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German Pages 458 [460] Year 2023
Valerius Flaccus, Vespasian und die Argo
Mnemosyne Supplements monographs on greek and latin language and literature
Executive Editor C. Pieper (Leiden University)
Editorial Board K.M. Coleman (Harvard University) A. Heller (University of Tours) C.C. de Jonge (Leiden University) J.J.H. Klooster (University of Groningen) T. Reinhardt (Oxford University)
volume 470
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Valerius Flaccus, Vespasian und die Argo Zur zeithistorischen Perspektivierung des Mythos in den Argonautica
von
Bernhard Söllradl
leiden | boston
The Library of Congress Cataloging-in-Publication Data is available online at https://catalog.loc.gov lc record available at https://lccn.loc.gov/2022061388
Typeface for the Latin, Greek, and Cyrillic scripts: “Brill”. See and download: brill.com/brill‑typeface. issn 0169-8958 isbn 978-90-04-52614-3 (hardback) isbn 978-90-04-53718-7 (e-book) Copyright 2023 by Bernhard Söllradl. Published by Koninklijke Brill nv, Leiden, The Netherlands. Koninklijke Brill nv incorporates the imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, V&R unipress and Wageningen Academic. Koninklijke Brill nv reserves the right to protect this publication against unauthorized use. Requests for re-use and/or translations must be addressed to Koninklijke Brill nv via brill.com or copyright.com. This book is printed on acid-free paper and produced in a sustainable manner.
Für Lisa und Laura
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Inhaltsverzeichnis Vorwort xi Vorbemerkung xiii Abkürzungen xiv 1 Einleitung 1 1.1 Forschungsüberblick 2 1.2 Methode 19 1.3 Quellenlage 22 1.4 Aufbau und Ausblick 24
teil 1 Krieg und Bürgerkrieg 2 Auftakt: Das Proömium der Argonautica (Val. Fl. 1,1–21) 31 2.1 Triumph und Propaganda: Der Jüdische Krieg in der flavischen Herrschaftsrepräsentation 31 2.2 Das Proömium der Argonautica und die flavische Siegesprogrammatik 37 2.3 Ergebnisse 45 3 Dissonante Polyphonie in Valerius’ Cyzicus-Episode (Val. Fl. 2,627–3,361) 47 3.1 Die Cyzicus-Episode zwischen Apollonios und Vergil 48 3.2 alium prospectus in orbem? Die kulturelle Gleichheit von Dolionen und Argonauten 60 3.3 „Nenne mir, Muse, die Gründe …“: fatum und nefas in der Nyktomachie 67 3.4 Bürgerkriegs-Epos, Tragödie und Gigantomachie: Generische Multiperspektivität in der Cyzicus-Episode 79 3.5 Ergebnisse 90 4 Kolchis und Rom 92 4.1 Ein Widderfell als Familienbesitz, Weihgabe und Beutestück (Val. Fl. 1,22–63; 5,455–617) 93 4.2 Ein Krieg am Ende der Welt: Die Truppenkataloge der Verbündeten des Aeetes bzw. Perses als Panorama der Fremdheit (Val. Fl. 5,541–6,170) 106
viii
inhaltsverzeichnis
4.3 Das Vertraute im Fremden. Valerius’ Skythen und Vergils Latiner (Val. Fl. 6,42–170) 115 4.4 Der Bürgerkrieg in Kolchis und die Umdeutung der vergilischen Rom-Teleologie 119 4.5 Das Ariasmenus-Gleichnis: Zeithistorisches als Vergleichsmodell für den Mythos (Val. Fl. 6,386–426) 128 4.6 Ergebnisse 134
teil 2 Politik und Dynastie 5 Herrschaft, libertas und Widerstand 139 5.1 Helvidius Priscus und die libertas des Senats (Tac. hist. 4,4–11) 140 5.2 Vespasian und Helvidius: Ein Tyrann und ein stoischer Märtyrer für das republikanische Ideal? 147 5.3 Der Principat als Folie für politische Verhältnisse in den Argonautica 155 5.4 Der Seesturm und der Staatsmann: libertas als subversives Ideal (Val. Fl. 1,498–692) 162 5.5 Der ‚politische‘ Selbstmord der Eltern Jasons (Val. Fl. 1,730–850) 172 5.6 Ergebnisse 181 6 Tyrannen und ideale Herrscher 184 6.1 Senecas tragisches und philosophisches Werk als Modell für politisches Dichten in flavischer Zeit 185 6.2 Pelias als entarteter Gewaltherrscher (Val. Fl. 1,693–729) 197 6.3 Vater, Feldherr, Weltenherrscher: Analogien zwischen Jupiter und Vespasian 204 6.4 Phineus, Typhon und die Harpyien. Von den Möglichkeiten und Grenzen kosmischer clementia (Val. Fl. 4,422–636) 208 6.5 Prometheus und die berechnende Güte Jupiters (Val. Fl. 4,58–81; 5,154–176) 220 6.6 Ergebnisse 230 7 Dynastische Nachfolge und verlorene Anführer 233 7.1 Vespasians dynastische Bestrebungen und senatorischer Widerstand 234 7.2 Senatorische Befürchtungen (1): Rivalität zwischen den Kaisersöhnen? 238
inhaltsverzeichnis
ix
7.3 Der Tod des Colaxes, oder: Von der Vermeidung eines olympischen Bruderzwists (Val. Fl. 6,621–656) 243 7.4 Senatorische Befürchtungen (2): Titus – ein zweiter Nero? 251 7.5 Phaethon und die Angst vor einem ungeeigneten Thronfolger – ein episches Ausweichmanöver (Val. Fl. 1,525–527; 5,429–432) 256 7.6 Die Thronfolge in Lemnos als politische Utopie (Val. Fl. 2,72–310) 265 7.7 Die Zurücklassung des Hercules als Beispiel einer gescheiterten Nachfolge (Val. Fl. 3,598–725) 274 7.8 Der tote Steuermann als verlorener Anführer (Val. Fl. 5,1–72) 286 7.9 Ergebnisse 294
teil 3 Religion 8 Im Auftrag höherer Mächte 299 8.1 monstratus fatis Vespasianus 300 8.1.1 Die Götter in der Krise 302 8.1.2 Zeichen, Zorn und Zaudern: Vespasian und die Götter bei Flavius Josephus und Sueton 305 8.1.3 Religion und Realpolitik: Die Akklamation bei Tacitus (Tac. hist. 2,74–78) 312 8.1.4 Vespasian in Ägypten: Von der Inszenierung göttlichen Zuspruchs (Tac. hist. 4,81) 318 8.2 Instrumentalisierung des Numinosen und metaphysische Aporie in den Argonautica 322 8.2.1 Die äußere Dimension: religio als rhetorisches Mittel (Val. Fl. 1,184–254) 324 8.2.2 Vom Verschweigen problematischer Orakelsprüche (Val. Fl. 3,296–303; 3,352–356; 3,617–621) 332 8.2.3 Die innere Dimension: religio und Jasons pietas 337 8.2.4 Metaphysische Zweifel und verweigerte Einblicke in das fatum (Val. Fl. 4,529–636) 345 8.3 Die Argo und die Götter: Das fatum aus Rezipientenperspektive 354 8.3.1 fatum und ira 355 8.3.2 Schuld und Entsühnung (Val. Fl. 3,362–458) 369 8.3.3 quae iam finis erit? Polyphonie als poetologisches Programm 378 8.4 Ergebnisse 381
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inhaltsverzeichnis
9 Schlussbetrachtung 384 9.1 Mythos und Historie 385 9.2 Krieg und Bürgerkrieg 387 9.3 Politik und Dynastie 391 9.4 Religion 397 9.5 Fazit 399 Literaturverzeichnis 401 Sach- und Personenregister 418 Stellenregister 426
Vorwort Die vorliegende Monographie ist die überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die im März 2021 an der Philologisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien eingereicht wurde. Zahlreiche Menschen haben auf ihre eigene Art und Weise dazu beigetragen, dass dieses Buch zustande kommen konnte. Ich danke allen, die sich in den vergangenen Jahren von mir in ein Gespräch über Valerius Flaccus verstricken ließen; besonders denjenigen, die sich gründlich mit meinen Thesen beschäftigt und ihre Gedanken schriftlich oder im persönlichen Gespräch mit mir geteilt haben. Im Folgenden möchte ich einige Personen hervorheben, ohne deren Hilfe und Zuspruch es wohl deutlich schwieriger gewesen wäre, felsige Stellen passierbar zu machen, Meerengen gezielt zu umschiffen und auch den einen oder anderen Seesturm gut zu überstehen. An erster Stelle möchte ich Andreas Heil (Wien) danken: für die umsichtige Betreuung des Dissertationsprojekts, für die sorgfältige Auseinandersetzung mit meinen Kapitelentwürfen und für den stets konstruktiven fachlichen Austausch. Besonderen Dank schulde ich auch meinen Gutachtern Thomas Baier (Würzburg) und Georg Danek (Wien). Prof. Baier möchte ich insbesondere für die Anregung danken, intensiver über Jasons Rolle als Anführer und sein Verhältnis zu den Göttern nachzudenken. Das Ergebnis dieser Auseinandersetzung ist in Kap. 8 nachzulesen. Besondere Hervorhebung verdient auch Prof. Danek, der mich während meiner Wiener Studienjahre nachhaltig für das antike Epos begeistern konnte und mir viele Jahre lang ein inspirierender und großzügiger akademischer Lehrer war. Für das kollegiale Miteinander am Wiener Institut bedanke ich mich bei Alfred Dunshirn, Lukas Ebert, Laurenz Enzlberger, Tobias Riedl, Katharina Schön und Christoph Schwameis. Den Herrn Dunshirn, Enzlberger und Riedl bin ich für die kritische Lektüre einzelner Kapitel und zahlreiche wertvolle Hinweise besonders dankbar. Herrn Schwameis bin ich zu größtem Dank verpflichtet, da er trotz umfangreicher eigener Projekte die Erstfassung vollständig durchgesehen und mir etliche Verbesserungsvorschläge mitgeteilt hat. Nicht unerwähnt lassen möchte ich Robert Wallisch, der mich an einem frühen Punkt meiner wissenschaftlichen Laufbahn bestärkt und entscheidend gefördert hat. Dafür und für die fortwährende freundschaftliche Unterstützung bedanke ich mich herzlich. Freilich gebührt der wichtigste Dank meiner Familie und insbesondere Lisa, die mich in den letzten Jahren geduldig und verständnisvoll mit Valerius Flaccus geteilt hat. Ihr sei dieses Buch gewidmet.
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vorwort
Dem Verlag Brill und den Herausgeber:innen danke ich für die großzügige Aufnahme dieses Buches in die Reihe „Mnemosyne Supplements“. Bernhard Söllradl Wien, im September 2022
Vorbemerkung Die Textzitate aus den Argonautica folgen den Ausgaben von Ehlers (1980) und Liberman (1997/2002). Wo ich von Ehlers bzw. Liberman abweiche oder zumindest Zweifel hege, erörtere ich dies an den entsprechenden Stellen in den Fußnoten. Übersetzungen lateinischer und griechischer Textzitate stammen (wenn nicht anders angegeben) von mir. Zur Bezeichnung des in diesem Buch behandelten Dichters und seines Werkes verwende ich die Abkürzungen Val. Fl. und Arg. Das Argonautenepos des Apollonios bezeichne ich mit dem Kürzel AR. Alle übrigen Werk- und Autorenkürzel nach DNP; die dort fehlenden Abkürzungen werden ergänzt aus Montanari et al. (2015) The Brill Dictionary of Ancient Greek. Leiden/Boston. Wie schon ein berühmter alexandrinischer Bibliothekar gescherzt haben soll, kommt ein großes Buch einem großen Übel gleich (Kall. fr. 465 Pf.). Wer sich die Lektüre des vorliegenden, nicht eben schmalen Buches abkürzen möchte, findet am Ende jedes Kapitelabschnitts einen Rückblick und am Ende jedes Kapitels eine Zusammenstellung der Ergebnisse, die außerdem in der „Schlussbetrachtung“ (Kap. 9) resümierend zusammengefasst werden. Die einzelnen Kapitel beleuchten die größeren Thesen des Buches aus unterschiedlichen Blickwinkeln und ergänzen einander (beachte, o lector, die Querverweise in den Anmerkungen); sie sind aber so konzipiert, dass auch eine selbstständige Lektüre möglich ist.
Abkürzungen CIL DNP
Ritschel, F. et al. (1862–) Corpus Inscriptionum Latinarum. Berlin. Cancik, H. – Schneider, H. (1996–2003) Der Neue Pauly. Enzyklopädie der Antike. Stuttgart. FGrHist Jacoby, F. (1923–1958) Die Fragmente der griechischen Historiker. Berlin. ILS Dessau, H. (1892–1916) Inscriptiones Latinae Selectae. Berlin (Ndr. 1954–1955). MW McCrum, M. – Woodhead, A.G. (1961) Select Documents of the Principates of the Flavian Emperors. Including the Year of Revolution. A.D. 68–96. Cambridge. OLD Glare, P.G.W. (22012) Oxford Latin Dictionary. Oxford. RIC2 Sutherland, C.H.V. et al. (Hgg.) (1984–2007) The Roman Imperial Coinage. London. ThlL (1900–) Thesaurus Linguae Latinae. Leipzig. TrRF Schauer, M. (2012) Tragicorum Romanorum Fragmenta. Vol. 1. Livius Andronicus, Naevius, Tragici Minores, Fragmenta Adespota; Manuwald, G. (2012) Tragicorum Romanorum Fragmenta. Vol. ii. Ennius. Göttingen.
kapitel 1
Einleitung Als historische Figur ist der römische Dichter Valerius Flaccus nur schemenhaft fassbar.1 Eine knappe Notiz bei Quintilian und einige konkrete Bezüge zur Zeitgeschichte in den Argonautica lassen aber den Schluss zu, dass unser Dichter die Herrschaft Neros, den Untergang des julisch-claudischen Kaiserhauses, den römischen Bürgerkrieg des Vierkaiserjahres 69 n. Chr., den Aufstieg der flavischen Dynastie und den Principat Vespasians erlebt haben muss. In diesem Buch gehe ich der These nach, dass die oben genannten Ereignisse den Dichter geprägt und sein poetisches Schaffen maßgeblich beeinflusst haben. Ich betrachte die Argonautica in meiner Analyse zum einen als literarisches Werk, das fest in der griechisch-römischen Epentradition verankert ist,2 und zum anderen als Produkt seines historischen Entstehungskontextes. In meiner Deutung blickt Valerius durch das Prisma des Mythos auf den Principat und bietet zeithistorisch bedeutsame Reflexionen über Herrschaft, Macht und Machtmissbrauch. Zudem strebt er gegenüber Aeneis und Bellum civile eine Aktualisierung der Geschichtsperspektive an. Das Ende des julisch-claudischen Kaiserhauses und die traumatische Erfahrung eines weiteren römischen Bürgerkriegs im Vierkaiserjahr führten zum Aufstieg Vespasians, der sich bald als tatkräftiger, geeigneter Princeps erwies und das zerrüt1 Vgl. Zissos 2008, xiii: „Valerius Flaccus is one of the most elusive literary figures of the early empire. Of his life and career virtually nothing definite is known, beyond the fact that he wrote Arg. – no other works are attested – under the Flavians.“ Kritische Auseinandersetzungen mit der aus Val. Fl. 1,5–7 abgeleiteten Theorie, Valerius habe dem Priesterkollegium der quindecimviri sacris faciundis angehört, finden sich bei Zissos 2008, xiii f.; 79–81; Bernstein 2014, 157; Cairns 2019, 3–16; Davis 2020, 2 f. Tatum 2016 interpretiert die Konstruktion der Erzählerfigur als quindecimvir als poetologisch bedeutsame Geste. 2 Während die Argonautica des hellenistischen Dichters Apollonios Rhodios als Hauptquelle für den Stoff zu betrachten sind, sind Stil sowie Themen- und Motivauswahl deutlich von Vergils Aeneis beeinflusst. Zu Apollonios als modello-esemplare und Vergil als modello-codice siehe Fucecchi 2004, 110. Vgl. Zissos 2008, xxxiv: „[I]t is widely recognized that VF’s principal artistic debts are to AR and Virgil, that he grafts onto the narrative body of the former the poetic language and thematic concerns of the latter.“ Neben diesen beiden zentralen Vorbildautoren sind im Werk des Valerius zahlreiche weitere Einflüsse nachzuweisen, wobei für Interpreten, die der politischen Dimension des Textes nachspüren, abgesehen von den Strategien der Aeneis-Rezeption besonders die Auseinandersetzung mit dem neronischen Epiker Lucan und dem tragischen Werk Senecas zu berücksichtigen ist. Zu Valerius und Lucan siehe Zissos 2004a; Buckley 2010; Stover 2012; Fucecchi 2018; Krasne 2018. Zu Seneca und Valerius siehe Buckley 2013; Buckley 2014; Davis 2014; Davis 2016 (bes. 61–65).
© Bernhard Söllradl, 2023 | doi:10.1163/9789004537187_002
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kapitel 1
tete Reich wieder stabilisieren konnte. Dieser Fortgang der Geschichte musste nicht nur Vergils optimistische (und mit der julisch-claudischen Dynastie verknüpfte) Rom-Teleologie korrekturbedürftig erscheinen lassen, sondern auch Lucans düstere Vision vom römischen Bürgerkrieg als Ziel der Geschichte. Das Ergebnis dieser Korrektur ist ein von Ambivalenz und Multiperspektivität gekennzeichneter Text, der Erklärungsmodelle für eine ganze Reihe weiterer Geschichtsverläufe bereitstellen konnte. Obwohl die Frage nach der politischen Dimension der Argonautica die Forschung bereits seit längerem beschäftigt,3 wurden mögliche Reflexe auf die flavische Herrschaftsrepräsentation und den flavischen ‚Zeitgeist‘ in weiterem Sinne4 – soweit dieser auf Grundlage unserer Quellen rekonstruierbar ist – bisher nicht systematisch untersucht. Meine Untersuchung setzt sich daher zum Ziel, die Argonautica nicht nur vor der Folie literarischer Vorbilder zu lesen, sondern das Epos des Valerius auch neben die historischen Quellen zur Flavierzeit zu legen, um Berührungspunkte zwischen historischer und erzählter Welt auszumachen und zu interpretieren. Auf dieser Grundlage sollen neue Antworten auf die Frage gefunden werden, welche Formen der Interaktion von Mythos und Historie in Valerius’ Gedicht greifbar werden. Die Analyse der Wechselwirkungen zwischen dem zeithistorischen Entstehungskontext und dem Gedicht des Valerius wird – so das Ziel der Untersuchung – zu einem besseren Verständnis der politischen Dimension dieses Epos beitragen, das (wie Vergils Aeneis) eine historische und politische Umbruchszeit literarisch widerspiegelt.
1.1
Forschungsüberblick
Ein zentrales Problem in der Valerius Flaccus-Forschung ist die Frage nach der Datierung der Argonautica.5 Daher zunächst ein Überblick über die wenigen Indizien, die eine grobe Eingrenzung des Abfassungszeitraums erlauben: 3 Siehe etwa Zissos 2009; Stover 2012; Bernstein 2016; Stover 2020. 4 Die Brockhaus-Enzyklopädie definiert ‚Zeitgeist‘ als „die eine historische Epoche vorherrschend prägende Ausrichtung der geistigen Haltung, des Stils, der Lebensformen und Ideen.“ Von dieser Definition ausgehend untersuche geistesgeschichtliche Forschung „die für einen bestimmten Zeitraum charakteristischen Vorstellungen, Denkformen und Wertbegriffe, die durch unterschiedliche Faktoren, z. B. politische Veränderungen […], einem Wandel unterliegen“ (Brockhaus s. v. Zeitgeist). Aufgrund der fragmentarischen Quellenlage können heutige Rekonstruktionen des ‚Zeitgeists‘ einer antiken Epoche nur Annäherungen sein. Ich verwende den Begriff daher lediglich als ungefähre Orientierungshilfe und setze ihn stets unter einfache Anführungszeichen. 5 Zur Datierung der Argonautica siehe Zissos 2008, xiii–xviii; Stover 2012, 7–26; Lovatt 2015, 409 Anm. 5; Davis 2020, 1 f.; MacRae 2021, 119–121.
einleitung
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(a) Das Proömium ist an Vespasian adressiert, enthält eine Erwähnung der Eroberung Jerusalems durch Titus und behandelt Vespasians Verstirnung als zukünftiges Ereignis. Dadurch ergibt sich – für das Proömium – als terminus post quem das Jahr 70 n. Chr. (Eroberung Jerusalems) und als terminus ante quem das Jahr 79 n. Chr. (Tod Vespasians).6 (b) Etwa in der Mitte des (unabgeschlossenen) Werkes verweist der Dichter auf den Vesuvausbruch im Jahr 79 n. Chr. – der Dichter hat im Sterbejahr Vespasians also noch an den Argonautica gearbeitet. (c) Quintilian vermerkt in einer knappen Notiz den Tod unseres Dichters, der also vor 96 n. Chr. (Publikation der Institutio Oratoria) zu datieren ist.7 Dieser Befund lässt sich mit Stovers These, das Werk sei (fast) vollständig unter Vespasian abgefasst worden, nur schwer in Einklang bringen.8 Grundsätzlich ist denkbar, dass Valerius bis vor seinem Tod an seinem Epos gearbeitet hat – zwingende Argumente für eine ‚späte‘ Datierung gibt es aber nicht.9 Es ist wahrscheinlicher, dass Valerius nach dem Vesuvausbruch im Jahr 79 n. Chr. – dem spätesten sicher datierbaren Element des Textes – nur noch einige Jahre und eher nicht ein ganzes Jahrzehnt oder länger an dem wohl spätestens Mitte der 70er-Jahre begonnenen Gedicht gearbeitet hat.10 Als Arbeitshypothese gehe ich also vom ungefähren Abfassungszeitraum 70–85 n. Chr. aus. Sollte diese Einschätzung zutreffen, hätte der Dichter die ersten Jahre von Domitians Principat noch erlebt. Dass die Herrscherdarstellung in den Argonautica von dieser Erfahrung maßgeblich betroffen gewesen wäre, ist aber nicht anzunehmen.11 Die Vorstellung von einer ‚Gewaltherrschaft‘ 6
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Die Rezeption der Argonautica in der Thebais, deren Abfassungszeitraum auf die Jahre 79–90 n. Chr. datiert wird, macht es unwahrscheinlich, dass Valerius erst kurz vor 79 n. Chr. mit der Arbeit an seinem Epos begonnen hat (vgl. Zissos 2008, xv Anm. 16). Quint. inst. 10,1,90 (multum in Valerio Flacco nuper amisimus). Vgl. Stover 2012, 7–26. Zu Stovers These, das Werk sei fast zur Gänze unter Vespasian entstanden, vgl. Zissos 2014a, 325: „[Stover] has staked much on a very early period of composition. […] This is not easily squared with the evidence.“; Lovatt 2015, 409 Anm. 5: „Stover is mostly convincing, apart from his down-grading of Quintilian’s nuper and his argument that the epic must have been finished only very shortly after the eruption of Vesuvius.“; Davis 2020, 2: „Stover has refuted the arguments […] for a date in the 90s, without establishing that the poem must have been substantially completed in the 70s.“ Die Theorie des jungen Roland Syme, in Arg. 6,231–238 werde auf die römischen Kriege gegen die Sarmaten in den Jahren 89 oder 92 n. Chr. angespielt, gilt längst als widerlegt – siehe Syme 1929; Baier 2001, 172 zu 6,234–238; Stover 2012, 9–11. Vgl. Zissos 2008, xv: „The available evidence suggests a period of composition starting in the reign of Vespasian (69–79), but not earlier than 70, and extending at least into the early 80s, but not later than the early 90s, with the poem left unfinished at the author’s death.“ Die These, die Tyrannendarstellung in den Argonautica sei als Reflex auf die Gewaltherrschaft Domitians zu verstehen, vertreten Otte 1992, 6.15; McGuire 1997, 147–161; Hershkowitz 1998, 242–276 (bes. 246 f. und 270). Emma Buckley kritisiert in einem rezenten Auf-
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kapitel 1
Domitians wurde in der jüngeren Forschung grosso modo als Produkt posthumer Verzerrung identifiziert und trifft gerade auf die ersten Regierungsjahre des jüngeren Vespasian-Sohnes sicher nicht zu.12 Auch gibt es keinen seriösen Anhaltspunkt dafür, dass sich die Einstellung des Dichters zur Principatsherrschaft nach 79 n. Chr. (Tod Vespasians) oder nach 81 n. Chr. (Tod des Titus) grundsätzlich – und mit entsprechendem Niederschlag in den Argonautica – verändert hätte. Sinnvollerweise gehen Studien zur politischen Dimension der Argonautica meist vom Proömium (1,7–21),13 das einen Lobpreis Vespasians und der gens Flavia enthält, oder von der Weltenplan-Rede (1,531–560) aus,14 in der Jupiter die von der Argo geleistete Öffnung der Meere zur Voraussetzung für die Verschiebung der Macht von Ost nach West erklärt. Diese translationes imperii ziehen den Untergang Asiens, das Ende der griechischen Hegemonie und den Aufstieg des römischen Weltreichs nach sich – eine bemerkenswerte Verknüpfung von Mythos und Historie. Abgesehen von diesen beiden Schlüsselstellen gewähren bestimmte narratoriale Kommentare,15 Anachronismen und Gleichnisse historische Durchblicke.16 Valerius geht mit konkreten Bezugnahmen auf
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satz die Praxis, bei der Interpretation post-flavische Darstellungen von Domitians Principat allzu unreflektiert miteinzubeziehen, spricht sich aber nicht grundsätzlich gegen die Vorstellung aus, in den Argonautica seien Anspielungen auf die vermeintliche Tyrannenherrschaft Domitians zu finden (siehe Buckley 2018b, 86–88 mit Anm. 3 und Anm. 6). Siehe auch Kap. 6.1. Zur posthumen Verzerrung des Domitian-Bildes siehe Penwill 2003, 358–361; Leithoff 2014, 14 f.; Kreuz 2016, 50 f.; Rebeggiani 2018, 18–24; Schulz 2019, passim. Die Vergleiche Domitians mit Nero stammen großteils aus der Zeit nach dem Tod Domitians und erweisen sich bei näherer Betrachtung als äußerst unspezifisch: vgl. Iuv. 4,38; Plin. paneg. 53,4; Schubert 1998, 302; Leithoff 2014, 145 f.; Rebeggiani 2018, 22–24.56–65: „[T]he idea that Domitian is a second Nero becomes prevalent only after Domitian’s death“ (22). Dafür, dass Domitian schon zu Lebzeiten ein verhasster Tyrann gewesen sei, finden sich vor dem Jahr 93 n. Chr. – als die Arbeit an den Argonautica abgeschlossen gewesen sein dürfte – kaum Anhaltspunkte (zu den problematischen letzten Jahren von Domitians Herrschaft siehe Rebeggiani 2018, 49–55). Zum Proömium siehe Kap. 2. Zum Weltenplan siehe Kap. 3.4 und Kap. 8.3. Zur Unterscheidung zwischen der auktorialen (auf den Autor bezogenen), narratorialen (auf den Erzähler bezogenen) und figuralen (auf die Figuren der erzählten Welt bezogenen) Perspektive siehe Schmid 32014, 127–129 mit Anm. 20. Zu Verweisen auf Zeitgeschichtliches, die im Rahmen von (a) narratorialen Kommentaren, (b) Anachronismen oder (c) Gleichnissen erfolgen, siehe die übersichtlichen Zusammenstellungen bei Zissos 2009, 351 Anm. 2; Davis 2015, 159. Ein Beispiel für (a) ist die Apostrophe an Hypsipyle in 2,242–246. Der Dichter lobt in einem narratorialen Kommentar die pietas der Thoas-Tochter und weist darauf hin, dass sein Epos dieses Lob nur so lange für die Nachwelt dokumentieren könne, wie das römische Reich fortbestehe (vgl.
einleitung
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die eigene Gegenwart jedoch deutlich sparsamer um als etwa Vergil. Dennoch hat sich inzwischen die communis opinio etabliert, dass die ältere Forschungsmeinung zurückzuweisen sei, wonach es sich bei den Argonautica um einen ‚eskapistischen‘ oder ‚nostalgischen‘ Text handle, der nur einen altbekannten Mythos neu erzähle und jeder politischen Dimension entbehre: „Few scholars would now argue that Valerius’ epic is not profoundly integrated into its historical context, engaging with contemporary political concerns.“17 Zu den Fragen, welche erzählerischen Mittel Valerius einsetzt, um auf Zeitgeschichtliches Bezug zu nehmen, wie diese Bezugnahmen zu erkennen und – als letzter Schritt – zu interpretieren sind, gibt es jedoch nach wie vor eine Vielzahl an konträren Ansichten und Zugängen. Im Folgenden sei der Versuch unternommen, die wichtigsten Ergebnisse der bisherigen Forschungsarbeit zur politischen Dimension der Argonautica zu dokumentieren und dabei auch einen Überblick über die am häufigsten angewandten Interpretationsverfahren zu bieten. Die These, zwischen den Figuren der Argonautica und historischen Persönlichkeiten ließen sich typologische Verhältnisse feststellen (z. B. Jason als Präfiguration Vespasians), hat in der Forschung kaum noch Rückhalt.18 Weniger
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Feeney 1991, 322–324; Landrey 2018, 234–240; Kap. 7.6). Ein Beispiel für (b) ist, dass Valerius bei der Beschreibung der politischen Institutionen von Iolkos bzw. Kolchis die römischen Begriffe patres, populus/vulgus und tyrannus verwendet (vgl. Zissos 2009, 354–362; Davis 2015, 159–161; Kap. 5.3). Ein Beispiel für (c) ist das Ariasmenus-Gleichnis in 6,402–409: Der Dichter vergleicht den kolchischen Bürgerkrieg explizit mit römischen Bürgerkriegen (vgl. Buckley 2010, 440–443; Kap. 4.5). Cowan 2014, 232. Vgl. Schenk 1999, 280; Zissos 2009, 354; Bernstein 2014, 156: „It is now generally accepted that, like the other Flavian epics, the Argonautica uses traditional myth to comment on recent history.“; Davis 2015, 158: „For the Romans […], epic poetry was the preeminent literary medium for reflection upon Roman power and identity.“ Siehe Taylor 1994: Valerius’ Darstellung der Argofahrt sei als Allegorie für den Machtwechsel vom julisch-claudischen zum flavischen Kaiserhaus zu lesen. Darauf aufbauend setzt Taylor eine Vielzahl streng allegorischer Entsprechungen an (Hercules ~ Augustus; Jason ~ Vespasian; Pelias/Aeetes ~ Nero; Medea ~ Berenice; Aeson und Alcimede ~ Thrasea Paetus und Arria), um eine vom Proömium ausgehende, optimistisch-panegyrische Deutung zu entwickeln. Eine kritische Besprechung dieser These, die in der Forschung mehrheitlich auf Ablehnung gestoßen ist, bietet z. B. Zissos 2009, 353 Anm. 7 (mit weiterer Literatur). Mitousi 2014 setzt Taylors Ergebnisse in kaum modifizierter Weise voraus und argumentiert, dass die Argo die flavische Dynastie symbolisiere und eine (lobend gemeinte) „interchangeability between the voyage of the Argo and Vespasian’s reign“ (167) vorliege. Entsprechungen gebe es auf der Ebene der Figuren (Jason/Argonauten ~ Vespasian/Flavier; Pelias und Aeetes ~ Nero/Thronprätendenten des Vierkaiserjahres) und auf der Ebene der Handlung (Bürgerkrieg in Kolchis ~ römischer Bürgerkrieg im Vierkaiserjahr). Mit Taylors Ansatz vergleichbar, wenn auch weniger rigide, ist Toohey 1993, 200: „Jason should be thought of not as being the prototype for a specific emperor,
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mechanisch und im Einzelnen besser belegbar als die Annahme streng allegorischer Entsprechungen zwischen mythologischen Figuren und historischen Persönlichkeiten sind die Versuche von Darcy Krasne, Peter J. Davis oder Tim Stover, die Figuren des Epos punktuell, d.h. nur an bestimmten Stellen, in Relation zu historischen Persönlichkeiten zu setzen.19 Donald McGuire und Neil Bernstein haben auf vielsagende Parallelen zwischen Valerius’ Tyrannenfiguren (Pelias, Laomedon, Amycus, Aeetes) und bestimmten römischen Herrschern aufmerksam gemacht.20 Als Vergleichsmodelle drängen sich vor allem jene römischen Kaiser auf, die der Nachwelt als tyrannisch und moralisch verkommen in Erinnerung blieben – in flavischer Zeit denkt man hierbei in erster Linie an den letzten julisch-claudischen Kaiser Nero. Nach Meinung der genannten Interpreten handle es sich bei den Tyrannen der Argonautica um Tyrannen dezidiert römischen Gepräges, ohne jedoch von allegorischer ‚Deckungsgleichheit‘ auszugehen.21 Man nimmt vielmehr an, dass Pelias bzw. Aeetes bestimmte Züge tragen, die ein zeitgenössischer Rezipient wohl mit jemandem wie Nero assoziiert haben dürfte. In Robert Cowans Interpretation erlaube die Andeutung von Parallelen zwischen römi-
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but as a generic imperial prototype. […] He is, as we see him in Book 1, the prototype for Vespasian, or for Titus, or for Domitian. It follows, therefore, that Jason may take on attributes or qualities of more than one emperor within this poem.“ Siehe auch McGuire 1997, 147–154, der die Tyrannenfiguren der Argonautica als Folien für Domitian liest. Krasne 2011, 152–162 argumentiert, Valerius zeige anhand der Dioskuren die Bedeutung von brüderlichem Zusammenhalt auf und warne vor den schlimmen Konsequenzen brüderlicher Rivalität. Es lasse sich eine Parallele zwischen den Jupitersöhnen Castor und Pollux und Vespasians Söhnen Titus und Domitian ziehen. Diese werden in der offiziellen flavischen Propaganda und im Proömium in einträchtiger Harmonie dargestellt, während die historiographischen Quellen von einem spannungsreichen Verhältnis berichten (vgl. Murison 2016, 87; Kap. 7.2). Stover 2012, 92 zieht bei der Analyse der Seesturm-Szene in Arg. 1 (574–692) Parallelen zwischen dem Widerstand gegen Jupiters Weltenplan durch Boreas und dem senatorischen Widerstand gegen Vespasians Regime, der besonders mit dem Namen Helvidius Priscus verbunden wird (vgl. Kap. 5.1 und 5.2). Davis 2014, 117 stellt eine Verbindung zwischen Absyrtus in Arg. 8 und dem Perserkönig Xerxes beim Zug nach Griechenland her. Stover 2020, 55–60 argumentiert, dass der Legat Antonius Primus, den Tacitus als Demagogen mit ständig wechselnden Loyalitäten charakterisiert, ein mögliches Vorbild für Meleager sei. Dieser spricht sich beim Rededuell mit Telamon im fünften Buch (5,598–725) für die Weiterfahrt ohne Hercules aus (vgl. Kap. 7.7). Vgl. McGuire 1997, 147–184; Bernstein 2016, 398–400 (mit weiterer Literatur); Kap. 5.3; Kap. 6.1; Kap. 6.2. Zur möglichen Beeinflussung der Tyrannendarstellung in den Argonautica durch Kaiserdarstellungen in der historiographischen bzw. biographischen Literatur siehe Cowan 2014, 232; Bernstein 2016, 399. Siehe aber Mitousi 2014, die Pelias als Allegorie für Nero liest.
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schen Herrschern wie Nero und mythologischen Tyrannen wie Pelias oder Aeetes dem Dichter, allgemeine Reflexionen über Macht und Machtmissbrauch im System des Principats anzustellen.22 Nur wenige Stellen der Argonautica wurden als Reflex auf konkrete historische Ereignisse gedeutet. In einem Aufsatz von 1934 stellt Rudolf Preiswerk die Vermutung an, die Erneuerung der militärischen Aktivitäten der Römer in Britannien unter dem Kommando des Q. Petillius Cerialis im Jahr 71 n. Chr. habe Valerius zur Wahl des Stoffes veranlasst.23 Von dieser ‚hyper-konkreten‘ Deutung ist der Zugang von John P. Otte abzugrenzen, der die Argonautica als Text interpretiert, der den Übergang vom „barbarous heroic age of gods and monsters“ zum „Homeric age“ abbilde, in welchem erstmals der Mensch im Mittelpunkt stehe.24 Der Beginn einer neuen weltgeschichtlichen Epoche im literarischen Text könne dabei in Analogie zur Ablösung der julisch-claudischen Dynastie durch die Flavier betrachtet werden, die nach der Tyrannenherrschaft Neros für Stabilität im Imperium Romanum gesorgt hätten. Andere Forscher sehen einen Zusammenhang zwischen der auch im Proömium erwähnten Eroberung Jerusalems durch Titus und den Unternehmungen der Argonauten im östlichen Kolchis.25 Marco Fucecchi schlägt vor, dass das Vorgehen der Argonauten im kolchischen Bürgerkrieg die römische Strategie spiegle, bei Sukzessionskriegen in östlichen Klientelkönigtümern erst die eine, dann die andere Seite zu unterstützen, um die politische Kontrolle über die Region zu behalten.26 Die Beschreibung des Selbstmords der Eltern Jasons am Ende von Arg. 1 wurde als Verweis auf das Phänomen des Senatorenselbstmords im frühkaiserzeitlichen Rom gelesen,27 wobei manche Interpreten von nur einem Referenzpunkt ausgehen (z.B. Taylor), während andere (z. B. Zissos) mehrere Referenten zulassen: The concluding episode of the first book, featuring the ‘political suicide’ of Jason’s parents, is yet another scene rich in contemporary resonance.
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Vgl. Cowan 2014, 231–241. Zu beachten sind auch Cowans methodische Überlegungen zur Schwierigkeit, Historisches als ‚Intertext‘ heranzuziehen, die insbesondere bei der Tyrannendarstellung gegeben ist. Autoren können ihre Darstellung von Gewaltherrschern nicht nur an historische Persönlichkeiten anlehnen, sondern auch auf rhetorische und literarische Topoi zurückgreifen, wobei sich das jeweilige Verhältnis nicht exakt ermitteln lässt. Vgl. Preiswerk 1934, 435. Vgl. Otte 1992, ix.11 f. (Zitat von Seite ix). Die Studie von Otte lässt sich den optimistischen oder ‚pro-flavischen‘ Deutungen der Argonautica zurechnen (vgl. Zissos 2009, 352). Dräger 2003, 559. Fucecchi 2018, 42. Zu dieser Szene siehe Kap. 6.2.
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[…] The poet has created a death scene all too familiar to the nobles of the early principate, a scene repeatedly recorded in Tacitus’ scathing chronicle of the period.28 Leo Landrey interpretiert die Flucht des Königs Thoas von der Insel Lemnos nach dem Männermord (2,242–305) als zeithistorisch perspektivierte Stelle.29 Die mehrteilige Flucht des Lemnierkönigs, der, verkleidet als Bacchus, im Rahmen einer Prozession zu Ehren des Weingottes unbemerkt aus der Stadt fortgeschafft werden kann, habe dem zeitgenössischen Rezipienten ein Ereignis vom Ende des Vierkaiserjahres in Erinnerung gerufen: Beim Kampf um das Kapitol im Dezember 69 n. Chr. konnte Domitian den Schergen des Vitellius dank der Verkleidung als Isis-Priester entkommen. Wie Tacitus berichtet (Tac. hist. 3,74,1), hat Domitian am wieder aufgebauten Kapitol dem Iuppiter Conservator einen Altar geweiht, auf dem die Details seiner Flucht dargestellt waren. Daher könne mit einiger Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass dieses Ereignis dem zeitgenössischen Publikum gut bekannt war und durch die Erzählung von der Flucht des Thoas in Erinnerung gerufen wurde. Die bisher genannten Studien versuchen, mehr oder weniger konkrete Verbindungslinien zwischen Figuren / Szenen der erzählten Welt und Persönlichkeiten / Ereignissen der historischen Welt aufzuzeigen. Davon abzuheben sind Arbeiten, die das Epos des Valerius hinsichtlich thematisch-motivischer Analogien zwischen der erzählten und der historischen Welt untersuchen. Häufig steht dabei die Annahme im Hintergrund, die politischen (Macht-)Verhältnisse der frühen Kaiserzeit und die zugehörigen politischen Institutionen spiegelten sich in den Argonautica wider.30 Freilich wird auch bei solchen paradigmatischen Interpretationsverfahren häufig versucht, zugleich konkret-punktuelle Bezüge herauszuarbeiten, um zu plausibilisieren, dass bestimmte Stellen des Textes einen bestimmten historischen Referenzrahmen eröffnen. Das beschriebene Verfahren ist geeignet, den Text in seinen größeren historischen, sozialen und politischen Kontext einzuordnen. Laut Andrew Zissos stelle die Art und Weise, wie die Argofahrt im ersten Buch auf menschlicher Ebene motiviert wird, einen Reflex auf das Machtungleichgewicht zwischen Princeps und Senatsaristokratie in der frühen Kai-
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Zissos 2009, 356–357; vgl. McGuire 1997, 189–197; Keith 2013, 286. Siehe Landrey 2018, der in der Lemnos-Episode auch Hinweise auf die Zerstörung des Kapitols in Folge der Straßenkämpfe zwischen Flaviern und Vitellianern im Dezember 69 n. Chr. erkennen will. Zur Flucht des Thoas siehe Kap. 7.6. Vgl. Kap. 5.3.
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serzeit dar.31 Der Tyrann Pelias fühle sich durch Jasons virtus (1,30) bedroht und befehle ihm die lebensgefährliche Fahrt nach Kolchis, um sich des ungeliebten Rivalen zu entledigen. Zu Recht weist Zissos auf frühkaiserzeitliche Berichte über die Eifersucht von Kaisern auf besonders verdiente Einzelpersonen hin, die aufgrund ihrer Herkunft und ihrer Leistungen allzu große öffentliche Anerkennung erworben hatten – man denke etwa an Tiberius und Germanicus, Nero und Britannicus.32 Diese Spannung zwischen dem Kaiser und einer zunehmend entmachteten Senatsaristokratie, die kaum mehr Möglichkeiten habe, ihre virtus zu beweisen und gloria zu erwerben, bilde sich in der Eröffnungsszene der Argonautica ab. Das beidseitige Misstrauen von Herrschern und Untertanen führt in der frühen Kaiserzeit zu einer Kommunikationsform, die von permanenter Verstellung (dissimulatio) geprägt ist. Laut Debra Hershkowitz seien die vielen Trugreden in Valerius’ Epos ein Reflex auf dieses Merkmal der politischen Kultur der frühen Kaiserzeit.33 Tim Stover kommt in seiner Deutung der Phineus-Episode zum gegenteiligen Ergebnis. Er interpretiert die Befreiung des Phineus von den Harpyien, wodurch der Seher seine Redefreiheit wiedererlangt, als Zeichen, dass eine restriktivere Phase des Jupiter-Regimes zu Ende gegangen und das freie Aussprechen der Gedanken wieder möglich geworden sei.34 In der Interpretation der Befreiung des Prometheus durch Hercules, bei der er von einem Akt göttlicher Güte ausgeht, verfolgt Stover einen ähnlichen Zugang.35 An beiden Stellen werde Jupiters clementia erkennbar, die Vespasians nachsichtigen Umgang mit ehemaligen politischen Gegnern und regime-kritischen Stimmen widerspiegle. Die zuletzt genannten Interpretationen zeigen, dass grundsätzlich alle Themen und Motive eines Texts, die sich paradigmatisch mit der historischen Welt vernetzen lassen, in weiterem Sinn als zeithistorische Bezugnahmen interpre31 32
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Siehe Zissos 2003; Zissos 2009. Zu Pelias’ Feindseligkeit gegenüber Jason als Echo der Feindseligkeit des Tiberius gegenüber Germanicus siehe Summers 1894, 55. Zur virtus als Bedrohung für den Princeps siehe Davis 2015, 167–169. Zur Eifersucht frühkaiserzeitlicher Herrscher auf verdiente Einzelpersonen siehe Bernstein 2016, 399; Lindl 2020, 325 f. Zu Vespasians Verhältnis zum Senat siehe Levick 22017, 187–200; Dészpa 2016; Kap. 5.1. Zur Bedeutung von Listen und Trugreden in den Argonautica und ihren Voraussetzungen in der historischen Welt siehe Hershkowitz 1998, 242–274. Hershkowitz geht in ihrer Deutung allerdings davon aus, dass der Entstehungszeitraum der Argonautica auf die Herrschaft Domitians zu datieren sei, wofür sich – wie oben ausgeführt – kaum stichhaltige Argumente finden lassen. Zu Reflexen auf die politische Kultur der frühen Kaiserzeit in den Argonautica siehe Kap. 5.3. Stover 2012, 167 f. Vgl. Kap. 6.4. Stover 2016, 20–27. Vgl. Kap. 6.5.
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tiert werden können. Die Annahme solcher paradigmatischer Referenzen auf Zeitgeschichtliches lässt sich plausibilisieren, wenn die ausgewählten thematisch-motivischen Komplexe im unmittelbaren Produktions- und Rezeptionskontext des Textes von besonderer Bedeutung waren: Studien zu den Argonautica haben diesbezüglich die Komplexe (a) Ablauf und Telos der Weltgeschichte, (b) Religion / menschlich-göttliche Interaktion, (c) Bürgerkrieg und (d) Familienkonflikte (besonders in Herrscherfamilien) betrachtet, um zeithistorisch perspektivierte Interpretationen zu entwickeln, die nicht von der Annahme konkreter Verknüpfungspunkte zwischen erzählter Welt (Figuren, Szenen) und historischer Welt (Persönlichkeiten, Ereignisse) abhängen. Gerade bei nur annäherungsweise datierbaren Texten wie den Argonautica bietet ein solcher Interpretationszugriff unbestreitbare Vorzüge und lässt sich auch methodisch gut absichern, wie Neil Bernstein ausführt: My mode of interpretation has more in common with the paradigmatic approach exemplified by those readers for whom Valerius analyses the imperial system of power as a whole, rather than commenting only upon the individual political decisions of his own day. Though details of the relationship between the Roman elite and the emperor varied during the brief reign of Titus and the early years of Domitian’s reign, the major structures of power did not. Nor did memories of the recent civil war suddenly fade for the Roman aristocracy.36 Ich möchte im Folgenden nachzeichnen, unter welchen Prämissen und mit welchen Schlussfolgerungen die oben angeführten Themenkomplexe (a), (b), (c) und (d) in der bisherigen Forschungsliteratur zeithistorisch perspektiviert wurden. (a) Ablauf und Telos der Weltgeschichte: In der großen Jupiter-Prophezeiung (sog. Weltenplan: 1,531–560) wird enthüllt, dass die Öffnung der Meere zum freien Kräftemessen zwischen den Völkern und – im Resultat – zum Machttransfer von Ost nach West führen werde. Dieser werde nach dem Fall Asiens und Griechenlands im Aufstieg einer neuen, nicht namentlich genannten Macht gipfeln. Der Rezipient darf wohl ergänzen, dass hier auf den Aufstieg des Imperium Romanum angespielt wird – trotzdem ist bemerkenswert, dass gerade dieser wichtige Punkt im Text offengelassen wird.37 36 37
Bernstein 2014, 155. Ähnlich Davis 2015, 161–163. Dass die römische Herrschaft an unserer Stelle nicht explizit angekündigt wird, hat immer wieder zu Irritationen geführt: „Die Römer sind nicht einmal genannt“, konstatiert Lefèvre 2004, 135. Vgl. Ganiban 2014, 259: „Valerius has seemingly made his Jupiter – despite the Vir-
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Das dem Weltenplan zugrunde liegende Geschichtsmodell scheint das Recht des Stärkeren zu privilegieren und die Legitimation politischer Herrschaft an militärische Stärke zu knüpfen.38 Immer wieder finden sich im Text Hinweise, dass die Gigantomachie, in der Jupiter die absolute Herrschaft über den Kosmos gewonnen hat, als Vergleichsmodell für die Umsetzung der ersten Stufe des Weltenplans (Öffnung der Meere, Entführung Medeas) durch die Argonauten zu betrachten sei.39 Da die Erzählung vom Kampf der Giganten gegen die Olympier im Kern eine Erzählung vom Angriff auf bestehende Machtverhältnisse ist, ist dieser Mythos zur Kommentierung innerer und äußerer Konflikte vielseitig einsetzbar. In der römischen Literatur wird das Motiv seit der augusteischen Zeit als Metapher für die blutigen Bürgerkriege herangezogen, die zur Errichtung des Principats geführt haben.40 Dabei werden die Feinde des amtierenden Princeps rückwirkend mit den Mächten des Chaos gleichgesetzt, die erfolgreiche Seite hingegen mit den Olympiern. Eine affirmativ-‚optimistische‘ Interpretation (wie sie von Otte oder Stover vorgelegt wurde)41 würde herausarbeiten, dass die Argonauten im Auftrag Jupiters den Triumph über die Giganten auf Erden reproduzieren und zum Sieg des olympischen ordo über chthonisches Chaos beitragen würden.42 Eine solche Deutung,
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gilian model – silent on Rome as the (or even a) successor to Greek domination. […] Thus, from Jupiter’s perspective in the Argonautica, there is quite literally no set fate expressed in the text that guides the world towards Roman (not to mention Flavian) hegemony.“ Wie aber Manfred Wacht richtig festhält, zielt die gesamte Passage (auch wenn die Römer nicht konkret benannt werden) unverkennbar auf den Aufstieg Roms als Resultat des Trojanischen Krieges – eine Verbindung, die seit Naevius fest in der römischen Epentradition verankert ist (vgl. Wacht 1991a, 13 f.). Vgl. Kap. 8.3. Zum Zusammenhang zwischen der Geschichtsauffassung, die dem Weltenplan zugrunde liegt, und den Machtkämpfen rivalisierender Fraktionen in der frühen Kaiserzeit siehe Bernstein 2014, 160 f.; Ganiban 2014, 268. Konsequent zu Ende gedacht erlaubt die Auffassung vom Weltenplan als metaphysische Ursache römischer Bürgerkriege, den Aufstieg der Flavier als Teil und Resultat dieses Plans zu interpretieren. Vgl. Kap. 2.3; Kap. 8.3.1. Siehe Kap. 3.4. Vgl. Fucecchi 2013, 107 f. Zur Interpretation, Valerius setze die Typhon-Figur ein, um beim Rezipienten die Erinnerung an römische Bürgerkriege wachzuhalten, siehe Krasne 2019, 43: „Although Valerius’ epic narrative is played out far from Italy, the menace of Campania’s incarcerated giant reappears through digression, intertext, imagery, and genealogy, to the point that the adventures of Jason’s Argonauts seem Romanized through these recurrent reminders of civil war.“ Bolt 2019 bietet einen Überblick über Theomachien im antiken Epos. Vgl. Otte 1992; Stover 2012, 113–150. „Jason’s journey may be understood as a geographical inscription of the victory of the sky-god Jupiter over chthonic opponents, the Titans and Giants“ (Hardie 1993, 83). Zur Komplexität des Gigantomachie-Motivs in den Argonautica siehe Hardie 1993, 83–87.
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die sich etwa für eine politische Interpretation der Cyzicus-Episode fruchtbar machen ließe,43 wird jedoch dadurch erschwert, dass das GigantomachieMotiv bei Valerius nicht notwendigerweise eine moralisch bessere von einer schlechteren Seite scheidet und nicht nur die Feinde der Argonauten, sondern auch die Helden selbst mit Hybris und Transgression in Verbindung gebracht werden.44 (b) Religion / menschlich-göttliche Interaktion: Die problematische Natur der menschlich-göttlichen Kommunikation in den Argonautica hat zuletzt Thomas Baier in den Blick genommen.45 Er kommt zum Ergebnis, dass sich Jason im Umgang mit Orakeln als strategisch denkender Anführer erweise, der seine Verbindung zu den Göttern einsetze, um seine Machtposition innerhalb der Mannschaft abzusichern.46 Diese Auffassung von religio sei als „‘Flavian way’ of dealing with religion“ zu betrachten:47 So berichte etwa Tacitus von einem ‚Heilungswunder‘, das Vespasian inszenieren ließ (Tac. hist. 4,81), um den Untertanen seine besonders enge Verbindung zu den Göttern aufzuzeigen und dadurch seine Macht abzusichern. Gesine Manuwald arbeitet heraus, dass die menschlichen Protagonisten der Argonautica nur sehr bruchstückhafte Kenntnisse von den Plänen der Götter erhalten, welche für die Sterblichen mitunter katastrophale Konsequenzen nach sich ziehen.48 Anders als Vergil vermeide Valerius es auch, optimistische historische Durchblicke auf die eigene Gegenwart in sein Werk einzulegen. Dem unmittelbaren (Lese-)Publikum der Argonautica signalisiere diese Konzeption eine gewisse Unsicherheit über Roms Platz in der Weltgeschichte.49 Neil Bernstein geht noch einen Schritt weiter und bringt die Darstellung der Götter in den Argonautica mit Tacitus’ düsterer Einschätzung in Verbindung, die Götter seien den Menschen feindlich gesonnen.50 Das zeige sich besonders in der Lemnos- und der CyzicusEpisode, die von unverhältnismäßigen Racheaktionen gekränkter Gottheiten 43 44
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Vgl. Stover 2012, 113–150. Fucecchi 2013, 109: „[T]he unfortunate opponents of the Argonauts – the more cruel as well as the apparently less guilty – end up having to take on the role of Giants and have to suffer defeat.“ Zu Valerius’ Auseinandersetzung mit Lucans Einsatz des GigantomachieMotivs siehe Heerink 2016, 521. Vgl. Baier 2020. Zu Jasons Verhältnis zu den Göttern siehe Kap. 8.2. Vgl. Baier 2020, 306–312 (Zitat von Seite 312). Zu Vespasians Umgang mit den Göttern siehe Kap. 8.1. Siehe Manuwald 2009. Vgl. Manuwald 2009, 606 f. (hier 606): „Roman recipients are left in some uncertainty, and in this respect their position is similar to that of the characters in the epic, since Valerius Flaccus’ Jupiter does not explicitly name the Romans as the ultimate rulers of the world, nor does he confirm that their rule will be infinite.“ Tac. hist. 1,3; Kap. 8.3.
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handelten. Besonders Venus’ Rolle beim Männermord von Lemnos werfe ein fragwürdiges Licht auf die Göttin, die in der julisch-claudischen Propaganda als Venus Genetrix verehrt wurde.51 Vor diesem Hintergrund erscheinen Jasons religio und seine pietas gegenüber den Göttern – womöglich eine punktuelle Referenz auf Vespasians Bemühungen um ein gutes Verhältnis zu den Göttern – als vergebliche Mühen:52 Though the Argonauts cannot perceive it, their adventures give rise to consequences that impinge upon the futures of several groups of innocent people. The pessimistic narrative accordingly implies that any claim that contemporary Roman leaders have restored the world to a beneficent relationship with the gods must be understood in an equally provisional sense.53 Eine andere Auffassung von der Rolle der Götter vertritt Tim Stover in der Monographie Epic and Empire.54 Der Weltenplan erlaube nach der Überwindung der Trägheit des saturnischen Zeitalters erstmals epische Heldentaten. Jupiter gebe den Menschen durch die Öffnung der Meere die Gelegenheit, virtus unter Beweis zu stellen und gloria zu erlangen.55 (c) Bürgerkrieg: Mehrere Interpreten betrachten die Bürgerkriegs-Episoden in den Argonautica als zeithistorisch relevante Passagen.56 Der Rezipient werde permanent aufgefordert, Mythologisches als Vergleichsmodell für Historisches zu betrachten – im Ariasmenus-Gleichnis (6,402–409) wird diese Verbindung explizit gemacht.57 Die auffälligste Innovation auf Ebene der Fabel58 ist die Einfügung des kolchischen Bürgerkriegs zwischen den Brüdern Aeetes und Perses. Doch diese Episode ist bei weitem nicht die einzige, in der die Themen Bürgerkrieg und
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Vgl. Bernstein 2014, 161. Vgl. Bernstein 2014, 157–161; Bernstein 2016, 400–403. Bernstein 2014, 162. Siehe Stover 2012. Vgl. Stover 2012, 27–30. Siehe Buckley 2010; Bernstein 2014, 164–166; Davis 2015, 163–167; Bernstein 2016, 396–398. In diesem Gleichnis werden die Skythen unter Führung des Ariasmenus, die sich nach einer Intervention der Pallas gegenseitig zerfleischen, mit römischen Legionen verglichen, die im Bürgerkrieg gegeneinander ins Feld ziehen. Zu diesem Gleichnis und seinen Verbindungen zu römischen bella civilia siehe Buckley 2010, 440–443; Bernstein 2014, 164f.; Davis 2015, 163 f. Siehe Kap. 4.5. Zur narratologischen Verwendung der Begriffe Fabel und Plot siehe Fludernik 42013, 9–16; de Jong 2014, 38.
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innerfamiliäre Gewalt verhandelt werden. Beide Motive sind in einem Argonauten-Epos überraschend, denn der gewählte Stoff legt grundsätzlich eine andere thematische Schwerpunktsetzung nahe.59 Wie die Arbeiten von Peter J. Davis, Darcy Krasne und John Penwill zeigen, lässt sich in den Argonautica jedoch eine intensive Auseinandersetzung mit einer Tradition feststellen, welche von der zyklischen Wiederkehr römischer Bürgerkriege ausgeht.60 Während die meisten der genannten Interpreten die Bürgerkriegsnarrative der Argonautica als Ausdruck eines pessimistischen Weltbildes auffassen, kommt Emma Buckley zum Schluss, dass der Dichter in Auseinandersetzung mit Homer, Vergil und Lucan zu einer neuen Poetik epischer (Bürger-)Kriegsnarrative finde, die den zeitgeschichtlichen Umständen entspreche und mit pauschalisierenden Begriffen wie ‚optimistisch‘ oder ‚pessimistisch‘ nicht adäquat beschrieben werden könne.61 Besonders in der Erzählung des Bürgerkriegs von Kolchis würden Bezüge zu Vergils Krieg in Latium mit solchen zu Lucans Bellum civile kontaminiert, sodass ein Narrativ entstehe, das die Grenzen zwischen bellum civile und bellum externum auflöse.62 Der Dichter konstruiere in Buckleys Deutung einen flavischen Gründungsmythos, der sowohl als positiver Anfang als auch als weiterer Abschnitt im ständigen Zyklus römischer Bürgerkriege gelesen werden könne:
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Vgl. Cowan 2014, 244: „Civil war and its domestic analogue, kin-killing, pervade the Argonautica. As with the poem’s ubiquitous tyrants, this theme, so suited to a Bellum civile or Thebaid, is marked and unexpected in a quest epic whose very nature should tend to pit its pioneering heroes against foreign antagonists.“ Davis 2015, 163–167 verweist auf Prätexte bei Horaz und Lucan zum Brudermord bei der Stadtgründung als Urgrund für weitere römische Bürgerkriege. Penwill 2018 argumentiert mit Verweis auf das Bellum civile (bes. Lucan. 6,400–403, wo die Argo in Zusammenhang mit sonstigen thessalischen semina Martis genannt wird), dass die Argofahrt katastrophale Folgen für die nachfolgenden Generationen habe. Auch die vom flavischen Regime nach 69 n. Chr. wiederhergestellte Stabilität sei nur eine kurze Unterbrechung im ständigen Kreislauf römischer Bürgerkriege, der aufgrund des angeborenen menschlichen Strebens nach Macht immer weitergehe. Eine andere Perspektive findet sich bei Krasne 2018, die eine stoische Interpretation der Kosmos-Darstellung in den Argonautica bietet und die zyklisch wiederkehrenden römischen Bürgerkriege als Folge kosmischer Instabilität interpretiert: „Dissolution is inherent in the structure of the cosmos and plans of the gods, and civil wars are inherent in humankind“ (Krasne 2018, 385). Passenderweise trägt ihre Studie (Buckley 2010) den Titel „War-epic for a new era“. Einen vergleichbaren Zugang bietet Cowan 2014, 246: „Valerius does not dissolve distinctions as comprehensively as Lucan or Statius, but maintains in excruciating tension the competing models of justified conquest and compromised civil war. Such a tension is difficult to sustain, and it has inevitably led critics to privilege one model over the other.“ Vgl. Kap. 2.4; Kap. 3.2.
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Valerius Flaccus combines the appeal to a ‘traditional’ Homeric-Virgilian epic narrative technique with Lucan’s Bellum Civile to forge an innovatory approach to epic for a new ruling dynasty: an approach that both encodes a positive ‘new beginning’ and signals its awareness that this is just another story in the cycle of Roman power – power gained via civil war.63 Mit dieser abwägenden Interpretation versucht Buckley einen Brückenschlag zwischen unvereinbar scheinenden Positionen der Forschung, die sowohl den ideologischen Gehalt (Sind die Argonautica ein optimistischer oder pessimistischer Reflex auf den Aufstieg der Flavier?) als auch die Datierung der Argonautica (Wurde der Text unter Vespasian oder Domitian verfasst?) stark unterschiedlich einschätzen.64 (d) Familienkonflikte (besonders in der Herrscherfamilie): Das große Interesse, das Valerius der Darstellung von Vater-Sohn-Beziehungen widmet (Jupiter-Hercules, Castor, Pollux; Sol-Aeetes; Iapetos-Prometheus; Neptun-Amycus) interpretiert Tim Stover als Auseinandersetzung des Dichters mit Vespasians Auftreten als Begründer einer Familiendynastie.65 Penwill und Davis betonen, 63 64
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Buckley 2010, 434 (Hervorhebungen im Original). Vgl. Buckley 2018b, 90: „The problem […] is that we have two seemingly incompatible Argonauticas. The optimistic, forward-looking epic of the 70s, written through close contact with Virgil, celebrates the new regime in uncomplicated, confident voice: but this voice is in hostile competition with the brooding, ‘oppositional’ and more nebulously Tacitean study of the 80s and early 90s. Such readings have resulted in critical impasse.“ Während eine Datierung auf die Regierungszeit Vespasians also häufig mit einer ‚optimistischen‘ Interpretation einhergeht (siehe Taylor 1994; Stover 2012; Mitousi 2014; Stover 2014), betonen jene Forscher, die den Text auf den Principat Domitians datieren, eher die ‚pessimistischen‘ Aspekte in Valerius’ Gedicht (siehe Malamud/McGuire 1993; Toohey 1993; McGuire 1997; Bernstein 2016; Heerink 2016; Penwill 2018). Ein von der Datierungsfrage weitgehend unabhängiger Zugang besteht darin, eine thematische und ideologische Zweiteilung des Textes in eine optimistische Fortschritts- und eine pessimistische nefas-Hälfte anzunehmen, die dem Leser zwei verschiedene, sich einander gegenseitig ausschließende Interpretationsmodelle an die Hand gibt. Vgl. Hardie 1993, 86: „If we read the first half of the Argonautica as a positive account of man’s enforcement of a sunny, Jovian order at the expense of forces of the lower world, it is difficult to know what to make of the second half, which tells of more tyrants, bloody wars, deception and family murder.“ Ähnlich Zissos 1997; Krasne 2011, 153: „We have already seen that the epic is dichotomous in structure, offering the reader two models of interpretation, optimistic and pessimistic. […] Half of the poem conforms to the optimistic view, the other half to the pessimistic view.“ Siehe Stover 2016. Zur Errichtung der flavischen Familiendynastie durch Vespasian siehe Seelentag 2010; Levick 22017, 201–212; Kap. 7.1. Zur Auffassung, die Vater-Tochter-Beziehung von Aeetes und Medea reflektiere römische Rollenvorstellungen, siehe Stocks 2016: „The stress upon Medea’s ‘impiety’ serves as a reminder that however much Aeetes’ actions
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dass im Proömium die einträchtige Harmonie innerhalb der neuen Kaiserfamilie herausgestellt werde, während sich die epische Handlung als Serie von innerfamiliären Konflikten (Ino-Athamas-Nephele, Jupiter-Saturn, JupiterNeptun, Pelias-Aeson, Lemnierinnen, Aeetes-Perses) entfalte, womit ein häufiger Topos des römischen Bürgerkriegsdiskurses aufgegriffen werde.66 Das im Proömium suggerierte harmonische Nebeneinander des ‚Eroberers‘ Titus und des ‚Dichters‘ Domitian steht auch in einem Spannungsverhältnis zur Darstellung der Vespasian-Söhne in den historiographischen Quellen, die nicht von brüderlicher Harmonie, sondern von Rivalität und Eifersucht berichten67 – eine Familienkonstellation, die in den Argonautica regelmäßig zu innerfamiliärer Gewalt oder gar zum Bürgerkrieg führt.68 Neil Bernstein versteht den thematischen Kontrast zwischen Proömium und Haupthandlung als allgemeinere Kritik am Principat, da nahegelegt werde, dass monarchische Systeme keine langfristige politische Stabilität gewährleisten könnten: „Social stability is always at the mercy of ambitious claimants to power and the capricious divinities who back them.“69 Ein rezenter Versuch einer Gesamtinterpretation der politischen Dimension der Argonautica, der einige der oben angeführten Interpretationszugänge bündelt, ist Tim Stovers Monographie Epic and Empire in Vespasianic Rome. A New Reading of Valerius Flaccus’ Argonautica (2012). Stover liest den Text als optimistischen Reflex auf einen von Aufbruchstimmung, Erneuerung und Wiederaufbau geprägten flavischen ‚Zeitgeist‘.70 Nachdem Lucan im Bellum civile eine Welt entworfen habe, die an ihr Ende gekommen sei, zelebriere
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might merit betrayal, Medea’s act in doing so runs counter to the ideal of pietas and to the appropriate mode of behaviour for the Roman filia“ (Zitat von Seite 53). Zu Valerius’ grundsätzlicher Tendenz, römische Wertvorstellungen auf die aus dem griechischen Mythos bekannten Familien zu projizieren, siehe Bernstein 2008, 26. Vgl. Penwill 2013, 31; Davis 2015, 163: „That rivalry between brothers is both a cause and an emblem of civil war is a recurring trope in Roman literature.“ Siehe Tac. hist. 4,51 f.; Suet. Tit. 9,3; Dom. 2,3; Kap. 7.2. Zu Domitians schriftstellerischen Aktivitäten vgl. Quint. inst. 10,1,91 f.; Sil. 3,618–621; Stat. Ach. 1,14–16. Martial erwähnt ein Gedicht Domitians, das wohl den Sieg der Flavier über Vitellius behandelt (Capitolini caelestia carmina belli: 5,5,7). Nach der Thronbesteigung im Jahr 81 n. Chr. habe Domitian die Schriftstellerei aufgegeben (Tac. hist. 4,86,2; Suet. Dom. 2), siehe hierzu aber MacRae 2021. Vgl. Davis 2015, 161–163. Bernstein 2014, 165. Zu Valerius’ Darstellung von Harmonie und Konflikt innerhalb der Familie siehe die allgemeinen Hinweise bei Bernstein 2014, 162–164; Stocks 2016, 49. Zum Themenkomplex der Familie in den Argonautica generell siehe Bernstein 2008, 30–63. Stover stellt sich damit gegen den generellen Trend der Forschung, der die Argonautica als grundsätzlich pessimistischen Reflex auf Zeitgeschichtliches versteht (etwa Bernstein 2016; Heerink 2016; Penwill 2018).
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Valerius in bewusster Abkehr von dem neronischen Epiker den historischen Neuanfang und die Wiedergeburt des epischen Genres.71 Auch die komplexen Bürgerkriegsnarrative der Argonautica würden – trotz manch düsterer Zwischentöne – die Deutung zulassen, dass auch Bürgerkriege Anlass zu positivem historischen Wandel geben können.72 Neben dem Problem, dass Stover seine weitreichenden Schlussfolgerungen auf Basis weniger Detailanalysen trifft, sodass kein adäquater Eindruck vom Werkganzen vermittelt wird, drängt sich dem kritischen Leser auch der Eindruck auf, dass Stover die komplexen Figuren und Narrative der Argonautica häufig allzu grob vereinfachen muss, um sie mit seiner Deutung harmonisieren zu können. Davon ist besonders die komplexe Cyzicus-Episode betroffen, die Stover als irdische Neuauflage der Gigantomachie und somit als moralisch unzweideutigen Sieg der Argonauten liest, die in Jupiters Mission dessen Weltenplan erfüllten. Aber auch wenn ich Stovers größeren Schlussfolgerungen nicht zustimme, hat seine Monographie doch das Verdienst, die Bedeutung der Lucan-Rezeption für die Argonautica stärker ins Bewusstsein der Forschung gerückt zu haben. Darüber hinaus bereitet Stovers Zugang, bei der Interpretation der Argonautica den historischen Kontext systematisch einzubeziehen, den Boden für Arbeiten mit vergleichbarer Methodik. Neben optimistischen oder pessimistischen Gesamtdeutungen, die leicht mit dem Vorwurf der unzulässigen Verkürzung belegt werden können, und der wenig befriedigenden, stark schematischen Vorstellung einer ideologischen 71
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Diese Argumentationslinie wird in Stover 2014 weiterverfolgt. An Stovers Zugang wird häufig kritisiert, dass er das subversive und destabilisierende Potenzial der Lucan-Bezüge in den Argonautica unterschätze. Heerink 2016 unterzieht Stovers Thesen einer ausführlichen Kritik. Er argumentiert, dass Valerius Lucan keineswegs heranziehe, um die Poetik des Bellum civile abzulehnen, sondern um der optimistischen Rom-Teleologie der Aeneis eine deutlich pessimistischere Perspektive entgegenzustellen: „By the time Valerius wrote his Argonautica, Virgil’s perfect, Augustan picture of a future Rome, emblematically envisaged on the Shield of Aeneas, had been shattered by Nero and the ensuing civil war. Behind Valerius’ Cyzicus episode lies a pessimistic and disappointed world view; Valerius does not believe in an imperium sine fine as famously prophesied by Jupiter in the Aeneid (1.254– 296) any more“ (522). Siehe auch Cowan 2014, 246; Heerink 2014, 94f.; Penwill 2018, 75 Anm. 14: „The main difficulty I have with Stover’s position is the function of Valerius’s allusions to Lucan, which, as will be apparent, I regard not as ‘rehabilitation of the epic genre’ but as an imposition of the Lucanic world-view onto the supposedly positive legend of the quest for the Golden Fleece.“ Ähnlich Heerink 2016, 513. Penwill 2013, 29–37 versucht nachzuweisen, dass sich bereits im Proömium Bezüge zum Bellum civile fänden, welche die oberflächlich panegyrische Stimmung durch subversive Zwischentöne konterkarieren würden (vgl. Kap. 2.2). Vgl. Stovers Interpretation der Cyzicus-Episode (Stover 2012, 113–150) mit den in der vorigen Anmerkung genannten Gegenstimmen.
18
kapitel 1
Zweiteilung der Argonautica (auf eine ‚optimistische‘ folge eine ‚pessimistische‘ Werkhälfte)73 findet sich in der jüngeren Forschungsliteratur vereinzelt der Ansatz, dass sich in Valerius’ Epos eine ‚Poetik der Ambivalenz‘ als zentrale konstituierende Instanz erkennen lasse.74 Dieser Ansatz geht von einer Schlüsselstelle im ersten Buch aus, nämlich der Doppelprophezeiung der Seher Mopsus und Idmon (1,205–239),75 die dem Leser in programmatischer Weise die verschiedenen Interpretationsmöglichkeiten der Argonautensage vor Augen führt. Während Mopsus die tragischen Aspekte des Stoffes betont, hebt Idmon den epischen labores-Charakter der Fahrt hervor, der in der Sentenz ratis omnia vincet (1,236) zusammengefasst wird.76 Das Spannungsverhältnis zwischen den beiden Prophezeiungen, das Andrew Zissos als vatic dissonance bezeichnet,77 weist auf das vielschichtige generische Potenzial des Argonautenstoffes voraus und signalisiert, dass dieses Argonautenepos der rigiden antiken Gattungsdefinition eines reges et proelia-Gedichts (Verg. ecl. 6,3) nicht entsprechen kann. Wie die Prophezeiungen von Idmon und Mopsus sind auch die narratoriale propositio (1,1–4) und die Weltenplan-Rede, welche die weltgeschichtliche Bedeutung der Mission verdeutlicht, für sich genommen lückenhaft und einseitig. Um einen Terminus von Irene de Jong aufzugreifen, finden sich im ersten Buch also eine ganze Reihe konkurrierender ‚table of contentsspeeches‘ mit stark unterschiedlicher Ausrichtung. In meiner eigenen Deutung gehe ich davon aus, dass die Zusammenschau der genannten Stellen den Blick des Rezipienten für die generische, thematische und ideologische Multiperspektivität schärfen kann, die für die Argonautica kennzeichnend ist. Die Einsicht, dass in Valerius’ Epos eine Poetik der Ambivalenz als fundamentales konstituierendes Prinzip wirkt, wurde bisher
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Siehe oben Anm. 64. Vgl. etwa Buckley 2010, 434. Andrew Zissos’ Interpretation der Seesturm-Szene in Arg. 1 (Zissos 2006) ist ein gutes Beispiel für diesen Zugang. Zissos argumentiert in der genannten Studie, dass Valerius die beiden Hauptpole der antiken Beurteilung der Argo – Progressivismus und Primitivismus – in unaufgelöster Spannung nebeneinander stehenlasse. Zur ambivalenten Grundausrichtung der Argonautica siehe auch Cowan 2014, 245: „Valerius presents two stark, mutually exclusive interpretations, ignoring the grey area in between. The Argonautic expedition against Colchis is not a subtle moral conundrum balancing complex rights and wrongs, but rather a totally justified reclamation of Thessalian property by the imposition of civilised, Greek, Jovian order upon savage, barbarian, Titanic chaos and at precisely the same time a totally impious transgression of cosmic boundaries and the bonds of kinship.“; Buckley 2018b, 86–88. Zu dieser Stelle siehe Kap. 8.2. Zur programmatischen Bedeutung der beiden Prophezeiungen siehe Zissos 2004a; Stover 2009, 449 f.; Davis 2010, 1; Stover 2012, 42–46; Buckley 2014, 312f.; und Ganiban 2014, 247f. Zissos 2004a, 25–35 (Zitat von Seite 25).
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nicht für eine systematische Interpretation der politischen Dimension des Textes fruchtbar gemacht. Meine Studie setzt sich daher zum Ziel, diesbezügliche Ansätze fortzusetzen und unter dieser Voraussetzung ein besseres Verständnis des Textes vor dem Hintergrund seines zeitgeschichtlichen Kontextes zu erzielen.
1.2
Methode
Intertextualität.78 Die politische Dimension der Argonautica lässt sich nicht ergründen, ohne zu fragen, welche Position der Text gegenüber Vergils Aeneis einnimmt. Das anschauliche Bild, Valerius blicke durch die Linse Vergils auf Apollonios,79 ist jedoch nur eine grobe Orientierungshilfe.80 Denn Valerius Flaccus ist ein höchst anspielungsfreudiger Autor, der sein Gedicht permanent mit einer Vielzahl literarischer Prätexte kommunizieren lässt und durch Zitate, Querverweise und Anspielungen häufig multiple Bedeutungsebenen übereinanderschichtet. Für unsere Zwecke ist die Rezeption von Texten wie Vergils Aeneis, Lucans Bellum civile und Senecas Tragödien, die ihrerseits mit zeithistorisch-politischer Bedeutung befrachtet sind, von besonderem Interesse. Zu fragen ist, wie Valerius sein Epos innerhalb dieser Tradition positioniert, welche subversiven intertextuellen Signale er setzt, um Spannungsverhältnisse zwischen Textoberfläche und Zitatkontext zu konstruieren, und – nicht zuletzt – wie sich durch die Überblendung mehrerer Intertexte ambivalente und mitunter auch widersprüchliche Deutungsmöglichkeiten ergeben.81 78
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Eine theoretische Grundlegung und Reflexionen zum Potenzial intertextueller Verfahren im Bereich der flavischen Epik bieten Coffee et al. 2020, 1–3.14–18 (mit weiterer Literatur). Zum intertextuellen Referenzsystem und den allusiven Strategien des Valerius siehe Zissos 2008, xxxiv–xxxix.xl–xlii. Die klassische Formulierung dieser Position ist Barich 1982, 141–154 (hier 141): „Underlying the entire Argonautica and essential to its originality is a single fundamental contamination: a fusion of the Aeneid and the epic of Apollonius Rhodius. Valerius has, in effect, ‘Vergilianized’ the Greek Argonautica through his extensive formal parallelism with the Aeneid and by further adaptations of Vergilian themes, language and emotional tone.“ Vgl. Dräger 2003, 571–577; von Albrecht 22007, 190; Manuwald 2014, 85: „[H]is epic is inevitably read against the thematic model AR and the stylistic model Virgil.“ Vgl. Zissos 2008, xxxvii: „As pervasive and profound as VF’s debts to AR and Virgil are, they have sometimes been overemphasized in modern criticism, generally at the expense of other aspects of VF’s intertextual programme. Additional influences – especially Homeric, but also of poets such as Catullus, Ovid, Seneca tragicus and Lucan – are strongly felt. The importance of prose writers such as Herodotus, Diodorus Siculus and even Pliny is likewise generally underestimated.“ Zur subversiven, destabilisierenden Natur der Verweise auf das Bellum civile siehe Zissos
20
kapitel 1
Zeithistorische Perspektivierung. Um Untersuchungen zur zeithistorischen Dimension literarischer Texte auf ein solides methodisches Fundament zu stellen, ist es notwendig, die zentralen Begriffe und Kategorien der Interpretation präzise zu definieren und systematische Unterscheidungen zu treffen: Erzählungen sind zeithistorisch perspektiviert, wenn die erzählte Welt konkret-punktuelle bzw. offen-paradigmatische Bezüge zur historischen Welt aufweist.82 Solche Bezüge können auktorial intendiert (zeithistorische Perspektivierung durch den Autor) oder vom Rezipienten hergestellt werden, der entweder auktorial intendierte Referenzen erkennt oder selbstständig weitere, vom Autor nicht beabsichtigte Bezüge herstellt (zeithistorische Perspektivierung durch den Rezipienten). Es lassen sich keine objektivierbaren Kriterien definieren, um zu ermitteln, welche zeithistorischen Bezüge vom Autor intendiert sind und welche Bedeutung er diesen wohl zuschreiben möge. Für die Untersuchung der zeithistorischen Dimension literarischer Texte ist deshalb ein Interpretationsverfahren zu bevorzugen, das nicht von der Autorenintention, sondern vom Rezeptionsvorgang ausgeht und danach fragt, welche Bedeutungshorizonte ein Text in seinem – möglichst exakt zu rekonstruierenden – unmittelbaren Rezeptionskontext zu entfalten vermag. Dieser Zugang bietet den Vorteil, dass nicht nur Bezugnahmen, die bewusst in den Text eingeschrieben sind, als zeithistorisch bedeutsam interpretiert werden können, sondern auch weitere und darüber hinausgehende Assoziationen, die sich womöglich beim Rezeptionsvorgang ergeben.83 In anderen Worten: Es lässt sich nicht beweisen, dass der historische Autor Valerius Flaccus die Pelias-Figur bewusst an eine konkrete historische Person (etwa Kaiser Nero) angelehnt und punktuell mit entsprechenden Zügen ausgestattet hat. Es lassen sich aber sehr wohl intra- und extratextuelle Indizien
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2004a. Eine aufschlussreiche Einschätzung der intertextuellen Technik des Valerius bietet van der Schuur 2014, 96–99: „On the one hand, Valerius has been viewed as an author confidently restructuring the tradition that he has inherited to suit his poetic needs. On the other hand, scholars have argued that the defining characteristic of Valerius’ intertextual technique is the constant undermining of a reader’s attempts to make final sense of the poet’s allusions to poetic predecessors, thereby emphasizing the infinite complexity of the epic tradition“ (Zitat von Seite 96). Einen ähnlichen Zugang skizziert Bernstein 2014, 154–156 (vgl. Bernstein 2016, 395f.). Hinweise zu den methodischen Schwierigkeiten, die sich bei der Verwendung von Zeitgeschichte als ‚Intertext‘ ergeben, finden sich bei Stover 2020, 55–60. Siehe auch Kap. 5.3. Von dieser Prämisse gehen mutatis mutandis auch intertextuelle Verfahren aus – siehe Bendlin in DNP s.v. Intertextualität: „Nicht alle vom Autor intendierten intertextuellen Bezüge müssen zum unmittelbaren Verständnis des Textes vom Rezipienten erfaßt werden, ebenso wie der Rezipient aufgrund vorheriger Texterfahrungen intertextuelle Bezüge herstellt, die von der Produktionsseite nicht vorgegeben oder intendiert sind.“
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sammeln, die plausibilisieren, dass ein zeitgenössischer Rezipient diese Figur so gelesen haben könnte. Gestützt auf eine entsprechende Indiziensammlung lassen sich – unabhängig von der nicht rekonstruierbaren Autorenintention – am Textbefund überprüfbare Aussagen über das Bedeutungspotenzial treffen, das ein Text im ursprünglichen Rezeptionskontext in Hinblick auf Zeithistorisches entfalten konnte. Ausgehend von der oben getroffenen Unterscheidung zwischen punktuellen und paradigmatischen Bezügen lassen sich zur Ermittlung des zeithistorischen Perspektivierungsgrades eines Textes grundsätzlich zwei Zugriffe definieren: Punktuelle Zugänge zielen darauf ab, bestimmte historische Persönlichkeiten oder historische Ereignisse als Vorbilder für Figuren oder Szenen eines literarischen Textes auszumachen. Es handelt sich hierbei um eine Spielart der historischen Allegorese, die nach einzelnen Berührungspunkten zwischen Literatur und Zeitgeschichte fragt, aber nicht eine (für das Textganze gültige) Deckungsgleichheit nachzuweisen versucht.84 Paradigmatische Zugänge hingegen erschöpfen sich nicht im Herausarbeiten konkreter Bezüge, sondern streben danach, thematische bzw. motivische Analogien zwischen erzählter und historischer Welt zu finden und zu bewerten.85 Ein punktueller Zugriff könnte das Ziel verfolgen, ein konkretes historisches Vorbild für die Figur des Pelias zu postulieren und möglichst viele Indizien zu sammeln, welche die angesetzte punktuelle Referenz stützen. Bei einem paradigmatischen Zugriff wäre hingegen von Belang, welche zeithistorisch relevanten Kontexte anhand der Figur des Pelias aufgerufen werden und welche Wirk- und Funktionsmechanismen der historischen Welt auf diese Weise in der erzählten Welt offengelegt werden. Häufig lassen sich paradigmatische Deutungen durch den Nachweis konkreter, punktueller Bezugnahmen auf die historische Welt zusätzlich stützen. Punktuelle und paradigmatische Interpretationszugriffe schließen einander also nicht aus und können in den meisten Fällen auch nicht scharf voneinander abgegrenzt werden.86 Die Untersuchung von Interferenzen zwischen der erzählten und der (anhand literarischer und nicht-literarischer Quellen rekonstruierbaren) historischen Welt lässt sich mit den Methoden der Intertextualitäts-Forschung ver84
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„Restlose Durchrechenbarkeit“ (Kreuz) muss freilich auch bei streng allegorischen Texten bzw. streng allegorisch aufgefassten Texten nicht zwangsläufig gegeben sein: vgl. Kreuz 2016, 158 f. mit Anm. 417. Zum Einsatz historisch-mythologischer Analogien in Tacitus’ Annales bietet Lindl 2020, 332–334 erhellende Ausführungen. Stefano Rebeggiani wendet in The Fragility of Power. Statius, Domitian, and the Politics of the Thebaid (2018) mit Gewinn einen vergleichbaren methodischen Zugang zur Interpretation der Thebais an.
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kapitel 1
gleichen, welche den Einfluss früherer Texte auf spätere untersucht.87 Unabhängig davon, ob es sich bei dem angesetzten ‚Intertext‘ um ein Phänomen der historischen Welt oder einen literarischen Prätext handelt, können Bezüge hergestellt und für die Interpretation fruchtbar gemacht werden. Wie bei intertextuellen Interpretationsverfahren lassen sich auch im Bereich der zeithistorischen Perspektivierung keine ‚Beweise‘ im naturwissenschaftlichen Sinn erbringen, sondern lediglich Wahrscheinlichkeitsargumente sammeln. Wie in der Intertextualitätsforschung fällt die Entscheidung darüber, welche Verbindungen zwischen ‚Text‘ und (historischem) ‚Intertext‘ als gültig und bedeutsam anerkannt werden, letzten Endes in der Interpretation. Postulierte Referenzen werden jedoch am ehesten überzeugen können, wenn sie (a) am Textbefund festgemacht werden können, (b) hinsichtlich der literarischen Konventionen sowie der Produktions- und Rezeptionsumstände plausibel sind und (c) Phänomene der historischen Welt betreffen, die für einen Autor und den Rezipienten mit ausreichender Sicherheit als bekannt vorausgesetzt werden können. Daraus ergeben sich folgende Fragestellungen zur Analyse zeithistorisch perspektivierter Erzählungen: (a) Welche Indizien im Textbefund deuten auf eine zeithistorische Perspektivierung hin? (b) Welche Konventionen und Merkmale des Produktions- und Rezeptionskontextes sprechen für die zeithistorische Perspektivierung eines Textes / eines Textabschnitts? (c) Welcher Grad an Bekanntheit (beim Autor, beim zeitgenössischen Publikum) kann für einen postulierten zeithistorischen Referenzpunkt angesetzt werden?
1.3
Quellenlage
Zur Rekonstruktion der Geschichte des flavischen Herrscherhauses stehen ergiebige literarische und nicht-literarische Quellen zur Verfügung.88 Die überlieferten Teile der Historien des Tacitus – er war Senator unter Vespasian und bekleidete unter Domitian die Prätur – reichen vom Tod Neros bis ins Jahr 70 n. Chr.89 Vollständig erhalten sind Suetons Biographien der drei flavischen Kai-
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Vgl. Bernstein 2014, 155. Eine Übersicht über die Quellen zur Flavierzeit geben Pfeiffer 2009, 1f.; Leithoff 2014, 14f.; Hurlet 2016. Neben den Historien ist auch der Agricola eine wichtige Quelle zur flavischen Zeit (siehe Evans 2003; Buckley 2018b), da Tacitus in diesem Werk die Eroberung Britanniens durch
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ser. Obwohl Tacitus und Sueton unterschiedliche Blickwinkel einnehmen,90 ähnelt sich ihre Beurteilung der jeweiligen Kaiser: Während Vespasian und Titus gelobt werden,91 wird Domitian als grausamer Tyrann gezeichnet.92 Ein wichtiges zeitgenössisches Dokument zum Jüdischen Krieg, an dem Vespasian und Titus maßgeblich beteiligt waren, ist das Bellum Iudaicum des Juden Flavius Josephus, der nach dem vergeblichen Widerstand gegen die römischen Eroberer zum Feind übergelaufen war und zu allen drei flavischen Kaisern gute Beziehungen unterhalten hat. Material zur Geschichte der flavischen Dynastie findet sich auch in der Naturalis historia des älteren Plinius und im Briefcorpus des jüngeren Plinius. Manch wertvolle Ergänzung zu Tacitus und Sueton findet sich in der Römischen Geschichte des Cassius Dio (um 300 n. Chr.), der die flavische Dynastie in den Büchern 67 und 68 behandelt, die nur in exzerpierter Form überliefert sind. Die Werke des Eutrop und des Aurelius Victor (beide 4. Jhdt. n. Chr.) sind zur Rekonstruktion der Geschichte des Flavierhauses nur von sekundärem Interesse.93 Überreste des flavischen Bauprogramms, Inschriften und Münzen lassen Rückschlüsse auf die öffentliche Herrschaftsinszenierung der gens Flavia zu.94 Es lassen sich vier hauptsächliche Stoßrichtungen unterscheiden: (1) Sieg und
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seinen Schwiegervater Agricola in den Jahren 77–84 n. Chr. beschreibt und seine Perspektive von seiner eigenen politischen Tätigkeit während der Flavierzeit geprägt ist. Rhiannon Evans bezeichnet den Agricola als „the text on Flavian imperialism par excellence“ (Evans 2003, 259 [Hervorhebung im Original]). Vgl. Pfeiffer 2009, 2: „Der Blickwinkel Suetons ist im Vergleich zu dem des Tacitus dahingehend verschoben, dass Ersterer die Perspektive des kaiserlichen Hauses, Letzterer die der Senatoren einnahm.“ Exemplarisch für Vespasians Wertschätzung in der römischen Historiographie sei Tacitus’ Urteil genannt, wonach Vespasian der einzige römische Kaiser sei, der sich im Laufe seiner Herrschaft „verbessert“ habe (in melius mutatus est: hist. 3,50). Vgl. zu dieser Einschätzung Nicols 2016, 60–63. Dieses Bild bestätigt sich in den bissigen Satiren Juvenals. Die zeitgenössischen Dichter Statius und Martial bestätigen hingegen die kaiserliche Selbstdarstellung und greifen nicht selten Inhalte der offiziellen Propaganda auf (vgl. Hurlet 2016, 19f.). Das negative Domitianbild der historiographischen Quellen dürfte zu einem nicht geringen Teil das Produkt posthumer Verzerrung sein (vgl. Kap. 6.1). Die jüngere Forschung bemüht sich um eine ausgewogene, korrigierende Darstellung (vgl. Leithoff 2014, 145 [mit weiterer Literatur]; Schulz 2019). Zu Cassius Dio, Eutrop und Aurelius Victor sowie ihrem Quellenwert für die Rekonstruktion der Geschichte der flavischen Dynastie siehe Hurlet 2016, 24. Eine praktische, gut lesbare Einführung in die nicht-literarischen Quellen zur Flavierzeit bietet Hurlet 2016, 24–33. Zum flavischen Münzprogramm siehe auch Nicols 2016, 68f.; Levick 22017, 75 f.
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kapitel 1
Triumph, (2) Friede, Wiederaufbau und Erneuerung, (3) Dynastie und Kaiserkult, (4) Projekte zum Wohl der römischen Bevölkerung.95 Die Machtverhältnisse in Rom nach Vespasians Aufstieg können anhand der glücklicherweise auf einer Bronzetafel teilweise erhaltenen lex de imperio Vespasiani studiert werden.96 Das in dieser Form einzigartige Dokument überliefert die faktischen Machtbefugnisse Vespasians und definiert die staatsrechtliche Stellung des Kaisers. Die genannten literarischen und nicht-literarischen Zeugnisse erlauben die detaillierte Rekonstruktion bestimmter Aspekte des historischen Kontextes, der als Entstehungszeitraum der Argonautica anzusetzen ist. Die in diesem Buch vorgebrachten Interpretationen zur zeithistorischen Perspektivierung des Mythos im Epos des Valerius Flaccus nehmen ihren Ausgangspunkt stets in den Kontexten, die sich aus den angeführten Quellen erschließen lassen.
1.4
Aufbau und Ausblick
Das Argonautenepos des Valerius Flaccus ist in viel größerem Ausmaß von Krieg und Bürgerkrieg, tyrannischem Machtmissbrauch und problematischen göttlich-menschlichen Beziehungen geprägt, als es die Wahl des Stoffes erwarten ließe. Ich gehe davon aus, dass diese auffällige Themen- und Schwerpunktsetzung eine zeithistorisch perspektivierte Lektüre vieler Teile dieses Epos erlaubt, da sie das Publikum zur Reflexion über den Bürgerkrieg, den Principat, die Götter und die weltgeschichtliche Rolle der Flavier einlädt. Um mithilfe der oben beschriebenen Interpretationstechniken der Intertextualität und der zeithistorischen Perspektivierung Antworten auf die Frage nach der politischen Dimension der Argonautica zu finden, untersuche ich in den drei Hauptteilen der Monographie die Themenkomplexe (1) Krieg und Bürgerkrieg, (2) Politik und Dynastie und (3) Religion. Gewissermaßen werden diese drei Themen schon vom Proömium vorgegeben: Der Dichter preist Vespasians Leistungen bei der Britannienexpedition im Jahr 43 n. Chr. und den Erfolg im Jüdischen Krieg, wodurch die flavische Siegesideologie und das
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Tuck 2016 bietet einen detaillierten Überblick über die genannten Aspekte der flavischen Ideologie. Vgl. McGuire 1997, 160 f.: „The praise passages in all three poems [sc. Argonautica, Thebais und Punica] focus on the public achievements of the Flavian house – the military triumphs, the reconstruction of public temples and institution of Imperial cults.“ CIL vi 930 = MW 1. Zissos 2016, 570–572 bietet den lateinischen Text samt einer kurzen Einleitung und Übersetzung. Für Erläuterungen zu Vespasians ‚Bestallungsgesetz‘ siehe Pfeiffer 2009, 15–18.
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Kriegsthema aufgerufen werden (Teil 1). Die Zeichnung der Herrscherfamilie als harmonische Einheit (Vespasian als Herrscher und Vater, Titus als Eroberer, Domitian als Dichter) spiegelt die dynastischen Bestrebungen der gens Flavia wider; der Ausblick auf die Verstirnung Vespasians impliziert eine positive Beurteilung seiner Herrschaft (Teil 2). Die anschließende Ankündigung, Titus werde einen Kult für den vergöttlichten Vater stiften und zahlreiche Tempel errichten, spannt schließlich den Bogen vom Politischen zu den Göttern und zur Religion (Teil 3). In den einzelnen Kapiteln gehe ich jeweils von einer aus den Quellen zur Flavierzeit gewonnenen Darstellung der relevanten Kontexte aus, auf die im nächsten Schritt passende Argonautica-Stellen bezogen werden, um nach deren zeithistorischer Dimension zu fragen und so Stück für Stück die politische Relevanz von Valerius’ Gedicht zu ergründen. Die in Teil 1 (Kap. 2, Kap. 3 und Kap. 4) vorgeschlagenen Deutungen erweisen die Argonautica als Text, der korrigierend auf die Lückenhaftigkeit der flavischen Aufstiegserzählung hinweist und den für ein zeitgenössisches Publikum beunruhigenden Gedanken aufwirft, dass die Flavier mit dem Sieg über Vitellius die zyklische Wiederkehr römischer Bürgerkriege nicht dauerhaft, sondern nur vorübergehend unterbrochen haben könnten. In Kap. 2 widme ich mich zunächst der Inszenierung der flavischen Sieghaftigkeit, für die der Bericht des Josephus über den Triumph im Juni 71 n. Chr., öffentliche Monumentalbauten (Templum Pacis, Amphitheatrum Flavium) und das flavische Münzprogramm aufschlussreiche Quellen darstellen. Im Proömium scheint sich Valerius ganz dem flavischen Narrativ zu verpflichten, da er die Eroberung Jerusalems durch Titus nennt, aber explizite Hinweise auf den Bürgerkrieg unterlässt. In Kap. 3 (zur Cyzicus-Episode) und Kap. 4 (zum Bruderkrieg in Kolchis) untersuche ich, inwiefern Valerius die im Proömium aufgeworfene Möglichkeit aufrechterhält, die Argofahrt als mythologische Präfiguration flavischer Siege über äußere Feinde zu lesen. Es zeigt sich, dass er die Kämpfe auf Cyzicus und in Kolchis zu komplexen (Bürger-)Kriegsnarrativen ausgestaltet, bei denen die Grenze zwischen bellum externum und bellum civile verschwimmt, was sich als rückwirkende Korrektur des Proömiums lesen lässt und die Annahme, dass bereits in den Eröffnungsversen zwischen den Zeilen subversive Signale auszumachen seien, zu bestätigen scheint. Überdies wecken die in die Kriegserzählungen eingeflochtenen Lucan- und Vergil-Bezüge Zweifel daran, dass mit dem flavischen Sieg über Vitellius eine unbegrenzte Friedenszeit angebrochen sei. Die Stellen, die ich in Teil 2 (Kap. 5, Kap. 6 und Kap. 7) diskutiere, lassen sich auf zentrale Aspekte der Flavierzeit beziehen: die Institutionalisierung des Principats und den damit einhergehenden senatorischen Widerstand, die für
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kapitel 1
das flavische Herrschaftsverständnis zentrale Distanzierung von Nero und die dynastischen Pläne Vespasians. Eine zeithistorisch perspektivierte Lektüre entsprechender Argonautica-Stellen legt nahe, dass der Dichter eine flavierfreundliche Rechtfertigung der im Principat geltenden Machtverhältnisse anstrebt und Zustimmung zum dynastischen Selbstverständnis der gens Flavia signalisiert. In Kap. 5 ziehe ich den ausführlichen Bericht des Tacitus und die lex de imperio Vespasiani heran, um das Verhältnis zwischen Senat und Princeps nach Vespasians Aufstieg zu beleuchten und Merkmale der flavischen Herrschaftsausübung herauszuarbeiten: Der neue Kaiser bemühte sich um einen respektvollen Umgang mit dem Senat, hatte aber kein Interesse daran, den realpolitischen Spielraum dieses altehrwürdigen Gremiums im Sinne republikanischer libertas zu erweitern. Die Position des Helvidius Priscus, der unter Missachtung der geltenden politischen ‚Spielregeln‘ eine Einschränkung der Machtfülle des Princeps anstrebte und immer wieder Gesten der Provokation setzte, scheint im Senat nicht von einer Mehrheit geteilt worden zu sein; Tacitus lässt subtil anklingen, dass dessen Widerstand gegen Vespasian als geltungssüchtiges Ruhmstreben zu beurteilen sei. Die Erschließung dieser Kontexte erlaubt zeithistorisch perspektivierte Interpretationen der Seesturm-Szene und des Selbstmords der Eltern Jasons: Die Einschränkung der libertas der Sturmwinde erscheint als notwendige Voraussetzung für die Stabilität des Kosmos, während das Streben Aesons nach einem ruhmvollen Tod als wertlose Widerstandsgeste gegen den Herrscher aufgefasst werden kann. Beide Darstellungen lassen sich im Sinne der flavischen Machthaber auf zeitgenössische Debatten beziehen. In Kap. 6 widme ich mich einem zentralen Aspekt der flavischen Herrschaftsinszenierung, nämlich der Distanzierung von Kaiser Nero, der nach 69 n. Chr. als entarteter Gewaltherrscher verunglimpft wurde. Die Verurteilung der neronischen Gewaltherrschaft in flavischer Zeit hat zur Rezeption des tragischen und philosophischen Œuvres Senecas als anti-neronische ‚Protestliteratur‘ beigetragen, die flavische Dichter ihrerseits als Modell für politisches Dichten entdecken konnten. Die Vorstellung, Seneca habe seine eindrucksvollen Tyrannenfiguren als abschreckende Spiegelbilder Neros gestaltet, eröffnet im ursprünglichen Rezeptionskontext die Möglichkeit, auch die Tyrannen der Argonautica auf diese Weise zu deuten. So können Figuren wie Pelias oder Aeetes im Sinne der flavischen Herrschaftsinszenierung als warnende Erinnerung an den letzten julisch-claudischen Princeps und dessen exzessive Gewaltherrschaft gelesen werden. Dass Vespasian ernsthaft an einem Neuanfang interessiert war, zeigt sich etwa daran, dass er seine Herrschaft durch möglichst breite Zustimmung bei der Senatsaristokratie absichern wollte und daher auch von großflächigen Strafaktionen gegen frühere Gegner und Kollaborateure des
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Nero-Regimes abgesehen hat. Damit vergleichbar ist der Umgang Jupiters mit ehemaligen Widersachern, der an den Geboten orientiert zu sein scheint, die Seneca in De clementia für den guten Herrscher entwirft: Die Begnadigung des Phineus, die Einbindung des Monsters Typhon in das Regime, aber auch die Verweigerung eines Strafnachlasses für Iapetos können dabei als mythologische Rechtfertigung für Vespasians eigenen (maßvollen) Umgang mit früheren politischen Feinden gelesen werden. In Kap. 7 werte ich historiographische Quellen (Tacitus, Sueton, Cassius Dio) und den numismatischen Befund aus, um Vespasians dynastische Aspirationen und die damit verbundenen senatorischen Befürchtungen (Rivalität zwischen Titus und Domitian, Titus’ charakterliche Eignung) nachzuzeichnen: Ich lese Jupiters Entscheidung, seinen Sohn Colaxes sterben zu lassen, als Versuch, den Bruder Neptun nicht weiter zu vergrämen und somit einen Konflikt in der kosmischen Herrscherfamilie zu vermeiden. In Zusammenhang mit der Nachfolgeproblematik ist auch Valerius’ Behandlung des Phaethon-Mythos auffällig, der als politische Allegorie für eine gescheiterte Machtübergabe gelesen werden konnte und vom Dichter nur äußerst zurückhaltend behandelt wird. In den Szenen, die den Verlust und/oder Ersatz einer Anführer-Figur zum Inhalt haben, betont der Dichter die Bedeutung der Abstammung, des Götterwillens und der Wahl des Vorgängers. Diese Darstellung ist geeignet, als mythologische Affirmation der dynastischen Pläne Vespasians gelesen zu werden. Die in Teil 3 (Kap. 8) vorgeschlagenen Interpretationen betreffen die Legitimation von Vespasians Kaisertum als Willen der Götter und die von den Flaviern betriebene religiöse Restauration nach dem Vierkaiserjahr. In den Argonautica werden das Walten und die Pläne der Götter als für die Menschen unergründlich dargestellt; auch die Religiosität der neuen Machthaber kann nicht garantieren, dass die Einrichtung einer unbegrenzten Friedenszeit gelingen wird – ein Ergebnis, das sich komplementär zu den in Teil 1 gezogenen Schlussfolgerungen verhält und die öffentlich inszenierten Bemühungen der Flavier um harmonische menschlich-göttliche Beziehungen relativiert. In Kap. 8 ziehe ich zeitgenössische Historikerberichte (Josephus, Tacitus, Sueton) heran, um zu rekonstruieren, wie Vespasian und seine Unterstützer vor der Kaiserproklamation die Erzählung verbreiten ließen, der spätere Kaiser sei von höheren Mächten zur Herrschaft ausersehen. Dabei zeigt sich, dass Vespasians Umgang mit den Göttern, Prophezeiungen und Wundern stark auf die Außenwirkung hin berechnet ist und der Beeinflussung der öffentlichen Meinung dient. Vor der Folie von Vespasians Umgang mit religio lässt sich auch Jasons Beziehung zu den Göttern besser nachvollziehen: Er verweist in seinen Reden auf göttlichen Beistand, um die Mannschaft zu Heldentaten anzuspornen, ohne dass dem eine tiefe innere Überzeugung zugrunde liegen würde.
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kapitel 1
Diese kann er auch deshalb nicht erlangen, weil ihm jede Einsichtnahme in die göttlichen Pläne verweigert wird. Da das fatum den Menschen nicht bekannt gemacht wird, scheitern sie daran, ihr Leid und die erlittenen Katastrophen als Teil einer sinnvollen historischen Ordnung zu begreifen. Wie sich die Flavier nach dem nefas des Bürgerkriegs um religiöse Restauration bemühen, streben auch die Argonauten nach dem nefas der Nyktomachie nach Entsühnung: So wird im Mythos und in der Geschichte zumindest ein Neuanfang ermöglicht, der aber nicht das Versprechen einer besseren Zukunft beinhaltet. Meine Interpretationen machen die Wechselwirkungen von politischer Ideologie und literarischer Produktion in der frühen Kaiserzeit besser nachvollziehbar und erlauben ein besseres Verständnis von den Argonautica als Text, der in einem spezifischen politischen und historischen Kontext zu verorten ist. Es zeigt sich, dass Valerius weder Vergils optimistische Rom-Teleologie noch Lucans Schreckensvision von zyklischer römischer Selbstzerstörung als letztem Geschichtsziel zur Gänze übernimmt. Stattdessen bildet sich in den Argonautica eine vielschichtige Geschichtsperspektive ab, die eine Mittelposition zwischen diesen beiden Polen einnimmt und offenlässt, welcher Zukunft das römische Staatsschiff unter den neuen flavischen Steuermännern entgegensegelt. Ich gehe nicht davon aus, dass in den Argonautica direkte Kritik an Kaiser Vespasian oder seiner Familie zu finden ist. Die grundsätzlich positive Bewertung der Herrschaft Vespasians wird aber relativiert, indem sie in einem ambivalenten Geschichtsbild verankert wird, das die desillusionierte Stimmung der römischen Aristokratie nach dem Vierkaiserjahr widerzuspiegeln scheint. Nachdem in den letzten Jahren bereits mehrere Einzelstudien die Argonautica auf ihre politische Dimension hin untersucht haben und dabei unterschiedliche und teils problematische Ergebnisse hervorgebracht haben, führe ich bewährte Ansätze fort und bündle diese in einer Gesamtinterpretation, die dem aktuellen Stand der Forschung Rechnung trägt und neue Erkenntnisse in diesen eingliedert. Das in diesem Buch entwickelte methodische Instrumentarium zur Analyse des Zusammenspiels von Literatur und Politik, Dichtung und Zeitgeschichte, Mythos und Historie kann auch für weitere systematische Arbeiten zur zeithistorischen Perspektivierung literarischer Texte herangezogen werden.
teil 1 Krieg und Bürgerkrieg
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kapitel 2
Auftakt: Das Proömium der Argonautica (Val. Fl. 1,1–21) Im Proömium (1,1–21) setzt Valerius Flaccus die Leistungen der Flavier (Vespasians Beteiligung an der Britannien-Expedition im Jahr 43 n. Chr., die Eroberung Jerusalems durch Titus im Jahr 70 n. Chr.) in erklärungsbedürftiger Weise mit den Taten der Argonauten in Verbindung. Ich werde in diesem Kapitel untersuchen, ob das Proömium zulässt, die Argofahrt als mythologische Präfiguration flavischer Erfolge zu lesen – und welchen Einschränkungen eine solche Auffassung unterliegt. An der Textoberfläche scheint sich der Dichter ganz der flavischen Siegesideologie zu verpflichten, doch mittels geschickt eingeflochtener LucanZitate wird auch der Kontext des Bürgerkriegs aufgerufen. Dieser war für den Aufstieg der Flavier zentral, wurde in der offiziellen Herrschaftsrepräsentation aber kaum thematisiert. Das Proömium lässt sich somit als überaus spannungsreicher, mehrdimensionaler Auftakt dieses Gedichts interpretieren. Die schon in den einleitenden Versen feststellbare dissonante Polyphonie ist auch für die Kriegsnarrative in Arg. 3 und Arg. 6 kennzeichnend,1 die dem Rezipienten eine ganze Reihe widersprüchlicher Erklärungsmodelle anbieten und alles andere als eindimensionale Darstellungen von Kämpfen gegen äußere Feinde sind.
2.1
Triumph und Propaganda: Der Jüdische Krieg in der flavischen Herrschaftsrepräsentation
Wir wollen zunächst die relevanten zeithistorischen Kontexte nachzeichnen, um auf dieser Grundlage zu untersuchen, welche Bedeutungspotenziale das Proömium im unmittelbaren Rezeptionskontext entfalten konnte. Nach den Auswüchsen der Herrschaft Neros und der Instabilität, welche der Selbstmord des letzten julisch-claudischen Kaisers nach sich zog, markierte der Aufstieg der Flavier in vielerlei Hinsicht einen Neubeginn im Imperium Romanum. Wie Tacitus urteilt, brachte der Streit um Neros Nachfolge im Vierkaiserjahr Rom an den Rand des Untergangs (annum … rei publicae prope supremum: Tac. hist.
1 Siehe Kap. 3 und Kap. 4.
© Bernhard Söllradl, 2023 | doi:10.1163/9789004537187_003
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1,11,3) – eine Einschätzung, die sich mit der neueren Historikermeinung deckt.2 Nach Neros Tod griff zunächst Galba, der aufgrund seiner aristokratischen Herkunft und seiner Verbindungen zur alten Dynastie als logischer Nachfolger erscheinen musste, nach der Herrschaft. Der Mann, der letzten Endes an die Macht kam, stammte jedoch aus einfachen Verhältnissen und hatte keinerlei Verbindungen zum alten römischen Adel.3 Sueton spricht von der niedrigen Herkunft des flavischen Geschlechts, dem es an bedeutenden Vorfahren gefehlt habe (gens Flavia, obscura illa quidem ac sine ullis maiorum imaginibus: Suet. Vesp. 1). Dem Vernehmen nach unternahm der neue Kaiser auch keinerlei Bemühungen, seine Herkunft aus Reate im Sabinerland zu verhehlen.4 Seinen sabinischen Akzent habe er auch als Kaiser nie abgelegt.5 Überliefert ist auch die Anekdote, dass er Männer, die Bemühungen angestellt hätten, den Ursprung der gens Flavia auf einen Begleiter des Hercules zurückzuführen, ausgelacht und fortgeschickt habe.6 Neben dem Mangel an großen Vorfahren (und der Weigerung, mythische Vorfahren in den Stammbaum der Familie einzuschreiben) bedeutete auch die Art von Vespasians Aufstieg einen Bruch mit den bis dahin üblichen Gepflogenheiten. Unterstützt von C. Licinius Mucianus, dem Statthalter von Syrien, und Ti. Iulius Alexander, dem Präfekten Ägyptens, wurde Vespasian am 1. Juli 69 n. Chr. von den alexandrinischen Truppen und wenig später von den eigenen Truppen in Judäa zum Kaiser proklamiert.7 Somit hatte Vespasian nicht nur eine gewaltige Streitmacht hinter sich versammelt, sondern auch die Kontrolle über die strategisch wertvolle Kornversorgung sichergestellt.8 Tacitus spricht in den Historien davon, dass diese Vorgänge das Geheimnis der Thronfolge (imperii arcano: Tac. hist. 1,4,2) enthüllt hätten: Ein Kaiser könne auch anderswo als in Rom ausgerufen werden (posse principem alibi quam Romae fieri: Tac.
2 Vgl. z. B. Levick 22017, 1: „When Nero fell in June 68, it was a portentous blow to stability.“ 3 Zur unbedeutenden Herkunft der gens Flavia siehe Pfeiffer 2009, 7–10; Nicols 2016, 66–68; Vervaet 2016, 44–46; Levick 22017, 4–15. Barbara Levick bietet im angeführten Abschnitt auch einen Überblick über Vespasians politische Karriere unter Claudius und Nero. 4 Suet. Vesp. 12. 5 Levick 22017, 7. 6 Suet. Vesp. 12 mit Rebeggiani 2018, 8–12, der die Anekdote im Kontext der flavischen Herrscherpanegyrik interpretiert. 7 Den Auftrag zur Niederschlagung der jüdischen Revolte erhielt Vespasian von Nero. Das genaue Datum ist nicht überliefert, die Beauftragung erfolgte aber ziemlich sicher im Dezember 66 n. Chr., spätestens Anfang 67 n. Chr. (vgl. Vervaet 2016, 51). 8 Zu Vespasians Proklamation zum Kaiser durch die Legionäre mit Unterstützung der Statthalter von Syrien und Ägypten siehe Pfeiffer 2009, 7–13; Levick 22017, 49–74; Kap. 8.1.
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hist. 1,4,2).9 Dem Senat blieb nach diesen Vorgängen nichts anderes übrig, als der Entscheidung des Militärs Folge zu leisten. Dies bezeugt die epigraphisch erhaltene lex de imperio Vespasiani (CIL vi 930 = MW 1), die den dies imperii Vespasians auf den 1. Juli 69 n. Chr. datiert – auf den Tag also, an dem er von den alexandrinischen Truppen zum Princeps ausgerufen worden ist.10 Es ist daher nicht verfehlt, im Rückhalt bei den Legionen und in der wiederholt unter Beweis gestellten militärischen Tüchtigkeit Vespasians die wichtigste realpolitische Legitimationsgrundlage des neuen Kaisers zu sehen.11 Dieser hatte zum Zeitpunkt seiner Kaiserproklamation im Alter von 60 Jahren auf drei Kontinenten gekämpft und musste seine Fähigkeiten als Feldherr nicht weiter unter Beweis stellen. Dieses Faktum und der nach dem Vierkaiserjahr notwendig gewordene Wiederaufbau des vom Bürgerkrieg zerrütteten Reichs sind wohl auch die Gründe, warum sich unter Vespasians Herrschaft kaum expansive Bestrebungen feststellen lassen.12 Dass er während seiner Herrschaft insgesamt 19 imperatorische Akklamationen angenommen hat,13 zeigt aber, wie wichtig die Anerkennung seiner militärischen Sieghaftigkeit für das Selbstverständnis des ersten flavischen Kaisers war.14 Die Beteiligung an der Eroberung Südbritanniens im Jahr 43 n. Chr., wobei er meist unter dem Kommando des Aulus Plautius und kurz unter jenem des Kaisers Claudius stand, brachte Vespasian die ornamenta triumphalia und zwei Priesterämter ein.15 Obwohl seine Leistungen in Britannien in weiterer Folge häufig wohl allzu übertrieben dargestellt wurden,16 lassen die Ehrungen, die er
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In Tac. hist. 2,76,4 werden anlässlich der Akklamation des Vitellius vergleichbare Gedanken geäußert (et posse ab exercitu principem fieri sibi ipse Vitellius documento, nullis stipendiis, nulla militari fama, Galbae odio provectus). Zum imperii arcanum und zu Vespasians Verhältnis zum Senat siehe Nicols 2016, 66–68; Kap. 5.1 und Kap. 5.2. Vgl. Ios. bell. Iud. 4,605–621; Tac. hist. 2,79,1–80,2; Suet. Vesp. 6,3f.; Levick 22017, 44f.; Wilker 2018, 115. Vgl. Evans 2003, 255; Pfeiffer 2009, 19–21; Zissos 2016, 10: „What gave Vespasian’s bid for the throne plausibility were his military credentials.“; Wilker 2018, 115. Vgl. Zissos 2014a, 325: „In fact it [sc. Vespasian’s principate] featured neither significant territorial expansion nor ambition thereof.“ Zur Notwendigkeit des Wiederaufbaus nach 69 n. Chr. siehe Suet. Vesp. 8,1; Pfeiffer 2009, 20–27; Levick 22017, 133–164. Zum Schützen der Grenzen des durch innere Krisen geschwächten Reiches siehe Levick 22017, 169. ILS 254 = MW 87. Zu den imperatorischen Akklamationen Vespasians siehe Levick 22017, 168. Suet. Vesp. 4. Zu Vespasian in Britannien vgl. Levick 22017, 16–26. Zur panegyrischen Instrumentalisierung dieser Unternehmung in der flavischen Literatur siehe Zissos 2008, 82 zu 1,7–9: „Flavian literature habitually exaggerates and glamourizes Vespasian’s role in the campaign.“ Eine von der Mehrheitsmeinung der Forschung abweichende Auffassung von Val.
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in Folge erhalten hat, keinen Zweifel an seiner öffentlichen Wahrnehmung als tüchtiger Mann des Militärs.17 Der eigentliche Grundstein für Vespasians späteren Aufstieg zum Kaiser ist freilich der Erfolg bei der Niederschlagung der Aufstände in Judäa, womit er 66 n. Chr. von Kaiser Nero beauftragt wurde. Tatkräftige Unterstützung erfuhr er dabei von seinem Sohn Titus, dem 70 n. Chr. die Eroberung Jerusalems gelang.18 Nach der Rückkehr des Titus nach Italien feierten Vater und Sohn einen gemeinsamen Triumph (Juni 71 n. Chr.), den Josephus im siebten Buch des Bellum Iudaicum ausführlich beschreibt.19 Die Feier eines Triumphs sollte suggerieren, der Sieg über die aufständischen Juden komme der Eroberung einer neuen Provinz gleich, obwohl es sich faktisch um die Niederschlagung einer Revolte innerhalb bereits bestehender Reichsgrenzen handelte.20 Nach dem gemeinsamen Triumph von Vater und Sohn wurde der Sieg im Jüdischen Krieg zu einem festen Bestandteil der flavischen Selbstdarstellung. Die Kriegsbeute, die auch beim Triumphzug mitgeführt wurde, wurde im Templum Pacis ausgestellt, wobei besonders die aus dem zerstörten Jerusalemer Tempel mitgeführten heiligen Gerätschaften (die goldene Menorah, der Schaubrottisch) zu nennen sind.21 Ein unter der Herrschaft des Titus fertiggestellter Triumphbogen am südöstlichen Ende des Circus Maximus wurde ebenfalls für den Sieg im Jüdischen Krieg errichtet.22 Ein weiteres Indiz für die Omnipräsenz des Jüdischen Krieges in der flavischen Selbstdarstellung findet sich in der von Géza Alföldy anhand noch vorhandener Dübellöcher rekonstruierten Bauinschrift des Kolosseums, das ex manubis („aus der Kriegsbeute“)
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Fl. 1,7–9 vertritt Cairns 2019, 16–23, der argumentiert, es werde in diesen Versen nicht auf Vespasians Beteiligung an der Britannienexpedition angespielt, sondern auf die Umsegelung Britanniens durch Agricola, die Cairns auf Frühling/Sommer 79 n. Chr. datiert. Zu Vespasians Leistungen beim Kommando in Britannien siehe Levick 22017, 16–26. Zur Rolle des Titus bei der Eroberung Jerusalems siehe Suet. Tit. 2–4. Zur Niederschlagung der jüdischen Revolte und zur Eroberung Jerusalems siehe Levick 22017, 27–45. Ios. bell. Iud. 7,123–157. Vgl. Wilker 2018, 120: „Dass die Niederwerfung einer provinzialen Revolte, die ja nichts weiter war als die Sicherung bereits bestehenden Reichsgebietes, überhaupt mit einem Triumph gefeiert wurde, unterstreicht bereits die Bedeutung, die dem Krieg in der flavischen Selbstdarstellung zukam.“ Zur Memorialisierung des Jüdischen Krieges im flavischen Rom siehe Wilker 2018, 120– 124. Zu diesem Triumphbogen, von dem sich nur Teile des Fundaments erhalten haben, siehe Wilker 2018, 121: „Erneut erscheint die Errichtung eines Triumphbogens für die Niederschlagung eines provinzialen Aufstandes als paradox, doch folgte man hier nur konsequent der Richtung, die bereits mit dem Triumphzug eingeschlagen worden war.“
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errichtet worden ist.23 Offenbar war es nicht notwendig zu spezifizieren, aus welchem Krieg diese Beute stammte: Die flavischen Bauherren konnten sich darauf verlassen, dass die stadtrömische Bevölkerung die Verbindung zum Jüdischen Krieg selbstständig herstellen würde.24 Dessen immense Bedeutung zeigt sich auch darin, dass er noch von Domitian zum Anlass genommen wurde, einen Triumphbogen für Titus am Ostende der Via Sacra zu errichten. Während die Stadtbevölkerung durch öffentliche Monumentalbauten also ständig an den jüdischen Sieg erinnert wurde, sorgten Münzprägungen mit der Umschrift iudaea capta dafür, dass die flavische Siegesideologie auch außerhalb der Stadtgrenzen verbreitet wurde.25 Auf diesen Münzen ist meist ein gefesselter jüdischer Gefangener abgebildet. Alternativ dazu gibt es Abbildungen von Vespasian oder Titus als Feldherren mit dem Fuß auf dem unterworfenen Globus, wodurch die Auffassung vom Jüdischen Krieg als bellum externum vermittelt wurde, der für die neue Dynastie als Legitimationsgrundlage dienen konnte.26 Der Jüdische Krieg ist Dreh- und Angelpunkt „einer allgemeinen Siegesprogrammatik unter Vespasian“27: Die Massierung der Bauwerke in Rom, die auch oder sogar primär den flavischen Sieg in Judaea als grandiosen Triumph feierten, und die reichsweite Propagierung durch die Münzprägungen unterstreicht damit deutlich die zentrale Funktion des Jüdischen Krieges als Legitimationsfokus der flavischen Dynastie.28 Vor dem Hintergrund des engen Zusammenhangs, der zwischen imperialer Expansion und politischer Legitimation im kaiserzeitlichen Rom bestand, ist verständlich, warum die Flavier den Jüdischen Krieg auf diese Weise instrumentalisiert haben. Die Zurschaustellung eines beeindruckenden außenpolitischen Erfolges mag der Stadtbevölkerung nach den post-neronischen Wirren auch ein Gefühl von wiederhergestellter Sicherheit vermittelt haben. Wie Julia Wilker bemerkt, diente die große Triumphfeier im Jahr 71 n. Chr. aber nicht nur der Würdigung des flavischen Erfolges in Judäa, sondern hatte auch die (inoffizielle) Funktion, „das Ende der innerrömischen Machtkämpfe 23 24 25 26 27 28
Siehe Alföldy 1955. Vgl. Wilker 2018, 122 f. RIC² Vesp. 51; 59; 68–69; 81; 134; 159–169; 233–236; 271; 303–308. Vgl. Leithoff 2014, 61–62 (Abbildungen in Leithoff 2014, 248f.). Vgl. Wilker 2018, 123 f. Zum flavischen Münzprogramm siehe Cody 2003; Hurlet 2016, 29– 33. Winkler-Horaček 2010, 463. Wilker 2018, 124.
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zu markieren, ohne direkt auf den Bürgerkrieg Bezug zu nehmen.“29 Bereits Flavius Josephus schätzt die Bedeutung der Zeremonie ähnlich ein: ταύτην γὰρ τὴν ἡμέραν ἡ Ῥωμαίων πόλις ἑώρταζεν ἐπινίκιον μὲν τῆς κατὰ τῶν πολεμίων στρατείας, πέρας δὲ τῶν ἐμφυλίων κακῶν, ἀρχὴν δὲ τῶν ὑπὲρ τῆς εὐδαιμονίας ἐλπίδων. Ios. bell. Iud. 7,157
Während dem zeitgenössischen Publikum wohl bewusst war, dass der Triumph diese doppelte Funktion hatte, lässt die Präsentation der Kriegsbeute und der Gefangenen keinen Zweifel daran, welche Variante ihrer Aufstiegserzählung die junge flavische Dynastie propagiert und verbreitet sehen wollte.30 Helen Lovatt vertritt die Auffassung, dass die Flavier den auswärtigen Krieg benutzt hätten, um ihren problematischen Aufstieg als Sieger eines römischen Bürgerkriegs zu verschleiern.31 Wie heikel das Thema war, zeigt sich auch an Tacitus’ Notiz zur Ehrung des Mucianus, dem für seine Leistungen im Bürgerkrieg die Triumphalinsignien verliehen wurden – als offizielle Begründung wurde jedoch die Abwehr der Sarmaten herangezogen.32 Die Strategie, einen Erfolg bei einer auswärtigen Mission als Platzhalter für den Sieg im Bürgerkrieg zu instrumentalisieren, ist auch aus der augusteischen Propaganda bekannt, die mit der Schlacht von Actium in ähnlicher Weise umgegangen ist.33 Der Kampf gegen Marc Anton konnte dank dessen Verbindung zu Kleopatra als Krieg gegen Ägypten und die Mächte des Orients präsentiert werden, womit Augustus’ großer Triumph in der offiziellen Propaganda vom Beigeschmack des Bürgerkriegs befreit werden konnte.34 Die Literatur folgte diesem Impuls, wie sich etwa anhand der Ekphrasis des Schildes in Aen. 8 (617–731) zeigen lässt, auf dem neben anderen Motiven die Schlacht 29 30 31 32 33 34
Wilker 2018, 120. Vgl. Wilker 2018, 126. Vgl. Lovatt 2016, 370. Tac. hist. 4,4,2 (multo cum honore verborum Muciano triumphalia de bello civium data, sed in Sarmatas expeditio fingebatur). Zum Jüdischen Krieg als ‚flavisches Actium‘ siehe Zissos 2008, 88 zu 1,12–14; WinklerHoraček 2010, 459; Hurlet 2016, 32; Wilker 2018, 125. Vgl. Lovatt 2016, 364: „Just as Augustus had drawn on Antony’s connection with Cleopatra to make Actium a foreign and not a civil war, so the Flavians used the Judean rebellion to associate their accession to empire with foreign conquest rather than civil war.“; König 2018, 148; Quint 2018, 4: „The propaganda for Augustus, including the Aeneid’s depiction of the battle of Actium on the shield of Aeneas in Book 8, declared his struggle with Antony to be a war against Cleopatra, of West against East, but Romans fought Romans nonetheless at Actium and in its aftermath.“
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von Actium dargestellt ist, ohne dass ein Hinweis gegeben wird, dass in dieser Seeschlacht Römer gegen Römer kämpften.35 Die Epiker der flavischen Zeit standen in gleicher Weise vor der Herausforderung, in den panegyrischen Partien ihrer Werke den Aufstieg eines Kaiserhauses preisen zu müssen, der auf einen Sieg im Bürgerkrieg zurückzuführen ist. Wie wir sehen werden, umgeht Valerius diesen problematischen Aspekt der Geschichte des flavischen Kaiserhauses, indem er im Proömium – zumindest an der Textoberfläche – jede Erwähnung des Bürgerkriegs unterlässt und sich auf den ersten Blick ganz der flavischen Siegesprogrammatik verpflichtet.36 Rückblick: Die zentrale realpolitische Legitimationsgrundlage der flavischen Dynastie war ihre Kriegstüchtigkeit, die Vespasian und Titus im Jüdischen Krieg unter Beweis stellen konnten. Die Sieghaftigkeit der gens Flavia wurde der Stadtbevölkerung bei einem gemeinsamen Triumphzug von Vespasian und Titus im Jahr 71 n. Chr. eindrucksvoll vor Augen geführt. Daneben erfüllten öffentliche Prachtbauten und entsprechende Münztypen den Zweck, die Erinnerung an den Erfolg im Jüdischen Krieg wachzuhalten. Dagegen spielte der – offenbar als problematisch empfundene – Sieg über innerrömische Feinde im Bürgerkrieg, der Vespasians Aufstieg zum Kaiser erst ermöglichte, in der flavischen Herrschaftsrepräsentation eine stark untergeordnete Rolle.
2.2
Das Proömium der Argonautica und die flavische Siegesprogrammatik
Das Proömium der Argonautica lässt sich in drei Teile untergliedern: propositio (1,1–4), Anrufung Apolls mit Bitte um Inspiration (1,5–7), Anrufung des Kaisers mit Bitte um Unterstützung (1,7–21). Ich möchte mich im Folgenden hauptsächlich dem letzten (und längsten) dieser drei Teile zuwenden. Gleich am Beginn der Apostrophe an Vespasian setzt der Dichter die Pionierleistung der Argonauten mit den Leistungen Vespasians bei Claudius’ Britannienexpedition im Jahr 43 n. Chr. in Verbindung.37 Der nachmalige Kaiser habe dabei „größeren Ruhm“ (sc. als die Argonauten) hinsichtlich der Öffnung des Meeres (pelagi … maior aperti / fama) erworben:
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Vgl. Bolt 2019, 291: „The Romans prevail over their barbaric enemies hailing from all over the world; in doing so, the Romans display their superiority to all other nations in an imperialist gesture.“ Vgl. Schenk 1999, 278. Eine alternative Deutung – es liege eine Anspielung auf die Britannien-Umsegelung Agricolas vor – bietet Cairns 2019, 16–23.
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tuque o pelagi cui maior aperti fama, Caledonius postquam tua carbasa vexit Oceanus Phrygios prius indignatus Iulos Val. Fl. 1,7–9
Diese Verknüpfung von Mythos und Historie ist umso bemerkenswerter, weil kein anderer zeitgenössischer Epiker – also weder Statius noch Silius – in der Herrscherapostrophe das Bestreben zeigt, die epischen Protagonisten explizit mit dem Kaiser zu parallelisieren. Die Eigentümlichkeit von Valerius’ narrativer Strategie fällt daher umso stärker ins Auge, wenn die zitierten Verse neben die entsprechenden panegyrischen Passagen in der Thebais (Theb. 1,24–31) und den Punica (Sil. 3,594–629) gelegt werden. Lob für Vespasians Leistungen in Britannien findet sich freilich häufiger in der flavischen Literatur und außerdem beim Kaiserbiographen Sueton.38 Im Agricola beurteilt Tacitus die Leistungen Vespasians in Britannien unter Claudius – gleichsam Ankündigung seines weiteren Schicksals (monstratus fatis Vespasianus) – sogar als Grundlage für den späteren Aufstieg zum Kaiser: divus Claudius auctor iterati operis, transvectis legionibus auxiliisque et adsumpto in partem rerum Vespasiano, quod initium venturae mox fortunae fuit: domitae gentes, capti reges et monstratus fatis Vespasianus. Tac. Agr. 13,3
Die Erwähnung dieses Ereignisses im Argonautica-Proömium hat eine mythisch-historische und eine ideologische Dimension: Einerseits werden die Bezwingung des Caledonischen Meeres und die Erfolge Vespasians im fernen Britannien als späte Weiterführung und Vollendung der Taten der Argonauten präsentiert (das mythisch-historische Element).39 Andererseits soll der flavische Kaiser von seinen julisch-claudischen Vorgängern in lobender Weise abgehoben werden (das ideologische Element):40 Das Caledonische Meer habe die „phrygischen Julier“ als unwürdig erachtet (Caledonius … / Oceanus Phrygios
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Sil. 3,597 f.; Ios. bell. Iud. 3,4 f.; Suet. Vesp. 4. Vgl. Wacht 1991a, 17–33 (hier 17): „Die Erfolge des flavischen Kaisers bei seinen Seeunternehmungen werden gefeiert als Fortsetzung und Steigerung der großen Leistung der Argonauten.“; Schenk 1999, 275–279; Buckley 2018b, 89. Zur panegyrischen Fiktion, der Erfolg bei der Invasion Britanniens im Jahr 43 n. Chr. sei nicht Claudius, sondern Vespasian zuzuschreiben, siehe Cairns 2019, 17: „[A]ll Vespasian’s military successes in Britain were achieved under Claudius’ auspices, and hence they were Julio-Claudian, not Flavian, successes.“
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prius indignatus Iulos: 1,8f.) – erst dem flavischen Dynastiegründer sei gelungen, was das julisch-claudische Haus über Generationen vergeblich versucht habe.41 Diese Darstellung ist ganz im Sinne der flavischen Selbstinszenierung: Kontinuitäten zwischen den julisch-claudischen Kaisern (bis einschließlich Claudius) und der gens Flavia werden betont, um die Leistungen der flavischen Dynastie als Weiterführung und Vollendung früherer imperialer Projekte präsentieren zu können.42 Das Kernstück der flavischen Herrschaftsrepräsentation, die Niederschlagung der jüdischen Rebellen und die Eroberung Jerusalems, erwähnt der Dichter in der recusatio: eripe me populis et habenti nubila terrae, namque potes,43 veterumque fave, venerande,44 canenti facta virum. versam proles tua pandit Idumen, sancte pater, Solymo nigrantem pulvere fratrem spargentemque faces et in omni turre furentem Val. Fl. 1,10–14
Der Dichter bittet den Kaiser um Unterstützung für ein episches Projekt, das nicht Zeitgeschichtliches, sondern die Taten alter Helden (veterum … / facta virum) zum Inhalt habe. Von der Zerstörung Jerusalems (versam … Idumen) werde ohnehin ein Nachkomme (proles tua [sc. Domitian]) künden.45 Eine
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Zissos 2008, 83f. zu 1,7–9 bietet eine Zusammenstellung der gescheiterten oder abgebrochenen maritimen Unternehmungen von Caesar, Augustus und Caligula. Zum in 1,8f. implizierten Kontrast zwischen den ‚verweichlichten‘ phrygischen Juliern mit ihren trojanischen Ahnherren auf der einen und dem kriegerischen Stamm der Flavier mit Wurzeln im italischen Sabinerland auf der anderen Seite siehe Sil. 3,595f.; Ripoll 1998, 505; Zissos 2008, 85 zu 1,7–9. Zur Betonung der Kontinuität in der flavischen Propaganda siehe Suet. Vesp. 9; Taylor 1994, 226; Zissos 2008, 83 f. zu 1,7–9; Bitto et al. 2018, 1 f.: „Es muss nach den post-neronischen Machtkämpfen ein neues Gefühl der Sicherheit etabliert werden, ohne dabei einen völligen Bruch mit dem ersten Kaiserhaus offenbar werden zu lassen – die Legitimität der Herrschaft erwächst auch aus Kontinuität.“ Die von Samuelsson vorgeschlagene Umstellung von namque potes und sancte pater lässt zu, das in γ überlieferte potes zu halten (Courtney, Liberman, Spaltenstein und Zissos akzeptieren die Umstellung. Ehlers und Dräger behalten die handschriftliche Reihenfolge bei). Baehrens konjiziert venerande (von Liberman, Spaltenstein und Zissos übernommen) für das in γ überlieferte veneranda (das Ehlers in den Text nimmt). Domitians schriftstellerische Aktivitäten sind gut bezeugt: vgl. Quint. inst. 10,1,91f.; Sil. 3,618–621; Stat. Ach. 1,14–16; Mart. 5,5,7; Plin. nat. praef. 5,3. Nach der Thronbesteigung im
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Schlüsselszene in einem solchen Gedicht wäre sicherlich die erfolgreiche Einnahme der Stadt durch Titus, schwarz von der Asche Jerusalems (Solymo nigrantem pulvere), fackelschleudernd (spargentemque faces) und an jedem Turm Zerstörung anrichtend (in omni turre furentem). Eine solche Darstellung des Titus, der sich wie sein Vater den Ruf eines tüchtigen Feldherren erarbeitet hatte, entbehrt nicht einer historischen Basis, wie Andrew Zissos festhält: „The vivid, heroizing description of Titus storming Jerusalem has a historical basis: as a commander, Titus was renowned for his active – sometimes reckless – participation in military operations.“46 Der Jüdische Krieg, ein zentraler Inhalt des flavischen Bau- und Münzprogramms,47 erscheint also auch im Proömium der Argonautica als Ereignis, bei dem die neue Kaiserdynastie ihre überlegene militärische Stärke unter Beweis stellen konnte. Der Iudaea capta-Gedanke war im Stadtbild omnipräsent und wurde durch entsprechende Münzprägungen in allen Reichsteilen verbreitet. Es ist nur folgerichtig, dass das Motiv auch in der Literatur seinen Niederschlag findet. Die Verwendung des Verbs pandere, das seit Lukrez den Dichtungsakt bezeichnen kann,48 verleiht dem erwähnten poetischen Projekt Domitians ehrwürdigen Glanz. Während Valerius und Statius dieses Wort in Musenanrufen verwenden, um göttliche Inspiration zu erbitten,49 scheinen die Ruhmestaten des Bruders eine ausreichend starke Inspirationsquelle für Domitians Bellum Iudaicum zu sein.50 Wenn Titus als inspirierende Instanz für Domitians Gedicht erscheint, so tritt Vespasian im Argonautica-Proömium als Inspirationsquelle neben Apoll: Der Gott solle den Dichter unterweisen (Phoebe, mone: 1,5), der Kaiser das Gedicht fördern ( fave, venerande, canenti: 1,11).51 So werden verschiedene Mitglieder der flavischen Dynastie als inspirierende bzw. inspirierte Instanzen mit einem Gedicht mythologischen Inhalts – den Argonautica – und einem Gedicht historischen Inhalts – einem Bellum Iudaicum-Epos –
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Jahr 81 n. Chr. hat Domitian die Schriftstellerei aufgegeben (vgl. Tac. hist. 4,86,2; Suet. Dom. 2,1–3). Zu den heute verlorenen Werken des Prinzen siehe Dewar 2016, 475. Zissos 2008, 88 zu 1,12–14. Sueton berichtet, auch Vespasian habe sich einmal beim entschlossenen Nahkampf eine Wunde am Knie zugezogen (Suet. Vesp. 4,6 mit Vervaet 2016, 52). Siehe oben Kap. 2.1. Vgl. Lucr. 1,55. Vgl. Val. Fl. 3,15 f.; Stat. Theb. 4,32–34. Zu De bello Iudaico als möglichem Titel dieses Gedichts siehe Galli 2007, 31. Die sakrale Konnotation des Verbs favere (OLD s.v. 1b) stützt diese Deutung. Vgl. die (in OLD nicht angeführte) Venus-Apostrophe in Ov. fast. 4,1 (‘alma fave,’ dixi, ‘geminorum mater Amorum’).
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verbunden, deren Abfassung als zeitgleich dargestellt wird.52 All das trägt zu einer Abschwächung des qualitativen Unterschieds zwischen Mythos und Historie bei. Sowohl die Taten der Argonauten als auch die Taten der Flavier eignen sich als Stoff für epische Gedichte, die gemeinsame Inspirationsquellen haben können. Diese grundsätzliche Vergleichbarkeit der beiden Stoffe kann als Einladung an den Rezipienten betrachtet werden, nach weiteren Verbindungslinien zwischen mythologischer und historischer Welt zu suchen und die eine als Spiegelung der anderen zu deuten. Die Schilderung der Zerstörung Jerusalems wird nicht durch einen Hinweis auf die römischen Straßenkämpfe zwischen Anhängern der Flavier und des Vitellius im Dezember 69 n. Chr. ergänzt. Stattdessen folgt ein gewaltiger Ausblick auf die Verstirnung Vespasians, der als Leuchtstern am Firmament Schiffen aus Griechenland, Ägypten und Phönizien Orientierung bieten werde (1,16f.) – das Bild einer unter römischer Herrschaft vereinten Mittelmeerwelt. Erneut kommt die mythisch-historische Dimension hinzu, denn der angekündigte Katasterismos Vespasians stellt einen Rückverweis auf die in der propositio erwähnte Verstirnung der Argo dar. So werden der mythologische Stoff und der gepriesene Kaiser erneut miteinander verknüpft.53 Zum Abschluss bittet der Dichter nochmals um kaiserlichen Beistand, auf dass seine Stimme die Städte Latiums erfüllen möge (haec ut Latias vox impleat urbes). Die bisher angestellten Beobachtungen scheinen auf den Schluss zuzulaufen, der Dichter stelle sich ganz in den Dienst der flavischen Dynastie. Im Proömium greift er Themen der offiziellen Herrschaftsrepräsentation auf und übt sich im Herrscherlob – Hinweise auf den Bürgerkrieg scheinen hingegen zu fehlen. Eine genauere Analyse des Textes offenbart jedoch, dass zwischen den Zeilen nicht wenige Anspielungen auf die innerrömischen Unruhen, die tatsächlich zum Aufstieg der Flavier geführt haben, versteckt sind. Ein Verweis auf Lucan findet sich möglicherweise bereits im ersten Vers der Argonautica – womit die Bürgerkriegsthematik zum frühestmöglichen Zeitpunkt evoziert würde. Die knappe propositio (1,1–4), die von der heldenhaften Öffnung der Meere kündet und alle problematischen Aspekte des ArgonautenStoffes, besonders die Medea-Tragödie, ausklammert, setzt mit der Ankündigung prima deum magnis canimus freta pervia natis (1,1) ein. Während canere in der Bedeutung „dichten“ an sich unauffällig ist, entspricht sowohl die morphologische Form als auch die metrische Position der Verwendung des Wortes im
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Zur Gleichzeitigkeit der präsentischen Formen canente und pandit siehe Galli 2007, 44 zu 1,12. Val. Fl. 1,4 ~ Val. Fl. 1,16–21.
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Bellum civile.54 Auch die Erwähnung der dichterischen Aktivitäten Domitians könnte ein Versuch sein, die Aufmerksamkeit des Rezipienten auf die problematischeren Aspekte des Aufstiegs der Flavier hinzulenken. Abgesehen von unserer Stelle berichtet keine einzige andere antike Quelle von einem Gedicht Domitians über den Jüdischen Krieg,55 obwohl in den zahlreichen Hinweisen auf die schriftstellerischen Ambitionen des späteren Kaisers in unseren Quellen reichlich Gelegenheit dafür gewesen wäre.56 Valerius könnte das Werk bei einer recitatio kennengelernt haben, eine Publikation des Bellum Iudaicum ist aber wohl nicht anzunehmen.57 Ein zeitgenössischer Rezipient dürfte bei der Erwähnung eines Kriegsepos aus der Feder Domitians aber wohl zwangsläufig auch an ein anderes Werk des Vespasian-Sohnes gedacht haben,58 nämlich an jenes Gedicht, das Martial als „himmlisches Lied vom Kampf um das Kapitol“ (Capitolini caelestia carmina belli: Mart. 5,5,7) beschreibt und in panegyrischer Manier auf eine Stufe
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Lucan. 1,2 (iusque datum sceleri canimus). Vgl. Zissos 2008, 74 zu 1,1: „Though canimus of poetic composition is unexceptional […], its use at the opening of an epic probably constitutes a nod to Lucan in particular.“; Penwill 2013, 33. Eine Ausnahme stellt möglicherweise die in MacRae 2021 besprochene Inschrift aus Neapel dar, die dokumentiert, dass Domitian bei den 82 n. Chr. abgehaltenen Italika Romaia Sebasta Isolympia für ein enkomiastisches Epos auf Titus (das von Valerius beschriebene Bellum Iudaicum?) den ersten Preis erhalten habe. Der Fund bedingt aber – anders als MacRae ausführt – nicht zwangsläufig einen neuen terminus post quem für das Proömium. Es ist ohne weiteres möglich, dass Valerius Domitians Jerusalem-Epos bereits bei einer früheren recitatio kennengelernt hat oder aus anderen Quellen über das Gedicht bzw. entsprechende Pläne Bescheid wusste. MacRaes Richtigstellung der (auf Suet. Dom. 2,2 gestützten) communis opinio, Domitian habe als Kaiser alle dichterischen Aktivitäten umgehend eingestellt, hat hingegen Gültigkeit. John Penwill scheint die Ansicht zu vertreten, Valerius erfinde an unserer Stelle ein Werk über den Jüdischen Krieg, um das heikle Thema des Bürgerkriegs nicht berühren zu müssen („What is left out here is that the epic Domitian was alleged to have written was not on the Judaean War, but on the Capitoline war“: Penwill 2013, 34). Das ist deshalb unwahrscheinlich, weil ein zeitgenössisches Publikum die Erfindung sofort als solche erkannt hätte und die aus der Luft gegriffene Zuschreibung eines literarischen Werkes an ein Mitglied der Kaiserfamilie wohl auszuschließen ist. Es ist durchaus vorstellbar, dass Domitian an mehreren Gedichten gleichzeitig gearbeitet hat. Vgl. Zissos 2008, 87 zu 1,12–14: „Strand suggests the possibility of a draft known from a recitatio, but deems a completed and published work implausible. Since Domitian is reported to have abandoned his literary career upon accession to the throne […], any such poem will have been undertaken before 81.“ Auch Quintilian nennt „Krieg“ (bella) als Thema der Dichtungen Domitians (Quis enim caneret bella melius, quam qui sic gerit?: Quint. inst. 10,1,91). Aus der Stelle geht nicht hervor, auf welches Werk sich der Rhetoriklehrer bezieht – auf das Bellum Iudaicum oder das Bellum Capitolinum?
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mit Vergils Aeneis stellt. Aus dem Epigramm an den kaiserlichen Bibliothekar geht hervor, dass dieses Werk in abgeschlossener und publizierter Form vorlag. Valerius’ Charakterisierung des Inhalts (die Zerstörung einer Stadt, bei der das Schleudern von Fackeln – spargentemque faces – eine Rolle spielt), könnte somit auch Erinnerungen an den Brand des Kapitols bei den römischen Straßenkämpfen im Dezember 69 n. Chr. wecken.59 Am Ende des Proömiums steht das bereits erwähnte Bild des zum Gestirn gewordenen Kaisers, der vom Himmel leuchten und die Seefahrer aus Ost und West sicherer als Cynosura und Helice lenken werde. Auch hinter diesem Bild von einer friedlichen und geordneten Welt unter der Schirmherrschaft des ersten flavischen Kaisers könnte sich eine Anspielung auf den Bürgerkrieg verbergen. Die Aufzählung von Schiffen aus Griechenland, Ägypten, Tyros und Sidon verweist den Leser auf eine Stelle im dritten Buch des lucanischen Bellum civile, an der die Schiffe und Truppen genannt werden, die zur Unterstützung des Pompeius aus aller Welt zusammenkommen.60 Zu den Ländern, die Pompeius unterstützen, gehören auch Griechenland (Graeci: 3,171), Ägypten (Nilo: 3,199) und Phönizien (et Tyros instabilis pretiosaque murice Sidon: 3,217). Die an die Erwähnung der Städte Tyros und Sidon angeschlossene narratoriale Bemerkung, dass die Cynosura (der Kleine Bär) für diese in den Krieg fahrenden Schiffe ein verlässlicherer Leitstern sei als für alle anderen (has ad bella rates … / certior haud ullis duxit Cynosura carinis: Lucan. 3,218 f.), ist bei Valerius fast wörtlich aufgegriffen: „Wenn du [sc. Vespasian] schon aus allen Himmelsrichtungen leuchtest, wird Cynosura für tyrische Schiffe nicht sicherer sein“ (cum iam … lucebis ab omni / parte poli, neque erit Tyriis Cynosura carinis / certior: Val. Fl. 1,16–18).61 Während der Kleine Bär bei Lucan die Schiffe in den Krieg lenkt, wird er bei Valerius von Vespasian überstrahlt, der die Schiffe zur geordneten und friedlichen Schifffahrt anleitet. Das intertextuelle Echo suggeriert offenbar, dass die Phase des Bürgerkriegs mit dem Beginn der flavischen Herrschaft endgültig überwunden sei. Diese Deutung ließe sich auch mit der flavischen Selbstinszenierung als Friedensstifter verbinden, die nach einer Zeit
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Vgl. Penwill 2013, 34: „Jerusalem may have burned, but so did the temple of Jupiter, which gives an added frisson to line 14, spargentemque faces et in omni turre furentem, which ‘brother’ are we really talking about?“ (Hervorhebung im Original). Zur Deutung, dass die genannten Orte Vespasians Weg zur Macht nachzeichnen würden, siehe Penwill 2013, 34: „[T]he clearest case of civil war allusion comes in the conceit of Vespasian’s catasterism, where Vespasian as star-sign will guide ships – specifically ships from Greece, Sidon and Nile – from east to west. Embedded here is a reminder of Vespasian’s route to power.“ Zu dieser Parallele siehe Walter 2014, 25.
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der Zerrüttung wieder Sicherheit und Ordnung gewährleisten können.62 Die entscheidende Beobachtung ist jedoch, dass Valerius nur zwischen den Zeilen durchblitzen lässt (lassen kann?), dass die Form, die diese Zerrüttung angenommen hat, nicht etwa eine gefährliche Bedrohung von außen, sondern ein römischer Bürgerkrieg war. Den Abschluss des Proömiums bildet, wie bereits erwähnt, eine Bitte an Vespasian: „Jetzt mögest du gnädig unser Vorhaben unterstützen, auf dass diese Stimme die Städte Latiums erfülle“ (nunc nostra serenus / orsa iuves, haec ut Latias vox impleat urbes: 1,20f.). Eine an der Textoberfläche verharrende Lektüre des Proömiums ließe erwarten, dass ein von Vespasian inspiriertes Gedicht die glorreiche erste Öffnung der Meere, heldenhafte Schlachten gegen barbarische Feinde und den endgültigen Triumph der Kräfte der Ordnung über die Mächte des Chaos zum Inhalt haben würde. Eine solche Themensetzung wäre auch ein deutliches Signal der Abkehr von Lucans Poetik, der im Proömium programmatisch ankündigt, Pharsalos möge die schrecklichen Felder (sc. mit Leichen) anfüllen (diros Pharsalia campos / impleat: Lucan. 1,38 f.). Auf diese Ankündigung scheint Valerius Bezug zu nehmen, indem er Lucans impleat zitiert. Doch wie ist diese Reminiszenz zu deuten? Während sich der Dichter an der Textoberfläche ganz der offiziellen flavischen Ideologie verschreibt, wird zwischen den Zeilen subtil die Erinnerung an den römischen Bürgerkrieg wachgehalten.63 Das erste Wort nach dem Proömium ist Haemoniam („Thessalien“). Valerius benennt den Ausgangspunkt der Handlung der Argonautica also ausgerechnet mit jenem Toponym, das Lucan zur Bezeichnung der Bürgerkriegsschauplätze Pharsalos und Philippi heranzieht.64 In seiner metapoetischen Deutung kommentiert John Penwill hierzu: „This is the vox that is to fill Latian cities.“65 Das impleat-Zitat in 1,21, das dem Blick nach Haemonia, dem wichtigsten Schauplatz des Bellum civile, vorangeht, kündigt also keine vollständige Abkehr von der Poetik des Bellum civile an. Das Zitat scheint vielmehr auf bestimmte Gemeinsamkeiten zwischen Lucans Gedicht und den (auch) von Vespasian inspirierten (vgl. fave: 1,11) Argonautica hinzudeuten. Wie Augustus und die julisch-claudische Dynastie sind auch Vespasian und die Flavier in Folge eines
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Zur flavischen Friedensideologie siehe Pfeiffer 2009, 19f.; Leithoff 2014, 197–205 (unter besonderer Berücksichtigung des Templum Pacis). Vgl. Penwill 2013, 34: „In fact civil war, while nowhere explicitly mentioned, permeates this encomium.“ Vgl. Lucan. 1,686–695; 7,855–859. Penwill 2013, 36 (Hervorhebung im Original). Zu vox in der Bedeutung „Wort“ siehe OLD s. v. 10a.
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Bürgerkriegs an die Macht gekommen.66 Auf diese historische Tatsache verweist das Proömium nicht explizit, sondern nur zwischen den Zeilen und mittels geschickt eingeflochtener Lucan-Zitate. Das Proömium vermittelt dem Rezipienten daher widersprüchliche Signale: Einerseits wird die flavische Siegesprogrammatik als mögliches Interpretationsmodell für die Haupthandlung angeboten, andererseits finden sich auch subtile Hinweise auf problematischere Aspekte des flavischen Aufstiegs. So entwickelt das Proömium eine Poetik der Ambivalenz:67 „[B]y astute use of language, contextualisation and allusion to Lucan, Valerius enables the reader to discern a meaning in his encomium very different from what at first sight it appears to be.“68 Rückblick: Indem Valerius im Proömium die flavischen Erfolge in Britannien und Judäa preist und anmerkt, Vespasian verdiene für die Fahrt über den Ozean größeren Ruhm als die Argo, schürt er die Erwartung an ein Epos, in dem die Taten der Argonauten als mythologische Präfiguration der militärischen Leistungen der Flavier erscheinen. Diese Anbindung des Textes an die flavische Siegesprogrammatik gibt dem Rezipienten ein mögliches Interpretationsmodell für die Kriegsnarrative in Arg. 3 und Arg. 6 an die Hand. Die Betonung äußerer Erfolge impliziert außerdem eine Abkehr von der Poetik des Bellum civile, die ganz auf die römische Selbstzerstörung im Bürgerkrieg fixiert ist. Jedoch rufen die dissonanten Zwischentöne, die sich bereits in den ersten Versen des Gedichts finden, dem Rezipienten auf subtile Weise den Bürgerkrieg in Erinnerung. Diese Beobachtung lässt ein Interpretationsmodell, das die Kriegstaten der Argonauten nur als Kämpfe gegen äußere Feinde beschreibt, als unzureichend erscheinen.
2.3
Ergebnisse
Indem der Dichter den Sieg der Flavier im Jüdischen Krieg preist, evoziert er die flavische Siegesideologie. Im Kontext des Proömiums wird dadurch die Erwartung an eine von römisch-flavischem Imperialismus gefärbte Darstellung des Argomythos geschürt, in der die Argofahrt als Modell für die oben 66
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Zu Vespasians Rolle im römischen Bürgerkrieg der Jahre 68–69 n. Chr. siehe Evans 2003, 269 f.; Buckley 2010, 434: „[T]his is just another story in the cycle of Roman power – power gained by civil war.“ Tacitus charakterisiert die Jahre, die zum Aufstieg der Flavier führten, als Abfolge von bella civilia, bella externa und bella permixta (Tac. hist. 1,2,1 mit Evans 2003, 270). Zur programmatischen Spannung zwischen Proömium und Haupthandlung siehe Buckley 2013, 96 f. Penwill 2013, 37.
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genannten flavischen Erfolge und römische Expansionsbestrebungen insgesamt erscheint. Doch dieses Interpretationsmuster wird durch permanent eingeflochtene dissonante Zwischentöne gestört, sodass es bald ergänzungsbedürftig, bald untauglich erscheint. Denn der Dichter versieht seinen oberflächlich unproblematischen Lobpreis der neuen flavischen Dynastie zwischen den Zeilen mit raffiniert-subversiven Anspielungen auf den Bürgerkrieg, was die offizielle flavische Aufstiegserzählung korrekturbedürftig erscheinen lässt.
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Dissonante Polyphonie in Valerius’ Cyzicus-Episode (Val. Fl. 2,627–3,361) Die im Proömium suggerierte paradigmatische Vergleichbarkeit der Argofahrt mit den Leistungen der Flavier erweist sich bei fortschreitender Entfaltung der epischen Haupthandlung als zunehmend problematisch. Liest man die kriegerischen Ereignisse auf der Propontis-Halbinsel Cyzicus (2,627–3,361) als zeithistorisch perspektivierte Episode, wird die Einseitigkeit der flavischen Herrschaftsrepräsentation deutlich, die den Erfolg im Jüdischen Krieg betont und die Beteiligung am Bürgerkrieg unterdrückt. Auf Cyzicus können die Argonauten ihre militärische Tatkraft unter Beweis zu stellen, doch die beschriebenen Ereignisse fügen sich nicht leicht in das Bild von der Öffnung der Meere und vom Triumph in auswärtigen Kriegen zur Errichtung einer neuen Weltordnung.1 Denn bei Valerius wird das traditionell zum Argonautenstoff gehörende Nachtgefecht zu einem traumatischen, bürgerkriegsähnlichen Erlebnis. Die griechischen Helden verstricken sich unwissentlich in einen Kampf mit ihren Gastfreunden und richten ein schlimmes Gemetzel an, dem auch König Cyzicus zum Opfer fällt. Erst beim Anbruch des folgenden Tages erkennen die Argonauten ihren Irrtum und sehen sich außer Stande, ihre Unternehmung fortzusetzen. Dieser Zustand hält an, bis Mopsus in einem Reinigungsritual die schrecklichen Vorfälle aus dem Gedächtnis der Argonauten tilgt, damit sie ihre Reise Richtung Osten fortsetzen können.2 Der direkte Vergleich mit der Fassung des Apollonios lässt eine deutliche Verschiebung der Perspektive erkennen. Valerius charakterisiert die aus einem tragischen Versehen resultierende Nyktomachie einerseits als Bürgerkrieg, fügt aber andererseits auch Hinweise ein, dass es sich um einen Krieg gegen äußere Feinde handle, und setzt Signale, die eine Einordnung der Episode in Jupiters Weltenplan erlauben. So lässt sich in der Cyzicus-Episode eine dissonante Polyphonie ausmachen, die epische und tragische Elemente mit der Zeichnung der Schlacht als bellum civile vereint. Objektiv gesehen trifft die Argonauten, die unwissentlich von der Göttin Kybele als Rachewerkzeug eingesetzt werden,
1 Zur programmatischen Bedeutung der Cyzicus-Episode, bei der es sich um den ersten Krieg handelt, in den die Argonauten verwickelt werden, siehe Walter 2014, 43. 2 Zur Deutung dieses Sühnerituals siehe Kap. 8.3.
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am Ausbruch dieses Krieges keine Schuld. Die lähmende Trauer, die die Helden am Morgen nach der Nyktomachie befällt, zeugt aber vom Bewusstsein der Helden, dass sie sich bei der Tötung der Gastfreunde in ein nefas verstrickt haben. Das Nebeneinander von Erfüllung des Götterwillens und der dadurch entstandenen persönlichen Schuld enthüllt die problematischen Aspekte des Weltenplans, der sich auf menschlicher Ebene als tragisches Blutvergießen ohne tieferen Sinn manifestiert, während er aus Jupiters Perspektive den triumphalen Anbruch einer neuen weltgeschichtlichen Epoche markiert. Mit der komplexen Cyzicus-Episode erschafft Valerius ein problematisches mythologisches Seitenstück zu den kriegerischen Leistungen der Flavier, die im Proömium gepriesen werden. Ausgehend von der in der Cyzicus-Episode feststellbaren Kontamination der vergilischen Iliupersis mit dem Krieg in Latium argumentiere ich im Folgenden zunächst aus intertextueller Perspektive, dass Valerius die Dolionenschlacht zu gleichen Teilen als bellum internum und bellum externum anlegt. Danach soll anhand konkreter Beispiele gezeigt werden, mit welchen Strategien er die postulierte Multiperspektivität konstruiert und welche Effekte dadurch im Einzelnen erzielt werden.
3.1
Die Cyzicus-Episode zwischen Apollonios und Vergil
Um die Eigenart der valerianischen Erzählung der Ereignisse auf Cyzicus nachvollziehbar zu machen, wollen wir uns zunächst vergegenwärtigen, wie Valerius den bei Apollonios vorgefundenen Stoff unter Rückgriff auf die Aeneis umgestaltet.3 Dies wird ermöglichen, die postulierte Polyphonie der Stelle mit intertextuellen Argumenten zu untermauern. Es lässt sich nämlich zeigen, dass Valerius in der Cyzicus-Episode Prätexte überblendet, die zu unterschiedlichen Stufen der vergilischen Rom-Teleologie gehören (Zerstörung Trojas, Ankunft der Aeneaden in Karthago, Krieg in Latium), was auf eine kritische Auseinandersetzung mit dem ideologischen Gehalt der Aeneis schließen lässt. In der Szenenfolge hält sich Valerius weitgehend an den hellenistischen Prätext:4 Die Argonauten werden von König Cyzicus gastfreundlich aufgenommen
3 Vgl. dazu Schenk 1999, 247. 4 Lediglich der Kampf des Hercules gegen die Erdgeborenen (AR 1,985–1011) ist bei Valerius nicht übernommen. Dieser fehlt auch in Apollod. 1,116, ist aber in Herodor FGrHist 31 F 7 (= Σ AR 1,943) enthalten. Zur Version des Herodor siehe Clauss 1993, 149f.; Gantz 1993, 347. Über die möglichen Gründe für die Streichung dieses Kampfes reflektieren Adamietz 1976, 42; Stover 2012, 126 f. Zu den Unterschieden zwischen den Cyzicus-Episoden bei
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und verbringen einige Tage bei den Dolionen. Es folgt die erste Abfahrt der Argo. Der Steuermann Tiphys schläft ein und das Schiff wird zur Insel zurückgetrieben.5 Ohne zu bemerken, dass sie sich erneut bei den Dolionen befinden, stürzen sich die Helden in die (bei Valerius viel ausführlicher geschilderte) Nyktomachie,6 in deren Verlauf König Cyzicus von Jason getötet wird.7 Auf die Trauer um die Toten folgt bei Apollonios die Errichtung eines Kultes für Kybele und bei Valerius ein von Mopsus durchgeführtes Reinigungsritual. Danach setzen die Argonauten ihre Fahrt fort. Der auch bei Apollonios von Gastfreundschaft (ἐυξείνως ἀρέσαντο: AR 1,963) gekennzeichnete Empfang der Argonauten durch die Dolionen (AR 1,961–984) ist bei Valerius nach dem Muster des Empfangs der Trojaner durch Dido in Aen. 1 umgestaltet. Cyzicus, der bei Apollonios überhaupt nicht spricht, hält zur Begrüßung der „thessalischen Mannschaft“ (Emathiae manus: Val. Fl. 2,640) eine längere Rede (Val. Fl. 2,639–648), die der Erzähler durch die abschließende Rahmung explizit mit Didos Grußworten an Aeneas (Verg. Aen. 1,615– 630) verbindet.8 Das nun folgende Gastmahl (Val. Fl. 2,651–664) ist ebenfalls nach dem Vorbild der entsprechenden Szene am Ende von Aen. 1 gestaltet. Das Stichwort erhält Valerius von Apollonios, der davon spricht, dass Cyzicus „den Bedürftigen [sc. den Argonauten] süßen Wein und dazu Schafe“ (λαρὸν μέθυ δευομένοισιν / μῆλά θ’ ὁμοῦ: AR 1,968f.) gab und „für ein Mahl mit ihnen sorgte“ (τοῖς μέτα δαῖτ’ ἀλέγυνε: AR 1,979). Die strukturelle Übereinstimmung und weitere wörtliche Bezüge erweisen erneut die Aeneis als das wesentliche
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Apollonios und Valerius im Einzelnen siehe Fucecchi 1996, 119–122; Schenk 1999, 78–83. Aufschlussreich sind auch die Ausführungen bei Dinter/Finkmann/Khoo 2019 (250–254 zu Apollonios; 260–264 zu Valerius) zur Handhabung des Nyktomachie-Motivs in den beiden Texten. Strukturelle Vergleichsanalysen bieten Adamietz 1976, 42; Poortvliet 1991a, 310. Anders als bei Apollonios ist die Episode bei Valerius intratextuell stärker mit weiteren Werkteilen vernetzt: Die Handlungsführung über eine Buchgrenze hinweg und die eingeschobenen Musenanrufe verbinden die Cyzicus-Episode etwa strukturell mit dem Bürgerkrieg in Kolchis. Zu den Parallelen zwischen den beiden großen Kriegsdarstellungen der Argonautica siehe Adamietz 1976, 45; Hershkowitz 1998, 6–13; Schenk 1999, 70–78 (und passim); Finkmann 2018, 151. Hier fügt Valerius eine göttliche Motivierung ein, die bei Apollonios fehlt: siehe unten Kap. 3.3. AR 1,1026–1052; Val. Fl. 3,95–248. Bei Apollonios ist Kyzikos das erste Opfer (AR 1,1028–1035), während sein Tod bei Valerius den Abschluss der Schlacht bildet (Val. Fl. 3,235–242). Zu dieser Umstellung siehe Schenk 1999, 254 f. Verg. Aen. 1,631f. (sic memorat; simul Aenean in regia ducit / tecta, simul divum templis indicit honorem) ~ Val. Fl. 2,649f. (sic memorat laetosque rapit. simul hospita pandi / tecta iubet templisque sacros largitur honores).
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Vorbild.9 Während Vergil bei der Beschreibung von Didos prächtigem Palast die „in Gold getriebenen Heldentaten der Vorfahren [sc. Didos]“ (caelataque in auro / fortia facta patrum: 1,641f.) und eine edle Trinkschale, die bereits Belus, ein Vorfahr Didos,10 besessen hatte, nur erwähnt (Aen. 1,728–730), lässt Valerius – auf diesen unerschlossenen Erzählraum aufmerksam geworden – die „Trinkbecher, verziert mit den Unglücksfällen jüngster Kriege“ (pocula bellorum casus expressa recentum: 2,654) von Cyzicus beschreiben: atque ea prima duci porgens carchesia Graio Cyzicus ‘hic portus’ inquit ‘mihi territat hostis, has acies sub nocte refert, haec versa Pelasgum terga vides, meus hic ratibus qui pascitur ignis.’ Val. Fl. 2,655–658
Diese vom sekundären intradiegetischen Erzähler Cyzicus durchgeführte Ekphrasis, die bei Apollonios keine Vorlage hat, lässt jedoch nicht nur an die Trinkbecher beim Gastmahl in Karthago denken,11 sondern auch an die Beschreibung des Junotempels (Aen. 1,441–493), auf dem Szenen aus dem Trojanischen Krieg dargestellt sind.12 Das Bildprogramm des Junotempels hat einerseits die Funktion, die Vergangenheit des Aeneas miteinzubeziehen und den Leser auf die in Aen. 2 von Aeneas erzählte Iliupersis einzustimmen. Gleichzeitig lassen sich die Bilder jedoch auch als Ausblick deuten, da sie in vielen Details auf den Krieg in Latium vorausweisen.13 Eine ähnliche Strategie verfolgt Valerius: Auf
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Verg. Aen. 1,655.728f. (duplicem gemmis auroque coronam; gravem gemmis auroque poposcit / … pateram) ~ Val. Fl. 2,651 (stant gemmis auroque tori); Verg. Aen. 1,705 (centum aliae totidemque pares aetate ministri) ~ Val. Fl. 2,652 (centumque pares primaeva ministri); Verg. Aen. 1,640f. (caelata in auro / fortia facta patrum) ~ Val. Fl. 2,653f. (pars aurea gestant / pocula bellorum casus expressa recentum). Dieser Belus ist von Didos gleichnamigem Vater (erwähnt in 1,621) zu unterscheiden. Vgl. Ganiban 2012, 217 zu 1,728–730. Vgl. Ripoll 2019, 34: „The description of Cyzicus’ chiselled cups, which depict past exploits, recalls Verg. Aen. 1.640–2.“ Vgl. Schenk 1999, 82, der auf die gemeinsame „Aussagefunktion“ des Trinkpokals des Cyzicus und des Schmucks des Junotempels hinweist. An der Ekphrasis des Trinkbechers lässt sich in nuce Valerius’ literarische Strategie beobachten, an einer Stelle zwei oder mehr Prätexte zu kontaminieren (von Philip Hardie als „combinatorial imitation“ bezeichnet: Hardie 1989, 3), wodurch das rezipierte Material eine neue Sinngebung erhält. Zur Verwendung der vergilischen Tempelbeschreibung in den großen ekphrastischen Partien des ersten und fünften Buches (Bilder am Schiffsbug; Tore des Sol-Tempels) siehe Heerink 2014. Vgl. von Albrecht 22007, 110: „Die einzelnen Episoden aus dem Troianischen Krieg lassen sich auch als Vorausblick auf die „iliadischen“ Bücher der Aeneis lesen.“
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dem Trinkbecher sind zwar frühere Schlachten der Dolionen gegen die Pelasger dargestellt, doch für den mit dem Mythos vertrauten Rezipienten ist klar, dass mit dem „Feind“, der die „Häfen in Schrecken versetzt“ (portus … territat hostis), wenn er „in der Nacht seine Schlachtreihen zurückbringt“ (acies sub nocte refert), auf das bevorstehende Nachtgefecht zwischen den Gastfreunden hingedeutet wird.14 Doch Valerius übernimmt noch ein weiteres Element der vergilischen Tempelbeschreibung. Bekanntlich deutet Aeneas die Bilder am Tempel seiner Erzfeindin Juno als Ausdruck der Anteilnahme: sunt lacrimae rerum („Hier gibt es Tränen für das, was geschah“: Aen. 1,462). Der Kontext, in dem sich diese Bilder finden, lässt jedoch Zweifel an der Zulänglichkeit der Interpretation des Helden entstehen.15 Der Argonautica-Dichter, der in interpretierender Weise auf seine Vorlage Bezug nimmt,16 scheint den Rezipienten auf dieses Element im Prätext hinzuweisen, wenn er Jason eine fatale Fehleinschätzung des Gesehenen abgeben lässt: subicit Aesonides: ‘utinam nunc ira Pelasgos adferat et solitis temptet concurrere furtis cunctaque se ratibus fundat manus. arma videbis hospita nec post hanc ultra tibi proelia noctem.’ Val. Fl. 2,659–662
Aufgrund seiner eingeschränkten Figurenperspektive entgeht dem Argonautenführer, dass seine Unterstützungserklärung an den Gastfreund in tragischer
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Zur Ekphrasis des Bechers siehe Blum 2019, 79: „Jason’s misreading of both story and setting again derails his quest for glory.“ Vgl. Heerink 2014, 76: „The reader of Virgil’s ekphrasis has to bear in mind that Aeneas is watching scenes in a temple dedicated to this archenemy of his people. This is even one of the reasons why Aeneas’ subjective reading of the murals, as showing pity for the Trojan cause, can be considered a mistake.“ Dem ist freilich entgegenzuhalten, dass sich Aeneas’ Hoffnung, in Didos Karthago auf Anteilnahme zu stoßen, im weiteren Verlauf des ersten Aeneisbuches bestätigt. Ich folge hier der Auffassung Philip Hardies, der die flavischen Epiker als scholar-poets betrachtet, deren Rezeptionsstrategien auf bestimmte Interpretationen der verwendeten Prätexte schließen lassen: „[I]mitation […] may behave in a dynamic and creative way; […] the epigone may function as an implicit literary analyst or critic, anticipating the results of twentieth-century criticism. My three examples take their starting-point from what I see as a general modern consensus about the nature of Virgilian epic, but the direction could be reversed, that is, we might use post-Virgilian epic as a critical aid to our reading of Virgil“ (Hardie 1989, 3; Hervorhebung im Original).
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Ironie die Ereignisse des dritten Buches vorausnimmt:17 Cyzicus wird in der Tat „die Waffen der Gastfreunde“ sehen (arma videbis / hospita) und „nach dieser Nacht keine weiteren Schlachten“ erleben (nec post hanc ultra tibi proelia noctem). Das liegt aber nicht daran, dass die Argonauten den Dolionen zum endgültigen Sieg über ihre Feinde verhelfen würden, sondern daran, dass es sich bei dem Feind, der in „gewohnter List“ (solitis furtis) herankommen wird,18 nicht um die Pelasger, sondern um die Argonauten selbst handelt.19 Die Nyktomachie wird Cyzicus’ letzte Schlacht sein, weil er in ihr den Tod finden wird, nicht weil die Feinde endgültig besiegt werden können. Diese Andeutung des unmittelbar Bevorstehenden steht zusammenfassend für ein längeres Gespräch zwischen den beiden Gastfreunden, das sich einzig um den Krieg zu drehen scheint20 und bis spät in die Nacht fortgesetzt wird.21 Obwohl dieser erste Abschnitt der Cyzicus-Episode, wie gezeigt wurde, deutlich nach dem Vorbild des Aufenthalts der Aeneaden in Karthago gestaltet ist,22 erweitert der Dichter gleich bei der Begrüßung der griechischen Helden durch Cyzicus den Bezugsrahmen. Als der König das Schiff erblickt, läuft er
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Vgl. Ripoll 2019, 35: „In the case of Cyzicus, the fatal outcome is hinted at by the tragic irony contained in the allusion at Val. Fl. 2.659–662.“ Apollonios beschreibt die erste Begegnung ohne jeden Hinweis auf die folgende Tragödie. Vgl. Schenk 1999, 80: „Im Gegensatz zur Version des Apollonios ist das Geschehen [sc. bei Valerius] von tragischer Ironie gekennzeichnet.“ An unserer Stelle wird solitis (wie bereits in 1,112 von Junos „Klagen“, questus) metaliterarisch gebraucht – der Dichter verwendet den Ausdruck, um darauf hinzuweisen, dass die unfreiwillige Rückkehr der Argo auf die Halbinsel Cyzicus ein traditionelles Element des Argonautenstoffes ist. Die Verbindung mit furtis signalisiert jedoch, dass Valerius eine entscheidende Neuerung gegenüber der Tradition vornimmt: Bei ihm ist die Nyktomachie das Ergebnis einer Intrige der Göttin Kybele, die sich für ein von Cyzicus erlittenes Unrecht rächen will. Valerius bezeichnet diese Fassung als solitis … furtis, um die eigene Innovation als maßgebliche Variante in die Argonautentradition einzuschreiben. Valerius bezeichnet die Argonauten mehrmals als Pelasgi: 4,352; 5,116; 5,474; 5,682. Siehe Manuwald 2015, 79 zu 3,45. Vgl. Schenk 1999, 79: „Der Krieg gegen die feindlichen Pelasger ist der einzige Gegenstand eines Zwiegesprächs zwischen Cyzicus und Jason.“ Bei Apollonios fragt Kyzikos nach dem Zweck der Fahrt und dem Auftrag des Pelias, während sich die Argonauten nach den Städten und Völkern erkundigen, die im Gebiet der Propontis leben (AR 1,981–983). Bei Valerius scheint Cyzicus von Anfang an über die Argonauten und ihre Mission Bescheid zu wissen (vgl. Val. Fl. 2,639–648). Der Topos des nächtlichen Gesprächs beim Gastmahl ist erneut nach vergilischem Vorbild gestaltet: Verg. Aen. 1,748f. (nec non et vario noctem sermone trahebat / infelix Dido) ~ Val. Fl. 2,663f. (sic ait hasque inter variis nox plurima dictis / rapta vices nec non simili lux postera tractu). Vgl. Schenk 1999, 77: „Im Fall der Cyzicusepisode unterlegt Valerius das Gerüst der DidoHandlung der Parallelversion des Apollonios.“
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zum Wasser. „Er bewundert die Männer, umfasst ihre Rechte und hält sie fest“ (miraturque viros dextramque amplexus et haerens: 2,638). Diese Formulierung verweist den Leser auf die Begrüßung der Trojaner durch Pallas in Aen. 8.23 Der junge König in den flavischen Argonautica ist also nicht nur wie Dido, sondern auch wie Pallas. Valerius kann sich hierbei die Parallelen in der Figurenanlage zunutze machen, die sich auch in der Vorlage finden: Sowohl die karthagische Königin als auch der Sohn des Königs von Pallanteum nehmen die Trojaner gastfreundlich auf. Die Begegnung mit Aeneas führt für beide Figuren zum Tod, wie auch Cyzicus’ Tod aus der Begegnung mit Jason und den Argonauten resultiert. Das Zitat in der Begrüßungsszene fungiert dabei als Detail, das den Rezipienten auf die allmähliche Erweiterung des Bezugsrahmens im weiteren Verlauf der Cyzicus-Episode einstimmt, in der Bezüge zu Aen. 1 und 2 mit Bezügen zu Aen. 7 und 8 verbunden werden, sodass eine Überblendung der Iliupersis mit dem Krieg in Latium erfolgt. Anders als Apollonios teilt Valerius die Cyzicus-Episode auf zwei Bücher auf:24 Ein Gastmahl bildet den Abschluss von Arg. 2, während Abfahrt, unbeabsichtigte Rückkehr und Nachtgefecht in Arg. 3 erzählt werden. Diese Aufteilung des Stoffes ist der Aeneis nachgebildet, wo der Beginn des Gastmahls in Didos Palast ebenfalls durch ein Buchende von der Fortsetzung des Gastmahls und der Kriegserzählung abgegrenzt wird. So werden die beiden Kriegserzählungen, vorgetragen von einem sekundären Erzähler (Aeneis) bzw. dem Primärerzähler (Argonautica), strukturell miteinander verbunden. Am Anfang des dritten Buches wird allerdings wieder die zweite AeneisHälfte evoziert, indem ein Musenanruf (Val. Fl. 3,14–18) eingelegt wird, der den Rezipienten wie das Zwischenproömium in Aen. 7,37–44 auf die folgende Kriegshandlung einstimmt. Die Bitte des Erzählers, Clio, die Muse der Geschichtsschreibung, möge ihm die „Gründe“ des folgenden Geschehens nennen (mihi nunc causas … pande), lässt auch an die ähnliche Bitte des vergilischen Erzählers in Aen. 1,8 denken.25 Wie Anke Walter bemerkt, spiegelt sich im 23
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Aen. 8,121 (obstipuit tanto percussus nomine) ~ Val. Fl. 2,638 (miraturque viros); Aen. 8,124 (excepitque manu dextramque amplexus inhaesit) ~ Val. Fl. 2,638 (dextramque amplexus et haerens). Poortvliet 1991a, 315 zu 2,638f. führt mirabarque duces ([Euander über die Teukrerfürsten] Aen. 8,161) als Parallelstelle an. Auch Ripoll 2019, 34 zieht eine Parallele zwischen der Bewunderung des jungen Euander für die trojanischen Fürsten und jener des Cyzicus für die Argonauten. Zur Aufteilung der Episode auf zwei Bücher und die angestrebte Strukturparallele zur Aeneis siehe Barich 1982, 138; Poortvliet 1991a, 310; Dräger 2003, 403. Verg. Aen. 1,8 (Musa, mihi causas memora) ~ Val. Fl. 3,14f. (tu mihi nunc causas … , Clio, / pande!). Die Nennung der Muse der Geschichtsschreibung (vgl. die nicht näher bezeichnete Musa Vergils) dürfte die zeitgeschichtliche Relevanz dieser mythologischen Episode unterstreichen.
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anklagenden Tonfall des Erzählers, der danach fragt, wie Jupiter solch „unsägliche Kämpfe“ (infanda … proelia) zulassen konnte, zusätzlich der letzte Musenanruf der Aeneis wider. Dort fragt der Erzähler, ob es denn Jupiters Beschluss gewesen sei, dass die künftig in ewigem Frieden vereinten Völker mit solcher Leidenschaft gegeneinander gekämpft hätten (tanton placuit concurrere motu, / Iuppiter, aeterna gentis in pace futuras?: Aen. 12,503f.).26 Verweise auf Anfang, Mitte und Ende der Aeneis unterstreichen den umfassenden Modellcharakter der folgenden Schlachtschilderung, die – mythenchronologisch – gleichzeitig den Fall Trojas und den Krieg in Latium vorwegnimmt und somit die qualitative Unterscheidbarkeit dieser beiden Kriege in Zweifel zieht.27 Die detaillierte Nachbildung einzelner Szenen aus Aen. 1 und Aen. 2 in der Hinführung zur Nyktomachie lässt erwarten, dass die Schlachtschilderung nach dem Muster der vom Sekundärerzähler Aeneas erzählten Iliupersis gestaltet sein würde. Diese Erwartung unterläuft Valerius jedoch, indem er zunächst die göttliche Motivation der Dolionenschlacht erläutert. Die Schlacht habe ihre Ursache im Rachewunsch der Göttin Kybele für eine von Cyzicus erlittene Kränkung – eine Konzeption, die dem Dichter abermals Gelegenheit bietet, Bezüge zum Krieg in Latium einzulegen. Cyzicus habe „getäuscht vom gewaltigen Verlangen nach Beute“ (ingenti praedae deceptus amore: 3,21) bei der Jagd auf dem Berg Dindymon einen Löwen der Kybele erlegt. Diese Charakterisierung des Dolionenkönigs verweist den Leser auf Vergils Ascanius in Aen. 7, der „angestachelt vom Verlangen nach besonderer Anerkennung“ (eximiae laudis succensus amore: 7,496) Silvias Hirsch verwundet.28 Dieses Ereignis beschreibt der Erzähler als „ersten Grund aller Leiden“ (prima laborum / causa fuit: 7,481), löst es doch den Krieg zwischen Latinern und Trojanern aus. Um für das unbeabsichtigte Vergehen des Cyzicus Rache zu nehmen, erscheinen der Kybele die heransegelnden Argonauten als passendes Werkzeug. Der Erzähler charakterisiert sie als Göttin, die „den so großen Zorn nicht ver-
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Siehe Walter 2014, 44. Anders Walter 2014, 44: „Diese Parallelen zur ersten und letzten Musenanrufung der Aeneis legen nahe, dass die von Valerius dargestellte Schlacht in der Tradition des vergilischen Epos steht, ja dass sie in gewisser Hinsicht die gesamte Aeneis umfasst – und dass der programmatische erste Kampf der Argonauten dort beginnt, wo die Aeneis endet.“ Siehe zu dieser Parallele Stover 2012, 129, der allerdings die Schuld des Cyzicus höher als jene des Ascanius einschätzt und dem Dolionenkönig (wie Hershkowitz 1998, 173) gar Züge des contemptor divum Mezentius zuschreibt: „Valerius’ Cyzicus comes away looking far worse than Vergil’s Ascanius, who kills Silvia’s stag at the instigation of Allecto. Cyzicus, by contrast, is incited by his own heedlessness, a fact that renders him more culpable than Ascanius.“
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gisst“ (tantae non immemor irae: 3,27).29 Nachdem erzählt wird, wie Tiphys einschläft und die Argo zur Insel zurückgetrieben wird, folgt die Schilderung des durch Pan und Bellona angestachelten Kampfes. Hierbei dient erneut das siebte Aeneis-Buch mit dem von der Furie Allecto hervorgerufenen Krieg als Vorbild.30 Bezüge zu beiden Kriegsnarrativen der Aeneis finden sich auch in der eigentlichen Beschreibung der Nyktomachie (3,95–248), die im Vergleich zur knappen Erzählung bei Apollonios (1,1026–1052) stark erweitert wurde. Das Chaos und die Verwirrung, die beim nächtlichen Angriff der Griechen auf Troja um sich greifen, machen das zweite Aeneis-Buch zu einer ergiebigen Quelle für die ebenfalls bei Nacht stattfindende Dolionenschlacht.31 Bereits die erste Kampfszene, in welcher der Dolione Corythus auf den Argonauten Eurytus trifft, wird mit einem aus Aen. 2 übernommenen Gleichnis illustriert.32 Sobald der Dichter den Blick auf die Stadt richtet, wird die vergilische Schlachtbeschreibung durch wörtliche Zitate aufgerufen: „Aber inzwischen wird die Stadt, aufgewühlt von verschiedener Erregung, noch mehr erschüttert“ (Val. Fl. 3,113: at magis interea diverso turbida motu / urbs agitur ~ Aen. 2,298f.: diverso interea miscentur moenia luctu, / et magis atque magis). Weitere Hinweise, die Iliupersis sei als Modell für die Dolionenschlacht anzusehen,33 finden sich etwa in der Beschreibung des Priesters Medon, der wie Vergils Panthus ein begonnenes Ritual abbricht, um an der Schlacht teilzunehmen,34 und im Tod des Königs als Ende und Höhepunkt der Schlachtenschilderung.35 29 30 31
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Vgl. Aen. 1,4 (saevae memorem Iunonis ob iram); Aen. 1,11 (tantaene animis caelestibus irae?). Schenk 1999, 160 mit Anm. 177 bietet eine detaillierte Auflistung der Parallelen. Zu Aen. 2 als Vorlage für die Dolionenschlacht siehe Hardie 1993, 87; Schenk 1999, 247–257; Heerink 2016, 517: „The night-time battle at Troy between Greeks and Trojans in Aeneid 2, for instance, is an important intertext for Valerius’ entire Cyzicus episode, but when Valerius turns from the first battle scene in the harbour to the battle in the city, it becomes particularly prominent.“ Aen. 2,304–308 ~ Val. Fl. 2,101 f. Zu diesem Gleichnis, das strukturell die Stellung des vergilischen Schlangengleichnisses (Aen. 2,379–382) einnimmt, siehe Schenk 1999, 224f. Vgl. Schenk 1999, 228: „Die Nyktomachie des zweiten Aeneisbuches stellt das maßgebliche Korrektiv dar, mit dessen Hilfe Valerius die von Apollonios übernommenen Grundzüge der Handlung zugunsten einer erweiterten Funktion des Kriegsthemas modifiziert.“ Aen. 2,318–321 ~ Val. Fl. 2,117–121. Vgl. zu dieser Parallele Heerink 2016, 519. Heerink hält jedoch die Stelle in Aen. 8, an der Pallas verbietet, das begonnene Ritual abzubrechen, für das entscheidendere Vorbild: „Pallas thus prevents a tragic misunderstanding like the one in Valerius’ Cyzicus episode, and the Greeks and Trojans become allies. Again we are dealing with a Valerian inversion of the Aeneid, as Medon does interrupt his ritual and unwittingly fights his friends and allies“ (Hervorhebung im Original). Zum Tod des Priamus in der Aeneis siehe Schenk 1999, 255: „Der Gipfel der vergilischen
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Daneben gibt es aber auch die Möglichkeit, das nächtliche Gefecht zwischen den Argonauten und den Dolionen als einen Krieg in Latium en miniature aufzufassen.36 Dafür sprechen größere strukturelle Entsprechungen (Zorn der Kybele ~ Zorn der Juno; Erlegung des Löwen durch Cyzicus ~ Verwundung des Hirschs durch Ascanius; Erregung der Schlacht durch Allecto ~ Erregung der Schlacht durch Pan/Bellona) sowie zahlreiche Detailbezüge.37 Cyzicus wird von Bellona aus dem Schlaf gerissen und stürzt sich wie von Sinnen (demens) in die Schlacht (3,58–64), was die Kommentatoren als mögliche Reminiszenz an das ähnliche Verhalten des Turnus nach dem nächtlichen Besuch der Furie Allecto (Aen. 7,456–462) bewerten.38 In Cyzicus’ Scheltrede, in der er die Dolionen der Trägheit bezichtigt (Val. Fl. 3,230–234), fließen Motive aus der Rede des Numanus (Aen. 9,598–620) bzw. des Tarchon (Aen. 11,732–740) ineinander. Beide vergilische Figuren kontrastieren – wie Cyzicus – die feige Zurückhaltung der Männer im Kampf mit dem größeren Eifer im Kult (des Bacchus- bzw. der Kybele).39 Nach dieser Rede befällt den König eine von der Göttin auferlegte Ermattung, die sich mit dem Nachlassen der Kräfte des Turnus, nachdem Juno dessen Unterstützung aufgegeben hat, vergleichen lässt.40 Doch es gehört zur dissonanten Polyphonie der Dolionenschlacht, dass Cyzicus nicht nur an vergilische Antagonisten, sondern auch an Verbündete der Aeneaden angeglichen wird. Die Trauer des Jason um den toten Gastfreund, für den er eine Grabrede hält, entspricht Aeneas’ Trauer um seinen toten Freund Pallas.41 Die Rede, die Cyzicus’ Witwe Clite bei dieser Gelegenheit hält, weist neben den homerischen Bezügen42 auch Übereinstimmungen mit der Totenklage der Mutter des Euryalus auf.43
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Nyktomachie ist erreicht. In und mit Priamos stirbt Troja. Um diese symbolische Aussage zu gewinnen, hat Vergil den Tod des Königs entgegen der ihm bekannten Tradition an das Ende der Iliupersis gesetzt.“ Bei Apollonios ist Kyzikos das erste Opfer, während sein Tod bei Valerius den Höhepunkt und das Ende der Schlacht markiert. Vgl. Heerink 2016, 516 f. Vgl. Hershkowitz 1998, 173f. mit Anm. 261–265 zu den Übereinstimmungen im Einzelnen. Spaltenstein 2004a, 23 f. zu 3,58–63; Manuwald 2015, 82. Zur Scheltrede des Cyzicus siehe Stover 2012, 131 f.; Manuwald 2015, 124f. Aen. 9,801–811 mit Hershkowitz 1998, 173 Anm. 263. Aen. 11,42–58 (Aeneas’ Rede an der Totenbahre des Pallas) ~ Val. Fl. 3,290–313 (Jasons Grabrede für Cyzicus). Siehe zu dieser Parallele Barich 1982, 139f.: „In Jason’s lament over the body of Cyzicus, language is adapted from Aeneas’ apostrophe to the slain Pallas.“; Dräger 2003, 414 zu 3,290–313; Manuwald 2015, 141 zu 3,290. Vgl. insbesondere Andromaches Abschied von Hektor (Il. 6,407–439) und die Totenklage der Andromache (Il. 24,722–745). Aen. 9,481–497 (Totenklage der Mutter des Euryalus) ~ Val. Fl. 3,316–329 (Totenklage der Clite). Siehe Manuwald 2015, 148.
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Der Einfluss der vergilischen Darstellung des Kriegs in Latium auf die Cyzicus-Episode beschränkt sich also nicht auf die Rezeption der AllectoHandlung.44 In Valerius’ Cyzicus-Episode scheint eine viel weitreichendere Verschmelzung der beiden Kriegsnarrative der Aeneis (die Zerstörung Trojas durch die Griechen; der Proto-Bürgerkrieg zwischen den Aeneaden und den Latinern) angestrebt zu sein. Das Ergebnis ist ein komplexes Kriegsnarrativ mit einer aus den Prätexten gewonnenen, aber von diesen abgehobenen Sinnrichtung. Denn die Vermischung der beiden vergilischen Kriegsnarrative erlaubt es dem Dichter, in der Cyzicus-Episode zwei entgegengesetzte Erzählperspektiven aufeinanderprallen zu lassen. Die Iliupersis ist das Modell für ein chaotisches, nächtliches Gefecht zwischen zwei verfeindeten Kriegsparteien, das in der Aeneis einen entscheidenden historischen Wendepunkt markiert: Die Zerstörung Trojas ermöglicht die Gründung Roms. Die Argonauten, die im Lichte dieses Vorbilds die Rolle von Vergils angreifenden Griechen übernehmen, erscheinen als Kriegsmacht, die in dieser ersten kriegerischen Auseinandersetzung zwischen Europa und Asien den ersten Schritt zur Umsetzung von Jupiters Weltenplan setzt. Der Krieg in Latium hingegen, der bereits bei Vergil als Proto-Bürgerkrieg markiert ist,45 wird herangezogen, um die Dolionenschlacht in Anlehnung an diesen römischen Ur-Bürgerkrieg zu gestalten, allerdings ohne das positive Telos dieses Krieges, die Verschmelzung der Kriegsparteien zu einer neuen gens, zu übernehmen. Ganz im Gegenteil erlebt der Rezipient in der Nyktomachie des flavischen Dichters ein buchstäblich sinnloses Blutvergießen. Valerius’ discordia-Narrativ vermischt also zwei vergilische Kriegsschilderungen, die zu verschiedenen Stufen des teleologischen Programms der Aeneis gehören. Wie bereits angedeutet bewirkt diese Konzeption auch eine gewisse Widersprüchlichkeit in der Rollenzuschreibung: Bei der Begrüßung der Argonauten durch Cyzicus wird der Rezipient durch intertextuelle Verweise auf die strukturelle Entsprechung der Szene zu Vergils Dido-Episode aufmerksam.46 Die auf der Halbinsel landenden Argonauten werden somit mit den in Karthago gestrandeten Trojanern parallelisiert. Konsequenterweise erhält Cyzicus
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Vgl. z. B. Schenk 1999, 162: „Der Geschehensablauf des zweiten Aeneisbuches wird in seinen Grundzügen nachgebildet. Ihm unterlegt Valerius, indem er zugleich die Handlungsstruktur der Allectoszenen aufnimmt, deren Sinndeutung.“ Vgl. Stover 2012, 113 Anm. 4 (mit weiterer Literatur). Die Aufnahme der Aeneaden durch Dido im ersten Aeneis-Buch bietet auch bei der Ankunft der Argonauten auf Lemnos und in Kolchis einen wichtigen intertextuellen Bezugspunkt. Zur wiederholten Bezugnahme des Valerius auf Vergils Dido-Episode siehe Heerink 2020, 194–199.
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in der Schlachtbeschreibung Züge des Turnus, des Gegenspielers der vergilischen Trojaner in Latium. Außerdem ist die Begegnung des Dolionen Corythus mit Eurytus (3,99–102) samt anschließendem Gleichnis nach einem vergilischen Vorbild gebaut, das erneut erlaubt, die Argonauten mit Vergils Trojanern zu assoziieren: In der Nyktomachie der Aeneis trifft der Grieche Androgeos auf eine Schar von Trojanern und hält sie zunächst für seine Landsleute, bemerkt dann aber seinen Irrtum. Er erschrickt, als wäre er einer Schlange begegnet, und weicht zurück (Aen. 2,370–382). Der Dolione Corythus, die Parallelfigur zum Griechen Androgeos, der sogleich von Tydeus erschlagen wird, hat weniger Glück.47 Neben dieser Rollenverteilung (Argonauten ~ Trojaner; Dolionen ~ Griechen) findet sich in der Dolionenschlacht aber auch die umgekehrte Zuschreibung.48 Der Untergang der jeweiligen Städte (Troja ~ Cyzicus) wird ähnlich beschrieben49 und auch auf der Figurenebene lassen sich Übereinstimmungen zwischen den Trojanern und den Dolionen feststellen, wie das Beispiel des Priesters Panthus gezeigt hat.50 So sind sowohl Argonauten als auch Dolionen an verschiedenen Handlungspunkten wie die Trojaner, aber auch wie ihre jeweiligen Kriegsgegner in Troja und Latium.51 Diese ambivalente Rollenzuschreibung, in der beide Seiten Züge der Aeneaden und der Griechen bzw. Latiner in sich vereinen, lässt an Lucans Strategie denken, im Bürgerkrieg die Unterscheidbarkeit der Kriegsparteien aufzuheben und das Konstrukt einer Antithese von Helden und Widersachern zu verweigern.52 Die beobachtete Instabilität in der Rollenverteilung verbietet es auch in Valerius’ Cyzicus-Episode, eine moralisch gute von einer schlechten Seite 47
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Vgl. zu dieser Szene und zum Einsatz des Gleichnisses, das zwei vergilische Vorbilder kombiniert, Schenk 1999, 222–226 (hier 224): „Da Androgeos dem Corythus und die Griechen der Aeneis den Dolionen entsprechen, müssen die angreifenden Troer mit den abwartenden Argonauten verglichen werden.“ Vgl. Heerink 2016, 518 f.: „Valerius immediately evokes Aeneid 2 […]. One possible interpretation of this allusion is that it suggests that we are in the Cyzicus episode dealing with a battle between a good and a bad side […]. By analogy, however, the Doliones – and not the Argonauts – would be the Virgilian Trojans and thus the ‘good guys’.“ Aen. 2,298–301 ~ Val. Fl. 3,113 f. Siehe oben Anm. 34. Eine ähnliche Strategie stellt Peter Davis in der Lemnos-Episode fest, in welcher die Lemnierinnen zunächst wie die trojanischen Frauen, dann wie die plündernden Griechen auftreten. Siehe Davis 2015, 164–167. Vgl. Masters 1992, 49; Stover 2012, 114. Das Aufheben der Unterschiede zwischen Bürgerkriegsparteien ist freilich nicht auf Lucan beschränkt, wie David Quint festhält: „At Virgil’s Actium the sides are sharply drawn between the forces of Augustus and Antony, although the historical battle was, in fact, the climax of a civil war, Roman against Roman, where distinctions between contending factions were liable to collapse“ (Quint 1993, 3). Fran Alexis ergänzt: „It goes without saying that the difference between Aeneas and Turnus as well as
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zu unterscheiden.53 Dieses Merkmal der Episode resultiert aus ihrer grundlegenden Ambivalenz, kann sie doch gleichzeitig als epische Bewährungsprobe im Sinne der im Proömium und im Weltenplan entwickelten Perspektive gelesen werden, aber ebenso als tragischer, sinnlos scheinender Bürgerkrieg, der nur dem Ziel dient, eine zürnende Göttin zu besänftigen.54 Der Dichter hält diese Doppelperspektive konsequent aufrecht und verlangt es dem Rezipienten somit ab, die Spannung zwischen diesen beiden Polen – bellum externum und bellum civile – als kennzeichnendes Merkmal der Episode anzuerkennen und beide Elemente in gleichem Maße wirken zu lassen. Die Uneinigkeit, die in der Forschung bezüglich der Interpretation der Cyzicus-Episode herrscht, stammt zum größten Teil daher, dass einzelne Interpreten dazu tendieren, einen der beiden Aspekte auf Kosten des anderen stärker zu betonen und – auch wenn störende Zwischentöne eingeräumt werden – zum wichtigeren zu erklären.55 Aufgrund der mehr oder weniger stark ausgeprägten Einseitigkeit
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between the Trojans and the Rutulians or Latins also breaks down when pressed“ (Alexis 2011, 118 Anm. 20). Anders Stover 2012, 114: „One of the primary ways in which Valerius counters Lucan’s presentation of civil war is by giving his accounts of civil strife a particularly strong moral dimension: even in the midst of bellum civile, there is a clearly defined ‘right side’ and a clearly defined ‘wrong side’.“ Stover stützt seine Interpretation hauptsächlich auf den Frevel des Cyzicus beim Erlegen des Löwen der Kybele und auf den Einsatz des Gigantomachie-Motivs in der Schlachtenbeschreibung (siehe unten Kap. 3.4). Zum ‚tragischen‘ Charakter der Cyzicus-Episode siehe Garson 1964, 271f.; Antoniadis 2017, 647; Cowan 2021. Auf der einen Seite wird argumentiert, es handle sich bei der Nyktomachie um einen Kampf, bei dem die Argonauten ihre heldischen Qualitäten unter Beweis stellen und sich um die Verwirklichung von Jupiters Plänen verdient machen würden: siehe Adamietz 1976, 45 f. (die Helden bewährten sich im Kampf; die Möglichkeit des tragischen Irrtums werde zum Teil des heldischen Daseins erklärt); Schenk 1999, 69f.; 270.276.280 (sowohl die nächtlichen Kämpfe gegen die Dolionen als auch der Krieg in Kolchis entsprächen einer machtorientierten Vorstellung vom Krieg und gehorchten dem Prinzip der Jupiterrede, laut dem das militärisch stärkste Volk die Macht verdiene; die Eroberung neuer Gebiete [sc. durch Vespasian und Titus] würde auf mythischer Ebene gespiegelt und die negativen Begleitumstände sowie die Bedeutung des Bürgerkriegs reduziert); Hershkowitz 1998, 174 (Cyzicus als gottloser Frevler, der durch Jason seine gerechte Strafe erhalte); Stover 2012, 114.125.148 (die Nyktomachie ende mit dem Sieg der moralisch überlegenen Argonauten, die im Auftrag Jupiters eine neue Weltordnung begründen und den contemptor divum Cyzicus sowie dessen Untertanen vernichten würden, die der Dichter an die Giganten angleiche. Die Episode beweise, dass – mythologische und historische – Bürgerkriege Anlass zu positivem historischen Wandel geben können). Zum Einsatz des Gigantomachie-Motivs siehe auch Stover 2012, 133–148. Auf der anderen Seite werden die problematischen Aspekte stärker betont, etwa in den Deutungen von Hardie 1993, 87 (fragwürdige Rolle Jupiters, der zu spät einschreitet, um das gegenseitige Morden der
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solcher Deutungen ist die Multiperspektivität der Episode in der Interpretation nicht zu glätten, sondern vielmehr als ihr konstitutives Merkmal anzuerkennen: Die Dolionenschlacht ist einerseits ein tragischer Bürgerkrieg, der auf ähnliche Konflikte in der römischen Geschichte vorausweist,56 und andererseits ein Triumph einer imperialen Macht über einen äußeren Feind. Die Argonauten verwirklichen Jupiters kosmisches Programm, machen sich dabei aber nach subjektivem Empfinden schuldig.57 Die unaufgelöste und unauflösbare Spannung zwischen diesen beiden Polen macht die Stelle dissonant und polyphon. Rückblick: Unter Rückgriff auf Vergilisches (Dido-Handlung, Iliupersis, Krieg in Latium) gestaltet Valerius in der Cyzicus-Episode den bei Apollonios vorgefundenen Stoff zu einer deutlich längeren und komplexeren Erzählung um. Die Kontamination der Zerstörung Trojas mit dem Krieg in Latium lässt einerseits die Gültigkeit der teleologischen Geschichtsperspektive der Aeneis zweifelhaft erscheinen und ermöglicht andererseits, die Nyktomachie als Bürgerkrieg und gleichzeitig als bellum externum zu interpretieren. Zeithistorisch perspektiviert lässt sich die Episode somit als Vorwegnahme römischer Triumphe über äußere Feinde, aber auch als düsterer Vorbote römischer Bürgerkriege lesen. Die bisherige Forschung hat jeweils eine dieser Perspektiven auf Kosten der anderen zur wichtigeren erklärt und konnte so das Bedeutungsspektrum der Episode nur unzureichend erfassen.
3.2
alium prospectus in orbem? Die kulturelle Gleichheit von Dolionen und Argonauten
Die erstmalige Öffnung der Meere und der Durchbruch in eine neue, unerschlossene Welt ist in den Argonautica ein Motiv von überragender Bedeutung. Die weltgeschichtliche Dimension der Unternehmung wird im ersten Wort des
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Gastfreunde zu unterbinden); McGuire 1997, 112 f. (die Bürgerkiege in den Argonautica bedingten keinen positiven Wandel, sondern seien Teil eines „unbreakable cycle“ der discordia, der auch für die römische Geschichte kennzeichnend sei); Walter 2014, 45 (der Proto-Bürgerkrieg auf Cyzicus sei das Vorbild für alle späteren mythischen oder historischen Bürgerkriege); Heerink 2016, 517 (die Auflösung der vergilischen Antithese zwischen der zerstörten Stadt Troja und der zu gründenden Stadt Rom stelle Vergils teleologisches Programm infrage; anders als bei Vergil würden die Bürgerkriegsnarrative bei Valerius keinen positiven historischen Wandel einläuten). Vgl. Hardie 1993, 87: „[I]n the Cyzicene episode Valerius has found a mythological episode whose pertinence to the experiences of Roman history is uncomfortably clear.“ Zum Nebeneinander von fatum und nefas in der Cyzicus Episode siehe unten Kap. 3.3.
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Gedichts, prima, programmatisch angekündigt,58 sodass der Rezipient die erste Fahrt eines griechischen Schiffs nach Asien mit Spannung erwartet. Mit der Durchfahrt des Hellesponts, bei der den Argonauten die vergöttlichte Helle erscheint (2,579–612), scheint die Verbindung der vormals getrennten Erdteile gelungen zu sein. Im Kontext des Werkganzen handelt es sich hierbei um einen Schlüsselmoment, der den von Jupiter gewünschten Kontakt zwischen den Völkern zum Zweck des militärischen Wettstreits um die Weltherrschaft ermöglicht:59 tum pelago vina invergens dux … […] immittitque ratem mediasque intervolat urbes qua brevibus furit aestus aquis Asiamque prementem effugit abruptis Europa immanior oris. Val. Fl. 2,610.613–615
Das Weltenplan-Motiv vom Kräftemessen zwischen den Kontinenten wird auf die Landschaft übertragen,60 wenn davon die Rede ist, die europäische Seite fliehe vor dem Andrang Asiens (Asiam … prementem). Auch die narratoriale Bemerkung, es eröffne sich vor den Augen der Argonauten eine neue Welt (incipiens alium prospectus in orbem: 2,628),61 greift die Weltenplan-Rede und den Gedanken von der Öffnung der Meere durch die Argo auf.62 Bei der Beschreibung dieser „neuen Welt“ kommt in einer erzählerischen Zoombewegung zu58
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Vgl. Manuwald 2015, 9–12 (hier 9): „The prominent initial word prima (1.1.) announces an event of world-historical significance.“ Es ist seit Homer typisch für episches Dichten, im ersten Wort eine programmatische Themenangabe zu bieten. Sowohl Ilias als auch Odyssee beginnen mit einem programmatischen Schlüsselbegriff (keyword): „[B]oth Homeric epics […] place their programmatic statement, like a lemma, at the start of the first line (μῆνιν; ἄνδρα)“ (Schindler 2019, 498), was in Folge epische Konvention wurde: „As in the initial proems, the plea for inspiration in the internal proems is always linked to the epic’s programmatic statement.“ Schindler 2019, 495–506 bietet eine Diskussion der Anfangsproömien bei Homer, Vergil, Valerius Flaccus, Statius und Silius Italicus unter Berücksichtigung ihres programmatischen Gehalts. Zur Bedeutung der Einfahrt der Argo in den Hellespont und zum Platz der CyzicusEpisode im Weltenplan siehe Otte 1992, 77f.; Manuwald 1999, 176; Stover 2012, 126; Manuwald 2014, 472–474; Manuwald 2015, 25–27. Vgl. Spaltenstein 2002, 478 zu 2,613: „Val. donne à cette idée une couleur dynamique en supposant une agression de l’Asie et la crainte de l’Europe.“ Bei Apollonios fehlt an analoger Stelle eine vergleichbare narratoriale Äußerung (vgl. Spaltenstein 2002, 481 zu 2,627). Adamietz 1976, 42; Poortvliet 1991a, 311 zu 2,627f.; Dräger 2003, 401 zu 2,628. Der Gedanke, dass durch die Argonautenfahrt verschiedene Welten miteinander verbunden würden,
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nächst die weitere Umgebung (terra: 2,629), dann eine Stadt (urbs: 2,635) und schließlich der König dieser Stadt (Cyzicus: 2,636) in den Blick, wobei die genannten Schlüsselbegriffe jeweils am Versanfang stehen. Die erste Begegnung mit dem Fremden am Rand der bekannten Welt erlebt der Rezipient somit aus der figuralen Perspektive der Argonauten.63 Die Begrüßungsrede des Königs an die Helden verringert jedoch unmittelbar den Eindruck der Fremdheit der Peripherie: ‘o terris nunc primum cognita nostris Emathiae manus et fama mihi maior imago, non tamen haec adeo semota neque ardua tellus regnaque64 iam populis impervia lucis eoae, cum tales intrasse duces, tot robora cerno. nam licet hinc saevas tellus alat horrida gentes meque fremens tumido circumfluat ore Propontis, vestra fides ritus⟨que⟩ pares et mitia cultu his etiam mihi corda locis. procul effera virtus Bebrycis et Scythici procul inclementia sacri.’ Val. Fl. 2,639–648
Cyzicus bestätigt, dass „zum ersten Mal“ (primum) eine „Mannschaft aus Thessalien“ (Emathiae manus) sein Land betrete. Es könne also nicht „entlegen“ (semota) und „unerreichbar“ (ardua) sein, wenn „solche Anführer“ (tales … duces) und „so viele Helden“ (tot robora) angekommen seien. Die Königreiche des Ostens (regna … lucis eoae) seien für die Völker (populis) nicht länger unzugänglich (impervia).65 Diese Wortwahl verweist den Rezipienten zum einen auf die Themenankündigung in der propositio (prima … freta pervia: 1,1), zum anderen auf Jupiters Plan vom militärischen Wettstreit zwischen den Völkern (1,556–560).
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begegnet auch in der Rede des Aeetes, der die Argonauten als „Saat von einer anderen Welt“ (orbe satos alio: 7,35) bezeichnet. Vgl. Harper Smith 1987, 265 zu 2,628. Vgl. Schenk 1999, 79 Anm. 14: „Der Leser wird mit den Augen der Argonauten, die von See her zuerst das Land, dann die Stadt und zuletzt den zum Strand geeilten König erblicken, an die Episode herangeführt.“ Das in γ überlieferte longaque erschien bereits frühen Herausgebern verdächtig: Burman konjiziert nec loca, Thilo regnaque, das Liberman und Spaltenstein (gegen Poortvliet 1991a und Dräger 2003) akzeptieren. Ehlers setzt longaque zwischen cruces. Das Hyperbaton (sollte Thilos Konjektur richtig sein) dient der Hervorhebung der weiten Entfernung dieser Länder. Vgl. Harper Smith 1987, 271 zu 2,642.
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Doch der Gedanke von der ersten Öffnung der Meere und dem ersten Kontakt zwischen den Völkern wird sogleich destabilisiert. Anders als bei Apollonios, wo sich Cyzicus erst nach dem Zweck der Fahrt und der Herkunft der Helden erkundigt, bevor er sie bei sich aufnimmt (AR 1,962f.), weiß Valerius’ Cyzicus von Anfang an, um wen es sich bei seinen Besuchern handelt.66 Problemlos kann er die „neuen Zeichen des thessalischen Schiffs“ (Haemoniae … nova signa carinae: 2,636) identifizieren und den Herkunftsort der Argo (Emathiae) korrekt benennen.67 Hinter beiden Details verbergen sich Anspielungen auf Lucans Bellum civile, die den kundigen Leser auf den düsteren weiteren Verlauf der Episode im dritten Buch einstimmen. Lucan lässt im siebten Buch einen nicht namentlich genannten Auguren auf das nahende Ende Roms hinweisen: „Der letzte Tag ist gekommen, der größte Kampf findet statt“ (venit summa dies, geritur res maxima: Lucan. 7,196). Die Vorzeichen, die auf der ganzen Welt zu beobachten gewesen seien, werden als nova signa (Lucan. 7,203) bezeichnet. Wie diese nova signa die Selbstzerfleischung Roms in der Schlacht von Pharsalos ankündigen, so bedeuten die nova signa der Argo den Untergang für König Cyzicus und die Dolionen. Vielsagend ist auch die Anrede der griechischen Helden als „Schar Emathias“ (Emathiae manus). In der römischen Literatur ist Emathia seit Vergils Georgica mit den Schlachten von Philippi und Pharsalos verknüpft.68 Lucan definiert das Toponym – das in den Argonautica nur an dieser einen Stelle gebraucht wird – an exponierter Stelle als Schauplatz der wichtigsten Schlacht zwischen Caesar und Pompeius, wenn er im ersten Vers ankündigt, „den Krieg in den Gefilden von Emathia, der mehr war als ein Bürgerkrieg“ (bella per Emathios plus quam civilia campos: Lucan. 1,1) zu besingen. Die Erinnerung, dass die Argonauten ausgerechnet dem Gebiet entstammen, das seit Lucan untrennbar mit der Bürgerkriegsthematik verbunden ist, wirft ein düsteres Licht auf die scheinbar unbeschwerte Begrüßungsszene.69 Die beiden Lucan-Bezüge stimmen den Rezipienten auf die Bürgerkriegshandlung in Arg. 3 ein und werfen die Frage auf, inwiefern die mythologische Nyktomachie für römische Bürgerkriege Modellcharakter haben kann. Wie dem König der Propontis-Halbinsel, die vor der Öffnung der Meere durch die Argo von der restlichen Welt abgeschnitten gewesen sein müsste,
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Vgl. Harper Smith 1987, 269 zu 2,636: „Cyzicus is assumed to know who his visitors are.“ Es bleibt unklar, was genau mit diesen signa gemeint ist. In Frage kämen die Bilder am Schiffsbug (1,129–148) oder vorne ans Schiff geheftete Schilde (3,28f.). Vgl. Poortvliet 1991a, 315 zu 2,636–637; Dräger 2003, 402 zu 2,636. Siehe Verg. georg. 1,489–492; Otte 1992, 78. Vgl. Harper Smith 1987, 270 zu 2,640; Stover 2012, 125; Blum 2019, 78.
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die präzise Identifikation der Ankömmlinge als „Schar Emathias“ (Emathiae manus) gelingen kann, bleibt offen.70 Während Apollonios erklärt, dass Cyzicus ein Orakel erhalten habe, wonach ein „göttlicher Zug von Helden“ (ἀνδρῶν ἡρώων θεῖος στόλος: 1,970) herankommen werde, spricht Cyzicus bei Valerius vom Ruf ( fama), der den Helden vorausgeeilt sei. Wie François Spaltenstein kommentiert, ist es Teil der epischen Konvention, dass Helden einander kennen,71 doch in einem Gedicht, das von der ersten Öffnung der Meere handelt, drängt sich unweigerlich die Frage auf, auf welchem Wege die fama der Argonauten zu Cyzicus gelangen konnte. Die Antwort dürfte darin liegen, dass die Insel wesentlich besser mit ihrem Umland vernetzt ist, als es die permanente Rhetorik von der Pionierleistung der Argo erwarten lassen würde.72 Interessanterweise verfügt Cyzicus bei Apollonios (bei dem der Gedanke von der erstmaligen Erschließung der Meere keine Rolle spielt)73 über jene Art limitierten Wissens, das man eher von seinem valerianischen Pendant erwarten würde. Als sich die Argonauten nach den in der Propontis lebenden Völkern erkundigen, „konnte er es ihnen nicht ausführlicher sagen, obwohl sie es gerne erfahren hätten“ (οὐ μὲν ἐπιπρό / ἠείδει καταλέξαι ἐελδομένοισι δαῆναι: AR 1,983f.). Bei Valerius weiß Cyzicus dagegen genug über die Welt, um sein Volk mit den Bebrykern und sogar den weit entfernten Skythen vergleichen zu können (2,647f.).74 Die Dolionen verfügen über einen Hafen (2,656; 3,42; 3,45) und sind in einen Krieg mit den Pelasgern verwickelt, die regelmäßig mit ihren Schiffen (!) herankommen.75 70
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Vgl. Langen 1896, 200 zu 2,638: „Non liquet, qua ratione Cyzicus rex Argonautas novisse potuerit.“ Spaltensteins Erklärung, die in Vers 640 erwähnte fama sei der Grund für die erstaunlichen Kenntnisse des Königs, greift zu kurz (Spaltenstein 2002, 485 zu 2,639). Unbefriedigend ist auch die Erklärung bei Dräger 2003, 402 zu 2,639: „Cyzicus hat das thessalische Schiff vielleicht an den „Zeichen“, d. h. den thessalischen Mythen, erkannt, denn gehört hatte er schon davon ( fama).“ Vgl. Spaltenstein 2002, 484 zu 2,636: „Au reste, l’épopée se passe souvent des présentations entre personnages et les auteurs admettent implicitement que tous les héros se connaissent mutuellement.“ Siehe allein im ersten Buch 1,1.97.196f.; 1,599.606f.; 1,625f.; 1,765f. Obwohl die Argo weder von den Göttern, noch vom Primärerzähler jemals explizit als erstes Schiff bezeichnet wird (vgl. Seal 2014, 177), ist dies der logische Schluss, den der Leser aus den zitierten Passagen ziehen dürfte: „[T]aking these passages to mean that Argo is the first ship is by and large the most natural reading, but Valerius’ wording always leaves room for an alternative understanding“ (Seal 2014, 117 Anm. 15). Zu dieser Frage und grundsätzlich zum Motiv der Argo als erstem Schiff siehe Jackson 1997; Dräger 1999; Bär 2012; Söllradl (im Erscheinen c). Vgl. Stover 2012, 121. Anders Dräger 2003, 403 zu 2,658, der vorschlägt, ratis an dieser Stelle und in 2,108; 2,111; 2,285 als „Nachen“ oder „Kahn“ aufzufassen (so bereits Langen 1896, 202 zu 2,658: „rates
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Dieser „paradoxical cosmopolitanism“76 wird ein weiteres Mal in der Abschiedsszene sichtbar. Die Dolionen schenken den Argonauten zum Abschied Brot und Vieh, außerdem „Wein, nicht am bithynischen oder phrygischen Rebstock gewachsen, sondern solchen, den sein [i.e. Bacchus’] Lesbos vom bekannten Hügel über Helles Meerenge heranbringt“ (nec palmite Bacchum / Bithyno Phrygiove satum, sed quem sua noto / collo per angustae Lesbos freta suggerit Helles: 3,5–7).77 Die Dolionen wissen also über weit entfernte Länder Bescheid, ihre Stadt hat einen Hafen und sie trinken Wein von der griechischen Insel Lesbos. Der im ersten Buch vermittelte Eindruck, vor der Argofahrt lebten die Völker in weitgehender Isolation voneinander, wird dadurch zunehmend brüchiger. Entgegen der narratorialen Ankündigung, dass die Einfahrt in den Hellespont einen Blick in eine andere Welt ermögliche, treffen die Argonauten in der Propontis auf eine nach griechischem Vorbild zivilisierte und mit der näheren und weiteren Umgebung bestens vernetzte Ansiedlung. Die vom Rezipienten erwartete Fremdheit der Dolionen wird noch weiter reduziert, indem Cyzicus auf Wertevorstellungen ( fides), religiöse Rituale (ritus) und Bräuche (cultu) verweist,78 die er trotz der weiten Entfernung von Griechenland mit den Argonauten teile.79 Die fides des Dolionen-Königs er-
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quamquam poetae saepe dicunt pro navibus, tamen hoc loco propria sententia scripsit Valerius memor eius rei, quod narravit Argo primam navem esse“). Vgl. Drägers Notiz zu 2,109: „Der Schiffsbau war noch nicht verbreitet. […] Die Argo gilt bei Valerius als erstes, aus Holz gebautes (Hochsee-)Schiff“ (Dräger 2003, 379 zu 2,109 [Hervorhebung im Original]). Der Text bietet für diese Auffassung jedoch keinen Rückhalt, wie auch Poortvliet 1991a, 321 zu 2,655 ff. feststellt: „[T]here is no indication in the text that these vessels were rafts, and without it it is hazardous to interpret ratis as ‘raft’ in poetry.“ Stover 2012, 122 Anm. 29. Der Wein von Lesbos genoss in der Antike einen hervorragenden Ruf. Lesbos wird daher als Bacchus’ Insel (sua … Lesbos) bezeichnet. Manuwald 2015, 65 zu 3,5–7 nimmt die Stelle als weiteren Beleg dafür, dass es bereits vor der Öffnung der Meere durch die Argo regionalen Schiffsverkehr gegeben habe. Wie Poortvliet und Spaltenstein anmerken, bezeichnet ritus häufig in allgemeinem Sinn ‚Bräuche‘ oder ‚Sitten‘. Dass hier die religiöse Komponente des Begriffs gefragt ist, zeigt sich daran, dass die ritus der Dolionen von den kurz darauf genannten religiösen Praktiken der Skythen (Scythici … sacri) abgehoben werden sollen (vgl. Poortvliet 1991a, 318 zu 2,644 ff.; Spaltenstein 2002, 486 zu 2,644). Zur kulturellen Ähnlichkeit von Dolionen und Argonauten siehe Schenk 1999, 74–83; Bernstein 2008, 52–54; Stover 2012, 117–123; Blum 2019, 78. Der Hinweis auf gemeinsame Wertvorstellungen findet sich auch bei der Ankunft der Aeneaden in Karthago, wo Dido versichert: „Wir Punier tragen kein so abgestumpftes Herz in der Brust“ (non obtunsa adeo gestamus pectora Poeni: 1,567). Die kulturelle Nähe zwischen den Argonauten und den Bewohnern der Halbinsel Cyzicus ist in der Tradition nicht ohne Vorbild. In der bei Dei(l)ochus und Ephoros bezeugten Mythenvariante kämpfen die Argonauten auf Cyzicus nicht gegen die Dolionen, sondern gegen die aus Thessalien vertriebenen Pelasger
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klärt die freundliche Aufnahme der Argonauten. Bei Apollonios hatte der König ein Orakel erhalten, das ihm riet, die einst ankommenden göttlichen Helden gastfreundlich aufzunehmen (AR 1,969–971); bei Valerius handelt er aus einem Gefühl der Verpflichtung heraus.80 Er distanziert sich von der effera virtus des Bebrykerkönigs Amycus, der Ankömmlinge entweder ins Meer wirft oder zu einem Boxkampf mit tödlichem Ausgang herausfordere.81 Die eigenen religiösen Praktiken kontrastiert er mit der inclementia sacri der Skythen, die der taurischen Diana Menschenopfer darbringen würden.82 Kurz gesagt empfängt Cyzicus die Argonauten als „Vertreter eines kulturell verwandten Volkes.“83 Die Existenz eines Volkes in der Propontis, das die Werte, Religion und Kultur der Griechen teilt, widerspricht der Vorstellung, dass die Völker der Erde bis zur Argofahrt voneinander getrennt sind und erst nach der Öffnung der Meere miteinander in Kontakt kommen. Die gemeinsamen kulturellen Wurzeln von Argonauten und Dolionen bleiben für die Beurteilung der Episode nicht ohne Konsequenz: Wenn die beiden Parteien demselben Kulturkreis zuzurechnen sind, kann die Nyktomachie kaum als Konflikt zwischen Zentrum und Peripherie bzw. zwischen Griechen und Fremden bewertet werden. Die Lucan-Bezüge, die in Cyzicus’ Begrüßungsrede eingeflochten sind, sind ein deutlicher Hinweis, dass die Dolionenschlacht (auch) durch die Linse des Bellum civile gelesen werden muss. Rückblick: In der Cyzicus-Episode wird die Antithese von Zentrum und Peripherie destabilisiert. Zunächst wird durch den expliziten Hinweis, dass die Argonauten die Grenze nach Asien überschritten und eine andere Welt erreicht hätten, die Erwartung an eine Begegnung mit dem Fremden geschürt. Diese wird aber enttäuscht, insofern der Erzähler die Dolionen – in bewusster Abweichung von Apollonios – als Volk darstellt, das mit den umliegenden Regionen und dem griechischen Kulturkreis eng verbunden ist. Die Betonung kultu-
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(vgl. Σ AR 1,987a = Dei(l)ochus FGrHist 471 F 7; Σ AR 1,1037 = Ephoros FGrHist 70 F 61; Clauss 1993, 148–150; Green 22007, 223 zu 1,961 ff.; Manuwald 2015, 91–93). Zur Vertreibung der Pelasger aus Thessalien vgl. auch Conon FGrHist 26 F 1. Bei Valerius heißen die Feinde der Dolionen „Pelasger“ (2,657.659; 3,45). An mehreren Stellen werden die Argonauten als „Pelasger“ bezeichnet (5,116.474.682), was zur Steigerung der Ironie beiträgt, wenn Jason beim Anblick des Trinkbechers den Wunsch äußert, die Pelasger mögen herankommen und vom Schiff aus angreifen (2,659–664). Vgl. Harper Smith 1987, 272 zu 6,446; Poortvliet 1991a, 315 zu 2,637; dagegen argumentiert Lüthje 1971, 93f., Cyzicus verberge bei der ersten Begegnung seinen wahren Charakter und werde später vom Dichter als Frevler enttarnt. Vgl. Harper Smith 1987, 273 zu 2,647 f.; Poortvliet 1991a, 318 zu 2,647f. Vgl. Harper Smith 1987, 272 zu 2,646.648. Schenk 1999, 76.
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reller Gemeinsamkeiten von Griechen und Dolionen bereitet die Gestaltung der Nyktomachie in Arg. 3 als bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzung vor, worauf der Rezipient bereits durch dezente Lucan-Bezüge in der Begrüßungsrede des Cyzicus eingestimmt wird. In der flavischen Herrschaftsrepräsentation wird der Sieg über äußere Feinde betont und der Bürgerkrieg weitgehend ausgespart. Als mythologisches Vergleichsmodell gelesen hat die Dolionenschlacht das Potenzial, das im Proömium evozierte ‚offizielle‘ Aufstiegsnarrativ der Flavier in korrigierender Weise zu ergänzen.
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„Nenne mir, Muse, die Gründe …“: fatum und nefas in der Nyktomachie
Durch die Einfügung einer göttlichen Motivation gibt Valerius der Dolionenschlacht eine gegenüber Apollonios stark veränderte Sinnrichtung. Wie die Lemnos-Episode, in der die Liebesgöttin Venus zur Strafe für ausbleibenden Kult den Männermord veranlasst (2,82–106), dient auch die Cyzicus-Episode vordergründig dem Zweck, den Zorn einer gekränkten Göttin (Kybele) zu besänftigen. Doch anders als das wilde Morden der Lemnierinnen (das chronologisch wohl vor der Argofahrt liegen dürfte), lässt sich die Nyktomachie auch in Jupiters Weltenplan einordnen. Was den Helden in später Einsicht als nefas erscheint, dient – wie der Rezipient erkennen kann – der Erfüllung des fatum. Bei Apollonios erscheint die Rückkehr der Argonauten zu ihren Gastfreunden als menschlicher Irrtum ohne göttliche Einwirkung.84 Das Schiff entfernt sich bei Tag von der Halbinsel, doch bei Nacht dreht der Wind und treibt die Argo zurück zum Ausgangspunkt (AR 1,1015–1018). Die Götterhandlung, die bei Valerius die Nyktomachie motiviert, ist als Neuschöpfung zu beurteilen.85 Vor der Schlachtbeschreibung steht ein Zwischenproömium (3,14–18), in dem der Erzähler um eine Angabe der Gründe (causas) für die „unsäglichen Kämpfe“ (infanda … proelia: 3,14) bittet.86 Diese Gründe werden unmittelbar nach dem Musenanruf entfaltet: König Cyzicus hat bei der Jagd auf dem Berg 84
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Vgl. Schenk 1999, 147–162; Stover 2012, 127–129 (hier 127): „Valerius informs us that the battle did not simply arise due to a horrible case of mistaken identity, as in Apollonios, but rather that it was purposefully orchestrated by a vengeful goddess.“ Vgl. Adamietz 1976, 43 f.; Manuwald 1999, 42 f. Beim Einschlafen des Steuermanns und der Rückkehr des Schiffs nimmt Valerius Anleihen bei Od. 10,28–55 (Odysseus’ Boot treibt zur Insel des Aiolos zurück); Aen. 2,250–259 (die geplante Rückkehr der griechischen Flotte nach Troja); Aen. 5,833–871 (Somnus überwältigt Palinurus und stürzt ihn ins Meer). Zur Bedeutung dieser Vorbilder für unsere Stelle siehe McGuire 1997, 109; Manuwald 2015, 74 f.
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Dindymon, „getäuscht vom gewaltigen Verlangen nach Beute“ (ingenti praedae deceptus amore: 3,21), einen Löwen, der gerade am Rückweg zum Gespann der Göttin war, mit dem Pfeil erlegt.87 „Dann befestigte er die Mähne und den erbeuteten Schädel am Türpfosten, eine unselige Beute und eine Schande für die Göttin“ (et tunc ille iubas captivaque postibus ora / imposuit, spolium infelix divaeque pudendum: 3,24–26). Dieser Anblick erzürnt die Göttin, die – in die Rolle der vergilischen Juno schlüpfend – „den so großen Zorn nicht vergisst“ (tantae non immemor irae: 3,27) und „neue Schrecknisse für den Mann, neue Todesarten plant“ (nova monstra viro, nova funera volvit: 3,29).88 Die Bewertung der Schuldfrage hängt stark davon ab, welche Rückschlüsse diese Schilderung auf den Charakter des Dolionen-Königs zulässt. Lüthje argumentiert, dass sich an dieser Stelle der barbarische Charakter des Cyzicus offenbare und sein Verweis auf die gemeinsame Kultur bei der Aufnahme der Argonauten als bewusste Täuschung entlarvt würde. Der ungestüme Charakter des Cyzicus zeige sich auch an der stürmischen Bereitschaft, mit der er Bellona nach Ausbruch der Schlacht in den Kampf folge.89 Aufgrund seiner bewussten Täuschung der Argonauten sei er somit in eine Reihe mit den übrigen unaufrichtigen Herrschern in diesem Epos, allen voran Pelias und Aeetes, zu stellen.90 Die Auffassung, Cyzicus sei ein gotteslästerlicher Frevler und erhalte in Arg. 3 seine gerechte Strafe – weshalb die Argonauten objektiv von jeglicher Schuld freizusprechen seien –, vertreten auch Hershkowitz, Schenk und Stover.91 Die Genannten sehen Cyzicus als Parallelgestalt zum
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Zum Verweis auf Aen. 7,496 siehe oben Anm. 28. Die emphatische Wiederholung von nova verweist metaliterarisch auf die Innovationen des Valerius in der traditionellen Cyzicus-Episode (vgl. Manuwald 2015, 73 zu 3,29). Vgl. Schenk 1999, 332: „Wenn er Bellona verblendet in den Kampf folgt, handelt es sich hierbei um einen typischen Charakterzug. Er läuft insofern eigenverantwortlich in sein Verderben.“ Die von Bellona hervorgerufene Kriegslust und der folgende Wahnzustand, der durch Gleichnisse versinnbildlicht wird, ist aber sicherlich nicht als „typischer Charakterzug“ zu bewerten, sondern als Instanz von göttlicher Einflussnahme mit dem Ziel, Cyzicus zu vernichten. Vgl. Manuwald 2015, 74 f. Lüthje 1971, 93 f. Vgl. Hershkowitz 1998, 120: „Nevertheless, even this unfortunate action is not undermined the way it is in Apollonius’ version: there, Jason’s killing of the seemingly innocent young king is a disaster and a sign of Jason’s inexperience, while in Valerius’ account Cyzicus has been set up as something of a guilty party against whom Jason unknowingly acts as an instrument of divine vengeance.“ Zu dieser Auffassung der Stelle siehe außerdem Hershkowitz 1998, 172–175; Schenk 1999, 254–257.332; Stover 2012, 127–133. Gegen diese Interpretationslinie stellt sich Heerink 2016, 522: „But in the end it is impossible to interpret Jason, inadvertently killing his dear friend, in this optimistic way. Valerius’ allusions to the Aeneid – and particularly Lucan – point in another direction, and almost inevitably
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vergilischen contemptor divum Mezentius, da der Dolionenkönig durch die Ausstellung des Löwenbalgs seine Verachtung gegenüber der Göttin ausdrücke. Außerdem verbinde ihn die Zurschaustellung der Jagdtrophäe mit der Grausamkeit des Bebrykerkönigs Amycus (von dem er sich beim Empfang der Gäste distanziert: 2,647f.), der es sich zur Gewohnheit macht, seine Höhle mit den Leichenteilen seiner verstümmelten Opfer, darunter eine „schreckliche Reihe von Schädeln“ (capitum maestissimus ordo: 4,183), zu schmücken (4,181–185). In der Aeneis berichtet der sekundäre intradiegetische Erzähler Euander von einer ähnlichen Praxis des Monsters Cacus: „An den hochmütigen Türpfosten hingen die Schädel von Menschen, entstellt in widerlicher Verwesung“ ( foribusque adfixa superbis / ora virum tristi pendebant pallida tabo: 8,196f.). Man könnte auch an Pelias denken, der Jason im ersten Buch versichert, „man würde das Haupt des Königs [sc. Aeetes] und seine Waffen hier sehen“ (regis caput hic atque arma videres: 1,52), wenn Pelias’ Kräfte ausreichten, um an den Kolchern für die vermeintliche Hinrichtung des Phrixus Rache zu üben. Aber zeichnet Valerius seinen Cyzicus tatsächlich als Gottesverächter, Barbaren, Monster oder Tyrannen? Ein genauerer Blick auf die oben angeführten Parallelstellen zeigt, dass an unserer Stelle weniger eine Gleichsetzung, sondern vielmehr eine Abgrenzung von den fraglichen Figuren intendiert ist. Im Land der Bebryker treffen die Argonauten auf Dymas, der die Ankömmlinge warnt, dass die Vorschrift des Gastrechts, die Cyzicus vorbildlich einhält, hier keine Gültigkeit habe: „Dieses Land ist nicht gastfreundlich für euch, Männer, hier gibt es keine Brust, die irgendwelche Bräuche achtet“ (non haec … hospita vobis / terra, viri, non hic ullos reverentia ritus / pectora: 4,145–147). Undenkbar wäre es, wie auf Cyzicus die Verbindung der Häuser mit Handschlag zu besiegeln (vgl. 3,13), denn die „Gastfreundschaft“ (hospitia: 4,212) und die „Verträge“ ( foedera: 4,215), die bei Amycus gelten, hängen ab vom Recht der stärkeren Faust. Von diesem Barbaren kann sich Cyzicus mit Fug und Recht abgrenzen. Auch das Befestigen des Schädels eines erlegten Tieres ist nicht mit dem grausigen Schmuck der Höhlen des Amycus und des Cacus vergleichbar. Diese stellen die verstümmelten Leichen von Menschen aus, während Cyzicus mit Stolz eine Jagdtrophäe präsentiert. Während die parallele sprachliche Gestaltung des ersten Teils der Aussage zunächst an Cacus denken lässt,92 verdeutlicht der Nachsatz den Kontrast zwischen den beiden: Die Türpfosten des Cacus erhalten das Beiwort „hochmütig“ (superbis), das Bild von der Verwesung
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so, for allusion to Lucan’s dark Bellum Civile almost automatically creates negative energy and the effect of having, as it were, a dark cloud hovering over the epic.“ Aen. 8,196 f. ( foribusque adfixa superbis / ora virum) ~ Val. Fl. 3,25f. (postibus ora / imposuit).
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der Köpfe erzeugt eine schaurige Atmosphäre. Dagegen zielt die Beschreibung des Valerius darauf ab, Mitleid für Cyzicus zu erregen: Die Beute, wenn auch eine „Schande für die Göttin“ (spolium … divae pudendum: 3,26), ist „unheilvoll für ihn“ (infelix).93 Valerius’ Cyzicus ist nicht als Frevler, sondern als tragische Figur zu beurteilen: Es gibt im Text keinen Hinweis, dass Cyzicus gewusst hätte, dass es sich bei dem Löwen, den er bei der Jagd erlegte, um einen Löwen der Kybele handelte.94 Der spätere Vergleich mit Athamas (3,67–69), der im Wahn seinen Sohn für ein Stück Wild hält und ihn tötet, bestätigt diesen Eindruck und unterstreicht den tragischen Charakter der Episode.95 Doch in Folge dieses unabsichtlichen Vergehens trifft nicht nur ihn, sondern auch sein gesamtes Volk der Zorn der Göttin mit voller Wucht.96 Die mit einer tragischen ἀναγνώρισις vergleichbare Erkenntnis, dass es die Erlegung des Löwen war, die zur schrecklichen Rache der Kybele an ihm und seiner Stadt geführt hat, kommt dem König erst im Moment seines Todes. Im wilden Schlachtengetümmel wirft er seinen Männern vor, sie zeigten bei den Kulthandlungen für Kybele mehr Einsatz als in der Schlacht. Daraus spricht aber keine Verachtung für den Kybele-Kult.97 Cyzicus kritisiert nicht die Göttin, 93
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Wagner 1805, 85 paraphrasiert daher „spolium infelix (sibi)“. Vgl. Manuwald 2015, 72 zu 3,26: „The wording suggests a sympathetic description rather than an implied judgement.“ Mozleys Übersetzung der Verse („And now (madman!) hath he hung from his doorposts the mane and the head of his victim, a spoil to bring sorrow to himself and shame upon the goddess“: Mozley 1935, 129; meine Hervorhebung) nimmt eine Bewertung vor, die im lateinischen Text nicht enthalten ist. Vgl. Manuwald 2015, 62; anders Stover 2012, 130: „Cyzicus hunts and kills Cybele’s lion on the ground most sacred to the goddess, Mt. Dindymus, the site of orgiastic revels held by the Phrygians in her honour. […] This feature of Valerius’ narrative adds to the image of Cyzicus as an impious ‘hater of the gods’ (contemptor divum), since he knowingly hunts lions on ground sacred to Cybele.“ Zu diesem Gleichnis siehe Manuwald 2015, 85 zu 3,67–69: „Like Athamas, Cyzicus unknowingly confronts people he loves; the sequence of killing during a hunt then rejoicing without being aware of the actual deed and the potential consequences also applies to Cyzicus.“ Neil Bernstein stellt an diesem Punkt einen Kontrast zur thematisch mit der CyzicusEpisode verbundenen Lemnos-Episode fest: „While all Lemnos may have been complicit in failing to worship Venus, the Cyzicus episode shows the punishment of an entire community as the result of one individual’s failings“ (Bernstein 2008, 52). Es wäre hinzuzufügen, dass die Lemnierinnen eine bewusste Entscheidung treffen, Venus den Kult zu versagen, während hinter Cyzicus’ Verletzung der Göttin Kybele keine erklärte Absicht steht. Anders Stover 2012, 133: „Cyzicus’ battlefield harangue reveals his contempt for his subjects’ religious practices. In addition to reinforcing the image of Cyzicus as a hater of the gods, since his words represent a stinging attack on the Doliones’ worship of Cybele, his reproach also reveals him to be a tyrannical ‘hater of his own people’ (contemptor populi).“
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sondern er prangert die Trägheit der Dolionen im Kampf an (tardum … agmen: 3,229) und will sie mit solch höhnenden Worten (talibus insultans: 3,235) antreiben.98 Nach dieser Scheltrede des Königs schreitet Kybele selbst ein und verhindert, dass sich das Glück der Schlacht gegen die von ihr als Rächer eingesetzten Argonauten wenden könnte. Die Kräfte des Königs ermatten und „er hört das zornige Brüllen der Löwen, sieht Hörner und zwischen den Wolken schwankende Türme“ (audit fremitus irasque leonum / cornuaque et motas videt inter nubila turres: 3,237f.). Erst dadurch kann er die Ursache für Kybeles Zorn erkennen. Aus seiner figuralen Perspektive wird beschrieben, wie im Dunkeln plötzlich Jasons Speer herankommt und sich durch seine Brust bohrt (3,239–241).99 Der Erzähler steigert das Mitgefühl für das Opfer noch weiter, indem er die letzten Gedanken des sterbenden Königs als erlebte Rede in den Erzählerbericht integriert: „Wie sehr wünschte er nun, dass ihm die Wälder unbekannt wären und er keine Jahre für die Jagd aufgewendet hätte!“ (quam nunc incognita vellet / lustra sibi nullosque datos venatibus annos!: 3,241 f.). Die zu späte Erkenntnis und die Reue im Angesicht des Todes erweisen Cyzicus als Figur, die zwar objektiv schuldig geworden ist, aber von Gottesverächtern und Frevlern wie Mezentius oder Amycus strikt zu scheiden ist. Cyzicus ist eine tragische Gestalt, die aufgrund einer unabsichtlichen Verfehlung die volle Härte des göttlichen Strafgerichts trifft.100 Im Bemühen, Cyzicus als gottlosen Frevler hinzustellen, zeigt sich das Interesse mancher Interpreten, den Schuldanteil der Argonauten herunterzuspielen. Das Argument, dass sich die Argonauten „schuldlos schuldig“101 machten und die tragische Episode durch den höheren Zweck der Rache am frevelhaften Gastgeber gerechtfertigt sei, ist nicht zuletzt der Ausgangspunkt für Tim Stovers Interpretation, der die Cyzicus-Episode als Beleg interpretiert, dass auch Bürgerkriege den Grundstein für eine verheißungsvolle Zukunft legen können.102 Doch die Tragik der Episode liegt genau darin, dass eben nicht nur die Argonauten, sondern beide Seiten „schuldlos schuldig“ werden. Auf beiden
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Vgl. Schenk 1999, 332, der davon spricht, dass Cyzicus „am Ende der Schlacht den Frevel gegen Kybele“ erneuere. Anders Hershkowitz 1998, 173; Schenk 1999, 332; Groß 2003, 186f. Zur Erzählperspektive an unserer Stelle siehe Lovatt 2014, 216. Anders Schenk 1999, 332: „Cyzicus hat die Vergeltung der Göttin durch seinen Frevel provoziert. Mit dieser Hybris und Verblendung hatte er auf die warnenden Vorzeichen reagiert und wird am Ende der Schlacht den Frevel gegen Cybele erneuern.“ Schubert 1984, 270. Vgl. Lüthje 1971, 109–111; Schenk 1999, 255: „Nach der Intention des Valerius ist aber der Frevel des Cyzicus die eigentliche Ursache für die Katastrophe. […] Valerius [wollte] die objektive Schuld der Argonauten möglichst gering halten.“ Stover 2012, passim.
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Seiten greift blankes Entsetzen um sich, als es Jupiter verfrüht Tag werden lässt, um für ein Ende des wahnsinnigen Gemetzels zu sorgen (3,254–258). Der Tagesanbruch taucht „bekannte Türme“ (notae … turres) in schwaches Licht – das parenthetisch im Erzählertext stehende nefas ist gleichzeitig eine Wiedergabe des subjektiven Empfindens der Argonauten. Während der Frevel des Cyzicus darin besteht, durch einen unglücklichen Zufall ein heiliges Tier getötet zu haben, stellt das Töten der Gastfreunde durch die Argonauten einen Verstoß gegen das Gastrecht und damit den höchstpersönlichen Bereich des Göttervaters dar.103 Dass ein Bruch des Gastrechts vorliegt, wird gleich im ersten Gleichnis nach Ausbruch der Schlacht veranschaulicht. Der König folge der Kriegsgöttin Bellona nach Ausbruch des Kampfes „wie von Sinnen“ (demens: 3,63) in die Schlacht,104 qualis in Alciden et Thesea Rhoetus iniqui nube meri geminam Pholoen maioraque cernens astra ruit qualisve redit venatibus actis lustra pater Triviamque canens umeroque Learchum advehit, at miserae declinant lumina Thebae. Val. Fl. 3,65–69
Wir haben bereits gesehen, dass sich der Vergleich mit Athamas, der in einem Zustand der Verblendung seinen Sohn Learchus tötet, weil er ihn für ein wildes Tier hält, auch zur Illustration des Vorfalls auf dem Berg Dindymon heranziehen ließe. Wie Athamas verkennt Cyzicus die wahre Natur seines Beutestücks. Der Nachsatz „Unglücklich schlägt Theben die Augen nieder“ (miserae declinant lumina Thebae) unterstreicht den tragischen Charakter der Episode, da schon die Nennung der Stadt Theben – Schauplatz unzähliger tragischer Episoden des griechischen Mythos – ausreicht, um die tragische Gattung aufzurufen. Von besonderem Interesse ist indes der Vergleich mit dem Kentauren Rhoetus. Dessen Trunkenheit, die ihn das Pholoe-Gebirge doppelt und die Sterne größer sehen lässt, bildet den unmittelbaren Vergleichspunkt zum von Bellona auferlegten Wahn. Die chaotische Atmosphäre der Kentauromachie und die Parallelisierung des Cyzicus mit einem Vertreter der Verliererseite bietet weitere Analogien zur Situation in Arg. 3.105
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Zu Jupiter als Hüter des Gastrechts siehe Hom. Od. 9,270f.; Verg. Aen. 1,731; Bernstein 2008, 52. Siehe zu diesem Gleichnis Gärtner 1994, 241 f. mit Anm. 8. Valerius scheint in erster Linie auf die Kentauromachie anzuspielen, da diese auch den Inhalt von einem der beiden Bilder am Schiffsbug (1,140–148) bildet. Als Schauplatz ist
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Doch der Vergleich des Dolionen-Königs mit Rhoetus hinkt an einer entscheidenden Stelle: Bei der Lapithenhochzeit sind es die Kentauren, die das Gastrecht brechen. Das zweite Bild am Schiffsbug zeigt, wie die Halbwesen deshalb von Helden wie Peleus, Aeson und Nestor bekämpft werden (1,144 f.). Aeson erinnert sich beim Abschied von Jason an diese Schlacht (1,336–338), und als sich Jason auf das Schlachtfeld stürzt, widmet er diesen ersten Kampf seinem Vater: „Vater, nimm diesen hier als ersten Kampf deines Sohnes!“ (primam hanc nati, pater, accipe pugnam: 3,81). Jasons Versuch, dem exemplum des Vaters gerecht zu werden, muss an dieser Stelle scheitern. Denn nicht die Dolionen, sondern die Argonauten reproduzieren die Taten der Kentauren: Während die Väter in der Kentauromachie gegen die außer Kontrolle geratenen Gäste kämpfen, übernehmen in Arg. 3 die Söhne die Rolle der mörderischen Gäste und brechen das von Jupiter behütete Gastrecht.106 Die anklagende Frage des Erzählers im Binnenproömium nach der Rolle des Göttervaters muss daher auch jeden Interpreten der Stelle beschäftigen: „Warum hat Jupiter so eine Schlacht, warum hat er den Zusammenstoß der in Gastfreundschaft vereinten Hände geduldet?“ (cur talia passus / arma, quid hospitiis iunctas concurrere dextras / Iuppiter?: 3,16–18).107 Einen möglichen Hinweis zur Beantwortung gibt der im Binnenproömium um Auskunft bittende vates gegen Ende der Episode selbst. Denn ein narratorialer Kommentar anlässlich der Totenbestattung (3,332–361) legt die größeren Zusammenhänge offen: scilicet haec illo iuvenem populosque manebant tempore, Peliacis caderet cum montibus arbor: hoc volucrumque minae praesagaque fulmina longo acta mari tulerant. sed quis non prima refellat monstra deum longosque sibi non auguret annos? Val. Fl. 3,352–356
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dort ebenfalls das Pholoe-Gebirge genannt (Pholoe: 1,140) und der Kentaur Rhoetus wird von den Teilnehmern an der „Prügelei um das Mädchen aus Atrax“ (Atracia … de virgine pugnae: 141) als erster genannt. Doch während Theseus als Teilnehmer der Lapithenschlacht bekannt ist (Hom. Il. 1,265), kämpft Hercules erst bei einer späteren Gelegenheit am Pholos gegen die Kentauren. Seine Einfügung an dieser Stelle könnte auf eine Vermischung der beiden Erzählungen hindeuten. Sie dürfte dadurch motiviert sein, dass Hercules als einer der Argonauten auch an der Nyktomachie teilnimmt. Vgl. Spaltenstein 2004a, 25 zu 3,65. Vgl. Bernstein 2008, 53: „The first simile, recalling the disruption caused by Rhoetus and the Centaurs, who fought with the Lapiths at the marriage of Pirithous, highlights the Argonauts’ violation of the rules of hospitality.“ Siehe zu diesem Problem auch Otte 1992, 78–80.
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Die Katastrophe auf Cyzicus hat also eine Ursache, die über Kybeles Rachewunsch hinausgeht. Sie steht seit dem Bau der Argo fest und wurde durch „Drohgebärden der Vögel“ und „weissagende Blitze“ (der Blitz als Jupiter-Attribut) angekündigt.108 Der jugendliche König (iuvenem) und die Bewohner der Halbinsel (populos)109 hätten diese Warnung indes in der verfehlten Hoffnung auf ein langes Leben ignoriert.110 Diese gegen Ende der Episode vorgebrachte Erklärung eröffnet eine völlig neue Perspektive, da sie Kybeles göttliche Intrige und die Verwirrung der Akteure nachträglich zum Teil des fatum erklärt.111 Angedeutet wird dieser Aspekt bereits zu Beginn der Schlacht. Angetrieben von Bellona „stürzt Cyzicus in die Schlacht, die nach den Bestimmungen des fatum seine letzte sein sollte“ ( fatis extrema in proelia tendit: 3,64). Die Erwähnung der Kriegsgöttin verweist den Rezipienten schon an dieser frühen Stelle auf die Anrede der Göttin im Weltenplan: „Meine Eichen, Dreifüße und der Geist der Eltern entsandten diese Schar über das Meer. Es wurde für dich, Bellona, durch die Wogen und Stürme ein Weg eröffnet“ (meae quercus tripodesque animaeque parentum / hanc pelago misere manum. via facta per undas / perque hiemes, Bellona, tibi: 1,544–546). Die Ankunft der Argonauten auf der Propontis-Halbinsel bietet Bellona erstmals die Gelegenheit, ihre neuen Möglichkeiten auszuschöpfen.112 Kriege zwischen weit entfernten Völkern, ermöglicht durch die Öffnung der Meere, erscheinen im Weltenplan als Ziel an sich: Deshalb lässt Jupiter trotz seiner traditionellen Rolle als „Hüter des Gastrechts“ (Ζεὺς ξένιος) den blutigen Kampf zwischen den Gastfreunden zu. Während Junos Attacken auf die Aeneaden die Erfüllung des fatum verzögern,113 trägt Kybeles Rache-Intrige also paradoxerweise zur Erfüllung des fatum bei. Es ist Jupiters Beschluss, dass die Zeit vorbei sein soll, in der „keine Schar es wagte, dagegen [sc. gegen Asien] eine gleichartig mutige Gesinnung einzunehmen und sich im Krieg einen Namen zu machen“ (nec tollere contra / ulla pares animos nomenque capessere bellis / ausa manus: 1,539–541). Das
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Vgl. Dräger 2003, 416 zu 3,354 f.: „Vogelzeichen […] und (notorisch von Jupiter kommende) Blitze fügen den Tod des Cyzicus in Jupiters Weltenplan (cf. fata) ein, was auch durch die Gleichzeitigkeit mit dem Bau der Argo bewiesen wird.“ Ich fasse populos mit Spaltenstein 2004a, 110 zu 3,352 als emphatischen Plural auf. Bei Apollonios findet sich nichts Vergleichbares. Auf die Beschreibung von Kyzikos’ Tod folgt lediglich die Sentenz, dass niemand seinem Tod entkommen könne (AR 1,1035–1039). Vgl. Walter 2014, 48: „Selbst die Geschehnisse auf Cyzicus, die, wie es wiederholt heißt, auf einen Irrtum (error) zurückgehen, sind Teil des fatum.“ Vgl. Manuwald 2015, 82: „The intervention of the war goddess Bellona […] links this battle to Jupiter’s plans for world history, since he has opened the seas for Bellona […]: Bellona uses her first chance to have people from different continents fight each other.“ Aen. 7,314 f.; Aen. 12,803–806. Vgl. Bernstein 2008, 54.
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Erscheinen des Schiffes in der Propontis ist die erste Gelegenheit für „neue Schrecknisse“ (nova monstra: 3,29) und „neue Todesarten“ (nova funera: 3,29).114 Wie im Weltenplan verkündet, hat sich für die Kriegsgöttin Bellona ein neuer Weg eröffnet. Trotzdem wurde versucht, der Nyktomachie unter Verweis auf den Weltenplan einen tieferen Sinn zuzuschreiben, nämlich als Ereignis, das notwendige Voraussetzungen für die angestrebte Öffnung der Meere und die Machtverschiebungen (translationes imperii) von Ost nach West schafft. Paul Dräger geht etwa davon aus, dass Jupiters Prophezeiungsrede wie in der Aeneis auf eine Friedenszeit unter römischer Herrschaft vorausweise115 und dieses Telos in der Cyzicus-Episode im Kleinen verwirklicht werde: Mit der Vernichtung der (schuldlosen) Dolionen, der ständigen Gegner der Pelasger, ist auch dieser kritisch-sensible Teil des Meeres am Übergang von Europa nach Asien befriedet.116 Dagegen ist einzuwenden, dass Jupiters Eingreifen gegen Ende der Episode gerade dem Zweck dient, die in 3,246–248 geäußerte Befürchtung einer Vernichtung aller Dolionen zu verhindern.117 Obwohl der Erzähler bemerkt, dass Cyzicus keine Söhne hat und seine Dynastie daher durch seinen Tod ausgelöscht wurde (3,345),118 hat die Insel nach wie vor eine männliche Bevölkerung, die sowohl die Herrschaft übernehmen als auch den Krieg gegen die Pelasger fortsetzen dürfte. Jupiters Eingreifen stellt also sicher, dass es in dieser Region weiterhin Kriege geben wird. Das „gelassene Nicken“ (nutu … sereno: 3,251) des Göttervaters sorgt zwar dafür, dass sich das „Unterweltstor des wilden Krieges schließt“ (porta trucis coit infera belli: 3,253), doch anders als an der Vorbildstelle, an der Vergil die Schließung des Janus-Tempels und den dadurch symbolisierten Beginn der augusteischen Friedenszeit beschreibt (Aen. 1,293–296), wird an unserer Stelle kein Schlusspunkt aller Kriege markiert, sondern nur eine vorübergehende Unterbrechung.119 114 115 116 117 118 119
Zur Ansicht, die Wendung nova funera hebe hervor, dass es sich bei der Dolionenschlacht um den ersten Bürgerkrieg der Weltgeschichte handle, siehe Walter 2014, 45 Anm. 98. Siehe Dräger 2003, 358 zu 1,555–560; anders Manuwald 2015, 26 Anm. 88. Dräger 2003, 416 zu 3,354–355a. Vgl. Adamietz 1976, 44. Vgl. auch die Totenrede der Clite (3,316–329, bes. 316–319). Hygin überliefert eine Variante ( fab. 16), in der nach Cyzicus’ Tod die Herrschaft auf dessen Söhne übergegangen sei. Die unterschiedliche Handhabung der Kriegsthematik zieht Peter Schenk heran, um die politische Ausrichtung von Aeneis und Argonautica zu kontrastieren. „In der Aeneis reflektiert die Bewertung des Krieges die politische Idee der pax Augusta“ (Schenk 1999,
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In der Cyzicus-Episode lässt sich ein deutlicher Bruch mit der vergilischen Rom-Teleologie feststellen. Anders als in der Aeneis erscheint (Bürger-)Krieg in den Argonautica nicht als leidvolles, aber letztlich von einem höheren Zweck gerechtfertigtes Mittel, sondern als Ziel an sich. Die im Weltenplan verheißenen longissima regna sind weder mit dem vergilischen imperium sine fine ident,120 das den Nachkommen der gens Iulia verheißen wird, noch werden sie mit einer konkreten Herrscherpersönlichkeit oder Dynastie verbunden.121 Valerius’ Jupiter verkündet den Beschluss, die Macht von Asien auf die Griechen übergehen zu lassen, aber dann auch diesen die Macht zugunsten „anderer Völker/Geschlechter“ wieder zu entziehen (gentesque fovebo / mox alias: 1,555f.). Der bekannte Verlauf der Geschichte beweist natürlich, dass es sich dabei um die Römer handelt, doch der Plural und die Zweideutigkeit des Wortes gentes ist hinsichtlich des erst kurz zurückliegenden Dynastiewechsels von der gens Iulia auf die gens Flavia bedeutsam. Jupiter beschreibt, dass er an dem Punkt des Weltenplans, der bereits das Imperium Romanum und damit die historische Zeit berührt, seine Gunst in die Waagschale werfen ( fovebo: 1,555) und als „Schiedsrichter prüfen“ wolle, welche Herrschaft über die Völker er am längsten andauern lassen möchte (arbiter … / experiar, quaenam populis longissima cunctis / regna velim: 1,558–560).122 Diese Formulierungen lassen Raum für einen langen Prozess des Abwägens nach dem Fall Griechenlands, in dessen Verlauf Jupiter seine Unterstützung durchaus einer ganzen Reihe von gentes zukommen lassen und wieder entzie-
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275), während Valerius auf die „kontrastierende Neubewertung“ Lucans antworte und die „Eroberung neuer Gebiete“ und die „Erweiterung des Imperiums in den Vordergrund“ stelle (276). Ganz wohl ist Schenk bei dieser Charakterisierung der Argonautica jedoch nicht: „Es ist jedoch auffällig, dass der Sieg Vespasians über seine innenpolitischen Gegner von Valerius im Proömium mit keinem Wort erwähnt wird. […] Der Gedanke an die vorangegangenen innenpolitischen Kämpfe tritt daher auf der mythischen und der historischen Ebene zurück“ (278). Der Unterschied zur Aeneis ist damit jedoch unzureichend erfasst: Die Kriege in den Argonautica tragen nicht dazu bei, dem weiteren Geschichtsverlauf eine positive Wende zu geben. Diese Konzeption muss auch auf die Beurteilung des auf die imperialen Erfolge der Flavier abhebenden Proömiums abfärben. Vgl. Manuwald 2015, 10: „Jupiter announces that the last empire will have longissima … regna rather than promising a (Virgilian) everlasting rule.“ Siehe auch Kap. 8, 359 Anm. 169. Wie Stover 2016, 18 Anm. 13 richtig ausführt, kann der Weltenlauf (gegen 1,531–533) natürlich nicht unabänderlich feststehen, wenn erst geprüft werden muss, welchem Volk am Ende die Herrschaft zufallen soll (anders Dräger 2003, 358 zu 1,555–560, der argumentiert, dass der Weltenplan zunächst zyklisch verlaufe, aber dann nach vergilischem Vorbild in einen teleologischen Ablauf übergehe und die ewige Macht Roms festschreibe). Ganiban 2014, 260 bietet Überlegungen zu den Kriterien, von denen Jupiters Unterstützung abhängen könnte.
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hen könnte. Für den zeitgenössischen Rezipienten steht nicht ohne weiteres fest, dass mit den longissima regna die Herrschaft der von Vespasian begründeten flavischen Dynastie gemeint sei.123 Es ist ebenso wahrscheinlich, dass es sich beim Untergang der gens Iulia und dem Aufstieg der gens Flavia nur um den vorerst letzten Moment handelt, an dem Jupiter seine Gunst der einen gens entzogen und der anderen geschenkt hat. Wie für den Rezipienten der Argonautica, dem aber schlaglichtartig der eine oder andere Einblick gestattet wird, bleiben die Einzelheiten des fatum auch für die Figuren unzugänglich.124 Aus figuraler Sicht sind die Ereignisse auf Cyzicus ein tragischer Irrtum von verheerendem Ausmaß – nefas.125 Bei der Totenfeier für Cyzicus richtet sich Jason in tiefer Verzweiflung und anklagend an die Götter, die ihn vor einem solchen nefas nicht gewarnt hätten (3,296–303). Die fehlende Einsicht in die eigentlichen Ursachen und die wahren Zusammenhänge vertieft Jasons Leid.126 Doch während in der Aeneis zumindest dem Rezipienten gestattet wird, Rückschläge und persönliche Verluste der Figuren als notwendige Bedingung für den Ruhm der Nachfahren hinzunehmen, verschließt sich dem Rezipienten der Argonautica auch dieser tröstende Ausweg.127 Denn die Einzelheiten, die Jupiter in der Weltenplan-Rede preisgibt, sind der Machtverlust des griechischen Volkes (zu dem die Argonauten gehören), ein ständiges militärisches Kräftemessen zwischen den Völkern und die vage Aussicht auf longissima regna – ohne das konkrete Versprechen einer dauernden Friedenszeit unter flavischer Herrschaft.128 Anders als für Aeneas kann das fatum für die Argonauten keine sinnstiftende Instanz sein. Die Erfüllung der Göttersprüche erscheint aus Figurenperspektive als Frevel und als Ursache einer quälenden Schuld. nefas und fatum
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Vgl. Barnes 1981, 370: „Valerius does not imply that Vespasian completed what the Argonauts began.“ Vgl. auch Peter Schenks (1999, 288 f.) Beschreibung der Jahre nach 69 n. Chr. als „politisch unruhige Zeit, die noch nicht die Ausgeglichenheit der augusteischen Epoche erreicht hat. In ihr bedeuten Vespasians Leistungen zwar einen positiven Lichtblick, der zu vorsichtigem Optimismus berechtigt, aber noch keine endgültige Rettung.“ Zu der Frage, was die menschlichen Akteure der Argonautica von den Plänen der Götter wissen, siehe Manuwald 2014; Kap. 8.2. Zum Zusammenhang von fatum und nefas in den Argonautica siehe Walter 2014, 50: „Das fatum, das Valerius’ Darstellung der Argonautenfahrt zugrunde liegt, ist komplexer geworden. Es umfasst das nefas eines Bürgerkriegs, über den erst eine damnatio memoriae verhängt werden muss, ehe die Argonauten den Weg des fatum weiter beschreiten können.“ Vgl. Adamietz 1976, 46. Vgl. Bernstein 2008, 54. Vgl. Otte 1992, 77: „The emphasis is on international warfare as a fundamental commerce of the new age.“
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sind in der Welt der Argonautica bedenklich eng aneinandergerückt.129 Diese Verbindung von Frevel und Götterwille wird auch deutlich, wenn der Seher Mopsus die Argonauten nach der Entsühnung von ihrem Frevel auffordert, „man solle vergessen, was die Hand angerichtet hat, was dem Schicksal geschuldet war“ (exciderint, quae gesta manu, quae debita fatis: 3,461). Das Asyndeton und die emphatische Wiederholung des Relativpronomens verweisen auch formal auf die Übereinstimmung von Vergehen und fatum.130 Der eklatante Unterschied zwischen dem subjektiven Erleben der Figuren und der in optimistischem Tonfall vorgetragenen Jupiter-Prophezeiung wirft freilich auch die Frage nach dem Verhältnis zwischen dem Lobpreis der militärischen Erfolge der Flavier im Proömium und der tatsächlichen Erfahrungsrealität auf.131 Die Auffassung, es handle sich bei der Nyktomachie um einen glorreichen Triumph über äußere Feinde, ist jedenfalls ähnlich lückenhaft wie die von der offiziellen Herrschaftsrepräsentation verbreitete Aufstiegserzählung der gens Flavia. Die Flavier sind nicht nur an die Macht gekommen, weil sie über äußere Feinde triumphiert haben, sondern auch, weil sie ihre innerrömischen Gegner in einem Bürgerkrieg niederringen konnten. Legt man die ambivalenten Kriegsnarrative der Argonautica neben die oberflächlich unproblematische Darstellung des flavischen Aufstiegs im Proömium, wird deren Unvollständigkeit offenkundig. Rückblick: Die Cyzicus-Episode ist doppelt göttlich motiviert. Zunächst wird dem Rezipienten der Zorn der Kybele als Ursache präsentiert, was aber nachträglich durch die Enthüllung ergänzt wird, dass der Kampf zwischen Argonauten und Dolionen durch den Weltenplan legitimiert und somit fatum sei. In diesem Plan erscheinen Kriege zwischen Völkern, welche die Barriere des Ozeans vor der Öffnung der Meere voneinander getrennt hat, als Ziel an sich. Deshalb lässt Jupiter (der Hüter des Gastrechts!) die sinnlos scheinende Nyktomachie zu und schreitet erst spät ein. Für die Figuren, die keinen Einblick in die Pläne der Götter erhalten, erscheint die Dolionenschlacht als sinnlose Tragö-
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Da beide Parteien von jeder objektiven Schuld freizusprechen sind, liegt die Verantwortung für das nefas der Nyktomachie letzten Endes bei den Göttern, wie auch die entsprechenden Bemerkungen des Erzählers nahelegen: „His [sc. the narrator’s] criticism is a recurrent theme of the nyktomachy, which at every stage attributes the responsibility for the Argonauts’ involuntary nefas to the gods as the instigators and the driving force of Valerius’ nocturna pugna“ (Dinter/Finkmann/Khoo 2019, 261). Vgl. Manuwald 2015, 186 zu 3,461. Vgl. Bernstein 2008, 54: „The contrast between the optimistic view of the prophecy and the actual experience of the characters implicitly prompts the question of whether the idealization of Flavian imperialism in the proem can match lived experience as well, or whether the tensions that recently produced civil war must inevitably reappear.“
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die und nefas. Die Spannung zwischen Rezipienten- und Figurenperspektive unterstreicht das Leid und die Kollateralschäden, welche die Umsetzung des Weltenplans nach sich zieht: In den Argonautica erleben die Figuren die Erfüllung des fatum als nefas. Der im Weltenplan gegebene Ausblick auf longissima regna bleibt vage: Nach einer zeitlich unbestimmten Phase des Prüfens und Abwägens wolle Jupiter entscheiden, welche Form eine Herrschaft über alle Völker der Welt annehmen könne. Dieser Teil des Plans berührt die historische Zeit. Die mehrdeutige Formulierung gentesque fovebo / mox alias (gentes als Völker bzw. römische Herrschergeschlechter) ermöglicht dabei, im Weltenplan nicht nur die metaphysische Ursache für den Aufstieg des Imperium Romanum zu sehen, sondern auch für innerrömische Machtkämpfe und Bürgerkriege.
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Bürgerkriegs-Epos, Tragödie und Gigantomachie: Generische Multiperspektivität in der Cyzicus-Episode
Die doppelte göttliche Motivation der Cyzicus-Episode (ira der Kybele; fatum des Weltenplans) bedingt eine von dissonanten Spannungen durchzogene Textoberfläche: Die Dolionenschlacht bietet sich dem Rezipienten als nefas dar, das aus dem fatum resultiert. Im Folgenden werden wir sehen, wie Rekurse auf Lucans Bellum civile der Episode Modellcharakter für (historische) römische Bürgerkriege verleihen. Gleichzeitig arbeitet der Dichter Motive aus dem thebanischen Sagenkreis und der Gigantomachie ein, wodurch sich die Möglichkeit eröffnet, unsere Stelle als Tragödie, Bellum civile und (Hyper-)Epos zu lesen.132 Die Vorverweise auf den unbeabsichtigten Kampf zwischen den Gastfreunden, mit denen das zweite Buch ausklingt, werden in der Forschung treffend als ‚tragische Ironien‘ bezeichnet.133 Die Technik hat in Didos Jupiter-Anruf beim Gastmahl in Aen. 1 ihr Vorbild. Dort bittet die karthagische Königin den Göt132
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Zur generischen Vielschichtigkeit der Episode vgl. Hardie 1993, 87: „In the resulting ‘Tartarean night’ of slaughter there is veritable Hell on Earth as the Furies range freely. Gigantomachic imagery abounds, and there are hints of the Virgilian Sack of Troy. This war between allies is akin to civil war, and the inability to make the necessary discriminations almost leads to the ultimate fratricide as the twins Castor and Pollux fail to recognize each other.“ Zur Gigantomachie als ‚hyper-epischem‘ Stoff siehe Barchiesi 2001, 320f. Zum Phänomen der ‚Gattungsmischung‘ in den Argonautica, insbesondere zu Hercules als hyperepischem Helden und den Einflüssen der Tragödie, siehe Söllradl (im Erscheinen a). Vgl. Schenk 1999, 80: „Im Gegensatz zur Version des Apollonios ist das Geschehen von tragischer Ironie gezeichnet.“
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tervater, die Nachfahren der Tyrer und Trojaner mögen sich an den „freudigen Tag“ (laetum … diem: 1,732) der Ankunft der Aeneaden erinnern.134 Der Rezipient weiß jedoch, dass an diesem Tag eine Handlungskette in Gang gesetzt wird, die kurzfristig zum Selbstmord Didos und langfristig zu den Punischen Kriegen und dem Untergang Karthagos führen wird. In Valerius’ Cyzicus-Episode setzen die tragischen Ironien ein, wenn die Lage der Stadt beschrieben wird, die sich an „friedlichen Hügeln“ (placidis … iugis: 2,635) entlangziehe.135 Die „neuen Zeichen“ (nova signa: 2,636) am Schiffsbug und die Anrede der Argonauten als „Schar Emathias“ (Emathiae manus: 2,640) stellen jedoch Verweise auf das Bellum civile und die bevorstehende Schlacht zwischen den Gastfreunden dar.136 Wenn Jason am Ende des Buches bei der Betrachtung des Trinkbechers die Ereignisse der Nyktomachie unwissentlich voraussagt, ist der Höhepunkt dieser Reihe von tragischen Ironien erreicht. In der eigentlichen Schlachtbeschreibung trägt die Verwirrung beider Konfliktparteien und die Unfähigkeit, die Identität des Gegners zu erkennen, zur tragischen Atmosphäre bei.137 Während die Dolionen glauben, gegen ihre alten Feinde, die ‚Pelasger‘, zu kämpfen (3,45.221–223), spornt Jason seine Männer an, so zu kämpfen, als zögen sie bereits gegen die Kolcher ins Feld (3,81f.).138 Die Schlacht zwischen den Argonauten und den Dolionen ist kein Bürgerkrieg im strengen Wortsinn, aber der Dichter suggeriert permanent ein Verwandtschaftsverhältnis zwischen den beiden Parteien, wozu auch Gleichnisse beitragen, die Motive aus dem thebanischen Sagenkreis aufgreifen.139 Die bür-
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Aen. 1,731–733 mit Schenk 1999, 80 f.; Binder 2019, Bd. 1, 92 zu 1,732: „Der Wunsch […] bringt erneut die tragische Ironie der epischen Handlung zum Ausdruck.“ Vgl. Harper Smith 1987, 268: „‘Placidis’ is charged with irony in view of the coming battle. Like its inhabitants, the country gives the strangers a peaceable welcome.“ Ähnlich Schenk 1999, 79. Lucan. 7,203 ~ Val. Fl. 2,636; Verg. georg. 1,492; Lucan. 1,1 ~ Val. Fl. 2,640 (zu diesen Bezügen siehe oben Kap. 3.2). Zum möglichen Lucan-Bezug in 3,46 siehe Stover 2012, 125. Vgl. Adamietz 1976, 44–46; Schenk 1999, 76; Manuwald 2015, 61.101 zu 3,126f. (hier 61): „The structure of the Cyzicus episode may be compared to a tragedy.“; Dinter/Finkmann/Khoo 2019, 260–264. Zum Unvermögen Jasons, die Bezeichnung ‚Pelasger‘ auf die Argonauten zu beziehen, siehe Harper Smith 1987, 276 zu 2,656; McGuire 1997, 108–113; Finkmann 2014, 80 f. Vgl. McGuire 1997, 108: „[T]he episode […] is also fraught with mistaken identities and the topoi of civil war.“ Neil Bernstein (2008, 48) bezeichnet das Verhältnis der beiden Seiten mit Blick auf Val. Fl. 3,13 (manibus datis iunxere penates) als „created kinship“. Da Cyzicus ohne Nachkommen stirbt (3,317.345), übernehme Jason in der Bestattungszeremonie symbolisch die Rolle des Sohnes des toten Königs, wodurch die Gastfreundschaft noch weiter in den Bereich
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gerkriegsähnliche Natur der Schlacht wird durch sprachliche Signale vermittelt, die den Leser gedanklich zur Beschreibung des römischen Bürgerkriegs in Lucans Bellum civile führen.140 Junkturen wie infanda … proelia (3,14)141 und impia bella (3,30)142 verweisen überdeutlich auf den neronischen Epiker, dessen Gedicht Valerius schon durch die Bezeichnung der Nyktomachie als nefas (3,258.284.301) evoziert.143 Mit dem Trikolon emphatischer Fragerufe im Binnenproömium (cur talia passus / arma, quid hospitiis iunctas concurrere dextras / Iuppiter? unde tubae nocturnaque movit Erinys?: 3,16–18) reiht sich der Dichter darüber hinaus auch in formaler Hinsicht in die Tradition der römischen Bürgerkriegsliteratur ein. Man vergleiche etwa den Beginn der siebten Epode des Horaz (quo, quo scelesti ruitis? aut cur dexteris / aptantur enses conditi?: Hor. epod. 7,1f.) und den Ausruf des Ascanius bei der Rebellion der trojanischen Frauen (‘quis furor iste novus? quo nunc, quo tenditis’ inquit / ‘heu miserae cives?’: Verg. Aen. 5,670f.). Lucan imitiert diese Struktur im ersten Buch des Bellum civile zweimal (quis furor, o cives, quae tanta licentia ferri?: Lucan. 1,8; [Patria] quo tenditis ultra? / quo fertis mea signa, viri?: Lucan. 1,190 f.).144 Daneben wird jedoch in raffinierter Weise auch die Weltenplan-Perspektive aufrechterhalten, indem die Dolionen systematisch mit den Giganten und anderen Widersachern der Olympier verbunden werden. Dadurch entsteht der Eindruck, die Nyktomachie sei als irdische Neuauflage der Gigantomachie zu interpretieren.145 Der Schlachteintritt der beiden Anführer – Cyzicus und
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einer Blutsverwandtschaft rücke. Vgl. McGuire 1997, 109; Bernstein 2008, 52–54 (hier 53): „Through a series of comparisons, the narrative associates the Argonauts’ murderous violation of hospitality with acts of violence against kin.“ Vgl. McGuire 1997, 109 f.; Stover 2012, 123–127; Heerink 2016, 515f. Lucan. 1,21 (belli … nefandi); Lucan. 1,325 (bella nefanda) ~ Val. Fl. 3,14 (infanda … proelia). Lucan. 1,691 (impia … bella); Lucan. 7,196 (impia … arma) ~ Val. Fl. 3,30 (impia bella). Vgl. Feeney 1991, 276f.; Masters 1992, 212–215; Stover 2012, 124: „The word nefas alone is enough to recall Lucan’s poetics of civil war: it is a significant tag for bellum civile in his epic.“ Federica Bessone argumentiert, dass die flavischen Epiker auf eine „pre-existing Roman koiné for civil struggles, whether mythical or historical“ zurückgreifen konnten (vgl. Bessone 2018, 90–95; hier 90). Aber auch Prosa-Schriftsteller wie der Historiker Tacitus reihen sich in diese Tradition ein: z. B. stilisiert Tacitus den emphatischen Ausruf bei der Beschreibung des Brandes des Kapitols nach diesem Muster (quibus armorum causis? quo tantae cladis pretio?: Tac. hist. 3,72,1). Zu diesem Aspekt der Nyktomachie siehe Stover 2012, 133–148. Für Stover ist die Beseitigung der Dolionen, die für ihn die Mächte des Chaos symbolisieren, eine Voraussetzung für die neue, von Jupiter gewünschte Weltordnung: „Through his use of gigantomachic imagery, Valerius offers his audience a moralized civil war in which strong lines of demarcation exist between heroes and villains, between good and evil, and between the forces of order and chaos“ (Stover 2012, 126). Dagegen ist einzuwenden, dass sich die Dolionen
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Jason – wird von programmatischen Gleichnissen begleitet.146 Die Vergleiche des Cyzicus mit dem betrunkenen Kentaur Rhoetus und mit Athamas, der im Wahn seinen Sohn tötet, heben zunächst auf das tertium comparationis der Sinnesverwirrung ab. Der Vergleich mit Athamas eröffnet durch den Kindsmord aber auch den Assoziationsrahmen der innerfamiliären Gewalt,147 die in der römischen Vorstellungswelt eng mit Bürgerkrieg verbunden ist.148 Dieser fehlt im Vergleich Jasons mit Mars: „Wie der Wagen des Mars von den Sternen herab mitten unter die Bistoner springt … – nicht weniger eifrig stürmt jener über das Schlachtfeld“ (Bistonas in medios ceu Martius exilit astris / currus … non segnius ille / occupat arva furens: 3,83f.; 3,85f.). Der Angriff des Mars auf die Bistoner, einen kriegerischen thrakischen Stamm, der dem Kriegsgott treu ergeben ist, erscheint ähnlich paradox wie ein Krieg zwischen Gastfreunden und ist daher treffend gewählt.149 Als Repräsentant der unkontrollierten Kriegswut veranschaulicht Mars das wahnsinnige Kriegstreiben der Nyktomachie. Der Vergleich Jason ~ Mars berührt jedoch nicht den Bereich des Tragischen, wie das beim vorher diskutierten Vergleich des Cyzicus mit Athamas der Fall war.150 Die Argonauten folgen Jason in den Kampf (sequitur vis omnis Achivum: 3,86), formieren sich zu einer stabilen Schlachtreihe und „drängen Schild an Schild vorwärts, wie wenn Jupiter eine dunkelfarbige Gewitterwolke zusammentreibt“ (contextis umbonibus urgent / caeruleo veluti cum Iuppiter agmine nubem constituit: 3,90–92). Dieses Bild assoziiert die Argonauten mit Jupiter und die Dolionen mit den Sturmwinden (Zephyri: 3,92; Notus: 3,93), die vergeblich gegen die Kraft des Göttervaters ankämpfen.
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kaum in die Reihe von Monstern (etwa das Seemonster in Buch 2, Amycus und die Harpyien in Buch 4, die terrigenae in Buch 7), auf die die Argonauten sonst treffen, eingliedern lassen. Die Darstellung der Dolionenschlacht als Gigantomachie dient nicht der Abwertung des Gegners, sondern unterstreicht, dass das nefas des Mordes an den Gastfreunden mit Jupiters Einverständnis erfolgt, da Kriege zwischen weit entfernten Völkern zu den Zielen des Weltenplans gehören. 3,65–69 (Cyzicus) ~ 3,83–86 (Jason). In Anschluss an das Mars-Gleichnis wird die Streitmacht der Argonauten mit einer Gewitterwolke Jupiters assoziiert (3,90–94). Siehe zu diesen Gleichnissen Gärtner 1994, 102–105.241 f. Vgl. Heerink 2016, 515. Vgl. Green 1994, 205: „Fratricide and civil war were the private and public faces of the same crime.“ Vgl. Bannon 1997, 10; Krasne 2014, 42. Vgl. Manuwald 2015, 89 zu 3,83–85: „Mars was said to have attacked the Bistones although he loved them and their fighting spirit.“ Das Gleichnis betont Jasons Einsatz im Kampf, doch vor dem Hintergrund der Rolle, die Mars in den Argonautica spielt, ist der Vergleich nicht ausschließlich positiv. Vgl. Gärtner 1994, 103; Stover 2012, 138–141.
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Vergleichbare Rollenzuschreibungen finden sich noch häufiger:151 „Darauf wirft die unglückliche Schar [sc. der Dolionen] mit großem Geschrei Felsbrocken, schwarze Fackeln und die Lasten der gewundenen Schleuder“ (hinc manus infelix clamore impellere magno / saxa facesque atras et tortae pondera fundae: 3,95f.). Das Werfen von Felsbrocken lässt an die Kampftechnik der Giganten denken,152 doch das konkrete Vorbild an unserer Stelle dürften die Erdgeborenen (Γηγενέες) des Apollonios sein, die „raue Felsbrocken aufhoben und warfen“ (πέτρας ἀμφιρρῶγας ἀερτάζοντες ἔβαλλον: AR 1,995), um die Mündung eines der Häfen der Insel zu verschließen. Bekanntlich übernimmt Valerius den bei Apollonios geschilderten Kampf des Herakles gegen die Erdgeborenen (AR 1,985–1011) nicht, aber dieses Echo zeigt, dass einzelne Elemente daraus den Weg in die Konzeption des flavischen Epikers gefunden haben. Valerius rezipiert Apollonios’ Schilderung vom Kampf des Herakles gegen die Erdgeborenen insofern, als er den Argonauten durchgehend die Rolle der olympischen Götter zuschreibt, die Dolionen aber mit Giganten, Titanen oder sonstigen Widersachern Jupiters verknüpft.153 Diese Rollenzuschreibung setzt sich in den folgenden Gleichnissen fort. Als sich der Dolione Phlegyas mit einer brennenden Fackel ins Schlachtengetümmel stürzt, illustriert der Erzähler dessen furchterregende Erscheinung anhand eines Vergleichs mit Typhon:154 ecce gravem nodis pinguique bitumine quassans lampada turbata Phlegyas decurrit ab urbe. ille leves de more manus aciemque Pelasgum per noctem remeasse ratus pulsumque requirens saepe sibi vano Thamyrum clamore petebat arduus et late fumanti nube coruscus, quantus ubi immenso prospexit ab aethere Typhon igne simul ventisque rubens, quem Iuppiter alte crine tenet. trepidant diro sub lumine puppes. Val. Fl. 3,124–132
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Vgl. Spaltenstein 2004a, 33 zu 3,87. Vgl. Hardie 1986, 100–102. Bereits in der Antike werden Aufstände gegen die herrschende göttliche Ordnung meist mit dem Überbegriff Gigantomachie bezeichnet. Siehe zur unscharfen Abgrenzung von Gigantomachie, Titanomachie, Typhonomachie etc. Hardie 1986, 85. Zur mythenchronologisch scheinbar inkonsistenten Erwähnung von Schiffen bei der Typhonomachie in diesem Gleichnis siehe Söllradl (im Erscheinen c).
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Der unmittelbare Anlass für das Gleichnis sind die visuellen Entsprechungen zwischen Phlegyas’ Fackel und der Erscheinung des Monsters Typhon. Die mit fettem Pech (pingui … bitumine) bestrichene Fackel sorgt dafür, dass der Dolione in der Nacht (per noctem) in einer dampfenden Rauchwolke weithin erstrahlt (late fumanti nube coruscus). Das Bild der Wolke (nube) bereitet assoziativ den Übergang zum vom Himmel (ab aethere) herabblickenden Typhon vor, der einen rötlichen Feuerglanz (igne … rubens) abgibt. Der Vergleich lässt Phlegyas aber auch als Feind von Jupiters neuer Weltordnung erscheinen, der sogleich von Hercules’ Pfeil getroffen und besiegt wird (3,133–137). An unserer Stelle ist der Einsatz dieser Waffe statt der üblichen Keule bedeutsam: Wie Pindar und Apollodor überliefern, kämpft Hercules in der Gigantomachie mit dem Bogen. Auch bei Apollonios streckt er die Γηγενέες mit Pfeilen nieder.155 Die Bildsprache und Motivwahl des Gleichnisses verknüpft die Dolionenschlacht mit Jupiters Kämpfen gegen chthonische Widersacher wie Typhon und die Giganten. Der (hyper-)epische Auftritt des Jupitersohnes erhält allerdings keine fünfzig Verse später ein tragisches Seitenstück. Als Hercules in seiner Aristie (3,161– 172) auf den Dolionen ‚Hidmon‘156 trifft, „packt er den Mann am bärtigen Kinn und lässt von oben seine Keule donnern“ (occupat os barbamque viri clavamque superne / intonat: 3,168f.). Die einzigartige Formulierung, der im OLD eine eigene Kategorie zugewiesen ist,157 bekräftigt die Verbindung zwischen Jupiter und den Argonauten. Wie Hercules seine Keule donnern lässt, so donnert Jupiter mit gelassenem Nicken (nutuque sereno / intonuit: 3,251 f.) beim Beenden der Schlacht nach dem Tod des Cyzicus.158 Bevor seine Keule auf das Haupt des Gegners niedergeht, ruft Hercules: „Jetzt wirst du den Waffen des Hercules erliegen, ein gewaltiges Geschenk und ein für die Deinen immer bewundernswertes Schicksal“ (‘occumbes’ et ‘nunc’ ait ‘Herculis armis, / donum ingens semperque tuis mirabile fatum’: 3,169f.).159 Dadurch durchschaut der erste Teil155
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Vgl. Pind. Nem. 1,67–69; AR 1,992–994; Apollod. 1,36. Das vorliegende Gleichnis, das Hercules’ Gegner Phlegyas mit Typhon verbindet, könnte vom Hercules-Hymnus der Arkader in der Aeneis beeinflusst sein, der eine seltene Seitenlinie der Tradition bewahrt, laut der die Tötung des Typhon zu den Taten des Hercules gehört (Aen. 8,298f. mit Stover 2012, 143 f.). Das überlieferte Hidmon (3,167) dürfte unter dem Einfluss von Idmon (3,175; ebenfalls am Versende) in den Text eingedrungen sein und wird von fast allen Herausgebern zwischen cruces gesetzt. Vorschläge wie Admon (Thilo) oder Acmon (Heinsius) müssen aufgrund der spärlichen Tradition zu den Namen der Cyzicus-Kämpfer spekulativ bleiben (vgl. Manuwald 2015, 109 zu 3,167). OLD s. v. intono 4. Siehe Manuwald 2015, 110 zu 3,168f. Das Donnern Jupiters wird auch in 1,591 und 4,414 mit dem Verb intonare bezeichnet. Das überlieferte occumbens et wurde bereits in der Florentiner Ausgabe von 1481 zu occum-
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nehmer an der Nyktomachie – zu spät – die tragische Verwechslung: „Jener schauderte im Sturz und erkannte als erster den Namen des Freundes“ (horruit ille cadens nomenque agnovit amicum / primus: 3,171f.). Doch bevor er diese schreckliche Erkenntnis teilen und so ein Ende des sinnlosen Mordens herbeiführen könnte, stirbt er. So werden ein Wiedererkennen (ἀναγνώρισις) und ein Handlungsumschwung (περιπέτεια), zentrale Elemente der aristotelischen Tragödientheorie,160 zwar angedeutet, aber noch bis zum Tod des Cyzicus hinausgezögert. Indes setzt sich die Schlacht zwischen Gastfreunden fort: Ornytus, der ein Gastmahl für die Argonauten ausgerichtet hat, wird von Idmon erschlagen, wobei er Waffen trägt, die ihm der Dolione als Gastgeschenk überreicht hat (3,173–177).161 Dieses nefas wird beinahe noch gesteigert, als die Brüder Castor und Pollux in der Dunkelheit aufeinandertreffen und einander in buchstäblich letzter Sekunde erkennen: anhand des Leuchtfeuers, das ihnen Jupiter vor Beginn der Fahrt um die Stirn aufleuchten ließ (3,186–189; vgl. 1,571–573).162 Das Chaos und die Verwirrung der Nyktomachie haben an diesem Moment ihren Höhepunkt erreicht, da die Tragik des Mordens unter Gastfreunden beinahe durch die Ermordung eines Bruders durch den anderen überboten worden wäre.163 Während Hercules von ‚Hidmon‘ erst zu spät erkannt wird, kann der Brudermord durch das vom Göttervater gespendete Elmsfeuer gerade rechtzeitig verhindert werden. Jupiter mag erst nach dem Tod des Cyzicus in die Schlacht eingreifen – seine Parteilichkeit und sein ordnender Einfluss sind jedoch schon davor subtil spürbar. Den Höhepunkt und Abschluss der Schlacht stellt der Tod des Cyzicus dar. „Der Zorn der Götter“ (ira deum: 3,224) verwirrt ihm die Sinne, sodass er glaubt, gegen die ‚Pelasger‘ zu kämpfen und schon beinahe den Sieg errungen zu haben. Bei seinem letzten Auftritt wird der König mit dem Titan Coeus, einem Feind Jupiters, verglichen:
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bes et korrigiert (von Ehlers übernommen). Liberman druckt das von Baehrens und Bury konjizierte occumbes en, aber das intonat und ait verknüpfende et erscheint als die zu bevorzugende Variante. Aristot. poet. 11,1452a f. Zum Mord des Idmon an seinem Gastfreund Ornytus und zur Bedeutung der Gastgeschenke siehe Dinter/Finkmann/Khoo 2019, 262. Die Tyndariden beteiligen sich auch bei Apollonios an der Schlacht (AR 1,1045), aber dort ist keine Rede davon, dass es beinahe zum Brudermord käme. Zu der Begegnung von Castor und Pollux vgl. McGuire 1997, 111: „The Castor and Pollux encounter, though it proves a ‘near miss,’ exemplifies a technique we have seen before in these epics, for Valerius uses it to create a compounded scene of civil war. Within a general context of civil or unholy war he encloses an individual scene of more extreme strife, or bellum plus quam civile, to borrow Lucan’s terminology.“; Blum 2019, 79f.
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fundo veluti cum Coeus in imo vincla Iovis fractoque trahens adamante catenas Saturnum Tityonque164 vocat spemque aetheris amens concipit, ast illum fluviis et nocte remensa Eumenidum165 canis et sparsae iuba reppulit Hydrae. Val. Fl. 3,224–228
Der Titan, der sich an einer Rebellion gegen Jupiter beteiligte und dafür in die Unterwelt verbannt wurde, gibt sich der aussichtslosen Hoffnung hin, zur Erde zurückkehren zu dürfen (spemque aetheris … concipit: 3,226f.). Auch Cyzicus unterliegt der von den Göttern auferlegten Verblendung, er könne in dieser Schlacht den Sieg davontragen. Der Titan ist „wahnsinnig“ (amens: 3,226), was die Charakterisierung des Cyzicus als „wahnsinnig“ (demens: 3,63) beim Schlachteintritt aufgreift. Doch Coeus fristet für die Rebellion gegen die olympische Ordnung seine gerechte Strafe. Die Formulierung ( fundo … in imo) rekurriert auf Vergils Beschreibung des Aufenthaltsortes der Titanen im Tartarus ( fulmine deiecti fundo volvuntur in imo: Aen. 6,581), an deren frevelhaftem Charakter es keinen Zweifel geben kann. Dagegen frevelt Cyzicus unbeabsichtigt und unwissentlich gegen Kybele:166 Sein Vergehen ist ein Irrtum, der zwar eine unausweichliche Bestrafung nach sich zieht, ihn aber nicht auf eine Stufe mit den Giganten oder Titanen stellt.167 Die erst im Moment des Todes gewonnene Einsicht in seinen Frevel und sein Tod von der Hand des Gastfreundes Jason verschaffen einer tragischen Figur ein tragisches Ende.168 Wenn die Dolionenschlacht als irdische Reproduktion der Gigantomachie gezeichnet ist, dient dies nicht der moralischen Bewertung der beiden Konfliktparteien, sondern der Verdeutlichung der göttlichen Parteilichkeit. Jupiter unterstützt die Argonauten, da sie die von ihm gewünschte Öffnung der Meere 164
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Sollte das überlieferte Tityumque richtig sein, wäre dies der einzige Beleg für die Latinisierung des Namens Tityos. Ehlers und Manuwald drucken Tityumque, Liberman und Spaltenstein Tityonque. Libermans Konjektur tergeminus ist paläographisch unwahrscheinlich, würde aber den Sinn des Ausdrucks Eumenidum canis erhellen, womit der Unterweltshund Kerberos gemeint sein dürfte. Siehe oben Kap. 3.3. Anders Stover 2012, 136–138, der argumentiert, Cyzicus und die Dolionen stünden Jupiters neuer Weltordnung im Weg: „Cyzicus’ impiety must be punished and his Giant-like ways have no place in Jupiter’s new world order. Although it seems senseless at first that the entire city must suffer for the actions of a single criminal, Valerius goes out of his way during the narration of the battle to vilify the Doliones as a whole by presenting them, like their king, as opponents of Jupiter’s regime.“ Zur Tragik des Cyzicus siehe Manuwald 2015, 61; Heerink 2016, 514–516.
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vorantreiben und im Krieg mit dem Propontis-Volk der Dolionen den Weltenplan realisieren. Als der Göttervater es nach dem Tod des Cyzicus Tag werden lässt, werden vor den Augen der Argonauten „die bekannten Türme in weißes Licht getaucht“ (notaeque … albescere turres: 3,258), was der Erzähler mit parenthetischem nefas kommentiert. Vom Gefühl der Schuld überwältigt sind die Argonauten wie gelähmt und werden mit Agaue verglichen, als sie erkennt, dass sie ihren toten Sohn Pentheus in Armen hält (3,264–266).169 Das Gleichnis veranschaulicht den Frevel der Nyktomachie, da der Mord an den Gastfreunden – nach dem Athamas-Gleichnis – ein zweites Mal mit Kindsmord parallelisiert wird. Es illustriert die Verblendung, der die Argonauten in dieser Nacht unterliegen. Ihres Irrtums gewahr geworden sind die Helden wie paralysiert, da ihnen das Bild der Toten Tag und Nacht vor Augen steht (at non inde dies nec … / nox Minyas tanta caesorum ab imagine solvit: 3,362f.). In ähnlichen Worten beschreibt Lucan die Albträume, die Caesars Soldaten nach der Schlacht von Pharsalos heimsuchen (Lucan. 7,772–776). Die Cyzicus-Episode zeigt große generische Vielfalt, da sie das hyper-epische Motiv der Gigantomachie mit Tragödie und Bürgerkriegs-Epos verbindet. Die daraus resultierende dissonante Polyphonie sorgt dafür, dass sich die Episode jedem vereinfachenden Interpretationszugriff entzieht. Die Relevanz der Episode für römische Verhältnisse zeigt sich daran, dass die eingelegten Lucan-Bezüge der Dolionenschlacht Modellcharakter für römische Bürgerkriege verleihen. Diese Bellum civile-Reminiszenzen vermitteln den Eindruck, die Cyzicus-Episode biete keinen Anlass zu positivem historischen Wandel,170 was auch die Vermischung von Bezügen zur vergilischen Iliupersis und zum Krieg in Latium suggeriert.171 In dieser Deutung lässt sich die Nyktomachie nicht mit Blick auf ein größeres historisches Ziel rechtfertigen – sie stellt lediglich das Anfangsglied einer Kette von zyklisch wiederkehrenden Kriegen dar, die nicht vom Prinzip des Fortschritts, sondern der Wiederholung gekennzeichnet sind. Indes machen Vergleiche mit Figuren aus dem thebanischen Sagenkreis die Grenze zwischen epischem Schlachtfeld und tragischer Bühne brüchig. Die Argonauten beherrschen den Sprung über Gattungsgrenzen jedoch bei weitem nicht so virtuos wie der Erzähler: Ihr heroisches Agieren ist in der Nyktomachie deplatziert und trägt nichts zur Steigerung ihres Heldenruhms bei, sondern
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Siehe zu diesem Gleichnis Blum 2019, 80. Vgl. Manuwald 2015, 62: „[T]here is no suggestion that VF sees civil war as ultimately leading to a positive future.“ Siehe oben Kap. 3.1.
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bewirkt nefas.172 Freilich fällt beim direkten Vergleich mit den hellenistischen Argonautica ins Auge, dass Valerius die Kriegstüchtigkeit der Argonauten viel stärker herausstellt. In einer Reihe von Aristien (3,150–206) wird Jason zuerst genannt und als erfahrener Kämpfer eingeführt, der – wie Debrah Hershkowitz argumentiert – den homerischen Helden ebenbürtig sei.173 Die Argonauten würden als gut koordinierte Truppe auftreten und ihre erste epische Bewährungsprobe bestehen.174 Doch auch wenn die Helden ihre militärische Schlagkraft unter Beweis stellen, schließt der Rahmen, in dem sie ihre ‚heroischen‘ Taten vollbringen, eine rein optimistisch-affirmative Interpretation aus.175 Der häufige und auffällig einheitliche Einsatz des Gigantomachie-Motivs, das stets die Argonauten mit Olympiern und die Dolionen mit Giganten assoziiert, erfüllt nicht, wie Tim Stover will, die Funktion, Gut und Böse voneinander zu scheiden.176 Beide Konfliktparteien handeln aus einer Verwirrung heraus; beide Konfliktparteien machen sich schuldig. Der (unfreiwillige) Frevel des Cyzicus gegen Kybele entspricht dem (unfreiwilligen) Frevel der Argonauten beim Bruch des Gastrechts. Natürlich ist Stovers Beobachtung richtig, dass Valerius das Gigantomachie-Motiv nicht benutzt, um wie Lucan die Unterschiede zwischen (Bürger-)Kriegsparteien verschwimmen zu lassen.177 Die instabile Rollenverteilung, die im Bellum civile mitunter die Unterscheidung von Olympiern und Giganten verunmöglicht,178 übernimmt Valerius
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Vgl. Blum 2019, 80: „Their collective desire for epic action causes them to violate an equally important aspect of the heroic code, the ties of guest-friendship. Their guilt and grief once again divert their quest.“ Vgl. Hershkowitz 1998, 120. Vgl. Adamietz 1976, 45; Schenk 1999, 70. Vgl. auch Lovatt 2014, 215: „Jason’s pre-eminence, the fact that he leads from the front, is set next to the idea of the group of Argonauts as a closely-knit, well-trained military force. He is a more effective leader, and they are a more effective team.“ Ähnlich (und ausführlicher) Schenk 1999, 163–168. Vgl. Dinter/Finkmann/Khoo 2019, 264: „Their military dominance and victory which would otherwise have been considered as heroic are subsequently turned into an atrocious war crime and a violation of their bond of ξενία.“ Vgl. Stover 2012, 114: „In Latin poetry, civil war is often imagined in terms of Gigantomachy, a potentially moralized type of bellum civile in which the forces of order square off against the forces of chaos, and in which strong lines of demarcation exist between adherents of good and agents of evil. Valerius actualizes this potential: in his narrative the forces of order/good are clearly marked and consistently prevail over the forces of chaos/evil.“ Die Strategie Lucans, die Unterschiede zwischen den Kriegsparteien im Bürgerkrieg aufzulösen, lässt sich etwa anhand der Seeschlacht um Massilia studieren. Caesar wird einerseits mit dem Blitz assoziiert, dem Jupiter-Attribut par excellence; andererseits wird der von ihm befohlene Bau der Dämme auf eine Weise geschildert, die das Türmen des Pelion auf den Ossa evoziert. Vgl. Masters 1992, 39–42. Vgl. Stover 2012, 115: „Lucan was not averse to confusing its elements, making it impossi-
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nicht. Aber die durchgängige Verknüpfung der Argonauten mit den Olympiern dient auch nicht der moralischen Aufwertung ihrer Taten. Mark Heerink argumentiert, dass es dem Dichter in der Cyzicus-Episode darauf ankomme, die Untauglichkeit der Dichotomie von Olympiern und Giganten zur Beschreibung von Bürgerkriegsparteien aufzuzeigen.179 Doch wenn wir dieser Auffassung folgten, ginge die entscheidende Pointe der Episode verloren: Jupiter betrachtet die Ereignisse auf der Propontis-Insel, wo es zum ersten Mal eine Gelegenheit für einen Krieg zwischen einem europäischen und einem asiatischen Volk gibt, als Teil seines Weltenplans. Die Argonauten werden mit der Seite der Olympier verbunden, weil sie die von Jupiter angestrebte neue Weltordnung realisieren, die ständige Kriege zwischen den Völkern vorsieht. In der Bildersprache der Gigantomachie bleiben für die Gegner der Argonauten nur noch die Widersacher Jupiters übrig, also Giganten, Titanen und Monster wie Typhon.180 Die Erzählung vom Sieg des Göttervaters über destruktive, chthonische Mächte in der Gigantomachie gewinnt in der frühen Kaiserzeit an politischer Bedeutung,181 da der Princeps in die Nähe des Göttlichen rückt und subversive Kräfte effektiv in das Bild der Giganten, die den Olymp erstürmen wollen, eingepasst werden können.182 Auch die Kämpfe um das Kapitol zwischen der flavischen Partei und den Anhängern des Vitellius im Jahr 69 n. Chr. eigneten sich für eine solche mythologische Überhöhung, wie eine Stelle aus Statius’ drittem Gedicht im fünften Silvae-Buch zeigt: „Plötzlich schüttelte die Furie des Bürgerkriegs ihre Fackel vom tarpejischen Felsen und erregte phlegräische
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ble at times to distinguish the Giants from the Olympians.“; Heerink 2016, 521: „Lucan had completely subverted and confused the imagery in his Bellum Civile.“ Vgl. Heerink 2016, 521: „I rather think that Valerius in this passage shows how ridiculous the mythological paradigm is for this civil war, in which there is no good or evil and there are no winners, just losers.“ In seinem ‚Epilog‘ zum Weltenplan, in dem er mit Blick auf Hercules und die Dioskuren heroische labores als Weg zu den Sternen anpreist (1,563–567), streicht Jupiter die Bedeutung dieses Kampfes hervor: „Erst nach den Kriegen gegen den wilden Iapetos und den Mühen von Phlegra hat mich königliche Macht an die Spitze der Welt gesetzt“ (me primum regia mundo / Iapeti post bella trucis Phlegraeque labores / imposuit: 1,563–565). Zur Konstruktion und Übersetzung dieses schwierigen Satzes siehe Zissos 2008, 323 zu 1,563– 565. Zum Einsatz des Motivs in der vergilischen Schildbeschreibung, in welcher die Schlacht von Actium als irdische Gigantomachie erscheint, siehe Hardie 1986, 97–110. Zur politischen Anwendung des Theomachie-Motivs siehe Bolt 2019, 283: „The structural element also changes in response to historical context. In the early imperial period, theomachy becomes freighted with political undertones as the principate identifies itself closely with the divine and as imperial cult becomes enmeshed with contemporary politics.“
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kapitel 3
Kämpfe“ (subitam civilis Erinys / Tarpeio de monte facem Phlegraeaque movit / proelia: Stat. silv. 5,3,195–197). Die Verteidigung des Kapitols durch die flavischen Soldaten wird hier auf eine Stufe mit Jupiters Verteidigung des Olymps gegen die Giganten gestellt.183 Werden diese Verse aber neben Valerius’ Cyzicus-Episode gelegt, drängt sich eine andere Bewertung des Sieges im Kampf um das Kapitol auf, der die Machtergreifung der Flavier besiegelt hat: Die Flavier sind keine moralisch überlegene Ordnungsmacht, die über niederträchtige Mächte des Chaos triumphiert, sondern – mit Valerius gelesen – die Kriegspartei, die Jupiter geprüft (vgl. experiar: 1,559) und als unterstützenswert erachtet hat. Ob der Triumph in diesem Bürgerkrieg als Anfangspunkt der longissima regna zu betrachten ist oder nur vorübergehende Stabilität bringt, bis Jupiter den Aufstieg einer anderen gens fördert, steht in den Sternen. Rückblick: In der Cyzicus-Episode lässt der Dichter die Gattungsgrenzen durchlässig werden und bietet dem Rezipienten damit unterschiedliche Interpretationsmodelle an. Indem die Argonauten in Gleichnissen durchgehend mit Jupiter als Gigantomachie-Sieger verbunden werden, bleibt die epische Perspektive aufrecht. Diese ermöglicht, die Nyktomachie als Resultat der von Jupiter angestrebten Öffnung der Meere zu beurteilen, wobei die Argonauten in einer ‚irdischen Gigantomachie‘ die Taten des Göttervaters reproduzieren. Dieses Modell taugt jedoch nicht für eine vollständige Beschreibung der CyzicusEpisode. Bezüge zu Lucans Bellum civile erlauben, die Dolionenschlacht als mythologisches Vergleichsmodell für römische Bürgerkriege zu lesen, die in ihrer zyklischen Wiederkehr nicht geeignet sind, dem Geschichtsverlauf eine positive Wende zu geben. Die Veranschaulichung der Schlachthandlung durch Vergleiche mit den tragischen Figuren des thebanischen Sagenkreises unterstreicht das nefas der Dolionenschlacht, die gleichzeitig Teil des Weltenplans, tragisches Versehen und Modell für den destruktiven Zyklus römischer discordia ist.
3.5
Ergebnisse
Valerius dekonstruiert in der Cyzicus-Episode Vergils teleologisches Geschichtsmodell, indem er Bezüge zum Trojanischen Krieg und zum ProtoBürgerkrieg in Latium kontaminiert und dadurch eine Gleichsetzung der beiden Kriege erreicht, die bei Vergil die Progression von der Zerstörung einer
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Vgl. zu dieser Stelle Stover 2012, 116 f.; Stover 2016, 26f.
dissonante polyphonie
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Stadt zur Gründung einer Stadt abbilden. Durch diese Rezeptionsstrategie wird eine Überblendung von bellum externum und bellum civile erzielt, welche der Cyzicus-Episode ihren dissonanten Charakter verleiht. Diese Dissonanz zieht sich durch alle Details der Darstellung: Der bis zur Einfahrt in die Propontis sorgfältig konstruierte Kontrast zwischen Zentrum und Peripherie wird relativiert, indem Cyzicus die kulturelle Gleichheit von Griechen und Dolionen herausstellt. So werden das Selbst und das Andere bei der ersten Begegnung mit dem Fremden ununterscheidbar. Ferner erzeugt die doppelte göttliche Motivation der Nyktomachie Spannung zwischen fatum und nefas. Obwohl der Dichter vielfach betont, dass es sich beim Mord an den Gastfreunden um ein tragisches Versehen handle, kann dieser dennoch in Jupiters Weltenplan eingeordnet werden. Die dissonante Polyphonie der Episode setzt sich auf der Ebene der Gleichnisse fort, wobei (hyper-)epische und tragische Elemente mit Bezügen zu Lucans Bürgerkriegs-Epos vermischt werden, sodass die jeweiligen Gattungsgrenzen brüchig werden. Die komplexe Ausgestaltung des ersten Kriegsnarrativs der Argonautica weist diesem mit Blick auf die optimistische Darstellung des flavischen Aufstiegs im Proömium die Funktion eines mythologischen Korrektivs zu. Bekanntlich ist der Erfolg beim Niederschlagen der jüdischen Revolte nur ein Teil der Geschichte vom Aufstieg der Flavier. Der andere Teil ist der Sieg über innerrömische Gegner und der Erfolg im Bürgerkrieg. Die dissonante Polyphonie der Cyzicus-Episode führt zu einer merklichen Öffnung der Perspektive, da dem Rezipienten rückwirkend ein Korrektiv zur einseitigen Darstellung des flavischen Aufstiegs im Proömium angeboten wird. So erfüllt Valerius’ komplexe Umgestaltung einer traditionellen mythologischen Episode den Zweck, das Bewusstsein des Rezipienten für den Unterschied zwischen offizieller Herrschaftsrepräsentation und den Realitäten politischer Machtergreifung zu schärfen.
kapitel 4
Kolchis und Rom Anders als Apollonios erwähnt Valerius das Goldene Vlies in der propositio nicht1 – der Dichter scheint sich ganz auf das zentrale Motiv der Öffnung der Meere zu fokussieren. Dieser Befund soll jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass dem Goldenen Vlies auch im Epos des Valerius große Bedeutung zukommt. Denn in der Eröffnungsszene ist das Vlies zur Handlungsmotivierung auf Figurenebene zentral. Pelias beschreibt dessen Rückholung nach Iolkos als familiäre und religiöse Pflicht, wobei er seinen Wunsch verhüllt, der potenzielle Thronanwärter Jason möge auf dem Meer umkommen. Während Jason die List des Tyrannen durchschaut, bezweifelt er nicht, dass das Vlies nach Griechenland gehöre und es somit eine moralische Legitimation für die Fahrt nach Kolchis gebe. Erst bei der Begegnung mit Aeetes und den Söhnen des Phrixus in Arg. 5 wird der von den griechischen Helden gestellte Besitzanspruch problematisiert und die moralische Legitimationsgrundlage der Mission infrage gestellt. Die Verhandlungen um das Vlies nehmen jedoch einen für die Argonauten (und für den mit der Mythentradition vertrauten Rezipienten) unvorhergesehenen Ausgang, als Aeetes berichtet, dass er gerade Vorbereitungen für einen Krieg gegen seinen Bruder Perses treffe. Um sich der Unterstützung der kriegstüchtigen Argonauten zu versichern, verspricht er ihnen das Widderfell als Preis für den Kriegseintritt. Im folgenden Bruderkrieg treffen die Griechen auf eine Allianz der ‚barbarischen‘ Völker des Ostens. Da die Argonauten aber gemeinsam mit den Söhnen des Phrixus die Seite des kolchischen Tyrannen unterstützen, lässt sich dieser am äußersten Rand der bekannten Welt ausgetragene Krieg nicht ohne weiteres als Krieg gegen einen äußeren Feind beschreiben. Die Bezüge zu Vergil und Lucan streichen vielmehr den Modellcharakter dieser Schlacht für spätere römische Bürgerkriege hervor. In diesem Kapitel werde ich zunächst untersuchen, mit welchen Mitteln Valerius die Auffassung problematisiert, das Goldene Vlies gehöre nach Griechenland. Danach wende ich mich der Schlachtbeschreibung in Arg. 6 zu, die nicht nur ein Modell für römische Expansionskriege, sondern auch für römische Bürgerkriege bereitstellt. Die retardierende Funktion des Krieges, der nicht zum erhofften Gewinn des Vlieses führt und keinen Handlungsfortschritt bringt, ist aufschlussreich für die Ermittlung der Geschichtsperspektive, die den Argonautica zugrunde liegt. 1 Val. Fl. 1,1–4 ~ AR 1,1–4.
© Bernhard Söllradl, 2023 | doi:10.1163/9789004537187_005
kolchis und rom
4.1
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Ein Widderfell als Familienbesitz, Weihgabe und Beutestück (Val. Fl. 1,22–63; 5,455–617)
Der Erzähler lässt keinen Zweifel an den Beweggründen, die den Tyrannen Pelias dazu veranlassen, seinem Neffen Jason den Auftrag zur Rückholung des Goldenen Vlieses zu erteilen. Die „Drohungen der Götter“ (divum … minas: 1,27) versetzen ihn in ständige Angst und weisen direkt auf Jason als denjenigen, der dem König Verderben bringen werde (hunc nam fore regi / exitio: 1,27f.).2 Außerdem fühlt sich der Tyrann vom großen Ansehen und der Tüchtigkeit des Jünglings bedroht (super ipsius ingens / instat fama viri virtusque haud laeta tyranno: 1,29f.). Deshalb trachtet Pelias Jason nach dem Leben und überlegt, wie er sich den Rivalen vom Leib schaffen kann. Da es in Griechenland keine Kriege und nach den Taten des Hercules auch keine Monster mehr gibt (1,33), schmiedet er den Plan, Jason mit der Überquerung der Meere zu beauftragen: „Die Wut des Meeres und die Gefahren der unermesslichen See sagen ihm zu“ (ira maris vastique placent discrimina ponti: 1,37).3 Um Jason zu dieser Unternehmung zu überreden, verbirgt der Tyrann seine wahren Absichten hinter einem freundlichen Antlitz und richtet eine vom Erzähler als Trugrede ( fictis … dictis: 1,39) charakterisierte Ansprache an den Jüngling. Er erinnert Jason an die versuchte Opferung des Phrixus durch dessen Vater Athamas: „Wie Phrixus, der vom Blut unseres Cretheus abstammt, den väterlichen Altären entflohen ist, weißt du vom Hörensagen“ (nostri de sanguine Phrixus / Cretheos ut patrias audis effugerit aras: 1,41f.). Entgegen der im alten Mythos üblichen Genealogie ist Athamas bei Valerius (wie Aeson und – zumindest nominell – Pelias) ein Sohn des Cretheus, sodass er vom Tyrannen zu Recht als „vom Blut unseres Cretheus“ abstammend (nostri de sanguine … / Cretheos: 1,41 f.) bezeichnet werden kann.4 Diese Umstellung im Stammbaum lässt Jason und Pelias näher an Phrixus heranrücken und die familiäre Verpflichtung größer erschei-
2 Auch in früheren Fassungen ergeht ein Orakel an Pelias, das ihn jedoch nicht konkret vor Jason, sondern vor einem Einschuhigen warnt, durch den er den Tod finden werde (Pind. Pyth. 4,73–78; AR 1,5–7; Hyg. fab. 12; Serv. ecl. 4,34; Dräger 2003, 320 zu 1,27–29a; Zissos 2008, 97 zu 1,26–30). 3 Denis Feeney merkt an, dass discrimen an unserer Stelle nicht nur die Gefahr der Meeresüberquerung, sondern nach dem Vorbild Senecas gleichzeitig auch die natürliche Grenze, die das Meer bildet, bezeichne. In einem Epos, das die erste Überwindung der natürlichen Barriere des Meeres zum Inhalt hat, ist dieses Spiel mit der Mehrdeutigkeit des Wortes durchaus vorstellbar (vgl. Feeney 1991, 331). 4 Weitere Belege für diese Umstellung der traditionellen Genealogie: 2,611 (Jason bezeichnet Helle als Cretheia virgo); 5,476–478 (Jason bei Aeetes). Im alten Mythos ist Athamas kein Sohn, sondern ein Bruder des Cretheus (vgl. die Stemmata bei Dräger 2003, 620). Pelias, ein
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kapitel 4
nen.5 Nach seiner Flucht aus Griechenland sei Phrixus in das Land der Skythen gekommen, wo ihn der „grausame Aeetes“ ( ferus Aeetes: 1,43), Sohn des Sonnengottes und König der Kolcher, beim Gastmahl erschlagen habe – ein Vergehen gegen die Familie und gegen die Götter (nil nostri divumque memor: 1,46). Um diese Version der Ereignisse zu beglaubigen, berichtet Pelias, der „verstümmelte Totengeist“ (lacera … umbra: 1,49) sei ihm zusammen mit der Meeresgöttin Helle im Traum erschienen und habe ihn mit „ständigen Klagen“ (adsiduis … questibus: 1,49f.) aufgeschreckt. Wie aus dem unmittelbar Folgenden zu schließen ist, scheint Phrixus dem Tyrannen im Traum eine konkrete Handlungsanweisung gegeben zu haben, die wie in Pindars vierter pythischer Ode in der Rückführung des goldenen Widderfells besteht.6 Dementsprechend endet die Rede des Tyrannen mit der Aufforderung, das „Fell des Tieres der Nephele“ (pecoris Nephelaei vellera: 1,56) in das Kuppeldach eines griechischen Tempels zurückzubringen (Graio redde / tholo: 1,56f.).7 Dadurch wird suggeriert, beim Goldenen Vlies handle es sich um ein religiöses Objekt, das rechtmäßig nach Griechenland gehöre.8 Die Verpflichtung gegenüber einem Familienmitglied, das in Pelias’ Darstellung unter Missachtung des Gastrechts im fernen Kolchis ermordet wurde, verbindet sich mit der Verpflichtung gegenüber den Göttern zu einer doppelten Legitimationsstrategie der Unternehmung. Obwohl Jason bemerkt, dass es Pelias in Wahrheit nicht auf das Vlies ankommt, sondern auf die Beseitigung eines Rivalen (1,64–66), nimmt der Jüngling den Auftrag an. In der Forschung wurde Jason dafür kritisiert, dass er sich wissentlich zum Spielball des Gewaltherrschers mache und aus bloßer Ruhmbegierde die Mission nach Kolchis antrete.9 Dabei darf jedoch nicht übersehen werden, dass Jason zwar die Unaufrichtigkeit des Pelias durchschaut, gegen das vorgebrachte Argument einer familiären und religiösen Verpflichtung zur Rückführung des
5 6 7 8
9
Sohn des Neptun, bezeichnet sich wie Aeson als Sohn des Cretheus und erscheint bei Valerius somit als Phrixus’ und Jasons Onkel. Vgl. Dräger 2003, 321 zu 41b–42a; Zissos 2008, 109 zu 1,41 f. Vgl. Galli 2007, 26; Manuwald 2008, 993. Zu Valerius’ Umstellungen im Aeoliden-Stemma gegenüber dem alten Mythos siehe auch Dräger 2003, 321 zu 1,41f. Vgl. Pind. Pyth. 4,159–163. Zur Auffassung, Phrixus fordere einen Rachefeldzug gegen Aeetes, siehe Adamietz 1976, 5; Spaltenstein 2002, 45 zu 1,47. Zum Anbringen von Weihgeschenken in der Kuppel eines Tempels vgl. Verg. Aen. 9,408. Vgl. Zissos 2008, 114 f. zu 1,55–57: „Pelias finally identifies the fleece as the expedition’s objective: repatriation of a ‘national’ treasure provides a supplementary motivation to that of assuaging Phrixus’ troubled shade. […] Pelias’ thus implies that the fleece is to be a temple offering, duly repatriated (though redde does not strictly fit the facts).“ Für Kritik an Jasons Ruhmstreben siehe Baier 1998, 326–331; Baier 2001, 11f. Zu Jasons Beauftragung durch Pelias siehe Adamietz 1976, 4–8; Manuwald 2008, 998f.; Seal 2014, 124f.; Mitousi 2014, 157 f.
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Vlieses aber nichts einzuwenden hat. Die durch den Erzählertext gefilterte Gedankenrede Jasons, Pelias sorge sich in Wahrheit nicht um das Vlies, sondern trachte ihm nach dem Leben, markiert nur die Absichtserklärung des Tyrannen als Trug, nicht dessen Darstellung von Phrixus’ Schicksal, die für Jason durchaus plausibel klingen dürfte.10 Beim Abwägen seiner Optionen hat Jason eine Vision der personifizierten Gloria, die ihn nach der erfolgreichen Bezwingung des Meeres (domito … ponto: 1,75) in Kolchis erwarte (1,76–78). Der Ruhm, den sich Jason erhofft, ist aber nicht nur der verdiente Lohn für die gefährliche erste Fahrt über das Meer, sondern besteht auch im Dienst, den der Held seinem Vaterland dabei zu erweisen glaubt. Denn in Pelias’ Argumentation, der Jason nicht widerspricht, dient die Fahrt dem Ziel, einen Familienbesitz aus einem fremden, barbarischen Land zurück in die Heimat zu bringen und diesen in Erfüllung der religiösen Pflicht einem Tempel als Weihgabe zu spenden.11 Die Fahrt nach Kolchis ist für Jason also nicht zuletzt eine ehrenvolle Aufgabe, bei der es Rache für die Ermordung eines Familienmitglieds zu nehmen gilt. Jason kann nicht wissen, dass es sich bei Pelias’ Bericht von der Ermordung des Phrixus und der vermeintlichen Traumerscheinung um eine Lüge handelt. Auch Helle, die den Argonauten bei der Einfahrt in den Hellespont erscheint (2,587–612), klärt Jason nicht über das tatsächliche Schicksal des Phrixus in Kolchis auf. Stattdessen bittet sie den Argonautenführer nur darum, beim Grabmal des Phrixus in Kolchis ein Opfer darzubringen und dem Bruder zu verkünden, dass sie nicht unbestattet durch die Unterwelt irre, sondern nach ihrem Tod 10
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Vgl. Manuwald 2008, 998 f.: „As becomes clear later, this account is not true and probably invented by Pelias as the poet indicates, although Pelias makes it sound convincing and reliable by his reference to an appearance of Phrixus“ (meine Hervorhebung). Der Rezipient kann in der explizit als Trugrede (vgl. fictis … dictis: 1,39) markierten Erzählung des Pelias einen Verweis auf eine alternative Mythenvariante erkennen: In Pind. Pyth. 1,159– 163 findet der Traum, der bei Valerius Teil der Verstellung des Pelias ist, tatsächlich statt. Von der Ermordung des Phrixus durch Aeetes berichtet auch Hyg. fab. 3,3: Dort wird Aeetes geweissagt, ein Nachkomme des Aeolus werde ihn töten, weshalb er seinen Schwiegersohn Phrixus vorsorglich umbringt. Vgl. Adamietz 1976, 5; Gantz 1993, 184; Manuwald 2008, 999 Anm. 24; anders Spaltenstein 2002, 43 f. zu 1,42, der in den verschiedenen Figurenerzählungen über das Schicksal des Phrixus eine Inkonsistenz zu erkennen glaubt. Wahrscheinlicher als die von Spaltenstein postulierte Inkonsistenz ist es, dass der Dichter auf alternative Mythenvarianten anspielt und dass Figuren wie Pelias die Wahrheit bewusst verzerren, um ihre rhetorischen Ziele zu erreichen. Zur religiösen Bedeutung des Goldenen Vlieses vgl. 1,56f.; 1,87–89. Die Funktion des Goldenen Vlieses zur menschlichen Handlungsmotivation ist in Manuwald 2008, 999 treffend beschrieben: „In terms of the narrative, Pelias’ order introduces the repatriation of the Golden Fleece as the concrete objective of the Argonautic voyage into the story. It is the only target the Argonauts are aware of since they do not know the divine plans connected with their journey.“
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zur Meeresgöttin erhöht worden sei.12 Indem Helle ihren Bruder Phrixus als jemanden charakterisiert, der – ganz auf Vergangenes fixiert – in der Unterwelt nach der toten Schwester suche, führt sie den Helden auf eine falsche Fährte. Sie informiert Jason nicht, dass Phrixus nach der Flucht aus Griechenland in Kolchis gastfreundlich aufgenommen worden ist und in der Fremde sogar eine neue Familie gegründet hat. Dagegen eröffnet sich dem Rezipienten in der ersten olympischen Szene des Gedichts eine gänzlich andere Perspektive. Während Jupiter „die herrlichen Bemühungen der Griechen mit Freude beobachtet“ (pulcherrima Graium / coepta tuens … / laetatur: 1,498–500), gerät Sol wegen der Gefahr für seinen Sohn Aeetes in Sorge (1,503f.) und bittet Jupiter, die Meere nicht zum Preis einer ihm zugefügten Wunde, nämlich auf Kosten seiner im Skythenland lebenden Abkömmlinge, zu öffnen.13 Diese lebten buchstäblich am Ende der Welt, in einer unwirtlichen, von Kälte und Frost beherrschten Gegend. Weder der „barbarische Phasis“ (barbarus … Phasis: 1,517f.) noch seine Nachkommen seien eine Bedrohung für die restliche Welt. Selbst aus diesem Gebiet würde sich Aeetes noch „ohne Ehre“ (sine honore: 1,514) zurückziehen, doch jenseits seines Reiches liege eine Gegend, die „starr von Wolken und unempfänglich für Ackerbau“ (nube rigens ac nescia frugum: 1,515)14 die Strahlen der Sonne zurückstoße. Diese Beschreibung, die das Ziel der Reise am äußersten Rand der bewohnbaren Welt lokalisiert, bestätigt das Konstrukt von der Argofahrt als Reise vom griechischen Zentrum in die barbarische Peripherie. Äußerst aufschlussreich ist jener Teil der Rede des Sonnengottes, der das Schicksal des Phrixus betrifft: quid Minyae meruere queri? num vellere Graio vi potitur? profugo quin agmina iungere Phrixo abnuit, Inoas ultor nec venit ad aras, imperii sed parte virum nataeque moratus
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Vgl. Adamietz 1976, 40–42; Poortvliet 1991a, 295 f. Bei der Ankunft am Grab des Phrixus führt Jason Helles Wunsch nicht aus, was Poortvliet nicht nur als Inkonsistenz (ebenso Langen 1896, 195 zu 2,601), sondern auch als Beleg für die postulierte Unabgeschlossenheit des Werkes, dem die „letzte Feile“ fehle, beurteilt (vgl. Poortvliet 1991b, 36). Vgl. Val. Fl. 1,525 f. mit Zissos 2008, 311 zu 1,525 f.: „Sol does not seek termination of the Argonauts’ expedition, only a change in itinerary, correctly intuiting the essential aspect to be not the fleece, but the opening of the seas.“ Zur Rede des Sol als Rezeptionsinstanz historiographischer ‚Barbarenreden‘ siehe Söllradl (im Erscheinen b). Sandstroem konjiziert frugum statt dem in γ überlieferten regum (von Liberman und Zissos übernommen).
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coniugio videt e Graia nunc stirpe nepotes et generos vocat et iunctas sibi sanguine terras. Val. Fl. 1,519–524
Hier erhält der Rezipient erstmals von einer vertrauenswürdigen Instanz Auskunft über Phrixus’ Leben in Kolchis, wobei zentrale Punkte an späterer Stelle durch den Primärerzähler bzw. durch eine Figurenrede des Phrixus bestätigt werden.15 Die gastfreundliche Aufnahme durch Aeetes und die Vermählung mit einer Tochter des Tyrannen von Kolchis sind traditionelle Elemente des Mythos.16 Davon, dass Phrixus Gewalt angetan worden wäre oder die Kolcher sich des Vlieses mit Gewalt bemächtigt hätten, kann auch in der Fassung des Valerius keine Rede sein. Zutreffender ist wohl die Auffassung, dass Phrixus die Spende des goldenen Widderfells, das er dem Gott Mars weihte, als Gastgeschenk verstand.17 Ohne Vorlage in der Tradition ist das Detail, dass Phrixus für die versuchte Opferung Rache nehmen wollte.18 Die Weigerung des Aeetes, dem griechischen Ankömmling für dieses Vorhaben Truppen zur Verfügung zu stellen, verhinderte also einen drohenden Bürgerkrieg in Thessalien und bekräftigt Sols Argument, es gehe von Kolchis keine Gefahr für Griechenland aus.19 15
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Gastfreundliche Aufnahme des Phrixus in Kolchis: 5,224f. (Erzähler); 5,233–235 (Phrixus); Vermählung mit Chalciope: 5,235 (Phrixus). Zum Erzählerbericht über das Schicksal des Phrixus siehe Manuwald 2008, 1002: „The authorial report of Phrixus’ appearance is obviously intended to be the most authentic description of his present attitude; it is clearly parallel to Pelias’ invented one and proves this earlier report wrong.“ Vgl. AR 2,1140–1151; 3,584–588; Apollod. 1,83. Während Aietes bei Apollonios Phrixos nur auf Befehl des Zeus aufnimmt, handelt er bei Valerius aus eigenem Antrieb (vgl. Manuwald 2008, 988). Vgl. Zissos 2008, 310 zu 1,519f.: „Graio does not speak to possession of a foreign treasure: the fleece is characterized as something akin to a guest-gift, emblematic of the bond between Colchis and Greece.“ Möglicherweise hat Valerius sein Stichwort für diese Innovation bei Apollonios erhalten, bei dem die Argonauten auf der Aresinsel den Söhnen des Phrixos begegnen, die gerade auf dem Weg nach Griechenland sind, um das ihnen zustehende Erbe ihres Vaters zu verlangen (AR 2,1093–1096; Otte 1992, 117; Manuwald 2008, 989). In der Versammlung der Kolcher offenbart Aietes, dass er es gewesen sei, der die Phrixos-Söhne nach Griechenland geschickt habe, weil ihm geweissagt worden sei, dass ihm von seinem eigenen Geschlecht Gefahr drohe (AR 3,595–605; vgl. das Herodor-Fragment FGrHist 31 F 9, wo dieses an Aietes ergangene Orakel ebenfalls erwähnt wird). Indem Valerius die Entsendung der Phrixus-Söhne nach Griechenland streicht und Aeetes’ Weigerung erwähnt, Phrixus für einen Rachefeldzug mit Truppen auszustatten, erscheint der kolchische Tyrann als passives Opfer imperialer Aggression. Vgl. Zissos 2008, 311 zu 1,522–524: „Aeetes’ generous treatment of Phrixus is a traditional part of the myth; Sol adds an ingenious twist by crediting this treatment with preventing civil war in Thessaly.“
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Die von Pelias suggerierte familiäre Verpflichtung, das Vlies nach Griechenland zurückzuholen, wird durch den Hinweis auf die Heirat des Phrixus mit einer kolchischen Königstochter problematisiert. Der griechische Flüchtling habe dem Aeetes „Enkel aus griechischem Stamm“ (e Graia … stirpe nepotes: 1,523) geschenkt, sodass dieser (in den Worten des Sonnengottes) hyperbolisch alle Griechen als seine „Schwiegersöhne“ (generos: 1,524) bezeichnen könne und eine Blutsverwandtschaft zwischen seinen und ihren Ländern bestehe (iunctas sibi sanguine terras: 1,524).20 Wenn das Goldene Vlies als Familienbesitz betrachtet wird, scheint es vor diesem Hintergrund eher nach Kolchis als nach Thessalien zu gehören. Während Pelias in seiner Trugrede das Vlies in tendenziöser Weise als „Fell des Nephele-Tieres“ (1,56) bezeichnet und somit betont, wie Phrixus von seiner Mutter Nephele gerettet worden ist, so spricht Sol von den „Altären der Ino“ (Inoas … aras: 1,521) und ruft dem Rezipienten somit den nur knapp verhinderten innerfamiliären Mord in Erinnerung. Dass Phrixus offenbar darüber nachgedacht hat, aus Rache an der Stiefmutter mit einem kolchischen Heer in Thessalien einzufallen, spricht für eine deutliche Verschiebung der Loyalitäten des Cretheus-Enkels. Die an die Rede des Sonnengottes angefügte Reaktion des Mars macht schließlich auch die von Pelias suggerierte religiöse Verpflichtung zur Rückführung fragwürdig. Denn der Kriegsgott betrachtet das in seinem Hain aufgehängte Vlies als Gastgeschenk und ihm zustehende Weihgabe (1,528f.),21 weshalb die Entwendung des Widderfells aus seiner Perspektive ein nefas wäre. Wenn Jason und seine göttlichen Unterstützerinnen davon ausgehen, dass die Kolcher das geforderte Vlies ohne weiteres herausgeben würden, so liegt dieser Auffassung eine verfehlte Vorstellung von Jasons vermeintlichem familiären Anrecht auf das Widderfell zugrunde.22 20 21 22
An unserer Stelle ist generos, wie die Variorum-Ausgabe 1824, Bd. 1, 49 zu 1,524 erklärt, „latiori sensu pro affinibus“ zu verstehen. Vgl. 5,228–230. Nach der Durchfahrt der Symplegaden gilt Jasons Sorge nicht primär der Gewinnung des Vlieses, sondern dem Problem, dass dieses gewaltige Hindernis vermeintlich ein zweites Mal durchquert werden müsse. Anders als der Rezipient erfahren die Argonauten nicht, dass die Felsen nach einmaliger Durchfahrt auf Wunsch Jupiters stillstehen, da so die Öffnung der Meere vorangebracht wird (vgl. Val. Fl. 4,707–710; Adamietz 1976, 61f.; Manuwald 2009, 602 Anm. 41). Jason äußert nach der schwierigen Überwindung dieses Hindernisses den Wunsch, dass die Kolcher das Vlies gütig herausgeben würden (mites … dent vellera Colchi: 4,706). Dazu kommentiert Murgatroyd 2009, 336 zu 4,706: „There is heavy irony in this line: […] Jason could not be more wrong about the nature of the Colchians and their willingness to hand over the fleece“ (meine Hervorhebung). Gegenüber Medea bezeichnet Juno/Chalciope das Vlies als debita cognati vellera Phrixi (6,592). Sie argumentiert, dass Jason den Besitz eines Verwandten zurückfordere und seiner Forderung aus diesem Grund
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An keiner Stelle lassen sich die unterschiedlichen Besitzansprüche, die an das Goldene Vlies gestellt werden können, so klar nachvollziehen wie in der Verhandlung zwischen Jason und Aeetes bei ihrer ersten Begegnung in Arg. 5.23 Nach der Beschreibung der Türen des Sol-Tempels erscheint Aeetes, der Sohn des Sonnengottes (Sole satus: 5,456), um die Ankömmlinge zur Audienz zu empfangen. In seinem Gefolge befinden sich Absyrtus, der Sohn des Tyrannen, der Albanerkönig Styrus, Medeas Verlobter und damit Schwiegersohn des Tyrannen, und gleich als nächste in der Reihe die Söhne des Phrixus: Phrontis, Argus, Melas und Cytisorus.24 Danach werden weitere Könige genannt, die Aeetes im Krieg gegen Perses als Verbündete zur Seite stehen. Durch die Anwesenheit der Phrixus-Söhne erhält endlich auch Jason sichere Gewissheit darüber, dass Phrixus nicht, wie Pelias berichtet hatte, in Kolchis ermordet worden ist,25 sondern in die Herrscherfamilie eingeheiratet und mit der Aeetes-Tochter Chalciope vier Söhne gezeugt hat, die am Hof des Tyrannen offenbar eine Ehrenstellung innehaben und an Audienzen teilnehmen dürfen. Dass Jason die Söhne des Phrixus erkennt, wird aus seiner Bemerkung ersichtlich, Aeetes habe bereits griechische Enkel (iamque tibi nostra geniti de stirpe nepotes: 5,500).26 Bei der Verhandlung mit Aeetes ist er sich also im Klaren darüber, dass die leiblichen Söhne des Phrixus in Kolchis leben. Trotzdem beruft er sich in seiner Forderung nach dem Goldenen Vlies immer wieder auf die Verwandtschaft mit dem Athamas-Sohn.27 „Bloßes Vertrauen“ (nuda fides: 5,498), „die Macht des Heiligen und Gerechten“ (5,498) und „die vereinigende Gunst des
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stattzugeben sei. Zu der von Juno/Chalciope in 6,592–594 behaupteten pietas Jasons siehe Baier 1998, 238. Zu den Besitzansprüchen, die von verschiedenen Figuren an das Goldene Vlies gestellt werden, siehe Bernstein 2008, 45: „Differing degrees of veracity, varying access to information, and alternative perspectives on the principles of inheritance inform each character’s claim to the Fleece.“ Bei Apollonios (AR 2,1155 f.) und Apollodor (1,83) tragen die Phrixos-Söhne dieselben Namen. Der Primärerzähler berichtet in 5,224f., dass Phrixus im hohen Alter eines natürlichen Todes gestorben sei. Man könnte mit Recht fragen, woher Jason wissen kann, dass es sich bei den an der Audienz teilnehmenden Enkeln des Aeetes um die Söhne von Chalciope und Phrixus handle (siehe Wijsman 1996, 235 zu 5,500; Spaltenstein 2004a, 511 zu 5,473; 518 zu 5,498). Paul Dräger kommentiert lapidar, dass Jason wohl seinen Apollonios gelesen habe (Dräger 2003, 470 zu 5,500). Wenn wir nicht davon ausgehen wollen, dass Jason die Söhne seines Cousins an ihrem Aussehen erkennt oder es bei den in 5,467f. erwähnten Gesprächen zu einer gegenseitigen Vorstellung gekommen ist, dürfen wir wohl mit Gesine Manuwald eine poetische Lizenz annehmen (Manuwald 2008, 1005 Anm. 37). Vgl. 5,476–478.498–500.508–510; Bernstein 2008, 45 f.
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Phrixus, des Vermittlers“ (medii sociatrix gratia Phrixi: 5,499) hätten ihn nach Kolchis geführt. Wenn Aeetes ihm das Vlies aushändige, solle er es in dem Glauben tun, er überreiche es Phrixus selbst (5,508–510).28 Da aber die leiblichen Söhne des Phrixus in Kolchis leben, kann diese Argumentation eines weitläufiger mit Phrixus Verwandten wohl kaum überzeugen.29 Sie muss für den kolchischen Tyrannen umso schwerer zu akzeptieren sein, da ihm vor der Ankunft der Argonauten Phrixus im Traum erschienen ist und ihn gewarnt hat, dass mit dem Verlust des Vlieses auch seine Herrschaft enden würde (5,236f.). Während die Warnung des Phrixus darauf abzielt, potenziellen Schaden von der Person des Aeetes abzuwenden, rät ein kolchischer Priester, nachdem die Stadt von bedrohlichen Vorzeichen erschüttert worden ist, das „Verderben bringende Vlies“ (exitiale … vellus: 5,261f.) zurückzugeben.30 Der Kontrast zwischen den Worten des Phrixus und der Orakeldeutung durch den Priester unterstreicht Phrixus’ Loyalität gegenüber Aeetes. Während es dem Priester darauf ankommt, Schaden von Kolchis abzuwenden, klärt Phrixus den Tyrannen darüber auf, dass er sich nur in Besitz des Vlieses an der Macht halten könne.31 Auch Jasons Beteuerung, er komme im Auftrag der Götter (caelicolae: 5,472), dürfte wenig Eindruck auf den Tyrannen machen. Phrixus selbst hatte das Vlies dem Gott Mars geweiht und es in dessen Hain aufgehängt (5,228–230). Nach der Warnung durch Phrixus ersucht Aeetes den Kriegsgott daher, sich für den versuchten Raub des Vlieses zu wappnen (5,250–252). Aus Sicht des Tyrannen ist er selbst derjenige, der die Götter achtet und sicherstellt, dass ihnen und ihren Heiligtümern kein Schaden zugefügt wird, während Jason als Frevler erscheint, der die Entwendung eines Weihgeschenks im Sinn hat. Da der kolchische Tyrann mit dem Vlies auch seine Macht aufgeben müsste, ist eine freiwillige Herausgabe des Vlieses ausgeschlossen.32 Abgesehen von 28
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Zu Jasons Auffassung der Besitzansprüche vgl. Manuwald 2008, 1006: „Jason can openly ask Aeetes for the Golden Fleece as he believes that he does not request something foreign without entitlement, but something that can be given back to Greece.“ Vgl. Bernstein 2008, 46: „Jason claims the fleece by virtue of kinship but cannot hope to succeed solely through an appeal to his proximitas to Phrixus so long as the man’s sons are present.“ Gesine Manuwald bemerkt zu dieser Deutung der Vorzeichen durch den kolchischen Priester: „This instruction is in complete contrast to Phrixus’ advice since in this interpretation getting rid of the Golden Fleece seems the best way to ensure the safety of Colchis“ (Manuwald 2008, 1004). Vgl. Wijsman 1996, 128. Die überraschende Parteinahme des Phrixus an unserer Stelle legt Langen als ‚Fehler‘ des Dichters aus: „Non recte fecit, quod ipsum Phrixum haec Aeetae aperientem inducit suadentemque, ut Medeam ex regnis paternis amoveat; nam haec omnia Iasoni populari et consanguineo adversa erant“ (Langen 1897, 361 zu 5,236). Im Gedicht des Valerius ist das Vlies, ähnlich wie das Widderfell in Senecas Thyestes oder
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dieser persönlichen Motivation unternimmt der Erzähler jedoch auch einige Anstrengung, in der Verhandlungsszene Zweifel an der Rechtmäßigkeit von Jasons Forderung nach dem Vlies entstehen zu lassen. Dies lässt sich anhand der gegenüber Apollonios stark modifizierten Rolle der Söhne des Phrixus zeigen.33 Bei Apollonios ergreift in der Verhandlung mit Aietes der PhrixosSohn Argos das Wort und setzt sich in einer langen Rede für die Rückführung des Vlieses nach Griechenland ein (AR 3,320–366). Die Unterstützung durch Argos verleiht Jasons Forderung Glaubwürdigkeit und Nachdruck,34 zumal der Phrixos-Sohn auch auf die religiöse Bedeutung der Mission eingeht. Im Gespräch mit Aietes beteuert er, die Rückführung des Vlieses würde den Zorn des Zeus besänftigen, womit ein tieferer religiöser Sinn für die Fahrt gefunden ist (AR 3,336–340).35 Eine solche religiöse Fundierung der Argofahrt fehlt bei Valerius. Vielsagend ist auch das Verhalten der Phrixus-Söhne in der Verhandlungsszene. Anstatt für Jason das Wort zu ergreifen, verfolgen sie das Gespräch als stille Zuhörer und lassen Aeetes über den Verbleib des Vlieses urteilen, das nach den Regeln des Erbrechts wohl ihnen selbst zufiele.36 Diese Umstellung gegenüber Apollonios, bei dem die Phrixos-Söhne Jason zur Verhandlung begleiten und für seine Sache eintreten, erweckt den Eindruck einer stummen Opposition gegen die Forderung Jasons nach dem Goldenen Vlies.37 In seiner Antwort kann sich der Tyrann von Kolchis die Argumentation Jasons zunutze machen. Ohne auf das Angebot einzugehen, die Rückgabe des Vlieses im Rahmen des Austausches von Gastgeschenken abzuwickeln und so
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der Thron in Statius’ Thebais, ein Symbol der Macht, das um seiner selbst willen angestrebt wird. Vgl. Bernstein 2008, 44. Zur Bedeutung des Vlieses für Aeetes siehe Manuwald 2008, 1000 f. Zur Rolle der Phrixus-Söhne bei Valerius im Vergleich zu Apollonios siehe Manuwald 2008, 992: „One could […] assume that the role of Phrixus and his family was very much reduced in Valerius Flaccus, but that is not exactly the case.“ Vgl. Bernstein 2008, 45: „In Apollonius’ epic, the support lent by Phrixus’ son Argus to the Argonauts against Aeetes is essential in terms of both morality and expediency. […] His support improves Jason’s moral claim to the Fleece …“ Vgl. AR 2,1194f. (Jason begegnet den Söhnen des Phrixos auf der Ares-Insel). Beide Stellen bespricht Feeney 1991, 60–65. Eine abweichende Deutung vertritt Dräger 2001, 31–41, welcher die (griechischen Bestattungsriten widersprechende) Fellbestattung des Phrixos in Kolchis für die Ursache von Zeus’ Zorn hält. Eine kritische Einschätzung dieser Hypothese (und weitere Literatur) bietet Manuwald 2008, 989 Anm. 7. Vgl. Bernstein 2008, 45: „The sons of Phrixus, introduced as Aeetes’ favorites after his son Absyrtus and his son-in-law Styrus, appear to have willingly conceded to Aeetes whatever claims they possessed over the fleece.“ Vgl. Bernstein 2008, 45: „The silence of the sons of Phrixus in Valerius, however, increases the perception of opposition against Jason.“; Manuwald 2008, 990.
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ein noch engeres Band zwischen den beiden Häusern zu knüpfen (5,511–516), lenkt Aeetes Jasons Argument von der Verwandtschaft mit Phrixus geschickt um.38 Der Tyrann, der sich gerade in einem Bruderkrieg mit Perses befindet, appelliert an die familiäre Verpflichtung Jasons gegenüber den PhrixusSöhnen, wenn er ihn auffordert, im Bürgerkrieg von Kolchis für seine Seite einzutreten und somit die „Wohnsitze der Verwandten“ zu verteidigen (cognatas … defendite sedes: 5,538).39 Phrixus sollte für die griechischen Helden und Aeetes also tatsächlich die Rolle des Vermittlers spielen, doch hat dessen „vereinigende Gunst“ (sociatrix gratia: 5,499) andere Konsequenzen als von Jason vorausgesehen. Sollte die Unterstützung der Argonauten Aeetes den Sieg bringen, wolle er das Vlies herausgeben: „Als Sieger werde ich euch, da ihr es verdient habt, dann das Vlies – und nicht nur das – überreichen“ (tum vellera victor / tam meritis nec sola dabo: 5,540f.). Die strukturellen Parallelen zur Pelias-Rede im ersten Buch sind offenkundig. Erneut nimmt Jason einen vom Erzähler als List charakterisierten Befehl eines Tyrannen an,40 der ihm unter einem Vorwand eine lebensgefährliche Aufgabe überträgt. Beide Tyrannen täuschen Loyalität zu Phrixus vor und machen sich dessen Schicksal rhetorisch zunutze, wodurch es ihnen gelingt, Jason zu manipulieren und ihn zur gewünschten Handlung anzuleiten.41 In Analogie zu den beiden Juno-Interventionen im ersten und siebten Aeneis-Buch setzen in den beiden Werkhälften der Argonautica also die Tyrannen-Reden des Pelias und des Aeetes die Handlung in Gang.42 Doch anders als in Arg. 1 durchschaut
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Vgl. Otte 1992, 117 Anm. 22: „Aeetes himself attempts to turn the familial issue to advantage when he tries to ensnare the Greeks in his war.“ Vgl. Otte 1992, 118; Bernstein 2008, 46; Manuwald 2008, 1006. Bei Apollonios bietet Jason an, als Gegenleistung für das Vlies die mit Aietes verfeindeten Sauromaten zu unterwerfen oder ihn im Kampf gegen ein beliebiges anderes Volk zu unterstützen (AR 3,352–355.392– 395). Diese wenigen Verse im hellenistischen Prätext werden häufig als möglicher Anlass für das sechste Buch der flavischen Argonautica genannt (Adamietz 1976, 78; Wijsman 1996, 242 zu 5,515; Baier 1998, 319 Anm. 1; Feeney 1991, 325 Anm. 40; Wijsman 2000, 2; Clauss 2014, 112). Ein knapper Hinweis auf einen obskuren Nebenstrang des Mythos, der von einem Krieg zwischen Argonauten und Kolchern berichtet, findet sich in Pind. Pyth. 4,211–213 (vgl. Schenk 1999, 50; Río Torres-Murciano 2006, 201 Anm. 1.). Bei Valerius bietet Jason Aeetes keine Waffenhilfe an, ist aber sofort bereit, sich auf die vom Tyrannen gestellte Bedingung einzulassen. Die Formulierung cognatas … sedes („Wohnsitze der Verwandten“), mit der Aeetes die Argonauten zur Beteiligung am Bürgerkrieg bringt, ist wohl ein Reflex auf die lucanischen cognatas … acies (Lucan. 1,4). Der Erzähler leitet Aeetes’ Antwort mit dem Hinweis ein, dass dieser sein „grausames Herz mit sanften Worten verstellt“ ( fingit placidis fera pectora dictis: 5,533). Vgl. Manuwald 2008, 1009. Zu den Parallelen zwischen Pelias und Aeetes siehe Barich 1982, 102.
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Jason den Betrug des Tyrannen dieses Mal nicht.43 Trotz des verräterischen Mienenspiels des Aeetes, das der Dichter ausführlich beschreibt (5,519–527), hat dessen Täuschungsversuch Erfolg, wie sich in der Rede des Castor an die Mannschaft zeigt:44 „Aeetes ist weder grausam, wie das Gerücht will, noch verweigert er uns das Goldene Vlies, aber im Augenblick wird er von ungerechtem Krieg bedrängt und bittet um Hilfe“ (nec ferus Aeetes, ut fama, nec aurea nobis / terga negat, bello interea sed pressus iniquo / auxilium petit: 5,553–555). Da Aeetes’ Versprechen vom Erzähler bereits explizit als Trug und Tücke entlarvt worden ist, ist für den Rezipienten klar, dass der Krieg, der den Hauptteil des sechsten Buches einnimmt, die Argonauten nicht zum erhofften Ziel führen wird.45 Dass sich die Argonauten in Kolchis in einem Krieg wiederfinden und der Versuch einer diplomatischen Lösung erfolglos bleibt, steht in Einklang mit den Regeln der neuen Weltordnung Jupiters.46 In vielerlei Hinsicht kann Phrixus in diesem Gedicht als typologischer Vorläufer der Argonauten gelten47 – die unterschiedlichen Formen der Aufnahme in Kolchis verdeutlichen indes die Konsequenzen des Weltenplans. Die gastfreundliche Behandlung des griechischen Flüchtlings durch Aeetes zeigt, dass sich die Verbindung der Welt auch auf friedlichem Wege realisieren ließe. Doch Diplomatie als Alternative zu Krieg und Eroberung findet in Jupiters Plänen für den weiteren Verlauf der Weltgeschichte keine Berücksichtigung. Aus der Perspektive des von Phrixus gewarnten Aeetes sind die Argonauten imperialistische Aggressoren.48 Von den Kolchern wird Jason stets alienus oder hospes genannt.49 43 44 45
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Als er sich auf Aeetes’ Vorschlag einlässt, hat er „keine Kenntnis von der List“ (inscius astus: 5,541). Vgl. McGuire 1997, 163: „His face and voice betray a series of quite different reactions – reactions that apparently go unnoticed by Jason.“ Vgl. Walter 2014, 57: „Mit der Erwähnung der List und Tücke des Aeetes weist der Erzähler darauf voraus, dass der große Krieg, der hier angekündigt wird, nicht viel mehr ist als ein Trugbild, eine leere Täuschung, die zu keinem Ziel führen wird.“ Vgl. Manuwald 2008, 1000: „Jupiter wishes the voyage of the Argo to lead to war and to bring about shifts of power via military conflicts. In this scenario the first shift is to occur from Asia to Greece; a meeting between peoples from these countries therefore will have to be hostile.“ Schon vor der Argo wurde ihre Reiseroute von Phrixus durchlaufen. Der Vorbildcharakter des Phrixus für die Argonauten zeigt sich auch daran, dass der Widder bei Valerius nicht fliegt (wie in Apollod. 1,82), sondern durch das Meer schwimmt (wie in Ov. her. 18,143f.; Ov. fast. 3,868; vgl. Manuwald 1999, 135). Bei Aeetes betont Jason, dass er und Phrixus von denselben Vorfahren abstammen würden, Ähnliches erlitten hätten und aus demselben Land kämen. Zu Phrixus als typologischem Vorläufer der Argo siehe Manuwald 2008, 994–998 (mit Anm. 14); Slaney 2014, 451 f. Vgl. Söllradl (im Erscheinen b). Vgl. Manuwald 2008, 1002 f.
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Der imperialistische Gestus, mit dem Jason auftritt, zeigt sich in seinem Gebet nach der Einfahrt in den Phasis, bei dem er verspricht, dem barbarischen Fluss in Griechenland einen Kult zu stiften (5,194–209). Das Erbringen religiöser Ehrungen für einen weit entfernten Flussgott könnte als Symbol der geglückten Vernetzung der Welt durch die Argofahrt bewertet werden,50 aber die Übernahme fremder Götter ist in erster Linie eine imperialistische Geste, welche die Überlegenheit des Zentrums gegenüber der Peripherie demonstriert.51 Wie Marco Fucecchi beschreibt, haben die Römer im Ritual der evocatio fremde Gottheiten aufgefordert, ihren heimischen Kultort zu verlassen.52 Wenn Jason dem „barbarischen“ Phasis einen Kult in Griechenland verspricht, wird genau dieser Assoziationsrahmen eröffnet. An Stellen wie dieser signalisiert der Text, die Argofahrt sei als imperialistische Mission zu lesen, die römische Expansionstendenzen präfiguriere. Doch bei fortschreitender Handlungsentfaltung wird die Untauglichkeit dieses Interpretationsmodells immer deutlicher. Als die Argonauten in das fremde Kolchis gelangen, stoßen sie zuerst auf das Grab ihres griechischen Landmannes Phrixus.53 An dieser Stelle befiehlt Jason anzulegen, „als ob er Pagasae und den väterlichen Fluss betreten hätte“ (ceu Pagasas patriumque intraverit amnem: 5,191).54 Auch bei der lange erwarteten Begegnung mit Aeetes, der laut Sol buchstäblich am Ende der (bewohnbaren) Welt lebt, treffen die Argonauten auf Griechen, ja sogar auf Blutsverwandte ihres Anführers. Dass die Helden in der Peripherie auf Vertrautes und Altbekanntes treffen, reibt sich mit der Vorstellung von Zentrum und Peripherie als scharf abgrenzbare Bereiche,55 die zur Legitimierung imperialistischer Missionen notwendig ist. Pelias beschreibt die Mission programmatisch und
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Zu dieser Auffassung siehe Otte 1992, 104: „Jason’s offer to institute worship in Greece to the barbarus Phasis […] is the answer of the interlinked new world to the isolationist old. […] [T]he promise of worship in Greece for a Euxine river symbolizes the cosmopolitanism of the Homeric age.“ Otte spricht von einer „absorption of the barbaric by the civilized“ (Otte 1992, 104), die als Beleg für den zivilisatorischen Fortschritt durch Jupiters neue Weltordnung zu bewerten sei. Vgl. Fucecchi 2013, 17–20 (hier 17): „[T]he final military victory is construed, in cultural terms, as the inevitable consequence of the appropriation of foreign divinities. In the ritual of evocatio […] a hostile godhead is invited to abandon its temple and move to a new and better residence in the city of the conquerors.“ Bei Apollonios bietet sich den Argonauten an analoger Stelle der Anblick von in Fellen bestatteten und von Bäumen hängenden Leichen (AR 3,200–209). Vgl. oben Anm. 35. Dazu kommentiert Helen Slaney pointiert: „The Argonauts have arrived at the ultimus sinus of an alium orbem only to find themselves back home.“ Zur Dekonstruktion der Antithese von Zentrum und Peripherie in der Cyzicus-Episode siehe Kap. 3.2.
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unverhohlen als „Feldzug“ (militia: 1,39). Wenn Jason und andere Figuren die Fahrt charakterisieren, bedienen sie sich wiederholt militärischer Begriffe wie vincere oder domare.56 Doch der Krieg, in dem sich die Argonauten nach den gescheiterten Verhandlungen mit Aeetes tatsächlich wiederfinden, passt nicht zur Vorstellung eines militärischen Kräftemessens von Zentrum und Peripherie. Stattdessen handelt es sich um einen Bürgerkrieg, in den die Argonauten aufgrund der bereits bestehenden Verwandtschaftsverhältnisse zwischen Thessalien und Kolchis hineingezogen werden. Diese überraschenden Entwicklungen, die in der Tradition ohne Vorbild sind, machen einen Bürgerkrieg, in dem die Argonauten paradoxerweise auf der Seite des kolchischen Tyrannen kämpfen, zum Ziel des Vorstoßes der Argo an den Rand der bekannten Welt. Wenn der Dichter im Proömium die militärischen Erfolge der Flavier preist, schürt er damit bestimmte Erwartungen für die Gestaltung der Kriegsnarrative in diesem Epos. Diese werden nicht nur – wie wir gesehen haben – in der Cyzicus-Episode, sondern auch im ‚Kriegsbuch‘ Arg. 6 unterwandert. Diese Konzeption ist geeignet, die Aufmerksamkeit des Rezipienten auf die unvollständige Darstellung des Aufstiegs der Flavier im Proömium (und in der flavischen Herrschaftsrepräsentation) zu lenken. Wird das Proömium neben die Haupthandlung gelegt, zeichnet sich deutlich ab, dass es nicht nur Kriege gegen äußere Feinde, sondern auch ein Bürgerkrieg war, der zum Aufstieg des flavischen Herrscherhauses geführt hat.57 Rückblick: Obwohl Jason erkennt, dass er von Pelias nach Kolchis geschickt wird, um auf dieser Mission den Tod zu finden, bezweifelt er deren Rechtmäßigkeit nicht grundsätzlich. Die Auffassung, er habe eine familiäre und religiöse Verpflichtung, das Vlies nach Griechenland zurückzuholen, hält jedoch einer genaueren Überprüfung nicht stand. Nach den Regeln des Erbrechts hätten wohl die in Kolchis lebenden Söhne des Phrixus Anspruch auf das Vlies, das in Kolchis dem Kriegsgott Mars als Weihgeschenk dargebracht wurde. In der Verhandlung mit den Argonauten kann Aeetes die Argumentation Jasons, er sei ein Blutsverwandter des Phrixus und habe deshalb Anspruch auf das Vlies, geschickt zu seinen Gunsten umlenken und die griechischen Helden als Kriegspartner gegen Perses gewinnen. Die Fragwürdigkeit griechischer Besitzansprü-
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Vgl. Slaney 2014, 439–441. Anders Schenk 1999, 285: „Valerius bezieht jedoch die Parallele zwischen den Äußerungen Jupiters, der kriegerischen Leistung der Argonauten und den Eroberungstaten der beiden Flavier speziell auf das positiv zu bewertende Prinzip des auswärtigen Krieges. Durch diese einseitige Verknüpfung kann der Dichter die zu feiernden Erfolge Vespasians von den problematischen Seiten der Argonautenfahrt im allgemeinen und der Kriegsereignisse im besonderen abkoppeln.“
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che am Vlies und der Kriegseinsatz der Argonauten für Aeetes im kolchischen Bürgerkrieg verringern die Tauglichkeit der Argofahrt als unproblematisches Modell für römische Expansionsbestrebungen.
4.2
Ein Krieg am Ende der Welt: Die Truppenkataloge der Verbündeten des Aeetes bzw. Perses als Panorama der Fremdheit (Val. Fl. 5,541–6,170)
Der Bürgerkrieg von Kolchis – der sich am Streit um das Vlies entzündet und somit als direkte Konsequenz der Argofahrt zu bewerten ist – ist das erste Beispiel für einen weltumspannenden Krieg, wie ihn die Öffnung der Meere im Sinne des Weltenplans ermöglicht. Das unaufrichtige Versprechen des Aeetes, das Goldene Vlies als Belohnung für ihren Kriegseinsatz herauszugeben, verleitet die Argonauten zur Teilnahme an diesem Krieg, den sie als Gelegenheit wahrnehmen, ihre epische Tatkraft zu beweisen. Die Aussicht, das Widderfell als Kriegspreis zu erhalten, scheint Idmons Prophezeiung im ersten Buch zu bestätigen, der den Helden harte Mühsal angekündigt hat (praeduri plena laboris / cerno equidem: 1,235f.), die das duldsame Schiff jedoch überwinden werde (patiens sed quae ratis omnia vincet: 1,235). In Kolchis kommen die Helden der Forderung des Sehers nach, die gewaltigen Herzen für Großes zu wappnen (ingentes durate animae: 1,237). Nachdem Castor der Mannschaft das Ergebnis der Verhandlung zwischen Jason und Aeetes mitgeteilt und den Befehl des Anführers, „sofort bewaffnet hinzueilen“ (armatos … protinus … / accelerare: 5,555 f.), weitergegeben hat, machen sich die Helden ohne weiteres Abwarten (haud mora: 5,558) bereit zur Schlacht. Das Verlangen, endlich epische Heldentaten zu vollbringen und Kriegsruhm zu erwerben, lässt offenbar keine Zeit, die fragwürdigen Motive des Tyrannen zu hinterfragen: haud mora. prosiliunt quos nec Rhipaea iuventus quos nec Hiber aut tota suis Aurora pharetris sustineat. stetit explicito prius agmine pubes expertique simul si tela artusque sequantur. nec quisquam freta nec patrias iam respicit urbes, sed magis ad praesens itur decus. Val. Fl. 5,558–563
Ein Ruck geht durch die Mannschaft, als die Helden vom Ergebnis der Audienz erfahren. Es gibt „kein Abwarten“ (haud mora: 5,558), die Helden „springen auf“
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(prosiliunt: 5,558) und die Truppe steht kampfbereit da, „nachdem sich davor eine Schlachtreihe entfaltet hat“58 (explicito prius agmine: 5,560). Der Gedanke an den Ruhm, der endlich zum Greifen nahe ist (praesens … decus: 5,563), verdrängt sogar die Sehnsucht nach einer baldigen Rückkehr über das Meer zu den „heimatlichen Städten“ (patrias … urbes: 5,562).59 Aufschlussreich ist die narratoriale Bemerkung, dass dem Ansturm der griechischen Helden „nicht die Jünglinge von den Rhipaeen, nicht die Hiberer oder der ganze Osten mit seinen Köchern standhalten könnte“ (nec Rhipaea iuventus / quos nec Hiber aut tota suis Aurora pharetris / sustineat: 5,558–560). Die Aufzählung dieser geographischen Punkte – vom hohen Norden über das heutige Georgien bis in den fernen Osten – verortet die Kriegsgegner der Argonauten auf der Weltkarte und entwirft für den römischen Rezipienten einen Erwartungshorizont des Fremden.60 Es entsteht der Eindruck, die griechischen Helden würden gegen eine Allianz ins Felde ziehen, zu der sich alle „am Rande des römischen Gesichtskreises“61 lebenden Völker verbündet hätten.62 Dementsprechend entfaltet sich in der Beschreibung der Verbündeten des Aeetes (5,570–617) bzw. des Perses (6,42–170) ein regelrechtes Panorama der Fremdheit. Die Bräuche und Sitten der zahllosen Völker, welche die Ränder der bekannten Welt bewohnen, werden in grellen Farben geschildert und ausgeschmückt, um „die Fremdheit und Exotik zu unterstreichen.“63 Antikem Usus
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Vgl. die sprachliche Erklärung der Stelle bei Spaltenstein 2004a, 530 zu 5,558. Bei Castors Rückkehr zum Lager gilt die größte Sorge der Helden noch der Frage, ob sie ihre Heimat bald wiedersehen würden (‘o Iovis alma / progenies, fare an patriam spes ulla videndi, / fare!’: 5,550–552). Die Aussicht auf epischen Kriegsruhm führt, wie aus 5,562f. erhellt, zu einer raschen Verschiebung der Prioritäten. Vgl. Wijsman 1996, 256 zu 5,562. Die Rhipaeen sind ein sagenhaftes Gebirge im äußersten Norden. Mit Hiber wird das Gebiet des heutigen Georgien bezeichnet. „Der Osten mit seinen Köchern“ steht metonymisch für die Parther, die in der Antike für ihre Bogenkunst berühmt waren. Die Bezeichnung „Osten“ (aurora) statt der Nennung der Parther trägt aber auch dazu bei, dem sich anbahnenden Krieg noch größere Dimensionen zu verleihen. Zur Erklärung der an unserer Stelle gebrauchten Toponyme siehe die Hinweise zur Stelle bei Wijsman 1996; Dräger 2003. Schenk 1999, 320. Die Bemerkung des Aeetes, Jason werde am folgenden Tag „die Schlachtreihen und die vielsprachigen Königreiche der Anführer“ (cras acies atque illa ducum cras regna videbis / dissona: 5,607f.) sehen, spricht für die multi-ethnische Zusammensetzung der am Bürgerkrieg von Kolchis beteiligten Heere. Anders Dräger 2003, 474 zu 5,608, der dissona „in erster Linie“ auf die in Folge beschriebenen verschiedenartigen Waffen bezieht. Baier 2001, 40. Vgl. Otte 1992, 127: „In […] the troop review the poet indulges himself in creating a massive panoply of barbaric tribes and customs suitable to a region that is almost ominously fecund.“; Baier 2001, 40: „Bei der Betrachtung von Valerius’ Katalog muss diese den Römern eigene Wahrnehmung des Ostens mitbedacht werden. Die
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folgend impliziert der Dichter dabei einen Zusammenhang zwischen der Herkunft dieser Menschen und ihrer Kultur, die ein römischer Rezipient als barbarisch und mitunter skurril empfunden haben dürfte.64 Dem Skythenkatalog (6,42–170) liegt dabei kein Ordnungssystem nach geographischen Gesichtspunkten zugrunde, wie es etwa für den homerischen Schiffskatalog (Il. 2,484– 759) angenommen wird.65 Stattdessen werden Völkerschaften aus weit entfernten Herkunftsländern aneinandergereiht, wobei in längeren Beschreibungen „meist der barbarische, oft skurrile Habitus der ethnischen Stämme herausgekehrt“66 wird. Nicht selten greift Valerius bei der Beschreibung der barbarischen Völker auf ethnographische und historiographische Topoi zurück, die sich auch bei zeitgenössischen Autoren (z.B. Plinius maior,67 Tacitus) oder in älterer Literatur (z.B. Caesar, Livius) finden. So wird das „bunte Völkergewimmel“ anhand ethnographischer Einsprengsel auf eine Weise charakterisiert, die dazu dient, „die fremde Welt des ‚historischen‘ Gegners der Argonauten zu exponieren.“68 Es wird ein starker Kontrast zwischen der Kultur der griechischen Helden und den aus der unzivilisierten Peripherie stammenden ‚Barbaren‘ konstruiert, denen diese auf dem Schlachtfeld von Kolchis begegnen.69
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Einflechtung skurriler Bräuche dient dazu, die Fremdheit und Exotik zu unterstreichen.“ Zum Quellenwert des Skythenkatalogs für anthropologische oder ethnographische Studien siehe Wijsman 1996, 276 zu 5,612. In der Einschätzung, dass Valerius mit diesem Katalog eher literarische als wissenschaftliche Ziele verfolge, ist Peter Schenk rechtzugeben, laut dem die „Verwertung ethnographischer Fachliteratur eher dem Ziel [dient], das bunte Gewimmel barbarischer Armeen im Sinne einer werkumspannenden Aussage zu verdeutlichen“ (Schenk 1999, 322). Valerius schöpfe aus poetischen wie nicht-poetischen Quellen, „wobei historisch gesicherte Fakten dem Ganzen einen Anschein von Realität verleihen sollen“ (meine Hervorhebung). Vgl. Shreeves 1978, 164: „Valerius does imply a correlation between the behavior characteristic of these men and their origin.“ Zum homerischen Schiffskatalog im Vergleich zu Valerius’ Skythenkatalog siehe Baier 2001, 40–44. Baier 2001, 44. Zur These, Valerius und Plinius maior könnten für die ethnographischen Partien ihrer Werke eine gemeinsame Quelle benutzt haben, siehe Heeren 1899, 73; Wijsman 1996, 265 zu 5,582; Wijsman 2000, 51 zu 6,86. Schenk 1999, 312. Vgl. Baier 2001, 36: „Zu Valerius’ Zeit war das Mittelmeer zwar erforscht, zahlreiche Stämme, die man in dem Gebiet zwischen Schwarzem und Kaspischem Meer namentlich kannte oder auch nur dort vermutete, trugen aber bis in nachchristliche Zeit hinein das Flair des Exotischen, Zauberhaften. Die Nennung dort ansässiger Stämme rief an sich schon mythische Erzählungen wach und bewirkte einen romantisch anmutenden Kontrast zur römischen Zivilisation.“
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Wie im Folgenden argumentiert wird, ermöglicht es diese Charakterisierung des Gegners, die zweite große Kriegserzählung der Argonautica als imperialistisches Narrativ aufzufassen, das ein zeitgenössischer Rezipient als mythologisches Vergleichsmodell für römische Eroberungskriege interpretieren konnte.70 Darauf aufbauend wird jedoch zu zeigen sein, wie der Dichter anhand von Vergil- und Lucan-Bezügen die Komplexität erhöht und der Episode nicht nur für äußere Kriege, sondern auch für innerrömische Kriege Modellcharakter zuweist. Die – wie in der Cyzicus-Episode – feststellbare Dekonstruktion der Rom-Teleologie der Aeneis lässt die mythologische Erzählung zum problematischen Vergleichsmodell für die römische Geschichte werden, das die Grenze zwischen bellum externum und bellum internum verschwimmen lässt und den Gedanken von Krieg als Triebfeder historischen Fortschritts in Zweifel zieht. Nach den Verhandlungen mit Aeetes lädt der kolchische Tyrann die Argonauten zum Gastmahl in den Palast (5,570–617), bei dem auch seine übrigen Verbündeten anwesend sind. Nach diesen erkundigt sich Jason in einer an die homerische Teichoskopie (Il. 3,161–242) erinnernden Szene, worauf Aeetes ihre Namen und Bräuche aufzählt. Einer der Verbündeten ist Carmeius, dessen Sitte es ist, „seine Waffen immer bei sich zu haben, immer an seinen Köcher zu denken“ (mos comminus arma / semper habere viro, semper meminisse pharetrae: 5,582f.).71 Ebenfalls beim Gastmahl anwesend ist Aron, der dem Stereotyp des exotischen Orientalen entspricht. Sein „gewelltes Haar weht in starkem Duft“ (multa spirat coma flexilis aura: 5,588) und alle Reiter, die ihn begleiten, tragen das Haar in gleicher Weise geflochten und verbreiten ebenfalls „einen Duft von Safran“ (croceos … odores: 5,590).72 Bei der späteren Aristie des Aron (6,524– 541) wird sein „vielfarbiger Mantel“ beschrieben, der sich über die Waffen und Schultern des Mannes legt und von „fremdländischer Stickarbeit rötlich glüht“ (discolor … / barbarica chlamys ardet acu: 6,525 f.). Von Choaspes heißt es, er trinke Pferdeblut, was in der Antike einer Reihe von Nomadenvölkern im
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Vgl. Buckley 2010, 434: „[A]t first sight […] conflict at Colchis between the Argonauts and forces of Perses does indeed appear to be an unambiguous and profoundly alien war on a world-scale. […] The Argonauts are to be seen, then, as ‘culture-heroes’, bringers of civilization to a primitive east, and thus they serve as a truly suggestive model for the exploration-conquest exploits of Vespasian.“ Zum als barbarisch markierten Brauch, bei jeder Gelegenheit Waffen mitzuführen, siehe Tac. Ger. 13,1 (Nihil autem neque publicae neque privatae rei nisi armati agunt). Vgl. Wijsman 1996, 265 zu 5,582. Die Beschreibung des Aron erinnert in mancher Einzelheit an die Beschreibung der mit Pompeius verbündeten Inder im Bellum civile (Lucan. 3,237–239 ~ Val. Fl. 5,587–591). Im Skythenkatalog wird noch ein weiteres Volk „mit duftenden Haaren“ (odorato spirantes crine: 6,129) eingeführt.
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Gebiet der heutigen Ukraine, etwa den Massageten oder den Sarmaten, nachgesagt wurde.73 Außerdem gehören zu den in der Gastmahl-Szene namentlich genannten Verbündeten des Aeetes der Krieger Campesus, der sich in ein Tigerfell hüllt, der hochmütige Iaxartes, der den Göttern keine Ehrfurcht entgegenbringt und die Amazone Euryale, die als gewaltige Kriegerin beschrieben wird. Die Vorbilder dieser zuletzt genannten Verbündeten des Aeetes sind weniger in der ethnographischen Fachliteratur zu suchen, sondern vielmehr in vergilischen Figuren wie Camilla und Mezentius, die in der zweiten Aeneis-Hälfte als eindrucksvolle Widersacher der Aeneaden auftreten.74 Auf das Gastmahl folgt eine olympische Szene, die dem Schluss des ersten Ilias-Gesangs nachgebildet ist. Bei Homer ziehen sich am Ende von Il. 1 alle Götter zum Schlaf in ihre Paläste zurück (Il. 1,605–611), doch am Beginn des zweiten Gesangs heißt es, Zeus sei wachgeblieben und habe über den weiteren Kriegsverlauf gegrübelt (Il. 2,1–4). Valerius bildet den Übergang von Arg. 5 zu Arg. 6 diesem homerischen Vorbild nach.75 Bei ihm ist es Mars, der wach bleibt (vigil: 6,1) und in grübelnder Unschlüssigkeit abwägt, welche Kriegspartei er unterstützen soll. Der Kriegsgott ist es auch, der Perses’ Versuch einer Gesandtschaft an die Argonauten unterbindet und ähnlich wie Pan in der Cyzicus-Episode den Ausbruch der Schlacht provoziert, indem er die Anwesenheit des Feindes verkündet.76 Dann finden sich die beiden Heere am Schlachtfeld ein, was den Dichter veranlasst, nach einem weiteren Musenanruf (6,33–41) einen Katalog der skythischen Hilfstruppen einzuflechten (6,42–170). Dieser Katalog trägt dazu bei, den Eindruck einer starken Antithese von Zentrum und Peripherie zu verstärken. Der unübersichtlich und ausufernd wirkende Katalog wird gerahmt durch Hinweise auf die erdrückende numerische Überlegenheit der Völker, die sich gegen Aeetes erheben.77 „Keine Gegend ist an Völkern reicher“ (neque … plaga 73
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Siehe Verg. georg. 3,462f.; Hor. carm. 3,4,34; Sen. Oed. 470; Lucan. 3,282f.; Plin. nat. 18,100. Vgl. Wijsman 1996, 273 zu 5,585. In Arg. 2 lässt Venus durch Fama das Gerücht verbreiten, die Thrakerinnen würden Pferdemilch trinken (2,157), um sie als barbarische Bedrohung darzustellen. Verg. Aen. 11,576f. (Camilla) ~ Val. Fl. 5,593 (Campesus); Verg. Aen. 7,648 (Mezentius) ~ Val. Fl. 5,597 f. (Iaxartes); Verg. Aen. 7,803–817 (Camilla; vgl. Aen. 11,648–652) ~ Val. Fl. 5,611–614 (Euryale). Zu Iaxartes und Mezentius vgl. Wijsman 1996, 270 zu 5,598: „[A] man without reverentia superum is strongly reminiscent of Mezentius.“ Sowohl Euryale als auch Camilla werden durch die Nennung am Ende des Katalogs besonders exponiert. Vgl. Adamietz 1976, 81 f.; Buckley 2010, 435. Val. Fl. 3,45 (‘hostis habet portus, soliti rediere Pelasgi’ [Pan]) ~ Val. Fl. 6,29 (‘hostis io,’ conclamat equis ‘agite ite [ite], propinquat!’ [Mars]). Vgl. Schenk 1999, 196: „[I]hre Vielzahl [stellt] ein Charakteristikum der barbarischen Völker Asiens dar.“
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gentibus ulla / ditior: 6,37f.), und obwohl „ewiger Krieg“ (aeterno … / Marte: 6,38f.) viele Opfer fordert, lässt der Bevölkerungsreichtum des Landes nicht nach (6,38–40). Diese Feststellung wird gegen Ende des Katalogs anhand eines mehrgliedrigen Gleichnisses illustriert: Das Meer führe nicht so viele Fluten, der Nordwind antworte den Brüdern nicht so [sc. laut und schnell], bei Flussvögeln gebe es nicht solches Geschrei,78 wie es nun die Kriegstrompeten ausstoßen, die Hundertschaften zusammentreiben, deren Zahl mit den Blättern und Blüten am Beginn eines neuen Jahres vergleichbar sei (6,163–167). Unter diesem Ansturm von Rädern „stöhnt das Feld“ (gemit … ager: 6,168) und „der unter dem Aufstampfen bebende Boden schwankt“ (tremibundaque pulsu / nutat humus: 6,168f.). Die teils an ethnographische, teils an dichterische Quellen angelehnten Beschreibungen dieser barbarischen Völkerschaften unterstreichen ihre Fremdheit und die mitunter ins Skurrile hineinragende Andersartigkeit. Von den Kimmerern, die Auchus ins Feld führt, heißt es, sie hätten von Geburt an weißes Haar (6,60–62).79 Die von Daraps angeführten Gargariden80 haben sich offenbar auf den Kampf vorbereitet, indem sie aus dem Fluss Gerus getrunken haben, dessen Wasser einen Zustand der Raserei bewirke (6,65–67).81 Bei den Ba(s)tarnern82 sei es üblich, Fußsoldaten und Reiterei zu mischen, denn das Fußvolk könne es an Schnelligkeit mit den Berittenen aufnehmen (6,95f.).83 Die Caspiaden werden in der Schlacht von Kampfhunden begleitet, denen sie die gleichen Totenehren (par mortis honos: 6,109) wie Menschen zukommen ließen. Sie würden ihre Hunde sogar zwischen den eigenen Vorfahren begraben (6,107–110).84 Die Iazygen kennen einen „von den großherzigen Vorfahren übernommenen Brauch“ (magnanimis mos ductus avis: 78
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Heinsius konjiziert in 6,165 canor anstatt des in ω (bei unterschiedlicher Wortstellung) überlieferten clamor. Ehlers und Baier übernehmen die Konjektur, Dräger und Liberman drucken clamor. Plin. nat. 7,12 und Gel. 9,4,6 berichten von Völkern in Albanien, denen bereits im Kindesalter weißes Haar wachse und die bei Tag nur eingeschränkt, aber bei Nacht perfekt sehen könnten. Liberman nimmt statt des überlieferten Gangarides (bei Ehlers und Baier übernommen) Wagners Konjektur Gargarides in den Text. Dräger druckt Dandarides. Ovid ( fast. 4,363–366) und der ältere Plinius (nat. 31,9) schreiben dem Wasser des Flusses Gallus (der Mudurnu Çayı in der heutigen Türkei) eine ähnliche Wirkung zu. Vgl. Ov. met. 15,329–331, wo ein weiterer Fluss mit der beschriebenen Eigenschaft genannt wird. Der Name dieses ursprünglich wohl germanischen Volkes, das sich später mit Skythen und Sarmaten vermischte, erscheint sonst nur als Bastarnae (z.B. Liv. 40,5,10). Die Änderung des Namens könnte metrische Gründe haben, wie Baier 2001, 145 zu 95f. mutmaßt. Laut Caesar wendet die Reiterei des Ariovist eine ähnliche Technik an (Caes. Gal. 1,48,5–7; vgl. außerdem 7,65,4; 7,80,3; 8,13,2). Im taciteischen Bericht laufen auch bei den Germanen Fußsoldaten zwischen den Reitern (Tac. Ger. 6,4). Plinius maior berichtet von den Kampfhunden der Kolophonier und der Kastabelenser
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6,125),85 der die Söhne dazu verpflichte, ihre eigenen Väter zu töten, bevor hohes Alter diese schwach und gebrechlich mache (6,122–128). Diese Sitte ist römischen Vorstellungen von pietas diametral entgegengesetzt. Der Mord an den Eltern gilt den Römern als schlimmste Verletzung des heiligen Wertes des Familienbandes. Bei Lucan erklärt sich der fanatische Caesar-Unterstützer Laelius dazu bereit, seinen Bruder, seine Eltern oder gar seine schwangere Frau zu töten, wenn Caesar dies befehlen würde (1,376–378) – bedingungsloser Gehorsam gegenüber dem Bürgerkriegsfeldherrn als Pervertierung der pietas. Bei den Iazygen ist der Elternmord dagegen pietas im eigentlichen Sinn.86 Die Passage suggeriert, an der Peripherie würde das römische Wertesystem ins Gegenteil verkehrt.87 Ein weiterer Stamm, dessen Erwähnung der Steigerung des Eindrucks von mythenumwobener Exotik dient, sind die Arimasper, die als „unschuldig, weil ihnen der Gebrauch von Metall noch unbekannt ist“ (ignotis insons Arimaspe metallis: 6,131), apostrophiert werden. Die Angabe scheint der Tradition zu widersprechen, die von großen Goldvorkommen im Gebiet des Volkes berichtet und die Arimasper als eifrige Goldsucher charakterisiert,88 doch möglicherweise lässt sich das Epitheton insons, wie Thomas Baier argumentiert, „dadurch rechtfertigen, dass Gold nicht zur Herstellung von Waffen dient.“89 Solche fast märchenhaft anmutenden Beschreibungen suggerieren, die Argonauten bewegten sich nunmehr in einer unzivilisierten, barbarischen und von exotischer Fremdheit geprägten Welt.
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(Plin. nat. 7,142 f.). Der Brauch, den Kampfhunden Totenehren zukommen zu lassen, ist nur bei Valerius erwähnt. Sollte der Argonautica-Dichter an unserer Stelle tatsächlich von dem erwähnten ethnographischen Detail in der Naturalis historia angeregt worden sein, wäre dies ein Fall, in dem er seine Quelle durch Ausschmückung noch zu überbieten strebt. Das überlieferte dictus wird seit Pius von fast allen neueren Herausgebern (außer Kramer und Courtney) zu ductus emendiert. Zum Verständnis der problematischen Junktur mos ductus siehe Langen 1897, 414 zu 6,125: „[S]i poeta sic scripsit, ita potius videtur explicandum, ut dicamus ductus positum esse pro inductus.“ Wijsman 2000, 66 zu 6,125 führt Hor. carm. 4,4,19 als Vergleichsstelle an und folgert: „I think that ducere = deducere is a better explanation.“ Der Nachsatz „Beide [sc. Vater und Sohn] sind trotz der tapferen Taten bemitleidenswert“ (ambo miseri tam fortibus actis: 6,128) ist „aus der Perspektive des römischen Autors gesprochen, nicht aus dem Empfinden der Skythen selbst“ (Baier 2001, 152 zu 6,128). Zum Vergleich mit der Tat des Brutus, der seine eigenen Söhne wegen ihres Bündnisses mit den Tarquiniern hinrichten ließ (vgl. Liv. 2,2,11–5,8; Verg. Aen. 6,817–823), siehe Baier 2001, 153 zu 6,128. Vgl. Hdt. 3,166; Lucan. 3,280 f.; 7,756. Baier 2001, 154 zu 6,131.
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Diese an sich schon imperialistische Ausformung des Argonautenstoffes erhält indes dadurch konkrete zeithistorische Relevanz, dass im Skythenkatalog immer wieder Völkernamen begegnen, die in der römischen Außenpolitik der frühen Kaiserzeit eine Rolle spielten und „mit zeitgenössischen Kriegen Roms in Verbindung gebracht werden können.“90 Dies betrifft etwa den ersten und den letzten Katalogeintrag, also die Alanen (Alanos: 6,42) und die Sarmaten (Sarmata: 6,162) – eine bedeutsame Rahmung des unübersichtlichen Katalogs. Die Alanen werden in der lateinischen Literatur erstmals bei Lucan erwähnt (8,223; 10,454) und als „stets kampfeslüstern“ (aeterni Martis: 8,223) charakterisiert.91 Die Nennungen bei Flavius Josephus (ant. Iud. 18,46; bell. Iud. 7,7,4) lassen den Schluss zu, dass es sich bei diesem Volk um einen Stammesverband handelt, der um den Fluss Tanais und die Maeotische See (heute: Asowsches Meer) zu lokalisieren ist. Im Jahr 72 n. Chr. dringen die Alanen bis nach Armenien vor. Der Partherkönig Vologaesus stellt ein Hilfsgesuch an Vespasian, das dieser jedoch ablehnt.92 Der Kaiser widersetzt sich damit dem Wunsch Domitians, der nach dem Bericht des Sueton das Hilfsgesuch des Vologaesus unterstützt habe, um mit dem Oberbefehl ausgestattet zu werden und den eigenen militärischen Ruhm zu mehren.93 Die im Katalog zuletzt genannten Sarmaten, zu denen auch die Iazygen und Rhoxolanen zu rechnen sind, werden dem Imperium Romanum in neronischer Zeit gefährlich, als sie (möglicherweise aufgrund der Ausbreitung der Alanen vom Kaukasus in den Westen) in den Donauraum drängen und die dort liegenden Provinzen in Bedrängnis bringen. Ein Bündnis mit dem (ebenfalls im Katalog erwähnten: 6,95f.) germanischen Stamm der Batarner macht den Einfall der fremden Truppen noch gefährlicher. Dieser erste Ansturm der Sarmaten kann dank der Tatkraft des Plautius Silvanus Aelianus abgewehrt werden,94 ist
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Schenk 1999, 322 Anm. 53. Vgl. Syme 1929; McGuire 1997, 58; Baier 2001, 36: „Er [sc. der Völkerkatalog] ist bei aller märchenhaften Entrückung nicht völlig unabhängig von Zeit und Raum. Es ist insofern ein aktueller Zug mitgegeben, als der Osten sich durch beständige Unruhe an den Reichsgrenzen immer wieder in Erinnerung brachte.“ Eine Übersicht über die (möglichen) Zeitbezüge in Valerius’ Skythenkatalog bietet Baier 2001, 37–40. Lucans Beschreibung der Alanen überträgt Valerius im Musenanruf verallgemeinernd auf die „maeotische Jugend“ (Maeotia pubes: 6,38), womit wohl das gesamte Skythenland gemeint ist, wenn er feststellt, diese befände sich „in ewigem Krieg“ (aeterno … Marte: 6,38 f.). Vgl. Cass. Dio 65,15,3; Suet. Dom. 2,2. Vgl. Baier 2001, 39. Plautius Silvanus Aelianus war unter Nero von 60–67 n. Chr. Statthalter der Provinz Moesien. Zu seiner Niederschlagung der mit den Batarnern verbündeten Sarmaten siehe CIL xiv 3068; Levick 22017, 124.
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aber nur ein Vorgeschmack auf eine weitere Invasion der Sarmaten im Jahre 69 n. Chr., die Rubrius Gallus mithilfe der I Italica und der vii Claudia zurückschlägt.95 Auch abseits der exponierten Anfangs- und Schlussstelle begegnen in diesem Katalog Völkerschaften, die sich in der frühen Kaiserzeit in militärischen Auseinandersetzungen mit den Römern befanden. Die in 6,80 erwähnten Coelaleten rebellierten in tiberianischer Zeit zweimal gegen die Römer,96 und die in 6,43 genannten Heniocher rechnet Flavius Josephus zu den von den Römern unterworfenen Völkern (Ios. bell. Iud. 2,366). In derselben Passage ist die Rede davon, dass daneben auch „die Kolcher, der Stamm der Taurer, die Bewohner des Bosporus und die um das Schwarze Meer und die Maeotische See lebenden Völker“ (καὶ Κόλχους καὶ τὸ τῶν Ταύρων φῦλον, Βοσπορανούς τε καὶ τὰ περίοικα τοῦ Πόντου καὶ τῆς Μαιώτιδος ἔθνη: Ios. bell. Iud. 2,366) unter römische Gewalt gebracht worden seien. Auch die Beschreibung der Sichelwagen der Männer des Ariasmenus dürfte Assoziationen mit früheren römischen Kriegen gegen äußere Feinde wecken.97 Das Eingreifen der Argonauten in einen Machtstreit zwischen zwei östlichen Thronanwärtern (Aeetes und Perses) ist aber schon ganz grundsätzlich geeignet, das Agieren der Römer bei Thronstreitigkeiten im Osten zu evozieren. Hierbei wurde bald der Regent, bald der Usurpator unterstützt, wodurch die eigene Kontrolle in den betroffenen Gebieten behalten und ausgebaut werden konnte. Beispiele sind der Machtkampf zwischen Mithridates und seinem Bruder Cotys um die Herrschaft über das bosporanische Reich in den Jahren 44/45 n. Chr.98 oder der Streit um den Thron Armeniens zwischen Tigranes und Tiridates in den 60er-Jahren des 1. Jhdt. n. Chr., wobei die Römer erst den einen, dann den anderen unterstützten.99 Die Auseinandersetzung zwischen zwei Thronanwärtern, die ihren Machtanspruch mithilfe von Bundesgenossen durchsetzen wollen, liegt nach Thomas Baier „im Rahmen dessen, was der zeitgenössische Leser von den Völkern des Ostens gewohnt war.“100 Das Einschrei-
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Zum Sarmaten-Einfall des Jahres 69 n. Chr. und seiner Niederschlagung siehe Ios. bell. Iud. 7,92–94; Tac. hist. 1,79; 4,54; Baier 2001, 38; Levick 22017, 125. Vgl. Shreeves 1978, 168. Die Coelaletae sind auch in Tac. ann. 3,38 und Plin. nat. 4,41 erwähnt. Vgl. Baier 2001, 147 zu 6,103–105: „An Wagen gebundene Sicheln kamen auch gegen die Römer zum Einsatz.“ Als Beispiele führt Baier die Schlacht bei Magnesia gegen Antiochus (Liv. 37,40,12) und Caesars Schlacht gegen Pharnakes (bell. Alex. 75,2) an. Zu Mithridates und Cotys siehe Baier 2001, 37. Zu Tigranes und Tiridates siehe Tac. ann. 13,36–38; Fucecchi 2018, 42 Anm. 39. Baier 2001, 37.
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ten der Argonauten zugunsten einer der beiden Streitparteien könnte also als mythologische Präfiguration der römischen Strategie aufgefasst werden, mit eigener Agenda in Konflikte zwischen östlichen Monarchen einzugreifen.101 Rückblick: Im Skythenkatalog rekurriert Valerius auf ethnographische und historiographische Klischees, um die Fremdheit der Peripherie zu unterstreichen. Es wird der Eindruck vermittelt, die Argonauten würden am Rand der bekannten Welt auf eine unzivilisierte, barbarische Peripherie stoßen. Details in der Beschreibung der östlichen Völkerschaften und die Rolle der griechischen Helden im kolchischen Bruderkrieg lassen die zweite große Kriegserzählung der Argonautica als geeignetes Vergleichsmodell für römische Kriege gegen äußere Feinde erscheinen.
4.3
Das Vertraute im Fremden. Valerius’ Skythen und Vergils Latiner (Val. Fl. 6,42–170)
Neben der Strategie, die barbarische Fremdheit der Völkerschaften des Ostens zu exponieren und durch die Nennung bestimmter Namen Assoziationen mit römischen Eroberungskriegen hervorzurufen, hebt der Dichter auch auf den von unverdorbener Einfachheit, Disziplin und Enthaltsamkeit geprägten Lebensstil ab, der bei manchen der genannten Stämme noch vorherrsche und den Rezipienten an literarische Beschreibungen des idealisierten altitalischen Lebens erinnert. Dadurch wirkt das Fremde stellenweise seltsam vertraut, da die Beschreibung der am Ende der Welt lebenden ‚Barbaren‘ immer wieder an Lobpreisungen des einfachen altitalischen Lebens anklingt, wie sie bei Autoren wie Varro und Vergil zu finden sind. Die Coelaleten ziehen auf ihren Wagen in die Schlacht, auf dem sich ihre „zusammengenähte Behausung“ befinde (ibi sutulis illis / est domus: 6,81 f.). Die Gattin sitzt auf einem groben Fell (crudo residens sub vellere coniunx: 6,82) und auf der Wagendeichsel schwingt ein Knabe Wurfkeulen (primo torquens temone cateias: 6,83). Valerius entwirft damit „in varronischen Farben ein geradezu urrömisches Bild altertümlicher Häuslichkeit.“102 Die vom thrakischen
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Vgl. Fucecchi 2018, 42: „Jason’s attitude towards Aeetes […] could probably be considered as an indirect way of foreshadowing from the mythical past the tactic displayed by Rome in the numerous ‘wars for succession’, which upset eastern client kingdoms like Armenia during the first century ce. In such circumstances, Rome was used to siding with one competitor or another alternatively, in order to keep the political situation of the whole area under control.“ Baier 2001, 142 zu 6,80–82.
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Haemus-Gebirge stammenden Coraller ziehen nicht zum Klang von Kriegstrompeten in die Schlacht, sondern „besingen feierlich ihre einheimischen Führer, die früheren Taten der Ihren und, zum Ansporn der Männer, Lobeslieder auf die Alten“ (indigenas sed rite duces et prisca suorum / facta canunt veterumque, viris hortamina, laudes: 6,93f.).103 In der Germania, einem Werk, in dem Tacitus archaische römische Werte, die durch Gier und Genusssucht verlorengegangen seien, auf die ‚unverdorbenen‘ germanischen Stämme überträgt,104 wird Ähnliches beschrieben:105 „In dem Vers zeigt sich eine gewisse Verehrung für das, was die Römer bei unverdorbenen Barbaren noch zu entdecken, selbst aber bereits verloren zu haben glaubten.“106 Ebenso lässt sich die Beschreibung der Exomater, Toryner und Satarcher auf Altrömisches beziehen: „Bei den Torynern ist die Pracht des Honigs, die Melkfässer machen die Satarcher reich, die Jagd ernährt die Exomater“ (mellis honor Torynis, ditant sua mulctra Satarchen, / Exomatas venatus alit: 6,145 f.). Das Bild von der Unverdorbenheit dieser ursprünglichen Völker lässt sich nahtlos mit dem römischen Diskurs verbinden, eine von Habsucht, Geltungsdrang und Dekadenz gezeichnete Gegenwart dem primitiven, aber reinen und einfachen Leben einer fernen Vergangenheit gegenüberzustellen. Zu einem gewissen Grad funktioniert der Skythenkatalog daher auch als hortamen Romanis.107 Diese Feststellung soll aber nicht über die Irritationen hinwegtäuschen, die sich ergeben, wenn Valerius die skythischen Barbaren mit denselben erzählerischen Mitteln einführt, die Vergil im Italikerkatalog (Aen. 7,647–817) anwendet, um die einfachen Sitten und die Unverdorbenheit seiner Proto-Römer herauszustellen.108 Der Krieg in Kolchis, den Valerius leicht als
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Vgl. die in Cic. Brut. 75 beschriebenen römischen Tafellieder. Vgl. O’Gorman 1993, 146–148. Vgl. Tac. Ger. 3,1: sunt illis haec quoque carmina quorum relatu, quem baritum vocant, accendunt animos futuraeque pugnae fortunam ipso cantu augurantur. Baier 2001, 144 zu 6,93 f.; siehe auch Söllradl (im Erscheinen b). Baier 2001, 54. Zur Funktion des vergilischen Italikerkatalogs vgl. Fordyce 1977, 177: „to survey the greatness of old Italy and the unsophisticated virtues of her peoples as a background to the new greatness and the new civilization of which they would be part.“; Stärk 1995, 87: „[Vergil entwirft] ein Bild des alten und im Kern wehrhaften Italien […], eines Landes von gesunden, agrarischen Strukturen und patriarchalischer Lebensform.“; Baier 2001, 52: „Vergils Italerkatalog ist politisch motiviert – er breitet in sympathischer Farbigkeit das Panorama des künftig von Rom beherrschten Italien aus. Der Dichter schenkt den Gegnern deshalb so viel Beachtung, weil diese bald zu Verbündeten, zum Gründungsvolk des späteren Rom werden.“ Einen ausführlichen Vergleich des valerianischen Skythenkatalogs mit Vergils Italikerkatalog bietet Baier 2001, 45–55.
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imperialistisches Narrativ anlegen hätte können, nimmt dadurch paradoxerweise Züge eines Kriegs auf italischem Boden an:109 „Valerius creates a fightingbody that is both alienating and obscure but also only too familiar within Roman civil war discourse.“110 Die beiden Strategien, einerseits eine möglichst grelle Schilderung der barbarischen Fremdheit der Skythen abzugeben und andererseits an Vergils Italer anzuknüpfen, verbinden sich eindrucksvoll in der Figur des Gesander. Die Aristie dieses Iazygen (6,279–385), der den Argonauten Canthus tötet, nimmt mehr als einhundert Verse ein. Keinem anderen Kämpfer in Kolchis, auch nicht Jason, gibt der Dichter so viel Raum.111 Bei der Begegnung mit Canthus hält Gesander einen längeren, von ethnographischen Topoi durchzogenen Monolog, in dem er die einfache Lebensweise der um den Pontus lebenden Völker beschreibt und mit der römischen Vorstellung von Zivilisation kontrastiert.112 In seinem Land würden Kinder durch ein Bad im Eiswasser abgehärtet (saevo duravimus amne / progeniem natosque rudes: 6,336f.), Pferde ihre Reiter über das zugefrorene Meer tragen (imus equis qua … medio riget aequore pontus: 6,328) und in klirrender Kälte Kriege und Beutezüge stattfinden (in patriis bellare pruinis / praedarique iuvat: 6,338 f.). Das offenkundige Vorbild ist die Rede des Rutulers Numanus Remulus in Aen. 9,113 wie wörtliche Bezüge114 und der vergleichbare Aussagegehalt der beiden Reden zeigen. Wie Gesander verkörpert Numanus die idealisierte Ursprüng-
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Vgl. Buckley 2010, 446: „The Flavian epicist […] exerts a more particular pressure on straightforward readings of this conflict as bellum iustum in his adoption of ethnographic and geographical stereotypes that have been deployed much closer to home. Valerius’ ‘civil war in the east’ is strikingly written through the Aeneid, a text that has already synthesized battle-narrative with ethnography in the construction of a new Roman ‘national’ identity.“ Buckley 2010, 445 f. Vgl. Otte 1992, 128. Der an zwei Stellen (1,450–453; 6,317f.) vorausgesagte Tod des Canthus und der anschließende Kampf um seinen Leichnam (6,342–370), der Il. 17,123–139 (Kampf um den Leichnam des Patroklos) nachgebildet ist (vgl. Buckley 2010, 436f.), lässt seine Tötung durch Gesander als Ereignis von herausragender Bedeutung erscheinen. Vgl. Otte 1992, 128 f.; Wijsman 2000, 64; Slaney 2014, 456–458; Söllradl (im Erscheinen b). Die pietas des Gesander zeigt sich paradoxerweise gerade daran, dass er seinen Vater im Einklang mit den gesellschaftlichen Regeln der Iazygen tötet, als dieser das wünscht. Er lebt die Wertewelt seines Volkes und ist nur aus römischer Perspektive impius. Zum Etrusker-König Mezentius als weiterem Vorbild für Gesander siehe Otte 129f.; Wijsman 2000, passim. Verg. Aen. 9,606 ( flectere ludus equos) ~ Val. Fl. 6,328 (imus equis); Verg. Aen. 9,603f. (durum a stirpe genus natos ad flumina primum / deferimus saevoque gelu duramus et undis) ~ Val. Fl. 6,336 f. (saevo duravimus amne / progeniem natosque rudes); Verg. Aen. 9,613 (iuvat praedas) ~ Val. Fl. 6,339 (praedarique iuvat).
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lichkeit und nobilitas des Barbaren, die nur in einer mythisch-verklärten Vergangenheit oder an den von Zivilisation unberührten Rändern des Erdkreises fassbar werden.115 Doch während Numanus den idealisierten, unverdorbenen altitalischen Völkerschaften angehört, entstammt Gesander der als barbarisch vorgestellten Peripherie. Die Parallelen zwischen den beiden Figuren führen zu einer ambivalenten Überblendung: Einerseits verkörpert Gesander den barbarischen Wilden, andererseits ist er nach dem Muster der bei Vergil in „sympathischer Farbigkeit“116 gezeichneten Proto-Römer angelegt.117 Die Figur des Gesander, der skythische Fremdheit und italische Vertrautheit in sich vereint, lässt die Schlachtfelder von Kolchis und Latium miteinander verschmelzen:118 „He is a far from unambiguously foreign enemy.“119 Rückblick: Im Skythenkatalog unterstreicht Valerius einerseits die Fremdheit der Peripherie, andererseits ergeben sich durch die Betonung des einfachen, unverdorbenen Lebens der östlichen Völkerschaften Parallelen zu literarischen Darstellungen des idealisierten altitalischen Lebens. Diese Überblendung ermöglicht es dem Rezipienten, den Krieg in Kolchis einerseits mit römischen Eroberungskriegen, andererseits mit Vergils Proto-Bürgerkrieg in Latium zu assoziieren.
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Wie Ellen O’Gorman am Beispiel der taciteischen Germania zeigt, gehört es zum Dekadenz-Topos der kaiserzeitlichen Literatur, die von den kompromittierenden Einflüssen der Zivilisation unberührt gebliebene Fremde als Projektionsfläche für den idealisierten, entbehrungsreichen Lebensstil früherer Generationen heranzuziehen. Vgl. O’Gorman 1993; Slaney 2014, 458: „It [sc. the foreign land] represents a nostalgic repository of everything which has been rejected or eroded by current cultural practice. The Argonautica’s Scythians are not only figures familiar from ethnographic discourse. They are also the last, fictitious refuge for customs that used to define what being Roman ought to mean.“ Baier 2001, 52. Anders Wijsman 2000, 70: „Gesander is represented as a primitive barbarian, who […] is not really worthy of the death of a hero. He is too un-Roman […] to deserve better.“ Wijsman übersieht damit die ambivalente Spannung, die in dieser Figur angelegt ist: „It is not so much that Gesander is un-Roman but rather that he is problematically proto-Roman“ (Buckley 2010, 448). Vgl. Slaney 2014, 458: „Valerius, in explicitly identifying Gesander’s hyperbolically rugged Scythia with Rutulian Italy, merges pre-Roman austerity with that of the barbarian outsider.“ Vgl. auch Buckley 2010, 447: „The figures of Virgil’s proto-Rome who have most to say and show about what is and is not Italian and what can and cannot be Roman – Mezentius, Numanus and Camilla – are strikingly evident as models for Valerius’ eastern ‘savages’.“ Buckley 2010, 449.
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Der Bürgerkrieg in Kolchis und die Umdeutung der vergilischen Rom-Teleologie
Die Ähnlichkeit der barbarischen Skythen mit Vergils Rutulern – deren Vereinigung mit den trojanischen Flüchtlingen den Grundstein für das Imperium Romanum legt – und die dadurch erzielte paradigmatische Vergleichbarkeit der Kriege in Kolchis bzw. Latium ist Teil einer größeren narrativen Strategie des Argonautica-Dichters, die darauf abzielt, die Sinnrichtung des vergilischen Krieges in Latium zu transformieren und dem vergilischen Gedanken des imperium sine fine einen alternativen Gründungsmythos entgegenzusetzen.120 Die Anlage des Bürgerkriegs in Kolchis als Gegenstück zu Vergils Proto-Bürgerkrieg in Latium zeigt sich – abgesehen von den oben besprochenen Bezügen zum Italikerkatalog – an seiner Stellung im Werkganzen,121 das in seiner Makrostruktur permanent die Stoffaufteilung der Aeneis evoziert, um auf dieser Grundlage eine Neu-Interpretation der vergilischen Rom-Idee zu entwickeln. Bereits in der Antike wurde die Aeneis als Verschmelzung der beiden homerischen Epen betrachtet, insofern sie aus einer ‚odysseischen‘ errores- und einer ‚iliadischen‘ pugnae-Hälfte bestehe.122 In dieses Muster passt Valerius den bei Apollonios vorgefundenen Argonautenstoff ein:123 Der Bauplan seiner unabgeschlossenen Argonautica sieht – laut communis opinio – acht Bücher vor,124
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Vgl. Buckley 2010, 432: „Valerius’ battle-narrative thus plays into one of the major intertextual and ideological strategies of his new Flavian epic: the use of Virgilian precedents to create a parallel, originary foundation ‘myth’ for the new Flavian gens.“ Zu Vergils Krieg in Latium als (Proto-)Bürgerkrieg siehe Ahl 1976, 66f.; Harrison 1991, xxv f.; Hardie 1994, 13f.; Rossi 2004, 164–168; Pogorzelski 2009; Quint 2010. Die Sprache, die Vergil für den Krieg in Latium prägt, dient späteren lateinischen Epikern als Grundlage zur Entwicklung einer „Roman koiné for civil struggles“ (Bessone 2018, 90). Latinus und Jupiter bezeichnen die Kämpfe als bellum … infandum oder arma impia (Aen. 7,583; 12,31.804). Von der Furie Allecto wird gesagt, sie könne einträchtige Brüder in den Kampf treiben und die Häuser durch Hass zerrütten (unanimos armare in proelia fratres / atque odiis versare domos: 7,335 f.). Junos Absicht, Schwiegervater (Latinus) und Schwiegersohn (Aeneas) um den Preis eines Krieges zusammenzuführen (hac gener atque socer coeant mercede suorum: Aen. 7,317), wird von Lucan gesteigert, indem er den römischen Bürgerkrieg, der das römische Volk auseinanderreißt, als Streit zwischen Schwiegervater (Caesar) und Schwiegersohn (Pompeius) anlegt und die Kontrahenten daher permanent als socer bzw. gener bezeichnet. Vgl. VSD 21 (Novissime Aeneidem inchoavit, argumentum varium ac multiplex et quasi amborum Homeri carminum instar); Macr. sat. 5,2,6 (iam vero Aeneis ipsa nonne ab Homero sibi mutata est errorem primum ex Odyssea, deinde ex Iliade pugnas?); Barich 1982, 112f. Vgl. Zissos 2005, 510: „[T]he Aeneid stands as a crucial mediating term between the two Argonautic epics.“ Zur Frage der geplanten Buchzahl und zu stichhaltigen Argumenten für einen Gesamt-
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die ein versetzt im fünften Buch stehendes Mittelproömium, das sowohl Apollonios (3,1–5) als auch Vergil (Aen. 7,37–44) nachempfunden ist, in zwei Werkhälften teilt.125 Die an die Muse gerichtete Bitte um „andere Gesänge“ (cantus alios: 5,217) – ein Reflex auf Vergils maius opus (7,44) – kündigt gegenüber der ersten Werkhälfte, die der Fahrt über das Meer gewidmet ist, eine neue thematische Schwerpunktsetzung an,126 was durch den Krieg in Kolchis und den Kampf um das Vlies eingelöst wird: Somit lassen sich auch die Argonautica in eine errores- und eine pugnae-Hälfte untergliedern.127 Der Übergang von der einen Werkhälfte zur anderen, die Mittelachse des Werkes also, ruft das strukturelle Vorbild auch insofern auf, als Reminiszenzen an ideologisch bedeutsame Passagen wie die Katabasis, die Ankunft der Aeneaden am Tiber und den Ausbruch des Kriegs in Latium eingelegt sind. Die am Ende der ersten Werkhälfte erzählte Durchfahrt der Symplegaden (4,637–710) nimmt in der Makrostruktur dieselbe Position ein wie Aeneas’ Abstieg in die Unterwelt. Beide Stellen unterstreichen die weltgeschichtliche Bedeutung der im jeweiligen Epos erzählten Ereignisse: Die Durchquerung der Prallfelsen besiegelt die Öffnung der Meere, die aus Jupiters Perspektive das zentrale Ziel der Argofahrt darstellt. In der Heldenschau wird ein Ausblick auf die glorreiche Zukunft der zu begründenden gens togata geboten, die einst über den gesamten Erdkreis gebieten wird. Die Parallele wird dadurch gestützt, dass die Symplegaden bereits bei Apollonios als Unterweltstor erscheinen und die Argofahrt als Katabasis.128 Valerius setzt ähnliche Signale: Er vergleicht die nach der Durchfahrt erleichterten Argonauten mit Hercules und Theseus, „als
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plan, der acht Bücher umfasste, siehe Adamietz 1976, 107–113; Hershkowitz 1998, 1–34; Pellucchi 2012, xii–xviii. Die Zahl Acht bildet den perfekten Kompromiss aus den vier Büchern der hellenistischen Argonautica und den zwölf Büchern der Aeneis. Vgl. Zissos 2002, 70 Anm. 7.: „For those who accept the prevailing scholarly view that the intended length of Valerius’s poem was eight books, it is perhaps suggestive that this total represents a perfect compromise between Apollonius’s four and Vergil’s twelve.“ Zur Zweiteilung des Werkes siehe Hardie 1989, 5; Hardie 1993, 86f.; Zissos 2005, 509–511; Heerink 2014, 88 f. Die Einfügung des Kriegsgeschehens in Kolchis rückt die zweite Hälfte der Argonautica näher an die Aeneis heran. Vgl. Baier 1998, 319: „Den Anstoß gab das Vorbild des Apollonios Rhodios. Dort bietet Iason Aeetes an, als Gegenleistung für das Vlies dem kolchischen Herrscher ein Volk zu unterwerfen. Dieser ist jedoch nicht daran interessiert, und der Handlungsfaden wird fallengelassen. Valerius Flaccus hat ihn aufgenommen und zu einem gewaltigen Kriegsgeschehen weitergesponnen. Er stellt sich damit vor allem in die Tradition von Vergils maius opus, des zweiten Teils der Aeneis.“ Vgl. Zissos 2005, 510: „Valerius also follows Virgil in dividing his poem into ‘Odyssean’ and ‘Iliadic’ halves. […] As a result, the Flavian epic involves a perilous sea voyage followed by war and other trials on land.“ Siehe AR 2,607–610; Hunter 1993, 182–188; Clare 2002, 167.
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sie den Schrecken des Avernus abgeschüttelt haben“ (discussa quales formidine Averni / Alcides Theseusque: 4,700). Der Seher Phineus charakterisiert das Land der Mariandyner – das unweit der Symplegaden liegt – als Gebiet, das dem Totenreich vergleichbar sei (4,594–596).129 So wird das Vorbild der Katabasis in Aen. 6 auf vielfältige Weise aufgerufen.130 Nach der Einfahrt in den Pontus kommen die Argonauten zu den Mariandynern (4,733–762), die Aeneaden gelangen nach Caieta (Aen. 6,900 f.). Beide Handlungsstränge werden über die Buchgrenze hinweg entfaltet, wobei das jeweils nächste Buch mit einer Todes- und Bestattungsszene einsetzt.131 Die Fahrt entlang der Südküste des Pontus (5,73–176) entspricht der Fahrt der Aeneaden an der Westküste Mittelitaliens (Aen. 7,8–24). Die Ankunft an einem Fluss – in beiden Epen die letzte Szene vor dem Mittelproömium – markiert jeweils den Abschluss der errores-Werkhälfte.132 Bei Valerius erreichen die Argonauten im Abendrot den Phasis. Jason spricht ein Gebet und die Helden gehen von Bord (5,177–216). Bei Vergil kommen die Aeneaden im Morgengrauen zum Tiber,133 womit der nostos des Aeneas abgeschlossen ist, dessen Ziel der delische Apoll als Urheimat der Trojaner (antiquam exquirite matrem: 3,96) angegeben hat.134 Valerius überträgt diesen bedeutungsvollen Moment auf die Ankunft in Kolchis, wenn er Jasons Einfahrt in den Pha-
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Vgl. Murgatroyd 2009, 284 f. zu 4,594–596. Vgl. Hardie 1993, 86 f.: „The escape of the Argonauts from the Clashing Rocks, gates to the Black Sea, like an escape from Hades, invites comparison with the emergence of Aeneas from the Underworld through the gate of ivory at the end of Aeneid 6.“ Aen. 7,1–7 (Tod und Bestattung der Caieta) ~ Val. Fl. 5,1–72 (Tod und Bestattung des Idmon und Tiphys). Vgl. Adamietz 1976, 66; van der Schuur 2014, 100–106; Nelis 2020, 66–68. Bei Apollonios, dessen Szenenfolge Valerius zwar übernimmt, aber nach vergilischem Muster neu strukturiert, ist die Buchgrenze erst mit der Ankunft am Phasis erreicht. Das dritte Buch der Argonautica beginnt mit dem Anruf der Muse Erato. Wie Damien Nelis zeigt, verfolgt Valerius mit der Umschichtung des Stoffes das Ziel, strukturelle Parallelen zur Aeneis zu konstruieren. Bemerkenswert ist, dass der Stoff, der die Mittelachse der flavischen Argonautica bildet, bereits als Vorlage für den Anfang von Aen. 7 diente. Vgl. Adamietz 1976, 66: „Vergil ist von dieser Partie des Apollonios beeinflusst, Valerius wiederum von beiden.“; Nelis 2020, 67: „The similarities between the two narratives are obvious, and they have long been appreciated by scholars working on Valerius Flaccus’ poem. What has been less well understood is that this same section of the Argonautica of Apollonius Rhodius had already been systematically reworked by Vergil at the opening of Aeneid 7.“ Zur Funktion der Landungsszene, das Ende der ersten Werkhälfte anzuzeigen, siehe Adamietz 1976, 66–68. Das bei Vergil erst nach dem Mittelproömium beschriebene Verlassen des Schiffs und das Gebet des Aeneas (Aen. 7,107–147) hat Valerius vorgezogen. Zur Ankunft der Aeneaden in Italien als Rückkehr siehe Aen. 3,94–98 (Apollon-Orakel); Aen. 7,195–211 (Latinus) mit Horsfall 1999, 161–169; Horsfall 2006, 105–109.
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sis, wo sich auch das Grab des Phrixus befindet, überraschend als Heimkehr beschreibt.135 Nach dem Mittelproömium, das jeweils auf die Einfahrt in den Fluss folgt (Aen. 7,37–44 ~ Val. Fl. 5,217–224), ist eine Schilderung der Vorgeschichte eingeflochten (Aen. 7,44–106 ~ Val. Fl. 5,224–277),136 in der Aeetes (durch Phrixus) und Latinus (durch das Faunus-Orakel) Auskünfte über den weiteren Verlauf ihrer Herrschaft erhalten, wobei jeweils ein auswärtiger Schwiegersohn verheißen wird,137 was zur Auflösung eines bereits bestehenden Eheversprechens (Lavinia und Turnus bzw. Medea und Anausis) führt.138 In beiden Epen zieht der verschmähte Brautwerber in die Schlacht, um sich der Hand der Königstochter würdig zu erweisen.139 Wie Juno in Aen. 7,286–322 bemühen sich Pallas und Juno in Val. Fl. 5,278– 296, die folgenden Kampfhandlungen in ihrem Sinn zu beeinflussen. Außerdem klingen die Erzählung vom Aufbruch zur Stadt, der Gang zum Palast des Königs, die Ekphrasis des Sol-Tempels (vgl. die Ekphrasis des Picus-Tempels)140 und die Audienz bei Aeetes an strukturell entsprechende Stellen in Aen. 7 an.141 In der Aeneis folgt auf die Unterredung mit Latinus der Hassmonolog Junos (Aen. 7,286–322), der analog zur Entfesselung des Seesturms in Aen. 1 die Handlungskette der zweiten Werkhälfte auslöst. Dieses Element hat Valerius bereits in die Verhandlungsszene hineinverlegt, da die Trugrede des Aeetes bei der Audienz, mit der er die Argonauten an seine Kriegspartei binden kann, die
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Vgl. 5,190f. (sistere tum socios iubet atque hinc prima ligari / vincula, ceu Pagasas patriumque intraverit amnem) mit Manuwald 2008, 996 f.; Stover 2012, 197: „Jason, a foreigner in Colchis, seems quite at home there. His arrival in Colchis is described as a sort of homecoming.“ Vgl. Adamietz 1976, 68; Schenk 1999, 135: „Den Beginn der Kolchishandlung hat Valerius gegenüber der Version des Apollonios durch die Einfügung einer ‚vergilischen‘ Vorgeschichte gänzlich neu gestaltet.“ Vgl. Baier 1998, 322. Im Skythenkatalog wird erzählt, Anausis führe die in der Nähe der Kolcher lebenden Alanen und Heniocher in die Schlacht. Die Ehe mit ihm würde bedeuten, dass Medea im Umkreis des väterlichen Reiches bliebe und die Forderung des Phrixus (vgl. 5,239f.) sich somit nicht erfüllen würde. Zur Lokalisierung der genannten Stämme siehe Dräger 2003, 481 zu 6,42. Zu den Parallelen in der Figurenkonstellation Turnus-Lavinia-Aeneas und Anausis/StyrusMedea-Jason siehe Otte 1992, 123.151; Baier 2001, 48; Dräger 2003, 573f. mit Anm. 19. Vgl. Schenk 1999, 135, der auf die an beiden Tempeln angebrachten Kriegsdarstellungen verweist. Die rein stoffliche Vorlage ist AR 3,215–248 (Jason im Palast des Aeetes), die ihrerseits auf Od. 7,83–133 (Odysseus im Palast des Alkinoos) zurückgeht. Neben Bezügen zum Picus-Tempel sind auch solche zum Juno-Tempel (Aen. 1,446–493) eingeflochten. Aen. 7,148–285 ~ Val. Fl. 5,296–328.399–569.
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Ereignisse der folgenden Bücher auslöst.142 Die Motivierung beider Werkhälften durch eine von Hass angetriebene Trugrede eines Tyrannen (Pelias bzw. Aeetes) stellt eine bedeutsame makrostrukturelle Parallele zur Aeneis dar, wo Junos Hassmonologe die errores- und pugnae-Hälfte in Gang setzen. In der Aeneis unterstreicht die Verknüpfung der beiden Werkhälften eine historische Progression: Als Neuauflage des Trojanischen Kriegs dient der Krieg in Latium dazu, die Zerstörung einer Stadt nach Abschluss der errores in die Gründung einer neuen Stadt umzumünzen.143 Valerius greift die Verknüpfung der Werkhälften indes auf, um die Gültigkeit dieses teleologischen Modells in Zweifel zu ziehen.144 Wenn die Sibylle Aeneas weissagt, ihn erwarte in Latium ein „zweiter Achill“ (alius Latio iam partus Achilles: Aen. 6,89), ist dem Leser der qualitative Unterschied zwischen dem griechischen Helden Achill und dem Rutuler Turnus bewusst, die zu unterschiedlichen Stufen einer Geschichtsprogression gehören, die auf die römische Weltherrschaft hinausläuft. Gänzlich anders liegt der Fall, wenn Jason in Arg. 7, nachdem ihm die List des kolchischen Tyrannen offenbar geworden ist, ausruft, er sehe sich mit einem zweiten Pelias, einer zweiten Meeresüberquerung (alium hic Pelian, alia aequora cerno: 7,92) konfrontiert. In ihrem Kern unterscheidet sich die von den Argonauten erschlossene neue Welt (alium … orbem: 2,628) nicht von der alten. Die Argonauten sehen sich in zyklischer Abfolge mit Tyrannenherrschaft, Betrug, Bürgerkrieg und innerfamiliärer Gewalt konfrontiert.145 Valerius unterwandert 142
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Die Einmischung der Helden in einen Konflikt, der bereits vor ihrer Ankunft besteht, ist ebenfalls ein der Aeneis entlehntes Motiv. Vom Flussgott Tiberinus erfährt Aeneas, die Arkader von Pallanteum befänden sich in ständigem Krieg mit den Latinern (Aen. 8,55f.) und böten sich daher als Verbündete für die trojanischen Ankömmlinge an. Ovid hat den Gedanken in unnachahmlicher Einprägsamkeit formuliert: „Besiegt wirst du siegen, Troja, und zerstört wirst du auferstehen“ (victa tamen vinces eversaque, Troia, resurges: Ov. fast. 1,523). Zur Verbindung zwischen Troja und Rom in der Aeneis siehe Barich 1982, 153 f. Peter Schenk nimmt für die Überblendung der beiden Aeneis-Hälften rein literarische Gründe an und verkennt damit die ideologische Spannung, die diese Technik mit sich bringt: „Mit gleicher Konsequenz zieht Valerius aus dem ersten und siebten Aeneisbuch die vergleichbaren Ereignisse in Karthago und Latium heran. Dabei führt er unter dem Druck der bei Apollonios überlieferten Version des Mythos die vergilische Doppelfassung wieder zusammen, indem er an szenisch entsprechenden Punkten zwischen der Karthago- und Latinushandlung wechselt und eine einfache Version herstellt“ (Schenk 1999, 257). Vgl. Hardie 1991, 86: „If we read the first half of the Argonautica as a positive account of man’s enforcement of a sunny, Jovian order at the expense of forces of the lower world, it is difficult to know what to make of the second half, which tells of more tyrants, bloody wars, deception and family murder. The new world seems like an even more unpleasant version of the old, repetition without significant difference“ (meine Hervorhebung).
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damit die durch zahlreiche Parallelen zwischen den Eröffnungsbüchern aufgebaute Erwartungshaltung,146 es handle sich bei den Argonautica um eine flavische Aeneis. Doch anders als der Krieg in Latium, dessen strukturelle Einbettung Valerius sorgfältig reproduziert, bringt der Krieg in Kolchis keinen historischen Fortschritt und keine der beteiligten Kriegsparteien ihrem Ziel näher. Valerius’ Vergilrezeption dient nicht der Übernahme des ideologischen Gehalts der Aeneis, sondern der Entfaltung einer aus der Umdeutung des Prätexts gewonnenen zyklischen Geschichtsperspektive. Während die Destabilisierung der Rom-Teleologie der Aeneis auf makrostruktureller Ebene durch die Aufhebung des qualitativen Unterschieds zwischen den beiden Werkhälften des Prätextes erreicht wird, erzielt Valerius diesen Effekt auf der Ebene der Schlachtdarstellung, indem er die vergilischen Strukturen, in die der Bürgerkrieg von Kolchis eingebettet ist, subversiv mit nicht-vergilischen Inhalten füllt.147 Diese stammen, wie es dem angestrebten ‚epischeren‘ Ton der zweiten Werkhälfte entspricht, zum Teil aus der Ilias,148 zum Teil aber auch, was für unsere Interpretation der ideologischen Dimension von größerem Belang ist, aus Lucans Bellum civile. Am Ende des Skythenkataloges werden beide Prätexte in programmatischer Weise miteinander verschränkt, wenn nach einer Reihe von Gleichnissen, die auf die Vielzahl der skythischen Völker abheben, beschrieben wird, wie der Boden unter dem Aufmarsch aufstöhnt: ipse rotis gemit ictus ager tremibundaque pulsu nutat humus, quatit ut saevo cum fulmine Phlegram Iuppiter atque imis Typhona reverberat arvis. Val. Fl. 6,168–170
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Zu den strukturellen Parallelen zwischen Aen. 1 und Arg. 1 siehe Galli 2007, 19–23; Heerink 2014, 74 f. Zu der These, Valerius’ episches Projekt könne insgesamt als Versuch bewertet werden, einem nicht-vergilischen Narrativ eine vergilische Darstellungsform zu geben, siehe Zissos 2002, 70, der zur Wiedergabe dieser Forschungsmeinung elegante Formulierungen findet: „[Valerius is] refashioning a preexisting, non-Vergilian narrative along essentially Vergilian lines […] [,] grafting on to the body of Apollonius’ epic the poetic language and thematic concerns found in the Aeneid.“ Die damit verwandte Technik, Szenen mit vergilischer Rahmung mit nicht-vergilischen Inhalten zu füllen, hat Mark Heerink am Beispiel der Ekphrasen in Arg. 1 (Bilder am Schiffsbug: 1,130–148) und Arg. 5 (Bilder an den Türflügeln des Sol-Tempels: 5,507–545) beschrieben (Heerink 2014, passim). Zu den Ilias-Bezügen in Arg. 6 siehe Baier 2001, 84–99; Río Torres-Murciano 2006; Buckley 2010, 434–446.
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Valerius verweist mit diesem Gleichnis am Ende des Skythenkatalogs auf das Ende des homerischen Schiffskataloges (Il. 2,780–785), wo sich das sog. ‚Zeusgleichnis‘ findet.149 Direkter Bezugspunkt ist das Aufstöhnen der Erde,150 das mit der Geißelung des Typhoeus durch Zeus/Jupiter verglichen wird.151 Die Erwähnung von Phlegra stellt eine bedeutsame Modifikation des homerischen Vorbilds dar: In der Ilias wird das Erzittern der Erde beim Aufmarsch der Armee anhand des Kampfes gegen Typhon, nicht anhand der Gigantomachie illustriert.152 Hinter dieser Ergänzung wurde der Einfluss des Bellum civile vermutet.153 Vor der Schlacht von Pharsalos vergleicht Lucan die Rüstung der Truppen des Pompeius mit der Vorbereitung der olympischen Götter auf die Gigantomachie, die – wie auch in Arg. 6 – bei den Feldern von Phlegra lokalisiert wird (Lucan. 7,139–150).154 Auch wenn der Vergleichspunkt (Homer/Valerius: das Erzittern der Erde; Lucan: Rüstung vor der Schlacht) unterschiedlich ist, finden sich strukturelle Übereinstimmungen zwischen den drei Vergleichen: Alle drei Gleichnisse leiten eine große Schlacht ein und veranschaulichen ein Geschehen auf der menschlichen Ebene anhand der göttlichen Ebene. Akzeptiert der Rezipient den postulierten Bellum civile-Bezug, ergibt sich eine raffinierte Inversion gegenüber Lucan: Dieser vergleicht den römischen Bürgerkrieg mit dem Kampf zwischen Olympiern und Giganten, während Valerius dasselbe comparans auf den kolchischen Bürgerkrieg bezieht. Dadurch wird der qualitative Unterscheid zwischen der mythologischen und der historischen Welt unmittelbar vor Schlachtbeginn abgeschwächt. Aeetes und Perses sind wie Caesar und Pompeius, der Bürgerkrieg von Kolchis ist wie ein römischer Bürgerkrieg. Nach dem Katalog lässt Valerius den Blick zur Gegenseite schwenken (illinc: 6,170), wo Absyrtus und Styrus mit ihren Verbündeten aufmarschieren. Nun kommen auch die Loyalitäten der Götter zur Sprache, die dem Rezipienten 149 150 151 152
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Zu dieser Parallele siehe Schenk 1999, 192; Baier 2001, 90f.; Río Torres-Murciano 2006, 203– 205. Il. 2,781 (γαῖα δ’ ὑπεστενάχιζε) ~ Val. Fl. 6,168 (gemit … ager). Il. 2,781–783 (Διὶ ὣς τερπικεραύνῳ / χωομένῳ ὅτε τ’ ἀμφὶ Τυφωέϊ γαῖαν ἱμάσσῃ / εἰν Ἀρίμοις) ~ Val. Fl. 6,169 f. (ut … Iuppiter … imis Typhona reverberat arvis). Zur antiken Tendenz, Gigantomachie, Titanomachie und Typhonomachie zu vermischen, siehe Hardie 1986, 85. Valerius betrachtet den Kampf gegen die Giganten und den Kampf gegen Typhoeus als unterschiedliche Ereignisse, wie sich der Beschreibung des Schlachtfeldes von Pallene (2,16–33 mit Río Torres-Murciano 2006, 204f. Anm. 12) entnehmen lässt. Siehe Río Torres-Murciano 2006, 203–205. Auf Lucan weist auch die Formulierung gemit ictus ager, die ein Echo der Formulierung gemit agger ad ictus (Lucan. 7,137; die Rede ist von Caesars Belagerungsdamm) darstellen dürfte.
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bereits in der olympischen Szene am Ende von Arg. 5 (618–695) deutlich geworden sind. Mars, bestürzt (stupefactus: 5,620) über die Ankunft der Argonauten in Kolchis und den drohenden Raub des Vlieses aus seinem Hain, stellt sich gegen Pallas, die gemeinsam mit Juno die Mission der griechischen Helden unterstützt. „Um Jason ist die Schar der Griechen und Pallas selbst, mit der schrecklichen Ägis“ (at circa Aesoniden Danaum manus ipsaque Pallas / aegide terrifica: 6,173f.), die Gegenseite wird von Mars angetrieben (impulit hos contra Mavors: 6,178). Die Rivalität zwischen Mars und Pallas rekurriert auf die Feindschaft von Ares und Athene in der Ilias, die dem Rezipienten anhand einer Reihe von wörtlichen Bezügen in Erinnerung gerufen wird.155 Es wurde argumentiert, dass Valerius sein Kriegsnarrativ erneut in die ehrwürdige epische Tradition Homers stelle, wenn Pallas (wie Athene in der Ilias) die am Ende siegreiche griechische Seite unterstützt und der ungestüme Kriegsgott Mars (wie der homerische Ares) auf der nicht-griechischen und unterliegenden Seite in die Schlacht zieht.156 Die Annahme, Valerius lege die Schlacht in Arg. 6 mit Blick auf die Ilias anhand der antithetischen Gottheiten Pallas und Mars als Kampf zwischen kulturell verschiedenen Völkern an, greift jedoch zu kurz. Die Diskussion des Skythenkatalogs hat verdeutlicht, dass in diesem Kriegsnarrativ ein starker Kontrast zwischen Zentrum und Peripherie konstruiert wird. Doch im Kern handelt es sich beim erzählten Konflikt nicht um einen Kampf gegen äußere Feinde, sondern um einen Konflikt zwischen Aeetes und Perses – zwei Brüdern. Offenbar genügt die Berücksichtigung des Homer-Bezuges an unserer Stelle nicht, um die Bedeutung der Pallas bzw. des Mars in Arg. 6 vollständig erfassen zu können. Vor Valerius hatte bereits Lucan die homerische Rivalität zwischen Athene und Mars zur Illustration eines Bürgerkriegs herangezogen. Im Bellum civile wird das Umherschweifen Caesars am Schlachtfeld von Pharsalos mit dem Wüten der Bellona oder des Mars verglichen (sanguineum veluti quatiens Bellona flagellum, / Bistonas aut Mavors agitans: Lucan. 7,568f.), während auf der Gegenseite Pallas die Wagen mit ihrer Ägis antreibt (si verbere saevo / Palladia stimulet turbatos aegide currus: Lucan. 7,569f.).157
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Hom. Il. 2,445–449; 4,439–441 ~ Val. Fl. 6,173–181. Vgl. Langen 1897, 419f. zu 6,174.178; Adamietz 1976, 80f.; Schenk 1999, 198–208; Buckley 2010, 437f. So Schenk 1999, 207 f., der auch die „eher barbarischen Kultorte“ des Mars mit den von Juno und Athene vertretenen griechischen Städten (Mykene bzw. Athen) vergleicht, um den Bruderstreit von Kolchis in die Reihe von Konflikten zwischen Europa und Asien einzuordnen, welche der Weltenplan vorsieht. Zu dieser Parallele siehe Buckley 2010, 437 f.
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Wiederum problematisiert der Blick zu Lucan eine auf den ersten Blick unkomplizierte, homerische Einteilung der beiden Kriegsparteien. Im Bellum civile vergleicht Lucan den römischen Bürgerkrieg mit der Gigantomachie und mit dem Kampf zwischen Athene und Mars, sodass die Übertragung dieser Bilder auf den Bürgerkrieg von Kolchis das Potenzial hat, verunsichernde Übereinstimmungen zwischen der mythologischen und der historischen Welt zu offenbaren. Zu Beginn der Schlacht überwiegt jedoch die homerische Perspektive, da die subversiven Zwischentöne Lucans noch leise klingen und nur den aufmerksamen Rezipienten darauf hinweisen, dass in Arg. 6 die Kategorien von bellum externum und bellum civile vermischt werden. Im Sinne von Tim Stover könnte man die Homer-Bezüge in der Interpretation stark betonen und argumentieren, Valerius beziehe sich nur auf das Bellum civile, um sich der destruktiven Vision Lucans entgegenzustellen und einer Poetik des Todes und der (Selbst-)Zerstörung mit einer Poetik der Restauration und des Neuanfangs zu begegnen.158 Doch wie auch Mark Heerink festhält, wird dadurch das subversive Potenzial des Bellum civile unterschätzt: „Could one allude to and at the same time sidestep so powerful and dark a text as the Bellum Civile right after the civil wars of 68–69 ad?“159 Auch in Arg. 6 dienen die Lucan-Bezüge nicht dazu, in Abgrenzung vom Bellum civile eine optimistische Zukunftsvision zu formulieren. Die punktuellen Andeutungen am Schlachtbeginn sind nur ein Vorgeschmack auf die ganz von Lucans Vision durchdrungene AriasmenusSzene, die den ersten Schlachtenteil abschließt und das destruktive Potenzial dieses Prätextes mit voller Wucht in die Argonautica hineinbrechen lässt. Rückblick: Während die makrostrukturelle Einbindung des Bürgerkriegs in Kolchis in vielfacher Weise Vergils Krieg in Latium aufruft, erreicht Valerius auf zweifachem Weg eine Umdeutung der Geschichtsteleologie der Aeneis. Zum einen bleibt der kolchische Bürgerkrieg für beide Konfliktparteien ergebnislos und dient somit nicht dem Erreichen eines Handlungs- oder Geschichtsziels. Zum anderen füllt der Dichter die vergilische Rahmung mit nicht-vergilischen Inhalten, wobei insbesondere destabilisierende Bezüge zu Lucans Bellum civile sichtbar werden.
158 159
Vgl. Stover 2012, 1–4; Stover 2014; dagegen Heerink 2016, 512f.; Penwill 2018, 75 mit Anm. 14. Heerink 2016, 513.
128 4.5
kapitel 4
Das Ariasmenus-Gleichnis: Zeithistorisches als Vergleichsmodell für den Mythos (Val. Fl. 6,386–426)
Ariasmenus ist einer jener Anführer, die im Skythenkatalog vorgestellt werden. Die Art seiner Einführung schürt die Erwartung an eine homerische Aristie.160 Außerdem erinnert sie den Rezipienten an das Potenzial epischer Dichtung, die Taten herausragender Menschen als monumentum für die Nachwelt zu verewigen:161 te quoque venturis, ingens Ariasmene, saeclis tradiderim, molem belli lateque ferentem undique falcatos deserta per aequora currus. Val. Fl. 6,103–105
Der mit Perses verbündete Ariasmenus wird als gewaltiger (ingens) Krieger von massiger Statur (molem belli) eingeführt, der eine nicht genannte Völkerschaft befehligt, die auf Sichelwagen ( falcatos … currus) in die Schlacht zieht.162 Als er in die Schlacht eintritt, „um alle Griechen und alle Kolcher vom Schlachtfeld wegzureißen“ (omnes / Graiugenas, omnes rapturus ab agmine163 Colchos: 6,388f.), vergleicht der Dichter das Ausbreiten der Sichelwagen am Schlachtfeld mit einer von Jupiter verursachten Sintflut (6,390–393), was auf die kosmische Dimension der von Ariasmenus ausgehenden Gefahr hinweist: „Wie eine solche Flut und mit gleicher Zerstörung drängt Ariasmenus heran, unterschiedslos reißt er die Wagen herum“ (diluvio tali paribusque Ariasmenus urget / excidiis nullo rapiens discrimine currus: 6,394 f.). Der durch den Einsatz der Sichelwagen drohende Erfolg des Perses gegen die mit Aeetes verbündeten Argonauten – was die Umsetzung des Weltenplans, der explizit die Entführung Medeas vorsieht, verunmöglichen würde – wäre in der Welt der Argonautica eine mit der Sintflut vergleichbare kosmische Katastrophe, die
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Vgl. Río Torres-Murciano 2006, 207. Vgl. die Apostrophe der Hypsipyle in 2,244–246, die ihrerseits auf Vergils Nachruf auf Nisus und Euryalus (Aen. 9,446–449) rekurriert. Vgl. Baier 2001, 146 f. zu 6,103–105. Die römischen Legionen sahen sich in mehreren Kriegen gegen äußere Feinde mit Sichelwagen konfrontiert, sodass die Nennung dieser Waffengattung für ein zeitgenössisches Publikum genügen dürfte, die von Ariasmenus befehligte Heerschar als fremd und nicht-römisch zu kategorisieren. Liberman hält das überlieferte ab agmine für eine Textverderbnis. Delz konjiziert acumine (von Wijsman und Dräger akzeptiert), Baier ab aequore. Zur Verteidigung der Überlieferung siehe Wijsman 2000, 157 zu 6,38.
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129
vereitelt werden muss.164 An dieser Stelle ist der Moment gekommen, an dem Pallas „zum ersten Mal“ (tum primum: 6,396) die Ägis einsetzt, von der es etwa zweihundert Verse davor noch heißt, die Zeit sei noch nicht gekommen, „die halbtoten Haare zu zeigen und erste Kämpfe zusammenprallen zu lassen“ (nec semineces ostendere crines / tempus adhuc, primasque sinit concurrere pugnas: 6,176f.).165 Vom Medusa-Haupt in Panik versetzt, lassen sich die Pferde nicht mehr kontrollieren. Die Wagenlenker werden abgeworfen, worauf sich die herrenlos gewordenen Sichelwagen ineinander verhaken und unter den eigenen Leuten ein schreckliches Blutbad anrichten: „Da verheddert Discordia die bebenden Wagen mit geschwungenen Sicheln und zerfetzt sie“ (tunc ensibus uncis / implicat et trepidos lacerat Discordia166 currus: 6,400 f.). Diese bemerkenswerten Verse erklären die personifizierte Discordia zum movens der Handlung und stellen somit ein in kaiserzeitlicher Literatur eng mit römischen Bürgerkriegen konnotiertes Signalwort prominent heraus.167 Die hier bereits angelegte Parallele zwischen der gegenseitigen Vernichtung der skythischen Sichelwagen und dem commune nefas römischer Bürgerkriege macht das nun folgende Gleichnis – das vermutlich meistdiskutierte der flavischen Argonautica – explizit:168 Romanas veluti saevissima cum legiones Tisiphone regesque movet, quorum agmina pilis, quorum aquilis utrimque micant eademque parentes rura colunt, idem lectos ex omnibus agris miserat infelix non haec ad proelia Thybris: sic modo concordes externaque fata petentes Palladii rapuere metus, sic in sua versi funera concurrunt dominis revocantibus axes. Val. Fl. 6,402–409
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Anders Otte 1992, 132f., der die Sintflut als kosmische Entsprechung römischer Bürgerkriege betrachtet. In Hom. Il. 2,445–487 setzt Athene die Ägis ein, um die Griechen zum Kampf gegen die Feinde anzuspornen. An unserer Stelle dient die Ägis dazu, einen Krieg innerhalb der Truppe zu entfachen. Vgl. Lovatt 2017, 236. Zur Schreibweise siehe Wijsman 2000, 161 zu 6,401: „[T]he personified Discordia should preferably be spelled with a capital.“ Vgl. Dominik 2018, 281. Siehe die Interpretationen bei Otte 1992, 132–134; McGuire 1997, 58–60; Río Torres-Murciano 2006, 208–211; Buckley 2010, 440–442; Bernstein 2014, 164–166.
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kapitel 4
Ein Teil der älteren Forschung versuchte, das konkrete historische Vorbild dieses Vergleichs auszumachen.169 Wahrscheinlicher als eine Anspielung auf einen konkreten historischen Konflikt ist jedoch, dass Valerius an unserer Stelle auf keinen konkreten Konflikt anspielt, sondern programmatisch an Lucan anknüpft,170 wie wörtliche Bezugnahmen auf das Proömium des Bellum civile nahelegen.171 Auch der Einfall, die Ägis der Pallas sorge für Chaos bei den Streitwagen, scheint die Bellum civile-Stelle aufzugreifen, an der gesagt wird, dass die Wagen von der palladischen Ägis in Aufruhr versetzt werden (Palladia … turbatos aegide currus: Lucan. 7,570).172 Es handelt sich bei dem gegenseitigen Dahinmetzeln der Streitkräfte des Ariasmenus um einen paradoxen Moment, um einen Bürgerkrieg innerhalb eines Bürgerkriegs, um bella plus quam civilia. Ein Moment des gegenseitigen Mordens innerhalb der eigenen Schlachtreihen wird bereits in der Nyktomachie angedeutet, als die Brüder Castor und Pollux einander im Dunkel der Nacht begegnen und ein Brudermord in buchstäblich letzter Sekunde durch das Aufleuchten des Elmsfeuers verhindert werden kann (3,186–189).173 Die Ariasmenus-Szene ist ein Seitenstück zu dieser Szene und realisiert die dort nur angedeutete Möglichkeit eines nefas, welches die im Bürgerkrieg üblichen und zu erwartenden Schrecken und Gräuel noch überbietet. Doch die Funktion des Gleichnisses erschließt sich erst im Vergleich mit Lucans VulteiusEpisode, welche Federica Bessone treffend als „a civil war inside the civil war“174 beschreibt und die als konzeptionelles Vorbild unserer Stelle gelten muss.175
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Vorgeschlagen wurden der Bürgerkrieg zwischen Caesar und Pompeius (Langen, Strand), das Ringen um den Thron nach Neros Tod im Vierkaiserjahr (Preiswerk, Bardon) und die Revolte des obergermanischen Feldherren Antonius Saturninus im Jahre 89 n. Chr. (Syme), wobei letzterer Vorschlag erhebliche Konsequenzen für die zu veranschlagende Datierung der Argonautica hätte. Die Forschungsdiskussion ist bei Schenk 1999, 184f. Anm. 226 übersichtlich zusammengefasst. Vgl. Baier 2001, 196 zu 6,402–404: „Um diese Verse zu schreiben, brauchte VF den Bürgerkrieg nicht selbst mitzuerleben, sondern musste nur Lucan gelesen haben.“ Lucan. 1,8 (pares aquilas et pila minantia pilis) ~ Val. Fl. 6,403f. (quorum agmina pilis, quorum aquilis utrumque micant); Lucan. 1,3 (in sua victrici conversum viscera dextra) ~ Val. Fl. 6,408 f. (in sua versi / funera concurrunt). Die Bezeichnung reges statt imperatores oder duces beschreibt Thomas Baier als „Polemik im lucanischen Stil“ (Baier 2001, 196 zu 6,402–404; vgl. Río Torres-Murciano 2006, 208). Diesen Berührungspunkt zwischen den beiden Texten bemerkt bereits Langen 1897, 440 zu 6,398. Siehe auch Río Torres-Murciano 2006, 208. Vgl. Kap. 3.4. Bessone 2018, 108. Vgl. Buckley 2010, 441, die Vulteius als „Ariasmenus’ double in the Neronian text“ beschreibt.
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Im vierten Buch beschreibt Lucan die pervertierte Aristie des Caesarianers Vulteius, der mit seinem Floß in eine Falle der Kilikier gerät. Er treibt seine Männer in aussichtsloser Lage zum kollektiven Selbstmord an, um der drohenden Gefangenschaft zu entgehen. Die Szene, die beschreibt, wie sich Römer gegenseitig ermorden, bildet als mise en abyme die Poetik des Werkganzen ab und scheint für Lucan von hoher programmatischer Relevanz zu sein.176 Zur Illustration der Szene wählt Lucan einen mythologischen Doppelvergleich, der den Theben- und den Argonautenstoff verbindet: nec plura locuto viscera non unus iam dudum transigit ensis. conlaudat cunctos, sed eum cui vulnera prima debebat grato moriens interficit ictu. concurrunt alii totumque in partibus unis bellorum fecere nefas. sic semine Cadmi emicuit Dircaea cohors ceciditque suorum vulneribus, dirum Thebanis fratribus omen; Phasidos et campis insomni dente creati terrigenae missa magicis e cantibus ira cognato tantos implerunt sanguine sulcos, ipsaque inexpertis quod primum fecerat herbis expavit Medea nefas. Lucan. 4,544–556
Diesem Gleichnis wurde mit Blick auf den weiteren Verlauf der Literaturgeschichte eine beinahe ‚prophetische‘ Voraussicht zugeschrieben, da Lucan hier die zwei Mythentraditionen antizipiert, die seine Nachfolger in der epischen Gattung, Valerius Flaccus und Statius, zum Inhalt ihrer dichterischen Großprojekte machen würden.177 Die Stelle ist zur Erklärung des AriasmenusGleichnisses unmittelbar relevant, denn Valerius scheint metaliterarisch auf die Lucan-Stelle zu antworten. Lucan illustriert den Schrecken des römischen Bürgerkriegs anhand des Argonauten-Mythos, während Valerius die mythologische Erzählung vom kolchischen Bürgerkrieg mittels römischer discordia veranschaulicht.178 Diese Inversion von Handlungs- und Gleichnis-Ebene eta-
176 177 178
Vgl. McGuire 1997, 88 f.; Glaesser 2018, 41. Vgl. McGuire 1997, 89 f. Vgl. Buckley 2010, 446: „[I]f Lucan plays out the war between Caesar and Pompey as a ‘world war’ whose cause can be traced back to Argo, Valerius reverses and mirrors that strategy, writing a first ‘world war’ that already looks troublingly Roman.“
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kapitel 4
bliert die prinzipielle paradigmatische Vergleichbarkeit von mythologischer und historischer Welt und erlaubt es dem Dichter, anhand der Argonautensage bestimmte Aussagen zu treffen und Mechanismen aufzuzeigen, die sich auch auf die historische Welt beziehen lassen.179 Welche Aussagen sind dies aber? Der lokale Konflikt zwischen Aeetes und Perses wächst sich durch die Ankunft der Argonauten in Kolchis zu einem regelrechten Weltkrieg aus und verdeutlicht somit – wie die Cyzicus-Episode –, dass Kriege zwischen weit entfernten Völkern eine (von Jupiter vorhergesehene und gebilligte) Konsequenz der angestrebten Öffnung der Meere sind. Die beiden großen militärischen Konflikte in den Argonautica entsprechen somit den Zielen und dem Programm des Weltenplans, auch wenn sie zu den angestrebten translationes imperii nur indirekt beitragen.180 Das in beiden Kriegen verwendete Gigantomachie-Motiv bildet dabei einen Rückverweis auf Jupiters Aufforderung an seine Söhne in Arg. 1, sich durch Taten, die seinen eigenen Leistungen in der Gigantomachie ebenbürtig seien, einen Platz im Himmel zu verdienen (1,563–567).181 Doch die Versuche der Argonauten, auf Cyzicus und in Kolchis als epische Helden aufzutreten, ziehen stets menschliches Leid und persönliche Katastrophen nach sich. Valerius’ Bürgerkrieg in Kolchis ist anders als das strukturelle und thematische Hauptmodell, Vergils Krieg in Latium, nicht als Ereignis markiert, das dem weiteren Geschichtsverlauf eine positive Wende verleiht.182 In der Forschungsliteratur findet sich vielmehr die Einschätzung, der kolchische Bürgerkrieg sei als „Exempel der Sinnlosigkeit“ zu betrachten.183
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Beim zeitgenössischen Publikum dürfte die Kriegserzählung in Arg. 6 besonders Assoziationen mit den Unruhen an der Ostgrenze des Reiches im 1. Jhdt. n. und mit dem Bürgerkrieg nach Neros Tod geweckt haben. Vgl. McGuire 1997, 58. Anders Schenk 1999, 196 f., der versucht, eine Verbindung zwischen dem Bürgerkrieg in Kolchis und dem im Weltenplan angekündigten Machtwechsel von Asien nach Griechenland herzustellen. Zu Jupiter als hyper-epischem Vorbild der Argonauten vgl. Fucecchi 2014, 116: „Jupiter invites the most valiant men to emulate his own virtus in gaining supreme power and participate in a competition for glory.“ Vgl. Baier 1998, 321; Zissos 2005, 510: „[T]he martial activity of the second half unfolds in the context of a particularly degraded form of civil war, that, unlike Aeneas’ conflict with the Latins, is historically inconsequential, and serves as little more than a convenient expedient for inciting Medea’s destructive sexual passions.“; Heerink 2020, 198: „The civil war at Colchis is […] quite unlike the second half of the Aeneid, its main intertext, which can eventually be said to lead to something positive, i.e. the Roman empire.“ Zur ‚Sinnlosigkeit‘ des Krieges auf der Figurenebene siehe Adamietz 1976, 83; Manuwald 1999, 159; Baier 2001, 11 f.
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Die Ereignisse in der zweiten Werkhälfte der Argonautica erscheinen als direktes Resultat der Aufforderung Jupiters an seine Gattin am Beginn von Arg. 4, Venus und die Furien in Bewegung zu setzen (i, Furias Veneremque move: 4,13), um ihren Liebling Jason bei der Erfüllung seiner Ziele zu unterstützen.184 Der Göttervater zürnt wegen Junos geglückter Intrige, mit der sie Hercules von den restlichen Argonauten trennen konnte, und überlässt Juno in einem Zustand der Kränkung die epische Bühne (4,1–14).185 Die Bestimmungen des Weltenplans sind davon freilich nicht betroffen. Auch wenn Jupiter seiner Gattin erlaubt, scheinbar ohne jede Einschränkung zu walten und zu wüten, so werden ihre Taten für den weiteren Geschichtsverlauf dennoch ohne Konsequenz bleiben: Jupiter behält die feste Kontrolle über das Geschehen (rerum mihi firma potestas: 4,12). Die Interventionen von Göttinnen wie Venus, Kybele oder Juno gefährden die größeren Ziele des Weltenplans nicht. Auch in der Aeneis wird der Krieg in Latium explizit als Ereignis gekennzeichnet, das die Vollstreckung des fatum nur vorübergehend verhindert.186 In ihrem Hassmonolog charakterisiert Juno die Entfesselung des Krieges als Versuch, „Verzögerung zu schaffen und so großem Geschehen Hemmnis zu bereiten“ (trahere atque moras tantis … addere rebus: Aen. 7,315).187 Der Gedanke wird beim finalen Zweikampf zwischen Aeneas und Turnus wieder aufgegriffen, als Jupiter Juno jeden weiteren Widerstand untersagt (ulterius temptare veto: Aen. 12,806). Der Unterschied zwischen dem Bürgerkrieg in Kolchis und dem Krieg in Latium lässt sich also nicht daran festmachen, dass eines der beiden Ereignisse im Gegensatz zum anderen die Erfüllung des fatum retar-
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Jupiters Rückzug stellt den epischen Charakter des Gedichts infrage, worauf ein Rekurs auf das Incipit der Aeneis metaliterarisch hinweist: „So hilft Juno in ängstlicher Sorge ihrem Jason, dem Anführer, so verschafft sie dem Mann Waffen und Gefährten“ (sic Iuno ducem fovet anxia curis / Aesonium, sic arma viro sociosque ministrat: 4,7f.). Denis Feeneys freie Paraphrase dieser Verse bringt deren programmatische Stoßrichtung auf den Punkt: „So this is your idea of how to run an epic?“ (Feeney 1991, 324). Eine metaliterarische Deutung der Stelle unter dem Aspekt der Gattungsproblematik bietet Söllradl (im Erscheinen a). Vgl. Kap. 8.3. Vgl. Bernstein 2008, 54: „The unrestrained anger of Venus and Juno results in wide-ranging consequences such as the destruction of half of an island’s population and the prolonging of a civil war. From Jupiter’s perspective, these are minor events in the grander narrative of translatio imperii. The Argonautica thereby creates a distinction comparable to the one drawn in the Aeneid between Juno’s broad-ranging assaults on the Trojans and Jupiter’s vision in which these are but brief delays to the fulfilment of fate.“ Zu Junos Intention in Aen. 7 siehe Binder 2019, Bd. 3, 45: „Der erfolglose Kampf gegen das den Trojanern günstige Fatum weicht dem Unterfangen, die Erfüllung des Fatums durch einen an Opfern reichen Krieg hinauszuzögern.“
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diere. Diese Funktion kommt beiden Kriegen zu. Das entscheidende Distinktionsmerkmal des Bürgerkriegs in Kolchis ist jedoch seine unmittelbare Ergebnislosigkeit auf der Ebene der Figuren.188 Auch wenn der Krieg in Latium dem Streben der zürnenden Juno entspringt, den Vollzug der Schicksalssprüche hinauszuzögern, so schafft er doch Tatsachen, die das Ehebündnis von Aeneas und Lavinia, die Vereinigung von Latinern und Trojanern, die Königsherrschaft der Neugründung Alba Longa und die ewige Macht Roms unumgänglich machen.189 Dagegen führt das wilde Schlachtentreiben in Arg. 6 nur zu sinnlosem Blutvergießen, das keine der beteiligten Kriegsparteien ihrem Ziel näherbringt. Just in dem Moment, da Ariasmenus von den eigenen Sichelwagen zerrissen wird und das Wüten des Bürgerkriegs seinen vorläufigen Höhepunkt erreicht, erkennt Juno, dass die Argonauten das Goldene Vlies nicht auf diesem Weg gewinnen können. Noch während der Schlacht schmiedet sie deshalb den Plan, die Königstochter Medea einzubinden, die Jason beim Raub des Vlieses unterstützen soll (6,429–450). Der Versuch, das Vlies am Schlachtfeld als Kriegsprämie zu erstreiten, ist gescheitert. Rückblick: Valerius präsentiert den Bürgerkrieg in Kolchis als ergebnislosen, blutigen Krieg in einer mythologischen Welt, die anhand der Veranschaulichung von Mythologischem durch Zeitgeschichtliches im Ariasmenus-Gleichnis irritierend nahe an historische Realitäten herangerückt wird. Im Verlauf der Kriegsschilderung löst Valerius die Unterschiede zwischen mythologischer und historischer Welt zunehmend auf und verleiht der Episode somit umfassenden Modellcharakter als Prototyp aller folgenden Kriege.190 Von der vergilischen Idee einer im (Bürger-)Krieg erkämpften ewigen Friedenszeit unterscheidet sich Valerius’ Vision dahingehend, dass Kriegserzählungen in den Argonautica keine Voraussetzungen für einen positiven weiteren Geschichtsverlauf schaffen und nie an eine optimistische Zukunftsvision gekoppelt sind.
4.6
Ergebnisse
(1) Bei der Verhandlung mit Aeetes (aber auch an anderen Stellen wie der Sol-Rede in Arg. 1) problematisiert der Dichter den Besitzanspruch, den die Griechen auf das Goldene Vlies stellen. Der kolchische Tyrann bringt dabei
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Siehe Manuwald 1999, 159 zur Beobachtung, dass der Bürgerkrieg in Kolchis keine der beteiligten Personen ihrem Ziel näherbringt. Vgl. Aen. 12,808–828. Zum Bürgerkrieg in Kolchis als ‚Prototyp‘, der alle übrigen mythologischen und historischen Kriege präfiguriere, siehe Barnes 1981, 369; Otte 1992, 122.126f.; Buckley 2010, 445.
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überzeugende Argumente vor, die das Eindringen der Argonauten in sein Land als imperialistische Aggression erscheinen lassen. (2) Im Skythenkatalog rekurriert Valerius auf ethnographische und historiographische Klischees, um die Fremdheit der Peripherie zu unterstreichen. Durch die Betonung des einfachen Lebens und der Unverdorbenheit dieser Völker ergeben sich aber auch Parallelen zu literarischen Schilderungen des idealisierten altitalischen Lebens. Diese ambivalente Charakterisierung der feindlichen Seite entspricht der für diesen Krieg charakteristischen Überblendung von bellum externum und bellum civile.191 Der (Bürger-)Krieg von Kolchis lässt sich daher nicht ohne weiteres als Kampf der Argonauten gegen äußere Feinde beschreiben. Valerius reichert die am Rande der Welt verortete Kriegshandlung vielmehr mit Bezügen zu Vergils Krieg in Latium und Lucans Bellum civile an, wodurch sie paradoxerweise auch als Modell für römische Bürgerkriege gelesen werden kann. Besonders das Ariasmenus-Gleichnis unterstreicht den Modellcharakter der mythologischen Handlung für die historische Welt. In diesem vieldiskutierten Gleichnis erfährt Lucans Strategie, Zeitgeschichtliches anhand von Mythologischem zu illustrieren, eine bedeutsame Inversion. (3) Die Erzählung des ergebnislos bleibenden Kriegs von Kolchis, in dem die Grenze zwischen äußeren und inneren Feinden verschwimmt, enthält viele Elemente, die eine zeithistorisch perspektivierte Deutung erlauben. Die Verbindung eines imperialistischen Narrativs von Entdeckung, Eroberung und Triumph mit einem (in Auseinandersetzung mit Vergil und Lucan entwickelten) Bürgerkriegsnarrativ lässt zu, die Kriegshandlungen in Arg. 6 neben die Aufstiegserzählung der gens Flavia zu legen und auf deren Lückenhaftigkeit aufmerksam zu werden. Die Betonung des Erfolgs im Jüdischen Krieg und die weitgehende Aussparung der Kämpfe gegen die Vitellianer ist einseitig. Valerius’ Erzählung vom Krieg in Kolchis, die bellum externum und bellum internum gleichermaßen betont, kann dem zeitgenössischen Rezipienten als mythologisches Korrektiv dienen.192 191
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Vgl. Buckley 2010, 433: „crushing together different types of battle-narrative, splicing a positive exploration-conquest model with the negative epic of civil war“; Buckley 2010, 445 f.: „Valerius creates a fighting-body that is both alienating and obscure but also only too familiar within Roman civil war discourse.“; Cowan 2014, 246: „Valerius […] maintains in excruciating tension the competing models of justified conquest and compromised civil war.“ Vgl. Buckley 2010, 443: „We may suspect that the ‘foundation myth’ Valerius Flaccus provides for his new dynasty is not just a straight-forward and optimistic account […]. [I]t also contains an alternative reading that seeds civil war as the originary myth of the Flavians.“
teil 2 Politik und Dynastie
∵
kapitel 5
Herrschaft, libertas und Widerstand Die mythologische Welt der Argonautica weist viele Züge auf, die den Rezipienten gedanklich zu den Verhältnissen der frühen Kaiserzeit führen.1 Zur Beschreibung der politischen Systeme von Iolkos und Kolchis verwendet Valerius etwa in anachronistischer Weise römische Begrifflichkeiten wie populus / vulgus, patres und tyrannus. Doch auch abgesehen von solchen punktuellen Verweisen auf Zeithistorisches scheint der Dichter in der Darstellung von Macht und Herrschaft stets eine dezidiert römische Perspektive einzunehmen. In diesem Kapitel gehe ich der These nach, dass der politische Diskurs der flavischen Zeit in den Argonautica in vielfacher Weise aufgegriffen wird. Unter Auswertung hauptsächlich historiographischer Quellen werde ich zunächst anhand der Konfrontation zwischen Vespasian und dem widerständigen Senator Helvidius Priscus das Verhältnis zwischen Princeps und Senat nach 69 n. Chr. beleuchten. Wir werden sehen, dass Vespasian um ein gutes Verhältnis zur Senatsaristokratie bemüht war. Von großflächigen Strafaktionen gegen Kollaborateure des Nero-Regimes und frühere Gegner hat er abgesehen. An einer von Senatoren wie Helvidius gewünschten Erweiterung des realpolitischen Spielraums des Senats, einer Vermehrung senatorischer libertas also, war Vespasian hingegen nicht interessiert. Im Gegenteil legt die epigraphisch erhaltene lex de imperio Vespasiani2 Zeugnis über die realpolitische Marginalisierung des Senats und die Zementierung der Machtposition des Princeps ab. Die ungleiche Machtverteilung und die komplexen wechselseitigen Abhängigkeiten von Kaiser, Senat und Volk bilden den historisch-politischen Hintergrund, den ich in der Interpretation der Seesturm-Szene und des Selbstmordes der Eltern Jasons heranziehen werde.
1 Vgl. Zissos 2003, 660; Bernstein 2014, 156: „It is now generally accepted that […] the Argonautica uses traditional myth to comment on recent history.“; Cowan 2014, 232: „Few scholars would now argue that Valerius’ epic is not profoundly integrated into its historical context, engaging with contemporary political concerns.“; Stover 2020, 55. 2 CIL vi 930 = MW 1.
© Bernhard Söllradl, 2023 | doi:10.1163/9789004537187_006
140 5.1
kapitel 5
Helvidius Priscus und die libertas des Senats (Tac. hist. 4,4–11)
Kurz nach dem Sieg der flavischen Truppen unter dem Kommando des Antonius Primus gegen die Vitellianer in den Straßen Roms am 20. Dezember 69 n. Chr. kommt der Senat zusammen, um Vespasian in absentia formalrechtlich als Princeps anzuerkennen. Wie Tacitus berichtet, umfassen die Vollmachten, die Vespasian an diesem Tag zuerkannt werden, „alles, was für Principes üblich ist“ (cuncta principibus solita: Tac. hist. 4,3,3). Es ist zwar möglich, dass hiermit die Verabschiedung der noch teilweise erhaltenen lex de imperio Vespasiani gemeint ist,3 wahrscheinlicher ist aber, dass ein so wichtiges Dokument erst vom Princeps, der bis Oktober 70 n. Chr. in Ägypten blieb, persönlich abgesegnet werden musste. In diesem Fall wäre die lex de imperio wohl auf März oder April des Jahres 70 n. Chr. zu datieren.4 Sie könnte dann als direkte Reaktion auf senatorische Bestrebungen verstanden werden, den unter den julischclaudischen Kaisern zunehmend eng gewordenen Spielraum des Senats unter Vespasian wieder auszuweiten. Die Sitzung im Dezember 69 n. Chr., an der weder der neue Princeps noch sein wichtigster General Mucianus teilgenommen haben, erscheint im taciteischen Bericht als wegweisend für das weitere Verhältnis zwischen Princeps und Senat.5 Helvidius Priscus, der für eine strafrechtliche Verfolgung der Kollaborateure des Nero-Regimes eintrat und dem Senat größere Unabhängigkeit erkämpfen wollte, habe dabei „den Senat in zwei Teile gespalten“ (senatum in 3 Zur lex de imperio Vespasiani (sog. ‚Bestallungsgesetz‘), die Auskunft über die Befugnisse und die staatsrechtliche Stellung des Princeps gibt, siehe Ios. bell. Iud. 4,655; Tac. hist. 4,3,3; Pfeiffer 2009, 15–18; Levick 22017, 90. Zissos 2016, 570–572 bietet den lateinischen Text mit Übersetzung und Erläuterungen. Im Gegensatz zu Augustus, der verschiedene republikanische Amtsgewalten der Reihe nach bündelte und so seine Ausnahmeposition allmählich verfestigte, übernahm Vespasian nach den Wirren des Vierkaiserjahres alle Amtsbefugnisse (aber nicht das Ehrenamt des Pontifex Maximus) auf einmal. 4 Datierung auf Dezember 69 n. Chr.: Pfeiffer 2009, 15; Leithoff 2014, 93 Anm. 349. Unentschieden: Malitz 1985, 234. Datierung auf März oder April 70 n. Chr.: Dészpa 2016, 173f.; Zissos 2016, 570; Levick 22017, 96 f. 5 Vgl. Spielberg 2019, 141: „Tacitus’ narrative […] presents the senate at a potential crossroads, with the opportunity to establish the nature of its relationship both with the new ruler and with the institution of the principate.“ Nach Vespasians Aufstieg ringen zwei Senatsfraktionen um Einfluss: Zum einen Senatoren wie Helvidius oder Musonius, die unter Nero Repressalien zu erleiden hatten und Rache an den Denunzianten neronischer Zeit üben wollen, zum anderen mächtige und gut vernetzte Senatoren wie Eprius Marcellus und Vibius Crispus, die zu den Profiteuren des Nero-Regimes zählen und sich mit den herrschenden Machtverhältnissen gut arrangiert haben. Zu den beiden Fraktionen siehe Leithoff 2014, 95f.; Levick 22017, 91 f. Der Konflikt weist auch eine persönliche Komponente auf: Eprius Marcellus hat unter Nero die Verurteilung des Thrasea Paetus, des Schwiegervaters des Helvidus, erwirkt, die zu
herrschaft, libertas und widerstand
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studia diduxerat: Tac. hist. 4,6,1).6 Als Gegenspieler des Helvidius tritt der mächtige Senator Eprius Marcellus auf,7 ein berüchtigter Denunziant neronischer Zeit, der einen deutlich pragmatischeren Zugang an den Tag legt und davor warnt, die Fiktion einer freien res publica restituta allzu ernst zu nehmen – auch den besten Herrschern gefalle eine Einschränkung der libertas (quamvis egregiis [sc. imperatoribus] modum libertatis placere: Tac. hist. 4,8,4).8 Tacitus verbindet eine Reihe von senatspolitischen Initiativen, die den Einfluss des Senats merklich ausgedehnt hätten, mit Helvidius Priscus.9 Bei der
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dessen Selbstmord führte. Zur familiären Verbindung zwischen Helvidius Priscus und Thrasea Paetus siehe Tac. hist. 4,5,2; Leithoff 2014, 90 f. Zum Selbstmord des Thrasea Paetus siehe Tac. ann. 16,35. Zu den politischen Zielen des Helvidius Priscus siehe Malitz 1985, 233–236. Einen knappen Überblick über das politische Agieren des Helvidius Priscus nach 69 n. Chr. bietet Dészpa 2016, 171–173. Zur Rolle des Helvidius als Wortführer im Senat nach dem Tod des Vitellius siehe Malitz 1985, 244: „Tacitus hat betont, dass Helvidius für seine ersten Initiativen nach Vitellius’ Tod durchaus Unterstützung fand. […] Marcellus’ ironisches senatus tuus gegenüber Helvidius entbehrte nicht jeder Grundlage.“ Vgl. Klingenberg 2011, 145. Lydia Spielberg (2019, 149) bezeichnet Helvidius und Marcellus als „archetypical figures of resistance to, and profiteering from, imperial power.“ Zu den Umschriften res publica restituta und libertas publica bzw. restituta auf flavischen Münzen aus der Anfangszeit des vespasianischen Regimes siehe Hurlet 2016, 30f. Die Zustimmung des Senats war eine unentbehrliche ideologische Legitimationsquelle für den Princeps (siehe Klingenberg 2011, 138–140): Zu libertas, pax und consensus als zentralen Begriffen der ‚Prinzipatsideologie‘ siehe Kloft 1984, 323. Zum Spannungsverhältnis zwischen der Rhetorik von libertas bzw. res publica restituta und der faktisch absoluten Machtstellung des Princeps siehe Wirszubski 1950, 130–138. Das republikanische Ideal der libertas verliert auch für Autoren wie Tacitus oder den jüngeren Plinius, zu deren Lebzeiten der Principat längst konsolidiert war, nicht an Strahlkraft: So lobt Tacitus Kaiser Nerva am Anfang des Agricola dafür, Principat und Freiheit – ehemals unvereinbar – verbunden zu haben (Nerva Caesar res olim dissociabilis miscuerit, principatum ac libertatem: Tac. Agr. 3,1). Zum Begriff der libertas in Plinius’ Panegyricus siehe Plin. paneg. 36,4; 44,6; Spielberg 2019, 143–145. Das voraugusteische Gemeinwesen wird im Principat zunehmend verklärt: siehe Tac. Agr. 3,1; Tac. hist. 1,1,1; 1,50,3; 1,85,3; 3,72,2; 4,3,4; Tac. ann. 1,1,1.9; 4,81,2; Plin. paneg. 44,6; 55,2; Wirszubski 1950, 160 f.; Leithoff 2014, 83f.; Dészpa 2016, 166. Allgemeine Bemerkungen zu den Kontinuitäten und Brüchen zwischen Republik und Kaiserzeit bieten Christ 22004, 8; Leithoff 2014, 78; Mann 2015, 223 Anm. 15. Neben der Frage nach der Zusammensetzung der Gesandtschaft an Vespasian sind dies die Forderung, die Sanierung der Staatskasse dem Senat zu übertragen (siehe Tac. hist. 4,9,1f.; Malitz 1985, 236; Leithoff 2014, 98) – was nur durch Interzession des Volkstribunen Vulcacius Tertullinus abgewendet werden konnte –, und der Antrag, den Wiederaufbau des Kapitols (das bei den Kämpfen zwischen der flavischen Partei, angeführt unter anderem von Vespasians Bruder T. Flavius Sabinus, und den Vitellianern zerstört wurde) hauptsächlich aus öffentlichen Geldern zu finanzieren (siehe Tac. hist. 4,9,2; Leithoff 2014, 99; Laundrey 2018, 236; Spielberg 2019, 168). Alle drei Initiativen des Helvidius hätten „die Position des Senats gegenüber dem neuen Princeps zweifellos gestärkt“ (Leithoff 2014, 98).
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Frage nach der Zusammensetzung einer senatorischen Gesandtschaft an Vespasian fordert Helvidius etwa, vereidigte Magistrate mit der namentlichen Auswahl der Gesandten zu betrauen, während Marcellus das traditionelle Losverfahren befürwortet.10 Die namentliche Auswahl solle verhindern, dass die Ankläger von Männern wie Thrasea Paetus und Barea Soranus, mit denen Vespasian befreundet gewesen sei, zum neuen Kaiser geschickt würden – Marcellus solle „[den Umgang mit] Vespasian besseren Männern überlassen“ (Vespasianum melioribus relinqueret: Tac. hist. 4,7,3).11 Helvidius deutet an, der Princeps würde die Teilnehmer an der Gesandtschaft als Berater und amici principis in seinen inneren Zirkel aufnehmen (Tac. hist. 4,7,3). Dem Senat, der im Plan des Helvidius dem neuen Kaiser die Zusammensetzung seines consilium geradezu vorschreiben würde,12 käme somit beim Lenken der Staatsgeschäfte gesteigerte Bedeutung zu.13 Während Helvidius also dafür eintritt, den realpolitischen Einfluss des Senats im Sinne einer res publica restituta zu vergrößern, gibt die in oratio obliqua referierte Rede des Eprius Marcellus einen selten direkten Einblick in die tatsächlichen Machtverhältnisse im Principat:14 10 11 12 13
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Zum Streit um die Gesandtschaft siehe Leithoff 2014, 99–102; Dészpa 2016, 172. Wie Spielberg 2019, 144 bemerkt, suggeriert Helvidius dadurch, Vespasian sei grundsätzlich an einer Strafverfolgung der Nero-Kollaborateure interessiert. Vgl. Malitz 1985, 235. Vgl. Spielberg 2019, 149: „Selecting this potential kernel of the emperor’s consilium opens up latent and long-standing concerns about the relationship between senate and emperor, the possibility of combining libertas and principatus, and the rightness of vengeance on those who profited under previous regimes. […] The embassy to Vespasian, moreover, presents an unusual moment for the senate’s collective positioning.“ Vgl. Dészpa 2016, 172: „His [sc. Helvidius’] goal was the re-integration of the princeps into the senate as something like an executor of the senate’s will.“ Ähnlich Levick 22017, 97f.: „There was a specific and fundamental disagreement about the role of the senate and senators in politics and decision-making. Should the Princeps genuinely consult the senate on matters of importance, […] or get what he ‘deemed’ advantageously rubber-stamped?“ Zur Charakterisierung der Reden des Helvidius und des Marcellus siehe Spielberg 2019, 141. Die unumwundene Direktheit, mit der Eprius Marcellus an unserer Stelle die faktischen Machtverhältnisse im Principat offenlegt, werde laut Lydia Spielberg (2019, 160) besonders dann deutlich, wenn die Marcellus-Rede neben jene Senatsreden gelegt werde, die dasselbe Thema behandeln, aber die offiziellen Sprachregelungen penibel einhalten: „Comparison with several other senatorial discourses that discuss the realities of power under the Principate reveals how relatively frank Eprius is.“ Helvidius und Marcellus sind Exponenten zweier diametral entgegengesetzter Vorstellungen vom Verhältnis zwischen Princeps und Senat: „Während Helvidius für eine enge, achtungsvolle Zusammenarbeit des neuen Princeps mit den „guten“ Elementen steht, obliegt es nach Marcellus dem Senat, sich mit dem neuen Machthaber zu arrangieren“ (Leithoff 2014, 104). Ähnlich Penwill 2003, 351; Spielberg 2019, 142.
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id magis vitandum ne pervicacia quorundam inritaretur animus novo principatu suspensus et vultus quoque ac sermones omnium circumspectans. se meminisse temporum quibus natus sit, quam civitatis formam patres avique instituerint; ulteriora mirari, praesentia sequi; bonos imperatores voto expetere, qualiscumque tolerare. […] suadere etiam Prisco ne supra principem scanderet, ne Vespasianum senem triumphalem, iuvenum liberorum patrem, praeceptis coerceret. quo modo pessimis imperatoribus sine fine dominationem, ita quamvis egregiis modum libertatis placere. Tac. hist. 4,8,2.8,4
Marcellus erklärt, der Princeps regiere mit absoluter Macht und sei niemandem Rechenschaft schuldig. Die Senatoren hätten nur zwei Handlungsoptionen: trotzige Widerspenstigkeit, die sich auch ein gerechter Herrscher nicht lange gefallen lasse (quamvis egregiis [sc. imperatoribus] modum libertatis placere), oder bereitwillige Unterordnung (qualiscumque tolerare).15 Er rät seinen Senatskollegen, den Glanz der untergegangenen Republik und die mit dieser Staatsform verbundenen großen Namen wie Cato oder Brutus zu bewundern – und es dabei zu belassen. Anstatt in die Fußstapfen der republikanischen Helden zu treten, sei den Senatoren im Principat angeraten, sich den gegenwärtigen Umständen zu fügen16 – ulteriora mirari, praesentia sequi.17 Natürlich hege auch er in seinem Herzen den Wunsch nach guten Regenten, aber letzten Endes sei es notwendig, sich mit bestehenden Machtverhältnissen zu arrangieren (bonos imperatores voto expetere, qualiscumque tolerare). Aus solchen Worten spricht die bittere Überzeugung, libertas sei im Principat zur bloßen Worthülse verkommen. Schwer wiegt, dass Marcellus insinuiert, Helvidius überschreite mit seinen senatspolitischen Initiativen den ihm zugestandenen modus libertatis und untergrabe dadurch die Autorität des neuen Herrschers; er solle nicht versu15
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Vgl. Spielberg 2019, 157: „Eprius depicts a world where the senate has but two choices: antagonize the emperor or submit to him.“ Die Warnung, den Princeps mit trotzigem Beharren auf senatorischer libertas und deren eitler Zurschaustellung nicht zu verärgern, findet sich auch in Tacitus’ Agricola (Tac. Agr. 42,3). Vgl. Leithoff 2014, 103: „Zwar werden die früheren Zeiten (ulteriora) als fernes Ideal geschätzt, ihnen wird jedoch faktisch nur wenig Orientierungshilfe in der Gegenwart (praesentia) zugetraut, in der man sich mit jedwedem Princeps zu arrangieren habe.“ Zur Problematik der allzu deutlichen Verehrung der Republik und ihrer Helden siehe Klingenberg 2011, 146: „Wer überdeutlich auf die Verhältnisse der Republik rekurrierte oder Personen wie dem jüngeren Cato Reverenz zollte, setzte sich dem Verdacht umstürzlerischer Tendenzen aus.“ Zur Verklärung der Republik im Principat siehe auch unten Kap. 5.2.
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chen, sich über den Princeps zu stellen (suadere etiam Prisco, ne supra principem scanderet: Tac. hist. 4,8,4). Tatsächlich zielen alle drei Anträge, die Helvidius in der Sitzung vom Dezember 69 n. Chr. eingebracht hat (persönliche Auswahl der Gesandtschaft an Vespasian, Sanierung der Staatsfinanzen aus öffentlichen Mitteln, Wiederaufbau des Kapitols als Auftrag des Senats), auf eine Stärkung der Position des Senats und eine Beschneidung der Macht des Princeps – sie wurden allesamt abgelehnt. Auch Helvidius’ Interesse an einer strafrechtlichen Verfolgung der Kollaborateure des neronischen Regimes wurde im Senat, der nach dem Untergang Neros tief zerrüttet war,18 bei weitem nicht von allen geteilt. Die Aufdeckung und Verfolgung der senatorischen Verfehlungen unter Nero durch den Helvidius-Kreis hätte schwelende Konflikte angefacht und zur inneren Zersplitterung des Senats beigetragen. Außerdem fürchtete man, der Sturz von Männern wie Marcellus würde eine Vielzahl weiterer Verurteilungen nach sich ziehen (Tac. hist. 4,6,1). Auch Vespasian und seine Unterstützer konnten an einer strafrechtlichen Verfolgung der Nero-Kollaborateure kein Interesse haben. Denn es galt, die Herrschaft des neuen Princeps zu konsolidieren, was nur auf der Basis einer möglichst breiten Akzeptanz bei der Senatsaristokratie gelingen konnte – zu der freilich auch das kompromittierte, aber einflussreiche und gut vernetzte Personal des Vorgängers gehörte, das zur Administration des Reichs gebraucht wurde.19 Domitian ruft den Senat deshalb in einer Sitzung im Jänner 70 n. Chr. zur Eintracht auf.20 Ein Antrag des Mucianus schützt Denunzianten neroni18
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Vgl. Leithoff 2014, 77.83; Dészpa 2016, 171: „The senate at the end of 69 and the beginning of 70ce was composed of a volatile mixture of former adherents of Galba, Otho and Vitellius and of supporters of Vespasian. Senators who had a special relationship to Nero were seated next to those who had suffered under the last Julio-Claudian princeps. The Flavian factio (faction) was split between Antonius Primus and Mucianus. The situation was further aggravated by the absence of the princeps himself, who remained in Egypt until October 70.“ Vgl. Tac. hist. 3,63,3; Ash 1999, 53 f.; Leithoff 2014, 77; Stover 2016, 36; Levick 22017, 94. Zum Denunzianten M. Aquilius Regulus, der laut dem Zeugnis des jüngeren Plinius noch unter Domitian das gleiche Verhalten an den Tag gelegt habe wie unter Nero, siehe Plin. ep. 1,5 mit Zissos 2016, 12. Auch die Nero-Kollaborateure Eprius Marcellus und Vibius Crispus behielten im flavischen Regime ihre Machtstellung und ihren Einfluss (vgl. Leithoff 2014, 96; Dészpa 2016, 170). Vor diesem Hintergrund ist es umso überraschender, dass Marcellus im Jahr 79 n. Chr. (zusammen mit Caecina Alienus) an einer Verschwörung gegen Vespasian beteiligt gewesen sein und sich durch Selbstmord einer Verurteilung entzogen haben soll (vgl. Suet. Vesp. 25; Cass. Dio 65,16,3 f.; Pfeiffer 2009, 35). Vgl. Malitz 1985, 237: „Domitian […] hält eine Art Verteidigungsrede für die Delatoren.“; Spielberg 2019, 169: „Domitian and Mucianus restore order in the senate, declare an amnesty, and obliquely warn Helvidius to drop his revenge.“ Zu Domitians Weigerung, der Fraktion um Helvidius Einsicht in die commentarii principis zu gewähren, aus denen her-
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scher Zeit wie Marcellus und Crispus vor Strafverfolgung (censuit Mucianus prolixe pro accusatoribus: Tac. hist. 4,44,1).21 Gleichzeitig ergeht an die Senatsfraktion um Helvidius die Warnung, die fallen gelassenen Prozesse nicht wieder aufzunehmen.22 Das Einschreiten des Kaisersohnes und des wichtigsten Generals des neuen Princeps zeigt Wirkung, wie Tacitus trocken bemerkt: „Nachdem sie auf Widerstand gestoßen waren, ließen die Senatoren vom begonnenen Streben nach libertas ab“ (patres coeptatam libertatem, postquam obviam itum, omisere: Tac. hist. 4,44,1).23 Nachsichtig ging die flavische Partei nicht nur mit neronischen Denunzianten, sondern auch mit früheren Gegnern um. So wurden nach Mucianus’ Ankunft in Rom nur wenige Männer beseitigt, die man als ernsthafte Gefahr für die Stabilität des neuen Regimes betrachtete.24 Da solche Aufgaben stets von Mucianus, Vespasians ‚Mann fürs Grobe‘, (und später wahrscheinlich auch von Titus als praefectus praetorio)25 erledigt wurden, konnte der Kaiser selbst als civilis et clemens (Suet. Vesp. 12) auftreten: „Truly Vespasian improved on Claudius’ performance of keeping his hands clean.“26 Am Ende ihres Kapitels zu Vespasians Umgang mit oppositionellen Kräften räumt die Vespasian-Biographin Barbara Levick anerkennend ein, dass Vespasian nur in dem Ausmaß Blut vergossen habe, wie es für die Gewährleistung der Stabilität seines Regimes unbedingt notwendig gewesen sei.27
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vorgegangen wäre, welche Senatoren sich unter Nero der Mittäterschaft schuldig gemacht haben, siehe Spielberg 2019, 169: „Domitian steps in and defers the matter to the emperor’s judgement, making it clear that the senate has reached a modum libertatis.“ Vgl. Dészpa 2016, 170. Vgl. Penwill 2003, 351. Vgl. Spielberg 2019, 145: „Somewhat cynically, Tacitus shows the senate, with a few exceptions, submitting quickly to the ‘reality’ described by Eprius but continuing to valorize the ideal scenario of senatorial latitude outlined by Helvidius.“ Vgl. Tac. hist. 4,11,2 f.; Klingenberg 2011, 137 Anm. 4; Levick 22017, 90. Anders Pfeiffer 2009, 22 f. (mit Verweis auf Suet. Vesp. 9,2 und wohl missverstandenem purgavit), der das Bild einer groß angelegten Säuberungsaktion zeichnet: „Wie Augustus, so stand jedoch auch Vespasian vor dem Problem, dass nicht wenige ehemalige Gegner aus der Bürgerkriegszeit in diesem wichtigen Gremium saßen. Diese mussten nach dem Sieg über Vitellius beseitigt werden.“ Unzutreffend ist auch die Beschreibung von Vespasians Umgang mit den Kollaborateuren neronischer Zeit: „Vespasian entfernte zunächst diejenigen Senatoren, die sich in der Zeit des Nero kompromittiert hatten“ (Pfeiffer 2009, 23). Zu Titus’ rücksichtslosem Vorgehen als Prätorianerpräfekt siehe Suet. Tit. 7,1; Leithoff 2014, 145; Murison 2016, 85; Kap. 7.4. Levick 22017, 90. Vgl. Levick 22017, 104: „It was to Vespasian’s credit that there was no gratuitous violence, only what was seen to be required for the dynasty’s security.“
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Annäherungen und versöhnliche Gesten gab es hingegen in verschiedenste Richtungen. Sueton berichtet, dass Vespasian für die Verheiratung der Tochter des Vitellius, seines Widersachers im Bürgerkrieg, sorgte und auch für ihre Mitgift aufkam.28 Noch im Jahr 70 n. Chr. heiratete Domitian Domitia Longina, die Tochter des großen Generals Domitius Corbulo, der zu den Opfern Neros gehörte – er wurde 67 n. Chr. zum Selbstmord gezwungen – und sowohl mit dem Kreis um Piso als auch (entfernter) mit Barea Soranus und Thrasea Paetus in Verbindung stand. Diese Hochzeit darf daher wohl als Versuch gewertet werden, die einflussreiche Senatsfraktion um Helvidius Priscus versöhnlich zu stimmen.29 Die Quellen zeichnen von Vespasian das Bild eines Herrschers, der viel Wert auf einen respektvollen und wertschätzenden Umgang mit dem Senat legte: Nach Cassius Dio besuchte er die Senatssitzungen, sooft er konnte, und ließ sich von seinen Söhnen vertreten, wenn er nicht persönlich erscheinen konnte.30 Der Palast und die sallustinischen Gärten standen den Senatoren immer offen, wobei Vespasian auch das von Claudius eingeführte Verfahren abgeschafft hatte, die Gäste beim Empfang zu durchsuchen.31 Außerdem pflegte er auch bei Abendgesellschaften den Umgang mit Senatoren und anderen wichtigen Persönlichkeiten, wobei er seine herausgehobene Stellung durch betonte Leutseligkeit geschickt zu verschleiern verstand.32 Doch auch wenn das Machtungleichgewicht zwischen Princeps und Senat nach außen hin kaschiert wurde, legt der Text der lex de imperio Vespasiani offen, dass der Macht Vespasians realpolitisch kaum Grenzen gesetzt waren und er sich nach Belieben über die Wünsche des Senats hinwegsetzen konnte.33 Zwar liegt dem Dokument die zur ideologischen Legitimation des Principats notwendige verfassungsrechtliche Fiktion zugrunde, der Princeps habe alle seine Befugnisse vom Senat erhalten,34 aber wie fest der Principat im römischen Gemeinwesen im 1. Jhdt. n. Chr. bereits verankert war, zeigt sich schon
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Siehe Suet. Vesp. 14; Leithoff 2014, 40 f.; Levick 22017, 90. Vgl. Suet. Dom. 1,3; Leithoff 2014, 97 f. Einen anderen Aspekt betont Levick 22017, 62: „Domitian was married to Corbulo’s daughter Domitia Longina, perhaps to attract his prestige to the new dynasty.“ Vgl. Cass. Dio 65,10,5 f. Vgl. Suet. Vesp. 12; Cass. Dio 65,10,4–6. Vgl. Cass. Dio 65,10,6–11,1 mit Pfeiffer 2009, 23 f. Zur Entmachtung des Senats durch die lex de imperio siehe Zissos 2003, 676 Anm. 59; Zissos 2009, 359 f.; Levick 22017, 96. Vgl. Spielberg 2019, 160: „The lex de imperio Vespasiani […] granted the emperor virtually absolute power, but did so within the ‘constitutional’ fiction that his powers existed and were conferred by the senate’s decree.“
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daran, dass nach Neros Tod „verschiedene Prätendenten, nicht jedoch die Tatsache der Nachfolge an sich zur Disposition standen.“35 Der Beschluss der lex de imperio trägt zur weiteren Institutionalisierung des Principats bei36 und bewirkt, dass Helvidius’ Vorstellung von einem Senat, der in freier Meinungsbildung eigenmächtig politische Entscheidungen treffen kann, in der frühen Kaiserzeit schlichtweg nicht mehr zu verwirklichen war. Rückblick: Zur Konsolidierung des neuen Regimes war eine möglichst breite Unterstützung der Senatsaristokratie nötig. Vespasians Regime zeigte sich deshalb gegenüber früheren Gegnern nachsichtig und hatte kein Interesse daran, die vom Kreis um Helvidius geforderte strafrechtliche Verfolgung neronischer Kollaborateure zuzulassen. Diese konnten somit auch unter Vespasian ihren Einfluss behalten. Die senatspolitischen Initiativen des Helvidius, die auf eine Erweiterung des realpolitischen Spielraums des Senats abzielten, wurden abgeschmettert. Im taciteischen Bericht weist Eprius Marcellus den nach libertas strebenden Senatskollegen darauf hin, dass der Senat trotz der rhetorischen Fiktion einer res publica restituta nur über ein beschränktes Maß an Freiheit (modus libertatis) verfüge und sich hüten müsse, sich über den faktisch mit absoluter Macht regierenden Princeps zu erheben (supra principem scandere). Diese Beschreibung einer realpolitisch marginalisierten Position des Senats deckt sich mit den Bestimmungen der wohl im März oder April 70 n. Chr. verabschiedeten lex de imperio Vespasiani.
5.2
Vespasian und Helvidius: Ein Tyrann und ein stoischer Märtyrer für das republikanische Ideal?
Die senatspolitischen Initiativen des Helvidius signalisieren die Absicht, die zur ideologischen Legitimation des Principats fundamentale Rhetorik von der res publica libera37 realpolitisch umzusetzen und die Befugnisse der altehrwürdigen Institution des Senats nach jahrzehntelanger Marginalisierung unter 35
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Leithoff 2014, 80. Ebenso Christ 22004, 67: „Für die Mentalität und Haltung der Senatoren ist es bezeichnend, dass sie die politischen Chancen, die sich ihnen nach den Ermordungen Caligulas, Neros, Domitians und des Commodus boten, nicht zu nutzen verstanden. Die Anpassung an die gegebenen Machtverhältnisse war zur Norm geworden.“ Zur Institutionalisierung des Principats unter Vespasian siehe Schumacher 1987, 323–326; Christ 22004, 25; Leithoff 2014, 218: „Unter den Flaviern [wird] die Rolle des Senats unter dem Princeps zementiert.“; Dészpa 2016, 174: „In citing imperial precedents – similar accumulations of powers accrued by Augustus, Tiberius and Claudius are repeatedly referred to – the Lex is in effect creating (or, perhaps better, formalizing) a tradition.“ Siehe oben Anm. 8.
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kapitel 5
julisch-claudischen Principes wieder deutlich auszudehnen – ein Versuch, der nach der Zementierung der machtpolitischen Ausnahmestellung des Princeps durch die lex de imperio Vespasiani von vornherein zum Scheitern verurteilt war.38 Trotzdem konnte das Beharren auf libertas – etwa im Sinne von uneingeschränkter Redefreiheit bei Senatsdebatten – den Princeps durchaus in Bedrängnis bringen.39 Die Rede von der res publica restituta und der senatorischen libertas mag die machtpolitischen Realitäten nicht widerspiegeln – sie bindet den Kaiser aber an bestimmte Verhaltensnormen und zwingt ihm trotz seiner Ausnahmestellung ein „durch die republikanische Tradition legitimiertes Korsett politischen Handelns“ auf.40 Senatorische Provokationen konnten, wenn sie entsprechende Reaktionen notwendig machten, das fragile Konstrukt des consensus zwischen Herrscher und Senat leicht als bloße Rhetorik enthüllen und den Princeps zwingen, sich als Gewaltherrscher und Tyrannen zu entlarven.41 Daher konnte Vespasian Helvidius nicht ohne weiteres von den Senatssitzungen ausschließen oder gar dessen Ermordung anordnen – zumal in den Anfangsjahren seines Principats, als zur Konsolidierung der Herrschaft breiter Rückhalt im Senat notwendig war.42 38 39
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So auch die Einschätzung von Barbara Levick: „[T]he cause of the senate stood no chance“ (Levick 22017, 92). Vgl. Spielberg 2019, 150: „Helvidius’s storied obstinacy, however, consists in acting out without compromise the public transcript of senatorial autonomy in a libera res publica. […] [H]e attempts to compel the emperor either to fulfil the fiction of a civilis princeps in a libera res publica or to expose himself as a tyrant.“ Aufschlussreich ist auch der Vergleich mit Plinius: „Pliny presents the senate with a pleasing image of itself as a dignified, respected body of upright, frank statesmen; Helvidius makes his proposal an opportunity for his audience to acquire such a self-image“ (Spielberg 2019, 176). Pfeiffer 2009, 36 f. Vgl. Kloft 1984, 311: „Der Prinzipat gewinnt seine ideologische Form dadurch, dass die Bürger ihre Vorstellungen und Erwartungen von Herrschaft an den Prinzipat herantragen. […] Diese Rücksichtnahme auf die Interessen der Betroffenen, die man nicht auf das Materielle allein verkürzen darf, ist für den Prinzipat nicht beiläufig. Auch er steht unter dem Postulat, die Herrschaft an die freiwillige Zustimmung der Untertanen zu binden, so wie es die politische Theorie forderte.“ Zur Ausschaltung von Gegnern und Rivalen durch den Princeps bemerkt Andreas Klingenberg (2011, 144): „Generell aber war ein solches Vorgehen problematisch. Zu deutlich trat hierdurch die Dominanz des Kaisers hervor. Wenn keine klaren Regeln mehr erkennbar waren, musste das zu einer großen Unsicherheit bei vielen Senatoren führen. Daraus ergaben sich unter Umständen mehr Probleme für den Kaiser als nur das Stigma des Tyrannen, wie die ernsthaften Befürchtungen des Augustus nach der Verkleinerung des Senats bei der ersten lectio senatus nahelegen.“ Vgl. Malitz 1985, 241; Leithoff 2014, 106. Der fiktive Dialog zwischen Vespasian und Helvidius in Arr. Epict. diss. 1,2,19–22 illustriert in unnachahmlich einprägsamer Weise die innenpolitischen Spielregeln, an die sowohl Kaiser als auch Senatoren gebunden sind. Während Helvidius bei Epiktet auf sein
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Freilich unterlag nicht nur der Spielraum des Kaisers, sondern auch (und besonders) jener der Senatoren bestimmten Einschränkungen. Obwohl die Werte der idealisierten Republik nach außen hin propagiert wurden, endete das den Senatoren zugestandene Maß an libertas in der frühen Kaiserzeit dort, wo die Machtsphäre des Princeps begann.43 Dieser Zustand, den Tacitus in spürbarer Verbitterung als simulacrum bzw. imago libertatis bezeichnet,44 macht Regimekritik gefährlich, weshalb der mit Helvidius befreundete Senator Musonius zur Zurückhaltung mahnt: „Man soll nicht immer und überall und zu jedem sagen, was man denkt“ (οὐ γὰρ ἀεὶ καὶ πανταχοῦ καὶ πρὸς ὁντινοῦν λεκτέον ἃ φρονοῦμεν: Muson. fr. 9 Lutz).45 Wer sich – wie Helvidius – nicht an dieses Gebot hielt und dem Kaiser öffentlich die Stirn bot, konnte sich leicht den Vorwurf zuziehen, den modus libertatis zu überschreiten und sich über den Princeps erheben zu wollen (supra principem scandere) – ein gefährliches Spiel mit hohem Einsatz. Aufgrund der fragmentarischen Quellenlage ist keine exakte Rekonstruktion der Ereignisse möglich, die zur Verbannung und Hinrichtung des widerständigen Senators geführt haben. Eine Zusammenschau der Überlieferung lässt aber immerhin erahnen, welche Grenzüberschreitungen des Senators – neben den in Kap. 5.1 besprochenen senatspolitischen Initiativen – den Princeps zum Handeln gezwungen haben. Als Helvidius im Jahr 70 n. Chr. die Prätur bekleidete, weigerte er sich, seinen Edikten die üblichen Ehrenbekundungen für den Princeps beizugeben. In der persönlichen Anrede verwendete er nie Vespasians Kaisernamen, sondern sprach den gewesenen Senator stets mit dessen Privatnamen an.46 Da Vespasian an einem Ausgleich mit dem Senat gelegen war, ließ er sich solche Freimü-
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Recht besteht, an Senatsdebatten teilzunehmen und öffentlich seine Meinung kundzutun, wählte Helvidius’ Schwiegervater Thrasea Paetus eine andere Form des Protests, wenn er – sehr zum Missfallen Neros – ab dem Jahr 59 n. Chr. den Senatssitzungen fernblieb, um seinen Unmut über Neros Gewaltherrschaft zu bekunden (vgl. Levick 22017, 98). Vgl. Klingenberg 2011, 146: „Allgemein zeigt sich die Grenze der libertas senatoria, der Freiheit und Sicherheit der Senatoren: Sie fand dort ein Ende, wo eine Gefahr für die Stellung des Kaisers aufschien.“ Vgl. Tac. ann. 1,77,3 (… qui [sc. Tiberius] ea simulacra libertatis senatui praebebat); Tac. ann. 1,81,2 (speciosa verbis, re inania aut subdola, quantoque maiore libertatis imagine tegebantur, tanto eruptura ad infensius servitium); Tac. ann. 3,60,1 (Sed Tiberius, vim principatus sibi firmans, imaginem antiquitatis senatui praebebat). Zu diesem Musonius-Fragment siehe Penwill 2003, 355 Anm. 31. Vgl. Spielberg 2019, 179. Vgl. Suet. Vesp. 15; Cass. Dio 65,12,1; Penwill 2003, 351 mit Anm. 17: „‘Caesar’ as a family name cannot belong to Vespasian; but not to use it denies any right to the office other than superior military force. It also problematises Vespasian’s own plans for the succession.“; Pfeiffer 2009, 34; Leithoff 2014, 106 f.; Levick 22017, 97.
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tigkeit wohl eine Zeit lang gefallen.47 Laut Sueton ordnete er die Verbannung des Helvidius erst an, als er von diesem „im Zuge außergewöhnlicher Wortgefechte geradezu herabgewürdigt wurde“ (altercationibus insolentissimis paene in ordinem redactus: Suet. Vesp. 15). Das Zeugnis des Cassius Dio lässt erahnen, worum es bei diesen „Wortgefechten“ gegangen sein könnte: Ein Aufeinandertreffen der beiden Männer soll so eskaliert sein, dass die Volkstribunen zum Schutz des Princeps einschreiten mussten und Helvidius verhafteten. Nach diesem Vorfall soll der Kaiser den Senat unter Tränen verlassen und dabei ausgerufen haben, dass ihm „entweder sein Sohn oder niemand“ nachfolgen werde.48 Dieser Ausruf wird erst unter der Annahme verständlich, dass Helvidius im Senat die heikle Frage der Thronfolge thematisiert und sich dabei für die Adoption eines ‚Besten‘ ausgesprochen hat, also gegen die von Vespasian intendierte Einrichtung eines dynastischen Systems eingetreten ist.49 Es handelt sich dabei um den Versuch, in einer Schlüsselfrage Entscheidungshoheit für den Senat zu beanspruchen und die Macht des Princeps zu beschneiden: Wenn der Kaiser das Gesicht wahren wollte, musste er handeln.50 Mit der relegatio wählte Vespasian eine vergleichsweise milde Form der Bestrafung.51 Helvidius dürfte seinen Widerstand aber im Exil fortgesetzt haben, bis an einem unbekannten Datum der Befehl zu seiner Hinrichtung erging.52 Aufgrund der oben beschriebenen Eigenschaften der politischen Kultur im Principat ist schwer vorstellbar, dass der Kaiser diesen Befehl leichtfertig erteilt hätte.53 In den post-flavischen Quellen verfestigt sich das Bild von Helvidius als entschlossenem Kämpfer für das republikanische Ideal. Sueton überliefert, es sei
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Vgl. Pfeiffer 2009, 35. Vgl. Cass. Dio 65,12,1; Levick 22017, 97. Zu Vespasians Nachfolgepolitik siehe Kap. 7.1. Vgl. Malitz 1985, 239. Leithoff 2014, 108 f. erwägt, dass in der nur im Auszug des Xiphilinos erhaltenen Darstellung zwei zeitlich getrennte Ereignisse (Schmähung des Kaisers durch Helvidius mit Einschreiten der Tribune während der Prätur; Positionierung gegen die Nachfolgewünsche des Princeps zu einem späteren Zeitpunkt) verschmolzen wurden. Auch wenn diese Vermutung zutreffend sein sollte, geht aus der Stelle trotzdem hervor, dass der Princeps das entschiedene Eintreten des Senators für eine Adoptionsmonarchie als schwere Provokation empfunden hat. Weitere mögliche Gründe für die Verbannung listet Mann 2015, 218 auf; auch er betrachtet die Kontroverse um die Thronfolge als wahrscheinlichsten Grund. Zur relegatio als Minimalform der Bestrafung für unliebsame politische Gegner siehe Levick 22017, 99. Zur Verbannung und Hinrichtung des Helvidius siehe Suet. Vesp. 15 mit Penwill 2003, 348; Mann 2015, 216 Anm. 1: „Suetonius’s construction of the episode looks like a literary fiction designed to exculpate the emperor.“ Zur Notwendigkeit für den Princeps, ein gutes Verhältnis zum Senat aufrechtzuerhalten, siehe Kloft 1984, 306; Klingenberg 2011, 149.
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als Reaktion auf Vespasians dynastische Pläne zu „ständigen Verschwörungen gegen dessen Person“ (assiduas in se coniurationes: Vesp. 25) gekommen, womit durchaus die Aktivitäten des Helvidius und seiner Mitstreiter gemeint sein könnten. Cassius Dio schreibt, Helvidius habe ständig Kritik am als βασιλεία („Königsherrschaft“) bezeichneten Principat geübt und sei in umstürzlerischer Weise für δημοκρατία („Demokratie“) eingetreten.54 In einem Scholion zu Iuv. 5,36 findet sich die Notiz, Helvidius habe Vespasian mit seinem Freiheitsstreben so zugesetzt, dass der Princeps glaubte, der frühere Zustand der libertas werde wieder eingeführt (hic postea Vespasianum ita studio libertatis offendit, ut putaret […] pristinum libertatis statum revocari).55 Helvidius erscheint in diesen Quellen als unermüdlicher Verfechter republikanischer Werte, der auch vor verschwörerischem Agieren nicht zurückschreckt, um die Republik wiederherzustellen. Doch die Stilisierung des Helvidius zum mutigen Kämpfer gegen Tyrannenherrschaft erscheint überzeichnet, wenn wir uns vor Augen führen, dass sich Vespasian von römischen Tyrannen wie Nero offenbar gründlich unterschieden hat – sogar der sonst oft düstere Tacitus findet lobende Worte für ihn.56 Ist gegen so einen Kaiser wirklich erbitterter Widerstand notwendig?57 Der taciteische Bericht, unsere ausführlichste Quelle zu Helvidius, zeichnet ein anderes Bild.58 Die stoische Gesinnung und der Einsatz für republikanische Werte ringt dem Historiker Lob ab; Tacitus insinuiert aber auch eine gewisse Geltungs- und Ruhmsucht.59 Zu einem Grad verfolge Helvidius mit seinem Auftreten im Senat das Ziel, sich öffentlich als mutiger Kämpfer für das republikanische Ideal zu inszenieren – eine Rolle, die er in Anbetracht der bekannten moderatio Vespasians wohl auch eine Zeit lang einigermaßen gefahrlos spielen konnte. Inwieweit Helvidius den Principat aus ideologischen Gründen abgelehnt hat, lässt sich kaum ermitteln.60 Der Bericht des Tacitus 54 55 56 57 58
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Vgl. Cass. Dio 65,12,2. Zu Helvidius’ vermeintlichem Eintreten für ‚Demokratie‘ siehe Penwill 2003, 346. Zum Juvenal-Scholion siehe Malitz 1985, 243 Anm. 78; Leithoff 2014, 107f. Vgl. Tac. hist. 1,50,4; Malitz 1985, 239; Spielberg 2019, 155. Zur Schwierigkeit, Helvidius’ Konflikt mit Vespasian in die Tyrannentopik einzubinden, siehe Leithoff 2014, 88 f. Eine kritische Einschätzung der posthumen Verklärung des Helvidius bietet Penwill 2003, 348: „As Thrasea was to Nero, so Helvidius is to Vespasian: another morally uplifting example of a philosopher courageously confronting a tyrant. So Epictet will represent it – but Tacitus’ narrative does not encourage such facile construction.“ Zum ambivalenten Bild, das Tacitus von Helvidius Priscus entwirft, siehe Tac. hist. 4,5,1– 4,6,1; Leithoff 2014, 111; Mann 2015, 222; Dészpa 2016, 171. Siehe Pfeiffer 2009, 36: „[Es] ging Helvidius keinesfalls darum […], die alte Republik wiederherzustellen. Er bezweifelt nicht die Allgewalt des Kaisers, sondern verlangt lediglich
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legt jedenfalls nahe, dass er eine bestimmte, an das exemplum des Thrasea Paetus angelehnte Form der Selbstprofilierung angestrebt hat.61 Diese ist in fiktionalisierter Form auch am Ende des ersten Buches der Argonautica wiederzufinden: die bewusste Inszenierung des eigenen Widerstandes gegen tyrannische Gewalt als Form eines Märtyrertums, das im (halb-)öffentlichen Selbstmord seine extremste Ausprägung findet.62 Dass Helvidius das exemplum des Schwiegervaters als Ideal erscheinen konnte, wird vor dem Hintergrund der immensen Verehrung verständlich, mit der die Opfer des neronischen Regimes, die „langjährige Verbannungen, gewaltsame Ermordungen und erzwungene Selbsttötungen“63 erlitten hatten, bedacht wurden. Zum Gedenken an die Schicksale der ‚neronischen Märtyrer‘ bildete sich eine eigene literarische Gattung heraus, die als exitus illustrium virorum-Literatur bekannt ist und beim zeitgenössischen Publikum auf „ausgesprochen positive Resonanz“ stieß.64 Bekannte Beispiele sind die exitus
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von ihm, dass er sich der rechtlich vorgegebenen Instrumentarien bedient und sich deshalb auch die Kritik des Senators gefallen lässt.“ Dagegen wäre einzuwenden, dass die senatspolitischen Initiativen des Helvidius durchaus auf eine Beschneidung der „Allgewalt“ des Princeps abzielten und dem Senat bestimmte Befugnisse – etwa bezüglich der Sanierung der Staatskasse und des Wiederaufbaus des Kapitols – zurückgegeben hätten. Zur Frage, inwiefern Helvidius’ politisches Agieren von seiner stoischen Prägung geleitet wurde, siehe Malitz 1985, 233; Levick 22017, 99. Zur Kritik an der (anachronistischen) Bezeichnung von Thrasea Paetus oder Helvidius Priscus als ‚stoische Oppositionelle‘ siehe (gegen Raaflaub 1987, 24) Mann 2015, 217 Anm. 2; Rebeggiani 2018, 53f. Gegen den Gedanken einer ‚stoischen Senatsopposition‘ wendet sich bereits Wirszubski 1950, 138. Zu diesem Aspekt des politischen Agierens des Helvidius siehe Leithoff 2014, 92, die argumentiert, dass Helvidius am Vorbild seines Schwiegervaters gemessen wurde und auch gemessen werden wollte. In Tac. Agr. 2,1 und Suet. Dom. 10,3 (mit Power 2014, 80) werden Thrasea und Helvidius in einem Atemzug als Verfechter des republikanischen Ideals genannt. Offen bleibt die Frage, ob Helvidius tatsächlich dazu entschlossen war, für seine Sache in den Tod zu gehen (so die – wohl zu extreme – Einschätzung von Penwill 2003, 353: „Helvidius fails in his attempt to avenge Thrasea’s death, so he will reveal the hypocrisy of the regime by recreating it instead.“) – oder ob er der Ansicht war, der um einen Ausgleich mit dem Senat bemühte Vespasian werde seine Provokationen in gütiger Milde ertragen und vielleicht sogar der einen oder anderen Forderung nachgeben. Die auf diesem Wege verdiente Anerkennung wäre dann freilich nicht mit der gloria eines Thrasea zu vergleichen, der wissen musste, dass er sich mit dem Widerstand gegen Nero in äußerste Lebensgefahr begab. Die letzten Jahre des julisch-claudischen und die ersten Jahre des flavischen Regimes sind in dieser Hinsicht kaum vergleichbar. Siehe unten Kap. 5.5. Lindl 2020, 362. Lindl 2020, 362. Zur Popularität der exitus-Literatur siehe Sailor 2008, 22 Anm. 50; Power 2014, 81; Rebeggiani 2018, 65.
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occisorum aut relegatorum a Nerone von Gaius Fannius, die exitus illustrium virorum des Titinius Capito, die Biographie von Thrasea Paetus aus der Feder des Arulenus Rusticus, die Biographie des Helvidius Priscus von Herennius Senecio; außerdem die von Atedius Melior in Auftrag gegebenen Gedichte zu Ehren seines Mentors Blaesus, der unter Vitellius ermordet wurde.65 Es ist anzunehmen, dass diese und weitere Werke der exitus-Literatur die Selbstmordszenen der Nero-Opfer in den Annales des Tacitus direkt beeinflusst haben: Neben dem wiederholten Einsatz bestimmter Topoi und wiederholten Bezugnahmen auf Sokrates bzw. Cato Uticensis sticht das hohe Maß an ritualisierter Theatralik ins Auge:66 Fast immer erscheint der Herrscher als derjenige, der für den erzwungenen Selbstmord seines schuldlosen Opfers direkt verantwortlich ist; fast immer ist der theatralisch inszenierte Suizid auf die größtmögliche Außenwirkung hin berechnet.67 Im Agricola warnt Tacitus seine senatorische Leserschaft davor, den in der exitus-Literatur verewigten Männern nachzueifern. sciant, quibus moris est inlicita mirari, posse etiam sub malis principibus magnos viros esse, obsequiumque ac modestiam, si industria ac vigor adsint, eo laudis excedere, quo plerique per abrupta, sed in nullum rei publicae usum ambitiosa morte inclaruerunt. Tac. Agr. 42,4
Die Warnung, „Verbotenes zu bewundern“ (inlicita mirari) lässt an die Rede des Eprius Marcellus denken, der für senatorisches Agieren im Principat die Maxime ulteriora mirari, praesentia sequi (Tac. hist. 4,8,2) ausgibt. „Verbote-
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Vgl. Tac. Agr. 2,1 (Arulenus Rusticus und Herennius Senecio); Plin. ep. 5,5,3 (Gaius Fannius); Plin. ep. 8,12,4 (Titinius Capito); Suet. Dom. 10,3 mit Power 2014, 80 (Arulenus Rusticus und Herennius Senecio); Stat. silv. 2,1,189–207 (Atedius Melior); Mart. 8,38 (Atedius Melior); Cass. Dio 67,31,2 (Arulenus Rusticus und Herennius Senecio); Power 2014, 80–82; Rebeggiani 2018, 65; Lindl 2020, 362 Anm. 389. Vgl. Woodman 1993, 118 (der von einer „role-playing performance“ spricht); Mann 2015, 220: „We should here also recall that Cato is reported to have read the Phaedo on the night before his suicide. And Tacitus composes the scene of Paetus’s suicide in obvious imitation of his own earlier depiction of Seneca’s.“; Lindl 2020, 330.374f. Zum Phänomen des senatorisch-stoischen Selbstmordes in der frühen Kaiserzeit siehe Tac. ann. 11,3 (Asiaticus); ann. 15,61–64 (Seneca); ann. 16,16,18f. (Petron); ann. 16,33–35 (Thrasea Paetus); Preiswerk 1934, 439 f.; McGuire 1989, 21–28 (hier 24): „Suicide gained a certain esteem in the first century ad, and a certain notoriety as well, thanks to both the philosophical debates of the day and the suicide of numerous prominent Romans.“; Müller 2003, 182; Lindl 2020, 363.
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nes“ – schließt das auch die allzu große Bewunderung für republikanische Verhältnisse und die allzu begeisterte Lektüre der Biographien von Männern wie Thrasea und Helvidius mit ein, die posthum zu Opfern tyrannischer Gewalt stilisiert wurden? Es mag Berühmtheit erlangen, wer den inneren Widerstand mit einem „theatralischen Selbstmord“ (ambitiosa morte) zur Schau stellt – aber diese Art von Ruhm hat keinerlei Nutzen für das Gemeinwesen. Mehr könne erreichen, wer sich in unauffälligem Gehorsam (obsequium ac modestiam) mit den Machtverhältnissen arrangiere und Fleiß und Tatkraft (industria ac vigor) an den Tag lege. Die Provokation der Mächtigen und der tapfere Heldentod des Regimegegners mögen, so urteilt Tacitus, dem Ruhm des Einzelnen dienlich sein; für diejenigen, die am Leben bleiben, ist derartiges von zweifelhaftem Wert.68 Diese im Agricola formulierte Position lässt sich mit jener des Eprius Marcellus in den Historien verbinden: Dieser ruft ebenfalls dazu auf, republikanische Tagträumereien sein zu lassen und sich mit den bestehenden Machtverhältnissen zu arrangieren. Freilich verfolgt Marcellus damit seine eigenen Interessen, während Tacitus im früheren Werk, dem Agricola, eine maßvolle Kooperation zwischen Princeps und Senat vorschwebt, welche dem Wohl der Gemeinschaft dienen soll.69 Vielleicht spricht aus der zynischen Rede des Marcellus in den Historien die allmählich gewachsene Desillusion des Historikers. Die Überschneidungen zwischen den beiden Stellen belegen aber auch, wie tief die Machtverhältnisse des Principats und die damit einhergehenden Rollenbilder im politischen Denken der frühen Kaiserzeit verankert waren. Rückblick: Die rhetorische Fiktion der res publica restituta zwingt sowohl den Princeps als auch die Senatoren zum Einhalten bestimmter Spielregeln. Während die Idealisierung der Republik und ihrer Institutionen durchaus im 68
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In eine ähnliche Richtung zielt Mart. 1,8. Zu Tacitus’ ambivalenter Beurteilung von Männern wie Thrasea Paetus und Helvidius Priscus siehe – neben Spielberg 2019, 177f. – John Penwill’s (2003, 352 f.; 360–364) hervorragende Analyse, der ich mich nur in dem Punkt, Helvidius habe von vornherein das Ziel verfolgt, nach Thraseas Vorbild den Märtyrertod zu sterben, nicht anschließe. Helvidius hat die in der exitus-Literatur verewigten exempla (besonders jenes des Schwiegervaters) sicherlich bewundert. Helvidius dürfte aber erwartet haben, der für seine moderatio bekannte Vespasian würde im Umgang mit politischen Gegnern nicht annähernd eine mit neronischer Kompromisslosigkeit vergleichbare Härte an den Tag legen. Die provokante Nachahmung des Thrasea Paetus konnte von Helvidius daher als Möglichkeit angesehen worden sein, sich mit dem Nimbus des republikanischen Widerstandskämpfers zu schmücken, ohne dabei allzu großes Risiko einzugehen. Sollte diese Einschätzung zutreffen, hätte Helvidius die Enge des senatorischen modus libertatis unter Vespasian auf lebensgefährliche Weise unterschätzt. Ich danke Andreas Heil für diesen Hinweis.
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Sinn der offiziellen Propaganda sein kann, ergeben sich dann Schwierigkeiten, wenn Senatoren wie Helvidius beginnen, die rhetorische Fiktion wörtlich zu nehmen. Denn die Machtverhältnisse im Principat gestatten den Senatoren faktisch nur in äußerst beschränktem Ausmaß (Rede-)Freiheit. Helvidius geht bewusst über dieses Maß hinaus, wenn er den Kaiser stets mit dessen Privatnamen anspricht, in prätorianischen Edikten auf kaiserliche Ehrenbekundungen verzichtet und Vespasian in der Frage der Nachfolgeregelung den Willen des Senats aufzwingen will. Wie die posthumen Quellen zeigen, wird Helvidius nach seiner Hinrichtung zum furchtlosen Kämpfer für republikanische Ideale stilisiert, der sich einem tyrannisch agierenden Kaiser widersetzt habe. Eine solche Beschreibung verschleiert jedoch, dass Vespasian kaum als Gewaltherrscher beschrieben werden kann und Helvidius stets auch das persönliche Vorankommen und die Inszenierung der eigenen Person nach dem Vorbild des Schwiegervaters Thrasea Paetus im Blick hatte. Seine Verbannung und Hinrichtung waren die (erwartbare) Folge einer ganzen Reihe von Grenzüberschreitungen, die der autokratisch regierende Princeps nicht tolerieren konnte. Während ‚stoische Märtyrer‘ wie Thrasea Paetus und Helvidius Priscus in bestimmten Kreisen zum exemplum avancieren und als todesmutige Kämpfer für das republikanische Ideal verehrt werden, kritisiert Tacitus die mit diesen Männern assoziierte Form des Widerstands, die in der sog. exitus-Literatur verewigt und verklärt werden. Ein auf Außenwirkung berechnetes, theatralisches Sterben verschaffe der Einzelperson posthume Anerkennung, während das Gemeinwesen von der unauffälligen Arbeit jener Senatoren profitiere, die sich mit den machtpolitischen Realitäten arrangieren und leisten, was im eng gesteckten Rahmen ihrer Möglichkeiten möglich ist.
5.3
Der Principat als Folie für politische Verhältnisse in den Argonautica
Bevor ich den Versuch unternehme, bei der Interpretation längerer narrativer Sequenzen die zeitgenössischen politischen Realitäten einzubeziehen, möchte ich zeigen, dass die Machtverhältnisse des Principats nicht nur an Einzelstellen referenziert werden, sondern die politische Welt der Argonautica insgesamt grundieren. In anderen Worten: Wenn Valerius politische Macht thematisiert, erfolgt dies stets aus der Perspektive eines Römers der frühen Kaiserzeit. Valerius wählt zur Beschreibung gesellschaftlicher Organisationsformen wiederholt anachronistische termini technici des politischen Diskurses der frü-
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hen Kaiserzeit.70 Die Gesellschaft Thessaliens ist in populus/vulgus, tyrannus (Pelias) und patres („Senatoren“) untergliedert (1,71–73.759–761).71 Dieselben politischen Organisationselemente (vulgus, tyrannus [Aeetes], patres) werden auch in der Darlegung der kolchischen Vorgeschichte innerhalb weniger Verse zusammen genannt (5,264–271): An einer von Absyrtus angeführten kolchischen Prozession zum Sol-Tempel im Vorfeld der Unterredung zwischen Jason und Aeetes nehmen auch die kolchischen patres teil, von denen es heißt, dass sie aufgrund ihrer Ehrenstellung ausgewählt werden (legit honore patres: 5,464). legere ist der korrekte Terminus für die Aufnahme in den römischen Senat (vgl. lectio senatus);72 honor bezeichnet allgemein eine gesellschaftliche Ehrenstellung oder ganz konkret die Bekleidung eines öffentlichen Amtes.73 Als Absyrtus in Arg. 8 die Verfolgung der Argonauten aufnimmt, beruft er sich auf die Unterstützung durch das „Volk“ und die „Senatoren“ (quin omnes alii pariter populique patresque / mecum adsunt: 8,281 f.). Peter Davis erkennt hier eine Anspielung auf Vergils Beschreibung vom Eintritt des Augustus in die Schlacht von Actium, bei der „die Senatoren und das Volk“ (cum patribus populoque: Verg. Aen. 8,679) auf der Seite des späteren Kaisers gestanden seien.74 Politisches Handeln wird also offenbar auch in den Argonautica durch die Zustimmung des Volkes und des Senats legitimiert – der consensusGedanke. Das Volk (populus, vulgus) wird im Gedicht des Valerius als unberechenbare Größe dargestellt: Sowohl in Thessalien als auch in Kolchis erscheint es als beeinflussbare und wankelmütige Masse, die offenbar leicht für verschiedene politische Zwecke mobilisiert werden kann.75 Valerius greift damit einen 70
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Andrew Zissos bemerkt deshalb, die Argonautica suggerierten die „inevitability of the new Roman political order“ (Zissos 2009, 361). Anders Davis 2015, 160: „Colchis, equipped with senate and people, has an apparently republican constitution. But it also has a tyrannus (5,264), a tyrant who actually wields the power, a tyrant who treats the senate with contempt.“ Vgl. Langen 1896, 29 zu 1,72: „patres recte intelleguntur nobiles, quasi senatores: notum est Vergilium instituta sui temporis transtulisse ad tempora heroica. […] Exemplum Vergilii etiam alii poetae secuti sunt.“; Zissos 2003, 671f.; Zissos 2009, 356f.: „[T]he use of the term patres in this mythological context invests the scene with an unmistakably Roman flavor.“; Davis 2015, 159–161 (hier 159): „Valerius uses language that suggests that parallels exist between the ways in which politics operate in mythic Colchis and contemporary Rome.“; Buckley 2018b, 90 f. Vgl. OLD s.v. legere 6c; Wijsman 1996, 222 zu 5,464; Davis 2015, 160; Buckley 2018b, 99 Anm. 39. Vgl. OLD s. v. honor 6; Davis 2015, 160. Vgl. Davis 2015, 160. Vgl. 1,71 (populum levem); 1,760 (mutabile vulgus); 5,270 (vulgi levitate); Otte 1992, 122; Davis 2016, 160.
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spätestens seit Cicero gängigen rhetorischen Topos auf:76 „[A]s Rome has a populus, so Colchis has a vulgus, a term commonly used to designate the Roman people at their most inconstant.“77 Um diese Masse beherrschen zu können, bedarf es in der Welt der Argonautica der starken Hand des Alleinherrschers, der natürlich auch das Heer kontrolliert. Dass die Tyrannenherrschaft des Pelias und des Aeetes auf militärischer Stärke beruht, wird in den Argonautica aber stets nur impliziert78 – ganz so, als sähe sich der Dichter gezwungen, auch in seiner mythologischen Erzählung die im Principat geltende Sprachregelung zu befolgen, dass die Principatsherrschaft durch die freiwillige Zustimmung des Senats legitimiert werde. Offenbar gibt es auch in der mythologischen Welt arcana imperii, deren Enthüllung durch den epischen Dichter einem subversiven Akt gleichkäme.79 Die Machthaber an der Spitze jener politischen Systeme, die durch punktuelle Anachronismen zum römischen Principat in Relation gesetzt werden, sind in den Argonautica in der Regel rücksichtslose Gewaltherrscher, die sich um jeden Preis auf dem Thron halten wollen und beim Volk verhasst sind. Die gewöhnliche Bezeichnung für Herrscher wie Pelias, Laomedon, Amycus und Aeetes ist tyrannus.80 Wie Donald McGuire herausarbeitet, hält sich Valerius bei der Zeichnung dieser Figuren eng an ein bestimmtes, kaum variiertes Schema, was dazu führt, dass (fast) alle Herrscherfiguren der Argonautica demselben Figurentypus zugeordnet werden können:81 dem Typ des von Zorn und Paranoia angetriebenen Gewaltherrschers, der auch vor den rücksichtslosesten Verbrechen nicht zurückschreckt, um sich an der Macht zu halten. Im Umgang mit seinen Untertanen ist er dazu in der Lage, seine wahren Emotionen und seine eigentlichen Absichten hinter einer kontrollierten Fassade aus Schweigen und gespielter Freundlichkeit zu verbergen.82 Diese Herrscher missachten 76 77 78
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Vgl. z. B. Cic. Muren. 35 f. Weitere Stellen zum Topos des mutabile vulgus bieten Davis 2016, 173 Anm. 13; Buckley 2018b, 95 Anm. 28. Davis 2015, 160. Vgl. Zissos 2003, 671 Anm. 40; Zissos 2009, 357 Anm. 25: „The one unnamed element in the equation is the soldiery, whose support of the tyrant Pelias must be inferred from the opening line of the narrative and later developments. Valerius’ narrative only implies what all knew – namely, that the power of the princeps rested on his control of the army. […] The same situation evidently holds in Colchis.“ Zu den arcana imperii und der Gefahr für jene, die nach ihrer Aufdeckung trachten, siehe Tac. hist. 1,4,2; Tac. ann. 2,36,1; 2,59,3; Klingenberg 2011, 146. Vgl. 1,30.71.244 (Pelias); 2,577; 4,59 (Laomedon); 4,751 (Amycus); 5,264 und öfter (Aeetes); McGuire 1997, 157 mit Anm. 17. Die offensichtlichen Gegenbeispiele sind König Cyzicus (pace Hershkowitz 1998, 174) und König Lycus. Vgl. McGuire 1997, 148; Bernstein 2016, 399; Davis 2020, 5: „Tyrants like Pelias and Aee-
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die Interessen ihres Volkes und ernten dafür Hass, was beinahe als Naturgesetz erscheint – diesen Schluss legt die auffällig hohe Zahl diesbezüglicher Sentenzen nahe, die Valerius sonst eher meidet und nur bei diesem Themenkomplex gehäuft einsetzt.83 Um die eigene Machtstellung abzusichern, gehen Tyrannen wie Pelias und Aeetes entschieden gegen potenzielle Thronprätendenten vor. Die Handlung der Argonautica wird erst in Gang gesetzt, weil Pelias die virtus Jasons als Bedrohung empfindet und ihn deshalb beseitigen möchte. Ähnliche Konstellationen finden sich auch in der Geschichte des Principats zuhauf; man denke nur an Tiberius und Germanicus bzw. an Nero und Britannicus.84 Rücksichtsloses Verhalten und von persönlicher Machtgier gelenkte Umtriebe schüren freilich Ressentiments, die dem Machthaber gefährlich werden können: Sowohl Jason als auch Aeson denken darüber nach, das Volk und die „Senatoren“ (patres) zur Rebellion gegen Pelias aufzuwiegeln; in Kolchis wird die (in Thessalien jeweils schnell verworfene) Möglichkeit eines Bürgerkriegs durch den Aufstand des Perses tatsächlich realisiert.85 Andrew Zissos und Emma Buckley vertreten die These, die Darstellung von Macht und Unterdrückung in den Argonautica spiegle die Perspektive einer entmachteten Senatsaristokratie wider, der im Zuge der zunehmenden Institutionalisierung des Principats jede Möglichkeit zur Distinktion abhandengekommen sei.86 Als Argument verweisen sie etwa auf Tacitus’ Agricola, dessen virtus Domitian beunruhigt habe. Deshalb habe er nicht in Rom, sondern nur
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tes conceal their true feelings, treat the senate with contempt, and act against the best interest of their people.“ Der beschriebene Figurentypus begegnet auch in den Punica und besonders in der Thebais: „[A]ll three poems present a consistent picture of tyranny – tyrants boiling with rage, plotting deadly crimes, and masking both emotion and intent behind silent and reassuring facades“ (McGuire 1997, 149). McGuire argumentiert, dass dieses Tyrannenbild in den Rhetorenschulen des 1. Jhdt. v. Chr. modelliert worden sei (dazu auch Barich 1982, 24 Anm. 34) und von dort seinen Weg in die Dichtung gefunden habe. Die Herrscherdarstellung im flavischen Epos sei aber nicht nur als Reflex auf rhetorische und literarische Topoi zu verstehen, sondern auch als Reaktion auf konkrete Herrscherpersönlichkeiten im Principat. Siehe McGuire 1997, 147–154. Vgl. 1,30 (viri virtus … haud laeta tyranno); 4,158 (melior vulgi nam saepe voluntas); 4,315f. (nullus adempti / regis amor); 5,264f. (nec vulgi cura tyranno, dum sua sit modo tuta salus); 5,536 (sceptris sic omnibus una cupido); vgl. 1,71–73 (populumne levem veterique tyranno / infensum … / advocet?); Korn 1994, 205 zu 4,315 f.; Ferenczi 1995, 151; Zissos 2009, 361. Vgl. Bernstein 2016, 399; Lindl 2020, 325 f. Zum Widerstand des Volkes und der patres gegen die valerianischen Tyrannen siehe Otte 1992, 112; Bernstein 2016, 399; Davis 2020, 5. Siehe Zissos 2003; Zissos 2009 (hier 355): „One of the central conflicts within elite Roman culture at this time was the incompatibility between aristocratic ambition and desire for public distinction on the one hand and the new limitations imposed by the political configurations of the principate on the other.“; Buckley 2018b.
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im fernen Britannien gloria erwerben können.87 Der Bericht des Tacitus greife dabei einen in der Literatur der frühen Kaiserzeit weitverbreiteten Topos vom eifersüchtigen Tyrannen auf, dem herausragende und beliebte Einzelpersönlichkeiten ein Dorn im Auge seien.88 Die Tatsache, dass Jason im Unterschied zur sonstigen Argonautentradition bei Valerius bereits vor der Abfahrt der Argo als Heldenpersönlichkeit mit erprobter virtus erscheint, kann jedenfalls als Indiz betrachtet werden, dass der Dichter den beschriebenen Topos der frühkaiserzeitlichen Literatur in seinem Epos aufgreift.89 Ein politisches System, in dem öffentliche Anerkennung und erwiesene Tatkraft für den Einzelnen gefährlich werden können, macht den Rückzug ins Private – den frühkaiserzeitliche Autoren wie Plinius und Tacitus regelmäßig empfehlen – zur (notwendigen) Überlebensstrategie.90 Eine andere ist die Verwendung einer von äußerster Selbstkontrolle geprägten Kommunikationsform, bei der potenziell gefährliche emotionale Impulse gezielt unterdrückt werden und alle Äußerungen mit der ideologischen Fiktion des consensus zwischen Volk, Senat und Princeps in Einklang gebracht werden.91 Der Kommunikationsform der dissimulatio, die Vasily Rudich in The Price of Dissimulation (1993) mustergültig beschreibt, bedienen sich in der frühen Kaiserzeit sowohl die Machthaber als auch ihre Untertanen.92 Die auffällige Verbreitung der dis-
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Zu den Parallelen in den Figurenkonstellationen Pelias-Jason und Domitian-Agricola siehe Davis 2015, 167–169. Zum Gedanken, dass tyrannische Herrscher die virtus ihrer Untertanen als Bedrohung empfänden, vgl. Lucan. 8,494 f.; Stat. Theb. 10,699–701; Tac. Agr. 41,1; Zissos 2008, 99 zu 1,29 f.; Zissos 2009, 355. Vgl. Zissos 2008, 100 zu 1,29 f.: „The stress on Jason’s established heroic reputation, as again at 55–56, goes against the traditional picture of an untried youth.“; Zissos 2009, 355: „This is a suggestive divergence from the traditional version of the myth, in which the quest for the golden fleece was Jason’s first notable deed. The deviation creates a correspondence with contemporary Rome, where aristocratic exercise of authority or pursuit of military glory was likewise decidedly double-edged.“ Vgl. Plin. ep. 8,14; Plin. paneg. 18,1; Tac. Agr. 2,3–3,2; 6,3; Tac. ann. 11,19,3; Stein-Hölkeskamp 2003; Dészpa 2016, 167–170. Vgl. Bernstein 2016, 399: „One strategy for survival is to adopt the dissimulative behaviour characteristic of the early imperial courtier.“ Rudich 1993, xxii bietet eine Beschreibung des Phänomens der dissimulatio in der frühen Kaiserzeit: „[I]t was in the Julio-Claudian Empire that the practice of dissimulatio acquired paramount importance, becoming a prerequisite not only of political success, but even of physical survival. Dissimulatio was a complex and contradictory state of mind within one and the same person, a resultant of conflicting forces – intellectual, emotional, and instinctive. Pertaining both to ideas and to emotions, dissimulatio operated on the conscious level but also, if it became habitual, on the subconscious.“ Zur dissimulatio als Merkmal der politischen Kommunikation der frühen Kaiserzeit siehe
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simulatio als Normallfall der Kommunikation in den Argonautica geht dabei über den bloßen Einsatz des epischen Redetyps der Trugrede weit hinaus. Es handelt sich wohl um eine weitere paradigmatische Verbindungslinie zwischen Mythos und Historie.93 Die Tyrannen Pelias, Laomedon und Aeetes verbergen ihre mörderischen Absichten stets hinter einem freundlichen Antlitz und versöhnlichen Worten.94 Jason verleitet Acastus mit einer Trugrede dazu, sich der Argonautenfahrt anzuschließen (1,156–183).95 Juno verheimlicht ihre wahren Motive sowohl vor Pallas als auch vor Venus (3,487–508 [Juno und Pallas]; 6,427–476 [Juno und Venus]). Besonders das Beispiel der Juno zeigt, dass Valerius’ Figuren einem regelrechten Zwang zur dissimulatio unterliegen – als hierarchisch höhergestellte Göttin hätte Juno es nicht nötig, das Mittel der Trugrede überhaupt einzusetzen. Sie könnte ihren jeweiligen Gesprächspartnerinnen ihren Willen auch einfach per Befehl aufzwingen. Die letztgenannte Beobachtung führt uns zu einem weiteren bemerkenswerten Problem: In den allermeisten Fällen durchschauen Figuren in den Argonautica, dass sie getäuscht werden, und fügen sich trotzdem der Fiktion der dissimulatio. Jason erkennt die Beauftragung durch Pelias „bald“ (mox) als Trugrede (1,64). Pallas leistet dem Befehl der Juno Folge, „obwohl sie den hinterlistigen Täuschungsversuch der Stiefmutter und ihren Versuch, eine schmeichlerische Miene aufzusetzen, durchschaut“ (quamquam insidias aestusque novercae / sentiat et blandos quaerentem fingere vultus: 3,507 f.). Auch Venus „bemerkt die List“ (sensit … dolos: 6,467), als Juno sie unter falschem Vorwand um die Herausgabe ihres Liebesgürtels bittet. Als Laomedon dem Hercules falsche Versprechungen macht und im Geheimen einen Anschlag auf den Helden plant, bleibt dies zwar dem Helden verborgen, nicht aber den Untertanen
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Tac. Agr. 2,3; 41,1; ann. 12,16; hist. 1,1,4; Sen. clem. 1,13,5; Cass. Dio 57,2–5; McGuire 1997, 147–154; Hershkowitz 1998, 267–271; Buckley 2018b, 88–91. Zur Auffassung, Quint. inst. 9,2,65–67 sei als Aufruf zu verstehen, Kritik an den bestehenden Machtverhältnissen in literarischen Texten unter einer scheinbar lobenden Textoberfläche zu verbergen, siehe Ahl 1984, 81–84; Hershkowitz 1998, 269 Anm. 77; Penwill 2013, 29f.; eine ausführlich argumentierte Gegenposition bietet Kreuz 2016, 58 Anm. 31. Vgl. Hershkowitz 1998, 242: „[D]issimulation […] helps to position the work within its historical context.“ Zu Trugreden in der epischen Tradition vor Valerius siehe Hershkowitz 1998, 242–245. Aufschlussreich ist der Vergleich zwischen dem flavischen und dem hellenistischen Aeetes: Während ersterer seine wahre Empfindung bei der Begegnung mit Jason (mit Mühe, aber doch) verbirgt (5,519–541), ist letzterer offen feindselig (AR 3,367– 371). Vgl. 1,22–66 (Pelias); 2,567–568 (Laomedon); 5,521–534.567 (Aeetes); McGuire 1997, 154– 161. Zu Jason und Acastus siehe Hershkowitz 1998, 253.
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Laomedons: „Schon weinten die Phryger über die treulosen Versprechen des Tyrannen“ (promissa infida tyranni / iam Phryges … flebant: 2,577f.). Ebenso bleibt Jason die List des Aeetes verborgen (inscius astus: 5,541), doch Juno weiß von vornherein, dass der Tyrann sein Versprechen, das Vlies als Kriegsbeute herauszugeben, nicht halten wird (scio perfida regis / corda quidem; nullos Minyis exsolvet honores: 5,289f.). Die Häufigkeit, mit der Täuschungsversuche in den Argonautica als solche erkannt werden, ist fast noch überraschender als deren schiere Anzahl.96 Welche Schlüsse können wir daraus ziehen? Offenbar können Figuren, die sich der dissimulatio bedienen, damit rechnen, dass ihre Gesprächspartner diese Kommunikationsform als Normalfall voraussetzen und ihren Beitrag zur Aufrechterhaltung einer kollektiven Fiktion – die alle Beteiligten als solche wahrnehmen – leisten. Es dürfte dem zeitgenössischen Publikum der Argonautica nicht entgangen sein, dass die politische Kultur der frühen Kaiserzeit in ähnlichen Begriffen beschrieben werden könnte; dies waren die Realitäten, mit denen sich die Senatsaristokratie arrangieren musste. Dabei konnten sowohl der Rückzug ins Private als auch das Tolerieren und Aufrechterhalten der imperialen Fiktion durch das Befolgen offizieller Sprachregelungen mit dem Vorwurf der Mittäterschaft belastet werden – so ist sich etwa Tacitus der kollektiven (Mit-)Schuld eines schweigenden, passiven Senats schmerzlich bewusst.97 Bei der Interpretation der genannten Phänomene in der erzählten Welt ergeben sich deshalb interessante Komplikationen, weil der Dichter nicht bloß eine (mehr oder weniger verhüllte) mythologische Spiegelung zeitgeschichtlicher Realitäten vornimmt, sondern natürlich auch literarische Darstellungen der jüngeren Zeitgeschichte rezipiert und darüber hinaus auf zeitlose literarische Topoi – insbesondere zur Tyrannentopik – zurückgreift. Selbst wenn sich im Einzelnen punktuelle Analogien zwischen historischen Principes (z.B. Tiberius, Caligula, Nero oder Domitian) und den mythologischen Tyrannen der Argonautica ausmachen lassen, sind allegorisierende Gleichsetzungen (z.B. Pelias ~ Domitian) methodisch nur schwer zu rechtfertigen. Es kann nämlich nicht ausgeschlossen werden, dass Valerius in der Charakterzeichnung seiner Tyrannen dieselben literarischen Quellen und/oder Topoi heranzieht wie römische Historiker, welche die frühe Kaiserzeit dokumentieren. Gemeinsamkeiten zwischen Pelias und (der literarischen Darstellung von) Domitian wären dann einem gemeinsamen literarischen Vorbild geschuldet 96
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Vgl. Hershkowitz 1998, 264: „Along with this paradoxical behaviour goes the paradoxical fact that attempts at dissimulation in the Argonautica, while often resulting in their intended outcomes, are nearly always failures qua dissimulation.“ Vgl. Tac. Agr. 45,1 f.
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und nicht einer bestimmten Autorenintention. Darüber hinaus ist es nicht unwahrscheinlich, dass epische Tyrannenfiguren die historiographische Herrscherdarstellung (mit)prägen und beeinflussen. Im Extremfall könnte ein Interpret den valerianischen Pelias also deshalb als Allegorie für Domitian beurteilen, weil der taciteische Domitian womöglich auch nach dem Vorbild des valerianischen Pelias modelliert wurde: „Valerius ‘feels’ Tacitean because we have read the Argonautica through Tacitus.“98 Diese komplexen Wechselbeziehungen zwischen Literatur und Geschichte, zwischen Mythos und Historie, ergeben ein vielfältiges Bezugsgeflecht zwischen den Herrscherfiguren der Argonautica, historischen Herrscherpersönlichkeiten und der rhetorischen Tyrannentopik, das sich in der Interpretation kaum restlos entwirren lässt.99 Im Folgenden werden wir dennoch – in Kapitel 6 unter besonderer Berücksichtigung des tragischen und philosophischen Werkes Senecas – den Versuch unternehmen, die Bedeutungspotenziale auszuleuchten, die Figuren wie der thessalische Tyrann Pelias und der kosmische Autokrat Jupiter im zeitgenössischen Rezeptionskontext entfalten konnten. Rückblick: In den Argonautica finden sich nicht wenige Signale, die dazu auffordern, die mythologische Welt auch in ihrer zeitgeschichtlich-politischen Relevanz zu entdecken. In anachronistischer Weise finden sich die Institutionen des römischen Staatswesens in diesem Epos ebenso wie Reflexe auf die in der frühen Kaiserzeit vorherrschende Kultur der dissimulatio – eine aufschlussreiche Verbindungslinie zwischen erzählter und historischer Welt. Paradigmatische Analogien lassen sich auch in der Zeichnung der Herrscherfiguren feststellen – ein Befund, der den Interpreten jedoch nicht zu vereinfachenden allegorischen Deutungen verleiten sollte. Die Darstellung von Figuren wie Pelias und Aeetes ist nicht nur als zeithistorischer Reflex zu betrachten, sondern auch im Kontext der literarischen und rhetorischen Tyrannentopik.
5.4
Der Seesturm und der Staatsmann: libertas als subversives Ideal (Val. Fl. 1,498–692)
Im Folgenden möchte ich die in Kap. 5.1 und 5.2 gesammelten Beobachtungen zum Verhältnis von Senat und Princeps in der Flavierzeit, besonders im Principat Vespasians, erstmals zur Interpretation einer längeren narrativen Sequenz 98 99
Buckley 2018b, 88. Zum Domitian-Bild des Tacitus siehe Tac. Agr. 2f.; 22,4; 39–45; McGuire 1997, 147–149. Zu den methodischen Schwierigkeiten, die sich bei der Verwendung von Zeitgeschichte als Intertext ergeben, siehe McGuire 1997, 148 f.; Cowan 2014, 232f.; Ginsberg 2016, 217–
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heranziehen: der olympischen Szene mit Sol und Jupiter und dem folgenden Seesturm in Arg. 1.100 Nach der Beschreibung, wie sich die in Richtung Horizont absegelnde Argo den Blicken der an der Küste stehenden Beobachter allmählich entzieht (1,494– 497), nimmt der Erzähler einen Fokalisierungswechsel vor, indem er die Perspektive Jupiters (pater: 1,498) und der übrigen olympischen Götter (superi: 1,501) einnimmt, die vom Himmel auf die Erde herabblicken und das Geschehen daher räumlich weiter überblicken können als die an der Küste stehenden Menschen.101 In metapoetischer und programmatischer Sprache wird beschrieben, dass Jupiter voll Freude auf die herrlichen Vorhaben der Griechen blicke und freudig zusehe, wie sich die gewaltige Größe der Unternehmung erhebe. Er missbillige nämlich die Trägheit der väterlichen Herrschaft (pulcherrima Graium / coepta tuens tantamque operis consurgere molem / laetatur; patrii neque enim probat otia regni: 1,498–500). Während mit der operis moles sowohl die Argofahrt als auch das poetische Projekt bezeichnet werden kann,102 lenkt die Erwähnung des patrium regnum die Aufmerksamkeit auf das Ende der saturnischen Herrschaft und den Regimewechsel im Olymp, der eine
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219; Buckley 2018b, 86–88; Stover 2020, 55–61. Zu Tacitus als „epic successor“ siehe Joseph 2012; Buckley 2018b, 87 Anm. 4 (mit weiterer Literatur). Mit der Einfügung eines Seesturms nach der Abfahrt der Argo weicht Valerius von Apollonios (und der sonstigen Argonautentradition) ab und stellt sich einmal mehr in die Nachfolge Vergils (vgl. Zissos 2008, 328 zu 1,574–692; Biggs/Blum 2019, 154). Die Szene wurde in der Forschung unterschiedlich gedeutet: Davis 1990, 62 meint, an dieser Stelle werde das Konzept von der Argonautenfahrt als ‚Ursünde‘ („primal fault“) entwickelt, während Shelton 1974, 22 die gegenteilige Ansicht vertritt: Die Pionierfahrt der Argo werde als Voraussetzung einer neuen, besseren Weltordnung legitimiert. Zissos 2006 versucht eine Synthese dieser Positionen und zeigt, wie Valerius dem Rezipienten bei der Schilderung des Seesturms sowohl eine ‚primitivistische‘ als auch eine ‚progressivistische‘ Perspektive anbietet. Stover 2012, 79–90 arbeitet mit Rückgriff auf Zissos 2006 heraus, dass der Seesturm als Neuauflage der Gigantomachie konstruiert werde, wobei die Argonauten als Bezwinger der Mächte des Chaos und Wegbereiter von Jupiters neuer Weltordnung auftreten würden. Der Seesturm sei daher als politische Allegorie für die Errichtung des flavischen Regimes nach dem Chaos des Bürgerkiegs zu lesen: „The myth [functions] as an allegory for the political climate in which Valerius composed his epic.“ Die Annahme einer durchgängigen Allegorie führt zwangsläufig zu Schwierigkeiten – so verkennt Stover etwa die (besonders im Vergleich zu Vergil!) problematische Ambivalenz von Neptuns Einschreiten am Ende der Szene (so auch Lovatt 2014, 222 Anm. 21.). In meiner eigenen Interpretation gehe ich davon aus, dass Valerius dem Rezipienten an unserer Stelle Reflexionen über bestimmte Aspekte des politischen Systems des Principats anbietet, wobei der punktuelle Bezug auf Vespasian aber nicht immer gegeben oder notwendig ist. Zu den narratologischen Theorien der Erzählerperspektive und der Fokalisierung siehe Fludernik 42013, 47–50; Schmid 32014, 107–141. Vgl. Verg. georg. 1,40; Culex 25; Ov. met. 1,2; Feeney 1991, 318; Zissos 2008, 303 zu 1,498–500.
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neue kosmische Ordnung mit sich bringt. Des Weiteren verleiht das Vergilzitat in 1,499 der Stelle eine dezidiert politische Dimension.103 Die in der Antike konventionelle Metapher vom Schiff des Staates ist ebenfalls mitzudenken:104 Die Argonautenfahrt ist zentral, um die vom Göttervater angestrebte Vereinigung der Welt herbeizuführen. Erfolg und Scheitern der Argo stehen metonymisch für Erfolg und Scheitern der olympischen Herrschaft Jupiters und seines kosmischen Projekts. Obwohl explizit gesagt wird, dass „alle Götter“ Jupiters Freude beim Betrachten der Argo teilten (una omnes gaudent superi: 1,501), tritt aus deren Kreis mit Sol – der als Vater wegen der Gefahr für seinen skythischen Sohn [sc. Aeetes] besorgt ist (non et Scythici genitor discrimine nati / intrepidus: 1,503f.) – dennoch eine Proteststimme auf:105 Aeetes und die Kolcher lebten in einem unwirtlichen Land am Ende der Welt; es gebe keinen Grund für ein griechisches Vordringen in dieses Gebiet (509–518). Außerdem hätten die Kolcher bereits zur Verflechtung entfernt lebender Völker – Sol erkennt offenbar das Hauptziel der Fahrt – ihren Beitrag geleistet. Rhetorisch geschickt erweckt er den Eindruck, die Kolcher hätten im Umgang mit Phrixus im Kleinen realisiert (vgl. coniugio: 523; iunctas … terras: 524), was Jupiter nun im Großen umzusetzen gedenke (519–524).106 Bemerkenswerterweise bittet Sol nicht um einen Abbruch der Argonautenfahrt, sondern lediglich um eine Kursänderung, damit sich die Öffnung der Meere nicht zum Schaden für ihn und seinen Sohn (vulnere nostro) vollziehe:107 „Wende das Schiff und seinen Kurs, Vater; öffne den Männern die Meere nicht zum Preis einer mir zugefügten Wunde“ ( flecte ratem motusque, pater, nec vulnere nostro / aequora pande viris: 1,525 f.). Mars signalisiert Zustimmung (adfremit his … / Bellipotens: 1,529), wobei auch für ihn persönliche Gründe – die Sorge um das Vlies – und nicht eine grundsätzliche Ablehnung der Mission ausschlaggebend sind. 103 104 105 106
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Verg. Aen. 1,33 (tantae molis erat Romanam condere gentem) ~ Val. Fl. 1,499 (tantamque operis consurgere molem). Vgl. Otte 1992, 55; Zissos 2008, 303 zu 1,498–500. Zur weiten Verbreitung der Metapher vom Staatsschiff in der antiken Literatur siehe Nisbet/Hubbard 1970, 179–182. Zur Rede des Sol siehe auch Kap. 4.1. Mit diesem lobend vorgebrachten Bild vom friedlichen Nebeneinander der Völker verkennt Sol jedoch einen zentralen Aspekt des Weltenplans: Jupiter geht es um ein militärisches Kräftemessen der Völker, das nach einer Reihe von translationes imperii in der Herrschaft eines Volkes über alle anderen gipfeln soll. Vgl. 1,545f. (via facta per undas / perque hiemes, Bellona, tibi); 1,559 f. (populis longissima cunctis / regna). Die Alternative des friedlichen Völkerkontakts ist in diesem Plan nicht vorgesehen. Vgl. Stover 2012, 90 Anm. 32. Vgl. Zissos 2008, 311 zu 1,525 f.: „Sol does not seek termination of the Argonauts’ expedition, only a change in itinerary.“
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Die Antwort Jupiters auf diesen respektvollen und das rechte Maß wahrenden Protest besteht bekanntlich in der Entfaltung des Weltenplans. Ohne auf die vorgebrachten Argumente auch nur einzugehen oder wegen der bevorstehenden Verluste tröstende Worte an Sol und Mars zu richten, beschränkt sich der Göttervater darauf, die Anwesenden in seine Pläne einzuweihen. Er muss sich weder auf eine Debatte mit niedriger stehenden Gottheiten einlassen, noch ist er auf deren Zustimmung überhaupt angewiesen – Jupiter regiert den Kosmos als Autokrat. Bezeichnenderweise ‚zitiert‘ der Göttervater mit dem Satz atque ego curarum repetam decreta mearum („Ich werde die Beschlüsse meiner Bestrebungen wiederholen“: 1,536) eine Aussage, die Lucans Pompeius bei der ‚Senatsdebatte‘ mit Lentulus nach der Niederlage von Pharsalos trifft (ast ego curarum vobis arcana mearum / expromam: Lucan. 8,279 f.). Valerius’ Jupiter spricht also wie ein römischer Staatsmann, wobei die Verwendung bestimmter Begriffe, die direkt dem politischen Diskurs entnommen sind,108 das Bild einer Senatsdebatte evozieren: cura steht prägnant für die Lenkung des Staatswesens (cura rei publicae);109 decretum bezeichnet einen Senatsbeschluss.110 Die Wahl solcher Termini eröffnet Assoziationsräume, die dem Rezipienten erlauben, anhand einer Debatte im Olymp auch über römische Verhältnisse zu reflektieren.111 Ist der Rezipient auf die Analogien zwischen Jupiters olympischem Regime und dem frühkaiserzeitlichen Principat aufmerksam geworden, gewinnt auch die angeschlossene Seesturm-Szene an politischer Relevanz. Anders als Sol und Mars, die in ihrem Protest gegen die Argonautenfahrt das rechte Maß (modus libertatis) bewahren – und letztlich nichts gegen den Willen Jupiters ausrichten – geht der personifizierte Nordwind Boreas in seinem Protest einen entscheidenden Schritt weiter. Aus Boreas’ Sicht ist die Innovation der Schifffahrt, da sie die natürliche Ordnung der Dinge verletze, ein Frevel, der unterbunden werden müsse. Während Sol lediglich den Wunsch nach einer Kursänderung äußert ( flecte ratem motusque), richtet sich Boreas an Aeolus, um darum zu bitten, die Griechen und 108 109 110 111
Vgl. Zissos 2008, 315 f. zu 1,536: „Weightiness and dignity are afforded by use […] of terms from the Roman political sphere.“ Vgl. ThlL 4,1453,20 ff. s.v. cura; Nisbet/Hubbard 1970, 167 zu Hor. carm. 1,12,50; Zissos 2008, 316 zu 1,536 („the proper preoccupation of the statesman“). Vgl. OLD s. v. decretum 3b. Diese Strategie lässt sich auch in den Metamorphosen beobachten: Vgl. Ov. met. 1,163–245 (bes. 1,176: Palatia caeli; 1,243: sic stat sententia) mit Barchiesi 2005, 190f. zu 1,243: „sic stat sententia: l’uso di questa espressione fa pensare a decisioni del senato romano, ma è evidente che Giove non ha bisogno di un consenso istituzionale.“; Heil 2020, 354 mit Anm. 80.
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ihr „Wahnsinnsschiff“ versenken zu dürfen (da mergere Graios / insanamque ratem: 1,604f.). Was Boreas will, ist nicht weniger als die Erlaubnis zur Revolution. Er möchte sich über den Herrscher erheben (supra principem scandere), um die angestrebten Öffnung der Meere zu verhindern. Der Beginn der Boreas-Rede weist deutliche Bezüge zu der durch die Perspektive Jupiters gefilterten Beschreibung der Argo nach ihrer Abfahrt auf.112 Die sprachlichen Gemeinsamkeiten stellen die unterschiedliche Beurteilung des Ereignisses umso schärfer heraus: Was für Jupiter die Vollstreckung des fatum ist, ist für Boreas nefas (1,598).113 Während die Empörung der Sturmwinde über ihre Gefangenschaft bei Vergil nur mit dem Wort indignantes (Verg. Aen. 1,55) angedeutet wird, verdeutlicht die Rede des Boreas den Grund dieser Empörung.114 Seit er in Ketten liege und in einem Kerker eingeschlossen sei, habe er nicht mehr die Freiheit (libertas), das Meer vom tiefsten Grund her aufbranden zu lassen (nec mihi libertas imis freta tollere harenis / qualis eram nondum vinclis et carcere clausus: 1,601f.). Nur weil er gefesselt und einem König unterstellt sei (quod Borean sub rege vident: 1,604), wagten die Menschen sich aufs Meer. Um diese Transgression ein für alle Mal zu unterbinden, müsse die Argo versenkt werden (1,602–604); dass dabei mit Zetes und Calais auch seine eigenen Söhne in den Tod gerissen würden, nimmt Boreas in Kauf (nil me mea pignora tangunt: 1,605).115 Die Erwähnung von „Ketten und Kerker“ in Verbindung mit verloren gegangener libertas lässt an Beschreibungen von der Entmachtung des römischen Senats denken, dessen Verhältnis zu bestimmten Principes Tacitus an manchen Stellen als „Sklavendienst“ (servitium) charakterisiert.116 Valerius gibt mit Sol und Boreas in kurzer Abfolge gleich zwei oppositionellen Stimmen breiten Raum zum Protest gegen eine vom kosmischen Auto-
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Val. Fl. 1,498–500 (Siderea tunc arce pater pulcherrima Graium / coepta tuens tantamque operis consurgere molem / laetatur [Erzählertext, fokalisiert durch Jupiter]) ~ Val. Fl. 1,598–600 (‘Pangaea quod ab arce nefas,’ ait, ‘Aeole, vidi! / Graia novam ferro molem commenta iuventus / pergit et ingenti gaudens domat aequora velo’ [Boreas]). Zum Nebeneinander von fatum und nefas in den Argonautica siehe auch Kap. 3.3 und Kap. 8.3. Vgl. Stover 2012, 85: „Boreas gives voice to the unexplained indignation harboured by the imprisoned winds in Vergil’s Aeneid, thus making clear the source of his resentment.“ Der Protest des Boreas ist also gänzlich anders motiviert als jener des Sol: Der Sonnengott bittet Jupiter, die Argo nicht Kolchis ansteuern zu lassen, um seinen Sohn zu schützen, spricht sich jedoch nicht grundsätzlich gegen die Öffnung der Meere aus. Die Opposition des Boreas ist hingegen von grundsätzlicher Natur. Vgl. Stover 2012, 90. Vgl. Tac. Agr. 2,3; Tac. ann. 1,7,1; 1,81,2; 14,49,1; Evans 2003, 275f.; Buckley 2018b, 92; Spielberg 2019, 160.
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kraten Jupiter geförderte Mission.117 Dies könnte den Eindruck erwecken, in den Argonautica sei die in der frühen Kaiserzeit verbreitete Verklärung der Republik und ihrer Ideale aufgegriffen. Doch um diesen Gedanken sogleich zu zerstreuen, wird offen benannt, wozu eine Wiederherstellung der libertas führen würde: Bürgerkrieg, Chaos und die völlige Zerrüttung der Ordnung.118 Bevor Jupiter die Sturmwinde in ihren Felsenkerker gesperrt und unter die Aufsicht des Aeolus gestellt hatte, waren sie gewohnt, „den Himmel und das bejammernswerte Meer zu vermischen“ (soliti miscere polumque / infelixque fretum: 1,586f.). Es sei von diesen Kräften also die permanente Bedrohung einer Auflösung der kosmischen Ordnung ausgegangen.119 Beim Wüten der Sturmwinde habe der Ozean ursprünglich verbundene Landmassen (Afrika und Gibraltar bzw. Sizilien und Italien) auseinandergerissen,120 inmitten der Berge wogte das Wasser (1,588–590). So umreißt der Dichter den kosmischen Urzustand, den Boreas zurücksehnt und der mit Jupiters Sieg in der Gigantomachie und der dadurch erreichten Ordnung des Kosmos beendet wurde. Eine Rückkehr zu früherer libertas könnte hier nur bedeuten, Jupiters Regime zu stürzen, um den älteren Zustand wiederherzustellen. Der Versuch der Sturmwinde, die Argo zu versenken, ist vor diesem Hintergrund als unverhohlener Angriff auf die von Jupiter repräsentierte politische Ordnung zu deuten. Wenn
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Vgl. Stover 2012, 84: „Valerius creates the atmosphere of a debate, granting the opposition time for rebuttal and allowing a dissident voice to be heard. This sequence of events imparts a strong political charge to the episode.“ Bezeichnenderweise wird Boreas – die einzige Stimme im Epos des Valerius, die sich explizit für libertas ausspricht – als Figur gezeichnet, die den Tod der eigenen Söhne in Kauf nehmen würde, weil diese zur Besatzung des Schiffs gehören, das Jupiters neue Weltordnung in Gang setzt. Diese politische Fundamentalopposition verbindet ihn mit dem fanatischen Caesar-Unterstützer Laelius im Bellum civile, der erklärt, er würde aus Gehorsam gegenüber Caesar auch seinen Bruder, seine Eltern oder gar seine schwangere Frau töten (Lucan. 1,376–378). Sowohl Boreas als auch Laelius verkörpern die letzte Eskalationsstufe im Bürgerkrieg, bei der das gegenseitige Morden auch auf die eigene Familie übergreift: bella … plus quam civilia. Vgl. Zissos 2008, 334: „[T]here is an intimation of cosmic disintegration: the winds’ ability to ‘mix’ sea and sky – the hyperbole becomes conventional for sea-storms – threatens to breach the ordered partitions of the universe.“ Die Einführung der Schifffahrt ermöglicht eine neuerliche Verbindung dieser ursprünglich verbundenen Erdteile, die durch das allzu freimütige Wüten der Stürme erst getrennt wurden. So sieht Jupiters neue Weltordnung durchaus eine Wiederherstellung früherer Zustände vor, die aber nur erreicht und aufrechterhalten werden kann, wenn subversive Figuren wie Boreas im Zaum gehalten und in ihrer libertas eingeschränkt werden. Vgl. Stover 2012, 93: „Mankind’s freedom of movement requires a restriction of movement for the storm winds, a restriction of their freedom (libertas).“
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das Staatsschiff sicher in seinen Hafen einfahren soll, bleibt dem Göttervater keine Wahl, als die libertas dieser potenziell subversiven Kräfte zu unterbinden. Aeolus ist für diese wichtige Aufgabe offenbar nur bedingt geeignet: „Wenn er den Protest der Tobenden nicht mehr in die Schranken weisen kann, dann bricht der König den Eingang und die Riegel auf – er will es selbst – und beschwichtigt das wilde Grollen, indem er das Tor freigibt“ (cum iam cohibere frementum / ora nequit, rex tunc aditus et claustra refringit / ipse volens placatque data fera murmura porta: 1,594–596). Die Klage des Boreas über den Verlust seiner libertas ist offenbar ein solcher Moment. Nach seiner Rede „tobten alle Winde im Inneren“ (cuncti fremere intus … venti: 1,608; vgl. frementum ora) und Aeolus stößt die Tür auf. Die rebellischen Sturmwinde nutzen ihre wiedergewonnene libertas sofort, um einen Sturm von kosmischen Proportionen zu entfesseln (1,614–617), der sogleich die als Staatsschiff zu denkende Argo erfasst: Den Männern werden ihre Ruder aus der Hand gerissen, das Schiff wird seitwärts abgedreht, ein Windstoß reißt das Segel vom Mast, der mit der Rahe ins Wasser eintaucht – so wild wird das Schiff herumgeschleudert (1,618– 624).121 Wie in der Aeneis ist ein Einschreiten des Meeresgottes Neptun notwendig, um das Schiff vor dem Untergang zu retten. Bekanntlich illustriert Vergil die Besänftigung der Sturmwinde durch den Meeresgott anhand des Gleichnisses – das erste der Aeneis! – vom Staatsmann, der während eines tobenden Aufruhrs im Volk aufgrund seiner pietas und seiner Verdienste die Blicke aller auf sich zieht und die erregten Gemüter mit versöhnlichen Worten beschwichtigen kann (Verg. Aen. 1,148–153).122 Wie ein Brennglas verdeutlicht dieses programmatische Gleichnis das in der Aeneis entwickelte Ideal der überragenden Einzelpersönlichkeit, in deren Hände die Geschicke eines ganzen Volkes liegen;123 nicht zu Unrecht vermutet Gerhard Binder, dass „die Überwindung republikanischer Zwietracht durch die neue politische Ordnung des Augustus“ wohl als (eine) konkrete Inspirationsquelle für dieses ‚StaatsmannGleichnis‘ anzusehen ist.124 Wenn Valerius die Seesturm-Szene als lobendes mythologisches Äquivalent zur Beendigung des Bürgerkriegs durch die Fla121 122 123
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Zur Wirkung des Sturms auf die Argo siehe Biggs/Blum 2019, 155. Zu den mutmaßlichen historischen und literarischen Vorbildern dieses wichtigen Gleichnisses siehe Harrison 1988; von Albrecht 22007, 109 Anm. 417. Zum programmatischen Gehalt dieses Gleichnisses (und zum Staatsmann als exemplum für Aeneas) siehe Harrison 1988, 55. Zum Motiv der aus der Menge herausgehobenen Führungspersönlichkeit bei Vergil und im nach-vergilischen Epos siehe Hardie 1993, 3–10. Andrew Zissos spricht von „Virgil’s insistence on the one great and preeminent individual“ (Zissos 2009, 363). Binder 2019, Bd. 2, 31 zu Aen. 1,148.
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vier gestaltet hätte,125 hätte er Neptuns Einschreiten wohl in ähnlichen Begriffen wie Vergil beschrieben und den Sieg über die Mächte des Chaos mit Verweisen auf die Wiederherstellung von Frieden, Ordnung und Stabilität verknüpft.126 Doch Valerius entwickelt eine viel komplexere Perspektive, die sich kaum als poetisch-mythologisierende Dankbarkeitsbekundung an die Flavier für die Wiederherstellung der Ordnung nach einer Phase der inneren Zerrüttung beschreiben lässt. Neptun rettet die Argo nicht, weil er Boreas’ grundsätzlichen ideologischen Widerstand gegen die Mission verurteilen würde, sondern weil er von Pallas und Juno dazu überredet worden ist127 – der als „reluctant saviour“ (Zissos) auftretende Meeresgott ist kein innerlich überzeugter Unterstützer von Jupiters Regime, sondern lediglich jemand, der sich auf Zureden und nach bestimmten Zugeständnissen mit den bestehenden Machtverhältnissen arrangiert hat. Diese Zugeständnisse bestehen darin, dass er zwar die Argo gewähren lässt, aber weitere Schiffe, etwa aus Ägypten oder Phönizien, versenken darf (1,644– 646) – eine raffinierte Inversion der üblichen unus pro multis-Struktur bei Opferhandlungen.128 Die Neptun-Rede unterstreicht, dass der Erfolg der Argo und die Verwirklichung des Weltenplans mit gewaltigen Opfern einhergehen: miseris tu gentibus, Argo, / fata paras („Du, Argo, lieferst die beklagenswerten Völker ihrem Schicksal aus“: 1,648f.). Wenn an diese Sentenz die an unserer Stelle ständig präsente Metapher vom Staatsschiff herangetragen wird, ließe die Neptun-Rede sich dahingehend deuten, dass der Aufstieg eines Volkes stets auf Kosten anderer geht: Der Erfolg der Argo wird um den Preis des Untergangs anderer Schiffe erkauft; der Aufstieg Roms bedingt den Untergang anderer Nationen. Doch daneben ist auch eine andere, optimistischere Lesart möglich: Die Pionierfahrt der Argo setzt Jupiters Weltenplan in Gang, der in der Errichtung von longissima regna gipfeln wird. Wie in Teil 1 („Krieg und Bürger-
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So die Argumentation bei Stover 2012, 79–90 (hier 80): „With the accession of Vespasian, Valerius witnessed the re-establishment of order and the refoundation of the imperial project: a new era had indeed begun. Like Jupiter, Vespasian could be portrayed as a bringer of order to a chaotic world.“ Rückhalt für diese Interpretation findet Stover besonders in den Gigantomachie-Elementen der Episode, aber auch in einer Stelle bei Plinius maior, der im Zusammenhang mit der Verleihung des latinischen Bürgerrechts an Spanien durch Vespasian von procellis rei publicae spricht (Plin. nat. 3,30). Zu den Unterschieden zwischen den beiden Neptun-Interventionen siehe Biggs/Blum 2019, 156. Vgl. Zissos 2008, 349 zu 1,642–650: „Neptune stakes out a primitivist position: his sympathies lie with the elemental forces that generated the storm, and permissum … putent (645) points to the lingering absence of ideological resolution.“ Vgl. Aen. 5,814 f.; Zissos 2008, 349 zu 1,642–650; Biggs/Blum 2019, 155.
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kapitel 5
krieg“) herausgearbeitet wurde, lässt Valerius offen, ob dieser Zustand mit dem Aufstieg der Flavier bereits erreicht wurde oder noch nicht. Durch die Betonung des immensen menschlichen Leids und der Opfer, die zur Verwirklichung des Weltenplans nötig sind, ergibt sich aber ein starker Appellcharakter an die junge flavische Dynastie: Es steht in der Macht Vespasians und seiner Söhne, für Stabilität und dauerhaften Frieden zu sorgen, sodass eine von Krieg, Katastrophen und Zerstörung geprägte Vergangenheit rückwirkend Sinn erhält. Die lobenden Worte, die Tacitus und Sueton für Vespasian finden,129 lassen vermuten, dass ein solcher Geschichtsverlauf von den Zeitgenossen zumindest für möglich erachtet wurde. Eine Wiederherstellung von republikanisch-verklärter libertas erscheint vor diesem Hintergrund als Gefahr für die vom Princeps hergestellte Stabilität. Wenn sich Helvidius Priscus oder Boreas auf dieses Ideal berufen, um den eigenen Willen durchzusetzen, stellen sie die bestehende Ordnung infrage und überschreiten damit ihre Kompetenzen – sie erheben sich über den Princeps (supra principem scandere). Die Interpretation der Seesturm-Szene vor der Folie römischer Machtverhältnisse hat gezeigt, dass eine Einschränkung der Freiheit (modus libertatis) in den Argonautica geradezu als Voraussetzung für politische Stabilität erscheint.130 Die Reden des Sol und des Boreas modellieren verschiedene Formen des Protests, wobei Sol den Rahmen der gegebenen Machtverhältnisse berücksichtigt, während Boreas das rechte Maß überschreitet. Eine letzte Beobachtung verdeutlicht, dass in der Seesturm-Szene zwischen den Zeilen auch ein Bewusstsein für die realpolitische Machtgrundlage des Princeps erkennbar wird. Bei der Einführung des vergilischen Neptun wird gesagt, dass er „sein friedfertiges Haupt aus den Wogen erhebt“ (placidum caput exulit unda: 1,127). Das Staatsmann-Gleichnis nach der Beruhigung des Sturms suggeriert, der Meeresgott habe die Sturmwinde nur kraft seiner auctoritas vertrieben.131 Dieses Bild entspricht dem vergilischen Ideal des Herr-
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Tac. hist. 1,50,4 (solus … omnium ante se principum in melius mutatus est); Suet. Vesp. 1,1 (incertum diu et quasi vagum imperium suscepit firmavitque tandem gens Flavia); Suet. Vesp. 8,1 (per totum imperii tempus nihil habuit antiquius quam prope afflictam nutantemque rem publicam stabilire primo, deinde et ornare). Würde man ein aus den Argonautica abgeleitetes ‚politisches Programm‘ formulieren, wäre eine Wiederherstellung der Republik – was noch im Bellum civile als erstrebenswertes Ziel erscheint – kein Teil davon. Vgl. Lucan. 1,669–672; 7,638–641; McGuire 1997, 94f.; Zissos 2004a, 24 Anm. 16; Rebeggiani 2018, 26 Anm. 86. Die Drohrede des Neptun (Verg. Aen. 1,132–141), in der er betont, dass die Herrschaft über das Meer ihm (und nicht Aeolus) zufalle und der „schreckliche Dreizack“ (saevum … tri-
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schers, der das Toben der Masse nur mit der Macht des Wortes zum Erliegen bringt. Es ist kein unwesentliches Detail, dass in den Argonautica keine vergleichbare Rahmung erfolgt und jeder Hinweis auf die Friedfertigkeit des Meeresgottes fehlt – stattdessen verweist Valerius beim plötzlichen Erscheinen des Gottes sofort auf dessen Dreizack (subitus trifida Neptunus in hasta / caeruleum fundo caput extulit: 1,641f.), den er notfalls gegen die rebellischen Winde strecken könnte. Offenbar gelten in der natürlichen Welt dieselben Gesetze wie in der römischen Politik: Wer über die größere militärische Stärke verfügt, verfügt auch über die Macht. Die Gültigkeit des taciteischen arcanum imperii-Gedankens verdeutlicht das eindrückliche Gleichnis am Ende des Seesturms. Nachdem sich die Winde beruhigt haben, spricht Jason ein Gebet und die Argo setzt ihre Fahrt auf ruhiger See fort. Der Steuermann Tiphys lenkt das Schiff; schweigend sitzt die Mannschaft daneben und harrt seiner Befehle. „So ist um den Thron des großen Jupiter alles dem Gott zugeneigt und steht ihm bereit: Die Winde, der Regen, der Schnee, die Blitze und der Donner und die Ströme, die noch in ihren Quellen liegen“ (qualiter ad summi solium Iovis omnia circum / prona parata deo, ventique imbresque nivesque / fulguraque et tonitrus et adhuc in fontibus amnes: 1,690–692). Der Vergleich des Steuermanns mit Jupiter, der seit dem Sieg in der Gigantomachie mit uneingeschränkter Macht über den Kosmos herrscht (1,563–565), ruft erneut die Metapher vom Schiff des Staates auf. Wie Jupiter kennt auch die Macht des römischen Staatenlenkers keine Grenzen; die Einschränkung der libertas der Untertanen erscheint als notwendiger Preis für die Aufrechterhaltung der kosmischen bzw. imperialen Ordnung. Rückblick: Die Interpretation der olympischen Szene mit Sol und Jupiter und der folgenden Seesturm-Szene in Arg. 1 vor dem Hintergrund des steten Austarierens der Machtverhältnisse am Beginn von Vespasians Principat hat gezeigt, dass in dieser längeren narrativen Sequenz verschiedene Formen des politischen Widerstands gegen den Alleinherrscher durchgespielt werden. Während Sol bei seinem Protest gegen die Argofahrt darauf achtet, das rechte Maß nicht zu überschreiten, treten die Sturmwinde in Berufung auf ihre libertas als subversive Kräfte auf, die aktiv gegen Jupiters Pläne vorgehen und damit das kosmische Gleichgewicht in Gefahr bringen. Dadurch wird impliziert, die Einhegung der libertas stabilisiere das Staatswesen und stelle dessen innere Ordnung sicher.
dentem) ihm zugelost worden sei, erfährt somit eine bedeutsame Kontextualisierung. Ich danke Tobias Riedl für diesen Hinweis.
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kapitel 5
Der ‚politische‘ Selbstmord der Eltern Jasons (Val. Fl. 1,730–850)
In der Erzählung des Selbstmordes von Aeson und Alcimede am Ende des ersten Buches stellt Valerius punktuelle Bezüge zu dem in Kap. 5.2 beleuchteten Phänomen des senatorisch-oppositionellen Selbstmordes her, der im NeroRegime als letzte Möglichkeit der Selbstbehauptung und des Widerstands gegen den Gewaltherrscher angesehen wurde.132 Bereits Rudolf Preiswerk bemerkt, dass die zeithistorische Dimension unserer Stelle für ein zeitgenössisches Publikum unübersehbar gewesen sein muss: [B]ei näherem Zusehen wird man gewahr, daß der Untergang Aesons die ursprünglichen Leser wie eine Verkleidung muß angemutet haben, hinter der sich das Schicksal der zahlreichen Zeitgenossen verbarg, die sich unter Nero entweder gezwungen oder, um der Hinrichtung zuvorzukommen, halb freiwillig den Tod gegeben haben.133 Ich argumentiere im Folgenden, dass Valerius anhand des Freitods von Aeson und Alcimede über die stoisch-senatorischen Selbstmorde der frühen Kaiserzeit reflektiert134 und zu deren Verklärung – etwa in der exitus virorum illustrium-Literatur135 – kritisch Stellung bezieht. Bei der von Alcimede – die als Thessalierin in den magischen Künsten bewandert ist – durchgeführten Totenbeschwörung, bei der auch Aeson anwesend ist (1,730–751), beantwortet der aus der Unterwelt heraufgerufene Totengeist des Cretheus knapp die an ihn gerichtete Anfrage, bevor er von sich aus über das Gefragte hinausgeht und auf die Gefahr hinweist, die unmittelbar von Pelias ausgehe. Sein (nur an Aeson gerichteter) Ratschlag ist nicht etwa, Widerstand zu leisten, die Familie in Sicherheit zu bringen, ein Versteck zu suchen oder aus Thessalien zu fliehen, sondern der drohenden Hinrichtung durch die Selbsttötung zuvorzukommen (1,747–751). Die dadurch implizierte Unvermeidlichkeit des Selbstmordes der Eltern Jasons unterstreicht einerseits, 132
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Zum zeithistorischen Hintergrund siehe oben Kap. 5.2. Zur Bedeutung dieses Kontexts für unsere Stelle siehe Taylor 1994, 233–235; McGuire 1997, 189–197; Hershkowitz 1998, 132; Dietrich 2009, 187; Zissos 2009, 357f.; Buckley 2014, 309; Davis 2015, 161; Bernstein 2016, 399. Das Motiv des Selbstmordes kommt in allen drei erhaltenen flavischen Epen vor. Vergleichende Interpretationen dieser Szenen bieten McGuire 1989; McGuire 1997, 185–229; Gärtner 2008; Dietrich 2009. Preiswerk 1934, 439. Zu den literarischen Vorbildern für Aeson siehe Hershkowitz 1998, 133–135 (Aeson und Lucans Pompeius) bzw. Gärtner 2008, 369–373 (Aeson und Vergils Priamus). Siehe oben Anm. 64 und 65.
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wie sehr sich Aeson und Alcimede dem Pelias ausgeliefert fühlen, wie hilf- und machtlos die Untertanen des Gewaltherrschers sind. Aber Valerius fügt eine weitere Komponente hinzu: Für Aeson ist der (unvermeidliche?) Selbstmord nicht zuletzt eine Gelegenheit, auf würdige Weise aus dem Leben zu scheiden und dem zweiten Sohn Promachus aufgrund der Vorbildhaftigkeit seines Sterbens ein exemplum für Tapferkeit und Standhaftigkeit vorzulegen (1,767– 773).136 Diese Absichtserklärung ist als direkte Bezugnahme auf die literarische Erinnerung an senatorische Selbstmorde in der frühen Kaiserzeit zu verstehen, die in der Nachfolge des berüchtigten Selbstmordes des Cato Uticensis in bestimmten Kreisen als höchster Beweis einer tief verinnerlichten stoischen Geisteshaltung und als tapferer Ausdruck einer oppositionellen Einstellung gegenüber dem tyrannischen Princeps gefeiert wurden.137 Die Wiederkehr bestimmter Topoi in der literarischen Darstellung solcher Szenen, wie sie sich in den ‚Nerobüchern‘ der Annales gehäuft finden – die Verkündung des Todesurteils durch den Tyrannen, der Entschluss der Gattin, mit ihrem Ehemann in den Tod zu gehen, das Eintreffen der Schergen des Tyrannen im Haus des Opfers, die Öffentlichkeit des Suizids138 –, erweckt den Eindruck einer Inszenierung, die einem bestimmten Skript, einem Idealfall des gelungenen, stoischen Selbstmordes folgt.139 Teil dieses Skriptes ist der gemeinsame Selbstmord von Mann und Frau. Wie Jessica Dietrich zeigt, finden sich in der historiographischen Literatur zwar Stellen, an denen Ehefrauen einen entsprechenden Wunsch kundtun
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Vgl. Preiswerk 1934, 439: „Zu einem ‚großen Untergang‘ bewegt den Aeson die Rücksicht auf Abkunft, Sohn und durchgefochtene Kriege. Vor Augen schwebt ihm auch sein noch junger zweiter Sohn, der vom Vater gewaltigen Mut und tapfere Taten lernen und sich später an dessen Sterben erinnern soll.“; McGuire 1997, 193; Manuwald 2000, 328. Zu sozio-kulturellen und philosophischen Beurteilungen des Selbstmordes in der frühen Kaiserzeit vgl. Sen. ep. 70; ep. 77; Griffin 1986; Griffin 21992, 367–388; McGuire 1997, 185–187; Dietrich 2009, 189. Donald McGuire beurteilt das Motiv des Selbstmordes in den flavischen Epen als Ausdruck der Selbstermächtigung: „Almost all of the suicides in these poems are committed in the face of tyranny, as acts of defiance meant to deny a tyrant control of the individual’s fate“ (McGuire 1997, 24). Auflistung nach McGuire 1997, 192 f. Zu der These, Aeson und Alcimede seien Allegorien für Thrasea und Arria, siehe Taylor 1994, 233–235. Diese hyperpunktuelle Auslegung der Szene vermindert letztlich die Allgemeingültigkeit der Aussage; naheliegender ist es, dass sich Valerius an unserer Stelle generell mit dem Phänomen ‚senatorischer Selbstmord in der frühen Kaiserzeit‘ auseinandersetzt und nicht nur mit einer konkreten Instanz desselben. Zur Kritik an Taylors Gleichsetzung von Thrasea-Aeson und Arria-Alcimede siehe Hershkowitz 1998, 132; Zissos 2009, 358 Anm. 29.
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(z.B. Arria, die Gattin des Thrasea Paetus, oder Paulina, die Gattin Senecas). Der gemeinsame Selbstmord wird aber in keinem dieser Fälle vollzogen – sowohl Arria als auch Paulina bleiben am Leben.140 Cretheus richtet die Aufforderung zum Suizid nur an Aeson. Dass diesem auch die Gattin in den Tod folgt, dürfte aber nicht nur für den Totengeist, sondern auch für das zeitgeschichtliche Lesepublikum überraschend gewesen sein.141 Denn die Darstellung des Valerius – bei ihm trinken Aeson und Alcimede Stierblut und sterben gemeinsam142 – überbietet die in der Historiographie beschriebenen Fälle noch und scheint sich dem Idealfall des gelungenen stoischen Freitodes deutlich weiter anzunähern, als dies den historischen Persönlichkeiten gelingt. Während das Überleben der Frau in den historischen Fällen als clementia des Princeps verbucht werden könnte, verhindert Valerius diese Auffassung, welche das Bild von Pelias als moralisch verkommenem, grausamem Gewaltherrscher ein wenig aufweichen würde. Dessen Status als entarteter Gewaltherrscher steht außer Frage.143 Deutlich schwerer fällt aber die Beurteilung von Aeson und Alcimede und dem Wert ihres Suizids. Die zeitgeschichtliche Relevanz unserer Stelle ist aufgrund der vielen Bezugspunkte zu Phänomenen der frühen Kaiserzeit kaum abzustreiten.144 Allerdings wurde der Selbstmord der Eltern Jasons in der Forschungsliteratur durch-
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Vgl. Dietrich 2009, 194 f. Vgl. Dietrich 2009, 195: „Cretheus does not seem to expect Alcimede to follow her husband’s example – nor might Valerius’ readers. Like Arria, Alcimede has children, and while she has been assured of Jason’s safety by Cretheus’ shade, Valerius places Aeson and Alcimede’s younger son, Promachus, at the centre of their suicide.“ Der gemeinsame Tod der Eltern ist nicht von der Tradition vorgegeben. Bei Apollodor bringt Aeson ein Opfer dar und tötet sich dann durch das Trinken von Stierblut. Getrennt von ihm verflucht Jasons Mutter den Tyrannen, dann erhängt sie sich. In der von Diodor vermittelten Fassung des Dionysios Skytobrachion zwingt Pelias Aeson, Stierblut zu trinken. Daraufhin verflucht Jasons Mutter den Tyrannen und richtet sich selbst durch das Schwert. In allen genannten Fassungen erfolgt der Selbstmord erst kurz vor der Rückkehr (nicht: kurz nach der Abfahrt) der Argo. Vgl. Apollod. 1,143; Diod. 4,50,1f. (= Dionysios Skytobrachion fr. 35 Rusten = FGrH 32 F 14); Preiswerk 1934, 440. Siehe Kap. 6.2. Vgl. Preiswerk 1934, 439 f.; McGuire 1989, 42; McGuire 1997, 192f.; Hershkowitz 1998, 132; Dietrich 2009, 193; Zissos 2009, 356f.; anders Manuwald 2000, die den Grund für die Einfügung der Schlussszene in der Absicht des Dichters vermutet, den Gedanken eines Bestrafungs- bzw. Belohnungssystems im Jenseits vorzuführen (bes. 337f. mit Anm. 37); Gärtner 2008, 384f.; Antoniadis 2016, 550 f., der dem Thyestes politische Bedeutung zuschreibt, aber dieselbe für die Argonautica leugnet; es gehe Valerius am Ende von Arg. 1 nur um den Appell an den Leser, die Figuren des Epos nach dem Grad ihrer Erfüllung stoischer Wertemaßstäbe zu beurteilen. Diese Auffassung vermindert den Aussagegehalt der Szene gewaltig.
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aus unterschiedlich beurteilt. Während Aeson für die einen ein ‚stoischer Held‘ ist, dessen in wahrer Größe vollzogener Selbstmord als vorbildlich tapferer Akt des Widerstandes gegen einen tyrannischen Herrscher zu bewerten sei,145 streichen andere seinen Mangel an Voraussicht heraus, da er bei allem Bemühen um einen ruhmreichen Tod das Naheliegende übersehe. Denn er verabsäumt es, Promachus vor den Schergen des Pelias in Sicherheit zu bringen.146 So muss er während seiner letzten Atemzüge mitansehen, wie der Sohn, dem er doch mit seinem noblen Tod ein exemplum innerer Größe zur Nachahmung vorlegen wollte, vor seinen Augen erschlagen wird (1,823–825).147 Außerdem wurde auf die beunruhigende Anwesenheit der Furie beim Selbstmord (1,815– 817) hingewiesen.148 Die Präsenz der Furie lässt im Sinne des aus der Tragödie bekannten Kreislaufs von Verbrechen und Vergeltung weiteres Unheil erwarten und kündigt dieses geradezu an. Das Herbeirufen der Rachegöttin, die ein neuartiges, unaussprechliches Verbrechen (inausum / arcanumque nefas: 1,807 f.) ins Werk setzen soll, verbindet Aeson nicht mit Senecas Thyestes (dem Opfer), sondern mit Atreus (dem Täter), der ebenfalls an einer Stelle „die schreckliche Schar der 145
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Zu der Auffassung, Aeson erweise sich durch seinen Selbstmord als ‚stoischer Held‘, der sich dem Tyrannen in unerschrockener, tapferer Weise widersetze, siehe Hershkowitz 1998, 132; Dräger 2003, 568; Zissos 2008, 379 zu 1,730–850; Antoniadis 2016, 40. Antoniadis geht über die vorigen noch hinaus und postuliert, Aeson entspreche dem im zweiten Chorlied des Thyestes (Thy. 336–403) vorgestellten Ideal des guten Herrschers; dagegen siehe McGuire 1997, 188: „[I]t would be misleading to see these epic suicide scenes as mechanical applications of some common Stoic orthodoxy.“ Das Bild von Aeson als abgeklärtem Stoiker lässt sich mit Blick auf seine zornige, von Vergeltungsgelüsten durchzogene und fast 30 Verse lange Verfluchung des Pelias (1,788–814/822), die nicht zuletzt eine Anrufung der Furien beinhaltet, kaum aufrechterhalten. Zum Tod des Promachus, der eine rein positive Interpretation des Suizids von Aeson und Alcimede verunmöglicht, siehe McGuire 1989, 25 f.; Hershkowitz 1998, 135; Dietrich 2009, 195.199. Zu der Ansicht, Aeson sei nur auf seinen Nachruhm fixiert und verliere dabei das Wesentliche (Promachus) aus den Augen, siehe Baier 2001, 32f. Dass der Dichter keine Verurteilung des Aeson intendiert, zeigt aber doch wohl seine Aufnahme in das Elysium. Eine andere Auffassung vertritt Baier 2001, 32–34, der den Eingang Aesons in die elysischen Gefilde als Beleg für ein – besonders im Vergleich zu Vergil – pessimistisches Weltbild des Valerius nimmt. Aeson sei eine durchschnittliche Figur, keine Lichtgestalt, der im Epos des Valerius aber trotzdem die Ehren zukommen, die bei Vergil und Cicero nur herausragenden Persönlichkeiten vorbehalten waren: „Dem flavischen Epiker fehlt der Glaube an die augusteische Restauration oder an die Widerstandskraft stoischer Gesinnung, der seine Vorgänger Vergil und Lucan beseelt hatte (34).“ Zur Präsenz der Furie beim Selbstmord siehe McGuire 1989, 26; Hershkowitz 1998, 183 (die beide den metapoetischen Gehalt dieses Verweises auf die Tragödie nicht berücksichtigen).
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Furien“ (dira Furiarum cohors: Sen. Thy. 250) zur Vernichtung des Bruders herbeiruft.149 Was aber unterscheidet Aeson noch vom Tyrannen Pelias, wenn er vom gleichen furor erfasst wird, zum gleichen nefas bereit ist?150 Aeson malt sich aus, wie Pelias von der „treuen, lieben Hand der Seinen“ (quae fida manus, quae cara suorum) zerstückelt und unbeerdigt liegen gelassen wird (1,808–810). Das ist das nefas, für das er die Unterstützung der Furie erbittet. Tyrannenherrschaft führt offenbar nicht nur beim Herrscher zu einer Verrohung der Sitten. Dazu kommt der erschütternde Tod des Promachus vor den Augen der im Sterben liegenden Eltern. Die beiden genannten Elemente (Anwesenheit der Furie, Tod des Kindes) erlauben wohl kaum den Schluss, Aesons Selbstmord wäre als gelungener, nachahmenswerter Akt zu beurteilen.151 Aber Jasons Vater befolgt doch das in gewissen senatsaristokratischen und/oder stoischen Kreisen der frühen Kaiserzeit propagierte und in der exitus-Literatur verklärte Ideal des oppositionellen Selbstmordes vorbildlich; er übertrifft es sogar, indem er den Suizid gemeinsam mit seiner Frau vollzieht. Die Diskrepanz zwischen der perfekten Erfüllung des Ideals eines ‚gelungenen‘ Selbstmordes und den Kollateralschäden dieser Tat (Tod des Promachus; zu erwartende Fortsetzung des nefas durch die Furie) legt nahe, dass es Valerius nicht auf eine Abwertung der Figur des Aeson ankommt, sondern auf das kritische Hinterfragen eines Ideals, das in der frühen Kaiserzeit dank berühmter Vorbilder, einer einschlägigen Literaturströmung und stoischer Rückendeckung populär geworden ist.152 Der Selbstmord als ultimative 149 150
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Zu dieser Parallele siehe Antoniadis 2016, 542–544. Vgl. Antoniadis 2016, 543: „Like Atreus […], Aeson pleads with the ultricesque deae Fasque et grandaeva Furorum / poena parens (796–797) to produce another atrocious, unprecedented crime in return for his brother’s deeds.“ Vgl. McGuire 1989, 28: „We should also recognize that while Valerius has, for the most part, described the suicide of Jason’s parents in a positive light, he has hinted at some lingering doubts about their action: the presence of the furies at the suicide and the ironies that Valerius notes surrounding Promachus’ death serve to undercut the reader’s impulse to endorse absolutely the actions of Jason’s parents.“ Anders Gärtner 2008, 372: „Insgesamt schildert Valerius in der Todesszene des Aeson und der Alcimede also einen bewusst geplanten und glänzend gelungenen Selbstmord.“ Antoniadis 2016, 549 unternimmt den wenig überzeugenden Versuch, Aeson mit dem idealen König des zweiten Chorliedes des Thyestes gleichzusetzen. Vgl. McGuire 1989, 26: „Yet, to see a simple opposition of wicked tyrant versus noble suicides in the death of Aeson and Alcimede is to ignore a couple of key details in the episode, details that raise questions about the value of suicide.“ Anders Gärtner 2008, 373, der über die Ambivalenzen der Szene hinwegsieht: „Bei Valerius Flaccus findet dagegen der gewaltsame Tod des Aeson seinen Ausgleich […] in der eschatologischen Dimension von Aesons Einzug in eine moralisch strukturierte Unterwelt. Dabei wird der Selbstmord als eine bewusste und bejahenswerte Entscheidung Aesons zugunsten dieser […] escha-
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Widerstandsgeste gegen tyrannische Gewalt mag Standhaftigkeit, Entschlossenheit und Gesinnungsstärke demonstrieren. Aber es ist ein Widerstand, der nichts bewirkt; der nur dem Toten Nachruhm verschafft, ohne die Situation der Lebenden zu verbessern, die mitunter sogar – wie im Fall des Promachus – einer größeren Gefahr ausgesetzt werden. Berühmt ist die Kritik des Tacitus an den ‚stoischen Märtyrern‘: Ohne jeden Nutzen für das Staatswesen erstrahlten sie in prahlerischem Tod (in nullum rei publicae usum ambitiosa morte inclaruerunt: Tac. Agr. 42,4).153 Es erscheint nur als schwacher Trost, wenn Valerius am Ende des ersten Buches in einer Jenseitsschau vorführt, wie Aeson und Alcimede nach ihrem Tod in die elysischen Gefilde eingehen dürfen. Es gibt zwei Türen in der Unterwelt der Argonautica, wobei die linke immer offen steht und „Völker und Könige empfängt“ (populos regesque receptat: 1,833),154 während die rechte sich äußerst selten öffnet. Sie empfängt nur herausragende Persönlichkeiten, die sich im Krieg, im Dienst an der Gesellschaft oder in der Ausführung des Priesteramtes ausgezeichnet haben.155 Offenbar erfüllen Jasons Eltern diese hohen Ansprüche: Von Mercur geführt erreichen sie „die Felder, wo das Sonnenlicht und der heitere Tag das ganze Jahr hindurch währen, wo es Reigen gibt, Chöre
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tologischen Perspektive geschildert. […] [B]ei Valerius Flaccus [ist] – sicher nicht ohne Einfluss der stoischen Philosophie – die Perspektive einer durch wohlkalkulierten Selbstmord erreichbaren individuellen eschatologischen Eudämonie hinzugekommen.“ Die Ablehnung der unkritischen Tradition der exitus-Literatur ist bei Autoren wie Tacitus oder Martial deutlich spürbar. Sollte meine Interpretation zutreffend sein, wäre Valerius ein früher Beleg für die in flavischer Zeit zunehmend kritische Auseinandersetzung mit der populären Verklärung der ‚stoischen Märtyrer‘. Vgl. Mart. 1,8; Tac. Agr. 42,3f.; McGuire 1997, 197; Penwill 2003, 351–353; Dietrich 2009, 187; Buckley 2018b, 88–97 mit Anm. 30. Im Agricola zeige Tacitus laut Emma Buckley einen Helden, der den leeren Ruhm des oppositionellen Selbstmordes ablehne und beweise, dass gute Männer auch unter schlechten Herrschern ihre Tugend zur Geltungen bringen könnten: „Tacitus creates a ‘quietist’ hero who rejects the futile glory of suicidal resistance in favour of a policy of ‘heroic moderation’“ (Buckley 2018b, 92). Manche Interpreten argumentieren, dass diese Ausdrucksweise impliziere, dass irdische Hierarchien im Jenseits bedeutungslos seien – Herrscher und Völker betreten den Hades durch denselben Eingang. Bevorzugt behandelt würden nur herausragende Persönlichkeiten (unabhängig von ihrer hierarchischen Position im Diesseits), die den in 1,835–839 gelisteten Kategorien entsprechen können. Zu dieser Auffassung siehe McGuire 1989, 26; Manuwald 2000, 330. Vgl. die folgende Anmerkung. Siegreiche Feldherren, Philosophen und Priester finden sich in der frühen Kaiserzeit wohl hauptsächlich in den Reihen der (Senats-)Aristokratie. Valerius’ Anforderungskatalog für den Einlass ins Elysium kann daher als Hinweis gelten, dass Valerius seine Jenseitsbeschreibung besonders an diese gesellschaftliche Gruppe adressiert. Vgl. Zissos 2008, 414 zu 1,832–845.
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der Männer und Lieder – ihre Bewohner haben keine Begierde mehr“156 (deveniant camposque, ubi sol totumque per annum / durat aprica dies thiasique chorique virorum / carminaque et quorum populis iam nulla cupido: 1,843–845). Hier treffen Aeson und Alcimede wieder auf Cretheus (pater: 1,846), der ihnen erzählt, „welch große Strafe Pelias an der linken Tür erwarte; wie viele Schreckensgestalten an der Schwelle“ (porta quanta sinistra / poena docet maneat Pelian, quot limine monstra: 1,847f.). Der Rezipient könnte einmal mehr an Seneca denken, der in De clementia vor den Gefahren warnt, die eine Tyrannenherrschaft für den Tyrannen selbst bedeute. Während im Fürstenspiegel Rebellionen und Attentate genannt werden, wird der Gedanke im Hercules furens auf die metaphysische Ebene ausgeweitet, wenn Theseus bei der Schilderung des Totengerichts (Herc. f. 731–747) von den schrecklichen Unterweltsstrafen für Gewaltherrscher erzählt. Pelias sieht im Tartarus also seiner gerechten Strafe entgegen, während Aeson und Alcimede „jenseitige Ehren für die gütige Tugend“ (infernos almae virtutis honores: 1,850) erhalten.157 Zumindest in der Unterwelt ist das im Diesseits offenbar nicht realisierbare Ideal einer gerechten Ordnung, die jedem das Verdiente zuteilt, verwirklicht.158 Ich habe den Ausblick auf jenseitige Gerechtigkeit am Ende des ersten Buches als schwachen Trost bezeichnet.159 Die knappe Beschreibung der entrückten Sorglosigkeit des Elysiums und die Ankündigung der verdienten Strafe für Pelias dürften beim Rezipienten nämlich deutlich weniger Eindruck hinterlassen als die erschütternde Schilderung des Wütens des Tyrannen, der grausige Tod des Promachus und die beunruhigende Präsenz der Furie. In anderen Wor156
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Die schwierige Formulierung et quorum populis iam nulla cupido wird von manchen als Kritik eines zeitgenössischen Desinteresses an Literatur interpretiert (etwa: „Gedichte, nach denen [quorum] die Menschen kein Verlangen mehr haben“ – so McGuire 1997, 197; Stover 2012, 155 f.). Eine solche Aussage scheint im Kontext ein wenig fehl am Platz. Wahrscheinlicher (und stimmiger) ist der Hinweis auf den Topos der Bedürfnislosigkeit der Elysiumsbewohner. Zu den jenseitigen Bestrafungen und Belohnungen in den Argonautica siehe Hershkowitz 1998, 136; Manuwald 2000, 337. Zu Valerius’ Unterwelt als utopischem Raum, in dem ein im Diesseits nicht umsetzbares Ideal von Gerechtigkeit verwirklicht wird, siehe Manuwald 2000, 338; Zissos 2009, 364: „It is a measure of the poem’s deep-rooted pessimism that Aeson’s exemplary aristocratic conduct and courageous response to tyrannical oppression find their reward not in this world but the next.“ Vgl. Feeney 1991, 336 f.: „This direct attempt to outweigh the earthly suffering is designed to have a solace which cannot be achieved by Vergil’s more diffuse images of the Elysian fields. […] It is a tepid and unmoving moment, perhaps, but one which coheres with the poet’s general attempts to recover some solace from the dismaying bleakness which the main elements of his tradition had to offer him in its picture of the human place in the scheme of things“ (meine Hervorhebung).
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ten: Der Ausblick auf elysische Glückseligkeit ist in den Argonautica ein unzureichendes Gegengewicht zur Unterdrückung und zum Leid im Diesseits. Noch ist der Tyrann Pelias am Leben; noch sind seine Untertanen seinem schrecklichen Zürnen wehrlos ausgeliefert. Was nützt ihnen das mutige, ruhmreiche Sterben von Aeson und Alcimede? Und um den Bogen zur frühen Kaiserzeit zu spannen: Was nützt den Überlebenden das ruhmreiche Sterben der sogenannten ‚stoischen Märtyrer‘? Der Selbstmord als Protestform gegen tyrannische Gewalt unterstreicht die Ausweg- und Machtlosigkeit jener, die dem Treiben eines Gewaltherrschers ausgeliefert sind. Wenn der letzte Rest von libertas nur mehr darin besteht, das eigene Leben auszulöschen, ist das nicht zuletzt ein Ausdruck tiefster Resignation: Wenn es im Diesseits keine Möglichkeit gibt, den Realitäten der Tyrannenherrschaft zu entkommen, bleibt nur der Gang ins Jenseits. Doch ein Widerstand, der sich selbst auslöscht, bleibt wirkungslos und bestätigt am Ende nur die bestehenden Machtverhältnisse.160 Der Ruhm der Protagonisten der exitus-Literatur wirkt aus dieser Perspektive schal – und auch ein wenig eigennützig. Helden scheint es für Valerius im System der Tyrannenherrschaft nicht zu geben; nur Opfer, Mittäter und das Ungetüm auf dem Thron, das im Diesseits nicht belangt werden kann. Diese bittere Wahrheit über die Gewaltherrschaft, zu der Machthaber wie Nero den Principat gemacht haben, vermittelt Valerius dem Leser am Ende des ersten Buches. Eine so drastische Zeichnung der Zustände, die das politische System der frühen Kaiserzeit zugelassen hat (wobei besonders die Erinnerung an Nero noch frisch war) und theoretisch jederzeit wieder zulassen könnte, kann für einen zeitgenössischen Rezipienten nur als warnender Blick in die eigene Vergangenheit und als abschreckendes exemplum empfunden worden sein. Die post-neronische römische Gesellschaft konnte durchaus Grund zur Hoffnung haben, denn die Abgrenzung von Nero spielt im frühen flavischen Repräsentationsprogramm eine große Rolle und darf wohl als explizite Distanzierung von Machtmissbrauch und Tyrannenherrschaft bewertet werden. Vespasian verpflichtete sich damit selbst zur Einhaltung bestimmter Herrschaftsnormen; um seine Herrschaft durch breite Zustimmung im Senat abzusichern, war das auch realpolitisch notwendig. Fasst man die drastischen Tyrannendarstellungen in den Argonautica als warnende exempla auf, ließen sie sich leicht mit der flavischen Propaganda verbinden, die der Senatsaristokratie nach den neronischen Auswüchsen einen Neuanfang versprochen hat.161 160
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Vgl. McGuire 1997, 186: „Suicide, after all, as eloquent an act as it might be, is an act of self destruction, and so, at the same time as it defines the absolute opposition to tyranny of the person who carries it out, it also terminates this opposition.“ Zu den Verbindungslinien, die sich zwischen der valerianischen Tyrannendarstellung und
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Der Tod der Eltern Jasons und des kleinen Promachus ist in der erzählten Welt entsetzlich wirkungslos. Doch der Erzähler nutzt die Kraft der epischen Gattung, die Erinnerung an bestimmte Figuren und bestimmte Ereignisse wachzuhalten:162 Als Aeson im Sterben liegt und zusieht, wie die Schergen des Pelias seinen Sohn „zerreißen“ (diripiunt), schaudert er und – so die bemerkenswerte Formulierung – „brachte den erinnerungstragenden (memorem) Schatten unter das [sc. jenseitige] Wolkendunkel“ (memoremque tulit sub nubibus umbram: 1,826). In der erzählten Welt mag die Erinnerung an die letzten Momente von Jasons Familie, die der Tyrannenherrschaft des Pelias zum Opfer fielen, mit Aeson in die Unterwelt einkehren. Für das zeitgenössische Publikum halten die Verse des Valerius diese Erinnerung wach; Verse, die von den bitteren Realitäten einer Tyrannenherrschaft künden, wie sie der Dichter und sein unmittelbares Publikum unter Nero kennengelernt haben. Vielleicht ist es auch nicht verfehlt, eine leise Aufforderung an ‚republikanisch‘ gesinnte Zeitgenossen (wie Helvidius Priscus) herauszulesen, stoische Helden wie Cato oder Thrasea Paetus in wertschätzender Erinnerung zu behalten, aber ihre Taten nicht nachzuahmen (ulteriora mirari, praesentia sequi) – ruhmvolles Sterben ist am Ende eine wirkungslose Protestgeste; Tyrannen wie Nero haben bereits genug guten Männern das Leben gekostet. Für die Generation, die zum unmittelbaren Lesepublikum der Argonautica gehört, gab es nach dem Aufstieg der Flavier Hoffnung, dass derartiges endgültig der Vergangenheit angehören könnte163 – der Schluss von Arg. 1 führt drastisch vor, welche
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der flavischen Abgrenzung von Nero ziehen lassen, siehe Mitousi 2014, 160. Einen ähnlichen Interpretationsansatz zur Tyrannendarstellung in der Thebais verfolgt Rebeggiani 2018 (vgl. bes. 22–24). Der typologische Ansatz von Taylor ist zur Erklärung der narrativen Strategie des Valerius in der Tyrannendarstellung ungeeignet. Das Bemühen, eine Figur des Epos mit je einer konkreten historischen Person gleichzusetzen, führt im Fall von Pelias und Aeetes zu Problemen, die auch Taylor bewusst sind; diese sind nämlich so angelegt, dass sie den Leser gedanklich zu einer in flavischer Zeit mit Nero assoziierten Gewaltherrschaft (aber nicht zu einer konkreten Person) hinführen: „In using two characters in the epic to represent one person, Valerius risked creating confusion. He makes great effort to avoid any such confusion, however, by drawing together the characters of the two villains by explicit assimilation“ (Taylor 1994, 230). Zur flavischen Erinnerung an Nero siehe Kap. 6.1. Vgl. McGuire 1989, 28: „Here at the end of Argonautica i it is left to Valerius to try to preserve the memory both of Jason’s parents and of Promachus himself.“ Zu schematisch die Beschreibung von Irene Mitousi (2014, 160): „The redundancy of the first type suggests emphatically the dominance of tyrants in the Golden Age, to which the Argonautic expedition would bring an end. Similarly, through the intended meaning of the epic, Vespasian and his dynasty is meant to terminate the reign of several tyrants.“ Die Argonautica vermitteln keineswegs die Gewissheit, dass die Gefahr römischer Tyrannenherrschaft mit dem Aufstieg Vespasians endgültig abgewendet wäre. Der Text führt
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Konsequenzen es hätte, wenn das Projekt der flavischen Restauration und der Wiederherstellung der Stabilität unter Vespasian scheitern sollte. Rückblick: In der Erzählung des Selbstmordes von Aeson und Alcimede am Ende von Arg. 1 stellt Valerius punktuelle Bezüge zu senatorisch-oppositionellen Selbstmorden der frühen Kaiserzeit her, die in einer eigenen Literaturströmung (sog. exitus-Literatur) glorifiziert wurden. Die valerianische Darstellung führt dem Rezipienten einerseits die schlimmen Auswüchse tyrannischer Gewaltherrschaft vor Augen, weckt allerdings auch Zweifel an der Tauglichkeit des Selbstmordes als Widerstandsgeste. Der Dichter flicht eine ganze Reihe dissonanter Elemente (Anwesenheit der Furie, Tod des Promachus, Verfluchung des Pelias durch Aeson) ein, welche den Aussagegehalt der Stelle ambivalent machen. Valerius’ Beurteilung des Selbstmordes Aesons, der auf die eigene Ruhmsteigerung berechnet ist, lässt sich auch mit Tacitus’ Bemerkungen über die „prahlerischen“ Selbstmorde sogenannter ‚stoischer Märtyrer‘ im Agricola verbinden.
5.6
Ergebnisse
(1) Die zeithistorischen Debatten über die Natur der Principatsherrschaft nach dem Aufstieg Vespasians spiegeln sich in vielfältiger Weise in den Argonautica wider. Die Flavier legten Wert auf möglichst breite Zustimmung der Senatsaristokratie zu ihrer Herrschaft. Sie hatten deshalb kein Interesse an drastischen Bestrafungsaktionen gegen Kollaborateure des neronischen Regimes und frühere politische Gegner. Die propagierte libertas restituta wurde jedoch vom widerständigen Senator Helvidius Priscus auf die Probe gestellt, der mehrere senatorische Initiativen anregte, um den realpolitischen Spielraum des Senats auszudehnen und die Machtfülle des Princeps einzuschränken. Er zog sich damit den Vorwurf zu, das den Senatoren zugestandene Maß an Freiheit (modus libertatis) zu überschreiten und zu versuchen, sich – etwa indem er in der Nachfolgefrage Vespasians dynastische Pläne offen ablehnte – über den Princeps zu erheben (supra principem scandere). die Möglichkeiten von Machtmissbrauch vor, die der Principat theoretisch jedem Herrscher einräumt, und fungiert somit als abschreckendes, warnendes exemplum in einer politischen Umbruchszeit. Auch die Einschätzung, die Argofahrt würde zum Sturz aller Tyrannen führen, ist unzutreffend. Die Herrschaft des Aeetes wird durch den Putsch des Perses nur unterbrochen; Jupiter verkündet aber am Ende des fünften Buches, dass er unterstützt von Medea und ihrem Sohn Medus „nach langer Verbannung“ (post longa … / exilia) wieder als Herrscher eingesetzt werden soll (5,684–687). Zur Wiedereinsetzung des Aeetes siehe Otte 1992, 121.
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(2) Vespasian duldete die Provokationen des Helvidius wohl einige Jahre, bevor er den Senator verbannen und schließlich hinrichten ließ. Die ambivalente Darstellung des Helvidius bei Tacitus lässt darauf schließen, dass das aggressive Eintreten für senatorische libertas und der offene Konfrontationskurs mit dem als Tyrannen verunglimpften Kaiser im Senat nicht nur Zustimmung hervorgerufen hat. In der exitus-Literatur hingegen, die in erster Linie das Andenken an Nero-Opfer bewahrte, wurde Helvidius posthum glorifiziert und überhöht. Noch weitere spätere Quellen stilisieren ihn zum furchtlosen republikanischen Freiheitskämpfer, der wie sein Schwiegervater Thrasea Paetus einem Tyrannen die Stirn geboten habe. Tacitus impliziert ein bestimmtes Maß an Inszenierung im politischen Agieren des Helvidius. Theatralische senatorische Selbstmorde gelten ihm als Ausdruck individueller Ruhmsucht; dem Staatswesen könne nur gedient werden, wenn sich Senatoren mit den bestehenden Machtverhältnissen arrangieren. (3) Die politischen Verhältnisse der frühen Kaiserzeit stellen für die Darstellung von Macht und Herrschaft in den Argonautica einen maßgeblichen Referenzrahmen dar. In Iolkos und Kolchis existierten dieselben politischen Organisationsformen wie im frühkaiserzeitlichen Rom, worauf die anachronistischen Begriffe populus, patres und tyrannus hindeuten. In der mythologischen wie in der historischen Welt gilt die Sprachregelung, die Herrschaft sei durch den consensus zwischen den relevanten Gruppen legitimiert, während die realpolitische Legitimationsgrundlage der Militärgewalt nicht offen thematisiert wird. Die Kommunikationsform der dissimulatio kennzeichnet – ein weiterer paradigmatischer Reflex – sowohl die frühe Kaiserzeit als auch die Argonautica. Nicht zuletzt bedient sich Valerius in der Zeichnung der Tyrannenfiguren einer dezidiert römischen Tyrannentopik, die aber aufgrund ihrer offenen, paradigmatischen Form nur in Einzelfällen zulässt, punktuelle Bezüge zu konkreten historischen Persönlichkeiten herzustellen. (4) In der Seesturm-Szene bildet sich die Perspektive ab, dass allzu große libertas die Stabilität des Reichs gefährde und daher – notfalls mit Gewalt – einzudämmen sei. Sol und Boreas treten in der narrativen Sequenz, die in den Seesturm mündet, als Gegner der Argofahrt auf. Sie artikulieren ihren Widerstand jedoch unterschiedlich. Sol beachtet den modus libertatis und bittet respektvoll darum, die geplante Fahrtroute der Argo zum Schutz der Kolcher zu ändern. Boreas geht hingegen offen gegen Jupiters Pläne vor, wenn er in einem subversiven Akt die Sturmwinde entfesselt, um die Argo zu versenken. Neptun unterbindet den Sturm, weist aber darauf hin, dass die Fluten des Meeres in Zukunft viele weitere Schiffe versenken werden. Vor dem Hintergrund der konventionellen Metapher vom Staatsschiff kann die Aussage als Verweis auf die Opfer verstanden werden, die das Errichten (und Aufrechterhalten) eines Weltreichs mit sich bringt.
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(5) In der Erzählung vom ambivalent beurteilten Selbstmord der Eltern Jasons lässt sich eine kritische Auseinandersetzung mit der exitus-Literatur feststellen: Einerseits ist Selbstmord offenbar der einzige Ausweg, um einer geplanten Racheaktion des entarteten Gewaltherrschers Pelias zu entgehen, andererseits fügt der Dichter so viele problematische Elemente ein (Anwesenheit der Furie, Tod des Promachus), dass dem Rezipienten eine positive oder gar verklärende Beurteilung – wie sie wohl im Rahmen der exitus-Literatur häufig erfolgt ist – deutlich erschwert wird. In der Darstellung des Valerius erscheint der Selbstmord Aesons weniger als die Tat eines innerlich gefestigten ‚stoischen Märtyrers‘, sondern als eine auf maximale Außenwirkung berechnete, leere Ruhmgeste. Der das erste Buch abschließende Eintritt Aesons und Alcimedes ins Elysium suggeriert, dass im System der Gewaltherrschaft Gerechtigkeit nicht im irdischen Raum, sondern erst im Jenseits realisierbar ist.
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Tyrannen und ideale Herrscher Die Mehrzahl der menschlichen Herrscherfiguren in den Argonautica lässt sich dem Figurentypus des skrupellosen, paranoiden und hinterlistigen Gewaltherrschers zuordnen, der nur auf den eigenen Vorteil bedacht ist, gegen die Interessen seiner Untertanen agiert und vor keinem Verbrechen zurückschreckt, um sich an der Macht zu halten. Eiskaltes Taktieren, trügerische Verstellung und perfide Intrigen kennzeichnen Pelias, Laomedon und Aeetes.1 Taciteische Beschreibungen römischer Principes wie Tiberius oder Domitian weisen erklärungsbedürftige Parallelen auf, aber es wäre verkürzt, in den Tyrannen der Argonautica nur mythologische Spiegelbilder konkreter Herrscherpersönlichkeiten zu erkennen – denn ihre Darstellung schöpft auch aus der Literatur.2 An drei Einzelszenen – (1) Pelias’ Wüten gegen Jasons Eltern, (2) Bestrafung des Phineus, (3) Befreiung des Prometheus – überprüfe ich im Folgenden die These, dass Valerius insbesondere die Tyrannendarstellungen im Corpus der Seneca-Tragödien rezipiert; außerdem die in De clementia entwickelte Theorie von Alleinherrschaft, die am Beispiel der schematischen Figurentypen ‚idealer Herrscher‘ bzw. ‚entarteter Gewaltherrscher‘ entfaltet wird. Ich gehe davon aus, dass Valerius Seneca als Autor wahrgenommen hat, der seine in den philosophischen Werken dargelegte politische Theorie auch in seine tragische Produktion einfließen ließ. Der Argonautica-Dichter scheint in Senecas philosophischen und tragischen Werken ein Modell für politisches Dichten vorgefunden zu haben, das er für sein Epos adaptieren und übernehmen konnte, um über die Machtverhältnisse im Principat zu reflektieren.
1 Zum beschriebenen Figurentypus des Tyrannen in den Argonautica siehe allgemein McGuire 1997, 25–29.147–161; Mitousi 2014, 157–160; Cowan 2014, 231–241. In Robert Cowans Deutung reflektiere Valerius anhand der genannten Figuren über autokratische Macht: „[I]t is unquestionably safest and arguably most enlightening to read Valerius’ villainous tyrants as part of a thought experiment on the nature of political and specifically monarchical power, and how socially and morally desirable values can be preserved and acted upon in a world subject to such power.“ 2 Die auffälligen Übereinstimmungen in der Tyrannendarstellung in den Seneca-Tragödien, im flavischen Epos und in der post-flavischen Historiographie legen nahe, Figuren wie Pelias und Aeetes auch im Kontext der literarisch-rhetorischen Tyrannentopik der frühen Kaiserzeit zu interpretieren: siehe hierzu McGuire 1997, 147–184; Zissos 2009, 360 Anm. 35; Bernstein 2016, 398–400; Davis 2020, 5.
© Bernhard Söllradl, 2023 | doi:10.1163/9789004537187_007
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Die Annahme einer von Seneca inspirierten protreptischen Herrscherdarstellung erlaubt, der Darstellung von tyrannischen Verfehlungen Appellcharakter zuzuschreiben, ohne dass verhüllte Kritik an einem bestimmten römischen Princeps vorliegen muss. Die Herrscherfiguren in den Argonautica entfalten ihre Wirkung als paränetische bzw. abschreckende exempla auch dann, wenn kein konkretes historisches Vorbild (z.B. Domitian) angenommen wird. Allerdings ergibt sich durch die Seneca-Rezeption insofern eine reizvolle Komplikation, als das tragische Œuvre Senecas in flavischer Zeit als authentischer Spiegel der neronischen Gewaltherrschaft interpretiert wurde und somit einen ganz konkreten Assoziationsrahmen eröffnet. Eine an Senecas Vorbild geschulte Tyrannendarstellung hat nach 69 n. Chr. zwangsläufig Erinnerungen an Nero aufgerufen.3
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Senecas tragisches und philosophisches Werk als Modell für politisches Dichten in flavischer Zeit
Das Corpus der Seneca-Tragödien enthält zahlreiche Beispiele für den Figurentyp des entarteten Tyrannen. Im Hercules furens hat Lycus den thebanischen Thron gewaltsam an sich gerissen, setzt seinen Herrschaftsanspruch mit roher Gewalt durch und ist beim Volk verhasst.4 In den Phoenissae bekennt Eteocles gegenüber Polynices, dass ihm jeder Preis für die Macht recht sei.5 Im Thyestes plant Atreus von Rachegelüsten getrieben schlimme Vergeltung gegen den eigenen Bruder. Er bezeichnet es als Pflicht des Tyrannen, keine Verfehlung anderer ungerächt zu erdulden.6 Einem anonymen „Untertanen“ (satelles) teilt
3 Mögliche Reflexe auf den Principat Neros in den Argonautica wurden bisher kaum diskutiert. Vgl. Rebeggiani 2018, 262: „[T]he Neronian implications of [Valerius’] poem seem to me to have only been partly teased out. It would have been difficult for readers of Valerius not to think of Nero when presented with the picture of Aietes, a tyrant who closely associates his identity with the Sun. At the beginning of the poem, the executions commanded by Pelias have several points of contact with the literature on the martyrs of Nero that started to circulate in the Flavian period.“ Zu Nero in den Argonautica siehe Taylor 1994, 233–235 (deren Argumentation unter der These strenger allegorischer Übereinstimmungen zwischen den Figuren des Epos und historischen Persönlichkeiten leidet); Schubert 1998, 305f. (der sich grosso modo auf ein kritisches Referat der Thesen Taylors beschränkt); Heerink 2014, 89–92 (zur Ekphrasis des Sol-Tempels und zu möglichen Nero-Bezügen in der Erwähnung Phaethons). 4 Zu Lycus im Hercules furens siehe Rose 1980; Grewe 2001, 24–27; Braund 2009, 74f. 5 Sen. Phoen. 664 (imperia pretio quolibet constant bene). Zum Dialog zwischen Eteocles und Polynices siehe Braund 2009, 74. 6 Vgl. Thy. 176–180.885–889.911f.; Manuwald 2003, 41: „That Atreus’ idea of kingship is defined
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er mit, für den Herrscher würden keine moralischen Normen gelten und um sein Ansehen beim einfachen Volk habe er sich nicht zu kümmern.7 Die Figur des grausamen Gewaltherrschers kontrastiert Seneca in Dialogpassagen oder Chorliedern immer wieder mit dem Gegenentwurf des ‚idealen Herrschers‘.8 Im Hercules furens beschreibt Theseus das Totengericht und erklärt, dass Tyrannen mit schlimmen Jenseitsstrafen zu rechnen hätten.9 In den Phoenissae rät Polynices, ein Herrscher müsse den Hass des Volkes vermeiden.10 Im Thyestes versucht der satelles, Atreus vom Racheplan abzubringen, indem er ihn an das Ideal des guten Herrschers bindet: Es gehöre sich für den guten Herrscher, bestimmte moralische Werte zu befolgen, um sich der Zuneigung des Volkes zu versichern. Atreus hält dagegen, dass die für das Volk geltenden Wertemaßstäbe für den Herrscher keine Gültigkeit hätten. Das Volk müsse ihn in jedem Fall ertragen und lobpreisen. Dadurch werde die Stabilität der Herrschaft sichergestellt.11 Der ‚ideale Regent‘ ist auch das Thema des Chorlieds, das auf den Dialog zwischen Atreus und dem satelles folgt (Thy. 336– 403)12 – dieses Chorlied kann als impliziter Kommentar zum Vorhergegangen verstanden werden.13 Die Dichotomie Tyrann/idealer Herrscher findet in dem an Kaiser Nero adressierten Fürstenspiegel De clementia ein aufschlussreiches Seitenstück.14
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in relation to his revenge becomes clear after he has accomplished it: only then does he think that he has achieved true kingship and become equal to the gods.“ Atreus bezeichnet sich in Thy. 177 selbst als Tyrannen; vgl. dazu Spielberg 2019, 160: „It is only the tragic tyrant who boasts about his absolute power and who views any attempt to give him counsel as an unacceptable infringement of his prerogative.“ Sen. Thy. 204–220. Zur Figur des Atreus im Thyestes siehe Davis 1989; Manuwald 2003, 39–47; Braund 2009, 75 f. Vgl. Fischer 2014, 753: „[O]pposing pairs of characters appear frequently in the tragedies in order to discuss values of kingship in a wider sense. Consider, for example, Lycus and Hercules in Hercules Furens, Pyrrhus and Agamemnon in Troas, and Eteocles and Polynices in the incomplete Phoenissae.“ Sen. Herc. f. 731–747 mit Grewe 2001, 25 f. Sen. Phoen. 653–664. Zum Dialog zwischen Atreus und dem satelles siehe Mader 1998, 34: „The two speakers argue for diametrically opposing models of kingship – the satelles for a system of benevolent monarchy, Atreus for the despot’s complete freedom from political and moral constraints.“; Manuwald 2003, 39–45; Fischer 2014, 752 f. Zum zweiten Chorlied des Thyestes siehe Davis 1989, 426–429; Manuwald 2003, 45f. Vgl. Davis 1989, 426: „On this occasion the chorus’s subject is the nature of kingship. Its words are pertinent in relation to what we have just seen, for Atreus embodies the very antithesis of all that this chorus represents.“ Mit der Abfassung einer theoretischen Schrift, die zur Unterweisung des Herrschers ein als Ideal gedachtes Vorbild entwickelt, stellt sich Seneca in die Tradition hellenistischer
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Das Traktat – „one of the very rare systematic discussions of Roman political thought“15 – weist daneben zahlreiche weitere Überschneidungen zum tragischen Œuvre auf.16 Seneca entfaltet in der Schrift eine Theorie vom Wesen der Alleinherrschaft, in der clementia („Milde“)17 die ideale Regentschaft auszeichne, und crudelitas, saevitia oder feritas die Tyrannenherrschaft. Der zentrale Begriff wird an einer Stelle wie folgt definiert: clementia est temperantia animi in potestate ulciscendi vel lenitas superioris adversus inferiorem in constituendis poenis. Sen. clem. 2,3,118 Die Formulierung dieser Definition verdeutlicht, dass Seneca seine Instruktionen an einen autokratischen Herrscher richtet,19 den aufgrund seiner Macht-
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Fürstenspiegel (z. B. Xenophon, Cyropaedia; Isokrates, Nicocles, etc.), bei denen jedoch Adressat und Vorbild nicht identisch sind – das Bild des Spiegels (nach Sen. clem. 1,1,1: scribere de clementia, Nero Caesar, institui, ut quodam modo speculi vice fungerer) erhält somit erst bei Seneca seine Berechtigung im Wortsinne. De clementia gilt auch als Vorbild der in Mittelalter und Renaissance weit verbreiteten Fürstenspiegel-Literatur (z.B. Erasmus von Rotterdam, Institutio principis Christiani [1516]; Niccolò Machiavelli, Il principe [1513/1532]). Vgl. Manuwald 2002, 107 f.; Braund 2009, 1; Schwazer 2016, 1008f. Malaspina 2014, 175. Eine derart weitgefasste Zielsetzung ist angesichts des Titels, der zunächst nur die philosophische Grundlegung einer Herrschertugend erwarten ließe, überraschend (vgl. Manuwald 2002, 107 f. mit Anm. 2). Im politischen Diskurs beginnt der Begriff clementia erst in der späten Republik im Zusammenhang mit der berüchtigten clementia Caesars – die im Bellum Africum und in manchen Reden Ciceros lobend erwähnt wird – eine Rolle zu spielen (bell. Afr. 86,2; 88,6; 92,4; Cic. Marc. 1,1; 12,18; Lig. 6; 10; 15; 19; 29; 30; Deiot. 8; 38; 40; 43). Augustus erhebt clementia zu einer der zentralen Herrschertugenden (neben virtus, iustitia, pietas), die auch auf dem in der Curia Iulia angebrachten goldenen Ehrenschild (clupeus virtutis) dargestellt sind. Zu den Parallelen zwischen De clementia und den Tragödien Senecas siehe Braund 2009, 73–76; Fischer 2014, 752f.; Rebeggiani 2018, 132–135.142–147. Arbeiten, die bei der Interpretation von Einzeltragödien in größerem Maße auf De clementia Bezug nehmen, sind Rose 1980 (zum Hercules furens); Manuwald 2002 (zur im Corpus der Seneca-Tragödien überlieferten Octavia); Schwazer 2016 (zum Thyestes). Zur Wiedergabe des vielschichtigen Begriffs clementia (den ich im Folgenden unübersetzt lassen werde) mit „Milde“ siehe Manuwald 2002, 108 Anm. 4. Zur Definition des Begriffs clementia und seiner Abgrenzung von philosophisch-ethischen Wertebegriffen siehe Manuwald 2002, 108; Braund 2009, 38–40; Schwazer 2016, 1012f. Seneca suggeriert wiederholt, Nero habe seine Macht von den Göttern erhalten und sei an keine menschlichen Gesetze gebunden (vgl. Sen. clem. 1,8,1–6; 2,7,3; Manuwald 2002, 111 mit Anm. 10; Braund 2009, 42). Das Konzept des consensus, der die Zustimmung des Senats zur Principatsherrschaft bezeichnet und diese im Rückgriff auf die Institutionen der Republik legitimiert, fehlt an diesen Schlüsselpassagen. Vgl. Braund 2009, 23: „[De Clementia] is also a justification of imperial rule to the elite in Rome, Italy and the provinces,
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position nichts daran hindern würde, auch die härtesten oder grausamsten Strafen zu verhängen.20 Er ist „für die Völker der Richter über Leben und Tod.“21 Die Schrift kann vor diesem Hintergrund als Versuch verstanden werden, den Principat Neros programmatisch mit der Herrschertugend clementia zu verknüpfen und den jungen Kaiser zur Erfüllung der daraus resultierenden Erwartungshaltung zu verpflichten.22 Da der Princeps dank seiner Machtfülle sowohl zum gottgleichen Wohltäter als auch zur grausamen Bestie werden kann – den Mittelweg scheint Seneca auszuschließen23 – muss es umso dringender erscheinen, dem Herrscher ein Idealbild von guter Herrschaft zur Nachahmung vorzulegen und ihn durch „verpflichtende und paränetische Idealisierung“ (Manuwald) zur Verwirklichung dieses Ideals zu bewegen.24 Sollte dies nicht gelingen, drohen willkürlicher Machtmissbrauch und exzessive Gewaltherrschaft. Ein zentrales Argument in De clementia ist, dass die Erfüllung des vorgestellten Herrschaftsideals auch im persönlichen Interesse des Kaisers sei. Der Herrscher, der mit straffällig gewordenen Untertanen maßvoll und gütig verfahre, gewinne die Zuneigung des Volkes, das ihn aus Dankbarkeit unter Einsatz
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whose ‘permission’ and co-operation is needed for the princeps to retain power, or, to put it more starkly and more negatively, it is a statement of the emperor’s absolute power.“; Ker 2015, 110: „Seneca was the first imperial writer to recognize that the princeps was a monarch and the elite were effectively participants in a ‘court,’ where social etiquette and moral conduct were more in the spotlight.“; Spielberg 2019, 160: „Seneca’s De Clementia notoriously advises a senatorial readership that they live under autocracy, but does so through the fiction that the reader is listening in on a private conference between the ruler and his tutor.“ Die Möglichkeit, das Leben der Untertanen zu verschonen, indem clementia ausgeübt wird, kann nur einem mit absoluter Macht ausgestatteten Herrscher zukommen; clementia ist daher eine Tugend, die erst im Principat zentral wird (Susanna Braund und Stefano Rebeggiani sprechen von einer „imperial virtue“). Vgl. Kloft 1984, 308–311; Christ 22004, 17 f.; Braund 2009, 30–44; Rebeggiani 2018, 15–18. Sen. clem. 1,1,2 (ego vitae necisque gentibus arbiter). In ähnlichen Worten beschreibt der Chor im Thyestes die Macht des Herrschers (vos quibus rector maris atque terrae / ius dedit magnum necis atque vitae: Thy. 607 f.). Zu den von Seneca für Nero verfassten Senatsreden, in denen sich der junge Kaiser für seine clementia verbürgt, siehe Tac. ann. 13,11,2; Braund 2009, 3.56f.; Schofield 2015, 68; Rebeggiani 2018, 43 f. Vgl. Braund 2009, 40: „[Seneca’s] models of rulers depart from the human measure, either rising to god-like beneficence or descending into beast-like ferocity.“ Zur didaktischen Strategie der Schrift siehe Manuwald 2002, 109f.; Braund 2009, 53–57; Scheerlinck 2016, 48–58; Rebeggiani 2018, 11 f. Eine grundsätzliche Infragestellung des politischen Systems gehört nicht zum Programm des Traktats (vgl. Manuwald 2003, 47). Wie der satelles im Thyestes versucht Seneca, innerhalb des gesteckten Rahmens Einfluss auf den Machthaber zu nehmen (vgl. Tarrant 1985, 121; Manuwald 2003, 42f.).
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des eigenen Lebens verteidige und vor allen Gefahren beschütze: unum est inexpugnabile munimentum: amor civium (clem. 1,19,6).25 Die gute Herrschaft bringe also sowohl dem Princeps als auch den Untertanen Sicherheit und lasse Waffen zur reinen Zierde werden (princeps suo beneficio tutus … arma ornamenti causa habet: clem. 1,13,5). Hingegen sei die Gewaltherrschaft auch für den Tyrannen selbst gefährlich (clem. 1,11,4). „Grausame Herrschaft ist stürmisch und von Schatten verdüstert, wobei nicht einmal derjenige, der alles aufwühlt, inmitten der Zitternden und bei jedem Donnerschlag Aufschreckenden unerschüttert bleibt.“26 Durch häufige Strafen, die ohnehin nur den Hass einiger weniger unterdrücken könnten, schüre er im Volk Missgunst ( frequens vindicta paucorum odium obprimit, omnium inritat: clem. 1,8,6), die „den Nährboden für Aufruhr und Verschwörungen bilden kann.“27 Weil die tyrannische Grausamkeit die Anzahl der Feinde stetig vergrößere (regia crudelitas auget inimicorum numerum: clem. 1,8,7), müsse der Gewaltherrscher stets Verschwörungen und Anschläge auf sein Leben befürchten28 – ähnliche Äußerungen finden sich auch im senecanischen Tragödiencorpus zuhauf.29 Während der Tyrann unverhältnismäßige Strafen erteile, übe der gute Herrscher nur dann Rache, wenn es ihm nach einem erlittenen Unrecht Trost verschaffe oder der Gewährleistung der Sicherheit diene (ultio duas praestare res solet: aut solacium adfert ei, qui accepit iniuriam, aut in relicum securitatem: clem. 1,21,1).30 Ist beides nicht der Fall, solle der Herrscher Größe beweisen, indem er trotz seiner überlegenen Machtposition von einer Strafe absehe –
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Vgl. clem. 1,1,5–9; 1,3,3–4,3; 1,13,4 f.; Manuwald 2002, 113–115; Braund 2009, 59: „Seneca repeatedly represents ruler and ruled as a mutually interdependent organic whole.“; Schofield 2015, 71. Sen. clem. 1,7,3 (Crudele regnum turbidum tenebrisque obscurum est, inter trementes et ad repentinum sonitum expavescentes ne eo quidem, qui omnia perturbat, inconcusso). Vgl. Schwazer 2016, 1019: „Seneca berichtet an dieser Stelle, dass ein wütender tyrannus durch sein von Zorn fremdgesteuertes Verhalten nicht nur sich selbst, sondern auch seine nähere und in weiterer Folge fernere Umgebung in Unheil stürzen wird.“ Scheerlinck 2016, 57. Vgl. clem. 1,7,3; 1,13,3; 1,19,5; dial. 4,2,3 (mit Zitat des Mimus-Dichters Laberius: necesse est multos timeat quem multi timent); Rose 1980, 136; Baier 1998, 324f.; Schwazer 2016, 1017– 1021; Rebeggiani 2018, 132–135. Vgl. Ag. 258 f. (violenta nemo imperia continuit diu / moderata durant); Herc. f. 341–344 (rapta sed trepida manu / sceptra optinentur; omnis in ferro est salus: / quod civibus tenere te invitis scias, / strictus tuetur ensis); Phoen. 660 (invisa numquam imperia retinentur diu); Thy. 207 f. (quos cogit metus / laudare, eos reddit inimicos metus). Vgl. Schwazer 2016, 1018.
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eine Vorgangsweise, die der kriegsmüde Agamemnon in den Troades dem hitzköpfigen Pyrrhus empfiehlt.31 An anderer Stelle definiert Seneca drei Zwecke, die eine Strafe zulässig machen: (1) Sie verbessert denjenigen, der das Unrecht verübt hat; (2) sie verbessert die übrigen Bürger; (3) sie ermöglicht den übrigen Bürgern durch die Beseitigung eines Übels ein Leben in größerer Sicherheit (aut ut eum, quem punit, emendet, aut ut poena eius ceteros meliores reddat, aut ut sublatis malis securiores ceteri vivant: clem. 1,22,1).32 Zahlreiche Parallelen zwischen De clementia und den tragischen Werken lassen zu, das philosophische Traktat und bestimmte Passagen der Tragödien als komplementäre Teile des politischen Projekts anzusehen, eine nachzuahmende bzw. abzulehnende Herrschaftsform zu veranschaulichen, um dadurch einen dem Kaiser geltenden Erwartungsdruck aufzubauen. In anderen Worten: Senecas Tragödien enthalten Elemente, die sich nahtlos mit der in De clementia entfalteten Theorie verbinden lassen. Dies lässt die Annahme einer paränetischen Wirkabsicht der tragischen Produktion plausibel erscheinen.33 Durch den bekannten Fortgang der Geschichte eröffnet sich jedoch ein weiterer, von der These der didaktischen Zielsetzung zu scheidender Interpretationszugang. Das sich rasch verfestigende Bild von Nero als entartetem, grausamem Gewaltherrscher lässt zu, in Figuren wie Atreus oder Oedipus kaum verhüllte Allegorien zu erkennen – die tragische Gattung sei für Seneca ein
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Vgl. Tro. 254 (quo plura possis, plura patienter feras); Tro. 350f. (meus captis quoque / scit parcere ensis). In clem. 1,14,1 gibt Seneca die Empfehlung, erst dann Strafen zu verhängen, wenn alle anderen „Heilmittel“ (remedia) ausgeschöpft seien. Die in manchen Situationen gegebene Notwendigkeit von Strafen räumt Seneca auch in De ira ein und gibt an einer Stelle (1,19,5–7) auch dieselben Zwecke einer Bestrafung an – Besserung des Täters, Besserung der Übrigen, Gewährleistung der Sicherheit. Vgl. dial. 3,6,1; 3,14,1–16,6; 3,19,5–7; Braund 2009, 72f.; Scheerlinck 2016, 66–70. Die Tragödie gilt in Rom als dezidiert politische Gattung; das Publikum war dementsprechend feinfühlig für zeitgeschichtliche Anspielungen und hat diese auch erwartet: siehe Cic. Sest. 118; Töchterle 1994, 44–48; Fuhrmann 1997, 207f.; Grewe 2001, 10–12; Ginsberg 2015, 223–227. Zur These der didaktischen Intention der Seneca-Tragödien (die von punktuellen Bezügen auf das politische Tagesgeschehen getrennt werden sollte, da diese aufgrund der Datierungsproblematik nicht mit letzter Sicherheit hergestellt werden können) siehe Tac. ann. 14,52,3; Rose 1980, 135f.; Grewe 2001, 13–35 (mit Beck 2003); Braund 2009, 73f. mit Anm. 234; Fischer 2014, 745–747. Zu der etwa im Thyestes feststellbaren Technik, römische Verhältnisse auf die mythologische Welt zu übertragen (wodurch der Rezipient gedanklich zu zeitgenössischen Realitäten hingeführt wird), siehe Thy. 353– 357.369–387.396.596–614; Davis 1989, 427.431; Manuwald 2003, 46f. Zur schwierigen Frage der Datierung der Tragödien siehe Nisbet 1990 [u. ö.]; Töchterle 1994, 44–48; Braund 2009, 73 Anm. 233 (mit weiterer Literatur); Marshall 2014.
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Vehikel, einer regime- und Nero-kritischen Haltung Ausdruck zu verleihen.34 Es lassen sich zahlreiche Gründe anführen, dass eine solche Rezeptionsrichtung vom Autor kaum intendiert gewesen sein konnte. Wer argumentiert, die Tragödien Senecas enthielten regime-kritische Töne oder seien gar offen oppositionell, müsste einräumen, dass dieser Aussagegehalt prinzipiell für jeden zeitgenössischen Leser verständlich gewesen wäre – und somit auch für den Kaiser. Da die Tragödie in Rom ohnehin als zutiefst politische Gattung galt35 und gerade von einem Autor, der dem Kaiserhof persönlich nahestand, eine diesbezügliche Positionierung erwartet werden konnte, dürfte Seneca wohl kaum das Risiko eingegangen sein, sich mit seiner tragischen Produktion den Vorwurf zuzuziehen, einer anti-neronischen Haltung das Wort zu reden. Wie gefährlich die Erregung eines diesbezüglichen Verdachts werden konnte, bezeugt das Beispiel des unter Tiberius wirkenden Tragikers Mamercus Aemilius Scaurus, dessen Atreus als offene Kritik am Princeps verstanden wurde, was Tiberius genügte, um die Hinrichtung des Dichters anzuordnen.36 Als Ausweg bliebe die Erklärung, Seneca habe seine Tragödien nur einem überschaubaren privaten Kreis zugänglich gemacht. Dagegen spricht einerseits die starke Rezeption von Senecas tragischem Werk bei Lucan und in flavischer Zeit, was sich mit der Vorstellung streng unter Verschluss gehaltener Privatwerke schwer verbinden lässt.37 Möglicherweise lässt sich auch eine (unterschiedlich auslegbare) Annales-Stelle dahingehend interpretieren, dass Seneca
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Diese wirkmächtige Position vertreten (mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung) etwa J. David Bishop und Eckard Lefèvre. Lefèvre schlägt auch eine Reihe allegorischer Gleichsetzungen vor (etwa Iocaste ~ Agrippina; Laius ~ Claudius; Oedipus ~ Nero). Die Annahme mehr oder weniger offensichtlicher Nero-Kritik berührt selbstverständlich auch die Aufführungsfrage. Töchterle (1994, 47) hält nur eine gewisse Verbreitung im privaten Umfeld des Dichters für möglich und konstatiert: „Derartiges konnte nicht für öffentliche Aufführungen, aber auch nicht für öffentliche Rezitation bestimmt sein.“ Eine kritische Diskussion der Positionen von Bishop und Lefèvre bieten Töchterle 1994, 47f.; Beck 2003. Vgl. Rebeggiani 2018, 72: „Rome was a city deeply accustomed to the interactions of myth and politics and to the theater as a mirror for the political scene.“ Zu Mamercus Scaurus siehe Tac. ann. 6,29,3 f.; Cass. Dio 58,24,4; Boyle 2008, xxxiv; Nisbet 2008, 353; Goldberg 2014, 648. Die Tragödien des Curiatius Maternus – einer der Protagonisten des taciteischen Dialogus und u. a. Verfasser eines Cato und eines Thyestes – erregten den Ärger Vespasians und waren möglicherweise ein Grund für seine Hinrichtung im Jahr 91 n. Chr. Vgl. Tac. dial. 2,1; 3,3; Cass. Dio 67,12,5; Penwill 2003, 361; Boyle 2008, liv f. Zur Rezeption der tragischen Werke Senecas in zeitgenössischer und späterer Literatur siehe Boyle 2008, xxxv.
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durch Vorlage seiner als carmina bezeichneten Tragödien, die dem literarischen Geschmack des Kaisers entsprachen, seine Stellung am Kaiserhof habe verbessern wollen.38 Doch das stärkste Argument dafür, dass die Tragödien (auch) an Nero gerichtet waren, sind die zahlreichen Überschneidungen mit De clementia, die zulassen, das philosophische Traktat und bestimmte Tragödienpassagen als Teil eines größeren paränetischen Programms anzusehen. Dieses besteht darin, dem Princeps nachzuahmende bzw. abschreckende exempla vorzulegen – das Ziel ist nicht Regimekritik, sondern Protreptik. Die anschauliche Darstellung nachahmenswerter bzw. abzulehnender Herrschaftsformen soll den Kaiser (auch unter öffentlichem Druck) zur Einhaltung bestimmter Normen und Richtlinien verpflichten. Mythologische Figuren waren zur Einwirkung auf Nero deswegen so gut geeignet, weil dieser Kaiser wie kein anderer daran arbeitete, in der öffentlichen Wahrnehmung seiner Person die Grenzen zwischen Realität und Mythos verschwimmen zu lassen, um bestimmte Ereignisse seines Lebens anhand mythologischer Episoden zu verklären und wohl auch zu rechtfertigen.39 Wenn er selbst als actor tragicus auf der Bühne stand, habe er nach antikem Zeugnis oftmals Masken getragen, die seinen eigenen Gesichtszügen nachempfunden waren. Zu seinen Lieblingsrollen gehörten u.a. Oedipus, Thyestes, Hercules furens und Orestes.40
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Vgl. Tac. ann. 14,52,3 (obiciebant etiam eloquentiae laudem uni sibi adsciscere et carmina crebrius factitare, postquam Neroni amor eorum venisset). Die Forschung ist uneinig, ob mit carmina die Tragödien (Rose 1980, 135; Tarrant 1985, 12f.; Schwazer 2016, 1010 Anm. 8) oder Epigramme und andere dichterische Kleinformen (Nisbet 2008, 351f.) gemeint sind – sicher beweisen lässt sich keine der beiden Positionen (vgl. Marshall 2014, 40). Zu Neros Liebe zum Theater siehe Suet. Ner. 11; 20 f.; Griffin 1984, 160–163; Malitz 1999, 40–50. Der Hinweis auf Senecas Feinde in der Senatsaristokratie und die Aktivität von gut informierten Denunzianten wie Eprius Marcellus, Vibius Crispus und Aquilius Regulus lässt die Vorstellung, Seneca hätte seine tragische Produktion vor Nero geheim halten können, als äußerst unwahrscheinlich erscheinen. Vgl. Champlin 2003, 84–111; Rebeggiani 2018, 72f.: „Nero acted the role of certain mythical characters on stage and explicitly invited audiences to read the events of his life through those mythical stories. […] Nero’s appropriation of mythical characters was so powerful and pervasive that it set in motion a constant confusion of myth and reality, fact and fiction, which went beyond previous Roman experiments in mythical role play. It became difficult – both during Nero’s life and even more after his death – to think of certain mythical figures without thinking of Nero, and vice versa.“ In den entsprechenden Aufzählungen werden zusätzlich Alkmaion und Kanake genannt: vgl. Suet. Ner. 21,3; Cass. Dio 63,9,4; 63,22,6; Rose 1980, 140; Malitz 1999, 49; Rebeggiani 2018, 72.
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Dies wirft zum einen die Frage auf, weshalb Nero an Stücken wie Senecas Oedipus Anstoß hätte nehmen sollen, wenn er doch selbst regelmäßig auf der Bühne stand, um den Titelhelden zu spielen – womöglich sogar mit einer Maske, die seinem Antlitz nachempfunden war! Wie subversiv können verhüllte Anspielungen auf Nero in einer Oedipus-Tragödie sein, wenn der Princeps selbst in aller Öffentlichkeit in die Rolle des thebanischen Muttermörders schlüpft? Zum anderen stellt sich die Frage, ob solche schauspielerischen Aktivitäten – neben aller Lust an Exzentrik und Theatralik – nicht auch den Zweck verfolgten, die öffentliche Wahrnehmung des Princeps in eine bestimmte Richtung zu lenken und mythische Erzählungen zur Rechtfertigung unentschuldbarer Schandtaten heranzuziehen. Wenn Nero nach seinem Mord an Agrippina als Orest auftritt, bekennt er sich zwar zu seinem Verbrechen, aber durch den Filter des Mythos verschiebt sich die Bewertung der Tat: Hat Nero nicht wie der Sohn Agamemnons mit der Beseitigung der bösartigen Mutter nur getan, was er tun musste, was ihm von den Göttern auferlegt worden ist? In ähnlicher Weise rückt die Rolle des wahnsinnigen Hercules die Ermordung der Poppaea Sabina in ein anderes Licht: Sie erlaubt die Inszenierung Neros als Opfer göttlichen Zorns, der ihn zur Wahnsinnstat des Gattinnenmordes getrieben habe. In der Figur des Oedipus – wohl eine Lieblingsrolle Neros – dürfte der Kaiser gleich mehrere Bezugspunkte zu seinem eigenen Leben erkannt haben. Der Mythos konnte als Rechtfertigung für den kolportierten Inzest mit Agrippina dienen und Nero als Opfer der Schicksalsmächte hinstellen, da er wie Oedipus unwissentlich schlimme Verbrechen verübt habe und schrecklich an diesen leide.41 Nach Neros Tod drängt sich durch dessen enge Anbindung an problematische mythologische Figuren wie Oedipus und durch die Wahrnehmung von Seneca als Opfer der neronischen Gewaltherrschaft ein historisch-allegorisierender Deutungszugang zu Senecas tragischer Produktion auf. Der Prinzenerzieher habe in Nero den entarteten Gewaltherrscher erkannt, vor dem er in De clementia warnt, und ziehe die tragische Gattung heran, um anhand von Figuren wie Atreus Herrscherkritik zu üben.42 Die Identifikation Neros mit mythologischen Tyrannen diente nicht mehr einer – wie auch immer verqueren – Rechtfertigung seiner Schandtaten, sondern seiner Verurteilung. Nicht zuletzt entlastete eine solche Interpretation auch Seneca selbst, dem
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Zur Bedeutung von Neros Theaterrollen zur Steuerung der öffentlichen Wahrnehmung des Kaisers siehe Champlin 2003, 96–107; Rebeggiani 2018, 72f. Zu Neros desolater psychischer Verfassung nach dem Mord an Agrippina siehe Tac. ann. 14,10; Suet. Ner. 34,4; Cass. Dio 62,14,2–4; Malitz 1999, 39 f.; Champlin 2003, 89–92. Vgl. Rebeggiani 2018, 25.73 f.; 91 f.
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man leicht eine gewisse Mittäterschaft an den Verbrechen des neronischen Regimes vorwerfen hätte können.43 In flavischer Zeit scheint es bereits ein Ding der Unmöglichkeit zu sein, die Tyrannen der Seneca-Tragödien, Kaiser Nero und seine vielen mythologischen ‚Doubles‘ auseinanderzuhalten. Der Name ‚Nero‘ wurde zur Chiffre für den grausamen, paranoiden und rücksichtslosen Gewaltherrscher (und umgekehrt); die albtraumhaften Szenen in Stücken wie Thyestes wurden bald als authentisches Abbild der neronischen Zeit verstanden.44 Die im Corpus der Seneca-Tragödien überlieferte Praetexta Octavia kann als früher Kristallisationspunkt der beschriebenen Prozesse angesehen werden.45 Das Stück zeigt exemplarisch, wie nach 69 n. Chr. in Rückgriff auf Senecas philosophisches und tragisches Werk eine bestimmte Form der Erinnerung an Neros Principat festgeschrieben wurde. Es ist strukturell, thematisch und sprachlich eng an die tragische Produktion Senecas angelehnt,46 rezipiert jedoch auch den Fürstenspiegel De clementia.47 Die Rolle des tragischen Tyrannen übernimmt ‚Nero‘,48 dem der Octavia-Dichter permanent Zitate von Figuren wie Atreus oder Oedipus in den Mund legt. Die Rolle des satelles kommt 43 44
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Zu Senecas (vermeintlicher oder tatsächlicher) Mittäterschaft an den Verbrechen Neros siehe Cass. Dio 62,10,2–6; Braund 2009, 4; Rebeggiani 2018, 25. Vgl. Fuhrmann 1997, 208: „Auch aus den Tragödien Senecas werden somit die Zeitgenossen gebrochene Hinweise auf Ereignisse und Zustände am Kaiserhof herausgehört haben. Die Nachwelt aber vermag infolge ihrer größeren Distanz mehr zu erkennen: Für sie spiegelt sich in diesen Stücken das ganze Zeitalter, die ganze Kultur. Hierfür sind nicht nur die Stoffe selbst verantwortlich, sondern vor allem die Zubereitung, die Seneca ihnen zuteilwerden ließ – ihm hat als sensiblem Künstler stets auch die Epoche den Griffel geführt“ (meine Hervorhebung). Vgl. auch die erhellenden Ausführungen von Stefano Rebeggiani zur Seneca-Rezeption in der Thebais: „Nero engendered a constant confusion between myth […] and reality. This in turn created the conditions for a certain ideological appropriation of Seneca’s tragic production in the aftermath of Nero’s death. This analysis allows me to uncover an important allusive dimension whereby Statius uses Neronian literature as a prism through which to look back to the time of Nero“ (Rebeggiani 2018, 42; vgl. 72– 77). Zur Datierung der Octavia in die frühen Regierungsjahre Vespasians siehe Boyle 2008, xiv– xvi (zustimmend Ginsberg 2016, 417 Anm. 1 mit weiterer Literatur). Zur Rezeption von Stücken wie Thyestes und Oedipus in der Octavia siehe Manuwald 2003; Rebeggiani 2018, 74–76. Zur De clementia-Rezeption in der Octavia siehe Manuwald 2002, 109f. Die wichtige Beobachtung bei Davis 2016, 60 f., dass die Tyrannenherrschaft Neros in der Octavia im Unterschied zu jener des Atreus im Thyestes zu einer Rebellion des Volkes führe, die gewaltsam niedergeschlagen werden müsse, ließe sich leicht mit der in De clementia wiederholt formulierten Warnung verbinden, Gewaltherrschaft provoziere Widerstand und sei deshalb auch für den Machthaber gefährlich. Zu Nero als monströsem Tyrannen in der Octavia siehe Ker 2015, 111; Rebeggiani 2018, 57.
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‚Seneca‘ zu, der dem Tyrannen Ratschläge erteilt, die direkt aus De clementia zu stammen scheinen (Oct. 435–592). Neros Darstellung in der Octavia entspricht dem Narrativ vom letzten julisch-claudischen Kaiser als monströsem Tyrannen, das sich in flavischer Zeit verfestigt.49 Während es für die flavische Propaganda zentral war, die eigene Herrschaft durch die Betonung der Kontinuitäten zu Kaisern wie Augustus und Claudius ideologisch zu legitimieren, lässt sich auch der gegenteilige Prozess beobachten, nämlich die Verdammung der memoria an als untauglich empfundene Principes, von der neben manchen Prätendenten des Vierkaiserjahres besonders Nero betroffen war. Die deutliche Distanzierung fand etwa darin ihren Ausdruck, dass auf dem Gelände der berüchtigten Domus Aurea eine Reihe von öffentlichen Bauten (das Kolosseum, die Thermen des Titus, der Tempel für Divus Claudius) errichtet wurde, die signalisieren sollten, dass die Flavier den von Nero vereinnahmten Raum wieder der Stadtöffentlichkeit zurückgaben.50 Die Abgrenzung von Nero konnte dem Senat signalisieren, dass Vespasian für sich in Anspruch nahm, nach den Exzessen der neronischen Gewaltherrschaft wieder bestimmte Normen und Verhaltensweisen einzuhalten und die Herrschaft angemessen ausführen.51 Die feste Verknüpfung von Nero mit Gewaltherrschaft in der flavischen Herrschaftsrepräsentation geht mit der ideologisch aufgeladenen Rezeptionsrichtung des philosophischen und tragischen Werkes Senecas einher, den Figurentyp des gewaltbereiten, paranoiden und skrupellosen Tyrannen mit Nero zu 49
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Vgl. Rebeggiani 2018, 21.57f. (hier 21): „In Flavian literature and culture, the image of Nero crystallizes into a somewhat stereotyped portrait of a tyrant.“ Die bereits erwähnte Literaturströmung der exitus-Literatur diente der Erinnerung, Glorifizierung und Idealisierung der Opfer des neronischen Regimes und dürfte die Erinnerung an Nero daher ebenfalls in die entsprechende Richtung gelenkt haben (vgl. Kap. 5.2). Die unmittelbar nach dem Tod Neros einsetzende Dämonisierung des Kaisers hat es aufgrund ihrer Wirkmächtigkeit auch für die moderne Wissenschaft schwierig gemacht, der ideologisch motivierten Engführung der Erinnerung an Nero eine ausgewogenere Beurteilung gegenüberzustellen: „Der Topos vom schlechten Kaiser Nero beherrscht die Überlieferung und ist uns nur zu vertraut, ungeachtet der Versuche von wissenschaftlicher Seite, dieses Bild aufzubrechen“ (Leithoff 2014, 135). Siehe auch Kap. 6.1. Zur ideologisch motivierten Abgrenzung der Flavier von Nero siehe Pfeiffer 2009, 30–32; Leithoff 2014, 134–147; Tuck 2016, passim. Zur propagandistischen Instrumentalisierung des Bauprogramms vgl. Gallia 2016, 155: „Vespasian and his sons no doubt encouraged the interpretations of these architectural changes as reflections of a fundamental shift in Imperial priorities – away from Nero’s self-indulgence and toward a renewed commitment to the common good – but this was more pretext than reality. In all likelihood, most areas of the Golden House […] were open to Rome’s populace on a regular basis.“ Vgl. zu dieser Einschätzung Leithoff 2014, 216.
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assoziieren. Dessen Name wird in flavischer Zeit zum Synonym für entartete Tyrannenherrschaft, paranoide Willkür und Machtmissbrauch. Der zeitgenössische Rezipient kann die Tyrannen der Argonautica – Pelias, Laomedon oder Aeetes – als unbestimmte negative exempla empfinden, aufgrund der oben beschriebenen Prozesse aber auch als konkrete (warnende und abschreckende) Erinnerung an Nero. Vertreter der These, die Tyrannen der Argonautica seien als Allegorien für Domitian zu verstehen,52 missachten sowohl die protreptische Funktion literarischer Herrscherdarstellungen (die nicht mit der plumpen Vorstellung von Herrscherkritik zu verwechseln ist) als auch die in flavischer Zeit dominierende Rezeptionsrichtung der tragischen Produktion Senecas.53 Diese lief auf eine Gleichsetzung von Nero, seinen mythologischen ‚Doubles‘ (wie Orestes oder Oedipus) und der rhetorischtragischen Figur des entarteten Tyrannen hinaus. Diese feste Verknüpfung bedingte, dass sich der Gedanke an Nero notwendigerweise als erste Assoziation aufdrängen musste, wenn der entsprechende Figurentypus in einem literarischen Text angetroffen wurde.54 Für den zeitgenössischen Rezipienten ist der Tyrann, der hinter skrupel- und rücksichtslosen Figuren wie Pelias und Aeetes steht, also eher nicht Domitian – sondern (die aus einer allegorisierenden Auslegung der Seneca-Tragödien gewonnene und den Zielen der flavischen Repräsentationsstrategie gehorchende Konstruktion von) Nero. Rückblick: Die Herrscherdarstellung in Senecas tragischen Werken scheint sich mit dem Traktat De clementia zum übergeordneten Projekt zu verbinden, dem Kaiser positive und negative exempla der Herrschaftsausübung zur Nachahmung bzw. zur Abschreckung vorzulegen. Rückblickend konnte die in Senecas Tragödien vorgenommene Analyse von Macht und Herrschaft aber freilich leicht als Kritik an Nero (miss-)verstanden werden, ohne dass diese Rezeptionshaltung der Autorenintention entsprechen muss. Neben der postulierten Wirkabsicht der Herrscherprotreptik eröffnet sich nach Neros Tod der Interpretationszugang, die Tragödien als authentischen Spiegel der neronischen Zeit und Tyrannenfiguren wie Atreus als Allegorien für Nero zu lesen. Ein aufschlussreiches Beispiel dieser Deutungstradition ist die im Corpus der SenecaTragödien überlieferte Praetexta Octavia, in der die ‚Nero‘-Figur als Archetyp des entarteten Gewaltherrschers erscheint. Diese Form der Erinnerung an den
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Siehe Kap. 1, Anm. 11. Zum Einfluss historiographischer und rhetorischer Topoi auf die Tyrannendarstellung siehe Kap. 5.3. Vgl. Rebeggiani 2018, 71: „It became difficult for scholars approaching the Thebaid from the perspective of post-Domitianic historiography not to read the Thebaid’s depiction of tyranny as reflecting perceptions of Domitian’s reign.“ Eine ähnliche Einschätzung (am Beispiel der Thebais) bietet Rebeggiani 2018, 84.
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letzten julisch-claudischen Kaiser steht in Einklang mit der flavischen Herrschaftspropaganda, die Vespasian bewusst von Nero abgrenzte, der als rücksichtsloser, unberechenbarer und gewalttätiger Gewaltherrscher verunglimpft wurde. Die Wirkmacht dieses Narrativs in flavischer Zeit machte es wohl unvermeidbar, dass auch die literarische Darstellung des entsprechenden Figurentyps entsprechende Assoziationen weckte.
6.2
Pelias als entarteter Gewaltherrscher (Val. Fl. 1,693–729)
Ich möchte die These, Valerius gestalte seine Herrscherfiguren in Anlehnung an Seneca als paränetische bzw. abschreckende exempla, im Folgenden an drei Einzelszenen erproben, wobei jeweils das Agieren der Herrscherfigur in besonderem Maße zu berücksichtigen ist. Das Ende des ersten Buches hält für den mit der Argonautentradition vertrauten Rezipienten eine Überraschung bereit. Nach der Schilderung des Seesturms und der Besänftigung des Sturms durch Neptun füllt günstiger Westwind die Segel und lässt die Argo zügig über das Meer dahingleiten (1,686– 688). Da beginnt Jason, sich um das Wohl seiner Eltern zu sorgen, die nach seiner Abfahrt dem Zorn des Pelias schutzlos ausgeliefert sind. Diesen Zorn hat er selbst zu verantworten, da er Pelias’ Sohn Acastus heimtückisch zur Teilnahme an der gefährlichen Unternehmung überredet hat und abgefahren ist, ohne zuvor die Eltern in Sicherheit zu bringen (1,693–697). Während er in der Ferne ist, könnte sich die ganze Wut des Tyrannen auf die Eltern richten (ipse procul nunc tuta tenens; ruat omnis in illos / quippe furor: 1,698 f.). Diese aus figuraler Perspektive dargestellten Befürchtungen erweist der folgende narratoriale Kommentar als begründet: „Und nicht ohne Grund schaudert er, sondern Zukünftiges versetzt ihn in Aufruhr“ (nec vana pavet trepidatque futuris: 1,699). An dieser Stelle legt Valerius eine Rückblende ein, um gleichsam als ‚Epilog‘ nachzutragen, was sich nach der Abfahrt der Argo in Iolkos ereignet hat.55
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Vgl. Zissos 2008, 369 zu 1,700–708: „This passage, then, seems to replay 484–497 from a different perspective.“ Dass an unserer Stelle eine Manipulation der Chronologie vorliegt, zeigt sich daran, dass Pelias am Beginn der Folgeszene das Schiff noch „vom Gipfel“ sehen kann (vertice ab alto / vela videt: 700 f.). In der einige hundert Verse vorher erzählten Abschiedsszene (1,484–497) wird beschrieben, wie sich das Schiff den Blicken der am Strand versammelten Mütter entzieht und am Horizont verschwindet (1,496f.). In 1,574 befindet sich die Argo bereits „mitten auf dem Meer“ (medio … profundo); in 1,698 ist das Schiff „in der Ferne“ (procul).
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Außer sich vor Zorn über die Entführung des Acastus ordnet Pelias die Hinrichtung von Jasons Eltern an (1,700–729), die sich am Ende des Buches in den Selbstmord flüchten, um dem Wüten des Tyrannen zuvorzukommen.56 In dieser narrativen Sequenz gestaltet Valerius motivisch aus, was in der vorhergehenden Argonautentradition nur knappe Notiz war.57 Überdies fügt er Elemente hinzu, die er – soweit die Quellenlage diese Beurteilung zulässt – für seinen innovativen ‚Epilog‘ des ersten Buches völlig neu geschaffen hat. Die Neuordnung der Chronologie (in früheren Fassungen sind die Eltern bis zur Rückkehr bzw. bis kurz vor der Rückkehr der Argo am Leben), der neu geschaffene Kausalzusammenhang zwischen der Entführung des Acastus und dem Tod der Eltern sowie die Einfügung einer Totenbeschwörung und einer Jenseitsbeschreibung an diesem Handlungspunkt sind bedeutsame Innovationen des flavischen Epikers. In seiner gnadenlosen, unkontrollierbaren Raserei ähnelt Pelias zum einen den Sturmwinden. Die sich nach 1,700 entspinnende Handlungskette ‚wiederholt‘ den kosmischen Seesturm auf menschlicher Ebene.58 Sowohl der aufrührerische Widerstand des Boreas gegen die Argofahrt als auch die übersteigerten Rachegelüste des Pelias stellen eine Überschreitung der politischen Normen dar: Boreas geht offensiv gegen den Weltenplan vor, versucht also, sich über den Herrscher zu erheben (supra principem scandere);59 Pelias verliert in erregtem Gemütszustand das rechte Maß aus den Augen und richtet seine Gewalt gegen die eigenen Untertanen. So wird auf kosmischer und menschlicher Ebene gezeigt, dass die Stabilität des politischen Systems nur gewährleistet ist, wenn sowohl Untertanen als auch Herrscher bestimmte Spielregeln
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Siehe Kap. 5.5. Zum Schluss des ersten Buches siehe auch Adamietz 1976, 27f.; Manuwald 2000, 330 f. Zu früheren Darstellungen des Schicksals der Eltern Jasons und des Promachus siehe Apollod. 1,143; Diod. 4,50,1 f. (= Dionysios Skytobrachion fr. 35 Rusten = FGrH 32 F 14); Ov. met. 7,159–296 (nur hier wird Aeson von Medea magisch verjüngt); Preiswerk 1934, 439; McGuire 1989, 26; McGuire 1997, 190–192; Hershkowitz 1998, 193. Die Parallelen zwischen Boreas und Pelias (beide blicken von einer Anhöhe auf die Argo, geraten beim Anblick des Schiffs in Zorn und fühlen sich machtlos) – die den Eindruck einer von seiner Raserei bedingten Entmenschlichung des Tyrannen erwecken – werden auch sprachlich deutlich markiert: 1,700–702 (saevit atrox Pelias inimicaque vertice ab alto / vela videt nec qua se ardens effundere possit. / nil animi, nil regna iuvant; fremit obice ponti / clausa cohors telisque salum facibusque coruscat) ~ 1,575 (speculatus ab arce); 1,593 (saeva cohors); 1,594 ( frementum); 1,602 (vinclis et carcere clausus); 1,608 (cuncti fremere … venti); 1,610 ( fundunt se carcere laeti). Zu den Parallelen zwischen Boreas und Pelias siehe auch Zissos 2008, 370 zu 1,702 f. Siehe Kap. 5.4.
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befolgen; der Seesturm und die Rache des Pelias sind komplementär und belegen die symmetrische Kompositionskunst des Dichters. Zum anderen agiert Pelias wie ein tragischer Tyrann.60 Er wütet (saevit), er ist grausam (atrox), und er entschließt sich „schrecklich in seinem plötzlichen Wahnsinn und bedrohlichen Zorn“ (extemplo furiis iraque minaci / terribilis: 1,722f.) zum Vergeltungsschlag gegen die wehrlosen Eltern Jasons.61 Die metapoetisch aufgeladenen Begriffe furia und ira verweisen programmatisch auf die Gattung der Tragödie.62 Sie signalisieren, dass der Dichter am Ende des ersten Buches als Triebfedern der Handlung die tragischen Wirkmächte des Wahnsinns, des Zorns und der Verblendung heraufbeschwört. Die unbändigen Rachegelüste, die eine unmenschliche Wahnsinnstat zur Folge haben, verbinden Pelias dabei mit einer konkreten Figur des senecanischen Tragödiencorpus: Atreus.63 Eine ganze Reihe von strukturellen und charakterlichen Übereinstimmungen erhärtet die postulierte Parallele zwischen Pelias und Atreus: In beiden Texten spielt ein goldenes Widderfell eine Rolle, dessen Besitz mit politischer Macht assoziiert wird.64 Sowohl Atreus als auch Pelias ringen mit dem eigenen Bruder (Thyestes bzw. Aeson) um die Herrschaft und haben diesen auch vom Thron gestoßen.65 Der Wunsch nach Rache wird bei Seneca und Valerius ähn-
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Generelle Parallelen zwischen der Pelias-Figur und Senecas Tyrannen verzeichnet etwa Zissos 2008, 376 zu 1,722f.: „Pelias now follows the Senecan paradigm of the passions of grief, anger and hatred taken to extremes and thus eliciting a kind of perverse pleasure.“ Valerius zitiert an dieser Stelle Aen. 12,946 f. ( furiis accensus et ira / terribilis). Vgl. Zissos 2008, 376 zu 1,722 f. Vgl. Antoniadis 2016, 538: „[T]he emphasis Valerius lays here on Pelias’ absolute frenzy and enraged reaction evokes Senecan furor and ira.“ Zu den konkreten Parallelen zwischen den beiden Tyrannen Pelias und Atreus siehe Galli 2002; Buckley 2014, 309; Antoniadis 2016. Detaillierte Angaben zu den sprachlichen und thematischen Parallelen zwischen Arg. 1 und Sen. Thy. bietet Galli 2007. Vgl. Davis’ Beschreibung des Thyestes als „meditation on the dehumanising nature of the craving for revenge and the lust of power“ (Davis 2003, 76). Vgl. Sen. Thy. 223–231; Val. Fl. 5,236f. Antoniadis bemerkt im Rahmen einer vergleichenden Darstellung der beiden Mythen, Jason wolle (wie Thyestes) mithilfe einer Frau das Goldene Vlies erbeuten, um Anspruch auf die Königsherrschaft erheben zu können: „Jason and Thyestes resort to the help of a woman […] they seduce, in order to get access to the golden fleece and claim regal power“ (Antoniadis 2016, 536). Diese Motivation findet sich etwa in Pind. Pyth. 4,132–167; im Text der Argonautica lässt sie sich aber nicht festmachen – hier wird als Motivation für die Fahrt nur die Aussicht auf gloria explizit genannt. Valerius scheint die bei Pindar (Pyth. 4,106–110.148–155) belegte Mythenvariante, wonach Pelias Aeson als rechtmäßigen Herrscher vom Thron gestoßen habe, zunächst abzulehnen: In 1,22 heißt es nämlich, Pelias herrsche schon „von seinen frühesten Jahren an“ (primis … ab annis) über Thessalien. Allerdings wird in 1,26f. ein Thronanspruch von Aesons
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lich motiviert: Atreus strebt nach Vergeltung, weil Thyestes seine Frau verführt und den goldenen Widder gestohlen hat. Pelias zürnt wegen der Entführung seines Sohnes durch Jason. Es liegt also in beiden Fällen ein objektiv nachvollziehbarer Grund für die Wut des Tyrannen vor, da beide auf heimtückische Weise vom Bruder bzw. von dessen Sohn hintergangen werden. Eine weitere Gemeinsamkeit besteht darin, dass sich die Rache des Tyrannen nicht direkt gegen den objektiv Schuldigen (Thyestes bzw. Jason) richtet, sondern gegen dessen schutzlose Angehörige: im einen Fall sind es die Söhne, im anderen die Eltern.66 Neben diesen mehr oder weniger auffälligen Überschneidungen führt Valerius in seinem ‚Epilog‘ zum ersten Buch ein weiteres, oft übersehenes Element ein, das die Thyestes-Tragödie evoziert und zum Verständnis der Sequenz unabdingbar ist: das Motiv der Zerstückelung.67 Als Pelias nach der Abfahrt der Argo bemerkt, dass sich sein Sohn Acastus den Helden angeschlossen hat, hält er eine längere Trauerrede, die seiner väterlichen Liebe und seiner Verzweiflung Ausdruck verleiht.68 An einer Stelle äußert er die Befürchtung, der hartherzige Jason werde zur Qual für das Greisenalter des Vaters Acastus „zerstückeln“ (te, puer, in nostrae durus tormenta senectae / nunc lacerat: 1,718f.).69 Auf den ersten Blick scheint es für diese Befürchtung keinen Anlass zu geben. Eine häufige Erklärung lautet, Pelias spreche in Metaphern und sage in etwa, Jason werde Acastus mit sich in den Tod reißen, da die Argofahrt nach Meinung des Tyrannen zum Untergang aller Teilnehmer führen werde.70
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Sohn Jason zumindest angedeutet. In 1,71–73 ist die Rede davon, dass die patres Aeson einst bemitleidet hätten, was sich nur auf die Verdrängung Aesons durch Pelias beziehen kann. Der Hinweis auf Aesonias … urbes in 7,17 spielt ebenfalls darauf an, dass einst nicht Pelias, sondern Aeson der Herrscher Thessaliens gewesen ist. Auch wenn Valerius einen Putsch des Pelias nie explizit macht, streut er (wie Apollonios: vgl. AR 1,411f., vielleicht auch AR 1,284–289) zumindest Hinweise auf diese Mythenvariante ein und ruft sie dem Rezipienten wiederholt ins Gedächtnis. Vgl. Zissos 1999, 291–293; Galli 2014, 139f.; Antoniadis 2016, 534 f. mit Anm. 7; Davis 2016, 61 f. Vgl. Antoniadis 2016, 540: „Eventually Pelias takes revenge on the absent Jason’s elderly parents and Atreus on his brother’s children, which makes the two tyrants equally despicable.“ Auf die Bedeutung dieses meist übersehenen und häufig missverstandenen Motivs weist – soweit ich sehe – erstmals Antoniadis 2016, 536 hin. Zu dieser Rede des Pelias, die ihn nach der zuvor erfolgten Angleichung an die Sturmwinde wieder ‚menschlicher‘ macht, siehe Manuwald 2000, 326f. Drägers Übersetzung verschleiert an dieser Stelle den lateinischen Wortlaut: „… richtet er dich, Knabe, hartherzig zur Marter unseres Greisenalters jetzt zugrunde“ (Dräger 2003, 49 [meine Hervorhebung]). So Zissos 2008, 375 zu 1,717–719.
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Doch dafür scheint das Verb lacerare zu spezifisch zu sein. Das, was Pelias für Acastus befürchtet, verweist auf eine gängige Mythenvariante vom Schicksal des Aeetes-Sohnes Absyrtus: Auf der Flucht vor der kolchischen Flotte zerstückelt Medea ihren kleinen Bruder und wirft die Leichenteile ins Meer, um die Verfolger zum Aufsammeln der Teile zu zwingen und somit Zeit zu gewinnen.71 Pelias befürchtet das, was Aeetes erleiden wird – die in späteren Teilen entwickelte Parallelisierung der beiden Tyrannen, die bis zur völligen Austauschbarkeit führt, wird bereits hier vorbereitet. Mit Blick auf Senecas Thyestes konstruiert sich Pelias in der Trauerrede als Opfer, dessen Sohn (bei Thyestes: Söhne) zerstückelt wird. Diese Rollenzuschreibung lässt sich jedoch nicht aufrechterhalten: Schließlich ist es Pelias selbst, der seinen Soldaten den Befehl gibt, Jasons Familienangehörige hinzurichten – er ist in dieser Episode nicht das Opfer, sondern spielt die Rolle des Täters Atreus. Da Aeson und Alcimede bereits Stierblut getrunken haben, bleibt den Schergen des Pelias nur mehr die Ermordung des kleinen Promachus: „Dich, Knabe, bleich beim Anblick des Todes der Eltern, reißen sie in Stücke und legen dich zu den Deinen“ (te, puer, et visa pallentem morte parentum / diripiunt adduntque tuis: 1,824f.)72 Die Bedeutung des Zerstückelungsmotivs reicht aber noch weiter. Nach seiner Trauerrede wird Pelias mit Lycurgus verglichen (1,726–729), dem König der Edonier in Thrakien, der sich dem Dionysos widersetzt hat und deshalb von dem Gott in den Wahnsinn getrieben worden ist, sodass er seine Frau und seinen Sohn erschlug. Lycurgus ist (neben Pentheus) eines der berühmtesten Opfer von dionysischem Zorn und daher ein beliebter mythologischer Vergleichspunkt. An unserer Stelle ist das entscheidende tertium comparationis aber nicht unmittelbar ersichtlich:73 Die Verblendung des Pelias hat keine göttliche Ursache und führt nicht dazu, dass er selbst seine engsten Angehörigen erschlägt. Man könnte höchstens einwenden, dass in beiden Fällen Familienangehörige (Lycurgus: Frau und Sohn; Pelias: der Bruder Aeson und dessen Familie) zu Schaden kommen,74 aber im Unterschied zu Lycurgus führt Pelias 71 72
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Vgl. Apollod. 1,133; Ov. trist. 3,9; Val. Fl. 7,339 f.; 8,106 f.; Antoniadis 2016, 535 Anm. 11. Der Gedanke an Atreus wird an unserer Stelle auch durch eine von Andrew Zissos verzeichnete sprachliche Parallele verstärkt: Sen. Thy. 727 (adicitque fratri [von Atreus, der Plisthenes zu Tantalus legt]) ~ Val. Fl. 1,825 (adduntque tuis [von den Häschern des Pelias, die Promachus zu den Eltern legen]). Vgl. Zissos 2008, 411 zu 1,825f.; Davis 2016, 62. Andrew Zissos (2008, 377 zu 1,726–729) notiert zwischen Rahmenhandlung und Gleichnis die Vergleichspunkte furiis (722) ~ furoribus (727) und aedibus altis (724) ~ longis / porticibus (728 f.). So Zissos 2008, 378 zu 1,726–729: „An important point of contact, though, is the motif of ‘collateral damage’ or innocent victims within the (extended) family.“
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den Schlag nicht selbst. Die entscheidende Gemeinsamkeit zwischen Pelias und Lycurgus muss der mit der mythologischen Tradition vertraute Rezipient selbst ergänzen: Beide werden als Strafe für ihre Verfehlungen zerstückelt. Nach der Ermordung seiner Familie lassen die Thraker Lycurgus auf Veranlassung des Dionysios von Pferden zerreißen.75 Noch grausamer ist der Tod des Pelias, der auf Veranlassung Medeas (scheinbar als Teil eines Verjüngungszaubers) von seinen eigenen Töchter zerrissen wird.76 Der Rezipient wird auf diese Mythenvariante in Aesons (an die Furien gerichtetes) Rachegebet hingewiesen: tum vobis siquod inausum arcanumque nefas et adhuc incognita leti sors superest, date fallaci pudibunda senectae exitia indecoresque obitus! non Marte nec armis aut nati precor ille mei dignatus ut umquam ense cadat; quae fida manus, quae cara suorum diripiat laceretque senem nec membra sepulchro contegat. Val. Fl. 1,807–814
Der Einsatz des Zerstückelung-Motivs lässt also nicht nur zu, Pelias mit Aeetes bzw. Atreus zu assozieren, sondern weist auch auf das schreckliche Ende des Tyrannen voraus – man beachte das Hendiadyoin diripiat laceretque in 1,813. Der Ausblick auf den gewaltsamen, grausigen Tod des Pelias lässt sich reibungslos mit der in De clementia entfalteten politischen Theorie verbinden, laut der Gewaltherrschaft am Ende immer dem Gewaltherrscher selbst zum Verhängnis werde.77 Die erhaltenen Teile der Argonautica erlauben die Vermutung, dass der Dichter geplant haben dürfte, die in der Aeson-Rede proleptisch angekündigte Ermordung des Pelias als Vergeltungsakt zu konstruieren: für die Ermordung von Jasons Eltern, und wohl auch für den Auftrag zur Argofahrt, die nach Pelias’ Wunsch für Jason tödlich enden soll.78 So wird die Gewaltherrschaft des Pelias zur Ursache für seinen Untergang. 75 76 77 78
Vgl. Apollod. 3,34 f. Vgl. Pind. Pyth. 4,250; Ov. met. 7,297–349; Hershkowitz 1998, 11–13; Manuwald 2000, 332 Anm. 23; Antoniadis 2016, 535. Vgl. Kap. 6.1. Dass es sich hierbei um die wahre Intention des Pelias handelt, geht aus 1,64–66 und 1,719f. hervor. Für das hinterhältige Vorgehen gegen potenzielle Thronprätendenten wie Aeson und Jason, das Pelias’ Verhalten kennzeichnet, gibt es aus der frühen Kaiserzeit mehrere Vergleichsfälle. Im historischen Gedächtnis der post-neronischen Gesellschaft dürfte aber besonders Neros tödlicher Giftanschlag auf den leiblichen Sohn des Claudius, Britannicus,
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Wie der Tyrann in De clementia verliert Pelias bei der Bestrafung für ein erlittenes Unrecht das rechte Maß aus dem Auge. Das Handeln dieser als grausam (atrox) beschriebenen Figur ist – in senecanischen Begriffen – nicht von clementia, sondern von crudelitas geprägt: quid ergo opponitur clementiae? crudelitas, quae nihil aliud est quam atrocitas animi in exigendis poenis. Sen. clem. 2,4,1
Im ersten Buch der Argonautica wird zweimal angedeutet, dass die Tyrannenherrschaft des Pelias Widerstand provoziere: Nach der Beauftragung zur Argofahrt denkt Jason für einen Augenblick daran, die patres zum Aufstand zu rufen. Aeson wiederholt diesen Gedanken am Ende des ersten Buchs, nachdem Cretheus ihm mitgeteilt hat, dass Pelias ihm nach dem Leben trachte.79 Der Gedanke erscheint in beiden Fällen nur als flüchtige Idee und wird sofort verworfen, aber es scheint doch bemerkenswert, dass der Unmut über den Tyrannen offenbar groß genug ist, dass sowohl Jason als auch Aeson das Treiben des Pelias nicht einfach hinnehmen, sondern einen politischen Umsturz als Handlungsalternative zumindest in Betracht ziehen.80 Bekanntlich führt eine ähnliche Konstellation in Kolchis tatsächlich zum Bürgerkrieg, da es Perses im Machtkampf mit Aeetes nicht beim Wunsch nach bewaffnetem Widerstand belässt, sondern diese (auch in Thessalien mögliche) Handlungsvariante tatsächlich realisiert.81 Der Gedanke, dass Tyrannenherrschaft die Instabilität des
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präsent gewesen sein. Zu Nero und Britannicus siehe Tac. ann. 13,16f. Zu den möglichen Reflexen auf die Vergiftung des Britannicus in den Argonautica siehe Hershkowitz 1998, 266 f.; Bernstein 2014, 163; Buckley 2014, 309. Vgl. 1,71–73; 1,759–761; Manuwald 2000, 328; Bernstein 2013, 327: „There apparently exists a nascent opposition to the tyrant Pelias in Valerius’ Iolcus. […] Whether these patres represent a full-blooded ‘senatorial’ opposition to tyrannical rule remains difficult to determine.“ Thomas Gärtner meint (unverständlicherweise), Aeson denke an dieser Stelle darüber nach, „Protest bei einem politischen Gremium“ einzulegen (Gärtner 2008, 370). Die Tatsache, dass der Gedanke an eine Rebellion in beiden Fällen von einer Handlungsalternative verdrängt wird, die dem Widerstand gegen den Tyrannen ausweicht, versteht Donald McGuire als Reflex auf die faktische Machtlosigkeit des Senats in der frühen Kaiserzeit (McGuire 1997, 193). Zur These, in den Argonautica spiegle sich die Perspektive der entmachteten Senatsaristokratie wider, siehe auch Zissos 2003; Zissos 2009. Nicht umsonst bezeichnet Cretheus das Vorgehen des Pelias gegen Aeson als fraterna … arma (1,747) – die Junktur ist seit Lucan eine geläufige Chiffre für ‚Bürgerkrieg‘ (vgl. Lucan. 3,619 f.; 7,465; Hershkowitz 1998, 133; Stover 2012, 124 Anm. 35). Zu den Parallelen zwischen den Machtkämpfen in Iolkos und Kolchis siehe Davis 2016, 62. Laut Davis realisiere der Bürgerkrieg von Kolchis die in Thy. 560–572 geäußerten Befürchtungen des Chors.
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politischen Systems mit sich bringt und auf kurz oder lang Widerstand hervorruft, der zum Untergang des Tyrannen führt, findet sich freilich nicht nur in den Argonautica: In De clementia argumentiert Seneca so für die Vorzüge einer Herrschaft, die an die von der Herrschertugend clementia vorgegebenen Normen und Verhaltensregeln gebunden ist. Rückblick: Die Figur des Pelias wird anhand struktureller und motivischer Entsprechungen (Zerstückelungs-Motiv) systematisch mit Senecas Atreus verknüpft. Da Senecas tragisches Werk im flavischen Rom zunehmend als Allegorie der neronischen Zeit verstanden wurde, ist kaum vorstellbar, dass ein zeitgenössischer Rezipient das rücksichtslose, grausame und paranoide Wüten des Pelias nicht mit Nero assoziiert hätte. In der flavischen Selbstinszenierung spielt die Abgrenzung vom letzten julisch-claudischen Kaiser eine zentrale Rolle. Valerius’ Pelias-Darstellung, die mittels Atreus (das posthume Zerrbild von) Nero evoziert, lässt sich damit problemlos verbinden. Neben Nero-Kritik im Sinne der flavischen Herrschaftsrepräsentation lässt sich eine allgemeinere, ‚didaktische‘ Wirkabsicht insofern feststellen, als die in Senecas De clementia formulierten Kategorien für Gewaltherrschaft und ideale Herrschaft auch in den Argonautica Gültigkeit haben: Zwischen Pelias’ Wüten und seinem Tod von den Händen der Töchter – ein erneuter Einsatz des Zerstückelungs-Motivs – besteht ein direkter Zusammenhang. Damit wird ein mythologischer Nachweis für Senecas Argument erbracht, dass Gewaltherrschaft langfristig immer dem Tyrannen selbst schade.
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Vater, Feldherr, Weltenherrscher: Analogien zwischen Jupiter und Vespasian
Bevor wir zur Phineus- und zur Prometheus-Episode kommen, möchte ich auf einige Parallelen zwischen Jupiter und Vespasian hinweisen, die zulassen, das olympische Regime in paradigmatischer Analogie auf das flavische zu beziehen und als Herrschaftsmodell zu lesen, das der neuen Dynastie nach dem Chaos des Vierkaiserjahres Orientierung bieten konnte.82
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Vgl. Stover 2016, 27: „Valerius’ depiction of the critical role played by clementia in the postcivil war inauguration of the new Jovian regime prompts us to consider the allegorical potential in the episode. For Vespasian […] difficult choices had to be made, distinctions had to be drawn concerning who could be pardoned and who could not, and thought had to be given to how and by whose urging and for what reasons these decisions were to be made.“
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Jupiters Machtposition basiert auf seinem Status als Sieger in der Titanomachie bzw. Gigantomachie (in 1,564 metonymisch als Iapeti bella bzw. Phlegrae labores benannt). Zum Zeitpunkt der Argofahrt dürften diese Machtkämpfe auf der Götterebene bereits lange zurückliegen, da Jupiters Herrschaft in den Argonautica gut konsolidiert erscheint. Doch wiederholte Erwähnungen der Titanen, der Giganten und des Monsters Typhon halten die Erinnerung des Rezipienten an diese Kriege wach, die Jupiters Machtposition konsolidiert haben.83 Die Analogien zum Aufstieg der gens Flavia sind offenkundig: Auch Vespasian verdankt seinen Aufstieg dem Sieg in einem Bürgerkrieg. Ein zentrales Ereignis im Vierkaiserjahr ist der Kampf um das Kapitol, bei dem die flavische Partei einen Sieg über die Vitellianer erringt. Dieser Kampf wird in der Literatur regelmäßig mit Jupiters Kämpfen um die kosmische Vorherrschaft verglichen. Plutarch stellt in der Galba-Vita einen allgemeinen Bezug zwischen den Ereignissen nach dem Tod Neros und der Titanomachie her (Galb. 1,3 f.), während Statius die Kämpfe um das Kapitol in den Silvae als „phlegräische Kämpfe“ (Phlegraea … / proelia: Stat. silv. 5,3,196f.) bezeichnet.84 Martial erwähnt ein Domitian-Gedicht mit dem Titel Capitolini caelestia carmina belli (Mart. 5,5,7). Die Bezeichnung als „himmlisches Gedicht“ lässt vermuten, dass Domitian den Kampf zwischen Flaviern und Vitellianern im Capitolinum bellum – wie Statius – durch die Gleichsetzung mit Jupiters Kriegen mythologisch überhöht hat. Eine solche Darstellung hätte sich schon deshalb angeboten, weil das Thema des Gedichts Kämpfe sind, die sich um das Kapitol und den Tempel des Jupiter Optimus Maximus entzündet haben. Vespasians Engagement beim Wiederaufbau des Tempels, der im Zuge der Kampfhandlungen abgebrannt ist, zeigt, dass der Kaiser darum bemüht ist, in der Öffentlichkeit seine enge Bindung an Jupiter herauszustreichen.85 Die 83
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Vgl. 1,563–565 (Jupiter erinnert Hercules, Castor und Pollux an seinen Triumph über die Titanen und Giganten); 2,17–33 (Vorbeifahrt an Pallene, dem Schauplatz der Gigantomachie, mit narratorialer Erläuterung und Hinweis auf das Schicksal des Typhon, der auf Sizilien unter dem Ätna begraben liege); 4,73–75 (das Schicksal des im Tartarus eingeschlossenen Iapetos); 4,514–526 (Intervention des Typhon zum Schutz der Harpyien); 5,690–695 (Jupiter hört beim Gastmahl ein Lied über die Gigantomachie). Neben diesen expliziten Erwähnungen bzw. Auftritten begegnen die Titanen, Giganten oder Typhon häufig in Gleichnissen – etwa in der Cyzicus-Episode (siehe Kap. 3.4) oder im Kampf gegen Amycus (4,236–238). Zur genannten Silvae-Stelle siehe auch Kap. 3.4. Die Plutarch- und die Statius-Stelle bespricht auch Stover 2016, 26 f. Zu silv. 5,3,196f. vgl. auch Stover 2012, 116f.: „Statius here implies that the Flavians’ defence of the Capitoline, Jupiter’s home on earth, as it were, was tantamount to Jupiter’s defence of Olympus against the giants.“ Vgl. Kap. 5.1 und Kap. 8.3.
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Gleichsetzung der Flavier mit der olympischen Seite und der Vitellianer mit Titanen, Giganten oder Typhon ist wohl auch eine Möglichkeit, die heikle Bürgerkriegsthematik weniger problematisch erscheinen zu lassen, indem die eine Partei zu Hütern der kosmischen Ordnung und die andere Partei zu deren Gegnern erklärt wird. In der offiziellen Propaganda, die den Bürgerkrieg fast vollständig durch den Erfolg im Jüdischen Krieg substituiert, kommt diese – für Domitians caelestia carmina durchaus vorstellbare Strategie – nicht zur Anwendung.86 Die Omnipräsenz des Jüdischen Krieges in der flavischen Selbstdarstellung soll suggerieren, dass nicht der Sieg im Bürgerkrieg, sondern der Triumph im Osten als Ursache für den Aufstieg der gens Flavia anzusehen sei. Doch für die Stadtbevölkerung und die Senatsaristokratie besteht kein Zweifel, dass Vespasian seine Machtposition nicht (nur) auswärtigen Triumphen, sondern auch und ganz besonders dem Sieg seiner Unterstützer in einem römischen Bürgerkrieg zu verdanken hat. Neben dem Erfolg in literarisch als äquivalent imaginierten Kriegen, die zur Erringung und Verstetigung der Herrschaft führen, verbindet Vespasian und Jupiter auch ihre (metaphorische und tatsächliche) Rolle als Vater. Nach dem Sieg über die Titanen und Giganten fällt Jupiter die absolute Macht über den Kosmos zu. In dieser Position kann er auch seinen Söhnen den Weg in den Himmel ebnen, wie er vor Hercules und den Dioskuren erklärt (1,561–567). Vespasian steht nach Kriegen, die literarisch zu irdischen Neuauflagen der kosmischen Schlachten Jupiters überhöht werden, an der Spitze des Imperium Romanum – eine Position, in die ihm einst seine Söhne nachfolgen werden.87 Sowohl Jupiter als auch Vespasian nutzen ihre Vaterrolle also, um als Familienoberhaupt dynastische Strukturen zu etablieren, welche den Machtstatus ihrer Familie einzementieren. Bei der Ankündigung des Katasterismos im Proömium apostrophiert der Dichter Vespasian einmal als sancte pater (1,13) – woran ein harmonisches Bild von familiärer Eintracht mit klarer Rollenverteilung (Vespasian als Herrscher, Titus als Feldherr, Domitian als Dichter) angeschlossen ist – und einmal als genitor (1,16). Die Betonung der Vaterrolle steht einerseits im Einklang mit der offiziellen Repräsentationsstrategie von Vespasian als Begründer einer Familiendynastie,88 andererseits wird dadurch das im politischen Diskurs der frühen Kaiserzeit (und schon früher) verbreitete Bild vom Herrscher als ‚Vater‘ des Reichs aufgegriffen, der seine väterlich-behütende Hand über die Untertanen 86 87 88
Vgl. Kap. 1.1. Zu Vespasians Auftreten als Dynastiegründer vgl. Kap. 7.1. Vgl. Zissos 2008, 91 zu 1,16 f.: „Solemnity is afforded by genitor, which strengthens the presentation of Vespasian as the founder of a new and vital imperial line.“
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hält. Dieses Bild steht etwa im Hintergrund des (republikanischen) Ehrentitels pater patriae, den nach Augustus auch die späteren Principes für sich beanspruchen.89 Nach der Verkündung des Weltenplans spricht Jupiter in seiner Rolle als Vater zu Hercules und den Dioskuren. Wenig überraschend wirft auch Apoll bei seinem Bittgesuch in Arg. 4 seine Rolle als Sohn des Göttervaters in die Waagschale, wenn er erst die Anrede rex magne (4,62) wählt, danach aber pater optime (4,65). Während schon hier die metaphorische Bedeutung vom pater als ‚Vater‘ des Reichs mitschwingt, wird diese Nuance an anderer, exponierter Stelle noch viel deutlicher: Nach der Abfahrt der Argo blickt Jupiter, der „Vater“ (pater), von seiner Sternenburg aus voll Freude auf das Schiff, das sein kosmisches Projekt symbolisiert (1,498–500)90 – so, wie Vespasian nach seiner Verstirnung einst vom Himmel auf den von der Argo ermöglichten weltweiten Schiffsverkehr blicken wird (1,16–20),91 der als Symbol einer unter römischer Herrschaft friedlich geordneten Welt anzusehen ist. Das gewaltige Bild hebt die Macht des römischen Kaisers in göttliche Sphären, indem Valerius die übliche Metapher vom Herrscher als Steuermann des Staatsschiffs überbietet und den verstirnten Vespasian zum vom Himmel leuchtenden ‚Steuermann‘ aller Schiffe macht. Ein feierlich-sakraler Ton ist in panegyrischen Passagen nicht unüblich.92 Bei Valerius wird die bereits erwähnte Kaiseranrede sancte pater durch den in solchen Kontexten öfter begegnenden Vokativ venerande (1,11) ergänzt. Auffällig ist jedoch das auf Vespasian bezogene Prädikativum serenus (1,20), das als häufiges Jupiter-Epitheton den römischen Kaiser und den kosmischen Herrscher in Relation setzt.93 Indem er nach einer Phase der Unordnung und der inneren Zerrüttung als ordnende und stabilisierende Macht auftritt, wird der verstirnte Princeps, der
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Zum Princeps als ‚Vater‘ des Reichs in De clementia siehe Braund 2009, 58f. Zum Princeps als pater patriae siehe Christ 22004, 17; Bernstein 2008, 17f.; Zissos 2008, 88f. zu 1,12–14. Bemerkenswert ist auch die Anrede, die der Sonnengott wählt, um sich mit seiner Bitte um Schonung für Aeetes und die Kolcher an den Weltenherrscher zu wenden. Sol nennt Jupiter summe sator (1,505) – obwohl er zum Geschlecht der Titanen und somit zur älteren Göttergeneration gehört. Vgl. Kap. 2.2. Vgl. Verg. georg. 1,32–35; Aen. 1,289 f.; 6,789f.; Ov. met. 15,838f.; Lucan. 1,45–59; Stat. Theb. 1,24–31; Sil. 3,594–629; Zissos 2008, 89 f. zu 1,15–21. Zu serenus als Jupiter-Epitheton siehe Zissos 2008, 94 zu 1,20f. Die Nähe des Princeps zu den Göttern (ohne spezifischen Jupiter-Bezug) spielt auch in der Argumentationsführung in Senecas De clementia eine wichtige Rolle: clem. 1,1,2f.; 1,5,7; 1,19,8; Criado 2013, 213f.; Schwazer 2016, 1019.
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vom Himmel aus den globalen Schiffsverkehr in einer – unter römischer Herrschaft – vereinten Welt sicher lenken wird, für die Erde das leisten, was Jupiter, der als olympischer Herrscher alle Zügel in der Hand hält, für den Kosmos leistet. Die analoge Funktion, die Valerius dem römischen bzw. dem kosmischen Herrscher zuschreibt, lässt schlussfolgern, dass für beide eine ähnliche Herrschaftsform, eine ähnliche Organisationsform des jeweiligen Regimes notwendig ist. Im Unterschied zu den menschlichen Herrscherfiguren der Argonautica gelingt es Jupiter, seine Herrschaft zu konsolidieren und in seinem Reich für Stabilität zu sorgen. Dies bewerkstelligt er – wie die Analyse der Befreiung des Phineus bzw. des Prometheus zeigen wird – auf teils problematische Weise und mit teils fragwürdigen Mitteln. Rückblick: Die Bezüge, die Valerius zwischen Vespasian und Jupiter knüpft, sind nicht nur als panegyrische Geste zu deuten – sie suggerieren auch, dass Jupiter für Vespasian Modellcharakter haben kann. Beide Herrscherfiguren, die auch als Väter und Familienoberhäupter auftreten, erringen und verstetigen ihre Macht in Kriegen, die in der römischen Literatur metaphorisch aufeinander bezogen werden. Valerius bezeichnet Vespasian mit dem JupiterEpitheton serenus, außerdem finden sich Übereinstimmungen in der Bildsprache. Die paradigmatische Vergleichbarkeit des kosmischen und des römischen Herrschers plausibilisiert eine zeithistorisch perspektivierte Interpretation der Befreiung des Phineus bzw. des Prometheus.
6.4
Phineus, Typhon und die Harpyien. Von den Möglichkeiten und Grenzen kosmischer clementia (Val. Fl. 4,422–636)
Wir wenden uns nun dem Aufenthalt der Argonauten bei Phineus zu, wobei ich mich insbesondere für das Ende der Peinigung durch die Harpyien und die Erscheinung des Typhon interessiere.94 Ich argumentiere, dass Jupiters Strafnachlass als einmaliger Akt der clementia zu bewerten ist, der in einer speziellen Situation erfolgt und nicht das Ende aller göttlichen Strafmaßnahmen gegen Sterbliche impliziert. Bemerkenswert ist, dass Jupiters ehemaliger Feind Typhon offenbar in das kosmische Regime eingegliedert werden konnte und sich ganz dem Willen des obersten Olympiers fügt.
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Zur Phineus-Episode siehe Feeney 1991, 315–317; Groß 2003, 64–88 (mit nicht wenigen Fehldeutungen: s.u.); Manuwald 2009, 594–603; Stover 2012, 164–170; Walter 2014, 93–104. Zum Einschreiten des Typhon siehe Murgatroyd 2006; Krasne 2019. Zur Prophezeiung des Phineus siehe Kap. 8.2.
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Die Phineus-Episode zerfällt in zwei etwa gleich lange Teile:95 Auf die (1) Befreiung des Sehers Phineus von den Harpyien durch die Boreaden und die drohende Aufforderung des Typhon, von einer weiteren Verfolgung abzusehen (4,422–528), folgt die (2) Prophezeiung des Phineus (4,529–636), in der die Argonauten wichtige Auskünfte zur Weiterfahrt erhalten. Von diesen beiden Teilen ist für unsere Zwecke besonders der erste von Belang, da hier die Machtmechanismen in Jupiters olympischem Regime sichtbar werden. Der Erzähler gibt der Bestrafung und den Qualen des Sehers Phineus viel Raum. Aufgrund eines Vergehens – Details bleiben dem Rezipienten lange vorenthalten – ist er bei Jupiter in Ungnade gefallen. nova cuncta vident Thyneaque iuxta litora fatidici poenis horrentia Phinei, dira deum summo quem vis urgebat in aevo. quippe neque extorrem tantum nec lucis egentem insuper Harpyiae Typhonides, ira Tonantis, depopulant ipsoque dapes praedantur ab ore. talia prodigia et tales pro crimine poenas perpetitur. Val. Fl. 4,424–431
Das Land der Thyner am südlichen Propontis-Ufer charakterisiert Valerius als „Küsten, die wegen der Strafen für den schicksalskündenden Phineus erschaudern“ (litora fatidici poenis horrentia Phinei: 4,425).96 Ihn, der in Verbannung lebe und blind sei, quäle die „schreckliche Macht der Götter“ (dira deum … vis: 4,426) in Gestalt der Harpyien. Die grausigen Qualen des Phineus werden in weiterer Folge aus figuraler Sicht anschaulich beschrieben (4,450–459). Von einer Verbannung des Phineus weiß die frühere Tradition nichts.97 Dieser punktuelle Verweis auf eine in der frühen Kaiserzeit gängige Bestrafungs-
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Zum Aufbau der Episode und ihrer Stellung im Werkganzen siehe Adamietz 1976, 59–62; Groß 2003, 64. Die Zuschreibung von menschlichen Emotionen an die Natur wird in der englischsprachigen Forschung als pathetic fallacy bezeichnet. Zu ähnlichen Personifikationen in Zusammenhang mit horrere siehe Verg. Aen. 6,798f.; Stat. Theb. 11,256; Murgatroyd 2009, 214 zu 4,425. Vgl. Spaltenstein 2004a, 309 zu 4,422–426: „En effet, Val. cherche seulement avec horrens une touche impressionniste. […] [C]’est typique du pittoresque dramatique de Val.“ Zur Konstruktion von horrere mit Abl. causae (statt der üblichen transitiven Verwendung) vgl. Tac. hist. 4,58,5 (horret animus tanti flagitii imagine). Murgatroyd 2009, 215 zu 4,427 (und mit ihm Stover 2012, 169f. mit Anm. 65) übersieht, dass hier eine Innovation des Valerius vorliegt. Traditionell sind nur seine Blendung und
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methode – von der etwa Helvidius Priscus als prominentes Opfer betroffen war98 – führt den Rezipienten gedanklich zu Zeitgeschichtlichem. In seiner Klagerede an die Argonauten wird das Motiv von der Verbannung des Phineus, des vormaligen Königs Thrakiens, nochmals aus subjektiver Perspektive aufgegriffen und sogar breiter ausgeführt als die (für einen Seher besonders bittere) Blendung: nec mihi diversis erratum casibus orbem amissas aut flere domos aut dulcia tempus lumina Val. Fl. 4,447–449
Der schwerste Teil der Strafe betrifft freilich die permanente Peinigung durch die Harpyien. Auffällig ist in diesem Zusammenhang die narratoriale Bezeichnung der Vögel als „Töchter des Typhon“ (Typhonides: 4,428) und „Zorn des Donnerers“ (ira Tonantis: 4,428). Die Abstammung der Harpyien von Typhon ist in den Quellen ohne Vorbild.99 Auch mit der Spezifizierung, die Harpyien seien Strafwerkzeuge Jupiters (ira Tonantis), geht Valerius über die bisherige Tradition hinaus,100 die im Zusammenhang mit diesen Ungeheuern nur in allgemeiner Weise von göttlicher Bestrafung oder dem Zorn der Götter spricht.101 Der narratoriale Kommentar, die Argonauten würden nach der Ankunft im Thynerland „lauter Neues“ sehen (nova cuncta vident: 4,424), erhält somit metapoetische Bedeutung, denn Valerius nimmt an der besonders aus AR 2,164–530 bekannten Phineus-Episode102 gleich drei auffällige Innovationen vor (Verbannung, Harpyien als Typhon-Töchter, Harpyien als Strafmittel Jupiters). Das Eintreffen der Argonauten ist für Phineus ein lange herbeigesehntes Ereignis, da seine Bestrafung – so will es das fatum – nach der Vertreibung der Harpyien durch die Argonauten Zetes und Calais ein Ende nehmen soll: „Die einzige Hoffnung für den Greis ist es, dass einst die Schicksalssprüche den
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seine Peinigung durch die Harpyien (vgl. DNP s.v. Phineus; Gantz 1993, 349–356; Fowler 2013, 220–223). Siehe Kap. 5.2. Zu Valerius’ mythengenealogischer Innovation, die Harpyien zu Töchtern des Typhon zu machen, siehe Murgatroyd 2006, 83 Anm. 2; Krasne 2019, 53f. Beim Aufenthalt der Aeneaden auf den Strophaden, ein wichtiger Prätext für unsere Stelle, bezeichnet Vergil die Harpyien nur als ira deum, nicht als ira Iovis o.ä. Vgl. Groß 2003, 64 Anm. 253. In 4,426 (dira deum) dürfte Valerius auf die antike Etymologie von dira als dei ira anspielen (vgl. Serv. Aen. 2,519; 4,453; Maltby s. v. dirus; Walter 2014, 94 Anm. 213). Zu Phineus bei Apollonios siehe Groß 2003, 72–76; Murgatroyd 2006, passim.
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Boreaden (Aquilone creatis) die Beendigung dieses grausamen Unglücks gestattet haben“ (spes una seni, quod pellere saevam / quondam fata luem dederant Aquilone creatis: 4,431f.). Nach der Rede des Phineus (4,436–464) ergreift Zetes das Wort und bekundet sein Mitleid, bevor er seine Bereitschaft erklärt, sich gemeinsam mit dem Bruder Calais für Phineus einzusetzen – aber nur, so die wichtige Einschränkung, wenn kein göttlicher Zorn den Seher bedränge oder, falls Götterzorn vorliege, dieser besänftigt werden könne (namque est tibi nostra voluntas, / si non ira deum, vel si placabilis urget: 4,471 f.).103 Hier wird eine für den weiteren Verlauf der Szene zentrale Unterscheidung getroffen: Göttliches Zürnen kann entweder implacabilis oder placabilis sein. Die Weigerung des Zetes, in ersterem Falle einzugreifen, lässt sich so begründen, dass gegen unversöhnlichen göttlichen Zorn einerseits ohnehin nichts auszurichten wäre, andererseits aber natürlich die Gefahr bestünde, dass sich der Götterzorn auch gegen jene richten könnte, die für ein in Ungnade gefallenes Opfer Partei ergreifen. Die diesbezügliche Vorsicht der Boreaden zeigt, dass die beiden Brüder – anders als ihr Vater Boreas, der sich in Arg. 1 aktiv gegen das von Jupiter angestrebte Projekt der Öffnung der Meere stellt104 – ihren Platz in der kosmischen Hierarchie kennen und davor zurückscheuen, sich über den Herrscher zu erheben (supra principem scandere). Für Phineus ist es daher von Interesse, den Grund seiner Bestrafung als ira placabilis auszuweisen und darzulegen, dass die Vertreibung der Harpyien im Sinne Jupiters ist. Bei der Beschreibung seines Vergehens, über dessen konkrete Gestalt die Argonauten (und der Rezipient) bis zu diesem Zeitpunkt im Unklaren gelassen worden sind,105 gesteht er ein, allzu redselig (loquax) die
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Der Einschub mit vel si ist keine ‚selbst wenn‘-Bedingung (auf diese Auffassung lässt die Interpunktion bei Ehlers schließen, der vel si placabilis zwischen Gedankenstriche stellt), sondern eine ‚außer wenn‘-Bedingung, die si non ira deum … urget relativiert. Zu diesem Gebrauch von vel si vgl. Lucan. 2,667; Groß 2003, 66f. mit Anm. 260. Meine Auffassung von Vers 4,472 teilen Mozley 1934, 221: „if the gods’ wrath pursue not, or pursuing may be appeased“; Liberman 1997, 133: „nous sommes à ton service, pour autant que ce ne soit pas la colère des dieux qui te poursuive, ou, si tel est le cas, que ce ne soit pas une colère implacable“; Murgatroyd 2009, 234f. zu 4,471 f.; Spaltenstein 2004a, 319f. zu 4,471– 473; anders Dräger 2003, 153: „falls nicht der Zorn der Götter – wenn auch ein versöhnlicher – dich bedrängt.“ Dass letztere Auffassung nicht richtig sein kann, zeigt der weitere Handlungsverlauf. Wenn Zetes sagen würde, er könne im Falle göttlichen Zorns in keinem Fall helfen – auch nicht, wenn der Zorn ein versöhnlicher wäre –, wäre schwer erklärbar, warum die Boreaden dem Seher danach ohne weiteren Widerspruch helfen, nachdem dieser explizit erklärt hatte, dass er tatsächlich vom Zorn Jupiters bedrängt werde (4,474f.: ‘te’que ait ‘infesti, quae nunc premis, ira Tonantis / ante precor’). Vgl. Kap. 5.4. Der Erzähler hält diese wichtige Information auffällig lange zurück: Zu dieser narrativen
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geheimen Beschlüsse Jupiters verraten zu haben.106 Als Strafe für die Preisgabe der Geheimnisse des obersten Olympiers habe er sein so großes Unglück und seine Blindheit zu erleiden (hinc mihi tanta / pestis et offusae media inter dicta tenebrae: 4,481f.). Seine Schuld bestreitet Phineus nicht; er zeigt sich einsichtig und schuldbewusst. Doch der Seher rahmt sein Schuldeingeständnis rhetorisch brillant mit der mehrmaligen Versicherung, die Ankunft der Boreaden beweise, dass Jupiter ein Ende seiner Bestrafung beschlossen habe.107 Am Schluss seiner Rede kann er mit einiger Sicherheit sagen, Jupiter (deus) selbst hätte die Boreaden, denen die fata die Vertreibung der Harpyien zugestanden haben, zu Phineus geführt (ipse volens nostris sed vos deus adpulit oris: 4,484), was ein anschließender narratorialer Kommentar bestätigt (4,485f.). Beim nächsten Erscheinen der grässlichen Harpyien lösen die Boreaden ihr Versprechen ein und jagen die Vögel, unterstützt von ihrem Vater Boreas (genitor simul impulit alas: 4,502), bis zu den Strophaden, wo diese in atemloser Todesangst (leti … metu propioris anhelae: 4,514) mit unsäglichem Geschrei ihren Vater Typhon um Hilfe anflehen (implorant clamore patrem Typhona nefando: 4,516), der nun überraschenderweise tatsächlich als handelnde Figur auftaucht und die Boreaden bald warnend, bald drohend108 zum Abbruch jeder weiteren Verfolgung seiner Töchter auffordert: extulit adsurgens noctem pater imaque summis miscuit et mediis vox exaudita tenebris: ‘iam satis huc pepulisse deas. cur tenditis ultra in famulas saevire Iovis, quas fulmina quamquam aegidaque ille gerens magnas sibi legit in iras? nunc quoque Agenoreis idem decedere tectis
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Strategie siehe Groß 2003, 64f.: „Im Gegensatz zu Apollonios’ Exposition aus auktorialer Perspektive lässt Valerius den Seher selbst erst später die Gründe für seine beklagenswerte Situation darstellen.“ Zum Vergehen des Phineus und einer Einschätzung der Schwere dieses Vergehens siehe Groß 2003, 64 mit Anm. 253. Zur rhetorischen Strategie des Phineus, die darauf abzielt, den subjektiven Eindruck von Schuld durch Hinweise auf Jupiters geplanten Strafnachlass abzumildern, siehe Feeney 1991, 316: „The prophet does mention that he was punished for revealing fate, as in Apollonius, but he immediately goes on to soften the impact by revealing that the anger has passed, claiming to know that Jupiter, not chance, is behind the arrival of the Argonauts.“ Anders Murgatroyd 2009, 253 zu 4,519ff.: „Typhos shows benevolence in place of his usual malevolence, speaks with some eloquence (instead of the bizarre babble at Hes. Theog. 829 ff.) and halts a pursuit (rather than pursuing, as at Ovid Met. 5.321ff.).“
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imperat: agnoscunt monitus iussaeque recedunt. mox tamen et vobis similis fuga, cum premet arcus letifer. Harpyiae numquam nova pabula quaerent donec erunt divum meritae mortalibus irae.’ haesit uterque polo dubiisque elanguit alis, mox abit et sociae victor petit agmina puppis. Val. Fl. 4,517–528
Die schon an sich unerwartete Erscheinung des Monsters Typhon,109 von dem die Tradition berichtet, er sei nach seiner Niederlage gegen Jupiter unter einem Vulkan begraben worden,110 birgt noch eine viel größere Überraschung: Typhon, einer der gefährlichsten und erbittertsten Widersacher des Göttervaters,111 hat sich damit abgefunden, bezwungen worden zu sein, und ordnet sich Jupiters Herrschaft unter. Als er sich schützend vor seine Töchter stellt, tritt er nicht als deren Vater auf, sondern als derjenige, der die „Dienerinnen Jupiters“
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Bei Apollonios erscheint an strukturell vergleichbarer Stelle nicht Typhon, sondern Iris, um die Boreaden von einer weiteren Verfolgung abzuhalten (AR 2,284–287). Vgl. Groß 2003, 75; Murgatroyd 2009, 85 zu 517 f. Die Umstellung erlaubt es Valerius, über bestimmte Aspekte der Macht und ihre Organisationsformen zu reflektieren, was der Episode eine politische Dimension verleiht. Unbefriedigend die Erklärung bei Groß 2003, 75f.: „Typisch für die Darstellung des Valerius ist, dass er an dieser Stelle Iris als Botin des Göttervaters nicht beibehält, sondern durch eine Figur ersetzt, die Jupiter deutlich weniger nahe steht, dafür aber als Vater der Bedrängten enger mit der Handlung verbunden ist. So kann der Dichter sein Erscheinen gut motivieren.“ Zunächst einmal sehe ich nicht, inwiefern die beschriebene Darstellungsweise für Valerius „typisch“ sein soll. Doch besonders schief (und unfreiwillig witzig) ist die Erklärung, Typhon stehe Jupiter nicht nahe. Typhon ist bekanntlich einer der erbittertsten Gegenspieler Jupiters und bringt den nunmehrigen Weltenlenker beim Versuch, diesen zu stürzen, in so starke Bedrängnis, dass dieser ihn unter einem Vulkan begraben muss, um die von dem Monster ausgehende subversive Gefahr zu neutralisieren. Die entscheidende Pointe in Valerius’ Darstellung ist, dass er Typhon zu einem ergebenen Diener in Jupiters kosmischem Regime macht, was die absolute Machtstellung Jupiters unterstreicht und dem Dichter Gelegenheit gibt, zahlreiche Analogien zur politischen Situation in der frühen Kaiserzeit einzulegen. Zu den sonstigen Erwähnungen des Monsters Typhon in den flavischen Argonautica siehe Krasne 2019, 47–54. Zu der Tradition, die von Typhons Gefangenschaft unter einem Vulkan berichtet, siehe Krasne 2019. In der Antike herrscht Uneinigkeit darüber, unter welchem Vulkan Typhon begraben liegt – wohl aufgrund der Autorität Pindars (Pind. Ol. 4,6f.; Pyth. 1,15–20) wird am häufigsten der Ätna genannt. „Mount Aetna regularly sat atop an enemy of the gods, and in the Greek tradition this was usually the god’s greatest opponent, Typhon“ (Krasne 2019, 48). Darcy Krasne bezeichnet Typhon nicht zu Unrecht als „mythology’s most notorious theomach“ (Krasne 2019, 44).
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( famulas … Iovis: 4,520) davor bewahre, dass gegen sie gewütet werde. Wenn er einen drohenden Tonfall anschlägt, verweist er nicht auf seine gewaltige eigene Stärke, sondern auf den Blitz ( fulmina) und die Ägis (aegida) Jupiters. Dieser habe den Harpyien befohlen, das Haus des Phineus zu verlassen (nunc quoque Agenoreis idem decedere tectis). Typhons letzter Satz lässt erahnen, weshalb Jupiter kein Interesse an einer Vernichtung der Harpyien haben dürfte: Den Vögeln werde es niemals an Futter fehlen, erklärt Typhon, solange die Menschen den verdienten Zorn der Götter auf sich ziehen (4,525 f.).112 In der Rede des Typhon erscheint Jupiter als kosmischer Herrscher mit absoluter Macht, der selbst seine ehemaligen, erbitterten Feinde an sich und sein Regime binden kann. Die Rolle, die Typhon und den Harpyien zugewiesen wird, weist dabei auf einen problematischen Aspekt von autokratischer Herrschaft hin: Um ihre Aufrechterhaltung zu gewährleisten, sind Gewalt und Bestrafungen unumgänglich. Auf ihre Weise leisten die Harpyien also als himmlisches Bestrafungsinstrument ihren Beitrag zur kosmischen Stabilität. Analog dazu dürfte sich auch in der frühen Kaiserzeit der Princeps nur ungern selbst die Finger schmutzig gemacht haben – bekanntlich verließ sich etwa Vespasian für die Erledigung gezielter, zugunsten der Stabilität notwendiger Attentate nach der Akklamation auf seine rechte Hand Mucianus.113 Es gibt manche Hinweise in den Quellen, dass später auch Titus als praefectus praetorio als ‚Mann fürs Grobe‘ entschlossen gegen Feinde des Regimes vorgegangen sei.114 Indes konnte der Princeps selbst nach außen hin Sanftmut und Güte demonstrieren – ein Befund, den man im Zusammenhang mit Suetons Einschätzung Vespasians als civilis et clemens (Vesp. 12) beachten sollte. Jupiters Entscheidung, die Bestrafung des Phineus durch das Einschreiten der Boreaden zu beenden, ist ein Akt der clementia, der hinsichtlich des Bestrafungszwecks exakt Senecas Empfehlung in De clementia entspricht:115 Strafen sollen (1) den Bestraften verbessern, (2) abschreckend wirken und damit die Übrigen verbessern, oder (3) „durch die Beseitigung eines Übels“ (sublatis malis) Sicherheit für die Übrigen gewährleisten (clem. 1,22,1). Die Bestrafung des Phineus gehört in die erste Kategorie. Indem er Jupiters Geheimnisse verraten hat, wird er strafwürdig und muss eine schwere Pein über sich ergehen 112
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Die Begegnung der Aeneaden – denen Juno zürnt – mit den Harpyien bestätigt diese Aussage und stellt die literaturchronologisch frühere, mythenchronologisch spätere Episode in einen größeren Kontext, wie Anke Walter bemerkt: „Auch lange nach der Begegnung der Aeneaden mit den Harpyien auf den Strophaden geben die Menschen „scheußlichen Vögeln“ neue Nahrung und ziehen den Zorn der Götter auf sich“ (Walter 2014, 97). Siehe Kap. 5.1. Siehe Kap. 7.4. Siehe Kap. 6.1.
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lassen. Doch obwohl er den obersten Olympier in Zorn versetzt hat, muss er nicht mit dem Leben büßen; stattdessen wird ihm eine Strafe auferlegt, die ihn im Sinne des Herrschers verbessern (emendare) soll. Phineus lernt seine Lektion:116 Obwohl seine Prophezeiung die längste Rede der ganzen Argonautica ist, bleibt er in vielen Punkten vage. Das liegt wohl daran, dass er penibel darauf achtet, nicht erneut die Geheimnisse Jupiters zu verraten und göttlichen Zorn auf sich zu ziehen. Er gibt nur jene Informationen weiter, die sicherstellen, dass die Argo nach Kolchis gelangen wird, damit sie – so Jupiters Kalkül – ihre Mission im Sinne des Weltenplans erfüllen kann. Die problematischen Aspekte der Fahrt, ihre Spätfolgen und die Kollateralschäden, darf Phineus nicht nennen: Ihre Erwähnung könnte den Heldenmut der Argonauten dämpfen und somit die angestrebte Öffnung der Meere gefährden.117 Unter dem Eindruck seiner schweren Bestrafung hält sich Phi116
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Vielleicht lässt sich auch die Mitwirkung des Boreas an der Vertreibung der Harpyien mit Blick auf die in De clementia genannten Bestrafungszwecke erklären. In der SeesturmSzene (vgl. Kap. 5.4) tritt Boreas als Wortführer der Sturmwinde auf, welche die Argo (und somit Jupiters Weltenplan) versenken wollen. Ganz vom Eifer für dieses Vorhaben ergriffen ruft Boreas sogar aus, dass es ihn nicht kümmere, wenn Zetes und Calais, seine Söhne, beim Untergang der Argo sterben würden (da mergere Graios / insanamque ratem! nil me mea pignora tangunt: 1,604f.). Der Seesturm wird durch das Eingreifen Neptuns beendet, der mit seinem Dreizack bewaffnet einschreitet und die Stürme in die Flucht schlägt (1,640–656). Es ist anzunehmen, dass Boreas danach wieder in Ketten gelegt und in seinen Kerker eingeschlossen wird (vgl. 1,602), um ihn für den versuchen Angriff auf die Argo zu bestrafen. In der Phineus-Szene treibt er die Söhne an, als diese die Harpyien vom Land der Thyner vertreiben, wie es von Jupiter gewünscht wurde (4,522f.). Von einer früheren oppositionellen Haltung des Boreas ist nichts geblieben. Sein Einschreiten in Arg. 4 verfolgt nicht den Zweck, die Argofahrt (wie beim Seesturm) erneut zu stören, sondern ihren Erfolg voranzutreiben – immerhin sind die Argonauten für die Weiterfahrt auf die Auskünfte des Phineus angewiesen. Um diese geben zu können, muss der Seher erst von den Harpyien befreit werden. Diese Interpretation würde auch die gegenüber Apollonios an dieser Stelle vorgenommene Umstellung erklären. In den hellenistischen Argonautica werden die Boreaden nicht von ihrem Vater, sondern von Zeus angetrieben (AR 2,274f.). Bei Valerius muss der Göttervater nicht selbst einschreiten. Er kann sich darauf verlassen, dass der geläuterte Boreas das für ihn erledigen wird, was er bei Apollonios selbst erledigen muss. Phineus begründet die Preisgabe geheimer Schicksalssprüche, die zu seiner Bestrafung geführt hat, explizit mit seinem Mitleid für die Menschheit – miserans hominum genus (4,481). Kaum zutreffend die Einschätzung von Groß 2003, 68: „Der Weltenlenker allein (solus) kennt seine Pläne, die er bis zu dem Moment ihrer Durchführung im Verborgenen hält. Sie sollen plötzlich und unvermutet über die Erde hereinbrechen. Diesen Effekt hat Phineus verdorben, da er durch seine Geschwätzigkeit den Menschen die Möglichkeit gegeben hat, sich im Voraus auf die kommenden Ereignisse einzustellen.“ Das Ausmaß von Phineus’ Schuld erschöpft sich wohl kaum darin, dass er die von Jupiter geplanten ‚Überraschungen‘ „verdorben“ habe, indem er dem Göttervater gewissermaßen die Poin-
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neus zurück, da es ein nefas wäre, die ultima fata zu nennen, wie der Prophet selbst erklärt.118 Seine große Prophezeiung, die so viele Fragen offenlässt, mündet am Ende in die emphatische Erklärung sileo prior. Der Prophet wagt es offenbar nicht ein zweites Mal, aus Mitleid mit den Menschen (miserans hominum genus: 4,481) vor den Katastrophen zu warnen, die sie in der Zukunft erwarten. Manche Interpreten meinen, in der Phineus-Episode den Hinweis zu erkennen, dass Jupiter im Laufe seiner kosmischen Herrschaft vormals notwendige Restriktionen allmählich lockere, sich einer von größerer Sanftmut gezeichneten Herrschaftsform annähere und zunehmend dem frühkaiserzeitlichen Ideal des clemens princeps entspreche.119 Überdies lasse sich an der Vertreibung der Harpyien zeigen, dass die Argofahrt auch dem Zweck diene, im Sinne eines von Jupiter gewünschten Triumphs von ordo über das Chaos monströse Gestalten wie die Harpyien zu vernichten, die einer früheren, chaotischen und irrationalen weltgeschichtlichen Epoche angehörten. Beide Annahmen lassen sich mit dem Textbefund nur schwer in Einklang bringen. In der Phineus-Episode, die einen einmaligen, wohlkalkulierten Strafnachlass zum Inhalt hat – Jupiter handelt ja gewiss nicht uneigennützig, wenn er einen Seher rehabilitiert, von dessen Auskünften der gewünschte Erfolg der Argofahrt abhängt –, gibt es nirgends einen Hinweis, dass Jupiters Herrschaft am Wendepunkt zu einer weniger restriktiven Phase stünde oder dass der Göttervater plane, in Zukunft keine weiteren Strafmaßnahmen zu verhängen, wenn die Menschen seinen Zorn auf sich ziehen. Liest man die Typhon-Rede genau, entsteht vielmehr der gegenteilige Eindruck: Typhon, der wohl mit Erlaubnis Jupiters agiert, verbietet den Boreaden die weitere Verfolgung der Harpyien gerade deshalb, weil diese auch in Zukunft als göttliche Strafinstrumente eingesetzt werden sollen. Typhon und
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ten gestohlen habe. Die Schwere der Bestrafung lässt auf ein wesentlich ernsteres Vergehen schließen. In Zusammenhang mit Typhons Erklärung, Jupiter habe die Harpyien in einem Zustand des großen Zorns als Strafinstrument eingesetzt (magnas sibi legit in iras: 4,521), bemerkt Groß dann in einer Fußnote: „Der Einsatz der Vögel zeigt also: Phineus’ Vergehen war keine Bagatelle, sondern hat großen Zorn des Weltenlenkers hervorgerufen.“ Den tieferen Ursachen dieses großen Zorns geht sie aber nicht nach. Zur Zurückhaltung des Phineus siehe Walter 2014, 97–101. Sehr zutreffend auch die generelle Einschätzung Anke Walters zur libertas der valerianischen Seherfiguren: „Zwar gewinnen bei Valerius die Prophetenfiguren wieder eine Stimme, doch wird genauso das Schweigen erkennbar, zu dem sie verurteilt sind, etwa wenn es um ein mögliches großes und weitreichendes fatum geht“ (Walter 2014, 13). Zu dieser Interpretation siehe Stover 2012, 164–170 (hier 167): „Phineus’ emancipation points to the beginning of a new phase in the evolution of the Jovian dispensation: as Jupiter’s regime becomes increasingly more secure and stable, there is a restoration of freedom of speech.“
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die Harpyien werden durch das Vorgehen der Argonauten nicht vernichtet, sondern nur so weit zurückgedrängt, wie das für die Erfüllung der Pläne Jupiters notwendig ist. Ihre Vernichtung liegt aus den dargelegten Gründen auch gar nicht im Interesse Jupiters: Es ist ihm – wie der flavischen Partei nach dem Vierkaiserjahr – gelungen, ehemalige Widersacher und oppositionelle Kräfte erfolgreich in sein Regime einzugliedern und sogar mit bestimmten heiklen Aufgaben zu betrauen, die von diesen auch gewissenhaft erledigt werden. In Jupiters neuer kosmischen Ordnung sind Mächte des Chaos wie Typhon oder die monströsen Harpyien nicht ausgelöscht, sondern als loyale Kräfte und mit klarer Funktion in die neue Herrschaftsordnung eingegliedert.120 An kaum einer Stelle in den Argonautica wird Jupiters absolute Machtposition so deutlich wie in der Rede seines ehemaligen Feindes Typhon,121 der sich unterwürfig in den Dienst des Olympiers stellt und die Boreaden – trotz schier unermesslicher eigener Kräfte – statt eigenem Einschreiten vor den Blitzen, der Ägis und dem Zorn Jupiters warnt.122 Nicht einmal als Vater der Harpyien wagt er es, den Verfolgern seiner Töchter mehr anzutun als drohende Worte. Die libertas des Einzelnen ist offenbar der Preis, um den die Stabilität des Kosmos erkauft werden muss. In Jupiters Regime sind die Rollen klar definiert: Wer aus dieser Rolle ausschert oder gar versucht, sich über den Herrscher zu erheben, wird niedergeschmettert. Wie die Beispiele von Typhon und Phineus zeigen, verfehlen Jupiters Strafmaßnahmen nie ihre Wirkung: Sowohl das Monster, das Jupiter vom Thron stoßen wollte, als auch der Prophet, der die geheimen Beschlüsse des Göttervaters preisgegeben hat, spielen in der Phineus-Episode
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Vgl. Groß 2003, 70 Anm 267: „Die Harpyien sind ohne Einschränkung seiner Macht unterworfen und gehorchen ohne Zögern oder Widerspruch dem Befehl des Göttervaters.“ Zu weiteren infernalen Mächten neben Typhon und den Harpyien, die im Kosmos der Argonautica in Jupiters Regime eingebunden sind, siehe Hardie 1993, 84f. Zu Typhon und den Harpyien als Unterweltsmächten siehe Stover 2012, 167. Verfehlt Murgatroyd 2009, 253 zu 519ff.: „Also, in contrast to the briskly efficient and quietly authoritative Iris [die bei Apollonios an strukturell entsprechender Stelle einschreitet], Typhos feels the need to speak at greater length and resorts to bullying tactics. Clearly he is not as sure as Iris of his own authority“ (meine Hervorhebung). Dazu muss zunächst festgehalten werden, dass es sich bei dem Monster Typhon um eine gewaltige kosmische Macht handelt, dessen Auftauchen die Welt in Dunkelheit hüllt (extulit … noctem: 4,517) und die kosmische Ordnung der Weltenbereiche kurzzeitig vermischt (ima … summis / miscuit: 4,517f.). Dass eine solche Gestalt in ihrer Autorität unsicherer sein soll als die Götterbotin Iris erscheint geradezu absurd. Darüber hinaus geht es in dieser Szene noch nicht einmal um die Autorität des Typhon, sondern um die noch eine Stufe höher stehende Autorität Jupiters, auf dessen überlegene Macht Typhon in seiner Rede mehrmals hinweist.
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genau jene Rolle, die ihnen der mit absoluter Macht regierende Herrscher zuweist.123 Es wäre also verfehlt, Phineus als episch-mythologische Personifikation einer flavischen libertas restituta zu nehmen. Er unterliegt auch nach der Beendigung seiner Strafe klaren Restriktionen und wurde als subversive Stimme mundtot gemacht. Die geltenden Restriktionen spüren nicht zuletzt auch Zetes und Calais: Mit Billigung Jupiters werden sie von Typhon von der weiteren Verfolgung (und wohl Tötung) der Harpyien abgehalten, ja sogar in einem Moment der intertextuellen Erinnerung an Lucans Bellum civile darauf hingewiesen, dass es nefas wäre, die Verfolgung an diesem Punkt weiter fortzusetzen: „cur tenditis ultra?“, fragt Typhon – und greift damit die Frage der personifizierten Roma an Caesar bei der Überschreitung des Rubikon auf, die den Bürgerkrieg in Gang setzt, den der neronische Epiker mit dem Weltuntergang und der Selbstzerstörung des römischen Staates gleichsetzt: quo tenditis ultra? (Lucan. 1,190).124 Im Kosmos der Argonautica wäre ein weiteres Vorgehen gegen die Harpyien ein mit der Rubikon-Überschreitung vergleichbares nefas, das Jupiters kosmische Ordnung in Ungleichgewicht bringen würde: Die Harpyien haben im Regime
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Wie sehr Phineus der von Jupiter gebilligten Sprachregelung folgt (vgl. 4,560: fandi mihi Iuppiter auctor), zeigt sich daran, dass er sich derselben Sprache bedient, die auch (Vergils) Jupiter verwendet: Verg. Aen. 1,261 ( fabor enim) ~ Val. Fl. 4,578 ( fabor enim). Vgl. Feeney 1991, 316. Das Zitat soll den Seher wohl nicht anmaßend erscheinen lassen, sondern seinen Gehorsam gegenüber dem Weltenlenker unterstreichen. Das Wiedererstarken des Phineus (vgl. Groß 2003, 71: „Als wäre er zu neuem Leben erwacht …“) nach dem Ende seiner Bestrafung (4,531–536) wird oft als Ausdruck einer Überwindung der Sprachlosigkeit oder als Zeichen einer wiedergewonnenen Freiheit gedeutet (etwa Groß 2003, 71f.; Stover 2012, 164–170). Den genannten Interpreten entgeht offenbar die Ambivalenz von Jupiters Gnadenakt: Phineus wurde verbannt, geblendet und schlimmen körperlichen Qualen ausgesetzt, um ihm eine klare Grenze seiner Redefreiheit aufzuzeigen, die er in seiner Prophezeiung penibel einhält, da er ansonsten erneute (und wohl noch härtere) göttliche Strafen zu befürchten hätte. Seine (Rede-)Freiheit reicht nur so weit, wie Jupiter es gestattet; sollte es zu einer Überschreitung kommen, würde Phineus die gesamte Härte des göttlichen Strafgerichts zu spüren bekommen. clementia ist nicht zuletzt eine zutiefst imperiale Tugend, die erst im Rahmen eines schroffen Ungleichgewichts von Macht überhaupt möglich ist (vgl. oben Anm. 20). Phineus mag ein Stück libertas (ein ideologisch stark aufgeladenes Wort, das Valerius – wohl kaum zufällig – in dieser Episode vermeidet) wiedergewonnen haben – die Art, wie er seine Redefreiheit wiedergewinnt, offenbart jedoch seine völlige Abhängigkeit vom guten Willen des absoluten Herrschers. Zu clementia als imperialer Tugend vgl. Scheerlinck 2016, 50: „Die clementia ist eine Tugend, die nur in einer Alleinherrschaft gedeihen kann, da der Alleinherrscher über dem Gesetz steht.“ Zum Lucan-Zitat an dieser Stelle siehe Walter 2014, 96f.
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des Weltenlenkers einen festen Platz. Paradoxerweise wäre die Vernichtung dieser monströsen Gestalten aus Jupiters Perspektive ein Verbrechen, das er mit schwerer Strafe sanktionieren würde.125 In diesem politischen System ist echte libertas eine Illusion – das, worauf Jupiters Untertanen hoffen können, wenn sie einmal fehlgegangen sind, sind einzelne Akte der clementia und eine zweite Chance, sich mit bestehenden Herrschaftsverhältnissen zu arrangieren. Es braucht nicht viel Fantasie, um sich auszumalen, womit jene zu rechnen haben, die auch diese zweite Chance nicht nützen können oder wollen. Für ein Publikum, das mit dem Fall des Helvidius Priscus vertraut war, war es auch nicht nötig, Derartiges näher auszuführen. Rückblick: Nach seiner Machtergreifung stellt sich für Vespasian die Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen kaiserlicher clementia: im Umgang mit Nero-Kollaborateuren, mit Unterstützern von Galba, Otho und Vitellius, mit widerständigen Senatoren wie Helvidius Priscus. Valerius verlegt das Problem in die mythologische Welt der Argonautica und zeigt anhand der Jupiter-Figur mögliche Lösungswege vor. Neben der am Ende von Arg. 1 festgestellten Strategie, den Tyrannen Pelias als abschreckendes exemplum zu gestalten, bindet Valerius also auch positiv bewertete Herrschaftsmodelle in die Erzählung ein. In der Phineus-Episode lässt sich Jupiters Umgang mit oppositionellen Kräften bzw. mit in Ungnade gefallenen Individuen studieren: Es ist der Stabilität von Jupiters Alleinherrschaft zuträglich, dass problematische Figuren (namentlich die Harpyien und Typhon) in das Regime eingebunden und mit bestimmten heiklen Aufgaben (z.B. Strafvollzug) betraut werden. Den Seher Phineus wählt der kosmische Autokrat nicht zufällig für einen Akt der göttlichen clementia aus. Der Strafnachlass erscheint Jupiter deshalb wünschenswert, weil es für die Umsetzung des Weltenplans notwendig ist, dass die Argonauten von Phineus bestimmte Informationen erhalten.
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Verfehlt Groß 2003, 70: „Sucht man im Verhalten von Zetes und Calais in dieser Szene nach Schuld, fällt ihr vehementes Vorgehen gegen die Harpyien auf: Obwohl die Vögel einen Auftrag des Göttervaters ausführten, hatten die Boreaden sie in Todesangst versetzt.“ Die Boreaden erfüllen mit der Vertreibung der Harpyien den ausdrücklichen Wunsch Jupiters (4,522 f.). Die Erscheinung des Typhon dient im Sinne eines ‚Bis hierher und nicht weiter‘Kommandos dazu, Zetes und Calais in warnend-drohender Weise darauf hinzuweisen, dass ihr Soll mit der Vertreibung der Harpyien zu den Strophaden erfüllt sei. Schuld würden die beiden Argonauten nur dann auf sich laden, wenn sie sich an diesem Punkt über Typhon hinwegsetzen (was dieser wohl zu verhindern wüsste) und die Verfolgung fortsetzen würden.
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kapitel 6
Prometheus und die berechnende Güte Jupiters (Val. Fl. 4,58–81; 5,154–176)
In der olympischen Szene, in der Apoll zusammen mit Leto und Diana um die Befreiung des Prometheus bittet (4,58–81), weist Jupiter – wie ich zeigen werde – manche Züge des in De clementia entworfenen idealen Herrschers auf. Zum anderen behält er aber auch einen Aspekt im Auge, der uns in Kapitel 7 noch ausführlich beschäftigen wird: die Förderung der eigenen Familie durch den Herrscher. Im Folgenden wollen wir untersuchen, aus welchen Gründen Jupiter die in 5,154–176 erzählte Befreiung des Titanen-Sohnes Prometheus befiehlt, der sich doch – wie Phineus – einer Verfehlung gegen den Göttervater schuldig gemacht hat.126 Aufschlussreich sind hierfür sowohl die strukturelle Einbindung der Verse 4,58–81 als auch die eingesponnenen intratextuellen Bezüge. Der Beginn des vierten Buches ist dem Nachspiel der Entführung des Hylas und der Zurücklassung des Hercules durch die Argonauten gewidmet.127 Glühend vor Zorn über die gelungene Intrige fährt Jupiter die zitternde Juno an (Iunonem ardenti trepidam gravis increpat ira: 4,3). Obwohl es ihr gelungen sei, den stärksten Helden von den übrigen Argonauten zu trennen, versichert Jupiter, dass er den Lauf der Dinge fest in der Hand habe (rerum mihi firma potestas: 4,12). Junos Intervention kann die Umsetzung der in 1,531–560 enthüllten Beschlüsse also nicht gefährden – sie scheint sich aber auf die Art und Weise der Umsetzung auszuwirken. Im Weltenplan benennt Jupiter das unmittelbare Ziel der Argofahrt, wenn er auf die „Entrüstung [der Kolcher] wegen [des Raubes] des Vlieses“ und auf den „Schmerz wegen der Entführung des Mädchens [Medea]“ hinweist:
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Zu Prometheus in den Argonautica siehe Otte 1992, 81–83.102f.; Zissos 2004b, 331–337; Murgatroyd 2009, 54–56; Stover 2012, 168 f.; Buckley 2014, 319–325; Stover 2016, 20–27. Die olympische Szene mit Apoll und Jupiter (4,58–81) und die Befreiung des Prometheus durch Hercules (5,154–176) sind nicht nur Innovationen gegenüber Apollonios (wo die Argonauten bei der Vorbeifahrt am Kaukasus den Adler fliegen sehen und die Schmerzensschreie des Prometheus hören: AR 2,1246–1259), sondern auch in der übrigen Argonautenüberlieferung ohne Vorbild (Korn 1989, 58; Dräger 2003, 429 zu 4,58–81; Stover 2012, 168; Stover 2016, 20.). Hes. theog. 526–531 – Herakles habe den Adler des Prometheus „nicht ohne den Willen des hochthronenden Olympiers Zeus“ (οὐκ ἀέκητι Ζηνὸς Ὀλυμπίου ὕψι μέδοντος) getötet – lässt indes mutmaßen, dass es sich bei Valerius’ Fassung um die Adaption einer älteren Mythenvariante handelt. Zur Zurücklassung des Hercules siehe Kap. 7.7.
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nec vellera tantum indignanda manent propiorque ex virgine rapta ille dolor Val. Fl. 1,546–548
Die Rede von einer Entführung Medeas (ex virgine rapta / ille dolor: 1,547 f.) steht mit der tatsächlichen Handlungsentfaltung in einem Spannungsverhältnis: Medea verliebt sich in Jason, gibt ihren Gefühlen unter massivem göttlichen Druck nach, verrät den Vater und schließt sich den Argonauten nach dem Raub des Vlieses mehr oder weniger freiwillig an. Diese Diskrepanz wirft die Frage auf, ob die Ursache der ‚Medea-Tragödie‘ darin zu sehen sei, dass Jupiter seiner Gattin im Zorn freistellt, zur Unterstützung Jasons die Furien und Venus zu mobilisieren (i, Furias Veneremque move: 4,13).128 Immerhin verbindet er diese Aufforderung mit einer unheilvollen Drohung: „Das pflichtvergessene Mädchen wird büßen“ (dabit impia poenas / virgo: 4,13f.). Jupiters Zornrede, die in dem oben zitierten Befehl an Juno gipfelt, setzt also eine Handlungskette in Gang, die im Kindsmord von Korinth ihr tragisches Finale findet. Der überbordende Zorn Jupiters erklärt sich aus dem Mitleid für seinen Sohn Hercules, der einerseits Hylas verloren hat und sich andererseits für die Zurücklassung durch die Argonauten schämt, denen er über das weite Meer hinterherblickt.129 Nach dem Anblick der abfahrenden Gefährten bricht Hercules nach Troja auf, um die von Laomedon versprochene Belohnung für die Befreiung der Hesione einzufordern (4,58f.).130 An diesem Handlungspunkt erfolgt ein Wechsel zur olympischen Ebene. Apoll tritt zusammen mit Leto und Diana – beide mit trauerndem Antlitz (maesto … vultu: 4,60) – an Jupiter heran und trägt demütig (supplex) sein Bittgesuch vor: ‘in quem alium Alciden, in quae iam tempora differs Caucaseum, rex magne, senem? nullumne malorum finem adeo poenaeque dabis? te cuncta precatur gens hominum atque ipsi iam te, pater optime, montes 128 129 130
Zu den generischen Implikationen dieser Aufforderung siehe Söllradl (im Erscheinen a). Vgl. 4,1 f. (Mitleid Jupiters mit Hercules wegen der Entführung des Hylas); 4,56f. (Hercules’ Scham wegen seiner Zurücklassung). Die Rettung der Hesione vor dem Seemonster und der Trugversuch des Laomedon (er verspricht Hercules reiche Belohnung, plant aber, den Helden im Schlaf zu erschlagen) werden in 2,445–578 erzählt. Der Rückverweis auf diese Episode in 4,58f. suggeriert, dass der Erzähler diesen in Arg. 2 wegen der Weiterfahrt der Argo fallen gelassenen Handlungsfaden nach der Entführung des Hylas wieder aufgreifen würde.
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kapitel 6
fessaque cum silvis orant iuga. sat tibi furtum ignis et aetheriae defensa silentia mensae!’ dixit ubi, e scopulis media inter pabula diri vulturis ipse etiam gemitu maestaque fatigat voce Iovem saevis relevans ambusta pruinis lumina, congeminant amnes rupesque fragorem Caucaseae, stupet ipse dei clamoribus ales. Val. Fl. 4,62–67
Apoll inszeniert sich in dieser Rede als Sprachrohr des gesamten Menschengeschlechts (cuncta … / gens hominum) und auch der Berge, Wälder und Gebirgskämme, die in der Darstellung des Jupiter-Sohnes dafür beten (precatur) und darum bitten (orant), dass Jupiter die Bestrafung des Prometheus beende. Apoll ist kaum verstummt, als die Schmerzens- und Klageschreie des Prometheus bis zum Olymp tönen und Jupiter zusetzen (ipse etiam gemitu maestaque fatigat / voce Iovem: 4,69f.). Die Flüsse und die Felsen des Kaukasus verdoppeln den Lärm – durch einen Echo-Effekt oder indem sie selbst in das Klagerufen einstimmen.131 Das Geschrei lässt sogar Jupiters Geier erstarren,132 der an Prometheus’ täglich nachwachsender Leber nagt. All das lässt auf sorgfältige Planung schließen – Apoll überlässt bei seiner Bitte an Jupiter nichts dem Zufall. Die bis zum Olymp dringende Kakophonie der Klagerufe unterstreicht Apolls Aussage, der Diebstahl des Feuers – das traditionelle Verbrechen des Prometheus – sei inzwischen zur Genüge (sat) bestraft133 und das Schweigen über die Tischgespräche der Götter sichergestellt (defensa).134 In Apolls rhetorisch ausgefeilter Darstellung spricht also nichts dagegen, die Bestrafung des Prometheus zu beenden. Das wichtigste und zugkräftigste Argument stellt Apoll an den Anfang seiner Rede: Die Befreiung des an den 131 132
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Vgl. Otte 1992, 81: „Valerius represents not only mankind but all of nature as longing for this affirmation of Jupiter’s sense of justice.“ Zur häufigen Kontamination der Strafe des Prometheus (der traditionell von einem Adler gequält wird) mit jener des Tityos (dem je nach Fassung ein oder zwei Geier die Leber herausfressen) siehe Heil 2022, 170 f. Ein (elliptisch ausgefallenes) Prädikat wie punitum est o.ä. ist zu ergänzen. Den Versuch, defensa als Zeugma zu nehmen und (in jeweils unterschiedlicher Bedeutung) zugleich auf furtum und silentia zu beziehen (Murgatroyd 2009, 60f. zu 4,66f.), halte ich nicht für überzeugend. Siehe OLD defendere s. v. 2. Korn 1989, 62 zu 4,66b–67 verweist auf den spätantiken Sprachgebrauch, der erlaubt, defendere im Sinne von punire oder ulcisci zu verwenden. Es ist möglich, dass unsere Stelle als früher Beleg für diesen erst später sicher bezeugten Bedeutungswandel des Verbs anzusehen ist. Die Preisgabe der geheimen Tischgespräche der Götter ist traditionell das Verbrechen des Tantalus.
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Kaukasus geschmiedeten Titanen-Sohnes sei eine Leistung, die nur ein Held vom Format eines Hercules vollbringen könne: „Auf welchen zweiten Hercules, auf welchen Zeitpunkt verschiebst du noch [sc. den Gnadenakt für] den Greis im Kaukasus, großer König?“ (in quem alium Alciden, in quae iam tempora differs / Caucaseum, rex magne, senem?: 4,62f.).135 So erkennt Jupiter die Befreiung des Prometheus als geeigneten Auftrag für seinen trauernden und gekränkten Sohn, der diesem erlaube, seine überragende Heldenkraft unter Beweis zu stellen und zu neuer Lebensfreude zu finden.136 Weshalb sich Apoll für die Befreiung des Prometheus einsetzt, ist nicht unmittelbar einsichtig. Die Antwort dürfte jedoch darin zu suchen sein, dass durch Hercules’ Gang in den Kaukasus ein anderes Ereignis – wenn schon nicht verhindert – zumindest verzögert wird: die Tötung des Laomedon und die Eroberung Trojas, zu der sich Hercules am Beginn der Szene gerade aufmacht (4,58f.). In den erhaltenen Quellen findet sich nur wenig, was auf eine besondere Beziehung zwischen Apoll und Prometheus hindeuten würde.137 Dafür ist Apoll (gemeinsam mit Leto und Diana, die in Arg. 4 sein Bittgesuch unterstützen) bereits in der Ilias eine mit Troja sympathisierende Gottheit.138 Dem Sehergott Apoll dürfte es also in dieser Szene überhaupt nicht um Prome-
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Murgatroyd 2009, 58 zu 4,62 f. missversteht den Sinn der Aussage: „Jupiter may have announced that an Alcides would free Prometheus, so Apollo here wonders if he meant some other Alcides some later time.“ Die richtige Erklärung gibt Korn 1989, 60f. zu 4,62 (alius als Metapher „zur Veranschaulichung einer Wesensgleichheit“). In diesem Sinn verwendet Valerius das Adjektiv noch in 3,644 und 7,92. Nicht ganz zutreffend die Beschreibung bei Korn 1989, 71 zu 4,81b: „Der Anfang des vierten Buches zeigte den Göttervater in der Absicht, seinem trauernden Sohn zu helfen.“ In der Bucheinleitung heißt es nur, Jupiter bemitleide seinen Sohn (natique pios miseratus amores: 4,2). Der Vorschlag, wie dem Helden geholfen werden könnte, wird erst von Apoll vorgebracht. Hercules ist nach der Beauftragung voll der Freude (diva volat defertque viro celeranda parentis / imperia atque alacrem laetis hortatibus implet: 4,80f.). Emma Buckley zeigt, dass Valerius in die Erzählung von der Befreiung des Prometheus zahlreiche Hinweise auf die bevorstehende Apotheose des Hercules einflicht: Buckley 2014, 319–326. Vgl. Otte 1992, 81; Zissos 2004b, 335 Anm. 69; Murgatroyd 2009, 55f. zu 4,58ff.; Stover 2016, 23 mit Anm. 32. In der Ilias kämpfen Apoll, Leto und Diana auf Seiten der Trojaner (Il. 5,445–447; 20,39f.; 21,479–513). Die Erzählung vom Trug des Laomedon beim Mauerbau – er hatte Poseidon und Apoll um ihren Lohn geprellt und sich so den Zorn der beiden Götter zugezogen – lässt zwar darauf schließen, dass der Tod Laomedons im Interesse Apolls liegen müsste, doch achtet Valerius in der Hesione-Episode darauf, Hinweise auf Apoll (und die Pest, mit der er Troja aus Rache überzog) auszusparen. Als verantwortliche Mächte für das Erscheinen des Seemonsters werden Fortuna (2,474), Hammon (2,482) und Neptun (2,497) genannt. Vgl. Murgatroyd 2009, 56 zu 4,58 ff.
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kapitel 6
theus gehen – sondern um Troja.139 Bezeichnenderweise besteht der erste Teil von Jupiters Aufforderung, die durch Iris an Hercules übermittelt wird, auch darin, dass dieser den Zug nach Troja verschieben (differat) und stattdessen in den Kaukasus ziehen solle, um Prometheus zu befreien. Apoll hat gegenüber Jupiter Troja nicht einmal erwähnt, doch die explizite Aufforderung an Hercules, vorerst nicht nach Troja zu gehen, dürfte ein Hinweis darauf sein, dass Jupiter Apolls heimliche Agenda durchschaut. Ginge es dem Sehergott nur um die Befreiung des Prometheus nach jahrelanger Strafe, spräche ja auch nichts dagegen, diese noch bis zur Rückkehr des Hercules aus Troja aufzuschieben. Dass Apoll Troja nicht explizit nennt, ist rhetorisch geschickt. Hercules’ vorauszusehende Tötung des Laomedon ermöglicht die Königsherrschaft des Priamos, auf dessen Bedeutung Valerius verhüllt hinweist, wenn im Weltenplan die Entführung Helenas durch den „Hirten vom Idagebirge“ (Phrygia … pastor ab Ida: 1,549) als Ursache des Trojanischen Krieges genannt wird. Bekanntlich handelt es sich bei diesem Hirten – Paris – um einen Sohn des Priamos. In den Argonautica ist die Tötung des Laomedon also weltgeschichtlich höchst bedeutsam – sie ist die Grundlage für Priamos’ Königsherrschaft und den von einem Sohn des Priamos in Gang gesetzten Trojanischen Krieg, der den Untergang Asiens besiegelt (1,551–554). Eine Verzögerung des Weltenplans ist dem Göttervater wohl nur schwer schmackhaft zu machen. Anstatt explizit darum zu bitten, Hercules’ Zug nach Troja aufzuschieben, schlägt Apoll daher eine (hyper-)epische Heldentat für Hercules vor, die diesen beschäftigen und die Zerstörung einer Lieblingsstadt Apolls somit zumindest hinauszögern wird. Wohl durchschaut Jupiter diese Strategie, doch er kommt der Bitte seines Sohnes – „bewegt von seiner großen Wertschätzung für Apoll“ (magno Phoebi commotus honore: 4,76) – trotzdem nach. Die Entscheidung dürfte dem Göttervater trotz der genannten Einwände nicht allzu schwerfallen: Apoll hat ihm einen Vorschlag unterbreitet, der dem einen Sohn (Hercules) zur Ehre gereicht140 und für den anderen (Apoll) ein schmerzhaftes Ereignis hinauszögert. Überdies bringt die Befreiung des Prometheus auch die Entfaltung des Weltenplans nicht in Gefahr. Da Apoll die genannten Faktoren sorgfältig abgewogen und sein Bittgesuch zu einem günstigen Zeitpunkt vorgetragen hat, kann es von Jupiter akzeptiert werden.
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Vgl. Stover 2016, 23. Das Motiv, Hercules gewinne durch die (von Zeus gebilligte) Befreiung des Prometheus größeren Ruhm, findet sich auch in Hes. theog. 526–531 – ein Hinweis, dass Valerius in der Prometheus-Erzählung eine sonst nicht belegte Mythenvariante aufgreift. Vgl. Otte 1992, 81; Stover 2016, 24.
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Für einen Gnadenakt des Herrschers scheint Prometheus aus den gleichen Gründen wie Phineus in Frage zu kommen. Er ist bei Jupiter in Ungnade gefallen, ohne dass der Göttervater die ewige Verbannung in den Tartarus und unendliche Folterqualen für notwendig erachtet.141 Apoll argumentiert, die Strafe des Titanen sei nach langer Pein abgebüßt, und Jupiter scheint diese Ansicht zu teilen. Wie später im Fall des Phineus dürfte er auch hier sicher sein, dass die Strafe ihre abschreckende Wirkung nicht verfehlen und Prometheus sich nicht noch einmal über den Herrscher hinwegsetzen (supra principem scandere) werde.142 Die von Jupiter verhängte Strafe und der später gesetzte Akt der clementia lassen sich auch hier mit dem Konzept von Strafe und ihren Zwecken, das Seneca in De clementia entwickelt, verbinden: Wenn es die Charakteranlage des Schuldigen und die Schwere des Vergehens erlauben,143 soll eine Strafe denjenigen, den sie trifft, nicht vernichten, sondern – im Sinne des Regimes – verbessern.144 Das im Fall von Prometheus und Phineus vergleich-
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Es gibt in den Quellen manche Hinweise darauf, dass Prometheus – anders als sein Vater Iapetos – in der Titanomachie die Seite der Olympier unterstützt habe, was dem späteren Nachlass einer Strafe (die für ein anderes Vergehen verhängt wurde) nur förderlich sein könnte. Vgl. Gantz 1993, 159; Stover 2016, 22. Anders Stover 2012, 168: „The freeing of Prometheus is of course a powerful political symbol of emancipation, and one that resonates with Valerius’ emphasis on the opening up of the world through scientific and technological advancement with the movement into the Jovian era.“ Die Verbindung der Völker und die technologische Errungenschaft der Schifffahrt sind tatsächlich weltgeschichtlich bedeutsame Fortschritte, die jedoch im Epos des Valerius mit Blick auf ihre Kollateralschäden durchaus ambivalent beurteilt werden. Diese Ambivalenz bildet gerade die Figur des Prometheus ab: Als Kulturbringer und Opfer des göttlichen Strafgerichts symbolisiert er nicht nur technologischen Fortschritt und menschliche Selbstermächtigung, sondern auch die Gefahren und potenziell negativen Folgen, welche diese Errungenschaften mit sich bringen. Valerius kennt die Vorzüge von Jupiters Weltordnung gegenüber der saturnischen Zeit – doch er kennt auch den Preis der Errichtung und Aufrechterhaltung der olympischen Stabilität. Stovers mechanischer Interpretationszugriff, Jupiters Weltordnung zum kosmischen Ideal und (im nächsten Schritt) zum Abbild eines optimistischen flavischen Zeitgeists zu erklären, ist daher zu verkürzend. Vgl. Sen. clem. 1,2,2 (mit Stover 2016, 25), wo eine Unterscheidung zwischen sanabilia und deplorata ingenia getroffen wird. Während erstere clementia verdienten, wäre es crudelitas, letzteren clementia zukommen zu lassen. Die Stelle ist aufschlussreich, da Seneca impliziert, dass manche Vergehen so schwer sind, dass sie die Anwendung der kaiserlichen Herrschertugend clementia ausschließen. Wie wir sehen werden, haben Phineus und Prometheus diese schwer zu fassende Grenze (noch) nicht überschritten. Im Fall des im Tartarus eingeschlossenen Iapetos (siehe unten) liegen die Dinge anders. Bei Prometheus zeigt die Maßnahme Erfolg: Von ihm erhält Jupiter die für die Stabilität seiner Herrschaft zentrale Information, dass Thetis’ Sohn stärker als sein Vater sein werde, weshalb Jupiter davon absieht, einen Sohn mit der Meeresgöttin zu zeugen, um nicht das-
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bare Vorgehen Jupiters deutet auf eine gewisse Regelmäßigkeit im Umgang mit Verfehlungen hin. Wie angedeutet, fügt der Dichter nicht wenige (Detail-)Bezüge zwischen Prometheus und Phineus ein.145 Beide sind wegen eines Vergehens gegen Jupiter einer Bestrafung ausgesetzt, beiden steht das Ende der Bestrafung unmittelbar bevor.146 Valerius fügt zum traditionellen Feuerdiebstahl des Prometheus als Neuerung die Preisgabe göttlicher Tischgespräche hinzu. Diese bisher nur unzureichend erklärte Innovation scheint dazu zu dienen, Prometheus näher an Phineus heranzurücken,147 der die geheimen Beschlüsse Jupiters preisgegeben hat. In beiden Fällen wird die Strafe von einem Vogel/mehreren Vögeln exekutiert,148 der/die durch das Attribut dirus näher charakterisiert wird/werden.149 Der Geier zehrt von der Leber des Prometheus, die als „Futter“ (pabula: 4,68) bezeichnet wird. Mit dem gleichen Wort beschreibt Phineus, wie die Harpyien immerzu seine „Nahrung“ (pabula: 4,450) rauben. Hier ist auch die Bemerkung des Typhon zu nennen, der erklärt, es werde den Harpyien nie an „Futter“ (pabula: 4,525) fehlen, solange es menschliche Freveltaten gegen die Götter gebe. Während die Leber des Prometheus tatsächlich vom Geier aufgefressen wird (4,68f.), spricht Zetes metaphorisch, wenn er sagt, das Elend habe Phineus verzehrt (quam te / exedit labor: 4,469f.). Dass Prometheus als „kaukasischer Greis“ (Caucaseum … senem: 4,63) bezeichnet wird, lässt sich mit Blick auf frühere literarische Darstellungen der Figur kaum erklären150 – es ist wahr-
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selbe Schicksal wie Uranos und Kronos zu erleiden, die beide von ihrem Sohn gestürzt wurden (vgl. Stover 2016, 26). Zu den Parallelen zwischen Prometheus und Phineus siehe (ausgewogen) Adamietz 1976, 59; Otte 1992, 87; Stover 2012, 168 f. Prometheus: 4,63f. (nullumne malorum / finem adeo poenaeque dabis? [Apoll zu Jupiter]) ~ Phineus: 4,461 (vos finem imponite poenis [Phineus zu den Boreaden]). Zu anderen Theorien (variatio; Anspielung auf den Opfertrug; Anspielung auf eine in unseren Quellen nicht nachgewiesene Mythentradition; [unbeabsichtigte] Verwechslung mit Tantalos) siehe Korn 1989, 62 f. zu 66b–67; Murgatroyd 2009, 61 zu 4,66f. Prometheus wird von Jupiters Geier gemartert: 4,69.72.79 ~ Phineus wird im Auftrag Jupiters von den Harpyien gequält: 4,428 f.; 4,450–458.490–492.497–500.503–505.510f.; 4,515. Prometheus: 4,68 f. (diri / vulturis); 4,79 (dirae … volucri) ~ Phineus: 4,426 (dira deum … vis); 4,586 (Dirae). Zu Prometheus als Greis siehe Murgatroyd 2009, 59 zu 4,62f.: „Caucaseum … senem is an odd (unparalleled) and rather quaint way of denoting Prometheus. […] As gods did not normally grow old (apart from characters like elderly Silenus and Charon), there is probably some (amusing) exaggeration here, unless Prometheus has aged with pain.“ Das Bemühen, den vermeintlich überbordenden Humor des Valerius an möglichst vielen Stellen nachzuweisen, ist eine Eigenart von Murgatroyds Kommentar, die uns hier nicht weiter zu tangieren braucht (Manuwald 2012, 185 meldet berechtigte Skepsis an).
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scheinlich, dass der Dichter den Titanen zum Greis macht, um ihn an Phineus anzugleichen, dessen (traditionelles) Greisenalter mehrfach betont wird.151 Womöglich lässt sich noch eine weitere Gemeinsamkeit ausmachen. In der Phineus-Episode werden die als göttliches Strafinstrument eingesetzten Harpyien nicht getötet, sondern nur vertrieben. Möglicherweise trifft das auch auf den Geier des Prometheus zu. Als die Argonauten in dem Moment am Kaukasus-Gebirge vorbeisegeln, in dem Hercules Prometheus befreit, erblicken sie verwundert den von oben her (desuper) einfallenden Schatten des Vogels, der dem Tod nahe ist, und staunen über die vom Blutregen benetzte Luft (mirantur … / … / … ingentem moribundae desuper umbram / alitis atque atris rorantes imbribus auras: 5,173–176). Natürlich liegt der Gedanke nicht fern, dass der Geier seinen schweren Verletzungen am Ende erliegen werde.152 Aber es ist doch bemerkenswert, dass der Geier nach dem Kampf mit Hercules entkommen kann.153 Sollte meine Vermutung zutreffend sein und der Geier überleben, ergäbe sich eine weitere Parallele zwischen Prometheus und Phineus, die der Szene einen bitteren Schlussakkord verpassen würde – in diesem Fall würde Jupiter sein göttliches Strafinstrument erneut nur zurückziehen, um es für einen späteren Einsatz bereitzuhalten.154
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Ein komischer Effekt ist an unserer Stelle bestimmt nicht intendiert; auffällig (und erklärungsbedürftig) ist die Periphrase aber allemal. Phineus als Greis (senex): 4,431.470.475.491.538.551. Die meisten Übersetzer und Interpreten des Valerius gehen – vorschnell, wie ich meine – wie selbstverständlich davon aus, dass der Geier nach dem Kampf mit Hercules stirbt (z. B. Otte 1992, 103: „The actual sight of the eagle passing overhead following his torment of the prisoner […] turns to a vision of its death as it flies away for a final time“ [meine Hervorhebung]). Dass der Vogel in 5,175f. über die Argo hinwegfliegt (so auch Otte 1992, 103), legen das Adverb desuper (das sich freilich auch auf eine erhöhte Position im Kaukasus-Gebirge beziehen könnte) und die Erwähnung der „blutgetränkten“ Lüfte nahe. Manche Interpreten erkennen in der narrativen Sequenz, die in der Befreiung des Prometheus gipfelt (wie auch in der Phineus-Episode: siehe oben Anm. 119), Hinweise auf eine frühere, allmählich endende Phase der rücksichtslosen Gewaltherrschaft in Jupiters Regime, wie sie z. B. in Aeschylos’ Der Gefesselte Prometheus dargestellt wird: vgl. Barich 1982, 64; Otte 1992, 81–83.102f.; Zissos 1997, 123–134; Stover 2012, 168f.; Buckley 2014, 323: „[T]o recall the punishment of Prometheus is to recall the dark and tragic universe of Aeschylus’ Prometheus Bound, a world in which the supreme god’s new power is secured by ruthless domination and tyranny, and the Titan Prometheus has been cruelly punished by Zeus for his services to mankind. To end the Titan’s punishment is to signal that the time of cruel tyranny is now over: Jupiter will henceforth take a more benevolent approach to the governance of human affairs.“; Stover 2016, 25. Die Befreiung des Prometheus symbolisiere, dass Jupiters Herrschaft (nach tyrannischen Anfängen und – nur anfänglich – harschem Vorgehen gegen Feinde) allmählich in eine weniger restriktive und weniger autoritäre Phase übergehe. Es fällt schwer, diese Argumentation mit dem Textbe-
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Im Umgang mit Verfehlungen lässt Jupiter eine gewisse Regelmäßigkeit erkennen. Sowohl Prometheus als auch Phineus ziehen durch ein Vergehen göttliche Bestrafung auf sich. Offenbar bleibt dieses Vergehen aber innerhalb eines akzeptablen Rahmens, denn beide können nach einem bestimmten Bestrafungszeitraum clementia erfahren. Ein wichtiges Vergleichsstück hierzu ist die knappe narratoriale Schilderung des Schicksals des Titanen Iapetos (4,73–75) im Zusammenhang mit Apolls Bittgesuch.155 Iapetos erscheint in der antiken Literatur regelmäßig in Zusammenhang mit der Titanomachie, bei der er neben Kronos/Saturn als härtester Widersacher Jupiters aufgetreten sei.156 In 1,564 wird der Kampf gegen die Titanen in metonymischer Engführung als „Krieg gegen den wilden Iapetos“ (Iapeti … bella trucis) umschrieben. Als bei Apolls Bitte an Jupiter das zustimmende Getöse der Flüsse und Felsen ertönt, mischt sich eine weitere, aus der Tiefe dringende Stimme darunter:157 tunc etiam superas158 Acheronte auditus ad arces Iapetus, gravis orantem procul arcet Erinys respiciens celsi legem Iovis. Val. Fl. 4,73–75
Iapetos scheint also – wie bereits in der Ilias – nach der Titanomachie in den Tartarus eingeschlossen worden zu sein und beteiligt sich von dort an den überall ertönenden Bittrufen. Offenbar möchte er aus der Unterwelt heraufsteigen, um sich direkt an Jupiter zu richten. Aber die Erinye beachtet das „Gesetz Jupiters“ (legem Iovis) und hält ihn zurück. Die knappe Schilderung verdeutlicht einmal mehr, dass in Jupiters Regime auch infernale Mächte eingebunden sind: Die Erinye, eine der Rachegöttin-
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fund in Einklang zu bringen. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass Jupiter im Falle weiterer Transgressionen nicht erneut die Harpyien (oder seinen Geier?) aussenden würde, um ein grausiges Strafgericht zu vollziehen. Das im Fall der Harpyien dezidiert ausgesprochene Verbot, die göttlichen Strafwerkzeuge zu vernichten, lässt das genaue Gegenteil vermuten. Stover 2016, 20–27 bespricht die kurze Erwähnung des Iapetos (wie Otte 1992, 81–83) mit Blick auf die familiären Bindungen der beteiligten Figuren und den Vorteilen bzw. Nachteilen, die diesen daraus erwachsen. Vgl. Hom. Il. 8,478–481; Verg. georg. 1,278–280; Val. Fl. 1,564; Sil. 12,148–151; Korn 1989, 66f. zu 4,74; Zissos 2008, 324 f. zu 1,563 f. Vgl. Korn 1989, 58: „Die von Apollo vorgetragene Bitte wird verstärkt durch die Klage des Prometheus, von der der gesamte Kaukasus widerhallt, und durch die Stimme seines Vaters Japetus, die von der Unterwelt in den Himmel empordringt.“ Der Fehler in den Handschriften (Ausfall der Endung -as) ist bereits in der editio princeps zu superas korrigiert.
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nen, agiert im Auftrag Jupiters, wenn sie die Einhaltung seines Gesetzes überwacht.159 Die entscheidende Frage ist aber freilich die nach der Natur der lex Iovis.160 Wenn dieses Gesetz den unter der Erde eingeschlossenen (ehemaligen) Feinden Jupiters generell untersagen würde, ihr unterirdisches Verlies zu verlassen, wäre das Auftauchen des Typhon bei den Strophaden eine Übertretung – in Anbetracht von Jupiters autokratischer Allmacht kaum vorstellbar. Die lex Iovis muss daher Ausnahmen beinhalten. Die Analyse der PhineusEpisode hat gezeigt, dass Typhon als Vollstrecker besonderer Aufgaben in Jupiters Herrschaftsordnung eingegliedert werden konnte. Die lex Iovis scheint also vorzusehen, dass er als Teil des olympischen Regimes in bestimmten Fällen an die Oberwelt darf, um im Sinne des Göttervaters zu intervenieren. Eine solche Intervention zur Unterstützung des Bittgesuchs Apolls – das, wie gezeigt wurde, im Sinne Jupiters ist – wird Iapetos nicht gestattet, was nur bedeuten kann, dass eine Rehabilitation (wie bei Typhon) im Falle des Iapetos (noch?) nicht erfolgt ist. Vielleicht kann sie auch gar nicht erfolgen: Nicht alle ehemaligen Feinde können in eine neue Herrschaftsordnung eingegliedert werden. Möglicherweise beurteilt Jupiter das Vergehen des Iapetos, der gemeinsam mit Jupiters Vater Kronos/Saturn gegen den Olympier rebelliert hat, aufgrund seiner Schwere als unverzeihlich.161 Die lex Iovis könnte also als Maßstab verstanden werden, nach dem die Vergehen ehemaliger Feinde und potenziell subversiver Akteure kategorisiert werden – eine Basis, auf welcher entschieden wird, ob Figuren wie Phineus, Prometheus, Typhon oder Iapetos für einen Akt der clementia in Frage kommen oder nicht.162 Es ist möglich, dass Jupiter von Iapetos weitere Putschversuche erwartet und ihn deshalb im Tartarus festhält. Denkbar ist auch, dass der Titan beim Versuch, den kosmischen Herrscher zu stürzen, so großes subversives Potenzial demonstriert hat, dass im Interesse der allgemeinen Sicherheit nicht an einen Strafnachlass zu denken ist. Bei schweren Vergehen und drohender Gefahr erlaubt auch Seneca in De clementia das Verhängen
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Vgl. Korn 1989, 67 zu 4,74: „Die hier erwähnte Furie erscheint als Dienerin des Juppiter.“ Vgl. Korn 1989, 67 zu 4,75a: „Die lex Iovis verbietet das Verlassen der Unterwelt, das unvereinbar wäre mit der Strafe für Japetus.“ Vgl. Otte 1992, 82: „The Titan [Prometheus] who once offended Jupiter is released from punishment […], but his father, who dared to make war directly against the gods, remains imprisoned in the βάθη of Tartarus. […] Iapetus is still bound, in this interpretation, by the enormity of his crime.“ Ähnlich Stover 2016, 25: „For Valerius’ Jupiter, there can be no forgiveness for the father Iapetus, who not only fought against Jupiter in the Titanomachy, but seems to have played an especially prominent role in the war against the eventual victors.“ Vgl. Stover 2016, 25 f.: „A proper usage of clementia is a key component of this lex.“
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kapitel 6
von Strafen, welche den Zweck verfolgen, den Herrscher und die Übrigen vor einer Gefahr zu schützen.163 Dieser Vorgabe scheint Jupiter im Fall des Iapetos zu folgen. Rückblick: Wie beim Strafnachlass für Phineus verfolgt Jupiter auch im Falle von Prometheus eine eigene Agenda. Der Auftrag zur Befreiung des TitanenSohnes gibt dem Göttervater Gelegenheit, einerseits seinem Sohn Apoll zuliebe die Zerstörung Trojas hinauszuzögern und andererseits Hercules aufzumuntern, der über den Verlust des Hylas trauert und wegen der Zurücklassung durch die Argonauten beschämt ist. Außerdem scheint Jupiter dem Prometheus Verbesserung zuzutrauen und dessen Vergehen nicht für unverzeihlich zu halten, womit die Voraussetzungen für einen Akt der clementia erfüllt sind. Die Szene ist geeignet, dem zeitgenössischen Rezipienten den Spielraum für die Begnadigung politischer Gegner anschaulich zu machen. Das Beispiel des Iapetos und die Erwähnung einer lex Iovis impliziert, dass bestimmte Vergehen aufgrund ihrer Schwere nicht verziehen werden können. Härteste Strafen seien in solchen Fällen gerechtfertigt und zur Aufrechterhaltung der Stabilität sogar notwendig.
6.6
Ergebnisse
(1) Für die in den Argonautica angestellten Reflexionen über Macht und Herrschaft konnte Valerius auf das tragische und philosophische Werk Senecas als Modell für ‚politisches Dichten‘ zurückgreifen. Senecas Tragödien und der Fürstenspiegel De clementia können als komplementäre Teile eines politischen Programms gelesen werden, das in abschreckender bzw. protreptischer Weise vermittelt wird. Während der Regent bestimmte Figurentypen als abzulehnende bzw. nachahmenswerte exempla erkennen soll, wird das senatsaristokratische Publikum über die faktischen Machtverhältnisse, aber auch über die für den Herrscher geltenden Verhaltensnormen instruiert. Diese ‚didaktische‘ Wirkabsicht scheint Valerius übernommen zu haben: Als ex negativo Spiegelbilder des idealen Regenten können Figuren wie Pelias oder Aeetes paränetische Wirkung entfalten. Als weitere Komponente kommt hinzu, dass die Tyrannen in Senecas Tragödien in flavischer Zeit zunehmend als Allegorien für Nero verstanden wurden – die Octavia ist hierfür ein aufschlussreiches Rezeptionsbeispiel. Die überzeichneten Gewaltherrscher der Argonautica dürften daher für ein zeitgenössisches
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Vgl. oben Kap. 6.1.
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231
Publikum in erster Linie Assoziationen mit Nero und seiner Gewaltherrschaft geweckt haben – schließlich wurde der letzte julisch-claudische Kaiser in der flavischen Propaganda als Archetyp des entarteten Gewaltherrschers verunglimpft. (2) In die Figur des Pelias fließen zeithistorische und literarische Vorbilder ein. Misst man den thessalischen Tyrannen an den in De clementia definierten Maßstäben, ist Pelias ein entarteter Gewaltherrscher, dessen Willkür und Grausamkeit zur Ursache seines eigenen Untergangs werden. Die systematische Verknüpfung mit Senecas Atreus eröffnet dem Rezipienten die Möglichkeit, Pelias als unbestimmtes, abschreckendes exemplum zu lesen, wobei sich aufgrund der besonderen Rezeptionsrichtung der Seneca-Tragödien in flavischer Zeit auch die Möglichkeit ergibt, Assoziationen mit Nero herzustellen. Dass die Tyrannen der Argonautica und Vespasian an der Spitze von grundsätzlich vergleichbaren politischen Systemen stehen, erlaubt es dem Dichter, auf mythologischem Umweg die Gefahren aufzuzeigen, die dem politischen System der frühen Kaiserzeit inhärent sind. Nach dem Ende der Republik gewährleistet der Principat Stabilität, Sicherheit und Frieden. Das System der Alleinherrschaft birgt aber auch die Gefahr von Machtmissbrauch, Exzess und der Zerrüttung der Ordnung. (3) Die Parallelen zwischen Jupiter und Vespasian – beide erscheinen als Familienoberhäupter und Dynastiegründer, die nach einem gewaltigen Krieg an die Macht gekommen sind – sensibilisieren den Rezipienten für mögliche Analogien zwischen Jupiters olympischem Regime und dem Principat Vespasians. In den Szenen mit Phineus und Prometheus wird gezeigt, wie Jupiter mit subversiven Elementen und oppositionellen Stimmen verfährt; außerdem wird sein Umgang mit ehemaligen Widersachern wie Typhon oder Iapetos thematisiert. Beide Motive (Umgang mit Regimegegnern, Umgang mit ehemaligen Feinden) sind zeithistorisch relevant und verweisen direkt auf die Herausforderungen, vor denen Vespasian nach der Machtergreifung stand. Die mit zeithistorisch relevanten Zügen ausgestattete Zeichnung des Jupiter-Regimes erlaubt es dem Rezipienten, aus den Argonautica ein Modell für stabile Herrschaft zu abstrahieren. Der Akt der clementia ist nur möglich, wenn eine gewisse Schwere des Vergehens nicht überschritten wird (was bei Phineus und Prometheus der Fall ist). Ehemalige Feinde können in das Regime eingegliedert werden, wenn sie etwas zu dessen Stabilität beitragen können. Die lex Iovis erscheint hierbei als Bestimmung, die eine Kategorisierung früherer Feinde erlaubt und eine Richtschnur dafür anbietet, wann clementia erfolgen kann, um den Kosmos in Jupiters Sinne zu reglementieren und dessen Stabilität zu gewährleisten. Dass Jupiter auf die Dienste der Furien, der Harpyien oder
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kapitel 6
des Typhon zurückgreift, zeigt, dass zur Sicherstellung der Herrschaft problematische Mittel notwendig sein können. Apolls Bittgesuch macht eine weitere Dimension sichtbar: Die Entscheidung zur Befreiung des Prometheus fällt der Göttervater deshalb, weil er von einem Sohn (Apoll) darum gebeten wird und ein anderer Sohn (Hercules) dadurch seine Heldentugend unter Beweis stellen und die Art von Ruhm erlangen kann, die seiner bevorstehenden Apotheose den Weg bereitet. Während Jupiters Herrschaft mit Zügen ausgestattet ist, die den Rezipienten gedanklich zum Principat führen, wird sie nicht idealisiert. Die harschen Realitäten der Herrschaft werden nicht verschwiegen, sondern vielmehr klar kenntlich gemacht. Liest man die Darstellung von Macht und Herrschaft in den Argonautica als Spiegel der politischen Verhältnisse der frühen Kaiserzeit, erweist sich Valerius als aufmerksamer Beobachter, der anhand der JupiterFigur das System des Principats analysiert.
kapitel 7
Dynastische Nachfolge und verlorene Anführer Auch wenn die Details der Verbannung und Hinrichtung des Helvidius Priscus aufgrund der fragmentarischen Quellenlage nicht rekonstruierbar sind, gibt es Anhaltspunkte, dass es bei den von Sueton erwähnten „außergewöhnlichen Wortgefechten“ (altercationibus insolentissimis: Suet. Vesp. 15) konkret um die heikle Frage der Nachfolge gegangen sein könnte.1 Vespasian hat seine Absicht, eine Erbdynastie begründen zu wollen, nie verhehlt und diese auch dem Senat kundgetan: convenit inter omnis, tam certum eum de sua suorumque genitura semper fuisse, ut post assiduas in se coniurationes ausus sit adfirmare senatui aut filios sibi successuros aut neminem. Suet. Vesp. 25
Der Ausruf „Entweder meine Söhne oder niemand soll mein Nachfolger sein!“ ist auch bei Cassius Dio überliefert, der an dieser Stelle im Auszug des Xiphilinos erhalten ist. Anders als im Bericht des Sueton steht der Ausruf bei Cassius Dio im Kontext eines aus der Kontrolle geratenen Streits zwischen Vespasian und Helvidius, bei dem die Volkstribunen zum Schutz des Princeps eingeschritten seien und den Senator in Haft genommen hätten (Cass. Dio 65,12,1). Wie bereits mehrfach gesehen wurde, wirkt diese Darstellung ein wenig unschlüssig:2 Permanente Beleidigungen und Herabsetzungen (βλασφημῶν αὐτὸν οὐκ ἐπαύετο) wären nur dann ein Anlass für den auch bei Sueton überlieferten Ausruf, wenn sie Kritik an Vespasians Nachfolgeplänen beinhalteten, was zum leichteren Verständnis dazu gesagt werden müsste. Es ist durchaus möglich, dass in der Epitome zwei unterschiedliche Vorfälle miteinander verschmolzen wurden. Aber auch in der vorliegenden Fassung ist erkennbar, dass die Nachfolgefrage während Vespasians Principat ein Streitthema war. Ich möchte in diesem Kapitel zuerst Vespasians dynastische Aspirationen beleuchten und nachzeichnen, wie er seine beiden Söhne – wobei Titus als
1 Zur These, Helvidius habe sich gegen die Nachfolgewünsche Vespasians gestellt und sei deshalb verbannt worden, siehe Malitz 1985, 239; Penwill 2003, 351; Leithoff 2014, 109; Levick 22017, 99; Kap. 5.2 und 7.1. 2 Vgl. Leithoff 2014, 108 f. mit Anm. 428 (mit weiterer Literatur).
© Bernhard Söllradl, 2023 | doi:10.1163/9789004537187_008
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kapitel 7
deutlich älterer Sohn den Vorzug hatte – als Nachfolger aufgebaut hat. Diese Bemühungen dürften im Senat nicht nur auf Akzeptanz gestoßen sein, da es nach den Erfahrungen mit Caligula und Nero berechtigte Bedenken bezüglich der Tauglichkeit eines auf Abstammung basierenden Nachfolgesystems gab. Die Adoption eines ‚Besten‘ aus den senatorischen Reihen wurde mitunter als vielversprechenderes Modell angesehen. Außerdem gab es Befürchtungen, die ganz konkret Vespasians Familie betrafen – in den historischen Quellen wird eine Rivalität zwischen Titus und Domitian kolportiert; außerdem habe es während Vespasians Regentschaft die Befürchtung gegeben, Titus könnte sich als ‚zweiter Nero‘ entpuppen. Die Nachfolgedebatte und die Bedenken bezüglich einer flavischen Erbdynastie haben auch in den Argonautica ihre Spuren hinterlassen. Valerius streicht zum einen die destabilisierende Wirkung innerfamiliärer Konflikte hervor (z.B. Pelias-Aeson, lemnischer Männermord, Aeetes-Perses), zeigt zum anderen aber große Vorsicht, wenn es um Fragen der dynastischen Nachfolge geht. Dies lässt sich etwa an seinem Umgang mit der problematischen – weil spätestens seit Ovid politisch aufgeladenen – Figur des Phaethon zeigen. Nach der Klärung dieser Grundlagen werden wir uns eingehenden Analysen dreier Einzelszenen zuwenden, die einen Regimewechsel (Lemnos) bzw. die Problematik des verlorenen Anführers (Hercules, Erginus) behandeln. Die Interpretation dieser Stellen wird zeigen, dass in den Argonautica ein Konzept von Herrschaftsnachfolge sichtbar wird, das Kategorien wie göttliche Auswahl und genealogische Abstammung privilegiert, während die des Volksentscheids als untauglich für die Wahl eines Anführers hingestellt wird. Dieses Konzept lässt sich mit der von Vespasian gewünschten Nachfolgepolitik reibungslos verbinden und widerspricht dem wahrscheinlich von Helvidius vorgebrachten Vorschlag, zur Nachfolge Vespasians solle ein optimus aus den Reihen des Senats ausgewählt werden.
7.1
Vespasians dynastische Bestrebungen und senatorischer Widerstand
Als Vespasian am 1. Juli 69 n. Chr. von den Truppen des ägyptischen Präfekten Ti. Iulius Alexander und wenig später von seinen eigenen Truppen in Judäa zum Kaiser proklamiert wurde,3 war er bereits 60 Jahre alt, sodass sich die Frage seiner Nachfolge schon unmittelbar nach dem Herrschaftsantritt mit einiger
3 Zur Kaiserproklamation Vespasians siehe Kap. 8.1.
dynastische nachfolge und verlorene anführer
235
Dringlichkeit gestellt haben dürfte.4 Um das Reich davor zu bewahren, wie nach dem Tod Neros – der ohne leiblichen Sohn verstorben war und keinen Nachfolger bestimmt hatte – erneut ins Chaos zu stürzen und um die eigene Familie auch über den eigenen Tod hinaus als Herrscherfamilie zu etablieren, ließ Vespasian von vornherein keinen Zweifel daran, dass einer seiner beiden Söhne jederzeit die Regierungsgeschäfte übernehmen könnte und für ihn keine andere Form der Nachfolgeregelung in Betracht komme. Nach dem Sommer 71 n. Chr. (Titus’ siegreiche Rückkehr aus Judäa) zeichnete sich hierbei eine klare Hierarchisierung zugunsten des deutlich älteren Titus ab.5 Die Signalisierung der geregelten Nachfolge spielte in der flavischen Herrschaftsdarstellung eine große Rolle und diente der „Plausibilisierung“ (Seelentag) der Herrschaft Vespasians, die zunächst nur auf militärischer Stärke beruhte, und damit der Stabilisierung derselben.6 Die Bevorzugung des Titus erklärt sich zunächst schlicht daraus, dass er der ältere der beiden Brüder war7 und außerdem bei der Eroberung Jerusalems, die er – während Vespasian in Ägypten weilte – alleine zu Ende führte, beträchtlichen militärischen Ruhm erworben hatte. Die öffentlichen Ehrungen, die Titus bereits als designierter Thronfolger erhalten hat, sind in der frühen Kaiserzeit ohne Parallele.8 Im Jüdischen Krieg erhielt er das imperium proconsulare in
4 Levick 22017, 201: „Vespasian’s age and maturity were an advantage to him after Gaius and Nero, both dead at thirty. But a man who took over at sixty, for all his excellent health, and equally healthy lack of concern for it, could not be expected to reign for long, and men looked to the future right from the beginning.“ 5 Zu Vespasians Auftreten als Begründer einer Familiendynastie siehe Tac. hist. 2,77,1; 4,52,1 (mit Seelentag 2010, 167); Suet. Vesp. 25; Christ 22004, 24; Pfeiffer 2009, 32f.: „Vespasian war es von Anfang an wichtig, die Sukzession seiner Söhne zu sichern. Er wollte der Begründer einer Dynastie sein und dem von ihm zu neuer Blüte geführten Reich ein Chaos wie nach dem Tod Neros ersparen.“; Seelentag 2009, 84: „Einmütig betonen Quellen und Literatur, daß Vespasian von Beginn seiner Regierung an eine Dynastie habe aufbauen und den Principat für einen oder beide seiner Söhne habe sichern wollen.“; Seelentag 2010; Tuck 2016, 118f.; Levick 22017, 201–212. 6 Vgl. Seelentag 2010, 177 f. 7 Titus wird am 30. Dez. 39 n. Chr. geboren, Domitian am 24. Okt. 51 n. Chr. Zum Zeitpunkt der Erhebung Vespasians zum Kaiser durch die alexandrinischen Truppen war Domitian also noch keine 18 Jahre alt. 8 Zu den Ehrungen für Titus in den Jahren 69–79 n. Chr. siehe Suet. Tit. 6,1; Pfeiffer 2009, 45; Seelentag 2009, 83–85 (hier 84): „Tatsächlich zeigen zahlreiche Medien der Herrschaftsdarstellung Vespasians sehr deutlich, daß Titus in den Jahren von 69 bis 79 nicht allein Ehren empfing und mit Kompetenzen ausgestattet wurde, die alles, was ein Princeps seinem möglichen Nachfolger bis dahin zugestanden hatte, in den Schatten stellten, sondern daß er auch eine deutlich gewichtigere Position als sein Bruder einnahm.“; Seelentag 2010, 168; Leithoff 2014, 111.
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kapitel 7
Syrien, Judäa und Ägypten.9 Nach dem gemeinsamen Triumph mit Vespasian10 im Juni 71 n. Chr. wurde Titus die tribunicia potestas verliehen. Wahrscheinlich ebenfalls bereits 71 n. Chr.11 übernahm er die Vertrauensposition des praefectus praetorio12 und 73/74 n. Chr. bekleidete er gemeinsam mit Vespasian die Zensur. Zwischen 69 und 79 n. Chr. war er als Amtskollege seines Vaters sieben Mal consul ordinarius13 und erhielt bis zum Tod des Vaters vierzehn Akklamationen als imperator.14 Die schiere Fülle dieser Ämter und Befugnisse war es wohl, die Sueton zu dem Urteil bewog, Titus sei nach dem Sommer 71 n. Chr. als Teilhaber an der Macht und geradezu als Mitkaiser aufgetreten (neque ex eo destitit participem atque etiam tutorem imperii agere: Suet. Tit. 6,1). Vespasians Bereitschaft, dem älteren Sohn noch während des eigenen Principats eine derart herausgehobene Machtstellung zuzugestehen, zeigt einerseits sein Bemühen, schon vor seinem Tod klare Verhältnisse zu schaffen und einen reibungslosen Machtwechsel vorzubereiten, andererseits unterstreicht sie seine Absicht, eine Familiendynastie zu errichten und die Herrschaft nach seinem Tod an den ältesten Sohn zu vererben. Von Beginn an bemüht sich Vespasian, seine Nachfolgepläne auch rechtlich abzusichern. Bereits im Sommer 69 n. Chr., als er von den Truppen zum imperator akklamiert wird, ernennt er seine beiden Söhne zu Caesares.15 Nach dem Sieg der flavischen Partei über die Vitellianer in den Straßen Roms im Dezem-
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Vgl. Levick 22017, 203. Ursprünglich waren für Vespasian und Titus zwei separate Triumphzüge geplant, doch der Princeps wollte gemeinsam mit seinem Sohn auftreten. Beim Triumph fuhren Vater und Sohn hintereinander in der Triumphalquadriga. Der zweite Sohn, Domitian, folgte dahinter auf einem weißen Pferd reitend. Vgl. Ios. bell. Iud. 7,121.126; Seelentag 2009, 93; Seelentag 2010, 176. Zum gemeinsamen Triumph von Vater und Sohn als dynastischer Geste siehe Wilker 2018, 125. Vgl. Levick 22017, 204. Zum zweifelhaften Datum der Übernahme der Prätorianerpräfektur siehe Seelentag 2009, 94 Anm. 37, der argumentiert, dass eine Übernahme des Amtes gemeinsam mit der tribunicia potestas nach der Triumphfeier im Jahr 71 n. Chr. wahrscheinlich sei. Zur Verleihung des Postens als Prätorianerpräfekt als Vertrauensbeweis siehe Suet. Tit. 6,1; Plin. nat. praef. 3; Pfeiffer 2009, 33; Seelentag 2010, 176 mit Anm. 26. Nach Gunnar Seelentag (2009, 84 f.) lassen sich an der Anzahl der Konsulate die Rangunterschiede innerhalb der gens Flavia ablesen: So hatte Domitian in den Jahren 69–79 n. Chr. immer einen Konsulat weniger als Titus, der seinerseits immer zwei Konsulate weniger als Vespasian hatte. Das erste Mal wurde Titus nach der Einnahme Jerusalems Ende 70 n. Chr. von seinen Legionen am Schlachtfeld zum imperator ausgerufen. Titus sollte diesen Titel, der bis dahin einzig dem Princeps vorbehalten war, in Folge auch tatsächlich führen (vgl. Seelentag 2009, 86 f.; Levick 22017, 203). Vgl. Seelentag 2010, 170.
dynastische nachfolge und verlorene anführer
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ber desselben Jahres wählt der Senat Titus und Domitian zu principes iuventutis.16 Solche dynastischen Gesten fanden in der Senatorenschaft nicht nur Zustimmung. Die historische Erfahrung hatte gelehrt, dass das Erbfolgesystem, das ungeeignete Kandidaten wie Caligula oder Nero an die Macht gelangen ließ, desaströse Konsequenzen für das Staatswesen haben konnte.17 Wenige Monate vor der Machtübernahme Vespasians hatte der kinderlose Galba, der Calpurnius Piso als designierten Nachfolger adoptiert hatte, eine Alternative aufgezeigt.18 Im Falle Galbas dürfte die Auswahl des Kandidaten allerdings sogar noch zu seinem Sturz beigetragen haben: Abgesehen von seiner aristokratischen Herkunft hatte Piso wenig zu bieten und erschien auch den Prätorianern nicht als geeigneter Nachfolger, die kurz nach der Adoption dem rebellierenden Otho ihre Unterstützung erklärten. Aber die Erinnerung an diesen Vorgang war in den ersten Regierungsjahren Vespasians noch frisch. Der Fehler Galbas war wohl nach Meinung ‚oppositionell‘ gesinnter Senatoren wie Helvidius nicht in der Adoption an sich zu suchen, sondern darin, dass er die Wahl nicht mit der Senatsaristokratie akkordiert und überdies einen schlechten Kandidaten für die Nachfolge ausgewählt hatte. Wie sich aus den oben zitierten Berichten bei Sueton und Cassius Dio schließen lässt, hat sich eine Senatsfraktion – nämlich der Kreis um Helvidius – deshalb offen gegen die von Vespasian geplante Erbfolgeregelung ausgesprochen und stattdessen die Adoption eines ‚Besten‘ aus den senatorischen Reihen gefordert.19 Bei Autoren wie Tacitus und Plinius erscheint diese Form der Nach16 17
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Vgl. Seelentag 2009, 85; Seelentag 2010, 170; Levick 22017, 89. Vgl. Nicols 2016, 67; Levick 22017, 201: „[N]one of the emperors who had come to power through adoption within the family, Tiberius, Gaius Caligula […] and Nero, had turned out well.“; Rebeggiani 2018, 105: „The Julio-Claudian dynasty proved how dangerous dynastic succession could be: it could produce a Nero or a Caligula.“ Zu Galbas Wahl des Piso als designierter Nachfolger und Mitkaiser siehe Seelentag 2010, 177 f. In unseren Quellen finden sich nur Hinweise auf eine derartige Diskussion. Explizite Äußerungen von Senatoren, die sich unter Vespasian für die Adoption eines ‚Besten‘ ausgesprochen hätten, sind nicht überliefert, doch weisen Cass. Dio 65,12 und Suet. Vesp. 25 deutlich in diese Richtung, was auch Rostovtzeff 21957, 586 Anm. 16 betont: „I cannot but think that Helvidius insisted in the senate that Vespasian should adopt the best man of the senatorial class, taking the Stoical and Cynical point of view. Vespasian refused even to listen to such suggestions. The sense of his [Vespasian’s] words is: ‘better the re-establishment of the Republic than the method suggested by Helvidius’.“ Ähnlich Pfeiffer 2009, 34 f.: „Sicherlich hatte Helvidius, als der Kaiser seinen Nachfolgeplan dem Senat zur Kenntnis brachte, für die Adoption eines optimus plädiert, wie es auch dem taciteischen Ideal entsprochen hätte.“; Nicols 2016, 67; Levick 22017, 98.202: „It was clear to some members of the senate from the disastrous history of the Julio-Claudian emperors […] that hereditary succession, by adoption when necessary, did not work. Senators who were
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kapitel 7
folgeregelung bereits als Ideal.20 Warum sich Vespasian, dessen ältester Sohn Titus seine Tatkraft bereits unter Beweis gestellt hatte und offenbar das vollste Vertrauen des Princeps genoss, darauf hätte einlassen sollen, steht indes auf einem anderen Blatt.21 Rückblick: Vespasian trat von Beginn an als Dynastiegründer auf und kommunizierte offen, dass für seine Nachfolge nur einer seiner beiden Söhne in Frage komme. Die Bevorzugung des Titus, der bereits unter Vespasians Principat zahlreiche Befugnisse, Ämter und öffentliche Ehrungen erhielt, erklärt sich daraus, dass er deutlich älter war als Domitian. Außerdem hatte er bei der Eroberung Jerusalems Kriegsruhm erworben und seine militärische Tüchtigkeit unter Beweis gestellt, was ihn als Thronfolger plausibilisierte. Die dynastischen Pläne Vespasians stießen jedoch in Teilen der Senatsaristokratie auf Widerstand, da man aufgrund der Erfahrungen mit Caligula und Nero die Adoption eines ‚Besten‘ für das attraktivere Thronfolgemodell erachtete.
7.2
Senatorische Befürchtungen (1): Rivalität zwischen den Kaisersöhnen?
Da Vespasian bei der Akklamation durch die Truppen bereits 60 Jahre alt war, kam nach dem Aufstieg der Flavier nicht nur dem neuen Kaiser, sondern auch seinen Söhnen, die für die Nachfolge in Stellung gebracht wurden, große Aufmerksamkeit zu. In den historiographischen Quellen, die in diesem Punkt wohl eine zeitgenössische Befürchtung aufgreifen, klingt immer wieder an, dass das Verhältnis zwischen Titus und Domitian zerrüttet und von schwerer Rivalität gekennzeichnet gewesen sei. Tacitus und Sueton suggerieren, der jüngere Domitian habe die Zurücksetzung hinter Titus als persönliche Schmähung empfunden und über Jahre einen stillen, bitteren Groll gegen die eigene Familie gehegt. Er habe Titus sogar nach
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not quietists knew that there could be other ways of filling what had by now come to be a recognized office. Even Galba’s way, if he had not made the choice himself instead of leaving it to his peers.“; Spielberg 2019, 154. Vgl. Tac. hist. 1,16,1 f. (Adoptionsrede Galbas) mit Pfeiffer 2009, 6; Tac. hist. 4,40,1 (Antrag des Curtius Montanus zur Ehrung des Andenkens an Galba und Piso) mit Malitz 1985, 239 Anm. 54; Plin. paneg. 7,5–7; 8,5 f. mit Spielberg 2019, 145–149; Rebeggiani 2018, 116. Vgl. Nicols 2016, 67: „Descent could not be denied as method of selection, but it might perhaps be structured more effectively through adoption … so much at any rate had been argued by Galba when he adopted Piso. Vespasian, with two sons, and one already experienced in war and peace, did not see any reason to take such a suggestion seriously.“
dynastische nachfolge und verlorene anführer
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dem Leben getrachtet.22 Bereits im Jahr 70 n. Chr. habe er versucht, Petillius Cerialis zum gemeinsamen Putsch zu bewegen.23 Außerdem habe er in den Jahren 69–70 n. Chr., als er als einziges Mitglied der Kaiserfamilie in Rom war und dort (gemeinsam mit Mucianus) als stadtrömischer Magistrat im Senat die Staatsgeschäfte lenkte, seine ihm zugestandenen Kompetenzen überschritten, sodass Vespasian nach einem Gespräch mit Titus übereilt aus Ägypten aufgebrochen sei, um den jüngeren Sohn in die Schranken zu weisen.24 Wie die jüngere althistorische Forschung gezeigt hat, ist vieles an dieser Darstellung das Produkt einer post-domitianischen Verzerrung – besonders Tacitus hatte ein Interesse daran, den letzten Flavier zu verunglimpfen, um Nerva bzw. Trajan in ein besseres Licht zu rücken.25 Als Vespasian im Jahr 66 n. Chr. mit der Niederschlagung der Revolte in der Provinz Judäa betraut wurde, war Domitian gerade einmal fünfzehn Jahre alt – es kann kaum als Zurücksetzung beschrieben werden, dass Vespasian nicht ihn, sondern den erwachsenen Sohn Titus mit an die Front genommen hat.
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Vgl. Suet. Tit. 9,3; Dom. 2,3. Zum Gerücht, Domitian habe Titus ermordet (oder ermorden lassen), siehe Griffin 2000, 54 (mit weiterer Literatur). Vgl. Tac. hist. 4,86,2 mit Seelentag 2010, 184 f. Vgl. Tac. hist. 4,51 f. mit Seelentag 2010, 185 f.; Levick 22017, 207: „[O]nly malicious sensationalism claimed that it was worry about Domitian that caused Vespasian to return to Rome without waiting for Titus to capture Jersualem; his journey was hardly a hurried one.“; Suet. Dom. 1,2–2,2 mit Seelentag 2010, 168. Vgl. Seelentag 2009; Seelentag 2010; Leithoff 2014, 145–147; Stocks 2018, 268 Anm. 45. Die Gegenposition vertritt etwa Murison 2016, 87: „Titus clearly had difficulties with his brother Domitian, who seems to have believed that Vespasian had appointed his two sons as joint-heirs to the principate.“ In dieselbe Kerbe schlägt auch Levick 22017, 205: „The second difficulty in managing the succession was indeed Domitian, who seems not to have accepted third position with grace.“ Sowohl Murison als auch Levick scheinen Sueton (Tit. 9,3; Dom. 2,3), der aus seiner Abneigung gegenüber Domitian keinen Hehl macht, zu sehr beim Wort zu nehmen. Davis 2015, 162 diskutiert das Verhältnis der Vespasian-Söhne in Zusammenhang mit dem Argonautica-Proömium, das die Harmonie innerhalb der Herrscherfamilie betont. Auch er scheint Sueton und Cassius Dio allzu großes Vertrauen zu schenken: „[A]s Valerius’s readers must have known, the truth was wholly otherwise, for Suetonius reports that Domitian was constantly plotting against his brother. Dio confirms the plots and claims that if Domitian did not actually kill his brother, then he was certainly more concerned with securing power than with his tragic loss“ (Davis 2015, 162). Die gewählten Formulierungen („As Valerius’s readers must have known“ … „Suetonius reports“ … „Dio confirms“) suggerieren, unsere historiographischen Quellen würden nur Fakten berichten und keiner kritischen Prüfung bedürfen. Siehe aber die wichtigen Hinweise zum methodisch gesicherten Umgang mit historiographischen Quellen, die häufig zwei Diskurse – einen berichtenden und einen bewertenden – miteinander vermengen, in Seelentag 2010, 181–188.
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kapitel 7
Als Antonius Primus am 20. Dezember 69 n. Chr. die Stadt für Vespasian eingenommen hat, war Domitian das einzige in der Hauptstadt anwesende Mitglied der neuen Herrscherdynastie. Als solches fiel es ihm zu, die Kaiserfamilie zu repräsentieren und als ranghöchster römischer Magistrat mit konsularischen Befugnissen die Staatsgeschäfte zu lenken (wobei er von Mucianus, der wenige Tage nach dem Tod des Vitellius in Rom eintraf, unterstützt wurde).26 Für die Konsolidierung der noch jungen flavischen Herrschaft spielte er also eine Schlüsselrolle. Dass er in dieser sensiblen Phase seine Kompetenzen überschritten habe, ist als böswillige Unterstellung zu beurteilen.27 Ein klares Hierarchiegefälle zwischen Vespasians Söhnen lässt sich erst nach Titus’ Rückkehr aus Judäa im Sommer 71 n. Chr. feststellen.28 Die große Bedeutung des iudaea capta- bzw. iudaea victa-Motivs in der flavischen Herrschaftsrepräsentation führt naturgemäß zur Aufwertung des deutlich älteren Titus, der den Auftrag zur Niederschlagung der jüdischen Rebellen erfolgreich zu Ende geführt hat und als verdienter Feldherr wohlbehalten nach Rom zurückgekehrt ist. Titus wird fortan als schlachterprobter Feldherr repräsentiert, der auch den – davor dem Princeps vorbehaltenen – Titel imperator führen darf und offen als Thronfolger aufgebaut wird.29 Domitian führt hingegen weiterhin den Titel princeps iuventutis und lässt hauptsächlich friedlich motivierte Typen mit Umschriften wie providentia, felicitas, aequitas und
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Zu Domitians Rolle als stadtrömischer Magistrat unmittelbar nach der flavischen Machtergreifung siehe Seelentag 2009, 86; Seelentag 2010, 171.181. Für das Agieren Domitians in den ersten Senatssitzungen nach dem Sieg der flavischen Partei finden sogar Tacitus und Sueton lobende Worte: vgl. Tac. hist. 4,2f.; 4,39f.; 4,44.46; Suet. Dom. 1,3; Seelentag 2010, 171f. Zum Vorwurf, Domitian habe beim Lenken der Staatsgeschäfte seine Kompetenzen überschritten, siehe Tac. hist. 4,51,2–52,2; 4,86; Suet. Dom. 1,2–2,2; Cass. Dio 65,3,4; 65,9,3; Seelentag 2010, 179. Zu Domitians Agieren beim BataverAufstand im Frühsommer 70 n. Chr. und den unterschiedlichen Bewertungen in den historiographischen Quellen siehe Ios. bell. Iud. 7,85–88; Tac. hist. 4,68.85f.; Suet. Dom 2,1; Seelentag 2009, 86 (mit Anm. 13). Gunnar Seelentag (Seelentag 2009; Seelentag 2010) bietet eine gründliche Aufarbeitung des hierfür aussagekräftigen numismatischen Befunds. Seelentags wichtigstes Ergebnis ist, dass es bis zur Rückkehr des Titus aus Judäa keine faktische Prestigediskrepanz zwischen Titus und Domitian gab. Die Strategie, zunächst keinen der beiden Brüder zu sehr herauszuheben, dürfte eine pragmatische Vorsichtsmaßnahme gewesen sein: Nach der Machtergreifung der flavischen Partei befand sich Titus noch einige Jahre im Osten und im Kriegsgebiet. Dass er vor den Mauern Jerusalems fallen könnte, war nicht auszuschließen. Nur ihn als Nachfolger aufzubauen, wäre unvorsichtig gewesen (vgl. Seelentag 2010, 188). Dafür war selbstverständlich das Einverständnis Vespasians nötig. Dass Titus den imperator-Titel vom Beginn des Jahres 71 n. Chr. an offiziell führte, bezeugt, dass Vespasian keinen Anstoß daran nahm. Vgl. Seelentag 2010, 179 (mit Nachweisen und weiterer Literatur).
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pax emittieren.30 Er erhält keine Akklamationen zum imperator, darf nicht als Prätorianerpräfekt dienen, wird nicht mit der Verwaltung einer Provinz betraut und erhält die tribunicia potestas erstmals zum Anlass seiner Kaiserwerdung im Jahr 81 n. Chr.31 Es bleibt ihm nur der Rückzug ins Private.32 Gerüchte von einer Rivalität zwischen den Brüdern dürften schon in Vespasians Principat kursiert sein. Nach dem Tod Domitians beginnt die Geschichtsschreibung jedoch, das Konstrukt vom grausamen und eifersüchtigen Tyrannen Domitian in dessen Jugend- und frühen Erwachsenenjahre zurückzuprojizieren.33 Wenn die bewertenden Gemeinplätze der historiographischen Gattung beiseitegeschoben werden, bleibt als belastbarer Beweis für eine Rivalität nur ein Punkt übrig: Domitian war gekränkt, weil er von Titus als „Partner und Nachfolger“ (consortem successoremque: Suet. Tit. 9,3) bezeichnet wurde, nicht aber den offenbar gewünschten Status eines Mitkaisers erhielt, den Titus unter Vespasian innehatte (vgl. Suet. Tit. 6,1: neque ex eo destitit participem atque etiam tutorem imperii agere).34 Das Konstrukt eines höchst zerrütteten und von Anschlagplänen geprägten Verhältnisses der Kaisersöhne – das bis zur Ermordung des Titus durch Domitian eskaliert sei – lässt sich durch genaue Prüfung der Quellen also als ebensolches enthüllen. Dennoch können die historiographischen Berichte als klarer Beleg dafür genommen werden, dass innerfamiliäre Rivalitäten in der frühen Kaiserzeit in der (senatsaristokratischen) Öffentlichkeit als Bedrohung für die Stabilität der Herrschaft angesehen wurden. Die destruktive Wirkung brüder30
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Die Weiterführung dieses Titels belegt freilich, dass Domitian nach Titus’ Rückkehr aus Judäa weiterhin als zukünftiger Nachfolger des Princeps betrachtet worden ist. Man stellte nur deutlich heraus, dass dieser Princeps nicht Vespasian, sondern Titus heißen würde. Vgl. Seelentag 2009, 97 f.; Tuck 2016, 119, dessen Beschreibung die Situation nach Titus’ Rückkehr aus Judäa im Sommer 71 n. Chr. gut trifft (während der Gedanke eines von vornherein steilen Hierarchiegefälles zurückzuweisen ist): „This distinction between Titus and Domitian was part of Vespasian’s plan from the outset: he actively promoted the principle of succession with Titus, who was considerably older than Domitian. The latter’s political advancement was deliberately held back to avoid any possibility of rivalry; whence Domitian’s early literary compositions, which have unfortunately not survived.“ Vgl. MW 8; Griffin 2000, 53 f.; Levick 22017, 206. Titus hatte die tribunicia potestas bereits im Juli 71 n. Chr. erhalten. Vgl. MW 4. Vgl. Levick 22017, 207 f. Tac. hist. 4,86,2 insinuiert, Domitian habe Interesse an Literatur nur vorgeheuchelt. Vgl. Levick 22017, 206: „Accounts of his [Domitian’s] discontent probably began as tittletattle during Vespasian’s reign; after Domitian’s assassination they were coloured by hatred of the late tyrant. With the partial exception of the trip to Lugdunum […], facts are in short supply.“ Zu dieser Beurteilung der historiographischen Quellen und zum Verhältnis der Kaisersöhne siehe Griffin 2000, 53 f.
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licher Konflikte war nicht nur aus dem Mythos, sondern auch aus der jüngeren Geschichte gut bekannt;35 das Vorhandensein von nicht einem, sondern zwei erwachsenen Söhnen war daher nicht nur ein Faktor, der Vespasians Herrschaft plausibilisierte, sondern auch eine potenzielle Gefahrenquelle.36 War es nicht möglich, dass der eine Bruder gegen den anderen rebellieren und das Reich in einen weiteren Bürgerkrieg stürzen würde? Die offiziellen Medien der Herrschaftsrepräsentation legen wohl deshalb so großen Wert darauf, die innerfamiliäre Harmonie der neuen Herrscherfamilie hervorzuheben. Hierbei sind neben der massenhaften Emission entsprechender Münztypen auch Stellen bei Plinius maior oder Flavius Josephus und nicht zuletzt das Proömium der Argonautica anzuführen.37 Die harmonische Darstellung der Herrscherfamilie in 1,12–16 kann aus dieser Perspektive als Appell
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Berühmt ist Tacitus’ Bemerkung in ann. 13,17,1 anlässlich der Ermordung des Britannicus, wonach mit Blick auf „brüderliche Zwietracht in alter Zeit“ (antiquas fratrum discordias) und auf die „Unteilbarkeit des Thrones“ (insociabile regnum) die meisten Menschen Neros Schandtat entschuldigt hätten, während jedoch die Götter zürnten. Mit antiquae discordiae dürften neben den in den Annalen behandelten Rivalitäten zwischen Germanicus und Drusus, Arminius und Flavus, oder den Germanicus-Söhnen Drusus Caesar und Nero Caesar (auch und vielleicht besonders) mythologische Brüderpaare wie EteoclesPolynices, Atreus-Thyestes und Romulus-Remus gemeint sein, sodass eine mythologischhistorische Analogie hergestellt wird: Die mythologischen Vorgänge dienen dem Historiker als Erklärungsmuster für einen zeithistorischen Vorfall, der dadurch als kaum überraschende Instanz eines in mythologischer Frühzeit begründeten Paradigmas von brüderlicher Gewalt und vorsorglicher Beseitigung potenzieller Rivalen dargestellt wird. Vgl. Damon 2010, 266; Stocks 2018, 269 Anm. 49; Schulz 2019, 363; Lindl 2020, 328 mit Anm. 177 (mit weiterer Literatur). Vgl. Stocks’ Ausführungen zur Darstellung von Bruderkonflikten in Silius’ Punica: „Silius’s decision to use Carthage as the focal point for his exploration of the fraternal bonds between individuals who hold positions of power is intended to show that fraternity and the tension that can arise between equally matched brothers have the potential to jeopardize the stability of a nation. In so doing, Silius’s „fraternal bonds“ serve as a warning for (Flavian) Rome of the complications involved in the combination of family and state, with a nod to Rome’s imperial brothers […] and to one of the most complex fraternal pairings of them all – that of Titus and Domitian“ (Stocks 2018, 255). Vgl. Ios. bell. Iud. 4,597; 7,119; Plin. nat. praef. 5; Val. Fl. 1,12–16; Mart. 9,101,12f.; Suet. Dom. 13,1. Zum Eindruck der Harmonie in der Herrscherfamilie, den das Proömium der Argonautica erzeugt, siehe Feeney 1991, 335; Zissos 2008, 87 zu 1,12–14; Davis 2015, 162; Stocks 2016, 49; Tuck 2016, 119. Zu Josephus und Plinius maior vgl. Griffin 2000, 16 (mit Anm. 49); Lovatt 2016, 369. Auch im Diskurs der Reichsmünzen wurde die Einheit der Brüder demonstriert und ihr „jeweils spezifischer Anteil an der Stabilität der Herrschaft und somit der flavischen Dynastie vorgeführt“ (Seelentag 2010, 178). Zur Bedeutung der concordia in der flavischen Herrschaftsrepräsentation vgl. auch Rebeggiani 2018, 116: „Despite the potential for rivalry in such circumstances, Flavian ideology stresses the concordia
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gelesen werden; Szenen, die innerfamiliäre Konflikte in Entzweiung und Bürgerkrieg gipfeln lassen, als abschreckende exempla. Ich möchte diesem Gedanken in den folgenden Abschnitten weiter nachgehen. Zunächst werde ich auf Jupiters bemerkenswerten Entscheidungsmonolog zu sprechen kommen, in dem sich der Göttervater dazu durchringt, seinen Sohn Colaxes am Schlachtfeld von Kolchis sterben zu lassen, weil dessen Rettung das familiäre Gefüge der olympischen Götter brüchig machen könnte. Danach werde ich auf eine weitere Befürchtung der Senatsaristokratie bezüglich Vespasians dynastischer Pläne zu sprechen kommen: die Angst, Titus könnte als Princeps zu einem zweiten Nero werden. Auch diese Befürchtung soll in einem weiteren Schritt neben den Text der Argonautica gelegt werden. Rückblick: Vespasians dynastische Bestrebungen riefen bei den Zeitgenossen unterschiedliche Reaktionen hervor. So dürfte die kolportierte Rivalität zwischen Titus und Domitian in der stadtrömischen Öffentlichkeit als Bedrohung für die Stabilität der Herrschaft angesehen worden sein. Glaubt man den Berichten des Sueton oder des Tacitus, stand zu befürchten, dass der schwelende Konflikt zwischen den Kaisersöhnen zu schweren Zerwürfnissen innerhalb der Herrscherfamilie und im schlimmsten Fall zu einem weiteren Bürgerkrieg führen könnte. Ungeachtet ihrer zweifelhaften Faktizität sind die Berichte von Spannungen zwischen den Kaisersöhnen deshalb von großem Wert, weil sie zeitgenössische Befürchtungen widerspiegeln. Aus Mythos und Historie war das Konfliktpotenzial rivalisierender Brüder gut bekannt. Die flavische Herrschaftsrepräsentation legte deshalb Wert auf die Betonung innerfamiliärer Harmonie. Ein Reflex darauf lässt sich möglicherweise im Proömium der Argonautica finden, das die harmonische Arbeitsteilung innerhalb der flavischen Kaiserfamilie herausstellt.
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Der Tod des Colaxes, oder: Von der Vermeidung eines olympischen Bruderzwists (Val. Fl. 6,621–656)
Das Bild von harmonischer Eintracht innerhalb der Herrscherfamilie, das der Dichter im Proömium entwirft, steht in augenfälligem Kontrast zur Darstellung familiärer Beziehungen in der Haupthandlung, die im Regelfall konfliktbeladen und von Gewalt geprägt sind.38 Eine offensichtliche Ausnahme ist die
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within the royal family. Panegyrists of Domitian go so far as to say that Domitian voluntarily accepted being third, turning down his emperorship in favor of his father Vespasian and brother Titus.“ Vgl. Stocks 2016, 49: „Offset against this image of idealised family relations, however, is
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concordia zwischen den Jupitersöhnen Castor und Pollux, deren Beziehung in der Forschung als positives exemplum für brüderliche Harmonie bewertet und mit den flavischen Kaisersöhnen verbunden wurde.39 Denn der Münzbefund aus der Regierungszeit Vespasians und weitere Elemente der flavischen Herrschaftsrepräsentation belegen, dass Titus und Domitian ikonographisch als Castor und Pollux dargestellt worden sind.40 Im folgenden Abschnitt möchte ich mich jedoch nicht mit brüderlicher Harmonie, sondern mit brüderlichen Konflikten in den Argonautica befassen, um dann auf ein bemerkenswertes Beispiel der Vermeidung eines Bruderkonflikts zu sprechen zu kommen: Denn Jupiters Entscheidung, seinen Sohn Colaxes am Schlachtfeld sterben zu lassen, ist hauptsächlich dem Wunsch geschuldet, seinen Bruder Neptun nicht zu vergrämen. Wie die Konstellationen Pelias-Aeson und Aeetes-Perses zeigen, scheint es in der Welt der Argonautica der Normalfall zu sein, dass sich Brüder, wenn sie der Herrscherfamilie angehören, in einem permanenten Prozess des Ringens um die Macht befinden. Die aufgestauten Spannungen und Konflikte führen dabei sowohl in Thessalien als auch in Kolchis auf kurz oder lang zur blutigen Eskalation mit vielen (unschuldigen) Opfern. Auf menschlicher Ebene kann offenbar kein Mittel gefunden werden, um diesen destruktiven Tendenzen entgegenzusteuern. Doch das Verhältnis des olympischen Brüderpaars JupiterNeptun zeigt eine Handlungsalternative auf, die auch dem designierten Thronfolger Titus als Schablone für den Umgang mit seinem (vorläufig) zurückgestellten Bruder Domitian dienen konnte.
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an image of familial disharmony: that of Pelias who has betrayed his own half-brother, Aeson, and his nephew, Jason. Within the opening lines of his epic, therefore, Valerius signals his intent to reveal both the best – and worst – that elite families have to offer.“ Zu Bruderkonflikten in den Argonautica siehe Penwill 2013, 31; Davis 2015, 161–163. Zum Bild von harmonischer Eintracht in der Herrscherfamilie vgl. oben Anm. 37. Davis bemerkt hierzu: „In Valerius’s proem reference to family harmony is a reminder of precisely the opposite“ (Davis 2015, 162). Diese Auffassung ist nicht ohne weiteres zu halten: Zum einen erscheint mir die Vorstellung problematisch, dass ein zeitgenössisches Publikum über die Einzelheiten des Verhältnisses der beiden Kaisersöhne zueinander überhaupt Bescheid gewusst hätte. Auch die Annahme, dieses Verhältnis sei dermaßen zerrüttet gewesen, wie es etwa Sueton darstellt, ist problematisch: Von gewissen Spannungen zwischen den beiden erwachsenen Söhnen eines Kaisers bzw. zwischen zwei Brüdern, von denen einer regiert, während der andere kaum zum Zug kommt, wird man wohl ausgehen können. Doch das Ausmaß dieser Spannungen lässt sich bei der gegebenen Quellenlage kaum exakt rekonstruieren. Das bei Sueton entworfene Extrembild von tiefem Hass und ständigen Anschlagplänen dürfte jedenfalls grell überzeichnet sein. Vgl. Krasne 2011, 152–162; Stover 2012, 59 f.; 62–70; Rebeggiani 2018, 118. Vgl. Rebeggiani 2018, 118; Stocks 2018, 268 mit Anm. 42.
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Die von Jupiter angestrebte Öffnung der Meere hat für einige der übrigen Götter wie Sol oder Mars ungünstige Konsequenzen. Der eine ängstigt sich um den Sohn Aeetes, der andere befürchtet den Raub des ihm geweihten Vlieses. Auch Jupiters Bruder Neptun ist von Jupiters Plan massiv betroffen. Die menschliche Unterwerfung der Meere stellt ein Eindringen in Neptuns Hoheitssphäre dar. Über das transgressive Potenzial seiner Mission ist sich Jason im Klaren, wenn er die Fahrt über das Meer als Einschlagen „unerlaubter Wege“ (inlicitas … vias: 1,197) beschreibt. Die Unterstützerinnen der Argo, Juno und Pallas, müssen mit geschickter Diplomatie vorgehen, um Neptun dazu zu überreden, dieses Schiff gewähren zu lassen.41 Der Meeresgott lässt sich deshalb darauf ein, weil ihm im Austausch offenbar zugestanden wird, spätere Schiffe als nachträglichen Tribut für die Transgression der Argo in wilden Meeresstürmen dahinraffen und versenken zu dürfen (1,642–650).42 Doch die Zurücksetzung Neptuns erschöpft sich nicht in der von der Argo bewirkten Verletzung seiner göttlichen Einflusssphäre. Auf der Fahrt nach Kolchis treffen die Argonauten auf den Bebrykerkönig Amycus, der von Pollux im Faustkampf besiegt und getötet wird. Amycus wird als bestialisches Monstrum gezeichnet, in dessen Land eine pervertierte Form des Gastrechts gelte: Fremde würden entweder geopfert oder zum tödlichen Faustkampf gezwungen. Amycus’ Tod könnte als zivilisationsbringende Maßnahme aufgefasst werden, welche die Südküste der Propontis „gangbar“ (vgl. 1,1: freta pervia) mache.43 Solange Amycus am Leben ist, gilt in diesen Gefilden die Macht Jupiters nach Aussage des Königs wenig: aliis rex Iuppiter oris (4,219). Doch Amycus ist nicht nur irgendein beliebiger Barbarenkönig in der Propontis, der von den Händen des griechischen Helden Pollux die gerechte Vergeltung für sein entartetes Treiben erhält – er ist auch ein Sohn des Meeresgottes.44 Der bevorstehende Tod des Neptunsohnes Amycus durch die Schläge des Jupitersohnes Pollux ist für den Meeresgott schmerzhaft.45 In einer Klagerede räumt er in bitterem Tonfall
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Vgl. 1,214 f.; 1,642–644; Davis 2015, 161 f. Siehe Kap. 5.4. Vgl. Otte 1992, 85: „The truth of this extraordinary statement – aliis rex Iuppiter oris – is finally to be negated with the arrival of the Argo. […] The authority of Jupiter is carried to the east and north in a human vessel; no clearer statement of the Argo’s liminal mission is to be found in the entire Argonautica.“ Zur Bedeutung der jeweiligen (göttlichen) Abstammung der beiden Kontrahenten im Boxkampf („a struggle between the forces of Jupiter and Neptune“) siehe Otte 1992, 83–86 (Zitat von Seite 84). Der Dichter hebt die Abstammungsverhältnisse in einprägsamer Weise hervor: feruntur / in medium sanguis Iovis et Neptunia proles (4,255 f.).
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die größere Macht Jupiters ein, erhebt aber auch den – bereits in der Sol-Rede latent anklingenden – Vorwurf des Nepotismus:46 nec tibi nunc virtus aut det fiducia nostri, nate, animos opibusque ultra ne crede paternis. iamiam aliae vires maioraque sanguine nostro vincunt fata Iovis, potior cui cura suorum est. Val. Fl. 4,124–127
Am Ende seiner Rede nennt Neptun zusammenfassend die beiden für ihn schmerzhaften Punkte, in denen er sich Jupiters größerer Macht beugen muss – zum einen muss er die Argo gewähren lassen, zum anderen kann er nicht eingreifen, um den Tod seines Sohnes zu verhindern: atque ideo nec ego hanc tumidis avertere ventis temptavi tenuive ratem nec iam mora morti hinc erit ulla tuae. Val. Fl. 4,128–130
Der Vorwurf, Jupiter fördere in nepotistischer Weise die eigenen Söhne und nehme dabei den Untergang der Söhne anderer Götter billigend in Kauf, wiegt schwer und dürfte im Olymp für Unfrieden sorgen. Er kann aber (zumindest aus Sicht Jupiters) entkräftet werden, indem auf die größeren weltgeschichtlichen Ziele verwiesen wird, die von den Argonauten auf Kosten des Neptunsohnes Amycus oder des Sol-Sohnes Aeetes ins Werk gesetzt werden. Die von Sol und Neptun beklagten Kollateralschäden sind aus Jupiters Perspektive gerechtfertigt. Doch wie sorgfältig er darauf achtet, in diesem Punkt ein bestimmtes Maß nicht zu überschreiten, zeigt sein Entscheidungsmonolog vor dem Tod des Colaxes in Arg. 6. Um Medea für Jason einzunehmen, wird die kolchische Prinzessin von Juno auf die Mauer geführt und betrachtet von dort das Schlachtgeschehen (6,477– 506). Auch ohne Zutun der Göttin ist Medea von Jason beeindruckt. Um die 46
Zum Nepotismus Jupiters siehe Otte 1992, 84: „Neptune sees clearly the inexorable ascendancy of the Jovian order and attributes it to Jupiter’s desire to aggrandize his own children.“; Murgatroyd 2009, 93 zu 4,131f.; Ganiban 2014; Stover 2016. Aus Neptuns Perspektive ist Jupiters neue Weltordnung nicht zwangsläufig eine bessere – er fügt sich nur der größeren Macht des obersten Olympiers: „Neptune himself sees the imminent victory of Jupiter and the Argonauts as a result of might rather than right, of ‘other strength and greater fates’ (aliae vires maioraque … fata), the passing of dominion to a newer but no better order“ (Cowan 2014, 244).
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Wirkung noch zu steigern, verleiht Juno dem Helden neue Kräfte und spornt ihn zu einer großen Aristie an. Nachdem einige kleinere Kämpfer durch Jasons Schwert gefallen sind, trifft der Held auf den Jupitersohn Colaxes, der auch im Katalog der Hilfstruppen des Perses genannt wird (6,48–59).47 Diese Begegnung ‚wiederholt‘ – mythenchronologisch korrekt müsste man freilich von einer ‚Vorwegnahme‘ sprechen – das Aufeinandertreffen von Patroklos und dem Zeus-Sohn Sarpedon, das bereits den homerischen Zeus vor ein schwieriges Dilemma stellt: Zeus möchte seinen Sohn retten, doch Hera rät ihm dringend davon ab, weil die Rettung des Sarpedon nur den Gram der übrigen Götter erregen würde (Il. 16,431–461).48 Diese berühmte Ilias-Stelle variiert Valerius auf raffinierte und – wie ich argumentieren werde – auch zeithistorisch bedeutsame Weise. Wie der Tötung des Amycus durch den Argonauten Pollux eine Klagerede des Vaters (Neptun) vorangestellt ist, so wird auch die Tötung des Colaxes durch den Argonautenführer Jason von einer Klagerede des Vaters (Jupiter) eingeleitet (4,118–130 ~ 6,624–629).49 Neben den strukturellen und inhaltlichen Parallelen lässt sich aber ein zentraler Unterschied ausmachen: Anders als Neptun hätte Jupiter faktisch die Möglichkeit, rechtzeitig einzugreifen und den Tod des Sohnes zu verhindern.50 47
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An besagter Stelle findet sich der bemerkenswerte narratoriale Kommentar, die Bewaffnung des Colaxes – der übrigens eine legio (6,48) anführt! – nehme jene der römischen Soldaten voraus; es scheint eine Anspielung auf das Emblem der legio xii fulminata vorzuliegen. Zur Darstellung der ‚barbarischen‘ Hilfstruppen des Perses als ‚Proto-Römer‘ und zur Vermischung von bellum externum und bellum civile in Arg. 6 siehe Kap. 4.3. Zur Anspielung auf die legio xii fulminata an unserer Stelle siehe Buckley 2006, 125 mit Anm. 471 (mit weiterer Literatur); Davis 2015, 163 mit Anm. 22. Vgl. Hershkowitz 1998, 91. Neben der genannten Ilias-Stelle spielt auch Aen. 10,469–471 hinein, wo Jupiter tröstende Worte an Hercules richtet, der wegen des bevorstehenden Todes des jungen Pallas trauert. Die Trauer des Zeus über den Tod des Sarpedon (Il. 16,431–461) hat Valerius bereits in der Klagerede Neptuns (4,118–130) rezipiert und mit einer originellen Wende versehen – den Blutregen (Il. 16,459–461) ersetzt der Argonautica-Dichter durch eine Blutbrandung, mit der Neptun die Küste umspült: sanguineo terras pater adluit aestu (4,132). Der gemeinsame Intertext lässt die auch sonst in enger gegenseitiger Anlehnung gestalteten Klagereden Neptuns und Jupiters noch enger aneinanderrücken (vgl. Adamietz 1976, 56; Schubert 1984, 245 f.; Korn 1989, 96 zu 4,114–132) – der Dichter unterstreicht, dass sich beide Väter in einer vergleichbaren Situation wiederfinden. Der eine kann seinen Sohn nicht retten, weil er sich der Macht des anderen beugen muss; der andere könnte seinen Sohn retten, doch hindert ihn der Vorwurf des Machtmissbrauchs, den er sich dadurch zuziehen würde – siehe unten. Eine abweichende Auffassung vertreten Wijsman 2000, 3; Baier 2001, 245–247 zu 6,624– 627; Stover 2012, 37 Anm. 36. Die genannten Interpreten argumentieren (etwa mit Verweis auf Sen. dial. 1,5,8), Jupiter hätte gar keine Möglichkeit, Colaxes zu retten, da er von sei-
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at genitus Iove complerat sua fata Colaxes iamque pater maesto contristat sidera vultu talibus aegra movens nequiquam pectora curis: ‘ei mihi, si durae natum subducere sorti moliar atque meis ausim confidere regnis! frater adhuc Amyci maeret51 nece cunctaque divum
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nem (eigenen) Fatumsbeschluss daran gehindert werde. Da Jupiter aber auch an anderen Punkten (aus seiner Sicht) korrigierend in die Handlung eingreift (z. B. 3,249f.; 4,1–21) und auch anderen Göttern Spielräume lässt, solange sie die größeren Bestimmungen des Weltenplans nicht gefährden, ist fraglich, ob für die Argonautica eine so starre Fatumskonzeption anzunehmen ist (vgl. die ausgewogene Darlegung in Billerbeck 1986, 3129f.). Die nur den menschlichen Akteuren eingeräumte Lizenz („Das Handeln der Menschen ist innerhalb des vorgegebenen Rahmens frei“: Baier 2001, 247 zu 6,626f.) gilt also wohl auch für die Götter (und Jupiter). Zweitens ist auch grundsätzlich zu hinterfragen, inwieweit der Jupiter der Argonautica überhaupt sinnvollerweise an stoischen Maßstäben gemessen werden kann. Wie Andrew Zissos gezeigt hat, kontaminiert Valerius in seiner Jupiter-Figur den Zeus der Ilias und den Jupiter der Aeneis; eine philosophisch ‚saubere‘ Konzeption des Gottes (etwa: Jupiter als Verkörperung des stoischen fatum-Gedankens) ist daher von vornherein ausgeschlossen. Vgl. Zissos 2014b, 280–285 (hier 284): „The problem with Valerius’ ‘replay’ of the Iliadic model passage resides in the opposition it establishes between Homeric μοῖρα and Vergilian fata. Valerius’ Jupiter makes clear that it is the anticipated moral outrage of the other gods that convinces him not to interfere with Colaxes’ destiny. He makes a sensible choice – but it clearly is a choice.“ Das in ω überlieferte maeret lässt sich halten, wenn ei mihi in 624 als vollständige Apodosis zur Protasis si … / moliar atque … ausim (624 f.) aufgefasst und nach 625 ein neuer syntaktischer Einschnitt angesetzt wird (was ein Herausgeber durch entsprechende Interpunktion – etwa indem nach 625 ein Rufzeichen gesetzt wird – markieren müsste): so Thilo, Langen, Wijsman, Dräger, Spaltenstein. Diese auf den ersten Blick ungewöhnliche Konstruktion ist nicht ohne Vorbild: ei mihi bildet auch in Ov. her. 2,106f.; pont. 2,2,5f.; 2,8,13 f. die Apodosis. Die alternativ vorgeschlagene Auffassung (ei mihi als syntaktisch unverbundene Interjektion; si … / moliar atque … ausim [624f.] als Protasis und frater … maerens … cunctaque divum / turba frement [vel fremant] [626f.] als Apodosis) erfordert an zwei Stellen einen recht starken Eingriff in die Überlieferung ohne jeden handschriftlichen Rückhalt. Die entsprechenden Konjekturen wurden erstmals 1843 von Peerlkamp in einer Notiz zu Aen. 10,467 vorgeschlagen: maerens statt maeret ω und frement (Peerlkamp, Baehrens, Bury, Liberman) bzw. fremant (Schenkl, Kramer, Mozley) statt fremunt ω. Courtney und Ehlers umgehen das Problem, indem sie die Überlieferung beibehalten, aber nach 625 keinen starken syntaktischen Einschnitt markieren. Baier lehnt sowohl Peerlkamps Konjektur (Baier 2001, 246 f. zu 6,626f.) als auch den Lösungsvorschlag, ei mihi (624) als Apodosis zu nehmen, ab. Stattdessen versteht er 6,624f. als Anakolouth: „Mit frater adhuc … beginnt nicht die Apodosis, sondern ein neuer Gedanke. […] Thilo, Langen und Giarratano drucken nach regnis (625) ein Ausrufezeichen, weil der Hauptsatz fehlt“ (Baier 2001, 246 zu 6,626). Baier macht diesen syntaktischen Vorschlag auch für die Interpretation fruchtbar: „Der potentialen Protasis fehlt die Apodosis. […] Darin, daß das potentiale Bedingungsgefüge nicht zu Ende geführt wird, zeigt sich schon formal
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turba fremunt quorum nati cecidere cadentque. quin habeat sua quemque dies cunctisque negabo quae mihi.’ Val. Fl. 6,621–629
In der Ilias muss Zeus erst von Hera überredet werden, von der Rettung Sarpedons abzusehen, da die übrigen Götter ein solches Einschreiten des Göttervaters mit Unmut quittieren würden und in Folge wohl auch begännen, ihre eigenen Söhne aus dem Schlachtengetümmel zu entfernen und in Sicherheit zu bringen. In den Argonautica trifft Jupiter die Entscheidung ohne Absprache mit einer beratenden Instanz.52 Seine Sorge gilt – wie jene des homerischen Zeus – dem Groll der Götterschar, deren Söhne am Schlachtfeld bereits gefallen sind oder noch fallen werden, doch aus dieser nicht näher bezeichneten Menge wird – anders als in der Ilias – eine konkrete Gottheit herausgehoben: Jupiters Bruder Neptun.53 Wir haben bereits gesehen, dass der Meeresgott bereit ist, sich auf den Kompromiss einzulassen, die Argo nicht zu versenken, sondern erst von späteren Seefahrern den ihm zustehenden Tribut einzufordern. Außerdem sieht er mit Hinweis auf Jupiters größere Machtstellung davon ab, für seinen Sohn Amycus einzugreifen, als die Argonauten ins Bebrykerland kommen. Die Beseitigung des Propontis-Königs ist ein notwendiger Beitrag zur Öffnung der Meere – ein Projekt Jupiters, zu dessen Unterstützung Neptun offenbar unter bestimmten Bedingungen bereit ist. Doch Jupiter versteht, wie unklug es wäre, seinen Bruder vor den Kopf zu stoßen, indem er für sich selbst die Rettung des Sohns beansprucht, die dem Meeresgott versagt worden ist. Er lässt Colaxes sterben, weil die anderen Götter dessen Rettung als Ungerechtigkeit und offenen Machtmissbrauch auffassen würden.54 Besonders ungünstig wäre es,
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die Undurchführbarkeit des Gedankens“ (Baier 2001, 245 zu 6,624–629). Die syntaktische Struktur des Satzes kann aber, wie oben dargelegt, auch anders analysiert werden. Außerdem steht nicht ohne weiteres fest, dass Jupiter nicht grundsätzlich die Möglichkeit hätte, zugunsten des Colaxes einzugreifen (vgl. oben Anm. 50); der Gedanke ist nicht grundsätzlich „undurchführbar“ – er ist nur angesichts des zu erwartenden Widerstands inopportun. Vgl. Hershkowitz 1998, 93. Otte argumentiert, die Vorgaben der kosmischen Gerechtigkeit zwängen Jupiter dazu, familiäre Verpflichtungen (namentlich gegenüber Colaxes) außen vor zu lassen: „Only by an unqualified rejection of the demands of family can the higher justice be enforced“ (Otte 1992, 134). Damit wird die Pointe der Stelle missverstanden: Jupiter lässt Colaxes gerade aus Rücksicht auf die Befindlichkeiten eines Familienmitglieds – Neptun – sterben. Der Gegensatz besteht also nicht zwischen Gerechtigkeit und Nepotismus, sondern zwischen unterschiedlich stark gewichteten familiären Interessen. Aus 6,626 geht hervor, dass die Götterschar aufgrund der Entwicklungen in Kolchis ohne-
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kapitel 7
den Meeresgott Neptun zu sehr zu reizen: Sobald ruchbar würde, dass Jupiter seine besondere Machtstellung zum Schutz der eigenen Söhne missbraucht, während Leid und Tod anderer Göttersöhne als Kollateralschäden des Weltenplans verbucht werden, könnte Neptun aus Rache beginnen, die Meere aufzupeitschen und einen Vergeltungsschlag gegen die Argo zu führen. Jupiter versteht, dass es in der Macht des Bruders läge, den Weltenplan mit einem Schlag zunichte zu machen – immerhin sind der Raub des Vlieses und die Entführung Medeas erst nach der Rückkehr der Argo nach Griechenland wirklich abgeschlossen. Es muss daher für Jupiter von zentralem Interesse sein, den Bruder Neptun nicht gegen sich aufzubringen. Zweifellos ist Jupiter in dieser Bruderkonstellation der mächtigere; das bedeutet jedoch nicht, dass ihm der Zorn des hierarchisch niedriger stehenden Bruders nicht gefährlich werden könnte. Dasselbe gilt für die Söhne Vespasians: Nach 71 n. Chr. war das Hierarchiegefälle zwischen Titus und Domitian unübersehbar geworden. Doch schon allein für die Kontinuität der gens Flavia war es notwendig, auch Domitian weiterhin jene Ehren zukommen zu lassen, die einem Kaisersohn gebührten, um ihn – trotz der offenkundigen Bevorzugung des Titus – weiterhin als glaubhaften Thronanwärter in der Hinterhand zu behalten. Eine Feindschaft zwischen den Brüdern, wie sie Tacitus und Sueton insinuieren, galt es mit allen Mitteln zu verhindern – immerhin lehrten Mythos und Geschichte, welche katastrophalen Folgen innerfamiliäre Konflikte nach sich ziehen können. Vor diesem Hintergrund ist Jupiters Entscheidung, nicht in den Bürgerkrieg von Kolchis einzugreifen, um seinen Sohn Colaxes zu retten, ohne Alternative: Das Risiko, den Groll des Bruders zu erregen, dem sich noch weitere Gottheiten anschließen könnten, ist ein Preis, den nicht einmal der mit absoluter Macht herrschende Göttervater zu zahlen bereit ist. Rückblick: Beim bevorstehenden Tod des Colaxes am Schlachtfeld von Kolchis überlegt Jupiter, lenkend einzugreifen, um seinen Sohn zu retten. Vor allem aus Rücksicht auf die Befindlichkeiten seines Bruders Neptun, der das transgressive Eindringen der Argo in seinen Hoheitsbereich dulden muss und dessen Sohn Amycus vom Argonauten Pollux im Boxkampf getötet wird, entschließt sich Jupiter aber in einem Entscheidungsmonolog dazu, den Dingen ihren Lauf und Colaxes sterben zu lassen. Jupiters Entschluss erklärt sich daraus, dass dem Göttervater daran gelegen ist, einen möglichen Bruderkon-
hin schon aufgebracht ist. In dieser aufgeheizten Stimmung könnten weitere Provokationen das Fass zum Überlaufen bringen. Eine denkbare Konsequenz wäre etwa eine Palastrevolte im Olymp, wie sie auch in 2,82–86 beschrieben wird.
dynastische nachfolge und verlorene anführer
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flikt im Olymp zu vermeiden. Die Aufrechterhaltung der Harmonie zwischen den Brüdern Jupiter und Neptun kontrastiert mit den Bruderkonflikten auf menschlicher Ebene (z.B. Pelias-Aeson, Aeetes-Perses), die regelmäßig katastrophale Folgen nach sich ziehen. So wird auf göttlicher Ebene eine Handlungsalternative zur wiederholten Eskalation von Bruderkonflikten auf menschlicher Ebene aufgezeigt.
7.4
Senatorische Befürchtungen (2): Titus – ein zweiter Nero?
Das offensive Auftreten Vespasians als Dynastiegründer machte die in manchen senatorischen Kreisen gehegte Hoffnung zunichte, dass der Princeps dazu bewogen werden könnte, für seine Nachfolge statt der eigenen Söhne einen ‚Besten‘ aus den Reihen der Senatoren auszuwählen. Die Errichtung eines erbdynastischen Systems lenkte die Aufmerksamkeit automatisch auf die Söhne des neuen Kaisers, wobei eine naheliegende Befürchtung der möglichen Rivalität zwischen Titus und Domitian galt, die im schlimmsten Falle bis zum Wiederaufflackern des gerade erst beendeten Bürgerkriegs mit den beiden Brüdern als Heerführern eskalieren könnte.55 Im Zusammenhang mit Vespasians dynastischen Plänen gab es noch eine zweite Befürchtung, die speziell den Charakter des älteren Sohnes betraf: In der suetonischen Titus-Biographie ist zu lesen, dass der designierte Thronfolger als Prätorianerpräfekt beim Vorgehen gegen Verdächtige rücksichtslose Brutalität an den Tag gelegt habe (praefecturam quoque praetori suscepit […] egitque aliquanto incivilius et violentius: Suet. Tit. 6,1).56 Dazu kam der beunruhigende Verdacht, der mit der jüdischen Prinzessin Berenike liierte und zu dekadenter Ausschweifung neigende Kaisersohn würde als Kaisernachfolger – wie ein zweiter Marc Anton – einer Orientalisierung des Reichs Vorschub leisten.57 Titus’ ästhetische Vorlieben und seine als tyrannisch empfundene Grausamkeit als Prätorianerpräfekt machten der Senatsaristokra-
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Siehe oben Kap. 7.2. Zu Titus’ rücksichtslosem Vorgehen als praefectus praetorio und den daraus resultierenden Assoziationen mit Nero siehe Suet. Tit. 7,1; Pfeiffer 2009, 45–47; Leithoff 2014, 145; Anagnostou-Laoutides/Charles 2015, 17; Levick 22017, 210; Rebeggiani 2018, 57. Zur Angst vor einer Orientalisierung des Reichs unter Titus und zur zeitgenössischen Kritik an seinem Lebenswandel siehe Suet. Tit. 7,1; Pfeiffer 2009, 40f.; Anagnostou-Laoutides/ Charles 2015, 35; Wilker 2016, 308; Levick 22017, 202: „Titus’ personality provided ready material for dissidents. […] Titus’ association with the Jewish princess Berenice, which she would have intended to culminate in a marriage that would transform her brother’s position in Judaea, offered ammunition to critics: she could be presented as a new Cleopatra.“
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kapitel 7
tie größte Sorge: „Man hielt ihn für einen zweiten Nero und sprach das auch öffentlich aus“ (propalam alium Neronem et opinabantur et praedicabant: Suet. Tit. 7,1).58 Der Charakter und der Lebensstil des Titus boten Senatoren wie Helvidius, die gegenüber Vespasian einigermaßen entschieden für die Adoption eines ‚Besten‘ und gegen die Errichtung eines erbdynastischen Systems eingetreten sein dürften,59 keine geringe Angriffsfläche.60 Als Prätorianerpräfekt scheint es seine Aufgabe gewesen zu sein, (im Einverständnis Vespasians) politische Gegner und unliebsame Persönlichkeiten zu beseitigen bzw. beseitigen zu lassen. Suetons Beschreibung dieses Agierens als incivilius et violentius stellt einen direkten Gegensatz zur Charakterisierung Vespasians als civilis et clemens (Suet. Vesp. 12) dar. Der Kaiserbiograph deutet mit den aufeinander bezugnehmenden Formulierungen wohl an, dass Vater und Sohn zwei Seiten desselben Regimes vertraten: Der Herrscher konnte sich umsichtig, versöhnlich und gütig geben, während der Sohn jene schmutzige Arbeit verrichtete, die zum Aufrechterhalten der Stabilität als notwendig erachtet wurde.61 Der von Sueton berichtete Vorfall, dass Titus den Konsular Aulus Caecina nach einem gemeinsamen Abendessen erstechen ließ (Aulum Caecinam consularem vocatum ad cenam ac vixdum triclinio egressum confodi iussit: Tit. 6,2), weckt Assoziationen mit ähnlichen Untaten Neros. Für den Principat des Titus ließ solcherlei Schlimmes befürchten. Beiläufig erwähnt der jüngere Plinius in einem Brief an Ursus, in dem er auf die wechselhafte Karriere des Iulius Bassus zu sprechen kommt, dass die Freunde und Unterstützer Domitians Angst vor Titus hatten.62 Die kurze Notiz belegt einerseits (erneut) das eifersüchtige Verhältnis zwischen den Kaisersöhnen, andererseits lässt sie erahnen, dass Titus
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Sueton relativiert den schweren Vorwurf freilich sofort, indem er hastig anfügt, Titus habe später als Herrscher größte charakterliche Vorzüge erkennen lassen und alle früheren Befürchtungen als grundlos erwiesen. Zur charakterlichen Besserung des Titus nach seiner Thronbesteigung siehe auch Tac. hist. 2,2,1; Griffin 2000, 48. Es spricht vieles dafür, dass es bei den in den historiographischen Quellen erwähnten Wortgefechten zwischen Helvidius und Vespasian nicht zuletzt um die Frage der Nachfolge ging (siehe Kap. 5.2 und oben Kap. 7.1). Vgl. Suet. Vesp. 25; Cass. Dio 65,12; Malitz 1985, 244: „Daß aber nicht allein Helvidius Reserven gegenüber dem neuen Herrn hatte, wird selbst bei Sueton deutlich. Vespasian hat nicht geringe Schwierigkeiten gehabt, dem Senat seinen Sohn Titus als Nachfolger aufzuzwingen.“; Anagnostou-Laoutides/Charles 2015, 36 f. Siehe oben Anm. 57. Vgl. Pfeiffer 2009, 45: „Vespasian konnte damit als milder Kaiser auftreten, wohingegen sein Sohn die unliebsame Rolle des politischen ‚Säuberers‘ übernahm.“ Vgl. Plin. ep. 4,9,2 ([sc. Bassus] Titum timuit ut Domitiani amicus); siehe auch Griffin 2000, 53 mit Anm. 237.
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mit Personen, deren Loyalität er anzweifelte, wenig zimperlich umgegangen sein dürfte. Besorgniserregend war jedoch nicht nur Titus’ Hang zur Brutalität, sondern auch sein als exzessiv empfundener Lebenswandel, der in den Quellen mit dem Begriff luxuria umschrieben wird. Der am Hof Neros aufgewachsene Titus dürfte jenem in Hinblick auf kulturelle Interessen und ästhetische Vorlieben nicht unähnlich gewesen sein.63 Besonders bedenklich erschien der Senatsaristokratie die Beziehung des Titus mit der jüdischen Prinzessin Berenike, der Tochter des jüdischen Königs M. Iulius Agrippa, mit der er seit 75 n. Chr. öffentlich in Rom zusammenlebte.64 Aus Sicht der senatorischen Eliten bestand die Gefahr, Titus würde dem Einfluss der elf Jahre älteren, orientalischen Prinzessin erliegen und die Herrschaft nach dem Vorbild eines östlichen Monarchen gestalten. Der Protest gegen Berenikes Anwesenheit in Rom dürfte nach dem Tod Vespasians so heftig geworden sein, dass Titus sich dazu entschloss, die Beziehung zu beenden und seine Geliebte aus Rom fortzuschicken.65 Sueton gestaltet seine Darstellung dieser Vorgänge auf eine Weise, die das Verhalten des Aeneas evoziert, der privates Glück zum Wohle seines Volkes 63
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Vgl. Griffin 2000, 47: „[I]t was to Nero that Titus was naturally compared, for he was a young emperor of similar aesthetic tastes, tastes actually acquired in the court society of Claudius and Nero.“ Zu der bis in den Jüdischen Krieg zurückreichenden Liebschaft zwischen Titus und Berenike und zur Art, wie die Beziehung von ‚republikanisch‘ gesinnten Senatoren – die Berenike als Cleopatra rediviva (Wilker) betrachteten – politisch instrumentalisiert werden konnte, siehe Tac. hist. 2,2,1; Anagnostou-Laoutides/Charles 2015, 24–31 (und passim); Wilker 2016, 309–314 (und passim); Levick 22017, 210–212 (hier 211): „[T]he princess […] may have been more of a useful grievance than a serious objection to Titus and, like Cleopatra, a convenient weapon for the wounding of his reputation.“ Zum Druck der Volksstimmung, der zu Berenikes Fortsendung aus Rom führte, siehe Cass. Dio 65,15,3–5; Pfeiffer 2009, 47; Anagnostou-Laoutides/Charles 2015, 17. Julia Wilker gibt den wichtigen Hinweis, dass der flavische Günstling Flavius Josephus die Beziehung der jüdischen Prinzessin mit Titus im Bellum Iudaicum mit keinem Wort erwähnt. Dies gibt Anlass zur Spekulation, dass nach 79 n. Chr. von flavischer Seite daran gearbeitet wurde, die Erinnerung an die Beziehung zu unterdrücken. Vgl. Wilker 2016, 314–320 (hier 315f.): „Zu einer Zeit, in der die Beziehung zwischen Berenike und Titus auf ihrem Höhepunkt war, die Königin gemeinsam mit dem Thronfolger auf dem Palatin wohnte und offenbar gemeinsam mit ihm als Paar in der Öffentlichkeit auftrat, hielt Josephus es demnach für angebracht, das Verhältnis zwischen beiden nicht zu thematisieren. […] [D]as Schweigen des Josephus [gibt] beredtes Zeugnis von der negativen Rezeption der Beziehung von Titus und Berenike in Rom und erscheint damit im Einklang mit den Nachrichten über die umso lautere Opposition.“ Während im Bellum Iudaicum die Beziehung des Kaisersohnes mit der jüdischen Prinzessin verschwiegen wird, ist die Darstellung Berenikes in den Antiquitates Iudaicae offen feindselig (vgl. Anagnostou-Laoutides/Charles 2015, 30; Wilker 2016, 316).
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zurückstellt und die Karthagerin Dido verlässt, um seiner Pflicht als Begründer der gens Romana nachzukommen.66 Das mythologisch-literarische Modell erfüllt den Zweck, Titus als pflichtbewussten Thronfolger darzustellen, der nach Vespasians Tod frühere Verfehlungen als solche erkannt und sich – anders als Marc Anton – dem orientalisierenden Einfluss einer exotischen Geliebten rechtzeitig entzogen habe, um alles Tun am Maßstab des größtmöglichen Nutzens für das Staatswesen auszurichten.67 Wichtiger noch, als den Vorwürfen, er sei ein zweiter Marc Anton, den Wind aus den Segeln zu nehmen, war es jedoch, die Befürchtungen zu zerstreuen, Titus würde sich auf dem Thron als zweiter Nero entpuppen. Hierfür bot die Freundschaft des Thronfolgers zu Britannicus, einem prominenten Opfer und latenten Rivalen Neros, eine günstige Gelegenheit.68 Titus wurde am neronischen Hof zusammen mit Britannicus erzogen und von denselben Lehrern unterrichtet. Die Freundschaft der beiden soll so weit gegangen sein, dass Titus bei der Vergiftung des Britannicus im Jahr 55 n. Chr. anwesend gewesen sein und sogar selbst vom tödlichen Gifttrunk gekostet haben soll – mit beträchtlichen gesundheitlichen Folgen. Aus der lex de imperio Vespasiani geht hervor, dass die Flavier nicht Nero, sondern Claudius als den letzten rechtmäßigen Kaiser der julisch-claudischen Linie betrachteten. Für die Flavier war Nero ein Usurpator, der Britannicus, den leiblichen Sohn des Claudius und rechtmäßigen Thronerben, aus niederen Motiven beseitigen ließ und so den diesem zustehenden Thron an sich gerissen hat.69 Britannicus erhielt durch Titus unverhältnismäßig hohe Ehrungen: Sueton berichtet, dass Titus für seinen Jugendfreund, welcher dem Gewaltherrscher Nero zum Opfer gefallen ist,
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Zu der von Sueton implizierten Assoziation des Titus mit Aeneas (bzw. der Berenike mit Dido) vgl. Aen. 6,460 (invitus, regina, tuo de litore cessi) ~ Suet. Tit. 7,2 (Berenicen statim ab urbe dimisit invitus invitam); Anagnostou-Laoutides/Charles 2015, 31–35; Wilker 2016, 318–320. Zu Titus’ charakterlichem Wandel nach der Fortsendung der Berenike siehe Tac. hist. 2,2,1; Suet. Tit. 7,1; Cass. Dio 66,18,1–5; Anagnostou-Laoutides/Charles 2015, 35–39; Wilker 2016, 317–320 (hier 320): „Mit Sueton, Cassius Dio und Tacitus betonen also drei der Hauptquellen zur flavischen Dynastie nicht nur den wundersamen Wandel, den Titus zu Beginn seiner Herrschaft vollzog, sondern verbinden ihn auch mit der Trennung von Berenike. Angesichts dieser Häufung liegt es daher nahe, in dieser Interpretation mehr als nur persönliche Reflektionen zu sehen, sondern vielmehr eine verbreitete Wahrnehmung, ja sogar den Nachhall der offiziellen flavischen Darstellung.“ Zur Inszenierung der Freundschaft zwischen Titus und Britannicus siehe Suet. Tit. 2; Levick 1990, 190 f.; Leithoff 2014, 166–169. Vgl. Levick 1990, 190: „In their [= the Flavians’] view Claudius was the legitimate emperor, and his son the legitimate successor whose place had been usurped by Nero.“; Griffin 2000, 48.
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zwei Statuen errichten ließ: eine goldene am Palatin und eine elfenbeinerne Reiterstatue, die regelmäßig in der pompa Circensis mitgeführt wurde.70 Solche Ehrungen zeigen, dass Titus seine Freundschaft zu Britannicus öffentlich zur Schau gestellt und zu politischen Zwecken instrumentalisiert hat:71 Das ehrende Gedenken an den ermordeten leiblichen Sohn des Claudius sollte unterstreichen, dass dieser die richtige und bessere Wahl für die Thronnachfolge gewesen wäre – eine implizite Empfehlung für das Erbfolgemodell. Wichtiger ist, dass die Anbindung an ein berühmtes Opfer neronischer Gewalt die Absicht signalisierte, sich von Nero zu distanzieren. Auf diesem Wege konnten Gerüchte, wonach Titus eine Gewaltherrschaft nach neronischem Vorbild errichten würde, wirksam zerstreut werden.72 Die Verbindung des von Vespasian zur Herrschaft ausersehenen Sohnes mit dem Sohn und – in flavischer Lesart – rechtmäßigen Nachfolger des Claudius konnte ferner zur Legitimationssteigerung der flavischen Herrschaft beitragen: Die Implikation war, dass Titus durch seine Thronbesteigung das erfüllen würde, was bereits seinem Jugendfreund, der tyrannischer Gewalt zum Opfer gefallen war, zugestanden wäre.73 Dies mochte den Eindruck einer Wiederherstellung der politischen Ordnung durch die flavische Machtergreifung verstärken. Mögliche Assoziationen mit Männern wie Marc Anton und Nero galt es hingegen dringend zu vermeiden. Sowohl Titus’ Verstoßung der Berenike als auch sein Umgang mit dem Gedenken an Britannicus zeigen, dass der designierte Thronnachfolger die Notwendigkeit deutlich erkannt hat, derartige Befürchtungen zu entkräften. Rückblick: Das entschiedene Vorgehen gegen Regimegegner als Prätorianerpräfekt und die Beziehung zu Berenike führten laut dem Zeugnis Suetons dazu, dass manche Senatoren Titus für einen zweiten Marc Anton oder – schlimmer – für einen zweiten Nero hielten. In Vespasians Principat war die Angst vor einer gescheiterten Thronfolge also direkt mit dem Charakter des Titus
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Zu den von Titus errichteten Statuen des Britannicus siehe Levick 1990, 190f.; Leithoff 2014, 167 f. Vgl. Levick 1990, 190; Leithoff 2014, 167: „Es ist sogar recht wahrscheinlich, dass die bei Sueton gebotene Version der Ereignisse sich an der offiziellen Lesart orientierte und auf eine Initiative der flavischen Principes zurückging.“ Vgl. Griffin 2000, 47: „Titus was concerned to counter this alarming idea, not least by stressing his friendship with Britannicus, whose murder he claimed to have witnessed and whose memory he honoured.“; Leithoff 2014, 168: „Dass Titus noch zu Lebzeiten seines Vaters mit Gerüchten konfrontiert wurde, er verhalte sich wie ein zweiter Nero, dürfte ihn in seinen Ehrungen für Britannicus bestärkt haben. Die Propagierung einer engen Freundschaft mit dem jungen Sohn des Claudius lässt sich insofern als Gegenentwurf zu diesen Vorwürfen verstehen.“ Vgl. Griffin 2000, 48.
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kapitel 7
verbunden. Der Kaisersohn musste offensiv daran arbeiten, seine öffentliche Wahrnehmung zu verbessern: Nach Vespasians Tod schickte er Berenike aus Rom fort. Außerdem bemühte er sich um die öffentliche Inszenierung seiner Freundschaft mit Britannicus, um sich mit einem Opfer Neros zu assoziieren, nicht mit dem verhassten Tyrannen selbst.
7.5
Phaethon und die Angst vor einem ungeeigneten Thronfolger – ein episches Ausweichmanöver (Val. Fl. 1,525–527; 5,429–432)
Sowohl die Auflösung der Beziehung mit Berenike als auch die öffentliche Inszenierung der Freundschaft mit Britannicus zeigt, wie sehr Titus darum bemüht war (und sich darum bemühen musste), in den Augen der Senatsaristokratie und des Volkes als geeigneter Thronfolger zu erscheinen. Die Erfahrungen mit den julisch-claudischen Kaisern Caligula und Nero hatten gezeigt, dass die Kategorie der Abstammung nicht allein als taugliches Kriterium für die Auswahl eines geeigneten Herrschers angesehen werden konnte. Im System der Erbdynastie drohte immer die Gefahr, dass charakterlich ungeeignete Männer an die Macht gelangen und die innere Ordnung und die Stabilität des Staatswesens zerrütten könnten. Frühkaiserzeitliche Autoren fanden bald Wege, um über solche Ängste literarisch zu reflektieren. Mit der wirkmächtigen Darstellung in den Metamorphosen kristallisierte sich etwa eine politische Auffassung des Phaethon-Mythos heraus,74 der in allegorisch verschlüsselter Weise die katastrophalen Folgen einer verfehlten Nachfolgepolitik vorführen konnte: Wenn die Zügel des Staatswagens in die Hände eines untauglichen Wagenlenkers geraten, ist die Katastrophe unvermeidlich.75 74 75
Vgl. aber Tuttle Mackay 2019, 164–166, die philosophisch orientierte Deutungsansätze der ovidischen Phaethon-Sequenz zusammenstellt. Vgl. Ov. met. 1,750–2,400; Lucan. 1,45–50; Sen. dial. 11,17,3; Suet. Cal. 11,1 (Tiberius habe seinen Adoptivsohn Caligula als Phaethon bezeichnet); Plin. nat. 7,45 mit Nauta 2002, 330– 335; Schmitzer 1990, 89–107 (der Phaethon als Allegorie für Augustus auffasst); Rebeggiani 2013, 188 f.: „[T]he hint at Phaethon implies the possibility of a disastrous outcome and is there to warn the reader that there are certain risks inherent in dynastic succession. Among the Greek myths, Phaethon’s is certainly one of the most relevant for the treatment of succession, especially imperial. Phaethon is a youth unable to take up his father’s role, and his failure brings ruin to the whole world. Moreover, Phaethon’s task is that of driving a chariot, an old metaphor for governing the state.“; Heerink 2014, 90f.: „Exploiting the ancient metaphor of driving a chariot for governing the state, Roman writers used the myth of Phaethon and his disastrous ride for political purposes, to express their concerns about imperial succession. […] Several poets have followed Ovid’s political-allegorical use of Phaethon.“; Rebeggiani 2018, 101: „Ovid’s narrative of Phaethon, even if we are not pre-
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Die Gestalt des Phaethon kommt auch in den Argonautica vor, doch beschränkt sich Valerius bei der potenziell subversiven Erzählung vom Sohn des Sonnengottes auf vorsichtige Andeutungen.76 Ich argumentiere, dass Valerius den Mythos trotz reichlicher Gelegenheit deshalb nicht breit ausführt,77 weil es in Anbetracht entsprechender senatorischer Debatten in den Anfangsjahren von Vespasians Principat nicht opportun gewesen wäre, in einem mythologischen Epos, das im Proömium als Produkt der Regierungszeit Vespasians ausgewiesen wird, zu deutlich auf die Möglichkeit einer gescheiterten Thronnachfolge hinzuweisen. Gerade der Mythos von Phaethon könnte bei entsprechender Ausgestaltung (und vor dem Hintergrund der mit Ovid einsetzenden Auslegungstradition) den Rezipienten mittels Analogiebildung gedanklich leicht zu zeithistorischen Verhältnissen führen und als Kritik an Vespasians Nachfolgeplänen missverstanden werden. Valerius scheint den Mythos weitgehend auszusparen, um die Gefahr des Vorwurfs der Regimekritik zu umgehen. Valerius verweist nur an zwei Stellen knapp auf die Erzählung von Phaethon: in der Klagerede des Sol (1,526f.) und in der Ekphrasis des Sonnentempels (5,429–432). Im ersten Buch bittet Sol Jupiter darum, den am Ende der Welt lebenden Aeetes zu verschonen, da dieser weder günstiges Siedlungsgebiet besetzt halte noch auf gewaltsame Weise das Vlies an sich gebracht habe. Doch den Abschluss der Rede, in welcher der Sonnengott um eine Kursänderung bittet, bildet eine ganz persönliche Bitte. Sol hat mit Phaethon bereits einen Sohn verloren – den Tod des anderen solle ihm der Göttervater ersparen:
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pared to read it as a political allegory, owes its appeal precisely to how it reflects on issues of great importance to the newly born empire: problems of paternity and succession, deification and access to immortality, as well as the disastrous consequences of a son’s inability to fulfill his father’s role.“; Tuttle Mackay 2019, 164. Die Metapher vom Wagenlenker als Staatslenker findet sich bereits in Plat. rep. 566d (Rebeggiani 2013, 188 Anm. 4 bietet Stellen aus der lateinischen Literatur, an denen – wie in Val. Fl. 1,560 – der metaphorische Gebrauch von habena nachzuweisen ist: z. B. Enn. ann. fr. 72–83 Skutsch; Verg. georg. 1,511–514). Zu Phaethon in der Thebais siehe Rebeggiani 2013; Rebeggiani 2018, 93–122 (bes. 100–103). In der in diesem Zusammenhang manchmal ins Spiel gebrachten Stelle aus Senecas Medea (599–602) kann ich keine Anspielung auf Nero erkennen – in der Medea-Tragödie ist wohl eher eine implizite Gleichsetzung zweier Hybris-Taten (Himmelsfahrt des Phaethon ~ Meeresfahrt der Argo) angestrebt. So auch Zissos 2008, 312 zu 1,526f. Die Gegenmeinung vertreten Schmitzer 1990, 106; Auhagen 1997, 98–100; Heerink 2014, 91 mit Anm. 73. Vgl. Tuttle Mackay 2019, 169: „[T]he myth of Phaethon [is] held at a discreet distance.“ Phaethon ist der Sohn des Sonnengottes Sol und der Bruder des kolchischen Tyrannen Aeetes. Beide treten als handelnde Figuren in der erzählten Welt auf, sodass sich eine breite Darstellung von Phaethons Fahrt im Sonnenwagen an vielen Stellen anbieten würde. Aus anderer Perspektive Tuttle Mackay 2019, 164: „It is only natural that Phaethon should feature as a motif in VF, following not only prominent Phaethon allusions in AR, but also in Seneca’s Medea.“
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flecte ratem motusque, pater, nec vulnere nostro aequora pande viris; veteris sat conscia luctus silva Padi et viso flentes genitore sorores. Val. Fl. 1,525–527
In dieser Kürzestfassung des Mythos fehlt jeder Hinweis auf das Drängen des ungestümen Jünglings, die väterlichen Zügel in die Hände nehmen zu dürfen, oder darauf, wie Phaethon die Kontrolle über den Sonnenwagen verliert und von Jupiters Blitz getroffen vom Himmel stürzt.78 Valerius entkleidet den Mythos an unserer Stelle von jeder politischen Komponente, um ganz auf die Trauer zu fokussieren, die Sol und die Heliaden wegen des Todes des Sohnes bzw. des Bruders empfinden: Der Sonnengott spricht von einem „alten Trauerfall“ (veteris … luctus) und den „weinenden Schwestern [Phaethons]“ – eine Anspielung auf die Heliaden, die am Po-Ufer um den Bruder trauernd in Pappeln verwandelt werden, während das Sonnenlicht ihre Tränen zu Bernstein erstarren lässt.79 Für Sol ist Phaethon kein abschreckendes exemplum für gescheiterte Thronfolge. Für den Vater ist seine Geschichte die eines tragisch verunglückten Sohnes, dessen offenbar weit zurückliegender Tod (vgl. veteris … luctus) noch immer Anlass zu tiefer Trauer gibt. Die Erwähnung Phaethons erfüllt an unserer Stelle die Funktion des letzten (und emotionalsten) Arguments in einer rhetorisch schlüssig gestalteten Klagerede vor dem Göttervater. Die problematischen Aspekte der Figur spielen für die Argumentationsführung des Sonnengotts keine Rolle und werden deshalb ausgespart. Der zweite Verweis auf den Phaethon-Mythos (in der Ekphrasis der Tore des kolchischen Sonnentempels) ist deutlich komplexer. Auch hier erscheint die Erzählung vordergründig als Familientragödie, doch die Berücksichtigung der intratextuellen Bezüge und der eingelegten mythologischen Querverweise macht ihre politischen Implikationen sichtbar. Im Folgenden werde ich zeigen, dass Valerius den Phaethon-Mythos in Arg. 5 benutzt, um auf das bevorste-
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Der mit dem Mythos vertraute Rezipient kann den ausgesparten Hinweis auf die Bestrafung Phaethons durch Jupiter leicht ergänzen und so eine Parallele zwischen den beiden Söhnen des Sonnengottes ziehen: Der eine Sohn (Phaethon) wurde bereits von Jupiter getötet, der andere (Aeetes) gerät aufgrund einer von Jupiter geförderten Unternehmung in Lebensgefahr. Mit Blick auf das Schicksal Phaethons erscheint die Sorge des Sol um seinen zweiten Sohn umso berechtigter. Zur Verwandlung der trauernden Heliaden in Pappeln vgl. Plin. nat. 37,31. Zum Ausschwitzen von Bernstein infolge direkter Sonneneinstrahlung (Valerius kombiniert an unserer Stelle die mythologische Erzählung mit der naturwissenschaftlich-rationalistischen Erklärung) siehe Galli 2007, 280 zu 1,527.
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hende Ende des kolchischen Herrscherhauses vorauszuweisen,80 wobei der Gedanke an Nero, der die Sonnenmetaphorik zur Herrschaftsrepräsentation eingesetzt hat, für einen zeitgenössischen Rezipienten naheliegend gewesen sein dürfte. Auf diese Weise neutralisiert Valerius den subversiven Gehalt des Phaethon-Mythos, der bei ihm nicht als Allegorie für gescheiterte Thronfolge, sondern als Teil des schrittweisen Untergangs einer tyrannischen Herrscherfamilie zu verstehen ist. flebant populeae iuvenem Phaethonta sorores ater et Eridani trepidum globus ibat in amnem. at iuga vix Tethys sparsumque recolligit axem et formidantem patrios Pyroenta dolores. Val. Fl. 5,429–432
Das Hysteron proteron (chronologisch korrekt stürzt Phaethon erst ab, dann weinen die – in Pappeln verwandelten – Schwestern) erlaubt dem Dichter, diese zweite Schilderung des Mythos sprachlich direkt an die erste in Arg. 1 anzubinden.81 Der in der Sol-Rede ausgesparte Absturz wird an der Tempeltür gezeigt (ater … trepidum globus ibat in amnem), ebenso das Nachspiel: Die Meeresgöttin Tethys hat Mühe, das Joch, die in etliche Einzelteile zersplitterte Achse und das Sonnenross Pyrois zusammenzusuchen, das sich vor der Trauer des Vaters (Sol) ängstigt. Wie bereits in Arg. 1 fehlt auch hier der Hinweis auf den Weltenbrand, auf den allenfalls mit dem Namen Pyrois („der Feurige“), dem einzigen namentlich genannten Sonnenross, angespielt wird. Wie in der Solrede steht an der Textoberfläche das Motiv der Trauer im Vordergrund – die Heliaden weinen, Sol trauert.82
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Daneben hat die Darstellung Phaethons (das letzte Bild an der linken – der Vergangenheit gewidmeten – Tempeltür) wohl auch die Funktion, auf den Kindsmord und Medeas Flucht im Schlangenwagen (das letzte Bild an der rechten Tempeltür, die Zukünftiges abbildet) vorauszuweisen (vgl. Wijsman 1996, 208 zu 5,429–432). Die gemeinsamen Elemente (Nachkomme des Sonnengottes als Protagonist/Protagonistin; Himmelsfahrt vor/nach der Katastrophe; Tod eines Kindes/mehrerer Kinder) unterstreichen den Topos von den katastrophalen Spätfolgen einer Hybris-Transgression, wobei – wie auch in Sen. Med. 595–602 – die paradigmatische Vergleichbarkeit der Argofahrt mit Phaethons Fahrt im Sonnenwagen impliziert wird. 1,527 (viso flentes genitore sorores) ~ 5,429 ( flebant populeae iuvenem Phaethonta sorores). Vgl. Tuttle Mackay 2019, 164: „Phaethon is only directly mentioned twice […] and that more or less in the context of mourning, namely that of his father Sol and his sisters upon his death.“
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kapitel 7
Ein bisher nicht hinreichend erklärtes Detail betrifft die Rolle der Tethys: Phaethon stürzt bekanntlich nicht ins Meer, sondern in den (mythischen) Eridanus, der von römischen Autoren häufig mit dem Po gleichgesetzt wird. Die Erwähnung der Okeanos-Gattin Tethys erweckt jedoch den Eindruck, dass die Teile des Wagens über das ganze Meer verstreut sind und nun von der Meeresgöttin, die in den frühesten Quellen als Schwester des Hyperion (und damit als Großmutter Phaethons) erscheint,83 eingesammelt (recolligit) werden müssen. Unerwartet ist auch die Angst des Pferdes vor dem Vater (nämlich des Phaethon). Beide Details scheinen mir nicht bloß ein variierendes Spiel mit der Tradition zu sein. Es liegt vielmehr eine Anspielung auf den Tod des AeetesSohnes Absyrtus vor.84 In einer Variante, der Valerius nicht folgt, nimmt Medea den kleinen Bruder bei der Flucht mit auf die Argo. Als die kolchischen Verfolger heranrücken, zerstückelt sie ihn und wirft die Leichenteile ins Meer, um die kolchischen Verfolger dazu zu zwingen, diese einzusammeln (recolligere), sodass sie wertvolle Zeit verlieren.85 Diese Tat erregt nach dem Verrat der Heimat und der Flucht erneut die Trauer des Vaters, furchteinflößend für die verräterische, abtrünnige, mörderische Tochter. Pyrois erscheint am letzten Bild der linken Tempeltür, Medea am letzten Bild der rechten. Die Beschreibung formidantem patrios … dolores wäre für die Königstochter wohl deutlich passender als für das Sonnenross Pyrois, das keine echte Schuld am Absturz des Sonnenwagens trifft. Die Schuldzuweisung kann nur den Sonnengott selbst treffen, der zulässt, dass der Sohn eine Aufgabe übernimmt, der er nicht gewachsen ist und die für diesen tödlich enden wird. Die bereits in der Beschreibung des Absturzes entwickelte Parallele zwischen Phaethon und Absyrtus führt Valerius im Weiteren fort: Der Aeetes-Sohn marschiert „in den väterlichen Waffen“ (patriis Absyrtus in armis: 6,171) auf das blutige Schlachtfeld von Kolchis, um die mit dem Tyrannen verbündeten Truppen anzuführen. Dazu kommt, dass er bei der Schlacht – wie Phaethon – den Wagen des Sonnengottes lenkt: „Absyrtus, im Glanze der Strahlen des Schildes und des Wagens des großväterlichen Sonnengottes“ (Absyrtus clipei radiis curruque coruscus / Solis avi: 6,517f.).86 Absyrtus überlebt diese Schlacht, in der er sich durch heldenhafte Tatkraft auszeichnet. Das Vorbild Phaethons scheint
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Vgl. Bremmer in DNP s. v. Titanen. Zu den Parallelen zwischen Phaethon und Absyrtus in den flavischen Argonautica siehe auch Tuttle Mackay 2019, 166–170. Zum Motiv der Zerstückelung in den Argonautica siehe auch Kap. 6.2. Zu diesen beiden Stellen in Arg. 6 siehe Tuttle Mackay 2019, 167f.
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hier zunächst als Kontrastfolie zu dienen87 – doch die Geschichte des AeetesSohnes ist noch nicht zu Ende erzählt. Bei der Verfolgung der Argo kommandiert Absyrtus „die Flotte des Vaters“ (Absyrtus … cum classe parentis / advehitur: 8,261f.),88 und es ist diese Mission, bei der er wohl im Plan der flavischen Argonautica den Tod gefunden hätte.89 Eine Generation nach Phaethon stirbt Absyrtus bei der Ausführung einer gefährlichen (und zu großen) Aufgabe, die Valerius mehrmals mit dem Attribut „väterlich“ verknüpft. Der eine Sohn führt diese gegen den Willen des Vaters aus, der andere mit dessen Einverständnis. Beim Wagnis, bereits in jungen Jahren in die Fußstapfen ihrer Väter zu treten, finden sowohl der Sohn als auch der Enkel des Sonnengottes den Tod. Absyrtus ist der einzige männliche Nachkomme des Aeetes, weshalb sein Tod faktisch das Ende der kolchischen Herrschaftslinie bedeutet. Perses kann den Thron zwar kurzzeitig erobern, doch Valerius erläutert in externer Prolepse, dass Medea mit ihrem vom Athener Aegeus empfangenen Sohn Medus nach Jahren der Flucht nach Kolchis zurückkehren und Aeetes noch einmal zur Macht verhelfen werde (5,683–687). Lange dürfte diese Herrschaft nicht währen: Bei Medeas Rückkehr ist Aeetes bereits ein senex. Darüber hinaus ist diese Wiedereinsetzung keineswegs als Fortführung der von Sol begründeten Linie der kolchischen Herrscher zu verstehen. Nach dem Tod des Aeetes dürfte Medus (nicht Medea) die Herrschaft übernehmen. Für diesen wählt Valerius die Periphrase Graius nepos, was suggeriert, dass bereits eine Generation nach der Argofahrt ein Grieche in Kolchis herrscht und damit – ganz im Einklang mit den Erklärungen des Weltenplans – die Hegemonie zunächst an die Griechen geht, bevor sie weiter westwärts wandert. Während Phaethon in der Sol-Rede als Parallelfigur zu Aeetes, dem noch lebenden Sohn des Sol, eingeführt wird,90 evoziert seine Abbildung an der Tür des Sonnentempels das Schicksal des Absyrtus. Der Dichter unterlässt Anspielungen auf den Weltenbrand; er betrachtet den Sturz Phaethons und die angeknüpften Assoziationen als Teil einer Familientragödie, die mehrere Generationen umspannt und schrittweise auf das Ende des kolchischen Herrschergeschlechts zuläuft, aber in der Welt der Argonautica keine kosmische 87
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So Tuttle Mackay 2019, 167: „Absyrtus is an alternative to rather than a copy of Phaethon, a warrior of established reputation, and more importantly, a capable and far superior handler of horses.“ Zu Absyrtus als Anführer der väterlichen Flotte siehe Tuttle Mackay 2019, 170f. Zum Tod des Absyrtus als möglichem Ende der Argonautica siehe Hershkowitz 1998, 1–34; Nesselrath 1998. Vgl. Heerink 2014, 91 mit Anm. 71; Tuttle Mackay 2019, 164: „Sol expects misfortune like that suffered by Phaethon to fall upon others of his descendants, specifically Aeetes, as a result of the Argo’s journey.“
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Katastrophe zu bedeuten scheint. Die Entmachtung des Sol und das Ende der Herrschaft seiner Nachkommen ist vielmehr Teil des Weltenplans und die Voraussetzung für die Wegbereitung einer neuen, von Jupiter legitimierten Weltordnung. Die Verdrängung des Sol und seiner Nachkommen hat im post-neronischen Rom unmittelbare zeithistorische Relevanz, da der letzte julisch-claudische Kaiser in der Herrscherrepräsentation in großem Ausmaß solare Attribute verwendet hat: Während die Abbildung des Herrschers mit Strahlenkrone auf Münzen in der frühen Kaiserzeit zum gängigen Bestand der Herrschaftsdarstellung gehört,91 geht Nero im Einsatz solarer Metaphorik deutlich weiter als seine unmittelbaren Vorgänger und Nachfolger.92 In der neronischen Propaganda wurde die Geburt des Kaisers zum Auftakt eines goldenen Sonnenzeitalters verklärt.93 Im Osten des Reiches wurde er als νέος Ἥλιος verherrlicht. Nach Sueton ließ er verbreiten, er könne sich mit Apoll im Gesang und mit dem Sonnengott im Wagenrennen messen.94 Seneca vergleicht Nero sowohl in der Apocolocyntosis als auch in De clementia mit der aufgehenden Sonne, was darauf schließen lässt, dass derartige Vergleiche Teil der offiziellen Panegyrik waren.95 Im Vestibulum der Domus Aurea, die als irdischer Sonnenpalast betrachtet werden kann,96 stand eine Kolossalstatue, die wohl Nero mit solaren Attributen dargestellt hat.97 Cassius Dio berichtet, dass Nero anlässlich des Empfangs des Tiridates in Rom im Jahr 66 n. Chr. ein purpurnes Sonnensegel über das Theater spannen ließ, das anstatt der Sonne den von goldenen Sternen umkränzten Nero auf dem Sonnenwagen zeigte.98 Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass Valerius den PhaethonMythos nicht heranzieht, um die Nachfolgeproblematik zu thematisieren, sondern eine bereits bestehende Assoziationskette aufgreift, die Sol, Phaethon 91
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Auch von Vespasian und Titus, die das neronische Vorbild sonst strikt gemieden haben, sind Münzbilder mit Strahlenkrone bekannt (vgl. Nauta 2010, 255). Die Darstellung Neros mit Strahlenkrone bezeichnen Taylor 1994, 229 und Auhagen 1997, 96 zu Unrecht als Spezifikum der neronischen Herrschaftsrepräsentation. Vgl. Rebeggiani 2018, 102: „More than other emperors, he had insisted on his solar nature.“ Vgl. Cass. Dio 61,2,1; Auhagen 1997, 95. Vgl. Suet. Ner. 53 (destinaverat etiam, quia Apollinem cantu, Solem aurigando aequiperare existimaretur, imitari et Herculis facta); Auhagen 1997, 95; Rebeggiani 2018, 101f. Vgl. Sen. apoc. 4,26–29; Sen. clem. 1,8,5. Zur Domus Aurea siehe Suet. Ner. 31; Auhagen 1997, 95f.; Schubert 1998, 423 mit Anm. 90; Kap. 6.1. Zur Kolossalstatue Neros, die wohl den Princeps als Sonnengott dargestellt hat, siehe Plin. nat. 34,45 (der berichtet, dass die Statue nach Neros Tod dem Sonnengott geweiht wurde); Taylor 1994, 229; Auhagen 1997, 95 f. Vgl. Cass. Dio 53,6,2; Auhagen 1995, 96.
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und Nero verbindet, um den Untergang des letzten julisch-claudischen Kaisers mythologisch zu spiegeln. Für das zeitgenössische Publikum der Argonautica dürfte die Assoziation Nero ~ Sol naheliegend gewesen sein. Wahrscheinlich findet sich bereits beim neronischen Dichter Lucan ein Beleg dafür, wie Neros aggressiver Einsatz der Sonnenmetaphorik gegen den Princeps gewendet werden konnte, wenn im Proömium des Bellum civile eine ambivalente Parallele zwischen Nero und Phaethon gesponnen wird:99 Auch wenn Lucan die Möglichkeit offenlässt, dass dieser Princeps ein Phaethon ex negativo – also ein besserer Phaethon – sei und den ihm anvertrauten Wagen sicher zu lenken vermöge, bleibt auch die gegenteilige Deutungsmöglichkeit aufrecht. Auf diese dürften besonders jene Rezipienten aufmerksam geworden sein, die Nero verdächtigten, am Brand Roms Anteil gehabt zu haben.100 Für jene Leser könnten die Lucan-Verse als Hinweis gelten, dass Nero – wie Phaethon – ein ungestümer, unerfahrener junger Mann sei, den die vom ‚Vater‘ übernommene Aufgabe heillos überfordere und der einer großen Katastrophe den Weg bereiten werde.101 Valerius konnte die Assoziationsreihe Sol ~ Phaethon ~ Nero für sein unmittelbares Publikum sicherlich als bekannt und leicht abrufbar voraussetzen. Auch den kolchischen Tyrannen Aeetes schreibt er in diese Reihe ein, indem er dessen Abstammung von Sol nachdrücklich betont102 und in der Beschreibung des kolchischen Palastes, bei dem sich eine Kolossalstatue (des Atlas) befindet, wohl auf Neros Domus Aurea verweist. Dadurch erhält die Figur des kolchischen Tyrannen zeithistorische Tiefenschärfe. Die Parallele zwischen dem tyrannischen Aeetes und Nero stützt einerseits das stark negative Bild
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Lucan. 1,45–52 mit Rebeggiani 2013, 188. Der Versuch Auhagens (Auhagen 1997), in Lucan. 2,410–415 (geographischer Exkurs mit Beschreibung des Po) Kritik an Nero herauszuhören, die der Dichter in die geographische Ekphrasis ‚hineingeheimnisst‘ habe, überzeugt nicht. Vgl. Auhagen 1997, 97: „Die aus Phaethons Hybris resultierende Katastrophe bestand darin, dass er die Erde in Brand steckte: Es ist nun sehr verlockend, an den Brand Roms im Juli 64 zu denken.“; Rebeggiani 2018, 102: „Like Phaethon, he [Nero] was also considered responsible for burning down the earth, through his involvement in the fire of Rome.“ Zu Neros kolportierter Beteiligung am Brand Roms siehe auch Stat. silv. 2,7,60f. mit Rebeggiani 2018, 102 f. Weitere Stellen bietet Rebeggiani 2013, 193 Anm. 25. Vgl. Rebeggiani 2013, 193: „For many reasons, in fact, Nero was particularly amenable to attract the Phaethon comparison: he was acclaimed emperor at a young age, with many doubting his actual ability to hold the reins of state, as in the case of Phaethon.“ Ähnlich argumentiert Taylor, die jedoch (wenig überzeugend) von einer typologischen Verbindung zwischen Nero und Aeetes ausgeht: „Valerius alludes to the typological function of Aeetes by placing considerable emphasis on this tyrant’s descent from Sol, the sun-god“ (Taylor 1994, 229). Verweise auf Aeetes’ Status als Sohn des Sonnengottes finden sich in den Argonautica z. B. in 1,509–527; 5,223.263.317.456.471.567.
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des letzten julisch-claudischen Princeps in flavischer Zeit103 und erklärt dessen Untergang andererseits zur göttlichen Verordnung. In den Argonautica besteht zwischen Sol und Jupiter ein deutliches Machtgefälle. Phaethon ist beim Versuch, den Vater nachzuahmen, verunglückt, Absyrtus wird wohl beim Versuch, das Vlies und die abtrünnige Schwester heimzuholen, von Jason und Medea erschlagen. Aeetes verliert den Bürgerkrieg, bevor er von Medeas griechischem Nachkommen Medus im hohen Alter nochmals eingesetzt und nach seinem Tod wohl von diesem in der Herrschaft beerbt wird. All diese Vorgänge beschreibt Valerius nicht, um das (in den Phaethon-Mythos eingeschriebene) Motiv der gescheiterten Nachfolgepolitik herauszustreichen (was politisch brisant gewesen wäre), sondern um den unausweichlichen Untergang einer Herrscherdynastie zu entfalten, die aufgrund des vom fatum vorgezeichneten und von Jupiter gewollten Weltenlaufes neuen Machthabern weichen muss. Da Aeetes und sein Bruder Phaethon bei Valerius Züge aufweisen, die ein zeitgenössischer Rezipient assoziativ mit Nero in Verbindung gebracht haben dürfte, wird die Möglichkeit einer zeithistorisch perspektivierten Interpretation eröffnet: Der Dichter verfasst sein Epos in den Jahren nach einem historischen Wendepunkt, der den Untergang der julisch-claudischen Dynastie und den Aufstieg der Flavier mit sich bringt. Während Vespasian und seine Söhne (vgl. die um Vorherrschaft ringenden gentes im Weltenplan) nach der Machtergreifung und Dynastiegründung einer offenen, aber letztlich ungewissen Zukunft entgegensehen, ist der Untergang Neros und seiner Familie (wie jener des Sonnengottes und seiner Nachkommen Phaethon, Aeetes und Absyrtus) besiegelt und als Voraussetzung für den Anbruch einer neuen Zeit in den Weltenlauf eingeschrieben.104 Rückblick: Die bemerkenswerte Vorsicht, mit der Valerius bei der Darstellung der Phaethon-Figur vorgeht, ist wohl ein Indiz dafür, dass der Dichter jede Form der (wie auch immer unterschwelligen) Kritik an den Nachfolgeplänen Vespasians als äußerst riskant eingeschätzt und daher vermieden hat. Er hat offenbar Wert darauf gelegt, nur nicht den Verdacht zu erregen, in allegorischverschlüsselter Form die senatorische Befürchtung zu stützen, Titus sei ein zweiter Nero und zur Herrschaft ungeeignet. Bei der Einflechtung der potenziell subversiven Erzählung von Phaethon wandelt der Dichter auf einem spürbar schmalen Grat. Dies zeigt sich etwa an der Aussparung bestimmter proble103 104
Zur flavischen Sicht auf die Herrschaft und die Persönlichkeit Neros siehe Schubert 1998, 254–337; Nauta 2010. In seiner Klagerede sieht Sol die düsteren Folgen des Weltenplans für seine irdischen Nachkommen wohl voraus: „Sol understandably worries that other [sic] of his progeny, namely Aeetes and his children, will suffer under the execution of Jupiter’s Weltenplan“ (Tuttle Mackay 2019, 166).
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matischer Aspekte des Mythos – so zeichnet Valerius Phaethon an keiner Stelle als ungestümen, unerfahrenen und unreifen Sohn des (Sonnen-)Wagenlenkers und verzichtet auf eine Beschreibung des Weltenbrands. Die jeweiligen Kontexte (Klagerede des Sol, Ekphrasis des Sol-Tempels) sind jedoch so gewählt, dass der Rezipient solche Lücken kaum wahrnimmt. So gelingt es dem Dichter auf raffinierte Weise, den Phaethon-Mythos zu erzählen, ohne die Nachfolgeproblematik in den Fokus zu rücken. Stattdessen aktiviert der Dichter eine in der post-neronischen Welt leicht abrufbare Assoziationskette, welche Phaethon und den Sonnengott mit Nero verknüpft, und bindet die Erzählung vom Sturz des untauglichen Lenkers des Sonnenwagens in das größere Motiv ‚Untergang der Sol-Dynastie als Teil des fatum‘ ein: Der Tod Phaethons präfiguriert den Tod des Absyrtus, aber auch die Entmachtung des Aeetes. Die häufige Thematisierung von dessen Genealogie und die Tatsache, dass er einen Sonnentempel mit Kolossalstatue bewohnt, evozieren den solarer Metaphorik zugeneigten Kaiser Nero, der in der Herrscherrepräsentation etwa als wagenlenkender Sonnengott dargestellt wurde und mit der Domus Aurea einen irdischen Sonnenpalast samt Helios-Statue errichten ließ. So erweitert Valerius das übernommene Bezugssystem (Sol ~ Phaethon ~ Nero) um die Figur des Aeetes. Der Bezug zwischen dem kolchischen Tyrannen und Nero, der von den Flaviern mit einer damnatio memoriae belegt wurde, dient der Herabsetzung des verhassten Kaisers, dessen Untergang anhand der mythologischen Analogie suggestiv als Vollzug des Götterwillens hingestellt wird. Der Dichter neutralisiert den politisch gefährlichen Phaethon-Mythos, indem er dessen subversives Potenzial ganz auf Nero umlenkt. Dadurch kann er nicht in Verdacht geraten, mit der Erzählung dieses Mythos Kritik an den flavischen Nachfolgeplänen zu üben.
7.6
Die Thronfolge in Lemnos als politische Utopie (Val. Fl. 2,72–310)
Der Mord an den lemnischen Männern und die heimliche Fortschaffung des Königs Thoas gibt dem Dichter Gelegenheit, das Problem der Thronfolge in der Lemnos-Episode mythologisch zu verhandeln. Die auch in den hellenistischen Argonautica enthaltene Erzählung vom Männermord (AR 1,609–632) gestaltet Valerius zu einem regelrechten Kleinepos aus, das eine in externer Analepse berichtete Vorgeschichte, göttliche Intervention, einen Auftritt der Fama, Kampfhandlungen und narratoriale Einschübe enthält (2,72–241). Der eigentlichen Beschreibung der Mordnacht (2,216–241) ist ein Ausruf des Erzählers vorangestellt, der seinem Entsetzen Ausdruck verleiht und bekundet, dass ihm die nun zu schildernden Ereignisse Albträume bereiteten:
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unde ego tot scelerum facies, tot fata iacentum exsequar? heu vatem monstris quibus intulit ordo, quae se aperit series! o qui me vera canentem sistat et hac nostras exsolvat imagine noctes! Val. Fl. 2,216–219
Die hier aufgeworfene Frage, wer den Schrecken des Erzählers lindern könnte, wird implizit im nächsten Erzählerkommentar beantwortet,105 der die Erzählung des Männermordes abschließend rahmt: sed tibi nunc quae digna tuis ingentibus ausis orsa feram, decus et patriae laus una ruentis, Hypsipyle? non ulla meo te carmine dictam abstulerint, durent Latiis modo saecula fastis Iliacique lares tantique palatia regni. Val. Fl. 2,242–246
Der Erzähler apostrophiert Hypsipyle und lobt sie als „Zierde und einzigen Ruhm des untergehenden Vaterlandes“ (decus et patriae laus una ruentis), da sie sich – wie bei Apollonios – als einzige nicht am wilden Morden beteiligt und als pflichtbewusste Tochter ihren greisen Vater, den Lemnierkönig Thoas, rettet (2,242–305).106 Wie in den hellenistischen Argonautica übernimmt Hypsipyle nach dem Männermord und der Flucht des Thoas die Herrschaft. Der Wahl Hypsipyles zur neuen Königin durch einen Frauensenat widmet Valerius – anders als Apollonios – eine eigene Szene (2,306–310). Legt man die Fassung des Valerius neben jene des Apollonios, fällt auf, dass der flavische Dichter der Schilderung des Männermordes deutlich mehr Raum gibt. Wie Leo Landrey gezeigt hat, setzt Valerius dabei Signale, die literarische Darstellungen römischer Bürgerkriege evozieren.107 Dieser Bezugs-
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Vgl. Walter 2014, 32: „Nachdem er in den oben zitierten Versen gefragt hat, wer ihn von seiner Schreckensvision befreien könne, tritt diese Person […] kurz darauf in Erscheinung: die Lemnierin Hypsipyle.“ Zur Apostrophe Hypsipyles und ihrem intertextuellen Vorbild – Vergils Lobpreis des Nisus und Euryalus in Aen. 9,446–449 – siehe Feeney 1991, 322f.; Hershkowitz 1998, 270; Zissos 2009, 363 Anm. 43; Walter 2014, 29.32 f. Ihre pietas-Tat lässt die Lemnierin als Präfiguration des Aeneas erscheinen, der nach dem Fall Trojas seinen Vater Anchises auf den Schultern aus der brennenden Stadt rettet (siehe Hershkowitz 1998, 137f.; Heerink 2020, 194f.). Zur Flucht des Thoas mit einem alten Schiff und den (vermeintlichen) Inkonsistenzen in der Fluchtbeschreibung siehe Söllradl (im Erscheinen c). Zum Männermord von Lemnos als Spiegelung römischer Bürgerkriege siehe Landrey 2012,
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rahmen wird auch durch den narratorialen Ausruf in 2,216–219 nahegelegt, der an Lucans Erzähler denken lässt, wenn er (wie etwa unmittelbar vor der Schlacht von Pharsalos) mit Entsetzen und Unwillen auf den Handlungsfortgang reagiert:108 hanc fuge, mens, partem belli tenebrisque relinque, nullaque tantorum discat me vate malorum, quam multum bellis liceat civilibus, aetas. a potius pereant lacrimae pereantque querellae: quidquid in hac acie gessisti, Roma, tacebo. Lucan. 7,552–556
Diese paradigmatische Bezugnahme auf römische Bürgerkriege ergänzt der Dichter in der Apostrophe Hypsipyles um einen expliziten Bezug zur historischen Welt, indem er die Dauerhaftigkeit seines Lobes für die lemnische Königstochter (und ihre – unter den Lemnierinnen – einzigartige pietas) explizit an den Fortbestand des römischen Reichs knüpft: „Nicht werden die Jahrhunderte [den Lobpreis für] dich, gepriesen (dictam) in meinem Gedicht, hinfort tragen, solange die mit [der Zeitrechnung der] latinischen Fasten erfassten109 Jahrhunderte, die trojanischen Hausgötter und der Palast110 des so großen Reiches fortbestehen“ (non ulla meo te carmine dictam / abstulerint, durent Latiis modo saecula fastis / Iliacique lares tantique palatia regni: 2,244–246).111
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210–217; Landrey 2018, 227–234 (hier 232): „The poet asserts that his song consists of real events (vera, v. Fl. 2.218), thereby leaping past the long-porous boundary between myth and history and bringing the mythic clades Lemnia into the realm of the historical.“ Zu dieser Parallele siehe Walter 2014, 30–32 (welche die Argonautica-Stelle als Inversion der traditionellen Bitte um Inspiration kategorisiert). Der schwierige Ausdruck durent Latiis … saecula fastis wird in der Forschungsliteratur unterschiedlich erklärt. Am wahrscheinlichsten erscheint mir die (bisher nicht vorgebrachte) Auffassung von Latiis … fastis als Instrumentalis in Abhängigkeit von einem elliptisch ausgefallenen Partizip wie comprensa (vgl. Lucan. 3,309: comprensa est Latiis quaecumque annalibus aetas). Das Substantiv palatium (der Palatin, wo sich der kaiserliche Hof römischer Principes befand) wird bereits bei Ovid (ebenfalls im Plural) metonymisch zur Bezeichnung eines Herrscherpalastes verwendet (Ov. met. 1,176). Verfehlt Landrey 2018, 237: „Valerius replaces the Republican Capitoline with no less than imperial literature’s first (surviving) instance of Palatium to mean ‘imperial residence.’“ Zur Bedeutung der genannten Elemente (latinische Fasten, trojanische Hausgötter, Herrscherpalast) siehe Landrey 2012, 213–216; Walter 2014, 33f.; Landrey 2018, 234–240. Landrey zieht das Fehlen des (an den Vorbildstellen genannten) Kapitols für eine pessimistische Deutung heran. Der mit den Prätexten (Verg. Aen. 9,446–449; Hor. carm. 3,30,6–9) vertraute Leser bemerke das Fehlen dieses wichtigen Symbols römischer Identität und
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Diese Apostrophe Hypsipyles schließt die Erzählung der Mordnacht ab und leitet zur Rettung des Thoas durch die Tochter über, die sich mit ihrem pietasAkt von den übrigen Lemnierinnen abhebt. In der römischen Literatur wird der Bürgerkrieg häufig in das Bild des innerfamiliären Mordes, des gegenseitigen Tötens unter Blutsverwandten gefasst. Anders als Lucan zeigt Valerius eine Lösung auf:112 Das Einhalten der familiären Verpflichtungen und die Wiederherstellung geordneter Familienverhältnisse erscheint in der Lemnos-Episode als Ausweg aus dem Morden. Für den zeitgenössischen Rezipienten konnte Vespasians Auftreten als Dynastiegründer und die Betonung familiärer Harmonie innerhalb der gens Flavia nach der Zerrüttung des Vierkaiserjahres daher als beruhigendes, Sicherheit vermittelndes Signal gelten. Der Bezug zur Geschichte des Flavierhauses wird auch durch die punktuelle Verknüpfung der Flucht des Thoas mit der Flucht Domitians vom Kapitol hergestellt.113 Bei den Kämpfen zwischen den Vitellianern und der flavischen Partei in den Straßen Roms mussten sich Anhänger Vespasians – darunter Domitian – im Kapitol verschanzen, das von den Vitellianern umstellt wurde und am Ende in Flammen aufgegangen ist. Laut dem Bericht des Tacitus und des Sueton gelang Domitian die Flucht, indem er sich als Isis-Priester verkleidete und zusammen mit dem übrigen Kultpersonal unerkannt vom Kapitol
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begreife die Vergänglichkeit römischer Macht: „Framed within a larger narrative of civil war, the absent presence of the Capitolium summons those smoking temple ruins to the reader’s mind“ (Landrey 2018, 237). Die Argumentation überzeugt nicht: Würde nicht vielmehr die Nennung des im Vierkaiserjahr zerstörten Kapitols der Stelle subversiven Gehalt verleihen? Die von Valerius genannten Elemente belegen die Kontinuität römischer Herrschaft, während das Kapitol erst vor kurzem zerstört wurde – es wäre daher kaum ein geeigneter Indikator für die Dauerhaftigkeit des dichterischen Lobpreises der Lemnierkönigin. Wie ich unten argumentiere, führt die Wiederaufnahme des Kults für Venus (womit der schlimme Zorn der Göttin besänftigt wird) den Leser gedanklich zum Wiederaufbau des Kapitols und damit zu den Errungenschaften der flavischen Restauration – die Stelle ist als positives exemplum für die mögliche Überwindung von Bürgerkrieg und Frevel zu bewerten. Zum Fehlen einer Lösung der im Bellum civile beschriebenen Konflikte, die zur Auflösung der familiären Strukturen und der politischen Ordnung führen, siehe Hardie 1993, 94: „Lucan describes a struggle for control of Rome, which is also a contest for mastery of the world and even universe, and at the same time is a struggle within families: between the father-in-law and son-in-law, Caesar and Pompey, and recurrently between brothers. The vision is entirely negative: this is a war from which there will be no resurrection through the continuity of generations.“ Zu dieser punktuellen zeithistorischen Referenz siehe Landrey 2012, 216–225; Clauss 2014, 109–111; Walter 2014, 36 Anm. 75; Landrey 2018, 240–244.
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fliehen konnte.114 Es gibt deutliche Parallelen zur Flucht des Thoas, der sich in der Mordnacht unter dem Götterbild des Bacchustempels versteckt und am nächsten Morgen als Bacchus verkleidet in einem inszenierten Festzug aus der Stadt fortgebracht wird (Val. Fl. 2,253–278). Zum Gedenken an die lebensgefährlichen Stunden und die dank göttlichen Beistands geglückte Flucht ließ Domitian an der Stelle seines Verstecks eine Kapelle für Jupiter Conservator weihen.115 Als Kaiser weihte er einen Tempel für Jupiter Custos, in dem eine Statue des Gottes, der den Kaiser im Schoß hält, aufgestellt war. Die monumentale Verewigung der Flucht Domitians lässt den Schluss zu, dass die Details seiner Flucht vom Kapitol dem zeitgenössischen Lesepublikum der Argonautica bekannt gewesen sein dürften.116 Streng genommen sind die Bezüge an unserer Stelle freilich vertauscht: Thoas, der alte König, nicht Hypsipyle, die Königstochter, spielt in Arg. 2 die Rolle Domitians. Der punktuelle Verweis auf das Ereignis vom Ende des Vierkaiserjahres führt den Leser aber trotz dieser Inkongruenz gedanklich zu Domitian, dem Sohn des Kaisers Vespasian. Der in der Fluchtbeschreibung hergestellte Bezug zum flavischen Kaiserhaus ist entscheidend für die Wahrnehmung der im Anschluss beschriebenen Ernennung Hypsipyles zur Königin von Lemnos: arcem nata petit, quo iam manus horrida matrum congruerat. rauco fremitu sedere parentum natorumque locis vacuaeque in moenibus urbis iura novant. donant solio sceptrisque paternis ut meritam redeuntque117 piae sua praemia menti. Val. Fl. 2,306–310
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Zur Flucht Domitians vom Kapitol siehe Tac. hist. 3,74; Suet. Dom. 1,2; Cass. Dio 64,17,4 (ohne Erwähnung der Verkleidung als Isis-Priester); Galimberti 2016, 99f.; Levick 22017, 206 f. Vgl. Levick 22017, 206 f. Landrey 2018, 242: „Domitian is said to have thanked Jupiter for saving him by dedicating a shrine to Iuppiter Conservator at the location of his hideout, complete with an altar depicting his ordeal. Because of this prominent, physical commemoration the story of Domitian’s escape would have probably been well known to Valerius’s immediate Roman readership.“ Das in den Handschriften ausgefallene que wurde bereits in der editio princeps (B-1474) wiederhergestellt.
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Die beschriebene Versammlung der Lemnierinnen findet in der „Burg“ (arcem) statt, womit ein befestigter Ort an einem erhöht gelegenen Punkt der Stadt gemeint ist. In der römischen Literatur wird etwa der nördliche Kapitolshügel als arx bezeichnet, auf dem 344 v. Chr. an der Stelle einer ursprünglichen Fluchtburg der Tempel der Juno Moneta geweiht wurde.118 In den Historien bezeichnet Tacitus aber auch den Palatin, wo seit Augustus der Princeps residierte, als „Burg des Reiches“ (arx imperii).119 Der Dichter scheint an unserer Stelle die letztgenannte Assoziation des Wortes zu aktivieren, was auch deshalb passend erscheint, weil Senatssitzungen in julisch-claudischer Zeit und besonders unter Augustus nicht nur in der Kurie, sondern auch am Palatin abgehalten wurden.120 Mit der Verlegung der lemnischen Volksversammlung in die arx dürfte Valerius also auf einen Aspekt der politischen Praxis des Augustus anspielen, der in der flavischen Herrschaftsdarstellung bekanntlich zum nachahmenswerten Idealtypus eines römischen Princeps stilisiert wurde. Somit verleiht das Detail des Versammlungsortes der folgenden Ernennung Hypsipyles zur Königin Ehrwürdigkeit und auctoritas. Römische Verhältnisse werden auch im Folgenden evoziert, wenn zur Beschreibung der politischen Vorgänge auf Lemnos Wendungen wie concilium vocat und dicta placent eingesetzt werden, die an termini technici der Senatssprache erinnern.121 Nach dem Männermord nehmen an der Volksversammlung nur Frauen teil. Im Einklang mit der auch sonst in der Lemnos-Episode beobachtbaren Umkehrung traditioneller Geschlechterrollen122 spricht der Dichter von den Teilnehmerinnen als „schreckliche Schar der matres“, womit ironisch auf die Bezeichnung der römischen Senatoren als patres verwiesen wird.123 Diese Schar der Entscheidungsträgerinnen, die wir uns wohl als weiblichen Ältestenrat vorstellen dürfen, ernennt Hypsipyle zur Königin, indem sie diese – „weil sie es verdient“ (ut meritam) – mit den väterlichen Herrschaftsinsignien (Thron und 118 119 120
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Vgl. OLD s. v. arx 1b. Vgl. Tac. hist. 3,70,2 (contra Vitellium in Palatium, in ipsam imperii arcem regressum). Zu den Senatsversammlungen am Palatin siehe Tac. ann. 13,5; Suet. Aug. 29,3; Thompson 1981; Feeney 1991, 199; Keith 2020, 341 f.: „[W]e have abundant and well-studied evidence for the regular use of this temple for meetings of the Senate throughout the Julio-Claudian period, from the reign of Augustus to that of Nero, when the temple was destroyed by fire (64 ce). […] Domitian restored the temple of Apollo on the Palatine, though it is not clear whether he held meetings of the Senate in it. While neither Vespasian nor Titus could have convened the Senate in the temple, there must have been widespread familiarity with the Julio-Claudian practice in the early years of Flavian rule.“ Vgl. Poortvliet 1991a, 181 zu 2,312 f.; Zissos 2009, 361 Anm. 39. Zur Umkehrung der Geschlechterrollen in der Lemnos-Episode siehe Walter 2014, 29 Anm. 53 (mit weiterer Literatur). Vgl. Harper Smith 1987, 140 zu 2,306.
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Szepter) betraut. In einem Nachsatz bezeichnet der Erzähler diese Ernennung zur Königin als „Lohn ihrer pflichtbewussten Gesinnung“ (piae sua praemia menti). Während der Verweis auf die pietas Hypsipyles sicherlich aus narratorialer Perspektive erfolgt – immerhin wissen die übrigen Lemnierinnen nicht, dass die Königstochter ihren Vater nicht ermordet, sondern verschont und in Sicherheit gebracht hat –, bleibt offen, welcher Instanz das Werturteil ut meritam zugeschrieben werden soll. Aus der perzeptiven Perspektive des Erzählers „verdient“ Hypsipyle den Thron, weil sie als einzige nicht am Verwandtenmord teilgenommen hat und das Gebot der pietas befolgt hat. Aus Perspektive der Teilnehmerinnen an der lemnischen Volksversammlung kann Hypsipyle nur aufgrund ihrer Abstammung merita sein – ihre Wahl zur Königin stellt daher den Idealfall einer dynastischen Nachfolge dar, da Hypsipyle zum einen eine Blutsverwandte des vorigen Herrschers ist und zum anderen auch von der Volksversammlung als optima auserkoren wurde124 (wobei unklar ist, welche charakterlichen Qualitäten die Lemnierinnen zu dieser Wahl bewogen haben – von der pietas-Tat der Thoas-Tochter wissen sie schließlich nichts). Der consensus der relevanten gesellschaftlichen Schichten verbindet sich mit concordia innerhalb der Herrscherfamilie – beide Begriffe spielen im politischen Diskurs der frühen Kaiserzeit eine wichtige Rolle. Das Lob des Erzählers für Hypsipyle streicht die Bedeutung intakter Familienbeziehungen für dynastische Kontinuität hervor.125 Es impliziert, dass die Thoas-Tochter aufgrund ihrer überragenden pietas eine gute Königin sein werde und nach der bürgerkriegsähnlichen Katastrophe des innerfamiliären Mordens eine Wiederherstellung der Ordnung (und eine Rückkehr zu traditionellen Geschlechterrollen) in die Wege leiten werde. Es ist auffällig, mit welcher Beharrlichkeit Valerius in der kurzen Versammlungsszene auf die Zer-
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Zu dem in der Lemnos-Episode beschriebenen Idealfall der Machtübergabe – den etwa auch Plinius im Panegyricus als solchen darstellt –, bei dem zwischen dem Wunsch der Volksversammlung, dem Willen des vormaligen Regenten und dem aufgrund der Abstammung des Thronkandidaten gegebenen Herrschaftsanspruch Einklang besteht, siehe Plin. paneg. 7 f.; Zissos 2009, 361 Anm. 39: „Following the eradication of the entire male population, the Lemnian women promptly reconstitute the island’s political life by convening their ‘senate’ and electing Hypsipyle to her father’s throne, a unique depiction of orderly political succession.“; Rebeggiani 2013, 203f.; Rebeggiani 2018, 116; Spielberg 2019, 145– 149. Zum Kontrast zwischen Hypsipyle und Medea unter Berücksichtigung des gemeinsamen Modells – Dido in Aen. 1 und 4 – siehe Heerink 2020, 196: „Unlike Dido, Hypsipyle is truly pia, taking care of both her father and her fatherland, […] which is not unlike the situation in the early Roman principate.“
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rüttung der lemnischen Familienverhältnisse hindeutet:126 Es versammelt sich „die schaurige Schar der Mütter“ (manus horrida matrum), welche innerhalb der Mauern einer „entvölkerten Stadt“ (vacuae … in moenibus urbis) die (leeren) Plätze der Eltern und Söhne (sedere parentum / natorumque locis) einnehmen. In dieser tristen Lage betrauen sie die Tochter (nata) mit dem väterlichen Szepter (sceptrisque paternis) – nur ihr wird nach den traumatischen Vorgängen des Männermordes eine Erneuerung des lemnischen Volkes zugetraut. Das Erscheinen der Argo am Horizont bietet sogleich die Lösung für das Problem, dass eine männerlose Gesellschaft – zu der Lemnos nach dem Männermord geworden ist – nach einer Generation aussterben würde. Die zu einem günstigen Zeitpunkt heransegelnden griechischen Helden könnten also zu diesem kritischen Zeitpunkt Abhilfe schaffen. Trotzdem hätte es in der Volksversammlung, welche die neue Königin beim Anblick des herannahenden Schiffes zusammenruft (concilium vocat), nicht an der vom Wahnsinn ( furor) eingegebenen Lust gefehlt, auch dieses Schiff – wie zuvor die Schiffe der vom thrakischen Krieg zurückkehrenden Männer – mit Wurfgeschossen und Feuer zu attackieren, wenn nicht Vulcan den wilden Zorn der Frauen eingedämmt hätte (2,313–315). Doch so findet der Vorschlag der greisen Polyxo, die fremden Männer ankern zu lassen und aufzunehmen, allgemeine Zustimmung (dicta placent).127 Polyxo nennt unverhohlen den Zweck dieser lemnischen Gastfreundschaft. Die Frauen brauchen die Fremden, um den Fortbestand ihres Volkes zu gewährleisten: ‘portum demus’ ait ‘fatis128 haec, credite, puppis advenit et levior Lemno deus aequore flexit huc Minyas. Venus ipsa volens dat corpora iungi, dum vires utero maternaque sufficit aetas.’ Val. Fl. 2,322–325
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Vgl. Harper Smith 1987, 140 zu 2,306: „Heavy stress is laid on family relationships.“ Zur Figur der Polyxo und zu den Unterschieden in Charakterzeichnung und Funktion bei Apollonios, Valerius und Statius siehe Finkmann 2015. Finkmann weist darauf hin, dass die kurze Rede der heimkehrenden lemnischen Männer in 2,113 und die Rede Polyxos strukturell den Anfangs- und Endpunkt des Zorns der Venus markieren (Finkmann 2015, 8). Um die handschriftliche lacuna zwischen ait und haec zu schließen, schlägt Summers 1894 die Konjektur fatis vor, die jedoch die Mehrzahl der neueren Herausgeber bzw. Kommentatoren (Ehlers, Poortvliet, Liberman, Spaltenstein) nicht akzeptiert. Vgl. aber Harper Smith 1987, 146 zu 2,321: „Summer’s ‘fatis’ is clearly right. It fits the context with its emphasis on destiny (appropriate in view of the speaker) and makes a pair with ‘deus’.“
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Wohl zur Feier der Ankunft der fremden Männer lässt Königin Hypsipyle einen Stier für Venus schlachten. Diese „fromme Gabe“ (pia munera: 2,330) wird dem Tempel der Liebesgöttin, der daran nicht mehr gewöhnt ist (insuetis … templis: 2,330), gespendet; nach langer Unterbrechung erglüht der Altar der Venus durch das Brandopfer (hac prima Veneris calet ara iuvenca: 2,331). So wird der Zorn der furienhaft wütenden Göttin, welchen der Dichter als göttliche Ursache für den Männermord eingeführt hat, durch die Wiederaufnahme ihres Kults endlich besänftigt. An diesem Punkt lässt sich die Brücke zur historischen Welt schlagen. In den Historien stellt Tacitus wiederholt die Vermutung an, die Ursache für den Bürgerkrieg des Vierkaiserjahres sei der Zorn der Götter.129 Von besonderem Interesse ist, dass der Historiker diesen Gedanken auch in Zusammenhang mit der Zerstörung des Kapitols äußert. Aber wie die Lemnierinnen den Kult der Venus wieder aufnehmen und so den göttlichen Zorn besänftigen, so gehört es auch zu Vespasians Prioritäten, den zerstörten Jupiter-Tempel am Kapitol wieder neu aufzubauen – ein eindrückliches Symbol für die Wiederherstellung der Ordnung nach der selbstzerstörerischen Krise des Vierkaiserjahres. Die gelungene Machtübergabe, die Betonung familiärer Harmonie in der Herrscherfamilie und die Überwindung einer Phase schwerster innerer Zerrüttung können die Lemnos-Episode dabei als positives exemplum für das Rom der Flavierzeit erweisen.130 Rückblick: Wie der lemnische Männermord brachten das Ende des julischclaudischen Kaiserhauses und der Bürgerkrieg des Vierkaiserjahres eine Zerrüttung der Ordnung mit sich. Ein Schlüsselereignis sind die Kämpfe in den Straßen Roms zwischen Flaviern und Vitellianern – die Valerius in der Flucht-
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Vgl. Tac. hist. 1,3; 2,38,2; 3,72; 4,53 mit Joseph 2012, 67–70; Bernstein 2014, 158; Bernstein 2016, 400 f.; Landrey 2018, 230 f. Aus dem Befund, dass die internen Adressaten entweder von der pietas-Tat Hypsipyles keine Kenntnis erlangen (Lemnierinnen) oder dieser dem Anschein nach keine Aufmerksamkeit schenken (Jason, dem Hypsipyle bei der Abfahrt einen Mantel mit der Darstellung der Rettung des Thoas schenkt: 2,410–413), lässt sich nicht folgern, dass der Dichter suggeriere, sein zeitgenössisches Publikum sei ebenso wenig in der Lage, aus der Vergangenheit bzw. aus positiven exempla die richtigen Lehren zu ziehen (anders Landrey 2018, 244–249). Im Gegensatz zu Jason und den Lemnierinnen haben die externen Adressaten alle Informationen zur Hand, um die pietas-Tat Hypsipyles richtig zu bewerten und die entsprechenden Lehren zu ziehen. Die pessimistische Einschätzung in Landrey 2018, 248 f. („Like the poet, Hypsipyle can only react to the horror around her. […] Here is a precarious sort of heroism, necessarily private, fundamentally ironic, and contingent on finding an astute readership. Valerius himself is skeptical that she does, or will, find such an audience.“) ist daher zurückzuweisen.
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kapitel 7
schilderung des Thoas punktuell referenziert –, die zur Zerstörung des Kapitols führten. Die neue Herrscherfamilie stand vor der Herausforderung, nach einer Phase des schweren Tumults die Stabilität wiederherzustellen und dynastische Kontinuität sicherzustellen, um das Reich nicht erneut auf einen selbstzerstörerischen Machtkampf zusteuern zu lassen. Das exemplum der Hypsipyle lehrt, dass pietas und harmonischer Zusammenhalt in der Herrscherfamilie eine gelungene Machtübergabe und die Wiederherstellung der Stabilität ermöglichen. Das Auftreten der Flavier als Familiendynastie und die öffentliche Inszenierung innerer Harmonie kann vor diesem Hintergrund als Signal verstanden werden, das einer verunsicherten und durch die Reichskrise entkräfteten Öffentlichkeit Hoffnung und Mut machen konnte.
7.7
Die Zurücklassung des Hercules als Beispiel einer gescheiterten Nachfolge (Val. Fl. 3,598–725)
Am Ende des dritten Buches gelingt es Juno, Hercules von den übrigen Argonauten zu trennen. Sie lässt Hylas von der Nymphe Dryope entführen (3,509– 564), um Hercules mit der vergeblichen Suche nach dem verlorenen Gefährten aufzuhalten (3,565–597). Währenddessen schickt sie günstigen Fahrtwind, der die unschlüssigen Helden zur Weiterfahrt bewegen soll. Der letzte Großabschnitt des Buches (3,598–725) hat die hitzige Mannschaftsdebatte über das weitere Vorgehen zum Inhalt. Ich argumentiere, dass das Wortgefecht zwischen Meleager und Telamon unterstreicht, dass sich unter den Argonauten kein würdiger Nachfolger für Hercules finden lässt. Die Kollateralschäden der Fahrt haben ihre Ursache nicht zuletzt in diesem Mangel – da Hercules ausscheidet, bevor die Argonauten Kolchis erreichen, ist Jason dort auf die Hilfe Medeas angewiesen und geht die schicksalshafte Verbindung mit der kolchischen Königstochter ein. Nach sechs Tagen der ergebnislosen Suche scheint Jason in seiner Trauer um Hercules noch immer nicht in der Lage zu sein, bezüglich des weiteren Vorgehens eine Entscheidung zu fällen (3,604–610). Erst als der Steuermann Tiphys zur Weiterfahrt drängt (3,616f.), enthüllt Jason, er habe vor der Abfahrt eine Prophezeiung vom Apollon-Orakel am delphischen Parnass erhalten, wonach Hercules „auf Befehl Jupiters und des fatum“ (Iovis imperiis fatoque: 3,620) noch vor der Symplegaden-Durchfahrt von der Mannschaft getrennt werden würde: o utinam, Scythicis struerem cum funera terris, vox mihi mentitas tulerit Parnasia sortes, agmine de tanto socium qui maximus armis
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adforet, hunc Iovis imperiis fatoque teneri ante procellosum scopulis errantibus aequor. Val. Fl. 3,617–621
Trotz der Eindeutigkeit dieses Orakelspruchs,131 der die Trennung des Hercules von den Argonauten als Teil der Schicksalssprüche enthüllt, lässt Jason eine Debatte zu: Soll man die Suche nach Hercules fortsetzen oder besser die günstigen Winde zur Abfahrt nutzen (3,623–627)? Die am Beginn der Szene geschilderte unerschütterliche Loyalität ( fides) und Trauer der Mannschaft (3,598– 603) scheinen inzwischen mehrheitlich einer allgemeinen Aufbruchstimmung gewichen zu sein: „Aber schon lange vertraut die Jugend auf ihren Heldeneifer132 und bittet darum, sich auf den Weg zu machen“ (at studiis iamdudum freta iuventus / orat inire vias: 3,628f.). Nun entspinnt sich ein heftiges, längeres Rededuell zwischen Telamon, dem loyalen (pius: 3,637) Freund des Hercules,133 und Meleager, der vom Erzähler als verschlagener Demagoge charakterisiert wird (3,645–649).134 Telamon klagt, dass niemand Hercules ersetzen könne und die Männer die Zurücklassung ihres stärksten Helden noch bitter bereuen würden. Meleager hält dagegen, Hercules sei alles andere als unersetzbar – er selbst könne die Lücke füllen, die durch den Verlust des Hercules entstanden sei. Am Ende entscheiden sich die Argonauten zur Weiterfahrt – auch auf Druck des fatum, wie der Erzähler anmerkt ( fata trahunt: 3,717). Die Entfernung des Hercules wird so als Resultat göttlichen Waltens markiert. Junos Intrige mag Jupiters ursprüngliche Pläne mit Hercules (die freilich an keiner Stelle ausgesprochen werden und daher – im Wortsinn – nicht fatum sind) durchkreuzt haben, doch der Erfolg der Argo ist von Hercules’ Beteiligung an der Fahrt unabhängig.135 Für die Verwirklichung des fatum müssen die Argonauten die Suche abbrechen und ihr Abenteuer ohne Hercules fortsetzen. Trotzdem impliziert die Gestaltung des Rededuells zwischen Telamon und Meleager – aus dem der negativ charakterisierte Meleager als Sieger hervorgeht –, dass sich die Argonauten gegen die von Telamon propagierte pietas 131
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Zur Interpretation dieses problematischen Orakelspruchs, der an unserer Stelle zum ersten Mal erwähnt und in der Forschungsliteratur mitunter für eine ad hoc-Erfindung Jasons gehalten wird, siehe Kap. 8.2. Zur Erklärung der schwierigen Wendung studiis … freta siehe Liberman 1997, 249 zu 3,628. Die enge Freundschaft zwischen Telamon und Hercules ist traditionell und findet auch bei Valerius Berücksichtigung: vgl. 2,383 f.; 2,451; Zissos 2008, 244 zu 1,353–355. In der sonstigen Argonautenüberlieferung hat Meleager an diesem Punkt der Handlung keinen Auftritt (siehe Manuwald 2015, 240; Stover 2020, 44). Siehe Kap. 8.3; zu den generischen Implikationen der Entfernung des Hercules durch Junos Intrige siehe Söllradl (im Erscheinen a).
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entscheiden. Dies lässt die ‚richtige‘ (d.h. vom fatum bestimmte) Entscheidung zur Weiterfahrt moralisch fragwürdig erscheinen.136 Um die Voraussetzungen für die Debatte zwischen Meleager und Telamon zu schaffen,137 nimmt Valerius auf der Ebene der fabula gegenüber Apollonios größere Umstellungen vor. Auch bei Apollonios ist der Raub des Knaben Hylas durch eine Nymphe (AR 1,1207–1239) der Anlass für die Zurücklassung des Herakles. Anders als bei Valerius hat die Göttermutter an dieser Entführung allerdings keinen Anteil. Die für unsere Zwecke wichtigste Änderung betrifft jedoch den Zeitpunkt (und den Ort) der Diskussion innerhalb der Mannschaft: Bei Valerius überlässt Jason der Mannschaft am Strand von Mysien die Entscheidung über Fortsetzung oder Abbruch der Suche nach Hercules. Aus figuraler Perspektive erscheinen beide Vorschläge als realisierbare Alternativen, sodass eine Diskussion über das weitere Vorgehen notwendig wird. Bei Apollonios bemerken die Argonauten hingegen erst auf hoher See, dass sich Herakles, Polyphemos und Hylas nach dem Landgang in Mysien zur Beschaffung eines neuen Ruders für Herakles nicht wieder auf ihren Ruderbänken eingefunden haben. Darauf bricht an Bord der Argo ein Streit aus, da Telamon Jason vorwirft, Herakles aus Eifersucht zurückgelassen zu haben.138 Dann stürzt er sich auf Tiphys, den er für einen Mitschuldigen hält, wird aber von den Boreaden zurückgehalten. Die Mannschaft versöhnt sich erst nach der überraschenden deus ex machina-Erscheinung des Meeresgottes Glaukos, der den zankenden Seefahrern mitteilt, dass Herakles nicht etwa aus Eifersucht zurückgelassen, sondern auf Wunsch des Zeus von den Argonauten getrennt worden sei (AR 1,1273–1357). In der Forschung wird lobend angemerkt, dass Valerius die Erzählung des Apollonios „verbessert“ habe, indem er das wenig plausible Handlungselement, 136
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Vgl. Stover 2020, 45 f.: „The narrative […] creates the impression that they have made a bad decision, raising the possibility that they have acted disloyally. Nor does it help that Valerius’ Argonauts are persuaded to leave Hercules behind by Meleager, a fascinatingly shady character whose involvement brings the concept of fides, and its evil twin, perfidia, to the fore“ (Hervorhebungen im Original). Vgl. Gärtner 1994, 119; Manuwald 2015, 229f.; Lovatt 2014, 218: „Valerius puts much greater emphasis on dissension and debate by changing the timing of events.“ Zu den Unterschieden zwischen Apollonios und Valerius in der Erzählung vom Raub des Hylas bzw. von der Zurücklassung des Hercules siehe Garson 1963 (bes. 260f. [tabellarische Auflistung aller Abweichungen]). Das Motiv, das Telamon Jason bei Apollonios nur unterstellt, überträgt Valerius als tatsächliches Motiv auf Meleager: Der Spross Calydons spricht sich deshalb für die Zurücklassung des stärksten Helden aus, weil er hofft, dessen Platz einnehmen zu können. Vgl. Zissos 2008, 278 zu 1,433–435; Stover 2020, 48: „It is clear that Meleager’s words are inspired largely by his jealousy of Hercules’ exalted position among the Argonauts.“
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dass die Argonauten das Fehlen des Herakles erst auf hoher See bemerken, gestrichen und durch eine „realistischere“ Darstellung ersetzt habe.139 Dieser Einschätzung kann man durchaus zustimmen. Was bisher unterschätzt wurde, ist die Bedeutung des Einfalls, den (in beiden Epen) überraschenden Hinweis auf den Willen des Göttervaters (bzw. auf das fatum) vom Ende der Szene an ihren Anfang zu verlegen. Die beim Vergleich der beiden Szenen häufig getroffene Behauptung, bei Valerius fehle ein so eindeutiger Hinweis auf den Götterwillen wie bei Apollonios, welcher der Mannschaft signalisiere, dass die Zurücklassung des Hercules/Herakles Jupiters/Zeus’ Wille sei, widerspricht dem Textbefund.140 Nachdem der Steuermann Tiphys zur Weiterfahrt aufruft, richtet Jason das Wort an alle Gefährten (sociosque simul sic fatur ad omnes: 3,616) und teilt ihnen unmissverständlich mit, der delphische Apoll habe ihm geweissagt, dass Hercules noch vor der Durchfahrt der Symplegaden von der Mannschaft getrennt werden würde.141 Die Kundmachung dieses Orakels, das an dieser Stelle zum ersten Mal erwähnt wird, sollte jede weitere Diskussion innerhalb der Mannschaft bezüglich des weiteren Vorgehens überflüssig machen, da es enthüllt, dass die Zurücklassung des Hercules vorherbestimmt ist und auf Wunsch Jupiters erfolgt142 – auch wenn der Göttervater die Art und Weise, wie diese Trennung von Juno herbeigeführt wird, mit Missbilligung straft. Dass Jason die Mannschaft im Folgenden dennoch vor die Wahl stellt, entweder abzufahren oder weiterzusuchen, impliziert zweierlei: Zum einen scheinen weder Jason noch die Argonauten das Orakel als verbindliche Wissensquelle und/oder Entscheidungshilfe anzusehen – der vom Parnass eingeholte und der
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Vgl. z. B. Adamietz 1976, 51: „Zunächst hat Valerius die Unwahrscheinlichkeit beseitigt, daß die Abwesenheit der Gefährten erst auf hoher See bemerkt wird.“ Vgl. Gärtner 1994, 119: „Bei Apollonios Rhodios erhalten die Argonauten von Glaukos absolute Gewißheit, daß es richtig war, Herakles zurückzulassen. Valerius verzichtet auf eine solche Bestätigung und läßt Iason von einer Prophezeiung sprechen, die außer ihm anscheinend niemand kennt.“; Stover 2020, 45: „There is nothing in Valerius analogous to the divinely sanctioned closure provided by the Apollonian Glaucus.“ Irritierend ist, dass dieses Orakel zuvor nie erwähnt wird, weshalb manche Interpreten von einer ad hoc-Erfindung Jasons ausgehen. Doch warum sollte Jason an unserer Stelle lügen? Der referierte Orakelspruch enthüllt eine Wahrheit, die dem Argonautenführer unangenehm ist (schließlich trauert er selbst um Hercules), und trägt nichts zur Entscheidungsfindung bei – den Entschluss zur Weiterfahrt treffen die Argonauten erst nach der Debatte zwischen Telamon und Meleager. Wenn man also davon ausginge, dass Jason den Orakelspruch als rhetorischen Kniff erfinden würde, so wäre dieser auf geradezu lächerliche Weise wirkungslos. Vgl. Adamietz 1976, 51: „Trotz dieser Weissagung, die an sich bereits alle Hoffnung nimmt, läßt er die Gefährten über das weitere Vorgehen beraten.“
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gesamten Mannschaft mitgeteilte Götterspruch spielt in der folgenden Debatte keine Rolle. Erst am Ende der hitzigen Debatte zwischen Meleager und Telamon findet sich ein narratorialer Hinweis auf die Einflussnahme der Götter, wenn der Erzähler die Entscheidung zur Abfahrt mit den Worten fata trahunt (3,717) kommentiert. Aus figuraler Sicht scheint der explizit kommunizierte Götterwille also seltsam verhandelbar, interpretierbar und auslegbar zu sein – eine Beobachtung, die uns in Kapitel 8 weiter beschäftigen wird. Zum anderen lässt Jason in einem kritischen Moment Führungsstärke vermissen, wenn er aus persönlichen Motiven – der Erzähler betont Jasons Trauer um Hercules – eine schwierige Entscheidung auf die Mannschaft abwälzt und somit eine letztlich unnötige Debatte provoziert, deren Ergebnis schon vom Götterspruch vorweggenommen ist.143 Daher ist Zwietracht das einzige mögliche Ergebnis des Rededuells, das die innere Zerrissenheit der Mannschaft nach dem Verlust ihres stärksten Helden offenlegt. Während bei Apollonios die Verkündung des Götterwillens durch Glaukos einen Streit innerhalb der Mannschaft beilegt, entsteht der Streit bei Valerius gerade deshalb, weil Jason und die Mannschaft den ausdrücklichen Götterwillen offenbar nicht ohne weiteres zur Kenntnis nehmen wollen. Die Entscheidung, das Abenteuer ohne Hercules fortzusetzen, steht also im Einklang mit dem fatum. Doch die fragwürdigen Argumente, die Meleager vorbringt, um die Argonauten zu dieser Entscheidung zu drängen, und die narratoriale Charakterisierung Meleagers als perfider Demagoge implizieren, dass
143
Vgl. Manuwald 2015, 256: „For Jason in VF it could be argued that the oracle did not give him any choice, but this aspect is not highlighted. What is pointed out is Jason’s grief at abandoning a companion and his disappointment that he cannot persuade the crew of his views [meine Hervorhebung].“ Die Behauptung, Jason sei enttäuscht, die Mannschaft nicht von seiner Ansicht überzeugen zu können, lässt sich am Textbefund nicht festmachen. Jason teilt der Mannschaft nur den Inhalt des Orakelspruches mit und eröffnet dann eine Debatte, an der er sich selbst nicht beteiligt. Richtig Adamietz 1976, 51: „An der Auseinandersetzung der Gefährten, die der Rhetorik Meleagers erliegen, hat er anders als in der griechischen Fassung keinen Anteil.“ Aus Jasons kurzer Rede an die Mannschaft mag hervorgehen, dass er es persönlich bevorzugen würde, weiterzusuchen (so Stover 2020, 45; anders Gärtner 1994, 119) – doch diese Präferenz spricht er nicht explizit aus. Daher kann nicht behauptet werden, Jason versuche, die übrige Mannschaft von seiner Sichtweise zu überzeugen. Bei der Abfahrt aus Mysien trauert im Übrigen nicht nur Jason, sondern die gesamte Mannschaft (3,722–725). Jasons Versagen als Anführer ist auch nicht darin zu suchen, dass er sich einer für ihn unangenehmen Mehrheitsentscheidung füge (so Groß 2003, 211), sondern dass er – in voller Kenntnis des Orakelspruches und wohl, um den unangenehmen Entschluss nicht selbst fällen zu müssen – überhaupt eine Diskussion zulässt und sich dann einer Entscheidung beugen muss, die er selbst hätte treffen müssen.
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die Argonauten das Richtige (d.h. das vom fatum Vorherbestimmte) aus den falschen Gründen tun. Meleagers Rhetorik von der vermeintlich leichten Ersetzbarkeit des Hercules fällt bei den Argonauten auf fruchtbaren Boden.144 Unmittelbar vor dem Redeagon spielt die Mannschaft die Bedeutung ihres wichtigsten Helden herunter: Es sei nur ein Einziger, der von der so großen Gruppe fehle; auch die Übrigen stünden an Herkunft und Muskelkraft in nichts nach (unum tanto afore coetu / nec minus in sese generis dextrasque potentes / esse ferunt: 3,629– 631). Der Erzähler bezeichnet solches Gebaren, das eine Mehrheit (pars maxima) an den Tag lege, als leere Worte und eitle Einbildung (3,631f.). Ein angeschlossenes Gleichnis vergleicht die hitzköpfigen Helden mit Tieren, die erst dann ein hochmütiges Auftreten wagen, wenn sich der Löwe in seine Höhle zurückgezogen hat (3,633–636).145 Den in indirekter Rede referierten Einwand des Telamon, an Bord der Argo befände sich kein zweiter Mann wie Hercules, der den rauen Orten und den wilden Völkern, auf welche die Helden noch treffen würden, die Stirn bieten könnte (3,642–644),146 wischt Meleager mühelos beiseite: Der eine Jupitersohn mag die Argo verlassen haben, doch dafür seien andere Jupitersöhne, nämlich Castor und Pollux, sowie andere Göttersöhne zur Stelle. Auch Meleager selbst sei von nicht zu verachtender Herkunft147 und von gewaltiger Stärke: Diese gelobt er in Jasons Dienste zu stellen und reklamiert die größten Taten, die noch vor den Helden liegen, für sich (3,669–672). Am Ende richtet er sich direkt an die Mannschaft: Es sei unwürdig, die Zeit mit Warten zuzubringen, solange glühender Tatendrang und unbändige Muskelkraft (robur) in den Gliedern sei – wohl nicht zufällig wählt Meleager zur Formulierung dieses Gedankens ein Wort (robur), das sonst häufig genommen wird, um Hercules’ Keule zu bezeichnen. Damit suggeriert er, dass die Helden, deren Taten sich nicht darin erschöpfen sollen, den Kolchern Verderben bereitet und das Meer durchfahren zu haben, Hercules gleichwertig ersetzen könnten.
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Vgl. Stover 2020, 58: „Meleager, like a good demagogue, is here telling the Argonauts exactly what they want to hear.“ Laut Ursula Gärtner verdeutliche dieses Gleichnis die Rivalität zwischen den übrigen Helden und Hercules. Es zeige, „wie wenig der Alcide wirklich zu den Argonauten gehörte“ (Gärtner 1994, 121). Anders Manuwald 2015, 238 zu 3,633: „In any case the simile is about their perception of themselves and does not focus on constant rivalry with Hercules.“ Zur Ausnahmeposition des Hercules, die in diesem Abschnitt der in oratio obliqua referierten Rede deutlich wird, siehe Lovatt 2014, 218 f. Ein Argument, das Telamon in seiner zweiten Rede ironisch widerlegt, indem er den Namen Meleagers mit dem Patronymikon Porthaonides (3,705) umschreibt und den prahlerischen Helden somit als Nachfahren des unbedeutenden und völlig unbekannten Porthaon ausweist.
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Der Redner, der solche selbstbewussten Worte einem zustimmenden (vgl. faventes: 3,645) Publikum entgegenschmettert, wird vom Erzähler als überhebliche und charakterlich verkommene Figur gezeichnet: rursum instimulat ducitque faventes magnanimus Calydone satus, potioribus ille deteriora fovens semperque inversa tueri durus et haud ullis umquam superabilis aequis rectorumve memor. Val. Fl. 3,645–649
Es wirft ein fragwürdiges Licht auf die Argonauten, dass sie sich von der Rhetorik eines solchen Mannes mitreißen lassen. In der Eröffnungsszene in Arg. 4 beklagt Jupiter die pflichtvergessene Undankbarkeit der Mannschaft (at comite immemores Minyae facilesque relicto / alta tenent: 4,6 f.). Nach dem Tod des Tiphys und des Idmon in Arg. 5 klagt Jason, er sei von den „verbrecherischen Furien“ angestiftet worden, Hercules zurückzulassen (ipse relinquo / sontibus impulsus Furiis: 5,41f.). In seiner Traumerscheinung in Arg. 4 teilt Hylas dem trauernden Hercules mit, dass Meleager, der als Aufwiegler (hortator)148 in seiner Verblendung und mit ruchloser Stimme zur Abfahrt gedrängt habe, für die am Strand von Mysien demonstrierte Treulosigkeit zusammen mit seinem Volk und seiner Familie büßen werde:149 iam socii laetis rapuerunt vincula ventis, hortator postquam furiis et voce nefanda impulit Oenides. verum cum gente domoque ista luet saevaeque aderunt tua numina matri. Val. Fl. 4,31–34
Doch die Schar der Helden ist von den Worten des Meleager begeistert. Calais ruft schon danach, die Haltetaue zu lösen. Da erhebt der treue (pius) Telamon ein zweites Mal die Stimme des Protests gegen den Wahnsinn ( furias: 3,692),
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Das Wort hortator ist im Epos selten: Laut Stover verbinde es Meleager mit dem Odysseus der Aeneis und der Metamorphosen (Stover 2020, 51–55 zu Aen. 6,529 und met. 13,45). Man könnte auch – was Stovers im gleichen Aufsatz vorgetragene These stützen würde – an Antonius Primus denken, den Tacitus in hist. 3,2,1 als acerrimus belli concitator (vgl. 4,32: hortator) bezeichnet. Den Zusammenhang zwischen dem Tod Meleagers und seiner Aufforderung, Hercules zurückzulassen, scheint Valerius neu geschaffen zu haben.
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der sich vor seinen Augen abspielt, und tadelt die Mannschaft für den Irrglauben, dem Hercules ebenbürtig zu sein (3,703–706). Das Ende seiner Rede bildet ein direkt an Jason gerichteter Schwur bei der Lanze, dass die Mannschaft oft Angst leiden und in Gefahren geraten werde, und sich dann nach den Waffen des verschmähten Mannes sehnen werde. Übermütige Worte würden den Helden in diesen Momenten nichts nützen: saepe metu, saepe in tenui discrimine rerum Herculeas iam serus opes spretique vocabis arma viri nec nos tumida haec tum dicta iuvabunt. Val. Fl. 3,712–714
Bemerkenswert ist die Reaktion der Argonauten auf diese Rede: Befanden sie sich zuvor noch in einer von Selbstüberschätzung und Überheblichkeit gekennzeichneten Aufbruchstimmung, erfüllt nun Trauer ihre Brust. Als sie an den Ruderbänken Platz nehmen und den leeren Platz ihres zurückgelassenen Gefährten sehen – da, wo einst sein Löwenfell war – weinen, trauern und klagen die Argonauten. Trotzdem fahren sie ab – fata trahunt. Die Aufforderung Meleagers an Jason (und die Mannschaft), nicht länger an Land zu verweilen und abzufahren, spiegelt die Aufforderung des Hercules an Jason in der Lemnos-Episode, das angenehme Leben bei den Lemnierinnen zurückzulassen und die Mission wieder aufzunehmen.150 Hercules’ Scheltrede ist mit metapoetischer Bedeutung aufgeladen: Er ermuntert Jason, eine elegische Welt zurückzulassen, worauf das Schiff wieder mit „Waffen und Männern“ (2,392) – ein programmatischer Verweis auf Aen. 1,1 – ausgerüstet wird. Der Versbeginn wird am oben zitierten Schluss der zweiten Telamon-Rede in variierter Form wiederholt: Am Ende von Arg. 3 werden die „Waffen des Mannes“ (arma viri) zurückgelassen, welcher bis dahin den epischen Charakter der Fahrt sichergestellt hat. Sein Verlust schafft Raum für die elegischen und tragischen Elemente, die in der zweiten Werkhälfte zunehmend bedeutsam werden. Der Raum für gattungsfremde Elemente eröffnet sich deshalb, weil der epische Held Hercules trotz der verfehlten Selbstüberschätzung der Argonauten und der selbstbewussten Ansage Meleagers, er selbst könne die großen Fußstapfen des zurückgelassenen Gefährten ausfüllen, keineswegs adäquat ersetzt werden kann. Wie ich im Folgenden zeigen werde, sind nämlich weder der 150
Vgl. Stover 2020, 50: „Meleager’s impassioned plea against idleness and his fervent desire to move on ironically recalls Hercules’ own criticism of inactivity during his call to action on Lemnos in Book 2.“
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zupackende Held Meleager noch der ductor Jason als würdige Nachfolger des Hercules anzusehen. Zunächst zu Meleager, der im Argonautenkatalog auf beeindruckende Weise eingeführt wird. Der Erzähler erklärt, die stolze Brust komme an Größe den gewaltigen Armen des Hercules gleich:151 at tibi collectas solvit iam fibula vestes ostenditque umeros fortes spatiumque superbi pectoris Herculeis aequum, Meleagre, lacertis. Val. Fl. 1,433–435
Auch die restlichen Auftritte Meleagers in den flavischen Argonautica erweisen ihn als tatkräftigen, tauglichen Helden: Er ist einer jener Kämpfer, die bereit sind, gegen Amycus zu kämpfen (4,223). Im kolchischen Bürgerkrieg beteiligt er sich am Kampf um die Leiche des Canthus, die jedoch am Ende von Telamon verteidigt wird (6,342–346). Ein letztes Mal wird er bei Medeas Mauerschau erwähnt, wo es heißt, die kolchische Prinzessin fürchte nur um ihren Jason und sei unbeeindruckt von den Kampfesleistungen des Meleager, des Talaus und des Acastus (6,718–720). Meleager ist also ohne Zweifel ein schlagkräftiger Held – aber er ist ein Held nach menschlichen Maßstäben, kein übermenschlicher, hyper-epischer Held vom Format eines Hercules, der es vermag, das Seemonster zu erschlagen (2,497–549) und die Ketten des an den Kaukasus geschmiedeten Titanen Prometheus zu zerreißen (5,154–176). Würde er nach Kolchis gelangen, könnte Hercules es auch mit dem Drachen aufnehmen, dem Wächter des Goldenen Vlieses im Mars-Hain. Derartige epische Großtaten sind für den menschlichen Helden Meleager jedoch außer Reichweite, weshalb Jason in Kolchis auf die Hilfe Medeas zurückgreifen muss152 und damit jene Handlungskette in Gang setzt, die in der persönlichen Tragödie des Kindsmords gipfelt.
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Zur ambivalenten Natur dieser Formulierung (die auch im Sinne von „Meleager kommt Hercules an Kräften gleich“ verstanden werden könnte) siehe Zissos 2008, 279 zu 1,433– 435. Den Zusammenhang zwischen der Zurücklassung des Hercules und Jasons Abhängigkeit von Medea bringt Helen Lovatt auf den Punkt: „The abandonment of Hercules leads inevitably to the tragedy of Medea“ (Lovatt 2014, 221). Vgl. Stover 2020, 54: „[W]hen the Argonauts abandon Hercules, they set in motion a chain of events that will require Jason, who now lacks recourse to Hercules’ extraordinary powers, to employ the assistance of Medea in order to carry out the labors set for him by Aeetes in Colchis.“
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Die innere Zerrissenheit der Mannschaft, die sich an der wiederholt schwankenden Mehrheitsstimmung153 und den scharfen Worten, die zwischen Meleager und Telamon gewechselt werden, ablesen lässt, hat ihre Ursache jedoch nicht alleine darin, dass die Unternehmung ihres stärksten Teilnehmers verlustig zu gehen droht. Mit Hercules verlieren die Argonauten nämlich nicht zuletzt eine – wenn nicht sogar die – entscheidende Leitfigur. An der Stelle, an der vordergründig über die Zurücklassung des Hercules debattiert wird, wird daher auch der Status Jasons als Anführer der Argofahrt problematisiert. Auf die bei Diodor greifbare Variante, in der nicht Jason, sondern Herakles den Zug anführt,154 ist bei Valerius in der Hesione-Episode angespielt, wo Hercules einmal als ductor (2,468) bezeichnet wird – eine Bezeichnung, die im Text ansonsten streng für Jason reserviert ist. Abgesehen von diesem Hinweis auf eine sonst nicht berücksichtigte Mythenvariante steht Jasons Status als Anführer der Mission – trotz Hercules’ Sonderstellung – bis zum Ende von Arg. 3 außer Frage.155 Um diesen Eindruck zu erwecken, streicht Valerius scheinbar die bei Apollonios vor der Abfahrt geschilderte Abstimmungsszene (AR 1,329– 362), die Jasons Autorität in den hellenistischen Argonautica von vornherein gehörig untergräbt.156 Daher ist es auffällig, dass Meleager nach dem Ausscheiden des Hercules offenbar die Notwendigkeit verspürt, Jason seine Treue zu schwören – als ob dessen Position als Anführer der Fahrt nicht ohnehin feststünde!157 Zunächst versichert er, die Mannschaft habe aus Respekt vor Jason – nicht aus Respekt vor dem ihnen entzogenen Hercules (Herculis … adempti: 3,649) – ihre Klagen zurückgehalten und abgewartet, bis der Anführer Sprecherlaubnis erteilt habe.158 Die im Folgenden vorgebrachte Behauptung, Hercules sei leicht zu ersetzen, unterstreicht Meleager mit einem Treueschwur, an dessen Ende er
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Stover 2020, 58 beobachtet, dass das Verhalten der Mannschaft an unserer Stelle den rhetorischen Topos des mutabile vulgus evoziert, des wankelmütigen Volkes, das vom kundigen Redner leicht in die eine oder die andere Richtung gelenkt werden kann. Zu Herakles als Anführer der Argonauten – die Variante, der Dionysios Skytobrachion und Diodor folgen – siehe Galli 2014, 150; Muntz 2018, 337 (und passim). Vgl. Lovatt 2014, 219: „There seems to be no question about Jason’s leadership of the expedition in Valerius; however, Hercules is still set apart from the other Argonauts.“ Zu Apollonios’ Abstimmungsszene und ihrer – nur scheinbaren – Auslassung bei Valerius siehe Zissos 1999, 295 f.; Manuwald 2015, 252 zu 3,701. Tim Stover argumentiert, der Treueschwur Meleagers evoziere die Praxis römischer Legionäre, jedem neuen Kommandanten die Treue zu schwören (vgl. Stover 2020, 57). Vgl. Manuwald 2015, 243 zu 3,649–651: „The intervention occurs ‘late’ because, out of respect, the men have kept silent until Jason granted them the opportunity for discussion.“
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für sich selbst einfordert, mit der Erledigung der größten Heldentaten betraut zu werden: en egomet quocumque vocas sequar, agmina ferro plura metam, tibi dicta manus, tibi quicquid in ipso sanguine erit iamque hinc operum quae maxima posco. Val. Fl. 3,670–672
Dieser Treueschwur verbindet Meleager punktuell mit Männern wie Antonius Primus oder Aulus Caecina Alienus, die in den Jahren 68–69 n. Chr. rasch bereit waren, bei schwindendem Kriegsglück ihrer Herren die Seiten zu wechseln.159 Bezeichnenderweise enthüllt Meleager unfreiwillig, dass sein Treueeid nur für die Dauer des aktuellen Abenteuers gilt: Er fordert die Helden auf, schon jetzt an die Heldentaten zu denken, die sie unternehmen können, wenn das Argonauten-Abenteuer abgeschlossen ist. Meleager folgt Jason, solange es seiner Ruhmsteigerung dient – darüber hinaus empfindet er keine Verpflichtung gegenüber diesem ductor. Doch die Loyalitätsbekundung Meleagers erweist ihn nicht nur als opportunen und wenig vertrauenswürdigen Haudegen – wobei punktuelle Anspielungen auf zeithistorische Persönlichkeiten nicht auszuschließen sind –, sondern erscheint auf den ersten Blick auch ein wenig überflüssig, da ja nicht Jasons Status als Anführer, sondern die Entscheidung über Fortsetzung oder Abbruch der Suche nach Hercules zur Debatte steht. Erst die zweite Rede Telamons enthüllt, dass eine Diskussion über Hercules zwangsläufig auch die Machtverhältnisse innerhalb der Mannschaft berührt. Denn die Abstimmung, bei der die Mannschaft einstimmig Hercules zum Anführer wählt, der jedoch freiwillig auf diese Position verzichtet, findet offenbar auch in der Fassung des Valerius statt. Anders als Apollonios erzählt Valerius dieses Ereignis jedoch nicht vor
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Vgl. oben Anm. 148; siehe auch Stover 2020, 43: „His [Meleager’s] vow of allegiance to Jason as soon as Hercules is gone is evocative of the insincerity and swift mutability of fides during the recent civil war.“ In der zitierten, methodisch exzellent begründeten Studie weist Tim Stover auf Parallelen zwischen Valerius’ Meleager und dem Antonius Primus der taciteischen Historien hin. Wie Stover ausführt, muss die Annahme einer solchen punktuellen Bezugnahme in diesem Fall Spekulation bleiben, da sowohl Meleager als auch (Tacitus’) Antonius Primus zumindest teilweise nach dem Vorbild des vergilischen Drances gezeichnet seien und etwaige Parallelen daher bloß auf der gemeinsamen Quelle basieren könnten. Außerdem ist nicht ausgeschlossen, dass Tacitus in der Zeichnung der Antonius Primus-Figur auch von Valerius’ Meleager beeinflusst gewesen sein könnte. Parallelen zwischen diesen literarischen Figuren sind daher nicht ohne Vorbehalte als Bezugnahmen auf die historische Welt zu klassifizieren.
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der Abfahrt der Argo, sondern er lässt es vom figuralen Erzähler Telamon in interner Analepse nachtragen:160 non hi tum flatus, non ista superbia dictis, litore cum patrio iam vela petentibus Austris cunctus ad Alciden versus favor: ipse iuvaret, ipse ducis curas meritosque subiret honores. Val. Fl. 3,699–702
Während Hercules auch bei Valerius darauf verzichtet, als nomineller Anführer der Argofahrt aufzutreten, scheinen die Argonauten bei der Abfahrt dennoch der Meinung zu sein, dass die Mission nur unter Beteiligung des Hercules erfüllt werden kann. Das Ausscheiden dieses Helden erhöht daher auch den Druck auf Jason. Doch wie Meleager kann auch Jason nur ein unzureichender Ersatz für Hercules sein: An Schlüsselpunkten der Handlung werden die Taten Jasons mit jenen des Hercules verglichen,161 wobei es dem Erzähler jedoch weniger auf die Gemeinsamkeiten als auf die Unterschiede zwischen den beiden Männern anzukommen scheint: Während der hyper-epische Held Hercules die Aufgaben des Eurystheus mit schierer Muskelkraft bewältigen kann, beim Kampf gegen die Hydra auf Ratschlag der Pallas die Stümpfe der nachwachsenden Köpfe ausbrennt und sich nach der Erlegung des nemeischen Löwen in dessen Fell als verdiente Trophäe hüllt, ist Jason bei den von Aeetes gestellten Aufgaben auf Medea angewiesen, mit deren Zaubermitteln er die Erdgeborenen besiegen, die feuerschnaubenden Stiere anschirren und die Schlange, den Wächter des Vlieses, überwinden kann. Wenn er sich nach dem Kampf im Mars-Hain das erbeutete Vlies um die Schultern legt, handelt es sich dabei um eine Trophäe, die zum großen Teil eine Frau für den Helden errungen hat. Hercules kann weder in seiner Funktion als stärkster Held der Argo noch in seiner Funktion als de facto Anführer der Mission durch Meleager oder Jason ersetzt werden. Der Tatendrang der jungen Helden mag sie diesbezügliche Wünsche hegen lassen, worin sie von der geschliffenen Rhetorik Meleagers auch bestärkt werden – trotzdem ist faktisch niemand an Bord der Argo, dessen Kraft dem herkulischen robur gleichkäme. Das Fehlen eines geeigneten Nach-
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Helen Lovatt spricht davon, dass die Abstimmungsszene bei Valerius gewissermaßen offcamera stattfinde: „Telamon […] reveals the elision of the election scene to have been a narrative suppression rather than a Valerian omission“ (Lovatt 2014, 220). 5,486–488 (Audienz bei Aeetes); 7,622–628 (Kampf gegen die Erdgeborenen); 8,121–126 (Erbeutung des Vlieses).
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folgers für den übermenschlichen Heros lässt Telamon in seiner zweiten Rede schlimme Konsequenzen befürchten: ‘quis terris pro Iuppiter’ inquit ‘Achaeis iste dies! saevi capient quae gaudia Colchi!’ Val. Fl. 3,697 f.
Nach der Entfernung des Hercules durch Juno gebietet ihr Jupiter im Zorn, die Furien und Venus in Bewegung zu setzen (4,13), wodurch sich die Bestimmungen des Weltenplans (Entführung Medeas, Raub des Vlieses) auf besondere Weise erfüllen, nämlich mit Medeas Hilfe. Als Vergeltung folgt laut den Schicksalssprüchen die Entführung Helenas, dann der Trojanische Krieg, der Untergang Asiens und der Fall Griechenlands. Telamon meint, die Zurücklassung des Hercules sei für die Kolcher ein Grund zur Freude und für die Griechen ein Grund zur Trauer – da er den Weltenplan nicht kennt, kann er nicht ahnen, dass die am Strand von Mysien gefällte (und vom fatum bedingte) Entscheidung für beide Völker – nicht nur für die Griechen – bittere Konsequenzen haben wird. Rückblick: Der erfolglose Versuch der Argonauten, einen adäquaten Ersatz für den hyper-epischen Helden Hercules zu finden, erlaubt es dem Dichter, über das Problem einer gescheiterten Nachfolge zu reflektieren. Weder der prahlerische Meleager, der für sich in Anspruch nimmt, den freigewordenen Platz des wichtigsten Helden auf der Argo einnehmen zu können, noch Jason, der zunehmend als untauglicher Anführer einer epischen Mission erscheint, kann die Lücke füllen, die durch Hercules’ Ausscheiden entsteht. Wie ein von Jason referiertes Orakel bestätigt, ist das Ausscheiden des Hercules vor den Symplegaden vom fatum festgelegt. Es ist die Ruhmlosigkeit seines Ausscheidens, die Jupiter in Zorn versetzt, sodass er Juno das Hinzuziehen der Furien und der Venus gestattet, wodurch sich die im Kindsmord gipfelnde Medea-Handlung entspinnt. Die Unmöglichkeit, auf menschlicher Ebene einen geeigneten Nachfolger für Hercules zu finden, erscheint aus dieser Perspektive nur als Vorbote für größere, von den Göttern ins Werk gesetzte Katastrophen.
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Der tote Steuermann als verlorener Anführer (Val. Fl. 5,1–72)
Nach der erfolgreichen Durchfahrt der Symplegaden (4,637–710) gelangen die Argonauten zu den Mariandynern, wo die Mannschaft am Beginn des fünften Buches von einer Seuche heimgesucht wird, welcher der Prophet Idmon
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und der Steuermann Tiphys erliegen.162 Beide Todesfälle werden vom Propheten Phineus in verhüllter Orakelsprache angekündigt (4,591–598). Der Tod des Steuermanns am Übergang von der ersten zur zweiten Werkhälfte – sofern das unvollständig gebliebene Epos, wie die communis opinio will, tatsächlich acht Bücher umfassen hätte sollen – ist ein kritischer Handlungspunkt. Die Mannschaft zweifelt, ob die Fahrt nach diesem Verlust überhaupt fortgesetzt werden könne (5,1–62). Wie nach der Zurücklassung des Hercules befinden sich die Argonauten auch am Beginn von Arg. 5 in einer Stimmung von tiefer Unsicherheit über den weiteren Verlauf ihrer Mission. Doch dieses Mal kann der verlorene Gefährte ersetzt werden: Die Argo selbst (bzw. das in das Schiff eingelegte Stück der Eiche von Dodona) bestimmt Erginus zu Tiphys’ Nachfolger und betraut diesen mit der Steuerung des Schiffs (5,63–72). In meiner Interpretation der Eröffnungsszene des fünften Buches werde ich zeigen, dass der Dichter den Tod des Steuermanns als Verlust einer Führungsfigur gestaltet. Dieser könnte zur schlimmen Katastrophe führen, wenn nicht ein geeigneter Nachfolger bereitstünde. Die stets präsente Metapher vom Staatsschiff und die an den politischen Diskurs gemahnende Bildersprache erlauben es, die Stelle paradigmatisch auf die historische Welt zu beziehen: Wie die Mission des ersten Schiffs nur erfolgreich sein kann, wenn nach dem Tod des ersten Steuermanns ein geeigneter Nachfolger zur Stelle ist, hängt auch der Erfolg der gens Flavia davon ab, ob die Etablierung der Dynastie gelingt und nach Vespasians Tod sein Sohn Titus das Ruder des Staatsschiffs übernehmen und mit ebenso sicherer Hand lenken kann wie sein Vater.163 Anders als die Zurücklassung des Hercules, die ich als Modell einer gescheiterten Nachfolge interpretiert habe, ist die Übernahme des Ruders durch Erginus als positives exemplum für die junge flavische Dynastie zu bewerten. Den plötzlichen, für die Mannschaft unerwarteten Tod des Tiphys bei den Mariandynern gestaltet der Erzähler als Ereignis, das die Argonauten nicht nur trauern lässt, sondern auch die Fortsetzung der Mission in Gefahr bringt164 –
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Eine rein literarisch orientierte Interpretation der Stelle im Spiegel ihrer Prätexte (Apollonios und Aeneis) bietet van der Schuur 2014. In eine ähnliche Richtung geht Andrew Zissos (2004b, 330), allerdings ohne die politische Relevanz herauszustellen: „By necessitating the selection of a successor and hence a new generation of navigators, Tiphys’ death signals the completion of the inaugural function of the expedition. The exceptional nature of the Argo’s first helmsman raises a question as to whether his expertise can be reduplicated: his death generates something like a technological ‘crisis of succession’.“ Vgl. Garson 1965, 119: „When they are finally parted from him [Tiphys], their cause seems utterly lost […] and the feelings of all are expressed in Jason’s speech with its pathetic plea to Tiphys’ ghost to watch over Argo.“
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an keiner anderen Stelle des erhaltenen Textes wird die Bedeutung des Steuermanns so deutlich wie hier.165 Zum Zeitpunkt des Todes des Tiphys betrachten die Figuren (und der Erzähler) die Fahrt als zur Hälfte abgeschlossen: Nachdem der Steuermann von einer „heftigen Seuche“ (violenta lues: 5,15) dahingerafft worden ist,166 richtet Jason ein Bittgebet an Apoll, auf dass der Gott Erbarmen mit der Mannschaft haben möge, deren „Mühe“ (laboris) sich am „entscheidenden Wendepunkt“ befinde (qui cardine summo / vertitur) und „ganz“ (omnis) vom Geschick „eines Einzigen“, namentlich des Steuermanns Tiphys, abhänge: ‘arquipotens adverte, precor, nunc denique Apollo! hoc, pater, hoc nobis refove caput, ulla laboris si nostri te cura movet, qui cardine summo vertitur atque omnis manibus nunc pendet ab unis!’ Val. Fl. 5,17–20
Dass mit der Durchfahrt der Symplegaden die Werkmitte erreicht ist, markiert nicht nur der vom Argonautenführer benutzte Ausdruck cardo summus, sondern auch die metaliterarisch ebenso bedeutsame narratoriale Formulierung medio … ponto in 5,34.167 An dieser exponierten Stelle reflektiert der Erzähler über die Möglichkeit eines vorzeitigen Abbruchs der Fahrt (und damit seines Gedichts)168 auf halber Strecke. Als die Männer den Leichnam des Steu-
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Zur Bedeutung des Tiphys für die Argo und die Argonautica vgl. Lovatt 2014, 221: „[T]he helmsman is an important source of narrative control and momentum, an alternative centre of power to Jason (and/or Hercules).“ Bei Apollonios stirbt Tiphys nicht an einer Seuche, sondern an den Folgen eines Eberangriffs: AR 2,815–834 (zu den Unterschieden zwischen den beiden Fassungen siehe Garson 1965, 119; Otte 1992, 96 Anm. 1; Groß 2003, 140). Zur Markierung der Werkmitte am Beginn von Arg. 5 siehe Zissos 2004b, 328–331 (hier 330): „cardine summo draws attention to the new beginning which epics sometimes make at the end of their first half, while at the same time drawing attention to the possibility of premature closure.“ Vgl. Hershkowitz 1998, 8: „The death of Tiphys puts the Argonautic mission at risk in poetic and metapoetic terms: if the heroes cannot recover from the loss of their helmsman, they will be lost, unable to complete their journey, and the epic which records their adventures will be destroyed, only mid-way through its poetic journey, along with them.“ Zum Schiff als Metapher für das Gedicht (und zur Seereise als Metapher für den dichterischen Prozess) siehe Krasne 2014, 34 (mit weiterer Literatur). Zur programmatischen Bedeutung des Todes des Idmon, der in seiner Prophezeiung in Arg. 1 den epischen Charakter der Unternehmung hervorstreicht, siehe Krasne 2011, 136: „Idmon’s death, occupying the first three lines of Book 5, marks the end of the first half and therefore closes the book on his
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ermanns am Scheiterhaufen verbrennen, scheinen sie die Argo selbst in Brand zu stecken:169 ut vero amplexus fessi rupere supremos et rapidae sonuere faces, tunc ipsa cremari visa ratis medioque viros deponere ponto. Val. Fl. 5,32–34
Im Glauben, von allen Göttern verlassen zu sein, stößt Jason in tiefer Verzweiflung die Frage aus, ob die Helden der Argo ohne ihren Steuermann noch weiterhin die Meere durchpflügen werden (te sine, Thespiade, nos ulla movebimus ultra / aequora?: 5,44f.) – oder, so der unausgesprochene Nachsatz, ob die Mission nach dem Tod des Steuermanns im Land der Mariandyner bei König Lycus zum Erliegen kommen wird. Doch inwiefern kann die Stelle zeithistorisch perspektiviert werden? Der Tod des Tiphys gibt dem Dichter Gelegenheit, über den Verlust einer Führungsfigur zu reflektieren. Die Annahme einer paradigmatischen Bezugnahme auf Zeithistorisches an unserer Stelle lässt sich mit dem Hinweis plausibel machen, dass die Metapher vom Steuermann als Staatenlenker in der antiken Literatur geradezu konventionellen Status hat.170 Dazu kommt, dass der Erzähler den Verlust des Tiphys anhand eines bemerkenswerten Gleichnisses veranschaulicht, in dem er die um den toten Steuermann trauernde Mannschaft mit Kindern vergleicht, die um ihren im Sterben liegenden Vater trauern:171 qualem praecipiti gravidum iam sorte parentem natorum flet parva manus trepidique precantur duret ut invalidis et adhuc genitoris egenis,
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own optimistic prophecy while simultaneously opening the door on Mopsus’s prophecy of despair.“ Zur symbolischen ‚Zerstörung‘ der Argo durch das Verbrennen des Leichnams des Steuermanns siehe Krasne 2014, 35 Anm. 10: „The Argo herself appears to be the funeral pyre, in fact, perishing together with her dead crewmen“ (Hervorhebung im Original). Vgl. Lovatt 2014, 224: „Burning his [Tiphys’] body is like burning the ship, burning the whole expedition.“ Zur metonymischen Nennung des Tiphys für das Schiff in 3,483 siehe Lovatt 2014, 223. Zur antiken Metapher vom Steuermann bzw. Wagenlenker als Staatenlenker siehe Rebeggiani 2013, 190–193 (mit Anm. 20); 199 (mit Anm. 45). Vgl. Landrey 2012, 100f.: „As helmsman, Tiphys occupies an important position of leadership. His post is easily allegorizable: the ‘ship of state’ metaphor has been operative within Mediterranean poetry since Alcaeus and Plato at least.“ Zu diesem Gleichnis siehe Gärtner 1994, 239 f.
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haud aliter socii supremo in tempore Tiphyn ante alios superesse volunt. Val. Fl. 5,22–26
Das Bild vom Herrscher als Vater, der seine väterlich schützende Hand über das ihm anvertraute Volk hält, ist im politischen Denken der Römer stets präsent172 und in frühkaiserzeitlicher Literatur literarisches Klischee.173 Der Vergleich des Steuermanns Tiphys mit einem „Vater“ (genitor) stützt die Annahme einer Verknüpfung zwischen Steuermann und Staatenlenker, zumal Valerius auch für Vespasian (1,16) und Jupiter (1,531) diese Bezeichnung wählt.174 Mit dem Weltenlenker Jupiter wurde Tiphys bereits nach dem Seesturm verglichen: Die Männer auf den Ruderbänken leisten dem Wort des Steuermanns in gleicher Weise Folge, wie sich die Elementarkräfte dem Befehl Jupiters fügen (1,689–692).175 Eine derart imposante Bildsprache kommt in den Argonautica zur Charakterisierung keiner anderen menschlichen Figur zum Einsatz, auch nicht bei Jason, dem eigentlichen ductor der Argo (der – anders als Tiphys – auch nie als symbolischer ‚Vater‘ der Argo bezeichnet wird).176 In viel größerem Ausmaß als in der restlichen Erzählung impliziert der Dichter am Beginn des fünften Buches und damit am Anfang der zweiten Werkhälfte, dass der Erfolg der Argofahrt von der Tauglichkeit des Steuermanns abhängig sei. Von dementsprechend großer Bedeutung ist die Wahl eines Nachfolgers, wobei der Wunsch und das Urteil des schmerzlich vermissten Vorgängers schwer zu wiegen scheinen: „Wem vertraust du die Minyer und dein geliebtes Schiff an“, fragt Jason, „wem die [Navigation nach den] Sterne[n]?“ (cui Minyas caramque ratem, cui sidera tradis?: 5,47). Dem nachfolgenden „Lenker“ (rector) des Schiffs wünscht der Argonautenführer, dass diesem der Totenschatten des Tiphys als unterstützende, ratgebende Instanz beistehen werde
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Vgl. Bernstein 2008, 4: „Social and political relationships may also be expressed in the language of kinship, such as the symbolic fatherhood of the Roman people claimed by the emperor (as ‘Father of the Fatherland,’ Pater Patriae).“ Zum Herrscher als ‚Vater‘ des Reichs in der Literatur der frühen Kaiserzeit siehe Bernstein 2008, 16–25 (mit weiterer Literatur in den Anmerkungen). Zu den Parallelen zwischen Jupiter und Vespasian in den Argonautica siehe Kap. 6.3. Zu diesem Gleichnis siehe Shelton 1974, 21; Gärtner 1994, 246f.; Zissos 2004b, 329; Lovatt 2014, 221; Kap. 5.4. Vgl. Bernstein 2014, 166: „Nor is he [Jason] the type of leader compared to a benevolent father: in contrast to pater Aeneas, Jason is typically called iuvenis, and it is the helmsman Tiphys, not the captain Jason, who is mourned as the symbolic ‘father’ of the ship when he dies.“ Zu Aeneas als pater der Aeneaden siehe Lovatt 2014, 224.
dynastische nachfolge und verlorene anführer
291
(5,52–54).177 Der Rezipient könnte dabei an das gewaltige Schlussbild des Proömiums denken. Dort kündet der Dichter davon, wie der als genitor apostrophierte Vespasian nach seiner Verstirnung am Nachthimmel als Leitstern für die Schiffe aus aller Welt fungieren werde (1,16–21). So wird der verstorbene Anführer nach seinem Tod zur orientierungsgebenden und richtungsweisenden Instanz. Trauernd und unsicher, wem die Lenkung der Argo anvertraut werden soll, kommen die Argonauten zur Versammlung zusammen: Ancaeus und Nauplius bieten sich als neue Steuermänner an, doch das in das Schiff eingezimmerte Eichenstück aus Dodona wählt den Nachfolger für den verwaisten Posten des Tiphys selbst aus: „Die Eiche selbst – eine Kundgabe des Schicksals – ernennt Erginus“ (Erginum fato vocat ipsa monenti: 5,65). Der angeschlossene Vergleich des neuen Steuermanns Erginus mit einem Stier – ein Vergleich, den der Rezipient eher bei einem (militärischen) Anführer erwarten würde178 – rundet die bedeutsame Nachfolgeszene ab, bevor die Argo zum ersten Mal unter der Führung ihres neuen Steuermanns ins Meer sticht. In der reichen Argonautentradition vor Valerius überliefert nur der Mythograph Herodor, dass dem toten Tiphys Erginus als neuer Steuermann nachgerückt sei.179 In der weitaus geläufigeren Variante, der etwa Apollonios folgt, wird nicht Erginus, sondern Ancaeus der neue Steuermann der Argo.180 Auf diese Umstellung aufmerksam geworden könnte sich der Rezipient die erste Erwähnung des Erginus im Katalog der Argonauten in Arg. 1 ins Gedächtnis rufen, wo gesagt wird, dass Erginus, ein Sohn des Neptun,181 mit den Tücken des Meeres und den Sternen am Nachthimmel bestens vertraut sei. Selbst Tiphys
177 178 179 180
181
Zu Jasons Totenrede für Tiphys siehe Barich 2014, 41f. Vgl. Lovatt 2014, 224: „[T]he bull simile that describes Erginus in Valerius is more usually used of the leader of an expedition rather than its helmsman.“ Vgl. Herodor FGrHist 31 F 55 = Σ AR 2,895; siehe dazu Zissos 2008, 271 zu 1,413–419. Vgl. Otte 1992, 97 Anm. 2: „Control of the helm following the death of Tiphys is traditionally given to Ancaeus.“ Interessanterweise erscheint in Giovanni Battista Pios ArgonauticaSupplement von 1519 (gegen die Variation des Valerius und wie bei Apollonios) Ancaeus, nicht Erginus, als neuer Steuermann der Argo (siehe Buckley 2018a, 299f.). Die ältere Forschung hat der Tatsache, dass es sich bei Tiphys’ Nachfolger um einen Sohn des Meeresgottes Neptun handelt, viel Bedeutung beigemessen (z.B. Otte 1992, 97): Die Etablierung von Jupiters neuer Weltordnung führe zu einem Generationenwechsel, in Zuge dessen die Vertreter einer alten, chthonischen Weltordnung (zu der Otte die Giganten, Typhon, aber auch Boreas und die Meeresgötter rechnet) systematisch durch ihre Söhne ersetzt würden, um den von Jupiter gewünschten progressiven Fortschritt voranzutreiben. Man sollte diesen Aspekt nicht überbetonen: Die Öffnung der Meere ist natürlich eine Verletzung des Zuständigkeitsbereichs des Meeresgottes; allerdings ist Jupiter
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kapitel 7
hätte keine Bedenken, diesem Mann die Herrschaft über das Schiff und den Blick zu den Sternen anzuvertrauen:182 securus in aequor haud minus Erginus proles Neptunia fertur, qui maris insidias, clarae qui sidera noctis norit et e clausis quem destinet Aeolus antris, non metuat cui regna ratis, cui tradere caelum adsidua Tiphys vultum lassatus ab Arcto. Val. Fl. 1,414–419
Der Mann, den die Eiche von Dodona zum neuen Steuermann bestellt, ist also offenbar derjenige, den auch Tiphys selbst zum Nachfolger auserkoren hätte.183 Bei der Wahl des Erginus zum neuen Steuermann verbinden sich also drei Motive: Der Nachfolger verfügt über die notwendigen Fähigkeiten (vgl. qui maris insidias, clarae qui sidera noctis / norit), er ist der Wunschkandidat des toten Vorgängers, und er ist derjenige, den das Schiff – das hier dem fatum entspricht – selbst zum Nachfolger bestimmt.
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bemüht, den Bruder nicht zu verprellen (siehe oben Kap. 7.3), dem überdies zahlreiche zu versenkende Schiffe als Tribut versprochen werden, damit er die Argo gewähren lässt (1,642–650). Verfehlt Groß 2003, 139: „Ebenso wenig wie das eigentliche Zeichen erklärt wird, hören wir, aus welchem Grund das fatum Erginus zum Steuermann berufen lässt. […] Auch sonst zeichnet sich Erginus durch keine andere Qualifikation vor den Mitbewerbern aus. Die Argo schreitet also nicht ein, um einen besonders geeigneten Kandidaten durchzusetzen, sondern um eine Verzögerung des Unternehmens durch eine umständliche Wahl zu vermeiden.“ Mit Blick auf die Einführung des Erginus im Argonauten-Katalog in Arg. 1 ist diese Deutung zurückzuweisen (vgl. auch Zissos 2008, 271 zu 1,414–419: „Erginus’ lengthy notice prepares his later appointment as helmsman by identifying him as the lone crew member to whom Tiphys would relinquish the helm, and enumerating pertinent abilities.“). In ähnlicher Beziehung steht das Prophetenpaar Amphiaraus und Thiodamas in Statius’ Thebais. Ein Detail in Theb. 8 unterstreicht die postulierte Parallele: In Theb. 8,212–214 vergleicht Statius die Trauer der Argiver mit der Trauer der Argonauten um ihren toten Steuermann. Um einen Nachfolger für den toten Amphiaraus zu bestimmen, wählt das argivische Heer (in einer regelrechten acclamatio) einstimmig Thiodamas – eine Wahl, die laut narratorialem Kommentar auch der tote Vorgänger gebilligt hätte. Anders nämlich als die von brüderlicher Zwietracht gekennzeichnete Beziehung zwischen Eteocles und Polynices ist das Verhältnis der beiden argivischen Propheten von Harmonie und gegenseitiger Wertschätzung geprägt. Zur Wahl des Thiodamas zum Nachfolger des Amphiaraus siehe Hardie 1993, 113–116; Stover 2009, 448 f. Anm. 26; Rebeggiani 2013, 197–200; Rebeggiani 2018, 110–116 (bes. 114–116 mit Anm. 102 zum Verhältnis der Thebais-Stelle [Wahl des Thiodamas] zur Argonautica-Stelle [Wahl des Erginus]).
dynastische nachfolge und verlorene anführer
293
Der Dichter definiert damit die Kategorien, die beim Machtwechsel erfüllt sein müssen, damit das Schiff des Staates allen Sturmwinden trotzen kann und keinen Schiffbruch erleidet. Bekanntlich legte Vespasian Wert darauf, Titus von Anfang an in die Regierungsgeschäfte einzubinden und ihn so mit den bei der Verwaltung eines Weltreichs anfallenden Aufgaben vertraut zu machen. Diese Einbindung ging so weit, dass manche Quellen Titus nicht als Thronfolger, sondern als Mitkaiser Vespasians bezeichnen. Als ältester Sohn war Titus der Wunschkandidat des Vaters für die Nachfolge, allerdings erregte er wegen seines rücksichtslosen Vorgehens als Prätorianerpräfekt unter der Senatsaristokratie die Befürchtung, er könnte als Princeps zum zweiten Nero (alius Nero) entarten.184 Von den drei Kategorien, die Valerius in Arg. 5 für die gelungene Nachfolge definiert, erfüllte Titus also zunächst nur die ersten beiden: Als erfolgreicher Feldherr und Inhaber höchster Staatsämter brachte er zweifelsohne die notwendigen Fertigkeiten mit, um die Zügel der Macht in die Hände zu nehmen; außerdem war es Vespasians ausdrücklicher Wunsch, als Princeps von seinem ältesten Sohn beerbt zu werden. Doch dem römischen Staatsschiff musste Titus erst beweisen, dass er seinen verdienten Vater als Steuermann würdig beerben können würde – wie sich den Urteilen der Historiker über die kurze Regierungszeit des Titus entnehmen lässt, hat der zweite flavische Kaiser diesbezügliche Ängste und Befürchtungen zerstreuen können. Rückblick: Der Tod des Steuermanns Tiphys gibt dem Dichter Gelegenheit, die Wahl eines neuen Steuermanns als exemplum einer geglückten Nachfolge zu präsentieren: Erginus, den das Schiff selbst zur Nachfolge bestimmt, bringt nicht nur die notwendigen Fertigkeiten mit, sondern hat auch das volle Vertrauen des verstorbenen Vorgängers. Die strukturell in der Werkmitte platzierte narrative Sequenz greift einige Motive aus dem römischen politischen Diskurs auf (Metapher vom Steuermann als Staatenlenker; das Bild vom Anführer als ‚Vater‘), was eine zeithistorisch perspektivierte Interpretation plausibel macht. Die exponierte Position der Szene im Werkganzen unterstreicht die Bedeutung des Steuermanns für das Gelingen der Mission: Ohne würdigen Nachfolger fände die Argofahrt (und das Gedicht) ein frühzeitiges Ende. Auf die Geschichte des noch jungen flavischen Kaiserhauses umgelegt verdeutlicht die Stelle, dass aus dynastischer Perspektive das Erringen der Macht weniger bedeutsam ist als deren erfolgreiche Weitervererbung an einen geeigneten Nachfolger.
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Siehe oben Kap. 7.4.
294 7.9
kapitel 7
Ergebnisse
(1) Wie aus den historiographischen Quellen hervorgeht, führt Vespasians numismatisch gut bezeugtes Auftreten als Dynastiegründer bei der Senatsaristokratie mitunter zu Widerstand und unterschiedlichen Befürchtungen. Der dynastische Anspruch der Flavier und kolportierte Spannungen zwischen einzelnen Familienmitgliedern bilden auch die Folie für die Darstellung innerfamiliärer Konflikte und harmonischer Familienbeziehungen in den Argonautica. Das Bild von Vespasian, Titus und Domitian als einträchtige Familieneinheit im Proömium kann – auch mit Blick auf Gerüchte von Eifersucht und Rivalität zwischen den Kaisersöhnen – als Passage mit Appellcharakter gelesen werden, die ein Idealbild konstruiert und die junge Dynastie zur Erfüllung desselben auffordert. In der Haupthandlung haben Familienkonflikte in der Herrscherfamilie auf menschlicher Ebene häufig katastrophale Folgen – die entsprechenden Stellen sind als abschreckende exempla anzusehen. In Jupiters Entscheidungsmonolog anlässlich des bevorstehenden Todes des Colaxes eröffnet sich eine Handlungsalternative, insofern Jupiter bei seinem Entschluss insbesondere die Gefahr eines Bruderkonflikts im Olymp abwägt und sich gegen ein Eingreifen entscheidet, um seinen Bruder, den Meeresgott Neptun, der bereits das Eindringen der Argo in sein Hoheitsgebiet und den Tod seines Sohnes Amycus zu erdulden hatte, nicht weiter zu vergrämen. Die Stelle unterstreicht die Notwendigkeit harmonischer Familienbeziehungen zur Gewährleistung der herrschaftlichen Stabilität. (2) Die Bevorzugung des Titus, der nach seiner Rückkehr von der jüdischen Front zu Vespasians Nachfolger aufgebaut wurde, gab – abgesehen von der Gefahr des Bruderkonflikts – auch deswegen Anlass zur Sorge, weil es Zweifel an der charakterlichen Eignung des designierten Kaisernachfolgers gab. Wegen Titus’ Beziehung zur jüdischen Prinzessin Berenike und seines gewalttätigen Auftretens als Prätorianerpräfekt befürchtete man eine Orientalisierung des Reichs unter einem weiteren Gewaltherrscher neronischen Gepräges. Über die in erbdynastischen Systemen bestehende Gefahr, dass ein ungeeigneter, von der Größe der Aufgabe überforderter Nachfolger an die Macht gelangen könnte, wurde in der Literatur der frühen Kaiserzeit immer wieder anhand des Phaethon-Mythos reflektiert. Valerius geht in seiner Behandlung dieser potenziell subversiven Erzählung behutsam vor, da sie sich leicht als Allegorie für eine gescheiterte Machtübergabe deuten ließe. Er spart bei den knappen Erwähnungen Phaethons entsprechende Elemente systematisch aus und verknüpft den Sturz des Phaethon mit dem Untergang der von Sol begründeten kolchischen Herrscherfamilie, die sich – dank seiner Vorliebe für solare Attribute – punktuell mit Kaiser Nero assoziieren lässt. Das subversive Poten-
dynastische nachfolge und verlorene anführer
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zial der Phaethon-Erzählung wird somit auf den letzten julisch-claudischen Kaiser umgelenkt. Valerius’ zurückhaltender Umgang mit der Phaethon-Figur lässt erahnen, welch große Vorsicht bei der Behandlung erbdynastischer Fragen unter Vespasian geboten war. (3) An mehreren Stellen der Argonautica lassen sich Reflexionen über das Problem der Thronfolge in erbdynastischen Systemen bzw. über den Verlust bedeutender Führungsfiguren feststellen. Nach dem Männermord von Lemnos und der Flucht des Königs Thoas wird Hypsipyle vom lemnischen Frauensenat zur Nachfolgerin ihres (vermeintlich toten) Vaters gewählt. Diese Darstellung entspricht dem Ideal, dass die aufgrund ihrer Abstammung zur Herrschaft prädestinierte Person in Übereinstimmung (consensus) mit dem Wunsch des Volkes die Herrschaft übernehmen soll. Hypsipyles Wahl zur Königin erscheint demnach als positives exemplum einer gelungenen Herrschaftsnachfolge nach einer Phase der bürgerkriegsähnlichen Zerrüttung und lässt sich mühelos in das Narrativ der offiziellen flavischen Herrschaftsrepräsentation eingliedern. (4) Der Streit über die Zurücklassung des Hercules am Ende von Arg. 3 enthüllt Jasons Schwäche als Führungsfigur, da er eine Debatte zulässt, deren Ausgang vom fatum vorbestimmt ist und die in der Mannschaft nichts als Zwietracht sät. Nach der plötzlichen Trennung von Hercules ist niemand zur Stelle, der den stärksten Helden auf der Argo ersetzen könnte. Dem demagogisch agierenden Meleager gelingt es jedoch, die Mehrheit der Argonauten auf seine Seite zu ziehen und zur Weiterfahrt zu drängen. So wird die von Telamon vertretene Sache der pietas übergangen und die Argonauten stürzen sich in neue Abenteuer, für die sie ohne den mächtigen Hercules nur unzureichend gerüstet sind. Die Stelle verdeutlicht zum einen die Probleme, die sich beim Fehlen eines geeigneten Nachfolgers ergeben, zum anderen zeichnet sich eine Ablehnung der Vorstellung ab, ein Nachfolger solle in freier Debatte ermittelt werden. Die leicht steuerbare Menge lässt sich von der zweifelhaften Figur des Meleager manipulieren und trifft eine moralisch fragwürdige Entscheidung. Bezieht man diese Darstellung auf Senatsdebatten, in denen gegen Vespasians Wunsch die Möglichkeit einer Auswahl eines ‚Besten‘ diskutiert wurde, ließe sich eine klare Präferenz für die Seite des Kaisers ableiten. (5) Während Valerius in der Versammlungsszene am Ende von Arg. 3 über die Unmöglichkeit eines adäquaten Ersatzes für herausragende Anführer reflektiert, fügt er am Anfang von Arg. 5 eine Szene ein, die als Allegorie für einen gelungenen Wechsel an der Staatsspitze verstanden werden kann. Nach dem überraschenden Tod des Steuermanns Tiphys wählt das schicksalskündende Schiff ( fatidica ratis) mit Erginus selbst einen neuen Steuermann aus, dem es das Ruder überlässt und in dessen Hände die Mannschaft ihre Geschicke legt. Tiphys selbst, der Erginus in der Kunst des Navigierens unterwiesen
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kapitel 7
hat, hätte dem neuen Steuermann die Kontrolle über das Schiff anvertraut. Vor dem Hintergrund der Metapher des Staatsschiffes erscheint der gelungene Wechsel am Steuer der Argo als positives Beispiel einer geglückten, gut vorbereiteten Staffelübergabe, wie sie auch Vespasian für Titus plante. Wie in der Lemnos-Episode wird das Motiv des Machtwechsels am Beginn von Arg. 5 auf eine aus Perspektive der flavischen Herrschaftsrepräsentation affirmative Weise behandelt.
teil 3 Religion
∵
kapitel 8
Im Auftrag höherer Mächte Die Gunst der Götter war eine wichtige Beglaubigungsquelle für Vespasian, da er seine Herrschaft nicht von einer illustren Ahnenreihe herleiten konnte und als Usurpator unter erheblichem Legitimationsdruck stand. Wie die Quellen überliefern, habe der Begründer der flavischen Dynastie seit frühester Kindheit göttliche Zeichen erhalten, die ihm anzeigten, dass er vom fatum zur Herrschaft über das römische Weltreich ausersehen sei. Besonders Tacitus kann eine gewisse Skepsis über derartige Berichte jedoch nicht verhehlen. Er vermittelt, dass Götterzeichen aufgrund ihrer Uneindeutigkeit immer interpretierbar seien und – wie das Heilungswunder von Alexandria – mitunter bewusst inszeniert werden, um einen bestimmten Adressatenkreis gezielt zu beeinflussen. In den Argonautica verweist Jason vor der Mannschaft häufig auf Orakelsprüche und den Willen der Götter. Anders als die Historiographen verfügt der epische Dichter Valerius Flaccus über vielfältige Möglichkeiten, die Götterhandlung breit auszumalen. Er kann die metaphysischen Ursachen irdischer Vorgänge enthüllen und die Handlung auf menschlicher Ebene göttlich motivieren. Es wurde bereits beobachtet, dass menschlichen Akteuren die wahren Absichten der Götter in den Argonautica fast vollständig verborgen bleiben. Anders als Aeneas erlangen Jason und die Argonauten kein Sendungsbewusstsein – sie erfahren nicht, dass ihre labores als Teil einer wohlgeordneten, sinnvollen Geschichtsordnung anzusehen sind. Wenn Jason für sich in Anspruch nimmt, tiefere Einblicke in metaphysische Zusammenhänge zu haben, ohne entsprechende Gewissheiten erlangt zu haben, verfolgt er damit rein rhetorische Ziele. So bildet sich in den Argonautica eine Welt ab, in der göttlichmenschliche Kommunikation nur bedingt zur Sinnstiftung taugen kann und stattdessen zur Verwirklichung rhetorischer Ziele instrumentalisiert wird. Die Frage nach dem Wesen der menschlich-göttlichen Kommunikation führt zwangsläufig zur Frage nach der Natur der Götter und des fatum. Die Ereignisse des Vierkaiserjahres hält Tacitus für das Resultat göttlichen Zorns, der die Sterblichen zur Strafe für ihre Verfehlungen treffe. Die flavischen Bemühungen, die Götter versöhnlich zu stimmen, sind in diesem Kontext zu betrachten. Aufgrund der Befleckung der neuen Dynastie im Bürgerkrieg ist jedoch fraglich, ob eine Sühnung dieser Schuld möglich ist oder ob sich der Vergeltungskreislauf, der von rachsüchtigen und feindseligen Göttern angestoßen wird, weiter fortsetzen wird. Wie wir im Folgenden sehen werden, trägt das Götterbild der Argonautica deutliche Spuren solcher Konzepte: Nur dem Anschein nach übernimmt Vale© Bernhard Söllradl, 2023 | doi:10.1163/9789004537187_009
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kapitel 8
rius die vergilische fatum-Konzeption, wenn er Jupiter in Arg. 1 die Schicksalsbeschlüsse verkünden lässt und die Argofahrt als Anfangsglied eines mehrstufigen göttlichen Plans präsentiert. Doch neben dieser stoisch anmutenden Konzeption eines Weltenplans – dem sich auch keine sichere Auskunft über die Zukunft des Imperium Romanum entnehmen lässt – stehen die Handlungen von Göttern wie Juno, Pallas, Venus, Kybele, Mars und auch Jupiter, die jeweils ihre eigene Agenda verfolgen, wobei die in der großen Jupiterrede in Arg. 1 verkündeten Beschlüsse mitunter unbekannt oder ohne verbindlichen Charakter zu sein scheinen. Dabei hat göttliches Einwirken – ob nun menschlicher Frevel bestraft oder nur ein persönliches Handlungsziel erreicht werden soll – für die Menschen meist katastrophale Folgen. Eine solche Darstellung der Götter lässt sich mit dem bei Tacitus greifbaren Erklärungsmodell verbinden, dass die Vorgänge nach dem Tod Neros (auch) als Resultat göttlicher Bestrafung anzusehen seien – sowohl die Figuren der Argonautica als auch das Imperium Romanum scheinen dem Walten und der Willkür der Götter hilflos ausgeliefert zu sein. Dieses Götterbild, die menschliche Unkenntnis göttlicher Pläne und Jupiters prophetischer Zukunftsausblick, der die Frage nach Erfolg und Misserfolg der flavischen Dynastie unbeantwortet lässt, stellt nicht nur die Figuren in der erzählten Welt, sondern auch den zeitgenössischen Rezipienten vor viele offene Fragen. Anders als Vergil, der dem augusteischen Rom eine aurea aetas und ein imperium sine fine voraussagt, betont Valerius die letztlich unergründliche und willkürliche Natur göttlichen Waltens – ein Befund, der die Bedeutung der für Vespasian berichteten omina relativiert. Der Dichter wagt keine Voraussage, ob das flavische Staatsschiff nach geglückter Mission sicher im Hafen ankern oder von Stürmen gepeitscht an den Klippen zerschellen wird. Die in den Argonautica entfaltete historische Perspektive könnte für beide Geschichtsverläufe das passende Erklärungsmodell liefern.
8.1
monstratus fatis Vespasianus
Überlegene militärische Stärke allein hätte den Zeitgenossen als Legitimation der Herrschaft Vespasians nicht genügt. Auch wenn in der frühen Kaiserzeit nicht klar geregelt war, welche Faktoren für eine als legitim angesehene Principatsherrschaft im Einzelnen erfüllt sein mussten, so wäre die Errichtung einer Militärdiktatur dennoch sicherlich kein gangbarer Weg gewesen.1 Als Minimal1 Vespasian überschreitet hier eine rote Linie, indem er seinen Herrschaftsantritt (dies imperii) auf den Tag der Akklamation durch die Truppen, nicht auf den (später erfolgten) Senatsbeschluss datiert. Vgl. Haynes 2003, 116 (und passim); Stiles 2019, 145.
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formel für einen als legitim erachteten Principat könnte eine Formulierung in Galbas Adoptionsrede herangezogen werden, in der er sich auf die „Zustimmung der Götter und Menschen“ (deorum hominumque consensu: Tac. hist. 1,18,1) beruft. Auch Vespasians Weg zur Macht kann nicht nachgezeichnet werden, ohne über die Rolle der Götter zu sprechen. Es wurden große Bemühungen unternommen, Vespasian als von den Göttern geförderten, doch zunächst zögerlichen Thronaspiranten darzustellen.2 Schon lange vor der Kaiserproklamation durch die Legionen in Alexandria und Judäa kursierten Berichte von Götterzeichen (omina, prodigia, ostenta, portenta) und Orakelsprüchen bzw. Weissagungen,3 die auf Vespasians Herrschaft vorausdeuteten und für die Flavier, die über keinerlei Verbindungen zur alten Senatsaristokratie verfügten, eine entscheidende Legitimationsquelle darstellten. Denn Politik und Religion waren in Rom nicht zu trennen: Politische und militärische Erfolge bzw. Misserfolge wurden seit der Republik dem Willen der Götter zugeschrieben. Seit Augustus war die Gunst der Götter eine zentrale Rechtfertigungsgrundlage für die Machtstellung der nachfolgenden Principes. Die Krise des Vierkaiserjahres beschreibt Tacitus als göttliche Racheaktion.4 Es habe im Reich eine religiöse Krise gegeben, das richtige Verhältnis zwischen Menschen und Göttern sei aufgrund moralischer Verfehlungen und eines allgemeinen Werteverfalls aus der richtigen Balance geraten. In den Jahren nach dem Untergang Neros war man deshalb besonders hellhörig für göttliche Willensbekundungen, die in unsicheren und verunsichernden Zeiten als Orientierungshilfen dienten. Gänzlich unvorstellbar schien es, dass die Götter epochemachende Ereignisse wie das Ende des julisch-claudischen Kaiserhauses oder den Aufstieg der flavischen Dynastie nicht angekündigt hätten: Sueton berichtet von elf Prodigien, die seit der frühesten Kindheit Vespasians auf dessen Principat vorausgedeutet hätten.5
2 Vgl. Levick 22017, 77: „Strenuous efforts were made to present Vespasian as the reluctant Emperor, chosen by heaven to take the Roman Empire under his charge.“ Mit Verweis auf die niedrige Herkunft Baier 2020, 317: „[T]he Flavian dynasty could not rely on tradition or on ancestors of old. Vespasian and his successors had to provide their legitimacy on their own. The claim of a divine aura could help in this context.“ 3 Zu den verschiedenen römischen Formen der Zukunftsergründung siehe Lattimore 1934, 441 f. mit Anm. 2. Eine zentrale Unterscheidung besteht zwischen bewusst eingeholten (impetrativa) und sich zufällig darbietenden (oblativa) Vorzeichen. Zu den Begrifflichkeiten siehe Binder 2019, Bd. 1, 106. 4 Siehe unten Anm. 11. 5 Suet. Vesp. 5.
302
kapitel 8
Doch das von flavierfreundlichen Quellen vermittelte Bild, Vespasian habe das von den höheren Mächten zugeteilte Los nur widerwillig und erst nach mehrmaliger Versicherung angenommen, lässt sich nicht halten. Unterstützt von Ti. Iulius Alexander, dem Präfekten Ägyptens, und C. Licinius Mucianus, dem Statthalter Syriens, wird der Griff nach der Macht sorgfältig geplant und vorbereitet. Prodigien, Orakelsprüche und Wundererzählungen werden gezielt instrumentalisiert, um die östlichen Armeen von der göttlichen Rechtmäßigkeit der geplanten Usurpation zu überzeugen. Wir werden im Folgenden sehen, wie der zur Niederschlagung der jüdischen Rebellion eingesetzte General eine Phase politischer Instabilität und religiöser Unsicherheit nutzen konnte, um die Macht über das römische Weltreich zu erringen. Dabei wird zu beachten sein, auf welche Weise Vespasian Götterzeichen und Begegnungen mit dem Göttlichen interpretierte, kommunizierte und auch inszenierte, um den östlichen Legionen und einer breiteren Öffentlichkeit zu vermitteln, dass er von höheren Mächten unterstützt werde. Auf Grundlage dieser Darlegungen zur post-neronischen Auffassung von religio werde ich im nächsten Schritt zeigen, dass die göttlich-menschliche Kommunikation in den Argonautica mit Gewinn in diesen Kontext eingebettet werden kann. 8.1.1 Die Götter in der Krise In Zeiten der Krise schenkten die Römer potenziellen göttlichen Willensäußerungen und deren Auslegung besondere Aufmerksamkeit.6 Was in Friedenszeiten als Laune der Natur gegolten hätte, wurde mit Bedeutung aufgeladen; was sonst als bloßer Zufall abgetan worden wäre, wurde als göttliches Zeichen interpretiert.7 Diese generellen Beobachtungen zur römischen Religionspraxis bestätigen sich bei der Durchsicht der historiographischen Quellen zu der politischen und religiösen Krise, in die das Reich nach dem Selbstmord Neros hineingeraten war.8 In einer programmatischen Historien-Stelle charakterisiert Tacitus die Jahre nach Neros Tod als Zeit, in der es „am Himmel und auf Erden Wunderzeichen 6 Vgl. z. B. Cic. div. 2,58; Tac. hist. 1,86,1; 4,26,2; ann. 4,64,1; 12,43,1 mit Damon 2003, 278; Griffin 2009, 171; Joseph 2012, 70 Anm. 116; Rebeggiani 2018, 18.198–205; Stiles 2019, 134. 7 Eine Beschreibung der religiösen Verunsicherung nach dem Tod Neros bietet Baier 2020, 312: „Generally speaking, there is a focus on religious anxiety in the surviving books of [Tacitus’] historical works. Liebeschuetz has pointed out that especially at the end of Nero’s reign many cases of supernatural ‘events’ were reported: the masses, prone to believe in prodigia, saw natural phenomena as a punishment by the gods.“ Vgl. Liebeschuetz 1979, 155–166. 8 Zu der Zeit nach Neros Selbstmord als Phase der politischen und religiösen Krise siehe Rebeggiani 2018, 31; Stiles 2019, 150.
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und Warnungen durch Blitzeinschläge und Vorboten zukünftiger Ereignisse [gegeben habe], Glückliches und Kummervolles [anzeigend], Zweifelhaftes und Offenkundiges“ (caelo terraque prodigia et fulminum monitus et futurorum praesagia, laeta tristia, ambigua manifesta: Tac. hist. 1,3,2). An einer Stelle im vierten Buch der Historien beschreibt Tacitus die entmutigte Stimmung der am Rhein stationierten Soldaten während des Bataveraufstands. Die Passage ist geeignet, die für den Zeitgeist kennzeichnende Stimmung der religiösen Verunsicherung zu veranschaulichen. Zufällige und gewöhnliche Naturphänomene, die in Friedenszeiten keine weitere Beachtung gefunden hätten, werden zum Prodigium erhöht:9 apud imperitos prodigii loco accipiebatur ipsa aquarum penuria, tamquam nos amnes quoque et vetera imperii munimenta desererent: quod in pace fors seu natura, tunc fatum et ira dei vocabatur. Tac. hist. 4,26,2
Tacitus beschreibt die Verwechslung gewöhnlicher Naturphänomene und Götterzeichen an dieser Stelle als verfehltes Deutungsmuster der Leichtgläubigen und „Unkundigen“ (imperiti). Er suggeriert, der Wassermangel des Rheins, der den meuternden Soldaten Probleme macht, sei nicht mehr als eine zufällige Laune der Natur. Diese Skepsis steht jedoch mit den Erklärungen, die der Historiker selbst für die Ereignisse des Vierkaiserjahres gibt, in einem Spannungsverhältnis.10 An mehr als einer Stelle führt er das Walten der Götter als Erklärung an und bezeichnet insbesondere den Bürgerkrieg als Folge des Götterzorns:11 Die Götter straften den moralischen Niedergang der Römer und verübten Rache. Die Haltung des Tacitus, der einerseits die Leichtgläubigkeit der einfachen Menschen offenlegt und andererseits auch selbst dieselben Erklärungsmuster heranzieht, ist symptomatisch für eine Zeit, die von Zerrüttung und Orientierungslosigkeit gekennzeichnet ist. Ob einfacher Soldat oder aufgeklärter, reflektierter Historiograph – in der Umbruchszeit nach dem Ende der julisch-claudischen Dynastie boten Götterzeichen (und alles, was dafür gehalten wurde) den ersehnten Halt, Erklärungen für Vergangenes und Orientierungshilfen für die Zukunft.
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Zu Tac. hist. 4,26,2 siehe Joseph 2012, 69 f. Vgl. Joseph 2012, 70: „The knowing, rational historian, it appears, is exposing the superstitions of the imperiti that emerge in times of civil strife. But recourse to the ira deum for an explanation of events is of course precisely what Tacitus himself does for his civil wars.“ Vgl. Tac. hist. 1,3; 2,38,2; 3,72; 4,53 mit Joseph 2012, 67–70; Bernstein 2014, 158; Bernstein 2016, 400 f.; Landrey 2018, 230 f. Siehe unten Kap. 8.3.
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Aus den Jahren 68–69 n. Chr. ist eine beachtliche Anzahl an Prodigien überliefert, die quantitativ allenfalls mit den zahllosen Wunderberichten aus der Übergangsphase vom Ende der Republik bis zur Etablierung der Herrschaft des Augustus verglichen werden kann.12 Die auffallende Häufung von Prodigien kennzeichnet beide Zeiträume als Übergangszeiten. Wenn die Dinge aus dem gewohnten Lauf ausbrechen und Ereignisse aus dem Ruder zu laufen scheinen, ist religiöse Verunsicherung eine verständliche Folge.13 Die Tendenz, hinter den dramatischen Ereignissen des Vierkaiserjahres göttliche Einflussnahme auszumachen, entspringt dabei dem Bedürfnis, den verwirrenden und verunsichernden zeitgeschichtlichen Vorgängen Bedeutung und tieferen Sinn zuzuschreiben.14 Die Vorstellung, dass ein so bedeutsames Ereignis wie das Ende der von Augustus begründeten Dynastie von den Göttern angekündigt worden sei, mag den Zeitgenossen Halt gegeben haben:15 Augustus’ Gattin Livia hatte bei ihrem Landgut in Veji einen Lorbeerhain angelegt. Aus diesem Hain wurde der Lorbeerzweig für den Triumph geholt und für den Kranz, der das Haupt des Princeps schmückte. Es wurde zum Brauch, dass alle Kaiser dort eigene Bäume einpflanzten, die jedoch stets verdorrten, wenn derjenige, der den Baum gepflanzt hatte, starb. In den letzten Lebensjahren Neros sei jedoch der ganze Hain bis auf die letzte Wurzel vertrocknet – ein Zeichen für das Ende der von Augustus begründeten julisch-claudischen Dynastie.16 Wie die Historiographie zur Flavierzeit berichtet, wurde jedoch nicht nur das Ende der alten, sondern auch der Beginn der neuen Dynastie von einer ganzen Reihe göttlicher Zeichen angekündigt.17
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Vgl. Lattimore 1934, 449. Vgl. Wardle 2012, 200; Stiles 2019, 134; Baier 2020, 305.312. Vgl. Stiles 2019, 150: „By shifting attention away from the principes themselves, we can see more clearly the role that such omens played in Roman society, as the populace attempted to make sense of the chaos of civil war and the political and religious changes that it brought about – and the hopes that they entertained for a peaceful future.“ Vgl. Stiles 2019, 145. Zu Livias villa ad Gallinas albas (der Name stammt von den dort gehaltenen weißen Hühnern) siehe Plin. nat. 15,136f.; Cass. Dio 48,52,3 f.; 63,29,3; Suet. Gal. 1; Zum Lorbeerhain bei Livias Villa als Indikator für die Lebensdauer des julisch-claudischen Hauses siehe Gowers 2011, 87 f. Zu den Vorzeichen, Prophezeiungen und Orakeln, von denen man meinte, sie würden Vespasians Herrschaft ankündigen, siehe Ios. bell. Iud. 3,401–405; 4,622–624; Tac. ann. 16,5,5; hist. 1,10,3; 1,86,1; 2,1,1 f.; 2,78,2; Suet. Vesp. 5; Cass. Dio 65,1,2f.; Baier 2012b, 230 (mit Verweis auf Tac. ann. 16,5,5): „Im Aufstieg Vespasians sahen Zeitgenossen Schicksalsmächte am Werk.“
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Seit Augustus ist ein (nach außen hin offensiv demonstriertes) Naheverhältnis zwischen dem Princeps und den Göttern eine zentrale ideologische Legitimationsgrundlage der Principatsherrschaft. Wer nach dem Ende der julischclaudischen Dynastie den Griff nach der Macht wagte, musste glaubhaft vermitteln können, dass der eigene Machtanspruch göttlich beglaubigt sei:18 „Every aspirant to exceptional position at Rome needed divine patronage.“19 Es ist daher kaum verwunderlich, dass neben Vespasian auch die übrigen Thronprätendenten des Vierkaiserjahres die Gunst der Götter ins Feld führten, um den eigenen Anspruch zu bekräftigen.20 Im Folgenden gilt unsere Aufmerksamkeit jedoch in erster Linie den Maßnahmen, die der am Ende erfolgreiche Thronaspirant ergriff, um die Botschaft zu verbreiten, dass seine Leistungen bis zum Sieg im Jüdischen Krieg nur Vorboten für Größeres waren. Rückblick: Die Quellen zum Vierkaiserjahr verdeutlichen die Tendenz der antiken römischen Religionspraxis, in Krisenzeiten göttlichen Willensbekundungen besondere Bedeutung zuzuschreiben. Die Annahme, göttliche Zeichen würden bedeutende Ereignisse im Vorhinein ankündigen, machte die Reichsbevölkerung nach Neros Selbstmord besonders empfänglich für Berichte von Götterzeichen, Orakelsprüchen und Prophezeiungen, die auf den Mann vorausdeuteten, der von den Göttern ausersehen war, das Machtvakuum zu füllen, das nach dem Ende des julisch-claudischen Hauses entstanden war. Diese Hintergründe erklären zum einen die große Zahl an Prodigien für Vespasian, die aus den Jahren 68–69 n. Chr. überliefert sind, und zum anderen deren besondere zeitgenössische Rezeptionsform. 8.1.2
Zeichen, Zorn und Zaudern: Vespasian und die Götter bei Flavius Josephus und Sueton Wir wollen uns zunächst den flavierfreundlichen Quellen (Flavius Josephus, Sueton) zuwenden, um nachzuzeichnen, welche Bedeutung die genannten Autoren göttlichen Zeichen beim Aufstieg Vespasians zuschreiben und wie sie die Motive und Handlungen des Thronaspiranten darstellen. Im darauf aufbauenden Schritt werden wir sehen, dass der detailliertere Bericht des Tacitus häufig ein wichtiges Korrektiv bildet und aufgrund der stimmigeren Gesamtanlage in vielen Punkten – bei aller angebrachten Vorsicht – glaubwürdiger erscheint.21
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Zu den Legitimationsgrundlagen des Principats siehe Scheerlinck 2016, 58–63. Levick 22017, 77. Tac. hist. 1,15,1; Suet. Gal. 9,2; Vit. 14,5; Wardle 2012, 200. Zu dieser Einschätzung der Quellen vgl. Morgan 2006, 170: „To reconstruct Vespasian’s
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Der Kaiserbiograph Sueton berichtet von einer (dem Mars geweihten) Eiche am Landgut der Flavier, die bei der Geburt jedes Kindes der Vespasia – Vespasians Mutter – einen Zweig hervorgetrieben habe. Dieser sei als „untrügliches Zeichen für die Zukunft und das Schicksal eines jeden“ (haud dubia signa futuri cuiusque fati: Suet. Vesp. 5,2) angesehen worden: ein schwacher und schnell verdorrender als Symbol für den frühen Tod der Tochter; ein starker und verästelter, der die tatkräftige Stärke des Flavius Sabinus ankündigte; und ein dritter, groß wie ein Baum:22 primum exilem et cito arefactum, ideoque puella nata non perannavit, secundum praevalidum ac prolixum et qui magnam felicitatem portenderet, tertium vero instar arboris. Suet. Vesp. 5,2
Nachdem Vespasians Vater den örtlichen Haruspex konsultiert hatte, war er sicher, dass dieser letzte Zweig anzeige, Vespasia habe einen künftigen Kaiser zur Welt gebracht – eine Aussage, die Vespasians Großmutter mit schallendem Gelächter und dem Ausruf, ihr Sohn sei wohl verrückt geworden, quittiert habe. Die amüsante Anekdote hat in ihrem Verweis auf die unbedeutende Herkunft Vespasians einen ernsten Kern. Für die Großmutter war gänzlich undenkbar, dass jemand aus ihrer Familie an die Spitze des römischen Weltreichs gelangen könnte. Bekanntlich wurde Vespasian von Nero gerade deshalb mit der Niederschlagung der jüdischen Revolte betraut, weil der paranoide Princeps aufgrund der niedrigen Herkunft Vespasians meinte, von diesem würde keine Gefahr ausgehen.23 Auch den Zeitgenossen muss der Aufstieg des Sohnes eines Zolleintreibers aus Reate im Sabinerland zum Princeps als schier unglaubliche fortuna erschienen sein – rückblickend konnte der Aufstieg Vespasians von einfachsten Verhältnissen bis zum Princeps freilich als klarer Beweis für göttliche Protektion angesehen werden.24
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activities we must rely on a relatively brief life by Suetonius, a comprehensive if eulogistic account of his campaigns in Judaea by Josephus, stray details from what remains of Dio’s history, and, above all, the information Tacitus chooses to provide. As usual, Tacitus is the most important of our sources but – also as usual – he provides the information in ways that suit his purposes much better than they do ours.“ Zu Vespasias Eiche siehe Morgan 1996, 46; Gowers 2011, 88; Stiles 2019, 135 (und passim). Suet. Vesp. 4,5 f. mit Malitz 2001, 87. Zu Vespasians niedriger Herkunft und der Weigerung (als Kaiser), für seine Familie eine Abstammung von Hercules zu propagieren, siehe Lattimore 1934, 447; Bernstein 2008, 19; Pfeiffer 2009, 123; Levick 22017, 84; Rebeggiani 2018, 8–12. Vgl. Levick 22017, 77; Stiles 2019, 145 f.
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Jahre später und am anderen Ende der Welt verhieß ein bei der Einnahme von Iotapata (67 n. Chr.) gefangen genommener jüdischer Rebell dem römischen Feldherrn Vespasian das Kaiseramt: unus ex nobilibus captivis Iosephus, cum coiceretur in vincula, constantissime asseveravit fore ut ab eodem brevi solveretur, verum iam imperatore. Suet. Vesp. 5,6
Der Mann, der unter dem Namen Flavius Josephus als Geschichtsschreiber Bekanntheit erlangen sollte, wechselte noch während des Jüdischen Krieges die Seiten und stellte sich auch nach Kriegsende ganz in den Dienst des flavischen Hauses. Seine Prophezeiung, die Vespasians Aufstieg zum Kaiser voraussagt, ist im Kontext einer im Osten des Reiches kursierenden Voraussage zu sehen, dass ein Mann (oder: Männer) aus Judäa zur Weltherrschaft aufsteigen werde. Diese Prophezeiung hatte wohl auch ihren Anteil daran, dass sich die unter römischer Herrschaft lebenden Juden zum Aufstand gegen den Zwingherrn ermuntert sahen.25 Die römischen Quellen erklären freilich einhellig – und in Übereinstimmung mit Flavius Josephus –, dass mit dieser Prophezeiung der Aufstieg der flavischen Dynastie gemeint sei.26 Über die Schlüsse, die Vespasian aus derartigen Vorzeichen und Prophezeiungen zog, berichten unsere Quellen durchaus Unterschiedliches.27 Laut Sueton habe der Flavier erstmals nach dem Sturz Galbas – als Otho und Vitellius um die Macht stritten – ernsthafte Hoffnung auf den Thron gehegt. Die elf ostenta, die der Biograph im Folgenden aufzählt (und die zeitlich – bis auf eines – allesamt vor dem Tod Galbas liegen),28 erscheinen bei dem Kaiserbio25
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Eine wichtige Stoßrichtung des Bellum Iudaicum ist der Versuch des Josephus, die Ursache für den jüdischen Aufstand daran festzumachen, dass jüdische Extremisten diese Prophezeiung falsch verstanden und in ihrer Verblendung auf einen Mann aus den eigenen Reihen bezogen hätten. Zur Umdeutung der Prophezeiung durch Josephus, der sie auf Vespasian umlegt, und zur Ankündigung eines aus Judäa stammenden Königs der Welt siehe Ios. bell. Iud. 3,400–405; 6,312–314; Tac. hist. 5,13,2; Suet. Vesp. 4,5 (der nicht von einem, sondern von mehreren Herrschern aus Judäa spricht); Vesp. 5,6; Cass. Dio 60,1,4; Lattimore 1934, 445; Morgan 1996, 45; Curran 2007, 76; Levick 22017, 78; Baier 2020, 319 Anm. 58. Vgl. z. B. Tac. hist. 5,13,2: pluribus persuasio inerat antiquis sacerdotum litteris contineri eo ipso tempore fore ut valesceret Oriens profectique Iudaea rerum potirentur. Quae ambages Vespasianum ac Titum praedixerat, sed vulgus more humanae cupidinis sibi tantam fatorum magnitudinem interpretati ne adversis quidem ad vera mutabantur. Vgl. Wardle 2012, 201: „Suetonius’ […] Vespasian […] is more profoundly influenced by divine signs than Tacitus’ Vespasian.“ So viele Vorzeichen für Vespasian wie bei dem kaiserlichen Biographen werden in kei-
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graphen als Anlasspunkte für diese Hoffnung.29 Tacitus berichtet im Zusammenhang mit einer Rede des Mucianus, die Vespasian ermutigen soll, nach dem Thron zu greifen, vom zustimmenden Getuschel der Menge, die auf entsprechende Sehersprüche und bestimmte Sternbewegungen hindeutete. Der spätere Kaiser selbst sei „nicht frei von solchem Aberglauben gewesen“, was sich auch daran zeige, dass er stets einen Astrologen namens Seleucus bei sich gehabt habe (nec erat intactus tali superstitione, ut qui mox rerum dominus Seleucum quendam mathematicum rectorem et praescium palam habuerit: Tac. hist. 2,78,1).30 Wie Sueton erklärt auch Tacitus, dass Vespasian schon in der Jugend (vgl. iuveni admodum Vespasiano: Tac. hist. 2,78,2) ostenta erhalten habe, deren Inhalt sich dem späteren Kaiser jedoch erst mit der steigenden Bedeutung seiner Leistungen erschlossen habe: Diese Leistungen benennt der Historiker mit dem Gewinn der Triumphalinsignien (ornamenta triumphalia), dem Erlangen des Konsulats und dem Sieg im Jüdischen Krieg. Diese Ereignisse hätten den späteren Kaiser verstehen lassen, was ihm von den Göttern mitgeteilt worden sei:31 „Sobald er dies erreicht hatte, glaubte er daran, dass ihm die Herrschaft verheißen werde“ (ut haec adeptus est, portendi sibi imperium credebat: Tac. hist. 2,78, 2). Bei der Darstellung von Vespasians Handeln, nachdem er die Überzeugung gefasst hat, er sei zur Herrschaft über das römische Weltreich ausersehen, beginnen die Berichte des Sueton und Flavius Josephus deutlich vom Bericht des Tacitus abzuweichen – besonders in der Frage, inwieweit Vespasian selbst die Initiative ergriffen hat.32 Laut Flavius Josephus war Vespasian außer sich vor Wut und Entrüstung, als ihm – der inneren Logik des Bellum Iudaicum folgend – frühestens Anfang Mai, aber jedenfalls vor dem 1. Juli, die Kunde vom Sieg des Vitellius über Otho bei Bedriacum (14. April 69 n. Chr.) und von den Unruhen zugetragen wor-
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ner anderen antiken Quelle referiert: Von den elf bei Sueton genannten erwähnt Cassius Dio sechs (Cass. Dio 60,1,2–4); Tacitus beschränkt sich auf drei (namentlich die Statue des Divus Iulius auf der Tiberinsel, die sich ohne äußeres Zutun nach Osten wendet [hist. 1,86,1], die umgestürzte Zypresse, die sich von alleine wieder aufrichtet, und die Begegnung mit dem Priester Basilides am Berg Karmel [die beiden letztgenannten: hist. 2,78,2f.). Vgl. Morgan 1996, 42–46. Vgl. Suet. Vesp. 5,1 (post Neronem Galbamque Othone ac Vitellio de principatu certantibus in spem imperii venit iam pridem sibi per haec ostenta conceptam). Zu Vespasian und Seleucus siehe Haynes 2003, 117; Levick 22017, 80. Vgl. Morgan 1996, 48. Vgl. Wardle 2012, 189: „Having imperial aspirations or even firm hopes was one thing, doing something about them was another. Tacitus and Suetonius describe the events that resulted in Vespasian being acclaimed emperor very differently.“
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den sei, die Vitellius’ Soldaten, die davor in Germanien stationiert waren, in Rom anrichten würden. Aufgrund der weiten Distanz und der Gefahren, welche eine Rückreise nach Italien bei den ungünstigen Witterungsverhältnissen gegen Jahresende mit sich gebracht hätte, habe er sich aber trotzdem entschieden, nicht einzuschreiten. Als auch die Soldaten von den Ereignissen in Italien erfahren hätten, sei es jedoch zu hitzigen Diskussionen und bald darauf zur Akklamation des Feldherrn gekommen, der sich dieser jedoch verwehrt habe, bis ihn seine Soldaten mit gezückten Schwertern umstellt und ihm keine andere Wahl gelassen hätten, als die Ausrufung zum Kaiser anzunehmen.33 In diesen Augenblicken, so der jüdische Historiker, habe sich Vespasian an die Prophezeiung des Flavius Josephus erinnert und ihre volle Bedeutung begriffen (bell. Iud. 4,622). Wie Gwyn Morgan herausgearbeitet hat, scheitert diese Darstellung an der Chronologie: Vespasian wurde von den Legionen Judäas am 3. Juli zum Kaiser ausgerufen, als Vitellius Rom wohl noch nicht einmal erreicht hatte. Es konnte zu diesem Zeitpunkt noch keine Verwüstungen in der Hauptstadt und keine Verfehlungen von Vitellius’ Soldaten zu berichten gegeben haben, die Vespasians Soldaten zu solchem Zorn getrieben hätten, dass sie ihren Feldherrn aus eigenem Antrieb zum Kaiser ausgerufen hätten.34 Von vergleichbarer Passivität ist Vespasians Handeln auch bei Sueton gezeichnet: Der Kaiserbiograph beschließt seine Aufzählung der elf Vorzeichen, welche die nachmalige Herrschaft Vespasians ankündigten, mit der Feststellung, dass dieser trotz deutlicher göttlicher Signale und dem Drängen und Bitten seiner Anhänger erst etwas unternommen habe, als gewisse Männer, mit denen er keinen direkten Kontakt und keine nähere Bekanntschaft gehabt habe, ihre Unterstützung für den Flavier erklärten: nec tamen quicquam ante temptavit, promptissimis atque etiam instantibus suis, quam sollicitatus quorundam et ignotorum et absentium fortuito favore. Suet. Vesp. 6,1
So sei es gekommen, dass Vespasian ohne eigenes Zutun von drei Legionen in Moesia, von den Truppen Alexandrias unter Ti. Iulius Alexander und schließlich von den eigenen Truppen in Judäa zum Kaiser ausgerufen wurde. Während die höheren Mächte Zeichen senden und die unterstellten Legionen Loyalitätsbekundungen abgeben, ist das Verhalten des Thronaspiranten selbst von
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Vgl. Ios. bell. Iud. 4,585–604 mit Morgan 2006, 181 f.; Wardle 2012, 184f. Vgl. Morgan 2006, 182.
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völliger Passivität gezeichnet: Fast so, als müsse er sich nur seinem Los, das die Götter zugeteilt haben, ergeben, scheinen sich die Ereignisse von ganz alleine so ineinanderzufügen, dass der Weg an die Spitze des römischen Weltreichs für Vespasian gangbar wird.35 Dieses Bild eines zaudernden, zögerlichen Generals, der mehrmals von menschlicher und göttlicher Seite in seinen vagen Hoffnungen zur Herrschaft bestärkt werden muss, dürfte ein Reflex auf die flavische Herrschaftsrepräsentation sein: Der Bürgerkrieg galt in Rom als nefas. Vespasian musste die Wahrnehmung vermeiden, er sei allzu bereitwillig oder ohne triftige Gründe in das Ringen um Rom eingetreten – ein Bild, das flavierfreundliche Quellen bereitwillig weitertradierten.36 Doch die Skizze des Kaiserbiographen lässt eine weitere Erklärung für die auffällige Passivität Vespasians zu: Auch nachdem er von den Truppen zum Imperator ausgerufen worden ist, zweifelt der nunmehrige Usurpator noch an der Verlässlichkeit der ostenta, die ihn erstmals – wie Sueton am Beginn des ‚Prodigienkapitels‘ erklärt – nach dem Sturz Galbas (15. Jänner 69 n. Chr.) Hoffnungen auf den Kaiserthron hegen ließen (Suet. Vesp. 5,1). Seine erste Handlung nach der Akklamation am 1. Juli besteht folgerichtig darin, nach Alexandria zu gehen und den dortigen Serapis-Tempel aufzusuchen, um – da er immer noch schwankt – ein Orakel über die Dauerhaftigkeit seiner Herrschaft einzuholen.37 Man könnte in dem Bemühen, möglichst viele göttliche Zustimmungsbekundungen einzuholen, die verständliche Vorsicht eines Mannes erkennen, der mit gutem Grund zögert, bevor er den alles entscheidenden Schritt setzt. Vespasian weiß, was auf dem Spiel steht. Auch Tacitus versteht, dass für den, der nach der Herrschaft trachtet, der Mittelweg ausgeschlossen ist – es gibt nur den Gipfel und den Abgrund (imperium cupientibus nihil medium inter summa aut praecipitia: Tac. hist. 2,74,2). Die Sorgfalt bei der Ergründung des Götterwil-
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Vgl. Wardle 2012, 190: „Suetonius’ Vespasian is remarkably passive: […] [T]hroughout the whole of chapter six with its extensive […] presentation of the stages by which his acclamation came about, […] Vespasian never does anything“ (Hervorhebung im Original). Vgl. Wardle 2012, 201: „The passivity that Suetonius attributes to him in ad69 no doubt comes from a version (or versions) which plays down any active seeking of power.“ Daneben dürften die Befürchtungen und die Vorsicht Vespasians zwischen April und Juli 69 n. Chr. (die Sueton auch auf die Phase nach der Akklamation ausdehnt) in dieses Bild hineinspielen: Auch Tacitus zeichnet Vespasian in diesem Zeitraum als Feldherrn, der zwar allmählich beginnt, aus den Prodigien Vertrauen in die eigene Sendung zu schöpfen, aber weiterer Rückversicherungen bedarf, bevor er den entscheidenden Schritt zum Eintritt in den Bürgerkrieg wagt (vgl. Wardle 2012, 191). Vgl. Wardle 2012, 191: „Suetonius’ Vespasian, having been acclaimed as emperor in the east […], makes it his priority to enquire about the firmitas of his rule.“
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lens unterscheidet Vespasian auch von Galba, der ein schlechtes omen bei der Adoption Pisos ignoriert – und in den Abgrund stürzt.38 Im Bericht Suetons erhält Vespasian in Alexandria durch eine Wundererscheinung seines Freigelassenen Basilides im Serapis-Tempel die Bestätigung, die er gewünscht hat. Unmittelbar danach habe Vespasian ein Schreiben erreicht, das ihn über Vitellius’ Niederlage bei Bedriacum (24/25. Okt. 69 n. Chr.) und dessen Tod in Rom (20/21. Dez. 69 n. Chr.) unterrichtet habe. Chronologisch ist diese Darstellung kaum plausibel: Die beiden Ereignisse lagen zwei Monate auseinander. Vespasian wurde von einem so bedeutenden Vorfall wie dem Sieg des Antonius Primus über Vitellius bei Bedriacum wohl umgehend informiert. Er muss von diesem Erfolg gewusst haben, bevor er vom Tod des Widersachers und der Bestätigung durch den Senat erfahren hat.39 In unmittelbarem Anschluss an die chronologisch unplausible Anordnung der Ereignisse bringt der Kaiserbiograph einen Punkt ins Spiel, den er bislang unterschlagen hat: In den Monaten nach der Akklamation habe es Vespasian noch an „Ansehen“ (auctoritas) und „Ehrwürdigkeit“ (maiestas) gefehlt – beides sollte ihm jedoch bald zukommen (auctoritas et quasi maiestas quaedam ut scilicet inopinato et adhuc novo principi deerat; haec quoque accessit: Suet. Vesp. 7,2).40 Den Ausschlag dafür gab zum einen die Vollbringung zweier Wunderheilungen und zum anderen die Auffindung uralter Vasen auf Hinweis eines Sehers. Diese sollen ein Bildnis enthalten haben, das Vespasian verblüffend ähnlich gewesen sei.41 Durch diese Wunderzeichen hätten letzte Zweifel zerstreut werden können. Vespasian sah die Zeit für den Gang nach Rom gekommen:42 „So ein Mann war er nunmehr, mit so großem Ansehen kehrte er in die Stadt [Rom] zurück“ (talis tantaque cum fama in urbem reversus: Suet. Vesp. 8,1). Die Formulierung wirft Licht auf einen Aspekt der zur Akklamation Vespasians führenden Ereigniskette, welchen der Kaiserbiograph erst am Ende seines Berichts streift: die öffentliche Wirksamkeit der Erzählung, Vespasian sei von den Schicksalsmächten auserwählt. Dadurch spielt Sueton auch herunter, dass die berichteten Weissagungen, Orakelsprüche und Wunderzeichen bis zu einem gewissen Grad auch Produkte einer geschickten Inszenierung gewesen sein dürften, welche Vespasian die Gunst des Volkes versichern sollten, um
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Vgl. Tac. hist. 1,18,1 mit Bernstein 2016, 400. Zu den chronologischen Unstimmigkeiten in Suetons Bericht siehe Engster 2010, 294f.; Wardle 2012, 192 f. Vgl. Haynes 2003, 135. Zu den bei Tegea aufgefundenen Gefäßen siehe Suet. Vesp. 7,3; Wardle 2012, 194f. Vgl. Wardle 2012, 196: „The man who had been characterised by anxiety and hesitation even over the performing of the healings […] never again displays hesitancy or fear.“
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auf diese Weise seinen Thronanspruch auf ganz profane Weise abzusichern. Es mag nachvollziehbar sein, dass auch der Thronprätendent selbst beim Griff nach der Macht erst die eigenen Ängste und Zweifel überwinden musste – doch ungleich wichtiger war es, das Volk und die Legionen von der Rechtmäßigkeit des Thronanspruchs zu überzeugen. Hier galt es, Überzeugungsarbeit zu leisten, die dem von Sueton gezeichneten passiven Vespasian kaum zuzutrauen ist. Rückblick: Die Quellen, die eine der flavischen Herrschaftsrepräsentation nahestehende Sicht vermitteln (Flavius Josephus, Sueton), zeichnen Vespasian als Charakter, der sich zögerlich und erst auf äußeren Druck in die von den höheren Mächten zugedachte Rolle fügt. Die als heikel erachtete Beteiligung am Bürgerkrieg wird gerechtfertigt, indem suggeriert wird, Rom hätte vor Vitellius und dessen plündernden Soldaten gerettet werden müssen. Eine kritische Quellenprüfung zeigt jedoch, dass weder die Vorstellung einer von Passivität gezeichneten Haltung Vespasians noch das Motiv der Vertreibung des ‚Tyrannen‘ Vitellius zu halten ist. Sueton und Flavius Josephus neigen dazu, die aktive Rolle Vespasians bei den Ereignissen, die zu seiner Kaiserproklamation führten, herunterzuspielen, und verfolgen dabei das Ziel, ihn vom Vorwurf der unrechtmäßigen Usurpation reinzuwaschen. Die volle Bedeutung der vielen Vorzeichen, die beide Autoren anführen, werde dem Thronaspiranten erst nach vollendeten Tatsachen bewusst. So berichtet etwa Flavius Josephus, dass sich Vespasian an die Prophezeiung von Iotapata erinnere, als er von den Soldaten gezwungen wird, die Akklamation zum Kaiser anzunehmen. Ohne äußeren Anstoß hätte sich Vespasian nicht dazu bewegen lassen, nur auf Basis der Götterzeichen nach der Macht zu greifen und in den Bürgerkrieg einzutreten – die Legionen, die ihn ohne sein Zutun zum Kaiser ausgerufen haben, hätten ihm die Entscheidung abgenommen. Die passive Rolle, die Vespasian bei Sueton und Flavius Josephus zugeschrieben wird, verschleiert, dass es sich beim Aufstieg der flavischen Partei um eine sorgfältig geplante Usurpation handelt. 8.1.3
Religion und Realpolitik: Die Akklamation bei Tacitus (Tac. hist. 2,74–78) Anders als Flavius Josephus und Sueton vermittelt Tacitus den Eindruck von detaillierter und sorgfältiger Planung, die Vespasians Griff nach der Macht vorangegangen sei.43 In den Kapiteln, in denen er die Schritte nachzeichnet, die 43
Jürgen Malitz spricht in diesem Zusammenhang von den „Geheimverhandlungen zwischen Syrien, Judäa und Ägypten“ (Malitz 2001, 90; vgl. Tac. hist. 2,76,1: post multos secretosque sermones), die zu Vespasians Akklamation geführt hätten. Besonders die Unterstüt-
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zur flavischen Erhebung führten (Tac. hist. 2,74–78), lassen sich im Wesentlichen zwei Themen ausmachen: (a) die Festlegung der Strategie mit Mucianus, dem verbündeten Statthalter Syriens, und weiteren (namentlich nicht genannten) Unterstützern; (b) die innere Festigung des Usurpators, aber ganz besonders die Versicherung der soldatischen Unterstützung durch entsprechende Prodigien und Orakel. Auch wenn Vespasian seit dem Sturz Galbas im Jänner 69 n. Chr. mit mehr oder weniger eindeutigen Absichten das Für und Wider eines Einstiegs in das Ringen um die Macht abwog,44 ließ er aufgrund gewichtiger Unsicherheitsfaktoren zunächst zu, dass seine Legionen (spätestens Ende Mai 69 n. Chr.) den Treueeid auf Vitellius schworen.45 Zu diesem Zeitpunkt hatte sich der Flavier freilich bereits der Unterstützung des Mucianus und des Ti. Iulius Alexander versichert. Er wusste, dass ihn die von Syrien nach Moesia verlegte legio iii Gallica unterstützen und weitere Legionen folgen würden, sollte sich diese auf den General vereidigen. Viel Gewicht hatte auch die Antipathie, welche die östlichen Legionen für Vitellius (und dessen Truppen) empfunden haben (Tac. hist. 2,74,1). Welche Bedenken hegte Vespasian in den Wochen vor der Akklamation? Er war unsicher, ob seine im Bürgerkrieg unerfahrenen Soldaten gegen Vitellius den Sieg davontragen können und ihm bis zum Schluss die Treue halten würden. Schließlich hatten bestimmte Vorfälle nach dem Tod Neros gezeigt, wie wechselhaft die Loyalität der Legionen sein konnte. Nicht zuletzt habe er ein Attentat aus den eigenen Reihen befürchtet.46 In dieser Stimmung habe
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zung des ägyptischen Präfekten Ti. Iulius Alexander war für den Versuch, vom Osten her die Macht zu gewinnen, unverzichtbar, da Ägypten eine Schlüsselrolle in der Kornversorgung des römischen Weltreichs spielte. Vgl. Pfeiffer 2010, 277f., der einen Zusammenhang zwischen der Bedeutung Ägyptens als Getreidelieferant und der unter den Flaviern einsetzenden Verehrung für die ägyptischen Gottheiten Serapis, Isis und den personifizierten Nil herstellt: „Gerade der Aspekt der Kornversorgung kommt dann auch in der Weihung der Nilstatue ins templum Pacis deutlich zum Ausdruck“ (Zitat von Seite 278). Behauptungen, dass Vespasian bereits unter Nero den Aufstand erwogen habe, sind reine Spekulation (vgl. Morgan 1996, 50 mit Anm. 35). Vgl. Morgan 1996, 52: „In the two chapters in which Vespasian ponders the advantages and disadvantages of revolt, his ambition to become emperor is indicated clearly. But he is also an experienced general; as such, he is well aware of the strength of Vitellius’ legions and dubious about the staying power of his own men. […] Hence his greatest concern is that their loyalty will waver and, as a result, that he himself will be assassinated.“ Vgl. Morgan 1996, 52: „This is the ground covered by chapter 78: Vespasian still needs reassurance that he will not be assassinated, and that the spirit of his men will not be broken.“ Hier ist die unterschiedliche Zielsetzung der beiden im Folgenden referierten omina bereits angedeutet: Die Erinnerung an das Zypressen-Prodigium dient der Bestärkung Ves-
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sich der Flavier befunden, als es zu einer Unterredung gekommen sei, an der „Freunde und Legaten“ (legati amicique: Tac. hist. 2,76,1) teilgenommen hätten. Es ist möglich, dass Tacitus mit dieser (zeitlich und räumlich nicht klar fixierten) Konferenz eine ganze Reihe von Gesprächen zusammenfasst, die Vespasian zwischen dem Treueeid der Truppen auf Vitellius und der eigenen Proklamation zum Kaiser mit seinen Unterstützern (besonders mit Mucianus und Ti. Iulius Alexander) geführt haben dürfte. Das im taciteischen Bericht vermittelte Bild vom Ausmaß der Planungen, die der Ausrufung zum Kaiser vorausgingen, kontrastiert mit den Berichten bei Sueton und Flavius Josephus: Die beiden letztgenannten Autoren stellen die Ereignisse dar, als sei Vespasian von den Göttern und den Umständen geradezu gezwungen worden, in den Bürgerkrieg einzutreten. Der taciteische Bericht bietet ein wertvolles Korrektiv zu solchen Darstellungen: „Even if Vespasian does not appear as the driving force in this conspiracy, but as one who needed reassurance, nonetheless Tacitus presents a man prepared to discuss and plan a revolt.“47 Nach der Rede des Mucianus, der seine Loyalität erklärt und mit Verweis auf die bisherigen Erfolge Vespasians dessen Befürchtungen zu zerstreuen versucht (Tac. hist. 2,76f.), hätten die Umstehenden Mut gefasst und sich um den Flavier geschart, ihn ermutigt und von Sehersprüchen und Sternenkonstellationen erzählt (post Muciani orationem ceteri audentius circumsistere, hortari, responsa vatum et siderum motus referre: Tac. hist. 2,78,1). Die Erwähnung übernatürlicher Zeichen dient Tacitus dazu, die Beschreibung zweier Vorzeichen einzuflechten, die zeitlich vor der Unterredung mit „Legaten und Freunden“ liegen. Wie Gwyn Morgan zeigt, erfüllen die beiden in hist. 2,78 beschriebenen omina verschiedene Zwecke: das eine wirkt auf Vespasian selbst, das andere auf die umstehenden Soldaten.48 Das Zypressen-Prodigium – der umgestürzte Baum richtet sich auf wundersame Weise von selbst wieder auf –, das Vespasian als eines von vielen Vorzeichen immer wieder in den Sinn gekommen sei (recursabant animo vetera omina: Tac. hist. 2,78,2), habe er als umso bedeutungsvoller eingeschätzt, je größer die eigenen Erfolge wurden: „Die Zierde des Siegs im Jüdischen Krieg“
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pasians; der Besuch des Orakels am Berg Karmel dient der Festigung des Glaubens der Soldaten an die göttliche Sendung Vespasians. Wardle 2012, 190. Vgl. Morgan 1996, 53 f. (und passim, hier 48): „Tacitus is running two themes simultaneously, one centering on Vespasian and the other on his entourage.“ Zustimmend Wardle 2012, 185: „Tacitus’s choice of just two omens, that of the cypress which miraculously resprouted and the prophecy by Basilides at the oracle of Mount Carmel, was structured […] to illustrate the effect of such divine communications on Vespasian himself and his followers respectively, a broader psychological analysis than what interests Suetonius.“
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(Iudaicae victoriae decus: Tac. hist. 2,78,2) habe ihm schließlich Gewissheit verliehen, dass ihm die Herrschaft verheißen werde.49 Es ist wahrscheinlich, dass der Feldherr den Jüdischen Krieg im Juni 68 n. Chr. – nach dem Tod Neros, aber vor dem Tod Galbas – als gewonnen eingeschätzt hat, nachdem die vollständige Einkesselung Jerusalems gelungen war.50 Ab diesem Zeitpunkt begann er, die bisherigen Vorzeichen als Vorboten für die Herrschaft zu begreifen. Doch welche Bedeutung er seinen Vorzeichen auch beigemessen haben mag – sie war im Sommer 68 n. Chr. offenbar noch nicht groß genug, dass der General seinen Hoffnungen auch Taten folgen ließ. Dafür fehlte noch ein entscheidendes Element: ein Vorzeichen, das auch die Legionen von der göttlichen Unterstützung für Vespasian überzeugen konnte. In direktem Anschluss an das Zypressen-Prodigium berichtet Tacitus von Vespasians Besuch des Orakels am Berg Karmel an der Grenze zwischen Syrien und Judäa (est Iudaeum inter Syriamque Carmelus: hist. 2,78,3).51 Dieser Besuch liegt zeitlich zwischen der erfolgreichen Einkesselung Jerusalems im Juni 68 n. Chr. und der in hist. 2,74 beschriebenen Konferenz.52 Es gibt auf dem Berg, wie Tacitus berichtet, weder ein Standbild des Gottes noch einen Tempel, sondern nur einen Altar unter freiem Himmel. Daher erhält die Befragung des dortigen Priesters Basilides (der an βασιλεύς anklingende Name ist nicht zufällig) Öffentlichkeitscharakter. Die Prophezeiung des Priesters konnte, wenn wir von normaler Gesprächslautstärke ausgehen, nicht nur von Vespasian, sondern auch von allen Begleitern (mit-)gehört werden.53 Als Vespasian dort opferte, habe er bereits heimliche Hoffnungen (spes occultas) im Herzen getragen. Der Priester habe ihm geweissagt, er werde, ob er nun ein Haus bauen, seine Ländereien erweitern oder seine Sklavenscharen vermehren wolle, über einen großen Wohnsitz, unermesslich weite Grenzen und eine große Schar an Menschen verfügen (‘quicquid est,’ inquit, ‘Vespasiane, quod paras, seu domum extruere seu 49 50 51 52
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Vgl. Haynes 2003, 116: „After Mucianus’s speech exhorting Vespasian to seize power, the latter is struck by the apparent fulfillment of earlier signs.“ Vgl. Morgan 1996, 50 mit Anm. 34. Zu Vespasians Besuch des Orakels am Karmel siehe Morgan 1996; Haynes 2003, 116–118; Morgan 2006, 177 f.; Wardle 2012. Zur Datierung von Vespasians Begegnung mit dem Priester Basilides am Berg Karmel siehe Morgan 1996, 50 f., die als wahrscheinlichstes Datum den Juni 68 n. Chr. nennt. Vespasian habe bereits nach dem Tod Neros (9. Jun. 69 n. Chr.) „heimliche Hoffnungen“ (spes occultas) auf den Thron gehegt, doch die Pointe der taciteischen Darstellung bestehe darin, dass Vespasian die volle Bedeutung der Basilides-Prophezeiung erst bei der späteren Unterredung mit seinen Unterstützern erkannt habe. Zwischen den beiden Ereignissen (Prophezeiung des Basilides; vollumfängliche Erkenntnis ihrer Bedeutung) sei daher eine ausreichend lange Zeitspanne anzusetzen. Zum Öffentlichkeitscharakter der Prophezeiung vgl. Morgan 1996, 50f.; Levick 22017, 78.
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kapitel 8
prolatare agros sive ampliare servitia, datur tibi magna sedes, ingentes termini, multum hominum’: hist. 2,78,3). Bemerkenswerterweise berichtet Tacitus nicht, wie der General auf die Worte des Priesters reagiert, sondern nur, wie sie von den Umstehenden aufgenommen werden:54 Sofort habe das Gerede der Leute die Kunde vom rätselhaften Orakelspruch aufgegriffen (statim exceperat fama), doch erst damals (tunc) – womit Tacitus zeitlich zur Konferenz zwischen Vespasian und seinen Unterstützern vor der Akklamation zurückschwenkt – habe die fama die volle Bedeutung der Prophezeiung offengelegt (aperiebat). Das Orakel sei in aller Munde gewesen und besonders dann angesprochen worden, wenn sich Vespasian selbst in der Nähe befunden habe: has ambages et statim exceperat fama et tunc aperiebat; nec quicquam magis in ore vulgi. crebriores apud ipsum sermones, quanto sperantibus plura dicuntur. Tac. hist. 2,78,4
Wie sich dem Flavier die Bedeutung des Zypressen-Prodigiums erst nach dem Sieg im Jüdischen Krieg erschlossen habe, so hätten sich dessen Anhänger nach Mucianus’ Rede an das (vom Historiker analeptisch referierte) Orakel vom Berg Karmel erinnert und es als Ankündigung von Vespasians Kaisertum verstanden. Bestärkt von der nunmehr unter den Soldaten verbreiteten Meinung, der Flavier sei zur Herrschaft auserkoren, seien Vespasian und Mucianus in unzweifelhafter Entschlossenheit auseinandergegangen:55 haud dubia destinatione discessere Mucianus Antiochiam, Vespasianus Caesaream: illa Syriae, hoc Iudaeae caput est. Tac. hist. 2,78,4
Nach der Bestätigung der Zustimmung der Soldaten war die Entscheidung offenbar getroffen. Im nächsten Kapitel beschreibt der Historiker, wie erst die Truppen Alexandrias, dann die Truppen Judäas auf Vespasian schwören (hist. 2,79).56 Die Struktur des taciteischen Berichts legt nahe, dass religio dabei eine entscheidende Rolle gespielt hat: einerseits, um die Befürchtungen Vespa-
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Vgl. Morgan 1996, 44: „[T]he oracle of Basilides […] is recorded […] for its influence on his followers.“ Vgl. Haynes 2003, 117. Vgl. Wardle 2012, 189: „His very next sentence records that the first acclamation took place at Alexandria on 1 July 69, at the instigation of Ti. Alexander, the prefect of Egypt whose support for Vespasian he had noted earlier and whose presence at the conference is likely.“
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sians zu zerstreuen, aber andererseits und ganz besonders, um die Legionen an den Flavier zu binden, die den göttlichen Zeichen, die ihren Feldherrn als künftigen Herrscher des römischen Weltreichs markierten, Glauben schenkten.57 Während jener ein gewisses Maß an Bestärkung aus dem italischen ZypressenProdigium schöpfte, reagierten diese so euphorisch auf die Prophezeiung des Orakels von Karmel, dass der mit der Niederschlagung der jüdischen Revolte betraute Feldherr den Griff nach der Macht mit ausreichender Absicherung wagen konnte.58 Was die ermutigenden Worte des Mucianus alleine nicht vermocht hatten, vermochte der manifeste Glaube der Legionen an Vespasians göttliche Sendung.59 Hier offenbart sich der realpolitische Aspekt der religio: Für Vespasian wurden die Götterzeichen erst bedeutsam, als sie durch tatsächliche Erfolge ‚bestätigt‘ und von einer entsprechenden Adressatengruppe – in diesem Fall den Soldaten – für wahr gehalten wurden.60 Aus dieser Perspektive wurde das von den Götterzeichen angezeigte fatum erst post eventum als solches akzeptiert – so aufgefasst ist es vom blinden Walten der fortuna kaum zu unterscheiden.61 Die dem taciteischen Bericht zugrunde liegende Chronologie wirkt stimmig:62 Noch bevor Vitellius in Rom eingezogen ist, hat Vespasian – nachdem er sich der Unterstützung des Mucianus und des Ti. Iulius Alexander versichert hat – den Beschluss gefasst, selbst nach der Macht zu greifen. Inwiefern er selbst an die Prodigien, die seine Herrschaft voraussagten, geglaubt hat, lässt sich nicht ermitteln und ist für unsere Ausführungen auch nicht weiter von Belang: Wichtig ist, dass der Usurpator göttliche Zeichen offenbar bewusst eingesetzt hat, um die Soldaten und das Volk davon zu überzeugen, dass die Götter auf seiner Seite standen. Wie auch Sueton andeutet, spielt diese öffentliche Seite der religio besonders bei den Ereignissen in Alexandria eine herausgehobene Rolle, denen wir uns als Nächstes zuwenden wollen.
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Vgl. Lattimore 1934, 447 f. Vgl. Morgan 1996, 52. Vgl. Morgan 1996, 53; Haynes 2003, 116–118. Haynes 2003, 117: „Tacitus draws attention to it also in order to emphasize the importance of superstitio – and all the accompanying omens, portents and prophecies – to the establishment of the Flavian regime. The belief of the volgus (in this case, the common soldiers) legitimates a sign that had at the time been ambiguous, but that fama later revealed (aperiebat).“ Vgl. Tac. hist. 1,10,3; 3,1,1; Morgan 1996, 43; Haynes 2003, 128f.; 142 (und passim); Baier 2012b, 231 f.; Wardle 2012, 185 Anm. 4: „Only in retrospect, it seems, did Vespasian recognise the hand of divine favour and recall in particular the prophetic salutation by Josephus himself after his capture at Jotapata in mid-67.“ Vgl. Morgan 2006, 170 f.; Wardle 2012, 184.
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Rückblick: Im Vorfeld der Akklamationen von Alexandria und Judäa kommt es zu einer Unterredung zwischen Vespasian und seinen Unterstützern. Die Vorzeichen, die Tacitus im Zusammenhang mit dieser Konferenz referiert, sind mit Bedacht gewählt: Das Zypressen-Prodigium bestärkt Vespasian im Glauben, ihm sei die Herrschaft verheißen. Den vollen Bedeutungsumfang des Vorzeichens erkennt er aber erst nach einem entscheidenden Erfolg im Jüdischen Krieg an. Das Motiv, dass Vespasian Vorzeichen und Prophezeiungen erst Glauben geschenkt habe, wenn der Gang der Ereignisse ihre Tendenz zu bestätigen schien, findet sich auch bei Flavius Josephus (wo sich Vespasian an die Prophezeiung des Gefangenen erinnert, als er von den Soldaten zur Annahme der Akklamation gezwungen wird) und entspricht möglicherweise dem wahrheitsgetreuen Abbild eines abwägenden, vorsichtigen Charakters. Das zweite von Tacitus referierte Vorzeichen, die Prophezeiung des Priesters Basilides am Berg Karmel, habe auf die Soldaten großen Eindruck gemacht und diese davon überzeugt, dass ihr General zur Herrschaft über das römische Weltreich ausersehen sei. Während das Zypressenorakel nur den Thronaspiranten bestärkt, ist die Prophezeiung des Basilides auf ihre Außenwirkung hin berechnet: Sie verdeutlicht den öffentlichen Charakter der religio und die realpolitische Rolle, welche ihr als Instrument der Meinungssteuerung in Krisenzeiten zukommt. 8.1.4
Vespasian in Ägypten: Von der Inszenierung göttlichen Zuspruchs (Tac. hist. 4,81) Nach der Proklamation zum Kaiser beteiligte sich Vespasian nicht selbst an den Bürgerkriegskämpfen gegen Vitellius.63 Bei der entscheidenden Schlacht gegen die vitellianischen Truppen bei Bedriacum führte Antonius Primus das Kommando, dem es im Dezember 69 n. Chr. auch gelang, Rom für Vespasian einzunehmen. Die syrischen Legionen unter Mucianus trafen erst in Rom ein, als die flavische Partei bereits den Sieg errungen hatte. Der Usurpator selbst brach indes nach Ägypten auf, wo er zuerst zum Kaiser akklamiert worden ist, und traf wohl gegen Ende Dezember in Alexandria ein.64 Der Grund für den Gang nach Alexandria ist nicht allein darin zu suchen, dass der Thronanwärter die Kontrolle über die Kornversorgung des Reichs erlangen wollte. Denn in den Monaten nach der Akklamation stand Vespasian – als Usurpator – unter erheblichem Druck, seinen Herrschaftsanspruch nach den Götterzeichen und Prophezeiungen in Judäa mit weiteren Legitimie-
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Vgl. Haynes 2003, 116. Zum Datum siehe Pfeiffer 2010, 274 (mit Verweis auf den papyrologischen Befund).
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rungen zu festigen.65 Eine Wundererscheinung im Serapis-Heiligtum und die wundersame Heilung eines Blinden und eines Gelähmten, die Vespasian als göttliches Werkzeug des ägyptischen Heilgottes Serapis vollbracht habe, steigerten die auctoritas des Usurpators erheblich.66 Wie bei der Diskussion des Orakels vom Karmel werden wir auch bei der Wunderheilung von Alexandria insbesondere die Adressatenwirkung in den Blick nehmen. Die Berichte über das beschriebene Ereignis weichen bei Tacitus, Sueton und Cassius Dio nur in Einzelheiten voneinander ab:67 Der ägyptische Heilgott Serapis habe einem Blinden und einem Lahmen aufgetragen, zu Vespasian zu gehen, weil der neue Kaiser sie von ihren Leiden befreien könne. Nach anfänglichem Zögern lässt dieser sich – nach einer Besprechung mit Heilkundigen bezüglich der Heilungsaussichten – von seinen Beratern zu einem Versuch überreden und kann tatsächlich beide Heilungen erfolgreich vollziehen. Berichte vom Blinden, der nach der Begegnung mit Vespasian sein Augenlicht wiedergewonnen habe, und vom Gelähmten, dessen Gebrechen geheilt worden sei, haben zu einer deutlichen Steigerung der Autorität des Usurpators geführt: Tacitus spricht vom „Ruhm für die erfolgreiche Heilung“ (remedii gloriam: Tac. hist. 4,81,2) und Sueton impliziert, dass Vespasian durch dieses Heilungswunder größere auctoritas und maiestas erworben habe (Suet. Vesp. 7,2). Es ist kaum zu übersehen, wie sehr der Vorfall auf seine öffentliche Wirksamkeit hin berechnet ist: Tacitus und Sueton berichten, die Wunderheilung sei „öffentlich vor versammeltem Volk“ (palam pro contione: Suet. Vesp. 7,3) bzw. „vor der gespannt dabeistehenden Volksmenge“ (erecta quae adstabat multitudine: Tac. hist. 4,81,3) vollzogen worden. Die Tatsache, dass verschiedene römische Quellen die Erzählung aufgreifen, lässt vermuten, dass diese von den Flaviern bewusst verbreitet und propagandistisch verwertet worden ist.
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Vgl. Engster 2010, 289 f. Zur Wahl des Serapis als legitimierender Gottheit siehe Pfeiffer 2010, 278 (mit dem Hinweis, dass Serapis als einzige ägyptische Gottheit von Augustus verehrt worden sei [mit Cass. Dio 51,16,4]); Wardle 2012, 201 f. (der betont, dass Serapis keine theriomorphe Gottheit und daher auch für einen römischen Adressatenkreis ‚verträglich‘ sei). Zu der von Vespasian vollbrachten Wunderheilung eines Blinden und eines Gelähmten in Alexandria siehe Tac. hist. 4,81; Suet. Vesp. 7,2 f.; Cass. Dio 65,8,1–7; Lattimore 1934, 445; Griffin 2000, 6; Curran 2007, 87f.; Engster 2010; Pfeiffer 2010, 273–278; Wardle 2012, 193–197; Levick 22017, 78f. Pfeiffer 2010, 275f. bietet eine tabellarische Aufstellung der Übereinstimmungen und Unterschiede zwischen den Zeugnissen des Tacitus, Sueton und Cassius Dio. Flavius Josephus spart die Wundergeschichten von Alexandria weitestgehend aus (mögliche Erklärungen bei Curran 2007, 78–91; Wardle 2012, 193 mit Anm. 41; Levick 22017, 79).
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Welche Wirkung könnten sich die Flavier von der Verbreitung dieser Geschichte versprochen haben?68 Zum einen rückte die Wundererzählung Vespasian an den ägyptischen Heilgott Serapis heran und steigerte so seine Autorität in den östlichen Reichsteilen, wo es die Erwartungshaltung gab, ein Kaiser müsse zu einem gewissen Grad auch ein Gott sein.69 Die relativ breite Überlieferung der Erzählung bei griechischen und römischen Schriftstellern deutet aber darauf hin, dass sie wohl der gesamten Reichsöffentlichkeit bekannt gemacht worden ist.70 Außerdem muss die Erzählung, wenn sie – wie Tacitus und Sueton einhellig berichten – zu einer Steigerung der Autorität des Thronaspiranten geführt hat, besonders auf Rom ausgestrahlt und dort zu einem Legitimationsgewinn für Vespasian geführt haben.71 Für noch unsichere oder in der Loyalität schwankende Legionen signalisierte der Wunderbericht in Verbindung mit den Akklamationen von Alexandria und Judäa, dass Vespasian nunmehr endgültig den gesamten Osten hinter sich versammelt habe und auf dem Weg zur Macht daher nicht mehr aufzuhalten sei. Vom römischen Volk und Senat könnte die Geschichte als Zeichen für die göttliche Begünstigung des Thronanwärters angesehen worden sein. So hätte die Erzählung dem aus einfachen Verhältnissen stammenden Mann jene göttlich beglaubigte Legitimation verschafft, die für einen römischen Princeps unerlässlich war, der als göttlicher Stellvertreter auf Erden angesehen wurde.72 Sowohl die (wohl von der flavischen Partei vorangetriebene) Verbreitung der Geschichte als auch ihr propagandistisches Potenzial lässt sich aus der lakonischen Bemerkung ablesen, mit der Tacitus die Erzählung abschließt: Noch zu Lebzeiten des Historikers hätten „Augenzeugen“ (qui interfuerunt) von dem Ereignis erzählt – selbst dann noch, als eine Lüge keinen Nutzen mehr gehabt habe (nullum mendacio pretium). Dieser Schlusssatz gibt einerseits einen Eindruck von der weiten Verbreitung der Geschichte durch Augenzeugen (und jene, die sich als solche ausgaben). Andererseits wird impliziert, dass die
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Zur Frage des Adressatenkreises siehe Engster 2010, welche die Bevölkerung Alexandrias, die östlichen Legionen, aber auch die römische Stadtbevölkerung und den Senat anführt. Hinter der Inszenierung als Wunderheiler steht möglicherweise auch die politische Metapher von der Heilung des erkrankten Staatswesens: siehe Engster 2010, 298; Levick 22017, 79. Vgl. Baier 2020, 317: „[A]t least the eastern parts of the empire expected the emperor to be some sort of ‘god’.“ Zur bewussten Verbreitung des Heilungswunders siehe Engster 2010, 303 mit Anm. 73 (mit weiterer Literatur). Vgl. Pfeiffer 2010, 277. Vgl. z. B. Sen. clem. 1,1,2 mit Pfeiffer 2010, 276.
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Erzählung einen konkreten Nutzen (pretium) hatte – sie sollte Vespasian bei seinem Griff nach der Macht Autorität und Legitimation verleihen, indem er als göttlicher Wunderheiler dargestellt wurde.73 Noch stärker als bei der Prophezeiung am Berg Karmel drängt sich bei den Ereignissen in Alexandria der Verdacht einer bewussten Inszenierung auf:74 Der Eindruck erhärtet sich, wenn neben das Heilungswunder die Wundererscheinung des Basilides im Heiligtum des Serapis gelegt wird, bei der Vespasian allein war (wie sowohl Tacitus als auch Sueton ausdrücklich betonen),75 und die deshalb für spätere Ausschmückungen und Umformungen besonders geeignet war.76 Als Vespasian nach Alexandria kam, hatte er nach wie vor ein gewisses Legitimationsdefizit: Die Ereignisse an dem Ort, an dem er zuerst von den Legionen zum Imperator ausgerufen wurde, verfehlten jedoch nicht ihren Zweck: Sueton meint, Vespasian habe hier die nötige auctoritas und maiestas gewonnen. Tacitus stellt sein Fazit der Beschreibung der Ereignisse voran: „Viele Wunder sind geschehen, von denen man glaubte, sie kündeten von der Gunst der Götter und einer gewissen Zuneigung der höheren Mächte für Vespasian“ (multa miracula evenere, quis caelestis favor et quaedam in Vespasianum inclinatio numinum ostenderetur: hist. 4,81,1). Tatsächlich hat die Erzählung ihre Wirkung nicht verfehlt: Als der neue Kaiser von Alexandria nach Rom aufbrach,
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Vgl. Engster 2010, 290 Anm. 6: „Indirekt ist die Bemerkung des Tacitus […] ein Zeichen dafür, dass auch er den Propagandawert der Berichte anerkannte.“ Zu den Wunderheilungen als Akt der politischen Kommunikation siehe Baier 2020, 312. Vgl. Lattimore 1934, 445: „The healing of the afflicted, arguing, as it would, superhuman power in the healer, might well have been staged for the benefit of the Alexandrian citizens and soldiers and the world at large when it came to hear of it“ (vgl. Stiles 2019, 136 Anm. 7). Deutlicher Baier 2012b, 231: „Vespasian selbst scheute sich nicht, [Zuversicht zu verbreiten], indem er, von seinen Beratern angestoßen, Wunderheilungen inszenierte und sich einen vermeintlich Blinden oder Lahmen vorführen ließ, den er scheinbar gesund machte. Zunächst waren ihm derartige Spektakel peinlich, dann aber erkannte er ihre Nützlichkeit.“ Barbara Levick betont die politische Notwendigkeit derartiger Spektakel (hinter denen sie den ägyptischen Präfekten Ti. Iulius Alexander als Drahtzieher vermutet) und spricht Vespasian vom Vorwurf der zynischen Manipulation fremder Kulte frei: „Such political factors do not turn Vespasian into a cynical manipulator of religion and superstition: he seems at worst a willing dupe of stage-managers, notably Alexander“ (Levick 22017, 79). Grundsätzliche Überlegungen zur Inszenierung von Prodigien mit dem Ziel, die Bevölkerung von der göttlichen Gunst für eine bestimmte Persönlichkeit zu überzeugen, bietet Stiles 2019, 134–138. Vgl. Tac. hist. 4,82,1 (arceri templo cunctos iubet); Suet. Vesp. 7,1 (summotis omnibus solus intrasset). Zu Vespasians Aufenthalt im Serapis-Tempel siehe Tac. hist. 4,82,1; Suet. Vesp. 7,1 mit Engster 2010; Pfeiffer 2010, 273–278.
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hat wohl niemand mehr die erstaunliche fortuna des einfachen Mannes aus dem Sabinerland für bloßes Glück gehalten.77 Rückblick: Vespasian erhält vor und nach der Kaiserproklamation eine ganze Reihe günstiger Zeichen und kann auch aufgrund seiner beachtlichen militärischen Erfolge glaubhaft vermitteln, dass sein Thronanspruch von höheren Mächten sanktioniert sei. Die Besonderheit am Umgang des Thronaspiranten mit Götterzeichen besteht darin, dass er Orakel, Prophezeiungen und Wunder bewusst einsetzt, um die öffentliche Meinung zu seinen Gunsten zu lenken – ein Vorgehen, das freilich den politischen Notwendigkeiten der frühen Kaiserzeit gehorcht. Die Auswertung des taciteischen Berichts hat gezeigt, dass die flavische Partei erst ein allgemein akzeptiertes Narrativ von göttlicher Unterstützung für Vespasian konstruiert hat, bevor die Usurpationspläne in die Tat umgesetzt worden sind. Die Tendenz zur Inszenierung und Instrumentalisierung der Kommunikation mit den Göttern lässt sich besonders an dem alexandrinischen Heilungswunder und der Wundererscheinung des Basilides beobachten: Beide Ereignisse sind auf ihre Außenwirkung hin berechnet und wurden offenbar bewusst in weiten Teilen des Reichs gestreut, um den Glauben der Zeitgenossen an Orakel auszunutzen. So vermittelte man den Eindruck der göttlichen Unterstützung für Vespasian und verlieh seiner Usurpation auf diesem Wege Legitimation. Im Folgenden werde ich die erschlossenen historischen Hintergründe auf Szenen der menschlich-göttlichen Kommunikation in den Argonautica übertragen und für zeithistorisch perspektivierte Interpretationen heranziehen.
8.2
Instrumentalisierung des Numinosen und metaphysische Aporie in den Argonautica
Die Übergangsphase von der julisch-claudischen zur flavischen Dynastie ist eine Umbruchszeit, die von religiöser Verunsicherung gezeichnet ist. Es zeigt sich in diesem Zeitraum – wie in Krisenzeiten üblich – eine erhöhte Sensibilität für göttliche Willensbekundungen, die jedoch vieldeutig sind und daher immer der Auslegung bedürfen.78 Wie wir gesehen haben, akzeptierte Vespasian das Zypressen-Prodigium oder die Prophezeiung des Flavius Josephus erst 77 78
Vgl. Wardle 2012, 190 (zu Suet. Vesp.): „[T]he beginning of seven […] leads directly to another episode in which all doubts about his divinely ordained rule are eliminated.“ Zur Auslegung und Interpretierbarkeit göttlicher Zeichen und zur Gefahr falscher Deutungen siehe z. B. Tac. hist. 5,13,2; Griffin 2009, 170; Baier 2012a, 8.
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dann als Vorausdeutung auf seine Herrschaft, als die Entwicklungen bereits eindeutig in diese Richtung zu gehen schienen, oder in anderen Worten: Als die gegenwärtige fortuna des Generals kaum mehr Zweifel ließ, dass sich das ihm angekündigte fatum erfüllen würde. Der Einsatz von Orakeln und Prodigien zur gezielten Steuerung der öffentlichen Meinung ist von der inneren Entwicklung des Mannes zu trennen: Wie das sorgfältig inszenierte Heilungswunder von Alexandria zeigt, verstand der Flavier die Symbolwirkung von Ereignissen, die seinem Handeln die Aura göttlicher Gunst verlieh: Solche ‚Nachweise‘ von göttlichem Beistand waren für die Legitimierung seiner Usurpation zentral. Die Erkundung des Götterwillens und die richtige Interpretation göttlicher Zeichen und dunkler Orakelsprüche beschäftigt auch die Argonauten intensiv.79 Das Wagnis der ersten Meeresüberquerung scheint ohne göttlichen Beistand nicht bewältigbar zu sein. Hierbei fallen besonders die Aktivitäten des Anführers Jason ins Auge, für den der richtige Umgang mit den Göttern eine wichtige Rolle zu spielen scheint. Dies legen seine vielen Gebete und Opfer, außerdem seine häufige Konsultierung von Orakelstätten und Sehern nahe.80 Wie bei Vespasian müssen auch bei Jason in der Interpretation zwei Ebenen der religio auseinandergehalten werden: (a) die innere Überzeugung des Anführers (die im Laufe des Gedichts eine Entwicklung von naivem Vertrauen auf göttlichen Beistand hin zu ernsthaften Zweifeln an göttlicher Führung durchläuft) und (b) öffentliche Bezugnahmen auf das Wirken der Götter, die jeweils der Durchsetzung einer bestimmten Agenda dienen. In den Bereich des letztgenannten Aspekts fallen die tendenziöse Ausdeutung von Götterzeichen und Orakelsprüchen, strategische Hinweise auf göttliche Unterstützung, aber auch das bewusste Verschweigen problematischer Orakelsprüche bzw. problematischer Teilaspekte. Die Interpretation der menschlich-göttlichen Kommunikation in den Argonautica wird zeigen, dass sich Jasons Umgang mit dem Numinosen in bedeutsamer Weise von der Praxis Vespasians unterscheidet. Jason ist eher mit einer Figur wie Galba vergleichbar: Wie Galba hat Jason für einen bestimmten, klar begrenzten Zeitabschnitt eine wichtige Rolle im Lauf der Weltgeschichte zu spielen und erfährt eine Zeit lang göttliche Unterstützung. Diese gilt jedoch mehr der von ihm angeführten Unternehmung als ihm selbst. Grund seiner
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Vgl. Zissos 2004a, 25 f.: „Like a number of the characters in Lucan’s Bellum Civile, the Argonauts, and Jason in particular, are obsessed with prophecy and other forms of divination. This preoccupation reflects both a need to resolve anxieties over the future and a desire to perceive in their own struggles a higher order at work.“ Zu Jasons ‚Religiosität‘, d. h. zu seinem Bemühen um den korrekten Umgang mit den superi, siehe Anzinger 2007, 231; von Albrecht 32012, 791.
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persönlichen Katastrophe ist, dass er – wie Galba – problematische Prodigien nicht ausreichend beachtet. Die zunehmenden Zweifel Jasons an göttlicher Führung entsprechen, wie der Rezipient erfährt, einer tatsächlichen, schrittweisen Abwendung der Götter.81 Die metaphysische Verunsicherung, die Jason und seine Mannschaft empfinden, hat ihre wichtigste Ursache darin, dass ihnen die größeren weltgeschichtlichen Konsequenzen ihrer Fahrt nicht offenbart werden und ihnen daher (im Gegensatz zum Rezipienten) nicht gestattet wird, eine Perspektive einzunehmen, die über das eigene, persönliche Schicksal (und Unglück) hinausginge. Ich werde im Folgenden den Versuch unternehmen, Jasons Umgang mit den Göttern mit Blick auf die religiöse Krise nach dem Selbstmord Neros vor dem Hintergrund des zeithistorischen Kontextes zu interpretieren und dabei sowohl die innere als auch die äußere Ebene der religio in den Blick nehmen. Meine Interpretation wird zeigen, dass Valerius nicht danach trachtet, Jason charakterlich abzuwerten, wenn er ihn an göttlichem Beistand zweifeln lässt oder wenn er die Götter auf ein rhetorisches Argument zu reduzieren scheint. Beide Verhaltensweisen sind vielmehr als Abbild eines für die flavische Zeit typischen Umgangs mit religio zu verstehen.82 8.2.1
Die äußere Dimension: religio als rhetorisches Mittel (Val. Fl. 1,184–254) Ein instruktives Beispiel für die tendenziöse Auslegung rätselhafter prophetischer Worte und die Berufung auf vermeintliche göttliche Gunst mit dem Zweck, ein bestimmtes rhetorisches Ziel zu erreichen, ist Jasons adhortatio (1,240–251) im Anschluss an die von Mopsus und Idmon abgegebenen Prophezeiungen nach dem Opfer an die Meeresgötter:83
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Während Jasons Hochzeit mit Medea wendet sich Pallas von dem zuvor unterstützten Helden ab (8,224–227 mit Barich 1982, 90). Zum Verhältnis der öffentlichen und der privaten Seite der religio siehe Ando 2003, 324 (und passim). Zu den Prophezeiungen des Mopsus und Idmon und zur anschließenden ‚Feldherrenrede‘ Jasons, die nach Aen. 1,198–207 geformt ist, siehe Wacht 1991b; Groß 2003, 39–63; Zissos 2004a, 25–35; Manuwald 2009, 591–594; Baier 2012b, 219–226; Walter 2014, 82–88; Baier 2020, 306–311 (hier 306): „He deliberately misinterprets prophecies in order to encourage his comrades.“ Die Gegenposition vertritt Barich 1982, 42: „Jason delivers a rousing exhortation to his men, a direct and emphatic expression of trust in the gods.“ Den Mittelweg geht Ferenczi 1996, 45: Jason strebe danach, die Meinung der Gefährten in die gewünschte Richtung zu lenken, gehe aber – zu diesem Zeitpunkt – auch selbst von göttlicher Unterstützung für die Mission aus.
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vix ea fatus erat, iungit cum talia ductor Aesonius: ‘superum quando consulta videtis, o socii, quantisque datur spes maxima coeptis, vos quoque nunc vires animosque adferte paternos. non mihi Thessalici pietas culpanda tyranni suspective doli: deus haec, deus omine dextro imperat; ipse suo voluit commercia mundo Iuppiter et tantos hominum miscere labores. ite, viri, mecum dubiisque evincite rebus quae meminisse iuvet nostrisque nepotibus instent. hanc vero, socii, venientem litore laeti dulcibus adloquiis ludoque educite noctem!’ Val. Fl. 1,240–251
Zunächst zur strukturellen Einbindung: Nach dem Stapellauf errichten die Argonauten an der Küste Opferaltäre und schlachten Opfertiere für die Meeresgötter. Nach einem Trankopfer spricht Jason an die Adresse Neptuns ein Bittgebet, in dem er um die Erlaubnis bittet (da veniam), als erster Sterblicher die Meere befahren zu dürfen. Der Meeresgott solle die Argonauten nicht mit „missgünstigen Wogen“ empfangen (non indignantibus undis),84 sondern als der ersten Meeresüberquerung würdig erachten (1,184–203). Mit dem Eindringen in die göttliche Hoheitssphäre könnte er sich leicht den Vorwurf der Hybris zuziehen. Doch anders als Frevler wie die Aloiden und Salmoneus unterliege er dem Zwang des Pelias – es treffe ihn daher keine Schuld.85 Nach diesem Gebet nährt der Argonautenführer die Flamme mit dem libamen. Beim Lesen in der Opferflamme geht der heilige und ganz vom Gott ergriffene Prophet Mopsus (sacer totusque dei … Mopsus: 1,207) jedoch über die heikle Frage nach der Zustimmung der Meeresgötter hinaus. Er gibt eine düstere Prophezeiung mit detaillierten, aber für die internen Adressaten unverständlichen Ausblicken auf die Schicksale einzelner Fahrtteilnehmer. Mopsus spricht von Pollux’ Wunden, feuerschnaubenden Stieren, Helmen und Speeren, die aus der Erde hervorbrechen, und einem Krieg um das Vlies (1,218–224).
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Möglicherweise ein Rückverweis auf 1,9, wo der Dichter Vespasians Leistungen bei der Britannienexpedition unter Kaiser Claudius lobend von den Meeresunternehmungen der „phrygischen Iulier“ abhebt, welche das Meer (oceanus) als einer Überquerung unwürdig erachtet habe (indignatus; vgl. non indignantibus undis: 1,200). Vgl. Val. Fl. 1,198f. Jasons Versuch, die Argofahrt vom Vorwurf der Transgression und der Hybris freizusprechen, überzeugt nicht: siehe Feeney 1991, 333; Bernstein 2014, 162 (anders Stover 2012, 106–110).
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An zwei Stellen betont der Seher die eigene Ungläubigkeit und den Schock über das, was sich seinem prophetischen Blick darbiete.86 Besonders verstörend klingen die Schlussworte: In prophetischer Schau ‚sieht‘ Mopsus eine Frau, triefend vor Blut, im geflügelten Schlangenwagen, zustoßend mit dem Schwert. Dann richtet er das Wort an Jason und heißt ihn, die Kinder in Sicherheit zu bringen, denn das Schlafgemach stehe in Flammen (1,224–226). Für die Argonauten sind dies dunkle Rätselworte (ambage: 1,227), doch sie erschüttern die Mannschaft und ihren Anführer (Minyas … ducemque / terrificat: 1,227f.). Da ergreift „im Gegenzug“ (contra: 1,228) Idmon das Wort, wie Mopsus ein Sohn des Apoll, um seinen Gefährten und Mopsus (sociis Mopsoque canit: 1,234) eine zweite prophetische Vision darzulegen.87 Auffällig ist die emphatische Hervorhebung des Mopsus als jemand, zu dem Idmon nun in prophetischer Rede spricht (canit): Die zweite Prophezeiung wird so als korrigierende Ergänzung der eben gehörten, verstörenden ersten markiert, die aus dem Gedächtnis der Helden verdrängt werden soll. Tatsächlich klingt Idmons Prophezeiung ermutigender, heroischer.88 Er betont die schweren Mühsale, wel86
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Vgl. 1,211 (heu quaenam aspicio?); 1,217f. (per quot discrimina rerum / expedior!). Solche Ausrufe des Sehers erinnern zum einen an narratoriale Kommentare im Bellum civile, in denen der Erzähler die Missbilligung ausdrückt, die er gegenüber seiner eigenen Erzählung empfindet, und zum anderen an den narratorialen Ausruf vor der Schilderung des Männermordes von Lemnos (2,216–219). Die prophetische Instanz spiegelt die erzählende Instanz: Beide erkennen eine vor ihnen liegende Handlungskette, die verängstigtes Missfallen erregt, aber nicht verzögert oder gebremst werden kann. Die Mopsus-Prophezeiung erfüllt als ‚table of contents-speech‘ (de Jong) auf diegetischer Ebene das, was die propositio auf exegetischer Ebene leistet, insofern auf den vor dem Rezipienten liegenden Stoff der Erzählung vorausverwiesen wird. Zu Seherfiguren als Doppelungen bzw. Spiegelbilder der Erzählinstanz siehe Lovatt 2019. Die Kombination zweier entgegengesetzter Sehersprüche an diesem Handlungspunkt ist eine Neuerung des Valerius: Bei Apollonios (AR 1,425–449) hält (nur) Idmon eine Prophezeiungsrede. Im Unterschied zu früheren Fassungen gibt es auch bei Apollonios zwei Seher an Bord der Argo (vgl. z. B. Pind. Pyth. 4,190f., wo Mopsos, nicht aber Idmon an der Fahrt teilnimmt). Bereits der hellenistische Epiker scheint also zwei Traditionen vermengt zu haben. Valerius überbietet diesen Einfall, indem er die beiden unterschiedlichen Ausblicke auf die Fahrt in einer einzelnen narrativen Sequenz gegenüberstellt. Zur Kombination der beiden Sehersprüche in einer einzelnen Szene siehe Feeney 1991, 316f.; Hershkowitz 1998, 26 f.; Manuwald 1999, 166–168; Zissos 2004a, 26f. mit Anm. 28. Hierbei ist Andrew Zissos’ wichtige Anmerkung zu berücksichtigen: Idmons Rede vermittelt deshalb einen ‚optimistischeren‘ Eindruck, weil sie selektiver ist und die positiven Aspekte (Triumph der Argo, Rückkehr zu den Eltern) hervorhebt, während negative Aspekte (bittere Schicksale einzelner Argonauten, Idmons Tod) ausgeblendet werden (vgl. Zissos 2004a, 31 f.). Zissos argumentiert, Mopsus werde als der glaubwürdigere, da authentisch inspirierte Prophet dargestellt (Zissos 2004a, 32–35). Die Pointe liegt meines
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che die Helden erwarteten, doch am Ende werde das Schiff über alles triumphieren (ratis omnia vincet). Er verspricht die Rückkehr in die Umarmungen der Eltern, dann vergießt er stumme Tränen – er sieht seinen eigenen Tod in den Flammen, setzt die übrigen Helden jedoch nicht darüber in Kenntnis (1,234–239). Kaum verstummt der Prophet, reißt Jason das Wort an sich, um der Mannschaft in einer ‚Feldherrenrede‘ seine Interpretation der beiden sehr unterschiedlichen Sehersprüche mitzuteilen (1,241–252): Die Beschlüsse der höheren Mächte (superum … consulta) machten Hoffnung für das Unterfangen. Nicht Pelias, sondern ein Gott befehle die Fahrt und sende ein günstiges Vorzeichen (omine dextro / imperat). Es sei Jupiters Plan, gegenseitigen Austausch (commercium) herzustellen und „die so großen Mühsale der Menschen zu vermischen“ (tantos hominum miscere labores).89 Der Anführer richtet zwei Aufforderungen an die Männer: Sie mögen mit ihren Kräften und dem väterlichen (Kampfes-)Mut zur Stelle sein (vos quoque nunc vires animosque adferte paternos). Sie mögen losziehen, um mit ihm in ungewisser Lage den Sieg davonzutragen und Taten zu vollbringen, an die sie gerne zurückdenken und die den Enkeln als Vorbild dienen würden:
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Erachtens aber anderswo: Die beiden Propheten zeigen zwei unterschiedliche Interpretationszugriffe auf, die ein Rezipient auf die Argonautica anwenden kann: Die (von Mopsus repräsentierte) Nahperspektive betont die tragischen Einzelschicksale und die Kollateralschäden, die in der (von Idmon repräsentierten) Fernperspektive als die notwendigen Opfer erscheinen, die für den erfolgreichen Abschluss der Fahrt notwendig sind. Die charakteristische Ambivalenz des Textes ergibt sich gerade daraus, dass der Dichter keine dieser beiden Perspektiven privilegiert. In sehr limitiertem Sinn streift diese Aussage die Schicksalsbeschlüsse, die Jupiter in 1,531– 560 verkündet, doch daraus kann nicht gefolgert werden, Jason durchschaue das weltgeschichtliche Ausmaß der Pläne Jupiters und die Wirkprinzipien des fatum (vgl. Zissos 2004a, 34 mit Anm. 43; Davis 2020, 4). Gesine Manuwald (2009, 591) betont, dass Jasons optimistische Darstellung des Jupiterwillens dem tatsächlichen Streben des Göttervaters geradezu widerspreche: „As recipients of the poem will realize due to their more comprehensive knowledge, this is just the opposite of what Jupiter actually wants: he wants humans to get in touch with each other not for friendly and civilian purposes, but in order to fight each other for the hegemony in the world.“ Anders Adamietz 1976, 14f.; Kleywegt 2005, 149 zu 1,244–247; Dräger 2003, 566f., die annehmen, Jason habe an irgendeinem Punkt vor dieser Rede Einblicke in das fatum erhalten – am Text lässt sich diese Behauptung nicht festmachen, es sei denn, man nimmt Jasons vage Ankündigung vom commercium zwischen den Menschen als Beleg für die Kenntnis des Weltenplans. Richtig hingegen Lovatt 2019, 93: „Jason would feel less confident about the advice of his divine sponsors if he were aware of its consequences. […] Jason’s imperfect grasp of the plot ahead gives him empty confidence in his own mission.“
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ite, viri, mecum dubiisque evincite rebus quae meminisse iuvet nostrisque nepotibus instent. Val. Fl. 1,248 f.
Wenn sich für die Idmon-Rede festhalten lässt, dass sie die beunruhigende Mopsus-Prophezeiung überdecken soll (vgl. Mopsoque canit), so gilt das für Jasons adhortatio umso mehr. Die Behauptung, die Götterbeschlüsse seien Anlass zur Hoffnung, steht in krassem Widerspruch zu der Wirkung, die Mopsus’ Prophezeiung auf die Mannschaft (und Jason selbst) hat: Sie entspricht nicht dem, was der Prophet der Mannschaft mitgeteilt hat, sondern dem, was Jason vermittelt wissen möchte. Der Anführer reißt die Deutungshoheit über die coram publico geäußerten Prophetenworte an sich, um den Eindruck zu erwecken, die Götter unterstützten die Fahrt. In der Rede an die Mannschaft weigert sich Jason anzuerkennen, dass das, was Mopsus vorausgesagt hat, als authentische Zukunftsvision zu betrachten ist. Es könnte sich dabei nur um eine rhetorische Strategie handeln, da Jason aus taktischen Gründen danach strebt, die dunkle, problematische Prophezeiung so weit wie möglich zu unterdrücken.90 Doch möglicherweise steckt mehr hinter der Leichtigkeit, mit der Jason die unangenehmen Seherworte beiseiteschiebt. Denn an unserer Stelle verrät Jason ein grundsätzliches Misstrauen gegen die prophetische Praxis: Meint Jason, die vergleichsweise positive Prophezeiung des Idmon liege näher an der Wahrheit? Hält er es für möglich, dass Mopsus die Zeichen falsch gedeutet, dass er sich schlicht geirrt habe? Die Diskussion weiterer Stellen wird zeigen, dass Jasons Umgang mit Orakelsprüchen tatsächlich von ausgeprägter metaphysischer Skepsis geprägt ist: Den Inhalt der Sehersprüche scheint er häufig als einen möglichen, aber nicht als den notwendigen Lauf der Dinge anzusehen. Mit der Unterdrückung der beängstigenden Mopsus-Prophezeiung verfolgt Jason den Zweck, möglicher Verunsicherung in der Mannschaft vorzubeugen: Von seinen Mitstreitern wünscht er, dass sie mit ihm erinnerungswürdige Heldentaten vollbringen. Düstere Sehersprüche könnten den gewünschten Heldenmut dämpfen und somit den Erfolg der Mission gefährden. Die Unterdrückung negativer Götterzeichen war auch im frühkaiserzeitlichen Rom gängige politische Praxis: Die These scheint plausibel, dass die Verbannung der Astrologen durch Vitellius (und später Vespasian) genau dem 90
Vgl. Zissos 2004a, 35: „With group morale evidently in mind, Jason opts not to delve into the ambages of Mopsus’ prophecy, endorsing instead the diminished perspective of Idmon. In a cohortatio imperatoria modeled on Aeneas’ speech at Aen. 1,198–207, he endorses the laconic optimism of the second prophecy.“
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Zweck diente, das Risiko des Kursierens ungünstiger Götterzeichen zu vermeiden.91 Es gibt auch manchen Anhaltspunkt, dass schlechte Prodigien bewusst gestreut wurden, um politischen Gegnern zu schaden. Dass unsere Quellen keine negativen Vorzeichen über die Flavier überliefern, bedeutet nicht zwangsläufig, dass es diese nicht gab: Vielleicht wurden sie nur sehr erfolgreich unterdrückt. Umgekehrt können wir davon ausgehen, dass die Flavier (und ihre Unterstützer) die Nachrichten von positiven Vorzeichen bewusst streuten, um die Legitimation des Usurpators Vespasian zu steigern.92 Aus persönlicher Sicht ist die Missachtung der warnenden, verängstigenden Prophezeiung des Mopsus für Jason fatal: Obwohl der Prophet ihn direkt anspricht, als er vom Kindsmord und dem Feuer im Schlafgemach kündet, schenkt der Anführer den Worten, die seinen Untergang voraussagen, keine Beachtung und nimmt stattdessen die kurze Rede des Idmon zum Anlass, um die Männer zur Unterstützung der geplanten Fahrt anzuspornen, zu deren Kollateralschäden sein persönlicher Ruin gehören wird. Die Missachtung ungünstiger Vorzeichen ist im Ringen um die Macht in Rom nach Neros Selbstmord Galba zum Verhängnis geworden, der düsteren Regen, Donner, Blitze – die Drohgebärden des Himmels – missachtete, um mit der geplanten Versammlung, in welcher die Adoption Pisos verkündet werden sollte, fortzufahren. Nach dem Tod Neros habe Galba günstige Vorzeichen erhalten, die seine Herrschaft voraussagten (Tac. ann. 6,20,2). Spätere, düstere Warnzeichen soll Galba entweder für zufällige Erscheinungen gehalten haben – oder, so der Nachsatz, er habe die Bestimmungen des fatum als unumgänglich und sein eigenes Handeln in Hinblick auf deren Vollzug als unerheblich betrachtet (Tac. hist. 1,18,1). Der selbstsichere Ton, mit dem Jason die göttliche Unterstützung für die Fahrt versichert, ist irritierend. Im Unterschied zu Aeneas an der Vorbildstelle hat Jason zum Zeitpunkt seiner adhortatio keinen Hinweis auf göttliche Führung erhalten,93 der die vollmundige Behauptung, ein Gott gebe mit günstigem
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Vgl. Suet. Vit. 14; Cass. Dio 65,9; Engster 2010, 291: „[S]owohl Vitellius als auch Vespasian [ließen] die Astrologen und Wahrsager aus Rom vertreiben. […] Vorzeichen und Prophezeiungen konnten als ‚Waffe‘ dienen, und ungünstige Voraussagen mussten verhindert werden. Das Einschreiten gegen die Wahrsager ist Indiz für eine allgemeine Nervosität in dieser Hinsicht.“ Tac. hist. 2,101,1; Griffin 2009, 176; Stiles 2019, 138. Zu Aeneas’ – wenn auch bruchstückhaftem – Einblick in das fatum bei der Trostrede an die Mannschaft in Aen. 1,198–207 siehe Binder 2019, Bd. 1, 36 zu 1,205. Die Rede des Aeneas ist bereits in der Mopsus-Rede anzitiert (Aen. 1,204f.: per tot discrimina rerum / tendimus ~ Val. Fl. 1,217f.: per quot discrimina rerum / expedior). Der Anklang lädt den Rezipienten
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Vorzeichen Anordnungen (1,245f.), rechtfertigen würde. Die auf maximale Wirkung berechnete Rhetorik Jasons kontrastiert freilich nicht nur mit der von Aeneas tatsächlich empfundenen göttlichen Leitung, sondern auch mit der größeren Vorsicht, die Vespasian in den Quellen zugeschrieben wird: Er habe den Prodigien und Prophezeiungen, welche seine Herrschaft ankündigten, erst dann Glauben geschenkt, als Erfolge wie der Sieg im Jüdischen Krieg oder die Kaiserproklamation deren Wahrheitsgehalt bereits zu offenbaren schienen. Doch als Jason seine motivierende Rede hält und auf den göttlichen Beistand verweist, steht die Mission noch am Anfang: Der Argonautenführer setzt göttliche Gunst ohne irgendwelche Gewissheit als rhetorisches Argument ein. Die teils tragisch-ironischen, teils düsteren Prophezeiungsreden und das ungelöste Problem der inhärenten Hybris der Fahrt lassen die naiv-optimistische Aufbruchstimmung in Jasons Anfeuerungsrede als verfehlt erscheinen. Am Ende seiner Rede verspricht Idmon, die Helden würden zu den elterlichen Umarmungen zurückkehren. Wie der Rezipient später erfährt, wird Jason ein Wiedersehen mit den Eltern verwehrt bleiben: Pelias treibt diese am Ende des ersten Buches in den Selbstmord.94 Die Mopsus-Prophezeiung endet mit der Voraussage des Kindsmords. Zusammengenommen ergeben die Schlussworte der Prophezeiungen eine Ankündigung der vollständigen Auslöschung der Familie Jasons. Wie bereits mehrfach beobachtet wurde, klingt die Sprache der IdmonProphezeiung an die berühmte labor improbus-Programmatik der Georgica an.95 Die Einführung des Ackerbaus (Georgica) bzw. die Errungenschaft der Schifffahrt (Argonautica) wird im jeweiligen Gedicht ambivalent beurteilt. In beiden Texten ist der Fortschrittsgedanke präsent, der geschäftiger Aktivität den Vorzug gegenüber träger Untätigkeit gibt, welche das reiche Potenzial menschlicher Möglichkeiten ungenutzt ließe. Wie die Schifffahrt stellt aber auch der Ackerbau eine Manipulation der von den Göttern eingerichteten Ordnung dar: Diese bei Vergil spürbare Spannung, menschliches Handeln gleichzeitig als Fortschritt und Transgression zu bewerten, ist bei Valerius von werkumspannender Relevanz. Die Argofahrt ist fatum und nefas zugleich. Sie entspricht Jupiters Beschlüssen für eine neue Weltordnung, stellt aber auch ein menschliches Eindringen in göttliche Einflusssphären dar. Die narrative Sequenz, an deren Ende Jasons ‚Feldherrenrede‘ steht, dient genau dem Zweck,
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ein, über den qualitativen Unterschied zwischen der Fahrt der Aeneaden und der Fahrt der Argonauten zu reflektieren. Vgl. Kap. 5.4 und 6.2. Vgl. Schubert 1984, 22–25; Feeney 1991, 330 f.; Wacht 1991a, 5–8; Stover 2012, 53f.; FabreSerris 2017, 191; Blum 2019, 69.
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vor den Meeresgöttern den möglichen Vorwurf der Hybris abzuschwächen und die Gefahr göttlichen Zorns abzuwenden. Die zuletzt vorgeführte Ebene, in der intertextuell und in tragischer Ironie auf schlimme Spätfolgen der Fahrt verwiesen wird, bleibt den Figuren natürlich verborgen. Die düsteren Worte des Mopsus haben den Männern Angst gemacht, doch offenbar kann Jasons Ausdeutung der Idmon-Prophezeiung diese Ängste zerstreuen. Die Reaktion der Mannschaft auf die Aufforderung, zu großen Heldentaten aufzubrechen, die sie immer in freudiger Erinnerung behalten werden, fasst der Erzähler mit einem einzigen Wort zusammen, das den Folgevers mit spondeischer Schwere einleitet: paretur (1,252). Somit gelingt Jason das, was auch Vespasian auf dem Weg zur Macht immer wieder gelungen ist: der Einsatz religiöser Rituale zur gezielten Steuerung der öffentlichen Meinung.96 Diese Gemeinsamkeit darf jedoch nicht über die gewichtigen Unterschiede zwischen den beiden Männern hinwegtäuschen: Vespasian beginnt erst mit der Instrumentalisierung von Götterzeichen, als er bereits herausragende Leistungen vorweisen kann, welche die Rede von göttlicher Unterstützung plausibilisieren. Jason hingegen hat das rhetorische Argument vom göttlichen Beistand von Anfang an im Repertoire, obwohl er sich nur auf vage Hoffnungen stützt. Beim Flavier sprechen erst Taten, dann die Götter. Jason geht umgekehrt vor: Er bemüht die Götter, um Taten anzuregen. Rückblick: Um den befürchteten Zorn der Meeresgötter abzuwenden, bringt Jason nach dem Stapellauf ein Opfer dar und spricht ein Bittgebet, in dem er versucht, die Argofahrt vom Vorwurf der Hybris freizusprechen. Im Anschluss eingeflochtene Bezüge zum labor improbus-Motiv verdeutlichen jedoch den ambivalenten Charakter der Mission: Die Argofahrt entspricht einerseits göttlichem Willen, stellt andererseits aber auch eine menschliche Transgression dar: fatum, Hybris und nefas werden eng aneinandergerückt. Die Ambivalenz des Opfergebets setzt sich in Mopsus’ und Idmons Doppelprophezeiung fort, in der die Nah- und Fernperspektive des Gedichts gegeneinander ausgespielt werden: So erhält die eine Prophezeiung pessimistischen, die andere optimistischen Charakter. Die unaufgelöste Spannung zwischen den gegenübergestellten Prophezeiungen signalisiert, dass beide Interpretationszugriffe für dieses Gedicht Gültigkeit haben können.
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Vgl. Baier 2012b, 231f.; Baier 2020, 307: „It was certainly not Valerius’ intention to show us a pious Jason; he rather wanted his readers to perceive him as a strong leader, a man like Vespasian and the members of the Flavian dynasty, for instance. Among the repertory of such a leader is the enactment of religious rituals aimed at impressing one’s comrades.“
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Im Anschluss an die verunsichernden Prophetenworte reißt Jason jedoch die Deutungshoheit über die Orakelsprüche an sich und ermutigt die Mannschaft, indem er auf die göttliche Unterstützung der Fahrt verweist und (die von Mopsus aufgeworfenen) negativen Aspekte verschweigt. In dieser adhortatio spielt er die Rolle des tatkräftigen Anführers, der es versteht, göttliche Zustimmung rhetorisch zu instrumentalisieren. Über Jasons innere Verfasstheit erfährt der Rezipient an dieser Stelle hingegen nichts. 8.2.2
Vom Verschweigen problematischer Orakelsprüche (Val. Fl. 3,296–303; 3,352–356; 3,617–621) Die oben besprochene ‚Feldherrenrede‘ erweist Jason als Anführer, der sich nicht scheut, ungünstige Götterzeichen rhetorisch zu seinem Vorteil zu wenden und im passenden Augenblick göttliche Gunst ins Feld zu führen, um bei den internen Adressaten die gewünschte Reaktion hervorzurufen. Doch Jason ist nicht immer der beherrschte, gewiefte Redner, der den Informationsfluss geschickt kontrolliert und Äußerungen gegenüber der Mannschaft nur an ihrer Wirksamkeit misst. Zweimal gibt er in verzweifeltem Zustand den Inhalt besorgniserregender Orakelsprüche preis, die er der Mannschaft bis dahin offenbar vorenthalten hat. Beim Anblick der Toten nach der tragischen Nyktomachie in Arg. 3 verfallen die Argonauten in tiefste Trauer: Ringsum stehen sie und beweinen in heftigem Wehklagen und mit Kummer im Herzen den eigenen Frevel (3,283f.). Der Erzähler hebt das Leid Jasons hervor, der unwissentlich den König der toten Gastfreunde mit seinem Speer getötet hat. Beim Anblick der erkalteten, blutstarrenden Gesichtszüge des Freundes umklammert Jason die Glieder des Toten und hebt zur Klagerede an (ingemit); bald zieht er auch die Götter und die Seher zur Verantwortung: quod si iam bella manebant et placitum hoc superis, nonne haec mea iustius issent97 funera meque tuus ⟨potius⟩ nunc plangeret error nec Clarii nunc antra dei quercusque Tonantis arguerem? talesne acies, talesne triumphos sorte dabant? tantumque nefas mens conscia vatum
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Die Konjektur issent (vorgeschlagen von Heinsius, übernommen von Liberman und Spaltenstein) statt handschriftlichem essent ist inhaltlich („Ginge man nicht mit größerem Recht zu meinem Grab?“ – so Spaltenstein 2004a, 95 zu 3,296–298) und sprachlich (Vermeidung der Kombination von Adverb und esse) plausibel.
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conticuit patriae exitium crudele senectae et tot acerba canens? Val. Fl. 3,296–303
Die Erwähnung eines Apoll- und eines Jupiter-Orakels in dieser (gegenüber Apollonios neu geschaffenen) Klagerede kommt für den Rezipienten unerwartet. Bis zu dieser Stelle werden entsprechende Orakelbesuche Jasons weder narratorial noch figural erwähnt. Doch damit nicht genug: Auch als Jason am Strand von Mysien nach Tagen der ergebnislosen Suche nach Hercules von Tiphys zum Aufbruch gedrängt wird, berichtet er der gesamten Mannschaft (socios … sic fatur ad omnes: 3,616) von einem Apollon-Orakel, welches das Ausscheiden des Hercules vor der Symplegaden-Durchfahrt geweissagt habe:98 ‘o utinam, Scythicis struerem cum funera terris, vox mihi mentitas tulerit Parnasia sortes, agmine de tanto socium qui maximus armis adforet, hunc Iovis imperiis fatoque teneri ante procellosum scopulis errantibus aequor.’ Val. Fl. 3,617–621
In der Forschung finden sich für diese überraschenden, ‚aus dem Nichts‘ kommenden Orakelsprüche unterschiedliche Erklärungen.99 Man hat die Stellen (zusammen mit 1,544) als Inkonsistenzen und/oder Zeichen für die Unfertigkeit des Werkes gehalten.100 Doch sie stehen zum restlichen Textbefund nicht zwangsläufig in Widerspruch: Es ist prinzipiell möglich, dass der Erzähler die Information über frühere Orakelbesuche zurückhält und (in interner Analepse) erst an der Stelle präsentiert, an der sie die größte Wirkung hat. Ein anderer Ansatz ist die Annahme selbstreflexiver ‚Negativ-Allusionen‘:101 Demnach handle es sich bei den von Jason referierten Prophezeiungen um
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Vgl. Kap. 7.7. Siehe Manuwald 2015, 6; 143 zu 3,299–302; 158 zu 3,354; 235f. zu 3,618; Davis 2020, 4 Anm. 25 (mit weiterer Literatur). Langen 1896, 92 zu 1,544: „Valerius hoc loco sibi non constitit, cum antea solius Peliae iussu Iasonem ad expeditionem missum esse narravisset neque quidquam de oraculo Iovis aut Apollinis aut adeo de parentibus Argonautarum dixisset.“; Río Torres-Murciano 2007, 82f. Anm. 4. Dazu (korrigierend) Kleywegt 2005, 320 zu 1,544–551. Vgl. Zissos 2008, xl: „A frequent metaliterary technique is the signalling of versions of the myth that the poet has chosen not to follow. Through such ‘negative allusions’, VF repeatedly draws attention to his own status as a poetic ‘recycler’, or to his mediating role as a
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Mythenvarianten,102 die der Dichter nachträglich andeute, nachdem er die eigene Erzählung bereits auf einen anderen Pfad geführt habe. Der Dichter reflektiere auf diese Weise über die Schwierigkeit, aus den vielen unterschiedlichen Fassungen der Argonautensage auszuwählen und den in unzähligen Quellen vorliegenden Stoff zu bändigen.103 Doch soweit die vorliegenden Quellen diesen Schluss zulassen, steht der Dichter bei keiner der beiden Klagereden unter dem Druck der Tradition: Sowohl Jasons Klage um Cyzicus als auch die Rede am Strand von Mysien hat Valerius – soweit wir sehen – neu geschaffen, sodass bei keiner der beiden Stellen ein vom individuellen Gestaltungswillen abzugrenzender Grund anzunehmen ist, einen bis dahin nicht erzählten Orakelbesuch einzufügen. Die Erklärung, der Dichter weise in raffinierter Weise auf die Vielfältigkeit des Stoffes hin, indem er selbstreflexiv auf abweichende Mythenvarianten anspiele, die sich mit der eigenen Fassung reiben, greift an den genannten Stellen aber auch deshalb zu kurz, weil es nicht notwendig ist, von Unstimmigkeiten auszugehen: Auch wenn der Erzähler nicht suo loco davon berichtet, kann Jason vor der Unternehmung (etwa nach dem Schiffsbau) ein Orakel konsultiert haben.104 Apollonios und Apollodor überliefern genau diesen Handlungsverlauf,105 sie bieten aber kein Vorbild für die von Jason referierten Auskünfte des Orakels (Tod des Vaters, viel Bitteres [tot acerba], Verlust des Hercules vor den Symplegaden), sodass wir von individueller Ausarbeitung durch Valerius ausgehen können. Wenn wir annehmen, dass Jason nach dem Schiffsbau (oder an einem anderen Punkt vor der Abfahrt) Weissagungen eingeholt hat, lässt sich auch die nur scheinbare Inkonsistenz in 1,544 auflösen, in der Jupiter erklärt, „seine Eichen [das Orakel von Dodona], die Dreifüße [das Apollon-Orakel] und die Schatten der Vorfahren“ hätten die Heldenschar auf das Meer geschickt.106
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selector of variants within the tradition.“ Zissos 1999 bietet eine ausführliche Darlegung des Phänomens. Die Variante, Jason habe vor der Argofahrt das Apollon-Orakel in Delphi besucht, überliefern AR 1,301 f.; 1,411–414; 4,529–532; Apollod. 1,110 (vgl. Hdt. 4,179). Eine Interpretation der genannten Stellen bietet Dräger 1998, 200.206–208. Vgl. Río Torres-Murciano 2007, 83 Anm. 4: „Se trata de profecías que no hallan correspondencia ni explicación en el texto valeriano, incoherencias que, a nuestro juicio, están encaminadas a llamar la atención acerca de lo problemático que resulta para los mortales del Argonáuticas el conocimiento de la voluntad divina, al tiempo que le revelan al lector doctus el complicado juego del poeta con las fuentes.“ Dräger 2003, 566f. bietet einen Vorschlag zur chronologischen Rekonstruktion der Ereignisse der fabula. Siehe oben Anm. 102. Vgl. Wacht 1991a, 9 Anm. 32, der quercus jedoch (wie Schenk 1999, 284 Anm. 394) auf die in
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Die entscheidende Frage ist also nicht, ob Jason die genannten Orakelstätten tatsächlich besucht hat,107 sondern warum er den Gefährten deren Inhalt nicht mitteilt. Die adhortatio nach dem Opfer an die Meeresgötter zeigt, dass sich Jason bewusst ist, dass Orakelsprüche und Prophezeiungen dazu geeignet sind, die öffentliche Meinung in die eine oder die andere Richtung zu steuern. Konfrontiert mit den düsteren Sehersprüchen des Mopsus und den optimistischeren Worten des Idmon hört er nur, was er hören will, und gestaltet auch die folgende Rede an die Mannschaft entsprechend. Die Orakelstätten, die er vor der Abfahrt aufgesucht hat, dürften ihm, um die taciteische Formulierung aufzugreifen, „Glückliches und Kummervolles“ (laeta tristia: Tac. hist. 1,3,2) verheißen haben. Der Anführer, der die öffentliche Wirkung der Sehersprüche kennt, teilt nur Ersteres mit der Mannschaft und behält Letzteres für sich – nicht nur aus reiner Berechnung (d.h. weil er die Mannschaft nicht verunsichern will), sondern auch, weil er wohl insgeheim hofft, die düsteren Vorhersagen würden sich am Ende nicht bestätigen.108 In anderen Worten: Jason misstraut den Sehersprüchen. Anders lässt sich nicht erklären, dass er trotz Orakelspruch tagelang nach Hercules suchen lässt und selbst dann, als er die Seherworte mit den Männern geteilt hat, eine Debatte über die Fortsetzung der Suche lostritt. Der Götterspruch scheint ihm keine sichere Quelle des Vorauswissens zu sein, sondern nur einen möglichen (nicht: notwendigen) Handlungsverlauf anzu-
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1,302–307 erzählte Traumvision bezieht (was aufgrund des Plurals in 1,544 eher unwahrscheinlich ist – so auch Groß 2003, 25 Anm. 99). Am plausibelsten ist es, hier Anspielungen auf die (in 3,299 analeptisch nachgeholten) Orakelbesuche Jasons in Delphi und Dodona zu sehen. Anders Galli 2007, 288 f. zu 1,544, die in quercus eine Anspielung auf die Traumvision sieht und hinter den tripodes einen Verweis auf die divum minae (vgl. 1,26f.) vermutet, die Pelias vor Jason gewarnt hätten. Von fingierten Prophezeiungen wird man ob des emotionalen Ausnahmezustandes, in dem sich der Anführer an den entsprechenden Stellen befindet, nicht ausgehen können. Die Erklärung, dass Jason die fraglichen Orakelsprüche an jeweils passender Stelle erfinde, ist aber auch deshalb unbefriedigend, weil der Argonautenführer kein erkennbares rhetorisches Ziel verfolgt, wenn er bei der Trauer um Cyzicus bzw. um Hercules von einem Götterspruch erzählt, der das schmerzhafte Ereignis angekündigt hat. In anderen Worten: Jason hat an keiner der beiden Stellen einen guten Grund, seine Zuhörer anzulügen. Vgl. Barich 1982, 50 f.: „[T]he oracle is obliquely introduced in a wish that it were not true.“ Anders Dräger 1998, 207: „Doch gemäß der epischen Technik der Versparung […] hören wir Jasons Anfragen aber nicht suo loco, sondern bei passender Gelegenheit, meist einer bedenklichen Phase des Unternehmens, in der ihm erst der wahre Sinn der Göttersprüche aufgeht.“ Dräger übergeht, dass Jason negative Vorhersagen auch zurückhält, um eine unerwünschte Reaktion der Mannschaft zu vermeiden. Außerdem kann bei der analeptisch referierten Hercules-Prophezeiung gerade nicht die Rede davon sein, dass Jason „der wahre Sinn des Götterspruchs aufgehe“: Sein Entschluss, eine Debatte loszutreten, zeigt, dass er einen vom Orakel abweichenden Handlungsverlauf für möglich hält.
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zeigen. In diesem wichtigen Punkt unterscheidet sich Jason von Vespasian, der Vorhersagen seiner Herrschaft erst anzuerkennen begann, als sich diese durch seine Leistungen allmählich zu bestätigen schienen. Jason ist indes nicht die einzige Führungsfigur in den Argonautica, die unglücksverheißenden Vorzeichen nicht die nötige Aufmerksamkeit schenkt. Nach der Bestattung der Toten erklärt der Erzähler, „die Drohgebärden der Vögel“ und „weissagende Blitzeinschläge“ hätten die Katastrophe für König Cyzicus und sein Volk angekündigt, seitdem am Pelion Bäume für den Bau der Argo gefällt worden seien. Die angeschlossene rhetorische Frage impliziert, dass diese Zeichen missachtet worden seien. Das Schöpfen leerer Hoffnung trotz beunruhigender Vorzeichen sei ein zutiefst menschliches Versagen: ilicet haec illo iuvenem populosque manebant tempore, Peliacis caderet cum montibus arbor: hoc volucrumque minae praesagaque fulmina longo acta mari tulerant. sed quis non prima refellat monstra deum longosque sibi non auguret annos? Val. Fl. 3,352–356
Bedrohlicher Vogelflug und schicksalskündende Blitzeinschläge – das sind freilich jene Naturphänomene, von denen Tacitus berichtet, dass man sie in Friedenszeiten für bloße Zufälle halten würde. Im Werk des Historikers bleibt ambivalent, wie Menschen den Unterschied zwischen Vorzeichen und reinen Zufällen, die nur für solche gehalten werden, erkennen können. Auch Valerius macht Cyzicus nicht zum Vorwurf, dass er die monstra deum nicht richtig gedeutet hat; die rhetorische Frage am Ende der zitierten Stelle erklärt eine Stimmung des Grundoptimismus trotz unheilverkündender Vorzeichen zu einem typisch menschlichen Verhaltenszug.109 Doch der Dichter lässt keinen Zweifel daran, dass es sich beim Vogelflug und den Blitzen tatsächlich um Vorzeichen handelte. Vielleicht ist das ein Element, das die Argonautica als Produkt einer instabilen, von metaphysischen Zweifeln geprägten Umbruchszeit ausweist: die resignierte Vorstellung, dass die Menschen immer wieder daran scheitern, die Götterzeichen richtig zu deuten, obwohl „der Himmel voll ist von [zukunfts-]kündenden Federn“ (plenum certis … aethera pinnis: 1,233).110 Wie
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Interessanterweise zeigen die beiden Tyrannen Pelias und Aeetes ein davon abweichendes Verhalten: Beide erhalten düstere Orakelsprüche, ignorieren diese jedoch nicht, sondern setzen Handlungen, um die Erfüllung der Seherworte zu verhindern. Zum Auftrag des Pelias als Konsequenz einer düsteren Prophezeiung siehe Baier 2017, 201f. Zum (in den Argonautica angedeuteten) stoischen Konzept, dass der Kosmos voller Zei-
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wir im Folgenden sehen werden, ist den Figuren in den Argonautica schmerzlich bewusst, dass sie keine tiefen Einblicke in die Motive und das Walten der Götter erhalten. Als Resultat fühlen sie sich als Opfer göttlicher Willkür und sehen sich dem (für sie) undurchschaubaren Treiben der Schicksalsmächte schutzlos ausgeliefert. Rückblick: Trotz der düsteren, unheilverkündenden Prophezeiung des Mopsus hält Jason vor der Mannschaft eine flammende Rede, in der er – ohne nachdenkliche Zwischentöne – volle göttliche Unterstützung für die Fahrt reklamiert, um die Männer zu großen Heldentaten anzuspornen. Wie die Reaktion der davor durch Mopsus verunsicherten Mannschaft zeigt, hat er damit Erfolg. Doch neben der tendenziösen Ausdeutung und der versuchten Unterdrückung ungünstiger Seherworte, die im Beisein der Mannschaft ausgesprochen werden, kennt Jason noch eine weitere Strategie des Umgangs mit problematischen Vorhersagen: Stillschweigen. In emotionalen Ausnahmezuständen (Trauer beim Tod des Cyzicus, Trauer nach dem Verlust des Hercules) verrät Jason, er habe düstere Orakelsprüche erhalten, die er der Mannschaft jedoch offenbar nicht kundgetan hat. Ähnliches berichtet der Erzähler auch von König Cyzicus: Der eigene Untergang sei ihm prophezeit worden, doch der König habe derlei nicht ausreichend beachtet und stattdessen gehofft, die Sehersprüche würden sich nicht erfüllen. Zum einen ist das bewusste Zurückhalten ungünstiger Götterzeichen eine Strategie, allgemeiner Verunsicherung vorzubeugen. Zum anderen scheinen sowohl Jason als auch Cyzicus Hoffnungen auf einen vom Seherspruch abweichenden Handlungsverlauf zu hegen, was auf ein gewisses Misstrauen gegenüber göttlichen Zeichen schließen lässt. Beide Reaktionen lassen sich plausibel als literarische Spiegelung einer Zeitstimmung interpretieren, die daraus resultiert, dass eine Reihe katastrophaler Ereignisse das Vertrauen in die Götter erschüttert hat. 8.2.3 Die innere Dimension: religio und Jasons pietas Wir haben bisher zwei Aspekte von Jasons äußerem Umgang mit religio betrachtet: Die öffentliche Berufung auf göttlichen Beistand zur Beeinflussung eines bestimmten Adressatenkreises und das Unterdrücken bzw. Verschweigen problematischer Vorhersagen. Ich komme nun zur inneren Dimension der reli-
chen sei, die den göttlichen Willen anzeigten, siehe Zissos 2004a, 271 Anm. 9. Der Gedanke, dass die Menschen unfähig seien, Sehersprüche richtig zu verstehen, begegnet auch in Aen. 4,65 (heu vatum ignarae mentes) und Stat. Theb. 6,934–937. Vgl. Río Torres-Murciano 2010, 139 Anm. 22: „Valerio ha encontrado en este tipo de referencias un modo de socavar la tradicional correspondencia entre motivación humana y divina.“
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gio, also zur Frage, inwiefern Jason daran glaubt, dass die Argofahrt von den Göttern unterstützt wird. Es wird sich zeigen, dass eine anfängliche Phase naiven Gottvertrauens bald in tiefe metaphysische Zweifel umschlägt und Jason zunehmend beginnt, sich als Opfer verborgener göttlicher Machenschaften zu fühlen. Seine Erfahrung verhält sich also gegenläufig zur Entwicklung des Aeneas, der nach anfänglichen Zweifeln am Ende der Aeneis mit einiger Sicherheit von der Führung durch höhere Mächte ausgehen kann, die ihm in der entscheidenden Schlacht die Überhand verschaffen werden.111 Die Beobachtung, dass Jason und die Argonauten systematisch vom Wissen um die Schicksalsbeschlüsse ausgeschlossen werden, wird uns im abschließenden Abschnitt zur Frage nach dem fatum-Konzept der Argonautica und zu dem auch zeithistorisch relevanten Bild von menschlich-göttlicher Interaktion in diesem Text führen. Beim Abwägen der verschiedenen Handlungsmöglichkeiten, die sich nach der Beauftragung durch Pelias ergeben, kann Jason mit guten Gründen davon ausgehen, dass er, falls er die Fahrt antritt, göttliche Unterstützung erhalten wird. Der Erzähler führt in erlebter Gedankenrede die beiden Optionen vor, zwischen denen der Held auswählen muss: Rebellion gegen den hinterlistigen Tyrannen Pelias, wobei er mit der Unterstützung der patres rechnen könnte, die seit jeher mit (dem von Pelias gestürzten) Aeson sympathisieren, oder, in der Hoffnung auf Größeres (speret magis: 1,74), Annahme der Beauftragung zur Meeresfahrt im Vertrauen auf den Beistand der verbündeten Juno und der waffenklirrenden Pallas (socia Iunone et Pallade fretus / armisona: 1,73f.). Die Überlegung, in Iolkos einen Bürgerkrieg anzustoßen, verwirft Jason rasch. Ausschlaggebender Anlass ist der „Ruhm“ ( fama: 1,76; gloria: 1,77), den er sich vom erfolgreichen Abschluss der ersten Fahrt über das Meer verspricht. Das Streben nach Ruhm muss dabei nicht zwangsläufig als negatives Charaktermerkmal ausgelegt werden. Die Argonautica handeln nicht zuletzt von der Etablierung einer neuen Weltordnung, die den Menschen nach der saturnischen Trägheit erlaubt, ihre Tatkraft (virtus) bei Mühsalen (labores) unter Beweis zu stellen:112 111
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Zum unterschiedlichen Grad des Einblicks in den Götterwillen siehe Baier 2020, 308: „In contrast to the Virgilian hero, we do not witness any development in Jason’s behavior. From the first moment, Jason is presented as a strategically thinking statesman. For him, the intervention of the gods is not a moral appeal, but an instrument of exerting power.“ Diese Beschreibung ist für die oben als ‚äußere Dimension der religio‘ bezeichnete Ebene zutreffend. Hinsichtlich der inneren Einstellung zu den Göttern lässt sich bei Jason eine Entwicklung von naiver Zuversicht zu resignierter Enttäuschung feststellen. Vgl. Wacht 1991b, 103: „Aus der Sicht Juppiters erfüllen die Argonauten in seinem Auftrage eine weltgeschichtliche Mission. Immanentes Ziel dieser Mission ist auch, wie schon angedeutet, die Bewährung von labor und virtus in der Nachahmung der Leistung des
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Als Lohn verspricht Jupiter seinen Söhnen den Weg zu den Sternen; für alle anderen ist wohl irdische gloria der Dank. In diese Weltordnung fügt sich ein nach Heldenruhm strebender, tatkräftiger Jüngling wie Jason nahtlos ein. Der junge Held fasst deshalb Mut, die Mission anzutreten, weil ihn religio bestärkt (tandem animi incertum confusaque pectora firmat / religio: 1,79f.). Der Begriff bezeichnet an unserer Stelle, wie Langen präzise paraphrasiert, die „spes auxilii divini“.113 Es ist aus Jasons Perspektive tatsächlich nicht abwegig, sich an diesem Punkt Hoffnungen auf göttlichen Beistand auszurechnen: In seinem Gebet an Juno erinnert er die omnipotens regina (1,81) daran, wie er sie während eines Sturms über den vom Regenwasser angeschwollenen Fluss Enipeus getragen habe (1,81–86). Als Gegenleistung für diese pietas-Tat bittet er Juno, ihm den Weg nach Skythien und zum Phasis zu eröffnen. Dann bezieht er Pallas in das Gebet mit ein und bittet sie, ihn (sc. allen Gefahren) zu entreißen (tuque, innuba Pallas, eripe me: 1,87f.).114 Am Ende des Gebets verspricht er beiden Göttinnen Opfergaben. Hier bildet sich in nuce die für Jason kennzeichnende Auffassung von religio ab: Seine pietas äußert sich in Gebeten, Opfern und der korrekten Ausführung von Ritualen.115 Im Gegenzug bittet er die Götter um ihre Beihilfe, von der er – seinem Götterbild folgend – auch guten Gewissens ausgehen kann.116
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höchsten Gottes selbst.“ Langen 1896, 30 zu 1,80. Vgl. Zissos 2008, 127 zu 1,79 f. Jason ‚zitiert‘ an dieser Stelle Wendungen aus dem Proömium. Zum metaliterarischen Gehalt seines Gebets siehe Baier 2017, 211 f. Vgl. Castelletti 2014, 127: „Jason’s pietas never reaches the depth of Aeneas’, as Jason contents himself with the strict observance of religious rituals, which he performs as the expedition’s military and religious leader. Like the other human protagonists of the Argonautica, Jason is never fully aware of the divine dimension of the mission entrusted to him, and the lack of communication between gods and humans is not without considerable consequences.“ Vgl. Schenk 1999, 281 Anm. 394; Baier 2017, 209: Die erste Rede Jasons sei ein „Gebet, in dem er sich mit den Göttern im Bunde weiß.“ Die Römer betrachten ihre Götter als Mächte, denen sie bestimmte Pflichten schulden, von denen sie aber, wenn diese Pflichten abgeleistet sind, auch bestimmte Gegenleistungen erwarten dürfen. Jasons Denken erklärt sich an unserer Stelle aus diesem römischen do ut des-Prinzip. Zur beschriebenen Religionsauffassung vgl. Sen. ep. 47,18; Baier 2012a, 8. Zu Jasons anfänglichem Vertrauen auf göttlichen Beistand siehe Barich 1982, 44–46; Castelletti 2014, 175f. Zu der (verkürzenden) Forschungsmeinung, Jasons pietas sei wenig mehr als ein Mittel zum Zweck (namentlich gloria), siehe Ripoll 1998, 196–213.258–275; Bernstein 2014, 157–159. Es ist richtig, dass Jason bei Gebeten und Ritualen nach dem do ut des-Prinzip vorgeht. Trotzdem ist ihm ein gutes Verhältnis zu den Göttern wichtig. Er leidet darunter, nur vage Zeichen von göttlicher Unterstützung zu erhalten und vom Einblick in die tieferen Gründe irdischer Vorgänge ausgeschlossen zu werden: Seine Ängste (nach der Betrachtung der Bilder am Schiffsbug; nach der Betrachtung der Bilder an den Toren des Sonnentempels) und seine anklagen-
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Die beiden Göttinnen nehmen das Gebet an (accepere deae: 1,91), allerdings ohne Jason ein entsprechendes Zeichen zu geben. Dieser kann jedoch aufgrund der Ereignisse, die sich an sein Gebet anschließen, davon ausgehen, dass seine Bitte erhört worden ist: Ein Schiff – die Argo – wird gebaut (1,92–95.120–129), unter den Helden Griechenlands verbreitet sich die mit Begeisterung aufgenommene Kunde von der geplanten Unternehmung (1,96–106), der gewaltige Held Hercules kommt mit Hylas heran, um sich der Fahrt anzuschließen (1,107– 111). Obwohl all das darauf schließen lässt, dass ihn die Göttinnen erhört haben und der Mission ihre göttliche Gunst schenken, bekommt es Jason beim Anblick des Schiffs, mit dem er in See stechen soll, mit der Angst zu tun (1,150–152). Damit nicht nur sein Vater um den Sohn fürchten muss, entschließt er sich dazu, den Sohn des Pelias in hinterlistiger Weise dazu zu bringen, sich der Fahrt anzuschließen. Jason erscheint als kaltblütiger Meister der dissimulatio, als er den ahnungslosen Acastus rhetorisch blendet und ihn geschickt zur Teilnahme an der gefährlichen Mission überredet. Doch die moralisch höchst fragwürdige Tat hat einen religiösen Hintergrund: Jason entführt Acastus, damit dessen Vater Pelias „um gefahrlose Meere für das verhasste Schiff bitte und zusammen mit den Müttern für sichere Wogen bete“ (invisae Pelias freta tuta carinae / optet et exoret nostris cum matribus undas: 1,154f.). Jason, der die wahren Absichten des Tyrannen durchschaut hat, fürchtet offenbar die Verfluchung, die der Tyrann gegen das Schiff ausstoßen könnte: Um diese ernstzunehmende Gefahrenquelle auszuschalten, entschließt er sich kurzerhand, dessen Sohn Acastus auf die gefährliche Fahrt über das Meer mitzunehmen. Man kann geteilter Meinung darüber sein, ob sich die List dadurch rechtfertigen lässt. Doch wie auch immer das Urteil ausfällt, muss eingeräumt werden, dass Jason hier nicht aus einer Laune oder aus reiner Boshaftigkeit heraus agiert. Sein geplantes Vorgehen scheint außerdem durch ein Götterzeichen legitimiert zu werden: Als er darüber nachdenkt, den jungen Acastus in dieselben Schicksale und dieselben Gefahren hineinzureißen (non iuvenem in casus eademque pericula Acastum / abripiam?: 1,153f.), erscheint am Himmel ein Adler, dessen Erscheinen Jason als positives Vorzeichen interpretiert: „Der Sohn des Aeson nimmt das Vorzeichen an und schreitet frohen Mutes zum Palast des stolzen Pelias“ (accipit augurium Aesonides laetusque superbi / tecta petit Peliae: 1,161f.). In Vorwegnahme der taciteischen Darstellungskunst lässt Valerius in raffinierter Weise offen, ob es sich hier tatsächlich um ein Vorzeichen oder den Trauerreden an die göttliche Adresse (nach dem Tod des Cyzicus; nach dem Tod des Idmon und Tiphys) sind Belege dafür. Ausgewogen Barich 1982, 35, der betont, dass „desire for fame“ und „reverence for the gods“ im Kosmos der Argonautica keine Widersprüche darstellen müssen.
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nur um eine zufällige Naturerscheinung handelt, die ein Mensch den eigenen Bedürfnissen entsprechend auslegt: Im Erzählertext heißt der Adler Iovis armiger („Jupiters Waffenträger“), doch hier und in der Formulierung accipit augurium ist durchaus möglich, dass kein objektiver Bericht, sondern eine durch die Erzählerstimme gefilterte Wiedergabe der Gedanken Jasons vorliegt: Die lateinische Formulierung lässt offen, ob „Jason das göttliche Vogelzeichen annahm“ oder ob „Jason [die Erscheinung] als göttliches Vogelzeichen verstand“. Doch wie wir gesehen haben, gibt es für Jason bisher keinen Grund, an göttlicher Unterstützung für die Fahrt zu zweifeln. Dieses diffuse Gefühl von göttlicher Gunst bestätigt sich in einer nächtlichen Traumerscheinung des (in die Argo eingearbeiteten) Eichenstücks aus dem Hain von Dodona (1,294–310), wo sich eine Orakelstätte Jupiters befand:117 Die Eiche stellt sich als „Dienerin Jupiters“ ( famulam Iovis) vor und erklärt, dass Juno (Saturnia) sie nicht aus den schicksalskündenden Wäldern hätte fortreißen können, wenn sie ihr nicht die (auch in der propositio angekündigte) Verstirnung versprochen hätte. Es gebe keinen Grund zu weiterem Abwarten. Die Eiche heißt Jason, ihr und den Göttern zu vertrauen ( fidens superisque mihique) und alle Furcht fahren zu lassen: Dodonida quercum Chaoniique vides famulam Iovis. aequora tecum ingredior nec fatidicis avellere silvis me nisi promisso potuit Saturnia caelo. tempus adest: age rumpe moras, dumque aequore toto currimus incertus si nubila duxerit aether, iam nunc mitte metus fidens superisque mihique. Val. Fl. 1,302/308–307
Die Traumerscheinung könnte geeignet sein, Jasons Zweifel an göttlichem Beistand restlos zu zerstreuen: Die Argo spricht von sich selbst als Dienerin Jupiters und verrät auch, dass Juno am Bau des Schiffes Anteil hatte. Das „schicksalskündende“ ( fatidicis) Holz trägt dem Anführer auf, Vertrauen in den göttlichen Beistand zu haben. Neben dieser von göttlicher Autorität beglaubigten Ermutigung hat Jason zu diesem Zeitpunkt aber wohl bereits den off-camera erfolgten Besuch des delphischen Apollon-Orakels hinter sich (vgl. 3,299–303.617–621); außerdem hat er die widersprüchlichen Prophezeiungen des Mopsus und des Idmon gehört
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Zu dieser Traumvision und zu Jasons Reaktion siehe Wacht 1991b, 115f.
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(1,211–239). Diese Vorhersagen haben freilich nicht nur Erfreuliches angekündigt: In 3,302f. verrät Jason etwa, er habe von den Sehern „vom grausamen Tod des greisen Vaters und so viel Bitteres“ (patriae exitium crudele senectae / et tot acerba: 3,302f.) gehört. Die Einbeziehung dieser weiteren Vorhersagen erklärt die Reaktion Jasons auf die Traumerscheinung der Eiche von Dodona, die isoliert betrachtet bestärkende Wirkung haben müsste: „Jener [Jason] ängstigt sich trotz des glücklichen Götterzeichens und springt vom hingebreiteten Lager auf“ (ille pavens laeto quamquam omine divum / prosiluit stratis: 1,309 f.). Die Ambiguität der Vorzeichen und die ausbleibende direkte Kommunikation mit den Göttern verhindern, dass Jason tiefes Vertrauen in den Beistand der Götter fassen kann, auch wenn nach der Traumerscheinung der Eiche von Dodona kein Zweifel mehr bestehen kann, dass die Überfahrt gelingen und zur Verstirnung des Schiffs führen wird. Doch daneben werden in verhüllter Orakelsprache düstere Zukunftsausblicke geboten, die für das Schicksal einzelner Fahrtteilnehmer Schlimmes befürchten lassen. Diese beiden Faktoren (fehlender Zugang zu den Göttern; düstere Vorzeichen) verhindern, dass Jasons vage Hoffnungen je in volles Vertrauen umschlagen. Es bleibt vielmehr bei vorsichtiger Zuversicht und verstreuten, diffusen Hinweisen auf das positive Eingreifen der Götter. In diesem Punkt besteht ein zentraler Unterschied zwischen Jason und Aeneas.118 Valerius zwingt den Rezipienten richtiggehend zum Vergleich der beiden Anführer, indem Jason Handlungen und Worte zugeschrieben werden, welche die Darstellung des vergilischen pietas-Helden evozieren. Die erste direkte Rede beider Helden ist ein Gebet, das mit der Beschreibung des typisch römischen Gebetsgestus fast wortgleich eingeleitet wird.119 Im Gebet an Nep-
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Zu den Unterschieden zwischen Aeneas und Jason (unter besonderer Berücksichtigung der in diesem Abschnitt behandelten Stellen) siehe Baier 2012b; Baier 2017, 207–213; Baier 2020. Bei Baier fällt der Vergleich zu Jasons Ungunsten aus. Im Folgenden werde ich unter Berücksichtigung der doch sehr unterschiedlichen fata der beiden Helden einen Zugang versuchen, der Jason von einigen der vorgebrachten Vorwürfe entlasten kann. Vgl. Wacht 1991b, 119, der betont, dass der Unterschied zwischen Jason und Aeneas von kategorischer (nicht: gradueller) Natur sei: „Es scheint also nach diesen Beobachtungen wenig sinnvoll, Jason allzu sehr in die Nähe des pius Aeneas zu rücken. […] Die Differenzen liegen […] im Grundsätzlichen.“ Eine andere Auffassung vertritt Dräger 2003, 575: „Valerius verlängert [den vergilischen] Translationsgedanken nach hinten […], indem er in rückblickender Gestaltung Iason zum alter bzw. sogar prior Aeneas macht […]; wie der pius Aeneas mit den Troianern, wird der pius Iason mit den Argonauten von Anfang an […] zum Träger eines Sendungsbewußtseins.“ Meines Ermessens schließt der fehlende Einblick Jasons in den Weltenplan jedes „Sendungsbewusstsein“ aber von vornherein aus. Ähnlich argumentieren Ferenczi 1996, 38–43; Zissos 2004a, 26 mit Anm. 23. Aen. 1,93 (duplicis tendens ad sidera palmas) ~ Val. Fl. 1,80 (tendensque pias ad sidera pal-
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tun ‚zitiert‘ Jason Aeneas, wenn er vom Zwang spricht, dem er unterliege.120 Die Bedeutung dieses Echos ist umstritten: Impliziert Valerius, Jason stelle sich auf dieselbe Ebene wie Aeneas, der sich unter größten persönlichen Opfern einem göttlichen Auftrag fügt, während Jason die Argofahrt doch bloß aus Ruhmsucht antrete? Ein ähnliches Problem stellt sich bei der Interpretation des Satzes ite viri, mecum dubiisque evincite rebus, quae meminisse iuvet (1,249), der die bekannte Ermutigung des Aeneas ( forsan et haec olim meminisse iuvabit: 1,203) aufgreift. Aeneas macht den Männern in verzweifelter Lage Mut und fordert sie auf, im Gedanken an eine bessere Zukunft Trost zu finden. Jasons Rede hat nichts von dieser Einfühlsamkeit: Er fordert die Männer auf, sich mit ihm in Gefahren zu stürzen, weil das Andenken an deren Überwindung freudig sein wird. Anders als Aeneas verwendet er dabei keinen relativierenden Ausdruck wie forsan. Der direkte Vergleich der beiden Helden hat manche Forscher dazu bewogen, Jason als gottlosen, berechnenden, manipulativen Rhetoriker hinzustellen, der die Männer ohne ausreichende Kenntnis der göttlichen Pläne in falscher Sicherheit wiege.121 Derartige Schlussfolgerungen verkennen jedoch einen entscheidenden Unterschied zwischen den Protagonisten der beiden Epen: Auf Aeneas’ Schultern lastet der Druck, eine neue Heimat für sein Volk zu finden und den Grundstein für das römische Weltreich zu legen: Romanam condere gentem. Das ist die Aufgabe, für die er von den Göttern ausersehen worden ist und die er im Einklang mit dem fatum zu erfüllen hat. Die Umsetzung dieses Götterauftrags erfordert persönliche Opfer, Kollateralschäden und Kriegsleid, doch all das lässt sich mit Blick auf das Ziel rechtfertigen: In der Aeneis ist die augusteische Friedenszeit das Telos und die Entschädigung für vergangenes Leid. Jasons Platz in der Weltgeschichte ist ein völlig anderer: Valerius erhöht die Fahrt der Argonauten zu einer historisch bedeutsamen Mission, die eine Ereigniskette in Gang setzt, die zur Errichtung irdischer longissima regna führen wird. In diesem Schicksalsplan kommt Jason die Rolle zu, die Argo nach Kolchis zu führen und dort Medea und das Goldene Vlies zu rauben. Damit ist sein historisches Soll erfüllt. Von dem im Weltenplan nur verhüllt angedeuteten
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mas). Die Einflechtung des Wortes pias (Jason wird in den Argonautica sonst nur selten pietas zugeschrieben) kann als metaliterarischer Verweis auf Vergils pius Aeneas angesehen werden. Aen. 4,361 (Italiam non sponte sequor) ~ Val. Fl. 1,198 (non sponte feror). Gegen solche Pauschalurteile stellt sich Castelletti 2014, 189: „Positive or negative interpretations of Jason’s character and his heroic qualities need to be nuanced. Indeed, to condemn or absolve the figure of Jason, one must ignore certain passages of the poem or accentuate others to corroborate one’s opinion.“
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Geschichtsziel profitieren jedoch weder die Argonauten noch ihre Nachkommen. Nach dem Trojanischen Krieg – so der von Jupiter verlautbarte Schicksalsbeschluss – verliert Griechenland die Hegemonie. Während Aeneas seinen Nachkommen den Weg in eine aurea aetas eröffnet, kommt es in der von Valerius erzählten Mythenvariante zur völligen Auslöschung von Jasons Familie: Die Eltern sterben noch vor der Rückkehr des Schiffes nach Thessalien, die Kinder fallen Medeas schrecklicher Rache zum Opfer. Aeneas bereitet den Boden für die Weltherrschaft der von ihm begründeten gens; Jasons gens wird hingegen als Teil der mit der Argo verbundenen Kollateralschäden ausgelöscht.122 Die unterschiedliche Rolle, die das fatum den beiden Männern im jeweiligen Epos zuschreibt, legt ein unterschiedliches Verhältnis zu den Göttern von vornherein fest. Aufgrund des jeweiligen Platzes innerhalb der Schicksalspläne erhalten Jason und Aeneas auch völlig unterschiedliche Prophezeiungen: Während Aeneas am Ende der Aeneis das innere Bewusstsein erlangt hat, unter wohlwollender göttlicher Führung zu stehen,123 häufen sich beim Fortschreiten der Fahrt die ambivalenten und besorgniserregenden Zeichen, die Jason erhält. Wenn Jasons Verhältnis zu den Göttern von geringerer Intensität gekennzeichnet ist und er kein festes Vertrauen in die gute Führung durch göttliche Mächte fassen kann,124 sollte man daraus nicht ableiten, dass Valerius danach trachte, Jason moralisch zu verurteilen: Es scheint ihm vielmehr darum zu gehen, vom Schicksal eines Mannes zu erzählen, der für einen bestimmten Zeitraum eine weltgeschichtlich bedeutsame Rolle zu spielen hat – und dem
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Vgl. Castelletti 2014, 189: „Jason is not a second Aeneas. Although he is undoubtedly the ductor of the expedition, he is not, unlike Virgil’s hero, the depositary of a collective fate which he must see accomplished as part of a historic duty towards both his lineage of ancestors and his descendants, but the representative of an epic humanity whose values of physical courage and moral energy he must preserve.“ Für Aeneas ist die Verpflichtung gegenüber den zukünftigen Generationen der entscheidende Antrieb (vgl. Baertschi 2007, 124 f.), obwohl auch seine Kenntnis des fatum lückenhaft bleibt (vgl. Feeney 1991, 181; Walter 2014, 102f. Anm. 228). Für Jason hingegen bleibt die über die unmittelbare Epenhandlung hinausgehende Perspektive völlig verschlossen. Zu Aeneas’ wachsender Zuversicht, die vor der Entscheidungsschlacht in Aen. 12 fast an Sicherheit grenzt, siehe Aen. 12,176–194 (bes. 188) mit Feeney 1991, 181; Putnam 2005, 454f. Zur schrittweisen Enthüllung des fatum gegenüber Aeneas siehe auch Binder 2019, Bd. 1, 168. Vgl. Castelletti 2014, 189: „Jason, unlike Aeneas, is not the son of a goddess and does not entertain the close relationship with the divine that is the privilege of the Trojan prince. […] [He] must content himself with obscure oracles and vague intuitions, and his situation is emblematic of mankind’s fate.“ Zum festen Gottvertrauen des Aeneas vgl. auch Wacht 1991b, 117 Anm. 51.
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die Gunst der Götter nach Erfüllung seiner Aufgabe wieder entzogen wird. Fehlendes Vertrauen in die Götter ist unter diesen Voraussetzungen kein charakterlicher Makel, sondern die natürliche Reaktion auf ambivalente Vorhersagen und scheinbar willkürliche Schicksalsschläge, denen sich Jason auf der Fahrt nach Kolchis wiederholt ausgesetzt sieht. Rückblick: Nach dem Entschluss zum Antritt der Fahrt und dem folgenden Gebet an Juno und Pallas kann Jason mit einiger Sicherheit davon ausgehen, dass die beiden Göttinnen das Bittgebet des jungen Helden erhört haben und beim Schiffsbau und bei der Zusammenstellung der Mannschaft helfen. Die Göttinnen nehmen aber keinen direkten Kontakt mit Jason auf, um ihre Unterstützung explizit zuzusagen, sondern agieren verdeckt im Hintergrund. Allerdings erfährt Jason in der Traumerscheinung der Eiche von Dodona, dass die Verstirnung des Schiffs feststeht und Juno das Holz aus dem Hain beim ZeusOrakel geholt hat, sodass wenigstens am sicheren Abschluss der Fahrt und der Mithilfe Junos kein Zweifel bestehen kann. Doch bis die Argo endlich ins Meer sticht, erhält Jason auch beunruhigende, verunsichernde Orakelsprüche. Vor der Mannschaft beruft er sich auf göttlichen Beistand, um unter den Helden Begeisterung für die Fahrt zu wecken. Aufgrund der widersprüchlichen Orakelworte und des fehlenden Naheverhältnisses zu seinen Schutzgöttinnen kann er jedoch (anders als Aeneas) kein volles Vertrauen in den göttlichen Beistand entwickeln. 8.2.4
Metaphysische Zweifel und verweigerte Einblicke in das fatum (Val. Fl. 4,529–636) Vage Hoffnung auf göttliche Unterstützung und bald glückverheißende, bald düstere Orakelworte lassen nicht zu, dass Jason eine ähnlich tiefe Beziehung zu den Göttern aufbaut wie Aeneas. Die Götterzeichen, die der Argonautenführer erhält, sind höchstens geeignet, vorsichtige Zuversicht zu fassen. Diese wird etwa bestärkt, wenn der Steuermann Tiphys erklärt, er lenke das Schiff nicht ohne den Willen der Götter. Pallas habe ihn nicht nur den Meeresweg gelehrt, sondern auch selbst häufig das Schiff gelenkt und durch Stürme und tobende Meereswogen geführt (2,48–54).125 Doch die mythische Tradition gibt vor, dass Jason eher früher als später mit Ereignissen konfrontiert wird, die sein vorsichtiges, vages Vertrauen in die Götter nachhaltig erschüttern.126 Nach dem tragischen Missverständnis der Nyktomachie von Cyzicus stellt Jason in tiefer Trauer fest, dass die Ereignisse wohl 125 126
Vgl. Otte 1992, 65. Vgl. Zissos 2004a, 345: „Jason’s initial optimism and faith in Idmon’s prophecy will be shaken by subsequent events.“
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mit göttlicher Billigung erfolgt seien (placitum hoc superis: 3,297). Zum einen klagt er die Seher an, die ihn trotz ihres Vorwissens nicht vor einem so schlimmen nefas gewarnt hätten (tantumque nefas mens conscia vatum / conticuit: 3,301f.),127 obwohl sie ihm „so viel Bitteres“ (tot acerba) geweissagt hätten.128 Zum anderen fühlt er sich dem für ihn undurchschaubaren Treiben der Götter schutzlos ausgeliefert:129 invidere dei ne Phasidis arva remoti et Scythicas populatus opes haec rursus adirem litora neve tuos irem tunc ultor in hostes. Val. Fl. 3,306–308
Das schleichende Gefühl, die Götter seien ihm gegenüber feindselig eingestellt, wird Jason bis zum Ende seiner Mission nicht wieder ablegen können.130 Eine Instanz, die ihm göttlichen Beistand versichern und ihn über die weltgeschichtliche Bedeutung seiner Mission aufklären könnte, ist der Seher Phineus. Dass
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Das Motiv, dass Seher trotz größeren Wissens nicht alles verraten, ist der Aeneis entnommen: Nach dem Tod des Anchises klagt Aeneas, die Seher hätten ihm allerlei Schlimmes vorausgesagt, doch den Tod des Vaters verschwiegen (Aen. 3,708–715). In den Argonautica scheint diese Verteilung umgekehrt: Jason klagt, die Seher hätten Aesons Tod vorausgesagt, aber das Wissen über katastrophale Ereignisse wie die Nyktomachie für sich behalten (vgl. Manuwald 2015, 144 zu 3,301 f.). Jasons Verweis auf ein Orakel zum Tod des Vaters ist keine Inkonsistenz (wie hin und wieder behauptet wird): Ihm wird angekündigt, dass der Vater irgendwann einen grausamen Tod sterben werde; das bedeutet jedoch nicht, dass Jason detailliert über die am Ende von Arg. 1 geschilderten Ereignisse informiert würde (vgl. Hershkowitz 1998, 136 Anm. 120). Mit der Wendung tot acerba wird der letzte, zur Anrufung aller Götter gesteigerte Musenanruf der Aeneis zitiert. Der Erzähler fragt vor der Doppelaristie des Aeneas und Turnus, welcher Gott ihm so viel Bitteres, das allgegenwärtige Morden und den Tod der Anführer eingeben könnte (Quis mihi nunc tot acerba deus, quis carmine caedes / diversas obitumque ducum […] / … / expediat: Verg. Aen. 12,500–503). Das Echo unterstreicht die Steigerung des Grauens: Vergils Erzähler bittet um Inspiration, um die unter tot acerba subsumierten Vorgänge am Ende von Aen. 12 darstellen zu können; Jason klagt, dass die Seher ihm zwar tot acerba geweissagt hätten, dass die Ereignisse auf Cyzicus solche Vorhersagen aber noch übertroffen hätten. Vgl. Adamietz 1976, 46: „Das Leid wird, vor allem für Jason, durch die fehlende Einsicht in die wahren Zusammenhänge […] noch vertieft. Jason deutet zwar das Geschehen als Werk der Götter, die eigentlichen Ursachen bleiben ihm jedoch verborgen. […] Nichts kann Jason die Last erleichtern, den Gastfreund getötet zu haben, es bleibt ihm nur die Anklage der Götter, die dies über ihn gebracht haben.“ Die Frage, ob von den Göttern Wohlwollen oder Feindseligkeit zu erwarten sei, bleibt auch für den Rezipienten offen. Vgl. Lovatt 2019, 94: „Valerius’ epic narrative […] never answers the question of whether the gods care about mortals or simply use them for their
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diese Figur – zweifellos der bedeutendste Prophet in den Argonautica – beides nicht leistet und (wegen Jupiters Verbot) auch nicht leisten darf, ist der wichtigste Beleg dafür, dass in den Argonautica eine gänzlich andere Form der göttlich-menschlichen Kommunikation vorherrscht als in der Aeneis. Während Aeneas immer deutlichere Zeichen erhält, die ihm seinen Status als fatumHelden anzeigen, erfährt Jason nur das, was für den erfolgreichen Abschluss der weltgeschichtlich bedeutsamen Fahrt notwendig ist. Göttliche Unterstützung gilt nur der Argo – sie gilt nicht Jason selbst. Nach der Vertreibung der Harpyien durch die Boreaden bittet Jason, dessen anfängliches, naives Gottvertrauen durch die Ereignisse auf Cyzicus nachhaltig erschüttert wurde, den Propheten Phineus um eine Prophezeiung. Die einleitende Bitte nunc me quoque curis / eripe (4,538f.) verbindet diese Anfrage mit dem an Juno und Pallas gerichteten Gebet in Arg. 1 (innuba Pallas, / eripe me: 1,87f.). Eine Verbindung zwischen den beiden Stellen scheint naheliegend, da sich der Held jeweils an einem entscheidenden Punkt in seiner Heldenkarriere befindet (vor der Abfahrt der Argo bzw. vor der Durchfahrt der Symplegaden), an dem er weitere innere Festigung braucht. Wie in keiner anderen Rede gestattet Jason hier einen Blick in sein Inneres: Sind auch viele seiner Reden auf ihre Außenwirkung hin berechnet und dementsprechend rhetorisch zugespitzt, verfolgt Jason bei Phineus nicht das Ziel, seinen Gesprächspartner zu beeinflussen. Es geht ihm vielmehr darum, seine Zweifel offenzulegen und von dem kundigen Seher Orientierung zu erhalten. Auf den ersten Blick wirkt Jason bei der Anfrage an Phineus zuversichtlich: Sein Los sei bisher glücklich gewesen; nicht ohne den Willen der Götter hätten sich die Helden auf das Meer gewagt. Doch hier schiebt der Held eine wichtige Einschränkung ein: si fides curae superum („falls göttlicher Fürsorge zu vertrauen ist“: 4,541). Über die Rolle der Pallas und Juno wagt er kaum mehr zu sagen als das, was ihm die dodonische Eiche bei der Traumerscheinung verraten hat: Pallas habe beim Schiffsbau geholfen, Juno bei der Zusammenstellung der Mannschaft. Dass die beiden Göttinnen die Fahrt darüber hinaus begleitet hätten, äußert Jason nicht einmal als Vermutung. Stattdessen bekennt er, dass er trotz bisheriger zaghafter Zeichen einer gewissen göttlichen Gunst kein Vertrauen fassen könne. Je näher der Phasis und die wichtigste Mühsal (sc. der Raub des Vlieses) rücken würden, desto größere Beklemmung empfinde er beim Gedanken an das Bevorstehende. Die beiden Seher auf der Argo, Mopsus und Idmon, own ends.“ Häufig erscheinen Menschen im Kosmos der Argonautica als bloßes Werkzeug zur Verwirklichung des Götterwillens: „The support of the gods assures the success of the expedition but it means, equally, that they will use Jason merely as a piece in the game“ (Ferenczi 2014, 149).
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genügten ihm nicht mehr – dies sind die Worte, mit denen Jason seine Bitte um eine weitere Prophezeiung enden lässt (4,538–546).131 Obwohl Phineus in Folge zur längsten Rede der Argonautica ansetzt, äußert er sich nur zurückhaltend über die Ereignisse nach der Symplegadendurchfahrt. Dabei hebt der Prophet vielversprechend an: Alle Länder würden vom Ruhm ( fama) Jasons erfahren, den die Götter – seine Verbündeten und Anführer – und Pallas mit wohlmeinender Kunst zu den Sternen heben würden (4,553–555). Dann verspricht der Seher eine allumfassende Prophezeiung: fata locosque tibi, possum quas reddere grates, expediam rerumque vias finemque docebo. Val. Fl. 4,557 f.
Doch das Gebot Jupiters verbietet, dieses Versprechen auch tatsächlich einzulösen. Seine schwere göttliche Strafe traf ihn deshalb, weil er „aus Mitleid“ (miserans: 4,481) die geheimen Schicksalssprüche verraten hat: Beim Erteilen der Prophezeiung an die Argonauten achtet er penibel darauf, diesen Fehler nicht zu wiederholen.132 Das bedeutet ganz konkret, dass der Seher konsequent alle Auskünfte verweigert, welche die Beschlüsse des Weltenplans berühren würden. Detailliert sind seine Erklärungen zur Durchfahrt der Symplegaden: Ist diese bedrohliche Barriere einmal passiert, werden die Prallfelsen aufhören, aneinander zu schlagen, sodass diese wichtige Meerespassage für menschliche Meeresfahrten geöffnet ist. Die Öffnung der Meere ist ein zentraler Punkt in Jupiters neuer Weltordnung: Da die Symplegaden-Durchfahrt daran geknüpft ist, darf Phineus den Argonauten hierfür entsprechende Hinweise geben und sogar verraten, dass die Felsen nach einmaliger Passage ruhen werden. Göttliche Unterstützung will oder kann der Prophet hingegen nicht versprechen:
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Diese letzten Worte dürften anzeigen, dass sich Jason von Phineus eine Prophezeiung erwartet, die über das von Mopsus und Idmon Geweissagte hinausgeht und zuverlässige Orientierung für das Bevorstehende bietet. Während Phineus in manchen Punkten, besonders zu den Symplegaden, tatsächlich detaillierte Auskünfte zu geben vermag, bleibt er in anderen hinter Mopsus zurück: Dieser hat Jason etwa vor der ‚Medea-Tragödie‘ gewarnt, die Phineus mit keinem Wort erwähnt. Vgl. Kap. 6.4. Zu Phineus siehe auch Manuwald 2009, 598: „Phineus used to reveal Jupiter’s will to mankind out of pity. […] Thereby, however, he broke the will of Jupiter, who obviously wishes to keep this knowledge to himself and does not want humans to know what kind of future he is going to bring upon the earth. […] This particular definition of Phineus’ crime reminds recipients that Jupiter has indeed plans for the world, which, however, he revealed only to the divine council, whereby recipients of the poem became aware of them.“
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di tibi progresso propius, di forsitan ipsi auxilium mentemque dabunt. Val. Fl. 4,567 f.
Es folgt die Vorhersage der Seuche, die mehr als nur einen Teilnehmer der Fahrt dahinraffen werde (4,591–598). Nach der Beschreibung weiterer Fahrtziele erklärt Phineus dunkel, in den „skythischen Feldlagern“ erhebe sich bereits „die brüderliche Erinye“ (castra ibi iam Scythiae fraternaque surgit Erinys: 4,617): Die Argonauten würden den grausamen Kolchern helfen und als Hilfstruppen für den Feind auftreten (4,618f.). Nach diesem Punkt könne der Seher jedoch keine weiteren „Gefahren“ (discrimina) mehr erkennen: nec plura equidem discrimina cerno (4,619). Jason hat gestanden, der Gedanke an die „letzte Mühe der [Helden-]Taten“ (ille operum summus labor: 5,545) ängstige ihn. Doch zum Raub des Vlieses sagt der Seher nur, es werde „vielleicht“ ( fors) gelingen, das Vlies zu erringen ( fors etiam optatam dabitur contingere pellem: 4,620). Jason solle jede Hilfe annehmen, die „ein Gott“ anbiete (quam tulerit deus, arripe opem: 5,623).133 Bevor er auf die ultima fata zu sprechen kommt, bricht Phineus ab (4,623f.), ohne die Helden (wie Vergils Helenus) auf eine weitere, höherstehende prophetische Instanz zu verweisen, die sie über die weltgeschichtliche Bedeutung ihrer Mission aufklären könnte.134 Die umfassende, alle Zusammenhänge aufdeckende Prophezeiung, die Jason gewünscht hat, kann Phineus trotz gegenteiliger Ankündigung nicht geben.135 Der Einblick in tiefere metaphysische Zusammenhänge wird den Argonauten konsequent verweigert.136
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Damit ist die verhängnisvolle Hilfe gemeint, die Jason – durch die Vermittlung von Juno und Venus – von Medea erhält (vgl. Murgatroyd 2009, 297 zu 4,623f.). Anke Walter vergleicht Vergils Helenus und den valerianischen Phineus (Walter 2014, 101–104): Sie kommt zum Ergebnis, dass der Prophet Phineus das Abbild einer von Rätselhaftigkeit und Instabilität geprägten Welt sei. Anders als Helenus verweise er auf keine höhere prophetische Instanz und sei nicht imstande, Einblicke in die tieferen metaphysischen Zusammenhänge zu vermitteln. Vgl. auch Walters generelle Charakterisierung der valerianischen Seherfiguren: „Zwar gewinnen bei Valerius die Prophetenfiguren wieder eine Stimme, doch wird genauso das Schweigen erkennbar, zu dem sie verurteilt sind, etwa wenn es um ein mögliches großes und weitreichendes fatum geht.“ Zu Phineus und Helenus vgl. auch Spaltenstein 2004a, 338 zu 4,557–560. Anders Stover 2012, 165 Anm. 47: „Assistance and encouragement are just what Jason needs at this juncture as he is quite concerned about the future of the mission. […] Jason gets exactly what he requires from Phineus, both from his comprehensive and helpful prophecy and from his words of encouragement for the future.“ Selbst wenn Phineus Jason kurzfristig ermutigt – immerhin ist es Jason, der die verängstigten Helden nach der Prophezeiung zur Weiterfahrt anspornt –, erreicht er doch keine dauerhafte innere Festigung:
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Die Reaktion der Mannschaft auf diese dunkle und in vielen Punkten lückenhafte Prophezeiung ist Furcht. In diesem Moment und auch später, als die Mannschaft beim Anblick der Symplegaden erneut in Angst verfällt, verhält sich Jason jedoch als würdiger Anführer und treibt die Männer zur Tat (4,626–629).137 Entweder weil er – wofür der Text keinen Hinweis gibt – nach der Rede des Phineus wieder ausreichend Zuversicht schöpfen konnte, oder weil er – wie in Arg. 1 – als guter Anführer weiß, was er der Mannschaft sagen muss, um ihren Heldenmut zu wecken und sie zu großen Taten anzuspornen. Als die Männer an den Ruderbänken beim Anblick der Symplegaden aus blanker Angst ihre Ruder fallen lassen, versichert Jason, dass ihnen schon bei Amycus ein Gott beigestanden habe, und dass derselbe Gott den Helden auch nun beistehen werde (4,649–653). Für erstere Behauptung gibt es im Text keinen Rückhalt;138 für zweitere könnte sich Jason höchstens auf Phineus’ vages forsitan-Versprechen berufen. Wie in Arg. 1 erfüllt die adhortatio einen klaren Zweck – sie lässt aber keine Rückschlüsse auf Jasons innere Überzeugung zu. Als guter Anführer sagt er das, was seine Mannschaft hören muss. Die innere Einstellung Jasons lässt sich eher an dem Ausruf ablesen, den er bei der Einfahrt der Argo in die Meerenge ausstößt, nachdem Pallas (ohne sich zu erkennen zu geben) mit der funkelnden Ägis ein Zeichen gegeben und einen Blitz geschleudert hat: „Ich folge dir, wer auch immer von den Göttern du bist – auch, wenn du mich täuscht“ (‘sequor, o quicumque deorum,’ / Aesonides, ‘vel fallis’ ait: 4,674f.).139 Erneut weist der Dichter auf die Schwierigkeit hin, gött-
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Nach der Symplegadendurchfahrt beschreibt der Erzähler Jason als verängstigt und sorgenvoll (4,703). Bei der Bitte um eine Prophezeiung hat Jason fehlende Zuversicht gestanden. An diesem Zustand hat sich offenbar auch nach der Prophezeiung nichts geändert. Vgl. Wacht 1991a, 106; Zissos 2004a, 26: „Indeed, it appears to be essential to the world-view of the poem that its heroes consistently act out of ignorance – partly through misinterpretation of ambiguous divine signs, and partly because the gods withhold or obscure their purpose.“; Manuwald 2009 (hier 589): „In Valerius Flaccus’ set-up humans remain largely unaware of divine activities and therefore form their own views about them and act without knowing how their deeds might fit into divine plans.“; Castelletti 2014, 189: „Jason is but a man, with the means of action and the knowledge of an ordinary human being. His virtue is the only way for him to prove that he belongs to the community of heroes, but he is denied a privileged understanding of fate.“; Davis 2020, 4. Nach der adhortatio in Arg. 1 sind es zunächst stets andere Fahrtteilnehmer, welche die Mannschaft nach einer Phase der Untätigkeit oder des Zauderns zur Weiterfahrt antreiben: In 2,378–384 fordert Hercules den säumenden Jason zur Abfahrt aus Lemnos auf; am Ende von Arg. 3 wird der unschlüssige Jason von Tiphys (3,614) und Meleager (3,649–689) zum Abbruch der Suche nach Hercules und damit zur Fortsetzung der Fahrt gedrängt. Vgl. Murgatroyd 2009, 313 zu 4,651 f.: „VF mentions no divine support against Amycus explicitly. This will be a bit of psychology on Jason’s part […] to reassure the crew.“ Jason ähnelt in diesem Moment Turnus, der am Beginn von Aen. 9 von der durch Juno
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liche Zeichen richtig zu deuten: Bei der Symplegadendurchfahrt sind tatsächlich Jasons wichtigste Helferinnen, Juno und Pallas, beteiligt, doch wie zuvor geben sie sich auch dieses Mal nicht zu erkennen. So erkennt Jason nicht, welche Götter am Werk sind, noch kann er Klarheit über deren Motive gewinnen.140 Die Symplegaden-Episode ist noch aus einem anderen Grund geeignet, die menschliche Unwissenheit in Bezug auf die Götterpläne zu illustrieren: Nach dem Willen Jupiters stehen die Klappfelsen im Sinne der Öffnung der Meere still, sobald sie einmal von einem Schiff durchfahren wurden. Den Argonauten bleibt diese weltgeschichtlich bedeutsame Dimension ihrer Leistung jedoch verborgen.141 So wählen sie in Arg. 8 eine alternative Rückreiseroute, denn andernfalls, so nimmt Erginus fälschlich an, drohte ihnen eine erneute Durchfahrt durch die Symplegaden (8,191–196). Die gelungene Überwindung des bedrohlichen Hindernisses – ein bedeutender Erfolg – kann Jason aufgrund seiner Unkenntnis der tieferen Zusammenhänge nicht von Furcht und Sorge befreien. In anklagender Verzweiflung richtet er das Wort an einen anonymen deus und äußert seine Ängste vor einer zweiten Symplegaden-Durchfahrt, die er irrtümlich für notwendig hält. Der Dichter macht die Unwissenheit des Helden explizit: nec vero ipse metus curasque resolvere ductor, sed maria aspectans ‘heu qui datus iste deorum sorte labor nobis! serum ut veniamus ad amnem Phasidis et mites’ inquit ‘dent vellera Colchi, unde per hos iterum montes fuga?’ talia fundit imperio fixos Iovis aeternumque revinctos nescius. Val. Fl. 4,703–709
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beauftragten Iris zum Sturm auf das Trojanerlager gehetzt wird (vgl. Aen. 9,21f.: sequor omina tanta, quisquis in arma vocas ~ Val. Fl. 4,674f.: ‘sequor, o quicumque deorum,’ / Aesonides, ‘vel fallis’ ait). Vgl. Groß 2003, 101: „Wie weit er [Jason] davon entfernt ist, göttliches Wirken tatsächlich zu erkennen, zeigt das Fehlen einer dankbaren Reaktion auf die Hilfe der beiden Göttinnen, ohne deren Einsatz die Helden gescheitert wären.“ Ähnlich Castelletti 2014, 179 f. Der Erzähler erklärt an zwei Stellen (4,703–713; 8,191–196), dass die Symplegaden nach einmaliger Durchquerung auf Götterbefehl stillstünden. An beiden Stellen ist explizit angemerkt, dass den Argonauten dieser Zusammenhang und damit ihre Leistung bei der Öffnung der Meere verborgen bleibe. Vgl. Wacht 1991b, 119; Groß 2003, 87; Manuwald 2009, 602 mit Anm. 41.
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Die bisher herausgearbeiteten Züge der äußerlich demonstrierten und innerlich empfundenen Einstellung zu den Göttern enthüllen Jason als Anführer, der immer größeren Zweifel am Beistand der Götter hegt, was er jedoch nur in emotionalen Ausnahmezuständen offen zeigt. Besonders in den Reden an die Mannschaft weist Jason häufig auf göttliche Unterstützung hin, ohne dass dem eine tiefe, innere Überzeugung zugrunde läge. Denn obwohl die fatidica ratis – d.h. das Eichenstück aus Dodona, das in die Argo eingebaut ist – den erfolgreichen Abschluss der Mission voraussagt, erhält Jason keine Gewissheit über sein eigenes Schicksal und das Schicksal seiner Gefährten. Die genannten Tendenzen lassen sich auch in der zweiten Werkhälfte beobachten: Nach dem Tod des Sehers Idmon und des Steuermanns Tiphys infolge einer Seuche bei den Mariandynern fragt Jason klagend, weshalb ihm die göttlichen Mächte mit so großer Feindseligkeit begegneten (quid tantum infensa repente / numina?: 5,37f.). Danach erhält der Argonautenführer weiterhin widersprüchliche Zeichen: Nach der Einfahrt in den Phasis richtet sich die Argo von selbst Richtung Westen aus (5,210–212)142 – ein erfreuliches Vorzeichen, das jedoch von den furchteinflößenden Bildern am Tempel des Sonnengottes in Kolchis aufgewogen wird, die auch die Argofahrt und Szenen der ‚Medea-Tragödie‘ zeigen. Beim Anblick dieser Bilder, die Vulcan mit „vorauswissender Kunst“ (praesaga … arte: 5,433) entworfen hat, empfindet Jason dasselbe diffuse Gefühl von Furcht, das ihn beim Betrachten der Bilder am Schiffsbug befällt.143 Zu keinem Zeitpunkt wird ihm von den Göttern oder einer ihnen nahestehenden Instanz vermittelt, dass er auf ein positives Geschichtsziel zusteuere. Folglich fühlt er sich feindseligen göttlichen Mächten ausgeliefert, die ihm meist bedrohliche, unverständliche Zeichen senden und ihre undurchschaubaren Spiele mit ihm treiben. Doch das hindert Jason nicht daran, göttlichen Beistand weiterhin als rhetorisches Argument einzusetzen: In der Audienz mit Aeetes erklärt er selbstbewusst, er käme als Gesandter der „Himmelsbewohner“ (caelicolae: 5,472) über die weiten Meere im ersten Schiff zu Aeetes.144 Zu diesem Zeitpunkt ist die Rede vom Beistand der Götter für Jason jedoch ein rhetorisches Argument, das 142 143 144
Zur Kommunikation der fatidica ratis mit ihrer Besatzung siehe Manuwald 2009, 593f.; Manuwald 2013, 37. 1,149–155 ~ 5,455. Vgl. 5,501–504 (nec tamen aut Phrygios reges aut arva furentis / Bebryciae spernendus adi: seu fraude petivit / seu quis honore meos, sua reddita dona deumque / nos genus atque ratem magnae sensere Minervae). Zu Jasons rhetorischer Strategie bei Aeetes siehe Wacht 1991b, 114: „Falsch wäre jedenfalls der Schluß, Jason äußere hier seine eigensten Gefühle, sehe sich wirklich als Mensch, der sein Schicksal mehr leide als es gestalte.“ Verfehlt Otte 1992, 116: „Jason’s formal request for the fleece is […] backed by an unshakeable confidence in
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er zwar in der Verhandlung mit dem Tyrannen, aber nicht mehr gegenüber der Mannschaft einsetzt. Vor den Begleitern hat er im Vorfeld der Audienz mit Aeetes bereits einen ganz anderen Ton angeschlagen. Die Erfahrungen auf dem Weg nach Kolchis haben Jason (und wohl auch die Helden, die ihn begleiten) gelehrt, dass auf göttlichen Beistand kein Verlass ist. Zur Erringung des Vlieses empfiehlt er daher nicht, auf die Hilfe höherer Mächte zu vertrauen, sondern die Maxime rebus semper pudor absit in artis (5,324) zu befolgen – Worte, die besagen, dass zum Abschluss der Mission jedes Mittel recht ist. Undeutliche Seherworte oder die Berufung auf einen vermeintlichen Götterwillen haben für die Argonauten und ihren Anführer nach der Ankunft in Kolchis merklich an Kraft verloren. Die in der Welt der Argonautica vorherrschende Form der menschlichgöttlichen Kommunikation, die auf der einen Seite von Lücken und Leerstellen, auf der anderen von zaghafter Hoffnung, Zweifeln und Misstrauen gekennzeichnet ist,145 verunmöglicht die Ausrichtung des eigenen Handelns am Ideal der pietas. In den Weltenplan wird Jason nicht ansatzweise eingeweiht. Sein Ruhmstreben ist nur insofern in Vergangenheit und Zukunft verankert, als er der virtus des Vaters nacheifern und den Söhnen ein strahlendes exemplum sein möchte. Die völlige Auslöschung seiner gens als Kollateralschaden der Argofahrt verhindert jedoch die Erfüllung dieses Ziels. Gäbe es nur die Figurenperspektive, ließe sich die valerianische Konzeption des Göttlichen problemlos mit dem düsteren Kosmos des Bellum civile verbinden, wo die Götter an Menschlichem nicht interessiert, machtlos oder feindselig, aber keine Instanzen der Sinnstiftung sind. Doch die Wiedereinsetzung eines voll entwickelten epischen Götterapparats fügt dem Epos eine Deutungsebene hinzu, die Lucan negiert hat: die Möglichkeit, das epische Geschehen als Teil einer sinnvollen, teleologischen Geschichtsordnung zu begreifen, welche für das zeitgenössische Lesepublikum die Hoffnung auf eine dauerhafte Überwindung des Bürgerkriegs zulässt. Rückblick: Jasons Zweifel an göttlichem Beistand sind von grundsätzlicher Natur: Nur das in die Argo eingearbeitete Eichenstück aus Dodona scheint auf einen glücklichen Fahrtausgang vorauszuweisen, doch alle übrigen Vorzeichen und Prophezeiungen sind eher geeignet, Jason zu verunsichern als ihn zu bestärken. Mehrmals äußert er vorwurfsvolle und verzweifelte Ankla-
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the protection the gods have given him.“ Zu Jasons Selbstdarstellung in der Audienz bei Aeetes siehe Adamietz 1976, 78 f.; Baier 1998, 327–331. Zu Jasons fehlendem Einblick in das Wirken der Götter, der bald zu ungerechtfertigter Zuversicht, bald zu tiefer Verunsicherung führt, siehe Hershkowitz 1998, 242–264; Ferenczi 2014, 146; Lovatt 2019, 93.
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gen an die Götter, da ihm die tieferen Ursachen der bitteren Erfahrungen und schmerzhaften Verluste, die er im Laufe der Argofahrt erleiden muss, verborgen bleiben. Jasons Unterstützerinnen Juno und Pallas zeigen sich nicht offen. Die Beschlüsse des Weltenplans werden vor den menschlichen Akteuren geheim gehalten. Bis zur Ankunft in Kolchis ist die anfängliche Hoffnung auf göttliche Unterstützung daher dem Gefühl gewichen, feindseligen göttlichen Mächten und ihren Launen ohnmächtig ausgeliefert zu sein. Doch obwohl Jason hinter den scheinbar willkürlichen irdischen Vorgängen keine sinnvolle Ordnung erkennen kann, eröffnet sich dem Rezipienten, der Einblicke in die Schicksalsbeschlüsse und die Motivation der Götter erhält, eine weitere Perspektive.
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Die Argo und die Götter: Das fatum aus Rezipientenperspektive
Es gibt in den Argonautica eine deutliche Diskrepanz zwischen der ‚Nahperspektive‘ der Figuren, die aufgrund ihres stark limitierten Kenntnisstandes die Argofahrt nicht als Teil der göttlich legitimierten Weltordnung erkennen können, und der ‚Fernperspektive‘, die der Erzähler dem Rezipienten eröffnet.146 Wie wir gesehen haben, gewinnt ein zunehmend verängstigter Jason im Laufe der Mission den Eindruck, dem Zorn willkürlich agierender Götter ausgeliefert zu sein. Dieses Weltempfinden lässt sich mit Tacitus’ Erklärungen der Ursachen römischer Bürgerkriege verbinden. Es entspricht außerdem Lucans Konzept der Schicksalsmächte, in dem die Götter bald machtlos, bald feindselig, bald indifferent erscheinen. Doch mit der Wiedereinsetzung eines epischen Götterapparats und der Einfügung einer fatum-Rede Jupiters zieht Valerius eine weitere Ebene ein, die dem Rezipienten erlaubt, jene metaphysischen Zusammenhänge zu durchblicken, die dem Erzähler und den Figuren des Bellum civile verborgen bleiben. Anders als Lucans Erzähler tritt der Erzähler der Argonautica als von göttlicher Instanz inspirierter vates auf, der Einblicke in das Walten der Götter erhält. So kann göttliches Wirken an Schlüsselstellen der Argonautica als metaphysische Handlungsursache definiert werden. Doch wie die kontroverse Forschungsdiskussion zeigt, ist das Wesen der valerianischen Götterwelt keines-
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Vgl. Feeney 1991, 317: „Nowhere in ancient epic do we have such a clear figuring of the competition between the form’s distant and near perspectives. Valerius has captured here the two poles around which, for example, discussions of the Aeneid continue to revolve; and he has deftly (too deftly, perhaps) warned his readers that he is already ahead of the difficulties they will experience later in the poem, when they try to balance the grand achieved action against the characters’ failures and disappointments.“
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wegs einfach zu fassen. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass der Dichter heterogene und disparate Elemente unterschiedlicher (philosophischer und literarischer) Provenienz zu einer eigenen Darstellungsform vermengt und alle Widersprüche und Spannungen, die ein solches Verfahren erzeugt, unaufgelöst lässt.147 Neben den Beschlüssen des fatum erscheinen göttliche Rachegelüste bzw. Privatinteressen als metaphysische Wirkprinzipien. Dementsprechend sind die im Epos des Valerius geschilderten Ereignisse bald das Resultat einer im fatum verankerten Geschichtsordnung, bald das Resultat irratonalen göttlichen Waltens: Die Weigerung, ein monokausales metaphysisches Ursachensystem einzuführen, verleiht dem Text die verunsichernde Aura eines gegenseitigen Widerstreits verschiedener höherer Mächte. 8.3.1 fatum und ira Das vergilische Konzept einer sinnvollen, vom fatum festgeschriebenen Weltordnung stellt für jene Autoren der frühen Kaiserzeit, die sich mit dem Wesen der menschlich-göttlichen Interaktion beschäftigen, einen zentralen Bezugspunkt und eine Herausforderung dar. Vergil entwickelt in der Aeneis ein in sich stimmiges, kohärentes System, wonach ein einmal festgelegtes fatum – das mehr oder weniger dem Willen Jupiters entspricht148 – den Aufstieg des römischen Weltreichs und eine aurea aetas unter Kaiser Augustus als zwangsläufige Folgen einer unabänderlichen Weltordnung vorschreibt und ideologisch legitimiert.149 Auch wenn die Beschlüsse des fatum unverrückbar feststehen, haben Gottheiten wie Juno dennoch die Möglichkeit, den Vollzug der Schicksalssprüche durch feindliche Interventionen zumindest zu verzögern.150 Doch solchen Interventionen ist bei Vergil eine klare zeitliche Grenze auferlegt: Das Leid, das sie verursachen, wird am Ende durch Roms glorreiche Zukunft aufgewogen.151
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Zur philosophischen Inkohärenz der Argonautica siehe Zissos 2014b (bes. 285). Wertvolle Hinweise zum philosophischen Gehalt des Gedichts gibt auch Ferenczi 2014 (zur Vermengung disparater Elemente bes. 142–144; hier 144): „What he [Valerius] does is represent simultaneously a predetermined closed system together with the open horizon offered to human exertions.“ Zu dieser stoischen Vorstellung siehe Zissos 2014b, 281. Zum fatum in der Aeneis siehe (einführend) von Albrecht 22007, 176f.; Eigler 2012; Binder 2019, Bd. 1, 165–170. Auf Handlungsebene setzen diese Interventionen die wesentlichen Ereignisse der Aeneis (Irrfahrten, Dido-Episode, Krieg in Latium) freilich erst in Gang. Zur narrativen Funktion des Götterzorns als Impulsgeber der epischen Handlung siehe Joseph 2012, 70 Anm. 118; Lovatt 2019, 91. Vgl. Glaesser 2018, 116.
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Um Valerius’ Konzeption des Numinosen nachzuvollziehen, genügt es nicht, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zur vergilischen fatum-Vorstellung herauszuarbeiten. Denn über den Vergleich mit Vergil hinaus muss gefragt werden, welche der metaphysischen Erklärungsmuster, die in neronischer Zeit und nach dem Untergang des julisch-claudischen Hauses herangezogen wurden, Einfluss auf das in den Argonautica entfaltete Konzept von menschlichgöttlicher Interaktion haben. Zur besseren Verortung des valerianischen Götterbildes wollen wir daher zwei Autoren einbeziehen, die das flavische Rom als chronologische Grenzmarken gleichsam umrahmen und wertvolle Momentaufnahmen zeitgeistlicher Stimmungen bieten: Lucan und Tacitus. Die drei Autoren (Lucan, Valerius Flaccus, Tacitus) verbindet nicht nur die (relative) zeitliche Nähe, sondern auch ein inhaltlich-thematischer Schwerpunkt: Lucans Epos behandelt den Bürgerkrieg zwischen Caesar und Pompeius, Valerius Flaccus adressiert sein Epos an den Bürgerkriegs-Sieger Vespasian, Tacitus beschreibt den Bürgerkrieg des Vierkaiserjahres in den Historien. Alle drei Autoren beschäftigt die Frage nach der Einflussnahme der Götter und der Schicksalsmächte auf menschliche Geschicke, wobei sich in der Beurteilung aufschlussreiche Gemeinsamkeiten feststellen lassen. Zunächst zu Lucan und Tacitus. Im Kosmos des Bellum civile sind die Götter abwechselnd machtlos, desinteressiert oder feindselig.152 Bekanntlich verzichtet Lucan auf die für episches Erzählen traditionelle Geste, eine göttliche Instanz als Inspirationsquelle anzugeben: Im Proömium nennt er Kaiser Nero als ausreichende Inspiration für sein „römisches Epos“ (carmina … Romana: Lucan. 1,66). Die Forschung hat im Fehlen von göttlicher Inspiration eine mögliche Quelle für die tiefe metaphysische Verunsicherung Lucans ausgemacht:153 Weder Figuren noch Erzähler können ein sinnvoll ordnendes Weltprinzip bzw. einen sinnvollen ordo rerum erkennen.154 Begriffe wie dei, superi, numen, fortuna oder fatum / fata scheinen undifferenziert zur Bezeichnung des undurchschaubaren Wirkens höherer Mächte eingesetzt zu werden.155 152
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Vgl. Zissos 2004a, 21: „Lucan presented a cosmos in which the gods were either nonexistent, disinterested, or merely powerless and irrelevant.“ Zu den Göttern bei Lucan siehe Erler 2012; Walde 2012; Glaesser 2018, 116–124. Vgl. Erler 2012, 131. Vgl. Heil 2022, 134: „Der Bürgerkrieg verweist nicht über sich hinaus auf ein höheres Ziel. […] Nicht nur die Figuren scheitern bei dem Versuch, die Zukunft zu erkunden, der Erzähler selbst verweigert seinen Lesern eine sinnstiftende, positiv in die Zukunft weisende Gesamtdeutung des Geschehens.“ Zur fehlenden Systematik in der Verwendung der genannten Begriffe siehe Glaesser 2017, 117. Walde 2012 versucht anhand feiner Differenzierungen, Ordnung in das Chaos zu bringen.
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Häufig setzt Lucans Erzähler konkurrierende metaphysische Erklärungsmodelle nebeneinander:156 Am Beginn des zweiten Buches wird das stoische Konzept der Weltseele, die alle Ereignisse lenkt und ordnet, als nur ein mögliches Erklärungsmodell neben das blinde Wüten des Zufalls gestellt (Lucan. 2,7– 13). Diese narratorialen Reflexionen spiegeln die Verunsicherung der Figuren wider: Am Ende des ersten Buches zeigt der Astrologe Figulus dieselbe Unsicherheit, ob das Weltgeschehen vom fatum oder von blindem Zufall gelenkt werde.157 Neben fatum und fors führt Lucan noch eine weitere, beunruhigende Deutungsmöglichkeit ins Feld: göttlichen Zorn. Die unheilschwangere Erklärung iamque irae patuere deum (Lucan. 2,1) eröffnet das zweite Buch. In Anschluss an die Beschreibung des ‚Naturgesetzes‘, dass allzu Großes stets untergehen müsse, spricht Lucan von der „Missgunst“ (invidia) der Fortuna, die als natürliche Grenze für das Wachstum des römischen Reichs die Selbstzerstörung im Bürgerkrieg gesetzt habe (Lucan. 1,81–84). Cato schreibt die Schuld am Bürgerkrieg den Göttern zu (Lucan. 2,286–288). In Zusammenhang mit dem Tod des Curio spricht der Erzähler vom Bürgerkrieg als „Rache“ (vindicta) der Götter (Lucan. 4,807–809). Götterzorn erscheint auch in den Historien des Tacitus als Triebfeder des römischen Bürgerkriegs.158 Genau wie Lucan verzichtet der Historiker auf eine kohärente, in sich widerspruchsfreie Geschichtsphilosophie:159 Während bald das fatum, bald blinder Zufall als Wirkprinzip erscheint, findet sich bei dem Historiker auch das Konzept eines bei der Geburt eines jeden Menschen festgelegten Schicksals (sors nascendi),160 das die Astrologen per Sternendeutung erschließen könnten. Wenn es jedoch darum geht, Ursachen für den Bürgerkrieg nach Neros Selbstmord zu finden, verweist Tacitus an exponierten, pro156
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Vgl. Erler 2012, 129: „Vielleicht aber sind vom Dichter Lukan Kohärenz und Systematik gar nicht intendiert, ist vielmehr gerade die Widersprüchlichkeit als literarisch gestaltetes Signal gemeint und ist jener Eindruck der Unsicherheit von Lukan sogar gewollt, der sich beim Leser aufdrängt.“ Grundsätzliches zu Lucans (inkohärenter) Darstellung der Götter und des fatum bei Walde 2012, 61–68. Vgl. Lucan. 1,641–645 mit Erler 2012, 130 f. Vgl. Haynes 2003, 127 f.; Joseph 2012, 67–70; Bernstein 2014, 158; Bernstein 2016, 400f.; Landrey 2018, 230 f.; Rebeggiani 2018, 197. Vgl. Syme 1958, 521–527; Griffin 2009, 168–173 (hier 171): „It will be clear that Tacitus was consistent neither in adhering to any one metaphysical explanation for events (divine intervention, inexorable fate, astral determinism, random chance) nor in regarding portents and prodigies as reliable indicators of any one of these or, at times, as being of any real significance at all.“ Zur narrativen Wirkung der taciteischen Darstellung der Schicksalsmächte siehe Feeney 2007, 141. Vgl. etwa Tac. ann. 4,20,3.
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grammatischen Stellen auf den Zorn der Götter (deum ira),161 die nach Vergeltung für menschliche Verfehlungen trachten würden.162 Anders als in der Aeneis sind göttliche Vergeltungsschläge im taciteischen Bericht jedoch nicht in eine sinnvolle Weltordnung eingegliedert, die das Leid rechtfertigen würde: Wie an manchen Stellen des Bellum civile erscheint göttliches Walten auch bei Tacitus immer wieder als bedrohliche, willkürliche, beängstigende Macht. Göttliche Beweggründe und Motive bleiben bei beiden Autoren im Dunkeln.163 Zwischenbilanz: Der Blick zu Lucan und Tacitus zeigt, dass weder der Epiker noch der Historiograph ein monokausales metaphysisches Ursachensystem einführt. Stattdessen werden eine ganze Reihe widersprüchlicher Erklärungsmodelle angeboten. Bei keinem der beiden Autoren wird eine im fatum verankerte, sinnvolle Weltordnung greifbar. Sowohl im Bellum civile als auch in den Historien wird göttlicher Zorn als mögliches Wirkprinzip eingeführt. Innerhalb solcher Koordinatensysteme des Numinosen ließe sich das Götterbild der Argonautica ziemlich problemlos verorten – jedoch nur aus der Figurenperspektive. Anders als Lucans Erzähler ist der Erzähler der Argonautica von höchster göttlicher Instanz beglaubigt. Valerius übernimmt Lucans Geste, den Kaiser als inspirierende Kraft anzuführen, doch daneben erhält er vom Sehergott Apoll tiefere Einblicke in die Geschehenszusammenhänge (1,5– 7).164 Der von Apoll inspirierte valerianische vates ist in der Lage, in Abkehr von Lucan wieder einen epischen Götterapparat darzustellen.165 Er berichtet von Götterversammlungen, Göttererscheinungen und göttlichem Einwirken auf Menschen. So ermöglicht er dem Rezipienten die Einsichtnahme in meta-
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Vgl. hist. 1,3,2; 2,38,2; 3,72,1 – „three of the Histories’ most prominent passages“ (Joseph 2012, 68). Vgl. Lucan. 1,572–577; Stat. silv. 5,3,195 mit Rebeggiani 2018, 202: „This understanding of the gods’ punitive role with regard to political crises is found in accounts of the 69 conflict.“ Zu göttlichem Zorn als Wirkprinzip in den Historien siehe Burck 1971, 55–59; Joseph 2012, 67–73. Vgl. Erler 2012, 131 (und passim); Glaesser 2018, 123. Zur Selbstkonstruktion des Erzählers als quindecimvir sacris faciundis siehe Zissos 2008, xiv Anm. 8; Stover 2012, 157f.; Tatum 2016; Cairns 2019, 3–16. Die fraglichen Verse sollten freilich nicht zur Konstruktion einer Autorenbiographie herangezogen werden: „As virtually no biographical data regarding Valerius survive, all attempts to characterise the relationship between poet and narrator must remain matters of speculation“ (Bernstein 2014, 157). Vgl. Zissos 2004a, 26: „Valerius does not problematize the existence of higher powers – as Lucan had before him – but rather their ready accessibility to human comprehension.“ Zum Wiedereinsatz eines Götterapparats im flavischen Epos nach Lucans Weigerung, anthropomorphe Götter in die Epenhandlung einzubinden, siehe Bernstein 2016, 400– 403.
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physische Ursachen.166 Der Leser kann somit – anders als im Bellum civile – einen höheren Wissensstandpunkt als die Figuren einnehmen und das Geschehen aus dieser Warte beurteilen. Anders als bei Lucan (und bei Tacitus) entfaltet sich in den Argonautica ein großer göttlicher Plan, der zentrale Punkte des Weltgeschehens festschreibt und – als mythologisches ‚Prequel‘ zur Jupiter-Prophezeiung in Aen. 1,257– 296 – die Bedingungen festlegt, die zur römischen Weltherrschaft führen. Der Weltenplan sieht die von der Argo geleistete Öffnung der Meere vor, welche zum freien Wettstreit um die Vorherrschaft führt.167 Die Hegemonie wird von Asien über Griechenland weiter westlich wandern, bis Jupiter nach einem Prozess des Prüfens und Abwägens die Errichtung von longissima regna erlauben will.168 Die Römer sind in dieser Rede nicht explizit genannt. Ihre Erwähnung wäre für die internen Adressaten dieser Figurenrede aber auch unverständlich – schließlich existieren zum Zeitpunkt der Argofahrt noch keine Römer. Vom Standpunkt des zeitgenössischen römischen Lese- oder Rezitationspublikums aus gesehen konnte die Leerstelle in der Jupiterrede jedoch leicht ausgefüllt und als verhüllter Hinweis auf den Aufstieg der gens togata nach dem Ende des Trojanischen Krieges verstanden werden.169 Die fatum-Rede Jupiters gibt 166 167
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Vgl. Ferenczi 1996, 48: „Wiewohl für die Sterblichen nicht erkennbar, gibt es in seinem [Valerius’] Werk dennoch eine Weltordnung.“ Die Argofahrt gibt dem Weltenplan und damit der Erfüllung der von Jupiter verkündeten fatum-Beschlüsse den ersten Anstoß. Vgl. Ferenczi 2014, 141: „The fulfilment of fatum begins with the journey of the Argo.“ Jupiters Erklärung, er müsse erst abwägen, welche Herrschaft über die Völker er einrichten werde, spießt sich mit der davor behaupteten Unbeweglichkeit der Schicksalsbeschlüsse (vgl. Lefèvre 2012, 203; Ferenczi 2014, 142; Stover 2016, 18 Anm. 13). Anders Baier 2020, 319: „Fate is not something eternal and reliable any more. Instead, men have continually to fight for their interests, and Jupiter and the other gods do not necessarily foster the Romans, but they grant their goodwill to those who prove to be the strongest.“ Unterschiedlich akzentuiert, aber ähnlich Lefèvre 2004, 135: „Iupiter gibt eine Prophezeiung über die wechselnde Herrschaft künftiger Völker. […] Die Römer sind nicht einmal genannt. Iupiter, ein Gott des Schreckens und des Krieges, beobachtet ungerührt den Lauf der Geschichte, lenkt ihn aber nicht. Sein Agieren besteht im Reagieren.“; Ganiban 2014, 259: „Valerius has seemingly made his Iupiter – despite the Virgilian model – silent on Rome as the (or even a) successor to Greek domination. […] Thus, from Jupiter’s perspective in the Argonautica, there is quite literally no set fate expressed in the text that guides the world towards Roman (not to mention Flavian) hegemony.“ Doch wie bereits Manfred Wacht richtig gesehen hat, zielt die Passage in ihrer Tendenz und vor dem Hintergrund des vergilischen Intertextes auf den vom fatum fixierten Aufstieg Roms nach dem Ende des Trojanischen Kriegs (Wacht 1991a, 13f.; vgl. Otte 1992, 167). Der Versuch, dem Dichter zu unterstellen, er suggeriere hier das Ende der römischen Hegemonie, erscheint schon deswegen wenig plausibel, weil Rom spätestens 146 v. Chr. (Zerstörung Karthagos) den letzten bedeutenden außenpolitischen Feind unterworfen hatte und mit
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allen in den Argonautica beschriebenen Ereignissen einen Rahmen, in welchen diese als Vollzug, Retardation, Kollateralschaden oder Begleiterscheinung eingeordnet werden können.170 Die valerianische Jupiterrede verhehlt nicht, dass die Umsetzung des Weltenplans auf menschlicher Ebene leid- und schmerzvoll sein wird: Die Innovation der Schifffahrt wird um den Preis vielfachen Schiffbruchs erkauft und bringt zur Freude der Parzen neue Todesarten mit sich (1,501 f.). Außerdem eröffnet die Befahrbarkeit der Meere der Kriegsgöttin Bellona neue Wege (1,545f.). Auch in der Aeneis wird das Leid, das zur Errichtung der augusteischen aurea aetas nötig ist, nicht verschwiegen, doch wird es dem Rezipienten durch optimistische historische Durchblicke, den Figuren durch bestär-
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der flavischen Machtübernahme die Gefahr eines Untergangs des Imperium Romanum abgewendet schien. Grundsätzlich ist fraglich, ob eine scharfe Abgrenzung der valerianischen longissima regna vom vergilischen imperium sine fine zulässig ist, zumal die meisten Interpreten, die diesen Unterschied starkmachen, den bei Valerius unmittelbar folgenden Nachsatz (experiar … / … linquamque datas ubi certus habenas: 1,559f.), der ein Ende der translationes imperii festsetzt, stillschweigend übergehen. In diesem Sinne bleibt festzuhalten, dass Valerius an unserer Stelle eher nicht das drohende Ende des römischen Weltreiches problematisiert, aber durchaus dessen innere Stabilität. Die Pointe liegt in der Verwendung des Wortes gentes (1,555): Wenn auch die Macht des Imperium Romanum nach außen hin gesichert ist, so gibt es im Inneren dennoch discordia, die zu Instabilität, Umbrüchen und Machtkämpfen führt. Im Extremfall können sich diese Tendenzen zum Bürgerkrieg und zum Untergang einer Dynastie auswachsen, sodass eine herrschende gens von der nächsten abgelöst wird. Genau das ist mit dem Ende des julisch-claudischen Kaiserhauses und der Machtübernahme durch die Flavier im Vierkaiserjahr geschehen. Die Einfügung des Weltenplans markiert einen wichtigen Unterschied zwischen Argonautica und Thebais. In Statius’ Epos gibt es keinen im fatum verankerten ordo rerum: „Jupiter has no plan for what happens after his vengeance is carried out. Unlike his counterpart in the Aeneid, he has no long-term providential vision for the peoples involved in the action of the poem“ (Rebeggiani 2018, 30). Zum fatum in der Thebais siehe auch Ganiban 2007, 116. Anke Walter gibt an, es gebe in den Argonautica kein „großes übergreifendes fatum“: „In Valerius’ Argonautica ist es dagegen statt eines einzelnen fatum vielmehr eine Vielzahl an verschiedenen fata, an ganz unterschiedlichen Schicksalssprüchen, die diesem Schiff und seiner Besatzung geweissagt sind und die von den Propheten der Argonautica verkündet werden“ (vgl. Walter 2014, 81 f.; 104–111; Zitate von Seite 110 und Seite 81). Diese Deutung ist zurückzuweisen. Die als Beleg angeführte Dissonanz der Prophezeiungen, etwa des Mopsus und Idmon, sind nicht Abbild verschiedener fata, sondern führen (auch als metaliterarisches Signal an den Rezipienten) die unterschiedlichen (Interpretations-) Perspektiven vor, aus denen das eine, von Jupiter festgelegte fatum bewertet werden kann. Richtig ist, dass das Telos des fatum in den Argonautica den Spielraum für außerhalb des fatum liegende Episoden, die in diesem Epos breiten Platz einnehmen, nicht eingrenzt. Anders gesagt: Es gibt in den Argonautica eine göttlich festgesetzte Weltordnung, aber deren Entfaltung ist nicht der primäre Gegenstand des Textes.
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kende Prophezeiungen erträglicher gemacht.171 Diese Perspektive verschließt Valerius. Er fokalisiert die Entfaltung der Schicksalssprüche – anders als Vergil – nicht durch Figuren, die vom fatum begünstigt sind, sondern durch Helden, deren Volk in Folge des Weltenplans entmachtet wird und deren Anführer Jason Schritt für Schritt seinem persönlichen Untergang entgegenschreitet. Diese Verschiebung der Perspektive erlaubt es Valerius, das bereits bei Vergil vorhandene Bewusstsein für die leidvollen Mühsale, die zur Errichtung des römischen Weltreichs nötig sind,172 noch deutlich zu steigern. Er mindert den Schmerz (zumindest im erhaltenen Text) auch nicht durch wohlplatzierte Hinweise auf die glorreiche römische Zukunft ab – doch dass es diese geben kann, dass sie unter Vespasian und den Flaviern von Dauer sein könnte, ist als blasser Hoffnungsschimmer, als mögliche Entschädigung in den Text eingeschrieben. Dieser wichtige Unterschied zur metaphysischen Aporie, die bei Lucan und Tacitus vorliegt, schließt jede Interpretation des Textes als rein pessimistisches Abbild eines resignierten Zeitgeistes aus. Der Text bildet die Verzweiflung und den Schmerz einer Generation ab, die gerade einen Bürgerkrieg durchlebt hat, aber auch die durch Vespasians fähige Tatkraft plausibel gewordene Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Diese (den Figuren verborgen bleibende)173 sinnvolle Weltordnung lässt bei Valerius jedoch viel Raum für göttliches Wüten, das von Selbstsucht, Hass und Zorn angetrieben ist.174 Hierbei lässt sich ein weiterer wichtiger Unterschied 171
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Freilich weiß auch in der Aeneis der Rezipient deutlich mehr als die Figuren. Zu Aeneas’ Reaktion auf die ‚Römerschau‘, die sich in erster Linie an den (externen) Rezipienten richtet, siehe Feeney 1986, 143–145 (mit weiterer Literatur); Feeney 1991, 141. Vgl. von Albrecht 22007, 176: „Zwar ist das Handeln des Aeneas jeweils durch die fata gerechtfertigt, doch schließt dies nicht aus, daß er dabei an anderen schuldig wird und dies auch selbst so empfindet. Vergil verschweigt nicht, daß die Gründung des römischen Reiches nur unter schweren Opfern möglich war.“ Man könnte überspitzt formulieren, dass das Schicksal der unversehens ins Unglück stürzenden Dido, die Vergil in Aen. 1,299 als fati nescia beschreibt, in den Argonautica auf alle menschlichen Akteure ausgedehnt ist. Abgesehen von einigen wenigen prophetisch begabten Menschen wie Mopsus oder Phineus (die ihr Wissen nicht vollumfänglich teilen dürfen [Phineus] bzw. missverstanden werden [Mopsus]) offenbart sich der Götterwille keiner der handelnden Figuren. Der fehlende Einblick in metaphysische Zusammenhänge führt immer wieder zu persönlichen Katastrophen. Vgl. Zissos 2014b, 282: „That the gods under Jupiter jealously pursue their own self-interest, and that of their mortal progeny, often in ignorance of fated necessity, is clear enough.“ Erhellend auch Manuwald 2009, 604: „[Recipients] know that Jupiter does have an overall plan for the future development of the world, in which the Argonautic voyage forms a key part, and that the other gods have clear personal plans on a smaller scale within the framework set by Jupiter. So recipients get an idea of both the characters’ immediate future
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zur vergilischen Konzeption des Göttlichen feststellen: Vergils Juno weiß, dass ihre Interventionen von zeitlich begrenzter Dauer sind und die Beschlüsse des fatum unumgänglich feststehen. In den Argonautica scheint jedoch nur Jupiter den Weltenplan vollumfänglich zu kennen und dessen Umsetzung sicherzustellen.175 Dagegen zeugt das Agieren der übrigen Götter (namentlich Juno, Venus, Kybele, Pallas und Mars) von weitgehender Unkenntnis bzw. fehlender Berücksichtigung des fatum. Besonders beunruhigend sind in diesem Zusammenhang die ausführlich beschriebenen Strafaktionen der gekränkten Göttinnen Venus und Kybele, die mit der Erfüllung der fatum-Beschlüsse nur in sehr losem Zusammenhang stehen. Wenn Lucan und Tacitus hinter irdischen Katastrophen in raunendem Ton göttliches Zürnen vermuten, liefert Valerius in der Lemnos-Episode und in der Cyzicus-Episode den Beweis dafür. In beiden Fällen entspinnt sich die Tragödie aufgrund einer Kränkung der Göttin, wobei der Anlass zwar von unterschiedlicher Qualität ist (Tötung eines heiligen Tieres; Verweigerung der rituellen Verehrung), aber in keiner Relation zur schrecklichen Härte des göttlichen Strafgerichts steht.176 Besonders deutlich ist das Ungleichgewicht in der Cyzicus-Episode, wo die zürnende Kybele die Bestrafung für das Vergehen einer Einzelperson an allen Bewohnern der Propontis-Halbinsel vollstreckt. Die Bewertung der Schuldfrage wirft dabei ein ungünstiges Licht auf die Göttinnen:177 Die Frauen von Lemnos entschließen sich aus (berechtigter) Empörung über Venus’ Ehebruch mit Vulcan zur Aussetzung des Kultes. Die Göttin
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and the bigger picture, which results in an ambiguous impression of the gods.“ Hierzu ist ergänzend anzumerken, dass das Agieren der in der olympischen Hierarchie unter Jupiter stehenden Götter in den Argonautica freilich deutlich mehr Raum einnimmt als die Schilderung der schrittweisen Entfaltung der Schicksalsbestimmungen. Dieser Befund hat Margarethe Billerbeck zu dem – meines Ermessens verkürzten – Urteil geführt, der fatum-Gedanke bedeute bei Valerius „kaum mehr als das obligate stoische Kolorit der Zeit“ (Billerbeck 1986, 3130). Das fatum lässt auch in der Aeneis den Göttern und Menschen gewisse Spielräume offen, welche aufgrund des festgeschriebenen Geschichtstelos jedoch klaren Grenzen unterliegen (vgl. Binder 2019, Bd. 1, 167–169). Diese Grenzen sind in den Argonautica deutlich weiter gefasst. Zum Verhältnis von freiem Willen und fatum in den Argonautica siehe auch Gärtner 1994, 120 mit Anm. 9. Anders als der vergilische Jupiter fühlt sich Valerius’ Jupiter nicht an die Bestimmungen des fatum gebunden, wie Zissos anhand der Colaxes-Szene in Arg. 6 argumentiert (vgl. Zissos 2014, 280–285). Vgl. Kap. 7.3. Vgl. Bernstein 2014, 159: „As in Lucan’s Bellum Civile and Statius’ Thebaid, the narrator emphasises the arbitrariness of the reasons for the collective punishments levied by angry goddesses at Lemnos and Cyzicus.“ Vgl. Bernstein 2016, 401: „Though some characters knowingly choose to offend the gods, far more often the hostile gods perpetrate unmerited violence upon large groups of innocent people.“
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duldet jedoch keine Respektlosigkeit und fällt in furienhafter Gestalt über die Insel Lemnos her, die – aus der Perspektive der Göttin gesprochen – dieses nefas und das von der Furie kommende Verderben verdiene (quocirca struit illa nefas Lemnoque merenti / exitium furiale movet: 2,101 f.). Während den Lemnierinnen für die bewusste Aussetzung der rituellen Verehrung einer olympischen Göttin ein gewisser Schuldanteil zugestanden werden könnte, ist König Cyzicus von jeder Schuld freizusprechen. Er tötet den Löwen der Göttin versehentlich bei der Jagd. Das macht ihn nicht zu einem gottlosen Frevler, sondern zu einem Menschen, dem ohne böse Absicht ein schrecklicher Fehler unterläuft.178 Die Bestrafung des Volkes von Cyzicus durch Kybele und der von Venus angestiftete Männermord von Lemnos führen in drastischer, lucanesker Weise göttliche Willkür und menschliche Ohnmacht vor. Die Menschen scheinen in einem von göttlicher Seite gebilligten Zyklus von Wahnsinn, Verblendung, Hysterie, (Selbst-)Zerstörung und innerfamiliärer Gewalt gefangen zu sein.179 Wenn Tiphys und Jason nach dem verheerenden Nachtgefecht die Stimme anklagend zu den Göttern erheben und sich fassungslos darüber zeigen, dass eine solche Katastrophe mit dem Einverständnis der Götter stattgefunden haben könnte, deckt sich ihre Beurteilung mit jener des Rezipienten: Valerius entlastet die Götter nicht – er führt vor, wozu sie in gekränktem Zustand imstande sind.180 Trotzdem lassen sich beide Ereignisse in den Weltenplan einordnen:181 Der Männermord macht in den Schlafgemächern der Frauen von Lemnos Platz für die Helden vom griechischen Festland und trägt so zur (wenn auch nicht-
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Vgl. Kap. 3.3. Vgl. McGuire 1997, 112: „The connections that run from the Lemnian massacre to the battle with Cyzicus, and then to the civil war scenes at Colchis suggest further that there is an unbreakable cycle operating in the universe of the Argonauts. The same hysteria, selfdestruction, and fury that precede their arrival at Lemnos appear again in their encounter with Cyzicus, and again […] at Colchis.“ Verweise auf dieselben Intertexte binden die Bürgerkriegsnarrative (Lemnos, Cyzicus, Kolchis) aneinander; außerdem sind entsprechende intratextuelle Bezüge eingeflochten. Zu den wiederholten Bezügen auf Aen. 1 in Arg. 2, 3, 5 und 6 siehe Heerink 2014; Ripoll 2019, 32–39; Heerink 2020. Zur intratextuellen Vernetzung der einzelnen Werkteile siehe Adamietz 1976, 113–116; Bernstein 2008, 52–54. Vgl. die destruktiven göttlichen Interventionen in 2,115–241 (Venus auf Lemnos); 3,32– 94 (Kybele auf Cyzicus); 6,1–31 (Mars am Schlachtfeld in Kolchis); 6,429–506 (Juno und Medea); 7,153–399 (Venus und Medea). Im valerianischen fatum-Konzept finden auch göttlicher Zorn und menschliche Wahnsinnstaten ihren Platz (vgl. Ferenczi 2014, 150). Die Kollateralschäden, denen der Dichter viel Aufmerksamkeit schenkt, unterstreichen den Preis für die Errichtung der longissima regna.
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kriegerischen) Vermischung der Völker bei, die Jupiter als Ziel des Weltenplans festschreibt. Die Nyktomachie ist eine kriegerische Auseinandersetzung zwischen Männern aus verschiedenen Erdteilen und kann somit als Teil des militärischen Wettstreits betrachtet werden, den die Öffnung der Meere nach sich zieht. Dennoch bedrängt den Rezipienten die Frage, ob solcherlei zur Umsetzung des fatum wirklich notwendig ist: Die pietas-Tat der Hypsipyle zeigt eine Alternative zum sinnlosen Morden der vom Wahnsinn ergriffenen Frauen auf. Die gastfreundliche Beziehung zwischen Argonauten und Dolionen deutet die Möglichkeit einer nicht-kriegerischen Verbindung der Völker an. Doch es bleibt bei einer punktuellen Ausnahme und einer nicht realisierten BeinaheSituation. Göttliches Zürnen und menschliches Leid sind im Kosmos der Argonautica offenbar unausweichlich. Paradoxerweise zieht auch das Agieren von Juno und Pallas katastrophale Folgen für die Argonauten und besonders für Jason nach sich, obwohl die beiden Göttinnen Jason wohlgesinnt sind und die Mission grundsätzlich fördern. Doch obwohl Juno die Mission unterstützt, grämt sie sich ob der Teilnahme des ihr verhassten Hercules, des stärksten Helden auf der Argo.182 In bösartiger Heimtücke inszeniert sie die Entführung des Knaben Hylas, die am Ende zur unrühmlichen Trennung des Hercules von der restlichen Mannschaft führt. In der Götterversammlung am Beginn von Arg. 4 ist Jupiter außer sich vor Zorn über diese Intrige, bekräftigt aber auch, dass die Erfüllung seines Weltenplans davon unberührt bleiben würde: rerum mihi firma potestas (4,12). Über den von Jupiter bevorzugten Handlungsverlauf kann der Rezipient (auch mit Blick auf die unterschiedlichen Traditionsstränge) nur mutmaßen: Hätte Jupiter den stärksten Helden auf der Argo auch ohne Junos Zutun an irgendeinem Punkt der Mission, wohl vor der Symplegadendurchfahrt, gemeinsam mit seinem Begleiter Hylas von der Mannschaft getrennt, um ihn mit der Erledigung einer Aufgabe zu betrauen, wie sie einem Helden wie Hercules ansteht?183 Oder hätte Hercules etwa bis zur Ankunft in Kolchis und bis zur Gewinnung des Vlieses Teil der Fahrt bleiben sollen? In diesem Fall hätte er Jason beim Gewinn des Vlieses unterstützen können, sodass Medeas Hilfe (welche von der Mannschaft jedoch entführt worden wäre: vgl. 1,547: virgine rapta) nicht notwendig gewesen wäre. Das von Jason in 3,617–621 referierte Orakel (bes. 3,620) scheint die zweite Variante auszuschließen. Die erst nach Junos Intrige zornig erteilte Aufforderung, die Furien und Venus in Bewegung zu setzen (4,13), lässt aber erahnen, dass sich der Raub des Vlieses und die Entführung Medeas Jupiters 182 183
Junos Hass auf Hercules ist bei Valerius viel stärker akzentuiert als bei Apollonios (vgl. Buckley 2014, 320). Vgl. Kap. 6.5 und 7.7.
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ursprünglichem Plan zufolge – der aber nicht ausgesprochen wurde und daher im Wortsinn nicht fatum ist – anders hätte zutragen sollen. Offenbar beeinflusst Junos Intervention nicht ob, sondern wie sich die einzelnen Punkte des ordo rerum erfüllen. Die in 4,13 genannten Mächte (die Furien, Venus) weisen auf den Liebeswahn ( furor) voraus, welchen die Liebesgöttin in Medea erregen muss, damit sie Jason beim Raub des Vlieses Hilfestellungen gibt.184 Für ihre Handlungen soll das „gottlose Mädchen“ (impia virgo) Medea jedoch – auch das kündigt Jupiter an – schlimme Strafen erleiden (4,13f.). Die olympische Szene mit Juno und Pallas nach der Ankunft der Argo in Kolchis (5,278–296) belegt, dass Juno zwar verstanden hat, dass der Raub des Vlieses nach Hercules’ Ausscheiden nur mit Medeas Beteiligung zu bewerkstelligen ist,185 aber wie und vor allem wann Medea dazu gebracht werden soll, Jason zu unterstützen, ist noch unklar. Denn zunächst gibt es göttliche Bedürfnisse zu stillen, die mit der Erfüllung der Mission nur am Rande zu tun haben: In Anbetracht der kolchischen discordia ist Pallas unsicher, welcher Seite (Aeetes oder Perses) die Argonauten ihre Unterstützung zusagen sollen. Junos Antwort legt offen, dass ein unkriegerischer Handlungsverlauf (wie er von der Tradition vorgegeben wäre) nicht in Pallas’ Interesse liegt. Um das Verlangen der Göttin nach einem großen Krieg zu stillen (proelia … / tibi grata: 5,286 f.), sollen, so Junos Entschluss, die Argonauten Aeetes unterstützen. Aus strategischer Sicht ist dieses Vorgehen sinnlos – und das weiß Juno auch: Der kolchische Tyrann wird sein Wort brechen und das Vlies trotz der Ableistung des versprochenen Kriegsdienstes nicht herausgeben.186 Der kolchische Bürgerkrieg
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Die Verbindung Jasons mit Medea kommt in den Argonautica im Zuge der Unterstützung Junos für den Helden zustande (vgl. Barich 1982, 133). Das Auftreten der Göttin und das Resultat ihrer Handlungen ist gegenüber der Aeneis invertiert: Als Feindin der Aeneaden kann Juno den Vollzug des fatum und den Aufstieg Roms zur Weltmacht nicht verhindern; als Unterstützerin Jasons hilft sie beim Vollzug des fatum, schafft aber auch die Bedingung für die persönliche Vernichtung dieses Helden (vgl. Heerink 2014, 76). Vgl. Zissos 2014b, 292. In für Valerius charakteristischer Weise bleiben Jason und den Argonauten die Hintergründe des Krieges verborgen: Aeetes erhält unheilvolle Prodigien, weigert sich aber, das Vlies herauszugeben, an das seine Herrschaft geknüpft ist. Perses hingegen ist zur Herausgabe des Widderfells bereit. Die Frage nach dem richtigen Vorgehen ist der Funke, der einen offenbar schon länger glimmenden Bruderzwist entflammen lässt. Der Streit zwischen den Brüdern wächst sich zum Bürgerkrieg aus, an dem alle Völker des Ostens beteiligt sind. Wären den Argonauten diese Zusammenhänge bekannt, müssten sie die Seite des Perses unterstützen, der – anders als Aeetes – tatsächlich zur Herausgabe des Vlieses bereit wäre. Der Versuch des Perses am Anfang des sechsten Buches, die Argonauten über die Zusammenhänge zu unterrichten und die Helden von der Sinnlosigkeit ihrer
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verkommt somit zum reinen Vehikel, um die Kriegslust einer Göttin zu stillen. Juno weiß jedoch gut, dass die Gewinnung des Vlieses auf kriegerischem Wege nicht gelingen wird: Dafür sind weitere Listen und weitere Unternehmungen notwendig. Der Nachsatz des Erzählers kann es an bitterem Sarkasmus mit den narratorialen Einschüben Lucans aufnehmen: „Solches haben die Götter damals zur Ruhmsteigerung der Menschen in Gang gesetzt“ (talia tunc hominum superi pro laude movebant: 5,296). Tatsächlich können die Argonauten, allen voran Jason, im kolchischen Bürgerkrieg ihre virtus demonstrieren und Ruhm gewinnen – aber auch nicht mehr als das. So wird das leidvolle Sterben am Schlachtfeld von Kolchis als Resultat göttlicher Kriegslust enthüllt, dessen Ergebnislosigkeit von vornherein feststeht. Auch die nach dem Vorbild von Aen. 10,1–113 geformte Götterversammlung am Ende von Arg. 5 verdeutlicht, dass der kolchische Bürgerkrieg den ordo rerum nicht beeinflussen wird.187 In offenbarer Unkenntnis des Weltenplans188 bittet Mars Jupiter darum, das Vlies behalten zu dürfen, außerdem solle der Göttervater die fortwährende Unterstützung der Argonauten durch Juno und Pallas unterbinden. Die Letztgenannte scheut nicht davor zurück, vor den Göttern ihr Verlangen nach einem Krieg zu verbergen. Unwissende Naivität mimend behauptet sie, keinen Krieg zu wollen. Wenn sie nur das Vlies bekämen, würden die Argonauten sogleich über das Meer entschwinden. Dies ist eine offenkundige Lüge:189 Im Gespräch zwischen Juno und Pallas ist klar geworden, dass der gewaltige Bürgerkrieg von Kolchis nicht zuletzt den Zweck erfüllt, der Ägis-schwingenden Pallas den erwünschten Krieg (grata bella) zu gewähren. Wie der Jupiter der Aeneis ist der Jupiter der Argonautica bereit, der im Olymp herrschenden discordia nachzugeben,190 wobei das vergilische fata viam invenient bei Valerius noch gesteigert wird:
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Allianz mit Aeetes zu überzeugen, wird durch den von Mars befeuerten Ausbruch des Kriegs unterbunden (6,14–32 mit Hershkowitz 1998, 248; Schenk 1999, 144; Ferenczi 2014, 148 f.). Am Ende der Schlacht fühlt sich Perses von den Göttern getäuscht (vgl. 6,728 mit Otte 1992, 128). Zur Götterversammlung in 5,618–695 siehe Hutchinson 1993, 190–195; Ferenczi 2014, 149– 152. Vgl. Schenk 1999, 149: Mars agiere an dieser Stelle egoistisch und stelle sich gegen die fata. Vgl. Hutchinson 1993, 193: „She had been less unenthusiastic about warfare than she here alleges.“ Zur Frist, die Jupiter den zankenden Konfliktparteien in der Götterversammlung in Aen. 10 einräumt, siehe Binder 2019, Bd. 1, 149.168 (hier 168): „Iuppiter lässt daher die Zwietracht auf Erden noch eine kleine Weile zu, wohl wissend, dass die fata am Ende dem freien Willen der Menschen und der Götter übergeordnet sind. Sein Handeln zeigt, dass der Inhalt des Fatums nicht zur Disposition steht, auch nicht zur Disposition der höchsten göttlichen Instanz.“
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quolibet ista modo quacumque impellite pugna, quae coepistis, habent quoniam sua fata furores. Val. Fl. 5,675 f.
Auch der am Schlachtfeld von Kolchis tobende Wahnsinn ( furor) wird am Ende zur Erfüllung des Weltenplans beitragen. Der Begriff furores umfasst an dieser Stelle göttlichen und menschlichen Wahnsinn – die Kriegslust der Pallas und der Juno, die wahnsinnige Angst des Mars vor dem Verlust eines Weihgeschenks; außerdem den Ruhmeswahn der Argonauten, die wahnsinnige Machtgier des Aeetes und – als Schlüsselelement zur Verwirklichung der fata – den Liebesfuror Medeas. Mehr als in allen anderen Fassungen der Argonautensage erscheint Medea bei Valerius als tragisches Opfer göttlicher Machenschaften. Auch wenn die kolchische Königstochter selbst ohne göttliche Einwirkung Sympathien für Jason hegt, ist massiver göttlicher Druck nötig, um sie zum Verrat des Vaters und des Vaterlands zu treiben: Sie unterstützt Jason offensichtlich gegen ihren eigenen Willen und nur, weil es ihr von überlegenen göttlichen Mächten aufgezwungen wird. Dafür wird sie auch noch hart bestraft. Valerius verringert Medeas subjektive Schuld und präsentiert die ‚Medea-Tragödie‘ als Resultat der Machenschaften egoistischer, rachsüchtiger und willkürlich agierender Göttinnen, die das Mädchen für ihre eigenen Zwecke als Werkzeug missbrauchen. Bevor der überlieferte Text abbricht, haben sich die dunklen Schatten der zukünftigen Katastrophen bereits ausgebreitet:191 Jason wird von einer seiner beiden Schutzgöttinnen verlassen192 und bewegt sich unaufhaltsam auf die im Text immer wieder proleptisch angekündigte ‚Medea-Tragödie‘ zu, ohne etwas von den schlimmen Vorfällen zu ahnen, die ihn in Korinth erwarten. Wenn am Ende Mopsus, dessen düstere Prophezeiung in Arg. 1 auf die Katastrophen und Kollateralschäden der Argofahrt vorausgewiesen hat, in 8,395–399 einen letzten Einblick in Zukünftiges gestattet, trägt dies nichts zur Zerstreuung der im Laufe des Epos aufgestauten Ängste und Sorgen der Helden bei: Der Prophet verkündet, dass es auf der Insel Peuce nicht zum ersten Zusammenstoß der Kontinente kommen soll, aber dass ein Rächer kommen werde, welcher die Griechen ihre Perfidie bitter büßen lassen werde. Für die Figuren enden die Argonautica mit der Ankündigung eines großen Krieges, der sich bereits
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Vgl. Bernstein 2014, 159: „The temporary and variable favour demonstrated by the gods to Jason and the Argonauts is outweighed by the narrative’s clear indication of their future hostility. The outcome of Medea’s arrival in Greece […] will be personal tragedy for Jason and his family and collective suffering for all of Greece in the Trojan war.“ Vgl. 8,224–227 mit Barich 1982, 90; Otte 1992, 153.
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am Horizont abzeichnet. Anders als die Figuren kann der Rezipient ergänzen, dass dieser Krieg, namentlich der Krieg um Troja, den Aufstieg Roms und die römische Weltherrschaft ermöglichen wird und somit zumindest rückwirkende Sinngebung erfährt. Ohne Lucans resignierte, verzweifelte Hoffnungslosigkeit vollständig zu übernehmen, vermittelt der Dichter also eindrücklich die Schwere des Leids, des Schmerzes und der Verluste, die zur Errichtung des römischen Weltreichs nötig sind. Valerius betont den moles-Anteil der berühmten vergilischen Formel tantae molis erat Romanam condere gentem (Verg. Aen. 1,33). Die fast ausschließliche Fokussierung auf die negativen Aspekte erschwert es auch dem Rezipienten, einen Hoffnungsschimmer in der Dunkelheit zu erkennen. Doch es gibt in diesem Text vorsichtige Hinweise auf eine römische Friedenszeit unter flavischer Führung (Ankündigung der Verstirnung Vespasians, Verweis auf die longissima regna). Während Lucan nur demjenigen angstvolle Hoffnung zugesteht, der vom Walten der Götter nichts weiß (sit caeca futuri / mens hominum fati; liceat sperare timenti: Lucan. 2,14 f.), formuliert Valerius’ Jupiter in der Weltenplan-Rede ein Credo, das sich direkt an das zeitgenössische Publikum richten könnte: spes et metus omnibus esto (1,557).193 Die Betonung der verlustreichen labores, die auch den Aufstieg der Flavier bedingen, verleiht dem Werk Appellcharakter: Es liegt in den Händen der neuen gens, den schlimmen Erfahrungen der Vergangenheit rückwirkend Sinn zu verleihen. Das Gelingen der flavischen Mission liegt freilich nicht nur in menschlicher Hand: Wie Valerius anhand der Götterhandlung der Argonautica zeigt, ist der im fatum verankerte ordo rerum, der irdischen Ereignissen Sinn und Ordnung gibt, nur eines von mehreren metaphysischen Erklärungsprinzipien. Daneben sind die Willkür und der Zorn der Götter in Rechnung zu stellen, denen menschliche Akteure immer wieder schutzlos und unverschuldet zum Opfer fallen.194 Rückblick: Höhere Mächte wirken in den Argonautica in vielfältiger Weise auf Irdisches ein: Das in der Weltenplan-Rede enthüllte fatum legt einen metaphysischen Rahmen fest, der jedoch viel Raum für die eigenen Agenden und das Zorneswüten der untergeordneten Götter als destruktive, düstere Triebfedern des Weltgeschehens bietet. Ein endgültiges Geschichtsziel definiert Valerius – anders als Vergil – nicht, für Figuren wie Rezipienten gilt die Maxime
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Vgl. Ferenczi 2014, 145: „The king of the gods assumes the right not to give further explanations about the details of the future and above all about the final stages of earthly history. He keeps his twin audiences, the other gods and the reader of the poem, in ignorance. With the words spes et metus omnibus esto he concludes his prophecy.“ Zu (epischem) fatum und (tragischer) ira als Wirkprinzipien in den Argonautica siehe Buckley 2014, 308–313.
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spes et metus omnibus esto. Valerius schenkt den problematischen Aspekten des Vollzugs des fatum viel Aufmerksamkeit und streicht hervor, dass die Erfüllung der Schicksalssprüche um einen hohen Preis erkauft werden muss. Für ein zeitgenössisches Publikum konnte sich aus dieser übermäßigen Betonung des Leids und der Kollateralschäden der Appell ergeben, durch das eigene Wirken den Katastrophen der Vergangenheit rückwirkend Sinn zu verleihen. Die innovative Eingliederung der Argofahrt in ein übergeordnetes weltgeschichtliches Konzept verbindet Mythos und Historie. So wird der Rezipient eingeladen, mit Blick auf Zeitgeschichtliches über das Wirken der Götter und das Wesen des fatum in Valerius’ mythologischem Epos zu reflektieren. 8.3.2 Schuld und Entsühnung (Val. Fl. 3,362–458) Wir haben oben zwei fundamentale metaphysische Triebkräfte im Kosmos der Argonautica ausgemacht: zum einen Jupiters Weltenplan bzw. das fatum, zum anderen den Egoismus, Hass und Zorn der Götter als weitere Triebfedern göttlicher Einflussnahme. Die auf diese Weise zum Handeln angeleiteten menschlichen Akteure laden unter göttlichem Zwang Schuld auf sich: Die Vorschriften des fatum, welches die Öffnung der Meere durch die Argo und Kriege zwischen den Völkern vormals getrennter Erdteile vorsieht, führen dazu, dass die Helden Hybris-Taten begehen und sich mit nefas beflecken. Letzteres trifft auch auf jene Figuren zu, die zu Instrumenten göttlicher Vergeltungsschläge gemacht werden: Im Zorn stiftet Venus die Frauen von Lemnos zum innerfamiliären Mord an; um die Tötung ihres Löwen zu rächen, erregt Kybele die Nyktomachie, in deren Verlauf die Argonauten ihre Gastfreunde töten. Gerade letztere nefas-Tat führt bei den objektiv schuldlosen Argonauten zu starkem subjektiven Schuldempfinden, sodass die Fahrt erst nach einer von Mopsus durchgeführten rituellen Reinigung fortgesetzt werden kann. Nach der Katastrophe des bürgerkriegsähnlichen Nachtgefechts ermöglicht das Sühneritual den Helden, die lähmende Schuld und die religiöse Befleckung zu überwinden. Der Dichter reflektiert in dieser Episode wohl über ein zeitgeschichtliches Problem: Der vom Zorn der Götter erregte Bürgerkrieg kann zwar von Vespasian beendet werden, doch durch die Beteiligung am Bürgerkrieg begeht auch der spätere Kaiser einen Frevel. In einer Zeit, in der man glaubte, dass das menschlich-göttliche Verhältnis aus den Fugen geraten sei, war die Befürchtung naheliegend, dass die Götter auch an dem im Bürgerkrieg schuldig gewordenen Kaiser Rache üben würden. Die Flavier legten größten Wert auf eine Versöhnung und Besänftigung der Götter, um deren Zorn nicht erneut auf Rom zu lenken. Nach einer Phase der Zerrüttung und des Bürgerkriegs galt es, eine politische und religiöse Krise zu überwinden und den Grundstein für eine bessere Zukunft zu legen. Wie wir im Folgenden sehen werden, zeigt der Text
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der Argonautica mit dem Entsühnungsritual des Mopsus eine gelungene Überwindung der Paralyse und der Schuld auf, die das nefas eines Bürgerkriegs mit sich bringt. Das erfolgreiche Ritual im literarischen Text scheint die Hoffnung zuzulassen, dass die Wiederherstellung harmonischer göttlich-menschlicher Beziehungen auch in der historischen Welt gelingen kann. Der enge Zusammenhang zwischen Politik und Religion im alten Rom lässt sich daran erkennen, dass politische bzw. militärische Erfolge regelmäßig auf göttliche Gunst, Katastrophen indes auf göttlichen Zorn zurückgeführt wurden.195 Als Ursache für diesen göttlichen Zorn wird (vor allem bei den Dichtern) häufig eine in der mythologischen Frühzeit anzusiedelnde ‚Urschuld‘ genannt, die von den Nachfahren immer wieder neu gebüßt werden müsse:196 Hierbei kommen etwa der Frevel des Laomedon,197 der Brudermord bei der Stadtgründung198 oder auch die als Instanz menschlicher Hybris bewertete Argofahrt in Frage. Valerius fand eine reiche Tradition zur Beurteilung der weltgeschichtlichen Bedeutung der Argo vor, wobei im römischen Bereich Ennius, Catull, Horaz, Ovid und Seneca eine Deutungstradition abbilden, wonach die Hybris der ersten Meeresüberquerung eine ganze Reihe katastrophaler Konsequenzen für die Menschheit nach sich ziehe.199 In Arg. 1 wird mehrfach und deutlich auf diese Deutungstradition angespielt.200 Der Einfall, die Argofahrt in ein die Weltgeschichte determinierendes fatum-Konzept einzubinden, ergibt zusätzlich die (für den Dichter) reizvolle Komplikation, dass das nefas der ersten Meeresbefahrung im fatum verankert ist, wodurch die Trennlinie zwischen den beiden Begriffen brüchig wird. Neben dem (wiederholten) Abbüßen einer ‚Urschuld‘ begegnet als zweites Erklärungsmodell für gegenwärtige Katastrophen die Zerrüttung richtiger, rituell korrekter menschlich-göttlicher Beziehungen, wofür das Lateinische den Begriff der impietas kennt. In diese Kategorie ließe sich das Aussetzen des
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Vgl. Rebeggiani 2018, 198–202. Vgl. Rebeggiani 2018, 199. Verg. georg. 1,501 f. Vgl. Hor. epod. 7,13–20; carm. 1,35,33 f.; Lucan. 1,93–95 mit Davis 2015, 163; Rebeggiani 2018, 34: „The idea of an initial act of fraternal strife (Romulus and Remus) repeated several generations later by Roman civil wars is well established in the Roman imagination.“ Vgl. Enn. Medea exul fr. 89,3 f. TrRF; Cat. 64,397–406; Hor. carm. 1,3,21–24; Ov. am. 2,11,1f.; her. 12,13 f.; Sen. Med. 301–379; Davis 1989, 47 (und passim); Feeney 1991, 313–317.330f.; Zissos 2006, 82–84; Feeney 2007, 118–122; Bernstein 2014, 157; Ferenczi 2014, 139; Seal 2014, 115.119–122. Vgl. 1,3 mit Davis 1989, 47; 1,196–199 mit Zissos 2006, 80f.; 1,235 und 1,246f. mit Baier 2020, 309 f.; 1,498–500 mit Zissos 2014, 273; 1,704–708 mit Gärtner 1994, 77–79.
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Venus-Kults auf Lemnos oder die Erlegung des heiligen Löwen der Kybele durch Cyzcus einordnen: In beiden Fällen bewirkt ein Vergehen gegen die Gottheit göttliche Bestrafung. Göttliche Interventionen führen in den Argonautica jedoch regelmäßig dazu, dass zur Vergeltung eines Frevels weitere Frevel notwendig sind, die einen ewigen Kreislauf von Rache und Vergeltung auszulösen drohen. Dieser unheilvolle Zyklus betrifft etwa die Medea-Figur, die nur unter dem massiven Druck, den Juno und Venus ausüben, zum Verrat des Vaters und des Vaterlands gebracht wird, und für dieses Handeln, das aus göttlicher Einwirkung resultiert, schwer bestraft wird. In den Historien definiert Tacitus die Ursache für den Bürgerkrieg des Vierkaiserjahres nicht als notwendiges Abbüßen einer in der mythischen Vorzeit liegenden ‚Urschuld‘ – Anlass für das Zürnen der Götter seien vielmehr die impietas und die verkommenen mores der Römer, welche die Strafe (poena) bzw. Rache (ultio) der Götter nach sich gezogen hätten.201 Vespasians Usurpation war erfolgreich, weil der Flavier als Sieger aus den Bürgerkriegswirren hervorging. Als solcher erhob er den Anspruch auf göttliche Unterstützung, doch lässt sich hier eine ähnliche Problematik des Nebeneinanders von fatum und nefas beobachten wie bei der von Jupiter geförderten, aber transgressiven Argofahrt: Wenn der Bürgerkrieg von den Göttern gewünscht ist, bedeutet seine Beendigung eine Unterbindung der göttlichen Willensentfaltung.202 Darüber hinaus stellt schon die bloße Beteiligung am Bürgerkrieg nach römischem Empfinden einen Frevel dar, der beide Seiten gleichermaßen mit Schuld belädt.203 Zur Bestrafung menschlicher Vergehen entfesseln die Götter den Bürgerkrieg, der jedoch das größte aller Vergehen darstellt. Vespasian ist der Sieger in einem Krieg, in dessen Verlauf römisches Blut vergossen wird, römische Städte geplündert und römische Tempel zerstört werden. Unter den vielen Verbrechen der Bürgerkriegswirren des Vierkaiserjahres ragt die Zerstörung des Kapitols heraus, die Tacitus als „jammervollste, hässlichste Schandtat“ ( facinus … luctuosissimum foedissimumque: hist. 3,72,1) seit Menschengedenken beschreibt.204 Die Anfänge der flavischen Dynastie fallen 201
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Dieses Erklärungsmodell begegnet auch in Hor. carm. 3,6,1–8. Vgl. Baier 2012a, 9; Joseph 2012, 82: „The decline of Roman mores led to the gods’ hostility, a hostility manifested in its highest form in the civil wars themselves.“; Rebeggiani 2018, 199f. Vgl. Rebeggiani 2018, 201. Vgl. Rebeggiani 2018, 203: „The 69 conflict involved massacres, catastrophes, and crimes previously unheard of. These increased the sense of divine anger, irreparable sin, and contamination, which involved both the defeated and the victorious parties.“ Vgl. Bernstein 2016, 400 f.; Rebeggiani 2018, 203: „When in 69 ce the Capitoline burned as a result of the civil conflict, people felt that the final destruction of Rome had been
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daher nicht nur in eine Phase der inneren Zerrüttung und Zerstörung, sondern werden auch von tiefer religiöser Verunsicherung begleitet, deren Überwindung zum Hauptanliegen der neuen Dynastie wird.205 Wenn Cicero in Pro Marcello Caesar dafür rühmt, die zürnenden Götter mit seinem Sieg im Bürgerkrieg über die vermeintlich schuldige Seite besänftigt zu haben (Cic. Marc. 18),206 mag das als rhetorische captatio benevolentiae funktionieren; die Flavier brauchen jedoch mehr als Rhetorik, um nach der Krise des Vierkaiserjahres die menschlich-göttlichen Relationen wieder in harmonisches Gleichgewicht zu bringen. Die familiäre und religiöse pietas der Flavier betont Valerius im Proömium, wenn er ankündigt, Titus werde nach der Vergöttlichung Vespasians einen Kaiserkult für diesen einrichten und den Göttern Tempel erbauen: ille tibi cultusque deum delubraque gentis207 instituet, cum iam, genitor, lucebis ab omni parte poli. Val. Fl. 1,15–17
Diese Betonung der pietas der flavischen Herrscherfamilie dient nicht nur dem Zweck des Herrscherlobs, sondern ist gleichzeitig optimistische Voraussage, dass den Flaviern die angestrebte Überwindung der religiösen Krise und die Wiederherstellung des richtigen Verhältnisses zu den Göttern gelingen werden.208 Um dies zu bewerkstelligen, wurde gehöriger Aufwand betrieben: Nicht wenige der wichtigsten Bauprojekte, die Vespasian nach dem Einzug in Rom in Angriff nahm, waren Tempelbauten, darunter die prächtige Anlage des Templum Pacis und der Tempel für den vergöttlichten Claudius (Templum Divi
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decreed, there being no greater sign of the gods’ anger against Rome than the destruction of the gods’ most sacred place in the city.“ Vgl. Wardle 2012, 195; Zissos 2016, 7: „Vespasian understood not only the need for restoring order, but for something deeper – a sense of moral renewal.“; Rebeggiani 2018, 198. Vgl. Haynes 2003, 127. Anstelle des in der Handschriftengruppe γ überlieferten genti (von Ehlers übernommen, von Liberman und Zissos aus sprachlichen Gründen zurecht angezweifelt) ist mit Liberman gentis (die Lesart des Codex Bononiensis) in den Text zu nehmen (vgl. die Bezeichnung des unter Domitian fertiggestellten Templum Gentis Flaviae): instituet regiert die mit doppeltem -que angeschlossenen direkten Objekte cultus deum und delubra gentis, die auf das indirekte Objekt tibi zu beziehen sind. Die Formulierung tibi … delubra genti instituet ergäbe eine seltsame Dativdoppelung, die auf eine Textverderbnis hindeuten würde. Die Konjektur centum (Haupt, Langen, Courtney, Zissos) ist paläographisch zwar plausibel, aber unnötig. Vgl. Bernstein 2014, 158; Tuck 2016, 119.
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Claudii).209 Kein Projekt war jedoch von größerer symbolischer Bedeutung als der Wiederaufbau des Kapitols, der die Versöhnung mit den Göttern und die religiöse Erneuerung symbolisieren sollte: Vor Baubeginn wurde das Areal in einem aufwändigen Ritus neu konsekriert; der neue Kaiser selbst beteiligte sich öffentlichkeitswirksam an der Wegschaffung des Schutts.210 Die Flavier machten die religiöse Restauration zu einem Kernanliegen ihres Programms des Wiederaufbaus und der Erneuerung.211 Sie sendeten damit das Signal, an einer dauerhaften Überwindung der religiösen Krise und der Besänftigung göttlichen Zorns zu arbeiten, der als Ursache für die mannigfachen Katastrophen angesehen wurde, die Rom nach dem Selbstmord Neros heimgesucht haben. Die Wiedereinführung des Venus-Kults auf Lemnos und das Sühneritual auf Cyzicus sind im Einzelnen natürlich nicht mit der flavischen Restauration zu vergleichen, gehen aber vom selben Gedanken aus und erfüllen auch denselben Zweck.212 Auf Lemnos leiten die Argonauten die Wiederaufnahme der rituellen Verehrung der Venus ein und beugen damit weiteren Racheaktionen der zur Furie gewordenen Liebesgöttin vor. Nach dem tragischen Versehen der Nyktomachie, die Valerius nach dem Modell römischer Bürgerkriegsliteratur gestaltet,213 befinden sich die Argonauten jedoch selbst in einer Situation, die sich mit dem unmittelbaren Nachspiel des Siegs der flavischen Partei über die vitellianischen Truppen vergleichen lässt: Der Krieg ist zu Ende; Sieger und (überlebende) Verlierer sind vom nefas des Bürgerkriegs befleckt. Während Vespasian in bekannter Tatkraft das Programm einer religiösen Restauration vorantreibt, sind die Argonauten in vergleichbarer Situation von Schuld und Trauer paralysiert. Doch anders als Lucan zeigt Valerius einen Weg zur Bewältigung der traumatischen Erlebnisse auf, die seine Figuren (und sein Publikum?) quälen. Wie im flavischen Rom (und anders als im Bellum civile) ist der Bürgerkrieg in den Argonautica nicht das Ende: Das Ritual des Mopsus erfüllt seinen Zweck, indem die Totengeister besänftigt werden und die Schuld aus dem
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Vgl. Malitz 2001, 93; Curran 2007, 85 f. Zu dem unter Titus begonnenen (und noch teilweise erhaltenen) Templum Vespasiani siehe Packer 2003, 173. Zum unter Domitian begonnenen Templum Gentis Flaviae siehe Packer 2003, 174. Zum Wiederaufbau des Kapitols siehe Tac. hist. 4,53; Suet. Vesp. 8,5; Malitz 2001, 93; Packer 2003, 168; Leithoff 2014, 68 f. Zur empfundenen Notwendigkeit einer Wiederherstellung religiöser Normen nach dem Vierkaiserjahr siehe Packer 2003, 197; Bernstein 2014, 158: „Vespasian made religious restoration one of his priorities.“; Rebeggiani 2018, 202–205 (hier 204): „A renewed attention to religion in all its traditional forms is a well-documented aspect of Vespasian’s principate.“ Vgl. Bernstein 2014, 158. Siehe Kap. 3.4.
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Gedächtnis der Helden getilgt wird.214 In der Interpretation des Entsühnungsrituals soll der Frage nachgegangen werden, welche Bedeutung diese Szene in Arg. 3 für ein zeitgenössisches Publikum haben konnte, das die Ereignisse des Vierkaiserjahres in präsenter Erinnerung hatte und die Notwendigkeit einer religiösen Erneuerung verspürte.215 Nach der Bestattung der Toten befällt die Argonauten ein Gefühl der paralysierenden Verzweiflung, die eine Weiterfahrt undenkbar macht (3,362–368).216 Während bei Apollonios an analoger Stelle das Ausbleiben der Winde eine Weiterfahrt verhindert, heißt es bei Valerius, dass die Argonauten trotz der günstigen, verlockenden Westwinde nicht abfahren (bis Zephyri iam vela vocant: 3,363). Diese Umstellung im Detail erlaubt es, das psychologische Trauma der Helden zum Erzählgegenstand zu machen, das jeden Tatendrang der Helden zum Erliegen gebracht hat (acerque laborum / pulsus amor: 3,367f.).217 Nachts werden die Helden unablässig von Erscheinungen der Getöteten heimgesucht (3,363) – ein Detail, das die Stelle im siebten Buch des Bellum civile aufruft, an der beschrieben wird, wie Caesars Soldaten nach der Schlacht von Pharsalos in ihren Albträumen von den Schatten der getöteten Verwandten heimgesucht werden (Lucan. 7,772–776).218 Die Schuld der objektiv schuldlos gewordenen Argonauten wird durch das intertextuelle Echo paradigmatisch mit den psychischen Qualen verknüpft, an denen die überlebenden Teilnehmer römischer Bürgerkriege leiden.219 In seiner Verzweiflung wendet sich Jason an Mopsus,220 der dem ductor daraufhin von einem Ritual berichtet, das den Zorn der Totengeister besänftigen
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Vgl. Bernstein 2014, 159. Vgl. Rebeggiani 2018, 197: „Ideas of atonement and purification typically accompany the return to normality after civil war.“ Zu Mopsus’ Entsühnungsritual siehe Walter 2014, 46– 48; Manuwald 2015, 165–167. Vgl. Walter 2014, 46: „Das Ende des Kriegs führt beinahe auch zum Ende der Argonautica; obwohl die Argonauten unschuldig in diesen Krieg hineingeraten sind, haben sie so schwere Freveltaten begangen, dass sie ihre Mission nicht aus eigener Kraft fortsetzen können.“ Vgl. Stover 2012, 172: „The Argonauts have lost their will and their way, and something must be done to enable them to move beyond the psychological trauma of bellum civile.“ Zu diesem Lucan-Bezug vgl. Bernstein 2014, 159; Kap. 3.4. Zur zeithistorischen Bedeutung der Entsühnungsszene siehe Stover 2012, 170–178 (hier 170): „This episode engages with the historical context in which Valerius composed his epic, expressing a desire to advance beyond the destructive effects of bellum civile.“; Walter 2014, 51. Jason wird in dieser Szene anhand deutlicher intertextueller Bezüge mit Aeneas nach dem Seesturm in Aen. 1 verbunden: Aen. 1,208 f. ~ Val. Fl. 3,369–371. Während Aeneas seinen Schmerz verbirgt und seine Verantwortung als Anführer wahrnimmt, ist Jason nach dem
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und die Erinnerung an das nefas aus dem Gedächtnis der objektiv unschuldigen Täter tilgen könne. In kennzeichnender Unkenntnis des göttlichen Anteils an irdischen Vorgängen vermag Jason den Ursprung der paralysierenden Trauer nicht zu benennen. Er mutmaßt gegenüber dem Seher, dass sowohl sein Inneres (corda) als auch eine Beteiligung der Götter (sententia divum) bzw. das fatum verantwortlich sein könnten (3,371–374).221 Während auch der Seher nichts gegen göttlichen Zorn unternehmen könnte, so kann er doch das Zürnen der Totengeister besänftigen. In einem eschatologischen Exkurs erklärt Mopsus, dass der Zorn und der Schmerz jener, deren Ermordung gegen göttliches Recht ( fas) verstoße, auch über den Tod hinaus andauern würden (3,384). Sobald Jupiter von ihrem „unsäglichen Tod“ (nefandam / … necem: 3,385f.) erfahre, erlaube er solchen Totengeistern, in Begleitung einer Furie an die Oberwelt zurückzukehren und an den Mördern Rache zu nehmen. An dieser Stelle trifft Mopsus eine wichtige Unterscheidung: Wer ohne es zu wollen und aufgrund eines „grausamen Zufalls“ ( fors saeva: 3,392) gemordet habe und deshalb von seinem Gewissen gepeinigt werde, könne mit dem Ritual, das ihn der Seher Celaeneus gelehrt habe, von solcher Sorge befreit werden: nostra requiret / cura viam (3,396f.).222 An dieser Stelle berichtet der in dieser Szene als vates (3,397) und sacerdos (3,432) bezeichnete Seher von einer Jenseitserfahrung, die sowohl die Nekyia des Odysseus als auch die Katabasis des Aeneas evoziert (3,397–410).223 Anders als in den Prätexten ist das Jenseits an unserer Stelle jedoch kein Ort, an dem Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ineinanderfließen, um einer Figur in der erzählten Welt bestärkende Orientierung und innere Festigung zu bieten224 oder einen – hauptsächlich an den Rezipienten gerichteten – großen historischen Durchblick im Stile der vergilischen ‚Römerschau‘ einzulegen. Wie auch sonst verweigert Valerius seinen Figuren und seinen Lesern konsequent jene Art von optimistischer Zukunftsvision, die in der Aeneis die Mühsale erträglich
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nefas der Nyktomachie dazu nicht in der Lage; er vergießt Tränen und gesteht dem Seher seinen Schmerz (indulget lacrimis aperitque dolorem: 3,371). Bei der Totenklage haben Tiphys (3,259 f.) und Jason (3,296–304) göttlicher Willkür die Schuld an ihrem tragischen Irrtum zugesprochen. Vgl. Manuwald 2015, 170 zu 3,393–396: „[P]eople who have killed inadvertently are not punished by the souls of their victims initiating revenge but by their own minds.“ Zu den Homer- und Vergilreminiszenzen an unserer Stelle siehe Walter 2014, 90–93. Eine Verankerung in der Vergangenheit, aus der eine innere Festigung für zukünftige Taten gewonnen werden könnte, ist das genaue Gegenteil von dem, was Mopsus’ Ritual erreichen soll. Es geht dem vates um eine Entsühnung der schuldig gewordenen Argonauten, die durch das bewusste Vergessen, durch die Verdrängung und Unterdrückung der kollektiven Schuld erreicht werden soll.
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macht und erleichtert.225 Im krassen Gegensatz dazu dient Mopsus’ Besuch an einem Unterweltseingang gerade nicht dazu, einen Blick in die Zukunft zu erhaschen, sondern ein Ritual zur Verdrängung der Vergangenheit kennenzulernen.226 Der von Mopsus und Idmon gemeinsam durchgeführte Reinigungsritus (3,430–448) klingt in seinen Details an die Beschreibung eines Opfers an Kybele in AR 1,1136–1138 an – gemeinsame Elemente sind „das Herstellen von Bildern aus Baumstämmen, das Errichten von Altären, Opfer, Gebete und ein Kultmarsch.“227 Am Höhepunkt der lustratio fordert Mopsus die Schatten der getöteten Dolionen auf, ihren Zorn auf die hölzernen Abbilder, nicht auf die Lebenden zu richten. Zentral ist das Motiv des Vergessens:228 Die Totenschatten werden aufgefordert, das Geschehene aus dem Gedächtnis zu tilgen (ite, perempti / ac memores abolete animos: 3,448). Der Inhalt des an die Schatten gerichteten „reinigenden Gesangs“ (lustrifico cantu: 3,448) des Sehers besteht in der Aufforderung, dass sie ihren Platz in der Unterwelt nicht verlassen, sich nicht auf das Meer und nicht in die Nähe der Helden wagen sollen. Sie sollen sich von den griechischen Städten fernhalten und dem Vieh und den Saaten keine Seuchen bringen: „Weder unsere Völkerschaften noch unsere Nachkommen sollen für diese Taten büßen“ (nec populi nostrive luant ea facta minores: 3,455). Die Wirkung der (erfolgreichen) Entsühnung auf die Mannschaft beschreibt der Dichter anhand der in indirekter Rede referierten Aufforderung des Propheten an die Mannschaft, nachdem die Helden schon an den Ruderbänken Platz genommen haben: exciderint quae gesta manu, quae debita fatis (3,461). Damit ist der zweifache Zweck der lustratio umrissen: Besänftigung der Totengeister und Tilgung der Erinnerung an die Taten aus dem Gedächtnis der Argo-
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Als generelle Tendenz der Unterweltsszenen in den Argonautica ließe sich festhalten, dass Jason und seinen Begleitern – im Gegensatz zu Aeneas – keine letzten Begegnungen mit berühmten Vorfahren, ehemaligen Weggefährten oder verstorbenen Eltern gestattet werden. Anders als Vergil lässt Valerius auch das Potenzial des Jenseits ungenutzt, einen Rahmen für historische Durchblicke zu bieten. Vgl. Walter 2014, 93: „Wo Helden wie Odysseus oder Aeneas die Grenzen der menschlichen Existenz überwinden und in die Vergangenheit und Zukunft blicken, werden Valerius’ Argonauten enge Grenzen aufgezeigt.“ Anke Walter beschreibt die Jenseitsreise des Mopsus als ‚Anti-Nekyia‘, denn sein Ritual diene nicht dazu, Totengeister zum Erscheinen zu bringen, „sondern sie im Gegenteil zu vertreiben und sie darum zu bitten, zu vergessen, was geschehen ist“ (Walter 2014, 92). Walter 2014, 49. Davon abgesehen gibt es einige Parallelen mit Ovids Beschreibung der Lemuria in fast. 5,419–444 (vgl. Stover 2012, 174 [mit weiterer Literatur]). Vgl. Stover 2012, 176: „Memory and forgetting play critical roles in regard to a community’s ability to move beyond the crippling effects of civil war.“
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nauten.229 So gelingt die Überwindung einer lähmenden Schuld und ein versöhnlicher Abschluss der Vergangenheit. Für Tim Stover ist Mopsus daher ein ideal singer, der – auch dem zeitgenössischen Publikum – einen Weg aufzeige, wie nach einem Bürgerkrieg ein Neubeginn gelingen, wie der Zyklus von Frevel und Vergeltung durchbrochen werden könne.230 Doch die von Stover suggerierte Übertragbarkeit der Erzählung auf die Zeit nach 69 n. Chr. ist nicht uneingeschränkt möglich. Mopsus betont, dass sein Reinigungsritual nur auf jene anwendbar sei, die ein unglücklicher Zufall zu Mördern gemacht habe (3,391f.). Anders als die Argonauten haben sich die Flavier aber nicht unwissentlich und ohne eigene Absicht an einem Bürgerkrieg beteiligt – ein zentraler Unterschied zwischen dem Proto-Bürgerkrieg auf Cyzicus und den römischen Bürgerkriegen der historischen Zeit.231 Nach der erfolgreichen Entsühnung erklärt Mopsus, die quälende Schuld sei aus dem Gedächtnis verbannt und die Argonauten (bzw. die Nachfahren) seien vor späterer Vergeltung sicher. Seinem zeitgenössischen Publikum kann Valerius kein vergleichbares Versprechen machen. In der offiziell verbreiteten flavischen Aufstiegserzählung wird betont, äußere Umstände hätten den lange zaudernden Vespasian gezwungen, in das
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Vgl. Stover 2012, 170: „The rituals Mopsus performs are designed to accomplish two goals: to purify the Argonauts, who have been tainted by their involvement in the killing of the Doliones, and to appease the shades of the slain.“ Vgl. Stover 2012, 170–178. Stover geht zu schematisch vor, wenn er meint, Valerius komme es an unserer Stelle auf die Bedeutung des vates zur Überwindung der inneren Krise des römischen Reichs an. Stover liest Mopsus als Spiegelbild des Dichters Valerius Flaccus, der in der historischen Welt mit seinem Gedicht ebenso ‚reinigend‘ wirke wie Mopsus mit seinem Entsühnungsritual: „I suggest that this episode […] symbolizes the critical role envisioned by Valerius for vates in the aftermath of the civil war that brought down the Julio-Claudian dynasty, leading to the establishment of the Flavian regime. In this, the vates Valerius shows the way. As for the Argonauts, so too for Valerius’ Roman readers, it is time for amnesty, time to forget. […] Valerius’ epic, his ‘song of purification’, was offered to the world in response to the miasma caused by Lucan’s iconoclastic challenge to epic and the recent civil war’s impious challenge to empire“ (Stover 2012, 179). Die ambivalente Natur des Textes (die Stover, der überall optimistische Aufbruchstimmung erkennen will, in der Interpretation glättet) macht diese Gleichsetzung aber wenig überzeugend. Mir erscheint es plausibler, dass sich der von den Flaviern angestrengte Prozess der religiösen Restauration in der erzählten Welt durch ein Ritual widerspiegelt, das in gleicher Weise der Aufarbeitung der Vergangenheit dient. Eine Gleichsetzung von Ritual und Text bzw. Seher und Dichter ist dazu nicht nötig. Die paradigmatische Vergleichbarkeit unterstreicht ein Bezug zum Bellum civile (Lucan. 1,95: fraterno primi maduerunt sanguine muri ~ Val. Fl. 3,391: quibus invito maduerunt sanguine dextrae). Vgl. Krasne 2018, 385 Anm. 98: „Rome’s citizens will turn their swords against each other time and again, caught in an endless cycle of internal strife.“
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Ringen um die Macht einzutreten. Von der Befleckung im Bürgerkrieg versucht sich die gens Flavia durch ein Programm der religiösen Restauration zu reinigen. Das eine entkräftet den Vorwurf des Frevels, das andere ist ein Bekenntnis zur Wiederherstellung intakter menschlich-göttlicher Beziehungen. Beides kann zur Überwindung der Bürgerkriegskrise und zur Wiederherstellung von Stabilität beitragen – ohne die Garantie, dass spätere Generationen von Götterzorn, Gewalt, Frevel und Vergeltung verschont bleiben werden. Rückblick: Die an die Nyktomachie angeschlossene Entsühnungsszene dient der Bewältigung der traumatischen Erfahrung des Bürgerkriegs und der daraus resultierenden lähmenden Trauer. Die lustratio des Mopsus bewirkt sowohl die Überwindung der psychischen Qualen als auch die Versöhnung des Zorns der Totengeister, sodass keine Vergeltung für das nefas befürchtet werden muss, von dessen Befleckung der Prophet die Argonauten reinigen kann. Die Entsühnung der Argonauten nach der Nyktomachie lässt sich paradigmatisch mit der von den Flaviern betriebenen religiösen Restauration nach dem Vierkaiserjahr verbinden:232 Sowohl in der erzählten als auch in der historischen Welt muss ein Weg gefunden werden, nach der Befleckung mit einem nefas die Vergangenheit ruhen zu lassen und zu einer neuen Zukunft aufzubrechen. Wie gezeigt wurde, gestattet Valerius dem Rezipienten aber keine historischen Durchblicke, die erahnen ließen, wohin das Staatsschiff unter Führung der flavischen Steuermänner segeln könnte. Zukünftiges ist im Entsühnungsritual nur insofern relevant, als Mopsus sicherstellt, dass die Nachkommen (minores) die Verfehlungen der Vorfahren nicht büßen müssen. Damit sind – mit ungewissem Ausgang – zumindest die Voraussetzungen für die Überwindung einer Krise und für einen Neuanfang gegeben; Lucan hat im Bellum civile beides verweigert und abgelehnt. 8.3.3 quae iam finis erit? Polyphonie als poetologisches Programm Am Ende dieses Kapitels zu den Göttern in den Argonautica wollen wir abschließend darüber reflektieren, welches Urteil über die weltgeschichtliche Stellung der gens Flavia das – wohl bald nach Vespasians Aufstieg begonnene – Epos des Valerius zulässt. Grundsätzlich lässt der Text offen, ob der Herrschaftsantritt Vespasians mit dem Beginn der in der Weltenplan-Rede genannten longissima regna gleichzusetzen ist oder ob die flavische Zeit nur eine weitere
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Ein wichtiger Unterschied besteht freilich darin, dass die religiöse Restauration der Flavier die Versöhnung mit den Göttern zum Ziel hatte, während es in der erzählten Welt auf die Besänftigung der Totengeister (und das Tilgen der traumatischen Erlebnisse aus dem Gedächtnis) ankommt. Der Zorn der Kybele spielt nach dem Vollzug der Nyktomachie keine Rolle mehr (vgl. Stover 2012, 173 f.).
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Episode im zyklischen Kreislauf römischer Bürgerkriege darstellt. Das Nebeneinander metaphysischer Ursachen und Wirkprinzipien, namentlich fatum, ira deum und (menschlicher) labor bzw. virtus, die den Weg zu den Sternen eröffnet, lässt aus zeitgenössischer Perspektive mehrere weitere Geschichtsverläufe als Möglichkeit zu – spes et metus omnibus esto. Die polyphone Offenheit der Darstellung erweist den Text als Produkt einer historischen Umbruchszeit, die von innerer Zerrüttung und metaphysischen Zweifeln,233 aber auch von einer vorsichtig-optimistischen Stimmung des Wiederaufbaus und des Neuanfangs getragen ist. Während der vates Valerius keine sicheren Aussagen über die Zukunft treffen kann, kann er anhand des Mythos von Jason und den Argonauten doch die kosmischen Wirkprinzipien offenlegen, welche die menschlichen Geschicke leiten. Die Selbstkonstruktion des Erzählers als quindecimvir verdient Beachtung: Zum Aufgabenbereich dieses ehrwürdigen Priesterkollegiums gehört die Überwachung nicht-römischer Texte, Kulte und Riten, und deren Auslegung und Anwendung auf die römische Gegenwart.234 Der von Apoll inspirierte vates bietet als göttlich beglaubigte Erzählinstanz eine zeithistorisch perspektivierte Darstellung des griechischen Argonautenmythos, der in seiner widersprüchlichen Vielstimmigkeit sowohl für die Zerrüttung der Vergangenheit als auch für den vorsichtigen Aufbruch in eine neue Zukunft Erklärungsmodelle bereithält. In den Argonautica wird die Möglichkeit aufgeworfen, dass mit Vespasians Herrschaft eine Grundsteinlegung für eine neue römische Friedenszeit gelungen sei. Beim Entfalten der Schicksalssprüche impliziert Jupiter, dass die Vorherrschaft jenen zufallen solle, die sich im militärischen Wettstreit der Völker bewähren können. Den Prozess des göttlichen Prüfens und Abwägens kann Vespasian dank Verlässlichkeit, Disziplin und militärischer Tatkraft bestehen. Jupiters neue Weltordnung sieht vor, dass die Menschen Mühsalen ausgesetzt werden – wie auch der Göttervater dem kosmischen labor der Gigantomachie ausgesetzt war –, um ihre virtus unter Beweis zu stellen und um auf diesem Wege einen Platz unter den Sternen zu erringen (1,563–567):235 tendite in astra, viri. Die im Proömium angekündigte Verstirnung Vespasians zeigt, dass dem Begründer der flavischen Dynastie nach dem Urteil des Dichters aufgrund sei-
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Vgl. Ripoll 1998, 275: „Valérius est le témoin d’une crise spirituelle qui rompt avec l’impression d’harmonie de l’épopée augustéenne.“ Zum Priesterkollegium der quindecimviri sacris faciundis siehe Cancik 1999, 168. Zur Bedeutung der Konstruktion der Erzählinstanz als quindecimvir siehe Tatum 2016, 241– 244 (und passim). Vgl. Otte 1992, 135: „One of the aims of the lex Iovis is the eventual apotheosis of the Roman emperors.“
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kapitel 8
ner Leistungen der Weg in den Himmel offenstehe. So zeichnet der Text ein positives Bild von dem Mann, der Rom nach einer schweren Krise wieder aufgerichtet hat; die im Text prognostizierte Vergöttlichung Vespasians wurde unmittelbar nach seinem Tod vom Senat beschlossen.236 Der göttlich inspirierte Dichter lässt jedoch offen, wohin das Staatsschiff nach dem Tod des ersten flavischen Steuermanns unter der Leitung seiner Söhne steuern könnte. Die Betonung der innerfamiliären Harmonie und der flavischen Zuwendung zur religio im Proömium sind zuversichtliche Signale, aber der Text gibt an keiner Stelle das Versprechen oder auch nur den Hinweis, dass das Zürnen höherer Mächte – Götterzorn erscheint im Text mehrmals als destruktives Wirkprinzip – jemals zur Ruhe kommen oder endgültig besänftigt werden könne. Die Beteiligung am Bürgerkrieg ist ein nefas, das die flavische Dynastie von vornherein mit einem Makel versieht. Erst der weitere Geschichtsverlauf wird zeigen, ob die religiöse Restauration nach 69 n. Chr. von den Göttern als Entsühnung akzeptiert wird – die Naturkatastrophen am Ende von Vespasians Herrschaft konnten hierbei beunruhigende Befürchtungen schüren.237 Die übermäßige Betonung des Leids und der labores (die ‚Nahperspektive‘) auf Kosten einer Darstellung der Entfaltung der Schicksalssprüche und historischer Durchblicke (die ‚Fernperspektive‘) erhöht den Druck auf die flavische Dynastie, einem von Zerrüttung und Zerstörung gezeichneten Geschichtsverlauf rückwirkend Sinn zu verleihen. Das Gelingen des flavischen Projekts liegt jedoch nur zum Teil in menschlichen Händen – Rom steht und fällt mit der Gunst ihrer Götter. Dem zeitgenössischen Rezipienten vermittelt die von Apoll inspirierte Erzählinstanz, dass die Richtung, in die das römische Staatsschiff unter seinen flavischen Steuermännern segeln wird, völlig offen sei. Im Text wird das Problem sichtbar, dass göttliche Zeichen immer interpretiert und ausgelegt wer-
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Vgl. Malitz 2001, 94. Vgl. Haynes 2003, 127: „The primal scene is therefore also the ultio, as it introduces a series of events that have apparently no intention or purpose: no one is there to guide the ‘master plot’ of the empire, and libidinal forces break out from under its barrier. The real arcanum is not the creation of the princeps by the army, but the crime upon which the Empire is founded, and which Tacitus lets out when he describes the cosmic forces as punishing.“; Rebeggiani 2018, 230: „Divine anger, manifesting itself as civil war, had been stopped by the intervention of the Flavians. Although it served a positive purpose, the Flavians’ involvement in civil war entailed pollution. It was far from ensured that the gods would leave this unnoticed. In spite of Vespasian’s attempts at atonement, other catastrophes befell the city and the empire under Titus and Domitian (especially the eruption of Vesuvius and the fire of 80 ce), arousing the suspicion that the gods’ anger had not been placated.“
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den müssen und in ihrer vollen Bedeutung für die Sterblichen unverständlich bleiben. Die Pläne der Götter und die Einzelheiten des im fatum verankerten ordo rerum bleiben für die Menschen unergründlich und undurchschaubar. Die Argonautica zeichnen als multiperspektivisches und polyphones Gedicht mehr als nur eine denkbare Richtung des weiteren Geschichtsverlaufs vor. Der vates kann nicht mehr leisten, als metaphysische Wirkprinzipien offenzulegen; mehr als flüchtige Schattenbilder der zukünftigen Entwicklungen gestattet er seinen Figuren und seinen Zuhörern jedoch nicht.
8.4
Ergebnisse
(1) Vespasians Aufstieg zum Kaiser, der den römischen Bürgerkrieg des Vierkaiserjahres beendet, ist das Ergebnis sorgfältiger Planung. Ehe es zur Kaiserproklamation durch die Legionen kommt, wird unter den Soldaten gezielt die Erzählung gestreut, Vespasian sei von den Göttern zur Herrschaft auserwählt. Es zirkulieren Berichte über Prodigien, die der spätere Kaiser seit seiner Kindheit erhalten haben soll, und über Vespasians Besuch des Orakels am Berg Karmel, den Besuch des Serapis-Tempels oder das Heilungswunder in Alexandria. Die letztgenannten Episoden zeichnen sich durch einen starken Öffentlichkeitscharakter aus und sind zu unterschiedlichem Grad Produkte bewusster Inszenierungen mit dem Ziel, Vespasians Aufstieg zum Kaiser als Willen der Götter darzustellen, um die jeweiligen Adressatenkreise zur Unterstützung anzuspornen. Die weite Verbreitung des Narrativs von göttlicher Unterstützung steigert die Legitimation des ersten flavischen Kaisers, der nicht auf die Beglaubigung durch berühmte Vorfahren zurückgreifen kann, und befreit ihn vom Vorwurf der unrechtmäßigen Usurpation. Religion ist für Vespasian eine öffentliche Angelegenheit: Die Kommunikation mit den Göttern wird instrumentalisiert, um bestimmte politische Ziele zu erreichen. (2) Auch Jasons Umgang mit Religion und den Göttern ist häufig auf die Außenwirkung hin berechnet. Nach der ambivalenten Doppelprophezeiung der Propheten Mopsus und Idmon, die auf die Mannschaft beunruhigend wirken muss, reißt der Argonautenführer die Deutungshoheit an sich und reklamiert uneingeschränkte göttliche Unterstützung für die Fahrt, um etwaige Befürchtungen seiner Begleiter zu zerstreuen. Diese äußere Dimension der religio, die der Beeinflussung eines bestimmten Adressaten(kreises) dient, ohne dass eine echte innere Überzeugung zugrunde läge, ist das eine Merkmal von Jasons Umgang mit den Göttern. Das andere, die innere Dimension, betrifft die Frage, inwiefern Jason tatsächlich von göttlicher Unterstützung für die von ihm angeführte Mission überzeugt ist. Hierbei lässt sich eine anfängliche Phase nai-
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kapitel 8
ver Zuversicht feststellen, die nach diversen Rückschlägen und Katastrophen aber bald in tiefe metaphysische Zweifel umschlägt. Diese heimlichen inneren Zweifel werden punktuell, etwa in den Klagereden um Cyzicus bzw. Hercules, auch öffentlich geäußert. Da Jason während der gesamten Unternehmung keinen Einblick in die Götterbeschlüsse erhält, scheitert er daran, das eigene Handeln als Teil einer sinnvollen weltgeschichtlichen Ordnung aufzufassen; er fühlt sich der Willkür und den Launen höherer Mächte schutzlos ausgeliefert. (3) Anders als die Figuren erhält der Rezipient durch die göttlich inspirierte Erzählerfigur die notwendigen Einblicke, um das Agieren und die Motive der Götter nachvollziehen zu können. Valerius bindet zum einen ein vergilisch anmutendes fatum-Konzept ein, welches erlaubt, die im Epos geschilderten Ereignisse als Teil einer sinnvollen Geschichtsordnung zu begreifen. Neben dem fatum existieren aber noch weitere problematische Wirkprinzipien, welche den Lauf der Dinge (mit-)steuern. Wie bei Tacitus oder Lucan werden göttlicher Zorn oder göttliche Willkür als Erklärung für bestimmte Ereignisse in der erzählten Welt angeführt. Im Kosmos der valerianischen Argonautica verfolgen göttliche Mächte ihre persönlichen Agenden, welche als irrationale metaphysische Wirkprinzipien auf menschlicher Ebene zu Gewalt, Krieg und Katastrophen führen. Die enge Verflechtung von fatum und Götterzorn führt mitunter dazu, dass menschliche Akteure beim Erfüllen der Götterbeschlüsse mit nefas befleckt werden. Dadurch ergibt sich ein zyklischer Wiederholungskreislauf von menschlicher Verfehlung und göttlicher Bestrafung. Die fromme Religiosität der Flavier, die sich etwa beim Wiederaufbau des Kapitols zeigt, ist ein Versuch, die Götter nach dem nefas des Bürgerkriegs versöhnlich zu stimmen. Die vom Seher Mopsus nach der Katastrophe von Cyzicus durchgeführte erfolgreiche Entsühnung der schuldig gewordenen Helden zeigt, dass der destruktive Rache- und Vergeltungskreislauf (der sich sowohl in der historischen als auch in der erzählten Welt feststellen lässt) unter bestimmten Voraussetzungen durchbrochen werden kann. Damit geht Valerius über Lucan hinaus, bei dem die ständige Wiederholung römischer Bürgerkriege ein letztes, unüberwindbares Geschichtsziel darstellt. Das metaphysische Konzept der Argonautica betont die Katastrophen und Kollateralschäden, die durch das irrationale Agieren göttlicher Mächte entstehen. Gleichzeitig suggeriert der Dichter, die Menschen könnten keine Gewissheit über den genauen Inhalt der Götterbeschlüsse erlangen. Die im Proömium angekündigte Verstirnung Vespasians legt nahe, dass sich der erste flavische Kaiser bewährt und unter seiner Herrschaft ein Grundstein für die in Jupiters Weltenplanrede angekündigten longissima regna gelegt wird. Darüber hinaus lässt Valerius jedoch völlig offen, welchen weiteren Geschichtsverlauf er
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für den wahrscheinlichsten hält. Die unverlässlichen Götterzeichen und das letztlich unergründliche Agieren der Götter erlauben auch dem göttlich inspirierten vates nicht, sichere Aussagen zu treffen. So zeichnen die Argonautica als multiperspektivisches, polyphones Werk eine ganze Reihe weiterer möglicher Geschichtsentwicklungen vor. Es findet sich in diesem Epos, das als Produkt einer historischen Umbruchszeit anzusehen ist, kein Versprechen, dass das römische Staatsschiff einem neuen goldenen Zeitalter entgegensegeln würde. Nach der Krise des Vierkaiserjahres und dem Aufstieg der flavischen Dynastie segelt das Schiff unter den neuen Steuermännern vorerst ins Ungewisse.
kapitel 9
Schlussbetrachtung Tim Stover vertritt in seiner Monographie Epic and Empire in Vespasianic Rome. A New Reading of Valerius Flaccus’ Argonautica (2012) die These, das Werk unseres Dichters sei ganz von der positiven Aufbruchstimmung durchdrungen, die nach dem Vierkaiserjahr in Vespasians Rom geherrscht habe: This book offers a new reading of Valerius’ Argonautica, a poem which I believe was composed during Vespasian’s regime. Its primary purpose is to show that Valerius’ epic reflects the restorative ideals of Vespasianic Rome, a thesis that sets it apart from the largely ‚pessimistic‘ readings of other scholars. An important element of Valerius’ poetics of recovery is an engagement with Lucan’s iconoclastic Bellum Civile, a poem whose deconstructive tendencies offered Valerius a poetic point of departure for his attempt to renew the epic genre in the context of the political renewal trigged by Vespasian’s accession to power. Thus a secondary purpose of this study is to examine Valerius’ response to his most recent epic predecessor, Lucan, a topic that has been woefully understudied.1 Diese Position ist in der Forschung nicht ohne Widerspruch geblieben.2 Doch auch wenn Stovers Schlussfolgerungen aus guten Gründen angezweifelt werden können, bleibt sein Verdienst dennoch unbestritten, die Frage nach der zeithistorischen und politischen Dimension der Argonautica prominent in den Vordergrund gerückt zu haben. In diesem Bereich versucht die vorliegende Monographie einen Beitrag zu leisten. Untersucht werden die drei Themenkomplexe Krieg und Bürgerkrieg (Teil 1), Politik und Dynastie (Teil 2) und Religion (Teil 3), um zu ergründen, wie sich Valerius Flaccus zur jüngeren Zeitgeschichte und zur flavischen Herrscherdynastie positioniert; wie er also den Mythos heranzieht, um politische Aussagen zu treffen.
1 Stover 2012, vii. 2 Siehe z. B. Zissos 2014a; Heerink 2016.
© Bernhard Söllradl, 2023 | doi:10.1163/9789004537187_010
schlussbetrachtung
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Mythos und Historie
Für zeithistorisch perspektivierte Interpretationen eignen sich die Argonautica deshalb, weil Valerius anhand der Erzählung von Jason und den Argonauten permanent über Fragen reflektiert, die auch im flavischen Rom von zentraler Bedeutung waren (Kap. 1):3 Wie kann das Trauma eines Bürgerkriegs überwunden werden? Können Bürgerkriege Anlass für positiven historischen Wandel sein? Welche Herrschaftsform garantiert langfristige Stabilität? Welche Konsequenzen zieht Gewaltherrschaft nach sich – für den Herrscher und für die Untertanen? Wie kann nach dem Verlust eines Anführers ein geordneter Machtwechsel erfolgen? Und welche Rolle spielen die Götter beim Scheitern und Gelingen menschlicher Bestrebungen?4 Valerius verweist nur selten explizit auf die historische Welt und sieht davon ab, optimistische historische Durchblicke auf die eigene Gegenwart in sein Werk einzulegen.5 Dieser Befund soll jedoch nicht zu der Fehldeutung verleiten, der Dichter vermeide es, zur Zeitgeschichte Stellung zu beziehen. Denn seine thematische Schwerpunktsetzung, seine intensive Auseinandersetzung mit Vergils Aeneis und Lucans Bellum civile sowie seine innovative Ausgestaltung des traditionellen Argonautenstoffes laden den zeitgenössischen römischen Rezipienten immer wieder zu Reflexionen über die eigene Vergangenheit und Gegenwart ein. Ausgangspunkt der in dieser Monographie vorgenommenen Einzelanalysen ist jeweils ein eng umrissener Aspekt des zeithistorischen Kontexts, der unter Einbeziehung literarischer und nicht-literarischer Quellen sorgfältig rekonstruiert und dann mit passenden Argonautica-Stellen in Verbindung gebracht wird, um deren politische und zeithistorische Dimension zu ergründen.6 Besonders aufschlussreich ist es hierbei, Reflexen auf die offizielle flavische Herrschaftsrepräsentation nachzuspüren, die etwa im flavischen Bau- und Münzprogramm zum Ausdruck kommt, aber auch in den Historikerberichten dokumentiert ist.7 Einblick in das politische Klima der Flavierzeit gibt auch eine von dieser Periode an feststellbare Deutungstendenz der Seneca-Tragödien. Diese 3 Vgl. Bernstein 2014, 156: „It is now generally accepted that, like the other Flavian epics, the Argonautica uses traditional myth to comment on recent history.“ Siehe auch Zissos 2009, 354; Cowan 2014, 232. 4 Bernstein 2016 bietet eine aufschlussreiche Einführung in die Behandlung der genannten Themenkomplexe bei den flavischen Epikern. 5 Eine Sammlung relevanter Stellen samt knapper Einordnung bieten Zissos 2009, 315 Anm. 2 und Davis 2015, 159. 6 Eine Übersicht über die literarischen und nicht-literarischen Quellen zur Flavierzeit wird in Kap. 1.3 geboten; siehe außerdem Pfeiffer 2009, 1 f.; Leithoff 2014, 14f.; Hurlet 2016. 7 Zur flavischen Herrschaftsrepräsentation siehe (einführend) Leithoff 2014; Tuck 2016.
386
kapitel 9
wurden bald nach 69 n. Chr. als anti-neronische ‚Protestliteratur‘ gelesen, wie sich etwa anhand der im senecanischen Corpus überlieferten Praetexta Octavia zeigen lässt.8 Eine Auswertung der genannten Quellen ergibt folgendes Bild: Vespasian verfolgte von Beginn an den Anspruch, eine Erbdynastie zu gründen und seine beiden Söhne als Thronfolger in Stellung zu bringen.9 Seine Herrschaft wurde religiös legitimiert, indem der neue Kaiser als Auserwählter und Favorit der Götter inszeniert wurde.10 Die realpolitische Legitimation lieferte die im Jüdischen Krieg von Vespasian und Titus unter Beweis gestellte militärische Sieghaftigkeit.11 Den Sieg im Bürgerkrieg instrumentalisierten die Flavier hingegen kaum für die Herrschaftsrepräsentation;12 sie betonten aber ihre Rolle bei der Wiedereinführung des Friedens und der Stabilisierung des durch innere und äußere Krisen zerrütteten Reichs, wobei sie an die pax Augusta anknüpften.13 Sie legten Wert auf Kontinuitäten zu ‚erfolgreichen‘ julisch-claudischen Kaisern wie Augustus oder Claudius, während sie sich von Nero und der mit ihm assoziierten exzessiven Gewaltherrschaft distanzierten.14 Das sogenannte ‚Bestallungsgesetz‘, die lex de imperio Vespasiani, zementierte die Ausnahmestellung des Princeps als de facto uneingeschränkter Alleinherrscher, wobei das Dokument die verfassungsrechtliche Fiktion einer vermeintlich freien res publica restituta widerspiegelt, in der der Princeps alle Befugnisse von Volk und Senat erhalte.15 Die realpolitische Marginalisierung des Senats zeigt sich aber etwa daran, dass Vespasian seine dynastischen Ansprüche gegen jeden senatorischen Widerstand durchsetzen konnte.16 8 9
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Vgl. Kap. 6.1; siehe auch Rebeggiani 2018, 72–84. Vgl. Kap. 7.1; 7.2; 7.4. Zu Vespasians Nachfolgepolitik vgl. Seelentag 2009, 84: „Einmütig betonen Quellen und Literatur, daß Vespasian von Beginn seiner Regierung an eine Dynastie habe aufbauen und den Principat für einen oder beide seiner Söhne habe sichern wollen.“ Siehe auch Pfeiffer 2009, 32 f.; Levick 22017, 201–212. Vgl. Kap. 8.1; siehe auch Levick 22017, 77: „Strenuous efforts were made to present Vespasian as the reluctant Emperor, chosen by heaven to take the Roman Empire under his charge.“ Vgl. Kap. 2.1. Zur Bedeutung militärischer Stärke als Legitimationsgrundlage der Herrschaft Vespasians siehe etwa Zissos 2016, 10: „What gave Vespasian’s bid for the throne plausibility were his military credentials.“ Zur unterschiedlichen Gewichtung von Bürgerkrieg und Jüdischem Krieg im flavischen Bau- und Münzprogramm siehe Leithoff 2014, 57–64. Zur flavischen Friedensideologie siehe Pfeiffer 2009, 19f.; Levick 22017, 80f. Vgl. Leithoff 2014, 133–204; zur flavischen Abgrenzung von Nero siehe auch Kap. 6.1. Vgl. Kap. 5.1 und 5.2; zur lex de imperio Vespasiani siehe Zissos 2016, 570–572. Siehe auch Spielberg 2019, 160: „The lex de imperio Vespasiani […] granted the emperor virtually absolute power, but did so within the ‘constitutional’ fiction that his powers existed and were conferred by the senate’s decree.“ Siehe oben Anm. 9.
schlussbetrachtung
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Die in dieser Monographie vorgeschlagenen Deutungen der Argonautica unter den Aspekten (1) Krieg und Bürgerkrieg, (2) Politik und Dynastie sowie (3) Religion zeigen, dass sich der oben dargelegte Kontext auf vielfältige Weise im Epos des Valerius widerspiegelt. Um die Interaktion von Mythos und Historie in diesem Text zu analysieren, wende ich das Verfahren des zeithistorisch perspektivierten Interpretierens an, das sowohl ‚konkret-punktuelle‘ als auch ‚offen-paradigmatische‘ zeithistorische Referenzen auf die historische Welt im literarischen Text erfassen kann und danach fragt, wie sich dieser zu jener positioniert.17 Da sich keine objektivierbaren Kriterien definieren lassen, um zu ermitteln, welche zeithistorischen Bezüge mit welchem Zweck vom Autor intendiert sein könnten, gehe ich dabei nicht von der Autorenintention, sondern vom Rezeptionsvorgang aus und frage danach, welche Bedeutungshorizonte der Text in seinem – möglichst exakt zu rekonstruierenden – ursprünglichen Rezeptionskontext entfaltet haben konnte. Hierbei gilt es auch, das multiple intertextuelle Referenzsystem der Argonautica zu würdigen und insbesondere Bezüge zur Aeneis und zum Bellum civile zu kontextualisieren und zu bewerten.18 Meine beiden Hauptthesen sind, dass der Dichter (1) durch das Prisma des Mythos auf den Principat blickt und zeithistorisch relevante Analysen von Macht und Herrschaft vornimmt und zudem (2) eine Aktualisierung der Geschichtsperspektive gegenüber Vergils Aeneis und Lucans Bellum civile anstrebt. Im Folgenden versuche ich eine Zusammenschau und abschließende Beurteilung der im Einzelnen erzielten Ergebnisse.
9.2
Krieg und Bürgerkrieg
Die realpolitische Legitimationsgrundlage der Herrschaft Vespasians war seine militärische Sieghaftigkeit, die in der flavischen Herrschaftsrepräsentation eine entsprechend große Rolle eingenommen hat. Während die Erinnerung an den Jüdischen Krieg in vielfacher Weise wachgehalten wurde, sahen die Flavier weitgehend davon ab, den Sieg im Bürgerkrieg propagandistisch zu instrumentalisieren.19 Indem Valerius Flaccus im Proömium (1,1–21) die Argofahrt mit Vespasians Britannienexpedition im Jahr 43 n. Chr. verknüpft20 und die
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Vgl. Kap. 1.2. Zur Rezeption literarischer Vorgänger in den Argonautica siehe (einführend) Zissos 2008, xxxiv–xxxix. Siehe oben Anm. 12. Vgl. Wacht 1991a, 17–33; siehe auch Heerink 2016, 522: „Writing under Vespasian, who fashioned himself as a new Augustus, Valerius at first sight seems to follow suit and replay
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kapitel 9
Eroberung Jerusalems durch Titus preist, scheint er die Version der flavischen Aufstiegserzählung zu übernehmen, die auf militärische Erfolge gegen äußere Feinde fokussiert ist (Kap. 2). Der Befund verkompliziert sich allerdings, sobald der Rezipient auf die subtilen Lucan-Bezüge aufmerksam wird, die in das Proömium eingeflochten sind und damit zwischen den Zeilen die Bürgerkriegsthematik aufrufen.21 So wird das an der Textoberfläche transportierte Narrativ vom Aufstieg der Flavier infolge äußerer (Militär-)Erfolge insofern korrigiert, als zwischen den Zeilen auf ihre Beteiligung am und ihren Sieg im römischen Bürgerkrieg verwiesen wird. Ein komplexes Nebeneinander von bellum externum und bellum civile kennzeichnet auch die beiden großen Kriegsnarrative (Cyzicus und Kolchis) in den Argonautica,22 in denen sich meiner Deutung zufolge eine Abkehr von der vergilischen Rom-Teleologie feststellen lässt und der Rezipient eingeladen wird, Reflexionen über die historische Rolle der gens Flavia anzustellen.23 Die traditionell zum Argonautenstoff gehörende Nyktomachie auf der Halbinsel Cyzicus (3,15–361) gestaltet Valerius als komplexes Kriegsnarrativ, in dem die Grenze zwischen inneren und äußeren Feinden verschwimmt (Kap. 3). Geschickt eingesetzte Aeneis-Bezüge dienen dazu, beide Seiten mit Zügen der Trojaner und der Griechen bzw. Latiner auszustatten, sodass die vergilischen Konfliktparteien miteinander vermischt werden.24 Zudem betont der Dichter die kulturellen Gemeinsamkeiten von Griechen und Dolionen, wodurch die nach der Einfahrt in den Hellespont geschürte Erwartung an eine Begegnung mit dem Fremden unterwandert wird.25 Beide Strategien tragen dazu bei, dass die Kriegsparteien in Valerius’ Dolionenschlacht wie die Bürgerkriegsparteien in Lucans Bellum civile nicht mehr sinnvoll voneinander unterschieden werden können – schon gar nicht unter moralischen Gesichtspunkten.26 Die Vielschichtigkeit dieser Darstellung, die paradoxe Gleichzeitigkeit von bellum externum und bellum civile ist geeignet, den Rezipienten auf die Lückenhaftigkeit der offiziellen flavischen Aufstiegserzählung aufmerksam zu machen, die
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the Aeneid when he addresses the emperor in his proem and associates him with Jason and the Argonauts, just like Virgil associates Aeneas with Augustus.“ Vgl. Kap. 2.2; siehe auch Zissos 2008, 74 zu 1,1; Penwill 2013, 33; Walter 2014, 25. Zur Auffassung der Cyzicus-Episode und des kolchischen Bruderkriegs als ‚Bürgerkriege‘, die sich paradigmatisch mit innerrömischen Konflikten vergleichen lassen, siehe (einführend) Bernstein 2014. Siehe insbesondere Kap. 3.3; 3.4; 4.4; 4.5. Vgl. Kap. 3.1. Vgl. Kap. 3.2. Zur Aufhebung der Unterschiede zwischen den Bürgerkriegsparteien im Bellum civile siehe Masters 1992, 49; Stover 2012, 114.
schlussbetrachtung
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in einseitiger Weise den Sieg über äußere Feinde im Jüdischen Krieg betont, tatsächlich aber auch das erfolgreiche Niederringen innerrömischer Feinde in einem blutigen Bürgerkrieg beinhalten müsste. Durch die Überblendung unterschiedlicher Stufen der vergilischen RomTeleologie (Zerstörung Trojas, Proto-Bürgerkrieg in Latium) wird zudem die Gültigkeit der Geschichtsperspektive der Aeneis in Zweifel gezogen: Während sich in der Aeneis eine Progression von der Zerstörung einer Stadt zur Gründung einer Stadt abbildet,27 bewirkt die Dolionenschlacht keinen historischen Fortschritt: Sie dient der Besänftigung des Zorns der gekränkten Göttin Kybele, ist aber auch durch Jupiters Weltenplan (1,531–560) legitimiert, in dem Kriege zwischen Völkern, die vormals durch die natürliche Barriere des Ozeans voneinander getrennt waren, als Ziel an sich erscheinen.28 Aus Figurenperspektive ist der Krieg eine sinnlose Tragödie und nefas, während er aus der höheren Warte des Rezipienten als Vollzug des fatum beurteilt werden kann. Die Einzelheiten des fatum, das traumatischen Erfahrungen wie der Dolionenschlacht oder den blutigen innerrömischen Konflikten im Vierkaiserjahr Sinn verleihen könnte, deutet Jupiter in seiner Weltenplanrede indes nur vage an: Dem letzten Ziel der Geschichte, nämlich der Einrichtung von longissima regna, soll eine lange Phase des Prüfens und Abwägens, also des militärischen Wettstreits um die Macht, vorangehen.29 Diese Konzeption lässt zu, den Aufstieg der Flavier mit dem Beginn einer unbegrenzten Friedenszeit gleichzusetzen. Sie erlaubt aber auch, die Herrschaft Vespasians nur als kurzzeitige Unterbrechung der zyklischen Wiederkehr römischer Bürgerkriege aufzufassen. Liest man die traumatische Dolionenschlacht als mythologisches Vergleichsmodell für römische (Bürger-)Kriege, stellt sich die Frage nach der welthistorischen Rolle der Flavier mit größter Dringlichkeit. Die ambivalente Darstellungsweise des Valerius lässt dabei offen, welchen der beiden oben skizzierten Geschichtsverläufe er für den wahrscheinlicheren hält. Eine zeithistorisch perspektivierte Interpretation des Bürgerkriegs von Kolchis (Arg. 6) führt zu ähnlichen Ergebnissen (Kap. 4): Valerius gestaltet auch das zweite große Kriegsnarrativ in seinem Epos nicht als eindimensionalen Kampf der Argonauten gegen einen äußeren Feind, auf den sie am Ende der Welt stoßen. Die griechischen Helden treten vielmehr als Bundesgenossen des
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Ovid bringt diesen Gedanken in fast. 1,523 (victa tamen vinces eversaque, Troia, resurges) in unnachahmlicher Einprägsamkeit zum Ausdruck. Zur Rom-Teleologie der Aeneis siehe einführend Binder 2019, Bd. 1, 264–268. Vgl. Kap. 3.3. Zu diesem Aspekt des Weltenplans siehe Lefèvre 2012, 203; Ferenczi 2014, 142; Stover 2016, 18 Anm. 13.
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kolchischen Tyrannen Aeetes auf, den sie im Bruderkrieg um den kolchischen Thron gegen die von Perses angeführte Allianz der Völker des Ostens unterstützen.30 Deren Vorstellung im sogenannten Skythenkatalog (6,42–170) rekurriert einerseits auf ethnographische Klischees, was die Fremdheit der Peripherie unterstreicht, und andererseits auf den Topos des einfachen und unverdorbenen Lebens, wie es römische Autoren den altitalischen Völkern zuschreiben – so etwa Vergil im Italikerkatalog in Aen. 7.31 Das Fremde, auf das die Argonauten am vermeintlichen Ende der Welt treffen, dürfte vom zeitgenössischen Publikum also immer wieder als seltsam vertraut wahrgenommen worden sein. Die widersprüchliche Charakterisierung der Hilfstruppen des Perses und das Bündnis der Argonauten mit dem kolchischen Tyrannen Aeetes lassen auch die zweite große Kriegserzählung der Argonautica als wenig taugliches Modell für römische Kriege gegen äußere Feinde erscheinen. Die makrostrukturelle Einbindung, die Vergils Proto-Bürgerkrieg in Latium evoziert, und subtile LucanBezüge legen vielmehr nahe, den kolchischen Bruderkrieg als paradigmatisches Vergleichsmodell für römische Bürgerkriege zu lesen.32 Diese Deutung scheint durch das vieldiskutierte Ariasmenus-Gleichnis (6,386–426) bestätigt zu werden, das den Schrecken am kolchischen Schlachtfeld anhand historischer römischer Bürgerkriege veranschaulicht.33 Indem der Dichter beide Kriegserzählungen, bei denen Völker aufeinandertreffen, die vor der Öffnung der Meere voneinander getrennt waren, in ebenso konsequenter wie unerwarteter Weise mit Bürgerkriegs-Elementen anreichert, lädt er das Publikum ein, über die jüngere römische Zeitgeschichte zu reflektieren und über die Rolle, die innerrömische Konflikte beim Aufstieg Vespasians gespielt haben. Wenn die Fahrt der Argonauten als mythologisches Vergleichsmodell für die Leistungen der Flavier gelesen werden soll – wozu das Proömium aufzufordern scheint –, dann lenken die Kriegsnarrative die Aufmerksamkeit des Publikums nicht nur auf den Jüdischen Krieg, sondern auch und ganz besonders auf die Beteiligung der Flavier am römischen Bürgerkrieg im Vierkaiserjahr. Die Anknüpfung an Vergils Krieg in Latium lässt außerdem Rückschlüsse auf das in den Kriegsnarrativen der Argonautica vermittelte Geschichtsbild zu: Während in der zweiten Aeneis-Hälfte der Grundstein für die glorreiche römische Zukunft gelegt wird, ist der Bruderkrieg in Kolchis weder an ein positives historisches Telos geknüpft, noch bringt er eine der beiden Bürgerkriegs30 31 32 33
Vgl. Kap. 4.1. Vgl. Kap. 4.2 und 4.3; zum Skythenkatalog siehe auch Baier 2001, 45–55. Vgl. Kap. 4.4. Vgl. Kap. 4.5.
schlussbetrachtung
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parteien ihrem gewünschten Ziel näher. Der Krieg ist insbesondere für die Argonauten ergebnislos, da Aeetes die mit den griechischen Helden getroffene Abmachung bricht und sich weigert, das Vlies als Preis für den Kriegseinsatz herauszugeben.34 Die Ergebnislosigkeit dieses Krieges, der sich als paradigmatisches Vergleichsmodell für die historischen Kriege der Flavierzeit lesen lässt, wirft wie die Nyktomachie, die von den Figuren als sinnlose Tragödie empfunden wird, die Frage auf, ob (Bürger-)Kriege geeignet sind, positiven historischen Wandel einzuleiten, oder vielmehr als zyklisch wiederkehrende Akte der sinnlosen (Selbst-)Zerstörung anzusehen sind. Das Fehlen optimistischer Zukunftsausblicke in beiden Kriegsnarrativen könnte dabei die Unsicherheit der Generation von Bürgerkriegs-Überlebenden widerspiegeln, der Valerius angehört.35 Mit ihrer konsequenten Vermischung von bellum externum und bellum civile funktionieren die Kriegsnarrative der Argonautica als Korrektiv der im Proömium aufgerufenen flavischen Aufstiegserzählung, die die Bedeutung des Bürgerkriegs zugunsten des Erfolgs im Jüdischen Krieg unterdrückt. Zudem sind weder die Nyktomachie noch der kolchische Bruderkrieg an eine optimistische Zukunftsvision gekoppelt und auch nicht in ein teleologisches Geschichtsmodell eingeordnet, was – sofern sie als mythologisches Vergleichsmodell römischer Verhältnisse gelesen werden – zeitgenössische Unsicherheiten bezüglich der Dauerhaftigkeit der flavischen Herrschaft widerspiegeln dürfte: Die ambivalente Darstellung lässt offen, ob die von Vespasian begründete Dynastie langfristige Stabilität garantieren oder die zyklische Wiederkehr römischer Bürgerkriege nur vorübergehend unterbrechen kann.
9.3
Politik und Dynastie
Nach Vespasians Sieg im Bürgerkrieg und seinem Aufstieg zum Kaiser gibt es im Senat eine intensive Debatte über das Verhältnis von Herrscher und Senat im Principat (Kap. 5). Die wohl im März oder April 70 n. Chr. verabschiedete, epigraphisch erhaltene lex de imperio Vespasiani räumt dem Kaiser fast unein-
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Zur Ergebnislosigkeit des Bürgerkriegs von Kolchis für beide Konfliktparteien siehe Manuwald 1999, 159. Ähnlich die Einschätzung in Heerink 2016, 522: „By the time Valerius wrote his Argonautica, Virgil’s perfect, Augustan picture of a future Rome, emblematically envisaged on the Shield of Aeneas, had been shattered by Nero and the ensuing civil war. Behind Valerius’ Cyzicus episode lies a pessimistic and disappointed world view; Valerius does not believe in an imperium sine fine as famously prophesied by Jupiter in the Aeneid any more.“
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geschränkte Machtbefugnisse ein.36 Sie bedient sich dabei der Sprachregelung, dass der Kaiser alle Befugnisse vom Volk und dem Senat erhalten habe, und ist somit der Rede von der res publica libera verpflichtet, die zur ideologischen Legitimation des Principats unerlässlich war.37 Realpolitisch wird der Senat durch das ‚Bestallungsgesetz‘ freilich marginalisiert. Der Fall des Helvidius Priscus, den Tacitus (bes. hist. 4,5–9) und Sueton (Vesp. 15) beschreiben, kann als Beleg dafür dienen, dass sich bei weitem nicht alle Senatoren mit der Einschränkung ihres realpolitischen Spielraums zufriedengegeben haben.38 Helvidius drängte darauf, die staatsrechtliche Fiktion der libertas restituta umzusetzen und die Machtfülle des Princeps zu beschneiden, während die neuen Machthaber kein Interesse an einer Erweiterung senatorischer libertas hatten. Entsprechende senatorische Initiativen, vor allem aber wohl die Weigerung, Vespasians dynastische Pläne zu akzeptieren, führten erst zur Relegation und dann zur Hinrichtung des Senators. Während Tacitus suggeriert, Helvidius habe sich aus allzu großem Geltungsdrang und Ruhmsucht mit Vespasian angelegt,39 wurden dieser und weitere ‚republikanische Märtyrer‘ (darunter Opfer des Nero-Regimes) in der sogenannten exitus-Literatur glorifiziert und überhöht.40 Die in flavischer Zeit intensiv geführte Debatte über die richtige Form der Herrschaftsausübung und akzeptable Formen des Widerstands gegen einen Alleinherrscher spiegelt sich auch in den Argonautica wider: Im ersten Buch modellieren Sol und Boreas unterschiedliche Formen der Opposition (1,503– 527 bzw. 1,574–645).41 Während Sol den geltenden modus libertatis (vgl. Tac. hist. 4,8,4) berücksichtigt und den kosmischen Alleinherrscher Jupiter respektvoll bittet, aus Rücksicht auf seinen Sohn Aeetes den Kurs der Argo zu ändern, stellt sich Boreas offen gegen die Pläne des Weltenlenkers. Er nimmt sich die Freiheit (libertas: 1,601), die Sturmwinde zu entfesseln, um die Argo zu versenken. Das Einschreiten Neptuns, der den Seesturm besänftigt und Boreas in seine Schranken weist, wird als Wiederherstellung der kosmischen Stabilität beschrieben, die durch die subversive Figur des Boreas bedroht worden sei. Dadurch wird im Sinne der flavischen Auslegung der Principatsherrschaft impliziert, dass maßvoller Widerspruch wie jener des Sol vertretbar sei, aber das Streben nach allzu 36 37 38 39 40 41
Siehe oben Anm. 15. Vgl. Klingenberg 2011, 138–140. Vgl. Kap. 5.1 und 5.2. Siehe insbesondere Tac. hist. 4,5,1–4,6,1; vgl. Tacitus’ Beurteilung der sog. ‚stoischen Senatsopposition‘ in Tac. Agr. 42,2. Zur Popularität der exitus-Literatur in neronischer und flavischer Zeit siehe Rebeggiani 2018, 65. Vgl. Kap. 5.4.
schlussbetrachtung
393
großer libertas eingehegt werden müsse, um die Stabilität und innere Ordnung des Staatswesens sicherzustellen. Noch deutlicher ist die Auseinandersetzung mit zeithistorischen politischen Realitäten in der Schlussszene des ersten Buches.42 Um der Ermordung durch die Schergen des Pelias zuvorzukommen, begehen Jasons Eltern Aeson und Alcimede Selbstmord (1,730–850). Die Tat wurde häufig als Ausdruck einer tief verinnerlichten stoischen Geisteshaltung gelesen,43 doch die Stelle enthält eine ganze Reihe problematischer Elemente, die eine solche Deutung unwahrscheinlich machen. Aeson strebt nach einem ruhmvollen Tod, der der Nachwelt als nachahmenswertes exemplum dienen kann, verabsäumt es aber, seinen Sohn Promachus in Sicherheit zu bringen, der dadurch den Männern des Pelias schutzlos ausgeliefert ist und vor den Augen des sterbenden Vaters erschlagen wird. Die Darstellung suggeriert, dass die Sicht des Valerius auf ‚stoische Märtyrer‘ mit jener des Tacitus konvergiert, der Männern wie Helvidius Priscus leere Ruhmsucht unterstellt und theatralische Selbstmorde als vergebliche Widerstandsgesten deutet.44 Republikanisch verklärte Plädoyers für libertas sind auch in den Argonautica nicht zu finden. Es bildet sich vielmehr die Auffassung ab, dass dem Staatswesen am besten gedient werden könne, wenn sich Senatoren mit den bestehenden Machtverhältnissen arrangieren und eine maßvolle Kooperation mit dem Machthaber anstreben. Während Reflexionen über das richtige Verhalten der Untertanen in den Argonautica nur punktuell festzustellen sind, widmet Valerius Herrschern und Tyrannen große Aufmerksamkeit (Kap. 6). Die Frage nach dem Umgang mit früheren politischen Gegnern und der konkreten Ausgestaltung der Principatsherrschaft stellte sich nach dem Ende des julisch-claudischen Kaiserhauses und dem Vierkaiserjahr mit allem Nachdruck. Die Flavier legten hierbei Wert auf die Distanzierung von Nero und belegten ihn mit der damnatio memoriae, was von der Senatsaristokratie als Versprechen der neuen Machthaber verstanden werden konnte, die Exzesse neronischer Gewaltherrschaft nicht wiederholen zu wollen.45 Die flavische Verunglimpfung Neros hat auch zur Folge, dass das tragische und philosophische Werk Senecas unter neuem Vorzeichen gelesen werden konnte:46 Die Tyrannenfiguren im tragischen Werk wurden als Allegorien für Nero gelesen, die als ex negativo-Spiegelbilder des guten Herrschers
42 43 44 45 46
Vgl. Kap. 5.5. Siehe z. B. Hershkowitz 1998, 132; Dräger 2003, 568; die Gegenposition vertritt etwa McGuire 1997, 188. Siehe oben Anm. 39. Siehe oben Anm. 14. Vgl. Kap. 6.1.
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in De clementia aufzufassen seien. Diese spezielle Form der Seneca-Rezeption erlaubte, die Tragödien und das Traktat De clementia als ‚politische‘ Literatur aufzufassen, die positive und negative exempla enthält und so den Herrscher zur guten Herrschaft anspornen bzw. von Gewaltherrschaft abschrecken kann. Vor dem Hintergrund der flavischen Verunglimpfung von Nero als entartetem Gewaltherrscher, der eng mit den Tyrannenfiguren in Senecas tragischem Œuvre verknüpft wurde, bietet es sich an, die überzeichneten Tyrannen in den Argonautica als mythologische Spiegelbilder Neros und abschreckende exempla zu interpretieren. In diesem Sinne deute ich die Figur des Pelias:47 Seine Verknüpfung mit Senecas Atreus und sein rücksichtsloses, grausames und paranoides Wüten erlauben, ihn mit dem posthumen Zerrbild von Nero zu assoziieren, das sich in flavischer Zeit verfestigte. Die Vorausblende auf den schrecklichen Tod des Pelias und seine Bestrafung im Tartarus illustriert dabei den Gedanken aus De clementia, dass Gewaltherrschaft am Ende auch zum Untergang des Tyrannen selbst führe.48 Neben Pelias, der als negatives bzw. abschreckendes exemplum für den neuen Herrscher erscheint, enthalten die Argonautica mit Jupiter auch ein Beispiel für maßvolle Herrschaftsausübung, das geeignet ist, Vespasians Agieren in der Konsolidierungsphase seiner Herrschaft zu rechtfertigen.49 Wie Vespasian von großflächigen Strafaktionen gegen frühere politische Gegner, Kollaborateure des Nero-Regimes und Anhänger von Galba, Otho und Vitellius abgesehen hat,50 so lässt auch Jupiter Gnade walten, wenn es der Stabilität seiner Herrschaft zuträglich ist oder der Umsetzung bestimmter Ziele dient: Er beendet die Bestrafung des in Ungnade gefallenen Propheten Phineus durch die Harpyien und bindet seinen stärksten Widersacher Typhon in sein Regime ein.51 Der Dichter lässt allerdings erkennen, dass clementia nur dann eine Option ist, wenn eine gewisse Schwere des Vergehens nicht überschritten wird: Während Jupiter der Befreiung des Prometheus zustimmt, verbietet er es dem in den Tartarus eingeschlossenen Titanen Iapetos, seinen unterirdischen Kerker zu verlassen.52
47 48 49 50 51 52
Vgl. Kap. 6.2. Siehe z. B. Sen. clem. 1,11,4. Zu den Parallelen zwischen Jupiter und Vespasian siehe Kap. 6.3. Levick 22017, 104: „It was to Vespasian’s credit that there was no gratuitous violence, only what was seen to be required for the dynasty’s security.“ Vgl. Kap. 6.4 und 6.5. Zur lex Iovis, die in Zusammenhang mit Iapetos genannt wird, siehe auch Stover 2016, 25f.: „A proper usage of clementia is a key component of this lex.“
schlussbetrachtung
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Valerius’ Darstellung von Herrscherfiguren ist geeignet, das senatsaristokratische Publikum über die faktischen Machtverhältnisse im Principat zu instruieren und dem Kaiser abzulehnende bzw. nachahmenswerte exempla vorzulegen, um ihn auf eine maßvolle Form der Herrschaftsausübung zu verpflichten. Die drastischen Tyrannenporträts in den Argonautica, die ein zeitgenössisches Publikum mit Nero assoziieren konnte, stehen in Einklang mit der flavischen Distanzierung vom letzten julisch-claudischen Princeps. Die an der JupiterFigur durchgespielte Interpretation von Senecas Ausführungen zur Kaisertugend clementia lässt sich als mythologische Spiegelung und Rechtfertigung von Vespasians Umgang mit politischen Gegnern lesen. Vespasian verstand sich als Begründer einer Erbdynastie und baute seine Söhne von Beginn seines Principats an als Thronnachfolger auf (Kap. 7), wobei bald eine deutliche Bevorzugung des älteren Sohnes Titus erkennbar wurde.53 Vor diesem Hintergrund eignen sich Szenen in den Argonautica, die Machtwechsel, den Verlust eines Anführers oder (Dis-)Harmonien innerhalb der Herrscherfamilie zum Inhalt haben, für zeithistorisch perspektivierte Interpretationen. Vespasians dynastische Bestrebungen riefen in Teilen der Senatsaristokratie Widerstand hervor, da man die Auswahl eines ‚Besten‘ aus den Reihen des Senats für das bessere Nachfolgesystem hielt.54 Außerdem verbanden sich mit Vespasians geplanter Einrichtung eines dynastischen Systems zwei konkrete Befürchtungen: Die erste betraf die kolportierte Rivalität zwischen Titus und Domitian,55 von der man glaubte, dass sie zu einem offenen Konflikt und – im schlimmsten Fall – zu einem weiteren Bürgerkrieg führen könnte, und die zweite den Charakter des präsumtiven Thronfolgers Titus, dem man aufgrund seines brutalen Vorgehens als praefectus praetorio zutraute, als Kaiser zu einem ‚zweiten Nero‘ zu werden.56 Während innerfamiliäre Konflikte in den Argonautica häufiger vorkommen (und wohl als abschreckende exempla zu verstehen sind),57 zeigt der Dichter größte Zurückhaltung beim Thema der gescheiterten Thronfolge. Dies lässt sich etwa daran erkennen, dass er mit dem potenziell subversiven Phaethon-Mythos, der sich als Allegorie für eine gescheiterte Machtübergabe deuten lässt, äußerst behutsam umgeht.58 53 54 55 56 57
58
Siehe oben Anm. 9. Vgl. Kap. 7.1. Vgl. Kap. 7.2. Vgl. Kap. 7.4. Zu Titus’ rücksichtslosem Vorgehen als praefectus praetorio siehe Suet. Tit. 7.1. Zu Familien- und insbesondere Bruderkonflikten als Topos der römischen Bürgerkriegsliteratur siehe Davis 2015, 163. Zur Deutung der Colaxes-Szene in Arg. 6 als Beispiel für die Vermeidung eines Bruderkonflikts in der (olympischen) Herrscherfamilie siehe Kap. 7.3. Vgl. Kap. 7.5. Zur Deutung des Phaethon-Mythos als politische Allegorie siehe Rebeggiani 2013, 188 f.; Heerink 2014, 90 f.
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Als Beispiel einer gelungenen Nachfolge erscheint indes die Wahl Hypsipyles zur Königin von Lemnos (2,306–310), da sie sowohl ihrer Abstammung wegen als auch aufgrund des übereinstimmenden Wunsches des Volkes und des ‚Frauensenats‘ von Lemnos als ideale Persönlichkeit erscheint, um nach einer Phase der bürgerkriegsähnlichen Zerrüttung (Männermord) die Macht zu übernehmen.59 Auch die Wahl des Erginus zum neuen Steuermann der Argo nach dem plötzlichen Tod des Tiphys lässt sich als Allegorie für einen gelungenen Wechsel an der Staatsspitze interpretieren (5,1–72):60 Tiphys selbst hat Erginus in der Kunst des Navigierens unterwiesen und hätte ihm das Steuer jederzeit anvertraut; außerdem meldet sich bei der Wahl des Nachfolgers die schicksalskündende Argo selbst zu Wort und wählt aus dem Kreis der Anwärter Erginus aus, sodass dessen Übernahme des Steuers als Bestimmung des Schicksals erscheint. Als negativer Reflex auf die in Teilen der Senatsaristokratie vertretene Meinung, die Wahl eines in freier Debatte ermittelten ‚Besten‘ aus den eigenen Reihen sei das beste Nachfolgesystem, lässt sich die Zurücklassung des Hercules lesen (3,598–725):61 Aufgewiegelt von Meleager, der als rhetorisch geschickter Demagoge auftritt, entschließen sich die Argonauten dazu, die Suche nach ihrem stärksten Helden abzubrechen und aus Mysien abzufahren, obwohl kein geeigneter Nachfolger für Hercules zur Stelle ist. Die Argonauten erscheinen in dieser Szene als manipulierbare Menge, die sich von einem geschickten Redner zu einer fragwürdigen Entscheidung hinreißen lässt. Liest man die genannten Stellen als Reflexionen über Senatsdebatten zur besten Form der Thronfolge, wird eine Präferenz für ein System erkennbar, das auf Abstammung, Götterwillen und dem Wunsch des Throninhabers basiert. Die Darstellung von Macht und Herrschaft in der mythologischen Welt der Argonautica weist viele Züge auf, die den Rezipienten gedanklich zu den Verhältnissen der frühen Kaiserzeit führen.62 In der Detailanalyse zeigt sich, dass die Darstellung von Herrschern, Untertanen, Tyrannen und politischen Systemen im Epos des Valerius als Affirmation der Herrschaftsausübung und der dynastischen Aspirationen der Flavier funktioniert. Die Zurückweisung republikanisch verklärter libertas als Gefahr für die Stabilität und die Kritik an vermeintlich ruhmheischenden Widerstandsgesten lassen den Dichter in der 59
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Vgl. Kap. 7.6; siehe auch Zissos 2009, 361 Anm. 39: „Following the eradication of the entire male population, the Lemnian women promptly reconstitute the island’s political life by convening their ‘senate’ and electing Hypsipyle to her father’s throne, a unique depiction of orderly political succession.“ Vgl. Kap. 7.8. Vgl. Kap. 7.7. Zu den Parallelen zwischen den politischen Systemen der mythologischen Welt der Argonautica und der historischen Welt der frühen Kaiserzeit siehe Kap. 5.3.
schlussbetrachtung
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Debatte um den realpolitischen Spielraum von Senat und Princeps klar Position beziehen. Die drastische Zeichnung von Gewaltherrschaft kann als Reflex auf die flavische Distanzierung von Nero gelesen werden, während der kosmische Alleinherrscher Jupiter als positives exemplum für Vespasian und dessen Umgang mit politischen Gegnern gedeutet werden kann. Nicht zuletzt wird in Szenen, die den Verlust bzw. den Ersatz von Führungsfiguren zum Inhalt haben, eine Präferenz für ein Nachfolgesystem erkennbar, das im Sinne Vespasians die Kategorien Abstammung, Götterwillen und Präferenz des Amtsinhabers privilegiert.
9.4
Religion
Vor der Kaiserproklamation wurde unter den Soldaten die Erzählung verbreitet, Vespasian sei von den Göttern zum Kaisertum auserwählt und habe von Kindheit an entsprechende Vorzeichen erhalten (Kap. 8). Die militärischen Erfolge Vespasians, insbesondere im Jüdischen Krieg, schienen dieses durch die bewusste Inszenierung von Prophezeiungen und Wunderheilungen konstruierte Narrativ zu bestätigen.63 Der Umgang des Argonautenführers Jason mit Religion und den Göttern ist von vergleichbarem Öffentlichkeitscharakter. So verkündet Jason in einer frühen Ansprache an die Mannschaft, die Götter würden die Fahrt der Argonauten unterstützen, um seine Mitstreiter zu Heldentaten anzuspornen (1,240–251).64 Solchen öffentlichen Reden stehen jedoch ernsthafte innere Zweifel entgegen: Nach einer anfänglichen Phase naiver Zuversicht beginnt Jason immer stärker die Befürchtung zu hegen, die Götter seien ihm und seiner Unternehmung feindlich gesonnen.65 Anders als Jason und die Argonauten erhält der Rezipient Einblick in das Walten und die Motive der Götter: Dabei zeigen sich neben Jupiters Weltenplan weitere Wirkmechanismen wie göttlicher Zorn und göttliche Willkür, die auch Lucan oder Tacitus zur Erklärung historischer Vorgänge anführen.66 In der Deutung des Historikers erscheinen etwa die innere Zerrüttung und die blutigen innerrömischen Konflikte des Vierkaiserjahres als göttliche Strafaktionen. Vor diesem Hintergrund ist die von den Flaviern betriebene religiöse Restau-
63 64 65 66
Vgl. Kap. 8.1. Vgl. Kap. 8.2.1. Diesen auf die Außenwirkung hin berechneten Umgang mit den Göttern bezeichnet Thomas Baier als „‘Flavian way’ of dealing with religion“ (Baier 2020, 312). Vgl. Kap. 8.2.2; 8.2.3; 8.2.4. Vgl. Kap. 8.3.1; einschlägige Stellen sind Lucan. 1,572–577; Tac. hist. 1,3,2; 2,38,2; 3,72,1 (mit Joseph 2012, 68).
398
kapitel 9
ration als Versuch zu verstehen, für begangene Frevel Sühne zu leisten und die Götter versöhnlich zu stimmen. Als mythologisches Vergleichsmodell suggeriert die Entsühnung der Argonauten durch Mopsus nach der Nyktomachie (3,362–458), dass ein solcher Neuanfang nach einem traumatischen Ereignis wie einem Bürgerkrieg möglich ist, womit Valerius über Lucan hinausgeht, für den die römische Selbstdestruktion das letzte Geschichtsziel darstellt.67 Die im Proömium angekündigte Verstirnung Vespasians kann als Signal gesehen werden, dass Valerius dem ersten flavischen Princeps zugesteht, den Götterzorn (vorerst) besänftigt und den Grundstein für eine neue Friedenszeit im Imperium Romanum gelegt zu haben. Doch die dem Weltenplan inhärente Offenheit, die das letzte Geschichtsziel nur schemenhaft andeutet, und die Rachsucht und Willkür der Götter lassen den Rezipienten verunsichert zurück:68 Kann es einer mit dem Makel des Bürgerkriegs befleckten Kaiserdynastie tatsächlich gelingen, die Götter dauerhaft versöhnlich zu stimmen, oder werden diese irgendwann Vergeltung für das nefas üben, das die Flavier mit der Beteiligung am Bürgerkrieg begangen haben? Der Dichter lässt nicht erkennen, welchen weiteren Geschichtsverlauf er für den wahrscheinlichsten hält – er beschränkt sich darauf, metaphysische Ursachen offenzulegen, die sowohl in der mythologischen als auch in der historischen Welt Gültigkeit haben und den Lauf der Dinge bald in die eine, bald in die andere Richtung lenken könnten. Aus der Analyse der Götterhandlung in den Argonautica ergeben sich Rückschlüsse auf die in diesem Epos vermittelte Geschichtsperspektive, die sich mit den oben festgehaltenen Beobachtungen zu den Kriegsnarrativen in Einklang bringen lassen: Das im Weltenplan verkündete fatum legt mit den longissima regna zwar ein Geschichtsziel fest, doch wird dieses nicht mit dem Aufstieg Vespasians oder der Herrschaft der Flavier verknüpft, die aufgrund ihrer Befleckung mit dem nefas des Bürgerkriegs jederzeit Ziel eines göttlichen Vergeltungsakts werden könnten. Auch die Kriegsnarrative der Argonautica werden nicht in eine sinnstiftende Geschichtsordnung eingegliedert: Im Weltenplan erscheint Krieg als ein Ziel an sich; der ‚Epilog‘ zur Nyktomachie lässt aber immerhin insofern Hoffnung schöpfen, als den Argonauten nach dem bürgerkriegsähnlichen Gefecht gegen ihre Gastfreunde ein Neuanfang gelingt, wie ihn
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Vgl. Kap. 8.3.2; siehe auch Heil 2022, 134: „Der Bürgerkrieg verweist nicht über sich hinaus auf ein höheres Ziel. […] Nicht nur die Figuren scheitern bei dem Versuch, die Zukunft zu erkunden, der Erzähler selbst verweigert seinen Lesern eine sinnstiftende, positiv in die Zukunft weisende Gesamtdeutung des Geschehens.“ Zu Lucans Bürgerkrieg als Erzählung, die neben sich keine andere Geschichte mehr zulässt, siehe außerdem Kersten (im Erscheinen). Vgl. Kap. 8.3.3.
schlussbetrachtung
399
auch die Flavier nach dem Vierkaiserjahr versuchen. In den Argonautica funktioniert die Darstellung der Götter, des fatum und des menschlichen Umgangs mit Götterzeichen als Relativierung der Rede von göttlicher Unterstützung für Vespasian und des flavischen Anspruchs, durch religiöse Restauration die Grundlage für eine unbegrenzte Friedenszeit zu schaffen.
9.5
Fazit
Die Argonautica erweisen sich als Epos, das vielfältige Bezugspunkte zur Zeitgeschichte aufweist. Der Dichter blickt durch das Prisma des Mythos auf die jüngere römische Zeitgeschichte und das neue flavische Kaiserhaus. Während Vespasian und seine Alleinherrschaft durch den mythologischen Spiegel positiv beurteilt werden, werden die Aufstiegserzählung der Flavier und das flavische Friedensversprechen einer kritischen Prüfung unterzogen: Die komplexen Kriegsnarrative weisen darauf hin, dass Vespasian die Macht nicht nur im Jüdischen Krieg (und somit gegen einen äußeren Feind), sondern auch und ganz besonders in dem blutigen innerrömischen Machtkampf errungen hat, der nach 68 n. Chr. um Neros Nachfolge entbrannt ist. Die verunsichernde Darstellung der Götter, die immer wieder in destruktiver Weise in menschliche Geschicke eingreifen, stellt zudem infrage, ob die zyklische Wiederkehr römischer Bürgerkriege jemals dauerhaft beendet werden kann. Legt man die Argonautica also neben die offizielle Herrschaftsrepräsentation der Flavier, funktioniert der Text als Korrektiv der flavischen Aufstiegserzählung, die die Beteiligung am Bürgerkrieg zugunsten des Jüdischen Kriegs unterdrückt. Die Darstellung von Herrscherfiguren und politischen Systemen lässt sich indes als Affirmation der im Principat geltenden Machtverhältnisse und der dynastischen Ansprüche der Flavier lesen. Zuletzt dient das beunruhigende Götterbild der Relativierung der flavischen Bemühungen um harmonische menschlichgöttliche Beziehungen und der Erzählung, Vespasian sei von höheren Mächten zur Herrschaft ausersehen. Im Unterschied zu Stover vertrete ich die Ansicht, dass die Allgegenwärtigkeit der Bürgerkriegsthematik und das destruktive Walten der Götter dagegensprechen, die Argonautica als uneingeschränkt positiven Reflex auf den Aufstieg der Flavier zu lesen. Auch lässt sich keine Abkehr, sondern vielmehr eine teilweise Integration von Lucans düsterem Geschichts- und Götterbild feststellen. Anders als in der Aeneis fehlen in den Argonautica optimistische Ausblicke auf eine zukünftige Friedenszeit unter römischer Herrschaft, die mit Vespasian oder einem seiner Söhne verknüpft wären und der endlos scheinenden Reihe von (Bürger-)Kriegen, menschlichem Leid und den Kollateralschäden, die mit
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der Umsetzung des Weltenplans einhergehen, Sinn verleihen könnten. Der Dichter zeichnet vom Wirken der Götter und den historischen Mechanismen, die Vespasians Aufstieg ermöglicht haben, ein ambivalentes Bild, was einem zeitgenössischen Publikum kaum Anlass für allzu optimistische Zukunftsprognosen gegeben haben kann. Allerdings lässt sich aus einer zeithistorisch perspektivierten Analyse der Darstellung von Herrschaft, Macht und Politik in den Argonautica eine affirmative Rechtfertigung der flavischen Herrschaftsausübung ableiten: Der Dichter gibt einer maßvollen Alleinherrschaft den Vorzug, lehnt ein militantes Eintreten für das republikanische Ideal der libertas ab und verurteilt exzessive Gewaltherrschaft (auch mittels Referenzen auf den von den Flaviern mit einer damnatio memoriae belegten Nero). Er entwirft Jupiters Gnadenakte gegenüber ehemaligen Widersachern als positive mythologische exempla und lenkt so die Aufmerksamkeit des Publikums auf Vespasians umsichtigen Umgang mit früheren politischen Gegnern nach seiner Machtergreifung. Er signalisiert, dass nur das von Vespasian favorisierte dynastische Thronfolgeprinzip, nicht etwa die freie Debatte oder ein Volksentscheid, eine sichere Machtübergabe gewährleisten könne, weshalb harmonische Beziehungen innerhalb der Herrscherfamilie für die Stabilität unerlässlich seien. Wenn sich in den Argonautica auch keine direkte Kritik an Kaiser Vespasian, seiner Familie und seiner Herrschaft finden lässt, so wird die grundsätzlich positive Bewertung der Flavier doch dadurch relativiert, dass der Dichter ein ambivalentes Geschichts- und Götterbild entwirft, sodass sein Epos sowohl für den Anbruch einer unbegrenzten römischen Friedenszeit unter flavischer Herrschaft als auch für den Untergang der gens Flavia in einem weiteren römischen Bürgerkrieg das passende Erklärungsmodell liefern könnte. Diese prinzipielle Offenheit des Textes scheint die tiefe Verunsicherung einer Bürgerkriegsgeneration widerzuspiegeln, die dem erst kürzlich errungenen Frieden und der neu gewonnenen Stabilität unter einem neuen Herrschergeschlecht noch nicht recht trauen konnte.
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Sach- und Personenregister Absyrtus 156, 260–265 Analogien zu Phaethon 260 f. Zerstückelung 201, 260 Acastus 197f., 200 f., 340 Actium in der augusteischen Propaganda 36 f. Aeetes 99–103, 157–162, 257–265, 352 f. Gegenspieler Jasons 99–103, 123, 161 Sohn des Sonnengottes 96, 164 Wiedereinsetzung nach dem Putsch des Perses 180 Anm. 163, 261, 264 Aeneis (Verg.) Aeneas 49–51, 53, 120–123, 253 f., 266 Anm. 106, 329 f., 342–344 Allecto 55–57, 119 Anm. 121 Dido 49 f., 53, 57 Anm. 46, 65 Anm. 79, 79 f., 253 f., 271 Anm. 125 fatum 74 Anm. 113, 133 f., 329 Anm. 93, 343 f., 347, 355, 360–362, 365 Anm. 184 Iliupersis 54–58 Italikerkatalog 115–118 Juno 68, 74, 102, 122 f., 133 f., 355, 365 Anm. 184 Junotempel 50 f. Krieg in Latium 56–60, 119 Anm. 121, 123 f., 132 Anm. 182, 390 f. Musenanruf 53 f., 120, 346 Anm. 128 Numanus Remulus 56, 117 f. Schildbeschreibung 17 Anm. 71, 36 f., 89 Anm. 181, 156 siehe auch Geschichtsbild: teleologisches Aeson 7 f., 73, 172–181, 201–203, 393 Alexandria 310, 318–322 Allegorese, historische 5 Anm. 18, 21, 161 f., 173 Anm. 139, 196, 256 Ambivalenz 2, 18 f., 28, 45, 59, 90, 163 Anm. 100, 181, 218 Anm. 123, 225 Anm. 142, 263, 327 Anm. 88, 330, 342, 378 f., 389, 391, 398 Amycus 66, 69, 245 f., 249, 282, 350 Anachronismus 4 Anm. 16, 139, 155–157, 165 Anagnorisis 70 Analepse 197f., 265, 285, 316, 333, 335 Anm. 106, 335 Anm. 108
Antonius Primus 6 Anm. 19, 140, 240, 280 Anm. 148, 284, 311, 318 Apoll Bittgesuch an Jupiter 207, 220–225 Gott der Dichtung 40, 358, 379 Orakelgott 121, 274f., 277, 332f. Apollonios Erdgeborene 48 Anm. 4, 83f. Glaukos 276–278 Herakles 83f., 283–285 Hylas 276 Hypsipyle 266 Innovationen des Valerius Flaccus gegen 13, 49 Anm. 7, 52 Anm. 18, 101, 210, 211 Anm. 105, 213 Anm. 109, 215 Anm. 116, 217 Anm. 122, 220 Anm. 126, 266, 276– 278, 283–285, 288 Anm. 166, 291, 326 Anm. 87, 333f., 364 Anm. 182, 374 Kyzikos 47–56, 63–66, 374 Phrixos-Söhne 97 Anm. 18, 101 Proömium 92 stoffliche Vorlage für Valerius Flaccus 1 Anm. 2, 19, 119, 121, 122 Anm. 136 Apotheose siehe Katasterismos Argo antike Beurteilung 18 Anm. 74, 163 Anm. 100, 370 Bau 336, 340 erstes Schiff 64 Anm. 72, 64 Anm. 73 prophetische Gabe 287, 291, 341f., 352, 396 Verstirnung 41, 341f. Argonautica (Val. Fl.) Binnenproömium 53f., 67, 73, 81, 120– 122 Datierung 2–4, 15 Anm. 64, 130 Anm. 169 Musenanruf 40, 53, 110 optimistische und pessimistische Deutungen 5 Anm. 18, 14–18, 88, 130, 169, 175 Anm. 147, 225 Anm. 142, 267 Anm. 111, 273 Anm., 331, 361, 377 Anm. 230 Proömium 3f., 7, 16, 24f., 31–46, 78, 91, 105, 206, 239 Anm. 25, 242f., 257, 291,
sach- und personenregister 339 Anm. 114, 372, 379 f., 382 f., 387 f., 390 f., 398 zeithistorische Bezüge 4–19, passim Ariasmenus 13, 114, 128–130, 390 Aristie 84, 88, 117, 128, 131, 247 Aulus Plautius 33 Barbaren 44, 68 f., 92, 95 f., 104, 107–118 siehe auch Skythenkatalog Bedriacum, Schlacht bei 308, 311, 318 Beinahe-Situation 97, 158, 203, 338 Berenike 251, 253–255 Bestallungsgesetz siehe Vespasian: lex de imperio Vespasiani Boreas 165–170, 198, 211, 215 Anm. 116, 392 siehe auch Seesturm Britannicus 158, 202 Anm. 78, 242 Anm. 35, 254 f. Britannien 7, 33 f., 38f., 159 Bürgerkrieg Brudermord 14 Anm. 60, 85, 130, 242 Anm. 35, 370 Bürgerkrieg als Anlass zu historischem Wandel 14 Anm. 60, 17, 59 Anm. 55, 71, 87, 353, 373f., 377, 398 literarische Topoi 16 Anm. 66, 81, 102 Anm. 39, 119 Anm. 121, 129, 203 Anm. 81, 266 f., 268, 395 Anm. 57 Schlacht von Philippi 44, 63 thematischer Schwerpunkt in den Argonautica 13–15, 399 Vermischung von Bürgerkrieg und bellum externum 25, 48, 59 f., 91, 127, 388– 391 Vierkaiserjahr 1, 8, 31–33, 205, 268 f., 273, 284, 300–322, 329, 371–374, 384, 397 f. siehe auch Cyzicus-Episode, Flavier: Bürgerkrieg in der Herrschaftsrepräsentation, Flavier: Erfolg im Bürgerkrieg als Grundlage der flavischen Herrschaft, Geschichtsbild, Gigantomachie, Kolchis, Lemnos-Episode, Vespasian C. Licinius Mucianus siehe Mucianus clementia 9, 187–189, 203f., 208, 214 f., 218 Anm. 123, 219 f., 225–230, 394 f. Colaxes 27, 243–250, 249 f. consensus siehe Principat: consensus Cyzicus (Figur) 54, 62–67, 336 f.
419 Charakterisierung 52f., 57f., 66 Anm. 80, 68–71, 86 Erlegung des Löwen der Kybele 54, 67f., 70 Anm. 94, 363 Tod und Bestattung 85f., 332f. Cyzicus-Episode 12f., 17, 25, 47–90, 110, 132, 332–334, 362–364, 369, 373, 388f., 398 Bezug zum Weltenplan 57, 59, 61 Anm. 59, 73–78, 363f., 389 Bürgerkriegselemente 47, 59f., 63, 79– 90, 363 Anm. 179, 369, 373, 377, 390 Entsühnung 373–378 damnatio memoriae 265, 393, 400 dissimulatio 9, 93, 103, 157 Anm. 82, 159–161, 340, 366 Dodona 334, 341 siehe auch Argo: prophetische Gabe Domitian als Dichter 16 Anm. 67, 39 Anm. 45, 40 Anm. 50, 42f., 205, 241 Anm. 32 Flucht vom Kapitol im Dez. 69 n. Chr. 8, 268f. posthume Verunglimpfung 3f., 4 Anm. 12, 23 Anm. 92, 239 Anm. 25, 241 Rolle nach der flavischen Machtergreifung 144–146, 239f. Tyrannen in den Argonautica als Allegorien für 3 Anm. 11, 5 Anm. 18, 161f., 196 Verhältnis zu Titus 6 Anm. 19, 16, 238– 244, 250, 252, 395 Domus Aurea 195, 262f., 265 Dynastiegründung siehe Vespasian Ekphrasis 36f., 50–52, 122, 257–259 Elegie 281 Elysium 175 Anm. 147, 177–179 epische Konvention 18, 61 Anm. 58, 64, 87f., 106, 124, 126, 128, 180 Eprius Marcellus 140 Anm. 5, 141–145, 153f., 192 Anm. 38 Erginus 291f., 351, 396 Erinnerung 47, 78, 128, 180, 194, 195 Anm. 49, 326, 328, 331, 373–377 Erinye siehe Furie erlebte Rede 71, 95, 338 siehe auch Fokalisierung
420 Erzähler 1 Anm. 1, 288, 354 f., 358, 379 narratorialer Kommentar 4 Anm. 16, 43, 61, 65, 73, 107, 197, 210, 212, 247 Anm. 47, 265–268, 278, 288, 326 Anm. 86, 333, 357 Ethnographie 107 f., 110 f., 117f., 390 siehe auch Argonautica (Val. Fl.): Skythenkatalog Exemplarität 73, 151 f., 155, 173, 175, 179, 185– 196, 219, 244, 273 f., 287, 353, 393 f., 397 exitus-Literatur 152–154, 172–177, 179, 195 Anm. 49, 392 Fabel 13 Anm. 58 Familie Harmonie 16, 25, 206, 242 f., 268, 271, 372 Konflikt 15 f., 27, 98, 241 f., 243–251, 272, 395 siehe auch Flavier fatum 67–79, 247 f., 265, 274–279, 292, 317, 329, 343, 354–357, 368 f., 396, 398 bruchstückhafter Einblick menschlicher Figuren 12 f., 18, 27 f., 77, 216 Anm. 118, 286, 324, 327 Anm. 89, 331, 349 Anm. 134, 350–353, 358 f., 361 Anm. 173, 365 Anm. 186, 375, 380 f. siehe auch Weltenplan Flavier Bauprogramm 23, 25, 34, 195, 312 Anm. 43, 372 f., 386 Anm. 12 Bürgerkrieg in der Herrschaftsrepräsentation 25, 31–37, 47, 78, 105, 206, 310, 386, 389, 391 Distanzierung von Nero 25 f., 179, 195, 204, 255, 386, 393 Erfolg im Bürgerkrieg als Grundlage der flavischen Herrschaft 1 f., 31, 37, 41, 45 Anm. 66, 78, 91, 105, 140, 168 f., 205, 240, 268, 299, 371, 377, 380, 388, 398 Friedensideologie 43 f., 372 f., 386 Anm. 13 Herrschaftsrepräsentation 23–27, 31–37, 39, 41, 47, 67, 78, 91, 105, 135, 179, 195 f., 206, 240–243, 274, 310, 373, 377 f., 385, 387 f., 391, 399 Münzprogramm 23, 35, 37, 40, 141 Anm. 8, 240–244, 262, 385 Quellen 22–24
sach- und personenregister Sieghaftigkeit 25, 33–37, 40, 45f., 78, 105, 386 Anm. 11, 387f. siehe auch Domitian, Jüdischer Krieg, Titus, Vespasian Flavius Josephus 23, 307 Flavius Sabinus 141 Anm. 9, 306 Fokalisierung 62, 163, 166 Anm. 112, 197, 209, 271, 276, 341, 363, 389 siehe auch erlebte Rede, Erzähler Freiheit siehe libertas Furie 89f., 133, 175f., 202, 221, 228f., 273, 286, 349, 363f., 373, 375 furor 176, 272, 365–367 Galba 32, 237f., 300f., 307f., 311 Anm. 38, 323f., 329 Gastgeschenk 85, 97f., 101 Gastmahl 48–50, 53, 109–110 Gastrecht 69, 72–74, 94 pervertiertes 245 Gesander 117f. Geschichtsbild 300, 361, 378–381, 390f., 398f. teleologisches 48, 54, 57, 90f., 119, 123, 134, 353, 355, 389 zyklisches 14 Anm. 60, 25, 76f., 87, 119, 123f., 128, 363, 371, 389, 399 Gewaltherrschaft 26, 151, 174, 178–181, 188, 195, 394 Folgen für den Gewaltherrscher 178, 189, 194 Anm. 47, 202–204, 394 Gigantomachie 11f., 81–90, 125, 132, 163 Anm. 100, 205 als Bedrohung der kosmischen Ordnung 11 bei Lucan 12 Anm. 44, 88 Anm. 178, 125 Bürgerkriegsmetapher 11, 89f., 125, 205f. siehe auch Apollonios: Erdgeborene, Seesturm, Titanomachie Gleichnis 4 Anm. 16, 13 Anm. 57, 55 Anm. 32, 72f., 80, 82–87, 111, 124f., 128– 132, 168f., 279, 289, 291 gloria 9, 13, 37f., 94 Anm. 9, 95, 328, 331, 338f., 348, 366 siehe auch Motivierung der Handlung: auf menschlicher Ebene Goldenes Vlies 92–103, 126, 134, 164, 199 Anm. 64, 245, 282, 285, 325, 349, 364– 366, 391
sach- und personenregister Götterversammlung 96–98, 110, 163–165, 364–367 Grenzüberschreitung siehe Transgression Harpyien 208–219, 226f. Hellespont 61, 65, 95, 388 Helvidius Priscus 139–155, 170, 180, 209 f., 233 f., 237, 252 Anm. 59, 392 f. Hercules 32, 48 Anm. 4, 79 Anm. 132, 84f., 93, 120 f., 133, 160, 206 f., 220–227, 274– 286, 333–335, 364 f., 396 historischer Durchblick 4 f., 12, 360 f., 375f., 380, 385, 391, 399 Homer Repräsentant traditioneller Heldenepik 14 f., 61 Anm. 58, 88, 126, 128 siehe auch Ilias (Hom.) Hybris 12, 256 Anm. 75, 259 Anm. 80, 325, 330 f., 370 siehe auch Öffnung der Meere Hylas 220, 274–276, 280, 364 Hypsipyle 4 Anm. 16, 128 Anm. 161, 266– 274, 364, 396 Hysteron proteron 259 Iapetos 27, 228–230, 394 Idmon 18, 106, 280, 286 f., 324 Anm. 83, 326–331 Ilias (Hom.) Andromache 36 Anm. 42 Götterversammlung 110 Proömium 61 Anm. 58 Sarpedon 247 Schiffskatalog 108, 125 Teichoskopie 109 Inkonsistenz 84 Anm. 154, 95 Anm. 10, 96 Anm. 12, 266 Anm. 106, 333 f., 346 Anm. 127 Intertextualität 19–22, 387 Überblendung von Prätexten 53 Ironie 51 f., 79f. Jason Analogien zu Vespasian 5, 13, 204–208, 394 Anführer der Argonauten 80, 82, 88, 278, 283–285, 290, 327 f., 332, 335 f., 350 Beauftragung durch Pelias 93–96 epischer Held 51, 73, 105, 159, 339
421 Hercules als Vorbild 285 labores 285 und Medea 134, 221, 246f., 264, 274, 282, 326, 364f., 367 Vergleich mit Aeneas 329f., 338f., 342– 344 Verhältnis zu den Göttern 12f., 27f., 77, 100, 133, 323–332, 335f., 338–345, 352f., 364, 397 Jenseits siehe Unterwelt Jenseitsreise 120, 375f. Jerusalem 3, 7, 25, 31, 34 Anm. 18, 39–41, 235, 315, 387f. Jüdischer Krieg 23, 34–36, 39f., 235, 240, 302, 305–307, 314f., 386 Rolle in der flavischen Herrschaftsrepräsentation 24f., 31–37, 39f., 47, 91, 135, 206, 386 Anm. 12, 387–389 julisch-claudische Dynastie 7, 13, 38f., 45f., 140, 254, 256, 270, 386 Untergang 1, 31, 301, 304, 356 siehe auch Nero Jupiter Analogien zu Vespasian 9, 290 kosmischer Alleinherrscher 165, 171, 204–208, 213–219, 228–230 Verhältnis zu Neptun 245–251 siehe auch Weltenplan Kampf um die Leiche 117 Anm. 111, 282 Kapitol Wiederaufbau 8, 141 Anm. 9, 205f., 273, 373, 382 Zerstörung 43, 89f., 268, 273, 371 Katasterismos 41, 206f., 291, 372, 379f. Kentauromachie 72f. Kolchis 96f., 389f. Bürgerkrieg 13f., 92, 102, 105f., 119f., 124–134, 203, 246f., 282, 365–367, 389– 391 Bürgerkrieg als Innovation gegenüber Apollonios 13, 102 Anm. 39, 120 Anm. 126 Ergebnislosigkeit des Bürgerkriegs von Kolchis 124, 132–134, 365f., 390f. Herrscherfamilie 97–99, 259–264 siehe auch Aeetes, Barbaren Kolosseum 34f. Kybele 47f., 54f., 67f., 70f., 362f., 389
422 Laomedon 160 f., 221 Anm. 130, 223f., 370 Lemnos-Episode 265–274, 281, 362–364, 373, 396 Bezug zum Weltenplan 363 f. Bürgerkriegselemente 266–268, 273, 363 Anm. 179, 396 siehe auch Hypsipyle lex de imperio Vespasiani siehe Vespasian libertas 26, 141–143, 147–151, 166–168, 170f., 217–219, 392 f., 396 f., 400 Lucan Argonauten 131 Caesar 87, 126, 218, 374 Erzähler 267, 326 Anm. 86, 354, 358, 366 Geschichtsbild 2, 28, 45, 356 Anm. 154, 368, 378, 398 Götterbild 356 f. Laelius 112 Pharsalos 44, 63, 87, 125, 165, 267, 374 pietas, Pervertierung der 112 Pompeius 43, 165 Proömium 44, 356 f. Rubikon 218 Theben 131 Unterscheidbarkeit der Kriegsparteien 58, 88 Anm. 177 Vulteius 130 f. Lücke im literarischen Text 18, 265, 350, 353 Mauerschau 109, 246 f., 282 Medea 246 f., 260 f., 282, 326, 364f., 367 Entführung als Teil des Weltenplans 11, 128, 220 f., 250, 286, 364 f. Kindsmord und Palastbrand als Telos der Argonautenfahrt 221, 282, 329, 352, 367 Meleager 275f., 278–284, 396 Metapoetik 163f., 199, 210, 281, 288 Mopsus 18, 324 Anm. 83, 325 f., 329, 367, 373–378 siehe auch Cyzicus-Episode: Entsühnung mora siehe Verzögerung der Handlungsentfaltung Motivierung der Handlung auf göttlicher Ebene 49 Anm. 5, 54 f., 59, 67 f., 70 f., 91, 122, 133, 273, 355 Anm. 150, 361 Anm. 174, 362, 365 f., 367, 371, 397
sach- und personenregister auf menschlicher Ebene 8f., 92–95, 102, 122f., 197f., 199 Anm. 64 Mucianus 32, 36, 144f., 214, 240, 302, 308, 313f., 316–318 Musonius 140 Anm. 5, 149 Mythenvariante 52 Anm. 18, 65 Anm. 79, 75 Anm. 118, 95 Anm. 10, 119 Anm. 65, 201f., 220 Anm. 126, 224 Anm. 140, 260, 283, 291, 333f., 334 Anm. 102, 344, 364f. nefas 28, 67–79, 85, 129, 166, 175f., 218f., 310, 346, 363, 369–372, 389, 398 siehe auch fatum, Weltenplan Negativ-Allusion 333 Anm. 101 Nekromantie siehe Totenbeschwörung Neptun 168–171, 392 Verhältnis zu Jupiter 245–251 siehe auch Seesturm Nero Adressat von De clementia 186–188 Bezug zu den Tyrannenfiguren in den Seneca-Tragödien 193f., 195–197 flavische Verunglimpfung zum entarteten Gewaltherrscher 6, 26, 190, 193–196, 254, 264 Anm. 103, 393f. Herrschaftsrepräsentation 259, 262 Inszenierung als Sonnengott 259, 262, 265 Tragödiendarsteller 192f. Öffnung der Meere 4, 10f., 47, 60–64, 74f., 92, 106, 164, 207, 325, 330f., 364, 390 Hybris 12, 325 Anm. 85, 331, 370 Transgression 12, 18 Anm. 74, 166, 245, 259 Anm. 80, 325 Anm. 85, 331, 371 Vollzug des Weltenplans 10, 61, 74, 86f., 106, 120, 132, 211, 215, 245, 249, 348, 359 siehe auch Hellespont Orakel 12, 64, 93 Anm. 2, 97 Anm. 18, 122, 274f., 277f., 302f., 310f., 314–322, 332– 337, 341f., 345, 364 Instrumentalisierung von Götter- und Orakelsprüchen 12, 27, 299, 311f., 316f., 318–323, 328, 330f., 335, 350, 352f., 397 siehe auch Dodona, Prophezeiungen, Vorzeichen Ozean siehe Öffnung der Meere
sach- und personenregister Palatin 254 f., 267 Anm. 110, 270 Pelias 33–35, 197–204, 394 Gegenspieler Jasons 9, 92–94, 158, 340 Perspektive, perzeptive siehe Fokalisierung Phaethon 27, 256–265, 395 Anm. 58 Phineus 9, 209–219, 346, 348–350 Phrixus 69, 93–104, 121 f., 164 pietas 13, 112, 168, 266–268, 271, 273–276, 339, 364, 372 Plankten siehe Symplegaden Polyxo 272 Präfiguration 5 f., 25, 38f., 45, 104, 115, 134 Anm. 190, 265, 266 Anm. 106 siehe auch Typologie Prallfelsen siehe Symplegaden Principat Alternativlosigkeit nach 69 n. Chr. 147 Anm. 35, 154 consensus 141 Anm. 8, 146–148, 156– 159, 187 Anm. 19, 271, 300 f., 305, 386 Anm. 15, 392 Stabilität der Herrschaft 16, 26, 145, 170, 186, 198, 203, 214, 231, 241, 252, 305, 359 Anm. 169, 392 f., 396 f., 400 Verhältnis von Senat und Princeps 25 f., 140 Anm. 5, 142 f., 147–149, 153– 155, 158 f., 166 Anm. 116, 391 f., 395, 399 siehe auch Gewaltherrschaft, libertas, Vespasian Prolepse 202, 261, 367, 394 Prometheus 9, 222–228, 394 Prophezeiung 18, 27, 75, 106, 215 f., 274, 307, 315 f., 324–332, 348–350, 367 f., 397 siehe auch Orakel, Vorzeichen, Weltenplan
423 Rom Außenpolitik 7, 113–115 politische Kultur 7, 24, 35, 140–162, 234– 238, 251–256, 300–302, 328f., 370, 385 weltgeschichtliche Bedeutung 12 Anm. 49, 300, 359 Anm. 169 siehe auch Geschichtsbild, Principat, Weltenplan Romulus und Remus 14 Anm. 60, 242 Anm. 35, 370 Anm. 198
Q. Petillius Cerialis 7, 239
Schwarzes Meer 108 Anm. 69, 114 Schwur bei der Lanze 281 Seesturm 26, 162–171, 197–199, 215 Anm. 116, 392f. Bedrohung der kosmischen Ordnung 167f. siehe auch Boreas, Neptun Selbstmord Trinken von Stierblut 174 Anm. 142 Widerstandsgeste gegen den Tyrannen 7, 140 Anm. 5, 152–154, 172–177, 179–181, 198, 393 Seneca Prinzenerzieher 178, 186–188, 193f. Rezeption in der Flavierzeit 26, 184f., 190f., 194–196, 385f., 393f. Selbstmord 153 Anm. 67, 173f. Serapis 319 Skythenkatalog 108–118, 124f., 390 siehe auch Barbaren, Zentrum und Peripherie Statius siehe Thebais (Stat.) Steuermann als Staatenlenker-Metapher 164 Anm. 104, 168f., 171, 207, 256 Anm. 75, 286–290, 396 Symplegaden 98 Anm. 22, 120f., 288, 348, 350f.
Rache 69, 94 Anm. 6, 95, 98, 140 Anm. 5, 185, 198–200, 344, 367, 382 göttliche 12 f., 47, 54 f., 303, 355, 369 siehe auch Cyzicus, Kybele, Lemnos, Motivierung der Handlung, Venus recusatio 39 res publica restituta siehe consensus, libertas Ritual 47, 55, 65, 104, 331, 339, 369 f., 374– 378
Tacitus 22f. Agricola 22 Anm. 89, 38, 143 Anm. 15, 153f., 158f., 161, 177, 393 Annales 21 Anm. 85, 153, 173, 191, 242 Anm. 35 arcanum imperii 32f., 33 Anm. 9, 157, 171 Germania 116, 118 Anm. 115 Götterbild 273, 301, 356–358, 371, 382 Historien 22f., 140–147, 153f., 237f., 273, 302f., 312–322, 356–358, 371, 392, 397
424 Teichoskopie siehe Mauerschau Telamon 274–276, 279–281, 284–286 Teleologie siehe Geschichtsbild Templum Pacis 34, 44 Anm. 62, 372 Tethys 259 f. Thebais (Stat.) Amphiaraus und Thiodamas 292 Anm. 183 Erzähler 362 Anm. 176 fatum 360 Anm. 170 Proömium 38 Thoas 8, 265–269, 273f. Thrasea Paetus 140 Anm. 5, 142, 146, 148 Anm. 42, 152 f., 155, 174, 180 Ti. Iulius Alexander 32, 234, 302, 309, 313f., 317, 321 Anm. 74 Tiphys 49, 55, 171, 274, 277, 280, 287–293, 333, 345, 363, 396 Titanomachie 83 Anm. 153, 85 f., 125 Anm. 152, 205, 207 Anm. 90, 225 Anm. 141, 228 f. siehe auch Gigantomachie Titus als zweiter Nero 251–256, 395 designierter Thronfolger 235 f., 395 Eroberer Jerusalems 39 f., 235 f., 240 f., 293 praefectus praetorio 114, 145, 214, 236, 251–253, 395 Triumph mit Vespasian im Jun. 71 n. 25, 34–37, 236 Verhältnis zu Domitian 16, 238–244, 252, 395 Totenbeschwörung 172, 198 Totenerscheinung 61, 94 f., 172, 376 im Traum 94 f., 95 Anm. 100, 374 Tragödie 175, 190 Anm. 33, 192f., 199 Tragödientheorie 85 siehe auch Ekphrasis, Medea, Prophezeiung, Seneca Transgression 245, 325 Anm. 85, 330 f. translationes imperii siehe Weltenplan Trauer 48, 56, 200, 230, 247 Anm. 49, 258 f., 274 f., 281, 286 f., 289, 291, 332, 337, 373 siehe auch Erinnerung, Ritual Traumerscheinung 94 f., 100, 280, 334 Anm. 106, 341 f., 345 siehe auch Totenerscheinung im Traum Triumph siehe Titus, Vespasian
sach- und personenregister Trojanischer Krieg 50, 286 Bedingung für den Aufstieg Roms 10 Anm. 37, 39 Anm. 41, 119, 123, 267, 359 Folge der Argonautenfahrt 224, 286, 344, 367f. Trugrede 9, 93, 102f., 122f., 160, 340 siehe auch dissimulatio Typhon 11 Anm. 40, 27, 83f., 124f., 205, 209– 214, 216–219, 229, 394 Typologie 5f., 103 Anm. 47, 180 Anm. 161, 263 Anm. 102 Tyrannenfiguren in literarischen Texten 157–161, 184–190, 194–196, 201, 393– 395 Analogien zu römischen Kaisern 6f., 184, 393f. idealer Herrscher als Gegenentwurf zum Tyrannen 186–190, 230 Topoi 157f., 159 Anm. 88 siehe auch Aeetes, Amycus, dissimulatio, Laomedon, Pelias Tyrannenherrschaft siehe Gewaltherrschaft Unterwelt 86, 95f., 120, 172, 176 Anm. 152, 177–180, 228, 376 Valerius Flaccus Biographie 1, 20, 391 Quindecimvir 379 Venus 13, 70 Anm. 96, 110 Anm. 73, 133, 160, 221, 272f., 286, 362f., 373 Vergessen siehe Erinnerung Vergil siehe Aeneis (Verg.) Verstirnung siehe Katasterismos Verzögerung der Handlungsentfaltung 74, 106, 133, 223f., 292 Anm. 182, 355 Vespasian Analogien zu Jupiter 9, 204–208, 290, 394 Augustus als Vorbild 270 Beteiligung an Claudius‘ Britannienfeldzug 31, 33f., 37–39 Bürgerkriegssieger 1f., 44f., 45 Anm. 66, 105, 205, 310, 371f. Distanzierung von Nero 26f., 179, 195, 254f., 386, 393 Dynastiegründer 15 Anm. 65, 27, 150, 206, 233–238, 251, 287, 293, 386 Anm. 9, 395
sach- und personenregister einfache Herkunft 32, 301, 306 Feldherr 24 f., 32–37, 235, 300, 302, 307, 309, 314 f., 317, 330, 388, 391, 397 göttliche Auswahl 27, 299, 301 f., 305– 322, 331 Institutionalisierung des Principats 147 Anm. 36 Kaiserproklamation 27, 32 f., 44 f., 234 f., 238, 300 Anm. 1, 302, 308–322, 397 lex de imperio Vespasiani 24, 140, 146 f., 386, 391 f. religiöse Restauration nach 69 n. Chr. 28, 372 f., 378, 397 f. Triumph mit Titus im Jun. 71 n. 25, 34– 37, 236 Umgang mit Kollaborateuren des NeroRegimes und Gegnern aus der Bürgerkriegszeit 9, 26 f., 139 f., 142 Anm. 11, 144–146, 204 Anm. 82, 217, 394 Verhältnis zum Senat 26, 140 Anm. 5, 144–146, 148 Anm. 42, 217, 386, 392– 394 siehe auch Flavier, Katasterismos, Principat, Proömium Vierkaiserjahr siehe Bürgerkrieg virtus 9, 13, 158 f., 338, 353, 366, 379 Vitellius 8, 16 Anm. 67, 25, 33 Anm. 9, 41, 89, 146, 308 f., 311–314, 317 f. siehe auch Bedriacum Vorzeichen 63, 100, 301 Anm. 3, 304 Anm. 17, 305–312, 314 f., 327, 329, 336, 340–342, 352, 397 siehe auch Orakel, Prophezeiung Weltbild siehe Geschichtsbild Weltenplan 4, 10, 75, 103, 286, 327 Anm. 89, 359 f. Aufstieg Roms 10, 359
425 bewirkt nefas 48, 60 Anm. 57, 67, 77f., 81–91, 166, 330f., 370f., 389 Kollateralschäden 79, 215, 225 Anm. 142, 246, 250, 274, 326 Anm. 88, 329, 331, 344, 353, 360f., 363 Anm. 181, 367–369, 399f. Krieg zwischen den Völkern als Ziel an sich 74f., 78, 103 Anm. 46, 132, 364, 369, 389, 398 translationes imperii 4, 75, 132f., 164 Anm. 106, 359 Anm. 169 siehe auch Öffnung der Meere, Trojanischer Krieg zeithistorische Perspektivierung 20–22, 40f., 48, 67, 87, 91f., 104f., 109, 114f., 118f., 125, 127–132, 134, 161, 165, 170f., 174 Anm. 144, 179, 204, 244, 250, 262–265, 268, 273, 289, 328f., 330f., 336f., 368f., 369, 373, 377–381, 385, 387, 396f. mythologisch-historische Analogien 5 Anm. 16, 5 Anm. 18, 7, 13, 60, 63, 79, 87, 92, 125, 131, 134 Anm. 190, 168f., 266 Anm. 107, 273, 361, 370, 389 paradigmatische Referenz 8–10, 20f., 47, 119, 132, 160, 204–208, 219, 230, 267, 287, 289, 293, 374, 377f., 388 Anm. 22, 390f., 396 punktuelle Referenz 6, 8, 13, 20f., 139, 161, 163 Anm. 100, 172, 173 Anm. 139, 181, 190 Anm. 33, 209f., 268–271, 284, 387, 393 und historische Allegorese 21 und Intertextualität 20 Anm. 83, 21f. Zentrum und Peripherie 62–66, 91, 96f., 104–115, 118, 126, 390 Zerstückelungs-Motiv 200–202, 260 Zorn 54f., 197, 355, 357f., 361–363 siehe auch Motivierung der Handlung
Stellenregister Apollodor 1,36 1,82 1,83 1,110 1,116 1,133 1,143 3,34 f. Apollonios Rhodios 1,1–4 1,5–7 1,284–289 1,301 f. 1,329–362 1,411 f. 1,411–414 1,425–449 1,609–632 1,961–984 1,962 f. 1,963 1,968 f. 1,969–971 1,979 1,981–983 1,983 f. 1,985–1011 1,992–994 1,995 1,1015–1018 1,1026–1052 1,1028–1035 1,1035–1039 1,1045 1,1136–1138 1,1207–1239 1,1273–1357 2,164–530 2,274 f. 2,284–287 2,607–610 2,815–834
84 Anm. 155 103 Anm. 47 97 Anm. 16, 99 Anm. 24 334 Anm. 102 48 Anm. 4 201 174 Anm. 142, 198 Anm. 57 202 Anm. 75
92 Anm. 1 93 Anm. 2 200 Anm. 65 334 Anm. 102 283 200 Anm. 65 334 Anm. 102 326 Anm. 87 265 49 63 49 49 66 49 52 Anm. 20 64 48 Anm. 4, 83 84 Anm. 155 83 67 49 Anm. 6, 55 49 Anm. 7 73 Anm. 110 85 Anm. 162 376 276 276 210 215 Anm. 116 213 Anm. 109 120 Anm. 128 288 Anm. 166
2,1093–1096 2,1140–1151 2,1155f. 2,1194f. 2,1246–1259 3,1–5 3,200–209 3,215–248 3,320–366 3,336–340 3,352–355 3,367–371 3,392–395 3,584–588 3,595–605 4,529–532 Σ 1,943 Σ 1,987a Σ 1,1037 Σ 2,895
97 Anm. 18 97 Anm. 16 99 Anm. 24 101 Anm. 35 220 Anm. 126 120 104 Anm. 53 122 Anm. 140 101 101 102 Anm. 39 160 Anm. 93 102 Anm. 39 97 Anm. 16 97 Anm. 18 334 Anm. 102 48 Anm. 4 66 Anm. 79 66 Anm. 79 291 Anm. 179
Appendix Vergiliana Cul. 25
163 Anm. 102
Aristoteles poet. 11,1452a f.
85 Anm. 160
Arrian Epict. diss. 1,2,19–22
148 Anm. 42
Aulus Gellius 9,4,6
111 Anm. 79
Bellum Africum 86,2 88,6 92,4
187 Anm. 15 187 Anm. 15 187 Anm. 15
Bellum Alexandrinum 75,2 114 Anm. 97
427
stellenregister Caesar Gal. 1,48,5–7 7,65,4 7,80,3 8,13,2 Cassius Dio 48,52,3 f. 51,16,4 53,6,2 57,2–5 58,24,4 60,1,2–4 60,1,4 61,2,1 62,10,2–6 62,14,2–4 63,9,4 63,22,6 63,29,3 64,17,4 65,1,2 f. 65,3,4 65,8,1–7 65,9 65,9,3 65,10,4–6 65,10,5 f. 65,10,6–11,1 65,12 65,12,1 65,12,2 65,15,3 65,15,3–5 65,16,3 f. 66,18,1–5 67,12,5 67,31,2 Catull 64,397–406 Cicero Brut. 75
111 Anm. 83 111 Anm. 83 111 Anm. 83 111 Anm. 83
304 Anm. 16 319 Anm. 66 262 Anm. 98 160 Anm. 92 191 Anm. 36 308 Anm. 28 307 Anm. 25 262 Anm. 93 194 Anm. 43 193 Anm. 41 192 Anm. 40 192 Anm. 40 304 Anm. 16 269 Anm. 114 304 Anm. 17 240 Anm. 27 319 Anm. 67 329 Anm. 91 240 Anm. 27 146 Anm. 31 146 Anm. 30 146 Anm. 32 237 Anm. 19, 252 Anm. 59 149 Anm. 46, 150 Anm. 48, 233 151 Anm. 54 113 Anm. 92 253 Anm. 65 144 Anm. 19 254 Anm. 67 191 Anm. 36 153 Anm. 65
370 Anm. 199
116 Anm. 103
Deiot. 8 38 40 43 div. 2,58 Lig. 6 10 15 19 29 30 Marc. 1,1 12,18 18 Muren. 35 f. Sest. 118 Conon FGrHist 26 F 1
187 Anm. 15 187 Anm. 15 187 Anm. 15 187 Anm. 15 302 Anm. 6 187 Anm. 15 187 Anm. 15 187 Anm. 15 187 Anm. 15 187 Anm. 15 187 Anm. 15 187 Anm. 15 187 Anm. 15 372 157 Anm. 76 190 Anm. 33
66 Anm. 79
Corpus Inscriptionum Latinarum vi 930 24 Anm. 96, 33, 139 Anm. 2 xiv 3068 113 Anm. 94 Dei(l)ochus FGrHist 471 F 7 Diodor 4,50,1f.
66 Anm. 79
174 Anm. 142, 198 Anm. 57
Dionysios Skytobrachion fr. 35 Rusten 174 Anm. 142, 198 Anm. 57 Ennius ann. fr. 72–83 Skutsch Medea exul fr. 89,3f. TrRF
257 Anm. 75 370 Anm. 199
428 Ephoros FGrHist 70 F 61 Flavius Josephus ant. Iud. 18,46 bell. Iud. 2,366 3,4 f. 3,400–405 3,401–405 4,585–604 4,597 4,605–621 4,622 4,622–624 4,655 6,312–314 7,7,4 7,85–88 7,92–94 7,119 7,121 7,123–157 7,126 7,157
stellenregister
66 Anm. 79
113 114 38 Anm. 38 307 Anm. 25 304 Anm. 17 309 Anm. 33 242 Anm. 37 33 Anm. 10 309 304 Anm. 17 140 Anm. 3 307 Anm. 25 113 240 Anm. 27 114 Anm. 95 242 Anm. 37 236 Anm. 10 34 Anm. 19 236 Anm. 10 36
Herodor FGrHist 31 F 7 FGrHist 31 F 9 FGrHist 31 F 55
48 Anm. 4 97 Anm. 18 291 Anm. 179
Herodot 3,166
112 Anm. 88
Hesiod theog. 526–531
Homer Il. 1,265 1,605–611 2,1–4 2,445–449 2,445–487 2,484–759 2,780–785
220 Anm. 126, 224 Anm. 140
73 Anm. 105 110 110 126 Anm. 155 129 Anm. 165 108 125
2,781 2,781–783 3,161–242 4,439–441 5,445–447 6,407–439 8,478–481 16,431–461 16,459–461 17,123–139 20,39f. 21,479–513 24,722–745 Od. 7,83–133 9,270 f. 10,28–55 Horaz carm. 1,3,21–24 1,35,33f. 3,4,34 3,6,1–8 3,30,6–9 4,4,19 epod. 7,1 f. 7,13–20 Hygin fab. 3,3 12 16
125 Anm. 150 125 Anm. 151 109 126 Anm. 155 223 Anm. 138 56 Anm. 42 228 Anm. 156 247, 247 Anm. 49 247 Anm. 49 117 Anm. 111 223 Anm. 138 223 Anm. 138 56 Anm. 42 122 Anm. 140 72 Anm. 103 67 Anm. 86
370 Anm. 199 370 Anm. 198 110 Anm. 73 371 Anm. 201 267 Anm. 111 112 Anm. 85 81 370 Anm. 198
95 Anm. 10 93 Anm. 2 75 Anm. 118
Inscriptiones Latinae Selectae 254 33 Anm. 13 Juvenal 4,38 Σ 5,36
4 151
Livius 2,2,11–5,8 37,40,12 40,5,10
112 Anm. 87 114 Anm. 97 111 Anm. 82
429
stellenregister Lucan 1,1 1,2 1,3 1,4 1,8 1,21 1,38 f. 1,45–50 1,45–52 1,45–59 1,66 1,81–84 1,93–95 1,95 1,190 1,190 f. 1,325 1,376–378 1,572–577 1,641–645 1,669–672 1,686–695 1,691 2,1 2,7–13 2,14 f. 2,286–288 2,410–415 2,667 3,218 f. 3,237–239 3,280 f. 3,282 f. 3,309 3,619 f. 4,544–556 4,807–809 6,38 6,38 f. 6,400–403 7,137 7,139–150 7,196 7,203 7,465 7,552–556 7,568 f.
63, 80 Anm. 136 42 Anm. 54 130 Anm. 171 102 Anm. 39 81, 130 Anm. 171 81 Anm. 141 44 256 Anm. 75 263 Anm. 99 207 Anm. 92 356 357 370 Anm. 198 377 Anm. 231 218 81 81 Anm. 141 112, 167 Anm. 118 358 Anm. 161, 397 Anm. 66 357 170 Anm. 130 44 Anm. 64 81 Anm. 142 357 357 368 357 263 Anm. 99 211 Anm. 103 43 109 Anm. 72 112 Anm. 88 110 Anm. 73 267 Anm. 109 203 Anm. 81 131 357 113 Anm. 91 113 Anm. 91 14 Anm. 60 125 Anm. 154 125 63, 81 Anm. 142 63, 80 Anm. 136 203 Anm. 81 267 126
7,569 f. 7,570 7,638–641 7,756 7,772–776 7,855–859 8,223 8,279f. 8,494f. 10,454
126 130 170 Anm. 130 112 Anm. 88 87, 374 44 Anm. 64 113 165 159 Anm. 88 113
Lukrez 1,55
40 Anm. 48
Macrobius sat. 5,2,6
119 Anm. 122
Martial 1,8 5,5,7 8,38 9,101,12f. Musonius fr. 9 Lutz Ovid am. 2,11,1 f. her. 2,106f. 12,13 f. 18,143f. fast. 1,523 3,868 4,1 4,363–366 5,419–444 met. 1,2 1,163–245 1,176 1,243
154 Anm. 68, 177 Anm. 153 16 Anm. 67, 39 Anm. 45, 42, 205 153 Anm. 65 242 Anm. 37
149
370 Anm. 199 248 Anm. 51 370 Anm. 199 103 Anm. 47 123 Anm. 143, 389 Anm. 27 103 Anm. 47 40 Anm. 51 111 Anm. 81 376 Anm. 227 163 Anm. 102 165 Anm. 111 165 Anm. 111, 267 Anm. 110 165 Anm. 111
430 met. ( fortges.) 1,750–2,400 7,159–296 7,297–349 13,45 15,329–331 15,838 f. pont. 2,2,5 f. 2,8,13 f. trist. 3,9 Pindar Nem. 1,67–69 Ol. 4,6 f. Pyth. 1,15–20 1,159–163 4,73–78 4,106–110 4,132–167 4,148–155 4,159–163 4,190 f. 4,211–213 4,250 Platon rep. 566d Plinius der Ältere nat. 3,30 4,41 5 praef. 5,3 praef. 7,12 7,45 7,142 f. 15,136 f. 18,100 31,9 34,45 37,31
stellenregister
256 Anm. 75 198 Anm. 57 202 Anm. 76 280 Anm. 148 111 Anm. 81 207 Anm. 92 248 Anm. 51 248 Anm. 51 201 Anm. 71
84 Anm. 155 213 Anm. 110 213 Anm. 110 95 Anm. 10 93 Anm. 2 199 Anm. 65 199 Anm. 64 199 Anm. 65 94 Anm. 6 326 Anm. 87 102 Anm. 39 202 Anm. 76
257 Anm. 76
169 Anm. 125 114 Anm. 96 242 Anm. 37 39 Anm. 45 111 Anm. 79 256 Anm. 75 112 Anm. 84 304 Anm. 16 110 Anm. 73 111 Anm. 81 262 Anm. 97 258 Anm. 79
Plinius der Jüngere ep. 1,5 4,9,2 5,5,3 8,12,4 8,14 paneg. 7 f. 7,5–7 8,5 f. 18,1 36,4 44,6 53,4 55,2 Plutarch Galb. 1,3 f. Quintilian inst. 9,2,65–67 10,1,90 10,1,91 10,1,91f.
Seneca Ag. 258 f. apoc. 4,26–29 clem. 1,1,1 1,1,2 1,1,2 f. 1,1,5–9 1,2,2 1,3,3–4,3 1,5,7 1,7,3 1,8,1–6 1,8,5 1,8,6 1,8,7
144 Anm. 19 252 Anm. 62 153 Anm. 65 153 Anm. 65 159 Anm. 90 271 Anm. 124 238 Anm. 20 238 Anm. 20 159 Anm. 90 141 Anm. 8 141 Anm. 8 4 141 Anm. 8
205
160 Anm. 92 3 Anm. 7 42 Anm. 58 16 Anm. 67, 39 Anm. 45
189 Anm. 29 262 Anm. 95 187 Anm. 14 188 Anm. 21, 320 Anm. 72 207 Anm. 93 189 Anm. 25 225 Anm. 143 189 Anm. 25 207 Anm. 93 189 Anm. 26, 189 Anm. 28 187 Anm. 19 262 Anm. 95 189 189
431
stellenregister 1,11,4 1,13,3 1,13,4 f. 1,13,5 1,14,1 1,19,5 1,19,5–7 1,19,6 1,19,8 1,21,1 1,22,1 2,3,1 2,4,1 2,7,3 dial. 1,5,8 2,1 3,3 3,6,1 3,14,1–16,6 3,19,5–7 4,2,3 11,17,3 ep. 47,18 70 77 Herc. f. 341–344 731–747 Med. 301–379 595–602 599–602 Oct. 435–592 Oed. 470 Phoen. 653–664 660 664 Thy. 176–180 177 204–220 207 f. 223–231 250
189, 394 Anm. 48 189 Anm. 28 189 Anm. 25 160 Anm. 92, 189 190 Anm. 32 189 Anm. 28 190 Anm. 32 189 207 Anm. 93 189 190, 214 187 203 187 Anm. 19 247 Anm. 50 191 Anm. 36 191 Anm. 36 190 Anm. 32 190 Anm. 32 190 Anm. 32 189 Anm. 28 256 Anm. 75 339 Anm. 116 173 Anm. 137 173 Anm. 137 189 Anm. 29 178, 186 Anm. 9 370 Anm. 199 259 Anm. 80 257 Anm. 75 195 110 Anm. 73 186 Anm. 10 189 Anm. 29 185 Anm. 5 185 Anm. 6 186 Anm. 6 186 Anm. 7 189 Anm. 29 199 Anm. 64 176
336–403 353–357 369–387 396 560–572 596–614 607 f. 727 885–889 911 f. Tro. 254 350 f. Servius Aen. 2,519 4,453 ecl. 4,34 Silius Italicus 3,594–629 3,595 f. 3,597 f. 3,618–621 12,148–151 Statius Ach. 1,14–16 silv. 2,1,189–207 2,7,60f. 5,3,195 5,3,195–197 5,3,196f. Theb. 1,24–31 4,32–34 6,934–937 8,212–214 10,699–701 11,256
175 Anm. 145, 186 190 Anm. 33 190 Anm. 33 190 Anm. 33 203 Anm. 81 190 Anm. 33 188 Anm. 21 201 Anm. 72 185 Anm. 6 185 Anm. 6 190 Anm. 31 190 Anm. 31
210 Anm. 101 210 Anm. 101 93 Anm. 2
38, 207 Anm. 92 39 Anm. 41 38 Anm. 38 16 Anm. 67, 39 Anm. 45 228 Anm. 156
16 Anm. 67, 39 Anm. 45 153 Anm. 65 263 Anm. 100 358 Anm. 161 90 205, 205 Anm. 84 38, 207 Anm. 92 40 Anm. 49 337 Anm. 110 292 Anm. 183 159 Anm. 88 209 Anm. 96
432 Sueton Aug. 29,3 Cal. 11,1 Dom. 1,2 1,2–2,2 1,3 2 2,1 2,1–3 2,2 2,3
10,3 13,1 Gal. 1 9,2 Ner. 11 20 f. 21,3 31 34,4 53 Tit. 2 2–4 6,1 6,2 7,1
7,2 9,3
Vesp. 1 1,1
stellenregister 4 270 Anm. 120 256 Anm. 75 269 Anm. 114 239 Anm. 24, 240 Anm. 27 146 Anm. 29, 240 Anm. 27 16 Anm. 67 240 Anm. 27 40 Anm. 45 42 Anm. 55, 113 Anm. 92 16 Anm. 67, 239 Anm. 22, 239 Anm. 25 152 Anm. 61, 153 Anm. 65 242 Anm. 37
4,5 4,5 f. 4,6 5 5,1 5,2 5,6 6,1 6,3 f. 7,1 7,2 7,2 f. 7,3 8,1 8,5 9 9,2 12
304 Anm. 16 305 Anm. 20 192 Anm. 38 192 Anm. 38 192 Anm. 40 262 Anm. 96 193 Anm. 41 262 Anm. 94 254 Anm. 68 34 Anm. 17 235 Anm. 8, 236, 236 Anm. 12, 241, 251 252 145 Anm. 25, 251 Anm. 56, 251 Anm. 57, 252, 254 Anm. 67, 395 Anm. 56 254 Anm. 66 16 Anm. 67, 239 Anm. 22, 239 Anm. 25, 241 32 170 Anm. 129
14 15
25
Vit. 14 14,5 Tacitus Agr. 2 f. 2,1 2,3 2,3–3,2 3,1 6,3 13,3 22,4 39–45
33 Anm. 15, 38 Anm. 38 307 Anm. 25 306 Anm. 23 40 Anm. 46 301 Anm. 5, 304 Anm. 17 308 Anm. 29, 310 306 307, 307 Anm. 25 309 32 Anm. 10 321 Anm. 75, 321 Anm. 76 311, 319 319 Anm. 67 311 Anm. 41, 319 32 Anm. 12, 170 Anm. 129, 311 373 Anm. 210 39 Anm. 42 145 Anm. 24 32 Anm. 4, 32 Anm. 6, 145, 214, 252 146 Anm. 28 149 Anm. 46, 150, 150 Anm. 52, 233, 392 144 Anm. 19, 151, 233, 235 Anm. 5, 237 Anm. 19, 252 Anm. 59 329 Anm. 91 305 Anm. 20
162 Anm. 98 152 Anm. 61, 153 Anm. 65 160 Anm. 92, 166 Anm. 116 159 Anm. 90 141 Anm. 8 159 Anm. 90 38 162 Anm. 98 162 Anm. 98
433
stellenregister 41,1 42,2 42,3 42,3 f. 42,4 45,1 f. ann. 1,1,1 1,1,9 1,7,1 1,77,3 1,81,2 2,36,1 2,59,3 3,38 3,60,1 4,20,3 4,64,1 4,81,2 6,20,2 6,29,3 f. 11,3 11,19,3 12,16 12,43,1 13,5 13,11,2 13,16 f. 13,17,1 13,36–38 14,10 14,49,1 14,52,3 15,61–64 16,5,5 16,16,18 f. 16,33–35 16,35 Ger. 3,1 6,4 13,1 hist. 1,1 1,1,1 1,1,4
159 Anm. 88, 160 Anm. 92 392 Anm. 39 143 177 Anm. 153 153, 177 161 Anm. 97 141 Anm. 8 141 Anm. 8 166 Anm. 116 149 Anm. 44 149 Anm. 44, 166 Anm. 116 157 Anm. 79 157 Anm. 79 114 Anm. 96 149 Anm. 44 357 302 Anm. 6 141 Anm. 8 329 191 Anm. 36 153 Anm. 67 159 Anm. 90 160 Anm. 92 302 Anm. 6 270 Anm. 120 188 Anm. 22 203 Anm. 78 242 Anm. 35 114 Anm. 99 193 Anm. 41 166 Anm. 116 190 Anm. 33, 192 Anm. 38 153 Anm. 67 304 Anm. 17 153 Anm. 67 153 Anm. 67 141 Anm. 5 116 Anm. 105 111 Anm. 83 109 Anm. 71 245 141 Anm. 8 160 Anm. 92
1,2,1 1,3
1,3,2
1,4,2 1,10,3 1,11,3 1,15,1 1,16,1 f. 1,18,1 1,50,3 1,50,4 1,79 1,85,3 1,86,1
2,1,1 f. 2,2,1 2,38,2
2,74 2,74–78 2,74,1 2,74,2 2,76 f. 2,76,1 2,76,4 2,77,1 2,78 2,78,1 2,78,2 2,78,3 2,78,4 2,79 2,79,1–80,2 2,101,1 3,1,1 3,2,1 3,50
45 Anm. 66 12 Anm. 50, 273 Anm. 129, 303 Anm. 11 303, 335, 358 Anm. 161, 397 Anm. 66 32, 32f., 157 Anm. 79 304 Anm. 17, 317 Anm. 61 31f. 305 Anm. 20 238 Anm. 20 301, 311 Anm. 38, 329 141 Anm. 8 151 Anm. 56, 170 Anm. 129 114 Anm. 95 141 Anm. 8 302 Anm. 6, 304 Anm. 17, 308 Anm. 28 304 Anm. 17 252, 253 Anm. 64, 254 Anm. 67 273 Anm. 129, 303 Anm. 11, 358 Anm. 161, 397 Anm. 66 315 312–318, 313 313 310 314 312 Anm. 43, 314 33 Anm. 9 235 Anm. 5 314 308, 314 304 Anm. 17, 308, 308 Anm. 28, 314, 315 315, 316 316 316 33 Anm. 10 329 Anm. 92 317 Anm. 61 280 Anm. 148 23 Anm. 91
434 hist. ( fortges.) 3,63,3 3,70,2 3,72 3,72,1
3,72,2 3,74 3,74,1 4,2 f. 4,3,3 4,3,4 4,4–11 4,4,2 4,5–9 4,5,1–4,6,1 4,5,2 4,6,1 4,7,3 4,8,2 4,8,4 4,9,1 f. 4,9,2 4,11,2 f. 4,26,2 4,39 f. 4,40,1 4,44 f. 4,44,1 4,46 4,51 f. 4,51,2–52,2 4,52,1 4,53
4,54 4,58,5 4,68 4,81 4,81,1 4,81,2 4,81,3 4,82,1
stellenregister
144 Anm. 19 270 Anm. 119 273 Anm. 129, 303 Anm. 11 81 Anm. 144, 358 Anm. 161, 371, 397 Anm. 66 141 Anm. 8 269 Anm. 114 8 240 Anm. 27 140, 140 Anm. 3 141 Anm. 8 140–147 36 Anm. 32 392 151 Anm. 59, 392 Anm. 39 141 Anm. 2 141, 144 142 143, 153 141, 143, 144, 392 141 Anm. 9 141 Anm. 9 145 Anm. 24 302 Anm. 6, 303, 303 Anm. 9 240 Anm. 27 238 Anm. 20 240 Anm. 27 145 240 Anm. 27 16 Anm. 67, 239 Anm. 24 240 Anm. 27 235 Anm. 5 273 Anm. 129, 303 Anm. 11, 373 Anm. 210 114 Anm. 95 209 Anm. 96 240 Anm. 27 12, 318–322 321 319 319 321 Anm. 75, 321 Anm. 76
4,85 f. 4,86 4,86,2
5,13,2
Valerius Flaccus 1,1 1,1–4 1,1–21 1,3 1,4 1,5 1,5–7 1,7–9 1,7–21 1,8 f. 1,9 1,10–14 1,11 1,12–16 1,13 1,15–17 1,16 1,16 f. 1,16–18 1,16–20 1,16–21 1,20 1,20 f. 1,22 1,22–63 1,22–66 1,26 f. 1,27 1,27 f. 1,29 f. 1,30 1,33 1,37 1,39 1,41 f. 1,43
240 Anm. 27 240 Anm. 27 16 Anm. 67, 40 Anm. 45, 239 Anm. 23, 241 Anm. 32 307 Anm. 25, 307 Anm. 26, 322 Anm. 78
41, 62, 64 Anm. 72 18, 37, 41, 92 Anm. 1 31–46, 387 370 Anm. 200 41 Anm. 53 40 1 Anm. 1, 37, 358 33f. Anm. 16, 38 4, 37 38f. 325 Anm. 84 39 40, 207 242, 242 Anm. 37 206 372 206, 290 41 43 207 41 Anm. 53, 291 207 44 199 Anm. 65 93–106 160 Anm. 94 199 Anm. 65, 335 Anm. 106 93 93 93 9, 157 Anm. 80, 158 Anm. 83 93 93 93, 95, 105 93 94
435
stellenregister 1,46 1,49 1,49 f. 1,52 1,56 1,56 f. 1,58 f. 1,64 1,64–66 1,71 1,71–73
1,73 f. 1,74 1,75 1,76 1,76–78 1,77 1,79 f. 1,80 1,81 1,81–86 1,87 f. 1,87–89 1,92–95 1,96–106 1,97 1,107–111 1,120–129 1,127 1,129–148 1,130–148 1,140 1,140–148 1,141 1,144 f. 1,149–155 1,150–152 1,153 f. 1,154 f. 1,156–183 1,161 f. 1,184–203 1,184–254 1,196 f. 1,196–199 1,197
94 94 94 69 94, 98 94, 95 Anm. 11 223 160 94, 202 Anm. 78 156 Anm. 75, 157 Anm. 80 156, 158 Anm. 83, 200 Anm. 65, 203 Anm. 79 338 338 95 338 95 338 339 342 Anm. 119 339 339 339, 347 95 Anm. 11 340 340 64 Anm. 72 340 340 170 63 Anm. 67 124 Anm. 147 73 Anm. 105 72 Anm. 105 73 Anm. 105 73 352 Anm. 143 340 340 340 160 340 325 324–332 64 Anm. 72 370 Anm. 200 245
1,198 1,198 f. 1,200 1,203 1,205–239 1,207 1,211 1,211–239 1,214 f. 1,217 f. 1,218–224 1,224–226 1,227 1,227 f. 1,228 1,233 1,234 1,234–239 1,235 1,235 f. 1,236 1,237 1,240–251 1,241–252 1,244 1,245 f. 1,246 f. 1,248 f. 1,249 1,252 1,294–310 1,302–307 1,309 f. 1,336–338 1,414–419 1,433–435 1,450–453 1,484–497 1,494–497 1,496 f. 1,498 1,498–500 1,498–692 1,499 1,501 1,501 f. 1,503 f.
343 Anm. 120 325 Anm. 85 325 Anm. 84 343 18 325 326 Anm. 86 342 245 Anm. 41 326 Anm. 86, 329 Anm. 93 325 326 326 326 326 336 326 327 106, 370 Anm. 200 106 18 106 324, 325, 397 327 157 Anm. 80 330 370 Anm. 200 328 343 331 341 335 Anm. 106, 341 342 73 292 282 117 Anm. 111 197 Anm. 55 163 197 Anm. 55 163 96, 163, 166 Anm. 112, 207, 370 Anm. 200 162–171 164, 164 Anm. 103 163, 164 360 96, 164
436 Valerius Flaccus ( fortges.) 1,503–527 392 1,505 207 Anm. 90 1,509–518 164 1,509–527 263 Anm. 102 1,514 96 1,515 96 1,517 f. 96 1,519–524 97, 164 1,521 98 1,523 98, 164 1,524 98, 164 1,525 f. 96 Anm. 13, 164 1,525–527 256–265, 258 1,526 f. 257 1,527 259 Anm. 81 1,528 f. 98 1,529 164 1,531 290 1,531–533 76 1,531–560 4, 10, 220, 327 Anm. 89, 389 1,536 165 1,539–541 74 1,544 333, 334, 335 Anm. 106 1,544–546 74 1,545 f. 164 Anm. 106, 360 1,546–548 221 1,547 364 1,547 f. 221 1,551–554 224 1,555 76, 360 Anm. 169 1,555 f. 76 1,556–560 62 1,557 368 1,558–560 76 1,559 90 1,559 f. 164 Anm. 106, 360 Anm. 169 1,560 257 Anm. 75 1,561–567 206 1,563–565 89, 171, 205 Anm. 83 1,563–567 89, 132, 379 1,564 205, 228, 228 Anm. 156 1,571–573 85 1,574 197 Anm. 55 1,574–645 392
stellenregister 1,574–692 1,575 1,586 f. 1,588–590 1,591 1,593 1,594 1,594–596 1,598 1,598–600 1,599 1,601 1,601 f. 1,602 1,602–604 1,604 1,604f. 1,605 1,606 f. 1,608 1,610 1,614–617 1,618–624 1,625 f. 1,640–656 1,641 f. 1,642–644 1,642–650 1,644–646 1,648 f. 1,686–688 1,689–692 1,690–692 1,693–697 1,693–729 1,698 1,698 f. 1,699 1,700 1,700 f. 1,700–702 1,700–729 1,704–708 1,718 f. 1,719 f. 1,722 1,722 f. 1,724
6 Anm. 19 198 Anm. 58 167 167 84 Anm. 158 198 Anm. 58 198 Anm. 58, 224 168 166 166 Anm. 112 64 Anm. 72 392 166 198 Anm. 58, 215 Anm. 116 166 166 166, 215 Anm. 116 166 64 Anm. 72 168, 198 Anm. 58 198 Anm. 58 168 168 64 Anm. 72 215 Anm. 116 171 245 Anm. 41 245, 292 Anm. 181 169 169 197 290 171 197 197–204 197 Anm. 55 197 197 197 197 Anm. 55 198 Anm. 58 198 370 Anm. 200 200 202 Anm. 78 201 Anm. 73 199 201 Anm. 73
437
stellenregister 1,726–729 1,727 1,728 f. 1,730–751 1,730–850 1,747 1,747–751 1,759–761 1,760 1,765 f. 1,767–773 1,788–814/822 1,807 f. 1,807–814 1,808–810 1,813 1,815–817 1,823–825 1,824 f. 1,825 1,826 1,833 1,835–839 1,843–845 1,846 1,847 f. 1,850 2,17–33 2,48–54 2,67–69 2,72–241 2,72–310 2,82–86 2,82–106 2,101 f. 2,113 2,115–241 2,117–121 2,157 2,216–219 2,216–241 2,242–246 2,242–305 2,244–246 2,253–278 2,306–310 2,313–315 2,322–325
201 201 Anm. 73 201 Anm. 73 172 172–181, 393 203 Anm. 81 172 156, 203 Anm. 79 156 Anm. 75 64 Anm. 72 173 175 Anm. 145 175 202 176 202 175 175 201 201 Anm. 72 180 177 177 Anm. 154 178 178 178 178 205 Anm. 83 345 70 265 265–274 250 Anm. 54 67 55 Anm. 32, 363 272 Anm. 127 363 Anm. 180 55 Anm. 34 110 Anm. 73 266, 267, 326 Anm. 86 265 4 Anm. 16, 266 8, 266 128 Anm. 161, 267 269 266, 269, 396 272 272
2,330 2,331 2,378–384 2,383f. 2,392 2,410–413 2,445–578 2,451 2,468 2,474 2,482 2,497 2,497–549 2,567–568 2,577 2,577f. 2,579–612 2,587–612 2,610 2,611 2,613–615 2,627–3,361 2,628 2,629 2,635 2,636 2,638 2,639–648 2,640 2,647f. 2,651 2,651–664 2,652 2,653f. 2,654 2,655–658 2,656 2,657 2,659 2,659–662 2,659–664 2,663f. 3,5–7 3,13 3,14 3,14 f. 3,14–18 3,15 f.
273 273 350 Anm. 137 275 Anm. 133 281 273 Anm. 130 221 Anm. 130 275 Anm. 133 283 223 Anm. 138 223 Anm. 138 223 Anm. 138 282 160 Anm. 94 157 Anm. 80 161 61 95 61 93 Anm. 4 61 47–91 61, 123 62 62, 80 62, 63, 80, 80 Anm. 136 53, 53 Anm. 23 49, 52 Anm. 20, 62 49, 80, 80 Anm. 136 64, 69 50 Anm. 9 49 50 Anm. 9 50 Anm. 9 50 50 64 66 Anm. 79 66 Anm. 79 51 66 Anm. 79 52 Anm. 21 65 69, 80 Anm. 139 67, 81, 81 Anm. 141 53 Anm. 25 53, 67 40 Anm. 49
438 Valerius Flaccus ( fortges.) 3,15–361 388 3,16–18 73, 81 3,21 54, 68 3,24–26 68 3,25 f. 69 Anm. 92 3,26 70 3,27 55, 68 3,28 f. 63 Anm. 67 3,29 68, 75 3,30 81, 81 Anm. 142 3,32–94 363 Anm. 180 3,42 64 3,45 64, 66 Anm. 79, 80, 110 Anm. 76 3,58–64 56 3,63 72, 86 3,64 74 3,65–69 72, 82 Anm. 146 3,81 73 3,81 f. 80 3,83 f. 82 3,83–86 82 Anm. 146 3,85 f. 82 3,86 82 3,90–92 82 3,90–94 82 Anm. 146 3,92 82 3,93 82 3,95 f. 83 3,95–248 49 Anm. 6, 55 3,99–102 58 3,113 55 3,113 f. 58 Anm. 49 3,124–132 83 3,133–137 84 3,150–206 88 3,161–172 84 3,167 84 Anm. 156 3,168 f. 84 3,169 f. 84 3,171 43 3,171 f. 85 3,173–177 85 3,175 84 Anm. 156 3,186–189 85, 130 3,199 43 3,217 43 3,221–223 80
stellenregister 3,224 3,224–228 3,226 3,226f. 3,229 3,230–234 3,235 3,235–242 3,237f. 3,239–241 3,241 f. 3,246–248 3,249f. 3,251 3,251 f. 3,253 3,254–258 3,258 3,259f. 3,264–266 3,283 f. 3,284 3,290–313 3,296–303 3,296–304 3,297 3,299 3,299–303 3,301 3,301 f. 3,302 f. 3,306–308 3,316–329 3,317 3,332–361 3,345 3,352–356 3,362 f. 3,362–368 3,362–458 3,363 3,367 f. 3,369–371 3,371 3,371–374 3,384 3,385 f. 3,391 f.
85 86 86 86 71 56 71 49 Anm. 7 71 71 71 75 248 Anm. 50 75 84 75 72 81, 87 375 Anm. 221 87 332 81 56 Anm. 41 77, 332–337 375 Anm. 221 346 335 Anm. 106 341 81 346 342 346 56 Anm. 43, 75 Anm. 118 80 Anm. 139 73 75, 80 Anm. 139 73, 332–337 87 374 369–378, 398 374 374 374 Anm. 220 375 Anm. 220 375 375 375 377, 377 Anm. 231
439
stellenregister 3,392 3,396 f. 3,397 3,397–410 3,430–444 3,432 3,448 3,455 3,461 3,483 3,487–508 3,507 f. 3,509–564 3,565–597 3,598–603 3,598–725 3,604–610 3,614 3,616 3,616 f. 3,617–621 3,620 3,623–627 3,628 f. 3,629–631 3,631 f. 3,633–636 3,637 3,642–644 3,644 3,645 3,645–649 3,649 3,649–689 3,669–672 3,670–672 3,692 3,697 f. 3,699–702 3,703–706 3,705 3,712–714 3,717 3,722–725 4,1 f. 4,1–14 4,1–21 4,2
375 375 375 375 376 375 376 376 78, 376 289 Anm. 169 160 160 274 274 275 274–286, 396 274 350 Anm. 137 277, 333 274 275, 332–337, 341, 364 274 275 275 279 279 279 275 279 223 Anm. 135 280 275, 280 283 350 Anm. 137 279 284 280 286 285 281 279 Anm. 147 281 275, 278 278 Anm. 143 221 Anm. 129 133 248 Anm. 50 223 Anm. 136
4,3 4,6 f. 4,12 4,13 4,13 f. 4,31–34 4,32 4,56 f. 4,58 f. 4,58–81 4,59 4,60 4,62 4,62 f. 4,62–67 4,63 4,63 f. 4,65 4,68 4,68 f. 4,69 4,69 f. 4,72 4,73–75 4,76 4,79 4,80 f. 4,118–130 4,124–127 4,128–130 4,132 4,145–147 4,158 4,181–185 4,183 4,212 4,215 4,219 4,223 4,236–238 4,255 f. 4,315 f. 4,352 4,414 4,422–528 4,422–636 4,424
220 280 133, 220, 364 133, 221, 286, 364, 365 221, 365 280 280 Anm. 148 221 Anm. 129 221, 221 Anm. 130 220–230, 220 Anm. 126 157 Anm. 80 221 207 223 222 226 226 Anm. 146 207 226 226, 226 Anm. 149 226 Anm. 148 222 226 Anm. 148 205 Anm. 83, 228 224 226 Anm. 148, 226 Anm. 149 223 Anm. 136 247, 247 Anm. 49 246 246 247 Anm. 49 69 158 Anm. 83 69 69 69 69 245 282 205 Anm. 83 245 Anm. 45 158 Anm. 83 52 Anm. 19 84 Anm. 158 208 208–219 210
440 Valerius Flaccus ( fortges.) 4,424–431 208 4,425 208 4,426 208, 210 Anm. 101, 226 Anm. 149 4,428 210 4,428 f. 226 Anm. 148 4,431 227 Anm. 151 4,431 f. 211 4,436–464 211 4,447–449 210 4,450 226 4,450–458 226 Anm. 148 4,450–459 209 4,461 226 Anm. 146 4,469 f. 226 4,470 227 Anm. 151 4,471 f. 211 4,474 f. 211 Anm. 103 4,475 227 Anm. 151 4,481 215 Anm. 117, 216, 348 4,481 f. 212 4,484 212 4,485 f. 212 4,490–492 226 Anm. 148 4,491 227 Anm. 151 4,497–500 226 Anm. 148 4,502 212 4,503–505 226 Anm. 148 4,510 f. 226 Anm. 148 4,514 212 4,514–526 205 Anm. 83 4,515 226 Anm. 148 4,516 212 4,517 217 Anm. 122 4,517 f. 217 Anm. 122 4,517–528 213 4,520 214 4,521 216 Anm. 117 4,522 f. 215 Anm. 116, 219 Anm. 125 4,525 226 4,525 f. 214 4,529–636 208, 345–354 4,531–536 218 Anm. 123 4,538 227 Anm. 151 4,538 f. 347 4,538–546 348
stellenregister 4,541 4,551 4,553–555 4,557f. 4,560 4,567f. 4,578 4,586 4,591–598 4,594–596 4,617 4,618 f. 4,619 4,620 4,623 f. 4,626–629 4,637–710 4,649–653 4,674f. 4,700 4,703 4,703–709 4,703–713 4,706 4,707–710 4,733–762 4,751 5,1–62 5,1–72 5,15 5,17–20 5,22–26 5,29 5,32–34 5,34 5,37 f. 5,41 f. 5,44 f. 5,47 5,52–54 5,63–72 5,65 5,73–176 5,116 5,154–176 5,173–176
347 227 Anm. 151 348 348 218 Anm. 123 349 218 Anm. 123 226 Anm. 149 287, 349 121 349 349 349 349 349 350 120, 286 350 350, 351 Anm. 139 121 350 Anm. 135 351 351 Anm. 141 98 Anm. 22 98 Anm. 22 121 157 Anm. 80 287 121 Anm. 131, 286– 293, 396 288 288 290 110 Anm. 76 289 288 352 280 289 290 291 287 291 121 52 Anm. 19, 66 Anm. 79 220–230, 220 Anm. 126, 282 227
441
stellenregister 5,175 f. 5,177–216 5,190 f. 5,191 5,194–209 5,210–212 5,217 5,217–224 5,223 5,224 f. 5,224–277 5,228–230 5,233–235 5,235 5,236 f. 5,239 f. 5,250–252 5,261 f. 5,263 5,264 5,264 f. 5,264–271 5,270 5,278–296 5,286 f. 5,289 f. 5,296 5,296–328 5,317 5,324 5,399–569 5,429 5,429–432 5,433 5,455 5,455–617 5,456 5,464 5,467 f. 5,471 5,472 5,474 5,476–478 5,486–488 5,498
227 Anm. 153 121 122 Anm. 135 104 104 352 120 122 263 Anm. 102 97 Anm. 15, 99 Anm. 25 122 98 Anm. 21, 100 97 Anm. 15 97 Anm. 15 100, 199 Anm. 64 122 Anm. 138 100 100 263 Anm. 102 156 Anm. 70, 157 Anm. 80 158 Anm. 83 156 156 Anm. 75 122, 365 365 161 366 122 Anm. 141 263 Anm. 102 353 122 Anm. 141 259 Anm. 81 256–265 352 352 Anm. 143 93–106 99, 263 Anm. 102 156 99 Anm. 26 263 Anm. 102 100, 352 52 Anm. 19, 66 Anm. 79 93 Anm. 4, 99 Anm. 27 285 Anm. 161 99
5,498–500 5,499 5,500 5,501–504 5,507–545 5,508–510 5,511–516 5,519–527 5,519–541 5,521–534 5,533 5,536 5,538 5,540f. 5,541 5,541–6,170 5,545 5,550–552 5,553–555 5,555f. 5,558 5,558–560 5,558–563 5,560 5,562 5,562f. 5,563 5,567 5,570–617 5,582f. 5,587–591 5,588 5,590 5,593 5,597f. 5,598–725 5,607f. 5,611–614 5,618–695 5,620 5,623 5,675f. 5,682 5,683–687 5,684–687 5,690–695 6,1
99 Anm. 27 100, 102 99 352 Anm. 144 124 Anm. 147 99 Anm. 27, 100 102 103 160 Anm. 93 160 Anm. 94 102 Anm. 40 158 Anm. 83 102 102 102 Anm. 43, 161 106–115 349 107 Anm. 59 103 106 106, 107 107 106 107 107 107 Anm. 59 107 160 Anm. 94, 263 Anm. 102 107, 109 109 109 Anm. 72 109 109 110 Anm. 74 110 Anm. 74 6 Anm. 19 107 Anm. 62 110 Anm. 74 126, 366 Anm. 187 126 349 367 52 Anm. 19, 66 Anm. 79 261 181 Anm. 163 205 Anm. 83 110
442 Valerius Flaccus ( fortges.) 6,1–31 363 Anm. 180 6,14–32 366 Anm. 186 6,33–41 110 6,38 f. 111 6,38–40 111 6,42 113, 115 6,42–170 107, 108, 110, 115–118, 390 6,43 114 6,48 247 Anm. 47 6,48–59 247 6,60–62 111 6,65–67 111 6,80 114 6,81 f. 115 6,82 115 6,83 115 6,93 f. 116 6,95 f. 111, 113 6,103–105 128 6,107–110 111 6,109 111 6,122–128 112 6,125 112 6,128 112 Anm. 86 6,129 109 Anm. 72 6,131 112 6,145 f. 116 6,162 113 6,163–167 111 6,165 111 Anm. 78 6,168 111, 125 Anm. 150 6,168 f. 111 6,168–170 124 6,169 f. 125 Anm. 151 6,170 125 6,171 260 6,173 f. 126 6,173–181 126 Anm. 155 6,176 f. 129 6,178 126 6,231–238 3 Anm. 9 6,279–385 117 6,317 f. 117 Anm. 111 6,328 117, 117 Anm. 114 6,336 f. 117, 117 Anm. 114 6,338 f. 117 6,339 117 Anm. 114 6,342–346 282
stellenregister 6,342–370 6,386–426 6,388f. 6,390–393 6,394f. 6,396 6,400 6,402–409 6,403f. 6,408f. 6,427–476 6,429–450 6,429–506 6,467 6,477–506 6,517 f. 6,524–541 6,525 f. 6,592 6,592–594 6,621–629 6,621–656 6,624 6,624f. 6,624–629 6,625 6,626 6,626f. 6,718–720 6,728 7,17 7,35 7,92 7,153–399 7,339f. 7,622–628 8,106 f. 8,121–126 8,191–196 8,224–227 8,261 f. 8,281 f. 8,395–399 Vergil Aen. 1,1 1,4 1,8
117 Anm. 111 128–134, 390 128 128 128 129 129 5 Anm. 16, 13, 129 130 Anm. 171 130 Anm. 171 160 134 363 Anm. 180 160 246 260 109 109 98 Anm. 22 99 Anm. 22 249 243–251 248 Anm. 51 248 Anm. 51 247 248 Anm. 51 249 Anm. 54 248 Anm. 51 282 366 Anm. 186 200 Anm. 65 62 Anm. 62 123, 223 Anm. 135 363 Anm. 180 201 Anm. 71 285 Anm. 161 201 Anm. 71 285 Anm. 161 351 324 Anm. 81, 367 Anm. 192 261 156 367
281 55 Anm. 29 53, 53 Anm. 25
443
stellenregister 1,11 1,33 1,55 1,93 1,132–141 1,148–153 1,198–207 1,204 f. 1,208 f. 1,254–296 1,257–296 1,261 1,289 f. 1,293–296 1,299 1,441–493 1,446–493 1,462 1,567 1,615–630 1,621 1,631 f. 1,640 f. 1,641 f. 1,655 1,705 1.728 f. 1,728–730 1,731 1,731–733 1,732 1,748 f. 2,250–259 2,298 f. 2,298–301 2,304–308 2,318–321 2,370–382 2,379–382 3,94–98 3,96 3,708–715 4,7 f. 4,65 4,361 5,670 f. 5,814 f. 5,833–871
55 Anm. 29 164 Anm. 103, 368 166 342 Anm. 119 170 Anm. 131 168 324 Anm. 83, 329 Anm. 93 329 Anm. 93 374 Anm. 220 17 Anm. 71 359 218 Anm. 123 207 Anm. 92 75 361 Anm. 173 50 122 Anm. 140 51 65 Anm. 79 49 50 Anm. 10 49 Anm. 8 50 Anm. 9 50 50 Anm. 9 50 Anm. 9 50 Anm. 9 50 72 Anm. 103 80 Anm. 134 80 52 Anm. 21 67 55 58 Anm. 49 55 Anm. 32 55 Anm. 34 58 55 Anm. 32 121 Anm. 134 121 346 Anm. 127 133 Anm. 184 337 Anm. 110 343 Anm. 120 81 169 Anm. 128 67
6,89 6,460 6,581 6,789f. 6,817–823 6,900f. 7,1–7 7,8–24 7,37–44 7,44 7,44–106 7,107–147 7,148–285 7,195–211 7,286–322 7,314 f. 7,315 7,317 7,335f. 7,456–462 7,481 7,496 7,583 7,647–817 7,648 7,803–817 8,55 f. 8,121 8,124 8,161 8,191–196 8,196 f. 8,298f. 8,617–731 8,679 9,21 f. 9,408 9,446–449
9,481–497 9,598–620 9,603f. 9,606 9,613 9,801–811 10,1–113 10,467
123 254 Anm. 66 86 207 Anm. 92, 209 Anm. 96 112 Anm. 87 121 121 Anm. 131 121 53, 120, 122 120 122 121 Anm. 133 122 Anm. 141 121 Anm. 134 122 74 Anm. 113 133 119 Anm. 121 119 Anm. 121 56 54 54, 68 Anm. 87 119 Anm. 121 116 110 Anm. 74 110 Anm. 74 123 Anm. 142 53 Anm. 23 53 Anm. 23 53 Anm. 23 351 Anm. 141 69, 69 Anm. 92 84 Anm. 155 36 156 351 94 Anm. 7 128 Anm. 161, 266 Anm. 106, 267 Anm. 111 56 Anm. 43 56 117 Anm. 114 117 Anm. 114 117 Anm. 114 56 Anm. 40 366 248 Anm. 51
444 Aen. ( fortges.) 10,469–471 11,42–58 11,576 f. 11,648–652 11,732–740 12 12,31 12,176–194 12,500–503 12,503 f. 12,803–806 12,804 12,806
stellenregister
247 Anm. 48 56 Anm. 40 110 Anm. 74 110 Anm. 74 56 344 Anm. 123, 346 Anm. 128 119 Anm. 121 344 Anm. 123 346 Anm. 128 54 74 Anm. 113 119 Anm. 121 133
12,808–828 12,946f.
134 Anm. 189 199 Anm. 61
ecl. 6,3 georg. 1,32–35 1,40 1,278–280 1,489–492 1,492 1,501 f. 1,511–514 3,462f.
18 207 Anm. 92 163 Anm. 102 228 Anm. 156 63 Anm. 68 80 Anm. 136 370 Anm. 197 257 Anm. 75 110 Anm. 73
Vita Suetoniana-Donatiana 21 119 Anm. 122