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German Pages 261 [264] Year 2001
Linguistische Arbeiten
442
Herausgegeben von Hans Altmann, Peter Blumenthal, Hans Jürgen Heringer, Ingo Plag, Heinz Vater und Richard Wiese
Sandra
Joppen-Hellwig
Verbklassen und Argumentlinking Nicht-kanonische Argumente, Expletiva und vierstellige Kausativa in Ergativ- versus Akkusativsprachen
Max Niemeyer Verlag Tübingen 2001
Meinen Eltern und Jörg, Naomi & Lennart
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Joppen-Hellwig, Sandra: Verbklassen und Argumentlinking : nicht-kanonische Argumente, Expletiva und vierstellige Kausativa in Ergativ- versus Akkusativsprachen / Sandra Joppen-Hellwig. - Tübingen : Niemeyer, 2001 (Linguistische Arbeiten ; 442) ISBN 3-484-30442-1
ISSN 0344-6727
D 61 © Max Niemeyer Verlag G m b H , Tübingen 2001 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Druck: Weihert-Druck G m b H , Darmstadt Einband: Industriebuchbinderei Nädele, Nehren
Inhalt
Vorwort Glossar
VII .
IX
1 Einleitung
1
2 Theoretische Grundlagen
5
2.1 Semantische Repräsentationen 2.2 Argumentlinking 2.3 Vorhersagen 3 Linkingsysteme 3.1 Ein Ergativsystem: Baskisch 3.1.1 Das baskische Kasussystem 3.1.2 Strukturelle versus nicht-strukturelle Argumente 3.1.3 Das baskische Kongruenzsystem 3.2 Ein Akkusativsystem: Deutsch 3.2.1 Das deutsche Kasus-und Kongruenzsystem 3.2.2 Strukturelle versus nicht-strukturelle Argumente 3.3 Ein gemischtes System: Georgisch 3.3.1 Das georgische Kasussystem 3.3.2 Das georgische Kongruenzsystem 3.3.3 Strukturelle versus nicht-strukturelle Argumente 3.4 Zusammenfassung 4 Nicht-kanonische Argumente 4.1 Baskisch 4.1.1 Experiencer-Verben 4.1.2 Agentive Absolutiv-Dativ-Verben 4.1.3 Affektiv-Alternation 4.2 Deutsch 4.2.1 Zweistellige Experiencer-Verben 4.2.2 Agentive Nominativ-Dativ-Verben 4.2.3 Markierte Ditransitiva 4.2.4 Einstellige Experiencer-Verben 4.2.5 Freie Dative 4.2.6 Fazit 4.3 Georgisch 4.3.1 Experiencer-Verben 4.3.2 Versionsverben 4.3.3 Relative Passiva und agentive Nominativ-Dativ-Verben 4.3.3.1 Mit e- abgeleitete relative Passiva 4.3.3.2 Mit -d abgeleitete relative Passiva und agentive Nominativ-Dativ-Verben
5 7 15 20 20 20 23 29 38 38 41 46 47 57 63 65 66 66 68 71 75 81 81 88 92 95 100 103 105 106 116 129 129 134
VI 4.3.4 Perfekt/Evidentialis 4.3.5 Fazit 4.4 Lexikalische Markierung und Kontrolle in Ergativ- versus Akkusativsystemen
140 150 150
5 Expletive Argumente 5.1 Baskisch 5.1.1 Einstellige Ergativ-Verben 5.1.2 Zweistellige Ergativ-Dativ-Verben 5.1.3 Morphologisch kausativierte einstellige Verben 5.1.4 Syntaktische Kausativierung 5.1.5 Witterungsverben 5.1.6 Die Funktion expletiver Argumente im Baskischen 5.2 Deutsch 5.2.1 Verbvarianten mit expletivem Subjekt 5.2.2 Witterungsverben 5.2.3 Verbvarianten mit expletivem Objekt 5.2.4 Einstellige Experiencer-Verben 5.2.5 Die Funktion expletiver Argumente im Deutschen 5.3 Georgisch 5.3.1 Mittelverben: einstellige, zweistellige und nullstellige Verben 5.3.2 Experiencer-Verben: Einstellige und Genitiv-Experiencer-Verben 5.4 Expletive Argumente und Kontrolle in Ergativ- versus Akkusativsystemen
153 153 153 157 159 162 164 165 166 167 170 172 173 175 177 177 188 195
6 Vierstellige Verben 6.1 Vierstellige Verben in Akkusativsprachen 6.1.1 Türkisch und Tuwinisch 6.1.2 Japanisch 6.1.3 Romanische Sprachen 6.2 Vierstellige Verben in Ergativsprachen 6.2.1 Baskisch 6.2.2 Alutor 6.3 Vierstellige Verben in Splitsprachen 6.3.1 Georgisch und Svanisch 6.3.2 Urdu, Hindi, Punjabi 6.4 Typologie der vierstelligen Verben 6.5 Analyse des Argumentlinkings vierstelliger Verben 6.5.1 Beide mittleren Argumente sind strukturell 6.5.2 Semantischer Kasus oder Prä-/Postposition versus Dativ 6.5.3 Semantische Realisierung von Causee versus Rezipient 6.6 Zusammenfassung
199 199 199 203 204 207 208 210 211 211 219 221 222 222 226 228 232
7 Fazit: Prinzipien des Argumentlinkings
233
Anhang I: Baskische Kasus und finite Verbformen Anhang II: Georgische Kasus und finite Verbformen
237 240
Literatur
243
Vorwort
Allen, die Anteil an der Entstehung dieser Arbeit haben, möchte ich herzlich danken. An erster Stelle steht dabei Dieter Wunderlich, der immer zu Anregungen und kritischen Kommentaren bereit war und der auch nach langer Zeit noch nicht die Geduld und das Interesse verloren hat. Daneben danke ich besonders Ingrid Kaufmann für zahlreiche Diskussionen, gemeinsame Überlegungen und schließlich die gründliche Durchsicht dieser Arbeit. Ohne sie wären sicherlich viele Ideen und Analysen rudimentär geblieben. Weiterhin gilt mein Dank Birgit Gerlach, die mich auf Unklarheiten aufmerksam gemacht hat und, zusammen mit Janet Grijzenhout, einige theoretische Aspekte mit mir diskutiert hat. Ebenso danke ich den Mitgliedern des Projektes 'Verbstrukturen', Thomas Gamerschlag, Anja Latrouite und Barbara Stiebeis, die durch viele Diskussionen Anteil an dieser Arbeit haben. Schließlich haben zahlreiche Zuhörer verschiedener Vorträge durch ihre Kommentare diese Arbeit beeinflußt, unter ihnen vor allem Miriam Butt, Vieri Samek-Lodovici und Paul Kiparsky, der durch seine interessante Theorie diese Arbeit überhaupt erst inspiriert hat. Zahlreiche Informanten haben die Daten geliefert, die in dieser Arbeit behandelt werden. Die baskischen Daten verdanke ich Andolin Eguzkitza, Arantzazu Elordieta, Pilar Larrañaga und vor allem Axun Muñagorri und Marijo Ezeizabarrena. Patxi Altuna danke ich für die Diskussion einiger Daten. Die Georgischen Daten kommen von Irene Imnadze, Tengis Sidamonidze und auch András Kómlosy. Emanuela Canclini hat Italienisch beigetragen, Teresa Parodi Spanisch, Miriam Butt Urdu, Anja Latrouite hat mir japanische Daten zur Verfügung gestellt und Maria Koptjevskaja-Tamm hat Daten aus dem Alutor diskutiert. Schließlich haben viele der im ersten Absatz genannten Personen meine Intuitionen zum Deutschen verifiziert oder auch korrigiert. Allen diesen Informanten gilt mein Dank, daß sie meine zahlreichen Fragen gewissenhaft beantwortet haben, auch wenn sie ihnen oft skurril erschienen. Schließlich danke ich meinen Eltern, Ursel und Jörg ganz herzlich, daß sie mir die Zeit verschafft haben, diese Arbeit fertigzustellen, indem sie für Naomi und Lennart da waren.
Glossar
Kürzel in den Interlinearversionen: 1,2,3 2pp A ABL ADV ÄFF AG ALL ALLDEST ALLO AOR APPL ASP BEN CAUS COMP COND D DAT DEST DET DO E ELAT f FIN FOC GEN GENLOC h IMP IMPF IN INSTR INZ 10 KONJ m
1., 2., 3. Person 2. Person Plural mit weiterem Pluralmarker Absolutiv/Akkusativ Ablativ Adverbialkasus/Adverbmarker Affektiv Agens Allativ Allativ Destinativ Allokutiv Aorist Applikativ Aspekt Benefaktiv-Erweiterung Kausativ Komplementierer Konditional Dativ Dativ-Erweiterung Destinativ Determiner direktes Objekt Ergativ Elativ feminin Finalsatz fokussierte Form Genitiv Genitivus Locativus menschlich Imperativ Imperfektiv Inessiv Instrumentalis Inzeptiv indirektes Objekt Konjunktiv maskulin
MOTIV
Motivativ
Ν
Nominativ
χ NEG nh NOM O OPT
Negation nicht-menschlich Nominalisierer Objekt Optativ = II. Konjunktiv
OVBENE
Objektive Version als Benefaktiv-Erweiterung Objektive Version als Possessiv-Erweiterung Plural Partizip Perfekt
OVposs ρ PART? PASS
Passiv
PAT
Patiens
PERF
Perfektiv
PF
Perfekt
PRÄT
Präteritum
PRS PV
Präsens Präverb
QUOT
Quotativ
REFL
Reflexiv
RP s S sp SUB
Relatives Passiv Singular Subjekt spezifisch Subordinierung
SUBJ
Subjunktiv
SUV SV ΤΗ
Superessive Version Subjektive Version Thema
TRANS
Transformativ
TNS usp V VOC
Tense unspezifisch präradikaler Versionvokal Vokativ
Bewertungssymbole der Beispielsätze: * ?
8
79
999
syntaktisch inakzeptabel graduelle Abweichung von der syntaktischen Norm semantisch abweichend
1 Einleitung
In der vorliegenden Arbeit wird untersucht, welche grammatischen Prinzipien beim Linking der Argumente von Verben relevant werden. Argumentlinking ist ein zentraler Punkt in allen Grammatiktheorien, da es eine Schnittstelle unterschiedlicher Grammatikkomponenten darstellt, indem beim Linking die Semantik des Verbs und seiner Argumente mit deren morphologischer und syntaktischer Realisierung interagiert. Um möglichst generelle Aussagen treffen zu können, werden Sprachen unterschiedlichen Typs untersucht. Dabei liegt der Schwerpunkt der Untersuchung auf dem Deutschen als Beispiel für eine Akkusativsprache, dem Baskischen als Beispiel fur eine Ergativsprache und dem Georgischen als Beispiel für eine Splitsprache. Durch die Konzentration auf diese drei Sprachen ist eine tiefgehende Analyse möglich, die bei der Betrachtung vieler, typologisch unterschiedlicher Sprachen nicht möglich wäre. Entscheidendes Kriterium für die Auswahl der Sprachen war die Anzahl ihrer Linker: alle hier behandelten Sprachen verfügen über drei strukturelle Linker, indem sie neben Nominativ/Absolutiv und Akkusativ/Ergativ auch einen Dativ aufweisen. Dies scheint die maximale Anzahl struktureller Linker zu sein, die eine Sprache unterscheiden kann. Die Linker werden in allen drei Sprachen als Kasus realisiert, und außerdem - in unterschiedlichem Maße - auch als Kongruenzmorpheme (das baskische Verb kann drei Kongruenzaffixe aufweisen, das georgische zwei und das deutsche nur eins). Viele Ansätze zum Argumentlinking beschränken sich auf die Behandlung kanonischer ein- und zweistelliger Verben, d.h. auf intransitive Verben, deren Argument mit Nominativ/ Absolutiv gelinkt wird, und auf transitive Verben, deren Argumente mit Nominativ/Ergativ und Akkusativ/Absolutiv gelinkt werden. Dieser begrenzte Horizont wird in der vorliegenden Arbeit erweitert, indem auch Verben mit drei und vier Argumenten und Verben mit nicht-kanonischen und expletiven Argumenten untersucht werden. Allen Verbklassen ist gemeinsam, daß sie ausschließlich über strukturelle Argumente verfügen. Verben mit nicht-kanonischen Argumenten sind etwa die sogenannten Experiencer-Verben, deren höchstes Argument mit Dativ anstatt mit Nominativ/Ergativ gelinkt wird. Beispiele hierfür finden sich unter (l). 1 Bei anderen Verben wird das tiefste von zwei Argumenten mit Dativ anstatt Akkusativ/Absolutiv gelinkt, siehe die Beispiele unter (2). Daneben weisen noch andere Verbklassen nicht-kanonische Argumente auf, so etwa die dreistelligen Verben unter (3). (1)
a. Ihm gefällt das Buch. b. Baskisch:
Gizon-a-ri
liburu-a
Mann-DET-D Buch-DET.A
gusta-tzen
za-i-o.
gefall-iMPF
3A.sei-DAT-3sD
'Dem Mann gefällt das Buch.'
1
Die in den Interlinear-Übersetzungen verwendeten Kürzel sind im Glossar erklärt.
2 c. Georgisch:
(2)
(3)
ma-s u-qvar-s kaì-eb-i. er/sie-D 30.V-lieb-PRS.3S Frau-p-N 'Er/sie liebt die Frauen.'
a. Sie folgt ihm. b. Baskisch:
Neska mutil-a-ri jarraiki za-i-o. Mädchen.A Junge-DET-D folg.PERF 3A.sei-DAT-3sD 'Das Mädchen ist dem Jungen gefolgt.'
c. Georgisch:
kac-i a-qver-d-eb-a kal-s. Mann-N 30.V-beobacht-iNZ-TH-PRS.3S Frau-D 'Der Mann beobachtet die Frau.'
a. Er hat es ihm angeglichen. b. Georgisch:
mdivan-s türme çeril-i da-u-çer-i-a. Sekretär-D anscheinend Brief-N PV-30-schreib-PF-3S 'Der Sekretär hat anscheinend den Brief geschrieben.'
Neben nicht-kanonischen Verben werden Verben mit unechten, d.h. nicht-thematischen Argumenten untersucht. Im Deutschen wird ein nicht-thematisches Argument als expletives Pronomen es realisiert. Im Baskischen und Georgischen werden Expletiva als Personenaffixe der 3. Person Singular am Verb realisiert. Wie nicht-kanonische Argumente können expletive Argumente sowohl an höchster als auch an tiefster Position in der Argumentstruktur erscheinen, siehe (4) versus (5). (4)
a. Es trug ihn aus der Kurve./Es regnet. b. Baskisch:
elurr-a
egi-ten
Schnee-DET.A tu-iMPF
d-u 3A-hab.3sE
'Es schneit.' c. Georgisch:
(5)
kux-s. 30.donner-PRS.3S 'Es donnert.'
a. Sie meint es gut mit ihm. b. Baskisch:
Zu-k di-harduka-zu. du-E 3A-kämpf-2pE 'Du kämpfst.'
c. Georgisch:
bavSv-ma i-tir-a. Kind-E 30.V-wein-AOR.3S 'Das Kind weinte.'
Schließlich werden Verben untersucht, deren strukturelle Argumente die Anzahl der zur Verfügung stehenden Linker überschreiten. In den hier untersuchten Sprachen mit drei strukturellen Linkern sind dies vierstellige Verben. Derartige Verben entstehen etwa durch die
3 Kausativierung ditransitiver Verben oder die mehrfache Kausativierung transitiver und intransitiver Verben. Um alle Argumente dieser Verben realisieren zu können, wird entweder eines der Argumente als PP bzw. in einem semantischen Kasus realisiert, oder aber ein struktureller Kasus wird zweimal verwendet, siehe die folgenden Beispiele.2 (6)
a. Französisch (Comrie 1976: 277/278): i. J'ai fait donner à Claude une pomme au professeur. 'Ich ließ Claude dem Lehrer einen Apfel geben.' ii. J'ai fait donner une pomme au professeur par Claude. 'Ich ließ dem Lehrer durch Claude einen Apfel geben.' b. Baskisch: i. Apaiza-k pobre-ei Priester-Ε arm-pD
diru-a
eman-araz-i
Geld-DET.A
geb-CAUS-PERF 3E.3A.hab-DAT-lsD-PRÄT
z-i-da-n
ni'ri. ich-D 'Der Priester ließ mich den Armen Geld geben.' ii. Ama-k Mutter-Ε
Miren-i
pobre-entzat diru-a
eman-araz-ten
Miren-D
arm-pDEST
geb-CAUS-iMPF
Geld-DET.A
d-i-o. 3A.hab-DAT-3sD.3sE
'Mutter ließ Miren für die Armen Geld geben.' c. Georgisch: m taimz-i kaC'S a-jlev-ineb-s kal-s/kal-is-tvis Tamaz-N Mann-D 30.V-geb-CAUS-PRS.3S Frau-D/Frau-GEN-fiir 'Tamaz läßt den Mann der Frau das Buch geben.'
çign-s. Buch-D
Die Arbeit ist wie folgt gegliedert: In Kapitel 2 wird der theoretische Rahmen vorgestellt, innerhalb dessen die Analysen der folgenden Kapitel formuliert werden. In Kapitel 3 werden die drei untersuchten Sprachen eingeführt: neben den Kasus- und Kongruenzsystemen werden die kanonischen Verbklassen und Tests zur Ermittlung struktureller Argumente in den einzelnen Sprachen vorgestellt. In Kapitel 4 werden Verbklassen mit nicht-kanonischen Argumenten untersucht. Dabei liegt ein Schwerpunkt darauf, an welchen Positionen der Argumentstruktur diese Argumente in den jeweiligen Sprachen auftreten. Ein weiterer Schwerpunkt der Untersuchung ist, welche semantisch-konzeptuellen Besonderheiten dazu führen, ein Argument nicht-kanonisch zu realisieren. In Kapitel S werden Verbklassen mit expletiven Argumenten analysiert. Wieder liegen die Schwerpunkte auf den Positionen der Argumente und den semantisch-konzeptuellen Eigenschaften. In Kapitel 6 werden vierstellige Verben behandelt. Es wird untersucht, ob eher einer der Linker doppelt verwendet wird, oder ob für ein Argument auf eine nicht-strukturelle Realisierung ausgewichen wird und welche Bedingungen für die jeweilige Alternative relevant sind. Bei nicht-struktureller Rea-
2
Da das Deutsche keine vierstelligen Verben durch Kausativierung bilden kann, werden stattdessen andere Akkusativsprachen, wie etwa das Französische, behandelt.
4 listening eines Arguments spielt wieder dessen Position eine Rolle, die in den unterschiedlichen Sprachtypen verschieden ist. Kapitel 7 schließlich bildet den Abschluß der Untersuchungen mit einem Fazit. Wie die Auflistung der Inhalte zeigt, ist diese Arbeit primär nach thematischen Gesichtspunkten gegliedert. Die einzelnen Kapitel jedoch sind typologisch unterteilt. Dabei werden die Sprachen jeweils zunächst getrennt behandelt. Abschließend werden deren wichtigste Eigenschaften gegenübergestellt. Im allgemeinen wird in den einzelnen Kapiteln zunächst die Ergativsprache Baskisch behandelt, gefolgt von der Akkusativsprache Deutsch und schließlich der Splitsprache Georgisch. Mit dem Baskischen wird begonnen, da wegen seiner ausgeprägten Morphologie viele Phänomene in dieser Sprache deutlicher erkennbar sind als im Deutschen oder Georgischen. Abschließend noch einige Bemerkungen zu den Beispielsätzen. Die meisten Beispiele ergeben sich aus der Arbeit mit Informanten. Ergänzend sind Beispiele aus der Literatur angeführt wo dies angegeben ist. In Bezug auf Schrift und Aussprache der Beispiele ist folgendes anzumerken: Das Baskische verwendet die lateinische Schrift. Zu seinen Besonderheiten gehört die Unterscheidung von (Flap) und (Trill) und die Dreierreihe der Sibilanten und Affrikaten: / (alveolar), / (postalveolar, retroflex) und / (palato-alveolar). Das Georgische verwendet eine eigene Schrift; alle Beispielsätze sind jedoch in einer lateinischen Umschrift angegeben. Für das Georgische ist neben stimmhaften und aspirierten stimmlosen Verschlußlauten eine weitere Reihe glottalisierter stimmloser Verschlußlaute charakteristisch, die in der Umschrift mit einem Punkt gekennzeichnet sind: . Auch die Affrikaten weisen diese dreifache Opposition auf: / (stimmhaft: alveolarer Verschlußlaut plus alveolarer Frikativ / alveolarer Verschlußlaut plus palato-alveolarer Frikativ), / (stimmlos aspiriert) und / (stimmlos glottalisiert). Die Reihe der glottalisierten Laute beschließt der postvelare Verschlußlaut , dem jedoch kein entsprechender stimmhafter oder aspirierter stimmloser Verschlußlaut gegenübersteht. Schließlich verfügt das Georgische über je eine Reihe stimmhafter und stimmloser Frikative: / (alveolar), / (palato-alveolar) und / (postvelar).
2 Theoretische Grundlagen
Für die in dieser Arbeit entwickelten Analysen werden die Annahmen der Lexikalischen Dekompositionsgrammatik (LDG; Joppen und Wunderlich 1995, Wunderlich 1996a, 1997a, Stiebeis 1997, Kaufmann und Wunderlich 1998) zugrundegelegt. LDG geht davon aus, daß die Argumentstruktur eines Verbs durch semantische Templates bestimmt wird, die die Basis für detailliertere semantische Repräsentationen darstellen. Diese Templates beinhalten universale Prädikatskonstanten wie etwa CAUSE und BECOME und definieren so Klassen von Verben mit ähnlichen semantischen und syntaktischen Eigenschaften. Die universalen Prädikatskonstanten werden um spezifischere Prädikate erweitert, die die Bedeutung einzelner Verben gegenüber den anderen ihrer Klasse abgrenzen.
2.1 Semantische Repräsentationen
LDG geht, Bierwisch (1983) folgend, davon aus, daß es zwei Ebenen von Bedeutungsrepräsentationen gibt: Eine Ebene der Semantischen Form (SF) und eine weitere Ebene der Konzeptuellen Struktur (CS). Diese Aufteilung beruht auf der Annahme, daß die Sprachkenntnis als autonomes mentales Teilsystem zu sehen ist, das mit anderen mentalen Systemen interagiert. Die beiden Repräsentationsebenen SF und CS sind unabhängig voneinander organisiert. SF ist eine Ebene der Grammatik und beinhaltet als solche genau alle Arten von Informationen, die für das grammatische Verhalten lexikalischer Einheiten relevant sind.1 Sie kann als eine lexikalische Struktur angesehen werden, die eine minimale Domäne der Logischen Form (LF) darstellt. CS ist dagegen eine außersprachliche Ebene und beinhaltet konzeptuell gesteuertes enzyklopädisches Wissen. Auf CS werden die SF konstituierenden Elemente begrifflich interpretiert: SF-Prädikate werden hinsichtlich ihrer konzeptuellen Deutung näher ausbuchstabiert, in einer SF-Repräsentation enthaltene Konstanten oder Parameter werden auf CS entsprechend ihres jeweiligen Kontextes gedeutet, und der Status des Referenten eines Arguments und dessen Relation zu den Referenten der anderen Argumente wird auf CS in Kategorien wie Agentivität, Kontrolle und Affiziertheit interpretiert. Diese Aufteilung in eine sprachlich relevante und eine außersprachliche Ebene der Bedeutungsrepräsentation grenzt sich auf der einen Seite von Modellen wie etwa dem von Jackendoff (1983, 1990) ab, der eine einzige Ebene der Conceptual Structure annimmt. Die Ebene der Conceptual Structure wird als 'Language of Thought' angesehen. Die konzeptuellen Strukturen werden direkt durch syntaktisch-konzeptuelle Korrespondenzregeln in syntaktische Strukturen überführt. Auf der anderen Seite grenzt sich LDG auch von Modellen wie etwa dem von Pustejovsky (1991) ab, der die Bedeutung lexikalischer Einheiten durch partielle Funktionen auf mehrere Repräsentationsebenen (Argumentstruktur, Ereignisstruktur und Qualiastruktur) abbildet. Eine ausführliche Gegenüberstellung zwischen LDG und
1
Zu einer detaillierteren Darstellung siehe Wunderlich ( 1997a).
6 Jackendoffs bzw. Pustejovskys Modellen findet sich in Wunderlich (1996a). Wunderlich weist nach, daß es in den Modellen von Jackendoff und Pustejovsky empirische Probleme gibt und daß ihre Repräsentationen redundante Informationen enthalten. Daneben sind in beiden Modellen aufwendigere und explizitere Linkingregeln als in LDG nötig. Somit erweist sich LDG gegenüber Jackendoffs und Pustejovskys Modellen als ökonomischer und restringierter. Anders als LF-Formeln sind SF-Repräsentationen in einer modifizierten Version der Kategorialgrammatik formuliert. Sie stellen minimale Dekompositionsstrukturen dar, in denen die einzelnen Kategorien verschiedenen logischen Typen entsprechen und alle Strukturen auf binäre Verzweigungen beschränkt sind. SF-Repräsentation von Verben sind weiter durch Kohärenzbedingungen beschränkt, nach denen (i) die von SF-Prädikaten erfaßten Teilsituationen entweder gleichzeitig stattfinden müssen oder in einer kausalen Beziehung zueinander stehen müssen, und (ii) ein zweites SF-Prädikat Inferenzen spezifizieren muß, die das erste Prädikat durch seine konzeptuelle Interpretation aktiviert, und sich ein drittes Prädikat auf dieselbe Inferenz beziehen muß (Kaufmann 1995a,c). Die zweite Bedingung kann insbesondere dadurch erfüllt werden, daß die Prädikate gemeinsame Argumente haben. Eine wohlgeformte SF-Repräsentation ist eine offene Formel, d.h. ein (möglicherweise komplexer) Prädikatsausdruck mit einer nicht-leeren Menge von offenen Stellen (Variablen) für die Argumente.2 SF-Prädikate unterscheiden sich hinsichtlich ihres logischen Typs. Er entspricht dem Typ des Prädikats im Verhältnis zu den logischen Typen seiner Argumente. In dieser Arbeit werden hauptsächlich Argumente behandelt, die als Nominalphrasen (oder Determinerphrasen) realisiert werden und Kasus erhalten, d.h. Argumente vom logischen Typ eines Individuums.3 Da SF eine binär verzweigende Struktur darstellt, sind die Argumentvariablen in einer eindeutigen Weise hierarchisch geordnet. Im Rahmen der LDG determiniert diese semantische Argumenthierarchie die syntaktische Argumentstruktur einer lexikalischen Einheit. Die Argumentvariablen (sofern sie nicht implizite Argumente darstellen) werden in eine Reihe von λ-Operatoren abstrahiert, wobei die in SF bestimmte Argumenthierarchie beibehalten wird (Hierarchie-Prinzip, Bierwisch 1989). Die λ-AusdrUcke stellen Θ-Rollen dar, die auf syntaktische Positionen abgebildet werden. Auf diese Weise repräsentiert das Θ-Raster, d.h. die geordnete Menge der durch λ-Operatoren gebundenen Variablen, die Argumentstruktur einer lexikalischen Einheit. Zu beachten ist, daß mit dem Ausdruck 'Θ-Rollen' keinesfalls semantische Rollen wie Agens, Thema, etc. gemeint sind. Diese Kategorien sind im Rahmen der LDG keine atomaren Einheiten, sondern ergeben sich aus der Art des Prädikats, zu dem das betroffene Argument gehört. So ist etwa ein Thema das Argument eines Prädikats, das nur objektdefinierende Eigenschaften bezeichnet (Kaufmann 1995a), und ein Agens ist das erste Argument eines Prädikats wie CAUSE. 2
3
Verben werden mit einer Situationsvariable repräsentiert, so daß sogar die sogenannten null-stelligen Verben (wie Witterungsverben in vielen Sprachen) Prädikate mit einer offenen Variablenstelle darstellen. Im Rahmen der LDG wird die Situations- oder Aspektstruktur eines Verbs nicht als eigenständige Komponente angesehen, sondern als sortale Information, die sich großenteils aus der SF-Struktur ergibt. Da die Situationsvariable nicht zu den strukturellen Argumenten eines Verbs zählt (siehe unten), wird im folgenden nicht näher auf sie eingegangen. Allerdings werden zum Beispiel im Baskischen Argumente vom Typ einer Proposition, d.h. eingebettete Sätze, ebenfalls als Nominalphrasen realisiert, die Kasus erhalten.
7 Argumentsättigung findet durch Funktionale Applikation statt, wobei durch die Ordnung der λ-Abstraktoren gewährleistet ist, daß die semantisch am tiefsten eingebetteten Argumente zuerst gesättigt werden. Das Θ-Raster fungiert demnach als Schnittstelle zwischen semantischer und syntaktischer Information. In (1) ist der Aufbau des Θ-Rasters aus einer SF-Repräsentation am Beispiel des ditransiti ven Verbs zeigen illustriert, (la) zeigt die SF des Verbs in der hier verwendeten Notation; (lb) enthält dieselbe Information in polnischer Notation, aus der sich die Einbettungstiefe der Argumente direkt ablesen läßt.4 Die Hierarchie der Argumente ist in (lc) noch einmal isoliert dargestellt. In (ld) schließlich ist das Θ-Raster als Folge von durch λ-Abstraktoren gebundenen Variablen repräsentiert. (1)
a. CAUSE (x, SEE (y,z))(s) b. [[CAUSE ([[SEE (Z)](y)])(x)](s)]
c. « « ζ > y > χ > s> d. λζ λy λχ Xs Ähnlich wie in LDG zwischen der SF eines Verbs und seiner Argumentstruktur, dem Θ-Raster, unterschieden wird, unterscheiden auch Autoren wie Levin und Rappaport (1988) Argument Structure (AS) von Lexical Conceptual Structure (LCS). Dabei sind auf LCS die syntaktisch relevanten Aspekte der Verbbedeutung repräsentiert und auf AS die syntaktisch relevanten Argumente und Argumenthierarchien. AS und LCS sind durch Linkingregeln aufeinander bezogen, die semantische Rollen (das sind auch in diesem Ansatz Argumente bestimmter Prädikatstypen und keine Primitive) auf Kategorien wie externes (Williams 1981), direktes internes und indirektes internes (Marantz 1984) Argument abbilden. Diese Kategorien entsprechen den syntaktischen Tiefenstrukturverhältnissen, so daß eine direkte Verbindung zu syntaktischen Funktionen besteht. Unklar bleibt in diesem Ansatz jedoch, welche Verbindung zwischen LCS und der begrifflichen Interpretation dieser Repräsentationen besteht.
2.2 Argumentlinking
Argumentlinking in LDG geht auf einen Ansatz von Kiparsky (1989a, 1992a) zurück. Im Gegensatz zu vielen anderen Linkingmodellen, in denen die Verbindung zwischen der Argumentstruktur eines Verbs und der syntaktischen Realisierung der Argumente nur vermittelt über grammatische Relationen stattfindet (so etwa in GB vermittelt durch Agreement-Phrasen und in den relationalen Netzwerken der Relational Grammar durch Bögen, die sich beide
4
's' stellt die Situationsvariable des Verbs dar. Dieses referentielle Argument dient dazu, einen linguistischen Ausdruck in der exterenen Welt zu lokalisieren. Dies geschieht bei Verben entweder durch funktionale Kategorien wie Tempus, Modus, Aspekt oder Komplementierer, oder durch die Bindung an ein anderes referentielles Argument, wie bei der Bildung komplexer Verben (siehe Wunderlich 1997).
8
auf die grammatischen Funktionen der Argumente beziehen), besteht in der von Kiparsky entwickelten Linkingtheorie eine direkte Abbildung zwischen Argumentstruktur und syntaktischer Realisierung der Argumente. Ein Vorteil dieser Annahme ist etwa, daß Akkusativund Ergativsysteme im Prinzip gleich behandelt werden können, eine Sichtweise, die durch die vielen Split-Systeme motiviert werden kann. Ferner zeigt die Tatsache, daß die meisten Ergativsprachen sich syntaktisch wie Akkusativsprachen verhalten, daß Kasus- oder Kongruenzmarkierung und grammatische Funktionen von Argumenten unabhängig voneinander sind. Argumentlinking wird in LDG als eine Relation zwischen grammatischen Ebenen gesehen. Dadurch unterscheidet sich diese Linkingkonzeption von Modellen wie etwa dem von Dowty (1991), bei dem Linking direkt auf thematische Protorollen, also konzeptuelle Information, zurückgreift. In LDG dagegen gibt es keine direkte Verbindung zwischen syntaktischer Realisierung und konzeptueller Interpretation eines Elements. Erst vermittelt und beschränkt durch SF ist ein Zugang zu konzeptueller Interpretation möglich. Das Linking der Argumente in LDG basiert auf der Hierarchie der Θ-Rollen. Die hierarchische Position jedes Arguments wird mithilfe der beiden relationalen Merkmale [+hr]/[-hr] und [+lr]/[-lr] explizit gemacht, die als 'es gibt eine/keine höhere Rolle' in Relation zu dem betroffenen Argument bzw. als 'es gibt eine/keine tiefere Rolle' interpretiert werden. 'Rolle' bedeutet in diesem Zusammenhang 'Position in einer Hierarchie'. Dieser Mechanismus stellt eine von Wunderlich (1997a) vorgenommene Modifizierung von Kiparskys Linkingtheorie dar.3 Zu beachten ist, daß die Merkmale keine zusätzliche Ebene neben den Θ-Rollen repräsentieren, sondern lediglich ein Mittel darstellen, deren inhärente Hierarchie explizit auszudrücken. (2) zeigt die Θ-Rollen der syntaktisch zu realisierenden Argumente eines dreistelligen Verbs wie zeigen mit ihren entsprechenden Merkmalsspezifikationen.
5
Kiparsky verwendet die Merkmale [+HR]/[-HR] 'ist/ist nicht die höchste Rolle' und [+LR]/[-LR] 'ist/ist nicht die niedrigste Rolle'. Aus den verschiedenen Merkmalen ergibt sich eine unterschiedliche Interpretation des Linkings. In Wunderlichs System hat etwa das Subjekt eines intransitiven Verbs die unmarkierten Werte [-hr, -lr], während es in Kiparskys System die markierten Werte [+HR, +LR] erhält. Durch die Auszeichnung der Randpositionen des Θ-Rasters mit [+HR] und [+LR] kommt diesen beiden Argumentpositionen ein besonderer Status zu, der sich etwa durch die semantischen Rollen der beiden Argumente motivieren läßt. Insofern kann man bei Kiparskys System von einem semantisch basierten Konzept des Linkings sprechen. Im Gegensatz dazu beinhaltet die Auszeichnung der höchsten/niedrigsten Position mit [-hr]/[-lr], daß sich der Status eines Arguments erst in der Relation zu anderen Argumenten bestimmt. Insofern ist nicht die Information Uber das spezifische Argument ausschlaggebend für seinen syntaktischen Status, sondern seine Einbettung in die Hierarchie der Argumente. Um die beiden Systeme in das jeweils andere zu Ubersetzen mUssen nur die Merkmalswerte vertauscht werden, so daß [+hr]/[+lr] ('es gibt eine höhere/niedrigere Rolle') zu [-HR]/[-LR] ('nicht die höchste/niedrigste Rolle sein') wird.
9 (2)
λζ
Xy
λχ
Γ+hr 1 L-lr J
Γ+hrl L+lrJ
Γ-hr 1 L+lrJ
Mit diesem Linkingmechanismus werden alle und ausschließlich strukturelle Argumente gelinkt. Strukturell ist ein (Verb-)Argument wenn es: (i) (ii) (iii) (iv)
einem minimalen logischen Typ entspricht (Individuum oder Proposition ;6 im Kontrast etwa zu einem Prädikat oder einer Relation bekommt die Uhr gestohlen. b. iJan Pierre kriegt das große Eis gegönnt.
Das Rezipientenpassiv kann daher nicht verwendet werden, um einzelne Dativ-NPs als nicht-strukturell auszufiltern. Es kann jedoch bei einer repräsentativen Gruppe von Verben stellvertretend für die gesamte Klasse verwendet werden: Wenn eine Gruppe von Verben einer Klasse das Rezipientenpassiv erlauben, ist dies ein Indiz, daß alle Dativ-NPs dieser Verbklasse strukturell sind. Eine weitere Diathese, die eine Kasusänderung der Dativ-NP zur Folge hat, ist die Bildung von Präfix- oder Partikelverben. Insbesondere die Präfigierung mit be- ist sehr produktiv im Deutschen. Durch die Kombination von Präfix und Verb wird die Rangfolge zweier Objekte vertauscht, so daß das mittlere Dativargument des Basisverbs zum tiefsten Argument des abgeleiteten Verbs wird und Akkusativ erhält, während das Akkusativargument des Basisverbs zum mittleren Argument wird und - wegen fehlenden L-Kommandos nur noch als PP realisiert werden kann (Wunderlich 1997a, Stiebeis 1996). (31)
a. Karl liefert ihnen Fahrräder ~ Karl beliefert sie mit Fahrrädern. b. Nadia schenkt dem Kind Halstücher ~ Nadia beschenkt das Kind mit Halstüchern.
Dieser Test ist jedoch ebenfalls kein verläßliches Kriterium zur Klassifikation von DativNPs. Zum einen kann nicht von jedem Basisverb ein entsprechendes Präfix- oder Partikelverb gebildet werden. Darüberhinaus sind die möglichen Ableitungen auch oft lexikalisierte Formen mit einer gegenüber dem Basisverb veränderten Bedeutung, siehe (32a). Zum anderen können auch nicht-strukturelle Argumente eines Basisverbs zum Akkusativobjekt des abgeleiteten Verbs werden, siehe (32b). Aus diesem Grund werte ich, anders als Wegener (1990, 1991) und Gallmann (1992), die Präfix- und Partikelverbbildung nicht als globale Evidenz für einen strukturellen Status des Dativs; bei einzelnen Verbmustern kann sie jedoch als Test angewendet werden. (32)
a. Jörg gibt dem Kind Gummibärchen ~ *Jörg begibt das Kind mit Gummibärchen. ~ Jörg begibt sich ins Wohnzimmer.
43 b. Karin gießt Wasser über die Blumen ~ Karin begießt die Blumen mit Wasser. Im Gegensatz zu strukturellen Kasus, die konstruktionsabhängig variieren, kann der Kasus bzw. die Präposition nicht-struktureller Argumente in derselben syntaktischen Umgebung variieren. So kann eine Zielangabe wie unter (33a) mit einer Reihe verschiedener Präpositionen realisiert werden. Die scheinbare Alternation zwischen Dativ und Präposition wie unter (33b) gehört nicht zum selben Phänomenbereich, da Dativ-NP und PP auf unterschiedliche Weise in die semantische Struktur des Verbs eingebunden sind und somit verschiedene Typen von Argumenten sind, was durch die Angabe ihrer thematischen Rollen angedeutet werden soll. (33)
a. Inge geht nach HausecoJzum Arztoon/ins TheaterGai/auf die Rennbahnenb. Werner gibt ihmn«ip¡em ein Buchi7 Werner gibt fiir i'A/iBeoefakiiv ein Buch.
Eine ähnliche Pseudo-Alternation zwischen Dativ und Präposition ergibt sich in Zusammenhang mit Belebtheit: Argumente mit belebten Referenten stehen oft im Dativ, Argumente mit unbelebten Referenten werden dagegen eher als PP realisiert. (34)
a. Thorsten schickt uns einen Brief. b. Thorsten schickt einen Brief an die Universität/ der Universität einen Brief. c. Thorsten schickt einen Brief nach Köln/*Köln einen Brief.
Das häufige Zusammentreffen von Belebtheit und Dativ gegenüber Unbelebtheit und Präposition hat oft dazu geführt, eine semantische Belebtheitsforderung für den Dativ anzunehmen. Zum einen sind jedoch nicht die Referenten aller Dativ-NPs tatsächlich belebt; es gibt sehr viele Gegenbeispiele, so daß Belebtheit als Kriterium für eine Kasuszuweisung äußerst unzuverlässig ist. Zum anderen gilt auch für Beispiele wie unter (34), daß Dativ-NP und PP verschiedene thematische Rollen haben (Rezipient versus Ziel) und somit aus unterschiedlichen semantischen Strukturen resultieren: Während die Dativ-NP dem Individuenargument einer Besitzrelation entspricht, realisiert die PP ein prädikatives Argument des Verbs, das einer lokalen bzw. direktionalen Relation entspricht. Da es sich um verschiedenartige Argumente handelt, können Dativ-NP und PP in bestimmten Fällen problemlos kombiniert werden (Thorsten schickt uns einen Brief nach Köln), was bei gleichartigen Argumenten nicht möglich wäre. Die semantische Struktur der Verben mit Dativ-NP ist es auch, die für die häufige Korrelation zwischen Dativ und Belebtheit verantwortlich ist. Kaufmann (1995a, 1995c) geht davon aus, daß semantische Dekompositionsprädikate maximal zweistellig sind. Ein drittes Argument kann nur über ein weiteres SF-Prädikat eingebunden werden. Zudem sind tiefere SF-Prädikate inhaltlich von höheren Prädikaten abhängig, indem sie die vom höchsten Prädikat bereitgestellte Information näher spezifizieren. Dadurch ist immer ein Argument des höchsten Prädikats auch Argument der tieferen Prädikate. Dieses gemeinsame Argument ist in den meisten Fällen das tiefste Argument des ersten Prädikats. Für kanonische dreistellige Verben ergibt sich somit eine SF-Struktur wie unter (35), wobei RELL und REL2 stellvertretend für spezifischere Relationen stehen.
44 (35)
λ ζ Xy λ χ [RELl ( χ , ζ ) & REL2(y,z)]
Eine der wenigen Relationen, durch die REL2 instantiiert werden kann, ist die Poss-Relation. Sie tritt bei zahlreichen kanonischen dreistelligen Verben auf, und auch freie Dative im Deutschen, wie Benefaktiverweiterungen und Pertinenzdative, können durch die Konjunktion einer POSS-Relation zur SF des Basisverbs analysiert werden (Wunderlich 1996b, 1997a; siehe Abschnitt 4.2.5). Das erste Argument der POSS-Relation, der Possessor, ist in den meisten Fällen belebt. Bei den lexikalisch markierten Verben zeichnet sich das im Dativ realisierte Argumente durch einen hohen Grad an Kontrolle aus. Dies ist ebenfalls typischerweise mit Belebtheit gekoppelt. Somit ergibt sich die bei Dativargumenten häufige Belebtheit aus der Einbindung der Argumente in die Semantik der Verben; Belebtheit ist jedoch keine semantische Bedingung für den Kasus Dativ. Ein weiterer Unterschied zwischen strukturellen und nicht-strukturellen Kasus bzw. Präpositionen besteht darin, daß strukturelle Linker nicht an bestimmte thematische Rollen gebunden sind, während nicht-strukturelle Kasus bzw. Präpositionen selbst semantische Informationen tragen und damit die thematischen Rollen ihrer Argumente bestimmen. So geben PPs mit Präpositionen wie auf, unter, über, etc. - außer bei übertragener Bedeutung - einen Ort oder ein Ziel an. Die thematischen Rolle struktureller Argumente variiert dagegen abhängig von der Einbindung der Argumente in die semantische Struktur des Verbs, wenn es auch gewisse grobe Korrelationen gibt, die zur Annahme von Linkingmodellen geführt hat, die auf Protorollen (Protoagens •=> Nominativ, Protopatiens •=> Akkusativ, Dowty 1991) oder Makrorollen (Actor •=> Nominativ, Undergoer Akkusativ, Van Valin 1996) basieren. Gerade für Dativargumente ist die Variation thematischer Rollen sehr groß, siehe (36). (36)
a. b. c. d. e.
Rezipient: Benefizient: Possessor: Experiencer: Thema/Ziel:
Er gibt dem Mächen den Ball in die Hand. Er backt dem Mädchen einen Kuchen. Er schenkt dem Mädchen ein Kleid. Das Kleid gefällt dem Mädchen. Erfolgt dem Mädchen.
Wegen dieser Bandbreite thematischer Rollen sind die Eigenschaften von Dativ-NPs bei Dowty und Van Valin nur negativ definiert, und auch Schöfer (1992) findet keine einheitliche Klassifizierung, sondern unterscheidet drei verschiedene thematische Rollen für DativNPs, wobei er Rezipient als prototypische Dativfunktion ansieht, aus der Benefizient und Experiencer abgeleitet werden. Das breite Spektrum thematischer Rollen von Dativ-NPs ist ein starker Hinweis für einen strukturellen Status des Dativs im Deutschen. Zu beachten ist allerdings, daß in (36) sowohl kanonische als auch lexikalisch markierte Dative und Basisargumente sowie Erweiterungen zusammengefaßt sind. Ein weiteres Kriterium für strukturellen Kasus, das oben schon angesprochen wurde, ist die Kookkurrenz-Beschränkung (Wegener 1991): Jeder strukturelle Linker kommt in einem einfachen Satz nur einmal vor. Die Dativ-NPs in (37a,b) haben zwei verschiedene thematische Rollen, sind also unterschiedliche Argumente und könnten daher beide zusammen in einem Satz vorkommen. Dies ist jedoch im Deutschen nur möglich, wenn eines der beiden Argumente als PP, also nicht-strukturell, realisiert wird (37d,e); zwei Dative im selben Satz
45
sind ungrammatisch (37c). Dagegen sind zwei gleiche Präpositionen in einem Satz erlaubt, wie (37f,g) illustriert. (37)
a. b. c. d. e. f. g.
Er stiehlt seiner Freundin einen Ring. Er stiehlt dem Juwelier einen Ring. *Er stiehlt seiner Freundin dem Juwelier einen Ring. Er stiehlt seiner Freundin einen Ring beim Juwelier Er stiehlt dem Juwelier einen Ring für seine Freundin. Jan Pierre war am Montag an der Nordsee. Bernd geht auf ein Glas Bier auf den Sportplatz.
Wie die anderen Tests, so ist auch dieser Test nur begrenzt anwendbar, da nur wenige Verben zwei verschiedene, mit Dativ zu linkende Argumente erlauben. Es können somit wieder nur die Dativ-NPs repräsentativer Verben stellvertretend für ihre ganze Klasse getestet werden. Als weiteres Argument für einen strukturellen Dativ im Deutschen führt Wegener (1991) diachrone Kasusalternation bei dreistelligen Verben an. Dabei wird .ein nicht-strukturelles Argument zu einem Akkusativobjekt, während das ehemalige Akkusativobjekt zum Dativobjekt wird, siehe (38a) versus (38c). Es ändert sich also der Kasus zweier Argumente. Die dem ersten Anschein nach einfachere Veränderung in (38b), wo allein das nicht-strukturelle Argument seinen Kasus ändert, ist laut Wegener bei keinem Verb belegt. Die Darstellung der Θ-Raster der drei Varianten (38a-c) in (38d) macht deutlich, warum das so ist. Um das ehemalige Genitivargument mit Dativ zu linken, müßte es entweder nicht-strukturell bleiben (und der Dativ hier also ein nicht-struktureller Kasus sein), oder es müßte eine lexikalische Markierung mit [+lr] erhalten. Eine lexikalische Markierung sollte jedoch semantisch/konzeptuell motiviert sein, und eine derartige Motivation ist hier nicht gegeben. Daneben ist die Einführung einer lexikalischen Markierung auch aufwendiger als die einfache Umkategorisierung einer nicht-strukturellen zu einer strukturellen Θ-Rolle. Bei der einfachen Umkategorisierung ergibt sich automatisch der Kasuswechsel zweier Argumente. (38)
a. Er versichert sie seiner Freundschaften / seines Bedauerns. b. *Er versichert sie seiner FreundschaftDal / seinem Bedauern. c. Er versichert ihr seine Freundschaft/sein Bedauern. λζ obi
Gen
Xy
λχ
+hr -Ir Akk
-hr +lr Nom
* λζ Xy obl/+lr +hr +hr -lr Dat Akk
λχ
λζ
λy
λχ
-hr +lr Nom
+hr -lr Akk
+hr +lr Dat
-hr +lr Nom
Die Kasusabfolge Akk-Dat-Nom für (38c) könnte theoretisch auch durch eine doppelte Umkategorisierung zustande gekommen sein, bei der das tiefste Argument strukturell und das mittlere Argument nicht-strukturell geworden ist. Die anderen Kriterien für strukturellen Dativ zeigen jedoch, daß die mittlere Θ-Rolle wie angenommen strukturell ist. Daneben wäre eine doppelte Umkategorisierung auch gegenüber der einfachen aufwendiger und semantisch
46 nicht motiviert. Die historische Entwicklung kann also als generelles Indiz für einen strukturellen Status des Dativs im Deutschen gewertet werden. Schließlich führt Wegener noch Neubildungen als Argument fUr einen strukturellen Dativ an. Sie unterscheidet drei Typen: reine Neubildungen wie in (39a) und durch „Komprimierung" (39b) oder „Streckung" (39c) von Funktionsverbgefligen entstandene Neubildungen. (39)
a. Nogger dir einen! Den Hof werden wir Ihnen natürlich bebaumen! b. jemandem etwas stehlen ~ jemanden bestehlen jemandem Mut geben/nehmen ~ jemanden er-/entmutigen c. jemanden küssen ~ jemandem einen Kuß geben jemanden prüfen - jemanden einer Prüfung unterziehen
Als relevant für den strukturellen Status des Dativs sieht Wegener hier die Tatsache, daß die Kasus von der Anzahl der Argumente abhängig sind: bei zweistelligen Verben stehen die Argumente im Nominativ und im Akkusativ, bei dreistelligen Verben kommt ein Dativ dazu. Allein gesehen stellt dies keine Evidenz für einen strukturellen Status des Dativs dar. Es könnte genauso gut im Deutschen ein produktives Ableitungsmuster mit semantischem Dativ geben. Die oben vorgestellten anderen Tests sprechen jedoch auch hier für einen strukturellen Status des Dativarguments. Als Fazit kann festgehalten werden, daß es im Deutschen keinen Test gibt, der auf jede beliebige Dativ-NP angewandt werden kann, sondern nur Kriterien genereller Natur, wie historische Kasusverschiebungen und Neubildungen, oder Tests, die stellvertretend für die gesamte Verbklasse auf eine Gruppe von Verben angewandt werden können. Diese Kriterien und Tests zeigen, daß zumindest die Dativargumente kanonischer ditransitiver Verben strukturell sind. Ich gehe also davon aus, daß das Deutsche drei strukturelle Linker hat: Nominativ, Dativ und Akkusativ.
3.3 Ein gemischtes System: Georgisch
Als drittes Linkingsystem soll ein Splitsystem analysiert werden. Georgisch ist deshalb besonders interessant, weil es gleich mehrere Brüche in seinem Linkingsystem aufweist. Das Kasussystem variiert abhängig von Tempus und Modus des Verbs. Im Georgischen werden drei Tempusgruppen unterschieden, die jeweils verschiedene Einzeltempora, -modi und
47 •aspekte umfassen.31 In der Präsensgruppe folgt das Kasussystem dem Akkusativprinzip, in der Aoristgruppe dem Ergativprinzip. Neben diesen beiden Tempusgruppen verfUgt das Georgische über die sogenannte Perfektgruppe, deren Verbformen jedoch keine Tempus- sondern Statusfunktion haben. Das Perfekt wird heute hauptsächlich als Evidentialis verwendet, d.h. zur Wiedergabe einer vom Sprecher nicht selbst erlebten Begebenheit in der Vergangenheit (siehe Abschnitt 4.3.4). In der Perfektgruppe steht das höchste Argument im Dativ und das tiefste Argument im Nominativ. Das Kongruenzsystem folgt demgegenüber konsistent dem Akkusativprinzip. Diachron betrachtet basiert das heutige diversifizierte Linkingsystem auf einem Ergativsystem, das immer mehr zugunsten eines Akkusativsystems aufgegeben wurde (Aronson 1976, 1979, Boeder 1979). Diese Entwicklung zeigt sich in verschiedenen Bereichen, auf die ich später eingehen werde, und gibt Aufschluß Uber die Analyse verschiedener Phänomene.
3.3.1 Das georgische Kasussystem Das Georgische verfugt wie die beiden anderen hier behandelten Sprachen Uber drei strukturelle Kasus: Ergativ, Nominativ und Dativ.32 Zu beachten ist, daß der Dativ im Georgischen nicht nur für indirekte, sondern in der Präsensgruppe auch für direkte Objekte verwendet wird, d.h. hier herrscht Akkusativ-Dativ-Synkretismus.33 Historisch gesehen basiert dieser Linker auf einem echten Dativ, der sich in Richtung auf einen Akkusativ verändert. Im aktuellen Entwicklungsstadium des Georgischen verhält sich dieser Linker jedoch noch wie ein
3
! Die Tempusgruppen umfassen die folgenden Tempora, Aspekte und Modi:
Präsensgruppe Aoristgruppe Perfektgruppe
32 33
imperfektiv Präsens Imperfekt Konjunktiv Präsens Aorist Imperfektiv Konjunktiv Aorist Impf. (Optativ) Perfekt Imperfektiv Plusquamperfekt Imperfektiv
perfektiv Futur Konditional Konjunktiv Futur Aorist Perfektiv Konjunktiv Aorist Perf. (Optativ) Perfekt Perfektiv Plusquamperfekt Perfektiv
Früher verfügten auch die Aorist- und die Perfektgruppe jeweils Uber ein drittes Tempus (Permansiv und Konjunktiv Präteriti). Beide sind heute nicht mehr gebräuchlich. Eine vollständige Aufstellung der georgischen Kasus findet sich in Anhang II. Nach Aronson (1979) wurden die Verbformen der Präsensgruppe durch Intransitivierung aus der Aoristgruppe abgeleitet und hatten so ursprünglich neben dem Subjekt nur ein indirektes Objekt, das im Dativ stand. Später wurden die mehrstelligen Verben der Präsensreihe nicht mehr als Intransitiva betrachtet, sondern wie in der Aoristgruppe auch als mono- bzw. ditransitive Verben. Als Kasus für das direkte Objekt wurde der vorhandene Objektkasus verwendet, so daß heute direktes und indirektes Objekt im Dativ stehen.
48 Dativ, indem er in typische Dativkontexte eintritt (siehe die folgenden Kapitel), so daß diese Bezeichnung (zur Zeit noch) angemessener erscheint.34 In Tabelle (40) ist die Kasusverteilung der verschiedenen Verbklassen in den drei Tempusgruppen zusammengefaßt. Wieder beschränkt sich die Tabelle hauptsächlich auf die Basisverbklassen. Eine Ausnahme bilden die Verben der Klasse 2, die alle abgeleitet sind.35 Weitere Verbklassen können sich durch Ableitungen wie Kausativierung oder die sogenannte Versionsbildung ergeben, siehe Abschnitte 6.3.1 bzw. 4.3.2. In Anlehnung an Tschenkéli (1958) werden vier Hauptverbklassen unterschieden. Diese Einteilung ist einerseits durch die Kasus der Argumente, anderseits auch durch die Morphologie der Verbformen motiviert. Diese formalen Eigenschaften der Verbklassen korrelieren ungefähr mit den semantischen Eigenschaften der Verben, so daß Klasse 1 transitive und ditransitive Verben umfaßt, Klasse 2 intransitive Verben wie Passiva, Inchoativa oder Reflexiva, aber auch agentive Verben mit markiertem Argument, Klasse 3 mediale, d.h. inhärent agentive intransitive Verben und Klasse 4 Experiencer-Verben, bei Tschenkéli „Indirekte Verben" genannt.36 Expletive Argumente, die im Georgischen wie im Baskischen nur durch Verbmorphologie realisiert werden, sind in eckigen Klammern aufgeführt. Die Abkürzung sent steht für einen semantischen Kasus bzw. eine Postposition, und GEN steht für Genitiv.37 Ein Stern kennzeichnet bei Klasse 2 die Blockierung, bzw. existentielle Bindung des höchsten Arguments.
34
33
36
Diese Ansicht wird auch in der Literatur zum Georgischen vertreten. Eine Ausnahme bildet Tschenkéli (1958), der diesen Kasus 'Dativ/Akkusativ' nennt. Die meisten georgischen Verben sind zweistellig. Intransitiva (außer den einstelligen Mittel- und Experiencer-Verben, die neben dem thematischen Verb über ein Expletivum verfügen) werden durch Passivierung oder ähnliche Intransitivierungen abgeleitet. Daneben verfügt das Georgische über einige wenige ditransitive Basisverben. Alle anderen dreistelligen Verben werden durch Versionsbildung oder Kausativierung abgeleitet. Das Georgische weist nur wenige zugrundeliegend dreistellige Verben auf (z.B. vsçer 'jdm. etw.
schreiben', vhpamv 'jdm. etw. stehlen', vaöukeb 'jdm. etw. schenken', vaöeneb 'jdm. etw. zei-
37
gen'). Alle anderen dreistelligen Verben werden mithilfe der Versionsvokale aus zweistelligen Verben abgeleitet. Ebenso weist das finite Verb maximal zwei Kongruenzaffixe auf (siehe den folgenden Abschnitt). Bei Verben ist Genitiv kein struktureller Kasus, siehe Abschnitt 5.3.2.
49 (40)
Verbklassen im Georgischen Präsensgruppe λζ λγ λχ
1 Transitiva la: Transitiva lb: Ditransitiva 2 Intransitiva 2a: 1-stellige Passiva 2b: 2-stellige Passiva 2c: Intransitiva 2d: Intransitiva mit Dativ-Argument 3 Mittelverben 3a: 1-stellig 3b: 2-stellig 3c: O-stellig (Witterungsverben) Experiencer-Verben 4a: 2-stellig 4b: 1-stellig, mit Expletivum 4c: 2-stellig, mit Genitiv u. Expletivum
Dat Dat Nom Nom
Dat
Dat
Aoristgruppe λζ λγ I λχ
Nom Nom
Nom Nom
*
Nom Nom
*
Dat
Dat
Perfektgruppe λζ λχ λγ
Erg Erg
Nom Nom
*
Nom Nom
*
sem
*
Dat
Nom
Nom
Dat Dat
*
Nom
Dat
Nom
Dat
Nom
Dat
[Dat] [Dati
Nom Nom
[Nom] [Nom]
Erg Erg
[Nom] [Nom]
[Dat]
[Nom]
[Nom]
[Erg]
[Nom]
[Dat]
Nom
Dat
Nom
Dat
Nom
Dat
[Nom]
Dat
[Nom]
Dat
[Nom]
Dat
Dat
[Nom]
Dat
[Nom]
Dat
Dat
Nom
sem
Dat Dat
4
[Nom]
GEN
GEN
GEN
Dat
Beispiele für die georgischen Verbklassen sind unter (41) bis (52) aufgeführt. Dabei ist unter (a) jeweils ein Satz in der Präsensgruppe, unter (b) ein Satz in der Aoristgruppe und unter (c) ein Satz in der Perfektgruppe aufgeführt. (41)
Klasse la: Transitiva a. mdivan-i çeril-s çer-s. Sekretär-N Brief-D 30.schreib-PRS.3S 'Der Sekretär schreibt einen Brief.' b. mdivan-ma çeril-i da-çer-a. Sekretär-Ε Brief-N pv-30.schreib-AOR.3S 'Der Sekretär hat einen Brief geschrieben.' c. mdivan-s çeril-i da-u-çer-i-a. Sekretär-0 Brief-N pv-30-schreib-PF-3S 'Der Sekretär soll den Brief geschrieben haben.'
50 (42)
Klasse lb: Ditransitiva38 a. Retino Elfa-s xalitSa-s s-éuini-s. Ketino.N Eka-D Teppich-D 30-schenk- PRS.3S 'Ketino schenkt Eka einen Teppich.' b. Ketino-m Elfa-s xalitSa a-öuk-a. Ketino-E Eka-D Teppich.N 30.V-schenk-AOR.3S 'Ketino hat Eka einen Teppich geschenkt.' c. Ketino-s Eka-tvis xalitSa u-éuk-eb-i-a. Ketino-D Eka-fUr Teppich.N 30-schenk-TH-PF-3S 'Ketino soll Eka einen Teppich geschenkt haben.'
(43)
Klasse 2a: Einstellige Passiva a. fcac-i kvd-eb-a. Mann-N Sterb-TH-PRS.3S 'Der Mann stirbt.' b. tfac-i mo-lfvd-a. Mann-N PV-sterb-A0R.3S 'Der Mann ist gestorben.' c. jcac-i mo-mkvd-ar-a. Mann-N Pv-Sterb-TH-PF.3S 'Der Mann soll gestorben sein.'
(44)
Klasse 2b: Zweistellige Passiva a. me m-e-çmind-eb-a pexsacmel-eb-i. ich.D lsO-V-reinig-TH-PRS.3S Schuh-p-N 'Mir werden die Schuhe gereinigt. b. me ga-m-e-çmind-a pexsacmel-eb-i. ich.D PV-lsO-V-reinig-AOR.3S Schuh-p-N 'Mir sind die Schuhe gereinigt worden. c. me ga-m-çmend-i-a pexsacmel-eb-i. ich.D PV-lsO-reinig-TH-PF.3S Schuh-p-N 'Mir sollen die Schuhe gereinigt worden sein.'
(45)
Klasse 2c: Intransitiva a. vano γϊγίη-d-eb-a. Vano.N summ-iNZ-TH-PRS.3S 'Vano fängt an zu summen.' b. vano α-γίγίη-d-a. Vano.N PV-summ-iNZ-AOR.3S 'Vano hat angefangen zu summen.'
38
Das Objektpräfix bezieht sich auf das indirekte Objekt, siehe Abschnitt 3.3.2.
51 c. vano ga-Yiyin-eb-ul-a. Vano.N pv-summ-TH-PART-PF.3S 'Vano soll angefangen haben zu summen.' (46)
Klasse 2d: Intransitiva mit Dativargument (= agentive Verben) a. Içac-i a-qver-d-eb-a kal-s. Mann-N 30.V-beobacht-iNZ-TH-PRS.3S Frau-D 'Der Mann beobachtet die Frau.' b. lfac-i da-a-qver-d-a kal-s. Mann-N PV-30.V-beobacht-iNZ-AOR.3S Frau-D 'Der Mann hat die Frau beobachtet.' c. ifac-i da-u-qver-eb-i-a kal-s. Mann-N PV-30-beobacht-TH-PF-3S Frau-D 'Der Mann soll die Frau beobachtet haben.'
(47)
Klasse 3a: Einstellige Mittelverben a. bavSv-i fir-i-s. Kind-N 30.wein-TH-PRS.3S 'Das Kind weint.' b. bavSv-im i-fir-a. Kind-E 30.V-wein-AOR.3S 'Das Kind weinte.' c. ba vSv-s u-fir-i-a. Kind-D 30-wein-PF-3S 'Das Kind soll geweint haben.'
(48)
Klasse 3b: Zweistellige Mittelverben a. baviv-i g-e-tamaS-eb-a Sen. Kind-N 20-V-spiel-TH-PRS.3S du.D 'Das Kind spielt mit dir.' b. bavSv-ma g-e-tamaS-a Sen. Kind-Ε 20-V-spiel-AOR.3S du.D 'Das Kind spielte mit dir.' c. bavSv-s u-tarnaS-i-a Sen-tan ertad. Kind-D 30-spiel-PF-3S du.D-mit zusammen 'Das Kind soll mit dir gespielt haben.'
(49)
Klasse 3c: Nullstellige Mittelverben (= Witterungsverben) a. kux-s. 30.donner-PRS.3S 'Es donnert.'
52 b. da-i-kux-a. pv-30.V-donner-AOR.3S 'Es donnerte.' c. u-kux-i-a. 30-donner-PF-3S 'Es soll gedonnert haben.' (50)
Klasse 4a: Zweistellige Experiencer-Verben a. Sen megobar-i g-e-natr-eb-a. du.O Freund-N 20-V-vermiß-ra-PRS.3S 'Der Freund fehlt dir.'/'Du vermißt den Freund.' b. Sen megobar-i mo-g-e-natr-a. du.O Freund-N PV-20-V-vermiß-AOR.3S 'Der Freund hat dir gefehlt.'/'Du hast den Freund vermißt.' c. Sen megobar-i mo-g-natr-eb-i-a. du.O Freund-N PV-20-vermiß-TH-PF-3S 'Der Freund soll dir gefehlt haben.'/'Du sollst den Freund vermißt haben.'
(51)
Klasse 4b: Einstellige Experiencer-Verben mit Expletivum a. bavSv-s h-Siv-a. Kind-D 30-hunger-PRS.3S 'Das Kind hat Hunger.' b. bavSv-s mo-Siv-d-a. Kind-D PV-30.hunger-BMZ-AOR.3S 'Das Kind hatte Hunger.' c. ba vSv-s mo-h-Siv-eb-i-a. Kind-D PV-30-hunger-TH-PF-3S 'Ich soll Hunger gehabt haben.'
(52)
Klasse 4c: Zweistellige Experiencer-Verben mit Genitiv-Objekt und Expletivum a. bavSv-s e-xatr-eb-a mSobl-eb-is. Kind-D 30.V-schäm-TH-PRS.3S Eltem-p-GEN 'Das Kind schämt sich vor den Eltern.' b. bavSv-s mo-e-xatr-a mSobl-eb-is. Kind-D PV-30.V-scham-AOR.3S Eltem-p-GEN 'Das Kind schämte sich vor den Eltern.' c. bavSv-s mo-e-xatr-eb-i-a mSobl-eb-is. Kind-D PV-30-schäm-TH-PF-3S Eltem-p-GEN 'Das Kind soll sich vor den Eltern geschämt haben.'
Unter (53) sind die Kasuslinker des Georgischen aufgeführt. Entsprechend seiner Verwendung für indirekte als auch direkte Objekte ist der Dativ im Georgischen für nur ein Merkmal spezifiziert. In dieser Hinsicht entspricht er dem Akkusativ anderer Sprachen, aber wie
53 die folgenden Kapitel zeigen werden, wird er hauptsächlich in typischen Dativkonstellationen verwendet. (53)
Ergativ: Dativ: Nominativ:
-mal-ml-n -s(a)39
[+lr] [+hr]
-I/-0
[]
Der georgische Ergativ ist auf die folgende Umgebung beschränkt:40 (54)
Verwendungsbeschränkung für Ergativ im Georgischen: Ergativ steht in der Aoristgruppe zur Verfügung.
Unter (55) ist das Linking kanonischer Verben in der Präsens- und der Aoristgruppe illustriert. Die anderen Verbklassen und die Perfektgruppe werden in den folgenden Kapiteln ausführlicher behandelt. In der Präsensgruppe stehen nur die zwei strukturellen Linker Nominativ und Dativ zur Verfügung. Das [+hr]-Merkmal des Dativs ist mit allen Θ-Rollen mit der Spezifizierung [+hr] unifizierbar, so daß bei einem dreistelligen Verb wie in (55c) zwei Θ-Rollen mit Dativ gelinkt werden. Der Default-Linker Nominativ ist bei allen Verbklassen mit der [-hr]-Rolle unifizierbar. In der Aoristgruppe steht als dritter struktureller Kasus der Ergativ zur Verfügung, der bei zwei- und dreistelligen Verben mit der höchsten Θ-Rolle unifizierbar ist. Die tiefste Θ-Rolle bei diesen Verben und die einzige Θ-Rolle bei intransitiven Verben wird mit Nominativ gelinkt. Die mittlere Θ-Rolle der ditransitiven Verben wird mit Dativ gelinkt.
Präsensgruppe: Aoristgruppe:
a. λχ -hr -lr Nom Nom
b. λy +hr -lr Dat Nom
λχ -hr +lr Nom Erg
c. λζ +hr -lr Dat Nom
λy +hr +lr Dat Dat
λχ -hr +lr Nom Erg
Da der Dativ im Georgischen nur ein Linkingmerkmal aufweist, wären in der Aoristgruppe bei ditransitiven Verben auch die folgenden Linkerverteilungen möglich, die jedoch tatsächlich nicht vorkommen:
39
40
Das in Klammern stehende -a des Dativs dient zur Bildung der sogenannten Langform, die hauptsächlich zur Emphase verwendet wird. Außer dem Dativ können auch die Genitiv, Instrumentalis und Adverbialis Langformen bilden. Diese Beschränkung wird in Stiebeis (2000b) als *[+lr]/PRÄs erfaßt, d.h. als ein Verbot des Linkingmerkmals [+lr] im Kontext Präsens. Dieses Constraint ist auch mit der Tatsache vereinbar, daß Dativ im Georgischen sein Merkmal [+lr] verloren hat. Somit können der Ergativ-Split und der Dativ-Akkusativ-Synkretismus im Georgischen aus einem Constraint abgeleitet werden.
54 λζ λy +hr +hr -lr +lr Erg Dat Nom Dat Dat Dat Nom Dat
λχ -hr +lr Nom Erg Erg Erg
* wegen (59) * wegen (58) * wegen (57)
Die korrekte Linkerverteilung ergibt sich durch die Interaktion der Constraints in (57) bis (59). Das relevante Tableau findet sich unter (60).41 (57)
DEFAULT-LINKER:
Der Default-Linker wird in jedem Θ-Raster verwendet. (58)
PERIPHERIE:
Der Default-Linker nimmt in bezug auf die strukturell realisierten Argumente des Θ-Rasters eine periphere Position ein. (59)
PERIPHERIE(ERGATIV):
Ergativ nimmt in bezug auf die strukturell realisierten Argumente des Θ-Rasters eine periphere Position ein. (60)
λζ +hr -lr Nom Dat Dat Dat
λy +hr +lr
λχ -hr +lr Dat Erg Erg Nom Nom Erg Dat Erg
DEFAULT-LINKER
PERIPHERIE
PERIPHERIE (ERGATIV) *
*
•
>\1 G C S S G S SÜ® NG
¡I -iSSStólSiS
Wie sich in den folgenden Kapiteln zeigen wird, spielen die beiden in (57) und (58) formulierten Constraints DEFAULT-LINKER und PERIPHERIE auch in anderen Sprachen und bei anderen Verbklassen eine wichtige Rolle. Demgegenüber zeigt sich die Relevanz von PERIPHERIE(ERGATTV) in anderen Sprachen nicht so deutlich, da Dativ dort im allgemeinen für zwei Linkingmerkmale spezifiziert ist, so daß durch das Constraint SPEZ1HZ1TÄT gewährleistet ist, daß Dativ die mittlere und Ergativ die höchste Θ-Rolle linkt. Das Constraint PERIPHERIE(ERGATIV) trägt zusammen mit der Beschränkung des Ergativs auf die Aoristgruppe dazu bei,
41
Dabei können die Constraints im Sinne von Anttila (1997) ungeordnet bleiben - zumindest bei Betrachtung dieses Ausschnitts des Linkings. Da sich PERIPHERIE(ERGATIV) in den anderen Sprachen nicht manifestiert (siehe unten), ist zu erwarten, daß dieses Constraint dort tiefer angeordnet ist.
55 daß dieser Kasus im Georgischen markierter ist als der Dativ. 42 Dieses Markiertheitsverhältnis wird auch durch die Erwerbsreihenfolge der Kasus widergespiegelt, indem georgische Kinder nach dem Nominativ zunächst den Dativ und erst später den Ergativ erwerben (Imedadze und Tuite 1992). Zusätzlich zu der Beschränkung auf die Aoristgruppe stellt King (1994) die weitere Beschränkung für den georgischen Ergativ auf, daß er nur für Agensargumente verwendet werden darf. Damit schließt sie aus, daß Ergativ bei den Verbklassen 2 (Intransitiva) und 4 (Experiencer-Verben) verwendet wird. Wie genauere Analysen dieser Verbklassen in den folgenden Kapiteln verdeutlichen werden, ist eine derartige zusätzliche Beschränkung jedoch überflüssig, da diese Verbklassen aus anderen Gründen (Blockierung der höchsten Θ-Rolle bei Passiva, siehe Abschnitt 4.3.3, bzw. lexikalische Markierung der höchsten oder tiefsten Θ-Rolle, siehe die Abschnitte 4.3.1 und 4.3.3.2) keines ihrer Argumente mit Ergativ linken. Innerhalb der NP herrscht, ähnlich wie im Deutschen, Kasuskonkordanz zwischen Adjektiv und Nomen. 43 Da Kasuskonkordanz für das eigentliche Argumentlinking jedoch nicht von Bedeutung ist, werde ich wie beim Deutschen bei der Behandlung des georgischen Linkingsystems von vollständigen, kasusmarkierten NPs ausgehen. Zum Abschluß dieses Abschnittes Uber das georgische Kasussystem wird im folgenden noch kurz das System der Personalpronomina dargestellt. Personalpronomina sind im Georgischen, mit Ausnahme einer Genitivform für die l.Sg., indeklinabel. 44 Das betrifft die erste und zweite Person; die Formen der dritten Person sind aus dem Paradigma der Demonstra-
42
43
44
Kiparsky (1992a) erfaßt den markierten Status des georgischen Ergativs dadurch, daß er ihn für zwei Merkmale spezifiziert (in die Terminologie von LDG übersetzt sind dies die Merkmale [+lr, -hr]). Die Spezifizierung eines Merkmals mit einem negativen Wert ist jedoch aus theoretischer Sicht nicht wünschenswert, da sie von der sonstigen Verwendung der Merkmale abweicht. Adjektive weisen jedoch nicht immer overte Kasussuffixe auf. Die Kasusrealisierung richtet sich nach der Art des Stammes und der Stellung des Adjektivs. Bei Voranstellung des Adjektivs, was heute seine normale Position ist, weisen vokalstämmige Adjektive keinerlei Kasussuffix auf. Konsonantstämmige Adjektive verfügen nur im Nominativ und Ergativ über das vollständige Kasussuffix, siehe (a,b). Im Dativ, siehe (c), ebenso wie im Adverbialkasus weisen die Adjektive keinerlei Kasusmarkierung auf. Im Genitiv und Instrumentalis weisen die konsonantstämmigen Adjektive gegenüber den Nomina ein rudimentäres Kasussuffix auf. Plural wird bei Voranstellung des Adjektivs generell nur am Nomen markiert, siehe (c). Nachgestellte Adjektive, die heute selten früher jedoch ausschließlich verwendet wurden, werden dagegen regulär für Plural und alle Kasus markiert, siehe (d). a.
tetr-i vard-i weiß-N Rose-N 'die weiße Rose'
b. did-ma saxl-ma groß-E Haus-Ε 'das große Haus'
d.
kuö-eb-s supt-eb-s Straße-p-D sauber-p-D 'die/den sauberen Straßen'
c. lamaz kal-eb-s schön Frau-p-D 'die/den schönen Frauen'
In den Interlinearübersetzungen ist zum besseren Verständnis der Beispielsätze für die Pronomina dennoch immer der Kasus angegeben, den ein Nomen, d.h. ein vollständig deklinierbares Element der NP, an dieser Stelle hätte.
56 tiva dritten Grades entliehen, die wieder dekliniert werden.45 Die Demonstrativa verfügen über zwei Stämme: einen für den Default-Kasus Nominativ und einen zweiten für alle anderen Kasus. Die Unterscheidung zweier Stämme ist das Relikt eines früheren Linkingsystems, in dem nur zwischen zwei Linkern unterschieden wurde. Dieses Linkingsystem hat sich heute noch bei der Verwendung des alten Pluralmorphems -n erhalten, der außer bei den in (61) aufgeführten Demonstrativa auch bei regulären Nomina auftreten kann. Bei Verwendung des produktiven Pluralmorphem -eb dagegen werden dieselben Kasus wie im Singular unterschieden. (61)
Personalpronomina und Demonstrativpronomina des dritten Grades
Nom Erg Dat Instr Adv Gen
l.Sg 2.Sg
1.P1
me
öven
δem
3.Sg is, ig i (i)ma-n Sen (i)ma-s(a) (i)m-it(a) ima-d(a) (i)m-is(a)
2.P1
3.PI ise-eb-i, ige-eb-i ime-eb-ma tkven ime-eb-s(a) ime-eb-it(a) ime-eb-ad(a) ime-eb-is(a)
3.alter PI isi-n-i, igi-n-i
(i)ma-t(a)
Die unflektierten Personalpronomina tragen keinerlei Linkingmerkmale, d.h. sie sind in dieser Hinsicht völlig unterspezifiziert und so mit jeder Θ-Rolle (die einen passenden Personund Numerusindex trägt) unifizierbar. Die Form dem der l.Sg. ist für Genitiv spezifiziert. Die regulären Demonstrativpronomina sind genau wie Nomina für Kasus spezifiziert. Beim alten Plural ist die Form (i)ma-t(a) des Demonstrativums - ebenso auch das Kasussuffix -t(a) der Nomina - gegenüber der unmarkierten Nominativform spezifiziert. Da Ergativ und Dativ jedoch über kein gemeinsames Merkmal verfügen, wird ein disjunktiver Eintrag nötig, so daß (i)ma-t(a) und -t(a) die beiden strukturellen Linkingmerkmale [+hr] ν [+lr] tragen. Diese disjunktive Merkmalspezifizierung ist durch die Veränderung des Linkingsystems des Georgischen bedingt. Im ursprünglichen reinen Ergativsystem wurde der Dativ nur für indirekte Objekte verwendet, d.h. er war spezifischer als heute - ein echter Dativ - und wies dementsprechend zwei positiv spezifizierte Linkingmerkmale auf: [+hr, +1Γ].46 In diesem System hatten Ergativ und Dativ das gemeinsame Merkmal [+lr]. Aufgrund der Unterscheidung zweier Klassen von einstelligen Verben, nämlich der einstelligen Verben aus Klasse 2, deren Argument immer im Nominativ steht, und der einstelli45
Man unterscheidet im Georgischen drei Grade von Demonstrativa, die unterschiedliche räumliche und Diskursfunktionen haben: 1. Grad: es 2. Grad: eg 3. Grad: is/igi
46
raumliche Funktion nahe dem Sprechenden nahe dem Angesprochenen entfernt
Diskursfunktion Neues Bekanntes Neues
Diese traditionelle Dreiteilung löst sich allmählich auf. Regulär verwendet werden nur noch der erste und dritte Grad. Außer als struktureller Kasus wurde und wird der Dativ im Georgischen auch als semantischer Kasus für Zeit- und Ortsangaben verwendet, ähnlich wie der Akkusativ im Deutschen.
57 gen Mittelverben (Klasse 3), deren Argument in der Aoristgruppe im Ergativ steht, wurde in der Literatur eine rege Diskussion darüber geführt, ob Georgisch über ein Ergativsystem oder über ein Aktivsystem verfüge, d.h. ob der Kasus des Subjekts einstelliger Verben eher von semantischen Eigenschaften wie Agentivität oder Aktionsart abhängt und das Kasussystem somit aktivisch ist (Harris 1981, 1982, 1990; Van Valin 1990; Komlósy 1982), oder ob der Kasus der Argumente von formalen Eigenschaften abhängt und das Kasussystem ergativisch ist (Hewitt 1987). Daneben gab es auch weniger rigide Positionen, indem z.B. Aronson (1976, 1979), Holisky (1981), Merlan (1985) und Tuite (1987) annehmen, daß sich ein bestehendes Ergativsystem im Georgischen zu einem Aktivsystem wandelt. Zur Klassifikation des georgischen Linkingsystems muß jedoch neben dem Kasus des Subjekts auch die Struktur des finiten Verbs berücksichtigt werden, und hierbei zeigt sich, daß die einstelligen Mittelverben, deren thematisches Argument im Ergativ steht, ein zweites Kongruenzaffix für ein Objekt aufweisen, das einem nicht-thematischen Argument entspricht, so daß diese Verben nur semantisch, nicht jedoch formal einstellig sind.
3.3.2 Das georgische Kongruenzsystem Alle georgischen Verben sind unregelmäßig. Piaton Josseliani (nach Tschenkéli 1958: xxxi).
Die Struktur des finiten Verbs im Georgischen ist unter (62) schematisch dargestellt. Der Verbwurzel am nächsten steht ein Themaelement, das einen Stamm zur Bildung der Tempora der Präsens- und Perfektgruppe ableitet. In der Aoristgruppe ist die Wurzel gleichzeitig auch der Stamm. 47 Der Stamm wird eingerahmt von Morphemen, die verschiedene Verbalternationen markieren. Dabei steht das Kausativmorphem hinter dem Stamm und alle anderen Alternationsmorpheme vor dem Stamm. Hinter dem Kausativmorphem werden Tempusund Modusmorpheme suffigiert. Schließlich wird das finite Verb durch Kongruenzmorphologie eingeschlossen, wobei Personenmarker prä- und suffigiert werden, während Pluralmarker nur suffigiert werden. Außerhalb des durch die Kongruenzmorphologie begrenzten Verbkomplexes kann am Anfang des Verbs, ähnlich wie im Ungarischen, ein Präverb stehen. 48 Die Präverben sind erst in jüngerer Zeit aus ehemals freien Postpositionen entstanden. Bei Bewegungsverben geben sie die Richtung der Bewegung an, bei anderen Verben dienen sie vor allem zum Ausdruck des perfektiven Aspekts.
47
48
Dies verweist darauf, daß das Ergativsystem (Aoristgnippe) älter ist als das Nominativsystem (Präsensgruppe) mit der komplexeren Verbstruktur. Aronson (1979) nimmt an, daß die Präsensstammformanten früher Derivationssuffixe waren, die aus transitiven, perfektiven Aoriststämmen intransitive, imperfektive Stämme ableiteten. Vor dem Präverb befindet sich noch eine Position filr eine eventuelle Objektinkorporation (Boeder 1989):
sul-ga-qid-ul-i
Murman-i
Seele-PV-verkauf-PARTP-N Murman-N 'Murman, der seine Seele verkauft hat' (3Í3Íguri 1953: 10,37, nach Boeder 1989: 171)
58 (62)
Struktur des fìniten Verbs im Georgischen
Präverb
Pers.-Kongr.
Alternation
Wurzel
Thema Alternation
TM
Person+ PluralKongr.
Die präverbalen Alternationsmorpheme bestehen jeweils aus einem einzelnen Vokal. Sie können verschiedene Funktionen ausüben, dienen aber vor allem dazu, ein Verb um ein indirektes Objekt zu erweitern. Beispiele für verschiedene Funktionen der Vokale sind unter (63) aufgeführt. Eine detaillierte Analyse findet sich in Abschnitt 4.3.2. (63)
a. Einführung eines an das Subjekt gebundenen indirekten Objekts (Subjektive Version)49 me Se-v-i-xvi-e pexi. ich.E PV- 1S-30. V-verbind-AOR. 1/2S Fuß.N 'Ich habe mir den Fuß verbunden.' (Boeder 1968: 107) b. Einführung eines indirekten Objekts (Objektive Version)50 ma-η mo-m-i-par-a (me) vaili. er/sie-E PV-10-V-stehl-AOR.3S ich.D Apfel.N 'Er/sie hat mir (= für mich) einen Apfel gestohlen.' (Boeder 1968: 94) c. Einführung eines indirekten Objekts (Superessive Version, ähnlich wie Lokativalternation) mama a-çer-s misamart-s konvert-s. Vater.N 30.V-Schreib-PRS.3S Adresse-D Briefumschlag-D lit.: 'Vater schreibt die Adresse dem Briefumschlag auf.' (Tschenkéli 1958: 394) d. Kausativ Tamaz-i a-fm-ev-s Svil-s pur-s. Tamaz-N 30.V-eß-CAUS-PRS.3S Kind-D Brot-D 'Tamaz läßt das Kind Brot essen.' (Boeder 1989: 167) e. Denominale Verben saxli 'Haus' didi 'groß'
v-a-saxl-eb v-a-did-eb
'ich siedle ihn/sie/es an' 'ich vergrößere ihn/sie/es'
f. Einführung eines indirekten Objekts im Passiv (Verbklasse 2) çeriJ-ï g-e-çer-eb-a Brief-N 20-V-schreib-TH-PRS.3S 'Der Brief wird dir (= für dich) geschrieben.' (Boeder 1968: 129)
49
Unter dem Begriff der 'Version' werden im Georgischen die verschiedenen, durch die präverbalen Morpheme ausgedruckten Alternationen zusammengefaßt, siehe Abschnitt 4.3.2.
50
Ein Pronomen steht in Klammem, wenn es im unmarkierten Satz dem pro-Drop unterliegt.
59 Die Kongruenzmorphologie im Georgischen ist sehr komplex, da die Realisierung einzelner Affixe von darauffolgenden Phonemen abhängig ist, nur maximal zwei der möglichen drei strukturellen Argumente eines Verbs als Kongruenzaffixe realisiert werden können und die Form der Kongruenzaffixe je nach Verbklasse und Tempusgruppe variiert.51 Unter (64) ist die Kombination von Subjekt- und Objektkongruenzmarkern bei kanonischen Verben im Präsens dargestellt. Dabei sind in der zweiten Zeile die isolierten Subjektmarker aufgeführt und in der zweiten Spalte die Objektmarker. In der 1. und 2. Person verwenden direktes und indirektes Objekt die gleichen Marker. In der 3. Person wird ein direktes Objekt nicht markiert, während für indirekte Objekte vor dentalen Konsonanten ein sverwendet wird und vor anderen Konsonanten ein h-, In anderen Umgebungen wird ein indirektes Objekt in der 3. Person nicht markiert. (64)
Subjekt- und Objektkongruenzmarker kanonischer Verben im Präsens
Subjekt Objekt l.Sg. DO, 10 m-... 2.Sg. DO, 10 «-··· DO, IO/_V 3.Sg. KV-Ci-Hjen,! S'i o / . q ^ , , il-... 1.P1. DO, 10 gv-... 2.P1. DO, 10 ι?-.·.-' DO, I0/_V 3.PI. io/_cl+dent) S-... h-...
l.Sg.
2.Sg.
V-...-0 —
K-...-0
3.Sg. ...-S
m-...-0
m-...-s
...
g-...-s 0-...-S
1.P1. v-...-0-r
2.P1.
...
m-...-0-t
g-...-0-t
...-
3.P1. 0-t
—
...-en/an m-...-en g-...-en 0-...-en
v-...-0-t
0-...-0-Í
VS-...-0
J-...-0
S-...-S
vs-...-0-t
s-...-0-t
s-...-en
vh-...-0
Λ-...-0
h-...-s
vh-...-0-t
h-...-0-t
h-...-en
gv-...-0-t
gv-...-en
V-...-0
—
> V-...-0
gv-...-0 ...
0-...-0
VS-...-0
S-...-0
vh-...-0
A-...-0
gv-...-s
...
1Ç-...-ί
g-...-0-t
...
0-...-S
v-...-0-t
0-...-0-Í
S-...-S
g-...-en 0-...-en
s-...-0-t
vs-...-0-t
s-...-en
h-...-0-t
vh-...-0-t
h-...-en
Zunächst einige Erläuterungen zu der Tabelle: Bei Objekten wird generell die 1. und 2. Person markiert, während die 3. Person eher unmarkiert bleibt. Nur vor Konsonanten und nur bei indirekten, nicht bei direkten Objekten wird die dritte Person markiert.52 Bei den Subjektkongruenzmorphemen ist anders als bei den Objektkongruenzmorphemen die 2. Person unmarkiert. Die 1. Person wird durch ein Präfix markiert und die dritte Person durch ein Suffix. Im Plural weisen die 1. und 2. Person ein gemeinsames Pluralsuffix auf, während fllr die 3. Person ein spezifisches Pluralsuffix zur Verfügung steht. Vor dem Verbstamm erscheint fast immer nur ein einziges Kongruenzaffix. Dies ist jedoch keine strukturelle Restriktion bezüglich der Anzahl präverbaler Kongruenzaffixe, denn bei der Kombination der 1. Person des Subjekts und der 3. Person des indirekten Objekts weist das Verb zwei Kongruenzpräfixe auf. Dabei steht das Objektpräfix erwartungsgemäß näher am Verb als das Subjektpräfix.53 51 52
53
Siehe die Aufstellung der georgischen Kongruenzaffixe in Anhang II. Dies sind die Regeln präskriptiver Grammatiken. Viele Georgier benutzen jedoch generell keinerlei Marker für Objekte in der 3. Person, und die meisten Georgier tilgen s-/h- hinter dem Marker v- der 1. Person des Subjekts (Tschenkéli 1958, Aronson 1982). Argumente werden in der Reihenfolge des Θ-Rasters gesättigt, d.h. interne Argumente werden vor dem externen Argument gesättigt und realisiert.
60 Ebenso erscheint am finiten Verb gewöhnlich nur ein Pluralsuffix. 54 · 55 Auf welches Argument es sich bezieht, ist aus dem Kontext bzw. aus der Realisierung der NPs zu erschließen. Wenn der Plural von Subjekt und Objekt durch unterschiedliche Morpheme markiert wird (wie etwa bei der Kombination von 3pS und 2pO), gewinnt der spezifischere Pluralmarker gegen den unspezifischeren Pluralmarker (3pS -en/an gewinnt gegen 2pO -/). Die Lücken in der Tabelle erklären sich durch dasselbe Prinzip, das auch im Baskischen und vielen anderen Sprachen die Kombination von Kongruenzmorphemen oder Klitika beschränkt (siehe Abschnitt 3.1.3): Zwei Kongruenzaffixe dürfen sich nicht auf denselben Referenten beziehen. Dadurch sind reflexive Formen ausgeschlossen.56 Daneben ist bei der Kombination zweier Objekte das tiefste Objekt (direktes Objekt) gewöhnlich auf die dritte Person beschränkt (siehe Abschnitt 6.3.1 zu einer verallgemeinerten Formulierung dieser Beschränkung, nach der nur das höchste aus einer Reihe von Objekten in allen Person auftreten darf).57 Diese Beschränkung gilt für meine Informanten ohne Ausnahme. Andere Sprecher des Georgischen lassen jedoch auch direkte Objekte in der 1. oder 2. Person zu, wie die folgenden Beispiele aus der Literatur zeigen: (65)
54
55
56
57
a. me mi-m-qidi-s igi wa-s ich.D(DO) PV-IsO-verkauf-FUT.3S er/sie.N er/sie-D(IO) 'Er/sie wird mich ihm/ihr verkaufen.' (Boeder 1989: Fn.18)
Nicht alle pluralischen Argumente werden am Verb markiert: Bei Subjekten wird Plural am Verb nur bei belebten Referenten markiert (dies gilt ftlr den produktiven Plural auf -eb\ in Verbindung mit dem alten «-Plural werden alle pluralischen Subjekte im Verb markiert); bei Objekten wird Plural nur in der 1. und 2. Person markiert. Hinsichtlich der Beschränkung auf ein Pluralsuffix gibt es Ausnahmen: Zum einen gilt diese Beschränkung nur für die Standardsprache. In der Umgangssprache sind dagegen besonders im Aorist zwei Pluralsuffixe möglich, wie etwa bei mat da-g-xat-es-t, sie.pE PV-20-mal.A0R-pS-p0, 'sie haben euch gemalt' (anstelle von da-g-xat-es, PV-20-mal.AOR-pS) (Tschenkéli 1958: 363). Zum zweiten gilt die Beschränkung nur für Pluralmorpheme am Ende des finiten Verbs. Im Aorist kann zusätzlich ein Pluralmorphem -en unmittelbar hinter dem Verbstamm auftreten. In diesem Fall bezieht sich -en auf das Subjekt und das verbfinale Pluralssuffix auf das Objekt wie in der Form αγv-i-mayl-en-i4, PV-lS-V-heb-pS-AOR-pO, 'wir erhoben unsere Hände' (Deeters 1930: 62). Siehe beispielsweise die Subjektive Version in Beispiel (63a) in diesem Abschnitt und in Abschnitt 4.3.2, wo anders als bei den anderen Versionen kein Kongruenzaffix für das indirekte Objekt erscheint, da es mit dem Subjekt koreferent ist. Referenten des direkten Objekts in der 1. oder 2. Person werden durch Ersatzkonstruktionen mit tavi 'Kopf realisiert, die grammatisch als 3. Person zählen, siehe die folgenden Beispiele: a. * Deda (Sen) ga-bar-eb-s masçavlebel-s Mutter.N du.D PV-30.Ubergeb-ra-PRS.3S Lehrer-D 'Mutter übergibt dich dem Lehrer.' b.
Deda
a-bar-eb-s
masçavlebel-s
¿en-s
tav-s.
Mutter.N
30.V-Ubergeb-TH-PRS.3S
Lehrer-D
du.GEN-D
Kopf-D
'Mutter übergibt dich (= deinen Kopf) dem Lehrer.' (Harris 1984: 265)
61 b. sakonel-ma Rind-E
tkva:
ymert-o, patron-s mi-m-e-ci, Gott-voc Herr-D(IO) PV-lsO-V-gib. 1/2S
sag.AOR.3S
rom
moxmareba Se-e-jl-o-s. helf.N PV-30.V-könn-OPT-3S 'Das Rind sagte: Oh Gott, gibt mich einem Herrn, der mir helfen kann.' (Leiava 1965: 1940, nach Boeder 1989: Fn.18)
COMP
Das direkte Objekt kann jedoch nur dann in der 1. oder 2. Person erscheinen, wenn das indirekte Objekt in der 3. Person steht (vgl. auch die Beispiele in Abschnitt 6.3.1). Für beide Sprechergruppen gilt somit generell, daß mindestens eines der beiden Objekte in der dritten Person stehen muß. In Bezug auf die Markierung im finiten Verb gilt für beide Sprechergruppen, daß das in der Personenhierarchie (1/2 > 3) höhere Objekt gewinnt. Vor dem Präverb weist das Georgische eine Inkorporationsposition für direkte Objekte auf, siehe (66a). Aufgrund dieser Position nimmt Boeder (1989) an, daß Kongruenzaffixe für direkte Objekte ebenfalls an dieser Position auftreten können, siehe (66b).58 (66)
a. sul-ga-gid-ul-i
Murman-i
Seele-PV-verkauf-PARTP-N Murman-N
'Murman, der seine Seele verkauft hat' (3i3iguri 1953: 10,37, nach Boeder 1989: 171) b. 0 - m o - v-0 -a -xarS- v-ineb 3DO-PV-1 S-3IO-v-koch-PRS-CAUS
'ich lasse sie es kochen' (Boeder 1989: 162) Unter Boeders Annahme hätten die Kongruenzaffixe der 3. Person des direkten Objekts (vor dem Präverb) eine andere Position als die Kongruenzaffixe der 1. und 2. Person desselben Objekts, die hinter dem Präverb stehen. Diese Annahme ist insofern nicht unplausibel, als auch bei Subjektmarkem zwischen zwei Positionen unterschieden wird, indem die 1. Person vor dem Stamm und die 3. Person hinter dem Stamm markiert wird. Im Unterschied zum Subjektmarker der 3. Person ist jedoch das Morphem für die 3. Person des direkten Objekts nie overt, so daß seine Position vor dem Präverb nicht nachgewiesen werden kann. Geht man somit davon aus, daß das finite Verb maximal zwei Kongruenzaffixe aufweist, muß erklärt werden, wie bei einem Verb mit drei strukturellen Argumenten eine Auswahl der durch Kongruenz zu markierenden Argumente getroffen wird. In der Literatur finden sich verschiedene Analysemodelle des finiten Verbs im Georgischen, so etwa in Anderson (1984, 1986, 1992), Kiparsky (1989b), Halle und Marantz (1993) und Wunderlich (1995, 1997c).59 Stellvertretend für die anderen skizziere ich kurz das Modell von Wunderlich
58
59
Zum besseren Verständnis dieser Verbform ist das bei Boeder verwendete Symbol 0 hier beibehalten worden. Alle diese Analysen beschränken sich auf die in Tabelle (64) aufgeführten Kongruenzaffixe im Präsens. Dieser Ausschnitt scheint auch hinreichend, um die Prinzipien des georgischen Kongruenzsystems zu erfassen. Es ist jedoch zu beachten, daß die Form der Affixe je nach Tempus und Verbklasse variiert, siehe Anhang II.
62 (1997c). Wie auch die anderen Analysen, basiert dieses Modell auf unterspezifizierten Einträgen für die einzelnen Kongruenzmorpheme, die in Tabelle (67) aufgeführt sind. (67)
Merkmale der Kongruenzmorpheme nach Wunderlich ( 1997c) Form indir. Objekt dir. oder indir. Objekt
XV-
Subjekt
V-
Subjekt/Objekt
h-,s-/_C m-
Spezifizierung Linkingmerkmale Person + Numerus +hr, +lr +3 +hr + 1 , +pl +hr +1 +hr -1,-3
-en
[] []
-s
r ι
-t
[]
+1
+3, +pl +3 +Pl
Gegenuber den anderen Modellen hat Wunderlichs Analyse den Vorteil, daß sie durch die Verwendung der Personenmerkmale [+1, ±3] (anstelle von [+1, ±2]) die Unmarkiertheit der 2. Person bei den Subjektaffixen erfaßt. Nicht erfaßt wird allerdings, daß bei den Objektaffixen, wie oben erläutert, die 3. Person unmarkiert ist. Dem könnte durch die Verwendung der Merkmale [+1, ±2] Rechnung getragen werden. Allerdings würde dies zu einer unerwünschten Aufsplittung des Merkmalsystems führen. Die Kombinatorik der Affixe ist bei Wunderlich durch die Interaktion verschiedener universeller und sprachspezifischer Prinzipien gesteuert, wobei die Restriktion auf maximal zwei Kongruenzaffixe durch eine sprachspezifische Beschränkung ('Nur ein Objekt kann markiert werden.') erfaßt wird. Aufgrund der unterspezifizierten Morpheme und Kombinationsrestriktionen weist das finite Verb im Georgischen viele Synkretismen auf. Von den in Tabelle (64) aufgeführten Formen sind nur 10 eindeutig, 7 Formen haben zwei Lesarten und eine Form (g-—-t) erlaubt sogar 4 Lesarten. Aus diesem Grund werden im Georgischen im allgemeinen zusätzlich zu den Kongruenzaffixen auch die entsprechenden Pronomina verwendet.60 Nach Tschenkéli (1958) werden beide Objekte immer auch als Pronomina realisiert, so daß sich pro-Drop auf das Subjekt beschränkt. Nach Tuite (1994), der sich auf eine Studie von Enukiçe (1978) bezieht, wird nur das direkte Objekt, das ja meistens in der 3. Person steht und im Verb nicht overt markiert wird, durch ein Pronomen realisiert. Das fehlende pro-Drop für Objekte spricht dafür, im Georgischen Kasuslinking als den wichtigsten Linkingmechanismus anzusehen, nicht Kongruenzlinking wie im Baskischen.61 Für diese Annahme liefert auch der Spracherwerb Evidenz, der in Bezug auf Kasus- und Kongruenzlinking eine zum Baskischen gegensätzliche Entwicklung aufweist: georgische Kinder erwerben zuerst das Kasussystem und erst später das Kongruenzsystem (Imedadze und Tuite 1992). 60
61
In Beispielsätzen sind manchmal Pronomina in Klammem aufgeführt. Diese würden im unmarkierten Satz dem pro-Drop unterliegen, sind hier jedoch der Deutlichkeit halber aufgeführt. Zumindest gilt das ftir die Objekte; fllr das Subjekt könnte dagegen Linking durch Kongruenz primär sein. Damit wurde das Georgische einen weiteren Split in seinem Linkingsystem aufweisen.
63 3.3.3 Strukturelle versus nicht-strukturelle Argumente Das wichtigste Unterscheidungsmerkmal zwischen strukturellen und nicht-strukturellen Argumenten ist auch im Georgischen die Kongruenz. Generell beziehen sich Kongruenzmorpheme nur auf Argumente im Nominativ, Ergativ oder Dativ. Ähnlich wie im Baskischen und Deutschen werden diese Kasusmorpheme jedoch nicht ausschließlich für strukturelle Argumente verwendet. So wird etwa für Temporal- und Lokalangaben im Georgischen Dativ verwendet. Kongruenzmorpheme unterscheiden hier zwischen den beiden Typen von DativNPs, indem sie sich ausschließlich auf strukturelle Dativ-Argumente beziehen, wie in (68a) gezeigt. Temporalangaben kongruieren dagegen niemals: Satz (68b) ist ungrammatisch, weil sich das Kongruenzaffix der dritten Person nicht auf die Temporalangabe beziehen kann und die strukturelle Dativ-NP Sen ohne Kongruenzaffix bleibt. Bei Abwesenheit des Dativpronomens in (68c) kann sich das Objekt-Kongruenzaffix der dritten Person ebensowenig auf die Temporalangabe beziehen, sondern bezeichnet ein dem pro-Drop unterliegendes strukturelles Dativargument. (68)
a. vano-m im dye-s (Sen) mo-g-çer-a çeril-i. Vano-E jen Tag-D du.D PV-20-schreib-AOR.3S Brief-N 'An dem Tag hat Vano dir einen Brief geschrieben.' b. * vano-m im dye-s Sen mis-çer-a çeril-i. Vano-E jen Tag-D du.D pv-30-schreib-AOR.3S Brief-N 'An dem Tag hat Vano dir einen Brief geschrieben.' c. vano-m im dye-s mis-çer-a çeril-i. Vano-E jen Tag-D PV-30-schreib-AOR.3S Brief-N 'An dem Tag hat Vano *(ihm/ihr) einen Brief geschrieben.'
Eine Folge der obligatorischen Kongruenz struktureller Argumente und ein weiterer Test für den Status dieser Argumente ist die Möglichkeit des pro-Drop.62 Wie die folgenden Beispiele zeigen, erlaubt das finite Verb nur Rückschlüsse auf strukturelle Argumente. Die Temporalangabe in (69d) läßt sich erwartungsgemäß nicht aus der Verbform erschließen. (69)
62
a. vano-m mo-m-çer-a çeril-i. Vano-E PV-lsO-schreib-AOR.3S Brief-N 'Vano hat mir einen Brief geschrieben.'
a . mo-m-çer-a pv-1 sO-schreib-AOR.3S 'Er hat es mir geschrieben.'
b. vano-m mo-g-çer-a çeril-i. Vano-E PV-20-schreib-AOR.3S Brief-N 'Vano hat dir einen Brief geschrieben.'
b'. mo-g-çer-a pv-20-schreib-AOR.3S 'Er hat ihn dir geschrieben.'
Wie bereits oben erwähnt ist in Bezug auf pro-Drop im Georgischen zu beachten, daß im tatsächlichen Sprachgebrauch oft nur die Pronomina für das Subjekt (und das indirekte Objekt) ausgelassen werden.
64 c.
vano-m mi-s-çer-a çenl-i. Vano-Ε PV-30-schreib-AOR.3S Brief-N 'Vano hat ihm/ihr einen Brief geschrieben. '
c\
mi-s-çer-a pv-30-schreib-AOR.3S 'Er hat ihn ihm/ihr geschrieben. ' (Harris 1981: 33)
d. bebh-babua-s-tan qopnisa-s vano-m mo-g-çer-a çenl-i. Großmutter-Großvater-D-bei seiend-D Vano-Ε PV-20-schreib-AOR.3S Brief-N 'Als er bei den Großeltern war, hat Vano dir einen Brief geschrieben.' d'. mo-g-çer-a pv-20-schreib-AOR.3S 'Er hat ihn dir (*dort) geschrieben.' Ein weiterer Strukturalitätstest im Georgischen ist die Verwendung der possessiven Reflexiva tavis- (Singular) und taviant- (Plural), die Genitivformen von tav- 'Kopf darstellen. Diese Reflexiva können mit allen strukturellen Argumenten eines Satzes koreferent sein, jedoch nicht mit nicht-strukturellen Argumenten (Harris 1981). Die Sätze (70a-c) geben je ein Beispiel für ein mit tavis- koreferentes Subjekt, direktes Objekt und indirektes Objekt an. Die Beispiele (70d,e) zeigen, daß sich tavis- weder auf eine NP in einem semantischen Kasus wie dem Instrumental noch auf eine Postpositionalphrase beziehen kann. (70)
a. deda, ban-s tav-is^ Svil-s. Mutter.N 30.bad-PRS.3S Kopf-GEN Kind-D 'Die Mutten badet ihr¡ Kind.' b. nino, a-jl-ev-s bavSv-s^ tav-isuj deda-s. Nino.N 30.v-geb-PRS-3S Kind-D Kopf-GEN Mutter-D 'Ninoj gibt das Kindj ihrer¡/seinerj Mutter.' c. m-s a-öuk-eb-s geh\ h-s¡ tav-is^ dabadedisdye-ze? was-D 30.v-geb-PRS-3S Gela.N Ia-D Kopf-GEN Geburtstag-auf 'Was gibt Gela¡ Iaj zu seinem¡/ihremj Geburtstag?' d. babua, kma-qop-ili-a (misi) $vili$vil-it¡ ta v-i^ korçil-Si. Großvater.N zufrieden-sei-PARTP-PRS.3S sein Enkel-INSTR Kopf-GEN Hochzeit-in 'Der Großvater ist mit seinem Enkelj auf seiner¡/.j Hochzeit zufrieden.' e. geh ¡ saubr-ob-s gia-s-tan¡ tav-isy¡ çign-ze. Gela.N red-TH-PRS.3S Gia-D-bei Kopf-GEN Buch-auf 'Gela¡ redet mit Giaj Uber s e i n ^ Buch. (Harris 1981: 27f)
Diese drei Tests zur Unterscheidung struktureller und nicht-struktureller Argumente werden in den folgenden Kapiteln bei der Klassifikation der Argumente im Georgischen eine wichtige Rolle spielen.
65
3.4 Zusammenfassung
In diesem Kapitel wurden die wesentlichen Eigenschaften der drei hier behandelten Linkingsysteme dargestellt und Test zur Unterscheidung struktureller und nicht-struktureller Argumente diskutiert. Desweiteren wurden die zwei Prinzipien DEFAULT-LINKER und PERIPHERIE aufgestellt, die das Linking struktureller Argumente zusätzlich zu dem in Kapitel 2 vorgestellten Prinzip SPEZIFIZITÄT steuern. Die folgende Tabelle gibt einen kurzen Überblick über die Grundzüge der drei Linkingsysteme. In der Zeile 'Linkertyp' ist aufgeführt, welche Art von Linker in der jeweiligen Sprache hauptsächlich verwendet wird. In Klammem stehen zusätzlich zur Verfügung stehende Linker.63 Schließlich sind die Merkmale der Linker und eventuelle zusätzliche Bedingungen für deren Verwendung aufgeführt. (71)
Grundzüge der Linkingsysteme
Linkingsystem Linkertyp Linkerspezifikationen
Baskisch ergativisch 3 Kongruenzaffixe (+ 3 Kasus) Dat-Agr [+hr, +lr] Erg-Agr [+lr] Abs-Agr [ ]
Deutsch akkusativisch 3 Kasus (+ Subjektkongruenz) Dat [+hr, +lr] Akk [+hr] Nom [ ]
Georgisch gemischt 3 Kasus (+ 2 Kongruenzaffixe) Erg [+lr] Dat [+hr] Nom [ ] Zusatzbedingung: Erg steht in der Aoristgruppe zur Verfügung
Die hier eingeführten Linkingsysteme und -prinzipien werden in den folgenden Kapiteln detaillierter untersucht, um weitere charakteristische Eigenschaften und Unterschiede der einzelnen Systeme auszumachen. Dazu werden besondere Arten struktureller Argumente analysiert: Argumente mit lexikalisch konditioniertem strukturellen Kasus, thematisch leere Argumente und Argumente vierstelliger Verben. Dabei liegt der Untersuchungsschwerpunkt darauf, welche Hierarchiepositionen im Θ-Raster die Argumente einnehmen und wie sich die einzelnen Linkingsysteme voneinander unterscheiden.
63
Daneben verwenden auch alle Sprachen verschiedene Positionen zur Unterscheidung der Argumente, siehe Kapitel 6.
4 Nicht-kanonische Argumente
Aus dem in dieser Arbeit zugrundegelegten strukturellen Linkingansatz folgt, daß ein kanonisches Dativargument das mittlere Argument eines dreistelligen Verbs ist, da nur das mittlere von drei Argumenten die mit Dativ unifizierbaren Werte [+hr, +lr] aufweist.1 Alle drei hier behandelten Linkingsysteme weisen jedoch zusätzliche Dativargumente auf, die weder einer mittleren Θ-Rolle entsprechen noch auf dreistellige Verben beschränkt sind, sondern bei zweistelligen Verben auftreten. Derartige Dativargumente fallen in zwei Klassen und unterscheiden sich danach, ob sie der höchsten oder der tiefsten Θ-Rolle entsprechen. Nicht-kanonische Dativargumente treten bei Verben auf, die gegenüber den kanonischen Verbklassen eine besondere Semantik aufweisen. Insofern kann der markierte Linker des höchsten oder tiefsten Arguments auf markierte Verhältnisse in der Semantik des Verbs zurückgeführt werden. Diese Verbindung zwischen Semantik und Argumentstruktur ist im Rahmen der LDG dadurch gewährleistet, daß das Θ-Raster unmittelbar aus der semantischen Repräsentation abgeleitet wird. Im folgenden werden die lexikalisch markierten Argumente der einzelnen Linkingsysteme zunächst getrennt behandelt. Dabei wird jeweils gezeigt, daß es sich tatsächlich um strukturelle Argumente handelt. Außerdem werden die Verben danach unterschieden, ob das höchste oder das tiefste Argument markiert ist. Abschließend werden die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der markierten Verbklassen in den einzelnen Linkingsystemen aufgezeigt und dargestellt, wie sich die lexikalische Markierung semantisch motivieren läßt.
4.1 Baskisch
Im Baskischen kommen nicht-kanonische Dativargumente einerseits bei Simplexverben vor, andererseits können sie auch durch eine Alternation eingeführt werden (Joppen 1995). Die Simplexverben verfügen über zwei Argumente, von denen eines im Absolutiv und eines im Dativ steht. Zu der ersten Klasse, bei denen das Dativargument im Θ-Raster höher rangiert als das Absolutivargument, zählen Verben wie gustatu 'gefallen', galdu 'entfallen, verlieren, vergessen', egoki izan 'angemessen sein', hinguindu 'zuwider sein', interesatu 'interessieren' und irudi 'scheinen', siehe (1). Zu der zweiten Klasse, bei denen das Dativargument der tiefsten Θ-Rolle entspricht, gehören Verben wie jarraiki 'folgen', erion 'entfließen', atxeki 'verwenden, kleben an', eskatu 'fordern', lotu 'verbinden' und jazarri 'tadeln', siehe (2). Die Verben der ersten Klasse werden im allgemeinen als Experiencer- oder Psych-Verben bezeichnet. Die Verben der zweiten Klasse sind agentiv. Diese Termini werden hier ebenfalls verwendet, aber die semantische Klassifizierung soll nur als ungefähre Annäherung ver-
1
Im Georgischen, wo Dativ nur das Merkmal [+hr] aufweist, ist dieser Linker nicht auf das mittlere, sondern auf die beiden unteren Argumente beschrankt. Aber auch diese Sprache verfügt über nichtkanonische Dativargumente, siehe Abschnitt 4.3.
67 standen werden. Ausschlaggebend für die Unterscheidung der beiden Klassen sind verschiedene Argumentstrukturen, die sich aus unterschiedlichen Rangfolgen der Argumente in der semantischen Struktur der Verben ergeben. (1)
Experiencer-Verben a. Liburu-a gusta-tzen za-i-t. Buch-DET.A gefall-iMPF 3A.sei-DAT-lsD 'Das Buch g e f ä l l t mir.' b. Liburu-a ongi irudi-tzen za-i-t. Buch-DET.A gut schein-iMPF 3A.sei-DAT-lsD 'Das Buch scheint mir gut (zu sein).'
(2)
Agentive Abs-Dat-Verben a. Jarraiki za-i-zu. folg.PERF
3A.sei-DAT-2pD
'Er/sie ist dir gefolgt.' b. Iturri-a-ri ura da-rra-i-o. Quelle-DET-A Wasser.A 3A-entfließ-DAT-3sD 'Der Quelle entfließt Wasser.' Außer bei den beiden Klassen von Simplexverben treten nicht-kanonische Dativargumente im Baskischen auch in Zusammenhang mit einer Alternation auf, die ein Argument einfuhrt, das einen von der Situation oder Handlung Betroffenen/Affizierten bezeichnet, siehe (3). (3)
Affektiv-Alternation a. Berandu etxe-ra etorr-i za-tza-i-zki-t. spät Haus-ALL komm-PERF 2pA-sei-DAT-pA-lsD 'Du bist mir spät nach Hause gekommen.' b. Ez
da-rabil-ki-o-zu
NEG 3A-benutz-DAT-3sD-2pE
ondo kotxe-a; gut
horre-gatik
Auto-DET.A dies-MOTiv
haserre-tu zürn-PERF
za-i-zu. 3A.sei-DAT-2pD 'Du benutzt ihm/ihr das Auto nicht anständig; deshalb ist er/sie dir böse.' Alle drei Arten nicht-kanonischer Dativargumente sind strukturelle Argumente, was sich dadurch zeigt, daß sie obligatorisch mit dem finiten Verb kongruieren (siehe (4a)), daß der Dativ nicht durch semantische Kasus ersetzt werden kann (siehe (4b)), und daß bei multiplen Fragen die Fragewörter nicht durch eta 'und' getrennt werden (siehe (4c)). (4)
a. Zu-ri jarraiki *daJza-i-7Mdu-D folg.PERF 3A.sei/3A.sei-DAT-2pD 'Er/sie ist dir gefolgt.'
68 b. *Liburu-a Buch-DET.A
ni-ri/ni-retzat
gusta-tzen
ich-D/ich-DEST gefall-iMPF
da. 3A.sei
'Das Buch gefällt mir.' c. Zer (*eta) zer-i da-rra-i-o? was.A und was.D 3A-entfließ-DAT-3sD 'Was entfließt wem?' Desweiteren liefert auch der Erwerb der baskischen Kongruenzmorphologie Evidenz für die Gemeinsamkeiten zwischen kanonischen und nicht-kanonischen Dativen. Eceizabarrena Seguróla (1996) hat in einer Langzeitstudie von zwei Kindern gezeigt, daß diese entsprechend der Zielsprache nur bei strukturellen Dativen Kongruenzaffixe verwendet haben, nicht jedoch bei den in Abschnitt 3.1.2 vorgestellten nicht-strukturellen Dativen des Baskischen. Dabei hat ein Kind nach Erwerb der Dativkongruenzaffixe alle Arten struktureller Dative gleichermaßen durch Kongruenz markiert, während das zweite Kind die einzelnen Typen unterschieden hat, indem es zunächst nur bei nicht-kanonischen Dativen Kongruenzaffixe verwendet hat - und zwar bei Simplexverben durch lexikalisches Lernen eher als bei der produktiven Affektiv-Alternation - und erst später auch bei kanonischen Dativen.
4.1.1 Experiencer-Verben Experiencer-Verben sind dadurch charakterisiert, daß das Dativargument im Θ-Raster höher rangiert als das Absolutivargument. Dies kann durch multiple Fragen gezeigt werden. Neben der Unterscheidung zwischen strukturellen und nicht-strukturellen Argumenten dienen multiple Fragen im Baskischen auch dazu, die Grundwortstellung der strukturellen Argumente und somit ihre Rangfolge im Θ-Raster aufzuzeigen. Bei den Experiencer-Verben ist die Reihenfolge immer [Dat [Abs [V]]], siehe (5). Dies steht im Kontrast zu den im folgenden Abschnitt behandelten agentiven Absolutiv-Dativ-Verben, bei denen die Reihenfolge der Fragewörter gegenüber den Experiencer-Verben vertauscht ist, siehe (6). (5)
a. Nor-I zer falta wer-D was.A fehl 'Wem fehlt was?'
za-i-o? 3A.sei-DAT-3sD
b. Nor-i zer irudi-tzen za-i-o on-a? wer-D was.A schein-iMPF 3A.sei-DAT-3sD gut-DET.A 'Wem erscheint was gut?' (6)
Nor nor-i jarraiki zi-tza-i-o-n? wer.A wer-D folg.PERF 3A-sei-DAT-3sD-PRÄT 'Wer ist wem gefolgt?'
Ein weiteres Indiz für die Reihenfolge der Θ-Rollen eines Verbs ist seine Einbettung unter ein Anhebungsverb wie behartu 'veranlassen', das das höchste Argument des eingebetteten Verbs anhebt. Bei Experiencer-Verben wird immer das Dativargument angehoben, wie in (7) gezeigt ist.
69 (7)
a. Ama-k Mutter-Ε
zu
[neska
gusta-tze-a]
du.A
Mädchen.A
gefall-NOM-DET veranlaß-PERF
behar-tu
za-it-u. 2A-pA-hab.3sE
'Mutter hat veranlaßt, daß dir das Mädchen gefällt.' b. Anaia-k ni [ber-e lagun-a interesa-tze-a] Bruder-Ε ich.A er/sie.FOC-GEN Freund-DET.A interessier-NOM-DET
behar-tu veranlaß-PERF
na-u. lsA-hab.3sE 'Der Bruder hat veranlaßt, daß ich mich für seinen Freund interessiere.' Die Experiencer-Verben sollen wie in (8) dargestellt analysiert werden: ihre höchste Rolle ist in einer Weise lexikalisch markiert, die von dem strukturellen Linkingsystem interpretiert werden kann, und zwar ist diese Θ-Rolle mit der Merkmalsspezifikation [+hr] assoziiert. Die zweite Θ-Rolle erhält den Wert [-hr] per default. Lexikalische Markierung ändert nur den Defaultwert des betroffenen Merkmals. Die Werte des zweiten Merkmals [+lr] bleiben unangetastet. Gemäß dem Spezifizitätsprinzip ist bei den Experiencer-Verben die höchste Rolle mit Dativ, die tiefste Rolle mit Absolutiv unifizierbar. (8)
λy lexikalisch: Default:
-hr -lr Abs
λχ +hr
[VERB (x,y)]
+lr Dat
Diese Analyse der Experiencer-Verben wird dadurch bestätigt, daß fast alle Dat-Abs-Verben auch transitiv, d.h. als kanonische Erg-Abs-Verben verwendet werden können (siehe (9a)), oder daß es ein anderes, kanonisch transitives, entsprechendes Verb gibt, wie bei dem Paar gustatu 'gefallen' und maite izan 'lieben, mögen' (siehe (9b)). (9)
a. Giltza-k gal-du zi-tza-i-zki-da-n (ni-ri). Schlilssel-pA verlier-PERF 3A-sei-DAT-pA-lsD-PRÄT ich-D lit.: 'Mir sind die Schlüssel entfallen/verloren gegangen.' Giltza-k gal-du d-it-u-t (ni-k). Schltlssel-pA verlier-PERF 3A-pA-hab-lsE ich-E 'Ich habe die Schlüssel verloren.' b. Neska gusta-tzen za-i-t Mädchen.A gefall-iMPF 3A.sei-DAT-lsD 'Das Mädchen gefällt mir.' Neska maite d-u-t Mädchen.A lieb 3A-hab-lsE 'Ich mag/liebe das Mädchen.'
(ni-ri). ich-D
(ni-k). ich-E
Das transitive Verb, dessen Ergativ-NP semantisch der Dativ-NP der Experiencer-Verben entspricht, ist durch den Verlust der lexikalischen Markierung entstanden. Der Verlust lexikalischer Markierungen, oder allgemeiner das Ersetzen eines markierten Kasus durch einen
70 unmarkierten Kasus ist eine generelle Tendenz in der Sprachentwicklung von ExperiencerVerben. Dies wurde von Cole et al. (1980) für Experiencer-Verben in einer Reihe von Sprachen und von Smith (1994) für die Ersetzung von Dativ oder Akkusativ durch Nominativ in germanischen Sprachen gezeigt (siehe Abschnitt 4.2.4). Sturua (1991) nimmt ebenfalls an, daß das baskische Ergativsystem auf eine ursprungliche Dativkonstruktion zurückgeht. Die Verben eines jeden dieser Paare von Experiencer-Verben können auf dieselbe Situation referieren, weshalb angenommen wird, daß sie über gleiche semantische Strukturen verfügen. Sie unterscheiden sich lediglich hinsichtlich der Perspektive, unter der die Situation interpretiert wird. Dieser Unterschied wird sprachlich durch die verschiedenen Kasusrahmen ausgedrückt. Bei kanonischen Verben wird das höchste Argument im allgemeinen konzeptuell so interpretiert, daß es unabhängige Kontrolleigenschaften aufweist und die Referenten der tieferen Argumente kontrollieren kann. Entsprechend können die kanonischen Verbvarianten, wie in (10a) gezeigt, mit Adverbien kombiniert werden, die eine Absicht des Experiencers ausdrücken (vgl. 'Ich habe die Schlüssel nicht verloren, weil ich sie die ganze Zeit fest in der Hand gehalten habe'), d.h. der Experiencer kann bei dieser Verbklasse zu einem gewissen Grad kontrollieren, ob er dem Einfluß des Themas unterliegt. Im Gegensatz dazu weist der Experiencer bei den nicht-kanonischen Verben keinerlei eigenständige Kontrolleigenschaften auf und kann, wie in (10b) gezeigt, nicht mit Adverbien kombiniert werden, die eine Absicht des Experiencers ausdrückt. Bei diesen Verben kann das Thema-Argument den Gemütszustand des Experiencers herbeiführen und kontrollieren, vgl. 'Das Mädchen gefällt mir, weil es höflich ist' = 'Durch sein Höflichsein bewirkt das Mädchen, daß es mir gefällt'. (10)
a. Gogo-z/deliberatuki giltza-k gal-du d-it-u-t. Vergnügen-iNSTR/absichtlich Schlüssel-pA entfall-PERF 3A-pA-hab-lsE 'Ich habe die Schlüssel mit Vergnügen/absichtlich verloren.' b. *Gogo-z/deliberatuki giltza-k gal-du zja-i-zki-t. Vergnügen-iNSTR/absichtlich Schlüssel-pA entfall-PERF 3A.sei-DAT-pA-lsD lit.: 'Die Schlüssel sind mir mit Vergnügen/absichtlich entfallen/verloren gegangen.'
Die Funktion der lexikalischen Markierung bzw. des nicht-kanonischen Kasus ist es somit, eine konzeptuelle Interpretation der Argumente anzuzeigen, die von der kanonischen Interpretation abweicht: (11)
Lexikalische Markierung einer Θ-Rolle drückt aus, daß zwischen der Rangordnung der Argumente in der semantischen Repräsentation und der konzeptuellen Interpretation eine Divergenz besteht.
Für die Markierung mit dem Merkmal [+hr] bedeutet dies konkret, daß das betroffene Argument so interpretiert wird, als als gäbe es ein höheres Argument: (12)
Ein lexikalisch mit [+hr] markiertes höchstes Argument wird in bezug auf seine Kontrolleigenschaften konzeptuell wie ein tieferes Argument interpretiert.
71 Die lexikalische Markierung verhindert bei den Experiencer-Verben, daß die höchste ΘRolle syntaktisches Subjekt wird, so daß die Übliche Korrelation zwischen höchster Θ-Rolle (logischem Subjekt) und syntaktischem Subjekt außer Kraft gesetzt ist. Stattdessen wird hier die tiefere Θ-Rolle zum syntaktischen Subjekt und somit in den Vordergrund gerückt (siehe auch Wilbur 1979). Insofern stehen sich Experiencer- und kanonische Verbvarianten ähnlich wie Diathesen eines Verbs gegenüber. Daß bei den Experiencer-Verben tatsächlich die tiefere Θ-Rolle, d.h. das Absolutivargument, Subjekt ist, kann durch die Einbettung dieser Verben unter das Kontrollverb nahi 'wollen' gezeigt werden. Wenn das Subjekt von nahi mit dem Subjekt des eingebetteten Verbs koreferent ist, bilden beide Verben einen Verbkomplex. Dies ist in (13b) gezeigt, wo das Absolutivargument des Experiencer-Verbs mit dem Subjekt von nahi koreferent ist. Wenn dagegen die Subjekte beider Verben verschieden sind, steht das eingebettete Verb entweder im Subjunktiv, wobei es mit allen seinen Argumenten kongruiert, oder es wird nominalisiert, wobei sein Subjekt obligatorisch als NP realisiert wird. Dies ist in (13c) gezeigt, wo das Dativargument des Experiencer-Verbs mit dem Subjekt von nahi koreferent ist. (13)
a. Mutil-a-ri atsegina irudi-tzen Junge-DET-D angenehm schein-iMPF 'Ich erscheine dem Jungen angenehm.'
na-tza-i-o. lsA-sei-DAT-3sD
b. Atsegina [virudi-tu nahi] na-tza-i-o angenehm schein-PERF woll lsA-sei-DAT-3sD 'Ich möchte dem Jungen angenehm erscheinen.'
mutil-a-ri. Junge-DET-D
c. Mutili-a-k [ni bert-a-ri atsegina irudi na-ki-o]-n/ Junge-DET-E ich.A er/sie.POC-DET-D angenehm schein lsA.sei.sUBj-DAT-3sD-SUB/ irudi-tze]-a nahi d-u. schein-NOM-DET.A woll 3A-hab.3sE 'Der Junge¡ möchte, daß ich ihm¡ angenehm erscheine.' Die Einbettung unter das Kontrollverb nahi liefert somit Evidenz dafür, daß bei den Experiencer* Verben das Absolutivargument, das an tiefster Position im Θ-Raster steht, Subjekt ist.
4.1.2 Agentive Absolutiv-Datiν-Verben Hinsichtlich der Struktur ihres Θ-Rasters sind die agentiven Abs-Dat-Verben das genaue Spiegelbild der Experiencer-Verben. Multiple Fragen zeigen, daß die unmarkierte Wortstellung [Abs [Dat V]] ist (siehe (14)), und die Einbettung unter das Anhebungsverb behartu 'veranlassen' zeigt, daß die Absolutiv-NP das höchste Argument ist und somit in den Matrixsatz angehoben werden kann (siehe (15)). (14)
a. Nor zer-i da-txe-ki-o? wer.A was-D 3A-kleb-DAT-3sD 'Wer klebt/hält sich an was?'
72 b. Nor
nor-i hurbil-du
zi-tza-i-o-n?
wer.A wer-D näher-PERF 3A-sei-DAT-3sD-PRÄT
'Wer hat sich wem genähert?' (15)
a. Aita-k zu autobus-a-ri jarraiki-tze-a Vater-Ε du.A BUS-DET-D folg-NOM-DET 'Vater hat veranlaßt, daß du dem Bus folgst.' b. Egoera Situation
behar-tu veranlaß-PERF
za-it-u. 2pA-pA-hab.3sE
hon-ek zu lag un-e i etsai-tze-a behar-tu dies-Ε du.A Freund-pD entfiremd-NOM-DET veranlaß-PERF
za-it-u. 2pA-pA-hab.3sE 'Diese Situation hat bewirkt, daß du dich deinen Freunden entfremdet hast.' Damit das tiefste Argument der agentiven Abs-Dat-Verben mit Dativ gelinkt werden kann, muß es ebenfalls lexikalisch spezifiziert werden. Da es jedoch das tiefste Argument ist und somit inhärent über das Merkmal [+hr] verfügt, ist die relevante Merkmaisspezifikation hier [+lr]. (16) lexikalisch: Default:
Xy +lr +hr Dat
λχ
[VERB (x,y)]
-lr -hr Abs
Die lexikalische Markierung hat wieder die Funktion, eine Divergenz zwischen der Hierarchie der Argumente und deren konzeptuellen Interpretation anzuzeigen. Dabei hat das Merkmal [+lr] zur Folge, daß das tiefste Argument so interpretiert wird, als habe es eigenständige Kontrolleigenschaften: (17)
Ein lexikalisch mit [+lr] markiertes tiefstes Argument wird in bezug auf seine Kontrolleigenschaften konzeptuell wie ein höheres Argument interpretiert.
Zur Demonstration der Kontrolleigenschaften des tiefsten Arguments sind mir keine verläßlichen Tests bekannt, jedoch zeigen sich dessen Kontrolleigenschaften bei genauerer Betrachtung der durch die Verben ausgedruckten Situationen. So wird etwa bei segitu und jarraiki, beide 'folgen', vorausgesetzt, daß sich der Referent des tiefsten Arguments fortbewegt. Die Bewegung des Referenten des höheren Arguments ist sogar abhängig vom Referenten des tieferen Argument, da letzterer den Weg vorgibt. Auf ähnliche Weise gibt bei lagundu 'helfen' der Referent des tiefsten Arguments die Handlung des höheren vor.2 Der strukturelle Unterschied zwischen Experiencer-Verben und agentiven Abs-Dat-Verben zeigt sich auch bei morphologischer Kausativierung (Joppen und Wunderlich 1995). 2
Bei anderen Verben dieser Klasse mögen die Kontrolleigenschaften des tiefsten Arguments nicht so klar nachzuvollziehen sein, so daß die lexikalische Markierung idiosynkratisch erscheint. Dies ist sicherlich auch darin begründet, daß diese Verbklasse im Baskischen untergeht (siehe unten).
73 Kausativierung erweitert die SF eines Verbs um ein hierarchiehöheres Prädikat CAUSE und ein zusätzliches Individuenargument (Joppen 1993, Wunderlich 1997a). Viele Sprecher des Baskischen können Experiencer-Verben nicht morphologisch kausativieren, einige Sprecher akzeptieren diese Form der Kausativierung jedoch, wie das Beispiel in (18b) zeigt. 3 In (18c) findet sich die Repräsentation des Kausativmorphems. Dessen Variable 'p' wird in (18d) durch die Repräsentation des Experiencer-Verbs ersetzt, wodurch ein komplexes Verb entsteht. Die Repräsentation des komplexen Verbs macht deutlich, daß dessen Θ-Raster einem kanonischen ditransitiven Verb entspricht. (18)
a. Sagarr-ak Apfel-pA
gusta-tzen
za-i-zki-t.
gefall-iMPF
3A.sei-DAT-pA-lsD
'Ich mag Äpfel.' (lit.: 'Mir gefallen Äpfel') b.
Dativ was nützt das Ganze mich die Erfahrung ... wäre mich beynahe theuer zu stehen gekommen mich hat in meinem Leben viel tolles Zeug geträumet b. Dativ > Akkusativ das jammerte der weichgeschaffenen Seele meiner Frau hätte ihr Fehler gereuet da mochte dem Manne das Kleine dauern damit es Ihnen nicht befremde (Paul 1919)
Daneben existiert heute zu fast jedem Verb der Experiencer-Klasse ein entsprechendes kanonisches Gegenstück ohne lexikalische Markierung, siehe (40) und (41). Allerdings werden diese kanonischen Gegenstücke im Deutschen anders als im Baskischen durch andere Lexeme realisiert. (40)
Experiencer-Verben a. Dem Mädchen schmeckt das Essen. b. Dem Mädchen fällt der Fehler auf. c. Dem Mädchen gelingt der Kuchen, à. Dem Mädchen passiert ein Unfall. e. Dem Mädchen fehlen die Freundinnen.
(41)
Experiencer-Verben gefallen, zusagen, behagen, schmecken gelingen, glücken, geraten bekommen (Essen, o.ä.) genügen, reichen, langen entfallen, entgleiten, entgehen
Kanonische Verben Das Mädchen mag das Essen. Das Mädchen bemerkt den Fehler. Das Mädchen kriegt den Kuchen gut hin. Das Mädchen hat einen Unfall. Das Mädchen vermißt die Freundinnen. Kanonische Verben mögen schaffen, hinkriegen vertragen (Essen, o.ä.) genug haben vergessen, verlieren
85 einfallen auffallen schwanen, vorschweben, dämmern einleuchten passieren, geschehen, zustoßen, widerfahren vorkommen fehlen
denken an bemerken vorstellen, ahnen einsehen haben finden vermissen
Somit sprechen eine Reihe von Phänomenen für einen strukturellen Status der Dativargumente, obwohl die wichtigsten syntaktischen Tests für Strukturalität bei Experiencer-Verben nicht angewendet werden können. Um die Repräsentation der Experiencer-Verben in (34) zu rechtfertigen, muß außerdem die Reihenfolge der Argumente bestimmt werden. Einige Tests zur Ermittlung der zugrundeliegenden Wortstellung im Deutschen sind in (42) aufgeführt: Ein Nebensatz erscheint in der unmarkierten Wortstellung (siehe (42a und b)), die erste NP im Nebensatz wird nur dann fokussiert, wenn sie zugleich höchstes Argument des Verbs ist (siehe (42c)), eine quantifizierte NP steht nur bei unmarkierter Wortstellung vor einer definiten NP (siehe (42d)), mehrere Fragewörter werden in ihrer zugrundeliegenden Reihenfolge verwendet (siehe (42e)), eine VP, das ist hier das Verb zusammen mit seinem tiefsten Argument, kann topikalisiert werden (siehe (42f)).10 Unter (i) ist jeweils ein Experiencer-Verb und unter (ii) als Vergleich ein transitives Verb aufgeführt. (42)
a. unmarkierte Wortstellung im Nebensatz i. Er weiß, daß dem Jungen das Zimmer gefällt. Er weiß, daß das Zimmer dem Jungen gefällt. ii. Er weiß, daß die Frau den Mann liebt. *Er weiß, daß den Mann die Frau liebt. b. unmarkierte Wortstellung mit unspezifischen Pronomina im Nebensatz (Frey 1993) i. Als dem Jungen was gefiel (kaufte er es). *Als was dem Jungen gefiel (kaufte er es). ii. Als die Frau wen liebte (war sie glücklich). *Als wen die Frau liebte (war sie glücklich). c. Fokussierung der ersten NP (Fanselow 1992) i. Er weiß, daß DEM JUNGEN das Zimmer nicht gefällt. Er weiß, daß DAS ZIMMER dem Jungen nicht ii. Er weiß, daß DIE FRAU den Mann liebt.
gefällt.
*Er weiß, daß DEN MANN die Frau liebt.
10
Oft werden auch Bindungseigenschaften zur Ermittlung der unmarkierten Wortfolge herangezogen. Primus (1989) und Frey (1993) haben jedoch gezeigt, daß dies im Deutschen kein verläßlicher Test ist, da auch andere Faktoren wie die Oberflächenreihenfolge der Konstituenten die Bindungseigenschaften bestimmen.
86 d. quantifizierte erste NP + definite zweite NP (Fanselow 1992) i. Er weiß, daß keinem Jungen das Zimmer gefällt. Er weiß, daß kein Zimmer dem Jungen gefällt. ii. Er weiß, daß keine Frau den Mann liebt. *Er weiß, daß keinen Mann die Frau liebt. e. multiple Fragewörter i. Erfragt sich, wem (hier) was gefällt. Er fragt sich, was (hier) wem gefällt. ii. Er fragt sich, wer (hier) wen liebt. * Er fragt sich, wen (hier) wer liebt. f. VP-Topikalisierung (Fanselow 1992) i. Das Zimmer gefallen hat dem Jungen. Dem Jungen gefallen hat das Zimmer. ii. Den Mann geliebt hat die Frau. *Die Frau geliebt hat den Mann. Wie die Beispiele zeigen, liefern nur zwei Tests eindeutige Ergebnisse, nämlich unmarkierte Wortstellung mit unspezifischen Pronomina im Nebensatz und VP-Topikalisierung. Sie zeigen Ubereinstimmend, daß das Dativargument höher als das Nominativargument rangiert und liefern somit Evidenz für die Analyse unter (34). Dieses Ergebnis wird durch keinen der anderen Tests widerlegt. Schließlich bleibt noch die Frage, welches der beiden Argumente der Experiencer-Verben Subjekt ist. Reis (1982) hat gezeigt, daß eine Nominativ-NP im Deutschen immer Subjekt des Satzes ist, so daß Nominativ-NP und Subjekt gleichzusetzen sind. Cole et al. (1980) und Smith (1994) haben darüber hinaus im Kontrast zu anderen germanischen Sprachen, wie etwa dem Isländischen, gezeigt, daß sich die Dativ-NP der deutschen Experiencer-Verben nicht wie ein Subjekt verhält. Obwohl die Verben oberflächlich gesehen im Deutschen und Isländischen gleich sind (das Experiencer-Argument steht im markierten Kasus und das Thema-Argument im Nominativ, das Verb kongruiert mit dem Nominativargument und die normale Wortstellung ist Dativ vor Nominativ), hat im heutigen Isländischen das Experiencer-Argument mehr syntaktische Subjekteigenschaften als das Thema-Argument (siehe auch Wunderlich 1999).11 Die bisherigen Ergebnisse noch einmal zusammenfassend sind die Argumente zweistelliger Experiencer-Verben im Deutschen beide strukturell, wobei das Dativargument an höchster Position steht und lexikalisch mit [+hr] ausgezeichnet ist, während das Nominativargument an tiefster Position Subjekt ist. Die lexikalische Markierung ist wieder durch eine markierte Interpretation der Verben motiviert. Zum einen besitzt das höchste Argument - anders als bei den transitiven Entsprechungen - keine Kontrolleigenschaften, was die Gegenüberstellungen in (43) bis (45) verdeutlichen sollen: Bei den markierten Verben sind im Gegensatz zu den transitiven Verben weder Adverbien noch adverbiale Komplementsätze möglich, die sich auf eine Aktivität des
11
Im Altisländischen dagegen verhielten sich die Verben wie im heutigen Deutschen: die NominativNP war Subjekt und die Dativ-NP Objekt.
87 Experiencer-Arguments beziehen (siehe (43) und (44)), noch Finalsätze, die ein Ziel des Experiencer-Arguments angeben (siehe (45)). a.
5
(43)
//ir fallen die Ferien gerne ein. Sie denkt gerne an die Ferien. b. '/Am schwebt das morgige Gespräch immer wieder bewußt vor. Er stellt sich das morgige Gespräch immer wieder bewußt vor. c. iDie Schlüssel sind ihm absichtlich entfallen. Er hat die Schlüssel absichtlich verloren/vergessen.
(44)
a. *Ihr ist der Kuchen gelungen, ohne sich anzustrengen. Sie hat den Kuchen hingekriegt, ohne sich anzustrengen. b *Heute fallt ihm der Unfall ein, ohne sich aufzuregen. Heute denkt er an den Unfall, ohne sich aufzuregen.
(45)
a. *lhm ist der Termin entfallen, um nicht vortragen zu müssen. Er hat den Termin vergessen, um nicht vortragen zu müssen. b. *lhr ist/hat der Fehler eingeleuchtet, um nicht nachsitzen zu müssen. Sie hat den Fehler eingesehen, um nicht nachsitzen zu müssen.
Zum zweiten unterscheiden sich das kanonische und das markierte Verb eines Paares auch durch ihre Aspekteigenschaften: Während die transitiven Verben einen andauernden Zustand oder Prozeß bezeichnen und mit Zeitadverbialen wie für χ Stunden und χ Stunden lang kombiniert werden können (siehe (46)), referieren die markierten Verben eher auf punktuelle Ereignisse, die allenfalls iterativ auftreten können, wie in (46b). (46)
a. *Für zwei Stunden ist ihm der Unterschied zwischen Besitz und Eigentum eingeleuchtet. Für zwei Stunden hat er den Unterschied zwischen Besitz und Eigentum eingesehen/verstanden. b. *Ihm ist zwei Stunden lang das Mädchen eingefallen. Er hat zwei Stunden lang an das Mädchen gedacht.
Kaufmann (1998) argumentiert, daß Kontrolle darin besteht, den zeitlichen Rahmen fUr die Dauer der Situation vorzugeben. Eigenständige Kontrolleigenschaften eines Arguments sind somit eng mit der Fähigkeit verknüpft, die zeitliche Dauer der Situation zu beeinflussen. Daher kann folgende Definition von Kontrolle angenommen werden (vgl. Kaufmann 1998): (47)
Kontrolle: Ein Argument verfügt Uber Kontrolleigenschaften, wenn es die zeitliche Ausdehnung und Struktur der Situation bestimmt.
Lexikalische Markierung des höchsten Arguments hat die folgende Auswirkung:
88
(48)
Lexikalische Markierung der höchsten Θ-Rolle mit [+hr] signalisiert, daß der Referent des höchsten Arguments nicht Uber die Fähigkeit verfügt, die zeitliche Ausdehnung der Situation zu bestimmen.
Da das höchste Argument der Experiencer-Verben keinen Einfluß auf die zeitliche Ausdehnung hat, dauert die Situation nur so lange an, wie der Referent des Thema-Arguments auf den Referenten des Experiencer-Arguments in der verbspezifischen Weise einwirkt. Ohne die Fähigkeit, die zeitliche Ausdehnung der Situation zu bestimmen, fehlen dem höchsten Argument Kontrolleigenschaften.
4.2.2 Agentive Nominativ-Dativ-Verben Im Vergleich zum Baskischen weist das Deutsche eine Vielzahl von Verben mit lexikalisch markiertem tiefsten Argument auf. Neben Simplexverben wie dienen, drohen, glauben, gratulieren, grollen, trotzen und winken fallen unter diese Klasse auch zahlreiche zusammengesetzte Verben wie zuhören, entlaufen, entgleiten, nachlaufen, ausweichen, widersprechen, etc. Unter (49) sind einige Beispielsätze aufgeführt. Unter (50) findet sich die Analyse, die im Anschluß motiviert wird: Die tiefste Θ-Rolle ist lexikalisch mit [+lr] markiert und wird mit nicht-kanonischem Dativ gelinkt. (49)
a. b. c. d.
Giulia folgt dem Jungen. Bernd hilfi dem Kellner. Karin antwortet ihrem Sohn. Jan Pierre dankt seiner Oma.
(50)
ΛY
lexikalisch: Default:
λχ
[VERB (x,y)]
+lr +hr Dat
-lr -hr Nom
Zunächst soll wieder der strukturelle Status des nicht-kanonischen Dativarguments nachgewiesen werden. Dazu wird als erstes die Bildung des Rezipientenpassivs herangezogen. Hierbei verhalten sich die Verben uneinheitlich: während das Rezipientenpassiv bei einigen Verben (zumindest umgangssprachlich) relativ gut angewandt werden kann, ist es bei anderen Verben schlechter oder ganz unmöglich, siehe (51) und (52). (51)
a. b. c. d. e. f.
Die Menge huldigt dem Papst. Jan Pierre dankte seiner Oma. Giulia folgte dem Jungen. Der Anwalt steht der Familie bei. Der Hund entlief seinem Herrchen. Die Mädchen entkamen den Räubern.
Der Papst bekommt gehuldigt. Die Oma bekam gedankt. Der Junge bekam gefolgt. Die Familie bekommt beigestanden. *Das Herrchen bekam entlaufen. *Die Räuber bekamen entkommen.
89 (52)
a. Von dir will ich überhaupt nicht geholfen kriegen. b. Von dir wollte ich gar nicht geantwortet kriegen (sondern von ihr).
Für die Akzeptabilitätsunterschiede ist wieder die Semantik von bekommen bzw. kriegen und deren Kombinationsfähigkeit mit der Bedeutung des Basisverbs verantwortlich. Anders als die Experiencer-Verben können die Verben dieser Klasse jedoch prinzipiell das Rezipientenpassiv bilden. Durch die Blockierung der höchsten Θ-Rolle wird die tiefste Θ-Rolle mit Nominativ gelinkt, wie in (53b) gezeigt. Das Rezipientenpassiv liefert somit Evidenz für den strukturellen Status des markierten Arguments. (53)
a. Aktiv: lexikalisch: Default:
Xy +lr
λχ
+hr Dat
-lr -hr Nom
b. Passiv: lexikalisch: Default:
Xy +lr -hr Nom
λχ *
Der zweite Strukturalitätstest, die Kookkurrenzbeschränkung zweier identischer Linker, ist auch bei dieser Verbklasse wieder nicht anwendbar. Bei der Erweiterung des Basisverbs um das Prädikat POSS, durch das etwa ein Benefizient hinzugefügt werden kann, wird das zusätzliche Argument wieder zum mittleren Argument des erweiterten Verbs und muß hier mit [+lr] ausgezeichnet sein, um mit Dativ gelinkt zu werden, siehe (54a). 12 Zwar sind die resultierenden Sätze wieder, wie gewünscht, ungrammatisch, jedoch gelten hier die gleichen Einwände wie oben: Die Sätze sind nicht interpretierbar, so daß sie nicht allein wegen der Kookkurrenzbeschränkung auszuschließen sind, und für die Klasse der agentiven Nominativ-Dativ-Verben müßte eine spezifische Variante der POSS-Erweiterung mit lexikalisch markiertem Argument angenommen werden.13
12
Ohne diese lexikalische Auszeichnung würde das durch POSS eingeführte Argument mit Akkusativ anstatt Dativ gelinkt werden, siehe (a). Auch die daraus resultierenden Sätze sind nicht interpretierbar, siehe die Beispiele in (b,c). lexikalisch: Default:
Xy +lr +hr Dat
b. c. 13
Xz
λχ
-lr +hr Akk
+lr -hr Nom
[VERB
(x,y) & poss (z,y)]
* Katja hilfi die Mutter der Oma. *Der Hund entlief die Frau dem Herrchen.
Zwar wird auch bei der POSS-Erweiterung intransitiver Verben das Dativargument gemäß Wunderlich (1996b) lexikalisch mit [+lr] ausgezeichnet (siehe Abschnitt 4.2.5), dort wird diese Auszeichnung jedoch dadurch motiviert, daß das markierte Argument im Θ-Raster als tiefstes strukturelles Argument erscheint, während es in SF an nicht-tiefster Position steht. Diese Deutung des lexikalischen Merkmals [+lr] trifft hier nicht zu, da das markierte Argument auch im Θ-Raster in mittlerer Position erscheint.
90 (54)
a. lexikalisch: Default:
λy +lr
λζ +lr
+hr Dat
+hr Dat
λχ
[VERB (χ,y) & POSS (ζ,y)]
-Ir -hr Nom
b. *Katja hilft der Mutter der Oma. (Der Mutter zuliebe hilft Katja der Oma.) c. *Der Hund entlief der Frau dem Herrchen. (Der Frau zuliebe entläuft der Hund dem Herrchen.) Der dritte Strukturalitätstest, die Anzahl thematischer Rollen, die das markierte Argument aufweisen kann, fällt bei den Verben dieser Klasse dagegen positiv aus. Wie die Beispiele unter (55) zeigen, ist die Bandbreite thematischer Rollen für das Dativargument besonders groß. (55)
a. b. c. d. e.
Giulia folgt dem Jungen. Bernd hilft dem Kellner. Der Hund entlief dem Herrchen. Jörg gehört dem VfR an. Ingrid wohnt der Sitzung bei.
Path/Goal Rezipient/Benefizient Source/Malefizient Possessor ??
Desweiteren kann Dativ auch nicht durch eine Präpositionalphrase ersetzt werden, wie die Beispiele unter (56) zeigen. (56)
a. b. c. d. e.
*Giulia folgt nach dem Jungen. *Bernd hilft für den Kellner. *Der Hund entlief vom Herrchen. *Jörg gehört zum VfR an. *Ingrid wohnt an der Sitzung bei.
Schließlich verweist auch die diachrone Kasusalternation des Dativarguments auf den strukturellen Status des heutigen Dativarguments, siehe die Beispiele in (57) mit Akkusativ anstatt Dativ. (57)
Dal (19663): a. helfen: ahd. mit Dativ; mhd. Akkusativ und Dativ: got helfe mich versus so helfe mir got; nhd. bis ins 18. Jh. bei unpersönlichem Subjekt Akkusativ und Dativ: was helfen mich tausend bessere Empfindungen (Schiller) (Dal: S.36) b. folgen: daß wir alle Werk und Wort Christi folgen möchten (Luther) c. gehorchen: ein großer Herr will gehorcht sein (Goethe) d. schmeicheln: es hat mich übrigens sehr geschmeichelt (Lessing) e. begegnen: wie wir selber sie oft im Leben begegnet haben (Heine) f. trotzen (Dativ erst seit dem 18. Jh.): mich zu trotzen (Lessing) g. genügen: mhd. mich genüeget h. gelten: das gilt mich mehr als euch (Goethe)
91 Somit sprechen alle anwendbaren Tests dafür, das Dativargument der agentiven NominativDativ-Verben als strukturelles Argument anzusehen. Um die Analyse in (50) zu rechtfertigen, muß weiterhin die Reihenfolge der beiden Argumente bestimmt werden. Die folgenden Wortstellungstests ergeben eindeutig, daß das Nominativargument höher als das Dativargument rangiert: Im Nebensatz steht das Nominativ- vor dem Dativargument (58a), nur die Nominativ-NP kann im Nebensatz an erster Position fokussiert werden (58b), nur die Nominativ-NP kann quantifiziert werden und dabei vor der definiten Dativ-NP stehen (58c), bei der Aneinanderreihung mehrerer Fragewörter steht das Nominativ- vor dem Dativargument (58d) und nur die Dativ-NP kann zusammen mit dem Verb topikalisiert werden (58e). (58)
a. unmarkierte Wortstellung im Nebensatz Er weiß, daß das Mädchen dem Jungen folgt/hilft/antwortet/dankt. *Er weiß, daß dem Jungen das Mädchen folgt/hilft/antwortet/dankt. b. Fokussierung der ersten NP (Fanselow 1992) Er weiß, daß DAS MÄDCHEN dem Jungen folgt/hilft/antwortet/dankt. *Er weiß, daß DEM JUNGEN das Mädchen folgt/hilft/antwortet/dankt. c. quantifizierte erste NP + definite zweite NP Er weiß, daß kein Mädchen dem Jungen folgt/hilft/antwortet/dankt. *Er weiß, daß keinem Jungen das Mädchen folgt/hilft/antwortet/dankt. d. multiple Fragewörter Erfragt sich, wer wem folgt/hilft/antwortet/dankt. Erfragt sich, wem wer folgt/hilft/antwortet/dankt. e. VP-Topikalisierung Dem Jungen gefolgt/geholfen/geantwortet/gedankt ist/hat das Mädchen. *Das Mädchen gefolgt/geholfen/geantwortet/gedankt ist/hat dem Jungen.
Als Fazit kann festgehalten werden, daß alle relevanten Tests die Analyse der agentiven Nominativ-Dativ-Verben in (50) rechtfertigen, nach der diese Verben über zwei strukturelle Argumente verfügen, von denen das Nominativargument das höhere und nach Reis (1982) Subjekt ist, während das Dativargument das tiefere ist und die lexikalische Markierung [+lr] aufweist. Wie auch bei den anderen Verbklassen ist die lexikalische Markierung hier durch eine markierte Interpretation der Verben motiviert: [+lr] drückt aus, daß das Argument entgegen seiner Position nicht wie ein kanonisches tiefstes Argument interpretiert wird. Es unterliegt nicht der Kontrolle durch das höhere Argument sondern weist selbst Kontrolleigenschaften auf. Leider können die in den vorigen Abschnitten verwendeten Tests für Kontrollfähigkeit - die Kombination mit Adverbien und adverbialen oder finalen Komplementsätzen - hier nicht verwendet werden, da sie sich auf das höchste Argument beziehen. Ebensowenig kann die Kombination mit Modalverben wie versuchen oder wollen die Dativobjekte der markierten Verben von kanonischen Akkusativobjekten unterscheiden, siehe (59). Daß die agentiven Nominativ-Dativ-Verben mit versuchen etwas fragwürdig sind, liegt am Rezipientenpassiv, nicht an der Kombination mit dem Modalverb.
92 (59)
a. i.
n
'Er versuchte, gedankt zu bekommen. Er versuchte, geholfen zu bekommen. ii. Er versuchte, gesehen zu werden.
b. i. Er wollte gedankt bekommen. Er wollte geholfen bekommen. ii. Er wollte gesehen werden. Auch die Kombination mit Zeitadverbialen wie für χ Stunden oder χ Stunden lang zeigt keinen Unterschied zwischen markierten und kanonischen Verben (siehe (60)), da sich diese Adverbiale bei beiden Klassen auf das höchste Argument beziehen. (60)
a. i. Giulia folgte dem Jungen für zwei Stunden. ii. Giulia sah den Jungen für zwei Stunden. b. i. Naomi half den Kindern zwei Stunden lang. ii. Naomi sah die Kinder zwei Stunden lang.
Somit verfügt auch das Deutsche über keine verläßlichen syntaktischen Tests zur Demonstration der Kontrollfähigkeit der Dativreferenten bei dieser Verbklasse. Der besondere Status der Dativargumente zeigt sich jedoch wieder bei genauerer Betrachtung der durch die Verben ausgedrückten Situationen: Bei folgen und nachlaufen gibt der Dativreferent durch seine Bewegung den Weg für den Nominativreferenten vor, und bei helfen bestimmt der Dativreferent die Handlung des Nominativreferenten. Bei zuhören kommt dem Dativreferenten durch die Lautproduktion ebenfalls eine aktive Rolle zu. Die Verben entlaufen, entgleiten, etc. drücken eine mißglückte bzw. aufgehobene Kontrollbeziehung zwischen den beiden Argumenten aus. Auf ähnliche Weise läßt sich für jedes der Verben der nicht-kanonische Kasus des tieferen Arguments motivieren.
4.2.3 Markierte Ditransitiva Neben den zweistelligen Verben mit markiertem tiefsten Argument weist das Deutsche auch eine Reihe dreistelliger Verben auf, bei denen das tiefste Argument lexikalisch markiert und mit Dativ gelinkt wird, während das mittlere Argument im Akkusativ steht. Damit sind die Kasus dieser Argumente gegenüber kanonischen dreistelligen Verben vertauscht. Diese Verbklasse besteht ausschließlich aus Präfix- und Partikelverben, also abgeleiteten Verben. Beispiele sind etwa überlassen, vorziehen, vorstellen, aussetzen, ausliefern, angleichen, unterziehen, unterwerfen, entziehen, zuführen, siehe (61).14
14
Wegener (1991) unterscheidet bei diesen Verben aufgrund unterschiedlicher Wortstellungsvarianten und Adverbienpositionen zwei Klassen. Diese Unterschiede hängen vor allem von den sortalen Eigenschaften der Argumente ab (Verben mit unbelebtem Dativobjekt wie angleichen, aussetzen, etc. versus Verben mit zwei belebten Objekten wie vorziehen, vorstellen, etc.) und sind für die Klassifikation des Dativargument als strukturell oder nicht-strukturell irrelevant. Einen angeblichen Unterschied bei der Bildung des Rezipientenpassivs, nach dem dies bei Verben der ersten Klasse
93 (61)
a. Er hat die Soldaten den Feinden ausgeliefert. b. Er hat das Kind dem Einfluß seiner Mutter entzogen. c. Er hat die Kopie dem Original angeglichen.
Das Dativobjekt ist strukturell, was sich daran zeigt, daß es (bei geeigneter Interpretation) zum Subjekt des Rezipientenpassivs werden kann, siehe (62). (62)
a. Die Soldaten bekommen die Feinde ausgeliefert. b. Die Mutter bekommt ihr Kind zugeführt. c. Er bekam an diesem Abend seine spätere Frau vorgestellt.
Desweiteren kann das Dativargument im allgemeinen nicht durch eine Präpositionalphrase ersetzt werden, obwohl dies in Einzelfällen möglich ist, siehe (63). (63)
a. b. c. d. e. f.
Er hat die Soldaten an die Feinde ausgeliefert. *Er hat das Kind vom Einfluß seiner Mutter entzogen. Er hat die Kopie an das Original angeglichen. *Er hat das Original an die Behörde überlassen. *Er unterzieht den Studenten unter eine harte Prüfung. *Sie setzen das Kind an die Kälte aus.
Ebenso hat das Dativargument diachron seinen Kasus gewechselt. Ursprünglich war der Kasus des zweiten Objekts (= heutiges Dativobjekt) von der Präposition/Partikel abhängig, d.h. bei lokaler Verwendung stand das Objekt im Dativ, bei direktionaler Verwendung dagegen im Akkusativ. Noch im Mittelhochdeutschen hatte das Verb im zweiten Fall zwei Akkusativobjekte: ir muoter böt [ir dienest]/^ [in]Akk an (Dal 19663: 41). Heute steht das zweite Objekt unveränderlich im Dativ. Die Beispiele unter (64) zeigen, daß für die Dativobjekte die Kookkurrenzbeschränkung gilt, sie also nicht zusammen mit einem weiteren Dativargument im selben Satz auftreten können. (64)
a. *Er hat dem Professor die Kandidaten der Prüfung unterzogen. b. *Er hat der Mutter die Tochter dem Einfluß der Sekte entzogen. c. *Sie hat dem Vater die Tochter dem Sohn vorgezogen.
Alle bisher dargestellten Phänomene sprechen somit fUr den strukturellen Status des Dativarguments bei dieser Verbklasse. Dagegen ist die Variation der thematischen Rollen dieses Arguments nicht sehr groß, sondern beschränkt sich größtenteils auf Possessor/Goal (z.B. bei ausliefern) oder Source (z.B. bei entziehen), was auf den Einfluß der direktionalen oder lokalen Präfixe bzw. Partikeln zurückzuführen ist. Evidenz dafür, daß das Dativargument das tiefere der beiden Objekte ist, liefern die folgenden Beobachtungen: In der unmarkierten Wortstellung im Nebensatz steht bei vielen die-
nicht möglich sei und die Dativobjekte der beiden Klassen somit einen unterschiedlichen Status hätten, konnten meine Informanten nicht nachvollziehen.
94 ser Verben das Akkusativobjekt vor dem Dativobjekt, siehe (65a). Desweiteren können nur dann beide Objekte betont werden, wenn das Akkusativobjekt vor dem Dativobjekt steht, die beiden Objekte also in ihrer zugrundeliegenden Reihenfolge auftreten, siehe (65b). Bei multiplen Fragewörtern wird das Akkusativobjekt vor dem Dativobjekt erfragt, siehe (65c). Und schließlich kann nur das Dativobjekt zusammen mit dem Verb topikalisiert werden und beide mit einem weiteren Verb koordiniert werden, siehe (65d, e). (65)
a. unmarkierte Wortstellung im Nebensatz Sie weiß, daß er das Kind dem Einfluß der Mutter entzogen hat. 71 Sie weiß, daß er dem Einfluß der Mutter das Kind entzogen hat. Sie weiß, daß er die Soldaten den Feinden ausgeliefert hat. Sie weiß, daß er den Feinden die Soldaten ausgeliefert hat. b. Wortstellung und Betonung ... weil er DAS KlND dem Einfluß der Mutter entzogen hat. ... weil er das Kind DEM EINFLUß DER MUTTER entzogen hat. "... weil er DEM EINFLUß DER MUTTER das Kind entzogen hat. ... weil er dem Einfluß der Mutter DAS KlND entzogen hat. c. multiple Fragewörter Was hat er wem entzogen/angeglichen/vorgezogen? Wem hat er was entzogen/angeglichen/vorgezogen? d. VP-Topikalisierung Dem Einfluß der Mutter entzogen hat er das Kind. *Das Kind entzogen hat er dem Einfluß der Mutter. e. Koordination Dem Original angeglichen und verkauft hat er die Kopie. *Die Kopie angeglichen und verkauft hat er dem Original.
Wie die Stellung der Objekte zustande kommt, zeigt die Komposition von Basisverb und Präfix oder Partikel: Ein Basisverb wie ziehen in (66a) kann eine Prädikatsvariable P(y) für eine Lokalangabe enthalten. An deren Stelle tritt die konkrete Repräsentation eines Präfixes wie ent- in (66b), so daß sich für das komplexe Verb die Repräsentation in (66c) ergibt. Aufgrund des Hierarchieprinzips zum Aufbau des Θ-Rasters aus der semantischen Repräsentation rangiert das Argument des Präfixes in der Argumentstruktur tiefer als das zweite Argument des Basisverbs. (66) Stiebeis (1996)15 a. ziehen: b. ent-:
λ Ρ λ y λ χ Xs [FORCE- (χ,y) & MOVE(y) & P(y)](s) λ ν Xu [BECOME (-iLOC (u, INT [v])>]
c. entziehen:
λν λy λχ Xs [FORCE- (x,y) & MOVE(y) & BECOME (—iLOC (y, INT[v]))] (s)
15
FORCE- kodiert eine zum Agens hin gerichtete Krafteinwirkung auf das Thema (Kaufmann 1995a).
95 Die gewünschte Kasusverteilung der Argumente ergibt sich wieder durch eine lexikalische Markierung des tiefsten Arguments mit [+lr], wie in (67) gezeigt. Dadurch kann dieses Argument mit Dativ unifiziert werden, während das mittlere Argument Akkusativ erhält. (67) lexikalisch: Default:
λζ +lr +hr Dat
Xy
λχ
-lr +hr Akk
+lr -hr Nom
[VERB (x,y,z)]
Wie die anderen markierten Argumente, erhält auch das tiefste Argument dieser Verbklasse eine seiner Position nicht entsprechende konzeptuelle Deutung. Dabei können zwei Strategien unterschieden werden: Zum einen kann das tiefste Argument ein hohes Maß an Kontrolle aufweisen, wie etwa bei unterwerfen, ausliefern, etc., bei denen der Dativreferent den Akkusativreferenten kontrolliert, (desweiteren bei entziehen, zuführen und überlassen, bei denen der Dativreferent den Akkusativreferenten im Vor- bzw. Nachzustand kontrolliert). Zum anderen gibt es Fälle, in denen das markierte Argument zwar selbst keine Kontrolle aufweist, es aber auch nicht durch ein höheres Argument kontrolliert wird, wie entsprechend seiner Position zu erwarten wäre. Dies trifft etwa auf vorziehen, angleichen, etc. zu. Die lexikalische Markierung bewirkt hier, daß ein hierarchisch höheres Argument, daß sonst Kontrolleigenschaften hätte, als nicht-kontrollierend interpretiert wird. 16
4.2.4 Einstellige Experiencer-Verben Neben den zweistelligen Experiencer-Verben mit lexikalisch markiertem Dativargument verfìigt das Deutsche auch Uber einige semantisch einstellige Experiencer-Verben, deren thematisches Argument im Dativ oder Akkusativ steht. Manche dieser Verben sind auf einen Kasus festgelegt, siehe (68a,b), während andere wie unter (68c) alternieren. Charakteristisch für diese Verben ist, daß sie ein (fakultatives) Expletivum aufweisen und daß das finite Verb in der 3. Person Singular steht.17 (68)
16 17
a. Dativargument: mir mir mir mir mir mir
ist (es) angst/bang ist (es) (un)wohl ist kaltAvarm schwitzt es bangt (es) schämt es
Vergleiche die Funktion von Expletiva in Kapitel 5. Bei den Dativverben/-varianten wird das Expletivum in nicht-initialer Position eher weggelassen, während es bei den Akkusativverben/-varianten in dieser Position eher obligatorisch ist, siehe Abschnitt 5.2.4.
96 b. Akkusativargument:
mich friert (es) mich dürstet/hungert (es) mich schaudert (es) mich ekelt (es) mich juckt es
c. Dativ-Akkusativ-Alternation:
mir/mich fröstelt (es) mir/mich graut/gruselt (es) mir/mich schwindelt (es)
Die Liste der Verben in (68) ist meines Wissens exhaustiv, bis auf die Konstruktionen aus sein + Adverb, die laut Behagel (1923) neuer sind als die meisten Simplexverben und deren Inventar mit jedem Adverb, das einen psychologischen Zustand beschreibt, erweitert werden kann (ihm ist schlecht, schwindelig, etc.)· Das thematische Argument wird dabei immer mit Dativ gelinkt. Zunächst ist wieder zu klären, ob das Akkusativ- bzw. Dativargument strukturell ist. Wie auch bei den zweistelligen Experiencer-Verben können weder Passiv noch die Blockierung zweier identischer Linker als Tests angewendet werden. Die Übrigen Tests liefern jedoch wieder Evidenz für den strukturellen Status des jeweiligen Arguments: generell kann das Dativ- bzw. Akkusativargument mehrere verschiedene thematische Rollen ausdrücken, zu jedem der einstelligen Experiencer-Verben existiert ein kanonisches Gegenstück, das auf dieselbe Situation referiert (siehe (69)), keines der Argumente kann durch andere Konstruktionen realisiert werden (siehe (70)) und die Verben unterliegen synchronen (siehe oben (68c)) oder diachronen (siehe (71)) Kasusalternationen.18 (69)
18
a. mir mir mir mir mir mir
ist (es) angst ich habe Angst ist (es) (un)wohl ich fühle mich (un)wohl ist kalt/warm ich friere/schwitze schwitzt es ich schwitze bangt (es)/ mir ist (es) bang ich bange / ich bin bang(e) schämt es ich schäme mich
b. mich friert (es) mich dürstet/hungert (es) mich schaudert (es) mich ekelt (es) mich juckt es
ich friere ich habe Durst/Hunger / ich hungere/dürste ich schaudere ich ekele mich der Mückenstich juckt (mich)/( ich jucke mich)
c. mir/mich fröstelt (es) mir/mich graut/gruselt (es) mir/mich schwindelt (es)
ich fröstele/friere ich graule/grusele mich / du gruseist mich (ich schwindele / der Kopf schwindelt mir)
Lediglich fUr schwindeln in (69c) scheint kein kanonisches Verb zu existieren, das auf dieselbe
Situation referiert.
97 (70)
a. *ln bezug auf mich ist (es) angst. b. iWas mich betrifft, schaudert es. c. *Für mich juckt es.
(71)
a. Akkusativ > Dativ > Akkusativ mich hungert > mir hungert > mich hungert b. Dativ > Akkusativ mir ekelt > mich ekelt grauen + Dat > mich graute jetzt so vor ihr/dich grauselt's (Paul 1919)
Zur Ermittlung der zugrundeliegenden Wortstellung können die meisten der in Abschnitt 4.2.1 verwendeten Tests hier nicht benutzt werden, da das Expletivum weder fokussiert noch erfragt werden kann und weder quantifiziert noch définit sein kann. Im Nebensatz steht das Expletivum immer vor dem Akkusativ-/Dativargument; die umgekehrte Reihenfolge ist nicht möglich (daß es ihm/ihn graut vs. *daß ihm/ihn es graut). Daraus kann jedoch nicht auf die zugrundeliegende Argumentabfolge geschlossen werden, da das Pronomen es - insbesondere in direkter Nachbarschaft zu anderen Pronomina - nicht defaultmäßig an seiner Basisposition realisiert wird (vgl. kanonische ditransitive Verben: daß der Mann der Frau das Buch schenkt (Nom-Dat-Akk) vs. daß er es ihr schenkt (Nom-Akk-Dat)). Zur Ermittlung der Argumentabfolge bleibt somit lediglich die VP-Topikalisierung. VP-Topikalisierung ist nicht möglich, wenn das thematische Argument im Dativ steht; wenn es dagegen im Akkusativ steht, ist sie eher akzeptabel, siehe (72a) versus (72b). Dies zeigt, daß die zugrundeliegende Wortstellung der Dativ- und Akkusativverben/-varianten unterschiedlich ist, wobei die Akkusativ-NP näher am Verb steht als die Dativ-NP. (72)
a. *Nein, mir vor Schlangen gebangt hat es noch nie. *Ihr im Dunkeln angst gewesen ist es schon immer. (*Dir vor Müdigkeit gefröstelt hat es schon immer.)19 b. Nein, mich vor Fröschen geekelt hat es noch nie. Ihn gejuckt hatte es an dieser Stelle vorher noch nie. Dich vor Müdigkeit gefröstelt hat es schon immer.
Da die Dativ-NP zusammen mit dem Verb keine Konstituente bildet, ist anzunehmen, daß das thematische Argument bei diesen Verben/Varianten an höchster Position in der Argumentstruktur steht. Seine Θ-Rolle ist lexikalisch mit [+hr] ausgezeichnet und wird daher mit Dativ gelinkt, wie in (73a) gezeigt. Bei den Akkusativverben/-varianten dagegen steht das thematische Argument, das mit dem Verb eine Konstituente bildet, an tiefster Position im ΘRaster. Diese Verben/Varianten weisen eine kanonische Argumentstruktur auf, so daß das thematische Argument mit Akkusativ gelinkt wird (73b).
19
Bei diesem Beispiel ist zu bedenken, daß die meisten meiner Informanten frösteln nur mit Akkusativ verwenden, weshalb der Satz auch allein wegen eines falschen Kasus als ungrammatisch gewertet sein könnte.
98 (73) lexikalisch: Default:
b. Akkusativ-Verben λy λχ [VERB (y)]
a. Dativ-Verben Xy λχ [VERB (χ)] +hr -hr -Ir +lr Nom Dat es
+hr -lr Akk
-hr +lr Nom es
Evidenz für diese Analysen liefern diachrone Kasusalternationen im Deutschen und anderen germanischen Sprachen. Im Gotischen stand der Experiencer einstelliger Verben gewöhnlich im Akkusativ oder Nominativ, so zum Beispiel bei grêdôn 'gierig/hungrig sein', huggrjan 'hungern' oder paúrsjan 'dürsten', siehe (74a). Zumindest bei pugkjan 'scheinen' stand der Experiencer aber auch im Dativ, siehe (74b) (Smith 1994).
(74)
a. pana gaggandan du mis dies.A gehend.A
zu ich.D
ni
huggreip jah
NEG
hunger.3S und
pana galaubjandan du mis
ni
paurseip hwanhun
dies.A glaubend.A
NEG
dUrst.3s
zu
ich.D
jemals
'Wer zu mir kommt wird niemals hungern und wer an mich glaubt wird niemals Durst haben.' (Jo. 6.35, nach Smith 1994:728)
b. pugkeip im
aúk
ei
in fíluwaúrdein seinái andháusjáindáu
schein.3s sie.D auch daß in viel-reden sie.GEN hör.PASS 'Es scheint ihnen auch, daß sie (erst) durch ihr vieles Reden gehört werden.' (Mt. 6.7, nach Smith 1994:728) Im Altisländischen stand der Experiencer ebenfalls im Akkusativ; lediglich bei einem einzigen Verb (skorta 'brauchen') kam neben dem gebräuchlicheren Akkusativ auch Dativ vor (Halldórsson 1982, nach Smith 1994). Im heutigen Isländischen wird der Akkusativ bei Experiencer-Verben durch Dativ ersetzt, siehe (75a,b). In einem weiteren Schritt kann der Dativ bei einigen Verben durch Nominativ ersetzt werden, siehe (75c). 20 Van Valin (1991) klassifiziert den Akkusativ der Experiencer-Verben als quirky case, den Dativ dagegen als strukturellen Kasus. Ebenso unterscheidet Smith diesen restringierten Experiencer-Akkusativ von einem zweiten, unmarkierten Akkusativ. (75)
a. Mig langar aö fara. ich.A sehn.3s zu fahr.iNF lit.: 'Mich sehnt (es) zu fahren.' b. Mér langar α δ fara. ich.D sehn.3s zu fahr.iNF lit.: 'Mir sehnt (es) zu fahren.'
20
Man beachte, daß die Akkusativ- und Dativverben im Isländischen wie im Deutschen unpersönlich verwendet werden, indem das Verb unveränderlich in der 3. Singular steht und nicht mit dem thematischen Argument kongruiert.
99 c. Ég langa ad fara. ich.N sehn.Is zu fahr.iNF lit.: 'Ich sehne zu fahren.' (Smith 1994:675f) Im Deutschen ist, wie die Beispiele oben in (71) zeigen, Akkusativ durch Dativ ersetzt worden und Dativ wieder durch Akkusativ. Daneben existieren auch Varianten mit Nominativ, siehe (69). Die oben beschriebenen Linkingmuster kommen folgendermaßen zustande: Im Gotischen gab es prinzipiell nur zwei strukturelle Linker, Nominativ und Akkusativ. Dativ war ein semantischer Kasus für Temporal- und Lokalangaben etc., der sich gerade erst zu einem strukturellen Linker entwickelte und in dieser Funktion hauptsächlich bei einigen dreistelligen Verben für das mittlere Argument verwendet wurde. In einem System mit zwei Linkern ist ein lexikalisch auf [+hr] festgelegtes Argument mit Akkusativ unifizierbar, wie in (76a) dargestellt (hier fehlt das Merkmal [±lr], weil zur Unterscheidung zweier Linker nur ein Merkmal nötig ist; das Expletivum steht in Klammern, wenn es nicht in allen Sprachen vorkommt). Diese Variante wird auch durch die Akkusativverben des Altisländischen exemplifiziert, die sich teilweise im heutigen Isländischen noch erhalten haben. Ebenso gehört hierher die erste Akkusativvariante von hungern aus (71a). Im heutigen Deutsch kommt diese Variante jedoch nicht mehr vor. Bei einem erweiterten Linker-Inventar von drei strukturellen Linkern wird die lexikalisch markierte Θ-Rolle mit Dativ unifiziert, siehe (76b). An der Argumentstruktur selbst und der lexikalischen Auszeichnung der höchsten Θ-Rolle hat sich nichts geändert; die lexikalische Markierung wird lediglich gemäß dem erweiterten LinkerInventar interpretiert. Durch die Einführung des dritten strukturellen Linkers ist ein zweites Merkmal zur Unterscheidung der Linker und Θ-Rollen nötig geworden, wodurch die lexikalisch markierte Argumentstelle wieder mit dem markiertesten Linker des Inventars unifiziert werden kann. Diese Variante wird durch das gotische Verb pugkjaa 'scheinen' und die Dativverben/-varianten des heutigen Isländischen und Deutschen illustriert. Variante (76c) entsteht durch den Verlust der lexikalischen Markierung, wodurch ein kanonisches zweistelliges Verb entsteht, wie es durch die Akkusativverben im Deutschen illustriert wird. (76d) schließlich stellt ebenfalls eine kanonische Variante dar, verfügt aber gegenüber (76c) nicht über ein Expletivum. Diese Variante kommt in allen vier hier betrachteten germanischen Sprachen vor. Xy
λχ +hr
b. Xy
-hr
-hr +lr -lr (Nom) Dat
(Nom) Akk
c. Xy
λχ
Isländisch Deutsch >
mir hungert
d. λχ
+hr -hr -lr +lr Akk Nom
-hr -lr Nom
Deutsch
Gotisch Altisländisch Isländisch Deutsch
(Gotisch)
Gotisch Altisländisch Isländisch (Deutsch) mich hungert
λχ +hr
> mich hungert es
ich hungere
100 Abschließend gehe ich wieder auf die Interpretationsunterschiede zwischen den ExperiencerVerben und ihren kanonischen Entsprechungen ein. Wie die markierten zweistelligen Experiencer-Verben weisen auch die einstelligen Dativ- oder Akkusativverben/-varianten im Gegensatz zu ihren kanonischen Gegenstücken keine Kontrolleigenschaften auf, so daß sie weder mit Adverbien wie gerne oder absichtlich, noch mit Finalsätzen kombiniert werden können, siehe (77). (77)
a.
5
Mir/Mich graut gerne, weshalb ich mir oft Horrorfilme ansehe. Ich grusele mich gerne, weshalb ich mir oft Horrorfilme ansehe. b. 5 Ihm/Ihn fröstelt absichtlich/gerne. Er friert absichtlich/gerne. c. 5/Ar hungert, um abzunehmen. Sie hungert, um abzunehmen.
Wie die Beispiele verdeutlichen, gibt es hinsichtlich der Kontroll- und Aspekteigenschaften keinen Unterschied zwischen den Dativ- und den Akkusativverben/-varianten, obwohl letztere nach der Analyse in (73) eine kanonische Argumentstruktur aufweisen. Das parallele Verhalten der beiden Verbtypen erklärt sich dadurch, daß das Expletivum in höchster Position des Θ-Rasters ebenso fehlende Kontrolleigenschaften des in der Θ-Rollenhierarchie nachfolgenden thematischen Arguments signalisieren kann, wie die lexikalische [+hr]-Markierung der thematischen Θ-Rolle selbst. Die Funktion des Expletivums bei den einstelligen Experiencer-Verben wird in Abschnitt 5.2.4 näher behandelt.
4.2.5 Freie Dative Die sogenannten freien Dative im Deutschen stellen fakultative Argumenterweiterungen von Basisverben dar und erlauben eine Reihe verschiedener Interpretationen wie Possessor (Pertinenzdativ), Benefizient/Malefizient oder Rezipient, siehe (78).21 Eine ausfuhrliche Behandlung derartiger Dativargumente findet sich in Wunderlich (1996b). (78)
a. Possessor/Pertinenzdativ: b. Rezipient: c. Benefizient:
Der Arzt näht dem Mann das Knie. Die Schneiderin näht dem Mann eine neue Hose. Die Kollegin näht dem Mann die zerrissene Hose.
Die Beispiele machen deutlich, wie eng verwandt die unterschiedlichen Deutungen des freien Dativarguments sind, denn tatsächlich würde jeder Satz alle drei Deutungen erlauben; die angegebenen Interpretationen sind lediglich präferiert. Sie ergeben sich aus der Interaktion der beteiligten Argumente, indem bei relationalen Nomina die Pertinenzdeutung präferiert ist, bei nicht-relationalen Nomina dagegen die Rezipienten- oder Benefizientendeutung. Diese Variation in der Interpretation des Dativarguments ergibt sich nach Wunderlich (1996b) wieder durch die konzeptuelle Ausdifferenzierung des Prädikates POSS, bzw. BECOME POSS bei telischen Verben. Die Argumenterweiterung mit POSS ist in (79) illustriert:
21
Ethicus und Iudicantis sollen hier ausgeklammert werden.
101 Das Dativargument ist höchstes Argument von POSS, das zweite Argument des Basisprädikats ist zugleich auch zweites Argument von POSS. Durch das Hierarchieprinzip und die LKommando-Bedingung wird 'z' zur mittleren Θ-Rolle während 'y* wie beim Basisverb tiefste Θ-Rolle bleibt. Als mittlere Θ-Rolle wird das neue Argument defaultmäßig mit Dativ gelinkt. (79)
ΛY λy +hr -lr Akk
λζ +hr +lr Dat
Is [NÄH (Χ,Y) & POSS (z,Y)](s) λχ -hr +lr Nom
Daß die freien Dative strukturelle Argumente sind, zeigen die Kookkurrenzbeschränkung in (80a) und die Passivierung in (80b). Daß das neue Argument mittleres Argument des Verbs ist, zeigen die Beispiele unter (81): Im Nebensatz steht das Dativargument vor dem Akkusativargument (siehe (81a)), nur in dieser Reihenfolge können beide NPs betont werden (siehe (81b)) und als einziges Argument kann nur das Akkusativargument zusammen mit dem Verb topikalisiert werden (siehe (81c)). (80)
a. *Der Arzt näht seinem KollegenBO* dem MannPms das Knie. *Die Schneiderin näht dem Μαηη^χ dem KundenR^ eine Hose. b. Der Mann bekommt das Knie genäht. Der Mann bekommt eine Hose genäht.
(81)
a. unmarkierte Wortstellung im Nebensatz Sie weiß, daß der Arzt dem Mann das Knie genäht hat. *Sie weiß daß der Arzt das Knie dem Mann genäht hat. Sie weiß, daß die Schneiderin dem Mann eine Hose genäht hat. *Sie weiß, daß die Schneiderin eine Hose dem Mann genäht hat. b. Wortstellung und Betonung ... weil der Arzt DEM MANN das Knie genäht hat ... weil der Arzt dem Mann DAS KNIE genäht hat *... weil der Arzt DAS KNIE dem Mann genäht hat ... weil der Arzt das Knie DEM MANN genäht hat c. VP-Topikalisierung Das Knie/eine Hose genäht hat er dem Mann. *Dem Mann genäht hat er das Knie/eine Hose.
Wie die Analyse in (79) oben gezeigt hat, wird das zusätzliche Dativargument kanonisch gelinkt. Dies trifft jedoch nur in Zusammenhang mit transitiven Basisverben zu. Bei intransitiven Basisverben erhält das durch POSS eingeführte Argument nach Wunderlich (1996b) dagegen die lexikalische Markierung [+lr], siehe (82), da es defaultmäßig als tiefstes von zwei strukturellen Argumenten nicht mit Dativ gelinkt werden würde. (82)
a. Er fuhr ihr auf die Stoßstange.
102 b. Die Krawatte hing ihm in die Suppe. c. lexikalisch: Default:
λΡ
λζ
+dir
+lr
PP
+hr Dat
λχ
Xs [FAHR/HÄNG (Χ) & POSS (ζ,χ) & P(x)](s)
-lr -hr Nom
Der unterschiedliche Status der freien Dative bei transitiven versus intransitiven Basisverben sollte sich in unterschiedlichen Verhaltensweisen niederschlagen und nicht eine rein theoretische Unterscheidung blieben. Da auch lexikalisch markierte Argumente strukturell gelinkt werden, besteht bezüglich der damit in Zusammenhang stehenden Eigenschaften jedoch kein Unterschied zwischen beiden Dativtypen. Bei Verben mit lexikalisch markierten Dativargumenten im Baskischen wurde beobachtet, daß einige Sprecher diese Verben nicht kausativieren können, weil dadurch der Effekt lexikalischer Markierung, das Linking mit einem fUr die Argumentposition nicht-kanonischen Kasus, verlorengeht (SLCHTBARKEIT-Prinzip, siehe Abschnitt 4.1.2). Auf die Dativerweiterungen im Deutschen bezogen, könnte sich ein Unterschied in der Passivierung zeigen, und tatsächlich können nur die kanonischen Dativargumente Subjekt im Rezipientenpassiv werden, nicht aber die lexikalisch markierten, siehe (83a) versus (83b,c). (83)
a. Der Mann bekam das Knie/eine Hose genäht. b. *Sie bekam auf die Stoßstange gefahren. c. *Er bekam die Krawatte in die Suppe gehängt.
Der Grund für die Ungrammatikalität von (83b,c) liegt jedoch nicht in einer Verletzung von SICHTBARKEIT für lexikalische Markierungen, sondern in einer Unverträglichkeit mit der Bedeutung von bekommen, da die Dativerweiterungen der intransitiven Basisverben nicht als Rezipienten interpretiert werden können. Somit dient dieser Unterschied nicht dazu, den unterschiedlichen formalen Status der Dativerweiterungen zu illustrieren. Wunderlich (1996b) motiviert die lexikalische Markierung bei intransitiven Basisverben dadurch, daß das markierte Argument tatsächlich nicht das tiefste strukturelle Argument in SF ist, da es von zwei Vorkommen von 'χ' eingerahmt wird, die beide in strukturellen Argumentpositionen stehen. Somit ist die lexikalische Markierung hier nicht durch eine besondere konzeptuelle Interpretation des Arguments bedingt, sondern spiegelt lediglich die SFPosition des Arguments wider. Damit würde sich auch erklären, warum sich keinerlei Unterschiede zwischen lexikalisch markierten und kanonischen Dativerweiterungen beobachten lassen. Es bleibt allerdings die Frage, wie legitim die Verwendung lexikalischer Auszeichnung in diesem Fall ist, da sie sich völlig von ihrer sonstigen Verwendung unterscheidet. Aus diesem Grund werde ich im folgenden nicht mehr auf diese Dativerweiterungen eingehen.
103 4.2.6 Fazit Auch im Deutschen treten lexikalisch markierte Argumente an höchster und an tiefster Position des Θ-Rasters auf. Anders als im Baskischen ist im Deutschen jedoch die Markierung mit [+lr], also die Markierung des tiefsten Arguments, sehr produktiv: Es gibt viele zweistellige Basisverben mit markiertem tiefstem Argument, und durch die Bildung von zweiund dreistelligen Präfix- und Partikelverben wird diese Klasse von Verben noch beträchtlich erweitert. Demgegenüber ist die Klasse der Verben mit markiertem höchsten Argument eher beschränkt. Es gibt zwar auch eine Reihe von Neubildungen von Experiencer-Verben bestehend aus Verb plus Partizip, wie unter (84), aber das Deutsche weist keine der baskischen Affektivalternation vergleichbare, produktive Operation zur Einführung markierter höchster Argumente auf. a. b. c. d. e. f.
ihr ist bewußt ihr ist bekannt ihr ist einsichtig ihr ist verständlich ihr ist begreiflich ihr kommen Zweifel an
sie weiß sie kennt sie sieht ein sie versteht sie begreift sie zweifelt an / sie bezweifelt
Dativ wurde im Deutschen immer wieder mit Belebtheit in Zusammenhang gebracht. Belebtheit ist jedoch weder eine Bedingung dafür, daß ein Argument im Dativ steht (siehe etwa die Beispiele in (55d,e) und (61b,c)), noch hat diese sortale Eigenschaft des Arguments direkt etwas mit seinem Kasus zu tun. Vielmehr ergibt sich die Belebtheit des Arguments aus dessen Einbettung in die semantische Repräsentation des Verbs und der damit verbundenen konzeptuellen Interpretation, indem ein Experiencer-Argument, also ein höchstes aber affiziertes Argument, typischerweise belebt ist, ebenso wie ein tiefstes Argument mit unabhängigen Kontrolleigenschaften oft belebt ist. Die freien Dative - und in den meisten Fällen auch die Dativargumente ditransitiver Basisverben - sind höchstes Argument des Prädikats POSS, und ein Possessor ist ebenfalls oft belebt; oder er steht in einer Teil-Ganzes-Beziehung zum Possessum. Belebtheit korreliert somit lediglich oft mit Dativ, diese sortale Eigenschaft und der Kasus des Arguments stehen jedoch in keinem kausalen Zusammenhang. Die Unterscheidung zwischen kanonischen und lexikalisch markierten Dativen im Deutschen wird durch Daten aus dem Spracherwerb bestätigt. Generell besteht der Erwerb eines Linkingsystems im Erwerb der positiven Linkermerkmale (Eisenbeiß, in Vorbereitung). Daraus ergeben sich zwei Vorhersagen: erstens sollte der Spracherwerb der Kasusmorphologie im Deutschen entsprechend der Markiertheitshierarchie der Kasus erfolgen und zweitens sollten Übergeneralisierungen nur in eine Richtung vorkommen, indem immer nur ein unmarkierter für einen markierteren Linker verwendet wird. Tatsächlich erfüllen sich beide Voraussagen: Nominativ wird vor Akkusativ und Akkusativ vor Dativ erworben (Clahsen et al. 1984), und weder Akkusativ noch Dativ werden in Kontexten verwendet, in denen ein
104 weniger markierter Linker möglich wäre (Clahsen 1984, Tracy 1984, Mills 1985)). 22 In die andere Richtung gibt es jedoch sehr wohl Übergeneralisierungen. Neben den Linkingmerkmalen ist auch die Unterscheidung zwischen kanonischem und lexikalisch konditioniertem Linking für den Spracherwerb relevant: Erstens werden lexikalische Markierungen erst später erworben, was sich dadurch zeigt, daß die ersten Dativformen bei ditransitiven Verben erscheinen (Clahsen et al. 1994) und daß lexikalisch markierte Verben zuerst mit einer kanonischen Linkerverteilung verwendet werden, siehe (85). 23 Das korrekte Kasusmuster der markierten Verben ergibt sich erst nach dem Erwerb des zweiten Linkingmerkmals [+lr] zur Unterscheidung von Dativ und Akkusativ und dem Erwerb der lexikalischen Markierung. (85)
a. agentives Nominativ-Dativ-Verb (Clahsen et al. 1994): du besser helf ich b. zweistelliges Experiencer-Verb (Eisenbeiß 1994): wer das gehört c. einstelliges Experiencer-Verb (Eisenbeiß 1994): der wird nich mehr kalt (= Dem Clown wird nicht mehr kalt.)
Zweitens unterscheiden sich die Fehlertypen bei lexikalisch markierten und kanonischen Dativargumenten (Eisenbeiß 1994): Während bei lexikalisch markierten Argumenten der Dativ verbspezifisch ersetzt wird, wird er bei kanonischen ditransitiven Verben konstruktionsabhängig ersetzt. Eisenbeiß hat in einem Elizitationsexperiment gezeigt, daß Kinder das tiefste Argument (DO) kanonischer ditransitiver Verben ebenfalls mit Dativ linken, wenn es dem mittleren Argument (10) im Mittelfeld unmittelbar vorausgeht:
22
23
Dies gilt fUr monolinguale deutsche Kinder. Parodi (1990) fand bei einem deutsch-fnuizösisch bilingualen Kind Übergeneralisierungen des Akkusativs für den Nominativ, und Brown (1973) und Budwig (198S) zeigen, daß beim Erwerb der englischen Sprache nicht-nominativische Subjekte die Regel sind. Im Englischen und Französischen spielen somit auch noch andere Faktoren als die positiven Linkingmerkmale beim Erwerb des Kasussystems eine Rolle. Alternativ werden sowohl lexikalisch markierte Argumente als auch kanonische Dative zuerst durch PPs ersetzt: a. zweistelliges Nominativ-Dativ-Verb (Eisenbeiß, pers. Mitteilung):
der winkt (wem winkt der denn da?)
zu de Vögel b. zweistelliges Experiencer-Verb (Eisenbeiß 1994):
der gehört von den c. kanonisches dreistelliges Verb (Eisenbeiß 1994):
fiir'n papa soliste aber den schenken dann hau ich bei die joana eine Da die Kinder hier keinen Unterschied zwischen kanonischen und markierten Dativen machen, ist die Ersatzstrategie kein Indiz für einen generellen nicht-strukturellen Status lexikalisch markierter Argumente.
105 (86)
a. ich geb der blumeoo der mädchen\o b. gib der maus^o der schildkröteio c. ich schenke der bienedo dem hasen¡o (Eisenbeiß 1994)
Die Spracherwerbsdaten des Deutschen liefern somit sowohl fur den strukturellen Status lexikalisch markierter Dative Evidenz als auch für eine Unterscheidung zwischen kanonischem Linking und lexikalischer Markierung.
4.3 Georgisch
Ähnlich wie im Baskischen und Deutschen, existieren auch im Georgischen sowohl Simplexverben mit lexikalisch markiertem Argument, als auch produktive Alternationen, die ein nicht-kanonisches Argument einführen, bzw. ein kanonisches Argument in ein markiertes Argument umwandeln. Zu den Simplexverben zählen sowohl Experiencer-Verben, also Verben, deren höchstes Argument lexikalisch markiert ist, wie miqvars 'lieben', mjuls 'hassen' und mtkiva 'schmerzen', siehe (87), als auch zweistellige agentive Verben, wie vuniaspiajldebi 'jemanden bewirten', vakvirdebi 'jemanden/etwas beobachten' und vaprtxildebi 'sich vor jemandem/etwas hüten', bei denen das tiefste Argument lexikalisch markiert ist, siehe (88).
(87)
(88)
Experiencer-Verb ma-s u-qvar-s er/sie-D 30.V-lieb-PRS.3S 'Er/sie liebt die Frauen.'
kal-eb-i. Frau-p-N
Agentives Nom-Dat-Verb lfac-i a-qver-d-eb-a kal-s. Mann-N 30.V-beobacht-iNZ-TH-PRS.3S Frau-D 'Der Mann beobachtet die Frau.'
Ebenso wie lexikalische Markierung bei Simplexverben sowohl das höchste als auch das tiefste Argument betreffen kann, können beide Argumente auch durch Alternationen markiert werden. Im Perfekt/Evidentialis etwa wird das höchste Argument des Verbs markiert und mit Dativ gelinkt: (89)
mdivan-s türme çeril-i da-u-çer-i-a. Sekretär-D anscheinend Brief-N PV-30-schreib-PF-3S 'Der Sekretär hat anscheinend den Brief geschrieben.'
Die Superessive Version führt dagegen ein markiertes tiefstes Argument ein, das ebenfalls mit Dativ gelinkt wird, siehe (90). Die Bezeichnung dieser Alternation rührt daher, daß das eingeführte indirekte Objekt eine Oberfläche bezeichnet.
106
(90)
tmma a-çer-s misamart-s kon vert-s. Vater.N 30.V-Schreib-PRS.3S Adresse-D Briefiimschlag-D lit.: 'Vater schreibt die Adresse dem Briefumschlag auf.'
Im folgenden werden die verschiedenen Arten markierter Argumente im Georgischen näher untersucht.
4.3.1 Experiencer-Verben Wie das Baskische und Deutsche verfügt das Georgische über eine Klasse zweistelliger Verben, deren höchstes Argument mit Dativ und deren tiefstes Argument mit Nominativ gelinkt wird, siehe die Beispiele unter (91).24 (91)
a. Sen megobar-i g-e-nafr-eb-a. du.D Freund-N 20-V-vermiß-TH-PRS.3S 'Der Freund fehlt dir.'/'Du vermißt den Freund.' b. Sen megobar-i mo-g-e-mfr-a. du.D Freund-N pv-20-V-vermiß-AOR.3S 'Der Freund hat dir gefehlt.'/'Du hast den Freund vermißt.' c. Sen megobar-i mo-g-aatr-eb-i-a. du.D Freund-N PV-20-vermiß-TH-PF.3S 'Der Freund soll dir gefehlt haben.'/'Du sollst den Freund vermißt haben.'
Außer durch ihre Argumentstruktur sind die Experiencer-Verben im Georgischen (und alle anderen Arten von Verben mit markiertem höchsten Argument, wie etwa die Verben in der Perfektgruppe, siehe Abschnitt 4.3.4) auch dadurch charakterisiert, daß die Kongruenzmarker, die sich auf das Nominativargument beziehen, weitgehend den flektierten Formen des Auxiliars entsprechen, siehe die Beispiele unter (92) und Tabelle (93), in der die SubjektKongruenzmorpheme der Experiencer-Verben mit den Präsensformen des Auxiliars vergli-
24
Neben den semantisch zweistelligen Experiencer-Verben verfügt das Georgische auch Uber eine Reihe von semantisch einstelligen Experiencer-Verben und Uber semantisch zweistellige Experiencer-Verben, die anstelle der Nominativ-NP eine Genitiv-NP aufweisen. Beide Verbklassen verfügen über ein nicht-thematisches Argument in der 3. Person und werden aus diesem Grund erst in Abschnitt 5.3.2 behandelt. Beispiele einstelliger Experiencer-Verben sind unter (a) aufgefllhrt und ein Beispiel für ein Genitiv-Verb unter (b): a.
m-ä-a lsO-hunger-PRS.3S 'mich hungert' = 'ich bin hungrig' (Tschenkéli 1958: 481)
b. m-e-Sini-a
Sen-i/jayi-isa/tvimprína v-isa.
1 sO-V-fÜrcht-PRS.3S du-GEN/Hund-GEN/Flugzeug-GEN 'Ich fürchte mich vor dir/dem Hund/einem Flugzeug.' (Harris 1981: 144)
107 chen und den Kongruenzmorphemen kanonischer Verben kontrastiert werden. 25 · 26 Die Auswahl des Kongruenzmorphems für Nominativargumente in der 3. Person ist bei den Experiencer-Verben verbabhängig, wie die Beispiele unter (94) zeigen. (92)
a. ma-s v-u-qvar-var er/sie-D lS-30.V-lieb-PRS.lS 'Er/sie liebt mich.' b. ma-s
u-gvar-xar
er/sie-D 30.V-lieb-PRS.2S
me. ich.N
gen. du.N
'Er/sie liebt dich.' (93)
ip 2p 3p
25
26
ma-s u-qvar-xar-t tkven. er/sie-D 30.V-lieb-PRS.2S-p ihr.N 'Er/sie liebt euch.'
Subjekt-Kongruenzmorpheme und Auxiliarformen
ls 2s 3s
(94)
ma-s v-u-qvar-vaM ¿ven. er/sie-D lS-30.V-lieb-PRS.lS-p wir.N 'Er/sie liebt uns.'
Subjekt(=Nominativ)-Kongruenzmorpheme kanonische Verben Experiencer-Verben v-...-var V-...-0 -xar -0 -s -s/a V-...-Í v-...-var-t -t -xar-t -en/an -s/a
a. ma-s e-nafr-eb-a er/sie-D 30.V-vermiß-PRS.3S 'Er/sie vermißt ihn/sie.'
is. er/sie.N
Auxiliar im Präsens v-ar x-ar ar-i-s v-ar-t x-ar-t ar-i-an
ma-s e-nafr-eb-a er/sie-D 30.V-vermiß-PRS.3S 'Er/sie vermißt sie.'
isini. sie.pN
Eine vollständige Aufstellung der Kongnienzmorpheme von Experiencer-Verben findet sich in Anhang II. Während die Suffixe der ersten und zweiten Person eindeutig das flektierte Auxiliar darstellen, ist dies für die Suffixe der dritten Person umstritten. Die Tatsache, daß das Suffix -a in Kopulasätzen regulär mit der Vollform der dritten Person aris alterniert (nach Vokalen steht -β, nach Konsonanten aris, siehe (a) versus (b)), spricht jedoch dafür, auch das -a der Experiencer-Verben als flektiertes Auxiliar anzusehen. a.
kargi-a. gesund-sei.PRS.3S 'Er/sie ist gesund.'
vina-a? wer.N-sei.PRsJS 'Wer ist das?'
b. avad ans. krank sei.PRS.3S 'Er/sie ist krank.'
vin aris? wer.N sei.PRS.3S 'Wer ist das?' (Vogt 1971: 138)
Zumindest das -s der dritten Person, das bei vielen Experiencer-Verben anstelle von -a verwendet wird (siehe Tabelle (93)), ist jedoch ein echtes Flexi v, und zwar dasselbe, das auch bei kanonischen Verben in der dritten Singular verwendet wird. Neben der Tatsache, daß die erste Person zusätzlich durch das reguläre Präfix v- markiert wird und für die anderen Tempora reguläre Flexive verwendet werden, zeigt dies, daß die Verbfomen heute nicht mehr als Vollverb plus Auxiliar analysiert werden können, sondern daß diese Zweiteilung ein Relikt der Entstehungsgeschichte der Verben ist.
108
b. ma-s u-qvar-s is. er/sie-D 30.V-lieb-PRS.3S cr/sie.N 'Er/sie liebt ihn/sie.'
ma-s u-qvar-s isini. er/sie-D 30.V-lieb-PRS.3S sie.pN 'Er/sie liebt sie.'
Als weiteres formales Charakteristikum der Experiencer-Verben wird in der Literatur oft das Phänomen der Inversion gesehen. Diese Sichtweise resultiert daraus, daß die Kongruenzmorpheme direkt in Beziehung zu logischen Relationen gesetzt werden: Kongruenzmorpheme, die sich bei kanonischen Verben auf das logische Subjekt beziehen, referieren bei Experiencer-Verben auf das logische Objekt, und Kongruenzmorpheme, die sich bei kanonischen Verben auf das direkte oder indirekte Objekt beziehen, referieren bei den ExperiencerVerben auf das logische Subjekt, siehe die Darstellung in (95). (95)
a. kanonisches Verb: (VERB (log.S, log.O)) I I AgrS AgrO b. Experiencer-Verb: (VERB (log.S, log.O)) I I AgrO AgrS
Im hier verwendeten theoretischen Rahmen ergibt sich dieses Problem jedoch nicht, da die Kongruenzmorpheme über ihre Linkingmerkmale (siehe Abschnitt 3.3.2) in Beziehung zu den Θ-Rollen des Verbs gesetzt werden. Dadurch bezieht sich das [+hr] (=Objekt-) Kongruenzmorphem bei allen Verbklassen auf die Θ-Rolle mit dem Merkmal [+hr] und das unmarkierte (=Subjekt-) Kongruenzmorphem auf die zweite Θ-Rolle, siehe die Darstellung in (96). (96)
a. kanonisches Verb: Xy
λχ
[VERB (x,y)]
+hr -lr I [+hr] AgrO
-hr +lr I [ ] AgrS (=Nom-NP im Präsens)
b. Experiencer-Verb: λy λχ lex.: +hr Def.: -hr -lr +lr I I [ ] [+hr] AgrS AgrO (=Nom-NP)
[VERB
(x,y)]
Neben Verben, die Gefühlszustände oder Bedürfnisse bezeichnen, zählen im Georgischen zur Klasse der Experiencer-Verben auch Verben wie makvs 'etwas haben', mqavs 'jemanden haben' und die zahlreichen, daraus abgeleiteten Bewegungsverben (z.B. damakvs 'etwas umhertragen', gadamakvs 'etwas hinübertragen/-bringen', gadmomqavs 'jemanden herüberführen/-fahren/-bringen', öamqavs 'jemanden hinunterführen/-fahren/-bringen\ Semqavs 'jemanden hineinführen/-fahren/-bringen', gamomakvs 'etwas hinaustragen/-bringen') (Tschenkéli 1958). Damit scheint diese Verbklasse im Georgischen noch weniger als im Baskischen und Deutschen durch die thematische Rolle eines Experience» für das höchste Argument bestimmt zu sein. Dies kann als Bestätigung für eine Analyse gewertet werden, die ohne Bezug auf thematische Rollen auskommt.
109 Unter morphologischen Gesichtspunkten können die georgischen Experiencer-Verben danach unterteilt werden, ob sie ein reines Kongruenzpräfix aufweisen, wie die Verben unter (97a), oder daneben über einen präradikalen Vokal verfügen, wie die Verben unter (97b-d). (97)
a. Verben ohne präradikalen Vokal: m-gav-s 'mir ist etwas Besitz' = 'ich habe etwas' lsO-hab-PRS.3S g-sur-s 'dir ist etwas Wunsch' = 'du wünschst etwas* 20-wünsch-PRS.3S
s-jul-s 30-haß-PRS.3S
b. Verben mit /-/«-: m-i-qvar-s lsO-V-lieb-PRS.3S g-i-nd-a 20-V-WO11-PRS.3S
u-kvir-s 30.V-Staun-PRS.3S
c. Verben mit a-\ m-a-kv-s lsO-V-hab-PRS.3S g-a-xsov-s 20-V-erinner-PRS.3S a-fd-i-a 30.V-mangel-PRS.3S d. Verben mit e-: m-e-sm-i-a 1 sO-V-hör-TH-PRS.3S
g-e-än-i-a 20-V-fllrcht-TH-PRS.3S e-jin-eb-a 30.V-Schlaf-TH-PRS.3S
'ihm/ihr ist jemand/etwas verhaßt' = 'er/sie haßt jemanden/etwas' 'mir ist jemand/etwas lieb' = 'ich lieb jemanden/etwas' 'dir ist jemand/etwas Wille' = 'du willst jemanden/etwas (haben)' 'ihm/ihr ist etwas zum Staunen' = 'er/sie staunt über etwas' 'mir ist etwas Besitz' = 'ich habe etwas' 'dir ist jemand/etwas Erinnerung' 'ihm/ihr ist etwas Mangel'
'mir ist etwas hörbar/vernehmbar/verständlich/begreiflich' 'dir ist etwas/jemand Furcht' = 'du fürchtest dich vor jemandem' 'ihm/ihr ist Schlaf = 'er/sie ist schläfrig' (Tschenkéli 1958: 451/452)
Die präradikalen Vokale haben jedoch bei den meisten Experiencer-Verben ihre eigentliche Funktion als Versionsvokale bzw. Passivmorpheme verloren, d.h. die Verben sind lexikalisiert, so daß die morphologische Unterscheidung ohne Konsequenzen für die Analyse bleibt. Wie im Baskischen und Deutschen auch, sollen die georgischen Experiencer-Verben so analysiert werden, daß sie ein mit [+hr] markiertes höchstes Argument aufweisen. Das in Abschnitt 4.1.2 eingeführte Constraint SICHTBARKEIT bewirkt, daß dieses Argument mit Dativ gelinkt wird (und Ergativ ausgeschlossen wird). Das zweite Argument wird mit Nominativ gelinkt, wie in (98) gezeigt.
110 (98)
ΛY
lexikalisch: Default:
λχ
[ V E R B (Χ,Y)]
+hr -hr -Ir +lr Nom Dat
Evidenz für diese Analyse findet sich erstens in der unmarkierten Stellung der Argumente dieser Verben gegenüber den Argumenten kanonischen Verben: Während bei den Experiencer-Verben die Dativ-NP vor der Nominativ-NP steht, steht sie bei kanonischen Verben hinter der Nominativ-NP, siehe (99) versus (100). (99)
a. deda-s bavSv-i u-gvar-s. Mutter-D Kind-N 30.V-lieb-PRS.3S 'Die Mutter liebt das Kind.' (Vogt 1971: 136) b. jayi-s s-jul-s hifi. Hund-D 30-haß-PRS.3S Katze.N 'Dem Hund ist die Katze verhaßt.'/'Der Hund haßt die Katze.' (Tschenkéli 1958:447)
(100) jayl-i s-damj¡-ob-s saxl-s. Hund-N 30-bewach-TH-PRS.3S Haus-D 'Der Hund bewacht das Haus.' (Tschenkéli 1958: 447) Zweitens liefern Bindungsdaten Evidenz für die oben angenommene Reihenfolge der Argumente. Das Reflexivum tavis wird bei Experiencer-Verben durch die Dativ-NP gebunden, siehe (101a) und (102a). Satz (101b) zeigt demgegenüber, daß tavis bei kanonischen Verben durch die Nominativ/Ergativ-NP gebunden wird, und Satz (102b) zeigt, daß tavis bei Experiencer-Verben nicht durch die Nominativ-NP gebunden werden kann. Diese Daten bestätigen, daß das Dativargument, anders als bei kanonischen Verben, bei den Experiencer-Verben höher als das Nominativargument rangiert. (101) a. deda-s i u-gvar-s tav-is-i ι Svil-i. Mutter-D 30.V-lieb-PRS.3S Kopf-GEN-N Kind-N 'Die Mutter liebt ihr Kind.' b. deda, kocni-s tav-is ¡ Svil-s. Mutter.N 30.umarm-PRS.3S Kopf-GEN Kind-D 'Die Mutter umarmt ihr Kind.' (Vogt 1971: 136) (102) a. temur-s ¡ u-qvar-s tav-is-i i tav-i. Temur-D 30.V-lieb-PRS.3S Kopf-GEN-N Kopf-N 'Temur liebt sich selbst.' b. *tav-iSi tav-s u-qvar-s temur-i,. Kopf-GEN Kopf-D 3S.V-lieb-PRS.30 Temur-N 'Er selbst liebt Temur.' (Harris 1981: 143)
Ill Drittens zeigt auch die Numeruskongruenz von Argumenten der dritten Person, daß das Dativargument bei georgischen Experiencer-Verben höher rangiert als das Nominativargument. Während bei kanonischen Verben der Plural eines Ergativ- bzw. Nominativarguments in der 3. Person am Verb markiert wird, wird bei Experiencer-Verben der Plural eines Dativarguments in der 3. Person markiert, siehe (103). Der Numerus des Nominativarguments ist für die Kongruenz irrelevant.
(103) a. u-gvar-s
igU
igi-ni
ma-s.
30.V-lieb-PRS.3S er/sie.N/ er/sie-pN er/sie-D
lit.: 'er/siesg/pi ist/sind ihn/ihr lieb' = 'er/siesg liebt ihn/siesg/pi'
b. u-qvar-t
igi/
igi-ni
ma-t.
30.V-Iieb.PRS.3S-p er/sie-pN/ er/sie-pN er/sie-pD lit: 'er/sie ist/sind ihnen lieb' = 'sie lieben ihn/siesg/pi' (Vogt 1971: 135) Pluralkongruenz bei 3. Person wird oft als ein Kriterium zur Bestimmung des grammatischen Subjekts verwendet (z.B. in Aronson 1970, 1976, 1994, ImnaiSvili 1957 und Zorell 1930), um zu zeigen, daß im Modernen Georgischen anders als im Altgeorgischen die DativNPs der Experiencer-Verben (und auch die des Perfekts) grammatische Subjekte sind. Im Altgeorgischen lösten bei allen Verbklassen nur Nominativ- bzw. Ergativ-NPs in der 3. Person Subjekt-Pluralkongruenz aus:
(104) u-qvar-an
igi-ni
ma-s
30.V-lieb-3pS er/sie-pN er/sie-D 4 er/sie liebt sie' (Vogt 1971: 135) Neben dieser Subjekt-Pluralkongruenz gab es im Altgeorgischen ein distinktes Pluralmorphem -(e)n für (logische) direkte Objekte. Satz (105a) zeigt ein kanonisches Verb, bei dem das direkte Objekt im Nominativ den en-Plural auslöst. Bei Experiencer-Verben löste früher ebenfalls das Nominativargument, also wieder das logische direkte Objekt, diese Objektkongruenz aus, siehe (105b).
(105) a. vixile-n
otx-ni angeloz-nL
lS.seh.AOR-pO vier-pN Engel-pN 'Ich sah vier Engel.' (ImnaiSvili 1961: Rev 7:1, nach Harris 1985: 210)
b. Se-e-çqal-n-es
igi-ni
iesu-s.
PV-30.V-bemitleid-p0-PRS.3S er/sie-pN Jesus-D 'Jesus hat Mitleid mit ihnen.' (Blake 1976: Mt 20:34AB, nach Harris 1985:215) Bei zweistelligen Passiva (siehe Abschnitt 4.3.3, Beispiele (146) und (147)) zeigt sich jedoch, daß alternativ die Nominativ- oder die Dativ-NP Pluralkongruenz auslösen können, so daß dieses Kriterium zur Bestimmung des grammatischen Subjekts ungeeignet ist. Ich interpretiere diese Daten vielmehr so, daß sich heute gegenüber früher nicht der grammatische Status der Argumente geändert hat, sondern daß sich der Anwendungsbereich der Pluralkongruenz vom grammatischen auf das logische Subjekt, d.h. das höchste Argument ausgedehnt,
112 bzw. verschoben hat, so daß dieses Kriterium nun zur Ermittlung der Argumenthierarchie verwendet werden kann. Die Argumenthierarchie der Experiencer-Verben wird viertens durch die Verwendung von Suppletivformen deutlich, die zur Bildung anderer Tempora und Modi als dem Präsens verwendet werden. Beim Ersatz des Experiencer-Verbs durch ein kanonisches Suppletivverb zur Bildung von Aoristformen steht das höchste Argument im Ergati ν und das tiefste Argument im Nominativ, siehe (106b).27 (106) a. gela-s çign-eb-i mi-a-kav-s samkitxvelo-Si. Gela-D Buch-p-N PV-30.V-nehm-PRS.3S Leseraum-in 'Gela nimmt die Bücher mit in den Leseraum.' b. gela-m çign-eb-i mi-i-tan-s samkitxvelo-Si. Gela-E Buch-p-N PV-30.V-nehm-AOR.3S Leseraum-in 'Gela nahm die Bücher mit in den Leseraum.' (Harris 1981: 127) Fünftens zeigt eine Kopula-Konstruktion mit Adjektiven wie advili 'leicht, einfach', jneli 'schwer, schwierig' und sasiamovno 'nett, angenehm', daß bei Experiencer-Verben das Nominativargument unter dem Dativargument rangiert. Bei dieser Konstruktion wird jeweils das tiefste Argument eines Verbs zum Subjekt der Kopula (Harris 1981). Dies ist in (107) anhand des kanonischen ditransitiven Verb çetns 'geben' illustriert. Wie der Kontrast zwischen (107b) und (107c) zeigt, kann bei diesem Verb nur das tiefste Argument, d.h. das direkte Objekt, Subjekt des Kopulasatzes werden. (107) a. anzor-s saöukar-i mi-s-ç-a. Anzor-D Geschenk-N PV-30-geb-AOR.3S 'Er/Sie gab Anzor ein Geschenk.' b. saöukar-i Geschenk-N
jneli-a
anzor-is-tvis
mi-s-a-çem-ad.
schwer-sei.PRS.3S Anzor-GEN-fÜr
PV-30-V-geb-ADV
'Ein/Das Geschenk ist Anzor schwer zu geben.' c. *anzor-i Anzor-N
jneli-a
(saöukr-is)
mi-s-çem-ad.
schwer-sei.PRS.3S Geschenk-GEN PV-30-geb-ADV
'(Dem) Anzor ist schwer (ein Geschenk) zu geben.' (Harris 1981: 64) Bei Experiencer-Verben kann das Thema-Argument, nicht jedoch das Experiencer-Argument angehoben werden, siehe (108b) versus (108c). Diese Konstruktion liefert somit Evidenz, daß das Thema das tiefere der beiden Argumente der Experiencer-Verben ist. (108) a. vano-s s-jul-s direktor-i. Vano-D 30-haß-PRS.3S Direktor-N 'Vano haßt den Direktor.'
27
Die Verwendung der Suppletivformen ist wohl durch S I C H T B A R K E I T motiviert, denn im Aorist wUrde die Realisierung des höchsten Arguments im Ergativ dazu führen, daß dessen lexikalische Markierung 'unsichtbar' wird.
113 b. direktor-i
advili-a
vano-s-tvis Se-s-a-juJ-eb-Jad.
Direktor-N leicht-sei.PRS.3S Vano-GEN-fÜr PV-30-V-haß-TH-ADV
lit.: 'Der Direktor ist leicht von Vano zu hassen.' 'Es ist leicht für Vano, den Direktor zu hassen.' (Harris 1981: 139/140) c. *vano-s advili-a
direktor-is
Vano-D leicht-sei.PRS.3S Direktor-GEN
Se-s-a-juJ-eb-hd. PV-30-V-haß-TH-ADV
'(Dem) Vano ist es leicht, den Direktor zu hassen.' Sechstens zeigt auch die Kombination mit dem Kontrollverb unda 'wollen' (das selbst unter die Kategorie der Experiencer-Verben im Georgischen fällt) dasselbe Resultat in Bezug auf die Argumenthierarchie, unda kann mit einem abhängigen Verb nur dann direkt kombiniert werden, wenn die höchsten Argumente beider Verben koreferent sind, anderenfalls muß eine Nebensatzkonstruktion gebildet werden. Bei kanonischen ditransitiven Verben muß das Nominativ- bzw. Ergativargument mit dem Dativargument von unda koreferent sein, bei Experiencer· Verben dagegen das Dativargument, siehe (109a) und (110a) gegenüber (109b) und (110b) ohne Koreferenz. (109) a. me m-i-nd-a aazor-s saöukar-i mi-v-s-ç-e. ich.D 1SO-V-WO11-PRS.3S Anzor-D Geschenk-N PV-lS-30-geb-KONJ.l/2S 'Ich möchte Anzor ein Geschenk geben.' b. me m-i-ad-a, rom anzor-ma saöukar-i mo-m-ç-es. ichJ) 1SO-V-WO11-PRS.3S daß Anzor-E Geschenk-N PV-lsO-geb-KONJ.3S 'Ich möchte, daß Anzor mir ein Geschenk gibt.' (110) a. me m-i-nd-a is kac-i ich.D 1SO-V-WO11-PRS.3S dies Mann-N 'Ich möchte den Mann hassen.'
m-jul-d-es. lsO-haß-INZ-KONJ.3S
b. me m-i-ad-a, rom am kac-s v-jul-d-e. ich.D 1SO-V-WO11-PRS.3S daß der Mann-D lS-30.haß-INZ-KONJ.l/2S 'Ich möchte, daß der Mann mich haßt.' Siebtens zeigen auch Nominalisierungen, daß sich der Dativ-Experiencer wie das höchste Argument kanonischer Verben verhält: Das höchste Argument zweistelliger kanonischer Verben und das Dativargument von Experiencer-Verben werden bei Nominalisierungen als PP mit mier 'von' realisiert, siehe (llla,c), während das Argument einstelliger kanonischer Verben (genau wie das tiefste Argument zweistelliger kanonischer Verben) und das Nominativargument von Experiencer-Verben als Genitiv-NP realisiert werden, siehe (11 lb,c). (111) a. monadir-is mier mokvit afaya/uli-a. Jäger-GEN von töten.N verboten-sei.PRS.3S lit.: 'Das Töten durch die Jäger ist verboten.' 'Es ist den Jägern verboten zu töten.'
114 b. arapropesional-eb-is
m diroba am tge-Si akijaluli-a. dies Wald-in verboten-sei.PRS.3S lit.: 'Das Jagen Nicht-Professioneller ist in diesem Wald verboten.' 'Es ist Nicht-Professionellen verboten, in diesem Wald zu jagen.'
NEG.professionell-p-GEN jagen.N
c. tkveni megobr-is daviçqeba öem mier didi uzrdeloba-a. euer Freund-GEN vergessen.N mein von groß unhöflich-sei.PRS.3S lit.: 'Das Vergessen eures Freundes durch mich war sehr unhöflich.' 'Es war sehr unhöflich von mir, euren Freund zu vergessen.' (Harris 1984: 273) Schließlich zeigen Alternationen wie Passivierung und Perfekt im Georgischen (siehe Abschnitte 4.3.3 und 4.3.4), die jeweils das höchste Argument zu einer obliquen Phrase herabstufen bzw. mit [+hr] markieren, daß bei Experiencer-Verben das Dativargument an höchster Stelle steht. Beispiel (112b) zeigt, daß im Passiv das Dativargument der Experiencer-Verben fortfällt, während das Nominativargument zum Passivsubjekt wird. (112) a. vaao-s s-juJ-s direktor-i. Vano-D 30-haß-PRS.3S Direktor-N 'Vano haßt den Direktor.' b. direkpr-i Se-jul-eb-ul-i-a. Direktor-N PV-30.haß-TH-PART-PASS-PRS.3S 'Der Direktor wird gehaßt.' (Harris 1981: 139) Im Perfekt bleibt die Kasusverteilung der Argumente gleich, d.h. der Experiencer wird mit Dativ und das Thema mit Nominativ gelinkt, siehe (91c) oben. Wenn das Thema höchstes Argument wäre, mtißte es anstelle des Experiencers im Perfekt im Dativ stehen (vgl. kanonische Verben im Perfekt in Abschnitt 4.3.4). Wie auch im Baskischen und Deutschen ist die lexikalische Markierung des höchsten Arguments im Georgischen darin begründet, daß das Argument keine Kontrolleigenschaften aufweist. Dies zeigt sich beim Vergleich der Experiencer-Verben mit kanonischen Gegenstücken. Die kanonischen Verben mit Ergativsubjekt in (113b/114b) drücken gegenüber den Experiencer-Verben mit Dativsubjekt in (113a/114a) einen bewußten, aktiven Vorgang seitens des Experiencers aus. 28
28
Wie bereits oben erwähnt, weisen die Experiencer-Verben nur im Präsens spezifische Formen auf, während sie in anderen Tempora andere Konjugationsschemata verwenden. Dabei sind einige Verben auf bestimmte morphologische Schemata festgelegt. So verwenden die meisten Verben, die Geftlhlszustände ausdrucken, das Schema der relativen Passiva mit e-, während die Bewegungsverben das Schema der kanonischen Transitiva verwenden. Andere Verben können verschiedene Schemata wählen und so Bedeutungsunterschiede ausdrucken, wie etwa das folgende Verb: a.
tn-jul-s (Experiencer-Verb) lsO-haß-PRS.3S
lit. 'mir ist jemand/etwas verhaßt' = 'ich hasse jemanden/etwas'
115 (113) a. pefre-s mo-e-çon-a gadaçgvetileba. Peter-D PV-30.V-mög-AOR.3S Entscheidung.N 'Peter mochte die Entscheidung.' b. petre-m mo4-çon-a gadaçgvetileba. Peter-Ε PV-30.V-mög-AOR.3S Entscheidung.N 'Peter stimmte der Entscheidung zu.' (114) a. pefre-s pavle flcviani adornimi e-goa-a. Peter-D Paul.N klug Mann 30.V-denk-AOR.3S 'Peter hielt Paul für einen klugen Mann.' b. pepe-m axali tamaS-i mo4-goa-a. Peter-Ε neu Spiel-N PV-30.V-denk-AOR.3S 'Peter erfand ein neues Spiel.' (Komlósy 1982: 364/365) Der Interpretationsunterschied zwischen beiden Verbtypen zeigt sich auch bei der Kombination mit Adverbien wie damiznulad 'absichtlich', die bei kanonischen Verben möglich ist, bei Experiencer-Verben mit Dativsubjekt dagegen nicht, siehe (115a) versus (115b). (115) a. deda-m gasay-eb-I damiznulad da-karg-a.29 Mutter-Ε Schlüssel-p-N absichtlich PV-30.verlier-AOR.3S 'Mutter hat den Schlüssel absichtlich verloren.' b. deda-s gasay-eb-i turme/*damiznulad da-e-lfnrg-a. Mutter-0 SchlUssel-p-N anscheinend/absichtlich PV-30.V-verlier-AOR.3S 'Mutter hat den Schlüssel anscheinend/*absichtlich verloren.' Somit hat sich gezeigt, daß die Tests für Argumenthierarchie und Kontrollfähigkeit die in (98) angenommene Analyse der Experiencer-Verben bestätigen.
b.
c.
m-e-jul-eb-a (relatives Passiv mit e-, perfektiv) lsO-V-haß-TH-PRS.3S lit.: 'mir wird jemand/etwas verhaßt sein' = ich werden jemanden/etwas hassen' Lesart: dauernd das Gefühl des Hasses in sich tragen oder sich im Zustand des Hassens befinden Se-m-juJ-d-eb-a (relatives Passiv/Inzeptiv mit -d, perfektiv) pv-1 sO-haß-iNZ-TH-PRS.3S
lit.: 'mir wird jemand/etwas verhaßt sein' = ich werden jemanden/etwas hassen' Lesart: allmähliches Entstehen oder auch plötzliches Eintreten des Haßgefllhls d.
29
Se-v-i-3ul-eb (transitiv, perfektiv) pv-lS-30.V-haß-TH.PRS.l/2S 'ich werde jemanden/etwas hassen1 Lesart: willensmäßig oder bewußt in sich das Gefühl des Hasses gegen jemanden aufkommen lassen (Tschenkéli 1958: 46S/466)
'Schlüssel' ist ein Pluraletantum, das mit Singular kongruiert.
116 4.3.2 Versionsverben Unter dem Begriff 'Version* werden im Georgischen verschiedene, verwandte Diathesen zusammengefaßt, wobei 'Version' eine Übersetzung des georgischen Begriffs kceva 'Wandlung' darstellt (Boeder 1968). Allen Versionen ist gemeinsam, daß sie durch einen Vokal vor der Wurzel des Verbs gekennzeichnet werden. Die verschiedenen Vokale sind unter (116) zusammen mit ihren wichtigsten Funktionen aufgeführt. 30 In Klammern stehen die seit Sani3e (1926) gebräuchlichen Bezeichnungen für die Funktion der Vokale. (116) /-: 1. führt reflexives 10 ein (Subjektive Version) 2. führt Benefizient/Rezipient/Possessor (=10) in der 1./2. Person ein (Objektive Version) U-: führt Benefizient/Rezipient/Possessor (=10) in der 3. Person ein (Objektive Version)31 a- 1. führt Oberfläche (=10) ein (Superessive Version) 2. erscheint bei kausativen und denominalen Verben (Neutrale Version) e-: führt 10 bei passiven Verben ein Die folgenden Beispiele verdeutlichen die Funktionen der Versionsvokale. Die Objektive Version, angezeigt durch die Vokale i-/u-, erhöht die Stelligkeit des Basisverbs um ein Dativargument. Die Objektive Version hat diesen Namen erhalten, weil sie ausdrückt, daß die Verbhandlung zugunsten des vom eingeführten Objekt bezeichneten Individuums ausgeführt wird. Unter semantischen Gesichtspunkten können zwei Varianten der Objektiven Version unterschieden werden: eine Benefaktiv-Erweiterung (0VBENE) wie unter (117) und eine Possessiv-Erweiterung (0V r o s s ) wie unter (118). (117) Objektive Version als Benefaktiv-Erweiterung32 a. Neutrale Version mit zugrundeliegendem indirekten Objekt 33 ma-η
mo-m-par-a
(me)
vaili.
er/sie-E PV-lsO-stehl-AOR.3S ich.D Apfel.N ' E r / s i e hat m i r ( = v o n mir) e i n e n A p f e l g e s t o h l e n . '
b. Objektive Version ma-η
mo-m-i-par-a
(me)
er/sie-E
Pv-lsO-V-stehl-AOR.3S
ich.D Apfel.N
vaili.
'Er/sie hat mir (= für mich) einen Apfel gestohlen.' (Boeder 1968:94)
30 31
32 33
Eine detaillierte Analyse der Funktion der präradikalen Vokale findet sich in Boeder (1968). u- ist nach Harris (1981) durch eine synchrone morphophonemische Regel aus den Objektmarkem der dritten Person s-/h- und dem Versionsvokal i- entstanden. Pronomina in Klammern unterliegen dem pro-Drop. Die Neutrale Version kann, wie in diesem und anderen Beispielen unten, auch unmarkiert bleiben.
117 (118) Objektive Version als Possessiv-Erweiterung a. Neutrale Version mit Genitivattribut rnzia çmend-s dis pexsacml-eb-s. Mzia.N 30.reinig-PRS.3S Schwester.GEN Schuh-p-D 'Mzia reinigt die Schuhe der Schwester.' b. Objektive Version mzia u-çmend-s da-s pexsacml-eb-s. Mzia.N 30.V-reinig-PRS.3S Schwester-D Schuh-p-D 'Mzia reinigt der Schwester die Schuhe.' (Harris 1981: 87) Die Subjektive Version (SV), markiert mit i-, bringt zum Ausdruck, daß die Handlung zugunsten des vom Subjekt bezeichneten Individuums ausgeführt wird. Damit sind Subjektive und Objektive Version komplementär zueinander. Ebenso wie bei der Objektiven Version kann auch hier eine possessive und eine benefaktive Lesart unterschieden werden, siehe (119a) versus (120b). Da das indirekte Objekt bei der Subjektiven Version mit dem Subjekt koreferent ist, wird es nie als Kongruenzaffix oder Pronomen realisiert. Somit verfügt ein Verb in der Subjektiven Version im Gegensatz zu den anderen Versionen nur Uber zwei overt realisierte Argumente. (119) a. Neutrale Version mit Genitivattribut me Se-v-a-xvi-e öem-i ich.E PV-lS-30.V-verbind-AOR.l/2S ich.GEN-N 'Ich habe meine Vase eingepackt.'
vaza.u Vase.N
b. Subjektive Version mit Benefaktivlesart me Se-v-i-xvi-e pexi/vaza. ich.E PV-1S-30.V-verbind-AOR.1/2S Fuß.N/Vase.N 'Ich habe mir den Fuß verbunden.'/'Ich habe mir die Vase eingepackt.' c. Objektive Version Sea Se-m-i-xvi-e pexi. du.E pv-lsO-V-verbind-AOR.l/2S Fuß. Ν 'Du hast mir den Fuß verbunden.' (120) a. Neutrale Version me v-a-sx-am mvino-s öem-tvis. ich.Ν lS-30.V-einschenk-TH.PRS. 1/2S Wein-D i c h . G E N - f ü r 'Ich schenke für mich Wein ein.' b. Subjektive Version mit Possessivlesart me vÀ-sx-am mvino-s. ich.N 1 S-30.V-einschenk-TH.PRS. 1/2S Wein-D 'Ich schenke mir Wein ein.' (Tschenkéli 1958:249)
34
Die Neutrale Version wird nur bei alienablen Possessiva verwendet.
118 Die Superessive Version (SUV), die mit dem Vokal a- markiert wird, hat diese Bezeichnung erhalten, weil das durch sie eingeführte indirekte Objekt eine Oberfläche bezeichnet. Sie kann als spezifische Variante der in anderen Sprachen auftretenden Lokativ-Alternation angesehen werden. Wie bei den vorigen Versionen können auch bei der Superessiven Version zwei Varianten unterschieden werden, die sich hier als dynamische versus statische Lesart ausdrücken, siehe (127) versus (122): (121) Superessive Version mit Ziel-Lesart a. Neutrale Version plus PP mama çer-s misamart-s konvert-ze. Vater.N 30.schreib-PRS.3S Adresse-D Briefixmschlag-auf 'Vater schreibt die Adresse auf den Briefumschlag.' b. Superessive Version plus indirektes Objekt mama a-çer-s misamart-s konvert-s. Vater.N 30.V-schreib-PRS.3S Adresse-D Briefumschlag-D lit.: 'Vater schreibt die Adresse dem Briefumschlag auf.' (Tschenkéli 1958: 394) (122) Superessive Version mit statischer lokaler Lesart a. ma-a mxolod tavtav-i Se-a-krip-a purisqam-s. er/sie-E nur Ähre(n)-N Pv-30.V-schneid-AOR.3S Weizenfeld-D 'Er/sie hat auf dem Weizenfeld nur die Ähren abgeschnitten.' b. buz-i m-a-zi-s xel-ze. Fliege-N lsO-V-sitz-PRS.3S Hand-auf 'Die Fliege sitzt mir auf der Hand.' (Boeder 1968: 113) Im Verhältnis zu den anderen Versionen bringt die Neutrale Version (NV) keine genaue Bestimmung Uber das Verhältnis des indirekten Objekts zu den anderen Argumenten zum Ausdruck.35 Der Versionsvokal a- ist allgemein das Zeichen von abgeleiteten Verben und tritt so bei kausativen, denominalen und deadjektivischen Verben auf, auch wenn diese nicht Uber ein indirektes Objekt verfugen, siehe (123).
35
Die Interpretation des indirekten Objektsrichtetsich in diesem Fall nach der Verbsemantik. So bezeichnet das indirekte Objekt des ditransitiven Verbs flir 'stehlen' in (117a) oben einen Ursprung, wahrend es beim ditransitiven 'schreiben' ein Ziel denotiert: a.
çeril-i mi-s-çer-a yna-s. Brief-N PV-30-schreib-A0R.3S Bruder-D 'Er/sie schrieb seinem Bruder einen Brief.' (Harris 1981:93)
Ein durch die Objektive Version eingeführtes indirektes Objekt hat bei beiden Verben jedoch die Interpretation eines Benefizienten, vergleiche (117b) und den folgenden Satz: b.
çeril-i da-u-çer-a
yaa-s.
Brief-N PV-30.V-schreib-AOR.3S
Bruder-D
'Er/sie schrieb einen Brief für seinen Bruder.' (Harris 1981: 93)
119 (123) a. Basisverb ohne Versionsvokal Tamaz-i φαια-s pur-s. Tamaz-N 30.eß-PRS.3S Brot-D 'Tamaz ißt Brot.' b. Neutrale Version bei Kausativ Tamaz-i a -Çm-ev-s Svil-s pur-s. Tamaz-N 30.V-eß-CAUS-PRS.3S Kind-D Brot-D 'Tamaz läßt das Kind Brot essen.' (Boeder 1989: 167) c. Denominale Verben saxli 'Haus' didi 'groß'
v-a-saxl-eb v-a-did-eb
'ich siedle ihn/sie/es an' 'ich vergrößere ihn/sie/es'
Als Neutrale Version wird auch die unmarkierte Basisform eines Verbs bezeichnet, wie etwa in (117a), (118a) und (119a). Der Versionsvokal e- schließlich ist auf Passiva beschränkt, bei denen er fìlr alle Arten von indirekten Objekten verwendet wird. Dies zeigt die folgende Gegenüberstellung von aktiven und passiven Sätzen: In (124a) markiert im Aktiv ein i- die Objektive Version, und in (125a) zeigt im Aktiv ein a- die Superessive Version an. Demgegenüber steht in den passiven Sätzen in (124b/125b) in beiden Fällen unterschiedslos ein e-, (124) a. Objektive Version im Aktiv (Verbklasse 1) me g4-çer çeril-s. ich.Ν 20-V-schreib.PRS. 1/2S Brief-D 'Ich schreibe dir (= für dich) einen Brief.' b. e- im Passiv (Verbklasse 2) çeril-i g-e-çer-eb-a. Brief-N 20.V-schreib-ra-PRS.3S 'Der Brief wird dir (= für dich) geschrieben.' (Boeder 1968: 129) (125) a. Superessive Version im Aktiv (Verbklasse 1) misamart-s v-a-çer Rouverts. Adresse-D lS-30.V-schreib.PRS.l/2S Brief-D 'Ich schreibe die Adresse auf das Kuvert.' b. e- im Passiv (Verbklasse 2) misamart-i e-çer-eb-a konvert-s. Adresse-N 30-V-schreib-TH-PRS.3S Brief-D 'Die Adresse wird auf das Kuvert geschrieben.' (Boeder 1968: 130) In diesem Abschnitt werden nur die Objektive, Subjektive und Superessive Version weiter behandelt. Der Versionsvokal e- und seine Verwendung wird in Abschnitt 4.3.3 in Zusammenhang mit den Passiva behandelt, und Kausativa werden in Kapitel 6 analysiert. Unter (126)-(128) sind verschiedene denkbare Analysen für die hier behandelten Versionen im Georgischen aufgeführt, die sich jeweils durch eine Template-Erweiterung der Repräsentation des Basisverbs ergeben. Den Analysen unter (a) ist gemeinsam, daß ein Prädi-
120 kat am unteren Ende der semantischen Struktur hinzugefügt wird (POSS oder LOC, bzw. deren Kombination mit BECOME, siehe auch Abschnitt 4.2.5), während bei den Alternativen unter (b) die semantische Struktur jeweils am oberen Ende erweitert wird (durch das Prädikat ÄFF, siehe auch Abschnitt 4.1.3). Wie die Analysen vergleichbarer Diathesen im Baskischen und Deutschen in vorigen Abschnitten gezeigt haben, verfügt das Baskische Uber Diathesen vom Typ (a) während das Deutsche Diathesen vom Typ (b) aufweist, so daß im folgenden bestimmt werden muß, welchem Typ das Georgische folgt. Unter den Θ-Rollen in (126)-(128) sind die Kasus aufgeführt, die die Argumente in den Tempora der Aoristgruppe aufweisen. Dabei werden lexikalisch markierte Argumente wegen SICHTBARKEIT mit Dativ gelinkt. Während sich die Kasus von Subjekt und direktem Objekt j e nach Tempusgruppe verändern, werden die durch die Versionen eingeführten indirekten Objekte konstant mit Dativ gelinkt. 36 (126) Objektive Version (als Benefaktiv-Lesart mit BECOME, als Possessiv-Lesart ohne BECOME) Xy λχ λβ [VERB (χ,y) & {BECOME} POSS (z,y)](s) λζ Nom Dat Erg Xy
λχ
Nom
Erg
λυ +hr Dat
λβ [ÄFF (s,u) & VERB (x,y)](s)
( 1 2 7 ) Subjektive Version ( S V ) (als Benefaktiv-Lesart mit BECOME, als Possessiv-Lesart ohne BECOME) a. λy λχ Xs [VERB (χ,y) & {BECOME} POSS (x,y)](s) Nom Erg b. Xy Nom
Xu Erg
ΛΒ [ÄFF (s,u) & VERB (u,y)](s)
( 1 2 8 ) Superessive Version ( S U V ) (als Ziel-Lesart mit BECOME, als statische lokale Lesart ohne BECOME) λζ Xy λχ Xs [VERB (χ,y) & {BECOME} POSS (z,y)](s) Nom Dat Erg λζ lex.: +lr Dat
36
λ-y
λχ
Nom
Erg
λβ [VERB (x,y) & {BECOME} LOC (y, AUF (z)](s)
Die folgende Tabelle gibt einen Überblick Uber die Kasus der Argumente (vergleiche auch Abschnitt 3.3.1). In der Perfektgruppe sind keine Versionen möglich; es können nur Basisverben auftreten (siehe Abschnitt 4.3.4). Präsensgruppe: Aoristgruppe: Perfektgruppe:
DQ Dat Nom Nom
10 Dat Dat *
S Nom Erg Dat
121 b.
\y
λχ
lex.: Nom Erg
Xu λβ [ÄFF (s,u) & VERB (x,y)](s) +hr Dat
Bevor unten die relevanten Daten vorgestellt werden, die zu einer Entscheidung zwischen den alternativen Analysemöglichkeiten fuhren sollen, hier noch einige erklärende Bemerkungen zu den Repräsentationen: Alle oben repräsentierten Versionen operieren ausschließlich auf transitiven Basisverben. Die Benefaktiv- und Possessiv-Lesarten der Objektiven und Subjektiven Version unterscheiden durch die An- bzw. Abwesenheit des Prädikats BECOME. Bei der Subjektiven Version unter (127a) ist das höchste Argument von POSS mit dem höchsten Argument des Basisverbs identifiziert, so daß nur zwei Argumente im Θ-Raster abstrahiert werden.37 Für die Superessive Version ist eine zusätzliche Alternative denkbar: Unter (128a.i) wird, dem Schema der anderen Versionen folgend, das Prädikat POSS zur Einführung des neuen Arguments verwendet, unter (128a.ii) dagegen ein spezifischeres, lokales Prädikat. Da die Argumente von LOC gegenüber POSS vertauscht sind, ist bei (128a.ii) eine lexikalische Markierung des neuen Arguments nötig, um dessen Dativ zu erklären. Im Gegensatz zu den differenzierten Analysen unter (a) wird bei den Alternativen unter (b) immer dasselbe Prädikat ÄFF eingeführt. Dabei besteht der einzige Unterschied zwischen den einzelnen Versionen in der Identifizierung des zweiten Arguments von ÄFF mit dem höchsten Argument des Basisverbs bei der Subjektiven Version in (127b) gegenüber allen anderen Versionen. Die unterschiedlichen Interpretationen von ÄFF könnten sich aus der Interaktion verschiedener Faktoren ergeben, so etwa die possessive/statische versus benefaktive/dynamische Interpretation aus der Bedeutung des Basisverbs und die superessive Bedeutung unter anderem aus sortalen Eigenschaften des neuen Arguments. Aus theoretischer Sicht ist gegen die Analyse mit dem Prädikat ÄFF einzuwenden, daß sie bei Objektiver und Superessiver Version zu einer Argumentstruktur führt, in der Ergativ in einer mittleren Position vorkommt, was durch das Constraint PERIPHERIE(ERGATIV) (siehe Abschnitt 3.3.1) verboten wird. Dieser Einwand ist jedoch nicht ausreichend, um die AFFAnalyse abzulehnen, da SICHTBARKEIT (siehe Abschnitt 4.1.2) PERIPHERIE(ERGATIV) übergeordnet sein könnte. Daher werden im folgenden die aus dem vorigen Abschnitt bekannten Tests zur Ermittlung der zugrundeliegenden Argumentreihenfolge angewandt. Anhand der unmarkierten Wortstellung kann tentativ zwischen der Superessiven Version und den anderen Versionen unterschieden werden, denn in der Superessiven Version stellte mein Infor-
37
Im Unterschied zu, durch die Subjektive Version eingeführten indirekten Objekten, können andere, mit dem Subjekt koreferente indirekte Objekte overt realisiert werden: a. çeriJ-i mi-v-çer-e (âem-s) tav-s. Brief-N pv- lS-30.schreib-AOR. 1/2S ich.GEN-D Kopf-D 'Ich schreibe mir selbst einen Brief.' b. merab-i u-myer-is tav-is tav-s. Merab-N 30.V-Sing-PRS.3S Kopf-GEN Kopf-D 'Merab singt filr/zu sich selbst.' (Harris 1981:96) Ich nehme an, daß bei dieser Ait von Koreferenz die Argumente nur im Θ-Raster koindiziert sind, nicht jedoch wie bei der Subjektiven Version in der Sematischen Form identifiziert werden, so daß Subjekt und indirektes Objekt getrennt realisiert werden können.
122 mant das indirekte Objekt manchmal hinter das direkte Objekt, während es bei allen andern Versionen dem direkten Objekt immer vorausging. Bei der Subjektiven Version steht das mit dem indirekten Objekt koreferente Subjekt vor dem direkten Objekt. 38
(129) a. OVBENE:
geki-m jma-s
çenl-i da-u-çer-a.
Gela-E Bruder-D Brief-N pv-30.V-schreib-AOR.3S 'Gela schrieb seinem Bruder einen Brief.' b. OVpo«:
mzia
da-s
pexsacmel-eb-s u-çmead-s.
Mzia.N Schwester-D Schuh-p-D 30.V-reinig-PRS.3S 'Mzia reinigt der Schwester die Schuhe.' c. SV:
me pexi Se-v-i-xvi-e. ich.E Fuß.Ν PV-lS-30.V-verbind-AOR.l/2S 'Ich habe mir den Fuß verbunden.'
d. SUV:
i. geh-m da-a-xat-a
sumt-i kedel-s.
Gela-E pv-30.V-mal-AOR.3S Bild-N Wand-D lit.: 'Gela malte der Wand ein Bild auf.'
ii. mama honvert-s
misamart-s a-çer-s.
Vater.N Briefumschlag-D Adresse-D 30.V-scheib-PRS.3S lit.: 'Vater schreibt dem Briefumschlag die Adresse auf.' Bindungsdaten liefern kaum Evidenz für eine Unterscheidung der Versionen; lediglich die Subjektive Version verhält sich anders als die übrigen Versionen, was jedoch auf ihre geringere Argumentzahl zurückzuführen ist. Bei der Subjektiven Version kann, wie unter (130c) gezeigt, ein reflexives direktes Objekt durch das mit dem indirekten Objekt koreferente Subjekt gebunden werden. Bei allen anderen Versionen kann ein reflexives direktes Objekt sowohl durch das Subjekt als auch durch das indirekte Objekt gebunden werden (siehe (130a,i), (130b,i) und (130d,i)). Daraus kann auf keine bestimmte Hierarchie von Subjekt und indirektem Objekt in der Argumentstruktur geschlossen werden. Wie die Beispiele (130a,ii), (130b,ii) und (130c,ii) zeigen, ist ein reflexives indirektes Objekt generell ausgeschlossen. Dies ist jedoch kein Hinweis darauf, daß das indirekte Objekt höchstes Argument ist, denn die Sätze sind schon deshalb ungrammatisch, weil sie semantisch die Subjektive Version ausdrücken (10 ist koreferent mit S) und deshalb morphologisch-syntaktisch anders konstruiert werden müßten.
(130) a. 0VBENE:
i. gela-m¡ jma-Sj
tav-is-iy
çenl-i da-u-çer-a.
Gela-E Bruder-D Kopf-GEN-N Brief-N PV-30.V-schreib-AOR.3S 'Gela hat dem Bruder seinen Brief geschrieben.'
38
In den folgenden Beispielen wird nur bei der Objektiven Version exemplarisch zwischen der Benefaktiv- und der Possessiv-Lesart unterschieden. Da sich aus der Lesart bei keiner Version ein Unterschied im Verhalten der Verben hinsichtlich der verschiedenen Tests ergibt, werden Subjektive und Superessive Version nicht weiter differenziert.
123 ii. *gela-m¡ tav-is tav-s, çeril-i da-u-çer-a. Gela-E Kopf-GEN Kopf-D Brief-N PV-30.V-schreib-AOR.3S 'Gela hat sich selbst einen Brief geschrieben.' b. 0V ross :
i. mzia¡ da-Sj tav-isy pexsacmel-eb-s Mzia.N Schwester-D Kopf-GEN Schuh-p-D 'Mzia reinigt der Schwester ihre Schuhe.'
u-çmend-s. 30.V-reinig-PRS.3S
ii. *mzia¡ tav-is tov-s,· pexsacmel-eb-s u-çmend-s. Mzia.N Kopf-GEN Kopf-D Schuh-p-D 30.V-reinig-PRS.3S 'Mzia reinigt sich selbst die Schuhe.' c. SV:
i. gela-m¡ tav-is-i¡ axal-i Sarval-i Se-i-ker-a. Gela-E Kopf-GEN-N neu-N Hose-N PV-30.V-näh-AOR.3S 'Gela hat sich seine eigene neue Hose genäht.'
d. SUV:
i. marnai xvelagverd-Sj tav-isq gverd-is aomr-eb-s Vater.N Seite-D Kopf-GEN Seite-GEN Name-p-D a-çer-s. 30.V-schreib-PRS.3S lit.: 'Vater schreibt jeder Seite ihre/seine eigene Seitenzahl auf.' ii. *mama¡ misamart-s tav-is¡ xel-s a-çer-s. Vater.Ν Adresse-D Kopf-GEN Hand-D 30.V-schreib-PRS.3S lit.: 'Vater schreibt die Adresse seiner eigenen Hand auf.'
Die Numeruskongruenz richtet sich bei allen Versionen unterschiedslos nach dem Subjekt, niemals nach dem indirekten Objekt (die Subjektive Version ist in den folgenden Beispielen ausgelassen, weil sie Uber kein indirektes Objekt verfügt): (131) a. 0VBENE:
i. ma-η ma-t Sarval-i Se-u-ker-a. er/sie-E er/sie-pD Hose-N pv-30.V-näh-AOR.3S 'Er/sie nähte ihnen eine Hose.' ii. ma-t ma-s Sarval-i Se-u-ker-es. er/sie-pE er/sie-D Hose-N PV-30.V-näh-AOR.3pS 'Sie nähten ihm/ihr eine Hose.'
b. OVposs!
i. ma-η ma-t Sarval-i ga-u-çmind-a. er/sie-E er/sie-pD Hose-N pv-30.V-reinig-AOR.3S 'Er/sie reinigte ihnen die Hose.' ii. ma-t ma-s Sarval-i ga-u-çmind-es. er/sie-pE er/sie-D Hose-N pv-30.V-näh-AOR.3pS 'Sie reinigten ihm/ihr die Hose.'
c. SUV:
i. ma-η ma-t misamart-i da-a-çer-a. er/sie-E er/sie-pD Adresse-N PV-30.V-reinig-AOR.3S lit.: 'Er/sie schrieb ihnen die Adresse auf.'
124 ii. ma-t ma-s misaimrt-i da-a-çer-es. er/sie-pE er/sic-D Adresse-N PV-30.V-schreib-AOR.3pS lit.: 'Sie schrieben ihm/ihr die Adresse auf.' Die Kombination mit dem Kontrollverb unda 'wollen' zeigt, daß immer das Subjekt des eingebetteten Verbs mit dem Subjekt von unda koreferent ist, siehe (132). Wenn dagegen das indirekte oder direkte Objekt des eingebetteten Verbs mit dem Subjekt von unda koreferent sein sollen, muß eine Nebensatzkonstruktion mit rom gebildet werden, vergleiche jeweils (i) versus (ii). Dies läßt darauf schließen, daß das indirekte Objekt nicht das höchste Argument der Versionsverben ist, also die POSS-Analyse eher als die AFF-Analyse zutrifft. (132) a. 0VBENE:
i. gela-s u-nd-a axal-i Sarval-i Gela-D 30.V-WO11-PRS.3S neu-N Hose-N 'Gela möchte dir eine neue Hose nähen.' ii. Sen g-i-ad-a, rom du.D 20-V-WO11-PRS.3S daß
Se-g-i-frer-os. PV-20-V-näh-OPT.3S
gela-m axal-i Gela-E neu-N
Sarval-i. Hose-N
Se-g-i-ker-os. pv-20-V-näh-0PT.3S 'Du möchtest, daß Gela dir eine neue Hose näht.' b. OVposs:
i. mzia-s u-nd-a da-s pexsacmel-eb-i Mzia-D 30.V-WO11-PRS.3S Schwester-D Schuhe-p-N ga-u-çmind-os. PV-30.V-reinig-OPT.3S 'Mzia möchte der Schwester die Schuhe reinigen.' ii. das u-nd-a, rom Schwester-D 30.V-WO11-PRS.3S daß
mzia-m Mzia-E
pexsacmel-eb-i Schuhe-p-N
mas ga-u-çmind-os. er/sie-D PV-30.V-reinig-OPT.3S 'Die Schwester möchte, daß Mzia ihr die Schuhe reinigt.' c. SV:
i. me m-i-nd-a pex-i Se-v-i-xvi-o. ich.D 1SO-V-WO11-PRS.3S Fuß-N PV-lS-V-verbind-OPT.l/2S 'Ich möchte mir den Fuß verbinden.' ii. u-nd-a, rom pex-i Se-v-i-xvi-o. 30-V-WO11-PRS.3S daß Fuß-N PV-lS-V-verbind-OPT.l/2S 'Er möchte, daß ich mir den Fuß verbinde.'
d. SUV:
i. mamas Vater-D
u-nd-a ^onvert-s misamart-i 30.V-WO11-PRS.3S Briefumschlag-D Adresse-N
da-a-çer-os. pv-30.V-schreib-OPT.3S lit.: 'Vater möchte dem Briefumschlag die Adresse aufschreiben.'
125 ii. konvert-s u-nd-a, rom Umschlag-D 30.V-WOI1-PRS.3S daß
mama-m Vater-Ε
misamart-i Adresse-N
da-a-çer-os. pv-30.V-schreib-orr.3S lit.: 'Der Briefumschlag möchte, daß Vater ihm die Adresse aufschreibt.' Insgesamt liefern die Tests keinerlei Evidenz für die AFF-Analyse der Versionen, sondern sprechen eher für die Poss-Analyse, d.h. für ein unterhalb der Prädikate des Basisverbs eingebettetes Konjunkt. Für dieses Ergebnis spricht auch, daß die Versionen nur auf transitiven Basisverben operieren. Damit sind sie ähnlich restringiert wie die deutschen POSS-Erweiterungen und unterscheiden sich in dieser Hinsicht stark von der nicht-restringierten AFF-Erweiterungen im Baskischen. Ein weiteres Indiz für die POSS-Analyse ergibt sich daraus, daß die Versionen nicht mit einer Kausativierung kombiniert werden können. Bevor ich darauf näher eingehe, sollen zunächst die relevanten Daten präsentiert werden: Unter (133a) findet sich ein Ausgangssatz in der Neutralen Version, in der das Verb zwei strukturelle und ein präpositionales Argument aufweist. Durch die Superessive Version in (133b) ist die PP zu einem strukturellen Argument geworden. (133c) zeigt die Kausativierung des Ausgangssatzes in (133a). Eine Kausativierung des Versionssatzes wie in (133d) ist dagegen unmöglich. (133) a. Neutrale Version plus PP mama çer-s misamart-s konvert-ze. Vater.N 30.schreib-PRS.3S Adresse-D Briefumschlag-auf 'Vater schreibt die Adresse auf den Briefumschlag.' b. Superessive Version plus indirektes Objekt mama a-çer-s misamart-s konvert-s. Vater.N 30.V-schreib-PRS.3S Adresse-D Briefumschlag-D lit.: 'Vater schreibt die Adresse dem Briefumschlag auf.' (Tschenkéli 1958: 394) c. Kausativ plus PP ketiao-m mama-s da-a-çer-in-a misamart-i konvert-ze. Ketino-E Vater-D pv-30.V-schreib-CAUS-AOR.3S Adresse-N Briefumschlag-auf 'Ketino hat Vater die Adresse auf den Briefumschlag schreiben lassen.' d. ""Kausativ plus Version *ketino-m mama-s da-a-çer-in-a konvert-s misamart-i. Ketino-E Vater-D pv-30.V-schreib-CAUS-AOR.3S Briefumschlag-D Adresse-N 'Ketino hat Vater dem Briefumschlag die Adresse aufschreiben lassen.' Ein Grund, weshalb die beiden Argumenterweiterungen nicht kompatibel sind, liegt darin, daß durch die Kausativierung die Funktion der Versionen, PPs in strukturelle Argumente umzuwandeln, (zumindest hinsichtlich Kasus und Kongruenz) rückgängig gemacht würde. Ein weiterer Grund könnte sein, daß der Versionsvokal nicht mehr realisiert werden kann, da Kausativierung durch die Kombination von a- und -ev(in(eb)) am Verb gekennzeichnet wird, wobei das präradikale a- die Position der Versionsvokale einnimmt. Dies verdeutlichen die
126 folgenden Repräsentationen: Unter (134a) ist die Repräsentation der Versionen wiederholt (hier dargestellt anhand des Beispiels der Superessiven Version, bzw. der Objektiven Version als Benefaktiverweiterung).39 Die Repräsentation eines kausativierten transitiven Verbs findet sich unter (134b), und unter (134c) sind beide Argumenterweiterungen kombiniert, wodurch sich ein vierstelliges Verb ergibt. Bei diesem Verb sind zwar prinzipiell alle Argumente strukturell, aber das dritthöchste Argument - d.h. das durch die Version eingeführte Argument - kann trotz seiner Linkingmerkmale weder als Dativ-NP realisiert werden noch mit dem Verb kongruieren, sondern nur in einem semantischen Kasus oder mit einer Postposition realisiert werden (siehe dazu Kapitel 6). Wie sich somit zeigt, würde durch die Kausativierung der Effekt der Version aufgehoben, weshalb Versionsverben nicht kausativiert werden dürfen.40
39
40
Bei der Objektiven Version als Possessiverweiterung fehlt gegenüber der Repräsentation in (134) nur das Prädikat BECOME. Bei der Subjektiven Version ergibt sich eine etwas andere Situation als bei der Objektiven Version, da hier indirektes Objekt und Subjekt des Basisverbs koreferent sind, so daß das resultierende Verb nur drei Argumente aufweist und das Linking an sich unproblematisch ist: a. Xy
Xx
Xu
Xs [CAUSE (u, 3si [VERB (χ,y) & ross (x,y)](si))](s)
+hr +hr -hr -lr +lr +lr Nom Dat Erg Dennoch ist auch diese Kombination von Version und Kausativ verboten. Die Erklärung dafllr ist sicherlich, daß die Bedeutung des komplexen Verbs nicht mehr nachvollzogen werden kann: Erstens kann die Version nicht markiert werden, da anstelle des Versionsvokals