann.144 Darüber hinaus lassen die Vorschriften allerdings auch den Schluss auf eine nur eingeschränkte Bindung des Streitmittlers an Recht und Gesetz bei der Konfliktlösung zu. So stellt die Gesetzesbegründung klar, dass der Schlichter nicht in derselben Weise wie ein Gericht rechtlich gebunden ist.145 Dieser Hinweis wäre weitgehend obsolet, sollte die Schlichtungsstelle zur gerichtsäquivalenten Rechtsanwendung verpflichtet sein. Weiterhin wird man annehmen müssen, dass der Gesetzgeber, wenn eine urteilsäquivalente Anwendung des Rechts zur Lösung der Verbraucherstreitigkeit im Rahmen der Verbraucherschlichtung gewollt gewesen wäre, er dies auch klar formuliert hätte.146 Es sei aber daran erinnert, dass eine doppelte Informationspflicht mit jeweils identischem Informationsgehalt weitgehend überflüssig erscheint. Unter diesem Gesichtspunkt liegt ein „fallbezogeneres“ Verständnis des § 19 Abs. 3 S. 1 VSBG durchaus nahe.147 Im Ergebnis sind diese Informationsvorschriften Ausdruck des gesetzgeberischen Bemühens, den Spagat zwischen der für die meisten Formen der außergerichtlichen Konfliktbeilegung typischen Rechtsferne und dem zwingenden Verbraucherschutz zu schaffen.148 Gerade im Bereich der Verbraucher-ADR-Verfahren wird dieses Spannungsfeld besonders deutlich. So ist 144
So Prütting, in: Althammer/Meller-Hannich (Hrsg.), VSBG Verbraucherstreitbeilegungsgesetz, 2017, § 19 Rn. 11. Eine gänzlich andere Deutung des § 19 Abs. 3 VSBG bei Gössl, RIW 2016, 473 ff., 479, „Der Hinweis, dass der Vorschlag vom geltenden Recht abweichen kann, wäre überflüssig, dürfte der Schlichtungsvorschlag nicht vom geltenden Recht abweichen.“. 145 BT-Drucks. 18/5089, 63. 146 So für den VSBG-RefE Kramme, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 141 ff., 147. 147 Vgl. dazu unter § 8 IV 3 b). 148 So Stürner, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 87 ff., 100, allerdings noch zu der Vorgängervorschrift § 17 VSBG-RefE. Diese Analyse trifft meines Erachtens aber auch auf die endgültige Norm zu.
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das Argument, es sei widersprüchlich einerseits zwingende Verbraucherschutzvorschriften einzuführen und andererseits deren Geltendmachung in rechtsferne Verfahren abzudrängen, in denen das Recht nur eine von mehreren Konfliktlösungsfaktoren darstellt149, ebenso berechtigt, wie der Einwand, dass eine ausschließlich rechtsorientierte Verbraucherschlichtung die Etablierung einer unvollständigen und bei weitem nicht so leistungsfähigen Parallel-„Justiz“ begünstigen würde150. Anders als die ADR-Richtlinie, geht das VSBG auf die Frage nach der Rechtsanwendung in einem Vorschlagsverfahren zumindest am Rande einer Norm ein. So fordert das Gesetz vom Streitmittler in § 19 Abs. 1 S. 3 VSBG eine Begründung des Schlichtungsvorschlages. Teil dieser Begründung soll die „rechtliche Bewertung“ des konkreten Streitfalls sein. Dieses Erfordernis einer rechtlichen Bewertung könnte dahingehend auszulegen sein, dass der Streitmittler verpflichtet ist, das materielle Recht auf die jeweilige Verbraucherstreitigkeit anzuwenden und den Konfliktparteien dann das Ergebnis dieser Prüfung mitzuteilen. Der Streitmittler hätte nach diesem Verständnis den sich aus dem Vortrag der Parteien ergebenden Sachverhalt unter die entsprechenden Rechtsnormen zu subsumieren. Ob eine solche Auslegung der Wendung „rechtliche Bewertung“ allerdings überzeugt, gilt es im Folgenden zu untersuchen. 1. Rechtliche Bewertung und Rechtsdienstleistung Eine Grenze bei der Rechtsanwendung im Rahmen der Verbraucherschlichtung könnte das Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) darstellen. Fraglich ist, ob die Verbraucherschlichtungsstelle als Schlichtungsstelle i. S. d. § 2 Abs. 3 Nr. 2 RDG oder ob die Verbraucherstreitbeilegung als eine mit der Mediation „vergleichbare Form der alternativen Streitbeilegung“ gem. § 2 Abs. 3 Nr. 4 RDG anzusehen ist.151 Für letzteres spricht, dass das VSBG keine Vorgaben hinsichtlich der Verfahrensart macht. Folglich sind neben einer Mediation und Schlichtung auch Mischtypen denkbar. Entscheidend für eine Einordnung nach § 2 Abs. 3 Nr. 4 RDG ist allerdings, dass die Tätigkeit des Dritten nicht auf rechtliche Regelungsvorschläge abzielt, sondern vornehmlich gesprächsleitenden Charakter haben
149
Siehe nur H. Roth, JZ 2013, 637 ff.; Eidenmüller/Engel, ZIP 2013, 1704 ff. Niewisch-Lennartz, ZKM 2015, 136 ff., 139. 151 Der Wortlaut des § 2 Abs. 3 Nr. 2 RDG nimmt ausdrücklich nur auf Schlichtungsstellen und nicht auf die Person des Schlichters Bezug. Im Wege einer teleologischen Erweiterung ist allerdings auch die Tätigkeit des Schlichters als generell erlaubnisfrei anzusehen, da der unverbindlich votierende Schlichter schwerlich strenger behandelt werden kann als der verbindlich entscheidende Schiedsrichter. Vgl. dazu Greger/Unberath/Steffek (Hrsg.), Recht der alternativen Konfliktlösung, 22016, D. Rn. 175. 150
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soll.152 Dieser gesprächsleitende Charakter steht möglicherweise bei solchen Verfahren im Vordergrund, die nicht mit einem Schlichtungsvorschlag gem. § 19 VSBG enden153, sodass diese unter § 2 Abs. 3 Nr. 4 RDG subsumiert werden könnten. Für Verbraucherstreitbeilegungsverfahren, die mit einem Schlichtungsvorschlag enden, überzeugt diese Einordnung allerdings nicht. Denn hier steht nicht eine eigenverantwortliche Lösung des Konflikts durch die Parteien im Fokus, sondern die „Entscheidung“ des Rechtsstreits durch den Schlichtungsvorschlag eines Dritten, freilich in weniger verbindlicher Form als durch einen Schiedsrichter.154 So ist der Streitmittler zur Beurteilung des Konflikts in Form eines Schlichtungsvorschlages berufen, der im Falle einer Annahme durch die Parteien Rechtsverbindlichkeit erlangt. Mit Blick auf die Entwurfsbegründung zum RDG wird deutlich, dass dem § 2 Abs. 3 RDG lediglich klarstellender Wirkung zukommen soll.155 Der Gesetzgeber zeigt auf, dass der Schlichter keine parteiische Rechtsberatung zu leisten hat, sondern nur eine unverbindliche Rechtseinschätzung äußert.156 So ist unabhängig von der Frage, ob die Tätigkeit des Schlichters eine „rechtliche Prüfung des Einzelfalls“ i. S. d. § 2 Abs. 1 RDG erfordert, diese schon deshalb nicht als erlaubnispflichtige Rechtsdienstleistung anzusehen, da die Schlichtung „eher der Tätigkeit eines Richters oder Schiedsrichters [ähnelt], da sie auf eine Entscheidung des Rechtsstreites, allerdings in einer weniger verbindlichen Form ausgerichtet ist“157. Der Schlichter bewertet die Positionen der Parteien und macht konkrete Lösungs- und Kompromissvorschläge. Seine Aufgabe ist also nicht die Wahrnehmung von Parteiinteressen, sondern die Aufklärung und Befriedung des Streitfalls. Insofern handelt es sich ausweislich des § 2 Abs. 3 Nr. 2 RDG auch bei einer Aufklärung über die konkrete objektive Rechtslage durch die Schlichtungsstelle nicht um eine Rechtsdienstleitung.158 Das Rechtsdienstleistungsgesetz steht bereits aus die-
152
BT-Drucks. 16/3655, S. 50. Allerdings sind wohl auch solche – gesprächsleitender – Verfahren, wenn sie nach den Vorgaben des VSBG durch eine Verbraucherschlichtungsstelle durchgeführt werden, nicht von dem § 2 Abs. 3 Nr. 4 RDG erfasst. Vielmehr wird man auch dann eine Einordnung gem. § 2 Abs. 3 Nr. 2 RDG bejahen können, da die Vorschrift verfahrensunabhängig auf die Institution abstellt. Siehe dazu Trossen, SchiedsVZ 2015, 187 ff., 191. 154 BT-Drucks. 16/3655, S. 50. 155 BT-Drucks. 16/3655, S. 49. 156 Engel, NJW 2015, 1633 ff., 1636. 157 BT-Drucks. 16/3655, S. 50. 158 Zwar spricht das RDG ausschließlich von Institutionen, um einen Wertungswiderspruch zu dem nach dem Wortlaut erfassten Schiedsrichter zu vermeiden, ist auch der Schlichter als Einzelperson in den Anwendungsbereich des § 2 Abs. 3 Nr. 2 RDG einzubeziehen. Siehe dazu Greger/Unberath/Steffek (Hrsg.), Recht der alternativen Konfliktlösung, 22016, D Rn. 175. 153
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sem Grund einer konkreten rechtlichen Prüfung des Einzelfalls durch den Streitmittler in der Verbraucherschlichtung nicht entgegen.159 Anders als der Mediator, ist der Streitmittler nicht auf die Darstellung rechtlicher und tatsächlicher Handlungsoptionen beschränkt, sondern ist verfahrensmäßig dazu berufen, einen konkreten Vorschlag zur Beilegung der Streitigkeit zu unterbreiten. Die Regelungen des Rechtsdienstleistungsgesetzes sprechen unter diesem Aspekt also vielmehr für, als gegen eine Rechtsanwendung durch den Streitmittler.160 Nur diese Verpflichtung zur Rechtsanwendung rechtfertigt die Gleichstellung mit der Schiedsgerichtsbarkeit in § 2 Abs. 3 Nr. 2 RDG und ermöglicht gleichzeitig eine Abgrenzung zu § 2 Abs. 3 Nr. 4 RDG, der die Mediation nur dann nicht als Rechtsdienstleistung ansieht, sofern sie nicht durch rechtliche Regelungsvorschläge in die Gespräche der Beteiligten eingreift. Folgerichtig darf auch der als Mediator tätige Streitmittler den Parteien keinen Schlichtungsvorschlag unterbreiten, da darin trotz § 2 Abs. 3 Nr. 2 RDG ein Verstoß gegen § 2 Abs. 3 Nr. 4 RDG zu sehen wäre. Die Vorgaben der Nr. 4 sind nämlich schon aufgrund ihres Verfahrensbezuges als vorrangiges lex specialis zur Nr. 2 aufzufassen. Ein anderes Verständnis würde auf eine Umgehung der Vorgaben des Rechtsdienstleistungsgesetzes hinauslaufen und ist daher abzulehnen.161 2. Qualifikationsanforderung an den Streitmittler Gegen eine solche Rechtsanwendung in der Verbraucherschlichtung werden hauptsächlich zwei Gegenargumente vorgebracht. Zum einen sei eine hinreichende juristische Qualifikation des Streitmittlers nicht sichergestellt, zum anderen ließe sich der zugrundliegende Konfliktsachverhalt nicht aufklären. Mit beiden Aspekten muss sich daher eingehender auseinandergesetzt werden.
159 A. A. wohl Längsfeld, Anwaltspflichten und Mediation, 2015, 233, freilich für die Mediation, aber mit der Annahme, dass die Aussage des Gesetzgebers dem § 2 Abs. 3 RDG komme lediglich klarstellende Wirkung zu, dahingehende zu verstehen sei, dass eine solche nur dann angenommen werden kann, wenn die aufgeführten Tätigkeiten keine rechtliche Prüfung des Einzelfalls zum Gegenstand haben. Die Grenze wird in jedem Fall dort zu ziehen sein, wo sich der Schlichtungsvorschlag als verbraucherschützende und somit parteiische Rechtsberatung darstellt, vgl. dazu Engel, NJW 2015, 1633 ff., 1636. Die Beratung des Verbrauchers muss der Anwaltschaft oder den Verbraucherverbänden vorbehalten bleiben. Zur Aufgabe der Verbraucherzentralen vgl. Stürner, Qualitätsanforderungen an Einrichtungen zur außergerichtlichen Streitbeilegung, Dezember 2012, 81 ff. 160 Dies gilt selbstverständlich nur für den Fall, dass dieser nach der Verfahrensordnung mit der Erstattung eines Schlichtungsvorschlages betraut ist. 161 Dies befürchtet auch Trossen, SchiedsVZ 2015, 187 ff., 191, sieht aber dennoch den Streitmittler als in jedem Fall gem. § 2 Abs. 3 Nr. 2 RDG privilegiert an.
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Eine rechtliche Bewertung des Konfliktfalls kann freilich nur bei einer juristischen Befähigung des Streitmittlers gelingen. Insofern könnten die Vorgaben des VSBG dann gegen eine Konfliktlösung auf Basis einer Rechtsanwendung sprechen, sollte der Streitmittler nicht über das erforderliche Fachwissen verfügen. a) Die Vorgaben des VSBG Schwerpunkte der wissenschaftlichen Diskussion waren daher von Beginn an die wenig aussagekräftigen Qualifikationsanforderungen, die das VSBG an den Verfahrensverantwortlichen stellt.162 So fordert der § 6 Abs. 2 VSBG: „Der Streitmittler muss über die Rechtskenntnisse, insbesondere im Verbraucherrecht, das Fachwissen und die Fähigkeiten verfügen, die für die Beilegung von Streitigkeiten in der Zuständigkeit der Verbraucherschlichtungsstelle erforderlich sind. Der Streitmittler muss die Befähigung zum Richteramt besitzen oder zertifizierter Mediator sein.“
Der nationale Gesetzgeber orientiert sich hierbei an den unpräzisen Vorgaben des Richtliniengebers (vgl. Art. 6 Abs. 1 bzw. EWG 36 ADR-Richtlinie). Nur der auf Initiative des Rechtsausschusses zum Ende des Gesetzgebungsverfahrens eingefügte S. 2 enthält hinreichend bestimmte Qualifikationsanforderungen, wobei das Zusammenspiel mit den Vorgaben in S. 1 unklar bleibt. Neben entsprechenden Rechtskenntnissen, muss der Streitmittler über Fähigkeiten und Kenntnisse im Bereich des Konfliktmanagements verfügen. Erforderlich sind weiterhin branchenspezifische Fachkenntnisse im jeweiligen Zuständigkeitsbereich der Verbraucherschlichtungsstelle. Die Hervorhebung solcher Fachgebietskenntnisse verdient dabei unumwundene Zustimmung. Diese Spezialisierung163 ermöglicht eine effiziente sowie hochqualitative Streitbeilegung und stärkt die Unparteilichkeit des Streitmittlers.164
162 Siehe dazu nur Tamm, VuR Sonderheft 2016, 51 ff., 55 f.; Althammer, in: SchmidtKessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 117 ff., 133 ff.; Gsell, ZZP 128 (2015), 189 ff., 207 ff.; Meller-Hannich/Höland/Krausbeck, ZEuP 2014, 8 ff., 36 f.; H. Roth, DRiZ 2015, 24 ff., 25 f.; Kotzur, VuR 2015, 243 ff., 247; Kleinschmidt, ZZP 128 (2015), 215 ff., 230; Limperg, BRAK-Mitteilungen 46 (2015), 225 ff., 227; Hess/Pelzer, in: Gelinsky (Hrsg.), Schlichten statt richten, 2015, S. 35 ff., 39 f.; Rühl, ZZP 127 (2014), 61 ff., 85 ff.; Hirsch, in: Wandt (Hrsg.), Versicherungsrecht, Haftungs- und Schadensrecht, 2014, S. 159 ff., 173; Tonner, ZKM 2015, 132 ff., 134; Hakenberg, EWS 2014, 181 ff., 187; Conen/ Gramlich, NJ 2014, 494 ff., 496 f.; Eidenmüller/Engel, ZIP 2013, 1704 ff., 1707. 163 Mit Blick auf die Spezialisierung insbesondere gerichtlicher Spruchkörper Küspert, in: Althammer/Weller (Hrsg.), Europäische Mindeststandards für Spruchkörper, 2017, S. 55 ff.; sowie Spickhoff, in: Althammer/Weller (Hrsg.), Europäische Mindeststandards für Spruchkörper, 2017, S. 67 ff.; H. Roth, JZ 2014, 801 ff., 804 f. 164 Isermann/Berlin, VuR 2012, 47 ff., 52.
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aa) Die Rechtskenntnisse des Streitmittlers Als weniger geglückt wird man allerdings die Anforderung des § 6 Abs. 2 VSBG an die Rechtskenntnisse des Streitmittlers bezeichnen müssen.165 Der Streitmittler hat über diejenigen Rechtskenntnisse, namentlich im Bereich des Verbraucherrechts, zu verfügen, die innerhalb der sachlichen Zuständigkeit der Verbraucherschlichtungsstelle für die Streitbeilegung erforderlich sind. Da der Gesetzgeber aber unklar lässt, welche Bedeutung dem Recht im Rahmen der Verbraucherstreitbeilegung zukommen soll, lässt die Frage nach den erforderlichen Rechtskenntnissen mehrere Deutungsmöglichkeiten zu.166 Versteht man die Verbraucherschlichtung als Kompromissverfahren, welches sich vornehmlich durch eine mediative Verfahrensführung auszeichnet und dem materiellen Recht nicht viel mehr als eine Orientierungsfunktion einräumen will, so wird man entsprechend niedrige Anforderungen an die Rechtskenntnisse des Streitmittlers stellen können.167 Die vorstehende Untersuchung hat aber bereits gezeigt, dass sowohl die Verfahrenszielbeschreibung als auch die Interessen der Konfliktparteien in der Verbraucherschlichtung im Regelfall auf eine rechtsbasierte Konfliktlösung gerichtet sind. Folgerichtig ist der Streitmittler auch durch das Gesetz zu einer rechtlichen Bewertung des Konfliktfalls verpflichtet, sollte er den Parteien einen Schlichtungsvorschlag unterbreiten (vgl. § 19 Abs. 1 S. 3 VSBG). Eine solche Rechtsanwendung wird allerdings, unabhängig vom konkreten Ausmaß der rechtlichen Prägung der Streitigkeit, nur nach einer professionellen juristischen Ausbildung reliabel möglich sein.168 Nicht zu überzeugen vermag die Argumentation, eine eingehende juristische Qualifikation sei schon deshalb nicht erforderlich, da der Streitmittler keine für die Parteien bindende Entscheidung trifft.169 Aus Sicht des Verbrauchers mag dies zwar – zumindest theoretisch170 – zutreffen, ausweislich des § 19 Abs. 4 VSBG kann der Schlichtungsvorschlag auf Seiten des Unternehmers aller-
165 Entsprechend kritisch auch Limperg, BRAK-Mitteilungen 46 (2015), 225 ff., 227; Tamm, VuR Sonderheft 2016, 51 ff., 55 f.; H. Roth, DRiZ 2015, 24 ff., 25 f.; Meller-Hannich/Höland/Krausbeck, ZEuP 2014, 8 ff., 36 f.; Kotzur, VuR 2015, 243 ff., 245 f., 247; siehe auch Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen, BT-Drucks. 18/6921, S. 3, 5. Diese Offenheit aber grundsätzlich begrüßend Kleinschmidt, ZZP 128 (2015), 215 ff., 230; Hakenberg, EWS 2014, 181 ff., 187; Hirsch, in: Wandt (Hrsg.), Versicherungsrecht, Haftungs- und Schadensrecht, 2014, S. 159 ff., 173. 166 Fries, in: Althammer/Meller-Hannich (Hrsg.), VSBG Verbraucherstreitbeilegungsgesetz, 2017, § 6 Rn. 19. 167 Riehm, JZ 2016, 866 ff., 871. 168 Tamm, VuR Sonderheft 2016, 51 ff., 55 f. 169 In diese Richtung wohl Riehm, JZ 2016, 866 ff., 871. 170 Siehe aber oben zur „faktischen“ Bindungswirkung des Schlichtungsvorschlages § 8 IV b) aa).
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dings sehr wohl Bindungswirkung entfalten. Dass der Verzicht auf eine hinreichende juristische Kompetenz weiterhin auch die Unabhängigkeit und Neutralität des Streitmittlers gefährden kann, wurde schon an anderer Stelle dargestellt.171 Von besonderem Interesse sind mit Blick auf die Qualifikation des Streitmittlers demnach die „harten“172 Anforderungen des § 6 Abs. 2 S. 2 VSBG. Sah der Regierungsentwurf noch von der Normierung eines Qualifikationsnachweises ab173, so fordert die endgültige Gesetzesfassung nun entweder einen Volljuristen oder einen zertifizierten Mediator als Streitmittler. Ausweislich der Begründung soll die Vorschrift dem „Nachweis“ der nach S. 1 erforderlichen Kompetenzen dienen.174 Gerade mit Blick auf den Nachweis entsprechender Rechtskenntnisse, insbesondere im Verbraucherrecht, sind hier aber erhebliche Zweifel angebracht. Keiner weiteren Erörterung bedarf es, dass die Befähigung zum Richteramt gem. § 5 Abs. 1 DRiG zum Nachweis einer entsprechenden rechtlichen Tauglichkeit für die Bearbeitung von Verbraucherstreitigkeiten ausreicht. Indem der Gesetzgeber eine Qualifikation als Volljurist (§ 6 Abs. 2 S. 2 Alt. 1 VSBG) fordert, ließe sich auf einen umfassenden Rechtsbezug der Verbraucherstreitbeilegung schließen. Andererseits lässt die Vorschrift auch den Status als zertifizierter Mediator nach der Zertifizierte-Mediatoren-Ausbildungs-Verordnung (ZMediatAusbV)175 als Qualifikationsnachweis für das Amt des Streitmittlers ausreichen. Ein Blick auf die Verordnung lässt letztlich keine tiefergehende Beschäftigung mit Rechtsvorschriften und im Speziellen mit den Vorgaben des Verbraucherrechts erwarten. So sieht die Rechtsverordnung gem. § 2 Abs. 3 ZMediatAusbV i. V. m. der Anlage „Inhalt des Ausbildungslehrgangs“ insgesamt nur 12 Stunden (von insgesamt 120 Stunden) für die Thematik „Recht in der Mediation“ vor. Dass hier eine tiefergehende Vermittlung des materiellen Rechts und insbesondere des Verbraucherschutzrechts angedacht ist, muss wohl bezweifelt werden. Dementsprechend abwegig erscheint es, dass 171
Siehe dazu oben unter § 8 IV 5 b). So Fries, in: Althammer/Meller-Hannich (Hrsg.), VSBG Verbraucherstreitbeilegungsgesetz, 2017, § 6 Rn. 27, neben den „wolkigen“ Regelungen des Satz 1. 173 Vgl. BT-Drucks. 18/5089, S. 56, unter Verweis darauf, dass die zu schlichtenden Streitigkeiten branchenabhängig in unterschiedlicher Weise rechtlich geprägt sind. Dem ist dem Grunde nach zuzustimmen, erklärt aber nicht aus welchem Grund auf einen juristischen Qualifikationsnachweis zu verzichten ist. Vielmehr sollten beide Kompetenzen kumulativ nachzuweisen sein. Dazu auch Kotzur, VuR 2015, 243 ff., 245 f., 247 Fn. 41. 174 BT-Drucks. 18/6904, S. 71. Beachte auch Beitrag des Bundestagsabgeordneten Rohde, Deutscher Bundestag: Plenarprotokoll 18/143 v. 3. Dezember 2015, S. 14081 B, die Anforderungen des S. 2 stärken „das Vertrauen der Verbraucherinnen und Verbraucher darin, dass Schiedssprüche fachkundig und rechtlich einwandfrei sind“. 175 Verordnung über die Aus- und Fortbildung von zertifizierten Mediatoren, BGBl. 2016 I. S. 1994. 172
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der als zertifizierter Mediator qualifizierte Streitmittler eine Konfliktbearbeitung unter Zugrundelegung rechtlicher Gesichtspunkte oder gar auf Grundlage einer juristischen Subsumtion anvisieren wird, geschweige denn, die nach § 19 Abs. 3 S. 2 VSBG erforderliche „rechtliche Bewertung“ des Konfliktfalls in legitimer Art und Weise wird vornehmen können. Die Norm erweckt vielmehr den Eindruck, der Gesetzgeber habe im letzten Moment versucht, die auslegungsbedürftige Formulierung des § 6 Abs. 2 S. 1 VSBG durch entsprechend strikte Anforderungen an den Qualifikationsnachweis zu kompensieren. bb) Verfahrensbezogene Qualifikationsalternativität Fraglich ist der Sinn und Zweck dieser Qualifikationsalternativität in § 6 Abs. 2 S. 2 VSBG. Denkbar wäre es, die Diversität der Qualifikationsanforderungen als Ausdruck der Bandbreite des Verfahrensspektrums und der verfahrensoffenen Gestaltung des VSBG anzusehen. Vorzugswürdig erscheint dann aber dennoch, in entsprechendem Gleichlauf mit § 19 VSBG, eine volljuristische Qualifikation nur in dem Fall zu fordern, sollte die Verfahrensordnung einen Schlichtungsvorschlag des Streitmittler vorsehen. In allen anderen Konstellationen der alternativen Konfliktbeilegung würde dann der Nachweis als zertifizierter Mediator ausreichen. Ein solch enges Verständnis des § 6 Abs. 2 S. 2 VSBG wird vielfach mit dem Argument abgelehnt, es sei nicht mit der verfahrensoffenen Gestaltung des VSBG in Einklang zu bringen.176 Da das VSBG neben der Schlichtung und der Mediation auch andere Verfahren der außergerichtlichen Streitbeilegung zulässt, sollen die Qualifikationsanforderungen nicht konkret auf bestimmte Verfahren bezogen werden. Nach der hier vertretenen Ansicht bietet sich eine solche Auslegung aber aus mehreren Gründen an. Zum einen lässt sich dem VSBG auch an anderer Stelle eine verfahrensspezifische Ausrichtung der Qualifikationsanforderung entnehmen. So wird der zum Richteramt befähigte Streitmittler eine Verbrauchermediation nur bei Erfüllung der allgemeinen Aus- und Fortbildungspflicht aus § 5 Abs. 1 MediationsG, der über § 18 VSBG auch auf das Verbraucherschlichtungsverfahren Anwendung findet, durchführen dürfen (für anwaltliche Streitmittler177 vgl. auch § 7a BORA).178 Wohingegen dem „selbstzertifizierten“179 176
Roder/Röthemeyer/Braun, Verbraucherstreitbeilegungsgesetz, 2017, S. 69. Vgl. nur Anwaltliche Verbraucherschlichtungsstelle NRW e. V. 178 Röthemeyer, in: Borowski/Röthemeyer/Steike (Hrsg.), VSBG, 2016, § 18 Rn. 14; Weigel, in: Althammer/Meller-Hannich (Hrsg.), VSBG Verbraucherstreitbeilegungsgesetz, 2017, § 18 Rn. 22. 179 Kritisch insofern Greger, in: Greger/Unberath/Steffek (Hrsg.), Recht der alternativen Konfliktlösung, 22016, § 5 MediationsG Rn. 12 ff. 177
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Mediator die Abfassung eines Schlichtungsvorschlages inklusive rechtlicher Bewertung des Konfliktfalls ohne weiteren Nachweis einer juristischen Qualifikation möglich sein soll. Der Einwand eine verfahrensscharfe Abgrenzung sei mit der verfahrensoffenen Gestaltung des VSBG nicht vereinbar, überzeugt schon aus diesem Grund nicht. (1) Eingriff in die Berufswahlfreiheit Ein solch verfahrensunabhängiges Verständnis des S. 2 könnte aber auch aus verfassungsrechtlicher Sicht problematisch sein. Mit Greger wird man in der Normierung der zusätzlichen Anforderungen des § 6 Abs. 2 S. 2 VSBG einen subjektiv berufswahlregelnden Eingriff in die von Art. 12 GG gewährleistete Berufsfreiheit sehen müssen.180 Ein solcher ist aber nur zum Schutz eines besonders wichtigen, gegenüber der Freiheit des Einzelnen als vorrangig anzusehenden Gemeinschaftsguts, zulässig.181 Im Zusammenhang mit der Verbraucherschlichtung liegt die Gewährleistung eines hohen Verbraucherschutzniveaus als ein schützenswertes Gemeinschaftsgut nahe.182 Der Eingriff in die Berufswahlfreiheit durch die Qualifikationsanforderungen in § 6 Abs. 2 S. 2 VSBG lässt sich aber nur dann mit dem Verbraucherschutz rechtfertigen, soweit eine Differenzierung nach der Verfahrensart vorgenommen wird. Dies soll im Folgenden begründet werden. Das Ergebnis eines Verbraucherschlichtungsverfahrens nach dem gesetzgeberischen Idealbild ist ein rechtsbasierter Schlichtungsvorschlag gem. § 19 VSBG. Folgerichtig ist zur Sicherung der Qualität der Schlichtung und zum Schutz des Verbrauchers eine juristische Qualifikation erforderlich, die eine fachlich richtige Rechtsanwendung im konkreten Konfliktfall gewährleistet. Andererseits soll das VSBG aber nicht nur auf Schlichtungsverfahren begrenzt sein, sondern auch andere Verfahren der alternativen Konfliktlösung erfassen („Verfahrensoffenheit des VSBG“).183 In Abgrenzung zur Schlichtung kommen dabei insbesondere Verfahren in Betracht, die auf eine eigenverantwortliche Lösung des Konflikts setzen. So wurde bereits dargestellt, dass auch solch interessensbasierten Verfahren in Verbraucherstreitigkeiten durchaus ein eigener Anwendungsbereich zukommen kann.184 Hauptaufgabe des neutralen Dritten ist in diesen Verfahren dann nicht eine rechtliche Bewertung des Konfliktfalls, sondern vornehmlich die Unterstützung der Par180
Dies., Recht der alternativen Konfliktlösung, 22016, § 6 Rn. 6. BVerfGE 7, 377 ff., 407 („Apotheken-Urteil“). 182 Das der Verbraucherschutz als legitimes Gemeinschaftsgut anzusehen ist folgt bereits aus Art. 169 AEUV und Art. 38 EU-Grundrechtecharta, sowie der Rechtsprechung des EuGH. Vgl. auch nur Scholz, in: Maunz/Dürig/Herzog (Hrsg.), Grundgesetz, 91. EL April 2020, Art. 12 Rn. 356. 183 Vgl. BT-Drucks. 18/5089, S. 41. 184 § 16 I 2 b) aa) a. E. 181
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teien im Verfahren. Der Schutz des Verbrauchers erfordert in diesen Verfahren weniger eine juristische, als vielmehr eine mediative, konfliktpsychologische Kompetenz. Mangels einer rechtsbezogenen Ausrichtung des Verfahrens, hat der Streitmittler hier über eine entsprechende Verfahrensleitung sicherzustellen, dass es zu keiner Übervorteilung des Verbrauchers kommt. Zur Wahrung eines einheitlichen und transparenten Qualitätsniveaus fordert der Gesetzgeber für den Streitmittler folgerichtig eine Ausbildung zum zertifizierten Mediator.185 Die Forderung nach einem juristischen Kompetenznachweis steht nun in § 6 Abs. 2 S. 2 VSBG allerdings alternativ neben dem Gebot einer mediativen Ausbildung. Nach dem Wortlaut der Vorschrift soll es für eine Befähigung zum Streitmittler ausreichen, wenn entweder die rechtliche oder die mediative Qualifizierung nachgewiesen wird. Auch an dieser Stelle offenbart sich somit die fehlende konzeptionelle Stringenz des Gesetzgebers.186 Schwerwiegender ist allerdings, dass ein solch verfahrensunabhängiges Verständnis des Alternativitätsverhältnisses die Berufswahlfreiheit des Art. 12 GG verletzt. So befähigt die Ausbildung zum zertifizierten Mediator ebenso wenig zu einer rechtlichen Bewertung eines Verbraucherstreitfalls, wie die Ablegung der Zweiten Juristischen Staatsprüfung entsprechende Kompetenzen im Bereich der Verhandlungs- und Kommunikationstechnik mit Blick auf alternative Konfliktlösungsinstrumente zu gewährleisten vermag (vgl. für Bayern § 58 Abs. 2 JAPO, aber auch § 2 S. 1 JAPO). Die Widersprüchlichkeit lässt sich nur durch einen Bezug des Qualifikationsnachweises auf das konkret durchzuführende Verfahren vermeiden. Ein Schlichtungsvorschlag sollte daher nur von einem juristisch qualifizierten Streitmittler unterbreitet, ein eigenverantwortliches Konfliktbeilegungsverfahren nur im Beisein eines mit Verhandlungs- und Konfliktkompetenzen ausgestatteten Dritten durchgeführt werden. Die Möglichkeit einen Schlichtungsvorschlag zu unterbreiten, enthält damit zugleich die zwingende Trennung zwischen Mediation und Schlichtung.187 Nur bei der hier vorgeschlagenen Auslegung des § 6 Abs. 2 S. 2 VSBG lassen sich dann die hohen subjektiven Zulassungsvoraussetzungen mit dem Verbraucherschutz rechtfertigen.188 185
Ausweislich der ZMediatAusbV ist Inhalt des Ausbildungslehrgangs auch die Abgrenzung der Mediation zu anderen alternativen Konfliktbeilegungsarten. Eine Einordnung der Mediation erfordert dabei freilich eine Auseinandersetzung mit weiteren Möglichkeiten der konsensualen Streitlösung, für die überwiegend keine gesetzliche Grundlage besteht. 186 Münch, in: Rauscher/Krüger/Becker-Eberhard (Hrsg.), Münchener Kommentar ZPO, 52017, vor § 1025 Rn. 61, „kryptische Mixtur aus Rechtskunde und Psychologie“. 187 Prütting, in: Althammer/Meller-Hannich (Hrsg.), VSBG Verbraucherstreitbeilegungsgesetz, 2017, § 19 Rn. 4. Diese Wertung bestätigt sich immer wieder im Laufe dieser Arbeit, vgl. auch § 17 II 1, § 19. 188 Eine andere Frage ist freilich, ob die Befähigung zum Richteramt eine unverhältnismäßig hohe Anforderung ist. Dazu oben § 17 III 2 a) aa) a. E.
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Viertes Kapitel: Die Rolle des materiellen Rechts
(2) Die systematische Stellung des § 6 Abs. 2 S. 2 VSBG Dafür spricht auch ein systematisches Argument. So soll ausweislich des § 6 Abs. 2 S. 1 VSBG die „notwendige Qualifikation des Streitmittlers auch von der Wahl des Streitbeilegungsverfahrens [Hervorh. d. Verf.]“ abhängen.189 Da der nachträglich eingefügte § 6 Abs. 2 S. 2 VSBG nun ausdrücklich dem Nachweis der nach § 6 Abs. 2 S. 1 VSBG erforderlichen Kenntnisse dienen soll190, wird man auch hier einen entsprechenden Verfahrensbezug annehmen müssen. Der Wortlaut steht einem solchen Verständnis nicht entgegen. Eine Auslegung der Norm, welche mit dem Argument der verfahrensoffenen Gestaltung des VSBG einen konkreten Bezug des Satz 2 zum Verfahren ablehnen will, muss sich die Frage stellen, aus welchem Grund der Gesetzgeber dann nicht grundsätzlich auf die ausdrückliche Normierung von Qualifikationsnachweisen verzichtet hat. b) Ergebnis zur Qualifikation des Streitmittlers Das Verständnis des § 6 Abs. 2 S. 2 VSBG als „verfahrensunabhängige Qualifikationsalternativität“191 ist demnach als in sich widersprüchlich192 abzulehnen. Vielmehr ist der Qualifikationsnachweis in Bezug zur jeweils durch die Verfahrensordnung vorgegebenen Verfahrensart zu setzen.193 Ein anderes Verständnis läuft auf eine Rechtsanwendung durch Laien hinaus und fußt in der Grundannahme, im Bereich der Verbraucherstreitigkeiten gäbe es ein 189
BT-Drucks. 18/5089, S. 56. BT-Drucks. 18/6904, S. 71. 191 Roder/Röthemeyer/Braun, Verbraucherstreitbeilegungsgesetz, 2017, S. 70. 192 Greger, in: Greger/Unberath/Steffek (Hrsg.), Recht der alternativen Konfliktlösung, 2 2016, § 6 VSBG Rn. 7; Fries, in: Althammer/Meller-Hannich (Hrsg.), VSBG Verbraucherstreitbeilegungsgesetz, 2017, § 6 Rn. 26; Eidenmüller, in: Stiftung Gesellschaft für Rechtspolitik/Institut für Rechtspolitik an der Universität Trier (Hrsg.), Bitburger Gespräche/Bitburger Gespräche Jahrbuch 2016, 2016, S. 101 ff. S. 10. 193 So wohl auch Gsell, ZZP 128 (2015), 189 ff., 202 f.; Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, 2016, 204 f.; ebenso schon Hess, ZZP 118 (2005), 427 ff., 451. Vgl. auch die Forderung von Braun, Stellungnahme zum Entwurf eines Verbraucherstreitbeilegungsgesetzes zur Umsetzung der ADR-Richtlinie 2013/11/EU zur Öffentlichen Anhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz am 30. September 2015 (https://www.bundestag.de/blob/ 389812/b780abdfc16302bbe5361df749852f5a/braun-data.pdf) (geprüft am 01.11.2020), S. 3. A. A.: Röthemeyer, in: Borowski/Röthemeyer/Steike (Hrsg.), VSBG, 2016, § 6 Rn. 31 f.; Roder/Röthemeyer/Braun, Verbraucherstreitbeilegungsgesetz, 2017, S. 69 f.; ebenso – allerdings verbunden mit dem Vorwurf der Inkonsequenz – auch Ulrici, in: Rauscher/Krüger/Becker-Eberhard (Hrsg.), Münchener Kommentar ZPO, 62020, Anhang 2 zu § 278a Rn. 10, 24, wohl aber unter Verkennung des Umstandes, dass der Volljurist, der Streitigkeiten mittels Mediation in der Verbraucherschlichtung beilegen will, sehr wohl über die gem. § 18 VSBG i. V. m. § 5 Abs. 1 MediationsG erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten verfügen muss. 190
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Übermaß solcher Konfliktfälle, die schon prima facie von geringerer Komplexität sind und mit dem – eher berüchtigten, als berühmten – „gesunden Menschenverstand“ einer Lösung zugeführt werden können.194 Eine solche Konfliktbearbeitung kann aber nicht als Ergebnis eines analytischen Begründungsprozesses und erst Recht nicht als „rechtliche Bewertung“ gem. § 19 Abs. 1 S. 3 VSBG verstanden werden und wird den Interessen der Konfliktparteien nicht gerecht. Die Qualifikation des Streitmittlers ist darüber hinaus ein Garant für die Unabhängigkeit sowie Neutralität und sichert auf diese Weise letztendlich eine hinreichende Verfahrensdurchführung ab.195 Auch der Gesetzgeber favorisiert ein verfahrensabhängiges Verständnis der Qualifikationsanforderungen. Zwar verzichtet er auf eine eindeutige Stellungnahme im Rahmen des VSBG, allerdings setzt der nach dem durch das Umsetzungsgesetz zur ADR-RL neugefasste § 14 Abs. 2 UKlaG, bei Verbraucherschlichtungsstellen gem. § 14 Abs. 1 UKlaG i. V. m. § 2 VSBG die Befähigung zum Richteramt als Qualifikationsnachweis voraus. Schon aus § 14 Abs. 2 S. 3 UKlaG folgt dann, dass die Schlichter verpflichtet sind, den Konfliktparteien einen Schlichtungsvorschlag zu unterbreiten (vgl. auch § 9 FinSV sowie § 15 Abs. 2 S. 1 FinSV). Die Qualifikationsanforderung steht somit offenkundig in Verbindung mit der konkreten Verfahrensgestaltung. Ebenso fordert § 4 Abs. 3 S. 1 LuftSchlichtV die Befähigung zum Richteramt für die Schlichter und sieht in § 14 LuftSchlichtV den Schlichtungsvorschlag als wesentliches und verpflichtendes Verfahrenselement der Luftverkehrsschlichtung an. An dieser Stelle sei angemerkt, dass nur das juristische Qualifikationserfordernis der Tradition nationaler Schlichtungsstellen entspricht und der weit überwiegende Teil der bisher anerkannten Verbraucherschlichtungsstellen ausschließlich eine volljuristische Qualifikation (oft ergänzt um eine mehrjährige juristische Berufserfahrung) des Streitmittlers vorsehen.196 In194
Dazu Kotsoglou, JZ 2014, 1100 ff. Siehe dazu oben unter § 8 IV 5 b). 196 Vgl. § 2 Abs. 1 S. 2 Verfahrensordnung für die außergerichtliche Schlichtung von Kundenbeschwerden Im Bereich der deutschen genossenschaftlichen Bankengruppe; § 2 Abs. 3 S. 1 Verfahrensordnung des Ombudsmanns der privaten Banken; § 4 Abs. 1 Verfahrensordnung für die alternative Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten bei der Ombudsstelle für Investmentfonds des BVI Bundesverband Investment und Asset Management e. V.; § 3 Abs. 1 S. 2 Verfahrensordnung der Ombudsstelle für Sachwerte und Investmentvermögen (e. V.); § 5 Abs. 1 S. 2 Verfahrensordnung der Schlichtungsstelle Bausparen des Verbandes der Privaten Bausparkassen e. V.; §§ 1 Abs. 3 S. 3 Nr. 2, 12 Abs. 3 S. 2 Finanzschlichtungsstellenverordnung; § 2 Abs. 1 Verfahrensordnung der Schlichtungsstelle beim Deutschen Sparkassen- und Giroverband e. V. (DSGV); § 2 Nr. 3 Satzung der Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft; § 1 Abs. 1 S. 4 Verfahrensordnung Schlichtungsstelle Energie e. V.; § 4 Abs. 3 S. 1 Luftverkehrsschlichtungsverordnung; § 13 Abs. 1 S. 1 söp Satzung; § 2 Abs. 1 Verfahrensordnung der Sparkassen-Schlichtungsstelle Baden195
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sofern wird die hier vorgeschlagene Auslegung des § 6 Abs. 2 S. 2 VSBG auch durch die normative Kraft des Faktischen gestützt.197 Die ADR-Richtlinie steht dem hier vertretenen Verständnis nicht entgegen. Zwar sieht diese gem. Art. 6 Abs. 1 lit. a) ADR-RL nur ein „allgemeines Rechtsverständnis“ vor, dies ist aber schon aufgrund des mindestharmonisierenden Ansatzes der Richtlinie nur als Minimalanforderung zu verstehen. Dass auch die ADR-Richtlinie die Qualifikationsanforderungen abhängig von der Bedeutung des Rechts in dem Streitbeilegungsverfahren verstanden wissen will, legt der EWG 31 und 42 nahe.198 Die Vorgaben der ADR-Richtlinie dahingehend auszulegen, dass für die Leitung einer kommunikationsfördernden Mediation die identischen Fähigkeiten ausreichen sollen, wie für ein rechtsorientiertes Schiedsverfahren, überzeugt nicht. 3. Sachverhaltsaufklärung Eine weitere Vorfrage für eine Konfliktlösung durch Rechtsanwendung ist die Aufklärung des streiterheblichen Konfliktsachverhalts. Für eine verlässliche und abschließende rechtliche Bewertung des Streitfalls, muss dem Streitmittler der konkrete Sachverhalt hinreichend bekannt sein. Ausweislich des § 17 Abs. 1 VSBG haben die Parteien die Möglichkeit zu Württemberg; IV. (2) S. 1 Verfahrensordnung für die Schlichtung von Beschwerden im Bereich des Bundesverbandes öffentlicher Banken Deutschlands (VÖB); § 15 Abs. 1 S. 2 Satzung des Vereins Versicherungsombudsmann e. V. („soll die Befähigung zum Richteramt besitzen“); § 2 Abs. 1 S. 2 Verfahrensordnung der Ombudsstelle des Verbandes unabhängiger Vermögensverwalter Deutschland e. V. 197 Im Allgemeinen wäre es wohl auch denkbar, zum Nachweis der juristischen Qualifikation nicht in jedem Fall eine Ausbildung zum Volljuristen zu fordern. So könnte zum Nachweis auch der Abschluss eines rechtswissenschaftlichen Studienganges mit Schwerpunkt im Verbraucherrecht ausreichen, vgl. dazu Althammer, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 117 ff., 137; Gsell, ZZP 128 (2015), 189 ff., 210 f.; Tamm, VuR Sonderheft 2016, 51 ff., 55; Conen/Gramlich, NJ 2014, 494 ff., 500; Roder/ Röthemeyer/Braun, Verbraucherstreitbeilegungsgesetz, 2017, S. 70; Greger, MDR 2016, 365 ff., 366, „Überhöhung der juristischen Kompetenz“. An dieser Stelle sei auch angemerkt, dass die ZPO eine Entscheidungskompetenz nicht in jedem Fall vom Nachweis der Befähigung zum Richteramt abhängig macht. So entscheidet beispielsweise der Rechtspfleger als funktionell zuständiges Rechtspflegeorgan (§ 20 Nr. 1 RPflG) über den Mahnantrag gem. § 690 ZPO, was neben einer formellen Prüfungskompetenz auch eine beschränkte materielle Schlüssigkeitsprüfung gebietet (näher dazu vgl. Berger, in: Stein/Jonas, Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232014, § 691 Rn. 6 ff.; Schüler, in: Rauscher/ Krüger/Becker-Eberhard (Hrsg.), Münchener Kommentar ZPO, 62020, § 691 Rn. 15, jeweils m. w. N.). Für die obligatorische Streitschlichtung nach § 15a EGZPO hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass der „für die Tätigkeit einer Gütestelle in Betracht kommende[n] Personenkreis nicht auf die Angehörigen der rechtsberatenden Berufe begrenzt“ sein muss, vgl. BVerfG NJW-RR 2007, 1073 ff., 1074 f. 198 Vgl. § 16 II 2 und 3.
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dem Konfliktfall Stellung zu nehmen. Weichen der Verbraucher und der Unternehmer von der Darstellung des Konfliktstoffes ab, wird der Streitmittler zunächst durch gezielte Nachfragen versuchen etwaige Unstimmigkeiten auszuräumen. Verbleiben dann allerdings noch widersprüchliche Sachdarstellungen, so stellt sich die Frage wie der Streitmittler hierauf zu reagieren hat. a) Ablehnung der Verfahrensfortführung Denkbar wäre es, in diesen Fällen eine Verbraucherschlichtung generell als ungeeignet zu erachten und das Verfahren abzubrechen.199 Auf den ersten Blick scheint der § 14 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 lit. a) VSBG einen passenden, fakultativen Ablehnungsgrund für diesen Fall vorzusehen.200 Allerdings lässt sich hieraus doch nur folgern, dass die Ablehnung der Verfahrensdurchführung dann möglich sein soll, wenn die Sachverhaltsklärung so komplex ist, dass eine ernsthafte Beeinträchtigung des effektiven Betriebs der Verbraucherschlichtungsstelle droht. Die Ablehnung der Durchführung einer Streitbeilegung durch den Streitmittler mit dem einfachen Verweis auf sich wiedersprechende Darstellungen des Konfliktfalls, wird man aber als nicht zulässig erachten können. Auf diese Weise wäre der Zugang der Verbraucher zu alternativer Streitbeilegung quasi verhindert bzw. erheblich eingeschränkt (Art. 5 Abs. 4 UAbs. 3 ADR-Richtlinie).201 Wenig überraschend sieht auch die ADR-Richtlinie einen vergleichbaren Ablehnungsgrund nicht vor. Vielmehr möchte der Richtliniengeber auch „hochkomplexe Streitigkeiten“ (Art. 8 lit. e) ADR-Richtlinie) von dem ADR-Verfahren erfasst wissen. Im Übrigen ist beispielsweise denkbar, dass eine Partei den vorgetragenen Sachverhalt nur deshalb bestreitet, um in der Schlichtung dann einen günstigen Kompromiss zu erreichen.202 Ein solches Bestreiten kann nicht ausreichen um das Verbraucherschlichtungsverfahren als ungeeignet einzustufen und das Verfahren abzubrechen. Gerade bei einer
199
Siehe beispielsweise § 4 Abs. 2 lit. b) Verfahrensordnung des Ombudsmanns der privaten Banken; Hirsch, in: Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (Hrsg.), Alternative Streitbeilegung – Reden statt Klagen, 2013, S. 43 ff., 49, für den Versicherungsombudsmann. 200 Siehe zu den Ablehnungsgründen des RefE Gössl, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 67 ff. 201 Insofern ist bei einer Ablehnung gem. § 14 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 lit. a) VSBG Zurückhaltung geboten ist, vgl. Liepin, in: Althammer/Meller-Hannich (Hrsg.), VSBG Verbraucherstreitbeilegungsgesetz, 2017, § 30 Rn. 21. Eher restriktiv auch Kramme, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 141 ff., 145. Insofern spricht der Ablehnungsgrund eher dafür, dass sich der Streitmittler um eine Aufklärung des Sachverhalts zu bemühen hat. Vgl. dazu schon unter § 8 IV 2. 202 Tonner, ZKM 2015, 132 ff., 135.
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einseitigen Verpflichtung des Unternehmers zur Teilnahme an dem Schlichtungsverfahren bestünde sonst die ernstzunehmende Möglichkeit, sich über eine missbräuchliche Berufung auf den Ablehnungsgrund dem Schlichtungsverfahren generell zu entziehen. Die Verbraucherschlichtung auf unstreitige und nicht aufklärungsbedürftige Sachverhalte zu beschränken, würde ihr einen großen Teil ihres Anwendungsbereichs nehmen. Eine solche Auslegung des § 14 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 lit. a) VSBG wäre damit aufgrund eines Verstoßes gegen den effet utile letztlich europarechtswidrig. Die Ablehnung der Verfahrensdurchführung aufgrund von Unklarheiten auf tatsächlicher Ebene sollte demnach nur in solchen Fällen erfolgen, in denen eine Konfliktlösung mit Hilfe eines Schlichtungsvorschlages bereits offensichtlich ausgeschlossen ist. An das Merkmal des „unangemessenen Aufwandes“ sind entsprechend hohe Anforderungen zu stellen. b) „Beweiserhebung“ Das VSBG sieht keine Beweiserhebung im Sinne eines formalisierten Verfahrens zur Tatsachenfeststellung vor. Aus dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs und der richtlinienkonformen Auslegung des VSBG folgt zunächst nur, dass die Parteien ihr Vorbringen durch entsprechende Nachweise und Beweismittel belegen können.203 Eine solche „Beweiserhebung“ wird sich aufgrund der schriftlichen Verfahrensdurchführung wohl auf die Vorlage von Urkunden und Dokumenten (z. B. Gutachten) beschränken und ist mangels staatlicher Zwangsbefugnisse gänzlich von der Bereitschaft der Parteien abhängig.204 In geeigneten Fällen, beispielsweise Fälle der kaufrechtlichen Mängelgewährleistung, kann sich auch eine Augenscheinnahme zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts anbieten.205 Zu beachten sind hierbei allerdings die zahlreichen Beweiserleichterungen oder Umkehrungen der Beweislast zugunsten des Verbrauchers, sodass auch im Rahmen der Ermittlung des Konfliktsachverhalts entsprechende weitreichende Kenntnisse im materiellen Recht und der aktuellen Rechtsprechung206 auf Seiten des Streitmittlers erforderlich sein werden. 203
Siehe dazu Art. 9 Abs. 1 lit. a) ADR-Richtlinie, ebenso aber auch BTDrucks. 18/5089, S. 63. 204 BT-Drucks. 18/5089, S. 63; Stadler, ZZP 128 (2015), 165 ff., 184. Die Kritik an der fehlenden Möglichkeit zur Nutzung elektronischer Kommunikationstechnologien kann an dieser Stelle nur wiederholt werden, vgl. § 8 IV 4. 205 Scherpe, Außergerichtliche Streitbeilegung in Verbrauchersachen, 2002, S. 280 (III. 4.). Siehe insofern auch Art. 10 Abs. 3 S. 2 BaySchlG. 206 So hat vor allem die Reichweite der Beweislastumkehr im Rahmen des Verbrauchsgüterkaufs in den letzten Jahren für Diskussionsstoff gesorgt, vgl. nur Bülow/Artz, Verbraucherprivatrecht, 52016, S. 204 ff. m. w. N.
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c) Die Aufklärung durch den Streitmittler Der Streitmittler hat das Vorbringen der Parteien frei zu würdigen, wobei zu berücksichtigen ist, dass das parteiliche Vorbringen primär nur dem besseren Verständnis des Streitfalls dienen soll. In keinem Fall kann ein Beweisverfahren im eigentlichen Sinne erfolgen. Ein solches scheidet schon mangels entsprechender Befugnis des Dritten, über Tatsachen wirksam Beweis zu erheben, von vornherein aus. Die Beibringung des verfahrensrelevanten Konfliktstoffes obliegt grundsätzlich den Parteien.207 Dies untermauert die Auslegungsregel in § 20 Abs. 1 S. 2 VSBG, die von einem beurteilungsfähigen Konfliktfall ausgeht, sobald die Parteien Gelegenheit zur Stellungnahme (§ 17 Abs. 1 VSBG) hatten. Ausweislich des § 19 Abs. 1 S. 1 und S. 3 erscheint allerdings, insbesondere bei streitigen Tatsachenbehauptungen, auch eine grundsätzliche Pflicht des Streitmittlers zur Förderung einer möglichst weitreichenden Aufklärung des Sachverhalts nicht fernliegend.208 Diese Idee einer gesteigerten Verantwortung des Verfahrensverantwortlichen in ADR-Verfahren hat der europäische Gesetzgeber früh aufgegriffen. So findet sich in der Empfehlung der Kommission aus dem Jahr 1998209 bereits folgender Passus: „Um Effizienz und Billigkeit der Verfahren zu fördern, erscheint es geboten, der zuständigen Einrichtung eine aktive Rolle zuzuerkennen, die es ihr gestattet, alle für die Beilegung eines Streitfalls zweckdienlichen Elemente heranzuziehen. Eine solche aktive Rolle erweist sich um so wichtiger, als bei außergerichtlichen Verfahren die Parteien vielfach ohne Beistand durch Rechtsberater handeln.“
Die ADR-Richtlinie verzichtet nun allerdings auf eine vergleichbare Vorgabe.210 Angesprochen wurde aber schon, dass die systematische Angliederung der Anforderungen an das Fachwissen in den Artikel über die Unab-
207
BT-Drucks. 18/5089, S. 62. Eine entsprechend aktive Rolle fordern auch Stadler, ZZP 128 (2015), 165 ff., 184; Althammer, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 117 ff., 138 f.; ders., in: Fankhauser/Widmer Lüchinger/Klingler u. a. (Hrsg.), Das Zivilrecht und seine Durchsetzung, 2016, S. 1 ff., 13; Roder/Röthemeyer/Braun, Verbraucherstreitbeilegungsgesetz, 2017, S. 137 f. 209 Empfehlung der Kommission 98/257/EG vom 30. März 1998, ABl. EG Nr. L 115/31, S. 2. 210 Zwar haben zwar der EWG 31, sowie Art. 9 Abs. 1 lit. a) ADR-Richtlinie auch die Aufklärung des Konfliktsachverhalts durch die Parteien im Fokus, eine entsprechende Pflicht auf Seiten der mit der Streitbeilegung betrauten Person lässt sich hieraus aber nicht ableiten; vgl. auch Gsell, ZZP 128 (2015), 189 ff., 198. Wenig verwunderlich ist allerdings, dass sich in der anschließenden Empfehlung der Kommission aus dem Jahr 2001 (Empfehlung der Kommission 2001/310/EG) kein entsprechender Hinweis findet, zielt der Rechtsakt doch primär auf mediative Konfliktbeilegungsinstrumente ab, denen eine entsprechend aktive Rolle des Dritten eher fremd sind. 208
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hängigkeit und Unparteilichkeit in der ADR-Richtlinie nahe legt, dass dem Streitmittler aufgrund seiner Qualifikation eine aktive Rolle im Verfahren zukommen kann.211 Dass die Klärung des Konfliktsachverhalts zumindest in Teilbereichen in den Verantwortungsbereich der Verbraucherschlichtungsstelle und damit in den des verfahrensverantwortlichen Streitmittlers fällt, legt auch der Umkehrschluss zu § 14 Abs. 2 Nr. 4 lit. a) VSBG nahe.212 Kann die Streitbeilegung bei einem unangemessenen Aufwand der Sachverhaltsaufklärung abgelehnt werden, so folgt daraus e contrario, dass die AS-Stelle den Konfliktsachverhalt mit „angemessenem“ Aufwand aufzuklären hat. Zwar ist damit nicht gemeint, dass der Streitmittler in jedem Fall umfassende eigene Ermittlungen durchzuführen hat. Einer solch weitgehenden Pflicht zur „Amtsermittlung“ erteilt das VSBG ausdrücklich eine Absage.213 Nichtsdestotrotz sollte der Streitmittler – nach der hier vertretenen Ansicht – im Falle eines unklaren oder streitigen Vorbringens regelmäßig gehalten sein, ergänzende Unterlagen oder Stellungnahmen der Parteien anzufordern und dabei auch gezielt auf entscheidungserhebliche Umstände einzugehen, um eine möglichst effektive Sachverhaltsaufklärung zu gewährleisten. Der normative Anknüpfungspunkt für eine solche Nachforschungsmöglichkeit des Streitmittlers findet sich in § 20 Abs. 1 S. 1 VSBG, der den Eingang der vollständigen Beschwerdeakte als den Zeitpunkt legaldefiniert, in dem für die Streitbeilegung keine „weiteren Unterlagen und Informationen mehr benötigt“ werden. Eine entsprechend aktive Rolle des Streitmittlers bietet sich in vielerlei Hinsicht an. Schon bei der Erfassung des Sachverhalts können sich beispielsweise branchenspezifische Fachkenntnisse des Verfahrensverantwortlichen als nutzbringend erweisen. So ist durchaus denkbar, dass bestimmte Tatsachen vor einem hinreichend qualifizierten Streitmittler keines besonderen Nachweises oder eines eingehenderen Vorbringens bedürfen, da dieser in dem jeweiligen Fachbereich über eine hinreichende fachliche Expertise verfügt. Diese Sachnähe des Streitmittlers könnte dann ein im gerichtlichen Verfahren notwendiges Sachverständigengutachten im außergerichtlichen Verfahren entbehrlich machen.214 Wenn der Gesetzgeber davon spricht, dass es in bestimmten Fällen mit Blick auf die Zuständigkeit der Verbraucherschlich-
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Siehe oben § 6 III 2 b). Dazu bereits oben § 8 IV 2. 213 Vgl. BT-Drucks. 18/5089, S. 62. 214 Dazu Prütting, JZ 1985, 261 ff., 268 m. w. N. Insofern bietet sich ein Vergleich zur Sachkunde des Gerichts an, die zwar keine Offenkundigkeit i. S. d. § 291 ZPO begründet, allerdings einen Sachverständigenbeweis entbehrlich machen kann Berger, in: Stein/Jonas, Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232016, Vor § 402 Rn. 32 ff. Siehe auch § 114 GVG für die Kammern für Handelssachen. 212
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tungsstelle sinnvoll sein kann, „eher technisch versierte Streitmittler einzusetzen“215, so werden diese Fähigkeiten gerade, und wohl auch ausschließlich, im Zusammenhang mit der Aufklärung des Konfliktsachverhalts relevant werden. Solche Bemühungen des Streitmittlers zur Förderung der außergerichtlichen Konfliktbeilegung wird man zum allermindesten in dem Maße für zulässig erachten können, in dem auch der Zivilrichter in der Güteverhandlung gem. § 278 Abs. 2 S. 2. ZPO auf die Klärung des Sachverhalts hinwirken kann.216 Ebenso wie die Güteverhandlung vor dem Zivilrichter sollte die Verbraucherschlichtung also dazu genutzt werden, durch eine Befragung der Parteien den Sachverhalt möglichst umfassend aufzuklären und so ein solides Fundament für einen begründeten Schlichtungsvorschlag zu schaffen.217 Im Falle einer fehlenden rechtlichen Beratung des Verbrauchers muss es in der Verbraucherschlichtung im Einzelfall im Sinne einer fairen Verfahrensführung sogar geboten sein, dass der Streitmittler zugunsten des Verbrauchers eine weitergehende Hilfestellung gibt.218 Hier lässt sich eine inhaltliche Nähe zu der im Zivilverfahrensrecht diskutierten Frage nach einem „sozialen Prozesszweck“ und der „Kooperationsmaxime“ erkennen.219 Am Rande sei hier angemerkt, dass sich auch im Zivilprozess eine Stärkung der richterli-
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Siehe insofern auch BT-Drucks. 18/5089, S. 56. Vgl. nur Althammer, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 117 ff., 138, der eine an §§ 139 ff. ZPO orientierte aktive Rolle des Streitmittlers befürwortet. Der § 278 ZPO hat in seiner Grundstruktur eine gewisse Ähnlichkeit zu § 139 ZPO, da beide Normen dem Richter eine aktive Rolle bei der Förderung des Verfahrens zuweisen (vgl. Prütting, in: Rauscher/Krüger/Becker-Eberhard (Hrsg.), Münchener Kommentar ZPO, 62020, § 278 Rn. 14). Zur Mitverantwortung des Richters bei der Aufarbeitung des Sachverhalts Gaier, NJW 2013, 2871 ff., 2872 f.; Leipold, in: Stein/Jonas, Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232016, § 139 Rn. 20 ff. Siehe auch Hervorhebung dieser Verantwortung durch das Zivilprozessreformgesetz 2001, BT-Drucks. 14/4722, S. 77. 217 BT-Drucks. 14/4722, S. 62; Schwab/Rosenberg/Gottwald, Zivilprozessrecht, 182018, § 104 Rn. 28. 218 Stadler, ZZP 128 (2015), 165 ff., 184; Hess, ZZP 118 (2005), 427 ff., 442; Roder/ Röthemeyer/Braun, Verbraucherstreitbeilegungsgesetz, 2017, 97. 219 Wassermann, Der soziale Zivilprozess, 1978, 86 ff.; Bahnsen, Verbraucherschutz im Zivilprozeß, 1997, S, 171, die für einen neuen § 139 Abs. 1 S. 3 folgende Formulierung vorgeschlagen hat: „Insbesondere soll er [der Richter] in denjenigen Sachen Fragen zur Tatsächlichen Situation stelle, in denen der Streitgegenstand Verbraucherrechte betrifft“; siehe dazu Althammer, in: Brocker/Knops/Roth (Hrsg.), Festschrift für Heinz Georg Bamberger zum 70. Geburtstag – Recht und soziale Gerechtigkeit, 2017, S. 1 ff., 8. Kritisch zu einem Sonderprozessrecht für Verbraucher bspw. H. Roth, in: Gottwald (Hrsg.), Recht und Gesellschaft in Deutschland und Japan, 2009, S. 149 ff., 165 ff., 169; ders., ZZP 129 (2016), 3 ff., 22 ff. 216
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chen Aufklärungsmittel, gerade im Bereich der Tatsachenermittlung abzeichnet.220 Für den Bereich des zwingenden Rechts hat Cahn sogar eine Tatsachenerforschungspflicht durch den Richter postuliert.221 Aus der Einschränkung der Dispositionsfähigkeit in rechtlicher Hinsicht folgert er, dass die zwingende Norm, die ein bestimmtes Ergebnis verhindern möchte, auch den Verhandlungsgrundsatz und damit die Bestimmung des Sachverhalts beeinflussen muss. Dieser Gedanke wurde von Heiderhoff 2001 für das Verbraucherrecht aufgegriffen.222 Um eine Einheit von materiellem Schutzrecht und Verfahrensrecht zu erreichen, könnte die Erweiterung der richterlichen Fragepflicht gem. § 139 ZPO angezeigt sein. Im Ergebnis lehnt Heiderhoff dies aber für den Zivilprozess ab.223 aa) Beweisschwierigkeiten und die „Untersuchungspflicht“ des EuGH Mit einer aktiven Rolle des Streitmittlers bei der Sachverhaltsaufklärung könnte dem Umstand Rechnung getragen werden, dass oftmals Beweisschwierigkeiten auf Seiten des Verbrauchers als ein Grund für die „rationale Apathie“ bei der Rechtsdurchsetzung auszumachen sind.224 Dementsprechend sahen sich sowohl die Rechtsprechung als auch der Gesetzgeber bereits früh dazu veranlasst, in vielen Bereichen zugunsten des Verbrauchers Beweiserleichterungen bis hin zur Beweislastumkehr zu etablieren.225 Vor allem 220
Vgl. nur den Ausbau richterlicher Aufklärungsmittel in §§ 142 ff. ZPO durch die ZPO-Reform 2001, BT-Drucks. 14/4722., dazu Althammer, in: Weller/Althammer (Hrsg.), Mindeststandards im europäischen Zivilprozessrecht, 2015, S. 3 ff., 20 ff.; Katzenmeier, JZ 2002, 533 ff.; Stadler, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 2019, § 142 Rn. 7 „Tendenz zur amtswegigen Beweisaufnahme“ mit Blick auf das komplexe Nebeneinander von §§ 142 ff. ZPO und den §§ 422 ff. ZPO. 221 Cahn, AcP 198 (1998), 35 ff., 55 ff., 69 ff. 222 Heiderhoff, ZEuP 2001, 276 ff., 292 ff. 223 Dies., ZEuP 2001, 276 ff., 295 f. Siehe zum Ganzen nochmals unter § 26 II. 224 Bender/Schumacher, Erfolgsbarrieren vor Gericht, 1980, S. 9 f.; Koch, Verbraucherprozessrecht, 1990, 93 ff.; Meller-Hannich, in: Kohte/Absenger (Hrsg.), Menschenrechte und Solidarität im internationalen Diskurs, 2015, S. 659 ff., 667. 225 Vgl. bspw. nur § 312k Abs. 2 BGB (Informationspflichten); § 361 Abs. 3 BGB (Beginn Widerrufsfrist); § 476 (ab 01.01.2018 § 477) BGB (Verbrauchsgüterkauf). Denknotwendigerweise ohne spezifischen Bezug zum Verbraucherbegriff nach § 13 BGB, das durch Richterrecht entwickelte Arzthaftungsrecht (jetzt: §§ 630a ff. BGB; siehe insb. § 630h BGB zur Beweislast), das Produkthaftungsrecht nach dem ProdHaftG sowie die richterrechtliche deliktische Produzentenhaftung (siehe dazu Förster, in: Hau/Poseck (Hrsg.), BeckOK BGB, 2020, § 823 Rn. 767 ff. zur Beweislast); beachte auch § 310 Abs. 3 BGB, sowie die Vermutungswirkung in § 280 Abs. 1 S. 2 BGB. Zu Beweiserleichterungen auf Seiten des Verbrauchers auch Koch, Verbraucherprozessrecht, 1990, 96 ff. Für die Perspektive des EU-Gesetzgebers siehe Begründung des Vorschlags für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den Verbrauchsgüterkauf und -garantien (KOM [95] 520
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die Reichweite der Beweislastumkehr im Rahmen des Verbrauchsgüterkaufs hat dabei in den letzten Jahren für ausführlichen Diskussionsstoff gesorgt.226 Schlussendlich hat der EuGH227 die Frage hinsichtlich der Reichweite der Beweiserleichterung (Art. 5 Abs. 3 Verbrauchsgüterkauf-RL) zugunsten der Verbraucher entschieden.228 Die Entscheidung des Gerichtshofs ist allerdings noch aus einem weiteren Grund von besonderem Interesse. Der EuGH setzt in dieser nämlich seine Rechtsprechung zur „Untersuchungspflicht“ nationaler Gerichte im Verbraucherrecht fort.229 Dabei werden diese gerichtlichen Amtspflichten und -befugnisse vornehmlich aus dem Gebot der Effektivität verbraucherschützender Vorschriften (insb. wohl Art. 6 Abs. 1 Klausel-RL) ableitet. Schon aus diesem Grund spricht vieles dafür, die Rechtsprechung auch als Begründungsansatz, für die hier geforderte Aktivität des Streitmittlers bei der Sachverhaltsaufklärung im Rahmen der Verbraucherschlichtung, heranzuziehen.230 Nach der Judikatur des EuGH ist der Verfahrensverantwortliche in einem kontradiktorischen Verfahren nicht nur von Amts wegen verpflichtet, das zwingende Verbraucherschutzrecht auf Grundlage der von den Parteien vorgebrachten Tatsachen zu würdigen, sondern nach dem Urteil in der
endg. 14), nachdem „kann sich die Erbringung des Beweises […] als eine für den Verbraucher unüberwindbare Schwierigkeit erweisen“. 226 Siehe nur Bülow/Artz, Verbraucherprivatrecht, 52016, S. 204 ff. m. w. N. 227 EuGH, Urt. v. 04.06.2015, Rs. C-497/13 – Faber, NJW 2015, 2237 m. Anm. Gsell, VuR 2015, 446. 228 Siehe jetzt BGH NJW 2017, 1093, 1098 m. Anm. Gsell, JZ 2017, 576. 229 EuGH, Urt. v. 04.06.2015, Rs. C-497/13 – Faber, ECLI:EU:C:2015:357 Rn. 32 ff., 46, 56 f.; siehe dazu auch die Judikatur des EuGH vornehmlich zur Richtlinie über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen EuGH, Urt. v. 27.06.2000, Rs. C-240/98 – Oce´ano; EuGH, Urt. vom 26.10.2006, Rs. C-168/05 – Mostaza Claro, Slg. 2006, I-10421; EuGH Urt. v. 06.10.2009, Rs. C-40/08 – Asturcom, Slg. 2009, I-9579 Rn. 29; EuGH, Urt. v. 04.06.2009, Rs. C-243/08 – Pannon; EuGH, Urt. v. 09.11.2010, Rs. C-137/08 – VB Pe´nzügyi Lı´zing (siehe Rn. 45, 56, Verpflichtung des nationalen Gerichts zu Untersuchungsmaßnahmen von Amts wegen); EuGH Urt. v. 14.06.2012, Rs. C-618/10 – Banco Espan˜ol de Cre´dito, Rn. 39; EuGH, Urt. v. 21.02.2013, Rs. C-472/11 – Banif Plus Bank Zrt/Csaba Csipai u. a., ECLI:EU:C:2013:88 Rn. 23; EuGH, Urt. v. 21.04.2016, Rs. C-377/14 – Radlinger, ECLI:EU:C:2016:283, Rn. 52, 74; EuGH Urt. v. 26.01.2017, Rs. C-421/14 – Banco Primus SA gegen Jesu´s Gutie´rrez Garcı´a, ECLI:EU:C:2017:60 Rn. 43. Als Einschränkung der Dispositionsmaxime wird man die Entscheidung Duarte Hueros ansehen müssen (EuGH, Urt. v. 03.10.2013, Rs. C-32/12, ECLI:EU:C:2013:637), dazu Sala, euvr 2014, 178 ff. Kritisch mit Blick auf die Kompetenzüberschreitung des EuGH auch H. Roth, in: Münch (Hrsg.), Prozessrecht und materielles Recht, 2015, S. 283 ff., 294 und Althammer, in: Weller/Althammer (Hrsg.), Mindeststandards im europäischen Zivilprozessrecht, 2015, S. 3 ff., 19, dazu auch unten § 26 II. 230 In diese Richtung auch Roder/Röthemeyer/Braun, Verbraucherstreitbeilegungsgesetz, 2017, 97.
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Rechtssache VB Pe´nzügyi Lı´zing sogar gehalten, von Amts wegen Untersuchungsmaßnahmen durchzuführen, um die entscheidungserheblichen Tatsachen zu ermitteln.231 Die Judikatur wird in der Rechtssache Faber232 sowie Duarte Hueros233 weiter fortgeführt.234 Die hier vorgeschlagene Anknüpfung überzeugt freilich nur für die Rechtsgebiete, die europäischem Richtlinienrecht unterstehen. Da der Gerichtshof seine Rechtsprechung aber ausschließlich mit Aspekten des Verbraucherschutzes begründet, wäre es geradezu widersprüchlich sie im Rahmen eines vornehmlich dem Verbraucherschutz dienenden Verfahrens unberücksichtigt zu lassen. Aus welchem Grund gerade ein außergerichtliches Konfliktbearbeitungsverfahren für Verbraucherstreitigkeiten den zivilverfahrensrechtlichen Beibringungsgrundsatz strenger beachten sollte als die Zivilgerichtsbarkeit, ist nicht ersichtlich. Unter dem Aspekt der Sachverhaltsaufklärung sei an den schon angesprochenen Richtlinienentwurf für eine europäische Verbandsklage erinnert.235 So sieht dieser in Art. 13 die Möglichkeit vor, den beklagten Unternehmer zur Vorlage bestimmter Nachweise und Informationen zu verpflichten, die seinem Geschäftsbereich zuzuordnen sind, um entsprechenden Informationsdefiziten bei der Sachverhaltsaufklärung entgegenzuwirken. bb) Die Bürgschaftsrechtsprechung des BVerfG Als argumentative Stütze für eine entsprechende „Untersuchungspflicht“ bietet sich auch ein Rekurs auf die Judikatur des BVerfG236 zu sittenwidrigen Bürgschafts- bzw. Eheverträgen an. Im Falle der strukturellen Unterlegenheit einer Partei sind materiell-rechtliche Korrekturen vorgesehen, welche sich aufgrund des Risikos der Übervorteilung der schwächeren Konfliktpartei auch im Rahmen eines Verfahrens zur Rechtsdurchsetzung auswirken müssen.237 Auf die Verbraucherschlichtung übertragen könnte dies bedeuten,
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EuGH, Urt. v. 09. 11. 2010, Rs. C-137/08 – VB Pe´nzügyi Lı´zing, Slg. 2010 I-10847, Rn. 45, 56. 232 EuGH, Urt. v. 04.06.2015, Rs. C-497/13 – Faber, ECLI:EU:C:2015:357. 233 EuGH, Urt. v. 03.10.2013, Rs. C-32/12 – Duarte Hueros, ECLI:EU:C:2013:637; dazu Sala, euvr 2014, 178 ff. 234 Vgl. dazu oben § 13 III 6 c). Zu den Bedenken aus zivilprozessualer Sicht vgl. oben § 26 II. 235 KOM (2018) 184 endg. Vgl. oben § 6 I 2 b). 236 BVerfGE 89, 214, 232 ff.; BVerfGE 103, 89. 237 So soll „der Beibringungsgrundsatz im Zivilprozess um eine Leistungsmaxime ergänzt werden, die das Gericht namentlich bei struktureller Unterlegenheit einer Partei verpflichtet, sie vor fehlerhaftem Agieren im Prozess durch Hinweise und Aufklärung zu bewahren“, Gaier, NJW 2013, 2871 ff., 2872.
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dass sich die materiell-rechtliche Begrenzung der Privatautonomie im Verbraucherrecht auch verfahrensrechtlich auswirken sollte.238 Bietet grundsätzlich nämlich die Gegenläufigkeit der Interessen der Beteiligten ausreichend Gewähr für eine umfassende Sachverhaltsrekonstruktion im Verfahren239, so gilt das nicht dort, wo der Gesetzgeber die Freiheit der Beteiligten zur autonomen Gestaltung ihrer Rechtsverhältnisse eingeschränkt hat.240 Dem lässt sich auch nicht entgegenhalten, dass das fehlende Bekenntnis zum zwingenden Verbraucherschutz bei Verfahren ohne auferlegte Lösung eines der kontroversen Wesensmerkmale der ADR-Richtlinie darstellt. Denn insofern ist zwischen unterschiedlichen Phasen der Konfliktbeilegung zu differenzieren. Mag die Frage der Disponibilität zwingender Verbraucherrechte im Rahmen des Lösungsvorschlages aufgrund der spezifischen Besonderheit des Verfahrens möglicherweise anders zu beurteilen sein241, so gilt zumindest bis zu diesem Zeitpunkt die Schutzwirkung des Verbraucherrechts fort (vgl. oben unter § 15 IV 1). Gerade auch die Verfahrensgestaltung soll doch eine autonome Entscheidung des Verbrauchers ermöglichen. Insofern bedarf es während der Verfahrensdurchführung auch noch eines entsprechend weiterreichenden Schutzes, der mit weniger Verhandlungsmacht ausgestatteten Konfliktpartei.242 cc) Zwischenergebnis Die Effektivität der verbraucherschützenden Vorschriften, sowie die Notwendigkeit für einen Ausgleich des verfahrensmäßigen Ungleichgewichts rechtfertigen daher eine Pflicht des Streitmittlers zur verstärkten Mitwirkung bei der Aufklärung des Sachverhalts. Tatsachenermittlungen durch den Streitmittler sind demnach nicht unzulässig, sondern für das Gelingen einer effizienten Verbraucherschlichtung förderlich und geradezu notwendig.243 238
Für den Zivilprozess Schmidt, JZ 1980, 153 ff., 157. „Der Egoismus der Parteien und die Gegensätzlichkeit ihrer Interessen führen – vor allem unter dem Schutz der Wahrheitspflicht (§ 138 I) – besser als eine staatliche Untersuchung dazu, dass das Streitmaterial vollständig beigebracht und aufgeklärt wird.“ Schwab/Rosenberg/Gottwald, Zivilprozessrecht, 182018, § 77 Rn. 3. 240 Cahn, ZEuP 1998, 969 ff., 979; ders., AcP 198 (1998), 35 ff. 241 Vgl. unten § 18. 242 Dazu oben § 7 und § 8. 243 In diese Richtung wohl auch Röthemeyer, in: Borowski/Röthemeyer/Steike (Hrsg.), VSBG, 2016, § 30 Rn. 25, die Auffangschlichtungsstelle kann sich bei einem Schlichtungsvorschlag „an Plausibilität oder auch an den Ergebnissen eigener Recherche […] orientieren“; sehr weitgehend auch Prütting, in: Althammer/Meller-Hannich (Hrsg.), VSBG Verbraucherstreitbeilegungsgesetz, 2017, § 19 Rn. 17, der von einer fehlenden Bindung des Streitmittlers an die Anträge der Parteien ausgeht. Andererseits spricht sich die Gesetzesbegründung davon, dass der Streitmittler grundsätzlich keine „Amtsermittlung“ betreiben müsse, BT-Drucks. 18/5089, S. 62. 239
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Gegen ein solches Vorgehen spricht auch nicht das Neutralitätsgebot. Ziel ist nämlich nicht eine ungerechtfertigte Besserstellung des Verbrauchers gegenüber dem Unternehmer, sondern die Ermöglichung einer möglichst weitgehenden und effizienten Aufklärung des Konfliktsachverhalts. Im Übrigen darf darauf hingewiesen werden, dass dieses Vorgehen der Praxis, der bereits vor Inkrafttreten des VSBG etablierten Schlichtungsstellen entspricht.244 d) Aufklärung durch die Konfliktparteien Da der Streitmittler allerdings nur sehr beschränkt zur Sachaufklärung beitragen kann, scheint es zusätzlich notwendig den Parteien bei der Aufklärung des Sachverhalts eine gesteigerte Verantwortung aufzuerlegen. Im Rahmen der Verbraucherschlichtung könnte so die für den Zivilprozess schon eingehend thematisierte Lehre von einer allgemeinen zivilprozessualen Aufklärungspflicht nutzbar gemacht werden.245 Nach diesem Ansatz Stürners soll auch die nicht beweisbelastete Partei zur Aufklärung des Sachverhalts im Zivilprozess herangezogen werden können.246 Überträgt man diesen Gedanken auf die Verbraucherschlichtung, könnte der Streitmittler auch von dem, als Anspruchsgegner dem Grundsatz247 nach nicht beweisbelasteten Unternehmer, entsprechende Bemühungen zur Aufklärung des Sachverhalts verlangen.248 Dies bietet sich gerade in Verbrau-
244 Vgl. insoweit auch § 6 Abs. 2 der Verfahrensordnung des Versicherungsombudsmanns (VomVO); § 8 Abs. 1 des Statuts des Ombudsmanns Private Kranken- und Pflegeversicherung; § 8 Abs. 4 Finanzschlichtungsstellenverordnung; § 6 Abs. 3 Verfahrensordnung des Ombudsmanns der privaten Banken. 245 Siehe Stürner, Die Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses, 1976; ders., ZZP 1985, 237 ff.; ders., ZZP 2010, 147 ff. Siehe dazu auch H. Roth, ZZP 129 (2016), 3 ff., 24, m. w. N., sowie Althammer, in: Weller/Althammer (Hrsg.), Mindeststandards im europäischen Zivilprozessrecht, 2015, S. 3 ff., 20 ff.; Katzenmeier, JZ 2002, 533 ff.; Kern, in: Stein/Jonas, Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232016, § 138 Rn. 47 ff. m. w. N. 246 Stürner leitet diese aus einer Gesamtanalogie u. a. zu §§ 138, 423, 445, 448 372a, 656 ZPO ab, Stürner, Die Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses, 1976, 11, 92 ff. 247 Schwab/Rosenberg/Gottwald, Zivilprozessrecht, 182018, § 115, Rn. 9 ff.; Greger, in: Zöller, Zivilprozessordnung, 332020, vor § 284 Rn. 18 sowie § 138 Rn. 8 b; Prütting, in: Rauscher/Krüger/Becker-Eberhard (Hrsg.), Münchener Kommentar ZPO, 62020, § 286 Rn. 110 ff. Nach der herrschenden Normentheorie trägt die anspruchsstellende Partei die Beweislast für die für sie günstigen anspruchsbegründenden Voraussetzungen. Dieser Grundsatz wird insbesondere im Verbraucherrecht freilich vielfach durchbrochen. Siehe auch Foerste, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 2019, § 286 Rn. 34 ff. 248 In diese Richtung bereits Stürner, in: Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (Hrsg.), Alternative Streitbeilegung – Reden statt Klagen, 2013, S. 9 ff., 20. Siehe auch Bender, Rechtstatsachen zum Verbraucherschutz, 1988, S. 110, Umkehrung in der Darlegungslast in Verbraucherprozessen.
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cherstreitfällen an: So wird der Unternehmer aufgrund seiner professionellen Geschäftsorganisation die bisherige Konfliktgeschichte eingehend dokumentiert haben und so leichter zur Sachverhaltsaufklärung beitragen können, als der Verbraucher, für den sich bestimmte Nachweise oftmals als unüberwindbare Schwierigkeit erweisen werden.249 Gerade im Umgang mit geringwertigen Verbrauchsgütern verzichtet der Verbraucher nämlich oft auf eine beweiskräftige Dokumentation250, wohingegen auf Seiten des Unternehmers regelmäßig von einer Aufbewahrung der Geschäftsunterlagen auszugehen ist.251 Im Zivilprozess wird eine solche allgemeine Aufklärungspflicht von der Rechtsprechung abgelehnt.252 Nach dem BGH wird eine Kompensation struktureller Ungleichgewichtslagen über die Grundsätze der „sekundären Behauptungslast“ ermöglicht. Hiernach ist die nicht beweisbelastete Partei dazu bestimmt, den Vortrag des Beweispflichtigen durch nähere Angaben über den erheblichen Geschehensablauf und die maßgeblichen Tatsachen zu widerlegen, wenn ihm diese Angaben möglich und zumutbar sind.253 Seine Grundlage findet diese Rechtsfigur auch in dem Gedanken, dass ein Informations-Minus auf der Seite der beweisbelasteten Partei, durch gesteigerte Anforderungen an den Vortrag der Gegenseite ausgeglichen werden soll. Die Überbürdung der Darlegungslast lässt sich dabei aus den Wertungen des materiellen Rechts, sowie hilfsweise aus dem Gebot der prozessualen Waffengleichheit ableiten.254 Es kommt allerdings nicht zu einer Beweislastumkehr.
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Siehe oben § 7 I 1. Koch, Verbraucherprozessrecht, 1990, 93. 251 Dies gilt insbesondere im Fall einer gesetzlichen Pflicht zur Dokumentation und Aufbewahrung, beachte bspw. nur §§ 140 ff. AO, § 22 UStG, §§ 238, 257 HGB, § 50 BRAO, § 630f BGB. 252 BGH NJW 2007, 155 ff., 156; BGH NJW 1990, 3151; BAG NJW 2004; 2848 ff., 2851. Der BGH will demnach an dem Grundsatz am Grundsatz nemo tenetur contra se edere festhalten. Siehe auch Prütting, in: Laumen/Prütting (Hrsg.), Handbuch der Beweislast – Grundlagen, 32016, 558 ff.; Leipold, in: Stein/Jonas, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 23 2016, § 138 Rn. 25 ff. m. umfangr. Nachw. 253 BGH NJW 1983, 687 ff.; BGH NJW 1987, 2008 ff.; BGH NJW 1990, 3151 ff.; BGH NJW 1993, 1010 ff.; BGH NJW 1995, 3311 ff.; BGH NJW 1999, 717 ff.; BGH NJW-RR 2002, 1309 ff.; BGH NJW 2007, 2989 ff. Siehe dazu auch H. Roth, in: Gottwald (Hrsg.), Recht und Gesellschaft in Deutschland und Japan, 2009, S. 149 ff., 167 f.; Prütting, in: Rauscher/Krüger/Becker-Eberhard (Hrsg.), Münchener Kommentar ZPO, 62020, § 286 Rn. 103; Gottwald, in: Brinkmann/Effer-Uhe/Völzmann-Stickelbrock u. a. (Hrsg.), Dogmatik im Dienst von Gerechtigkeit, Rechtssicherheit und Rechtsentwicklung, 2018, S. 297 ff., 299 ff. 254 H. Roth, in: Gottwald (Hrsg.), Recht und Gesellschaft in Deutschland und Japan, 2009, S. 149 ff., 168. 250
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Eine parteiliche Mitwirkungspflicht bei der Sachverhaltsaufklärung wird man aber freilich schon immer dann annehmen müssen, wenn ein materiellrechtlicher oder prozessualer Anspruch auf Vorlage bestimmter Unterlagen besteht.255 So sehen beispielsweise die Enforcement-RL zum Schutz des geistigen Eigentums sowohl materiell-rechtliche (Art. 8) als auch prozessuale (Art. 6) Vorgaben zur Informationsgewinnung bei der gegnerischen Partei und die Kartellschadensersatz-RL in Art. 5 eine Vorschrift über die Offenlegung von Beweismitteln vor. aa) Allgemeine Beweislastumkehr im Verbrauchervertragsrecht In jedem Fall sind die verbraucherschützenden Beweiserleichterungen oder Umkehrungen der Beweislast durch den Streitmittler zu berücksichtigen. Zu beachten ist dabei allerdings, dass diese Vorgaben einer Einzel- oder Gesamtanalogie mit Blick auf die Etablierung einer umfassenden Auskunftspflicht des Unternehmers nicht zugänglich sind. Sie regeln vielmehr detailliert bezeichnete Einzelaspekte, in denen es dem Verbraucher kaum zumutbar bzw. faktisch unmöglich ist, einen entsprechenden Nachweis zu erbringen. Eine allgemeine Beweislastumkehr zugunsten des Verbrauchers kennt weder das nationale, noch das europäische Verbrauchervertragsrecht zumindest bislang nicht.256 Zwar hat der Unionsgesetzgeber schon früh deutlich gemacht, dass er in dieser Hinsicht Nachbesserungsbedarf sieht, nahm von einer dahingehenden Initiative aber nach heftigen Protesten der Mitgliedstaaten wieder Abstand.257 Unter dem Aspekt einer allgemeinen Beweislastumkehr verdient der bereits vorgestellte Richtlinienentwurf über vertragliche Aspekte des Warenhandels Aufmerksamkeit. Der Vorschlag sieht in Art. 8 Nr. 3 (vgl. auch EWG 26 und 33) eine im Vergleich zu Art. 7 Verbrauchsgüterkauf-RL zeitlich unbegrenzte Beweislastumkehr im Zusammenhang mit den Gewährleistungsrechten des Verbrauchers als Käufer vor. So muss der Verbraucher innerhalb der ersten zwei Jahre, um die Vermutung der Vertragswidrigkeit geltend machen zu können, lediglich nachweisen, „dass die Ware nicht den Anforderungen entspricht, ohne jedoch auch belegen zu müssen, dass die Vertragswid255
Vgl. dazu Berger, in: Stein/Jonas, Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232014, § 422 Rn. 8 ff. Für das deutsche Recht, vgl. bspw. § 140b PatG, § 24b GebrMG, § 19 MarkenG, § 46 DesignG. Beachte auch den allgemeinen Anspruch auf Auskunft gem. §§ 242, 259 BGB. 256 Zur Kritik an einer entsprechend weitreichenden Beweislastumkehr im Vorschlag für eine Richtlinie über die Haftung bei Dienstleistungen, KOM (90) 482 endg., vgl. Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht, 1999, 316 ff. 257 Zu einer entsprechenden Initiative der Kommission im Bereich fehlerhaft erbrachter Dienstleistungen vgl. Vogel, Verbrauchervertragsrecht und allgemeines Vertragsrecht, 2006, 174.
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rigkeit tatsächlich bereits zu dem für die Feststellung der Vertragsmäßigkeit maßgebenden Zeitpunkt bestand.“. Diese beweisrechtliche Besserstellung des Verbrauchers soll ausweislich EWG 33 der Richtlinie gerade die Rechtsdurchsetzung bei vertragswidrigen Waren erleichtern. Für die Sekundäransprüche im Verbrauchsgüterkaufrecht würde – bei Fortgeltung der Rechtsprechung des EuGH zu den Amtspflichten des Richters258 – der Grundsatz nemo tenetur contra se edere somit faktisch aufgegeben. bb) Die Bedeutung der Sachverhaltsaufklärung und die Verfahrenseffizienz Die „informationsstärkere“ Partei zur Aufklärung des Sachverhalts in die Verantwortung zu nehmen, liegt auch deshalb nahe, wenn man beachtet, welch elementare Bedeutung einer möglichst umfassenden Sachverhaltsaufklärung im Rahmen der außergerichtlichen Konfliktlösung zukommt. Neben der verbraucherschützenden Grundausrichtung des europäischen sowie nationalen Gesetzgebungsaktes, kann in erster Linie folglich auch das Gebot der Verfahrenseffizienz ein entsprechendes Vorgehen rechtfertigen. Diesem kommt, wie an anderer Stelle bereits festgestellt, in der Verbraucherschlichtung besondere Bedeutung zu.259 Der Erfolg der Verbraucherschlichtung als Konfliktbearbeitungssystem wird gerade auch von dem Bemühen um eine möglichst weitgehende Tatsachenaufklärung abhängig sein.260 Denn es ist zu erwarten, dass die Bereitschaft zur außergerichtlichen Einigung umso mehr zunehmen wird, je weiter im Schlichtungsverfahren der konkrete Konfliktfall, insbesondere auch in tatsächlicher Hinsicht, aufgeklärt werden kann.261 Denkbar ist auch, dass der Streit um die Tatsachen den Schwerpunkt des Verbraucherkonflikts ausmacht. Ein Verfahren das aus Gründen der Ressourcenschonung allerdings generell auf eine drastische Verkürzung bei der Tatsachenfeststellung setzt, läuft Gefahr ein für die Parteien nur bedingt zufriedenstellendes Ergebnis zu liefern und stellt damit im Ergebnis die Effizienz der Verbraucherschlichtung als Konfliktlösungsinstrument in Frage.262 Die hier vertretene Forderung nach einer gesteigerten Initiative der Parteien bei der Rekonstruktion des 258
Siehe dazu oben § 17 II 3 c) aa). Vgl. oben § 8 IV 4. 260 Vgl. oben § 8 IV 2. Ebenso Röthemeyer, VuR Sonderheft 2016, 9 ff., 14. 261 So wird beispielsweise auch die Wahrscheinlichkeit einer einvernehmlichen Lösung im Zivilprozess umso gößer, umso weiter der Prozess fortgeschritten ist, vgl. nur Prütting, in: Rauscher/Krüger/Becker-Eberhard (Hrsg.), Münchener Kommentar ZPO, 62020, § 278 Rn. 11. 262 Insofern überzeugt die Feststellung des Gesetzgebers nicht, dass eine „umfassende Aufklärung der Sach- und Rechtslage“ im Rahmen eine außergerichtliche Streitbeilegung häufig nicht erforderlich sei, vgl. BT-Drucks. 18/5089, 38. 259
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Konfliktsachverhalts wird man demnach mit Verweis auf eine effiziente Konfliktbearbeitung rechtfertigen können. Nur ein solches Vorgehen kann dem Grunde nach eine hinreichende und verlässliche Bewertungsgrundlage für den Streitmittler gewährleisten und so die Voraussetzungen für eine erfolgreiche und qualitativ hochwertige Verbraucherschlichtung schaffen. Normativ begründen ließe sich dieser Ansatz dadurch, dass in dem Einverständnis mit der Verfahrensdurchführung263, gleichzeitig die verfahrensmäßige Pflicht zur Mitwirkung und Förderung bei der Aufklärung des Konfliktfalls gesehen wird.264 cc) Verstoß gegen die Mitwirkungspflicht Ein Verstoß gegen die Mitwirkungspflicht bei der Sachverhaltsaufklärung könnte dann auch verfahrensbezogene Auswirkungen haben. Bei schlichter Nicht-Reaktion oder einem Untätigbleiben des Unternehmers hätte der Streitmittler die unberechtigte Verweigerung der Partei im Rahmen des Schlichtungsvorschlages zu berücksichtigen.265 Denkbar ist bei entsprechend substantiierten Vortrag des Verbrauchers, diesen als zugestanden anzusehen und eine rechtliche Bewertung nach Lage der Akten vorzunehmen.266 Insoweit ist dann das Interesse des Verbrauchers an einem Schlichtungsvorschlag als schutzwürdiger einzuordnen als das Vergütungsinteresse der Schlichtungsstelle.267 Dementsprechend sieht der § 30 Abs. 5 VSBG für das Verfahren vor der Universalschlichtungsstelle eine Fiktion der Teilnahmebereitschaft des Unternehmers und in § 30 Abs. 4 S. 2
263
Vgl. dazu § 15 I. Siehe bspw. § 7 Abs. 4 S. 2 Verfahrensordnung des Versicherungsombudsmanns. Diese Konstruktion versagt freilich dort, wo der Unternehmer generell nicht zur Teilnahme an der Verbraucherschlichtung bereit ist. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass – wie oben dargestellt (§ 8 IV 1 a)) – die nicht-verpflichtende Teilnahme eher die Ausnahme, als die Regel darstellt. 265 Prütting, in: Althammer/Meller-Hannich (Hrsg.), VSBG Verbraucherstreitbeilegungsgesetz, 2017, § 19 Rn. 8; Stürner, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 87 ff., 99. Vgl. insoweit auch für den Zivilprozess § 446 ZPO, die Weigerung kann zur Ziehung nachteiliger Schlüsse führen BGH NJW-RR 1991, 888. 266 BT-Drucks. 18/5089, S. 62; Greger, ZZP 128 (2015), 137 ff., 142. Beachte Änderungsvorschlag des Bundesrats, sowie entsprechende Gegenäußerung der Bundesregierung, vgl. BT-Drucks. 18/5760, S. 13, 28. 267 So ist durchaus umstritten, ob die Schlichtungsstelle im Falle einer allgemein erklärten Bereitschaft des Unternehmers an der Verbraucherschlichtung teilzunehmen, auch dann noch eine Gebühr verlangen kann, wenn der Unternehmer auf einen entsprechenden Antrag des Verbrauchers die Ablehnung erklärt; wohl dagegen BT-Drucks. 18/5760, 28; Roder/Röthemeyer/Braun, Verbraucherstreitbeilegungsgesetz, 2017, S. 131. A. A. aber BR-Drucks. 258/15 (Beschluss), S. 21 ff.; Greger, MDR 2016, 365 ff., 368. Für die Universalschlichtungsstelle siehe § 31 Abs. 1 VSBG. 264
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VSBG die Möglichkeit eines Schlichtungsvorschlages nach Aktenlage vor.268 Zwar besteht das naheliegende Risiko, dass der Unternehmer einen solchen Vorschlag nach Aktenlage nicht akzeptiert und sich aus dem Verfahren zurückzieht269, dabei darf allerdings nicht unberücksichtigt bleiben, dass dem Verbraucher auch mit einer neutralen Bewertung des dargestellten Konfliktgeschehens für etwaige weitere Bemühungen der Rechtsverfolgung durchaus geholfen ist.270 Sollte der Streitmittler dann das Bestehen eines Anspruchs des Verbrauchers aufgrund seines Vortrags feststellen, so hat die Mitteilung an den Verbraucher aber immer einen Hinweis auf mögliche Einwendungen der Gegenseite im Falle einer gerichtlichen Durchsetzung zu enthalten. Die Wirkung eines solchen Vorschlages sollte daher auch nicht überschätzt werden. Erweist sich der geltend gemachte Anspruch schon nach den Darlegungen des Verbrauchers als offensichtlich unbegründet, so lehnt der Streitmittler das Schlichtungsverfahren ab. In einem solchen Fall hat der Antrag offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg (vgl. § 14 Abs. 1 Nr. 3 VSBG). Auch dieses Ergebnis führt dann aber zu einem Erkenntnisgewinn beim Verbraucher. e) Ergebnis Der Streitmittler soll also auch die Partei zur Vorlage weiterer Nachweise und Stellungnahmen auffordern, bei der erfahrungsgemäß eine größere Dokumentationsaktivität zu erwarten ist.271 Grundlage für entsprechende Nachfragen sind dabei vor allem der Vortrag der Gegenpartei, aber auch die mit Hilfe entsprechender Fachkenntnisse durchgeführten eigenen Ermittlungen zum Sachverhalt. Diese Kombination aus aktiver Rolle des Streitmittlers und Offenbarungsobliegenheit der Parteien gewährleistet eine effiziente Möglichkeit der Sachverhaltsklärung in der Verbraucherschlichtung. Die Feststellung des Gesetzgebers, dass der Streitmittler „grundsätzlich keine ,Amtsermittlung‘ betreiben“272 muss, sollte wohl dahingehend ergänzt werden, dass er aber im 268 Siehe insofern auch § 13 Abs. 2 LuftSchlichtV; § 6 Abs. 4 S. 1 söp Verfahrensordnung; § 6 Abs. 1 S. 2 Satzung der Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft; § 7 Abs. 4 S. 1 Verfahrensordnung des Versicherungsombudsmannes. Vgl. auch Art. 7 Abs. 3 EuBagatellVO. 269 Vgl. aber auch Greger, Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften über die außergerichtliche Streitbeilegung in Verbrauchersachen und zur Änderung weiterer Gesetze (BT-Drucksache 19/10348), 2019 (https://www.bundestag.de/r esource/blob/648542/ed242b86eaf5f2cc4ec7ac2889eefb92/greger-data.pdf) (geprüft am 01.11.2020), S. 6, der in diese Aspekten einen Anreiz zur aktiven Teilnahme am Verfahren sieht. 270 Gössl, NJW 2016, 838 ff., 839. 271 Stürner, ZZP 2010, 147 ff., 159. A. A. wohl Prütting, in: Althammer/Meller-Hannich (Hrsg.), VSBG Verbraucherstreitbeilegungsgesetz, 2017, § 19 Rn. 17. 272 BT-Drucks. 18/5089, S. 62 a. E. Eine echte Amtsermittlung scheidet schon wegen der
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Falle eines streitigen Vorbringens alle Möglichkeiten zur Sachverhaltsaufklärung auszuschöpfen hat, immer mit Blick auf eine möglichst effiziente Verfahrensführung. Auf diese Weise lässt sich eine „basarartige“ Quotelung273 vermeiden, die immer Gefahr läuft als unbefriedigende Kompromisslösung verstanden zu werden, die mehr auf die Kulanz des jeweiligen Unternehmers als eine Anwendung des materiellen Rechts zurückzuführen ist. Für den Fall eines weitgehend übereinstimmenden Vorbringens der Parteien ist der Streitmittler an dieses Vorbringen gebunden. Der Streitmittler muss dann auch auf die Darstellung eigener Erkenntnisse hinsichtlich des Konfliktfalls unter Hinweis auf besondere Branchenkenntnisse oder anderes Fachwissen verzichten. Weder der Verbraucherschutz noch die Verfahrenseffizienz gebieten in diesem Fall ein Tätigwerden des Streitmittlers. Die Ausführungen haben gezeigt, dass dem Streitmittler durchaus einfache und effiziente Möglichkeiten zur Verfügung stehen, den Konfliktfall so weitgehend aufzuklären, dass eine hinreichende Grundlage für eine rechtliche Bewertung des Konfliktfalls angenommen werden kann. Die von Riehm getroffene Feststellung, dass eine materiell richtige Rechtsanwendung im Rahmen des Schlichtungsvorschlages schon deshalb ausgeschlossen sei, weil schon nicht der zutreffende Sachverhalt ermittelt werden könne, vermag in dieser Absolutheit meines Erachtens nicht zu überzeugen.274 Verbleiben trotz entsprechender Aufklärungsbemühungen des Streitmittlers noch Unklarheiten auf der Tatsachenebene, so wird eine rechtliche Bewertung in Form der Rechtsanwendung kaum zur Konfliktlösung ausreichen. Zwar könnte der Schlichtungsvorschlag sich an der konkreten Verteilung der Beweislast orientieren, ein solcher Vorschlag sollte allerdings nur in Verbindung mit einem ausdrücklichen Hinweis des Streitmittlers zulässig sein. Eine Beweislastentscheidung ist immer eine ultima ratio, die ihren Gerechtigkeitswert erst entfaltet, wenn die Ermittlung des Konfliktfalls auf sinnvolle Grenzen gestoßen ist.275 Der Streitmittler hat die Konfliktparteien demnach konkret darauf hinzuweisen, dass im Rahmen eines Zivilprozesses eine effektivere und im Ergebnis möglicherweise erfolgreichere Tatsachenermittlung möglich ist.276 Die Hinweispflicht in § 19 Abs. 3 S. 1 VSBG genügt dem nicht. Die Mitteilung, dass „der Vorschlag von dem Ergebnis eines gerichtlichen Verfahrens
fehlenden Befugnis des Streitmittlers Unterlagen oder sonstige Beweismittel gegen den Willen der Parteien einzusehen, vgl. Stadler, ZZP 128 (2015), 165 ff., 183. 273 Kramme, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 141 ff., 146. 274 Riehm, JZ 2016, 866 ff., 871. 275 Stürner, ZZP 1985, 237 ff., 255. 276 Prütting, in: Althammer/Meller-Hannich (Hrsg.), VSBG Verbraucherstreitbeilegungsgesetz, 2017, § 19 Rn. 14; Kramme, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 141 ff., 146.
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abweichen kann“ gewährleistet in dieser Pauschalität keine informierte, autonome Entscheidung mit Blick auf die Annahme des Schlichtungsvorschlages.277 f) Exkurs: Der Schutz der Vertraulichkeit Für den Unternehmer birgt eine solch weitgehende Offenlegung im Schlichtungsverfahren allerdings ein nicht unerhebliches Risiko: Da ein solches Vorgehen weiter reicht, als vergleichbare Pflichten im Zivilprozess, besteht die Möglichkeit des Missbrauchs der Verbraucherstreitbeilegung zur reinen Informationsgewinnung für ein späteres Gerichtsverfahren. Das Ergebnis der Sachverhaltsaufklärung ist selbstverständlich für einen späteren Prozess nicht verbindlich und die Parteien an abgegebenen Erklärungen im weiteren Konfliktverlauf nicht gebunden (vgl. § 288 ZPO für den Zivilprozess). Nach dem Sinn und Zweck des Schlichtungsverfahrens sollten die von den Parteien in der Schlichtung freiwillig offengelegten Informationen auch nicht im Rahmen eines späteren Gerichtsverfahrens herangezogen werden können.278 Hinsichtlich des Streitmittlers und seiner Hilfspersonen postuliert der § 22 VSBG eine umfassende Verschwiegenheitspflicht, welche prozessual über ein Zeugnisverweigerungsrecht (§ 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO) abgesichert ist.279 Entsprechend kann der Streitmittler auch nicht zur Vorlage von Urkunden und sonstigen Unterlagen gem. § 142 Abs. 2 ZPO verpflichtet werden. Freilich ist der offenbarenden Partei damit nur bedingt geholfen. Schon ausweislich des Gebots rechtlichen Gehörs (§ 17 Abs. 1 VSBG; deutlicher insofern Art. 9 Abs. 1 lit. a) ADR-Richtlinie), hat der Streitmittler nämlich jedes parteiliche Vorbringen auch der Gegenseite zu offenbaren. Folgerichtig sieht beispielsweise die Schweizer Zivilprozessordnung im Rahmen des Schlichtungsverfahrens eine viel weitgehendere Vertraulichkeit des Verfahrens vor (vgl. Art. 205 ChZPO280). Anders als dem österreichischen Normgeber281, wird man dem deutschen an dieser Stelle ein unzureichendes Problembewusstsein unterstellen müssen und feststellen, dass die Vertraulichkeit in der Verbraucherschlichtung nur unzureichend abgesichert ist.
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So auch Kramme, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 141 ff., 147, 156. 278 Prütting, JZ 1985, 261 ff., 268; vgl. auch zur Güteverhandlung in § 54 ArbGG Hamacher, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm u. a. (Hrsg.), BeckOK ArbR, § 54 Rn. 21. 279 Beachte aber § 22 S. 2 VSBG i. V. m. § 4 S. 3 MediationsG. Insbesondere im Falle der Nichterfüllung einer Abschlussvereinbarung durch eine Partei, wird die Verschwiegenheitspflicht des Streitmittlers durchbrochen. 280 Vgl. hierzu Honegger, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger, Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung (ZPO), 32016, Art. 205 Rn. 1 ff. 281 Vgl. § 6 Abs. 4 des österreichischen Alternative-Streitbeilegung-Gesetz (AStG).
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Den Schutz begründeter Parteiinteressen an einer vertraulichen Schlichtung wird man letztlich nur über vertragliche Vortrags- und Beweisverbote erreichen können. Es bietet sich insoweit ein Rekurs auf einschlägige Schlichtungsordnungen bereits langjährig bestehender Schlichtungsstellen an.282 Gleichzeitig sollte sich die Vereinbarung aber nur auf den Vortrag und entsprechende Nachweise der Gegenseite beziehen, um nicht durch eine zu umfassend formulierte Vertraulichkeitsklausel eine „Flucht in die Schlichtung“ zu ermöglichen.283 Die Parteien müssen sich frei äußern können, ohne in der Möglichkeit des Vorbringens eigener Tatsachenbehauptungen und Beweismittel durch eine unbillige vertragliche Abrede beschränkt zu werden oder durch eine gescheiterte Verbraucherschlichtung an prozessualer Munition hinzuzugewinnen.284 Insofern ist die Interessenlage, mit der im Rahmen einer Mediation285 vergleichbar.
III. Zwischenergebnis – Rechtliche Bewertung als Rechtsanwendung Nach dem Vorstehenden ist unter der geforderten „rechtlichen Bewertung“ des Konfliktfalls gem. § 19 Abs. 1 S. 3 VSBG eine Rechtsanwendung im Sinne einer juristischen Subsumtion des vorgetragenen Sachverhalts unter die einschlägigen Rechtsnormen zu verstehen. Den Konfliktparteien wird hier die Rechtslage vor Augen geführt, um mit Hilfe dieser Darstellungen eine autonome Entscheidung über die Annahme des Schlichtungsvorschlages treffen zu können. Ziel der Verbraucherschlichtung ist also die Selbstverantwortung durch Information. In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass das Modell eines informed consent in der US-amerikanischen Mediationsliteratur schon früh als das Grundprinzip der Mediation angesehen wurde.286 Da in der Mediation die Konfliktlösung aber den Parteien zufällt, soll diese Informiertheit nicht durch den Mediator (Gefahr eines Rollendilemmas), sondern durch
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Vgl. bspw. Art. 14, Art. 20 der UNCITRAL Conciliation Rules, abgedruckt bei Greger/Unberath/Steffek (Hrsg.), Recht der alternativen Konfliktlösung, 22016, § 4 Rn. 55 MediationsG. Siehe insofern auch weitere Verweise bei Wagner, RabelsZ 74 (2010), 794 ff., 809 f. Dazu auch Hacke, Der ADR-Vertrag, 2001, S. 267 ff. 283 Lohr, in: Althammer/Meller-Hannich (Hrsg.), VSBG Verbraucherstreitbeilegungsgesetz, 2017, § 22 Rn. 23. 284 Wagner, RabelsZ 74 (2010), 794 ff., 811. 285 Siehe hierzu Greger, in: Greger/Unberath/Steffek (Hrsg.), Recht der alternativen Konfliktlösung, 22016, § 4 Rn. 49 MediationsG; Wagner, RabelsZ 74 (2010), 794 ff., 808 ff.; ders., NJW 2001, 1398 ff.; Weigel, NJOZ 2015, 41 ff.; Hofmann, SchiedsVZ 2011, 148 ff. 286 Nolan-Haley, Notre Dame Law Review 1999, 775 ff.; Love/Cooley, Ohio State Journal on Dispute Resolution 2005, 45 ff.
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einen anwaltlichen Parteiberater erfolgen. Etwas anderes folgt auch nicht aus § 2 Abs. 6 MediationsG.287 Anders aber in der Verbraucherschlichtung: Hier obliegt dem Streitmittler die rechtliche Bewertung des Streitfalls. Die Verfahrensgestaltung und insbesondere die Begründung des Schlichtungsvorschlages sollen also eine informierte und autonome Entscheidung des Verbrauchers über die Annahme des Schlichtungsvorschlages sicherstellen. Niewisch-Lennartz hat in diesem Kontext den Begriff der „informierten Autonomie“288 geprägt. Zur Verdeutlichung des Pflichtenkreises des Streitmittlers bietet sich der Rekurs auf ein Urteil des OLG Hamm zu den Aufgaben eines anwaltlichen Mediators an: „Der Mediator [Streitmittler] ist verpflichtet, den von beiden Parteien offengelegten streiterheblichen Sachverhalt zu würdigen und beide Parteien über ihre jeweiligen Rechte und Pflichten umfassend zu informieren, ohne Rücksicht darauf, ob dies die Einigung letztlich erschwert oder nicht.“289
Überzeugen diese Vorgaben für die Mediation nur bedingt, so erscheinen sie geradezu wie maßgeschneidert für die Verbraucherschlichtung. Im Rahmen der Ausarbeitung des Schlichtungsvorschlages hat der Streitmittler demnach das materielle Recht auf den Konfliktfall anzuwenden.290 Die maßgebenden Wertungen des materiellen Rechts müssen sich in der Verbraucherschlichtung widerspiegeln.291 Nur so kann sichergestellt werden, dass der Verbraucher nicht in „faule Kompromisse“292 unter Aufgabe seiner im Regelfall starken materiellen Rechtsposition gelockt wird. Die Rechtsanwendung soll dabei den Konflikt objektivieren und den Parteien eine realistische Einschätzung der Rechtslage liefern. Dass dies im Endergebnis eine Einschränkung der Eigenverantwortlichkeit im Rahmen der Konfliktlösung bedeutet, entspricht einerseits dem Interesse der Konfliktparteien und ist andererseits zum Schutz des Verbrauchers im Verfahren notwendig.293 Im Übrigen steht ein solches Verständnis mit der vom Gesetzgeber intendierten und im Verhältnis zum Referentenentwurf gesteigerten Bedeutung des materiellen Rechts im Einklang.294 287
Vgl. Greger, in: Greger/Unberath/Steffek (Hrsg.), Recht der alternativen Konfliktlösung, 22016, § 2 MediationsG Rn. 210 ff., 279 ff. 288 Niewisch-Lennartz, ZKM 2015, 136 ff., 139. Siehe aber auch schon bei Breidenbach, Mediation, 1995, 287. 289 OLG Hamm MDR 1999, 836. 290 Gsell, ZZP 128 (2015), 189 ff., 199 f. 291 H. Roth, JZ 2013, 637 ff., 643. 292 Eidenmüller/Engel, ZIP 2013, 1704 ff., 1707. 293 Hacke, Der ADR-Vertrag, 2001, 191. Siehe oben zur faktischen Bindungswirkung des Schlichtungsvorschlages § 8 IV 1 b) aa). 294 So findet sich im VSBG-RefE dann auch an keiner Stelle das Erfordernis einer rechtlichen Bewertung durch den Streitmittler.
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Eine rechtliche Bewertung ist von dem Streitmittler immer dann zu fordern, sollte die Verfahrensordnung auf einen Schlichtungsvorschlag abzielen. So systemwidrig eine rechtliche Bewertung des Verfahrensverantwortlichen im Rahmen eines Mediationsverfahrens wäre, so dringend erforderlich ist sie in einem Verfahren, dass sich eine Stärkung der Durchsetzung der Verbraucherrechte auf die Fahne schreibt.295 Die Ausblendung rechtlicher Gesichtspunkte und Argumente ist in einem Verbraucherschlichtungsverfahren weder interessensgerecht, noch zielführend. Eine Freistellung des Streitmittlers von der Anwendung des Verbraucherrechts würde vielmehr zu einem geradezu absurd anmutenden Bruch in der Verbraucherschutzkonzeption der Europäischen Union führen. Während der staatliche Richter zur Beachtung der verbraucherschützenden Vorgaben von Amts wegen verpflichtet ist, und es insofern sogar zur Durchbrechung des Verhandlungsgrundsatzes sowie der Dispositionsmaxime zum Schutze des Verbrauchers kommt, wäre die genuin ausschließlich auf die Beilegung von verbraucherrechtlichen Streitigkeiten konzipierte Verbraucherschlichtung von jeglicher Bearbeitung des Verbraucherschutzrechts befreit.
IV. „Außerrechtliche“ Faktoren und Verbraucher-ADR Allerdings folgt aus dieser Präferenz für eine rechtsorientierte Lösung (vgl. § 19 Abs. 1 S. 2 VSBG „[…] soll am geltenden Recht ausgerichtet sein […]“) nicht notwendigerweise, dass der finale Konfliktlösungsvorschlag ausschließlich auf dieser Bewertung zu basieren hat.296 Denn nicht in jedem Fall wird die rechtliche Bewertung zu einer befriedigenden Konfliktlösung führen können. Dementsprechend spricht der Gesetzeswortlaut auch nur von einer „Ausrichtung“ des Schlichtungsvorschlages am geltenden Recht, was schon terminologisch etwas anderes sein muss, als die Konfliktlösung ausschließlich auf Basis einer Rechtsanwendung. Eine strikte Rechtsbindung des Schlichtungsvorschlages und damit auch des Streitmittlers wäre im Übrigen auch kaum vereinbar mit dem – in seiner konkreten Reichweite freilich hoch umstrittenen – Gestaltungsspielraum des Zivilrichters in der obligatorischen Güteverhandlung § 278 Abs. 2 ZPO (oder als Güterichter § 278 Abs. 5 ZPO).297 So ist dem staatlichen Richter gem. § 278 Abs. 2 S. 2 ZPO eine Abwägung der Einigungschancen unter Berücksichtigung aller rechtlicher, allerdings auch wirtschaftlicher und psychologischer 295
Siehe dazu oben § 6 VI 3. Gössl, RIW 2016, 473 ff., 479; Röthemeyer, in: Borowski/Röthemeyer/Steike (Hrsg.), VSBG, 2016, § 19 Rn. 33, 47. 297 Niewisch-Lennartz, ZKM 2015, 136 ff., 139. Siehe auch Empfehlungen der Ausschüsse zur Stellungnahme des Bundesrates BR-Drucks. 258/1/15, S. 27 ff. Ebenso auch Roder/Röthemeyer/Braun, Verbraucherstreitbeilegungsgesetz, 2017, 157 f. 296
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Umstände aufgegeben.298 Konsequenterweise werden diese Erwägungen dann auch im Rahmen eines richterlichen Einigungsvorschlags gem. § 278 Abs. 6 S. 1 Alt 2 ZPO Berücksichtigung finden, sodass dieser nicht ausschließlich auf einer Rechtsanwendung basieren wird. Insbesondere für die Tätigkeit als Güterichter ist dabei freilich zu beachten, dass auch diese einen Teil der richterlichen Amtsausübung darstellt, bei der grundsätzlich eine Gesetzesbindung besteht.299 Welche konkreten normativen Grenzen dem Richter im Rahmen seiner Vergleichstätigkeit zu setzen sind, ist bisher kaum behandelt worden.300 Entsprechend stellt Kocher fest, dass „das systematische Verhältnis der schlichtenden und der entscheidenden Tätigkeit der Zivilgerichte […] im deutschen Recht alles andere als geklärt“ ist.301 Unumstritten ist allerdings, dass die Güterichterverhandlung auf eine andere Form Konfliktlösung abzielt, als die verbindliche Entscheidung des Konfliktfalls durch den auf strikter Rechtsanwendung basierenden richterlichen Urteilsspruch. Dementsprechend wird aber erst Recht der Streitmittler in seinem Schlichtungsvorschlag von seiner rechtlichen Bewertung abweichen und außerrechtliche Erwägungen heranziehen können. Welche außerrechtlichen Faktoren können also im Rahmen einer Verbraucherschlichtung relevant werden? Die ADR-Richtlinie nennt in Art. 7 Abs. 1 lit. i) neben Rechtsvorschriften als Beispiele, Billigkeitserwägungen und Verhaltenskodizes.302 Entsprechende Regelbeispiele fehlen im VSBG. So macht der Gesetzgeber in § 3 Nr. 6 VSBInfoV deutlich, dass der Lösungsvorschlag nicht zwingend ausschließlich an rechtliche Vorgaben orientiert sein muss, sondern auch andere Parameter berücksichtigen kann. Ungünstig ist dabei, dass trotz der Transparenzvorgabe in Art. 7 Abs. 1 lit. i) ADR-Richtlinie das nationale Umsetzungsgesetz den Verbraucher im Unklaren darüber lässt, um welche Bewertungsfaktoren es sich hierbei im Einzelnen handeln kann. Der Verbraucher ist zwar gem. §§ 10 Abs. 1 i. V. m. 42 Abs. 1 Nr. 3 VSBG i. V. m. § 3 Nr. 6 VSBInfoV auf der Website der Verbraucherschlichtungsstelle darüber 298 Baumbach/Lauterbach/Albers u. a., Zivilprozessordnung, 792021, § 278 Rn. 22; Prütting, in: Rauscher/Krüger/Becker-Eberhard (Hrsg.), Münchener Kommentar ZPO, 6 2020, § 278 Rn. 12. 299 Greger, in: Greger/Unberath/Steffek (Hrsg.), Recht der alternativen Konfliktlösung, 2 2016, E Rn. 48 ff.; Prütting, in: Rauscher/Krüger/Becker-Eberhard (Hrsg.), Münchener Kommentar ZPO, 62020, § 278 Rn. 34; H. Roth, ZfPW 2017, 129 ff., 140 f.; ders., in: Althammer (Hrsg.), Freiwilligkeit, Zwang und Gerechtigkeit im Kontext der Mediation, 2013, S. 109 ff., 113 f.; Wolf, in: Gottwald (Hrsg.), Der Prozeßvergleich, 1983, S. 153 ff.; 300 Stürner, DRiZ 1976, 202 ff.; Wolf, in: Gottwald (Hrsg.), Der Prozeßvergleich, 1983, S. 153 ff.; Kocher, Funktionen der Rechtsprechung, 2007, S. 446 ff. Siehe aktuell Wendland, Mediation und Zivilprozess, 2017, 512 ff., 525 ff. 301 Kocher, Funktionen der Rechtsprechung, 2007, 288. 302 Die Empfehlung der Kommission 2001/310/EG nannte noch die „anerkannte Industrie-Praxis“ als mögliche Bewertungsgrundlage (unter B. 3. e).
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zu informieren, auf welche Regelungen und Erwägungen sich die Verbraucherschlichtungsstelle bei der Beilegung der Streitigkeit stützt. Aus welchem Grund diese verfahrenswesentliche Information allerdings nicht Eingang in die zentrale Vorschrift über die Informationspflichten der Verbraucherschlichtungsstelle (§ 16 VSBG) gefunden hat, leuchtet nicht ein. Ebenso fehlt ein Bezug zum konkreten Verfahren. Der Streitmittler muss also nicht besonders kenntlich machen, aus welchem Grund er von seiner rechtlichen Bewertung abweicht.303 Diese nur kursorische Information wird vom Gesetzgeber damit begründet, dass eine vollständige Darstellung der Bewertungsmaßstäbe „weder möglich noch für die Parteien verständlich“ wäre und „nicht zur angestrebten Transparenz des Verfahrens beitragen“ würde.304 Dem Grunde nach ist diese Zurückhaltung zwar verständlich, überzeugt im Ergebnis gleichwohl nicht. Es ist nämlich auch mit dieser Argumentation nicht nachvollziehbar, aus welchem Grund der Gesetzgeber darauf verzichtet, für den konkret unterbreiteten Schlichtungsvorschlag eine hinreichend Information des Verbrauchers sicherzustellen.305 Welche Kriterien im Rahmen des jeweiligen Schlichtungsvorschlages dann letztlich maßgeblich waren und aus welchem Grund der Streitmittler den Vorschlag möglicherweise unter Abweichung von der rechtlichen Bewertung entwickelt hat, wird für die Verfahrensbeteiligten – mangels entsprechender Hinweispflicht – schwer nachzuvollziehen sein oder sogar gänzlich verborgen bleiben.306 Nicht nur unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten erscheint diese weitgehende Offenheit bei gleichzeitiger Suggestion einer rechtlichen Bindung höchst fragwürdig. Entsprechend kritisiert Fries, dass sich diese fehlende Transparenz hinsichtlich des Ergebnismaßstabs in der Verfahrenspraxis der bestehenden Schlichtungsstellen niederschlägt.307 Die Verfahrensordnungen der Schlichtungsstellen schreiben überwiegend vor, dass die Konfliktlösung auf Recht und Gesetz zu beruhen hat, stellen aber gleichzeitig fest, dass darüber hinaus bzw. zusätzlich auch allgemeine Fairness und Billigkeitsgesichtspunkte (Treu
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Wolf, in: Gottwald (Hrsg.), Der Prozeßvergleich, 1983, S. 153 ff., 155, der für die Vergleichstätigkeit des Richters eine entsprechende Hinweispflicht fordert. 304 BR-Drucks. 530/15, S. 11. 305 Vgl. § 8 IV 3 b). 306 Beachte insofern auch den Vorschlag des Rechtsausschuss, sowie des Ausschuss für Agrarpolitik und Verbraucherschutz des Bundesrats zur Formulierung des § 19 Abs. 1 VSBG „(1)Unterbreitet der Streitmittler den Parteien nach der Verfahrensordnung einen Vorschlag zur Beilegung der Streitigkeit (Schlichtungsvorschlag), so ist dieser mit einer Begründung zu versehen, aus der sich der Sachstand, die rechtliche Bewertung des Streitmittlers und für den Fall, dass der Vorschlag von der Rechtslage abweicht, die hierfür maßgeblichen Gründe ergeben.“ [Hervorh. d. Verf.], vgl. BR-Drucks. 258/1/15, S. 27. 307 Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, 2016, 198 f. m. w. N.
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und Glauben) Anwendung finden können.308 Dieser Befund zum Beurteilungsmaßstab der Verbraucher-ADR-Stellen überrascht wenig, entspricht er doch dem Ergebnis der bereits vor in Kraft treten der ADR-Richtlinie durchgeführten europaweiten Studie von Hodges, Benöhr und CreutzfeldtBanda.309 Festgehalten werden soll an dieser Stelle, dass Anknüpfungspunkt der vorstehenden Kritik gerade nicht die Möglichkeit zur Berücksichtigung außerrechtlicher Faktoren durch den Streitmittler ist, sondern vielmehr der Verzicht auf eine gesetzliche Transparenzvorgabe, welche den Konfliktparteien Kenntnis über die für den konkreten Schlichtungsvorschlag ausschlaggebenden Erwägungen gibt. Die Möglichkeit einer „Überstimmung“ der rechtlichen Bewertung durch außerrechtliche Faktoren ist ein elementarer Vorteil der Schlichtung gegenüber der staatlichen Ziviljustiz, gleichzeitig muss aber daran erinnert werden, dass ein intransparenter Entscheidungsmaßstab der Türöffner für Willkür ist.310 1. Billigkeitsmaßstab Wenn die ADR-Richtlinie Billigkeitserwägungen nennt, so muss zunächst geklärt werden, was unter diesem Begriff zu verstehen ist. Entscheidungen nach Billigkeit (ex aequo et bono) sind der staatlichen Gerichtsbarkeit prinzipiell fremd (vgl. Art. 97 Abs. 1 GG i. V. m. § 1 GVG) – die wenigen Ausnahmen (vgl. §§ 253 Abs. 2; 315 Abs. 3, 319 Abs. 1, 343 Abs. 1 S. 1/2; 574a
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§ 7 Abs. 2 Verfahrensordnung für die außergerichtliche Schlichtung von Kundenbeschwerden Im Bereich der deutschen genossenschaftlichen Bankengruppe; § 6 Abs. 4 Verfahrensordnung des Ombudsmanns der privaten Banken; § 15 Abs. 1 Verfahrensordnung der Ombudsstelle für Investmentfonds; § 9 Abs. Verfahrensordnung der Schlichtungsstelle Bausparen; unter III (3) der Verfahrensordnung für die Schlichtung von Beschwerden im Bereich des Bundesverbandes Öffentlicher Banken Deutschlands (VÖB); § 13 Abs. 2 Verfahrensordnung der Ombudsstelle des Verbandes unabhängiger Vermögensverwalter Deutschland e. V.; § 12 Abs. 2 SchliO-Post; § 9 Abs. 2 Finanzschlichtungsstellenverordnung. Als Ausnahme muss hier allerdings die söp-Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr e. V. (§ 6 Abs. 1 S. 2 VerfO), der Versicherungsombudsmann e. V. (vgl. § 6 Abs. 4 S. 1 VerfO) und die behördliche Schlichtungsstelle Luftverkehr beim Bundesamt für Justiz (vgl. § 14 Abs. 1 S. 2 LuftSchlichtV) genannt werden, die den Schlichtungsvorschlag als das Resultat der rechtlichen Prüfung des Konflikts durch den Streitmittler ansehen. Dieses Bekenntnis zur Rechtsanwendung wird durch die insoweit notwendige Vorgabe ersetzt, dass die Schlichter ihre juristische Kompetenz über die Befähigung zum Richteramt nachzuweisen haben. 309 Hodges/Benöhr/Creutzfeldt-Banda, Consumer ADR in Europe, 2012, 412 ff. 310 H. Roth, ZZP 129 (2016), 3 ff., 7; Stürner, ZZP 127 (2014), 271 ff., 329 ff.
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Abs. 2; 660 Abs. 1; 1024, 1060 BGB; § 89b Abs. 1 Nr. 2 HGB; §§ 91a Abs. 1 S. 1, 287 ZPO) bestätigen insofern nur den höheren Grundsatz.311 Dem Grunde nach soll die Berücksichtigung von Billigkeitserwägungen immer eine sachadäquate und einzelfallgerechte Beurteilung des Konfliktfalls gewährleisten. Bezugspunkt ist also nicht ein formales Verständnis der Gerechtigkeit im Sinne einer unbedingten Gleichbehandlung, sondern die materielle Gerechtigkeit im Einzelfall.312 Gerade für das Verbrauchervertragsrecht sei aber daran erinnert, dass sich dieser Billigkeitsgedanke schon erheblich weiter – hin zu einer „Moralisierung des Rechts“313 – entwickelt hat. So wird man beispielsweise dem § 241a BGB sowie § 661a BGB ausschließlich eine dem öffentlichen Interesse dienende, erzieherische Funktion zuschreiben müssen, die dann mit Mitteln des Privatrechts durchgesetzt wird. Eine Berücksichtigung der „Billigkeit“ muss dabei immer auch im Blick haben, dass das Verbrauchervertragsrecht in vielfacher Hinsicht bereits auf die Gewährleistung einer materiellen Gerechtigkeit abzielt. 2. Unternehmerische Verhaltensregelwerke Für den Schlichtungsvorschlag können weiterhin unternehmerische Leitsätze und freiwillige Verhaltensregelwerke bestimmter Wirtschaftsbereiche von Bedeutung sein, welche zugunsten des Kunden ein gesteigertes Schutzniveau vorsehen, um so im Wettbewerb eine besondere Unternehmensund/oder Produktqualität dokumentieren zu können.314 Beispielsweise existiert für die Datenverarbeitung in der deutschen Versicherungswirtschaft ein Datenschutzkodex, um einen einheitlichen und transparenten Umgang mit personenbezogenen Daten der Kunden zu gewährleisten.315 Auch im elektronischen Rechtsverkehr haben entsprechende Gütesiegel einen nicht unerheblichen Werbeeffekt und stellen nicht selten ein zentrales kaufentscheidendes Kriterium dar.316 Um dem Verbraucher die Möglichkeit zu geben, die sich 311
Münch, in: Rauscher/Krüger/Becker-Eberhard (Hrsg.), Münchener Kommentar ZPO, 52017, § 1051 Rn. 45. 312 Siehe dazu Kocher, Funktionen der Rechtsprechung, 2007, 30 f.; Calliess, Grenzüberschreitende Verbraucherverträge, 2006, 367 ff. 313 Heiderhoff, Grundstrukturen des nationalen und europäischen Verbrauchervertragsrechts, 2004, 382 ff. 314 BT-Drucks. 14/6040, S. 171. 315 Abrufbar unter http://www.gdv.de/wp-content/uploads/2017/01/121108 CoC gen ehmigt Berliner DS-Beauftragter Logo GDV.pdf. Rechtsgrundlage ist dabei der § 38a Bundesdatenschutzgesetz. 316 Vander, K u. R – Kommunikation und Recht 2003, 339 ff.; Brönneke, in: Tamm/ Tonner/Bergmann (Hrsg.), Verbraucherrecht, 2016, § 10 Rn. 33 ff. Siehe beispielhaft für den Bereich e-commerce die Gütesiegel des TÜV SÜD (Anforderungskatalog abrufbar unter https://www.tuev-sued.de/uploads/images/1511869177358022571427/anforderung en-shopsb2c.pdf), Trusted Shops-Siegel (Qualitätskriterien abrufbar unter http://www.tru
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aus den Kodizes ergebenden Rechte zur Kenntnis zu nehmen und geltend zu machen, sieht § 312i Abs. 1 Nr. 2 BGB i. V. m. Art. 246c Nr. 5 EGBGB eine entsprechende Informationsverpflichtung des Unternehmers vor. Aber auch außerhalb des elektronischen Rechtsverkehrs bietet es sich für den branchenkundigen Streitmittler an, auf bestehende Verhaltenskodizes hinzuweisen und diese bei der Konfliktlösung miteinzubeziehen. Der breiten Öffentlichkeit bekannt sind insbesondere die vom Deutschen Institut für Normung e. V. erarbeiteten Normen (DIN-Normen). Handelt es sich dabei überwiegend um produktbezogene Standards, so weitet das Institut ihr Tätigkeitsfeld auch auf die Entwicklung und Implementierung weniger „technisch“, als mehr „rechtlich“ geprägter Mindeststandards für den Dienstleistungssektor aus.317 Diese Dienstleistungsnormen legen dabei „Anforderungen fest, die durch eine Dienstleistung erfüllt werden müssen, um eine Zweckdienlichkeit zu erfüllen“.318 Solche branchenspezifischen Vorgaben und Verhaltenskodizes (code of conduct) binden den Unternehmer mangels Rechtsbindungswillen, nach wohl zutreffender Auffassung, zwar nicht ohne Weiteres vertraglich gegenüber dem Verbraucher, ihnen kommt aber zumindest mittelbare Wirkung bei der Auslegung vertraglicher Vereinbarungen zu.319 Entsprechendes gilt auch für berufs- und standesrechtliche Regelwerke, bei denen, um berufsrechtliche Konsequenzen zu vermeiden, allerdings ein faktischer Zwang des Unternehmers zur Einhaltung besteht. Ein gleichsam neues Anwendungsfeld könnte solchen Vorgaben allerdings im Zuge eines Verbraucherstreitbeilegungsverfahrens zuteilwerden. Im Rahmen eines freiwilligen außergerichtlichen Verfahrens besteht für den neutralen Dritten durchaus die Möglichkeit auf entsprechende Branchenmin-
stedshops.com/tsdocument/TS QUALITY CRITERIA de.pdf), EHI-Siegel (Prüfkriterien abrufbar unter https://ehi-siegel.de/fileadmin/redaktion/gos contracts/gos-Kriterien 160926.pdf) und das Internet Shopping Gütesiegel ips (Vergabe- und Nutzungsbedingungen abrufbar unter https://www.datenschutz-cert.de/fileadmin/datenschutz-cert/media/D ownloads/ips/VergabeNutzungsbedingungen 20160322.pdf). 317 Busch, NJW 2010, 3061 ff. 318 https://www.din.de/de/service-fuer-anwender/normungsportale/dienstleistungsport al/dienstleistungsfelder (geprüft am 01.11.2020). Dort auch ein Überblick über die entsprechenden Dienstleistungsfelder. Siehe dazu auch die Deutsche Normungsroadmap-Dienstleistungen, abrufbar unter: https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Downloa ds/C-D/deutsche-normungsroadmap-dienstleistungen.pdf? blob=publicationFile&v=4 (geprüft am 01.11.2020). 319 Wendehorst, in: Säcker/Armbrüster (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, 82018, § 312i Rn. 81; Engler, Private Regelsetzung, 2017, 63 ff. m. w. N. A. A. angedeutet bei Grigoleit, NJW 2002, 1151 ff., 1158. Indirekt besteht für den Kunden bei einem abweichenden Verhalten aber grundsätzlich die Möglichkeit über den betreffenden Verband Druck auf den Unternehmer auszuüben.
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deststandards im Rahmen des Schlichtungsvorschlages zurückzugreifen, gerade auch um eine rechtliche Bewertung zu ergänzen.320 Neben einer gewissen Indizwirkung, kann den entsprechenden Vorgaben auch Bedeutung bei der Auslegung und Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe und vertraglicher Abreden zukommen.321 Dabei ist zu beachten, dass je weiter entsprechende Regelungswerke innerhalb einer Branche verbreitet sind, sie umso stärker die Erwartungen der Marktteilnehmer beeinflussen und sich schon deshalb als Orientierungshilfe im Konfliktfall anbieten. 3. Parteiinteressen Möglich erscheint auch eine Orientierung des Schlichtungsvorschlages an den Interessen der Konfliktparteien. So wird der Fokus auf außerrechtliche Interessen als wesentlicher Vorzug der alternativen Streitbeilegungsverfahren im Vergleich zum Zivilverfahren angesehen. Allerdings wurde schon an anderer Stelle der Frage nachgegangen, ob dieser Interessensbezug im Bereich der Verbraucherstreitigkeiten in vielen Fällen nicht synonym für die Erwartung einer rechtlichen Bewertung steht.322 Die Einbeziehung außerrechtlicher Parameter besteht nach dem oben gefundenen Ergebnis oftmals primär auf Seiten des Unternehmers, auch da dessen Markt- und Verhandlungsmacht durch Rechtsvorgaben erheblich eingeschränkt wird.323 Hierfür ist das von Riehm gewählte Fallbeispiel geradezu programmatisch. Nach Riehm soll im Rahmen einer vergleichsweisen Vereinbarung, die „widerrufsbedingte“ Rückabwicklung eines Fernabsatzvertrages, durch Erstattung des Kaufpreises in Form eines Einkaufsgutscheins, unter dem „Entgegenkommen“ des Unternehmers darauf zu verzichten, den Verbraucher auf eine „schwarze Liste“ für Hochretournierer zu setzten, unproblematisch möglich sein. Aus rechtlicher Perspektive ist hier nicht nur der eindeutige Verstoß gegen § 355 Abs. 3 S. 1 BGB kritisch zu sehen. Mehr noch, erweist sich die Drohung mit einem Kontrahierungsverzicht durch den Unternehmer, als wirksames außerrechtliches Mittel, um Druck auf den Verbraucher aufzubauen. Zweifelhaft ist, ob eine solche Drohung mit Blick auf die marktbeherrschende Stellung mancher Online-Händler als zulässig angesehen werden kann oder
320
Elser, Mediation als Verbraucher-ADR-Verfahren, 2015, 200 ff. Busch, NJW 2010, 3061 ff., 3066; BGH NJW 1998, 2814. 322 Vgl. § 16 I 2. Ebenso Röthemeyer, in: Borowski/Röthemeyer/Steike (Hrsg.), VSBG, 2016, § 18 Rn. 22, „Ob sich im Verbraucherstreit ein Bedürfnis ergibt, Interessen jenseits der Rechtslage aufzuspüren und zur Geltung sowie im besten Fall zum Ausgleich zu bringen, mag bezweifelt werden.“. 323 Scherpe, Außergerichtliche Streitbeilegung in Verbrauchersachen, 2002, 23 ff., 40 ff.; Eidenmüller/Engel, ZZP 128 (2015), 149 ff., 151. 321
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ob darin vielmehr eine Umgehung des Widerrufsrechts liegt.324 Ein entsprechender Schlichtungsvorschlag würde dieses Verhalten aber gleichsam faktisch „legalisieren“ und das entsprechende Schutzrecht egalisieren. Nicht aus dem Blick geraten sollte auch, dass gerade solche konsensorientierte und auf Kulanz des Unternehmers aufbauende Billigkeitslösung bereits das Ziel von unternehmensinternen Streitbeilegungsmechanismen ist. Diese Streitbeilegungsprogramme der Marktteilnehmer (z. B. eBay-Käuferschutz325, Amazon Buyer Dispute Program326, PayPal Käuferschutz327, Airbnb Mediations-Center328) werden weder von der ADR-Richtlinie, noch von dem VSBG erfasst. Üblicherweise wird dem Verbraucher hier bewusst sein, dass es sich um eine zusätzliche Service-Dienstleistung des jeweiligen Unternehmers handelt, um die Verbraucherzufriedenheit sicherzustellen. Offensichtlich ist für ihn dann aber auch, dass das Ziel dieser Konfliktlösungsinstrumente nicht die Durchsetzung seiner Ansprüche, sondern vielmehr die Lösung des Konflikts zu gegenseitiger Zufriedenheit ist.329 Will die Verbraucherschlichtung mehr sein, als ein solches „Imagepflegeinstrumente für Unternehmer“330 so muss sie sie auch hinsichtlich ihrer Verfahrenszielsetzung von unternehmensinternen Schlichtungstools unterscheiden. 4. Prozessrisikoanalyse Vielfach wird die Erwartung formuliert, dass die Bewertung des Streitmittlers der Einstieg in eine Prozessrisikoanalyse sein könnte oder der Streitmittler seinen Schlichtungsvorschlag sogar auf Basis einer solchen erarbeiten sollte.331 Unter diesem Begriff versteht man den Versuch einer stochastischen Bewertung der Erfolgsaussichten einer Zivilklage.332 324 Dazu Wendehorst, in: Krüger/Säcker/Rixecker (Hrsg.), Münchener Kommentar BGB, 82019, § 312g Rn. 60 ff. Riehm hingegen hat ein solches Vorgehen mit Verweis auf OLG Hamburg MMR 2005, 617 für „ohne Weiteres zulässig“, Riehm, JZ 2016, 866 ff., 870. 325 https://resolutioncenter.ebay.de/ (geprüft am 01.11.2020). 326 https://pay.amazon.com/de/help/201751580 (geprüft am 01.11.2020). 327 https://www.paypal.com/de/webapps/mpp/resolution-help (geprüft am 01.11.2020). 328 https://www.airbnb.de/help/article/767/what-is-the-resolution-center (geprüft am 01.11.2020). 329 Dazu Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, 2016, S. 244 ff. 330 Ders., Verbraucherrechtsdurchsetzung, 2016, S. 198. 331 Braun/Weiser, in: Althammer/Meller-Hannich (Hrsg.), VSBG Verbraucherstreitbeilegungsgesetz, 2017, § 3 VABInfoV Rn. 23; Röthemeyer, in: Borowski/Röthemeyer/Steike (Hrsg.), VSBG, 2016, § 6 Rn. 23 und § 19 Rn. 39, 51; Roder/Röthemeyer/Braun, Verbraucherstreitbeilegungsgesetz, 2017, 70, 163; ebenso wohl auch Greger, MDR 2016, 365 ff., 367, der von der Berücksichtigung von „Wahrscheinlichkeitsüberlegungen“ spricht. 332 Eidenmüller, ZZP 113 (2000), 5 ff. Ausführlich Risse/Morawietz, Prozessrisikoanalyse, 2017.
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Ziel der Analyse ist es, den Parteien die – insbesondere finanziellen – Risiken einer gerichtlichen Geltendmachung ihrer Rechte vor Augen zu führen. Als sinnvoll kann sich insbesondere eine Streuungsanalyse herausstellen, die dem antragsstellenden Verbraucher das Risiko eines Totalausfalls bei einer gerichtlichen Rechtsdurchsetzung beziffert. Da das Recht der alleinige Entscheidungsmaßstab des Richters ist, wird notwendige Voraussetzung einer solchen Risikoanalyse aber immer die Anwendung des materiellen Rechts auf den Konfliktfall sein. Im Ergebnis handelt es sich also nur bedingt um einen außerrechtlichen Maßstab. Der Streitmittler berücksichtigt dabei aber auch alle möglichen „Unsicherheitsfaktoren“ (beachte aber § 14 Abs. 2 Nr. 4 lit. b) VSBG) und kommt auf Basis dieser Bewertung zu einem transparenten Vergleichsvorschlag. Eine solche Risikoanalyse wird dabei umso aussagekräftiger, je weiter der maßgebliche Konfliktsachverhalt aufgeklärt werden kann. Auch an dieser Stelle kann also die Forderung nach einer erhöhten Flexibilität des Streitmittlers bei der Sachaufklärung nur wiederholt werden.333
§ 18 Rechtsverwendung – Schlichtungsvorschlag und zwingendes Verbraucherschutzrecht Wurde bisher nur der Problematik nachgegangen, ob der Konfliktbearbeitung eine Anwendung des materiellen Rechts zugrunde zu liegen hat, so muss als logische Folgefrage beantwortet werden, ob das erarbeitete Schlichtungsergebnis von den Vorgaben des materiellen Rechts abweichen kann. Im Fokus steht an dieser Stelle also nicht mehr die Anwendung des Rechts auf den individuellen Konfliktfall, sondern die rechtsverbindliche Manifestierung des Schlichtungsergebnisses. Wollen die Parteien nicht auf den „good will“ der Gegenseite vertrauen, haben sie regelmäßig ein Interesse daran, dass das in der Schlichtung gefundene Ergebnis nicht nur tatsächlich, sondern auch rechtlich bindend ist. Keiner eingehenderen Untersuchung bedarf die Frage, ob der Schlichtungsvorschlag zu einer Regelung führen kann, die von dispositivem Gesetzesrecht abweicht. Gerade diese Möglichkeit stellt ja einen essentiellen Vorteil der alternativen Streitbeilegung dar. Der Schlichtungsvorschlag kann demnach ohne Weiteres auf eine Ausgestaltung abzielen, die in der Rechtsordnung in dieser Form nicht vorgesehen ist.334 Der Schlichtungsvorschlag unterliegt als privatautonome Vereinbarungen allerdings den durch das zwingende Recht gesetzten Grenzen. Führt er gem. 333 334
Siehe auch Heese, SchiedsVZ 2011, 30 ff., 36. BVerfG NJW-RR 2007, 1073 ff., 1074.
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§ 19 VSBG zu einer Vereinbarung zwischen einem Verbraucher und Unternehmer, könnte das zwingende Verbraucherschutzrecht den Gestaltungsspielraum der Parteien erheblich begrenzen. Im Folgenden gilt es, die europäischen und nationalen Rechtssetzungsakte hinsichtlich ihrer Vorgaben zum zwingenden Verbraucherschutzrecht im Rahmen einer konfliktbeilegenden Vereinbarung näher zu untersuchen. Letztendlich muss dabei die Frage beantwortet werden, ob das Ziel der Konfliktbeilegung eine Durchbrechung des Unabdingbarkeitsgrundsatzes im Verbrauchervertragsrecht rechtfertigen kann.
I. Die Vorgaben der ADR-Richtlinie 1. Das Rechtmäßigkeitsprinzip in der Entwicklung Mit Blick auf Vergleichsvorschläge im Rahmen einer außergerichtlichen Streitbeilegung unter der Zuhilfenahme nicht-rechtlicher Bewertungskriterien, positionierte sich der europäische Gesetzgeber 1998 noch eindeutig: „Diese Flexibilität hinsichtlich der Rechtsgrundlage ihrer Entscheidungsfindung darf nicht dazu führen, dass das Schutzniveau des Verbrauchers im Vergleich zu dem Schutz, der ihm bei Anwendung des Rechts im Sinne des Gemeinschaftsrechts durch ein Gericht zuteil werden würde, geschmälert wird.“335
Entsprechend empfahl die Kommission für jede Einrichtung, der die außergerichtliche Beilegung von Rechtsstreitigkeiten obliegt, die Wahrung des Grundsatzes der Rechtmäßigkeit: „V Grundsatz der Rechtmäßigkeit Eine Entscheidung der Einrichtung darf nicht zur Folge haben, dass der Verbraucher den ihm durch die zwingenden Bestimmungen des Rechts des Mitgliedstaats, in dem die Einrichtung ihren Sitz hat, gewährten Schutz verliert.“336
Ausweislich der Erwägungsgründe gilt dies ausdrücklich auch für Verfahren, die lediglich mit einem Vergleichsvorschlag oder einer Empfehlung des Streitbeilegungsorgans enden, da „unter ,Entscheidungen‘ im Sinne dieser Empfehlung […] für die Parteien bindende Entscheidungen, Empfehlungen oder Vergleichsvorschläge außergerichtlicher Einrichtungen zu verstehen […]“337 sind. Die Geltung des Rechtmäßigkeitsprinzips für alle Verfahren der außergerichtlichen Streitbeilegung würde also eine Abweichung von zwingendem Verbraucherschutzrecht ausdrücklich unterbinden.
335
Empfehlung der Kommission 98/257/EG, L 115/32. Empfehlung der Kommission 2001/310/EG, L 115/34. 337 Empfehlung der Kommission 2001/310/EG, S. 32. 336
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Ebenso formuliert das Grünbuch aus dem Jahr 2002, dass Gegenstand eines ADR-Verfahrens nicht die nicht abdingbaren Rechte des Verbraucherrechts sein können.338 Vor diesem Hintergrund verdient auch der Art. 1 Abs. 2 S. 1 der Mediations-RL Beachtung: „Diese Richtlinie gilt bei grenzüberschreitenden Streitigkeiten für Zivil- und Handelssachen, nicht jedoch für Rechte und Pflichten, über die die Parteien nach dem einschlägigen anwendbaren Recht nicht verfügen können.“
Zwar nimmt die Richtlinie dabei ausweislich ihres EWG 10 insbesondere Regelungen des Familien- und Arbeitsrechts in den Blick, da allerdings große Bereiche des Verbraucherschutzrechts auch die Dispositionsfreiheit einschränken, scheint für Streitigkeiten, die zwingendes Verbraucherrecht zum Gegenstand haben, noch nicht einmal der Anwendungsbereich der Richtlinie eröffnet zu sein. Ein solches Verständnis des Art. 1 Abs. 2 Mediations-RL würde allerdings den Anwendungsbereich der Mediation als alternatives Konfliktbearbeitungsinstrument stark verkürzen. Insofern haben Wagner/Thole in Anlehnung an die Auslegungszweifel um den Begriff der Schiedsfähigkeit vorgeschlagen, nur solche Konflikte von dem Anwendungsbereich auszunehmen, in denen der Staat ein Rechtsschutzmonopol für sich in Anspruch nimmt (z. B. Ehescheidungen).339 Diese Ansicht vermag zu überzeugen. Zwar bringen Eidenmüller/Prause den durchaus plausiblen Einwand, dass ein solcher Gleichlauf wegen der Unterschiede zwischen Schieds- und Mediationsverfahren nicht in Betracht kommen sollte.340 Die Autoren verkennen dabei allerdings Folgendes: Der Art. 1 Mediations-RL will nur den Anwendungsbereich des Sekundärrechtsaktes regeln. Einen Sachverhalt schon deshalb aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie auszunehmen, weil möglicherweise auch zwingende Rechtsnormen eine Rolle spielen könnten, erscheint aber verfehlt. Ob das Ergebnis des Mediationsverfahrens nicht mit dem geltenden Recht in Einklang zu bringen ist, ist vielmehr eine Frage der Rechtsverbindlichkeit der Abschlussvereinbarung sowie der Vollstreckbarkeit. Eine gegen zwingendes Recht verstoßende Vereinbarung zwischen den Mediationsparteien ist weder verbindlich, noch kann diese vollstreckbar gemacht werden.341 Der Grundsatz der Rechtmäßigkeit gilt also ebenso im Rahmen der Abschlussvereinbarung eines Mediationsverfahrens, obwohl in der Richtlinie
338
KOM (2002) 196 endg. 6 Fn. 4. Wagner/Thole, in: Baetge/Hein/Hinden (Hrsg.), Die richtige Ordnung, 2008, S. 915 ff., 921 f. 340 Eidenmüller/Prause, NJW 2008, 2737 ff., 2740. 341 Wagner/Thole, in: Baetge/Hein/Hinden (Hrsg.), Die richtige Ordnung, 2008, S. 915 ff., 922. 339
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eine eindeutige Bezugnahme fehlt.342 Das Recht formuliert quasi die Zulässigkeitsgrenze für eine Parteivereinbarung. Zwingendes Recht schränkt daher nur den Gestaltungsrahmen der Parteien ein, hindert sie aber gleichzeitig nicht daran, im dispositiven Bereich rechtsverbindlich zu einer Einigung zu gelangen.343 Erneut ausdrücklich aufgegriffen wird der Grundsatz der Rechtmäßigkeit erst wieder im Kontext der hier in Rede stehenden ADR-Richtlinie. So formuliert der Art. 11 Abs. 1 lit. a): „Artikel 11 Rechtmäßigkeit (1) Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass in AS-Verfahren, bei denen die Streitigkeit mittels einer dem Verbraucher auferlegten Lösung beigelegt werden soll, a) die auferlegte Lösung – sofern keine Rechtskollision vorliegt – nicht dazu führen darf, dass der Verbraucher den Schutz verliert, der ihm durch die Bestimmungen gewährt wird, von denen nicht durch Vereinbarung gemäß dem Recht des Mitgliedstaats, in dem der Verbraucher und der Unternehmer ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, abgewichen werden darf; […]“344
Im Rahmen einer auferlegten Konfliktlösung kann somit nicht von zwingendem Verbraucherschutzrecht abgewichen werden. „Auferlegt“ bedeutet in diesem Zusammenhang, dass das Ergebnis der Konfliktlösung von einem Dritten bestimmt wird und die Verbindlichkeit nicht vom Willen und der Zustimmung beider Parteien abhängt. Die fehlende Freiwilligkeit zwingt demnach zu rechtskonformen Ergebnissen. Hervorzuheben ist an dieser Stelle, dass der ADR-Richtlinienentwurf345 auf die Normierung des Rechtmäßigkeitsprinzips noch gänzlich verzichtet hat.346 Da das deutsche VSBG
342 Auch der Verweis in EWG 18 Mediations-RL auf die Empfehlung 2001/310/EG, kann nicht als Argumentationshilfe dienen, da der Grundsatz der Rechtmäßigkeit dort nicht mehr erwähnt wird. 343 Caponi, RabelsZ 79 (2015), 117 ff., 313. Aus nationaler Perspektive Greger, in: Greger/Unberath/Steffek (Hrsg.), Recht der alternativen Konfliktlösung, 22016, § 2 MediaitonsG Rn. 126; Köper, Die Rolle des Rechts im Mediationsverfahren, 2003, 109; Mähler/ Mähler, in: Heussen/Hamm (Hrsg.), Beck’sches Rechtsanwalts-Handbuch, 112016, § 47 Rn. 71. 344 Vgl. nahezu wortgleich den EWG 44 ADR-RL: „In AS-Verfahren, bei denen die Streitigkeit beigelegt werden soll, indem dem Verbraucher eine Lösung auferlegt wird, sollte die auferlegte Lösung — sofern keine Rechtskollision vorliegt — nicht dazu führen, dass der Verbraucher den Schutz verliert, der ihm durch die Bestimmungen gewährt wird, von denen gemäß dem Recht des Mitgliedstaats, in dem der Verbraucher und der Unternehmer ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, nicht durch Vereinbarung abgewichen werden darf.“ 345 KOM (2011) 793 endg. 346 Siehe auch Europäisches Parlament 2009–2014, Plenarsitzungsdokument
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aber ausweislich des § 5 Abs. 2 solch verbindliche Verfahren gerade nicht erfasst, muss auf die Vorgabe nicht weiter eingegangen werden.347 Nur Folgendes wird auch hier nochmals deutlich: Die ausdrückliche Geltungsanordnung des zwingenden Verbraucherschutzrechts spricht dafür, dass auch der europäische Gesetzgeber die Qualifikationsanforderungen des Streitmittlers verfahrensabhängig verstanden wissen will.348 2. Das argumentum e contrario zu Art. 11 Abs. 1 ADR-Richtlinie Für das deutsche Recht erweist sich die gesetzgeberische Zurückhaltung der Union an dieser Stelle allerdings als viel bedeutsamer. Im Rahmen eines argumentum e contrario zu Art. 11 Abs. 1 ADR-Richtlinie muss nämlich angenommen werden, dass der Grundsatz der Rechtmäßigkeit, für Verfahren die mit einem unverbindlichen Lösungsvorschlag des verantwortlichen Dritten enden, nicht zur Anwendung kommen soll.349 Verzichtet die ADR-Richtlinie eigentlich grundsätzlich auf eine Differenzierung zwischen den verschiedenen Instrumenten der Konfliktbearbeitung, so nimmt sie eine solche gerade bei dem entscheidenden Punkt der Rechtmäßigkeit ausdrücklich vor. Anstatt die Geltung des zwingenden Verbraucherrechts für alle Verfahren der alternativen Streitbeilegung anzuordnen, soll dies ausdrücklich nur bei „auferlegten Lösungen“ gelten. Zumindest indirekt bestätigt wird der Umkehrschluss durch die Vorgaben des Art. 9 Abs. 2 lit. b) iii) ADR-RL, wonach „die vorgeschlagene Lösung anders sein kann als das Ergebnis eines Gerichtsverfahrens, in dem Rechtsvorschriften angewandt werden“. Der Verweis in Art. 7 Abs. 1 lit. i) ADR-RL auf rechtsferne Entscheidungsparameter betrifft dem Grunde nach eher die Frage der Rechtsanwendung zur Konfliktlösung, lässt aber durchaus auch den Schluss zu, dass der Rechtmäßigkeitsgrundsatz im Rahmen des Vorschlagsverfahrens nicht als Mindeststandard anzusehen ist. A7-0280/2012, S. 27 f., 67 f. „Das Rechtmäßigkeitsprinzip ist daher für Streitigkeiten einzuführen, die den Parteien Lösungen auferlegen, damit Verbraucher nicht den Schutz einbüßen, den sie aufgrund der zwingenden Rechtsvorschriften genießen.“. Schmidt-Kessel, in: ders. (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 9 ff., 16 der das Ausmaß der Bindung des Schlichters an das verbraucherschützende Unionsrecht als „rechtspolitische Kernfrage bei der Entstehung der ADR-Richtlinie“ bezeichnet. Kritisch auch die Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses, 2012/C 181/17, unter 3.8 und 4.6, mit Blick auf Entscheidungsverfahren. 347 Siehe dazu Berlin, Alternative Streitbeilegung in Verbraucherkonflikten, 2014, 134 ff.; H. Roth, JZ 2013, 637 ff., 639 f.; Rühl, ZZP 127 (2014), 61 ff., 77 f.; Hakenberg, EWS 2014, 181 ff., 187. 348 Siehe zu dieser Thematik schon oben unter § 17 II 2. 349 Ausdrücklich BT-Drucks. 18/5089, 54 a. E. Siehe auch Kramme, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 141 ff., 148; Gsell, ZZP 128 (2015), 189 ff., 199; Schmidt-Kessel, in: ders. (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 9 ff., 18. Ausdrücklich A. A. Gössl, RIW 2016, 473 ff., 474.
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Im Bereich der alternativen Streitbeilegung relativiert der EU-Gesetzgeber also die Bedeutung des zwingenden Verbrauchervertragsrechts. Mit Blick auf die fortschreitende Vollharmonisierung des Verbraucherrechts und die Tatsache, dass gerade dieses Rechtsgebiet zu einem großen Teil halbseitig zwingende Rechte enthält, ist das zwar überraschend, als rechtspolitische Entscheidung des europäischen Gesetzgebers allerdings hinzunehmen. Dabei darf nicht aus dem Blick geraten, dass sowohl die Art. 12, Art. 114 Abs. 3 und Art. 169 Abs. 1 und 2 AEUV, wie auch Art. 38 EU-Grundrechtecharta alle Organe der Europäische Union dazu verpflichtet, zu einer Erhöhung des Verbraucherschutzniveaus beizutragen (vgl. auch EWG 1 ADR-RL).350 Die Durchsetzung des zwingenden Verbraucherschutzrechts erscheint demzufolge nicht in jedem Fall notwendig, um das Ziel eines hohen Verbraucherschutzniveaus zu erreichen. Dieses Ergebnis erscheint auf den ersten Blick widersprüchlich. Im Folgenden wird sich allerdings zeigen, dass der Regelungsansatz des europäischen Gesetzgebers durchaus konsequent und im Ergebnis auch zustimmungswürdig ist.
II. Die Vorgaben des deutschen Rechts Von zentraler Bedeutung für die Frage der Rechtsverwendung ist der Wortlaut des § 19 Abs. 1 S. 2 VSBG. „Der Schlichtungsvorschlag soll am geltenden Recht ausgerichtet sein und soll insbesondere die zwingenden Verbraucherschutzgesetze beachten.“
Auch wenn die Norm erst im Folgenden genauer ausgelegt werden soll, so kann an dieser Stelle schon festgehalten werden, dass die Formulierung nicht für eine absolute Rechtsgeltung im Rahmen des Schlichtungsvorschlages spricht. Das Gebot der Rechtstreue erscheint im Rahmen der Verbraucherschlichtung also zweifelhaft. Insofern spricht Wagner von der Schlichtung als „rough justice“ und „law enforcement light“.351 Kritisch gesehen wird dabei insbesondere auch, dass die Frage, ob der § 19 VSBG zur Anwendung kommt, der Verbraucherschlichtungsstelle überlassen wird.352 Denn nur für den Fall, dass die Verfahrensordnung ausdrücklich vorsieht, dass der Streitmittler den Parteien einen Vorschlag zur Beilegung der Streitigkeit zu unterbreiten hat, sind die §§ 19, 20 VSBG einschlägig.
350 Kritisch dazu Althammer, in: Althammer/Weller (Hrsg.), Europäische Mindeststandards für Spruchkörper, 2017, S. 87 ff., 95 f.; Rühl, in: Ackermann (Hrsg.), Privat- und Wirtschaftsrecht in Europa, 2015, S. 459 ff., 478, 480 f. 351 Wagner, ZKM 2013, 104 ff., 105; ders., CMLR 2014, 165 ff., 173, 177. 352 Empfehlungen der Ausschüsse zur Stellungnahme des Bundesrates BRDrucks. 258/1/15, S. 28 f.
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Die Kritik vermag m. E. allerdings nicht zu überzeugen. Die Begründung ist ein elementarer Teil des Schlichtungsvorschlages. Sieht die Verfahrensordnung also – auch nur potentiell – die Möglichkeit zur Unterbreitung eines Schlichtungsvorschlages vor, so folgt daraus, dass dieser den Vorgaben der §§ 19 f. VSBG genügen muss. Die Begründungspflicht gilt also auch für Verfahren, die einen Schlichtungsvorschlag als bloße Option vorsehen. Ein enge Auslegung des § 19 Abs. 1 S. 1 VSBG („hat“) läuft Gefahr die Schutzvorgaben des § 19 VSBG leerlaufen zu lassen und ist aus diesem Grund abzulehnen.353 Kommt es in der Verbraucherschlichtung zu einem Vorschlag des Streitmittlers, obwohl dies die Verfahrensordnung überhaupt nicht vorsieht und hält dieser Vorschlag nicht die Vorgaben der §§ 19 f. VSBG ein, so wird man darin einen erheblichen Verfahrensverstoß sehen müssen.354 1. Spezialgesetzliche Vorgaben und Verfahrensordnungen unterschiedlicher Verbraucherschlichtungsstellen nach dem VSBG Sowohl der europäische, als auch der nationale Gesetzgeber sprechen den bereits vor Inkrafttreten der neuen Regelungen etablierten VerbraucherADR-Stellen eine Vorbild- und Leitfunktion im Rahmen der konkreten Verfahrensausgestaltung zu.355 Da es nach der Gesetzesbegründung zum VSBG ausdrücklich möglich sein soll, dass die jeweilige Verfahrensordnung (§ 5 VSBG) der Schlichtungsstelle eine – im Vergleich zu § 19 VSBG – engere rechtliche Bindung vorsehen kann, erscheinen zunächst die Verfahrensordnungen der bestehenden Schlichtungsstellen von besonderem Interesse.356 Ein Überblick über die vor Inkrafttreten des VSBG bereits bestehenden Schlichtungsstellen zeigt, dass sich für Konflikte, die auf Basis eines Schlichtungsvorschlages durch einen Dritten beigelegt werden, die Bindung an das geltenden Recht bereits als erfolgreichste Lösung etabliert hat.357 Diese – überwiegend doch sehr eindeutige – Rechtsbindung358 überrascht zunächst wenig, ist doch die Frage einer möglichen Abweichung von zwingendem Gesetzesrecht im Zusammenhang mit einer konfliktbeilegenden vertragli-
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Zustimmungswürdig Röthemeyer, in: Borowski/Röthemeyer/Steike (Hrsg.), VSBG, 2016, § 19 Rn. 8. 354 Vgl. dazu schon oben § 8 V. 1. 355 BT-Drucks. 18/5089, 39; siehe aus europäischer Perspektive EWG 24 ADR-Richtlinie. 356 BT-Drucks. 18/5089, 63. 357 Zum Versicherungsombudsmann Lorenz, VersR 2004, 541 ff.; Hirsch, ZKM 2015, 141 ff., 143; ders., ZKM 2013, 15 ff., 16 ff. Für die Schlichtungsstellen des Kfz-Gewerbes Daniels, AnwBl 2015, 238 ff. 358 Siehe z. B. nur § 4.1 S. 2 Schlichtungsordnung online-schlichter.de (Stand 2014); § 9 Verfahrensordnung des Versicherungsombudsmanns (VomVO) (Stand 2013); § 6 Abs. 1 S. 2 VerfO söp (2013).
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chen Vereinbarung, erst im Rahmen der Umsetzung der ADR-RL virulent geworden. Nichtsdestotrotz wird dieses absolute Bekenntnis zur Rechtsbindung zumindest zweifelhaft, nimmt man die Äußerungen der jeweiligen Verfahrensverantwortlichen in den Blick. So formulieren Braun/Kindler, dass „[…] Wünsche der Parteien berücksichtigt und flexible Lösungen gefunden werden können, nachdem durch Kenntnis der Rechtslage wieder ,Waffengleichheit‘ zwischen den Parteien hergestellt wurde“359, was wohl für die Möglichkeit zur Abweichung von der gesetzlichen Rechtsfolge spricht.360 Ebenso auch Hirsch, der für den Versicherungsombudsmann darstellt, dass sich Vergleichsvorschläge insbesondere an den Interessen des Verbrauchers orientieren, während die Verfahrensordnung auch für Schlichtungsempfehlungen ausschließlich die Bindung an Recht und Gesetz vorsieht.361 Diese nur beispielhaften Äußerungen werden durch die europaweite Untersuchung von Hodges/Benöhr/Creutzfeld-Banda bestätigt. So wird dort deutlich, dass die Rechtsbindung bei Schlichtungsstellen vielfach zugunsten eines Fairness- oder Billigkeitsmaßstabes aufgegeben oder zumindest in den Hintergrund gerückt wird.362 Nicht anders beurteilt im Übrigen der österreichische Gesetzgeber die Frage der Rechtsgeltung. Zwar schreibt der § 16 Abs. 1 S. 2 des AlternativeStreitbeilegung-Gesetz – AStG vermeintlich eindeutig vor: „Der Lösungsvorschlag hat sich im Rahmen der Gesetze zu bewegen.“. Im Zuge der Gesetzesbegründung wird dann allerdings ausgeführt, dass sich der „Schlichter am Gesetz und damit der gesetzgeberischen Optimalvorstellung eines gerechten Interessenausgleichs orientieren [Hervorh. d. Verf.]“ soll und aus dieser Vorgabe ausdrücklich „keine mit einem ordentlichen Gerichtsverfahren vergleichbare Bindung an das Gesetz festgeschrieben“ werden soll.363 Ob das vereinbarte Schlichtungsergebnis aber die zwingenden Grenzen des Rechts einhält oder eben zur Erleichterung einer Kompromissfindung 359 Braun/Klinder, Online-Schlichtung in der Praxis, 2013 (https://www.mediationaktuel l.de/news/online-schlichtung-in-praxis#Schlichtungsvorschlag auf Basis des geltend en Rechts) (geprüft am 01.11.2020). 360 So auch Berlin, Alternative Streitbeilegung in Verbraucherkonflikten, 2014, 265, mit Verweis auf Braun/Kindler; vgl. auch Braun, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 35 ff., 40 „Im Übrigen ist auch nur durch einen Analyse durch einen Volljuristen gewährleistet, dass das gesetzliche Schutzniveau der verbraucherrechtlichen Bestimmungen volle Berücksichtigung findet. Falls der Verbraucher einer außergerichtlichen Lösung zustimmt, die dieses Niveau nicht erreicht, muss jedenfalls klar sein, dass er dies weiß und bewusst akzeptiert.“. 361 Hirsch, in: Wandt (Hrsg.), Versicherungsrecht, Haftungs- und Schadensrecht, 2014, S. 159 ff., 170. 362 Hodges/Benöhr/Creutzfeldt-Banda, Consumer ADR in Europe, 2012, 412 ff. 363 697 der Beilagen XXV. GP – Regierungsvorlage – Erläuterungen, 13.
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einem Abweichen von diesen Vorgaben zumindest nicht aktiv entgegenwirkt, sofern keine Übervorteilung einer Partei droht, lässt sich auch nach dem Vorstehenden nicht abschließend feststellen. Insofern fehlt es an empirischen Daten für eine entsprechende Untersuchung. Soweit ersichtlich, ist es bisher noch zu keiner gerichtlichen Überprüfung eines Schlichtungsergebnisses gekommen. Die aktuelle Entscheidung des BGH zum Käuferschutzprogramm des Internetbezahldienstleisters PayPal kann schon deshalb für die Frage der Rechtsverwendung keine Bedeutung erlangen, da der Käuferschutz nach den Geschäftsbedingungen von PayPal keine Auswirkung auf die Rechte des Käufers oder Verkäufers hat.364 Gerade dies ist aber unzweifelhaft Ziel sowohl der ADR-RL, als auch des VSBG. Beide Regelungsakte visieren eine rechtlich verbindliche Konfliktlösung an, die dann notwendigerweise auch Auswirkungen auf die Rechte und Pflichten der Konfliktparteien haben muss. Aufschlussreich könnte mit Inkrafttreten des VSBG die Angabe in den Tätigkeitsberichten der Schlichtungsstellen werden, die über den Anteil der Fälle Aufschluss gibt, in denen sich die Parteien an das Ergebnis des Verfahrens gehalten haben oder eben nicht.365 Es ist allerdings schon zweifelhaft, ob diese Information überhaupt verlässlich erfasst werden kann. Insofern stellt der Tätigkeitsbericht 2016 der Allgemeinen Verbraucherschlichtungsstelle nur fest, dass diese Kategorie von der Stelle nicht abgefragt wird, aber kein Fall bekannt ist, in dem sich eine Partei nach Abschluss des Verfahrens an die Allgemeine Verbraucherschlichtungsstelle gewandt hat, um mitzuteilen, dass die andere Partei das Ergebnis des Verfahrens nicht eingehalten hat (S. 8). Im den folgenden Tätigkeitsberichten 2017 und 2018 fehlt eine Angabe zu dieser Frage. 2. Der Wortlaut des § 19 Abs. 1 S. 2 VSBG Die Vorgaben des § 19 Abs. 1 S. 2 VSBG zur Rechtsbindung des Streitmittlers im Rahmen des Schlichtungsvorschlages wurden in mehrfacher Hinsicht als unklar und missverständlich kritisiert.366. Die Formulierung des Gesetzgebers ist von dem Bemühen gekennzeichnet, ein Gleichgewicht zwischen der, für die meisten Formen der außergerichtlichen Konfliktbeilegung typischen Rechtsferne und dem Geltungsanspruch des zwingenden Verbraucherschutzrechts herzustellen. 364
BGH NJW 2018, 537 ff., 540 f. Rn. 33 ff., 42 ff. Diese zurückhaltende Interpretation sieht Guggenberger, NJW 2018, 1057 ff., 1058, mit Blick auf die beiderseitige Interessenslage bei Vertragsschluss kritisch. 365 Vgl. dazu Art. 7 Abs. 2 S. 2 lit. g) ADR-RL; sowie § 34 Abs. 1 VSBG i. V. m. § 4 Abs. 1 Nr. 1 lit. e) VSBInfoV. 366 Vgl. zu § 17 VSBG-RefE, Gsell, ZZP 128 (2015), 189 ff., 207. Ebenso Niewisch-Lennartz, ZKM 2015, 136 ff., 139.
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So ist schon die Wendung „soll […] beachten“ auslegungsbedürftig. Unumstritten dürfte dabei sein, dass das „Beachten“ nicht gleichbedeutend mit einer verbindlichen Geltungsanordnung des zwingenden Verbraucherrechts ist.367 Die insbesondere mit Blick auf das zwingende Recht zunächst paradox anmutende Ausgestaltung als „Soll-Vorschrift“ untermauert diese, schon terminologisch angelegte, gelockerte Rechtsbindung. a) „Soll“-Vorschrift Mit Hilfe dieser „soll“-Vorgabe macht der Gesetzgeber deutlich, dass die zwingende Geltungsanordnung des Verbrauchervertragsrechts in der Verbraucherschlichtung nicht absolut gilt. Schon früh hat Wolf, für die Frage der Rechtsbindung bei richterlicher Vergleichstätigkeit die Normierung einer „soll“-Vorschrift für die Rechtsbindung gefordert, da so auf bestmöglichste Art und Weise klar gestellt werden könne, dass die Rechtsnormen „im Regelfall gelten, von ihnen bei begründeten Ausnahmen aber abgewichen werden kann“368. Für die Verbraucherschlichtung überzeugt dieser Ansatz. Der Gesetzgeber bringt in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck, dass der Schlichter im Rahmen des Schlichtungsvorschlages „nicht in derselben Weise rechtlich gebunden [ist] wie ein Gericht, das eine für beide Parteien verbindliche Entscheidung trifft“369. Auf diese Weise wird die verfahrensmäßige Flexibilität der Verbraucherschlichtung sichergestellt, gleichzeitig aber die Präferenz für eine rechtsbezogenen Konfliktlösung zum Ausdruck gebracht. Dies ist nicht zuletzt aufgrund der unklaren Verfahrenszielbeschreibung und der intendierten Ausrichtung auf den Schutz des Verbrauchers, sowie der damit verbundene Erwartungshaltung notwendig. Die gewählte Formulierung lässt den Schluss zu, dass im Rahmen der Verbraucherschlichtung künftig Abweichungen vom zwingenden Verbrauchervertragsrecht im Schlichtungsvorschlag durch die Rechtsordnung toleriert werden. Das Prinzip der Freiwilligkeit – oder konkreter, die Autonomie der Parteien – legitimiert eine Abweichung vom materiellen Recht. b) Die Rechtsbindung im VSBG-RefE Für ein anderes Verständnis könnte die Gesetzesgenese sprechen. So wurde für die entsprechende Vorschrift im Referentenentwurf (dort: § 17) noch eine andere Formulierung gewählt:
367
Siehe dazu auch Gössl, RIW 2016, 473 ff., 479; Riehm, JZ 2016, 866 ff., 871. Wolf, in: Gottwald (Hrsg.), Der Prozeßvergleich, 1983, S. 153 ff., 154. 369 BT-Drucks. 18/5089, S. 63. 368
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„Hat der Streitmittler nach der Verfahrensordnung den Parteien einen Vorschlag zur Beilegung der Streitigkeit (Schlichtungsvorschlag) zu unterbreiten, so beruht dieser auf der sich aus dem Streitbeilegungsverfahren ergebenden Sachlage und berücksichtigt das geltende Recht.“.
Die auch hier deutlich zu Tage tretende Unklarheit mit Blick auf die Frage der Rechtsbindung des Schlichtungsvorschlages wurde vielfach gerügt. In der endgültigen Formulierung hätte man demnach von einer gesteigerten Rechtsbindung des Schlichtungsvorschlages oder andererseits, von einem gänzlichen entfallen dieses Kriteriums ausgehen können. Im Ergebnis ist der teleologische Gehalt beider Fassungen aber wohl überwiegend deckungsgleich. So entspricht der Wortlaut des endgültigen § 19 VSBG im Wesentlichen der Begründung zu § 17 VSBG-RefE. Beiden Fassungen liegt dabei die ausschlaggebende Entscheidung des Gesetzgebers zu Grunde, dass der Schlichtungsvorschlag nicht gänzlich unabhängig von einer rechtlichen Bewertung unterbreitet werden soll. c) Zwischenergebnis Im Rahmen eines von den Parteien angenommenen Schlichtungsvorschlages sind also nach der Auslegung des § 19 Abs. 1 S. 2 VSBG Abweichungen vom zwingenden Verbrauchervertragsrecht möglich. Die weitgehende Disponibilität des Rechts bietet für die Verfahrensbeteiligten umfassende Möglichkeiten und Chancen bei der Konfliktbeilegung.370 Dennoch ist der Vorschrift eine grundsätzliche Tendenz zu einer rechtsorientierten Verfahrensgestaltung nicht abzusprechen. Diese bezieht sich aber nicht auf die Frage der absoluten Rechtsbindung des Verfahrensergebnisses, sondern vielmehr auf die elementare Bedeutung der rechtlichen Bewertung durch den Streitmittler. Hier sind unzweifelhaft das einschlägige Recht und insbesondere auch die maßgeblichen zwingenden Verbraucherschutznormen durch den Streitmittler darzustellen.371 3. Das Prinzip der informierten Autonomie Wesentliches Ziel des Verbraucherstreitbeilegungsgesetz ist die Stärkung des Verbraucherschutzes.372 Die endgültige Beantwortung der Frage der Rechtsbindung im Rahmen der Verbraucherschlichtung kann daher nur unter Berücksichtigung dieses Gesichtspunktes erfolgen. Unklar ist nämlich, wie das hier gefundene Ergebnis mit dem Paradigma der Unabdingbarkeit des eu370
Vgl. Risse, BB 1999, Beilage 9, 1 ff., 4. Vgl. dazu § 17 II und III. Zustimmungswürdig auch Röthemeyer, in: Borowski/Röthemeyer/Steike (Hrsg.), VSBG, 2016, § 19 Rn. 45, der vom „Kernelement des Schlichtungsvorschlags“ spricht. 372 Aus europäischer Perspektive, vgl. EWG 60 ADR-RL. Vgl. auch unter § 6 VI 2. 371
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ropäischen und nationalen Verbrauchervertragsrechts in Einklang zu bringen ist. Im dritten Kapitel der Arbeit wurde ausführlich dargestellt, dass der Grund für die zwingende Geltungsanordnung des Verbrauchervertragsrechts in der Gewährleistung und Sicherung einer privatautonomen Entscheidung zu sehen ist. Der Verbraucherschutzgedanke will ausdrücklich nicht verhindern, dass der Verbraucher die ihm eingeräumten Rechte zu seinen Gunsten einsetzt. Sichergestellt werden muss aber, dass er dies auf hinreichend informierter Grundlage tut. Die Grundauffassung des europäischen Verbraucherschutzrechts ist dabei, dass den Parteien dann die freie Entscheidung über die Gestaltung ihrer Rechtsverhältnisse zu überlassen ist, wenn beide Seiten über die für eine Entscheidung wesentlichen Punkte informiert sind und die Konsequenzen ihrer Entscheidung absehen können.373 a) Ius cogens Zunächst sei hier nochmals darauf hingewiesen, dass das Europarecht an mehreren Stellen den zwingenden Charakter des Verbraucherschutzes aufgibt, sobald davon auszugehen ist, dass der Verbraucher als mündiger Marktteilnehmer in der Lage ist, seine Interessen selbst wahrzunehmen (eingehend dazu unter § 13 III). So geht der Art. 7 Abs. 1 Verbrauchsgüterkauf-RL nach Mangelmitteilung davon aus, dass der Verbraucher nicht mehr schutzwürdig ist und hat dabei ausdrücklich die Ermöglichung einer gütlichen Einigung im Blick (vgl. EWG 12 Verbrauchsgüterkauf-RL). In dieses Bild passt auch der Art. 2 Abs. 2 lit. i) Verbraucherkredit-RL374, der für Vergleiche vor einem Richter oder einer anderen gesetzlich befugten Stelle den Anwendungsbereich der Richtlinie ausschließt. Um eine interessensgerechte Streitbeilegung zu ermöglichen, lässt das Vertragsrecht oft auch nach Streitentstehung den zwingenden Charakter entfallen. So wendet sich der Art. 10 Abs. 1 ADRRichtlinie nicht gegen einen Klageverzicht, den die Parteien nach Streitentstehung vereinbart haben.375 In selber Weise, lässt der Art. 19 Nr. 1 i. V. m. Art. 25 Abs. 4 Brüssel Ia-VO eine Prorogation zwischen Verbraucher und Unternehmer ausnahmsweise dann zu, „wenn die Vereinbarung nach der Entstehung der Streitigkeit getroffen wird“. Ebenso besteht für den Verbraucher die Möglichkeit einer rügelosen Einlassung gem. Art. 26 Abs. 2 Brüssel Ia-VO.376 373
Magnus, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 2010, Art. 7 RL 1999/44/EG, Rn. 5. 374 Vgl. ebenso Art. 3 Abs. 2 lit. e) Wohnimmobilienkredit-RL. 375 Rühl, ZZP 127 (2014), 61 ff., 73; Stürner, in: Juristische Studiengesellschaft Karlsruhe (Hrsg.), Jahresband 2014, 2015, S. 63 ff., 74. 376 Die man allerdings mit der h. M. und mit Blick auf die neuere Rechtsprechung des EuGH nur unter der Voraussetzung einer Belehrung des Gerichts über die Rechtsfolgen als
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Nach einer Konfliktentstehung ist der Verbraucher also zumindest nicht mehr in vergleichbarer Weise schutzwürdig, wie im Zeitpunkt der Vertragsdurchführung. Dem Grunde nach ist dies zunächst überraschend. Wird der Verbraucher doch in einer Situation als nicht mehr schutzbedürftig angesehen, in der er sich individuell mit einem professionellen Marktakteur zur Konfliktbeilegung auseinandersetzen muss, der als Konfliktaustragungsroutiniers tendenziell über mehr Erfahrung und entsprechende Ressourcen verfügt.377 Der grundsätzlich „unangespannte und vertrauende Verbraucher“ ist aber spätestens ab diesem Zeitpunkt zur autonomen Wahrnehmung und Verteidigung der ihm zustehenden Rechte in der Lage. Das konfliktbehaftete Vertragsverhältnis erfordert nun die Aufmerksamkeit des Verbrauchers. Schon die bestehende Meinungsverschiedenheit rechtfertigt es, auch von dem rechtlich unerfahrenen Verbraucher ein entsprechend vorsichtiges und überlegtes Verhalten zu fordern. Maßgeblich ist hier nicht mehr der Schutz im Bereich multipler Marktentscheidungen, bei denen vom Verbraucher gerade nicht das Höchstmaß an Aufmerksamkeit und Geschäftssinn erwartet werden kann, sondern die Störung eines konkreten Vertragsverhältnisses. Allerdings wurde im dritten Kapitel (§ 13) bereits ausführlich dargestellt, dass eine Anknüpfung nur in zeitlicher Hinsicht (§ 13 III 4) für sich alleine nicht ausreicht, um eine umfassende Abweichungsmöglichkeit von zwingendem Verbraucherrecht annehmen zu können. b) Das Transparenz- und Informationsmodell Unter der Zugrundelegung des verbraucherrechtlichen Transparenz- und Informationsmodells, muss auch in der Verbraucherschlichtung sichergestellt werden, dass die Parteien eine Entscheidung erst nach hinreichender Information über die Rechtslage treffen. Auch für dieses kontradiktorische Verfahren erlangt demnach die Rechtsprechung des EuGH verfahrensentscheidende Bedeutung. So hat sich im Laufe der Arbeit herausgestellt, dass der Gerichtshof eine Abweichung von den zwingenden Vorgaben des AGB-Rechts dann für zulässig erachtet, sollte der Verbraucher über die Missbräuchlichkeit durch das Gericht hinreichend informiert worden sein. Wie bereits dargestellt muss diese Rechtsprechung auch auf das allgemeine Verbrauchervertragsrecht übertragen werden (vgl.
wirksam ansehen können wird. Vgl. Gottwald, in: Krüger/Rauscher/Adolphsen (Hrsg.), Münchener Kommentar ZPO, 52017, Art. 26 VO (EU) 1215/2012, Rn. 14; Geimer, in: Zöller, Zivilprozessordnung, 332020, Art. 26 EuGVVO Rn. 12 f.; Stadler, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 2019, Art. 26 EuGVVO n. F. Rn. 7. 377 Siehe dazu oben § 7 I. Kritisch insofern wohl Hau, in: Hau/Schmidt/Lindacher (Hrsg.), Trierer Festschrift für Walter F. Lindacher zum 80. Geburtstag, 2017, S. 139 ff., 144. Ebenso schon der EWG 14 der Empfehlung der Kommission 2001/310/EG.
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dazu unter § 13 III 6 lit. c)). Dem Grundgedanken der Sicherung einer privatautonomen Entscheidung entspricht ein unbedingtes Festhalten an der zwingenden Geltungsanordnung jedenfalls dann nicht mehr, wenn der Verbraucher über die Rechtslage hinreichend informiert ist. Auch dies wurde bereits unter § 13 III ausführlich dargestellt. An dieser Stelle zeigt sich deutlich die elementare Bedeutung der Begründung des Schlichtungsvorschlages und insbesondere die der rechtlichen Bewertung durch den Streitmittler (§ 19 Abs. 1 S. 3 VSBG). Wenn der Gesetzgeber davon spricht, dass der Streitmittler eine rechtliche Bewertung vorzunehmen hat, so wird auf diese Weise eine hinreichende Grundlage für die Entscheidung des Verbrauchers geschaffen. Der Verbraucher wird in besonderer Weise über die ihm zustehenden gesetzlichen Rechte informiert. Gleichzeitig führen die Konfliktsituation und die Einleitung eines förmlichen Verfahrens dazu, dass der Verbraucher für die Wahrnehmung seiner Rechte hinreichend sensibilisiert ist. Gerade dies ist entscheidend: Neben der Konfliktsituation, gewährleisten gerade auch die Vorgaben des VSBG eine hinreichende Transparenz und Information. Zutreffend spricht Niewisch-Lennartz daher vom Prinzip der informierten Autonomie, welches der Verbraucherschlichtung zugrunde liegt (vgl. auch EWG 31 und 42 ADRRL).378 Der Gedanke des strukturell unterlegenen Verbrauchers überzeugt im Zeitpunkt des Schlichtungsvorschlages nicht mehr. Vielmehr hat das Vorstehende gezeigt, dass die Vorgaben des VSBG – nach dem hier maßgeblichen Verständnis – eine Überlegenheit des Unternehmers auszugleichen vermögen. Der verfahrensmäßige Bezug auf den Einzelfall macht deutlich, dass die absolute Geltung generalisierender Vorgaben in der Verbraucherschlichtung verfehlt wäre. Der Verweis auf zwingendes Verbraucherschutzrecht ist in dieser Situation nicht mehr sachgerecht. Dessen Schutzauftrag ist nämlich im Bereich der Verbraucherschlichtung ausreichend sichergestellt. Auch der Wortlaut unabdingbarer Verbraucherschutznormen steht der hier vertretenen Ansicht nicht entgegen. Der Wortlaut einer zwingenden Norm ist nämlich ohne Weiteres zugunsten der eingeschränkten Freiheit überwindbar.379 Sowohl das zwingende Recht als auch die Verbraucherschlichtung sichern die Autonomie des Verbrauchers. Hat sich der Verbraucher zu einer Verfahrenseinleitung und zu einer Annahme des Schlichtungsvorschlages entschieden, würde die Beschränkung der rechtsgeschäftlichen Verfügungsbefugnis nun ganz offensichtlich das sein, was viele Autoren verbraucherschützenden Normen schon a priori vorwerfen, nämlich nicht nur
378
Niewisch-Lennartz, ZKM 2015, 136 ff. Schmidt-Kessel, in: Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 2015, § 17 Rn. 42. 379
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eine Einschränkung der formellen, sondern auch der materiellen Vertragsfreiheit ohne eine hinreichende Rechtfertigung. Sollte den Konfliktparteien ein anderes Ergebnis besser entsprechen, als das durch die Rechtsanwendung dargestellte, dann muss ihnen die Möglichkeit gegeben werden, von der generalisierenden Regelung abzuweichen. Ein aufgedrängter Schutz, ist kein Schutz, sondern ein rechtfertigungsbedürftiger Eingriff in die verfassungsrechtlich gewährleistete Privatautonomie. Im Rahmen der Verbraucherschlichtung ist aber kein hinreichender Rechtfertigungsgrund für einen solchen Eingriff ersichtlich. Insbesondere darf nicht auf eine Schädigung des Kollektivrechtsguts „Verbraucherschutz“ verwiesen werden, der durch eine massenhafte Zulassung vergleichsweiser Abweichungen durchaus plausibel erscheint.380 Die verbraucherschützenden Vertragsrechte sind als Individualrechte ausgestaltet und gerade nicht als kollektivschützende Einforderungspflichten (vgl. unter § 13 I). Dem einzelnen Verbraucher obliegt damit nicht Geltendmachung überindividuelle Interessen, möglicherweise sogar zu seinem (wirtschaftlichen) Nachteil. Eine absolute Rechtsbindung entspricht also weder dem europäischen noch dem nationalen Verbrauchervertragsrecht. Das hier herausgearbeitete Konzept macht die Verbraucherstreitbeilegung letztlich zu einem Schutzinstrument für die materielle Selbstbestimmung des Verbrauchers. c) Zwischenergebnis Der Schutz des Verbrauchers legitimiert also gerade nicht die Geltung des zwingenden Verbraucherschutzrechts, sondern steht einem absoluten Anwendungsanspruch im Rahmen der Verbraucherschlichtung sogar entgegen. Dementsprechend scheint mir der von Schmidt-Kessel381 schon früh zur Diskussion gestellte Gedanke, ob im Rahmen der Verbraucherschlichtung nicht der Schlichtungszweck den Verbraucherschutzzweck überlagere, zwar unscharf382, in seinem Ergebnis aber zutreffend, wenn er den absoluten Geltungsanspruch des zwingenden Verbraucherrechts in der Verbraucherschlichtung in Zweifel zieht.383 Präzise wäre m. E. die Formulierung, dass mit der Sicherstellung der informierten Autonomie die Grundlage für die zwingende Normgeltung entfällt. Die Sicherung einer eigenverantwortlichen Entscheidung kann dann einen Eingriff in die Vertragsfreiheit nicht mehr recht-
380
Risse, in: Eidenmüller (Hrsg.), Alternative Streitbeilegung, 2011, S. 133 ff. Schmidt-Kessel, in: ders. (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 9 ff., 17. 382 Beachte aber, dass Schmidt-Kessel selbst von einem rein begrifflichen Verständnis des Verbraucherschutzes ausgeht. 383 A. a. O. 381
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fertigen, wenn eine solche Entscheidung schon auf andere Weise sichergestellt ist. Das hier vertretene Verständnis vermeidet eine Kollision zwischen den verbrauchervertraglichen Sekundärrechtsakten und der verfahrensrechtlichen ADR-RL. Die jeweiligen Bestimmungen eint die Bestrebung das Ziel eines hohen Verbraucherschutzniveaus durch den Schutz einer informierten Vertragsentscheidung384 zu erreichen. Allerdings setzen sie zu diesem Zweck an unterschiedlichen situativen Anknüpfungspunkten an. Während das Verbrauchervertragsrecht das Zustandekommen und die störungsfreie Durchführung des Vertrags gewährleisten möchte, ist der Anwendungsbereich der ADR-RL erst zu einem Zeitpunkt eröffnet, an dem ein Konflikt zwischen den Parteien schon entstanden ist und eine unmittelbare Kommunikation zwischen den Parteien zu keiner Lösung geführt hat (Art. 6 Abs. 4 lit. a) ADR-RL). Da also schon ihr Anwendungsbereich nicht deckungsgleich ist, steht ein „Kampf der Effizienz“385 zwischen den sekundärrechtlichen Vorgaben des Verbrauchervertragsrecht und der ADR-Richtlinie nicht zu befürchten. 4. Effektivität der Verbraucherschlichtung Auch der europäische effet utile stützt das hier erarbeitete Ergebnis. Nach diesem Grundsatz sind die Vorgaben des Sekundärrechts so auszulegen, dass ihre größtmögliche praktische Wirksamkeit und die Einheit des EU-Rechts gewährleistet wird. Für das verbraucherrelevante Sekundärrecht wurde soeben ausgeführt, dass die Anerkennung einer Abweichungsmöglichkeit im Rahmen von Verbraucher-ADR-Verfahren nicht dem Verbraucherschutzgedanken widerspricht, sondern vielmehr sogar im Interesse des Verbraucherschutzes dann zuzulassen ist, sofern der Status der informierten Autonomie gewährleistet werden kann. Die Effizienz der ADR-Richtlinie steht also nicht im Widerspruch zu der Effizienz der materiell-rechtlichen Verbraucherschutzrichtlinien, sondern ergänzt diese. Auch im Rahmen der Auslegung der Vorgaben der ADR-Richtlinie wird das Effektivitätsgebot relevant. Überzeugend ist der Gedanke von SchmidtKessel, wenn er ausführt, dass „der europäische Schlichtungsgedanke vom Schlichtungsvorschlag einen gewissen Kompromisscharakter mit dauerhaften Wirkungen“386 verlangt. Die Effektivität der Verbraucherschlichtung stünden in Frage, sollten sich die Konfliktparteien nicht auf eine endgültige
384
Riesenhuber, Europäisches Vertragsrecht, 22006, 358 ff., 363 ff. In diese Richtung Althammer, in: ders. (Hrsg.), Verbraucherstreitbeilegung: Aktuelle Perspektiven für die Umsetzung der ADR-Richtlinie, 2015, S. 9 ff., 15. Insofern auch H. Roth, DRiZ 2015, 24 ff., 26. 386 Schmidt-Kessel, in: ders. (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 9 ff., 17. 385
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und verbindliche Konfliktlösung verlassen können.387 Schon oben wurde festgestellt, dass die exakte Verfahrenszielbeschreibung der ADR-Richtlinie sowie des VSBG mit Schwierigkeiten verbunden ist. Einigkeit besteht wohl insofern, dass das Verfahrensziel nicht in der Rechtsdurchsetzung, als vielmehr in einer rechtsorientierten Konfliktbereinigung zu sehen ist.388 Um diese Zielvorgabe sicherzustellen, ist auch unter dem Aspekt der „praktischen Wirksamkeit“ des Unionsrechts, eine Abweichung von zwingenden Vorgaben zuzulassen, sofern der Schutz des Verbrauchers dem im Einzelfall nicht entgegensteht. Der Kompromisscharakter und die Befriedungsfunktion der Verbraucherschlichtung stellen somit ein Argument für die Zulässigkeit von Abweichungen vom verbraucherschützenden ius cogens dar.389
III. Ergebnis zur Rechtsverwendung Als Ergebnis lässt sich festhalten, dass im Rahmen des Schlichtungsvorschlages keine strikte Rechtsbindung besteht. Vielmehr ist eine Abweichung von zwingenden Vorgaben des Verbrauchervertragsrechts möglich.390
387
Althammer, in: ders. (Hrsg.), Verbraucherstreitbeilegung: Aktuelle Perspektiven für die Umsetzung der ADR-Richtlinie, 2015, S. 9 ff., 14 f. 388 Vgl. § 6 VI. Deutlich auch Riehm, JZ 2016, 866 ff., 867 und passim; Rühl, in: Ackermann (Hrsg.), Privat- und Wirtschaftsrecht in Europa, 2015, S. 459 ff., 481 f. 389 Schmidt-Kessel, in: ders. (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 9 ff., 17 ff. 390 Althammer, in: Fankhauser/Widmer Lüchinger/Klingler u. a. (Hrsg.), Das Zivilrecht und seine Durchsetzung, 2016, S. 1 ff., 5 f.; Röthemeyer, in: Borowski/Röthemeyer/ Steike (Hrsg.), VSBG, 2016, § 19 Rn. 33 ff., 78 ff.; Roder/Röthemeyer/Braun, Verbraucherstreitbeilegungsgesetz, 2017, 167 f.; Riehm, JZ 2016, 866 ff.; Pelzer, ZKM 2015, 43 ff., 45; Greger, ZZP 128 (2015), 137 ff., 139; Röthemeyer, VuR Sonderheft 2016, 9 ff., 14; Hess, in: Stumpf/Kainer/Baldus (Hrsg.), Privatrecht, Wirtschaftsrecht, Verfassungsrecht, 2015, S. 390 ff., 393 f.; Schmidt-Kessel, Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie über alternative Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten und zur Durchführung der Verordnung über Online-Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten, 2015 (https://w ww.bundestag.de/blob/409790/61da748e0d2d5aa7fe3b220e9ac1c48c/wortprotokoll-data. pdf) (geprüft am 01.11.2020), 83; Gössl, Stellungnahme zum Entwurf eines Verbraucherstreitbeilegungsgesetzes zur Umsetzung der ADR-Richtlinie (EU-Richtlinie Nr. 2013/11), 2015 (https://www.bundestag.de/blob/409790/61da748e0d2d5aa7fe3b220e9ac1c48c/wor tprotokoll-data.pdf) (geprüft am 01.11.2020), 56 ff. Wohl auch Busch, in: Gsell/Krüger/ Lorenz u. a. (Hrsg.), BeckOGK, § 312k Rn. 10; Stürner, in: Prütting/Wegen/Weinreich (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch, 152020, § 312k Rn. 4. A. A. ausdrücklich Ulrici, in: Rauscher/Krüger/Becker-Eberhard (Hrsg.), Münchener Kommentar ZPO, 62020, Anhang 2 zu § 278a Rn. 11, 60, 79; Tonner, Zur Umsetzung der AS-Richtlinie (Richtlinie 2013/11/EU) nebst Entwurf eines Gesetzes über alternative Streitbeilegung, 2014, 40; Prütting, in: Althammer/Meller-Hannich (Hrsg.), VSBG Verbraucherstreitbeilegungsgesetz, 2017, § 19 Rn. 13; Caponi, RabelsZ 79 (2015), 117 ff., 131; ders., in: Stürner/Gasco´n Inchausti/Caponi
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Der Grundgedanke ist dabei, dass die zwingenden individualschützenden Vorschrift dann ihren Zweck verlieren, wenn der durch sie Begünstigte in der Lage ist, seine Interessen angemessen selbst wahrzunehmen. Eine andere Auffassung würde mit jedem Verständnis der Privatautonomie kollidieren und wäre letztendlich weder mit dem europäischen Primärrecht noch mit dem Grundgesetz vereinbar. Mit diesem Ergebnis bedarf es auch keines Rückgriffs auf die h. M.391 zur Vergleichsfähigkeit der zwingenden Verbraucherschutzrechte für die Frage nach Abweichungsmöglichkeiten in der Verbraucherschlichtung.392 Ziel des Verbraucherschutzes ist der Schutz der informierten Vertragsentscheidung.393 Im Schlichtungsergebnis verwirklicht sich die Privatautonomie der Konfliktparteien, indem durch die Verfahrensgestaltung sichergestellt ist, dass diesen eine hinreichende Bewertungsgrundlage geschaffen wurde (Prinzip der informierten Autonomie). Der Vorteil der ADR-Verfahren besteht dann darin, dass Verfahrensergebnisse und Rechtsfolgen ermöglicht werden, welche die Rechtsordnung in dieser Form oder mit diesem Inhalt grundsätzlich nicht vorsieht. In diesem Zusammenhang sei nochmals auf die vielzitierte Entscheidung des BVerfG hingewiesen: „Führt sie [die außergerichtliche Streitschlichtung, Anm. d. Verf.] zu Lösungen, die in der Rechtsordnung so nicht vorgesehen sind, die von den Betroffenen aber – wie ihr Konsens zeigt – als gerecht empfunden werden, dann deutet auch dies auf eine befriedende Bewältigung des Konflikts hin.“.394
Das im Rahmen dieser Arbeit entwickelte Verständnis der Verbraucherschlichtung entspricht dem nationalen wie europäischen Leitbild eines verständigen Verbrauchers. Über den Grundsatz der informierten Autonomie wird der Vorrang des Transparenz- und Informationsprinzips gewahrt. Im Übrigen stimmt diese Ansicht mit der Rechtsprechung des EuGH zur Bedeutung des zwingenden Rechts im Rahmen eines kontradiktorischen Verfahrens überein. Dem Verbraucher ist dann die Möglichkeit zu einem „Verzicht“ auf seine Schutzrechte zu geben, sollte eine hinreichende Information über die Rechtslage sichergestellt sein.395
(Hrsg.), The role of consumer ADR in the administration of justice, 2015, S. 149 ff., 150 f. Differenzierend H. Roth, JZ 2013, 637 ff., 643, der auf die h. M. zur Abdingbarkeit im Rahmen eines Vergleichs § 779 BGB abstellt. 391 Oben § 13 III 5 b). 392 Tonner, ZKM 2015, 132 ff., 135. A. A. wohl H. Roth, JZ 2013, 637 ff., 643. 393 Riesenhuber, Europäisches Vertragsrecht, 22006, 358 ff., 363 ff.; Magnus, in: Grabitz/ Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 2010, Art. 7 Verbrauchsgüterkauf-RL Rn. 5. 394 BVerfG NJW-RR 2007, 1073 ff., 1074. 395 Zwingende Vorgaben außerhalb des Verbrauchervertragsrechts müssen aber auch im
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IV. Exkurs: Auswirkungen auf den Prozessvergleich Mit Blick auf das Zivilverfahren stellt sich die Frage, ob im Rahmen eines Prozessvergleichs bei entsprechender Aufklärung durch den Richter, eine Abweichung von zwingenden Verbraucherschutzvorgaben möglich sein muss. Die herrschende Meinung zur Abweichung im Rahmen einer vergleichsweisen Prozessbeendigung gründet vornehmlich auf Entscheidungen zu Spezialrechtsgebieten ohne konkreten Bezug zum Verbraucherrecht. Schon aus diesem Grund ist sie für den Bereich des Verbraucherrechts wenig überzeugend.396 In Abstimmung mit den im Rahmen der Arbeit erzielten Ergebnissen und als logische Schlussfolgerung, dass ein außergerichtlicher Vergleich inhaltlich keinen größeren Gestaltungsspielraum haben sollte als der gerichtliche Vergleich, muss auch im Rahmen eines Prozessvergleichs dann eine Abweichung von zwingenden Verbraucherschutzvorgaben möglich sein, sofern der Richter auf diese Tatsache hingewiesen hat.397 Auch die zur Begründung einer Abweichungsmöglichkeit in der Verbraucherschlichtung herangezogene EuGH-Rechtsprechung stützt dieses Ergebnis. Dem informierten Verbraucher muss freistehen, auf seine Schutzrechte zugunsten einer Konfliktbeendigung im Prozessvergleich zu verzichten. Diese Abweichungsmöglichkeit lässt sich normativ begründen. So stellen die §§ 312 Abs. 2 Nr. 1, 312g Abs. 2 S. 1 Nr. 13, 495 Abs. 2 Nr. 2, 650l BGB klar, dass notariell beurkundete Verbraucherverträge nicht vom Schutzbereich des Verbraucherrechts umfasst werden. Wenn nun der § 127a BGB i. V. m. §§ 159 ff. ZPO festlegt, dass der ordnungsgemäß zustande gekommene und protokollierte398 Prozessvergleich, die notarielle Beurkundung ersetzen Rahmen des Schlichtungsvorschlages Beachtung finden. So können durchaus auch notariell beurkundete Grundstücksverträge im Rahmen der Verbraucherschlichtung streitgegenständlich werden. Das entbindet die Parteien dann allerdings nicht von der erneuten Hinzuziehung eines Notars, sollte das Schlichtungsergebnis beurkundungspflichtige Regelungsgegenstände umfassen. Die Vorgaben des VSBG sind nämlich nicht geeignet den besonderen notariellen Schutz des Verbrauchers sicherzustellen, insofern kann auf diese Vorgaben auch im Rahmen des Schlichtungsverfahrens nicht verzichtet werden. Vgl. dazu mit Blick auf § 17 Abs. 2a BeurkG Althammer, in: ders. (Hrsg.), Verbraucherstreitbeilegung: Aktuelle Perspektiven für die Umsetzung der ADR-Richtlinie, 2015, S. 9 ff., 13 f.; ders., in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 117 ff., 136. Für die Mediation siehe Grüner/Schmitz-Vornmoor, notar 2012, 147 ff. 396 Riehm, JZ 2016, 866 ff., 870. 397 Für eine entsprechende Belehrung durch den Richter ließe sich auf § 504 ZPO, Art. 26 Abs. 2 Brüssel Ia-VO oder § 139 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 ZPO Bezug nehmen. Ein Rekurs auf § 139 Abs. 3 ZPO scheidet allerdings aus, da die Norm auf materiell-rechtliche Fragen nach h. M. keine Anwendung findet, Kern, in: Stein/Jonas, Kommentar zur Zivilprozessordnung, 232016, § 139 Rn. 89. 398 Der BGH hat die lange umstrittene Frage, ob § 127a BGB analog auf den Beschluss-
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kann, so spricht dies dann auch für die Möglichkeit zur Abweichung von zwingenden Schutzvorgaben des Verbraucherrechts. Aus der Tatsache, dass es dem deutschen Gesetzgeber wohl gem. Art. 3 Abs. 3 lit. i) Verbraucherrechte-RL möglich gewesen wäre, auch Prozessvergleiche aus dem Anwendungsbereich der §§ 312 ff. BGB auszuschließen, folgt kein anderes Ergebnis. Soweit ersichtlich, wurde diese Frage im Gesetzgebungsverfahren zur Umsetzung der Verbraucherrechte-RL überhaupt nicht diskutiert.
§ 19 Endergebnis zur Rolle des materiellen Rechts in der Verbraucherschlichtung Das Vorstehende hat gezeigt, aus welchem Grund die Frage nach der Rolle des materiellen Rechts in der Verbraucherschlichtung bisher weitgehend unbeantwortet geblieben ist. Im Ergebnis fußt die Unklarheit auf der „Zwitterstellung“ der Schlichtung als Konfliktbearbeitungsinstrument. Weder führt das Verfahren zu einer verbindlichen Entscheidung des Konflikts durch einen Dritten, noch soll mit der Verfahrensgestaltung eine eigenverantwortliche Konfliktbearbeitung ermöglicht werden. Arbeiten die Parteien aber den Konflikt nicht selbst auf und steht am Ende auch kein verbindlicher Richterspruch, so kann eine abschließende Beilegung des Konflikts nur gelingen, wenn beide Parteien über die wesentlichen Parameter hinreichend informiert worden sind. Die Rolle des Rechts ist schlussendlich abhängig von der gewählten Konfliktbeilegungsart. Zentrales Element ist dabei der Schlichtungsvorschlag des Streitmittlers und insbesondere dessen Begründung. Die vorstehenden Ausführungen lassen sich ausdrücklich nicht auf Streitbeilegungsverfahren übertragen, die nach ihrer Verfahrensordnung keine rechtliche Bewertung gem. § 19 Abs. 1 S. 3 VSBG vorsehen, wie beispielsweise eine Mediation. Das Recht wird im Rahmen einer Mediation nicht auf den Konfliktfall angewandt, sondern steht vielmehr lediglich als „Rückfallposition“ und absolute Verhandlungsgrenze zur Verfügung, ohne dass der Verfahrensverantwortliche eine rechtliche Bewertung des Streitfalls vornimmt.399 Demzufolge ist mit der herrschenden Meinung eine Abweichung von zwingendem Recht im Rahmen einer Abschlussvereinbarung in der Mediation nicht zulässig.400 vergleich gem. § 278 Abs. 6 ZPO Anwendung findet nun bejaht, vgl. BGH NJW 2017, 1956 ff. 399 Breidenbach, Mediation, 1995, 67 ff. Ausführlich auch Wendland, Mediation und Zivilprozess, 2017, 356 ff. 400 Greger, in: Greger/Unberath/Steffek (Hrsg.), Recht der alternativen Konfliktlösung, 2 2016, § 2 MediationsG Rn. 291 ff., 299 ff.; Mähler/Mähler, in: Heussen/Hamm (Hrsg.),
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Viertes Kapitel: Die Rolle des materiellen Rechts
Die strengere Rechtsbindung in der Mediation ist notwendig, da keine ausreichenden Sicherungsinstrumente zur Verhinderung einer Übervorteilung vorgesehen sind und das Recht verfahrenstypisch weitgehend ausgeblendet wird.401 Dies gilt auch dann, sollte sich der Streitmittler in einem Verbraucherstreitbeilegungsverfahren gegen einen Schlichtungsvorschlag und für die Durchführung einer Mediation (vgl. § 18 VSBG) entscheiden. Im Kontext des § 19 VSBG wird für Verbraucher-ADR-Verfahren also auch die Trennung zwischen Mediation und Schlichtung deutlich. Die Frage der Rechtsanwendung stellt sich für Verbraucherschlichtungsverfahren nicht, die eine Konfliktlösung durch Mediation vorsehen. Die Schutzvorgaben der §§ 19 f. VSBG finden dort keine Anwendung. Die Erstattung eines Schlichtungsvorschlages ist also dort ausgeschlossen, wo die Verfahrensordnung nur eine ausschließlich interessensbasierte Mediation vorsieht.402 Diese Folgerung ist wertungsgerecht: Stellt der Gesetzgeber die Frage, ob der Streitmittler einen Schlichtungsvorschlag unterbreiten darf in das Belieben der Schlichtungsstelle, so muss sich diese an ihrer Entscheidung festhalten lassen.403 Ebenso wie die Qualifikationsanforderungen an den Streitmittler von der gewählten Verfahrensart abhängen404, beeinflusst sie auch die Rolle des Rechts in der Verbraucherschlichtung. Enthält der Schlichtungsvorschlag eine rechtliche Bewertung des Konfliktfalls, die den Parteien die Rechtslage vor Augen führt und überzeugt den Verbraucher die Begründung des Streitmittlers, so müssen die Parteien dieses Ergebnis auch rechtsverbindlich vereinbaren können, auch wenn in diesem eine Abweichung von dem zwingenden Verbraucherschutzrecht vorgesehen ist. Wesentlicher Gedanke ist dabei, dass dem Verbraucher nach der Information über die wesentlichen Gesichtspunkte des Konflikts, eine selbstverantwortliche Entscheidung über die Konfliktbeilegung gestattet werden muss. Würde man den Verbraucher auch in dieser Situation auf die zwingende Anordnung der Verbraucherschutzrechte verweisen, so gäbe man ihm
Beck’sches Rechtsanwalts-Handbuch, 112016, § 48 Rn. 81; Gläßer, in: Klowait/Gläßer (Hrsg.), Mediationsgesetz, 2018, § 2 MediationsG Rn. 266; Wendland, Mediation und Zivilprozess, 2017, 378 f.; Hacke, in: Eidenmüller/Wagner (Hrsg.), Mediationsrecht, 2015, 205. A. A. Kleinschmidt, ZZP 128 (2015), 215 ff., 226 ff., allerdings mit einem wenig geglückten Beispiel; unklar Wagner, ZKM 2013, 104 ff., 107. 401 Siehe ausführlich dazu Wendenburg, Der Schutz der schwächeren Partei in der Mediation, 2013. 402 Prütting, in: Althammer/Meller-Hannich (Hrsg.), VSBG Verbraucherstreitbeilegungsgesetz, 2017, § 19 Rn. 4. 403 Insofern vermögen die Einwände der Bundesrats-Ausschüsse nicht zu überzeugen, siehe Empfehlungen der Ausschüsse zur Stellungnahme des Bundesrates BRDrucks. 258/1/15, S. 28 f. 404 Vgl. unter § 17 II 2.
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„Steine statt Brot“405. Der Verbraucher ist im Konfliktfall durchaus in der Lage, die ihm zustehenden Rechte einzufordern und zu verteidigen. Das Bild von einem unmündigen Wesen, welches vollumfänglich auf paternalistischen Schutz angewiesen ist, entspricht weder dem Leitbild des nationalen, wie europäischen Gesetzgebers und blendet die Marktrealität völlig aus.406 Das zentrale Prinzip der Verbraucherschlichtung ist der informed consent oder genauer die informierte Autonomie im Rahmen der Konfliktbeilegung. Ein solches Verständnis von Verbraucher-ADR ist geeignet, das Spannungsfeld zwischen der Effizienz und der (Verfahrens-)Gerechtigkeit aufzulösen und kann so ein kohärentes System der alternativen Streitbeilegung in Verbrauchersachen ermöglichen. Im Übrigen fügt es sich in ein Verbraucherschutzverständnis ein, dessen Ziel der Schutz einer informierten Vertragsentscheidung ist. Die oftmals gerügte Soll-Vorschrift des § 19 VSBG erweist sich somit als „gesetzgeberisches Positivum“.407 Abschließend sei an dieser Stelle noch ein Argumentationstopos aufgegriffen, der im Rahmen der Untersuchung mehrmals aufgeworfen wurde: Wenn das Recht eine so zentrale Rolle im Rahmen der Verbraucherschlichtung spielt, wird dann nicht ein Konkurrenzverhältnis zwischen staatlicher Gerichtsbarkeit und Schlichtung verstärkt? Dieser Einwand ist aus mehreren Gründen zurückzuweisen. Zum einen wurde dargestellt, dass die Anwendung des materiellen Rechts auf den Konfliktfall den Interessen des Verbrauchers entspricht. Dass beide Verfahren das staatliche Recht als wesentlichen Konfliktlösungsmaßstab ansehen, erscheint dabei doch weniger Kritikpunkt als vielmehr Ausdruck einer qualitativ hochwertigen Schlichtung zu sein. Zum einen ist das geltende Recht ein gesellschaftlich anerkannter abstrakt-genereller Ordnungsrahmen, welcher dem Ausgleich von Interessen sowie der Verteilung von Macht dient und damit seit jeher auch wesentliches Kriterium der Streitentscheidung ist. Darüber hinaus ist die Rechtsanwendung objektiv nachprüfbar und – in Grenzen – auch antizipierbar. Nicht weiter eingegangen werden soll an dieser Stelle auf die vielfachen Unterschiede mit Blick auf die Sachverhaltsermittlung, die Anwendung prozessualer Zwangsmittel und die Vollstreckungsmöglichkeit408 aus einem Urteil des Zivilrichters. Selbstverständlich und richtigerweise bestehen große Unterschiede zwischen Verbraucherschlichtung und Ziviljustiz. Wesentlich ist auch, dass die AS-Stellen die Verbraucherrechte nicht wie Gerichte an405
Busch, in: Gsell/Krüger/Lorenz u. a. (Hrsg.), BeckOGK, § 312k Rn. 10. Statt vieler nur Wagner, in: Eidenmüller/Faust/Grigoleit u. a. (Hrsg.), Revision des Verbraucher-acquis, 2011, S. 1 ff., 52. 407 Siehe dazu auch schon für den Prozessvergleich Wolf, in: Gottwald (Hrsg.), Der Prozeßvergleich, 1983, S. 153 ff., 154. 408 Siehe dazu sogleich § 20. 406
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Viertes Kapitel: Die Rolle des materiellen Rechts
wenden, sondern die rechtliche Bewertung als Informationsgrundlage für die Parteien und gleichsam als Basis und Ausgangspunkt für den Schlichtungsvorschlag dient. Mit der Einführung eines neuen Verfahrenstyps kommt es aber nicht gleichzeitig zur Etablierung eines neuen Gerechtigkeitsmaßstabes. Das Recht bleibt auch hier maßgeblicher Faktor. Der in dieser Arbeit vertretenen Argumentation ließe sich entgegenhalten, eine solche Verrechtlichung eines alternativen Streitbeilegungsverfahrens blende die auf Gesetzesflut und Überregulierung zurückzuführende Abwendung vom Recht409 aus und biete im Ergebnis keinerlei Mehrwert für die Gesellschaft. Überzeugen kann dieser Einwand nicht. Die Hervorhebung des Rechts ist im Bereich der Beilegung von Verbraucherstreitigkeiten vielmehr in der konkreten Konfliktsituation und der Erwartungshaltung der Verfahrensbeteiligten begründet.410 Im Rahmen des Verbraucherschlichtungsverfahrens steht nicht eine Überregulierung im Sinne eines „Übermaßes an Recht“ im Raum. Vielmehr geht es um die „rechtliche Bändigung“, im Sinne der Gewährleistung eines hinreichenden Verbraucherschutzes in einer Verfahrensart, die grundsätzlich für Parteien mit unterschiedlicher Verhandlungsmacht wenig geeignet ist.411
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Siehe zu diesem Einwand schon oben § 16 I 1. Vgl. schon Hess, ZZP 118 (2005), 427 ff. 411 Oben § 7.
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Fünftes Kapitel:
Verfahrensbezogene Folgefragen § 20 Vollstreckbarkeit des Verfahrensergebnisses Da sich die Parteien grundsätzlich auf das Schlichtungsergebnis einigen werden (vgl. aber § 19 Abs. 4 VSBG) und damit wohl auch eine gesteigerte Bereitschaft zur freiwilligen Befolgung der Lösung besteht, stellt sich das Problem der Durchsetzbarkeit des Ergebnisses sicherlich in geringerem Umfang, als im Rahmen von Drittentscheidungsverfahren. Allerdings ist auch hier die Situation denkbar, dass eine Partei trotz ihrer Zustimmung nicht mehr bereit ist, der Vereinbarung nachzukommen. Ein alternatives Streitbeilegungsverfahren, welches zur Durchsetzung ihres Ergebnisses dann wieder auf die staatliche Ziviljustiz verweisen muss, setzt sich dem Vorwurf der Ineffektivität aus. Dementsprechend wurde bereits im Rahmen der Mediationsrichtlinie und dem Gesetzgebungsverfahren zum Mediationsgesetz die Frage der Vollstreckbarkeit der Abschlussvereinbarungen intensiv diskutiert.1 Nach dem Art. 6 Abs. 1 Mediations-RL haben die Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass der Inhalt einer im Mediationsverfahren erzielten schriftlichen Vereinbarung auf Antrag der Parteien „vollstreckbar gemacht“ werden kann.2 Infolgedessen sah der Entwurf zum Mediationsgesetz mit dem § 796d ZPO-E noch die Einführung einer vollstreckungsrechtlichen Spezialregelung für die Vollstreckbarerklärung der Mediationsvereinbarung vor, welche im Ergebnis aber wieder fallengelassen wurden.3 Umso verwunderlicher ist es, dass der Frage nach der Vollstreckbarkeit im Zusammenhang mit der Etablierung der Verbraucherschlichtung kaum gesetzgeberische Aufmerksamkeit zugekommen ist. Zwar nennt der Art. 7 Abs. 1 lit. o) ADR-RL die Vollstreckbarkeit als letzten Punkt im Rahmen der 1 Wagner/Thole, in: Baetge/Hein/Hinden (Hrsg.), Die richtige Ordnung, 2008, S. 915 ff., 926 ff.; Hess, in: Verhandlungen des Siebenundsechzigsten Deutschen Juristentages, 2008, S. 1 ff., 112 f. 2 Erwähnungsbedürftig erscheint dabei, dass der Unionsgesetzgeber diese Regelung vorsieht, obwohl er ausweislich des EWG 6 Mediations-RL davon ausgeht, dass „Vereinbarungen, die im Mediationsverfahren erzielt wurden, werden eher freiwillig eingehalten“ werden. 3 BT-Drucks. 17/5335, 7, 21 f. und BT-Drucks 17/8058, 21.
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Fünftes Kapitel: Verfahrensbezogene Folgefragen
Informationsverpflichtung der AS-Stellen, im deutschen Gesetzgebungsverfahren spielte die Thematik aber keine Rolle, obgleich mehrfach auf die Frage hingewiesen wurde.4
I. Verbraucherschlichtungsstelle als Gütestelle gem. § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO? Mit der Entscheidung gegen die Verbindlichkeit der Schlichtung, ist auch gleichzeitig das Urteil über die Vollstreckungstitelqualität des angenommenen Schlichtungsvorschlages gesprochen: Dieser ist aufgrund seines Charakters als materiell-rechtlicher Vertrag grundsätzlich kein Vollstreckungstitel.5 Zwar könnte mit Blick auf den § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB an eine direkte oder zumindest analoge Anwendung des § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO gedacht werden. Hierzu müsste allerdings die Verbraucherschlichtungsstelle als eine durch die Landesjustizverwaltung eingerichtete oder anerkannte Gütestelle i. S. d. § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, § 15a Abs. 1 EGZPO anzusehen sein.6 Gegen ein solches Verständnis spricht schon die ausdrückliche Klarstellung des Gesetzgebers in der Begründung. Die Verbraucherschlichtungsstelle ist eine sonstige Gütestelle gem. § 15a Abs. 3 EGZPO und eben nicht eine Gütestelle i. S. d. § 15a Abs. 1 EGZPO.7 Auch lässt sich nicht mit einer fehlenden Abstimmung der Formulierungen des Verjährungsrechts im BGB, mit den Vorgaben der ZPO und des EGZPO argumentieren. Vielmehr wird durch die gesetzgeberische Gestaltung offenbar, dass im Bereich des Vollstreckungsrechts weiterhin zwischen den „von einer Landesjustizverwaltung eingerichteten oder anerkannten Gütestellen“ (§ 15a Abs. 1 EGZPO) und den „sonstigen Gütestellen“ (§ 15a Abs. 3) zu unterscheiden ist.8 Dafür spricht auch, dass die
4 Vgl. nur Tonner, Zur Umsetzung der AS-Richtlinie (Richtlinie 2013/11/EU) nebst Entwurf eines Gesetzes über alternative Streitbeilegung, 2014, 39; Rühl, ZZP 127 (2014), 61 ff., 92 f.; Prütting, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 157 ff., 166 f.; Meller-Hannich, in: Althammer (Hrsg.), Verbraucherstreitbeilegung: Aktuelle Perspektiven für die Umsetzung der ADR-Richtlinie, 2015, S. 19 ff., 37 ff.; Kotzur, VuR 2015, 243 ff., 251. 5 Meller-Hannich, in: Brinkmann/Effer-Uhe/Völzmann-Stickelbrock u. a. (Hrsg.), Dogmatik im Dienst von Gerechtigkeit, Rechtssicherheit und Rechtsentwicklung, 2018, S. 63 ff., 70; Roder/Röthemeyer/Braun, Verbraucherstreitbeilegungsgesetz, 2017, 170 f. A. A. Prütting, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 157 ff., 166 f. 6 Dies für den VSBG-RefE (noch) bejahend Prütting, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 157 ff., 166; siehe jetzt Prütting, in: Althammer/MellerHannich (Hrsg.), VSBG Verbraucherstreitbeilegungsgesetz, 2017, § 19 Rn. 36. Heßler, in: Zöller, Zivilprozessordnung, 332020, § 15a EGZPO Rn. 21. 7 BT-Drucks. 18/5089, 79. 8 Meller-Hannich, in: Althammer (Hrsg.), Verbraucherstreitbeilegung: Aktuelle Per-
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Zuständigkeit für die Anerkennung als Verbraucherschlichtungsstelle eben nicht bei den Landesbehörden, sondern gem. § 27 Abs. 1 VSBG beim Bundesamt für Justiz liegt.9 Die verjährungsrechtliche Gleichstellung von obligatorischen und fakultativen ADR-Verfahren hat demnach keine Auswirkung auf die bisherigen Vorgaben des § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, sowie des § 15a Abs. 1 EGZPO. Da offensichtlich der verpflichtende Charakter einer Schlichtung ausschlaggebend für die Vollstreckungstitelqualität ist, kommt mangels planwidriger Regelungslücke auch eine Analogie nicht in Frage. Unbenommen ist dem jeweiligen Land freilich, die Verbraucherschlichtungsstelle als Gütestelle i. S. d. § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO anzuerkennen, soweit sie die landesrechtlichen Voraussetzungen erfüllt.10
II. Durchsetzung des Schlichtungsergebnisses Diese fehlende Möglichkeit zur Vollstreckung wurde schon im Bereich der Mediationsabschlussvereinbarungen kritisiert und zur Problemlösung eine Umwandlung der Vereinbarung in einen Schiedsspruch mit vereinbarten Wortlaut gem. § 1053 Abs. 1 ZPO vorgeschlagen.11 Liegt schon für die Mediation der Einwand eines rechtsmissbräuchlichen Vorgehens nahe, so muss eine solche Gestaltung im Bereich der Verbraucherschlichtung schon deshalb ausscheiden, da für dieses Vorgehen aufgrund des Wortlauts von § 1053 ZPO die Einleitung eines Schiedsverfahrens notwendig wäre. Ein solches darf die Verbraucherschlichtungsstelle aber ohne Zweifel nicht – auch nur formal – durchführen (§ 5 Abs. 2 VSBG). Schließlich bleibt den Parteien de lege lata nur der Weg, die Vollstreckbarkeit des angenommenen Schlichtungsvorschlag gem. § 794 Abs. 1 Nr. 5 i. V. m. § 797 ZPO durch Protokollierung bei einem deutschen Gericht oder Beurkundung durch einen deutschen Notar zu erreichen. Die Vollstrespektiven für die Umsetzung der ADR-Richtlinie, 2015, S. 19 ff., 37 f., 39; dies., in: Brinkmann/Effer-Uhe/Völzmann-Stickelbrock u. a. (Hrsg.), Dogmatik im Dienst von Gerechtigkeit, Rechtssicherheit und Rechtsentwicklung, 2018, S. 63 ff., 71. 9 Der § 27 Abs. 1 VSBG-RegE (BT-Drucks. 18/5089, 12, 67) wies die Zuständigkeit noch dem jeweiligen Land zu. Hätten die Landesregierungen nun ihre Landesjustizverwaltung als zuständige Anerkennungsbehörde bestimmt, so ließe sich mit guten Argumenten dafür Streiten, dass der vor einer anerkannten Verbraucherschlichtungsstelle geschlossene Vergleich gem. § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO vollstreckbar wäre. 10 Röthemeyer, in: Borowski/Röthemeyer/Steike (Hrsg.), VSBG, 2016, § 19 Rn. 93. Für Bayern siehe Art. 22 AGGVG und Art. 1 ff., 5 BaySchlG. Siehe eingehend auch Kotzur, Die außergerichtliche Realisierung grenzüberschreitender Verbraucherforderungen, 2018, 305 ff. 11 Siehe dazu m. w. N. Greger, in: Greger/Unberath/Steffek (Hrsg.), Recht der alternativen Konfliktlösung, 22016, § 2 MediationsG Rn. 351.
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ckungsfähigkeit des Schlichtungsergebnisses kann gemäß §§ 796a, 796b, 796c ZPO auch durch die Vereinbarung in Form eines anwaltlichen Vergleiches (§ 794 Abs. 1 Nr. 4b ZPO) hergestellt werden. Dass dieses Vorgehen, schon aufgrund der Beteiligung eines entsprechenden Rechtspflegeorgans, für die Parteien mit nicht unerheblichen Kosten verbunden sein wird und generell als unpraktikabel angesehen werden kann12, passt zwar nicht zum Effizienzgedanken der Verbraucherschlichtung, ist aber aufgrund fehlender Bemühungen des Gesetzgebers um Erleichterungen und mangels verfahrensrechtlicher Alternativen hinzunehmen.13 Gerade im Bereich grenzüberschreitender Streitigkeiten oder im Falle einer verbindlichen Entscheidung zu Lasten des Unternehmers, besteht im Falle der Notwendigkeit einer zwangsweisen Durchsetzung des Schlichtungsergebnisses also erhebliches Konfliktpotential. Im Übrigen bleibt den Parteien jederzeit die Möglichkeit, die Vereinbarung gerichtlich (möglicherweise im Wege des Urkundenprozesses gem. §§ 592 ff. ZPO) durchzusetzen, oder – falls Gegenstand des Konflikts eine Geldleistung ist – einen vollstreckbaren Titel im Wege des Mahnverfahrens (§§ 688 ff. ZPO) zu erwirken.
§ 21 Gerichtliche Kontrolle Eine Kontrolle des Schlichtungsvorschlages sieht das VSBG nicht vor. Etwas anders folgt auch nicht aus der im Gesetz zur Überarbeitung des Verbraucherstreitbeilegungsgesetzes14 festgelegten Änderung des § 26 VSBG, wonach die Anerkennung als Verbraucherschlichtungsstelle dann widerrufen werden kann, sollte die Schlichtungsstelle bei ihrer Tätigkeit gegen „gesetzliche Vorschriften“ verstoßen. Insofern scheint der Anerkennungsbehörde – zumindest mit Blick auf den Wortlaut der Norm – auch die Möglichkeit gegeben den Schlichtungsvorschlag auf seine Vereinbarkeit mit der Rechtsordnung zu überprüfen. Dies steht allerdings wohl in Widerspruch zu der in § 7 Abs. 1 S. 1 VSBG garantierten Unabhängigkeit und Weisungsfreiheit des Streitmittlers. Entsprechend macht die Entwurfsbegründung dann auch deutlich, dass „eine Überprüfung oder Beanstandung einzelner Schlichtungsverfahren oder eines
12 Wolfsteiner, in: Rauscher/Krüger/Becker-Eberhard (Hrsg.), Münchener Kommentar ZPO, 62020, § 796a Rn. 1 „Der Anwaltsvergleich könnte schadlos aus der ZPO wieder gestrichen werden“. 13 Ausführlich zu diesen Möglichkeiten Hacke, Der ADR-Vertrag, 2001, 279 ff. 14 Gesetz zur Änderung von Vorschriften über die außergerichtliche Streitbeilegung in Verbrauchersachen und zur Änderung weiterer Gesetze, BGBl. I 2019 S. 1942.
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Schlichtungsvorschlages durch die Aufsichtsbehörde […] nicht statt [findet]“15. Haben die Parteien den Schlichtungsvorschlag innerhalb der von der Schlichtungsstelle festgelegten Frist (§ 19 Abs. 3 S. 3 VSBG) angenommen, so geht das Gesetz vielmehr davon aus, dass keine Partei gegen diesen Einwände hat. Wenn nun allerdings der angenommene Schlichtungsvorschlag auf einer fehlerhaften Verfahrensführung oder einer unzureichenden Anwendung des Rechts beruht, stellt sich die Frage nach der gerichtlichen Überprüfbarkeit.
I. Rechtswegsperre? Eine prozessuale Verbindlichkeit im Sinne einer materiellen Rechtskraftwirkung des Schlichtungsergebnisses kommt schon deshalb nicht in Betracht, da der Gesetzgeber nicht von einer auferlegten verbindlichen Lösung ausgeht.16 Als unzulässig wird man demnach wohl auch einen dauerhaften17 Ausschluss der Klagbarkeit mit Bezug auf den Schlichtungsvorschlag ansehen müssen.18 Partiell erwecken die Verfahrensordnungen der Verbraucherschlichtungsstellen aber den Eindruck, dass mit Annahme des Schlichtungsspruchs für den Verbraucher der Rechtsweg nicht mehr eröffnet sein soll.19 Ganz eindeutig wird dies mit Blick auf den Unternehmer. Da dieser sich nämlich bereits vorab dem Schlichtungsvorschlag unterwerfen (§ 19 Abs. 4 VSBG) kann und das Schlichtungsergebnis für den Unternehmer auf diese Weise verbindliche Wirkung haben kann (arg. e. § 5 Abs. 2 VSBG), soll für ihn, mit Blick auf den
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BT-Drucks. 19/10348, 38. Prütting, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 157 ff., 163 f. 17 Siehe dazu H. Roth, in: Stein/Jonas, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 222005, vor § 253 Rn. 129. 18 Stürner, in: Juristische Studiengesellschaft Karlsruhe (Hrsg.), Jahresband 2014, 2015, S. 63 ff., 81. Siehe dazu auch Greger, in: Greger/Unberath/Steffek (Hrsg.), Recht der alternativen Konfliktlösung, 22016, E Rn. 236, mit dem Hinweis, dass sich möglicherweise aus der Auslegung der ursprünglichen Schlichtungsvereinbarung ergeben könnte, dass bei Geltendmachung der Unwirksamkeit durch eine Partei das außergerichtliche Verfahren fortzusetzen ist, ebenso Hacke, Der ADR-Vertrag, 2001, 277 f. 19 Siehe dazu § 11 Verfahrensordnung SNUB; „1) Der Schlichterspruch ist für den Antragsgegner bindend, sofern der Fahrgast ihn akzeptiert und damit auf den Rechtsweg verzichtet. 2) Dem Fahrgast steht der Weg zu den ordentlichen Gerichten offen, sofern er das Ergebnis des Schlichtungsverfahrens nicht akzeptiert.“ sowie § 6 Abs. 5 a) S. 5 Verfahrensordnung Ombudsmann der privaten Banken, der durch seine Formulierung den Schluss nahelegt, dass der Rechtsweg nur bei einer Nichtannahme des Schlichtungsvorschlages eröffnet sein soll. 16
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Fünftes Kapitel: Verfahrensbezogene Folgefragen
konkreten Konfliktgegenstand, der Rechtsweg nicht mehr offenstehen.20 Die Verfahrensordnungen bereits etablierter Schlichtungsstellen bestätigen diese Annahme. So sieht die Verfahrensordnung des Versicherungsombudsmannes21 (Stand 23. November 2016) in § 10 Abs. 3 i. V. m. § 11 Abs. 2 S. 2 vor, dass im Falle einer verbindlichen Entscheidung (eine solche erfolgt bis zu einem Streitwert von 10.000,– Euro) für den Beschwerdegegner auch der Weg zu den ordentlichen Gerichten ausgeschlossen ist. Entsprechende Regelungen finden sich in § 6 Abs. 5 a) S. 1 Hs. 2 Verfahrensordnung des Ombudsmann der privaten Banken22 sowie in § 15 Abs. 4 S. 2 Verfahrensordnung der Ombudsstelle für Investmentfonds23. Gegen einen absoluten Ausschluss des Rechtswegs bestehen allerdings verfassungsrechtliche Bedenken mit Blick auf den Justizgewährungsanspruch.24 So ist der Schluss von der bestehenden Dispositionsbefugnis über einen materiellen Anspruch, auf die Möglichkeit zum vollständigen Verzicht auf den rechtsstaatlichen Anspruch der Justizgewähr nicht zwingend.25 Festzuhalten ist auch, dass es sich bei der Verbraucherschlichtung gerade nicht um ein schiedsrichterliches Verfahren handelt, wobei selbst dort eine gerichtliche Überprüfung – allerdings nur in engen Grenzen – möglich ist (§ 1059 ZPO). Eine umfassende Rechtswegsperre lässt sich daher weder für den Verbraucher noch für den Unternehmer begründen. Das Schlichtungsergebnis kann demnach nicht schlechthin unangreifbar sein. Allerdings erscheint mit Blick auf die Effizienz der ADR-Richtlinie doch gewisse Zurückhaltung geboten. So formuliert Althammer treffend, dass „das neue private Schlichtungssystem von vornherein wenig effizient wäre, wenn die in Vertragsform manifestierten Lösungen der Parteien in einem nachfol-
20 Hirsch, NJW 2013, 2088 ff., 2092 f. Vgl. dazu auch Lorenz, VersR 2004, 541 ff., 547 f.; Roder/Röthemeyer/Braun, Verbraucherstreitbeilegungsgesetz, 2017, 169 f. 21 Abrufbar unter https://www.versicherungsombudsmann.de/das-schlichtungsverfahr en/verfahrensordnungen/vomvo/#5 (geprüft am 01.11.2020). 22 Abrufbar unter https://bankenombudsmann.de/geschaeftsstelle/verfahrensordnung/ (geprüft am 01.11.2020). 23 Abrufbar unter http://www.ombudsstelle-investmentfonds.de/schlichtungsverfahr en/verfahrensordnung/ (geprüft am 01.11.2020). 24 So Prütting, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 157 ff., 162, 165; Tonner, Zur Umsetzung der AS-Richtlinie (Richtlinie 2013/11/EU) nebst Entwurf eines Gesetzes über alternative Streitbeilegung, 2014, 9, 28 f. 25 Siehe dazu nochmals H. Roth, in: Stein/Jonas, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 23 2016, vor § 253 Rn. 129; ebenso Schwab/Rosenberg/Gottwald, Zivilprozessrecht, 182018, § 89 Rn. 24 jeweils m. w. N. auch für die entgegenstehende wohl herrschende Meinung. Im Lichte des neuen § 309 Nr. 14 BGB Hau, in: Hau/Schmidt/Lindacher (Hrsg.), Trierer Festschrift für Walter F. Lindacher zum 80. Geburtstag, 2017, S. 139 ff.
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genden Zivilprozess bei einem Widerspruch zum materiellen Recht wieder in Frage gestellt werden könnten“26.
II. Die gerichtliche Überprüfung des Schlichtungsergebnisses Wie für jeden anderen materiell-rechtlichen Vertrag, muss zunächst auch im Rahmen des Schlichtungsvorschlages die Möglichkeit bestehen, das Schlichtungsergebnis in einem gerichtlichen Verfahren zu überprüfen.27 Dabei muss zwischen der Kontrolle aufgrund von Verfahrensverstößen (vgl. dazu unter § 8 V 2) und einer Inhaltskontrolle/Ergebniskontrolle unterschieden werden. Die gerichtliche Überprüfung einvernehmlicher Parteivereinbarungen ist dem deutschen Recht dabei auch grundsätzlich nicht fremd (vgl. § 156 Abs. 2 FamFG). So sah der Regierungsentwurf zum Mediationsgesetz noch eine gerichtliche Billigung des Mediationsergebnisses im Falle einer Vollstreckbarerklärung vor.28 Auch die neu eingeführten Vorschriften zur Musterfeststellungsklage knüpfen die Möglichkeit eines gerichtlichen Vergleichs an die Genehmigung des Vergleichsinhalts durch das Gericht (vgl. § 611 Abs. 3 ZPO).29 Diese prozessuale Sicherungsmaßnahme soll dabei die Angemessenheit der vorgeschlagenen Regelung unter der Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes gewährleisten.30 In jedem Fall hat das Gericht bei einer entsprechenden Ergebniskontrolle die Besonderheiten der Verbraucherschlichtung zu berücksichtigen.31 1. Verstoß gegen zentrale Verfahrenselemente Ebenso wie im Schiedsverfahren (§ 1059 Abs. 2 Nr. 1 lit. d) ZPO), muss auch im Rahmen der Verbraucherschlichtung die Möglichkeit bestehen, den Schlichtungsvorschlag dann gerichtlich anzufechten, sollte er auf einem we-
26 Althammer, in: Fankhauser/Widmer Lüchinger/Klingler u. a. (Hrsg.), Das Zivilrecht und seine Durchsetzung, 2016, S. 1 ff., 5. 27 Meller-Hannich, in: Brinkmann/Effer-Uhe/Völzmann-Stickelbrock u. a. (Hrsg.), Dogmatik im Dienst von Gerechtigkeit, Rechtssicherheit und Rechtsentwicklung, 2018, S. 63 ff., 70; Prütting, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 157 ff., 168. A. A. Fries, in: Althammer/Meller-Hannich (Hrsg.), VSBG Verbraucherstreitbeilegungsgesetz, 2017, § 5 Rn. 10. 28 BT-Drucks. 17/5335, S. 7 (Art. 3 Nr. 7). 29 Als Vorbild dürft insoweit § 18 KapMuG anzusehen sein. 30 Insbesondere da der Verbraucher nicht unmittelbar am Verfahren beteiligt ist, vgl. BT-Drucks. 19/2439, 27. 31 Wegen der Besonderheiten der alternativen Konfliktbeilegung generell kritisch zu einer gerichtlichen Ergebniskontrolle Wendenburg, Der Schutz der schwächeren Partei in der Mediation, 2013, 306 f.
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Fünftes Kapitel: Verfahrensbezogene Folgefragen
sentlichen Verfahrensverstoß beruhen.32 Dies folgt wohl schon aus § 15 Abs. 3 VSBG.33 Bei der Geltendmachung von Fehlern, die sich auf eine sachliche, also materiell-rechtlich falsche Rechtsanwendung beziehen, wird man dies aber nicht ohne Weiteres annehmen können. So wurde schon dargestellt, dass eine Abweichung von zwingendem Verbraucherschutzrecht – nach der hier vertretenen Auffassung – durchaus wirksam im Rahmen des Schlichtungsverfahrens vereinbart werden kann. Das Gericht soll in diesem Fall nicht einfach die Billigkeitsmaßstäbe der AS-Stelle durch eigene Billigkeitsmaßstäbe ersetzen können. Die Lösung dieser Problematik wird man im Wortlaut des § 19 Abs. 1 S. 2 VSBG sehen müssen. So formuliert die Norm mit Blick auf die Rechtsbindung sog. „soll“-Vorschriften. Im Zivilverfahrensrecht ist dabei anerkannt, dass in Abgrenzung zu „muss“-Vorschriften, aus der Verletzung einer „soll“Vorschrift keine Anfechtungsmöglichkeit folgt.34 Hat der Verbraucher also unter der Beachtung der wesentlichen Verfahrensgarantien und in informierter Autonomie den vom zwingenden Verbraucherschutzrecht abweichenden Schlichtungsvorschlag des Streitmittlers angenommen, so kann er in einem späteren Zivilverfahren nicht ausschließlich diese Tatsache rügen und aus diesem Grund die Aufhebung des Schlichtungsergebnisses verlangen.35 Möglich bleibt dem Verbraucher allerdings, eine Verletzung des Prinzips der informierten Autonomie zu rügen. Zum einen handelt es sich dabei um einen wesentlichen Verfahrensgrundsatz der Verbraucherschlichtung, sodass eine Verletzung immer einen erheblichen Verfahrensfehler darstellt.36 Zum anderen ist der § 19 Abs. 1 S. 3 VSBG, auf den eben dieses Prinzip gestützt wird, als „ist“ bzw. „muss“-Vorschrift ausgestaltet. Eine Verletzung der Vorgabe stellt also immer einen tauglichen Anfechtungsgrund dar. In Ergänzung der unter § 8 V 2 dargestellten Möglichkeiten zur Aufhebung des angenommenen Schlichtungsvorschlages, kann mit Blick auf die elementare Bedeutung des Prinzips der informierten Autonomie auch über eine Nichtigkeitssanktion gem. § 134 BGB i. V. m. § 19 I S. 3 VSBG nachgedacht werden. Die Nichtbeachtung des geltenden Rechts durch den Streitmittler führt demnach regelmäßig auch zur Möglichkeit den Schlichtungsvorschlag gerichtlich anzugreifen.
32
Zu den Aufhebungsmöglickeiten nach materiellem Recht siehe schon unter § 8 V 2. Dazu unter § 8 V 1. 34 Prütting, in: Wieczorek/Schütze/Smid (Hrsg.), Zivilprozessordnung und Nebengesetze, 52019, Einleitung Rn. 138. 35 So wohl auch Althammer, in: Althammer/Weller (Hrsg.), Europäische Mindeststandards für Spruchkörper, 2017, S. 87 ff., 96. 36 Zur Aufhebung des angenommenen Schlichtungsvorschlages wegen eines Verstoßes gegen zentrale Verfahrensgrundsätze siehe ausführlich oben § 8 V 2. 33
§ 21 Gerichtliche Kontrolle
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Als Anknüpfungspunkt für die dann folgende materiell-rechtliche Kontrolle des Schlichtungsergebnisses, bietet sich eine Orientierung des Gerichts an dem Merkmal der offenbaren Unbilligkeit im Rahmen des § 319 Abs. 1 S. 1 BGB an.37 Zwar ist dem Streitmittler nicht für beide Parteien die Möglichkeit gegeben, den Inhalt des Schlichtungsvorschlag verbindlich zu bestimmen, allerdings räumt das VSBG ihm einen weitreichenden Spielraum bei der konkreten Ausgestaltung des Vorschlags ein, sodass zumindest eine analoge Anwendung bejaht werden sollte. Das Gericht kann folglich bei ganz offensichtlichen Fehlern, welche zu einem grob unbilligen Ergebnis im Rahmen der Schlichtung führen, das Ergebnis für unwirksam erklären. 2. §§ 307 ff. BGB Weiterhin denkbar erscheint eine inhaltliche Überprüfung des Schlichtungsergebnisses gem. §§ 307 ff. BGB durch das Gericht.38 Grundsätzlich unterliegen gem. § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB vertragliche Vereinbarungen zwischen Unternehmer und Verbraucher, selbst wenn diese „nur zur einmaligen Verwendung bestimmt sind“, der AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle. Insbesondere für Verbraucherverträge hat der Gesetzgeber dabei festgestellt, dass die Inhaltskontrolle sogar dann stattfinden kann, sollten die Regelungen nicht auf Verlangen des Unternehmers, sondern auf Vorschlag eines nicht ausdrücklich für eine Seite tätigen Dritten Vertragsinhalt geworden sein.39 Auch solche Klauseln gelten dann als vom Unternehmer gestellt (vgl. § 310 Abs. 3 Nr. 1 BGB). Vergegenwärtigt man sich allerdings, dass die Durchführung des Schlichtungsverfahrens auf einem Antrag des Verbrauchers beruht und auch die Einführung des Schlichtungsvorschlages dem Interesse des Verbrauchers entspricht, so wird eine solche Kontrolle anhand der §§ 307 ff. BGB zweifelhaft.40 Ein weiteres Gegenargument ist die im Rahmen der Verbraucherschlichtung bestehende Möglichkeit des Verbrauchers auf den Inhalt der konkreten Vertragsbedingungen Einfluss zu nehmen. Die Annahme einer Vorformulierung (§ 310 Abs. 3 Nr. 2 sowie Art. 3 Klausel-RL „nicht im einzelnen ausgehandelt“) erscheint unter diesem Gesichtspunkt wenig überzeugend.41 37
Im Ergebnis ebenso Kotzur, Die außergerichtliche Realisierung grenzüberschreitender Verbraucherforderungen, 2018, 285 f. Dazu auch Joussen, Schlichtung als Leistungsbestimmung und Vertragsgestaltung durch einen Dritten, 2005, 504 ff. 38 In diese Richtung wohl Ulrici, in: Rauscher/Krüger/Becker-Eberhard (Hrsg.), Münchener Kommentar ZPO, 62020, Anhang 2 zu § 278a Rn. 79. 39 BT-Drucks. 13/2713, S. 7. 40 Der Gesetzgeber stellt insofern klar, dass es eines Schutzes des Verbrauchers dann nicht bedarf BT-Drucks. 13/2713, S. 7. 41 So wohl auch schon Schmidt-Kessel, in: ders. (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 9 ff., 18.
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Fünftes Kapitel: Verfahrensbezogene Folgefragen
In jedem Fall hätte das Gericht, sollten die Vorschriften des AGB-Rechts Anwendung finden, über § 310 Abs. 3 Nr. 3 BGB zu berücksichtigen, dass der Vorschlag von einem neutralen Dritten erarbeitet wurde und in einem Verfahren zustande gekommen ist, das explizit Vorgaben zum Schutz des Verbrauchers normiert. Versteht man die Verbraucherschlichtung als verfahrensrechtliches Instrument zur Gewährleistung einer selbstverantwortlichen Konfliktlösung, so muss sich auch eine nachfolgende gerichtliche Kontrolle in Zurückhaltung üben.
Sechstes Kapitel:
Grenzüberschreitende Verbraucherstreitigkeiten Sowohl für die ADR-RL1, als auch für das VSBG (vgl. nur §§ 38 ff. VSBG) ist die Verbesserung der Rechtsdurchsetzung bei grenzübergreifenden Streitigkeiten ein wesentliches Regelungsziel. Insbesondere der europäische Gesetzgeber versteht dabei das ADR-Verfahren als Mittel zur Fortentwicklung des europäischen Binnenmarktes.
§ 22 ADR-Richtlinie und Brüssel Ia-Verordnung Schon zu Beginn der Arbeit2 wurde die Beschränkung des personellen Anwendungsbereichs der ADR-Richtlinie auf in der Union niedergelassene3 Unternehmer und in der Union wohnhafte Verbraucher mit Blick auf den weitreichenderen Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO kritisiert. Noch schwerer wiegt allerdings mit Blick auf die intendierte Verbesserung der Konfliktbeilegung bei grenzüberschreitenden Konflikten der im Vergleich zur Brüssel Ia-VO widersprüchliche Regelungsgehalt. Das europäische Prozessrecht sieht bei der gerichtlichen Geltendmachung verbraucherrechtlicher Streitsachen in Ausnahme von der allgemeinen „actor sequitur forum rei“-Regel (Art. 4 Brüssel Ia-VO) einen besonderen Verbrauchergerichtsstand vor. Der Verbraucher kann den Unternehmer im eigenen Wohnsitzstaat verklagen (Art. 18 Abs. 1 Brüssel Ia-VO) und zwar selbst dann, sollte der Unternehmer außerhalb der EU ansässig sein (Art. 6, Art. 17 Abs. 2 Brüssel Ia-VO). Darüber hinaus muss er nicht befürchten ungewollt in einem anderen Mitgliedstaat verklagt zu werden (Art. 18 Abs. 2 Brüssel IaVO).4 Im Interesse des Verbraucherschutzes ist der Verbraucher also nicht gezwungen im Ausland zu klagen. Die Vorschriften sollen explizit auch die 1
Vgl. nur EWG 4, 7, 11, 15, 25, 38, 52 und Art. 2 Abs. 1, Art. 5 Abs. 2 lit. e) Art., 5 Abs. 4, Art. 14 Abs. 1, Art. 16 Abs. 1, 3 ADR-RL. 2 Vgl. oben § 6 III 1. 3 Siehe zum Begriff der „Niederlassung“ im Verhältnis zu verwandten Sekundärrechtsakten Rühl, ZZP 127 (2014), 61 ff., 65 f. 4 Meller-Hannich, in: Kohte/Absenger (Hrsg.), Menschenrechte und Solidarität im internationalen Diskurs, 2015, S. 659 ff., 662 f.
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Sechstes Kapitel: Grenzüberschreitende Verbraucherstreitigkeiten
grenzüberschreitende Rechtsdurchsetzung in Verbrauchersachen verbessern, da mögliche Sprachbarrieren als zentrales Hindernis in diesen Konfliktfällen identifiziert wurden.5 Die ADR-RL und insb. auch die ODR-VO lassen im Bereich der alternativen Streitbeilegung nun ein Absinken des Schutzstandards vermuten. Zum einen wurde bereits dargestellt, dass der Anwendungsbereich der ADR-RL nur dann eröffnet ist, wenn beide Parteien innerhalb der EU ansässig sind (Art. 2 Abs. 1 ADR-RL), zum anderen ermöglicht Art. 5 Abs. 1 ADR-RL eine Beschränkung der Zuständigkeit der Schlichtungsstellen nur auf Unternehmer, die im jeweiligen Mitgliedstaat niedergelassen sind. Für Deutschland überträgt § 4 Abs. 2 S. 3, Abs. 4 VSBG diese Möglichkeit dem Verantwortungsbereich der jeweiligen Verbraucherschlichtungsstelle.6 Dies führt im Ergebnis dazu, dass ausländische Unternehmer eine Streitbeilegung an ihrem Sitzstaat anbieten werden und eine Verfahrensdurchführung im Wohnsitzstaat des Verbrauchers ausscheidet.7 Auch die Ausgestaltung der – bei grenzüberschreitenden Konflikten wohl oft zur Anwendung kommenden – Vermittlungsplattform auf Grundlage der ODR-VO, lässt ein solches Ergebnis wahrscheinlich werden. Dieser Plattform kommt bei online abgeschlossenen Verträgen die zentrale Rolle bei der Ermittlung der zuständigen Schlichtungsstelle zu. Die konkrete Gestaltung des Auswahlprozesses führt dazu, dass die vom Unternehmer benannte oder ausgewählte ADR-Stelle, als die zuständige Verbraucherschlichtungsstelle anzusehen ist.8 Unwahrscheinlich ist dabei, dass es sich um eine Schlichtungsstelle im Wohnsitzstaat des Verbrauchers handeln wird. Auch das deutsche VSBG hilft dem Verbraucher in dieser Situation nicht weiter. Zwar könnte der § 30 Abs. 1 Nr. 2 VSBG dahingehend auszulegen sein, dass die Universalschlichtungsstelle ein Verfahren dann nicht ablehnen darf, wenn der Verbraucher seinen Wohnsitz in diesem Bundesland hat und deshalb ein Schlichtungsantrag auch gegen den ausländischen Unternehmer zuzulassen ist. Zum einen steht aber die Einrichtung einer Universalschlichtungsstelle unter dem Vorbehalt des § 29 Abs. 2 VSBG, der die Notwendigkeit der Einrichtung einer Universalschlichtungsstelle dann entfallen lässt, sollte für das Bundesland eine „Allgemeine Verbraucherschlichtungsstelle“ gem. § 4 Abs. 2 S. 2 VSBG bestehen. Da nun diese „Allgemeine Verbraucher-
5
Stürner, GPR 2014, 122 ff., 125. Anders noch der § 3 Abs. 1 VSBG-RefE, welcher den Zuständigkeitsbereich der Verbraucherschlichtungsstelle schon ex lege nur auf Konfliktverhältnisse mit inländischen Unternehmern begrenzt hatte. 7 Meller-Hannich, in: Althammer/Meller-Hannich (Hrsg.), VSBG Verbraucherstreitbeilegungsgesetz, 2017, § 4 Rn. 30. 8 Vgl. Art. 9 Abs. 3 lit. c), Abs. 4 lit. b) ODR-VO. Dazu Meller-Hannich/Höland/Krausbeck, ZEuP 2014, 8 ff., 30. 6
§ 22 ADR-Richtlinie und Brüssel Ia-Verordnung
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schlichtungsstelle“ gem. § 4 Abs. 2 S. 3 i. V. m. § 29 Abs. 2 S. 3 VSBG ihre Zuständigkeit auf die im jeweiligen Land ansässigen Unternehmer begrenzen kann, bleibt dem Verbraucher nur der Weg vor einer ausländische Schlichtungsstelle.9 Auch das Gesetz zu einer Überarbeitung des VSBG10 sieht weiterhin eine solche Beschränkungsmöglichkeit für die nun ausschließlich vom Bund getragene Universalschlichtungsstelle vor (vgl. § 4 Abs. 1a Nr. 4 i. V. m. § 30 Abs. 1 S. 2 VSBG-E). Die Praxis zeigt dabei, dass das hier theoretisch beschriebene Vorgehen der Realität entspricht. Aufgrund der Projektförderung der Allgemeinen Verbraucherschlichtungsstelle des Zentrums für Schlichtung e.V. in Kehl gem. § 43 VSBG besteht deutschlandweit ein ausreichendes Schlichtungsangebot, sodass die Länder auf die Einrichtung von Universalschlichtungsstellen gem. § 29 Abs. 2 VSBG generell verzichten konnten.11 Die geförderte Schlichtungsstelle beschränkt ausweislich des § 1 Abs. 3 ihrer Verfahrensordnung12 die Zuständigkeit auf Unternehmen, die ihre Niederlassung in Deutschland haben. Zum anderen ist nach der Gesetzesbegründung unter einer nach § 30 Abs. 1 Nr. 1 VSBG „andere[n] Verbraucherschlichtungsstelle“ auch eine zuständige AS-Stelle aus einem anderen Mitgliedstaat zu verstehen, wenn diese in der Liste der anerkannten Streitbeilegungsstellen der Europäischen Kommission aufgeführt wird.13 Dass in grenzüberschreitenden Konflikten der Verbraucherantrag an seinem Wohnsitz also oft unzulässig sein wird, erkennt auch der Gesetzgeber und sieht demzufolge in § 40 VSBG die Unterstützung des Verbrauchers bei grenzüberschreitenden Konflikten vor.14 Dabei ist allerdings mehr als zweifelhaft, dass diese Unterstützung den Verbraucher dazu ermutigen wird, ein Verfahren in einem Mitgliedstaat anzustrengen, in dem schon Sprache und Rechtsordnung unbekannt und potentiell höhere Kosten zu erwarten sind, zumal völlig unklar ist, wie genau diese Unterstützung aussehen soll.15 Diese „Umkehrung des Prinzips vom Verbrauchergerichtsstand“16 folgt auf europäischer Ebene der Praxis der Koordinierungsbemühungen der EUKommission (EEJ-Net; Euroguichets; ECC-Net) bei grenzüberschreitenden
9
Höxter, VuR Sonderheft 2016, 29 ff., 31; Hau, ZZPInt 2016, 157 ff., 164. Gesetz zur Änderung von Vorschriften über die außergerichtliche Streitbeilegung in Verbrauchersachen und zur Änderung weiterer Gesetze, BGBl. I 2019 S. 1942. 11 BT-Drucks. 18/6904, 73. Mit Blick auf §§ 29 f. VSBG nF, gilt dies nun auf Dauer. 12 Abrufbar unter: https://www.verbraucher-schlichter.de/schlichtungsverfahren/verfa hrensordnung (geprüft am 01.11.2020). 13 BT-Drucks. 18/5089, 69. 14 BT-Drucks. 18/5089, 76. 15 Hau, ZZPInt 2016, 157 ff., 164. 16 Meller-Hannich, in: Althammer/Meller-Hannich (Hrsg.), VSBG Verbraucherstreitbeilegungsgesetz, 2017, § 4 Rn. 30. 10
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Sechstes Kapitel: Grenzüberschreitende Verbraucherstreitigkeiten
Verbraucherreklamationen vor Inkrafttreten von ADR-RL und ODR-VO.17 Der Verbraucher muss für die Streitbeilegung an eine Schlichtungsstelle im Ausland wenden, während er im Falle einer gerichtlichen Geltendmachung seines Anspruchs die Gerichte seines Wohnsitzstaates anrufen kann. Die anvisierte Beseitigung von Hindernissen bei der Geltendmachung von Verbraucherrechten im Binnenmarkt, wird auf diese Weise nicht erreicht.18 Aus welchem Grund der Gesetzgeber es im Rahmen der alternativen Streitbeilegung versäumt, für einen Gleichlauf mit dem Verbraucherschutzstandard bei der gerichtlichen Rechtsdurchsetzung zu sorgen, bleibt unklar.19 Dies gilt insbesondere mit Blick auf die Bedeutung der Sprachkenntnisse im Rahmen einer alternativen Streitbeilegung.20 Die Schwierigkeiten des Verbrauchers bei der Rechtsdurchsetzung in grenzüberschreitenden Konfliktfällen, welche vom europäischen Gesetzgeber als Hindernis für den Binnenmarkt ausgemacht wurden21, werden weder durch die ADR-RL noch durch das VSBG hinreichend berücksichtigt.22 Mit Blick auf den europäischen Gesetzgeber wurde bereits der Verdacht geäußert, dass der Binnenmarktbezug der ADR-RL nur als kompetenzbe17
Kritisch aus diesem Grund schon früh Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, § 10 Rn. 116. Ebenso Tonner, Zur Umsetzung der AS-Richtlinie (Richtlinie 2013/11/EU) nebst Entwurf eines Gesetzes über alternative Streitbeilegung, 2014, 41. 18 Rühl, in: Ackermann (Hrsg.), Privat- und Wirtschaftsrecht in Europa, 2015, S. 459 ff., 475 ff. 19 H. Roth, DRiZ 2015, 24 ff., 26; Stürner, in: Juristische Studiengesellschaft Karlsruhe (Hrsg.), Jahresband 2014, 2015, S. 63 ff., 75. Ein entsprechender Konzept für die außergerichtliche Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten formuliert Kotzur, Die außergerichtliche Realisierung grenzüberschreitender Verbraucherforderungen, 2018, 117 ff. 20 Zustimmungswürdig Rühl, RIW 59 (2013), 737 ff., 740; dies., in: Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (Hrsg.), Alternative Streitbeilegung – Reden statt Klagen, 2013, S. 26 ff., 32 f.; Kotzur, VuR 2015, 243 ff., 244; Scherpe, Außergerichtliche Streitbeilegung in Verbrauchersachen, 2002, 12. Siehe auch schon Koch, Verbraucherprozessrecht, 1990, 65 ff. 21 Ausführlich dazu Rühl, in: Ackermann (Hrsg.), Privat- und Wirtschaftsrecht in Europa, 2015, S. 459 ff. 22 Vgl. dazu auch den Tätigkeitsbericht 2016 der Allgemeinen Verbraucherschlichtungsstelle des Zentrums für Schlichtung e. V., S. 10, der 24 Schlichtungsanträge von Verbrauchern aus anderen Mitgliedstaaten gegen in Deutschland niedergelassene Verbraucher ausweist. Der Tätigkeitsbericht 2017 derselben Stelle spricht davon, dass eine erhöhte Antragszahl für grenzüberschreitende Fälle auch in diesem Jahr nicht zu verzeichnen sei. Gleichzeitig weist der Bericht allerdings auf die hohe Zahl der über die ODR-Plattform eingereichten Beschwerden gegen Unternehmen mit Niederlassung in Deutschland hin, ohne dabei aber offen zu legen, dass wohl mehr als 80 % dieser Anträge von inländischen Verbrauchern stammen werden (vgl. dazu die Statistik der ODR-Plattform, abrufbar unter: https://ec.europa.eu/consumers/odr/main/index.cfm?event=main.statistics.show ) (geprüft am 01.11.2020). Vgl. dazu jetzt auch den Verbraucherschlichtungsbericht 2018 (Erstes Kapitel Fn. 9), S. 63, 76 ff.
§ 23 Grenzüberschreitende Verbraucherkonflikte
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dingtes „Feigenblatt“ für die Einführung einer eigenständigen, europäischen „zweiten Spur“ der Rechtsdurchsetzung dienen soll. Das hier gefundene Ergebnis kann diesen Verdacht nicht entkräften.23
§ 23 Grenzüberschreitende Verbraucherkonflikte und „geltendes Recht“ Im Bereich der grenzüberschreitenden Streitigkeiten wird auch ein weiterer Problempunkt evident. Fordert der § 19 VSBG vom Streitmittler eine rechtliche Bewertung, so stellt sich bei grenzüberschreitenden Sachverhalten die Frage, auf welchem Recht diese Bewertung zu beruhen hat. Der Art. 6 Rom I-VO24 stellt für Verbraucherverträge klar, dass die Vereinbarung zwischen Verbraucher und Unternehmer grundsätzlich dem Recht des Wohnsitzstaates des Verbrauchers unterliegt (Abs. 1), lässt aber, unter der Bedingung, dass dem Verbraucher nicht der Schutz zwingender Schutzvorschriften seines Wohnsitzstaates entzogen wird (Abs. 2), eine Rechtswahl nach Art. 3 Rom I-VO zu. Dass der Art. 11 ADR-RL die Geltung der Rom I-VO nur für solche Verfahren, die dem Verbraucher eine Lösung auferlegen, ausdrücklich vorsieht, verkompliziert die Situation noch weiter. Dem Grundsatz nach müsste die deutsche Verbraucherschlichtungsstelle im Falle eines Schlichtungsantrages eines ausländischen Verbrauchers, das maßgebliche Sachrecht ermitteln und es im Rahmen des Schlichtungsvorschlages berücksichtigen.25 Dabei liegt aber auf der Hand, dass ein solches Vorgehen in einem Spannungsverhältnis zu dem Effizienzgebot der ADRRL stehen wird.26 Vielfach wird aus diesem Grund dafür votiert, eine rechtliche Bewertung nur auf Basis des deutschen Rechts vorzunehmen. Dies sei schon deshalb sachgerecht, da die AS-Stelle nur einen Vorschlag formuliere, welcher nicht automatisch zu einer Bindung der Parteien führe.27 Im Übrigen sei das deutsche Verbraucherschutzniveau als hoch einzustufen, sodass eine Schlechterstellung des Verbrauchers nicht befürchtet werden müsse.28 23
Vgl. oben § 6 III 4. Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, ABl. 2008, L 177/6. 25 Gössl, Stellungnahme zum Entwurf eines Verbraucherstreitbeilegungsgesetzes zur Umsetzung der ADR-Richtlinie (EU-Richtlinie Nr. 2013/11), 2015 (https://www.bundest ag.de/blob/409790/61da748e0d2d5aa7fe3b220e9ac1c48c/wortprotokoll-data.pdf) (geprüft am 01.11.2020), S. 25, 58 f. 26 Höxter, VuR Sonderheft 2016, 29 ff., 31; Pelzer, ZKM 2015, 43 ff., 45. 27 Kramme, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 141 ff., 152 f.; Höxter, VuR Sonderheft 2016, 29 ff., 32; Pelzer, ZKM 2015, 43 ff., 45. 28 Röthemeyer, in: Borowski/Röthemeyer/Steike (Hrsg.), VSBG, 2016, § 19 Rn. 35. 24
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Sechstes Kapitel: Grenzüberschreitende Verbraucherstreitigkeiten
Dieser Vorschlag ist in seinem Ergebnis durchaus überzeugend. Dies gilt insbesondere, sollte im Rahmen der Schlichtung von zwingendem Verbraucherrecht abgewichen werden. So ist es „inkonsequent, dem Streitmittler ein bestimmtes Sachrecht ,aufzuzwingen‘, von dem er dann […] wieder abweichen darf“.29 Eine solche Ansicht übersieht allerdings, welch elementare Bedeutung der rechtlichen Bewertung des Streitmittlers im Rahmen Verbraucherschlichtung zukommt. Nur wenn der Verbraucher hinreichend über seine Rechte informiert wird, erscheint eine faire und vor allem materiell privatautonome Konfliktlösung überhaupt erst möglich. Der Beantwortung bedürfen somit zwei unterschiedliche Fragen. In Fortführung der dieser Arbeit zugrunde gelegten Aufteilung ist zwischen der Rechtsanwendung und der Rechtsverwendung zu differenzieren. Zum einen muss klargestellt werden, auf welcher Grundlage der Streitmittler die rechtliche Bewertung des Schlichtungsvorschlages vorzunehmen hat (Rechtsanwendung), zum anderen ist das Sachrecht zu bestimmen, das zur Ausgestaltung des Schlichtungsvorschlages heranzuziehen ist (Rechtsverwendung).
I. Rechtsanwendung Die Grundlage für die rechtliche Bewertung des Streitfalls muss sich an den Interessen der Vertragsparteien orientieren. Hierbei stellt der Art. 6 Abs. 2 i. V. m. Art. 3 Rom I-VO klar, dass auch bei Verbraucherverträgen grundsätzlich das auf den Vertrag anzuwendende Recht durch die Parteien frei zu bestimmen ist, soweit die Rechtswahl nicht zu einem Absinken des Schutzniveaus unter das zwingende Schutzrecht aus dem Wohnsitzstaat des Verbrauchers führt. Um zu einem interessensgerechten Ergebnis zu kommen, muss der Streitmittler den Konflikt also auf Basis dieser Parteiabreden über das geltende Recht bewerten. Insofern können die ODR-Plattform (Art. 5 Abs. 4 lit. e) ODR-VO) sowie die europäischen Verbraucherzentren und das ECC-Net bei der Ermittlung des maßgeblichen Sachrechts unterstützend mitwirken (vgl. auch §§ 38, 39 VSBG).30 Sollte es zu keiner Rechtswahl gekommen sein, bleibt es bei der Grundregel des Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO. Maßgeblich ist dann das Sachrecht des Wohnsitzstaates des Verbrauchers. Dass die Verbraucherschlichtungsstelle die Streitigkeit mit Blick auf § 14 Abs. 2 Nr. 4 VSBG ablehnen kann, sollte sie feststellen, dass nach internationalem Privatrecht ausländische Rechtsnormen zur Anwendung kommen müssen, erscheint widersprüchlich.31 Werden 29
Kramme, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 141 ff.,
153. 30 Rühl, RIW 59 (2013), 737 ff., 744; Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, 2010, § 10 Rn. 110 ff. 31 So aber Prütting, in: Althammer/Meller-Hannich (Hrsg.), VSBG Verbraucherstreit-
§ 23 Grenzüberschreitende Verbraucherkonflikte
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grenzüberschreitende Konflikte von der Zuständigkeit der Verbraucherschlichtungsstelle erfasst, so kann die Ermittlung und Anwendung des maßgeblichen Sachrechts nicht als ernsthafte Beeinträchtigung des effektiven Betriebs der Schlichtungsstelle angesehen werden. Entsprechend formuliert auch die Gesetzesbegründung, dass das geltende Recht in grenzüberschreitenden Fällen grundsätzlich „nach den allgemeinen Regeln des Kollisionsrechts am Sitz der Schlichtungsstelle bestimmt wird“32 und geht somit wohl nicht davon aus, dass die bloße Ermittlung eines fremden Sachrechts ausreicht, um die Verfahrensdurchführung abzulehnen. Unstreitig ist allerdings, dass die Anwendung ausländischer Rechtsnormen den Streitmittler vor außerordentliche Schwierigkeiten stellen kann. Die Problematik verdeutlicht Röthemeyer, wenn er ausführt, dass „ein deutscher Automobilkonzern durch Manipulation der Messung von Abgaswerten Konflikte mit Verbrauchern in sämtlichen Mitgliedstaaten im Anwendungsbereich des VSBG produziert“ und die zuständige deutsche Verbraucherschlichtungsstelle dann „das Recht der 30 weiteren Staaten des Europäischen Wirtschaftsraums auf Abweichungen gegenüber dem deutschen Recht prüfen“33 müsse. Interessensgerecht erscheint der von Gössl gemachte Vorschlag. Die Verbraucherschlichtungsstelle soll im Falle der Geltung ausländischen Rechts für die grenzüberschreitende Verbraucherstreitigkeit die Parteien auf diese Tatsache hinweisen, gleichzeitig aber festhalten, dass die Anwendung ausländischen Rechts nicht möglich ist. Sofern die Parteien damit einverstanden sind, kann die rechtliche Bewertung dann auf Grundlage des Rechts am Sitz der Schlichtungsstelle erfolgen. Das Kollisionsrecht steht einem solchen Vorgehen nicht entgegen. So ist schon für die Bestimmung des Entscheidungsmaßstabs im Schiedsrecht gem. § 1051 umstritten, ob die Parteien den Grenzen des Kollisionsrechts unterliegen.34 Mit Blick auf Art. 11 Abs. 1 lit. b) und c) ADR-Richtlinie, wird man für Verfahren, die nicht mit einer auferlegten Lösung enden, aber wohl auch in dieser Hinsicht einen weiteren Spielraum fordern können. beilegungsgesetz, 2017, § 19 Rn. 12; Röthemeyer, in: Borowski/Röthemeyer/Steike (Hrsg.), VSBG, 2016, § 19 Rn. 35. 32 BT-Drucks. 18/5089, 62 f. 33 Röthemeyer, in: Borowski/Röthemeyer/Steike (Hrsg.), VSBG, 2016, § 19 Rn. 35. 34 Verneinend Voit, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Zivilprozessordnung, 2019, § 1051 Rn. 3, mit Blick auf die Zielrichtung des Schiedsverfahrensrechts, im Interesse der Stärkung Deutschlands als Schiedsort internationaler Schiedsverfahren eine möglichst einfache und für die Parteien leicht überschaubare Regelung zu treffen. A. A. Münch, in: Krüger/Rauscher/Adolphsen (Hrsg.), Münchener Kommentar ZPO, 52017, § 1051 Rn. 20. Vgl. auch Geimer, in: Zöller, Zivilprozessordnung, 332020, § 1051 Rn. 3. Mit Blick auf Art. 11 Abs. 1 ADR-RL vermag die unbeschränkte Rechtswahlfreiheit in Verbraucherstreitfällen aber wohl nicht mehr zu überzeugen, vgl. Wagner, in: Geimer (Hrsg.), Ars aequi et boni in mundo, 2014, S. 679 ff., 685 f.
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Sechstes Kapitel: Grenzüberschreitende Verbraucherstreitigkeiten
Der rechtlichen Bewertung sollte folglich, bei entsprechendem Einverständnis der Parteien und mit Hinweis auf Effizienzerwägungen, inländisches Recht zugrunde gelegt werden.35 Als das maßgebliche geltende Recht gem. § 19 Abs. 1 S. 2 VSBG ist demnach das deutsche Recht anzusehen. Auf diese Weise wird zum einen eine hinreichende Information der Parteien sichergestellt. Zum anderen scheint das Vorgehen mit Blick auf das Effizienzgebot (unter § 8 IV 4) vorzugswürdig. Im Übrigen sei darauf hingewiesen, dass mit fortschreitender Vollharmonisierung des Verbrauchervertragsrechts die Relevanz dieser Fallgestaltung abnehmen wird. In diesem Fall besteht unionsweit ein einheitliches Schutzniveau.
II. Rechtsverwendung Nicht viel leichter zu beantworten ist die Frage der Rechtsverwendung. Wie im Rahmen der nicht-grenzüberschreitenden Streitigkeiten muss der Schlichtungsvorschlag zwar eine rechtliche Bewertung des Konfliktfalls enthalten, der endgültige Vorschlag soll aber durchaus von dieser Bewertung abweichen können. So sieht der Art. 11 Abs. 1 lit. b) ADR-Richtlinie nur für auferlegte Lösungen vor, dass sich der verbraucherrechtliche Schutzstandard aus den Kollisionsnormen der Rom I-VO ergibt. Allerdings muss hierbei nun beachtet werden, dass sich die rechtliche Bewertung (§ 19 Abs. 1 S. 3 VSBG) des Konfliktfalls nur auf das deutsche Sachrecht bezieht und das eigentlich maßgebliche Recht des Wohnsitzstaates des Verbrauchers ausblendet. Entsprechend kann in dieser Konstellation nicht von einer Entscheidung des Verbrauchers in informierter Autonomie ausgegangen werden. Zum Schutz des ausländischen Verbrauchers, muss der Schlichtungsvorschlag also an dieser Stelle zumindest die zwingenden Schutzvorgaben des deutschen Verbrauchervertragsrechts beachten. In Abweichung zum oben dargestellten Ergebnis, ist bei einer grenzüberschreitenden Verbraucherstreitigkeit die Wirksamkeit des Schlichtungsergebnisses also davon abhängig, ob die Vereinbarung die zwingenden nationalen Verbraucherschutzrechte beachtet.36 Nur auf diese Weise, lässt sich ein hinreichender Verbraucherschutz sicherstellen und ein Widerspruch zu der Rom I-VO vermeiden. Unerheblich muss dabei sein, dass die Nachbarrechtsordnungen vielfach einen Schutzverzicht im Rahmen der vergleichsweisen Konfliktbeilegung für zulässig erachten.37 35
Gössl, RIW 2016, 473 ff., 480; dies., in: Walz (Hrsg.), Das ADR-Formular-Buch, 2017, S. 136 ff., 159. 36 Gössl, RIW 2016, 473 ff., 480. 37 Siehe dazu die Nachweise bei Wagner, in: Eidenmüller/Faust/Grigoleit u. a. (Hrsg.), Revision des Verbraucher-acquis, 2011, S. 1 ff., 10 ff., 49 Fn. 121. 2
§ 23 Grenzüberschreitende Verbraucherkonflikte
317
III. Ergebnis Mit Blick auf die grenzüberschreitenden Verbraucherstreitigkeiten ist dem Normgeber der Vorwurf der Inkonsequenz zu machen. Wäre das Prinzip des Verbrauchergerichtsstandes auch im Bereich der alternativen Streitbeilegung umgesetzt worden, würden sich die hier dargelegten Problempunkte nicht stellen. Der Verbraucher könnte einen Schlichtungsantrag gegen einen ausländischen Unternehmer bei eine nationalen Schlichtungsstelle seines Wohnsitzstaates anbringen und würde eine rechtliche Bewertung auf Basis des dort geltenden Rechts erhalten. Gerade der durch Brüssel Ia-VO und Rom I-VO beabsichtigte Gleichlauf zwischen anwendbarem Recht und internationaler Zuständigkeit, wird im Bereich der Verbraucher-ADR ohne sachlichen Grund aufgegeben. Das durch die ADR-RL festgelegte Vorgehen entspricht weder den Interessen der Verfahrensbeteiligten, noch erleichtert es die Verfahrensdurchführung für den verantwortlichen Streitmittler. Auf nationaler Ebene ließe sich die Zugangsschwelle bei Konflikten mit grenzüberschreitendem Bezug dadurch abmildern, dass die inländischen Verbraucher den Konflikt mit einem ausländischen Unternehmer vor einer inländischen Schlichtungsstelle anbringen können. Anbieten würde sich insoweit eine Ausweitung des Zuständigkeitsbereichs der Allgemeinen Verbraucherschlichtungsstelle des Zentrums für Schlichtung e.V. Dies gilt insbesondere, da die Einrichtung dieser Stelle gerade ein ausreichendes Schlichtungsangebot in Deutschland sicherstellen soll.38 Spätestens bei der Einrichtung der jeweiligen Universalschlichtungsstellen (beachte § 43 Abs. 1 VSBG) bzw. der Universalschlichtungsstelle des Bundes39 sollte an eine Verfahrenseröffnungsmöglichkeit für inländische Verbraucher bei grenzüberschreitenden Konflikten gedacht werden.40
38
BT-Drucks. 18/6904, 73. Vgl. dazu jetzt §§ 29 f. VSBG nF, Gesetz zur Änderung von Vorschriften über die außergerichtliche Streitbeilegung in Verbrauchersachen und zur Änderung weiterer Gesetze, BGBl. I 2019 S. 1942, wonach der Bund die Einrichtung der Universalschlichtungsstelle übernehmen soll. 40 Ob es in absehbarer Zeit allerdings zu einer Einrichtung von Universalschlichtungsstellen in den einzelnen Bundesländern kommen wird, ist zu bezweifeln, da der Koalitionsvertrag die weitere Förderung der Allgemeinen Verbraucherschlichtungsstelle vorsieht, vgl. der Koalitionsvertrag vom 12. März 2018, S. 124 (5829-5831), abrufbar unter: htt (geps://www.cdu.de/system/tdf/media/dokumente/koalitionsvertrag 2018.pdf?file=1 prüft am 01.11.2020). 39
Siebentes Kapitel:
Die Auswirkungen der Verbraucherschlichtung Die Folgen des neuen Konfliktbearbeitungsinstruments für die Gesellschaft und den Rechts- und Wirtschaftsstandort Deutschland sind bisher noch nicht abzusehen. Von einer privaten „Schattenjustiz“, die den Amtsgerichten längerfristig in ihrer Bedeutung gefährlich werden könnte, einem schwindenden Einflussbereich der Justiz und einer möglichen negativen Entwicklung für den Rechtsstaat im Ganzen, lässt sich aber – zumindest bisher – nicht sprechen.1
§ 24 Wandel der Streitkultur und Verbraucherschutz durch ADR? Engel/Hornuf haben vor einigen Jahren einen Beitrag pointiert mit dem Titel „Mediation als Verbraucherschutz – oder Verbraucherschutz vor Mediation?“2 überschrieben. Auch im Kontext des Verbraucherstreitbeilegungsgesetzes stellt sich die Frage, ob die alternative Streitbeilegung den Verbraucherschutz stärkt oder langfristig eher zu einer Schwächung des Verbraucherschutzes führen wird. War im Rahmen des Mediationsgesetzes noch von einem „Jahrhundertgesetz, das die Rechtskultur in Deutschland völlig verändern könnte“3 die Rede4, so überwiegen im Zusammenhang mit dem Verbraucherstreitbeilegungsgesetz die kritischen Stimmen.5
1
Zum Ganzen Althammer/Lohr, DRiZ 2017, 354 ff. Engel/Hornuf, SchiedsVZ 2012, 26 ff. 3 Prantl, Abschied vom Kampf bis zur letzten Instanz, 2. Juli 2012 (http://www.sueddeu tsche.de/politik/mediation-statt-rechtsstreit-abschied-vom-kampf-bis-zur-letzten-instanz1.1398787) (geprüft am 01.11.2020) 4 Siehe in diesem Kontext den ernüchternden Evaluationsbericht 2017 der Bundesregierung über die Auswirkungen des Mediationsgesetzes, abrufbar unter: https://www.bmj v.de/SharedDocs/Downloads/DE/StudienUntersuchungenFachbuecher/Evaluationsberi cht Mediationsgesetz.pdf? blob=publicationFile&v=1 (geprüft am 01.11.2020). 5 Vgl. nur H. Roth, JZ 2013, 637 ff.; ders., DRiZ 2015, 24 ff.; Eidenmüller/Engel, ZIP 2013, 1704 ff.; Meller-Hannich/Höland/Krausbeck, ZEuP 2014, 8 ff.; Engel, NJW 2015, 1633 ff.; Grupp, AnwBl 2015, 186 ff.; Wendland, KritV CritQ Rcrit 99 (2016), 301 ff.; Halfmeier, VuR Sonderheft 2016, 17 ff. 2
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Siebentes Kapitel: Die Auswirkungen der Verbraucherschlichtung
Ein Aspekt ist dabei der von Fiss schon 1984 vorgebrachte Einwand, dass eine vergleichsweise Konfliktbeilegung in außergerichtlichen Verfahren das Potential hat, der Gesellschaft soziale Gerechtigkeit zu verwehren.6 Grundannahme ist dabei der auf Ihering zurückgehende Gedanke, dass eine, nur auf den eigenen Vorteil bedachte, vergleichsweise Streitlösung die Rechtsfortbildung hindert und damit der Allgemeinheit mittel- und langfristig Schaden zufügt. Letztendlich vermag eine solche Argumentation aber nicht zu überzeugen. Für den Zivilprozess wurde bereits an anderer Stelle festgestellt, dass er ganz vornehmlich auf den Individualrechtsschutz ausgerichtet ist und eine objektive Rechtsbewahrung nur als Reflex stattfindet. Ein anderes Verständnis würde dazu führen, den Verbraucher zu einer unbedingten Rechtsdurchsetzung im Kohlhaaschen Sinne anzuhalten, um auf diese Weise die Befriedung von Allgemeininteressen sicherzustellen.7 Die Sicherung überindividueller Interessen obliegt allerdings zum einen staatlichen Behörden, zum anderen privaten Verbänden, die nicht unerhebliches Engagement bei der Rechtsverfolgung zeigen.8 Darüber hinaus wird die Sanktionierung unternehmerischer Rechtsverletzungen nicht wahrscheinlicher, sollte dem Verbraucher die Möglichkeit einer außergerichtlichen Einigung verwehrt bleiben. Das neue Verfahren bietet dem Verbraucher die Möglichkeit, seine Rechte ohne ein dem staatlichen Gerichtsverfahren vergleichbaren Ressourcenrisiko (insb. Kosten und Zeit) vor einer neutralen und unabhängigen Institution geltend zu machen. Dies gilt unabhängig davon, aus welchem europäischen Mitgliedstaat der Unternehmer kommt. Schon allein das Bestehen dieser Möglichkeit hat das Potential die Streitkultur zu verändern. Mit den Gesetzgebungsvorhaben wird die Hoffnung verbunden, dass der Verbraucher ermutigt wird, die Konfrontation mit dem Unternehmer zu suchen, sollte er mit seiner vertraglichen Leistung nicht zufrieden sein und nicht in seiner „rationalen Apathie“ zu verharren. Schon dies wird man als eine Erhöhung des Verbraucherschutzniveaus auffassen können. Gleichzeitig haben die Untersuchungen gezeigt, dass sich der Schutz des Verbrauchers durch die Verfahrensausgestaltung sicherstellen lässt. Wesentliches Kriterium ist dabei, das für die Dogmatik des Verbraucherschutzes so zentrale Informationsparadigma und das daraus abgeleitete Prinzip der „informierten Autonomie“, welches der Verbraucherschlichtung zugrunde liegt. 6
Fiss, The Yale Law Journal 93 (1984), 1073 ff.; vgl. aus nationaler Sicht Risse, in: Eidenmüller (Hrsg.), Alternative Streitbeilegung, 2011, S. 133 ff. 7 Riehm, JZ 2016, 866 ff., 872, spricht – richtigerweise – von einer „Perversion des Verbraucherschutzgedankens“, sollte man Verbraucher im Allgemeininteresse in ein Klageverfahren drängen. 8 Vgl. nur https://www.vzbv.de/themen/rechtsdurchsetzung/urteile (geprüft am 01.11.2020).
§ 25 Der Unternehmer und die Verbraucherschlichtung
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Die Schlichtung kann die Durchsetzung von Verbraucherrechten verbessern, indem sie eine Lücke zwischen unternehmenseigenen Beschwerdemanagement und Gerichtsverfahren füllt. Selbstverständlich besteht auch im Rahmen eines Verbraucherschlichtungsverfahrens die Möglichkeit, dass der Unternehmer zu einem für ihn günstigen „Kompromiss“ gelangt und auf diese Weise ein negativer Verhaltensanreiz geschaffen wird. Dabei darf aber nicht aus dem Blick geraten, dass die Alternative zu einem solchen Kompromiss nicht in jedem Fall die Rechtsdurchsetzung in einem Zivilverfahren, sondern in vielen Fällen schlichtes Untätigbleiben des Verbrauchers sein wird, wobei dann der davon ausgehende negative Verhaltensanreiz in deutlich gesteigerten Maße virulent wird.9
§ 25 Der Unternehmer und die Verbraucherschlichtung An mehreren Stellen wurde bereits hervorgehoben, dass der Erfolg der Verbraucherschlichtung – sollte das Prinzip der doppelten Freiwilligkeit auch für den Unternehmer beibehalten werden – ganz entscheidend von der Bereitschaft der Unternehmer zur Verfahrensteilnahme abhängen wird. Die Attraktivität des Verfahrens erschließt sich für Unternehmer nicht auf den ersten Blick. Wird das Interesse der Verbraucher wohl schon aufgrund der für ihn kostenlosen Verfahrensdurchführung geweckt, so scheinen die Mehrzahl der Unternehmer der Verbraucherschlichtung ablehnend gegenüber zu stehen.10 Die Verbraucherschlichtung muss also – sollte das Prinzip der Freiwilligkeit auf Unternehmerseite beibehalten werden11 – auch für den Unternehmer Vorteile anbieten. Sofern der Gesetzgeber die Teilnahmebereitschaft an der Verbraucherschlichtung mit der Aussicht auf eine Imageverbesserung und Steigerung der unternehmerischen Reputation verknüpft, so scheint dies für die Mehrzahl der Unternehmer bisher wenig überzeugend. Können sie doch für den Fall, dass ein entsprechender Schlichtungsantrag gestellt wird, diesen als „Anstoß“ ansehen, den Streit kostensparender unter eigener „Regie“ bilateral beizulegen und im Falle eines Scheiterns, die gerichtliche Rechtsdurchsetzung durch den Verbraucher einfach abwarten.12 Aufwand und Ertrag 9 Hirsch, in: Wandt (Hrsg.), Versicherungsrecht, Haftungs- und Schadensrecht, 2014, S. 159 ff. 10 Siehe dazu Althammer/Lohr, DRiZ 2017, 354 ff.; ebenso Greger, Verbraucherschlichtung bleibt hinter den Erwartungen zurück, 2018 (https://www.schlichtungs-forum.de/neu igkeiten/verbraucherschlichtung-bleibt-hinter-den-erwartungen-zurueck/#more-744) (geprüft am 01.11.2020). 11 Dazu § 8 IV 1 a) bb). 12 Das dies wohl in der Praxis der übliche Ablauf ist, lässt sich aus dem Bericht der
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Siebentes Kapitel: Die Auswirkungen der Verbraucherschlichtung
stehen für den Unternehmer – zumindest bislang – noch in keinem Verhältnis. Dabei sei aber daran erinnert, dass der Bekanntheitsgrad der Schlichtung weitgehend davon abhängen wird, ob der Unternehmer über diese Möglichkeit entsprechend zielgerichtet informiert. Zwar sieht der § 36 VSBG eine dahingehende Verpflichtung des Unternehmers vor, ob die Information allerdings an prominenter Stelle – quasi als „Gütesiegel“ – platziert, oder sie eher „versteckt“, in das Webseiten-Impressum oder in die AGB eingebunden wird, bleibt diesem überlassen. Trotz § 2 Abs. 2 Nr. 12 UKlaG zeigt sich im Übrigen, dass die Informationsverpflichtung nicht besonders ernst genommen wird.13
I. Kostentragungslast Da die Verfahrensdurchführung nach dem VSBG für den Verbraucher grundsätzlich kostenlos möglich ist (§ 23 Abs. 1 VSBG), wird die Finanzierung der Verbraucherschlichtung größtenteils von den teilnehmenden Unternehmern getragen.14 Insofern verwundert es nicht, wenn viele Unternehmer in ihren AGB kategorisch den Verzicht auf die Teilnahme an dem Verfahren erklären. Dass die fehlende Kostentragungslast auf Seiten des Verbrauchers zu einem insbesondere aus dem Versicherungsrecht bekannt Moral Hazard führen könnte oder ein sog. free riding-Effekt eintritt, der die Übernutzung eines kostenlosen Angebots umschreibt, erscheint durchaus möglich.15 Dies wird man mit Blick auf das gesetzgeberische Ziel, die „rationale Apathie“ auf Seiten des Verbrauchers durch Absenkung der Zugangsschwelle abzubauen, aber wohl hinnehmen müssen. Problematisch für den Unternehmer könnte die Verbraucherschlichtung dann werden, sollte das Verfahren von den Verbrauchern dazu genutzt werden, um über die Entgeltpflichtigkeit (vgl. § 23 Abs. 2 VSBG) Druck auf den Unternehmer aufzubauen. Eine solche schikanöse Antragsstellung würde dann dazu führen, dass der Unternehmer auch bei einem völlig unbegründeten Anspruch des Verbrauchers einlenkt, um noch weitere Kosten zu ver-
Kommission zur ODR-Plattform entnehmen, siehe KOM (2017) 744 endg. 8 ff. Siehe nun auch Verbraucherschlichtungsbericht 2018 (Erstes Kapitel Fn. 9), S. 79, 83 f. 13 Greger, VSBG zeigt bisher wenig Wirkung, 2017 (https://www.schlichtungs-forum.d e/neuigkeiten/vsbg-zeigt-bisher-wenig-wirkung/) (geprüft am 01.11.2020). 14 Nicht außer Acht gelassen werden sollte dabei allerdings, dass die teilnehmenden Unternehmer die entstehenden Kosten durch Preisanpassungen an die Verbraucher zurückgeben werden, vgl. unter § 8 IV 4. Siehe zu den Verfahrenskosten Roder/Röthemeyer/ Braun, Verbraucherstreitbeilegungsgesetz, 2017, 143 ff. 15 Greger, MDR 2016, 365 ff., 368.
§ 25 Der Unternehmer und die Verbraucherschlichtung
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meiden. Bei näherer Betrachtung verliert eine solche Befürchtung allerdings ihre Brisanz. Zum einen ist der Streitmittler verpflichtet, bei einem offensichtlich unbegründeten Schlichtungsantrag, die Durchführung des Schlichtungsverfahrens abzulehnen – dasselbe gilt, für einen „mutwilligen Antrag“ – vgl. § 14 Abs. 1 Nr. 3 VSBG. Zum anderen sieht der § 23 Abs. 1 VSBG die Möglichkeit einer Missbrauchsgebühr in Höhe von 30,– Euro für den Verbraucher vor. Im Falle einer Ablehnung der Verfahrensdurchführung aufgrund eines offensichtlich unbegründeten oder missbräuchlichen Schlichtungsantrags wird man dann folgerichtig eine Gebührenerhebung beim Unternehmer als unbillig ablehnen müssen. Insofern kommt dem § 31 Abs. 2 S. 2 VSBG als Regelung für die Universalschlichtungsstellen eine Leitbildfunktion zu. Das VSBG verzichtet im Fall einer missbräuchlichen Antragsstellung auf die Normierung eines Aufwendungsersatzanspruches, wie in beispielsweise das Wettbewerbsrecht mit § 8 Abs. 4 S. 2 UWG kennt. Allerdings könnte der Unternehmer versucht sein, entstandene Schäden über §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 311 BGB oder mit Hilfe eines deliktrechtlichen Schadensersatzanspruchs (§§ 823 Abs. 1 und Abs. 2, 826 BGB) geltend zu machen.16 Dass ein solcher Anspruch an Art. 8 lit. c) ADR-Richtlinie scheitern könnte, scheint zumindest für die Fälle einer schikanösen Antragsstellung durch den Verbraucher zweifelhaft. Der entsprechende Nachweis einer missbräuchlichen Antragsstellung wird dem Unternehmer allerdings wohl nur in evidenten Ausnahmefällen gelingen. Dies gilt insbesondere auch deshalb, da an das Tatbestandsmerkmal besonders hohe Anforderungen zu stellen sind, um keine Verunsicherungen auf Seiten der Verbraucher entstehen zu lassen.17 So kann der Vorwurf zum Beispiel nicht allein darauf gegründet werden, dass der Anspruch des Verbrauchers gegen den Unternehmer schon offensichtlich verjährt gewesen sei.18 An dieser Stelle ist allerdings festzuhalten, dass die bisherigen Erfahrungen der Praxis die Furcht vor solchen querulatorischen Anträgen als unbegründet erscheinen lassen.19
16
Vgl. BGH NJW 2007, 1458 Rn. 8 ff. Entsprechend kritisch allgemein zur Missbrauchsgebühr die Stellungnahme der Verbraucherzentrale Bundesverband zum VSBG-RegE, S. 6, abrufbar unter: https://www.vzb v.de/sites/default/files/downloads/Alternative-Streitschlichtung-Gesetzentwurf-Stellungn ahme-vzbv-2015-09-14.pdf (geprüft am 01.11.2020). 18 Lohr, in: Althammer/Meller-Hannich (Hrsg.), VSBG Verbraucherstreitbeilegungsgesetz, 2017, § 23 Rn. 6. 19 Isermann/Berlin, VuR 2012, 47 ff., 53. 17
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Siebentes Kapitel: Die Auswirkungen der Verbraucherschlichtung
II. Interessen des Unternehmers – Verbraucherschlichtung als Marktfaktor Trotz dieser Kostenbelastung des Unternehmers, kann die Verbraucherschlichtung für den Unternehmer auch Vorteile bereithalten. Hier werden vor allem sog. „weiche“ Faktoren relevant, die nicht per se kostenbezogen sind, allerdings dennoch einen erheblichen wirtschaftlichen Faktor darstellen. Im Zentrum des Verfahrens steht die Erarbeitung einer möglichst interessensgerechten Konfliktlösung. Dabei sind bei erfolgreichem Abschluss des Verbraucherschlichtungsverfahrens, nach dem hier vertretenen Verständnis, vertragliche Gestaltungen realisierbar, die in dieser Form grundsätzlich im Verhältnis Unternehmer-Verbraucher nicht vorgesehen sind. Es besteht somit für den Unternehmer die Möglichkeit in dem Schlichtungsverfahren ein für ihn günstigeres Ergebnis zu erzielen, welches so im Rahmen einer direkten Verhandlung zwischen den Parteien nicht möglich gewesen wäre. Dieser Mehrwert der außergerichtlichen Streitbeilegung und generell die größere Flexibilität gegenüber ordentlichen Gerichtsverfahren kann sich für Unternehmer als durchaus attraktiv erweisen.20 Weiterhin kann das Angebot einer außergerichtlichen Schlichtung vor einer neutralen und staatlich anerkannten Stelle die Unternehmensreputation verbessern und die Kundenbindung, sowie das Kundenvertrauen erhöhen.21 Gerade die Kundenbindung ist für den Unternehmer von erheblichem Interesse. Dies gilt nicht nur bei Dauerschuldverhältnissen, sondern auch im Bereich der Geschäfte des täglichen Lebens. Der Verbraucher soll nicht lange nach dem günstigsten Preis suchen, sondern auf der Basis von Zufriedenheit und Vertrauen mit dem bereits bekannten Unternehmer kontrahieren. Für die Wahl des Vertragspartners wird für den Verbraucher auch gerade der Umgang bei Störungen im Rahmen der Vertragsabwicklung entscheidend sein.22 Quasi als Nebeneffekt der Schlichtung erhält der Unternehmer Informationen, welche Interaktionspunkte zwischen Kunden und Unternehmen be-
20
Generell dazu Gläßer/Hammes/Kirchhoff, Konfliktmanagement in der deutschen Wirtschaft – Entwicklungen eines Jahrzehnts, 2016 (https://www.ikm.europa-uni.de/de/S tudie V.pdf) (geprüft am 01.11.2020); Steinbrecher, BRAK-Mitteilungen 2017, 156 ff. 21 Gössl, in: Walz (Hrsg.), Das ADR-Formular-Buch, 22017, S. 136 ff., 140, die angibt, dass sich alternative Streitbeilegungsinstrumente für den Unternehmer schon dann lohen, sollten nur 25–30 % der bestehenden Streitigkeiten einvernehmlich beigelegt werden. 22 Gerade bei dem Zahlungsdienstleister PayPal werden die entsprechenden Schutzprogramme das wesentliche Kriterium darstellen. Das Schaffen einer treuhänderischen Vertrauensbasis zählt zum Kern des Geschäftskonzepts des Zahlungsdienstleisters im E-Commerce. Habel, K u. R – Kommunikation und Recht 2018, 105 f., 106.
§ 25 Der Unternehmer und die Verbraucherschlichtung
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sonders konfliktanfällig sind und kann auf diese Weise Rückschlüsse auf die Marketing- und Vertriebsausrichtung ziehen. Neben der Möglichkeit von Imageverbesserungen und der Sicherung von Marketingvorteilen können die Schlichtungsstellen nach dem VSBG gleichzeitig die einem unternehmensinternen Streitbeilegungssystem immanenten Bedenken hinsichtlich der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit ausräumen. Letztendlich wird aufgrund der Teilnahme an einer Verbraucherschlichtung ein eigenes Beschwerdemanagement des Unternehmers verzichtbar.23
III. Zwischenergebnis Zusammengefasst gilt Folgendes: Soll sich der Effekt des VSBG nur in der Förderung unternehmensinterner Beschwerdemanagementsysteme (und damit außerhalb des Anwendungsbereichs des Gesetzes) ohne Möglichkeit einer staatlichen Kontrolle erschöpfen24 oder soll das Gesetz als Ausgangspunkt für eine staatlich regulierte und überwachte zweite Spur der Konfliktbehandlung insbesondere für solche Streitigkeiten dienen, die nur in Ausnahmefällen einer gerichtlichen Klärung zugeführt werden? So sehr man einem Parallelsystem zur Verbraucherrechtsdurchsetzung auch kritisch gegenüberstehen mag, so zeigt die Praxis, dass ein beträchtlicher Bedarf in dieser Hinsicht besteht. Das Verfahren nach dem VSBG konkurriert vielfach mit unternehmensinternen Beschwerdestellen, die durch ein automatisiertes Beschwerdehandling eine effiziente Konfliktbearbeitung anbieten.25 Gerade im Bereich des immer weiter wachsenden E-Commerce26 entwickelt sich ein nachhaltiges Angebot an alternativen Methoden (vgl. insb. die weitreichenden Initiativen im Bereich der Online Dispute Resolution27) dem Verbraucher die Geltendmachung seiner Forderungen zu erleichtern.28 Mit dieser „Privatisierung der Rechtsdurchsetzung“ besteht aber durchaus die Gefahr, dass in bestimmten Bereichen des Verbraucherrechts ein „blinder Fleck“ entstehen könnte. Ob das Verbraucherrecht dann noch
23
So wird auch aus dem Verbraucherschlichtungsbericht 2018 (Erstes Kapitel Fn. 9), S. 79, 83 f. deutlich, dass viele Unternehmer bereits ein eigenes ausgeklügeltes Beschwerdemanagement aufgebaut haben und die Vorteile der Verbraucherschlichtung eher als gering einschätzen. 24 Davon geht Greger, MDR 2016, 365 ff., 370 aus. 25 Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, 2016, 244 ff.; Grupp, AnwBl 2015, 186 ff., 186 ff.; Heetkamp, Online Dispute Resolution bei grenzüberschreitenden Verbraucherverträgen, 2018, 361 ff., 374 f., 392 ff. 26 KOM (2017), 744 endg. 1; EU-Verbraucherbarometer, Ausgabe 2017. 27 Vgl. dazu Althammer, in: Faust/Schäfer (Hrsg.), Zivilrechtliche und rechtsökonomische Probleme des Internet und der künstlichen Intelligenz, 2019, S. 249 ff. 28 Vgl. oben § 17 IV 3.
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Siebentes Kapitel: Die Auswirkungen der Verbraucherschlichtung
die Realität der Geschäftsbeziehung zwischen Verbraucher und Unternehmer abbildet, wird für den Gesetzgeber in der Folge immer schwerer abzusehen sein. Mit dem VSBG hat sich der Gesetzgeber entschieden, unternehmensinterne Beschwerdesysteme nur als „Co-Regulierer“29 anzusehen und im Bereich der alternativen Konfliktbearbeitung von Verbraucherstreitigkeiten, durch die Etablierung entsprechender Verfahrensmaßgaben, Mindeststandards für die Streitbeilegung zu postulieren. Besteht im Rahmen der Verbraucherschlichtung die Möglichkeit, zu einer verbindlichen Konfliktbeendigung zu kommen, welche in dieser Form grundsätzlich im Rahmen privatautonomer Vereinbarungen nicht zulässig wäre, so liegt darin ein erheblicher Vorteil dieser Verfahrensform.
§ 26 Die Konkurrenz zwischen der Schlichtung und dem staatlichen Gerichtsverfahren – Modernisierung der ZPO? Unabhängig davon, ob man die Verbraucherschlichtung nun als Konkurrenz zum staatlichen Gerichtsverfahren begreift oder sie vielmehr als ergänzende Alternative ansieht, muss eine Arbeit, die sich mit der Durchsetzung von Verbraucherrechten in Alternativverfahren auseinandersetzt, auch die Auswirkungen auf den staatlichen Zivilprozess untersuchen. Dabei sollte nie aus dem Blick geraten, dass sich die Frage nach der Rolle des Verbrauchers in der Rechtsordnung zu einer der prägendsten Fragen des gegenwärtigen rechtswissenschaftlichen Diskurses entwickelt hat, welche freilich auch nicht vor dem Verfahrensrecht Halt macht. Entsprechend hält Braun in seinem „Lehrbuch des Zivilprozeßrechts“ fest: „Die Epoche des Bürgertums, das die deutsche Zivilprozeßordnung geprägt hat und deren späte Früchte noch immer nicht vollständig eingebracht sind, ist im Verschwinden begriffen; ja, sie ist im Grunde bereits verschwunden, nur vereinzelte Ausläufer haben sich noch in Nischen der Gesellschaft erhalten, die man früher einmal die „bürgerliche“ genannt hat. Die neue Zeit steht im Zeichen des Verbrauchers und seines Antipoden, des Unternehmers oder vielmehr: der mittleren und großen Unternehmen und der sonstigen Verbände; denn allein diese kristallisieren sich als die eigentlichen Akteure des modernen Privatrechts heraus. Das materielle Zivilecht ist unter diesem Aspekt bereits tiefgreifend umgestaltet worden. Das Zivilprozeßrecht wird sich einem vergleichbaren Umbau vielleicht ebenfalls nicht entziehen können.“30
Die vorliegende Untersuchung hat gezeigt, dass zumindest der europäische Gesetzgeber mit einer Uminterpretation des access to justice-Gedankens die 29 Heetkamp, Online Dispute Resolution bei grenzüberschreitenden Verbraucherverträgen, 2018, 375. 30 Braun, Lehrbuch des Zivilprozeßrechts, 2014, S. VII.
§ 26 Konkurrenz zwischen Schlichtung und staatlichem Gerichtsverfahren?
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Durchsetzung der Verbraucherrechte nicht mehr im staatlichen Zivilprozess, sondern vielmehr in Alternativverfahren sieht. Mit Blick auf die Alsassini Rechtsprechung erscheint unwahrscheinlich, dass der EuGH die vom Gesetzgeber eingeschlagene Richtung, weg vom staatlichen Zivilprozess und hin zu einer alternativen Streitbeilegung kritisch sehen wird.31 Allerdings wurde bereits zu Beginn32 deutlich gemacht, dass für ein gut funktionierendes Ziviljustizsystem, der ursprüngliche Gedanke eines niedrigschwelligeren Zugangs zum Justizangebot durchaus aufrechterhalten werden muss.33 Bis jetzt zeichnet sich der vom europäischen und nationalen Gesetzgeber erwartete Erfolg der Schlichtung nicht ab.34 Die vorstehenden Ausführungen haben aber gezeigt, dass die Schlichtung durchaus das Potential hat, Verbraucherkonflikte der staatlichen Gerichtsbarkeit zu entziehen. Mit der elementaren Bedeutung dieses Rechtsgebiets für die Gesellschaft besteht zumindest das abstrakte Risiko einer Abwanderung in alternative Konfliktbearbeitungsforen mit unabsehbaren Folgen für die Rechtsgemeinschaft im Ganzen. Allein der branchenspezifische Erfolg von privaten ODR-Anbietern zeigt, dass ein erhebliches Interesse an der Implementierung alternativer Streitbeilegungsinstrumente besteht.35 Dass die Rechtsordnung die Ergebnisse dieser Beschwerdesysteme durchaus akzeptiert, hat der BGH mit Blick auf das PayPal-Käuferschutzprogramm festgestellt. So führt er aus, dass ein erfolgreicher Käuferschutzantrag schon deshalb von beträchtlichem Vorteil sein kann, da der zunächst in Vorleistung getretene Käufer seine Leistung 31
H. Roth, DRiZ 2015, 24 ff., 26. Vgl. oben § 5 III. 33 Vgl. 67 Jahrestagung der Präsidenten der Oberlandesgerichte, des Kammergerichts und des Bundesgerichtshofs in Frankfur a. M. v. 22.06.–24.06.2015, Pressemitteilung des OLG Frankfurt v. 24.06.2015, abrufbar uner: https://ordentliche-gerichtsbarkeit.hessen.d e/pressemitteilungen/67-jahrestagung-der-pr%C3%A4sidenten-der-oberlandesgerichte-d es-kammergerichts-und-des (geprüft am 01.11.2020). 34 Aktuell Greger, Verbraucherschlichtung bleibt hinter den Erwartungen zurück, 2018 (https://www.schlichtungs-forum.de/neuigkeiten/verbraucherschlichtung-bleibt-hinter-d en-erwartungen-zurueck/#more-744) (geprüft am 01.11.2020); sowie Verbraucherschlichtungsbericht 2018 (Erstes Kapitel Fn. 9). Gleichzeitig ist allerdings branchenspezifisch ein erheblicher Anstieg der Schlichtungsanträge zu verzeichnen, söp Halbjahresbilanz 2018 (Anstieg um 37 % im Vergleich zum Vorjahr), abrufbar unter: https://soep-online.de/assets/ files/s%C3%B6p-Halbjahresbilanz%202018.pdf (geprüft am 01.11.2020). 35 Für eBay gibt der Susskind Report (2015) (vgl. dazu https://www.judiciary.gov.uk/r eviews/online-dispute-resolution/ (geprüft am 01.11.2020)) unter 1.11 und 4.2 über 60 Mio. Fälle an, welche durch Online-Streitbeilegung einer Lösung zugeführt wurden. Der ODRProvider Modria spricht von über 400 Mio. Fällen, die seit der Gründung 2011 erfolgreich beigelegt wurden. Siehe zur Vielfalt der Erscheiungsformen Heetkamp, Online Dispute Resolution bei grenzüberschreitenden Verbraucherverträgen, 2018, 30 ff.; Althammer, in: Faust/Schäfer (Hrsg.), Zivilrechtliche und rechtsökonomische Probleme des Internet und der künstlichen Intelligenz, 2019, S. 249 ff., 253 ff. 32
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Siebentes Kapitel: Die Auswirkungen der Verbraucherschlichtung
zurückerhält und die prozessuale Durchsetzungslast nun beim Verkäufer liegt.36 Bei dieser begrüßenswerten Feststellung muss dem BGH aber auch bewusst gewesen sein, dass der durch das Käuferschutzprogramm herbeigeführte Zustand in vielen Fällen mit Blick auf die Kosten der Rechtsverfolgung faktisch bindend für die Parteien sein wird.37 Die Problematik wird augenfällig sollte PayPal den Käuferschutzantrag ablehnen, da der Verkäufer in dem Verfahren einen Versendungsbeleg vorgelegt hat. Im Falle eines Verbrauchsgüterkaufs führt dieses Ergebnis mit Blick auf § 475 Abs. 2 BGB dann zum exakten Gegenteil der Vorgaben des zwingenden Verbrauchsgüterkaufrechts und dem Verbraucher bleibt nur der Weg in den Zivilprozess. Um im Zusammenhang mit den Instrumenten der außergerichtlichen Streitbeilegung weiterhin konkurrenzfähig zu bleiben, wird sich der staatliche Zivilprozess reformieren müssen.38 Ohne die Diskussion über Sonderprozesse aufgreifen zu wollen39 oder die Debatte über die Auswirkungen des materiellen Verbraucherrechts auf das Zivilverfahren („Materialisierung des Zivilprozessrechts“) fortzuführen, sei doch an dieser Stelle nochmals daran erinnert, dass der EuGH den Weg zu einer Umbildung der nationalen Verfahrensrechte im Bereich des Verbraucherrechts wohl schon beschritten hat.40 Auch aus diesem Grund, könnte der Gedanke eines speziellen Verbraucherprozessrechts wieder relevant werden.41 Der befürchteten Erosion der Verbraucherrechtsdurchsetzung, wird wohl am effektivsten durch die Sicherung und den Ausbau der staatlichen Rechtsdurchsetzungsinstrumente begegnet werden können. Im Folgenden sollen nur einige Gedanken aufgeworfen werden, die zeigen, dass das Zivilverfahren auch für Verbraucherkonflikte weiterhin attraktiv sein kann und unter welchen Gesichtspunkten Weiterentwicklungen notwendig werden könnten.
36 BGH NJW 2018, 537 ff., 540 Rn. 41. Vgl. zu diesem Urteil eingehend auch Althammer, in: Faust/Schäfer (Hrsg.), Zivilrechtliche und rechtsökonomische Probleme des Internet und der künstlichen Intelligenz, 2019, S. 249 ff., 268 ff.; Fries, VuR 2018, 123 ff. 37 Guggenberger, NJW 2018, 1057 ff., 1059; Fries, VuR 2018, 123 ff., 124. 38 Eingehend Calliess, in: Ständige Deputation des Deutschen Juristentages (Hrsg.), Verhandlungen des 70. Deutschen Juristentages, 2014, S. 5 Kritisch dazu H. Roth, JZ 2014, 801 ff., 806 f. 39 Statt vieler H. Roth, ZZP 129 (2016), 3 ff., 22 ff. sowie Koch, Verbraucherprozessrecht, 1990, 129 ff. 40 Vgl. nur die Äußerung der ehemaligen Generalanwältin Trstenjak, „[…] a less stringent application of the concept of procedural autonomy of the Member States can be observed in the case law of the ECJ with regard to the enforcement of consumer rights under the different consumer protection directives.“, Trstenjak/Beysen, CMLR 2011, 95 ff., 119. 41 Koch, Verbraucherprozessrecht, 1990; Calliess, in: Ständige Deputation des Deutschen Juristentages (Hrsg.), Verhandlungen des 70. Deutschen Juristentages, 2014, S. 5.
§ 26 Konkurrenz zwischen Schlichtung und staatlichem Gerichtsverfahren?
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I. Reform des § 495a ZPO Mit Blick auf Bagatellverfahren bietet sich eine Reform des § 495a ZPO an.42 In keinem Fall sollte das Verfahren nach § 495a ZPO mit dem Argument aufgegeben werden, dass mit der Möglichkeit zur Durchführung eines Schlichtungsverfahrens die Notwendigkeit für ein gerichtliches Verfahren nach billigem Ermessen entfallen sei.43 Visiert eine Partei in einem Streit mit verhältnismäßig geringem Streitwert eine gerichtliche Entscheidung und keinen unverbindlichen Schlichtungsvorschlag an, so muss das justizielle Angebot auch in diesen Fällen eine effiziente Bearbeitung garantieren. Das auch in der Praxis ein entsprechender Bedarf besteht, zeigt schon ein Blick in die Justizstatistik aus dem Jahr 2018, welche für Bayern von 35.863 durch Urteil erledigte Verfahren, 13.499 davon als im vereinfachten Verfahren nach § 495a ZPO erledigt ausweist.44 Denkbar wäre beispielsweise (wie im Rahmen der europäischen Small-Claims Verordnung) die Erhöhung der Bagatellgrenze – von 600 Euro auf 1.000 Euro – um so in erweitertem Umfang Entscheidungen im vereinfachten Verfahren zu ermöglichen. Gleichzeitig müsste dann aber auch die Berufungssumme erhöht werden, soll hier weiterhin einen Gleichlauf gewährleistet werden. Mit Blick auf eine Absenkung der Verfahrensgebühren für die Beteiligten, ließe sich über eine Erhebung von nur 1,0 Verfahrensgebühren (statt 3,0 gem. KV 1210 GKG) bei einem Verfahren nach § 495a ZPO nachdenken, da das Urteil gem. § 313a Abs. 1 ZPO keines Tatbestandes und ggf. auch keiner Entscheidungsgründe bedarf. Für den Kläger ist eine solche Gestaltung aufgrund des § 12 Abs. 1 S. 1 GKG deutlich attraktiver, als die über KV 1211 Nr. 2 GKG nachträglich Ermäßigung der Gerichtsgebühr.
II. Richterliche Hinweispflicht und Aufklärungsbemühungen Nachdenken ließe sich weiterhin auch über eine Fortentwicklung des § 139 ZPO, hin zu einer spezifischen richterlichen Hinweispflicht in Verbraucherstreitigkeiten.45 Um eine Einheit von materiellem Schutzrecht und Verfah42 Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, 2016, 157 ff. Siehe auch Calliess, in: Ständige Deputation des Deutschen Juristentages (Hrsg.), Verhandlungen des 70. Deutschen Juristentages, 2014, S. 5 f. These 10; Althammer, in: Brocker/Knops/Roth (Hrsg.), Festschrift für Heinz Georg Bamberger zum 70. Geburtstag – Recht und soziale Gerechtigkeit, 2017, S. 1 ff., 10 f. 43 Gaier, NJW 2016, 1367 ff., 1371. 44 JMBl. Nr. 7/2018 vom 13. Juni 2018, Az.: B3 – 1441 – VI – 43/2018, 2913-J., Lfd. Nr. d. Tabelle 37.00 (Bayerische Justizstatistik 2018). 45 Althammer, in: Weller/Althammer (Hrsg.), Mindeststandards im europäischen Zivilprozessrecht, 2015, S. 3 ff., 19 ff.; Sala, euvr 2014, 178 ff., 182. Siehe dazu auch schon oben bei § 17 II 3 c).
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rensrecht zu erreichen, könnte die Erweiterung der richterlichen Hinweisund Fragepflicht gem. § 139 ZPO angezeigt sein. Der Beibringungsgrundsatz würde so um eine Leistungsmaxime ergänzt, sodass dem Richter im Falle einer strukturellen Unterlegenheit eine Mitverantwortung für die Aufklärung des Konfliktsachverhalts zukommt.46 Heiderhoff lehnt noch 2001 eine solche Nachforschungspflicht des Richters bei Verbraucherkonflikten unter ausführlicher Begründung zugunsten einer umfassenden Geltung des Beibringungsgrundsatzes weitgehend ab.47 Die aktuelle Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache Faber48 weist nun allerdings auch im allgemeinen Vertragsrecht deutlich in die Richtung einer solchen richterlichen Pflicht.49 So verlange der Grundsatz der Effektivität, „dass in einem Rechtsstreit über einen Vertrag, der möglicherweise in den Geltungsbereich dieser Richtlinie fällt, das mit dem Rechtsstreit befasste nationale Gericht, sofern es über die dafür nötigen rechtlichen und tatsächlichen Anhaltspunkte verfügt oder darüber auf ein einfaches Auskunftsersuchen hin verfügen kann, die Frage prüft, ob der Käufer als Verbraucher eingestuft werden kann, selbst wenn er sich nicht ausdrücklich auf diese Eigenschaft berufen hat.“50. Letztendlich kann die Rechtsprechung des EuGH so zu einer primärrechtliche fundierten Amtsermittlungspflicht in Verbraucherstreitsachen führen.51 Der EuGH beschränkt sich dabei nicht mehr auf verfahrensrechtliche Fragen oder von Amts wegen zu prüfende Sachurteilsvoraussetzungen.52 Vielmehr soll auch materiell „die bestehende Ungleichheit zwischen Verbraucher und Gewerbetreibendem […] durch ein positives Eingreifen von dritter, von den Vertragsparteien unabhängiger Seite ausgeglichen werden“53. Gerade dieser Gesichtspunkt kann aber aus Sicht des nationalen Prozessrechts nicht unwidersprochen bleiben. Der Gerichtshof beschneidet auf diese Weise in Abkehr seiner Position in der Rechtssache van Schijndel54 immer weitergehend 46
Vgl. die Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses, BTDrucks. 14/4722, S. 77. Dazu auch Gaier, NJW 2013, 2871 ff., 2872 f. 47 Heiderhoff, ZEuP 2001, 276 ff., 292 ff. 48 EuGH, Urt. v. 04.06.2015, Rs. C-497/13 – Faber, ECLI:EU:C:2015:357. 49 Vgl. dazu auch schon oben § 13 III 6 b) und § 17 II 3 c). 50 EuGH, Urt. v. 04.06.2015, Rs. C-497/13 – Faber, ECLI:EU:C:2015:357, Rn. 46. 51 Zu einem Überblick über die Entwicklung der Rechtsprechung beginnend mit der Rechtssache Oce´ano Grupo, vgl. oben § 13 III 6. 52 Vgl. Überblick oben § 13 III 6 b). Dazu auch H. Roth, in: Münch (Hrsg.), Prozessrecht und materielles Recht, 2015, S. 283 ff., 293 f. insb. mit Blick auf § 139 Abs. 3 ZPO. 53 EuGH, Urt. v. 21.02.2013, Rs. C-472/11 – Banif Plus Bank Zrt/Csaba Csipai u. a., ECLI:EU:C:2013:88 Rn. 21 (vgl. dort auch Rn. 20). 54 EuGH, Urt. v. 14.12.1995, Rs. C-430/93 – van Schijndel, van Veen/Stichting Pensioenfonds, ECLI:EU:C:1995:441 Rn. 22, wonach „das Gemeinschaftsrecht es den nationalen Gerichten nicht gebietet, von Amts wegen die Frage eines Verstosses gegen Gemeinschafts-
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elementare Grundsätze des nationalen Prozessrechts und überschreitet so letztlich die ihm gezogenen Rechtsprechungsgrenzen.55 Gleichzeitig darf bei der Diskussion um eine richterliche Hinweispflicht nicht aus dem Blick geraten, dass die aktuellen Vorschläge der EU-Kommission für eine Reform des Verbraucherkaufrechts eine erhebliche Erweiterung der Beweislastumkehr im Blick haben.56 Im Zusammenspiel mit einer so weitreichenden richterlichen Hinweispflicht beginnt neben der Beibringungsmaxime, auch der Grundsatz nemo tenetur contra se edere doch erheblich zu bröckeln. Wie eine solche zivilprozessuale Hinweis- bzw. Aufklärungspflicht also im Einzelnen ausgestaltet sein soll, um nicht zu einer ungerechtfertigten Besserstellung des Verbrauchers zu führen und wie sich beispielsweise eine anwaltliche Beratung57 des Verbrauchers auf diese auswirkt, ist unklar.
III. Kollektiver Rechtsschutz Schließlich gilt es die Impulse im Bereich der Kollektivrechtsbehelfe aufzugreifen und weiterzuentwickeln. Gerade im Bereich geringwertiger Streitigkeiten und sog. „Streuschäden“ stößt die justizielle Individualrechtsdurchsetzung an ihre Grenzen. Hier kann immer nur ein kollektives Vorgehen erfolgsversprechend sein. Ein solches Rechtsschutzinstrument sollte nicht nur dem Einzelnen zu seinem Recht verhelfen, sondern gleichzeitig den Schädiger für den angerichteten Gesamtschaden in die haftungsrechtliche Verantwortung nehmen. Anders als im Rahmen des Gesetzes zur Einführung einer Musterfeststellungsklage, welches am 1. November 2018 in Kraft getreten ist, muss aber am Ende des Verfahrens auch ein für den Verbraucher vollstreckbares Ergebnis stehen. Hier scheint auf europäischer Ebene ein größeres Problembewusstsein vorhanden zu sein, sodass abzuwarten bleibt, wie sich der Richtlinienvorschlag für Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher entwickeln wird.58
vorschriften aufzugreifen, wenn sie durch die Prüfung dieser Frage die ihnen grundsätzlich gebotene Passivität aufgeben müssten, indem sie die Grenzen des Rechtsstreits zwischen den Parteien überschreiten und sich auf andere Tatsachen und Umstände stützen, als sie die Prozesspartei, die ein Interesse an der Anwendung hat, ihrem Begehren zugrunde gelegt hat.“. 55 H. Roth, in: Münch (Hrsg.), Prozessrecht und materielles Recht, 2015, S. 283 ff., 294; Althammer, in: Weller/Althammer (Hrsg.), Mindeststandards im europäischen Zivilprozessrecht, 2015, S. 3 ff., 19; Sala, euvr 2014, 178 ff. 56 Vgl. dazu § 17 II 3 d) aa). 57 Vgl. EuGH, Urt. v. 04.06.2015, Rs. C-497/13 – Faber, ECLI:EU:C:2015:357, Rn. 47. 58 Siehe dazu unter § 6 I 2 b).
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Auch mit Blick auf die vom Gesetzgeber schon im Rahmen der Einführung der Musterfeststellungsklage anvisierte und durch das Gesetz zur Überarbeitung des Verbraucherstreitbeilegungsgesetzes59 nun weiter forcierte Verknüpfung zwischen Kollektivrechtsbehelfs und Schlichtungsverfahren, erscheint Skepsis angebracht. Ein zentrales Anliegen des Gesetzes ist es, die Verbraucherschlichtung möglichst effizient mit dem neu eingeführten Musterfeststellungsverfahren zu kombinieren und die Verbraucherschlichtung als das notwendige „FolgeVerfahren“ zu positionieren.60 Aufgrund der bereits im Musterverfahren verbindlich festgestellten Tatsachen- und Rechtsfragen, erscheint dem Gesetzgeber eine außergerichtliche Einigung zwischen den Parteien umso wahrscheinlicher.61 Aufgabe des Verbraucherschlichtungsverfahrens soll damit dann die individuelle Rechtsdurchsetzung auf der Basis des rechtskräftigen Feststellungsurteils sein.62 Selbstverständlich sind die Parteien im Rahmen der Verbraucherschlichtung mit verbleibenden Einwendungen gegen das gegnerische Vorbringen zu hören und berechtigt entsprechende Nachweise vorzubringen; hinsichtlich der Feststellungen in dem Musterverfahren besteht allerdings eine ipso iure Bindungswirkung, sodass man auch eine Berücksichtigungspflicht des Streitmittlers von Amts wegen wird annehmen müssen. Das beabsichtigte Kombinationsmodell entspricht der vom EU-Gesetzgeber geforderten stärkeren Verknüpfung der Instrumente des kollektiven Rechtsschutzes mit dem (außergerichtlichen) Individualrechtsschutz.63 Auch die im Rahmen dieser Arbeit problematisierten Schwierigkeiten bei der Ermittlung einer hinreichenden Tatsachengrundlage für einen Schlichtungsvorschlag64 könnten auf diese Weise abgemildert werden.65
59
Gesetz zur Änderung von Vorschriften über die außergerichtliche Streitbeilegung in Verbrauchersachen und zur Änderung weiterer Gesetze, BGBl. I 2019 S. 1942. 60 Vgl. nur BT-Drucks. 19/10348, 1, 20. 61 BT-Drucks. 19/2507, 2, 11, 13, 14 und 15. 62 BT-Drucks. 19/10348, 20. Vgl. auch BT-Drucks. 19/2507, 11, 13 und 15. 63 Vgl. bspw. EWG 27 ADR-Richtlinie sowie die Entschließung des Europäischen Parlaments vom 2. Februar 2012 zu dem Thema „Kollektiver Rechtsschutz: Hin zu einem kohärenten europäischen Ansatz“ (2011/2089(INI)). Ebenso Mitteilung der Kommission „Eine Europäische Verbraucheragenda für mehr Vertrauen und mehr Wachstum“ KOM (2012) 225 endg. 64 Dazu unter § 8 IV 2 und § 17 II 3. 65 So auch BT-Drucks. 19/10348, 20. Dabei stellt sich aber die Frage, wie die klagebefugten Verbände die nötigen Tatsachen ermitteln sollen, die zur Ausfüllung der festzustellenden Anspruchsvoraussetzungen erforderlich sind. Die Gesetzesbegründung zur Musterfeststellungklage geht darauf nicht ein. Mit Blick auf die Schwierigkeiten bei der Sachverhaltsermittlung fordert Halfmeier, über eine Regelung zur Herausgabe von Beweismitteln vergleichbar zu § 33g GWB für das Kartellrecht nachzudenken, vgl. Halfmeier, ZRP 2017, 201 ff., 204.
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Das Gesetz zur Überarbeitung des VSBG sieht nun vor, dass nach Anmeldung des streitigen Anspruchs zum Klageregister ein Verfahren vor der Verbraucherschlichtungsstelle zwingend ausgeschlossen sein soll (§ 14 Abs. 1 Nr. 3 VSBG nF). In die Systematik des VSBG fügt sich diese Regelung kaum ein, wenn man bedenkt, dass eine anhängige Individualklage weiterhin nur einen fakultativen Verfahrensablehnungsgrund gem. § 14 Abs. 2 Nr. 2 VSBG darstellt.66 Weshalb darüber hinaus die Disposition über einen individuellen Anspruch in einem außergerichtlichen Schlichtungsverfahren ausgerechnet dann ausgeschlossen sein soll, sobald ein Verfahren durchgeführt wird, dass grade nicht den konkreten Einzelfall in den Blick nimmt, bleibt unklar. Dabei erscheint das Bedürfnis nach einer außergerichtlichen Einigung doch umso dringlicher, umso länger ein Musterfeststellungsprozess andauert. In diesem Zusammenhang ist auch die Änderung in § 30 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, S. 2 VSBG n. F. hervorzuheben, der eine Zuständigkeit der Universalschlichtungsstelle des Bundes als Auffangschlichtungsstelle speziell für Schlichtungsverfahren im Nachgang zu einem Musterfeststellungsprozess begründet. Allerdings handelt es sich dabei nur um eine subsidiäre Zuständigkeitsregelung, denn primär bleibt weiterhin die entsprechende branchenspezifische Schlichtungsstelle zuständig. Ein Gewinn mit Blick auf die Übersichtlichkeit und Rechtseinheit ist damit also wohl kaum verbunden. Dem Hauptproblem der Verbraucherschlichtung – die fehlende Bereitschaft zur Verfahrensdurchführung auf Seiten der Unternehmer – widmete sich die Prüfbitte des Bundesrates, in der vorgeschlagen wurde, „zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung für Verbraucherinnen und Verbraucher eine Teilnahmeverpflichtung der Unternehmer im Anschluss an ein Musterfeststellungsverfahren in das VSBG [aufzunehmen]“67. Eine solche Möglichkeit zur Teilnahmeverpflichtung sieht das VSBG in § 15 Abs. 2 ausdrücklich vor. Die Ablehnung einer Teilnahmepflicht in der Gegegenäußerung der Bundesregierung ist zumindest in seiner Begründung überraschend. So wird dort ausgeführt, dass eine Einigung im außergerichtlichen Verfahren nach Vorliegen eines verbindlichen Musterfeststellungsurteils regelmäßig nicht zustande kommen wird, da kaum zu erwarten ist, dass der Unternehmer der sich bereits auf ein gerichtliches Verfahren eingelassen hat, dann bereit ist, in einem Schlichtungsverfahren nachzugeben.68 Spricht diese Argumentation nicht generell gegen eine Verknüpfung von Musterverfahren und Verbraucherschlichtung? Richtig ist jedenfalls die Feststellung, dass eine Teilnahmepflicht nicht die tatsächliche Einigung der streitenden Parteien impliziert. 66
Entsprechend formuliert auch die Begründung zum RegE „Die Verbraucherschlichtungsstelle muss in diesen Fällen auch die Durchführung eines Streitbeilegungsverfahrens ablehnen können.“ (Herv. d. Verf.), vgl. hierzu auch BR-Drucks. 197/19 (Beschluss), 4. 67 BR-Drucks. 197/19 (Beschluss), 2 (unter 3.). 68 BT-Drucks. 19/10991, 9.
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Nichtsdestotrotz könnte von ihr zumindest ein gewisser Zugzwang ausgehen, der den Unternehmer dann zu einer aktiven Verfahrensbeteiligung veranlasst.69 Letztlich führt die anvisierte Verknüpfung von Musterverfahren und Verbraucherschlichtung aber zu einer Reihe von Folgeproblemen. Bereits hingewiesen wurde schon auf die fehlende Konsistenz in den gesetzgeberischen Regelungsvorschlägen. Zum anderen – und das ist mithin das Hauptproblem – sind weder die Verfahrensordnungen der Schlichtungsstellen noch die Vorgaben des VSBG auf die Bewältigung von entsprechenden Massenanträgen verfahrensrechtlich vorbereitet. Weder besteht die Möglichkeit mehrere Verbraucheranträge gemeinsam zu behandeln und so zu einem Gruppenvergleich zu kommen – der an dieser Stelle erfolgsversprechender erscheint, als während des gerichtlichen Musterverfahrens70 (siehe dort § 611 ZPO), noch kann die AS-Stelle das Schlichtungsverfahren bei einer Vielzahl gleichgerichteter Anträge ablehnen71, obwohl eine gerichtliche Klärung aufgrund der präjudiziellen Wirkung für das Verbraucherschutzniveau erheblich vorteilhafter wäre. Diesen Vorteil der gerichtlichen Klärung erkennt im Übrigen auch der Gesetzgeber an, wenn er in § 614 ZPO festlegt, dass die Sache stets grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO hat und eine revisionsrechtliche Nachprüfung des Musterfeststellungsurteils daher stets zulässig ist. Auch die vom VSBG vorgegebene Erledigungszeit von 90 Tagen (§ 20 Abs. 2 VSBG) erscheint in diesem Fall illusorisch.
IV. Online-Gerichtsbarkeit Unter dem Stichwort der Digitalisierung der Justiz wird in Deutschland überwiegend der Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs (elektronische Aktenführung, elektronisches Anwaltspostfach) diskutiert. Allein die Übermittlung des Parteivortrags auf elektronischem Weg und die angestrebte Verfügbarkeit in Form einer elektronischen Akte lassen aber noch keine Effektivitätsgewinne erwarten.72
69
Dies gilt umso mehr mit Blick auf die Neuregelung in § 30 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, S. 2 VSBG n. F. und die de lege lata nur vor der Universalschlichtungsstelle bestehende Möglichkeit eines Schlichtungsvorschlages nach Aktenlage (vgl. § 30 Abs. 4 S. 2 VSBG bzw. § 30 Abs. 5 VSBG nF). 70 Vgl. Heese, JZ 2019, 429 ff., 436; Stadler, VuR 2018, 83 ff., 87. 71 Vgl. nur § 14 Abs. 2 Nr. 4 VSBG. Entscheiden ist hier allerdings nicht die Anzahl der Fälle, sondern vielmehr deren Komplexität, vgl. BT-Drucks. 18/5089, S. 61, wonach Ziel gerade auch die Beilegung „häufig wiederkehrender Streitigkeiten“ ist. 72 Gaier, NJW 2013, 2871 ff., 2873 f., der für die anwaltlich vertretene Partei die Pflicht zum koordinierten Vortrag fordert, um dann elektronisch relationsmäßige Zuordnung des
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Die Effizienzsteigerung, die Online-Systeme und Legal Tech im Justizsektor, gerade im Bereich von Verbraucherstreitfällen bieten können, sollten bei der Entwicklung eines modernen Zivilprozesses in jedem Fall aufgegriffen werden.73 Mit Blick auf Großbritannien, wo ausgehend vom Susskind-Report die Einführung eines ausschließlich online zugänglichen „HM Online Court (HMOC)“ diskutiert wird74, könnte auch für Deutschland die Idee einer Online-Gerichtsbarkeit im Rahmen eines staatlich vorgehaltenen OnlineVerfahrens bei Bagatellstreitsachen nutzbar gemacht werden. Der effektive Einsatz moderner Informationstechnologien kann auch in der Justiz zu Skalenvorteilen führen und die richterliche Arbeit so erheblich erleichtern. So schlägt Eidenmüller vor, dass der deutsche Gesetzgeber zeitnah für individuelle „b2c-Konflikte“ ein effizientes elektronisches Gerichtsverfahren schaffen sollte, welches beginnend mit einer formulargestützten Verfahrenseinleitung, bis zu dem verfahrensbeendigenden Urteil ausschließlich elektronisch durchgeführt wird.75 Der Beschluss der Justizministerinnen und Justizminister im Rahmen der Frühjahrskonferenz 2018 wonach „die Verfahrensstrukturen im Bereich der Zivilklagen dahingehend zu untersuchen [sind], ob insbesondere für den Bereich von geringfügigen Forderungen ein neues und kostengünstigeres Online-Verfahren entwickelt werden sollte“76 zeigt, dass dieser Vorschlag offenbar auch auf Seiten des Gesetzgebers auf Zustimmung stößt. Die sich an die Einführung eines solchen Verfahrens anschließenden Folgefragen sind allerdings ebenso zahlreich wie komplex, sodass mit Blick auf die zu untersuchende Thematik dieser Arbeit auf weitergehende Ausführungen verzichtet werden soll.
gesamten Parteivortrags generieren. Für eine entsprechende Gliederung der parteilichen Vorbringens auch H. Roth, ZZP 129 (2016), 3 ff., 20 f. 73 Fries, NJW 2016, 2860 ff. 74 Vgl. dazu https://www.judiciary.gov.uk/reviews/online-dispute-resolution/ (geprüft am 01.11.2020). 75 Eidenmüller, in: Stiftung Gesellschaft für Rechtspolitik/Institut für Rechtspolitik an der Universität Trier (Hrsg.), Bitburger Gespräche/Bitburger Gespräche Jahrbuch 2016, 2016, S. 101 ff., 112 ff. 76 Beschluss der 89. Konferenz der Justizministerinnen und -minister vom 6. bis 7. Juni 2018 in Eisenach unter TOP I.4 „Finanzierbare und schnelle Rechtsgewährung für alle – Entwicklung eines beschleunigten Online-Verfahrens für geringfügige Forderungen“, abrufbar unter: https://www.justiz.nrw.de/JM/jumiko/beschluesse/2018/Fruehjahrskonfere nz 2018/TOP-I -4.pdf (geprüft am 01.11.2020).
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Siebentes Kapitel: Die Auswirkungen der Verbraucherschlichtung
V. Ergebnis Die von Tonner im Rahmen seines Gutachtens zur Umsetzung der ADR-RL gestellte Frage, ob die Umsetzung der ADR-RL als Einstieg in ein Verbraucherprozessrecht in die ZPO gesehen werden kann77, ist mit Blick auf das VSBG zu verneinen. Allerdings könnte die Richtlinie Reformbestrebungen im Bereich des Zivilverfahrensrechts unterstützen und weiter vorantreiben. Selbstverständlich gehört die Justiz keinem privaten Dienstleistungssektor an und muss schon aus diesem Grund Effizienzerwägungen nicht vorrangig berücksichtigen, dennoch besteht die Gefahr eines Bedeutungsverlusts der Zivilgerichtsbarkeit, sollte die Attraktivität des Zivilverfahrens78 weiter abnehmen.
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Tonner, Zur Umsetzung der AS-Richtlinie (Richtlinie 2013/11/EU) nebst Entwurf eines Gesetzes über alternative Streitbeilegung, 2014, 13 f. 78 Höland/Meller-Hannich (Hrsg.), Nichts zu klagen? Der Rückgang der Klageeingangszahlen in der Justiz, 2016.
Achtes Kapitel:
Zusammenfassung der Ergebnisse und Ausblick I. Die bestehenden Möglichkeiten zur Verbraucherrechtsdurchsetzung müssen als lückenhaft bezeichnet werden.1 In Europa steht dem materiell-rechtlich hohen Schutzniveau des Verbrauchers eine unzureichende Durchsetzung der Verbraucherrechte entgegen. Zwar lässt der empirische Befund für Deutschland nicht den Schluss zu, dass die Zivilgerichtsbarkeit im Bereich niedriger Streitwerte nicht in Anspruch genommen wird2, allerdings besteht Einigkeit darüber, dass sozial, ökonomisch und justiziell bedingte Zugangshindernisse zu einer „rationalen Apathie“ des Verbrauchers bei der Rechtsdurchsetzung führen. Sowohl die Instrumente des Individual-, wie Kollektivrechtsschutzes eignen sich nur bedingt zur Durchsetzung von Verbraucheransprüchen.3 Die ADR-RL beschreibt nun den Schlusspunkt eines Perspektivenwechsels in der access to justice-Diskussion der Union: Der Zugang zum materiellen Recht soll nicht mehr nur im Rahmen eines staatlichen Zivilverfahrens stattfinden, vielmehr werden außergerichtliche Mechanismen als geeigneter angesehen.4 Neben dem ADR-Gewährleistungsanspruch, normiert die ADRRL bestimmte Mindeststandards als „Grundgerüst“ der alternativen Streitbeilegung in Verbrauchersachen.5 II. Für die außergerichtliche Streitbeilegung sollte es nicht zu einer Neuakzentuierung des Rechtsdurchsetzungsbegriffs kommen. Nur so ist eine Abgrenzung zu Verfahren möglich, die primär der Herstellung oder Erhaltung des Rechtsfriedens zwischen den Parteien dienen.6 Das Verfahrensziel der Verbraucherschlichtung ist in Abgrenzung zum staatlichen Gerichtsverfahren nicht die Durchsetzung subjektiver Rechte, sondern die effiziente und rechtsorientierte Konfliktbeilegung.7 Die Rechtsorientierung soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Verfahren gerade keine vollumfängliche
1
Vgl. dazu § 5 I. Vgl. dazu § 5 III. 3 Vgl. dazu § 6 I. 4 Vgl. dazu § 6 II. 5 Vgl. dazu § 6 III. 6 Vgl. dazu § 6 VI 1. 7 Vgl. dazu § 6 VI 3. 2
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Achtes Kapitel: Zusammenfassung der Ergebnisse und Ausblick
Rechtsdurchsetzung garantieren kann. Die objektive Bewährung des Rechts ist kein Verfahrensziel. Trotz der letztendlich unterschiedlichen Zielsetzungen steht das Verfahren aber in einem Konkurrenzverhältnis zur staatlichen Ziviljustiz mit entsprechenden Gefahren für die Rechtskultur in Deutschland.8 III. Die Instrumente der alternativen Streitbeilegung sind grundsätzlich nicht für die Beilegung von Konflikten geeignet, in denen die Beteiligten mit unterschiedlicher Verhandlungsmacht ausgestattet sind.9 Die ADR-typische Fokussierung auf die Gestaltungfreiheit der Parteien birgt hier die Gefahr, dass sich Machtungleichgewichte verstärken und die verhandlungsschwächere Partei dem Risiko einer Übervorteilung ausgesetzt wird. Das Verhältnis zwischen Verbraucher und Unternehmer ist im Konfliktfall geprägt, durch ein strukturell bedingtes Verhandlungsmachtungleichgewicht („prozessuales Unterlegenheit“) des one shotter (Verbraucher) gegenüber dem repeat player (Unternehmer).10 Der Schutz des Verbrauchers muss daher auch durch verfahrensrechtliche Vorgaben sichergestellt werden (Das Recht der Verbraucherschlichtung).11 Den zivilprozessualen Mindeststandards kommt dabei eine Leit- und Orientierungsfunktion zu.12 Die Verletzung von Verfahrensvorgaben, kann zum Abbruch oder zur Aufhebung des bereits angenommenen Schlichtungsvorschlages führen, sofern ein zentrales Verfahrenselement betroffen ist.13 Zu beachten ist aber, dass die Formalisierung des Verfahrens stets in einem Spanungsverhältnis zu der Flexibilität, Nichtförmlichkeit und Effizienz der alternativen Streitbeilegung steht. IV. Der Verbraucher ist im Rechtsverkehr grundsätzlich zu einer selbstbestimmten Wahrnehmung seiner Interessen in der Lage. Demnach ist ein am Grundsatz der Selbstverantwortung orientiertes Leitbild des durchschnittlich gebildeten, kritischen und verständigen Verbrauchers zugrunde zu legen.14 Sowohl das europäische, als auch das deutsche Verbrauchervertragsrecht haben dann die Ermöglichung einer materiell-privatautonomen Entscheidung des Verbrauchers im Blick.15 Eine solche soll dabei vornehmlich durch die Sicherstellung einer hinreichend informierten Entscheidung sichergestellt werden (Transparenz- und Informationsparadigma).16 Äußerst
8
Vgl. dazu § 6 VI 4. Vgl. dazu § 7. 10 Vgl. dazu § 7 I. 11 Vgl. dazu § 7 II, § 8 I, III, IV. 12 Vgl. dazu § 8 II. 13 Vgl. dazu § 8 V, § 21 II. 14 Vgl. dazu § 9, § 10. 15 Vgl. dazu § 11. 16 Vgl. dazu § 12 I. 9
Achtes Kapitel: Zusammenfassung der Ergebnisse und Ausblick
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kritisch sind zwingende Vertragsinhaltsregelungen anzusehen, da diese – nach der hier vertretenen Ansicht – auf keiner hinreichenden Legitimationsgrundlage basieren.17 Die Verbraucherschutzrechte haben durchweg eine halbzwingende Wirkung, sind also zu Lasten des Verbrauchers nicht abdingbar.18 Mehrfach wird diese absolute Anordnung der Unabdingbarkeit allerdings zur Wahrung der Interessen der Vertragsparteien durchbrochen.19 Die herrschende Meinung zur Vergleichsfähigkeit der verbraucherschützenden Vorschriften überzeugt allerdings nur bedingt.20 Auch erscheint ein Anknüpfungspunkt in zeitlicher Hinsicht, in Abhängigkeit vom Vertragsschluss (ex post und ex ante), für sich alleine nicht wertungsgerecht.21 Die Möglichkeit für abweichende Vereinbarungen ist zusätzlich von einer hinreichenden Information des Verbrauchers abhängig zu machen.22 Dieses Ergebnis entspricht dem Informationsparadigma des Verbrauchervertragsrechts und wird bestätigt durch die Analyse der aktuellen EuGH-Rechtsprechung.23 V. Das Verhältnis zwischen Verbraucher und Unternehmer ist auch in der Verbraucherschlichtung rechtlich determiniert. Das Recht stellt damit auch in der Verbraucherschlichtung den zentralen Ordnungsrahmen dar (Schlichtungsverfahrensvertrag, Schlichtungsvereinbarung, Abschlussvereinbarung in Form des Schlichtungsvorschlages).24 So finden die materiell-rechtlichen Schutzvorgaben grundsätzlich auch im Rahmen einer konfliktbeilegenden Vereinbarung Anwendung.25 Von der Einführung einer einseitigen Lösungsmöglichkeit von dem angenommenen Schlichtungsvorschlag zugunsten des Verbrauchers in Form eines gesetzlichen Widerrufsrechts ist abzusehen.26 VI. Das materielle Recht stellt auch in der Verbraucherschlichtung den zentralen Konfliktlösungsmaßstab dar. Dies entspricht zum einen dem Willen des Gesetzgebers, zum anderen auch den Interessen der Konfliktparteien. Von einer „Krise des modernen Rechts“ ist im Bereich des Verbraucherrechts nicht auszugehen.27
17
Vgl. dazu § 12 IV. Vgl. dazu § 13. 19 Vgl. dazu § 13 III. 20 Vgl. dazu § 13 III 5. 21 Vgl. dazu § 13 III 4 b). 22 Vgl. dazu § 13 III 4. 23 Vgl. dazu § 13 III 6. 24 Vgl. dazu § 14, § 15. 25 Vgl. dazu § 15 IV. 26 Vgl. dazu § 15 IV 2. 27 Vgl. dazu § 16 I. 18
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Das Verbraucherstreitbeilegungsgesetz fordert von dem Streitmittler im Falle eines Schlichtungsvorschlages eine rechtliche Bewertung des konkreten Konfliktfalls (§ 19 Abs. 1 S. 3 VSBG) und damit eine Rechtsanwendung im Sinne einer juristischen Subsumtion.28 Dafür spricht entscheidend, dass das Gesetz vom Streitmittler in verschiedenen Verfahrensstadien bereits eine Anwendung von Rechtsvorschriften fordert29, die Qualifikationsanforderungen an den Streitmittler – nach dem hier vertretenen Verständnis – verfahrensbezogen zu verstehen sind30 und auch im Rahmen der Verbraucherschlichtung eine hinreichende Aufklärung des Konfliktsachverhalts31 möglich ist. Nur die Anwendung des materiellen Rechts auf den Konfliktfall durch den Streitmittler, kann eine hinreichend autonome Entscheidung des Verbrauchers hinsichtlich der Annahme des Schlichtungsvorschlages gewährleisten (Prinzip der informierten Autonomie).32 Neben dem materiellen Recht können allerdings auch außerrechtliche Faktoren das konkrete Schlichtungsergebnis beeinflussen. Diese Möglichkeit zur „Überstimmung“ der rechtlichen Bewertung durch Billigkeitserwägungen und soft law ist als elementarer Vorteil der Schlichtung gegenüber der staatlichen Ziviljustiz anzusehen.33 Der verfahrensbeendigende Schlichtungsvorschlag muss nicht auf dem Ergebnis der Rechtsanwendung durch den Streitmittler beruhen, dieser sollte allerdings deutlich machen, aus welchen Gründen er von dem Ergebnis seiner rechtlichen Bewertung abweicht. VII. Der Streitmittler ist bei der Ausgestaltung des Schlichtungsvorschlages (Rechtsverwendung) nicht an die Vorgaben des zwingenden Verbrauchervertragsrechts gebunden.34 In Bezug auf die Thesen IV und VI ist die Beschränkung durch zwingende Vorgaben dann nicht mehr zulässig, wenn eine hinreichende Information des Verbrauchers verfahrensmäßig sichergestellt ist. Der Verbraucher kann im Rahmen der Verbraucherschlichtung frei darüber entscheiden, ob er den Schlichtungsvorschlag akzeptiert, der ihm möglicherweise nur ein „Weniger“ oder eine Modifikation der zustehenden Rechte zuspricht, oder, ob er die gerichtliche Geltendmachung seiner Rechte verbunden mit einem entsprechenden Prozessrisiko auf sich nimmt.35 Das zentrale Prinzip der Verbraucherschlichtung ist daher der informed consent oder genauer, die Gewährleistung der Streitbeilegung in informierter Autonomie.36 Die Einzelnen Zwischenergebnisse dieser Arbeit stützen diese Be28
Vgl. dazu § 17. Vgl. dazu § 17 I. 30 Vgl. dazu § 17 II 2. 31 Vgl. dazu § 17 II 3. 32 Vgl. dazu § 17 III. 33 Vgl. dazu § 17 IV 34 Vgl. dazu § 18. 35 Vgl. dazu § 19. 36 Vgl. dazu § 18 II 3. 29
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wertung. Insbesondere entspricht nur ein solches Verständnis dem Vorrang des Transparenz- und Informationsparadigmas, sowie der Auslegung des nationalen Rechtssetzungsaktes nach dem europäischen effet utile.37 VIII. Der angenommen Schlichtungsvorschlag ist allerdings kein Vollstreckungstitel.38 IX. Das Schlichtungsergebnis ist sowohl für den Verbraucher wie auch für den Unternehmer gerichtlich überprüfbar.39 Diese Fehlerkontrolle ist aber auf elementare Verfahrensverstöße begrenzt. Eine Aufhebung des Schlichtungsvorschlages auf Grundlage eines Verstoßes gegen materielles Verbraucherrecht kann nur dann möglich sein, wenn dieser als unvereinbar mit der Rechtsordnung oder grob unbillig anzusehen ist. Insoweit kommt eine gerichtliche Prüfung an den allgemeinen Maßstäben des §§ 134, 138, 242 BGB, sowie § 319 Abs. 1 S. 1 BGB in entsprechender Anwendung in Betracht.40 X. Eine Verbesserung des Verbraucherschutzes im Bereich der grenzüberschreitenden Verbraucherstreitigkeiten wird durch ADR-RL und VSBG nicht erreicht.41 XI. Die Verbraucherschlichtung ist ein rechtsorientiertes Verfahren der außergerichtlichen Konfliktlösung. Nicht nur die Interessen der Parteien, sondern auch das für jedes kontradiktorische Verfahren gültige Postulat der Waffengleichheit erfordern eine Einbeziehung des materiellen Rechts. Im Rahmen einer dogmatischen Einordnung42 als Konfliktbeilegungsverfahren tritt die Verbraucherschlichtung zwischen außergerichtliche Verfahren, welche unter der Konfliktbeilegung primär den Ausgleich der Parteiinteressen unter weitestgehendem Verzicht auf rechtliche Erwägungen sehen und das streitige Gerichtsverfahren, welches zu Sicherung der Unabhängigkeit des Richters gem. Art. 97 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3 GG und § 1 GVG der absoluten Rechtsbindung unterliegt. Auch die Ziviljustiz muss für Verbraucherstreitfälle aber weiterhin attraktiv bleiben.43 Dass die übermäßige Lösung von Konflikten auf Basis von Appellen an die Einsichtsfähigkeit und Kompromissbereitschaft der Parteien, bei gleichzeitigem Rückgang der autoritativen Rechtsverwirklichung im staatlichen Gerichtsverfahren, geradezu Normabweichungen herausfordern kann, hat Stürner überzeugend dargestellt.44 37
Vgl. dazu § 18 II 3 b), § 18 II 4. Vgl. dazu § 20. 39 Vgl. dazu § 21. 40 Vgl. dazu § 21 II. 41 Vgl. dazu § 22, § 23. 42 Für die Mediation Wendland, Mediation und Zivilprozess, 2017. 43 Vgl. dazu § 26. 44 Stürner, JR 1979, 133 ff., 135. Aktuell auch ders., ZZP 127 (2014), 271 ff., 328 ff. Siehe auch Katzenmeier, ZZP 115 (2002), 51 ff., 91 f.; ebenso Wendland, Mediation und Zivilprozess, 2017, 527 f. 38
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Eine Zivilgesellschaft die den Kompromiss als zuvörderstes Ziel der Konfliktbeilegung ansieht und die Rechtsdurchsetzung im Zivilprozess so weitgehend wie möglich vermeiden will, schafft zwar erhebliche Freiheitsräume für durchsetzungsstarke Marktteilnehmer, begrenzt aber gleichzeitig die Freiheit für alle anderen. XII. Am 30. November 2019 ist das Gesetz zu einer Überarbeitung des Verbraucherstreitbeilegungsgesetzes in Kraft getreten.45 Neben dem bereits dargestellten zentralen Ziel der Verknüpfung von Musterfeststellungsverfahren und Verbraucherschlichtung46, wird die im VSBG vorgesehene Zersplitterung der Universalschlichtungsstellen in den einzelnen Bundesländern aufgegeben und die bisher nur vorübergehend vom Bund finanzierte Auffangschlichtungsstelle fest auf Bundesebene verankert (vgl. §§ 29, 30 VSBG nF). Diesem Anliegen ist unumwunden zuzustimmen. Schon früh im Gesetzgebungsverfahren wurde die Aufteilung der Zuständigkeit auf 16 unterschiedliche Verbraucherschlichtungsstellen als ineffizient und intransparent kritisiert.47 Die vormals angenommene Notwendigkeit einer möglichst regionalen Ansiedlung der Schlichtungsstellen, wird nun richtigerweise auch vom Gesetzgeber verneint.48
45 Gesetz zur Änderung von Vorschriften über die außergerichtliche Streitbeilegung in Verbrauchersachen und zur Änderung weiterer Gesetze, BGBl. I 2019 S. 1942. Vgl. dazu auch die Stellungnahme des Bundesrates vom 7. Juni 2019, BR-Drucks. 197/19 (Beschluss). 46 Vgl. dazu § 26 III. 47 Stellungnahme der vzbv vom 14.09.2015 zum Regierungsentwurf des VSBG, S. 5, abrufbar unter: https://www.vzbv.de/sites/default/files/downloads/Alternative-Streitschli chtung-Gesetzentwurf-Stellungnahme-vzbv2015-09-14.pdf (geprüft am 01.11.2020); ebenso bereits in der Stellungnahme der vzbv vom 23.01.2015 zum Referentenentwurf des VSBG, S. 26, abrufbar unter: https://www.vzbv.de/sites/default/files/downloads/Verbrau cherstreitbeilegung-Gesetz-Referentenentwurf-Stellungnahme-vzbv-2015-01-23.pdf. (geprüft am 01.11.2020). Vgl. auch Schobel, in: Schmidt-Kessel (Hrsg.), Alternative Streitschlichtung, 2015, S. 219 ff., 226. 48 BT-Drucks. 19/10348, 35.
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Stichwortverzeichnis Abdingbarkeit, siehe dispositives Recht 4, 46, 133 ff., 164 ff., 169 ff., 176, 178, 183 ff., 187 ff., 191 ff., 286 ff., 339 Abkauf von Schutzrechten 167 ff. Access to justice 29, 37, 40 ff., 55, 326, 338 ADR (alternative dispute resolution) 1, 16, 23, 36 ff., 43, 47, 62 ff., 71 ff., 84, 95 ff., 120 ff., 205, 230 ff. – Gewährleistungsanspruch 47 ff., 337 ADR-Richtlinie 1, 3, 6 ff., 40, 42, 43 ff., 47 ff., 56 f., 61, 64 ff., 99 ff., 230 ff., 248, 280 ff., 291 ff., 310 ff. Alternative Streitbeilegung 8 ff., 36 ff., 58 ff., 83 ff., 215 ff., 268 ff. – Deutsche Entwicklung 58 ff., 68 ff., 95 ff., 130, 326 ff. – Europäische Entwicklung 36 ff., 43 ff. AGB 31, 35, 72, 89, 102 f., 115 ff., 130, 178 f., 288, 307, 322 Allgemeininteressen, öffentliches Interesse 17 f., 165, 169, 201, 320 Allgemeine Verbraucherschlichtungsstelle 284, 310 f., 317 Alternative Konfliktlösungstechniken 8 ff., 36 ff., 58 ff., 215 – Schiedsverfahren 14 ff., 16, 85, 192, 231, 248, 301, 305 – Schlichtung 12 ff., 36 ff., 94 f. – Verfahrensoffenheit 9, 67, 95 f., 230 f., 243 f. Amtsermittlung, Untersuchungsgrundsatz 113, 197, 252 f., 263, 330 Arbeits- oder Dienstverhältnis 6, 225, 278 Auslegung 20, 45, 102, 108, 117, 196, 243 – grammatikalische 285 ff. – richtlinienkonforme 164, 250 Autonomie, informierte 115, 267, 286 ff., 293, 297, 306, 320
Bagatellstreit 23, 59, 64, 93 f., 335 Bewertungen 55, 92, 217, 237 ff, 262, 266 ff. Beweis 53, 114, 266 – Beweisaufnahme 258 f. – Beweislast 171 – Beweislastumkehr 254 f., 260 f., 331 – Beweiserhebung 120, 250 BGH 31, 90, 110, 115, 129, 167, 194, 284, 327 f. Bindungswirkung, faktische 72, 74, 85, 109, 111, 130 Billigkeit 12, 14, 16, 65, 228, 230, 267, 270 ff., 306 Binnenmarkt 1, 18, 42, 55 ff., 66 f., 141, 220, 229 Brüssel Ia-VO 29, 46, 287, 309 Dispositionsmaxime 83, 218, 268 Durchsetzungsdefizit 3, 18 ff., 25 Effektivität 33, 51 ff. 106, 197, 201, 255, 257, 291 ff. Effizienz 24, 38, 51 ff., 81, 97, 118 ff., 297, 304, 313 Entlastung der Justiz 58, 76 Entgelt - Kostenerhebung 322 Entscheidungsverfahren 14, 65, 233, 299 Ergebnis der Schlichtung 207 ff., 276 ff., 292 f., 295 ff. EuGH 4, 20, 39, 79 f., 103, 107, 134, 141 ff., 161, 182, 195 ff., 235, 254 ff., 261, 288, 328, 339 – Duarte Hueros 199 ff. – Faber 199 ff. – Gruber 195 ff. Evaluation 12
366
Stichwortverzeichnis
Fachwissen 49, 66, 240, 251, 264 Fairness 38, 53, 97, 116, 130, 215, 232, 273, 283 Finanzierung 119 ff. Freiwilligkeit 53, 60, 72 f., 100, 101 ff., 108 ff.,111, 125, 279, 285, 321 Gebühr 107, 323 Gewährleistungsverantwortung 44, 47 ff. Grenzüberschreitende Streitigkeiten 309 ff., 313 ff., 317 Günstigkeitsprinzip 166 ff. Gütesiegel 272, 322 Gütestelle 300 f. Güteverfahren 9, 253, 268 Haftung 73, 126, 128 ff., 183, 188 f. – Schlichtungsstelle 126 – Streitmittler 128 ff. Halbzwingendes Recht 155 ff., 192, 339 Handlungsfreiheit 53 f., 62, 169 Hinweispflichten 117, 198, 265, 270, 329 ff. Individualrechtsschutz 27 ff., 55, 165 ff. Informationsasymetrie 149 Informationsinteresse 79 Informationspflicht 117 f., 149 ff., 170 ff., 232, 270, 293, 339 – information overload 118, 151 Interessen 16 ff., 274, 324 Interessenorientierung 16 ff. – Verbraucherinteressen 16 – Unternehmerinteressen 17 – Interesse der Allgemeinheit 17 Ius cogens (zwingendes Recht) 163, 287 ff., 292 Justizgrundrechte 59, 73, 130, 180, 237, 297 ff. Kapitalisierung 166 ff. Klausel-Richtlinie 136, 196 ff. Kollektiver Rechtsschutz 30 ff., 331 ff. – Musterfeststellungsklage (MFK) 32 ff., 305, 331 ff. – Verbandsklage (EU) 30 ff., 35 ff., 256, 331 Kosten 20 f., 37, 51, 73, 87 f., 104, 106 ff.
Kostentragung 105, 119, 302 Mahnverfahren 28 f., 302 Mediation 10 ff., 16, 39, 53, 67, 71, 94, 107, 124, 155, 207, 212, 227, 229, 239, 243, 248, 266 ff., 278, 295, 299 Mediator 11 ff., 39, 78, 123 ff., 198, 239 f., 242 ff., 266, 267 – zertifizierter 124, 240, 242, 243 Missbrauch 72, 90, 265, 323 Mindestharmonisierung 4, 135 f, 161, 248 Mindeststandards 43 ff., 47 ff., 95 ff., 98 ff. Neutralität 114, 122 f., 242, 247, 258 Nichteinigungsalternative 93 ff. ODR-Verordnung 39, 43 ff., 56, 65, 310, 312, 314, 327 Offenbarungs- und Anzeigepflichten 123, 225 Ombudsmannverfahren 15 ff., 109 One shotter 283 Online-Gerichtsbarkeit 335 Parallelstruktur 24, 74, 76, 111, 237, 325 Paritätisch besetztes Gremium 122 Parteilichkeit des Streitmittlers 47, 49 ff., 101 ff., 119, 120 ff., 123 ff., 240, 252, 325 PayPal 222, 275, 284, 327 f. Pflichtverletzungen des Streitmittlers 126 Präzedenzfälle 80, 218 Privatautonomie 4 f., 83, 86, 95, 146 ff., 155, 187 f., 257, 290, 293 Prozesskosten 26, 106 ff. Prozessrisikoanalyse 30, 275 ff. Rationale Apathie 18 ff., 30, 34, 100, 110, 140, 220, 254, 320, 322, 337 Rechtliche Bewertung 216, 228, 233 ff., 237 ff., 240 ff., 244, 247, 262, 266 ff., 269 ff., 289, 296, 314 f., 316 ff. Rechtsanwendung 216 ff, 229 ff., 234, 266, 268 f., 280, 290, 297, 314, 340 Rechtsbindung 69, 268, 273, 282, 283 f., 285 f., 290
Stichwortverzeichnis Rechtsdurchsetzung 19, 24, 25 ff., 34, 42, 62 ff., 70 ff., 83, 110, 144, 254, 276, 292, 310, 313, 321, 325 – Rechtsdurchsetzungsbegriff 62 ff., 64, 337 – Verbraucherrechtsdurchsetzung 25 ff., 337 Rechtsfortbildung 17, 77 ff., 285 Rechtssicherheit 17, 51, 79, 80, 175, 183, 224 Rechtsverwendung 5, 216, 276 ff., 284, 314, 316, 340 Rechtsweg 13, 21, 22, 60, 72, 89, 94, 98 ff., 206, 303 ff. Rechtmäßigkeit, Rechtmäßigkeitsprinzip 38, 44, 54, 232, 277 ff., 280 Rechtliches Gehör 53, 112 ff., 120 Rechtsmissbrauch 167, 301 Repeat player – one shotter 83 ff., 86 ff. Richteramt, Befähigung zum 124, 240 ff., 247 Sachverhaltsaufklärung 112 ff., 130, 248 ff., 265 Schlichtung – siehe Alternative Konfliktlösungstechniken – behördliche 36, 60, 106, 121 Schlichtungsklausel 53, 72 f. 89 f. 103 f. Schlichtungsvereinbarung 205 f., 339 Schlichtungsvorschlag 69, 111 ff., 207 ff., 238 ff., 267 ff., 276 ff., 286, 296, 303, 340 – Verbraucherschutzrecht 208 ff., 276 ff., 339 Schlichtungszwang 105, 121 Schwächerenschutz – Schutz des Schwächeren 85 f., 97, 138 f., 155, 214 f. Selbstbestimmung 86, 93, 115, 140, 145 ff., 165, 214, 229 Spannungsverhältnis Transparenz – Vertraulichkeit 79 Streitmittler 123, 128, 234, 239, 246, 251 – Abberufung des Streitmittlers 145 – Amtsdauer des Streitmittlers 123 – Qualifikation 239, 246, 280 – Unabhängigkeit 123, 242, 247, 302
367
– Unparteilichkeit 101, 123, 240, 252 Streitwert 19, 21, 22, 87 f., 226, 304, 329 Transparenz 51, 115, 150 Träger der Schlichtungsstellen 50, 60, 102, 121 f. Unabdingbarkeit 133, 187 ff., 195 – ex post 187, 190, 339 – ex ante 188, 190, 339 Unabhängigkeit 49 ff., 99, 120 ff., 302, 325, 341 Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Gerichts 120, 123, 341 Universalschlichtungsstelle 69, 76, 262, 307 ff., 323, 342 Unparteilichkeit 49, 120, 123 – verfahrensrechtliches Gleichbehandlungsgebot 262 Unterlegenheit, strukturelle 137, 142 ff., 158, 256, 330 Unternehmer 6, 17, 46, 87, 105, 121, 183, 204, 223, 273, 310, 324 – Begriff 106 Unternehmerfinanzierung 119, 121 f. Untersuchungsgrundsatz, Amtsermittlung 197, 254 ff. Verbandsklage 30, 35 f., 256, 331 Verbraucher 6, 16, 164, 224 – Begriff 6 ff. – Leitbild 115, 140, 232, 293, 297 Verbraucherschutz 4, 65, 83 ff., 138 ff., 145 ff., 208 ff., 290, 377 – Verbraucherschutzrecht 133 ff., 164 ff., 277 ff., 295 ff. – Verbraucherschutzkonzeptionen 4, 61, 138 ff., 199, 268 Verbraucherschutzinstrumente 26 ff., 30 ff., 148 ff., 181 – Informationspflichten 149 ff., 170 ff., 181, 288 – Widerrufsrecht 152 ff., 173 ff. – zwingendes Recht 147, 157 ff., 276 ff., 289 Verbraucherschlichtungsstelle 60 ff., 79, 121 ff., 300, 310, 317 – behördliche 60, 106, 121 – private 60, 304
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Stichwortverzeichnis
Verbraucherstreitbeilegungsgesetz 60 – Entwicklung 60 Verbraucherstreitigkeit 7, 18, 236, 316 Verein 121 Verfahrensrechtlicher Mindeststandards (Mindeststandards) 44, 47, 95 ff., 98 ff. – Verletzung der 125 ff., 338 Verfahrenszielsetzung 4, 62, 64, 68 ff. Vergleich 93, 128, 192 ff., 211 ff., 277 ff., 294 – Prozessvergleich 214, 294 ff. – Vergleichsfähigkeit 192 ff., 293, 339 Verhandlungsmacht 84, 86, 93 ff., 274, 338 Verjährung 40, 54, 90, 100, 120, 170, 186, 187, 190, 234, 301 Veröffentlichungspflicht 51, 78 ff. Verschwiegenheitspflicht 112, 207, 265 Vertragsfreiheit (Privatautonomie, Autonomie) 145 ff., 155, 290
Vertraulichkeit 51, 79, 113, 265 f. Verzicht 190, 195 Vollharmonisierung 45, 136, 161 ff., 233, 281 Vollstreckbarkeit 5, 278, 299 ff. Vollstreckung 64, 120, 207, 297 Vorlage (Art. 267 AEUV) 79 f., 134 Win-win Lösung 218, 224 ff. Zeugnisverweigerungsrecht 112, 265 Zielsetzung 62 ff., 68 ff., 216 – Verfahrenszielsetzung 68 ff. Zivilverfahren – Zivilprozess 30, 73, 104, 253, 274, 294 Zugang zum Recht (siehe access to justice) Zuständigkeit 29, 76, 102, 310, 333 Zwang (siehe Schlichtungszwang) Zwingendes Recht (siehe ius cogens)