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German Pages 322 [324] Year 1996
BARBARA STIEBELS Lexikalische Argumente und Adjunkte
studia grammatica Herausgegeben von Manfred Bierwisch unter Mitwirkung von Hubert Haider, Stuttgart Paul Kiparsky, Stanford Angelika Kratzer, Amherst Jürgen Kunze, Berlin David Pesetsky, Cambridge (Massachusetts) Dieter Wunderlich, Düsseldorf
studia grammatica 39
Barbara S t i e b e l s
L e X l k a l l S C h e
Argumente und Adjunkte Z u m semantischen Beitrag von verbalen Präfixen und Partikeln
Akademie Verlag
Autorin: Barbara Stiebeis Seminar für Allgemeine Sprachwissenschaft Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf Universitätsstr. 1 D-40225 Düsseldorf
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Stiebeis, Barbara: Lexikalische Argumente und Adjunkte : zum semantischen Beitrag von verbalen Präfixen und Partikeln / Barbara Stiebeis. - Berlin : Akad. Verl., 1996 (Studia grammatica ; 39) Zugl.: Düsseldorf, Univ., Diss., 1994 ISBN 3-05-002910-2 NE: GT
ISSN 0081-6469 © Akademie Verlag GmbH, Berlin 1996 Der Akademie Verlag ist ein Unternehmen der VCH-Verlagsgruppe. Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem Papier. Das eingesetzte Papier entspricht der amerikanischen Norm ANSI Z.39.48 - 1984 bzw. der europäischen Norm ISO TC 46. Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form - durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren - reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. All rights reserved (including those of translation into other languages). No part of this book may be reproduced in any form - by photoprinting, microfilm, or any other means - nor transmitted or translated into a machine language without written permission from the publishers. Druck und Bindung: GAM Media GmbH, Berlin Printed in the Federal Republic of Germany
Vorwort
Die vorliegende Arbeit stellt eine leicht überarbeitete Fassung meiner Dissertation dar, die ich im Dezember 1994 an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf eingereicht habe. Mein Dank gilt allen, die mir in den verschiedenen Stadien der Arbeit mit inhaltlichen Anregungen, kritischen Fragen und formalen Hilfestellungen weitergeholfen haben. So danke ich allen ganz herzlich, die mir bei der Durchsicht der Vorfassung bzw. der überarbeiteten Fassung der Dissertation zur Seite gestanden haben: Thomas Gamerschlag, Birgit Gerlach, Sandra Joppen, Albert Ortmann, Wilhelm Stiebeis und schließlich Ingrid Kaufmann, deren kritischen Anmerkungen ich besonders viele Anregungen verdanke. Profitiert habe ich auch von Diskussionen mit Ursula Brinkmann, Ewald Lang, Sebastian Löbner, Susan Olsen, Marga Reis, Gabriela Risch, Joleen Schipper, Martina Urbas, Angelika Wittek und Ilse Zimmermann, die sich als kritische Leserin in besonderer Weise für die Überarbeitung der Dissertation verdient gemacht hat. Selbstverständlich sind sämtliche verbleibenden Fehler meiner Schludrigkeit oder Sturheit zuzuschreiben. Mein ganz besonderer Dank gilt jedoch Dieter Wunderlich, der meine Arbeit mit zahlreichen kritischen Kommentaren, Anregungen und Ideen gefördert und vorangebracht, der Thematik viele humorvolle Seiten abgewonnen und mir durch sein stetes Interesse an den Ergebnissen signalisiert hat, daß die komplexen Verben einen untersuchenswerten Themenkomplex im Bereich der lexikalischen Semantik darstellen. Ferner danke ich allen, die sich als Informanten zur Verfügung gestellt haben und nicht von den von mir konstruierten Beispielsätzen "ent-setzen" ließen. Sehr gefreut habe ich mich auch über den Einsatz derer, die - angeregt durch meine Untersuchungen - mit viel Emsigkeit die skurrilsten Neubildungen im Bereich komplexer Verben in den Medien und in Spontanäußerungen anderer aufgespürt haben. Schließlich danke ich Manfred Bierwisch und dem Akademie Verlag für die Veröffentlichung der Dissertation in der Studia-Grammatica-Reihe.
Inhalt 1. Einleitung
10
2. Der theoretische Rahmen 2.1 Argumentlinking 2.2 Modifikation 2.3 Mögliche und unmögliche Verben 2.4 Die Vorhersagen des zugrundegelegten Rahmens für komplexe Verben
14 20 26 28 33
3. Die Wortstruktur der Präfix- und Partikelverben 3.1 Die Daten 3.1.1 Morphologische und syntaktische Trennbarkeit 3.1.2 Die Derivation von Präfix- und Partikelverben 3.1.3 Denominale und deadjektivische Präfix- und Partikelverben 3.1.4 Iterationsfakten 3.1.5 Partikeln im Unterschied zu syntaktischen Komplementen 3.2 Die Analyse 3.2.1 Die Erklärung der morphologischen Eigenschaften komplexer Verben 3.2.2 Die Erklärung der syntaktischen Fakten
35 38 38 40 41 43 44 44 46 50
4. Das Untersuchungsverfahren 4.1 Zielsetzung und Grundannahmen der Analyse 4.2 Die Problematik einer nicht-strukturierten Datenanalyse 4.3 Untersuchungsschritte 4.4 Sprachhistorische Anmerkungen zu den untersuchten Verbzusätzen
54 54 55 56 61
5. Generelle Typologie der Verbzusätze 5.1 Probleme bei der Funktoranalyse von Verbzusätzen 5.2 Verbzusätze als Aspekt-/Aktionsartoperatoren 5.2.1 Ingressiv-Markierungen 5.2.2 Egressiv-Markierungen 5.2.3 Partialmarkierung an
63 67 70 72 76 78
6. Verbzusätze als lexikalische Argumente 6.1 Argumentsättigung 6.1.1 Zur Semantik der korrespondierenden Präpositionen 6.1.2 Partikelverben mit auf und an 6.1.3 Partikelverben mit ab 6.1.4 Präfixverben mit ν er-
83 83 84 86 91 98
8
Inhaltsverzeichnis 6.2 Präpositionsinkorporation 6.2.1 Präfixverben mit ν er6.2.2 Präfixverben mit ent6.3 Zusammenfassung
102 106 109 119
7. Verbzusätze als lexikalische Adjunkte 7.1 Integration einer POSS-Relation 7.1.1 Possessive Präfixverben mit er7.1.2 Possessive Partikelverben (anlauflein) 7.1.3 Besitzauflösung (ab) 7.2 Verbzusätze mit dekrementeller Lesart 7.2.1 Präfixverben mit ver7.2.2 Partikelverben mit ab 7.3 Spezielle Resultative 7.3.1 Abweichung bzgl. eines impliziten Nachzustands (ver-) 7.3.2 Resultat: Herbeiführung einer Verbindung (ver-) 7.3.3 Resultat "zerstört/beschädigt" (ablver-) 7.3.4 Resultat "sauber/frei von etwas" (ab) 7.3.5 Syntaktisch projizierbare Resultatsprädikate (auf/an) 7.4 Weitere Modifikationstypen 7.4.1 Gerichtetsein-Komponente bei an 7.4.2 Intensivmarkierung (ab) 7.5 Zusammenfassung
121 123 124 130 132 133 133 139 143 143 151 155 157 160 162 162 165 167
8. Skopustragende Verbzusätze: Fallstudie ent8.1 Mögliche Basisverben 8.2 ent- als redundante Markierung 8.3 Zum Skopus von ent8.4 Reversativinterpretation auf CS? 8.5 Zur Repräsentation von ent-
170 171 179 180 183 184
9. Deadjektivische und denominale Verben 9.1 Grundlagen 9.2 Denominale Verben 9.2.1 Verbzusätze als lexikalische Adjunkte 9.2.2 Das Basisnomen sättigt das interne Argument einer vom Verbzusatz instantiierten Relation 9.2.3 Verbzusätze mit Disambiguierungsfunktion 9.2.4 Verbzusätze mit lokaler Spezifikationsfunktion 9.2.5 Verbzusätze mit Skopus 9.2.6 Konzeptuelle Beschränkungen bei der Bildung denominaler Verben 9.2.7 Die Aufgabenverteilung der einzelnen Verbzusätze 9.3 Deadjektivische Verben 9.3.1 Semantisch leere Verbzusätze 9.3.2 Verbzusätze mit spezifischem semantischen Beitrag 9.3.3 Die komparative Lesart bei deadjektivischen Verben
187 188 193 196 199 201 203 207 208 212 213 215 217 219
Inhaltsverzeichnis 9.3.4 Die Problematik deadjektivischer ent-Verben 9.4 Zusammenfassung
9 220 222
10. Lexikalische oder syntaktische Analyse komplexer Verben? 10.1. Die lexikalische Determiniertheit komplexer Verben 10.1.1 Morphologische und phonologische Spezifika einzelner Verbzusätze 10.1.2 Die Rolle der Lexikoneinträge der Verbzusätze 10.1.3 Idiosynkrasien komplexer Verben 10.2 Syntaktische Ansätze 10.2.1 Problemfälle für eine syntaktische Behandlung komplexer Verben 10.2.2 Die syntaktische Analyse der Derivation komplexer Verben 10.2.3 Small-Clause-Analysen 10.2.4 Inkorporationsanalysen 10.2.5 Die Klitikanalyse von Keyser/Roeper 10.3. Lexikalische Ansätze 10.3.1 Perkolation von Theta-Rollen 10.3.2 Aspektuelle Ansätze 10.3.3 Booij/van Haaften 10.3.4 Lieber/Baayen 10.4 Zusammenfassung
223 224 224 224 231 238 238 241 242 247 249 250 250 252 256 257 260
11. Mögliche und unmögliche komplexe Verben 11.1 Die lexikalische Modifizierbarkeit von Verben 11.1.1 tanzen 11.1.2 schweben 11.1.3 schieben 11.1.4 klopfen 11.1.5 wachsen 11.1.6 schenken 11.1.7 finden
261 263 264 268 272 276 280 284 288
11.2 Die Iteration von Präfixen und Partikeln
291
12. Zusammenfassung und Ausblick
295
Anhang Literaturverzeichnis
301 314
1. Einleitung
Eine grundsätzliche Problematik bei der Untersuchung von Präfix- und Partikelverben des Deutschen stellen das Auftreten vieler lexikalisierter und nicht-transparenter Formen, die Konkurrenz der Präfixe und Partikeln untereinander (den Schrank anmalen/bemalen) und die Existenz von Nischenbildungen dar. Als Nischenbildungen sind solche komplexen Verben aufzufassen, in denen ein Präfix oder eine Partikel in einer sehr spezifischen, meist nicht motivierbaren Bedeutung nur mit einer geringen, semantisch sehr eng gefaßten Gruppe von Basisverben kombiniert werden kann (ζ. B. be- mit Äußerungsverben: über etwas reden - etwas bereden). Diese Lexikalisierungsphänomene haben zur Folge, daß den Präfixen und Partikeln häufig ein systematischer semantischer und struktureller Beitrag bei der Bildung des komplexen Verbs abgesprochen wird und es deshalb nur wenige Arbeiten gibt, in denen von einer solchen Systematizität ausgegangen und diese dann auch entsprechend beschrieben wird (ζ. B. die Untersuchungen der be- und P-Präfixverben: Wunderlich 1987, 1991; Brinkmann 1995). Die morphosyntaktischen Eigenschaften von Präfix- und Partikelverben, d. h. die Analyse ihrer morphologischen und syntaktischen (Un-)Trennbarkeit, sind dagegen viel diskutierter Streitpunkt (s. Verweise in Stiebels/Wunderlich 1992). Ich werde im folgenden Präfixe und Partikeln unter dem Begriff "Verbzusätze" zusammenfassen. Bislang sind folgende semantische Eigenschaften und argumentstrukturelle Effekte für die Präfixe und Partikeln nachgewiesen worden: Wunderlich (1983b, 1986) hat gezeigt, daß die Partikeln als Adverb bzw. Präposition mit implizitem Präpositionalobjekt aufgefaßt werden können, die eine prädikative Argumentstelle des Basisverbs besetzen: (1)
a. Sie klebt das Bild an (die Wand). b. Er setzt den Hut auf (den Kopf).
Für die be- und P-Präfixverben (mit über-, unter-, durch-, um-, hinter-) hat Wunderlich (1987, 1991) gezeigt, daß diese als Instanzen der "Präpositionsinkorporation" zu analysieren sind, d. h. das Präfix kann als inkorporierte Präposition eines PP-Arguments des Basisverbs gedeutet werden, wobei das Präpositionalobjekt zum direkten Objekt des komplexen Verbs wird. Bei intransitiven Basisverben ergibt sich somit eine Transitivierung bzw. die Integration eines neuen Individuenarguments (s. (2b/d)), während bei den transitiven Basisverben eine Valenzumordnung erfolgt: Das Basisobjekt kann beim abgeleiteten Verb nur noch als oblique mii-Phrase realisiert werden (s. (2f)). (2)
a. b. c. d. e. f.
Er steigt auf den Berg. Er besteigt den Berg. Er wandert durch den Park. Er durchwandert den Park. Sie gießt Wasser über die Blumen. Sie übergießt die Blumen mit Wasser.
1. Einleitung
11
Für die Partikelverben sind gleichfalls lexikalisierte Instanzen der Präpositionsinkorporation nachgewiesen worden (s. (3b); Stiebeis 1991). Daneben gibt es weitere Muster, in denen die Argumenstruktur des Basisverbs in Abhängigkeit vom Verbzusatz um ein oder zwei Argumente erweitert wird (s. (3c-f)). Schließlich finden sich unter den Partikelverben auch solche, in denen die Argumentstruktur des Basisverbs unberührt bleibt und der Verbzusatz nur Aspekt oder Aktionsart des Basisverbs modifiziert (s. (3g-j)). (3)
a. b. c. d. e. f. g. h. i. j.
Sie malen Farbe an den Schrank. Sie malen den Schrank an. * Sie lacht ihn. Sie lacht ihn an. * Sie schreibt sich eine Sehnenscheidenentzündung. Sie schreibt sich eine Sehnenscheidenentzündung an. Sie lacht. Sie lacht auf. Sie schmort den Braten. Sie schmort den Braten an.
Risch (1994) beschreibt schließlich einen weiteren Verbzusatztyp, nämlich die Skalierungspräfixe über- und unter-: Diese Präfixverben bezeichnen einen Ereignis- oder Normvergleich, wobei das Präfix zum Ausdruck bringt, daß das vom Basisverb bezeichnete Ereignis in seinem Ausprägungsgrad über oder unter dem Ausprägungsgrad eines impliziten zweiten Ereignisses oder einer Norm liegt. (4)
a. Sie überschrie den Professor. [= sie schrie lauter/intensiver als der Professor; Ereignisvergleich] b. Sie überfütterte den Hund. [= sie fütterte ihren Hund zu viel; Normvergleich]
Eine wichtige Frage ist nun, inwieweit sich die skizzierte Typologie argumentstruktureller Effekte und semantischer Beiträge in den einzelnen Verbzusätzen wiederfindet. Präfix- und Partikelverben haben, wie bereits erwähnt, einen unterschiedlichen wortstrukturellen Status: Präfixe sind untrennbar mit dem Basisverb verbunden (zu bemalen, hat bemalt, sie bemalt den Schrank), während Partikeln in bestimmten Strukturen vom Basisverb getrennt werden müssen (an-zu-malen, an-ge-malt, sie malt den Schrank an). Zu klären ist deshalb, inwieweit dieser morphosyntaktische Unterschied zwischen den beiden Verbtypen mit semantischen Unterschieden korreliert. Darüber hinaus ist zu klären, ob die Typologie vollständig ist oder ob sich noch andere Muster beobachten lassen. Auf der Basis der Präfixe er-, ent- und ver- und der Partikeln ab, an und auf soll in dieser Arbeit untersucht werden, welche semantischen Beiträge Verbzusätze prinzipiell beisteuern und welche argumentstrukturellen Effekte sich dabei jeweils ergeben. Dabei sollen Regularitäten bei der Bildung komplexer Verben aufgezeigt und die produktiven Verwendungen der Verbzusätze isoliert werden. Zentraler Aspekt ist dabei die Komposition von Basisverb und Verbzusatz, was bedeutet, daß Verbzusatzbeitrag und Bedeutung des Basisverbs strikt voneinander getrennt werden. Die Präfixe ent-, er- und ver- wurden ausgewählt, weil zu ihnen noch keine strukturellen Analysen vorliegen wie für das Präfix be- oder die P-Präfixe
12
1. Einleitung
und weil sie nicht die spezifische Semantik des Präfixes zer- ("getrennt/in Stücken sein") aufweisen, so daß nicht zu erwarten ist, daß ihre Kombinierbarkeit mit Verben stark eingeschränkt ist und sich deshalb nur vergleichsweise wenig Belege finden. Die Partikeln an und auf wurden in die Analyse einbezogen, weil sie in einigen Verwendungen die Bedeutung der korrespondierenden Präpositionen aufweisen, so daß Aussagen über die Beziehung zwischen Verbzusätzen und Präpositionen gemacht werden können. Dies erlaubt dann auch erste Schlüsse hinsichtlich der Fragestellung, in welcher Hinsicht sich lexikalische Modifikatoren und syntaktische Modifikatoren ähneln oder voneinander unterscheiden. Die zur Partikel ab korrespondierende Präposition ist dagegen von der Präposition von verdrängt worden, so daß zu klären ist, welche Bedeutungen die Partikel ab erhält und welche Funktionen sie entwickelt. Außerdem haben erste Untersuchungen der in dieser Arbeit betrachteten Verbzusätze gezeigt, daß sich interessante Aufgabenverteilungen zwischen ihnen ergeben, die eine nähere Betrachtung verdienen. Die semantischen Beiträge der Verbzusätze werden durch Lexikoneinträge erfaßt, die so explizit sind, daß sie den argumentstrukturellen Effekten Rechnung tragen und die bei der Komposition des komplexen Verbs erforderliche Bedeutungsrepräsentation vollständig abbilden. Hinsichtlich der Lexikoneinträge für die Verbzusätze ist zu diskutieren, inwieweit für jeden Verbzusatz ein uniformer Eintrag anzusetzen ist, der alle Bedeutungsvarianten erfaßt, oder ob vielmehr eine Menge unterschiedlicher Lexikoneinträge für den Verbzusatz anzunehmen ist. Generelle Fragestellung zum semantischen Beitrag der Verbzusätze ist, welche semantischen Prädikate oder Relationen von den Verbzusätzen beigesteuert werden, wie Verbzusatz und Basisverb miteinander komponiert werden können, welche semantischen Modifikationen der Basisverben prinzipiell zulässig sind und ob sich dabei irgendwelche allgemeinen Tendenzen zeigen. Der zuletzt genannte Punkt betrifft die Frage nach möglichen komplexen Verben: Zu klären ist, inwieweit Vorhersagen zu möglichen oder unmöglichen Bildungen getroffen werden können und welche strukturellen, semantischen und konzeptuellen Beschränkungen für die Bildbarkeit auftreten. Dies ist wichtig, um die generative Komponente in diesem Wortbildungsbereich zu erfassen und zu modellieren. Ferner soll die Untersuchung der komplexen Verben und insbesondere der Kombinierbarkeit von Verben mit den verschiedenen Verbzusätzen Aufschluß über die semantische Klassenbildung bei Verben geben: Welche Verbklassen lassen vielfältige Modifikationen durch die Verbzusätze zu, welche nur restringiert und welche Verben sind nicht lexikalisch modifizierbar? Ziel der Arbeit ist es auch zu zeigen, daß eine lexikalische Analyse, die vollständige Lexikoneinträge für die Verbzusätze und die Basisverben formuliert und eindeutige Kompositionsprinzipien und -mechanismen zugrundelegt, die Semantik, die Argumentstruktur und die Komposition komplexer Verben adäquater erfassen kann als eine rein syntaktisch orientierte Analyse oder eine lexikalische Analyse, die keine expliziten Bedeutungsrepräsentationen zugrundelegt. Ich vertrete in dieser Arbeit die Hypothese, daß die komplexen Verben frei generiert werden durch die Komposition der Lexikoneinträge von Basisverb und Verbzusatz. Ich werde zeigen, daß Selektionsbeschränkungen seitens der Verbzusätze, die die Klasse potentieller Basisverben kennzeichnen, überflüssig sind. Die Verbzusätze sind in den meisten Fällen keine Funktoren, die über den Basisverben operieren. Ich werde darlegen, daß sie vielmehr als lexikalische Argumente, d. h. als Affixe, die eine (prädikative) Argumentposition des
1. Einleitung
13
Basisverbs einnehmen, oder als lexikalische Adjunkte aufzufassen sind, d. h. als frei hinzugefügte Elemente, die in eine um ein prädikatives Argument erweiterte Variante des Basisverbs integriert werden. Die (In-)Akzeptabilität des so frei generierten Verbs ergibt sich durch seine Evaluierung hinsichtlich allgemeiner und unabhängiger semantischer, struktureller und konzeptueller Beschränkungen. Aufgezeigt werden soll überdies, daß die Effekte der Präfigierung oder Partikelhinzufügung auf die Argumentstruktur der Basisverben durch die Annahme von spezifischen Lexikoneinträgen, Kompositionsmechanismen und einen geeigneten Linkingmechanismus vorhersagbar sind. Ich werde in dieser Arbeit keine exhaustive Darstellung aller Varianten der untersuchten Verbzusätze liefern, da es mir primär nur um die Illustration der möglichen Verbmodifikationen durch die Verbzusätze und der daraus resultierenden Effekte auf die Argumentstruktur des Basisverbs geht. Nicht-transparente oder lexikalisierte Verben werden genauso wie Nischenbildungen nicht betrachtet. Auf die Polysemie komplexer Verben gehe ich soweit sie nicht aus der Kombination eines Basisverbs mit verschiedenen Varianten eines Verbzusatzes resultiert - nicht ein. Auch werden Aspekt und Aktionsart der Verben nur am Rande behandelt, da sie nicht eigentlicher Untersuchungsgegenstand der Arbeit sind. Die Arbeit ist wie folgt gegliedert: Ich werde in Kapitel 2 zunächst den theoretischen Rahmen vorstellen, in den ich meine Analysen der Verbzusätze und der komplexen Verben einbette. In Kapitel 3 gehe ich dann auf die morphosyntaktischen Eigenschaften der Präfixund Partikelverben ein und stelle die Analyse von Stiebels/Wunderlich (1994) zur Wortstruktur der komplexen Verben vor. In Kapitel 4 werde ich die erforderlichen Untersuchungsschritte und die angewandte Methodik skizzieren. Kapitel 5 gibt eine Übersicht über die verschiedenen Verbzusatztypen und zeigt die Probleme bei der Funktoranalyse von Verbzusätzen auf. In diesem Kapitel werden auch die Verbzusatzmuster diskutiert, die keinen Effekt auf die Argumentstruktur des Basisverbs haben und nur Aspekt oder Aktionsart des Basisverbs modifizieren. In Kapitel 6 behandle ich die Verbzusatzmuster, bei denen der Verbzusatz als lexikalisches Argument fungiert, also eine prädikative Argumentposition des Basisverbs einnimmt. In Kapitel 7 stelle ich die Verbzusatzvarianten vor, die als lexikalische Adjunkte fungieren, also an Verben treten, die kein prädikatives Argument aufweisen oder bei denen der Verbzusatz nicht die prädikative Argumentposition besetzen kann. Die Basisverben müssen vor der Komposition mit dem Verbzusatz erst um ein prädikatives Argument erweitert werden. Die Verbzusatzvarianten dieses Kapitels stehen im Mittelpunkt der Arbeit, da bei ihnen auch die produktivsten Muster vorzufinden sind. In Kapitel 8 diskutiere ich abgetrennt von den anderen Verbzusatzmustem eine Variante von ent- (Reversativmarkierung), die sich aufgrund ihrer semantischen Modifikation und ihrer Komposition mit den Basisverben von den anderen Verbzusätzen unterscheidet. Kapitel 9 ist den denominalen und deadjektivischen komplexen Verben gewidmet. Im Zentrum des Kapitels steht die Kompositionsproblematik dieser Verben. In Kapitel 10 argumentiere ich für eine lexikalische Analyse der komplexen Verben und diskutiere die Probleme anderer Ansätze in ihrer Behandlung der komplexen Verben. In Kapitel 11 schließlich zeige ich an einer ausgewählten Gruppe von Verben, daß sich die lexikalische Modifizierbarkeit eines Verbs, d. h. seine Kombinierbarkeit mit den einzelnen Verbzusätzen, aus seiner Bedeutung und der konzeptuellen Charakterisierung der bezeichneten Handlung ableiten läßt.
2. Der theoretische Rahmen
Ich werde in diesem Kapitel zunächst die Grundannahmen des theoretischen Rahmens, den ich in dieser Arbeit zugrundelege, vorstellen und dann auf Erweiterungen des Ansatzes eingehen, die für meine Analysen wichtig sind. Theoretischer Rahmen dieser Arbeit ist die von Bierwisch (1983) und Bierwisch/Lang (1987) entwickelte zweistufige Semantik, die für die Bedeutungsrepräsentation eine Unterscheidung zwischen semantischer Form (SF) und konzeptueller Struktur (CS) vornimmt. Diese Aufteilung beruht auf Bierwischs Annahme, daß die Sprachkenntnis, also die Grammatik, als autonomes mentales Teilsystem zu sehen ist, das mit anderen mentalen Systemen (u. a. dem enzyklopädischen Wissen und dem System der Artikulationsmotorik) interagiert. Die beiden Repräsentationsebenen sind unabhängig voneinander organisiert, aber dahingehend aufeinander bezogen, daß die CS die SF interpretiert. Während die SF Teil der Grammatik ist und klassenbildende Eigenschaften der lexikalischen Einheiten kodiert, stellt die CS eine außersprachliche Ebene dar. Die SF ist somit eine Schnittstelle zwischen der Grammatik und dem konzeptuellen Wissen, so wie die PF (Phonetische Form) in entsprechender Analogie zwischen dem sprachlichen und dem artikulatorischen System vermittelt. Der zweistufige Ansatz grenzt sich von semantischen Theorien ab (ζ. B. Langacker 1988; Jackendoff 1983, 1990; Diskursrepräsentationstheorie von Kamp (1984), Kamp/Reyle (1993), Kamp/Roßdeutscher (1994a,b)), die die semantischen Strukturen mit konzeptuellen gleichsetzen; sein Ziel ist es, den auftretenden strukturellen Gesetzmäßigkeiten sprachlicher Ausdrücke besser gerecht zu werden. Dabei wird der invariante Bedeutungsanteil lexikalischer Einheiten auf der SF erfaßt, während die kontextabhängige Bedeutungsvariation durch SF-Parameter, die auf der CS zu instantiieren sind, wiedergegeben wird. Ferner können SF-Prädikate auf der CS hinsichtlich ihrer konzeptuellen Deutung konkreter ausbuchstabiert werden (ζ. B. durch Interpretationsfunktionen). Da die SF-Parameter erst auf der CS belegt werden, ist eine Interpretation hinsichtlich der Wahrheitsbedingungen nur in der CS, nicht jedoch in der SF möglich. Die SF unterliegt als grammatischer Repräsentationsebene dem Kompositionsprinzip, während die CS auch durch nicht-kompositionale, außersprachliche Beschränkungen determiniert ist. Das Repräsentationsformat der SF basiert im wesentlichen auf einer Beschreibungssprache, die aus der Kategorialgrammatik übernommen wurde (mit den Basiskategorien 0 für Propositionen und 1 für Individuen); Abweichungen betreffen primär die Behandlung der Modifikation, auf die ich in 2.2 eingehe. Das Repräsentationsformat der CS entspricht der prädikatenlogischen Notation. Die Trennung der beiden Ebenen hat sich als fruchtbar in der Behandlung von Metonymie und Polysemie (Bierwisch 1983, Dölling 1992), der Analyse von Dimensionsadjektiven (s. Arbeiten in Bierwisch/Lang 1987) und in der Analyse von Präpositionen (ζ. B. Bierwisch 1988; Wunderlich/Herweg 1991; Wunderlich/Kaufmann 1990; Kaufmann 1989, 1991, 1995a; Wunderlich 1991, 1993) erwiesen. Sie erlaubt die Formulierung vergleichsweise einfacher Lexikoneinträge, ohne diese mit allzuviel konzeptueller Information
15
2. Der theoretische Rahmen
zu überfrachten. Allerdings beziehen sich die bisherigen Ausführungen zur Struktur der CS und der Zuordnung von SF-Repräsentationen zu CS-Repräsentationen primär auf die Lokalsemantik und deren Interaktion mit der Struktur des Raums.1 Die SF-Einträge der lexikalischen Elemente bestehen aus Dekompositionsstrukturen, die neben solchen klassenbildenden Prädikaten wie CAUSE oder BECOME auch lexemspezifische, atomare Prädikate enthalten, die nicht weiter zerlegt werden. Für die Dekomposition werden solche elementaren Prädikate zugrundegelegt, die verifizierbare Zustände/ Sachverhalte in der Welt bezeichnen. Es ist anzunehmen, daß die Dekompositionsprädikate Bestandteil der UG sind, auch wenn sie in den Einzelsprachen unterschiedlich instantiiert werden. Die Dekomposition erfolgt in diesem Ansatz in der Semantik und nicht in der Syntax; die syntaktische Integrität der Wörter bleibt bewahrt. Nomen und Verben unterscheiden sich in ihren SF-Einträgen dahingehend, daß Verben eine reiche Struktur aufweisen (zumeist Komplexbildungen von verschiedenen SF-Prädikaten), Nomen dagegen nur eine arme (zumeist einstellige Prädikate).2 Diese Sichtweise rechtfertigt sich aus der Beobachtung, daß nur wenige Eigenschaften von Nomen grammatisch relevant sind (ζ. B. Belebtheit); allerdings ist ihnen eine reiche konzeptuelle Struktur zuzuweisen, die beispielsweise das Format von Pustejovskys (1991) Qualia-Struktur haben könnte. Unter die konzeptuelle Ausbuchstabierung von Nomen fallen auch die systematisch zu beobachtenden konzeptuellen Verschiebungen, die durch entsprechende Bedeutungstemplates erfaßt werden können (s. Bierwisch 1983). Aus all dem folgt, daß sich die SF-Einträge der einzelnen Nomen nicht sehr voneinander unterscheiden (s. (la/b)). Komplexere SF-Einträge werden zumeist erst durch Ableitungen erzeugt (ζ. B. die Possessiverweiterung wie in (lc)). (1)
a. Buch·. b. Kamel c. meine Bücher.
λχ BUCH(X) λχ KAMEL(x) X y + 1 λ χ + Ρ 1 [BUCH(x) & POSS(y,x)]
Wie sich in 2.1 zeigen wird, ist es möglich, aus dem dekomponierten Eintrag eines lexikalischen Elements, insbesondere der Verben, ein Bündel von Eigenschaften abzuleiten (u. a. die Argumentstruktur und partiell die Ereignisstruktur). Wunderlich (1994a) hat deshalb diesen Ansatz mit dem Etikett Lexical Decomposition Grammar versehen. Da ich sowohl die Grundannahmen des zweistufigen Rahmens als auch die spezifischen Erweiterungen von Wunderlich zur Ableitung der Argumentstruktur und zur Analyse der Modifikation (s. 2.1/2.2) übernehme und mich in dieser Arbeit insbesondere auf die Komposition komplexer Verben konzentriere, möchte ich den Rahmen, den ich zugrundelege, und die genannten Analysekomponenten unter dem Begriff Lexikalische Komposition zusammenfassen. Als Evidenz für eine bestimmte Dekompositionsstruktur wird seit der Generativen Semantik die Mehrdeutigkeit der Verben in bezug auf Adverbien wie wieder, fast, für kurze Zeit 1 2
Lang (1994) plädiert dafür, daß die spezifischen Eigenschaften der CS, die sie von der SF abgrenzen, durch einen Sprachvergleich, der einzelsprachliche Besonderheiten ausschließt, bestimmt werden sollen. Geradezu spiegelbildlich zum zweistufigen Rahmen geht Pustejovsky (1991) davon aus, daß Nomen eine reiche Struktur aufweisen und Verben eine arme.
16
2. Der theoretische
Rahmen
usw. herangezogen. Allerdings können die Tests mit den Zeitadverbien nur bestimmte SFRepräsentationen verifizieren, jedoch nicht falsifizieren, da die Adverbien spezifische sortale Beschränkungen hinsichtlich der Prädikate, die sie in ihren Skopus nehmen können, aufweisen (s. Wunderlich 1994a), so daß nicht jede denkbare Skopuszerlegung möglich ist. Zudem können zu erwartende Lesarten aus pragmatischen Gründen ausgeschlossen sein: Weiter Skopus ist ζ. B. in (2a) ausgeschlossen (fast: er trank), weil es nicht sinnvoll ist, in diesem spezifischen Kontext die eigentliche Handlung mit fast zu bestreiten, wenn dies ebenso durch eine Äußerung mit der Basisverwendung des Verbs geleistet werden kann (er trank fast). Die in (2b) neben der repetitiven oder restitutiven Lesart zu erwägende dritte Skopus-Lesart in (2e) kann nicht etabliert werden, weil ein erneutes Sich-Leeren der Flasche nicht losgelöst von der Verursachungskomponente betrachtet werden kann, d. h. daß eine einzige Verursachung nicht zwei voneinander unabhängige Zustandswechsel der gleichen Art bewirkt, die zu einer einzigen kohärenten Situation zusammengefaßt werden können. Möglich sind nur mehrmalige Verursachungen der gleichen Art (also die repetitive Lesart). (2)
a. Er trank fast die Flasche leer. b. Er leerte wieder die Flasche. c. d. e.
repetitiv: [WIEDER(CAUSE(x, BECOME(LEER(y))))(s)] restitutiv: [CAUSE(x, BECOME(WIEDER(LEER(y))))(s)] § [CAUSE(x, WIEDER(BECOME(LEER(y))))(s)] 3
[= jemand verursacht: die Hasche wird wieder leer] Die SF stellt immer eine offene Formel vom Typ 0 dar. Die Argumente in der SF werden durch λ-Abstraktoren gebunden, die als Theta-Rollen aufzufassen sind. 4 Die Abstraktion wird durch das Hierarchieprinzip (Bierwisch 1989b) gesteuert, das eine Abstraktion gemäß der Einbettungstiefe der Argumente auf der SF fordert. Gebunden werden jeweils die als syntaktische Komplemente zu realisierenden Argumente; die Folge der λ-Abstraktoren bildet das Theta-Raster der Lexikoneinheit, das eine Schnittstellenfunktion zwischen Semantik und Syntax hinsichtlich des Argumentlinking (s. 2.1) ausübt. Implizite Argumente werden nicht gebunden und sind somit Parameter, die auf der CS durch einen sprachlichen oder außersprachlichen Kontext zu fixieren sind; so werden bei lügen (s. den vereinfachten Eintrag in (3a)) Redeinhalt ρ und Adressat y nicht expliziert, nur die Partikelverbvariante vorlügen erlaubt die Realisierung der beiden impliziten Argumente (sie log ihm vor, daß er ein schöner Mann sei).5 Als weitere Form der Abstraktion ist die leere Abstraktion zu nennen, die expletive Elemente einführt (s. (3b/c)). (3)
3 4
'
a. lügen: b. regnen: c. schämen:
λχ Xs LÜG(x,y,p)(s) λχ Xs REGN(s) λy λχ Xs SCHÄM(x)(s)
§ kennzeichnet semantisch abweichende Strukturen/Sätze, * grammatisch abweichende. Mit ? kennzeichne ich leicht abweichende Sätze, mit ?? stärker abweichende. Unter Theta-Rollen verstehe ich die in die Syntax zu projizierenden Argumente. Als bislang ungelöstes Problem stellt sich im zweistufigen Rahmen die Unterscheidung von impliziten Argumenten, die überhaupt nicht in die Syntax projiziert werden können (ζ. B. das externe Basisverb-
2. Der theoretische Rahmen
17
Das Hierarchieprinzip fordert, daß bei Variablen, die in einer SF mehrmalig vorkommen, über das höhere Vorkommen abstrahiert wird. 6 Als Beispiel möge das Verb erschrecken gelten: (4)
erschrecken: λγ λχ Xs CAUSE(X, FEAR(y,x))(s)
Die Folge der λ-Abstraktoren darf bei lexikalischen Derivationen nicht vertauscht werden, sondern nur bei Prozessen der semantischen Komposition, wenn der Kontext dies verlangt (ζ. B. bei vertauschter Wortstellung (Scrambling)). Wie bereits in den Repräsentationen (3) und (4) deutlich geworden sein dürfte, gehe ich in Anlehnung an Davidson (1967) und Higginbotham (1985) davon aus, daß Verben ein referentielles Argument haben, das ich jeweils mit der Situationsvariablen s repräsentiere. Dieses Situationsargument wird durch die funktionalen Kategorien des Verbs (Tempus, Modus ...) gebunden. Im Unterschied zu Bierwisch, der das referentielle Argument über die Relation INST ('S instantiiert die Proposition ...') in die SF des Verbs einbindet, analysiere ich wie Wunderlich das Situationsargument als ranghöchstes Argument des Verbs. Ich gehe davon aus, daß nur Nomen und Verben über ein referentielles Argument verfügen (s. Kaufmanns (1995a) und Wunderlichs (1994c) Argumentation gegen die Annahme eines referentiellen Arguments bei Adjektiven oder Präpositionen). Die Unterscheidung von externem und internem Argument (Williams 1981b) ist im zweistufigen Rahmen ohne Bedeutung, da allein die Hierarchie der Argumente relevant ist.7 Dies impliziert, daß das Verhalten unakkusativer und unergativer Verben nicht über eine Auszeichnung des Verbarguments erklärt werden kann, sondern einer semantischen Fundierung bedarf, die sich auf die Dekompositionstruktur der Verben bezieht. Kaufmann (1995a, 1995c) hat gezeigt, wie sich die Eigenschaften unakkusativer und unergativer Verben in dem zweistufigen Rahmen erklären lassen. Ich verwende in dieser Arbeit die Begriffe extern!intern nur als Etikette zur Identifizierung der Argumente einer Relation oder eines Verbs: Bei einer Relation nenne ich das höchste Argument extern und die übrigen Argumente dieser Relation intern. Bei mehrstelligen Verben nenne ich das ranghöchste Argument des Verbs extern. Ferner unterscheide ich bei den internen Argumenten dreistelliger Verben zwischen dem direkten internen Argument - dem rangniedrigsten Argument, das den Akkusativ erhält - und dem indirekten internen Argument - dem mittleren strukturellen Argument, das den Dativ erhält (s. 2.1). Ebenfalls aus der Kategorialgrammatik übernommen sind die Kompositionsmechanismen der Funktionalen Applikation und der Funktionskomposition. Daneben gibt es einen weiteren Mechanismus, nämlich den der Argumenterweiterung, auf den ich in 2.2 eingehen werde, da er für die Modifikation relevant ist. Die Funktionale Applikation steuert die Sät-
" _ '
argument im Medium), und solchen, die optional realisiert werden können, dar: Beide werden als ungebundene Parameter im Basiseintrag des lexikalischen Elements repräsentiert. Unter bestimmten Bedingungen wird über das niedrigste Vorkommen einer Variablen abstrahiert (s. 2.1). Bierwisch (1989a) nimmt in seinen Repräsentationen die Kennzeichnung externer Argumente an, ohne allerdings auszuführen, inwieweit das für seine Analysen relevant ist. Wenn ich mich auf andere Analysen beziehe, die die Begriffe externes und internes Argument verwenden, so ist bei diesen immer die übliche Interpretation der beiden Begriffe gemeint (s. Williams 1981b).
18
2. Der theoretische Rahmen
tigung eines Funktors durch typengerechte Argumente (s. (5a/b)), die Funktionskomposition wird in den Fällen angewendet, in denen ein noch offener Funktor das Argument eines übergeordneten Funktors ist. Durch die Funktionskomposition werden die Argumente des offenen Funktors an den übergeordneten vererbt (s. (5c/e)). (5)
a. α/β β - » α b. reifen: λχ Xs BECOME(REIF(X))(S) BECOME
REIF
X
S
c. α/β β/γ α/γ d. un: λΡ - , Ρ; Typ 0/0 e. un ähnlich 0/0 (0/l)/l (0/l)/l Die Funktionskomposition führt zur Argumenterweiterung der lexikalischen Einheit, die dem übergeordneten Funktor entspricht. Für die komplexen Verben, die über Funktionskomposition abgeleitet werden, bedeutet dies, daß die vom Verbzusatz eingebrachten Argumente immer zu echten Verbargumenten werden. Somit besteht ein Unterschied zu prädikativen Argumenten in der Syntax (ζ. B. direktionale PPs), deren interne Argumente keine Verbargumente sind und die unter die Linkingdomäne des Prädikats fallen. Eine wichtige Beschränkung für die SF ist ihr strikt binärer Aufbau. Das hat zur Folge, daß die Koordination asymmetrisch verstanden werden muß; zugrundegelegt wird hier die rechtsverzweigende Struktur [Α (& B)]. Die Annahme einer allgemein rechtsverzweigenden Struktur ergibt sich aus semantischen Erwägungen: Relationen werden zuerst hinsichtlich des niedrigeren Arguments ausgewertet, da durch die Festlegung des niedrigeren Arguments eine Eigenschaft des höheren Arguments bezeichnet wird; dies gilt insbesondere für alle asymmetrischen Relationen, die nur aus der Perspektive des höheren Arguments, nicht aber aus der Perspektive des niedrigen Arguments konzeptualisiert werden können (s. Kaufmann 1995a). Evidenz für die Rechtsverzweigung bei der Koordination ist durch das Verhalten von Verben mit verschiedenen Varianten gegeben: Abhängig von den niedrigeren Konjunkten, d. h. von den darin angegebenen Prädikaten und Relationen und der Sättigung ihrer Argumente, ergibt sich die Interpretation der SF-Prädikate der höheren Konjunkte. Illustriert ist dies für die POSS-/LOC-Alternation bei schicken (s. (6a/b)) und die Interpretation von ziehen·. Bei der Realisierung einer direktionalen PP bezieht sich die in ziehen ausgedrückte Ausdehnung auf einen zurückgelegten Weg, bei der Realisierung einer
2. Der theoretische resultativen (s. (6c/d)). 8 (6)
a. b. c. d.
AP
Rahmen auf die
19 Einwirkung
auf
Gestalteigenschaften
des
Objektreferenten
Sie schickt ihm Blumen. λ γ λ ζ λ χ Xs [SCHICK(x,y) & BECOME(POSS(z,y))](s) Sie schickt die Pakete an die Verwaltung. λγ λχ Xs [SCHICK(x,y) & BECOME(LOC(y,ATtz]))](s) Sie zieht den Karren in die Garage. Sie zieht das Band lang.
Lexikoneinträge werden in diesem Ansatz als geordnete Quadrupel (PF, GF, TS, SF) dargestellt, wobei G F die grammatische Form und TS die Theta-Struktur bzw. das Theta-Raster bezeichnet. D i e PF wird im weiteren ignoriert, da sie für die Fragestellung der Arbeit nicht wichtig ist. D i e GF spezifiziert mittels grammatischer Merkmale die syntaktische Kategorisierung und somit das kombinatorische Verhalten der betreffenden Kategorien als auch inhärente grammatische Eigenschaften (ζ. B. Genus). In (7) sind exemplarische Lexikoneinträge aufgeführt. 9
a. b.
Haus: zufrieden·.
PF /hauz/; /tsufri:dn/;
GF [-dep,-rel]; [+dep,-rel];
c. d.
gehen: in: un:
/ge:/; /in/; /un/;
PP[mit] [-dep,+rel]; λ Ρ λ χ λ& [+dep,+rel]; [-DIR] λ γ λ χ [+min]; λ Ρ [rel]
(7)
TS λχ (λγ) λχ
SF HAUS(x) ZUFRIEDEN(x,y)
(MOVE(x) & P(x))(s) LOC(x, INT[y]) -,Ρ
Ein für meine Analysen wichtiges Problem ist das der Koindizierung von Argumenten bei SF-Erweiterungen. Wie sich zeigen wird, ist die Koindizierung immer konzeptuell motiviert. U m keinen methodischen Widerspruch zu erzeugen, der darin bestünde, daß die SF konzeptuelle Information der CS antizipieren würde, wenn jeweils nur die in Frage kommende S F generiert würde, gehe ich davon aus, daß bei der SF-Erweiterung sämtliche, für 8
Es muß jedoch darauf hingewiesen werden, daß bei der Koordination nicht beliebig Prädikate oder Relationen als niedrigere Konjunkte integriert werden können: Hinsichtlich der Koordination argumentiert Bierwisch (1989a:41) dafür, daß das Erstglied der logischen Konjunktion als Vorbedingung für das Zweitglied angesehen werden muß. Kaufmann (1995a) leitet daraus die Beschränkung für mögliche SF-Strukturen ab, daß bei der Integration von Prädikatsvariablen in eine SF die hierarchieniedrigeren Prädikate nur Information spezifizieren dürfen, die von hierarchiehöheren Prädikaten aktiviert wird. Andererseits legen die niedrigeren Prädikate fest, welche der aktivierten Bedeutungskomponenten der höheren Prädikate im jeweiligen Kontext relevant sind. " Die Merkmale [±rel] und [±dep] stammen von Wunderlich (1994c), der die Problematik der üblichen Klassifizierung der Hauptkategorien mit den Merkmalen [±N] und [±V] aufzeigt (Markiertheitswert der Kategorien; Markiertheitswert des Kategorienwechsels und ontologische Basis der Kategorien), und durch die hier angeführten ersetzt: [+rel] klassifiziert die relationalen Kategorien Ρ und V, deren Argumente obligatorisch zu realisieren sind, und [+dep] klassifiziert die referentiell abhängigen Kategorien Α und P, die über kein referentielles Argument verfügen und sich deshalb "parasitär" an eine Wirtskategorie anhängen müssen und deshalb prototypischerweise als Modifikatoren fungieren. Mit dieser Klassifizierung ist Ν die unmarkierteste Kategorie und Ρ die markierteste. [+min] bezeichnet eine morphologisch gebundene Einheit (s. Kapitel 3). [-DIR] kennzeichnet eine lokale (d. h. nicht-direktionale) Verwendung der Präposition.
20
2. Der theoretische Rahmen
die Koindizierung denkbaren, SF-Repräsentationen erzeugt werden, wobei die konzeptuelle Interpretierbarkeit die Auswahl einer möglichen SF steuert. Die Koindizierung der Argumente muß bereits auf der SF determiniert sein, da aus ihrem Prädikat-Argument-Schema die Argumentstruktur abgeleitet wird. 10 In (8) ist die Komposition eines transitiven Verbs mit einem zweistelligen Prädikat gezeigt, wobei als mögliche Koindizierungen die mit dem externen Basisverbargument (s. (8a)), dem internen Basisverbargument (s. (8b)), oder die Nicht-Koindizierung (s. (8c)) ausgewiesen sind. Bei letzterem erfolgt eine Erweiterung der Argumentstruktur des Basisverbs um ein neues rangniedrigstes Argument. Welche Koindizierung korrekt ist, ergibt sich aus der konzeptuellen Deutung der Prädikate und der Komposition der von ihnen bezeichneten Teilereignisse, die eine plausible komplexe Situation bezeichnen muß. (8)
a. b. c.
Xy λ χ Xs [VERB(x,y)(s) & P(x)(s)] Xy λ χ Xs [VERB(x,y)(s) & P(y)(s)] Xz Xy λ χ λβ [VERB(x,y)(s) & P(z)(s)]
Ich werde bei der Vorstellung der einzelnen Verbzusatzmuster exemplarisch illustrieren, welche SF-Repräsentationen generiert werden und welche von diesen sich dann aufgrund ihrer konzeptuellen Deutung durchsetzt.
2.1 Argumentlinking Ein wichtiger Aspekt in meiner Untersuchung der komplexen Verben ist die Fragestellung, wie die Argumente, die von argumentstrukturerweiternden Verbzusätzen neu eingeführt werden, gelinkt werden und welche Effekte sich hinsichtlich des Linking der Basisverbargumente ergeben. Deshalb will ich in diesem Abschnitt die Linkingkonzeption von Wunderlich (1992/1994a) und Joppen/Wunderlich (1994) vorstellen, die auf Ideen von Kiparsky (1989, 1992) zurückgeht. Basis für das Linking ist die inhärente Hierarchie des Theta-Rasters eines einfachen oder abgeleiteten Verbs. Da sich das Theta-Raster, das als Schnittstelle zur Syntax verstanden werden kann, aus der Einbettungstiefe der Argumentvariablen in der SF ergibt, kann man sagen, daß im zweistufigen Ansatz die Argumentstruktur und das Argumentlinking wesentlich durch die in der SF aufgeführten Dekompositionsstruktur determiniert sind. So leitet sich ζ. B. die Grundwortstellung aus der Funktionalen Applikation beim Basiseintrag des Verbs ab: Aus der sequentiellen Sättigung der Argumentvariablen eines dreistelligen Verbs wie geben durch syntaktische Komplemente resultiert die Argumentabfolge in (9b), die bei kopffinalen Strukturen die Wortstellung in (9c) ergibt. 11 10
11
Man kann einwenden, daß die von mir vorgeschlagene freie Generierung von SF-Varianten unnötig kompliziert ist, da die Behandlung impliziter Argumente in diesem Rahmen ebenfalls eine CS-Interpretation, d. h. Belegung, antizipiert. Meiner Meinung nach besteht jedoch ein wichtiger Unterschied zwischen impliziten Argumenten und Koindizierung bei SF-Erweiterungen: Implizite Argumente findet man bei einem kleinen lexikalisierten Bestand an Verben, während die SF-Erweiterung ein produktiver Mechanismus ist, der nicht-gelistete Verben ableitet. Wie bereits gesagt, können sich durch kontextinduzierte Argumentvertauschungsoperationen auf dem Theta-Raster Wortstellungsmuster ergeben, die von der Grundwortstellung abweichen. Einen solchen Kontext stellen ζ. B. Alternationen wie der Tante den Brief schicken vs. den Brief an die Tante schikken dar. Eine lineare Präzedenzregel fordert die Abfolge NP < PP.
2. Der theoretische Rahmen (9)
a.
geben:
21
λγ λζ λ χ Xs CAUSE(x, BECOME(POSS(z,y)))(s)
b. y < ζ < χ c. weil der Mann der Frau das Buch gibt. Das Argumentlinking betrifft die strukturellen Argumente des Verbs. Als Kandidaten für strukturelle Argumente fallen von vornherein das referentielle Argument, das durch funktionale Kategorien gebunden wird, lexikalisch oblique markierte Argumente, und Argumente, die durch morphologische Operationen unterdrückt werden, heraus. Das Deutsche läßt drei strukturelle Argumente zu; der Dativ ist ein struktureller Kasus (s. Wegener 1991 12 , Wunderlich 1994a), der allerdings weitgehend auf belebte Objekte eingeschränkt ist. 13 Kiparsky (1989) nimmt an, daß es prinzipiell drei Arten von Linkern gibt, nämlich Kongruenz, morphologischen Kasus und Komplementposition, die in den Einzelsprachen zum Argumentlinking herangezogen werden können. Für das Deutsche ist in erster Linie das Kasuslinking relevant. Kiparskys (1992) zentrale Idee ist nun, die Hierarchie der thematischen Rollen als Basis für das Linking struktureller Argumente zugrundezulegen. Er unterscheidet die bei einem Verb auftretenden thematischen Rollen durch die Merkmale [± HR] ("die höchste Rolle: ja/nein") und [± LR] ("die niedrigste Rolle: ja/nein") und weist den Linkern entsprechende Merkmalsspezifikationen zu, die durch Unifikation von Linker und Theta-Rolle das jeweilige Linking ergeben. Wunderlich revidiert Kiparskys Ansatz nun dahingehend, daß er das Theta-Raster als Basis für das Linking zugrundelegt und dessen inhärente Hierarchie mit den Merkmalen erfaßt. Ferner reinterpretiert er Kiparskys Merkmale: [± hr] wird interpretiert als "es gibt (k)eine höhere Rolle" und [± lr] als "es gibt (k)eine niedrigere Rolle". Mit dieser Reinterpretation der Merkmale vermeidet man, daß das einzige Argument intransitiver Verben das markierteste hinsichtlich der beiden Merkmale ist. Für das Deutsche mit Kasuslinkingsystem und drei strukturellen Argumenten sind folgende Merkmalsspezifikationen relevant: (10)
Dativ: Akkusativ: Nominativ:
[+hr, +lr] [+hr] [ ]
Kongruenzaffixe oder Komplementpositionen sind in Sprachen mit entsprechenden Linkingmechanismen in gleicher Weise ausgezeichnet. Folgende Prinzipien steuern das Linking: 14 1. Alle und nur die strukturellen Argumente müssen mit einem strukturellen Linker versehen werden. }? Wegener rechnet den ethischen Dativ zu den obliquen Kasus. 13 So kann man in vielen Fällen eine systematische Alternation zwischen Dativ-NP und direktionaler PP beobachten, die von der Belebtheit des Objekts abhängt (Kaufmann 1995a): a. Sie schickte das Buch ihrer Tante. b. Sie schickte das Buch an die Bücherei. c. Sie brachte ihm einen Kuchen. d. Sie brachte den Kuchen ins Büro. 4 1 Die Zahl der strukturellen Argumente in einer Sprache und das Eindeutigkeitsprinzip sind parametrisiert: Es gibt Sprachen mit nur einem strukturellen Argument (klassisches Nahuatl) oder nur zwei strukturellen Argumenten (Indonesisch). In symmetrischen Objektsprachen (Bresnan/Moshi 1990) können die Linker für Objekt mehrfach angewendet werden.
22
2. Der theoretische
Rahmen
2. Der spezifischste Linker, der mit einem Argument kompatibel ist, hat jeweils Vorrang (Spezifizität). 3. Jeder Linker darf nur einmal angewendet werden (Eindeutigkeitsprinzip). Das Argumentlinking sei nun anhand der Theta-Raster ein-, zwei- und dreistelliger Verben illustriert: (11)
a.
intransitive Verben
b.
transitive Verben
λ χ VERB(x)
Xy
-hr -lr
+hr -hr -lr +lr
I
λ χ VERB(x,y)
I I
nom
akk nom
c.
ditransitive Verben λζ
Xy
λχ
VERB(x,y,z)
+hr +hr -hr -lr +lr +lr
I I I akkdat nom
Zwar ist der Nominativ mit allen Argumentpositionen kompatibel und der Akkusativ auch mit der mittleren Argumentposition, bei zwei- oder dreistelligen Verben werden jedoch aufgrund des Spezifitätsprinzips Akkusativ bzw. Dativ für das rangniedrigste bzw. das mittlere Argument vorgezogen. 15 Eine wichtige Implikation dieses Linkingansatzes ist, daß in den Sprachen maximal nur drei verschiedene Linker zur Verfügung stehen und somit auch nur drei strukturelle Argumente mit den Linkern versehen werden können. 16 Ferner werden drei kanonische Verbklassen, nämlich NOM-Verben, AKK-NOM-Verben und AKK-DAT-NOM-Verben vorhergesagt. Dieser Linkingansatz erlaubt es aber auch, irreguläre Verbklassen, d. h. solche mit lexikalischem Dativ, mit den gleichen Merkmalen zu erfassen. Im Deutschen gibt es zwei Verbklassen mit lexikalischem Dativ: Bei Verben wie danken und helfen ist das niedrigere Argument lexikalisch ausgezeichnet (s. (12)), bei Verben wie gehören und gefallen das höhere Argument (s. (13)). 17 15
17
Nicht ganz unproblematisch ist in diesem Rahmen allerdings die Analyse des Passivs (und des Mediums). Damit korrekt erfaßt wird, daß das mittlere Argument weiterhin den Dativ erhält (weil ihm das Buch gegeben wird), muß das hinsichtlich der Merkmale [hr] und [lr] vollspezifizierte Theta-Raster zugrundegelegt werden, was konsequent ist, wenn man das Passiv als eine Operation über dem Theta-Raster versteht, und teilweise überschrieben werden: Das ranghöchste Argument erhält eine ObliqueKennzeichnung; damit das rangniedrigste Argument mit dem Nominativ unifiziert wird, sind zwei Alternativen denkbar: Das Merkmal [+hr] wird überschrieben zu [-hr], damit dieses Argument nicht den spezifischeren Linker Akkusativ erhält (s. u.), oder man postuliert ein Prinzip, das besagt, daß der Nominativ obligatorisch an ein Verbargument zu vergeben ist, sofern es nicht lexikalisch markiert ist; dadurch erhält der Nominativ bei einem passiven Verb Vorrang vor dem Akkusativ. λζ
Xy
λχ
+hr -lr
+hr +lr
-hr +lr
Xs VERB(x,y,z)(s)
-hr obl nom dat Sandra Joppen (mündl.) hat mich darauf aufmerksam gemacht, daß im Baskischen das ursprünglich mittlere Argument ditransitiver Verben bei Kausativierung weiterhin den Dativ erhält und sich hinsichtlich der Topikalisierung wie ein strukturelles Argument verhält, in bezug auf den primären Linker (Verbkongruenz) aber wie ein obliques. Evidenz für diese lexikalische Auszeichnung liefern Wortstellungsdaten (weil dem Mann das Buch gefällt/weil die Frau dem Mann hilft) und Passivdaten (* ihm wird gefallen/ihm wird geholfen). Die kleine Zahl von Doppel-Akkusativ-Verben wird durch eine lexikalische Auszeichnung des mittleren Verbarguments mit [-lr] erfaßt.
23
2. Der theoretische Rahmen (12)
helfen: lexikalisch: Default:
λχ
gefallen: lexikalisch: Default: Kasus:
Xs
HELF(x,y)(s)
Xs
GEFALL(x,y)(s)
-lr -hr nom
+hr dat
Kasus: (13)
Xy
+lr
Xy
λχ
+hr -hr -lr +lr nom dat
Die lexikalische Auszeichnung des Arguments macht dieses für die Defaultkennzeichnung der Argumente hinsichtlich des betreffenden Merkmals "unsichtbar" bzw. opak. Es findet sozusagen eine Vertauschung der Argumente in bezug auf dieses Merkmal statt. Da die Simplexverben des Deutschen - wie von der Linkingtheorie vorhergesagt - maximal drei strukturelle Argumente aufweisen, ergeben sich keine Linkingprobleme. Problematisch wird es jedoch, wenn durch eine Operation der Argumenterweiterung ein oder zwei Argumente an das Basisverb vererbt werden, so daß transitive oder ditransitive Basisverben eine Stelligkeit von vier oder fünf Argumenten erhalten. Das Problem, das sich hier stellt, ist, ob und welches der mittleren Argumente einen strukturellen Kasus erhalten kann; hinsichtlich ihrer Merkmalsspezifikationen sind die mittleren Argumente nicht voneinander unterscheidbar ([+hr,+lr]). Wunderlich (1994a) leitet den Status eines Arguments als strukturelles oder nicht-strukturelles Argument aus der SF des betreffenden Verbs ab. Er formuliert dazu den Begriff des L-Kommandos, das als lexikalische Entsprechung zum CKommando zu sehen ist. Dies wird deutlich, wenn man die SF als einen binären Baum interpretiert, bei dem die Blätter von den Prädikaten und Argumentvariablen belegt werden und jeder Knoten eine Typenauszeichnung erhält: 18 (14)
geben:
CAUSE(x, BECOME(POSS(y,z)))(s)
0 1
(0/1)
0
((0/l)/l)/0 CAUSE
0
0/0 BECC
POSS Der Baumstruktur in (14) liegt CAUSE(BECOME(POSS(z)(y)))(x)(s)
die
in
die
Polnische
Notation
überführte
SF
zugrunde:
24
2. Der theoretische
Rahmen
Würde man diese Baumstruktur als eine syntaktische Struktur auffassen, so wären folgende C-Kommando-Beziehungen zwischen den Argumenten gegeben: χ c-kommandiert y und z, und y c-kommandiert z. Als eine dem C-Kommando entsprechende strukturelle Beziehung, die zwischen Elementen in lexikalischen Strukturen gegeben ist, definiert Wunderlich das L-Kommando in der folgenden Weise: (15)
α L-kommandiert β genau dann, wenn der Knoten γ, der α entweder direkt kommandiert oder über eine Kette von Knoten dominiert, die den gleichen Typ wie γ haben, auch β dominiert.
In der Struktur (14) gelten somit folgende L-Kommando-Beziehungen: χ L-kommandiert y und z, und y L-kommandiert z. Die geforderte Typenidentität in der Dominanzkette kann als semantische Adjunktion interpretiert werden. Ähnliche Adjunktionseffekte (ζ. B. hinsichtlich des Barrierenstatus von maximalen Phrasen) zeigen sich auch in der Syntax. Mit Hilfe des L-Kommandos leitet Wunderlich folgende Beschränkung für strukturelle Argumente
(16)
ab:
Ein Argument ist nur dann strukturell, wenn es entweder das niedrigste Argument ist oder wenn alle seine Vorkommen das niedrigste Argument L-kommandieren.
Diese Beschränkung für strukturelle Argumente impliziert, daß alle potentiellen Kandidaten für strukturelle Argumente zueinander in einer direkten Beziehung stehen müssen; Argumente, die semantisch zu tief eingebettet sind, fallen, soweit sie nicht das rangniedrigste Argument sind, als strukturelles Argument heraus. 19 Für eine Resultativkonstruktion wie (17a) bedeutet das, daß das Basisverbargument y nicht strukturell realisiert werden kann, da es das neu eingebrachte Argument ζ nicht L-kommandiert, wie es die Baumstruktur in (17c) zeigt: Der Mutterknoten von y (γ) dominiert ζ nicht direkt, noch gibt es eine typenidentische Kette von Knoten, dessen oberster Knoten ζ direkt dominiert; bereits γ und dessen Mutterknoten δ haben nicht den gleichen Typ. 20 Daß y kein strukturelles Argument ist, wird mit * gekennzeichnet. (17)
a. Er trinkt die Flasche/den Keller leer. b.
λ ζ λ y λ χ Xs [TRINK(x,y)(s) & BECOME(LEER(Z))(S)]21 λ ζ Xy λχ Xs [TRiNK(x,y) & BECOME(LEER(Z))](S)
-lr +hr akk
* obl
+lr -hr nom
Es gibt, wie bereits angedeutet, eine Klasse von Verben, in denen das rangniedrigste Argument lexikalisch ausgezeichnet ist und deshalb nicht strukturell realisiert wird. 20 Wie die beiden Strukturen in (14) und (17) zeigen, sind für BECOME zwei Einträge erforderlich. Als Operator mit dem Typ 0/0 und als Operator, der zu einer Situation relativiert wird und den Typ (0/1 )/0 hat. Prinzipiell können alle Propositionen zu einer Situation relativiert werden. Daß BECOME ZU einer Situation relativierbar ist, zeigt sich in inchoativen Verben wie reifen. Aber auch alle N- und A-Prädikate können auf eine Situation bezogen werden; besäßen sie dieses Potential nicht, wäre die Bildung von denominalen und deadjektivischen Verben ausgeschlossen. 21 Ich gehe davon aus, daß die beiden Repräsentationen in (17b) aufgrund des Distributivgesetzes äquivalente Repräsentationen darstellen.
2. Der theoretische
Rahmen
25
c.
0 0/1
s (0/1) δ
(0/l)/(0/l)
&
0/1 0
(0/1VO
χ
(0/1)/Π («viyiyi
BECOME
y
TRINK
0/1
Ζ
LEER
Bei dieser Konzeption struktureller Argumente sind zwei Aspekte relevant. Der erste betrifft die Konsequenzen für die λ-Abstraktion, die sich aus dem L-Kommando ergeben. Das L-Kommando sagt voraus, daß in den beiden SF-Repräsentationen in (18) das erste Vorkommen der Variablen y nicht berücksichtigt werden kann, da es die tiefer eingebetteten Argumente nicht L-kommandiert. Relevant ist deshalb das zweite Vorkommen der Variablen. So ist y in (18a) rangniedrigstes Argument; es darf deshalb in diesem Fall strukturell realisiert werden. In (18b) hat das L-Kommando keinen Effekt auf die Abfolge der λ-Abstraktoren. Da y hier jedoch nicht das rangniedrigste Argument ist und sein erstes Vorkommen das rangniedrigste Argument nicht L-kommandiert, kann y kein strukturelles Argument sein. (18)
a. b.
λ y λ ζ λ χ Xs [VERB(x,y) & P(z,y)](s) λ ζ λ y λ χ λβ [VERB(x,y) & P(y,z)](s) *
Der zweite Aspekt betrifft die Behandlung expletiver Argumente, die aufgrund der SF-Basiertheit des L-Kommandos nicht von diesem erfaßt werden. Würde das L-Kommando so interpretiert, daß es die Sichtbarkeit von Argumenten auf der SF voraussetzt, so sollte es ζ. B. keine transitiven Verben mit expletiven Subjekten oder Objekten geben, da ein Argument jeweils nicht auf der SF gegeben ist: Ein expletives Subjekt könnte das rangniedrigere Element nicht L-kommandieren und dürfte deshalb keinen Nominativ erhalten können; ebenso könnte ein echtes Argument ein rangniedrigeres expletives Argument nicht L-kommandieren. Wie die Beispiele in (19) zeigen, ist strukturelles Linking bei expletiven Argumenten jedoch ohne weiteres zulässig. (19)
a. Er schämt sich. ΛY λ χ Xs SCHÄM(X)(S)
b. weil es die Wäsche naß regnete. λγ λ χ Xs [REGN(S) & BECOME(P(y))]
Dies zeigt, daß das L-Kommando nur eine Voraussetzung für echte Argumente ist und daß expletive Argumente immer strukturell sind. Auf die Linkingproblematik mit expletiven Argumenten in Objektstelle gehe ich noch einmal in 7.3.1 ein.
26
2. Der theoretische
Rahmen
Ferner ergibt sich aus Wunderlichs L-Kommando-Begriff folgende Implikation für den Dativ: Ein Argument kann nur dann strukturellen Dativ erhalten, wenn es zusammen mit dem rangniedrigsten Argument als das höhere Argument von beiden in eine Relation eingebunden ist (ζ. B. POSS(u,v)). In allen anders gearteten SF-Repräsentationen kann das betreffende Argument aufgrund der Binarität der SF das rangniedrigste Argument nicht Lkommandieren und darf somit nicht mit dem Dativ markiert werden. Diese Implikation aus dem L-Kommando motiviert aber auch die beobachtbaren semantischen Beschränkungen für das Dativlinking: So tritt der Dativ nur bei bestimmten semantischen Relationen auf (ζ. B. POSS), wobei das Dativargument immer das ranghöhere in der Relation ist. Die komplexen Verben liefern weitere Evidenz dafür, bei welchen Relationen der Dativ möglich ist. Die in dieser Arbeit untersuchten komplexen Verben stellen einen Testfall für Wunderlichs Konzeption struktureller Argumente dar. Auf mögliche Problemfälle werde ich jeweils kurz hinweisen.
2.2 Modifikation Ein weiterer wichtiger Aspekt bei der Analyse der komplexen Verben ist der der Modifikation. Ich werde deshalb in diesem Abschnitt kurz Wunderlichs (1994d) Analyse der Modifikation vorstellen, da sie im folgenden für viele Muster komplexer Verben einschlägig sein wird. Abweichend von der Montague/Cresswell-Tradition gehen Higginbotham (1985), Bierwisch (1987) und Wunderlich (1987, 1994d) davon aus, daß Modifikatoren nicht als Funktoren über dem Modifikanden anzusehen sind, sondern daß ein eigener Modus der Modifikation vonnöten ist, der in einem Argumentsharing zwischen Modifikator und Modifikand besteht, d. h. der Identifikation der Argumente zweier Prädikate, die zu einem Schnitt der beiden Prädikate führt: (20)
rot:
λ χ ROT(x)
Haus: rotes Haus:
Xy HAUS(y) Xy [HAUS(y) & ROT(y)]
Higginbotham spricht in diesem Zusammenhang von Theta-Identifikation, Bierwisch von Theta-Rollen-Absorption und Wunderlich (1987) von funktionaler Unifikation. Ziel dieser Analysen ist es, die Probleme der traditionellen Sichtweise zu überwinden: Modifikatoren sind trotz ihres Funktorenstatus weder syntaktische noch morphologische Köpfe; ferner erzwingt die Funktorenanalyse oft Mehrfacheinträge für die Elemente, die als Modifikatoren auftreten, um deren unterschiedliche Verwendungsweisen (ζ. B. attributives vs. prädikatives Adjektiv oder Adverbien, die über Verben jedweder Stelligkeit operieren) erfassen zu können. Die Argumentidentifikation kann nicht direkt mit Operationen aus der Kategorialgrammatik hergeleitet werden. Wunderlich (1994d) schlägt zwei semantisch äquivalente Operationen vor, die die für die Modifikation relevanten Strukturen ableiten: die Argumenterweiterung (ARG) und die Modifikatorerweiterung (MOD). Bei der Argumenterweiterung wird der Kopf um ein prädikatives Argument erweitert (s. 21a)). Die Strukturen in (21b)
2. Der theoretische
27
Rahmen
und (21c) zeigen die Argumenterweiterung intransitiver und transitiver Verben. Es wird jeweils ein Argumentsharing hinsichtlich des Situationsarguments angenommen; die abgeleiteten Verben unterliegen den konzeptuellen Bedingungen der Situationskohärenz (s. 2.3). 22 (21)
ARG a.
XsF(s)
λ ϋ Xs [F(s) & G(s)]
0/1 b. intransitive Verben:
c.
(0/l)/(0/l)
λ χ Xs VERB(X)(S)
XG λ χ Xs [VERB(X)(S) & G ( s ) ]
(0/l)/l transitive Verben:
((0/l)/l)/(0/l)
Xy λ χ Xs VERB(x,y)(s)
XG Xy λ χ Xs [VERB(x,y)(s) & G(s)]
((0/l)/l)/l
(((0/l)/l)/l)/(0/l)
Durch Funktionskomposition von Kopf und Modifikator werden weitere Argumente des Modifikators an den Komplex vererbt. Die resultierende Argumentstruktur spiegelt dabei die Einbettungstiefe auf der SF wider. Bei der zweiten Operation, der Modifikatorerweiterung (s. (22a)), wird der Modifikator um ein prädikatives Argument erweitert. Dies entspricht der traditionellen Sichtweise in der Kategorialgrammatik, Modifikatoren als Funktoren anzusehen. Problem dieser Operation ist jedoch, daß sich bei zwei- oder mehrstelligen Modifikatoren wie in (22b) ein mit der Einbettungstiefe nicht konformes Theta-Raster ergibt, wenn der Modifikator mit dem Kopf über Funktionskomposition zusammengebracht wird (s. (22c)); auf diese Problematik werde ich ausführlicher in 5.1 eingehen. (22)
MOD a.
λβσ^) 0/1 b. Xu Xs G(u)(s) c.
—>
λΡλβίτ^&σ^)] (0/1)/(0/1) XF Xu Xs [F(s) & G(u)(s)]
λ χ λ υ Xs [VERB(x)(s) & G(u)(s)] {gemäß FK}
Die Probleme bei der Operation MOD deuten darauf hin, daß die semantisch äquivalenten Operationen ARG und MOD auf der Basis der Grundannahmen des zweistufigen Ansatzes nicht äquivalent sind hinsichtlich ihrer argumentstrukturellen Effekte. Deshalb wird im folgenden nur noch die Operation ARG betrachtet werden. Wunderlich zeigt, daß mit Hilfe dieser Operationen Small-Clause-Strukturen genauso wie Resultativkonstruktionen lexikalisch abgeleitet werden können. Für den Bereich der komplexen Verben ergibt sich, daß Verbzusätze über den Zwischenschritt der Argumenterweiterung mit anschließender Funktionskomposition oder Funktionaler Applikation an Verben angebunden werden können, die nicht über ein prädikatives Argument im Basiseintrag verfügen.
22 Die Repräsentation in (21a) bedeutet, daß das Kopf- und das Modifikatorprädikat konstitutive Teile der komplexen Gesamtsituation darstellen. In einer expliziteren Repräsentation müßte zudem erfaßt werden, daß die beiden Prädikate jeweils auf Teilsituationen der Gesamtsituation referieren und wie die beiden Teilsituationen aufeinander und auf die Gesamtsituation zu beziehen sind.
28
2. Der theoretische Rahmen
2.3 Mögliche und unmögliche Verben Eine weitere wichtige Fragestellung ist, inwieweit sich im Rahmen der Lexikalischen Komposition Vorhersagen zu möglichen oder unmöglichen Verben treffen lassen. Neben den strukturellen Bedingungen für das Argumentlinking und den semantischen Kompositionsbedingungen ist die Explizierung von Bedingungen erforderlich, die die Zulässigkeit einer SF in Hinsicht auf ihre konzeptuelle Interpretierbarkeit und Verifizierbarkeit determinieren. Darunter fällt auch die Frage, welche Dekompositionsprädikate in einem SF-Eintrag eines lexikalischen Elements zusammengebracht werden können. Für die komplexen Verben ergibt sich dann die Fragestellung, welche Verbzusätze mit einem gegebenen Basisverb kompatibel sind. Im folgenden will ich kurz die Arbeiten von Kaufmann (1995a, 1995c, 1995d) skizzieren, die zwei wichtige Aspekte, die den Aufbau der SF und die Interpretation bzw. konzeptuelle Basis der Dekompositionsprädikate betreffen, in die Diskussion gebracht hat. Zum einen hat sie Prinzipien formuliert, die die Struktur möglicher Verben festlegen, und zum anderen die für die Unakkusativdebatte einschlägige Unterscheidung von O- und DPrädikaten eingeführt. Im zweistufigen Rahmen wird kein Bezug genommen auf thematische Rollen wie Agens, Patiens, Thema usw. Der strukturelle Linkingmechanimus macht die thematische Hierarchie als Basis für das Linking überflüssig. Losgelöst vom Linking sind die Begriffe Agens und Thema - bei überzeugender semantischer Fundierung - jedoch sinnvolle Etikette für die Kennzeichnung von Argumenten bei asymmetrischen zweistelligen Prädikaten oder bei der Unterscheidung von Argumenten einstelliger Prädikate (ζ. B. in Aktivsprachen). Kaufmann hat nun mit der Unterscheidung von O- und D-Prädikaten die eher unmotivierte Bündelung von Eigenschaften des Proto-Agens- oder Proto-Patiens-Konzepts bei Dowty (1991) auf eine allgemeine konzeptuelle Basis zurückgeführt. 23 Die Überlegungen von Kaufmann zielen darauf ab, eine Reihe von Beobachtungen zum syntaktischen und derivationellen Verhalten von Verben zu erfassen und aufgrund ihrer jeweiligen Semantik zu erklären: So zeigen sich präferierte Realisierungsmuster bei Argumenten mit bestimmten thematischen Rollen, Beschränkungen bei Diathesen (ζ. B. Passivbildung und Resultativkonstruktionen nur bei agentiven Verben) und Abhängigkeiten der aspektuellen Interpretation des Verbs von bestimmten Argumentpositionen (ζ. B. ma.w/cöMni-Unterscheidung beim direkten Objekt). Levin/Rappaport Hovav (1995) erfas23
Laut Dowty (1991:572) haben Proto-Agens und Proto-Patiens folgende Eigenschaften: Proto-Agens: a. volitional involvement in the event or state b. sentience (and/or) perception c. causing an event or change of state in another participant d. movement (relative to the position of another participant) (e. exists independently of the event named by the verb) Proto-Patiens: a. undergoes a change of state b. incremental theme c. causally affected by another participant d. stationary relative to movement of another participant (e. does not exist independently of the event, or not at all) Für Kaufmann ergibt sich die Einordnung eines Arguments als Agens oder Thema aus den Eigenschaften der darüber prädizierenden Prädikate oder Relationen. Sortale Informationen (ζ. B. Belebtheit) spielen bei ihr eine zusätzliche Rolle.
2. Der theoretische Rahmen
29
sen diese Fakten durch extrinsisch geordnete Linkingregeln, die den Aufbau der Argumentstruktur an die semantischen Eigenschaften der involvierten Argumente koppeln. Abgesehen davon, daß extrinsische Regelordnungen prinzipiell unerwünscht sind, liefern die vorgeschlagenen Linkingregeln keine Erklärung der zu beobachtenden Fakten. Kaufmanns Analyse setzt es sich zum Ziel, die Argumenteigenschaften mit den semantischen Prädikaten in Verbindung zu bringen, d. h. aus der konzeptuellen Basis der Prädikate heraus zu motivieren. Zudem wird angestrebt, eine Erklärung für die mögliche Kombinatorik der Prädikate zu finden, die gleichzeitig motiviert, warum gewisse Argumenteigenschaften auf bestimmte Argumentpositionen beschränkt sind. Aus der Beobachtung, daß Agentivität und Eigenschaftsveränderung niemals zusammen bei einem Argument auftreten, unterscheidet Kaufmann zwei Prädikatstypen, die unterschiedlich konzeptualisierte Eigenschaften erfassen: D-Prädikate erfassen objektdefinierende oder objektkonstituierende Eigenschaften von Objekten, O-Prädikate optionale Eigenschaften von Objekten. Die von D-Prädikaten bezeichneten Eigenschaften sind entweder selbst objektdefinierend (ζ. B. ein Aggregatszustand für ein konkretes Objekt: Ball fest; Wasser - flüssig) oder gehören zu einem Feld von Eigenschaften, von denen ein Objekt notwendigerweise eine aufweisen muß (ζ. B. Gestalt, Lokalisierung, Substanz, visuelle Eigenschaften wie Farbe, usw.), wobei der "konzeptuelle Raum" für jeden Objekttyp anders definiert sein kann. 24 Bei D-Prädikaten ist demzufolge eine Vergleichsbasis gegeben, auf der das betreffende Feld von Eigenschaften jederzeit definiert ist (schmelzen: flüssig vs. fest). Die gegebene Vergleichsbasis erlaubt die Einbettung der D-Prädikate unter BECOME, das einen Zustandswechsel von -i P(x) zu P(x) ausdrückt (s. (23a)); ζ. B. schmelzen: —Ι FLÜSSIG(x) ist als FEST(X) ZU charakterisieren. O-Prädikate erfassen dagegen optionale Eigenschaften, die ein Objekt nur zu einem bestimmten Zeitpunkt und nicht notwendigerweise aufweist. Bei O-Prädikaten ist keine Vergleichsbasis gegeben, weil optionale Eigenschaften keinem Feld von Eigenschaften angehören, von denen ein Objekt notwendigerweise eine aufweisen muß; man kann deshalb nicht angeben, was ζ. B. der als TANZ(x) zu charakterisierende Zustand sein soll. Deswegen kann BECOME nicht über O-Prädikaten operieren (s. (23b)). 25 (23)
a. b.
BECOME(ROT(X)), BECOME(HART(X)), BECOME(FLÜSSIG(X)) § BECOME(SAG(X)), § BECOME(ARBEIT(X)), § BECOME(LACH(X)), § BECOME(BELL(X))
Demzufolge kann es dynamische D-Prädikate, jedoch keine dynamischen O-Prädikate geben, da für letztere kein generell vorhersagbarer Wechsel von einer optionalen Eigenschaft zu einer anderen gegeben ist, die zudem nicht dem gleichen Feld von Eigenschaften angehören muß, so daß die Konstanz in den möglichen Zustandswechseln fehlt, die die Lexikalisierung dieses Wechsels durch ein Verb überhaupt erst plausibel und möglich macht. Kaufmann weist in diesem Zusammenhang darauf hin, daß ein Wechsel in ein von einem 24 25
Der Feldbegriff ist von Beeh (1993) und Beeh/Brosch/Schulz (1994) übernommen. Bezüglich der Prädikate, die als O-Prädikate eingestuft werden können, gibt es das prinzipielle Problem, daß viele dieser Prädikate gleichzeitig als Dispositionsprädikate (ζ. B. bellen: der Hund kann bellen vs. der Hund bellt in diesem Augenblick) zu verstehen sind, die dann in bezug auf die relevanten Referenten als D-Prädikate zu analysieren sind, weil sie eine charakteristische Eigenschaft des Referenten bezeichnen, die ihn von anderen Objekttypen abgrenzt. Die betreffenden Prädikate werden in ihrer Verwendung als temporäre Zustande- bzw. Eigenschaftszuschreibungen als O-Prädikate analysiert.
30
2. Der theoretische
Rahmen
O-Prädikat instantiierten Feld nicht als Eigenschaftswechsel des Argumentreferenten verstanden wird, sondern als Beginn der Handlung (lossingen, anfangen zu singen). In Analogie zu den Prädikatstypen unterscheidet Kaufmann O- und D-Relationen. Eine typische D-Relation ist beispielsweise die Lokalisierungsrelation LOC. O-Relationen sind dagegen solche Relationen, die für die betreffenden Individuen nicht zu jeder Zeit bestehen müssen. Charakteristische Eigenschaft von O-Relationen ist die Gerichtetheit der Relation, die sich ζ. B . in einer Einwirkung des Agens auf den Referenten des internen Arguments der O-Relation manifestiert, und die daraus resultierende Asymmetrie des bezeichneten Konzepts. Die Relation ist nicht aus der Perspektive des (internen) Thema-Arguments konzeptualisierbar, was bedeutet, daß O-Relationen keine Konversen zulassen. Bei D-Relationen wird durch die Sättigung des niedrigeren Arguments eine objektdefinierende Eigenschaft des höheren Arguments festgelegt. Daraus folgt, daß beide Argumente gleichermaßen in die Relation eingebunden sind, so daß die Relation auch aus der Perspektive des niedrigeren Arguments konstruiert werden kann; Konversen sind demnach möglich (wichtigste Konverse: LOC und POSS). Aus der Beobachtung, daß nicht beliebig komplexe Situationen in einem Verb kodiert werden können (s. Beispiele in (24a-c)), leitet Kaufmann das Verbot der Prädikatskonjunktion bei fehlender Argumentidentifizierung ab (s. (24d)). Diese semantische Beschränkung, die zum Ausdruck bringt, daß bei Verben keine unabhängige Information über zwei (oder mehr) Individuen kodiert wird, sondern daß diese zueinander in einer semantisch spezifizierten Beziehung stehen müssen, gilt für Simplexverben, nicht jedoch für SF-Erweiterungen wie bei Resultativkonstruktionen. Wunderlich (1994a) weist daraufhin, daß in einer S F mit der Struktur [P(x) & Q(x)] und Ρ und Q als Prozeß- oder statischen Prädikaten die bezeichneten Teilsituationen gleichzeitig stattfinden müssen. (24)
a.
§ [KNALL(x) & LEUCHT(y)]
b.
§ [BECOME(FLÜSSIG(x)) & BECOME(VOLL(y))]
C.
§ [KNALL(x) & BECOME(FLÜSSIG(y))]
d.
§[P(x)&Q(y)]
Alle Verben, also auch die abgeleiteten, unterliegen laut Kaufmann (1995a:201) zwei konzeptuellen (Kohärenz-) Prinzipien, die die Kombination beliebiger Prädikate oder Relationen einschränken, und zwar dem Prinzip der Einheitlichkeit der Situation in (25a) und dem Prinzip der Kombination von Teilsituationen in (25b). (25)
a. b.
Die in einer semantischen Form auftretenden Argumente müssen zueinander in einer inhaltlich spezifizierten Beziehung stehen, Teilsituationen müssen kausal miteinander verbunden sein.
Das erste Prinzip stellt ein generelles Individuierungskriterium für Situationen dar, die durch Verben erfaßt werden können, und ist als konzeptuelle Basis für die Beschränkung in (24d) anzusehen: Bei der Struktur (24d) können die beiden Prädikate nicht in einer inhaltlich spezifizierten Beziehung zueinander stehen, weil sie sich nicht auf dasselbe Argument beziehen. Das erste Prinzip ist notwendig, weil rein räumliche oder zeitliche Individuierungskriterien für Situationen nicht ausreichen. Für die Relevanz des zweiten Prinzips ist der Vergleich von Resultativkonstruktionen und Kausalsätzen einschlägig: Resultativkonstruktionen verlangen im Gegensatz zu Kausalsätzen eine unmittelbar erschließbare Ein-
2. Der theoretische
Rahmen
31
Wirkung des Partizipanten der verursachenden Situation auf den Partizipanten der Resultatssituation: (26)
a. Weil es dunkel wurde, gingen die Kinder ins Bett, b. § Es dunkelte die Kinder ins Bett.
Als Korollar zu (24d) und (25b) ergibt sich, daß eine SF, bei der das erste Konjunkt ein Prozeßprädikat und das zweite Konjunkt ein dynamisches Themaprädikt enthält, akzeptabel ist, wenn der Prozeß als Auslöser für den Zustandswechsel fungiert (s. (27a)), während die aus der Vertauschung der beiden Konjunkte resultierende SF in (27b) nicht interpretiert werden kann, da weder eine kausale Beziehung noch eine inhaltlich spezifizierte Beziehung unterstellt werden kann. 2 6 (27)
a.
[ P ( x ) & BECOME(Q(y))]
b.
§ [BECOME(Q(y)) & P ( x ) ]
Als ein weiteres wichtiges, konzeptuelles Prinzip formuliert Kaufmann schließlich das Prinzip zur Interpretation der asymmetrischen Konjunktion PIK (1995a:221), das von großer Relevanz für die durch die Verbzusätze eingeführten SF-Erweiterungen ist: (28)
Die Dekompositionsstrukturen von Verben enthalten nur solche Dekompositionsprädikate, die die durch das jeweils hierarchiehöhere Prädikat aktivierten Eigenschaften weiter spezifizieren. 27
Unter den aktivierten Eigenschaften sind sortale Anforderungen, die die Dekompositionsprädikate der Verben an ihre Argumente stellen, zu verstehen. Kaufmann illustriert dies u. a. für die Verben ziehen und essen: (29)
a. ziehen: zlEH(x,y): (für χ optionale) Kontaktrelation mit zu χ hin gerichteter Krafteinwirkung auf y. aktiviert: Gestalt- und Lageeigenschaften von y physische Eigenschaften von x: Gestalt und Kraft b. essen: ESS(x,y): (für χ optionale) Aufnahme eines Nahrungsmittels y aktiviert: Existenzauflösung von y auf den Organismus bezogene Eigenschaften von χ
Bei einem Verb wie ziehen fordert das PIK, daß jedes weitere Prädikat auf die Gestalt- oder Lageeigenschaften des Arguments y Bezug nehmen muß (sie ziehen den Schlitteny auf den 26
27
Evidenz für die hier vorgestellten konzeptuellen Beschränkungen findet man in Yimas, einer von Foley (1991) beschriebenen Sprache auf Papua-Neuguinea. Dort gibt es mehrere unterschiedliche Operationen der Verbverknüpfung (S. 321 ff.): Verbinkorporation mit und ohne Konnektor (von Foley serielle Verben genannt) und die periphrastische Struktur der Verbeinbettung. Bei Verbinkorporation, die auf einfacher Iuxtaposition der Stämme beruht, müssen die von den beiden Verben bezeichneten Situationen entweder simultan stattfinden oder in einer strikten Verursachung-Effekt-Relation stehen, die von keinem Teilereignis unterbrochen ist. Bei der Verbinkorporation mit Konnektor sind die bezeichneten Ereignisse sequentiell angeordnet, ohne daß ein strikter kausaler Zusammenhang zwischen ihnen bestehen muß. Verbeinbettungen haben eine biklausale Struktur mit zwei getrennten Ereignissen. Kaufmann (1995b) fordert eine Spezifikation des jeweils nächsthöheren Prädikats. Inwieweit diese striktere Formulierung aufrecht erhalten werden kann, ist noch zu klären.
32
2. Der theoretische
Rahmen
Hügel, sie ziehen das Bandy in die Länge). Das PIK schließt generell eine ganze Reihe von SF-Strukturen aus. Unzulässig sind ζ. B. SF-Strukturen, bei denen O-Prädikate oder O-Relationen an zweiter Stelle stehen, deren höchstes Argument nicht mit dem ranghöchsten Argument des Verbs identifiziert worden ist (s. (30). 28 O-Relationen weisen ihrem höchsten Argument optionale Eigenschaften zu, so daß sie die in einer Relation aktivierten Eigenschaften des niedrigeren Arguments nicht hinreichend weiterspezifizieren (s. (30a)); dies gilt natürlich auch für O-Prädikate (s. (30b)). Andererseits liefern O-Relationen aufgrund ihres asymmetrischen Charakters für das interne Argument nicht hinreichend Information, um die von einem Prädikat aktivierte Eigenschaft näher spezifizieren zu können (s. (30c)). (30)
a.
§ λy λχ [REL(x,y) & 0-REL(y,x)]29
b.
§ λ y λ χ [REL(x,y) & O-PRÄD(y)]
c.
§ λ y λ χ [PRÄD(X) & 0-REL(y,x)]
Ausschließen möchte Kaufmann auch die Strukturen in (31). Sie folgert dies aus der Beobachtung von Tenny (1987) u. a., daß nur das direkte interne Argument mit der Ereignisstruktur des Verbs interagiert, nicht jedoch das Subjekt. Demzufolge darf nach einem dynamischen D-Prädikat als erstem Konjunkt keine Relation als zweites Konjunkt stehen, die ein neues Argument einführt, das als direktes Objekt zu realisieren ist. Daß O-Relationen in (31) ausgeschlossen sind, ist - wie für (30) ausgeführt - plausibel. Eine statische D-Relation ist in (31) unzulässig, weil eine statische objektdefinierende Eigenschaft keine Veränderung spezifizieren kann. 3 0 Nicht prinzipiell unzulässig sind nach Kaufmann dynamische D-Relationen in (31b): Bezeichnet wird dabei eine Situation, in der die durch das erste Prädikat ausgedrückte Veränderung eine Veränderung bei einem anderen Objekt mitverursacht. Kaufmann betrachtet Verben wie mir wächst ein Bart, mir kommt eine Idee und mir fällt etwas ein als potentielle Instanzen dieser SF. (31)
a. b.
§ λ y λ χ [BECOME(THPRÄD(X)) & REL(x,y)] § λ y λ χ [BECOME(THPRÄD(X)) & REL(y,x)]
Die von Kaufmann vorgeschlagenen Prinzipien stellen sicherlich Kandidaten für die konzeptuelle Basis der Universalgrammatik dar. Das bedeutet, daß die Einzelsprachen zwar die von der UG bereitgestellten Dekompositionsprädikate in unterschiedlicher Weise instantiieren können, daß aber jede Verb-SF in einer Sprache den konzeptuellen Bedingungen entsprechen muß. Es ist allerdings möglich, daß es eine einzelsprachliche Variation hinsichtlich der Grammatikalisierung von Konzepten gibt. Dies würde ζ. B. erklären, warum fast bedeutungsgleiche Verben in einer Sprache als unakkusativ und in der anderen Sprache als unergativ eingestuft werden (s. Rosen 1984).
2 9
30
O-Prädikate oder -relationen sind nicht grundsätzlich in zweiter Stelle ausgeschlossen: Einbettungen von O-Relationen oder -prädikaten sind ζ. B. bei morphologischen Kausativen und Kausativkonstruktionen wie Englisch he walked the dog gegeben. Die Abgrenzung dieser Strukturen von denen in (30) muß noch genauer analysiert und ausgearbeitet werden. REL bezeichnet eine beliebige O - oder D-Relation, PRÄD ein beliebiges O - oder D-Prädikat, O - P R Ä D ein O-Prädikat und O - R E L eine O-Relation. Nicht prinzipiell ausgeschlossen werden durch (31a) dynamische D-Relationen in zweiter Position, wenn die beiden angedeuteten Zustandswechsel Teilkomponenten der Veränderung sind. In meinen Daten finden sich vereinzelte Belege dafür (Beispiel: Wachs und Honig verschmelzen miteinander, die Organe sind miteinander verwachsen). Auf diese Konstruktion gehe ich in 7.3.2 ein.
2. Der theoretische Rahmen
33
2.4 Die Vorhersagen des zugrundegelegten Rahmens für komplexe Verben Nach der Darstellung des in dieser Arbeit zugrundegelegten Rahmens ist zu fragen, welche Vorhersagen für die Struktur komplexer Verben abgeleitet werden können. Die erste Frage betrifft die der möglichen Operationen, die ein Verbzusatz bezüglich des Basis verbs vornehmen kann. Laut Wunderlich (1992/1994a) sind prinzipiell zwei Typen von morphologischen Operationen, die die Argumentstruktur eines lexikalischen Elements beeinflussen, denkbar. Zum einen gibt es Operationen auf dem Theta-Raster, die die SF unberührt lassen: Tilgung oder Oblique-Machung des rangniedrigsten oder ranghöchsten Arguments auf dem Theta-Raster: Medium/Intransitivierung/ Reflexivierung/Passiv/Antipassiv. 31 Zum anderen gibt es SF-Erweiterungen: Entweder wird eine semantische Konstante eingefügt, die die Basis-SF in ihren Skopus nimmt (ζ. B. Kausativ), oder die SF wird um ein Konjunkt erweitert (ζ. B. Applikativ); hierbei werden entweder neue ranghöchste oder rangniedrigste Argumente eingeführt. Wichtig ist in jedem Fall das Monotonieprinzip, das die Tilgung von SF-Komponenten ausschließt. Eine generelle Beschränkung für Diatheseoperationen hat Kiparsky (1992) formuliert: So darf keine Diatheseoperation zu einem Theta-Raster führen, das nicht bereits von Simplexverben in der betreffenden Sprache instantiiert wird. Eine Ausnahme stellt die Einführung obliquer Argumente dar. Kiparskys Beschränkung impliziert u. a., daß die Zahl möglicher struktureller Argumente bereits bei den Simplexverben determiniert ist. Die Integration der Verbzusätze sollte demnach einer der hier vorgestellten Operationen entsprechen; mit dem Verbzusatz können keine zusätzlichen strukturellen Argumente integriert werden. Zu klären ist, ob alle semantischen Beiträge der Verbzusätze als SF-Modifikationen dargestellt werden können und ob alle transparenten komplexen Verben mit den hier genannten Kompositionsmechanismen (Funktionale Applikation, Funktionskomposition und ARG) abgeleitet werden können. Sollte Wunderlichs Konzeption struktureller Argumente einschlägig sein, so dürfte es keine komplexen Verben geben, bei denen der semantische Beitrag argumenterweiternder Verbzusätze als zusätzliches Konjunkt in die Basisverb-SF integriert und zugleich ein internes Basisverbargument strukturell realisiert wird, wenn es nicht das rangniedrigste Argument des abgeleiteten Verbs ist. Kaufmanns Prinzipien implizieren, daß Verbzusätze keine O-Relationen oder O-Prädikate integrieren können, die nicht über das ranghöchste Basisverbargument prädizieren. Verbzusätze, die statische D-Prädikate oder -relationen beisteuern, sind nur bedingt mit Verben, die dynamische D-Prädikate beinhalten, kombinierbar. Die Verbzusätze müssen in jedem Fall die von den Basisverbprädikaten aktivierte Information weiter spezifizieren. Verbzusätze sind somit ein interessanter Testfall für Kaufmanns Hypothesen. Da die Modifikation als Argumenterweiterung des Kopfes, also der Verben, analysiert wird, ist zu erwarten, daß die Verben ihre generelle Modifizierbarkeit festlegen. Es sollten also systematische Muster hinsichtlich der Verbklassen und der für sie zulässigen Modifikationen auftreten. Ich nehme nicht an, daß die Verbzusätze Selektionsbeschränkungen in bezug auf ihre potentiellen Basen aufweisen. Die Kombinierbarkeit von Verben und Daß nur ranghöchste oder rangniedrigste Argumente manipuliert werden, ergibt sich automatisch aus der Merkmalsauszeichnung dieser Argumente: Nur diese sind eindeutig über die Merkmale identifizierbar ([-hr] und [-lr]).
34
2. Der theoretische Rahmen
Verbzusätzen ergibt sich aus der prinzipiellen Modifizierbarkeit der Verben und der durch die konzeptuellen Prinzipien geforderten Spezifizierung der vom Basisverb aktivierten Information durch den Verbzusatz.
3. Die Wortstruktur der Präfix- und Partikelverben
"The Germans have another kind of parenthesis, which they make by splitting a verb in two and putting half of it at the beginning of an exciting chapter and the other half at the end of it. Can any one conceive of anything more confusing than that? These things are called "separable verbs". The German grammar is blistered all over with separable verbs; and the wider the two portions of one of them are spread apart, the better the author of the crime is pleased with his performance. [...] However, it is not well to dwell too much on the separable verbs. One is sure to lose his temper early; and if he sticks to the subject, and will not be warned, it will at least either soften his brain or petrify it." [aus: Mark Twain "The awful German Language"]
In diesem Kapitel werde ich die wortstrukturellen Eigenschaften von Präfix- und Partikelverben darlegen und die wichtigsten Aspekte der Analyse von Stiebels/Wunderlich (1994) zusammenfassend darstellen. Für die Kritik an alternativen Analysen verweise ich auf die genannte Arbeit. Einige Aspekte anderer Erklärungsansätze werde ich in Kapitel 10 behandeln. Ausgangspunkt der Analyse ist die Annahme, daß die syntaktische und morphologische Trennbarkeit von Partikelverben bereits in der lexikalischen Struktur der Verben angelegt ist (s. die Daten in 3.1.1). Diese Trennbarkeit resultiert aus der Sichtbarkeitsbedingung, die besagt, daß morphologisch maximale Elemente - als solche werden die Partikeln analysiert - für die Syntax sichtbar sein müssen. Außerdem wird in Stiebels/Wunderlich die Hypothese vertreten, daß syntaktisch abtrennbare Partikelelemente auf Verben eingeschränkt sind, es somit keine genuinen "Partikel-Nomen" oder "Partikel-Adjektive" geben kann (s. Partikelbeschränkung). Die bisherigen sprachvergleichenden Untersuchungen haben diese Hypothese verifiziert. Die Analyse der komplexen Verben stützt sich im wesentlichen auf eine Charakterisierung morphologischer Objekte mittels der Merkmale [±max] und [±min]. Diese Merkmale unterscheiden zum einen Elemente, die als morphologisch maximale Elemente (also syntaktische Atome X°) eine syntaktische Kopfposition einnehmen können ([+max]), von solchen, die nicht unabhängig in die Syntax projiziert werden können ([-max]), und zum anderen notwendig gebundene Einheiten ([+min]) von potentiell ungebundenen ([-min]). Die Merkmalskombination [+max,+min] ist aufgrund der Interpretation der Merkmale ausgeschlossen. 1 Die meisten Stämme des Deutschen sind im Lexikon unspezifiziert, haben also 1
Muysken (1983) hat die Merkmale [MAX] und [MIN] eingeführt, um eine Unterscheidung zwischen den phrasenstrukturellen Ebenen der X-bar-Syntax treffen zu können: [+MAX] sind bei ihm maximale Phrasen, [-MAX] alle darunter liegenden Projektionsstufen. [+MIN] sind nicht projizierte syntaktische Einheiten, also Wörter, [-MIN] alle projizierten. Folgende Entsprechungen gelten: [+MAX,-MIN] = XP, [-MAX,-MIN] = Χ', [-ΜΑΧ,+ΜΙΝ] = X ° und [+MAX,+MIN] = Pronomen. Hinsichtlich dieser Kombinierbarkeit unterscheiden sich die lexikalischen Merkmale [max] und [min] von den syntaktischen [MAX] und [MIN].
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3. Die Wortstruktur der Präfix- und Partikelverben
den Eintrag [ ]. Die Zuweisung des Merkmals [+max] erfolgt hier beim Überprüfen der relevanten Form am Ausgang des Lexikons. Flektierte Formen werden in bezug auf die jeweiligen Paradigmen geprüft (s. Wunderlich/Fabri 1993): Kann die Form als ein möglicher Paradigmeneintrag etabliert werden, erhält sie das Merkmal [+max], So ist der Stamm Haus lexikalisch unspezifiziert und erhält als Nominativ-Singular-Form [+max]; im Genitiv kann dieser Stamm nicht maximal sein; erst durch Affigierung des Genitivsuffixes erhält man einen akzeptablen [+max]-Komplex. Eine weitere Annahme ist, daß Partikeln in der komplexen Struktur, die sie zusammen mit den Basisverben bilden, als [+max]-Elemente ausgewiesen sind. Aufgrund der bereits genannten Sichtbarkeitsbedingung (1) sind Partikelverben somit syntaktisch transparent. (1)
Sichtbarkeit: Jedes Element Y+ m a x muß für die Syntax sichtbar bleiben.
Die Sichtbarkeitsbedingung impliziert, daß kein morphophonologischer Prozeß den Partikel-Status berühren darf. Partikeln weisen nicht bereits in ihrem zugrundeliegenden Eintrag das Merkmal [+max] auf, sondern instantiieren dieses Merkmal in der lokalen Umgebung zu Verben über ein entsprechendes Partikeltemplate (s. (2a/b)), das eine Option der UG darstellt und im Deutschen aktiviert ist. Es dient dem Strukturaufbau im Lexikon. Da allerdings nur die Partikelverben mit präpositionalem oder adverbiellem Partikelelement (also Y = P) produktiv sind, wird (2a) eingeschränkt auf (2b). (2b) dient der Generierung neuer Verben, während (2a) nur die Lizensierung von nicht-produktiven (d. h. Υ = Ν, Α oder V) und lexikalisierten Partikelelementen übernimmt, die die [+max]-Auszeichnung bereits im Lexikoneintrag der Verben erhalten. (2b) impliziert überdies, daß alle P-Elemente in der von diesem Template bezeichneten Struktur [+max] sein müssen, wenn sie nicht schon als [+min] ausgezeichnet sind. Eine Überschreibung dieses Merkmals ist aufgrund der Monotoniebedingung (s. Wunderlich/Fabri 1993), die besagt, daß morphologische Operationen immer nur Informationen hinzufügen dürfen, ausgeschlossen. (2)
a. Partikelverb: b. " c. Präfixverb: d. Kompositum:
[γ+maxyj [P+max γ ] [γ+minv] [Y- m a x X]
(2c) gibt die Struktur der Präfixverben (also das Resultat einer akzeptablen Verbpräfigierung) wieder. Präfixverben müssen nicht über Templates erzeugt werden, da die Präfixe lexikalisch als minimale Elemente ausgezeichnet sind und durch entsprechende Subkategorisierungseinträge die Kombination mit den zulässigen Basen steuern; siehe die folgenden Einträge für das Verbpräfix be- und die nominalen Affixe ur- und un-\ (3)
2
a. b.
be-·. ur-, un-\
[+min]; [_ [ ]+rel,-dep]2 [+min]; [_ [ ]_rei]
Daß die Präfixe für ihre Basen subkategorisiert sind, impliziert jedoch keine Funktoranalyse dieser Affixe (s. auch 5.1). Hier besteht also ein systematischer Widerspruch zwischen morphologischer und semantischer Struktur.
3. Die Wortstruktur der Präfix- und Partikelverben
37
Komposita dagegen müssen wiederum über ein lexikalisches Template wie in (2d) gebildet werden, da nicht alle Sprachen über Komposita verfügen und auch kein Element eines Kompositums für ein anderes subkategorisiert ist. Da der Nichtkopf in Komposita niemals abtrennbar ist und generell auch keine kasusflektierten Nomen oder personenflektierten Verben als Nichtköpfe auftreten, ist der Nichtkopf als [-max] ausgezeichnet. Neben der bereits erwähnten Partikelbeschränkung in (4), die besagt, daß (syntaktisch) abtrennbare Elemente nur bei Verben auftreten dürfen, 3 sind zwei weitere morphologische Prinzipien für die Struktur komplexer Verben verantwortlich, nämlich das Adjazenzprinzip und die Klammertilgung. (4)
Partikel-Beschränkung: Die morphologische Struktur [Y + m a x X] ist nur für X = V zulässig.
Sowohl Adjazenzbedingung (Siegel 1977, Allen 1978, Spencer 1991) als auch Klammertilgung, die ein Instrumentarium der lexikalischen Phonologie (Kiparsky 1982, Mohanan 1986) darstellt, stellen sicher, daß eine bereits aufgebaute morphologische Struktur für weitere morphophonologische Prozesse unsichtbar ist. Sie lauten im einzelnen: (5)
Adjazenz: Kein Affix kann mehr als eine Klammer überwinden.
Das bedeutet, daß Affixe nur für die zuletzt gebildete Einheit sensitiv sein können. (6)
Klammertilgung: Nach jeder Affigierung wird die überwundene Klammer getilgt. Also: [[X] Af] [X-Af]
(6) besagt, daß nach jeder Affigierung phonologische Regeln operieren, so daß die interne Struktur für weitere Affixe unsichtbar wird. Die Adjazenzbedingung wäre als ein Spezialfall der Klammertilgung in (6) anzusehen (so argumentiert Sproat 1993), falls letztere obligatorisch ist. Aber gerade die Partikelverben belegen, daß es Strukturen gibt, die eine Gleichsetzung von Adjazenzbedingung und Klammertilgung nicht erlauben. Die Klammertilgung darf bei Partikelverben nicht erfolgen, weil dann die Sichtbarkeitsbedingung verletzt würde. 4 Aus der Partikelbeschränkung und der Sichtbarkeitsbedingung folgt, daß man in bezug auf die Partikelverben bei V-A- oder V-N-Derivationen eigentlich nicht von Ableitungen im strikten Sinn sprechen kann, was ich in 3.2 genauer ausführen werde. Ich verwende im folgenden bei der Beschreibung der Daten den Begriff der Derivation rein deskriptiv. 3
4
Im Deutschen können Pronominaladverbien - abhängig vom Dialekt mehr oder weniger produktiv getrennt werden: a. Er hat nicht damit gerechnet. b. Daj hat er nicht tj mit gerechnet. Da die Topikposition u. a. für Pronomina designiert ist^kann man diese Daten erfassen, wenn man als Lexikoneintrag für diese Pronominaladverbien [da + MAX p+maxj ansetzt; p+max j s t e ; n unabhängig in die Syntax projizierbares Element, das dann beim hier vorliegenden Preposition Stranding zurückbleiben darf. Das bedeutet, daß die Partikelbeschränkung erweitert werden muß zu X = [+rel] (V oder P; beide bilden eine Klasse hinsichtlich der Obligatheit ihrer Argumente). Es ist anzunehmen, daß die Sichtbarkeitsbedingung stärker gewichtet ist als die Klammertilgung. Könnte die Klammertilgung nicht unterbunden werden, so würde der Konflikt zwischen Sichtbarkeitsbedingung und Klammertilgung dazu führen, daß Partikelverben niemals derivierbar und flektierbar wären und somit in der Grammatik einer Sprache keine wirkliche verbbildende Rolle spielen könnten.
38
3. Die Wortstruktur der Präfix- und Partikelverben
3.1 Die Daten Die Menge potentieller Partikelelemente ist im Prinzip offen und kann Elemente aus allen Hauptkategorien enthalten. Dazu gehören viele der ein- und zweistelligen Präpositionen (s. (7a)), einige Nomen (s. (7b/c)), Adjektive (s. (7d)) und Verben (s. (7e)). Die Nomen erhalten ihren Partikelstatus zumeist durch Univerbierung von Verb und bloßen Objekt-NPs (s. (7b)) oder durch Reanalyse von nominalen Elementen in Rückbildungen (s. (7c)). (7)
a. b. c. d. e.
ab, an, durch, hinauf, miteinander ... klavier-spielen, rad-fahren probe-·, probefahren, probereiten, probelesen·, fehl-·, fehlschlagen, kurz-treten, krank-feiern spazieren-gehen, sitzen-bleiben
fehllaufen
Produktiv sind - wie bereits gesagt - nur präpositionale oder adverbielle Elemente. Adjektive und Verben treten nur in einigen wenigen Belegen auf, Nomen etwas häufiger. 5 Präfixe stellen dagegen eine geschlossene Klasse dar. Wunderlich (1987) trennt die PPräfixe durch-, hinter-, über-, unter-, um- und wider-, die über ein morphologisch unabhängiges, präpositionales Pendant verfügen, von den anderen Präfixen be-, ent-, er-, ver-, ge-, zer-, miß- und voll-. Gemeinsam ist Präfix- und Partikelverben, daß das komplexe Verb immer die Flexionsklasse des Basisverbs erbt, was als Evidenz dafür heranzuziehen ist, daß das Basisverb der morphologische Kopf in beiden Verbklassen ist. (8)
Infinitiv werfen px: ver-werfen pt: an-werfen
3. Sg. Präs. wirft ver-wirft an-wirft
3. Sg. Prät. warf ver-warf an-watf
3. Sg. Konj. würfe ver-würfe an-würfe
Partizip II geworfen ver-worfen an-geworfen
In einigen anderen phonologischen und morphosyntaktischen Eigenschaften unterscheiden sich Präfix- und Partikelverben jedoch, nämlich im Akzentverhalten und in der morphologischen oder syntaktischen Trennbarkeit: Während Partikeln immer betont werden, auch in allen Ableitungen, sind Präfixe generell unbetont. Einige Präfixe (über-, unter-, miß-) können betont werden, wenn wenigstens eine unbetonte Silbe folgt ('mißinterpretieren vs. miß'deuten-, s. Kiparsky 1966). In Komposita wird das Erstglied betont, was bedeutet, daß die P-Präfixverben keine Komposita darstellen können.
3.1.1 Morphologische und syntaktische Trennbarkeit Der zentrale Unterschied zwischen Präfix- und Partikelverben besteht in ihrer morphologischen und syntaktischen Trennbarkeit. Bei allen Präfixverben ist das Präfix untrennbar mit 5
In Stiebels/Wunderlich ist die Unterscheidung zwischen adjektivischen Partikelelementen und resultativen APs (diese sind modifizierbar und isoliert topikalisierbar) auf der einen Seite und verbalen Partikelelementen und "seriellen Verben" (ζ. B. Infinitiv + ge/iew/Partizip II + kommen) auf der anderen Seite getroffen worden.
3. Die Wortstruktur der Präfix- und Partikelverben
39
dem Basisverb verbunden. Bei Partikelverben wird die Partikel in folgenden Kontexten vom Verb getrennt: morphologisch durch die Präfixe zu (Infinitiv und Partizip I als attributives Adjektiv) und ge- (Partizip II, Ge_e-Nominalisierung) und syntaktisch in Verberstsätzen. 6 (9)
a. ZM-Infinitiv px: zu überspringen pt: 'auf-zu-springen b. Partizip II px: übersprungen pt: 'auf-ge-sprungen c. Partizip I mit zu px: das zu überspringende Hindernis pt: der 'auf-zu-essende Braten d. Nominalisierungen mit Ge-e px: * Be-ge-red-e, * Ge-be-re-de pt: Auf-ge-spring-e, Rum-ge-red-e e. Verbergt7 px: Das Pferd über'springt das Hindernis. pt: Er springt {auf den Wagen) auf.
Syntaktisch kann allerdings nur ein finites Partikelverb getrennt werden, da bei der Verbtopikalisierung (infiniter Verben) die Partikel immer zusammen mit dem Verb bewegt werden muß (s. (10a/b)). Überdies ist es nicht möglich, die Partikel isoliert zu topikalisieren, wobei das infinite Verb zurückbleibt (s. (10c/d)). 8 (10)
a. b. c. d.
Auf-gesprungen; ist er im letzten Moment tj * Gesprungenj ist er im letzten Moment auf tj. * Aufj ist er im letzten Moment tj gesprungen * Auf; hat er noch nie tj springen gewollt.
Es gibt einige wenige Partikeln, die in der Struktur (10c) isoliert topikalisiert werden können. Solche Partikeln stellen unabhängige Resultatsprädikate dar und sind als XPs zu analysieren (s. 7.3.5). Auf weitere syntaktische Fakten gehe ich in 3.2 ein.
^
7 8
Die ge-Präfigierung ist genauso wie die Präfigierung von be- prosodisch beschränkt: Präfigiert werden kann nur an ein Verb, dessen erste Stammsilbe betont ist (* gestu'diert, * bepa'lavern). Deshalb ist Präfigierung von ge- an Präfixverben ausgeschlossen (* ge-über-Sprüngen). Wiese (1992) formuliert die Bedingung so, daß das phonologische Wort, an das ge- tritt, aus genau einem Fuß bestehen muß. ' bezeichnet den Hauptakzent auf der folgenden Silbe in der Darstellung der Daten. Mit Verberst ist die Position des finiten Verbs in Hauptsätzen, Imperativen und Fragesätzen gemeint, die alle eine Bewegung des finiten Verbs nach C ° oder eine Einsetzung in C ° beinhalten. Der Begriff der Verbtopikalisierung ist hier rein deskriptiv gemeint. Folgt man gängigen Annahmen im Government-and-Binding-Rahmen, daß bei Topikalisierung immer maximale Phrasen, hier also VPs, bewegt werden, so muß für das Deutsche angenommen werden, daß die Partikel im Gegensatz zu anderen syntaktischen Komplementen nicht aus der VP herausgescrambelt werden kann, woraus die Ungrammatikalität von (10b) resultiert.
40
3. Die Wortstruktur der Präfix- und Partikelverben
3.1.2 Die Derivation von Präfix- und Partikelverben Präfix- und Partikelverben sind prinzipiell derivierbar, hier einige Beispiele mit produktivem er- (Agensnominalisierung) und «ng-Suffix (Ereignisnominalisierung) und bar-Adjektiven; das Betonungsmuster der Verben bleibt erhalten: (11)
a. px: Unternehmung, Um'gehung pt: 'Aufklärung, 'Einarbeitung b. px: Unternehmer, Be'werber pt: 'Ausreißer, 'Angeber c. px: iiber'setzbar, ent'zündbar pt: 'einstellbar, 'annehmbar
Die Derivate der komplexen Verben können mit weiteren Präfixen verbunden werden (vgl. die Partikelverben in (12a/b) mit den Präfixverben in (12c)), was bezogen auf die Partikeln beweist, daß die Partikeln nunmehr untrennbar mit dem derivierten Verb verbunden sind: (12)
a. un-an-fecht-barun-an-gefochten^ b. Ur-vor-stell-ung^ c. un-be-greif-barUr-be-wohn-er^ d. dieses Pseudo-Herumgerede
(12d) zeigt, daß auch die Ge_e-Nominalisierungen weiter präfigiert werden können. Von allen Präfixen des Deutschen ist aber nur das präfixoide Element pseudo semantisch mit der komplexen Basis Herumgerede verträglich (§ Un-Herumgerede, § Ur-Herumgerede). Der Unterschied zwischen der Ge_e-Nominalisierung und dieser Präfigierung hier besteht darin, daß das ge-Präfix Teil der Verb-Nomen-Ableitung ist und ein Verb zur Basis hat, so daß es zwischen Verbstamm und Partikel treten kann und muß. In (12d) liegt als Basis ein Nomen vor, so daß gemäß der Partikelbeschränkung keine weitere Trennung möglich ist. Betrachtenswert sind weiterhin die sogenannten "Wurzel-Nominalisierungen", d. h. Nominalisierungen ohne explizites Derivationsaffix, bei denen das Nomen nicht auf den Stamm des zugrundeliegenden Verbs zurückgeht, sondern eine Form aufweist, die entweder dem Präteritums- (Gabe) oder Partizipstamm (Sprung) oder einer weiteren, ursprünglich durch Ablaut gebildeten Form ( W u r f ) entspricht. In diese Gruppe werden für die Analyse auch einfache V-N-Konversionen eingereiht. P-Präfixe folgen wie die Partikeln dem Betonungsmuster von Komposita. Präpositionen sind prinzipiell als Nichtkopf-Elemente in Komposita zugelassen (Über-bett, Um-weg, Ab-raum, Vor-zimmer), so daß die Analyse der Formen (13b/c) als Kompositabildungen plausibel ist: (13)
a. px: b. px: c. pt:
Ent'nähme < entnehmen 'Übernahme < übernehmen 'Aufnahme < 'aufnehmen
Ver'gabe < ver'geben 'Übersprung < überspringen 'Aufsprung < 'aufspringen
Wurzel-Nominalisierungen von Präfixverben sind unproduktiv; hier ist nur ein kleiner Bestand an lexikalisierten Formen wie in (13a) zu verzeichnen:
41
3. Die Wortstruktur der Präfix- und Partikelverben (14)
a. b. pt: c. px:
gießen-y 'ausgießen, 'aufgießen be'gießen, ver'gießen
~ ~ ~
GußN Ausguß, Aufguß * Beguß, * Verguß
3.1.3 Denominate und deadjektivische Präfix- und Partikelverben Neben einer großen Zahl deadjektivischer und denominaler Simplexverben (s. (15b/d)) gibt es auch eine wachsende Zahl von Präfix- und Partikelverben mit deadjektivischer oder denominaler Basis (s. (15a/c)). Bezogen auf die deadjektivischen Verben ist allerdings zu vermerken, daß hier die Simplexverben nicht länger produktiv sind; Neubildungen ohne Präfix oder Partikel sind nicht zugelassen, zumindest bei den A-V-Konversionen. 9 (15)
a. px: pt: b. c. px: pt: d.
überbrücken
-»
durch Klammertilgung [px-px-V] [pt [px-V]] [px-pt [V]] [pt [pt [V]]]
(25a/b) besitzen die gleiche strukturelle Komplexität wie die Basisverben, bereiten also keine Probleme. (25c) ist nur dann erlaubt, wenn die Px-Pt-Sequenz zu einem neuen Präfix oder einer neuen Partikel reanalysiert worden ist (überanstrengen: zu überanstrengen), da ansonsten die interne Partikel nicht mehr sichtbar wäre. Allerdings ist diese Form der Reanalyse keine generelle Option, sonst wären mehr Verben dieses Typs zu verzeichnen. (25d) ist gleichfalls nur möglich, wenn eine Umkategorisierung der Doppelpartikel zu einer einzigen komplexen Partikel erfolgt (überein +Tnax stimmen; Klammertilgung [pt-pt [V]]), da dieser Komplex aufgrund der erhöhten Klammerzahl und der damit auftretenden Verletzung der Adjazenzbedingung nicht weiter flektiert werden kann. Aus diesem Grunde sind echte Doppelpartikelverben unzulässig. Das Verhalten der komplexen Verben bei Flexion ist in (26) illustriert. Da die Partikel aufgrund der Sichtbarkeitsbedingung peripher bleiben und das Verb gleichzeitig den Flexionsaffixen zugänglich sein muß, erfolgt eine Neuklammerung mit anschließender Klammertilgung: 1 2 (26)
durch Neuklammerung a. b. c. d.
[[px-V] af] [[pt[V]]af] [[pt [px-V]] af] [[pt [pt [V]]] af]
->
[pt [[V] af]] [pt [[px-V] af]] [pt [[pt [V]] af]]
durch Klammertilgung [px-V-af] [pt [V-af]] [pt [px-V-af]]
Der Mechanismus der Neuklammerung ist ein sehr mächtiges Analyseinstrument, das entsprechend eingeschränkt werden muß. Bierwisch (1987) verwendet es in seiner Analyse der Partikelverben, ohne allerdings auf mögliche Restriktionen in der Anwendbarkeit hinzuweisen. Denkbar wären Restriktionen derart, daß nur eine Umklammerung zugelassen ist, die zudem die Struktur anderer Klammern nicht berührt. Außerdem sollte die Umklammerung durch eindeutige Prinzipien (hier die Sichtbarkeitsbedingung) getriggert werden. In Stiebels/Wunderlich ist gezeigt, daß verschiedene Formen der Partikelbewegung, die zwecks Erfüllung der Sichtbarkeitsbedingung angenommen werden, als Alternative zur Neuklammerung nicht überzeugend sind.
3. Die Wortstruktur der Präfix- und Partikelverben
47
Wie sich zeigt, sind alle Strukturen bis auf (26d) zulässig: Hier müßte das Flexionssuffix zwei Klammern überqueren, was aufgrund der Adjazenzbedingung ausgeschlossen ist. Die neugeklammerte Struktur in (26b) zeigt, daß das Flexionsaffix im Fall der Partikelverben für den Verbstamm sensitiv sein kann und muß. Dies erklärt die Bewahrung der Flexionsklasse. Bei Präfixverben wird jedoch angenommen, daß mittels Präfigierung ein neuer Stamm gebildet wird, so daß sich unmittelbar die Frage ergibt, warum auch diese Verben die Flexionsklasse des Basisverbs erben. Gemäß der Analyse der deutschen Verbmorphologie (Wunderlich/Fabri 1993) wird angenommen, daß das Lexikon einen Stamm für die regulären und mehrere Stämme für die irregulären Verben liefert: (27)
lachen: werfen:
[lach]y {[werf\v ,
[war/]v,+pret.
[wo/^]Vi+part,...
}13
Sowohl Präfixe wie auch Partikeln werden im Fall der irregulären Verben mit jedem Stamm aus der gegebenen Menge kombiniert. Während nun das Präfix durch die Klammertilgung neue Stämme bildet (s. (28)), müssen Partikelverben für die Syntax transparent bleiben (s. (29)): (28) (29)
be+minlachen: be+mlnwerfen:
[be-lach]v {[be-werf]v , [be-warf]v
an+maxlachen: an+m™werfen:
[an+max [lach]v] {[a«+max [werf]v], [an+max [warf]v [an + m a x [ w 0 ^ ] v i + p a r t ] . . . }
+pKl,
[be-worfn}v&pM
... }
+pret],
Perfektpartizipien werden bei regulären Verben durch Suffigierung von -t gebildet; die mit -n markierten Partizipien irregulärer Verben kommen als gelistete Einheiten aus dem Lexikon. Das Präfix ge- kann gemäß der bereits genannten prosodischen Bedingung an das Verb präfigiert werden, wenn die nachfolgende Silbe betont ist. (30)
a. b.
[[be-lach] γ t] + par t [be-worfh] v , +part [an+™™[[lach]vt] +part] [an +max [worfn] v> +part]
[an +™x [ge [lach-t] v [an +max [ge [worfn] v ,
+ p a r t]] +part]]
Die Anwendungsdomäne für ge- ist gemäß erlaubter und durchgeführter Klammertilgung bei den Präfixverben [be-lach-1] und [be-worf-n], dagegen bei den Partikelverben [lach-t] und [worf-n]. Da die Präfixverben nicht die notwendige prosodische Struktur aufweisen, werden sie nicht mit ge- präfigiert. Da die Partikel peripher ist, kann das ge-Präfix zwischen Partikel und Partizipstamm treten. Es fusioniert nicht mit der Partikel zu einer komplexen Partikel, obwohl das prosodisch möglich wäre, weil es für Verben (hier Perfektpartizipien) subkategorisiert ist. Die Analyse des zw-Infinitivs erfolgt analog (s. Stiebeis/ Wunderlich).
Die in Anlehnung an Wunderlich/Fabri (1993) verwendeten Merkmale lauten: [+pret] für Präteritum, [+part] für Partizip, [-pl] für Singular, [-subj] für Indikativ, [+2] für 2. Person.
48
3. Die Wortstruktur der Präfix- und Partikelverben
Aufgrand der Interaktion von Partikelbeschränkung und Sichtbarkeitsbedingung kann es keine Derivation im strikten Sinn geben. Zum Verständnis der Analyse der Derivation seien folgende Strukturen betrachtet, die unterschiedliche Ableitungsformen skizzieren. Auf dem Hintergrund der in diesem Ansatz zugrundegelegten Prinzipien ist nur die Struktur (31a) für Partikelverben zulässig. Präfixverben bilden neue Stämme und können deshalb ohne Probleme deriviert werden (s. (31b)). (31)
a.
[ein [\ßhr]Y
b.
[[besetz]y
ung]N] Μ«#]Ν
c. * [[em+max [ßhr]v] ung]N d. * [ein+ma* Uführ]y ung]N] e. * [[ein-führ]y ung]N (31c) wäre die eigentlich zu erwartende, kompositionale Ableitung, die aber wegen der Verletzung der Sichtbarkeitsbedingung ausgeschlossen ist; (31d) ist die von (31c) durch Neuklammerung abgeleitete Struktur, die die Sichtbarkeitsbedingung erfüllt und bei der Analyse der Flexion angenommen wurde, aber durch die Partikelbeschränkung ausgeschlossen ist. (31e) ist aus mehreren Gründen problematisch: Man müßte - in Verletzung der Monotoniebedingung - annehmen, daß [+max] in [-max] umkategorisiert worden ist; darüber hinaus läßt das Partikeltemplate in dieser lokalen Umgebung keine [-max]-Elemente zu, wenn sie nicht schon im Lexikon als [+min] ausgezeichnet worden sind, und schließlich belegen die Daten bei der Ge_e-Nominalisierung (Rum-ge-schrei-e), daß das gePräfix zwischen Stamm und Partikel treten muß und die Klammerung von Partikel und Verb nicht wie angedeutet möglich sein kann. Deshalb verbleibt (31a) als einzig zulässige Struktur; hier wird auf die im Lexikon zur Verfügung stehende Bildung als Kompositum zurückgegriffen; daraus ergibt sich ein systematisches, semantisch-strukturelles Klammerparadox: Obwohl semantisch gesehen eine Nominalisierung des Partikelverbs erfolgt, die Verben also eigentlich die Struktur in (31c) haben sollten, liegt strukturell eine Nominalisierung des Basisverbs mit anschließender Partikelkomposition vor. Da die Partikel nicht in einer lokalen Umgebung des Verbs steht, wird sie auch nicht als [+max] instantiiert, sondern folgt dem Kompositatemplate (2d). Daß aus semantischer Perspektive die Derivation des Partikelverbs (oder auch des Präfixverbs) erfolgt, zeigt sich in den Fällen, in denen eine Derivation des Simplexverbs ausgeschlossen, für das komplexe Verb jedoch zugelassen ist. Hier einige Beispiele: (32)
a. b. c. d.
§ Steh-ung die [[Er-steh]-ung] einer wertvollen Uhr § Hör-ung [An-[hör-ung]] ~ an^ hören
(32a) ist blockiert durch das parallel existierende Wurzelnomen Stand. Präfixe bilden zusammen mit den Verben neue Stämme, so daß die unterschiedliche Derivierbarkeit von Simplex- und Präfixverb in (32b) strukturell keine Probleme bereitet. Bei der unterschiedlichen Derivierbarkeit von Simplex- und Partikelverb in (32c/d) muß man jedoch davon ausgehen, daß morphologisch virtuelle Zwischenformen (wie hier das nominalisierte Simplexverb) zugelassen sind und daß die Derivierbarkeit des Partikelverbs auf dessen andere Be-
3. Die Wortstruktur der Präfix- und Partikelverben
49
deutung zurückgeführt werden kann, die im Gegensatz zum Basisverb eine «ng-Nominalisierung erlaubt. Die Interpretation dieser derivierten Partikelverben erfolgt nach einer in Anlehnung an Williams (1981a) Konzept der Lexical Relatedness umgedeuteten Interpretationskonvention: 14 (33)
Lexical Relatedness: Ein Kompositum mit der Struktur [Ρ [ α V β ]χ ], wobei X ein von einem Verb abgeleitetes Nomen oder Adjektiv ist (mit α, β als möglichen Derivationsaffixen), kann so interpretiert werden, als ob α, β auf das korrespondierende Verb [Ρ V] angewendet werden, α und β können (phonologisch) leer sein.
Diese Interpretationskonvention rechtfertigt sich durch die ansonsten vage Interpretation bei Komposita: Fanselow (1981) hat gezeigt, daß sich die Interpretation bei Komposita aus generellem konzeptuellen und kontextuellen Hintergrundwissen ergibt und daß eine naheliegende Interpretation sogar durch geeignete Kontextangaben überschrieben werden kann (Blumenfan: ein Fan von Blumen; der Fan mit der Blume). Das Prinzip der Lexical Relatedness reduziert die Vagheit der Komposita und weist den semantischen Zugriff auf das zugrundeliegende Basisverb als die präferente Interpretationsstrategie aus. Allerdings sind viele der nominalisierten Partikelverben potentiell ambig: Entweder stellen sie "echte" Komposita mit freier Interpretation dar, oder Komposita, die auf ein Partikelverb bezogen sind (ζ. B. Vor-stand, Ab-gang). So kann ein Nomen wie Umverpackung zum einen etwas bezeichnen, daß um eine Verpackung gewickelt ist, oder sich auf den Vorgang des Umverpackens beziehen. 15 Die Beziehung zwischen Partikelverb und deverbalem Nomen oder Adjektiv soll mit dem Symbol = (für Lexical Relatedness) erfaßt werden. Wurzelnominalisierungen sind - wie bereits erwähnt - bei den Präfixverben beschränkt auf einige lexikalisierte Nomina (Be-stand, Verstand, Er-guß\ s. (34a)), während sie bei den Partikelverben durchaus noch produktiven Charakter haben (s. (34b)). ver-gehen be-gehen besehen auf-gehen aus-gehen durchsehen
14
15
—> —>
=
*Vergang *Begang *Besicht Aufgang Ausgang Durchsicht
Man beachte allerdings, daß Williams morphologische Varianten eines Wortes (insbesondere die Formen eines Paradigmas) durch Abstraktion vom Flexionsaffix miteinander in Beziehung setzt. In Stiebels/Wunderlich ist darauf hingewiesen worden, daß die Interpretationskonvention der Lexical Relatedness nicht strikt kompositional ist, da die Interpretation des derivierten Basisverbs zurückgestellt oder revidiert werden muß, wenn die Partikel semantisch eingebunden wird (sehbar vs. absehbar). In einigen Fällen ist das Basisverbderivat nicht interpretierbar (§ Setzung vs. Absetzung), aber auch andere Komposita sind nicht direkt interpretierbar (§ Aufsteher vs. Frühaufsteher), was zeigt, daß auf der Wortebene die Verschiebung oder Zurückstellung der Interpretation durchaus eine gängige Option darstellt. Teilweise kann sogar erst auf Satzebene interpretiert werden (s. Bierwisch 1983 für die Illustration der konzeptuellen Differenzierung beim Verb verstehen·. Faulkner [= Faulkners Aussprache/Handlungsweise/Buch] ist schwer zu verstehen).
50
3. Die Wortstruktur der Präfix- und Partikelverben
Diese Wurzelnominalisierungsfakten können wie folgt erklärt werden: Wurzelnominalisierung selbst ist keine produktive Ableitung mehr: Im Lexikon gibt es aufeinanderbezogene Wurzeln ( w e r f y ~ wurf|sj, gießy ~ guß^). Das Präfix bildet mit dem zugrundeliegenden Verb einen neuen Stamm; somit ist die nominale Wurzel nicht mehr zugänglich. Da die Präfixe reine Verbpräfixe sind, können sie mit der nominalen Wurzel nicht über den Mechanismus der Lexical Relatedness zusammengebracht werden, während dies bei Partikeln möglich ist, da die nominale Wurzel für Kompositumsbildung zugänglich ist. Etwas komplexer liegt der Fall bei den P-Präfixverben (mit über, durch, um). Diese Präfixe sind gleichfalls keine N-Präfixe. Die Betonungsmuster (immer Akzent auf P) legen nahe, daß hier ausschließlich Kompositabildungen vorliegen. Bei der Interpretation dieser Formen gibt es jedoch sowohl Fälle, in denen auf ein zugrundeliegendes Partikel-Verb zugegriffen wird ('Überfahrt: bezogen auf 'überfahren und nicht einen Pfosten überfahren), als auch Fälle, in denen das Nomen in Beziehung zu einem Präfixverb-Verb steht ('Übersicht: etwas über'sehen und nicht sich etwas 'übersehen). Präferenzen für eine der beiden Verbklassen sind hier nicht erkennbar. Eine andere Vorhersage, die sich aus der hier vorgestellten Analyse der Partikelverbnominalisierungen ergibt, ist, daß "Doppelpartikel-Nomina", die keine echten Partikelbildungen, sondern Komposita darstellen, im Gegensatz zu den Doppelpartikelverben, die unter die Adjazenzbedingung fallen, zugelassen sind. Alle Formen in (35) haben Kompositumsbetonung: (35)
a. Vor-[ab-druck], Vor-[an-zeige],Vor-[aus-scheidung], Vor-[ein-sendung] b. Wieder-[an-spiel], Wieder-[auf-nahme], Wieder-[ein-setzung] c. Über-[an-gebot] d. Ober-[auf-sicht]
Produktive Nominalisierungen mit Ge_e haben in Analogie zu (31a) die folgende Struktur: 16 (36)
[an + m a x [quatsch]y]
=
[a/r m a x [ge [quatsch]w *?]N]
Die Anwendungsdomäne von ge- ist wie beim Perfektpartizip der Verbstamm. Im Unterschied zu Perfektpartizipien kann die Partikel jedoch aufgrund der Partikelbeschränkung nicht maximal sein. Präfixverben sind aus prosodischen Gründen als Basis für Ge_e ausgeschlossen.
3.2.2 Die Erklärung der syntaktischen Fakten Am Ausgang des Lexikons werden nur morphologisch maximale Elemente (X + m a x ) als syntaktische Atome bereitgestellt. Im Falle der Partikelverben erhält man folgenden Output:
Der hier vorgestellte Analysemechanismus impliziert, daß das Affix Ge_e in seiner produktiven Verwendung als Circumfix mit ternärer Struktur zu analysieren ist (s. auch Olsen 1991:356). Bei der Annahme einer binären Struktur [an [ge [[quatsch]γ wird das Verb durch die Suffigierung von -e in ein Nomen überführt, was die unmittelbare Nichtabtrennbarkeit der Partikel zur Folge hätte. Das Präfix ge- müßte somit vor die Partikel treten.
3. Die Wortstruktur der Präfix- und Partikelverben (37)
51
[Y+max V+max]yo
Der gesamte Komplex ist nicht als [+max] ausgezeichnet, da [max] kein perkolierendes Kopfmerkmal ist, sondern hier nur den verbalen Kopf als morphologisch maximal ausweist, d. h. dieser ist in Bezug auf das Verbparadigma geprüft und als zulässig eingestuft worden. So ist eine Verbform wie vor-warf-st, die qua Affigierung den Eintrag in (38a) aufweist, maximal, wenn sie als mögliche Paradigmenform etabliert und mit allen Defaultwerten aufgefüllt werden konnte (s. (38b); vgl. Analyse der Verbmorphologie bei Wunderlich/Fabri 1993): (38)
a. [vo/^ max [warfst] +rel> _dep; +pretj +2 ] b. [vor + m a x [warfst] +rel> , d e p ; +pre t, . su bj, -pl, +2 + m a x 1
In der Literatur ist die lexikalische Integrität immer so verstanden worden, daß keine syntaktische Regel Zugang zu einem Teil eines Wortes hat. Das Verhalten der Partikelverben (und der Pronominaladverbien unter Preposition Stranding·, s. Fußnote 3) legt allerdings eine leicht revidierte Fassung des Integritätsprinzips nahe: (39)
Lexikalische Integrität: Keine syntaktische Regel hat Zugang zu einem Teil von χ+max
In fast allen Fällen entspricht X + m a x dem gängigen Wortbegriff. Nur bei Partikelverben (und Pronominaladverbien) wird durch diese Formulierung der lexikalischen Integrität impliziert, daß das Partikelverb syntaktisch transparent ist. Wie ist nun das Verhalten in Verberst-Strukturen zu erklären? Gängigen Annahmen zufolge kann Verberst über Kopfbewegung des finiten Verbs in die C°-Position hergeleitet werden. Diese Position ist für das finite Verb designiert, falls kein lexikalischer Komplementierer vorkommt. Das Zurückbleiben der Partikel in Verberst-Strukturen ist motiviert, wenn man davon ausgeht, daß nur eine [+max]-Einheit in C° vorkommen darf. Diese Annahme stellt keine partikelverbbezogene Stipulation dar, sondern ist auch auf dem Hintergrund der Verbcluster (VC) mit Auxiliaren oder Modalverben, die mit den Partikelverben vergleichbar sind (Bierwisch 1990), gerechtfertigt: So haben ζ. B. AuxiliarPartizip-Cluster die Struktur [Partizip +max AUX + m a x ]. Nur das finite Verb darf in C° vorkommen, was zur Folge hat, daß das infinite Verb zurückbleiben muß: (40)
a. * Gestern [gegessen hat]^ er den Kuchen, b. * Heute [essen willig er die Rote Grütze.
Bei der Topikalisierung darf die Partikel nicht zurückbleiben; analog darf auch das Auxiliar nicht zurückbleiben: (41)
a. b. c. d.
* Gegessen hat er den Braten schon lange auf. [Aufgegessen] hat er den Braten schon lange. * Geschlagen kann er von jedem der Anwesenden worden sein. [Geschlagen worden sein] kann er von jedem der Anwesenden.
Daß in dem einen Fall getrennt werden muß und in dem anderen nicht getrennt werden darf, muß auf die Zielposition der Bewegung und das bewegte Element selbst zurückge-
52
3. Die Wortstruktur der Präfix- und
Partikelverben
führt werden. C° ist - wie bereits gesagt - für das finite Verb designiert, die Topikposition weist dagegen keine derartige Kennzeichnung aus. Die unterschiedliche Trennbarkeit könnte auf folgendem Prinzip basieren, das eigentlich nur eine spezifische Instanz von Chomskys Procrastinate-Prinzip (1992:43) darstellt, das als sprachliches Ökonomieprinzip unnötige Bewegungen ausschließen soll. (42)
Trennbarkeit: Lexikalische Komplexe der Form [ X + m a x V a + m a x ] v a sind nur trennbar, wenn es eine syntaktische Position gibt, die für V a oder die jeweilige X + m a x -Kategorie designiert ist, wobei α über AGR,.... rangiert.
Erste sprachvergleichende Betrachtungen bestätigen diese Hypothese. Im Ungarischen kann/muß die Partikel (=Präverb) eines durch ein Auxiliar eingebetteten Präverb-VerbKomplexes vor das Auxiliar bewegt werden (preverb climbing·, s. Farkas/Sadock 1989). 17 Weitere Evidenz liefern Anhebungen in Verbclustern des Deutschen und Holländischen. Für das Deutsche ist anzunehmen, daß die linke Position im VC für das finite Verb designiert ist: (43)
a. weil er sie [[anrufen gewollt] hat]yc b. weil er sie [hat, [[anrufen wollen] tj]]yc
Im Holländischen dagegen ist die rechte Position im VC für das unterste nichtfinite Verb designiert: (44)
a. dat John me [[op bellen] wil]yc b. dat John me [[[tj] wil] opbellenj]vc c. dat John me [[[op tj] wil] bellerij]yc 'daß John mich anrufen will'
Zu erklären bleibt allerdings, warum die Partikel im Holländischen wie in (44c) optional zurückbleiben oder wie in (44b) mitbewegt werden kann. Wahrscheinlich muß man davon ausgehen, daß diese Anhebung ein V° bewegt; sowohl eingebettetes Simplexverb wie Partikelverb stellen Instanzen von V° dar ([o/? +max [bellen]y0]y0).18 Außerdem liegt bei der Bewegung im Verbcluster Adjunktion und nicht Substitution (wie in Verberst-Sätzen) vor,
Wie die anderen Strukturen im Ungarischen mit syntaktischer Trennung von Präverb und Verb zu erklären sind - hier wird das Präverb hinter das Verb bewegt - muß noch geprüft und weitergehend untersucht werden. Bennis (1992) geht davon aus, daß Partikelbewegung im Holländischen möglich ist. Für ihn sind auch Sätze im Holländischen grammatisch, in denen die Partikel nicht zurückbleibt oder sich zusammen mit dem infiniten Verb bewegt, sondern alle möglichen Positionen innerhalb des Verbclusters einnimmt: a. dat ik Jan (op) had (op) willen (op) bellen, daß ich Jan (an) hatte (an) wollen (an) rufen b. dat hij dat probleem (op) moet (op) hebben (op) willen (op) kunnen (op) lossen (pt) muß (pt) haben (pt) wollen (pt) können (pt) lösen 'daß er das Problem muß haben wollen lösen können' Bennis räumt allerdings selbst ein, daß bezüglich der Grammatikalität solcher Strukturen kein Konsens unter niederländischen Linguisten herrscht, was dafür spricht, daß hier dialektale Unterschiede eine Rolle spielen.
3. Die Wortstruktur der Präfix- und Partikelverben
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so daß ein Komplex aus zwei maximalen Elementen bewegt werden kann, wenn er eine X°-Kategorie darstellt. Inwieweit das Trennbarkeitsprinzip korrekte Vorhersagen für die Partikelverben in den anderen germanischen Sprachen macht, muß noch untersucht werden. Einen weiteren interessanten Fall stellt das Georgische dar, bei dem Flexionselemente zwischen ein ansonsten untrennbares Präverb und den Verbstamm treten. Vorausgesagt wird hier, daß es keine Form der Verbbewegung geben kann, die potentiell eine syntaktische Trennung von Verb und Präverb herbeiführen kann. Die Diskussion der ungarischen Daten in Stiebels/Wunderlich macht deutlich, daß mittels der hier vorgestellten Merkmalsanalyse lexikalischer Einheiten und der zugrundegelegten Prinzipien und Beschränkungen weitgehend korrekte Vorhersagen zum Verhalten komplexer Verben und ihrer Derivation gemacht werden, die sich aus typologischer Perspektive auch in nicht verwandten Sprachen bestätigen lassen. Darüberhinaus liefert die Merkmalsanalyse über [max] und [min] eine differenziertere Charakterisierung lexikalischer Einheiten (Wörter, Stämme, Affixe), die in syntaktischen Analysen häufig ohne weitere Unterscheidung unter einer X°-Kategorie subsumiert werden, ohne daß der unterschiedliche Status der involvierten Elemente damit genauer zu fassen wäre. So kann ζ. B. die von Keyser/Roeper (1992) vorgeschlagene abstrakte Klitik-Hypothese die Unterschiede zwischen Präfix- und Partikelverben ohne weitere Annahmen nicht erfassen, wobei die Iterierbarkeitsmuster Px-Px-V und Pt-Px-V im Deutschen diese Analyse prinzipiell in Frage stellen (s. 10.2.5).
4. Das Untersuchungsverfahren
Gegenstand dieses Kapitels ist die bei der Analyse der komplexen Verben zugrundegelegte Methodik, ergänzt um sprachhistorische Anmerkungen zu den Verbzusätzen. Damit man zwischen systematischen und nicht-systematischen Effekten der Präfigierung/Partikelverbbildung unterscheiden kann, ist eine gut strukturierte Methodik bei der Untersuchung der komplexen Verben erforderlich, die sowohl die einzelnen Untersuchungsebenen (Wortstruktur, syntaktische und semantische Effekte, konzeptuelle Faktoren) deutlich auseinanderhält, als auch eindeutige Kriterien für die Zuordnung der Verben zu bestimmten Mustern liefert. Hinsichtlich der Kriterien ist jedoch einschränkend zu sagen, daß sich nicht für jede Untersuchungsebene gleich plausible und eindeutige Kriterien finden lassen. Effekte bezüglich der Argumentstruktur sind viel leichter festzumachen als ζ. B. konzeptuelle Kriterien, deshalb werde ich die eindeutigeren Kriterien (wie eben Argumentstruktur) als primären Ausgangspunkt meiner Analysen zugrundelegen.
4.1 Zielsetzung und Grundannahmen der Analyse Meine Zielsetzung ist - wie bereits in der Einleitung ausgeführt - die Isolierung der produktiven Muster der ausgewählten Präfix- und Partikelverben und die Beschreibung und Repräsentation des semantischen und strukturellen Beitrags des Verbzusatzes zum komplexen Verb. Die ermittelten produktiven Verwendungsweisen sollen auf ihre Kombinierbarkeit mit unterschiedlichen semantischen Basisverbklassen überprüft werden. Ziel ist es, die Bildbarkeit eines komplexen Verbs auf der Basis von strukturellen, semantischen und konzeptuellen Prinzipien vorhersagen zu können. Diese Prinzipien dürften auch beim Erstspracherwerb die Analyse und Produktion komplexer lexikalischer Einheiten determinieren. Aus theoretischer Perspektive interessieren insbesondere die auftretenden Kompositionsbedingungen und -mechanismen. Da ich bei der Beschreibung den Ansatz der zweistufigen Semantik zugrundelege, ist eine konsequente Trennung von semantischen Effekten und Prinzipien (auf SF) und konzeptuellen Faktoren (auf CS) gefordert. Syntaktische Effekte der Präfigierung/Partikelverbbildung sollten aufgrund geänderter Linkingbedingungen, die durch Operationen auf der SF oder auf dem Theta-Raster induziert sind, vorhergesagt werden können, d. h. die (geänderte) Realisierung der Argumente des Basisverbs sollte mit einer der beiden genannten Typen von Operationen, die bei der Präfigierung/Partikelverbbildung auftreten, korrelieren. In diesem Sinne ist die Argumentstruktur von Basisverb und komplexem Verb das primäre Untersuchungsfenster. Darauf setzen dann die weiteren Untersuchungen auf. Ich gehe in meinen Untersuchungen von folgenden Grundannahmen aus: Erstens ergibt sich bei den transparenten Formen die Bedeutung des komplexen Verbs aus der Komposition der Bedeutung des Verbzusatzes und der Bedeutung des Basisverbs. Im Rückschluß daraus
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folgt, daß der semantische Beitrag des Verbzusatzes aus der Differenz der Bedeutung des komplexen Verbs und der des Simplexverbs erschließbar ist. Daß in einer ganzen Reihe von Arbeiten die Bedeutung des komplexen Verbs als unanalysierbares/unanalysiertes Ganzes dargestellt (ζ. B. in nicht-strukturierten Wortfeldern) und nicht kompositional zerlegt wird, läßt diese Ansätze relativ uninteressant und fragwürdig erscheinen (s. 4.2). Die Kompositionalitätsannahme impliziert auch, daß komplexes Verb und Basisverb immer aufeinander bezogen sind. Das bedeutet, daß die Basisverb-SF vollständig in die SF des komplexen Verbs integriert wird bzw. daß die Basisverb-SF um die vom Verbzusatz eingebrachten Bedeutungskomponenten erweitert wird. 1 Das heißt aber auch, daß sämtliche Argumente des Basisverbs an das komplexe Verb vererbt werden, auch wenn sie aus unterschiedlichen Bedingungen gar nicht oder nur oblique realisiert werden können. Das werde ich im Einzelfall jeweils darlegen. Zweitens nehme ich an, daß sich bei allen Verben eines bestimmten Verbzusatzes mindestens ein produktives Muster finden läßt. 2 Ich halte ein Muster dann für produktiv, wenn sich alle Verben einer klar umgrenzten semantischen Klasse (inkl. der Neubildungen, die dieser Klasse zuzuordnen sind) mit diesem Verbzusatz kombinieren lassen, was nicht heissen soll, daß nicht auch strukturelle oder konzeptuelle Faktoren restringierend wirken können. Die Produktivität einzelner Muster macht die Untersuchung der komplexen Verben überhaupt erst lohnenswert. Fielen alle Belege für komplexe Verben unter ein Sammelsurium von Idiosynkrasien und Nischenbildungen, so verdienten sie eigentlich keine weitere Betrachtung, sondern wären nur ein Reflex des relativ uninteressanten Phänomens der lexikalischen Gelistetheit ("listedness" im Sinne von Di SciulloAVilliams 1987). Selbstverständlich darf man die Existenz dieser Idiosynkrasien nicht völlig ignorieren, sie spiegeln aus einer diachronen Perspektive eventuell sogar frühere Funktionen des Präfixes/der Partikel wider und sind für Studien, die sich mit Lexikalisierung befassen, besonders interessant. Für meine Fragestellung ist jedoch nur relevant, welchen Anteil die idiosynkratischen Belege - verglichen mit den produktiven Bildungen - am Gesamtbestand der Verben eines Verbzusatzes haben (s. Kapitel 10).
4.2 Die Problematik einer nicht-strukturierten Datenanalyse Daß eine strukturell basierte Herangehensweise allen anderen Sortierungsverfahren und Analysen komplexer Verben vorzuziehen ist, ist dadurch gerechtfertigt, daß eine solche Methodik arbiträre semantische Beschreibungen vermeidet und keine fragwürdigen Kriterien zur Unterscheidung der verschiedenen Verbgruppen heranzieht, wie dies teilweise in den anderen Ansätzen geschieht: So orientieren sich Arbeiten, die die Kompositionalität ' 2
Teilweise werden bedeutungsentleerte Varianten des Basisverbs mit einem Verbzusatz kombiniert, was häufig eine vermeintliche Nichtkompositionalität des komplexen Verbs zur Folge hat (ζ. B. absteigen; s. Kapitel 10). Diese Annahme wird durch die Tatsache bestätigt, daß bei den Präfix- und Partikelverben, die kein produktives Muster aufweisen, der Verbbestand im Laufe des Sprachwandels drastisch abgebaut wird, so daß schließlich nur noch wenige Einzelbelege vorliegen. Dies gilt ζ. B. für das gotische Präfix in-, das nur noch in einigen Einzelbelegen bei den ent-Verben rekonstruiert werden kann (s. 4.4), oder für das Präfix voll-.
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Untersuchungsverfahren
komplexer Verben ignorieren (Eichinger 1989, Hundsnurscher 1968, Kempcke 1965/66, Kühnhold 1973, Mungan 1986), hauptsächlich an Wortfeldbeschreibungen, die sich auf die Bedeutung des komplexen Verbs beziehen und keine systematische Trennung von Verbzusatz- und Basisverbbedeutung durchführen. Dies führt ζ. B. zu merkwürdigen Klassifizierungen, die keinerlei Erklärungswert besitzen (Kempcke 1965): (1)
a. Obergruppe 6 - "Richtung in die Höhe": anfliegen, ansteigen, anwachsen, anhäufen, anheben, anlupfen, anschütten, anzüchten ... b. Gruppe 3e - "Hinstreben nach einer Verbindung": anähneln, anschmieren, anbiedern, anschleimen, anschmiegen ...
Der Grund für die teilweise recht merkwürdigen Verbgruppierungen und unmotivierten Bezeichnungen liegt in der Zielsetzung dieser Arbeiten, jedes belegte Präfix- oder Partikelverb mit einem Etikett einer Gruppe zuordnen zu wollen, auch wenn die Nichttransparenz eines Verbs unmittelbar einsichtig ist. In anderen Arbeiten werden die verschiedenen Beschreibungsebenen nicht deutlich voneinander getrennt, was sich ζ. B. in einer Verquickung von wortstrukturellen und semantischen Aspekten äußert, die nichts über die wirkliche Ableitung des komplexen Verbs aussagt: (2)
"Der Vorzustand wird mit dem Partizip des be-Verbs wiedergegeben": entladen, entlasten, entsetzen, entvölkern (Schröder 1992:98)
Bei den eher theoretisch orientierten Arbeiten (ζ. B. Neeleman/Schipper 1992, Booij/van Haaften 1988, Grewendorf 1990, von Stechow 1995) erhält man oft den Eindruck, daß die Repräsentativität des betrachteten Verbzusatzmusters nicht evaluiert worden ist. Häufig werden einige exemplarische Verben diskutiert, ohne daß der Anteil der Verben des diskutierten Typs am Gesamtbestand und ihr Produktivitätsgrad bestimmt worden sind. In fast allen Arbeiten fehlt auch die Betrachtung von möglichen und unmöglichen Neubildungen, so daß die für die Bildung der komplexen Verben relevante generative Komponente nicht näher beleuchtet wird.
4.3 Untersuchungsschritte Für die Betrachtung der komplexen Verben ergeben sich somit folgende konkrete Untersuchungsschritte: Bei jedem Verbzusatz werden in einem ersten Schritt alle im Duden (1989) aufgeführten Verben erfaßt; dies dient der ersten Sondierung des Verbbestands und der Formulierung vorläufiger Hypothesen bezüglich möglicher Verbzusatzmuster. Daß der Duden als primäre Datengrundlage herangezogen wird, ist darin begründet, daß ein Vergleich mit dem Datenbestand im Brockhaus/Wahrig (1981) gezeigt hat, daß die Zahl der Einträge im Duden zwar geringer ist, die Mehreinträge im Brockhaus/Wahrig jedoch aus zweierlei Gründen nicht weiter berücksichtigt werden müssen: - Im Brockhaus/Wahrig sind viele Verben aufgeführt, die der Duden nicht nennt, weil sie völlig veraltete und idiomatisierte Bildungen darstellen, die heute nicht mehr gebräuchlich sind und größtenteils von den Sprechern auch als ziemlich inakzeptabel empfunden werden (entrufen, erdauern, erkargen, ersorgen ...).
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- Ferner sind im Brockhaus/Wahrig oftmals Verben gelistet, die unter völlig produktive Bildungsmuster fallen, daher gänzlich transparent sind und deshalb keiner Auflistung bedürfen (erdienern, erbüffeln, erfiedeln ...). Darüber hinaus werden auch Neubildungen in Zeitungen und anderen Medien berücksichtigt. Sie werden allerdings erst später in die Datenbasis integriert, um zu prüfen, inwieweit sie einen Reflex der Produktivität bestimmter Muster darstellen. Daß bei der Untersuchung eine solch große Datenbasis zugrundegelegt wird, hat zwei Gründe: Zum einen gilt es, die Häufigkeit bestimmter Muster abzuschätzen, um deren Rang zu bestimmen (den Begriff der Produktivität will ich hier nicht verwenden, da quantitative Aussagen nicht unbedingt die besten Indikatoren dafür sind) und den Anteil der idiosynkratischen Verben gewichten zu können; diese nicht-transparenten (d. h. nicht-kompositionalen) und stark lexikalisierten Bildungen werden alle aus der zu untersuchenden Datenbasis herausgenommen, da es nicht das Ziel ist, alle Verben einer bestimmten Gruppe zuzuordnen und sie mit einem Etikett zu versehen. Sollten allerdings bei den transparenten Formen gewisse Inkonsistenzen auftreten, ist oft eine diachrone Betrachtung erforderlich, die dann auch die nicht-transparenten Formen einschließt. Zum anderen soll vermieden werden, daß durch die Beschränkung auf eine zu kleine Datenbasis (mit einigen wenigen exemplarischen Verben) voreilige Schlüsse zur Struktur komplexer Verben gezogen werden, und zwar sowohl in semantischer wie auch in syntaktischer Hinsicht. Unter der Einbeziehung einer großen Datenmenge läuft man nicht Gefahr, Nischenbildungen als Instanzen produktiver Regeln anzusehen, was bei den komplexen Verben aus oben genannten Gründen leicht passieren kann. Der nächste Untersuchungsschritt besteht in der Trennung der Verben nach wortstrukturellen Gesichtspunkten (deverbale/denominale/deadjektivische Verben). Dies muß als Vorsichtsmaßnahme gewertet werden und impliziert nicht, daß die Verben aufgrund des gleichen strukturellen und semantischen Beitrags des Verbzusatzes nicht wieder zusammengeführt und einheitlich analysiert werden können. Eine wichtige Fragestellung ist dabei, ob die Verbzusätze bei denominalen und deadjektivischen Verben einen anderen semantischen und strukturellen Beitrag leisten als bei den deverbalen Basisverben. Geklärt werden soll dabei auch, ob die Tatsache, daß denominale und deadjektivische Verben über die Instantiierung von SF-Templates abgeleitet werden, die unter Umständen die Bildung virtueller Zwischenstufen beinhaltet (giften —> entgiften·, heitern —> erheitern), eine Rolle spielt für die Zulässigkeit bestimmter Bildungen denominaler und deadjektivischer komplexer Verben (s. Kapitel 9). In einem weiteren und für die Analyse zentralen Schritt werden die komplexen Verben hinsichtlich der bei der Präfigierung/Partikelhinzufügung auftretenden Effekte auf die Argumentstruktur des Basisverbs sortiert. Die Verben werden getrennt nach: - Argumentsättigung: den Hut aufsetzen - Argumentblockierung: (in einem Buch) herumlesen - Argumenterweiterung: jemanden anlachen, sich den ersten Preis ertanzen - keine Argumentstrukturveränderung: den Braten aufessen Folgendes ist zu dieser Auflistung anzumerken: Argumentsättigung ist bislang nur für die Partikelverben nachgewiesen worden (Stiebeis 1991). Mit Argumentblockierung ist gemeint, daß die Realisierung von Basisverbargumenten aus semantischen oder strukturellen Gründen nicht möglich ist. In den Fällen, in denen sich die Argumentstruktur des Basis-
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verbs nicht ändert, kann davon ausgegangen werden, daß das Präfix/die Partikel als reiner Modifikator der Verbbedeutung (ζ. B. hinsichtlich Aspekt/Aktionsart) fungiert. Neben dem Effekt auf die Argumentstruktur ist auch die Realisierung der Argumente (Kasus, PPs) zu berücksichtigen. Bei Argumenstrukturveränderungen ist festzuhalten, welche Konsequenzen sich für das Linking der Basisverbargumente ergeben: Sind diese realisierbar? Wenn ja, erhalten sie eine Oblique-Markierung und welche? Gibt es strukturelle Voraussetzungen für die Präfigierbarkeit/Partikelhinzufügung (ζ. B. Optionalität des internen Arguments des Basisverbs)? Welchen Kasus erhalten die durch Argumenterweiterungen eingeführten Argumente? Zum einen geben diese Daten weiteren Aufschluß über die Linkingbedingungen des Deutschen, zum anderen sind sie auch ein Maßstab für spätere Überlegungen zur Semantik dieser Verben: Wie bereits in Kapitel 2 ausgeführt, wird in dem hier gewählten Ansatz angenommen, daß SF-Operationen bestimmte Linkingeffekte haben können. Jede Modifikation der Argumentstruktur ist als Operation auf dem Theta-Raster oder der SF zu beschreiben. Argumenterweiterungen implizieren in jedem Fall die Integration zusätzlicher SF-Prädikate oder SF-Relationen, da Argumente - abgesehen von expletiven - in dem hier zugrundegelegten Rahmen immer durch entsprechende Prädikate auf der SF lizensiert sein müssen. Ebenso gilt, daß bei systematischen Unterschieden hinsichtlich der sortalen Restriktionen für Basisverb und komplexes Verb unterschiedliche Dekompositionsprädikate involviert sein müssen, auch wenn sich an der Stelligkeit des Verbs nichts ändert. Ein Objektwechsel beim Verb impliziert somit immer eine semantische Operation. Beobachtungen zur Realisierung der Argumente können also helfen, Annahmen zur Semantik zu verifizieren oder falsifizieren. Ein weiterer zentraler Punkt bei der Untersuchung der Argumentstruktur betrifft die erforderlichen Kompositionsmechanismen zur Ableitung der komplexen Verben. Argumenterweiterungen sind mit Funktionskomposition abzuleiten, Argumentsättigung mit Funktionaler Applikation. Die Frage der Kompositionsmechanismen und der SF-Gebundenheit der Argumenterweiterung stellt in meinen Augen eine zentrale Evidenz dafür dar, daß die Beschreibung der komplexen Verben an ihrer Argumentstruktur zu orientieren ist. Aber auch die Trennung nach Argumentstruktureffekten impliziert nicht, daß die unterschiedlichen Verbzusatzverwendungen nicht wieder auf einen gemeinsamen semantischen Kern zurückgeführt werden können, wenn hinreichende semantische Ähnlichkeit gegeben ist. Hat man für einen bestimmten Verbzusatz die möglichen Effekte, den dieser in seiner produktiven Verwendung auf die Argumentstruktur möglicher Basisverben haben kann, bestimmt, so stellen alle transparenten Verben, die sich nicht entsprechend verhalten, Problemfälle dar, für die eine geeignete Erklärung zu finden ist; häufig motivieren diachrone Fakten das Verhalten dieser Verben (s. Kapitel 10). Sind die argumentstrukturellen Effekte geklärt, ist im nächsten Schritt die semantische Charakterisierung der komplexen Verben vorzunehmen. Das beinhaltet sowohl Fragen der Dekomposition wie auch der aspektuellen Effekte, die sich aus der Derivation ergeben. Dabei ist genau zu prüfen, welche Prädikate bei der Dekomposition eines Verbs involviert sind. Als einen Indikator für die mögliche Zerlegung der Bedeutung des komplexen Verbs in einzelne Komponenten möchte ich die von den Adverbien wieder, fast und für einen gewissen Zeitraum getriggerten Lesarten heranziehen. Wie bereits in Kapitel 2 angedeutet, ist mit diesem Test nur die Verifikation einer Dekompositionsstruktur möglich. Das aspektu-
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eile Verhalten der Verben kann durch Tests mit Zeitrahmen- (in einer Stunde) und Zeitdauerangaben (drei Stunden lang) bestimmt werden. Variiert man zudem noch die Argumentreferenten (bloße Plural-NPs vs. definite NPs), so ist es möglich, die vom Verbzusatz gelieferte Spezifikation der Ereignisstruktur vollständig zu erfassen. Eine schwierige Aufgabe ist die Bestimmung plausibler Dekompositionsprädikate. Neben den etablierten Prädikaten und Relationen wie LOC ('a ist einer Nachbarschaftsregion von b lokalisiert'), POSS ('a hat Zugang zu b') und CONT ('a enthält b') sind spezifische Prädikate und Relationen für bestimmte Verbzusatzverwendungen anzunehmen, die sich in vielen Fällen nicht auch für andere Bereiche der Bedeutungsrepräsentation rechtfertigen lassen. Hier muß eventuell der Sprachvergleich darüber Aufschluß geben, inwieweit die hier eingeführten Dekompositionsprädikate einen fundierten Status haben. Im Vorgriff auf die in dieser Arbeit vorgestellten Analysen muß ich sagen, daß die vorgeschlagenen Lexikoneinträge für die Verbzusätze einen eher tentativen Charakter haben, was die Explizitheit der Bedeutungsrepräsentation anbelangt. Die Einträge sollen jedoch hinsichtlich der Effekte der Komposition mit den Basisverben klare Voraussagen machen, d. h. die Argumentstruktur und der SF-Eintrag des komplexen Verbs sind in jedem Fall ableitbar. Eine detaillierte Bedeutungsanalyse der Basisverben nehme ich nur dann vor, wenn aus der Semantik des betreffenden Basisverbs heraus die Bildung eines komplexen Verbs motiviert werden soll. Im Zentrum dieser Arbeit steht primär die generelle Charakterisierung der Verbzusätze. Im nächsten Untersuchungsschritt ist die semantische Klasse möglicher Basisverben zu bestimmen. Dies impliziert nicht, daß die Kombinatorik möglicher komplexer Verben mit Selektionsbeschränkungen seitens der Verbzusätze erfaßt werden soll, sondern ist nur als empirische Vorarbeit zu werten, um den semantischen Beitrag des Verbzusatzes genauer herausarbeiten zu können. Ausgangspunkt wird für mich die Zugehörigkeit eines Basisverbs zu den einzelnen Vendler-Klassen (Vendler 1957, Dowty 1979) sein, bzw. die Charakterisierung des Verbdenotats als Zustand, Prozeß, punktuelles Ereignis oder Zustandswechsel. Untersucht werden soll konkret, ob alle Verben, die einer bestimmten semantischen Klasse angehören, mit dem betreffenden Verbzusatz kombiniert werden können. Wenn nicht, ist zu klären, welche weiteren Restriktionen gelten und ob diese Beschränkungen konzeptueller oder struktureller Natur sind. Als Verfahren wird hierbei der Test von Neubildungen gewählt, der mittels einer Informantenbefragung durchgeführt wird. Diese Tests beinhalten Fragen zur Akzeptabilität der Neubildung und der zugrundelegten Interpretation für das Verb. Die Diskussion von Neubildungen spielt eine zentrale Rolle für die Charakterisierung der einzelnen Verbzusatzvarianten, da der im Duden aufgeführte Verbbestand keine verläßlichen Rückschlüsse auf die Produktivität der einzelnen Verbzusatzmuster zuläßt. Konzeptuelle Faktoren, die Einfluß auf die Bildbarkeit von komplexen Verben nehmen, lassen sich insbesondere dann ausmachen, wenn bei einem Verb sortale Effekte auftreten, oder in noch stärkerem Maße, wenn bei einem konkreten Verb verschiedene Argumentreferenten gleicher Sorte mit unterschiedlichem Akzeptabilitätsgrad zulässig sind. Man muß sich bei der Nicht-Bildbarkeit eines bestimmten komplexen Verbs allerdings immer auch fragen, ob die Annahmen zur Semantik des Basisverbs korrekt sind. Weiteres Ziel dieses Untersuchungsschritts ist es, neben der Bestimmung der möglichen Basisverben eine Erklärung für die Nicht-Bildbarkeit bestimmter Formen zu finden. Auf einer weiteren Abstraktions- und Generalisierungsstufe ist dann festzuhalten, welche se-
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mantischen und strukturellen Effekte systematisch bei den komplexen Verben möglich sind und welche niemals auftreten. Letzteres wäre ein Indikator für einen bestimmten Parameterwert des Deutschen oder bei gleichen Ergebnissen im Sprachvergleich für eine Universalie eines bestimmten Typs. Wenn bestimmte Muster bei einem Verbzusatz aufgrund struktureller, semantischer und konzeptueller Faktoren ausgemacht werden konnten, ist die Frage nach dem gemeinsamen Kern und den Lexikoneinträgen dieser Muster der letzte Untersuchungsschritt. Mitunter zeigen die Verbzusätze ein relativ heterogenes Verhalten. Dies kann teilweise mit diachronen Gesichtspunkten (nämlich durch den Zusammenfall mehrerer Formen, s. 4.4) motiviert werden. Sollten solche sprachhistorischen Fakten als Erklärung ausfallen, kann die Untersuchung der Komplementarität oder Nicht-Komplementarität der Muster und ihrer argumentstrukturellen Effekte helfen, die Frage nach der Zahl der erforderlichen Lexikoneinträge für den Verbzusatz zu klären. Wenn die verschiedenen Verbzusatzvarianten trotz gleicher argumentstruktureller Effekte semantisch nicht hinreichend ähnlich sind, kann man sie kaum in einem Eintrag vereinen. Sollten semantisch ähnliche Muster eine komplementäre Verteilung bezüglich der möglichen Basisverben aufweisen, so erscheint die Annahme eines einzigen Antrags sehr plausibel. Die Differenzen zwischen den Mustern müßten dann als Effekte der Interaktion mit unterschiedlichen Gruppen von Basisverben beschreibbar sein. Sollten semantisch ähnliche Muster jedoch nur bei einigen Verben überlappen, so sind mehrere Einträge anzusetzen. Für den ziemlich unwahrscheinlichen Fall, daß verschiedene Muster eine völlig parallele Verteilung aufweisen, könnte man einen Eintrag zugrundelegen, der eine systematische Ambiguität bei den resultierenden komplexen Verben erlaubt. Der Grad der Ähnlichkeit entscheidet dann über die Möglichkeit der Rückführung auf einen Eintrag. Ob dieses Problem relevant sein wird, ist allerdings fraglich. Nicht in einem einzigen Lexikoneintrag vereinbar sind solche Verbzusatzvarianten, die unterschiedliche Effekte auf die Argumentstruktur des Basisverbs haben, es sei denn, daß unterschiedliche Formen der Koindizierung von Basisverbargument und einem Argument eines vom Verbzusatz eingebrachten Prädikats vorliegen. Lexikoneinträge für Verbzusatzvarianten mit unterschiedlicher Stelligkeit sollten nicht zusammengefaßt werden, auch wenn sie semantisch sehr ähnlich sind, solange keine klaren Prinzipien formuliert werden können, die vorhersagen, wann ein bestimmtes Argument, das vom Verbzusatz eingebracht wird, nicht zu realisieren ist. Ich grenze mich in dieser Hinsicht von solchen Ansätzen ab, die sämtliche Verbzusatzvarianten mit einem einzigen abstrakten Eintrag erfassen wollen (s. Kapitel 10). Die hier skizzierten Untersuchungschritte sind in meinen Augen die relevanten bei der Beschreibung und Analyse komplexer Verben. Als weiterführende Untersuchungen bieten sich der Sprachvergleich mit Sprachen, die über ähnliche Verbzusätze verfügen, und die Betrachtung der Komposition eines bestimmten Verbs mit einer Menge von Verbzusätzen an (ζ. B. gehen mit an, auf, ein, zer-, ver-...). Letzteres setzt natürlich voraus, daß man sich Klarheit über den generellen Beitrag des jeweiligen Verbzusatzes verschafft hat (s. Kapitel 11).
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4.4 Sprachhistorische Anmerkungen zu den untersuchten Verbzusätzen Die in dieser Arbeit betrachteten Verbpräfixe verfügen über keine morphologisch freien Varianten (Adverbien oder Präpositionen), so daß eine kurze historische Betrachtung dieser Präfixe ihren ursprünglichen Charakter und ihren Bedeutungswandel aufzeigen kann. Überdies hilft die historische Betrachtung, die Heterogenität des heutigen Verbbestands zu motivieren und zu begründen. Sofern ein Verbzusatz diachron auf unterschiedliche Formen zurückgeführt werden kann, ist es wenig sinnvoll, sämtliche Varianten mit einem Eintrag erfassen zu wollen. Laut Leopold (1907) sind in ver- 4 urgermanische Formen aufgegangen; im Gotischen gab es noch 3 Formen (fair-, faur- und fra-). fair- und fra- traten nur als Präfixe auf, faur auch als Adverb und Präposition (als direktionale Präposition faur, die den Akkusativ verlangte, und als lokale Präposition faura [-DIR], die den Dativ verlangte; im Althochdeutschen wurde diese Unterscheidung schon teilweise aufgehoben). Den faur-Varianten entsprechen Neuhochdeutsch für und vor (verfechten = für etw. fechten; verlesen vs. vorlesen). Folgende Korrespondenzen sind für die einzelnen Sprachstufen anzusetzen (Leopold 1907): (3)
Gotisch faur I faur II faura fra fair
Latein por
pro per
Ahdt. fur/for furi fora far/fer fir/firi
'vorlegen' 'versperren'
In (4) sind einige gotische Verben aufgeführt, die die Verwendung der einzelnen Präfixe illustrieren sollen. (4)
a. faurlagjan faurgaggan faursigljan b. fragiban fraslindan c. fairgreipan fairwaurkjan
'vorlegen' 'vorübergehen' 'versiegeln' 'leihen, schenken' 'verschlingen' 'ergreifen' 'erwirken'
Im Gotischen gab es noch keine deadjektivischen Verben bei diesen Präfixen, wohl aber einige denominale. In dieser Hinsicht hat ver- einen drastischen Funktionswandel erfahren, da der Bestand an denominalen und deadjektivischen Formen anteilmäßig stark gewachsen ist. Der heutige Verbbestand erlaubt keine vollständige und eindeutige Zuordnung zu den gotischen Präfixen, was bereits von Leopold und Wilmanns (1896, II) herausgestellt worden ist. Schon im Gotischen waren viele Verbformen nicht mehr transparent, insbesondere die mit fair-. Die fehlende Transparenz, die sich im heutigen Verbstand noch viel drastischer niederschlägt, mag darin begründet sein, daß es zu den beiden Präfixen fra- und fairkeine korrespondierenden Präpositionen oder Adverbien gab. Für alle anderen Verbpräfixe
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des Deutschen sind zumindest noch im Gotischen oder Althochdeutschen freie Formen belegt. Laut Kluge (1989) entspricht das Präfix ent- den vier gotischen Präfixen and(a)-, und(undrinnan 'zukommen'), untha- (unthathliuhan 'entfliehen') und in- (inbrannjan 'in Brand setzen'); als Reflex dieser heterogenen Ausgangslage findet sich noch eine kleine Verbgruppe, nämlich das ingressive Muster, das von den anderen drei Mustern stark abweicht. Es gab im Gotischen (als einziger germanischer Sprache) eine dem Präfix and- zugeordnete Präposition (and) mit der Bedeutung 'längs, entlang, über etw. hin, auf etw. hin', die den Akkusativ forderte, während das Präfix die Bedeutung 'entgegen' trug. 3 Neben dem Präfix und- gab es eine gleichlautende Präposition, die die Bedeutung 'bis zu' (bei Akkusativ) und 'für' (bei Dativ) hatte. Die gotischen Präfixe sind alle in Ahdt. in(t)- aufgegangen. Das Präfix er- geht auf die bis im Althochdeutschen freie Präposition ar-lir-ler- (Gotisch us) zurück, die die Bedeutungen 'von innen nach außen' und 'von unten nach oben' hatte und den Dativ verlangte (Wilmanns 1896, II), der in dieser Verwendung auf den proto-indogermanischen Ablativ zurückgeht. Die althochdeutsche Präposition ar/ir/er ist von den Adverbien uz (aus) und uf (auf) verdrängt worden, die in mittelhochdeutscher Zeit zu regulären Präpositionen wurden (Wilmanns, Müller 1948). Der Verlust der präpositionalen Verwendung mag dazu geführt haben, daß sich die ursprüngliche Bedeutung des Präfixes/der Präposition immer mehr verdunkelte und das Präfix nur über Etablierung einer neuen Bedeutung seinen produktiven Status bewahren konnte. In den anderen germanischen Sprachen gibt es nur einen kleinen lexikalisierten Bestand an er-Verben. Die ursprüngliche Präfixbedeutung ist noch vereinzelt in einigen lexikalisierten Verben erkennbar (ζ. B. ersteigen, erbrechen). Die Präposition auf war ursprünglich nur ein reines Adverb und hat erst später präpositionalen Status erlangt. Dies motiviert unter Umständen, daß auf verglichen mit an und ab weniger relationale Verwendungen aufweist.
3
Es gibt jedoch auch Zweifel (Walde 1930), daß Präfix und Präposition - gerade wegen ihrer unterschiedlichen Bedeutung - auf eine gemeinsame Quelle zurückgehen. Im Altgriechischen haben das Präfix anti und die entsprechende Präposition die gleiche Bedeutung ("angesichts, gegenüber").
5. Generelle Typologie der Verbzusätze
In diesem Kapitel werde ich einen kurzen Überblick über die unterschiedlichen Verwendungsweisen der Verbzusätze in Hinblick auf ihre Effekte auf die Argumentstruktur des Basisverbs geben. Gemäß dieser Typologie werde ich dann in den folgenden Kapiteln die einzelnen Verbzusatzverwendungen diskutieren. Da Präfixe und Partikeln diachron betrachtet auf Präpositionen und Adverbien zurückgehen bzw. parallel zu ihnen entstanden sind, erscheint die Hypothese plausibel, daß sich diese Verbzusätze im Defaultfall genauso wie ihre unabhängig in die Syntax projizierten Pendants mit den Verben kombinieren, d. h. prädikative Argumentpositionen einnehmen. Dabei dürfte die Parallelität zwischen Präposition/Adverb und Verbzusatz von dem synchron erkennbaren Verwandtschaftsgrad zwischen diesen abhängen bzw. von der sprachhistorisch gesehen zeitlichen Dauer der gleichzeitigen Existenz von Präposition und Verbzusatz. Gemäß den sprachhistorischen Ausführungen in Kapitel 4 bedeutet das, daß folgende Skala in (1) hinsichtlich des Grades an Parallelität zwischen Verbzusätzen und Präpositionen hypothetisch angenommen werden könnte: an und auf sollten am ehesten einen präpositionsähnlichen Charakter aufweisen, da es korrespondierende Präpositionen gibt, und stehen deshalb ganz oben auf der Skala, während ab aufgrund der marginalen Rolle der entsprechenden Präposition eine nicht so große Parallelität erwarten läßt. ver- muß aufgeteilt werden in die zu vor und für entsprechende Präfixform vera und die zu den reinen Affixformen des Gotischen fra- und fair- entsprechende Variante ver^. Da er- noch im Althochdeutschen als Präposition fungierte, ent- dagegen nicht, könnte er- größere Parallelität aufzeigen als ent-. (1)
Grad des zu erwartenden präpositionsähnlichen Charakters der Verbzusätze: an/auf > ab > vera > er > ent/ver^
Die Kombinatorik möglicher Typen ergibt sich nun in Abhängigkeit von der Argumentstruktur des Basisverbs und der SF des Verbzusatzes. Weist das Basisverb ein prädikatives Argument im Basiseintrag auf, so kann ein Verbzusatz, der in seiner SF ein einstelliges Prädikat oder ein zweistelliges Prädikat mit implizitem internen Argument enthält, dieses prädikative Argument über Funktionale Applikation sättigen (Typ: Argumentsättigung). Weist der Verbzusatz in seiner SF ein zwei- oder mehrstelliges Prädikat auf, so kann er mit dem Basisverb über Funktionskomposition zusammengebracht werden, wobei das interne Argument des Verbzusatzes rangniedrigstes Argument und somit gemäß den Linkingbedingungen direktes Objekt des Komplexes wird. Diesen Typ will ich in Anlehnung an Bakers (1988) Analyse der Applikativstrukturen in den Β antusprachen, die über einen solchen Mechanismus abgeleitet werden können (Wunderlich 1991), mit "Präpositionsinkorporation" (PI) bezeichnen. Die Präfixverben mit be- und den P-Präfixen durch-, über-, unter- und hinter- sind von Wunderlich (1987, 1991) als gängigste Vertreter dieses Typs diskutiert worden. Da Präpositionalphrasen prototypische Sättiger prädikativer Argumente sind, ist zu erwarten, daß insbesondere die präpositionsnahen Partikeln in diesen beiden Verbzusatz-
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5. Generelle Typologie der Verbzusätze
Verwendungen auftreten. Ich werde Verbzusätze dieses Typs unter dem Begriff des lexikalischen Arguments in Kapitel 6 abhandeln. Des weiteren lassen viele Verben verschiedene Formen der Modifikation zu (u. a. sekundäre Prädikationen wie Resultative und Depiktive), was nach Wunderlich (1994d) über eine Operation der Argumenterweiterung des zugrundeliegenen Verbs um ein prädikatives Argument beschrieben werden kann und in Kapitel 2 dargestellt worden ist. Ein derart "aufbereitetes" Verb kann sich dann in gleicher Weise mit Verbzusätzen verbinden wie eines, das bereits ein prädikatives Argument im Basiseintrag aufweist: Mittels Funktionaler Applikation kann ein einstelliges Prädikat integriert werden, durch Funktionskomposition werden zwei- oder mehrstellige Prädikate integriert. Diese Fälle möchte ich unter dem Begriff des lexikalischen Adjunkts subsumieren und in Kapitel 7 diskutieren. Diese Verbzusatzverwendungen unterscheiden sich von denen als lexikalische Argumente nur durch eine dazwischengeschaltete Operation der Argumenterweiterung; die sich daran anschließenden Kompositionsmechanismen sind die gleichen. Für die beobachtbare Transitivierung von Verben (wandern den Wald durchwandern·, lachen —> jemanden anlachen) heißt das, daß diese aus der Funktionskomposition von Verben mit Verbzusätzen als lexikalischen Argumenten oder lexikalischen Adjunkten resultieren kann. Deshalb ist es in der Diskussion der einzelnen Verbzusätze wichtig, die auftretenden Valenzeffekte von den anzunehmenden semantischen Operationen zu trennen. Ich nehme nicht an, daß sich ein Verbzusatz in einem konkreten lexikalischen Eintrag notwendigerweise komplementär hinsichtlich der Verwendung als lexikalisches Argument oder Adjunkt verhalten muß. So gibt es einige Verbzusätze, die mit einigen Verben direkt komponiert werden können und mit anderen nur über den Zwischenschritt der Argumenterweiterung. Diese Fälle werde ich in Kapitel 6 behandeln. Ein Unterschied zwischen lexikalischen Argumenten und Adjunkten besteht allerdings in der Distribution der beiden Muster: Adjunkte sind generell freier hinzufügbar, während die als lexikalische Argumente fungierenden Verbzusätze eine vom Basisverb geforderte semantische Spezifikation beisteuern müssen; deshalb sind bei den Verwendungen als lexikalische Adjunkte die produktiveren Muster zu erwarten. Denkbar und auch belegt sind solche Verbzusatzverwendungen, in denen der Verbzusatz keinerlei Modifikation der Argumentstruktur des Basisverbs bewirkt, sondern nur einen davon unabhängigen Bedeutungsbeitrag leistet, der zumeist in der Modifikation des Aspektes bzw. der Aktionsart des Basisverbs besteht. Auf solche Verbzusätze werde ich in 5.2 eingehen. Die Argumentstruktur des Basisverbs bleibt gleichfalls unberührt, wenn der Verbzusatz in seiner Interpretation bestimmte SF-Prädikate in seinem Skopus hat und bezüglich dieser eine semantische Modifikation vornimmt. Ob der Beitrag solcher Verbzusätze allerdings mit den gängigen Kompositionsmechanismen für SF und Theta-Raster erfaßt werden kann, ist sehr fraglich und soll exemplarisch für die reversativen Präfixverben mit ent(Kapitel 8) diskutiert werden. Ein weiteres, logisch mögliches Resultat bei der Bildung komplexer Verben könnte darin bestehen, daß durch den Verbzusatz eine Valenzreduktion bewirkt wird, ohne daß dieser ein ausgezeichnetes prädikatives Argument sättigt. Diatheseoperationen dieses Typs stellen agensloses Passiv und Medium dar. Solche Effekte können zwar bei den Partikelverben mit los (sie singt (* das Lied) los) und herum ((in einem Buch/* das Buch) herumlesen·, s. Blume 1993) beobachtet werden, sie sollten jedoch eher als Argumentblockierung analysiert werden (also keine Operation auf dem Theta-Raster), die sich aus Prinzipien der
5. Generelle Typologie der Verbzusätze
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aspektuellen oder aktionsartlichen Interpretierbarkeit ergibt: Beide Verbzusätze sind aufgrund ihrer ingressiven bzw. durativen Bedeutung unverträglich mit Verben, bei denen durch Realisierung des direkten Objekts die Abarbeitung eines Themareferenten und somit die Prozeßterminierung zum Ausdruck kommt. 1 Umgekehrt kann auch beobachtet werden, daß optionale Argumente des Basisverbs im Zuge der Ableitung des komplexen Verbs zu obligatorischen Argumenten werden, weil dies durch die aspektuelle Interpretation gefordert ist (s. 5.2.3). Brinkmann (1995) und van Hout (ersch.) haben ebenfalls schon auf diese Effekte bei komplexen Verben hingewiesen. Eine echte Valenzreduktion gibt es bei den komplexen Verben nicht: Wenn im Zuge der Präfigierung oder Partikelhinzufügung das interne Argument eines Basisverbs nicht mehr (strukturell) realisierbar ist, so resultiert das in den allermeisten Fällen daraus, daß durch den Verbzusatz ein neues rangniedrigstes Argument eingeführt worden ist, das aufgrund der Linkingbedingungen die Realisierung des Basisobjekts als direktes Objekt unterbindet. Deshalb werde ich den Aspekt der Valenzreduktion im weiteren nicht mehr berücksichtigen. Um einen ersten Eindruck von der Vielfalt der Verbzusätze auf der Grundlage der hier vorgestellten Typologie zu geben, habe ich die Verwendungen der in dieser Arbeit untersuchten Verbzusätze in Tabelle (2) zusammengestellt. Die Zahlenangaben beziehen sich auf die Anzahl der produktiven Muster. Ich habe die Verwendungen der Verbzusätze als lexikalische Argumente aufgeteilt in die beiden Typen Argumentsättigung und Präpositionsinkorporation. Unter der Spalte Aspekt/Aktionsart sind solche Verbzusätze aufgeführt, die die Argumentstruktur des Basis verbs unberührt lassen und nur eine aspektuelle oder aktionsartliche Modifikation vornehmen. Falls bei den Verbzusätzen in einem Muster halbwegs produktive Fälle vorliegen, bleiben weitere Nischen dieses Typs beim entsprechenden Verbzusatz unberücksichtigt. Nur wenn keine produktiven Muster vorliegen, habe ich auf lexikalisierte Nischen hingewiesen. Mit "reanalysiert" habe ich solche Muster gekennzeichnet, die aus synchroner Perspektive nicht mehr als Instanz von Präpositioninkorporation analysiert werden können, in einem früheren Sprachstadium allerdings einmal darunter gefallen sein müssen. Mit "restringiert" kennzeichne ich solche Muster, die nur noch in sehr beschränktem Maße ausgebaut werden können.
Zwar ist zu beobachten, daß die Information, ob eine Prozeßterminierung vorliegt, von der Information, die die Argumentreferenten oder Zeitadverbien beisteuern, abhängt (vgl. Bücher lesen, in einem Tag das Buch lesen, zwei Stunden lang das Buch lesen), jedoch scheint die telische Defaultlesart (das Buch lesen: das Buch zuende lesen) ausschlaggebend zu sein, daß das interne Argument nicht realisiert werden darf.
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5. Generelle Typologie der Verbzusätze
(2) Verbzusatz
Überblick über die bei den untersuchten Verbzusätzen auftretenden Muster 2 lexikalische Argumente
lexikalische Adjunkte
Arg.Sättigung
PI
ab
2
-
5
an
2
lexikalisiert
auf
1(2)
ent
Aspekt/ Aktionsart
Skopus
-
-
2(3)
1
-
-
2
1
-
-
reanalysiert
-
lexikalisiert
er
-
lexikalisiert
1
restringiert
-
ver
1
reanalysiert
3
restringiert
-
1
Ohne daß ich hier schon auf die einzelnen Muster im Detail eingehen möchte, sind doch einige kurze Anmerkungen angebracht, die sich direkt aus der Tabelle (2) ablesen lassen: 1. Der Überblick zeigt deutlich, daß kein Verbzusatz in nur einer Verwendung vorkommt, sondern immer mehrere Verwendungen besitzt, die jeweils unterschiedliche Effekte auf die Argumentstruktur des Basisverbs haben, was gemäß den Ausführungen in Kapitel 4 die Annahme von Mehrfacheinträgen für jeden Verbzusatz nahelegt, da ein einzelner Eintrag nicht alle argumentstrukturellen Effekte gleichzeitig erfassen kann. 2. an und ver- zeigen die größte Variation in bezug auf mögliche Verwendungsweisen, entist im wesentlichen eingeschränkt auf die Skopusverwendung. 3. Präpositionsinkorporation ist bei keinem der hier untersuchten Verbzusätze produktiv und transparent gegeben. Dieses Muster scheint also in erster Linie auf die be- und P-Präfixverben beschränkt zu sein. 4. Bestätigt wird auch die Vermutung, daß die Verbzusätze insbesondere in ihren Verwendungen als lexikalische Adjunkte produktiv sind. 5. Die hypothetisch angenommene Skala in (1) für den zu erwartenden Grad an präpositionsähnlichem Charakter der Verbzusätze wird in der Tendenz - wenn auch nicht genau bestätigt. Die Partikeln an und auf weisen Argumentsättigungsmuster auf, die Partikel ab jedoch in gleich starker Ausprägung. Es wird sich zeigen, daß ab in diesen Verwendungen nicht die Semantik der korrespondierenden Präposition aufweist und deshalb produktiver ist als erwartet (s. 6.1.3). Das Präfix ver- weist sowohl ein Argumentsättigungsmuster wie auch ein reanalysiertes PI-Muster auf, ob allerdings auch das Argumentsättigungsmuster auf ver a zurückgeht, kann ohne tiefergehende etymologische Untersuchungen nicht geklärt werden. Bei den Präfixen ent- und er- gibt es keine Argumentsättigungsmuster und PIStrukturen sind bei er- nur in Einzelbelegen (ersteigen) und bei ent- nur in reanalysierter 2
Die variierenden Zahlenangaben bei auf und an beziehen sich auf die Verwendungen von auf mit der Bedeutung "empor" und von an mit der Bedeutung "angeschaltet", die aufgrund ihrer Semantik nur mit wenigen Verben kombiniert werden können, so daß unklar ist, ob sie in obige Tabelle integriert werden sollten.
5. Generelle Typologie der Verbzusätze
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Form gegeben (s. 6.2.2). Die ursprünglich lokale Bedeutung der beiden Präfixe ist fast völlig verdunkelt.
5.1 Probleme bei der Funktoranalyse von Verbzusätzen Ausgangspunkt dieses Abschnitts soll die Frage sein, inwieweit sich die Verbzusätze einheitlich als Funktoren über Verben beschreiben lassen. Explizite Vorschläge in dieser Richtung gibt es so nur sehr wenige (ζ. B. Komlosy 1994, Olsen 1995a), da sich bislang kaum eine Arbeit mit der Semantik der Verbzusätze und der Kompositionsfrage der komplexen Verben auseinandersetzt. Bierwisch (1989a) schlägt vor, das Negationspräfix un- als Funktor zu analysieren. 3 Inwieweit er diese Annahme auf andere Präfixe ausdehnen möchte, bleibt unklar. Wie bereits in Kapitel 3 dargelegt, möchte ich davon ausgehen, daß die Verbzusätze morphologisch gesehen keine Köpfe sind. Das an sich schließt allerdings noch keine Funktoranalyse der Verbzusätze aus, da auch in der Syntax keine Isomorphic zwischen Köpfigkeit und Funktorstatus vorliegt. So sind Adjektive wie ehemalig, die eindeutig als Funktoren zu beschreiben sind, da das ansonsten für Modifikation plausible Argument Sharing (s. Kapitel 2) hier nicht greifen kann (der ehemalige Kanzler: § λχ [KANZLER(x) & EHEMALIG(X)]), niemals Köpfe in entsprechenden Nominalphrasen. Generell treten Modifikatoren in der Syntax in Specifier- oder Adjunktpositionen auf. Wie sich im folgenden zeigen wird, sind nur solche Fälle bei der Bildung komplexer Verben hinsichtlich einer Funktoranalyse unproblematisch, bei denen der Verbzusatz eine rein aspektuelle oder aktionsartliche Modifikation vornimmt, ohne dabei irgendeinen Einfluß auf die Argumentstruktur des Basisverbs zu nehmen. Diese Fälle werde ich in Abschnitt 5.2 behandeln. Wenn man den Verbzusatz als Funktor analysiert, was der von Wunderlich (1994d) vorgeschlagenen Operation der Modifikatorerweiterung entspricht (s. auch Kapitel 2), so ergeben sich Kompositionswidersprüche, falls transitive Basisverben mit Verbzusätzen kombiniert werden, die eine Relation einbringen; darauf hat bereits Wunderlich (ibid.) hingewiesen. Einige typische Beispiele sind in (3) aufgeführt. (3)
a. Sie erschrieb sich (mit diesem Roman) den Nobelpreis. b. Er aß sich (mit solchen Schokoladeriegeln) einen dicken Bauch an. c. Er verspielte all sein Geld (beim/mit Skat).
Ohne auf diese Beispiele jetzt im Detail eingehen zu wollen, sei angemerkt, daß das Basisobjekt entweder nicht realisiert oder nur durch eine oblique Phrase aufgegriffen werden kann. Bei allen diesen Beispielen wird durch den Verbzusatz ein neues direktes Argument eingeführt. 3
Das prosodisch-semantische Klammerparadox der englischen «η-Adjektive ist bereits hinreichend und sehr kontrovers diskutiert worden (Pesetsky 1985, Sproat 1992, Kang 1993). Für das Deutsche muß ausgeschlossen werden, daß das un-Präfix über adjektivische Komparativformen operiert, un- kann hier nur engen Skopus haben, was entweder über ein Verbot der Präfigierung an Komparative sichergestellt, oder über eine entsprechende semantische Operation "repariert" wird. Mit diesen Problemen muß sich auch eine Funktoranalyse auseinandersetzen.
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5. Generelle Typologie der Verbzusätze
Wird durch den Verbzusatz nur ein weiteres Prädikat eingefügt, das eine Situationscharakterisierung liefert (s. (4a)) , so werden die vom Basisverb vererbten Argumente zu den rangniedrigsten des komplexen Verbs (s. (4b)), und zwar sowohl über Abstraktion gemäß dem Theta-Raster als auch über Abstraktion gemäß der Einbettungstiefe in der SF. 4 Dem Eintrag in (4) liegt die generelle Annahme zugrunde, daß prädikative Argumente immer die rangniedrigsten sind und die Verbzusätze als direkte Operatoren über Verben aufzufassen sind. Prädiziert der Verbzusatz über das externe Basisverbargument, entstehen gleichfalls keine Kompositionsprobleme (s. (4c/d). (4)
a.
VZ:
b. VZ-Verb: c.
VZ:
d. VZ -Verb:
λ Ρ [ + Γ ε 1 _ d e p ] Xs [P(s) & PRÄD(s)] Xy λχ Xs [VERB(x,y)(s) & PRÄD(S)] λ Ρ [ + Γ ε 1 > _ d e p ] λ χ λ8 [ P ( x ) ( s ) & PRÄD(x)(s)] Xy λχ Xs [VERB(x,y)(s) & PRÄD(X)(S)]
Bringt der Verbzusatz dagegen eine Relation ein (s. (5)), die zu einer Argumenterweiterung führt, so entsteht ein Widerspruch bei der Ableitung gemäß Funktionskomposition, wenn man wie oben davon ausgeht, daß das prädikative Argument im Theta-Raster das rangniedrigste ist: Nach strikter FK-Ableitung, die nur das Theta-Raster berücksichtigt, müßte das vererbte interne Argument transitiver Basisverben zum rangniedrigsten Argument des komplexen Verbs werden (s. (5b)), was allerdings nicht den Fakten und nicht der Einbettungstiefe in der SF entspricht: Das durch den Verbzusatz eingebrachte neue Argument wird immer als rangniedrigstes Argument im Akkusativ realisiert. Das mit diesen Fakten konforme Theta-Raster kann nur dadurch erzeugt werden, daß erst nach vollständigem Aufbau der SF des komplexen Verbs gemäß Hierarchieprinzip abstrahiert wird (s. (5c)), was wiederum nicht dem zu erwartenden Resultat bei FK entspricht. Natürlich verschärft sich die Problematik, wenn beim Basisverb noch weitere Argumente vererbt werden. Die Komposition scheitert auch, wenn der Verbzusatz zwar über das externe Basisverbargument prädiziert, aber gleichzeitig ein neues Argument einführt (s. (5d)). (5)
a. b. c.
VZ: V Z -Verb: VTs-Verb:
d. VZ:
λ Ρ [ + Γ β 1 _ d e p ] λ ν Xu Xs [P(s) & REL(u,v)(s)] Xy λ χ λ ν Xu Xs [VERB(x,y)(s) & REL(u,v)(s)] { g e m ä ß F K } λ ν Xu Xy λ χ Xs [VERB(x,y)(s) & REL(u,v)(s)]
{gemäß SF-Hierarchie} λΡ [+Γε1> _ dep] λ ν λχ Xs [P(x)(s) & REL(x,v)(s)]
Der Kompositionswiderspruch in (5) resultiert aus der Annahme, daß prädikative Argumente die rangniedrigsten eines Theta-Rasters sein sollen, was in diesem Fall dazu führt, daß das Prädikat Ρ im Theta-Raster in (5a) nicht bei seinem Argument s steht, obwohl es das höhere Prädikat auf der SF ist, das über das Situationsargument prädiziert. Deswegen können Anforderungen der FK und der Einbettungstiefe nicht in Übereinstimmung gebracht werden. Es macht allerdings wenig Sinn, zwecks Vermeidung dieses Widerspruchs den Verbzusatz als Funktor mit dem Eintrag in (6) zu analysieren, denn das hieße, daß der Verbzusatz vor der Kombination mit dem Basisverb erst zwei Individuenargumente zu sich nimmt. Damit wäre der Verbzusatz kein direkter Operator über Verben. Zudem würde mit 4
PRÄD und REL gelten in den folgenden Repräsentationen als Konstanten für das jeweilige Verbzusatzprädikat.
5. Generelle
Typologie
der
Verbzusätze
69
dem Eintrag in (6) suggeriert, daß Verbzusätze selbst, d. h. unabhängig vom Verb, Komplemente, die Individuenargumenten der Verbzusätze entsprechen, in die Syntax projizieren können, was empirisch falsch ist. (6)
VZ:
λν Xu λΡ [+ΓεΙι _ dep] Xs [P(s) & REL(u,v)(s)]
Zu ebenfalls inkorrekten Ergebnissen führen die Verbzusatzeinträge in (7a/c). Abgesehen davon, daß es wenig plausibel erscheint, Verben als Adjunkte der Verbzusätze anzusehen, erhielte man immer das Resultat, daß das interne Argument des Basisverbs zum rangniedrigsten Argument des abgeleiteten Verbs würde, was von empririscher Seite her bei keinem solchen Verbzusatz beobachtet werden kann. In (7a) wäre zudem das externe Argument des Basisverbs nicht gleichzeitig externes Argument des Derivats. (7)
a. VZ: b. WZ-Verb: c. VZ:
λΡ [+ΓεΙ _ dep] λν λιι Xs [REL(u,v)(s) & P(s)] Xy Xx λν λιι Xs [R(u,v)(s) & VERB(x,y)(s)] λΡ [+Γ6ΐ _ dep] λν λχ Xs [REL(x,v)(s) & P(x)(s)]
d.
Xy λ ν λχ Xs [R(x,v)(s) & VERB(x,y)(s)]
V Z-Verb:
Wenig überzeugend darstellbar sind auch die Fälle, in denen das externe Argument einer vom Verbzusatz eingebrachten Relation nicht konsistent mit einem bestimmten Argument des Basisverbs identifiziert werden soll. Falls bei einer solchen Verbzusatzverwendung alternativ mit dem internen Argument eines transitiven Basisverbs oder dem einen Individuenargument eines intransitiven Basisverbs identifiziert werden soll, so ist ein einziger Funktoreintrag nicht ausreichend: (8a) wäre bei intransitiven Basisverben erforderlich, (8b) bei transitiven, wobei die Typangabe in der Kennzeichnung des prädikativen Arguments die korrekte Komposition sicherstellt; bei der in (8c) angedeutete Koindizierung ist das mittlere Argument y aufgrund der L-Kommando-Verletzung nicht strukturell realisierbar. (8)
a. b. c.
VZ VZ VZ
λΡ
[+ Γ ε1, -dep];(0/l)/l λ ν λ χ λ δ [ P ( X H S ) & REL(x,v)(s)] -dep];((0/l)/l)/l λ Υ λ ν λ χ Xs [P(x,y)(s) & REL(v,y)(s)] λ ν λ λ Ρ [ + Γ β 1 , -dep];((0/l)/l)/l Υ λ χ λ ί ; [P(x,y)(s) & REL(y,v)(s)] λ Ρ
[+Γβ1,
Falls derartige Mehreinträge zur korrekten Ableitung erforderlich sind, ist eine Funktoranalyse nicht mehr sonderlich überzeugend, da die Eleganz einer Funktoranalyse gerade darin besteht, eine Vielzahl von Fällen über einen einzigen Eintrag herleiten zu können. 5 Nach Risch (1994) gibt es allerdings Verbzusätze, bei denen trotz offenkundiger Argumenterweiterung eine Funktorlösung erforderlich ist, nämlich bei über- und unter- als Skalierungsmarkierungen: (9)
Sie überschrie den Professor. [= der Grad, in dem sie schrie, war größer als der Grad, in dem der Professor schrie]
Motivation für diese Funktorbehandlung ist dabei die Tatsache, daß der Ausprägungsgrad des vom Basisverb denotierten Ereignisses zu einem impliziten zweiten Ereignis gleicher Nimmt man, wie in Kapitel 2 ausgeführt, an, daß die Koindizierung konzeptuell gesteuert ist und daß zwecks Evaluierung sämtliche denkbaren SF-Einträge generiert werden, so verliert eine Funktoranalyse jegliche Plausibilität, da dann eine Vielzahl von Einträgen für eine einzige Verbzusatzverwendung erforderlich wäre.
70
5. Generelle Typologie der Verbzusätze
Sorte (im obigen Beispiel das Schreien des Professors) vergleichend in Beziehung gesetzt werden muß. Daß diese Schlußfolgerung nicht unbedingt zwingend ist, zeigen die beiden folgenden Beispiele, bei denen das implizite zweite Ereignis nicht die gleiche Sorte wie das vom Basisverb bezeichnete Ereignis aufweist, sich jedoch auf die gleiche Dimension (Lautstärke) bezieht. (10)
a. Sie überschrie den Wasserfall. b. Sie überschrie die Rede des Professors.
Daß das zweite Teilereignis sortengleich zum ersten ist, muß deshalb als Defaultannahme gesehen werden, die überschrieben wird, wenn für den Objektreferenten keine entsprechende Handlung angenommen werden kann. Notwendige Voraussetzung für die Anwendbarkeit des Skalierungspräfixes ist, daß sich beide Teilereignisse auf die gleiche Dimension beziehen lassen müssen. Das erklärt die Ungrammatikalität der beiden folgenden Sätze, in denen für die Objektreferenten keine akustische Dimension zugrundegelegt werden kann: (11)
a. § Sie überschrie die Lampe, b. § Sie überschrie den Tisch.
Obwohl die Bedeutung dieser Skalierungsverben leicht paraphrasiert werden kann, bereitet die Repräsentation dieser Verben einige Probleme, da zum einen eine komplexe Situation bezeichnet wird, die aus zwei Teilereignissen besteht, und zum anderen diese beiden Teilereignisse nur indirekt, nämlich über die darin involvierten Partizipanten angesprochen werden. Ich will jedoch nicht auf weitere Details eingehen; für einen Analysevorschlag verweise ich auf Risch (für Ereignisvergleich s. dort S. 83), auch wenn die dort vorgeschlagenen Repräsentationen teilweise problematisch sind. 6
5.2 Verbzusätze als Aspekt-/Aktionsartoperatoren In diesem Abschnitt diskutiere ich ausschließlich solche Verbzusätze, die keinerlei Effekt auf die Argumentstruktur des Basisverbs haben, sondern nur dessen Aspekt und Aktionsart modifizieren. Damit ist natürlich nicht gesagt, daß nur diese Verbzusätze Aspekt oder Aktionsart des Basisverbs modifizieren; abgesehen von der reversativen Verwendung des Präfixes ent- (s. Kapitel 8) und einer an-Variante (s. 7.4.1) kann bei allen von mir untersuchten Verbzusätzen ein Effekt auf die aspektuelle oder aktionsartliche Information des Basisverbs verzeichnet werden, allerdings geht sie dort immer mit einer Veränderung der Argumentstruktur einher. Da die Aspekt- und Aktionsartoperatoren als einzige bezüglich einer Funktoranalyse unproblematisch sind, will ich sie an dieser Stelle diskutieren. Ich möchte jedoch einschränkend darauf hinweisen, daß Aspekt und Aktionsart komplexer Verben nicht eigentlicher Untersuchungsgegenstand der Arbeit sind, so daß hier keine 6
So wird in der Repräsentation von Risch die komplexe Situation nicht in zwei Teilereignisse aufgesplittet: Die vom Subjektreferenten ausgeführte Handlung wird nicht als eigenständiges Teilereignis aufgefaßt, sondern mit der Gesamtsituation gleichgesetzt. Ferner ist in dem Eintrag eigentlich eine explizite Einschränkung auf intransitive Basisverben erforderlich, da sich ansonsten die genannten Kompositionswidersprüche bei Funktionskomposition ergeben. Da eine Funktoranalyse jedoch nicht zwingend ist, könnte der Präfixeintrag auch als Adjunkt (über den Zwischenschritt der Argumenterweiterung) in das Basisverb integriert werden.
5. Generelle Typologie der Verbzusätze
71
theoretische Auseinandersetzung mit der Repräsentation und Analyse von Aspekt und Aktionsart geleistet werden kann. Deshalb will ich nur einige kurze Randbemerkungen zu diesem Fragenkomplex machen und es im wesentlichen bei der Illustrierung einiger Muster belassen, um einen exemplarischen Eindruck von den möglichen Modifikationen zu vermitteln. Da bei diesen Verben keine neuen Argumente eingeführt werden, muß der semantische Beitrag des Verbzusatzes nicht unbedingt auf der SF kodiert werden. Ich gehe davon aus, daß Aspekt- und Phasenaktionsartmarkierungen eine neue Situation relativ zu der des Basisverbs einführen. 7 Dies kann beispielsweise durch die Integration einer entsprechenden Relation in die Basisverb-SF repräsentiert werden. In (12) ist ein beispielhafter Eintrag für einen Verbzusatz, der eine aspektuelle Modifikation vornimmt, aufgeführt, wobei ASP für die vom Verbzusatz eingeführte Information steht. Der Verbzusatz ist hier ein Funktor über dem Basisverb, die Argumente des Basisverbs werden bei der Funktionskomposition an das abgeleitete Verb weitergereicht. (12)
λΡ [ + Γ ε 1 > _ d e p ] Xs' Bs [ASP(S)(S') & P(s)]
Ein Problem dieser Darstellung liegt darin, daß die dem Verb zugrundeliegende aspektuelle bzw. aktionsartliche Information hier noch nicht erfaßt ist, sondern entweder separat kodiert oder anderweitig erschlossen werden muß. Somit ist auch das Ergebnis der Aspektkomposition noch nicht dargestellt. Die Ereignisstruktur der Verben läßt sich partiell aus der Dekompositionsstruktur der Verben ableiten. Partiell deshalb, weil die Aspektkomposition die Referenten der Verbargumente und die Interaktion mit Adverbien berücksichtigen muß (Verkuyl 1972, 1993; Krifka 1989, Naumann 1992). Kaufmann (1995a:Kapitel 11) zeigt ausschnittweise, wie sich die Ereignisstruktur einiger exemplarischer Verben aus der Charakterisierung der Dekompositionsprädikate und ihrer Verknüpfung ablesen läßt. Will man die Ereignisstruktur der Verben separat repräsentieren, kann man auf den Vorschlag von Wunderlich (1992/1994a) zurückgreifen, der die Ereignisstruktur als Indexstruktur auf dem Situationsargument kodiert. So bezeichnet ζ. B. eine komplexe Situation, die aus einem Prozeß (P) mit anschließendem Übergang (T) besteht: 8 (13)
reifen: λχ λ 8 < ρ · τ > BECOME(RElF(x))(s)
Sofern die vom Verb geleistete Spezifizierung der Ereignisstruktur nicht aus der Dekompositionsstruktur abgeleitet werden kann, ist eine zusätzliche Repräsentation der Ereignisstruktur als Index auf dem Situationsargument nicht redundant. Dies ist ζ. B. der Fall, wenn die zeitliche Strukturierung der Teilereignisse nicht aus der Dekompositionsstruktur erschlossen werden kann, da jene nur bedingt zeitlich organisiert ist (ζ. B. bei Operatoren wie BECOME).
In (14) ist andeutungsweise skizziert, wie die Aspektkomposition aussehen kann, wenn man die Situationsvariablen mit der entsprechenden aspektuellen Information versieht. Bei der Funktionskomposition wird die aspektuelle Information e des Basisverbs mit der aspektuellen Information des Verbzusatzes asp über einen Kompositionsmechanismus Θ
7
°
Diese Anregung verdanke ich Dieter Wunderlich. Die Terminologie ist von Pustejovsky (1992) übernommen worden.
72
5. Generelle
Typologie
der
Verbzusätze
verknüpft, so daß man das Resultat in (14b) erhält. Voraussetzung für diese Komposition ist die Beziehung zwischen den beiden Situationen durch die Relation ASP auf der SF. (14)
a. λΡ [+Γβ1) b.
Xs'
3 s (ASP(s)(s') & VERB(s))
Wie der Kompositionsmechanismus Θ konkret auszusehen hat, muß noch geklärt werden. Er sollte auf jeden Fall garantieren, daß nur kompatible Information zusammengebracht werden kann, was durch einen Unifikationsmechanismus mit einer geeigneten Kodierung der aspektuellen oder aktionsartlichen Information über Merkmale sichergestellt werden könnte (s. als Analogie die Analyse der Kongruenz in Wunderlich (1994b)). Man muß überdies ein Verfahren finden, das die Information, die die Referenten der Verbargumente und Adverbien zur Ereignisstruktur des Verbs beitragen, in einer geeigneten Form aufsammelt, da Aspekt und Aktionsart eines Verbs multifaktoriell bestimmt sind und deshalb kompositional hergeleitet werden müssen (Naumann 1992, Mori i. V.). Wie bereits gesagt, möchte ich hier nicht auf alternative Ansätze (s. Diskussion in Naumann und Mori) eingehen. Die in (12) und (14) gemachten Vorschläge stellen nur einen Versuch dar, meine Analysen und Repräsentationen mit einem Repräsentationsformat für Aspekt und Aktionsart zu verknüpfen.
5.2.1 Ingressiv-Markierungen Das Deutsche hat mittels der Verbzusätze ein komplexes System der Phasenaktionsartmarkierungen entwickelt, wobei besonders viele Verbzusätze auf die Anfangsphase Bezug nehmen (s. auch Storch 1978). Solche Verbzusätze möchte ich generell als Ingressivmarkierungen bezeichnen, den Begriff der Inchoativmarkierung möchte ich für solche Fälle reservieren, in denen ein Wechsel in den vom Basisverb bezeichneten Zustand/Prozeß erfolgt. Die Wechselwirkungen und Interdependenzen der Ingressivmarkierungen kann ich in dieser Arbeit nicht ausführlicher aufzeigen. Ich werde hier nur auf die von mir untersuchten Verbzusätze eingehen und die Partikeln los und ein unberücksichtigt lassen. 9 Einschränkend sei auch gesagt, daß die hier verwendeten Begriffe Ingressiv und Inchoativ noch zu unpräzise sind, um die Bedeutungsunterschiede zwischen den einzelnen Verbzusätzen zu erfassen. Kennzeichen aller ingressiven Verbzusätze ist, daß sie - grob gesagt - an solche Verben treten, die (un-)kontrollierte "intern verursachte" Prozesse gemäß der Terminologie von Levin/Rappaport Hovav (1995) bezeichnen. Beginnen möchte ich mit den relativ unproduktiven und heterogenen Verwendungen von er- als Ingressiv-Markierung (er2). Zu den Basisverben dieses Musters gehören vornehmlich Verben, die die Aussendung von akustischen oder optischen Signalen bezeichnen 9
Auf die Präfixverben mit ent-, in denen das Präfix das Eintreten eines Prozesses anzeigt, möchte ich nicht eingehen, da diese Präfixverwendung absolut unproduktiv ist (entschlafen, entbrennen, entschlummern ...) und auf den Zusammenfall des im Gotischen noch existierenden Präfixes in- mit anderen Präfixen in ent- zurückzuführen ist. Dies ist im heutigen Deutsch allerdings nicht mehr erkennbar; die Funktion dieses Präfixes ist ζ. T. von der Partikel ein (einschlafen) übernommen worden. Ebenfalls unberücksichtigt lassen werde ich an als Ingressivmarkierung bei Bewegungsverben (anfahren, angaloppieren, antraben, anlaufen, anrollen), da dieses Muster nicht produktiv ist (Stiebeis 1991: 85). Bemerkenswert ist bei dieser Partikelverwendung die Tatsache, daß direktionale PP-Komplemente nicht realisiert werden können (§ in das Stadion anlaufen), da sie mit der ingressiven Lesart inkompatibel sind.
5. Generelle Typologie der Verbzusätze
73
(erschimmern, erglänzen, erstrahlen, erglühen, erdröhnen, erschallen, erklingen, erkrachen ...); darüber hinaus stellen erblühen, erbeben und erzittern weitere Bildungen dar. Das Präfix verb bezeichnet hier zumeist das plötzliche Eintreten des vom Basis verb ausgedrückten Zustandes, allerdings nicht generell den Wechsel in einen vom Basisverb denotierten Nachzustand - im Gegensatz zu den deadjektivischen Präfixverben mit er-, die eine eindeutig inchoative Lesart erhalten (s. Kapitel 9). Die Basisverben zeichnen sich dadurch aus, daß sie unabhängig einsetzende Prozesse bezeichnen. Das von den er-Verben bezeichnete spontane Auftreten eines Ereignisses manifestiert sich bei den meisten dieser er-Verben auch in der Unverträglichkeit mit Adverbien wie allmählich oder nach und nach (Storch). Abhängig vom Basisverb erhält das Präfix eine unterschiedliche Interpretation: Bei Basisverben, die kontinuierliche Prozesse oder längerfristig gültige Zustände bezeichnen, denotiert das Präfix den Wechsel in diesen Prozeß oder Zustand (erblühen, erglühen)·, bei Basisverben, die nur punktuelle Ereignisse (erbeben, erzittern) oder kurz andauernde Zustände ausdrücken (erschallen, erklingen), wird nur ein kurzes, momentanes Auftreten des Ereignisses oder Zustandes durch das Präfix angezeigt. So kann erbeben niemals die Interpretation haben, daß ein Wechsel in einen Dauerzustand des Bebens erfolgt. Der Unterschied zwischen diesen Verben wird auch im Test mit Zeitadverbialen reflektiert: Während die Basisverben nur Zeitdauer-Adverbiale zulassen - Zeitrahmenadverbiale sind in nicht-deiktischer Lesart inakzeptabel (s. (15a/c)) - erlaubt ein er-Verb der ersten Klasse (erblühen) ein Zeitrahmenadverbial, aber kein Zeitdaueradverbial in nicht-iterativer Lesart (s. (15b)). 10 Bei Verben der zweiten Klasse sind Zeitrahmenadverbiale beim präfigierten Verb ausgeschlossen (s. (15d)). (15)
a. b. c. d.
Die Die Die Die
Rosen blühen drei Tage lang/§ in drei Tagen. Rosen erblühen in einer Stunde/§ eine Stunde lang. Erde bebt drei Minuten lang/§ in drei Minuten. Erde erbebt § drei Minuten lang/§ in drei Minuten.
Dieser Akzeptabilitätsunterschied ist pragmatischer Natur: Nur Prozesse, die einen kontinuierlichen, ausgedehnten Wandel von einem Vorzustand in einen Nachzustand bezeichnen, sind plausibel in bezug auf ein Zeitrahmenadverbial interpretierbar, da die angedeutete Entwicklung ausgemessen werden kann; bei punktuellen Ereignissen gibt es nur ein spontanes Einsetzen, das nicht ausgemessen werden kann. Mir erscheint es allerdings wenig plausibel, die Ambiguität des Präfixes durch Mehreinträge zu erfassen, da sie sich immer in Interaktion mit dem Basisverb ergibt. Es ist meiner Meinung nach im Eintrag für er- offen gelassen, inwieweit der vom Basisverb angesprochene Zustand oder Prozeß in einer abgeschlossenen Phase liegt. Der Wechsel der Aktionsart korreliert mit der veränderten Wahl des Perfekt-Auxiliars: Präfixverben dieser Gruppe nehmen alle das sem-Auxiliar im Perfekt, die entsprechenden Basisverben häufig haben (s. (16a/b)). Problematisch ist bei einigen Verben allerdings, daß man in jedem Fall das sem-Auxiliar wählen würde, obwohl das Perfekt hier nicht bildbar ist, da mit der Perfektform des Verbs kein plausibler Nachzustand ausgedrückt werden kann
Mit nicht-deiktischer Lesart ist die Interpretation von Zeitangaben wie in einer Stunde als Verweis auf den Beginn eines Ereignisses, das im angegebenen Zeitraum nach der Sprechzeit eintritt, gemeint.
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5. Generelle Typologie der Verbzusätze
(s. (16c)). 11 Die Intuition für die Auxiliarwahl dieser Verben kann ich auf dieser kleinen Datenbasis nicht überzeugend motivieren. Der Akzeptabilitätsunterschied zwischen (16d) und (16e) erklärt sich dadurch, daß der Vollzug einer emotionalen Äußerung wie in (16d) keinen klar spezifizierten Nachzustand hat, während eine sprachliche Äußerung wie in (16e) (hier eine Parole) bezogen auf ihren Inhalt zum Wissensgut einer kleineren oder grösseren Gruppe werden kann. (16)
a. b. c. d. e.
Der Stern hat geglüht/ist erglüht. Die Rose hat geblüht/ist erblüht. Die Erde § ist/§ hat erbebt. § Gelächter ist erschollen Der Ruf nach Freiheit ist erschollen.
In früheren Sprachstadien war dieses er-Muster weitaus produktiver (Wilmanns 1896, 11:152 f.); die meisten Verben sind jedoch wieder aus dem Verbbestand verschwunden: (17)
a. Gotisch: us-saihan 'sehend werden', us-flaugjan 'auffliegen machen', ur-raisjan 'aufstehen machen', us-wagjan 'in Bewegung setzen', us-wakjan 'aufwecken' b. Ahdt.: irbelgan 'zornig werden', irscellan 'erschallen', irscutten 'erschüttern'... c. Mhdt.: erbrimmen 'zu brummen anfangen', ergischen 'aufschäumen', erlachen 'zu lachen anfangen', ersläfen 'einschlafen', erstinken 'in Fäulnis übergehen', erswitzen 'in Schweiß geraten', erswingen 'schwingend in Bewegung setzen'...
Aus der Zahl der aufgeführten Belege bei Wilmanns kann man den Schluß ziehen, daß erin dieser Funktion im Mittelhochdeutschen am produktivsten war und danach von der konkurrierenden Partikel auf (s. u.) und anderen verdrängt worden ist. Außerdem war die Bedeutung des Präfixes hier noch eine andere, da bei diesen Verben der Eintritt und Wechsel in einen bestimmten Zustand ausgedrückt wurde, also kann man er- hier durchaus noch als Inchoativmarkierung ansehen. Die Heterogenität des ingressiven er- deutet darauf hin, daß es dabei ist, die Funktion der Ingressivmarkierung zu verlieren. Repräsentiert werden könnte diese Verwendung von er- tentativ mit der Relation lNGR(s)(s') ("s' ist der Anfang von s"). Weitaus produktivere Instanzen von ingressiven Verben stellen die Partikelverben mit auf (aufe) dar. Hier finden sich weitaus mehr Belege (auflachen, aufschreien, aufblitzen, aufheulen ...), Neubildungen sind durchaus denkbar (aufjodeln). auf kann genauso wie er- bei Verben, die die Aussendung von akustischen oder optischen Signalen ausdrücken, auftreten, daneben aber auch mit agentiven Verben, die die Äußerung von Emotionen bezeichnen. Deshalb existieren teilweise parallele Formen bei er- und auf (er-/auf-blühen, er-/aufstrahlen, er-/auf-glänzen, er-/auf-glimmen ...), die sich allerdings entweder durch unterschiedliche sortale Anforderungen (s. (18)) oder einen unterschiedlichen Lexikalisierungsgrad (erscheinen vs. aufscheinen) voneinander abgrenzen: (18)
11
a. Die Rose erblüht/blüht auf. b. Die Knospe ? erblüht/blüht auf.
Im Falle von erbeben kann ein Nachzustand konstruiert werden, der auf die aus dem Beben resultie-
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In (18) steuert auf zudem noch eine lokale Bedeutungsnuance bei, nämlich daß sich die Blüte öffnet. Falls andere Basisverben gleichfalls lokale Spezifikationen zulassen, werden sie durch auf geleistet (ζ. B. aufschäumen). Die wachsende Zahl der auf- Verben und die Tatsache, daß auf in der Klasse der Basisverben auch die Menge der Kandidaten für er- enthält, deutet darauf hin, daß auf er- in der Funktion als Ingressivmarkierung immer mehr verdrängt. Bestätigt wird dies auch durch die eindeutige Präferenz für auf in Fällen, in denen beide Verbzusätze eigentlich akzeptabel sein sollten - zumindest wenn man davon ausgeht, daß auch er- punktuelle Verben zuläßt: (19)
a. aufblinken vs. § erblinken b. aufblitzen vs. § erblitzen
Ein wichtiger Unterschied besteht zwischen beiden Verbzusätzen in der (Nicht-) Zulässigkeit agentiver Basisverben und somit dem Auftreten von belebten Subjektreferenten; erzittern und erglühen (in metaphorischer Verwendung) sind die einzigen er-Verben mit belebten Subjektreferenten. Überdies ist die Menge punktueller Basisverben bei GM/viel größer. Der zentrale Unterschied liegt jedoch in der Semantik beider Verbzusätze: auf bezeichnet nämlich in jedem Fall eine geschlossene Phase, in der der vom Basisverb bezeichnete Zustand/Prozeß gültig ist, während dies bei er- offen gelassen ist. So muß man sich ein Verb wie auflachen dreiphasig denken: eine Phase des Nicht-Lachens gefolgt von der eigentlichen Phase des Lachens, an die sich wiederum eine Phase des Nicht-Lachens anschließt. Aufgrund der Abgeschlossenheit des Intervalls bei den auf-Verben ist der Begriff der Ingressivmarkierung etwas unglücklich, auf führt eine neue Situation s' mit der Interpretation "s1 ist ein punktuelles Vorkommen von s" ein. Die Abgeschlossenheit der Phase kann dann auch der Grund sein, warum bei den ingressiven auf-Verben in den allermeisten Fällen kein Auxiliarwechsel eintritt (s. (20)) 12 , was auf einen von er- abweichenden Lexikoneintrag hindeutet. (20)
a. Sie hat geschrien/gelacht. b. Sie hat/§ ist aufgeschrien/aufgelacht.
Eine Restriktion, die sich aus der Dreiphasigkeit von auf ergibt, ist die, daß nur solche Verben als Basen zugelassen sind, bei denen die vom Basisverb denotierten Prozesse plausibel auf einen Punkt kontrahiert werden können (§ aufsingen, § auftanzen, § aufarbeiten). Für die Auxiliarwahl (bzw. den Auxiliarwechsel) einschlägig ist die Unakkusativ/Unergativ-Diskussion (s. u. a. Perlmutter 1978; Rosen 1984; Wunderlich 1985; Burzio 1986; Grimshaw 1987; Hoekstra 1988; Grewendorf 1989; Levin/Rappaport 1988, 1989; Levin/Rappaport Hovav 1992b, 1995). Die Wahl des Perfektauxiliars ist bislang als ein rende Zerstörung Bezug nimmt. Im Duden (1989) werden einige ingressive a«/-Verben mit sem-Auxiliar angeführt: aufglimmen, aufklingen, aufscheinen, aufglühen und aufschimmern changieren zwischen sein- und haben-Amüw. Die Paraphrasierung der Verben im Lexikon deutet in diesen Fällen dann an, daß die Verben auch inchoativ verstanden werden können, was für mich persönlich nur schwer nachvollziehbar ist. Durch die inchoative Lesart ist allerdings das iem-Auxiliar gerechtfertigt. Sofern auf auch lokal interpretiert werden kann und einen Nachzustand bezeichnet, ist sein als Auxiliar gerechtfertigt und möglich: die Milch ist aufgeschäumt.
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zentraler Indikator für die Einstufung eines Verbs als unakkusativ/unergativ herangezogen worden; Kaufmann (1995a) hat jedoch argumentiert, daß die Auxiliarwahl kein verläßliches Kriterium ist, sondern eher anzeigt, inwieweit ein prädizierbarer Nachzustand vorliegt. Da der Auxiliarwechsel bei den er-Verben (und auch bei den egressiven ver-Verben; s. 5.2.2) mit einem Wechsel in Aspekt/Aktionsart einhergeht, muß dies ein relevanter Faktor bei der Wahl des Auxiliars sein. Daß dieser Wechsel bei den auf-Verben in den meisten Fällen nicht erfolgt, deutet darauf hin, daß die Partikel keinen prädizierbaren Nachzustand in die SF des Basisverbs einführt, sondern eine geschlossene Phase bezeichnet, an die sich kein spezifizierter Nachzustand anschließt, über den prädiziert werden kann, da die Basisverbprädikate unter die optionalen Prädikate fallen (s. Kaufmann 1995a). Bei er- wird dagegen nicht notwendigerweise eine abgeschlossene Phase angezeigt, sondern diese ergibt sich allenfalls in Interaktion mit der Bedeutung des Basisverbs. Warum die er-Verben allerdings trotz eines teilweise fehlenden prädizierbaren Nachzustands das Auxiliar sein nehmen würden, muß vorerst unklar bleiben. Für die Unakkusativ/Unergativ-Debatte bedeuten diese Daten, daß syntaktisch orientierte Ansätze (ζ. B. Burzio, Grewendorf, Hoekstra, Levin/Rappaport) zu höchst fragwürdigen Erklärungen kommen, wenn sie die Auxiliarwahl als ein relevantes Kriterium ansehen und die Unterscheidung zwischen den beiden Verbklassen über entsprechende D-StrukturKonfigurationen (bzw. extern-/intern-Unterscheidung bei Levin/ Rappaport) ableiten: Für die hier angeführten Daten müßten diese Ansätze nämlich einen Wechsel der thematischen Eigenschaften des Subjektreferenten diagnostizieren, was für Beispiele wie (16a/b) schwer nachzuvollziehen ist, und eine Internalisierung des externen Arguments des Basisverbs ansetzen (also Bewegung in die Objektposition), das anschließend in die Subjektposition zu bewegen wäre. Die Präfigierung oder Partikelhinzufügung dürfte dann allerdings nicht in der Syntax erfolgen, da die angedeuteten Bewegungen nach den gängigen Prinzipien {Move-α, Empty Category Principle) völlig ausgeschlossen sind. Die Internalisierung eines Arguments erscheint jedoch stipuliert angesichts der Tatsache, daß kein sichtbar ranghöheres Argument eingeführt wird, das die Internalisierung eines anderen Arguments bewirken kann.
5.2.2 Egressiv-Markierungen Als Gegenstück zu den Ingressivmarkierungen wird durch das Präfix ver- (verη) die Terminierung eines vom Basisverb bezeichneten Zustands/Prozesses zum Ausdruck gebracht, was ich mit dem Begriff der Egressivmarkierung erfassen möchte, ver- führt demnach eine neue Situation s' mit der Interpretation "s' ist das Ende von s" ein. Als Basisverben kommen solche Verben in Frage, die einen Prozeß bezeichnen, bei dem eine natürliche, selbständige Entwicklung in einen Nachzustand gegeben ist; das Präfix steuert hier somit nur eine Explizierung der Prozeßterminierung bei. Darunter fallen insbesondere Verben wie verblühen, verhallen, verklingen, verglimmen ..., die ein Pendant bei den Präfixverben mit er- haben, die das Einsetzen bzw. punktuelle Auftreten des entsprechenden Prozesses bezeichnen. Die Basisverben der ver-Verben wie verbraten, verbrennen, verbrutzeln, verkochen ... bezeichnen Prozesse, die von außen initiiert werden müssen, aber aufgrund der durch den Prozeß bewirkten stofflichen Veränderung des Subjektreferenten eine Terminierung erfahren. Diese Verben legen dann in ihrer Interpretation einen Resul-
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tatszustand nahe, bei dem der Subjektreferent beschädigt, angegriffen oder zerstört ist. Diese negative Konnotation muß jedoch nicht unbedingt in der SF der Verben kodiert werden, sondern ergibt sich aus der Tatsache, daß derartige Resultate aufgrund des allgemeinen enzyklopädischen Wissens negativ bewertet werden. Die Modifikation hinsichtlich der Aktionsart schlägt sich auch hier in der Auxiliarwahl nieder: Während die Basisverben als Perfektauxiliar haben wählen, treten die abgeleiteten ver-Verben mit sein auf. Damit wird das Vorliegen eines prädizierbaren Nachzustandes angezeigt. Bestätigt wird dies ebenfalls durch den Test mit Zeitadverbialen: Zeitdaueradverbiale sind nur mit den Basisverben kombinierbar, Zeitrahmenadverbiale dagegen nur mit den Präfixverben. (21)
a. b.
Die Blumen blühten drei Tange lang/* in drei Tagen, Die Blumen verblühten in einem Tag/* drei Tage lang.
Der Eintrag für ver- könnte zumindest für Verben wie verglühen als SF-Operator formuliert werden, wobei mit Funktionskomposition dann sämtliche Argumente des Basisverbs (inkl. Situationsargument) vererbt werden: (22)
ver-·.
λΡ[ + Γ ε 1 ) . d e p ] Xs' 3s BECOME(—ι P(s))(s')
BECOME-NEG-V ist aber nur dann als Präfixeintrag angemessen, wenn die Wahrheitsbedingungen für BECOME so formuliert werden, daß kein scharfer Ubergang vom Vorzustand in den Nachzustand gefordert ist, d. h. daß die Verben sehr wohl noch eine Situation bezeichnen dürfen, in der der vom Basisverb denotierte Vorzustand für einen begrenzten Zeitraum Gültigkeit besitzt. In der Interpretation der Egressiv-Verben sind ausgedehnte Übergänge möglich. Da man jedoch Verben wie verbrennen nicht über einen BECOME-NEG-P-Eintrag ableiten kann, sollte man die Beziehung zwischen Basisverb und Präfixverb mit einer anderen Relation erfassen. Als eine weitere Beobachtung möchte ich die Asymmetrie von Ingressiv- und Egressivmarkierungen anführen. Während das Deutsche über ein komplexes System relativ unspezifischer Ingressivmarkierungen verfügt, ist die Zahl unspezifischer Egressivmarkierungen äußerst gering. Neben ver- kann man noch vereinzelte Belege bei auf (ζ. B. den Braten aufessen) und aus (ζ. B. den Wein austrinken) aufführen. 13 Der Grund dafür liegt wahrscheinlich in der Präferenz, über die Verbzusätze spezifischere Resultatseinträge zu integrieren, die dabei inhärent eine Prozeßterminierung signalisieren. A u f derartige Verbzusatzverwendungen werde ich vor allem in Kapitel 7 eingehen.
Interessant ist die Ambivalenz von auf als Ingressiv- und Egressivmarkierung. Da auf als Egressivmarkierung aber eher unproduktiv ist und bei anderen Basisverben auftritt, kann ein α«/-Verb niemals ambig sein.
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5.2.3 Partialmarkierung an Von den in dieser Arbeit betrachteten Verbzusätzen weist an (an5) das produktivste Phasenaktionsartmuster auf. Durch diese Partikel wird angezeigt, daß die vom Basisverb bezeichnete Handlung bis zu einem gewissen Grad - jedoch nicht vollständig - ausgeführt wird. Hier einige Beispiele: (23)
a. Er brät das Schnitzel an. b. Sie liest den Aufsatz an. c. Sie spielt die Mondscheinsonate an.
Bei allen Verben kommt explizit zum Ausdruck, daß die Handlung nicht abgeschlossen wurde; dies ist Teil der Wahrheitsbedingungen für die obigen Sätze. Ich möchte für diese Partikelverwendung den Begriff der Partialmarkierung gebrauchen. Die Partialmarkierung ist nur auf Basisverben anwendbar, die inkrementelle oder dekrementelle Prozesse bezeichnen, so daß ein vorzeitiger Abbruch, wie er hier von an signalisiert wird, plausibel ist. Auffallend ist, daß die meisten Basisverben ein PP-Komplement mit an als Progressivmarkierung zu sich nehmen können, wobei diese Gruppe untergliedert werden kann in Verben, bei denen die Präposition an in der Basisstruktur zusätzlich ein räumliches Verhältnis ausdrückt (anbohren, anhauen, anknabbern, anlecken, annagen,...; s. (24a)) 14 , und in Verben, bei denen an beim Basisverb rein als Progressivmarkierung fungiert (drucken, lesen, singen, trinken,...; s. (24c)). (24)
a. b. c. d.
Die Maus knabbert an dem Apfel. Die Maus knabbert den Apfel an. Martina und Willi spielen an der Haydn-Sonate. Martina und Willi spielen die Haydn-Sonate an.
Die Progressivmarkierung ist ausführlich von Filip (1989) beschrieben worden. Die PP mit an steht in systematischer Beziehung zu der unmarkierten Realisierung eines internen Verbarguments im Akkusativ und legt die temporale Referenz des Verbs fest (s. (25a/b)). Die Progressivmarkierung expliziert, daß die vom Verb bezeichnete Handlung nicht abgeschlossen ist. (25)
a. Alex baut ein Haus. b. Alex baut an einem Haus.
Die Progressivmarkierung kann nur an telische Prädikate treten, so daß Activity- Verben und Zustandsverben als Basen ausgeschlossen sind: (26)
a. § Harald streichelte an einem Hund, b. § Jim hat an einem Haus.
Die möglichen Basen sind darüber hinaus auf Verben mit inkrementellem Thema eingeschränkt, so daß auch Achievement-^erben herausfallen (s. (27c)). Diese Verben entsprechen weitgehend der englischen "Konativstruktur" (Paul hit the fence —> Paula hit at the fence; (Levin 1993:41 ff.)).
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a. Albert trank an einem Glas Wein. b. Tahar strickte an einer Jacke. c. § Sie entdeckte an einem Schatz.
Schließlich ist bei der Progressivmarkierung gefordert, daß der Subjektreferent die Situation kontrolliert. Deshalb sind Sätze mit unbelebten Subjektreferenten unzulässig: (28)
a. § Die elektrische Mühle mahlte an den Kaffeebohnen, b. § Die Sonne trocknete an der Wäsche.
Daß die an-Verben allerdings keine Paraphrasen zu den Basisverben mit Progressivmarkierung sind, zeigt die Kombination mit durativen Zeitadverbien: 15 Während die Sätze in (29a/c) eine kontinuierlich ausgeführte Tätigkeit bezeichnen, können die Sätze in (29b/d) nur eine iterative Lesart haben, da an hier jeweils eine abgeschlossene Phase markiert, in (29a/c) hingegen eine offene Phase mit einer bestimmten zeitlichen Ausdehnung. Die aktionsartliche Interpretation ist auch hier noch vom Objektreferenten abhängig: Bei bloßen Pluralformen stellt sich eine iterative Lesart ein, die bei einer singularischen NP nicht auftritt (s. (29e)). (29)
a. b. c. d. e.
Das Kind leckt die ganze Zeit an seinem Eis. Das Kind leckt die ganze Zeit das Eis an. Ich lese den ganzen Tag an seinem Aufsatz. Ich lese den ganzen Tag seinen Aufsatz an. Sie knabbert den Apfel/Äpfel an.
Wie bereits gesagt, sind nur telische Prädikate als Basen zugelassen. Die Partialmarkierung kann allerdings keine prädikativen Argumente in ihren Skopus nehmen, so daß Verben, die nur mittels Realisierung einer direktionalen PP telisch werden, nicht mit dieser an-Variante kombiniert werden können. (30)
§ Sie sind in den Park angelaufen. [= sie sind nicht bis ganz in den Park gelaufen]
Die Unzugänglichkeit von prädikativen Argumenten kann auch bei anderen Verbzusätzen beobachtet werden (s. reversatives ent-, Kapitel 8). Eine weitere wichtige Beobachtung ist die, daß sich die Partialität immer auf das Ereignis bezieht ("Ereignisquantifizierung"). Für die iterative Lesart, die durch bloße Plural-NPs induziert wird, bedeutet das, daß sich ein Satz wie (31a) immer nur auf die nicht-vollständige Durchführung der bezeichneten Teilereignisse wie in (31b) beziehen kann, nicht aber auf die Quantifizierung der Argumentreferenten; die Lesart (31c) ist deshalb ausgeschlossen. (31)
a. Sie lesen Bücher an. b. 'Sie lesen die Bücher nicht vollständig.' c. 'Sie lesen nicht alle Bücher.'
Weitere Unterschiede zwischen der Partial- und der Progressivmarkierung sind in Stiebeis (1991) diskutiert.
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Außerdem ist zu beobachten, daß das Adverb fast hier nur weiten Skopus über dem gesamten Verb haben kann, so daß das Partikelverb für das Adverb genauso intransparent ist wie das entsprechende Basisverb: (32)
Sie haben das Lied fast angesungen. => Sie haben das Lied nicht gesungen.
fast kann in keinem Fall Skopus über der Partialinformation haben, so daß das Verb ansingen ('nicht vollständig singen') in der Kombination mit fast nicht die Interpretation 'fast nicht vollständig singen' erhalten kann. Diese Interpretation würde implizieren, daß die Handlung vollständig ausgeführt worden ist, im Gegensatz zu der durch an angezeigten Partialität. Die vom αη-Verb bezeichnete Situation wird also als vollständig homogen aufgefaßt, auch wenn Unterbrechungen durchaus möglich sind, sofern sie die Kohärenz der Handlung nicht entscheidend beeinträchtigen: (33)
Ich habe gestern deinen Aufsatz angelesen, obwohl ich mehrmals durch Telefonanrufe gestört wurde.
Weiteres Kennzeichen dieser an-Verben ist die Obligatheit des direkten internen Arguments (s. (34)), was auf den aktionsartlichen Charakter der Verben zurückzuführen ist. Ohne Objekt fallen die Basisverben unter die Activity-Verben und sind somit atelisch. 16 Die Partial-Lesart kann aber nur über ein konkretes Objekt, das graduell von der Verbhandlung erfaßt wird, etabliert werden, weil allein bezogen auf eine erschließbare Terminierung des Vorgangs die Partialität der Durchführung bewertet werden kann. (34)
a. Sie lesen (den Roman). b. Sie lesen *(den Roman) an.
Wie bereits angedeutet, kommen als Basisverben vor allem telische inkrementelle und dekrementeile Verben in Frage. Allerdings kann in einigen Fällen die Partial-Lesart durch die präferente lokale blockiert werden: (35)
a. Sie baut das Haus an. b. Er häkelt die Decke an.
(35a) und (35b) können nur bedeuten, daß das Denotat des direkten Objekts in der Nähe eines nicht weiter spezifizierten Relatums lokalisiert wird. Dieses Faktum spricht nicht gegen eine Systematisierbarkeit der Klasse der Basisverben, sondern muß mit Prinzipien, die die Blockierung oder die Präferenz bestimmter Interpretationen steuern, erklärt werden. In einer ganzen Reihe von Basisverben ist die graduelle Affizierung des Objekts nicht bereits in ihrer SF kodiert, sondern muß konzeptuell hergeleitet werden. Wenn diese Herleitung möglich ist, können auch Bildungen akzeptiert werden, deren Basisverben nicht unbedingt auf den ersten Blick als potentielle Kandidaten eingestuft werden: Ein Satz wie (36a) ist möglich, obwohl diskutieren eher eine unspezifische und ungerichtete Tätigkeit Zwar sind diese Verben auch atelisch, wenn als direktes Objekt ein indefinites pluralisches Nomen auftritt ( Ä p f e l essen), jedoch bezieht sich die Atelizität nur auf den gesamten Prozeß. Der Prozeß an sich konstituiert sich aus mehreren abgeschlossenen Teilereignissen, auf die die Partialmarkierung Bezug nehmen kann.
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bezeichnet; da ein Problem mehrere Aspekte umfassen kann, ist es durchaus denkbar, daß eine Diskussion nur einige Teile davon berührt. Hier wird die Partial-Lesart also inbesondere durch die mögliche Distribuierbarkeit bzw. Ausdehnung des Objektreferenten gestützt. Nicht möglich sind jedoch Sätze wie (36b/c). (36c) dürfte eher aus Plausiblitätsgründen inakzeptabel sein: Da ein Aufsatz erst durch den Schreibvorgang produziert werden muß und somit sein Umfang und sein Inhalt meist nicht exakt vorab bekannt sind, erscheint die nicht-vollständige Durchführung des Schreibprozesses funktional wenig plausibel, da hier unterstellt wird, daß es im Plan der Schreiberin lag, den Aufsatz nur in Teilen fertigzustellen. (36b) ist inakzeptabel, da jagen nicht als telisches Verb reanalysiert werden kann, auch wenn das Fangen der Maus ein mögliches Resultat darstellt. Bei atelischen Prädikaten kann jedoch die Partialität der Durchführung nicht ausgemessen werden. (36)
a. Sie diskutierten das Problem an. b. ?? Die Katze jagt die Maus an. c. ?? Sie schreibt den Aufsatz an.
Ein weiterer wichtiger Faktor für die Akzeptabilität von Neubildungen ist das Vorliegen einer äußeren Kontrolle, die den Prozeß vor dem eigentlichen Abschluß terminiert. Intransitive Verben bezeichnen meistens Prozesse, die keiner äußeren Kontrolle unterliegen und nur eine Terminierung erfahren, wenn der Subjektreferent im Laufe der Entwicklung prozeßrelevante Eigenschaften verliert. Deshalb kommen diese Verben nur in restringierten Kontexten als Basisverben in Frage. Beide Aspekte werden in den folgenden Beispielen deutlich. Bei bestimmten Materialien kann der Schmelzvorgang kontrolliert werden, so daß der Satz (37a) bedingt akzeptabel ist, wenn der bezeichnete Vorgang abgebrochen werden kann. Diese Kontrolle können meistens nur menschliche oder belebte Subjektreferenten ausüben, so daß (37b) als leicht abweichend empfunden wird, (37c) dagegen nicht. (37)
a. Du kannst jetzt das Wachs anschmelzen. b. ? Die Sonne taut den Schnee an c. Er taute die gefrorenen Lebensmittel an.
Sätze mit intransitiven Verben (38a/b/d-g) und transitiven Verben mit unbelebtem Subjektreferenten werden nur akzeptiert, wenn die Bewertung eines vorliegenden Zustands vorgenommen wird (ζ. B. im Perfekt). Hier wird dann der momentane Zustand bewertet hinsichtlich des möglichen Grades an Affiziertheit durch den vom Basisverb denotierten Prozeß. Weiteres Charakteristikum der von intransitiven Verben denotierten Prozesse ist die Eigenschaft, vor allem solche Vorgänge zu bezeichnen (ζ. B. tauen), die sich von der Perzeption her in ihrem zeitlichen Verlauf schlecht in einzelne Abschnitte zerlegen bzw. strukturieren lassen. Deshalb kann während des eigentlichen Vorgangs kaum ein Abschnitt herausgegriffen werden, der ein echtes Teilintervall des gesamten Prozesses darstellt. Im Perfekt wird jedoch über den Nachzustand prädiziert, so daß der Entsprechungsgrad des vorliegenden Zustands in bezug auf den prototypischen Fall ausgemessen werden kann. So kann in den Beispielen (38d/e) genau bestimmt werden, wie eine völlige Affizierung des Subjektreferenten aussehen würde und daß diese im konkreten Fall nicht gegeben ist. Die Beispiele in (38f/g) sind etwas abweichender, da die Evaluation der Prozesse schwieriger ist und Aussagen über die Partialität der Entwicklung kaum relevant erscheinen.
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5. Generelle Typologie der Verbzusätze a. b. c. d. e. f. g.
§ Das Wachs schmilzt an. ? Das Wachs ist angeschmolzen. Die Sonne hat den Schnee angetaut. Das Fleisch aus der Kühltruhe ist angetaut. Das Schutzblech ist ziemlich angerostet. ? Die Bananen sind angereift. ? Die Rosen sind angewelkt.
Insgesamt kann diese an-Variante als eine Markierung angesehen werden, die eine Situation s' einführt, die als echter Ausschnitt der vom Basisverb bezeichneten Situation aufgefaßt werden kann. Die Art und Weise, wie die Verbzusätze Aspekt und Aktionsart eines Basisverbs modifizieren können, ist hier nur exemplarisch angedeutet worden und muß noch ausführlicher betrachtet werden, was ich jedoch im Rahmen dieser Arbeit nicht leisten kann. Ein interessanter Aspekt der hier angesprochenen Daten ist die Tatsache, daß sich auch bei der Bildung komplexer Verben in deutlicher Weise zeigt, wie die Argumentstruktur eines Verbs mit dessen Aspekt und Aktionsart interagiert. So verlangt die Partialmarkierung die Realisierung des internen Arguments als direktes Objekt, andere Verbzusätze (los, herum) dagegen blockieren aufgrund ihrer Semantik die Realisierung interner Argumente oder prädikativer Argumente (an in anlaufen·, s. Fußnote 9). Diese Restriktionen sind nicht direkt im Verbzusatz kodiert, sondern stellen Konsequenzen der Anforderungen für die aspektuelle oder aktionsartliche Interpretation dar. Die Interdependenz von Aspekt und Argumentstruktur zeigt sich auch dahingehend, daß der Aspekt des Verbs nicht vollständig durch die Präfigierung oder Partikelhinzufügung bestimmt ist, sondern immer noch in Abhängigkeit von Argumentreferenten variiert. Die aspektuelle Festlegung durch Verbzusätze ist somit immer nur partiell. In den beiden folgenden Kapiteln werde ich die Verbzusätze diskutieren, die in direkter Weise (d. h. über entsprechende SF-Einträge) Einfluß auf die Argumentstruktur des Basisverbs nehmen. Abgesehen vom reversativen ent- erfolgt auch bei diesen Verbzusätzen eine aspektuelle/aktionsartliche Modifikation, die zumeist in der Herleitung eines telischen Verbs besteht.
6. Verbzusätze als lexikalische Argumente
Mit dem Begriff des lexikalischen Arguments erfasse ich solche Verbzusatzverwendungen, bei denen der Verbzusatz eine Argumentposition des Basisverbs einnimmt. 1 Da die Argumentsättigung gemäß der dabei anzunehmenden Operation der Funktionalen Applikation zuerst die rangniedrigste Argumentposition im Theta-Raster erfaßt (s. Kapitel 2), ist zu erwarten, daß Verbzusätze die rangniedrigste Argumentposition sättigen. Überdies ist aufgrund der Verwandtschaft der Verbzusätze mit Präpositionen zu vermuten, daß es sich dabei in den allermeisten Fällen um eine prädikative Argumentposition handeln wird. Wegen ihres Argumentstatus müssen die hier diskutierten Verbzusätze - ähnlich wie entsprechende syntaktische Argumente - eine vom Basisverb geforderte semantische Spezifikation beisteuern. Im folgenden werde ich die bereits in Kapitel 5 angedeutete Fallunterscheidung zwischen Argumentsättigung und Präpositionsinkorporation zugrundelegen und die Verbzusatzmuster gemäß ihrer Zugehörigkeit zu diesen beiden Gruppen diskutieren. Es sei vorab darauf hingewiesen, daß einige der betrachteten Verbzusätze in den hier vorgestellten Verwendungen auch als lexikalische Adjunkte fungieren können; ich werde jeweils darauf hinweisen.
6.1 Argumentsättigung Wunderlich (1983b, 1986) hat als einer der ersten auf das Potential der Partikeln hingewiesen, Argumente des Basisverbs zu sättigen. Er nimmt an, daß die Partikeln den Bedeutungseintrag der korrespondierenden Präpositionen aufweisen, wobei das interne Argument der zugrundeliegenden LOC-Relation implizit bleibt. Daneben gibt es auch Partikelverwendungen, die in ihrem Eintrag stärker von der Präpositionssemantik abweichen, jedoch auch ein prädikatives Argument eines Basisverbs sättigen können. Diese Sättigung erfolgt jeweils über Funktionale Applikation. Im Gegensatz zu den Partikeln können die Präfixe, abgesehen von ver-, keine solche Argumentsättigung vornehmen. Hier besteht also einer der wenigen, aber wichtigen Unterschiede zwischen Präfixen und Partikeln. Während die Partikeln in diesen Verwendungen in fast allen Fällen eine präpositionsnahe Semantik aufweisen, in der durch die Partikel eine spezifische Nachbarschaftsregion hinsichtlich des Relatums instantiiert wird, wird durch ver- keine konkrete Nachbarschaftsregion spezifiziert. Da bei diesen Verwendungen der Verbzusätze nur ein prädikatives Argument gesättigt wird, ändert sich nichts an den Linkingbedingungen im Basisverb.
Bislang ist der Begriff des lexikalischen Arguments immer nur auf die Sättigung von Individuenargumenten durch Kongruenzaffixe oder Klitika in Pro-Drop-Sprachen angewendet worden. Ich möchte diesen Begriff hier auf die potentielle Sättigung prädikativer Argumente erweitern.
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6. Verbzusätze als lexikalische Argumente
6.1.1 Zur Semantik der korrespondierenden Präpositionen Zu den hier betrachteten Partikeln an, auf und ab gibt es als morphologisch ungebundene Varianten die korrespondierenden Präpositionen. Um bei der Betrachtung der Partikeln klären zu können, inwieweit bei den Partikelverwendungen die präpositionale Semantik einfließt, ist eine kurze Darstellung der relevanten Präpositionen sinnvoll. Für an und auf fasse ich kurz die Ergebnisse aus Stiebeis (1991) zusammen. an und auf fallen beide in die Gruppe der topologischen Präpositionen (s. Herweg 1988, 1989, 1990; Wunderlich 1982, 1993). Präpositionen denotieren laut Wunderlich/Herweg (1991) zweistellige Relationen zwischen Individuen. Diese Relation ist indirekt, da das Lokatum zu einer Nachbarschaftsregion R des Relatums (mit Typ 1/1) in Beziehung gesetzt wird. Die spezifischen Nachbarschaftsregionen werden jeweils von den Präpositionen instantiiert. Typische Nachbarschaftsregionen sind die Innenregion INT oder die Außenregion EXT. 2 Präpositionen haben also generell das Repräsentationsformat in (1). (1)
λ ν A,u LOC(U, R [ v ] )
Die Lokalisierungsrelation LOC (mit Typ (0/l)/l) wird konzeptuell als räumliche Inklusion gedeutet (L(u) c R[v], wobei L(u) den von u eingenommenen Ort denotiert); die Inklusionsbedingung ist als Wahrheitsbedingung für die Relation LOC zu verstehen. Die beiden Präpositionen an und auf beziehen sich auf die äußere Randumgebung (= Außenregion) eines Objektes, wobei auf diese allerdings einschränkt auf die obere Außenregion. Die beiden folgenden Beispiele stellen Standardverwendungen der Präpositionen dar: (2)
a. Das Buch ist auf dem Schrank. b. Am Schrank befindet sich ein Zettel.
In diesen beiden Sätzen ist ein direkter räumlicher Kontakt zwischen Lokatum und Relatum gegeben, der jedoch nicht bei allen Verwendungen der Präpositionen vorliegt. Herweg geht davon aus, daß die Präposition an die Kontaktfrage offenläßt, während auf gewisse Toleranzgrenzen erlaubt; möglich ist auch ein "vermittelter Kontakt". Im Beispiel (3) müssen sich Tasse und Tischplatte nicht direkt berühren, sondern der Kontakt kann auch über dazwischenliegende Gegenstände vermittelt werden (Tischtuch, Untertasse ...). (3)
Die Tasse steht auf dem Tisch.
Für an nimmt Herweg (1988:114) die Repräsentation in (4a) an, in der für an keine Kontaktinformation zugrundegelegt wird. Herweg grenzt die Präposition bei von an dadurch ab, daß er explizit in den Eintrag die Information integriert, daß kein Kontakt vorliegt (s. (4b)).
2
Herweg legt folgende deiktische Konzepte für die Beschreibung der von ihm untersuchten Präpositionen zugrunde, die ich auch in dieser Arbeit verwenden werde: PLACE[X]: der von einem Objekt χ eingenommene Raum (L(x)) PROX[X]: eine ausgezeichnete Umgebungsregion, innerhalb derer ein Objekt χ interaktiv, perzeptiv oder funktional zugänglich ist DIST[X]: eine von PLACE(X) und PROX(X) getrennte (Distal-) Region von Χ EXT[X]: Außenregion von x, die die Region PROX(X) abzüglich PLACE(X) bezeichnet
6. Verbzusätze als lexikalische Argumente
85
Derartige Negativklauseln sind jedoch nicht wünschenswert, weil sie aus lernbarkeitstheoretischer Perspektive problematisch sind. (4)
a. an:
λν Xu LOC(u, EXT[v])
b.
λ ν Xu (LOC(u, EXT[V]) &
bei:
PLACE[U] © PLACE[V]) 3
Den Kontrast zwischen an und bei kann man dadurch erfassen, daß an als die spezifischere Präposition der beiden aufgefaßt wird, in der eine Kontaktrelation CONTACT zwischen Lokatum und Relatum zugrundegelegt wird: 4 (5)
an:
λ ν λ υ (LOC(U, ΕΧΤ[ν]) & CONTACT(U,V))
Daß diese Repräsentation gerechtfertigter ist als die von Herweg vorgeschlagene, läßt sich mit dem Beispiel in (6) illustrieren. Herwegs Repräsentation würde zulassen, daß das Etikett in unmittelbarer Nähe der Flasche liegt, nicht aber an der Flasche klebt. (6)
a. das Etikett an der Flasche b. das Etikett auf der Flasche
Vergleicht man (6a) mit (6b) so wird deutlich, daß die Präposition an einen größeren Anwendungsbereich als auf hat: In (6a) kann das Etikett auch unter der Rasche kleben, in (6b) dagegen nicht, auf ist also die spezifischere Präposition: Jedes Objekt, das in der von auf bezeichneten Nachbarschaftsregion eines anderen Objekts lokalisiert wird, kann auch in der von an bezeichneten Nachbarschaftsregion dieses Objekts lokalisiert werden, aber nicht umgekehrt. Für auf nimmt Herweg eine Unterstützungsrelation SUPP an. Er führt diese zusätzliche Beschränkung ein, da sich auf nur dann auf die Seitenflächen eines Objektes beziehen kann, wenn das Relatum das Lokatum unterstützt. Als Nachbarschaftsregion wird der Schnitt aus Außenregion EXT und Oberregion OR, die Wunderlichs (1982) Zylinder R + entspricht, angesetzt. 5 Als Eintrag für auf gibt Herweg (1988:94) die Repräsentation in (7a). Wunderlich (1993:113 f.) leitet dagegen die obere Außenregion mit der Kennzeichnung EXT[y, +VERT] ab und geht davon aus, daß bei auf als zusätzliche Beschränkung eine Kontaktrelation vorliegen muß (s. (7b)). Beide Repräsentationen sind äquivalent, legen aber unterschiedliche Inferenzen nahe: Bei der Relation SUPP muß die Kontaktinformation erschlossen werden, während bei der Kontaktrelation CONTACT in den Fällen, in denen der Bezug auf eine Seitenfläche erfolgt, inferiert werden muß, daß der Kontakt durch eine Unterstützung o. ä. aufrecht erhalten werden kann.
3 4
5
© bezeichnet bei Herweg die Kontakt- bzw. Kontiguitätsrelation. Daß in Sätzen wie Schnalskes Geburtshaus ist direkt am Femsehturm kein unmittelbarer Kontakt vorliegt, kann darauf zurückgeführt werden, daß Fernsehtürme aufgrund ihrer Funktion eine direkt angrenzende Bebauung ausschließen, so daß nur wenige Objekte (ζ. B. Hinweistafeln) in unmittelbarer Nachbarschaft lokalisiert sein können. Deshalb ist in solchen Beispielen eine Erweiterung der Außenregion auf eine Region, die keinen unmittelbaren Kontakt impliziert, möglich. Mit R + ist die Oberregion eines Objektes definiert, deren Punkte weiter als die durch das betreffende Objekt eingenommenen Raumpunkte vom Fallzentrum entfernt sind und deren Fallinien das Objekt passieren.
86 (7)
6. Verbzusätze als lexikalische
Argumente
auf a.
λ ν Xu [LOC(U, EXT[V] Η OR(V)) & SUPP(V,U)]
b.
λ ν Xu [LOC(u, EXT[v, +VERT]) & CONTACT(u,v)]
Für die Diskussion der direktionalen Präpositionsvarianten ist auf Kaufmann (1991, 1995a) zu verweisen. Direktionale Präpositionen bezeichnen den Wechsel in die spezifizierte Nachbarschaftsregion. Kaufmann repräsentiert dies mit dem Operator CHANGE (Typ (0/1 )/0), der allgemeiner als der BECOME-Operator ist, da jener den Wechsel hinsichtlich einer zeitlichen Skala/Dimension bezeichnet, während die relevante Dimension im CHANGEOperator erst noch über den Parameter D(u) (Typ 1/1) fixiert werden muß. Aus den (eher markierten) Verwendungen von direktionalen Präpositionen in Attributivkonstruktionen (die Straße in die Stadt) leitet Kaufmann folgende Repräsentation für direktionale Repräsentationen ab: (8)
λ ν λ υ CHANGE(D(U), LOC(Z, R[V]))
Die Belegung des Parameters D(u) ergibt sich aus der Instantiierung der konzeptuellen oder kontextuellen Information des Arguments, das mit dem externen Argument der Präposition identifiziert wird. Als weitere Verwendung von auf ist die als Adverb mit der Bedeutung 'empor' zu nennen; in diesen Fällen wird au/jedoch fast immer direkt als Verbpartikel interpretiert. Die Präposition ab spielt im heutigen Deutsch nur noch eine marginale Rolle. Sie ist als Ursprungspräposition von der Präposition von verdrängt worden. Sie subkategorisiert den Dativ, der hier einem protogermanischen Ablativ entspricht, und ist in ihrer Verwendungsweise stark eingeschränkt: Sie bezeichnet den Anfangspunkt eines zu erschließenden Zeitintervalls oder Weges (s. (9a/b)) oder ist auf idiomatische Verwendungen wie in (9c) festgelegt. Darüber hinaus gibt es auch Verwendungen als Adverb (s. (9d)). (9)
a. b. c. d.
ab der zweiten Woche/ab Sonntag/ab der kommenden Ausgabe ab der zweiten Kreuzung ab Lager gleich hinter der Kreuzung links ab
Daß die Partikel ab trotz der eingeschränkten Verwendungsweise der korrespondierenden Präpositionen sehr produktive Muster herausgebildet hat (s. 6.1.3), ist vermutlich auf die Tatsache zurückzuführen, daß die Präposition von über keine Partikelvariante verfügt. Deshalb kann ab Funktionen übernehmen, die sonst einer Partikel von zuzuschreiben wären.
6.1.2 Partikel verben mit auf und an Für die Partikelverben mit an und auf fasse ich kurz die Ergebnisse aus Stiebeis (1991) zusammen. Beginnen möchte ich mit den Partikelmustern, die in direkter Korrespondenz zu den jeweiligen Präpositionen stehen. Im Unterschied zu den Präpositionen bleibt bei den Partikeln das interne Argument der Lokalisierungsrelation implizit, so daß dessen Referent allenfalls über den Kontext erschlossen werden kann. Demzufolge gibt es auch kein expli-
6. Verbzusätze als lexikalische
Argumente
87
zites Relatum, das aufgrund spezifischer Objekteigenschaften seines Referenten Informationen über mögliche Außenregionen beisteuern kann. Als Default wird dann die Semantik der Präpositionen zugrundegelegt, wobei prototypische Verwendungen der Präposition in bezug auf die Nachbarschaftsregion des impliziten Relatums angenommen werden. Beeinflußt werden kann die Defaultinterpretation der Außenregion nur von der Semantik des Basisverbs und den Objekteigenschaften des Lokatumreferenten. Bei auf konkurrieren Kontaktinterpretation und ursprüngliche Adverbbedeutung "empor" als präpositionsfremdes Muster. 6 an und auf erhalten vor allem dann eine Kontaktinterpretation, wenn sie durch die Basisverbbedeutung gestützt wird. Dies gilt insbesondere bei (kausativen) Kontaktverben und anderen Verben des Befestigens. Hier sind auch an und auf parallel verwendbar, wobei auf genauso wie die entsprechende Präposition eine spezifischere Bedeutung besitzt. Während an nur den generellen Kontakt ausdrückt, wird auf allgemein so interpretiert, daß das Thema vollständig auf der Oberfläche des kontextuell zu erschließenden Relatums lokalisiert wird, d. h. die relevanten Seitenflächen von Thema und Relatum müssen sich fast völlig decken: (10)
a. b. c. d.
Er näht den Stoffrest an. 7 Er näht den Stoffrest auf. Sie klebt das Stuhlbein an. ? Sie klebt das Stuhlbein auf.
(10a) drückt das Verbinden des Stoffrestes mit einem (nicht-explizierten) anderen Teil mittels einer Naht aus, während der Stoffrest in (10b) vollständig auf ein anderes Kleidungsstück appliziert werden muß. In (lOc/d) wird jeweils als Defaultlesart angenommen, daß das Stuhlbein an einem Stuhl befestigt wird. Während in (10c) nur die Verbindung von Stuhlbein und Stuhl bezeichnet wird, wird bei (lOd) angenommen, daß das Stuhlbein auf der prototypischen AUF*-Region des Stuhls, der Sitzfläche, lokalisiert werden soll, was ziemlich unsinnig erscheint. In diesem Kontext ist (lOd) somit merkwürdig; der Satz ist dagegen in einem Kontext akzeptabel, in dem das Stuhlbein zweckentfremdet auf ein Bild oder einen anderen Gegenstand mit ausgezeichneter Oberregion geklebt wird. (lOd) belegt somit die Annahme, daß für das kontextuell zu erschließende Relatum als Default die in der Präposition kodierte prototypische Nachbarschaftsregion zugrundegelegt wird. Fraglich ist allerdings, ob Präpositionen und Partikeln die gleiche Distribution aufweisen, d. h. ob die Partikeln in allen Kontexten verwendet werden können, in denen die entsprechende PP als Argument eines Verbs zugelassen ist. Ein erster Unterschied ergibt sich in der Kombinierbarkeit der beiden Partikeln mit (Kontakt-) Positionsverben. Während die Partikelvarianten, die auf direktionale Präpositionen zurückgehen, ohne größeren Bedeutungswandel mit (kausativen) Kontaktverben kombiniert werden können (sie klebt das Bild an), sind an-Verben, die Positionsverben als Basis haben, selten (s. (IIa)) und oft nur bei
6
7
Auf die a«/-Variante mit der Bedeutung "empor" will ich hier nicht näher eingehen ( a u f j ) . Sie tritt insbesondere bei Verben auf, die in ihrer Bedeutung die von der Partikel ausgedrückte Aufwärtsbewegung unterstützen oder plausibel machen (aufsteigen, aufheben, auffliegen). Dieses Beispiel belegt, daß die lokalen Partikelvarianten auch als lexikalische Adjunkte auftreten können. Die Partikel tritt hier wie ein entsprechendes Resultatsprädikat (PP) an die argumenterweiterte Variante des Basisverbs.
88
6. Verbzusätze als lexikalische Argumente
gleichzeitiger Realisierung einer PP (s. (llb-d)) oder mit Modifikation (s. (lie)) möglich. Einige dieser Verben sind auch mit abstrakter Lesart lexikalisiert (s. (llf/g)), wobei das interne Argument der Partikel hier nicht implizit bleibt, sondern mittels einer Dativ-NP realisiert werden muß. (11)
a. b. c. d. e. f. g.
Die Haare liegen an. Das Bild hängt §(an der Wand) an. Der Teig klebt fest an der Schüssel an. Schmutz haftet an dieser Stelle fest an. Das Kleid liegt eng an. Dieser Sache haftet ein Risiko an. Mir hängt diese dumme Sache an.
Der Grund für die Restriktionen bei Positionsverben mag darin liegen, daß die Partikel isoliert keine neue, relevante Information beisteuert, weil bereits die Basisverben Kontakt ausdrücken. 8 Gleichzeitig kann man beobachten, daß auch an-Verben, die von kausativen Positionsverben gebildet sind, häufig stark lexikalisiert sind (anstellen, ansetzen, anlegen) und nur in sehr restringierten Kontexten eine lokale Interpretation zulassen (sich an eine Schlange anstellen, eine Karte an eine andere anlegen). Wenn das Basisverb die Kontaktinterpretation nicht unterstützt, zeigen die Partikel auf und die korrespondierende Präposition ebenfalls nicht die gleiche Distribution hinsichtlich potentieller Basisverben (s. (12)). Hier stellt sich dann bei der Partikel - soweit möglich die Adverblesart "empor" oder die lexikalisierte Lesart "aufrecht" ein (s. (12b/f)); kann diese nicht inferiert werden, ist das Verb wie in (12d) inakzeptabel. (12)
a. b. c. d. e. f.
Er geht auf den Markt. Er geht auf. (= lexikalisiert als der Kuchen geht hoch) Sie rennt auf das Fußballfeld. § Sie rennt auf. 9 Er stellt die Flasche auf den Tisch. Er stellt die Flasche auf.
Die Einträge, die hier für die beiden Partikeln an und auf anzusetzen sind, entsprechen denen der Präpositionen (s. 6.1.1), allerdings bleibt das interne Argument implizit und somit ein ungebundener Parameter, der über den Kontext auf CS fixiert werden muß. Es sind jeweils Doppeleinträge in Korrespondenz zu den direktionalen oder statischen Präpositionsvarianten erforderlich: 10 8
9
auf-Verben, die auf Positionsverben zurückgehen, haben teilweise sogar nicht weiter kompositional herleitbare Lesarten herausgebildet (aufstehen, aufsitzen), die wahrscheinlich auf eine frühere inchoative Bedeutung der Basisverben zurückgeführt werden können. Als lexikalisierte Bildung wäre hier die Mannschaft marschiert auf zu nennen. Das Verb aufmarschieren bringt neben der Information des Heranmarschierens auch zum Ausdruck, daß der Subjektreferent Aufstellung nimmt. Ich weiche in meiner Repräsentation der direktionalen Variante von Kaufmann (1991, 1995a) ab (s. 6.1.1). Sie verwendet statt des BECOME-Operators den CHANGE-Operator, dessen Dimension noch über einen Parameter fixiert werden muß. Man findet allerdings nur wenige Kontexte (statische Kontexte wie die Straße geht in das Tal u. a., gerichtete Positionsverben wie ragen, hängen ...), in denen die Richtung nicht mit Bewegung einhergeht und in denen die beiden Operatoren CHANGE und BECOME dann voneinander unabhängig sind und unterschiedlichen Wahrheitsbedingungen genügen müssen.
6. Verbzusätze als lexikalische (13)
a. b.
a n λ ι ι λΐΐ auff λιι λιι
Argumente
89
(LOC(u, EXT[v]) & CONTACT(u,v)) BECOME(LOC(U, EXT[v]) & CONTACT(u.v)) (LOC(U, EXT[V, +VERT]) & CONTACT(U,V)) BECOME(LOC(u, EXT[v, +VERT]) & CONTACT(u,v))
Bevor ich auf ein weiteres produktives Muster von an (ohne Kontaktinterpretation) eingehe, möchte ich kurz die Dativproblematik bei diesen Partikelverben diskutieren: Falls sich das kontextuell zu erschließende Relatum auf einen belebten Referenten bezieht (oder ein Körperteil desselben), so muß zusätzlich eine Dativ-NP realisiert werden, in der man die Explizierung des impliziten internen Arguments der Loc-Relation sehen könnte. Diese Struktur stellt allerdings keine Besonderheit dar, sondern ist nur eine Instanz des Pertinenzdativs, der auch beim Basisverb mit Realisierung eines PP-Arguments auftreten könnte; auch dort gilt die Beschränkung für belebte Referenten (s. (14a/b)). Ohne Realisierung der Dativ-NP entsteht eine reflexive Lesart hinsichtlich des impliziten Relatums. (14)
a. Sie klebt ihm einen Bart an (das Kinn). b. Sie klebt (§ ihnen = den Wänden) Plakate an (die Wände). c. Er setzt (ihr) den Hut auf (den Kopf).
Der Pertinenzdativ tritt häufig in Variation mit dem Possessivpronomen bei tendenziell inalienablen Besitzverhältnissen (hier Körperteilen) auf (Wegener 1985). 11 Für die Partikelverben muß deshalb angenommen werden, daß aufgrund der Verbbedeutung und des Objektreferenten inferiert wird (vgl. (14a) mit (14b)), daß hier ein solches Besitzverhältnis zugrundeliegt. Da das interne Argument der LOC-Relation jedoch nicht realisiert wird, ist kein Possessivpronomen möglich, so daß nur die alternative Struktur mit dem Dativ zulässig ist. Die Repräsentation der Strukturen mit dem Dativ ist nicht unproblematisch. Ich möchte zwei Alternativen betrachten. Bei der ersten Alternative wird angenommen, daß der Pertinenzdativ von einer zusätzlichen POSS-Relation, die als Adjunkt in das Partikelverb integriert wird, lizensiert wird (s. vereinfachte SF in (15)). Bezogen auf das Beispiel (14a) gelten folgende Beziehungen: y = Bart, ν = Kinn, ζ = ihm. In diesem Fall besteht eine indirekte Konverse zwischen der von der Partikel eingebrachten LOC-Relation und der neu eingeführten POSS-Relation, vermittelt durch die Teil-Ganzes-Beziehung zwischen den Argumenten ζ und v. Damit sich allerdings die korrekten Linkingverhältnisse ergeben, muß stipuliert werden, daß das externe Argument der POSS-Relation lexikalisch mit dem Merkmal f+lr] ausgezeichnet ist, so daß dieses Argument den Dativ erhält. Rechtfertigen ließe sich diese lexikalische Auszeichnung eventuell damit, daß ein implizites rangniedrigeres Argument gegeben ist.
Bei den von mir untersuchten Partikeln ergibt sich auch in den direktionalen Lesarten keine Unabhängigkeit von CHANGE und BECOME; deshalb werde ich im folgenden BECOME zugrundelegen; außerdem ist die Konversität von LOC und POSS, die mir für meine Daten sehr wichtig erscheint, beim CHANGE-Operator nur eine indirekte: POSS(V,U) kann nicht direkt als LOC(U, R[V]) umgedeutet werden, da das externe Argument der Loc-Relation ein Parameter ist, der nicht mit dem externen Argument der P r ä p o s i t i o n i d e n t i s c h i s t : ( λ ν X u CHANGE(D(U), LOC(Z, R [ V ] ) ) .
Ich werde solche Besitzverhältnisse, bei denen ein inalienables Objekt involviert ist, inalienable Relationen nennen. Für alienable Relationen gilt das analog. Seiler (1983) hat bereits auf die universelle Affinität des Dativs, den Possessor zu markieren, hingewiesen.
90
6. Verbzusätze als lexikalische
(15)
λζ
lex.: +lr Default: +hr I 1 dat
λγ
λχ
-lr +hr I 1 akk
+lr -hr
Argumente
Xs [(CAUSE(x, ...) & BECOME(LOC(y, EXT[v]) & CONTACT(y,v)(s)) & POSS(Z.V)]
nom
Alternativ könnte man auch annehmen, daß bei der Partikel statt der LOC-Relation bereits die POSS-Relation zugrundeliegt. Damit würden zwar die Stipulationen für das Linking vermieden, jedoch könnte die Partikel nicht die prädikative Argumentposition des Basisverbs einnehmen, sondern müßte als lexikalisches Adjunkt über eine Argumenterweiterung mit anschließender Funktionskomposition integriert werden. Da es produktive Verwendungen von an als Possessivmarkierung gibt (s. 7.1.2), ist dieser Vorschlag jedoch nicht abwegig· Eine weitere unbeschränkte Verwendung der Partikel an als Sättiger eines prädikativen Arguments findet sich bei Bewegungsverben (anjagen, anhüpfen, anschleichen, anrennen,...): (16)
a. b. c. d.
Sie rennt an die Theke. Sie rennt an. Sie hüpft an den Tisch. Sie hüpft an.
an besitzt hier keine Kontaktlesart, sondern verweist auf eine unmittelbare Nachbarschaftsregion des Ortes, den der Sprecher einnimmt bzw. diesem perzeptiv zugänglich ist und der durch die Bewegung erreicht wird. Gemäß Stiebeis (1991) besitzen diese an-Verben folgende Eigenschaften: 1. Diese Verben treten präferiert in Strukturen mit kommen und Partizip II auf, wobei kommen allerdings nur intransitive Verbkomplemente zuläßt (s. (17d/e)), was von semantischer Seite her die Komposition des Komplexes über Funktionskomposition ausschließt. 12 Einige Verben werden sogar nur in dieser "Hilfskonstruktion" akzeptiert (s. (17b)), vor allem die abgeleiteten Βewegungsverben, bei denen das zugrundeliegende Verb den Bewegungsmodus spezifiziert. 13 12
13
Die Tatsache, daß die Funktionsverwendung von kommen das Partizip II subkategorisiert und nicht den (zM-)Infinitiv wie andere Funktionsverben (einkaufen gehen, kleben bleiben ...), verweist ebenfalls auf den Sonderstatus dieser Konstruktion. Abgeleitete Bewegungsverben wie er keuchte in die Küche werden über Argumenterweiterung des Basisverbs (b/c) und Funktionskomposition mit dem reduzierten Bewegungsverbtemplate (d) abgeleitet (e). Bewegungsverben weisen generell die SF in (a) auf (Kaufmann 1995a), bei den abgeleiteten Verben spezifiziert das zugrundeliegende Verb den Bewegungsmodus. a. λΡ λχ Xs, [ M O D ( X ) & MOVE(X) & P(x)](s) b.
λ χ λ β KEUCH(X)(S)
c.
XQ λ χ Xs [ K E U C H ( X ) ( S ) & Q ( s ) ]
d. λΡ λχ Xs [MOVE(X) & P(x)](s) e. λΡ λχ Xs [ K E U C H ( X ) ( S ) & ( M O V E ( X ) & P(x))(s)] Der hier skizzierte Ableitungsmechanismus entspricht der Idee von Levin/Rapoport (1988) der "Lexical Subordination", allerdings wird das Verb nicht in ein Bewegungstemplate eingebettet, sondern bleibt auch semantisch Kopf der Konstruktion.
6. Verbzusätze als lexikalische (17)
a. b. c. d. e.
Argumente
91
Er kommt angejagt. Sie kommen angekeucht, vs. ?? Sie keucht an. Er schleppt seine neue Freundin an. * Er kommt seine neue Freundin angeschleppt. * Die Hut kommt viel Unrat angeschwemmt, vs. Dort kommt viel Unrat angeschwemmt.
2. Aus dem Verhalten in Sätzen mit Zeitadverbien kann man ableiten, daß diese an-Verben punktuell interpretiert werden. In (18a) kann die Zeitrahmenangabe nur deiktisch verstanden werden, d. h. als Bezug auf einen Zeitpunkt, der in dem angegebenen Intervall von dem Zeitpunkt der Äußerung entfernt ist, während (18b) nur als ironischer Kommentar eines Sprechers akzeptabel ist, der jemandem mitteilt, daß die bewußte Person entgegen ihres Versprechens immer noch nicht angekommen ist. (18)
a. Er kommt in einer Stunde angefahren. b. ?? Er kommt (schon) eine Stunde lang angefahren.
3. Aus der Kombinierbarkeit mit Ortsadverbien (s. (19a/b)) kann man erkennen, daß lokalstatische Adverbien zugelassen, Richtungsadverbien hingegen ausgeschlossen sind. Die Beschränkung für Richtungsadverbien gilt nicht für die Bommen-Konstruktion mit Simplexverb (s. (19c)). Da das an-Verb im Defaultfall eine Annäherung an den Sprecher bezeichnet und jede Richtungsangabe als eine davon abweichende Spezifikation verstanden wird, sind Richtungsangaben wegen ihrer zu an widersprüchlichen Information unzulässig. (19)
a. Er kommt da angefahren. b. § Er kommt hierhin angefahren. c. Er kommt ins Zimmer gerannt.
Repräsentiert werden kann diese Partikelverwendung wie folgt: (20)
an2:
ΛΥ BECOME(LOC(U, EXTfSpr]))
Dieser Eintrag unterscheidet sich von dem in (13) durch die Einschränkung des Kontextes auf die Außenregion EXT[Spr] des vom Sprecher eingenommenen Standorts und das Fehlen eines Kontaktes.
6.1.3 Partikelverben mit ab Da die Partikel ab, wie bereits in 6.1.1 ausgeführt, im heutigen Deutsch nur noch sehr eingeschränkt als Präposition verwendet wird, sind keine klaren Präposition-Partikel-Entsprechungen zu erwarten. Wie sich im folgenden zeigen wird, hat die Partikel im Gegensatz zur Präposition eine weitaus stärkere lokale Lesart bewahrt, die in einer Variante eine Entsprechung in der Präposition von findet. Im Rahmen der Argumentsättigungs-Muster sind zwei Verwendungen von ab zu diskutieren. 14 Beginnen möchte ich mit der Variante, bei der Bewegungsverben als Basis fungieAuf eine weitere lokale Variante mit der Interpretation "herunter, abwärts" will ich hier nicht eingehen, da hiervon nur einige wenige Verben betroffen sind.
92
6. Verbzusätze als lexikalische Argumente
ren und durch ab der Beginn einer sich entfernenden Bewegung signalisiert wird (abfahren, abgehen, abmarschieren, abreisen, absegeln). Unter die Basisverben fallen auch die bereits in 6.1.2 erwähnten abgeleiteten Bewegungsverben (abdonnern, abbrummen, abzischen, abzotteln). Für diese Variante sind drei Fragestellungen wichtig, die helfen sollen, eine Repräsentation für ab zu finden: 1. Da die ab- Verben den Beginn einer Bewegung signalisieren, ist zu klären, wieviel lokale Information der Partikel zugesprochen werden muß, bzw. ob diese eher als Ingressivmarkierung zu analysieren ist. 2. Es ist zu prüfen, inwieweit die Partikel in dieser Variante eine Entsprechung in der Präposition von findet, die die Präposition ab als Ursprungspräposition verdrängt hat und selber über keine Partikelvariante verfügt. 3. Es gibt konkurrierende Verbzusätze (ver- und weg), so daß eine Repräsentation für ab zu finden ist, die eine Abgrenzung von diesen Verbzusätzen leistet. Als einleitende Beobachtung ist anzumerken, daß direktionale Ziel-PPs, die als Argumente der entsprechenden Basisverben verstanden werden können, nicht mehr realisierbar sind (s. (21a/b)), allenfalls zu- oder nacft-PPs, die hier als Richtungs- bzw. Zielangabe verstanden werden können, ohne daß der angedeutete Ortswechsel bereits erfolgt ist (s. (21c)). Lokale PPs, die eine Situationslokalisierung vornehmen, sind dagegen völlig akzeptabel (21dJe), Ursprungspräpositionen wie in (21f) dagegen nicht völlig. (21)
a. b. c. d. e. f.
§ Sie fahren auf die Insel Rügen ab. § Sie marschieren in den Wald ab. Sie segeln zur Insel Borkum/nach England ab. Sie fahren am Rathaus ab. Sie marschieren im Südpark ab. ? Sie segeln aus dem Hafen/von der Küste ab.
Daß direktionale Ziel-PPs ausgeschlossen sind, kann wahrscheinlich darauf zurückgeführt werden, daß diese Ziel-PPs das Erreichen einer Zielregion beinhalten, die mit der Region, die aus dem von ab kodierten Ortswechsel resultiert, identifiziert werden muß. Die Lesart, daß der Subjektreferent zwischen der von ab kodierten Loslösung vom Ursprungsort und der Erreichung der durch die PP bezeichneten Zielregion in einer nicht weiter spezifizierten Region lokalisiert ist, scheint ausgeschlossen zu sein. Ursprungs-PPs dagegen spezifizieren die bei ab offengelassene Ausgangsregion näher. Daß diese ab-Verben den Moment der Entfernung bezeichnen, belegen die Tests mit Zeitadverbialen: Zeitdauerangaben (22a) können allenfalls iterativ ('immer wieder abfahren') interpretiert werden, während Zeitrahmenangaben dagegen nur deiktisch verstanden werden können (s. (22b)). Akzeptabel sind dagegen Adverbien, die sich auf einen Zeitpunkt beziehen (s. (22c)). (22)
a. § Sie fahren drei Stunden lang ab. b. Sie fahren in einer Stunde ab. c. Sie fahren gerade/um acht Uhr ab.
6. Verbzusätze als lexikalische Argumente
93
Diese Kontraktion der beschriebenen Situation auf den Moment des Ortswechsels ist allerdings auch bei den direktionalen Präpositionen zu beobachten (Kaufmann 1991); auf die vorausgegangene Bewegung kann dann nicht mehr zugegriffen werden: (23)
?? Sie ging in fünf Minuten in das Haus.
Um zu klären, ob ab auch als Ingressivmarkierung analysiert werden kann, oder ob primär die lokale Information im Vordergrund steht, ist ein Vergleich mit den Partikelverben mit los hilfreich. Während los nur den Beginn der Bewegung kodiert, muß bei den ab-Verben auch die Entfernung von einem Ort zum Ausdruck kommen, was sich im Bedeutungsunterschied der beiden Partikeln bei Verben wie tanzen manifestiert. Die Aufforderung in (24a) beinhaltet nur den gewünschten Beginn des Tanzens, während die Aufforderung in (24b) auch die Entfernung vom Sprecher zum Ausdruck bringt. Während los auch in Situationen angemessen ist, in denen sich keine Entfernung vom Ursprungsort ergibt (s. (24c)), ist ab in solchen Kontexten implausibel. Bei ab wird überdies unterstellt, daß der vom Verb beschriebene Situationsausschnitt Teil einer kontinuierlichen Bewegung mit wachsender Entfernung vom Ausgangspunkt ist, so daß (24f) als etwas merkwürdig eingeschätzt wird, während los ausschließlich den Beginn einer Handlung/eines Prozesses signalisiert, die sofort wieder unterbrochen werden kann (s. (24e)). 15 (24)
a. b. c. d. e. f.
Tanzt los! Tanzt ab! Sie tanzten los, tanzten aber die ganze Zeit auf der gleichen Stelle. ?? Sie tanzten ab, tanzten aber die ganze Zeit auf der gleichen Stelle. Sie fahren los, bleiben aber sofort wieder stehen. ? Sie fahren ab, bleiben aber sofort wieder stehen.
Der Partikel ab ist also eindeutig eine lokale Information zuzuschreiben. Daß diese Verwendung von ab keine Partikelvariante der vow-Variante darstellen kann, die den Beginn einer Richtung spezifiziert, läßt sich schon aus dem Eintrag dieser von-Variante (s. Eintrag in (25) nach Kaufmann 1991:36) ableiten, die bei Nicht-Explizierung des internen Arguments nur eine triviale Information beisteuert, nämlich daß der Ursprungsort des Weges/der Dimension (kodiert als kleinstes Element kE des von u aufgebauten/zurückgelegten Weges) in der Proximalregion eines Objekts liegt. Diese Information ist bei den meisten Bewegungen gegeben, es sei denn, daß der Anfangspunkt nicht zu einem Relatum in Beziehung gesetzt werden kann. Aufgrund des fehlenden Grades an Informativität sollte sich zu dieser Verwendung von von keine Partikelvariante herausbilden. (25)
von x : λν Xu [kE(D(u)) c PROXfv]]
Die Partikel los steuert keinerlei lokale Information bei. Sie fungiert als Ingressivmarkierung und kann weitgehend unbeschränkt mit Activity-Verben kombiniert werden. Als Repräsentation für diese Partikel könnte man folgenden tentativen Eintrag annehmen: los:
A P [ + R S J R ( J E P ] A.s' 3 s (INGR(S)(S') & P ( s )
Die Punktualitat der los-Verben zeigt sich in der Kombination mit Zeitadverbien. Zeitrahmenangaben können nur deiktisch interpretiert werden, Zeitdauerangaben nur iterativ: a. Sie laufen in einer Stunde los. b. Sie laufen drei Stunden lang los.
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6. Verbzusätze als lexikalische Argumente
Nach Kaufmann (1991) sind von-PPs nur bei solchen Verben möglich, die mittels PP oder inhärent ein Ziel oder eine Richtung vorgeben (26a): Darunter fallen solche Verben wie kommen und verschwinden (s. (26a) vs. (26b/c)) oder Positionsverben mit einer gerichteten Positionskomponente wie in (26d/e): 16 (26)
a. b. c. d. e.
Er geht vom Kino §(zur Kneipe). Er kommt vom Kino. Er verschwindet von der Bühne. Der Vorhang hängt von der Decke. Eiszapfen ragen von den Wänden.
Vergleicht man die Kombinierbarkeit bestimmter Verben mit der Partikel ab und von-PPs in ((26)/(27)), so zeigt sich, daß ab eine andere Distribution aufweist, was bestätigt, daß ab hier nicht als adverbiale Partikelvariante von von (also mit implizitem internen Argument) aufgefaßt werden kann. (27b/d/e) sind inakzeptabel, weil sie keine relevante Information beisteuern: Daß kommen eine Entfernung von einem Ursprungsort beinhaltet, ist trivial; möglich ist hier nur die lexikalisierte, nicht-agentive Variante von abkommen in (27c). Bei gerichteten Positionsverben wie (27d/e) kann ab ebenfalls nicht informativ sein, da die Ausrichtung von einem Ursprungsort in eine bestimmte Richtung bereits in den Basisverben gegeben ist und ab diesen Ursprungsort nicht näher spezifiziert. Hier ist allenfalls eine aft-Variante verwendbar, die Maßphrasen lizensiert (s. (27f))· (27)
a. b. c. d. e. f.
Er geht ab. § Er kommt ab. Er kommt vom Weg ab. § Der Vorhang hängt ab. § Die Eiszapfen ragen ab. ? Die Eiszapfen ragen einen Meter (weit) ab.
Es ist jedoch zu beobachten, daß ab eine von-PP lizensiert, die beim Basisverb häufig nicht möglich ist: (28)
a. * Sie marschieren von der Kaserne, b. Sie marschieren von der Kaserne ab.
Die Lizensierung durch ab muß in einem lexikalischen Beitrag der Partikel begründet sein, der das in den Verben in (26b-e) inhärente Moment der Bewegung von einem Ursprungsort in eine unspezifizierte Zielregion zum Ausdruck bringt. Für die Formulierung des Eintrags von ab sind schließlich noch die konkurrierenden Verbzusätze ver- und weg zu berücksichtigen, da der SF-Eintrag von ab zumindest die Abgrenzung von diesen Verbzusätzen leisten muß. Ich werde jetzt nur auf die weg-Verben eingehen, in 6.1.4 dann auch auf die ver-Verben, weg kann in gleicher Weise mit BeweDirektionale PPs sind in Sätzen wie (26a) meist inakzeptabel. Es muß jedoch einschränkend gesagt werden, daß es eine zweiphasige von-Variante gibt, die u. a. bei kausativen Positionsverben auftritt und mit direktionalen PPs kompatibel ist. Auf diese von-Variante möchte ich weiter unten eingehen, da das zweite Argumentsättigungsmuster bei ab weitgehend dieser von-Variante entspricht.
6. Verbzusätze als lexikalische Argumente
95
gungsverben kombiniert werden wie ab (wegrennen, weglaufen, wegfahren ...)• Im Gegensatz zu den ab-Verben erlauben die weg-Verben allerdings keine statischen PPs zur Bezeichnung der Situationslokalisierung. Nur bei den ab-Verben kann die PP den Anfangspunkt der Bewegung angeben, bei den weg-Verben dagegen nicht, es sei denn, daß das Relatum eine solche Ausdehnung aufweist, daß das Lokatum eine unspezifische, vom Ursprungsort nicht perzeptiv zugängliche Zielregion innerhalb des Relatums ansteuern kann (s. (29c)): (29)
a. Die Soldaten marschieren an der Kaserne ab. Die Soldaten marschieren (§ an der Kaserne) weg. b. Sie fliegen am Frankfurter Flughafen ab. Sie fliegen (§ am Frankfurter Flughafen) weg. c. Die Hunde liefen mitten im Park weg.
Zurückzuführen ist dieses Verhalten der weg-Verben auf die Interpretation, daß eine unspezifische Zielregion angestrebt wird, die als Distalregion zum Ausgangspunkt der Bewegung verstanden werden kann (DLST[Or]; Or bezeichnet den kontextuell zu fixierenden Ursprungsort des Lokatums). Mit Distalregion (Herweg 1989) ist eine perzeptiv (und interaktiv) unzugängliche Region gemeint; deswegen kann der von einem weg-Verb bezeichnete Ortswechsel nicht mittels einer statischen PP lokalisiert werden, da die Bewegung in jedem Fall in die Distalregion des angegebenen Standpunktes führen muß, also nicht innerhalb der von der PP angegebenen Region erfolgen kann. Bei Realisierung einer situationslokalisierenden PP entsteht somit ein interpretatorischer Widerspruch. Daß weg die Distalregion instantiiert, bestätigt sich auch bei Verwendungen der Partikel als Prädikat wie in (30a)). Eine solche Äußerung ist angemessen, wenn sich das betreffende Objekt dem Zugang des Sprechers entzieht, ab kann dagegen in solchen Kontexten nicht als Zustandsprädikat fungieren, es sei denn mit direktionaler PP als Komplement wie in (30b), was darauf hindeutet, daß bei ab der Ortswechsel durch eine im Basisverb ausgedrückte Bewegung oder in dem statischen Kontext in (30b) über die PP etabliert werden muß. (30)
a. Der Schuh ist weg. b. Die Urlauber sind ab *(nach Hause/in die Heimat).
Ohne jetzt in weitere Details der lokalen Semantik von weg gehen zu wollen, nehme ich tentativ folgende Repräsentation für weg an: (31)
weg:
Xu BECOME(LOC(U, DLST[Or]))
Für ab nehme ich an, daß primär das Verlassen des Ursprungsortes im Vordergrund steht. Die Lokalisierung des Lokatums im Nachzustand, also nach dem Ortswechsel, spielt keine Rolle. Bei einer Äußerung im Präsens {sie fahren ab) wird der Moment bezeichnet, in dem der Subjektreferent (das Lokatum) noch in einer perzeptiv zugänglichen Region lokalisiert ist, während in resultatsbezogenen Äußerungen (ζ. B. im Perfekt) angenommen wird, daß sich der Subjektreferent vollständig aus der Proximalregion entfernt hat. Die folgende Repräsentation gibt den Beitrag von ab in dieser Verwendung wieder: (32)
abx:
Xu BECOME(—Ι LOC(u, PROX[Or]))
96
6. Verbzusätze als lexikalische Argumente
Ich werde auf diese Repräsentation noch einmal im Zusammenhang mit den ver- Verben in 6.1.4 eingehen. Wie sich zeigen wird, ist die folgende ab- Variante als Spezialfall von ab j aufzufassen; sie findet eine Entsprechung in der zweiphasigen von-Variante. Die zweite Verwendung von ab als argumentsättigende Partikel findet sich bei Verben, die die Entfernung und Loslösung von Objekten zum Ausdruck bringen. Die Parallelität zwischen ab und dem zweiphasigen von (Kaufmann 1991) zeigt sich in den meisten Paraphrasierungen mit PP (s. (33)). ab kann in dieser Bedeutung sowohl als lexikalisches Argument wie auch als lexikalisches Adjunkt verwendet werden. Als Argument tritt es bei intransitiven Verben auf, die eine unabhängig einsetzende Bewegung bezeichnen, die zur Loslösung des Subjektreferenten von einem im Kontext zu spezifizierenden Relatum führen kann (s. (33a/b); weitere Beispiele: abbröckeln, abblättern, abbrechen). Weiterhin kann ab mit allen Verben, die die Herbeiführung einer Trennung bezeichnen und bei denen ein prädikatives Argument im Basiseintrag gegeben ist, kombiniert werden (s. (33c/d)). Darüber hinaus sind als Basisverben alle Verben zugelassen, die Resultativkonstruktionen mit Ursprungs-PPs bilden können (ζ. B. (33e/f); weitere Beispiele: absägen, abschlagen, abschnippeln und vor allem Verben, die die Manipulation von Oberflächen bezeichnen: abfegen, abschrubben, abbürsten ...). Wie die entsprechenden PPs kodiert ab hier die Auflösung einer lokalen Relation. 17 Dieses Muster ist bei ab das produktivste. (33)
a. b. c. d.
Der Hut fliegt vom Kopf/ab. Der Putz fällt von der Wand/ab. Er zupft die Flusel vom Pullover/ab. Er reißt den Inhalt aus der Dose/§ ab. Er reißt das Bild von der Wand/ab. e. Er spült den Dreck aus der Wanne/§ ab. Er spült den Dreck vom Beckenrand/ab. f. Er kneift den Docht ? von der Kerze/ab.
Wie die Beispiele in (33d/e) nahelegen, ist mit ab eigentlich nur der Bezug zu Oberflächen möglich; die Interpretation, daß auf eine Innenregion des kontextuell zu erschließenden Relatums Bezug genommen wird, ist in diesen Sätzen nicht akzeptabel. Allerdings nimmt ab nicht bei allen Verben Bezug auf eine Oberflächenregion: Bei Verben, die aufgrund ihrer sortalen Beschränkungen nur feste Substanzen als Objektreferenten zulassen, ergibt sich nur die Oberflächenlesart wie in (34a). Im Kontrast dazu wird bei Verben mit Flüssigkeiten oder zähflüssigen Substanzen als Objektreferenten (s. (34b)) der Bezug auf eine Innenregion unterstellt, da nur ein containerähnliches Behältnis als Aufbewahrungsort fungieren kann. In Abhängigkeit von dieser sortalen Variation alterniert dann auch die Interpretation bei solchen Verben, die beide Sorten als Objektreferenten zulassen (s. (34c)). Daneben gibt es noch vereinzelte Verben mit abstrakter Lesart (s. (34d)). 18
Irregulär sind dagegen Bildungen, bei denen das Basisverb eine Montage oder ein Befestigen von Gegenständen zum Ausdruck bringt, da die von ab kodierte Loslösung nicht kompositional mit der Basisverbbedeutung zusammengebracht werden kann (abmontieren, abstecken, abdecken). Erwähnenswert sind auch solche Verben, bei denen durch ab nicht die Trennung irgendwelcher Objekte bezeichnet wird, sondern die Entfernung eines Teils eines bestimmten Materials:
6. Verbzusätze als lexikalische (34)
Argumente
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a. (Dreck) abschütteln b. (Wasser) abschöpfen, (Schleim) abhusten c. absaugen: Staub - Oberfläche/Flüssigkeit - Innenregion d. abbuchen
Da die Festlegung der Nachbarschaftsregion des impliziten Relatums konzeptuell bedingt ist, kann ein Eintrag für ab angenommen werden, der auf CS weiter ausdifferenziert wird. Ich möchte deshalb in Anlehnung an Kaufmanns (1991:46) Repräsentation für von (s. (35a)) den Eintrag in (35b) für diese ab- Variante zugrundelegen; OF+ bezeichnet die Oberflächenregion. (35)
a. von2:
λν λυ
b.
λ υ BECOME(-I LOC(u, O F + [ v ] ) )
ab2:
[CHANGE^
(D(u),
ΛΓ (r C OF+[V]))]
ab2 ist - wie bereits gesagt - ein Spezialfall von ab\. Beide Einträge können jedoch nicht zu einem zusammengefaßt werden, da dann die spezifische Information von a b j verlorengeht. αέ>2 kann als Zustandsprädikat das Vorliegen eines Getrenntsein-Zustands anzeigen: (36)
a. Der Knopf ist ab. b. Der Dreck ist ab. c. Der Bart ist ab.
Präsupponiert wird hierbei, daß der Subjektreferent zuvor an anderer Stelle lokalisiert war, und zwar an einer, die in einer funktionalen Beziehung zu ihm steht. Zusammenfassend kann die Partikel ab dahingehend charakterisiert werden, daß sie in ihrem Denotat alle Ursprungslesarten haben darf, die nicht von der Adverbpartikel (her)aus erfaßt wird; die gleiche Aufgabenverteilung kann man bei den Präpositionen aus und von finden, d. h. daß die Präposition von alle Ursprungslesarten erlaubt, die bei der Präposition aus nicht möglich sind (Kaufmann, mündl.). Hier zeigt sich, daß es im Bereich der Verbzusätze mit Ursprungslesart weitaus weniger Differenzierungen gibt als bei Verbzusätzen mit Ziellesart. Die Erklärung für diese Asymmetrie ist vermutlich pragmatischer Natur: Informationen über Nachzustände bzw. Ist-Zustände sind gegenüber Informationen über Vorzustände deutlich präferiert; deshalb entwickeln viele Sprachen kein elaboriertes System von Ursprungsausdrücken, die Zustandswechsel bezüglich gewisser Vorzustände charakterisieren. 1 9
a. Er hobelt 1 cm vom Brett ab. b. Er feilt die scharfen Zacken ab. c. Sie wetzt den Rost ab. Diese Interpretationsvariante muß meines Erachtens ebenfalls über eine konzeptuelle Umdeutung motiviert werden, bei der das Basisverb eine große Rolle spielt; die hier genannten Verben drücken nämlich alle eine Objektmanipulation mit Materialeinwirkung aus. Vergleiche mit anderen Sprachen deuten ebenfalls darauf hin, daß die Zahl und Differenzierung bei Verbzusätzen bzw. Präverben, die Ursprungsangaben denotieren, wesentlich eingeschränkter ist als bei Verbzusätzen, die eine Zielangabe liefern. So gibt es ζ. B. im Ungarischen im wesentlichen nur zwei Ursprungspräverben (ki: Entfernung aus einer Innenregionen; le: alle übrigen Formen der Loslösung); die Inkorporation von Ursprungspostpositionen ist im Unterschied zu Zielpostpositionen ausgeschlossen (KataJin E. Kiss, mündl.).
98
6. Verbzusätze als lexikalische Argumente
6.1.4 Präfixverben mit verIm Gegensatz zu den hier diskutierten Partikeln spezifiert das Präfix νer- keine konkrete Region, hinsichtlich derer eine entsprechende Lokalisierung zum Ausdruck gebracht wird, sondern es besitzt in diesen Verwendungen hauptsächlich die etwas unbestimmte Interpretation "weg", d. h. "nicht mehr am Ursprungsort lokalisiert sein", teilweise dann auch mit der zusätzlichen Bedeutungsnuance "räumlich distribuiert sein". Diese Paraphrasierung ist noch zu grob, um eine Abgrenzung von ab und weg leisten zu können; ich werde hier noch einmal auf die Konkurrenz der drei Verbzusätze eingehen. Die Sättigung eines lokalen Arguments in der Interpretation "nicht mehr am Ursprungsort lokalisiert sein" ist - grob gesagt - bei vier Typen von Basisverben zu beobachten: Transitive Verben, die eine von außen verursachte Bewegung ausdrücken (d. h. eine Einwirkung oder ein Impuls des Subjektreferenten bewirkt die selbständige Bewegung des Objektreferenten; s. (37a)), kausative Positionsverben (s. (37b)), intransitive Verben, die eine durch irgendeinen Impuls ausgelöste Bewegung bezeichnen (s. (37c)) 20 und transitive Verben, die das Umfüllen einer Flüssigkeit bzw. das Verteilen von Substanzen ausdrücken ("Distributionsverben") und in deren Semantik der Ausführungsmodus durch den Subjektreferenten (verschmieren vs. verstreichen) und die materielle Zusammensetzung des Objektreferenten (gießen: Flüssigkeit; stäuben: pulvrige Substanz ...) kodiert sind (s. (37d)). 21 (37)
a. b. c. d.
verjagen, verscheuchen, vertreiben, verdrängen ... verstellen, verlegen, versetzen ... verrutschen, versacken, versinken, verwehen ... verspritzen, versprühen, verstäuben, verschmieren, vergießen, verschütten ...
In Abhängigkeit von den Basisverben bewirkt die Präfigierung von ver- in unterschiedlicher Ausprägung die Blockierung der Realisierung einer direktionalen PP. Bei Verben wie verjagen werden direktionale PPs mit Ziellesart (38a/b) blockiert; nur pleonastische PPs, die den Ursprungsort näher spezifizieren, sind möglich. Viele der kausativen Positionsverben erlauben in diesem Muster keine pleonastischen PPs (s. (38c-e)), auch nicht solche mit Ursprungslesart. 22 Bei den "Distributionsverben" wie (38f/g) ist ebenfalls zu beobachten, daß durch ver- das lokale Argument gesättigt wird und eigentlich nicht mehr expliziert werden kann; direktionale Ziel-PPs können allenfalls mit Kontrastbetonung realisiert werden. Bei Verben wie verrutschen können keine direktionalen PPs realisiert werden (s. (38h/i).
2 0
Der Impuls kann bei verrutschen oder versinken auch in der Veränderung der Gewichtsverhältnisse oder in Veränderungen der lokalen Konfiguration bestehen. 2 1 Während die kausativen Positionsverben in (37b) und die "Distributionsverben" in (37d) ein obligatorisches prädikatives Argument im Basiseintrag haben, ist das prädikative Argument bei den Verben in (37a/c) optional: a. Die Hunde jagen den Fuchs (aus dem Wald/in seinen Bau). b. (XP[+DIR]) Xy λ χ Xs [JAG(x,y) & P(y)](s) c. Der Papierstapel rutscht (auf den Boden/vom Tisch). d. (λΡΙ+DIR]) λ χ λα [RUTSCH(X) & P(x)](s) 22 In der lexikalisierten, abstrakten Lesart haben diese Verben eher eine Zielorientierung und erlauben dann auch entsprechende pleonastische PPs (einen Termin auf den Nachmittag verschieben, die Uhr auf 10 Uhr verstellen). Ein weiteres Beispiel mit einem lexikalisierten ver-Verb, das eine Ziel-PP erlaubt, ist das folgende: sie verlegen die Patienten in die 1. Etage.
6. Verbzusätze als lexikalische Argumente (38)
a. b. c. d. e. f. g. h. i.
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Die Hunde jagen den Fuchs aus seinem Bau/in sein Versteck. Die Hunde verjagen den Fuchs aus seinem Bau/* in sein Versteck. Er stellt die Kiste unter das Regal/vom Regal. Er verstellt die Kiste * unter das Regal/* vom Regal. * Er verlegt die Stifte aus der Schachtel. Sie schüttet das Wasser auf den Boden/aus der Kanne. Sie verschüttet das Wasser (* auf den Boden/* aus der Kanne). Der Papierstapel rutscht auf den Boden/vom Tisch. Der Papierstapel verrutscht (* auf den Boden/* vom Tisch).
Die Beschränkung für die Realisierung von direktionalen PPs ist vermutlich pragmatischer Natur: ver- bezeichnet einen relativ unbestimmten Ortswechsel, nämlich den Wechsel in eine nicht weiter spezifizierte Zielregion. Die PPs würden die Zielregion oder die Ausgangsregion (wie beim Basisverb) genau kennzeichnen, so daß die Präfigierung des Basisverbs mit ver- völlig überflüssig ist. ver- wird gewählt, wenn ein unbestimmter Ortswechsel zum Ausdruck gebracht werden soll. Daß bei Verben wie jagen Ursprungs-PPs möglich sind, ist wahrscheinlich darauf zurückzuführen, daß die Basisverben eine Einwirkung auf den Objektreferenten zum Ausdruck bringen, die dem Ziel dient, diesen von einem bestimmten Ort zu entfernen, ver- bezeichnet dabei den erfolgreichen Abschluß dieser Handlung. Eine Ursprungs-PP spezifiziert dabei die Region, aus der der Objektreferent entfernt worden ist und kann für diese Verben deshalb informativ sein. Zu den intransitiven Basisverben dieses Musters gehören Bewegungsverben, die nichtkontrollierte Bewegungen umfassen, die durch einen Impuls initiiert werden können. Agentive Bewegungsverben können dagegen nicht in diesem Muster auftreten (Ausnahme verreisen·, es bezeichnet keine spezifische Bewegung); sie werden typischerweise mit der Adverbpartikel weg kombiniert (s. (39a/e)). Die unterschiedliche Kombinierbarkeit mit verödet weg korreliert eindeutig mit sortaler Information über den Subjektreferenten: Ist der Subjektreferent belebt, so wird eine kontrollierte Bewegung unterstellt; das Verb kann dann nur mit weg kombiniert werden (s. (39a/c/e)). Ist dagegen der Subjektreferent unbelebt, wird die Bewegung als äußerlich kontrolliert/initiiert empfunden; in diesem Fall erfolgt dann eine Präfigierung von ver- (s. (39b/d)). (39)
a. b. c. d. e.
§ Der Pilot verfliegt vs. der Pilot fliegt weg Das Parfüm verfliegt. § Ich verrutsche vs. ich rutsche weg Der Stapel verrutscht. § Sie verrennt vs. Sie rennt weg.
Daß ver- in dieser Verwendung nicht mit agentiven Bewegungsverben kombiniert werden kann, ist wahrscheinlich darin begründet, daß ver- hier nur einen eher implausiblen oder wenig relevanten Informationsbeitrag leisten würde: ver- bezeichnet den Wechsel in eine unspezifische Zielregion. Agentiven Bewegungsverben liegt eine kontrollierte Bewegung zugrunde, die das Anstreben eines (konkreten) Ziels nahelegt. 23 Während bei den hier vorDas Anstreben eines konkreten Ziels bei agentiven Bewegungsverben manifestiert sich auch in der großen Produktivität dieser Verben in Kombination mit der Partikel an als Gerichtetsein-Komponente (DIRECTED_TOWARDs-Muster: eine Tankstelle anfahren; s. 7.4.1).
100
6. Verbzusätze als lexikalische Argumente
zufindenden Basisverben mit äußerlich initiierten Bewegungen die Information relevant sein kann, daß der Gegenstand nicht mehr am Ursprungsort lokalisiert ist und der äußerliche Impuls einen Ortswechsel in eine unspezifische Zielregion bewirkt hat, wird man dies bei kontrollierten Bewegungen nicht unterstellen wollen. Diese Information ist nur als Kommentar eines Sprechers plausibel, der zwar weiß, daß jemand einen Ortswechsel vollzogen hat, nicht aber den daraus resultierenden Aufenthaltsort kennt. Daß weg mit agentiven Bewegungsverben kombinierbar ist, dürfte auf die im Vergleich zu ver- spezifischere Semantik zurückzuführen sein: Während weg sich auf die Distalregion des Ursprungsortes bezieht, kann für ver- nur die zum Ursprungsort komplementäre Region als Zielregion angenommen werden. Die unterschiedliche Distribution der beiden Verbzusätze im Hinblick auf ihre potentiellen Basisverben kann nicht als Blockierungseffekt bei zugrundeliegend ähnlicher Semantik von ver- und weg erklärt werden. Anhaltspunkt für einen weitergehenden Bedeutungsunterschied bietet die Tatsache, daß bei den ver-Verben teilweise eine Distribution des Objektreferenten zum Ausdruck kommt (d. h. daß Teile des Objektreferenten im Nachzustand nicht am gleichen Ort lokalisiert sein müssen), während bei den weg-Verben eine (homogene) Lokalisierungsänderung des gesamten Objekts bezeichnet wird. 24 Die distributive Bedeutungsnuance müßte also durch den Eintrag für ver- motiviert sein. (40a) hat zwei Lesarten, nämlich daß der Stapel einem Ortswechsel unterliegt oder daß sich bei der Bewegung die interne Konfiguration des Stapels ändert. In (40b) kann eine Situation bezeichnet werden, in der die Personen, die die Menge konstituieren, in unterschiedliche Richtungen laufen, ähnliches in (40c). In (40d) wird durch den Eingriff des Subjektreferenten bewirkt, daß die Tiere in verschiedene Richtungen laufen können. (40)
a. b. c. d.
der Stapel verrutscht die Menge verläuft sich die Wolken verziehen sich die Tiere vertreiben
der Stapel rutscht weg die Menge läuft weg die Wolken ziehen weg die Tiere wegtreiben
Die soeben erwähnte, zusätzliche distributive Bedeutungsnuance tritt noch viel deutlicher bei den "Distributionsverben" in (37d) auf. Die Präfixlesart wird allerdings eindeutig durch die Bedeutung der Basisverben gestützt, bei denen in den allermeisten Fällen bereits eine Distribuierung von Material/Gegenständen zum Ausdruck gebracht wird. Die distributive Lesart ist bei diesen Verben konzeptuell motiviert und macht für sie keinen separaten Eintrag erforderlich. Eine wichtige Frage ist nun, ob die distributive Lesart auf der SF kodiert werden muß oder sich bei der Interpretation des SF-Eintrags auf CS ergibt. Es ist festzuhalten, daß sich die Interpretation, daß eine Gestaltsveränderung (s. (40a)) oder ein Ortswechsel erfolgt, aus den sortalen Eigenschaften der betreffenden Argumentreferenten ergibt. Die Distribuierbarkeit ist gleichfalls sortenabhängig. Ich nehme deshalb an, daß sich die distributive Interpretation aus der Deutung des SF-Eintrags auf CS ergibt. Daß im Gegensatz zu allen anderen (lokalen) Verbzusätzen nicht immer ein homogener Ortswechsel bezeichnet wird, sollte darauf zurückgeführt werden, daß ver- nicht den Wechsel in eine spezifische Zielregion, sondern in die Komplementärregion des Ursprungsortes denotiert. Eine distributive Lesart Die distributive Lesart kann aber nur bei Objektreferenten auftreten, die entsprechend distribuierbar sind, was ζ. B. bei zählbaren Entitäten im Singular nicht der Fall ist (sie verjagten den Fuchs).
6. Verbzusätze als lexikalische
101
Argumente
ist deshalb zulässig. Ich lege als Eintrag für ver- (41a) zugrunde. Da der von νer- bezeichnete Ortswechsel auch minimal sein kann (ζ. B. sie verstellte die Vase (und zwar einen Zentimeter weiter rechts)), gehe ich davon aus, daß sämtliche Regionen, die komplementär zum Ursprungsort PLACE[Or] sind, mögliche Zielregionen darstellen. Als lexikalisches Argument kann der Präfixeintrag direkt über Funktionale Applikation angebunden werden (s. (41b/c)). (41)
a. very.
Xu BECOME(LOC(u, ~PLACE[Or]))
b. c.
Xy λ χ Xs [JAG(x,y) & BECOME(LOC(y, ~PLACE[Or]))](s) Xy λ χ Xs [SCHÜTT(x,y) & BECOME(LOC(y, ~PLACE[Or]))](s)] 25
verjagen: verschütten:
Zusammenfassend stelle ich kurz die konkurrierenden Verbzusätze los, weg, ab ι und ver [ in der folgenden Tabelle gegenüber. Die Tabelle macht deutlich, daß los im Unterschied zu den anderen Verbzusätzen keine lokale Information beisteuert. Dieser Unterschied manifestiert sich auch in der Klasse der Basisverben: los kann generell mit Activity-Verben kombiniert werden, während die anderen Verbzusätze an Basisverben treten, die eine lokale Bedeutungskomponente haben, ver- und weg- lassen auch transitive Basisverben zu, während ab bei transitiven Verben nicht die Bedeutung von ab ι haben kann (jemanden abdrängen). Bei den intransitiven, nicht-agentiven Verben hat ab gleichfalls eine andere Bedeutung, es verstärkt hier die in den Basisverben zum Ausdruck kommende Abwärtsbewegung (absinken, abrutschen). (42)
Übersicht über die konkurrierenden Verbzusätze los, weg, ver j und ab\ SF-Eintrag
Aktionsart
Basisverben
punktuell, ingressiv
Activity-Verben
los
^[+rel,-dep] Xs '
weg
Xu BECOME(LOC(u, DIST[Or]))
punktuell resultativ
itr. Bewegungsv. tr. Bewegungsv.
ver\
Xu BECOME(LOC(u, ~PLACE[Or]))
resultativ
itr., nicht-agentive Bewegungsv. tr. Bewegungsv. mit Einwirkung
3s
0NGR(s)(s') & P(s))
resultativ ab ι
Xu BECOME(—ι LOC(u, PROXfOr]))
punktuell
itr. Bewegungsv.
Die los-Verben und die ab-Verben sind jeweils punktuell: Zeitrahmenangaben werden deiktisch interpretiert, Zeitdauerangaben dagegen iterativ. Bei den weg-Verben ergeben sich unterschiedliche Interpretationen bei den intransitiven und den transitiven Verben: Intransitive Verben werden punktuell interpretiert (s. (43a/b)), transitive Verben dagegen resultativ, d. h. daß eine Zeitrahmenangabe hier das Intervall angibt, innerhalb dessen die Ich nehme folgende vereinfachte SF für das Basisverb an: λΡ Xy λχ Xs [scHüTT(x,y) & P(y)](s) scHüTT(x,y) bezeichnet den Ausführungsmodus, in dem der Referent von χ die Distribution von y vornimmt.
102
6. Verbzusätze als lexikalische Argumente
vom Verb bezeichnete Handlung abgeschlossen wird (s. (43c)). Dementsprechend muß eine Zeitdauerangabe iterativ interpretiert werden. Transitive ver-Verben verhalten sich wie transitive weg-Verben (s. (43e/f)). Unklarer sind die Verhältnisse bei den intransitiven verVerben. Betrachtet man verrutschen als Ausnahme, da es mit den Zeitadverbien nicht plausibel zu interpretieren ist (man kann allenfalls in (43h) eine iterative Lesart zugrundelegen), so kann man annehmen, daß auch die intransitiven ver-Verben resultativ sind (s. (43i-l)). Die in (431) zum Ausdruck kommende Iteration des Ereignisses erscheint jedoch auch wenig plausibel. a. b. c. d. e. f. g· h. i. j· k. 1.
Sie laufen in einer Stunde weg. Sie laufen drei Stunden lang weg. Sie treiben in einer Stunde 80 Tiere weg. Sie treiben drei Stunden lang (die) Tiere weg. Sie vertreiben die Tiere in einer Stunde. Sie vertreiben drei Stunden lang (die) Tiere. ?? Der Stapel verrutscht in einer Stunde. ? Der Stapel verrutscht drei Stunden lang. Die Menge verläuft sich in einer Stunde. Die Menge verläuft sich drei Stunden lang. Der Mann versinkt in einer Stunde (im Moor). ? Der Mann versinkt drei Stunden lang.
[deiktisch] [iterativ] [resultatsbezogen] [iterativ] [resultatsbezogen] [iterativ] [iterativ] [resultatsbezogen] [iterativ] [resultatsbezogen] [iterativ]
Es ist noch genauer zu prüfen, inwieweit die tentativen Bedeutungsrepräsentationen der Verbzusätze ausreichen, ihren aktionsartlichen Beitrag und die Klasse der möglichen Basisverben zu begründen. Die Einträge von ab\ und verj scheinen weitgehend äquivalent zu sein. Ich denke aber, daß durch diese Repräsentationen unterschiedliche Perspektiven auf eine Situation gelegt werden, die dann auch die Verteilung der beiden Verbzusätze motivieren. Bei ab steht die Loslösung vom Ursprungsort im Vordergrund, was dann auch die ingressive Deutung der Verben begründet. Die daraus folgende Lokalisierung des Lokatums wird über situationsbezogenes oder enzyklopädisches Wissen inferiert und schließt alle bei ver- möglichen Regionen mit ein. Minimalpaare wie abreisen und verreisen belegen nun auch, daß bei fast gleicher lokaler Information unterschiedliche Ausschnitte der gleichen Situation in den Blickpunkt gerückt werden: Bei abreisen steht eher der Beginn der Reise im Mittelpunkt, verreisen wird eher gewählt, um den Ortswechsel an sich anzuzeigen.
6.2 Präpositionsinkorporation Das Phänomen der Präpositionsinkorporation (im folgenden PI) ist bereits in einigen Arbeiten ausführlich diskutiert worden. Wunderlich (1987, 1991) analysiert die deutschen beund P-Präfixverben und schlägt eine lexikalische Analyse mittels Funktionskomposition von expliziten SF-Einträgen für Verb und Verbzusatz vor. Baker (1988) legt einen syntaktischen Ansatz zugrunde und betrachtet diesen auf dem Hintergrund der Applikativstrukturen in den Bantusprachen. Sowohl Wunderlich als auch Baker verwenden in ihren Analysen den Begriff der Präpositionsinkorporation, auch wenn in den von Baker untersuchten Ap-
6. Verbzusätze als lexikalische
Argumente
103
plikativstrukturen häufig keine formale Entsprechung zwischen einer Präposition und dem Applikativaffix gegeben ist. Auf Bakers Analyse werde ich in Kapitel 10.2.4 eingehen. Die Anwendbarkeit des Begriffes auf Partikelverben ist in Stiebeis (1991) diskutiert worden. Bei Partikelverben ist der Begriff der PI in wortstruktureller Hinsicht problematisch, da Partikel und Verb nicht miteinander fusioniert werden (s. Kapitel 3). Rein deskriptiv ist die PI generell dadurch gekennzeichnet, daß die Präposition eines PPArguments mit dem Verb verbunden wird und das Präpositionalobjekt im Zuge der Ableitung zum direkten Objekt des komplexen Verbs wird. Das Basisobjekt transitiver Verben kann dann in Abhängigkeit von den Linkingbedingungen der jeweiligen Sprache (Zahl der direkten strukturellen Argumente) zweites direktes Objekt bleiben (in symmetrischen Doppel-Objekt-Sprachen; s. Bresnan/Moshi 1990) oder muß oblique realisiert werden. Im Deutschen wird generell als Obliquemarkierung die mit-Phrase gewählt. Hier einige Beispiele: (44)
a. b. c. d. e. f. g. h. i. j.
Sie steigt auf das Dach. Sie besteigt das Dach. Er legt Sauerkirschen auf den Tortenboden. Er belegt den Tortenboden mit Sauerkirschen. Sie fliegen über die Alpen. Sie überfliegen die Alpen. Sie gießt Vanillesoße über den Pudding. Sie übergießt den Pudding mit Vanillesoße. Sie wandern durch den Wald, Sie durchwandern den Wald.
Wie die Beispiele zeigen, können sowohl intransitive als auch transitive Verben mit prädikativem Argument als Basis für die PI dienen, be- und die P-Präfixen sind in diesen Verwendungen relativ produktiv. Allerdings greifen auch hier semantische Beschränkungen (s. Brinkmann 1995 für die be- Verben), auf die ich jetzt nicht weiter eingehen möchte. Wunderlichs (1991, 1992, 1993) Analyse dieser Verben sei kurz skizziert, wobei ich seine Repräsentationen in Anlehnung an das hier gewählte Repräsentationsformat leicht modifiziert habe: Das Basisverb in (45a/d) erbt über Funktionskomposition das interne Argument der Präposition/des Präfixes, das dabei zum rangniedrigsten Argument des komplexen Verbs wird und deshalb aufgrund der Linkingprinzipien (s. Kapitel 2) den Akkusativ erhält. (45)
a. b. c. d. e.
wandern: durch: durchwandern: gießen: be gießen:
λΡ λν λν λΡ
λχ λυ λχ λy
λζ -lr +hr
Xs (WANDER(x) & MOVE(x) & P(x))(s) INTERSECT(D[u],v) Xs (WANDER(x) & MOVE(x) & INTERSECT(D[x],v))(s) λ χ Xs [GlEß(x,y) & P(y)](s) λχ λβ [GIEß(x,y) & BECOME(LOC(y, EXT[z]))](s) (Xy) *
akk obl
+lr -hr
nom
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6. Verbzusätze
als lexikalische
Argumente
Nach Wunderlich (1994a) kann das mittlere Argument bei Verben mit transitiver Basis wie in (45e) nicht strukturell, also mit dem Dativ, realisiert werden, weil das erste Vorkommen der Variablen y nicht das tiefste Argument ζ L-kommandiert. Es kann deshalb nur oblique realisiert werden, wobei hier die Markierung mit der Präposition mit zur Verfügung steht. Die Optionalität des Basisverbarguments wird durch die Klammerung angezeigt. Die von Wunderlich vorgeschlagene Analyse, das ursprüngliche direkte interne Argument transitiver Basisverben (trotz seiner obliquen Realisierung) als mittleres Argument auf dem Theta-Raster des komplexen Verbs zu belassen - gemäß dem Ergebnis der Funktionskomposition mit anschließender λ-Abstraktion - wird allerdings von einigen Linguisten abgelehnt. So argumentiert Olsen (1993, 1994) mit Daten aus dem Fokustest gegen die von Wunderlich vorgeschlagene Analyse. 26 Ihre Daten sollen zeigen, daß nicht von einer Ableitung über Funktionskomposition ausgegangen werden kann, sondern daß zwei getrennte Verbeinträge vorliegen, da die Grundabfolge der Argumente bei Simplex- und Präfixverb nicht die gleiche sein kann, wenn jeweils die Abfolge Akkusativ-NP vor PP maximalen Fokus erhält, die umgekehrte Abfolge jeweils minimalen Fokus: (46)
Was ist los? a. ... daß Sigrid b. ... daß Sigrid c. ... daß Sigrid d. ... daß Sigrid
Namen auf Zettel schreibt, (max. Fokus) auf Zettel Namen schreibt, (min. Fokus) Zettel mit Namen beschreibt, (max. Fokus) mit Namen Zettel beschreibt, (min. Fokus)
Ihrer Argumentation zufolge kann das Basisobjekt in seiner Realisierung als m/i-Phrase nicht die gleiche Position auf dem Theta-Raster einnehmen wie beim Basisverb. Dagegen kann man argumentieren, daß eine lineare Präzedenz-Regel (NP > PP) das Defaultlinking überschreibt (für eine solche Annahme spricht die bereits erwähnte Alternation zwischen Dativ und an-PP bei einigen Verben.). Das bedeutet, daß nicht vom ursprünglichen, bei der Derivation abgeleiteten Theta-Raster in die Syntax gelinkt wird, sondern daß im Zuge der semantischen Komposition eine Argumentvertauschungsoperation dazwischengeschaltet ist, die direktes Objekt und oblique NP vertauscht. 27 Wie sich noch zeigen wird, weicht die PI bei den Präfixverben mit ent- vom typischen Muster ab, da hier das mittlere Argument den Dativ erhält. Eine Unterscheidung zwischen diesen beiden PI-Typen muß also getroffen werden können. Die Funktion der PI kann nur in Zusammenhang mit den Linkingmechanismen der betreffenden Sprache und syntaktischen Restriktionen für den Zugriff einzelner Prozesse auf NPs mit einer bestimmten grammatischen Funktion gesehen werden. In einigen Sprachen (ζ. B. Kichaga, s. Bresnan/Moshi 1990) stellt die Applikativkonstruktion die einzige Möglichkeit 26
In (1995a) analysiert Olsen die Bildung von be-Verben als inneres Passiv, wobei das interne Basisverbargument vom Theta-Raster eliminiert wird. Konsequenz dieser Analyse ist, daß die mif-PP durch eine entsprechende Relation in die SF des komplexen Verbs integriert werden muß, wobei dann die Identifikation mit dem direkten internen Argument des Basisverbs näher zu motivieren wäre. Olsen erfaßt dies durch einen Funktoreintrag für das fce-Präfix (S. 227), bei dem die mi7-Phra.se mittels eines optionalen Prädikats integriert werden kann. Auf die Problematik der Funktoranalyse habe ich in 5.1. hingewiesen. In (1995b) revidiert Olsen ihre Analyse und leitet die be-Verben ähnlich wie Wunderlich ab. Alternativ könnte man annehmen, daß über Argumente, die aufgrund einer L-Kommando-Verletzung nicht strukturell realisiert werden können, nicht gemäß der Einbettungstiefe abstrahiert wird, sondern daß über diese zuletzt abstrahiert wird.
6. Verbzusätze als lexikalische Argumente
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dar, Adjunktphrasen zu realisieren, da diese Sprachen über keine Adpositionen oder anderen Linker - das Applikativaffix ausgenommen - für Adjunkte verfügen. Generell ist die PI als eine Diatheseoperation zu verstehen, die ein zugrundeliegend indirektes oder obliques Argument für andere Diatheseoperationen (ζ. B. Passiv) und bestimmte syntaktische Prozesse zugänglich macht (Relativierung, Cleft, Koordination u. a.), insbesondere in Sprachen, bei denen nur zwei strukturelle Argumente gegeben sind (ζ. B. Indonesisch). In Kombination mit dem Passiv können solche Sprachen nun auch indirekte Argumente in die Subjektposition bringen. Dieser Effekt zeigt sich genauso im Deutschen: Mittels der bePräfigierung kann das Präpositionalobjekt in (47a) in die Position des direkten Objekts und mit Passiv anschließend in die Subjektposition gebracht werden (s. (47b)), so daß dann auch die Koordination bei gleicher Subjekt-NP zulässig ist (s. (47c/d)). (47)
a. b. c. d.
Sie steigen auf das Matterhorn. Das Matterhorn wird oft bestiegen. * Das Matterhorn ist das Wahrzeichen der Schweiz und wird oft gestiegen. Das Matterhorn ist das Wahrzeichen der Schweiz und wird oft bestiegen.
Der semantische Effekt der PI, die bei transitiven Verben nur zu einer Valenzumordnung führt, besteht häufig in dem Wechsel der Perspektive auf eine bestimmte Situation. So haben im Fall der foe-Verben bzw. Locative Alternation viele Autoren (ζ. B. Dowty (1991) und Wunderlich (1992)) gezeigt, daß diese Verben eine andere Perspektive auf die beschriebene Situation haben und anderen Erfüllungsbedingungen genügen als die entsprechenden Simplexverben. Dies sei an folgendem Beispiel illustriert: In (48a) müssen alle Kartoffeln auf den Wagen geladen worden sein, ansonsten ist die Aussage falsch; es ist jedoch möglich, daß nicht der gesamte Raum auf dem Wagen von Kartoffeln eingenommen wird. Dies ist in (48b) gefordert, wobei hier jedoch nicht unbedingt alle Kartoffeln auf den Wagen geladen worden sein müssen; (48b) wird bei indefiniten Massen präferiert. (48)
a. Sie luden die Kartoffeln auf den Wagen. b. Sie beluden den Wagen mit (den) Kartoffeln.
Die Untersuchungen der Partikelverben mit an und auf (Stiebeis 1991) und nachfolgend der mit ab haben gezeigt, daß bei den Partikelverben keine produktiven oder systematischen PIMuster gegeben sind. Nur bei an lassen sich einige lexikalisierte Verben als PI-Instanzen analysieren, wobei eine größere Zahl von Belegen nur für die Verben in (49a) (Berührung von Objekten: anpacken, anrühren, antatschen, antippen ...) und in (49c) (Übertragung von Farbe o. ä.: anspritzen, anstreichen, anpinseln, anschmieren ...) nachzuweisen ist: (49)
a. b. c. d. e. f. g. h.
Sie faßt an seine Schulter/an den Schrank. Sie faßt seine Schulter/den Schrank an. Sie malt grüne Farbe an den Schrank. Sie malt den Schrank mit grüner Farbe an. Sie schreibt einen Brief an die Stadtverwaltung. Sie schreibt die Stadtverwaltung (? mit einem Brief) an. Der Hund pinkelt an den Baum. Der Hund pinkelt den Baum an.
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6. Verbzusätze als lexikalische Argumente
Wäre die Alternation zwischen Argumentsättigung und Präpositionsinkorporation eine freie Option bei Partikeln, so könnten sich systematische Ambiguitäten bei bestimmten Basisverben (ζ. B. kausativen Positionsverben) ergeben: Während bei einem Verb wie malen das enzyklopädische Wissen über solche Handlungen sicherstellt, daß das Objekt in (50a) als Relatum (bei PI) und das in (50b) als Lokatum (bei Argumentsättigung) verstanden wird, könnte eine solche Disambiguierung in (50c) nicht ohne zusätzliche Kontextinformation geleistet werden: Falls die Struktur in (50c) über PI hergeleitet worden wäre, so hätte der Satz die Bedeutung, daß etwas auf den Schrank gestellt worden ist, was jedoch in einer gewissen Weise implausibel ist, da Schränke prototypischerweise von ihrer Funktion her zwar als Aufbewahrungsorte dienen, jedoch eher bezogen auf ihre Innenregion denn auf ihre obere Außenfläche. Das Verb aufstellen ist hier jedoch lexikalisiert mit der Bedeutung von auf als "aufrecht". 28 (50)
a. Sie malt den Schrank an. b. Sie malt Farbe an. c. Sie stellt den Schrank auf.
Während bei den von mir untersuchten Partikelverben nur einige wenige lexikalisierte Belege für PI-Strukturen gegeben sind, weisen die Präfixverben größere Gruppen auf, die allerdings inzwischen alle reanalysiert worden sind. An die Produktivität der be- und P-Präfixverben reichen sie jedoch nicht heran. Vorstellen möchte ich hier die Präfixverben mit ver- und eni-. 29
6.2.1 Präfixverben mit verBei den Präfixverben mit ver- gibt es zwei Muster, die als ursprüngliche PI-Strukturen gedeutet werden können. Von diesen beiden Mustern umfaßt die erste, lexikalisierte Gruppe in (51) Äußerungsverben, die in einer Variante mit einer PP mit über auftreten können (s. (51b)). ver- ist in diesem Fall als "inkorporierte" Form der Präposition über zu deuten (s. (51c)). (51)
a. verspotten, verlachen, verulken, verhöhnen b. Sie lachen über den Lehrer. c. Sie verlachen den Lehrer.
Da das Präfix und die Präposition nicht miteinander verwandt sind, ist der Begriff der Präpositionsinkorporation hier mit Vorsicht zu behandeln. Gemeint ist nur, daß das Präfix als semantische Entsprechung der Präposition aufgefaßt und das direkte Objekt des Präfixverbs 28
Man mag einwenden, daß ein Verb wie aufstellen nicht wie in der PI alternieren kann, da es kein inkrementelles Thema besitzt (s. Dowty 1991), doch auch Verben wie sprühen, die gemäß dieser Forderung alternieren sollten und sogar disambiguierbar sind (Farbe aufsprühen vs. § die Wand aufsprühen), können nicht in PI-Strukturen auftreten. Dies kann wahrscheinlich auf die Blockierung durch das konkurrierende be- oder an-Verb zurückgeführt werden oder auch sprachhistorisch motiviert werden: auf war bis zum Althochdeutschen nur ein Adverb mit der Bedeutung "empor", hatte also nicht die für die PI notwendige inhärent relationale Bedeutung. Bei den Präfixverben mit er- gibt es auch einige wenige Verben, die als lexikalisierte Pl-Instanzen betrachtet werden können (ζ. B. auf den Berg steigen vs. den Berg ersteigen). Aufgrund der absoluten Unproduktivität gehe ich jedoch nicht auf diese Verben ein.
6. Verbzusätze als lexikalische
Argumente
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als Präpositionalobjekt des Basisverbs gedeutet werden kann. Ich will nicht näher auf diese Gruppe eingehen, da sie nicht produktiv ist und allenfalls über Analogie ausgebaut wird. Beim zweiten Muster in (52) ist die diachron motivierbare Beziehung zur Präposition vor gegeben, d. h. man kann zeigen, daß das Präfix einer inkorporierten Form dieser Präposition entsprochen haben muß. 3 0 (52)
(die Aussicht) verbauen, (die Wunde) verbinden, (die Einfahrt) verstellen, gen, verkleben, verdecken...
verhän-
So sind Verben mit PP-Argument mit vor bis zu einem gewissen Grad Paraphrasen entsprechender ver-Verben: (53)
a. b. c. d. e.
Sie Sie Sie Sie Sie
hängen Tücher vor den Schrank/vor das Fenster. verhängen den Schrank/das Fenster (mit Tüchern). stellen die Kisten vor die Einfahrt. verstellen die Einfahrt (mit Kisten). verschmierten die Wand mit Farbe.
Allerdings sind die Präposition und das Präfix heute nicht mehr bedeutungsgleich. Bei den Präfixverben wird nur in einigen wenigen Fällen eine Lokalisierung in der VOR*-Region zum Ausdruck gebracht (s. (53b/d)), nämlich wenn eine entsprechende perspektivische Betrachtung möglich ist. Bei Kontaktverben ist eine solche Deutung in den allermeisten Fällen ausgeschlossen (s. (53e); Ausnahme: etw. vor etw. kleben —» etw. verkleben)', bei diesen Verben wird eher mit einer aw/-PP paraphrasiert. Es ist jedoch zu beobachten, daß man bei allen ver- Verben dieses Musters immer auch die Interpretation erhält, daß sie Handlungen denotieren, in denen durch die vom Basisverb bezeichnete Tätigkeit ein Verdecken oder Unzugänglichmachen eines Gegenstandes bewirkt wird. Dadurch ergibt sich die Frage, ob diese Interpretation nur als konzeptueller Schluß gedeutet werden soll, was funktional sehr plausibel ist, da das Piazieren eines Gegenstandes vor einen anderen häufig bewirkt, daß letzterer nicht mehr unmittelbar zugänglich ist, oder ob man dies als Reanalyse auffaßt, die sich in einem entsprechenden Eintrag niederschlägt. Im ersten Fall ergibt sich der Eintrag für verι in (54a), im zweiten der in (54b). 31 (54)
a.
ver2a:
b. ver21>:
λ ν Xu BECOME(LOC(u, vOR*(v,d))) Xu Xs BECOME(-. ACCESSLBLE(u))(s)
Legt man (54b) zugrunde, so umgeht man das Problem der Bestimmung der exakten Regionsangabe, die bei ver- zum Ausdruck kommt: Will man sowohl VOR*- wie auch AUF*-Region unter einem Eintrag subsumieren, so ist für ver- eigentlich die proximale Außenregion EXT[U] anzusetzen. Es ist jedoch fraglich, ob diese Angabe spezifisch genug ist. Daß dem nicht so ist und (54b) die geeignetere Repräsentation für ver- darstellt, läßt sich durch Minimalpaare von be- und ver-Verben motivieren, bei denen klare Interpretationsunterschiede auftreten (s. (55)). Obwohl bei beiden Präfixverbtypen ein Holismuseffekt zu beobachten 3
® Bei einigen Verben ist auch die sprachgeschichtlich begründete Korrespondenz zwischen dem Präfix und der Präposition für erkennbar: ζ. B. versorgen = für jmd. sorgen, verfechten = für etw. fechten. Dies wäre eine weitere kleine PI-Nische. 31 Wunderlich/Herweg (1991) geben folgende Repräsentation für vor, auf die ich mich vereinfacht in (54a) beziehe: voR(x,y,d) sie hat nicht gespielt b. Sie hat fast ihr Geld verspielt. => sie hat gespielt
Wie ist nun die Ableitung dieser Verben zu beschreiben? Die Frage ist, wieviel vom Beitrag des Präfixes der Semantik und wieviel der konzeptuellen Deutung zugeschrieben werden soll. Da bei der Präfigierung ein neues Argument hinzukommt, muß angenommen werden, daß in die SF des Basisverbs ein Prädikat integriert wird, das dieses neue Argument (als rangniedrigstes) lizensiert. Gleichzeitig macht es wenig Sinn, spezifische Prädikate anzusetzen, die die jeweilige Art des Verbrauchs charakterisieren, da ausgehend von den stereotypen Eigenschaften der beschriebenen Situation/Tätigkeit entschieden wird, was dort sinnvollerweise verbraucht werden kann (ζ. B. schreiben: Tinte; drucken: Papier; telefonieren: Geld; u. U. auch nicht-konkrete Objekte: Sie verhüpfte ihre letzten Kräfte). Deshalb erscheint es sinnvoll, ein allgemeines Prädikat anzunehmen, das erst auf der CS konzeptuell ausdifferenziert wird. Ich nenne die entsprechende Relation CONSUME(s,u); sie soll zum Ausdruck bringen, daß in der Situation s der Referent des internen Arguments u verbraucht wird.
13
Zustandsverben sind dann als Basen zugelassen, wenn durch ν er- ein Verbrauch von Zeit angezeigt werden kann (s. u.): Er verschlief den Morgen. Der weite Skopus ist beim Präfixverb aus pragmatischen Gründen ausgeschlossen, da die Bestreitung der eigentlichen Handlung auch durch das Simplexverb geleistet werden kann.
7. Verbzusätze als lexikalische Adjunkte
137
Evidenz, daß eine Adjunktrelation eingeführt wird, stellen besonders solche Verben dar, bei denen die Verbrauchsrelation nur konzeptuell erschlossen werden kann, ζ. B. vertelefonieren: Daß beim Telefonieren meist der Einsatz eines gewissen Geldbetrags erforderlich ist, ist zwar Teil unseres enzyklopädischen Wissens, wird aber nicht notwendigerweise als relevanter Teilaspekt einer Telefoniersituation aktiviert. Wenn ein neues direktes Argument hinzukommt, kann die Derivation aber nicht als reines CS-Phänomen betrachtet werden, sondern muß bereits auf der SF kodiert werden. Bevor ich näher auf die CONSUME-Relation eingehe, möchte ich zwei möglichen Deutungen des konsumierten Objekts entgegentreten. Zum einen kann man das neu hinzugefügte Argument nicht als Instrument verstehen, da diesen Verben noch eine Instrumentphrase beigefügt werden kann (s. (29)) und Instrumente generell nicht als dekrementeil abbaubar verstanden werden. (29)
Sie verschrieb viel Tinte mit diesem Füller.
Zum anderen könnten Sätze wie (30a) nahelegen, daß diese Verben einen Besitzverlust ausdrücken und somit die Relation BECOME(—. POSS(x,y)) als Resultatszustand in die SF des Basisverbs integriert wird (so in etwa wird es in Sarlov 1987 skizziert), wobei das externe Argument des Basisverbs mit dem externen Argument der POSS-Relation identifiziert wird. Variiert man jedoch das direkte Objekt hinsichtlich Definitheits- und Quantitätsangaben, so wird deutlich, daß jeweils unterschiedliche Interpretationen und Folgerungen induziert werden und die Lesart des Besitzverlustes nur einen interpretatorischen Spezialfall darstellt, der gemäß generellen Prinzipien vorhergesagt und deshalb unter der CONSUME-Relation subsumiert werden kann. (30)
a. b. c. d. e.
Er vertrinkt seinen Lohn. Er vertelefoniert sein Geld. Sie verbauen das Holz für ... Er vertelefoniert drei Mark für diesen Anruf. Sie verbauen Holz für ...
Daß die vom Objektreferenten bezeichnete Menge als vollständig verbraucht verstanden wird, ergibt sich aus der Homogenitätspräsupposition (Löbner 1990). Ein Besitzverlust wird dann nahelegt, wenn davon auszugehen ist, daß die verbrauchte Menge der überhaupt zur Verfügung stehenden entspricht; solch eine Lesart wird durch das Possessivpronomen (und häufig durch den definiten Artikel) induziert (s. (30a-c)). Quantifiziert man dagegen das direkte Objekt wie in (30d), so kommt nur zum Ausdruck, daß ein bestimmter Geldbetrag, also eher ein Besitzanteil, eingesetzt wird; hier macht es keinen Sinn, von einem Besitzverlust zu sprechen, auch wenn wieder angenommen wird, daß die angegebene Menge vollständig verbraucht wird. Variiert man das direkte Objekt in bezug auf die Definitheit (s. (30c/e)), so ergeben sich zudem unterschiedliche Perspektiven auf die beschriebene Situation: Da in (30c) - bedingt durch den definiten Artikel - ein vollständiger Verbrauch der zur Verfügung stehenden Menge unterstellt wird, versteht man diesen Satz als eine Aussage darüber, was mit einer bestimmten Menge Holz passiert. In (30e) dagegen wird von einem kontinuierlichen Verbrauch einer unbestimmten Menge ausgegangen, so daß die Perspektive hier eher auf der Aussage liegt, welches Material u. a. beim Hausbau verwendet wird.
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7. Verbzusätze als lexikalische Adjunkte
Aus all dem folgt, daß die Annahme einer CONSUME-Relation weitaus plausibler ist als die einer BECOME-NEG-POSS-Relation; die auftretende Variation bei der Interpretation ist durch generelle Prinzipien bei der Interpretation von Quantitäts- und Definitheitsangaben bedingt. Wie bereits angedeutet, ist die CONSUME-Relation bei der Betrachtung einer kontinuierlichen Entwicklung heranzuziehen, während die BECOME-NEG-POSS-Relation bei der Darstellung eines Resultatszustands relevant ist. Es gibt allerdings eine kleine Zahl von verVerben, die als Instanzen der BECOME-NEG-POSS-Relation angesehen werden können. Die Verben unterscheiden sich von den CONSUME-Varianten dadurch, daß der Objektreferent nicht als ein in der Situation eingesetztes und verbrauchtes Material/Objekt verstanden werden kann. Hier zwei Beispiele: (31)
a. Er verplapperte (* seiner Firma) Millionen, b. Sie verschlampte ihre Prüfungsunterlagen.
Die Äußerung (31a) kann ζ. B. in einer Situation verwendet werden, in der ein Angestellter durch Verrat von Betriebsgeheimnissen seiner Firma einen Millionenschaden zufügt. Bemerkenswert ist hier allerdings, daß der Verbrauch/Verlust nicht notwendigerweise auf den Referenten des externen Arguments bezogen werden muß, sondern jemand anderen betreffen kann: Wenn jedoch das externe Argument der POSS-Relation nicht mit dem externen Argument des Basisverbs identifiziert wird, so muß über den Kontext eine Belegung erfolgen; eine Explizierung des Possessors mit dem Dativ erscheint nicht sehr akzeptabel. 15 Weiteres Kennzeichen der in (31a) beschriebenen Situation ist, daß hier kein konkreter Verbrauch vorliegt derart, daß der Subjektreferent das Geld in der vom Basisverb denotierten Handlung einsetzt. Das spricht gegen die Annahme einer CONSUME-Relation. Der Verbrauch wäre hier nur in einer Situation gegeben, in der die Redeerlaubnis ausschließlich bei Zahlung von Geld erteilt wird. Die Wahrheitsbedingung für die CONSUME-Relation lautet wie in (32). Auf eine alternative Formulierung werde ich in 7.2.2 eingehen. (32)
CONSUME(s,u) ist wahr gdw. die von u bezeichnete Menge vollständig und monoton in T(s) reduziert wird. (T(s) bezeichnet die Situationszeit.)
Die Ableitung dieser ver-Verben erfolgt wie bei allen Adjunkten: In einem ersten Schritt wird das Basisverb in (33a) (vereinfachter Eintrag) um ein prädikatives Argument erweitert (s. (33b)), dann wird in einem weiteren Schritt der spezifische Beitrag des Präfixes in (33c) über Funktionskomposition integriert (s. (33d)). Im konkreten Fall wird dabei das interne Argument der CONSUME-Relation als neues rangniedrigstes Argument des Verbs vererbt; das ursprüngliche direkte interne Verbargument kann - wenn überhaupt - nur noch oblique realisiert werden. Zurückführen kann man dies auf die Verletzung des L-Kommandos. (33)
a. schreiben: (λγ) λχ Xs SCHREiB(x,y)(s) b. ARG(schreiben): λΡ (λγ) λχ Xs (scHRElB(x,y)(s) & P(s))
Bei der weitaus produktiveren, konkurrierenden ai-Variante (s. 7.1.3) treten primär Verben auf, bei denen die Herbeiführung der Besitzauflösung nicht den Subjektreferenten, sondern jemand anderen betrifft. Deswegen muß bei ab die Identifizierung mit dem Possessor durch das Reflexiv angezeigt werden, während bei ver- die Identifizierung von Subjektreferent und Possessor als Default angenommen wird. Zudem unterscheiden sich beide Muster in der Relevanz der Kontrolle. Während bei den von den
7. Verbzusätze als lexikalische Adjunkte c. d.
very. verschreiben:
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Xu Xs CONSUME(S,U) Xu
( X y ) Xx
-lr * +hr
Xs (SCHREIB(x,y)(s) & CONSUME(S,U))
+lr -hr
akk obl nom Man könnte zu diesem ver-Muster noch eine Reihe von Verben hinzunehmen, die zum Ausdruck bringen, daß der Referent des externen Arguments einen gewissen Zeitraum mit der vom Basisverb denotierten Handlung zubringt (sozusagen "Konsum von Zeit"). Als Basisverben kommen insbesondere solche Verben in Frage, die unbestimmte Tätigkeiten mit Zustandscharakter bezeichnen. Hier einige Beispiele 16 : (34)
a. Er verdöste den Nachmittag. b. Sie verquasselten den ganzen Vormittag. c. Er verträumte die Stunde.
Vielen dieser Verben ist eine gewisse negative Konnotation zueigen. Doch bevor man den voreiligen Schluß faßt, diese negative Konnotation in die SF dieser Verben zu schreiben (s. Zifonun 1973), sollte man dieses Muster mit den Präfix- und Partikelverben mit durch vergleichen, die eine ähnliche Interpretation, allerdings ohne negative Konnotation, haben. Dazu ist es sinnvoll, nach der Aufgabenverteilung von ver- in dieser Verwendung und den durch-Werben zu fragen (die Nacht durchtanzen vs. die Nacht vertanzen). Bei beiden Verbzusätzen wird die kontinuierliche Ausführung der vom Basisverb denotierten Tätigkeit während des angegebenen Zeitraums ausgedrückt. Sie unterscheiden sich jedoch durch die Wahl der Perspektive auf die bezeichnete Situation: Während bei den durch-Verben die Handlung betont und zeitlich eingegrenzt wird, steht bei den ver-Verben eher der vorhandene Zeitraum im Vordergrund; das Basisverb denotiert dann die dabei ausgeführte Tätigkeit. Die Perspektive auf den Zeitraum legt viel eher eine Bewertung der durchgeführten Handlung nahe: Der Zeitraum X ist so und nicht so genutzt worden. Man muß außerdem festhalten, daß durch- eine weitaus größere Distribution hat und die ver-Verben häufig als mehr oder weniger abweichend empfunden werden (§ die Nacht versingen).
7.2.2 Partikelverben mit ab Das dekrementelle Muster bei ab ist weitaus heterogener als das bei ver-. Während sich der dekrementeile Abbau bei ver- primär auf die Reduktion von Material oder Mengen von ab-Verben bezeichneten Situationen Kontrolle erforderlich ist, liegt sie in den von den ver-Verben denotierten Situationen nicht vor; hier ist der Besitzverlust eher ein ungewollter Nebeneffekt. Statt einer direkten Zeitraumangabe erlauben einige Verben aber auch als direktes Objekt eine NP, die auf ein Ereignis referiert: Sie hat das Erdbeben verschlafen. Verben vom Typ verschlafen stellen jedoch lexikalisierte Formen dar, was Autoren wie Sarlov (1987) veranlaßt hat, ein Nicht-Erreichen des Objektreferenten als Resultatszustand in der Bedeutung dieser Verben anzunehmen. Mir ist allerdings nicht klar, ob man dies in der SF dieser Verben explizieren muß, da es sich dabei nur um einen naheliegenden Schluß handelt: Wenn jemand während eines bestimmten Zeitraums, den ein Ereignis einnimmt, schläft, so verpaßt er dieses Ereignis. Eine weitere Variante stellen Sätze wie Er hat verschlafen dar. Hier wird der für die Tätigkeit verbrauchte Zeitraum nicht expliziert. Die Interpretation "zu lange schlafen", die sich hier lexikalisiert hat, könnte ebenfalls wieder als Schlußfolgerung aufgefaßt werden.
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7. Verbzusätze als lexikalische Adjunkte
Objekten (und eingeschränkt auf die Reduktion von Zeitintervallen) bezieht, erfaßt er bei ab zusätzlich auch Wegstrecken. 17 Zu fragen wäre allerdings, ob alle hier vorgestellen Verben unter diesem Muster subsumiert werden sollen. Es gibt zwei lokale Lesarten: Entweder wird ein vom Objektreferenten bezeichneter Weg vollständig durch die vom Basisverb bezeichnete Bewegung zurückgelegt (s. (35a)), wobei dieser Weg in den meisten Fällen konzeptuell erschlossen werden muß (ζ. B. Rekonstruktion eines Weges von einem Laden zum nächsten), oder falls das Objekt eine Fläche bezeichnet wie in (35b), wird angenommen, daß ein Weg durch die Fläche aufgebaut und zurückgelegt wird, bei dem möglichst viele Punkte der Fläche zu Wegpunkten gemacht werden (s. (35e) als weiteren Beleg, der nicht im Duden aufgeführt ist). Dadurch wird nahegelegt, daß die bezeichnete Fläche (fast) vollständig von der Verbhandlung betroffen ist oder daß die bezeichnete Handlung besonders intensiv durchgeführt wird. Eine weitere Verwendung sieht den dekrementeilen Abbau eines Zeitintervalls vor (s. (35c)). Da sich das Objekt meist nicht direkt auf ein Zeitintervall bezieht, muß auch hier wieder eine konzeptuelle Umdeutung erfolgen, bei der vom Objektreferenten auf eine zeitliche Dimension (inkl. zeitlicher Ausdehnung) geschlossen wird. Schließlich gibt es als weitere Verwendung wie bei ver- die vollständige Reduktion von Mengen (s. (35d)), auch wenn hier gleichfalls konzeptuelle Umdeutungen erforderlich sind (z.B.: eine Zehnerkarte gewährt zehnmaligen Eintritt in ein Schwimmbad; nach dem zehnten Besuch ist sie verfallen). (35)
a. sämtliche Flüsse der Umgebung abpaddeln/die Front abreiten/ den Rundweg abwandern/die Läden abrennen b. das Gelände absuchen/den Park ableuchten!den Rücken abtasten c. sein klinisches Jahr abdienen!Überstunden abbummeln! den Wachdienst abstehen/die Strafe abbüßen d. die Zehnerkarte abschwimmen/die verbleibenden Mensamarken abessen e. "Fast alle 106 ha [des Parks] sind wir abspaziert." {U. Johnson, Jahrestage 3} 1 8
Als Basisverben kommen demnach solche Verben in Frage, die Tätigkeiten bezeichnen, mit denen eine Strecke, ein Zeitintervall oder eine Menge vollständig abgebaut bzw. reduziert werden kann. Kernfrage bei diesem dekrementeilen Muster ist, inwieweit eine einheitliche Repräsentation sinnvoll sein kann. Bei der lokalen Interpretation (Abbau eines Weges in (35a)) könnte man geneigt sein, einen dem Adverb längs entsprechenden Bedeutungsbeitrag zugrundezulegen. Die Kombination mit Zeitadverbien in (36a/b) zeigt jedoch, daß für ab nicht die Semantik des Adverbs längs angesetzt werden kann, da bei ab eine abgeschlossene Bewegung bezeichnet wird, während durch längs ohne weitere Angaben eine prinzipiell unbegrenzte Bewegung angezeigt wird (s. Eintrag für längs in (36c) nach Wunderlich (1993a: 118)). Bei Zeitdauerangaben erhalten diese ab- Verben eine iterative Lesart. Wie bereits erwähnt, gibt es vereinzelte Beispiele, in denen sich ein dekrementelles ver-Verb auf den Abbau von Wegstrecken bezieht, (s. Fußnote 11). 1° Als Beobachtung, die ich an dieser Stelle nicht weiter erklären kann, möchte ich anführen, daß einige der Bewegungsverben trotz Transitivierung bei der Kombination mit ab im Perfekt das Auxiliar sein nehmen (s. (35e)). Gleiches kann bei inneren Objekten beobachtet werden (sie sind einen langen Lauf gelaufen). Solche Daten sind problematisch für alle Ansätze, die die Auxiliarwahl als Kriterium bei der Zuordnung der Verben in unakkusative/unergative Verben heranziehen und das Verhalten der Verben über die Argumentstruktur erklären wollen.
7. Verbzusätze als lexikalische (36)
Adjunkte
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a. Sie lief drei Stunden/? in einer Stunde entlang/längs der Brombeerhecke. b. Sie lief ? drei Stunden/in einer Stunde die Brombeerhecke ab. c. längs: λγ λχ (LOC(X, PROX[y]) & PARAL(D[X], M A X [ y ] ) ) 1 9
Zudem sind die Beschränkungen für die Nachbarschaftsregion bei ab nicht so strikt. So wird bei einem Ausdruck wie sämtliche Läden der Stadt abrennen nicht unterstellt, daß der bezeichnete Weg längs der minimalen Verbindungslinie zwischen den Läden verläuft; Umwege sind durchaus denkbar, Abweichungen von der Proximalregion bei längs jedoch nicht. Der Situationszusammenhang ergibt sich aus der Annahme, daß das Aufsuchen aller Läden für die Ausübung einer Tätigkeit oder die Erfüllung einer bestimmten Aufgabe relevant ist, sie ist also eher funktional als lokal bestimmt. Mehr Aufschluß über die dekrementelle ab-Variante gewinnt man aus dem Vergleich mit den dekrementeilen ver-Verben, die in einem gewissen Sinn komplementär zu den abVerben sind; so können eine ganze Reihe von Basisverben sowohl mit ab als auch mit vermit unterschiedlichen dekrementellen Lesarten kombiniert werden: (37)
a. b. c. d.
Sie haben bis jetzt drei Monatsgehälter verwohnt. Sie haben mittlerweile die Kaution abgewohnt. Er hat sein gesamtes Taschengeld/zwei Fahrkarten verfahren. Er hat die Fahrkarte abgefahren.
Gemeinsam ist beiden Verbtypen, daß die vom Objekt bezeichnete Menge vollständig abgebaut sein muß, da die Aussage ansonsten falsch ist. Die Beispiele in (37c/d) zeigen, daß beide Verbtypen teilweise sortal gleiche Argumente zulassen. Der zentrale Unterschied zwischen den beiden Verbzusätzen liegt in der Rolle des jeweiligen dekrementellen Objekts und des in der Situation erfolgenden Verbrauchs. In (37a/c) bestimmt die Situation des Wohnens oder Fahrens die Menge des konsumierten Objekts. Die Situation ist durch die im Basisverb ausgedrückte Handlung begrenzt, nicht durch den Verbrauch, es sei denn, daß der Verbrauch Voraussetzung für die Durchführbarkeit der Handlung ist und das vollständige Aufbrauchen der vorgegebenen Menge somit die Handlung terminiert (ζ. B. wenn bei einem Kartenspiel um Geld gespielt wird und einer der Mitspieler wegen des Verlustes seines ganzen Geldes aufhören muß). Dagegen ist bei den ab-Verben die zu verbrauchende Menge Ausgangspunkt der Situation und liefert gleichzeitig deren Begrenzung, d. h. den Rahmen für die im Basisverb ausgedrückte Handlung. Das bedeutet, daß jemand ζ. B. in einer Situation wie (37d) nur so lange bzw. so weit fahren kann, wie die Fahrkarte Gültigkeit besitzt. Der Unterschied zwischen beiden Verbzusätzen liegt also darin, daß bei den ver-Verben eine lineare Abbildung von der zeitlichen Ausdehnung der denotierten Handlung auf die schwindende Menge des verbrauchten Materials vorliegt, während bei den abVerben eine lineare Abbildung von der schwindenden Menge auf die zeitliche Ausdehnung der Handlung erfolgt. Damit sind die unterschiedlichen Bedingungen für die Begrenzung der ausgedrückten Situationen erfaßt. Als Konsequenz für das dekrementeile ab ergibt sich, daß vage oder indefinite Mengenangaben inakzeptabel sind, da die vorliegende Menge nicht begrenzt ist:
Der Eintrag für längs besagt, daß der von χ zurückgelegte Weg in der Proximalregion (PROX) des Relatums y liegt und dabei parallel (PARAL) zur maximalen Achse (MAX) von y verläuft.
142 (38)
7. Verbzusätze als lexikalische Adjunkte a. Er hat etwas/viel Geld verfahren. b. § Er hat (etwas/viel) Geld abgefahren.
Solche Mengenangaben sind bei den ab-Verben nicht zulässig, da die Situation ohne fest vorgegebene Mengenangabe nicht begrenzbar ist und der Äußerung somit kein eindeutiger Wahrheitswert zugewiesen werden kann. 20 Weitere Akzeptabilitätsunterschiede ergeben sich aus der unterschiedlichen Rolle des Verbrauchs in beiden dekrementellen Mustern. Bei den ab- Verben steht der Verbrauch mehr im Mittelpunkt der Situation, da er die Situation begrenzt. Falls sich der Verbrauch bzw. der Abbau einer Strecke, eines Zeitintervalls oder einer Menge nicht unmittelbar aus der Beziehung zwischen der vom Basisverb bezeichneten Tätigkeit und der zu reduzierenden Menge ergibt (wie bei die Fahrkarte abfahren), tritt der Effekt ein, daß bei dem betreffenden ab-Verb eine Intentionalität der Handlung in bezug auf den Abbau unterstellt wird. Diese Intention muß jedoch plausibel sein. So können die leichten Akzeptabilitätsunterschiede zwischen verwürfein und abwürfein damit erklärt werden, daß bei verwürfein nur ein handlungsbegleitender Konsum bezeichnet wird, während sich bei abwürfein die Interpretation ergibt, daß die Tätigkeit des Würfeins ausgeübt wird, um das Vermögen vollständig zu reduzieren. Dies erscheint jedoch relativ implausibel: (39)
a. Er verwürfelt sein Vermögen, b. ? Er würfelt sein Vermögen ab.
Für die Repräsentation des Beitrages dieser dekrementeilen ab-Variante nehme ich den tentativen Eintrag in (40a) an. (40)
a.
ab4:
Xu Xs DECREMENT^,u)
b. Sei Seq = Indexfolge [0,1], Τ = Menge der Zeitintervalle, t 0 = Beginn, ti = Endpunkt, Q U A N T [ U , tj] = Menge von u zum Zeitpunkt t t ; [t 0 ,tJ] = T(s). DECREMENT(s,u) ist wahr gdw. es eine definierte Menge u und eine lineare Abbildung Rj: QUANT[u,tj] —» Seq Τ (mit QUANT[u,tj] > QUANT[u,tj] für tj < tj) gibt und QUANT[u,tj] = 0
c. CONSUME(s,u) ist wahr gdw. es eine lineare Abbildung R2: Seq Τ —> QUANT[u,tj] (mit QUANT[u,t;] > QUANT[u,tj] für tj < tj) gibt und QUANT[u,tj] = 0 Der Eintrag von ab ist weitgehend parallel zu dem von ν er-, unterscheidet sich jedoch in einigen Punkten in den Wahrheitsbedingungen (s. (40b)): Vertauschung von Definitionsund Wertebereich der Abbildungen, Voraussetzung einer definierten Menge bei ab. Ich habe die Wahrheitsbedingungen von ver- noch einmal in (40c) wiedergegeben, allerdings reformuliert in Analogie zu der Formulierung für das dekrementeile ab. Diese ab-Variante führt genauso wie das dekrementelle ver- ein neues rangniedrigstes Argument ein. Die Relation DECREMENTS,u) wird über Funktionskomposition in das argumenterweiterte Verb integriert:
20
Eine Äußerung wie er hat 10 DM abgefahren ist ohne Kontextbezug inakzeptabel, obwohl hier eine genaue Mengenangabe vorliegt, weil die ab- Verben sich auf solche Konsumptionskontexte beziehen, in denen die Menge genau identifiziert worden ist. Akzeptabler wird das Beispiel mit definitem Artikel: er hat die 10 DM abgefahren.
7. Verbzusätze als lexikalische Adjunkte (41)
143
a. ARG(yvandern): λζ> (λΡ) λχ Xs [(WANDER(x) & MOVE(x) & P(x))(s) & Q(s)] b. abwandern·. λυ λχ Xs [(WANDER(x) & MOVE(x) & P(x))(s) & DECREMENT(S,U)]
Damit eine vollständige Interpretation der Sätze erfolgen kann, muß auf der Grundlage von CS-basierten Inferenzmechanismen aus dem Vorliegen der DECREMENT-Relation erschlossen werden können, daß ein Intervall einer vom NP-Referenten und der Verbhandlung zu erschließenden Dimension vollständig abgearbeitet wird. Dieser Schluß ergibt sich aus der konzeptuellen Deutung von DECREMENT als Reduktion von Mengen. So wird bei wandern als Bewegungsverb unterstellt, daß ein Weg abgebaut werden muß; denkbar ist aber auch ein institutionalisierter Kontext, bei dem in Zusammenhang mit wandern eine irgendwie geartete, begrenzte Menge vollständig reduziert werden kann (seinen Mitgliedsbeitrag für den Alpenverein abwandern).21 Die subtilen Bedeutungsunterschiede zwischen der dekrementeilen ver- und der a^-Variante machen deutlich, daß Begriffe wie "dekrementelles Objekt" in der vorliegenden Form (z. B. Dowty 1991) noch zu oberflächlich sind, um die unterschiedlichen Formen des dekrementeilen Abbaus bei den ab- und ver-Verben hinreichend charakterisieren zu können.
7.3 Spezielle Resultative Wie bereits angedeutet, sind die Possessivmarkierungen auch als Resultativmarkierungen aufzufassen. In diesem Abschnitt geht es jedoch um spezifische Resultatsbezeichnungen, die häufig nur in Zusammenhang mit einem speziellen Verbzusatz auftreten. Die Frequenz der Muster variiert sehr stark: Nur das (implizite) Resultatsmuster bei ver- weist eine große Zahl an potentiellen Basisverben auf, da hier geringere Anforderungen an die vom Basisverb eingebrachte Semantik gestellt werden. Alle anderen Resultatsspezifizierungen sind nur auf kleinere Gruppen von Verben anwendbar, da die Spezifität des Resultats zumeist klare semantische Fundierungen durch das Basisverb erfordert. Hier zeigt sich insbesondere die Relevanz von Kaufmanns (1995a, 1995b) Überlegungen zu möglichen und unmöglichen Verbstrukturen: Der Verbzusatz kann nur das spezifizieren, was bereits durch den Bedeutungskern des Basisverbs aktiviert worden ist.
7.3.1 Abweichung bzgl. eines impliziten Nachzustands (ver-) In einer produktiven Resultatslesart bringen die ver-Verben zum Ausdruck, daß die Ausführung einer Handlung/Tätigkeit von einer zu erwartenden Ausübung dieser Tätigkeit abweicht, bzw. daß die Handlung zu einem Nachzustand führt, der von dem normalerweise zu
Die SF in (40a) ist insoweit nur tentativ, als zu klären wäre, ob diese SF ausreicht, die in der CS erforderlichen konzeptuellen Ausdifferenzierungen zu fundieren. Dazu gehört z. B. die Frage, ob - in Analogie zu den direktionalen Präpositionen - ein Dimensionsparameter anzunehmen ist, der die Belegung einer von der Reduktion betroffenen Dimension fordert. Für ab könnte dieser Dimensionsparameter einschlägiger sein als für ver-, da ab-Verben unterschiedlichere Formen des dekrementellen Abbaus bezeichnen (z. B. Wegintervalle) als die ver-Verben, was in obiger Repräsentation noch nicht vollständig erfaßt ist.
144
7. Verbzusätze als lexikalische Adjunkte
erwartenden abweicht. 22 Die Art der Abweichung wird nicht expliziert; sie ist implizit und muß aus der Interaktion von Verbbedeutung und Kontext erschlossen werden. Dies werde ich für die einzelnen Verbklassen genauer ausführen. Diese Verben treten in zwei Varianten auf: Zum einem mit einem Pseudoreflexiv wie in (42a), zum anderen mit dem direkten Objekt des Basisverbs wie in (42b). (42)
a. sich verfliegen, verlaufen, verschreiben, vertippen sich verhören, verschätzen, verrechnen b. (Klavier) verstimmen, (einen Buchstaben) verdrucken, (die Hecke) verschneiden, (Kinder) verbilden, (ein Projekt) verplanen ...
Bei der Pseudoreflexivvariante ist zu beobachten, daß bis auf direktionale PP-Argumente sämtliche internen Argumente des Basisverbs blockiert werden (s. (43a)). Ein dreistelliges Verb wie geben ist nur in der lexikalisierten intransitiven Variante als Basisverb zugelassen (s. (43b/c)). Die Verbverwendung ist inakzeptabel, wenn ein internes Argument (Dativ) hinzugefügt wird (vgl. (43d/e)). (43)
a. b. c. d. e.
Der Pilot verflog sich in den Sudan. Sie vergab sich mehrmals beim Kartenspielen. * Sie vergab sich ihnen. * Er verzeigte sich ihr. [= er zeigte ihr etwas Falsches] Er verzeigte sich mehrmals bei der Geographieprüfung.
Die gleiche Form der Argumentblockierung tritt in Resultativkonstruktionen auf (Kaufmann 1995a). So kann geben allenfalls in der lexikalisierten (Prozeß-) Variante "Karten geben" Input einer Resultativbildung sein. (44)
? Sie hatte sich müde gegeben.
Das Basisobjekt kann - wenn überhaupt - nur als mit- Phrase realisiert werden; das ist aber keine generelle Option (s. (45a/b). (45)
a. Sie hat sich mit diesem Kleid verkauft, b. ?? Sie hat sich mit dieser Zeile verlesen.
Weitergehende Erkenntnisse zu dem Fragenkomplex, wann und in welcher Form herabgestufte Argumente oblique realisiert werden können, fehlen bislang, so daß ich über die unterschiedliche Akzeptabilität der beiden Sätze nur spekulieren kann: So scheint die Realisierbarkeit als oblique Phrase davon abzuhängen, daß der Basisobjektreferent sowohl durch die Verbhandlung affiziert als auch danach noch konkret verfügbar ist (s. (45a)); in (45b) ist der Basisobjektreferent weder durch die Verbhandlung affiziert, noch steht er in einem konkreten Bezug zur Verbhandlung.
22
Das folgende Beispiel belegt die Produktivität dieses Musters: "der [FAZ-Autor] sich publizistisch wie kein anderer für die gescheiterte Heitmann-Kandidatur verkämpfte" (DIE ZEIT, 14.1.1994)
7. Verbzusätze als lexikalische Adjunkte
145
Die ver-Verben dieses Musters treten präferiert im Perfekt (oder einem anderen Vergangenheitstempus) auf (s. (46b)), was damit zusammenhängt, daß die Bewertung einer Abweichung erst nach Abschluß der Handlung vorgenommen werden kann. (46)
a. ? Ich verwähle mich b. Ich habe mich verwählt/Ich verwählte mich.
Die Kombination mit Zeitadverbialen bestätigt, daß sich diese Verben eigentlich immer auf den Zeitpunkt nach der Ausführung der Handlung beziehen, an dem die Abweichung bewertet wird: Zeitdaueradverbiale sind in nicht-iterativer Lesart des Verbs ausgeschlossen (s. (47b), also denotieren diese Verben keine Prozesse. Die Kombination mit einem Zeitrahmenadverbial wie in (47a) ist trotz des resultativen Charakters dieser Verben inakzeptabel bzw. kaum zu interpretieren, da in der Situation noch kein wachsender Grad der Abweichung des Handlungsablaufs von ihrem zu erwartenden Verlauf ausgemessen werden kann; die Evaluation auf die Abweichung erfolgt erst beim Erreichen eines Nachzustandes bzw. unmittelbar nach der Ausübung der Tätigkeit. 23 Für Βewegungsverben kann man sich dies ζ. B. so klarmachen: Da es meist mehrere mögliche Wege zu einem Ziel gibt, kann man an einem Zwischenstadium der Bewegung noch nicht entscheiden, ob das entsprechende Ziel verfehlt wurde; dies ist allenfalls für restringierte Kontexte vorstellbar. 24 (47)
a. § Er hat sich in einer Stunde/innerhalb einer Stunde verlaufen. b. § Er hat sich drei Stunden lang verlaufen
Konzeptuelle Grundlage dieses ver-Musters ist die Herleitbarkeit eines irgendwie gearteten Nachzustandes, der einer Bewertung unterzogen werden kann, bzw. die ausgeführte Tätigkeit muß zu einer anderen vergleichend in Beziehung gesetzt werden können. Diese verVariante aktiviert beim Basisverb den Bedeutungsaspekt der normbezogenen Durchführung der Handlung. Aus diesem Grund ergibt sich hinsichtlich der Klasse möglicher Basisverben die Restriktion, daß ein Normbezug hergestellt werden können muß. Weiterhin kommen nur solche Verben in Frage, die nicht deterministisch auf einen einzig möglichen Resultatszustand hinzielen, d. h. abweichende Resultate müssen möglich sein (deswegen sind Verben mit inhärenter Zielspezifizierung wie sich verkommen ausgeschlossen). Das bedeutet, daß der Subjektreferent zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht die vollständige Kontrolle über die Situation besitzt, so daß die Abweichung eintreten kann. Zudem muß die Abweichung als solche evaluierbar sein. Aus diesem Grund sind Achievement- Verben wie finden als Basisverben ausgeschlossen, da das Resultat, einen bestimmten Gegenstand gefunden zu haben, niemals als Abweichung von einem erwartbaren Resultat interpretiert werden kann, denn dazu müßte so etwas wie suchen Teilkomponente der Bedeutung von finden sein. 25 Weiterhin sind Zustandsverben (§ verwissen) nicht als Basisverben zugelassen, da 23
24
25
Präfixverben mit er- (s. 7.1.1) können dagegen in der Resultatslesart sehr wohl mit einem Zeitrahmenadverbial kombiniert werden, wenn die bezeichnete Handlung in Hinblick auf den Resultatszustand ausgemessen werden kann. In bestimmten Situationen wäre eine Äußerung wie "Ich glaube, wir verlaufen uns." denkbar, und zwar wenn der Sprecher anhand der lokalen Gegebenheiten des momentanen Aufenthaltsortes antizipieren kann, daß er das Ziel nicht erreicht bzw. in die falsche Richtung läuft. Die Abweichung bezieht sich auch hier auf den (in diesem Fall antizipierten) impliziten Nachzustand. Das Verb verfinden wurde von meinen Informanten im neutralen Kontext völlig abgelehnt. Es ist eigentlich nur als witzig gemeinte Spontanbildung in einer Situation denkbar, in der eine Person von an-
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7. Verbzusätze als lexikalische Adjunkte
sie niemals einen impliziten Nachzustand aufweisen; es gibt hier nur die lexikalisierte Bildung eine Situation verkennen. Man kann nun zeigen, daß in Abhängigkeit von der Verbbedeutung unterschiedliche Lesarten hinsichtlich der Form der Abweichung evoziert werden. Bei Bewegungsverben wird generell angenommen, daß nicht der intendierte Zielort, sondern ein anderer erreicht wurde (sich verlaufen). Bei Wahrnehmungsverben wird zum Ausdruck gebracht, daß das entsprechende Signal nicht korrekt interpretiert worden ist und sich somit eine falsche Einschätzung beim Wahrnehmenden einstellt (sich verhören). Bei Verben, die mentale Vorgänge bezeichnen (sich verrechnen, verkalkulieren, verschätzen), wird das auf diesen Vorgang bezogene Ergebnis als inkorrekt angesehen. Häufig ist der abweichende Handlungsverlauf aber auch nur über den Kontext oder enzyklopädisches Wissen erschließbar. Im Fall (48a) weiß man, daß Klavierspielen u. a. das Anschlagen der Klaviertasten beinhaltet und sich verspielen somit ζ. B. auf einen falschen Tastenanschlag beziehen kann. Bei Verben der Sprachproduktion (48b) liegt nach dem Sprechereignis eine Äußerung vor, die als solche bewertet werden kann: Im Fall von versprechen erlaubt die linguistische Kompetenz des Hörers, Abweichendes zu erkennen (morphologische, semantische, syntaktische u. a. Verletzungen der Wohlgeformtheit), bei verplappern wird angenommen, daß etwas geäußert wurde, was die Hörer nicht erfahren durften. (48)
a. Der Pianist verspielte sich mehrmals. b. Der Professor hat sich zweimal in der Vorlesung versprochen/verplappert.
Alle diese Beispiele zeigen, daß man keine spezifische Form der Abweichung in der SF dieser Verben kodieren kann, da man die auftretende lesartbezogene Varianz erfassen muß. 26 Ein bemerkenswertes Phänomen ist weiterhin die Tatsache, daß zur Gewährleistung einer plausiblen Interpretation gewisse Aspekte der Verbbedeutung aktiviert und andere (störende) ausgeblendet werden können. Dies kann man beispielsweise anhand der Bewegungsverben verdeutlichen. In der Lesart "ein falsches Ziel erreichen" sind nur relativ abstrakte Βewegungsverben ohne spezifischen Bewegungsmodus zugelassen. So wird bei vertanzen in (49a) nicht davon ausgegangen, daß bei der Bewegung eine falsche Richtung eingeschlagen wurde, sondern daß die Tänzerin eine falsche Schrittfolge gemacht hat. Diese Interpretation ist möglich, weil beim Tanzen gewisse Bewegungsmuster standardisiert und normiert sind. Die allgemeine Bewegungsinformation des Zurücklegens einer bestimmten Strecke/Distanz wird völlig ausgeblendet. Bei verschleichen in (49b) gibt es weder die Lesart der falschen Richtungswahl noch die der Verletzung einer bestimmten Be-
deren instruiert wird, etwas Bestimmtes zu finden, und dabei von den anderen so mit der Erwartung geleitet wird, daß sie auch genau diesen Gegenstand findet; die Person gibt dann aber etwas Unvorhergesehenes als gefunden an. In den Analysen, in denen eine Beziehung zwischen den Verben finden und suchen postuliert wird (z. B. McCawley 1968), wird finden immer als Teilkomponente von suchen (suchen = 'versuchen zu finden') analysiert. i n einigen Fällen kann man sogar eine Lexikalisierung des angenommenen Resultatszustandes beobachten, die von der zu erwartenden Interpretation abweicht: Bei verheben erhält man ζ. B. nicht die Lesart, daß ein Gegenstand an einen falschen Ort piaziert wurde, sondern daß man sich beim Heben körperlichen Schaden zugefügt hat.
7. Verbzusätze als lexikalische Adjunkte
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wegungsnorm; letzteres kann nicht mit schleichen assoziiert werden. 27 verhüpfen in (49c) schließlich ist dann interpretierbar, wenn nicht die ständige Auf- und Abwärtsbewegung gemeint ist, sondern hüpfen Teil eines Spiels ist, das gewissen Regeln unterliegt (ζ. B. Kinderspiel "Himmel und Hölle"); demzufolge kann eine Regelverletzung aufgezeigt und bewertet werden. (49)
a. Sie hat sich vertanzt. b. (§) Der Indianer verschlich sich. c. Das Kind verhüpfte sich.
Wichtig für die Akzeptabilität einer Neubildung ist demnach die konzeptuelle Integrierbarkeit einer Abweichung; darum sind Einschränkungen für die Klasse möglicher Basisverben einerseits relativ gering, was sich in der Produktivität des Musters niederschlägt (zumindest in der Pseudoreflexiv-Variante). Andererseits stellen viele dieser Verben nur Spontanbildungen dar, die selten Eingang in das Lexikon finden. Das kann damit zusammenhängen, daß aufgrund der Implizitheit der Abweichung oftmals ein eindeutiger Kontextbezug erforderlich ist. Solche (belegten) Spontanbildungen stellen u. a. die folgenden Sätze dar: (50a) ist die Äußerung eines Sprechers, nachdem er die falsche Taste auf der Fernbedienung gewählt hat, (50b) nachdem er die Heftklammern mit der Maschine an der falschen Stelle befestigt hat. Charakteristikum dieser spontanen Bildungen ist auch, daß häufig je nach Kontext mehrere unterschiedliche Lesarten möglich sind. Dies sei in (50c) illustriert (dieser Satz ist gleichzeitig ein Beleg dafür, daß auch punktuelle Verben mit agentivem Charakter geeignete Basisverbkandidaten sind): sich verklopfen bezeichnet entweder eine Situation, bei der die Subjektreferentin ζ. B. an die falsche Tür geklopft hat, oder ist in einem Kontext denkbar, in dem die betreffende Person ein von einer Vereinbarung abweichendes Klopfsignal gewählt hat. (50)
a. Ich habe mich verdrückt. b. Ich habe mich vertuckert. c. Sie hat sich verklopft.
Während Zustands- und Achievement-^erben generell nicht in diesem ver-Muster auftreten können, sind - wie schon ausgeführt - Activity-Verben geeignete Basisverben. Man kann nun aber innerhalb dieser Menge möglicher Basisverben einzelne Verben finden, die nicht zulässig sind, weil für sie keine Abweichung erschließbar ist. suchen und arbeiten sind solche Verben (s. (51)), die beide hinsichtlich eines möglichen Resultats offen sind: Es kann zwar ein Resultat geben, dies muß aber häufig nicht der Fall sein. Demnach könnte eine Abweichung nur in der Ausführung der Tätigkeit bestehen, die jedoch nicht erschließbar ist, weil suchen und arbeiten keine regelgesteuerten oder normbezogenen Tätigkeiten darstellen. (51)
a. § Er hat sich versucht. [= falsch suchen] b. § Sie haben sich verarbeitet, [falsch arbeiten]
Ich habe diesen Testsatz mehreren Informanten vorgelegt, die entweder eine ganz andere Interpretation als zulässig wählten ("verschwinden") oder das Verb als völlig inakzeptabel bewerteten. Nur ein Infor-
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7. Verbzusätze als lexikalische Adjunkte
In der ver-Variante mit Vererbung des internen Arguments (ein Klavier verstimmen; s. (42b)) wird der Nachzustand des Objektreferenten in bezug auf eine Abweichung evaluiert, und somit ist die Zahl der Lesarten stark eingeschränkt. Die Klasse dieser ver-Verben ist sehr klein; es sind hauptsächlich Verben, die eine Formgebung bezeichnen. 28 Daß die Zahl der Verben in dieser Variante viel kleiner ist als die in der Pseudoreflexivvariante, hängt vermutlich damit zusammen, daß diese Verben einen Nachzustand definieren und mögliche Abweichungen davon eher unwahrscheinlich sind. Daß Verben der Formgebung am ehesten als Basisverben auftreten, paßt in dieses Bild: Hier sind Abweichungen von der intendierten Formgebung möglich und auch gut zu evaluieren. Am Beispiel von verschneiden kann man erkennen, wann welche Variante (vererbtes Argument vs. Pseudoreflexiv) gewählt wird. Dient die Tätigkeit des Schneidens dazu, einem Gegenstand eine bestimmte Form zu geben, so wird die erste Variante gewählt (s. (52a)); bezieht sich schneiden aber auf den allgemeinen Trennvorgang, der in irgendeiner Weise falsch ausgeführt wurde, so wird die Pseudoreflexivvariante gewählt (s. (52b)). Während Verben wie verschneiden oder verzeichnen (s. (52c/d)) in beiden Varianten auftreten können, ist dies bei den Verben, bei denen eine Variante lexikalisiert ist, ausgeschlossen (s. (52e/f)). (52)
a. b. c. d. e. f.
Sie verschnitt die Hecke. Sie verschnitt sich. Sie verzeichnete sich (mit der Figur). Sie verzeichnete die Figur. Er hat sich verhoben./§ Er hat den Sack verhoben. Er verstimmt das Klavier./§ Er verstimmt sich. [= er stimmt etwas falsch]
Ein besonders schwieriges Problem stellt die Frage dar, warum in der ersten Variante ein expletives Argument in Form eines Pseudoreflexivs auftritt. Grundsätzlich gilt, daß expletive Argumente in Objektstelle im Defaultfall als Reflexiv realisiert werden (Bierwisch 1991); es gibt allerdings einige lexikalisierte Ausnahmen mit expletivem es {es mit jemandem aufnehmen ...). Bei anderen Konstruktionen, in denen durch einen Verbzusatz ein Pseudoreflexiv eingeführt wird (ζ. B. Skalierungsverben mit über-: sich überessen (s. Risch 1994); Partikelverben mit aus: sich ausweinen ...), erfolgt immer eine Bewertung über das externe Argument des Verbs, so daß die vom Pseudoreflexiv suggerierte Bindung an das externe Argument des Basisverbs noch motiviert erscheint: Bei den Skalierungsverben ist das externe Argument der Normgeber für die Vergleichsnorm (x ißt mehr als χ normalerweise ißt), bei den Partikelverben mit aus wird ebenfalls der Abschluß des Prozesses am Referenten des externen Arguments ausgemessen. mant wählte schleichen als habituelle Tätigkeit von Indianern und konnte demnach eine situationsbezogene mögliche Abweichung in der Ausführung der Tätigkeit annehmen und zugrundelegen. Im Englischen, wo das Präfix mis- teilweise die Funktion dieser ver-Variante übernimmt, ist die Zahl der Verben mit vererbtem internen Argument viel größer (misapply, miscall, misdirect, mishandle, mißinterpret, mishear, misinform ...). Dies kann vermutlich darauf zurückgeführt werden, daß das englische Präfix eine eindeutige Interpretation besitzt, während diese ver-Variante mit anderen konkurriert, in denen das interne Basisverbargument vererbt wird. Intransitive mis-Verben treten im Englischen ohne Pseudoreflexiv auf (misbehave, misfire). Hier zeigt sich wieder der systematische Unterschied zwischen Deutsch und Englisch im Auftreten von Pseudoreflexiven. Im Deutschen übernimmt teilweise die aus Rückbildungen entstandene Verbpartikel fehl die Funktion dieser ver-Variante im Muster mit Argumentvererbung.
7. Verbzusätze als lexikalische Adjunkte
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Dagegen erfolgt bei diesen ver-Verben eine Bewertung des impliziten Nachzustands oder des Verlaufs und nicht eine Bewertung über den Zustand des Subjektreferenten. Dieser kann allenfalls als Initiator einer Handlung angesehen werden, die zum abweichenden Nachzustand führt oder einen abweichenden Verlauf nimmt. Eine überzeugende Erklärung für das Auftreten des Reflexivs kann wahrscheinlich nur auf dem generellen Hintergrund der Derivation mit expletiven internen Argumenten geliefert werden. Für die Verben, bei denen eine Evaluierung eines impliziten Nachzustands erfolgt, könnte man spekulieren, daß das Pseudoreflexiv hier als Markierung fungiert, die das Vorliegen eines Resultatszustandes anzeigt. Ein Bezug zu syntaktischen Resultativkonstruktionen kann damit allerdings nicht hergestellt werden, da das in Resultativkonstruktionen mit unergativen Verben auftretende Reflexiv ein thematisches Reflexiv ist (s. (53a/b)), über das die Resultatsangabe prädiziert. Unakkusative Verben lassen keine derartigen Resultativkonstruktionen zu (53c/d) (s. Kaufmann 1995a für weitere Details). (53)
a. b. c. d.
Sie essen *(sich) satt. Sie tanzten *(sich) müde. Die Butter schmilzt (* sich) zu einer Pfütze. Sein Gesicht erstarrte (* sich) zu einer Maske.
Zu erklären ist überdies, warum das Pseudoreflexiv bei den ver-Verben auftritt, die den abweichenden Verlauf eines Prozesses bezeichnen. Berücksichtigt man jedoch, daß das Pseudoreflexiv nur mit unergativen Verben auftritt, so scheint nicht so sehr das Vorliegen eines Resultatszustandes für das Auftreten des Pseudoreflexivs verantwortlich zu sein, sondern eher die Tatsache, daß ein unergatives Verb bzw. ein Activity-Verb semantisch modifiziert bzw. erweitert wird. Das Pseudoreflexiv könnte somit als ein leerer Träger des vom Präfix eingeführten Prädikats angesehen werden, der bei Activity-Verben obligatorisch ist. Ich werde in 7.4.2 noch einmal auf diese Problematik zurückkommen. 29 Daß strukturelle Gründe für das Auftreten des Pseudoreflexivs verantwortlich sind, ist implausibel. Es macht weder Sinn zu sagen, daß bei diesem Präfixmuster ein Träger für strukturellen Kasus in der Form des Reflexivs geliefert werden muß, da auch intransitive Basisverben zugelassen sind, noch kann man behaupten, daß das Reflexiv der Blockierung interner Argumente dient, da es auch bei anderen Präfix-/Partikelverben Muster mit Blockierung von Argumenten ohne weitere Markierung gibt (ζ. B. Partikelverben mit los und herum). Außerdem müssen bei einstelligen Basisverben auch keine Argumente blockiert werden. Ein weiteres Problem für die zweite Annahme wäre dann auch, warum es überhaupt eine Klasse von Verben gibt, bei denen das interne Argument vererbt werden kann. Die Ableitung dieses ver-Musters muß zum einen der Einführung des Pseudoreflexivs in der einen Variante und zum anderen generell der Bewertung eines impliziten Nachzustandes oder des Handlungsverlaufs Rechnung tragen. Diese Form der Bewertung kommt ζ. B. 29
Bei der Bildung komplexer Verben zeigt sich eine interessante Klassenbildung intransitiver Verben, falls durch das Präfix/die Partikel eine irgendwie geartete Terminierung eines Prozesses/einer Handlung zum Ausdruck gebracht wird: Agentive Verben treten dann mit Pseudoreflexiv auf (er hat sich ausgeweint), während Verben, deren Subjekt unter ein Thema-Prädikat fällt, im Perfekt das Auxiliar wechseln (hat geblüht, ist erblüht/verblüht; s. Kapitel 5). Die Basisverben scheinen sich diesbezüglich ziemlich konsistent zu verhalten, was allerdings noch weiter untersucht werden muß.
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7. Verbzusätze als lexikalische Adjunkte
auch bei den Adjektiven falsch und abweichend zum Ausdruck (s. (54)); die Bedingungen für die Bewertbarkeit sind die gleichen wie bei den ver-Verben. (54)
a. Die Richtung ist falsch/abweichend. b. Deine Rechnung/Kalkulation ist falsch/abweichend. c. Der Tanzschritt war falsch/abweichend.
Demnach erscheint es richtig, den Beitrag von ver- bei der Pseudoreflexivvariante in der Integration eines Prädikates DEVIANT(S) ZU sehen, das zum Ausdruck bringt, daß in der Situation eine Abweichung gegeben ist. Dieses Prädikat prädiziert nicht über ein echtes Individuenargument, da man bei den Verben mit abweichendem Prozeßverlauf ζ. B. nicht sagen kann, daß sich der Subjektreferent in einem abweichenden Zustand befindet. Das Prädikat soll alle ver-Verben in der Pseudoreflexivvariante erfassen: (55)
ver 4a : λα Xs DEVIANT(S) ist wahr gdw. es in der Situation s eine Abweichung gibt.
DEVIANT(S)
Die Art der Abweichung wird dann, wie in der vorausgehenden Diskussion der Verben gezeigt, jeweils konzeptuell erschlossen. Das relativ allgemeine Prädikat DEVIANT(S) Iäßt die dargestellte Variation in der Deutung der Abweichung zu. Ich gehe davon aus, daß das expletive Argument durch den Verbzusatz eingeführt wird. 30 Solange die semantischen Bedingungen für das Auftreten des Pseudoreflexivs nicht geklärt sind, macht es wenig Sinn, einen anderen Mechanismus dafür verantwortlich zu machen. Es ist fraglich, daß das Deutsche, das strukturelles Linking hat, in einem Teilbereich der Grammatik auf semantisches Linking zurückgreift. Der Eintrag in (55) erfüllt in jedem Fall die Bedingung, daß das Theta-Raster des abgeleiteten Verbs vollständig durch die Komposition determiniert ist. Die grammatische Kennzeichnung des expletiven Arguments ζ als Reflexivum (ζ. B. mit dem Merkmal [+REFL]) ist überflüssig, da Expletiva in Objektstelle im Defaultfall als Reflexiva realisiert werden. Die Ableitung dieser ver-Verben erfolgt analog zu allen anderen lexikalischen Adjunkten: Das argumenterweiterte Basisverb wird über Funktionskomposition mit dem Präfix zusammengebracht (s. (56a) als Resultat bei intransitiven Basisverben und (56b) bei transitiven), wobei das expletive Argument an das abgeleitete Verb vererbt wird. Bei transitiven Basisverben kann das interne Argument nur oblique realisiert werden, der Dativ ist hier ausgeschlossen (* sie verschreibt sich dem Brief). (56)
a.
λ ϋ λ χ Xs [VERB(X)(S) & DEVIANT(S)]
b.
Xu
(λγ) λχ
Xs [VERB(x,y)(s) & DEVIANT(S)]
-lr * +lr +hr -hr akk obl nom Hier treten nun Probleme mit Wunderlichs Konzeption struktureller Argumente auf: Mittels L-Kommando läßt sich keine überzeugende Erklärung dafür finden, daß das mittlere Argument y nicht den Dativ erhalten kann, sondern oblique realisiert werden muß. Man kann 30
Ilse Zimmermann hat mich darauf hingewiesen, daß P-Elemente niemals mit Pseudoreflexiven auftreten, so daß die Annahme, daß der Verbzusatz das Pseudoreflexiv einführt, nicht so überzeugend ist.
7. Verbzusätze als lexikalische Adjunkte
151
zwar sagen, daß y u nicht L-kommandieren kann, weil es nicht auf der SF sichtbar ist; das gleiche gilt dann aber auch für x, das somit keinen Nominativ erhalten dürfte. Sagt man in diesem Fall, daß die SF irrelevant ist, so würde vorhergesagt, daß y den Dativ erhält. Erklärt werden könnte die Kasusrealisierung der Argumente mit der Stipulation, daß das interne Basisverbargument bei Einführung eines rangniedrigeren (expletiven) Arguments und der Integration eines weiteren SF-Prädikats letzteres nicht L-kommandieren kann und deshalb nicht strukturell realisiert werden darf. Diese Deutung des L-Kommandos impliziert allerdings, daß es keine derivierten Verben mit expletiven direkten Objekten geben darf, bei denen das interne Basisverbargument den Dativ erhält. Will man keine solche Stipulation zugrundelegen, so könnte man die Unzulässigkeit des Dativs mit der Verletzung der Forderung motivieren, die sich aus dem L-Kommando ergibt und besagt, daß nur solche Argumente den Dativ erhalten können, die zusammen mit dem rangniedrigsten Argument als höheres Argument in eine Relation eingebunden sind. Das Basisverbargument y ist nicht zusammen mit dem Pseudoreflexiv in eine solche Relation eingebunden. Für die Verben mit Vererbung des internen Arguments setze ich den Eintrag in (57a) an. In diesem Fall prädiziert das Prädikat DEVIANT über ein echtes Individuenargument. Die Ableitung erfolgt analog über Funktionskomposition mit dem argumenterweiterten Verb, wobei sich von allen hinsichtlich der Koindizierung generierten SF-Varianten nur die mit Identifizierung des Arguments von DEVIANT mit dem internen Basisverbargument als konzeptuell plausibel durchsetzt (s. (57b/c)). (57)
a.
ver4b: Xu Xs DEVIANT(U)(S)
b.
Xy λ χ Xs [VERB(x,y)(s) & DEViANT(y)(s)]
c. die Hecke verschneiden: λχ Xs [sCHNEID(x, Hecke)(s) & DEVlANT(//ec&e)(s)] In den Repräsentationen für ver4 habe ich nicht angenommen, daß zum Beitrag des Präfixes auch eine Bedeutungskomponente der Intentionalität gehört, die bei der Präfigierung in das Verb integriert wird (vgl. dagegen Sarlov 1987). Dies wäre meiner Meinung nach auch nicht korrekt, da zum einen die meisten Verben nicht die Interpretation haben, daß eine Abweichung von einer bestimmten Intention vorliegt, (sich verlesen, sich verschätzen ...), und zum anderen die Intentionalität, die bei einigen Verben zu verzeichnen ist (ζ. B. Bewegungsverben), eher als Rekonstruktionsversuch für eine plausible Interpretation zu deuten ist und auch nur dort erfolgt, wo das Basisverb dies aufgrund seines stark agentiven Charakters erlaubt.
7.3.2 Resultat: Herbeiführung einer Verbindung (ver-) Unterschieden von der vorherigen ver-Variante sind zwei ver-Muster, bei denen durch das Präfix spezifische Resultatszustände in die Basisverbbedeutung integriert werden. Diskutieren möchte ich in diesem Abschnitt die ver-Variante, bei der zum Ausdruck gebracht wird, daß als Resultat der vom Basisverb bezeichneten Handlung die Verbindung von zwei oder mehreren Objekten vorliegt. In (58a) sind einige Beispiele aufgeführt. Die andere Variante (Resultat "zerstört/beschädigt") werde ich im Zusammenhang mit dem korrespondierenden afo-Muster im folgenden Abschnitt (7.3.3.) erörtern, ver- ist in der Verwendung als Resultatsmarkierung, die das Vorliegen einer Verbindung anzeigt, mit allen Verben kombinierbar, die eine für die Herbeiführung einer Verbindung geeignete Handlung bezeichnen. In
152
7. Verbzusätze als lexikalische Adjunkte
Frage kommen deshalb solche Verben, die eine lokale Manipulation von Objekten (oder auch Massen) zum Ausdruck bringen. Konzeptuell muß diese Manipulation die Herbeiführung einer Verbindung ermöglichen. Innerhalb der so beschränkten Klasse von Verben kann dieses Muster also als produktiv angesehen werden, was sich auch durch neugebildete denominale Verben belegen läßt; das Basisnomen bezeichnet dann das Instrument, mit dem die Verbindung herbeigeführt wird (s. (58b)). (58)
a. verflechten, verkleben, verkoppeln, verschmelzen, verschweißen ... b. vernieten, vernuten, vernetzen, verschrauben, vertäuen ...
Diese Verben kommen systematisch in mehreren Varianten vor: Entweder mit pluralischem Akkusativ-Objekt (bei Verbindung gleichartiger Gegenstände) wie in (59a) oder mit Akkusativ-Objekt und mit-Phrase (bei Verbindung von verschiedenartigen Gegenständen) wie in (59b). Möglich ist auch eine Struktur mit Koordination von NPs wie in (59c). (59)
a. Sie verschweißt die Gitterstäbe (miteinander). b. Sie verschweißt den Griff mit der Tür. c. Sie verschweißt den Knauf und die Tür (miteinander).
In diese Gruppe fallen auch die ver-Verben, die das Vermischen von Massen bezeichnen. Diese Verben verlangen ein Massenomen als direktes Objekt und lassen in der ersten Variante auch ein singularisches Objekt zu (s. (60c)). Die Masse ist dabei aus Stoffen konstituiert, die durch die vom Basisverb bezeichnete Handlung miteinander zu einem homogenen Ganzen vermischt werden. (60)
a. verrühren, verkneten, verquirlen... b. Sie verquirlt die Creme fraiche mit der Suppe. c. Sie verrührt den Teig.
Die Resultatszuschreibung dieser Verben kann mit der zweistelligen Relation CONNECTED(u,v) erfaßt werden. Diese Relation wird auf der CS, je nachdem ob individuierbare Gegenstände oder Massen involviert sind, als Verbunden- oder Vermischt-Sein interpretiert: (61)
CONNECTED(u,v) ist wahr gdw. der Referent von u und der Referent von ν miteinander verbunden oder vermischt sind.
Das Präfixverb wird wieder über Funktionskomposition mit dem argumenterweiterten Basisverb abgeleitet. In der ersten Variante (direktes Objekt und mit-PP) ist zu klären, welches der beiden Argumente der CONNECTED-Relation als direktes Objekt und welches als mit-PP realisiert wird (s. (62b/c)). Auf die Koindizierungsproblematik gehe ich anschließend ein. Falls (62c) korrekt ist, müßte das interne Argument der CONNECTED-Relation bereits im Lexikoneintrag als oblique gekennzeichnet sein, so daß das externe Argument als rangniedrigstes, unmarkiertes Argument in die Position des direkten Objekts gelinkt wird (s. (62d)). (62)
a.
b. c.
ver-Verb: λ ν
Xu
λγ λ χ Xs [VERB(x,y)(s) & BECOME(CONNECTED(u,v))(s)]
akk PP * PP akk
7. Verbzusätze als lexikalische Adjunkte d.
ver5:
λν
λιι
153
λ& BECOME(CONNECTED(U,V))(S)
PP[mit] Für die zweite Analyse sprechen zwei strukturelle Fakten: Zum einen können Basisverben, die über eine unakkusative Variante verfügen, ebenfalls mit ver- präfigiert werden (s. (63)); dabei muß das Argument des Basisverbs mit einem Argument der durch das Präfix eingebrachten Relation identifiziert werden. Als ranghöchstes Argument erhält es den Nominativ, kann also nicht mit dem als oblique gekennzeichneten Argument der CONNECTED-Relation identifiziert worden sein, da sich dadurch ein Widerspruch beim Linking ergäbe. (63)
a. Das Wachs verschmilzt mit dem Honig. b. Wachs und Honig verschmelzen (miteinander).
Kennzeichen der unakkusativen Verben ist, daß sie nur "Entwicklungsresultative" zulassen (Kaufmann 1995a), d. h. der vom Präfix eingebrachte Resultatszustand darf nur die vom Basisverb ausgedrückte Entwicklung näher spezifizieren. Also muß die CONNECTED-Relation als zweistelliges Prädikat über dem Argument des Basisverbs verstanden werden und somit das externe Argument der Relation als das strukturell zu realisierende anzusehen sein. Zum anderen verlangt die Anapher miteinander eine Bindung durch ein ranghöheres Argument; diese Bindung ist nur gegeben, wenn das interne Argument der CONNECTED-Relation oblique realisiert wird. In der Variante mit pluralischem Akkusativobjekt in (59b) oder - im Fall von Massenomen - mit singularischem Akkusativobjekt wie in (60c) kann das interne oblique Argument der CONNECTED-Relation unrealisiert bleiben: In CS ist dann eine Interpretation der Relation durch die Individuierung oder Distribuierung der bezeichneten Pluralität oder Masse auf Einzelteile, wobei ein Verbundensein zwischen diesen Einzelteilen angenommen wird, möglich. Die strukturelle Variation der ver-Verben und die zuletzt genannte CS-relevante Distribuierung sind kein Spezifikum dieser Verben, sondern fallen unter das allgemeinere Phänomen der Gruppenbildung bzw. Gruppenprädikate. So kann man im Ungarischen die gleiche Variation bei einem entsprechenden Präverb-Verb-Komplex, bei denen das Präverb ein Gruppenprädikat einführt, beobachten (s. Ackerman 1987). Ähnliche Effekte treten bei anderen symmetrischen Prädikaten im Deutschen auf (Beispiel treffen: Ingrid trifft Ray vs. Ingrid und Ray treffen sich). Für die Komposition von Präfix und Basisverb ist anzunehmen, daß sich generell die SF-Variante konzeptuell durchsetzt, in der kein Argument der CONNECTED-Relation direkt mit einem Basisverbargument identifiziert wird (s. (64a)). Dies ist plausibel, wenn man in Betracht zieht, daß zur Herbeiführung der Verbindung meistens eine Einwirkung auf beide Argumentreferenten erfolgt, so daß das Basisverbargument y als mereologische Summe von u und ν aufzufassen ist (y = u Θ ν). 3 1 Nur in den Fällen, in denen die Manipulation eines Gegenstandes dazu führt, daß dieser mit einem anderen verbunden wird, ist die SF in (64b) plausibel, y kann hier strukturell realisiert werden, da es das rangniedrigste Argument Abhängig von den Argumentreferenten und der vom Basisverb ausgedrückten Manipulation müssen vermutlich noch auf der CS verschiedene Typen der mereologischen Summenbildung unterschieden werden.
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7. Verbzusätze als lexikalische Adjunkte
ist; das Argument ν ist aufgrund seiner Obliqueauszeichnung für das Linking nicht sichtbar. Die SF in (64c) ist aufgrund der Verletzung von Kohärenzprinzipien ausgeschlossen: Durch die Basisverben werden Gestalt- bzw. Lageeigenschaften des Objektreferenten aktiviert, deshalb sollte die Resultatsspezifizierung auf diese Eigenschaften Bezug nehmen. In (64c) prädiziert diese Resultatsangabe jedoch im Widerspruch dazu über das externe Basisverbargument. Dessen Referent ist oft belebt und kann eigentlich nur in einem metaphorischen Sinn eine Verbindung eingehen. Außerdem wird im Basisverb nur die Information aktiviert, daß der Subjektreferent imstande ist, eine Manipulation (mittels Instrumenten) an Objekten vorzunehmen. Der Verbzusatz würde in diesem Fall keine für den Subjektreferenten aktivierte Information spezifizieren. (64)
a.
λ ν Xu λ χ Xs [VERB(x,y = u Θ v)(s) & BECOME(CONNECTED(U,V))(S)]
| +hr -hr PP -lr +lr
I I
akk nom b.
λ ν λγ λ χ Xs [VERB(x,y)(s) & BECOME(CONNECTED(y,v))(s)]
c.
PPfmit] § λ ν λ γ λ χ λβ [VERB(x,y)(s) & BECOME(CONNECTED(X,V))(S)]
Wie bereits angedeutet, gibt es auch eine kleine Zahl von inchoativen Verben, die die hier beschriebene Resultatsmarkierung erhalten können (ζ. B. verschmelzen, verwachsen). Eine wichtige Fragestellung ist, ob bei diesen Verben die Reanalyse vorliegt, daß beide Argumentreferenten von dem im Basisverb kodierten Zustandswechsel betroffen sind, oder ob die Zustandsveränderung des Subjektreferenten dazu führen kann, daß eine Verbindung zu einem anderen Objekt eintritt. Falls letzteres möglich ist, gibt es empirische Evidenz für Strukturen wie [BECOME(THPRÄD(X)) & BECOME(THREL(x,y))]. Befragungen von Informanten haben ergeben, daß die Sprecherurteile in der Frage, ob beide Argumentreferenten dem vorausgehenden Prozeß unterliegen müssen, variieren. Manche Sprecher akzeptieren auch Sätze wie (65a/c), in denen nur der Subjektreferent eine Veränderung erfährt und als Resultat davon mit einem anderen Objekt verbunden ist. Für andere Sprecher sind nur Äußerungen akzeptabel, in denen beide Argumentreferenten vom Zustandswechsel betroffen sind. Präferiert wird dann allerdings die Struktur mit der komplexen Anapher miteinander (s. (65b/d)), da diese ohne Reanalyse die zugrundegelegte Interpretation wiedergibt. (65e) wäre für diese Sprecher eher inakzeptabel. (65)
a. b. c. d. e.
Der Teer verschmilzt mit dem Straßenpflaster. Wachs und Honig verschmelzen miteinander. Der Tumor ist mit dem Darm verwachsen. Die Äste sind miteinander verwachsen. ? Der Wachs verschmilzt mit dem Honig.
Abhängig von der Interpretation der Sprecher sind deshalb die in (66) skizzierten Repräsentationen für diese inchoativen Verben anzusetzen. Falls nur der Subjektreferent eine Veränderung erfährt, die zu einer Verbindung führt, ist (66a) als SF angemessen. Falls da-
7. Verbzusätze als lexikalische Adjunkte
155
gegen beide Referenten, die miteinander verbunden werden, dem vorausgehenden Zustandswechsel unterliegen, ist (66b) mit mereologischer Summenbildung als SF anzusetzen. (66)
a.
[BECOME(P(x))(s) & BECOME(CONNECTED(x,v))(s)]
b.
[BECOME(P(X = U Θ V))(S) & BECOME(CONNECTED(U,V))(S)]
7.3.3 Resultat "zerstört/beschädigt" (ablver-) Ein weiteres spezifisches Resultat, nämlich "beschädigt" oder "zerstört" zu sein, wird durch die Partikel ab (und teilweise auch durch das Präfix ver-) beigesteuert. Prädiziert wird dabei in der Regel über ein neu eingeführtes Individuenargument. Die zum Ausdruck kommende Beschädigung ergibt sich durch den ständigen, vom Basisverb bezeichneten Kontakt mit dem betreffenden Objekt oder Gebrauch des Objektes. Alle Verben, die einen solchen ständigen Kontakt oder Gebrauch implizieren, stellen potentielle Basisverben dar. Als Referenten für das neue direkte interne Argument kommen demnach die betroffenen Flächen oder die bei der Handlung herangezogenen Instrumente in Frage. Strukturell ausgeschlossen sind dreistellige Verben und transitive Verben mit obligatorischem Argument, bei denen die Resultatsangabe nicht plausibel über das interne Basisverbargument prädizieren kann. Hier einige Beispiele: (67)
a. b. c. d. e.
Er hat seine Turnschuhe völlig abgelatscht. Sie haben die Pferde völlig abgeritten. Die vielen Besucher haben die Treppenstufen ziemlich abgetreten. Die Kinder haben das Sofapolster abgegriffen. Ich habe schon zwei Satz Reifen abgefahren.
Die Beispiele zeigen, daß sowohl eng in die Handlung eingebundene Instrumente (s. (67a)) als auch häufigem Kontakt ausgesetzte Flächen (s. (67c/d)) als beschädigt ausgewiesen werden können. Über enzyklopädisches Wissen wird jeweils erschlossen, ob die Handlung einen Gegenstand so involvieren kann, daß daraus eine Beschädigung resultieren kann: So ist bekannt, daß Reifen Bestandteile eines Autos sind, die beim Fahren ständigen Kontakt mit der Fahrbahnoberfläche haben und deshalb mit der Zeit abnutzen (s. (67e)). Auch sind abstraktere Lesarten wie "erschöpft" möglich (s. (67b)). In dieser Resultatsverwendung besteht eine Konkurrenz zwischen den Verbzusätzen verund ab, wobei ab weitaus produktiver ist; in einigen Fällen gewinnt man den Eindruck, daß ver- stilistisch höher bewertet oder primär der Schriftsprache zugerechnet wird (abnutzen vs. vernutzen). In (68) sind einige Beispiele für ver- aufgeführt. Die Beispiele in (68d/e) belegen jedoch, daß ver- nicht produktiv ist; hier wird man eher Bildungen mit ab vorziehen. (68)
a. b. c. d. e.
Sie haben den Stuhl versessen/verkratzt. Diese Wohnung ist völlig verwohnt. Der Hund hat die Rosen verpinkelt. § Die Passanten haben das Pflaster verlaufen. § Die Kirchenbesucher haben die Kirchenbänke verkniet.
156
7. Verbzusätze als lexikalische Adjunkte
Aufgrund ihrer resultatsbezogenen Lesart treten diese ab- Verben häufig in einem Vergangenheitstempus (s. (67)) oder noch präferierter als Zustandsaussage auf, also mit einem vom Partizip II abgeleiteten prädikativen Adjektiv: (69)
a. b. c. d.
Die Schallplatte ist schon ziemlich abgespielt. Dieses Zimmer ist abgewohnt. Die Nadeln sind richtig abgehäkelt. Dieser Straßenbelag ist sehr stark abgefahren.
Inferiert wird dabei auch immer, daß ein mehrmaliges Ausführen der vom Basisverb bezeichneten Handlung zur Beschädigung führt. Repräsentieren möchte ich diese Resultatsspezifizierung mit dem Eintrag in (70), der zum Ausdruck bringt, daß sich aus der bezeichneten Basisverbhandlung als Resultat das Zerstörtsein eines Objektes ergibt. Die Komposition ergibt sich auch hier aus der Funktionskomposition von argumenterweitertem Verb mit dem Partikeleintrag. (70)
ab5: ΛΫ Xs BECOME(DAMAGED(U))(S)
DAMAGED(U)
ist wahr gdw. der Referent von u zerstört oder beschädigt ist.
Abhängig vom Basis verb und dem von der Zerstörung betroffenen Gegenstand sind unterschiedliche Effekte bei der (Nicht-)Koindizierung des Arguments der DAMAGED-Relation mit einem Basisverbargument zu verzeichnen, die allesamt konzeptuell motiviert sind. Auch hier ist wieder davon auszugehen, daß alle für die der Koindizierung denkbaren SFRepräsentationen generiert werden, wobei häufig nur eine konzeptuell integriert werden kann. Einige Verben erlauben beide Lesarten: Zerstörung/Beschädigung einer Fläche und eines handlungsrelevanten Instruments (die Pferde abreiten und den Bahnbelag abreiten). Beide müssen aber in engem Zusammenhang mit der Verbhandlung stehen, d. h. ohne viel zusätzliche Kontextinformation mit der Handlung assoziiert werden können, so daß die Situationskohärenz gewährleistet ist. Ich will dies am Beispiel das Sofapolster absitzen illustrieren. In (71a) ist die Repräsentation für sitzen gegeben (s. Kaufmann 1995a: 103). Das Verb absitzen ist in (71c) repräsentiert und läßt sich zu Sätzen, in denen wie in (71b) eine für sitzen plausible Lokalisierung ausgedrückt wird, in Beziehung setzen. In diesem Fall wird das Argument des Prädikats DAMAGED nicht mit einem Basisverbargument koindiziert, allerdings ist der Objektreferent typisches Relatum der bei sitzen ausgedrückten Lokalisierung. Die Komposition des ab- Verbs ergibt sich aus der Funktionskomposition von argumenterweitertem Basisverb mit dem Partikeleintrag in (70). 32
32
Es bedarf noch weitergehender Untersuchungen zur Fragestellung, welche Verben mit eigentlich obligatorischem prädikativen Argument wie ζ. B. sitzen eine Argumenterweiterung mit anschließender Integration von weiteren Prädikaten zulassen, obwohl das prädikative Argument des Basisverbs nicht gesättigt ist. Gefordert wird ζ. B. bei sitzen die Spezifikation der Lokalisierung des Subjektreferenten, was durch die Partikelverbbildung unterbunden wird. Die Verbderivation scheint nur deshalb möglich zu sein, weil die Verbzusatzinformation einen sich aus der Lokalisierung ergebenden Resultatszustand spezifiziert und über das Relatum der Lokalisierungsrelation prädiziert, so daß die Art der Lokalisierung indirekt erschlossen werden kann.
7. Verbzusätze als lexikalische Adjunkte (71)
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a. sitzen: λΡ λχ Xs [SITZ(x) & P(x)](s) b. auf dem Stuhl sitzen: λχ Xs [SlTZ(x) & LOC(x, auf dem Stuhl)]( s) c. etw. absitzen: ΛΫ λχ λβ [(srrz(x) & P(x))(s) & BECOME(DAMAGED(U))(S)]
7.3.4 Resultat "sauber/frei von etwas" {ab) In systematischer Beziehung zu der produktiven afc-Variante (abj), bei der die Loslösung oder Trennung eines Gegenstandes von einem anderen zum Ausdruck kommt und die sowohl als lexikalisches Argument wie auch als Adjunkt in das Basisverb eingebettet wird (die Krümel abfegen-, s. 6.1.3), steht eine weitere ab-Variante (abß), die als Resultatsspezifizierung die Information "sauber/frei von etwas sein" beisteuert (den Teppich abfegen Resultat: der Teppich ist sauber). Daß beide Varianten prinzipiell auf die gleichen Basisverben zugreifen (ζ. B. Verben, die die Manipulation von Oberflächen bezeichnen: abfegen, abschrubben, abwischen, abbürsten ...), ist unmittelbar einsichtig: Wenn ein oder mehrere Gegenstände mittels einer Handlung von einer Fläche entfernt worden sind, so kann man meistens schlußfolgern, daß diese Fläche dann sauber bzw. frei von zuvor darauf piazierten Gegenständen ist. 33 Es ist zu beobachten, daß die Verben der Manipulation von Oberflächen systematisch in zwei alternierenden Strukturen auftreten, und zwar in einer Struktur, in der das Objekt auf die manipulierte Fläche referiert, und in einer abgeleiteten Resultativkonstruktion (s. auch Levin/Rappaport Hovav 1992a zu entsprechenden Verben des Englischen). Daß (72a) die zugrundeliegende Variante des Verbs darstellt, belegen zwei Fakten: Erstens ist das Objekt von (72a) oblique realisierbar (s. (72b)), das Objekt von (72b) dagegen nicht (s. (72a)), was darauf hindeutet, daß (72b) die abgeleitete Variante zu (72a) darstellt. Überdies ist (72b) nur eine Instanz möglicher Resultativkonstruktionen; als Resultatsangaben sind auch direktionale Ziel-PPs möglich (s. (72c)). (72)
a. Sie fegt den Fußboden (* von Krümeln). b. Sie fegt die Krümel vom Fußboden. c. Sie fegt die Krümel in die Ecke/unter den Teppich.
Während die lokale Variante z u r Resultativkonstruktion des Basis verbs in Beziehung steht (vgl. (72b)/(73a)), greift die Resultatsspezifizierung "sauber/frei von etwas" auf den Basiseintrag des Verbs zu (vgl. (72a)/(73b)). (73)
a. Sie fegt die Krümel (vom Fußboden) ab. b. Sie fegt den Fußboden (* von Krümeln) ab.
Auch wenn man ab in der Resultatslesart "sauber/frei von etwas" relational interpretieren kann (ζ. B. der Fußboden ist frei von Krümeln), so ist es doch nicht möglich, das implizite interne Argument der Relation zu realisieren - auch nicht oblique (s. (73b)). Im Unterschied zu den Verben der Manipulation von Oberflächen prädiziert die von ab eingebrachte Resultatsspezifizierung "sauber" bei allen anderen Verben, die die Herbeiführung einer Trennung/Loslösung ausdrücken, nicht über das direkte interne Argument des 33
Man könnte spekulieren, daß die lokale Lesart von ab die zugrundeliegende ist, während die hier betrachtete Resultatslesart eine Reanalyse der lokalen Lesart in eine entsprechende Konverse darstellt.
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7. Verbzusätze als lexikalische Adjunkte
Basisverbs, soweit es überhaupt gegeben ist, sondern über ein neu eingeführtes Argument, dessen Referent allerdings in enger Beziehung zur bezeichneten Handlung steht: Zumeist kann der Referent als Holonym des Basisobjektreferenten, der der im Basisverb ausgedrückten Einwirkung/Manipulation unterliegt, verstanden werden. Die von abg eingebrachte Resultatsspezifizierung nimmt also unmittelbar Bezug auf die im Basisverb kodierte Einwirkungsrelation und genügt somit den Kohärenzbedingungen. (74)
a. b. c. d. e. f.
Sie ernten das Getreide/* das Feld. Sie ernten das Getreide ab^d&s Feld ab^. Die Kühe weiden Gras/auf der Wiese/* die Wiese. Die Kühe weiden das Gras ab2/die Wiese ab^. Der Hund nagt an der Gänsekeule/* die Gänsekeule. Der Hund nagt die Gänsekeule ab(.
Referent des Arguments, über das die Partikel ab6 prädiziert, ist in fast allen Fällen das Relatum einer PP, die eine lokale Information beisteuert und entweder als Komplement des Basisverbs aufzufassen ist, oder eine engere Beziehung zum Verb aufweist als ein völlig frei hinzufügbares Adjunkt (s. (74c-f); ζ. B. die "Konativkonstruktion" in (74e)). Die Basisverben sind entweder ursprungsorientiert (s. (74a)) oder bezeichnen den reduzierenden Abbau eines Objektes oder Materials (weiden: Verzehr von Gras; nagen). Beide Typen von Verben machen die in dieser Partikel ausgedrückte Resultatsspezifizierung plausibel und zulässig. Die Kompatibilität der Partikel mit den genannten Basisverben bestätigt sich auch durch die Zulässigkeit dieser Verben in Resultativkonstruktionen mit den Adjektiven sauber und leer, die die von ab gelieferte Resultatsspezifizierung expliziter ausdrücken: (75)
a. Sie fegt den Fußboden sauber. b. Der Hund nagt den Knochen sauber. c. Sie pflückt die Obstbäume leer.
Für die Repräsentation dieser ab-Variante sind zwei Einträge denkbar. Entweder nimmt man die Tatsache, daß das interne Argument der eingebrachten "sauber/frei von"-Information niemals realisierbar ist, zum Anlaß, ein einstelliges Prädikat wie in (76a) anzusetzen, das dann in der CS aufgrund der vorliegenden Information als relational gedeutet wird; bezogen auf den angegebenen Zustandswechsel von —Ι CLEAR zu CLEAR wird inferiert, daß bestimmte Gegenstände entfernt worden sein müssen. Um welche Gegenstände es sich dabei handelt, wird aus den prototypischen Objekteigenschaften des Objektreferenten und der durch das Verb kodierten Einflußnahme erschlossen (die Felder abernten: Getreide, Gemüse; den Tisch abwischen: Dreck, Staub; die Gänsekeule abnagen: Fleisch). Alternativ kann man die Relationalst direkt auf der SF wie in (76b) kodieren. Über das interne Argument der FREE_OF-Relation wird nicht abstrahiert, es bleibt implizit. (76)
a. ab6a: λϋ Xs BECOME(CLEAR(U))(S) C L E A R ( U ) ist wahr gdw. der Referent von u sauber ist. b. ab6b: ΛΫ Xs BECOME(FREE_OF(U,Z))(S)
7. Verbzusätze als lexikalische
Adjunkte
159
Die Entscheidung für eine der beiden Repräsentationen hängt von den Grundannahmen ab, die man im Rahmen der zweistufigen Semantik ansetzen möchte, nämlich von der genauen Aufgabenverteilung von CS und SF und vom Status impliziter Argumente. Die einfachere SF in (76a) überträgt der CS mehr Interpretationsaufwand, während die SF in (76b) Interpretationsaufgaben der CS antizipiert. Da das implizite Argument der FREE_OF-Relation niemals in die Syntax projiziert werden kann, sollte man auf diese Repräsentation verzichten und (76a) als Eintrag für ab zugrundelegen. Die Ableitung erfolgt über Funktionskomposition von argumenterweitertem Verb und dem Partikeleintrag in (76). Illustrieren möchte ich dies für die Verben der Manipulation von Oberflächen, bei denen ich den vereinfachten Eintrag in (77a) ansetze. Klassenbildend ist die Relation MANIP, die die Manipulation eines Gegenstandes/einer Fläche bezeichnet; MOD steht für den Ausführungsmodus, d. h. die Art der Einwirkung, mit der die Fläche manipuliert wird. (77b) repräsentiert den argumenterweiterten Eintrag von fegen, (77c) gibt das Resultat der Komposition mit ab wieder. (77)
a. Xy λ χ Xs (MOD(x) & MANlP(x,y))(s) b. fegen: λ Ρ λ y λ χ Xs [(FEG(x) & MANlP(x,y))(s) & P(s)] c. abfegen: Xy λ χ Xs [(FEG(x) & MANip(x,y))(s) & BECOME(CLEAR(y))(s)] d. § abfegen: Xu Xy λ χ Xs [(FEG(x) & MANlP(x,y))(s) & BECOME(CLEAR(u))(s)] e.
§ abfegen:
Xy λ χ λβ [(FEG(x) & MANlP(x,y))(s) & BECOME(CLEAR(x))(s)]
Von den frei generierten Einträgen in (77c-e), die jeweils unterschiedliche Identifizierungen des CLEAR-Arguments aufweisen, kann sich konzeptuell nur die Variante (77c) durchsetzen, da die beiden anderen Kohärenzbedingungen verletzen: Aktiviert wird durch die im Basisverb ausgedrückte Manipulation die Gestalteigenschaft des Arguments y, auf die die Resultats Spezifikation Bezug nehmen muß. Deshalb sind keine Resultatsangaben möglich, bei denen zum Ausdruck gebracht wird, daß indirekterweise andere Objekte oder der Subjektreferent selbst durch die Manipulation von irgendwelchen Gegenständen befreit worden sind. Im Unterschied zu der lokalen Lesart ist die hier diskutierte Resultatsspezifizierung "sauber" nicht als syntaktisch freies Prädikat bei der Kopula verwendbar: (78)
a. Der Dreck ist ab. b. § Der Tisch ist ab. c. (§) Der Truhendeckel ist ab. = der Truhendeckel ist von der Truhe entfernt worden; * der Truhendeckel ist gesäubert worden
In dieser prädikativen Verwendung können die in ab kodierten, zueinander konversen Einträge (a^2 u n d abß) nicht parallel auftreten. Dies erklärt sich mit der potentiellen Ambiguität der beschriebenen Zustände in (78c). Nach Wunderlich (1992) soll es prinzipiell nicht möglich sein, konverse Prädikate auf ein und dieselbe phonetische Form abzubilden. Die Verbzusätze stellen in gewisser Weise Gegenbeispiele zu dieser Annahme dar, da sie oft neben der LOC-Relation auch die entsprechenden Konversen in verschiedenen SF-Varianten aufweisen. Allerdings ist hier die Disambiguierung häufig durch das Zusammenspiel von Basisverbbedeutung und der Wahl der Argumentreferenten gewährleistet.
160
7. Verbzusätze als lexikalische Adjunkte
7.3.5 Syntaktisch projizierbare Resultatsprädikate (auf/an) Die in diesem Abschnitt diskutierten Daten stehen nicht so sehr unter dem Blickwinkel der Semantik der Resultatsspezifizierung, sondern unter der Perspektive der Interaktion von Syntax und Semantik. Als Elemente, die lexikalisch als [+max] gekennzeichnet sind und somit für die Syntax X°-Kategorien darstellen, besitzen Partikeln grundsätzlich das Potential, syntaktischen Prädikatsstatus zu erlangen, d. h. in Verbindung mit einer Kopula aufzutreten, falls sie eine maximale Phrase projizieren können und ihr Lexikoneintrag eine verbunabhängige Prädikation erlaubt. Für ab habe ich dies bereits demonstriert (s. (78a)). auf und an können auch als unabhängige Prädikate auftreten, sind dann aber in ihrer Bedeutung viel weiter von ihren prototypischen Verwendungen entfernt als ab. So hat auf hier die Bedeutung "offen", an stellt dagegen eine Kurzform für "angemacht, angeschaltet" dar und ist in seiner Verwendbarkeit viel stärker eingeschränkt als aw/.34 (79)
a. Die Tür ist (weit) auf. b. Das Licht/der Ofen ist an.
Der syntaktische Prädikatsstatus schlägt sich teilweise auch in der isolierten Topikalisierbarkeit der Partikel unter Fokussierung nieder - zumindest für einige Sprecher des Deutschen (Grewendorf 1990, Ackerman/Webelhuth 1994): (80)
a. Auf hat sie die Tür gemacht. b. ? Auf hat er die Tür gestoßen. c. An hat sie das Licht gemacht.
Diese Partikeln sind dagegen in anderen Verwendungen nicht topikalisierbar: (81)
a. * An hat er die Frau gerufen. b. * Auf hat er den Braten gegessen.
Doch auch in den beiden hier diskutierten Resultatsspezifizierungen sind die beiden Partikeln in den meisten Fällen nicht isoliert topikalisierbar, und zwar abhängig vom Basisverb: (82)
a. * Auf hat er das Schloß gebrochen, b. * Auf hat sie den Brief gerissen.
Ackerman/Webelhuth (1994) diskutieren solche Topikalisierungsdaten und versuchen, die unterschiedliche Topikalisierbarkeit im LFG-Rahmen durch die grammatische Funktion PRED zu erfassen. Topikalisierbare Partikeln haben PRED-Funktion, was ihr Auftreten in der Topikposition lizensiert. Andere Partikeln, die diese Funktion nicht haben, dürfen nicht isoliert in die Topikposition bewegt werden. Alle Verben einschließlich der komplexen tragen gleichfalls PRED-Funktion, ebenso alle Verbphrasen/Verbkomplexe, die topikalisierbar sind. Neben einer genauen Explizierung, was sich semantisch hinter dieser PREDFunktion verbirgt, ist durch die bloße Zuweisung der PRED-Funktion noch nicht erklärt, auf gibt es auch als Kurzform für "aufgegessen, aufgebraucht": Der Braten ist aufIdas Geld ist auf. Kempcke (1966:296) führt die Herausbildung der Bedeutung "offen" auf Verwendungen zurück, bei denen die Partikel auf die lokale Bedeutung "empor" hatte und das komplexe Verb eine Bewegung bezeichnete, die zur Öffnung eines Gegenstandes führte.
7. Verbzusätze als lexikalische Adjunkte
161
warum bestimmte Partikeln (Komplexe) topikalisiert werden können und andere nicht. Ackermann/Webelhuth setzen die Topikalisierbarkeit in Korrelation zur Verwendung der Partikel als prädikative Phrase bei der Kopula. Nicht-topikalisierbar sollen demnach die Partikeln sein, die nicht als prädikative Phrasen zugelassen sind. 35 Umgekehrt bedeutet das, daß prädikative Phrasen topikalisiert werden können. Das Beispiel (83a) impliziert demnach, daß bei einem Verb wie aufbrechen die Partikel isoliert topikalisiert werden kann, was inkorrekt ist (s. (82a)). Auch kann bei der prädikativen Verwendung von an in (79b) nur das Verb anmachen in der Topikalisierungstruktur (83b) zugrundeliegen, nicht jedoch ein Verb wie anschalten oder andrehen. (83)
a. Das Schloß ist auf. b. An haben sie das Licht gemacht/* gedreht/* geschaltet.
Zwischen Topikalisierungsstruktur und Prädikationsstruktur besteht also keine Äquivalenzbeziehung, sondern nur eine Implikation: Wenn eine Partikel topikalisierbar ist, dann muß sie auch als prädikative Phrase bei der Kopula zugelassen sein. Neben der Zulässigkeit der Partikel als prädikative Phrase bei der Kopula sind für die Topikalisierbarkeit jedoch zwei weitere Faktoren wichtig: Die Partikel muß in der Resultatszuschreibung mit anderen Partikeln kontrastieren können (auf\s. zu, an vs. aus) und "semantisch unabhängig" vom Basisverb sein, was allerdings in engem Zusammenhang zu der Kontrastierbarkeit steht. "Semantisch unabhängig" sind die Partikeln nur bei solchen Verben, die semantisch ziemlich leer sind (also Funktionsverben wie machen, gehen ...). Basisverben, die eine spezifische semantische Fundierung des durch die Partikel eingebrachten Resultatszustands vornehmen, können nicht mit allen Partikeln kombiniert werden. Falls nun eine Partikel, die zu einer zweiten in Opposition steht, bei einem Verb nicht zugelassen ist, fehlt der zweiten Partikel die für die isolierte Topikalisierung erforderliche Kontrastierbarkeit. Illustrieren läßt sich dies am Verb aufbrechen: Unakkusative Verben und ihre transitiven Alternanten lassen - wie bereits gesagt - keine (freien) Resultative zu, sondern nur "Entwicklungsresultative", die die im Basisverb angelegte Entwicklung näher spezifizieren: Die zu auf in Opposition stehende Partikel zu stellt keine mögliche Resultatsspezifizierung bei brechen dar (§ zubrechen). Die enge semantische Anbindung der Partikel an das Basisverb läßt also keine Kontrastierungen zu, die Ungrammatikalität von (82a) ist somit erklärt. Ich denke, daß sich auch die anderen Partikeln mit syntaktischem Prädikatsstatus hinsichtlich ihrer Topikalisierbarkeit durch die hier vorgestellten Bedingungen erklären lassen. Diese Daten bestätigen auch, daß die Topikalisierung stärker semantisch gesehen werden muß.
Idiosynkratische Gegenbeispiele zu dieser Annahme stellen idiomatische Bildungen wie ab geht die Post und auf steigt der Strahl dar. Beide Partikelverwendungen gehen auf frühere Adverbbedeutungen zurück.
162
7. Verbzusätze als lexikalische Adjunkte
7.4 Weitere Modifikationstypen Neben den bei den Verbzusätzen dominierenden Resultatsspezifikationen gibt es auch einige Muster, bei denen durch den Verbzusatz eine semantische Modifikation der vom Basisverb denotierten Handlung vorgenommen wird. Zwei Muster möchte ich hier exemplarisch vorstellen.
7.4.1 Gerichtetsein-Komponente bei an Ein ausgesprochen produktives Modifikationsmuster findet sich bei den Partikelverben mit an; die Partikel bringt hier die Ausrichtung auf einen Gegenstand oder eine Person in der vom Basisverb bezeichneten Handlung zum Ausdruck und steuert semantisch eine Relation bei, die ein neues Argument einführt. In der Kombinierbarkeit der Partikel mit ausschließlich intransitiven agentiven Verben manifestiert sich die inhärente Gerichtetheit, die nach Kaufmann (1995a) wesentliches Charakteristikum agentiver Verben ist. 36 Bis auf einige wenige Ausnahmen denotiert das Partikelverb jeweils eine intentionale Handlung. Man kann die auftretenden Verben grob in fünf Bedeutungsgruppen aufgliedern: Verben des Sprechens und des Sehens/Betrachtens, Verben der Emotion, Verben der Signalübertragung und schließlich eine kleinere Gruppe von Bewegungsverben (Stiebeis 1991). Bei allen Bedeutungsgruppen besteht die räumliche Beziehung zwischen Subjektreferent (Thema) und Objektreferent (Relatum) in der Ausrichtung des Subjektreferenten auf das Relatum, ohne daß ein Kontakt zwischen beiden vorliegt oder erzielt wird. Die Verben der ersten drei Bedeutungsgruppen erlauben bis auf einige Ausnahmen nur belebte Objekte, weil sie eine spezifische kommunikative Situation bezeichnen, zumeist eine face-to-faceSituation. Die Belebtheitsrestriktion gilt nicht für die anderen beiden Verbgruppen. Im folgenden will ich kurz auf die einzelnen Verbgruppen eingehen. Die komplexe Aufgabenverteilung zwischen dieser an-Variante und dem Präfix be- ist in Stiebeis (1991) ausgeführt. Bei den Verben des Sprechens bezeichnet das Objekt den direkten Gesprächsadressaten.· (84)
a. Er quatschte sie an. b. Sie schrien ihre Nachbarn an. c. Die Katze fauchte Andreas an.
Bei den Verben des Sehens/Betrachtens ist die face-to-face-SiXuaüon unmittelbar durch die perzeptiven Anforderungen bedingt. Einige der Verben lassen in Strukturen mit reflexivem Dativ unbelebte Objekte zu (s. (85b)); in dieser Struktur stellt sich allerdings beim Partikel-
36
Daß die von an vorgenommene Modifikation generellen Status hat, kann man durch parallele Muster im Yimas (Foley 1991) nachweisen. Yimas verfügt u. a. über zwei produktive Affixe, die die Ausrichtung auf etwas bezeichnen. Es handelt sich dabei um das Allativaffix ira (s. (a)) und das Visualaffix tankway (s. (b)). Der Unterschied zwischen beiden Affixen liegt darin, daß beim Visualaffix visueller Kontakt zwischen den Partizipanten der Situation vorliegen muß. a. na-mpu-na-i'ra-wa-n 3:SG:o-3:SG:s-DEF-ALL-gehen-PRAs 'sie gehen zu ihm' b. na-n-tankway-cantaw-k 3:SG:o-3:SG:s-vis-sitzen-lRR 'Er setze sich zu ihm und sah ihn dabei prüfend an.'
7. Verbzusätze als lexikalische Adjunkte
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verb die Lesart ein, daß das betrachtete Objekt einer gründlichen Begutachtung unterzogen wird. (85)
a. Sie blicken den Fremden an. b. Sie schauen sich den Fremden/die Ausstellungsstücke an. c. Er blinzelte seine Studentin an.
Bei den Verben der Bezeichnung von Emotionen sind häufig nur belebte Objekte möglich, teilweise ist jedoch eine Ausdehnung auf konkrete Objekte zugelassen (s. (86c)). (86)
a. Sie lacht ihn an. b. Er schmachtet die große Diva an. c. Er staunt den Akrobaten/den Dom an.
Zu den Verbgruppen ohne Belebtheitsrestriktion gehören die Verben, die die Übertragung von optischen und akustischen "Signalen" ausdrücken (anfunken, anblinken, anleuchten, anstrahlen, anscheinen,...). Hier stellt der Objektreferent das Ziel der übermittelten Signale dar. Einige der Verben erlauben ein PP-Komplement mit der Präposition auf: (87)
a. Der Kapitän funkt den nächsten Hafen an. b. Die Sonne strahlt auf die Erde. c. Die Sonne strahlt die Erde an.
Die letzte Bedeutungsgruppe ist nicht so groß und umfaßt nur einige Bewegungsverben. Auch hier bezeichnet das Objekt ein Ziel, wobei nicht impliziert wird, daß das Ziel erreicht wird, sondern nur die mit einer Bewegung erfolgte Ausrichtung auf das Ziel. (88)
a. b. c. d. e. f. g.
Der Athlet läuft das letzte Hindernis an. Sie paddeln das Ufer an. Er radelt die Werkstatt an, weil eine Speiche gerissen ist. Der Jäger schleicht das Wild an. Sie schwimmt die Wendeboje an. § Sie kriechen die Hecke an. § Sie rennen den Bahnhof an.
Daß nicht alle Bewegungsverben mit dieser an-Variante kombiniert werden können, ist darauf zurückzuführen, daß mit der Anvisierung des Ziels eine bestimmte Intention verbunden sein muß. Dies gilt ζ. B. für Sportereignisse wie in (88a/e), wo der Kampf um den Sieg eine gewisse Zielgerichtetheit der Handlungen impliziert. In (88f/g) kann die Ausrichtung auf das Ziel ohne Spezifizierung eines geeigneten Kontextes nicht erschlossen werden. Bei den an-Verben, die auf Βewegungsverben zurückgehen, ist zudem noch der Wechsel der Aspektklasse kennzeichnend: Obwohl die Basen als Bewegungsverben Prozeßcharakter haben und kein Ortswechsel in eine Nachbarschaftsregion des Objektreferenten erfolgt, sind die von den Verben bezeichneten Situationen immer punktuell zu interpretieren. Dies zeigt sich bei der Kombination mit entsprechenden Zeitadverbien: Zeitrahmenangaben sind prinzipiell nicht interpretierbar (s. (89a)), Zeitdauerangaben nur bei einigen wenigen Verben wie in (89b): Der Satz kann nur iterativ interpretiert werden, d. h. der Hafen wird im-
7. Verbzusätze als lexikalische Adjunkte
164
mer wieder neu anvisiert, aber nicht erreicht. Das Beispiel (89c) ist selbst mit iterativer Interpretation der Zeitdauerangabe nicht akzeptabel. Der Akzeptabilitätsunterschied zwischen den beiden letztgenannten Sätzen ist darauf zurückzuführen, daß für die Situation in (89b) vorstellbar ist, daß äußere Einflüsse wie Sturm o. ä. die Ausrichtung auf das Ziel stören; segeln bezeichnet dabei einen Komplex von Handlungen, die immer wieder durchgeführt werden können, um die erforderliche Ausrichtung herbeizuführen, laufen ist dagegen eine einfachere, homogene Handlung, so daß Unterbrechungen in der Ausrichtung und die bei der Neuausrichtung ausgeführten Handlungen nicht homogen als Laufen charakterisiert werden können. Bei den anderen Basisverbgruppen dieses αη-Musters behält das Verb mit Zeitdauerangaben seine Prozeßlesart (s. (89d)). (89)
a. § Sie segelten in einer Stunde den Hafen an. b. Sie segelten eine Stunde lang den Hafen an. c. § Sie liefen eine Stunde lang die Siegessäule an. d. Er sang drei Stunden seine Freundin an.
Da die Bewegungsverben in dieser an-Variante ausdrücken, daß das Ziel nicht erreicht wird, sind direktionale Ortsadverbien im Gegensatz zu lokalen ausgeschlossen: (90)
a. b.
Er läuft dort das letzte Hindernis an. § Er läuft dahin das letzte Hindernis an.
Das Adverb fast hat bei diesen an-Verben nur weiten Skopus, da die von den Verben bezeichnete Situation nicht in einen vom Basisverb bezeichneten Prozeß mit anschließender Ausrichtung auf ein Ziel unterteilt werden kann; die Ausrichtung ist hier schon eine prozeßbegleitende Komponente. Es bleibt also festzuhalten, daß sich diese Verbzusatzvariante in ihrem Skopusverhalten und in ihren aspektuellen Eigenschaften von den meisten anderen Verbzusatzmustern unterscheidet. Erfassen möchte ich die von der Partikel kodierte Ausrichtung mit dem Prädikat DLRECTED_TOWARDS: Die vom Basisverb bezeichnete Situation ist auf jemanden/etwas gerichtet. Das Prädikat wird wie alle anderen Adjunkte über Funktionskomposition mit dem argumenterweiterten Verb verbunden: 37 (91)
a.
an5:
b.
DIRECTED_TOWARDS(S,U) ist wahr gdw. der Referent von u ein nichtaffiziertes Objekt ist, auf das die Aktivität in der Situation s ausgerichtet ist. anlachen: Xu λχ Xs [LAUGH(X)(S) & DIRECTED_TOWARDS(S,U)]
λ υ Xs DIRECTED_TOWARDS(S,U)
Da die Ausrichtung auf ein Objekt eine optionale Eigenschaft darstellt, kann DLRECTED_TOWARDS als Agensrelation betrachtet werden. Das erklärt auch, warum diese an-Variante nur mit intransitiven, agentiven Verben kombiniert werden kann: Nur ein Agens ist aufgrund seiner Kontrolle über die Situation in der Lage, die von an bezeichnete
3 7
Bei den Verben des Sehens und der Signalübertragung gibt es bereits Varianten zum Basisverb, die meistens ein PP-Komplement zur Richtungsangabe zu sich nehmen und deshalb ein prädikatives Argument Ρ im Eintrag aufweisen, das dann per Funktionskomposition durch den Partikelbeitrag gesättigt werden kann.
7. Verbzusätze als lexikalische Adjunkte
165
Eigenschaft optional bei sich zu instantiieren. Diese Verben bestätigen demnach Kaufmanns Überlegungen zu möglichen Verben. 38
7.4.2 Intensivmarkierung (ab) Einen bei den Activity-Verben immer größer werdenden Produktivitätsgrad hat die Partikel ab in der Verwendung als Intensivmarkierung erlangt, ab bringt hier zum Ausdruck, daß die vom Basisverb bezeichnete Handlung mit großer Intensität/Anstrengung durchgeführt wird (sich abarbeiten, abärgern, abjagen, abrackern, abschinden ...). Die Basisverben sind überwiegend intransitiv. Diese ab- Variante kann nicht einfach in die Klasse der reinen Aspekt- oder Aktionsartmarkierungen eingereiht werden, da die Verben alle mit Pseudoreflexiv auftreten. Es wird ein semantisch leeres Argument hinzugefügt, so daß sich bei einer Funktoranalyse die bereits in 5.1 dargestellten Kompositionsprobleme ergeben. ab stellt hier keine Resultativmarkierung dar, da sich die abgeleiteten Verben bei Kombination mit Zeitadverbien anders verhalten als die resultativen Muster: So stellt sich im Zusammenhang mit Zeitdaueradverbialen keine iterative Lesart ein (s. (92a)); die vom Verb ausgedrückte Situation wird also nicht als etwas geschlossenes Ganzes aufgefaßt. 39 Zeitrahmenadverbiale sind nicht interpretierbar (s. (92b)). (92)
a. Ich habe mich drei Tage lang abgemüht b. § Ich habe mich in drei Tagen abgemüht.
Bei den Verben stellt sich meist die Interpretation ein, daß sich der Subjektreferent aufgrund der intensiven Durchführung der Handlung anschließend in einem Zustand großer Erschöpfung befindet; deshalb kann diese ab-Variante in erster Linie mit solchen Verben kombiniert werden, die Informationen über die physischen Eigenschaften (ζ. B. Kraftaufwand) des Subjektreferenten aktivieren. Da diese ab-Variante nicht resultatsbezogen ist, stellt sich die Frage, warum bei diesem Muster das Pseudoreflexiv auftritt. Für die ver-Variante mit Pseudoreflexiv in 7.3.1 habe ich angenommen, daß das Reflexiv eventuell als (semantisch leerer) Träger des vom Präfix eingebrachten Prädikats fungiert. Endgültig klären läßt sich die Funktion des Pseudoreflexivs nur unter Einbeziehung weiterer Verbzusätze mit ähnlichen Effekten. 40 Folgende, vorläufige Spekulation zur Funktion des Pseudoreflexivs erscheint mir möglich: Betroffen Ein Problem ist allerdings, wie man die Punktualität der Bewegungsverben, d. h. den Moment der Ausrichtung auf das Ziel, aus der obigen Repräsentation ableitet. Wahrscheinlich muß dies auf die Interaktion der Bewegungsinformation vom Basisverb und der Optionalität der von an bezeichneten Eigenschaft, sich an einem bestimmten Punkt der Bewegung auf ein Ziel hin zu orientieren, zurückgeführt werden. ™ Ingrid Kaufmann (mündl.) hat mich darauf aufmerksam gemacht, daß einige Resultative durchaus mit Zeitdauerangaben in nicht-iterativer Lesart kombiniert werden können (sich drei Stunden lang die Füße plattstehen). Dies ist aber nicht das generelle Muster (allenfalls iterativ interpretierbar·. ? er aß drei Stunden lang den Teller leer). Partikelverben mit aus (sich ausweinen, sich ausstrampeln, sich austoben ...) zeigen gleiches Verhalten wie die hier diskutierten ab-Verben. Bei aus steht allerdings eher die Terminierung der Handlung im Vordergrund. Aber auch in anderen Sprachen tritt bei ähnlichen lexikalischen Modifikationen agentiver Verben ein Pseudoreflexiv auf, ζ. B. im Ungarischen mit dem Präverb ki 'aus': kialszik magdt 'sich ausschlafen', kiüszik m. 'sich ausschwimmen', kijätszik m. 'sich ausspielen'... Demnach scheinen generellere Prinzipien das Auftreten des Pseudoreflexivs zu steuern.
166
7. Verbzusätze als lexikalische Adjunkte
von der Erweiterung mit Pseudoreflexiv sind immer nur agentive Verben. Nimmt man an, daß deren inhärente Gerichtetheit eine zentrale Rolle bei der lexikalischen Modifikation spielt, so scheinen die beiden denkbaren Modifikationstypen, die jeweils unterschiedliche Effekte auf die Argumentstruktur haben, in verschiedener Weise auf die inhärente Gerichtetheit Bezug zu nehmen: Entweder wird die inhärente Gerichtetheit spezifiziert. Das führt zu einer Integration eines Prädikats, das über ein Argument prädiziert, auf das die Verbhandlung hin ausgerichtet ist. Derartige Modifikationen leisten alle Adjunktmuster mit echter Argumenterweiterung. Oder es ist eine Modifikation des Handlungsmodus angestrebt. 41 Nimmt man an, daß die inhärente Gerichtetheit agentiver Verben eine tiefer eingebettete Bedeutungskomponente darstellt als der agensgerichtete Handlungsmodus, so könnte man vermuten, daß die inhärente Gerichtetheit semantisch "gesättigt" werden muß, bevor eine Modifikation des handlungsbezogenen Bedeutungskerns möglich ist. Diese "Sättigung" erfolgt über das Pseudoreflexiv. Bei der ver-Variante in 7.3.1 fehlt aufgrund der Unspezifizität der Abweichung in der Ausführung der Handlung eine konkrete Gerichtetheit, die zu modifizieren wäre. Hier wird deshalb die Handlung an sich durch das Präfix näher spezifiziert, somit muß auch hier eine "Sättigung" über das Pseudoreflexiv erfolgen. Die Intensivmarkierung repräsentiere ich tentativ mit dem Prädikat INTENSIV(S), das zum Ausdruck bringt, daß die bezeichnete Handlung mit besonderer Intensität durchgeführt wird. Im Partikeleintrag ist die Einführung eines Pseudoreflexivs durch die semantisch leere Abstraktion λν angezeigt. Bei Funktionskomposition mit dem argumenterweiterten Basisverb wird es als rangniedrigstes Argument des abgeleiteten Verbs vererbt. (93)
a. abla\ b. abarbeiten:
Xu Xs INTENSIV(S) Xu λχ Xs [WORK(X)(S) & INTENSIV(S)]
In enger Beziehung zu dieser ab- Variante steht eine idiomatische, umgangssprachliche Variante, bei der der unbestimmte Artikel ein als Pronominalform (also mit starker Flexion) im Akkusativ mit der rangniedrigsten, aber semantisch leeren Argumentposition präassoziiert ist und demzufolge das Pseudoreflexiv in die mittlere Argumentposition (also die Dativposition) wechselt. Diese Variante scheint an Produktivität zu gewinnen und wird bevorzugt bei transitiven Basisverben mit optionalem internen Argument gebraucht. 42 (94)
a. Ich habe mir mit dieser Dissertation einen abgelesen. b. Er hat sich für die Vorbereitung seiner Vorträge in Ungarn einen abgeschrieben. c. Wir haben uns einen abgeschrien im Fußballstadion, damit der SC Freiburg endlich aufsteigt.
Obwohl diese Konstruktion der Umgangssprache entstammt, ist sie doch betrachtenswert, da sie zum einen eine interessante Form der Analogiebildung darstellt (Übernahme einer phonologisch präassoziierten Argumentposition) und zum anderen Einblick in eine systematische Alternierbarkeit bei der Kasusrealisierung struktureller Argumente liefert: Da die Argumente nur auf dem Theta-Raster sichtbar sind und keiner Interpretation und Lizensierung durch irgendwelche SF-Prädikate bedürfen, erfolgt die Kasusrealisierung nach aus41
42
Natürlich tritt das Pseudoreflexiv nicht bei allen Aktionsartmarkierungen, die an agentive Verben treten, auf. Relevant scheinen nur Modifikationen der eigentlichen Handlung zu sein, Phasenaktionsartenmarkierungen dagegen nicht (ζ. B. los). Es gibt auch vereinzelt Simplexverben in dieser Konstruktion, ζ. B. sich einen grinsen.
7. Verbzusätze als lexikalische Adjunkte
167
schließlich strukturellen Prinzipien, die die in diesem lexikalischen Rahmen gemachten Annahmen, daß das Linking struktureller Argumente nur durch die (relative) Position auf dem Theta-Raster bedingt ist, eindeutig bestätigen. Abweichend vom Eintrag in (93) muß also nur die Einführung eines weiteren, semantisch leeren Arguments mit phonologisch präassoziiertem Material angenommen werden. 43 (95)
ablh:
ΛΝ[/ΕΊΗ/]
Xu Xs
INTENSIV(S)
Für die Entstehung dieses Musters sind zwei Ursachen denkbar: Herausgebildet haben könnte sich diese Variante als Uminterpretation einer verblaßten POSS-Relation, die in der Besitzauflösungsmarkierung aby gegeben ist. Der Bedeutungsschwund bzw. der Bedeutungwandel hat in diesem Fall dazu geführt, daß die Argumente der Relation zu unechten Argumenten des Verbzusatzes geworden sind. Oder man geht davon aus, daß Verben wie sich einen abärgern der Ursprung dieses Musters sind: Die Anwendung der Intensivmarkierung abja hätte bei Basisverben mit unechtem internen Argument (sich schämen) zu einer Hinzufügung eines weiteren expletiven Arguments geführt. Damit diese beiden expletiven Argumente voneinander distinkt bleiben, hat das rangniedrigere die Pronominalform angenommen (* er hat sich sich abgeärgert er hat sich einen abgeärgert). Ob eine der beiden Spekulationen haltbar ist, muß durch entsprechende diachrone Untersuchungen nachgewiesen werden. Man kann annehmen, daß expletive Argumente immer nur als ranghöchste oder rangniedrigste Argumente eingeführt werden, was dem generellen Muster möglicher Operationen zur Manipulation von Argumenten im Theta-Raster entspricht. Die Argumentstruktur der ab-Verben mit der Variante ab-j^ deutet eventuell auf eine weitere Beschränkung hin, die fordert, daß expletive mittlere Argumente immer ein expletives rangniedrigeres voraussetzen. 44
7.5 Zusammenfassung Für die in diesem Kapitel diskutierten Verbzusatzverwendungen sind folgende allgemeine Beobachtungen festzuhalten: Präfixe und Partikeln verhalten sich in ihrer Verwendung als lexikalische Adjunkte absolut parallel: Für beide sind Resultativmarkierungen, sowohl possessive wie auch solche mit spezifischerer Resultatskennzeichnung, belegt. Die dekrementeile Lesart ist sowohl bei einem Präfix (ver-) wie auch bei einer Partikel (ab) vertreten. Wortstrukturell bedingt können Präfixe allerdings keinen syntaktischen Prädikatsstatus erlangen (7.3.5). Interessante Ergebnisse zeigen sich in der Frage nach den potentiellen Basisverben für lexikalische Adjunkte. Bei fast keinem der hier diskutierten Muster (Ausnahme: dekre43
44
Die rangniedrigste Argumentposition in obigem Eintrag ist nur mit der Information ausgezeichnet, daß sie mit der pronominalen Form des unbestimmten Artikels gefüllt werden muß. Starke Flexion und Akkusativmarkierung ergeben sich aus unabhängigen Mechanismen, genauso wie die Tatsache, daß als Defaultform eine Maskulinumform aus dem Paradigma ausgewählt wird. Evidenz für diese Behandlung der Pronominalform stellt die Tatsache dar, daß das abgeleitete ab-Verb intransitiver Basisverben bedingt passiviert werden kann: ? Hier wurde sich einer abgeschrien. Eine kleine Zahl von Ausdrücken scheint diese Beschränkungen zu verletzen, ζ. B. sich sicher/bewußt sein.
168
7. Verbzusätze als lexikalische
Adjunkte
mentelles ν er- mit Zeitangaben - den Vormittag verschlafen) treten Zustandsverben als Basisverben auf, was damit zusammenhängen kann, daß es bei den bezeichneten Zuständen nur einen phasenweisen Wechsel vom Vorliegen des Zustandes zum Nicht-Vorliegen, aber keine inhärente Entwicklung gibt, die näher modifiziert werden kann. Achievement-^erben sind gleichfalls in keiner produktiven Verbzusatzverwendung als Basen zu finden. ActivityVerben bilden dagegen bei einigen sehr produktiven Mustern eine homogene Klasse von Basisverben. Die von ihnen denotierten Handlungen weisen - wie bereits zu Beginn des Kapitels dargelegt - Charakteristika wie Entwicklung, Gerichtetheit und Kontrolle (durch den Subjektreferenten) auf. Auf diese unterschiedlichen Aspekte nehmen die Verbzusätze jeweils Bezug. Bemerkenswert ist auch, daß immer dort, wo Activity- Verben als Basis auftreten, die von den Verbzusätzen bezeichneten Resultatsspezifizierungen allgemeineren Charakter haben (ζ. B. Integration einer POSS-Relation) als die übrigen Resultativmarkierungen. Dies belegt die Annahme, daß sehr spezifische Bedeutungsmodifikationen der Verbzusätze auch eine spezifische semantische Fundierung durch das Basis verb erforderlich machen, während die semantisch gesehen allgemeineren Verbmodifikationen nur Aspekte wie Kontrolle oder Entwicklung voraussetzen. Deshalb findet man bei den Activity- Verben die drei produktivsten Verbzusatzvarianten: die Possessivmarkierung bei er, dekrementelles ver$ und ver^ mit abweichendem Nachzustand oder Prozeßverlauf. In den Fällen, in denen sich ein Verbzusatz in mehreren, nicht-polysemen Varianten (ζ. B. dekrementelles ver- und νer- als implizite Resultatsmarkierung; an als Possessivmarkierung und als Gerichtetsein-Komponente) eine fast identische Klasse von Basisverben auswählt (Acfi'v/fy-Verben), besteht eine eindeutige Korrelation zwischen der Interpretation des Verbzusatzes und seinen Effekten auf die Argumentstruktur des Basisverbs, so daß die semantische Disambiguierung der potentiellen Interpretationsvielfalt immer auch strukturell geleistet werden kann. Die unterschiedliche Zulässigkeit eines identischen Basisverbs bei den vorliegenden Verbzusatzvarianten kann dann jeweils auf konzeptuelle Restriktionen zurückgeführt werden (sich versehen vs. § Geld versehen = durch Sehen Geld verbrauchen). Interessant ist auch, daß bei keinem der hier betrachteten lexikalischen Adjunkte dreistellige Verben als Basisverben zugelassen sind; diese konnten immer nur im Zusammenhang mit lexikalischen Argumenten (Argumentsättigung) als Basen registriert werden. Nur wenn zugrundeliegend dreistellige Verben auch als intransitive Verben verwendet werden können, sind sie als Basisverben zugelassen (ζ. B. geben in der lexikalisierten Variante "Karten geben": sich beim Kartenspiel vergeben). Eine weitere Restriktion für die Modifizierbarkeit der dreistelligen Verben könnte aus der Tatsache resultieren, daß viele der dreistelligen Verben bereits eine POSS-Relation in ihrer SF aufweisen, so daß weitere Modifikationen aus Kohärenzprinzipien ausgeschlossen sind. Ich werde in Kapitel 11 repräsentative Verben dahingehend untersuchen, inwieweit sie mit allen in dieser Arbeit diskutierten Verbzusatzmustern kombiniert werden können. Dabei wird sich bestätigen, daß die semantische Klasse des Basisverbs entscheidend festlegt, ob das Verb durch Verbzusätze modifiziert werden kann. Schließlich bleibt festzuhalten, daß die Verwendungen der Verbzusätze als Resultativmarkierungen den weitaus größten Anteil der Modifikationsmuster ausmachen. Hier scheint die primäre Anwendungsdomäne der lexikalischen Adjunkte zu liegen. Teilweise können die Resultatsmarkierungen als Konverse zu den bei den Verbzusätzen primär auftretenden
7. Verbzusätze als lexikalische
Adjunkte
169
LOC-Relationen aufgefaßt werden. Interessant ist auch, daß sich die lexikalischen Resultativmarkierungen genauso verhalten wie syntaktische Resultatsprädikate: Sie können nicht an obligatorisch transitive Verben treten, die Resultatsprädikation kann sich auf Basisverbargument oder ein neu eingeführtes Argument beziehen, und der geforderte kausale Zusammenhang zwischen Basisverbhandlung und Resultatszustand ist der gleiche.
8. Skopustragende Verbzusätze: Fallstudie ent-
Ich werde ich in diesem Kapitel solche Verbzusätze betrachten, die, abweichend von den bisher diskutierten Verbzusatzverwendungen, nicht über die Sättigung prädikativer Argumentpositionen in die Basisverb-SF integriert werden, sondern in ihrer Interpretation bestimmte Dekompositionsprädikate des Basisverbs in ihrem Skopus haben und diesbezüglich eine semantische Modifikation vornehmen. Die wichtigsten Aspekte dieses Verbzusatztyps werde ich am Beispiel des Präfixes ent- illustrieren. Kernpunkte dieses Kapitels werden die Diskussion der Kompositionsprobleme und die bei diesem Präfix besonders anschaulich darstellbare Interaktion von Semantik und konzeptuellen Faktoren bei der Bestimmung zulässiger Verbbildungen sein. Gleichzeitig werde ich für diesen Fragenkomplex Daten korrespondierender Verbzusätze im Englischen (un-, de-, dis-) , Französischen {de-) und Lateinischen {de-, dis-) heranziehen, die sich hinsichtlich ihres Skopus genauso wie ihr deutsches Pendant ent- verhalten, was auf generelle zugrundeliegende semantische Prinzipien schließen läßt. Außerdem sollen die Skopusfakten von ent- mit denen des Adverbs wieder (inkl. des englischen und französischen Pendants re-) in Beziehung gesetzt werden, das gleichfalls Skopus über bestimmte Bedeutungskompenten einer Verb-SF haben kann, wieder kann sowohl weiten (repetitive Lesart: Wiederholung einer Handlung) wie auch engen Skopus (restitutive Lesart: Wiederherstellung eines Zustandes) haben (Dowty 1979, Fabricius-Hansen 1983). Die Festlegung der Lesart ergibt sich beim Adverb wieder stellungs- und akzentbedingt (s. Fabricius-Hansen). Daneben hat sich wieder bei einer Reihe von Verben als Partikelelement etabliert {wiederfinden, wiederbeleben, wiederentdecken ...), hier jedoch immer nur mit engem Skopus. 1 Dies bestätigt die Hypothese (Lang, mündl.), daß Affixe und Verbpartikeln, die gleichfalls eng an das Verb gebunden sind, universell betrachtet fast immer engen Skopus haben, also nicht über das gesamte Verb, sondern über ein tiefer eingebettetes Dekompositionsprädikat (im Fall von ent- über ein von BECOME eingebettetes Zustandsprädikat). Ich werde darauf in 8.3 zurückkommen. Die ent-Verben, die ich in diesem Kapitel betrachte, nenne ich reversative Verben, da sie das Aufheben eines vorherigen Zustandes bezeichnen, also intuitiv die SF in (1) zu haben scheinen. (1)
CAUSE(x, BECOME(—ι P(y)))(s)
Der wortstrukturelle Unterschied der bedeutungsgleichen Elemente again und re- im Englischen (Wort vs. Affix) korreliert mit den möglichen Skopuslesarten: Während again sowohl repetitive wie auch restitutive Lesart haben kann, ist re- eingeschränkt auf die restitutive (Dowty 1979).
8. Skopustragende
Verbzusätze
171
Ich werde, bevor ich auf die Kompositionsproblematik eingehe, grundsätzlich von der SF in (1) und der Funktion des Affixes als internem Negationselement ausgehen, da sich die Bedeutungsaspekte einschließlich der Skopusfakten am besten auf dieser Grundlage illustrieren lassen. Es wird sich jedoch zeigen, daß die SF in (1) nicht mit gängigen Kompositionsmechanismen hergeleitet werden kann und daß ent- deshalb nicht als einfaches Negationselement charakterisierbar ist. ent- tritt in der reversativen Verwendung sowohl an zugrundeliegend verbale wie auch deadjektivische und denominale Basisverben (s. (2a-c)).2 Das Muster erfährt überwiegend Ausdehnung durch Verbbildung mit nichtnativen Wurzeln/Stämmen wie in (2d); in (2e/f) sind den Medien entnommene Neubildungen aufgeführt. (2)
a. b. c. d. e. f.
V: enthemmen, enttarnen, entmischen, entflechten, entspannen A: entdunkeln, entfeuchten, enthärten, N: entmenschen, entjungfern, entsumpfen entbiirokratisieren, entglorifizieren, entemotionalisieren, entdramatisieren die Entlegitimierung der Biographie (W. Lepenies, DIE ZEIT, 10.12.1992) "da war ein zentralistischer Planstaat gewesen, der obendrein einen erheblichen Teil seines Sozialprodukts für seine systematische Entheimlichung ausgegeben hatte" (D. E. Zimmer, DIE ZEIT, 20.11.1992)
8.1 Mögliche Basisverben Welche Basisverben können nun konkret im reversativen Muster auftreten? Denkbar sind drei mögliche Typen, wenn man die resultierende SF (1) der präfigierten Verben und gängige Monotoniebedingungen zum SF-Aufbau (keine Tilgung von SF-Komponenten in der Derivation) in Betracht zieht: (3)
a.
CAUSE(x, BECOME(P(y)))(s) 1
b. BECOME(P(y)) c.
P(y)
R
CAUSE(X, BECOME(-I
P(y)))(s)
J
Bei kausativen Basisverben würde erci-Präfigierung allein die Negierung des internen Zustandsprädikats herbeiführen (s. (3a)), bei inchoativen Basisverben müßte neben der Negationseinbettung eine implizite Kausativierung erfolgen (s. (3b)), Zustandsverben schließlich könnten vollständig unter die Prädikatskonstanten CAUSE-BECOME-NEG eingebettet werden (s. (3c)). Der dritte Typ ist bezüglich der Negation unproblematisch, da eine vollständige Einbettung der Basisverb-SF unter die Negation erfolgt; bei kausativen und inchoativen Basisverben ergibt sich jedoch das Problem, wie die Negation nachträglich in die SF der Basisverben integriert werden kann (s. 8.3).
2
Die Zahl der reversativen denominalen Verben ist, wenn man die privativen Verben hinzuzieht (s. Kapitel 9), sehr groß. Allerdings ist der Begriff "reversativ" nicht so strikt auf die denominalen Verben anzuwenden, da die dem denominalen Simplexverb zuzuschreibende positive Bedeutung als Herbeiführung einer Relation zwischen zwei Entitäten oft nicht gegeben ist (ζ. B. Wasser entchloren)·, der von der Relation charakterisierte Zustand ist oft ein in der Natur vorliegender Ausgangszustand.
172
8. Skopustragende
Verbzusätze
Tatsächlich treten als mögliche Basisverben des reversativen Musters kausative Verben und in sehr beschränktem Maße Zustandsverben auf. Präferiert sind als kausative Basisverben solche Verben, die die Formgebung, das Verdecken oder das Zusammenfügen von Objekten bezeichnen. Das gilt in gleicher Weise auch für die englischen Präfixverben mit un- in (4b). (4)
a. enthalten, entflechten, entspannen, entfalten b. unbind, uncover, unfix, unpack, untie, unwrap
Dowty (1979:257) grenzt die Klasse der möglichen Basisverben auf (transitive) Accomplishments ein; diese Charakterisierung ist jedoch noch viel zu grob. Auch eine Einschränkung auf Verben der Gestaltgebung vermag die Akzeptabilitätsunterschiede bei den Neubildungen in (5a-c) nicht zu erklären; hier greifen feinere Restriktionen, die ich im folgenden darlegen werde. Diese Restriktionen erklären auch, warum viele inhärent kausative Verben, die nach Dowty geeignete Kandidaten wären, der Reversativbildung nicht zugänglich sind. (5)
a. ? Der Arbeiter entbog das Eisen. b. ?? Die Katze entstreckte sich. c. ? Sie entdehnte das Gewebe.
Die Nicht-Akzeptabilität der Formen in (6a) läßt sich vielleicht noch mit der Blockierung durch Simplexverben wie nehmen, rauben oder stehlen erklären, eventuell sind aber noch andere Erklärungen heranzuziehen. Für die Verben in (6b) müssen in jedem Fall andere Faktoren relevant sein. (6)
a. § entgeben/§ entschenken b. § entretten/§ entrasieren
Die Untersuchung der belegten Formen und Tests von Neubildungen haben gezeigt, daß im ganzen drei Faktoren für die Möglichkeit der Reversativbildung ausschlaggebend sind: - Reversibilität der bezeichneten Prozesse - Erschließbarkeit des Nachzustandes - Grad der "Entropie" des vom eingebetteten Zustandsprädikat denotierten Resultats 3 Die Nicht-Akzeptabilität von Verben wie entrasieren und generell Verben, die die Trennung von etwas ausdrücken (s. (7)), erklärt sich durch deren Nicht-Reversibilität: Auf der Grundlage des allgemeinen enzyklopädischen Wissens ist keine Rückführung in die bei diesen Verben inferierten Vorzustände erschließbar. (7)
3
a. § Mittels eines Zaubertricks entmähte sie den Rasen. b. § Er besitzt die Fähigkeit, Bäume zu entfallen. c. ?? Sie enttrennte die Naht (wieder).
Der Begriff der Entropie wird von Horn (1988) zur Beschreibung der Daten eingeführt (s. u.). Die Entropie ist eigentlich eine physikalische Größe, die den Grad der Nichtumkehrbarkeit physikalischer Prozesse bezeichnet.
8. Skopustragende
Verbzusätze
173
Diese Sätze habe ich mit Informanten getestet, die alle Beispiele als völlig inakzeptabel eingestuft haben, obwohl ich durch entsprechende Kontextangaben wie in (7a/b) versucht habe, die Möglichkeit der Reversibilität zu suggerieren. Entweder haben die Informanten den Kontext ignoriert oder die Sätze abgelehnt, weil sie eine andere Form von Reversibilität implizieren, nämlich die Rückführung in den Ursprungszustand. Generell wird dies bei reversativen Verben nicht unterstellt, sondern tritt nur als Effekt bei den Verben des Trennens auf, da hier Reversität nicht anders definierbar ist. (7c) ist wahrscheinlich durch die Existenz des Verbs zusammennähen blockiert; zur Aufhebung der Trennung ist hier nämlich eine spezifische Handlung erforderlich, die andere Instrumente als beim Trennen involviert. Das Wissen über die Reversibilität bestimmter Prozesse spielt eine entscheidende Rolle bei der Neubildung von reversativen ent-Verben. Dies zeigt sich sehr schön bei fachsprachlichen Ausdrücken. Erlauben technische Neuerungen die Reversibilität von Prozessen, die bislang als nicht-reversibel angesehen wurden , so können entsprechend darauf referierende reversative Verben gebildet werden: Sobald ζ. B. das Löschen einer Datei nicht unmittelbar zu deren Verlust führt, sondern rückgängig gemacht werden kann, ist ein entsprechender Terminus technicus akzeptabel. (8)
unerase/unprotect/unsave
(a file), unremove (a directory) 4
Verben wie entretten sind meines Erachtens ausgeschlossen, weil der Nachzustand nicht erschließbar ist: Was heißt "nicht gerettet sein"? Befindet sich eine entrettete Person in Gefahr oder in Gefangenschaft? Die Erschließbarkeit des Nachzustandes ist deshalb wichtig, weil bei den reversativen Verben ein Zustandswechsel (über den BECOME-Operator) angezeigt wird, und zwar nicht wie in der positiven, defaultmäßigen Lesart von einem unspezifizierten Vorzustand in einen spezifizierten Nachzustand, sondern von einem spezifizierten Vorzustand in einen unspezifizierten Nachzustand. Der Nachzustand muß aus dem Zustandswechsel, der sich auf die vom eingebetteten Zustandsprädikat angesprochene Eigenschaft bezieht, erschlossen werden. Daß der Nachzustand erschließbar sein muß, kann im großen und ganzen auf zwei Aspekte zurückgeführt werden: zum einen auf die generelle Tendenz, bei Zustandsveränderungen eher eine genaue Charakterisierung des Resultats zu liefern als eine genaue Charakterisierung der Ausgangslage, da die Prädikation sinnvollerweise über die momentan vorliegende Situation erfolgt. So sind ζ. B. im Rahmen von Lokalisierungsausdrücken Zahl, semantische Differenzierungen und Kombinatorik der Ursprungspräpositionen, bei denen der Vorzustand spezifiziert ist (und nicht der Nachzustand), weitaus geringer und eingeschränkter als bei den entsprechenden Zielpräpositionen. Zum anderen ist die Erschließbarkeit des Nachzustandes insbesondere in den Fällen wichtig, in denen die vom eingebetteten Zustandsprädikat bezeichnete Eigenschaft zu einem Feld von Eigenschaften gehört, die im Sinne Kaufmanns (1995a, 1995c; s. Kapitel 2) als objektkonstituierend verstanden werden können. Wird ζ. B. durch das erci-Verb das Aufheben einer Gestalteigenschaft eines Objektes ausgedrückt, so muß der betroffene Gegenstand im Anschluß daran eine andere Form aufweisen. Die objektkonstituierenden Ei4
Diese Verben sind aber nur in dem angegebenen spezifischen technischen Kontext akzeptabel; die entsprechenden deutschen Verben eine Datei entlöschen/entspeichern/entschützen werden noch als weitaus abweichender empfunden. Das könnte aber auch damit zusammenhängen, daß im Deutschen striktere Bedingungen gelten.
174
8. Skopustragende
Verbzusätze
genschaften unterscheiden sich voneinander noch durch die Gliederung des Feldes, dem sie angehören. Ist das Feld so aufgebaut, daß aus dem Nicht-Vorliegen der einen Eigenschaft das Vorliegen einer anderen erschlossen werden kann (ζ. B. Aggregatszustände: eine Reihe von Objekten kann von einem flüssigen in einen festen Zustand übergehen oder umgekehrt), so ist bei Zustandsveränderungen der Nachzustand leicht erschließbar. Ist das Feld dagegen so aufgebaut, daß das Nicht-Vorliegen einer Eigenschaft das Vorliegen mehrerer anderer Eigenschaften zuläßt (ζ. B. bei Farben), so ist der Nachzustand allgemein nicht klar erschließbar, sondern nur die Tatsache, daß das Objekt eine Eigenschaft aus diesem Feld aufweisen wird. Die Konzeption der Felder ist in unserem enzyklopädischen Wissen verankert. Die Relevanz der hier angeführten Überlegungen sei an den folgenden Beispielen illustriert5: (9)
a. b. c. d. e.
Vokale entrunden/§ ein Beet entrunden ?? entgrünenHl entröten ... Mit dieser Art der Lagerung kann man die Bananen schnell entgrünen. ?? Durch diesen dummen Witz hat sie die Leute entheitert. Sie entglätten die Straße wegen des gefährlichen Belags.
entrunden ist in übertragener Bedeutung als ein Begriff der Phonetik/Phonologie etabliert und akzeptabel, da klare Vorstellungen über die artikulatorische Realisierung eines solchen Vokals bestehen; welche Gestalt allerdings ein Beet haben soll, das nicht mehr rund ist, muß dagegen unklar bleiben. In gleicher Weise kann man nicht sagen, daß ein Gegenstand eine bestimmte Farbe nicht mehr aufweist, wenn man nicht weiß, welche Farbe er dann haben soll. Der Nachzustand in (9c) ist jedoch erschließbar, da Bananen durch Reifung gelbe Farbe annehmen; somit ist der Satz akzeptabel. In (9d) besteht wiederum das Problem, daß keine Information darüber gegeben ist, welchen Gemütszustand Personen aufweisen, die nicht mehr heiter sind (verärgert, traurig ...?).6 In (9e) sichert der Kontext (Gefährlichkeit des Straßenbelags), welcher Nachzustand gemeint sein soll: Durch Auftragen von Rollsplit o. ä. kann man gewährleisten, daß der Straßenbelag nicht mehr zu glatt ist; "nicht glatt" ist somit in diesem engen Kontext (für Straßenbeläge) definiert. Diese Beispiele zeigen aber auch, daß die Reversativverben starke Selektionsbeschränkungen für mögliche Objekte aufweisen (s. (9a)): Das Aufheben eines Zustandes/einer Eigenschaft kann für eine bestimmte Gruppe von Objekten definiert sein, für eine andere nicht. Diese Faktoren sind eindeutig konzeptueller Natur. Ein weiterer Faktor, der bei der Reversativbildung relevant ist, wird von Horn (1988) mit dem Begriff der Entropie erfaßt. Ein Zustandswechsel ist entropiegerecht, wenn er in 5
Für die Bildbarkeit von deadjektivischen Reversativverben muß man allerdings noch andere Störfaktoren berücksichtigen. Darauf werde ich in Kapitel 9 eingehen. " Obwohl ein Verb wie entheitern eigentlich nicht akzeptabel ist, habe ich eine Situation erlebt, in der eine Sprecherin dieses Verb - und dann auch angemessen - gebrauchte. In der Situation gab es eine Diskussion über die Probleme der Sprecherin mit ihrem Computer. Ein anderer Sprecher bemerkte ironisch, "ob der Computer sie wieder erheitert habe". Sie entgegnete dann: "Ja, und jetzt brauche ich jemanden, der mich wieder ENTheitert." Das Präfix wurde in dieser Äußerung kontrastiv betont. Wichtig war der Sprecherin in dieser konkreten Situation nur, daß sie von jemandem aus dem Gemütszustand der Frustration, ironischerweise mit erheitert charakterisiert, befreit wurde. Die Fokussierung des Präfixes lizensiert eine Reihe ansonsten unzulässiger e/ii-Bildungen. Die Verben sind dann akzeptabel, weil sie das Rückgängigmachen der vom Basisverb bezeichneten Handlung bezeichnen (s. auch Kapitel 11).
8. Skopustragende
Verbzusätze
175
einen stabilen und geordneten Zustand führt, in dem die jeweiligen Objekte normalerweise vorliegen. Reversative Verben bezeichnen entropieorientierte Zustandswechsel, d. h. daß das Aufheben eines Zustandes in einen anderen, stabilen zurückführt. Verben der Gestaltgebung überführen ein Objekt laut Horn in einen markierteren, spezielleren Zustand; wenn nun diese Gestaltgebung aufgehoben wird, wie das die entsprechenden reversativen Verben ausdrücken, so erhält das Objekt wieder seinen stabilen Normalzustand. Verben wie in (10) verletzen das Entropieprinzip: Normalerweise liegt Wasser in flüssigem Aggregatszustand vor; der gefrorene Zustand ist der markiertere. Unproblematisch ist deshalb eine Bildung wie unfreeze ('flüssig machen'), die laut Marchand (1969) im 16. Jahrhundert aufgetreten ist und den zu (10) gegenläufigen Prozeß bezeichnet. Das Entropieprinzip soll auch erklären, warum sich das Reversativaffix bei bestimmten Verben als redundante Markierung erweist (s. 8.2). (10)
§ das Eis entschmelzen!^ unmelt the ice
Der Entropiebegriff ist in meinen Augen nicht unproblematisch, da sich erst sprachunabhängige Kriterien finden lassen müssen, die festlegen, ob ein Zustand als stabil oder chaotisch und ob ein Prozeß als entropiegerichtet wahrgenommen wird. Klare Evidenz kann man in meinen Augen den sprachlichen Daten nur dann entnehmen, wenn sich semantisch ähnliche Verben bei der Reversativbildung sprachübergreifend gleich verhalten. Dafür scheint zu sprechen, daß sich in allen hier angeführten Sprachen unter den möglichen Basisverben insbesondere Verben der Gestaltgebung befinden. 7 Während Zustandsverben generell keine potentiellen Basisverben darstellen (§ entwissen wie franz. § desavoir), kann eine kleine Untergruppe von ihnen, nämlich solche Verben, die das Vorliegen einer bestimmten nicht-inhärenten oder nicht-objektkonstituierenden Eigenschaft eines Objekts, sozusagen eine temporäre Begleiterscheinung, zum Ausdruck bringen, in begrenztem Umfang als Basisverben des reversativen Musters auftreten. Weiteres Kennzeichen dieser Verben ist die bereits eingangs erwähnte implizite Kausativierung bei der Ableitung, die aufgrund der externen Verursachbarkeit des Zustandswechsel möglich ist. 8 Zu diesen Verben gehören in erster Linie solche, die die Funktionsbestimmung von Artefakten bezeichnen (s. (lla-c)); in allen anderen Fällen ist keine Reversativbildung möglich: brummen wird bezogen auf Lampen als temporäre Eigenschaft empfunden, die von außen beeinflußbar und somit aufhebbar ist, obwohl die externe Herbeiführung des Zustandes dagegen nur schwer vorstellbar ist. Leuchten ist zwar auch temporär, bezeichnet aber die primäre und objektkonstituierende Funktion einer Lampe (s. (1 Id)). 9 ( l i e ) ist möglich in einer 7
Im strikt naturwissenschaftlichen Sinne ist der Begriff der Entropie jedoch in diesem Zusammenhang unangemessen, da die von den ent-Verben denotierten Prozesse nicht qua Eigendynamik, sondern nur über externe Verursachung in einen stabilen Zustand gelangen. 8 Für das Französische sind auch vereinzelt Zustandsverben (mit dabei erfolgender Kausativierung der Basisverben) als Basis belegt. Di Sciullo/Klipple (1993) führen deposseder (= ent-besitzen) als Beispiel an. de kann hier nicht an die statische Variante treten (a), wohl aber an eine kausativierte (b): a. § Jean de-possede un chateau. Jean ent-besitzt ein Schloß b. Marie depossede Jean de ses biens. 'Marie nimmt Jean seine Besitztümer ab.' " Der Unterschied zwischen inhärenten und nicht-inhärenten Objekteigenschaften bildet sich auch in der Akzeptabilität in Modalkonstruktionen ab: Die Lampe kann brummen vs. § die Lampe kann leuchten.
176
8. Skopustragende
Verbzusätze
Situation, in der eine Kerze, nachdem man sie gelöscht hat, noch weiter glimmt; brennen würde dagegen wieder eine inhärente Eigenschaft bezeichnen (ebenso läuten in (llf)). Daß Zustandsverben, die inhärente Eigenschaften eines Objekts denotieren, der Reversativbildung nicht zugänglich sind, mag damit zusammenhängen, daß reversative Verben immer nur zum Ausdruck bringen, daß ein Objekt eine bestimmte Eigenschaft nicht mehr aufweist; das Objekt unterliegt dabei keinem Wandel, der es in seinen grundlegenden Eigenschaften verändert. (11)
a. Das Radio stört/rauscht/spielt. —> ein Radio entstören!entrauschen!§ entspielen b. Das Fahrzeug dröhnt (beim Fahren). —> ein Fahrzeug entdröhnen c. Gläser entspiegeln d. ? die Lampe entbrummen/§ die Lampe entleuchten e. ? eine Kerze entglimmen/§ eine Kerze entbrennen [= veranlassen, daß die Kerze nicht mehr brennt] f. § die Glocke entläuten/l die Glocke entknirschen [der Seilzug knirscht beim Läuten]
Die Daten in (11) stellen eine weitere Evidenz dafür dar, daß konzeptuelle Faktoren (hier das Wissen um objekttypische Eigenschaften und die Manipulierbarkeit von Objekten) einen starken Einfluß auf die Bildbarkeit von reversativen Verben ausüben. Diese Verben weisen Selektionsbeschränkungen auf, die als Objekte solche Nominalphrasen ausschliessen, deren Referent als inhärente Eigenschaft die vom eingebetteten Zustandsprädikat bezeichnete besitzt. Während eine Untergruppe der atelischen Zustandsverben Eingang in die Reversativbildung findet, sind Activity- Verben generell als Basisverben ausgeschlossen (s. Dowty für die englischen Beispiele in (12d) und Di Sciullo/Klipple (1993) für das französische Beispiel in (12e)). Zwar sind die bezeichneten Handlungen in (12) nur zeitweilig ausgeführte, die durch eine externe Verursachung unterbrochen werden können, trotzdem sind diese Bildungen völlig inakzeptabel. Alle Basisverben in (12a-c) weisen keinen Zustandswechsel im Verbdenotat auf und stellen deshalb keine zulässigen Basen dar. Aber auch die Lesart mit impliziter Kausativierung des Basisverbs in (12a/b) ist unzulässig. (12)
a.
§ Sie entspielten den Geiger. [= sie veranlaßten, daß der Geiger nicht mehr spielt] b. § Der Geschäftsführer enttanzte das letzte Paar auf der Tanzfläche. c. § Sie enttanzen den Walzer. d. § unplay/§ unsing e. § deaimer 'entlieben'
Im Altfranzösischen sind vereinzelt Aci/vity-Basisverben belegt (König 1935), sie stellen aber exzeptionelle Bildungen dar. Auch hier ist das Präfix an die kausativierte Variante des Basisverbs getreten:
8. Skopustragende (13)
Verbzusätze
177
deschevalchier 'vom Pferd werfen' Flexion) aufgebaut wird, auch wenn man einwenden mag, daß V nur einem leeren Element entspricht, so daß Ν nicht overt sichtbar in einen PV-Komplex eingeschoben wird. Eine weitaus unerwünschtere Alternative, die allerdings von Haie/Keyser (1992a/b, 1993) 10 a i s e j n e mögliche Struktur vorgeschlagen wurde, ist in (13) dargestellt: Hier wird der Verbzusatz zuerst mit dem Nomen, im Anschluß daran dieser Komplex mit dem abstrakten Verb kombiniert. Diese Ableitung verletzt bei den Präfixverben des Deutschen die Tatsache, daß diese Präfixe reine Verbalpräfixe sind und Px-N-Komplexe deshalb nicht unabhängig vorkommen. 10
Di Sciullo (1993) schlägt Gleiches für das Französische und Italienische vor. In diesen Sprachen mag ein solcher Ansatz gerechtfertigt sein, da die Präfixe dort auch an Nomen auftreten können.
9. Deadjektivische und denominale Verben (13)
195
*[PN]? + [ ]V->[[PN]?]V
Für die Partikelverben kann man einen theorieintemen Einwand gegen die Struktur in (13) anbringen: Würden zuerst Partikel und Nomen zusammengebracht, so läge hier P-N-Komposition vor, bei der die Partikel nur nicht-maximal sein kann: Dies wird durch die Partikelbeschränkung (* [Y+max X[_rej]]; s. Kapitel 3) gefordert. Da die Partikeln aber bei denominalen und deadjektivischen Verben das gleiche morphosyntaktische Verhalten hinsichtlich morphologischer und syntaktischer Trennbarkeit aufweisen, muß eine Neuklammerung der Struktur in (14a) erfolgen, wenn der Komplex mit dem abstrakten Verb kombiniert wird (s. (14b)), so daß die Partikel dann gemäß dem Partikeltemplate ([P + m a x V]; s. Kapitel 3) maximal wird. Es ist allerdings fraglich, wie diese Neuklammerung motiviert sein soll, d. h. wie kann antizipiert werden, daß Ρ maximal werden muß? Wie in Kapitel 3 gezeigt, sind Neuklammerungen immer in Kontexten induziert gewesen, in denen die Partikel bereits als maximal gekennzeichnet gewesen ist (ζ. B. bei Affigierung). (14)
a. [P" m a x N] b. —» [[p-max N] ] y
[P+max [ N ] v ] v
Vergleicht man diese Verben mit Rückbildungen, bei denen eine entsprechende Reanalyse erfolgt ([Ur [aufführung]]N —> [[ur aufführ]y u/ig]N —* [[Urauf]+max fiihr]y), so kann man beobachten, daß letztere häufig ein defektives Verhalten zeigen (Stiebels/Wunderlich 1994), da sie nicht als finite Verben in Verberststellung verwendbar sind (* sie führten das Stück urauf, s. 10.2.1). Die in (14) angedeutete Reanalyse kann also nicht als reguläre Derivation aufgefaßt werden und sollte deshalb nicht bei der Analyse der denominalen Partikelverben herangezogen werden. Obwohl (2) sicherlich die plausibelste morphologische Ableitung ist, erfordert die Semantik einiger denominaler Muster - zumindest unter der Voraussetzung, daß morphologische und semantische Ableitung parallel erfolgen sollen - die Annahme der Struktur in (12), d. h. die semantischen Einträge von abstraktem Verb und Präfix werden fusioniert, dann wird das Nomen integriert. Ich werde dies gleich exemplarisch diskutieren. Alternativ dazu könnte man nur annehmen, daß (2) die einzige mögliche morphologische Ableitung darstellt und bei einigen Mustern dann die Interpretation des denominalen Simplexverbs solange zurückgestellt wird, bis der Verbzusatz seinen Beitrag geliefert hat. Eine solche Operation der Interpretationszurückstellung bedarf allerdings gewisser Beschränkungen, ζ. B. der Angabe einer lokalen Domäne, innerhalb derer die Interpretation abgeschlossen sein muß. Gegen ein solches Verfahren spricht u. U. die Tatsache, daß viele der (virtuellen) denominalen Simplexverben bereits eine akzeptable Interpretation erhalten, so daß genau zu motivieren wäre, warum das Basisnomen in bezug auf den Verbzusatz reinterpretiert wird. Da dieser Mechanismus noch ziemlich unklar ist, möchte ich eher von der Zugänglichkeit der beiden morphologischen Derivationsoptionen (mit entsprechender Isomorphic zur Semantik) ausgehen. Es wird sich zeigen, daß die Ableitung in (12) gefordert ist, wenn die (Default-) Ableitung in (2) nicht zu interpretierbaren Verben führt. Die Ansätze, die Verbzusätze in Abweichung zur Righthand-Head-Rule als Köpfe analysieren (ζ. B. Lieber/Baayen 1993), können Morphologie und Semantik nur dann entsprechend zusammenbringen, wenn sie die Verbzusätze mit den voll ausbuchstabierten Tem-
196
9. Deadjektivische und denominale Verben
plates versehen und Prinzipien formulieren, die regeln, welche Argumentstelle das Basisnomen besetzen kann. 11 Dieser Philosophie folgen Lieber/Baayen; ich werde in Kapitel 10 noch einmal darauf eingehen. Man mag einwenden, daß sich die hier angedeutete Kompositionsproblematik nur ergibt, wenn man auf vollspezifizierte Templates für die Verbzusätze verzichtet. Ein solches Verfahren ist jedoch in meinen Augen wenig ökonomisch, da sich damit keine weitergehenden Generalisierungen zum allgemeinen Bedeutungskern denominaler Verben erzielen lassen. Den lexikalischen Beitrag des Verbzusatzes erfaßt man dann am besten, wenn man ihn auf das wirklich Verbzusatzspezifische reduziert; dadurch lassen sich auch die Aufgabenverteilung der einzelnen Verbzusätze und die Abgrenzung zu denominalen Simplexverben besser herausarbeiten. Zudem ist die Annahme eines vom Verbzusatz getrennten, abstrakten Verbs dahingehend gerechtfertigt, daß nur Verben (oder deverbale Nomen) unabhängig auf Situationen referieren und deshalb auch nur sie beispielsweise Dekompositionsprädikate wie CAUSE oder DO in ihrer SF aufweisen. Indem man die Verbzusätze mit vollständigen SF-Einträgen für die Bedeutungsrepräsentation komplexer Verben versieht, weist man einem eigentlich referentiell abhängigen Element als solche sind ζ. B. die Präpositionen zu betrachten - Referenzfähigkeit zu.
9.2.1 Verbzusätze als lexikalische Adjunkte Beginnen möchte ich mit den denominalen Mustern, die semantisch und morphologisch dem Defaultfall entsprechen, d. h. Fälle, in denen der Verbzusatz als lexikalisches Adjunkt fungiert und in denen Morphologie und Semantik dieser Verben direkt aufeinander bezogen sind. Kennzeichen dieser Gruppe ist weiterhin, daß hier gerade die Verbzusatzmuster auftreten, die bereits in produktiver Weise bei den deverbalen komplexen Verben vorzufinden sind. Als ein erstes Beispiel mögen die denominalen ver-Verben dienen, die unter das CONSUME-Muster fallen (s. 7.2.1), also den Verbrauch eines Gegenstandes/Stoffes bezeichnen. Im ersten Ableitungsschritt wird das denominale Simplexverb gebildet in (15b) (über Instantiierung des Stativen Templates (lc)). In einem zweiten Schritt wird dann bei der Präfigierung mit νer- die Adjunktrelation CONSUME(s,u) über Funktionskomposition in die erweiterte Variante (15c) integriert (s. (15d)). (15)
a. Er vergärtnerte seinen gesamten Topfblumenbestand. b.
gärtnern:
λχ Xs GÄRTNER(x)(s)12
c. ARG(gärtnern):
λΡ λχ Xs
d.
λ y λ χ Xs [GÄRTNER(x)(s) & CONSUME(s,y)]
vergärtnem:
[GÄRTNER(X)(S)
& P(s)]
In gleicher Erweise erfolgt die Ableitung bei der produktiven Resultativvariante der erVerben (s. 7.1.1):
11
12
Eine Trennung von Präfixeintrag und allgemeinem Template ist in einem solchen Ansatz nicht möglich, denn ließen diese Autoren ein allgemeines Template zu (mit einem abstrakten Verb als Träger), würde die Kopfanalyse der Präfixe hinfällig werden. Das Prädikat GÄRTNER muß wie analoge Bildungen konzeptuell dahingehend ausdifferenziert werden, daß die bezeichnete Tätigkeit alle Handlungen umfaßt, die einem Gärtner prototypischerweise zugeschrieben werden können.
9. Deadjektivische und denominale Verben (16)
197
a. Sie erschreinerte sich den Ehrenpreis der Handwerkskammer/ein Vermögen. b. ARG(schreinern): λΡ λχ Xs [SCHREINER(X)(S) & P(s)] c.
er ι:
λ ν Xu Xs BECOME(POSS P (U,V))(S)
d.
erschreinern:
λ ν Xu λ χ Xs [sCHREINER(x)(s) & BECOME(POSSp(u,v))(s)]
Und schließlich noch ein Beispiel mit der produktiven Gerichtet-sein-Variante der an-Verben (s. 7.4.1), wobei ich die Repräsentation für fiedeln noch offen lasse (s. (17b)). Auf die Repräsentation der instrumentellen Verben gehe ich anschließend ein. (17)
a. Er fiedelte die Nachbarin an. b. ARG (fiedeln) λΡ λχ Xs [χ fiedelt in s & P(s)] c.
an5:
Xu Xs DIRECTED_TOWARDS(S,U)
d. anfiedeln: Xu Xx Xs [x fiedelt in s & DIRECTED_TOWARDS(s,u)] e. § Er schreinerte den Gesellen an. Prinzipiell sind viele neue Verben dieses Musters bildbar, allerdings werden Neubildungen nicht akzeptiert, wenn sie nicht konzeptuell integriert werden können. So kann man sich unter dem von schreinern bezeichneten Gesamtkomplex an Teilhandlungen keine sinnvolle Ausrichtung der Handlung auf eine Person in einer face-to-face-Situation vorstellen (s. (17e)). In die Gruppe der Adjunktinkorporation fallen auch viele Muster komplexer denominaler Verben, in denen das Basisnomen ein Instrument bezeichnet, mit dem die Handlung ausgeführt wird. Die Verbzusätze fungieren hier ebenfalls als lexikalische Adjunkte. Für die Komposition ergibt sich die wichtige Frage, wie die instrumenteile Lesart des Basisnomens durch eine geeignete Repräsentation in der SF erfaßt werden kann. Das möchte ich kurz an einigen Beispielen erläutern. Ein Muster bilden die ver-Verben, die die Verbindung von Objekten zum Ausdruck bringen und in denen das Präfix die Resultatsspezifizierung CONNECTED(x,y) liefert (s. 7.3.2). In diesem Fall bezeichnet das Basisnomen das Instrument, mit dem die Verbindung der Objekte herbeigeführt wird (vernieten, vernuten, vernetzen, verschrauben, vertäuen, verzapfen ...). Für eine kompositionale Ableitung dieser Verben sind drei Alternativen denkbar, von denen die ersten beiden nicht unproblematisch sind: Erstens könnte man davon ausgehen, daß das allgemeine Kausativtemplate um ein prädikatives Argument wie in (18a) erweitert wird, so daß im nächsten Schritt das instrumenteile Argument (über die INSTR-Relation) mit Funktionskomposition integriert wird (s. (18b)). Damit das Basisnomen aber das instrumenteile Argument sättigt (s. (18c)), muß man davon ausgehen, daß das Individuenargument Xz der INSTR-Relation rangniedriger ist als das prädikative Argument des Basistemplates in (18b), was der Grundannahme widerspricht, daß prädikative Argumente immer die rangniedrigsten sind. Allerdings ist die resultierende SF in (18d) einschließlich seines Thetarasters konform mit dem Ableitungsmechanismus der Funktionskomposition. (18)
a.
[ ]v
XQ XP Xy Xx Xs [CAUSE(x, BECOME(P(y)))(s) & Q(s)]
b. C.
[N]v
λ ζ λ Ρ λ y λ χ Xs [CAUSE(X, BECOME(P(y)))(s) & INSTR(S,Z)] XP Xy Xx Xs [CAUSE(x, BECOME(P(y)))(s) & INSTR(s,NOUN)]
198
9. Deadjektivische und denominale d.
[ver [ N ] ] y
Verben
λ ν λγ λ χ Xs [CAUSE(X, BECOME(CONNECTED(y,v)))(s) & INSTR(S,NOUN)]
Zweitens könnte man eine Ableitung postulieren, in der erst der Präfixeintrag mit dem abstrakten Verb fusioniert und dieser Komplex dann anschließend bei Integration des Basisnomens um die INSTR-Relation erweitert wird. Diese Ableitung weicht von allen anderen für die denominalen Verben vorgeschlagenen ab: Denn hier sättigt das Basisnomen nicht das rangniedrigste Argument des Templates, in diesem Fall das interne Argument der CONNECTED-Relation, sondern bringt noch eine weitere Relation mit ein. Berücksichtigt man jedoch die Existenz denominaler Simplexverben mit instrumenteller Lesart (hämmern, sägen, feilen, fiedeln ...), so dürfte eine dritte Ableitungsvariante am plausibelsten sein, und zwar eine, in der die instrumenteile Lesart als Basiseintrag angesetzt und durch ein entsprechendes Prädikat in der SF legitimiert wird. Dies entspricht auch der Interpretation, daß das Präfix hier das Adjunkt ist und eben nicht das Basisnomen, wie das in den anderen beiden Ableitungen nahegelegt wird. (19a) ist als ein Vorschlag aufzufassen, der Semantik instrumenteller Simplexverben gerecht zu werden. DO(x) bezeichnet ein unspezifisches agentives Prädikat: Diese Verben treten in ihrer einfachsten Form als Activity- Verben auf (den ganzen Nachmittag lang feilen, sägen). Die konkrete Interpretation der jeweiligen Verben ergibt sich aus der konzeptuellen Interpretation des Prädikats DO in Interaktion mit den prototypischen Verwendungsweisen des eingesetzten Instruments. Damit der Präfixeintrag mittels Funktionskomposition integriert werden kann (s. (19c)), ist vorher eine Argumenterweiterung erforderlich wie in (19b). Diese Form der Ableitung nimmt virtuelle Verben wie nuten, nieten ... als Zwischenformen an. (19)
a. b. c.
[Ν]γ [ver [ N ] ] v
λ χ Xs [DO(x)(s) & INSTR(S, NOUN)] λ Ρ λ χ Xs [DO(x)(s) & INSTR(S, NOUN) & P(s)] λ ν λ y λ χ Xs [DO(x)(s) & INSTR(s, NOUN) & BECOME(CONNECTED(y,v))(s)]
Daß die instrumentellen Verben prinzipiell erweiterbar sind, belegen die folgenden Beispiele: (20)
a. Er geigte eine Sonate von Bach. λ y λ χ Xs [DO(x)(s) & INSTR(s, GEIGE) & PERFORM(x,y)(s)]
b. Er muskelte sich in die Herzen der Zuschauer. [Äußerung eines Fernsehreporters über den Gewinner einer Bodybuildingveranstaltung] Der gleiche Ableitungsmechanismus muß für denominale Verben angesetzt werden, die das Verdecken/Unzugänglichmachen eines Gegenstandes bezeichnen (s. 6.2.1) und bei denen das Basisnomen das Instrument bezeichnet, mit dem dies herbeigeführt wird (vermauern, verschalen, vergittern, verschleiern). Die resultierende SF dieser Verben lautet dann wie in (21b): (21)
a. ver2: b.
[ver [ N ] y ] y
λιι Xs BECOME(-, ACCESSIBLE(U))(S) λιι λ χ Xs [DO(x)(s) & INSTR(s, NOUN) & BECOME(—Ι ACCESSIBLE(u)Xs)]
9. Deadjektivische und denominale Verben
199
Bei Partikelverben schließlich bringt eine Partikel wie an eine lokale Relation mit implizitem internen Argument ein; das Basisnomen bezeichnet hier dann das Instrument, mit dem die Lokalisierung herbeigeführt bzw. aufrechterhalten wird: (22)
anflanschen, anpflocken, anklammern ... λγ λ χ Xs [DO(x)(s) & INSTR(s, NOUN) & BECOME(LOC(y, EXT[z]) & CONTACT(y,z))(s)]
Die hier diskutierten Verbtypen werden von Hale/Keyser nicht betrachtet, da es solche Verben nach ihren Vorstellungen nicht geben soll: Adjunktinkorporation ist in ihrem Ansatz nicht ableitbar. Hier besteht also ein wichtiger Unterschied zwischen Hale/Keysers Ansatz und dem lexikalischen Rahmen, den ich zugrundelege.
9.2.2 Das Basisnomen sättigt das interne Argument einer vom Verbzusatz instantiierten Relation In diesem Abschnitt möchte ich ein Muster vorstellen, das bei denominalen Simplexverben nicht belegt ist. Zu diskutieren ist hier also nicht die Frage, ob bestimmte Bedeutungsaspekte dem Verbzusatz oder dem denominalen Simplexverb zugeschrieben werden, sondern vielmehr, wie semantische Komposition und morphologische Derivation zusammengebracht werden können, da das Basisnomen in diesem Fall das interne Argument einer vom Verbzusatz eingebrachten Relation sättigt. Diese semantische Komposition ist nicht isomorph zur morphologischen Ableitung in (2). Gleichzeitig ist anzumerken, daß hier eine Verwendung des Präfixes ver- vorliegt, die nur bei denominalen Verben auftritt. Allerdings ist dieses Verbzusatzmuster das einzige in meinen Daten, das in einer solchen Weise auf Basen einer bestimmten Kategorie festgelegt ist. Das relevante ver-Muster ist sehr produktiv: Ausgedrückt wird durch diese ver-Verben das Eintreten eines Zustandes, der ein Affiziertsein des Subjektreferenten durch den Basisnomenreferenten beinhaltet (verschlicken, verstauben, verschlammen, versanden ...). Dieses Muster ist spezifisch für ver- und muß über einen entsprechenden Präfixeintrag motiviert werden. Die genannte Bedeutungsumschreibung ist sehr allgemein (und in der Form etwas unpräzise), ist aber dadurch motiviert, daß man den eintretenden Zustand zwar annähernd als Konverse zu einer Vielzahl von möglichen lokalen Relationen auffassen kann (mit verbspezifischer Festlegung auf eine konkrete), daß aber kein Vorliegen einer bestimmten lokalen Relation die Situation angemessen erfaßt. Dies ist in (23) angedeutet: Obwohl die angedeuteten lokalen Zuschreibungen im Ansatz korrekt sind, kommt dabei doch nicht zum Ausdruck, daß hier ein Zustandswechsel erfolgt, der den Subjektreferenten in besonderem Maße affiziert. (23)
a. Die Bücher verstauben (die Bücher kommen unter Staub), b. Die Bucht versandet (die Bucht gerät voll Sand).
Unter dieses Muster fallen insbesondere denominale Verben, deren Basisnomen Massenomen sind. Für Massen sind oft keine klaren lokalen Konstellationen erschließbar, so daß sich in der Semantik dieser Verben eine eher unspezifische Relation ergibt, die konzeptuell erst mit Bezug auf den spezifischen Subjektreferenten genauer ausdifferenziert wird. Aus diesem Grunde möchte ich die SF in (24a) mit AFFECTED als Affiziertsein-Relation für
200
9. Deadjektivische und denominale Verben
diese ver- Variante vorschlagen. Hier liegt einer der Fälle vor, in denen morphologische und semantische Ableitung nicht unmittelbar zusammengehen. Um die gewünschte SF in (24c) herleiten zu können, muß der Präfixeintrag in (24a) zuerst mit dem abstrakten Verb über Funktionskomposition fusioniert werden (s. (24b), so daß das Basisnomen dann als rangniedrigstes Argument integriert werden kann. Dies entspricht der in (12) vorgeschlagenen morphologischen Derivation. Eine semantische Komposition gemäß der gewünschten morphologischen Struktur (1) ist nicht möglich. (24)
a. b. C.
ver-\ λ ν λ α AFFECTED_BY(U,V) [ver [ ] y ] y λ ν λ χ Xs BECOME(AFFECTED_BY(X,V))(S) [ver [ N ] y ] y λ χ Xs BECOME(AFFECTED_BY(x,NOUN))(s)
d. verstauben: λχ λβ BECOME(AFFECTED_BY(x, Staub))(s) In welcher Weise das Denotat von u in (24a) von der Verbhandlung affiziert ist, ergibt sich aus der Interaktion der sortalen Anforderungen des Basisnomens mit den Annahmen zu möglichen Beziehungen zwischen Subjektreferent und Basisnomenreferent. Dies schließt dann Interpretationen wie "u wird von ν gelesen/gegessen/geschlagen" aus. Die Derivation Ν —» [N]y —» [Px [N]]y scheitert hier aufgrund der sich bei der Ableitung ergebenden Semantik dieser Verben ("N werden und von etwas affiziert sein"): (25)
λ χ NOUN(x) λ χ Xs BECOME(NOUN(x))(s) λ Ρ λ χ Xs [BECOME(NOUN(X))(S) & P ( s ) ] λ ν λ χ λβ [BECOME(NOUN(x))(s) & AFFECTED_BY(x,v)(s)] 13
Nach Kaufmann (1995a) sind solche Verben generell ausgeschlossen, da Zustandsprädikate nur eine weitere Spezifikation der im Verb ausgedrückten Entwicklung vornehmen dürfen, was in der resultierenden SF in (25) nicht der Fall ist. Die Ableitung gemäß (12) wird also gewählt, weil die (Default-) Ableitung in (2) zu nicht-interpretierbaren Ergebnissen führt. In Entsprechung zu der Inchoativvariante gibt es denominale ver-Verben, die das Herbeiführen einer Affiziertsein-Relation bezeichnen (vernickeln, verkupfern, verchromen, versilbern). Basisnomen sind auch hier wieder häufig Massenomen. Der Ableitungsmechanismus ist der gleiche wie bei den entsprechenden inchoativen Verben: Kombination von Präfix und abstraktem Verb in (26a) über Funktionskomposition (s. (26b)) und Sättigung des rangniedrigsten Templatearguments über Funktionale Applikation (s. (26c)). (26)
Diese Firma versilbert Bestecke. a. b. C.
[ ]y [ver [ ] y ] y [ver [ N ] y ] y
λ Ρ Xy λ χ Xs CAUSE(X, BECOME(P(y)))(s) λ ν Xy λ χ Xs CAUSE(X, BECOME(AFFECTED_BY(y,v)))(s) Xy λ χ Xs CAUSE(x, BECOME(AFFECTED_BY(y,NOUN)))(s)
d.
versilbern·.
Xy λχ Xs CAUSE(x, BECOME(AFFECTED_BY(y,
Silber)))(s)
Der einzige Weg, die hier angedeutete Kompositionsproblematik zu umgehen, bestünde in der Ausformulierung vollspezifizierter Templates für das Präfix. Will man dabei nicht auf eine Kopfanalyse für das Präfix zurückgreifen, so würde das abstrakte Verb in einer solchen Analyse semantisch nichts mehr beitragen, sondern nur noch die Kategorie des gesamten Komplexes festlegen. Dann gilt jedoch auch hier der bereits erwähnte Einwand, daß die 13 Dieser Komposition liegt eine zu s relativierte Variante von ver- zugrunde.
9. Deadjektivische und denominale Verben
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Kausativ-/Inchoativ-Variation zu Unrecht dem Präfix zugeschrieben wird und sowohl der Bezug zu anderen komplexen denominalen Verben als auch zu denominalen Simplexverben verlorengehen würde.
9.2.3 Verbzusätze mit Disambiguierungsfunktion In einigen denominalen Verwendungen erscheint der Verbzusatz als semantisch leeres Element, das keinen weiteren lexikalischen Beitrag liefert. Dies betrifft insbesondere die Präfixverben mit ver- und teilweise die mit be-. Die Funktion des Verbzusatzes besteht hier in der Disambiguierung der möglichen Lesarten des entsprechenden denominalen Simplexverbs. So gibt es beispielsweise inchoative ver-Verben (verspießern 'ein Spießer werden', verbauern, verslumen, versnoben), bei denen das Basisnomen ein Prädikat (über das externe Argument) instantiiert. Unter die Basisnomen fallen insbesondere solche Nomen, die zeitweilige Zustands- oder Eigenschaftszuschreibungen bezeichnen (können). In dieser Verwendung hat ver- die Rolle von er- übernommen, das im Mittelhochdeutschen dieses Muster in dominanter Weise aufwies (Wilmanns 1896,11:154). ver- muß in diesem Fall als semantisch leeres Präfix angesehen werden, das ein bei den denominalen Simplexverben eher seltenes Inchoativmuster (splittern) identifiziert. 14 Es fixiert die möglichen Lesarten des Simplexverbs (slumen: wie ein Slum sein, zum Slum werden) auf die inchoative. In Analogie zu diesem inchoativen Muster gibt es auch eine kausative Variante (versklaven 'jemanden zum Sklaven machen', vertrusten der Trust, verwüsten, verschrotten ...). Auch hier leistet das Basisnomen wieder eine temporäre Eigenschaftsoder Zustandszuschreibung, allerdings mit dem Unterschied, daß der Zustandswechsel von außen kontrolliert bzw. initiiert werden kann, so daß eine entsprechende kausative Variante möglich ist. So bezeichnet ζ. B. Sklave eine zeitweilige soziale Rolle, die einer Person aufgezwungen werden kann; also ist versklaven eine akzeptable und plausible Bildung. Das Präfix muß wie bei der inchoativen Variante als semantisch leer angesehen werden und identifiziert wiederum ein semantisches Muster, das bei den denominalen Simplexverben nicht sehr frequent ist (ζ. B. bündeln)·, es löst somit die potentielle Ambiguität einer entsprechenden Simplexform auf. Die Identifizierung durch das Präfix wird formal durch eine Funktoranalyse abgeleitet: Das Präfix selegiert das kausative bzw. das inchoative Template aus (1) und bildet es auf eine identische SF ab, ist also bis auf die Selektionsbedingung semantisch leer. Hier ist also einer der wenigen Fälle gegeben, in denen eine Funktoranalyse des Verbzusatzes möglich und auch sinnvoll ist. (27)
ver-:
XQ [ + r e l > _ d e p ] Q; mit Q E {CAUSE(X, BECOME(P(y)))(s), BECOME(P(X))(S) }
Beide Ableitungsmechanismen sind bei diesen denominalen Verben denkbar. Geht man davon aus, daß das Präfix direkt das mögliche Template selegiert, so werden zuerst Präfix und abstraktes Verb miteinander kombiniert, danach wird das Basisnomen integriert. Die Ab-
Obwohl die denominalen Simplexverben diese Lesarten unter geeigneten Kontextangaben zulassen, wird bei einer entsprechenden Benennungsaufgabe eine Präfixbildung sicherlich einer denominalen Simplexform vorgezogen werden.
202
9. Deadjektivische
und denominale
Verben
leitungen in (28c/29c) weisen das Nomen als rangniedrigstes (prädikatives) Argument der Templates (28b/29b) aus. (28)
Dieses Stadtviertel verslumt immer mehr. a. b. c.
(29)
[ ]v [ver [ ] ] v [ver [ N ] ] v
{ ... } gemäß (1) λ Ρ λχ λβ BECOME(P(x))(s) λχ Xs BECOME(S7wm(x))(s)
Diese Firma verschrottet täglich 20 Autos. a. b. c.
[ ]y [ver [ ] ] v [ver [ N ] ] v
{ . . . } gemäß (1) λ Ρ Xy λχ Xs CAUSE(x, BECOME(P(y)))(s) Xy λχ λβ CAUSE(x, BECOME(Schrott(y)))(s)
Nimmt man dagegen an, daß zuerst das denominale Simplexverb gebildet wird, mit dem anschließend das Präfix kombiniert wird, so muß die Selektion durch das Präfix so aussehen, daß ζ . B. die SF in (30b) als mögliche Instanz der v o m Präfix selegierten Templates akzeptiert wird. (30)
verslumen a. [ ] y b. [ N ] y c. [ver [ N ] ] y
{ λ Ρ λχ Xs BECOME(P(x))(s) ...( { λ χ Xs BECOME(S7iim(x))(s) ...} λχ Xs BECOME(S7um(x))(s)
Diese Ableitung legt nahe, daß von allen möglichen SF-Repräsentationen für das Verb slumen die inchoative vom Präfix selegiert wird, so daß verslumen nur als "zum Slum werden" interpretiert werden kann. Die erste Ableitung ist hinsichtlich der Selektion einfacher, da sie das Template direkt selegiert, allerdings ist sie von der wortstrukturellen Ableitung her die markiertere, während die zweite Ableitung bei den deadjektivischen Verben plausibler erscheint, da das deadjektivische Simplexverb bereits die entsprechende kausative oder inchoative Lesart hat (s. 9.3.1). Zwar unterscheidet sich mein Analysevorschlag für diese Verben in seinen Effekten nur unwesentlich von einer Analyse, in der das Präfix mit dem voll ausbuchstabierten Template versehen wird, jedoch erfolgt die Bedeutungskonstruktion über das abstrakte Verb, was u. a. aufgrund des Prädikats CAUSE, das nur bei Verben auftritt, und der Referenz auf eine Situation gerechtfertigter erscheint. Eine weitere Disambiguierungsfunktion des Verbzusatzes zeigt sich bei denominalen verVerben, deren Basisnomen konkrete, räumlich konfigurierbare Objekte bezeichnen. Hier ergibt sich zumeist die Interpretation, daß der v o m Basisnomen bezeichnete Gegenstand in der Nachbarschaftsregion eines Objekts lokalisiert ist, bzw. daß das Objekt den Basisnomenreferenten besitzt (verbeulen, verschrammen, verspiegeln, vertäfeln, verglasen). Es liegt also eine lokale Relation bzw. ihre Konverse POSS(u,v) vor. A u f die Frage, welche der beiden Relationen im konkreten Fall gewählt wird, werde ich in 9.2.6 eingehen. In den meisten Fällen wird bei diesen ver-Verben die POSS-Relation instantiiert. Dieses Muster ist in geringer Frequenz bei den Simplexverben belegt (satteln), in stärkerem Maße jedoch noch bei denominalen fee-Verben (bedachen). Zwischen beiden Präfixen besteht eine klare Aufgabenverteilung, die ich kurz in 9.2.7 behandeln werde. Aufgrund der
9. Deadjektivische und denominale Verben
203
Belege bei den Simplexverben muß man davon ausgehen, daß es neben (1) spezifischere Templates bei den denominalen Verben gibt, bei denen für das prädikative Argument in (1) eine LOC- oder POSS-Relation eingesetzt wird (s. (32a)). Bestätigt wird diese Annahme durch Untersuchungen von Urbas (1990), die mit Informantenbefragungen nachgewiesen hat, daß neugebildete denominale Simplexverben lokale Interpretationen erhalten, die mit diesen beiden Relationen erfaßt werden können. Weist man dem Präfix auch in diesem Fall eine reine Identifizierungsfunktion zu, so muß der SF-Eintrag in (31b) in die Menge der vom Präfix selegierten Templates aufgenommen werden. In (31) ist die Ableitung mit direkter Kombination von Präfix und abstraktem Verb und anschließender Integration des Basisnomens gezeigt, in (32) die mit Generierung des denominalen Simplexverbs und anschließender Kombination mit dem Präfix. Bei letzterer müßte die SF in (32b) als zulässige Instanz der vom Präfix selegierten Templates überprüft werden. (31)
(32)
Durch seine Ungeschicklichkeit verbeulte er die Kanne. a. [ ] v {- } b.
[ver [ ] Ν ] Γ
X y λ ζ λ χ Xs CAUSE(X, BECOME(PC>ss(z,y)))(s)
c.
[ver [ N ] v ] v
λζ λχ Xs
CAUSE(X, BECOME(POSS(Z,
Beule)))(S)
verbeulen a.
[ ]γ
( λ γ λ ζ λ χ Xs CAUSE(x, BECOME(POSS(z,y)))(s) ...}
b.
[N]v
{ λ ζ λ χ Xs CAUSE(X, BECOME(POSS(Z,
C.
[ver
Beule)))(s)...}
[N]y]y
Die komplexen Verben dieses Typs sind die einzigen, bei denen die SF des denominalen Simplexverbs vom Verbzusatz zwecks Kombinierbarkeit geprüft wird, ansonsten regelt sich die Bildbarkeit des komplexen Verbs über andere semantische und konzeptuelle Prinzipien (s. 2.3,9.2.6, 10.1.2).
9.2.4 Verbzusätze mit lokaler Spezifikationsfunktion In diesem Abschnitt sollen komplexe denominale Verben vorgestellt werden, in denen der Verbzusatz eine Spezifikation hinsichtlich einer lokalen Relation vornimmt. Daß diese Verben nicht bereits in 9.2.1 diskutiert worden sind, ist auf die fehlende Eindeutigkeit ihres Adjunktstatus und ihre Ableitungsproblematik zurückzuführen. Ob diese Verbzusätze als lexikalische Adjunkte aufgefaßt werden können, hängt von der Analyse der Simplexverben ab, d. h. ob man die lokale Relation bereits beim denominalen Simplexverb zugrundelegt oder sie als vom Verbzusatz eingeführt betrachtet. Daß semantische Repräsentationen mit lokaler oder possessiver Relation auch für Simplexverben zur Verfügung stehen, ist - wie bereits erwähnt - durch Untersuchungen von Urbas (1990) bestätigt worden. Deswegen möchte ich meine Analyse auf der Annahme basieren, daß die lokale oder possessive Relation bereits beim denominalen Simplexverb instantiiert ist. Die Verben dieser Gruppe zerfallen in zwei Untergruppen: Die erste Gruppe bilden die Verben, die ein Pendant in den deverbalen Mustern vom Typ "Präpositionsinkorporierung" (s. 6.2) haben, d. h. das interne Argument der Verben kann gleichzeitig als internes Argument der vom Verbzusatz eingebrachten Relation und als appliziertes Objekt des komplexen Verbs verstanden werden. Dazu gehören die komplexen
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9. Deadjektivische und denominale
Verben
Verben mit den P-Präflxen über- und unter- und vereinzelte Partikelverbbelege {unterkellern, überdachen, aufsatteln, eindellen ...). Die einfachste SF, die für diese Verben sinnvoll sein könnte, ist in (33a) skizziert. Bei dieser SF wird jedoch entgegen den strukturellen Prinzipien nicht die rangniedrigste Theta-Rolle als Basisnomen realisiert. Zudem ist fraglich, wie die durch den Verbzusatz gelieferte Regionsspezifizierung P* kompositional in die LOC-Relation integriert werden kann, falls das denominale Simplexverb bereits die SF in (33b) aufweist (R p r o x bezeichnet hier eine Variable über proximale Nachbarschaftsregionen, die konzeptuefl über die Gestalt- und Lageeigenschaften des Relatum-Referenten erschlossen werden können). (33)
a. [Ρ [ Ν ] Γ ] Ν b. [ N ] v
λy λχ Xs CAUSE(X, BECOME(LOC(NOUN, P*[y])))(s) Xy λχ Xs CAUSE(x, BECOME(LOC(NOUN, R p r o x [y])))(s)
Will man an der strukturellen Bedingung des Defaultlinking festhalten, so müßte man von der zu LOC konversen POSS-Relation in (34a) ausgehen und dann annehmen, daß der Verbzusatz eine Spezifizierung mittels der LOC-Relation vornimmt (s. (34c/d)), wobei er in eine argumenterweiterte Variante des denominalen Simplexverbs integriert wird (s. (34b)). Daß dann das Basisnomen zudem noch die externe Argumentstelle der LOC-Relation besetzt, ist durch die konzeptuell herleitbare Konversität der Relationen motiviert: (34)
a.
[N]v
Xy λ χ Xs CAUSE(X, BECOME(POSS(y, NOUN)))(S)
Ρ
λ ν Xu Xs LOC(u, P*[v])(s)
b.
c.
λ Ρ Xy λ χ Xs [CAUSE(x, BECOME(POSS(y, NOUN)))(S) & P ( s ) ]
d. [P [N]y] v e.
λy λχ Xs [CAUSE(X, BECOME(POSS(y, NOUN)))(s) & BECOME(LOC(NOUN, P*[y]))(s)] unterkellern·. Xy λ χ λ 8 [CAUSE(x, BECOME(POSS(y, Keller))){s) & BECOME(LOC{Keller, EXT[y, - V E R T ] ) ) ( s ) ] 1 5
Gerechtfertigt ist diese Analyse durch die Tatsache, daß das denominale Simplexverb in (34a) eine possessive Lesart hat: ein Haus/Häuser kellern hat die Interpretation, daß die Häuser mit Kellern versehen werden. Daß dabei gleichzeitig eine bestimmte lokale Konstellation angenommen wird, ergibt sich in diesem konkreten Fall aus dem enzyklopädischen Wissen über Gebäude und Gebäudeteile. Dieses Wissen impliziert auch, daß als Verbzusatz nur das Präfix unter akzeptabel ist (im Gegensatz zu § überkellern), und zwar als eine redundante Markierung. 16 Man kann allerdings nicht leugnen, daß gerade bei den Den Eintrag für unter habe ich von Wunderlich (1993) übernommen. Evidenz für die SF in (34c) findet man im Ungarischen, das overte Affixe für die involvierten Prädikate/Relationen bei der Bildung des komplexen denominalen Verbs heranzieht: Das komplexe Verb in (a) weist die SF in (b) auf, wobei das deprivative Adjektivsuffix telen '-los/-frei' (c) über Funktionale Applikation mit dem Nomen komponiert wird, dieser Komplex dann in gleicher Weise mit dem Kausativsuffix (d). Danach wird das Präverb in (e) mit der erweiterten Variante des abgeleiteten komponiert. Obwohl das Präverb hier nur eine redundante Markierung beisteuert, werden solche denominalen POSS-Verben, bei denen eine lokale Konstellation bezeichnet wird, ohne Präverb nicht akzeptiert. a. ki-szönyeg-telen-it-ani 'Teppiche wegnehmen' PV-Teppich-DEPRIV-CAUSE-INF b. Xy λ χ Xs [CAUSE(X, BECOME(-, POSS(y, NOUN)))(S) & BECOME(-. LOC(NOUN, iNT[y]))(s)] c. telen: λ ν ^ ι . ^ ρ ] Xu (-i POSS(u,v)) d. if. ΛΡΓ r e i,+dep] ^y ΛΧ Xs CAUSE(X, BECOME(P(y)))(s) e. ki: λ ν Xs BECOME(-> LOC(U, INT[V])))(S)
9. Deadjektivische und denominale Verben
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Verben dieser Gruppe eine starke Präferenz für eine zusätzliche redundante Markierung bei der Bezeichnung quasi-lokaler Konstellationen besteht. Die direkte Kombination von Verbzusatz und abstraktem Verb mit anschließender Integration des Basisnomens führt nicht zu plausibleren Ergebnissen, da gemäß der strukturellen Beschränkung eine POSS-Relation zugrundegelegt und aufgrund der spezifischen lokalen Information des Verbzusatzes gleichzeitig eine weitere lokale Relation angenommen werden müßte. Die Verbzusätze hätten demzufolge einen sehr komplexen Eintrag. Dies ist eine weitere Evidenz dafür, daß die Generierung des denominalen Simplexverbs vor der Kombination mit dem Verbzusatz die plausibelste Ableitung darstellt und deshalb als Defaultableitung betrachtet werden sollte. Verben dieses Typs werden von Hale/Keyser nicht betrachtet, sind aber sicherlich nicht mit ihren einfachen Strukturen herzuleiten: Legt man einer der S F in (33a) entsprechende Struktur in (35) zugrunde, ergibt sich eine unzulässige Inkorporation des Basisnomens aus der NPi-Position, was in dem hiesigen Rahmen einer Verletzung des Defaultlinking entspricht.
(35)
LRS für unterkellern V'
\
Ρ
NP2
ti
Geht man dagegen von der S F in (34c) aus, so müßte die vom Präfix eingebrachte Relation über ein PP-Adjunkt (an V 2 ' ) integriert werden; Bewegungen aus Adjunktphrasen sind allerdings - wie bereits erwähnt - völlig ausgeschlossen. Komplexe Verben dieses Typs stellen also ein großes Problem für Hale/Keyser dar. B e i der zweiten Gruppe wird eine bereits im denominalen Simplexverb zum Ausdruck gebrachte Lokalisierung (mittels LOC-Relation) durch den Verbzusatz weiter spezifiziert. Dazu gehören solche Verben wie aufbahren, aufbocken, einpferchen, einrahmen. Als Neubildung denkbar wäre ζ. B . : Pferde einstallen. Problematisch ist hierbei jedoch, wie der Verbzusatzbeitrag, der eigentlich nur in der Spezifizierung der Nachbarschaftsregion Rp r o x besteht, kompositional in die S F (36a) integriert werden kann, wenn man diese Verben in möglichst einfacher Weise wie in (36b) repräsentiert. (36)
a. b.
[N]v [Ρ [ N ] v ] v
λ y λ χ Is CAUSE(X, BECOME(LOC(y, R p r o x [ N O U N ] ) ) ) ( s ) λ y λ χ Xs CAUSE(x, BECOME(LOC(y, P*[NOUN])))(S)
Da eine solche Ableitung nicht kompositional sein kann, sind alternative SF-Repräsentationen erforderlich: Entweder bestreitet man, daß die denominalen Simplexverben bereits lo-
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9. Deadjektivische und denominale
Verben
kal interpretiert werden, und geht davon aus, daß die lokale Relation durch den Verbzusatz eingebracht wird, d. h. zuerst werden der Verbzusatz und das abstrakte kausative Verbtemplate kombiniert (s. (37a)), danach wird das Basisnomen integriert. Oder man nimmt an, daß der Verbzusatzeintrag als adjunktive Spezifikation in eine argumenterweiterte Variante des denominalen Simplexverbs integriert wird (s. (37b)), was einen teilweise redundanten SF-Eintrag ergibt. (37)
a.
[P[ ]]v
λ ν λy λχ Xs CAUSE(X, BECOME(LOC(Y, P*[v])))(s)
b.
[P [ N ] v ] y
c.
außahren:
λ y λ χ Xs [CAUSE(x, BECOME(LOC(y, R p r o x [ N O U N ] ) ) ) ( s ) & BECOME(LOC(y, P*[NOUN]))(s)] Xy λ χ Xs [CAUSE(x, BECOME(LOC(y, R p r o x [5aAr