Untreuevorsatz: Eine Untersuchung zu Begriff und Beweis des Vorsatzes bei § 266 StGB [1 ed.] 9783428532247, 9783428132249

Ulrike Hantschel widmet sich in ihrer Publikation der umfassenden dogmatischen Aufarbeitung der subjektiven Tatseite des

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German Pages 341 Year 2010

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Untreuevorsatz: Eine Untersuchung zu Begriff und Beweis des Vorsatzes bei § 266 StGB [1 ed.]
 9783428532247, 9783428132249

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Schriften zum Strafrecht Heft 212

Untreuevorsatz Eine Untersuchung zu Begriff und Beweis des Vorsatzes bei § 266 StGB

Von

Ulrike Hantschel

a Duncker & Humblot · Berlin

ULRIKE HANTSCHEL

Untreuevorsatz

Schriften zum Strafrecht Heft 212

Untreuevorsatz Eine Untersuchung zu Begriff und Beweis des Vorsatzes bei § 266 StGB

Von

Ulrike Hantschel

a Duncker & Humblot · Berlin

Der Fachbereich Rechtswissenschaft der Freien Universität Berlin hat diese Arbeit im Jahre 2009 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

D 188 Alle Rechte vorbehalten # 2010 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0558-9126 ISBN 978-3-428-13224-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Abhandlung wurde dem Fachbereich Rechtswissenschaft der Freien Universität Berlin im Februar 2009 als Dissertation vorgelegt. Rechtsprechung und Schrifttum sind im Wesentlichen bis Januar 2010 berücksichtigt. Herr Universitätsprofessor Dr. Klaus Geppert regte die Arbeit an und betreute sie. Ihm gilt mein großer Dank für die konstruktiven Vorschläge und den Freiraum hinsichtlich inhaltlicher und zeitlicher Gestaltung, wodurch die Realisierung der Arbeit ermöglicht und befördert wurde. Herrn Universitätsprofessor Dr. Axel Montenbruck bin ich sehr verbunden für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Berlin, im März 2010

Ulrike Hantschel

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Teil Der Untreuevorsatz im materiellrechtlichen Kontext

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1. Kapitel Die dogmatischen Grundlagen

20

A. Grundfragen des Untreuetatbestandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das Rechtsgut des § 266 und das typisierte Unrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtsgut und Erfolgsunrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Handlungsunrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Vermögensbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die juristisch-ökonomische Betrachtungsweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Berücksichtigung eines individuellen Schadenseinschlages . . . . . 3. Die Berücksichtigung von Zweckverfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Aufbau des Untreuetatbestandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zivilrechtsakzessorietät . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Außerstrafrechtlich erlaubtes Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Außerstrafrechtlich unerlaubtes Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Die Verschränkung der Tatbestandsmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die besondere Unrechtsstruktur des § 266 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ermittlung des relevanten Pflichtenmaßstabes . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Risikogeschäfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Schädigungsverbot als Minimalpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Problematik des „Rückschlusses“ von der Schädigung auf die Pflichtwidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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B. Die Grundlagen des Untreuevorsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Zum Vorschlag der Beschränkung des § 266 auf dolus directus . . . . . . . . II. Zum Vorschlag der Einführung der Fahrlässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zum Vorschlag der Einfügung einer Bereicherungsabsicht . . . . . . . . . . . . . IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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53 55

8

Inhaltsverzeichnis

C. Der Umfang der Vorsatzprüfung bei § 266 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Forderung nach „strengen Anforderungen“ bei der Vorsatzprüfung im Rahmen des § 266 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2. Kapitel Die objektiven Bezugspunkte des Untreuevorsatzes

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A. Pflichtenstellung, Tatobjekt sowie Tathandlung und diesbezüglicher Vorsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 I. Kenntnis der Pflichtenstellung (Vermögensbetreuungspflicht) und der Fremdheit des Vermögens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 II. Vorsatz bezüglich der Tathandlung des Missbrauchs bzw. der Treupflichtverletzung („Pflichtwidrigkeitsvorsatz“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 1. „Rückschluss“ vom Schädigungsvorsatz auf den Pflichtwidrigkeitsvorsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 2. Die sogenannte „Pflichtwidrigkeit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 3. Irrtümer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 a) Tatsachen- und Bedeutungskenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 b) Ablehnung der Qualifizierung der Pflichtwidrigkeit als gesamttatbewertendes Merkmal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 aa) Zur Lehre von den gesamttatbewertenden Merkmalen . . . . . . 81 bb) Stellungnahme zur Einordnung von Merkmalen des § 266 als gesamttatbewertend . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 cc) Tatbestandskenntnis und Unrechtsbewusstsein . . . . . . . . . . . . . . 86 4. Der Fall Mannesmann/Vodafone – BGHSt 50, S. 331 ff. . . . . . . . . . . . 87 a) Wesentlicher Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 b) Entscheidungen des Landgerichts Düsseldorf und des BGH . . . . . 88 c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 aa) Zur objektiven Zulässigkeit der Prämien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 bb) Zur subjektiven Tatseite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 5. Irrige Annahme eines Einverständnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 a) Der tatbestandsausschließende Charakter des Einverständnisses bei § 266 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 b) Die Normativität des Einverständnisses bei § 266 . . . . . . . . . . . . . . 98 c) Vorsatz und Irrtum bei mutmaßlicher Zustimmung . . . . . . . . . . . . . . 102 aa) Mutmaßliches Einverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 bb) Mutmaßliche Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 B. Nachteilszufügung und diesbezüglicher Vorsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Ermittlung des Schadens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Per se kompensationslose Vermögensminderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kompensierte Vermögensminderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis a) Anforderungen an die Gegenleistung unter Schadensgesichtspunkten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Berücksichtigung von Ersatzansprüchen bei Ausgleichsfähigkeit und Ausgleichswilligkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Feststellung des Schadens . . . . . . . . . . . . 1. Schadensgleiche Vermögensgefährdung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zur Kritik an der Figur der schadensgleichen Vermögensgefährdung und zur Entwicklung der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Konkretisierung der schadensgleichen Vermögensgefährdung . . . . . . . a) Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Schadenswiedergutmachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Vorsatz und Irrtum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vorsatz bei schadensgleicher Vermögensgefährdung . . . . . . . . . . . . . . . 3. Tatbestandsirrtum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Kausalität, Zurechnungszusammenhänge und Vorsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Haftungseinschränkende Korrektur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Schutzzweck der Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Pflichtwidrigkeitszusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Vorsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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3. Kapitel Tatbegehung mit dolus eventualis A. Analyse der Rechtsprechung anhand der Kreditvergabeentscheidungen I. Gerichtliche Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Urteil des Reichsgerichts vom 22. Februar 1927 – RGSt 61, S. 211 ff. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Urteil des BayObLG vom 20. Juli 1965 – JR 1966, S. 28 f. . . . . . . . 3. Urteil des BGH vom 6. Februar 1979 – NJW 1979, S. 1512 . . . . . . . 4. Urteil des Landgerichts Bochum vom 18. Mai 1981 – ZIP 1981, S. 1084 ff. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Urteil des BGH vom 21. März 1985 – wistra 1985, S. 190 f. . . . . . . 6. Urteil des BGH vom 6. April 2000 – BGHSt 46, S. 30 ff. (Sparkasse) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Urteil des BGH vom 13. Februar 2001 – wistra 2001, S. 218 ff. . . . 8. Urteil des BGH vom 15. November 2001 – BGHSt 47, S. 148 ff. (Sparkasse Mannheim) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Ergebnis der Rechtsprechungsauswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis III. Systematische Analyse der Kreditvergabeentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . 1. Objektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundfall 1: Kreditrückzahlungsanspruch ist ausreichend werthaltig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Grundfall 2: Kreditrückzahlungsanspruch ist minderwertig, Bonität und Sicherheiten wurden geprüft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Grundfall 3: Kreditrückzahlungsanspruch ist minderwertig, eine ausreichende Bonitäts- und Sicherheitenprüfung ist unterblieben . . 2. Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Annahme von dolus eventualis in der Rechtsprechung . . . . . . . . . . b) Der Vorschlag eines „überschießenden“ Vorsatzes in Schrifttum und Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Ablehnung des „Realisierungsvorsatzes“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Kritik an dem Urteil BGHSt 51, S. 100 ff. (CDU Hessen) . . d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Anwendung der Ergebnisse auf die entwickelten Grundfälle . . . . . aa) Vorsatz im Grundfall 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Direkter Vorsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Dolus eventualis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Vorsatz im Grundfall 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Direkter Vorsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Dolus eventualis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

B. Begriff des dolus eventualis und seine Abgrenzung von der bewussten Fahrlässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der Begriff des Vorsatzes in materiellrechtlicher Hinsicht und seine beweismäßige Feststellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Bestimmung des Begriffes des bedingten Vorsatzes . . . . . . . . . . . . . . . 1. Voluntative Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Billigungs- bzw. Einwilligungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gleichgültigkeitstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Lehre von der Manifestation des Vermeidewillens (Armin Kaufmann) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Ernstnahmetheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Der Vorwurf der Instrumentalisierung des „Willenselementes“ durch die Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . 2. Kognitive Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Möglichkeitstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Wahrscheinlichkeitstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis c) Neuere kognitive Ansätze (auch Risiko- oder Gefährdungstheorien) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Theorie des nicht unwahrscheinlichen Erfolgseintritts (Jakobs) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Risikotheorie (Frisch) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Kriterium der unabgeschirmten Gefahr (Herzberg) . . . . . . . . . dd) Theorie von der qualifizierten Vorsatzgefahr (Puppe) . . . . . . . 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Vorsatz als Entscheidung für die mögliche Rechtsgutverletzung . . . . a) Der Grund der erhöhten Vorsatzbestrafung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die gegenseitige Kritik der kognitiven und voluntativen Ansätze c) Die Übereinstimmung in der Sache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Gleichgültigkeitsfälle und empirisch-normativer Charakter des Vorsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2. Teil Die prozessualen Aspekte

197

4. Kapitel Vorsatznachweis

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A. Zur Schwierigkeit des Vorsatznachweises . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 B. Ablehnung der Einführung einer Beweislastumkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 C. Nachweis des (bedingten) Vorsatzes in Schrifttum und Rechtsprechung I. Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Prittwitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Hassemer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Volk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Hruschka . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Schünemann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Philipps . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Tötungsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Untreue . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Urteil des Reichsgerichts vom 13. April 1942 – RGSt 76, S. 115 ff. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Urteil des BGH vom 6. Februar 1979 – NJW 1979, S. 1512 . . . . c) Urteil des BGH vom 29. Mai 1987 – BGHSt 34, S. 379 ff. . . . . . d) Beschluss des BGH vom 24. August 1999 – wistra 2000, S. 60 f. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

201 201 201 202 204 205 205 206 208 209 210 211 211 211 212

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Inhaltsverzeichnis e) Urteil des BGH vom 6. April 2000 – BGHSt 46, S. 30 ff. (Sparkasse) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Urteil des BGH vom 15. November 2001 – BGHSt 47, S. 148 ff. (Sparkasse Mannheim) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Urteil des BGH vom 6. Dezember 2001 – BGHSt 47, S. 187 ff. (Sponsoring SSV Reutlingen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . h) Urteil des BGH vom 17. April 2002 – StraFo 2002, S. 268 ff. (Aussiedlergemeinschaftsunterkunft) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . i) Urteil des BGH vom 21. Dezember 2005 – BGHSt 50, S. 331 ff. (Mannesmann/Vodafone) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Objektives Geschehen als Anknüpfungspunkt für die Vorsatzfeststellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vorsatznachweis durch Indizienbeweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Einzelheiten zum Vorsatznachweis durch Indizien und Auseinandersetzung mit der Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gesamtschau von Indizien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unbeachtlichkeit tatferner Indizien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Unmöglichkeit eines „universellen“ Vorsatzbegriffes . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verbleibendes Fehlverurteilungsrisiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

212 213 214 215 215 216 216 217 218 218 220 222 222

D. Der dolus ex re . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 5. Kapitel Die Methode der prozessualen Beweisführung

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A. Grundlagen des Beweises im Strafverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Ontologische Urteilsbasis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Beweiswürdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Richterliche Überzeugung und Zweifel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

227 227 228 231

B. Die Methode der Vorsatzfeststellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Struktur der Beweisführung hinsichtlich des Vorsatzes in Rechtsprechung und Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Begründung und Ausgestaltung des Alternativenausschlussverfahrens . . . 1. Vorsatzhypothese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Feststellung möglicher Alternativerklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Art und Qualität des Wissens bzw. spezifische Einschränkungen des Wissens oder der Wahrnehmungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Art des geschaffenen Risikos und spezifische Gestalt der Tathandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Tatsituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

233 233 233 235 237 238 239 240 241 242

Inhaltsverzeichnis

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d) Allgemeine Disposition des Täters sowie Motive und Interessenlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 3. Alternativenausschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 C. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 6. Kapitel Die untreuespezifische Vorsatzfeststellung A. Die Anwendung des Alternativenausschlussverfahrens auf § 266 . . . . . . . I. Beweissituation 1: Explizite Äußerungen des Täters über Untreuerelevanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Sicheres Wissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorsatzhypothese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Mögliche Alternativerklärungen und deren Ausschluss . . . . . . . . . . 2. Möglichkeitswissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Beweissituation 2: Hinweis eines Dritten auf Untreuerelevanz . . . . . . . . . 1. Sicheres Wissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Möglichkeitswissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Mögliche Alternativerklärungen und deren Ausschluss . . . . . . . . . . . . . a) Widerlegung der Behauptung fehlenden Zugangs des Hinweises b) Widerlegung der Behauptung fehlender Kenntnisnahme oder Nichtverstehens trotz Zugangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Unterschiedliche Informationsquellen mit gegensätzlichen Inhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Beweissituation 3: Fehlen expliziter Äußerungen des Täters oder expliziter Hinweise Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Nachweismöglichkeiten bezüglich des Möglichkeitswissens . . . . . . . . a) Pflichtenstellung und Tatobjekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Vorsatzhypothese: Indizien für Kenntnis der Pflichtenstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Mögliche Alternativerklärungen und deren Ausschluss . . . . . cc) Indizien für die Kenntnis der Vermögensfremdheit und Ausschluss möglicher Alternativerklärungen . . . . . . . . . . . . . . . b) Pflichtwidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Vorsatzhypothese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Art und Detailliertheit der Regelung des Pflichtenumfanges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Art und Qualität des Wissens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Einschlägige Vorerfahrungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Expertenwissen im konkreten Fall . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Allgemeine Vorbildung, berufliche Qualifikation und Berufserfahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Mögliche Alternativerklärungen und deren Ausschluss . . . . .

246 247 247 247 247 248 248 249 249 250 251 251 252 253 254 255 255 255 256 257 258 259 259 261 261 262 263 267

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Inhaltsverzeichnis c) Nachteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Per se kompensationslose Vermögensminderung . . . . . . . . . . . . bb) Kompensierte Vermögensverfügung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Grundfall 2: Kreditrückzahlungsanspruch ist minderwertig, Bonität und Sicherheiten wurden geprüft . . . . . . . (a) Hypothese Möglichkeitswissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Mögliche Alternativerklärungen und deren Ausschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Grundfall 3: Kreditrückzahlungsanspruch ist minderwertig, eine ausreichende Bonitäts- und Sicherheitenprüfung ist unterblieben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Hypothese Möglichkeitswissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Mögliche Alternativerklärungen und deren Ausschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Ausgleichswilligkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Nachweis der Entscheidung für die Rechtsgutverletzung . . . . . . . . . . . . a) Art des geschaffenen Risikos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Spezifische Gestalt der Handlung und Tatsituation . . . . . . . . . . . . . . aa) Beispielsfall Sponsoring SSV Reutlingen . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Art und Weise des Geldtransfers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Vorsatzhypothese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Mögliche Alternativerklärungen und deren Ausschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Verfälschung von Belegen und Rechnungen . . . . . . . . . . . . (a) Vorsatzhypothese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Mögliche Alternativerklärungen und deren Ausschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Genehmigungsverfahren und Gremienbeschlüsse . . . . . . . (a) Vorsatzhypothese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Mögliche Alternativerklärungen und deren Ausschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Fallgruppe Bankuntreue . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Vernachlässigung von Informationspflichten . . . . . . . . . . . . (a) Vorsatzhypothese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Mögliche Alternativerklärungen und deren Ausschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Fehlen der erforderlichen Befugnis (Kompetenzmangel) (a) Vorsatzhypothese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Mögliche Alternativerklärungen und deren Ausschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Unvollständige oder unrichtige Angaben gegenüber Mitverantwortlichen oder Aufsichtsstellen im Zusammenhang mit der Kreditgewährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

268 268 269 269 269 270

271 271 272 273 273 275 276 278 280 281 281 281 282 282 283 284 284 285 286 287 287 288 289 290 290

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Inhaltsverzeichnis (4) Nichteinhaltung der vorgegebenen Zwecke . . . . . . . . . . . . (a) Vorsatzhypothese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Mögliche Alternativerklärungen und deren Ausschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Überschreitung der Höchstkreditgrenzen . . . . . . . . . . . . . . (6) Sonstige Pflichtverletzungen und Tatumstände . . . . . . . . . cc) Nachtatverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Motive und Interessenlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Eigennutz durch „direkte“ Bereicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Vorsatzhypothese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Mögliche Alternativerklärungen und deren Ausschluss . . bb) Persönliche Interessenverflechtungen und sonstige Vorteile . . cc) Problem des fehlenden Eigennutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Emotive Nähe und feindselige Einstellung des Täters zum Opfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

15 291 291 292 292 293 295 296 297 297 298 298 300 301

B. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338

Einleitung Der Untreuetatbestand, so scheint es, ist in Mode gekommen. Ein Blick in die Polizeiliche Kriminalstatistik zeigt indes, dass zumindest die Anzahl der jährlichen Ermittlungsverfahren weitgehend konstant geblieben ist1. Doch sind es einige spektakuläre Verfahren der letzten Jahre, die dem Tatbestand zu „Hochkonjunktur“2 in Rechtsprechung und Lehre – und nicht zuletzt auch in der öffentlichen Diskussion – verholfen haben. Zu nennen sind hier etwa das Mannesmann-Verfahren, die Finanzaffäre der HessenCDU, der Kölner Müllskandal, in dem es um sogenannte Kick-Back-Zahlungen3 ging, das Cash-Management-System im Fall Bremer Vulkan sowie jüngst die Fälle Boxclever (WestLB) und Siemens. Vielleicht trägt auch die Tatsache, dass es sich um ein typisches Delikt der höheren sozialen Schicht (sogenannte white-collar-Kriminalität4) handelt und es mitunter um hohe Schadenssummen geht, zur Popularität bei5. Perspektivisch wird angesichts der gegenwärtigen Finanzkrise auch der Ruf nach der Untreuestrafbarkeit im Bankbereich neue Anhänger gewinnen. So titelten die Medien jüngst: „Topbanker im Visier der Staatsanwälte“6 und „Vorwurf der Untreue: Razzia bei der Hypo Real Estate“7. Schwerpunkt der Aufarbeitung der dogmatischen Fragen war bislang, soweit ersichtlich, in erster Linie und mit gutem Grund der objektive Tatbestand. Im Mittelpunkt stand und steht dabei das Bemühen, den als zu weit empfundenen Tatbestand der Untreue stärker zu konturieren und so Licht in 1 Aus den jährlichen Berichten ergibt sich jeweils die folgende Anzahl erfasster rechtswidriger Untreuetaten: Für 2001 weist die Polizeiliche Kriminalstatistik 10.455 Fälle aus; für 2002: 11.758; für 2003: 12.640; für 2004: 11.020; für 2005: 12.032; für 2006: 10.385 Fälle und für 2007: 12.761 Fälle. 2 Rönnau/Hohn, NStZ 2004, S. 113; Seier, in: Bochumer Beiträge, S. 145. 3 Siehe dazu unten Fußnote 346, S. 265. 4 Der Begriff white-collar criminality („Weiße-Kragen-Kriminalität“) geht auf Edwin H. Sutherland zurück und bezeichnet Straftaten, die von sozial angesehenen Personen bei Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit verübt werden, vgl. Dannecker, in: Wabnitz/Janovsky, Wirtschaftsstrafrecht, 1. Kapitel, Rn. 6. 5 Vgl. Seier, in: Bochumer Beiträge, S. 145, 146. 6 Manager-Magazin online vom 15. Dezember 2008, URL://www.manager-maga zin.de/unternehmen/artikel/0,2828,596543,00.html. 7 N24 online vom 17. Dezember 2008, URL: http://www.n24.de/news/news item_4326175. html.

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Einleitung

das „dunkelste und verworrenste Kapitel des Besonderen Teils“8 zu bringen. Der mitunter als schmal empfundene Grat zwischen Bundesverdienstkreuz und Freiheitsstrafe wegen Untreue soll damit verbreitert werden9. Gerade in den letzten Jahren, insbesondere im Zusammenhang mit dem Verfahren um die „schwarzen Kassen“ und die fehlerhaften Rechenschaftsberichte der CDU Hessen, findet der Untreuevorsatz größere Beachtung. Und das zu Recht, denn treffender kann man es wohl nicht sagen: „Untreue ohne Vorsatz ist wie Mord ohne Leiche“10. Die Feststellung Mayers, über den Untreuevorsatz sei nur wenig zu sagen11, erscheint überholt. Die vorliegende Schrift widmet sich daher ganz speziell dem subjektiven Tatbestand des § 266 StGB12. Im ersten Teil der vorliegenden Schrift sollen die materiellrechtlichen Anforderungen, die an den Untreuevorsatz zu stellen sind, erörtert werden. Als besondere Herausforderung erweist sich dabei die Tatsache, dass Bezugspunkt des Vorsatzes der objektive Tatbestand ist. Die Erörterung des Untreuevorsatzes kann daher nicht ohne Behandlung auch des objektiven Tatbestandes auskommen. Gleichwohl kann, um den Rahmen der vorliegenden Schrift nicht zu sprengen, die Behandlung des objektiven Tatbestandes nicht beanspruchen, die noch immer kontrovers diskutierten Fragen erschöpfend zu behandeln. Eine Beschränkung auf Notwendigkeiten ist erforderlich. Das erste Kapitel soll zunächst die dogmatischen Grundlagen des Untreuetatbestandes insgesamt und des Untreuevorsatzes im Besonderen aufzeigen, wobei bereits Weichenstellungen für die weitere Analyse erfolgen. Das zweite Kapitel hat die Bezugspunkte des Untreuevorsatzes zum Gegenstand. Neben der notwendigen Skizzierung der objektiven Tatbestandsmerkmale sollen die Einzelheiten zum Vorsatz und dabei insbesondere die Irrtümer behandelt werden. Einem Schwerpunkt der Untreuevorsatzproblematik widmet sich das dritte Kapitel: Es geht um die Abgrenzung des bedingten Vorsatzes von der bewussten Fahrlässigkeit. Die Abgrenzung entscheidet bei § 266 über Strafbarkeit und Straffreiheit, da ein bloß fahrlässiges Verhalten bei der Untreue nicht unter Strafe gestellt ist. Anhand der Rechtsprechung zur Bankuntreue soll analysiert werden, wann bedingter 8

Schünemann, in: LK, § 266 Rn. 1. Mit den viel zitierten Worten von Mayer, Materialien, S. 333, 337: „Sofern nicht einer der klassischen alten Fälle der Untreue vorliegt, weiß kein Gericht und keine Anklagebehörde, ob § 266 vorliegt oder nicht.“ 9 Vgl. Hamm, NJW 2001, S. 1694, 1696. 10 So der Strafverteidiger des Angeklagten Ackermann, Eberhard Kempf, im Mannesmann-Prozess, zitiert nach Seidlitz/Dalan, Welt-Online vom 21. Juli 2004. 11 Mayer, Materialien, S. 333, 355. 12 §§ ohne Gesetzesangabe sind im Folgenden solche des StGB.

Einleitung

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Vorsatz in Betracht kommt. Das Ergebnis der Rechtsprechungsanalyse wird einer kritischen Würdigung zu unterziehen sein und zu wegweisenden Erkenntnissen führen. Bei der Behandlung der Abgrenzungsproblematik von dolus eventualis und luxuria werden sich Erkenntnisse nicht nur speziell für den Untreuevorsatz, sondern generell für die Vorsatzproblematik ergeben. Die Analyse wird zu dem Ergebnis führen, dass der andauernde Streit um den „richtigen“ Begriff des (bedingten) Vorsatzes – die „alles klärende Zauberformel“13 – zumindest in seiner bisherigen Vehemenz überholt ist. Untrennbar verbunden insbesondere mit der Frage des materiellrechtlichen Vorsatzbegriffes ist die Frage der beweismäßigen Feststellung des Untreuevorsatzes, die im zweiten Teil dieser Schrift verortet wird. Mag nämlich die materiellrechtliche Seite des Vorsatzes noch so differenziert ausgearbeitet werden, so ist dies letztlich nichts wert, wenn der Vorsatz im Strafprozess nicht nachweisbar ist. Der „herrschende[n] theorielastige[n] Dogmatik“14 soll damit Einhalt geboten werden. Das vierte Kapitel zeigt zunächst die Schwierigkeiten des Vorsatznachweises im Allgemeinen auf, die maßgeblich darin begründet sind, dass der Vorsatz als innerer Vorgang der Beobachtung entzogen ist. Sodann werden Schrifttum und Rechtsprechung auf ihre Lösung der Nachweisfrage hin analysiert. Da das Ergebnis dieser Analyse nicht zu einer befriedigenden Antwort auf die Frage des Vorsatznachweises führen wird, ist im fünften Kapitel im Einzelnen auseinanderzusetzen, mit welcher Methode die prozessuale Beweisführung gelingen kann. Im sechsten Kapitel schließlich sollen die gewonnenen Erkenntnisse der praktischen Überprüfung unterzogen werden. Anhand der untreuespezifischen Vorsatzfeststellung wird gezeigt, wie die in der Schrift erarbeiteten materiellrechtlichen Erkenntnisse zum Vorsatz allgemein und zum Untreuevorsatz im Besonderen prozessual nutzbar gemacht werden können. Es wird, bildlich gesprochen, der Kreis geschlossen zwischen Theorie und praktischer Anwendung. Hierin, in der Beantwortung der Frage nach den Möglichkeiten des prozessualen Nachweises des Vorsatzes, liegt die Antwort auf die Frage nach dem Begriff des Vorsatzes.

13 14

Weigend, ZStW 93, S. 657, 661. Vest, ZStW 103, S. 584, 618.

1. Teil

Der Untreuevorsatz im materiellrechtlichen Kontext 1. Kapitel

Die dogmatischen Grundlagen A. Grundfragen des Untreuetatbestandes Eine Befassung mit dem Untreuetatbestand führt zunächst zu der für die Auslegung des Tatbestandes wichtigen Frage nach dem geschützten Rechtsgut, dem im Tatbestand typisierten Unrecht sowie dem Aufbau des Tatbestandes. Der Aufbau des Untreuetatbestandes, genauer: das Verhältnis des Missbrauchstatbestandes (1. Alternative) zum Treubruchtatbestand (2. Alternative), ist bis heute umstritten. Da Bezugspunkt des Vorsatzes der objektive Tatbestand ist (vgl. § 16), kommt auch eine Erörterung der inneren Tatseite des Deliktes nicht ohne eine wenigstens grobe Skizzierung des objektiven Tatbestandes aus. Neben einer Erörterung der Positionen zur Frage des geschützten Rechtsgutes, nämlich des Vermögens, sowie des Erfolgsund Handlungsunrechtes (I.) ist kurz darzulegen, welcher Vermögensbegriff in der vorliegenden Schrift vertreten wird (II.). Notwendig ist auch, den Meinungsstreit über den Aufbau des Tatbestandes und die Auslegung seiner Merkmale – wenn auch nicht in allen Einzelheiten, so doch zumindest in seinen wesentlichen Positionen – darzustellen (III.). Abgerundet werden sollen die Ausführungen zu den dogmatischen Grundlagen des Untreuetatbestandes mit Erläuterungen zur Zivilrechtsakzessorietät (IV.) und schließlich mit der Erörterung der Problematik der Verschränkung der Tatbestandsmerkmale des § 266 (V.).

A. Grundfragen des Untreuetatbestandes

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I. Das Rechtsgut des § 266 und das typisierte Unrecht 1. Rechtsgut und Erfolgsunrecht

Die Ermittlung des von der jeweiligen Strafvorschrift geschützten Rechtsgutes1 ist unabdingbare Voraussetzung für die teleologische Auslegung, die nach dem Zweck des Gesetzes fragt2 und die neben der grammatischen3, systematischen4 und historischen5 Auslegung die wichtigste6 Auslegungsmethode darstellt7. Zum geschützten Rechtsgut des § 266 werden im Wesentlichen zwei Positionen vertreten. Beide Positionen gehen zunächst übereinstimmend davon aus, dass geschütztes Rechtsgut ebenso wie beim Betrug (§ 263) das Vermögen ist8. Nach herrschender Meinung ist dabei das Vermögen das alleinige Rechtsgut des § 2669, während nach einer anderen Ansicht neben dem Vermögen auch das Vertrauen in die Redlichkeit des Wirtschaftsverkehrs bzw. das spezifische Vertrauensverhältnis zwischen Vermögensinhaber und Treunehmer geschützt sein soll10. Der Vorzug ist der herrschenden Meinung zu geben, die nur das Vermögen als geschütztes Rechtsgut ansieht. Zwar wäre nach dem Wortlaut des § 266, der ohne Nennung eines Bezugsgegenstandes lediglich die Zufügung eines „Nachteils“ verlangt, denkbar, darunter nicht nur einen Vermögensschaden, sondern auch sonstige (ideelle) Nachteile zu verstehen11. Dagegen sprechen jedoch systematische und logische Erwägungen12. So ist 1 Siehe zum Streitstand über den Begriff „Rechtsgut“ Roxin, Strafrecht AT, § 2 Rn. 3. 2 BVerfGE 11, S. 126, 130. 3 BGHSt 14, S. 116, 118. 4 BGHSt 5, S. 263, 266. 5 BGHSt 41, S. 47, 49. 6 Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, § 17 IV 1 b. 7 Zur streitigen Frage, ob der Rechtsgutbegriff rein hermeneutisch zu verstehen ist oder ihm darüber hinaus auch kriminalpolitische Bedeutung zukommt, siehe Roxin, Strafrecht AT, § 2 Rn. 4 ff. 8 BGHSt 43, S. 293, 297; Lenckner/Perron, in: Schönke/Schröder § 266 Rn. 1; NK-StGB-Kindhäuser, § 266 Rn. 1; Schünemann, in: LK, § 266 Rn. 28; Maurach/ Schroeder/Maiwald, Strafrecht BT/1, § 45 Rn. 1; Wessels/Hillenkamp, Strafrecht BT/2, Rn. 747; Seier, in: Achenbach/Ransiek, Wirtschaftsstrafrecht, Kapitel V, Abschnitt 2, Rn. 10. 9 Lackner/Kühl, § 266 Rn. 1; Lenckner/Perron, in: Schönke/Schröder, § 266 Rn. 2. 10 So Dunkel, GA 1977, S. 329, 334 f.; Luthmann, NJW 1960, S. 419, 420; Meyer, MDR 1971, S. 893, 894. 11 Vgl. Mitsch, Strafrecht BT2/1, § 8 Rn. 1. 12 Auch die historische Auslegung spricht für die herrschende Auffassung, vgl. Munz, Haushaltsuntreue, S. 66 ff.

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1. Teil, 1. Kap.: Die dogmatischen Grundlagen

der Untreuetatbestand zusammen mit dem Betrug (§ 263), einem zentralen Vermögensdelikt, im 22. Abschnitt des Besonderen Teils geregelt13. Außerdem zielen die umschriebenen Tathandlungen schon nach dem Wortlaut eindeutig auf die Verletzung des Vermögens14, indem sie bei der Missbrauchsuntreue den Missbrauch einer Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen oder einen anderen zu verpflichten, und im Treubruch die Verletzung einer Pflicht, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen, verlangen. Es ergäbe dann keinen Sinn, als Taterfolg einen anderen Erfolg als die Herbeiführung eines Vermögensschadens zuzulassen15. Schließlich sprechen auch die Verweisungen des § 266 Abs. 2, durch die insbesondere eine Bagatellgrenze für die Untreue geschaffen wurde, dafür, als geschütztes Rechtsgut allein das Vermögen anzusehen16. Soweit davon abweichend mit Hinweis auf die dem Täter eingeräumte besondere Vertrauensstellung auch das Vertrauen als besonderes Rechtsgut angesehen wird, ist diese Ansicht abzulehnen. Zwar ist es richtig, dass die Tathandlungen des § 266 nur derjenige Täter verwirklichen kann, der eine solche besondere Stellung innehat. Der Bruch des vom Vermögensinhaber entgegengebrachten Vertrauens ist jedoch lediglich das Angriffsmittel auf das geschützte Rechtsgut17. Die Vertrauensbeziehung wird nicht als solche, sondern nur in ihrer Beziehung zum Vermögen geschützt18; anderenfalls hätten die Angriffsmodalitäten nicht den Vermögensbezug betonen müssen. Zudem sind auch andere Delikte, wie zum Beispiel der Betrug oder die veruntreuende Unterschlagung (§ 246 Abs. 2), durch den Bruch entgegengebrachten Vertrauens gekennzeichnet, ohne dass das Vertrauen bereits deshalb als geschütztes Rechtsgut angesehen wird19. Festzuhalten bleibt damit, dass als Rechtsgut des § 266 allein das Vermögen geschützt wird. Erfolgsunrecht der Untreue ist damit der Eintritt eines Vermögensschadens. Das Vermögen wird allerdings nach dem Willen des Gesetzgebers nicht umfassend gegen alle denkbaren Angriffsformen geschützt. Eine Gesamtschau der vermögensschützenden Delikte des Besonderen Teils des StGB zeigt, dass das Rechtsgut Vermögen nur gegen bestimmte Angriffsformen geschützt wird20. Seinen sachlichen Grund findet diese Beschränkung des 13

Kritisch zu dieser systematischen Auslegung Munz, Haushaltsuntreue, S. 70 f. Vgl. BGHSt 43, S. 293, 297, zur sogenannten Haushaltsuntreue. 15 Schramm, Untreue und Konsens, S. 25. 16 Vgl. Munz, Haushaltsuntreue, S. 71 f.; Seier, in: Achenbach/Ransiek, Wirtschaftsstrafrecht, Kapitel V, Abschnitt 2, Rn. 11. 17 Schünemann, in: LK, § 266 Rn. 28. 18 Schünemann, in: LK, § 266 Rn. 28. 19 Schramm, Untreue und Konsens, S. 26 f. 20 Vgl. Joecks, Vermögensverfügung, S. 79 f. 14

A. Grundfragen des Untreuetatbestandes

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Vermögensschutzes – im Gegensatz dazu ist das Eigentum als ein konkretisierter Ausschnitt aus dem Vermögen im weiteren Sinne gegen fast alle Angriffsformen geschützt21 – in der Weite des Vermögensbegriffs und damit des Rechtsgutes22. So existiert weder eine präzise gesetzliche Definition des Vermögens, noch gibt es genaue Übertragungstatbestände, die eine unzweifelhafte Zuordnung zu einem Vermögensinhaber ermöglichen. Bedenkt man außerdem, dass in einer auf Realisierung von Gewinnen ausgerichteten Marktwirtschaft mit einem Gewinn auf der einen Seite fast zwangsläufig ein „Schaden“ auf der anderen Seite verbunden ist23, so leuchtet schnell ein, welche Konsequenzen ein umfassender und lückenloser Vermögensschutz mit sich bringen würde: Eine jede wirtschaftliche Betätigung wäre für den Handelnden mit einem derartig hohen Strafbarkeitsrisiko behaftet, dass die wirtschaftliche Betätigung wenn nicht sogar zum Erliegen käme24, so doch zumindest stark eingeschränkt würde. Der Vermögensschutz sollte also auf die Vermeidung „gravierender Exzesse der Marktwirtschaft“25 beschränkt bleiben. Allgemeiner betrachtet, wäre die Balance zwischen Funktion und Grenzen des Strafrechts in Gefahr: Einerseits dient das Strafrecht dem Schutz des Individuums und der Ermöglichung eines friedlichen Zusammenlebens in der Gesellschaft26. Da jedoch die Mittel des Strafrechts – staatliche Strafe und deren Vollstreckung – die schärfsten Eingriffe in die grundgesetzlich geschützte Freiheit und Würde des Einzelnen darstellen, darf das Strafrecht andererseits nur dort eingesetzt werden, wo die Aufrechterhaltung des Rechtsfriedens anders als mit den Mitteln des Strafrechts nicht (mehr) gewährleistet werden kann27. Das Strafrecht muss also ultima ratio sein, mit anderen Worten: Es soll (nur) dort eingreifen, wo kein ausreichender Schutz über die sonstigen Vorschriften der Rechtsordnung, namentlich das Zivilrecht, erreicht werden kann28. Daher sollte der fragmentarische Charakter des Vermögensschutzes – zumindest im Ergebnis – nicht infrage gestellt werden; ein „Rundumschutz“29 würde zu einer Ausuferung des Strafrechts führen und dem ultima-ratio-Prinzip zuwiderlaufen. 21

Vgl. Arzt/Weber, Strafrecht BT, § 11 Rn. 8. Arzt/Weber, Strafrecht BT, § 11 Rn. 13. 23 Vgl. Joecks, Vermögensverfügung, S. 80. 24 Vgl. Joecks, Vermögensverfügung, S. 80. 25 Joecks, Vermögensverfügung, S. 50; ähnlich auch Wolf, KJ 2000, S. 531, 556 („Die Androhung, daß er [der Täter] hierfür bestraft wird, ist für den Vermögensinhaber der letzte ‚Notnagel‘.“). 26 Bringewat, Grundbegriffe, Rn. 10 ff.; Geerds, Wirtschaftsstrafrecht, S. 286; Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 6 f. 27 Otto, Strafrecht AT, § 1 Rn. 48. 28 Ebenso Cappel, KritV 2008, S. 94, 95. 22

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1. Teil, 1. Kap.: Die dogmatischen Grundlagen 2. Handlungsunrecht

Die spezifische Angriffsform, also der neben der Rechtsgutverletzung zur Kennzeichnung des Unrechtsgehaltes einer Straftat gehörende Handlungsunwert, besteht bei der Untreue im Missbrauch der eingeräumten Verfügungs- oder Verpflichtungsbefugnis (1. Alternative) bzw. in der Verletzung einer Treupflicht (2. Alternative); verwirklicht werden kann der Handlungsunwert durch Tun oder Unterlassen30. Hier, bei der Kennzeichnung des Handlungsunwertes – nicht bei der Bestimmung des Rechtsgutes –, entfaltet also die besondere Vertrauensstellung ihre Bedeutung. Problematisch ist, dass sich die Beschreibung des Handlungsunrechts in der „farblosen Feststellung“31 erschöpft, eine übertragene Entscheidungsmacht über fremdes Vermögen fehlzugebrauchen. Mangels näherer Konkretisierung ist der materiellrechtliche Kern aus außerstrafrechtlichen (ziviloder öffentlichrechtlichen) Pflichten zu gewinnen32. Bei der Missbrauchsuntreue (1. Alternative) besteht die Pflichtverletzung, wie erwähnt, in der missbräuchlichen Nutzung der vom Vermögensinhaber eingeräumten Verpflichtungs- und Verfügungsbefugnis. So heißt es wörtlich: „Wer die ihm durch Gesetz, behördlichen Auftrag oder Rechtsgeschäft eingeräumte Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen oder einen anderen zu verpflichten, missbraucht [. . .]“.

Der Täter geht also im Außenverhältnis über die im Innenverhältnis eingeräumten Befugnisse hinaus. Kontrovers wird diskutiert, welche Folgen eine etwaige Unwirksamkeit33 einer vom Täter vorgenommenen Verfügung oder Verpflichtung im Außenverhältnis für die Anwendbarkeit des Missbrauchstatbestandes hat. Nach der überwiegenden Ansicht ist im Falle der Unwirksamkeit des Täterhandelns im Außenverhältnis die Anwendbarkeit der 1. Alternative ausgeschlossen und auf den Treubruchtatbestand zurückzugreifen34; die Missbrauchsalternative wird also zivilrechtsakzessorisch35 ausgelegt. Nach ande29 30 31 32

Arzt/Weber, Strafrecht BT, § 11 Rn. 13. Lackner/Kühl, § 266 Rn. 2. Kubiciel, NStZ 2005, S. 353, 354. Vgl. Kubiciel, NStZ 2005, S. 353, 354. Dazu Näheres in diesem Kapitel unter

IV. 33 Beispielsfälle für Unwirksamkeit bei Lenckner/Perron, in: Schönke/Schröder, § 266 Rn. 17. 34 NK-StGB-Kindhäuser, § 266 Rn. 82; Lackner/Kühl, § 266 Rn. 6; Lenckner/ Perron, in: Schönke/Schröder, § 266 Rn. 17; Maurach/Schroeder/Maiwald, Strafrecht BT/1, § 45 Rn. 19; Seier, in: Achenbach/Ransiek, Wirtschaftsstrafrecht, Kapitel V, Abschnitt 2, Rn. 43. 35 Zur Zivilrechtsakzessorietät auch nachstehend unter IV.

A. Grundfragen des Untreuetatbestandes

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rer Ansicht muss auch und gerade der Fall eines im Außenverhältnis unwirksamen obligatorischen oder dinglichen Rechtsgeschäftes von der Missbrauchsalternative erfasst werden36. Anderenfalls, so argumentieren die Vertreter der letztgenannten Ansicht, würde man gerade die stärkste Form des Missbrauchs, ein kollusives Zusammenwirken von Täter und Geschäftspartner zu Lasten des Vermögensinhabers, kriminalpolitisch nicht angemessen ahnden37. Ausreichend und entscheidend sei daher die (bloße) Ausübung der eingeräumten Rechtsmacht, gleich ob die beabsichtigten Rechtsänderungen im Außenverhältnis wirksam sind oder nicht38. Gegen die letztgenannte Ansicht können jedoch gewichtige Gegenargumente vorgebracht werden. Geht es um Fälle, in denen der Treunehmer als falsus procurator gerade ohne Rechtsmacht handelt, so fehlt es schon nach dem Wortlaut der 1. Alternative an der „eingeräumten Rechtsmacht“, sodass nur die Treubruchalternative in Betracht kommen kann39. Bleibt das Geschäft für den Treugeber ohne zivilrechtliche Bindungswirkung, so „gebraucht“ er seine Rechtsmacht nicht, weil kein im Außenverhältnis wirksames Geschäft zustande kommt40. Insoweit ist kein Grund ersichtlich, weshalb der strafrechtliche Schutz durch den Missbrauchstatbestand weiter reichen soll als der zivilrechtliche Interessenschutz, der gerade die Wirksamkeit des Geschäftes versagt41. Schließlich würde durch die Anwendung des Missbrauchstatbestandes auf die Fälle unwirksamer Rechtsgeschäfte die Kontur des Untreuetatbestandes noch stärker beeinträchtigt, denn dann wäre jede Treupflichtverletzung im Sinne der 2. Alternative, die ein Bevollmächtigter begeht, zugleich Anwendungsfall der 1. Alternative, nur weil sie im Zusammenhang mit einer „eingeräumten Befugnis“ steht. Soweit die Notwendigkeit der Anwendung der Missbrauchsalternative mit dem Hinweis auf andernfalls bestehende Strafbarkeitslücken begründet wird, kann dem entgegengehalten werden, dass Lücken regelmäßig mit dem Treubruchtatbestand geschlossen werden können42 und darüber hinaus ausreichender Schutz durch die Straftatbestände der Pfandkehr (§ 289)43 und des Wuchers (§ 291)44 sowie die zivilrechtlichen Regelungen45 gewährleistet ist. Das Ar36

Arzt, in: FS-Bruns, S. 365, 371 ff.; Schünemann, in: LK, § 266 Rn. 32. Arzt, in: FS-Bruns, S. 365, 374. 38 Schünemann, in: LK, § 266 Rn. 33. 39 Vgl. Lenckner/Perron, in: Schönke/Schröder, § 266 Rn. 17; Seier, in: Achenbach/Ransiek, Wirtschaftsstrafrecht, Kapitel V, Abschnitt 2, Rn. 43. 40 Vgl. Schramm, Untreue und Konsens, S. 32; Seier, in: Achenbach/Ransiek, Wirtschaftsstrafrecht, Kapitel V, Abschnitt 2, Rn. 48. 41 Vgl. Schramm, Untreue und Konsens, S. 32. 42 Samson/Günther, in: SK-StGB, § 266 Rn. 10. 43 Vgl. Haas, Untreue, S. 72. 44 Vgl. Schramm, Untreue und Konsens, S. 32. 37

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1. Teil, 1. Kap.: Die dogmatischen Grundlagen

gument, es sei inkonsequent, bei der Auslegung der 1. Tatbestandsalternative zivilrechtsakzessorisch zu argumentieren, bei der Definition des Vermögensbegriffes aber auf eine rein wirtschaftliche Sichtweise abzustellen46, kann ebenfalls nicht verfangen, jedenfalls wenn und soweit, wie hier, nicht ein rein wirtschaftlicher Vermögensbegriff, sondern ein juristisch-ökonomischer Vermögensbegriff vertreten wird (dazu nachstehend unter II.). Bei der Treubruchvariante (2. Alternative) besteht der Verstoß ebenfalls in der Verletzung einer bestimmten vertraglich oder gesetzlich definierten Pflicht: „[. . .] oder die ihm kraft Gesetzes, behördlichen Auftrags, Rechtsgeschäfts oder eines Treueverhältnisses obliegende Pflicht, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen, verletzt [. . .]“.

Anders als bei der 1. Alternative ist hierbei jedoch kein im Außenverhältnis wirksames Handeln erforderlich, sondern auch eine rein tatsächliche Handlung des Treunehmers, die zu einem Vermögensschaden führt, ausreichend47. Im Einzelfall sollte in der Praxis jeweils konkret festgestellt werden, welche Tatbestandsvariante einschlägig ist, da dem Angeklagten aus rechtsstaatlichen Gründen dargelegt werden muss, welcher Verstoß ihm zur Last gelegt wird48. Der Kern des Untreueunrechts lässt sich somit zusammenfassend als eine Schädigung fremden Vermögens „von innen heraus“ beschreiben49, die durch Missbrauch einer rechtsgeschäftlichen Machtstellung oder durch zweckwidrigen Gebrauch einer Obhutsstellung realisiert wird50. Beim Betrug erfolgt demgegenüber die Schädigung „von außen“51. Der Betrugstäter erweckt beim Opfer erst durch seine Täuschung das Vertrauen, während der Untreuetäter das Unrecht aufgrund einer ihm bereits eingeräumten Einwirkungsmacht verwirklicht52. Die besondere Strafwürdigkeit des Untreueun45

Vgl. Schramm, Untreue und Konsens, S. 32. So Schünemann, in: LK, § 266 Rn. 32. 47 Vgl. Lackner/Kühl, § 266 Rn. 15. 48 Martin, Bankuntreue, S. 48; Schmid, in: MG, Wirtschaftsstrafrecht, § 31 Rn. 2; Seier, in: Achenbach/Ransiek, Wirtschaftsstrafrecht, Kapitel V, Abschnitt 2, Rn. 39 f. Siehe auch Beckemper, NStZ 2002, S. 324, 325. Saliger, NStZ 2007, S. 545, 546, hält die fehlende Festlegung auf eine der Varianten in der Rechtsprechung angesichts der herrschenden streng monistischen Untreuetheorie (dazu nachstehend unter III.) für weitgehend unproblematisch, hält aber eine Klarstellung für hilfreich. 49 MünchKommStGB/Dierlamm, § 266 Rn. 2; Kargl, ZStW 113, S. 565, 591; NK-StGB-Kindhäuser, § 266 Rn. 31; Schünemann, in: LK, § 266 Rn. 1; ders., NStZ 2005, S. 473, 474. 50 Schünemann, NStZ 2005, S. 473, 474. 51 Schünemann, in: LK, § 266 Rn. 2. 46

A. Grundfragen des Untreuetatbestandes

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rechts lässt sich in eben dieser besonderen Pflichtenstellung des Täters erblicken. Entweder überträgt der Vermögensinhaber seine eigene Entscheidungsmacht privatautonom auf den Treunehmer oder er ist sogar rechtlich oder tatsächlich gezwungen, die Vermögenssorge auf einen Dritten zu übertragen. Durch diese Einbindung in die Sphäre des Vermögensinhabers erhält der Treunehmer eine sehr weitgehende Einwirkungsmacht, deren Risiken durch das Strafrecht einzudämmen sind53. Damit ergänzen sich Untreuetatbestand und veruntreuende Unterschlagung (§ 246 Abs. 2), die mit den gleichen Strafrahmen versehen sind, und gewährleisten einen wirksamen Schutz von Eigentum und Vermögen gegen solche Eingriffe, die erst durch das (vorherige) „Anvertrauen“ ermöglicht werden. II. Der Vermögensbegriff 1. Die juristisch-ökonomische Betrachtungsweise

An die Feststellung, dass geschütztes Rechtsgut des § 266 das Vermögen ist, schließt sich die Frage an, wie der Begriff des Vermögens bei der Untreue und bei den sonstigen Vermögensdelikten54 (§§ 263, 253) zu definieren ist. Auch diesbezüglich herrscht nach wie vor Uneinigkeit. Die Einzelheiten der verschiedenen Ansichten können hier nicht erschöpfend erörtert werden; ausreichend müssen eine kurze Darstellung der grundsätzlichen Erwägungen und die Begründung der hier vertretenen Ansicht sein. Die möglichen Positionen reichen von einem rein wirtschaftlichen Vermögensbegriff55, worunter „die Summe aller geldwerten Güter nach Abzug der Verbindlichkeiten“56 verstanden wird, ohne dass es auf die rechtliche Anerkennung des wirtschaftlichen Wertes ankommt, bis hin zu einem rein juristischen Vermögensbegriff, der das Vermögen als eine Summe von ein52

Arzt/Weber, Strafrecht BT, § 22 Rn. 1; Joecks, Vermögensverfügung, S. 66; Mitsch, Strafrecht BT2/1, § 8 Rn. 9: „Während der Betrüger also etwas heraus holt, bringt der Untreuetäter etwas hinaus.“ (kursive Hervorhebungen im Original fett). 53 Ähnlich Schünemann, in: LK, § 266 Rn. 2. 54 Nach herrschender Meinung ist der Vermögensbegriff des § 263 identisch mit dem des § 266, siehe nur Fischer, § 266 Rn. 115 m.w.N; Lenckner/Perron, in: Schönke/Schröder, § 266 Rn. 39. Kritisch Saliger, ZStW 112, S. 563, 573 und 611 f. 55 So Wessels/Hillenkamp, Strafrecht BT/2, Rn. 534, allerdings mit normativen Einschränkungen, die die Ansicht dem juristisch-ökonomischen Vermögensbegriff annähern. Die juristische Einschränkung des wirtschaftlichen Vermögensbegriffs solle jedoch auf Fälle beschränkt werden, in denen die Gesamtrechtsordnung die fraglichen Vermögenspositionen eindeutig missbilligt, um die Schaffung „rechtsfreier“ Räume nicht von vornherein zu fördern (a. a. O., Rn. 535). 56 BGHSt 16, S. 220, 221; siehe auch RGSt 44, S. 230, 233; BGHSt 2, S. 364, 365.

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1. Teil, 1. Kap.: Die dogmatischen Grundlagen

zelnen Vermögensrechten und -pflichten ansieht57. Gewissermaßen zwischen diesen Ansätzen steht eine vermittelnde, mit verschiedenen Nuancierungen vertretene Ansicht, die einen juristisch-ökonomischen Vermögensbegriff befürwortet und heute in der Lehre herrschend ist58. Von der Rechtsprechung, die im Wesentlichen den wirtschaftlichen Vermögensbegriff anwendet, wird dieser Begriff (nur) vereinzelt herangezogen59; durch die Berücksichtigung normativer Wertungen im Rahmen der wirtschaftlichen Betrachtungsweise ergeben sich jedoch teilweise Übereinstimmungen60. Nach dem juristisch-ökonomischen Vermögensbegriff werden all jene Vermögenspositionen erfasst, die einen wirtschaftlichen Wert haben und ihrem Inhaber nach der Rechtsordnung zustehen. Eine weitere Ansicht bestimmt den Vermögensbegriff aus der individuellen Sicht des Vermögensinhabers (sogenannter personaler Vermögensbegriff)61. Maßgeblich für die Bestimmung eines Vermögensschadens ist für die Vertreter dieses Begriffes die Verfehlung der vom Vermögensinhaber verfolgten Zwecke. Im Fortgang dieser Schrift soll der juristisch-ökonomische Vermögensbegriff zugrunde gelegt werden. Dieser Begriff fügt sich nahtlos in die Gesamtrechtsordnung ein, denn er vermeidet Wertungswidersprüche, weil er solchen Positionen den strafrechtlichen Schutz versagt, die zwar einen wirtschaftlichen Wert haben, aber im Übrigen von der Rechtsordnung nicht für schutzwürdig erachtet werden62. Durch die Beschränkung auf legitime Ansprüche wird die Einheit der Rechtsordnung gewährleistet. Die starke Betonung der individuellen Dispositionsfreiheit des Vermögensinhabers durch die Vertreter des personalen Vermögensbegriffes ist dagegen abzulehnen. Zu groß ist die Gefahr, dass über diese absolute Berücksichtigung individueller Maßstäbe der Schutzbereich des Betruges, der Erpressung und der Untreue über das Vermögen hinaus auf die Dispositionsfreiheit ausgedehnt würde63. Letztlich könnte das Abstellen auf die Dispositionsfreiheit dazu führen, dass das Merkmal des Vermögensschadens aus dem Tatbestand eliminiert würde64.

57 Binding, Lehrbuch BT 1, S. 238. Zu neueren „Wiederbelebungstendenzen“ siehe Tiedemann, in: LK, § 263 Rn. 129. 58 Siehe statt vieler Cramer/Perron, in: Schönke/Schröder, § 263 Rn. 82 f. m. w. N. 59 BGHSt 31, S. 178, 180; BGH JR 1988, S. 125; BGH wistra 1989, S. 142. 60 Wessels/Hillenkamp, Strafrecht BT/2, Rn. 534. 61 Geerds, JURA 1994, S. 309, 320 f., m. w. N. auf S. 311, Fußnote 27. 62 Vgl. Cramer/Perron, in: Schönke/Schröder, § 263 Rn. 83. 63 Cramer/Perron, in: Schönke/Schröder, § 266 Rn. 81. 64 Hoyer, in: SK-StGB, § 263 Rn. 113.

A. Grundfragen des Untreuetatbestandes

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2. Die Berücksichtigung eines individuellen Schadenseinschlages

Aber auch bei dem hier vertretenen juristisch-ökonomischen Vermögensbegriff werden die individuellen Ziele des Vermögensinhabers berücksichtigt65. Dies geschieht auf der Ebene der Schadensbestimmung. Für die Bestimmung des eingetretenen Schadens ist zunächst eine Gesamtsaldierung vorzunehmen66. Ergibt sich bei dieser Saldierung eine für den Vermögensinhaber nachteilige Wertdifferenz, so ist ein Schaden zu bejahen67. Erhält der Treupflichtige für die Vermögensminderung eine wertäquivalente Kompensation, so ist an sich – wirtschaftlich – ein Schaden zu verneinen. Dieser Grundsatz ist jedoch unter besonderen Umständen durch eine individuelle Betrachtung zu verfeinern (sogenannte objektiv-individuelle Schadensbestimmung): Zu berücksichtigen ist auch ein etwaiger persönlicher Schadenseinschlag68. Grundlegend hierzu war die Entscheidung des BGH im 16. Band der amtlichen Sammlung zu § 26369. Insbesondere wenn die Gegenleistung nicht oder nicht vollständig zu dem vertraglich vereinbarten Zweck oder sonst zumutbar verwendet werden kann, ist von einer Vermögensschädigung auszugehen70. Danach gilt zusammenfassend: Selbst wenn die Gegenleistung, die der Vermögensinhaber für die Hingabe seines Vermögens(wertes) erhalten hat, an sich „ihr Geld wert ist“, ist ein Schaden 65

Vgl. Ransiek, ZStW 116, S. 634, 650. Gleiches gilt für den namentlich von der Rechtsprechung in der überwiegenden Zahl der Fälle verwendeten wirtschaftlichen Vermögensbegriff (vgl. BGHSt 16, S. 220, 221, sowie S. 321, 325 f., beide zu § 263). 66 Fischer, § 266 Rn. 115; Lackner/Kühl, § 266 Rn. 17. Siehe dazu auch 1. Teil, 2. Kapitel, B. I. 67 Lackner/Kühl, § 263 Rn. 36. Dies gilt auch im Bereich der Verfügung über Haushaltsmittel: Handelt es sich beispielsweise um ein fiskalisches Geschäft, so ist zu prüfen, ob die erworbene Gegenleistung dem hingegebenen Vermögen gleichwertig ist. Ist die Gegenleistung nicht gleichwertig, so ist ein Schaden zu bejahen (BGH wistra 2002, S. 300, 301 = NStZ-RR 2002, S. 237, 238 = StraFo 2002, S. 268, 269). 68 BGH NStZ-RR 1994, S. 54, 55; MünchKommStGB/Dierlamm, § 266 Rn. 182; Fischer, § 266 Rn. 125; NK-StGB-Kindhäuser, § 266 Rn. 108; Lenckner/Perron, in: Schönke/Schröder, § 266 Rn. 43; Maurach/Schroeder/Maiwald, Strafrecht BT/1, § 41 Rn. 107; Ransiek, ZStW 116, S. 634, 650 ff.; Seier, in: Achenbach/Ransiek, Wirtschaftsstrafrecht, Kapitel V, Abschnitt 2, Rn. 179; teilweise auch Schünemann, in: LK, § 266 Rn. 142; ders., StV 2003, S. 463, 469, Fußnote 46. Kritisch Lackner/ Kühl, § 263 Rn. 48 m. w. N. 69 BGHSt 16, S. 321, 325 f. (Melkmaschine). Siehe auch BGHSt 43, S. 293 ff. (Bugwelle): In dieser Entscheidung überträgt der BGH die Lehre vom persönlichen Schadenseinschlag ausdrücklich auf § 266. Zu den Einzelheiten der individuellen Komponente bei § 263 siehe auch Winkler, Vermögensbegriff, S. 51 ff. 70 Zustimmend Tiedemann, in: LK, § 263 Rn. 178; Wessels/Hillenkamp, Strafrecht BT/2, Rn. 548.

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1. Teil, 1. Kap.: Die dogmatischen Grundlagen

gleichwohl zu bejahen, wenn der Vermögensinhaber mit der erhaltenen Gegenleistung persönlich „nichts anfangen“ kann71, wobei insoweit Maßstab das objektive Urteil eines vernünftigen Dritten sein muss72. 3. Die Berücksichtigung von Zweckverfehlungen

Besonderheiten ergeben sich im Falle einer Vermögensminderung ohne (vollumfängliche) Kompensation, zum Beispiel bei einer Spende oder Subvention oder dem Abschluss von Verträgen, die von vornherein ein nicht vollwertiges Äquivalent zum Gegenstand haben, weil zugleich wirtschaftsoder sozialpolitische Zwecke verfolgt werden. In einem solchen Fall müsste – nach rein objektiver Schadensermittlung – an sich ein Schaden bejaht werden, denn das Vermögen des Treugebers (bzw. des Getäuschten bei § 263) wird tatsächlich gemindert73. Andererseits entspricht aber die nicht vollständig kompensierte Vermögensminderung von vornherein den Erwartungen des Vermögensinhabers („bewusste Selbstschädigung“), weil sie nicht auf rein ökonomischen Motiven beruhte, das heißt nicht auf den Erhalt einer äquivalenten wirtschaftlichen Gegenleistung zielte. Diese Problematik führte bei § 263 zu einem bis heute nicht entschiedenen Meinungsstreit über die Berücksichtigung sozialer Zwecke, der hier nicht im Detail dargestellt werden kann74. Die wohl überwiegende Ansicht hält bei § 263 mit unterschiedlichen Begründungen die Fälle der Verfehlung sozialer Zwecke für strafwürdig und bezieht die immateriellen Aspekte in die Schadensermittlung mit ein75. 71 Wessels/Hillenkamp, Strafrecht BT/2, Rn. 548 m. w. N. Auch im Bereich der Haushaltsuntreue kann ein Schaden nach den Grundsätzen des individuellen Schadenseinschlages zu bejahen sein, z. B. wenn eine kleine Gemeinde ein überdimensionales, nicht auslastbares Theater bauen lässt, vgl. Schünemann, in: LK, § 266 Rn. 143; ders., StV 2003, S. 463, 465. 72 BGHSt 16, S. 321, 326 sowie S. 220, 221 f. 73 Vgl. Graul, in: FS-Brandner, S. 801, 806; Tiedemann, in: LK, § 263 Rn. 181. 74 Einzelheiten bei Gerhold, Zweckverfehlung und Vermögensschaden, S. 14 ff.; Winkler, Vermögensbegriff, S. 79 ff. 75 Teilweise wird angenommen, dass § 263 zwar grundsätzlich eine unbewusste Selbstschädigung voraussetze, an der es in diesen Fällen fehle, dass aber die Verfehlung des sozialen Zweckes eine von § 263 erfasste Fallgruppe sei, weil die Ausgabe mangels Zweckerreichung in ihrem sozialen Sinn entwertet war (Cramer/Perron, in: Schönke/Schröder, § 263 Rn. 101 f.; Krey/Hellmann, Strafrecht BT/2, Rn. 469 f.; Maurach/Schroeder/Maiwald, Strafrecht BT/1, § 41 Rn. 120 f.; kritisch Arzt/Weber, Strafrecht BT, § 20 Rn. 111). Andere sehen von vornherein auch die bewusste Selbstschädigung als betrugsrelevant an – so insbesondere die Rechtsprechung (z. B. BGH NJW 1995, S. 539 = NStZ 1995, S. 134) – und können daher ohne weiteres § 263 bejahen, wobei auch sie dann einen Vermögensschaden verneinen, wenn der beabsichtigte Zweck erreicht wird (adäquate Gegenleistung ist dann der soziale

A. Grundfragen des Untreuetatbestandes

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Auch bei der Untreue wird eine Anwendung der Zweckverfehlungslehre teilweise befürwortet. Demnach soll auch bei § 266 in Fällen, in denen von vornherein eine Gegenleistung für die Vermögenshingabe nicht oder nicht vollumfänglich erfolgen sollte, bei Verfehlung des beabsichtigten sozialen Zweckes ein Vermögensschaden zu bejahen sein76. Oft angeführtes Beispiel77: Verwendet der treupflichtige Vorstand eines Unternehmens einen Vermögensbetrag, statt wie vorgesehen als (gegenleistungslose) Spende für karitative Zwecke für die Ausrichtung einer nicht abgestimmten Silvesterparty des Managements, so kann – selbst wenn die gekauften Waren und erbrachten Leistungen ihr Geld wert waren – ein Schaden zu bejahen sein, weil der Zweck verfehlt wurde78. Besondere Bedeutung hat die Diskussion im Bereich der sogenannten Haushalts- oder Amtsuntreue erlangt79: Es stellt sich die Frage, wann die Verfügung über Haushaltsmittel unter Überziehung des entsprechenden Titels (soweit keine Erfüllung einer Pflichtaufgabe vorliegt80) zu einer Untreuestrafbarkeit führt. Angesiedelt wird diese Fragestellung bei den Haushaltsuntreuefällen ebenso wie im Rahmen des § 263 beim Merkmal des Schadens81. Allerdings spricht einiges dafür, die Problematik einer zweckverfehlenden Vermögensminderung – jedenfalls bei der Untreue – ohne Rückgriff auf die beim Vermögens- bzw. Schadensbegriff ansetzende Zweckverfehlungslehre zu lösen82. Es will nämlich nicht ganz einsichtig werden, wesZweck; Gerhold, Zweckverfehlung und Vermögensschaden, S. 73 f.; Rengier, Strafrecht BT/1, § 13 Rn. 62 ff.). 76 Lenckner/Perron, in: Schönke/Schröder, § 266 Rn. 43 m. w. N.; Rengier, Strafrecht BT/1, § 18 Rn. 21; Schramm, Untreue und Konsens, S. 30; Seier, in: Achenbach/Ransiek, Wirtschaftsstrafrecht, Kapitel V, Abschnitt 2, Rn. 181. Ablehnend jedoch Neye, Untreue, S. 48; Schünemann, in: LK, § 266 Rn. 143; ders., StV 2003, S. 463, 469 f.; ders., NStZ 2006, S. 196, 198, Fußnote 26. Differenzierend Jordan, JR 2000, S. 133, 139, der die Zweckverfehlungslehre jedenfalls bei den Haushaltsuntreuefällen für überflüssig hält (weil die abstrakte Festlegung des Verwendungszweckes ein bedingtes Einverständnis sei, das den Tatbestand nur dann ausschließen könne, wenn die Vergabevoraussetzungen erfüllt sind); im Übrigen will auch er die Lehre aus kriminalpolitischen Gründen heranziehen. 77 Siehe bei Lenckner/Perron, in: Schönke/Schröder, § 266 Rn. 43. 78 So im Ergebnis auch Schünemann, in: LK, § 266 Rn. 142, wenn auch unter Ablehnung der Zweckverfehlungslehre. 79 Siehe als Überblick Lenckner/Perron, in: Schönke/Schröder, § 266 Rn. 44. 80 Wird unter Verstoß gegen die Haushaltsfestsetzungen eine Leistung erbracht, zu der der Staat ohnehin verpflichtet ist, so ist eine Untreue zu verneinen, da die Vermögenshingabe durch die Erfüllung des Anspruchs des Leistungsempfängers ausgeglichen wird, vgl. Ransiek, ZStW 116, S. 634, 654. 81 Wobei teilweise sogar vertreten wird, im staatlichen Bereich gelte ein anderer Vermögensbegriff als im privatrechtlichen Bereich, so beispielsweise Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 375; Tiedemann, ZStW 86, S. 897, 912. Gegen die Differenzierung Munz, Haushaltsuntreue, S. 136 f.

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1. Teil, 1. Kap.: Die dogmatischen Grundlagen

halb bei einem (zumindest primär) wirtschaftlichen Vermögensbegriff immaterielle Aspekte wie altruistische Zwecke in die Schadensberechnung einfließen sollen83. Auszugehen ist daher von zwei Gesichtspunkten: Erstens, dass rein rechnerisch (wirtschaftlich) in diesen Fällen ohne weiteres ein Vermögensschaden im Sinne einer faktischen Vermögensminderung, also der Taterfolg, bejaht werden kann84; zweitens, dass es natürlich zu eng wäre, hierin bereits immer die Erfüllung des § 266 zu sehen85. Entspricht nämlich die vorgenommene Vermögensminderung – zum Beispiel die Spende einer Aktiengesellschaft oder die Zuwendung öffentlicher Mittel – den ausdrücklichen gesetzlichen, vertraglichen oder statutarischen Vorgaben, so kann die Vermögensminderung nicht treuwidrig sein86. Erforderlich ist vielmehr auch die Feststellung einer untreuespezifischen Tathandlung. Ob die vermögensmindernde Verfügung des Vermögensbetreuungspflichtigen einen Missbrauch bzw. Treubruch darstellt, ist demnach nicht Frage des Schadens, sondern der untreuespezifischen Treuwidrigkeit87. Hier, bei diesem Merkmal, wird die Frage der Zweckverfehlung bzw. -erreichung relevant. Zu fragen ist, ob die Vermögensminderung auf der Ebene der Pflichtwidrigkeit durch ein „Kompensationsmoment“88 gerechtfertigt ist. Dabei kann nicht jede Pflichtverletzung für die Bejahung des Untreuetatbestandes ausreichen, sondern nur die Verletzung einer auf das Vermögen bezogenen Pflicht89, da sonst jede Verletzung einer an sich nicht dem Vermögensschutz dienenden Pflicht eine Untreue darstellen würde und somit geschütztes Rechtsgut nicht mehr das Vermögen, sondern die Dispositionsfreiheit wäre90. Nach dem hier zugrunde gelegten Vermögensbegriff lässt sich demnach für den privatrechtlichen und den öffentlichrechtlichen Bereich zusammenfassend sagen, dass ein Schaden dann zu verneinen ist, wenn einer Ver82 Schünemann, StV 2003, S. 463, 469; ders., in: LK, § 266 Rn. 142. Auch bei § 263 wird vertreten, dass Zweckverfehlungsgesichtspunkte zwar durchaus zu berücksichtigen, jedoch nicht beim Schaden, sondern bei den Merkmalen Täuschung und Irrtum zu verorten sind: Graul, in: FS-Brandner, S. 801, 805 ff. 83 Ebenso für § 263 Graul, in: FS-Brandner, S. 801, 807 m. w. N. 84 Vgl. Schünemann, StV 2003, S. 463, 469. Zu § 263 siehe Graul, in: FS-Brandner, S. 801, 813 m. w. N. 85 Vgl. Ransiek, ZStW 116, S. 634, 647 f. 86 Vgl. Ransiek, ZStW 116, S. 634, 648. Siehe zur Zweckbindung des öffentlichen Vermögens Saliger, ZStW 112, S. 563, 593 ff. 87 Ebenso Schünemann, StV 2003, S. 463, 470 (insbesondere für die Haushaltsuntreue); ders., in: LK, § 266 Rn. 142. 88 Schünemann, StV 2003, S. 463, 470. 89 Schünemann, NStZ 2006, S. 196, 198; ders., StV 2003, S. 463, 470. 90 Vgl. auch MünchKommStGB/Dierlamm, § 266 Rn. 219 m. w. N. zur Rechtsprechung.

A. Grundfragen des Untreuetatbestandes

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mögensminderung eine wirtschaftlich adäquate Kompensation gegenübersteht (zum Beispiel Ankauf eines Militärflugzeuges durch öffentliche Mittel zu einem marktgerechten Preis im fiskalischen Bereich91). Dies ist nur dann ausnahmsweise anders, wenn sich trotz wirtschaftlicher Kompensation ein persönlicher Schadenseinschlag feststellen lässt (zum Beispiel Bau eines für Verwaltungszwecke überdimensionierten Verwaltungsgebäudes92). Fehlt es hingegen an einer (ausreichenden) Kompensation, so ist in der Regel ein Schaden zu bejahen. Handelt es sich jedoch um eine von vornherein kompensationslose Zuwendung (zum Beispiel eine Spende) oder geht es um die Zwendung öffentlicher Mittel, so hängt die Bejahung des § 266 nach hier vertretener Ansicht nicht von einer Anwendung der Zweckverfehlungslehre (das heißt dem Vermögens- bzw. Schadensbegriff) ab, sondern von der Feststellung eines Missbrauchs bzw. einer Treupflichtverletzung, wobei die verletzte Pflicht vermögensschützenden Charakter haben muss. III. Aufbau des Untreuetatbestandes Wie eingangs dieses Kapitels erwähnt, ist das Verhältnis der Missbrauchs- zur Treubruchalternative seit jeher umstritten. Dabei herrscht insbesondere Uneinigkeit über Bedeutung und Reichweite der sogenannten Vermögensbetreuungspflicht, die im dritten Satzteil des Tatbestandes verortet ist: „[. . .] und dadurch dem, dessen Vermögensinteressen er zu betreuen hat, Nachteil zufügt [. . .]“.

Schwierigkeiten bereitet dabei insbesondere die Abgrenzung dieser Vermögensbetreuungspflicht von der Vermögenswahrnehmungspflicht des Treubruchtatbestandes („Pflicht, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen“). Wenn hier auch nicht alle Einzelheiten des diesbezüglichen Meinungsstreits dargestellt werden können93, so sollen zumindest die wesentlichen Gesichtspunkte skizziert werden, damit insoweit Klarheit über die objektiven Merkmale als Bezugspunkte des subjektiven Tatbestandes herrscht. Zur Veranschaulichung des aktuellen Streitstandes soll hier entstehungsgeschichtlich nur, aber wenigstens auf die Entwicklung des Untreuetatbestandes seit 1871 eingegangen werden94. 91

Beispiel nach Schünemann, StV 2003, S. 463, 465. Beispiel nach Schünemann, StV 2003, S. 463, 465; ders., in: LK, § 266 Rn. 143. 93 Eine ausführliche Darstellung des Meinungsstandes findet sich beispielsweise in der Dissertation von Wegenast, Missbrauch und Treubruch. 94 Zur Entwicklungsgeschichte siehe Draheim, Untreue, S. 1 ff.; Kiefner, in: FSStree/Wessels, S. 1205 ff.; NK-StGB-Kindhäuser, § 266 Rn. 4 ff. 92

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1. Teil, 1. Kap.: Die dogmatischen Grundlagen

Mit der Neufassung95 des Untreuetatbestandes in § 266 des Strafgesetzbuches für das Deutsche Reich vom 15. Mai 187196 entstand aufgrund der neu eingefügten 2. Alternative des Absatzes 1 eine Kontroverse zwischen den Vertretern der sogenannten Missbrauchs- und der sogenannten Treubruchtheorie. Die 2. Alternative lautete: „Wegen Untreue werden [. . .] bestraft: [. . .] Bevollmächtigte, welche über Forderungen oder andere Vermögensstücke des Auftraggebers absichtlich zum Nachteile desselben verfügen“97.

Nach der Missbrauchstheorie sollte der Unrechtsgehalt der Untreue im Missbrauch einer gesetzlich bzw. rechtsgeschäftlich eingeräumten Vertretungsmacht liegen98, während nach der Treubruchtheorie auch ein bloß tatsächliches Einwirken auf das Vermögen ausreichend sein sollte99. Diese Kontroverse wurde mit der Änderung des § 266 durch das Gesetz zur Abänderung strafrechtlicher Vorschriften vom 26. Mai 1933100, das dem Tatbestand seine heutige Prägung gab, beendet101. Als Grundlage für die erforderliche Vertrauensbeziehung zwischen Vermögensinhaber und Treunehmer reichte nun neben der gesetzlichen, rechtsgeschäftlichen und hoheitlichen Grundlage auch ein rein tatsächliches Verhältnis („Treuverhältnis“) aus. Ziel dieser Gesetzesnovellierung war es seinerzeit insbesondere, als untragbar empfundene Gesetzeslücken zu schließen102. In der Folgezeit fasste die herrschende Meinung die Missbrauchs- und die Treubruchvariante als selbstständige Tatbestände auf103 (sogenannte [ältere] dualistische Konzeption), wobei der Missbrauchstatbestand keine besondere Vermögensfürsorgepflicht voraussetzen sollte104. Missbrauchs- und Treubruchtheorie lebten also gewissermaßen in der jeweiligen Tatbestandsvariante fort105. 95 Siehe zur Entstehungsgeschichte Schünemann, in: LK, § 266, Entstehungsgeschichte. 96 RGBl. 1871, S. 127, 177 f. 97 RGBl. 1871, S. 127, 177 f. 98 Binding, Lehrbuch BT 1, S. 396 f.; Leopold, Untreue, S. 14. 99 RGSt 63, S. 406, 407; RGSt 68, S. 70, 74. 100 RGBl. I, S. 295, 297. 101 Zur „dunklen“ Entstehungsgeschichte siehe Schramm, Untreue und Konsens, S. 42 ff. 102 Schneider-Neuenburg, GA 1933, S. 324. Schramm, Untreue und Konsens, S. 44, bezeichnet dieses Ziel der lückenlosen Erfassung aller strafwürdigen Fälle als „Wurzel allen Übels“, da die mit der Verwirklichung dieses Ziels verbundene Ausweitung des Tatbestandes zur heutigen Konturenlosigkeit der 2. Alternative geführt habe. 103 RGSt 69, S. 58, 59. 104 BGH NJW 1954, S. 1616; Arzt, in: FS-Bruns, S. 365, 382; Bringewat, GA 1973, S. 353, 363; Heimann-Trosien, JZ 1976, S. 549, 551; Schröder, JZ 1972, S. 707, 708. 105 Vgl. Schünemann, in: LK, § 266 Rn. 7.

A. Grundfragen des Untreuetatbestandes

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In der Folge zeigte sich jedoch, dass die Gesetzesnovellierung über das Ziel der Lückenschließung hinausging und zu einer Erfassung auch solcher Handlungen führte, die an sich als nicht strafwürdig empfunden wurden. Um dieser Ausuferung Einhalt zu gebieten und die Grenzen des heutigen Art. 103 Abs. 2 GG (Bestimmtheitsgebot) zu wahren106, wurde die im Treubruchtatbestand verankerte „Pflicht, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen“, fortan einschränkend interpretiert107. So entschied das Reichsgericht108, dass nur „an Pflichten oder Pflichtenkreise gedacht ist, die sich ihrer Dauer nach über eine gewisse Zeit oder ihrem Umfang nach über bloße Einzelfälle hinaus erstrecken, sodass der Verpflichtete für ihre Erfüllung einen gewissen Spielraum, eine gewisse Bewegungsfreiheit oder Selbständigkeit hat“

und „rein ‚mechanische‘ Tätigkeiten“ oder eine bloße „Nebenpflicht“ ausscheiden müssen. Diese Kriterien aus dem Jahre 1934 werden bis heute als maßgebliche Indizien verwendet bzw. diskutiert. So verlangt auch der BGH eine fremdnützige Pflichtenstellung, die den „wesentlichen Inhalt des Vertragsverhältnisses ausmacht und damit zu den Hauptpflichten aus dem Vertrage gehört“109,

und schließt rein mechanische und untergeordnete Pflichtenstellungen wie die bloße Pflicht zur Vertragserfüllung aus110. Der Grad der Selbstständigkeit, der Bewegungsfreiheit und der Verantwortlichkeit, die Dauer, der Umfang und die Art der Tätigkeit sollen insoweit Anzeichen für die Bedeutung der Pflichten sein111. Das Schrifttum ist dieser Rechtsprechung im Großen und Ganzen gefolgt112. Kritisiert wird jedoch insbesondere häufig das Kriterium der Dauer der Tätigkeit113 sowie, dass die Rechtsprechung lediglich einzelfallorien106 Siehe dazu Arzt/Weber, Strafrecht BT, § 22 Rn. 67; Fischer, § 266 Rn. 33; Maurach/Schroeder/Maiwald, Strafrecht BT/1, § 45 Rn. 39; Schünemann, in: LK, § 266 Rn. 31. 107 Auch im subjektiven Tatbestand kam es fortan zu Restriktionsbemühungen, indem an den Nachweis des Vorsatzes „strenge Anforderungen“ gestellt wurden. Dazu im Folgenden unter B. 108 RGSt 69, S. 58, 61 f. 109 BGHSt 33, S. 244, 250. 110 BGHSt 1, S. 186, 188; BGH NJW 1953, S. 1600, 1601. 111 BGHSt 13, S. 315, 317; BGH NStZ 1983, S. 455. 112 Arzt/Weber, Strafrecht BT, § 22 Rn. 58 ff.; NK-StGB-Kindhäuser, § 266 Rn. 32 ff.; Lackner/Kühl, § 266 Rn. 9; Maurach/Schroeder/Maiwald, Strafrecht BT/1, § 45 Rn. 34; Mitsch, Strafrecht BT2/1, § 8 Rn. 41 ff.; Otto, Strafrecht BT, § 54 Rn. 21; Samson/Günther, in: SK-StGB, § 266 Rn. 29 f.; Schünemann, in: LK, § 266 Rn. 73; Wessels/Hillenkamp, Strafrecht BT/2, Rn. 769 ff. 113 Lenckner/Perron, in: Schönke/Schröder, § 266 Rn. 23a m. w. N.; Samson/ Günther, in: SK-StGB, § 266 Rn. 31.

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1. Teil, 1. Kap.: Die dogmatischen Grundlagen

tierte Entscheidungen ohne verlässliche Anwendungskriterien treffe114 bzw. die entwickelten Kriterien mitunter nicht ausreichend stringent anwende und dadurch den Täterkreis übergebührlich ausweite115. In der Tat erscheint die Rechtsprechung wenig überzeugend, wenn eine untreuespezifische Pflichtenstellung bei dem Verwalter eines Fahrkartenschalters116, bei Vermietern bezüglich der Mietkaution117 und bei Rechtsanwälten bezüglich der Rückzahlung von Mandantengeldern ohne Entscheidungsspielraum118 angenommen wird. Bezüglich der Einzelheiten und zur Kasuistik muss auf die einschlägige Kommentarliteratur verwiesen werden119. Mit dem Scheckkartenurteil des BGH120 aus dem Jahr 1972 nahm die Untreuedogmatik eine neue Wende. Der BGH verwarf die bislang vorherrschende dualistische Theorie und vertrat fortan die maßgeblich von Hübner121 begründete, sogenannte streng monistische Konzeption, nach der sich die Vermögensbetreuungspflicht einheitlich auf beide Tatbestandsvarianten bezieht und identischen Inhalt aufweist122. Auf diese Weise erhält auch die Missbrauchsalternative genauere Konturen, denn die vorstehend skizzierte einschränkende Interpretation der Vermögenswahrnehmungspflicht wird über das Merkmal der Vermögensbetreuungspflicht auch auf die Missbrauchsalternative übertragen123. Diese monistische Auffassung wurde in der Folgezeit herrschend124. Für das Verhältnis der beiden Tatbestands114

Seier, in: Achenbach/Ransiek, Wirtschaftsstrafrecht, Kapitel V, Abschnitt 2, Rn. 18. 115 Lenckner/Perron, in: Schönke/Schröder, § 266 Rn. 24 m. w. N. 116 BGHSt 13, S. 315 ff. Kritisch Hübner, in: LK, 10. Auflage, § 266 Rn. 32. 117 Vgl. BGHSt 41, S. 224, 227 ff. = JR 1997, S. 26 ff. Bei Wohnraummiete: BGHSt 52, S. 182, 184 (Mietkaution). Zustimmend Pauly, ZMR 1996, S. 417 ff. Kritisch Kretschmer, JR 2008, S. 348, 350; Satzger, JURA 1998, S. 570 ff.; Sowada, JR 1997, S. 28 ff. 118 BGH wistra 1987, S. 65. 119 Siehe nur MünchKommStGB/Dierlamm, § 266 Rn. 30 ff.; Fischer, § 266 Rn. 33 ff.; Lackner/Kühl, § 266 Rn. 11; Lenckner/Perron, in: Schönke/Schröder, § 266 Rn. 23 ff. Zur Frage, ob das allgemeine Schädigungsverbot eine Vermögensbetreuungspflicht begründen kann, im Folgenden unter V. 1. c). 120 BGHSt 24, S. 386 ff. 121 Hübner, in: LK, 9. Auflage, § 266 Rn. 32, sowie in: LK, 10. Auflage, § 266 Rn. 17. 122 BGHSt 24, S. 386, 387: „Wie schon aus dem Wortlaut des § 266 hervorgeht, setzen beide üblicherweise als Missbrauchs- und Treubruchstatbestand bezeichnete Alternativen dieser Bestimmung voraus, daß der Täter fremde Vermögensinteressen von einiger Bedeutung zu betreuen hat.“ 123 Vgl. Lackner/Kühl, § 266 Rn. 4. 124 Vertreten von BGHSt 33, S. 244, 250; BGHSt 35, S. 224, 227; OLG Köln NJW 1988, S. 3219, 3220; Arzt/Weber, Strafrecht BT, § 22 Rn. 68; MünchKommStGB/Dierlamm, § 266 Rn. 21; Lackner/Kühl, § 266 Rn. 4; Maurach/

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varianten bedeutet das monistische Verständnis, dass es sich bei der Missbrauchsvariante um einen Spezialfall des Treubruchtatbestandes handelt, sodass die 1. Alternative als lex specialis der 2. Alternative vorgeht125. Aus der Kritik an dieser streng monistischen Auffassung haben sich weitere Ansichten herausgebildet, von denen hier nur die wichtigsten beiden Ausprägungen dargestellt werden sollen. Nach einer als modifizierte bzw. neuere dualistische Lehre bezeichneten Ansicht besteht zwar insofern Übereinstimmung mit der herrschenden Ansicht, dass sich der Satzteil „dem, dessen Vermögensinteressen er zu betreuen hat“ auch auf die Missbrauchsalternative beziehen soll, jedoch wird insofern keine qualifizierte Pflichtenstellung für erforderlich gehalten, sondern eine im Außenverhältnis wirksame Verfügungs- und Verpflichtungsbefugnis bezüglich des fremden Vermögens als ausreichend angesehen126. Nach der sogenannten modifizierten oder eingeschränkten monistischen Lehre soll hinsichtlich der für beide Varianten geltenden Vermögensbetreuungspflicht in der Missbrauchsalternative die Einräumung fremdnütziger Dispositionsbefugnisse genügen127. Eine darüber hinausgehende Qualifizierung sei nur für den Treubruchtatbestand erforderlich. Für die herrschende monistische Betrachtung lassen sich indes gewichtige Argumente anführen. So spricht zunächst schon der Wortlaut des § 266 dafür, die im Relativsatz verankerte Vermögensbetreuungspflicht auf beide Tatbestandsalternativen zu beziehen128 und damit an die Pflichtenstellung im Missbrauchstatbestand die gleichen Anforderungen zu stellen wie im Treubruchtatbestand129. Da der Relativsatz in den Satzteil, der das Erfordernis der Nachteilszufügung regelt („und dadurch dem, [. . .] Nachteil zufügt“), eingebettet ist, das Erfordernis der Nachteilszufügung sich aber unstreitig auf beide Tatbestandsvarianten bezieht, muss sich auch der eingebettete Relativsatz auf beide Alternativen beziehen130. Wenn sich aber die Schroeder/Maiwald, Strafrecht BT/1, § 45 Rn. 18; Samson/Günther, in: SK-StGB, § 266 Rn. 5; Schmidhäuser, Strafrecht BT, 11/62; Wessels/Hillenkamp, Strafrecht BT/2, Rn. 750. 125 Meyer, JuS 1973, S. 214, 215; Wessels/Hillenkamp, Strafrecht BT/2, Rn. 749 m. w. N. 126 Bringewat, JA 1984, S. 347, 353; Labsch, JURA 1987, S. 343, 345 f.; Otto, JZ 1988, 883, 884; Ranft, JuS 1988, S. 673, 674. 127 Lenckner/Perron, in: Schönke/Schröder, § 266 Rn. 2 m. w. N.; Schlüchter, JuS 1984, S. 675, 677 („Mit der Vermögensbetreuungspflicht ist dem Täter also aufgegeben, auf das Vermögen (nur) zweckhaft einzuwirken.“); Schramm, Untreue und Konsens, S. 38; Wegenast, Missbrauch und Treubruch, S. 158 f. 128 MünchKommStGB/Dierlamm, § 266 Rn. 21; Hübner, JZ 1973, S. 407, 410; Nelles, Untreue, S. 218 ff. 129 Wessels/Hillenkamp, Strafrecht BT/2, Rn. 750. 130 Nelles, Untreue, S. 219 f.

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1. Teil, 1. Kap.: Die dogmatischen Grundlagen

Regelung auf beide Alternativen bezieht, kann sie nicht jeweils unterschiedlich interpretiert werden. Das Wort „betreuen“ muss in beiden Tatbestandsvarianten die gleiche Bedeutung haben131 und unterscheidet sich nicht entscheidend von dem Begriff „wahrnehmen“132. Hinzu kommt, dass beide Tatbestandsalternativen mit dem gleichen Strafrahmen bedroht sind. Es ist daher nicht einsehbar, weshalb für den Missbrauch weniger strenge Anforderungen gelten sollen als für den Treubruch. Verzichtete man bei der Missbrauchsalternative auf die qualifizierte Vermögensbetreuungspflicht, so könnte schon jeder bloße Vertragsbruch unter den Tatbestand subsumiert werden; dies wäre aber ersichtlich weder mit der absoluten Höhe der Strafdrohung in Einklang zu bringen133 noch mit der Tatsache der identischen Strafdrohung innerhalb des § 266134. Letztlich würde der Verzicht auf die Einschränkung der 1. Alternative auch insoweit zu Wertungswidersprüchen führen, als die veruntreuende Unterschlagung (§ 246 Abs. 2) ebenfalls mit dem gleichen hohen Strafrahmen bedroht ist, aber nur die Unterschlagung einer anvertrauten, also nicht einer bloß „überlassenen“ Sache erfassen will. Zudem würde eine Anwendung des § 266 auf bloße Vertragsbrüche zu einer ausufernden Anwendung des Missbrauchstatbestandes führen und dem aufgrund des weit gefassten und stark normativ geprägten Gesamtuntreuetatbestandes anzustrebenden Ziel, § 266 insgesamt restriktiv auszulegen, zuwiderlaufen135. Zumindest stützen136 lassen sich die vorstehenden Argumente mit einem Blick auf den Willen des Gesetzgebers. Auch wenn sich der Wille des historischen Gesetzgebers137 nicht (zweifelsfrei) ermitteln lässt138, so kann zumindest anhand der Einfügung des § 266b (Missbrauch 131

Hübner, in: LK, 10. Auflage, § 266 Rn. 11. Schünemann, in: LK, § 266 Rn. 71. 133 Vgl. RGSt 69, S. 58, 61. Zwar beziehen sich die Ausführungen des Reichsgerichts auf den Treubruchtatbestand, genauer: die Pflicht zur Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen. Gleichwohl lässt sich das Argument der hohen Strafdrohung auch auf die hier interessierende Problematik des Missbrauchstatbestandes übertragen. 134 Wessels/Hillenkamp, Strafrecht BT/2, Rn. 750. 135 Vgl. Lackner/Kühl, § 266 Rn. 4; Wessels/Hillenkamp, Strafrecht BT/2, Rn. 750. 136 Zu Recht bemerkt Kargl, ZStW 113, S. 565, 569, dass von der Frage, was der Wille des Gesetzgebers ist, die Frage zu trennen ist, ob die dem Willen zugrunde liegende Wertung richtig ist. 137 Nur hingewiesen sei hier auf die Kontroverse über die Frage, ob die Auslegung überhaupt am Willen des historischen Gesetzgebers zu erfolgen hat (subjektive Theorie; siehe z. B. Enneccerus/Nipperdey, BGB AT, S. 324 f.) oder sich nicht vielmehr am jeweils gegenwärtigen Rechtszustand (objektive Theorie, siehe z. B. Schmidhäuser, Strafrecht AT, 5/34) zu orientieren hat. 138 Zu fehlenden Materialien und interpretationsfähigen Stellungnahmen siehe Nelles, Untreue, S. 212 f.; Schramm, Untreue und Konsens, S. 42. 132

A. Grundfragen des Untreuetatbestandes

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von Scheck- und Kreditkarten) im Jahre 1986 auf den Willen des gegenwärtigen Gesetzgebers geschlossen werden, der offenbar ebenfalls für den Missbrauchstatbestand eine Vermögensbetreuungspflicht für erforderlich hielt und sich deshalb, weil der Missbrauch von Kreditkarten bis dahin strafrechtlich nicht adäquat erfassbar war, veranlasst sah, den neuen Deliktstatbestand zu schaffen. In der vorliegenden Arbeit wird also im Folgenden mit der herrschenden Meinung davon ausgegangen, dass sich die Vermögensbetreuungspflicht auch auf die Missbrauchsalternative bezieht und identischen Inhalt mit der für die Treubruchalternative geforderten, einschränkend auszulegenden Vermögenswahrnehmungspflicht aufweist. Demnach muss die Pflichtenstellung des Treunehmers in beiden Alternativen durch Selbstständigkeit und einen gewissen Entscheidungsspielraum gekennzeichnet sein. Die Missbrauchsalternative ist damit lex specialis zur Treubruchuntreue139. IV. Zivilrechtsakzessorietät Nachdem das geschützte Rechtsgut, der zugrunde liegende Vermögensbegriff und der Aufbau des Untreuetatbestandes skizziert sind, ist auf ein weiteres, auch für den Vorsatz weichenstellendes dogmatisches Problem einzugehen. Es wurde vorstehend bereits unter Ziffer I. 2. darauf hingewiesen, dass das Handlungsunrecht bei § 266 nur unzulänglich beschrieben ist und seinen materiellen Gehalt aus außerstrafrechtlichen Vorschriften bezieht. Dieses Verhältnis von außerstrafrechtlichen Regelungen und § 266 soll im Folgenden kurz beleuchtet werden. Diese Problematik ist – insbesondere beim Treubruchtatbestand – von verfassungsrechtlicher Bedeutung im Hinblick auf die Aspekte des Bestimmtheitsgebotes (Art. 103 Abs. 2 GG, § 1)140, die Vorhersehbarkeit von Strafe und den „gesetzgeberischen Primat zur Definition der Strafwürdigkeit“141. Es geht, genauer gesagt, um die Frage, ob sich das Missbrauchs- bzw. Treupflichtverletzungsunrecht des Untreuetatbestandes allein aus der Überschreitung beliebiger außerstrafrechtlicher Pflichten bestimmen lässt oder das Strafrecht eine besondere „Höhenmarke“ verlangt. Dementsprechend müsste sich auch der Vorsatz auf diese besonderen Einschränkungen beziehen.

139 140 141

So auch BGHSt 50, S. 331, 342 (Mannesmann/Vodafone). Vgl. Schünemann, in: LK, § 266 Rn. 29. Kubiciel, NStZ 2005, S. 353, 354.

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1. Teil, 1. Kap.: Die dogmatischen Grundlagen 1. Außerstrafrechtlich erlaubtes Verhalten

Einigkeit besteht in dieser Frage nur über die Untergrenze: Ein zivilrechtlich (bzw. öffentlichrechtlich) erlaubtes Verhalten kann nicht strafbares Untreueunrecht sein142 (sogenannte Zivilrechtsakzessorietät143). Zu Recht weist Dierlamm144 darauf hin, dass dies nicht nur für „eindeutig“ zivilrechtlich erlaubtes Verhalten gelten darf, sondern auch dann gilt, wenn der Handelnde sich für eine von mehreren vertretbaren zivilrechtlichen Lösungen entscheidet, mag auch das Strafgericht anderer zivilrechtlicher Auffassung sein145. Besondere Bedeutung erlangt dieser Aspekt bei Ermessensentscheidungen. Ein im Rahmen des Ermessens (außerstrafrechtlich) noch vertret142 MünchKommStGB/Dierlamm, § 266 Rn. 152; Dierlamm, StraFo 2005, S. 397; Lüderssen, in: FS-Lampe, S. 727, 728; Schünemann, StV 2003, S. 463, 471; Tiedemann, in: FS-Weber, S. 319, 323 m. w. N.; Wollburg, ZIP 2004, S. 646, 656. Erwähnenswert ist insoweit für Fälle auf dem Gebiet des Aktienrechts die Einfügung des § 93 Abs. 1 S. 2 AktienG durch das Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts (UMAG) vom 22. September 2005 (BGBl. I, S. 2802). Nach dieser Neuregelung liegt eine aktienrechtliche Pflichtverletzung nicht vor, wenn das Vorstandsmitglied bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln. Zwar handelt es sich bei der Regelung an sich nur um einen Ausnahmetatbestand zu § 98 Abs. 2 AktienG, der die Schadensersatzhaftung der Vorstandsmitglieder regelt. Große Vorholt, Wirtschaftsstrafrecht, Rn. 404, weist jedoch darauf hin, dass die Regelung auch für die Limitierung der strafrechtlichen Haftung nach § 266 relevant ist. 143 Die Zivilrechtsakzessorietät spielte auch schon oben bei der Skizzierung des Missbrauchsunrechts eine Rolle: Demnach sollen nach hier vertretener Ansicht nur zivilrechtlich wirksame Verpflichtungen und Verfügungen der 1. Alternative unterfallen (siehe oben in diesem Kapitel A. I. 2.). Siehe zur Zivilrechtsakzessorietät allgemein auch Lüderssen, in: FS-Hanack, S. 487 ff. 144 Dierlamm, StraFo 2005, S. 397, 400. 145 Beispielhaft sei in diesem Zusammenhang die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Frage der Untreuestrafbarkeit des GmbH-Geschäftsführers, der mit Zustimmung der Gesellschafter Entnahmen aus dem GmbH-Vermögen tätigt, erwähnt: Zunächst wurden in der strafrechtlichen Rechtsprechung derartige Entnahmen dann als unzulässig mangels Wirksamkeit der Zustimmung angesehen, wenn der Vermögenstransfer gegen zwingendes Recht (§ 30 GmbHG a. F.) verstieß oder willkürlich war (BGHSt 3, S. 32, 39 f.; BGHSt 9, S. 203, 216; BGH wistra 1983, S. 71). In der – vehement kritisierten – Entscheidung BGHSt 34, S. 379 ff. beurteilte der Strafsenat schon solche Vermögensverschiebungen als pflichtwidrig, die durch Falsch- oder Nichtverbuchung (vgl. § 41 GmbHG) verschleiert wurden (Nachweise zur Kritik im Schrifttum bei Fischer, § 266 Rn. 94). Demgegegenüber vertrat die gesellschaftsrechtliche Rechtsprechung einen weniger engen Standpunkt (siehe zum Beispiel BGHZ 95, S. 330 ff.). Schließlich kehrte der Strafsenat zu der alten restriktiven strafrechtlichen Rechtsprechung zurück (BGHSt 35, S. 333 ff.) und stellte damit wieder den „Gleichklang“ zwischen Zivil- und Strafrechtsprechung her (vgl. BGHZ 142, S. 92 ff.). Zur GmbH siehe auch unten im 2. Kapitel, A. II. 3. a) und 5. b) sowie im 6. Kapitel, A. III. 1. a) cc).

A. Grundfragen des Untreuetatbestandes

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bares Verhalten darf nicht strafrechtlich sanktioniert werden146. Jedenfalls bei unbestimmten zivil- oder öffentlichrechtlichen Begriffen würde ansonsten das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG missachtet und der Zweck dieses Gebotes – dem Rechtsbürger die Ausrichtung seines Verhaltens an den Strafnormen zu ermöglichen – verfehlt147. Nicht zuletzt im Hinblick auf das ultima-ratio-Prinzip sollten daher die „außerstrafrechtlichen Merkmale auf einen engen, unbezweifelbaren Kernbereich“148 verengt werden149. 2. Außerstrafrechtlich unerlaubtes Verhalten

Umgekehrt fragt sich jedoch, ob bei jeder Verletzung außerstrafrechtlicher, jedenfalls vermögensschützender Pflichten durch den mit spezifischer Rechtsmacht ausgestatteten Täter zugleich der Untreuetatbestand gegeben ist150 oder ob die Akzessorietät vielmehr in dieser Richtung „limitiert“151 ist. In zwei neueren Urteilen hat der 1. Strafsenat des BGH das bis dahin im Zusammenhang mit § 266 unbekannte Merkmal eines „gravierenden“ Pflichtverstoßes eingeführt. Erstmals verwendete der BGH das Merkmal „gravierend“ in seinem Urteil vom 15. November 2001 zu einem Fall von Untreue bei der Vergabe von Krediten152. Das Gericht problematisierte die 146

Vgl. MünchKommStGB/Dierlamm, § 266 Rn. 152. Vgl. BVerfGE 92, S. 1, 16; Dierlamm, StraFo 2005, S. 397, 402; MünchKommStGB/Dierlamm, § 266 Rn. 152; Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 114 ff.; ders., ZIP 2004, S. 2056; ders., in: FS-Weber, S. 319, 322. 148 Tiedemann, in: FS-Dünnebier, S. 519, 533. Dieser Maßgabe entspreche es, so Tiedemann, in: FS-Weber, S. 319, 322, dass die Rechtsprechung neuerdings gravierende Verstöße gegen das Kreditwesengesetz oder Aktiengesetz verlange. 149 Mitunter wird im Schrifttum als Beispiel für das Erfordernis einer engen Auslegung zugunsten des Handelnden der Fall Mannesmann/Vodafone (BGHSt 50, S. 331 ff.) angeführt; Näheres dazu im 2. Kapitel unter A. II. 4. Anders als der 3. Strafsenat, der die vom Aufsichtsratspräsidium bewilligten Anerkennungsprämien als ausschließlich nachteilig ansah und jeglichen Handlungsspielraum verneinte, wird im Schrifttum mit guten Gründen von vielen ein solcher Entscheidungsspielraum bejaht. Dieser Aspekt und die zivilrechtlich unklare Rechtslage zum Tatzeitpunkt hätten, so Teile des Schrifttums, zu einer restriktiven Auslegung führen müssen (Dierlamm, StraFo 2005, S. 397, 402; Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 122). 150 In diesem Sinne Samson/Günther, in: SK-StGB, § 266 Rn. 38 („Der Tatbestand wird durch die Pflichtverletzung unmittelbar erfüllt.“); Sax, JZ 1977, S. 663, 665. Differenzierend Schünemann, NStZ 2005, S. 473 ff. 151 Günther, in: FS-Weber, S. 311, 314. Teilweise auch als „asymmetrische Akzessorietät“ bezeichnet: Dierlamm, StraFo 2005, S. 397, 398; MünchKommStGB/ Dierlamm, § 266 Rn. 153; Lüderssen, in: FS-Lampe, S. 727, 729. 152 BGHSt 47, S. 148 ff. (Sparkasse Mannheim). 147

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1. Teil, 1. Kap.: Die dogmatischen Grundlagen

Frage, ob sich die angeklagten Entscheidungsträger der Sparkasse Mannheim wegen Untreue strafbar gemacht haben, indem sie bei Kreditvergabe ihre bankübliche Informations- und Prüfungspflicht bezüglich der wirtschaftlichen Verhältnisse des Kreditnehmers gravierend verletzt haben (sogenannte Bank- oder Kredituntreue). Kurz darauf zog der gleiche Senat das Merkmal auch in seinem Urteil vom 6. Dezember 2001, in dem es um die Zulässigkeit einer Spende aus dem Vermögen einer Aktiengesellschaft durch deren Vorstand ging, heran153. Der Senat entschied, dass eine solche Zuwendung nur dann pflichtwidrig im Sinne des § 266 ist, wenn es sich bei der Spende um eine gravierende gesellschaftsrechtliche Pflichtverletzung handelt, was sich aus einer Gesamtschau insbesondere der gesellschaftsrechtlichen Kriterien beurteilen soll154. Dieses Kriterium machte sich in der Folgezeit auch das Landgericht Düsseldorf im Fall Mannesmann/Vodafone zu eigen, in dem es unter anderem um die Bewilligung sogenannter Anerkennungsprämien durch das Aufsichtsratspräsidium der Mannesmann AG zugunsten ehemaliger bzw. im Zuge der Übernahme durch die Vodafone Airtouch plc. ausscheidender Vorstände ging155. Das Landgericht Düsseldorf bejahte zwar eine aktienrechtliche Pflichtverletzung, hielt diese jedoch nicht für „gravierend“ und verneinte im Ergebnis § 266156. Ähnlich wie das Landgericht Düsseldorf folgerte auch ein Teil des Schrifttums aus den Urteilen des 1. Strafsenates, dass eine tatbestandsmäßige Untreue nur dann vorliege, wenn die außerstrafrechtliche Pflichtverletzung für das Strafrecht „gravierend“ ist157. Damit sollte also offenbar eine besondere Höhenmarke für das Strafrecht gelten158. Neben dem zivilrechtlichen Verstoß sollte gewissermaßen auf einer zweiten Prüfungsebene festgestellt werden, ob der Verstoß auch „gravierend“ ist159. Doch war die 153

BGHSt 47, S. 187 ff. = NJW 2002, S. 1585 ff. = NStZ 2002, S. 322 ff. = StV 2002, S. 137 ff. (Sponsoring SSV Reutlingen). 154 Kritisch Beckemper, NStZ 2002, S. 324, 326, die offenbar auch im Falle eines Ermessensspielraums eine strenge Akzessorietät in dem Sinne verlangt, dass bei einem Verstoß gegen das Gesellschaftsrecht zugleich der Verstoß gegen § 266 feststehen soll. 155 LG Düsseldorf, NJW 2004, S. 3275 ff. (Mannesmann/Vodafone). Einzelheiten im 2. Kapitel, A. II. 4. Zur Auffassung des BGH sogleich. 156 LG Düsseldorf, NJW 2004, S. 3275, 3280 f. 157 Dierlamm, StraFo 2005, S. 397, 402; MünchKommStGB/Dierlamm, § 266 Rn. 153; Kiethe, WM 2005, S. 2122, 2129; Kubiciel, NStZ 2005, S. 353, 357 ff.; Lüderssen, in: FS-Lampe, S. 727, 729; Matt, NJW 2005, S. 389, 390; Rönnau/ Hohn, NStZ 2004, S. 113, 118; Wollburg, ZIP 2004, S. 646, 656. 158 Schünemann, NStZ 2006, S. 196, 197, spricht von einer „Puffertheorie“. 159 Dierlamm, StraFo 2005, S. 397, 402; MünchKommStGB/Dierlamm, § 266 Rn. 153; Kiethe, WM 2005, S. 2122, 2129; Krause, StV 2006, S. 307, 308; Kubi-

A. Grundfragen des Untreuetatbestandes

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Interpretation der BGH-Rechtsprechung durch das Landgericht Düsseldorf und das Schrifttum in ihrer Pauschalität überhaupt zutreffend? Der 3. Strafsenat des BGH hatte schließlich anlässlich der Revision des Mannesmann-Urteils des Landgerichts Düsseldorf Gelegenheit, zu dieser Entwicklung Stellung zu nehmen. Er stellte klar, dass „die zur Erfüllung [. . .] der Untreue erforderliche Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht [. . .] nicht zusätzlich ‚gravierend‘ sein [müsse]“.160

Vielmehr beziehe sich das Kriterium „gravierend“ auf die (außerstrafrechtlichen) Prüfungs- und Informationspflichten bei der Kreditvergabe bzw. die gesellschaftsrechtlichen Pflichten bei der Spendenvergabe161. In der Sache habe lediglich der bei risikobehafteten unternehmerischen Entscheidungen anerkanntermaßen bestehende weite Beurteilungs- und Ermessensspielraum ausgestaltet und zugleich klargestellt werden sollen, dass nicht jeder außerstrafrechtliche Pflichtenverstoß sogleich eine Pflichtverletzung im Sinne des § 266 darstellt162. Der 3. Strafsenat bewegt sich damit – ohne dies jedoch explizit zu erwähnen – auf der Linie Schünemanns163, der bereits in seiner Analyse der Entscheidungen des 1. Strafsenates in dem Merkmal „gravierend“ die Umschreibung eines Ermessensspielraumes164 gesehen hatte. In dieser Klarstellung des 3. Strafsenates kann man durchaus die Einlösung der Forderung sehen, bei unbestimmten Gesetzesbegriffen und eröffneten Ermessensspielräumen eine restriktive Interpretation zugunsten des Handelnden anzuwenden165. Aus dem Mannesmann-Urteil des BGH folgt zugleich ein weiteres: Hat der Vermögensbetreuungspflichtige keinen Handlungsspielraum – so die Meinung des Gerichts im konkreten Fall166 –, dann stehe die Verletzung ciel, NStZ 2005, S. 353, 357; Lüderssen, in: FS-Lampe, S. 727, 729; Matt, NJW 2005, S. 389, 390; Wollburg, ZIP 2004, S. 646, 656. Ablehnend Rönnau, ZStW 119, S. 887, 910. 160 BGHSt 50, S. 331, 332 (Leitsatz). 161 BGHSt 50, S. 331, 344 f. 162 Zweifelhaft ist allerdings, ob der BGH insoweit bezüglich der genannten Kreditvergabeentscheidung mit der Anerkennung eines weiten Beurteilungsspielraumes das Richtige getroffen hat, oder ob nicht in dieser Fallgruppe vielmehr ein Ermessensspielraum regelmäßig verneint werden muss, weil die Erlangung eines minderwertigen Kreditrückzahlungsanspruches generell schädigend ist und insoweit kein Ermessensspielraum bestehen kann (wie hier: Schünemann, NStZ 2005, S. 473, 475; im Ergebnis ähnlich: Laskos, Strafbarkeit, S. 87). Dazu noch im 3. Kapitel, A. III. 163 Schünemann, NStZ 2005, S. 473, 476. 164 So auch Rönnau, ZStW 119, S. 887, 911. 165 Vgl. Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 122; ders., in: FS-Weber, S. 319, 322. 166 Ebenso Rönnau/Hohn, NStZ 2004, S. 113, 120: „Leistung ohne Gegenleistung, d.h. ein reines Geschenk“.

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1. Teil, 1. Kap.: Die dogmatischen Grundlagen

der Vermögensbetreuungspflicht im Falle einer kompensationslosen Vermögensminderung außer Frage und dem Merkmal „gravierend“ komme keinerlei Bedeutung zu167. Ähnlich differenzieren auch Rönnau168 und Schünemann169: Eine besondere „Höhenmarke“ für das Strafrecht bestehe nicht. Unter Hervorhebung der Tatsache, dass das Unrecht der Untreue in der Schädigung fremden Vermögens liegt, stellt Schünemann fest, dass mit der Realisierung der Schädigung der Tatbestand des § 266 in solchen Fällen ohne weiteres erfüllt ist, in denen die Pflichtwidrigkeit in der Verletzung des Schädigungsverbotes liegt (und demzufolge von der Schädigung auf die Pflichtwidrigkeit rückgeschlossen werden kann). Darüber hinausgehende Einschränkungen auf „gravierende“ Fälle hält er für verfehlt170. Das im Spenden- und im Bankuntreuefall vom 1. Strafsenat verwendete Kriterium „gravierend“ umschreibe nach Ansicht Schünemanns lediglich den Ermessensspielraum und mache nur dort Sinn, wo die Pflichtverletzung nicht aus einer Schädigung rückgeschlossen, sondern aus eigenständigen Pflichten abgeleitet wird171. Das Merkmal „gravierend“ sei insoweit lediglich ein Hinweis auf die Regeln der objektiven Zurechnung, wonach bei § 266 nicht jeder, sondern nur ein Verstoß gegen vermögensschützende Pflichten berücksichtigt werden dürfe172. Der Klarstellung des 3. Strafsenates des BGH und den Ansichten Schünemanns und Rönnaus ist zuzustimmen. Würde man für die Verwirklichung des § 266 generell eine besondere „Höhenmarke“ verlangen, also auch in Fällen eines Verstoßes gegen das Schädigungsverbot, so würde der Tatbestand ohne entsprechende Anhaltspunkte im Wortlaut zu Lasten des Vermögensschutzes ungebührlich eingeschränkt. Über diese Erwägung hinaus wäre auch schwierig festzulegen, wann ein Verstoß gegen das Schädigungsverbot gravierend sein soll und wann dies nicht der Fall wäre; immer bleibt es eine Schädigung, gleich welche konkrete Höhe der Schaden tatsächlich aufweist173. Nur wenn es auf der außerstrafrechlichen Ebene um Entscheidungen mit (unternehmerischem) Ermessensspielraum geht, kann nicht jede 167

BGHSt 50, S. 331, 346. Zustimmend Rönnau, ZStW 119, S. 887, 917 f. Rönnau, ZStW 119, S. 887, 910. Siehe auch Rönnau/Hohn, NStZ 2004, S. 113, 118. 169 Schünemann, NStZ 2005, S. 473, 474; ders., NStZ 2006, S. 196, 197. Differenzierend auch Günther, in: FS-Weber, S. 311, 314. 170 Schünemann, NStZ 2005, S. 473, 475. 171 Schünemann, NStZ 2005, S. 473, 476. 172 Siehe auch Schünemann, StV 2003, S. 463, 470. Ähnlich Günther, in: FS-Weber, S. 311, 316; Kubiciel, NStZ 2005, S. 353, 360. 173 Die Höhe des Schadens spielt richtigerweise bei der Prüfung eines besonders schweren Falles (§ 266 Abs. 2 i. V. m. § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2) und bei der Strafzumessung (§ 46) eine Rolle. 168

A. Grundfragen des Untreuetatbestandes

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geringfügige Pflichtverletzung einer strafrechtlichen Pflichtverletzung gleichgesetzt werden, sondern bedarf es einer entsprechenden einschränkenden Interpretation. Letztlich dürfte aber auch beispielsweise Kubiciel, der als spezifische Höhenmarke für das Strafrecht eine gravierende Pflichtverletzung fordert174, zu ähnlichen Ergebnissen kommen, wenn er jedenfalls in Fällen der Verletzung einer expliziten und eindeutigen Vorgabe des Vermögensinhabers ohne weiteres eine gravierende strafrechtliche Pflichtverletzung sieht175 und weitere Einschränkungen (nur) in Fällen offener Maßstäbe („Pflichten eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters“) fordert176. Das Meinungsspektrum zu der Frage, wann ein „gravierender“ Pflichtenverstoß vorliegt (die nach hier vertretener Ansicht nur in Fällen eines Ermessensspielraums relevant wird, nicht aber in Fällen eines Verstoßes gegen das Schädigungsverbot), ist groß. Es werden beispielsweise „Leitkriterien“ entwickelt177, eine Reduzierung auf einen Kernbereich verlangt („evident unvertretbares Handeln“)178 und eine Orientierung am Willen des jeweiligen Vermögensinhabers postuliert („den Vermögensinhaber vertretende Entscheidung“)179. Die Einzelheiten zu dieser Problematik können hier aus Platzgründen nicht weiter vertieft werden. 3. Fazit

Zivil- bzw. öffentlichrechtliche und strafrechtliche Rechtshandhabung verhalten sich demnach, bildlich gesprochen, wie konzentrische Kreise zueinander, bei denen das Strafrecht den inneren, das Zivil- bzw. öffentliche Recht den äußeren Kreis bildet180. Erreicht eine Handlung schon nicht den äußeren Kreis, so kann der innere Kreis erst recht nicht erreicht werden. Liegt aber ein zivil- oder öffentlichrechtlicher Pflichtverstoß vor, so heißt dies in der Regel noch nicht automatisch, dass auch der innere Kreis erreicht ist181. Geht es um unternehmerische Ermessensentscheidungen, so ist im Einzelfall zu prüfen, ob der Verstoß derartig schwer wiegt, dass der innere Kreis erreicht wird. Anders ist dies nur dann, wenn es bei der Pflicht174 175 176 177 178 179 180

Kubiciel, NStZ 2005, S. 353, 357. Kubiciel, NStZ 2005, S. 353, 358. Kubiciel, NStZ 2005, S. 353, 359. Dierlamm, StraFo 2005, S. 397, 403. Rönnau, ZStW 119, S. 887, 917. Kubiciel, NStZ 2005, S. 353, 360. Vgl. Schünemann, NStZ 2006, S. 196, 199; Tiedemann, in: FS-Weber, S. 319,

323. 181

So aber offenbar Beckemper, NStZ 2002, S. 324, 326.

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1. Teil, 1. Kap.: Die dogmatischen Grundlagen

verletzung um einen Verstoß gegen das Schädigungsverbot geht; Näheres dazu nachstehend unter V. 1. c). In einem solchen Fall besteht Deckungsgleichheit zwischen zivil- bzw. öffentlichrechtlichem Verstoß und strafrechtlicher Pflichtverletzung im Sinne des § 266. V. Die Verschränkung der Tatbestandsmerkmale Die besondere Unrechtsstruktur des § 266 führt zu einer mitunter als „Strukturproblem“182 bezeichneten „Verzahnung“183 oder „Verschleifung“184 der Tatbestandsmerkmale, wodurch auch eine einheitliche Prüfungsreihenfolge der einzelnen Tatbestandsmerkmale zumindest erschwert wird185. So soll es in bestimmten Fällen möglich sein, von der Schädigung als Taterfolg auf die Pflichtwidrigkeit der Handlung rückzuschließen. Für den Vorsatz würde dies spiegelbildlich bedeuten, dass vom festgestellten Schädigungsvorsatz auf den Pflichtwidrigkeitsvorsatz rückgeschlossen werden kann. 1. Die besondere Unrechtsstruktur des § 266

Die besondere Unrechtsstruktur des § 266 besteht, wie erwähnt186, darin, dass das Erfolgsunrecht, die Zufügung eines Vermögensnachteils, noch präzise beschrieben, die Beschreibung des Handlungsunrechts jedoch verhältnismäßig offen gehalten ist. Beschrieben ist nur, auf welcher Grundlage die Pflichten des Treunehmers beruhen können187 – Gesetz, behördlicher Auftrag, Rechtsgeschäft (jeweils 1. und 2. Alternative) sowie Treuverhältnis (nur 2. Alternative) –, nicht aber, welchen Inhalt die Pflichten haben (müssen) und wann ein Missbrauch bzw. ein Treubruch vorliegt188. Wie der einschlägige Pflichtenmaßstab zu ermitteln ist, soll im Folgenden skizziert werden (a)). Nach einer Betrachtung der Risikogeschäfte (b)) ist der Frage 182 Vgl. Saliger, ZStW 112, S. 563, 569; ders., Parteiengesetz, S. 160 und S. 420 f. 183 Vgl. Wessels/Hillenkamp, Strafrecht BT/2, Rn. 777. 184 Saliger, ZStW 112, S. 563, 570; ders., Parteiengesetz, S. 146, 160. 185 Vgl. Ransiek, ZStW 116, S. 634, 647. 186 In diesem Kapitel unter A. I. 2. 187 Ransiek, ZStW 116, S. 634, 645, spricht von einem „Suchprogramm“. Kritisch zu dieser Formulierung Kubiciel, NStZ 2005, S. 353, 357, Fußnote 67. 188 Hier setzt die verfassungsrechtliche Kritik am Untreuetatbestand (insbesondere an der Treubruchalternative) an. Die herrschende Meinung hält eine dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG genügende Auslegung für möglich: Kubiciel, NStZ 2005, S. 353, 354; Ransiek, ZStW 116, S. 634, 642; Schünemann, in: LK, § 266 Rn. 29; Wolf, KJ 2000, S. 531, 543 ff. Anderer Ansicht MünchKommStGB/ Dierlamm, § 266 Rn. 3 ff.; Kargl, ZStW 113, S. 565, 589; Labsch, Untreue, S. 177 ff.

A. Grundfragen des Untreuetatbestandes

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nachzugehen, ob und inwieweit auf ein allgemeines Schädigungsverbot als Minimalpflicht zurückgegriffen werden kann (c)). Anschließend wird zu erörtern sein, inwieweit es zu einem „Rückschluss“ vom Taterfolg auf die Tathandlung kommen kann (2.). a) Ermittlung des relevanten Pflichtenmaßstabes Verhältnismäßig unproblematisch dürfte die Feststellung des Missbrauchs oder Treubruchs – und unter Umständen auch des Vorsatzes – sein, wenn explizite Vorgaben des Treugebers existieren. Grundsätzlich kann der Vermögensinhaber aufgrund der geltenden Privatautonomie189 den jeweiligen Handlungsspielraum des Treupflichtigen frei bestimmen. Er kann dem Treunehmer absolute Freiheit bezüglich der Eingehung von Geschäften und Risiken einräumen, das heißt umfassende Dispositionsbefugnis übertragen, aber auch bestimmte Grenzen definieren oder die Eingehung von Risiken völlig verbieten. Begrenzt sein kann die privatautonome Gestaltungsfreiheit durch gesetzliche, statutarische oder judikative Vorgaben (zum Beispiel zivilrechtliche oder öffentlichrechtliche Regelung von Betreuungsverhältnissen190); derartige Regelungen wären dann im Einzelfall vorrangig zu beachten191. Schwieriger wird die Feststellung in Fällen, in denen explizite Vorgaben des Vermögensinhabers fehlen. Gibt es keine Treupflichtvereinbarung ausdrücklichen Inhaltes, so ist auf den mutmaßlichen Willen des Vermögensinhabers abzustellen192, nämlich die „im betreffenden Geschäftskreis anerkannten Maximen“193, das heißt die Sorgfaltsanforderungen, die ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsführer im jeweiligen Bereich zu beachten hat194, beispielhaft: die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmannes195 (§ 347 HGB) oder die „anerkannten bankkaufmännischen Grundsätze“196. Letztendlich kann die Konkretisierung des jeweils geltenden Maßstabes aufgrund der Vielgestaltigkeit der möglichen Treubeziehungen nur anhand des jeweiligen Einzelfalles vorgenommen werden, was unvermeidlich zu 189

Siehe dazu Flume, BGB AT II, § 1; Medicus, BGB AT, Rn. 172 ff. Siehe Schünemann, in: LK, § 266 Rn. 94. 191 Vgl. Rose, wistra 2005, S. 281, 286. 192 Hillenkamp, NStZ 1981, S. 161, 167. 193 Schünemann, Organuntreue, S. 34 f. 194 Wessels/Hillenkamp, Strafrecht BT/2, Rn. 755. Der generalklauselartige Charakter dieser Maßstäbe erfordert eine restriktive Interpretion (vgl. Tiedemann, in: FS-Schroeder, S. 641, 644). Siehe schon oben in diesem Kapitel unter A. IV. 1. 195 RGSt 66, S. 255, 262. 196 BGHSt 47, S. 148, 150 (Sparkasse Mannheim). 190

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1. Teil, 1. Kap.: Die dogmatischen Grundlagen

einer kasuistischen Prägung des Untreuetatbestandes führt197 und hier nicht abschließend dargestellt werden kann198. b) Risikogeschäfte Erwähnt seien an dieser Stelle die sogenannten Risikogeschäfte199, die insoweit besondere Schwierigkeiten bereiten können, als regelmäßig das Maß des vertretbaren Risikos vom Vermögensinhaber nicht explizit festgelegt ist. Die Einzelheiten sind nach wie vor sehr umstritten und können hier nur überblickartig dargestellt werden. Überwiegend wird inzwischen vertreten, dass die Abgrenzung zwischen noch erlaubtem und schon verbotenem Risiko bei der Prüfung des Pflichtenumfanges und seiner Überschreitung vorzunehmen ist200. Ob das eingegangene Risiko noch tolerabel ist, ist demnach anhand der vorstehend skizzierten Stufen zu prüfen201: Gibt es keine expliziten, vorrangig202 zu berücksichtigenden Zielvorgaben des Geschäftsherrn, ist auf die Sorgfaltsmaßstäbe des Geschäftsherrn im jeweiligen Bereich abzustellen203. Ist die Eingehung eines Risikos durch die Vorgaben des Geschäftsherrn bzw. die Sorgfaltsmaßstäbe nicht schlechthin untersagt204, bereitet die Beurteilung 197

Vgl. Rose, wistra 2005, S. 281, 288. Beobachtenswert ist hier allemal die Diskussion um die Heranziehung des Deutschen Corporate Governance Kodex als Pflichtenmaßstab, siehe dazu Schlösser/Dörfler, wistra 2007, S. 326 ff.; Schünemann, NStZ 2008, S. 430, 433 f. 199 Zum Begriff des Risikogeschäftes Hillenkamp, NStZ 1981, S. 161 ff.; Lenckner/Perron, in: Schönke/Schröder, § 266 Rn. 20; Rose, wistra 2005, S. 281 ff.; Waßmer, Untreue, S. 5 ff. Meines Erachtens ist das Ringen um die „richtige“ Begriffsbestimmung des Risikogeschäftes letztlich bei der Lösung der Problematik nicht weiterführend (ebenso Martin, Bankuntreue, S. 98; Rose, wistra 2005, S. 281, 282), vor allem wenn man bedenkt, dass letztlich jedes wirtschaftlich bedeutsame Geschäft mehr oder weniger riskant ist (vgl. Haas, Untreue, S. 106; Schmid, in: MG, Wirtschaftsstrafrecht, § 31 Rn. 156). Entscheidend ist, im Einzelfall festzustellen, ob und in welchem Umfang eine Risikoeingehung vom Treugeber zugelassen ist. 200 Siehe nur Seier, in: Achenbach/Ransiek, Wirtschaftsstrafrecht, Kapitel V, Abschnitt 2, Rn. 340 m. w. N. 201 Vgl. Schünemann, in: LK, § 266 Rn. 95. 202 Schünemann, in: LK, § 266 Rn. 95 und 97; Seier, in: Achenbach/Ransiek, Wirtschaftsstrafrecht, Kapitel V, Abschnitt 2, Rn. 344 f. 203 Seier, in: Achenbach/Ransiek, Wirtschaftsstrafrecht, Kapitel V, Abschnitt 2, Rn. 346; Rose, wistra 2005, S. 281, 286. 204 Nach hier vertretener Ansicht ist in den Bankuntreuefällen – dies sei hier zum Verständnis kurz vorweggenommen –, soweit es um die Vergabe von Krediten an bonitätsschwache Kreditnehmer bei unzureichender Sicherheitenposition geht, bei der Feststellung des Pflichtenmaßstabes in der Regel der Verstoß gegen das Schädigungs198

A. Grundfragen des Untreuetatbestandes

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erhebliche Schwierigkeiten und lässt sich nur anhand des konkreten Einzelfalles bestimmen205. Sind im betreffenden Bereich Risikogeschäfte durchaus üblich, heißt dies nicht ohne weiteres, dass jedes Risiko zulässig wäre. Die Rechtsprechung hält das Risikogeschäft insbesondere dann nicht mehr für tolerabel, wenn der Handelnde „eine äußerst gesteigerte Verlustgefahr auf sich nimmt, nur um eine höchst zweifelhafte Gewinnaussicht zu erhalten“206.

Andere stellen auf die hohe Wahrscheinlichkeit der Gewinnaussicht ab207 oder sehen die Eingehung solcher Risiken als treuwidrig an, die formell oder materiell bzw. wirtschaftlich unvertretbar sind208. Doch bedarf es stets auch einer genauen Betrachtung, wann im Falle einer Überschreitung der Befugnisgrenzen tatsächlich ein Vermögensnachteil gegeben ist. Analysiert man bei einem Risikogeschäft – zum Beispiel einem Spekulationsgeschäft – die Vermögenslage im Zeitpunkt der Tathandlung, so zeigt sich, dass dem Vermögen für den hingegebenen Vermögensteil unmittelbar ein Gegenwert zufließt; der Aktienkäufer beispielsweise erhält für die Hingabe des Kaufpreises im Gegenzug Aktien. Sind Leistung und Gegenleistung gleichwertig, so liegt kein Schaden vor. Maßstab für die Bewertung der Gegenleistung ist dabei der Marktpreis209, also der Preis, der sich für ein Wirtschaftsgut auf einem Markt, zum Beispiel an der Börse, bei freiem Wirken von Angebot und Nachfrage bildet210. Zahlt beispielsweise der Vermögensbetreuungspflichtige bei einem Warentermingeschäft für den Kontrakt an der Warenterminbörse den Marktpreis, der sich aus dem Kurs verbot maßgeblich (dazu schon Fußnote 162, S. 43 sowie nachfolgend im 3. Kapitel, A. III. 1.). Ein Kredit, bei dem der Forderungsausfall von vornherein aufgrund mangelnder Bonität und Sicherheitenwerte wahrscheinlich ist, entspricht nämlich regelmäßig nicht den „anerkannten bankkaufmännischen Grundsätzen“ (vgl. BGHSt 47, S. 148, 150 [Sparkasse Mannheim]). Immer ist aber im Einzelfall vorrangig zu prüfen, ob und inwieweit eine etwa spekulative Kreditvergabe, bei der von vornherein ein hohes Risiko – aber auch eine hohe Renditechance durch entsprechende Verzinsung – im Raume steht, oder ein etwaiger Sanierungskredit vom Treugeber zugelassen wird. Hierbei wird die von der Rechtsprechung geforderte sorgfältige Abwägung der Chancen und Risiken relevant (vgl. BGHSt 46, S. 30, 34 [Sparkasse]). 205 Lenckner/Perron, in: Schönke/Schröder, § 266 Rn. 20. 206 RGSt 61, S. 211, 213 f.; RGSt 66, S. 255, 262; BGH StV 2004, S. 424, 425. Siehe auch BGH NJW 1990, S. 3219, 3220 = BGHR StGB § 266 Abs. 1 Vorsatz 2 S. 1. In der Entscheidung BGH NJW 1975, S. 1234, 1236, verwendet der BGH diese Formel im Rahmen der Schadensfeststellung. 207 Schreiber/Beulke, JuS 1977, S. 656, 660. 208 Fischer, § 266 Rn. 69. Ähnlich OLG Karlsruhe, NJW 2006, S. 1682, 1683; MünchKommStGB/Dierlamm, § 266 Rn. 204; Seier, in: Achenbach/Ransiek, Wirtschaftsstrafrecht, Kapitel V, Abschnitt 2, Rn. 347. 209 Hellmann, ZIS 2007, S 433, 440; Waßmer, Untreue, S. 116 f. 210 Büschgen, Börsen-Lexikon, S. 994 f.

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ergibt, so ist der Vermögensinhaber nicht geschädigt211, mag auch seine Risikovorgabe gewesen sein, das Vermögen in „sichere Bundesanleihen“ zu investieren. Dieses Ergebnis löst mitunter gerade in einem solchen Fall eklatanten Auseinanderfallens von Risikovorgabe („sichere Bundesanleihe“) und tatsächlichem Geschäft („spekulatives Warentermingeschäft“) angesichts der eingegangenen Verlustgefahr Unbehagen aus. Doch ändert ein etwa empfundenes Strafbedürfnis nichts an der Tatsache, dass bei streng dogmatischer Betrachtung im maßgeblichen Zeitpunkt der Tathandlung Leistung und Gegenleistung ausgeglichen waren. Die etwaige spätere Realisierung der Verlustgefahr darf nicht dazu führen, das im Zeitpunkt der Tathandlung ausgeglichene und lediglich mit der abstrakten Gefahr des späteren Verlustes behaftete Geschäft – das ebenso gut zu einem hohen Gewinn führen kann – als für das Vermögen nachteilig anzusehen. Deshalb überzeugt auch die Formel der Rechtsprechung nicht, nach der ein Vermögensschaden dann anzunehmen sei, wenn der Täter „nach Art eines Spielers [. . .] eine aufs äußerste gesteigerte Verlustgefahr auf sich nimmt [. . .]“212.

Der Untreuetatbestand darf eben „nicht in eine strafrechtliche ‚Misserfolgs-Haftung‘ für wirtschaftliche Wagnisse umgedeutet werden, deren Gelingen dem Handelnden als bewundernswerte Weitsicht zugerechnet worden wäre“213. Meint man es ernst mit der Forderung nach Restriktion des Untreuetatbestandes, so sind bloß abstrakte Gefährdungen aus dem Anwendungsbereich des § 266 herauszulösen; hierauf wird im zweiten Kapitel in Abschnitt B. II. noch zurückzukommen sein. Scheidet im konkreten Fall eine Strafbarkeit nach § 266 aus, so bleibt die Prüfung zivilrechtlicher Ansprüche und etwaiger Verstöße gegen das Börsen- und das Wertpapierhandelsgesetz. Zusammenfassend ist einmal mehr zu fordern, dass die Grenzziehung zwischen erlaubtem Risiko und Missbrauch bereits im objektiven Tatbestand zu erfolgen hat. Gerade bei Fehlen konkreter Handlungsvorgaben muss schon der objektive Tatbestand restriktiv angewendet werden. Und nicht nur die Risikopräferenz des Vermögensinhabers ist eingehend zu analysieren, sondern, wie vorstehend gezeigt, auch die Frage des Vermögens211

Vgl. Benicke, Wertpapiervermögensverwaltung, S. 661. BGH NJW 1975, S. 1234, 1236. Kritisch zu bemerken ist hinsichtlich der Verwendung dieser Formel zudem, dass sie teilweise, wie bei der hier zitierten Entscheidung, im Rahmen der Schadensfeststellung verwendet wird, in anderen Entscheidungen dagegen, wie erwähnt, für die Beurteilung der Pflichtwidrigkeit herangezogen wird (BGH StV 2004, S. 424, 425). 213 Fischer, § 266 Rn. 68. 212

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nachteils. Etwaige Unklarheiten über den Umfang bzw. die Grenzen der Treupflicht oder den Schaden dürfen nicht erst im subjektiven Tatbestand korrigiert werden, dazu Genaueres nachfolgend unter C. c) Schädigungsverbot als Minimalpflicht Ist anhand der oben skizzierten Maximen keine eindeutige bzw. spezielle Vorgabe ermittelbar, so ist auf das jeder Vermögensbetreuungspflicht immanente Schädigungsverbot als Minimalpflicht zurückzugreifen214. Dierlamm allerdings will das Schädigungsverbot im Interesse einer restriktiven Anwendung des Untreuetatbestandes grundsätzlich ausschließen215. Er meint, dass das allgemeine Schädigungsverbot keine „spezifische, einem qualifizierten Pflichtenkreis immanente Pflicht, sondern eine allgemeine Nebenpflicht“ sei, die in Schuldverhältnissen jedweder Art vorkomme216. Der Verstoß gegen eine solche allgemeine Schuldnerpflicht falle nicht unter den Untreuetatbestand217. In der Konsequenz würde die Ansicht Dierlamms dazu führen, dass die Schädigung des Vermögens nur deswegen nicht sanktioniert würde, weil keine „spezielle“ Pflichtenregelung besteht218. Beispielhaft: Vergibt der vermögensbetreuungspflichtige Entscheidungsträger einer Bank sehenden Auges einen unbesicherten Kredit an einen bonitätsschwachen Kreditnehmer, so schädigt bzw. gefährdet er das Vermögen der Bank, weil der Kreditrückzahlungsanspruch minderwertig ist. Hat der Entscheidungsträger dabei alle formellen Pflichten zur Bonitäts- und Sicherheitenprüfung erfüllt (und gerade dabei die Minderwertigkeit des Rückzahlungsanspruches festgestellt) und sich an die ihm auferlegten Kreditgrenzen gehalten, so müsste er nach der Ansicht von Dierlamm – trotz der evidenten Schädigung – allein deswegen straffrei bleiben, weil er „nur“ gegen das Schädigungsverbot verstoßen hat. Gleiches würde für den Vorstand einer Aktiengesellschaft gelten, der ohne unternehmerische Gründe „Tafelsilber“ der Gesellschaft unter Wert verkauft219, oder für Fälle der Schaffung von Dispositionsfonds („schwarze 214 Schünemann, in: LK, § 266 Rn. 94. Ähnlich Laskos, Strafbarkeit, S. 87; Saliger, ZStW 112, S. 563, 569. Anderer Ansicht MünchKommStGB/Dierlamm, § 266 Rn. 166. 215 Dierlamm, NStZ 1997, S. 534, 535. 216 MünchKommStGB/Dierlamm, § 266 Rn. 166. 217 MünchKommStGB/Dierlamm, § 266 Rn. 166; ders., NStZ 1997, S. 534, 535. 218 Zu dem gleichen Ergebnis führt die Forderung von Deiters, ZIS 2006, S. 152, 159, dass immer ein „konstitutives und nach strafrechtlichen Maßstäben hinreichend bestimmtes Verbot“ vorliegen müsse. 219 Beispiel nach Kubiciel, NStZ 2005, S. 353, 360.

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1. Teil, 1. Kap.: Die dogmatischen Grundlagen

Kassen“). Ein solches Ergebnis kann nicht Sinn und Zweck der Strafbarkeit von Untreue sein. Bei genauerem Hinsehen löst sich diese Kontroverse jedoch schnell auf. Soweit man die Ansicht Dierlamms dahingehend interpretieren kann, dass sich aus einem „allgemeinen Schädigungsverbot“ keine untreuespezifische Vermögensbetreuungspflicht ergeben kann, ist ihr zuzustimmen. Ist das Schädigungsverbot im konkreten Fall bloße Nebenpflicht aus einem zwischen dem Vermögensinhaber und dem Täter bestehenden gegenseitigen Vertrag (zum Beispiel Kaufvertrag, Mietvertrag usw.), der also nicht die Vermögensbetreuung im engeren Sinne beinhaltet, so kann dieses Schädigungsverbot keine untreuespezifische Pflichtenstellung, das heißt keine Vermögensbetreuungspflicht des Täters begründen220. Dieser Täter kann nicht tauglicher Täter einer Untreue sein. Die Mitarbeiter eines Wirtschaftsunternehmens beispielsweise unterliegen also in der Tat, wie Dierlamm feststellt221, alle einem allgemeinen Schädigungsverbot; dies bedeutet aber noch nicht, dass auch jeder Mitarbeiter tauglicher Täter des § 266 sein kann, denn dieses allgemeine Schädigungsverbot begründet als solches nicht ohne weiteres eine Vermögensbetreuungspflicht. Täter der Untreue kann daher also der gegen das Schädigungsverbot verstoßende vermögensbetreuungspflichtige Prokurist sein, nicht aber die weisungsgebundene Sekretärin. Schädigt die weisungsgebundene Sekretärin das Unternehmen, so ist sie bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen zivilrechtlich zum Schadensersatz verpflichtet und möglicherweise auch wegen Sachbeschädigung nach § 303 strafbar. Eine Untreue scheidet jedoch aus. Es kommt also darauf an, wer die Untreuehandlung begeht222. Eine ganz andere Frage ist – und diese Differenzierung wird bei Dierlamm nicht deutlich –, ob dann, wenn im ersten Prüfungsschritt ein untreuespezifisches Vermögensbetreuungsverhältnis bejaht wurde, die Schädigung des Vermögens durch einen Verstoß gegen das „allgemeine“ Schädigungsverbot eine Pflichtverletzung im Sinne des § 266 ist. Und dies wird man eben nach Sinn und Zweck des § 266 nicht verneinen können. Obliegt es dem Handelnden, das fremde Vermögen zu betreuen, so darf er es nicht schädigen und macht sich anderenfalls und vorbehaltlich der weiteren tatbestandlichen Voraussetzungen der Untreue strafbar223. 220

Ebenso Samson/Günther, in: SK-StGB, § 266 Rn. 28. Dierlamm, NStZ 1997, S. 534, 535. 222 Schünemann, in: LK, § 266 Rn. 90. 223 Schünemann, in: LK, § 266 Rn. 94. Siehe auch BGHSt 50, S. 331, 336 (Mannesmann/Vodafone); Arzt, in: FS-Bruns, S. 365, 375; Burkhardt, NJW 1973, S. 2190 f.; Kohlmann, GmbH-Geschäftsführer, Rn. 258; Laskos, Strafbarkeit, S. 87; Lenckner/Perron, in: Schönke/Schröder, § 266 Rn. 36; Ransiek, ZStW 116, S. 634, 221

A. Grundfragen des Untreuetatbestandes

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Nicht übersehen werden darf aber, dass nicht jeder Verstoß gegen das Schädigungsverbot durch einen Vermögensbetreuungspflichtigen untreuerelevant ist. Vielmehr sind folgende Restriktionen zu beachten, die insbesondere bei der Beschädigung, Zerstörung oder Entwendung von Sachen, worin durchaus eine Untreue liegen kann224, von Bedeutung sind. So kann es nicht ausreichen, dass dem Treupflichtigen durch seine Stellung der Zugang zu dem Vermögenswert möglich war, die Betreuung des konkreten Wertes jedoch nicht in seinem Aufgabenbereich lag225. Erforderlich ist vielmehr ein innerer Zusammenhang mit der Vermögensbetreuungspflicht226, sodass eine Begehung der Tat bei Gelegenheit der Vermögensbetreuung von § 266 nicht erfasst wird227. Anknüpfend an das Beispiel des vermögensbetreuungspflichtigen Prokuristen würde dies bedeuten: Zerschlägt der Prokurist in seinem Büro vor Wut eine Lampe, so ereignet sich diese Schädigung nur gelegentlich seiner Vermögensbetreuung, denn die Sorge für die Büroeinrichtung ist ihm nicht als besondere Vermögensbetreuungspflicht übertragen228. Nicht entscheidend ist dagegen, ob die Tat auch von einem vermögensfremden Dritten hätte begangen werden können229. Zu eng erschiene deshalb die Einschränkung auf solche Verletzungshandlungen, die nur der Untreuetäter, nicht jedoch ein nicht betreuungspflichtiger Dritter begehen kann230. Dies würde den Schutzzweck ungebührlich einengen. 2. Die Problematik des „Rückschlusses“ von der Schädigung auf die Pflichtwidrigkeit

In einem Fall, in dem auf das Schädigungsverbot als Pflichtenmaßstab abgestellt wird, kommt es gewissermaßen zu dem eingangs erwähnten „Rückschluss“ von der Schädigung auf die Pflichtwidrigkeit231. Indes wird 647; Saliger, ZStW 112, S. 563, 569; Samson/Günther, in: SK-StGB, § 266 Rn. 40; Tiedemann, in: FS-Tröndle, S. 319, 325; Vogel/Hocke, JZ 2006, S. 568, 569. 224 Vgl. Lenckner/Perron, in: Schönke/Schröder, § 266 Rn. 36. 225 So aber Lenckner/Perron, in: Schönke/Schröder, § 266 Rn. 36 a. E. Wie hier NK-StGB-Kindhäuser, § 266 Rn. 62; Schünemann, in: LK, § 266 Rn. 89; Tiedemann, in: FS-Tröndle, S. 319, 325. 226 Fischer, § 266 Rn. 50; NK-StGB-Kindhäuser, § 266 Rn. 62; Lenckner/Perron, in: Schönke/Schröder, § 266 Rn. 36; Maurach/Schroeder/Maiwald, Strafrecht BT/1, § 45 Rn. 36; Schünemann, in: LK, § 266 Rn. 89. 227 Mitsch, Strafrecht BT2/1, § 8 Rn. 46; OLG Hamm, NJW 1973, S. 1809, 1810 f. 228 Siehe auch das Beispiel bei Mitsch, Strafrecht BT2/1, § 8 Rn. 46. 229 BGHSt 17, S. 360, 361 f.; NK-StGB-Kindhäuser, § 266 Rn. 62; Lenckner/ Perron, in: Schönke/Schröder, § 266 Rn. 36; Schünemann, in: LK, § 266 Rn. 90. 230 So aber Burkhardt, NJW 1973, S. 2190, 2191. Wie hier: BGHSt 17, S. 360, 361 f.; NK-StGB-Kindhäuser, § 266 Rn. 62; Schünemann, in: LK, § 266 Rn. 90.

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1. Teil, 1. Kap.: Die dogmatischen Grundlagen

an diesem Rückschluss kritisiert, er führe zu einer Verschleifung der Tatbestandsmerkmale und damit zu einer unzulässigen Einebnung des Tatbestandes232. Bei näherem Hinsehen lässt sich jedoch feststellen, dass die Tatbestandsmerkmale durchaus ihre jeweilige eigenständige Bedeutung behalten, mögen sie auch voneinander abhängen. Keineswegs nämlich beruht die Verwirklichung des § 266 allein auf der Realisierung des Erfolgsunrechts in Gestalt der Vermögensschädigung. Vielmehr behält auch das Merkmal der Treupflichtverletzung eigene Relevanz: Treupflichtverletzung ist der Verstoß gegen die Pflicht des Treunehmers, das Vermögen des Treugebers nicht zu schädigen. Es ist also zunächst immer der einschlägige Pflichtenmaßstab zu ermitteln – gegebenenfalls ist dies das Schädigungsverbot – und sodann zu prüfen, ob ein Vermögensschaden herbeigeführt wurde. In der Praxis wird in einem solchen Fall die Erörterung der Pflichtwidrigkeit kaum besonderen Raum einnehmen, da das Verbot, den Treugeber zu schädigen, evident ist233. Der Schwerpunkt wird in diesen Fällen meist bei der Frage liegen, ob tatsächlich ein Schaden eingetreten ist. Diese Art der Verschränkung der Tatbestandsmerkmale ist daher im Prinzip unproblematisch234. Ist nicht das Schädigungsverbot einschlägige Pflicht, sondern hat der Treugeber den Pflichtenmaßstab näher konkretisiert, so ist ein derartiger Rückschluss nicht möglich. Dies sei kurz am Beispiel einer Unternehmensspende für karitative Zwecke illustriert. Da eine solche Spende naturgemäß ohne (wirtschaftliche) Kompensation235 erfolgt, führt die Vermögensminderung an sich zu einem „Schaden“, also zum Taterfolg im Sinne des § 266. Dies greift aber ersichtlich zu kurz236, wenn der die Spende veranlassende Treupflichtige (zum Beispiel Vorstand) zu der Spende vom Vermögensinha231 Vgl. Schünemann, in: LK, § 266 Rn. 94; ders., NStZ 2005, S. 473, 474; ders., Organuntreue, S. 24. 232 Matt, NJW 2005, S. 389, 390; Saliger, ZStW 112, S. 563, 569 f. und 594 („rechtsstaatlich problematisch“). Andererseits hält Saliger, Parteiengesetz, S. 160 und 421, den umgekehrten Schluss von der Pflichtwidrigkeit auf die Schädigung und die daraus resultierende Verschleifung partiell für „nahezu unvermeidlich“; die Grenze des Verfahrens liege (erst) dort, wo es zu einer Identität von Tathandlung und Taterfolg komme. 233 Ebenso Lassmann, Stiftungsuntreue, S. 228, der von einem „elementaren Minimalkonsens der Rechtsgemeinschaft“, sich „nicht aus fremden Kassen nach Belieben bedienen zu dürfen“, spricht. 234 Ebenso Ransiek, ZStW 116, S. 634, 647. Nach Ansicht Ransieks komme es vielmehr darauf an, die Abhängigkeit deutlich zu machen und ihre Reichweite abzustecken. 235 Die Frage, ob im Fall einer öffentlichkeitswirksamen Vornahme der Spende eine Kompensation durch eine Steigerung des Ansehens des Unternehmens mit wirtschaftlichen Vorteilen vorliegt, sei hier außen vor gelassen. 236 Siehe auch Fischer, § 266 Rn. 24 a. E.

A. Grundfragen des Untreuetatbestandes

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ber geradezu ermächtigt ist237. In diesem Fall liegt zwar, wenn man so will, ein „Schaden“ im Sinne einer Vermögensminderung vor, indessen fehlt es an einer untreuerelevanten Tathandlung, mit anderen Worten: Die Vermögensminderung ist nicht pflichtwidrig238. Vom „Taterfolg“ kann also gerade nicht auf die Tathandlung rückgeschlossen werden239. Ob die (per se vermögensmindernde) Spende im Einzelfall untreuerelevant ist, hängt davon ab, ob die Verfügung den (vermögensschützenden) Vorgaben des Treugebers entsprach, also gegebenenfalls ein etwaiges Ermessen fehlerfrei ausgeübt wurde240. Der Schwerpunkt der Prüfung liegt in diesen Fällen bei der Frage des Missbrauchs bzw. der Treupflichtverletzung, denn die strafrechtliche Pflichtwidrigkeit ist nicht Folge der Schädigung, sondern – möglicherweise – durch das Zivilrecht oder das öffentliche Recht aufgehoben241. Dass ein Rückschluss auch in umgekehrter Richtung, also von der Tathandlung auf den Taterfolg, auftritt, hat Saliger anhand der Rechtsprechung zur Haushaltsuntreue aufgezeigt242. Ursache sei in diesen Fällen die Personalisierung des Vermögensbegriffes durch die Anwendung der Zweckverfehlungslehre243, die in dieser Schrift allerdings abgelehnt wird244. 3. Ergebnis

Das Schädigungsverbot ist untreuerelevante Minimalpflicht, wenn es keine spezifischen Pflichtvorgaben des Treugebers gibt. Maßgeblich ist ein solcher Verstoß gegen das Schädigungsverbot allerdings nur, wenn zuvor eine untreuespezifische Pflichtenstellung (Vermögensbetreuungspflicht) festgestellt wurde. Eine solche Pflichtenstellung kann sich nicht aus dem allgemeinen, jedem Vertragsverhältnis immanenten Schädigungsverbot ergeben. Ist die besondere Pflichtenstellung festgestellt, so kann die untreuerelevante Pflichtwidrigkeit in einem Verstoß gegen das – jedem spezifischen Vermögenssorgeverhältnis immanenten – Schädigungsverbot liegen. 237

Vgl. Ransiek, ZStW 116, S. 634, 648. Vgl. auch Schünemann, NStZ 2006, S. 196, 198. Siehe dazu auch unten, 2. Kapitel, B. I. 1. 239 Nicht ganz zutreffend daher die pauschale Kritik von Rose, wistra 2005, S. 281, 285, das Rückschlussverfahren insinuiere, dass jedem Vermögensschaden eine Pflichtverletzung zugrunde liege; ein solcher Rückschluss wird nur in bestimmten Konstellationen für möglich gehalten. 240 Siehe beispielsweise BGHSt 47, S. 187 ff. (Sponsoring SSV Reutlingen). 241 Vgl. Schünemann, Organuntreue, S. 25. 242 Saliger, ZStW 112, S. 563, 569 (Fußnote 30), 593 f. und 611; siehe auch ders., Parteiengesetz, S. 160 und 421. 243 Saliger, ZStW 112, S. 563, 611. 244 Siehe 1. Kapitel, A. II. 3. 238

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1. Teil, 1. Kap.: Die dogmatischen Grundlagen

In einem solchen Fall folgt aus der Schädigung zugleich die Pflichtwidrigkeit. Ist dagegen nicht das Schädigungsverbot einschlägige (Minimal-)Pflicht, so scheidet ein derartiger Rückschluss aus. In diesem Fall ist anhand des zivil- bzw. öffentlichrechtlichen Pflichtenmaßstabes eingehend zu prüfen, ob die Vermögensbeeinträchtigung tatsächlich pflichtwidrig im Sinne des § 266 war.

B. Die Grundlagen des Untreuevorsatzes Nachdem die grundlegenden Aspekte zum objektiven Untreuetatbestand skizziert wurden, sind nun wegweisende Überlegungen zur subjektiven Tatseite des § 266 anzustellen. Der subjektive Tatbestand der Untreue erfordert in seiner geltenden Fassung eine vorsätzliche Tatbegehung. Nach allgemeiner Meinung soll insoweit dolus eventualis (bedingter Vorsatz245) ausreichend sein246. Noch in der Fassung des Strafgesetzbuches für das Deutsche Reich vom 15. Mai 1871247 verlangte § 266 im subjektiven Tatbestand dem Wortlaut nach eine absichtliche Tatbegehung. Dazu entschied das Reichsgericht allerdings bereits im Jahre 1880, dass es sich nicht um eine Absicht im Sinne des dolus directus ersten Grades handelt, sondern das Bewusstsein der Nachteilszufügung, direkter Vorsatz, ausreiche248. Mit der Gesetzesnovelle von 1933249 wurde explizit die heute geltende Vorsatzform des dolus directus zweiten Grades eingeführt. Eine Bereicherungsabsicht verlangt § 266 de lege lata nicht. In der historischen Fassung von 1871 konnte in Fällen, in denen der Täter die Untreue beging, „um sich oder einem anderen einen Vermögensvortheil zu verschaffen“, neben der Gefängnisstrafe „auf Geldstrafe bis zu Eintausend Thalern erkannt werden“. In der Gesetzesfassung von 1933 begründete eine mit Bereicherungsabsicht begangene Untreue einen besonders schweren Fall250. Die Beispiele für besonders schwere Fälle wurden durch das Dritte 245 Siehe zur Kritik an der herkömmlichen Bezeichnung „bedingter Vorsatz“: Cramer/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, § 15 Rn. 72; Roxin, Strafrecht AT, § 12 Rn 24; Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 215. 246 RGSt 75, S. 75, 85; Fischer, § 266 Rn. 171; NK-StGB-Kindhäuser § 266 Rn. 122; Lackner/Kühl, § 266 Rn. 19; Lenckner/Perron, in: Schönke/Schröder, § 266 Rn. 49; Maurach/Schroeder/Maiwald, Strafrecht BT/1, § 45 Rn. 51. 247 RGBl. S. 127, 177 f. 248 RGSt 1, S. 172, 174 f. (mit ausführlicher Begründung) und S. 329 f. Siehe auch RGSt 7, S. 279, 282 f.; RGSt 15, S. 211, 212; RGSt 16, S. 77, 82; RGSt 71, S. 155, 159; Ebener, Untreue, S. 75; Frank, Strafgesetzbuch, § 266 Anm. V, S. 607. 249 RGBl. I, S. 295, 297. 250 Vgl. Frank, Strafgesetzbuch-Nachtrag, § 266, Anm. IV a. E., S. 61.

B. Die Grundlagen des Untreuevorsatzes

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Strafrechtsänderungsgesetz von 1953251 gestrichen. Grund für die Streichung war die Erwägung, dass die Regelung besonders schwerer Fälle einheitlich und nicht nur bei einzelnen Tatbeständen geregelt werden sollte252. Da die bloß fahrlässig begangene Untreue nicht strafbar ist, kommt der Abgrenzung des bedingten Vorsatzes von der bewussten Fahrlässigkeit besondere Bedeutung zu, denn hiervon hängt bei § 266 für den Handelnden die Frage von Strafbarkeit und Straffreiheit ab. Wie im 3. Kapitel in Abschnitt B. noch zu zeigen sein wird, bereitet gerade die Abgrenzung von bedingtem Vorsatz und bewusster Fahrlässigkeit erhebliche Schwierigkeiten. Im Folgenden sollen zunächst Vorschläge de lege ferenda erörtert werden, die subjektive Seite dahingehend zu ändern, dass der innere Tatbestand auf direkt vorsätzliche oder absichtliche Begehungsweisen beschränkt (I.) oder eine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit eingeführt wird (II.). Würde man diesen Vorschlägen folgen, könnten sich entsprechende Auswirkungen für die vorgenannte Abgrenzungsproblematik ergeben, weshalb die Erörterung dieser Reformüberlegungen bereits hier erfolgen soll. Zu fragen ist des Weiteren, ob in den Untreuetatbestand eine Bereicherungsabsicht eingefügt werden sollte (III.). Diese Reformansätze werden in der aktuellen Diskussion vor allem als Vorschläge zur Eingrenzung des als zu weit empfundenen Tatbestandes des § 266 erörtert. I. Zum Vorschlag der Beschränkung des § 266 auf dolus directus Denkbar wäre, den Vorsatz bei § 266 dahin einzuengen, dass der Täter wissentlich253 oder sogar absichtlich254 handeln muss, sodass dolus eventualis für eine Strafbarkeit nicht mehr ausreicht. Mit einer solchen Beschränkung auf direkten Vorsatz ersten oder zweiten Grades würde zumindest für § 266 die problematische Abgrenzung des bedingten Vorsatzes von der bewussten Fahrlässigkeit entfallen. Zugleich wäre dies auch eine Möglichkeit, den sehr weit gefassten Treubruchtatbestand einzugrenzen255, sodass bei einem „guten Manager“, der die einer jeden wirtschaftlichen Entscheidung immanenten Risiken sieht und einkalkuliert, nicht „fast automatisch § 266 StGB in das Blickfeld gerät“256. 251

BGBl. I, S. 735, 743. Vgl. Verhandlungen des Deutschen Bundestages, Drucksache 1/3713, S. 42. 253 So beispielsweise Labsch, Untreue, S. 337. Ablehnend Schramm, Untreue und Konsens, S. 266 f. 254 So beispielsweise Perron, NStZ 2008, S. 517, 519. 255 Vgl. Schramm, Untreue und Konsens, S. 267. 256 Günther, in: FS-Weber, S. 311, 313. 252

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1. Teil, 1. Kap.: Die dogmatischen Grundlagen

Allerdings befürchtet Schramm, dass durch diese Einschränkung der Tatbestand häufig leerlaufen würde, da der Nachweis sicheren Wissens bzw. der absichtlichen Treupflichtverletzung „eher selten erbracht werden könnte“257. Auch füge sich seiner Meinung nach eine solche Beschränkung nicht nahtlos in die Systematik der übrigen Vermögensdelikte, die eine solche Beschränkung nicht vorsehen258. Entscheidend ist jedoch, dass mit einer solchen Beschränkung das Rechtsgut des § 266, das Vermögen259, gegen untreuespezifische Angriffe, die aus einer besonderen Vertrauensstellung heraus erfolgen, nicht mehr ausreichend geschützt wäre260. Dazu muss man sich vergegenwärtigen, dass der Vermögensinhaber vielfach aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen regelrecht gezwungen ist, die Vermögenssorge oder die Entscheidungsmacht auf einen Dritten zu übertragen261. So bedarf zum Beispiel die juristische Person, um handlungsfähig zu sein, eines Vertreters262. Wenn nun lediglich direkter Vorsatz strafbar wäre, müsste der Vermögensinhaber befürchten, dass der Treupflichtige, dem er sein Vermögen „ausliefert“263, sorgloser handeln würde. Der Treupflichtige könnte nämlich – angesichts der dann geltenden Straflosigkeit bedingten Vorsatzes – bei der Vermögensbetreuung getrost alle Gedanken an einen möglichen Schadenseintritt unberücksichtigt lassen. Damit würde das Spannungsfeld zwischen ausreichendem Rechtsgüterschutz und Anwendung des Strafrechts als ultima ratio einseitig zu Lasten des Rechtsgutträgers verschoben. II. Zum Vorschlag der Einführung der Fahrlässigkeit Die Problematik des (vollen) Nachweises vorsätzlichen Verhaltens und der Abgrenzung von der bewussten Fahrlässigkeit würde sich erübrigen, wenn in den Tatbestand der Untreue auch eine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit aufgenommen würde264. 257

Schramm, Untreue und Konsens, S. 267. Diese Argumentation bestätigt die Ansicht einiger Autoren, der dolus eventualis sei lediglich eine Beweiserleichterungsregel (vgl. Hillenkamp, in: FS-Wassermann, S. 861, 867 m. w. N.; Ling, JZ 1999, S. 335, 336; Vest, ZStW 103, S. 584, 609 f.; Volk, in: FS-Kaufmann, S. 611, 623). 258 Schramm, Untreue und Konsens, S. 267. 259 Siehe oben in diesem Kapitel, A. I. 1. 260 Im Ergebnis ebenso Mayer, Materialien, S. 333, 355. 261 Lenckner/Perron, in: Schönke/Schröder, § 266 Rn. 1. 262 Sei es, weil die juristische Person selbst nicht handlungsfähig ist und somit eines organschaftlichen Vertreters bedarf (so die Vertretertheorie) oder weil die eigene Handlungsfähigkeit der juristischen Person durch ihre Organe vermittelt wird (Organtheorie). Siehe dazu Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 10 I 2. 263 Vgl. Labsch, Untreue, S. 339.

B. Die Grundlagen des Untreuevorsatzes

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Einen ähnlichen Weg hat der Gesetzgeber bei der Geldwäsche (§ 261) und beim Subventionsbetrug (§ 264) tatsächlich beschritten265, indem er zwar nicht Fahrlässigkeit, aber doch immerhin Leichtfertigkeit266 als Voraussetzung für die Strafbarkeit bestimmter Tatvarianten bzw. als Bewusstseinsform bezüglich bestimmter Tatbestandsmerkmale ausreichen lässt. So genügt es beispielsweise nach § 261 Abs. 5 bezüglich der Kenntnis der Herkunft der illegalen Vermögenswerte, dass der Täter leichtfertig nicht erkannt hat, dass der Tatgegenstand, der illegale Vermögenswert, aus einer der näher bezeichneten Straftaten stammt. In der Gesetzesbegründung heißt es ausdrücklich, dass dies dazu diene, „auftretende Beweisschwierigkeiten zu vermeiden und eine wirksame Strafverfolgung der Geldwäscher sicherzustellen“267. Gegen die Einführung der Leichtfertigkeit in den Tatbestand der Geldwäsche sind erhebliche Bedenken in systematischer, kriminalpolitischer und verfassungsrechtlicher Hinsicht erhoben worden268, die hier nicht im Einzelnen wiedergegeben werden sollen. Der BGH hat diese Einwände zurückgewiesen und die Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift festgestellt269. Jedenfalls aber für den Bereich der Untreue ist die Einführung der Leichtfertigkeit bzw. Fahrlässigkeit zur Vermeidung von Beweisnot abzulehnen, erst recht, wenn die Beweisfrage einziges Motiv sein sollte270. Generell erscheint es nämlich – von der Beweisfrage einmal abgesehen – systemwidrig, im Bereich der Vermögensdelikte fahrlässiges Verhalten unter Strafe zu stellen271. Für diesen Verzicht auf eine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit im Bereich der Vermögensdelikte lassen sich gute (materiellrechtliche) Gründe anführen. Jeder geschäftlichen Entscheidung mit Vermögensbezug 264 Eine Einbeziehung leichtfertigen Handelns in den Untreuetatbestand haben beispielsweise Kohlmann/Brauns, Fehlleitung öffentlicher Mittel, S. 124 und 140 f., vorgeschlagen. Ablehnend Wolf, Verwendung öffentlicher Mittel, S. 184 f. 265 Hillenkamp, in: FS-Wassermann, S. 861, 868, hält es auch für möglich, dass bei der Hehlerei (§ 259) die Einführung der Fahrlässigkeit gefordert werden könnte, weil die Formulierung, die in der alten Fassung den Nachweis des Vorsatzes „erleichtert“ hatte (Lüderssen, ZStW 85, S. 288, 301, spricht insoweit von einer praesumtio doli), gestrichen wurde. 266 Siehe zum Begriff der Leichfertigkeit BGHSt 43, S. 158, 168; Cramer/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, § 15 Rn. 205; Lackner/Kühl, § 261 Rn. 13; Stree, in: Schönke/Schröder, § 261 Rn. 19. 267 Verhandlungen des Deutschen Bundestages, Drucksache 12/989, S. 27. Siehe dazu BGHSt 43, S. 158, 167. 268 Siehe die Nachweise bei BGHSt 43, S. 158, 165 f.; Fischer, § 261 Rn. 42a. Scheffler, JURA 1995, S. 349, 352, spricht gar von Verdachtsstrafe. 269 BGHSt 43, S. 158, 165 ff.; zustimmend Arzt, JR 1999, S. 79, 80. 270 Vgl. Otto, ZStW 96, S. 339, 367; Tiedemann, ZStW 87, S. 253, 275 f. 271 Vgl. Schubarth, ZStW 92, S. 80, 100; Fischer, § 261 Rn. 42a. Nach Wolf, Verwendung öffentlicher Mittel, S. 185, wäre zudem eine „fahrlässige Untreue“ wiederum ein Fremdkörper im Bereich der Fahrlässigkeitsdelikte.

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1. Teil, 1. Kap.: Die dogmatischen Grundlagen

ist nicht nur ein Risiko immanent, sondern auch ein sozialer Nutzen in Gestalt einer möglicherweise ganz erheblichen Gewinnchance. Die (sozial erwünschte) Realisierung einer solchen Chance erfordert mitunter schnelle Entscheidungen in komplexen Situationen, so zum Beispiel die Sanierung eines in wirtschaftliche Schwierigkeiten geratenen Unternehmens zur Rettung von Arbeitsplätzen und des verbliebenen Firmenwertes. Nicht immer lassen sich aber im Voraus alle denkbaren Folgen einer wirtschaftlichen Entscheidung zuverlässig ermitteln und abschätzen. Groß ist daher die Gefahr, bei einem (später) tatsächlich eingetretenen Fehlschlag einer wirtschaftlichen Entscheidung aus der Sicht ex post dem Täter vorzuwerfen, er hätte die Schadensmöglichkeit sehen müssen und damit zu einer Strafbarkeit wegen unbewusster (!) Fahrlässigkeit zu kommen272. Droht die Strafbarkeit aufgrund in Wirklichkeit bloß fahrlässig falscher Entscheidungen, so werden die Verantwortlichen ihre Entscheidungen entsprechend ausrichten und keinerlei Wagnisse mehr eingehen. Durch eine derartige „Verantwortungsscheu“273 würde letztlich jede sinnvolle geschäftliche Wagnisentscheidung gelähmt und Fortschritt im Ansatz verhindert. Die fremdnützige Vermögensverwaltung als solche würde wohl zum Erliegen kommen274. Im Interesse eines freien Wirtschaftsverkehrs und der Sicherheit des allgemeinen Geschäftsverkehrs sollte daher die Fahrlässigkeit (und Leichtfertigkeit) im Bereich der Vermögensdelikte nicht unter Strafe gestellt275 und das Strafrecht als ultima ratio auf Fälle mindestens bedingt vorsätzlichen Verhaltens beschränkt werden. Dafür spricht nicht nur, dass bei Fahrlässigkeitsstrafbarkeit mit einer Flut von Strafanzeigen zu rechnen wäre276; es wäre zudem geradezu kontraproduktiv, den gerade noch als verfassungsrechtlich ausreichend bestimmt anzusehenden Untreuetatbestand, um dessen Einengung allseits Bemühungen angestellt werden277, durch die Einführung der Fahrlässigkeit – noch dazu aufgrund eines problematischen kriminalpolitischen Ziels – zu erweitern.

272

Ähnlich Hassemer, WM 1995, Sonderbeilage 3, S. 1, 26. Maurach/Schroeder/Maiwald, Strafrecht BT/1, § 45 Rn. 52. 274 Saliger, Parteiengesetz, S. 474; vgl. auch Wolf, KJ 2000, S. 531, 555. 275 Vgl. Maurach/Schroeder/Maiwald, Strafrecht BT/1, § 45 Rn. 52; Fischer, § 264 Rn. 36; Verhandlungen des Deutschen Bundestages, Drucksache 12/2720, S. 43 (zur Inkriminierung fahrlässiger Unkenntnis der Mittelherkunft bei der Geldwäsche), sowie Drucksache 12/8588, S. 5. Siehe auch Coing, WM 1980, S. 1026, 1029, der eine zivilrechtliche Fahrlässigkeitshaftung ablehnt. 276 Saliger, Parteiengesetz, S. 474. 277 Siehe beispielsweise Dierlamm, NStZ 1997, S. 534 ff. 273

B. Die Grundlagen des Untreuevorsatzes

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III. Zum Vorschlag der Einfügung einer Bereicherungsabsicht Insbesondere um eine (weitere) Restriktion des als zu weit empfundenen Treubruchtatbestandes zu erreichen278, könnte man auch erwägen279, in den Untreuetatbestand eine Bereicherungsabsicht einzufügen280. Tatsächlich findet sich auch bei anderen Vermögensdelikten das Erfordernis einer bestimmten Bereicherungs- oder Zueignungsabsicht, zum Beispiel bei den Tatbeständen des Betruges (§ 263), der Erpressung (§ 253), des Diebstahls (§ 242) und des Raubes (§ 249). Weiterführen bei einer Entscheidung über diesen Vorschlag könnte daher die Feststellung, welche Funktion die Bereicherungsabsicht beispielsweise bei § 263, der ebenso wie § 266 das Vermögen schützt281, eigentlich hat. Bei entsprechend näherer Betrachtung des § 263 lässt sich zunächst feststellen, dass die inkriminierte Rechtsgutverletzung bereits dann eingetreten ist, wenn das Vermögen des Opfers gemindert, also ein Schaden entstanden ist. Auf die (nachfolgende) Vermögensverteilung, die Bereicherung durch Zuordnung zum Vermögen des Täters oder eines Dritten kommt es nicht an282. Die Beeinträchtigung der Rechtsposition des Geschädigten wird durch die Bereicherung nicht vertieft283. Der Betrug wird daher als kupiertes Erfolgsdelikt bezeichnet284. Die Funktion der besonderen Absicht, durch die der Betrug zu einem Delikt mit sogenannter überschießender Innentendenz wird285, kann daher nur in der Charakterisierung einer bestimmten Tätermotivation bestehen: Nur derjenige Täter, dem es gerade auf den Vorteil ankommt, soll nach dem Willen des Gesetzes strafwürdig sein286. Im Bereich der Betrugsstrafbarkeit ist also das Erfordernis einer Bereicherungsabsicht das gesetzgeberische Instrument für eine effektive Einschränkung des Vermögensschutzes, der aus den bereits dargelegten Gründen287 nicht lückenlos gewährleistet wird. 278

Vgl. Schramm, Untreue und Konsens, S. 265 f. Saliger, Parteiengesetz, S. 477, allerdings hält die Gesetzessituation de lege lata für eindeutig, sodass sich rechtspolitische Überlegungen erübrigten. 280 So Labsch, Untreue, S. 337. Ablehnend Haas, Untreue, S. 142; Kargl, ZStW 113, S. 565, 596, und wohl auch Schramm, Untreue und Konsens, S. 266. Zur Bereicherungsabsicht in den historischen Fassungen siehe oben B. 281 Ganz herrschende Meinung, siehe nur NK-StGB-Kindhäuser, § 263 Rn. 10 m. w. N. 282 Lenckner, NJW 1967, S. 1890, 1894. 283 Lenckner, NJW 1967, S. 1890, 1894 f. 284 Siehe dazu Maurach/Schröder/Maiwald, Strafrecht BT/1, § 41 Rn. 12. 285 Vgl. Roxin, Strafrecht AT, § 10 Rn. 84. 286 Lenckner, NJW 1967, S. 1890, 1895; Samson, JA 1989, S. 449, 453. 287 Vorstehend unter A. I. 1. 279

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1. Teil, 1. Kap.: Die dogmatischen Grundlagen

Betrachtet man vor diesem Hintergrund § 266 näher, so lässt sich feststellen, dass hier bereits eine wirkungsvolle, aber auch ausreichende Beschränkung des Vermögensschutzes ohne zusätzliche Bereicherungsabsicht besteht: Die Beschränkung des Vermögensschutzes bei § 266 erfolgt über das Erfordernis einer Vertrauensstellung288. So führt nicht jede Verfügung über fremdes Vermögen zu einer Untreue, sondern nur die Einwirkung desjenigen, der eine spezifische Pflichtenstellung hat. Wäre die Anwendbarkeit des § 266 nun noch zusätzlich auf Fälle von Bereicherungsabsicht des Täters beschränkt, so müsste der Rechtsgutinhaber, der oft aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen gezwungen ist, die Einwirkungs- und Entscheidungsmacht auf einen Dritten zu übertragen, befürchten, dass der Treupflichtige sorglos und leichtfertig mit dem Vermögen umgeht, weil er sich bei fehlender Eigen- oder Drittbereicherung allenfalls zivilrechtlichen Ansprüchen ausgesetzt sehen würde. Dies würde zu einer zu weitgehenden Aufweichung des Vermögensschutzes führen. Der Treupflichtige könnte ohne weiteres seine Stellung ausnutzen, um dem Vermögensinhaber, gleich aus welcher Motivation heraus, zum Beispiel aus Prestigegründen, aufgrund von Erfolgszwang289 oder aus Rache, einen möglicherweise empfindlichen Schaden zuzufügen. Gerade wenn sehr große Vermögenswerte zur Disposition stehen oder die Vermögenswerte das ganze Vermögen des Rechtsgutinhabers darstellen und demnach (aus Sicht des Vermögensinhabers) sehr große Schäden entstehen können, dürfte das Drohen bloß zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche, deren Ausgleich der Täter unter Umständen nie wird leisten können, für eine wirksame „Abschreckung“ nicht ausreichen und ein Bedürfnis nach strafrechtlicher Prävention290 bestehen291. Es muss gewährleistet sein, dass der Täter, dem weitreichende Befugnisse durch den Vermögensinhaber übertragen werden, nur innerhalb der Befugnisgrenzen handelt292. Daher sollten in der Tat „überschießende ‚böse‘ Zwecksetzungen nicht zum Kernbestand der Vorschrift“293 gehören. 288

Vgl. Lenckner, NJW 1967, S. 1890, 1895. Kargl, ZStW 113, S. 565, 596. 290 Die Auffassung, Zweck der Strafe sei es, die Allgemeinheit durch Strafdrohung und Strafvollzug über gesetzliche Verbote zu belehren und dadurch von einer Verletzung der Verbote abzuhalten, ist Gegenstand der sogenannten Theorie der Generalprävention. Im Unterschied dazu ist Strafzweck nach der Vergeltungstheorie die Vergeltung der Schuld, die der Täter durch die konkrete Tat auf sich geladen hat. Die Theorie der Spezialprävention sieht dagegen den Zweck der Strafe in der Abschreckung des jeweiligen Täters von dessen künftigen Straftaten. Neben diesen reinen Theorien bestehen verschiedene Kombinationsansätze. Siehe zum Ganzen Roxin, Strafrecht AT, § 3 Rn. 1 ff. 291 Anderer Ansicht Labsch, Untreue, S. 335 f. 292 Vgl. Wolf, Verwendung öffentlicher Mittel, S. 54. 293 Kargl, ZStW 113, S. 565, 596. 289

C. Der Umfang der Vorsatzprüfung bei § 266

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Eine restriktive Handhabung des § 266 sollte also richtigerweise bei der Konturierung der Pflichtenstellung und der übrigen Merkmale des objektiven Tatbestandes ansetzen. Die Einführung einer Bereicherungsabsicht scheint dafür ungeeignet. Vermutlich wird der Untreuetäter in vielen, wenn auch nicht allen Fällen ohnehin in der Absicht handeln, sich oder einem Dritten einen Vermögensvorteil zu verschaffen, sodass eine Restriktion durch das Erfordernis einer Bereicherungsabsicht insoweit nicht erreicht würde294. IV. Ergebnis Der subjektive Tatbestand des § 266 verlangt in seiner gegenwärtigen Fassung eine vorsätzliche Tatbegehung, wobei bedingter Vorsatz als ausreichend angesehen wird. Reformvorschläge, die dahin gehen, den Vorsatz auf dolus directus zu beschränken, eine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit oder eine Bereicherungsabsicht einzuführen, sind abzulehnen. Entsprechende gesetzgeberische Erwägungen werden, soweit ersichtlich, derzeit auch nicht angestellt. Mit dolus eventualis als unterster subjektiver Grenze ist das Verhältnis zwischen einem ausreichenden Schutz des Treugebervermögens einerseits und einer Gewährleistung freier wirtschaftlicher Betätigung andererseits ausgewogen.

C. Der Umfang der Vorsatzprüfung bei § 266 Vor einer Erörterung weiterer Einzelheiten zum Untreuevorsatz ist der Maßstab der Vorsatzprüfung zu konturieren. Zwar kann man diesen Aspekt durchaus dem prozessualen zweiten Teil dieser Schrift zuordnen; im Hinblick auf die grundlegende Bedeutung dieses Aspektes, der sich unter Umständen bereits materiellrechtlich auswirken könnte, soll die Erörterung jedoch bereits hier erfolgen. I. Die Forderung nach „strengen Anforderungen“ bei der Vorsatzprüfung im Rahmen des § 266 Mit dem Hinweis auf die Weite des objektiven Untreuetatbestandes stellt insbesondere der BGH bei der Vorsatzprüfung in ständiger Rechtsprechung „strenge Anforderungen“ oder verlangt „sorgfältige Feststellungen“. So heißt es in gängiger Formulierung: „Der weite Rahmen des objektiven Tatbestandes der Untreue macht es erforderlich, strenge Anforderungen an den Nachweis der inneren Tatseite zu stellen. Das 294

Siehe auch Schramm, Untreue und Konsens, S. 266.

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1. Teil, 1. Kap.: Die dogmatischen Grundlagen

gilt vor allem dann, wenn [. . .] lediglich bedingter Vorsatz in Betracht kommt und der Täter nicht eigensüchtig handelt.“295

Diese Anforderungen an die Vorsatzfeststellung lassen sich zurückverfolgen bis in die Rechtsprechung des Reichsgerichts. Soweit ersichtlich, stellte das Reichsgericht erstmals im 68. Band der höchstrichterlichen Entscheidungssammlung im subjektiven Tatbestand „strenge Anforderungen“: „Der außerordentlich weit gesteckte Rahmen des äußeren Tatbestandes des § 266 StGB macht es notwendig, an den Nachweis des inneren Tatbestandes strenge Anforderungen zu stellen. Insbesondere bedarf es stets sorgfältiger Prüfung, ob der Täter nicht in dem guten Glauben gehandelt hat, seine Handlung liege auch innenrechtlich im Rahmen seiner Befugnisse.“296

Erklären lassen sich diese Restriktionsbemühungen im subjektiven Tatbestand mit dem historischen Hintergrund. Als in der Folge der Novellierung des Untreuetatbestandes 1933297 dessen Anwendungsbereich als zu weit empfunden wurde, kam es neben den Einschränkungen im objektiven Tatbestand zu den vorstehend zitierten Restriktionen im subjektiven Tatbestand. II. Stellungnahme Diese strengen Anforderungen der Judikatur an den Nachweis des inneren Tatbestandes sind, soweit sie der Restriktion des Untreuetatbestandes dienen – sogenannte „Vorsatzlösung“298 –, vielfach auf Kritik gestoßen. Das Vorgehen der Rechtsprechung sei undogmatisch299 und verstoße gegen das verfassungsrechtliche Konkretisierungsgebot300. Eine derartige Verlagerung objektiver Kriterien in den subjektiven Tatbestand führe zu einem systematischen Bruch301. Die Restriktion des Untreuetatbestandes habe nicht 295

BGH wistra 2000, S. 60, 61. Ganz ähnlich BGH NJW 1975, S. 1234, 1236; BGH NJW 1983, S. 461; BGH NJW 1984, S. 800, 801; BGH NStZ 1986, S. 455, 456; BGH wistra 1987, S. 137, 138; BGH wistra 1988, S. 305, 306; BGH NStZ 1997, S. 543 = wistra 1997, S. 301; BGH wistra 2000, S. 60, 61; BGHSt 34, S. 379, 390; BGHSt 47, S. 295, 302 = NJW 2002, S. 2801, 2803; BGH wistra 2003, S. 463, 464; BGH wistra 2006, S. 266, 267. Im Schrifttum Lackner/Kühl, § 266 Rn. 19. 296 RGSt 68, S. 371, 374. Ähnlich RGSt 69, S. 15, 17; RGSt 71, S. 90, 92. 297 Dazu schon oben unter A. III. 298 Vgl. Hillenkamp, NStZ 1981, S. 161, 163; Laskos, Strafbarkeit, S. 20 f. 299 MünchKommStGB/Dierlamm, § 266 Rn. 238; Kubiciel, NStZ 2005, S. 353, 356. 300 Dierlamm, NStZ 1997, S. 534, 535. Andererseits begrüßen Dierlamm/Links, NStZ 2000, S. 656, in ihrer Anmerkung zum Kreditvergabeurteil des BGH vom 6. April 2000 (BGHSt 46, S. 30 ff. [Sparkasse]) explizit das Verlangen des BGH nach strengen Anforderungen an den Nachweis des Vorsatzes. 301 Laskos, Strafbarkeit, S. 21; Waßmer, Untreue, S. 26 f. m. w. N.

C. Der Umfang der Vorsatzprüfung bei § 266

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über die Beweisanforderungen auf der Vorsatzebene, sondern im objektiven Tatbestand bei der Auslegung der Tatbestandsmerkmale zu erfolgen302. Dieser Kritik ist vollumfänglich zuzustimmen. In der Tat sollte die Restriktion eines Tatbestandes auf der objektiven Tatbestandsebene erfolgen, da eine Rechtsfrage, nämlich die Auslegung des Tatbestandes, nicht als Tatfrage behandelt werden kann303. Die Anforderungen an die Feststellung des Vorsatzes dürfen bei § 266 nicht strenger sein als bei anderen Delikten304, und natürlich muss auch der (materiellrechtliche) Begriff des Eventualvorsatzes bei allen Delikten einheitlich festgelegt werden305. Eine nähere Betrachtung zumindest einzelner Entscheidungen legt aber durchaus ein Verständnis der Rechtsprechung dahingehend nahe, dass mit den strengen Anforderungen lediglich den Vorinstanzen aufgegeben werden soll, nicht ohne nähere Begründung das von der Rechtsprechung geforderte, schwierig nachzuweisende „Billigungselement“ des bedingten Vorsatzes zu bejahen306. Bestätigende Argumente für diese Interpretation finden sich auch bei einem Blick in die Judikatur zu anderen Delikten: Es werden dort ganz ähnliche Formulierungen verwendet307, und zwar insbesondere dann, 302 Fischer, § 266 Rn. 176 (anders noch in der 50. Auflage); Lenckner/Perron, in: Schönke/Schröder, § 266 Rn. 50; Scheja, Rechtsanwalt, S. 166; Seier, in: Achenbach/Ransiek, Wirtschaftsstrafrecht, Kapitel V, Abschnitt 2, Rn. 86; Volk/ Thomas, MAH Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, § 17 Rn. 131; Waßmer, Untreue, S. 153; Weimann, Bildung schwarzer Kassen, S. 139; Wolf, Verwendung öffentlicher Mittel, S. 165 f. 303 So auch Schünemann, in: LK, § 266 Rn. 151. 304 Kubiciel, NStZ 2005, S. 353, 356; Lassmann, Stiftungsuntreue, S. 225; Martin, Bankuntreue, S. 46; Samson/Günther, in: SK-StGB, § 266 Rn. 50; Schünemann, in: LK, § 266 Rn. 152; Wessels/Hillenkamp, Strafrecht BT/2, Rn. 778. 305 Ebenso Waßmer, Untreue, S. 153. 306 So auch Waßmer, Untreue, S. 153. Die Kritik von Laskos, Strafbarkeit, S. 134, Fußnote 618, an der Einschätzung Waßmers überzeugt nicht. So behält auch in der von Laskos als Gegenbeispiel zitierten Entscheidung BGH wistra 1988, S. 305, die Interpretation Waßmers ihren Sinn. Die Entscheidung ist ein Beispiel dafür, dass der BGH die strengen Anforderungen des Vorsatznachweises durch die Vorinstanz, die bedingten Vorsatz bejaht hatte, als erfüllt ansah. So führt der BGH aus: „Allerdings macht es der weite Rahmen des objektiven Tatbestandes der Untreue erforderlich, strenge Anforderungen an den Nachweis der inneren Tatseite zu stellen. Das gilt vor allem dann, wenn lediglich bedingter Vorsatz in Betracht kommt. [. . .] Die Wertung des Landgerichts genügt diesen Anforderungen. Aus den festgestellten Umständen durfte das Landgericht den wesentlich auf tatsächlichem Gebiet liegenden Schluß ziehen, daß der Angeklagte [. . .] das hohe Ausfallrisiko [. . .] billigend in Kauf genommen hat.“ (a. a. O., S. 306). 307 So hat das Reichsgericht in RGSt 45, S. 106, 118, bei der Prüfung eines Verstoßes gegen das Weingesetz entschieden, dass aufgrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse und einer neuen Gesetzeslage „strenge Anforderungen an den Nachweis zu stellen sind, daß der Angeklagte von der Beschaffenheit des zu verbessern-

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wenn es um die Abgrenzung des bedingten Vorsatzes von der bewussten Fahrlässigkeit geht. So fordert der BGH beispielsweise bei den Tötungsund Körperverletzungsdelikten, dass „beide Elemente der inneren Tatseite, also sowohl das Wissenselement als auch das Willenselement, in jedem Einzelfall besonders geprüft und durch tatsächliche Feststellungen belegt werden.“308

Ähnliches verlangt der BGH auch bei der Strafvereitelung (§ 258): „Doch können diese Unstimmigkeiten durch eine sorgfältige und strenge Prüfung der Frage ausgeräumt werden, ob – zumindest – bedingt vorsätzliches Verhalten des Verteidigers in solchen Fällen tatsächlich vorliegt.“309

In einer Entscheidung zum Hehlereitatbestand (§ 259) betont das BayObLG zumindest, dass sich der Tatrichter bei der Überzeugungsbildung von der inneren Tatseite „mit allen für den Tathergang wesentlichen und darüber hinaus auch noch mit allen sich weiter aufdrängenden Umständen einzeln und insgesamt zu befassen und auseinanderzusetzen [hat]“310.

Auch in einer Entscheidung zu § 146 (Geldfälschung), in der der BGH bedingten Vorsatz annimmt, heißt es ähnlich: „Je mehr jedoch die Umstände auch ein bloß fahrlässiges Verhalten als möglich erscheinen lassen, desto sorgfältiger muß die Annahme eines bedingten Vorsatzes begründet werden“311.

„Eingehende Feststellungen“ für die Begründung des Vorsatzes verlangt der BGH – unter Bezugnahme auf ein Urteil zur Untreue – schließlich auch bei § 263312. Dieser Vergleich mit anderen Delikten bestätigt den Eindruck, dass die Rechtsprechung – zumindest in jüngerer Vergangenheit – ihre Forderung nach sorgfältigen Feststellungen zur inneren Tatseite weniger als Instrument zur Eingrenzung des objektiven Tatbestandes allein bei der Untreue verwendet, sondern vielmehr ausreichende Feststellungen des jeweiligen Tatrichters zum objektiven Tatbestand verlangt, um die prozessuale Feststellung des Vorsatzes zu ermöglichen313. Gerade aus der Perspektive eines den Mostes in bezug auf Zucker und Säure Kenntnis gehabt [. . .] hat“ (kursive Hervorhebungen im Original gesperrt). 308 BGHSt 36, S. 1, 10. Ähnlich auch BGH StV 1982, S. 509; BGH StV 1983, S. 363 m. w. N.; BGH NStZ 1987, S. 362 = JR 1988, S. 115; BGH StV 1994, S. 13, 14; BGH NStZ 2006, S. 9, 10. 309 BGHSt 38, S. 345, 350. 310 BayObLGSt 1971, S. 128, 130 = JR 1972, S. 30, 31. 311 BGHSt 35, S. 21, 26. 312 BGHSt 48, S. 331, 346. 313 Ähnlich Freund, Tatsachenfeststellung, S. 6.

C. Der Umfang der Vorsatzprüfung bei § 266

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Revisionsgerichts ist diese Forderung nach detaillierten Feststellungen verständlich. Da gemäß § 337 StPO die Revision nur auf eine Verletzung des Gesetzes gestützt werden kann, eine ohne Rechtsfehler zustande gekommene Tatsachenfeststellung also für das Revisionsgericht bindend ist, erfolgt keine neue Beweisaufnahme314. Das Revisionsgericht prüft lediglich, ob die Tatsachenfeststellungen die Rechtsanwendung tragen. Dazu gehört auch die Überprüfung, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung rechtliche Fehler unterlaufen sind. Rechtsfehler können zum Beispiel vorliegen, wenn die Schlussfolgerungen widersprüchlich oder lückenhaft sind oder gegen Denkgesetze und gesicherte Erfahrungssätze verstoßen315. Hat der Tatrichter die maßgeblichen Tatsachen aber nicht festgestellt bzw. dargelegt, ist dem Revisionsrichter die Beurteilung der richtigen Rechtsanwendung kaum möglich. Insbesondere im Bereich der problematischen Abgrenzung des bedingten Vorsatzes von der bewussten Fahrlässigkeit kann der Revisionsrichter bei nicht ausreichender Feststellung der tatsächlichen Umstände keine Überprüfung der richtigen Anwendung des Gesetzes vornehmen, denn auf den Vorsatz wird – dies sei hier kurz vorweggenommen – aus den objektiven Umständen rückgeschlossen316. Verwendet das Tatgericht lediglich Formulierungen wie „billigend in Kauf nehmen“ oder „einverstanden sein“, so ist dies nur eine Wiedergabe des materiellrechtlichen Vorsatzbegriffes317, sagt jedoch nichts darüber, welche Tatsachen zur Bejahung oder Verneinung des Begriffes im konkreten Fall geführt haben. Diese Erwägungen gelten insbesondere dann, wenn es sich um einen Untreuefall handelt, in dem der Täter sich nicht selbst bereichert hat. Gerade hier ist der Nachweis des Vorsatzes aufgrund des Motivmangels schwierig und verlangt daher nach besonderen Anforderungen bei der Ermittlung des objektiven Tatgeschehens318, das den Rückschluss auf die innere Tatseite ermöglichen muss319. III. Fazit Es mag also sein, dass die Rechtsprechung nach wie vor versucht, den Tatbestand der Untreue im Wege der sogenannten „Vorsatzlösung“ einzuen314

Temming, in: HK-StPO, § 337 Rn. 9 m. w. N. Siehe nur KK-Kuckein, StPO, § 337 Rn. 29 m. w. N. 316 Siehe dazu 4. Kapitel C. 317 Vgl. BGH NStZ 1983, S. 407; BGH NStZ 1987, S. 362. 318 Vgl. BGH wistra 1987, S. 137, 138 = BGHR StGB, § 266 Abs. 1 Vorsatz 1; BGH NJW 1991, S. 990, 991; BGH NStZ 1997, S. 543 = wistra 1997, S. 301; BGH wistra 2000, S. 60, 61; BGH NJW 2001, S. 2411, 2414 = NStZ 2001, S. 248, 252; BGHSt 47, S. 295, 302 m. w. N.; BGH wistra 2003, S. 463, 464. 319 Dazu 6. Kapitel, A. III. 2. c) cc). 315

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1. Teil, 2. Kap.: Die objektiven Bezugspunkte des Untreuevorsatzes

gen320. Dies wäre in der Tat aus den oben genannten Gründen abzulehnen, denn eine Beschränkung der Reichweite der Untreue hat im objektiven Tatbestand zu erfolgen. Insbesondere der Vergleich mit Entscheidungen zu anderen Delikten spricht allerdings dafür, dass die Rechtsprechung zwar nach wie vor die traditionelle Formulierung benutzt, die das Reichsgericht, soweit ersichtlich, seinerzeit mit Blick auf den als zu weit empfundenen Tatbestand eingeführt hatte, tatsächlich aber weniger den Untreuetatbestand auf diesem Wege durch andere Vorsatzanforderungen eingrenzen will, als vielmehr aufgrund der Schwierigkeit der (beweismäßigen) Abgrenzung des bedingten Vorsatzes von der bewussten Fahrlässigkeit – unabhängig bei welchem Delikt – eingehende Feststellungen zum tatsächlichen Geschehen fordert, um im Einzelfall die Entscheidung der Vorinstanz zu überprüfen. Insoweit ist die Forderung nach sorgfältigen Feststellungen berechtigt, und zwar bei allen Delikten in gleicher Weise. Denn nur wenn der objektive Sachverhalt umfassend aufgeklärt und im Urteil dargestellt wird, kann das Revisionsgericht überpüfen, ob die Beweiswürdigung des Tatrichters insbesondere im Hinblick auf den (bedingten) Vorsatz gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt. Trifft dieses Verständnis der Rechtsprechung zu, so bleibt misslich, dass die Rechtsprechung die Forderung nach sorgfältigen Feststellungen bei § 266 unmittelbar mit dem Hinweis auf die Weite des Tatbestandes verknüpft.

2. Kapitel

Die objektiven Bezugspunkte des Untreuevorsatzes Nachdem nun die Grundlagen des Untreuevorsatzes erörtert und insbesondere der Maßstab der Vorsatzprüfung geklärt ist, ist festzustellen, welchen konkreten Inhalt der Untreuevorsatz hat, mit anderen Worten: welches die Bezugspunkte des Untreuevorsatzes sind. Auszugehen ist dabei zunächst von der Feststellung, dass gemäß § 16 nicht vorsätzlich handelt, wer bei Begehung der Tat einen Umstand nicht kennt, der zum gesetzlichen Tat320 Eklatantes und aktuelles Beispiel hierfür, auf das später noch zurückzukommen sein wird (3. Kapitel, A. III. 2. b) und c)), ist der Fall CDU Hessen (BGHSt 51, S. 100, 121). Zwar ging es in dem Fall nicht um „strenge Anforderungen“ beim Vorsatznachweis. Doch kann dieser Fall als Beispiel dafür angeführt werden, dass die Rechtsprechung nach wie vor den erklärtermaßen äußerst weiten Tatbestand der Untreue (BGHSt 50, S. 100, 121) über den subjektiven Tatbestand einschränken will. Im konkreten Fall sollte die Begrenzung durch die Forderung erfolgen, der bedingte Schädigungsvorsatz des Täters müsse sich nicht nur auf die in Rede stehende Vermögensgefährdungssituation beziehen, sondern auch auf die spätere Realisierung der konkreten Gefahr.

A. Pflichtenstellung, Tatobjekt sowie Tathandlung und Vorsatz

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bestand gehört. Im Umkehrschluss ergibt sich daraus, dass grundsätzlich321 Bezugspunkte des Vorsatzes die Umstände des (objektiven) Tatbestandes sind322. Der subjektive Tatbestand ist also vom objektiven Tatbestand abhängig323. Dies bedingt, dass im Rahmen der nachfolgenden Erörterungen zu Vorsatz und Irrtümern einige Aspekte des objektiven Tatbestandes behandelt und Meinungsverschiedenheiten geklärt werden müssen, auch wenn dabei schon angesichts der Vielgestaltigkeit der denkbaren Treuverhältnisse324 und der daraus resultierenden kasuistischen Prägung des Tatbestandes hier nicht alle Einzelheiten berücksichtigt werden können. Die nachfolgenden Ausführungen werden untergliedert in die Darstellung des Vorsatzes bezüglich der Pflichtenstellung, des Tatobjekts und der Tathandlungen (A.), die Darstellung des Vorsatzes bezüglich des Taterfolges, das heißt bezüglich des Vermögensschadens (B.), und die Darstellung des Vorsatzes hinsichtlich Kausalität und Zurechnungszusammenhang (C.), wobei beide Tatbestandsalternativen jeweils weitgehend gemeinsam behandelt werden. Innerhalb der Abschnitte werden jeweils, soweit erforderlich, die objektiven Aspekte dargestellt und im Rahmen der Ausführungen zum Vorsatz die Irrtümer behandelt.

A. Pflichtenstellung, Tatobjekt sowie Tathandlung und diesbezüglicher Vorsatz I. Kenntnis der Pflichtenstellung (Vermögensbetreuungspflicht) und der Fremdheit des Vermögens Im subjektiven Tatbestand ist zunächst erforderlich, dass der Täter Kenntnis seiner Vermögensbetreuungspflicht gegenüber dem Vermögensinhaber hat, also weiß, dass ihm das Vermögen anvertraut ist325. Hierbei 321 Ausnahme: Delikte mit sogenannter „überschießender Innentendenz“, z. B. §§ 242, 263; siehe dazu nur Samson, JA 1989, S. 449, 452. Problematisch ist daher von diesem Grundsatz aus gesehen die Entscheidung des BGH im Fall CDU Hessen (BGHSt 51, S. 100, 121), mit der das Gericht die Untreue im Ergebnis contra legem in ein Delikt mit überschießender Innentendenz umdeutet. Siehe dazu auch 3. Kapitel, A. III. 2. b) und c). 322 Anderer Ansicht Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 56 ff. 323 BGH NStZ 2001, S. 155; Vest, ZStW 103, S. 584, 593. 324 Teilweise wird von einer „uferlosen Weite“ gesprochen, vgl. Martin, Bankuntreue, S. 42; Otto, Strafrecht BT, § 54 Rn. 19. 325 LG Düsseldorf NJW 2004, S. 3275, 3285 (Mannesmann/Vodafone); MünchKommStGB/Dierlamm, § 266 Rn. 239; Laskos, Strafbarkeit, S. 138; Schmid, in: MG, Wirtschaftsstrafrecht, § 31 Rn. 193; Seier, in: Achenbach/Ransiek, Wirtschaftsstrafrecht, Kapitel V, Abschnitt 2, Rn. 83.

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1. Teil, 2. Kap.: Die objektiven Bezugspunkte des Untreuevorsatzes

sollte, wie erwähnt326, bereits im objektiven Tatbestand bei Feststellung der Vermögensbetreuungspflicht ein restriktiver Maßstab angewendet werden, sodass nur in eindeutigen Fällen die besondere Pflichtenstellung bejaht wird. Eine entsprechende Restriktion erst im subjektiven Tatbestand ist dagegen aus Gründen der Rechtssicherheit abzulehnen. Denn nur wenn der Normadressat zu einer objektiven Beurteilung in der Lage ist, kann er sein Verhalten regelkonform ausrichten; eine Korrektur erst im subjektiven Tatbestand schließt dies aus. Eine restriktive Merkmalsprüfung schon im objektiven Tatbestand führt zu einer Erleichterung der Vorsatzfeststellung, denn je eindeutiger die Fälle der untreuespezifischen Pflichtenstellung objektiv sind, desto leichter lässt sich auch die entsprechende Kenntnis der Pflichtenstellung nachweisen327. Eine untreuespezifische Pflichtenstellung wird namentlich bei folgendem Personenkreis unproblematisch bejaht: bei Vorständen einer Aktiengesellschaft328, einer Genossenschaft329, einer Partei330 oder eines Vereins331, bei Geschäftsführern332, Aufsichtsräten333 und Insolvenzverwaltern334 sowie bei lediglich faktischen Geschäftsleitern335. In Betracht kommt eine Vermögens326

1. Kapitel, A. III. Siehe auch 6. Kapitel, A. III. 1. a) aa). 328 Vgl. BGH NJW 1988, S. 2483, 2485. Siehe dazu auch Martin, Bankuntreue, S. 58 f.; Seier, in: Achenbach/Ransiek, Wirtschaftsstrafrecht, Kapitel V, Abschnitt 2, Rn. 217. 329 Vgl. BGH wistra 2006, S. 266 f. Siehe zum Umfang der Befugnisse auch Martin, Bankuntreue, S. 62. 330 BGHSt 51, S. 100, 112 (CDU Hessen). Einzelheiten zum Pflichtenumfang bei Saliger, Parteiengesetz, S. 59 ff. 331 Einzelheiten zur Pflichtenstellung bei Eisele, GA 2001, S. 377, 386 f. 332 Vgl. BGH wistra 1987, S. 65; BGHSt 35, S. 333 ff.; BGH wistra 2006, S. 265 und S. 309. Zur Vermögensbetreuungspflicht eines Directors einer nach englischem Recht gegründeten Private Company Limited by Shares siehe Schumann, wistra 2008, S. 229, 230. 333 BGHSt 47, S. 187, 201 (Sponsoring SSV Reutlingen); BGHSt 50, S. 331, 335 f., und LG Düsseldorf NJW 2004, S. 3275 (Mannesmann/Vodafone); Poseck, Aufsichtsrat, S. 80 ff. Einzelheiten zur Pflichtenstellung bei Tiedemann, in: FSTröndle, S. 319 ff. Siehe auch BGHSt 9, S. 203, 217 f. 334 Köhler, in: Wabnitz/Janovsky, Wirtschaftsstrafrecht, 7. Kapitel, Rn. 325. 335 In Betracht kommen z. B. faktische Geschäftsführer und Vorstände. Auch diese können taugliche Täter einer Untreue sein. Das Reichsgericht verneinte dies allerdings noch, RGSt 9, S. 248, 252. Unter Geltung des § 81a GmbHG a. F. (eingeführt durch das Gesetz zur Änderung strafrechtlicher Vorschriften vom 26. Mai 1933, RGBl. I 1933, S. 295, 298; aufgehoben durch das Erste Gesetz zur Reform des Strafrechts vom 25. Juni 1969, BGBl. I 1969, S. 645, 670) bejahte der BGH die Eigenschaft des faktischen Geschäftsführers als Normadressat, BGHSt 6, S. 314, 315. Unter der geltenden Rechtslage geht die wohl herrschende Meinung davon aus, dass der faktische Geschäftsleiter Täter einer Treubruchuntreue sein kann. Vgl. für 327

A. Pflichtenstellung, Tatobjekt sowie Tathandlung und Vorsatz

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betreuungspflicht namentlich auch bei Bankmitarbeitern verschiedener Hierarchiestufen. Neben den Vorständen obliegt grundsätzlich auch Prokuristen eine solche Pflicht, da diese gerade ermächtigt sind, den Geschäftsherrn umfassend gerichtlich und außergerichtlich zu vertreten (vgl. § 49 HGB)336, und so über das Bankvermögen verfügen können. Im Übrigen werden als taugliche Täter regelmäßig leitende Angestellte einer Bank oder Sparkasse in Betracht kommen. Personen in untergeordneter Position wird dagegen oft keine selbstständige Vermögensfürsorgepflicht obliegen337. Die Frage der Pflichtenstellung ist aber in jedem Einzelfall sorgfältig zu untersuchen. So können auch Angestellte ohne Führungsposition durchaus eine Vermögensbetreuungspflicht innehaben, namentlich dann, wenn sie Kreditkompetenzen besitzen338. Fehlt es aber an einem eigenständigen Entscheidungsspielraum, so kommt eine Strafbarkeit nur nach anderen Vermögensdelikten in Betracht. Beispielhaft: Der weisungsgebundene, nicht mit eigenständiger Entscheidungsmacht ausgestattete Kassierer wird regelmäßig bei Entnahme von Geldern aus der Kasse zu eigenen Zwecken wegen einer Unterschlagung verantwortlich sein, nicht aber wegen Untreue339. Oft ist festzustellen, dass der Vorsatz bezüglich der Vermögensbetreuungspflicht nicht als eigenständiger Prüfungspunkt behandelt wird340. Der Grund hierfür wird darin liegen, dass sich aus der Pflichtenstellung zugleich der Pflichtenumfang und aus dem Pflichtenumfang zugleich die Grenze der Befugnisse des Treupflichtigen ergibt, sodass die Merkmale der Pflichtenstellung und Pflichtwidrigkeit im objektiven und subjektiven Tatbstand häufig miteinander verschmelzen und gemeinsam geprüft werden. Schließlich muss der Täter auch wissen, dass es sich bei dem Tatobjekt um fremdes Vermögen handelt. Nimmt er an, es handele sich um sein eigenes Vermögen, so kommt ein Tatbestandsirrtum in Betracht; dazu Näheres nachstehend unter Ziffer II. 3.

den faktischen Geschäftsführer einer GmbH: BGHSt 34, S. 379, 382 ff.; für den faktischen Vorstand einer AG: BGHSt 21, S. 101, 104; für den faktischen Geschäftsführer eines Vereins: BGH wistra 1987, S. 137, 138. Büning, Geschäftsführer, S. 39 f., lehnt die Treubruchuntreue ab, wenn die Geschäftsführung auf einer einseitigen Usurpation durch den faktischen Geschäftsführer beruht und nicht mit dem Einverständnis aller Gesellschafter erfolgt. 336 Einzelheiten bei Martin, Bankuntreue, S. 63 ff. 337 Vgl. Otto, Bankentätigkeit, S. 55. 338 Vgl. Laskos, Strafbarkeit, S. 73. 339 Ebenso Laskos, Strafbarkeit, S. 72. 340 So zum Beispiel bei den Ausführungen zum Vorsatz bei Martin, Bankuntreue, S. 151 ff.; Nack, in: MG, Wirtschaftsstrafrecht, § 66 Rn. 136 ff.; Waßmer, Untreue, S. 152 ff.; Weimann, Bildung schwarzer Kassen, S. 138 ff. Anders Laskos, Strafbarkeit, S. 138.

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1. Teil, 2. Kap.: Die objektiven Bezugspunkte des Untreuevorsatzes

II. Vorsatz bezüglich der Tathandlung des Missbrauchs bzw. der Treupflichtverletzung („Pflichtwidrigkeitsvorsatz“) Neben dem Vorsatz bezüglich der besonderen Pflichtenstellung ist des Weiteren erforderlich, dass der Treupflichtige weiß bzw. für möglich hält und in Kauf nimmt (dolus eventualis)341, dass er seine aus dem Vermögensbetreuungsverhältnis resultierende Verfügungs- bzw. Verpflichtungsbefugnis missbraucht (1. Alternative) oder seine Vermögensbetreuungspflicht in sonstiger Weise verletzt (2. Alternative), mit anderen Worten: dass er „pflichtwidrig“ handelt. Der Treupflichtige muss also jeweils den Umfang und die Grenzen seiner Handlungsmacht bzw. seiner Treupflicht kennen und zugleich wissen, dass sich das konkrete Verhalten jenseits dieser Grenzen bewegt. Ist festgestellt, dass der Treupflichtige seinen Pflichtenumfang kannte, so wird in der Regel aus der Kenntnis des Pflichtenumfanges auch die Kenntnis des Überschreitens des Pflichtenkreises abgeleitet werden können. Es ist aber immer sorgfältig zu prüfen, ob der Täter – irrtümlich – angenommen hat, sein Handeln sei mit seinen besonderen Treupflichten noch vereinbar342 oder von einem Einverständnis gedeckt. Da Umfang und Grenzen der Handlungsmacht von dem konkreten außerstrafrechtlichen Rechtsverhältnis bestimmt werden, können ebenso wenig wie im objektiven Tatbestand im subjektiven Tatbestand abschließende abstrakte Konturen gezeichnet werden. Die Frage, ob der Täter vorsätzlich gehandelt hat, lässt sich nur mit Blick auf das konkrete Rechtsverhältnis beantworten, aus dem sich die verletzten Pflichten ergeben. Die folgenden Ausführungen müssen daher auf grundsätzliche Erwägungen beschränkt werden und können nicht jeden Einzelfall abschließend behandeln. Zunächst soll kurz die Thematik des „Rückschlusses“ vom Schädigungsvorsatz auf den Pflichtwidrigkeitsvorsatz aufgegriffen werden (1.)343. Sodann ist der Frage nachzugehen, ob es ein besonderes Merkmal „Pflichtwidrigkeit“ gibt (2.). Eingehend zu behandeln sind schließlich die Irrtümer (3.). Besonderes Gewicht wird dabei der Frage der Einordnung der Pflichtwidrigkeit als gesamttatbewertendes Merkmal zukommen. Eine praxisrelevante Illustration der Erkenntnisse soll anhand des Falles Mannesmann/Vodafone erfolgen (4.). Schließlich wird zu klären sein, welche Bedeutung und Auswirkung die irrige Annahme eines Einverständnisses durch den Täter haben kann (5.). Neben der Irrtumsproblematik werden sich im Zusammenhang mit dem Tathandlungsvorsatz insbesondere Schwierigkeiten in prozessualer 341

Einzelheiten im 3. Kapitel, B. II. Vgl. RGSt 68, S. 371, 374 („Insbesondere bedarf es stets sorgfältiger Prüfung, ob der Täter nicht in dem guten Glauben gehandelt hat, seine Handlung liege auch innenrechtlich im Rahmen seiner Befugnisse.“). 343 Dazu schon oben, 1. Kapitel, A. V. 2. 342

A. Pflichtenstellung, Tatobjekt sowie Tathandlung und Vorsatz

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Hinsicht ergeben. Mag die Feststellung des Vorsatzes bei expliziten Vorgaben des Treugebers noch verhältnismäßig einfach sein, so wird der Nachweis inbesondere in Fällen, in denen sich die Pflichten lediglich aus dem Sorgfaltsmaßstab des jeweiligen Geschäftskreises entnehmen lassen, weit problematischer sein. Auf diese Problematik und ihre Lösung wird im zweiten Teil in Kapitel 6 zurückzukommen sein. 1. „Rückschluss“ vom Schädigungsvorsatz auf den Pflichtwidrigkeitsvorsatz

Ist im objektiven Tatbestand festgestellt worden, dass es sich um einen Fall handelt, in dem Pflichtenmaßstab das allgemeine Schädigungsverbot ist, sodass von einem Schaden auf die Pflichtwidrigkeit rückgeschlossen werden kann344 – so nach hier vertretener Ansicht zum Beispiel in den Bankuntreuefällen345 –, so kann spiegelbildlich aus dem festgestellten Schädigungsvorsatz auf den Pflichtwidrigkeitsvorsatz rückgeschlossen werden346, weil der Schädigungsvorsatz den Pflichtwidrigkeitsvorsatz enthält347. Eine gesonderte Prüfung des „Pflichtwidrigkeitsvorsatzes“ ist theoretisch überflüssig348. Tatsächlich muss natürlich der Treupflichtige wissen, dass er das Vermögen nicht schädigen darf, also die Pflichtwidrigkeit des Verhaltens kennen – nur ist das Schädigungsverbot als solches in aller Regel evident, sodass an der Kenntnis kaum je Zweifel bestehen dürften349. Zur Vermeidung des Vorwurfes der Einebnung des Tatbestandes erscheint es im konkreten Fall sinnvoll, zumindest zu verdeutlichen, dass der Pflichtwidrigkeitsvorsatz sich auf die Erkenntnis bezieht, dass die Schädigung des Treugebervermögens verboten ist. Dabei ist – um beim Beispiel der Bankuntreuefälle zu bleiben – die Feststellung rein formaler Pflichtverstöße und des entsprechenden Bewusstseins übrigens nicht überflüssig, da die Verstöße Indizwirkung für den Schädigungsvorsatz haben können350; der Untreuevorwurf ergibt sich jedoch aus dem Verstoß gegen das Schädigungsverbot. 344

Siehe schon 1. Kapitel, A. V. 2. Siehe 3. Kapitel, A. III. 1. 346 Schünemann, in: LK, § 266 Rn. 94. 347 Laskos, Strafbarkeit, S. 137. 348 So auch Laskos, Strafbarkeit, S. 137 f., mit Verweis auf die Entscheidung BGH NJW 1979, S. 1512, in der es heißt: „Erkennt der Leiter einer Bank die jeweilige gegenwärtige Benachteiligung der Bank als mögliche Folge seines Handelns und nimmt er sie dennoch hin in der Hoffnung, daß die ganze Angelegenheit später einmal doch noch gut ausgehen werde, so handelt er vorsätzlich.“ Allerdings gilt dies nur in Fällen, in denen Pflichtenmaßstab das Schädigungsverbot ist. 349 Vgl. BGH NJW 2005, S. 522, 531 (Mannesmann/Vodafone; insoweit nicht abgedruckt in BGHSt 50, S. 331 ff.). 350 Einzelheiten dazu im 6. Kapitel, A. III. 2. b) bb). 345

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1. Teil, 2. Kap.: Die objektiven Bezugspunkte des Untreuevorsatzes

In Fällen dagegen, in denen die Pflichtwidrigkeit nicht im Verstoß gegen das Schädigungsverbot als Minimalpflicht besteht, sondern sich die Frage stellt, ob der Treupflichtige zivilrechtlich oder öffentlichrechtlich zu der in Rede stehenden Vermögensminderung befugt war (insbesondere wenn ein breiter Ermessensspielraum besteht), muss der Treupflichtige (zumindest laienhafte) Kenntnis der verletzten Vorgaben des Treupflichtigen haben. So ist beispielsweise in den angesprochenen Fällen per se kompensationsloser Verfügungen festzustellen, ob der Treupflichtige bei seiner Verfügung über das fremde Vermögen die Verletzung der privatrechtlichen oder öffentlichrechtlichen Bestimmungen erkannt hat351. Der Schwerpunkt der Vorsatzprüfung wird daher in diesen Fällen beim Missbrauchs- bzw. Verletzungsvorsatz liegen352. Die allgemeine Ansicht des Täters, mit den (pflichtwidrigen) Handlungen „letztlich“ den Vermögensinteressen des Treugebers nicht zu schaden oder ihnen zu dienen, schließt den Vorsatz nicht aus353. Dies ist lediglich auf der Strafzumessungsebene zu berücksichtigen354. 2. Die sogenannte „Pflichtwidrigkeit“

In der einschlägigen Fach- und Kommentarliteratur355 und in der Rechtsprechung356 finden sich häufig die auch in dieser Schrift bereits verwendeten Bezeichnungen „Pflichtwidrigkeit“ und „Pflichtwidrigkeitsvorsatz“357. In der Kommentierung von Fischer ist die „Pflichtwidrigkeit“ ein den Tathandlungen nachgeordneter Prüfungspunkt358. Schmid behandelt die „Pflichtwidrigkeit“ im Rahmen der Vorsatzprüfung sogar als eigenständigen Prüfungspunkt neben der Vermögensbetreuungspflicht, den Tathandlungen (dem „unbegfugten Gebrauch der Vertretungs- bzw. Verpflichtungsmacht“ oder dem „Verstoß gegen die Vermögensbetreuungspflicht“) und dem Taterfolg359. 351

Vgl. Schünemann, StV 2003, S. 463, 471; ders., Organuntreue, S. 24 f. Vgl. Fabricius, NStZ 1993, S. 414, 419. 353 BGH NStZ 1986, S. 455, 456; Fischer, § 266 Rn. 175. 354 Schreiber/Beulke, JuS 1977, S. 656, 661. 355 Beispielsweise bei Beckemper, NStZ 2002, S. 324 ff.; Feigen, in: FS-Rudolphi, S. 445 f.; Schünemann, in: LK, § 266 Rn. 94 und 157; Weimann, Bildung schwarzer Kassen, S. 49. 356 BGH NStZ 1986, S. 455, 456; 1997, S. 543; BGHSt 47, S. 187 ff. (Sponsoring SSV Reutlingen); LG Düsseldorf, NJW 2004, S. 3275 ff. (Mannesmann/Vodafone). 357 Ohne diese Formulierung beispielsweise Wessels/Hillenkamp, Strafrecht, BT/2, Rn. 746 ff. 358 Fischer, § 266 Rn. 57 ff. 359 Schmid, in: MG, Wirtschaftsstrafrecht, § 31 Rn. 193. 352

A. Pflichtenstellung, Tatobjekt sowie Tathandlung und Vorsatz

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Im Wortlaut des Untreuetatbestandes findet sich indessen – anders als zum Beispiel bei § 356 (Parteiverrat) – ein solches Merkmal nicht. Der Deliktstatbestand umschreibt vielmehr lediglich die Pflichtenstellung sowie die Tathandlung („missbraucht“/„verletzt“) und den Taterfolg. Zutreffend weist daher Martin360 darauf hin, dass es sich bei der Umschreibung „Pflichtwidrigkeit“ nicht um ein (weiteres) Tatbestandsmerkmal handelt, das womöglich neben dem Missbrauch bzw. der Treupflichtverletzung einer gesonderten Prüfung bedürfte bzw. auf das sich der Vorsatz zusätzlich beziehen müsste361. Die Pflichtwidrigkeit ist gewissermaßen nur eine Umschreibung für die Bewertung des Täterverhaltens als Überschreitung seiner Befugnisse bzw. Verletzung seiner Treupflicht. Allenfalls theoretisch, nicht aber praktisch, lässt sich daher die Pflichtwidrigkeit von den Merkmalen der Treupflicht und deren Verletzung abtrennen362. Es dürfte aber nichts dagegen sprechen, den Begriff als zusammenfassende Umschreibung der Bewertung einer Handlung als tatbestandsmäßig zu verwenden. In diesem Sinne soll in der vorliegenden Schrift der Gebrauch dieser Formulierung verstanden werden. „Pflichtwidrig“ handelt demnach also, wer bei der 1. Alternative des § 266 von seiner Befugnis bestimmungswidrig Gebrauch macht oder wer bei der 2. Alternative die Vermögensbetreuungspflicht verletzt363. 3. Irrtümer

Notwendig zur Behandlung des Vorsatzes gehört die Frage, ob der Täter einem Irrtum erlegen ist. Die Möglichkeiten eines Irrtums sind bei § 266 vielgestaltig. Der Vermögensbetreuungspflichtige kann beispielsweise darüber irren, dass er eine Vermögensbetreuungspflicht innehat oder dass es sich bei dem Tatobjekt um fremdes Vermögens handelt, er kann über den Umfang bzw. die Überschreitung der Befugnisgrenzen irren oder irrig ein Einverständnis des Vermögensinhabers zu einer konkreten Maßnahme annehmen. Kennt der Handelnde bei Begehung der Tat einen Umstand364 360

Martin, Bankuntreue, S. 154. Richtig formuliert daher beispielsweise BGH wistra 1987, S. 334, 337: „Der Vorsatz des Täters muß sich auf alle objektiven Tatbestandsmerkmale beziehen, also auch darauf, daß die Handlung einen Missbrauch der ihm eingeräumten Verfügungsund Verpflichtungsbefugnis darstellt.“ Eine „Pflichtwidrigkeit“ wird nicht erwähnt. 362 Vgl. Fischer, § 266 Rn. 59. 363 Zur Behandlung der (in diesem Sinne verstandenen Umschreibung) Pflichtwidrigkeit als gesamttatbewertendes Merkmal, siehe nachstehend 3. b). 364 Zum gesetzlichen Tatbestand gehören an sich die abstrakten Tatbestandsmerkmale. Der Begriff „Tatumstand“ bezeichnet die Umstände des Lebenssachverhaltes, die im Einzelfall ein Merkmal des Tatbestandes verwirklichen. Siehe dazu Kühl, 361

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1. Teil, 2. Kap.: Die objektiven Bezugspunkte des Untreuevorsatzes

nicht, der zum gesetzlichen Tatbestand gehört, so handelt er nach § 16 ohne Vorsatz, unterliegt also einem sogenannten Tatbestandsirrtum. Der Grund für die Unkenntnis oder eine etwaige Vermeidbarkeit des Irrtums ist dabei irrelevant365. a) Tatsachen- und Bedeutungskenntnis Bei der Erörterung der Irrtumsproblematik ist zunächst festzustellen, dass die Tatbestandsmerkmale des Untreuetatbestandes keine rein sachlich-gegenständliche Beschreibung beinhalten und damit also keine sogenannten deskriptiven Merkmale366 darstellen, bei denen eine bloß sinnliche Wahrnehmung zur Erfassung des Merkmals ausreicht367. Vielmehr sind die Merkmale des § 266 – oder, wenn man so will, die sogenannte Pflichtwidrigkeit als bewertende Umschreibung des Missbrauchs bzw. der Treupflichtverletzung – stark normativ geprägt. Als normative Merkmale werden Merkmale bezeichnet, die sich auf Eigenschaften beziehen, die auf sozialen bzw. rechtlichen Regeln beruhen368. Sie beschreiben also nicht wie die deskriptiven Merkmale einen rein natürlichen Zustand, sondern nehmen Bezug auf rechtliche oder außerrechtliche (konventionelle oder moralische) Normen369. Ob also ein „Missbrauch“ der Befugnis im Sinne des § 266 vorliegt, lässt sich nicht durch eine sinnliche Wahrnehmung „irgendwelcher“ natürlicher Vorgänge feststellen, sondern nur anhand einer wertenden Betrachtung des konkreten Gebrauchs der Befugnis im Verhältnis zum konsentierten Pflichtenkreis370. Der normative Strafrecht AT, § 13 Rn. 9. Der Täter muss nicht die abstrakten Tatbestandsmerkmale kennen, sondern den Wirklichkeitsvorgang, der der Gesetzesbeschreibung entspricht, vgl. Fischer, § 16 Rn. 3. Teilweise wird der Irrtum nach § 16 daher nicht als Tatbestands-, sondern als Tatumstandsirrtum bezeichnet, vgl. z. B. Kühl, Strafrecht AT, § 13 Rn. 9. 365 Kühl, Strafrecht AT, § 13 Rn. 13. 366 Die Unterscheidung zwischen sogenannten deskriptiven und normativen Merkmalen ist zwar überwiegend anerkannt (vgl. Cramer/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, § 15 Rn. 17 ff.; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, § 29 II 3; MünchKommStGB/Joecks, § 16 Rn. 40; Welzel, JZ 1953, S. 119, 120; Wessels/ Beulke, Strafrecht AT, Rn. 130 ff. Ablehnend Dopslaff, GA 1987, S. 1 ff.; NKStGB-Puppe, § 16 Rn. 41; Puppe, GA 1990, S. 145, 149). Eine strikte Grenzziehung ist jedoch in der Regel nicht durchführbar (vgl. Fischer, § 16 Rn. 4; Roxin, Strafrecht AT, § 10 Rn. 59). So erhalten nämlich auch die vermeintlich rein deskriptiven Merkmale erst aus dem Normkontext ihre Bedeutung und umgekehrt enthalten normative Merkmale zumeist ein deskriptives Substrat (vgl. Bringewat, Grundbegriffe, Rn. 375). 367 Vgl. Cramer/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, § 15 Rn. 18. 368 Vgl. Kindhäuser, LPK-StGB, § 16 Rn. 8. 369 Kühl, Strafrecht AT, § 5 Rn. 92.

A. Pflichtenstellung, Tatobjekt sowie Tathandlung und Vorsatz

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Charakter dieser Merkmale erfordert, dass der Handelnde durch einen gewissen Akt geistigen Verstehens die Bedeutung des Merkmals erfasst371. Diese Feststellung wirft die Frage auf, welcher Art der erforderliche reflektorische Sinnerfassungsaufwand sein muss, um von einer für die Vorsätzlichkeit ausreichenden Erfassung der Bedeutung des jeweiligen Merkmals ausgehen zu können. Negativ lässt sich insoweit jedenfalls sagen, dass eine juristisch richtige Subsumtion der Tatsachen unter das Gesetz nicht notwendig ist372. Eine falsche Rechtsauslegung, so zum Beispiel ein Irrtum des Täters bei der Subsumtion unter einen Gesetzesbegriff oder aber ein Irrtum über die Strafbarkeit des Verhaltens, kann allenfalls zu einem für den Vorsatz unbeachtlichen Verbotsirrtum gemäß § 17 führen. Demnach ist bei § 266 nicht erforderlich, dass der Treupflichtige das zugrunde liegende Rechtsverhältnis juristisch exakt einordnet und beurteilt373. Vielmehr ist mit der herrschenden Meinung als ausreichend – aber auch erforderlich – anzusehen, dass der Täter den rechtlich-sozialen Bedeutungsgehalt des Merkmals bzw. des inkriminierten Vorgangs im Wege einer sogenannten „Parallelwertung in der Laiensphäre“374 richtig erfasst375. Der Täter muss, mit anderen Worten, eine der gesetzlich-richterlichen Bewertung gleichgerichtete Einschätzung in seinem individuellen Gedankenkreis vornehmen376. 370

Vgl. Fischer, § 266 Rn. 24. Vgl. Kühl, Strafrecht AT, § 5 Rn. 91 f. 372 Cramer/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, § 15 Rn. 20; Jakobs, Strafrecht AT, 8. Abschnitt, Rn. 49; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, § 29 II 3; MünchKommStGB/Joecks, § 16 Rn. 40. Bereits bei Beling, Verbrechen, S. 189, heißt es dazu: „Denn die Subsumtion unter die begrifflichen Tatbestandsmerkmale ist eine spezifisch juristische Tätigkeit. Sie für den Vorsatz verlangen hieße das vorsätzliche Verbrechen für die Juristen und diejenigen Laien, die mehr oder weniger zufällig juristische Kenntnisse besitzen, reservieren [. . .].“ 373 Fischer, § 266 Rn. 171. 374 Formulierung geprägt von Mezger, JW 1927, S. 2006, 2007; ders., Strafrecht, S. 328. Auch „Parallelbeurteilung im Täterbewusstsein“ (Cramer/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, § 266 Rn. 43a; Welzel, JZ 1954, S. 276, 279). 375 Siehe nur Cramer/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, § 15 Rn. 43a m. w. N. In der Rechtsprechung: BGHSt 3, S. 248, 255; BGHSt 4, S. 347, 352; BGHSt 8, S. 321, 323 f. Im Ergebnis ähnlich wie die herrschende Meinung: Schlüchter, Irrtum, S. 101; dies., JuS 1993, S. 14, 17. Davon abweichend wird teilweise – wie in der früheren Irrtumsrechtsprechung des Reichsgerichts – vertreten, für den Vorsatz reiche bloße Faktenkenntnis aus. Ein Irrtum nach § 16 käme dann nur im Falle eines Tatsachenirrtums, nicht aber bei einem Rechtsirrtum in Betracht (Dopslaff, GA 1987, S. 1, 23; Kindhäuser, GA 1990, S. 407, 417 f.). Andere behandeln als Tatbestandsirrtum – ähnlich wie das Reichsgericht später – neben dem Tatsachenirrtum auch den außerstrafrechtlichen Rechtsirrtum (Kuhlen, Irrtum, insbesondere S. 361 ff. [dazu Herzberg, JZ 1993, S. 1017, 1020 ff.]; ähnlich Puppe, GA 1990, S. 145, 154 ff.). 376 Mezger, Strafrecht, S. 328. 371

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1. Teil, 2. Kap.: Die objektiven Bezugspunkte des Untreuevorsatzes

Fehlt es an der zumindest laienhaften Erfassung, so scheidet ein Vorsatzvorwurf aus377. Nun kann man aber aus der Feststellung, dass eine exakte juristische Subsumtion nicht erforderlich ist, andererseits nicht den Schluss ziehen, dass jede irrige rechtliche Bewertung für den Vorsatz irrelevant ist und allenfalls zu einem Verbotsirrtum führen kann. Ist nämlich der soziale Sinngehalt eines normativen Tatbestandsmerkmals nicht ohne rechtliche Qualifikation zu erfassen, so ist auch ein wenigstens laienhaftes rechtliches Verständnis, die Kenntnis des Regelungseffektes, unabdingbare Voraussetzung für die Bejahung des Vorsatzes, da anderenfalls nicht von einer geistigen Erfassung des Tatumstandes durch den Täter ausgegangen werden kann378. Viel bemühtes Beispiel ist insoweit das normative Merkmal „fremd“ in § 242379: Auch bei voller Kenntnis der dem Merkmal zugrunde liegenden Tatsachen ist denkbar, dass der Täter noch nicht einmal nach Laienart verstanden hat, dass die Sache für ihn „fremd“ ist. Denn die Kenntnis der Bedeutung des Merkmals erschließt sich nicht aus einer bloßen Beobachtung „irgendwelcher Übereignungsriten“, sondern erst aus dem Begreifen, dass die Sache einer anderen Person zugeordnet ist und diese Person mit der Sache nach eigenem Belieben verfahren darf380 (§ 903 BGB). Kennt beispielsweise der Täter das rechtliche Institut des Eigentumsvorbehaltes nicht und denkt infolgedessen, er selbst sei Eigentümer der Sache, verstoße also nicht gegen die Eigentumsordnung, so handelt er – trotz Kenntnis aller Tatsachen – mangels Erfassung des sozialen Sinngehaltes nach § 16 ohne Vorsatz. Die gleichen Erwägungen gelten bei § 266. Auch hier reicht eine bloße Erfassung von Tatsachen ohne ein gewisses rechtliches Verständnis im subjektiven Tatbestand nicht aus381. So muss der Täter auch hier erkennen und verstehen, dass es sich bei dem Tatobjekt um fremdes Vermögen handelt. Da sich diese Frage nach materiellem Zivilrecht regelt382, muss er die Rechtsmaterie zumindest laienhaft richtig werten. 377 In diesem Fall, so wird argumentiert, sei dem Täter die Voraussicht der Strafbarkeit nicht möglich (BGHSt 27, S. 167, 171; BGHSt 28, S. 312, 313) und damit die Möglichkeit ausgeschlossen, durch Unterlassen der Tat bei einem gesetzestreuen Verhalten zu bleiben (Cramer/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, § 15 Rn. 43 und 47), sogenannte Appell- und Warnfunktion des Tatbestandes (Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 244; kritisch zu diesem Argument: AK-StGB-Zielinski, § 15 Rn. 10). 378 Roxin, Strafrecht AT, § 12 Rn. 103; vgl. auch Fischer, § 16 Rn. 15. 379 Siehe bei Jakobs, Strafrecht AT, 8. Abschnitt, Rn. 56; Kühl, Strafrecht AT, § 5 Rn. 96; Roxin, Strafrecht AT, § 12 Rn. 103. 380 Jakobs, in: FS-Dahs, S. 49, 53. 381 Ebenso für § 356: BGHSt 15, S. 332, 338.

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Irrtümer bezüglich der Fremdheit des Vermögens sind beispielsweise im GmbH-Recht denkbar, insbesondere bei einer Einpersonen-GmbH383. Grundsätzlich sind bei der GmbH die Vermögenssphären der Gesellschaft und der Gesellschafter zu trennen (Trennungsprinzip)384. Das Gesellschaftsvermögen ist auch dann für den Gesellschafter fremd, wenn er alleiniger Anteilseigner ist385. Denkbar ist, dass der Gesellschafter der Einpersonen-GmbH hier einem Irrtum über die Fremdheit in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht unterliegt, wenn er beispielsweise das GmbH-Vermögen für sein unmittelbar eigenes hält und die Vermögensmassen nicht trennt (mit der möglichen Folge der Durchgriffshaftung durch die Gesellschaftsgläubiger386), die Vermögensmassen „verwechselt“ oder bestimmte Ansprüche an das Gesellschaftsvermögen zu haben glaubt und seinem Privatvermögen infolgedessen durch § 266 geschützte Vermögensbestandteile des Gesellschaftsvermögens (Stammkapital387 bzw. existenznotwendige Teile388) zuführt. Bestehen in ei382 So die herrschende Meinung, vgl. BGHSt 1, S. 186, 187; Fischer, § 266 Rn. 11; Labsch, JURA 1987, S. 343, 347. Anderer Ansicht Nelles, Untreue, S. 513 ff. 383 Zu diesem Begriff Birle, Praxishandbuch der GmbH, Rn. 221 ff.; Roth/Altmeppen, GmbHG, § 1 Rn. 40 ff. 384 Birle, Praxishandbuch der GmbH, Rn. 1556. 385 Herrschende Meinung, siehe nur BGHSt 34, S. 379, 384; BGHSt 49, S. 147, 158 (Bremer Vulkan); Schünemann, in: LK, § 266 Rn. 125 m. w. N. Anderer Ansicht Lenckner/Perron, in: Schönke/Schröder, § 266 Rn. 21b. Siehe dazu auch nachstehend unter Ziffer II. 5. b), sowie im 6. Kapitel, A. III. 1. a) cc). 386 Siehe dazu Roth/Altmeppen, GmbHG, § 13 Rn. 107 ff. 387 BGH wistra 2008, S. 379 ff.; Schünemann, in: LK, § 266 Rn. 125 m. w. N. Anderer Ansicht Fischer, § 266 Rn. 99 m.w. N. Aufgrund der Reform des GmbHG durch das Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG, Gesetz vom 23. Oktober 2008, BGBl. I, S. 2026 ff.) wird künftig allerdings der Anwendungsbereich für § 266 in Fällen der Rückzahlung von Stammkapital eingeschränkt sein (siehe auch Bittmann, GmbHR 2007, S. 70, 73; ders., wistra 2007, S. 321, 324; ders., wistra 2009, S. 102, 103; ders., NStZ 2009, S. 113, 118; Leplow, wistra 2009, S. 351, 353; Maurer, JR 2008, S. 389, 391): Nach § 30 Abs. 1 S. 2 GmbHG n. F. ist künftig eine bilanzielle Betrachtungsweise erforderlich, bei der ein vollwertiger Gegenleistungs- oder Rückgewähranspruch gegen den Gesellschafter zu berücksichtigen ist. Raum für untreuerelevante Handlungen wird insoweit z. B. bleiben, wenn der Gesellschafter nicht rückzahlungsfähig oder -willig ist. 388 BGHSt 35, S. 333, 339; BGHSt 49, S. 147, 158 ff. (Bremer Vulkan). Auch jenseits der nunmehr durch das MoMiG eingeschränkten Haftung und Strafbarkeit für Eingriffe in das Stammkapital wird weiterhin das Vermögen der Gesellschaft gegen Eingriffe, die zu einer Existenzvernichtung führen können, geschützt. Infolge der Erweiterung des § 64 GmbHG durch das MoMiG wurde dieser Schutz sogar noch verstärkt: So haften nunmehr die Geschäftsführer auch für Zahlungen an Gesellschafter, die die Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft zur Folge haben, es sei denn, dies war bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes nicht

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nem konkreten Fall entsprechende Anhaltspunkte für einen solchen Irrtum bzw. beruft sich der Gesellschafter sogar auf einen solchen Irrtum, so ist sorgfältig zu prüfen, ob der Irrtum plausibel erscheint389. Ebenso muss der Täter erkennen, dass er eine Vermögensbetreuungspflicht innehat, wozu auch gewisse rechtliche Wertungen gehören können. Beispielhaft: Glaubt der Täter in Verkennung der Rechtslage, nicht Geschäftsführer geworden zu sein, so irrt er über ein Tatbestandsmerkmal und handelt damit im Tatbestandsirrtum390. Schließlich gilt dies auch für die Tathandlung. Weiß beispielsweise ein objektiv tatsächlich Vermögensbetreuungpflichtiger, der ein objektiv pflichtwidriges Geschäft abschließt, nur, dass er ein Vertragsverhältnis mit dem Vermögensinhaber begründet hat und dass er ein Drittgeschäft abschließt, so weiß er allein damit noch nicht notwendig, dass er mit dem Drittgeschäft die Grenzen seiner Befugnisse überschreitet. Er weiß dies vielmehr nur dann, wenn er auch diejenigen rechtlichen Wertungen zumindest laienhaft nachvollzogen hat, die den Befugnisgebrauch zu einem Befugnismissbrauch machen. Hat der Täter den Bedeutungsgehalt des jeweiligen Merkmals nicht einmal in dieser laienhaften Art erfasst, so scheidet der Vorsatzvorwurf aus. Davon unberührt bleibt gemäß § 16 Abs. 1 Satz 2 freilich der Vorwurf möglicherweise fahrlässigen Verhaltens, wobei bei § 266 fahrlässiges Verhalten nicht unter Strafe gestellt ist. Nun könnte man diesem Ergebnis allerdings entgegenhalten, es stehe im Widerspruch zur herrschenden Schuldtheorie, die in § 17 ihren gesetzlichen Niederschlag gefunden hat, wenn und weil der Täter zugleich mit der richtigen rechtlichen Erfassung eines Tatbestandsmerkmals Unrechtsbewusstsein hat, denn in diesem Fall wäre die strikte Trennung der Tatbestandskenntnis und der Unrechtskenntnis (als Teil der Schuld) aufgehoben. Hierauf wird nachstehend unter b) cc) zurückzukommen sein. b) Ablehnung der Qualifizierung der Pflichtwidrigkeit als gesamttatbewertendes Merkmal Um diese Konsequenzen – Vorsatzausschluss bei einer fehlerhaften Bewertung bzw. Aufhebung der Trennung von Tatbestandskenntnis und Unerkennbar. Bittmann, wistra 2007, S. 321, 325, bejaht insoweit die Untreuestrafbarkeit. Zu größerer Sicherheit bei der Frage, ob ein Eingriff zivilrechtlich (noch) erlaubt und daher strafrechtlich nicht relevant ist, wird insoweit das Urteil des II. Zivilsenats des BGH (NJW 2007, S. 2689 ff. [Trihotel]) führen (ebenso Radtke/ Hoffmann, GA 2008, S. 535, 538 f. und 547 ff.). Hier hat der BGH seine bisherige Rechtsprechung zum existenzvernichtenden Eingriff geändert und sieht derartige Fälle nunmehr ausschließlich als besondere Fallgruppe des § 826 BGB an. 389 Siehe dazu 6. Kapitel, A. III. 1. a) cc). 390 Hachenburg/Kohlmann, GmbHG, Vor § 82 Rn. 211.

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rechtsbewusstsein – für § 266 zu vermeiden, wird im Schrifttum mitunter vorgeschlagen, das Merkmal der Vermögensbetreuungspflicht bzw. der Pflichtwidrigkeit als ein gesamttatbewertendes Merkmal391 zu qualifizieren392. Schünemann beispielsweise will mit dieser Einordnung vermeiden, dass die „leichtfertigste Fehlbeurteilung der Pflichtenlage“ durch einen Prokuristen zu einem Irrtum nach § 16 führt, was seiner Meinung nach zu täterfreundlich wäre393. Jüngst hat auch im Fall Mannesmann/Vodafone das Landgericht Düsseldorf gemeint, dass für den Vorsatz bezüglich der Pflichtwidrigkeit „die Kenntnis und das Bewusstsein sämtlicher die Pflichtwidrigkeit begründender Tatsachen und Umstände“ genüge394. Gegen eine solche Qualifizierung der Pflichtwidrigkeit bestehen jedoch, wie im Folgenden zu zeigen sein wird, Bedenken. aa) Zur Lehre von den gesamttatbewertenden Merkmalen Ihre „Entdeckung“ verdanken die sogenannten gesamttatbewertenden Merkmale395 der Untersuchung der maßgeblich von Welzel396 geprägten Lehre von den offenen Tatbeständen. Nach dieser Lehre soll es besondere Tatbestände geben, aus denen sich die unrechtsbegründenden Merkmale nur teilweise entnehmen lassen, sodass die Erfüllung des Tatbestandes noch nicht die Rechtswidrigkeit indiziert. Der vollständige Unrechtstypus soll vielmehr erst im Rahmen der Rechtswidrigkeit durch Feststellung spezieller „Rechtswidrigkeitsmerkmale“ ermittelt werden können. Diese Lehre von den offenen Tatbeständen wird von der überwiegenden Ansicht zu Recht abgelehnt397. Da ein Tatbestand nur dann per definitionem als Deliktstyp verstanden werden kann, wenn er alle unrechtsbegründenden Merkmale enthält – anderenfalls würde gerade die Typuseigenschaft fehlen –, kann es nur „geschlossene“ Tatbestände geben398. Beispielhaft: 391

Grundlegend hierzu Roxin, Offene Tatbestände, insbesondere S. 75 ff. So NK-StGB-Puppe, § 16 Rn. 30; Puppe, GA 1990, S. 145, 171; Schünemann, in: LK, § 266 Rn. 153; ders., Organuntreue, S. 66 (anders: ders., StV 2003, S. 463, 471). Ähnlich: Fischer, 53. Auflage, § 266 Rn. 77; NK-StGB-Kindhäuser, § 266 Rn. 122; Martin, Bankuntreue, S. 154 f. 393 Schünemann, in: LK, § 266 Rn. 153. Siehe auch Roxin, Strafrecht AT, § 12 Rn. 105. 394 LG Düsseldorf NJW 2004, S. 3275, 3285. 395 Grundlegend Roxin, Offene Tatbestände, insbesondere S. 75 ff. 396 Welzel, JZ 1952, S. 19 f.; ders., JZ 1952, S. 133 ff.; ders., JZ 1952, S. 208; ders., Strafrecht, S. 82. 397 Siehe nur Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder, Vorbem §§ 13 ff. Rn. 66 m. w. N. 398 Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, § 25 II 1; Roxin, Strafrecht AT, § 10 Rn. 44. 392

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Bei einer Nötigung in Gestalt einer Drohung mit einem empfindlichen Übel ist mit der Verwirklichung des Tatbestandes (§ 240 Abs. 1) die Rechtswidrigkeit noch nicht – wie sonst – indiziert. Um die uferlose Weite des Tatbestandes auf ein erträgliches Maß zu reduzieren, bedarf es eines „tatbestandlichen Korrektivs“399. Dieses Korrektiv findet sich in der Verwerflichkeitsklausel des zweiten Absatzes400. Der Nötigungstatbestand erhält also seinen Unrechtstypus mit dem Merkmal „verwerflich“401, das positiv festgestellt werden muss. Mit anderen Worten: Die Verwerflichkeitsklausel ist nicht erst besondere Rechtswidrigkeitsregel, sondern schon eine notwendige Ergänzung des „offenen“ (besser vielleicht: „ergänzungsbedürftigen“) Tatbestandes (Abs. 1), der dadurch „geschlossen“ wird. Diese Auseinandersetzung mit den „offenen Tatbeständen“ hat aber eine andere Besonderheit hervortreten lassen: Es gibt Merkmale, die nicht nur das tatbestandsmäßige Verhalten umschreiben, sondern zugleich eine besondere Regelung zur Feststellung des Unrechts des tatbestandsmäßigen Verhaltens enthalten402. So ist beispielsweise eine Nötigung auch bei Fehlen spezifischer Rechtfertigungsgründe nur dann rechtswidrig, wenn die Nötigungshandlung zu dem erstrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist. Das Merkmal „verwerflich“ weist also darauf hin, dass die Tat nur dann rechtswidrig ist, wenn sie insgesamt auch als verwerflich bewertet wird403. Zugleich prägt ein solches Merkmal die sonst dem allgemeinen Rechtswidrigkeitsurteil vorbehaltene Gesamtbeurteilung der Tat404. Ist beispielsweise eine Nötigung verwerflich, so ist sie auch rechtswidrig, denn eine rechtfertigende Notstandslage würde die Verwerflichkeit ausschließen405. Aus einem gesamttatbewertenden Merkmal wird also das Rechtmäßige oder Unrechtmäßige der gesamten Handlung erkennbar406. Aufgrund dieser Eigenschaft werden diese Einzelmerkmale, die die Gesamtbewertung der Tat mit einschließen, als gesamttatbewertend bezeichnet. 399 BVerfGE 73, S. 206, 238 f.; Eser, in: Schönke/Schröder, § 240 Rn. 16 m. w. N. 400 Vgl. BGHSt 35, S. 270, 275 f. 401 Vgl. Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, § 25 II 2. 402 Genannt werden im Schrifttum beispielsweise „verwerflich“ in § 240 (Cramer/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, § 15 Rn. 22); „grob verkehrswidrig“ in § 315c (Kühl, Strafrecht AT, § 5 Rd. 97); „vernünftiger Grund“ in § 17 Nr. 1 TierSchutzG (Roxin, Strafrecht AT, § 10 Rn. 49); „Missbrauch“ von Notrufen in § 145 (Roxin, Strafrecht AT, § 10 Rn. 51); „zumutbar“ in § 323c (Lackner/Kühl, § 15 Rn. 16; streitig). 403 Vgl. Kindhäuser, Strafrecht AT, § 8 Rn. 3. 404 Vgl. Kindhäuser, Strafrecht BT/1, § 13 Rn. 33. 405 Roxin, Strafrecht AT, § 10 Rn. 45. 406 Krümpelmann, GA 1968, S. 129, 138.

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Schwierig gestaltet sich die Einordnung dieser Merkmale. Einerseits sind diese Merkmale als bloße Tatbestandsmerkmale mit zu starker normativer Wertung erfüllt, andererseits sind sie im Tatbestand unverzichtbar, weil dem Tatbestand ohne die Gesamtbewertung die Kontur als Unrechtstypus fehlen würde407. Überwiegend wird dieses Problem dahingehend gelöst, dass die tatsächlichen Umstände, auf welchen die Gesamtbewertung basiert, zum Tatbestand gerechnet werden, während das zu fällende Werturteil der Rechtswidrigkeitsebene zugeordnet wird408. Ansonsten könnte nämlich, so wird argumentiert, der Täter durch seine eigenen, möglicherweise abnormen Vorstellungen über die Strafbarkeit des Verhaltens entscheiden409. Praktisch bedeutsam ist dies vor allem im Irrtumsbereich. Da die das Werturteil begründenden tatsächlichen Umstände zum Tatbestand gehören, muss sich der Vorsatz auf sie beziehen410. Irrt der Täter über die tatsächlichen Voraussetzungen, die dem Werturteil zugrunde liegen, so handelt er gemäß § 16 ohne Vorsatz. Irrt der Täter dagegen in der Bewertung der Tat, so kommt lediglich ein Verbotsirrtum nach § 17 in Betracht411. Bezogen auf § 266 würde dies bedeuten, dass ein Irrtum in der rechtlichen Einschätzung der Pflichtwidrigkeit des Verhaltens nicht zum Vorsatzausschluss führt. bb) Stellungnahme zur Einordnung von Merkmalen des § 266 als gesamttatbewertend Die Lehre von den gesamttatbewertenden Merkmalen ist indes nicht ohne Kritik geblieben412. Schroth beispielsweise kritisiert, dass die Einordnung einzelner Merkmale mitunter willkürlich erscheine und sich offenbar daran orientiere, welche Vorsatzanforderungen man zu stellen gewillt ist, 407

Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, § 25 II 2. Cramer/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, § 15 Rn. 22; Walter, in: LK, vor § 13 Rn. 57; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, § 25 II 2; Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder, Vorbem §§ 13 ff. Rn. 66; Roxin, Strafrecht AT, § 10 Rn. 48; Wessels/Hettinger, Strafrecht BT/1, Rn. 424. Streitig ist allerdings die Behandlung der Rechtfertigungsgründe: Teilweise werden diese bereits auf der Tatbestandsebene einbezogen (so beispielsweise Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder, Vorbem §§ 13 ff. Rn. 66; Roxin, Strafrecht AT, § 10 Rn. 45), während sie nach anderer Ansicht erst auf der Rechtswidrigkeitsebene zu prüfen sind (so Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, § 25 II 3). 409 Roxin, Strafrecht AT, § 12 Rn. 105. 410 BayObLG NJW 1992, S. 521, 522. 411 Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, § 29 II 3 d und § 41 II a; Kindhäuser, Strafrecht AT, § 8 Rn. 3; Kühl, Strafrecht AT, § 13 Rn. 59b; Lackner/Kühl, § 15 Rn. 16; Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder, Vorbem §§ 13 ff. Rn. 66; Roxin, Strafrecht AT, § 10 Rn. 50 sowie § 12 Rn. 105; NK-StGB-Toepel, § 240 Rn. 141. 412 Insgesamt ablehnend Schmidhäuser, Strafrecht AT, 9/12. 408

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wodurch einer Ergebnisjurisprudenz Tür und Tor geöffnet würde413. Geerds meint, die Lehre von den gesamttatbewertenden Merkmalen stehe im Widerspruch zur straftatsystematischen Irrtumsunterscheidung414 und belebe die reichsgerichtliche Unterscheidung von Tatsachen- und Rechtsirrtum partiell wieder415. Ob nun generell die Lehre von den gesamttatbewertenden Merkmalen zu verwerfen ist, kann im vorliegenden Zusammenhang dahingestellt bleiben, da jedenfalls die Einordnung der Merkmale des § 266 als gesamttatbewertend abzulehnen ist. Ein bloß kriminalpolitisches Bedürfnis, wie es offenbar Schünemann416 empfindet, kann als Begründung für die Behandlung eines Merkmals als „gesamttatbewertend“ sicherlich nicht befriedigen und müsste sich in der Tat den Vorwurf ergebnisorientierter Argumentation gefallen lassen. Schon ob der von Schünemann gebildete Fall des Prokuristen, der seine Pflichten eklatant verkennt417, die Einordnung rechtfertigt, ist zweifelhaft. Es mag in einem seltenen Einzelfall tatsächlich einmal sein, dass ein Prokurist seinen Spielraum grob verkennt und noch nicht einmal nach Laienart versteht, dass er pflichtwidrig gehandelt hat; dann muss er auch straflos bleiben418 und kann nur, aber immerhin, durch unternehmensinterne Maßnahmen von weiteren Geschäften ferngehalten werden. Entscheidend ist jedoch ein weiterer Aspekt. Dazu hat man sich noch einmal die Erkenntnis zu vergegenwärtigen419, dass es im Tatbestand des § 266 ein Merkmal „pflichtwidrig“ dem Wortlaut nach nicht gibt und die Bezeichnung „Pflichtwidrigkeit“ nach hiesigem Verständnis nur der Umschreibung der Tathandlungen des Missbrauchs einer Befugnis bzw. der Verletzung einer Treupflicht dient. Die „Pflichtwidrigkeit“ ist demnach nicht – wie die Verwerflichkeit bei § 240 – eine die Gesamttat betreffende Unrechtsbewertung, sondern eine Art Synonym für die Tathandlung selbst. Das typische Unrecht liegt bei § 266 in der abschließend beschriebenen Verletzung der Pflicht, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen, die sich nach einem außerstrafrechtlichen Rechtsverhältnis beurteilt. Ist eine solche Pflichtverletzung (nebst einem dadurch verursachten Vermögensschaden) festgestellt, so ist die Rechtswidrigkeit der Tat indiziert, nicht aber zwangsläufig gegeben. Es bleibt auch bei Verwirklichung des Tatbestandes durchaus Raum für Rechtfertigungsgründe420, jedenfalls für einen rechtfer413 414 415 416 417 418 419

Schroth, Vorsatz und Irrtum, S. 23 f. Siehe jedoch Roxin, Offene Tatbestände, S. 149 f. Geerds, JURA 1990, S. 421, 423. Schünemann, in: LK, § 266 Rn. 153. Schünemann, in: LK, § 266 Rn. 153. Ähnlich Dittrich, Untreuestrafbarkeit, S. 240 f. Siehe oben 2. Kapitel, A. II. 2.

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tigenden Notstand (§ 34). Der Gesetzgeber hat gerade nicht eine „verwerfliche Vermögensschädigung“ unter Strafe gestellt und damit eine Tatbestandsform gewählt, bei der die Bejahung der Tatbestandsmäßigkeit zugleich zwangsläufig die Gesamtbewertung der Tat als rechtswidrig bedingen würde421. Das Urteil über die „Pflichtwidrigkeit“ (genauer: die Feststellung des Missbrauchs einer Befugnis oder die Verletzung einer Treupflicht) ist hier nicht mit dem gesetzlichen Urteil über die Rechtswidrigkeit der Gesamttat identisch. Die Treupflichtverletzung ist also ein „gewöhnliches“ normatives Merkmal, dessen Kenntnis eine laienhafte rechtliche Bewertung durch den Täter voraussetzt422. Auch bei dem Merkmal „fremd“ des § 242 wird, obwohl es 420 Vgl. Arzt/Weber, Strafrecht BT, § 22 Rn. 74, mit Hinweis auf BGHSt 12, S. 299, 303 ff.; Ayasse, Untreue, S. 111; Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 230. Anders Herzberg, JA 1989, S. 243, 245 f: Eine „rechtmäßige Pflichtverletzung“ sei ein Selbstwiderspruch. Wer in einem „Notstand“ eine Vermögensbetreuungspflicht verletze, handele schon tatbestandslos, nicht erst gerechtfertigt. Nicht ganz deutlich wird bei der Argumentation von Herzberg allerdings, weshalb sämtliche – gewöhnlich der Rechtswidrigkeitsebene vorbehaltene – Rechtfertigungsgründe entgegen der überwiegend befürworteten Lehre vom dreistufigen Verbrechensaufbau bereits im Tatbestand berücksichtigt werden sollen. In diesem Sinne könnte man – mit der sogenannten Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen (siehe dazu: Roxin, Strafrecht AT, § 10 Rn. 13 ff.) – generell die Voraussetzungen der Rechtfertigungsgründe als negative Tatbestandsmerkmale ansehen und jedes gerechtfertigte Verhalten als nicht tatbestandsmäßig ansehen. Damit bliebe allerdings der anzuerkennende Wertunterschied zwischen einer von vornherein tatbestandslosen und einer zwar tatbestandsmäßigen, aber letztlich gerechtfertigten Handlung unberücksichtigt (vgl. Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 126), weshalb diese Ansicht zu verwerfen ist. Dem steht auch nicht entgegen, dass bei manchen Deliktstypen (z. B. Vergewaltigung, § 177) keine anerkennenswerten Gegeninteressen denkbar sind (vgl. Roxin, Strafrecht AT, § 10 Rn. 24). Eine rechtmäßige Pflichtverletzung ist dann kein Selbstwiderspruch, wenn man sich vergegenwärtigt, dass bei der Untreue ein Verhalten tatbestandsmäßig ist, welches sich außerhalb des im Innenverhältnis gezogenen Rahmens bewegt. Ist eine Maßnahme im Innenverhältnis pflichtwidrig, weil der Täter gegen die Vorgaben des Vermögensinhabers verstößt, so ist aber noch nichts darüber gesagt, ob die Verletzung der individuell vom Treugeber gezogenen Grenzen nicht im Einzelfall gerechtfertigt ist. Eine tatbestandsmäßige Pflichtverletzung kann gerechtfertigt sein (siehe auch Schramm, Untreue und Konsens, S. 234). 421 Vgl. Roxin, Strafrecht AT, § 10 Rn. 46. 422 Im Ergebnis ebenso BGH wistra 1986, S. 25; Cramer/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, § 15 Rn. 43a; Hohn, wistra 2006, S. 161, 164; Jakobs, in: FSDahs, S. 49, 57 f.; ders., NStZ 2005, S. 276, 277; Lenckner/Perron, in: Schönke/ Schröder, § 266 Rn. 49; Ransiek, NJW 2006, S. 814, 816; Rönnau, ZStW 119, S. 887, 905; Samson/Günther, in: SK-StGB, § 266 Rn. 49; Scholz/Tiedemann, GmbHG, vor §§ 82 ff. Rn. 13; Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 230 (mit dem Hinweis, dass die Behandlung eines Tatbestandsmerkmales, wie ein Teil der Rechtswidrigkeit zum Nachteil des Täters gegen das Analogieverbot verstößt); Vogel/Hocke, JZ 2006, S. 568, 571. Vgl. auch BGHSt 9, S. 358, 360.

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1. Teil, 2. Kap.: Die objektiven Bezugspunkte des Untreuevorsatzes

ebenfalls auf ein rechtliches Verständnis ankommt, nicht vertreten, es müsse in einen Tatsachen- und einen Bewertungsteil zerlegt werden. Selbst Schünemann, der die Einordnung der Pflichtwidrigkeit als gesamttatbewertendes Merkmal explizit vorgeschlagen hat, räumt zumindest für den Bereich der sogenannten Haushaltsuntreue ein, dass die (laienhafte) Kenntnis der Verletzung des Haushaltsrechts zum Vorsatz gehört423. Letztlich kommt auch Roxin zu einem ähnlichen Ergebnis, wenn er den Grundsatz, dass ein Irrtum über die Rechtswidrigkeit zu einem Verbotsirrtum führt, jedenfalls bei einem „nicht zerlegungsfähigen gesamttatbewertenden Umstand“ einschränken will: Der Täter müsse bei diesen nicht zerlegungsfähigen Merkmalen wenigstens in seiner Laiensphäre erkennen, was den Gesetzgeber zu seiner Wertung bewogen hat424. Nicht ganz deutlich wird bei Roxin allerdings, wie der Unterschied zwischen zerlegungsfähigen und nicht zerlegungsfähigen gesamttatbewertenden Merkmalen zu definieren und festzustellen ist; sachgerecht erscheint vielmehr allein, die Erfassung der laienhaften Bedeutungskenntnis generell bei allen normativen Merkmalen zu fordern. cc) Tatbestandskenntnis und Unrechtsbewusstsein Zurückzukommen ist nunmehr auf die bereits kurz angedeutete Problematik, dass mit der Einordnung der Pflichtwidrigkeit als „gewöhnliches“ normatives Merkmal und dem damit verbundenen Erfordernis einer laienhaften rechtlichen Bewertung letztlich das Unrechtsbewusstsein nicht mehr vom Tatbestandsvorsatz isoliert werden kann. Hat nämlich beispielsweise der Täter erkannt, dass er seine Befugnis missbraucht, so weiß er in der Regel auch, dass er gegen die materielle Rechtsordnung verstößt, und hat damit Unrechtsbewusstsein. Dies führt bei § 266 zu einem Ergebnis, das weitgehend dem der sogenannten Vorsatztheorie425 entspricht426, die an sich von der überwiegenden Meinung427 und in Gestalt des verfassungskonformen428 § 17 auch 423 Schünemann, StV 2003, S. 463, 471. Letztlich schließt er nicht aus, dass sich die gesamttatbewertenden Merkmale durch eine differenzierte Subsumtion schlicht als normative Merkmale erweisen (in: LK, § 266 Rn. 154). Siehe dazu Jakobs, in: FS-Dahs, S. 49, 58. 424 Roxin, Strafrecht AT, § 12 Rn. 107 f. 425 Vertreten von Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht AT, § 21 Rn. 40; Schmidhäuser, JZ 1979, S. 361, 367. 426 Vgl. Scholz/Tiedemann, GmbHG, vor §§ 82 Rn. 13. 427 BGHSt 2, S. 194, 200 f.; Cramer/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, § 15 Rn. 104; Lackner/Kühl, § 17 Rn. 2; Roxin, Strafrecht AT, § 21 Rn. 8; Fischer, § 17 Rn. 2. 428 BVerfGE 41, S. 121 ff.

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vom Gesetzgeber zugunsten der Schuldtheorie abgelehnt wird. Für Verbotsirrtümer bleibt danach bei § 266 – bzw. sogar generell bei normativen Merkmalen – mitunter wenig Raum429. Doch kann dies kein stichhaltiges Argument dafür sein, die Bewertung aus dem Tatbestand zu eliminieren. Es reicht eben zum Verständnis beispielsweise des Merkmals „fremd“ in § 242, wie ausgeführt430, nicht aus, wenn der Täter „irgendwelche Übereignungsriten“ beobachtet; er muss vielmehr begreifen, dass die Sache einer anderen Person zugeordnet ist, die nach eigenem Belieben mit der Sache verfahren darf. Erkennt er dies aber, dann hat er zugleich Unrechtskenntnis, denn er hat begriffen, dass er die Sache nicht stehlen, unterschlagen, zerstören darf431. Abstrakter gesagt: Ein bloßes „Sammelsurium natürlicher Fakten“ fügt sich nur dann zu einer vorsätzlichen Tatbestandsverwirklichung, wenn der Täter die Fakten in ihren gesellschaftlichen Kontext stellt, also erkennt, dass er die soziale Struktur stört432. Hat er aber die Tatsachen in ihre soziale Struktur gefügt und also Vorsatz, dann hat er auch zugleich das Unrecht erfasst, mag er auch über die Strafbarkeit des Verhaltens irren. Die grundsätzliche Unterscheidung des Strafgesetzbuches zwischen Tatbestandsund Verbotsirrtum wird jedenfalls nicht dadurch infrage gestellt, dass die Trennung bei einzelnen Merkmalen nicht durchführbar ist433. Nicht überzeugend ist daher auch die Forderung, nicht jedem Irrtum über die Pflichtwidrigkeit vorsatzausschließende Wirkung zukommen zu lassen, weil anderenfalls § 17 leerliefe434. Deshalb meint Jakobs auch zu Recht, dass es letztlich gleichgültig sei, ob man ein Merkmal als gesamttatbewertend einordnet435, denn wenn man das Erfordernis der Bedeutungskenntnis für den Vorsatz ernst nimmt, wird bei einem normativen Merkmal, wie gezeigt, oft auch das Unrechtsbewusstsein quasi reflexartig gegeben sein. 4. Der Fall Mannesmann/Vodafone – BGHSt 50, S. 331 ff.

Spektakulärer Fall, bei dem sich die Rechtsprechung jüngst mit dem Untreuetatbestand auseinanderzusetzen hatte, war der Fall Mannesmann/Vodafone436, der hier zum Anlass genommen werden soll, die obigen Erkenntnisse, insbesondere bezüglich des Rückschlusses vom Schädigungsvorsatz 429

Ebenso Ransiek, NJW 2006, S. 814, 816. 2. Kapitel, A. II. 3. a). 431 Vgl. Jakobs, in: FS-Dahs, S. 49, 53. 432 Vgl. Jakobs, in: FS-Dahs, S. 49, 53. 433 Vgl. Roxin, Strafrecht AT, § 12 Rn. 108. 434 So aber Vogel/Hocke, JZ 2006, S. 568, 571. 435 Jakobs, in: FS-Dahs, S. 49, 54. 436 BGHSt 50, S. 331 ff. = NStZ 2006, S. 214 ff. = wistra 2006, S. 137 ff. = NJW 2006, S. 522 ff. 430

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auf den Pflichtwidrigkeitsvorsatz und bezüglich der erforderlichen Bedeutungskenntnis, praxisrelevant zu illustrieren. a) Wesentlicher Sachverhalt In dem Verfahren ging es im Wesentlichen um folgenden Sachverhalt437: Dem britischen Telekommunikationsunternehmen Vodafone Airtouch plc. (nachfolgend: Vodafone) war es nach einem harten Übernahmekampf gelungen, im Frühjahr 2000 mit der Mannesmann AG eine „freundliche“ Übernahme zu vereinbaren. Kurz nach der Entscheidung über die Übernahme beschloss der für Vorstandsangelegenheiten zuständige Aufsichtsratsausschuss (Präsidium) der Mannesmann AG, der aus den späteren Angeklagten Ackermann, Funk, Ladberg und Zwickel bestand, unter anderem Abfindungszahlungen für Pensionsansprüche und sogenannte Anerkennungsprämien (appreciation awards) zu gewähren. Empfänger der Anerkennungsprämien waren Funk selbst, der – wegen Beihilfe ebenfalls angeklagte – Vorstandsvorsitzende Esser sowie vier weitere Vorstandsmitglieder, wobei feststand, dass fast alle Begünstigten aus dem Unternehmen ausscheiden würden. Allein auf die Angeklagten Esser und Funk entfielen Prämien in Höhe von 16 Millionen Euro (Esser) und drei Millionen Euro (Funk), wobei Esser daneben zur Abgeltung seines aufgrund der Übernahme vorzeitig endenden Anstellungsverhältnisses eine Abfindung von ca. 15 Millionen Euro und eine Abgeltung von Sachansprüchen in Höhe von zwei Millionen Euro erhielt. Die Problematik dieser Anerkennungsprämien soll im Folgenden näher betrachtet werden. b) Entscheidungen des Landgerichts Düsseldorf und des BGH Nach der Strafanzeige einer Stuttgarter Anwaltskanzlei438 hatte zunächst in erster Instanz das Landgericht Düsseldorf über die Strafbarkeit der Anerkennungsprämien zu entscheiden. Das Landgericht beurteilte die Sonderzahlungen zwar als unzulässig439, sprach die Angeklagten jedoch frei, weil entweder die Pflichtverletzungen nicht „gravierend“ im Sinne des § 266 gewesen seien440 (Anerkennungsprämie Esser) oder unvermeidbare Verbotsirrtümer (Anerkennungsprämie Funk) vorgelegen hätten441. 437 Einzelheiten zum Sachverhalt auch bei Hüffer, BB 2003, Beilage 7; Schünemann, Organuntreue, S. 45 ff. 438 Vgl. Binz/Sorg, BB 2006, Heft 6, „Die erste Seite“. 439 LG Düsseldorf NJW 2004, S. 3275 ff. und 3283 ff. 440 LG Düsseldorf NJW 2004 S. 3275, 3280 f. 441 LG Düsseldorf NJW 2004, S. 3275, 3285.

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Der BGH beurteilte die Sonderzahlungen im Ergebnis ebenfalls als unzulässig. Zwar führe, so der BGH, nicht jede Vergütungsentscheidung, die eine Schädigung der Aktiengesellschaft zur Folge hat, zu einer Pflichtverletzung, weil auch insoweit ein für unternehmerische Führungs- und Gestaltungsaufgaben geltender Beurteilungs- und Ermessensspielraum bestehe442. Solche Entscheidungen seien pflichtgemäß, solange sie Ausdruck eines von Verantwortungsbewusstsein getragenen, ausschließlich am Unternehmenswohl orientierten und auf sorgfältiger Ermittlung der Entscheidungsgrundlagen beruhenden unternehmerischen Handelns sind. Im konkreten Fall verneinte der BGH jedoch einen solchen Ermessensspielraum, weil die im Dienstvertrag nicht vereinbarten Sonderzahlungen – nach Ansicht des BGH – ausschließlich belohnenden Charakter hatten und der Gesellschaft keinen zukunftsbezogenen Nutzen bringen konnten. Eine solche kompensationslose Anerkennungsprämie sei als treupflichtwidrige Verschwendung des anvertrauten Gesellschaftsvermögens zu bewerten443. Die Pflichtverletzung müsse auch nicht zusätzlich, wie das Landgericht meinte, „gravierend“ sein444. Das Einverständnis von Vodafone hatte nach Ansicht des BGH keine Wirkung, weil die Übernehmerin Vodafone zum Bewilligungs- bzw. Auszahlungszeitpunkt der Prämien noch nicht Alleinaktionärin war445. Im Schrifttum, das eine Flut von Stellungnahmen hervorgebracht hat, die hier nicht abschließend dargestellt werden können, wird von einigen die Ansicht der Rechtsprechung geteilt und die Zulässigkeit von Anerkennungsprämien kategorisch verneint, weil und wenn die Prämien rein belohnenden Charakter haben und keinerlei zukunftsbezogenen Nutzen, das heißt keine Anreizwirkung („incentive pay“), aufweisen446. Derartige Zahlungen lägen nie im Unternehmensinteresse, das nämlich verbindliche Leitlinie für alle unternehmerischen Entscheidungen sei, und führten daher zu einer Schädigung des Vermögensinhabers447. 442

BGHSt 50, S. 331, 336. BGHSt 50, S. 331, 337. 444 BGHSt 50, S. 331, 343 ff. Zum Merkmal „gravierend“ siehe 1. Kapitel, A. IV. 2. 445 BGHSt 50, S. 331, 342 f. Kritisch insoweit Ransiek, NJW 2006, S. 814, 815 f., der für das Einverständnis auch eine Aktionärsmehrheit für ausreichend hält; siehe auch Krause, StV 2006, S. 307, 310 f. 446 Hohn, wistra 2006, S. 161, 162; Käpplinger, NZG 2003, S. 573 f.; Rönnau, NStZ 2006, S. 218 f.; Rönnau/Hohn, NStZ 2004, S. 113, 120; Spindler, ZIP 2006, S. 349, 353; Vogel/Hocke, JZ 2006, S. 568, 569. Der konkrete Fall wird mitunter aber anders als vom BGH beurteilt. So hält zwar beispielsweise Hohn, wistra 2006, S. 161, 162 f., kompensationslose Anerkennungsprämien generell für unzulässig, bezweifelt aber, dass im konkreten Fall tatsächlich alle Prämien „nutzlos“ waren, was letztlich der Tatrichter zu ermitteln habe (ähnlich Krause, StV 2006, S. 307, 309; Spindler, ZIP 2006, S. 349, 353). 443

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1. Teil, 2. Kap.: Die objektiven Bezugspunkte des Untreuevorsatzes

Der BGH sah in den Feststellungen des Landgerichts zu der Esser betreffenden Prämie auch keine Grundlage, die – auf objektiven Gründen basierenden – Freisprüche des Landgerichts jedenfalls wegen eines Tatbestandsoder Verbotsirrtums bestehen zu lassen448. Aufgrund der fehlenden Beweiswürdigung des Landgerichts zu den Vorstellungen der Angeklagten bei Bewilligung der Prämie für Esser konnte der BGH nicht feststellen, welche tatsächlichen Umstände den Irrtum über die Erlaubtheit der Tat – die Angeklagten hatten in ihren Einlassungen angegeben, sich wegen ihres unternehmerischen Handlungsspielraums zur Prämienbewilligung befugt gehalten zu haben – hervorgerufen haben könnten449. Bezüglich der Prämie für Funk hielt der BGH im Gegensatz zur Vorinstanz einen Verbotsirrtum an sich für vermeidbar, befand aber die Ausführungen des Landgerichts zu den Fehlvorstellungen für widersprüchlich und bezweifelte insbesondere das Fehlen des Unrechtsbewusstseins450. Der BGH hob daher die Freisprüche des Landgerichts Düsseldorf auf und verwies die Sache zur neuen Entscheidung an eine andere Kammer des Landgerichts zurück. Ausdrücklich offen ließ der BGH, wie eine etwaige, vom Tatrichter noch aufzuklärende Fehlbewertung oder Fehlvorstellung der Angeklagten einzuordnen wäre. Nach Ansicht des BGH sei die sachgerechte Einordnung nicht ohne eine differenzierende Betrachtung möglich451. So könne nicht jede fehlerhafte Wertung, nicht pflichtwidrig zu handeln, immer zum Vorsatzausschluss führen; andererseits reiche für die Bejahung des Vorsatzes nicht schon die bloße Kenntnis der tatsächlichen Umstände, sodass eine Fehlbewertung stets nur zu einem Verbotsirrtum führen würde452. Welche Kriterien für eine differenzierende Betrachtung ausschlaggebend sein sollen, blieb wiederum offen. Bezüglich der Anerkennungsprämie zugunsten von Esser ließ der BGH aber zumindest die Neigung erkennen, die Fehlvorstellungen der Angeklagten über die Berechtigung zur Bewilligung als Verbotsirrtum einzuordnen. Sei den Angeklagten bewusst gewesen – und an diesem Bewusstsein war nach Ansicht des BGH kaum zu zweifeln –, dass die Sonderzahlungen für die Mannesmann AG ohne jeden Nutzen waren, so hätten 447

Rönnau, NStZ 2006, S. 218, BGH NJW 2006, S. 522, S. 331 ff.). 449 BGH NJW 2006, S. 522, S. 331 ff.). 450 BGH NJW 2006, S. 522, S. 331 ff.). 451 BGH NJW 2006, S. 522, S. 331 ff.). 452 BGH NJW 2006, S. 522, S. 331 ff.). 448

219. 527 (insoweit nicht abgedruckt in BGHSt 50, 527 (insoweit nicht abgedruckt in BGHSt 50, 529 (insoweit nicht abgedruckt in BGHSt 50, 531 (insoweit nicht abgedruckt in BGHSt 50, 531 (insoweit nicht abgedruckt in BGHSt 50,

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sie nicht nur die Tatsachen gekannt, die rechtlich als Verletzung der Treupflicht zu bewerten sind. Vielmehr hätten sie zugleich die Bewertung als pflichtwidrig gekannt, weil das Schädigungsverbot zentraler Bestandteil der Vermögensfürsorgepflicht sei. Die etwaige irrige Annahme der Angeklagten, „aufgrund ihrer unternehmerischen Handlungsfreiheit“ zu den kompensationslosen Vermögensminderungen berechtigt gewesen zu sein, sei dann bloß als Inanspruchnahme eines nicht bestehenden Erlaubnissatzes einzuordnen und damit nach § 17 und nicht nach § 16 zu bewerten. c) Stellungnahme aa) Zur objektiven Zulässigkeit der Prämien Die Frage der objektiven Zulässigkeit der Anerkennungsprämien soll hier nicht weiter vertieft werden. Hinzuweisen ist jedoch – auch im Vorgriff auf die Erörterungen zur subjektiven Tatseite – zumindest darauf, dass ein Teil des Schrifttums nachträgliche Sonderzahlungen mit guten Gründen für generell zulässig hält („pay for performance“)453. Nach § 87 AktG, der die Grundzüge der Vergütung der Vorstandsmitglieder regelt (jedoch nachträgliche Anerkennungsprämien nicht ausdrücklich erwähnt), hat der Aufsichtsrat dafür Sorge zu tragen, dass die Gesamtbezüge in einem angemessenen Verhältnis zu den Aufgaben des jeweiligen Vorstandsmitglieds und zur Lage der Gesellschaft stehen. Dabei hat der Aufsichtsrat einen weiten Ermessensspielraum454. Ein Hinweis auf das Kriterium des Unternehmensinteresses, 453 Dierlamm, StraFo 2005, S. 397, 401 f.; MünchKommStGB/Dierlamm, § 266 Rn. 229 f.; Günther, in: FS-Weber, S. 311, 315; Hoffmann-Becking, ZHR 169, S. 155, 161 f.; Hüffer, BB 2003, Beilage 7; Kort, NJW 2005, S. 333, 334; Krause, StV 2006, S. 307, 309 f.; Liebers/Hoefs, ZIP 2004, S. 97 ff.; Peltzer, ZIP 2006, S. 205, 208; Ransiek, NJW 2006, S. 814, 815; Wollburg, ZIP 2004, S. 646, 652 ff. Differenzierend Säcker/Boesche, BB 2006, S. 897, 901 f.: Eine rein belohnende Prämie sei an sich unzulässig; ausnahmsweise könne die Leistung zulässig sein, wenn der Zuwendungsempfänger eine außergewöhnliche Leistung erbracht hat, keine erfolgsbezogene Vergütung vorgesehen ist und die Zuwendung angemessen ist. Im konkreten Fall allerdings halten Säcker/Boesche die Prämien für unzulässig (a. a. O., S. 904). 454 Dierlamm, StraFo 2005, S. 397, 401; MünchKommStGB/Dierlamm, § 266 Rn 229; Günther, in: FS-Weber, S. 311, 315; Hüffer, BB 2003, Beilage 7, insbesondere S. 20 ff.; Schünemann, NStZ 2006, S. 196, 199 (die Gratifikationsentscheidung müsse „ermessensgerecht in einem angemessenen Rahmen“ getroffen werden); Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht AT, Rn. 122. Die Beurteilung des konkreten Falles, insbesondere die Frage nach einer fehlerfreien Ermessensausübung, fällt allerdings auch innerhalb dieser Meinungsgruppe unterschiedlich aus: Hüffer, BB 2003, Beilage 7, beispielsweise hält die Ermessensausübung für fehlerfrei; Schünemann, NStZ 2006, S. 196, 199, dagegen hat „eine Fülle gravierendster Ermessensfehler“ fest-

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das die Rechtsprechung und ein Teil des Schrifttums zur verbindlichen Richtlinie gemacht haben, findet sich in § 87 AktG nicht455. Diese Bezugnahme auf ein ungeschriebenes und zudem umstrittenes456 Tatbestandsmerkmal zu Lasten des Täters ist im Hinblick auf das Bestimmtheitsgebot problematisch457. Erforderlich ist insoweit eine Konkretisierung des Begriffes, die sachgerecht über die Heranziehung der in § 87 AktG genannten Kriterien erfolgen könnte458. Die Bewilligung der Prämien müsste sich also am Merkmal der Angemessenheit des § 87 AktG orientieren459. bb) Zur subjektiven Tatseite Der BGH geht zunächst ganz selbstverständlich davon aus, dass die Angeklagten Schädigungsvorsatz hatten, denn sie hätten gewusst, dass die Prämien ohne jeden Nutzen für den Vermögensinhaber waren460. Aus diesem Schädigungsvorsatz will der BGH sodann auf den Pflichtwidrigkeitsvorsatz rückschließen. Derjenige nämlich, der wisse, dass er eine Vermögensbetreuungspflicht hat, und wisse, dass er schädigt, habe auch Kenntnis von der Pflichtwidrigkeit, weil das Schädigungsverbot zentraler Bestandteil der Treupflicht ist. Doch fragt sich bei diesem Ansatz zunächst, ob der Schädigungsvorsatz hier tatsächlich so unproblematisch zu bejahen war. Den fehlenden Nutzen sieht der BGH darin, dass aufgrund des Verlustes der Selbstständigkeit der Mannesmann AG im Zuge der Übernahme durch Vodafone, aufgrund des anstehenden Ausscheidens der Führungskräfte und aufgrund einer Änderung der Unternehmensstrategie von den Prämien keinerlei Anreizwirkung auf die Begünstigten, andere aktive oder potenzielle zukünftige Führungskräfte ausgehen konnte461. Anders gewendet: Eine solche Anreizwirkung würde durchaus als Kompensation für eine Vermögensminderung in Betracht kommen. Insofern hätte der Aspekt der fehlenden Kompensation zumindest subgestellt. Tiedemann, ZIP 2004, S. 2056, wiederum will den Angeklagten die zum Tatzeitpunkt unklare aktienrechtliche Rechtslage zugutehalten. 455 Ebenso Zech, Untreue, S. 213. 456 Siehe nur Tiedemann, in: FS-Weber, S. 319, 324. 457 MünchKommStGB/Dierlamm, § 266 Rn. 229. Nach Schüppen, in: FS-Tiedemann, S. 749, 762 f., ist das Unternehmensinteresse auf einer der strafrechtlichen Beurteilung vorgelagerten Stufe als Kriterium für die Bestimmung der Ermessensgrenzen heranzuziehen. 458 Tiedemann, in: FS-Weber, S. 319, 326. 459 MünchKommStGB/Dierlamm, § 266 Rn. 230 m. w. N.; Zech, Untreue, S. 215. 460 BGH NJW 2006, S. 522, 531 (insoweit nicht abgedruckt in BGHSt 50, S. 331 ff.). 461 BGHSt 50, S. 331, 340 f.

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jektiv – gegebenenfalls vom neuen Tatrichter462 – einer differenzierten Betrachtung unterzogen werden müssen. In den Blick wäre zu nehmen gewesen, ob von den Prämien – zumindest aus subjektiver Sicht der Angeklagten – eine Anreizwirkung für eine Tätigkeit im Nachfolgeunternehmen ausgehen konnte463. Wollte man dagegen die bevorstehende neue Unternehmenssituation in diese Betrachtung nicht mit einbeziehen, so müsste man konsequenterweise fragen, ob dann überhaupt der Mannesmann AG in dem konkreten Übernahmestadium jedes eigene Unternehmensinteresse abgesprochen werden durfte464. Zumindest erwägenswert wäre schließlich auch gewesen, ob die Prämien unter Umständen den Zweck gehabt haben könnten, das Vorstandsteam durch die Prämien bis zur Realisierung der Übernahme zu einer engagierten Begleitung des Übernahmeprozesses zu motivieren465, oder ob zumindest einzelne Prämien doch eine Gegenleistung für im Rahmen des Übernahmekampfes geleistete überobligationsmäßige Dienste waren, die bei Festlegung der Vergütung im Arbeitsvertrag nicht absehbar waren466. Für die weitere Analyse der Entscheidung soll nun unterstellt werden, dass die Angeklagten tatsächlich wussten, dass die Vermögensminderung ohne rechtlich anerkennenswerte Gegenleistung bleiben würde. Dann stellt sich als Nächstes die Frage, ob die weitere Annahme des BGH, vom Schädigungsvorsatz könne ohne weiteres auf den Pflichtwidrigkeitsvorsatz rückgeschlossen werden, im Fall Mannesmann zutrifft. Dass ein solcher Schluss auf objektiver und subjektiver Tatebene unter bestimmten Voraussetzungen durchaus möglich ist, ist in der vorliegenden Schrift bereits ausgeführt worden467. Hier ist die Frage des Rückschlusses nun unter dem Aspekt eines Irrtums zu untersuchen. So wie auf objektiver Ebene der Rückschluss von der Schädigung auf die Pflichtwidrigkeit nur dann möglich ist, wenn das Schädigungsverbot im konkreten Fall festgestellte Minimalpflicht ist, nicht aber, wenn beispielsweise die Vermögensminderung eine Ermessensentscheidung des Treupflichtigen darstellt, so ist im Rahmen des subjektiven Tatbestandes der Rückschluss vom Schädigungsvorsatz auf den Pflichtwidrigkeitsvorsatz nur dann möglich, wenn der Treupflichtige erkannt hat, dass Maßstab für die Pflichtwidrigkeit der Verstoß gegen das Schädigungsverbot ist. Hatte der 462

Vgl. Krause, StV 2006, S. 307, 309. Ransiek, NJW 2006, S. 814, 815; ähnlich Krause, StV 2006, S. 307, 309. 464 Vgl. Hohn, wistra 2006, S. 161, 163. 465 Hohn, wistra 2006, S. 161, 163. 466 So andeutungsweise Ransiek, NJW 2006, S. 814, 816. Kritisch Rönnau, NStZ 2006, S. 218, 219 („Spitzenmanager schulden [. . .] dem Unternehmen stets ihre ganze Arbeitskraft.“). 467 1. Kapitel, A. V. 2. 463

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1. Teil, 2. Kap.: Die objektiven Bezugspunkte des Untreuevorsatzes

Täter zumindest subjektiv die (Fehl-)Vorstellung, er sei zu der Vermögensminderung („Schädigung“) befugt, so kommt ein Rückschluss aus dem Schädigungsvorsatz (besser gesagt, weil außerhalb der strafrechtlichen Terminologie: aus dem Bewusstsein der kompensationslosen Vermögensminderung) auf den Pflichtwidrigkeitsvorsatz nicht in Betracht. Im konkreten Fall könnten die Angeklagten tatsächlich nicht bedacht haben, dass sie außerhalb ihres Pflichtenkreises handeln, sondern sich aufgrund ihres „unternehmerischen Handlungsspielraums“ zu der Vermögensminderung, vielleicht in Anlehnung an einen internationalen Brauch468, berechtigt gehalten haben. Der BGH aber will nun den Aspekt der unternehmerischen Handlungsfreiheit auf der subjektiven Tatseite vom Inhalt und Umfang der Vermögensbetreuungspflicht gewissermaßen abspalten und die Fehlvorstellung der Angeklagten als Inanspruchnahme eines in Wirklichkeit nicht bestehenden Erlaubnissatzes behandeln und somit der Regelung des § 17 unterwerfen. Dies erscheint jedoch problematisch und bedarf einer genaueren Betrachtung. Wörtlich heißt es im Urteil: „Wenn die Angekl. [. . .] gemeint haben, auf Grund ihrer unternehmerischen Handlungsfreiheit zu den Zahlungen berechtigt zu sein, liegt es nahe, dass sie in Kenntnis dessen, dass ihr Verhalten für die Mannesmann AG sicher nachteilig war und mithin ihre Vermögensfürsorgepflicht eigentlich verletzte, gleichsam einen nicht bestehenden Erlaubnissatz in Anspruch genommen haben.“469

Bemerkenswert ist hierbei die Einschränkung des 3. Strafsenates, dass die Angeklagten nur „eigentlich“ wussten, dass sie ihre Vermögensfürsorgepflicht verletzen. Es scheint, als wäre der Senat in diesem Punkt selbst nicht ganz sicher. Und in der Tat liegt in dieser Einschränkung der Hinweis zur Lösung. Wenn die Angeklagten den Umfang bzw. die Grenzen ihrer Treupflicht nicht richtig ausgelegt haben, dann wussten sie tatsächlich nicht, dass ihre Handlung die Vermögensfürsorgepflicht verletzte. Mit anderen Worten: Nahmen sie tatsächlich an (hierüber wäre Beweis zu erheben), völlige unternehmerische Handlungsfreiheit zu haben, so haben sie den Umfang der Treupflicht bzw. ihre Grenzen falsch interpretiert470. Mithin haben sie die Bedeutung eines Tatbestandsmerkmals nicht verstanden. In diesem Fall fehlt ihnen also das wenigstens laienhafte Verständnis der aktienrechtlichen Regelung (wenn man so will: die Kenntnis des ungeschriebenen [!] Kriteriums des Unternehmensinteresses), sodass ein Tatbestandsirrtum nach § 16 vorliegen würde. 468

Vgl. Jakobs, in: FS-Dahs, S. 49, 62. BGH NJW 2006, S. 522, 531 (insoweit nicht abgedruckt in BGHSt 50, S. 331 ff.); Hervorhebung im Zitat durch die Verfasserin. 470 Schünemann, Organuntreue, S. 68, spricht insoweit treffend von „aktienrechtlicher Rechtsblindheit“. 469

A. Pflichtenstellung, Tatobjekt sowie Tathandlung und Vorsatz

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Auf dieser Linie liegt auch eine Entscheidung des BGH aus dem Jahre 1985471: Der Angeklagte hatte für seine GmbH, deren Unternehmenszweck unter anderem die Aufklärung der Bevölkerung über Gesundheitsgefährdungen, der Aufbau von Gesundheitspflege und -vorsorge sowie die „Förderung jeder Art von Geschäften, die dazu bestimmt sind, den Gegenstand des Unternehmens zu fördern“, war, Bestrahlungsgeräte gegen Schuppenflechte angeschafft. Zu klären war die Frage, ob diese Anschaffung noch vom – weit gefassten – Unternehmenszweck gedeckt und damit nicht pflichtwidrig war. Das Landgericht verneinte jedenfalls einen entsprechenden Vorsatz des Angeklagten. Der BGH bestätigte diese Entscheidung als rechtsfehlerfrei, weil der Angeklagte der Meinung gewesen sei, er bewege sich noch im Rahmen der Zweckbestimmung, und ihm damit das Bewusstsein der Pflichtwidrigkeit gefehlt habe. Dies führte nach Ansicht des BGH zu einem Irrtum nach § 16472. Auch hier hatte also der Angeklagte den Pflichtenkreis und seine Grenzen nicht richtig erfasst. Natürlich ist damit noch nicht gesagt, dass ein solcher Irrtum im Fall Mannesmann auch tatsächlich gegeben war. Wie erwähnt, hatte das Landgericht die Einlassungen der Angeklagten, sie hätten sich aufgrund ihres Handlungsspielraums zur Prämienbewilligung für befugt gehalten, nicht näher untersucht. Der BGH bemängelte diese fehlende Auseinandersetzung mit den Einlassungen und benannte eine Fülle von Indizien, die gegen die Glaubhaftigkeit der Einlassungen sprechen könnten und die Hypothese belegen, dass den Angeklagten die Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht bewusst war473. Andererseits müsste man natürlich auch prüfen, ob etwa die Gewährung von Prämien an Verantwortliche übernommener Gesellschaften bisherige Praxis bei der Mannesmann AG war und von den Aktionären unbeanstandet blieb474. All dies wäre vom Tatrichter näher zu untersuchen gewesen. Da das Verfahren zwischenzeitlich eingestellt worden ist475, bleibt der Fall in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht offen und die weitere Entwicklung der Rechtsprechung abzuwarten.

471

BGH wistra 1986, S. 25. Zustimmend Lassmann, Stiftungsuntreue, S. 226; Lenckner/Perron, in: Schönke/Schröder, § 266 Rn. 49; siehe auch Schünemann, in: LK, § 266 Rn. 153. 473 BGH NJW 2006, S. 522, 527 (insoweit nicht abgedruckt in BGHSt 50, S. 331 ff.). Siehe auch Schünemann, Organuntreue, S. 67 f. 474 Vgl. Krause, StV 2006, S. 307, 309. 475 Nach der vorläufigen Einstellung des Verfahrens durch Beschluss vom 29. November 2006 (Pressemitteilung des Landgerichts Düsseldorf Nr. 09/2006) ist das Verfahren nach Erfüllung der den Angeklagten erteilten Auflagen mit Beschluss vom 5. Februar 2007 endgültig eingestellt worden (Pressemitteilung des Landgerichts Düsseldorf Nr. 01/2007). 472

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1. Teil, 2. Kap.: Die objektiven Bezugspunkte des Untreuevorsatzes 5. Irrige Annahme eines Einverständnisses

In temporärer Hinsicht kann man von der Treupflichtvereinbarung, die bei Begründung des Innenverhältnisses getroffen wird, die spätere (teilweise) Preisgabe der geschützten Interessen des Vermögensinhabers durch ein Einverständnis oder eine Anweisung476 zu einer konkreten Maßnahme, die sich ohne das spätere Einverständnis bzw. die Weisung außerhalb des zuvor definierten Erlaubten bewegen würde, unterscheiden. In dem Einverständnis kann man auch eine Änderung des zuvor definierten Innenverhältnisses sehen, wenn sich das Einverständnis nicht auf eine einzelne Maßnahme bezieht, sondern den Umfang und die Grenzen des Erlaubten in Gänze ändert477. Für beide Varianten soll im Folgenden einheitlich der Begriff Einverständnis verwendet werden. Im Rahmen der Vorsatzprüfung kommt dem Einverständnis insbesondere insoweit Bedeutung zu, als im Falle einer irrigen Annahme des Einverständnisses der Vorsatz des Täters wegen eines Tatbestandsirrtumes nach § 16 ausgeschlossen sein könnte. Dabei wird der Tatbestandsirrtum vom Verbotsirrtum nach § 17 abzugrenzen sein. a) Der tatbestandsausschließende Charakter des Einverständnisses bei § 266 Bei der Zustimmung des Rechtsgutinhabers zu einer Maßnahme (Einverständnis im weiteren Sinne) kann es sich nach herrschender Meinung478, je nach Eigenart des Tatbestandes, um ein tatbestandsausschließendes Einverständnis oder eine rechtfertigende Einwilligung handeln479. Ein tatbestandsausschließendes Einverständnis kommt danach bei Tatbeständen in Betracht, bei denen die Tathandlung ihren Unwert daraus herleitet, dass sie gegen oder ohne Willen des Verletzten erfolgt480. Eine rechtfertigende Ein476

Siehe zur Unterscheidung der Begriffe Schramm, Untreue und Konsens, S. 61 ff. Rose, wistra 2005, S. 281, 284, meint, bei einer Anweisung entfalle die Vermögensbetreuungspflicht mangels Entscheidungsspielraums. 477 Vgl. Schramm, Untreue und Konsens, S. 64. 478 Siehe nur Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder, Vorbem §§ 32 ff. Rn. 29 f. m. w. N. 479 Nach anderer Ansicht wirkt ein berücksichtigungsfähiger, zustimmender Wille stets tatbestandsausschließend, siehe beispielsweise Roxin, Strafrecht AT, § 13 Rn. 11 ff. m.w.N; Weigend, ZStW 98, S. 44, 61. Der Vorzug zu geben ist indes der herrschenden Meinung, denn allein die Unterscheidung zwischen Tatbestandsausschluss und Rechtfertigung trägt der Erkenntnis Rechnung, dass ein generell verbotener Eingriff in ein Rechtsgut, der zu einer Werteinbuße auf Seiten des Opfers führt, zunächst als abstrakter Unwert zu verstehen ist, dessen Legitimation eines besonderen Rechtfertigungsgrundes bedarf (Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 363). 480 Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 362.

A. Pflichtenstellung, Tatobjekt sowie Tathandlung und Vorsatz

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willigung dagegen ändert nichts an der Tatbestandsmäßigkeit der Verletzungshandlung, schließt jedoch die Rechtswidrigkeit aus, weil der Rechtsgutinhaber mit der Einwilligung auf seinen Rechtsschutz verzichtet481. Auswirkung hat diese Unterscheidung auf die Verortung einer Zustimmung im Tatbestandsgefüge sowie auf die Behandlung eines Irrtums über das Vorliegen einer Zustimmung. Handelt es sich bei dem Einverständnis um ein tatbestandsausschließendes Einverständnis, so führt ein Irrtum über das tatsächliche Vorliegen des Einverständnisses zu einem Tatbestandsirrtum482. Ordnete man die Zustimmung als rechtfertigende Einwilligung ein, so wäre die irrige Annahme einer Einwilligung als sogenannter Erlaubnistatbestandsirrtum zu qualifizieren, denn der Täter irrt über die sachlichen Voraussetzungen eines anerkannten Rechtfertigungsgrundes. Ob ein solcher Irrtum die Vorsatzstrafe in direkter oder analoger Anwendung des § 16 ausschließt oder zu einem Verbotsirrtum nach § 17 führt, ist umstritten483, bedarf hier jedoch keiner Entscheidung. Die „Einwilligung“ ist bei § 266 richtigerweise als tatbestandsausschließendes Einverständnis einzuordnen484, mit der Folge, dass die irrtümliche Annahme eines Einverständnisses den Vorsatz ausschließt und nicht als Verbotsirrtum zu behandeln ist485. Zwar setzt § 266 an sich tatbestandlich keinen entgegenstehenden oder fehlenden Willen des Rechtsgutinhabers voraus. Die Einordnung der Einwilligung als tatbestandsausschließendes Einverständnis ergibt sich jedoch aus anderen Erwägungen. Entscheidendes unrechtskonstitutives Merkmal ist sowohl bei der Missbrauchs- als auch bei der Treubruchalternative das Handeln außerhalb der vom Vermögensinhaber im Innenverhältnis gesetzten Schranken. Bewegt sich der Täter innerhalb der Schranken, weil eine Zustimmung des Vermögensinhabers vorliegt, so kann kein Widerspruch zu den internen Bindungen vorliegen und die Handlung nicht pflichtwidrig sein, denn der Wille des Rechtsgutinhabers konkretisiert den aktuellen Inhalt der Pflicht und ist damit entscheidend für die Frage, ob der Treupflichtige die Grenzen seiner Befugnisse überschreitet und damit tat481

Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 370. Roxin, Strafrecht AT, § 13 Rn. 10. 483 Ausführlich zum Meinungsstand: Roxin, Strafrecht AT, § 14 Rn. 52 ff.; Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 467 ff. 484 So auch die herrschende Meinung: Jordan, JR 2000, S. 133, 137; Krause, StV 2006, S. 307, 311; Labsch, JURA 1987, S. 411, 415; Lackner/Kühl, § 266 Rn. 20; Mitsch, Strafrecht BT2/1, § 8 Rn. 29; Schmid, in: MG, Wirtschaftsstrafrecht, § 31 Rn. 79; Schramm, Untreue und Konsens, S. 60; Wodicka, Untreue, S. 331 f.; BGHSt 3, S. 23, 25; BGH NJW 2000, S. 154, 155; BGH NJW 2003, S. 2996, 2998; BGHSt 50, S. 331, 342 (Mannesmann/Vodafone). Anderer Ansicht: BGHSt 3, S. 32, 39; BGHSt 9, S. 203, 216; OLG Stuttgart MDR 1978, S. 593. Offen gelassen von BGHSt 30, S. 247, 249. 485 So aber OLG Stuttgart MDR 1978, S. 593. 482

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1. Teil, 2. Kap.: Die objektiven Bezugspunkte des Untreuevorsatzes

bestandsmäßig handelt486. Für den Untreuevorsatz gilt daher: Nimmt der Täter irrig ein Einverständnis an, so fehlt es am Vorsatz487. b) Die Normativität des Einverständnisses bei § 266 Auch die Wirksamkeitsvoraussetzungen von tatbestandsausschließendem Einverständnis und rechtfertigender Einwilligung sind unterschiedlich488. Beim Einverständnis kommt es in der Regel lediglich auf das tatsächliche Vorliegen des Einverständnisses als Faktum an489; bei der Einwilligung wird demgegenüber die Wirksamkeit anhand von Bewertungsmaßstäben geprüft490. Ausnahmsweise ist jedoch in bestimmten Fällen – ausschlaggebend sind Sinn und Zweck des jeweiligen Tatbestandes – auch beim Einverständnis die Wirksamkeit nach normativen Kriterien zu beurteilen491. Dies ist dann erforderlich, wenn die in Rede stehende Verletzung nicht rein tatsächlicher Natur ist, sondern von normativen Wertungen abhängt. In einem solchen Fall reicht ein rein tatsächliches Einverständnis nicht aus, sondern es muss die Wirksamkeit ähnlich wie bei einer Einwilligung geprüft werden. Da bei § 266, wie erörtert, die Frage der Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht anhand normativer Kriterien und nicht nach rein tatsächlichen Kriterien festzustellen ist492, liegt hier ein solcher Fall vor493. Normative Kriterien, die für die Beurteilung der Wirksamkeit des Einverständnisses von Bedeutung sind, sind die Einwilligungsfähigkeit des Vermögensinhabers494, etwaige Willensmängel (zum Beispiel die Herbeiführung des Einverständnisses durch Gewalt, Drohung, Täuschung, Irrtum)495, Gesetzeswidrigkeit496, nicht jedoch Sittenwidrigkeit497. 486

Vgl. Jordan, JR 2000, S. 133, 137. BGHSt 3, S. 23, 25; Fischer, § 266 Rn. 171; Lenckner/Perron, in: Schönke/ Schröder, § 266 Rn. 49; Maurach/Schroeder/Maiwald, Strafrecht BT/1, § 45 Rn. 52; Schünemann, in: LK, § 266 Rn. 153. 488 So beispielsweise Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 364, mit dem begründeten Argument, dass die unterschiedlichen tatbestandlichen Funktionen von Einverständnis und Einwilligung auch unterschiedliche Prüfungsmaßstäbe bedingen. Anderer Ansicht MünchKommStGB/Schlehofer, Vor §§ 32 ff. Rn. 110. 489 Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 368. 490 Siehe dazu Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 371 ff. 491 Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, § 34 I 2 a; Kühl, Strafrecht AT, § 9 Rn. 44; Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 365. 492 2. Kapitel, A. II. 3. a); ebenso Arzt/Weber, Strafrecht BT, § 22 Rn. 70. 493 So die wohl überwiegende Ansicht: Arzt/Weber, Strafrecht BT, § 22 Rn. 70; Schramm, Untreue und Konsens, S. 208; Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 365; Wessels/Hillenkamp, Strafrecht BT/2, Rn. 758; vgl. auch BGHSt 34, S. 379, 384 f. 494 Wessels/Hillenkamp, Strafrecht BT/2, Rn. 758. 495 Schramm, Untreue und Konsens, S. 208 ff.; Wessels/Hillenkamp, Strafrecht BT/2, Rn. 758. 487

A. Pflichtenstellung, Tatobjekt sowie Tathandlung und Vorsatz

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Heftig umstritten ist in diesem Zusammenhang insbesondere die Wirksamkeit der Einwilligung der Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft498 in das Vorgehen des Treupflichtigen, zum Beispiel eine verdeckte Gewinnausschüttung. Die Einzelheiten können hier nicht abschließend dargestellt werden499, daher nur so viel: Nach zutreffender herrschender Meinung500 kann auch das Einverständnis aller Gesellschafter einer GmbH eine Handlung nicht legitimieren, wenn das Einverständnis nach Gesellschaftsrecht unzulässig und missbräuchlich im Sinne des § 266 ist. Missbräuchlich ist das Einverständnis, wenn die wirtschaftliche Existenz der Gesellschaft gefährdet wird (zum Beispiel durch Entzug von Produktionsgrundlagen, in bestimmten Fällen bei Beeinträchtigung des Stammkapitals oder bei Liquiditätsbeeinträchtigungen)501. Die Gegenmeinung stellt im Wesentlichen darauf ab, dass die Gesellschafter die „wirtschaftlichen Eigentümer“ der Gesellschaft sind und daher die Berechtigung haben, „ihr“ Vermögen zu schmälern502. Gläubiger- und Allgemeininteressen an der Erhaltung der Gesellschaft sollen nicht über § 266 geschützt werden, sondern über die einschlägigen Gläubigerschutzvorschriften (zum Beispiel das Insolvenzstrafrecht503). Eine Pflichtverletzung im Sinne des Untreuetatbestandes sei nur gegeben, wenn die Maßnahme gegen die innergesellschaftliche Kompetenzverteilung ver496 Fischer, § 266 Rn. 92; Schünemann, in: LK, § 266 Rn. 100; Wessels/Hillenkamp, Strafrecht BT/2, Rn. 761. 497 Schramm, Untreue und Konsens, S. 223 ff. 498 Einigkeit besteht bei der Frage der Einwilligung der Gesellschafter einer Personengesellschaft. Insoweit schließt das (wirksame) Einverständnis aller Gesellschafter eine Treupflichtverletzung grundsätzlich aus, siehe Fischer, § 266 Rn. 93. 499 Einzelheiten zum Meinungsstand bei MünchKommStGB/Dierlamm, § 266 Rn. 133 ff.; Lenckner/Perron, in: Schönke/Schröder, § 266 Rn. 21a; Radtke, GmbHR 1998, S. 311 ff. und 361 ff.; Schünemann, Organuntreue, S. 30 ff.; Seier, in: Achenbach/Ransiek, Wirtschaftsstrafrecht, Kapitel V, Abschnitt 2, Rn. 286 ff. 500 Nachweise zu Rechtsprechung und Schrifttum bei Lenckner/Perron, in: Schönke/Schröder, § 266 Rn. 21a. 501 BGHSt 35, S. 333, 337 f.; BGH ZIP 2009, S. 1860, 1861; OLG Stuttgart ZIP 2009, S. 1864, 1865 (rechtskräftig); Radtke/Hoffmann, GA 2008, S. 535, 548 f. Siehe zu den Einzelheiten, insbesondere auch zur Frage der Untreue durch Eingriffe in das Stammkapital nach der Änderung des GmbHG durch das MoMiG, Fußnote 388, S. 79. 502 MünchKommStGB/Dierlamm, § 266 Rn. 136; Lenckner/Perron, in: Schönke/ Schröder, § 266 Rn. 21b m. w. N.; Schramm, Untreue und Konsens, S. 125. Reiß, wistra 1989, S. 81, 84, teilt dagegen nicht die Ansicht, dass die Gesellschafter „angeblich“ die wirtschaftlichen Eigentümer seien, sondern erreicht das gleiche Ergebnis, indem er der GmbH auch ein gesetzwidriges Einverständnis zurechnet, weil im Rahmen des § 266 auch bei natürlichen Personen ein gläubigerschädigendes, sittenwidriges Einverständnis beachtlich sei. 503 Siehe dazu Schramm, Untreue und Konsens, S. 128 f.; Lenckner/Perron, in: Schönke/Schröder, § 266 Rn. 21b a. E.

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1. Teil, 2. Kap.: Die objektiven Bezugspunkte des Untreuevorsatzes

stoße504. Radtke505 hielt dieser Ansicht richtigerweise entgegen, dass die Kapitalerhaltungsvorschriften nur mittelbar dem Gläubigerschutz dienen; gewährleistet wird dieser Schutz erst über die konstruktiv vorgelagerte Trennung der Vermögensmassen von Gesellschaft und Gesellschaftern, die aufgrund der Zivilrechtsakzessorietät auch im Rahmen des § 266 maßgeblich ist. Nunmehr erkennt auch die Rechtsprechung ausdrücklich ein eigenes „Überlebensinteresse“ der Gesellschaft an506. Für die in dieser Schrift interessierende subjektive Tatseite haben die Feststellungen zur Normativität des Einverständnisses folgende Auswirkungen: Meint der Täter, sein Handeln sei aufgrund eines Einverständnisses pflichtgemäß, ist aber tatsächlich das Einverständnis aus normativen Gründen unwirksam, so entfällt der vorsätzliche Handlungsunwert und das Verhalten ist nach § 16 tatbestandslos, wenn der Täter die normative Wertung der Unwirksamkeit nicht nachvollzogen hat507. Bei den GmbH-Fällen müsste ein Täter, dem infolge eines normwidrigen Einverständnisses vorsätzliches Handeln vorgeworfen werden soll, demnach beispielsweise zum einen erkannt haben, dass er tatsächlich (in untreuerelevanter Weise508) in das Stammkapital eingreift oder der Eingriff für die Gesellschaft existenzgefährdend ist, und zum anderen zumindest laienhaft erfasst haben, dass der konkrete Eingriff in das Stammkapital bzw. die entsprechende Einwilligung unzulässig ist. Hat er dies erkannt und damit vorsätzlich gehandelt, so kommt allenfalls ein Verbotsirrtum nach § 17 in Betracht, zum Beispiel wenn er das Handeln irrigerweise nicht für strafrechtsrelevant hält. Scheitert das Einverständnis an einem Willensmangel des Vermögensinhabers, so ist zu unterscheiden: Hat der Treupflichtige den Irrtum des Treugebers selbst zu verantworten (so im Falle der Täuschung oder Drohung), ist der Vorsatz zu bejahen, denn der Täter weiß, dass der geäußerte Wille des Vermögensinhabers nicht dem wahren Willen entspricht509. Hat der Treunehmer zwar den Irrtum nicht selbst herbeigeführt, sein Vorliegen aber gleichwohl erkannt, so handelt er ebenfalls vorsätzlich; auf die mangelbehaftete Erklärung des Vermögensinhabers kann er nicht vertrauen. Dabei ist, wie ausgeführt, erforderlich, dass er wenigstens in seiner Laien504

Schramm, Untreue und Konsens, S. 125. Radtke, GmbHR 1998, S. 361, 363. 506 BGH NJW 2007, S. 2689, 2691 (Trihotel); BGH ZIP 2009, S. 1860, 1861. Ebenso Goette, DStR 2007, S. 1593, 1594; Radtke/Hoffmann, GA 2008, S. 535, 548. 507 Ganz ähnlich Schramm, Untreue und Konsens, S. 68. 508 Wie erwähnt, sind untreuerelevante Eingriffe in das Stammkapital nach der Änderung des GmbHG duch das MoMiG nur noch in engeren Grenzen denkbar. 509 Schramm, Untreue und Konsens, S. 222 f.; siehe auch BGH NStZ 1997, S. 124, 125 (Ausnutzung der Unerfahrenheit des Tatopfers). 505

A. Pflichtenstellung, Tatobjekt sowie Tathandlung und Vorsatz

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sphäre die rechtliche Dimension der Situation erfasst; er muss verstehen, dass sein Verhalten der Vorgabe des Vermögensinhabers widerspricht, weil Wirksamkeitsvoraussetzung für das Einverständnis dessen Mangelfreiheit ist. Ist dem Täter dieser soziale Kontext bewusst, so scheidet ein Tatbestandsirrtum aus. Von diesem Bewusstsein dürfte aber regelmäßig auszugehen sein, denn es leuchtet ein, dass man sich auf eine Erklärung, die erkanntermaßen auf falschen Erkenntnissen beruht, nicht verlassen darf. Kennt der Täter den Irrtum des Vermögensinhabers hingegen nicht, so liegt ein Tatbestandsirrtum vor510. Strittig ist schließlich, ob eine Kundgabe des Einverständnisses erforderlich ist511. Verneint man das Kundgabeerfordernis, so ergeben sich hinsichtlich des Vorsatzes keine Besonderheiten. Die fehlende Kundgabe steht damit einem Tatbestandsirrtum nicht im Wege. Die Vertreter dagegen, die sich für eine Kundgabe aussprechen, sehen für einen Tatbestandsirrtum keinen Raum, wenn die irrige Annahme eines Einverständnisses durch den Täter nur an das innere Gegebensein der Zustimmung anknüpft512. Begründet wird diese letztere Ansicht insbesondere mit kriminalpolitischen Erwägungen. Käme es nicht auf eine Kundgabe an, so fühlte sich der Treupflichtige allzu leicht berufen, aufgrund eines leichtfertig angenommenen, bloß inneren Einverständnisses schädigend in die Vermögenssphäre des Treugebers einzugreifen, womit dem Opferschutz nicht Genüge getan wäre513. Das Kundgabeerfordernis ist jedoch ebenso abzulehnen wie die Forderung nach einer Einhaltung etwaiger gesetzlicher Formvorschriften bezüglich der Einwilligung514. Es ist nämlich nicht einsichtig, weshalb eine Kundgabe erforderlich sein soll, während eine Kenntnisnahme nicht vorausgesetzt wird515. Ein materielles, wenn auch nicht förmliches Einverständnis sollte im Strafrecht angesichts der einschneidenden Folgen einer Verurteilung zugunsten des Täters Berücksichtigung finden; der von dem Formerfordernis bezweckte Schutz des jeweiligen Rechtsgebietes bleibt davon unberührt516 und dürfte (dort) ausreichenden Schutz vermitteln.

510

Schramm, Untreue und Konsens, S. 223. Bejahend Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder, Vorbem §§ 32 ff. Rn. 32; Roxin, Strafrecht AT, § 13 Rn. 76 f.; Schramm, Untreue und Konsens, S. 178. Anderer Ansicht Jakobs, Strafrecht AT, 7. Abschnitt, Rn. 115; Waßmer, Untreue, S. 42 f.; Wodicka, Untreue, S. 333. 512 Vgl. Schramm, Untreue und Konsens, S. 179 f. 513 Schramm, Untreue und Konsens, S. 179. 514 Gegen Formvorschriften ebenfalls Schramm, Untreue und Konsens, S. 184; Waßmer, Untreue, S. 42. 515 Waßmer, Untreue, S. 43. 516 Vgl. Schramm, Untreue und Konsens, S. 184. 511

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1. Teil, 2. Kap.: Die objektiven Bezugspunkte des Untreuevorsatzes

c) Vorsatz und Irrtum bei mutmaßlicher Zustimmung Ist eine Zustimmung des Treugebers zu einer konkreten vermögensrelevanten Maßnahme nicht rechtzeitig zu erlangen, so können der Tatbestand oder die Rechtswidrigkeit unter dem Gesichtspunkt einer hypothetischen Zustimmung entfallen. So kann bei § 266 in bestimmten Fällen die Berücksichtigung eines hypothetischen Willens bereits auf der Tatbestandsebene als „mutmaßliches Einverständnis“ in Betracht kommen. Geläufiger ist allerdings eine Berücksichtigung des mutmaßlichen Willens unter der Bezeichnung der „mutmaßlichen Einwilligung“ auf der Rechtswidrigkeitsebene. Im Nachhinein kann sich indes herausstellen – und dieser Fall soll hier unter Irrtumsgesichtspunkten näher betrachtet werden –, dass der hypothetisch angenommene Wille gerade nicht dem wahren Willen des Vermögensberechtigten entsprach, der Treunehmer sich also über den vermuteten Willen geirrt hat. Es stellt sich dann die Frage, ob und gegebenenfalls wie sich dies auf den Vorsatz auswirkt.

aa) Mutmaßliches Einverständnis Regelt die Treupflichtvereinbarung nicht alle Eventualitäten, sondern eröffnet sie einen Spielraum für Auslegungen, so kann im Einzelfall für den Täter Anlass bestehen, hinsichtlich der Zulässigkeit der Vermögensverfügung Mutmaßungen über den Willen des Vermögensinhabers anzustellen. Ergibt sich beispielsweise bei einem zivilrechtlich ausgestalteten Innenverhältnis, dass die Handlung des Treupflichtigen nach den für das einschlägige Rechtsgebiet maßgeblichen Wertungen objektiv mit dem mutmaßlichen Willen des Vermögensinhabers übereinstimmt, so kann die Handlung nicht pflichtwidrig sein517. Der Täter verhält sich bei seiner Handlung vielmehr entsprechend den Vorgaben, wenn auch diese nur auf einer Mutmaßung beruhen. Richtigerweise wird diese Prüfung bereits auf der Tatbestandsebene bei der Prüfung des Missbrauchs bzw. der Treupflichtverletzung vorgenommen, wodurch letztlich dem mutmaßlichen Einverständnis keine eigenständige Bedeutung zukommt518. Ein Irrtum hinsichtlich des hypothetischen Einverständnisses ist nach den oben genannten Regeln zu lösen. Nimmt der Täter zum Beispiel irrig die Voraussetzungen eines mutmaßlichen Einverständnisses an, so handelt er infolge dieses Tatbestandsirrtums gemäß § 16 ohne Vorsatz519. Ist dagegen eine Maßnahme intern pflichtwidrig und dies 517

Schramm, Untreue und Konsens, S. 228; Schünemann, in: LK, § 266 Rn. 157. Schramm, Untreue und Konsens, S. 234, vgl. auch Mitsch, Strafrecht BT2/1, § 8 Rn. 31. 519 Schramm, Untreue und Konsens, S. 230. 518

A. Pflichtenstellung, Tatobjekt sowie Tathandlung und Vorsatz

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dem Täter bewusst, so ist der Tatbestand zu bejahen. In Betracht kommt dann die Berücksichtigung einer hypothetischen Willensbildung allenfalls auf der Rechtswidrigkeitsebene520. Dazu und zu den Konsequenzen eines Irrtums kurz im Folgenden. bb) Mutmaßliche Einwilligung Diejenigen Untreuehandlungen, die sich nicht mehr in den Grenzen des Innenverhältnisses bewegen und damit pflichtwidrig sind, können also durch eine mutmaßliche Einwilligung allenfalls gerechtfertigt sein521. Bei einer mutmaßlichen Einwilligung handelt es sich um einen gewohnheitsrechtlich anerkannten selbstständigen Rechtfertigungsgrund522. Ein Beispiel hierfür wäre bei § 266 der Fall, dass sich ein in wirtschaftlicher Not befindlicher Täter eigennützig am Vermögen des Berechtigten, der aufgrund seiner Abwesenheit und der Eilbedürftigkeit der Situation ein Einverständnis nicht erklären konnte, bedient523. Der Täter könnte hierbei davon ausgegangen sein, dass der Vermögensinhaber mit der – an sich pflichtwidrigen, weil nicht den Vorgaben entsprechenden – Entnahme einverstanden ist, wenn er zum Beispiel jederzeit ersatzfähig und ersatzwillig gewesen ist524. Ergibt sich im Nachhinein, dass der Vermögensinhaber mit der konkreten Maßnahme nicht einverstanden war, so kann gleichwohl unter bestimmten Voraussetzungen der Vorsatz zu verneinen sein. Umstritten ist allerdings zunächst, ob es einer besonderen Prüfungspflicht bei der Ermittlung des hypothetischen Willens bedarf525 oder ob insoweit einfach strukturierte Überlegungen des Handelnden genügen526, was hier nicht vertieft werden soll. Nur so viel: Die Befürworter der Prüfungspflicht können bei einer Fehlvorstellung über den Willen des Treugebers die Voraussetzungen des Rechtfertigungsgrundes bejahen, wenn der Handelnde subjektiv pflichtgemäß geprüft hat, weil es dann bereits an einem Irrtum fehlt527. Nahm der Täter 520

Vgl. OLG Stuttgart, Die Justiz 1983, S. 265, 266. Schramm, Untreue und Konsens, S. 234. 522 Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 380. 523 Beispiel anlehnend an Schramm, Untreue und Konsens, S. 236. 524 Lenckner/Perron, in: Schönke/Schröder, § 266 Rn. 48 m. w. N. Nach wohl überwiegender Ansicht ist dann allerdings bereits der objektive Tatbestand zu verneinen, siehe dazu unten in diesem Kapitel, B. I. 2. b). 525 So die wohl herrschende Meinung: Lackner/Kühl, § 17 Rn. 17 m. w. N.; Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder, Vorbem §§ 32 ff. Rn. 58 m. w. N.; Schramm, Untreue und Konsens, S. 243. 526 So Geppert, JZ 1988, S. 1024, 1026; Roxin, Strafrecht AT, § 14 Rn. 84. 527 Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder, Vorbem § 32 ff. Rn. 60; Schramm, Untreue und Konsens, S. 243. 521

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1. Teil, 2. Kap.: Die objektiven Bezugspunkte des Untreuevorsatzes

irrigerweise an, eine oberflächliche Prüfung reiche aus, so dürfte dies als Verbotsirrtum nach § 17 zu behandeln sein528. Die abweichende Ansicht muss die Lösung insgesamt über die Irrtumsregeln herbeiführen. Je nachdem, ob der Täter über die tatsächlichen oder rechtlichen Voraussetzungen des Rechtfertigungsgrundes irrt, liegt entweder ein bereits den Vorsatz ausschließender Erlaubnistatbestandsirrtum (§ 16 analog)529 oder ein bloßer Verbotsirrtum (§ 17) vor. Ein Erlaubnistatbestandsirrtum wird vorliegen, wenn der Täter irrig Umstände annimmt, die, hätten sie wirklich vorgelegen, die Annahme der hypothetischen Einwilligung begründen würden530. Gleiches gilt, wenn der Täter in seiner Parallelsphäre531 die Umstände falsch wertet532. Denkt der Täter dagegen beispielsweise, eine objektiv vernünftige Entscheidung ohne Beachtung des individuellen Willens des Rechtsgutinhabers reiche aus, dann liegt ein Verbotsirrtum vor533. Beispielhaft hierzu ein vom OLG Stuttgart534 entschiedener Fall: Der Angeklagte verwendete einen ihm zum Zwecke des gewinnbringenden Verkaufes überlassenen Schmuckgegenstand als Sicherheit für einen mit diesem Vorgang nicht in Zusammenhang stehenden Bankkredit. Der Gegenstand wurde später von der Bank – ohne Überschuss – verwertet. Das Tatopfer billigte das Verhalten weder nachträglich noch wäre es mit der Sicherungsübereignung einverstanden gewesen. Der Angeklagte habe, so das OLG, nicht annehmen können, dass die Sicherungsübereignung von der Treuhandvereinbarung gedeckt war, sodass ein etwaiger Irrtum kein Tatbestandsirrtum sein könne, sondern eine Frage der mutmaßlichen Einwilligung sei. Habe der Angeklagte irrtümlich seine Vermutung einer Einwilligung für berechtigt gehalten, so handele es sich um einen Verbotsirrtum.

528

Vgl. Schramm, Untreue und Konsens, S. 244. So die Vertreter der sogenannten eingeschränkten Schuldtheorie. Die Vertreter der strengen Schuldtheorie wenden § 17 an. Zu den Einzelheiten der verschiedenen Theorien, die hier aus Platzgründen nicht dargestellt werden sollen, siehe Roxin, Strafrecht AT, § 14 Rn. 52 ff., sowie Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 467 ff. 530 Roxin, Strafrecht AT, § 18 Rn. 29; Schramm, Untreue und Konsens, S. 244; siehe auch Cramer/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, § 16 Rn. 19. 531 Auch bei normativen Rechtfertigungsgründen ist eine Parallelwertung in der Laiensphäre erforderlich, aber auch ausreichend, vgl. Cramer/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, § 16 Rn. 21. 532 Schramm, Untreue und Konsens, S. 244. 533 Schramm, Untreue und Konsens, S. 244; Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder, Vorbem §§ 32 ff. Rn. 60. 534 OLG Stuttgart, Die Justiz 1983, S. 265. 529

B. Nachteilszufügung und diesbezüglicher Vorsatz

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B. Nachteilszufügung und diesbezüglicher Vorsatz Weiteres objektives Tatbestandsmerkmal bei beiden Tatbestandsalternativen – und damit Bezugspunkt des Vorsatzes – ist die Zufügung eines „Nachteils“535, das heißt eines Vermögensschadens536. Bevor der diesbezügliche subjektive Tatbestand erörtert werden kann, ist eine wenigstens grobe Skizzierung des Merkmals in objektiver Hinsicht erforderlich. Neben den Einzelheiten zur Schadensermittlung (I.) ist zu erörtern, auf welchen Zeitpunkt es bei der Feststellung des Schadens ankommt (II.). Dabei wird insbesondere die Problematik der schadensgleichen Vermögensgefährdung im Fokus der Betrachtung stehen. Gerade für die Vorsatz- und Irrtumsproblematik (III.) werden hierbei grundlegende Weichenstellungen vorgenommen. I. Die Ermittlung des Schadens Zur objektiven Feststellung eines Schadens ist, wie bereits kurz erwähnt, eine Gesamtsaldierung unter Berücksichtigung aller wertmindernden und werterhöhenden Faktoren537 vorzunehmen. Eine schadensrelevante Vermögensminderung ist dann zu bejahen, wenn der Vergleich der Vermögenslage des Treugebers vor und nach der Untreuehandlung ergibt, dass der Endbestand des Vermögens hinter dem Ausgangswert zurückbleibt538 (Differenzschaden). Auch eine (pflichtwidrig) ausgebliebene Vermögensmehrung kann nach der Rechtsprechung schadensrelevant sein, nämlich dann, wenn bereits eine gesicherte Aussicht („Anwartschaft“539) auf den Vorteil bestand540; die bloße Hoffnung oder ungewisse Chance würde insoweit allerdings nicht ausreichen541. Um die weiteren Einzelheiten zu verdeutlichen, kann zwischen einer kompensationslosen (1.) und einer kompensierten Vermögensminderung (2.) unterschieden werden.

535 Dieses Tatbestandsmerkmal ist nach BVerfG wistra 2009, S. 385, 387, hinreichend bestimmt. 536 Siehe 1. Kapitel, A. I. 537 Schünemann, in: LK, § 266 Rn. 136 f. 538 Lackner/Kühl, § 263 Rn. 36; Nack, in: MG, Wirtschaftsstrafrecht, § 47 Rn. 52; ähnlich BGH NStZ 1999, S. 353, 354. 539 Schünemann, Organuntreue, S. 40. 540 Vgl. BGH wistra 1983, S. 109 f.; BGHSt 31, S. 232, 235; HansOLG Bremen NStZ 1989, S. 228 f. 541 Siehe nur Fischer, § 266 Rn. 116 m. w. N.

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1. Teil, 2. Kap.: Die objektiven Bezugspunkte des Untreuevorsatzes 1. Per se kompensationslose Vermögensminderung

Eine offensichtliche Einbuße an wirtschaftlichem Wert erleidet das Vermögen, wenn über Vermögenswerte ohne Kompensation, also ohne Gegenleistung (zum Beispiel unentgeltlich), dauerhaft verfügt wird. Eine solche dauerhafte Verfügung liegt vor, wenn Vermögenswerte verschenkt, verschleudert oder beschädigt werden542. Gibt beispielsweise der Treupflichtige Vermögen des Treugebers in Form einer Spende „von vornherein“ ohne Kompensation hin, so ist ohne weiteres ersichtlich, dass das Vermögen gemindert wird. Ein „Schaden“ im Sinne einer Vermögensminderung wäre also an sich zu bejahen. Schwerpunktmäßig ist in diesen Fällen nach hier vertretener Ansicht543 zu prüfen, ob die kompensationslose Vermögensminderung überhaupt pflichtwidrig war. Hatte nämlich der Vermögensinhaber den Treupflichtigen zu der Spende – also sozusagen zu der „Schädigung“ – gerade ermächtigt (generell oder aufgrund Einverständnisses), so kann die kompensationslose Vermögensminderung nicht pflichtwidrig sein544. 2. Kompensierte Vermögensminderung

a) Anforderungen an die Gegenleistung unter Schadensgesichtspunkten Zu berücksichtigen ist bei der Gesamtsaldierung eine etwaige Kompensation der Vermögensminderung durch die Erlangung eines wirtschaftlichen Vorteils, zum Beispiel in Gestalt des Erhalts einer Ware bei Austauschgeschäften545, der Erlangung einer Gegenforderung oder der Befreiung von einer Verbindlichkeit546. Erhält der Vermögensinhaber für die Vermögensverfügung des Treupflichtigen eine Gegenleistung, die dem hingegebenen Vermögenswert wirtschaftlich gleichwertig ist, so ist ein Schaden zu verneinen547. Vorausset542 Seier, in: Achenbach/Ransiek, Wirtschaftsstrafrecht, Kapitel V, Abschnitt 2, Rn. 166. 543 Siehe 1. Kapitel, A. V. 2. 544 Zutreffend insofern, wenn auch ohne die explizite Differenzierung zwischen kompensationsloser und kompensierter Vermögensverfügung, Lassmann, Stiftungsuntreue, S. 227: „Der Hinweis auf das allgemeine Schädigungsverbot als Bestandteil des Pflichtenprogramms führt insoweit nicht weiter, als es gerade das Wesen jener Tätigkeit ist, Stiftungsgelder auszukehren und um der Zweckerreichung willen zu vermindern.“ 545 Schünemann, in: LK, § 266 Rn. 149. 546 BGH wistra 1999, S. 420, 422; BGH NStZ 2004, S. 205, 206. 547 Vgl. BGHSt 17, S. 147, 149. Da es maßgeblich auf die wirtschaftliche Betrachtung ankommt, ist es irrelevant, ob die Gegenleistung zivilrechtlich im Gegenseitigkeitsverhältnis steht.

B. Nachteilszufügung und diesbezüglicher Vorsatz

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zung ist dabei zunächst, dass die Gegenleistung auf der gleichen Handlung beruht wie die Vermögensminderung, also nicht aus einer rechtlich selbstständigen Handlung herrührt548. Sodann ist festzustellen, ob die Gegenleistung die Vermögensverfügung hinreichend kompensiert. Hat der Treupflichtige beispielsweise für die Vermögenshingabe einen Gegenwert in Gestalt einer Ware erhalten, so muss die Ware den Preis wert sein; berücksichtigenswert kann dabei unter Umständen ein persönlicher Schadenseinschlag sein549. Erlangt der Vermögensinhaber für die Verfügung eine Gegenforderung, so muss auch diese wirtschaftlich äquivalent sein. Dabei bemisst sich der Wert einer Forderung nach ihrer Bonität550. Beispielhaft: In den bereits erwähnten Bankuntreuefällen erlangt der Vermögensinhaber mit der Auszahlung des Kredites einen Anspruch auf Rückzahlung des Kredites sowie regelmäßig auf Zahlung von Zinsen551. Ist der Kreditrückzahlungsanspruch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten gleichwertig, ist ein Schaden zu verneinen. Entspricht der Wert552 des Kreditrückzahlungsanspruches im Zeitpunkt der Kredithingabe dagegen wirtschaftlich nicht dem Auszahlungsbetrag, so ergibt sich ein Schaden. Maßgeblich bei der Bewertung der Werthaltigkeit eines Kreditrückzahlungsanspruches sind neben der Bonität des Kreditnehmers die Werte der zur Verfügung gestellten Sicherheiten553. Fehlt es beispielsweise an der erforderlichen Bonität des Kreditnehmers, weil dieser zahlungsunfähig oder zahlungsunwillig ist, so kann dieser Minderwert durch Kreditsicherheiten ausgeglichen sein, die den ausgezahlten Kreditbetrag abdecken und problemlos und zeitnah ver548 Sogenannte Einzelbetrachtung, vgl. BGH NStZ 1986, S. 455, 456. Ein späterer Schadensausgleich ist allenfalls unter Strafzumessungsgesichtspunkten zu berücksichtigen, dazu sogleich unter II. 5. Ausnahmsweise lässt die Rechtsprechung allerdings eine Gesamtbetrachtung zu, nämlich in Fällen, in denen die Handlungen aufgrund eines „wirtschaftlich vernünftigen Gesamtplanes“ erfolgen (siehe dazu Nack, in: MG, Wirtschaftsstrafrecht, § 66 Rn. 127 ff., sowie Seier, in: Achenbach/ Ransiek, Wirtschaftsstrafrecht, Kapitel V, Abschnitt 2, Rn. 171). Beispiel hierfür wäre ein Sanierungskredit, siehe unten, 6. Kapitel, A. III. 1. c) bb) (1) (b). 549 Dazu oben, 1. Kapitel, A. II. 2. 550 BGHSt 15, S. 24, 26 f.; BGHSt 47, S. 148, 155; BayObLG NJW 1999, S. 662 f.; Otto, JURA 1991, S. 494, 496; Tiedemann, in: LK, § 263 Rn. 174. 551 Zum Verzinsungsanspruch näher Nack, in: MG, Wirtschaftsstrafrecht, § 66 Rn. 96; Schmid, in: MG, Wirtschaftsstrafrecht, § 50 Rn. 72 f. 552 Unmaßgeblich ist insoweit einerseits die nominelle Äquivalenz zwischen Darlehenshingabebetrag und Rückzahlungsanspruch und andererseits die Tatsache, dass zwischen Haben von Bargeld und Haben einer Forderung immer ein wirtschaftlicher Unterschied besteht (vgl. Otto, Bankentätigkeit, S. 73). 553 BGH wistra 1988, S. 188, 190; BGH wistra 1993, S. 265; BGH NStZ 1999, S. 353, 354 und 356; BGH StV 2002, S. 133, 134 = wistra 2001, S. 423, 424; Laskos, Strafbarkeit, S. 112 ff.; Nack, in: MG, Wirtschaftsstrafrecht, § 66 Rn. 106; Otto, Bankentätigkeit, S. 73; Tiedemann, in: LK, § 263 Rn. 174.

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1. Teil, 2. Kap.: Die objektiven Bezugspunkte des Untreuevorsatzes

wertbar sind554. Auch bei den Risikogeschäften ist der Eintritt eines Schadens, wie erläutert555, gesondert zu prüfen und folgt nicht etwa schon aus der Pflichtwidrigkeit556. b) Berücksichtigung von Ersatzansprüchen bei Ausgleichsfähigkeit und Ausgleichswilligkeit Grundsätzlich keinen adäquaten Vermögensausgleich stellt ein bloßer vertraglicher oder deliktischer Ersatzanspruch dar, der dem Vermögensinhaber regelmäßig aufgrund der pflichtwidrigen Schädigung zusteht557. Eine Ausnahme soll insoweit allerdings dann bestehen, wenn der Schuldner jederzeit ausgleichswillig und ausgleichsfähig ist, so zum Beispiel, wenn ein Insolvenzverwalter über die Insolvenzmasse verwaltungsfremde Verfügungen trifft, jedoch ständig eigene liquide Mittel in entsprechender Höhe bereithält558. Eine solche gleichzeitig bestehende Ausgleichswilligkeit und Ausgleichsfähigkeit wird in ständiger Rechtsprechung und von der wohl überwiegenden Ansicht im Schrifttum bereits bei der objektiven Feststellung des Vermögensnachteils berücksichtigt559. Dem wird indes entgegengehalten, dass Schadensersatzansprüche notwendig überhaupt erst einen Schaden im Vermögen des Berechtigten voraussetzen und es dafür keine Rolle spielen könne, wie es um das Vermögen des Täters bestellt ist560. Der Ausgleich könne allenfalls als nachträgliche Schadenswiedergutmachung angesehen werden561. Dies kann jedoch nicht überzeugen. Jedenfalls wenn der 554

RGSt 74, S. 129, 130 f. Dazu oben, 1. Kapitel, A. V. 1. b). 556 Schünemann, in: LK, § 266 Rn. 148; Seier, in: Achenbach/Ransiek, Wirtschaftsstrafrecht, Kapitel V, Abschnitt 2, Rn. 196 und 348. 557 Fischer, § 266 Rn. 168 m. w. N.; Waßmer, Untreue, S. 127 f. 558 Vgl. BGHSt 15, S. 342 ff. 559 RGSt 38, S. 266, 268; BGHSt 15, S. 342, 344; BGHSt 15, S. 372, 376; BGH StV 1995, S. 302, 303; BGH NStZ-RR 2004, S. 54; BGH NStZ 2008, S. 457 = NJW 2008. S. 2451 = StV 2008, S. 414 (WTS-GmbH); OLG Karlsruhe NStZ 1990, S. 82, 84 (zu dieser Entscheidung im 6. Kapitel, A. III. 1. c) cc)); Schmid, in: MG, Wirtschaftsstrafrecht, § 31 Rn. 189; Schünemann, in: LK, § 266 Rn. 139 m. w. N. Anderer Ansicht Labsch, wistra 1985, S. 1, 8; Lenckner/Perron, in: Schönke/Schröder, § 266 Rn. 48 (Lenckner/Perron behandeln diesen Aspekt unter dem Gesichtspunkt der mutmaßlichen Einwilligung [siehe auch 2. Kapitel, A. II. 5. c) bb)]). Kritisch auch Fischer, § 266 Rn. 169, der meint, es ginge um die Frage der Konkretheit der Schadensgefahr. Saliger, JA 2007, S. 326, 333, meint, der Täter schaffe in dieser Konstellation schon keine rechtlich relevante Gefahr. 560 Labsch, JURA 1987, S. 411, 418; Seier, in: Achenbach/Ransiek, Wirtschaftsstrafrecht, Kapitel V, Abschnitt 2, Rn. 174. 561 Seier, in: Achenbach/Ransiek, Wirtschaftsstrafrecht, Kapitel V, Abschnitt 2, Rn. 174. 555

B. Nachteilszufügung und diesbezüglicher Vorsatz

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Täter keine Verschleierungsmaßnahmen unternimmt, die dem Vermögensinhaber die Aktivierung seines Ersatzanspruches unmöglich machen, erscheint es nicht sachgerecht, die – bei wirtschaftlicher Betrachtung – ausgeglichene Vermögenslage in juristisch getrennte Betrachtungszeiträume aufzuteilen. Es mag zwar in einer „logischen Sekunde“ zunächst ein Schaden und dann der Ersatzanspruch entstehen, dessen Ausgleich man als bloße Wiedergutmachung ansehen könnte; diese „logische Sekunde“ sollte aber in dieser besonderen Konstellation im Interesse einer wirtschaftlichen (strafrechtlichen) Betrachtung außer Ansatz bleiben562. Für diese Betrachtungsweise spricht auch die Erwägung, dass es der Untreuetäter – anders als beispielsweise der Betrüger – grundsätzlich nicht darauf anlegt, dem Opfer die Ausgleichsansprüche abzuschneiden563. Wie sich ein Irrtum des Täters über seine Zahlungsfähigkeit auswirkt, wird nachfolgend unter III. 3. zu erörtern sein. II. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Feststellung des Schadens Es sind Fälle denkbar, in denen erst einige Zeit nach der Tathandlung ein endgültiger Schaden festgestellt wird. So wird beispielsweise in den Bankuntreuefällen der etwaige unumkehrbare Ausfall des Kredites, das heißt die definitive (vollständige oder teilweise) Uneinbringlichkeit des Kreditrückzahlungsanspruches, erst bei bzw. nach Fälligstellung des Kredites und der Durchführung von Vollstreckungsmaßnahmen festgestellt werden, also möglicherweise Jahre nach der Auszahlung. Denkbar wäre nun, bei der Prüfung des objektiven Merkmals des Nachteils auf diesen Zeitpunkt der „endgültigen“ Schadensfeststellung abzustellen, weil die Frage des Schadens dann definitiv beantwortet werden könnte. Nach dem Wortlaut des § 266 wäre eine solche Vorgehensweise an sich nicht ausgeschlossen. Unvereinbar ist das Abstellen auf den Endschaden jedoch mit § 16. Nach § 16 muss der Täter „bei Begehung der Tat“ die Umstände kennen, die zum gesetzlichen Tatbestand gehören, also auch den Eintritt eines Schadens. Daraus ergibt sich, dass es auf den Zeitpunkt der Tathandlung ankommt. Bei der Untreue ist dies der Zeitpunkt der pflichtwidrigen Vermögensverfügung564. Dies führt nun auf der anderen Seite, wie nachstehend zu zeigen sein wird, nicht dazu, dass eine Untreue in Fällen, in denen der endgültige (effektive) Schaden erst später festgestellt werden kann, immer ausscheidet.

562

Wie hier Hefendehl, Vermögensgefährdung, S. 286 f. Vgl. Seier, in: Achenbach/Ransiek, Wirtschaftsstrafrecht, Kapitel V, Abschnitt 2, Rn. 174. 564 Nack, in: MG, Wirtschaftsstrafrecht, § 66 Rn. 95. 563

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1. Teil, 2. Kap.: Die objektiven Bezugspunkte des Untreuevorsatzes 1. Schadensgleiche Vermögensgefährdung

Ebenso wie beim Betrug565 erkennen die Rechtsprechung566 und ein großer Teil des Schrifttums567 auch bei der Untreue einen Schaden in der Form der sogenannten schadensgleichen Vermögensgefährdung an568. Durch Anwendung dieser Schadensvariante sollen vom Untreuetatbestand generell auch solche Konstellationen erfasst werden können, in denen es noch nicht zu einer effektiven, endgültigen Vermögensminderung gekommen ist. Eine schadensgleiche Vermögensgefährdung wird beispielsweise dann angenommen, wenn der Treunehmer Vermögen des Treugebers verwendet, um es in einen Dispositionsfonds („schwarze Kasse“) einzubringen569. An sich ist hier noch kein Schaden im Sinne einer effektiven Vermögensminderung entstanden, weil es am Wechsel in der rechtlichen Zuordnung fehlt. Als ausreichend wird aber schon die konkrete Gefahr angesehen, dass der Treunehmer oder Dritte nach eigenem Ermessen ohne Kenntnis und ohne Kontroll- und Einflussmöglichkeit des Vermögensinhabers über das Vermögen verfügen können und damit eine „konkrete [. . .] Möglichkeit eines endgültigen Vermögensverlustes“570 eintritt. Ähnliches Beispiel aus der 565

Siehe nur Fischer, § 263 Rn. 156 ff. BGHSt 20, S. 304, 305; BGHSt 44, S. 376, 384 (Diestel); BGHSt 48, S. 354, 355 f.; BGH NStZ-RR 2005, S. 343; BGHSt 51, S. 100, 116 (CDU Hessen); BGH wistra 2007, S. 384 ff. = NStZ 2007, S. 704 ff. (Notar). Eingang in die Rechtsprechung fand die schadensgleiche Vermögensgefährdung schon zu Zeiten des Preußischen Obertribunals, vgl. Riemann, Vermögensgefährdung, S. 28 ff. 567 Lackner/Kühl, § 266 Rn. 17a; Lenckner/Perron, in: Schönke/Schröder, § 266 Rn. 45; Martin, Bankuntreue, S. 123; Maurach/Schroeder/Maiwald, Strafrecht BT/1, § 45 Rn. 41; Schünemann, in: LK, § 266 Rn. 146; Seier, in: Achenbach/Ransiek, Wirtschaftsstrafrecht, Kapitel V, Abschnitt 2, Rn. 183; Wessels/Hillenkamp, Strafrecht BT/2, Rn. 775. 568 Verfassungsrechtliche Bedenken bestehen nach BVerfG wistra 2009, S. 385, 388, bei Beachtung der von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien zur Abgrenzung zwischen abstrakten und konkreten Gefährdungslagen nicht. 569 Vgl. für den Bereich öffentlicher Haushalte beispielsweise: BGHSt 40, S. 287, 295 f. (BND); für den privaten Bereich: BGHSt 51, S. 100, 113 (CDU Hessen). Neuerdings nimmt der BGH bei einer „schwarzen Kasse“ statt einer schadensgleichen Vermögensgefährdung einen Schaden an: BGHSt 52, S. 323, 336 f. = NJW 2009, S. 89, 92 (Siemens). Kritisch insoweit Rönnau, StV 2009, S. 246, 249; Satzger, NStZ 2009, S. 297, 303: Mangels Herauslösung der Vermögenswerte aus dem Vermögensverband sei noch kein endgültiger Schaden entstanden; denkbar sei jedoch eine schadensgleiche Vermögengsgefährdung. 570 BGHSt 51, S. 100, 113 (CDU Hessen). Die Frage, ob und wann bei Einrichtung einer „schwarzen Kasse“ ein Vermögensnachteil vorliegt, wird unterschiedlich beantwortet. Nach einer Ansicht kommt es unabhängig vom beabsichtigten Verwendungszweck bereits bei jeder Einrichtung einer „schwarzen Kasse“ zu einem Vermögensnachteil (so z. B. BGHSt 51, S. 100, 113 f. [CDU Hessen]; Kohlmann/ 566

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Rechtsprechung ist die unordentliche Buchführung, die zu einer doppelten Inanspruchnahme571 oder zu einer Nichtgeltendmachung von Ansprüchen572 führen kann. Ebenso soll in den Bankuntreuefällen durch Anwendung der Figur der schadensgleichen Vermögensverfügung der Tatsache Rechnung getragen werden, dass im Zeitpunkt der Tathandlung das Vermögen noch nicht effektiv gemindert ist, weil an sich eine zur Kompensierung grundsätzlich geeignete Gegenforderung besteht, diese aber im Einzelfall mangels hinreichender Bonität und Sicherheit gerade nicht dem hingegebenen Kreditbetrag gleichwertig ist und so zu einer wirtschaftlichen Einbuße führt. 2. Zur Kritik an der Figur der schadensgleichen Vermögensgefährdung und zur Entwicklung der Rechtsprechung

Die Einbeziehung der schadensgleichen Vermögensgefährdung in den Schadensbegriff ist nicht ohne Kritik geblieben. So wird argumentiert, durch die Anerkennung einer Gefährdung als Schaden werde die Tatvollendung unzulässig in das Versuchsstadium vorverlagert573. Problematisch ist dies bei § 266 gerade auch deshalb, weil der Versuch hier nicht unter Strafe gestellt ist574. Damit würde der ohnehin schon weite AnwendungsBrauns, Fehlleitung öffentlicher Mittel, S. 95). Nach anderer Ansicht soll es auf die intendierte Verwendung der Vermögensteile ankommen. Soll das Vermögen ausschließlich zugunsten des Vermögensinhabers verwendet werden, so soll § 266 ausscheiden (so z. B. Saliger, NStZ 2007, S. 545, 547 m. w. N.). 571 Vgl. BGHSt 47, S. 8 ff. Kritisch Perron, in: FS-Tiedemann, S. 737, 744, der darauf abstellt, dass ein außenstehender Dritter überhaupt erst Ansprüche gegen den Vermögensinhaber geltend machen müsse und daher Zweifel am Zurechnungszusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Schaden hat. 572 Vgl. BGHSt 40, S. 304 f. 573 Kritisch zur Anwendung der Vermögensgefährdung bei § 266 daher Aldenhoff/Kuhn, ZIP 2004, S. 103, 106; Brammsen, wistra 2009, S. 85, 89; Dierlamm, NStZ 1997, S. 534, 535; MünchKommStGB/Dierlamm, § 266 Rn. 195; Fischer, § 266 Rn. 159. 574 Das gesetzgeberische Vorhaben, mit dem 6. Strafrechtsreformgesetz den Versuch bei § 266 unter Strafe zu stellen ist zu Recht gescheitert, siehe dazu nur Matt/ Saliger, in: Irrwege, S. 217 ff. (siehe aber auch Vrzal, Versuchsstrafbarkeit, S. 104, der sich für die Einführung des Versuchs bei § 266 durch den Gesetzgeber ausspricht). Bei § 263, bei dem der Versuch gemäß Abs. 2 strafbar ist, argumentieren die Kritiker, dass mit der Vorverlagerung der Tatvollendung dem Täter die Möglichkeit eines strafbefreienden Rücktritts nach § 24 genommen würde (Amelung, NJW 1975, S. 624, 625; Meyer, MDR 1971, S. 718, 720). Geht es beispielsweise um eine Konstellation, in der der Täter einen Vertrag in der Absicht abschließt, diesen nicht zu erfüllen, so wäre er bereits dann wegen vollendeten Betruges strafbar, wenn er zivilrechtlich noch gar nicht zur Leistung verpflichtet ist, auch wenn er sich sein Vorhaben doch noch anders überlegt hätte. Allerdings ist der Betrugstatbestand – anders als § 266 – durch das Erfordernis einer Bereicherungsabsicht wiederum eingeschränkt und die Erfassung des Versuchs daher tragbar.

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bereich des Untreuetatbestandes noch weiter ausgedehnt: Anders als § 263, bei dem eine schadensgleiche Vermögensgefährdung ebenfalls anerkannt ist, sei der Untreuetatbestand schon durch die wenig präzise Beschreibung der Tathandlungen und die fehlende Einschränkung durch das Erfordernis einer Bereicherungsabsicht für eine extensive Anwendung prädestiniert575. Durch die Gleichsetzung einer bloßen Gefährdung mit dem Tatbestandsmerkmal Nachteil bzw. Schaden werde gegen das in Art. 103 Abs. 2 GG verankerte Analogieverbot verstoßen576. Die Gefahr eines Schadens könne begriffsnotwendig nicht mit dem Schaden selbst identisch sein577. Die Untreue sei eben kein Gefährdungsdelikt, sondern ein Verletzungsdelikt578. Speziell für den Bereich der Bankuntreuefälle wird allerdings die Rekurrierung auf die schadensgleiche Vermögensgefährdung von einigen Stimmen für überflüssig gehalten579. Erhalte die Bank eine nur nominell, nicht aber wirtschaftlich gleichwertige Gegenforderung (weil schon im Zeitpunkt der Valutierung keine Kapitaldienstfähigkeit und Sicherung gegeben ist), dann liege bereits ein Vermögensschaden vor580. Ganz auf dieser Linie scheint auch eine neuere Entscheidung des 1. Strafsenates des BGH zu liegen581, deren Sachverhalt an sich problemlos unter den Tatbestand der Untreue zu subsumieren ist. In dem zu entscheidenden Fall ging es im Wesentlichen um die treuwidrige Verwendung von Anlagegeldern. Statt das Geld der Anleger für deren Fondsbeteiligung zu verwenden, nutzte der Angeklagte die Mittel für seine in finanzielle Schwierigkeiten geratene Unternehmensgruppe, indem er entgegen der Treuhandabrede die Gelder vom Treuhandkonto auf Firmenkonten transferierte und sodann mit den Geldern gegen seine Unternehmensgruppe gerichtete Forderungen beglich. Das Gericht beurteilte die Entnahme der Gelder als treupflichtwidrig und bejahte einen endgültigen Vermögensnachteil im Zeitpunkt der Entnahme der Gelder vom Treuhandkonto582. Auch den 575 Vgl. MünchKommStGB/Dierlamm, § 266 Rn. 195; Dierlamm, NStZ 1997, S. 534, 535. 576 Vgl. Aldenhoff/Kuhn, ZIP 2004, S. 103, 106; Otto, JURA 1991, S. 494, 495; ähnlich auch Fischer, § 263 Rn. 157 (vehementer noch in der 54. Auflage). 577 Otto, JURA 1991, S. 494, 495. 578 MünchKommStGB/Dierlamm, § 266 Rn. 195. 579 So z. B. Bosch, wistra 2001, S. 257. Ähnlich Feigen, in: FS-Rudolphi, S. 445, 457; Otto, Bankentätigkeit, S. 73. 580 Bosch, wistra 2001, S. 257. 581 BGH NStZ 2008, S. 457 ff. = NJW 2008, S. 2451 ff. = StV 2008, S. 414 ff. (WTS-GmbH); siehe auch BGH ZIP 2009, S. 1854, 1856 f. (Boxclever). 582 Demgegenüber merkt Rübenstahl, NJW 2008, S. 2454, an, bei der Schadensfeststellung wären Ausgleichsfähigkeit und -bereitschaft zu berücksichtigen gewesen. Dieses – an sich richtige – Argument, ein Schaden sei dann zu verneinen, wenn der Täter objektiv eigene flüssige Mittel zum Ausgleich zur Verfügung hält

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subjektiven Tatbestand sah der 1. Strafsenat unproblematisch als verwirklicht an. An sich hätte es dabei sein Bewenden haben können583. Die erkennenden Richter sahen sich jedoch offenbar in dem allseitigen Bemühen um Restriktion des Untreuetatbestandes zu weiteren Ausführungen in einem obiter dictum584 veranlasst; Hintergrund war die neuerdings vom 2. und 5. Strafsenat vertretene Ansicht, § 266 müsse über den subjektiven Tatbestand durch das Erfordernis einer Billigung der Schadensrealisierung eingeschränkt werden (dazu näher im 3. Kapitel, Abschnitt A. III. 2. b)). Nach Ansicht des 1. Strafsenates erledige sich bei einer präzisen Begriffsverwendung unter exakter Betrachtung das vom 2. Strafsenat befürchtete Problem einer vermeintlich doppelten „Vorverlagerung“ der Strafbarkeit durch Anwendung des bedingten Vorsatzes auf Fälle bloßer Vermögensgefährdungen weitgehend bzw. erweise sich als Scheinproblematik585: Die sogenannte konkrete Vermögensgefährdung stelle bei pflichtwidrigen Risikogeschäften, so der Senat unter Rekurrierung auf die Kreditvergabefälle, in Wirklichkeit bereits einen unmittelbar mit der Tathandlung eingetretenen Vermögensnachteil dar. Mit der Auszahlung eines ungesicherten Kredites an ein zahlungsunfähiges Unternehmen entstehe ein minderwertiger Rückzahlungsanspruch, woraus sich unmittelbar und realiter ein eingetretener Vermögensnachteil ergebe. Und auch in den vorstehend schon erwähnten Fällen der „schwarzen Kassen“ ist insoweit eine neue Entwicklung der Rechtsprechung zu verzeichnen. So hat jüngst der 2. Strafsenat entschieden, dass der Entzug von Vermögensteilen und die Einbringung in einen Dispositionsfonds bereits zu einem endgültigen Vermögensschaden führen586. Dies sei keine bloße Gefährdung, weil der eigentliche Vermögensinhaber keinen Zugriff mehr habe. (siehe oben, 2. Kapitel, B. I. 2. b)), greift hier nicht, weil es dem Angeklagten ausweislich der Feststellungen an der Rückzahlungsbereitschaft fehlte. Wegen der fehlenden Ausgleichswilligkeit war auch nicht erforderlich, statt schon auf den Transfer zu den Zielkonten erst auf die endgültige Abverfügung an Dritte abzustellen (so aber Beulke/Witzigmann, JR 2008, S. 430, 431). 583 Ebenso Beulke/Witzigmann, JR 2008, S. 430, 432; Klötzer/Schilling, StraFo 2008, S. 305. 584 Zur Frage der Zulässigkeit und dem Sinn von obiter dicta siehe nur Beulke/ Witzigmann, JR 2008, S. 430, 432. 585 BGH NStZ 2008, S. 457 = NJW 2008, S. 2451, 2452 = StV 2008, S. 414, 415 (WTS-GmbH). 586 BGHSt 52, S. 323, 336 f. = NJW 2009, S. 89, 92 (Siemens). Zustimmend Fischer, § 266 Rn. 137; Ransiek, NJW 2009, S. 95 f. Dagegen verneint Schünemann, NStZ 2008, S. 430, 433, einen Vermögensnachteil, weil bei einem profitorientierten Unternehmen der Privatwirtschaft eine der Profitmaximierung dienende „schwarze Kasse“ dem Prinzip der Vermögenserhaltung verhaftet bleibe. Andere argumentieren, es werde nur die Dispositionsfreiheit des Vermögensinhabers beeinträchtigt, nicht aber ein Schaden herbeigeführt, so Dierlamm, in: FS-Widmaier, S. 607, 610;

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1. Teil, 2. Kap.: Die objektiven Bezugspunkte des Untreuevorsatzes 3. Stellungnahme

Die Lösung der Frage, ob auf die Einbeziehung der „schadensgleichen Vermögensgefährdung“ jedenfalls bei § 266 verzichtet werden muss, lässt sich richtigerweise nur mit Blick auf den maßgeblichen Vermögensbegriff beantworten. Nach hier vertretener Ansicht587 werden zum Vermögen all diejenigen Positionen gezählt, die einen wirtschaftlichen Wert haben und dem Inhaber nach der Rechtsordnung legitimerweise zustehen (juristischökonomischer Vermögensbegriff). Als Schaden ist danach – aber auch nach dem rein wirtschaftlichen Vermögensbegriff – jede Beeinträchtigung eines wirtschaftlichen Wertes anzusehen. In erster Linie kommen insoweit effektive Vermögensminderungen in Betracht, zum Beispiel der oben genannte Fall einer Vermögensverfügung ohne Kompensation. Eine wirtschaftliche Einbuße ist aber nicht nur dann gegeben, wenn das Vermögen effektiv gemindert ist, sondern kann bereits dann vorliegen, wenn das wirtschaftliche Potenzial in sonstiger Weise beeinträchtigt ist588. Bei einer solchen konsequent wirtschaftlichen Betrachtung ist also jede spürbare Wertbeeinträchtigung, und zwar auch die Gefährdung einer Vermögensposition, als schadensrelevant anzusehen. Vermögensgefährdung und effektiver Vermögensverlust unterscheiden sich nämlich nur quantitativ, nicht aber qualitativ589. Mit anderen Worten: Der effektive Schaden ist gegenüber der Gefährdung nur eine gesteigerte wirtschaftliche Beeinträchtigung. Immer aber setzt auch die „Gefährdung“ eine nachweisliche Wertminderung voraus, bei einer Forderung also, wie erwähnt, eine mangelhafte Bonität. Die Gefährdung einer wirtschaftlich relevanten Position muss „schadensgleich“, nicht nur „schadensähnlich“ sein. Aus dieser Erwägung heraus, dass immer mindestens eine Wertminderung erforderlich ist, wenn nicht schon ein effektiver Entzug eines Vermögensgutes vorliegt, will Otto zur begrifflichen Klarstellung auf den Begriff der Vermögensgefährdung verzichten590: Gleich ob effektiver Entzug eines VerFaust, Parteispenden, S. 95 ff.; Knauer, NStZ 2009, S. 151, 153; Rönnau, in: FSTiedemann, S. 713, 734. Bernsmann, GA 2009, S. 296, 305 ff., weist darauf hin, dass der BGH in Argumentationsnot kommen dürfte, wenn ein Vorstand als das zur Vermögensdisposition befugte Organ die Kasse einrichtet. In der Tat spricht viel dafür, die Fälle der „schwarzen Kassen“ differenzierend zu betrachten, je nachdem, ob es sich um staatliches Vermögen bzw. solches politischer Parteien oder um privatwirtschaftliches Vermögen handelt, siehe dazu Schünemann, a. a. O. Eine genauere Untersuchung kann in dieser Schrift aus Platzgründen nicht erfolgen. 587 Siehe 1. Kapitel, A. II. 1. 588 Lackner, in: LK, 10. Auflage, § 263 Rn. 151. 589 BGH wistra 1991, S. 307, 308. 590 Otto, JURA 1991, S. 494, 496.

B. Nachteilszufügung und diesbezüglicher Vorsatz

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mögensgutes oder bloße Vermögenswertminderung, immer liege ein „Schaden“ vor591. Und in diese Richtung geht offenbar auch die oben skizzierte neuere Rechtsprechung. Letztlich scheint in der Sache weitgehend Übereinstimmung zu bestehen. Auch die herrschende Meinung, die den Begriff der schadensgleichen Vermögensgefährdung verwendet, stellt inhaltlich auf die Minderwertigkeit ab. So verlangt sie, dass für die Bejahung des Schadens bzw. der Gefährdung im Zeitpunkt der Vermögensverfügung das Vermögen derart gefährdet ist, dass dies bei lebensnaher wirtschaftlicher Betrachtung einer Wertminderung gleichkommt592. Auch Nack stellt bei seiner Analyse der Rechtsprechung fest, dass eine schadensgleiche Vermögensgefährdung dann als tatbestandsmäßig angesehen wird, wenn die Gefährdung in einen effektiven Schaden umgeschlagen ist593. Das wirtschaftliche Potenzial muss tatsächlich, nicht nur möglicherweise („abstrakt“) beeinträchtigt sein. Und dies ist auch dann der Fall, wenn der Vermögenswert, zum Beispiel eine Forderung oder ein Geldbetrag in einer „schwarzen Kasse“, an sich noch vorhanden ist, aber tatsächlich dem Vermögensinhaber nicht mehr bzw. nicht mehr in voller Höhe zur Verfügung steht, um damit die von ihm legitimierten wirtschaftlichen Transaktionen durchzuführen594. Ist beispielsweise die Forderung zwar nominell vorhanden, aber mangels Bonität wirtschaftlich nichts wert, so kann der Inhaber der Forderung den nominellen Wert nicht durch Einzug oder Forderungsverkauf realisieren. Befindet sich Vermögen595 in einer „Schwarzgeldkasse“ und ist es der Kenntnis und dem Zugriff des Inhabers dauerhaft entzogen, so hat dieser Vermögensteil für den Inhaber keinen wirtschaftlichen Wert mehr; diese Situation kommt einem effektiven Schaden gleich (sie ist also „schadensgleich“). Vor diesem Hintergrund lassen sich auch die vorstehend unter Ziffer 2. dargestellten Erwägungen des 1. Strafsenates einordnen. Unglücklich mag die Formulierung gewesen sein, dass 591

Otto, JURA 1991, S. 494, 495. RGSt 9, S. 168, 169 f.; RGSt 16, S. 1, 11; RGSt 16, S. 77, 81; RGSt 53, S. 194; BGHSt 23, S. 300, 303; BGH wistra 1995, S. 222, 223; BGH wistra 2001, S. 423, 424 = StV 2002, S. 133, 134; BGH NStZ 2008, S. 457 = NJW 2008, S. 2451, 2452 = StV 2008, S. 414, 415 (WTS-GmbH). 593 Nack, StraFo 2008, S. 277, 278. 594 Vgl. Fischer, § 266 Rn. 139. Anderer Ansicht Dierlamm, in: FS-Widmaier, S. 607, 610); Faust, Parteispenden, S. 95 ff.; Rönnau, in: FS-Tiedemann, S. 713, 734; Schünemann, NStZ 2008, S. 430, 433. Differenzierend zwischen staatlichem Vermögen bzw. Parteivermögen und privatwirtschaftlichen Schwarzgeldkassen Rönnau, in: FS-Tiedemann, S. 713, 734; Schünemann, NStZ 2008, S. 430, 433. 595 Nochmals: Jedenfalls staatliches Vermögen oder solches politischer Parteien, siehe schon Fußnote 586, S. 113. 592

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1. Teil, 2. Kap.: Die objektiven Bezugspunkte des Untreuevorsatzes

„sich die bei pflichtwidrigen Risikogeschäften sogenannte konkrete Vermögensgefährdung in Wirklichkeit als ein bereits unmittelbar mit der Tathandlung eingetretener Vermögensnachteil darstellt“596.

Es geht, so zutreffend Schünemann, bei der Bejahung des Vermögensnachteils um eine juristische Subsumtion und nicht um eine Kategorie der Wirklichkeit597. Auch die pauschale Bezugnahme des 1. Strafsenates auf pflichtwidrige Risikogeschäfte insgesamt hat zu Kritik geführt598. Dessen ungeachtet, lässt sich aber den Ausführungen im Kern die richtige Aussage entnehmen, dass die Vergabe eines ungesicherten Kredites an einen Kreditnehmer mit mangelnder Bonität zur Annahme einer Minderwertigkeit führen muss599, mag man dann diesen Zustand als schadensgleiche Vermögensgefährdung oder – vielleicht besser – als Schaden bezeichnen. Soweit Beulke/Witzigmann im Rahmen ihrer Kritik an dem Beschluss meinen, dass sich die „Bilanz des Geschäfts“ erst später zeige und deswegen bei Auszahlung der Darlehensvaluta das Vermögen lediglich gefährdet würde600, wird – jedenfalls im Hinblick auf die Kreditvergabefälle – übersehen, dass es in den einschlägigen Fällen nicht um das Schicksal eines „gewöhnlichen“ Kreditrückzahlungsanspruches geht, der naturgemäß mit einem allgemeinen (Ausfall-)Risiko behaftet ist. Vielmehr geht es in diesen Fällen um (weitgehend) ungesicherte Kreditvergaben an Kreditnehmer mit unzureichender Bonität; in einem solchen Fall ist der Rückzahlungsanspruch nach banküblichen Bewertungsgrundsätzen601 quasi von vornherein im Wert zu berichtigen. Das Ergebnis ist schon der reale Vermögensnachteil602. Und hierin liegt auch die Stärke des Beschlusses des 1. Strafsenates, der erkennt und sprachlich deutlich kennzeichnet, dass im Falle einer Wertminderung bereits ein Schaden vorliegt. Letztlich dürfte jedoch auch die Beschreibung der Schadenssituation als schadensgleiche Vermögensgefährdung tragfähig sein603. Für die Verwen596 BGH NStZ 2008, S. 457 = NJW 2008, S. 2451, 2452 = StV 2008, S. 414, 415 (WTS-GmbH). 597 Schünemann, NStZ 2008, S. 430, 432. 598 Vgl. Schünemann, NStZ 2008, S. 430, 432. 599 Vgl. Nack, StraFo 2008, S. 277, 278. 600 Beulke/Witzigmann, JR 2008, S. 430, 433. 601 Siehe dazu Nack, StraFo 2008, S. 277, 279 f.; BGHSt 53, S. 199, 203 = NStZ 2009, S. 330, 331 = StV 2009, S. 242, 243 (mit ausdrücklicher Kritik an der Aufassung von Beulke/Witzigmann); BGH ZIP 2009, S. 1854, 1859 (Boxclever). Kritisch Fischer, § 266 Rn. 163. 602 Nack, StraFo 2008, S. 277, 278; Schünemann, NStZ 2008, S. 430, 432. Anderer Ansicht Beulke/Witzigmann, JR 2008, S. 430, 433. 603 Beulke/Witzigmann, JR 2008, S. 430, 433, meinen, es sei vorzugswürdig, von einer bloßen Gefährdung zu „sprechen“. Auch Laskos, Strafbarkeit, S. 90, hält die

B. Nachteilszufügung und diesbezüglicher Vorsatz

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dung des Begriffes der Vermögensgefährdung in Fällen, in denen zum Tatzeitpunkt noch nicht mit Gewissheit der endgültige Forderungsausfall oder die endgültige Änderung der rechtlichen Zuordnung des Vermögens („schwarze Kasse“) feststeht, kann man ins Feld führen, dass damit zumindest sprachlich dem Umstand Ausdruck verliehen werden kann, dass die Uneinbringlichkeit noch nicht endgültig feststeht – die Bewertung zum Tatzeitpunkt beinhaltet notwendig eine gewisse Unsicherheit604. So könnte sich bei den Bankuntreuefällen das Kreditengagement – wider Erwarten – positiv entwickeln (zum Beispiel bei einem späteren Lottogewinn oder einer Erbschaft durch den zuvor zahlungsunfähigen Kreditnehmer), wobei natürlich ein späterer, nach der Tathandlung erfolgter Schadensausgleich unberücksichtigt bleiben muss. Es würde also deutlich gemacht, dass eine Gegenforderung als mögliche Kompensation zwar besteht, sie aber unter Umständen nicht als äquivalent anzusehen ist. Die Bezeichnung „schadensgleiche Vermögensgefährdung“ steht also für eine besondere Kategorie des Schadens605. Riemann606 meint daher zu Recht, Otto verzichte zwar auf den Begriff der Vermögensgefährdung, erkenne aber letztlich auch eine Schädigung im Gefährdungsstadium an607. Insbesondere angesichts der neueren Tendenzen in der Rechtsprechung bleibt abzuwarten, ob sich die Bezeichnung der Situation als ‚Schaden‘ – und nicht als bloße ‚schadensgleiche Vermögensgefährdung‘ – durchsetzen wird; Vorteil wäre allemal die Minimierung des Risikos, dass durch sprachliche Ungenauigkeit „versehentlich“ bloß abstrakte Gefährdungen unter § 266 subsumiert werden. Jenseits des Streits um die richtige begriffliche Bezeichnung scheint wichtiger, in der Sache tatsächlich nur im Wert geminderte wirtschaftliche Positionen als schadensrelevant anzuerkennen, um dem Bestimmtheitsgebot Rechnung zu tragen608. Es müssen, mit anderen Worten, bloß abstrakte Schadensgefahren aus dem strafrechtlich relevanten Schadensbereich ausgegrenzt werden, denn diese sind es, die in das Versuchsstadium gehören und also bei § 266 mangels Versuchsstrafbarkeit nicht sanktioniert werden dürfen. Diese Frage der Konkretisierung der schadensgleichen Vermögensgefährdung wird nachstehend problematisiert.

Bezeichnung nicht für entscheidend. Das BVerfG NStZ 1998, S. 506, hat diese Schadensvariante jedenfalls nicht beanstandet. 604 Laskos, Strafbarkeit, S. 90. 605 Baumanns, JR 2005, S. 227, 228. 606 Riemann, Vermögensgefährdung, S. 23. 607 Geerds, Wirtschaftsstrafrecht, S. 106, Fußnote 147 a. E., wiederum bezeichnet die Position Ottos als „saubere begriffliche Arbeitsweise“. 608 Vgl. Geerds, Wirtschaftsstrafrecht, S. 105.

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1. Teil, 2. Kap.: Die objektiven Bezugspunkte des Untreuevorsatzes 4. Konkretisierung der schadensgleichen Vermögensgefährdung

a) Rechtsprechung Die Rechtsprechung stellt bei der Frage der Konkretisierung der schadensgleichen Vermögensgefährdung maßgeblich auf die Konkretheit der Gefährdung ab. Hinreichend konkret für eine Anerkennung als Schaden sei eine Gefährdungssituation dann, wenn mit dem alsbaldigen Eintritt des endgültigen Schadens ernstlich zu rechnen ist609, die Gefährdung bei lebensnaher Betrachtung einer Wertminderung gleichkommt610 oder die naheliegende Gefahr eines Verlustes gegeben ist611. Voraussetzung sei, dass die Tatsachen, die die konkrete Gefährdung begründen, feststehen; nicht ausreichend sei dagegen das bloß wahrscheinliche oder mögliche Vorliegen612. Kritisiert wird an der Rechtsprechung allerdings, dass sie diese Kriterien mitunter nicht konseqent anwende, sondern im Einzelfall bereits abstrakte Gefahren ausreichen lasse613. Beispiel für eine wohl zu extensive Anwendung des Begriffes der schadensgleichen Vermögensgefährdung durch die Rechtsprechung mag das Urteil des BGH in der Finanzaffäre der CDU Hessen sein614, das auch im Hinblick auf den Vorsatz von Bedeutung für diese Schrift ist615 und daher hier kurz in objektiver Hinsicht erläutert werden kann. Der Angeklagte Kanther hatte 1983 als Landesgeschäftsführer der CDU Hessen (später war er Landesvorsitzender) zusammen mit zwei weiteren Angeklagten dem Landesverband der CDU zugeordnetes Geldvermögen in Höhe von ca. 20 Millionen DM, dessen Herkunft nicht vollumfänglich geklärt werden konnte, auf ein verschleiertes Treuhandkonto in der Schweiz transferiert. Über das Vermögen verfügten die Angeklagten zwar offenbar nicht zu eigenen Guns609

BGHSt 21, S. 112, 113; BGH wistra 1988, S. 26 f.; BGHSt 40, S. 287, 296; BGHSt 51, S. 100, 113 (CDU Hessen). 610 Nachweise in Fußnote 592, S. 115. 611 BGHSt 43, S. 394, 395; BGHSt 51, S. 100, 113 (CDU Hessen). 612 BGH StV 1995, S. 24 f.; MünchKommStGB/Dierlamm, § 266 Rn. 196; Matt, NJW 2005, S. 389, 390 f. 613 Siehe dazu MünchKommStGB/Dierlamm, § 266 Rn. 218; Hoyer, in: SKStGB, § 263 Rn. 230; Saliger, ZStW 112, S. 563, 574 ff.; Tiedemann, in: LK, § 263 Rn. 170. 614 BGHSt 51, S. 100 ff. (CDU Hessen); vorgehend: LG Wiesbaden, Urteil vom 18. April 2005 – 6 Js 320.4/00-16 KLs. Zunächst hatte das LG Wiesbaden die Eröffnung des Hauptverfahrens noch abgelehnt (LG Wiesbaden NJW 2002, S. 1510 ff.), sodann das OLG Frankfurt a. M. aufgrund der Beschwerde der Staatsanwaltschaft die Anklage zugelassen (OLG Frankfurt a. M. NJW 2004, S. 2028 ff.). – Zu weitgehend wohl auch BGHSt 44, S. 376, 385 (Diestel). 615 Siehe unten, 3. Kapitel, A. III. 2. b) und c).

B. Nachteilszufügung und diesbezüglicher Vorsatz

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ten, sondern zugunsten von Teilorganisationen der Partei, allerdings nach eigenem Ermessen und ohne Wissen der Partei. Im Jahre 1993 transferierten die Angeklagten das Guthaben – weiterhin ohne Wissen der Partei – auf Konten einer zu diesem Zweck in Liechtenstein gegründeten Stiftung „Zaunkönig“ und verwendeten die Gelder nach eigenem Ermessen zu Parteizwecken. Indem die Angeklagten die jeweils rückgeführten Gelder als Vermächtnisse und Spenden deklarierten, verschleierten sie die Tatsache der „schwarzen Kasse“. Ab 1994 wirkte der Angeklagte Kanther an Vorlage und Verabschiedung von Haushaltsplänen und Rechenschaftsberichten mit, die mangels Erwähnung des Liechtensteiner Vermögens nach seiner Kenntnis unrichtig waren. Die Berichte des Landesverbandes flossen in die Berichte des Bundesverbandes der CDU ein, auf deren Grundlage der Zuwendungsanteil der staatlichen Parteienfinanzierung bemessen wurde. Als das Auslandsvermögen bekannt wurde, forderte der Präsident des Deutschen Bundestages mit Bescheid vom 15. Februar 2000 für das Jahr 1999 aufgrund der falschen Rechenschaftsberichte nach §§ 19 Abs. 4 Satz 3 und 23 Abs. 4 Satz 3 Parteiengesetz in der Fassung von 1994616 von der Gesamtpartei rund 41 Millionen DM an staatlichen Fördermitteln zurück617. Der BGH bestätigte in der Sache die Verurteilung des Angeklagten Kanther, der gegenüber der Partei vermögensbetreuungspflichtig gewesen sei618, wegen Untreue durch das Landgericht Wiesbaden, soweit die Verurteilung aufgrund der pflichtwidrigen Unterhaltung einer „schwarzen Kasse“ erfolgte619, was hier nicht weiter erörtert werden soll620. Im Komplex der Mitwirkung an den unzutreffenden Rechenschaftsberichten sah der BGH 616 Bekanntmachung vom 31. Januar 1994, BGBl. I, S. 149 ff., zuletzt geändert durch das Gesetz vom 17. Februar 1999, BGBl. I, S. 146. Diese Fassung wurde schließlich geändert durch das Achte Gesetz zur Änderung des Parteiengesetzes vom 28. Juni 2002, BGBl. I, S. 2268 ff. (Zwischenzeitlich sind Änderungen durch das Neunte Gesetz zur Änderung des Parteiengesetzes vom 22. Dezember 2004, BGBl. I, S. 3673 ff., erfolgt.) 617 Rechtsmittel hiergegen blieben erfolglos. Das VG Berlin gab der Klage der CDU erstinstanzlich statt (VG Berlin NJW 2001, S. 1367 ff.). Das OVG Berlin wies die Klage in der Berufung ab (OVG Berlin NJW 2002, S. 2896 ff.) und das BVerwG verwarf die Beschwerde der CDU (BVerwG NJW 2003, S. 1135). Auch die Verfassungsbeschwerde der CDU wurde vom BVerfG verworfen (BVerfGE 111, S. 54 ff. = NJW 2005, S. 126 ff.). 618 BGHSt 51, S. 100, 112. Zustimmend Saliger, NStZ 2007, S. 545, 548. Kritisch zur Annahme einer Vermögensbetreuungspflicht Volhard, in: FS-Lüderssen, S. 673, 677 f. 619 BGHSt 51, S. 100, 111 ff. 620 Kritisch zum Urteil des BGH insoweit Ransiek, NJW 2007, S. 1727, 1728; Saliger, NStZ 2007, S. 545, 547 f.

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1. Teil, 2. Kap.: Die objektiven Bezugspunkte des Untreuevorsatzes

eine selbstständige Tat621 und bestätigte in der Sache die Ansicht des Landgerichts, in dem konkreten Risiko der Rückforderung des Zuwendungsanteils liege ein Schaden622, verneinte jedoch den (bedingten) Vorsatz der Angeklagten623 und damit die Untreuestrafbarkeit. Der BGH hob daher den Schuldausspruch teilweise, den Strafausspruch insgesamt auf und verwies die Angelegenheit an das Landgericht zurück624. Erhebliche Zweifel bestehen allerdings bezüglich der Annahme des BGH, die Veranlassung fehlerhafter Rechenschaftsberichte habe zu einem Vermögensnachteil in Gestalt der schadensgleichen Vermögensgefährdung durch das konkrete Risiko des Vorenthaltens oder der Rückforderung des Zuwendungsanteils aus der staatlichen Parteienfinanzierung geführt625. Problematisch erscheint dabei schon die Frage, ob ein Verstoß gegen das Parteiengesetz, der nach dem Willen des Gesetzgebers gerade keine strafrechtliche Sanktion nach sich ziehen soll, über § 266 überhaupt kriminalisiert werden darf626. Davon abgesehen, fragt sich, ob aufgrund des Verhaltens überhaupt Sanktionen eintreten können. Ließe man bereits die Einreichung formell richtiger Rechenschaftsberichte als Grundlage für die staatliche Zuwendung ausreichen627 (sogenannte formelle Rechenschaftsberichtstheorie628), so könnte die Einreichung des formell richtigen Berichtes – unabhängig von der materiellen Richtigkeit – die Sanktion und damit eine Untreuestrafbarkeit nicht auslösen629. Selbst wenn man jedoch eine materielle Rechenschaftsberichtstheorie verträte630, dürfte die Bejahung des Schadens 621

Insoweit zustimmend Ransiek, NJW 2007, S. 1727, 1729; Saliger, NStZ 2007, S. 545, 546. 622 BGHSt 51, S. 100, 117. 623 BGHSt 51, S. 100, 118 ff. 624 Der BGH regte in seinem Urteil an, das Landgericht möge die Möglichkeit einer Betrugsstrafbarkeit prüfen. Das Landgericht stellte diesen Teil des Verfahrens jedoch ein und wandelte im Übrigen die Bewährungsstrafe von 18 Monaten für Kanther in eine Geldstrafe; die Geldstrafe für den weiteren Angeklagten Weyrauch wurde herabgesetzt. Das Urteil ist rechtskräftig. Siehe dazu Witte, Das Parlament, Nr. 40–41/2007. 625 Lenckner/Perron, in: Schönke/Schröder, § 266 Rn. 45 m. w. N., sehen allerdings eine zu befürchtende erfolgreiche Inanspruchnahme auf Schadensersatz als ausreichende Vermögensgefährdung an. 626 Vgl. Volhard, in: FS-Lüderssen, S. 673, 678. Ähnlich: Taschke, in: FS-Lüderssen, S. 663, 670. 627 So z. B. LG Wiesbaden NJW 2002, S. 1510, 1514 m. w. N. (CDU Hessen); VG Berlin NJW 2001, S. 1367, 1369; Ipsen, JZ 2000, S. 685, 690; Volhard, in: FSLüderssen, S. 673, 679. Dies entspricht der gegenwärtigen Gesetzeslage (§ 19a Abs. 3 Satz 5 Parteiengesetz). 628 Vgl. Saliger, Parteiengesetz, S. 333. 629 Vgl. Saliger, Parteiengesetz, S. 392.

B. Nachteilszufügung und diesbezüglicher Vorsatz

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an der Konkretheit der Vermögensgefährdung scheitern631. Die Rückforderung der Zuwendungen müsste nämlich durch die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes gemäß §§ 48 und 49a VwVfG632 erfolgen. Und da die Vorschrift des § 48 VwVfG ein Ermessen eröffnet, fehlt es an der für eine Bejahung der Konkretheit erforderlichen Möglichkeit des unmittelbaren Einmündens der Gefährdungslage in einen endgültigen Schaden633. Es fehlt, mit anderen Worten, am „Sanktionsautomatismus“634 der Rückforderungsnorm635. Die Rückforderung der Zuwendungsmittel durch den Bundespräsidenten war also schon objektiv nicht hinreichend sicher636. Gleiches galt auch für die möglichen Schadensersatzansprüche der Bundes-CDU gegen den Landesverband637. Die problematischen Ausführungen des BGH zur subjektiven Seite hätten sich damit erübrigt. b) Schrifttum Die Lehre ist um eine schärfere Konturierung bemüht, vertritt aber keine einheitliche Linie. Aus dem hier nicht abschließend darstellbaren Meinungsspektrum638 seien daher nur beispielhaft folgende Vorschläge angeführt. 630 So z. B. BVerfGE 111, S. 54, 86 ff. = NJW 2005, S. 126, 127 ff.; OLG Frankfurt a. M. NJW 2004, S. 2028, 2030; OVG Berlin NJW 2002, S. 2896, 2897; Morlok, NJW 2000, S. 761, 766 f.; Saliger, NStZ 2007, S. 545, 548. 631 Wie hier MünchKommStGB/Dierlamm, § 266 Rn. 218; Ransiek, NJW 2007, S. 1727, 1729; Saliger, Parteiengesetz, S. 392 f. 632 Für eine direkte Anwendung: Morlok, NJW 2000, S. 761, 768. Für eine analoge Anwendung: Saliger, Parteiengesetz, S. 393, Fußnote 1584. 633 Ebenso Saliger, Parteiengesetz, S. 393. 634 Saliger, Parteiengesetz, S. 130. 635 So auch Volhard, in: FS-Lüderssen, S. 673, 680. 636 MünchKommStGB/Dierlamm, § 266 Rn. 218; Matt, NJW 2005, S. 389, 391. Dass der Bundestagspräsident Thierse in jedem Falle nach Bekanntwerden der materiellen Fehler des Rechenschaftsberichtes eine geringere staatliche Parteienfinanzierung festsetzen und zuviel gezahlte Mittel zurückfordern würde, wie es schließlich mit Bescheid vom 15. Februar 2000 geschah, war keineswegs ohne weiteres sicher. So hatte die Vorgängerin im Amt, Rita Süssmuth, während ihrer Amtszeit eine sanktionslose Korrektur formeller und materieller Fehler der Rechenschaftsberichte ermöglicht (vgl. Verhandlungen des deutschen Bundestages, Bundestagsdrucksache 13/8888, S. 27 f.), sodass auch aus diesem Grund die (Möglichkeits-)Kenntnis der Sanktionsmöglichkeit durchaus infrage zu stellen wäre. Davon abgesehen, zeigt auch die Uneinigkeit der Verwaltungsgerichte (einerseits VG Berlin NJW 2001, S. 1367 ff., andererseits BVerwG NJW 2003, S. 1135 ff.; OVG Berlin NJW 2002, S. 2896 ff.), dass die Frage der Rechtmäßigkeit einer Sanktion keineswegs offensichtlich war. 637 Siehe nur Saliger, NStZ 2007, S. 545, 549. 638 Siehe nur MünchKommStGB/Dierlamm, § 266 Rn. 190 ff.; Hefendehl, Vermögensgefährdung, S. 61 ff.; Tiedemann, in: LK, § 263 Rn. 171.

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1. Teil, 2. Kap.: Die objektiven Bezugspunkte des Untreuevorsatzes

Teilweise wird auf die Frage abgestellt, ob und inwieweit die Gefahrenlage aus Opfersicht noch beherrschbar war. Solange der endgültige Verlust noch von weiteren Handlungen im Herrschaftsbereich des Opfers abhängt, liege bloß eine versuchstypische Gefährdung vor639. Andere wollen eine Vermögensgefährdung nur dann als schadensgleich ansehen, wenn sie unmittelbar in einen effektiven Schaden münden kann, also naheliegt640. Wieder andere befürworten eine Konkretisierung nach bilanzrechtlichen Grundsätzen und verlangen, dass sich die Verlustgefahr so sehr verdichtet haben muss, dass die Forderung nach kaufmännischen Gesichtspunkten wertberichtigt oder abgeschrieben werden muss641. c) Stellungnahme Durchgesetzt hat sich bislang offenbar keines der genannten Kriterien der Lehre, wobei sich die Ansätze mitunter auch nicht randscharf voneinander trennen lassen. So wird letztlich nicht recht deutlich, worin eigentlich der Unterschied zwischen einer „konkreten“ Gefährdung und einer „unmittelbar“ in einen (End-)Schaden mündenden Situation liegen soll. Die Vorschläge der Lehre sind wohl lediglich Ausprägungen der von der Rechtsprechung geforderten „Konkretheit“ der Gefährdungssituation642. Zu richtigen Ergebnissen wird man im Einzelfall kommen, wenn man nicht auf ein einzelnes Kriterium abstellt, sondern den Sachverhalt an der Gesamtheit der Vorschläge misst643. Liegt eine Situation vor, die unmittelbar in einen effektiven Schaden münden kann, ohne dass es weiterer Handlungen bedarf, so liegt eine konkrete Gefahr vor; die Verlustmöglichkeit hat sich von einer fernliegenden, abstrakten in eine naheliegende gewandelt. Sind noch Handlungen des Opfers, des Täters oder eines Dritten erforderlich, so wird es an der Unmittelbarkeit fehlen und ein endgültiger Schaden wird nicht alsbald zu erwarten sein. Das Merkmal der Konkretheit der Gefahr – quasi als Oberbegriff – erscheint dabei einerseits ausreichend flexibel und praktika639

Amelung, NJW 1975, S. 624, 625; Schröder, JZ 1967, S. 577, 578. MünchKommStGB/Dierlamm, § 266 Rn. 197; Hoyer, in: SK-StGB, § 263 Rn. 235; Lackner, in: LK, 10. Auflage, § 263 Rn. 153 f.; Matt/Saliger, in: Irrwege, S. 217, 234; Saliger, Parteiengesetz, S. 127 ff.; ders., NStZ 2007, S. 545, 549. Siehe auch Matt, NJW 2005, S. 389, 390 f. 641 Hefendehl, Vermögensgefährdung, S. 166 ff.; Lenckner, JZ 1971, S. 320, 322 (zu § 263); Waßmer, Untreue, S. 134. Kritisch Tiedemann, in: LK, § 263 Rn. 172. 642 Siehe z. B. Matt/Saliger, in: Irrwege, S. 217, 236: „Demnach ist [. . .] eine Vermögensgefährdung nur dann konkret [. . .], wenn diese Gefährdung [. . .] unmittelbar in den effektiven Schaden übergehen kann.“ (Hervorhebungen im Original). 643 So im Ergebnis auch MünchKommStGB/Dierlamm, § 266 Rn. 196 ff.; Matt, NJW 2005, S. 389, 390 f., der verlangt, der Schaden müsse, „ernstlich zu befürchten“ sein, „nahe liegen“, „unmittelbar“ bevorstehen. 640

B. Nachteilszufügung und diesbezüglicher Vorsatz

123

bel, um strafwürdige Fälle zu erfassen, muss andererseits aber mit der erforderlichen Sorgfalt restriktiv – daran fehlt es, wie gezeigt, mitunter in der Rechtsprechung – ausgelegt werden. 5. Schadenswiedergutmachung

Ist schließlich ein Schaden in diesem Sinne im Zeitpunkt der Tathandlung festgestellt, so ist ein etwaiger späterer Schadensausgleich lediglich als Schadenswiedergutmachung aufzufassen644 und bei der Strafzumessung zu berücksichtigen645. Diese Maßgeblichkeit des Zeitpunkts der Tathandlung übersehen Klötzer/Schilling, wenn sie es in einem Fall von Kredituntreue für problematisch halten, dass bei der (späteren) gerichtlichen Entscheidung über die Strafbarkeit das Darlehen vollständig zurückgezahlt ist646. III. Vorsatz und Irrtum 1. Grundsatz

Der Vorsatzvorwurf erfordert, dass der Täter alle Umstände, aus denen sich der Vermögensnachteil ergibt, mit anderen Worten: die „gegenwärtigen ökonomischen Daten“647, richtig erfasst648. Erforderlich ist daher zunächst, dass der Täter die schadensbegründenden Tatsachen kennt. Bei einer kompensationslosen Vermögensverfügung muss er also lediglich wissen, dass er das Vermögen vermindert und im Gegenzug keinen Vermögenszuwachs erhält. Der Schwerpunkt der Vorsatzprüfung wird in diesen Fällen bei der Frage des Pflichtwidrigkeitsvorsatzes liegen649. Handelt es sich um eine Fallgestaltung, bei der der Vermögensverfügung eine Gegenleistung gegenübersteht, so muss der Täter neben den entsprechenden Tatsachen, die die Vermögenshingabe und den Erhalt der Gegenleistung ausmachen, die Gegenleistung richtig bewerten. Ein Schädigungsvorsatz wäre dann zu bejahen, wenn er die Gegenleistung, zum Beispiel eine Forderung, bei Anwendung allgemeiner Bewertungsmaßstäbe nicht als gleichwertig ansieht und trotzdem handelt650. 644

BGHSt 20, S. 143, 144. Schünemann, in: LK, § 266 Rn. 137. 646 Klötzer/Schilling, StraFo 2008, S. 305, 306. 647 Schünemann, Organuntreue, S. 66. 648 BGH wistra 1996, S. 261, 262; BGHSt 47, S. 148, 157 (Sparkasse Mannheim); BGH NStZ-RR 2001, S. 328, 330; BGH NStZ 2003, S. 264; OLG Karlsruhe wistra 2004, S. 276, 277 (zu § 263). 649 Siehe schon oben in diesem 2. Kapitel, B. I. 1. 650 Vgl. BGHSt 47, S. 148, 157 (Sparkasse Mannheim). 645

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1. Teil, 2. Kap.: Die objektiven Bezugspunkte des Untreuevorsatzes 2. Vorsatz bei schadensgleicher Vermögensgefährdung

Fragt sich nun, wie die subjektive Tatseite auszusehen hat, wenn objektiv eine Situation vorliegt, in der noch kein endgültiger Vermögensverlust im obigen Sinne eingetreten ist – sei es, dass in diesem Fall von einer „schadensgleichen Vermögensgefährdung“ oder schon von einem Schaden gesprochen wird. Da es nach § 16 für den Vorsatz auf die Umstände bei Begehung der Tat ankommt, muss sich bei einer solchen Situation der direkte oder bedingte Vorsatz entsprechend auf die konkrete Gefährdungslage im Zeitpunkt der Tathandlung beziehen651. Die weitere Entwicklung der Situation und die Frage, ob in der Zukunft ein effektiver Vermögensverlust („Endschaden“) tatsächlich eintritt, spielen dagegen weder in objektiver noch in subjektiver Hinsicht eine Rolle652. Bei einer bereits eingetretenen konkreten Vermögensgefährdung ändert sich daher auch dann an einem festgestellten Schädigungsvorsatz zum Zeitpunkt der Tathandlung nichts, wenn der Täter auf das Ausbleiben des endgültigen Schadens hofft653 oder vertraut654. Ein etwaiger späterer Ausgleich des Schadens ist lediglich eine nachträgliche Wiedergutmachung655. Prägnant formuliert hat das der BGH in einer Entscheidung zur Bankuntreue aus dem Jahre 1979: „Erkennt der Leiter einer Bank die jeweilige gegenwärtige Benachteiligung der Bank als mögliche Folge seines Handelns und nimmt er sie dennoch hin in der Hoffnung, daß die ganze Angelegenheit später einmal doch noch gut ausgehen werde, so handelt er vorsätzlich. Diese Zukunftserwartung steht einem für die jeweilige Gegenwart vorhandenem bedingtem Benachteiligungsvorsatz nicht entgegen, sondern betrifft nur die spätere Nachteilsbeseitigung oder Wiedergutmachung [. . .].“656 651 BGH wistra 1985, S. 190, 191; BGHSt 47, S. 148, 157 (Sparkasse Mannheim); BGHSt 48, S. 331, 347; Laskos, Strafbarkeit, S. 138; Martin, Bankuntreue, S. 157; Nack, NJW 1980, S. 1599, 1602; ders., in: MG, Wirtschaftsstrafrecht, § 50 Rn. 77 sowie § 66 Rn. 139. 652 Vgl. BGH wistra 1985, S. 190, 191; BGH wistra 1988, S. 305, 306; BGHSt 47, S. 148, 157 (Sparkasse Mannheim); OLG Karlsruhe wistra 2004, S. 276, 277; Laskos, Strafbarkeit, S. 138; Nack, in: MG, Wirtschaftsstrafrecht, § 66 Rn. 139; Waßmer, Untreue, S. 158. 653 BGH wistra 1996, S. 261, 262; BGH NStZ 2003, S. 264; Laskos, Strafbarkeit, S. 138. 654 OLG Karlsruhe wistra 1997, S. 109, 110; OLG Karlsruhe wistra 2004, S. 276, 277. Regelmäßig lässt die Rechtsprechung ein bloßes Hoffen nicht ausreichen, siehe nur BGHSt 46, S. 30, 35 (Sparkasse). Den Unterschied zwischen Hoffen und Vertrauen kennzeichnet MünchKommStGB/Schneider, § 212 Rn. 11, zutreffend mit der Tatsachenfundiertheit der Situationseinschätzung. 655 Siehe oben in diesem 2. Kapitel, B. II. 5. 656 BGH NJW 1979, S. 1512; ähnlich BGHSt 47, S. 148, 157 (Sparkasse Mannheim). Zu diesem Urteil auch im 3. Kapitel, A. I. 3., und 4. Kapitel, C. II. 2. b).

B. Nachteilszufügung und diesbezüglicher Vorsatz

125

Tatsächlich lässt sich allerdings anhand der Rechtsprechung belegen, dass diese Vorgabe mitunter nicht konsequent im konkreten Fall umgesetzt wird657. Darüber hinaus verlangt der 2. Strafsenat des BGH in Abkehr von diesen Grundsätzen neuerdings sogar ausdrücklich zum Zwecke der Einschränkung des Untreuetatbestandes, dass sich das „Billigungselement“ des bedingten Vorsatzes auf die Realisierung der Gefahr beziehen müsse658. Hierauf wird im 3. Kapitel unter Abschnitt A. III. 2. zurückzukommen sein. 3. Tatbestandsirrtum

Kennt der Täter nicht alle Tatsachen, aus denen sich der Schaden bzw. die schadensgleiche konkrete Gefährdung ergibt, liegt ein Tatbestandsirrtum vor. Voraussetzung für die Feststellung des Vorsatzes bzw. eines Irrtums ist daher zunächst, dass der Tatrichter das objektive Tatgeschehen umfassend ermittelt; nur dann kann eine Entscheidung über die etwaige Verneinung des Schädigungsvorsatzes verlässlich getroffen werden659. Nimmt der Handelnde an, er sei jederzeit in der Lage, die Vermögensminderung durch vorhandene Eigenmittel wieder auszugleichen, um so einen Schaden zu vermeiden660, während tatsächlich diese Mittel zwischenzeitlich ohne Wissen des Handelnden durch einen Dritten abverfügt worden sind, so irrt der Täter über eine Tatsache und handelt damit nach § 16 nicht vorsätzlich661. Gleiches gilt beispielsweise, wenn der Täter irrtümlich von einer Aufrechnungslage ausgeht662. Hat der Entscheidungsträger einer Bank bei Kreditvergabe keine Kenntnis davon, dass der Kreditnehmer zahlungsunfähig ist und die Sicherheiten nicht werthaltig sind, so handelt er mangels Tatsachenkenntnis nicht vorsätzlich. Problematisch ist die Einordnung eines Irrtums, wenn der Täter alle Tatsachen kennt, jedoch durch eine falsche Bewertung davon ausgeht, es sei kein Schaden bzw. keine schadensgleiche Gefährdung eingetreten. Laskos663 will in einem solchen Fall generell einen Tatbestandsirrtum annehmen, weil schon die objektive Feststellung eines Schadens oft schwierig sei und ein Irrtum hierüber leicht vorkommen könne. Daher sei nach Ansicht Laskos’ auch Schünemann nicht zuzustimmen, der bei einer falschen Bewertung lediglich einen Subsumtionsirrtum annehme. Richtigerweise wird 657 658 659 660 661 662 663

Näheres im 3. Kapitel, A. I. und II. BGHSt 51, S. 100, 121 (CDU Hessen). BGH NStZ 2001, S. 155; Schünemann, in: LK, § 266 Rn. 155. Vgl. 2. Kapitel, B. I. 2. b). Beispiel nach Schünemann, in: LK, § 266 Rn. 154 a. E. Schünemann, in: LK, § 266 Rn. 154. Laskos, Strafbarkeit, S. 139.

126

1. Teil, 2. Kap.: Die objektiven Bezugspunkte des Untreuevorsatzes

man hier zu differenzieren haben. Kennt der Täter Tatsachen nicht, die den Schaden begründen, so liegt ohne Zweifel ein Tatbestandsirrtum vor. Dies gilt auch dann, wenn der Täter beispielsweise das Risiko einer Handlung infolge eines Rechenfehlers falsch kalkuliert, denn dann kennt er einen Umstand nicht664. Soweit der Sachverhalt gewisse rechtliche Wertungen voraussetzt, zum Beispiel inwieweit ein Wert zum Vermögen gehört bzw. inwieweit eine Beeinträchtigung eines Vermögenswertes (schon) als Schädigung bzw. schadensgleiche Gefährdung aufzufassen ist, muss der Täter die rechtliche Wertung zumindest im Wege der Parallelwertung in der Laiensphäre nachvollzogen haben665. Kennt der Täter alle tatsächlichen Umstände und hat er eine etwa erforderliche zutreffende laienhafte Bewertung vorgenommen, die ihm den sozialen Sinn vermittelt, so führt die falsche subjektive Einschätzung, es liege dennoch kein Vermögensschaden vor, allenfalls zu einem Subsumtionsirrtum666. Ein Beispielsfall des Reichsgerichts667 zu § 263 mag dies illustrieren. Hier konnte der Angeklagte mit einer Berufung auf eine subjektive Fehleinschätzung der Sicherheiten nicht durchdringen. Der Angeklagte hatte durch betrugsrelevantes Verhalten ein Darlehen erlangt, das er dem Darlehensgeber letztlich nicht zurückzahlen konnte. Auch aus den bestellten Hypotheken konnte sich der Darlehensgeber nicht befriedigen, weil das Grundstück zwangsversteigert wurde, wobei die Zwangsversteigerung bei Darlehensgewährung bereits angeordnet war. Der Rückzahlungsanspruch war nach Ansicht des Gerichts aufgrund der schlechten Bonität des Angeklagten und der nicht vollwertigen Hypotheken wertlos. Der Angeklagte verteidigte sich damit, er habe die Hypotheken als ausreichende Sicherheit angesehen, die im Rahmen einer Zwangsversteigerung zu einer Befriedigung der Darlehensforderungen führen würden. Das Gericht folgerte daraus jedoch, dass sich der Angeklagte der Minderwertigkeit des Rückzahlungsanspruchs und der Sicherheiten bewusst gewesen war, denn eine vollwertige Sicherheit sei nur dann gegeben, wenn jederzeit bei Fälligkeit ohne weitere Aufwendungen die Beitreibung erfolgen könnte. Der Angeklagte sei sich aber bewusst gewesen, dass die Zwangsversteigerung mit dem Ziel der Befriedigung der Darlehensforderungen Kosten- und Zeitaufwand verursachen würde668, eine 664

Ebenso Schünemann, in: LK, § 266 Rn. 155. Siehe oben, 2. Kapitel, A. II. 3. a). Zu eng erscheint der Ansatz von Martin, Bankuntreue, S. 157, die keinerlei Wertungen im Rahmen des Vorsatzes berücksichtigen will und nur auf reine Faktenkenntnis abstellt. 666 Vgl. BGHSt 47, S. 148, 157 m. w. N.; Schünemann, in: LK, § 266 Rn. 155; siehe dazu auch Schreiber/Beulke, JuS 1977, S. 656, 661. 667 RGSt 74, S. 129 ff. 668 RGSt 74, S. 129, 132. 665

C. Kausalität, Zurechnungszusammenhänge und Vorsatz

127

Gleichwertigkeit also nicht gegeben war. Damit war nach Ansicht des Reichsgerichts der Schädigungsvorsatz zu bejahen.

C. Kausalität, Zurechnungszusammenhänge und Vorsatz I. Kausalität Es kann als selbstverständlich angesehen werden, dass bei der Untreue als Erfolgsdelikt Voraussetzung für die strafrechtliche Verantwortlichkeit auch die Kausalität zwischen Handlung und Erfolg im Sinne der Äquivalenztheorie ist669. Demnach muss objektiv bei beiden Tatbestandsvarianten der Vermögensschaden als Taterfolg durch die Tathandlung, also den Missbrauch oder die Treupflichtverletzung, verursacht sein („dadurch“). Dies ist nicht der Fall, wenn der Schaden ausschließlich auf andere Ursachen zurückzuführen ist670. II. Haftungseinschränkende Korrektur Als heute gesichert dürfte ebenfalls gelten, dass die Anwendung der Äquivalenztheorie, die an sich allein auf das Verhältnis von Ursache und Wirkung abstellt, auch bei Vorsatzdelikten einer haftungseinschränkenden Korrektur bedarf671. Die Einzelheiten sind allerdings umstritten672. Auch speziell für den Bereich der Untreue als Vorsatzdelikt wird vertreten, dass nur bei Erfüllung bestimmter Zurechnungszusammenhänge eine Strafbarkeit begründet werden kann673. Es geht dabei vorrangig um die Frage, ob die vom Treupflichtigen verletzte Pflicht überhaupt den Zweck hatte, den Schutz des Vermögens zu gewährleisten674.

669 Vgl. Martin, Bankuntreue, S. 134; Seier, in: Achenbach/Ransiek, Wirtschaftsstrafrecht, Kapitel V, Abschnitt 2, Rn. 197; BGHSt 46, S. 30, 34 (Sparkasse). Siehe zu Kausalität und Äquivalenztheorie Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 156 ff. 670 Seier, in: Achenbach/Ransiek, Wirtschaftsstrafrecht, Kapitel V, Abschnitt 2, Rn. 197. 671 Kühl, Strafrecht AT, § 4 Rn. 38; Ransiek, Unternehmensstrafrecht, S. 24 ff.; Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 178. 672 Siehe nur Fischer, vor § 13 Rn. 24 ff.; Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder, Vorbem §§ 13 ff. Rn. 84 ff. 673 Laskos, Strafbarkeit, S. 76 ff. („Eingrenzung des Tatbestandes am Merkmal der Schutzrichtung“); Martin, Bankuntreue, S. 134 ff.; Seier, in: Achenbach/Ransiek, Wirtschaftsstrafrecht, Kapitel V, Abschnitt 2, Rn. 198 ff.; vgl. auch Schünemann, Organuntreue, S. 63 f. 674 Martin, Bankuntreue, S. 140.

128

1. Teil, 2. Kap.: Die objektiven Bezugspunkte des Untreuevorsatzes 1. Schutzzweck der Norm

Auf die Frage nach dem Schutzzweck der Verhaltensnorm stellt die sogenannte Lehre von der objektiven Zurechnung ab, die heute wohl von einem überwiegenden Teil des Schrifttums auch bei Vorsatzdelikten vertreten wird, wobei auch hier die Einzelheiten umstritten sind675. Die Rechtsprechung hat die Lehre von der objektiven Zuordnung bislang nicht explizit übernommen676, schränkt aber dafür mitunter die Kausalität normativ ein677 oder nimmt eine Eingrenzung auf der Vorsatzebene vor678. Insbesondere Schünemann679 hat, wie erwähnt680, darauf hingewiesen, dass die Forderung des BGH nach einer „gravierenden“ Pflichtverletzung im Fall Sponsoring SSV Reutlingen681 und im Bankuntreuefall Sparkasse Mannheim682 nichts anderes sei als die Verarbeitung des Problems der objektiven Zurechnung. Herausgebildet aus dem Spektrum der verschiedenen Ansichten hat sich eine Art „Grundformel“683, nach der ein Erfolg dann objektiv zurechenbar ist, wenn der Täter eine rechtlich relevante Gefahr geschaffen hat, die sich im tatbestandsmäßigen Erfolg realisiert hat684. Dies wird nicht nur anhand des Kriteriums des Schutzzweckes der Norm, sondern unter anderem685 auch anhand des nachstehend unter Ziffer 2. behandelten Kriteriums des Pflichtwidrigkeitszusammenhanges erörtert. Verstößt der Treupflichtige gegen Vorgaben oder Vorschriften, die nicht dem Vermögensschutz dienen, so kann der Verstoß allein, auch wenn es zu einem Vermögensschaden kommt, nicht zu einer Strafbarkeit nach § 266 führen (fehlender Schutzzweck der Norm)686. Die Tatbestandsweite des § 266 kann auf diese Weise adäquat begrenzt werden687. Viel bemühtes 675

Siehe nur Lackner/Kühl, vor § 13 Rn. 14 ff.; Lenckner/Eisele, in: Schönke/ Schröder, Vorbem §§ 13 ff. Rn. 91 ff. 676 Siehe allerdings BGHSt 38, S. 32, 34: „Es kann hier dahinstehen, ob das vorliegende Problem der Abweichung vom vorgestellten Kausalverlauf allein unter dem Gesichtspunkt des Vorsatzes von Bedeutung [. . .] oder ob bereits die objektive Zurechnung in Zweifel zu ziehen ist [. . .].“ 677 Vgl. Fischer, vor § 13 Rn. 31 m. w. N. 678 Vgl. BGHSt 7, S. 325, 329; BGHSt 23, S. 133, 135. 679 Schünemann, NStZ 2005, S. 473, 476; ders., NStZ 2006, S. 196, 198. 680 1. Kapitel, A. IV. 2. 681 BGHSt 47, S. 187 ff. 682 BGHSt 47, S. 148 ff. 683 Lackner/Kühl, vor § 13 Rn. 14; Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 179. 684 Vgl. Roxin, Strafrecht AT, § 11 Rn. 47. 685 Siehe zu den weiteren Kriterien Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 179. 686 Vgl. Ransiek, ZStW 116, S. 634, 672. Kritisch Saliger, JA 2007, S. 326, 333 f.

C. Kausalität, Zurechnungszusammenhänge und Vorsatz

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Beispiel ist der Fall des „vertrottelten“ Seniorchefs einer Privatbank, dessen Zustimmung nach den internen Vorgaben bei jeder größeren Kreditbewilligung eingeholt werden muss, wobei dies nur „aus Pietätsgründen“ zu erfolgen habe688. Die Missachtung dieser Vorgabe führt nicht zur Untreuestrafbarkeit, auch wenn ein Vermögensschaden entsteht, weil die Vorgabe nicht zum Schutz des Bankvermögens aufgestellt ist689. Hier wird eine Untreue nur dann in Betracht kommen, wenn (daneben) ein Verstoß gegen das Schädigungsverbot vorliegt, wenn also beispielsweise der vermögensbetreuungspflichtige Entscheidungsträger der Bank einen Kredit an einen Kreditnehmer mit mangelnder Bonität und unzureichenden Sicherheiten ausreicht. Daher können auch rein formelle Verstöße gegen das Kreditwesengesetz allein nicht zu einer Untreuestrafbarkeit führen690. 2. Pflichtwidrigkeitszusammenhang

Am Pflichtwidrigkeitszusammenhang kann es fehlen, wenn der Erfolg nicht durch ein unerlaubtes Verhalten eintritt, sondern nur bei Gelegenheit des unerlaubten Verhaltens691, wenn also, mit anderen Worten, der Erfolg auch bei pflichtgemäßem Verhalten eingetreten wäre692. Beispiel für den fehlenden Pflichtwidrigkeitszusammenhang ist im Bereich der Bankuntreue der Fall, bei dem der vermögensbetreuungspflichtige Kreditsachbearbeiter einen Kredit an einen in Wirklichkeit kreditunwürdigen Kunden ohne vorherige Prüfung der Bonitätsunterlagen bewilligt und valutiert, wenn sich später herausstellt, dass auch bei einer Prüfung der Unterlagen der Kredit valutiert worden wäre, weil die Unterlagen derart perfekt manipuliert waren, dass der Kredit auch bei sorgfältiger Prüfung ausgezahlt worden wäre693.

687 Seier, in: Achenbach/Ransiek, Wirtschaftsstrafrecht, Kapitel V, Abschnitt 2, Rn. 201. 688 Beispiel nach Hillenkamp, NStZ 1981, S. 161, 166. 689 Eine Untersuchung, welche Verstöße gegen bankinterne Regelungen, insbesondere das Kreditwesengesetz, untreuerelevant sein können, haben beispielsweise Laskos, Strafbarkeit, S. 33 ff., und Martin, Bankuntreue, S. 141 ff., vorgenommen. 690 Ebenso Laskos, Strafbarkeit, S. 85 f. 691 Martin, Bankuntreue, S. 136. 692 Ransiek, ZStW 116, S. 634, 652; Seier, in: Achenbach/Ransiek, Wirtschaftsstrafrecht, Kapitel V, Abschnitt 2, Rn. 198; vgl. auch Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 197. 693 Beispiel nach Martin, Bankuntreue, S. 137.

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1. Teil, 2. Kap.: Die objektiven Bezugspunkte des Untreuevorsatzes

III. Vorsatz Der Vorsatz des Täters muss sich sowohl auf die Kausalität694 beziehen als auch auf die Umstände, die die objektive Zurechenbarkeit begründen695. Der Täter muss also erkennen, dass er eine unerlaubte Gefahr geschaffen hat696. Eine bloß falsche Bewertung der Relevanz dieser Gefahrfaktoren ist dagegen nicht beachtlich697. Dabei gilt aber auch hier698, dass der Täter nicht nur die reinen Fakten kennen muss, sondern des Weiteren den normativen Kontext verstanden haben muss699. Zur Illustration möge das folgende (konstruierte) Beispiel aus dem Bereich der Bankuntreuefälle dienen: Der vermögensbetreuungspflichtige Kreditsachbearbeiter K, der Kreditanträge bis 30.000 Euro allein bearbeiten darf, weiß, dass der Neukunde, der einen Kredit beantragt hat, kreditunwürdig ist. Gleichwohl verfasst K einen positiven Kreditbeschluss. Noch vor der Auszahlung wird das Kreditengagement wegen einer internen Zuständigkeitsregelung an eine andere Fachabteilung abgegeben, die vor jeder Auszahlung eine umfassende neue Prüfung und Bewilligung vornehmen muss. Im konkreten Fall verlässt sich aber diese Abteilung auf die Prüfung durch K und valutiert den Kredit. Angenommen, die Abteilung hätte auch ohne die Bewilligung des K den Kredit pflichtwidrig ohne weitere Prüfung ausgezahlt, zum Beispiel aus Zeitersparnisgründen, so dürfte der Erfolg K jedenfalls nicht zurechenbar sein. Vorsatzfragen stellen sich nicht. Abweichend sei jetzt angenommen, dass der Erfolg dem K objektiv zurechenbar war, weil sich nach der internen Zuständigkeitsregelung die neue Abteilung auf eine etwa bereits erfolgte Prüfung einer anderen Abteilung aus prozessökonomischen Gründen verlassen durfte und sich die von K durch die Anfertigung eines unrichtigen Kreditbeschlusses geschaffene, rechtlich relevante Gefahr im tatbestandsmäßigen Erfolg – der Auszahlung des Kredites an einen bonitätsschwachen Kreditnehmer – realisiert hat. Angenommen sei auch, dass der K zugleich auch Schädigungsvorsatz hatte700, 694

Cramer/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, § 15 Rn. 54 m. w. N. Cramer/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, § 15 Rn. 54a m. w. N.; Kühl, Strafrecht AT, § 5 Rn. 16; vgl. auch Martin, Bankuntreue, S. 158 ff. 696 Cramer/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, § 15 Rn. 54a m. w. N. 697 Cramer/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, § 15 Rn. 54a m. w. N. 698 Siehe schon oben in diesem 2. Kapitel, A. II. 3. a). 699 Vgl. Jakobs, in: FS-Dahs, S. 49, 51. 700 Meines Erachtens beachtet Martin, Bankuntreue, S. 158 ff., das Erfordernis des Schädigungsvorsatzes in ihrem Beispielsfall, mit dem sie zeigen will, wann dem Täter der Pflichtwidrigkeitszusammenhang bewusst ist, nicht hinreichend. In dem Beispielsfall bewilligte der Kreditsachbearbeiter J den „vollständig und ordnungsgemäß bearbeiteten Kreditantrag“ (a. a. O., S. 137) anstelle seiner erkrankten, eigent695

C. Kausalität, Zurechnungszusammenhänge und Vorsatz

131

weil er beabsichtigte, bei einer „günstigen Gelegenheit“ seinem Arbeitgeber aus Rachegründen einen Schaden zuzufügen. Kannte K jedoch die interne Zuständigkeitsregelung nicht und nahm an, jede Abteilung müsse vor Valutierung eine vollständige neue Prüfung vornehmen, so dürften ihm Umstände nicht bekannt sein, die die objektive Zurechnung begründen. Er weiß in diesem Fall nicht, dass er eine unerlaubte Gefahr schafft.

3. Kapitel

Tatbegehung mit dolus eventualis Nachdem nun die objektiven Merkmale des Untreuetatbestandes und der diesbezügliche Vorsatz nebst Irrtümern erörtert wurden, ist der Blick auf die Erscheinungsform des für § 266 ausreichenden bedingten Vorsatzes zu wenden. Zunächst ist insoweit zu erörtern, in welchen Konstellationen dolus eventualis bei § 266 in Betracht kommt (A.). Dazu soll anhand einiger exemplarischer Gerichtsentscheidungen aus der Fallgruppe der Bankuntreuefälle analysiert werden, wann in der Rechtsprechung eine Tatbegehung mit bedingtem Vorsatz angenommen wird (I.). Die Erkenntnisse – zusammengefasst unter II. – sollen sodann einer kritischen Würdigung mit eigener Lösung unterzogen (III.) und anschließend noch einmal kurz zusammengefasst werden (IV.). Im Anschluss daran ist der Frage nachzugehen, wie der bedingte Vorsatz von der bewussten Fahrlässigkeit abzugrenzen ist (B.). Diese Abgrenzung des dolus eventualis von der bewussten Fahrlässigkeit stellt einen der Schwerpunkte der Problematik des Untreuevorsatzes dar. Da eine fahrlässige Begehung bei § 266 nicht unter Strafe gestellt ist, entscheidet diese Abgrenzung bei der Untreue über Strafbarkeit und Straflosigkeit. Die notwendig ebenfalls zu behandelnden prozessualen Fragen des Vorsatznachweises sind dem zweiten Teil dieser Schrift vorbehalten.

lich zuständigen Kollegin, die den Kredit letztlich doch nicht bewilligt und ausgezahlt hätte, weil – wohl zwischenzeitlich – in der gesamten Bank bekannt geworden war, dass dem Kreditnehmer die Insolvenz drohte. Dem J war dieser Umstand jedoch nicht bekannt. Verließ er sich auf den „vollständig und ordnungsgemäß bearbeiteten Kreditantrag“ der Kollegin, so wird er vermutlich – jedenfalls bei zeitnaher Umsetzung des Beschlusses der Kollegin – noch nicht einmal für möglich gehalten haben, dass die Bank geschädigt wird.

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1. Teil, 3. Kap.: Tatbegehung mit dolus eventualis

A. Analyse der Rechtsprechung anhand der Kreditvergabeentscheidungen I. Gerichtliche Entscheidungen 1. Urteil des Reichsgerichts vom 22. Februar 1927 – RGSt 61, S. 211 ff.

Die beiden Angeklagten, Vorstandsvorsitzender und Direktor einer Sparkasse, gewährten dem Besitzer einer Fleischwarenfabrik, der bereits Kredite von insgesamt 500.000 RM erhalten hatte, noch nachdem dieser in Zahlungsschwierigkeiten geraten war, Sanierungskredite über weitere 300.000 RM. Die Sparkasse fiel später mit dem Kreditrückzahlungsanspruch insgesamt aus. Das Reichsgericht bestätigte die Verurteilung wegen Untreue. Die Strafkammer habe ohne Rechtsirrtum annehmen können, „[. . .] daß das Vermögen der Sparkasse, als ganzes betrachtet, gegenüber dem Stande vor der Hingabe des Geldes durch die Verfügung der Angeklagten eine erhebliche Verschlechterung erlitten hat, und daß diese Vermögensbeschädigung bereits im Zeitpunkt der Hingabe des Geldes eingetreten war. Dies wird nicht dadurch in Frage gestellt, daß die [. . .] 300 000 RM zur Rettung der an sich verlorenen 500 000 RM für die Kreissparkasse L. hingegeben wurden.“701

Nach Ansicht des Reichsgerichts war die Aussicht, die Sanierungskredite zurückzuerhalten und mit diesen auch die Erstkredite zu retten, eine „völlig ungewisse“, weil der Betrieb der „völlig unsicheren“ Fabrik „mit großem Risiko verbunden“ gewesen sei; ein kompensierender Vermögenswert habe dadurch nicht begründet werden können. Zur inneren Tatseite stellt das Reichsgericht fest: „Die weitere Annahme der Strafkammer, daß die Angeklagten sich des Eintritts einer Beschädigung des Vermögens der Kreissparkasse als Folge ihrer Verfügung [. . .] bewußt gewesen sind, diese gewollt und gebilligt haben, liegt in wesentlichem auf tatsächlichem Gebiete. Sie ist auch nicht durch Rechtsirrtum beeinflußt. [. . .] Nach den Feststellungen [. . .] war die Lage der Firma [. . .] eine verzweifelte geworden, und dies war auch beiden Angeklagten in vollem Umfange bekannt. [. . .] Hiernach geht die tatsächliche Überzeugung der Strafkammer unverkennbar dahin, daß die Angeklagten nicht mit der Wahrscheinlichkeit einer Rettung [. . .] gerechnet haben. Vielmehr handelten sie mit dem Bewußtsein, daß der Verlust eintreten könne; sie wollten ihn für den Fall seines Eintritts mit in den Kauf nehmen, billigten also diesen Erfolg.“702

Nach den Feststellungen haben die Angeklagten also im Zeitpunkt der Tathandlung, das heißt bei Gewährung des Sanierungskredites, die schlechte 701 702

RGSt 61, S. 211 f. RGSt 61, S. 211, 212 ff.

A. Analyse der Rechtsprechung anhand der Kreditvergabeentscheidungen 133

wirtschaftliche Situation des Kreditnehmers gekannt. Gleichwohl nimmt das Gericht offenbar lediglich bedingten Vorsatz an, denn es ist die Rede von einem „Billigen“ des Schadens703. Merkwürdig daran ist, dass bei positiver Kenntnis der schlechten Bonität des Kreditnehmers eigentlich direkter Vorsatz nahegelegen hätte. Offen bleibt auch, weshalb das Reichsgericht die Bewusstseinslage der Angeklagten bezüglich des (endgültigen) Verlustes mit einbezieht; maßgeblich müsste an sich allein die Vermögenswertminderung im Zeitpunkt der Tathandlung sein704. 2. Urteil des BayObLG vom 20. Juli 1965 – JR 1966, S. 28 f.

Der angeklagte Sparkassenleiter hatte sich eigenmächtig Kredite zur Finanzierung von Aktienspekulationen bewilligt. Das BayObLG kommt – entgegen der Ansicht des Landgerichts – zu dem Ergebnis, dass die Sparkasse zwischenzeitlich nicht ausreichend gesichert gewesen sei und damit eine Vermögensgefährdung vorgelegen habe. Aufgrund des Risikos eines Kurssturzes hätten die als Sicherheit verwendeten Aktien nämlich nur bis zur Beleihungsgrenze von 60 % als Sicherheit angesetzt werden können. Auch zusammen mit den sonstigen flüssigen Mitteln habe insoweit im konkreten Fall keine hinreichende Kompensation vorgelegen. Das Landgericht habe zu Unrecht darauf abgestellt, dass der Kurssturz tatsächlich nicht eingetreten war. Zur subjektiven Tatseite heißt es: „Wenn das LG ausführt, daß es ‚hinsichtlich des Vorliegens des subjektiven Tatbestandes bei dem Angekl. keine Zweifel‘ habe und deshalb davon ausgehe, daß dieser eine – allerdings nicht strafbare – versuchte Untreue begangen habe, so kann dies nur dahin verstanden werden, daß der Angekl. nach der Überzeugung der Strafkammer selbst mit der Möglichkeit einer Schädigung der Sparkasse rechnete und eine solche Möglichkeit mindestens bewußt in Kauf nahm.“705

Wenn auch die Ausführungen des BayObLG insbesondere in subjektiver Hinsicht wenig detailliert sind, so kann man hier zumindest die Annahme bloß bedingten Vorsatzes nicht beanstanden. Anders als im vorstehenden Urteil des Reichsgerichts war der Angeklagte nach den Ausführungen offenbar nicht sicher, ob eine Vermögensgefährdung aufgrund des mangeln703

Zu beachten ist, dass es hier nicht um eine absichtliche Schadenszufügung im Sinne des dolus directus ersten Grades geht, obwohl es am Ende des Urteils heißt: „Dies trägt aber die Annahme eines absichtlichen Verfügens über eine Forderung zum Nachteile der Sparkasse im Sinne des § 266 Abs. 1 Nr. 2 StGB“ (RGSt 61, S. 211, 214). Das Reichsgericht ließ nämlich in subjektiver Hinsicht Vorsatz genügen, siehe RGSt 1, S. 172, 174 und 1. Kapitel, B. 704 Siehe oben, 2. Kapitel, B. II. 705 BayObLG JR 1966, S. 28 f.

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1. Teil, 3. Kap.: Tatbegehung mit dolus eventualis

den Sicherheitenwertes tatsächlich eingetreten war, sondern hielt dies – zumindest nach den Feststellungen des Landgerichts – nur für möglich. Folgerichtig hat das BayObLG angesichts dieses bloßen Möglichkeitswissens bezüglich des Schadens auf bedingten Vorsatz abgestellt und neben dem Möglichkeitswissen auch das nach der Rechtsprechung im Rahmen des dolus eventualis erforderliche voluntative Element („Inkaufnahme“) bezüglich der möglichen Schädigung angesprochen. 3. Urteil des BGH vom 6. Februar 1979 – NJW 1979, S. 1512

Der BGH führt in diesem Urteil zum Vorsatz des Bankleiters, der nicht oder nicht ausreichend gesicherte Kredite gewährt hatte, Folgendes aus: „Die Annahme der StrK, für die Zeit vor dem 22.3.1972 sei die vorsätzliche Verwirklichung des Untreuetatbestandes durch den Angekl. nicht verwiesen, wird durch die Ausführungen des angefochtenen Urteils nicht getragen. [. . .] Erkennt der Leiter einer Bank die jeweilige gegenwärtige Benachteiligung der Bank als mögliche Folge seines Handelns und nimmt er sie dennoch hin in der Hoffnung, daß die ganze Angelegenheit später einmal doch noch gut ausgehen werde, so handelt er vorsätzlich. Diese Zukunftserwartung steht einem für die jeweilige Gegenwart vorhandenem bedingtem Benachteiligungsvorsatz nicht entgegen, sondern betrifft nur die spätere Nachteilsbeseitigung oder Wiedergutmachung.“

Wie erwähnt706, hat der BGH mit diesem Urteil verdeutlicht, dass es bei der Feststellung des Schadens bzw. der schadensgleichen Vermögensgefährdung und des diesbezüglichen Vorsatzes auf den Zeitpunkt der Tathandlung ankommt und nicht auf den Eintritt oder Nichteintritt des endgültigen Schadens. Da der angeklagte Bankleiter im konkreten Fall offenbar die gegenwärtige Benachteiligung nur für möglich hielt, sich also diesbezüglich nicht sicher war, problematisierte der BGH folgerichtig lediglich bedingten Vorsatz707, dessen Elemente hier auf der kognitiven Seite das Möglichkeitswissen und auf der voluntativen Seite die Hinnahme der möglichen Benachteiligung sein sollten. Keine Anwendung fand dabei die sonst von der Rechtsprechung verwendete Formulierung der „Billigung“ des Erfolges. Otto sah hierin zunächst einen Bruch mit einer ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung und begrüßte den Verzicht auf das „Billigungselement“ als Gewinn an Rechtssicherheit708. Die Reduzierung auf das Bewusstsein der konkreten Gefährdung sei, so Otto, eine sinnvolle und logisch zwingende Notwendigkeit709. 706

2. Kapitel, B. III. 2. Achenbach, NStZ 2001, S. 525, 527, Fußnote 3, interpretiert den BGH allerdings dahingehend, dass dieser direkten Vorsatz annehmen wollte. Gegen diese Interpretation spricht jedoch der letzte Satz des Zitats. 708 Otto, NJW 1979, S. 2414, 2415. 707

A. Analyse der Rechtsprechung anhand der Kreditvergabeentscheidungen 135

Die weitere Rechtsprechung zeigte jedoch, dass es sich nicht um eine Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung handelte; das Billigungskriterium wurde, wie sich auch in der weiteren Analyse zeigen wird, in der Rechtsprechung weiterhin angewendet. Otto rückte offenbar später von seinem Standpunkt, es handele sich um einen Bruch in der Rechtsprechung, ab und zog das Urteil heran, um zu verdeutlichen, dass bloß abstrakte Gefahren im Gegensatz zu konkreten Gefahren für eine Bejahung des Schadenseintritts nicht ausreichen und ebenso wenig auf der subjektiven Tatseite bloß abstrakte Hoffnungen geeignet sind, im Falle einer erkannten konkreten Gefahr den Vorsatz zu berühren710. Nicht ganz deutlich wird bei Otto allerdings, ob er im Falle von Bewusstsein des Täters hinsichtlich der konkreten Gefahr des Kreditausfalls bedingten oder direkten Vorsatz annehmen will. So heißt es einerseits: „Bedingt vorsätzlich handelt der Täter jedoch bereits, wenn er die konkrete Gefahr der Rechtsgutverletzung erkennt und sich trotz des Bewußtseins dieser Gefahr nicht von seinem Vorhalten abhalten läßt.“711

Andererseits: „Vorsätzlich im Sinne des Untreuetatbestandes handelt demnach bereits der Täter, der die konkrete Gefahr der Rechtsgutverletzung erkennt [. . .]“712.

An sich müsste bei erkannter konkreter Gefährdung des Kreditrückzahlungsanspruchs, also einer Vermögenswertminderung, schon direkter Vorsatz gegeben sein. 4. Urteil des Landgerichts Bochum vom 18. Mai 1981 – ZIP 1981, S. 1084 ff.

Das Landgericht Bochum hatte einen Fall zu entscheiden, in dem der Angeklagte als Vorstandsvorsitzender einer Sparkasse einem Firmenkunden, der bereits Kredite zur Finanzierung seines Unternehmens erhalten hatte und beständig weiteren Liquiditätsbedarf verzeichnete, auch noch dann weitere Kredite gewährte, als keine Sicherheiten mehr zur Verfügung standen und die Umstände an der Kreditunwürdigkeit des Kreditnehmers kaum mehr Zweifel lassen konnten. So wurden dem Angeklagten nach den Feststellungen Scheck- und Wechselreitereien des Kreditnehmers bekannt, er wusste um die „fehlende Organisation im kaufmännischen Bereich“, die „völlig unzulängliche Buchführung“, die Unzuverlässigkeit des Kunden, „der sich an nahezu keine Absprache hielt“, und den stetig wachsenden Li709 710 711 712

Otto, NJW 1979, S. 2414, 2415. Vgl. Otto, Bankentätigkeit, S. 74 f. Otto, Bankentätigkeit, S. 74; ganz ähnlich ders., JR 2000, S. 517, 518. Otto, Bankentätigkeit, S. 75.

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1. Teil, 3. Kap.: Tatbegehung mit dolus eventualis

quiditätsbedarf. Schließlich war ihm auch bekannt, dass fremde Geldgeber ihre Mittel dem Unternehmen wieder entziehen würden. Trotz Kenntnis dieser Situation kündigte der Angeklagte das Kreditengagement nicht, sondern nahm sogar Kreditausweitungen vor, obwohl selbst der Regierungspräsident die Rückführung der Kredite verlangt hatte. Der Gesamtschaden belief sich für die Sparkasse am Ende auf 4,4 Millionen DM. Das Landgericht bejahte den Tatbestand der Untreue, weil sich der Angeklagte die wirtschaftlichen Verhältnisse des Kreditnehmers entgegen § 18 KWG nicht hatte offenlegen lassen und er über diese mangelnde Prüfung hinaus sogar „konkrete Anhaltspunkte“ für die Kreditunwürdigkeit des Kunden hatte, die weitere Kreditausreichungen aus bankwirtschaftlicher Sicht als unvertretbar erscheinen ließen713. Den Vermögensnachteil sah das Gericht zunächst in der „konkreten Gefährdung des Sparkassenvermögens“, die „mit dem Konkurs der Firma in einen endgültigen Schaden umgeschlagen sind“714. Zur subjektiven Tatseite führt das Landgericht aus: „Die subjektiven Voraussetzungen des Untreuetatbestandes sind ebenfalls erfüllt. Denn der Angeklagte hat alle Umstände, die hier den objektiven Tatbestand ausfüllen, gekannt. Seine vage Hoffnung, es könne in ferner Zukunft die Sanierung der Firma H. gelingen und der Sparkasse werde dann letztlich kein Schaden entstehen, schließt nur den direkten Benachteiligungsvorsatz aus, läßt hingegen unberührt, daß er die durch die pflichtwidrigen Kreditauskehrungen eingetretene Gefährdung des Vermögens der Stadtsparkasse und auch den späteren endgültigen Schadenseintritt billigend in Kauf genommen hat. Der Angeklagte hat deshalb mit bedingtem Vorsatz gehandelt.“715

Diese Ausführungen zum Vorsatz erscheinen erörterungsbedürftig. Zunächst geht das Landgericht davon aus, dass der Angeklagte „alle Umstände, die hier den objektiven Tatbestand ausfüllen, gekannt“ hat. In der Tat legen die Feststellungen zum Sachverhalt nahe, dass der Angeklagte die mangelnde Bonität des Kreditnehmers und die fehlende Absicherung des Kreditrückzahlungsanspruches kannte – und auf die Kenntnis dieser Fakten im Tatzeitpunkt kommt es für die Untreuestrafbarkeit entscheidend an. Kannte der Angeklagte die mangelnde Bonität und fehlende Absicherung, so hatte er zugleich Kenntnis, dass der Kreditrückzahlungsanspruch minderwertig ist, mit anderen Worten: Ihm war die Benachteiligung bzw. die schadensgleiche Vermögensgefährdung im Tatzeitpunkt, also bei Kreditausreichung, bekannt. Hier hätte demnach nahegelegen, direkten Vorsatz zu problematisieren. Die weitere Entwicklung des Engagements hätte insoweit – insbesondere im 713 714 715

LG Bochum ZIP 1981, S. 1084, 1085. LG Bochum ZIP 1981, S. 1084, 1086. LG Bochum ZIP 1981, S. 1084, 1087.

A. Analyse der Rechtsprechung anhand der Kreditvergabeentscheidungen 137

Hinblick auf die Erkenntnisse aus dem vorstehend erörterten Urteil des BGH vom 6. Februar 1979 – unberücksichtigt bleiben müssen. Nicht verständlich wird, weshalb die weitere Entwicklung des Kreditengagements, genauer: die Hoffnung auf eine Sanierung, den (direkten) Vorsatz im Zeitpunkt der Tat beeinflussen soll. Hat der Täter im Tatzeitpunkt die Schädigung bzw. die schadensgleiche Vermögensgefährdung erkannt bzw. für möglich gehalten und „gebilligt“, so ist der (direkte oder bedingte) Vorsatz zu bejahen; weitere Überlegungen müssten sich eigentlich erübrigen. 5. Urteil des BGH vom 21. März 1985 – wistra 1985, S. 190 f.

Die beiden Angeklagten, Mitglieder des Vorstandes einer Raiffeisenbank (R), gewährten – unter Verstoß gegen ihre Kompetenzen, die Vorschriften des Kreditwesengesetzes über die Anzeige von Großkrediten und die Pflicht zur banküblichen Bonitätsprüfung – mehrere Avalkredite. Den Avalkrediten standen keine ausreichenden Sicherheiten gegenüber, weshalb der BGH eine konkrete Vermögensgefährdung bejahte. Zur subjektiven Tatseite heißt es: „Haben aber die Angeklagten die jeweilige Benachteiligung der R als Folge ihres Handelns erkannt und sie dennoch in der Hoffnung hingenommen, die ganze Angelegenheit werde später einmal doch noch ‚gutgehen‘, so haben sie mit bedingtem Vorsatz gehandelt. Ihre vagen Zukunftserwartungen stehen einem Benachteiligungsvorsatz nicht entgegen.“716

Auch hier will nicht recht einleuchten, weshalb bei einer „erkannten“ – und nicht nur für möglich gehaltenen – Benachteiligung des Vermögensinhabers bloß bedingter und nicht direkter Vorsatz angenommen wird. Bei näherem Hinsehen zeigt sich, dass der BGH bei seiner Bezugnahme auf das Urteil vom 6. Februar 1979 nicht beachtet hat, dass es in dem Fall aus dem Jahre 1979 offenbar tatsächlich um bedingten Vorsatz ging, denn es hieß dort: „Erkennt der Leiter einer Bank die jeweilige gegenwärtige Benachteiligung der Bank als mögliche Folge seines Handelns [. . .]“717.

Der Angeklagte war sich also offenbar in diesem Fall bezüglich der Benachteiligung nicht sicher, sondern hielt diese nur für möglich. In dem hier besprochenen Urteil heißt es: „Haben aber die Angeklagten die jeweilige Benachteiligung der R als Folge ihres Handelns erkannt [. . .]“718. 716 717 718

BGH wistra 1985, S. 190, 191. BGH NJW 1979, S. 1512 (Hervorhebung durch die Verfasserin). Hervorhebung durch die Verfasserin.

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1. Teil, 3. Kap.: Tatbegehung mit dolus eventualis

Es geht also gerade nicht um eine nur für möglich gehaltene Benachteiligung, weshalb – soweit die Feststellungen in tatsächlicher Hinsicht richtig waren – direkter Vorsatz nahegelegen hätte. 6. Urteil des BGH vom 6. April 2000 – BGHSt 46, S. 30 ff. (Sparkasse)

Das Landgericht hatte die Angeklagten, Vorstände einer Sparkasse, wegen Untreue schuldig gesprochen. Der BGH hob das Urteil jedoch auf und verwies den Fall zur erneuten Entscheidung an das Landgericht zurück, weil nicht feststand, ob die Angeklagten tatsächlich eine untreuerelevante Pflichtverletzung begangen hatten. Eine Verletzung der in § 18 Satz 1 KWG gesetzlich fixierten Informationspflicht, so der BGH, trage für sich die Annahme einer Pflichtverletzung im Sinne des § 266 nicht719. Entscheidend sei, ob die Entscheidungsträger ihrer Prüfungs- und Informationspflicht bezüglich der Vermögensverhältnisse des Kunden insgesamt ausreichend nachgekommen sind. Im konkreten Fall hätte das bloße Fehlen der Jahresabschlüsse des Kreditnehmers für eine Pflichtverletzung nicht ausgereicht, wenn den Entscheidungsträgern gleichwertige Informationen über die Bonität vorgelegen hätten, wofür auch Anhaltspunkte bestanden. In seinen Hinweisen für die neue Verhandlung führt der BGH zur subjektiven Tatseite Folgendes aus: „Dabei ist zu beachten, daß der Entscheidungsträger eine über das allgemeine Risiko bei Kreditgeschäften hinausgehende Gefährdung des Rückzahlungsanspruches der Bank erkannt und gebilligt haben muß.“720

Bezugspunkt des Schädigungsvorsatzes ist hier im Ausgangspunkt des Urteils eine schadensgleiche Vermögensgefährdung721. Demnach handelt derjenige Täter mit Vorsatz, der bei Begehung der Tat alle Umstände kennt, die die konkrete Gefährdungslage begründen. Bei einer Kredituntreue muss der Täter also im Zeitpunkt der Tathandlung wissen, dass der Kreditrückzahlungsanspruch minderwertig ist, also Bonität und Sicherheiten unzureichend sind. Weiß der Täter dies positiv, so handelt er mit direktem Vorsatz. Ausführungen zu einem voluntativen Element erübrigen sich. Weiß der Täter dies nicht sicher, hält er die Gefährdung aber für möglich, so kommt dolus eventualis in Betracht, der neben dem Möglichkeitswissen nach der Rechtsprechung und einem großen Teil der Lehre ein sogenanntes Willenselement erfordert; Näheres dazu nachstehend im Abschnitt B. II. Insoweit hätte der BGH hier an sich entweder bei „erkannter“ konkreter Gefährdung 719 720 721

BGHSt 46, S. 30, 32. BGHSt 46, S. 30, 34. Vgl. BGHSt 46, S. 30, 34.

A. Analyse der Rechtsprechung anhand der Kreditvergabeentscheidungen 139

auf direkten Vorsatz abstellen722 oder aber genauer prüfen müssen, ob tatsächlich Kenntnis im Sinne positiven Wissens und nicht vielmehr nur bloßes Möglichkeitswissen vorlag. 7. Urteil des BGH vom 13. Februar 2001 – wistra 2001, S. 218 ff.

Das Vorstandsmitglied M einer Sparkasse verabredete mit einem Firmenkunden, eine Scheckreiterei auf den Firmenkonten zur Verdeckung von bereits – kompetenzwidrig – zugelassenen Überziehungen und zur Ermöglichung weiterer ungesicherter Kreditgewährungen vorzunehmen. Das zweite Vorstandsmitglied F genehmigte die Überziehungen. Der BGH bestätigte die vorinstanzliche Verurteilung der beiden angeklagten Vorstände M und F wegen Untreue. Er nahm insbesondere an, dass F anhand der ihm vorgelegten und von ihm genehmigten Überziehungslisten präzise die Höhe des Kreditengagements gekannt und auch erkannt habe, dass die Überweisungen ein Vielfaches der Umsatzzahlen der Firmen des Kreditnehmers betrugen (auch wenn er den Geldfluss nicht einer Scheckreiterei zugeordnet hatte). Er habe die Kontostandsmanipulationen abgezeichnet und die Sonderfinanzierungen vor dem Verwaltungsrat verheimlicht. Deshalb habe er die erkannte Gefährdung der in keiner Weise abgesicherten Millionenkredite bewusst und billigend in Kauf genommen.723 Auch hier wird nicht recht deutlich, weshalb lediglich bedingter Vorsatz angenommen wird, obgleich der Angeklagte die fehlende finanzielle Ausstattung und Leistungsfähigkeit der Firmen und die fehlende Absicherung der einzelnen Kredite nach den Feststellungen erkannt hat. 8. Urteil des BGH vom 15. November 2001 – BGHSt 47, S. 148 ff. (Sparkasse Mannheim)

Das Landgericht Mannheim hatte die Bankleiter der Sparkasse Mannheim zunächst vom Vorwurf der Untreue durch Vergabe von Krediten freigesprochen. Die hiergegen zu Ungunsten der Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft hatte jedoch teilweise Erfolg. Nach Ansicht des BGH waren die Angeklagten ihrer Prüfungs- und Informationspflicht bezüglich der Vermögensverhältnisse des Kreditnehmers bei Kreditvergabe nicht ausreichend nachgekommen. Weder hätten sie ausreichenden Einblick in die wirtschaftlichen Verhältnisse des Kreditnehmers genommen, obwohl die fehlende Transparenz der privaten Vermögensver722 723

Ebenso Keller/Sauer, wistra 2002, S. 365, 368, insbesondere Fußnote 38. BGH wistra 201, S. 218, 219.

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hältnisse aus der Beschlussvorlage ersichtlich war, noch hätten sie das Beleihungsobjekt besichtigt und den Sicherheitenwertansatz selbstständig überprüft724. Bezüglich der Nachteilszufügung in der Form einer schadensgleichen Vermögensgefährdung problematisiert der BGH bedingten Vorsatz: „Allein auf die Vermögensgefährdung muß sich das Wissenselement beziehen [. . .]. Das Wissenselement des Schädigungsvorsatzes fällt folglich nicht deshalb weg, weil der Bankleiter beabsichtigt, hofft oder glaubt, den endgültigen Schaden abwenden zu können. Erforderlich ist vielmehr nur, daß der Bankleiter im Zeitpunkt der Kreditgewährung die Minderwertigkeit des Rückzahlungsanpruchs im Vergleich zu der ausgereichten Darlehensvaluta gekannt hat. Dazu genügt freilich bereits seine Kenntnis der die Vermögensgefährdung begründenden Umstände. [. . .] Dementsprechend muß sich auch das Billigungselement des bedingten Vorsatzes nur auf die schadensgleiche Vermögensgefährdung beziehen.“725

Wie schon im Kreditvergabeurteil vom 6. April 2000 erscheint es widersprüchlich, bei „erkannter“ Minderwertigkeit eines Kreditrückzahlungsanspruches nur bedingten Vorsatz zu problematisieren. Erst fast am Ende der Ausführungen heißt es in dem Urteil immerhin: „Bei positiver Kenntnis von der persönlichen Unzuverlässigkeit des Kreditnehmers kann sogar direkter Vorsatz vorliegen.“726

Weshalb der BGH dann nicht sogleich direkten Vorsatz prüft – denn: „Allen Angeklagten waren die Umstände bekannt, welche die höchste Gefährdung des Rückzahlungsanspruches begründeten.“727

– oder zumindest deutlich macht, weshalb nur bedingter Vorsatz in Betracht kommt, bleibt unklar728. Keller/Sauer mutmaßen, dass sich der BGH seines Ausgangspunktes, dass der Erfolg schon in der Gefährdung des Vermögens liege, nicht sicher sei729. Auch bei anderen Delikten, so zum Beispiel bei § 263, wird mitunter nicht deutlich, weshalb der BGH (nur) bedingten Vorsatz problematisiert. Beispielhaft heißt es in einer Entscheidung vom 26. August 2003: „[. . .] Zwar hat das Landgericht rechtsfehlerfrei angenommen, daß ein Vermögensschaden in Form einer schadensgleichen Vermögensgefährdung bereits dann eingetreten ist, wenn im Zeitpunkt der Vermögensverfügung dem Leistenden ein Rückzahlungsanspruch erwächst, der infolge der Unsicherheit seiner Realisierung 724 725 726 727 728 729

BGHSt 47, S. 148, 153. BGHSt 47, S. 148, 156 f. BGHSt 47, S. 148, 157. BGHSt 47, S. 148, 157. Ähnlich auch Kühne, StV 2002, S. 198, 199. Keller/Sauer, wistra 2002, S. 365, 368.

A. Analyse der Rechtsprechung anhand der Kreditvergabeentscheidungen 141 wirtschaftlich nicht gleichwertig ist. [. . .] Bei der hier allein in Betracht zu ziehenden Form des bedingten Vorsatzes [. . .].“730

II. Ergebnis der Rechtsprechungsauswertung Die Auswertung der Entscheidungen zur Untreue bei Kreditvergabe hat kein einheitliches Bild ergeben, das den eingangs erarbeiteten Prämissen zum Vorsatz entsprechen würde. Die ausgewählten Entscheidungen haben aber zumindest eine Tendenz erkennen lassen: Es wird durchweg bedingter Vorsatz problematisiert, obwohl im Hinblick auf die tatsächlichen Feststellungen mitunter durchaus Überlegungen in Richtung eines direkten Vorsatzes hätten angestellt werden können. So heißt es im Urteil des BGH vom 15. November 2001 ganz nebenbei, aber an sich richtig, dass bei positiver Kenntnis der persönlichen Unzuverlässigkeit des Kreditnehmers sogar direkter Vorsatz naheliegen könne731. Mit anderen Worten: Hat der Täter positive Kenntnis der Minderwertigkeit des Kreditrückzahlungsanspruches und damit der schadensgleichen Vermögensgefährdung, so handelt er vorsätzlich. Gleichwohl nehmen die Gerichte meist nur dolus eventualis an. Nur in zwei der ausgewählten Fälle erscheint die Problematisierung bedingten Vorsatzes widerspruchsfrei, nämlich in den Entscheidungen des BayObLG vom 20. Juli 1965 sowie des BGH vom 6. Februar 1979. Offenbar hielten die jeweiligen Angeklagten die schadensgleiche Vermögensgefährdung nur für möglich; dann aber kann in der Tat lediglich dolus eventualis in Betracht kommen. Die Prämisse der Rechtsprechung, bei einem Nachteil in Gestalt einer schadensgleichen Vermögensgefährdung müsse sich der Vorsatz „nur“ auf die konkrete Gefährdungslage im Zeitpunkt der Tathandlung beziehen732, erscheint daher mitunter als bloßes Lippenbekenntnis. Offenbar spielt doch der „Endschaden“ – entgegen § 16 – schon im Tatzeitpunkt eine Rolle733. Diese Entwicklung spitzt sich auf das explizite Verlangen des BGH in jüngerer Zeit zu, das „Billigungselement“ des bedingten Vorsatzes müsse sich auf die Gefahrrealisierung beziehen; dazu nachstehend unter Ziffer III. 2. Um trotz der mitunter nicht ganz widerspruchsfreien Rechtsprechung eine dogmatisch richtige Anwendung des bedingten Vorsatzes bei § 266 und insbesondere bei den Bankuntreuefällen zu ermöglichen, bedarf es der nachfolgenden systematischen Auseinandersetzung mit den Kreditvergabefällen und dem Vorsatz. 730 731 732 733

BGHSt 48, S. 331, 346. Ebenso BGH ZIP 2009, S. 1854, 1856 (Boxclever). Siehe dazu die Nachweise im 2. Kapitel, B. III. 2. Vgl. Feigen, in: FS-Rudolphi, S. 445, 461 f.

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1. Teil, 3. Kap.: Tatbegehung mit dolus eventualis

III. Systematische Analyse der Kreditvergabeentscheidungen Im Folgenden soll am Beispiel der Kreditvergabefälle systematisch dargestellt werden, wann direkter Vorsatz und wann nur dolus eventualis in Betracht kommen kann. Dabei ist auch auf Aspekte des objektiven Tatbestandes einzugehen, der zwar nicht in aller Ausführlichkeit erörtert, aber als Bezugspunkt des Vorsatzes auch hier nicht gänzlich unberücksichtigt bleiben kann. 1. Objektiver Tatbestand

Ist eine Vermögensbetreuungspflicht des handelnden Organs oder sonstigen Mitarbeiters des Kreditinstitutes festgestellt, so ist zu prüfen, ob die maßgebliche Tathandlung734 pflichtwidrig im Sinne der Missbrauchs- oder der Treubruchalternative735 war und zu einem Schaden (gegebenenfalls in Gestalt der schadensgleichen Vermögensgefährdung) geführt hat. Bei der Frage, ob der Handelnde sich noch in den Grenzen des Erlaubten bewegt oder schon pflichtwidrig handelt, stellte die ältere Rechtsprechung maßgeblich auf einen Verstoß gegen Vorschriften des KWG, namentlich § 18 KWG736 ab737. In der neueren Entscheidung vom 6. April 2000 stellt der BGH demgegenüber allgemeiner auf die ausreichende Erfüllung von „Prüfungs- und Informationspflichten“ vor der Kreditvergabe und die sorgfältige Abwägung der mit der Kreditvergabe verbundenen Chancen und Risiken auf der Grundlage dieser umfassenden Informationen ab738. Wenn 734 Bei Kreditverhältnissen kann auf zeitlich verschiedene Bearbeitungsstadien abgestellt werden (scil. interne Kreditbewilligung, Kreditzusage gegenüber dem Kreditnehmer, Valutierung, Überwachung des laufenden Engagements), denen Untreuerelevanz zukommen kann (vgl. Martin, Bankuntreue, S. 48 ff.). 735 Siehe zum Verhältnis von Missbrauchs- und Treubruchalternative in den Bankuntreuefällen bei Laskos, Strafbarkeit, S. 29 ff., Martin, Bankuntreue, S. 47 ff. 736 § 18 KWG ist Ausfluss des bankkaufmännischen Grundsatzes, Kredite nur nach umfassender und sorgfältiger Prüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse zu gewähren, vgl. Fischer, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, § 130 Rn. 48. Allerdings handelt es sich bei dieser Vorschrift lediglich um eine formale Vorschrift (Laskos, Strafbarkeit, S. 75). Ein Verstoß gegen diese Vorschrift bedeutet, wie bereits kurz erwähnt (Fußnoten 162, S. 43 und 204, S. 48) und wie sogleich noch zu zeigen sein wird, nicht ohne weiteres eine materielle, untreuerelevante Pflichtwidrigkeit (ebenso Laskos, Strafbarkeit, S. 75; Nack, in: MG, Wirtschaftsstrafrecht, § 66, Rn. 84 ff.). 737 BGH wistra 1985, S. 190 f. Zustimmend Nack, in: MG, Wirtschaftsstrafrecht, 3. Auflage, § 66 Rn. 84. 738 BGHSt 46, S. 30, 34 (Sparkasse). Die Abkehr von der früheren, auf § 18 KWG fußenden Pflichtwidrigkeitsbegründung durch diese Entscheidung wurde im Schrifttum begrüßt (siehe z. B. Dierlamm/Links, NStZ 2000, S. 656; Otto, JR 2000, S. 517).

A. Analyse der Rechtsprechung anhand der Kreditvergabeentscheidungen 143

diese Abwägung sorgfältig vorgenommen werde, führe auch ein etwaiges späteres Notleiden des Kreditengagements nicht zur Annahme einer (untreuerelevanten) Pflichtverletzung739. Anhaltspunkte für eine nicht ausreichende Risikoprüfung können sich nach Ansicht des BGH insbesondere aus einer Vernachlässigung von Informationspflichten, aus Kompetenzverstößen, aus Falschangaben gegenüber Mitverantwortlichen oder Aufsichtsberechtigten im Zusammenhang mit der Kreditgewährung, aus der Nichteinhaltung von Zweckvorgaben, aus der Überschreitung von Höchstkreditgrenzen und aus einem eigennützigen Handeln ergeben740. In seinem Urteil vom 15. November 2001 hat der BGH wiederum die Verletzung von Informationspflichten in den Mittelpunkt seiner Überlegungen zur Pflichtwidrigkeit gestellt und dabei § 18 KWG stark betont: Es entspreche „anerkannten bankkaufmännischen Grundsätzen“, Kredite nur nach einer umfassenden und sorgfältigen Prüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Kreditnehmers zu gewähren741. Anhaltspunkte für eine nicht ausreichende Erfüllung der Informations- und Prüfungspflichten könnten sich dabei, so der BGH, aus der Verletzung der in § 18 KWG normierten Offenlegungspflicht ergeben742. Dabei solle nicht jeder Verstoß gegen eine Informationspflicht untreuerelevant sein, sondern vielmehr nur eine gravierende Verletzung der Informationspflicht743. Die erneute starke Betonung des § 18 KWG ist im Schrifttum744 – zu Recht – kritisiert worden. Wie sogleich anhand von drei Grundfällen gezeigt werden soll, erscheint es in Fällen der hier erörterten Art richtig, sogleich auf das Schädigungsverbot als Pflichtwidrigkeitsmaßstab abzustellen 739

BGHSt 46, S. 30, 34 (Sparkasse). BGHSt 46, S. 30, 34 (Sparkasse). 741 BGHSt 47, S. 148, 149 f. (Sparkasse Mannheim); siehe auch BGH ZIP 2009, S. 1854, 1857 (Boxclever). Sinn einer solchen Bonitätsprüfung ist es, planbare Risiken, insbesondere eine bereits bestehende Minderwertigkeit des Kreditrückzahlungsanspruches wegen fehlender Bonität und nicht ausreichender Sicherheiten festzustellen (vgl. Laskos, Strafbarkeit, S. 49 und 54). Unter planbaren Risiken versteht man im Gegensatz zu nicht planbaren bzw. nicht vermeidbaren latenten Risiken solche, die jeder Kreditvergabeentscheidung immantent sind, z. B. das allgemeine Adressenausfallrisiko, ein etwaiges Fremdwährungsrisiko, das Zinsänderungsrisiko, Rechtsrisiken, politische Risiken (siehe Früh, in: RWS-Forum Bankrecht 2004, S. 137, 138). Derartige Risiken finden gewöhnlich bei der Kreditbepreisung (Risikoprämie usw.) Berücksichtigung (vgl. Laskos, Strafbarkeit, S. 52). 742 BGHSt 47, S. 148, 150 (Sparkasse Mannheim). 743 BGHSt 47, S. 148, 150 (Sparkasse Mannheim). Zum Merkmal „gravierend“ siehe oben, 1. Kapitel, A. IV. 2. 744 Feigen, in: FS-Rudolphi, S. 445, 451 f.; Keller/Sauer, wistra 2002, S. 365, 367 f.; Knauer, NStZ 2002, S. 399, 400; Knierim, in: Wabnitz/Janovsky, Wirtschaftsstrafrecht, 8. Kapitel, Rn. 247. 740

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1. Teil, 3. Kap.: Tatbegehung mit dolus eventualis

und somit von einem Schaden auf die Pflichtwidrigkeit rückzuschließen. Die Erörterung formeller Pflichten würde sich damit erübrigen. Schwerpunktmäßig wäre die Frage der Schädigung zu problematisieren. Einen Schaden im Sinne des § 266 sieht die Rechtsprechung regelmäßig in einer konkreten Gefährdung des Kreditrückzahlungsanspruches745. Da in der Konsequenz der Prüfungsschritte der Rechtsprechung an sich schon jeder (gravierende) Pflichtenverstoß zu einer Pflichtverletzung führen kann, § 266 jedoch nur das Vermögen schützt, muss die Rechtsprechung des Weiteren die untreuerelevanten Pflichtverstöße von den irrelevanten Pflichtverletzungen trennen. Daher fordert der BGH, dass die Vermögensgefährdung auf die Pflichtwidrigkeit zurückzuführen sein muss746; ein bloßer Kompetenzverstoß bei der Kreditvergabe beispielsweise könne daher bei einwandfreier Bonität des Kreditnehmers keine Untreuestrafbarkeit begründen. Mitunter wird die Verortung dieser Erwägungen (erst) bei der Frage der Kausalität und der Zurechnung als „überraschend“747 empfunden, wenngleich natürlich Kausalität und Zurechnung, wie gezeigt748, grundsätzlich erforderliche Merkmale des objektiven Tatbstandes sind. In der Tat würde die Vorgehensweise der Rechtsprechung bei strikter Anwendung dazu führen, dass auch sämtliche rein formalen Pflichtverstöße, die an sich nichts mit der Vermögensschädigung bzw. -gefährdung zu tun haben, zunächst als untreuerelevante Tathandlungen angesehen werden müssten und erst auf der Ebene der Kausalität ausgeschieden würden. Würde man in den Bankuntreuefällen sogleich auf das Schädigungsverbot abstellen und die Pflichtverletzung in der Bewilligung und Auszahlung eines nicht oder nicht ausreichend gesicherten Kredites an einen bonitätsschwachen Kreditnehmer sehen, so würde die Frage des Schutzzweckzusammenhanges keiner besonderen Erörterung bedürfen749. Diese Erwägungen sollen nachstehend kurz anhand von drei typischen, wenn auch notwendig vereinfachten Grundkonstellationen von Kreditvergaben verdeutlicht werden. Dabei ist insbesondere aufzuzeigen, weshalb es maßgeblich auf das Schädigungsverbot und nicht bloß auf formelle Pflichten ankommt. Anschließend soll anhand dieser drei Grundkonstellationen 745

2. Kapitel, B. II. 1. BGHSt 46, S. 30, 34 (Sparkasse). 747 Keller/Sauer, wistra 2002, S. 365, 366. 748 2. Kapitel, C. 749 Die Feststellung rein formaler Pflichtverstöße kann aber, wie noch zu zeigen sein wird (2. Teil, 6. Kapitel, A. III. 2. b) bb)), für die Vorsatzfeststellung und ggf. die Strafzumessung (vgl. LG Bochum ZIP 1981, S. 1084, 1086) von Bedeutung sein. 746

A. Analyse der Rechtsprechung anhand der Kreditvergabeentscheidungen 145

aufgezeigt werden, wann jeweils direkter Vorsatz und wann bedingter Vorsatz in Betracht kommt750. a) Grundfall 1: Kreditrückzahlungsanspruch ist ausreichend werthaltig In der ersten Variante einer Kreditvergabe soll der Kreditrückzahlungsanspruch im Zeitpunkt von Bewilligung und Auszahlung dem ausgezahlten Kreditbetrag objektiv gleichwertig sein, weil die Bonität des Kreditnehmers einwandfrei ist und ausreichende Sicherheiten bestellt werden. In einem solchen Fall spielt es für die Untreuestrafbarkeit keine Rolle, ob der vermögensbetreuungspflichtige Bankmitarbeiter vor Kreditbewilligung und Auszahlung die Bonität des Kreditnehmers und die Werthaltigkeit der Sicherheiten geprüft hat oder ob ein (formeller) Verstoß gegen Informationsund Prüfungspflichten (zum Beispiel § 18 KWG) vorliegt. Selbst wenn der Kredit im späteren Verlauf notleidend werden sollte, so lag bei Kreditvergabe – also im Zeitpunkt der Tathandlung – keine Vermögenswertminderung vor und eine Strafbarkeit nach § 266 scheidet für diesen Zeitpunkt aus. Etwaige bloß formelle Pflichtverstöße können in einem solchen Fall „nur“ zu institutsinternen oder bankaufsichtsrechtlichen Sanktionen führen, eine Ordnungswidrigkeit751 darstellen oder sonstige strafrechtliche Vorschriften verwirklichen, nicht aber zu einer Untreue führen. b) Grundfall 2: Kreditrückzahlungsanspruch ist minderwertig, Bonität und Sicherheiten wurden geprüft In dieser Variante soll der Kreditrückzahlungsanspruch im Zeitpunkt der Kreditvergabe minderwertig („konkret gefährdet“) sein, weil Bonität des Kreditnehmers und Sicherheitenwerte mangelhaft sind. Aus der Sicht zum Zeitpunkt der Kreditvergabe würde also der Kredit zu gegebener Zeit, falls nicht zwischenzeitlich außergewöhnliche Umstände eintreten, mit großer Wahrscheinlichkeit ganz oder teilweise ausfallen. Angenommen, der vermögensbetreuungspflichtige Bankmitarbeiter hatte vor Kreditvergabe die Bonität des Kreditnehmers und die Sicherheitenwerte nachweislich vorschriftsmäßig geprüft, so hätte die Rechtsprechung – wenn 750 In prozessualer Hinsicht werden die Grundfälle wieder aufgegriffen im 2. Teil, 6. Kapitel, A. III. 1. c) bb). 751 So handelt beispielsweise nach § 56 Abs. 3 Nr. 4 KWG ordnungswidrig, wer unter Verstoß gegen § 18 Satz 1 KWG einen Kredit gewährt, d.h. bei einem Kredit von mehr als 250.000 Euro die wirtschaftlichen Verhältnisse nicht durch den Kreditnehmer offen legen lässt.

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1. Teil, 3. Kap.: Tatbegehung mit dolus eventualis

auch sonst keine Pflichtverstöße (zum Beispiel gegen Kompetenzregeln) gegeben sind – jedenfalls nach ihrem oben aufgezeigten Ansatz zunächst Schwierigkeiten, eine Pflichtverletzung festzustellen, denn der vermögensbetreuungspflichtige Bankmitarbeiter ist ja seinen Pflichten nachgekommen. Natürlich ist aber gerade dieser Fall einer Kreditvergabe an einen erkannt bonitätsschwachen Kreditnehmer untreuerelevant. Maßgeblich ist hier nämlich der Verstoß gegen das Schädigungsverbot. Der objektive Tatbestand des § 266 ist also erfüllt, weil es pflichtwidrig ist, einen solchen Kredit zu vergeben. Es entlastet mit anderen Worten den Bankmitarbeiter nicht, dass er formelle Prüfungspflichten eingehalten hat752. Gerade diese Fallvariante zeigt mithin deutlich, dass es auf formale Pflichten bei Feststellung der Pflichtwidrigkeit nicht ankommen kann. Eine andere Frage, auf die sogleich unter Ziffer 2. einzugehen ist, ist natürlich, ob der Bankmitarbeiter vorsätzlich gehandelt hat. c) Grundfall 3: Kreditrückzahlungsanspruch ist minderwertig, eine ausreichende Bonitäts- und Sicherheitenprüfung ist unterblieben Auch in dieser Konstellation soll der Kreditrückzahlungsanspruch aufgrund fehlender Bonität und mangelnder Sicherheiten minderwertig („konkret gefährdet“) sein. Abweichend vom Grundfall 2 soll hier allerdings ein Verstoß gegen die Informations- und Prüfungspflichten vor Kreditvergabe vorliegen. Dabei soll unterstellt werden, dass bei Einholung der erforderlichen Informationen die problematische wirtschaftliche Situation des Kreditnehmers erkannt worden wäre. Hier kann man die Pflichtwidrigkeit mit der Rechtsprechung auf den Verstoß gegen die Informations- und Prüfungspflicht stützen oder direkt einen Verstoß gegen das Schädigungsverbot annehmen753. Allerdings können die Gerichte, wie erörtert, allein mit dem Verstoß gegen die Prüfungspflichten noch keine Untreuestrafbarkeit begründen, selbst wenn dem Bankmitarbeiter der Verstoß gegen die Prüfungspflicht bewusst war. Vielmehr muss der 752

Ebenso Keller/Sauer, wistra 2002, S. 365, 368. Offenbar in diesem letzteren Sinne hat das LG Bochum ZIP 1981, S. 1084, 1085, wohl den ihm vorliegenden Fall geprüft. Zwar hat das Landgericht zunächst auf einen Verstoß gegen die Informations- und Prüfungspflichten abgestellt, dann heißt es aber: „Der Angeklagte hat aber nicht nur die Bonität des Zeugen H. und seines Unternehmens nicht hinreichend geprüft, sondern ihm lagen zum Beginn des Tatzeitraums konkrete Anhaltspunkte vor, die H. als kreditunwürdig und weitere Kreditauskehrungen an ihn deshalb als bankwirtschaftlich in besonderem Maße unvertretbar erscheinen lassen mußten [. . .].“ Entscheidende Bedeutung hatte hier also offenbar und richtigerweise die Tatsache, dass die Kredite an einen – bekanntermaßen – kreditunwürdigen Kunden vergeben wurden. 753

A. Analyse der Rechtsprechung anhand der Kreditvergabeentscheidungen 147

Bankmitarbeiter auch bezüglich der Schädigung vorsätzlich gehandelt haben. Die Prüfungs- und Informationspflichten sind nämlich nur Kenntnisverschaffungspflichten754, und ein Verstoß gegen sie sagt allein noch nichts darüber aus, ob der Handelnde auch die Minderwertigkeit des Kreditrückzahlungsanspruches erkannt hat. Hierauf wird also im subjektiven Tatbestand zurückzukommen sein. 2. Subjektiver Tatbestand

Der subjektive Tatbestand setzt zunächst voraus, dass der handelnde Bankmitarbeiter weiß, dass er eine Vermögensbetreuungspflicht innehat. Hier dürften zumindest im Bankbereich kaum Fälle denkbar sein, in denen (bei restriktiver Auslegung) zwar objektiv eine solche Pflicht bejaht wird, der Bankmitarbeiter dies jedoch subjektiv nicht wenigstens laienhaft verstanden hat755. Des Weiteren ist erforderlich, dass der Vermögensbetreuungspflichtige vorsätzlich bezüglich der Pflichtwidrigkeit und der Herbeiführung eines Nachteils gehandelt hat. Die Rechtsprechung müsste also hier zunächst feststellen, ob dem Täter der Pflichtenverstoß bewusst war756. Sodann wäre zu fragen, ob der Täter die konkrete Vermögensgefährdung erkannt hat757 und ihm bewusst war, dass diese Gefährdung auf der Tathandlung beruht. Stellte man sogleich auf das Schädigungsverbot als maßgeblichen Pflichtinhalt ab, so wäre im Rahmen des Pflichtwidrigkeitsvorsatzes nur zu prüfen, ob dem Täter bewusst war, dass er das Vermögen des Treugebers nicht schädigen darf, was regelmäßig keine Schwierigkeiten bereiten dürfte, da einem verantwortlichen Bankmitarbeiter, erst recht, wenn es sich um den Vorstand handelt, in der Regel wenigstens laienhaft klar sein dürfte, dass er das fremde Vermögen nicht schädigen darf. Sodann müsste der Vorsatz bezüglich der schadensgleichen Vermögensgefährdung festgestellt werden. a) Annahme von dolus eventualis in der Rechtsprechung Bei der obigen Analyse der gerichtlichen Entscheidungen hat sich gezeigt, dass die Rechtsprechung in den meisten Fällen eine Tatbegehung mit dolus eventualis problematisiert. Auch Laskos meint insbesondere zum Komplex der Bankuntreuefälle, dass die Mehrheit dieser Fälle mit bedingtem Vorsatz begangen werde758. 754 755 756 757

Keller/Sauer, wistra 2002, S. 365, 367. Ebenso Laskos, Strafbarkeit, S. 138. Siehe z. B. BGHSt 47, S. 148, 154 ff. (Sparkasse Mannheim). Siehe z. B. BGHSt 47, S. 148, 156 f. (Sparkasse Mannheim).

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1. Teil, 3. Kap.: Tatbegehung mit dolus eventualis

Da die Wissensseite des bedingten Vorsatzes nach allgemeiner Ansicht dahingehend gekennzeichnet ist, dass der Täter den Erfolgseintritt nicht sicher kennt (dann läge direkter Vorsatz vor), sondern lediglich für möglich hält759, ergibt sich in den Kreditvergabefällen an sich Folgendes: Kennt der Täter die Umstände, die zur Annahme einer konkreten Gefährdung („Minderwertigkeit“) des Kreditrückzahlungsanspruches führen, positiv, so liegt direkter Vorsatz bezüglich der Vermögensgefährdung vor. Richtig ist es daher, wenn der BGH meint: „Bei positiver Kenntnis von der persönlichen Unzuverlässigkeit des Kreditnehmers kann sogar direkter Vorsatz bezüglich der schadensgleichen Vermögensgefährdung naheliegen.“760

So meint auch Waßmer, dass es bei Risikogeschäften ausreiche, dass der Täter das Risiko kennt; mit dieser Kenntnis kenne er die Gefährdung und habe somit direkten Vorsatz761. Bedingter Vorsatz käme demzufolge (nur) in all jenen Fällen in Betracht, in denen der Täter die konkrete Gefährdung („Minderwertigkeit“) nicht sicher erkennt, sondern nur für möglicherweise gegeben hält762. In den in diesem 3. Kapitel analysierten Entscheidungen ist diese Differenzierung nicht deutlich geworden. Einerseits prüfen die Gerichte ausdrücklich bedingten Vorsatz. Andererseits wird oft nicht auf ein bloßes Möglichkeitswissen abgestellt. Der Grund liegt offenbar darin, dass die Gerichte den möglichen Endschaden mit in den Blick nehmen, worauf es aber, wie festgestellt763, an sich nach § 16 nicht ankommen kann. Entscheidend 758 Laskos, Strafbarkeit, S. 139. Unklar bleibt bei dieser Aussage Laskos’, ob er meint, dass die Rechtsprechung regelmäßig nur bedingten Vorsatz problematisiere oder ob er meint, dass Bankmitarbeiter regelmäßig lediglich Möglichkeitswissen bezüglich der Vermögensgefährdung haben. 759 Siehe nur Cramer/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, § 15 Rn. 73. Weitere Nachweise unten in Fußnote 824, S. 161. 760 BGHSt 47, S. 148, 157 (Sparkasse Mannheim); siehe auch BGH ZIP 2009, S. 1854, 1856 (Boxclever). 761 Waßmer, Untreue, S. 160. 762 Ein bedingter Vorsatz bezüglich einer Gefährdung wird für konstruktiv möglich gehalten, siehe Küpper, ZStW 100, S. 758, 775 f. m. w. N.; Nack, StraFo 2008, S. 269, 274; Vogel, in: LK, § 15 Rn. 130. Nack, in: MG, Wirtschaftsstrafrecht, § 66 Rn. 143, hält die Rechtsprechung für nicht ganz unproblematisch, weil „gewissermaßen ein zweistufiger Konjunktiv“ genüge: Der Täter müsse nämlich nur den möglichen Vermögensschaden (konkrete Vermögensgefährdung) für möglich halten (bedingter Vorsatz). Dies ist jedoch nicht ganz präzise. Der Täter muss nämlich nicht einen möglichen Schaden für möglich halten, sondern einen definitiven Schaden für möglich halten. Denn die schadensgleiche Vermögensgefährdung ist kein nur möglicher Schaden, sondern ein definitiver Schaden im Sinne einer Vermögenswertbeeinträchtigung, siehe oben, 2. Kapitel, B. II. 3. 763 2. Kapitel, B. III. 2.

A. Analyse der Rechtsprechung anhand der Kreditvergabeentscheidungen 149

ist allein die Minderwertigkeit („schadensgleiche Vermögensgefährdung“) im Zeitpunkt der Tathandlung. b) Der Vorschlag eines „überschießenden“ Vorsatzes in Schrifttum und Rechtsprechung Insbesondere die Kreditvergabeurteile vom 6. April 2000764 und vom 15. November 2001765 haben in der Literatur – nicht nur hinsichtlich des objektiven, sondern auch hinsichtlich des subjektiven Tatbestandes – zu erheblicher Kritik geführt766. So wirft Achenbach767 – ganz im Sinne der vorstehenden Ausführungen – die Frage auf, weshalb der BGH, da er auf das Erkennen der Gefährdung abstellt, nicht direkten Vorsatz annimmt768. Auch Keller/Sauer kritisieren zu Recht die Ausführungen des BGH hinsichtlich des Schädigungsvorsatzes: Wenn der BGH im objektiven Tatbestand eine konkrete Vermögensgefährdung bejaht und der Täter eine (höchste) Gefährdung erkannt hat, dann wisse er, dass er den Erfolg herbeiführt769. Es spreche dann nichts dagegen, mit Waßmer770 in solchen Fällen von direktem Vorsatz zu sprechen771. Weiter meinen Keller/Sauer zutreffend, dass Laskos772 ebenfalls Recht habe, wenn er sagt, in Fällen des bloßen „Für-möglich-Haltens“ könne nicht direkter Vorsatz angenommen werden; das ändert in der Tat nichts an der richtigen Ansicht Waßmers für Fälle des sicheren Wissens. Das Urteil vom 15. November 2001 hat über diese zutreffende Kritik hinaus zu einer interessanten Entwicklung im Schrifttum geführt. Kühne sieht den Grund für die an sich überraschende Prüfung bedingten Vorsatzes durch den BGH in der Anwendung der Lehre von der schadensgleichen Vermögensgefährdung und meint, wegen der hiermit verbundenen extensiven 764

BGHSt 46, S. 30 ff. (Sparkasse). BGHSt 47, S. 148 ff. (Sparkasse Mannheim). 766 Zur Kritik bezüglich des objektiven Tatbestandes siehe nur Feigen, in: FS-Rudolphi, S. 445, 451 f.; Keller/Sauer, wistra 2002, S. 365 ff.; Knauer, NStZ 2002, S. 399 ff. 767 Achenbach, NStZ 2001, S. 525, 527. 768 Dabei dürfte meines Erachtens Achenbachs Interpretation des BGH-Urteils von 1979 (NJW 1979, S. 1512), auf das er in Fußnote 3 Bezug nimmt, nicht ganz richtig sein. Der BGH hatte in diesem Fall zwar die üblichen Ausführungen zum „Billigungselement“ weggelassen, wohl aber nicht direkten Vorsatz, sondern bedingten Vorsatz angenommen. Siehe schon oben in diesem 3. Kapitel, A. I. 3. 769 Keller/Sauer, wistra 2002, S. 365, 368 f. Ähnlich Fischer, StraFo 2008, S. 269, 273. 770 Siehe vorstehend Fußnote 761, S. 148. 771 Keller/Sauer, wistra 2002, S. 365, 368, Fußnote 38. 772 Nachweis vorstehend in Fußnote 758, S. 148. 765

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1. Teil, 3. Kap.: Tatbegehung mit dolus eventualis

Anwendung des § 266 versuche der BGH wohl eine Restriktion über den subjektiven Tatbestand zu erreichen773. In seinem Versuch einer dogmatischen Erklärung der Ausführungen des BGH schlägt er die Konstruktion eines zusätzlichen Willenselementes vor, das den Umschlag der Gefährdung in einen Schaden zumindest im Rahmen eines bedingten Vorsatzes abdeckt. Es sei also „ein überschießender, den Vermögensschaden als Möglichkeit umfassender Vorsatz beim ungeschriebenen Tatbestandsmerkmal der Vermögensgefährdung gefordert“774.

Beulke775 befürwortet die Konstruktion Kühnes. Angesichts der Komplexität wirtschaftlicher Situationen sei es sachgerecht, bei der Feststellung des Vorsatzes die Einstellung des Täters zur (späteren) Schadensrealisierung zu berücksichtigen; die Kenntnis der Gefahrenlage allein könne nicht mit direktem Vorsatz gleichgesetzt werden. Halte der Täter den späteren Schadenseintritt lediglich für möglich, weise er nur dolus eventualis auf, bei dem zur Wissensseite noch die Wollenskomponente hinzutreten müsse. Bevor zu diesem Vorschlag kritisch Stellung genommen wird, ist darauf hinzuweisen, dass der 2. Strafsenat des BGH in seiner Entscheidung zum Fall CDU Hessen, der bereits in objektiver Hinsicht erörtert wurde776, wie erwähnt777, genau diese Konstruktion – wenn auch ohne explizite Bezugnahme auf Kühne bzw. Beulke – aufgegriffen hat. In dem insoweit relevanten Komplex ging es um die Frage, ob der Angeklagte Kanther durch die Abgabe fehlerhafter Rechenschaftsberichte eine Untreue begangen hatte. Die Rechenschaftsberichte waren materiell fehlerhaft, weil der Angeklagte das in eine „schwarze Kasse“ eingebrachte Vermögen der CDU nicht angegeben hatte. Der BGH bejahte objektiv den Tatbestand der Untreue, weil durch die pflichtwidrige Abgabe fehlerhafter Rechenschaftsberichte die konkrete Gefahr des Verlustes bzw. der Rückforderung staatlicher Fördermittel geschaffen worden sei778. Diese Ansicht ist nicht ohne Kritik geblieben und wird auch in dieser Schrift nicht geteilt779. Offenbar empfand auch der BGH die Bejahung des objektiven Tatbestandes des § 266 als sehr weitgehend. So sah sich der 2. Strafsenat nämlich aufgrund des „ohnehin schon äußerst weiten Tatbestandes der Untreue“ und 773 Kühne, StV 2002, S. 198, 199. Ähnlich Saliger, NStZ 2007, S. 545, 549 f., zum Fall CDU Hessen. 774 Kühne, StV 2002, S. 198, 199. 775 Beulke, JR 2005, S. 37, 41. 776 2. Kapitel, B. II. 4. a). 777 1. Kapitel, C. III., Fußnote 320, S. 68, und 2. Kapitel, B. III. 2. 778 2. Kapitel, B. II. 4. a). 779 2. Kapitel, B. II. 4. a).

A. Analyse der Rechtsprechung anhand der Kreditvergabeentscheidungen 151

der zusätzlichen Ausweitung durch Anwendung der Figur der schadensgleichen Vermögensgefährdung veranlasst, den Tatbestand der Untreue im subjektiven Bereich dahingehend einzugrenzen, „dass der bedingte Vorsatz eines Gefährdungsschadens nicht nur Kenntnis des Täters von der konkreten Möglichkeit eines Schadenseintritts und das Inkaufnehmen dieser konkreten Gefahr voraussetzt, sondern darüber hinaus eine Billigung der Realisierung dieser Gefahr, sei es auch nur in der Form, dass der Täter sich mit dem Eintritt des ihm unerwünschten Erfolgs abfindet“780.

Den möglichen Vorwurf, diese Auffassung stehe in Widerspruch zu dem Kreditvergabeurteil des 1. Strafsenates vom 15. November 2001, in dem es heißt, das Billigungselement müsse sich nur auf die schadensgleiche Vermögensgefährdung beziehen781, sucht der 2. Strafsenat von vornherein zu entkräften. Er argumentiert, der dortige Fall sei nicht vergleichbar, weil eine konkrete „höchste“ Gefährdung des betreuten Vermögens vorgelegen habe. Bei der Kenntnis einer solchen höchsten Gefährdung sei die innere Ablehnung der Schadensrealisierung durch den Täter nurmehr im Bereich einer „vagen Hoffnung“ angesiedelt und mit dem Fall CDU Hessen nicht vergleichbar, weil die Täter „angesichts des über fast zwei Jahrzehnte erfolgreich funktionierenden Verschleierungssystems ernsthaft und nicht nur vage darauf vertrauten, dass die Geheimkonten unentdeckt blieben [. . .] und daher zwar eine (konkrete) Vermögensgefährdung in Kauf nahmen, eine Realisierung dieser Gefahr jedoch unter allen Umständen vermeiden wollten und keineswegs billigten“782.

In einer weiteren Entscheidung bestätigte der 2. Strafsenat unter expliziter Bezugnahme auf das vorstehend genannte Urteil seine Rechtsprechung: In Fällen einer schadensgleichen Vermögensgefährdung müsse über die Kenntnis der konkreten Möglichkeit eines Schadenseintritts und das Inkaufnehmen dieser Gefahr hinaus eine Billigung der Realisierung dieser Gefahr vorliegen783. Es ging in der Entscheidung um einen Notar, der, obwohl eine nach dem Treuhandauftrag erforderliche Fertigstellungsbürgschaft noch nicht vorlag, den Restbetrag eines Kredites vom Anderkonto auszahlte; der Kreditrückzahlungsanspruch erwies sich als minderwertig. Der BGH bestätigte die Bejahung des objektiven Tatbestandes durch die Vorinstanz, kritisierte jedoch die Annahme auch des Vorsatzes, weil dieser eine Billigung der Gefahrrealisierung voraussetze, was jedoch nicht hinreichend belegt sei. Für den angeklagten Notar hing also die Frage der Straflosigkeit entscheidend von der Vorsatzfrage ab. 780

BGHSt 51, S. 100, 121. Zustimmend Fischer, § 266 Rn. 184. BGHSt 47, S. 148, 157 (Sparkasse Mannheim). 782 BGHSt 51, S. 100, 122 f. 783 BGH wistra 2007, S. 384, 385 = NStZ 2007, S. 704, 705 (Notar); offen gelassen in BGH ZIP 2009, S. 1854, 1857 (Boxclever). 781

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1. Teil, 3. Kap.: Tatbegehung mit dolus eventualis

Zwischenzeitlich hat sich auch der 5. Strafsenat dieser Rechtsprechung in einem Fall angeschlossen, in dem es um Mietkautionen ging, die der Angeklagte nicht getrennt von seinem Vermögen angelegt hatte784. c) Stellungnahme aa) Ablehnung des „Realisierungsvorsatzes“ Die vorgeschlagene Konstruktion eines „überschießenden“ Willenselementes – man kann auch von einem „Realisierungsvorsatz“785 sprechen – vermag nicht zu überzeugen786. Kühne selbst erhebt zu Recht Zweifel, ob es sich bei einer derartigen Konstruktion noch um eine vom Gesetz gedeckte Auslegung handelt787. Bernsmann bezeichnet in seiner Kritik des Kanther-Urteils diese Konstruktion als „dogmatisches Unikum“, für die es im Wortlaut der Vorschrift keinen Anhaltspunkt und auch sonst kein Vorbild gebe788. Da es im objektiven Tatbestand, wie erörtert789, auf die Vermögensbeeinträchtigung zum Zeitpunkt der Tat ankommt, die weitere Entwicklung einer einmal festgestellten schadensgleichen Gefährdungslage – zum Beispiel die „Gesundung“ oder der endgültige Ausfall eines Kreditengagements – jedoch irrelevant ist, kann und darf auch bei der Vorsatzprüfung nicht auf 784

BGHSt 52, S. 182, 190 (Mietkaution). Auch das LG Düsseldorf, Urteil vom 19. Juni 2008 – 14 KLs 9/07 (Boxclever), abrufbar unter www.juris.de, hält offenbar im Rahmen des bedingten Vorsatzes eine Billigung der Realisierung für erforderlich (Rn. 263); in der Revision hat der BGH die Frage nach dem Realisierungsvorsatz offen gelassen, da nach seiner Ansicht bei Kreditvergaben schon nicht von einer bloßen schadensgleichen Vermögensgefährdung, sondern schon von einer Vermögensminderung auszugehen sei (ZIP 2009, S. 1854, 1856). 785 Klötzer/Schilling, StraFo 2008, S. 305. 786 So auch Adick, HRRS 2008, S. 460, 463; Beulke/Witzigmann, JR 2008, S. 430, 435; Nack, StraFo 2008, S. 277, 278; Schlösser, NStZ 2008, S. 397, 398. Anders Fischer, § 266 Rn. 184; ders., StraFo 2008, S. 269, 276 f. Perron, in: FS-Tiedemann, S. 737, 747 f., und NStZ 2008, S. 517, 518, ist der Konstruktion offenbar nicht grundsätzlich abgeneigt, hält die Einschränkung des subjektiven Tatbestandes aber nur für die „zweitbeste Lösung“ gegenüber einer objektiven Restriktion; als problematisch sieht er vor allem die Frage der tatrichterlichen Feststellung eines derartigen subjektiven Elementes an (GA 2009, S. 219, 231). Schünemann, NStZ 2008, S. 430, 433, will die „subjektiven Dispositionen“ des Täters schon im objektiven Tatbestand berücksichtigen. 787 Kühne, StV 2002, S. 198, 199. Fischer, StraFo 2008, S. 269, 276, hält die Verwendung einschränkender Anforderungen dagegen für zulässig; ähnlich auch Schünemann, NStZ 2008, S. 430, 431 f. 788 Bernsmann, GA 2007, S. 219, 230. 789 2. Kapitel, B. II.

A. Analyse der Rechtsprechung anhand der Kreditvergabeentscheidungen 153

verschiedene Zeitpunkte abgestellt werden790; Eintritt oder Ausbleiben des Endschadens haben außer Betracht zu bleiben. Entscheidend sind allein die Vermögenslage und der diesbezügliche Vorsatz im Zeitpunkt der Kreditausreichung791. Der BGH selbst stellt schon in einer Entscheidung zu § 263 aus dem Jahre 2003 fest, dass bei der Prüfung des Wollenselementes nur zu fragen sei, ob der Täter die Gefährdung des Rückzahlungsanspruchs erkannt hat, nicht aber, ob der endgültige Verlust vom Willen des Täters umfasst ist792. Soweit Beulke argumentiert, die Kenntnis der Gefahrenlage könne deshalb nicht mit direktem Vorsatz gleichgesetzt werden, weil ein risikoloses Handeln bei wirtschaftlich komplexen Geschäften kaum denkbar sei, Risikogeschäfte sogar mit einem sozialen Nutzen verbunden seien793, kann auch dies letztlich nicht überzeugen. Zwar sind die Ausgangsannahmen richtig, dass nahezu jede wirtschaftliche Entscheidung mit einem Risiko verbunden ist794 und riskante Geschäfte durchaus mit einem sozialen Nutzen verbunden sein können. Auch ist richtig, dass durch § 266 nicht solche Geschäfte pönalisiert werden sollen, die allgemeine, jeder wirtschaftlichen Entscheidung immanente Risiken aufweisen, sondern nur solche Geschäfte, bei deren Abschluss eine über das allgemeine (abstrakte) Risiko hinausgehende konkrete Gefährdungslage vorliegt. Die Trennlinie hierfür muss aber im objektiven Tatbestand beim Merkmal der schadensgleichen Vermögensgefährdung gefunden werden795. Erst wenn eine konkrete Gefährdungslage vorliegt, wenn also mit dem alsbaldigen Eintritt des endgültigen Schadens ernstlich zu rechnen ist, die Gefährdung bei lebensnaher Betrachtung einer Wertminderung gleichkommt oder die naheliegende Gefahr eines Verlustes gegeben ist, wobei die gefährdungsbegründenden Tatsachen feststehen müssen und nicht nur wahrscheinlich oder möglicherweise vorliegen dürfen796, kommt § 266 zur Anwendung. Jüngst hat nun der 1. Strafsenat des BGH die Forderung des 2. Strafsenates, den bedingten Vorsatz zum Zwecke der Eingrenzung des Tatbestandes 790

Ebenso Waßmer, Untreue, S. 159; ähnlich Bosch/Lange, JZ 2009, S. 225,

236 f. 791

Im Ergebnis ebenso Feigen, in: FS-Rudolphi, S. 445, 461 f. BGHSt 48, S. 331, 346. Die Entscheidung weist allerdings im Übrigen die gleiche Problematik der Anwendung bloß bedingten Vorsatzes auf. Siehe in diesem 3. Kapitel, A. I. 8. Auch in einer neueren Entscheidung finden sich keine Anhaltspunkte, dass der Vorsatz den Endschaden umfassen müsse: BGH StV 2008, S. 527 f.; zustimmend Tierel, jurisPR-StrafR 12/2008, Anm. 1. 793 Beulke, JR 2005, S. 37, 41. 794 Vgl. Haas, Untreue, S. 106. 795 Ebenso Saliger, NStZ 2007, S. 545, 551. 796 Siehe 2. Kapitel, B. II. 4. a). 792

154

1. Teil, 3. Kap.: Tatbegehung mit dolus eventualis

auf den in der Zukunft zu erwartenden endgültigen Vermögensnachteil zu erstrecken, explizit abgelehnt797. Bezogen auf den konkreten Fall hielt er die Anwendung eines solchen Realisierungsvorsatzes schon deshalb für nicht angezeigt, weil es seiner Ansicht nach nicht um eine schadensgleiche Vermögensgefährdung und bedingten Vorsatz ging, sondern um einen endgültigen Schaden798 und direkten Vorsatz799. Angesichts der mitgeteilten Sachverhaltsfeststellungen ist an der Beurteilung des 1. Strafsenates, der Angeklagte habe mit direktem Vorsatz gehandelt, in der Tat nichts auszusetzen800. In einem vom Schrifttum an sich für überflüssig gehaltenen obiter dictum801 positionierte sich der 1. Strafsenat dann auch noch zur Figur des Realisierungsvorsatzes. Er erklärte, dass dieser gar nicht erforderlich sei, denn der Grund für seine Einführung, die befürchtete (doppelte) Vorverlagerung der Strafbarkeit entfalle bei genauerem Hinsehen, weil schon ein Vermögensschaden – nicht eine bloße Vermögensgefährdung – vorliege. Dem ist im Ergebnis unter Verweis auf die vorstehenden Ausführungen zuzustimmen. Allerdings hätte der 1. Strafsenat wohl besser formuliert, dass die befürchtete Vorverlagerung nicht entfalle, weil ein Vermögensschaden vorliegt, sondern wenn ein solcher vorliegt. Denn die Frage, ob ein Schaden vorliegt, bedarf immer noch der Beantwortung im Einzelfall. Die Bezugnahmen der Rechtsprechung auf den Endschaden und die Konstruktion des überschießenden Willenselementes resultieren vielleicht daraus, dass bei der Feststellung einer Gefährdungslage der Gedanke an den (möglichen) endgültigen Schaden nicht ganz eliminiert werden kann. Ist objektiv eine konkrete Vermögensgefährdung (also ein Schaden im Sinne einer Vermögenswertminderung) zu bejahen, so kann man auch sagen, dass aus dieser ex-ante-Sicht ein „endültiger“ Schaden (der natürlich bei richtigem Verständnis der schadensgleichen Vermögensgefährdung nur 797

BGH NStZ 2008, S. 457 = NJW 2008, S. 2451, 2452 = StV 2008, S. 414, 415 (WTS-GmbH); BGHSt 53, S. 199, 204 = NStZ 2009, S. 330, 331 = StV 2009, S. 242, 243. 798 Siehe schon 2. Kapitel, B. II. 2. 799 Nach Ansicht des 1. Strafsenates war der Fall auch deshalb nicht mit dem vom 2. Strafsenat beurteilten Fall (BGHSt. 51, S. 100, 121 [CDU Hessen]) vergleichbar, weil es hier nicht um die Konstellation einer Schwarzgeldkasse ging. Dabei übersieht der 1. Strafsenat allerdings, dass der 2. Senat die Einschränkung nicht in dem Komplex der Bildung der „schwarzen Kasse“, sondern im Zusammenhang mit den fehlerhaften Rechenschaftsberichten vorgenommen hat (vgl. Schünemann, NStZ 2008, S. 430, 432, Fußnote 19). Abgesehen davon dürfte angesichts der weiteren Entscheidungen des 2. Strafsenates nunmehr klar sein, dass der 2. Strafsenat den „Realisierungsvorsatz“ nicht auf Fälle „schwarzer Kassen“ beschränkt wissen wollte (so auch Beulke/Witzigmann, JR 2008, S. 430, 431 f.; Rübenstahl, NJW 2008, S. 2454). 800 Ebenso Beulke/Witzigmann, JR 2008, S. 430, 431. 801 Dazu schon oben im 2. Kapitel, B. II. 2, Fußnote 584.

A. Analyse der Rechtsprechung anhand der Kreditvergabeentscheidungen 155

eine Schadensvertiefung sein kann) bei unverändertem Fortgang mit Sicherheit eintritt. Kennt also der Täter im Tatzeitpunkt die konkrete Vermögensgefährdung (und hat damit bezüglich der konkreten Vermögensgefährdung direkten Vorsatz), so wird er in der Regel zugleich auch Möglichkeitswissen bezüglich des Endschadens haben802. Auf dieses Möglichkeitswissen bezüglich des Endschadens, der Schadensvertiefung, kommt es aber nicht an, und es bedarf auch keiner Feststellung im Urteil803. Bedingter Vorsatz bezüglich der konkreten Vermögensgefährdung kommt dann in Betracht, wenn der Täter die konkrete Vermögensgefährdung (also die Vermögenswertminderung) nicht für sicher, sondern nur für möglicherweise gegeben hält und sich mit der schadensgleichen Vermögensgefährdung, der Wertminderung, abfindet. Mit dieser Grenzziehung wird auch dem Unterschied zwischen dem Eventualvorsatz bei Gefährdungsdelikten einerseits und bei Verletzungsdelikten andererseits Rechnung getragen. Der bedingte Vorsatz bei einem konkreten Gefährdungsdelikt ist dahingehend gekennzeichnet, dass der Täter die Gefährdung – denn das ist der tatbestandliche Erfolg bei einem Gefährdungsdelikt – für möglich halten und sich mit dieser Gefährdung abfinden muss804. Bei einem Verletzungsdelikt – und ein solches ist § 266 (wenn auch von einer schadensgleichen Vermögensgefährdung gesprochen wird) – muss sich der Täter mit der (für möglich gehaltenen) Verletzung abfinden. Besteht die Verletzung in einer schadensgleichen Vermögensgefährdung, so muss sich der dolus eventualis also auf diese schadensgleiche Vermögensgefährdung beziehen. Vergegenwärtigt man sich dabei nicht, dass diese schadensgleiche Vermögensgefährdung schon eine Vermögensminderung ist (sein muss) und nicht eine bloß abstrakte Gefährdung sein darf, so könnte man leicht versucht sein, „sicherheitshalber“ auf den effektiven Endschaden Bezug zu nehmen, um nämlich eine Verwechslung mit dem Gefährdungsvorsatz eines Gefährdungsdeliktes zu vermeiden. Erforderlich ist dies bei 802 Vgl. Engisch, Untersuchungen, S. 187; Jakobs, Strafrecht AT, 6. Abschnitt, Rn. 79; Schröder, in: FS-Sauer, S. 207, 227. 803 Überflüssig war daher meines Erachtens der letzte Satz der folgenden Feststellung des BGH, wistra 1991, S. 307, 308, in einem Fall zu § 263: „Damit hatten sie [die Angeklagten] positive Kenntnis von der als Vermögensschaden im Sinne des § 263 StGB zu bewertenden Vermögensgefährdung und rechneten nicht lediglich mit einer solchen als mögliche Folge ihres Handelns. Insoweit handelten sie also mit direktem Vorsatz. Sie rechneten dabei gleichzeitig mit dem unwiederbringlichen Verlust der angelegten Gelder, so daß insoweit bedingter Vorsatz gegeben war.“ – Richtig dagegen die Ausführungen des OLG Karlsruhe wistra 2004, S. 276, 277: „Besteht aber der Schaden – wie hier – in einer Vermögensgefährdung, so reicht zur Bejahung der subjektiven Tatseite bereits die Kenntnis der die Gefährdung begründenden Umstände aus, mag der Täter auch darauf vertrauen, dass aus der Gefährdung letztendlich kein Schaden erwachsen wird [. . .].“ 804 Vgl. Cramer/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, § 15 Rn. 98a.

156

1. Teil, 3. Kap.: Tatbegehung mit dolus eventualis

einem richtigen Verständnis der schadensgleichen Vermögensgefährdung und des dolus eventualis nicht, sondern, ganz im Gegenteil, wie erörtert, dogmatisch nicht haltbar. Demnach gilt: Kannten die Entscheidungsträger der Bank im Kreditvergabeurteil vom 15. November 2001 die höchste Gefährdung des Kreditrückzahlungsanspruches (was natürlich Tatfrage ist), so handelten sie mit direktem Vorsatz. Hielten sie die Minderwertigkeit des Kreditrückzahlungsanspruches nur für möglich, so hatten sie allenfalls bedingten Vorsatz. Die Argumentation des BGH im Fall der CDU Hessen, der Kreditvergabefall sei nicht vergleichbar, weil im Kreditvergabefall eine erkannte höchste Gefährdung vorgelegen habe und eine innere Ablehnung der Schadensrealisierung durch den Täter in einem solchen Fall nur eine vage Hoffnung sein könne805, überzeugt daher nicht, denn bei einer erkannten Vermögensgefährdung kommt es auf ein „Billigungselement“ gar nicht an. Wer sicheres Wissen bezüglich des Erfolges (Vermögensbeeinträchtigung) hat, handelt direkt vorsätzlich, gleich ob ihm der Erfolg willkommen, gleichgültig oder unliebsam ist, denn die als notwendig erkannten Folgen der Handlung sind vom Willen zwangsläufig erfasst806. Soweit offenbar Beulke/Witzigmann, die an sich den „Realisierungsvorsatz“ ablehnen807, in bestimmten Konstellationen an dieser Figur festhalten wollen808, überzeugt dies nicht ganz. Nach Ansicht der Autoren müsse der Vorsatz bei demjenigen Treupflichtigen, der in Kreditvergabefällen auf die Rückzahlung vertraue, verneint werden. Dem ist zuzustimmen; indes gelingt die Berücksichtigung eines solchen „Vertrauens“ ohne Rückgriff auf die neue Figur des „Realisierungsvorsatzes“. Hat der Treupflichtige nämlich nicht sichere Kenntnis der Minderwertigkeit des Rückzahlungsanspruches und damit des Schadens, so reicht nach hier vertretener Ansicht für den dann (nur) noch in Betracht kommenden bedingten Vorsatz nicht die bloße Möglichkeitskenntnis der Minderwertigkeit. Vielmehr ist eine Entscheidung gegen das geschützte Rechtsgut erforderlich, die dann nicht vorliegt, wenn der Täter auf den Nichteintritt des Erfolges vertraut; Einzelheiten hierzu nachstehend im Abschnitt B. Weiterer Vorsatzelemente bedarf es insoweit nicht. Abzuwarten bleibt, ob es hinsichtlich der Frage der Notwendigkeit des Realisierungsvorsatzes angesichts der kontroversen Ansichten zwischen den Strafsenaten zu einem Vorlagebeschluss an den Großen Senat für Strafsa805

BGHSt 51, S. 100, 122 f. Vgl. Roxin, Strafrecht AT, § 12 Rn. 19. 807 Beulke/Witzigmann, JR 2008, S. 430, 435. 808 So jedenfalls mag man den letzten Absatz ihres vorstehend zitierten Aufsatzes verstehen. 806

A. Analyse der Rechtsprechung anhand der Kreditvergabeentscheidungen 157

chen gemäß § 132 GVG kommt809. Das Bundesverfassungsgericht jedenfalls hat in seiner Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde eines wegen Untreue verurteilten Notars die Frage nach dem Realisierungsvorsatz offen gelassen, immerhin aber die Ansicht geäußert, dass eine solche einschränkende Rechtsauslegung dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG Rechnung tragen könne810. bb) Kritik an dem Urteil BGHSt 51, S. 100 ff. (CDU Hessen) Von der Problematik der Kreation eines überschießenden Willenselementes und der missglückten Bezugnahme auf das Kreditvergabeurteil abgesehen, erscheinen die dargelegten Ausführungen des 2. Strafsenates zum subjektiven Tatbestand im Fall der CDU Hessen auch in anderer Hinsicht problematisch und daher hier erörterungsbedürftig. Es geht insoweit nicht (nur) um eine spezielle Problematik des konkret entschiedenen Einzelfalles, sondern um einen grundsätzlichen Aspekt des bedingten Vorsatzes. Bei der Prüfung des bedingten Vorsatzes muss nämlich, bevor überhaupt auf das voluntative Element eingegangen werden kann (und bevor also die Erwägungen des Strafsenates zur Einstellung des Täters zum Schadenserfolg relevant werden können), zunächst einmal das kognitive Element geprüft werden. Konkret: Der Angeklagte Kanther müsste also Möglichkeitswissen bezüglich der konkreten Vermögensgefährdung gehabt haben, das heißt es für möglich gehalten haben, dass die Vorschriften des Parteiengesetzes von 1994 die Abgabe eines materiell richtigen Rechenschaftsbericht vorsehen, dass der Verstoß zu einer Sanktion führt und dass diese Sanktion auch unzweifelhaft verhängt werden würde. Auch dies ist wieder Tatfrage, aber Zweifel bezüglich dieses Möglichkeitswissens sind durchaus angebracht. Da, wie festgestellt811, rechtlich unsicher war, ob überhaupt ein materiell richtiger Rechenschaftsbericht vorgelegt werden musste, erscheint es problematisch, insoweit Möglichkeitswissen der Angeklagten ohne weiteres anzunehmen812. Gingen die Handelnden davon aus, dass die Sanktion nicht verhängt werden würde, weil nur ein formell richtiger Rechenschaftsbericht geschuldet war, so wussten sie nicht, dass ein Vermögensnachteil eintreten kann, und unterlagen damit einem vorsatzausschließenden Tatbestandsirr809 Siehe auch Bernsmann, GA 2007, S. 219, 230; Peglau, wistra 2008, S. 430, 432; Schünemann, NStZ 2008, S. 430, 431; Wegner, wistra 2007, S. 347, 348. 810 BVerG wistra 2009, S. 385, 389. 811 2. Kapitel, B. II. 4. a). 812 So aber BGHSt 51, S. 100, 120. Kritisch MünchKommStGB/Dierlamm, § 266 Rn. 218; Krüger, NVwZ 2004, S. 310, Fußnote 5; Matt, NJW 2005, S. 389, 392; Saliger, Parteiengesetz, S. 481 und S. 394; Volhard, in: FS-Lüderssen, S. 673, 681.

158

1. Teil, 3. Kap.: Tatbegehung mit dolus eventualis

tum813. Selbst wenn die Handelnden die Sanktion für möglich gehalten haben sollten, so wäre noch zu fragen, ob sie die Sanktion auch für konkret möglich hielten814. Hier wird man auch subjektiv in Rechnung zu stellen haben, ob die Angeklagten von einem Ermessen bezüglich der Sanktionsentscheidung ausgingen und wie sie die Ermessensausübung einschätzten815. Zu denken wäre schließlich auch an einen Verbotsirrtum816. Von diesen Erwägungen abgesehen, kann der 2. Strafsenat schließlich auch nicht mit seiner Auffassung überzeugen, von einer Billigung durch die Angeklagten sei deshalb nicht auszugehen, weil sie „ernsthaft und nicht nur vage darauf vertrauten, dass die Geheimkonten unentdeckt blieben, und daher [. . .] zwar eine (konkrete) Vermögensgefährdung [. . .] in Kauf nahmen, eine Realisierung dieser Gefahr jedoch [. . .] keinesfalls billigten“817.

Die Annahme eines Straftäters, sein Verhalten werde nicht entdeckt, kann nämlich den Vorsatz nicht ausschließen818. Wenn also der 2. Strafsenat zur Straffreiheit tendiert, so wäre eine restriktivere Prüfung des objektiven Tatbestandes und des Wissenselementes angeraten819, nicht aber die hier kritisierte Argumentation hinsichtlich des Willenselementes. d) Zwischenergebnis Ob der Untreuetäter direkten oder nur bedingten Vorsatz hatte, richtet sich allein danach, ob er den Vermögensnachteil, gegebenenfalls in Gestalt der konkreten Vermögensgefährdung, für sicher oder nur für möglicherweise gegeben hielt. Auf die Einstellung zu einem späteren „Endschaden“ kommt es nicht an. Im Falle bloßen Möglichkeitswissens kommt es für die Bejahung des bedingten Vorsatzes darauf an, ob noch ein zusätzliches Willenselement gefordert wird. Die Einzelheiten hierzu und die Frage des Nachweises des Vorsatzes werden im weiteren Verlauf der Schrift erörtert, und zwar nachstehend unter B. sowie im zweiten Teil.

813

Ebenso Volhard, in: FS-Lüderssen, S. 673, 681. Zu den Zweifeln bezüglich dieses Kriteriums in objektiver Hinsicht oben im 2. Kapitel, B. II. 4. a). 815 Siehe dazu oben 2. Kapitel, B. II. 4. a), Fußnote 636, S. 121. 816 Vgl. Saliger, Parteiengesetz, S. 394. 817 BGHSt 51, S. 100, 123. Insoweit dem BGH zustimmend Ransiek, NJW 2007, S. 1727, 1729. 818 Ebenso Saliger, Parteiengesetz, S. 482; Volhard, in: FS-Lüderssen, S. 673, 681. 819 Ebenso Ransiek, NJW 2007, S. 1727, 1729; Saliger, NStZ 2007, S. 545, 551. 814

A. Analyse der Rechtsprechung anhand der Kreditvergabeentscheidungen 159

e) Anwendung der Ergebnisse auf die entwickelten Grundfälle Da im Grundfall 1 bereits der objektive Tatbestand verneint wurde820, wird die Vorsatzproblematik nur noch in den beiden anderen Grundfällen relevant. aa) Vorsatz im Grundfall 2 Im Grundfall 2 sind nach den vorstehenden Erkenntnissen bezüglich der inneren Tatseite zwei Konstellationen denkbar. (1) Direkter Vorsatz Hat der vermögensbetreuungspflichtige Bankmitarbeiter bei seiner Bonitäts- und Sicherheitenprüfung erkannt, dass der Kreditrückzahlungsanspruch im Zeitpunkt der Kreditausreichung minderwertig ist, so handelt er, wenn er trotz dieses Wissens den Kredit ausreicht, mit direktem Vorsatz bezüglich der Vermögensgefährdung821. Gleiches gilt, wenn der Bankmitarbeiter nicht aufgrund der Bonitäts- und Sicherheitenprüfung von der mangelnden Bonität bzw. der mangelnden Sicherheitenwerte erfahren hat (zum Beispiel weil die enstprechenden Unterlagen gefälscht waren), sondern ihm dies aus anderer Quelle sicher bekannt geworden ist. (2) Dolus eventualis Ist sich der Vermögensbetreuungspflichtige nicht sicher, dass die Bonität und die Sicherheiten nicht ausreichend sind, hält er dies aber aufgrund der ihm vorgelegten Unterlagen oder aufgrund sonstiger Informationen für möglich, so kommt lediglich bedingter Vorsatz in Betracht. bb) Vorsatz im Grundfall 3 Auch im Grundfall 3 sind zwei Konstellationen zu unterscheiden. (1) Direkter Vorsatz Wenn der vermögensbetreuungspflichtige Kreditsachbearbeiter Bonität und Sicherheiten überhaupt nicht oder nur unzureichend prüft, so wird er in 820 821

Siehe oben, 3. Kapitel, A. III. 1. a). Vgl. Keller/Sauer, wistra 2002, S. 365, 368.

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1. Teil, 3. Kap.: Tatbegehung mit dolus eventualis

der Regel auch nicht sicher wissen, ob der Kreditrückzahlungsanspruch werthaltig oder minderwertig ist. Es ist also gesondert zu fragen, ob er von dem Risiko Kenntnis hatte822. Hat er aus anderen Quellen, zum Beispiel aufgrund von privaten Informationen, Kenntnis von der finanziellen Unzuverlässigkeit des Kreditnehmers und der Wertlosigkeit etwaiger Sicherheiten, so handelt er mit direktem Vorsatz. (2) Dolus eventualis Hat der Kreditsachbearbeiter die Minderwertigkeit des Rückzahlungsanspruches nicht positiv gekannt, so kann allenfalls dolus eventualis vorliegen. Nun wäre in dieser Konstellation freilich denkbar, dass der Handelnde vorbringt, da er nichts oder nicht umfassend geprüft habe, könne er auch von der – objektiv gegebenen – Minderwertigkeit noch nicht einmal Möglichkeitswissen gehabt haben. In Fällen, in denen der Sachbearbeiter tatsächlich eine Prüfung vorgenommen hatte, könnte er gegebenenfalls die Dokumentation der Prüfung vernichten und behaupten, er hätte nichts geprüft und wüsste daher von nichts. Es liegt auf der Hand, dass damit Schutzbehauptungen Tür und Tor geöffnet wären. Es fragt sich jedoch, ob ein vermögensbetreuungspflichtiger Kreditsachbearbeiter, der keine Prüfung und Abwägung der Chancen und Risiken des konkreten Kreditgeschäftes vornimmt, noch nicht einmal Möglichkeitswissen hat. Davon wird kaum einmal auszugehen sein823. Regelmäßig dürfte dem Kreditsachbearbeiter bewusst sein, dass bei einer Kreditvergabe die nicht nur abstrakt-theoretische Möglichkeit einer Minderwertigkeit des Rückzahlungsanspruches besteht und dies infolge einer fehlenden oder unzureichenden Bonitäts- und Sicherheitenprüfung nicht festgestellt würde. Eine andere Frage ist dabei natürlich, ob neben dem Möglichkeitswissen für bedingten Vorsatz weitere Vorsatzelemente („Willenselement“) erforderlich sind und ob diese weiteren Elemente auch im Einzelfall zu bejahen sind. Gibt es im Einzelfall beispielsweise Anhaltspunkte dafür, dass der Entscheidungsträger auf die Werthaltigkeit des Kreditrückzahlungsanspruches vertraut hat, so scheidet auch bedingter Vorsatz aus. IV. Ergebnis Die Rechtsprechungsanalyse hat gezeigt, dass die Gerichte in vielen Bankuntreuefällen lediglich bedingten Vorsatz bezüglich des Vermögensschadens problematisieren, obwohl – nach den tatsächlichen Feststellungen in 822 823

Vgl. Keller/Sauer, wistra 2002, S. 365, 368. Ebenso Ransiek, ZStW 116, S. 634, 670. Ähnlich Waßmer, Untreue, S. 156.

B. Begriff des dolus eventualis und seine Abgrenzung

161

den Entscheidungen – mitunter sogar direkter Vorsatz hätte problematisiert werden können. Generell gilt Folgendes: Hatte der Täter sichere Kenntnis der Vermögensbeeinträchtigung – zum Beispiel von der Minderwertigkeit des Kreditrückzahlungsanspruches –, liegt direkter Vorsatz vor. Hatte er lediglich Möglichkeitswissen, kommt bedingter Vorsatz in Betracht. Gleiches gilt auch in Fällen, in denen auf eine sogenannte schadensgleiche Vermögensgefährdung abgestellt, also eine Situation angenommen wird, in der das Vermögen wirtschaftlich bereits beeinträchtigt ist, sich aber ein „endgültiger“ Schaden noch nicht realisiert hat. Keinesfalls kann es bei der Frage des Vorsatzes auf die Einstellung zu einem solchen „Endschaden“ ankommen. Der Täter muss zum Tatzeitpunkt wissen bzw. für möglich halten, dass das Vermögen beeinträchtigt ist. Hält er dies für möglich, so entfällt der Vorsatz nicht etwa deshalb, weil er die spätere endgültige Realisierung des Schadens missbilligt. Ein solches „überschießendes Willenselement“ kann es, wie gezeigt, nicht geben. Hat der Täter lediglich Möglichkeitswissen, sodass nur bedingter Vorsatz in Betracht kommt, so stellt sich die Frage, wie der bedingte Vorsatz von der bewussten Fahrlässigkeit abzugrenzen ist, die ebenfalls ein Möglichkeitswissen voraussetzt. Dieser Frage wird im folgenden Abschnitt nachgegangen.

B. Begriff des dolus eventualis und seine Abgrenzung von der bewussten Fahrlässigkeit Wie ausgeführt, kann bei § 266 durchaus eine Tatbegehung mit dolus eventualis in Betracht kommen. Da sowohl bedingter Vorsatz als auch bewusste Fahrlässigkeit ein Möglichkeitswissen ausreichen lassen824, ist nun genauer zu erörtern, wie die beiden Unrechtsformen materiellrechtlich abzugrenzen sind. Dabei handelt es sich wohl noch heute um „eine der schwierigsten und umstrittensten Fragen des Strafrechts“825. Besondere Bedeutung kommt der Abgrenzungsproblematik bei § 266 deshalb zu, weil hier eine bloß fahrlässige Deliktsverwirklichung nicht unter Strafe gestellt ist. Die Frage, ob der Täter bedingt vorsätzlich oder nur bewusst fahrlässig gehandelt hat, entscheidet also über die Strafbarkeit des Verhaltens826. 824 Bezüglich des Möglichkeitswissens als Mindestvoraussetzung des Eventualvorsatzes herrscht Einigkeit, vgl. Cramer/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, § 15 Rn. 73; Kühl, Strafrecht AT, § 5 Rn. 52; Lackner/Kühl, § 15 Rn. 18; Wessels/ Beulke, Strafrecht AT, Rn. 216. Siehe auch BGHSt 7, S. 363, 370; BGHSt 21, S. 283, 285; BGH NStZ-RR 2006, S. 9. 825 Welzel, Strafrecht, S. 69. 826 Vgl. auch Müller, NJW 1980, S. 2390, 2392: „Die Abgrenzung von Vorsatz und Fahrlässigkeit ist nicht immer einfach. [. . .] Die Grenze verschwimmt jedoch bei denjenigen Tatbeständen, die nur vorsätzliche Tatbegehung unter Strafe stellen.

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1. Teil, 3. Kap.: Tatbegehung mit dolus eventualis

Bei Erörterung der Abgrenzungsproblematik kann, wie sogleich (I.) ausgeführt wird, die Frage des Nachweises nicht außer Betracht bleiben. Denn nur wenn es gelingt, den materiellrechtlichen Vorsatzbegriff auch prozessual handhabbar zu machen, kann das Strafrecht seinen Zweck erfüllen, als ultima ratio den Rechtsgüterschutz zu gewährleisten und damit den Rechtsfrieden zu sichern827, soweit dies mit anderen Mitteln der Rechtsordnung nicht gelingt. Sodann schließt sich die Erörterung der Frage an, wie der bedingte Vorsatz materiellrechtlich zu definieren und wie er von der bewussten Fahrlässigkeit abzugrenzen ist (II.). Im zweiten Teil dieser Schrift werden sodann die prozessualen Aspekte des (Untreue-)Vorsatzes erörtert. An dieser Stelle sei noch kurz erwähnt, dass vereinzelt eine Lösung des Abgrenzungsproblems – ein „Ausweg aus dem Dilemma“828 – durch Einführung einer dritten Schuldform zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit de lege ferenda diskutiert wird829. So schlägt beispielsweise Weigend als Vorbild für eine derartige neue Rechtsfigur die anglo-amerikanische recklessness vor, da diese aufgrund der in ihr enthaltenen Elemente von Vorsatz und Fahrlässigkeit hierfür besonders geeignet erscheine830. Aber abgesehen von den wohl geringen Verwirklichungschancen eines derartigen neuen Modells831 spricht gegen die Einführung einer solchen Zwischenform auch die Tatsache, dass mit der Vereinheitlichung der qualitative Unterschied zwischen einer (vorsatzbegründenden) Entscheidung gegen das Rechtsgut und dem zu bloßer Fahrlässigkeit führenden Vertrauen auf den Nichteintritt des tatbestandlichen Erfolges – hierauf wird nachstehend unter Ziffer II. 4. zurückzukommen sein – verloren gehen würde832. Bei diesen Delikten ist – angesichts der einzig sich stellenden Alternative: Freispruch oder Verurteilung – für die Gerichte die Versuchung groß, eine festgestellte Schuld des Täters, die zwar nicht Vorsatzintensität erreicht, aber nach Auffassung des Gerichts doch nicht mit Freispruch prämiert werden sollte, gerade noch am äußersten Ende des dolus eventualis anzusiedeln.“ 827 Siehe nur Bringewat, Grundbegriffe, Rn. 10 ff. 828 Weigend, ZStW 93, S. 657, 673. 829 So schon Stooß, ZStW 15, S. 199, 201. Zum Vorschlag der Einführung einer zwischen bewusster Fahrlässigkeit und bedingtem Vorsatz liegenden dritten Schuldform im griechischen Recht siehe Papageorgiou-Gonatas, ZStW 118, S. 262, 270. 830 Weigend, ZStW 93, S. 657 ff., insbesondere S. 687 ff. Siehe zur recklessness im amerikanischen Recht auch Arzt, in: GS-Schröder, S. 119 ff., insbesondere S. 131 ff.; Perron, in: FS-Nishihara, S. 145, 151 f. 831 Roxin, Strafrecht AT, § 12 Rn. 74; Weigend, ZStW 93, S. 657, 699 f. 832 Vgl. Roxin, Strafrecht AT, § 12 Rn. 74. Überlegenswert wäre ein solcher Ansatz unter Umständen im Nebenstrafrecht oder im Ordnungswidrigkeitenrecht. Soweit in diesen Bereichen Verhaltensweisen sanktionsbehaftet sind, deren Wertrelevanz sich erst aus der rechtlichen Regelung ergibt, kann kaum von einer „Entscheidung“ gegen ein Rechtsgut gesprochen werden (vgl. Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht AT, § 8 Rn. 119). Hier dürfte die Differenzierung zwischen vorsätzlich und fahrläs-

B. Begriff des dolus eventualis und seine Abgrenzung

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I. Der Begriff des Vorsatzes in materiellrechtlicher Hinsicht und seine beweismäßige Feststellung Der materiellrechtliche Begriff des Vorsatzes und seine beweismäßige Feststellung sind an sich Gegenstand unterschiedlicher Materien, nämlich des materiellen Strafrechts und des Strafverfahrensrechts833. Dies bedeutet aber keineswegs, dass die beiden Materien einer strikten Trennung unterliegen834. Vielmehr stellen beide Materien eine Einheit dar835, und erst ihre „Zusammenarbeit“836 ermöglicht die Erreichung des gemeinsamen Ziels: die Sicherung und Wiederherstellung des Rechtsfriedens837. Nur wenn ein von der Strafrechtsordnung missbilligtes rechtsgutverletzendes Verhalten dem Täter – mit rechtsstaatlichen Mitteln und in rechtsstaatlichen Grenzen – auch nachgewiesen werden kann, kann das Strafrecht seinen Zweck, als letztes Mittel den Schutz von Rechtsgütern zu gewährleisten, erreichen. Bei der Befassung mit der Erscheinung des Vorsatzes sollte daher bei der Ermittlung des materiellen Vorsatzbegriffes die Frage der beweismäßigen Feststellung der subjektiven Tatseite im Prozess nicht außer Betracht bleiben838. Ein noch so differenzierter materiellrechtlicher Vorsatzbegriff wird nämlich letztlich nichts wert sein, wenn er nicht auch im Strafprozess nachweisbar ist. So bleibt nach Peters eine „noch so gute Strafrechtsordnung [. . .] nur ein Schatten, wenn nicht die Möglichkeit ihrer Umsetzung in das Konkrete besteht“839. Und Prittwitz fürchtet um die Überzeugungskraft oder gar Legitimation der Strafrechtswissenschaft, wenn diese nur immer „subtilere subjektive Zurechnungsvoraussetzungen aufstellt, ohne über ihre beweismäßige Einlösung gründlicher zu reflektieren“840. sig verwirklichtem Unrecht praktisch mitunter kaum umgesetzt werden können, sodass eine Zusammenfassung von Vorsatz und Fahrlässigkeit zu einer einheitlich sanktionierten Stufe, die (nur) das Bewusstsein verbotswidrigen Verhaltens voraussetzt, diskutiert werden könnte. Siehe dazu auch nachstehend unter II. 4. a), Fußnote 1019, S. 188. 833 Allerdings ist die Trennung zwischen materiellem Recht und Prozessrecht neueren Ursprungs. In den älteren Rechtsordnungen gab es eine solche Trennung nicht, vgl. LR-Lüderssen/Jahn, StPO, Einl. Abschn. M Rn. 8 f.; Peters, Strafprozess, § 2 I. 834 Vgl. LR-Lüderssen/Jahn, StPO, Einl. Abschn. M Rn. 5. 835 LR-Lüderssen/Jahn, StPO, Einl. Abschn. M Rn. 11: „Nach einer Phase der künstlichen Trennung sieht man jetzt wieder das Gemeinsame.“; Peters, Strafprozess, § 2 I. 836 Roxin, Strafrecht AT, § 1 Rn. 14. 837 Vgl. Geppert, in: GS-Schlüchter, S. 43, 44 m. w. N. 838 Vgl. Frisch, in: GS-Meyer, S. 533, 536; Volk, in: FG-BGH, S. 739, 749. 839 Peters, Strafprozess, § 2 I; ähnlich Hillenkamp, in: FS-Wassermann, S. 861. 840 Prittwitz, JA 1988, S. 486, 496.

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1. Teil, 3. Kap.: Tatbegehung mit dolus eventualis

Die Forderung nach Berücksichtigung von Beweismöglichkeiten und die Erkenntnis der Schwierigkeit des Beweises insbesondere innerer Tatsachen841 dürfen allerdings auf der anderen Seite nicht dazu verleiten, das materielle Recht auf die Beweismöglichkeiten „zuzuschneiden“842, also sozusagen „Ausweichstrategien“843 im materiellen Recht zu entwickeln. Derartige Tendenzen finden sich indes, wie bereits erwähnt, durchaus in der neueren Gesetzgebung844. Die Gefahr hierbei ist, dass das materielle Strafrecht überdehnt wird845. Das Strafrecht darf aber nur dort eingreifen und die allgemeine Handlungsfreiheit beschränken, wo ein entsprechendes Strafbedürfnis besteht, wo strafrechtliche Sanktionen zum Schutz der Gesellschaft und ihres Rechtsfriedens unvermeidlich sind846. Speziell für den Untreuetatbestand ist vor diesem Hintergrund in der vorliegenden Schrift die Einführung einer Fahrlässigkeitsstrafbarkeit abgelehnt worden847. Auch der Vorschlag einer (partiellen) Beweislastumkehr im Strafrecht, auf den noch kurz zurückzukommen sein wird848, gehört letztlich in diesen Sachzusammenhang. Umgekehrt kann aber die Frage nach der beweismäßigen Feststellung nicht ohne die materiellrechtliche Seite, also die definitorischen Grundelemente des Vorsatzes, beantwortet werden849. Erst wenn diese Grundlage, das „maßgebliche psychische Substrat“850, ermittelt ist, weiß nämlich der Rechtsanwender überhaupt, worauf sich die Tatsachenfeststellung beziehen muss851. Erst dann kann und muss überprüft werden, ob der materiellrechtliche Vorsatzbegriff auch nachweisbar ist. Ganz im Sinne dieser Erwägungen ist im Schrifttum festzustellen, dass neben der Frage der materiellrechtlichen Beschreibung des Vorsatzbegriffes zunehmend (wenn vielleicht auch nicht mit gleicher Intensität852) auch im 841

Dazu auch unten, 4. Kapitel, A. Vgl. Arzt, in: Strafrechtliche Probleme, S. 77, 78. Siehe auch Geppert, in: GSSchlüchter, S. 43, 52 ff.; Weigend, in: FS-Triffterer, S. 695. 843 Geppert, in: GS-Schlüchter, S. 43, 52. 844 Beispiel hierfür ist die erörterte Einführung der Leichtfertigkeit bei § 261 (Geldwäsche), siehe schon 1. Kapitel, B. II. Siehe auch LR-Lüderssen/Jahn, StPO, Einl. Abschn. M Rn. 18. 845 Arzt, in: Strafrechtliche Probleme, S. 77, 94. 846 Vgl. Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, § 1 I 2. 847 1. Kapitel, B. II. 848 4. Kapitel, B. 849 Ähnlich NK-StGB-Puppe, § 15 Rn. 54. 850 Freund, JR 1988, S. 116, 117. 851 Freund, JR 1988, S. 116, 117; Schmidhäuser, JuS 1980, S. 241, 243; ähnlich Vest, Vorsatznachweis, S. 58. 852 So jedenfalls noch die Einschätzung Frischs, in: GS-Meyer, S. 533, 550 f. 842

B. Begriff des dolus eventualis und seine Abgrenzung

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primär materiellen Strafrecht die Frage der beweismäßigen Feststellung erörtert853 oder doch zumindest auf die Schwierigkeiten der prozessualen Feststellung hingewiesen wird854. Auch der BGH, dem naturgemäß die praktische Lösung der Fälle obliegt, berücksichtigt in seinen neueren Entscheidungen ausdrücklich neben den begrifflichen Voraussetzungen des bedingten Vorsatzes auch die Frage der beweismäßigen Feststellung ihres Vorliegens im Strafprozess855. Im Folgenden soll zunächst erörtert werden, wie der bedingte Vorsatz materiellrechtlich zu definieren und von der bewussten Fahrlässigkeit abzugrenzen ist (II.). Die prozessualen Fragen sind, wie ankündigt, dem zweiten Teil der Schrift vorbehalten. II. Die Bestimmung des Begriffes des bedingten Vorsatzes Die materiellrechtliche Definition des bedingten Vorsatzes und seine Abgrenzung von der bewussten Fahrlässigkeit sind bis heute umstritten. Nach einer gängigen, freilich „unpräzisen Kurzformel“856 wird der Vorsatz zumeist als „Wissen und Wollen“ aller Umstände des gesetzlichen Tatbestandes gekennzeichnet857. Die beiden Elemente, das Wissen858 und das Wollen859, sind bei den verschiedenen Vorsatzformen unterschiedlich ausgeprägt. So genügt bei der Absicht (dolus directus ersten Grades) auf der Wissensseite eine bloße Möglichkeitsannahme des Erfolgseintritts860, während das Wollen im Sinne eines Erstrebens des Erfolges stark ausgeprägt ist861. Beim direkten Vorsatz (dolus directus zweiten Grades) ist dagegen 853

Siehe beispielsweise Köhler, Strafrecht AT, S. 166; Kühl, Strafrecht AT, § 5 Rn. 87 (der explizit fragt: „Wie kann man nun diese innere Beteiligung feststellen?“); Roxin, Strafrecht AT, § 12 Rn. 31 ff.; Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht AT, § 8 Rn. 127. 854 Laskos, Strafbarkeit, S. 149, beispielsweise fordert eine „Dogmatik zur Vorsatzfeststellung“. 855 BGH NStZ 1984, S. 19; BGHSt 38, S. 345, 350; BGHSt 46, S. 30, 35 (Sparkasse); BGHSt 46, S. 53, 59. 856 Lackner/Kühl, § 15 Rn. 3. 857 Siehe nur Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, § 29 II 2 m. w. N. Zur dogmengeschichtlichen Entwicklung des Vorsatzes siehe Geßler, Dolus, S. 17 ff. 858 Dieses kognitive Element und seine Unverzichtbarkeit ergeben sich aus § 16. 859 Das voluntative Element ist im Gesetz nicht explizit verankert. Seine Existenz wird, kurz gesagt, mit der Erwägung begründet, dass die Unterscheidung zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit schon nach einem vorjuristischen Verständnis im Willen zur Tatbestandsverwirklichung gesucht werden muss (Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, § 29 II 2). Zu den Einzelheiten des Meinungsstreites im Folgenden. 860 Kühl, Strafrecht AT, § 5 Rn. 36. 861 Kühl, Strafrecht AT, § 5 Rn. 33 f.

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der Erfolg nicht erstrebt, jedoch das Wissenselement insoweit stärker ausgeprägt, als der Handelnde vom Eintritt des Erfolges sichere Kenntnis hat862. Der wissentlich Handelnde „will“ eine Tat auch dann, wenn ihm der Erfolg an sich unliebsam ist863, denn er ist sich über die Folgen im Klaren. Beim dolus eventualis ist dieses Verhältnis von Wissens- und Willenselement umstritten, wobei sich jedenfalls noch die übereinstimmende Ansicht feststellen lässt, dass im Vergleich zur Absicht die Willensseite und im Vergleich zum direkten Vorsatz die Wissensseite weniger stark ausgeprägt ist864. Durch diese Verkürzung der beiden Vorsatzelemente nähert sich mitunter der dolus eventualis an die bewusste Fahrlässigkeit an865, bei der der Handelnde trotz Erkenntnis der Möglichkeit des Erfolgseintritts auf dessen Nichteintritt vertraut866, was zu den eingangs erwähnten Abgrenzungsstreitigkeiten führt. Grob skizziert, lässt sich die Kontroverse in zwei Grundpositionen einteilen867. Der wohl überwiegende Teil des Schrifttums hält grundsätzlich ein volitives Element für erforderlich, ist sich aber nicht ganz einig, wie es zu konkretisieren ist. Ein anderer Teil verwirft das voluntative Element zugunsten eines (zumeist nur vorgeblich) rein kognitiven Verständnisses, wobei neuere Ansätze eine stärkere Objektivierung bzw. Normativierung anstreben. Im Folgenden sollen insoweit zumindest die wesentlichen Standpunkte aufgezeigt und kritisch beleuchtet werden, ohne dabei auf alle Einzelheiten der teils nur in Details abweichenden bzw. sich teilweise überschneidenden Meinungen einzugehen. Die Untersuchung wird letztlich zeigen, dass sich die vordergründig kontroversen Positionen der voluntativen und kognitiven Auffassungen inzwischen in der Sache dahingehend angenähert haben, dass übereinstimmend der Vorsatz als Entscheidung für die Rechtsgutverletzung verstanden und beschrieben wird.

862

Kühl, Strafrecht AT, § 5 Rn. 38. Roxin, Strafrecht AT, § 12 Rn. 19. 864 Geppert, JURA 2001, S. 55, 56. 865 Roxin, Strafrecht AT, § 12 Rn. 4. 866 Siehe zum Begriff der bewussten Fahrlässigkeit (luxuria): Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, § 29 III 3 c; Kühl, Strafrecht AT, § 17 Rn. 4. Von unbewusster Fahrlässigkeit (negligentia) wird gesprochen, wenn der Handelnde infolge einer Sorgfaltspflichtverletzung die Folgen seines Tuns nicht einmal erkannt oder vorausgesehen hat (Lackner/Kühl, § 15 Rn. 35). Große Bedeutung hat die Unterscheidung zwischen bewusster und unbewusster Fahrlässigkeit indes nicht (vgl. Roxin, Strafrecht AT, § 24 Rn. 68). 867 Die Bezeichnung „Willenstheorien“ und „Vorstellungstheorien“ soll hier im Hinblick auf die Schwierigkeit, den Gegensatz dieser beiden Theorien klar zu beschreiben (siehe dazu nur: Engisch, Untersuchungen, S. 126 ff.), und die fehlende Notwendigkeit, dieser Schwierigkeit in der vorliegenden Schrift vertieft nachzugehen, bewusst weitgehend vermieden werden. 863

B. Begriff des dolus eventualis und seine Abgrenzung

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1. Voluntative Ansätze

Die voluntativen Ansätze sind dadurch gekennzeichnet, dass sie neben dem Möglichkeitswissen bezüglich des Erfolgseintrittes ein zusätzliches Vorsatzelement für erforderlich halten. a) Billigungs- bzw. Einwilligungstheorie Deutlichste Ausprägung des voluntativen Ansatzes waren die Billigungsoder Einwilligungstheorie und die Gleichgültigkeitstheorie. Nach der Billigungstheorie, die vor allem vom Reichsgericht und anfangs vom BGH vertreten wurde (dazu sogleich noch unter d)), ist bedingter Vorsatz gegeben, wenn der Handelnde den Erfolgseintritt für möglich hält und ihn will, ihn innerlich billigt868. Der Täter musste also den Erfolg in seinen Willen aufgenommen, wenn auch nicht im strengen Sinne beabsichtigt haben. So bejahte beispielsweise das Reichsgericht bedingten Vorsatz, wenn der Täter „die That auch für den Fall gewollt hat, daß sie diesen Erfolg haben wird (wenn er den Erfolg im voraus gebilligt, in seinen Willen aufgenommen hat)“869.

Teilweise verwendete das Reichsgericht auch die Formulierung „in Kauf nehmen“870, die gleichbedeutend mit „billigen“ sei871, bzw. verlangte neben dem Inkaufnehmen eine innere Billigung872. Versteht man dieses Billigen im Sinne einer emotional-positiven Einstellung zum Eintritt des Erfolges, im Sinne eines Sich-Freuens873, so führt dies zu einer starken Einengung des Vorsatzbereiches874, denn Fälle, in denen dem Täter der Erfolg zwar notwendig erscheint, er ihm aber nicht positiv gegenübersteht, müssten danach als (bloße) Fahrlässigkeitstaten eingestuft werden. Die Entscheidung zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit von einer solchen emotionalen Einstellung abhängig zu machen, ist jedoch nicht sachgerecht, denn vor dem Hintergrund, dass das Strafrecht dem Rechtsgüterschutz dient, ist allein maßgeblich, dass der Täter sich gegen das Rechtsgut entscheidet, nicht aber, aus welchen Gründen er dies tut875. Zudem dürfte bei einer „Billigung“ im 868

Zu den früheren Vertretern im Schrifttum siehe die Nachweise bei Engisch, Untersuchungen, S. 94. 869 RGSt 33, S. 4, 5; auch RGSt 26, S. 242, 243; RGSt 61, S. 159, 160. 870 RGSt 67, S. 424, 425; RGSt 77, S. 228, 229; ähnlich auch RGSt 59, S. 2, 3. 871 RGSt 77, S. 228, 229. 872 RGSt 72, S. 36, 43. 873 So heute wieder Müller, NJW 1980, S. 2390, 2392 („den Erfolg [. . .] billigt, bejaht, begrüßt [. . .]“). 874 Vgl. Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 5 m. w. N. 875 Rudolphi, in: SK-StGB, § 16 Rn. 39; ähnlich auch Roxin, Strafrecht AT, § 12 Rn. 37.

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Sinne eines Sich-Freuens bereits Absicht vorliegen876. Richtigerweise sollten derartige Aspekte des Gesinnungsunwertes nur in der Strafzumessung Berücksichtigung finden877. Mit Küper878 wird man inzwischen wohl diejenigen Ausprägungen der Billigungs- oder Einwilligungstheorie, die eine positive Gefühlseinstellung verlangen, als überwunden ansehen dürfen879. Es scheint, dass lediglich die Vertreter kognitiver Theorien mitunter behaupten, und zwar vermutlich um ihre jeweilige eigene Position zu bekräftigen, die Befürworter volitiver Elemente würden nach wie vor eine gefühlsmäßig positive bzw. gleichgültige Einstellung zum Erfolg verlangen880 bzw. bei Verneinung einer solchen positiven Einstellung widersprüchlich argumentieren881. Nach wie vor verwenden zwar die Rechtsprechung und ein kleiner Teil des Schrifttums882 die Billigungsformel. Wie nachstehend unter d) zu zeigen sein wird, wird dabei allerdings überwiegend mit dem Begriff des Billigens längst keine emotional-positive Einstellung zum Erfolg mehr verknüpft883. b) Gleichgültigkeitstheorie Dem Vorwurf der unangemessenen Einengung des Vorsatzbereiches will die Gleichgültigkeitstheorie, die auf Engisch884 zurückgeht, durch eine Erweiterung der Billigungstheorie begegnen: dolus eventualis sei (auch) dann zu bejahen, wenn der Täter die Verwirklichung des Tatbestandes aufgrund von Gleichgültigkeit gegenüber dem geschützten Rechtsgut – zumindest – in Kauf nimmt885. Ausgeschlossen sei Vorsatz nur dann, wenn dem Täter die Nebenfolgen nicht gleichgültig, sondern unerwünscht sind886. 876

Vgl. Roxin, Strafrecht AT, § 12 Rn. 37. Vgl. Roxin, JuS 1964, S. 53, 58; Weigend, ZStW 93, S. 657, 662. 878 Küper, GA 1987, S. 479, 507. 879 So auch die Einschätzung von Brammsen, JZ 1989, S. 71, 77; Wolf, Verwendung öffentlicher Mittel, S. 157. Siehe auch Ambrosius, Vorsatzabgrenzung, S. 59 f.; Hassemer, in: GS-Kaufmann, S. 289, 297; Jakobs, Strafrecht AT, 8. Abschnitt, Rn. 21. 880 So offenbar Puppe, GA 2006, S. 65, 73. 881 So beispielsweise Kargl, Vorsatz, S. 55 ff. 882 Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht AT, § 20 Rn. 53 f.; Maurach/Zipf, Strafrecht AT/1, § 22 Rn. 34. 883 So auch die Einschätzung von Roxin, Strafrecht AT, § 12 Rn. 39. 884 Engisch, Untersuchungen, S. 186 ff. 885 Beulke, JURA 1988, S. 641, 644; Cramer/Sternberg-Lieben, in: Schönke/ Schröder, § 15 Rn. 84; Engisch, Untersuchungen, S. 189 ff.; ders., NJW 1955, S. 1688, 1689; Gallas, ZStW 67, S. 1, 43. 886 Engisch, NJW 1955, S. 1688, 1689. 877

B. Begriff des dolus eventualis und seine Abgrenzung

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Gerade aber die letztgenannte Annahme ist so nicht zutreffend, denn die bloße Unerwünschtheit der Nebenfolge kann nicht in jedem Falle zur Vorsatzverneinung führen887. Insofern gilt der gleiche Einwand wie bei der Billigungstheorie in ihrer ursprünglichen Ausprägung: Auf eine losgelöste emotionale Einstellung zum Erfolg kann es bei der Vorsatzfrage nicht ankommen888. Gerade in seiner Pauschalität kann der Ansatz nicht überzeugen, denn wenn dem Handelnden infolge Gleichgültigkeit schon die erforderliche Möglichkeitsvorstellung fehlt, so scheidet Vorsatz mangels vorsatzspezifischen Wissens aus; ein solches Ausbleiben der Erfolgsvorstellung ist gerade kennzeichnend für die unbewusste Fahrlässigkeit889. In einem solchen Fall kann deshalb auch nicht generell vorsätzliches Handeln angenommen werden. Auf die Fälle eines gleichgültigen Täters wird nachstehend unter Ziffer 4. d) zurückzukommen sein. c) Lehre von der Manifestation des Vermeidewillens (Armin Kaufmann) Im Ansatz ebenfalls von einem Willenselement ausgehend, hat Armin Kaufmann seine Lehre von der Manifestation des Vermeidewillens konzipiert890. Vorsatz ist für Kaufmann Verwirklichungswille. Die Vorsatzfrage will er davon abhängig machen, ob der Täter tatsächlich Maßnahmen zur Vermeidung des Erfolges ergriffen hat, also sozusagen „vorsichtig“ zu Werke gegangen ist. Ist dies der Fall, so scheide Vorsatz aus, denn der (tatmächtige) Vermeidewille schließe den Herbeiführungswillen aus891. Die Vorsatzfrage soll damit laut Kaufmann nicht von einer Gesinnung, Einstellung oder Vorstellung abhängen, sondern von einem objektiven Kriterium892. 887

So auch Roxin, Strafrecht AT, § 12 Rn. 40. So auch Roxin, Strafrecht AT, § 12 Rn. 40. 889 Vgl. Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 8; Küpper, ZStW 100, S. 758, 767; Welzel, Strafrecht, S. 70. 890 Kaufmann, ZStW 70, S. 64 ff. Ähnlich Behrendt, JuS 1989, S. 945, 950; ders., Unterlassung, S. 191 ff.; ders., in: FS-Simson, S. 11 ff.; Schlehofer, NJW 1989, S. 2017, 2020. Ähnlich schon Vorstellungen aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, vgl. die Nachweise bei Engisch, Untersuchungen, S. 95 ff. Ablehnend Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 13 ff. m. w. N. 891 Kaufmann, ZStW 70, S. 64, 74. Bei Schroeder, in: LK, 11. Auflage, § 16 Rn. 92, finden sich ähnliche Erwägungen: So könne sich derjenige Täter, der den Erfolg für ‚leicht möglich‘ halte, „nicht durch eine bloße seelische Verdrängung vor dem Vorsatz ‚drücken‘, sondern muß durch den Einsatz von Gegenfaktoren die objektive Gefahrenlage verändern, durch kompensierende Vermeidebemühungen die Gefahrsituation entschärfen.“ 892 Kaufmann, ZStW 70, S. 64, 76. Ziegert, Vorsatz, S. 100 f., meint allerdings, die Konzeption Kaufmanns entspreche letztlich der Gleichgültigkeitstheorie und damit einer emotionalen Theorie. 888

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1. Teil, 3. Kap.: Tatbegehung mit dolus eventualis

Zu kritisieren ist an der Theorie Kaufmanns insbesondere ihre Absolutheit893. Sie berücksichtigt nämlich nicht hinreichend, dass trotz Nichtergreifens von Vermeidemaßnahmen der Täter durchaus auf ein Ausbleiben des Erfolges vertraut haben könnte894 oder ein Vermeideverhalten schlicht nicht eröffnet gewesen sein könnte895. Kann also die Theorie materiellrechtlich nicht überzeugen, so hat sie doch in prozessualer Hinsicht Beachtung gefunden. In diesem Sinne wendet ein Großteil des Schrifttums das steuernde Verhalten als ein Indiz für das Vertrauen des Täters auf den Nichteintritt des Erfolges an896. Die Tauglichkeit der Lehre Kaufmanns erscheint jedenfalls für den Untreuetatbestand fraglich. So würde beispielsweise in den Bankuntreuefällen bei Zugrundelegung dieser Lehre häufig Vorsatz verneint werden, wenn sich objektiv zwar deutliche Anhaltspunkte für eine dem Täter bekannte fehlende Bonität und mangelnde Werthaltigkeit der Sicherheiten ergeben, der Handelnde aber ganz unbedeutende „Vermeidehandlungen“ vorgenommen hat, zum Beispiel ein Warenlager, das als bloße Zusatzsicherheit dienen soll, besichtigt hat897. Würde man eine solche im Gesamtzusammenhang vielleicht eher unbedeutende „Vermeidehandlung“ als vorsatzausschließend heranziehen, so würde der Bereich der (Vorsatz-)Strafbarkeit vermutlich zu stark eingeengt und die Vorsatzfeststellung leicht manipulierbar. 893 So auch Hillenkamp, in: GS-Kaufmann, S. 351, 360, der aber bei differenzierender Betrachtung eine „relative Wahrheit“ der Lehre anerkennt. 894 Roxin, Strafrecht AT, § 12 Rn. 54. 895 Hassemer, in: GS-Kaufmann, S. 289, 292. 896 Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht AT, § 20 Rn. 58; Cramer/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, § 15 Rn. 78; Hassemer, in: GS-Kaufmann, S. 289, 308 ff.; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, § 29 III 3 d, dd; Köhler, Fahrlässigkeit, S. 283; Lackner/Kühl, § 15 Rn. 24; Roxin, Strafrecht AT, § 12 Rn. 54; Schroth, NStZ 1990, S. 324, 325. Kritisch zu einer Reduzierung des Vermeidegedankens auf eine bloße Indizfunktion: Hillenkamp, in: GS-Kaufmann, S. 351, 360 und 369. Hassemer, in: GS-Kaufmann, S. 289, 292, gibt zu bedenken, dass ein Vermeideverhalten auch das „Ergebnis verbrecherisch-strategischen Kalküls“ sein könne. Auch in der Rechtsprechung scheint der Aspekt Berücksichtigung zu finden, so beispielsweise im sogenannten „Car-Walking-Fall“ des Landgerichts Berlin (NStZ-RR 1997, S. 362 f.): Der wegen Sachbeschädigung Angeklagte, der sich als Aktionskünstler gegen das Parken von Fahrzeugen auf Gehwegen verstand, hatte bereits bei einer früheren Aktion, dem Übersteigen von Autos, ein Fahrzeug beschädigt. Er ließ sich im konkreten Fall dahingehend ein, aufgrund dieses Vorfalles habe er seine „Technik“ geändert und weitere Sachbeschädigungen so vermieden. In diesem „Ändern der Technik“ kann man durchaus ein Vermeideverhalten im Sinne Kaufmanns sehen. Das Landgericht Berlin konnte nicht widerlegen, dass der Angeklagte auch im konkreten Fall aufgrund seiner Vorsichtsmaßnahmen auf die Folgenlosigkeit seines Tuns vertraut hatte und sprach ihn mangels Vorsatznachweises frei. 897 Ähnlich Laskos, Strafbarkeit, S. 143.

B. Begriff des dolus eventualis und seine Abgrenzung

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d) Ernstnahmetheorie aa) Schrifttum Die wohl herrschende Lehre vertritt einen Ansatz, der verbreitet als Ernstnahmetheorie bezeichnet wird898 und maßgeblich auf Stratenwerth zurückgeht. Bei diesem Ansatz soll die Vorsatzabgrenzung insbesondere nicht von einer gefühlsmäßigen Einstellung des Täters zu dem Erfolg im Sinne von „Erwünschtheit“ oder „Unerwünschtheit“ abhängen, sodass nicht von einem Willenselement im Sinne der Billigungstheorie gesprochen werden kann. Gleichzeitig wird aber auch betont, dass der Vorsatz nicht allein aus einem Wissenselement bestehen kann. Man mag die Theorie daher den voluntativen Theorien zuordnen, darf das volitive Element aber eben nicht dahingehend missverstehen, dass ein Wollen im Sinne eines Erwünschtseins des Erfolges verlangt wird, sondern lediglich eine Art von Stellungnahme durch den Täter. Stratenwerth ging bei seinem für die Ernstnahmetheorie richtungsweisenden Ansatz davon aus, dass das menschliche Bewusstsein die Wirklichkeit mit den gegebenen Möglichkeiten nicht rein rezeptiv abbildet899. Vielmehr liege im Handlungsentschluss eine Antizipierung, ein Entwurf der künftigen Geschehensabläufe, die über eine bloße Abbildung des Gegebenen hinausgehe. Diese Freiheit gegenüber der Situation führe dazu, dass der Handelnde seinen Verwirklichungswillen nicht auf jede als möglich erkannte Folge zu erstrecken brauche, sondern diesbezüglich noch eine Stellungnahme vollziehen könne900. Diese Stellungnahme bilde den Ansatzpunkt für die Abgrenzung von dolus eventualis und luxuria. Dabei bestimmt Stratenwerth eine dolose Zurechnung in zwei Schritten. Auf der ersten Stufe erfolgt eine Einschätzung des Risikos: Der Täter muss die (erkannte) Erfolgsmöglichkeit ernst nehmen. Auf einer zweiten Stufe wird die vorsatzspezifische Gefahreneinschätzung mit dem Handlungsentschluss verknüpft: Soweit die konkreten Verhaltensalternativen Güter oder Interessen berühren, besitzen sie einen bestimmten Wertcharakter, aus dem sich gewisse Ansprüche an das Verhalten des Handelnden ergeben, nämlich „sein Verhalten auf 898

Die Bezeichnung als „Ernstnahmetheorie“ findet ihren Grund darin, dass die Vertreter dieses Ansatzes zur Vorsatzkennzeichnung eine Ernstnahme der Gefahr durch den Täter verlangen. Dabei handelt es sich nach hiesigem Verständnis im Grunde nur um die bloß sprachliche Umschreibung eines inneren Sachverhaltes, nämlich einer Entscheidung gegen das Rechtsgut, worauf noch näher unter 4. eingegangen wird. Diese Entscheidung gegen das Rechtsgut wird in der vorliegenden Schrift – mit der überwiegenden Lehre – als das maßgebliche Substrat des Vorsatzes angesehen. 899 Stratenwerth, ZStW 71, S. 51 ff. 900 Stratenwerth, ZStW 71, S. 51, 54.

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die Verwirklichung positiv-wertiger oder auf die Vermeidung negativ-wertiger Möglichkeiten“ hinzusteuern. Nehme der Täter einen solchen Anspruch ernst, so müsse er zu dem negativ-wertigen Erfolg Stellung beziehen und sich entscheiden, ob er die Handlung unterlässt oder den Erfolg notfalls hinnehmen will901. Entschließe sich der Täter vor dem Hintergrund dieses Bewusstseins zum Handeln, so entscheide er sich also notwendig für die negativ-wertige Erfolgsmöglichkeit. Der Leichtsinnige dagegen, der den Handlungsanspruch gerade nicht ernst nehme, beziehe die Gefahr nicht in seinen Willensentschluss ein und nehme somit zu dem negativ-wertigen Erfolg nicht Stellung902. Im Sinne dieses Ansatzes Stratenwerths wird der bedingte Vorsatz von den Vertretern der Ernstnahmetheorie – wenn auch mit unterschiedlichen Nuancierungen – dahingehend definiert, dass der Täter die erkannte Gefahr des tatbstandsmäßigen Erfolges ernst genommen und sich mit dem Risiko der Rechtsgutverletzung um des erstrebten außertatbestandlichen Erfolges willen abgefunden hat903. Einigkeit besteht offensichtlich inzwischen darin, dass die vorgenannten Umschreibungen (Inkaufnehmen, Sich-Abfinden, Hinnehmen) den eigentlichen Gehalt bloß sprachlich vermitteln sollen904 und im Ergebnis übereinstimmen905. Bloße Fahrlässigkeit wollen die Vertreter der Ernstnahmetheorie dann annehmen, wenn der Täter auf den guten Ausgang vertraut hat, nicht aber, wenn er auf den guten Ausgang bloß gehofft hat906. Schroth, der dolus eventualis als „Aneignung der Unrechtskonstitutionsbedingungen“ definiert907, hält indes das Ernstnahmekriterium für zu eng. 901

Stratenwerth, ZStW 71, S. 51, 56. Stratenwerth, ZStW 71, S. 51, 57. Insofern weist Ziegert, Vorsatz, S. 87, zu Recht auf eine gewisse Widersprüchlichkeit hin: Nicht auf die Ernstnahme des Handlungsanspruchs sei abzustellen, sondern auf die Ernstnahme der Gefahr. Ginge es um die Ernstnahme des Handlungsanspruches, so läge schon darin ein Akt der Stellungnahme, der ja nach Stratenwerth gerade den Vorsatztäter und nicht den Fahrlässigkeitstäter kennzeichnen soll. 903 Vgl. Geppert, JURA 2001, S. 55, 57; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, § 29 III 3 a m. w. N.; Kühl, Strafrecht AT, § 5 Rn. 85; Roxin, Strafrecht AT, § 12 Rn. 27; Rudolphi, in: SK-StGB, § 16 Rn. 43 m. w. N.; Schramm, JuS 1994, S. 405, 407 f. 904 Hassemer, in: GS-Kaufmann, S. 289, 301 und 302 f., spricht insoweit von einer „Paraphrasierung“. 905 Vgl. Kühl, Strafrecht AT, § 5 Rn. 84; Küpper, ZStW 100, S. 758, 766. Ähnlich auch Weigend, ZStW 93, S. 657, 667, Fußnote 36. 906 Vgl. Kühl, Strafrecht AT, § 5 Rn. 75 ff. Zum Unterschied zwischen Vertrauen und bloßem Hoffen im 2. Kapitel, B. III. 2., Fußnote 654, S. 124. 907 Schroth, Vorsatz als Aneignung, S. 118 ff.; ders., Vorsatz und Irrtum, S. 12 ff.; ders., JuS 1992, S. 1, 7. 902

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Zur Begründung führt er das Beispiel eines hochgradig aggressiven Täters an, der aus Zorn wegen einer vermeintlichen Beleidigung dem angeblichen Beleidiger mit einem Messer zielgerichtet in die Brust sticht, wobei ihm spontan die hohe Gefährlichkeit seines Handelns hinsichtlich des Eintritts des Todes des Opfers in den Sinn kommt. Schroth meint, in diesem Fall müsse Tötungsvorsatz bejaht werden, was jedoch die Ernstnahmetheorie nicht begründen könne, weil der Täter die Gefährlichkeit mangels Bereitschaft, zur Gefährlichkeit seines Handelns Stellung zu nehmen, nicht ernst nehme908. Diese Ansicht scheint jedoch in einem falschen Verständnis des Ernstnahmekriteriums begründet zu sein. Die „Ernstnahme“ einer Gefahr setzt keineswegs „langwierige“ Überlegungen und Abwägungen zum Ausmaß einer Gefahr im konkreten Einzelfall voraus, sondern kann durchaus auch bei einer spontanen Handlung dem Täter deutlich zu Bewusstsein kommen, nämlich gerade dann, wenn es, wie in dem Beispiel, um deutlich lebensgefährliche Handlungen geht. Ernstnehmen bedeutet, das Risiko der Tatbestandsverwirklichung hoch veranschlagen – das kann auch innerhalb eines ganz kurzen, kaum messbaren Zeitmomentes erfolgen. Bei diesem Verständnis des Ernstnahmekriteriums scheinen die Unterschiede zur Aneignungstheorie Schroths nicht fundamental909, zumal er den Komplementärbegriff zum Ernstnehmen, das Leichtnehmen der Gefahr, als vorsatzausschließend anerkennt910. bb) Rechtsprechung Ganz ähnliche Formulierungen werden inzwischen auch in der Rechtsprechung verwendet, wenn auch dort häufig (sprachlich) noch die Billigungsformel verwendet wird. Zunächst hatte der BGH – ebenso wie das Reichsgericht – eine Billigung des Erfolges im ursprünglichen Wortsinne verlangt911, in der Nachkriegszeit seine bisherige Auffassung zur Vorsatzbestimmung jedoch geändert: Es sollte nunmehr eine „Billigung im Rechtssinne“912 ausreichen913 (wenn man so will: „modifizierte Billigungstheo908

Schroth, Vorsatz als Aneignung, S. 109; ders., JuS 1992, S. 1, 5. Ähnlich Roxin, Strafrecht AT, § 12 Rn. 71; Rudolphi, in: SK-StGB, § 16 Rn. 43a. 910 Schroth, Vorsatz als Aneignung, S. 110. 911 Vgl. BGH MDR/Dallinger 1952, S. 16; BGH GA 1979, S. 106, 107. 912 Grundlegend: BGHSt 7, S. 363, 369 (Lederriemen). 913 BGHSt 14, S. 240, 256; BGH NJW 1963, S. 2236, 2237; BGH NJW 1968, S. 660, 661. Als eine Art „Erkenntnismittel“ bei der Frage, ob der Täter den Erfolg gebilligt hat, dienten insbesondere der Rechtsprechung die sogenannten Frankschen Formeln (BGHSt 14, S. 240, 257; BGH NJW 1969, S. 1678, 1681; so auch Frank selbst: Strafgesetzbuch, § 59 Anm. V, S. 191). Die erste Franksche Formel lautet: „Die Voraussicht des Erfolges als eines möglichen erfüllt also den Begriff des Vor909

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rie“). Mit dieser Einschränkung sollte zum Ausdruck gebracht werden, dass eine emotionale Einstellung zum Erfolg im Sinne einer Erwünschtheit, eines Gutheißens nicht mehr erforderlich ist, sondern eher ein nolens-volens. Nach einer gängigen Formulierung heißt es demgemäß: „Nach ständiger Rechtsprechung des BGH handelt der Täter bedingt vorsätzlich, wenn er den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fern liegend erkennt und ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet.“914

Verwendet werden neben dem Sich-Abfinden beispielsweise auch die Umschreibungen Einverstandensein915 oder (billigend) Inkaufnehmen916, wobei diese Beschreibungen in unterschiedlicher Weise kombiniert und in Beziehung gesetzt werden917. Ein bezüglich des als möglich erkannten Erfolgseintritts gleichgültiger Täter handelt nach Ansicht des BGH ebenfalls bedingt vorsätzlich918. Nur bewusst fahrlässig handele dagegen, wer mit der als möglich erkannten Folge nicht einverstanden ist und deshalb auf ihren Nichteintritt vertraut919. Diese Umschreibungen aber entsprechen nicht nur den Formulierungen der herrschenden Lehre, sondern bezeichnen auch den gleichen psychologischen Sachverhalt, nämlich eine Situation, in der der Täter die Möglichkeit des Erfolgseintritts erkannt, die Gefahr ernst genommen und gleichwohl die rechtsgutbeeinträchtigende Handlung vorgenommen hat. In der Sache hat sich die Rechtsprechung also längst der herrschenden Lehre angenähert920, mag sie auch weiterhin verbal am „Billigungselement“ festhalten. satzes nur dann, wenn die Voraussicht desselben als eines gewissen den Handelnden nicht abgehalten, nicht die Bedeutung eines ausschlaggebenden kontrastierenden Motivs gehabt hätte.“ (Frank, ZStW 10, S. 169, 211). Die zweite Franksche Formel lautet: „Mag es so oder anders sein, so oder anders werden, auf jeden Fall handle ich.“ (Frank, Strafgesetzbuch, § 59 Anm. V, S. 190). 914 BGH NStZ 2003, S. 431. Ähnlich: BGHR StGB, § 212 Abs. 1, Vorsatz, bedingter 8; BGH NStZ 1987, S. 362; BGH NStZ 1988, S. 175; BGH NStZ 1994, S. 483, 484; BGH NStZ 1999, S. 507, 508; BGH NStZ 2004, S. 201, 202; BGH NStZ 2006, S. 98, 99. 915 BGHSt 17, S. 259, 262. 916 BGHSt 40, S. 304, 306; BGH NStZ 2000, S. 583, 584; BGH NStZ 2004, S. 201, 202 = StV 2004, S. 79, 80. 917 BGH NStZ 1987, S. 362 („billigend in Kauf nimmt oder sich abfindet“); BGH StV 1995, S. 511, 512 („den Erfolgseintritt auch akzeptiert“, „sich innerlich damit abfindet“, „billigende Inkaufnahme“). 918 BGHSt 2, S. 150, 156; BGHSt 40, S. 304, 306; BGH NStZ 2005, S. 381, 382. 919 Vgl. BGH NStZ 1987, S. 362 = JR 1988, S. 115; BGH NStZ 1988, S. 175. 920 So auch Bringewat, Grundbegriffe, Rn. 452; Cramer/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, § 15 Rn. 81a; Frisch, JuS 1990, S. 362, 366; Köhler, JZ 1981, S. 35, 36; Küpper, ZStW 100, S. 758, 765 f.; MünchKommStGB/Schneider, § 212

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cc) Der Vorwurf der Instrumentalisierung des „Willenselementes“ durch die Rechtsprechung Die anhaltende stereotype Verwendung der Billigungsfloskel durch die Rechtsprechung bezeichnet Frisch angesichts der inhaltlichen Annäherung an die herrschende Lehre zu Recht als irreführend und bedauerlich921. Sie hat dem BGH den Vorwurf eingebracht, er instrumentalisiere das Wollenselement922. Anhand eines Beispielfalles sei diese nicht ganz von der Hand zu weisende Kritik illustriert. Im sogenannten Strafverteidigerfall hatte der BGH 1992 zu entscheiden, ob sich ein Strafverteidiger, der bei Gericht mehrere gefälschte Urkunden (ärztliche Atteste sowie eine Sterbeurkunde des tatsächlich noch lebenden Mandanten) eingereicht hatte, wegen Strafvereitelung (§ 258), Urkundenfälschung (§ 267) und Betruges (§ 263) strafbar gemacht hatte923. Der Strafverteidiger hatte die Urkunden vorgelegt, um zu „beweisen“, dass sein im Ausland befindlicher Mandant zunächst erkrankt und dann verstorben war. Ziel war es, die drohende Vollstreckung gegen den Mandanten und den Verfall einer Kaution zu verhindern. Eine Strafbarkeit wegen Strafvereitelung wurde schon vom Landgericht verneint, weil der Strafverteidiger nur mit dolus eventualis gehandelt habe, § 258 jedoch direkten Vorsatz voraussetzt. Zu entscheiden war nunmehr noch über die bedingt vorsätzliche Verwirklichung der §§ 267 und 263. Im Ergebnis verneinte der BGH die Strafbarkeit wegen dieser Delikte. Dabei statuierte er nicht, wie teilweise im Schrifttum als sachgerechte Lösung befürwortet, eine Sperrwirkung des § 258924, sondern verlagerte die Problematik in den Bereich des subjektiven Tatbestandes, genauer: in den Bereich der Abgrenzung von dolus eventualis und luxuria. Da es sich um ein offenes mehrdeutiges Geschehen handele, solle, so der BGH, der Würdigung der Täterpersönlichkeit und dem Tatgeschehen bei der Feststellung des voluntativen Elementes besondere Bedeutung zukommen925. Es Rn. 8; Ziegert, Vorsatz, S. 102. Gleichwohl ist die Rechtsprechung nicht konsistent. So finden sich mitunter durchaus auch Entscheidungen, in denen man eine Anwendung der Möglichkeitstheorie (vgl. Ross, Vorsatz, S. 96) oder eine Annäherung an die Wahrscheinlichkeitstheorie feststellen kann (vgl. Schroeder, in: LK, 11. Auflage, § 16 Rn. 92). 921 Frisch, JuS 1990, S. 362, 366. 922 Vgl. NK-StGB-Puppe, § 15 Rn. 89; Roxin, Strafrecht AT, § 12 Rn. 81; Stumpf, NStZ 1997, S. 7, 11. Kritisch auch Beulke, JR 1994, S. 116, 120. 923 BGHSt 38, S. 345 ff. 924 So beispielsweise v. Stetten, StV 1995, S. 606, 610. Kritisch jedoch Beulke, JR 1994, S. 116, 118 f. Stumpf, NStZ 1997, S. 7, 11, schlägt vor, die Problematik der Verteidigerstrafbarkeit über die Frage der prozessualen Zulässigkeit des Verteidigerhandelns zu lösen. 925 BGHSt 38, S. 345, 350.

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sei in der Regel so, dass ein Strafverteidiger als Organ der Rechtspflege strafbares Verhalten nicht billige, sondern Beweismittel des Mandanten selbst bei erheblichen Zweifeln an der Richtigkeit der Beweise mit dem inneren Vorbehalt verwende, das Gericht werde sie einer kritischen Prüfung unterziehen und die Fragwürdigkeit nicht übersehen926. Etwas anderes solle nur gelten, wenn der Verteidiger über zusätzliche Informationen bezüglich einer Fälschung der Beweismittel verfüge. Diese Entscheidung kann nicht überzeugen. Es kann nämlich nicht darauf ankommen, ob Strafverteidiger grundsätzlich strafbares Verhalten „billigen“ oder ablehnen. Entscheidend muss sein, ob der individuell Handelnde im konkreten Einzelfall den Tatbestand bedingt vorsätzlich verwirklicht hat, das heißt es bei Zugrundelegung der Ernstnahmetheorie ernsthaft für möglich gehalten hat, dass der Erfolg eintritt und sich mit dieser Möglichkeit abgefunden hat, oder ob er darauf vertraut hat, dass sich das Risiko nicht realisiert. Insoweit hätte der BGH gut daran getan, diejenigen Indizien herauszuarbeiten, die für bzw. gegen ein Ernstnehmen der Tatbestandsverwirklichung durch den Anwalt gesprochen hätten. Die Entscheidung zeigt, dass die Verwendung der Billigungsfloskel – nichts anderes als eine Floskel ist sie ja, wie gesagt, in den meisten Fällen – auf den Prüfstand gestellt werden sollte. Vielleicht wäre mit dem Verzicht auf die Formel die Gefahr einer derartigen Instrumentalisierung gebannt. 2. Kognitive Ansätze

a) Möglichkeitstheorie Wichtigste Ausprägungen der kognitiven Ansätze, die bei der Abgrenzung von Vorsatz und Fahrlässigkeit ausschließlich mit kognitiven Elementen operieren wollen, sind die Möglichkeitstheorie und die Wahrscheinlichkeitstheorie. Nach der (reinen) Möglichkeitstheorie soll bedingter Vorsatz bereits dann vorliegen, wenn der Täter sich den Erfolg als konkret möglich vorstellt und dennoch handelt927. Schon die Vorstellung der Möglichkeit des 926 BGHSt 38, S. 345, 350 f. Beulke, JR 1994, S. 116, 120, sieht hierin eine – im Ergebnis abzulehnende – Art von Hemmschwellentheorie. Problematisch an der Argumentation des BGH bezüglich des Vorbehaltes der Prüfung ist, dass bereits die Vorlage der Urkunde bei Gericht ein Gebrauchen der Urkunde im Sinne des § 267 darstellt, sodass der Deliktserfolg bereits eingetreten ist. 927 OLG Hamm DAR 2001, S. 176, 177; LG Potsdam Blutalkohol 2004, S. 540, 541; Morkel, NStZ 1981, S. 176, 179; Schmidhäuser, GA 1957, S. 305, 312 f.; ders., JuS 1980, S. 241, 242 und 250; Schröder, in: FS-Sauer, S. 207, 231. Siehe auch die Nachweise zur älteren Ausprägung bei Engisch, Untersuchungen, S. 119 ff., sowie bei Stratenwerth, ZStW 71, S. 51, Fußnote 5.

B. Begriff des dolus eventualis und seine Abgrenzung

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Erfolgseintritts müsse den Täter vom Weiterhandeln abhalten und rechtfertige die Vorsatzstrafe, wenn der Täter trotz dieser Erkenntnis handelt928. Dieser Sichtweise wird zutreffend entgegengehalten, sie dehne den Bereich der Vorsatzstrafbarkeit erheblich aus929 und negiere letztlich die Existenz der bewussten Fahrlässigkeit im herkömmlichen Sinne930. Es wird nämlich nicht berücksichtigt, dass der Täter im Einzelfall – trotz der Möglichkeitsvorstellung – auf den guten Ausgang ernsthaft vertraut haben könnte. Eine Vorsatzstrafe ist dann nicht gerechtfertigt931, weil das Vertrauen auf den Nichteintritt des Erfolges anders zu bewerten ist als die bewusste Hinnahme eines Erfolges932. Die Theorie beruht auf der Fiktion, dass der Handelnde, der an seinem Tatentschluss festhält, zwangsläufig eine Entscheidung für die mögliche Rechtsgutverletzung trifft933. Indes modifizieren einige Vertreter der Möglichkeitstheorie die intellektuelle Vorsatzseite und berücksichtigen Aspekte wie eine Gefahrverdrängung oder Risikogewöhnung. So stellt beispielsweise Schmidhäuser darauf ab, ob der Handelnde im entscheidenden Augenblick die konkrete Möglichkeit der Erfolgsverursachung verdrängt hat und damit gerade keine Möglichkeitskenntnis hatte934. Dem wird wiederum von den Befürwortern eines voluntativen Elementes entgegengehalten, es handele sich bei dieser Gefahrverdrängung um eine Fiktion935. Schröder schränkt die Möglichkeitstheorie dahingehend ein, dass er Fälle „sozial adäquater Gefährdung“ und Fälle, bei denen die Verletzungsmöglichkeit eine „quantité negligeable“ darstelle, von vornherein ausschließt, sodass sich in diesen Fällen die Vorsatzfrage überhaupt nicht stelle936. Des Weiteren will er schon auf der Wissensseite ein Vertrauen auf den guten Ausgang vorsatzausschließend berücksichtigen: 928

Vgl. Schröder, in: FS-Sauer, S. 207, 238. Cramer/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, § 15 Rn. 75; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, § 29 III 3 d bb. Schmidhäuser, JuS 1980, S. 241, 249, hält als Vertreter dieser Theorie diese Kritik für verfehlt, denn es könne nicht um eine kriminalpolitische Entscheidung über die Strafwürdigkeit gehen, sondern um Sachkenntnis und Begriffsbildung. 930 Roxin, Strafrecht AT, § 12 Rn. 41. 931 Roxin, Strafrecht AT, § 12 Rn. 42. 932 Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 217. 933 Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 217. 934 Schmidhäuser, Studienbuch, 7/100; ders., JuS 1980, S. 241, 244 f. Ähnlich Kindhäuser, GA 1994, S. 197, 203 f.; Morkel, NStZ 1981, S. 176, 177 f. 935 Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 217. Anderer Ansicht Prittwitz, JA 1988, S. 486, 494. 936 Schröder, in: FS-Sauer, S. 207, 240. 929

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„[. . .] entweder hält der Täter den ungünstigen Erfolg für möglich [. . .]. Dann hat er eben, wenn er trotz dieser Vorstellung handelt, [. . .] die Möglichkeit [. . .] in Kauf genommen. [. . .] Oder aber der Täter beruhigt sich bei der Ueberzeugung, es werde schon gut ausgehen, er ‚vertraut‘ also auf den Nicht-Eintritt des Erfolges. Dann fehlt es [. . .] an einer wirklichen Vorstellung von der Möglichkeit der Erfolgsverursachung [. . .]“937.

Diesen Einschränkungen der ursprünglich strengen Möglichkeitstheorie mag man entgegenhalten, sie seien inkonsequent938 und es sei nur eine terminologische Frage, ob man sie als kognitive oder voluntative Elemente begreife939. Indes kann man darin auch eine Annäherung der verschiedenen Ansätze an einen einheitlichen Vorsatzbegriff sehen940; Näheres dazu nachstehend unter 4. b) Wahrscheinlichkeitstheorie Nach der Wahrscheinlichkeitstheorie handelt mit bedingtem Vorsatz, wer die Verwirklichung des Tatbestandes für wahrscheinlich hält941, wobei die geforderten Wahrscheinlichkeitsgrade von „mehr als möglich und weniger als überwiegend wahrscheinlich“942 bis hin zu „überwiegend wahrscheinlich“943 reichen. Diese Theorie ist damit die einzige, bei der für eine Bejahung des Wissenselementes des bedingten Vorsatzes nicht ein bloßes Möglichkeitswissen ausreicht, sondern die Intensität der Wissensbeziehung entscheidet. Zu Recht wird jedoch der Theorie entgegengehalten, sie sei unpraktikabel, da zwischen Wahrscheinlichkeit und Möglichkeit keine akzentuierte Grenzziehung denkbar ist944. Auch erweist sich eine Abgrenzung rein nach Wahrscheinlichkeitsgesichtspunkten deshalb als problematisch, weil kaum jemand mit der erforderlichen Genauigkeit über den Grad der Erfolgswahrscheinlichkeit reflektieren dürfte945. Gleichwohl beschreibt diese Theorie insoweit ein wesentliches Symptom, als derjenige Täter, der die Wahrscheinlichkeit eines Erfolgseintritts hoch oder gar sehr hoch einschätzt, 937

Schröder, in: FS-Sauer, S. 207, 231. So Lackner/Kühl, § 15 Rn. 27. 939 Cramer/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, § 15 Rn. 75. 940 Ebenso Roxin, Strafrecht AT, § 12 Rn. 43. 941 Kargl, Vorsatz, S. 70 und 73; Mayer, Strafrecht AT, S. 121; Ross, Vorsatz, S. 114; Schumann, JZ 1989, S. 427, 433; Welzel, Strafrecht, S. 68. 942 Mayer, Strafrecht AT, S. 121. 943 Ross, Vorsatz, S. 114. 944 Cramer/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, § 15 Rn. 76; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, § 29 III 3 d aa; Köhler, Fahrlässigkeit, S. 278 ff.; Puppe, ZStW 103, S. 1, 18. Ähnlich Prittwitz, JA 1988, S. 486, 494. 945 Vgl. Roxin, Strafrecht AT, § 12 Rn. 46; ders., JuS 1964, S. 53, 60. 938

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nicht mehr auf einen guten Ausgang vertrauen kann. Je größer also die vorgestellte Erfolgswahrscheinlichkeit ist, desto weiter nähert sich der Täter einer Einstellung an, die dem traditionellen Vorsatzbegriff von „Wissen und Wollen“ entspricht946. Aus diesem Grunde wird einer hohen Erfolgswahrscheinlichkeit auch in Schrifttum und Rechtsprechung ein hoher Indizwert zuerkannt947. Für Grenzfälle eignet sich die Theorie nicht. c) Neuere kognitive Ansätze (auch Risiko- oder Gefährdungstheorien948) Neben der Möglichkeits- und der Wahrscheinlichkeitstheorie gibt es Ansätze, die um eine stärkere Objektivierung bemüht sind. Anknüpfungspunkt sind bei diesen Ansätzen Aspekte wie die Unerlaubtheit des Verhaltens, das Risiko und die Gefährlichkeit der Handlung. Im Ausgangspunkt wird also auf ein Möglichkeitswissen abgestellt (daher die Zuordnung zu den kognitiven Ansätzen), sodann aber eine einschränkende Korrektur bewirkt, die dazu führen soll, dass nicht jede Voraussicht eines möglichen Erfolges zum Vorsatzvorwurf führt, sondern nur eine solche, die den Täter vom Weiterhandeln hätte abhalten müssen. Einige neuere Ansätze sollen hier erläutert werden949. aa) Theorie des nicht unwahrscheinlichen Erfolgseintritts (Jakobs) Wie bei der oben erörterten Wahrscheinlichkeitstheorie soll es auch nach Jakobs bei der Vorsatzfeststellung auf Wahrscheinlichkeitsaspekte ankommen. Bedingter Vorsatz soll vorliegen, wenn der Täter die Verwirklichung des Tatbestandes für nicht unwahrscheinlich hält, wobei ein bloßes Denken an die Möglichkeit nicht ausreiche, sondern der Täter ein „gültiges Urteil“ fällen müsse950. Die Untergrenze der vorsatzrelevanten Wahrscheinlichkeit bestimmt Jakobs durch die Entscheidungserheblichkeit des erkannten Risikos: Das Risiko müsse so gewichtig sein, dass es auf die Motivation Einfluss ausüben kann951. Bei der Einschätzung des Risikos sei nicht auf die 946

Behrendt, in: FS-Simson, S. 11, 16 f. Siehe nur Roxin, Strafrecht AT, § 12 Rn. 46. 948 Die zusammenfassende Bezeichnung als Gefährdungs- oder Risikotheorie bedeutet nur eine Annäherung. Die Bezeichnung und Einordnung der einzelnen Ansätze variiert im Schrifttum (so spricht Geppert, JURA 2001, S. 55, 57, von „Gefährdungstheorie“; von „Risikotheorie“ sprechen dagegen: Hillenkamp, Strafrecht, S. 3; Kühl, Strafrecht AT, § 5 Rn. 46; Otto, JURA 1996, S. 468, 472 f.). 949 Zu früheren Ansätzen siehe: Engisch, Untersuchungen, S. 115 ff. 950 Jakobs, Strafrecht AT, 8. Abschnitt, Rn. 23. 951 Jakobs, Strafrecht AT, 8. Abschnitt, Rn. 30. 947

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individuelle Sicht des – vielleicht nämlich gleichgültigen – Täters abzustellen, sondern auf die rechtliche Einordnung952 (insofern bestimmt Jakobs also den Vorsatz normativ). Risiken, bezüglich derer wegen ihres massenhaften Vorkommens notwendig eine Risikogewöhnung erfolgt (zum Beispiel bestimmte Risiken im Straßenverkehr), sollen von vornherein irrelevant sein953. Soweit Jakobs offenbar die Entscheidungserheblichkeit auch nach dem Gewicht des Rechtsgutes bestimmen will954, ist dies mit guten Gründen kritisiert worden955. Die Abgrenzung zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit ist für jedes Delikt – gleich welches Rechtsgut geschützt wird – individuell zu bestimmen und kann daher nicht von vornherein nach der Kategorie des geschützten Rechtsgutes vorgenommen werden. Davon abgesehen, bleibt letztlich auch bei dieser Theorie ebenso wie bei der Wahrscheinlichkeitstheorie unklar, wie die erforderliche Wahrscheinlichkeit bestimmt werden soll956. Einen richtigen (indiziellen) Kern vermag man jedoch auch bei dieser Variante der Wahrscheinlichkeitstheorie erkennen: Hält der Handelnde den Erfolgseintritt für unwahrscheinlich, so kann man von einem Vertrauen auf den guten Ausgang sprechen. bb) Risikotheorie (Frisch) Nach Frisch ist zunächst Gegenstand des Vorsatzes nicht der tatbestandsmäßige Erfolg, sondern das tatbestandsmäßige Verhalten in seiner Risikobehaftung957. Erkenne der Täter bei seinem tatbestandsmäßigen Handeln ein Risiko, das von der Rechtsordnung nicht mehr toleriert wird, so sei Vorsatz zu bejahen958. Maßgeblich ist also ein „Risikowissen im substantiellen 952

Jakobs, Strafrecht AT, 8. Abschnitt, Rn. 31. Jakobs, Strafrecht AT, 8. Abschnitt, Rn. 31. 954 Jakobs, Strafrecht AT, 8. Abschnitt, Rn. 30 f.; ähnlich auch Canestrari, GA 2004, S. 210, 222. 955 Vgl. Prittwitz, JA 1988, S. 486, 498; Roxin, Strafrecht AT, § 12 Rn. 65. 956 Kritisch auch Laskos, Strafbarkeit, S. 144; Roxin, Strafrecht AT, § 12 Rn. 64. 957 Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 74 ff. Ähnlich wie Frisch stellt auch Philipps, ZStW 85, S. 27 ff., auf die Risikobehaftung ab: Grundlage seiner Überlegungen ist das Modell des Handelns als Entscheidungssituation zwischen Verhaltensalternativen (a. a. O., S. 35). Demnach könne ein Subjekt in einer bestimmten Situation zwischen verschiedenen Handlungsalternativen mit unterschiedlich zu bewertenden Folgen wählen. Bedingter Vorsatz liege dann vor, „wenn der Handelnde sich bewusst für ein Verhalten entscheidet, das mit einer in der Rechtsordnung geltenden Risikomaxime unverträglich ist“ (a. a. O., S. 38). Ähnlich auch Kleb-Braun, JA 1986, S. 310 ff. Zustimmend Geppert, JURA 1986, S. 610, 612; ders., JURA 2001, S. 55, 57. 958 Grundlegend Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 74 ff.; ders., in: GS-Meyer, S. 533, 546. 953

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Sinn“959 und nicht bloße Vorstellung eines künftigen Erfolges. Dieses Risikowissen rechtfertigt nach Frisch die gegenüber der Fahrlässigkeitsstrafe höhere Vorsatzstrafe960. Ein zusätzliches voluntatives Element hält Frisch für überflüssig961. Bei näherer Betrachtung der Ausgestaltung des Wissenselementes wird allerdings klar, dass Frisch den Wissensbegriff insoweit „anreichert“, als er eine persönliche Stellungnahme des Handelnden zum erfassten Sachverhalt in dem Sinne fordert, dass der Handelnde das Risiko auch „für sich so sieht“962. Der Handelnde muss also ein Urteil über die Gefahr treffen und dieses Gefahrurteil seinem Handlungsentschluss zugrunde legen. Vertraue der Handelnde in seiner subjektiven Gefahrensicht auf ein Ausbleiben des Erfolges, so sei der Vorsatz zu verneinen963. Problematisch ist bei diesem Ansatz indes, dass durch die Änderung des Vorsatzgegenstandes Verletzungsverbote in Handlungsverbote uminterpretiert und so aus Erfolgsdelikten Tätigkeitsdelikte werden964. Außerdem ist schon die Behauptung problematisch, der Täter könne den Erfolg seines Handelns nicht voraussehen, ist doch zweckhaftes menschliches Handeln gerade darauf gerichtet, einen zuvor bestimmten Erfolg durch die Handlung zu realisieren965. Davon abgesehen, scheint dieser Ansatz von der herrschenden Ernstnahmetheorie nicht weit entfernt, wenn Frisch ein Für-sichso-Sehen – mit anderen Worten: ein Ernstnehmen – des Risikos verlangt und das Vertrauen auf den Nichteintritt im Ergebnis wie die herrschende Meinung als vorsatzausschließend betrachtet, wenn auch bereits auf der kognitiven Seite966.

959

Küper, GA 1987, S. 479, 506. Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 97. 961 Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 255 ff. 962 Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 192 ff. 963 Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 482. 964 Vgl. Küpper, ZStW 100, S. 758, 778. 965 Vgl. Küpper, ZStW 100, S. 758, 778. Küper, GA 1987, S. 479, 503, hebt in seiner Rezension hervor, dass der Ansatz Frischs letztlich dem Vorsatzverständnis der herkömmlichen Lehre nicht zuwider läuft, da auch insoweit das Wissen oder die Kenntnis des Erfolges nicht als nachträglich-kognitives Urteil, sondern als prognostischer subjektiver Sachverhalt verstanden wird. Ziegert, Vorsatz, S. 115, weist darauf hin, dass der Handelnde auch beim vollendeten Erfolgsdelikt den Erfolg antizipieren kann, bevor er ihn herbeigeführt hat. 966 Puppe, GA 2006, S. 65, ordnet Frischs Risikotheorie daher von vornherein den voluntativen Theorien zu. 960

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cc) Kriterium der unabgeschirmten Gefahr (Herzberg) Herzberg will die Abgrenzung des bedingten Vorsatzes von der bewussten Fahrlässigkeit quasi schon im Rahmen des objektiven Tatbestandes vornehmen967. Die Abgrenzung dürfe nicht von einem „irrationalen Vertrauen“, also von der schwierigen Frage nach der Einstellung des Täters, abhängig gemacht werden968. Entscheidend ist die Qualität der Gefahr, nicht die Quantität969. Bedingter Vorsatz sei zu bejahen, wenn der Täter eine „unabgeschirmte“ Gefahr gesetzt und in Kenntnis dieser Gefahr gehandelt habe970. Unabgeschirmt sei eine Gefahr, die weder vom Täter noch von Dritten beherrscht werden kann, sondern vom Zufall abhängt971. Hat der Täter lediglich eine „abgeschirmte“972 oder eine „entfernte“973 Gefahr gesetzt, das heißt eine Gefahr, deren Realisierung durch Aufmerksamkeit des Täters, des Gefährdeten oder eines Dritten verhindert werden kann, so liege (nur) bewusste Fahrlässigkeit vor. Herzberg setzt damit also wie Kaufmann am objektiven Geschehen an, geht aber über dessen Ansatz insoweit hinaus, als er nicht nur Vermeidehandlungen des Täters selbst, sondern auch andere risikomindernde Faktoren, zum Beispiel das Verhalten Dritter, insbesondere des Opfers, berücksichtigt. Herzberg gelingt es mit seinem Ansatz, objektive Aspekte zum Anknüpfungspunkt der Vorsatzfeststellung zu bestimmen und so das Problem des Nachweises innerer Tatsachen, auf das noch näher einzugehen sein wird, gewissermaßen zu umgehen. Entgegenzuhalten ist der Theorie allerdings, dass sie zu Widersprüchen bei einem absichtlich handelnden Täter führt, denn es ist nicht erklärbar, weshalb die Vorsatzbestrafung ausscheiden soll, bloß weil die Gefahr im konkreten Fall „abgeschirmt“ ist974. Hinzu kommt, dass der Anwendungsbereich der Vorsatzdelikte zu sehr eingeschränkt würde, denn nur in seltenen Fällen dürften „hundertprozentige“ Gefahren vorliegen; im Übrigen aber könnten immer Gesichtspunkte zu finden sein, die als Abschirmung angesehen werden könnten975. Zudem bleibt Herzberg selbst nicht unbedingt konsequent mit seiner Theorie976. So will er bei967

Herzberg, JuS 1986, S. 249, 259; ders., JuS 1987, S. 777, 780. Herzberg, JuS 1986, S. 249, 261. 969 Vgl. Herzberg, JuS 1986, S. 249, 254. 970 Ähnlich schon Kindhäuser, ZStW 96, S. 1, 28. 971 Herzberg, JuS 1986, S. 249, 254 f. 972 Herzberg, JuS 1986, S. 249, 254. 973 Herzberg, JuS 1986, S. 249, 256. 974 So auch Roxin, Strafrecht AT, § 12 Rn. 69; vgl. auch Rudolphi, in: SK-StGB, § 16 Rn. 46a. 975 Vgl. NK-StGB-Puppe, § 15 Rn. 65. 976 Dazu auch Ling, JZ 1999, S. 335, 339; Roxin, Strafrecht AT, § 12 Rn. 66. 968

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spielsweise in den AIDS-Fällen, bei denen die Frage nach der Abgrenzung des bedingten Vorsatzes von der bewussten Fahrlässigkeit seinerzeit wieder in den Fokus von Rechtsprechung und Wissenschaft geriet977, dann doch „mehr aus gefühlsmäßigen Gründen“978 den Tötungsvorsatz verneinen, und zwar obwohl er den Körperverletzungsvorsatz bejaht979. Gerade diese „Korrektur“ des Ansatzes belegt, dass die Theorie, die allein auf den Aspekt der Abgeschirmtheit der Gefahr abstellt, zu einem Schematismus neigt980, der offenbar selbst Herzberg in dieser Konsequenz nicht hinnehmbar erscheint. Davon abgesehen, dürfte die Abgrenzungsmethode nach der Qualität der Gefahr nur in einigen Fällen von Erfolgsdelikten (Tötung, Körperverletzung) tauglich sein, bei anderen Delikten (zum Beispiel Beleidigung) jedoch keine brauchbaren Ergebnisse liefern981. Zu Recht merkt daher Küpper kritisch an, dass die Differenzierung nach der Abgeschirmtheit der Gefahr nur an Körperverletzungs- und Tötungsdelikten „durchexerziert“ werde982. Gerade bei der Untreue, bei der schon der Eintritt einer konkreten Vermögensgefährdung ausreicht, erscheint eine Differenzierung nach der Beherrschbarkeit der Gefahr nicht praktikabel, denn mit dem Eintritt der konkreten Gefährdung ist die Untreue vollendet und kein Raum mehr für Abschirmungsmaßnahmen des Täters oder eines Dritten983. dd) Theorie von der qualifizierten Vorsatzgefahr (Puppe) Auch nach Puppe soll – insbesondere angesichts beweisrechtlicher Feststellungsschwierigkeiten984 – nicht eine psychologisch-faktische Einstellung des Täters maßgeblich sein, sondern eine normative Interpretation des Täterverhaltens985. Vorsätzlich handele, wer eine „Vorsatzgefahr“, also eine derart qualifizierte (hohe) Gefahr setzt, die ein „vernünftiger Mensch“ mit dem Wissen des Handelnden nur dann setzen würde, wenn der Verletzungserfolg auch sein soll986. Maßgeblich sei die Verletzungstypizität des Verhal977 Siehe nur Prittwitz, JA 1988, S. 486 ff. Zur Rechtsprechung: BGHSt 36, S. 1 ff.; AG München NJW 1987, S. 2314; AG München NStZ 1987, S. 407. 978 Herzberg, NJW 1987, S. 1461, 1466. 979 Siehe darüber hinaus auch die Kritik bei Ling, JZ 1999, S. 335, 339. 980 Vgl. Ling, JZ 1999, S. 335, 339. 981 Ebenso Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rn. 228. 982 Küpper, ZStW 100, S. 758, 784. 983 Vgl. für den Bereich der Kredituntreue Laskos, Strafbarkeit, S. 145. 984 Puppe, ZStW 103, S. 1, 33; NK-StGB-Puppe, § 15 Rn. 54. 985 Puppe, ZStW 103, S. 1, 15; dies., GA 2006, S. 65, 78 f.; NK-StGB-Puppe, § 15 Rn. 68. 986 Puppe, ZStW 103, S. 1, 14 f.; dies., Vorsatz, S. 35 ff.; NK-StGB-Puppe, § 15 Rn. 68. Ähnlichkeit zu Puppes Theorie weist der Ansatz Canestraris, GA 2004,

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1. Teil, 3. Kap.: Tatbegehung mit dolus eventualis

tens987, also die Geeignetheit der Methode zur Herbeiführung des Erfolges988. Verwirkliche der Täter eine solche (verletzungstypische) Gefahr, sei für den bedingten Vorsatz irrelevant, ob er sie ernst genommen oder auf einen glücklichen Ausgang vertraut habe, da dies nur die subjektive Einstellung kennzeichne, auf die es nicht ankomme989. Fahrlässigkeitsgefahren seien dagegen solche Gefahren, „bei deren Setzung [. . .] der nach allgemeinen Maßstäben rational und vernünftig Handelnde nicht nur vage, sondern ernsthaft darauf vertrauen kann, daß sie sich nicht realisieren“990.

Gegen die Theorie Puppes ist berechtigte Kritik vorgebracht worden. Der Maßstab des „Vernünftigen“ ist zu unbestimmt991. Eine normative Zuschreibung nach dem objektiven Grad der Gefahr ist nicht gerecht und widerspricht dem Prinzip individueller Vorwerfbarkeit992. Zudem führt die Lehre von der Vorsatzgefahr auf der einen Seite zu einer zu starken Einengung der Vorsatzstrafe993, wenn nämlich derjenige, der einen anderen Menschen absichtlich erschießen will, dies aber aus ungünstiger Schussposition – also mit relativ geringen Erfolgsaussichten – umsetzt, nach Puppe nur mit einem Fahrlässigkeitsvorwurf rechnen müsste, obgleich sich der Täter gegen das Rechtsgut „mit Absicht“ entschieden hat994. Auf der anderen Seite führt die Theorie zu einer zu starken Ausweitung der Vorsatzstrafe995, weil ein trotz S. 210 ff., auf, der auch Elemente der Theorien Frischs und Herzbergs enthält. Im Gegensatz zu Puppe bejaht Canestrari zwar das Erfordernis eines voluntativen Elements. Jedoch sei auf einer der Vorsatzprüfung vorgelagerten objektiven Stufe (vgl. Herzberg) zu prüfen, „ob ein spezifisches, von einem bestimmten Verhalten herbeigeführtes Risiko in solcher Weise qualifiziert ist, dass es möglicherweise die Merkmale einer bedingt vorsätzlichen Verantwortlichkeit erfüllt oder sich als bewusste Fahrlässigkeit darstellt“ (a. a. O., S. 221; vgl. Puppe, Frisch). Schwierig erscheint, das Risiko im Falle nicht eindeutiger (äußerster) Gefahren quantitativ so festzulegen, dass noch eindeutig eine Vorsatzgefahr bejaht werden kann. 987 Puppe, ZStW 103, S. 1, 21. 988 NK-StGB-Puppe, § 15 Rn. 69. 989 Puppe, ZStW 103, S. 1, 15 f. 990 Puppe, ZStW 103, S. 1, 17 f. 991 Ebenso Roxin, Strafrecht AT, § 12 Rn. 49. 992 Prittwitz, Strafrecht und Risiko, S. 357; ähnlich Kühl, Strafrecht AT, § 5 Rn. 68a. 993 Roxin, Strafrecht AT, § 12 Rn. 51. 994 Beispiel nach Roxin, Strafrecht AT, § 12 Rn. 51. Ähnlich schon Frank, Strafgesetzbuch, § 59 Anm. V, S. 191. In prozessualer Hinsicht sei zu diesem theoretischen Beispiel angemerkt, dass es in der Praxis voraussetzen würde, dass der Täter selbst einräumt, absichtlich gehandelt zu haben. Anderenfalls ist kaum denkbar, wie in diesem Beispiel in einem angenommenen Prozess je Absicht nachgewiesen werden sollte, denn wenn allein das objektive Geschehen, das ja von geringer Erfolgswahrscheinlichkeit gekennzeichnet sein soll, für die Feststellung der subjektiven Tatseite bliebe, so dürfte Absicht nicht nachweisbar sein (vgl. Ross, Vorsatz, S. 112).

B. Begriff des dolus eventualis und seine Abgrenzung

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Kenntnis der risikorelevanten Faktoren auf das Ausbleiben des Erfolges vertrauender Täter als Vorsatztäter angesehen werden müsste996. Entscheidend im hier interessierenden Zusammenhang ist, dass die Theorie Puppes bei der Vorsatzabgrenzung im Bereich von Vermögensschädigungen nicht anwendbar ist, wie sie selbst einräumt997. Puppe hält das allerdings für unproblematisch, weil im Bereich deliktischer Vermögensschädigungen das Problem der Unterscheidung zwischen Vorsatzgefahren und Fahrlässigkeitsgefahren deshalb obsolet sei, weil jede relevante unmittelbare Vermögensgefahr bereits selbst als Schaden gelte. Es sei für die zur Tatbestandserfüllung erforderliche Kenntnis allein maßgeblich, ob der Täter wisse, dass die Gefahr den Wert eines Leistungsangebots mindert. Richtig daran ist, dass eine konkrete Vermögensgefährdung bereits ein Schaden im Sinne einer Vermögensminderung ist (sein muss!). Dies hat aber nichts mit der Frage zu tun, ob der Täter bezüglich des Schadens (der konkreten Gefährdung) mit bedingtem Vorsatz oder bewusst fahrlässig gehandelt hat. So ist es, wie gezeigt998, durchaus denkbar, dass sich bei der Untreue die Frage nach einem lediglich bedingten Vorsatz stellt, nämlich wenn der Handelnde den Vermögensschaden (die konkrete Vermögensgefährdung) nicht sicher kennt, sondern nur für möglich hält. In diesem Fall muss eben doch entschieden werden, ob der Täter mit Eventualvorsatz oder lediglich fahrlässig, also bei § 266 straflos, gehandelt hat. 3. Zwischenergebnis

Die Auseinandersetzung mit den verschiedenen Ansätzen zur VorsatzFahrlässigkeits-Abgrenzung hat zu dem Ergebnis geführt, dass ein Teil der Ansätze schon generell nicht überzeugen kann (Billigungs-, Gleichgültigkeits- und Möglichkeitstheorie in den ursprünglichen Formen sowie Wahrscheinlichkeitstheorie), andere jedenfalls speziell für § 266 ungeeignet sind (zum Beispiel die Ansätze von Kaufmann, Herzberg, Puppe). Noch nicht abschließend entschieden ist über die wohl herrschende Ernstnahmetheorie sowie die Möglichkeitstheorie in ihrer modifizierten Form, die, wie festgestellt, dem herrschenden Ansatz in gewisser Weise, ebenso wie der Ansatz Frischs, ähnelt. Es ist also, anders gewendet, noch offen, ob einem voluntativen Ansatz oder einer kognitiven Sichtweise der Vorzug zu geben ist. 995 Roxin, Strafrecht AT, § 12 Rn. 50; ders., in: FS-Rudolphi, S. 243, 251 m. w. N.; zustimmend Laskos, Strafbarkeit, S. 142. 996 Kühl, Strafrecht AT, § 5 Rn. 68a. 997 Puppe, ZStW 103, S. 1, 22. 998 3. Kapitel, A. III. 2.

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1. Teil, 3. Kap.: Tatbegehung mit dolus eventualis 4. Vorsatz als Entscheidung für die mögliche Rechtsgutverletzung

a) Der Grund der erhöhten Vorsatzbestrafung Sieht man sich die Ansätze zur Vorsatzabgrenzung jenseits ihrer terminologischen Unterschiede einmal näher an, so lässt sich feststellen, dass die Abgrenzung des dolus eventualis von der bewussten Fahrlässigkeit – und zwar sowohl von Vertretern eines nur auf intellektuelle Elemente reduzierten Vorsatzbegriffes als auch von Befürwortern zusätzlicher volitiver Elemente – inzwischen überwiegend mit dem Begriff der Entscheidung verknüpft wird999. Man könnte diesen Ansatz mit Ziegert1000 als „Entscheidungstheorie“ bezeichnen – an sich handelt es sich weniger um einen eigenständigen Ansatz als vielmehr um die Bestimmung des gemeinsamen Anknüpfungspunktes der verschiedenen Theorien. Ausgangspunkt dieser Auffassung ist die richtige Frage nach der ratio der gegenüber der Fahrlässigkeit grundsätzlich1001 hervorgehobenen Vorsatzbestrafung1002. Dabei geht es, wie Hassemer1003 betont, nicht um ein außerstrafrechtliches Wesen des Vorsatzes oder der Fahrlässigkeit „an sich“, sondern um die „normative Logik“ der unterschiedlichen strafrechtlichen Bewertung der beiden Unrechtsformen. In diesem Sinne stellt bereits Engisch auf die „Einstellung“ des Handelnden zur Rechtsgüterwelt als maßgebliches Kriterium ab1004. Ganz ähnlich umschrieben wird der Vorsatz inzwischen1005 als „Entscheidung für die Rechtsgutverletzung“1006, als „Ent999 Bloy, JuS 1989, Lernbogen 1, S. 2; Brammsen, JZ 1989, S. 71, 79; Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 98 (mit den Einschränkungen in Fußnote 157) und S. 482; Hassemer, in: GS-Kaufmann, S. 289, 295 m. w. N.; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, § 29 III 3 a; Kargl, Vorsatz, S. 38 f.; Kühl, Strafrecht AT, § 5 Rn. 11 f. und 44 jeweils m. w. N.; Philipps, ZStW 85, S. 27, 35; Roxin, in: FS-Rudolphi, S. 243, 244 f. m. w. N.; ders., Strafrecht AT, § 12 Rn. 23; Schild, in: PRG, S. 119, 136; Schmidhäuser, JuS 1980, S. 241, 249; Schroth, Vorsatz als Aneignung, S. 66; ders., in: FS-Widmaier, S. 779, 785; Stratenwerth, ZStW 71, S. 51, 56; Wolf, Verwendung öffentlicher Mittel, S. 159 („wenn er sich dennoch zur Tat entschließt“). AK-StGBZielinski, § 15, 16 Rn. 73, spricht von der „Entscheidung für ein Handlungsprojekt in Kenntnis der tatbestandlich relevanten Modalitäten und Folgen der Handlung“. Wohl auch Puppe, GA 2006, S. 65, 75. 1000 Ziegert, Vorsatz, S. 84; siehe auch Kargl, Vorsatz, S. 37; Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht AT, § 8 Rn. 117. 1001 Bei §§ 316 und 323a enthalten Vorsatz- und Fahrlässigkeitsbestrafung jedoch einen identischen Strafrahmen. 1002 Abzulehnen sind mit Hassemer, in: GS-Kaufmann, S. 289, 294, Fußnote 30, Versuche, den Vorsatzbegriff aus der Semantik der Alltagssprache zu erschließen. 1003 Hassemer, in: GS-Kaufmann, S. 289, 294; ähnlich Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 42 ff. 1004 Engisch, Untersuchungen, S. 177.

B. Begriff des dolus eventualis und seine Abgrenzung

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scheidung gegen das Rechtsgut“1007, als „Entscheidung gegen die rechtliche Verhaltensnorm“1008 oder als „Aneignung der Unrechtskonstitutionsbedingungen“1009. All diesen Beschreibungen liegt im Wesentlichen die zutreffende Erwägung zugrunde, dass der Vorsatztäter im Verhältnis zum Fahrlässigkeitstäter in einem sozial-personalen Sinne intensiver verletzt; medizinisch-empirisch, das heißt äußerlich gesehen, sind ja vorsätzliche und fahrlässige Schädigung identisch1010, sodass allein die Tatsache, dass ein Rechtsgut verletzt worden ist, die höhere Inkriminierung nicht erklären kann. Hassemer umschreibt daher den Vorsatz zutreffend als einen „hervorgehobenen Modus des ‚Dafür-Könnens‘ “, als eine „höhere Stufe innerer Beteiligung“1011. Nach Schroth korrespondiert diese erhöhte (strafrechtliche) Verantwortungszuschreibung des Vorsatztäters mit dem sozialen Hintergrund der Vorsatzzurechnung1012. So werde in der alltäglichen Verantwortungszuschreibung zwischen Verletzungen, die „mit Bedacht“, und solchen, die „aus Unaufmerksamkeit“ geschehen sind, unterschieden. Derjenige, der sich „mit Bedacht“ gegen das jeweilige Rechtsgut wende, ist bedrohlicher und damit strafwürdiger, weil er sich bewusst über fremde Interessen hinwegsetze. Ein solcher Täter muss mit Hilfe der höheren Strafe nicht nur zu einer künftig höheren Aufmerksamkeit veranlasst werden, sondern zugleich auch zu einer Veränderung seiner Einstellung zu fremden Rechtsgütern1013. Die hervorgehobene Verantwortlichkeit liegt in der Negation des von der Rechtsordnung geschützten Zustandes und der Entscheidung gegen diesen Zustand1014; mit anderen Worten: Der Täter handelt zur Durchsetzung des 1005 Ein kurzer Überblick über die Entwicklung der Kontroverse über den Grund der höheren Inkriminierung des Vorsatzes findet sich beispielsweise bei Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht AT, § 8 Rn. 63 ff. 1006 Roxin, JuS 1964, S. 53, 59. 1007 Frisch, Vorsatz, S. 111 und 482; ähnlich Cramer/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, § 15 Rn. 7. 1008 Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht AT, § 8 Rn. 100. 1009 Schroth, Vorsatz und Irrtum, S. 14; ders., Vorsatz als Aneignung, S. 64 ff. 1010 Das beispielsweise von Roxin, JuS 1964, S. 53, 58, angeführte Argument des Rechtsgüterschutzes kann die Differenz von Vorsatz und Fahrlässigkeit indes nicht erklären. Die unterschiedliche Pönalisierung von Vorsatz- und Fahrlässigkeitsunrecht zeigt vielmehr gerade, dass der Rechtsgüterschutz nicht „absolut“ durchgeführt wird, denn dann wäre an sich jedwede Rechtsgutbeeinträchtigung in identischer Weise zu ahnden (ähnlich wie hier: Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 112). 1011 Hassemer, in: GS-Kaufmann, S. 289, 296; ders., Grundlagen des Strafrechts, S. 222 ff. Zustimmend: Kargl, Vorsatz, S. 38. Ähnlich Schünemann, in: FS-Hirsch, S. 365, 371 („für die Rechtsgüter besonders gefährliche Gesinnung“). 1012 Schroth, Vorsatz als Aneignung, S. 10 ff. 1013 Ebenso Hassemer, in: GS-Kaufmann, S. 289, 297; Schroth, Vorsatz als Aneignung, S. 12 und 117; ders., JuS 1992, S. 1, 6 f.

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1. Teil, 3. Kap.: Tatbegehung mit dolus eventualis

eigenen Entfaltungsinteresses auf Kosten des gesetzlich normierten Gütererhaltungsinteresses1015. Auch Frisch als Befürworter eines (vorgeblich) auf das Wissenselement beschränkten Vorsatzbegriffes sieht die bewusste Entscheidung gegen das Rechtsgut als Signal für die erhöhte Gütergefährlichkeit des Täters und als Grund für die erhöhte Vorsatzbestrafung an: „Die Erschütterung des Vertrauens in die Geltung der Rechtsordnung und damit die Gefahr für deren Anerkennung und Befolgung, also letztlich der Gefährdungszustand für die Rechtsgüter, ist allemal größer, wenn sich die Tat nicht nur als Ausdruck eines Versehens, mangelnder Sorgfalt, Schlamperei usw., sondern als Ausdruck einer bewußten Entscheidung der Person entpuppt.“1016

Der Ansicht, die Einstellung des Täters zum geschützten Rechtsgut sei für die Vorsatzkennzeichnung maßgeblich, wird indessen entgegengehalten, sie verstoße gegen die Schuldtheorie, weil sie das Unrechtsbewusstsein zur Voraussetzung des Eventualvorsatzes mache, denn die Frage nach der Einstellung könne nur sinnvoll gestellt werden, wenn man voraussetzt, dass der Täter das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit hat1017. Dies kann nicht überzeugen, denn nicht erst das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit führt den Täter in die vorsatzrelevante Entscheidungssituation, sondern bereits ein Bewusstsein der Rechtsgüterverletzung bzw. der Sozialschädlichkeit1018. Das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit als formelles Unrechtsbewusstsein bleibt also Schuldelement1019. b) Die gegenseitige Kritik der kognitiven und voluntativen Ansätze Näher zu untersuchen ist nun die Frage, wann überhaupt von einer Entscheidung in dem vorgenannten Sinne gesprochen werden kann, wann 1014

Schroth, Vorsatz als Aneignung, S. 66 f. Vgl. Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 98. 1016 Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 100. 1017 Schumann, JZ 1989, S. 427, 431. 1018 Otto, JURA 1996, S. 468, 475; Roxin, Strafrecht AT, § 12 Rn. 34. 1019 Vgl. Otto, JURA 1996, S. 468, 475. Nun mag es zwar durchaus Fälle geben, in denen die Wertrelevanz eines Verhaltens überhaupt erst durch die rechtliche Regelung vermittelt wird, wie zum Beispiel im Nebenstrafrecht und bei normativen Merkmalen wie der „Pflichtwidrigkeit“ des § 266. Welche Folgerungen sich bei § 266 für das Unrechtsbewusstsein und die Schuldtheorie ergeben, ist bereits an anderer Stelle ausgeführt worden (2. Kapitel, A. II. 3. b) cc)). Zur Problematik im Nebenstrafrecht nur soviel: Roxin, Strafrecht AT, § 21 Rn. 10, schlägt insoweit vor, in solchen Fällen des Nebenstrafrechts, in denen die Sozialschädlichkeit nicht ohne Normkenntnis, also Unrechtsbewusstsein erfasst werden kann, bei fehlender Verbotskenntnis von der Strafmilderungsmöglichkeit des § 17 großzügig Gebrauch zu machen oder ggf. sogar den Verbotsirrtum normativ als unvermeidbar zu beurteilen. Siehe dazu auch 3. Kapitel, B., Fußnote 832, S. 162. 1015

B. Begriff des dolus eventualis und seine Abgrenzung

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also der Handelnde zu dem geschützten Rechtswert Stellung bezogen hat. Es ist zu überlegen, ob schon eine bestimmte Gefahrvorstellung eine „Entscheidung“ ermöglicht oder ob es einer zusätzlichen volitiven Komponente bedarf. Betrachtet man von diesem Ausgangspunkt einige neuere kognitive Ansätze noch einmal näher, so zeigt sich, dass das für allein maßgeblich erklärte Wissenselement mit zwar sprachlich unterschiedlichen, im Ergebnis jedoch letztlich ähnlichen Einschränkungen angereichert wird. So will beispielsweise Schmidhäuser eine reine Möglichkeitsvorstellung nicht genügen lassen, sondern auf das Bewusstsein der konkreten Möglichkeit im entscheidenden Handlungsaugenblick abstellen1020. Schröder modifiziert das Möglichkeitswissen dergestalt, dass er ein etwaiges Vertrauen bereits hier berücksichtigt1021. Diese Bemühungen um Einschränkung zeigen eigentlich nur, dass eine Beschränkung des Vorsatzbegriffes auf das Wissen im Sinne bloßen Möglichkeits- oder Wahrscheinlichkeitswissens gerade nicht ausreicht: Das Wissen des Täters wird fallbezogen korrigiert1022. Jakobs wiederum verlangt, dass es sich bei der Kenntnis der nicht unwahrscheinlichen Tatbestandsverwirklichung um „ein für den Täter gültiges Urteil“ handeln muss1023. Hierin könnte man auch eine Art von Stellungnahme sehen, wie sie von den voluntativen Ansätzen verlangt wird. Jakobs selbst stellt schließlich auch fest, dass seine Beschreibung des Vorsatzes den Ansichten ähnele, die von einer Hinnahme der Tatbestandsverwirklichung sprechen; diese würden lediglich die Rückwirkung von Leichtsinn etc. auf die intellektuelle Seite unterschätzen1024. Noch deutlicher wird die Tendenz zur Einschränkung des Wissenselementes und zur Annäherung an die voluntativen Theorien bei Frisch. Nicht eine Kenntnis im Sinne des bloßen Erfassens eines Sachverhaltes sei erforderlich, sondern ein „subjektives ‚So-ist-es‘“, ein „Für-sich-so-Sehen“1025. Nur wenn der Sachverhalt durch eine entsprechende Stellungnahme zur verbindlichen persönlichen Sicht des Täters geworden ist, sei von einer Entscheidung gegen das Gut auszugehen1026. Diese Einschränkungen will Frisch allein im Wissenselement verorten und auf weitere Vorsatzelemente verzichten1027, weil bei einer bloßen Erfassung im Bewusstsein nicht von einer „Kenntnis des Sachverhaltes“ ausgegangen werden könne. Mit ande1020 1021 1022 1023 1024 1025 1026 1027

Schmidhäuser, JuS 1980, S. 241, 244 f.; ders., Studienbuch, 7/100. Schröder, in: FS-Sauer, S. 207, 231. Vgl. Küpper, ZStW 100, S. 758, 761. Jakobs, Strafrecht AT, 8. Abschnitt, Rn. 23. Jakobs, Strafrecht AT, 8. Abschnitt, Rn. 25. Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 193. Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 196. Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 255 ff.

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1. Teil, 3. Kap.: Tatbegehung mit dolus eventualis

ren Worten: Wer einen Sachverhalt „kennt“, habe sich zwingend darüber ein Urteil gebildet1028. Doch ist die Stellungnahme, die zur persönlichen Sachverhaltssicht führt, nichts anderes als die Stellungnahme, die von den voluntativen Theorien in dem zusätzlichen volitiven Element verortet wird1029. Darüber hinaus meint Frisch sogar selbst, dass die Ernstnahmetheorie „am brauchbarsten“ sei1030, wenn er die Theorie letztlich auch als zu undifferenziert verwerfen will1031. Das Wissenselement wird also von den Vertretern kognitiver Theorien mit bestimmten Einschränkungen versehen, die es letztlich in die Nähe volitiver Element rücken1032. Als „zu intellektualistisch“1033 kann man die neueren kognitiven Ansätze, die nicht ein reines Möglichkeitswissen genügen lassen, damit wohl im Ergebnis nicht mehr bezeichnen. Wendet man sich der Frage zu, in welchen Fällen die Vertreter kognitiver Ansätze Vorsatz verneinen, so lassen sich auch insoweit Übereinstimmungen gegenüber den voluntativen Ansätzen, beispielsweise der Ernstnahmetheorie, erkennen: Maßgeblich für den Vorsatzausschluss ist zumeist das Vertrauen auf den guten Ausgang. Vertraue der Täter auf den Nichteintritt des Erfolges, so fehlt es nach Schröder „überhaupt an einer wirklichen Vorstellung von der Möglichkeit der Erfolgsverursachung“1034. Nach Frisch ist der Vorsatz in diesem Fall ausgeschlossen, weil es dem Täter hier an einer persönlichen Stellungnahme und damit an einer Entscheidung gegen das Rechtsgut fehle1035. Umgekehrt vermag die Kritik der kognitiven Ansätze an den voluntativen Theorien, diese litten an einer „Verarmung“ des Wissenselementes1036, nicht zu überzeugen. Richtig ist zwar, dass die Befürworter volitiver Merkmale auf der Wissensseite ein bloßes Möglichkeitswissen ausreichen lassen. Das, was die kognitiven Theorien aber als „Verarmung“ empfinden, wird auf einer zweiten Ebene „nachgeholt“. Die erforderliche Stellungnahme wird sozusagen nur systematisch vom Wissensbegriff getrennt. Keinesfalls dürfen derartige volitive Elemente mit einem – so nämlich nicht mehr vertretenen – 1028

Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 192 f. Vgl. Köhler, JZ 1985, S. 671; Küpper, ZStW 100, S. 758, 779 f.; Puppe, GA 2006, S. 65; Roxin, Strafrecht AT, § 12 Rn. 60; ähnlich Herzberg, JuS 1986, S. 249, 259 f. 1030 Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 484. 1031 Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 485 f. 1032 Küpper, ZStW 100, S. 758, 764, spricht sogar von Identität zwischen den Einschränkungen der kognitiven Ansätze und der volitiven Elemente. 1033 So Roxin, JuS 1964, S. 53, 60. 1034 Schröder, in: FS-Sauer, S. 207, 231. 1035 Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 482. 1036 Vgl. Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 199 f. 1029

B. Begriff des dolus eventualis und seine Abgrenzung

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Willensbegriff im Sinne einer „metaphysisch-irrationale[n], antiaufklärerische[n], vernunftfremde[n], triebhaft dämonische[n] Dimension“1037, der der Vernunft als Gegensatz gegenübersteht, verwechselt1038 oder im Sinne einer gefühlsmäßigen Bejahung des Erfolges (miss-)verstanden werden. Gekennzeichnet werden soll mit dem voluntativen Element lediglich ein (Teil-)Aspekt der menschlichen Entschlussfassung auf der Grundlage eines bestimmten Gefahrenwissens. c) Die Übereinstimmung in der Sache Es scheint nach allem, dass die Positionen weniger weit auseinanderliegen als angenommen. Lässt man für einen Moment die Frage der Verortung einer vorsatzbegründenden Stellungnahme bzw. Entscheidung außen vor, so lässt sich die Ähnlichkeit der Ansätze leicht erkennen: Beide Ansätze verlangen eine bestimmte psychische Verarbeitung des Gefahrenwissens – sei es im Wissenselement selbst1039 oder in einer zusätzlichen Kategorie1040. Und auch der Gegenpol zur dolosen Zurechnung, das Vertrauen auf den guten Ausgang, wird von beiden Ansichten als vorsatzausschließende Verfassung angesehen. Durch diese Übereinstimmung in der Sache1041 erscheint es kaum weiterführend, die Kontroverse über die Verortung der Stellungnahme bzw. Entscheidung mit gleicher Vehemenz fortzusetzen; die Vermutung liegt nahe, dass es „nur“ noch um eine terminologische Frage geht1042. Küper bemerkt daher zum bedingten Vorsatz völlig zu Recht, dass sich 1037

Kargl, Vorsatz, S. 47. So wirft beispielsweise Kargl, Vorsatz, S. 41 ff., den voluntativen Theorien vor, sie folgten der philosophischen Tradition des Willensmonismus oder des Voluntarismus. 1039 So Kargl, Vorsatz, S. 59: „Was wir also brauchen, ist ein Bgriff von Wissen, der in sich all das aufnimmt, was die bisherigen Theorien ihm als möglichen Antagonisten gegenübergestellt haben. Eine solche Theorie muß Denken und Fühlen, Wissen und Wollen als eine Einheit begreifen können.“ 1040 Köhler, JZ 1981, S. 35, 36: „Die zweigliedrige Formel vom Wissen und Wollen, vom als-möglich-Erkennen und Billigen pointiert also der Sache nach das Wesen des Vorsatzes als einer praktisch ernstnehmenden Einsicht in die tatbestandliche Verletzungsmöglichkeit und – darin liegt ihre praktische Bedeutung – sperrt sich zutreffend gegen jede Reduktion des Vorsatzbegriffs auf ein bloß distanziert-theoretisches Möglichkeitswissen – würden doch sonst fälschlich auch Sachverhalte leichtsinnig-fahrlässigen Verletzens in die Vorsatzstrafbarkeit einbezogen.“ 1041 Ebenso Frisch, in: GS-Meyer, S. 533, 546; Weigend, ZStW 93, S. 657, 665 f.; AK-StGB-Zielinski, § 15, 16 Rn. 78. 1042 So Cramer/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, § 15 Rn. 75; Frisch, in: GS-Meyer, S. 533, 547; Herzberg, JuS 1986, S. 249, 259, Fußnote 40; ders., JZ 1988, S. 635, 636; Roxin, Strafrecht AT, § 12 Rn. 43 und 60. 1038

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1. Teil, 3. Kap.: Tatbegehung mit dolus eventualis

„der psychische Befund, den wir für diese Vorsatzart benötigen, einer isolierenden Kennzeichnung unter den Kategorien des ‚Wissens‘ und ‚Wollens‘ im Grunde widersetzt“1043.

Mit Küper könnte man also den Vorgang der Umsetzung der Gefahreinschätzung in die praktische Handlungseinschätzung unter Vermeidung der oft missverstandenen Verwendung des Willensbegriffes treffend als „Akt handlungsleitender Präferenzbestimmung“ beschreiben1044. Mit anderen Worten sind Wissen und Wollen als eine Einheit zu begreifen1045. Mit dieser Erkenntnis, dass es neben der Möglichkeitskenntnis einer Stellungnahme, einer Entscheidung durch den Täter bedarf, erscheint es praktikabler, neben der kognitiven Komponente auf eine zweite Stufe abzustellen (wenn man so will: ein volitives Element)1046, schon damit es zu keiner Verwechslung mit rein kognitiven Ansätzen kommt und einem Täter aufgrund bloßer Möglichkeitskenntnis Eventualvorsatz unterstellt wird. Auch kann man durchaus argumentieren, dass die Wissensverarbeitung wohl etwas anderes ist als die Wissensaufnahme1047 und daher durchaus in verschiedenen Elementen verortet werden sollte. Konsistenter lässt sich so 1043 Küper, GA 1987, S. 479, 508. Auch Plate, Psyche, S. 36, sieht eine Verbindung der Vorsatzelemente in diesem Sinne. 1044 Küper, GA 1987, S. 479, 508. Ähnlich bezeichnet MünchKommStGB/Joecks, § 16 Rn. 34, den Vorsatz jenseits allen Streits um kognitive und volitive Merkmale als eine vom Täter zu erbringende „Prognoseleistung“. 1045 Diese Worte stammen, als Forderung formuliert, von Kargl, Vorsatz, S. 59. Kargl versucht mit großem Begründungsaufwand darzulegen, dass es trotz übereinstimmendem Verständnis des Vorsatzes als Entscheidung gegen das Rechtsgut bedeutsame Unterschiede zwischen den kognitiven Positionen und den Positionen, die zwischen Wissen und Wollen trennen, gibt (a. a. O., S. 40 ff.). Allerdings sind seine Ausführungen von einem Verständnis der voluntativen Theorien geprägt, das, wie in dieser Schrift dargelegt, so keine Grundlage mehr findet: Nicht einen die Vernunft bezwingenden Willen im Sinne einer eigenständigen Instanz in der philosophischen Tradition Augustinus’ legen die heutigen voluntativen Theorien ihren Überlegungen zugrunde, sondern die Erkenntnis, dass die höhere Inkriminierung der Vorsatztat mit einer besonderen Einstellung zum geschützten Rechtsgut zu rechtfertigen ist, womit sie, wie ausgeführt, mit den kognitiven Ansätzen letztlich auf einer Linie liegen. Und wie eine solche, in einem volitiven Element verortete Entscheidung oder ein solcher „Begriff von Wissen, der in sich all das aufnimmt, was die bisherigen Theorien ihm als möglichen Antagonisten gegenübergestellt haben“ (Kargl, Vorsatz, S. 59) prozessual festzustellen ist, ist eine Frage, die beide Positionen zu beantworten haben und nicht, wie es offenbar Kargl sieht (a. a. O., S. 52), allein die voluntativen Theorien. 1046 Schließlich erkennt selbst Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 192 ff., die Existenz einer Einstellung an, die nicht vollständig vom Wissen erfasst ist. 1047 Letztlich muss wohl mit einer definitiven Klärung gewartet werden, bis die „black box Bewusstsein“ (Kargl, Vorsatz, S. 22) von den entsprechenden wissenschaftlichen Disziplinen verlässlich und endgültig entschlüsselt ist, was derzeit weder dem Grunde noch dem Zeitpunkt nach absehbar ist.

B. Begriff des dolus eventualis und seine Abgrenzung

193

auch die Absicht begründen, die durch eine schwach ausgeprägte Wissensseite und das intensiv ausgeprägte Wollen gekennzeichnet sein kann. Soweit die Rechtsprechung von einem „Willenselement“ spricht und soweit im Fortgang der Schrift dieser Begriff verwendet wird, ist er in diesem Sinne zu verstehen, also nicht als Wollen im Sinne von Absicht oder im Sinne einer emotionalen Einstellung zum Erfolg. Zur Beschreibung des aufgezeigten Phänomens der Entscheidung für die Rechtsgutverletzung sollen im Fortgang dieser Schrift in Anlehnung an die herrschende Meinung die Komplementärbegriffe Ernstnahme der Gefahr der Tatbestandsverwirklichung nebst Sichabfinden und Vertrauen auf den Nichteintritt des Erfolges verwendet werden, wobei nochmals betont werden muss, dass es sich bei dieser Formulierung nur um eine sprachliche Annäherung an einen prinzipiell nicht eindeutig beschreibbaren inneren Sachverhalt handeln kann1048. Auf die wichtige Frage des Beweises des Vorsatzes – Kernvorwurf der kognitiven Ansätze gegenüber den voluntativen Ansätzen ist, dass ein Beweis des volitiven Elementes nicht möglich ist – wird im 6. Kapitel einzugehen sein. Es wird gezeigt, dass und wie der Beweis des Vorsatzes, der nicht nur aus einem reinen Möglichkeitswissen besteht, möglich ist. d) Gleichgültigkeitsfälle und empirisch-normativer Charakter des Vorsatzes Einzufügen in die Konzeption sind nun noch die sogenannten Gleichgültigkeitsfälle. Diese werden dahingehend beschrieben, dass der Täter der tatbestandsrelevanten Gefahr gleichgültig gegenüberstehe und überhaupt keine Stellung nehme, das heißt den möglichen Erfolgseintritt weder ernst nehme noch auf dessen Ausbleiben vertraue1049. Teilweise werden die Fälle dahingehend gelöst, dass die Gleichgültigkeit global in die Vorsatzdefinition mit einbezogen oder zum Wesensmerkmal des dolus eventualis erklärt wird. Diesem pauschalierenden Ansatz ist indessen bereits entgegengehalten worden, dass es bei einem Täter, dem aus Gleichgültigkeit noch nicht einmal der Gedanke an die Möglichkeit bestimmter Folgen kommt, schon am Wissenselement fehlt1050. Hat der Täter – aus welchen Gründen auch immer (nämlich beispielsweise aus Gleichgültigkeit, Ablenkung, Angst usw.) – die Erfolgsmöglichkeit überhaupt nicht gesehen, so kann allenfalls (unbewusste) Fahrlässigkeit in Betracht kommt, weil es am vorsatzspezifischen Wissen fehlt1051. Hat der Täter aber eine Tatbestandsverwirklichung kon1048 1049 1050

Vgl. Honig, GA 1973, S. 257, 262. So beispielsweise Rudolphi, in: SK-StGB, § 16 Rn. 45. 3. Kapitel, B. II. 1. b).

194

1. Teil, 3. Kap.: Tatbegehung mit dolus eventualis

kret für möglich gehalten, nimmt dazu aber aus Gleichgültigkeit in der konkreten Situation nicht weiter Stellung bzw. handelt „für alle Fälle“, so wird man im Einzelfall durchaus bedingten Vorsatz bejahen können1052. Und zwar nicht, weil etwa eine bloße Möglichkeitsvorstellung ausreicht, sondern weil der Täter in diesen Fällen quasi vorab und bis zur Tathandlung andauernd gegen das geschützte Rechtsgut Stellung bezogen hat. Die höhere Vorsatzstrafe ist hier gerechtfertigt, weil der Handelnde nicht nur zu erhöhter Aufmerksamkeit gegenüber fremden Rechtsgütern zu bewegen ist, sondern auch zu einer Änderung seiner Einstellung, nämlich einer Respektierung der fremden Sphäre. Es wird gerade hierbei deutlich, dass der Vorsatz kein rein empirisch-psychologischer Begriff ist. Für diese Erkenntnis müssen die beiden Komponenten des Vorsatzes betrachtet werden. Jedenfalls bezüglich der Wissenskomponente besteht, soweit ersichtlich, Einigkeit, dass es sich um einen psychologischen Akt handelt, nämlich den psychologischen Akt des Erkennens der Tatumstände und des zu verwirklichenden Taterfolges1053. Der Täter muss also im Tatzeitpunkt ein tatsächliches Bewusstsein der Tatmerkmale haben1054. Anders ist dies bezüglich der hier sogenannten volitiven Komponente, die die „Entscheidung“ für die Rechtsgutverletzung zum Gegenstand hat. Würde man auch hier eine rein psychologische Betrachtung zugrunde legen1055, so dürfte der Vorsatz kaum je zu erweisen sein, denn die empirisch-psychische Wahrheit lässt sich (bislang) nicht zuverlässig ermitteln. Strafrechtliche Verurteilungen wegen einer Vorsatztat und entsprechende Rechtssicherheit würde es dann wohl nicht mehr geben können1056. Demgegenüber erweisen sich jedoch auch rein normative Ansätze, wie beispielsweise derjenige Puppes1057, die völlig losgelöst von einer psychologischen Dimension den Vorsatz nur anhand wertender Kriterien bestimmen wollen, als unhaltbar. Sie sind weder mit dem Grundsatz der Einzelfallgerechtigkeit in Einklang zu bringen, noch berücksichtigen sie den personalen Charakter der „Entscheidung“1058. Richtigerweise ist daher der psychologischen Dimension der „Entscheidung“ dadurch Rechnung zu tragen, dass 1051

Vgl. AK-StGB-Zielinski, § 15, 16 Rn. 78. Ähnlich Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 235 f.; ders., NStZ 1991, S. 23, 26; Küpper, ZStW 100, S. 758, 768; Rudolphi, in: SK-StGB, § 16 Rn. 45. 1053 Vgl. Cramer/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, § 15 Rn. 38. 1054 Dabei ist jedoch keine ständige Reflexion bezüglich der Tatmerkmale erforderlich, sondern ein sogenanntes sachgedankliches Mitbewusstsein, siehe dazu Cramer/Stern-berg-Lieben, in: Schönke/Schröder, § 15 Rn. 51. 1055 So beispielsweise Sessar, StV 1988, S. 94, 95. 1056 Vgl. Plate, Psyche, S. 73. 1057 3. Kapitel, B. II. 2. c) dd). 1058 Vgl. Lackner/Kühl, § 15 Rn. 25. 1052

B. Begriff des dolus eventualis und seine Abgrenzung

195

feststehen muss, dass der Täter in der konkreten Situation zu einer bewussten „Entscheidung“ überhaupt in der Lage war; darüber hinaus kann in bestimmten Konstellationen durchaus über eine wertende Betrachtung eine Bejahung des Vorsatzes infrage kommen1059 – so nämlich in den hier soeben behandelten Fällen der Gleichgültigkeit. Die unter Umständen fehlende psychische Stellungnahme im konkreten Tatzeitpunkt wird als Entscheidung gegen das Rechtsgut bewertet1060. III. Ergebnis Grund für die regelmäßig erhöhte Vorsatzstrafe ist die Einstellung des Täters, die Entscheidung für die Rechtsgutverletzung. Eine solche Entscheidung erfordert eine Art von Stellungnahme des Handelnden, die zwar nicht zu einer Billigung im Sinne eines Erwünschtseins oder Gutheißens des Erfolges führen muss, andererseits aber auch nicht in einer reinen Möglichkeitskenntnis liegen kann. Ob man jenseits dieser abzulehnenden „extremen“ Positionen die erforderliche Stellungnahme in einem intellektuellen Vorsatzelement oder einem zusätzlichen volitiven Element verortet, erscheint angesichts der sachlichen Annäherung der Befürworter der jeweiligen Positionen als vornehmlich terminologischer Streit. Zumindest zur Verdeutlichung, dass bedingter Vorsatz nicht schon immer dann bejaht werden kann, wenn der Handelnde Möglichkeitskenntnis hatte, erscheint es aber praktikabel, neben dem kognitiven Element ein zweites, nämlich ein volitives Element zu bejahen. In diesem Element wird der innere Vorgang der „Entscheidung für die Rechtsgutverletzung“ angesiedelt. Anschaulich umschreiben kann man die Situation gegebenen oder fehlenden Vorsatzes mit dem Begriffspaar Ernstnehmen der Gefahr und Vertrauen auf den Nichteintritt des Erfolges. 1059

Vgl. Plate, Psyche, S. 73. Vgl. Roxin, Strafrecht AT, § 12 Rn. 30; ders., in: FS-Rudolphi, S. 243, 244 ff. („volitiver Normativismus“, a. a. O., S. 248). Als eine Ausprägung dieser partiellen Normativierung kann man letztlich auch den Vorgang der Feststellung des Vorsatzes vermittels Indizien bzw. Indikatoren sehen (ebenso Roxin, in: FS-Rudolphi, S. 243, 245 ff.), worauf im Folgenden (2. Teil) näher eingegangen wird. Auch insoweit wird nämlich letztlich nicht die wirkliche psychologische Verfassung des Täters ermittelt, was, wie oben angemerkt, mit den derzeitigen Methoden gar nicht verlässlich möglich ist, sondern durch eine Interpretation des Gesamtverhaltens wertend (aber nicht willkürlich!) „zugeschrieben“. Gleichwohl wird dabei anders als bei den streng normativen Ansätzen (z. B. Puppes) der Einzelfallgerechtigkeit Rechnung getragen, weil das gesamte Geschehen in die Betrachtung einbezogen wird und nicht anhand eines einzelnen Aspektes des objektiven Geschehens eine schematische Zuschreibung vorgenommen wird, wobei in verbleibenden Zweifelsfällen eine Verurteilung auszuscheiden hat. 1060

196

1. Teil, 3. Kap.: Tatbegehung mit dolus eventualis

Mit dieser definitorischen Festlegung des Vorsatzbegriffes kann und darf nach den eingangs formulierten Prämissen die Erörterung des Untreuevorsatzes jedoch nicht abgeschlossen sein. Vielmehr ist nunmehr der Frage nachzugehen, wie der (bedingte) Vorsatz prozessual nachgewiesen werden kann.

2. Teil

Die prozessualen Aspekte Wie angekündigt, sollen die materiellrechtlichen Aspekte des Untreuevorsatzes in diesem zweiten Teil um die – notwendigen1 – prozessualen Aspekte, genauer: die Frage des Vorsatznachweises, ergänzt und vervollständigt werden. Im 4. Kapitel soll im Wesentlichen analysiert werden, wie in Schrifttum und Rechtsprechung der Vorsatznachweis theoretisch und praktisch bewältigt wird. Das 5. Kapitel hat die Frage nach einer adäquaten Methode zur prozessualen Beweisführung bezüglich des Vorsatzes zum Gegenstand. Im 6. Kapitel wird die Vorsatzfeststellung untreuespezifisch illustriert.

4. Kapitel

Vorsatznachweis A. Zur Schwierigkeit des Vorsatznachweises Die Schwierigkeit des Vorsatznachweises besteht darin, dass der Vorsatz als innerpsychischer Vorgang – anders als das objektive, äußere Tatgeschehen – nicht beobachtbar ist: Der Vorsatz ist „dem Blick des Beobachters entzogen und kann deshalb nicht betrachtend beschrieben werden“2. Der subjektive Tatbestand, die Kenntnisse und Absichten des Täters, können also nicht unmittelbar festgestellt werden3. Denkbar ist natürlich, dass der Täter selbst Anhaltspunkte für die innere Tatseite durch eine Einlassung oder ein Geständnis im Prozess liefert oder vermittels Zeugen oder Urkunden dem Täter Kenntnisse und Absichten zur Tatzeit nachgewiesen werden können4. So ist aber keinesfalls sicher, dass sich der Täter im Prozess äußert oder sich vorher gegenüber Zeugen geäußert hat, und wegen des Grundprinzips nemo tenetur se ipsum accusare, das in den §§ 136 Abs. 1 Satz 2, 163a Abs. 4, 243 Abs. 4 Satz 1 StPO 1 2 3 4

Siehe zur Notwendigkeit 3. Kapitel, B. I. Hassemer, in: GS-Kaufmann, S. 289, 303. BGH NJW 1991, S. 2094. Vgl. auch Henkel, in: FS-Schmidt, S. 578.

198

2. Teil, 4. Kap.: Vorsatznachweis

seinen gesetzlichen Niederschlag gefunden hat, können Einlassung und Geständnis nicht erzwungen werden5. Aus dem etwaigen Schweigen des Angeklagten können grundsätzlich auch keine nachteiligen Schlussfolgerungen gezogen werden6. Denn müsste der Täter befürchten, dass aus seinem Schweigen nachteilige Schlüsse gezogen werden, so wäre er unter Umständen doch gezwungen auszusagen. Zudem sind Schlussfolgerungen aus dem Schweigen auch niemals eindeutig7. Andererseits besteht die Gefahr, dass der Täter, wenn er sich äußert, bloße Schutzbehauptungen tätigt8 oder ein falsches Geständnis ablegt9. Selbst ein Geständnis kann daher nicht unbesehen als wahr eingestuft werden und allein für sich zum Nachweis hinreichen, sondern muss – auch vor dem Hintergrund der Möglichkeit eines späteren Widerrufes – von weiteren Ermittlungen begleitet werden10. Das Nachweisproblem war und ist einer der Hauptkritikpunkte, denen sich die Befürworter eines volitiven Elementes ausgesetzt sehen11, und zugleich einer der wesentlichen Antriebsgründe für die Entwicklung der neueren kognitiven Ansätze. Allerdings sehen sich die neueren kognitiven Ansätze entweder den gleichen Schwierigkeiten ausgesetzt – so beispielsweise der Ansatz von Frisch, der volitive Aspekte in das Wissenselement integriert, sodass sich in der Sache nichts ändert – oder können, wie die obigen Ausführungen gezeigt haben, schon begrifflich nicht überzeugen: Herzberg muss Ergebniskorrekturen aus dem Rechtsgefühl heraus vornehmen und die Theorie von der Vorsatzgefahr (Puppe) scheitert bei mehrdeutigen Geschehen12. Leicht setzen sich die Ansätze aufgrund der starken Normativierung dem Vorwurf einer mangelnden Einzelfallgerechtigkeit und einer Vernachlässigung des Aspekts der individuellen Vorwerfbarkeit aus. Ling kritisiert in diesem Sinne, dass die materiellen Vorschläge, die sich auf nur einen Aspekt des Geschehens konzentrieren (zum Beispiel die Frage der Abgeschirmtheit der Gefahr bei Herzberg), in die „Starrheit eines unentrinnbaren Schematismus“ führen würden, weil sie das Korrekturmittel der persönlichen Überzeugung des Richters im Rahmen der Beweiswürdigung eliminie5 Mit den Worten Schefflers, JURA 1995, S. 349, 354: „Ausgehend vom Grundsatz ‚im Zweifel für den Angeklagten‘ besteht doch die Gefahr, trotz schönster Theorien nur die Dummen überführen zu können, jene, die ein Geständnis ablegen und über ihr Inneres ehrlich aussagen.“ 6 Siehe nur BGHSt 38, S. 302, 305 m. w. N. 7 Vgl. Volk, in: FG-BGH, S. 739, 741. 8 Vgl. Arloth, NStZ 1987, S. 408, 409; Geppert, JURA 1987, S. 668, 669. 9 Vgl. Bender/Nack/Treuer, Tatsachenfeststellung, Rn. 1096 ff.; Peters, Strafprozess, § 44 III 4 a aa. 10 Bender/Nack/Treuer, Tatsachenfeststellung, Rn. 1017. 11 Siehe beispielsweise die Kritik von Kargl, Vorsatz, S. 52 f.; NK-StGB-Puppe, § 15 Rn. 54; Puppe, ZStW 103, S. 1, 11. 12 Siehe 3. Kapitel, B. II. 2. c) cc) und dd).

B. Ablehnung der Einführung einer Beweislastumkehr

199

ren13. Und schließlich muss auch das Wissenselement, ob es nun den Vorsatz allein oder in Verbindung mit volitiven Elementen bildet, nachgewiesen werden14. Denn entscheidend ist nicht die tatsächliche Nähe eines Schadens, sondern die subjektive Kenntnis des Handelnden von der Nähe des Erfolges15. Diese Schwierigkeiten können aber nicht dazu führen, vor der Aufgabe des prozessualen Nachweises zu kapitulieren – Kleb-Braun spricht gar von der Unmöglichkeit der Beweisführung und Beweiswürdigung16 – und den Vorsatz zu unterstellen oder willkürlich zuzuschreiben17. Tatsächlich haben auch die Befürworter volitiver Komponenten das Beweisproblem erkannt18 und sich der Lösung dieser Frage zugewendet. Nachfolgend sollen zunächst – nach einer kurzen Überlegung zum Vorschlag einer Beweislastumkehr (B.) – die Ansätze in der Literatur aufgezeigt werden, die verstärkt die Frage des Beweises in den Blick nehmen (C. I.). Im Anschluss daran soll die Rechtsprechung zum Bereich der Tötungsdelikte und zur Untreue auf die Frage hin analysiert werden, wie in der gerichtlichen Praxis der Nachweis des Vorsatzes geführt wird (C. II.). Nach Darstellung der wesentlichen Ergebnisse und Schlussfolgerungen (C. III., IV.) wird die Betrachtung mit einem Überblick über den dolus ex re abgerundet (D.). Um die Struktur der Beweisführung geht es dann im 5. Kapitel.

B. Ablehnung der Einführung einer Beweislastumkehr Vereinzelt wird im Schrifttum die Möglichkeit diskutiert, die Problematik des Nachweises von Tatsachen im Strafprozess durch die Einführung einer (partiellen) Beweislastumkehr19 zu lösen20. Ziel derartiger Vorschläge ist 13

Ling, JZ 1999, S. 335, 339. Vgl. Verrel, NStZ 2004, S. 309, 311; ähnlich Ambrosius, Vorsatzabgrenzung, S. 64 f.; Cramer/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, § 15 Rn. 87b. 15 Vgl. Hassemer, in: GS-Kaufmann, S. 289, 302. 16 Kleb-Braun, JA 1986, S. 310, 313. 17 Vgl. Geppert, JURA 2001, S. 55, 58; Peters, Strafprozess, § 37 V 3. 18 Vgl. bspw. Hassemer, in: GS-Kaufmann, S. 289, 300 ff.; Prittwitz, JA 1988, S. 486, 487. 19 Einzelheiten zum Begriff der Beweislast bei Bock, Beweislastumkehr, S. 25 ff. 20 Speziell zum subjektiven Tatbestand Arzt, in: Strafrechtliche Probleme, S. 77, 95; Detzner, Beweislastumkehr, S. 270. Heine, JZ 1995, S. 651, 655 f., erwägt, für den Bereich des Unternehmensstrafrechts wegen der Undurchdringlichkeit betrieblicher Strukturen abweichend vom Individualstrafrecht eine originäre kollektive Verantwortlichkeit zu schaffen. Dies sei auch prozessrechtlich einleuchtend. Die Preisgabe entscheidungserheblicher Informationen könne bei Unternehmen mit Gefähr14

200

2. Teil, 4. Kap.: Vorsatznachweis

es, das Risiko der Nichterweislichkeit der entscheidungserheblichen Tatsachen dem Angeklagten aufzuerlegen. Denkbare Instrumente sind zum Beispiel die Übertragung der Beweisführungspflicht auf den Angeklagten, aber auch die Einführung von Beweisvermutungen oder Regeln, die den Richter anweisen, im Falle eines non liquet zum Nachteil des Beschuldigten zu entscheiden21. Gegen derartige Tendenzen zur Einführung einer (echten) Beweislastumkehr bestehen indes im Hinblick auf den Grundsatz der Unschuldsvermutung erhebliche Bedenken. Das Prinzip der Unschuldsvermutung ist eine besondere Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips und dadurch mit Verfassungsrang versehen22; über Art. 6 Abs. 2 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten erhält es den Rang eines Bundesgesetzes. Es besagt, dass bis zum gesetzlichen Nachweis der Schuld vermutet wird, dass der Angeklagte unschuldig ist23. Dieses Prinzip der Unschuldsvermutung bedingt, dass dem Täter Tat und Schuld nachgewiesen werden müssen24. Flankiert wird die Unschuldsvermutung von dem Grundsatz in dubio pro reo25, der dann zum Tragen kommt, wenn ein Sachverhalt bei freier Beweiswürdidungspotenzial nicht mehr „Holschuld“ der Strafverfolgungsbehörden sein, sondern müsse eine „Bringschuld“ des Betriebes sein. Ablehnend gegenüber dem Vorschlag echter Beweislastumkehr: Geppert, in: GS-Schlüchter, S. 43, 61; Kiethe, WM 2003, S. 861, 868. 21 Feigen, Beweislastumkehr, S. 151 ff., diskutiert für den Tatbestand der Geldwäsche (§ 261) den Vorschlag, aufgrund von Nachweisschwierigkeiten bezüglich des Vorsatzes die frühere „Annehmen-Müssen-Klausel“ des Hehlereitatbestandes (§ 259) einzuführen. § 259 Abs. 1 a. F. (BGBl. I 1953, S. 1083, 1116) lautete: „Wer seines Vorteils wegen Sachen, von denen er weiß oder den Umständen nach annehmen muß, daß sie mittels einer strafbaren Handlung erlangt sind, [. . .] ankauft, [. . .] wird [. . .] bestraft.“. Im Ergebnis lehnt Feigen dies ab, weil eine solche Klausel einerseits – bei entsprechender Auslegung – als gesetzliche Beweisregel gegen das Prinzip der Unschuldsvermutung verstoßen würde und andererseits ein – unschädliches – Verständnis als bloße Richtlinie für den Indizienbeweis nicht zwingend wäre. Arzt, in: Strafrechtliche Probleme, S. 77, 94, lehnt derartige materiellrechtliche Lösungen ab, weil sie zu einer Überdehnung des materiellen Rechts führen würden. Vest, ZStW 103, S. 584, 609, meint übrigens, dass die ursprüngliche Funktion des Eventualdolus die einer Beweisregel für den direkten Vorsatz war (siehe schon 1. Kapitel, B. I., Fußnote 257). 22 BVerfGE 74, S. 358, 370. 23 Vgl. Art. 6 Abs. 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten in der am 17. Mai 2002 bekannt gegebenen Neufassung (BGBl. II 2002, S. 1053, 1058): „Jede Person, die einer Straftat angeklagt ist, gilt bis zum gesetzlichen Beweis ihrer Schuld als unschuldig.“ 24 Vgl. BVerfGE 9, S. 167, 169. 25 Siehe zu diesem Grundsatz: Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 955 ff.; Schmitt, Beweiswürdigung, S. 206 ff. Zu den „Zweifeln an der Zweifelsregelung“ siehe Montenbruck, In dubio pro reo, S. 61 f., der in seiner Untersuchung zu dem Ergebnis kommt, dass der Zweifelssatz überflüssig ist.

C. Nachweis des (bedingten) Vorsatzes in Schrifttum/Rechtsprechung

201

gung teilweise unaufklärbar bleibt und in diesem Fall den Richter anweist, den unaufgeklärten Tatteil zugunsten des Angeklagten zu werten26. Beide Prinzipien gemeinsam dienen letztlich der Garantie und Realisierung des Schuldgrundsatzes27. Würde man nun die aus diesen Prinzipien resultierende Beweislast dem Beschuldigten auferlegen, so würden diese Prinzipien verletzt und zu einem Verstoß gegen die Verfassung führen28. Mag damit eine echte Verlagerung der Beweislast auf den Beschuldigten abzulehnen sein, so wäre zumindest diskussionswürdig, ob nicht in gewissem Umfang bloße Beweiserleichterungen zulässig sein könnten29, was in dieser Schrift jedoch aus Platzgründen nicht erörtert werden kann. Es bleibt daher die Frage zu klären, wie mit den Möglichkeiten de lege lata der (bedingte) Vorsatz prozessual nachgewiesen werden kann.

C. Nachweis des (bedingten) Vorsatzes in Schrifttum und Rechtsprechung Wie erwähnt, ist die Frage des Beweises des Vorsatzes zunehmend in den Vordergrund der Überlegungen zum Begriff des bedingten Vorsatzes und seiner Abgrenzung von der bewussten Fahrlässigkeit gerückt. Im Folgenden sollen, wie angekündigt, zunächst die entsprechenden Ansätze der Literatur vorgestellt (I.) und sodann die Rechtsprechung analysiert werden (II.). I. Schrifttum 1. Prittwitz

Prittwitz hat den Eindruck, dass Schrifttum und Rechtsprechung inzwischen vorsatzbegrifflich „dasselbe meinen“, also bei ihren Überlegungen denselben „Idealtypus“ der bedingt vorsätzlichen und der bewusst fahrlässigen Tat vor Augen haben30. Vernachlässigt sei nur die Frage nach dem prozessualen Beweis. Die Abgrenzung des bedingten Vorsatzes von der bewussten Fahrlässigkeit sei durch eine „strafprozessual orientierte Indizientheorie“ zu realisieren31. Verallgemeinerbare Indizien könnten dabei nach 26

KK-Pfeiffer/Hannich, StPO, Einleitung Rn. 32a. Vgl. Hohn, Beweiserleichterungen, S. 70. 28 Vgl. Geppert, in: GS-Schlüchter, S. 43, 61. Siehe auch Lüderssen, ZStW 85, S. 288, 301: „Die Lösung der in bezug auf die subjektive Tatseite auftretenden Beweisprobleme durch Zugeständnisse an das Beweisrecht scheidet also aus.“ 29 Dahingehend Weigend, in: FS-Triffterer, S. 695, 712, jedoch ohne konkrete Vorschläge. 30 Prittwitz, JA 1988, S. 486, 495. 27

202

2. Teil, 4. Kap.: Vorsatznachweis

Prittwitz aus der Rekonstruktion des (materiellrechtlichen) Meinungsstreits gewonnen werden. Zentrale Bedeutung habe – auch auf der subjektiven Ebene – das Maß des bewusst in Kauf genommenen Risikos32. Insofern sei der Ausgangspunkt der in dieser Schrift als neuere kognitive Ansätze bezeichneten Theorien (auch Gefährdungs- oder Risikotheorien) zutreffend. Wer sich bewusst gegen bestimmte Risikomaximen entscheidet, sei als bedingt vorsätzlich Handelnder anzusehen. Die Indizien, die für ein solches (bedingt) vorsätzliches Handeln sprechen, findet Prittwitz in den materiellrechtlichen Theorien wieder. Falsch sei an diesen Theorien nur deren Verabsolutierung gewesen33. Als wichtigstes Indiz benennt er das von der Wahrscheinlichkeitstheorie hervorgebrachte Kriterium der Wahrscheinlichkeit der Risikorealisierung34. Als Zusatzindizien finden sich Aspekte aus den Theorien Kaufmanns (betätigter Vermeidewille) und Herzbergs (Abgeschirmtheit der Gefahr) wieder35. 2. Hassemer

Auch Hassemer hält weder eine weitere „Paraphrasierung des Vorsatzes“36 durch die Befürworter der voluntativen Komponente noch die – seiner Meinung nach nur vermeintliche – Objektivierung durch die Vertreter der kognitiven Theorien für zielführend. Über den Vorsatz werde nicht im Sinne der kognitiven Theorien entschieden, wie riskant die Tathandlung tatsächlich war, sondern wie riskant und gefährlich das Handeln nach Ansicht des Täters war37. Richtig ist nach Ansicht Hassemers der methodische Ansatz Armin Kaufmanns am äußeren Geschehen38, denn nur mit Hilfe des beobachtbaren Geschehens könne es gelingen, einen inneren, das heißt nicht beobachtbaren Zustand wie den Vorsatz nachzuweisen39. Problematisch sei bei Kaufmann jedoch, dass er nur auf einen einzigen Indikator abstelle, nämlich die Nichtanwendung besonderer Vorsichtsmaßnahmen, und somit zum Schematismus neige40. Die Lösung müsse also in einem Schluss vom Äußeren auf das 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40

Prittwitz, JA 1988, S. 486, 497. Prittwitz, JA 1988, S. 486, 497 f. Prittwitz, JA 1988, S. 486, 499. Prittwitz, JA 1988, S. 486, 498. Prittwitz, JA 1988, S. 486, 499. Hassemer, in: GS-Kaufmann, S. 289, Hassemer, in: GS-Kaufmann, S. 289, Hassemer, in: GS-Kaufmann, S. 289, Hassemer, in: GS-Kaufmann, S. 289, Hassemer, in: GS-Kaufmann, S. 289,

302. 302. 294. 304. 291.

C. Nachweis des (bedingten) Vorsatzes in Schrifttum/Rechtsprechung

203

Innere liegen, wobei jedoch nicht ein einzelner Aspekt maßgeblich sein könne, sondern das gesamte Geschehen berücksichtigt werden müsse41; der Vorsatz lasse sich nur mit Hilfe von Indikatoren operationalisieren42. Wissenschaftstheoretischer Bezug der Theorie Hassemers ist die Kategorie der Dispositionsbegriffe43. Die Begriffstheoretiker verstehen unter Dispositionsbegriffen Begriffe, die keine manifeste Eigenschaft oder Beziehung, die der Wahrnehmung zugänglich ist, beschreiben, sondern die Disposition eines Objektes oder Menschen, also „dessen Tendenz, Fähigkeit, Neigung oder Vermögen, unter geeigneten Umständen in bestimmter Weise zu reagieren oder sich in bestimmter Weise zu verhalten, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind“44. Eigenart dieser Begriffe ist die mangelnde vollständige Definierbarkeit45. Die jeweilige Eigenschaft kann man nur anhand empirisch zu untersuchender Reaktionen bzw. Verhaltensweisen („typische Symptome“) des Objektes bzw. der Person feststellen46. Abgebildet werden kann der Dispositionsbegriff als theoretischer Term – durch bestimmte, sogenannte Korrespondenz- oder Zuordnungsregeln – nur auf einer anderen Stufe, der Beobachtungssprache47 (Zwei-Stufen-Modell48). Die – wahrnehmbaren – Merkmale dieser Beobachtungssprache (Reaktionen bzw. Verhaltensweisen einer Person bzw. eines Gegenstandes) indizieren also das Vorliegen der Disposition und werden aufgrund dieser Eigenschaft meistens als Indikatoren bezeichnet49. Diese begriffstheoretischen Aspekte verwendet Hassemer bei der Vorsatzproblematik, indem er den Vorsatz als Dispositionsbegriff definiert50 und über Indikatoren anwendbar machen will. Die Indikatoren müssen dabei laut Hassemer drei Voraussetzungen erfüllen: Sie müssen beobachtbar51 sein, vollständig ermittelt werden52 und dispositionsrelevant sein53. 41

Hassemer, in: GS-Kaufmann, S. 289, 309. Hassemer, in: GS-Kaufmann, S. 289, 304. 43 Ähnlich auch Volk, in: FG-BGH, S. 739, 742 f. 44 Mylonopoulos, Dispositionsbegriffe, S. 82. 45 Kindhäuser, JURA 1984, S. 465, 475. 46 Mylonopoulos, Dispositionsbegriffe, S. 84. 47 Mylonopoulos, Dispositionsbegriffe, S. 100 f. 48 Volk, in: FG-BGH, S. 739, 742. 49 Mylonopoulos, Dispositionsbegriffe, S. 101. 50 Hassemer, in: GS-Kaufmann, S. 289, 304. Ablehnend Schünemann, in: FSHirsch, S. 363, 376. Kritisch auch Philipps, in: FS-Roxin, S. 365, 372, Fußnote 14. 51 Sonst gibt es keinen Ausweg aus dem „Dilemma der Feststellung nicht beobachtbarer Zustände“ (Hassemer, in: GS-Kaufmann, S. 289, 304). 52 Vgl. insoweit auch die Rechtsprechung, die eine „Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände“ verlangt, z. B. BGH StV 2003, S. 557, 558. 53 Hassemer, in: GS-Kaufmann, S. 289, 304. 42

204

2. Teil, 4. Kap.: Vorsatznachweis

Hassemer weist darauf hin, dass die Indikatoren nicht isoliert nur den prozessualen Nachweis des Vorsatzes erbringen sollen, sondern vielmehr schon den Vorsatzbegriff selbst bestimmen: So indiziere das sichere Wissen um die Gefährlichkeit des Handelns die Entscheidung gegen das Rechtsgut und gehöre also zum Begriff des Vorsatzes; die Frage, ob das Wissen im Einzelfall fehlte oder vorlag, sei prozessuale Frage54. Dabei weist Hassemer darauf hin, dass eine schematische Katalogisierung möglicher Indikatoren undenkbar ist55. Ebenso wie jedes einzelne Delikt des Besonderen Teils des Strafgesetzbuches durch unterschiedliche objektive Merkmale gekennzeichnet ist und auch innerhalb eines bestimmten Deliktes unterschiedlichste Fallgestaltungen denkbar sind, ist die innere Tatseite, da sie von den jeweiligen konkreten objektiven Bedingungen abhängt, durch eine Vielzahl inhaltlich nicht abschließend beschreibbarer Gestaltungen geprägt. Welche Daten für die Vorsatzfeststellung relevant sind, lässt sich nicht abstrakt, sondern nur anhand des konkreten Einzelfalles feststellen. Beispielhaft nennt Hassemer56 die Angriffsrichtung, die Existenz abschirmender Auswege, die Wahrnehmungsfähigkeit des Täters, die Komplexität der Tatsituation, betätigtes Vermeideverhalten, die Wahrscheinlichkeit einer Selbstverletzung, Anzeichen emotiver Nähe usw. 3. Volk

Auch Volk sieht, wie Hassemer, den Vorsatzbegriff als Dispositionsprädikat an, das über Zuordnungsregeln mit der Wirklichkeit, dem Beobachtbaren, beweisbar gemacht werden muss57. Er betont dabei besonders deutlich eine Austauschbarkeit von Begriff und Beweis58. Die Argumente, die für Beschreibung und Beweis des Vorsatzes von den verschiedenen Ansichten angeführt werden, seien austauschbar: „Die einen gebrauchen sie in einer Definition, die anderen als Elemente des Beweises.“59 Eine dogmatisch stringente Trennung zwischen materiellem Recht und Prozessrecht hält er für nicht zwingend, weil die jeweilige Einordnung keine unterschiedlichen Rechtsfolgen mit sich bringe. Auch für die Revisionsinstanz sei die Unterscheidung gleich, weil mit der Sachrüge eine Überprüfung sowohl des Rechtsbegriffes als auch der Beweisführung herbeigeführt werden könne60. 54

Hassemer, in: GS-Kaufmann, S. 289, 304 f. Hassemer, in: GS-Kaufmann, S. 289, 307; vgl. auch Schroth in Gerechtigkeitswissenschaft, S. 467, 475. 56 Hassemer, in: GS-Kaufmann, S. 289, 308. 57 Volk, in: FG-BGH, S. 739, 743. 58 Volk, in: FG-BGH, S. 739, 747; ähnlich auch Schroth, in: Gerechtigkeitswissenschaft, S. 467, 476. 59 Volk, in: FG-BGH, S. 739, 749. 55

C. Nachweis des (bedingten) Vorsatzes in Schrifttum/Rechtsprechung

205

4. Hruschka

Einen anderen Ausgangspunkt wählt Hruschka bei der Frage des Vorsatzbeweises. Er meint, ein Beweis des Vorsatzes im prozessualen Sinne sei gar nicht möglich, weil der Vorsatz als solcher keine beweisbare Tatsache im Sinne des § 244 Abs. 2 StPO sei61. Daher könne der Vorsatz wie alles Geistige nur zugerechnet, nicht aber festgestellt und bewiesen werden62. Wenn sich der Ansatz Hruschkas in diesem Ausgangspunkt von den hier dargestellten Meinungen auch unterscheiden mag, so liegt er mit diesen im praktischen Ergebnis doch auf einer Linie63. Denn letztlich setzt die von Hruschka geforderte Zuschreibung des Vorsatzes am gleichen Gegenstand an, nämlich dem gesamten äußeren Geschehen: Dieses äußere Geschehen (zum Beispiel die Zornesröte des Zornigen) liefere die Tatsachen, die die Grundlage für die Zurechnung des Vorsatzes bilden64. Statt eine beweismäßige Schlussfolgerung aus Indizien des äußeren Geschehens vorzunehmen, will Hruschka also bei einem bestimmten Verhalten den Vorsatz zurechnen. Unterschiede im Ergebnis der Vorsatzfeststellung dürften sich damit jedoch nicht ergeben65. 5. Schünemann

Schünemann wiederum will explizit die Grenzziehung zwischen materiellem Recht und prozessualem Nachweis wahren, weil prozessuale Nachweisschwierigkeiten nicht mit der Nichtexistenz der Realität verwechselt werden düften66. Der Vorsatz sei ein typologischer Begriff, der von zwei Bezugssystemen, der Tatherrschaft und der rechtsgüterfeindlichen Gesinnung, die in unterschiedlicher Intensität ausgeprägt sein können, reguliert werde67. Diese Gesinnung sei als die durch das bewusste Handeln des Täters „manifestierte Maxime des Handelns“ zu verstehen68. Da es insoweit nicht nur 60 Volk, in: FG-BGH, S. 739, 747; ders., in: FS-Kaufmann, S. 611, 618, Fußnote 40. 61 Hruschka, in: FS-Kleinknecht, S. 191. 62 Hruschka, in: FS-Kleinknecht, S. 191, 201. 63 Vgl. Prittwitz, JA 1988, S. 486, 497. 64 Hruschka, in: FS-Kleinknecht, S. 191 S. 202. 65 Ebenso die Einschätzung von Prittwitz, JA 1988, S. 486, 497. 66 Schünemann, in: FS-Hirsch, S. 363, 376. Ähnlich auch Puppe, GA 2006, S. 65, 79: „Deshalb kann die ‚lähmende Alternative‘ zwischen einer voluntaristischen und einer kognitivistischen Bestimmung des dolus eventualis nicht durch einen Rekurs auf Indizien und Indikatoren überwunden werden; sie muss entschieden werden“. Anders Volk, in: FG-BGH, S. 739, 747; ders., in: FS-Kaufmann, S. 611, 618. 67 Schünemann, in: FS-Hirsch, S. 363, 372; ähnlich Haft, ZStW 88, S. 365, 385 ff. 68 Schünemann, in: FS-Hirsch, S. 363, 372.

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2. Teil, 4. Kap.: Vorsatznachweis

auf die individualpsychologische Motivation des Täters, sondern auch auf die situativen Gegebenheiten ankomme, stecke in dem Gesinnungsmoment sowohl ein subjektiver als auch ein objektiver Sachverhalt. Habe der Handelnde lediglich Möglichkeitskenntnis, so sei eine hinreichend starke Ausprägung des Gesinnungsmerkmals nur gegeben, wenn weitere Unwertmomente („Einzelzüge des Vorsatztypus“69) hinzukämen, namentlich der Wert oder Unwert des Endzwecks des Handelns70, die Bereitschaft des Täters, das Risiko auch selbst zu übernehmen, das Ausmaß der Tatherrschaft über das Opfer, die Risikogewöhnung der Gesellschaft usw.71 Wenn auch Schünemann mit dem typologischen Vorsatzbegriff allein eine materiellrechtliche Definition realisieren und die prozessuale Seite davon trennen will, so sind doch letztlich seine „Einzelzüge“ den Indikatoren Hassemers nicht unähnlich72. Ob, davon abgesehen, die materiellrechtliche und die prozessuale Seite des Vorsatzes in dem strengen Sinne Schünemanns getrennt werden müssen bzw. überhaupt können, ist fraglich. Denn der Bewusstseinsinhalt als solcher kann, weil er kein selbstständiges Identifizierungsmerkmal aufweist, an sich nicht isoliert festgestellt, sondern nur durch Interpretation ermittelt werden73. 6. Philipps

Lässt sich aus den bisherigen Ansätzen nur die im Wesentlichen übereinstimmende Aussage festhalten, dass der Vorsatz über Indizien oder Indikatoren, jedenfalls das äußere Geschehen ermittelt werden müsse, so unternimmt Philipps einen interessanten Versuch, den Vorsatznachweis zu methodisieren, und zwar mit Hilfe eines „Kriterienbaumes“74. In dieses „multikriterielle Konzept“ bezieht Philipps die verschiedenen Aspekte der bekannten Abgrenzungstheorien ein75, um sie als Indikatoren und Gegenindikatoren in ein computergestützes Programm zu integrieren und mit Hilfe dieses Programms eine Entscheidung über das Vorliegen bedingten Vorsatzes oder bewusster Fahrlässigkeit im konkreten Einzelfall zu ermöglichen. 69

Schünemann, in: FS-Hirsch, S. 363, 374. Ähnlich Canestrari, GA 2004, S. 210, 221, der von „sozialen Interessen“ an der Handlung spricht. 71 Schünemann, in: FS-Hirsch, S. 363, 374. 72 Vgl. Roxin, in: FS-Rudolphi, S. 243, 248. 73 Vgl. Schroth, in: Gerechtigkeitswissenschaft, S. 467, 476. 74 Philipps, in: FS-Roxin, S. 365, 367; zustimmend Schroth, in: Gerechtigkeitswissenschaft, S. 467, 470. 75 Philipps, in: FS-Roxin, S. 365, 369 f. 70

C. Nachweis des (bedingten) Vorsatzes in Schrifttum/Rechtsprechung

207

Theoretischer Hintergrund dieses Ansatzes ist die „Fuzzy Logic“ (Theorie der unscharfen Menge76), die von begriffstheoretischer Seite das Problem, dass ein Gegenstand (scil. der Vorsatz) mangels trennscharfer Grenzen keiner eindeutigen Gruppe zugeordnet werden kann, lösen soll. Am Beispiel der Tötungsdelikte illustriert Philipps, wie sich der Entscheidungsbaum auf der ersten Stufe in die kognitive und die voluntative Seite gliedert und sich diese beiden Seiten auf der nächsten Stufe jeweils in eine Seite, die diejenigen Indikatoren aufzeigt, die das Wissen bzw. das Wollen positiv belegen sollen, und in eine Seite, die die entsprechenden Gegenindikatoren aufzeigen soll, verästelt77. Als Kriterien führt Philipps auf dieser Stufe beispielsweise das aus der Situation erschlossene Gefahrbewusstsein, die Abgeschirmtheit der Gefahr (Ansatz Herzberg), Emotionen als Tatgrundlage oder Gegentendenzen an. Auf der nächsten Ebene finden sich dann einige mögliche konkrete Gegebenheiten des Einzelfalles, aus denen sich Rückschlüsse ziehen lasen: zum Beispiel eine tödliche Waffe als Angriffsmittel, Intelligenzdefizite des Täters, Einfluss von Alkohol oder Drogen, feindselige Einstellung zum Opfer, Handlungen zur Erfolgsvermeidung. Diese unterschiedlichen Indikatoren soll das Computerprogramm sodann miteinander verrechnen. Wenn auch letztlich die Idee der computergestützten „Errechnung“ des Vorsatzes nicht befriedigen kann78, weil sich weite Teile des Strafrechts mangels numerischen Inhaltes nicht in Zahlen ausdrücken lassen79 – Philipps selbst meint, wenn das gefundene Ergebnis dem Rechtsgefühl widerstrebe, könne es geändert werden, bis es mit dem Rechtsgefühl übereinstimme80 –, so hat er doch mit seiner Systematisierung der Indikatoren einen wichtigen Beitrag geleistet, der, soweit ersichtlich, bis dahin so noch nicht ausgearbeitet wurde81. Betrachtet man den Entscheidungsbaum vor dem Hintergrund der begriffstheoretischen Einordnung des Vorsatzes als Dispositionsbegriff durch Hassemer, so kann man in dem Kriterienbaum die Zuordnungsregeln erken76

Mylonopoulos, Dispositionsbegriffe, S. 59 ff. Philipps, in: FS-Roxin, S. 365, 370 ff. (nebst Abbildung). 78 Ebenso Puppe, GA 2006, S. 65, 69; zweifelnd auch Schroth, in: Gerechtigkeitswissenschaft, S. 467, 470 f. 79 Mylonopoulos, Dispositionsbegriffe, S. 65. 80 Philipps, in: FS-Roxin, S. 365, 377. Zu Recht fragt Puppe, GA 2006, S. 65, 69, nach dem eigentlichen Erkenntniswert, wenn das Ergebnis letztlich doch auf einer subjektiven Korrektur beruht, deren Maßstab unklar ist. 81 So haben Hassemer, in: GS-Kaufmann, S. 289 ff., und Schünemann, in: FSHirsch, S. 363, 375, zwar die Lösung der Abgrenzungsproblematik über Indikatoren bzw. Einzelzüge vorgeschlagen, eine Ausarbeitung der Einzelheiten blieb jedoch aus. 77

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2. Teil, 4. Kap.: Vorsatznachweis

nen, die den theoretischen Begriff mit der Wirklichkeit verknüpfen82. Jedenfalls für den Bereich äußerst gefährlicher Gewalthandlungen im Bereich der Tötungsdelikte stellt der Kriterienbaum einen interessanten Ansatz zur Bewältigung der Vorsatzfeststellungsproblematik dar, der bei näherem Hinsehen auch in der Rechtsprechung wiederzuerkennen ist. Der Entscheidungsbaum ermöglicht es zumindest, die relevanten Kriterien des Einzelgeschehens systematisch aufzuspüren und als Indiz oder Gegenindiz zu kategorisieren. II. Rechtsprechung Vor einer kurzen Analyse der Rechtsprechung zur Vorsatzfeststellung bei der Untreue soll zunächst ein kurzer Überblick über die Rechtsprechung zu den Tötungsdelikten gegeben werden. Zum einen eignet sich die Rechtsprechung zur Problematik der gefährlichen Gewalthandlungen aufgrund der zumeist einfach strukturierten, eindeutigen Geschehen, um die wesentlichen Aspekte einigermaßen leicht nachvollziehbar darzustellen; zum anderen ist die kurze Erörterung deshalb angezeigt, weil in den Entscheidungen zu § 266 mitunter auf die Vorsatzfeststellung bei den Tötungsdelikten explizit Bezug genommen wird83. Es wird sich zeigen, dass die Rechtsprechung, ähnlich wie das Schrifttum, bei der Vorsatzfeststellung maßgeblich auf die Anhaltspunkte des äußeren Geschehens abstellt84 und daraus Rückschlüsse auf den subjektiven Tatbestand zieht85.

82

Vgl. Schroth, in: Gerechtigkeitswissenschaft, S. 467, 475. Siehe z. B. BGHSt 46, S. 30, 35 (Sparkasse). Dazu auch 6. Kapitel, A. III. 2. a). 84 In seiner Rekonstruktion der Rechtsprechung hat Philipps im Jahre 1973 angenommen, dass sich die Unterscheidung zwischen bedingtem Vorsatz und bewusster Fahrlässigkeit in der Rechtsprechung daran orientiere, ob der Täter eine gefährliche und verbotene Handlung vornehme oder ein sozialtypisches, erlaubtes Risiko verwirkliche (ZStW 85, S. 27, 39). Bei von vornherein verbotenen oder unerwünschten Tätigkeiten neige die Rechtsprechung eher dazu, bedingten Vorsatz zu bejahen (a. a. O., S. 39 f.). Auch Canestrari, GA 2004, S. 210, 214, sieht in der Unterscheidung von „strafrechtlich unerlaubten“ und „ursprünglich erlaubten“ Verhaltensweisen den Hauptindikator für die Entscheidung zwischen bedingtem Vorsatz und bewusster Fahrlässigkeit in der Rechtsprechung. Heutige „zweideutige Gefahrentypologien ungewisser Klassifikation“ (Canestrari, GA 2004, S. 210, S. 211) verhinderten jedoch diese Abgrenzungsmethode (a. a. O., S. 214 f.). 85 Vgl. die strafprozessuale Kommentarliteratur: LR-Gollwitzer, StPO, § 261 Rn. 62 und § 267 Rn. 42; Julius, in: HK-StPO, § 261 Rn. 41; KK-Schoreit, StPO, § 261 Rn. 64; Stuckenberg, in: KMR-StPO, § 261 Rn. 169. 83

C. Nachweis des (bedingten) Vorsatzes in Schrifttum/Rechtsprechung

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1. Tötungsdelikte

Materiellrechtlich soll im Bereich der Tötungsdelikte nach Ansicht der Rechtsprechung bedingter Vorsatz zu bejahen sein, wenn der Täter den Erfolgseintritt „als möglich und nicht ganz fern liegend erkennt und ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit ihm abfindet“86 (was im Ergebnis der sogenannten Ernstnahmetheorie entspricht87). Ob eine solche „Billigung“ (mit anderen Worten: Ernstnahme) gegeben ist, ist nach den Vorgaben des BGH anhand einer Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände des Einzelfalles festzustellen88. Relevante Gesichtspunkte sind insoweit die Motivation89 des Täters, Äußerungen vor, bei oder nach der Tatausführung90, das sonstige Verhalten nach der Tat91 und insbesondere die Tatausführung selbst. Einen hohen Indizwert misst die Rechtsprechung dabei dem äußeren Tatgeschehen bei besonders gefährlichen Gewalthandlungen zu92. So liege es bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit rechnet, das Opfer könne zu Tode kommen93, und – wenn er gleichwohl von seinem Verhalten nicht Abstand nimmt – dass er den Erfolg zumindest billigend in Kauf nimmt94. Dem Grad der Wahrscheinlichkeit des Erfolgseintritts95 kommt damit also keine materiellrechtliche, sondern eine beweisrechtliche Bedeutung als Indiz zu96. Allerdings soll der Schluss von der objektiven Gefährlichkeit auf den Eventualvorsatz nicht zwangsläufig gelten97. Vielmehr sei immer zu prüfen, ob der Täter trotz des objektiv hohen Gefährdungspotenzials die Gefährlichkeit nicht erkannt oder jedenfalls auf den Nichteintritt des Erfolges vertraut 86

Siehe nur: BGH NStZ 2006, S. 98, 99. Siehe 3. Kapitel, B. II. 1. d) bb). 88 BGH NStZ 2006, S. 98, 99; ferner: BGH StV 2001, S. 572; BGH NStZ 2003, S. 431, 432. Kritisch Puppe, GA 2006, S. 65, 76. 89 BGH NStZ 2003, S. 431, 432. 90 BGHSt 36, S. 1, 10. 91 BGH NStZ-RR 2006, S. 8, 9. 92 BGHSt 36, S. 1, 10; BGH NJW 1991, S. 2094; BGH NStZ-RR 2001, S. 369; BGH NStZ 2003, S. 431; BGH NStZ-RR 2004, S. 140, 141; BayObLG NStZ-RR 2004, S. 45. 93 BGH StV 2004, S. 74, 75. 94 BGH NStZ-RR 2001, S. 369; BGH NStZ 2006, S. 169, 170 = StV 2006, S. 16, 17. 95 Siehe z. B. BGH NStZ 1999, S. 507, 508; BGH JR 2000, S. 297, 299. 96 Vgl. Roxin, Strafrecht AT, § 12 Rn. 78, Schroeder, in: LK, 11. Auflage, § 16 Rn. 92; Stumpf, NStZ 1997, S. 7, 10. 97 BGH NStZ 1983, S. 407; BGH StV 1988, S. 328; BGH NStZ-RR 2006, S. 11, 12. 87

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2. Teil, 4. Kap.: Vorsatznachweis

hat98. Der Tatrichter habe dabei in seine Erwägungen alle Umstände mit einzubeziehen, die ein Handeln mit bedingtem Vorsatz in Frage stellen können99. Umstände, die nach der Rechtsprechung insoweit relevant sein können, sind insbesondere eine hohe Hemmschwelle vor der Tötung eines Menschen100, Intelligenzdefizite101, eine erhebliche Alkoholisierung102 sowie eine affektive Erregung103. 2. Untreue

Im Folgenden soll die Rechtsprechung zur Vorsatzfeststellung in den Untreue-Entscheidungen analysiert werden. Anders als bei den Fällen von äußerst gefährlichen Gewalthandlungen fehlt es hier an einem eindeutigen Geschehen als Anknüpfungspunkt für den Vorsatznachweis. Es wird sich zeigen, dass die Rechtsprechung auch bei § 266 dem objektiven Geschehen maßgebliche Bedeutung zumisst (namentlich der Tatsituation und etwaigen Pflichtverletzungen), aufgrund der Mehrdeutigkeit des Geschehens jedoch einzelfallspezifischer argumentieren muss. 98

BGH StV 2004, S. 74, 75. BGH NStZ-RR 2006, S. 8 f. Anschaulich hat dies Philipps, in: FS-Roxin, S. 365 ff., in seinem Kriterienbaum verarbeitet (siehe oben, 4. Kapitel, C. I. 6.). 100 BGH StV 82, S. 509; BGH NStZ 1984, S. 19; BGH StV 1993, S. 307; BGH StV 2004, S. 74, 75; BGH NStZ-RR 2006, S. 8, 9; BGH NStZ-RR 2006, S. 9, 10; LG Rostock NStZ 1997, S. 391, 392 (mit krit. Anm. Fahl, NStZ 1997, S. 392). Kritisch zum Hemmschwellenargument NK-StGB-Puppe, § 15 Rn. 92 ff. („durch den Topos von der hohen Hemmschwelle hat sich die höchstrichterliche Rechtsprechung weitgehende Entscheidungsfreiheit über Vorsatz und Fahrlässigkeit verschafft“, a. a. O., Rn. 97); Scheffler, JURA 1995, S. 349, 354 f.; Trück, NStZ 2005, S. 233, 234 ff.; Verrel, NStZ 2004, S. 309 ff. Ausführlich dazu die Dissertation von Mühlbauer, Tötungshemmschwelle. Gegen eine Übertragung des Hemmschwellenargumentes auf Körperverletzungsdelikte spricht sich Schneider, NStZ 2004, S. 202, 203, aus: „Denn für diesen Sektor besteht kein aussagekräftiger, normativ relevanter Erfahrungssatz des Inhalts, dass Menschen vor der körperlichen Verletzung Dritter gemeinhin hohe, beweisrechtlich belangvolle Hemmschwellen zu überwinden haben.“ Und erst recht kann mit dieser Begründung auch die Anwendung des Hemmschwellenargumentes im Bereich der Eigentums-/Vermögensdelikte abgelehnt werden. Hermanns/Hülsmann, JA 2002, S. 140, 143, haben eine Anwendung des Hemmschwellenarguments auf § 142 explizit abgelehnt. Beulke, JR 1994, S. 116, 120, sieht im hier besprochenen Strafverteidigerfall (BGHSt 38, S. 345 ff.; siehe 3. Kapitel, B. II. 1. d) cc)) eine Transferierung des Hemmschwellengedankens durch den BGH auf § 258. 101 BGH StV 2004, S. 74, 75. 102 BGH NStZ 2004, S. 51, 52; BGH NStZ-RR 2006, S. 11, 12. Kritisch Roxin, Strafrecht AT, § 12 Rn. 81; Trück, NStZ 2006, S. 233, 236 ff. 103 BGH NStZ 2003, S. 603, 604; BGH StV 2004, S. 75; BGH NStZ 2006, S. 169; BGH NStZ-RR 2006, S. 11, 12. Kritisch Roxin, Strafrecht AT, § 12 Rn. 81; Trück, NStZ 2006, S. 233, 236 ff. 99

C. Nachweis des (bedingten) Vorsatzes in Schrifttum/Rechtsprechung

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a) Urteil des Reichsgerichts vom 13. April 1942 – RGSt 76, S. 115 ff. Für den Nachweis des bedingten Vorsatzes waren dem Reichsgericht formelhafte Feststellungen nicht ausreichend. Offenbar wollte das Gericht auf der Basis einer umfassenden Darlegung der äußeren Tatumstände feststellen, ob der Täter, ein Bauleiter, der ihm vorgelegte Rechnungen ohne wenigstens stichprobenartige sachliche Prüfung abgezeichnet hatte, aus bloßem Leichtsinn, Fahrlässigkeit, Arbeitsüberlastung oder ähnlichen Gründen gehandelt und damit den Erfolg nicht „gebilligt“ hatte104. Das Gericht berücksichtigte insoweit auch den Umstand, dass der Täter keinerlei Vermögensvorteile hatte und die Situation eine schnelle Entscheidung verlangte105. b) Urteil des BGH vom 6. Februar 1979 – NJW 1979, S. 1512 In diesem hier bereits erwähnten106 Fall einer möglichen Untreue durch Kreditvergabe weist der BGH darauf hin, dass eingehende Feststellungen zu den einzelnen Kreditgewährungen zu vermissen sind. Nach Ansicht des BGH könne nur festgestellt werden, ob der Angeklagte Vorsatz hatte, wenn dargelegt wird, „ob der jeweilige Darlehensnehmer kreditwürdig war, ob der Angekl. dessen Bonität geprüft hat und zu welchem Ergebnis er gelangt ist, ob, welche und wann Sicherheiten gegeben worden sind und welchen Wert diese im Verhältnis zum Darlehensbetrag hatten“.

Welche Schlüsse der BGH im Einzelnen aus den Tatumständen ziehen möchte, bleibt letztlich allerdings offen. c) Urteil des BGH vom 29. Mai 1987 – BGHSt 34, S. 379 ff. Auch in diesem Fall einer Untreue durch einen GmbH-Geschäftsführer verlangt der BGH sorgfältige Feststellungen zur inneren Tatseite107. Insoweit hielt der BGH die Feststellungen des Landgerichts für klar und ausreichend. In der Sache waren für den Nachweis des Vorsatzes insbesondere die „teils erheblichen Verschleierungs- und Täuschungsmaßnahmen des Angeklagten“ ausschlaggebend108, also mit anderen Worten die objektiven Umstände der Tatausführung. 104 105 106 107 108

RGSt 76, S. 115, 116. RGSt 76, S. 115, 117. 2. Kapitel, B. III. 2., und 3. Kapitel, A. I. 3. BGHSt 34, S. 379, 390. Dazu noch unten, 6. Kapitel, A. III. 2. b).

212

2. Teil, 4. Kap.: Vorsatznachweis

d) Beschluss des BGH vom 24. August 1999 – wistra 2000, S. 60 f. Der BGH moniert in diesem Kredituntreuefall, die Strafkammer habe keine ausreichenden Darlegungen zum Vermögensschaden vorgenommen. Es hätte eine detaillierte Gegenüberstellung der Kreditforderungen mit den Kreditsicherheiten erfolgen müssen, um dem Angeklagten zu widerlegen, er habe auf die Möglichkeit des Kontoausgleichs gehofft109. e) Urteil des BGH vom 6. April 2000 – BGHSt 46, S. 30 ff. (Sparkasse) In diesem Fall von Kredituntreue unterscheidet der BGH ausdrücklich zwischen den begrifflichen Voraussetzungen des dolus eventualis und den Anforderungen, die an den Beweis zu stellen sind110. Für erforderlich hält er eingehende Erörterungen zu den tatsächlichen Umständen, da ansonsten keine Rückschlüsse auf den Vorsatz möglich seien111. Offenbar den materiellen Begriff des Vorsatzes definiert der BGH, wenn es heißt: „Dabei ist zu beachten, daß der Entscheidungsträger eine über das allgemeine Risiko bei Kreditgeschäften hinausgehende Gefährdung des Rückzahlungsanspruchs der Bank erkannt und gebilligt haben muß“112.

Wenn es dann heißt, dies sei auch bei problematischer Kreditvergabe nicht selbstverständlich, wenn nicht die – zuvor vom BGH bei der Prüfung des objektiven Tatbestandes entwickelten – Anhaltspunkte für eine Pflichtverletzung vorliegen (Vernachlässigung der Informationspflicht, Kompetenzverletzungen der Entscheidungsträger usw.), geht es offenbar um die prozessuale Feststellung des Vorsatzes. Offen bleibt letztlich allerdings, ob der BGH in Fällen, in denen diese Anhaltspunkte für eine Pflichtverletzung vorliegen, den Vorsatz ohne weiteres als nachgewiesen ansieht; unklar bleibt darüber hinaus auch, ob insoweit ein Anhaltspunkt ausreichend ist, mehrere erforderlich sind oder ob sogar alle Anhaltspunkte kumulativ vorliegen müssen. Wenn derartige Anhaltspunkte nicht vorliegen, verlangt der BGH „eine sorgfältige und strenge Prüfung der Frage [. . .], ob – zumindest – bedingt vorsätzliches Verhalten tatsächlich vorliegt“113. 109 BGH wistra 2000, S. 60, 61. Gemeint hat der BGH hier wohl keine „vage Hoffnung“, sondern ein „Vertrauen“ auf den Nichteintritt des Erfolges, denn die vage Hoffnung lässt er regelmäßig nicht genügen. Dazu 2. Kapitel, B. III. 2., Fußnote 654, S. 124. 110 BGHSt 46, S. 30, 35. Dazu bereits 3. Kapitel, A. I. 6. sowie III. 1. 111 BGHSt 46, S. 30, 34. 112 BGHSt 46, S. 30, 34 f.

C. Nachweis des (bedingten) Vorsatzes in Schrifttum/Rechtsprechung

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Unter Verweis auf „dazu entwickelte Grundsätze“ bei Tötungsdelikten solle laut BGH die Annahme des Billigungselementes beweisrechtlich naheliegen, wenn der Täter sein Vorhaben trotz äußerster Gefährlichkeit durchführt; in solchen Fällen solle sich der Täter „nicht auf die vage Hoffnung berufen können, jene Gefahr werde sich wider Erwarten doch nicht verwirklichen“.

Dann heißt es aber, das Kriterium könne nicht formelhaft auf Fälle offener, mehrdeutiger Geschehen angewendet werden114. „Der Grad der Wahrscheinlichkeit eines Erfolgseintritts allein kann kein Kriterium für die Entscheidung der Frage sein, ob der Angeklagte mit dem Erfolg auch einverstanden war“,

so der BGH115. In solchen Fällen komme es vielmehr auf die Umstände des Einzelfalles und die Motive und die Interessenlage des Täters an. Welche Umstände und Interessen das sein können und wie sie zu bewerten sind, bleibt offen; hierauf wird im 6. Kapitel unter A. III. 2. zurückzukommen sein. f) Urteil des BGH vom 15. November 2001 – BGHSt 47, S. 148 ff. (Sparkasse Mannheim) In diesem Kredituntreuefall116 lag nun, anders als im vorstehenden Fall, nach Ansicht des BGH objektiv eine Pflichtverletzung in Gestalt eines gravierenden Verstoßes gegen die bankübliche Informations- und Prüfungspflicht vor, weil die Entscheidungsträger die wirtschaftlichen Verhältnisse des Kreditnehmers nicht ausreichend geprüft hatten. Bei der Prüfung des bedingten Schädigungsvorsatzes knüpft der BGH an die vorgenannte Entscheidung BGHSt 46, S. 30 ff., an. Da einer der genannten Anhaltspunkte – eine Vernachlässigung der Informationspflicht – vorliege, würden die strengeren Anforderungen nicht gelten117. An sich hätte jetzt – in Konsequenz des vorstehenden Urteils – nahegelegen (ob zu Recht oder nicht), dass der BGH den Vorsatz „selbstverständlich“ bejaht. Diese Konsequenz zieht der BGH aber nicht. Bezüglich des Wissenselementes, das sich auf die Vermögensgefährdung beziehen müsse, sei nur erforderlich, 113

BGHSt 46, S. 30, 35. BGHSt 46, S. 30, 35. Insoweit zustimmend Luttermann, ZIP 2000, S. 1212, 1213; siehe auch BGHSt 38, S. 345, 350. 115 BGHSt 46, S. 30, 35. 116 Siehe bereits 3. Kapitel, A. I. 8. sowie III. 1. 117 BGHSt 47, S. 148, 156. 114

214

2. Teil, 4. Kap.: Vorsatznachweis

„daß der Bankleiter im Zeitpunkt der Kreditgewährung die Minderwertigkeit des Rückzahlungsanspruchs im Vergleich zu der ausgereichten Darlehensvaluta gekannt hat“118.

Bezüglich der Billigung wiederholt der BGH, dass der Grad der Wahrscheinlichkeit des Erfolgseintritts allein kein Kriterium sein könne. Da im vorliegenden Fall jedoch „neben einer gravierenden Verletzung der Informations- und Prüfungspflichten bereits eine über das allgemeine Risiko bei Kreditgeschäften hinausgehende erkannte höchste Gefährdung des Rückzahlungsanspruchs der Bank“

vorliege, sei es naheliegend, dass der Täter die Schädigung auch gebilligt habe. Noch näher liege die Billigung, wenn das Engagement unbeherrschbar sei119. g) Urteil des BGH vom 6. Dezember 2001 – BGHSt 47, S. 187 ff. (Sponsoring SSV Reutlingen) Dieser Fall betrifft den untreuerelevanten Komplex von Vermögenszuwendungen aus dem Vermögen einer Aktiengesellschaft zur Förderung von Kunst, Wissenschaft, Sozialwesen und Sport. Im konkreten Fall hatte der Angeklagte K, Vorstandsvorsitzender einer Aktiengesellschaft, ohne Zustimmung der Gremien und unter Umgehung der Hauptbuchhaltung einem Sportverein Geldbeträge zugewendet, ohne dass der Aktiengesellschaft für diese Zuwendungen eine Gegenleistung zufloss. Die Spende erfolgte aufgrund der Aufforderung des ebenfalls angeklagten S, der Präsident des begünstigten Sportvereins und designierter Aufsichtsratsvorsitzender der Aktiengesellschaft war. Der BGH bestätigte die vorinstanzliche Verurteilung des Angeklagten K wegen Untreue, weil die Spende keine Nähe zum Unternehmensgegenstand aufwies, unangemessen im Hinblick auf die Ertrags- und Vermögenslage war, innerbetrieblich von K nicht offengelegt wurde und der Verfolgung sachwidriger Motive, nämlich persönlichen Präferenzen, diente120. Mangels ideellen Wertes der unentgeltlichen Zuwendung bejahte der BGH auch einen Schaden121. Dass dem Angeklagten K die Pflichtwidrigkeit seines Handelns und der dadurch entstandene Schaden bewusst gewesen sind, schlussfolgerten die Gerichte aus der Einlassung des K, in der dieser eingeräumt hatte, nicht im Interesse der Aktiengesellschaft, sondern zur Erfüllung der privaten Interessen des S gehandelt zu haben, was belegt sei durch die Um118 119 120 121

BGHSt 47, S. 148, 157. Dazu 3. Kapitel, A. I. 6. und 8. sowie A. III. 2. Kritische Würdigung unten, 6. Kapitel, A. III. 2. a). BGHSt 47, S. 187, 198 f. BGHSt 47, S. 187, 199 f.

C. Nachweis des (bedingten) Vorsatzes in Schrifttum/Rechtsprechung

215

gehung der Gremien und die Art und Weise des Geldtransfers122. Der BGH konnte zum Nachweis der inneren Tatseite hier also auf eine Einlassung des Täters zurückgreifen und bestätigte zugleich die Schlussfolgerungen aus der Einlassung durch das objektive Geschehen (Umgehung der Gremien, Geldtransfer)123. h) Urteil des BGH vom 17. April 2002 – StraFo 2002, S. 268 ff. (Aussiedlergemeinschaftsunterkunft) Ähnlich wie im vorangegangenen Beispiel stellte der BGH auch in diesem Fall, in dem es um die Beurteilung pflichtwidriger Verfügungen über Haushaltsmittel durch einen Landrat ging, beim Nachweis des (bedingten) Vorsatzes auf die Vorgehensweise des Angeklagten ab, die ein wichtiges Indiz für den bedingten Vorsatz sein könne124. Der Angeklagte hatte gegen Genehmigungspflichten verstoßen und gegenüber dem für die Titelverwaltung zuständigen Landesamt bewusst falsche Erklärungen abgegeben. Offenbar hatte der Angeklagte sich damit verteidigt, mit seinem Vorgehen habe er Schaden für das Land abwenden wollen; dies wertete der BGH als bloße Schutzbehauptung, weil es ferngelegen habe, dieses Ziel auf diese Weise erreichen zu wollen. i) Urteil des BGH vom 21. Dezember 2005 – BGHSt 50, S. 331 ff. (Mannesmann/Vodafone) In diesem hier bereits erörterten Urteil125 bemängelt der BGH die Ausführungen der Vorinstanz zur subjektiven Tatseite. Das Landgericht habe „eine Vielzahl von Indizien nicht in die Beweiswürdigung einbezogen, die – zumindest in ihrer Gesamtheit – Zweifel an einem Irrtum aufkommen lassen“126.

Als Indizien zählt der BGH insoweit unter anderem auf: die zeitliche Nähe der Beschlussfassung über die Anerkennungsprämien zu der freundlichen Übernahme, obwohl keine Eilbedürftigkeit vorlag, die fehlende Diskussion der Beteiligten über die für den deutschen Wirtschaftsstandort ungewöhnliche Höhe der Prämien, die fehlende Hinterfragung der Tatsache der Selbstbegünstigung eines der Beteiligten, die sachwidrige Motivation. 122 BGH NJW 2002, S. 1585, 1588 (insoweit nicht abgedruckt in BGHSt 47, S. 187 ff.). 123 Hierzu noch im 6. Kapitel, A. III. 2. b) aa). 124 BGH StraFo 2002, S. 268, 270 = wistra 2002, S. 300, 302. 125 1. Kapitel, A. IV. 2., und 2. Kapitel, A. II. 4. 126 BGH NJW 2006, S. 522, 527 (insoweit nicht abgedruckt in BGHSt 50, S. 331 ff.).

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2. Teil, 4. Kap.: Vorsatznachweis

Auch hier wertet der BGH das Gesamtgeschehen aus, um daraus gegebenenfalls Rückschlüsse auf die innere Tatseite zu ermöglichen127. III. Ergebnis 1. Objektives Geschehen als Anknüpfungspunkt für die Vorsatzfeststellung

Bei aller unterschiedlichen Nuancierung hat sich gezeigt, dass im Kern wichtigster Ansatzpunkt für die prozessuale Feststellung des Vorsatzes in Schrifttum und Rechtsprechung die objektiven Anhaltspunkte des äußeren Geschehens sind128. So verlangt der BGH in den Kredituntreuefällen regelmäßig eingehende Feststellungen und Erörterungen zu den tatsächlichen Fallumständen, so zum Beispiel zu den Einzelheiten der Kreditwürdigkeitsprüfung, zur objektiven Sicherheitensituation und zu Pflichtverletzungen129. Darüber hinaus erlangen insbesondere der Grad der Wahrscheinlichkeit des Erfolgseintritts (objektive Gefährlichkeit), besondere Tatumstände wie eine Arbeitsbelastung des Täters, eine etwaige Eilbedürftigkeit der Entscheidungssituation oder Täuschungsmaßnahmen des Täters Bedeutung. Die Rechtsprechungsanalyse zeigt also, dass die beweismäßige Feststellung des Vorsatzes – praktisch unvermeidlich, wenn der Angeklagte schweigt130 – im Wesentlichen nur durch einen Rückschluss aus dem festgestellten (nachgewiesenen) objektiven Sachverhalt erfolgen kann, wobei auch den Motiven und der Interessenlage des Täters Bedeutung zukommt. Gerade in Fällen, in denen der Täter nicht eigennützig handelt, verlangt der BGH, wie mitgeteilt131, umso strengere Anforderungen bei der Vorsatzfeststellung, denn wenn es an der Motivation der unmittelbaren oder mittelbaren Bereicherung fehlt, bedarf es einer guten Erklärung dafür, weshalb der Täter fremdes Vermögen – ohne eigenen Vorteil – schädigt.

127

Siehe dazu auch unten, 6. Kapitel, A. II. 1. und III. 2. b) aa) (3) (a). So explizit BGH NStZ 1991, S. 400: „Innere Tatsachen [. . .] können [. . .] nur durch Rückschlüsse aus dem äußeren Tatgeschehen festgestellt werden.“; ähnlich BGH StV 2008, S. 449 = NStZ 2008, S. 707; BGH NStZ 2008, S. 580. 129 Vgl. auch Laskos, Strafbarkeit, S. 150: Bankspezifische Pflichtwidrigkeiten, die nach seiner – und nach hier vertretener (siehe 3. Kapitel, A. III. 1.) – Ansicht im Rahmen der Untreue für den objektiven Tatbestand nicht relevant sind, haben eine Indizwirkung für den subjektiven Tatbestand, wobei erforderlich ist, dass der Bankmitarbeiter die Pflichtwidrigkeit auch erkannt habe. Einzelheiten im 6. Kapitel, A. III. 2. b) bb). 130 Rudolphi, in: SK-StGB, § 16 Rn. 46. 131 1. Kapitel, C. 128

C. Nachweis des (bedingten) Vorsatzes in Schrifttum/Rechtsprechung

217

2. Vorsatznachweis durch Indizienbeweis

Der Beweis des Vorsatzes, sieht man diesen als Tatsache bzw. Konglomerat von Tatsachen an132, wird demnach (mittelbar133) im Wege des Indizienbeweises134 erbracht135. Soweit der Vorsatz nicht als Tatsache, sondern als Disposition angesehen wird, die nur zugeschrieben werden kann136, wird die Feststellung nicht mit Hilfe von Indizien137, sondern über Indikatoren138 erfolgen. Da mit den Begriffen Indizien und Indikatoren nichts anderes umschrieben wird als die objektiven Sachverhaltsmomente des konkreten Falles, ergeben sich im Ergebnis keine Unterschiede. Letztlich dürfte daher die Bezeichnung nicht entscheidend sein. Diejenigen, die den Vorsatz als realen Bewusstseinsinhalt und damit als Tatsache verstehen, werden die relevanten Anhaltspunkte als Indizien bezeichnen, die den (beweisrechtlichen) Schluss auf das faktische Vorhandensein des Vorsatzes beim Täter ermöglichen139. Bei einem Verständnis des Vorsatzes als Konstrukt oder Phänomen, das nur 132 So Ambrosius, Vorsatzabgrenzung, S. 1; KK-Engelhardt, StPO, § 267 Rn. 10; Engisch, Logische Studien, S. 41 f.; LR-Gollwitzer, StPO, § 244 Rn. 1; Peters, Strafprozess, § 37 V 3. 133 Nach Bender/Nack/Treuer, Tatsachenfeststellung, Rn. 578, ist nahezu jeder Beweis ein mittelbarer Beweis. So auch Freund, Tatsachenfeststellung, S. 4. 134 Zum Begriff LR-Gollwitzer, StPO, § 261 Rn. 60 ff.; Nack, MDR 1986, S. 366 ff.; KK-Schoreit, StPO, § 261 Rn. 64. 135 Vgl. Ambrosius, Vorsatzabgrenzung, S. 65; Henkel, in: FS-Schmidt, S. 578, 579; Prittwitz, JA 1988, S. 486, insbesondere S. 497 ff.; Roxin, Strafrecht AT, § 12 Rn. 32; Vogel, in: LK, § 15 Rn. 65; Volk, in: FG-BGH, S. 739, 741. So auch schon 1843 Bauer, Anzeigenbeweis, S. 272, unter Bezugnahme auf das Römische Recht. Teilweise bemerkenswert aktuell klingt seine Aufzählung der auf den Vorsatz hinweisenden Umstände: „[. . .] die Persönlichkeit des Angeschuldigten, die Veranlassung der Handlung, deren Vorbereitung und Ausführung, vorzüglich die Beschaffenheit des Mittels, dessen Anschaffung und die Art des davon gemachten Gebrauches, der Erfolg und die Art seines Zusammenhanges mit der Handlung, das nachherige Benehmen des Handelnden u.s.w.“. 136 Hassemer, in: GS-Kaufmann, S. 289, 304 (siehe 4. Kapitel, C. I. 2.); ders., Grundlagen des Strafrechts, S. 183 f.; Hruschka, in: FS-Kleinknecht, S. 191, 200 (siehe 4. Kapitel, C. I. 4.); Mylonopoulos, ZStW 99, S. 685, 687. 137 Von „Indizien“ sprechen: Frisch, in: GS-Meyer, S. 533 ff. (insbesondere S. 555 ff.); Lackner/Kühl, § 15 Rn. 25; Prittwitz, JA 1988, S. 486 ff. (insbesondere S. 495 ff.); Puppe, NStZ 1987, S. 363; Roxin, Strafrecht AT, § 12 Rn. 32; Schroth, NStZ 1990, S. 324, 325; Volk, in: FG-BGH, S. 739 ff. 138 Den Terminus „Indikator“ verwenden: Hassemer, in: GS-Kaufmann, S. 289 ff. (insbesondere S. 304 ff.); ders., Grundlagen des Strafrechts, S. 183 f.; Kühl, Strafrecht AT, § 5 Rn. 87; Mylonopoulos, ZStW 99, S. 685, 687; Philipps, in: FS-Roxin, S. 365 ff.; Scheffler, JURA 1995, S. 349, 355 („Indikatorentheorie“; anders noch ders., StV 1993, S. 470, 471: „Indizientheorie“). 139 Vgl. NK-StGB-Neumann, § 212 Rn. 11; Philipps, in: FS-Roxin, S. 365, 372, Fußnote 14.

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2. Teil, 4. Kap.: Vorsatznachweis

zugeschrieben, mangels Tatsachencharakters, das heißt Eigenschaft als greifbarer oder beobachtbarer Gegenstand der Außenwelt, jedoch nicht bewiesen werden kann140, werden die objektiven Anhaltspunkte als „Indikatoren“ dem Begriff des Vorsatzes, nicht erst der prozessualen Seite zugeschlagen141; mit dem Vorliegen bestimmter Umstände (Indikatoren) wird ein bestimmter Rechtsbegriff (hier Vorsatz) unmittelbar bejaht142. Die Begriffe Indiz und Indikator sollen im Fortgang der Schrift in diesem Sinne synonym verwendet werden. Bezeichnet werden die objektiven Sachverhaltsmomente, aus denen auf den Vorsatz – sei dieser nun begriffstheoretisch als Disposition oder Tatsache zu verstehen – rückgeschlossen wird. IV. Einzelheiten zum Vorsatznachweis durch Indizien und Auseinandersetzung mit der Kritik 1. Gesamtschau von Indizien

Die an sich für die materiellrechtliche Bestimmung des Begriffes des (bedingten) Vorsatzes entwickelten Kriterien der Wahrscheinlichkeit des Erfolgseintritts, der Abgeschirmtheit der Gefahr, des nicht betätigten Vermeidewillens usw. entfalten als objektive Momente des Sachverhaltes – wie Rechtsprechung und Schrifttum zeigen – ihre tatsächliche Bedeutung im Beweisrecht143. Dort können sie als Indizien bzw. Indikatoren im Wege einer Gesamtbetrachtung Anhaltspunkte für das Vorliegen einer den Vorsatz kennzeichnenden Entscheidung für die Rechtsgutverletzung geben144. Dabei wird es in der Regel nicht ausreichen, auf lediglich ein Indiz des konkreten Falles abzustellen, denn ein Indiz allein könnte zwar, wird aber meist nicht einen zwingenden Rückschluss auf die Haupttatsache ermöglichen145. Würde man ein einziges Indiz (materiell- oder beweisrechtlich) als maßgeblich erklären, so würde dies zu einer schematischen Zuschreibung 140 Vgl. Hassemer, in: GS-Kaufmann, S. 289 ff.; Mylonopoulos, ZStW 99, S. 685, 687; Schroth, NStZ 1990, S. 324 ff. 141 Hassemer, in: GS-Kaufmann, S. 289, 304. 142 Vgl. Philipps, in: FS-Roxin, S. 365, 372, Fußnote 14. Diesen begriffstheoretischen Aspekt scheint Puppe, GA 2006, S. 65, 66, bei ihrer Kritik an den Vorsatzindikatoren nicht vollständig berücksichtigt zu haben, soweit sie eine Abwendung vom Vorsatzbegriff vorwirft; die Indikatoren bilden den Begriff. 143 Siehe nur Arzt, Strafrechtsklausur, § 6 II 3 a, bezüglich der Wahrscheinlichkeitstheorie; Hassemer, in: GS-Kaufmann, S. 289 ff., und Prittwitz, JA 1988, S. 486, 499, bezüglich Kaufmanns Kriterium des Vermeideverhaltens; Prittwitz, JA 1988, S. 486, 499, bezüglich Herzbergs Kriterium der Abgeschirmtheit der Gefahr. Siehe auch Roxin, Strafrecht AT, § 12 Rn. 35 und 73; Scheffler, JURA 1995, S. 349, 355. 144 Vgl. Geppert, JURA 2001, S. 55, 58. 145 Nack, MDR 1986, S. 366, 368; Puppe, NStZ 1987, S. 363.

C. Nachweis des (bedingten) Vorsatzes in Schrifttum/Rechtsprechung

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oder Ablehnung des (bedingten) Vorsatzes führen, die der Vielgestaltigkeit der Tatsituationen nicht gerecht werden kann und zu Lasten des Täters die Einzelfallgerechtigkeit außer Betracht ließe. Gerade deshalb erweisen sich auch die materiellrechtlichen Theorien, die nur auf ein einziges Sachverhaltsmoment abstellen (zum Beispiel die Theorien Kaufmanns oder Herzbergs), als unzulänglich – nicht nur in materiellrechtlicher Hinsicht, sondern auch bei einer etwaigen prozessualen Heranziehung des jeweiligen Sachverhaltsaspektes als „Einzel“-Indiz. Vielmehr werden regelmäßig erst alle Beweisanzeichen des konkreten Falles in ihrer Gesamtschau dem Tatrichter die erforderliche Gewissheit vermitteln. Eine solche Gewissheitserlangung durch eine Gesamtbetrachtung der Indizien wird in der Rechtsprechung auch als ausreichend angesehen146, sodass der Beweis nicht daran scheitert, dass es im konkreten Fall kein Indiz gibt, welches allein den zwingenden Schluss auf die Haupttatsache ermöglicht. Bildlich kann man sich diese Gesamtschau der Indizien als Beweisring147 vorstellen, bei dem sich eine Vielzahl von belastenden Indizien wie ein Ring um die zu beweisende Haupttatsache gruppiert und diese Indizien in ihrer Gesamtheit die Gesamtwahrscheinlichkeit der Haupttatsache verstärken148 (soweit nicht im Einzelfall ausnahmsweise schon ein einziges Indiz einen verlässlichen Rückschluss auf die Haupttatsache ermöglicht). Puppe149 allerdings kritisiert an dieser Vorgehensweise, die Zuschreibung und Ablehnung von Vorsatz über Indikatoren hänge maßgeblich von der Auswahl und Gewichtung der herangezogenen Kriterien ab, und lässt dabei den Vorwurf von Willkürlichkeit und Manipulierbarkeit anklingen. Dieser Vorwurf kann nicht überzeugen. Zu gegenwärtigen ist nämlich, dass die Befürworter der Indikatoren- bzw. Indizienmodelle ausdrücklich verlangen, dass die Indikatoren vollständig erfasst150 und zudem auch relevante Gegenindikatoren in die Betrachtung miteinbezogen werden151. Relevante In146

BGH NStZ 1983, S. 277 f. Bender/Nack/Treuer, Tatsachenfeststellung, Rn. 622 ff.; Nack, MDR 1986, S. 366, 368 ff. 148 Bender/Nack/Treuer, Tatsachenfeststellung, Rn. 629. Das Denkgesetz der Erhöhung der Gesamtwahrscheinlichkeit einer Haupttatsache durch eine Vielzahl von Indizien basiert auf dem sogenannten Theorem von Bayes, dargestellt bei Bender/ Nack/Treuer, Tatsachenfeststellung, Rn. 668 ff. 149 Puppe, GA 2006, S. 65, 76. 150 So beispielsweise Hassemer, in: GS-Kaufmann, S. 289, 304, und die Rechtsprechung, die eine „Gesamtschau“ verlangt, z. B. BGH StV 2003, S. 557, 558. 151 Freund, JR 1988, S. 116, 117; ders., StV 1991, S. 23, 25; Frisch, in: GSMeyer, S. 533, 555; Geppert, JURA 2001, S. 55, 58; Ingelfinger, JR 2000, S. 299, 302; Kühl, Strafrecht AT, § 5 Rn. 87 m. w. N.; Niemöller, StV 1984, S. 431, 440 ff.; Scheffler, JURA 1995, S. 349, 355; MünchKommStGB/Schneider, § 212 Rn. 11; Schroth, NStZ 1990, S. 324, 325; Wrage, NZV 2002, S. 196, 198. 147

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2. Teil, 4. Kap.: Vorsatznachweis

dizien und Gegenindizien dürfen also nicht einfach willkürlich „ignoriert“ werden. Mag auch isoliert betrachtet der konkrete Sachverhalt ein Indiz für den Vorsatz hervorbringen, so muss in einer Gesamtbetrachtung des Geschehens ermittelt werden, ob diesem belastenden Indiz möglicherweise eine Vielzahl entlastender Umstände gegenübersteht. Dann dürfte der Vorsatznachweis nicht mehr gelingen. Gleiches gilt auch bei Indizienbeweisen bezüglich objektiver Merkmale. Auch dort hängt das Ergebnis von der richtigen und vollständigen Auswahl der Indizien ab. Dass diese Vorgabe im konkreten Fall nicht erfüllt wird, ist problematisch und nicht hinnehmbar, kann aber den Indizienbeweis als solchen nicht infrage stellen, und zwar weder bei objektiven noch bei subjektiven Merkmalen. Ganz allgemein gesagt, wird schließlich eine richtige Theorie nicht dadurch in ihrem materiellen Gehalt falsch, dass sie in praxi fehlerhaft angewendet wird (wenn auch eine fehlerhafte Anwendung durchaus nahelegen kann, die Theorie mit einer fehlervorbeugenden Ergänzung zu versehen). 2. Unbeachtlichkeit tatferner Indizien

Andererseits dürfen aber auch keine „irrelevanten“ Aspekte in die Vorsatzfeststellung einbezogen werden. So mahnt Puppe152, dass der Angeklagte in einem rechtsstaatlichen Strafrecht davor bewahrt werden müsse, mit seinem Charakter, seinen allgemeinen tatunabhängigen Gesinnungen und Einstellungen, seinem Vorleben und Nachtatverhalten zum Gegenstand einer richterlichen (Vorsatz-)Bewertung zu werden, die sich danach richtet, ob der Täter die schwerere Vorsatzstrafe nach Meinung des Beurteilenden „verdient“. Ihrer daran anknüpfenden, mit dem Tatschuldprinzip begründeten Forderung nach einer Festlegung derjenigen Tatsachen, die den Vorsatzvorwurf begründen oder ausschließen, kann nur beigepflichtet werden. Und auch dies wird durch den Indizienbeweis gewährleistet. Denn keineswegs können sämtliche Aspekte des Täterlebens und der Täterpersönlichkeit unkritisch für die Vorsatzfeststellung als Indiz herangezogen werden153. Maßgeblich können, verallgemeinernd gesagt, vielmehr nur solche Indizien sein, die mit der Tat in unmittelbarem Zusammenhang stehen (insbesondere die Art und Weise der Tatausführung selbst). So ermöglichen bei einem Tötungsdelikt die Brutalität der Tötungshandlung und die Art des verwendeten Werkzeugs Rückschlüsse auf den Vorsatz. Es spricht beispielsweise vieles für eine vorsätzliche Tatausführung, wenn der Täter heftige Schläge mit 152

Puppe, GA 2006, S. 65, 78. So wurden und werden auch in dieser Schrift durchaus Kriterien aus der Rechtsprechung – wie beispielsweise das Nachtatverhalten (siehe unten 6. Kapitel, A. III. 2. b) cc)) – einer kritischen Würdigung unterzogen. 153

C. Nachweis des (bedingten) Vorsatzes in Schrifttum/Rechtsprechung

221

einem Hammer gegen den Kopf des Opfers ausführt154. Richtet sich der Angriff des Täters dagegen „nur“ gegen den Rumpf ohne Verwendung von Hilfsmitteln (Werkzeugen), so kann dies ein Indiz für fehlenden Tötungsvorsatz sein. Demgegenüber können vorgelagerte oder sonst tatferne Indizien155 grundsätzlich nur nach § 46 auf der Strafzumessungsebene Berücksichtigung finden. So kann zum Beispiel das Vorleben des Täters, insbesondere eine etwa begangene Vortat, regelmäßig nichts zu der Frage beitragen, ob der Täter auch im konkreten Fall vorsätzlich oder nur fahrlässig gehandelt hat, denn dies ist allein (tat-)situationsabhängig. Hat der Täter beispielsweise in der Vergangenheit bewusst und willentlich ein anderes Fahrzeug durch einen Auffahrunfall beschädigt, so kann aus dieser Tatsache keinesfalls geschlossen werden, dass dies in einem späteren, objektiv vergleichbaren Fall ebenfalls willentlich geschah. Ist alsdann aber erwiesen, dass der Täter in beiden Fällen vorsätzlich gehandelt hat, so kann dies im Rahmen der Strafzumessung relevant werden: Mit seinen wiederholten – bewussten und willentlichen – Verstößen gegen die Rechtsordnung hat er eine gesteigerte rechtsgüterfeindliche Einstellung dokumentiert, die zu einer höheren Strafe führen kann. Etwas anderes hinsichtlich der Relevanz einer Vortat oder bestimmter Vorerfahrungen kann allerdings gelten, wenn es um die rechtliche Bewertung des konkreten Verhaltens durch den Täter geht. Bei § 266 beispielsweise erfordert die Beurteilung der Tathandlung als pflichtwidrig eine zumindest laienhafte rechtliche Bewertung. Ist der Täter bei einer gleichgearteten Vortat wegen eines Missbrauchs oder Treubruchs im Sinne von § 266 rechtskräftig verurteilt worden, so ließe sich hierüber der Nachweis des Wissens um die Pflichtwidrigkeit im konkreten Fall realisieren (Näheres dazu im 6. Kapitel); insoweit ist das Indiz nämlich nicht tatfern, sondern weist einen unmittelbaren Zusammenhang zu der später begangenen Tat auf. Das Tatsachenmaterial für die Vorsatzfeststellung vermittels Indizien oder Indikatoren wird also – entgegen Puppes Ansicht156 – durchaus differenziert betrachtet und begrenzt.

154

Vgl. BGH NStZ 2007, S. 150, 151. BGH, Beschluss vom 19. September 1979 – 3 StR 298/79, abgedruckt bei Pfeiffer, NStZ 1981, S. 295, 296; Beschl. v. 13. Februar 1985 – 2 StR 244/84, abgedruckt bei Pfeiffer/Miebach, NStZ 1985, S. 492, 495; BGH NStZ 1986, S. 325, 326. 156 Puppe, GA 2006, S. 65, 76. 155

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2. Teil, 4. Kap.: Vorsatznachweis 3. Unmöglichkeit eines „universellen“ Vorsatzbegriffes

Der Vorwurf Puppes157, keiner der Verfechter der Indikatorenmodelle hätte ernsthaft den Versuch unternommen, eine Begriffsbestimmung des Vorsatzes auf der Grundlage der Indikatoren vorzunehmen, verfängt nicht. Die Erwartung, mit Hilfe der Indikatoren könne ein deliktsunabhängiger „universeller“ Vorsatzbegriff geschaffen werden, kann nicht erfüllt werden, ist aber auch nicht Ziel. Vielmehr muss bei richtigem Verständnis des Indizien- bzw. Indikatorenmodells für jedes Delikt, genauer: jedes Tatgeschehen, anhand der konkreten Umstände festgestellt werden, welche Anhaltspunkte für und gegen eine Bejahung des (bedingten) Vorsatzes, dessen materiellrechtlicher Inhalt hier erörtert wurde158, sprechen können159. Die Vorsatzfeststellungen müssen daher notwendig auf die Falleinzelheiten eingehen160; aus diesem Grunde kann auch die Rechtsprechung aufgrund ihres (notwendig) kasuistischen Gepräges nicht vorschnell als unsystematisch bzw. widersprüchlich eingestuft werden161, mögen auch einige Entscheidungen Unbehagen auslösen162 und einer strengen Prüfung nicht standhalten163. Verallgemeinert werden kann nur das Verfahren, die Methode der Vorsatzfeststellung, worauf im 5. Kapitel zurückzukommen sein wird, nicht aber die maßgeblichen Indizien, denn diese hängen vom konkreten Einzelfall ab. 4. Verbleibendes Fehlverurteilungsrisiko

Es darf jedoch nicht übersehen werden, dass auch die Indizien- bzw. Indikatorenmodelle letztlich die Gefahr nicht vollständig ausschließen können, dass (bedingter) Vorsatz im Einzelfall unterstellt wird, wo er „in Wirklichkeit“ nicht gegeben war164. Ein solches Restrisiko – das natürlich auch bezüglich aller sonstigen zu beweisenden Tatsachen besteht – kann zwar minimiert165, aber wohl nicht gänzlich beseitigt werden166 (jedenfalls solange es 157

Puppe, GA 2006, S. 65, 68. 3. Kapitel, B. Bei den Indikatorenmodellen ist daran zu erinnern, dass die Indikatoren selbst den Begriff bilden, siehe oben 4. Kapitel, C. III. 2., Fußnote 142. 159 So auch Hassemer, in: GS-Kaufmann, S. 289, 307 f. 160 Vgl. Köhler, JZ 1981, S. 35, 36. 161 So aber tendenziell Brammsen, JZ 1989, S. 71, 77 f. 162 Vgl. 3. Kapitel, B. II. 1. d) cc). 163 Vgl. auch Roxin, Strafrecht AT, § 12 Rn. 79 ff. 164 Vgl. Cramer/Sternberg-Lieben, § 15 Rn. 79; Kühl, Strafrecht AT, § 5 Rn. 88. 165 Und zwar durch das noch vorzustellende Alternativenausschlussverfahren und letztlich auch durch das Erfordernis der Überzeugtheit des Tatrichters im Sinne von § 261 StPO bzw. den Grundsatz in dubio pro reo (dazu im 5. Kapitel). 166 Da letztlich auch mit dem Alternativenausschlussverfahren nicht garantiert werden kann, das Ideal des Strafprozesses zu erreichen, nämlich den wahren Sachver158

D. Der dolus ex re

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noch keinen „direkten Zugang“ zum Vorsatz gibt). Auch die neueren kognitiven Ansätze, die gerade zum Zwecke der Überwindung von Beweisschwierigkeiten konzipiert wurden, konnten, wie gezeigt, nicht überzeugen und somit keine Abhilfe schaffen. Die Existenz eines Fehlverurteilungsrisikos wird übrigens auch durch den Gesetzgeber nicht verleugnet, der mit dem Wiederaufnahmeverfahren (§§ 359 ff. StPO) ein Instrument geschaffen hat, rechtskräftige Fehlentscheidungen nachträglich zu korrigieren.

D. Der dolus ex re Die Schlussfolgerung vom äußeren Geschehen auf innere Tatsachen ist keine neue „Errungenschaft“. Schon in den Digesten findet sich die Methode, auf den Vorsatz „ex re“, aus der gesamten Sachlage heraus, zu schließen167. Hatte der Täter das Opfer mit einem Schwert durchbohrt, so sollte aus der gesamten Sachlage (ex re) der Schluss gezogen werden, dass er mit Tötungsvorsatz gehandelt hat. Anders sollte die Sachlage bezüglich des Tötungsvorsatzes dann zu beurteilen sein, wenn der Handelnde bei seiner Tat ein Tatinstrument benutzt hatte, das nicht als Waffe im technischen Sinne galt, zum Beispiel ein Haushaltsgerät. Schaper168 umschreibt dies folgendermaßen: „Für die Urtheilsfindung in Untersuchungen wider Nichtgeständige ging das Römische Recht davon aus, daß aus dem ermittelten Aeußern der That sofort das Innere derselben erschlossen werden könne; das Deutsche Recht aber davon, daß vor Allem das Innere der That, die Schuld, zu ermitteln sei.“

Bis etwa Mitte des 19. Jahrhunderts verwendete man für diese Methode des Rückschlusses vom äußeren Geschehen auf die innere Tatseite den Begriff des dolus ex re169, den von Weber170 so beschreibt: Die Praktiker „verstehen nämlich darunter auch denjenigen verbrecherischen Vorsatz, welcher sich, ohne daß ihn der Verbrecher selbst eingesteht, und ohne daß es dieses seines halt aufzuklären – insoweit sei nur auf das Problem hingewiesen, dass bei der Feststellung fremdpsychischer Sachverhalte immer nur ein „Analogieschluss zu SelbstVorgestelltem“ durch ein „Sich-in-die-Situation-des-Täters-Versetzen“ (Loos, in: Rechtswissenschaft, S. 261, 271) in Betracht kommt –, widmet sich Freund, Tatsachenfeststellung, S. 56 ff., ausführlich der Frage der Legitimation eines Fehlverurteilungsrisikos, worauf hier aus Raumgründen nicht näher eingegangen werden kann. 167 Vgl. Hruschka, in: FS-Kleinknecht, S. 191, 195 f. m. w. N. 168 Schaper, GA 8, S. 175. 169 Nicht zu verwechseln mit dem dolus consequens seu ex re, der vorliegen soll, wenn „der Entschluß gefaßt worden [ist], einer aus irgend einer Absicht schon angefangenen Handlung erst einen verbrecherischen Ausschlag zu geben“ (von Weber, Neues Archiv des Criminalrechts 7 (1825), S. 549, 564; siehe auch Tittmann, Handbuch, S. 252 f.). 170 von Weber, Neues Archiv des Criminalrechts 7 (1825), S. 549, 564.

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2. Teil, 4. Kap.: Vorsatznachweis

Geständnisses bedarf, schon aus der Art und Verübungsweise des Verbrechens, aus den äußern Umständen der concreten Handlung sicher erkennen läßt. Dieser s.g. dolus ex re hat aber, wie sich aus seinem Begriffe schon ergiebt, keinen eigenthümlichen innern Charakter, sondern nur eine Bedeutung in Bezug auf die Beweisführung, indem nämlich dessen Beweisung nicht des für das Daseyn des Dolus sonst erforderlichen Geständnisses des Verbrechers bedarf, sondern schon durch Schlußfolgerung aus der äußern Entstehungsweise und Gestalt des Verbrechens geschieht.“

Volk spricht in diesem Zusammenhang von einer „Kunstregel“, nach der in bestimmten Fällen zugleich mit dem Beweis des objektiven Tatbestandes der Vorsatz bewiesen sein sollte171. Damit sollte aber keineswegs eine praesumtio doli, eine Vorsatzvermutung172, etabliert werden, worauf beispielsweise Temme explizit hinweist: „Das Object des Beweises ist etwas rein Innerliches, das mit äußeren Sinnen nicht wahrgenommen, sondern nur durch Schlußfolgerungen aus anderen, äußerlich wahrnehmbaren, und in dem konkreten Falle wahrgenommenen Thatsachen erkannt werden kann. Von Präsumtionen kann dabei [. . .] keine Rede sein. Die Lehre von einer praesumtio doli ex re gehört zu den Antiquitäten.“173 171

Volk, in: FS-Kaufmann, S. 611, 620. Als Rechtspräsumtionen sind Prozessrechtssätze zu bezeichnen, die dem Richter vorschreiben, eine bestimmte Tatsache als gegeben anzunehmen, sobald gewisse andere Tatsachen bewiesen sind (Westhoff, Grundlagen des Strafprozesses, S. 161; siehe auch Hruschka, in: FS-Kleinknecht, S. 191, 197). Eine praesumtio doli hatte beispielsweise Feuerbach, Lehrbuch, § 60, S. 62 f., aufgestellt: „Da bey jeder Handlung eines Menschen Absicht der nächste Erklärungsgrund, vermöge der Natur des menschlichen Geistes, seyn muß, mithin die Hervorbringung einer Wirkung durch willkührliche Handlung, ohne daß jene Wirkung Zweck der Willkühr gewesen, nur eine besondere Ausnahme von einer allgemeinen Regel ist: so muß auch ein rechtswidriger durch eine an sich willkührliche Handlung hervorgebrachter Effect so lange als Zweck des Willens angenommen werden, bis sich bestimmte Gründe für die Ausnahme zeigen [. . .]“. Zu den Ansätzen der Wissenschaft – insbesondere Feuerbachs und Grolmans –, die wohl auch infolge der Abschaffung der Folter im Jahre 1740 (Preußen) entstandenen Beweisschwierigkeiten durch Etablierung einer praesumtio doli zu lösen, siehe als Überblick: Glaser, Beweis, S. 46 ff. (insbesondere Fußnote 11); Hruschka, in: FS-Kleinknecht, S. 191, 198; Vest, Vorsatznachweis, S. 23 f.; Waider, JuS 1972, S. 305 ff. 173 Temme, Lehrbuch des Preußischen Strafrechts, § 53, S. 261. Vgl. auch Borst, Neues Archiv des Criminalrechts 2 (1818), S. 434, 451 („Es ist also kein Zweifel, daß zu den besonderen Umständen, welche die Vermuthung des bösen Vorsatzes beseitigen, die individuellen Merkmale und Eigenheiten der That selbst gehören, daß folglich die Vermuthung nur da stattfinde, wo der besondere Fall so beschaffen ist, daß sie stattfinden könne, und daß somit die Vermuthung des bösen Vorsatzes bei einem begangenen Verbrechen überhaupt, und allgemein ausgesprochen, sich in leeren Dunst auflöse.“); Luden, Abhandlungen, Band 2, S. 555, Fußnote 1 („Es braucht wohl kaum bemerkt zu werden, daß damit nicht behauptet werden soll, der dolus sei zu präsumiren, sondern nur, der Beweis desselben müsse in den gesammten Umständen der That gefunden werden. Dasselbe meinen die römischen Juristen, wenn 172

D. Der dolus ex re

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Vielmehr sollte also „erst aus einer Prüfung aller Umstände und Verhältnisse, aus dem Zusammenhange der ganzen That“ ermittelt werden, ob der Täter vorsätzlich gehandelt hatte; denn der Wille des Täters „kann nämlich entweder auf die Tödtung geradezu, oder bloß auf Verletzung, oder nicht einmal auf diese gerichtet seyn“, und deswegen kam es darauf an, „auf das Werkzeug zu sehen, mit welchem die Tödtung geschah“174. Aus der Beurteilung der ganzen Tat, der konkreten Beschaffenheit der Tatmittel, der Art der Ausführung usw., konnte sich also ergeben, dass die Tat vorsätzlich begangen wurde. Jede willentliche Tat jedoch gleich als Vorsatztat zu begreifen, wäre dagegen verfehlt175. Gegen Mitte des 19. Jahrhunderts fand der Begriff des dolus ex re kaum noch Verwendung. So stellt Temme in beweisrechtlicher Hinsicht zum Vorsatz schlicht fest: „Der Dolus ist etwas Innerliches. Er muß gleichwohl bewiesen werden. Er kann nur erkannt werden aus äußeren Thatsachen. Das kann nur auf zweierlei Weise geschehen. Zuerst durch das Geständniß des Handelnden. Zum Anderen durch Thatumstände, von welchen auf ihn ein Schluß gemacht wird.“176

Des Begriffes dolus ex re für den Rückschluss bedurfte es offenbar nicht mehr. Volk führt die Tatsache, dass der Begriff des dolus ex re mit der Zeit nicht mehr verwendet wurde, zum einen darauf zurück, dass er keine besondere materiellrechtliche Funktion hatte, sondern nur Bedeutung im Rahmen der Beweisführung entfaltete und dieser Disziplin Anfang des 19. Jahrhunderts zunehmend ein geringerer Stellenwert als dem materiellen Recht beigemessen wurde177. Zum anderen bedurfte nach Einschätzung Volks die umschriebene Methode deshalb keines besonderen Begriffes mehr, weil es sich um nichts weiter als eine Erscheinungsform des Indizienbeweises handelte178. So schrieb Borst seinerzeit: „Wer möchte ferner läugnen, daß der böse Vorsatz nur aus der bösen That, alle dazu gehörigen Umstände mit eingerechnet, erkannt werden könne [. . .].“179 sie sagen, daß der Beweis des dolus ex re, oder ex facto, genommen werden müsse.“); Wening, Neues Archiv des Criminalrechts 2 (1818), S. 194 ff. Anders: Henkel, in: FS-Schmidt, S. 578, 599 (dagegen jedoch Hruschka, in: FS-Kleinknecht, S. 191, 197, Fußnote 11). 174 Wening, Neues Archiv des Criminalrechts 2 (1818), S. 194, 210 f. 175 Vgl. Hruschka, in: FS-Kleinknecht, S. 191, 198. 176 Temme, Neues Archiv des Criminalrechts 1854, S. 206, 223. So auch Geyer, Strafproceßrecht, S. 694. 177 Volk, in: FS-Kaufmann, S. 611, 614. 178 Volk, in: FS-Kaufmann, S. 611, 614. 179 Borst, Neues Archiv des Criminalrechts 2 (1818), S. 434, 435.

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2. Teil, 4. Kap.: Vorsatznachweis

Benötigt worden sei eine besondere Bezeichnung für die Form des Indizienbeweises nach Meinung von Volk nur aufgrund des damals geltenden Beweisrechts180. Seiner Ansicht nach hatte man sich mit dem dolus ex re zu Zeiten der Constitutio Criminalis Carolina von 1532 (Hals- oder Peinliche Gerichtsordnung Karls V.), die in Art. 22 ein Verbot des Indizienbeweises als Grundlage für die Verurteilung des Täters vorsah181, lediglich einen Dispens von der Beweisregelung über das Erfordernis des Geständnisses geschaffen. Nachdem die gesetzliche Beweistheorie von dem Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung ablöst wurde182, sei der Indizienbeweis vollumfänglich legitim geworden183 und für die besondere Bezeichnung dolus ex re kein Bedürfnis mehr vorhanden gewesen184. Ganz verschwunden ist wohl die Methode der Zuschreibung des Vorsatzes unmittelbar mit dem (bewiesenen) objektiven Tatbestand als solche nicht. Volk belegt dies mit dem Beispiel einer bedingt vorsätzlichen Steuerhinterziehung185. Halte der Täter es für möglich, dass die Steuererklärung einen steuerverkürzenden Effekt haben könnte und gebe diese gleichwohl ab, so werde mitunter aus der Tatsache der Einreichung der Erklärung trotz Möglichkeitswissens der Schluss gezogen, der Täter habe sich mit der Verwirklichung der Tatbestandsmerkmale des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO auch abgefunden und damit bedingt vorsätzlich gehandelt. Ein solcher „Fehlschluss“ – denkbar wäre nämlich, dass es sich nur um eine leichtfertige Steuerverkürzung (§ 378 AO) handelt – entspreche dem dolus ex re, mit dessen Hilfe das voluntative Vorsatzelement typisiert bzw. fingiert werde186. Eine solche Fingierung des Vorsatzes ist natürlich nicht hinnehmbar. Die Tat als solche kann also den „Beweis“ des Vorsatzes nicht erbringen. Der 180

Volk, in: FS-Kaufmann, S. 611, 614 f. Als Grundlage für die Anwendung der peinlichen Frage, d.h. der Folter, waren dagegen Indizien zulässig, vgl. Küper, Richteridee, S. 128. Lesenswert zu den Meinungen über die Fortdauer des Verbotes des Indizienbeweises nach Abschaffung der Tortur: Bauer, Anzeigenbeweis, S. 218 ff.; Zachariä, Archiv des Criminalrechts (neue Folge) 1839, S. 132 ff. Zu den Einzelheiten der Indizienlehre der Constitutio Criminalis Carolina siehe Michels, Indizienbeweis, S. 16 ff. 182 Siehe zu dieser Entwicklung Küper, Richteridee, S. 177 ff. und 214 ff.; ders., in: FS-Peters, S. 23 ff. Zum Grundsatz der freien Beweiswürdigung im geltenden Recht siehe Schmitt, Beweiswürdigung, S. 173 ff. Siehe auch 5. Kapitel, A. II. und III. 183 Eine Darstellung des zeitgenössischen Meinungsbildes zur Anerkennung des Indizienbeweises findet sich bei Michels, Indizienbeweis, S. 155 ff. 184 Volk, in: FS-Kaufmann, S. 611, 615. 185 Volk, in: FS-Kaufmann, S. 611, 621 f. 186 In Konsequenz dieser Problematik schlägt Volk, in: FS-Kaufmann, S. 611, 623, vor, entweder die „Verantwortlichkeit“ für das jeweilige Rechtsgut anders zu verteilen oder die Vorsatzdogmatik zu revidieren und den dolus eventualis für nicht anwendbar zu erklären. 181

A. Grundlagen des Beweises im Strafverfahren

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Vorsatz muss „nach allen Regeln der Kunst (einen Indizienbeweis zu führen)“187 bewiesen werden. Dies ist Gegenstand des nächsten Kapitels.

5. Kapitel

Die Methode der prozessualen Beweisführung Im vorangegangenen Kapitel wurde gezeigt, dass der Nachweis des Vorsatzes im Wege des Indizienbeweises bzw. vermittels des Rückschlusses aus Indikatoren zu erbringen ist, also maßgeblich von der Feststellung der Umstände des äußeren Geschehens abhängt. Nunmehr ist der Frage nachzugehen, wie im Strafprozess von den indiziellen Tatsachen auf die Haupttatsache – hier: den Vorsatz – geschlossen werden kann. Das Gesetz sagt dazu wenig. So heißt es in § 261 StPO, der zentralen Norm des Strafprozesses, dass das Gericht über das Ergebnis der Beweisaufnahme nach seiner freien Überzeugung entscheidet. Zur Frage, wann diese Überzeugung vorliegt, schweigt das Gesetz. Die Einzelheiten bedürfen daher im Folgenden einer näheren Betrachtung.

A. Grundlagen des Beweises im Strafverfahren I. Ontologische Urteilsbasis Nur wenn die materiellen Vorgaben des Strafrechts vom Täter tatsächlich verwirklicht worden sind, darf die Rechtsfolge Strafe verhängt werden. Diesem Ziel, die materielle Wahrheit188 zu erforschen, dient der Strafprozess189. So hat das Gericht nach § 244 Abs. 2 StPO zur Erforschung der Wahrheit zunächst mit den im Strafprozess zulässigen Beweismitteln alle Tatsachen zu ermitteln, die für die Entscheidung der Schuld- und Sanktionsfrage von Bedeutung sind. Dabei geht es aber nicht um Erforschung der Wahrheit um jeden Preis190, sondern vielmehr um eine optimale Wahrheits187

Volk, in: FS-Kaufmann, S. 611, 620. Hiermit kann freilich nicht die Erkenntnis einer vollkommen objektiven Wahrheit gemeint sein; der philosophische und der fortschrittsbedingte Zweifel sind letztlich nicht auflösbar (vgl. Freund, Tatsachenfeststellung, S. 12 f.; Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 1). Die Unerreichbarkeit wahrer Erkenntnis kann aber das idealtypische Prinzip der Wahrheitsfindung nicht in Frage stellen (LR-Kühne, StPO, Einl. Abschn. B Rn. 32). 189 BVerfG NStZ 1987, S. 419. 190 Vgl. BGHSt 14, S. 358, 365. 188

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2. Teil, 5. Kap.: Die Methode der prozessualen Beweisführung

ermittlung. Die Aufklärungspflicht findet ihre Grenzen in den Grund- und Menschenrechten des Angeklagten und der sonstigen Betroffenen sowie in Praktikabilitätserwägungen191; sie wird über Regelungen des Strafprozessrechts, die die staatlichen Eingriffsbefugnisse limitieren (zum Beispiel Beweis[erhebungs]verbote192), gewährleistet. Innerhalb dieser Grenzen aber muss sich die Tatsachenermittlung auf alle maßgeblichen Tatsachen erstrecken. Erst wenn die ontologische Urteilsbasis vollständig ermittelt ist, kann die Beweiswürdigung einsetzen. Dabei hat das Gericht nicht nur belastendes, sondern auch entlastendes Beweismaterial zu ermitteln. II. Beweiswürdigung Ist die Beweisaufnahme abgeschlossen, hat das Gericht gemäß § 261 StPO nach seiner freien Überzeugung darüber zu entscheiden, ob die Tatsachen und damit die dem Angeklagten vorgeworfene Tat im Ganzen als bewiesen anzusehen sind. Die Freiheit der Beweiswürdigung besteht darin, dass der Richter an keinerlei feste Beweisregeln193 oder Richtlinien gebunden ist, sondern sich ein höchstpersönliches Urteil bilden kann und muss194. Allerdings darf die Freiheit der Beweiswürdigung auf der anderen Seite nicht dahin missverstanden werden, dass der Tatrichter zu Willkür befugt wäre. So werden der richterlichen Freiheit Grenzen durch Beweisverwertungsverbote wie zum Beispiel § 136a Abs. 3 Satz 2 StPO gesetzt195. Derartige Beweisverwertungsverbote haben zur Folge, dass bestimmte Beweisergebnisse im Urteil nicht berücksichtigt werden dürfen196. Darüber hinaus muss die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage und auf rationalen, nachvollziehbaren Schlussfolgerungen beruhen197. 191

LR-Kühne, StPO, Einl. Abschn. B Rn. 33 ff. Bei den sogenannten Beweiserhebungsverboten handelt es sich um Beweisverbote, die bereits die Gewinnung bestimmter Beweise untersagen. Zumeist werden diese Beweiserhebungsverbote unterteilt in Beweisthemaverbote, Beweismittelverbote und Beweismethodenverbote (siehe dazu Eisenberg, Beweisrecht, Rn. 336 ff.). 193 Nur ausnahmsweise gibt es sogenannte positive Beweisregeln wie z. B. § 274 StPO und § 190, an die der Richter gebunden ist, siehe dazu Geppert, JURA 2004, S. 105, 107. Negative Beweisregeln sind demgegenüber die erwähnten Beweisverbote. 194 LR-Gollwitzer, StPO, § 261 Rn. 41; KK-Schoreit, StPO, § 261 Rn. 28. Siehe auch Schmitt, Beweiswürdigung, insbesondere S. 173 ff., zu den früheren Beweisregeln und zum Grundsatz der freien Beweiswürdigung im geltenden Recht. 195 Zur Frage, ob aus jedem Beweisverbot zugleich ein Beweisverwertungsverbot folgt, siehe nur Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 907 ff. 196 Siehe zu den Einzelheiten Eisenberg, Beweisrecht, Rn. 356 ff. 197 Eisenberg, Beweisrecht, Rn. 91, 97; LR-Gollwitzer, StPO, § 261 Rn. 42 m. w. N. 192

A. Grundlagen des Beweises im Strafverfahren

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Zu beachten hat der Richter bei der Beweiswürdigung Denkgesetze und Erfahrungssätze. Die Denkgesetze verpflichten den Richter, die Regeln der Logik zu beachten und eine lückenlose und widerspruchsfreie Beweiswürdigung vorzunehmen198. Einen Verstoß gegen die Denkgesetze der Logik stellt zum Beispiel der Fall eines Zirkelschlusses dar, bei dem ein erst noch zu beweisender Satz als Beweisgrund für einen anderen Satz herangezogen wird (petitio principii)199. Im Rahmen einer Aussagewürdigung wäre es also unzulässig, aus der Aussage selbst auf ihre Glaubhaftigkeit und die Glaubwürdigkeit des Zeugen zu schließen200. Unter Erfahrungssätzen versteht man die aus der Beobachtung und Verallgemeinerung vergleichbarer Einzelfälle – und nicht durch reines Denken – gewonnenen Einsichten201. Handelt es sich um zwingende Erfahrungssätze, wie zum Beispiel naturwissenschaftliche Gesetzmäßigkeiten, so darf sich der Richter über sie nicht hinwegsetzen202. Im Rahmen der Blutalkoholwertbestimmung beispielsweise hat der Richter die medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnis zu berücksichtigen, dass eine Rückrechnung von der Blutalkoholkonzentration bei Blutentnahme auf den Tatzeitpunkt nur durchführbar ist, wenn das Ende der Resorptionsphase feststeht203. Neben diesen zwingenden Erfahrungssätzen gibt es solche, die auf bestimmten Wahrscheinlichkeitsaussagen beruhen204. So kann beispielsweise eine DNA-Analyse nur mit gewisser statistischer Wahrscheinlichkeit zur Annahme einer Täterschaft führen und infolgedessen nicht ohne weitere Indizien zum Beweis hinreichen205. Meist handelt es sich bei den Erfahrungssätzen um Alltagstheorien, die wissenschaftlich nicht überprüft werden können, sodass es insoweit letztlich und ohne Alternative nur um eine Plausibilisierung gehen kann206, um eine Mehr-oder-weniger-Wahrscheinlichkeit. Beispielhaft sei an den Fall eines Rauschgiftkuriers gedacht, der angibt, er habe von der Art der transportierten Güter nichts gewusst. Dem könnte der Richter entgegenhalten, dass es nach der Lebenserfahrung sehr unwahr198 Einzelheiten zum Begriff der Denkgesetze siehe bei: Schmitt, Beweiswürdigung, S. 217 ff.; KK-Schoreit, StPO, § 261 Rn. 47. 199 Vgl. Geppert, JURA 2004, S. 105, 108. 200 Vgl. Eisenberg, Beweisrecht, Rn. 102, Fußnote 132; Geppert, JURA 2004, S. 105, 108, Fußnote 31. 201 Einzelheiten zum Begriff der Erfahrungssätze siehe bei Schmitt, Beweiswürdigung, S. 229 ff.; KK-Schoreit, StPO, § 261 Rn. 48. 202 Vgl. LR-Gollwitzer, StPO, § 261 Rn. 47. 203 BGHSt 5, S. 246, 249. 204 Eisenberg, Beweisrecht, Rn. 103; Julius, in: HK-StPO, § 261 Rn. 9. Freund, Tatsachenfeststellung, S. 18, weist darauf hin, dass auch die Anwendung zwingender Erfahrungssätze auf einen konkreten Fall nur wahrscheinlich richtig ist. 205 Beispiel nach Eisenberg, Beweisrecht, Rn. 103. 206 Bender/Nack/Treuer, Tatsachenfeststellung, Rn. 605.

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2. Teil, 5. Kap.: Die Methode der prozessualen Beweisführung

scheinlich ist, dass der Auftraggeber den Transporteur über die wertvolle Fracht im Unklaren lasse, weil er riskieren würde, dass die Fracht den Adressaten nicht erreicht207. Die darin enthaltene Annahme, Drogenkuriere seien eher bös- als gutgläubig, ist jedoch nicht mehr als eine statistisch nicht erwiesene Alltagstheorie208. Hier wird man auch an die Alternativerklärung denken müssen, dass der Auftraggeber den Kurier bewusst im Unklaren gelassen haben könnte, gerade damit dieser die wertvolle Ware abliefert und sie nicht selbst „verwertet“. Auch gibt es beispielsweise keinen Erfahrungssatz des Inhaltes, dass eine Person, die Alkohol in erheblichen Mengen zu sich genommen hat, ihre Fahruntüchtigkeit noch während des Trinkens oder bei Fahrtantritt erkennt209; eine solche Schlussfolgerung erscheint allenfalls plausibel. Mit derartigen Wahrscheinlichkeitsaussagen und Plausibilisierungen muss sich der Richter im konkreten Fall auseinandersetzen. Gerade bei der Vorsatzfeststellung werden diese Erfahrungssätze bzw. Wahrscheinlichkeiten relevant. Wie festgestellt210, handelt es sich bei dem Nachweis des Vorsatzes nicht um einen Beweis aus eigener Wahrnehmung, sondern um einen Indizienbeweis, der eine Schlussfolgerung von Indizien (Indikatoren) auf die unmittelbar erhebliche Tatsache (Vorsatz) erfordert. Mit anderen Worten: Aus einer bekannten Tatsache (Indiz) und aus einem bekannten Gesetz (Erfahrungssatz) wird eine unbekannte Tatsache (Vorsatz) abgeleitet211. Will man dabei dem Ziel des Strafprozesses, die Wahrheit zu erforschen, näherkommen, so leuchtet unmittelbar ein, dass bloße Vermutungen über empirische Zusammenhänge für die Schlussfolgerung nicht genügen können. Vielmehr müssen die konkret angewendeten Erfahrungssätze als hinreichend gesichert gelten; sie dürfen gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht widersprechen und empirisch nicht anzweifelbar sein212. Jenseits dieser Untergrenze ist aber – bei nicht zwingenden Erfahrungssätzen – die Schlussfolgerung nur wahrscheinlich richtig. Wann die zu beweisende Tatsache zur „Überzeugung“ des Richters im Sinne von § 261 StPO als gegeben anzusehen ist, welcher Grad von Gewissheit also für die richterliche Entscheidung erforderlich ist (Beweismaß)213, darüber schweigt sich das Gesetz aus. Diese Frage bedarf daher der nachfolgenden näheren Betrachtung. 207 Beispiel nach Bender/Nack/Treuer, Tatsachenfeststellung, Rn. 604. Siehe auch BGH StV 1998, S. 589 f. 208 Bender/Nack/Treuer, Tatsachenfeststellung, Rn. 604. 209 Saarländisches OLG StraFo 2001, S. 203 f. 210 4. Kapitel, C. III. 2. 211 Vgl. Freund, Tatsachenfeststellung, S. 13. 212 Vgl. Freund, Tatsachenfeststellung, S. 16. 213 Definition nach Bender/Nack/Treuer, Tatsachenfeststellung, Rn. 548.

A. Grundlagen des Beweises im Strafverfahren

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III. Richterliche Überzeugung und Zweifel Welches Beweismaß für die richterliche Überzeugung maßgeblich ist, ist umstritten. Von der wohl überwiegenden Meinung wird die vom Gesetz geforderte richterliche Überzeugung dahingehend interpretiert, dass der Richter die volle persönliche (subjektive) Gewissheit von der objektiven Wahrheit haben muss214, die grundsätzlich für nicht nachprüfbar gehalten wird215, wobei die vorstehend erwähnten Grenzen der Beweisverwertungsverbote und des Willkürverbotes einzuhalten sind. Eine hohe Wahrscheinlichkeit oder eine sogar an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit könne dem Tatrichter die erforderliche Gewissheit verschaffen, müsse dies aber nicht zwingend, weil die Beurteilung ein subjektiver Bewertungsakt sei216. Auch bei einer hohen Wahrscheinlichkeit können danach selbst „leiseste“ Zweifel die Gewissheit des Tatrichters ausschließen. Insoweit wird allerdings einschränkend verlangt, dass nur auf konkreten Umständen beruhende Zweifel maßgeblich sein dürfen, nicht aber im Hinblick auf die Unvollkommenheit menschlicher Erkenntnis grundsätzlich denkbare, bloß abstrakttheoretische Zweifel217. Demgegenüber soll nach anderer Auffassung bereits ein „hoher Grad von Wahrscheinlichkeit“218 oder eine an „Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit“219 für die erforderliche Überzeugung ausreichen und eine darüber hinausgehende subjektive Gewissheit nicht erforderlich sein. In der Konsequenz führt dieser Ansatz dazu, dass bei Vorliegen des für erforderlich gehaltenen Wahrscheinlichkeitsgrades zwingend die Überzeugung des Tatrichters gegeben sein müsste. Ein solches Wahrscheinlichkeitsmodell kann jedoch letztlich nicht überzeugen. Als problematisch erweist sich schon der Anspruch, die jeweils geforderte Wahrscheinlichkeit adäquat zu quantifizieren220. Nicht übersehen werden darf auch, dass es bei der Tatsachenfeststellung im Strafprozess um die Feststellung eines vergangenen singulären Ereignisses geht. Ob die Elemente, die zum (wahrscheinlichen) Gegebensein 214 Eisenberg, Beweisrecht, Rn. 89; LR-Gollwitzer, StPO, § 261 Rn. 8; Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 947; Paulus, in: KMR-StPO, § 244 Rn. 151; KK-Schoreit, StPO, § 261 Rn. 2; BGHSt 10, S. 208 ff.; BGHSt 29, S. 18, 20; BGH NStZ 1983, S. 277 f. 215 BGHSt 10, S. 208, 210. 216 Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 947. 217 LR-Gollwitzer, StPO, § 261 Rn. 8 m. w. N. 218 RGSt 61, S. 202, 206; Herdegen, NStZ 1987, S. 193, 197 f.; Hoyer, ZStW 105, S. 523, 533 f.; BGH StV 1995, S. 453. Siehe zur Rechtsprechung des Reichsgerichts auch Schmitt, Beweiswürdigung, S. 200 ff. 219 RGSt 72, S. 89, 90; RGSt 75, S. 372, 375. 220 Ähnlich: Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 949.

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2. Teil, 5. Kap.: Die Methode der prozessualen Beweisführung

einer Tatsache führen, ihrerseits „wahr“ sind, kann ebenfalls regelmäßig nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit gesagt werden. Gewichtiger noch scheint der Einwand, dass ein Verzicht auf ein subjektives Element zu einem bedenklichen Schematismus führen würde221. Bleibt bei dem Richter trotz „hoher Wahrscheinlichkeit“ ein nicht lediglich abstrakt-theoretischer Zweifel zurück, so wäre er gezwungen, aufgrund der hohen Wahrscheinlichkeit zu einer Verurteilung zu gelangen, und müsste sich also über den Grundsatz in dubio pro reo hinwegsetzen222. Nach Gollwitzer verlöre ein ohne subjektive Gewissheit gefälltes Urteil an moralischer Überzeugungskraft223. Demgegenüber kann dem Beweismaß der subjektiv-persönlichen Überzeugung nicht etwa Willkür und gänzlich fehlende Objektivität entgegengehalten werden. Wie ausgeführt, wird diesen Gefahren durch die Beweisverwertungsverbote, die Verpflichtung zur Beachtung von Denk- und Erfahrungssätzen und die Forderung nach einer tragfähigen objektiven Tatsachengrundlage adäquat vorgebeugt. Sind diese Grenzen beachtet und zweifelt der Tatrichter trotz hoher objektiver Wahrscheinlichkeit, so ist der Angeklagte nach dem Grundsatz in dubio pro reo (bzw. wegen fehlender Überzeugtheit) freizusprechen. Hierdurch wird dem nicht zu verleugnenden Umstand Rechnung getragen, dass die Beurteilung durch den Richter nicht nur auf einer nüchternen Subsumtion beruht224, sondern auch der Sinneindruck der gesamten Hauptverhandlung eine Rolle spielt und spielen sollte, denn Sprache kann Inhalt mitunter nur unzulänglich vermitteln. Steht nun fest, dass Beweismaß die (objektivierte) subjektiv-persönliche Überzeugung des Tatrichters ist, bleibt doch die Frage offen, wie der Tatrichter – ohne irrationale gefühlsmäßige Erwägungen – zu seiner persönlichen Gewissheit bei der Vorsatzfeststellung kommen soll. Es geht um die Frage nach einer strukturierten prozessualen Beweisführung, die im Folgenden zu thematisieren sein wird.

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Vgl. Ling, JZ 1999, S. 335, 339 f. Hält man mit Montenbruck, In dubio pro reo, S. 61 f., den Zweifelssatz für überflüssig und bedenklich, weil es widersinnig ist, dem Richter erst aufzugeben, Umstände als gegeben zu unterstellen, um dann letztlich doch pro reo zu entscheiden, so müsste man mit der fehlenden Überzeugtheit im Sinne des § 261 StPO argumentieren. 223 LR-Gollwitzer, StPO, § 261 Rn. 9. 224 Vgl. Ling, JZ 1999, S. 335, 341. 222

B. Die Methode der Vorsatzfeststellung

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B. Die Methode der Vorsatzfeststellung Erlangt der Tatrichter volle persönliche Gewissheit über die dolose Tatbegehung, indem er die Indizien (Indikatoren) des äußeren Geschehens zu immer größeren Wahrscheinlichkeiten „anhäuft“ und sich von diesen Wahrscheinlichkeiten letztlich überzeugen lässt? Reicht es aus, wenn er einen (nicht zwingenden) Erfahrungssatz für „sehr wahrscheinlich“ oder „hoch wahrscheinlich“ oder „höchst wahrscheinlich“ richtig hält („subjektive Wahrscheinlichkeit“225)? Mit einem solchen Ansatz wäre man ersichtlich wieder bei den Wahrscheinlichkeitsmodellen angelangt, die soeben226 aufgrund der fehlenden Möglichkeit zur Quantifizierung der erforderlichen Wahrscheinlichkeit abgelehnt wurden. Dieser Weg kann also nicht weiterhelfen. I. Struktur der Beweisführung hinsichtlich des Vorsatzes in Rechtsprechung und Schrifttum 1. Rechtsprechung

Erste Annäherung bietet ein kurzer Blick in die Rechtsprechung, die naturgemäß das Problem des Beweises fremdpsychischer Sachverhalte praktisch zu lösen hat. Wie bereits oben bei der Analyse der Tötungsdelikte festgestellt, verlangt der BGH in ständiger Rechtsprechung für eine rechtsfehlerfreie Schlussfolgerung auf den bedingten Tötungsvorsatz explizit die Einbeziehung aller Umstände, die die Annahme des Eventualdolus in Frage stellen können227. Hartmut Schneider hat die Struktur der Beweisführung anhand der Rechtsprechung des BGH zu den Tötungsdelikten fallgruppenweise herausgearbeitet228. Innerhalb der einzelnen Fallgruppen (zum Beispiel Polizeisperren-Fälle229, Einsatz von Waffen und gefährlichen Werkzeugen230) zeigt er auf, wie in der Rechtsprechung die beispielsweise aus der objektiven Gefährlichkeit einer Handlung gewonnene Hypothese, dass der Täter mit bedingtem Vorsatz gehandelt hat, (nur) dann entkräftet werden kann, wenn die Gegenhypothese, das Vertrauen auf den guten Ausgang, auf einer vertrauensstiftenden Tatsachengrundlage basiert. Gibt der Sachverhalt 225

Bender/Nack/Treuer, Tatsachenfeststellung, Rn. 559 und 565 ff. In diesem 5. Kapitel unter A. III. 227 4. Kapitel, C. II. 1. Siehe auch BGHR StGB, § 212 Abs. 1, Vorsatz, bedingter, 5, 9, 40. 228 MünchKommStGB/Schneider, § 212 Rn. 11 ff. 229 MünchKommStGB/Schneider, § 212 Rn. 12 f. 230 MünchKommStGB/Schneider, § 212 Rn. 18 ff. 226

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2. Teil, 5. Kap.: Die Methode der prozessualen Beweisführung

nichts dafür her, ein mögliches Vertrauen zu fundieren, so scheidet die Alternativerklärung aus231. Bei den analysierten Untreueentscheidungen kann man bei näherer Betrachtung ein ähnliches Prinzip erkennen. Im Bauleiter-Urteil vom 13. April 1942232 beispielsweise suchte das Reichsgericht nach Alternativerklärungen wie Arbeitsüberlastung und dergleichen, die die Hypothese „Billigung“ hätten infrage stellen können. In diesem Sinne bemängelte der BGH im Beschluss vom 24. August 1999 zu einem Bankuntreuefall233 eine unzureichende Sachverhaltsauseinandersetzung, wodurch eine Widerlegung der Hoffnung (genauer: des Vertrauens) des Angeklagten auf einen Kontoausgleich nicht möglich war. Auch Entscheidungen zu anderen Sachbereichen deuten die Methode an. In einem Fall aus dem Bereich des Betäubungsmittelrechtes hatte der BGH über ein Urteil des Landgerichts Essen zu entscheiden, das es als erwiesen ansah, dass der Angeklagte, der für eine andere Person eine Substanz transportieren sollte, gewusst habe, dass es sich um Heroin und nicht bloß um Haschisch handelte. Der BGH sah die Annahme des Landgerichts als bloße Vermutung an234. Anhand einer Vielzahl von Aspekten des äußeren Geschehens legt der BGH dar, weshalb die Erklärung, der Angeklagte habe die Substanz „nur“ für Haschisch gehalten, nicht sicher widerlegt werden kann. Ganz ähnlich ging der BGH in einem Betrugsfall vor. Der Angeklagte hatte in diesem Fall Messingbarren als Goldbarren weiterverkauft, die er seinerseits bei einem Geschäftsfreund erworben hatte. Das Landgericht sah den Vorsatz des Angeklagten, also seine 231 In ähnlicher Weise kann beim Tatbestand des unerlaubten Entfernens vom Unfallort (§ 142) eine einzelfallorientierte Vorsatzargumentation vorgenommen werden (siehe dazu Geppert, in: LK, 11. Auflage, § 142 Rn. 167 ff.; Lackner/Kühl, § 142 Rn. 31, jeweils m. w. N. zur Rechtsprechung). Stellen sich beispielsweise die äußeren Umstände einer Unfallsituation dem Täter so dar, dass sich ihm nach allgemeiner Lebenserfahrung die Tatsache eines Unfalles aufdrängen muss, so liegt regelmäßig Vorsatz vor (Hypothese). Andererseits könnte infolge der Unfallsituation so hochgradige Verwirrung entstanden sein, dass der Vorsatz des Unfallbeteiligten für eine Unfallflucht entfällt (Gegenhypothese). Als bloße Schutzbehauptung könnte sich der Verweis auf eine Panik- oder Schrecksituation allerdings erweisen, wenn sich das Handeln des Täters zielgerichtet und planvoll darstellt (Ausschluss der Gegenhypothese). Auch kann nicht immer davon ausgegangen werden, dass die Berührung zweier Fahrzeuge vom Täter „gefühlt“ werden muss, sodass eine Kenntnis des Verkehrsunfalls nicht zwangsläufig gegeben ist; denkbar ist, dass die Wahrnehmbarkeit durch Erschütterungen des Fahrzeuges beeinträchtigt war. Auch hier wird zum einen deutlich, dass das äußere Geschehen die maßgeblichen Anhaltspunkte für den Vorsatz des Täters liefert und zum anderen die Struktur der Beweisführung in der Gegenüberstellung von Indizien und Gegenindizien und deren Ausschluss besteht. 232 Siehe 4. Kapitel, C. II. 2. a). 233 Siehe 4. Kapitel, C. II. 2. d). 234 BGH StV 1998, S. 589, 590.

B. Die Methode der Vorsatzfeststellung

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Annahme, es handele sich in Wirklichkeit nicht um Goldbarren, aufgrund der Differenz zwischen Marktpreis und dem Weiterverkaufspreis sowie der Tatsache, dass der Lieferant echte Goldbarren nicht an ihn, sondern ohne weiteres an eine Bank zum Marktpreis hätte verkaufen können, als erwiesen an. Der BGH bemängelte jedoch, dass das Landgericht die Möglichkeit außer Betracht gelassen habe, dass dem Angeklagten die Preisdifferenz deshalb erklärlich vorgekommen sein könnte, weil es sich bei den vermeintlichen Goldbarren um Diebesgut gehandelt habe, das der Lieferant nicht offiziell habe weiterveräußern wollen235. Abstrakt formuliert, sucht der BGH also nicht einfach nur nach Indizien, die für eine vorsätzliche Tatbegehung sprechen, sondern überprüft die Schlussfolgerungen aus belastenden Indizien daraufhin, ob es alternative Erklärungen gibt, die die Schlussfolgerung infrage stellen, was insbesondere bei den beiden letztgenannten Urteilen deutlich wurde. So sprach zwar beispielsweise in dem Betrugsfall die Preisdifferenz in der Tat dafür, dass der Angeklagte die fehlende Echtheit der „Goldbarren“ gekannt haben könnte. Eine – im konkreten Fall nicht widerlegbare – Alternativerklärung für die Preisdifferenz ergab sich jedoch daraus, dass die Goldbarren auf illegalem Wege erlangt worden waren und daher der tatsächliche Marktwert nicht im legalen Wirtschaftsverkehr aktiviert werden konnte. Der Erfahrungssatz, dass ein geringer Preis meist auf eine erkannte Minderwertigkeit oder Unechtheit der Ware zurückzuführen ist, ist nämlich nicht zwingend, sondern nur wahrscheinlich. Die Methode der Beweisführung besteht also, auch wenn der BGH dies nicht explizit formuliert, darin, mögliche Alternativerklärungen auf ihre Widerlegbarkeit hin zu überprüfen236. 2. Schrifttum

In den einschlägigen Kommentaren und Lehrbüchern zum Strafprozessrecht finden sich – soweit ersichtlich – nach wie vor wenig Einzelheiten zur Frage der Vorsatzfeststellung237. Meist wird nur darauf hingewiesen, dass der subjektive Tatbestand aus den Angaben des Angeklagten oder über Rückschlüsse aus dem äußeren Tatgeschehen ermittelt werden könne238. 235

BGH wistra 1982, S. 232, 233. So auch die Einschätzung der Vorgehensweise der Gerichte durch Freund, JR 1988, S. 116, 117, in seiner Anmerkung zum Fall der „Neujahrsschützin“ (BGH JR 1988, S. 115 f. = NStZ 1988, S. 362 f.). 237 So bereits die Feststellung von Freund, Tatsachenfeststellung, S. 8. 238 Siehe beispielsweise LR-Gollwitzer, StPO, § 244 Rn. 1 und 65 sowie § 261 Rn. 62; KK-Fischer, StPO, § 244 Rn. 3; Julius, in: HK-StPO, § 261 Rn. 41; Stuckenberg, in: KMR-StPO, § 261 Rn. 169. KK-Schoreit, StPO, § 261 Rn. 48, sowie Stuckenberg, in: KMR-StPO, § 261 Rn. 34 und 171, weisen immerhin, allerdings 236

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2. Teil, 5. Kap.: Die Methode der prozessualen Beweisführung

Bei Peters besteht lediglich der Hinweis, dass auch die inneren Tatsachen bewiesen werden müssen239. Im sonstigen Schrifttum findet jedoch zunehmend eine nähere Auseinandersetzung mit der Problematik der Beweisführung statt. In die richtige Richtung weist dabei schon Küßner im Jahre 1855: „Die thatsächlichen Aufstellungen der Anklage aber greift der Angeklagte bald dadurch an, daß er die behaupteten Thatsachen selbst widerlegt, bald dadurch, daß er seinerseits Thatsachen aufstellt, welche die von der Anklage aus richtigen Thatsachen gezogenen Schlußfolgerungen widerlegen oder zweifelhaft machen. Die letztere Art der Vertheidigung kommt namentlich vor in Bezug auf die sogenannten psychologischen Thatsachen, wie Vorsatz, Ueberlegung u. dgl., welche, außer dem Falle des Geständnisses, immer nur durch künstlichen Beweis festgestellt werden können.“240

Gelänge es also dem Angeklagten, die Schlussfolgerung auf den Vorsatz durch das Vorbringen von Tatsachen anzuzweifeln, so müsste das Gericht diese Zweifel ausräumen, um die behauptete Tatsache (Vorsatz) zu bestätigen241. Insbesondere im Zusammenhang mit der Frage nach dem „richtigen“ materiellrechtlichen Begriff des bedingten Vorsatzes sind die Fragen des Beweises zunehmend in den Vordergrund gerückt242. Philipps beispielsweise hat mit seinem „Kriterienbaum“ systematisch herausgearbeitet, welche Indizien des konkreten Falles für eine vorsätzliche Tatbegehung (also die Vorsatzhypothese) und welche Anhaltspunkte des konkreten Falles gegen eine nicht explizit zur inneren Tatseite, darauf hin, dass andere Sachverhaltsmöglichkeiten ausgeschieden werden müssen. 239 Peters, Strafprozess, § 37 V 3. 240 Küßner, GA 3, S. 32, 41. Unter dem Begriff „künstlicher Beweis“ verstand man seinerzeit den indirekten oder Indizienbeweis im Gegensatz zum „natürlichen Beweis“, d.h. dem direkten, unmittelbaren Beweis, vgl. Geyer, Strafproceßrecht, S. 705. Hinzuweisen ist darauf, dass es heute an sich nicht Sache des Angeklagten ist, den Entlastungsbeweis selbst zu führen; vielmehr ist es nach §§ 160 Abs. 2 und 244 Abs. 2 StPO Aufgabe von Gericht und Staatsanwaltschaft, die Wahrheit zu erforschen und aufzuklären und dazu auch entlastende Umstände mitzuteilen. Aber es lässt sich wohl nicht abstreiten, dass es faktisch durchaus im Interesse des Angeklagten liegt, etwaige entlastende Umstände, zum Beispiel einen Irrtum, selbst vorzutragen (vgl. Volk, in: FG-BGH, S. 739, 751 f.) und substantiiert zu begründen (vgl. Wolf, Verwendung öffentlicher Mittel, S. 164). 241 Ähnlich auch Engisch, Logische Studien, S. 70 f.: „Wir erkennen erneut, worauf sich die Überzeugung des Gerichts stützt, wenn es der Auskunftsperson Glauben schenkt: auf Erfahrungssätze, daß unter den gegebenen Umständen Wahrnehmungen treffend [. . .] sind. Sollte sich [. . .] ein Zweifel ergeben, so kann ein positives Beweisergebnis nur dann erzielt werden, wenn der betreffende Zweifel durch weitere Gegenerwägungen ausgeschlossen wird [. . .].“ 242 Siehe 4. Kapitel, C.

B. Die Methode der Vorsatzfeststellung

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Vorsatzhypothese sprechen können243. Lassen sich nun im konkreten Fall Indizien feststellen, die für Vorsatz sprechen, so kann gleichwohl nicht allein aufgrund dieser Indizien die Vorsatzhypothese ohne weiteres als verifiziert angesehen werden. Vielmehr muss – wie in der Rechtsprechung mitunter praktiziert und maßgeblich von Freund dargelegt – der aufgrund von Indizien als Hypothese formulierte und zu beweisende Sachverhalt (hier: Vorsatz) dadurch als richtig belegt werden, dass mögliche gegenläufige Alternativerklärungen als mit dem maßgeblichen sonstigen Gesamtsachverhalt unvereinbar ausgeschieden werden244. Dieses „Alternativenausschlussmodell“245 soll im Folgenden ausgearbeitet werden. II. Begründung und Ausgestaltung des Alternativenausschlussverfahrens Zur Begründung, weshalb sich die Methode des Ausschlusses von Alternativerklärungen als adäquate Methode zur Vorsatzfeststellung erweist, bedarf es einer genaueren Betrachtung der Wahrscheinlichkeitsaussage eines (nicht zwingenden) Erfahrungssatzes. Die Wahrscheinlichkeitsaussage allein lässt, wie festgestellt, keinen verlässlichen Schluss vom Indiz auf den Vorsatz zu. Der Grund, weshalb der Satz oder die Annahme nur wahrscheinlich richtig ist und gerade nicht zu einem zwingenden Schluss führt, liegt in Folgendem: Der Satz ist deshalb nur wahrscheinlich richtig, weil er Alternativen kennt246, er steht, mit anderen Worten, unter dem „offenen oder stillschweigenden Vorbehalt möglicher Ausnahmen“247. Sicher oder zwingend kann der Erfahrungssatz nur dann sein, wenn alle denkbaren Alternativen ausgeschlossen werden können. Den Grund dafür, dass ein Erfahrungssatz nicht unmittelbar alle denkbaren Ausnahmen in sich aufnehmen kann, erkennt man mit Freund248 leicht darin, dass gerade bei komplexen Sachverhalten eine derartige Fülle denkbarer Alternativen einzubeziehen wäre, die letztlich dazu führen müsste, dass keine sinnvolle Anwendung eines derart sperrigen Konstruktes mehr möglich wäre. Zudem dürfte es überhaupt kaum möglich sein, alle denkbaren Fallgestaltungen bzw. Sachverhaltsalternativen aus der Sicht ex 243

Siehe 4. Kapitel, C. I. 6. Freund, Tatsachenfeststellung, insbesondere S. 22 ff.; ders., JR 1988, S. 116, 117; ders., StV 1991, S. 23, 25; Frisch, in: GS-Meyer, S. 533, 555; MünchKommStGB/Schneider, § 212 Rn. 11; Wrage, NZV 2002, S. 196, 198. 245 Freund, Tatsachenfeststellung, S. 23. 246 Freund, Tatsachenfeststellung, S. 22. 247 Freund, Tatsachenfeststellung, S. 22. 248 Freund, Tatsachenfeststellung, S. 22. 244

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2. Teil, 5. Kap.: Die Methode der prozessualen Beweisführung

ante abstrakt zu erfassen und adäquat zu verarbeiten. Der Satz bliebe daher letztlich doch wieder lückenhaft. Deshalb ist es in der Regel praktikabler, einen Erfahrungssatz als bloße Wahrscheinlichkeitsaussage zu formulieren und denkbare Ausnahmen zunächst außer Betracht zu lassen. Diese schon aus Praktikabilitätsgründen kaum mögliche Abstraktion jeglicher Sachverhalte bzw. Erfahrungssätze bedeutet jedoch nicht, dass das Prinzip des Ausschlusses von gegenläufigen Sachverhaltsalternativen nicht im konkreten Einzelfall zu praktikablen Ergebnissen führen kann. Geht man im konkreten Fall aufgrund entsprechender Indizien von der Hypothese „Vorsatz“ aus, so können sich Alternativerklärungen ergeben, die die Hypothese „Vorsatz“ ausschließen; eine Reihe von Alternativen würde mangels entsprechender Anhaltspunkte im konkreten Geschehen von vornherein ausscheiden. Um die Hypothese als wahr zu belegen, müssten sodann die möglichen Gegenhypothesen als mit dem Gesamtsachverhalt unvereinbar ausgeschlossen werden können249. Dieses Verfahren, das dem Tatrichter eine strukturierte Beweisführung ermöglicht, soll im Folgenden verdeutlicht werden. Dabei ist insbesondere auch aufzuzeigen, dass die Gewinnung von Indizien und Alternativerklärungen nicht vermittels eines zufälligen oder gar manipulierbaren Suchprogrammes vonstattengehen muss, sondern durchaus systematisch erfolgen kann, sodass die Gefahr der Unvollständigkeit und Manipulation minimiert werden kann. Einer womöglich „gefühlsmäßigen“ Entscheidung des Richters über bestimmte (subjektive) Wahrscheinlichkeiten bedarf es mit diesem Verfahren nicht. 1. Vorsatzhypothese

Ausgangspunkt der Methode ist, wie ausgeführt250, die vollständige Ermittlung des objektiven Sachverhaltes nach Maßgabe des § 244 Abs. 2 StPO. Anhand des äußeren Geschehens, aber auch der Interessenlage des Täters ist festzustellen, ob es plausible Anhaltspunkte für die Hypothese gibt, dass der Täter vorsätzlich gehandelt hat. Derartige Indizien, die für eine vorsätzliche Tatbegehung sprechen, werden sich insbesondere durch eine Betrachtung der Art des geschaffenen Risikos und der konkreten Ausführung der Tat gewinnen lassen. So würde beispielsweise im Bereich der Tötungsdelikte eine objektiv lebensgefährliche Gewalthandlung zur (entkräftbaren) Hypothese führen, dass der Täter mit (bedingtem) Tötungsvorsatz gehandelt hat251. In diesem Zusammenhang werden auch die im mate249 250 251

Freund, Tatsachenfeststellung, S. 23; Frisch, in: GS-Meyer, S. 533, 555. 5. Kapitel, A. I. Vgl. Freund, Tatsachenfeststellung, S. 32.

B. Die Methode der Vorsatzfeststellung

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riellrechtlichen Teil erörterten Vorschläge zur Bestimmung des Vorsatzbegriffes relevant. Bei einer solchen lebensgefährlichen Handlung – zum Beispiel einem Schuss aus kurzer Distanz – wird man im Sinne Puppes von einer Vorsatzgefahr sprechen können. Ein geringes Risiko würde dagegen unter Umständen dazu führen müssen, dass eine Vorsatzhypothese nicht aufgestellt werden kann. Bei § 142 kann für die Kenntnis des Unfalls beispielsweise ein (objektiv) lautes Aufprallgeräusch sprechen. Im Rahmen der Untreue bei einer Kreditvergabe durch einen Bankleiter kann bei objektiv fehlender Bonität und Sicherheit oder bei der Eingehung eines hohen Risikos bei einem Risikogeschäft zunächst die (entkräftbare) Hypothese aufgestellt werden, dass der Täter mit (bedingtem) Schädigungsvorsatz gehandelt hat. Ebenso können Verschleierungsmaßnahmen und Manipulationen durch den Täter vorsatzindizierend wirken. Aufgrund der Vielgestaltigkeit der denkbaren Möglichkeiten kann insoweit eine abschließende Aufzählung der möglichen Indizien nicht gelingen; maßgeblich werden immer die Umstände des konkreten Einzelfalles sein. Ein (offener) Katalog möglicher Indizien wird im 6. Kapitel dieser Schrift aufgezeigt. 2. Feststellung möglicher Alternativerklärungen

Gelingt es, mit Hilfe von Indizien eine Vorsatzhypothese aufzustellen, so darf daraus nicht ohne weiteres vorschnell der Schluss auf den Vorsatz gezogen werden. Vielmehr ist die aufgestellte Hypothese einer Überprüfung zu unterziehen. Dies geschieht dadurch, dass zunächst alle denkbaren alternativen Erklärungen (Gegenhypothesen) ermittelt werden. Bei der Feststellung des Vorsatzes hätte man also – zusammenfassend gesagt – zu untersuchen, ob die Hypothese „Vorsatz“ durch die Gegenhypothese „Vertrauen auf den guten Ausgang“ widerlegt werden kann. Das Vertrauen auf den guten Ausgang kann als „globale Gegenhypothese“ aber keinen verlässlichen Ausschluss des Vorsatzes ermöglichen. Vielmehr muss die globale Gegenhypothese – ebenso wie zuvor die belastende Hypothese – in spezielle Einzelhypothesen zerlegt werden252. Maßgeblich dürfen dabei aber nicht bloß denktheoretisch mögliche, sondern nur tatsachenfundierte Alternativerklärungen sein253. Auch diese Alternativerklärungen können nicht abstrakt und abschließend ermittelt werden, da sie vom einschlägigen Delikt und dem konkreten Sachgeschehen abhängen. Gleichwohl muss die Ermittlung möglicher Alternativerklärungen nicht notwendig unsystematisch bleiben. Ansatzpunkte für eine mögliche Gegenhypothese können sich aus einer etwaigen Einlassung 252 253

Frisch, in: GS-Meyer, S. 533, 556. Vgl. BGH NStZ-RR 2005, S. 147, 148.

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2. Teil, 5. Kap.: Die Methode der prozessualen Beweisführung

des Täters (zum Beispiel der Berufung auf einen Irrtum), aus dem gesamten äußeren Geschehen sowie aus den Kenntnissen und der Interessenlage des Täters ergeben. Eine mögliche, aber naturgemäß nicht randscharfe und abschließende Einteilung der möglichen Bereiche hat Frisch vorgezeichnet254, wobei zweckmäßigerweise schon die Ermittlung der für Vorsatz sprechenden Indizien an dieser groben Einteilung orientiert wird. In Betracht kommen insoweit die nachfolgend darzustellenden Bereiche, die je nach Deliktsart und Lebenssachverhalt variieren können. Die konkreten Einzelheiten speziell zur Vorsatzfeststellung bei § 266 werden im 6. Kapitel gesondert dargestellt und daher hier zunächst weitgehend zurückgestellt. a) Art und Qualität des Wissens bzw. spezifische Einschränkungen des Wissens oder der Wahrnehmungsfähigkeit Im Bereich der Art und Qualität des allgemeinen Wissens255 kann zum Beispiel gefragt werden, ob der Täter überhaupt das einschlägige Wissen von den möglichen Folgen seiner Handlungen haben konnte. Wäre dies nämlich nicht der Fall, so wäre das hypothetische Vorsatzwissen ausgeschlossen. Hier können namentlich (sozialtypische) Vorerfahrungen eine Rolle spielen256. Insoweit wäre an einen von Kargl geschilderten Beispielsfall zu denken, in dem es um einen Angeklagten ging, der möglicherweise deswegen nicht wusste, dass der Tritt gegen einen anderen Menschen und der dadurch verursachte Sturz auf den Hinterkopf tödliche Folgen haben kann, weil er selbst in seiner Kindheit geprügelt wurde und zahlreiche ähnliche Tritte ohne „ernste“ Folgen überstanden hatte257. In Fällen, in denen Säuglinge durch heftiges Schütteln tödlich verletzt werden, muss genauestens ermittelt werden, ob dem medizinischen Laien mit möglicherweise geringem Bildungsstand die mögliche Todesfolge überhaupt bekannt war258, wobei Heftigkeit und Dauer des Schüttelns weiteren Aufschluss bezüglich des Vorsatzes geben können. In anderen Deliktsbereichen, namentlich bei § 266, spielt weniger ein solches „allgemeines Wissen“ eine Rolle als vielmehr eine etwaige berufliche Ausbildung sowie einschlägige Berufserfahrungen, wie noch zu zeigen sein wird259. 254 Frisch, in: GS-Meyer, S. 533, 556 ff.; ihm folgend MünchKommStGB/ Schneider, § 212 Rn. 11. Ähnlich, jedoch weniger systematisiert, Scheffler, JURA 1995, S. 349, 356. 255 Vgl. Frisch, in: GS-Meyer, S. 533, 557. 256 Vgl. Freund, Tatsachenfeststellung, S. 29. 257 Kargl, Vorsatz, S. 24 f. 258 Vgl. NK-StGB-Puppe, § 15 Rn. 89. 259 Unten 6. Kapitel, A. III. 1. b) bb).

B. Die Methode der Vorsatzfeststellung

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Daneben kann im Einzelfall auch zu erwägen sein, ob die Wahrnehmungsfähigkeit des Täters generell oder zumindest zur Tatzeit eingeschränkt war. Einschränkungen der Wahrnehmungsfähigkeit können zum Beispiel aus einer Fehlsichtigkeit oder Schwerhörigkeit resultieren260. Beispielhaft: Erschießt der Täter bei einer Jagd einen anderen Menschen, so wäre der Frage nachzugehen, ob er das Opfer versehentlich für das Wild gehalten hat, wofür eine Kurzsichtigkeit sprechen könnte261. Die Vorsatzhypothese, die sich aus der Tatsache des Schusses auf einen anderen Menschen ergeben hat, wäre damit unter Umständen entkräftbar. Bei § 142 könnte die aus dem objektiv lauten Aufprallgeräusch geschlussfolgerte Vorsatzhypothese dadurch widerlegt werden, dass die Wahrnehmungsfähigkeit des Fahrers infolge lauten Radiohörens oder der Ablenkung durch Mitinsassen beeinträchtigt war262. b) Art des geschaffenen Risikos und spezifische Gestalt der Tathandlungen Aufschlussreich kann eine nähere Betrachtung der Art des geschaffenen Risikos und der spezifischen Gestalt der Handlung sein263. Schafft der Täter hohe Risiken, zum Beispiel durch eine gefährliche Gewalthandlung, so wird man regelmäßig annehmen können, dass er vorsätzlich gehandelt hat. Zwingend ist dies aber nicht. So könnte der Täter generell zur Gefahrbagatellisierung neigen und das Risiko verdrängt haben264. Hat der Täter dagegen ein zwar unerlaubtes, aber gleichwohl (statistisch) nur geringes Risiko geschaffen, so kann mitunter das Vertrauen auf den guten Ausgang nicht widerlegt werden265. Näherer Betrachtung bedürfen auch die Art und Ausführung der Tathandlung, namentlich auch die Art der Tatmittel. Gerade im Bereich der Körperverletzungs- und Tötungsdelikte wird berücksichtigenswert sein, ob der Täter ein speziell für eine (tödliche) Verletzung geschaffenes Werkzeug (zum 260

Vgl. Freund, Tatsachenfeststellung, S. 28 f. Ebenso Freund, Tatsachenfeststellung, S. 32. 262 Vgl. Geppert, in: LK, 11. Auflage, § 142 Rn. 169. 263 Vgl. Frisch, in: GS-Meyer, S. 533, 556 f. Will man, wie beispielsweise Schünemann, in: FS-Hirsch, S. 363, 374, auch den Aspekt der Erlaubtheit oder Unerlaubtheit des Endzwecks der Handlung einbeziehen, so darf dabei aber nicht, worauf Schünemann zu Recht selbst hinweist (a. a. O., Fußnote 36), eine Zurechnung infolge eines versari in re illicita erfolgen, das Schuldurteil also nicht allein auf die Bejahung eines unerlaubten Verhaltens gestützt werden, da dies gegen das Schuldprinzip verstoßen würde. 264 Vgl. Freund, Tatsachenfeststellung, S. 33. 265 Vgl. Frisch, in: GS-Meyer, S. 533, 557. 261

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2. Teil, 5. Kap.: Die Methode der prozessualen Beweisführung

Beispiel Schusswaffe) verwendet hat oder ein nicht eigens für diesen Zweck geschaffenes Tatmittel benutzt hat. Die Verwendung einer Schusswaffe muss aber nicht zwingend für Vorsatz sprechen. Der Täter könnte nämlich die Waffe nur zum Zwecke der Einschüchterung oder Drohung benutzt und die dabei herbeigeführte Verletzung fahrlässig verursacht haben. Eine solche Alternativerklärung würde man zumindest bei entsprechenden Anhaltspunkten zu untersuchen haben266. Anhaltspunkte können sich auch aus der spezifischen Vorgehensweise ergeben. Bei den Untreuedelikten bieten namentlich Täuschungs- und Verschleierungsmaßnahmen Aufschluss. So kann – um hier kurz vorzugreifen267 – ein durch Verschleierungsmaßnahmen gekennzeichnetes Verhalten für die Hypothese sprechen, dass der Täter vorsätzlich gehandelt hat. Zugleich wird aber zu überprüfen sein, ob es für die Verschleierungsmaßnahmen ausnahmsweise plausible Alternativerklärungen gibt, die jedenfalls den Rückschluss auf den Untreuevorsatz ausschließen. Ob und inwieweit das Nachtatverhalten indiziell für den Vorsatz sein kann, wird später zu erörtern sein268. c) Tatsituation Des Weiteren kann auch die vorgefundene Tatsituation Rückschlüsse ermöglichen269. Dunkelheit zur Tatzeit könnte verhindert haben, dass der Täter bestimmte deliktsspezifische Umstände wahrnehmen konnte (hier könnte man auch auf den Aspekt der fehlenden Wahrnehmungsfähigkeit abstellen). Bei dem Vorwurf eines ordnungswidrigen Rotlichtverstoßes könnte der Betroffene bei Begehung des Verstoßes beispielsweise von der Sonne derart geblendet worden sein, dass er die Umschaltung der Ampel nicht gesehen hat. Daher müssen bei einem Rotlichtverstoß die Geschwindigkeit sowie die Lichtverhältnisse zur Tatzeit rekonstruiert werden270. Relevanz kann auch die Frage haben, ob es sich um eine Routine- oder Ausnahmesituation handelte271. Agierte der Täter in einer Eilsituation, so kann dies zur Annahme führen, dass er keine ausreichende Gelegenheit hatte, mögliche Risiken überhaupt zu bedenken. 266 Siehe beispielsweise den Fall der „Neujahrsschützin“, BGH JR 1988, S. 115 f. = NStZ 1987, S. 362 f. 267 Näher dazu im 6. Kapitel, A. III. 2. b). 268 Siehe 6. Kapitel, A. III. 2. b) cc). 269 Vgl. Frisch, in: GS-Meyer, S. 533, 557 f. 270 Vgl. Wrage, NZV 2002, S. 196, 197 f. 271 Vgl. Frisch, in: GS-Meyer, S. 533, 558.

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d) Allgemeine Disposition des Täters sowie Motive und Interessenlage Weiterhin kann die allgemeine Disposition des Täters ermittelt werden. So kann unter Umständen die Feststellung indizielle Bedeutung haben, ob es sich bei dem Täter um einen optimistisch eingestellten Menschen oder einen Skeptiker handelt272. Wer von seiner Natur her eher optimistisch eingestellt ist (oder zur Bagatellisierung von Risiken neigt), könnte auch im konkreten Fall eine – objektiv für Vorsatz sprechende – Gefährdung nicht gesehen haben, wo sie der Skeptiker zumindest für möglich gehalten hätte273. Es darf aber insoweit nicht übersehen werden, dass eine solche optimistische Grundeinstellung belegt sein muss und dem Täter regelmäßig auch nur bei geringeren Risiken zugutekommen kann. Der konkrete Sachverhalt muss auch einem solchen Täter flankierend Anhaltspunkte geben, um optimistisch auf den guten Ausgang zu vertrauen; fehlt es an einer solchen Vertrauensbasis – so zum Beispiel bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen bei Fehlen sonstiger Vertrauensaspekte –, kann der Optimismus allein die Vorsatzhypothese schwerlich widerlegen274. Berücksichtigenswert können schließlich auch eine etwaige Selbstgefährdung des Täters275 oder das Fehlen eines Tatmotivs sein276. 3. Alternativenausschluss

Nach Ermittlung der möglichen Alternativerklärungen müssen, wenn die Hypothese Vorsatz als zutreffend erwiesen werden soll, die gefundenen Alternativerklärungen anhand von Erfahrungssätzen als irrelevant verworfen werden (Alternativenausschluss). Dabei erfolgt auch dieser Alternativenausschluss nicht gefühlsmäßig und irrational oder anhand von Wahrscheinlichkeiten. Vielmehr ist eine Alternativerklärung nur dann auszuschließen, wenn sie mit dem Gesamtsachverhalt unvereinbar ist277. Verworfen werden kann eine Gegenhypothese jedenfalls dann, wenn sie empirisch ausgeschlossen ist278. Mitunter wird jedoch eine Alternativhypothese nur als 272 Frisch, in: GS-Meyer, S. 533, 558; MünchKommStGB/Schneider, § 212 Rn. 11. 273 Vgl. Frisch, in: GS-Meyer, S. 533, 558. 274 Ebenso MünchKommStGB/Schneider, § 212 Rn. 11. Siehe auch Freund, Tatsachenfeststellung, S. 33. 275 Vgl. Frisch, in: GS-Meyer, S. 533, 560; Scheffler, JURA 1995, S. 349, 355; Wrage, NZV 2002, S. 196, 198. 276 Vgl. BGH StV 1994, S. 13, 14. Hierzu noch im 6. Kapitel, A. III. 2. c). 277 Vgl. Frisch, in: GS-Meyer, S. 533, 555; MünchKommStGB/Schneider, § 212 Rn. 11. 278 Frisch, in: GS-Meyer, S. 533, 561.

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2. Teil, 5. Kap.: Die Methode der prozessualen Beweisführung

mehr oder weniger zweifelhaft eingestuft werden können. Wichtig ist daher, dass der Tatrichter das äußere Geschehen umfassend als fundierte Basis für die Gewinnung vorsatzindizierender Anhaltspunkte, entsprechender Gegenaspekte und deren Ausschluss ermittelt und darlegt. Geht es beispielsweise um den Vorsatznachweis bei einem Körperverletzungs- oder Tötungsdelikt, so könnte, wie ausgeführt, bei der Schaffung eines hohen Risikos durch eine gefährliche Gewalthandlung zunächst die Hypothese Vorsatz aufgrund der Indizien „hohes Risiko“ und „gefährliche Gewalthandlung“ aufgestellt werden. Bringt der Täter als Alternativerklärung hervor, er habe die Risikodimension nicht erfasst, weil er generell zur Bagatellisierung neige, so ist diese Alternativerklärung auf ihre Haltbarkeit bzw. Ausschließbarkeit zu überprüfen. Regelmäßig wird die Berufung auf eine Gefahrbagatellisierung in Fällen außerordentlich hoher Risiken nicht glaubwürdig erscheinen, denn ersichtlich hohe Risiken können auch den optimistischen Menschen nicht mehr auf den guten Ausgang vertrauen lassen279. Diese Alternativerklärung dürfte daher regelmäßig ausschließbar sein. Gleichwohl wäre zumindest bei Bestehen entsprechender Anhaltspunkte zu erwägen, ob die Alternativerklärung der Verkennung der Gefahrdimension im Einzelfall beispielsweise mit einem Intelligenzmangel oder einer Alkoholisierung als plausibel und unwiderlegbar bewertet werden könnte. Hat sich der Angeklagte in seiner Einlassung auf einen Irrtum als Gegenhypothese berufen, so hat der Tatrichter alle Indizien in die Beweiswürdigung mit einzubeziehen, die an einem Irrtum Zweifel aufkommen lassen können280. In einem solchen Fall kann eine Vielzahl belastender Indizien in der Gesamtschau dazu führen, dass die an sich mögliche Alternativerklärung als irrelevant verworfen werden muss, weil sie aufgrund der Häufung der belastenden Indizien nicht mehr plausibel erscheint281. Kann der Tatrichter im konkreten Fall eine denkbare Alternativerklärung nicht sicher ausschließen, so ist eine Verurteilung nicht möglich. Veranschaulichen lässt sich das Verfahren mit Hilfe der notwendig vereinfachten Skizze auf der gegenüberliegenden Seite. Die konkrete Anwendung der Methode auf den subjektiven Tatbestand des § 266 soll im 6. Kapitel erfolgen.

279

Ebenso Freund, Tatsachenfeststellung, S. 33. Vgl. BGH NJW 2006, S. 522, 526 (insoweit nicht abgedruckt in BGHSt 50, S. 331 ff. [Mannesmann/Vodafone]). 281 Vgl. Freund, Tatsachenfeststellung, S. 24. 280

C. Ergebnis

245

Hypothese: (bedingter) Vorsatz Indizien

Indizien Alternativerklärung(en) vorhanden?

(–)

(+)

widerlegbar

Vorsatznachweis (+)

nicht widerlegbar

Vorsatznachweis (–)

C. Ergebnis Die prozessuale Beweisführung erfolgt nicht über eine Anhäufung von Indizien oder über die Feststellung bestimmter objektiver oder subjektiver Wahrscheinlichkeiten. Die nach § 261 StPO erforderliche volle Überzeugung hat der Richter im Wege des sogenannten Alternativenausschlussverfahrens zu gewinnen. Danach ist auf der Grundlage einer umfassenden Ermittlung des tatsächlichen Geschehens zunächst mit den ermittelten Indizien die Hypothese einer vorsätzlichen Tatbegehung aufzustellen. Sprechen die Indizien für eine vorsätzliche Tatbegehung, so müssen im nächsten Schritt etwaige plausible Alternativerklärungen, die für die Gegenhypothese des Vertrauens auf den guten Ausgang sprechen könnten, anhand von Erfahrungssätzen überprüft werden. Können die Alternativerklärungen ausgeschlossen werden, so ist die Vorsatzhypothese – vorbehaltlich etwaiger, nicht bloß abstrakt-theoretischer Zweifel des Richters – erwiesen. Ist die Alternativerklärung nicht ausschließbar, so ist der Vorsatznachweis gescheitert.

246

2. Teil, 6. Kap.: Die untreuespezifische Vorsatzfeststellung

6. Kapitel

Die untreuespezifische Vorsatzfeststellung Die bisher erarbeiteten Ergebnisse sollen nunmehr konkret auf den Untreuetatbestand angewendet werden. Dabei ist noch einmal die obige Erkenntnis zu vergegenwärtigen, dass eine abschließende Erfassung aller Indizien sowie der Erfahrungssätze aufgrund der Abhängigkeit vom konkreten Einzelfall nicht möglich ist282. Die nachfolgende „Anleitung“ zur untreuespezifischen Vorsatzfeststellung kann daher nur als eine Art offener Katalog verstanden werden283, der von der Dynamik der jeweiligen Einzelfälle lebt. Ziel ist daher in erster Linie, die aufgezeigte Struktur der Beweisführung – das Alternativenausschlussverfahren – an einem konkreten Delikt zu verdeutlichen. Zugleich soll gezeigt werden, dass die Indizien- und Indikatorenmodelle, ergänzt man sie um diese Methode, den Vorwurf der Willkürlichkeit oder Manipulierbarkeit nicht verdienen. Dem Rechtsanwender wird ein Instrument an die Hand gegeben, mit dem er den Einzelfall unter Berücksichtigung der jeweiligen Besonderheiten adäquat lösen kann. Zugleich soll aufgezeigt werden, welche Aspekte des äußeren Geschehens, aber auch der Interessenlage des Täters in Rechtsprechung und Schrifttum bei der Vorsatzfeststellung im Rahmen des § 266 als Indizien und Gegenindizien (bzw. Indikatoren und Gegenindikatoren) eine Rolle spielen. Die erörterte besondere Struktur des Untreuetatbestandes („Verzahnung“)284 wirkt sich auch auf die prozessuale Feststellung des Vorsatzes aus: Je nach Einzelfall wird in der Praxis der Schwerpunkt beim Pflichtwidrigkeitsvorsatz oder beim Schädigungsvorsatz liegen. Beispielhaft: Geht es um einen Fall, in dem vom Schädigungsvorsatz auf den Pflichtwidrigkeitsvorsatz rückgeschlossen werden kann285, so wird der Schwerpunkt der Vorsatzfeststellung beim Schädigungsvorsatz liegen (nach hier vertretener Ansicht insbesondere regelmäßig in den Bankuntreuefällen286). In Fällen, in denen es um per se kompensationslose Vermögensminderungen geht (zum 282

4. Kapitel, C. IV. 3. Vgl. Hassemer, in: GS-Kaufmann, S. 289, 307. Immerhin aber wird mit dieser beispielhaften Umsetzung ins Konkrete verdeutlicht, welche Indizien und Gegenindizien insbesondere in der Rechtsprechung bei der Untreuevorsatzfeststellung von Bedeutung sind und wie das Alternativenausschlussverfahren konkret anzuwenden ist; oft wird eine solche konkrete Umsetzung von Vorschlägen zu Definition bzw. Nachweis des Vorsatzes im Schrifttum nicht geleistet, siehe z. B. Hruschka, in: FSKleinknecht, S. 191, 202; Schünemann, in: FS-Hirsch, S. 363, 375; anders jedoch Freund, Tatsachenfeststellung, S. 32 ff. 284 1. Kapitel, A. V. 285 2. Kapitel, A. II. 1. 286 3. Kapitel, A. III. 1. 283

A. Anwendung des Alternativenausschlussverfahrens auf § 266

247

Beispiel bei einer Unternehmensspende für karitative Zwecke287), wird der Schwerpunkt bei der Frage der Pflichtwidrigkeit liegen, da die Vermögensminderung („Schaden“) offensichtlich ist.

A. Die Anwendung des Alternativenausschlussverfahrens auf § 266 I. Beweissituation 1: Explizite Äußerungen des Täters über Untreuerelevanz 1. Sicheres Wissen

a) Vorsatzhypothese Im Rahmen der Prüfung des Untreuevorsatzes wird Ausgangspunkt der tatrichterlichen Ermittlungen die Frage sein, ob der Täter selbst vor, bei oder nach der Tatbegehung mündliche oder schriftliche Äußerungen getätigt hat, die belegen, dass er die Untreuerelevanz seines Verhaltens insgesamt (das heißt seine Vermögensbetreuungspflicht, die Treupflichtverletzung und den Vermögensschaden) zum Tatzeitpunkt sicher erkannt hat. Entsprechende mündliche oder schriftliche Äußerungen können unter Umständen durch Zeugen- bzw. Urkundsbeweis bewiesen werden. Ein solcher Fall expliziter und nachweisbarer Äußerungen des Täters ist nicht ausgeschlossen, dürfte aber auch nicht sehr wahrscheinlich sein. Schriftliche Äußerungen wird der Täter vielleicht – wenn er entsprechenden Zugriff hat – vernichten. Gibt es ausnahmsweise schriftliche Aufzeichnungen oder Zeugenaussagen, so können diese die Vorsatzhypothese stützen. Denkbar sind auch Einlassungen oder ein Geständnis des Täters bezüglich der Kenntnis der Untreuerelevanz im Ermittlungsverfahren oder im Strafprozess. Erforderlich sind in diesem Fall eine Würdigung von Einlassung oder Geständnis und eine umfassende Aufklärung des Sachverhaltes, um die Richtigkeit der Aussagen zur Vermeidung eines Fehlurteils zu verifizieren bzw. eine Verurteilung auch im Falle eines späteren Widerrufes zu ermöglichen288. Daher wird auch in solchen Fällen des Nachweises expliziter Äußerungen des Täters das (sonstige) objektive Geschehen, mit dem Zeugenaussage, Urkunde oder Geständnis in Einklang stehen müssen, eine Rolle spielen.

287

Dazu im 1. Kapitel, A. V. 2. Siehe dazu Eisenberg, Beweisrecht, Rn. 726 ff. Dazu bereits oben, 4. Kapitel, A. 288

248

2. Teil, 6. Kap.: Die untreuespezifische Vorsatzfeststellung

b) Mögliche Alternativerklärungen und deren Ausschluss Als Vorsatzgegenhypothese kommt in einem solchen Fall beispielsweise die Unrichtigkeit der belastenden Zeugenaussage oder die Fälschung der belastenden Urkunde in Betracht. Beruft sich der Täter hierauf oder gibt es entsprechende Anhaltspunkte, so sind diese, aber auch sonstige Alternativerklärungen, die sich im konkreten Einzelfall ergeben, auszuschließen, um die Hypothese Vorsatz zu belegen. Geht es um die Behauptung einer Falschaussage oder einer Urkundenfälschung, so sind diese Beweismittel nach den üblichen Regeln im Strafprozess zu überprüfen289. Lassen sich keinerlei tatsachenfundierte Anhaltspunkte für eine unrichtige Zeugenaussage oder eine Urkundenfälschung feststellen, so wird der Richter regelmäßig zur subjektiven Gewissheit hinsichtlich des Untreuevorsatzes gelangen können. Bestehen aber tatsächliche Anhaltspunkte für eine Manipulation der Beweismittel, so kann der Vorsatznachweis jedenfalls mit diesen Beweismitteln nicht mehr gelingen. 2. Möglichkeitswissen

Denkbar ist, dass sich aus mündlichen oder schriftlichen Äußerungen des Täters ergibt, dass er die Untreuerelevanz zwar nicht sicher vorausgesehen, aber für möglich gehalten hat. In diesem Fall kann eine Tatbegehung mit dolus eventualis in Betracht kommen. Voraussetzung für die Bejahung des Wissenselementes wäre auch in diesem Fall, dass entweder keine Alternativerklärungen, die gegen das (Möglichkeits-)Wissen sprechen könnten, ersichtlich sind oder dass solche Alternativerklärungen ausgeschlossen werden können (vorstehend 1.). Lässt sich mit der dargelegten Methode das Möglichkeitswissen nachweisen, so sind nach dem hier vertretenen materiellrechtlichen Vorsatzbegriff neben diesem Möglichkeitswissen eine Ernstnahme der Gefahr und ein Sichabfinden, also eine Entscheidung für die Rechtsgutverletzung, erforderlich. Lässt sich dies nicht schon anhand der Äußerungen des Täters nachweisen, so wird es insoweit auf das gesamte äußere Tatgeschehen und die Motive bzw. Interessenlage des Täters ankommen, was im Abschnitt III. 2. näher erörtert wird.

289

Einzelheiten zur Aussagewürdigung bei Eisenberg, Beweisrecht, Rn. 1362 ff. Im Falle des Bestreitens der Echtheit einer Urkunde oder bei entsprechenden Anhaltspunkten für eine Fälschung wird die Echtheit der Urkunde zu überprüfen sein.

A. Anwendung des Alternativenausschlussverfahrens auf § 266

249

II. Beweissituation 2: Hinweis eines Dritten auf Untreuerelevanz 1. Sicheres Wissen

Sind keine Äußerungen des Täters selbst auf die Kenntnis oder Möglichkeitskenntnis der Untreuerelevanz vorhanden bzw. nachweisbar, so kann der Nachweis eines entsprechenden ausdrücklichen Hinweises eines Dritten gegenüber dem Täter auf die Untreuerelevanz des konkreten Falles vor Tatbegehung in Betracht kommen. Ein solcher Hinweis kann sich zum Beispiel in Gutachten und Vermerken finden oder mündlich von einem Dritten (beispielsweise einem Rechtsanwalt oder Wirtschaftsprüfer) erteilt worden sein. Wichtig ist daher, dass im Ermittlungsverfahren alle relevanten Unterlagen sichergestellt werden. Beispielhaft: In einem Fall von Untreue zu Lasten eines gemeinnützigen Vereins bejahte das OLG Hamm die Kenntnis zumindest eines der Angeschuldigten von der möglichen Satzungs- und Pflichtwidrigkeit deswegen, weil dieser vom übergeordneten Landesverband auf die Bedenken hingewiesen wurde290. Im bereits erörterten Fall Mannesmann/Vodafone, in dem es um die Frage der Rechtmäßigkeit sogenannter Anerkennungsprämien ging291, erwähnt der BGH in den Urteilsgründen, dass die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG gegenüber dem Angeklagten Ackermann mündliche und schriftliche Bedenken zu den fraglichen Sonderzahlungen hinsichtlich ihrer Vertragsgrundlage, Veranlassung und Größenordnung geäußert hatte292. In einem solchen Fall wird der Tatrichter im Einzelnen zu prüfen haben, ob und inwieweit aus den Hinweisen und Gutachten (sicher) entnommen werden kann, dass das begutachtete Vorhaben im Sinne des § 266 pflichtwidrig ist. Im konkreten Fall ging die KPMG in ihrer Stellungnahme wohl nicht von einer definitiven Unzulässigkeit aus (zumal auch höchstrichterliche Rechtsprechung zur Problematik fehlte); infolgedessen kann insoweit allenfalls Möglichkeitswissen nachgewiesen werden. Im Bereich der Kreditvergabefälle können sich Hinweise auf die fehlende Bonität und eine unzureichende Sicherheitenposition des Kreditnehmers, die zu einer Wertminderung des Kreditrückzahlungsanspruches führen, beispielsweise aus Kreditbeschlussvorlagen293, Prüfberichten interner oder ex290

OLG Hamm wistra 1999, S. 350, 354. 2. Kapitel, A. II. 4. Siehe auch 1. Kapitel, A. IV. 2., sowie unten III. 2. b) aa) (3) (a). 292 BGH NJW 2006, S. 522, 527 (insoweit nicht abgedruckt in BGHSt 50, S. 331 ff.). Siehe dazu auch die detaillierte Sachverhaltsdarstellung bei Hüffer, BB 2003, Beilage 7, S. 1, 7 f. 291

250

2. Teil, 6. Kap.: Die untreuespezifische Vorsatzfeststellung

terner Bankprüfer294, internen Aktenvermerken oder externen anwaltlichen Gutachten, ergeben295. Ergibt sich demgegenüber aus einem Gutachten, dass die beabsichtigte Handlung gerade nicht pflichtwidrig ist, so muss der Handelnde jedenfalls dann auf den Rechtsrat vertrauen dürfen, wenn es sich bei der gutachterlichen Auskunft um den fundiert begründeten Rechtsrat einer sachkundigen und unvoreingenommenen Person handelt, die keine mit der Entscheidung verbundenen Eigeninteressen verfolgt296 (zur Gewichtung widersprüchlicher Informationsquellen nachstehend unter 3. c)). Sorgfältig zu prüfen ist also, ob es sich nicht um ein reines – womöglich nachträgliches – Gefälligkeitsgutachten handelt, das nur dem Zweck dient, den Täter vor strafrechtlichen Konsequenzen zu bewahren. 2. Möglichkeitswissen

Enthalten die mündlichen oder schriftlichen Dritthinweise keine eindeutige Positionierung hinsichtlich der Untreuerelevanz (so zum Beispiel wenn das auf den konkreten Fall bezogene Gutachten auf eine fehlende höchstrichterliche Entscheidung zu der geplanten Handlung und divergierende Ansichten im Schrifttum verweist) oder exisitieren gegensätzliche Stellungnahmen verschiedener Personen oder Auskunftsstellen, so kann dem Täter regelmäßig allenfalls Möglichkeitswissen nachgewiesen werden. Insofern kann dolus eventualis in Betracht kommen, der neben dem Möglichkeits293

Vgl. die Sachverhaltskonstellation bei OLG Karlsruhe wistra 2005, S. 72, 75: Aus den Kreditbeschlussvorlagen ergab sich für die angeklagten Entscheidungsträger der Bank, dass sich der Kreditnehmer in massiven wirtschaftlichen Schwierigkeiten befand. 294 Vgl. BGH, Entscheidung vom 25. März 1960 – 1 StR 606/59, zitiert nach Otto, Bankentätigkeit, S. 70. 295 Eine Übersicht über Unterlagen, deren Sicherstellung im Hinblick auf Straftaten im Bankbereich in Betracht kommt, gibt Knierim, in: Wabnitz/Janovsky, Wirtschaftsstrafrecht, 8. Kapitel, Rn. 63 f. 296 Vgl. BGH NStZ 2000, S. 307, 309. In dem zitierten Fall ging es allerdings um die Frage der Vermeidbarkeit eines Verbotsirrtums. Da nach hier vertretener Auffassung zum Untreuevorsatz auch das wenigstens laienhafte Verständnis der Pflichtwidrigkeit gehört (2. Kapitel, A. II. 3.), schließt der den genannten Anforderungen entsprechende Rechtsrat bereits den Vorsatz bezüglich der Pflichtwidrigkeit, nicht erst das Unrechtsbewusstsein im Sinne von § 17 aus. In diesem Sinne hat der BGH in einem Haushaltsuntreuefall die Auskunft eines Haushaltsbeauftragten gegenüber den späteren Angeklagten über die Vertretbarkeit einer Auskehrung von Haushaltsmitteln als vorsatzausschließend gewertet (BGH NJW 2001, S. 2411, 2414 = NStZ 2001, S. 248, 251 f.). Nach Koch, JZ 1980, S. 704, 710, kann die Einholung eines anwaltlichen Rechtsrates den Täter eines betrügerischen Warentermingeschäftes nicht immer exkulpieren, wenn und weil der Täter dieses Deliktes oft über größere Erfahrungen verfüge als der konsultierte Rechtsanwalt.

A. Anwendung des Alternativenausschlussverfahrens auf § 266

251

wissen eine Entscheidung für die Rechtsgutverletzung voraussetzt, deren Nachweis im Abschnitt III. 2. behandelt wird. 3. Mögliche Alternativerklärungen und deren Ausschluss

Die bloße Existenz eines der vorgenannten Dritthinweise bedeutet nicht notwendig, dass der Täter den Hinweis auch erhalten bzw. zur Kenntnis genommen und verstanden hat. Derartige Alternativerklärungen – fehlender Zugang, fehlende Kenntnisnahme – müssen also anhand des objektiven Geschehens oder mit Hilfe von Zeugen ausgeschlossen werden. a) Widerlegung der Behauptung fehlenden Zugangs des Hinweises Die Möglichkeiten, die Alternativerklärung des fehlenden Zugangs auszuschließen, sind vielfältig und können letztlich nur anhand des konkreten Einzelfalles ermittelt werden. Eine Ausschlussmöglichkeit wäre beispielsweise eine schriftliche Kenntnisnahmebestätigung oder eine Stellungnahme zum Inhalt durch den Täter selbst. Denkbar wären auch Zeugenaussagen über Äußerungen des Täters zum Erhalt bzw. Inhalt des Hinweises. Auch subtilere Nachweismöglichkeiten kommen in Betracht. So könnte im Bereich der Kredituntreue der Vermerk der Kreditabteilung, der sich mit der schlechten Bonität des Kreditnehmers in einem bestimmten Fall auseinandersetzt, neben den Ausführungen zum konkreten Fall, um dessen Kenntnisnahme durch den Täter es geht, auch Informationen zu einem anderen Thema enthalten, zum Beispiel über die Installation eines Frühwarnsystems für gefährdete Kreditengagements. Macht sich der Täter diese Informationen mit auffallender Übereinstimmung in anderem Zusammenhang nachweislich zu eigen, ist aber aufgrund ihrer Art und Detailliertheit sowie der vertraulichen Behandlung auszuschließen, dass der Täter die Informationen anderweitig erlangt haben könnte (entsprechenden Anhaltspunkten wäre aber sorgfältig nachzugehen), so wäre die Gegenhypothese des Nichterhaltes des Vermerkes beim Täter regelmäßig widerlegbar und die Behauptung der Nichtkenntnis als Schutzbehauptung zu „entlarven“. Das OLG Hamm schloss in seiner hier bereits erwähnten Entscheidung die Gegenhypothese „Nichtwissen“ bei Mitangeschuldigten sogar deshalb aus, weil es für diese Gegenhypothese schlicht keine Anhaltspunkte gab: Der Angeschuldigte B, Vorsitzender eines Kreisverbandes, hatte nachweislich Kenntnis von den Bedenken des übergeordneten Landesverbandes gegen ein bestimmtes Projekt297. Das OLG bejahte auch die Kenntnis der bei297

Siehe vorstehend unter 1.

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2. Teil, 6. Kap.: Die untreuespezifische Vorsatzfeststellung

den weiteren Mitangeschuldigten, weil es keinerlei Anhaltspunkte dafür sah, dass B die Informationen gegenüber den Mitangeschuldigten, mit denen er über zehn Jahre im Vorstand zusammengearbeitet hatte, unterdrückt haben könnte298. b) Widerlegung der Behauptung fehlender Kenntnisnahme oder Nichtverstehens trotz Zugangs Ist zumindest der Zugang des Hinweises beim Täter direkt oder im Wege des Alternativenausschlusses nachweisbar, so könnte der Täter behaupten, er habe zwar den Hinweis erhalten, ihn aber nicht zur Kenntnis genommen bzw. nicht verstanden. Relevante Anhaltspunkte, die in der Tat gegen eine Kenntnisnahme bzw. ein Verstehen des untreuerelevanten Sachverhaltes sprechen könnten, wären beispielsweise eine komplizierte und umfangreiche Darstellung der Sach- und Rechtslage in einem Gutachten, das sich nicht im Kern mit den untreuerelevanten Aspekten befasst. Aspekte wie Arbeitsüberlastung299 und die Dringlichkeit der Entscheidungssituation spielen in der Rechtsprechung ebenfalls eine Rolle300. Beruft sich der Täter auf die mangelnde Kenntnisnahme aufgrund der Eilbedürftigkeit der Entscheidungssituation oder seiner Arbeitsüberlastung, so wird anhand des Gesamtgeschehens zu überprüfen sein, ob es für diese Alternativerklärungen entsprechende tatsächliche Anhaltspunkte gibt. Indes darf der Tatrichter nach Ansicht des BGH an die Überzeugungsbildung nicht zu hohe Anforderungen stellen. So befand der BGH in einem Fall von Untreue bei Kreditvergabe, dass sich den Angeklagten die Pflichtwidrigkeit geradezu aufgedrängt haben müsse, weil sie sich wiederholt mit dem Problemkredit befasst hatten, ständig neue Komplikationen auftraten und es sich um eine langjährige Geschäftsbeziehung zu dem Kreditkunden handelte301. In einem solchen Fall intensiver Befassung mit dem Problem298

OLG Hamm wistra 1999, S. 350, 354. Vgl. BGHSt 44, S. 376, 387. 300 Vgl. RGSt 76, S. 115, 116 f. Ähnlich auch das OLG Düsseldorf WM 1996, S. 1366, 1370, in einer Entscheidung zu § 826 BGB: Die Abstimmungsentscheidung, um die es in dem Fall ging, war von einem „Höchstmaß an Erregung, Dramatik und Anspannung“ getragen, sodass die Beteiligten die Konsequenzen ihres Verhaltens kaum zutreffend beurteilen konnten. 301 BGHSt 47, S. 148, 156 (Sparkasse Mannheim). Der BGH bezieht diese Ausführungen an sich auf den Nachweis des Pflichtwidrigkeitsvorsatzes. Ebenso können die genannten Indizien aber belegen, dass die Entscheidungsträger sich angesichts der Problembehaftung des Kreditengagements der (zumindest möglichen) Minderwertigkeit des Rückzahlungsanspruches und damit der (möglichen) schadensgleichen Gefährdung bzw. Schädigung des Bankvermögens bewusst waren. Da nach hier vertretener Ansicht in den Bankuntreuefällen der Pflichtwidrigkeitsvorsatz aus 299

A. Anwendung des Alternativenausschlussverfahrens auf § 266

253

fall wird also ein Angeklagter mit seiner Behauptung, die Hinweise bezüglich der Minderwertigkeit des Kreditrückzahlungsanspruches in einem Vermerk oder einer Beschlussvorlage nicht zur Kenntnis genommen zu haben, kaum durchdringen können, sodass die Alternative „Nichtwissen“ ausgeschlossen werden kann. Dabei ist jedoch in jedem Einzelfall und für jeden Entscheidungsträger gesondert festzustellen, inwieweit er tatsächlich mit dem problembehafteten Kreditengagement vertraut ist. Hat der jeweilige Entscheidungsträger an bisherigen Besprechungen des Kreditfalles nicht teilgenommen, zum Beispiel weil er neu in die Bank eingetreten ist, so ist nicht unbedingt davon auszugehen, dass sich auch ihm die mögliche Minderwertigkeit aufgedrängt hat. Anders wäre es allerdings wiederum, wenn die wirtschaftliche Situation des Kredites nachweislich ausführlich in der Beschlusssitzung erörtert worden ist oder sich eindeutig aus der Beschlussvorlage des Kreditsachbearbeiters ergibt (Nachweis durch Sitzungsprotokolle und Beschlussvorlagen, Zeugenaussagen). Betrifft der Dritthinweis nicht den konkreten Fall, sondern lediglich eine gleich oder ähnlich gelagerte Sachverhaltskonstellation, so muss ermittelt werden, ob der Täter die Erwägungen bezüglich der Untreuerelevanz auf den konkreten Fall „übertragen“ hat. Insoweit wird es – neben dem Berufsoder Erfahrungswissen (Näheres unter III. 1. b)) – eine Rolle spielen, ob die Sachverhalte weitgehende Übereinstimmung aufweisen oder nur vage vergleichbar sind. Letzteres würde für den Täter streiten, der sich dahingehend einlässt, er habe im konkreten Fall die Untreuerelevanz nicht für einschlägig gehalten, sondern (aufgrund bestimmter tatsachenfundierter Aspekte) auf die Rechtmäßigkeit vertraut. c) Unterschiedliche Informationsquellen mit gegensätzlichen Inhalten Hat der Täter aus unterschiedlichen Informationsquellen302 gegensätzliche Hinweise dergestalt erhalten, dass eine Quelle die Untreuerelevanz bejaht, die andere Quelle sie verneint, so ist, bei nachgewiesener Kenntnisnahme beider Hinweise, zu fragen, ob der Täter auf diejenige Variante vertraut hat, die die Untreuerelevanz verneint hat. Ohne weiteres zugunsten des Täters wäre es zu werten, wenn es aus seiner Sicht Gesichtspunkte gibt, die es plausibel erscheinen lassen, gerade auf das die Untreuerelevanz verneinende Gutachten zu vertrauen. Derartige Gesichtspunkte könnten zum Beispiel die Ausführlichkeit und Fundiertheit des Gutachtens bzw. das Redem Schädigungsvorsatz rückgeschlossen werden kann, ergeben sich im Ergebnis keine Abweichungen. 302 Vgl. Frisch, in: GS-Meyer, S. 533, 557.

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2. Teil, 6. Kap.: Die untreuespezifische Vorsatzfeststellung

nommee des Gutachters sein. Aber auch bei Fehlen derartiger Gesichtspunkte wird man regelmäßig zugunsten des Täters argumentieren müssen. So konnte sich die 2. Zivilkammer des Landgerichts Bonn in einem neueren Fall, in dem es um Schadensersatzansprüche eines Insolvenzverwalters gegen Abschlussprüfer wegen einer Pflichtverletzung bei der Prüfungstätigkeit ging, von einer zumindest bedingt vorsätzlichen Vorgehensweise nicht überzeugen303. Die beklagten Abschlussprüfer hatten die Verbuchung der Erhöhung einer Optionsgebühr in der Bilanz unter Berufung auf eine Stimme in der Literatur unbeanstandet gelassen. Das Landgericht konnte nicht ausschließen, dass die Bezugnahme auf die Mindermeinung durch die Beklagten Ausdruck des Vertrauens auf die Vertretbarkeit ihres Handelns und damit der Pflichtgemäßheit war. Somit konnte das Landgericht nur eine fahrlässige Pflichtverletzung bejahen. Ist aber ein Gutachten, das die Untreuerelevanz verneint, offensichtlich oberflächlich, sachunkundig und von einer dem Täter interessenmäßig nahestehenden Person verfasst, so könnte das Vertrauen des Täters gerade auf dieses Gutachten entkräftet werden. III. Beweissituation 3: Fehlen expliziter Äußerungen des Täters oder expliziter Hinweise Dritter Sind keine expliziten Äußerungen des Täters oder Dritter zur definitiven oder möglichen Untreuerelevanz vorhanden, gestaltet sich der Nachweis des Vorsatzes erheblich schwieriger. Tendenziell wird vermutlich in diesen Fällen eher dolus eventualis in Erwägung gezogen, weshalb die folgenden Ausführungen in erster Linie auf den Nachweis des Eventualdolus bezogen werden. Nicht ausgeschlossen ist natürlich, dass trotz Fehlens expliziter Äußerungen des Täters oder Hinweise Dritter der Nachweis des direkten Vorsatzes aufgrund des äußeren Geschehens gelingt. Nachzuweisen ist, dass der Täter wenigstens Möglichkeitswissen (1.) von einer untreuespezifischen Pflichtenstellung (a)), der „Pflichtwidrigkeit“ seiner Handlung (b)) und der Verursachung eines Vermögensnachteil (c)) hatte und sich für die Rechtsgutverletzung „entschieden“ hat (2.), was hier mit den Begriffen Ernstnahme der Gefahr und Sich-Abfinden gekennzeichnet werden soll.

303 LG Bonn, Urteil vom 31. Mai 2007 – 2 O 7/01, abrufbar unter www. juris.de, dort Rn. 129.

A. Anwendung des Alternativenausschlussverfahrens auf § 266

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1. Nachweismöglichkeiten bezüglich des Möglichkeitswissens

a) Pflichtenstellung und Tatobjekt aa) Vorsatzhypothese: Indizien für Kenntnis der Pflichtenstellung Ausgangspunkt bei den Überlegungen zum Nachweis der Wissensseite bezüglich der Pflichtenstellung ist die Forderung, dass bereits im objektiven Tatbestand ein restriktiver Maßstab angesetzt wird, um einer Ausuferung des Untreuetatbestandes entgegenzuwirken304. Die Frage nach dem Untreuevorsatz wird demzufolge erst in eindeutigen Fällen selbstständiger und eigenverantwortlicher Vermögensfürsorgepflichten relevant und dadurch einigermaßen erleichtert. Unproblematisch wird in der Regel das Bewusstsein der Pflichtenstellung – und damit meist sogar direkter Vorsatz – bei typischen Sachwaltern fremden Vermögens nachzuweisen sein; denn dass diese eine Vermögensbetreuungspflicht trifft, dürfte offensichtlich sein305. Namentlich kommen hierbei, wie erwähnt306, Vermögensverwalter, deren Auftrag sich gerade auf die eigenständige Verwaltung des fremden Vermögens bezieht, und Organe von Unternehmen, wie beispielsweise Vorstände, in Betracht. Je weitgehender der Entscheidungsspielraum und je größer die wirtschaftliche Bedeutung der Angelegenheit, desto eher wird dem Treupflichtigen seine vermögensbetreuungspflichtige Stellung als solche bewusst sein. Regelmäßig wird daher der Vorsatz bezüglich der Pflichtenstellung bei Vorständen, Aufsichtsräten und Geschäftsführern zu bejahen sein, denn die vermögensbezogene Machtstellung ist gerade erstrebt. So hat beispielsweise das Landgericht Düsseldorf im Fall Mannesmann/Vodafone die Kenntnis der Vermögensbetreuungspflicht derjenigen Angeklagten, die Mitglieder des für Vorstandsvergütungsentscheidungen zuständigen Aufsichtsratspräsidiums waren, ohne weiteres bejaht307. Aber auch bei sonstigen Entscheidungsträgern von Unternehmen und Behörden, die aufgrund eines gewissen Spielraums für selbstständige Entscheidungen objektiv eine Vermögensbetreuungspflicht innehaben, wie zum Beispiel Prokuristen, Bürgermeister308 und Landräte309, wird sich regelmäßig 304

2. Kapitel, A. I. Vgl. Schüneman, Organuntreue, S. 11. Siehe auch BGHSt 9, S. 203, 217: In dieser zu § 81a GmbHG a. F. ergangenen Entscheidung verdeutlicht der BGH, dass sich für die Organe juristischer Personen die Pflicht zur Betreuung fremder Vermögensinteressen aus ihrer Stellung von selbst ergebe. 306 2. Kapitel, A. I. 307 LG Düsseldorf NJW 2004, S. 3275, 3285. 305

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die Kenntnis einer etwa eingeräumten umfassenden Pflichtenstellung nachweisen lassen310. In der Regel werden die eingeräumten Treupflichten gesetzlich oder vertraglich (Individualvereinbarung, Gesellschaftsvertrag) geregelt oder durch Wahl oder Ernennung übertragen und somit dem Treunehmer bekannt sein. Darüber hinaus dürfte in einigen Branchen die Tatsache der Vermögensbetreuungspflicht so evident sein, dass der Täter kaum erfolgreich ein diesbezügliches Nichtwissen behaupten kann. So stellt Laskos zutreffend fest, dass einem Bankmitarbeiter zumindest laienhaft bewusst sein dürfte, dass er die Vermögensinteressen der Bank wahrzunehmen hat311. Eine Rolle spielen werden bei der Frage, ob der Täter seine Pflichtenstellung zutreffend eingeordnet hat, auch Aspekte wie die Dauer seiner Tätigkeit, seine Vorerfahrungen und seine berufliche Qualifikation. Auf diese Aspekte soll im Rahmen des Nachweises des Pflichtwidrigkeitsvorsatzes nachstehend unter b) näher eingegangen werden. bb) Mögliche Alternativerklärungen und deren Ausschluss Jedenfalls soweit entsprechende Anhaltspunkte bestehen, ist auch bei typischen Sachverwaltern fremden Vermögens (Vorstände, Aufsichtsräte, Vermögensverwalter) zu überprüfen, ob Alternativerklärungen (zum Beispiel Irrtümer) die Vorsatzhypothese widerlegen können. So könnte beispielsweise bei einem Aufsichtsratsmitglied zum Tatzeitpunkt objektiv eine Vermögensbetreuungspflicht zu bejahen sein, dem Handelnden dies aber subjektiv nicht bekannt sein. Eine solche sicherlich seltene, aber doch nicht ausgeschlossene Konstellation könnte sich dann ergeben, wenn das Aufsichtsratsmitglied in einer vorzeitig einberufenen Gesellschafterversammlung in Abwesenheit gewählt wurde und die Wahl von seinem Bevollmächtigten angenommen wird, ohne dass das designierte Aufsichtsratsmitglied hiervon zum maßgeblichen Tatzeitpunkt Kenntnis hatte312. Auch könnte der Geschäftsführer einer Holdinggesellschaft, der an sich nur für die Beteiligungsunternehmen A-GmbH und B-GmbH als Geschäftsführer bestellt werden sollte, in Abwesenheit auch zum Geschäftsführer der C-GmbH bestellt und die Bestellung durch einen Bevollmächtigten angenommen werden, ohne dass ihm dies rechtzeitig bekannt wird. In solchen Fällen könnte Vorsatz nur dann noch bejaht werden, wenn es gelingt, diese Alternativer308 Vgl. BGH wistra 2006, S. 306, 307; siehe auch Kiethe, NStZ 2005, S. 529, 530 m. w. N. 309 BGH wistra 2006, S. 307, 308. 310 Vgl. Fabricius, NStZ 1993, S. 414, 419, hinsichtlich des Nachweises der Vermögensbetreuungspflicht bei Mitarbeitern des öffentlichen Dienstes. 311 Laskos, Strafbarkeit, S. 138. 312 Beispiel nach Hachenburg/Kohlmann, GmbHG, Vor § 82 Rn. 211.

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klärung als falsch bzw. als mit dem sonstigen Gesamtgeschehen unvereinbar auszuschließen. Ausschließbar wäre eine solche Alternativerklärung beispielsweise dann, wenn sich durch Zeugen verifizieren ließe, dass das Aufsichtsratsmitglied bzw. der Geschäftsführer von seiner Wahl oder Bestellung noch vor der in Rede stehenden Untreuehandlung informiert wurde. Erst recht müssen von vornherein in Fällen, in denen die Fremdsachwaltung nicht derart evident ist wie bei einem Vorstand, Alternativerklärungen sorgfältig geprüft werden. Hier können sich Anhaltspunkte beispielsweise aus der vertraglichen Gestaltung des Treuverhältnisses ergeben. Komplizierte vertragliche Gestaltungen, nur konkludent übertragene Pflichtenkreise oder ein Abstellen auf bloße Sorgfaltsmaßstäbe des jeweiligen Geschäftskreises könnten hier zugunsten des Täters streiten. Je weitgehender und deutlicher die eingeräumten Befugnisse aber ausgestaltet sind und je umfassender und länger der Handelnde die Befugnisse faktisch genutzt hat, desto eher wird man die Alternativerklärung „Nichtkenntnis der Vermögensbetreuungspflicht“ widerlegen können. In der Praxis wird die Vorsatzprüfung bezüglich der untreuespezifischen Pflichtenstellung regemäßig mit der Prüfung des Pflichtenumfanges (insbesondere bei der Treubruchalternative) und der Pflichtverletzung verschmelzen313. Bei der Feststellung des Vorsatzes bezüglich des Umfangs und der Grenzen der Rechtsmacht bzw. des Missbrauchs oder der Treupflichtverletzung wird sich in der Regel auch die Kenntnis der besonderen Pflichtenstellung ergeben314. cc) Indizien für die Kenntnis der Vermögensfremdheit und Ausschluss möglicher Alternativerklärungen Erforderlich ist, wie festgestellt315, des Weiteren, dass der Täter im Tatzeitpunkt die Fremdheit des Vermögens gekannt bzw. für möglich gehalten hat. Denkbare Alternativerklärungen, denen man jedenfalls bei entsprechenden Anhaltspunkten nachzugehen hat, sind insoweit ein Irrtum des Täters über die Fremdheit des Vermögens oder die irrige Annahme eines Anspruches gegen das Fremdvermögen. Wie erwähnt316, kann dies beispielsweise in Fällen einer Einpersonen-GmbH relevant werden. Hier könnte der Täter 313 Siehe aber die ausführliche Prüfung im objektiven Tatbestand bei LG Düsseldorf NJW 2004, S. 3275 f. und 3281 f. (Mannesmann/Vodafone), und die zumindest kurze Erwähnung der Vermögensfürsorgepflicht im subjektiven Tatbestand, S. 3285. 314 Teilweise wird daher auch im Schrifttum der Vorsatz bezüglich der Vermögensbetreuungspflicht nicht explizit thematisiert. 315 2. Kapitel, A. I. 316 2. Kapitel, A. II. 3. a).

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2. Teil, 6. Kap.: Die untreuespezifische Vorsatzfeststellung

als alleiniger Anteilseigner vielleicht angenommen haben, dass das Gesellschaftsvermögen für ihn, weil er einziger Gesellschafter ist, nicht fremd ist, auch soweit es beispielsweise um existenzsichernde Vermögensteile geht. Tatsächlich wird im Schrifttum vertreten, dass die Gesellschafter in ihrer Gesamtheit bzw. der Alleingesellschafter als „wirtschaftliche Eigentümer“ nach eigenem Willen über das gesamte Gesellschaftsvermögen verfügen können317. Demgegenüber geht die herrschende Meinung davon aus, dass jedenfalls das Stammkapital nach § 30 GmbHG und das zur Erfüllung von Gesellschaftsverbindlichkeiten notwendige Vermögen der Disposition der Gesellschafter entzogen sei318. Hier ist also sorgfältig zu prüfen, ob der Täter die Wertungen wenigstens nach Laienart nachvollzogen hat oder ob er ohne Kenntnis des juristischen Meinungsstreites schlicht die genannte Mindermeinung vertreten hat. Auch insoweit spielen Aspekte wie Berufserfahrung und (gegebenenfalls juristische) Vorbildung im Einzelfall eine Rolle. Allerdings kann eine solche Alternativerklärung regelmäßig und vorbehaltlich der weiteren konkreten Einzelheiten dann aufgrund von Erfahrungssätzen ausgeschlossen sein, wenn der Täter Verschleierungsmaßnahmen vorgenommen319 und Äußerungen dahingehend getätigt hat, er könne zwischen Privat- und Gesellschaftsvermögen unterscheiden320. Dies lässt sich mit dem Vortrag, er hielte sich vollumfänglich für entnahmeberechtigt, regelmäßig nicht in Einklang bringen. b) Pflichtwidrigkeit Neben dem Nachweis der Kenntnis bzw. des Möglichkeitswissens bezüglich der untreuespezifischen Pflichtenstellung ist der Nachweis erforderlich, dass der Treupflichtige zum Tatzeitpunkt jedenfalls für möglich gehalten hat, dass er seine aus dem Vermögensbetreuungsverhältnis resultierende Verfügungs- bzw. Verpflichtungsbefugnis missbraucht (1. Alternative) oder seine Vermögensbetreuungspflicht in sonstiger Weise verletzt (2. Alternative), mit anderen Worten: dass er „pflichtwidrig“ gehandelt hat. Lässt sich belegen, dass der Treupflichtige den Umfang und die Grenzen seiner Hand317

So z. B. Lenckner/Perron, in: Schönke/Schröder, § 266 Rn. 21b. 2. Kapitel, A. II. 3. a), Fußnote 387, sowie A. II. 5. b). 319 BGHSt 34, S. 379, 390; siehe auch bereits 4. Kapitel, C. II. 2. c). 320 Vgl. BGHSt 34, S. 379, 390. Wie einem Geschäftsführer, der sich bei der Verwendung von Gesellschaftsvermögen zugunsten der Gesellschafter auf ein tatsächlich wegen Verstoßes gegen § 30 GmbHG unwirksames Einverständnis der Gesellschafter beruft (siehe dazu 2. Kapitel, A. II. 5. b)), die Alternativerklärung, er habe den Eingriff in das Stammkapital nicht erkannt und daher das Einverständnis für wirksam gehalten, widerlegt werden kann, siehe Radtke, GmbHR 1998, S. 361, 366. 318

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lungsmacht bzw. seiner Treupflicht kannte, so wäre damit belegt, dass er auch wusste bzw. für möglich hielt, dass er seine Grenzen überschreitet. Ist im objektiven Tatbestand festgestellt, welcher Pflichtenmaßstab einschlägig ist321, so ist also zu fragen, ob dem Täter dieser Maßstab bekannt war. Gerade wenn es um Fälle geht, in denen die Tatsache der Vermögensminderung (zum Beispiel bei Unternehmensspenden) offenbar ist, weil nach der Art der Verfügung von vornherein keine Gegenleistung vorgesehen ist und es in erster Linie auf die Frage der zivil- oder verwaltungsrechtlichen Pflichtwidrigkeit dieser Vermögensverfügung ankommt, gestaltet sich die Feststellung des Pflichtwidrigkeitsvorsatzes, wie ausgeführt322, schwieriger. Es ist zu prüfen, ob der Täter, der das Vermögen des Vermögensinhabers durch eine Verfügung ohne Gegenleistung geschmälert hat, die geschriebenen oder ungeschriebenen Regelungen und deren Einschränkungen der Befugnisse kannte, aus denen sich objektiv die Unrechtmäßigkeit der in Rede stehenden Verfügung ergibt. Praktisch relevante Aspekte für den Nachweis des Möglichkeitswissens sind insoweit die Art und die Detailliertheit der Regelung des Pflichtenumfanges sowie die Art und Qualität des Wissens, wobei insbesondere das Erfahrungs- bzw. Expertenwissen des Täters eine Rolle spielt323, worauf nun näher einzugehen ist. aa) Vorsatzhypothese (1) Art und Detailliertheit der Regelung des Pflichtenumfanges Wie bereits im Rahmen des Nachweises der Kenntnis der untreuespezifischen Pflichtenstellung unter a) bb) erwähnt, spielt eine maßgebliche Rolle, ob das Treuverhältnis schriftlich oder nur konkludent begründet worden ist, ob die etwaigen Regelungen detailliert und verständlich abgefasst sind oder ob nur die Sorgfaltsmaßstäbe des jeweiligen Geschäftskreises die Grundlage für das Treuverhältnis bilden. Sind die Regelungen schriftlich fixiert, so kann der Nachweis, dass der Täter die entsprechende Kenntnis hatte, leichterfallen, als wenn die Vorgaben des Vermögensinhabers nicht ausdrücklich formuliert worden sind324, also beispielsweise aus den allgemeinen Sorgfaltsanforderungen im jeweili321

Vgl. 1. Kapitel, A. V. 1. Kapitel, A. V. 2., und 2. Kapitel, A. II. 1. 323 Ähnlich auch Nack, in: MG, Wirtschaftsstrafrecht, § 66 Rn. 137; Waßmer, Untreue, S. 156. 324 Vgl. Martin, Bankuntreue, S. 155 f. 322

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gen Geschäftskreis hergeleitet werden325. Je individueller und differenzierter der Pflichtenkreis des Täters dabei bestimmt ist, desto wahrscheinlicher dürfte es sein, dass der Treunehmer die Überschreitung im Einzelfall als zumindest möglich erkannt hat. Ist also zum Beispiel in einer individualvertraglichen Regelung wie einem Arbeitsvertrag, den der Täter als Vertragspartner nachweislich unterzeichnet hat, differenziert geregelt, welche Entscheidungsspielräume, aber auch welche Befugnisgrenzen der Handelnde hat, und liegt objektiv eine Übertretung dieser Grenzen vor, so werden die in Betracht kommenden Alternativerklärungen für den Befugnismissbrauch rar sein. Gibt es keinen Vertrag, sondern nur eine Konkretisierung des Pflichtenkreises durch spezielle Weisungen oder Einzelvorgaben (zum Beispiel Rundschreiben in einer Bank)326, so wäre zunächst zu überprüfen, ob der Täter diese nachweislich erhalten hat327. Sodann wäre zu belegen, dass der Täter den Inhalt auch verstanden hat328. Schwieriger wird der Vorsatznachweis, wenn die Befugnisse bzw. ihre Grenzen lediglich „abstrakt“ durch Gesetz, Satzung oder Rechtsprechung festgelegt sind329. Anders als bei einem Vertrag, den der Täter selbst unterzeichnet hat, fehlt es bei Gesetzen und dergleichen an einem nachweisbaren Kenntnisnahmeakt, zum Beispiel einer Unterzeichnung. Hier besteht also eher die Möglichkeit, schon die Kenntnis der Regelung als solche abzustreiten. Daneben kann sich der Täter auch darauf berufen, dass er die einschlägigen gesetzlichen, satzungsmäßigen oder judikativen Vorschriften nicht verstanden hat, weil die Rechtslage beispielsweise sehr unübersichtlich ist330. Derartige Alternativerklärungen können unter Umständen ausgeschlossen werden, wenn sich nachweisen lässt, dass der Täter unternehmens- oder behördeninterne Schulungen zu der konkreten Thematik besucht hat331. Darüber hinaus können auch die Vorbildung und Berufserfahrung eine Rolle spielen, worauf sogleich zurückzukommen sein wird. Geht es um Fälle, in denen die Pflichtwidrigkeit in einem Verstoß gegen das Schädigungsverbot als „Minimalpflicht“ besteht332, so wird es grundsätzlich keine größeren Schwierigkeiten bereiten, die Kenntnis des Schädigungsverbotes – also zumindest ein Möglichkeitswissen bezüglich der Pflichtwidrigkeit – festzustellen333. So dürfte den Entscheidungsträgern ei325 326 327 328 329 330 331 332

Vgl. Nack, in: MG, Wirtschaftsstrafrecht, § 66 Rn. 137. Vgl. Martin, Bankuntreue, S. 155. Siehe vorstehend unter A. II. 3. a). Vorstehend unter A. II. 3. b), und nachstehend (2). Vgl. BGH NStZ 2001, S. 155. Vgl. BGHSt 44, S. 376, 387 (Diestel). Vgl. Martin, Bankuntreue, S. 155. 1. Kapitel, A. V. 1. c).

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ner Bank, aber auch den (vermögensbetreuungspflichtigen) Kreditsachbearbeitern generell bewusst sein, dass sie den Vermögensinhaber nicht durch Bewilligung und Auszahlung von mangelhaft besicherten Krediten an bonitätsschwache Kreditnehmer schädigen dürfen. Es ist generell kaum denkbar, dass einem Bankmitarbeiter, der über das Vermögen eines anderen verfügen darf, nicht zumindest laienhaft bewusst ist, dass er das Vermögen nicht schädigen darf334; immerhin geht es beim Vermögen um ein essenzielles Rechtsgut, dessen Wertrelevanz ohne weiteres einleuchtet, anders als beispielsweise bei Normverstößen im Verwaltungsrecht (Ordnungsvorschriften), bei denen regelmäßig erst eine Kenntnis der Norm die Unwertigkeit vermitteln kann. Der Schwerpunkt der Vorsatzprüfung liegt in diesen Fällen bei der Prüfung des Schädigungsvorsatzes, also bei der Frage, ob der Täter im konkreten Fall die Minderwertigkeit der Gegenleistung (zum Beispiel des Kreditrückzahlungsanspruches) gekannt bzw. für möglich gehalten hat; dazu nachstehend unter c) bb). Bei der Frage, ob der Täter die expliziten oder konkludenten Regelungen nicht nur zur Kenntnis genommen, sondern auch verstanden hat, sind insbesondere Art und Qualität des Wissens relevant. (2) Art und Qualität des Wissens Maßgebliche Bedeutung für den Nachweis des Pflichtwidrigkeitsvorsatzes – aber auch, wie kurz angedeutet, für den Nachweis der Kenntnis der untreuespezifischen Pflichtenstellung – können Vorerfahrungen (a), etwaiges Expertenwissen (b) sowie die allgemeine Vorbildung und berufliche Qualifikation (c) haben, wobei sich diese Bereiche nicht immer randscharf voneinander trennen lassen, hier also nur zur systematischen Verdeutlichung getrennt behandelt werden. Verfügt der Täter beispielsweise über einschlägige Vorerfahrungen und langjährige Berufserfahrung, so kann die Hypothese Pflichtwidrigkeitsvorsatz, wie sich anhand der Rechtsprechung zeigen lässt, einigermaßen leicht verifiziert werden. Einem solchen Täter wird die Berufung auf die Alternativerklärung „Unkenntnis“ in der Regel zu widerlegen sein. (a) Einschlägige Vorerfahrungen Adäquate Rückschlüsse auf den Vorsatz können (nachweisliche) einschlägige Vorerfahrungen335 ermöglichen, denen daher als Erstes nachzugehen 333 334 335

2. Kapitel, A. II. 1. Laskos, Strafbarkeit, S. 138. Siehe auch Waßmer, Untreue, S. 156. Vgl. Frisch, in: GS-Meyer, S. 533, 557.

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2. Teil, 6. Kap.: Die untreuespezifische Vorsatzfeststellung

ist. Es wäre also festzustellen, ob bereits in einem vorangegangenen Fall, an dem der Täter maßgeblich beteiligt war, objektiv eine Untreue zu bejahen war. War der Täter beispielsweise bereits in einen untreuerelevanten Spenden-Fall involviert, so kann dies entsprechende Wirkungen für den Vorsatz in einem weiteren, ähnlich gelagerten Fall entfalten. Einmal mehr wird insoweit aber die Tatsache relevant, dass der Untreuetatbestand stark normativ geprägt ist und die Pflichtwidrigkeit als solche nicht „sichtbar“ oder greifbar ist – wie zum Beispiel bei einem Körperverletzungsdelikt regelmäßig der Verletzungserfolg, der daher ein Erfahrungswissen ohne weiteres vermitteln kann. Die Pflichtwidrigkeit des § 266 kann vielmehr nur durch eine wertende Betrachtung festgestellt werden. Regelmäßig ist daher die Alternativerklärung denkbar, dass der Täter die Untreuerelevanz schon in dem vorangegangenen Fall nicht erkannt hat. Diese Alternativerklärung könnte allerdings dann ausgeschlossen werden, wenn der Täter nachweislich in dem früheren Fall eine „Bestätigung“ von dritter Seite, namtlich von einem Gericht, erhalten hat, dass es sich zumindest objektiv um eine untreuerelevante Handlung gehandelt hat. In einem solchen Fall kann sich der Täter gegebenenfalls weiter darauf berufen, dass die Sachverhalte nicht identisch waren und er deshalb den streitigen Fall – anders als den früheren – für erlaubt hielt. Um eine solche Gegenhypothese zu widerlegen, sind genaueste Feststellungen zur Übereinstimmung der Sachverhalte erforderlich. Weichen der frühere und der tatgegenständliche Sachverhalt erheblich voneinander ab, wird man die Alternativerklärung kaum widerlegen können und muss weitere Feststellungen für den Untreuenachweis treffen. Ergeben sich aber Übereinstimmungen in den wesentlichen Zügen, so kann die Alternativerklärung ausgeschlossen werden. (b) Expertenwissen im konkreten Fall Ein anderer zu untersuchender Aspekt ist die Frage, ob der Täter über Expertenwissen verfügt. Beispielhaft sei dies am Fall Diestel erörtert336. Der angeklagte Diestel, seinerzeit stellvertretender Ministerpräsident und Minister des Innern der DDR, hatte einen notariellen Kaufvertrag über ein auf dem ehemaligen Gebiet der DDR gelegenes Grundstück mit Einfamilienhaus zu einem Preis abgeschlossen, der weit unter dem wirtschaftlichen Wert lag. Das Grundstück unterstand der Rechtsträgerschaft des Ministeriums des Angeklagten. Die Ermittlung des geringen Kaufpreises resultierte aus den früheren Preisregulierungsmaßnahmen der DDR. Tatsächlich war jedoch bereits vor Abschluss des Kaufvertrages das Gesetz über die Preisbildung und Preisüberwachung beim Übergang in die soziale Marktwirt336

BGHSt 44, S. 376 ff.

A. Anwendung des Alternativenausschlussverfahrens auf § 266

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schaft – Preisgesetz – vom 22. Juni 1990 in Kraft getreten und allgemein klar, dass die Werte von Hausgrundstücken in guter Lage durch die DDR künstlich niedrig gehalten worden waren, sodass eine Veräußerung zum (früheren) regulierten Preis ersichtlich unwirtschaftlich war. Der BGH sah den Abschluss des Kaufvertrages durch Diestel als pflichtwidrig an. Letztlich kam es zwar mangels Eintragung im Grundbuch infolge der Intervention der Bundesrepublik Deutschland nicht zum Eigentumsübergang, der BGH bejahte jedoch einen Vermögensnachteil in Gestalt der schadensgleichen Vermögensgefährdung337. Die Ansicht des Landgerichts, der Angeklagte habe unvorsätzlich gehandelt, hielt der BGH für bedenklich. Als objektiv belastende Umstände führte der BGH insoweit insbesondere „die Einbindung des juristisch vorgebildeten Angeklagten in die gesetzgeberischen Vorarbeiten für den Erlaß des Preisgesetzes“ sowie die Bestätigung einer schriftlichen Vorlage über die vorläufige Stornierung von Anträgen über den Verkauf von Dienstfamilienhäusern durch den Angeklagten selbst in zeitlicher Nähe zum Inkrafttreten des Preisgesetzes an338. Deutlich wird hier, dass der Angeklagte aufgrund seiner Einbindung in die gesetzgeberischen Vorarbeiten und die Vorbereitung der Umsetzung im konkreten Fall zu einem Expertenwissen gelangt war, das ihm die Berufung auf Unkenntnis unmöglich machte. (c) Allgemeine Vorbildung, berufliche Qualifikation und Berufserfahrung Lassen sich im konkreten Fall keine verwendbaren einschlägigen Vorerfahrungen nachweisen und bestehen auch keine Anhaltspunkte für ein konkretes Expertenwissen, so kann eine Untersuchung der allgemeinen Vorbildung, der beruflichen Qualifikation und Berufserfahrung weiterhelfen. So wies der BGH in dem vorstehend erörterten Fall Diestel explizit auch auf die juristische Vorbildung hin. In einem vom OLG Hamm entschiedenen Fall boten die „berufliche Qualifikationen“ der Angeschuldigten „verbunden mit ihrer langjährigen Tätigkeit als maßgebliche Vorstandsmitglieder des Kreisverbandes [. . .] hinreichend Anlaß für die Annahme, daß ihnen, ebenso wie dem Landesverband die Problematik ihrer Vorgehensweise bewußt gewesen ist“339. 337

BGHSt 44, S. 376, 385 f. Zu Recht kritisch dazu aufgrund der fehlenden Konkretheit Saliger, ZStW 112, S. 563, 574 ff. Siehe dazu auch 2. Kapitel, B. II. 4. 338 BGHSt 44, S. 376, 387. Zustimmend insoweit Saliger, ZStW 112, S. 563, 575. 339 OLG Hamm wistra 1999, S. 350, 354. Zu diesem Fall bereits oben unter A. II. 1. und 3. a).

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2. Teil, 6. Kap.: Die untreuespezifische Vorsatzfeststellung

Auch bei Geschäftsführern kann die Berufserfahrung für die Gerichte Anhaltspunkt dafür sein, dass der Täter seine Pflichten und deren Grenzen kannte. So meinte der BGH: „Dass dem Angeklagten, einem geschäftserfahrenen Kaufmann, seine Pflichten als Gesellschafter-Geschäftsführer generell unbekannt waren, versteht sich auch keineswegs von selbst.“340

Ebenso kann nach der Rechtsprechung bei Rechtsanwälten die Berufserfahrung im Rahmen der Vorsatzfeststellung eine Rolle spielen. Das OLG Stuttgart341 hatte über die Untreue eines Rechtsanwaltes zu entscheiden, der sich „nebenbei“ mit Schmuckhandel befasste und vom Tatopfer Schmuckwaren zwecks gewinnbringender Veräußerung über eine zu diesem Zweck gegründete GmbH erhielt. Weil die GmbH in Liquiditätsschwierigkeiten geraten war und einen Bankkredit aufnehmen musste, verwendete der Rechtsanwalt eines der Schmuckstücke für eine Sicherungsübereignung an die Bank. Als er den Kredit später weder aus eigenen noch aus Mitteln der GmbH zurückzahlen konnte, verwertete die Bank den Sicherungsgegenstand ohne Übererlös, sodass das Tatopfer keinen Gegenwert erhielt. Das OLG Stuttgart bemängelte, dass das Landgericht, das eine Untreuestrafbarkeit verneint hatte, nicht ausreichend dargelegt habe, weshalb es der Ansicht war, dem Angeklagten die Einlassung, er habe nicht damit gerechnet, dass die pflichtwidrige Sicherungsübereignung zu einem Schadensrisiko für den Treugeber führen könnte, widerlegen zu können. Hinsichtlich der Außenstände der GmbH meinte das OLG: „Daß Wechselschuldner möglicherweise nicht zahlen, auch wenn sie durch sicheres Auftreten und kostspieligen Lebenswandel imponieren, ist eine Erfahrung des täglichen Lebens, die einem Rechtsanwalt nach seiner Berufserfahrung nicht fremd ist.“342

Gegen eine dolose Tatbegehung könnte im Einzelfall allerdings wiederum die Alternativerklärung sprechen, dass der Täter die Zuverlässigkeit seiner Geschäftspartner, von denen die Kapitaldienstfähigkeit letztlich abhängt, vor der Sicherungsübereignung sorgfältig geprüft hat. Im konkreten Fall waren entsprechende Anhaltspunkte für das OLG jedoch nicht ersichtlich343. Das Indiz der allgemeinen Geschäftserfahrung darf jedoch nicht überspannt werden. Insoweit bestehen Zweifel an der Auffassung des OLG Hamm im Kassenarzt-Fall344. Es ging in diesem Fall um einen Kassenarzt, 340 341 342 343 344

BGH wistra 2006, S. 309, 310. OLG Stuttgart, Die Justiz 1983, S. 265 f. OLG Stuttgart, Die Justiz, S. 265, 266. OLG Stuttgart, Die Justiz, S. 265, 266. OLG Hamm NStZ-RR 2006, S. 13 ff.

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der bei einer Firma T Röntgenkontrastmittel bestellt hatte. Diese Mittel wurden unmittelbar zwischen Firma und Krankenkasse abgerechnet. Die Tatsache, dass während der Bezugsdauer des Röntgenkontrastmittels der medizinische Sondermüll des Kassenarztes von der Firma U kostenlos entsorgt wurde, hatte dieser der Krankenkasse nicht mitgeteilt. Die Firma U handelte im Auftrag der Firma T. Das OLG hob das freisprechende Urteil auf und gab dem Landgericht auf, eine Verurteilung wegen Untreue zum Nachteil der Krankenkasse zu erwägen. Ein Nachteil im Sinne des § 266 könne nach Ansicht des OLG darin liegen, dass die von dem Kassenarzt ersparten Entsorgungskosten letztlich von der Krankenkasse durch überhöhte Abrechnungen der Firma T für die Röntgenkontrastmittel getragen wurden, was allerdings in tatsächlicher Hinsicht noch nicht feststand. Hinsichtlich der subjektiven Tatseite bezweifelte das OLG die Unwiderleglichkeit der Einlassung des Kassenarztes, er habe keine Vereinbarung über die Entsorgung mit der Firma T getroffen. Dagegen spreche schon, dass der Müll tatsächlich entsorgt wurde, was ohne eine Vereinbarung nicht denkbar sei. Des Weiteren meinte das Gericht, dass dem Kassenarzt bewusst gewesen sein dürfte, dass die unentgeltliche Entsorgung sich preisbildend auf den Preis der Röntgenkontrastmittel auswirken würde: „Immerhin nimmt er als Arzt aktiv am geschäftlichen Leben teil und dürfte sich deshalb nur schwer der Erkenntnis verschließen können, dass mit dem Absatz von Produkten am Markt verbundene Unkosten sich bei einem am Markt wirtschaftlich betätigenden Unternehmen in aller Regel auch preisbildend auswirken.“345

Die Pauschalität dieser Erwägung kann nicht überzeugen. Die Unterstellung, jedem Geschäftserfahrenen sei eine derartige Preisgestaltung einleuchtend, übersieht, dass diese Konsequenz – die Erbringung von unentgeltlichen Zusatzleistungen bei Absatz eines Produktes führt zu unmittelbarem Preisaufschlag bzw. der Verzicht auf die Zusatzleistung führt zu einem geringeren Preis für das Hauptgeschäft346 – schon objektiv nicht zwangsläufig ist. Derartige Anreize könnten auch schlicht der allgemeinen Kundenpflege dienen347 (Bindung des Kunden gerade an dieses Unternehmen – statt an die Konkurrenz – zum Zwecke der Absatzsicherung) und in der (branchenüblichen) Marge des Unternehmens bereits einkalkuliert sein. 345

OLG Hamm NStZ-RR 2006, S. 13, 14. Solche und ähnliche Gestaltungen von Rückvergütungen – z. B. Zahlung einer Provision an den Treunehmer für den Abschluss des Geschäfts mit dem vertretenen Treugeber unter Refinanzierung der Provision durch Preisaufschlag bei dem Hauptgeschäft – werden zumeist als „kick-back“ bezeichnet. Siehe dazu Bernsmann, StV 2005, S. 576 ff.; MünchKommStGB/Dierlamm, § 266 Rn. 231 f. 347 Bernsmann, GA 2007, S. 219, 233, hält auch „strategische Fernziele“ der Geberseite für möglich, die einen Preisnachlass statt der „Provision“ gar nicht infrage kommen lassen würden. Siehe auch Bannenberg, in: Wabnitz/Janovsky, Wirtschaftsstrafrecht, 10. Kapitel, Rn. 128. 346

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2. Teil, 6. Kap.: Die untreuespezifische Vorsatzfeststellung

Unterstellt, es wäre im gegenständlichen Fall tatsächlich eine konkrete und sichere Möglichkeit zum Abschluss eines günstigeren Geschäfts für die Krankenkasse möglich gewesen348, so müssten gleichwohl in subjektiver Hinsicht erst noch mögliche Alternativerklärungen ausgeschlossen werden. Denkbare Alternativerklärung wäre insoweit die Annahme des Kassenarztes, die Entsorgung sei „kostenneutral“ und marktüblich gewesen und habe nur der allgemeinen Kundenpflege gedient. Der Handelnde könnte sich auch vorgestellt haben, dass die Kosten auf andere Produkte umgelegt oder ihr Ausgleich aus anderen Aktivitäten des anbietenden Unternehmens generiert werden. Ausschließen könnte man eine solche Alternativerklärung vielleicht dann, wenn nachgewiesen werden könnte, dass die Preise für die Röntgenkontrastmittel tatsächlich auffallend höher als marktüblich waren und dies dem Kassenarzt bekannt war. Umgekehrt kann zu berücksichtigen sein, dass der Täter gerade keine Erfahrungen oder speziellen Kenntnisse auf dem einschlägigen Gebiet hatte. So stellte der BGH in einem Fall aus dem Bereich der Haushaltsuntreue darauf ab, dass die Angeklagten „über keine nennenswerten verwaltungs- oder speziell haushaltsrechtliche Kenntnisse verfügten“, und bestätigte daher unter anderem aus diesem Grunde die Verneinung des Vorsatzes durch die Vorinstanz349. Auch die Frage, ob der Handelnde ehrenamtlich („Banklaie“) oder hauptberuflich tätig ist, findet in der Rechtsprechung Berücksichtigung350. Allgemein lässt sich feststellen: Je erfahrener der Täter im einschlägigen Tätigkeitskreis ist und je qualifizierter seine Vorbildung, desto leichter lässt sich der Nachweis führen, dass er zumindest die Möglichkeit der Pflichtwidrigkeit im konkreten Fall erkannt hat. Je unerfahrener bzw. unqualifizierter der Täter ist und je kürzer die Dauer seiner Tätigkeit, desto problematischer wird der Nachweis. Die Möglichkeit, die Alternativerklärung der fehlenden Tatbestandsmerkmalskenntnis auszuschließen, wird hier ungleich schwieriger. Insgesamt muss gerade für den Bereich der Betrachtung der Art und Qualität des Wissens des Täters noch einmal betont werden, dass in keinem Falle die Grenze zu einer Vorsatzunterstellung überschritten werden darf; maßgeblich müssen immer die Umstände des Einzelfalles sein. Berufserfahrung und Expertenwissen können insoweit nur Anhaltspunkte darstellen. So kann beispielsweise bei Aufsichtsratsmitgliedern auch nicht unterstellt werden, dass diese grundsätzlich überdurchschnittliche Kennt348 Dies nämlich ist nach Ansicht des BGH die Voraussetzung für eine Untreuestrafbarkeit, vgl. BGH wistra 1995, S. 61, 62. 349 BGH NStZ 2001, S. 248, 251 = NJW 2001, S. 2411, 2414. 350 BGH wistra 1985, S. 190, 191; zustimmend Nack, in: MG, Wirtschaftsstrafrecht, § 66 Rn. 137.

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nisse des Aktienrechts besitzen351. Regelmäßig sind daher auch bei einem juristisch vorgebildeten oder berufserfahrenen Treunehmer sämtliche objektiven Umstände des Einzelfalles zu ermitteln, um die Hypothese Vorsatz zu bekräftigen oder zu entkräften352. bb) Mögliche Alternativerklärungen und deren Ausschluss Neben den vorstehend bereits genannten Aspekten (Komplexität der Vorgaben, fehlende schriftliche Fixierung, Eilbedürftigkeit der Entscheidungssituation, mangelnde Berufserfahrung oder Qualifikation usw.) ist als mögliche Alternativerklärung insbesondere ein Irrtum des Täters in Betracht zu ziehen. Beruft sich der Täter beispielsweise darauf, ein (wirksames) Einverständnis angenommen zu haben, so ist der gesamte Sachverhalt auf Anhaltspunkte zu untersuchen (und der Täter wäre gut beraten, im eigenen Interesse mitzuwirken, auch wenn er dazu aufgrund seines Schweigerechtes nicht verpflichtet ist), die die Alternative „Irrtum“ tatsachenfundiert belegen können. Relevant wären demnach Anhaltspunkte, die den Täter haben annehmen lassen können, dass der Treugeber mit der Maßnahme einverstanden war. Verweist der Täter beispielsweise darauf, er habe von dritter Seite von dem Einverständnis erfahren, so besteht ersichtlich die Gefahr, dass es sich um eine bloße Schutzbehauptung handelt. Gibt es keine Zeugen oder sonstigen Beweismittel, die dies plausibilisieren können, so wird die Alternativerklärung kaum Bestand haben können. Es könnte auch sein, dass ein Einverständnis des Vermögensinhabers (zum Beispiel der Gesellschafter einer GmbH) in tatsächlicher Hinsicht unstreitig vorliegt, jedoch die konsentierte Geldentnahme objektiv zu einer Existenzgefährdung der GmbH führt, sodass das Einverständnis unwirksam ist353. In diesem Fall könnte sich der handelnde Geschäftsführer darauf berufen, er sei einem Irrtum nach § 16 erlegen, weil er die Geldentnahme nicht als existenzgefährdend angesehen habe. Hier muss der Tatrichter prüfen, ob die Berufung auf den Irrtum plausibel erscheint oder die Möglichkeit besteht, diese Alternativerklärung auszuschließen. Jedenfalls wenn es sich um Entnahmen in erheblicher Größenordnung handelt und nachweis351 Vgl. Loeck, Aktiengesellschaft, S. 149, der diesen Gedanken im Zusammenhang mit der Frage der Vermeidbarkeit eines Irrtums anklingen lässt. 352 Richtigerweise verlangt daher auch Laskos, Strafbarkeit, S. 137, – ohne dies freilich in den hier behandelten Zusammenhang zu stellen – dass sämtliche objektiven Umstände des Einzelfalles zu ermitteln sind, um verlässlich feststellen zu können, ob der Täter das erforderliche Pflichtwidrigkeitsbewusstsein hatte. Ähnlich verlangt auch der BGH NStZ 2001, S. 155, dass der Tatrichter vor der Prüfung der inneren Tatseite zunächst das objektive Geschehen zutreffend beurteilt. 353 2. Kapitel, A. II. 5. b).

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lich Anhaltspunkte für gravierende, dem Täter bekannte Liquiditätsschwierigkeiten bestehen, könnte die Einlassung widerlegt werden354. c) Nachteil Schließlich ist dem Täter nachzuweisen, dass er wenigstens Möglichkeitskenntnis hinsichtlich des Schadens hatte. aa) Per se kompensationslose Vermögensminderung Der Nachweis des Schädigungsvorsatzes dürfte in Fällen per se kompensationsloser Vermögensminderungen kaum problematisch sein. Hierbei geht es, wie ausgeführt355, um Vermögensminderungen, denen von vornherein keine Gegenleistung gegenübersteht (zum Beispiel Spenden). In diesen Fällen wird der Täter wissen, dass die Vermögenshingabe zu einer Vermögensminderung im Vermögen des Treugebers führt. Schwerpunkt der Vorsatzfeststellung wird daher in der Regel der Pflichtwidrigkeitsvorsatz sein. Dem Täter muss allerdings zumindest nachgewiesen werden, dass er die Tatsache der Vermögenshingabe kannte. Er könnte sich insoweit auf die Alternativerklärung berufen, von der Vermögensminderung nichts gewusst zu haben. Ist die Vermögensminderung durch Hingabe von Bargeld erfolgt, so wird man diese Tatsache und die Täterschäft durch entsprechende Zeugenaussagen zu beweisen haben. Ist die Vermögensminderung durch eine Banküberweisung erfolgt, so wird entsprechender Beweis beispielsweise mit Hilfe des durch den Täter unterzeichneten Überweisungsträgers erfolgen können (Urkundsbeweis), wobei die Möglichkeit einer Fälschung des Überweisungsträgers durch einen Dritten ausgeschlossen werden muss. Bei einer Online-Überweisung könnte sich der Täter ebenfalls auf mangelnde Urheberschaft berufen; insoweit wäre zu überprüfen, ob es plausible Anhaltspunkte dafür gibt, dass ein Dritter die persönlichen Daten des Täters ausgenutzt hat. Denkbare Alternativerklärung könnte auch die Behauptung des Täters sein, er habe angenommen, in Erfüllung einer Verbindlichkeit des geschädigten Unternehmens zu handeln, zum Beispiel in Erfüllung einer Vergütungsverpflichtung. Eine solche Alternativerklärung könnte jedoch durch den Nachweis widerlegt werden, dass zwischen dem geschädigten Unternehmen und dem Begünstigten nach dem Geschäftszweck keine Geschäftsbeziehung bestanden haben kann. Leistet zum Beispiel das Vorstandsmit354 355

Vgl. BGHSt 35, S. 333, 338 f.; dazu auch Radtke, GmbHR 1998, S. 361, 364. 2. Kapitel, B. I. 1.

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glied einer Aktiengesellschaft an einen Sportverein eine objektiv untreuerelevante Zahlung356, so wird sich der Täter ohne fundierte Anhaltspunkte kaum darauf berufen können, er habe angenommen, die Aktiengesellschaft sei zur Zahlung aufgrund einer vertraglichen Bindung verpflichtet gewesen. Haben allerdings vor der Zahlung Verhandlungen über den Abschluss einer Sponsoringvereinbarung stattgefunden, so könnte vorbehaltlich der weiteren Feststellungen zum Sachverhalt der Täter mit seiner Berufung auf den Irrtum – auch wenn die Vereinbarung letztlich nicht zustande gekommen ist – durchdringen. bb) Kompensierte Vermögensverfügung Schwieriger in Bezug auf die Feststellung des Schädigungsvorsatzes gestalten sich diejenigen Fälle, in denen der Vermögenshingabe eine Gegenleistung oder Gegenforderung gegenübersteht (zum Beispiel der Kreditrückzahlungsanspruch in den Bankuntreuefällen)357. Hier muss dem Täter zumindest Möglichkeitswissen bezüglich der Minderwertigkeit der Gegenleistung nachgewiesen werden358. Anders als beim Nachweis der Pflichtwidrigkeit spielt hier weniger das allgemeine Erfahrungswissen, sondern vielmehr das spezifische Wissen hinsichtlich der Minderwertigkeit der Gegenleistung im konkreten Fall eine Rolle. Die Möglichkeiten der Feststellung des Wissenselementes sollen im Folgenden anhand der erarbeiteten Grundfälle zur Bankuntreue359 erörtert werden. Da die Untreuestrafbarkeit im Grundfall 1 bereits im objektiven Tatbestand verneint wurde, sind im Rahmen des subjektiven Tatbestandes lediglich noch die Grundfälle 2 und 3 relevant. (1) Grundfall 2: Kreditrückzahlungsanspruch ist minderwertig, Bonität und Sicherheiten wurden geprüft (a) Hypothese Möglichkeitswissen Hat der Täter Bonität und Sicherheiten nachweislich vorgabegemäß geprüft und waren beide tatsächlich unzureichend, so wird man wenigstens Möglichkeitswissen nachweisen können, wenn die Umstände, die eine Min356 Vgl. die Sachverhaltskonstellation im Fall BGHSt 47, S. 187 ff. (Sponsoring SSV Reutlingen); dazu 4. Kapitel, C. II. 2. g). 357 Siehe dazu bereits 2. Kapitel, B. I. 2. 358 Zutreffend daher LG Düsseldorf, Urteil vom 19. Juni 2008 – 14 KLs 9/07 (Boxclever), abrufbar unter www.juris.de, Rn. 264. 359 3. Kapitel, A. III. 1.

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derwertigkeit möglich erscheinen lassen, sich aus den eingeholten Bonitätsund Sicherheitenunterlagen ergeben. Je deutlicher sich aus den Unterlagen und sonstigen Umständen Anzeichen für eine Minderwertigkeit ergeben und je zahlreicher die Hinweise sind, desto eher wird der Nachweis gelingen, dass der Täter wenigstens Möglichkeitswissen hatte. Geht es – in Abwandlung dieses Grundfalles – um die Vergabe bzw. Genehmigung von Folgekrediten durch den Vorstand einer Bank oder Sparkasse, so wird bei dem Nachweis des Möglichkeitswissens bezüglich der Minderwertigkeit des Kreditrückzahlungsanspruches vor allem auf den Inhalt der Kreditbeschlussvorlagen abzustellen sein. So können sich bereits aus den Beschlussvorlagen deutliche Anhaltspunkte für den Entscheidungsträger ergeben, dass die weitere Kreditvergabe oder Prolongation eines Bestandskredits zu einem Schaden für das Kreditinstitut führen kann. Anhaltspunkte können sich auch aus sonstigen Vermerken ergeben, die dem Handelnden nachweislich bekannt geworden sind360. (b) Mögliche Alternativerklärungen und deren Ausschluss Legen die vom Kreditnehmer eingereichten Bonitätsunterlagen bzw. die institutsinternen Vermerke nahe, dass der Kreditnehmer über keine ausreichende Bonität verfügt, so zum Beispiel, wenn auf eine unzureichende Bedienung bestehender Kredite hingewiesen wird, so wird die Alternativerklärung des Entscheidungsträgers, er habe die mangelnde Bonität nicht erkannt, regelmäßig als Schutzbehauptung eingeordnet werden können. Ergibt sich jedoch aus den Unterlagen die mangelnde Werthaltigkeit des Rückzahlungsanspruches nicht ohne weiteres, sondern sind weitere Bewertungsschritte (zum Beispiel eine Sicherheitenwertberechnung) und Prognosen erforderlich, so wird es schwieriger, mögliche Alternativerklärungen wie einen Irrtum zu widerlegen. Auch hierbei können wieder Aspekte wie die Komplexität des Falles, die Dringlichkeit der Entscheidungssituation, eine geringe Berufserfahrung usw. eine Rolle spielen. Als mögliche Alternativerklärung kommt bei der Gewährung von Folgekrediten die Erklärung des Täters in Betracht, er habe das in Schieflage geratene Kreditengagement durch den Folgekredit sanieren wollen361 (Sanie360

Zum Nachweis des Zugangs siehe oben, A. II. 3. a). Der BGH berücksichtigt eine etwaige Sanierung mitunter beim Merkmal der Pflichtwidrigkeit (siehe z. B. BGHSt 47, S. 148, 153 f. (Sparkasse Mannheim); anders BGH wistra 2006, S. 266, 267). Nach hier vertretener Ansicht (Maßgeblichkeit des Schädigungsverbotes bei Bankuntreue; 3. Kapitel, A. III. 1.) wird man diesen Aspekt jedoch beim Merkmal des Schadens zu erörtern haben (so auch RGSt 61, S. 211, 212). 361

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rungskredit362). In einem solchen Fall kann nach Ansicht des BGH Untreue (schon objektiv) entfallen, wenn die Folgekredite eine erfolgreiche Sanierung des gesamten Kreditengagements versprechen, so bei einem wirtschaftlich vernünftigen Gesamtplan363. Beruft sich der Täter jedenfalls in subjektiver Hinsicht auf dieses Sanierungsargument, so wird diese Alternativerklärung nur dann berücksichtigenswert sein, wenn sie mit Tatsachen fundiert werden kann. Hat der Täter beispielsweise ein fundiertes Sanierungskonzept erarbeitet bzw. erarbeiten lassen, das einen positiven Sanierungserfolg verspricht bzw. wahrscheinlich erscheinen lässt364 (mag auch das Konzept von falschen Annahmen ausgehen – anderenfalls wäre schon der objektive Tatbestand zu verneinen), so könnte dies dafür sprechen, dass der Täter auf den Nichteintritt des Erfolges vertraut hat. Berücksichtigenswert wäre auch die Frage, ob der Täter die Eigenschaft als Sanierungskredit in den relevanten Gremien des Instituts offengelegt hat und so für Transparenz gesorgt hat. Auszuschließen wäre die Alternativerklärung unter Umständen dann, wenn das Sanierungskonzept ersichtlich vage gehalten ist, von offensichtlich unzutreffenden Annahmen ausgeht oder von einem nicht vertrauenswürdigen Urheber stammt. (2) Grundfall 3: Kreditrückzahlungsanspruch ist minderwertig, eine ausreichende Bonitäts- und Sicherheitenprüfung ist unterblieben (a) Hypothese Möglichkeitswissen Hat sich der Täter keine oder – trotz sich aufdrängender Zweifel an der Kapitaldienstfähigkeit – nur unzureichende Bonitäts- und Sicherheitenunterlagen vorlegen lassen, wird man in der Regel davon ausgehen können, dass der Täter zumindest mit der Möglichkeit gerechnet hat, dass Bonität und Sicherheiten die Kapitaldienstfähigkeit nicht gewährleisten, der Rückzahlungsanspruch also minderwertig sein könnte. Es ist leicht ersichtlich, dass eine Bewilligung und Auszahlung von Krediten ohne vorherige Prüfung der Aussichten auf Realisierung des Rückzahlungsanspruches höchste Gefahr birgt365. Hierin könnte man – bei aller Vorsicht – eine Parallele zu den Fäl362 Siehe dazu Nack, in: MG, Wirtschaftsstrafrecht, § 66 Rn. 127 ff.; Richter, in: Firmenkundenkredite, S. 209, 269. 363 BGHSt 47, S. 148, 153 f. (Sparkasse Mannheim). Siehe auch schon oben, 2. Kapitel, B. 2. a), Fußnote 548. 364 Vgl. RGSt 61, S. 211, 213: „Er [der innere Tatbestand der Untreue] wird ausgeschlossen sein, wenn der Unternehmer nach den Umständen des Einzelfalles mit der naheliegenden Wahrscheinlichkeit rechnen darf und auch rechnet, daß der Versuch Erfolg hat, die für die ‚Sanierung‘ neu aufzuwenden Gelder also nicht verloren sein werden.“

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len im Bereich der Tötungsdelikte ziehen, in denen die Rechtsprechung bei höchst gefährlichen Gewalthandlungen aus der objektiven Gefährlichkeit auf das Wissenselement – vorbehaltlich etwaiger Gegenfaktoren (Alkoholisierung, Intelligenzmangel etc.) – rückschließt366. Herzberg würde in einem solchen Fall wohl eine unabgeschirmte Gefahr annehmen, Puppe eine Vorsatzgefahr. Lagen dem Täter bei der Entscheidung zwar eine Reihe von Informationen über die Bonität des Kreditnehmers und die Werthaltigkeit der Sicherheiten vor, ergaben diese aber kein umfassendes Bild der wirtschaftlichen Situation, sondern legten erhebliche Zweifel an der Kapitaldienstfähigkeit nahe367, so spricht dies dafür, dass der Entscheidungsträger – vorbehaltlich etwaiger Gegenhypothesen – zumindest mit der Möglichkeit der Minderwertigkeit des Kreditrückzahlungsanspruches gerechnet hat. Drängen sich bei der Prüfung des abzuschließenden Geschäftes erhebliche Zweifel auf und unterlässt der Täter gleichwohl eine weitere Prüfung, so liegt zumindest bedingter Vorsatz nahe368. (b) Mögliche Alternativerklärungen und deren Ausschluss Sichergestellt werden muss natürlich, dass der Täter nicht aufgrund sonstiger Umstände (irrig) von der Kapitaldienstfähigkeit des Kreditnehmers und einer ausreichenden Besicherung ausgegangen ist und deshalb auf die übliche Prüfung verzichtet hat. Es kann schließlich nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass der Entscheidungsträger von dritter Seite (zum Beispiel von einem anderen Kreditinstitut369) Informationen erhalten hat, die den Eindruck einer ausreichenden Bonität erweckt haben. Voraussetzung ist aber, dass die Alternativerklärungen ausreichend tatsachenfundiert sind; fehlt es an der Tatsachenfundiertheit, so kann dies für eine bloße Schutzbehauptung sprechen. Gibt es keinerlei Anhaltspunkte oder Äußerungen des Täters, die eine derartige Annahme eines Irrtums plausibel machen können, so wird die Alternativerklärung „Irrtum“ fernliegen.

365

3. Kapitel, A. III. 2. e) bb) (2). 4. Kapitel, C. II. 1. 367 Diese Konstellation lag dem Kreditvergabeurteil des BGH vom 15. November 2001 zugrunde (BGHSt 47, S. 148 ff. [Sparkasse Mannheim]). 368 Vgl. Richter, in: Firmenkundenkredite, S. 209, 274. 369 Außer Betracht möge hier ein möglicher Verstoß gegen das Bankgeheimnis bei Weitergabe von Informationen bleiben. 366

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(3) Ergebnis Hat der Täter keine Kapitaldienstfähigkeitsprüfung vorgenommen oder ergaben die Informationen, die dem Täter vorlagen, deutliche Anzeichen für eine Minderwertigkeit des Kreditrückzahlungsanspruches oder Lückenhaftigkeit der Information (gegebenenfalls bei gleichzeitigen Anzeichen für einen möglichen Problemfall), so kann das Möglichkeitswissen des Täters in der Regel bejaht werden. Je weniger deutlich die Anzeichen für eine Minderwertigkeit des Kreditrückzahlungsanspruches sind, desto schwieriger wird selbst die Annahme bloßen Möglichkeitswissens. Daher wird vermutlich in der Regel nur in solchen Fällen der Nachweis des subjektiven Tatbestandes gelingen, in denen keine Prüfung vorgenommen wurde oder in denen sich für den Täter nachweislich ganz deutliche Anzeichen für die Minderwertigkeit aus den Umständen ergaben. cc) Ausgleichswilligkeit Nach hier vertretener Ansicht kann die Tatsache, dass der Täter ständig Mittel zum Ausgleich einer Vermögensminderung bereithält, bereits den objektiven Tatbestand ausschließen370. Voraussetzung ist, dass der Täter nicht nur zahlungsfähig, sondern auch zahlungswillig ist. Ob dies der Fall ist, lässt sich in der Regel ebenfalls nur durch Indizien feststellen. Auch wenn eine Prüfung an sich im objektiven Tatbestand erfolgen würde, geht es bei der Ausgleichswilligkeit um eine innere Tatsache, sodass Ausführungen durchaus in den Kontext dieser Schrift gehören. Behandelt werden soll eine Entscheidung des OLG Karlsruhe, die zeigt, dass sich aus dem gesamten Sachverhalt Anhaltspunkte für und gegen eine Bejahung innerer Tatsachen ergeben können371. Aufgezeigt werden kann anhand der Entscheidung, wie mit Hilfe des Alternativenausschlussverfahrens – das allerdings vom OLG selbst nicht angewendet wird – aus einer Vielzahl von Indizien richtige Schlüsse auf die Haupttatsache gezogen werden können. Angeklagt wegen Untreue war in diesem Fall ein Rechtsanwalt, der von seinen Mandanten mit der Geltendmachung von Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüchen, die aus Verkehrsunfällen resultierten, beauftragt war. Die Gelder, die auf seinem Geschäftskonto eingingen, kehrte er nicht oder nur verspätet – teilweise nur auf Intervention – an die Mandanten aus, und zwar bis zu 1½ Jahre später. Mitteilungen und Abrechnungen erteilte 370 2. Kapitel, B. I. 2. b). Das OLG Karlsruhe wistra 1997, S. 109, 111, berücksichtigt Ersatzfähigkeit und -willen auf der Vorsatzebene. 371 OLG Karlsruhe NStZ 1990, S. 82 ff.

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der Rechtsanwalt nur sporadisch. Nachfragende Mandanten wurden teilweise bewusst getäuscht oder hingehalten. Da für eine Verneinung eines Vermögensschadens (bzw. nach anderer Ansicht des Vorsatzes) neben der Zahlungsfähigkeit auch die Zahlungswilligkeit maßgeblich ist, stellte sich die Frage, ob der Rechtsanwalt ausgleichswillig war. Nach Ansicht des OLG Karlsruhe habe für eine Verneinung der Ausgleichswilligkeit allein die Tatsache, dass der Rechtsanwalt die Gelder auf dem laufenden Geschäftskonto beließ und nicht auf Anderkonten transferierte, keinen ausschlaggebenden Beweiswert372. Zu untersuchen seien vielmehr die gesamten Tatumstände. Gegen ein strafrechtlich relevantes Verhalten würden nach Meinung des OLG folgende Indizien sprechen: Mitteilungen an den Mandanten über Zahlungseingänge, Auszahlungen an den Mandanten in engem zeitlichem Zusammenhang mit den Zahlungseingängen, wenn die Auszahlung aus eigenem Antrieb und nicht aufgrund von Mahnungen erfolgte, Zahlungseingänge in relativ engem zeitlichem Zusammenhang mit strafrechtlichen Ermittlungsmaßnahmen. Für die Annahme fehlender Zahlungswilligkeit sprächen dagegen folgende Aspekte: Gelder verbleiben trotz Kennzeichnung als durchlaufende Posten auf den Kostenblättern der Handakten beim Treupflichtigen, Zahlungseingänge werden bewusst abgestritten, konkludentes Leugnen, die Gelder erhalten zu haben (zum Beispiel durch Vertröstungen), langer Zeitablauf zwischen Geldeingang und Tataufdeckung, keine Mitteilungen an Mandanten bei Zahlungseingängen und Auszahlung erst auf Intervention des Mandanten bzw. eingeschalteter Dritter373. Hohe einbehaltene Beträge sollen eher auf vorsätzliches Verhalten hindeuten als geringfügige Beträge, weil bei Letzteren die Vorstellung einer Verrechnung mit Gegenansprüchen wegen Gebühren, Auslagen etc. möglich ist. Des Weiteren sind von Bedeutung die fehlende Abrechnung abgeschlossener Mandate und die Untätigkeit bei laufenden Mandaten nach Geldeingang. Sind belastende Indizien im konkreten Fall vorhanden, so wäre in Anwendung des Alternativenausschlussverfahrens zu überprüfen, ob die Indizien durch plausible Alternativerklärungen entkräftet werden können. Erweckt die Anzahl der mangelhaft bearbeiteten Fälle und der einzelnen Indizien den Eindruck eines systematischen Vorgehens, wird die Berufung auf ein Versehen dem Täter kaum helfen. Schwer widerlegbar kann dagegen die Behauptung eines Versehens oder einer unzureichenden Büroorganisation sein, wenn es sich um vereinzelte Fälle oder sogar nur um einen Einzelfall handelt. Denkbare Alternativerklärung für eine zeitlich verspätete Auskehr von Mandantengeldern wäre beispielsweise eine Überlastung des 372 373

OLG Karlsruhe NStZ 1990, S. 82, 84. OLG Karlsruhe NStZ 1990, S. 82, 84.

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Anwaltes bzw. des zuständigen Büropersonals. Eine solche Alternativerklärung könnte indessen beispielsweise ausgeschlossen werden, wenn sich nachweisen ließe, dass an sich ausreichend Personal für eine geregelte Abwicklung vorhanden wäre. Allerdings müsste auch in einem solchen Ausschlussfall dem Anwalt nachgewiesen werden, dass er die mangelhafte Bearbeitung gerade der Treuhandgeldauskehr durch das Büropersonal für möglich gehalten hat. Das bloße Nichtkümmern ließe keinen zwingenden Schluss auf fehlende Ausgleichswilligkeit zu374. 2. Nachweis der Entscheidung für die Rechtsgutverletzung

Mit dem Nachweis des Möglichkeitswissens ist bedingter Vorsatz noch nicht festgestellt. Erforderlich ist auch der Nachweis einer Entscheidung gegen das Rechtsgut (wenn man so will: das „Willenselement“)375. Es ist also dem Täter nachzuweisen, dass er die erkannte Möglichkeit der Rechtsgutverletzung ernst genommen und sich damit abgefunden hat. Soweit hierfür in der Rechtsprechung die Umschreibung „Billigung“ gewählt wird, ist damit – wie oben ausgeführt – regelmäßig nichts anderes als die Ernstnahme der Gefahr gemeint376. In der Sache kann daher der Terminus „Billigung“, wie er in der Rechtsprechung verwendet wird, als Ernstnahme der Gefahr und Sichabfinden gelesen werden. Aus dem Möglichkeitswissen darf nun generell nicht unmittelbar der Schluss auf die Ernstnahme der Gefahr gezogen werden („Rückschluss vom Wissen auf das Wollen“)377. Denn auch wenn der Täter die Möglichkeit der Rechtsgutverletzung erkannt hat, ist nicht auszuschließen, dass er gleichwohl auf den Nichteintritt des Erfolges vertraut hat. Diese Gegenhypothese – Vertrauen auf den Nichteintritt des Erfolges – ist zu widerlegen, wenn dem Täter (bedingter) Vorsatz nachgewiesen werden soll. Auch hierbei gilt die Prämisse, dass die „Globalhypothese Vertrauen“ in Einzelhypothesen zerlegt werden muss. Die Einzelheiten sollen im Folgenden insbesondere anhand der Rechtsprechung, die dabei zugleich kritisch zu analysieren ist, erörtert werden. Dabei darf nicht übersehen werden, dass Wissenselement und voluntatives Element letztlich auch prozessual nicht trennscharf voneinander unterschieden werden können378. Mitunter werden daher die erörterten Indizien und Alternativerklärungen nicht dem einen oder anderen Vorsatzelement zugeordnet werden können. 374 375 376 377 378

Vgl. BGH wistra 1984, S. 71, 72. Dazu 3. Kapitel, B. II. 4. 3. Kapitel, B. II. 1. d) bb). Geppert, JURA 2001, S. 55, 58. Siehe schon oben, 3. Kapitel, B. II. 4. c).

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2. Teil, 6. Kap.: Die untreuespezifische Vorsatzfeststellung

Die nachfolgende Gliederung der Aspekte, die für den Nachweis der Entscheidung für die Rechtsgutverletzung herangezogen werden können, orientiert sich an den Bereichen, die hier im Sinne einer groben Einteilung als maßgeblich für die Gewinnung von Indizien und Alternativerklärungen erörtert wurden379. Dabei ist zu beachten, dass die „Art und Qualität des Wissens“ maßgebliche Bedeutung bereits bei der Feststellung des Wissenselementes hatte. Für die Frage der Entscheidung für die Rechtsgutverletzung sind die Aspekte des Risikos (a)), der spezifischen Gestalt der Handlung und die Tatsituation (b)) sowie die Motive und die Interessenlage (c)) maßgeblich. a) Art des geschaffenen Risikos Im Rahmen der Tötungsdelikte stellt der BGH bei der Frage des Nachweises der „Billigung“, wie ausgeführt380, maßgeblich auf den Grad der Gefährlichkeit der Handlung ab. Führt der Täter eine äußerst gefährliche Gewalthandlung gegen das Opfer aus, so liege (bedingter) Vorsatz – vorbehaltlich etwaiger Gegenindizien – nahe. Im Bereich der Untreuedelikte hatte der BGH in dem Kreditvergabefall vom 6. April 2000 zunächst entschieden, dass – anders als bei den Tötungsdelikten – wegen der Mehrdeutigkeit des Geschehens die höchste Gefährdung allein kein Kriterium für die Billigung sein könne381, sondern maßgeblich eine Würdigung der gesamten Tatumstände sowie der Motive und der Interessenlage sei382. In der Bankuntreue-Entscheidung vom 15. November 2001 ist er von diesem Standpunkt auf den ersten Blick partiell abgerückt: Bei erkannter höchster Gefährdung des Rückzahlungsanspruches und einer gleichzeitigen Pflichtverletzung (im konkreten Fall eine gravierende Verletzung der Informations- und Prüfungspflicht) soll eine billigende Inkaufnahme der Schädigung naheliegen383. Diese Feststellung erscheint jedoch missverständlich. Hat der Täter die „höchste Gefährdung“ erkannt, also einen Zustand, bei dem der Kreditrückzahlungsanspruch im Vergleich zu der ausgereichten Darlehensvaluta minderwertig ist, dann bedeutet das, er hat sichere Kenntnis des Schadens (bzw. der schadensgleichen Vermögensgefährdung) im Sinne einer Ver379

5. Kapitel, B. II. 2. 4. Kapitel, C. II. 1. 381 BGHSt 46, S. 30, 35 (Sparkasse); dazu schon oben 4. Kapitel, C. II. 2. e). 382 So auch BGHSt 38, S. 345, 350 (Strafverteidiger), zum Fall des Gebrauchs einer unechten oder verfälschten Urkunde (§ 267) durch einen Strafverteidiger. Siehe dazu auch 3. Kapitel, B. II. 1. d) cc). 383 BGHSt 47, S. 148, 157 (Sparkasse Mannheim). Siehe 4. Kapitel, C. II. 2. f). 380

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mögenswertminderung384, also direkten Vorsatz bezüglich des Taterfolges385. Ausführungen zum „Willenselement“ des bedingten Vorsatzes erübrigen sich in diesem Fall. Nur wenn der Täter sich hinsichtlich der Minderwertigkeit nicht sicher ist, sondern eine solche nur für möglich hält, kommt bedingter Vorsatz in Betracht386. Und da in der Praxis oft der zweifelsfreie Nachweis sicheren Wissens schwierig ist, wird meist nur der Nachweis von Möglichkeitswissen gelingen. Hier ist also auf sprachliche Genauigkeit zu achten. Gelingt nun also der Beweis des Möglichkeitswissens387, so ist des Weiteren nachzuweisen, dass der Täter die für möglich gehaltene Tatbestandsverwirklichung ernst genommen und sich damit abgefunden hat. Da dies – in Konsequenz der vorstehenden Erwägungen – nur in Fällen nicht sicher erkannter höchster Gefährdung relevant wird, kann das Kriterium der höchsten Gefährdung nur bedingt für den Nachweis des „Willenselementes“ herangezogen werden: Je deutlicher die (erkannten) Anhaltspunkte für eine tatsächliche Gefährdung (das heißt Minderwertigkeit) des Kreditrückzahlungsanspruches sind, desto näher liegt es, dass der Täter die Gefahr ernst genommen und sich damit abgefunden hat. Und umgekehrt: Je weniger deutlich die Anhaltspunkte des Sachverhaltes dem Täter diese Möglichkeit der Gefährdung des Rückzahlungsanspruches nahelegen, desto schwieriger wird es, die „Entscheidung“ zu beweisen. Nun ergeben sich hieraus aber bei näherem Hinsehen im Ergebnis für die gerichtliche Vorsatzfeststellung keine gravierenden Auswirkungen. In beiden Entscheidungen will der BGH tatsächlich nicht allein mit der höchsten Gefährdung das „Willenselement“ belegen388. Vielmehr werden letztlich in beiden Entscheidungen die Pflichtverletzungen relevant: Ausdrücklich heißt es im Urteil vom 15. November 2001: „Zwar kann der Grad der Wahrscheinlichkeit des Erfolgseintritts allein kein Kriterium für die Frage sein, ob der Bankleiter mit dem Erfolg auch einverstanden war [. . .]. Diese [. . .] Einschränkung betrifft jedoch in erster Linie Fälle, in denen die [. . .] Anhaltspunkte für eine Pflichtverletzung nicht vorliegen.“389

Im Umkehrschluss ließe sich daraus ableiten, dass die Vorsatzfeststellung bei Vorliegen von Pflichtverletzungen weniger problematisch sein muss. Im Urteil vom 6. April 2000 führt der BGH aus: 384

2. Kapitel, B. II. 4. c). 2. Kapitel, B. III. 2., und 3. Kapitel, A. III. 2., insbesondere e) aa) (1). 386 3. Kapitel, A. III. 2., insbesondere e) aa) (2). 387 Dazu im vorstehenden Abschnitt A. III. 1. unter c) bb). 388 So aber wohl die Interpretation des BGH von Feigen, in: FS-Rudolphi, S. 445, 462. Siehe auch schon oben, 4. Kapitel, C. II. 2. e) und f). 389 BGHSt 47, S. 148, 157 (Sparkasse Mannheim). 385

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2. Teil, 6. Kap.: Die untreuespezifische Vorsatzfeststellung

„Der Grad der Wahrscheinlichkeit des Erfolgseintritts allein kann kein Kriterium für die Entscheidung der Frage sein, ob der Angeklagte mit dem Erfolg auch einverstanden war. Es kommt vielmehr immer auf die Umstände des Einzelfalles an [. . .].“390

Welche Tatumstände insoweit relevant sind, sagt der BGH zwar nicht ausdrücklich, bei Gesamtbetrachtung der Rechtsprechung steht zu vermuten, dass damit nur das objektive Tatgeschehen gemeint sein kann – letztlich also nichts anderes als insbesondere die (formellen) Pflichtverletzungen391. Tatsächlich wird also die Vorsatzfeststellung bei § 266 in der Rechtsprechung nicht allein mit Hilfe des Kriteriums der Gefährdung vorgenommen, sondern in Kombination mit den Pflichtverletzungen392. Die Pflichtverletzungen und sonstigen Tatumstände, die für die Vorsatzfeststellung relevant sein können, sollen im Folgenden näher erörtert werden. Anschließend sind die insoweit ebenfalls relevanten Aspekte der Motivation und Interessenlage näher zu untersuchen. b) Spezifische Gestalt der Handlung und Tatsituation Wie soeben festgestellt, stellt die Rechtsprechung bei der Vorsatzfeststellung maßgeblich auf die Tatumstände, insbesondere formelle Pflichtverletzungen, ab. Der Grund für die Relevanz derartiger (bewusst begangener) Pflichtverletzungen liegt darin, dass sie gegen ein Vertrauen des Täters auf den Nichteintritt der Rechtsgutverletzung sprechen. Eine starke Indizwirkung kommt dabei insbesondere einem Verhalten zu, das durch Verschleierung393, Täuschung394, Manipulation und Konspiration gekennzeichnet ist, 390

BGHSt 46, S. 30, 35 (Sparkasse). Im Urteil vom 6. April 2000 war vom Tatrichter nach Ansicht des BGH erst noch zu ermitteln, ob objektiv eine untreuerelevante Pflichtverletzung gegeben war; der BGH hob daher das Urteil des Landgerichts auf und verwies die Sache zurück. Weitere Ausführungen in subjektiver Hinsicht zu den „Umständen des Einzelfalles“ erübrigten sich daher. Im Urteil vom 15. November 2001 lag schon objektiv eine untreuerelevante Pflichtverletzung vor, sodass der BGH diese Pflichtverletzung im subjektiven Tatbestand als Konkretisierung der „Tatumstände“ anwenden konnte. 392 So im Ergebnis auch Richter, in: Firmenkundenkredite, S. 209, 276. 393 Siehe z. B. BGHSt 34, S. 379, 390. Siehe auch schon 4. Kapitel, C. II. 2. c) und 5. Kapitel, B. II. 2. b). 394 Siehe auch Geerds, Wirtschaftsstrafrecht, S. 107: Das Vorbringen eines Kreditbetrügers, er habe angenommen, den gewährten Kredit bei Fälligkeit zurückzahlen zu können, sei dann relativ leicht als Schutzbehauptung einzuordnen, wenn der Täter nicht bestehende Aktiva vorgespiegelt oder bestehende Passiva verschwiegen hat. In diesen Fällen lasse sich von der Täuschungshandlung zumindest auf bedingten Vorsatz schließen. Fehle es an einer solchen Täuschungshandlung, sei dem Täter das optimistische Vertrauen auf die positive Entwicklung des Unternehmens kaum zu widerlegen. 391

A. Anwendung des Alternativenausschlussverfahrens auf § 266

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ohne dass es für dieses Vorgehen im Einzelfall ausnahmsweise eine tragfähige Alternativerklärung gibt. Ein solches Verhalten legt nahe, dass der Handelnde die Untreuerelevanz zumindest für möglich gehalten und ernst genommen hat395 und gerade deshalb – zum Zwecke der Verdeckung – derartige Maßnahmen ergriffen hat. Mitunter kann ein solches Verhalten sogar direkten Vorsatz oder Absicht nahelegen; denn der Täter, der die Untreuerelevanz sicher erkannt hat, wird gerade bemüht sein, diese Straftat durch die Maßnahmen zu verdecken. Ist beispielsweise Gegenstand des Untreuevorwurfes die Schaffung eines sogenannten Dispositionsfonds („schwarze Kasse“), so kann der Nachweis der inneren Tatseite mitunter leicht gelingen. Die Besonderheit bei einer solchen Konstellation ist nämlich, dass die Motivlage des Täters bei der Verschleierung der Existenz des Vermögensteils geradezu darauf gerichtet ist, den Schaden herbeizuführen396. Ist also nachweisbar, dass der Täter die Vermögenswerte bewusst der Kenntnis und dem Zugriff des Vermögensinhabers entzogen hat, so ist am Vorsatz nicht zu zweifeln397. Aber auch eine auf den ersten Blick nicht erklärliche „Großzügigkeit“ des Täters kann Verdachtsmoment für § 266 sein und Rückschlüsse auf den Vorsatz ermöglichen. So schildert Hartung398 einen Fall, in dem der Gesellschafter einer GmbH dieser kurz vor dem Konkursantrag nahezu ihr gesamtes Vermögen – Forderungen gegen Dritte – von nominal 47.000 DM für 50.000 DM, also über Nominalwert, abgekauft hat. Später stellte sich heraus, dass der Täter keineswegs ein „Wohltäter“ war. Der Gesellschafter hatte sich nämlich gegenüber der Bank für Darlehensforderungen gegen die GmbH, die im Tatzeitpunkt in Höhe von 47.000 DM valutierten, verbürgt. Mit dem Kaufpreis löste die Gesellschaft die Darlehensverbindlichkeiten ab. Der Gesellschafter wurde so von seiner Bürgschaftsverpflichtung frei und hatte in seinem Vermögen einen Zuwachs in Höhe der Nominalforderungen gegen die Drittschuldner zu verzeichnen. Hier legt die Tatsache, dass der Handelnde für den Ankauf der Forderung freiwillig einen über dem Wert liegenden Kaufpreis zahlte, nahe, dass sein Ziel der eigene Vorteil zu Lasten der GmbH war. Hier wird er kaum argumentieren können, er habe die Sachlage nicht nachvollzogen; die auffällige Harmonisierung von Kaufpreis und Darlehensforderung lässt kaum Platz für Alternativerklärungen. In einem ganz ähnlichen Fall der Befreiung von Verbindlichkeiten eines Gesellschafters durch Rückzahlung eines von einem 395

Ähnlich Saliger, Parteiengesetz, S. 479 und 482. Vgl. LG Wiesbaden, Urteil vom 18. April 2005 – 6 Js 320.4/00-16 KLs, abrufbar unter www.juris.de, dort Rn. 814 (CDU Hessen). 397 Unproblematisch bestätigte auch der BGH daher die Untreuestrafbarkeit der Angeklagten im Fall CDU Hessen wegen der Schaffung einer „schwarzen Kasse“, BGHSt 51, S. 100, 111 ff. 398 Hartung, NJW 1996, S. 229, 236. 396

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2. Teil, 6. Kap.: Die untreuespezifische Vorsatzfeststellung

Gesellschaftsfremden der GmbH gewährten Darlehens ließ der BGH tatsächlich Rückschlüsse auf den Pflichtwidrigkeitsvorsatz zu – gerade auch weil der Angeklagte im Tatzeitpunkt kurz vor der Privatinsolvenz stand399. In der Praxis wird es gleichwohl oft nur zur Annahme bedingt vorsätzlichen Handelns kommen, weil sich ein sicheres Wissen der Pflichtwidrigkeit bzw. der Vermögensschädigung nicht nachweisen lässt. Dieser Beweis wird, wie gezeigt400, oft nur bei den besonderen Beweislagen expliziter Hinweise des Täters oder Dritter gelingen. Fehlt es daran, wird meist nur Möglichkeitswissen nachweisbar sein. Die Einzelheiten sollen in den folgenden Ausführungen zunächst im Wesentlichen anhand des Falles Sponsoring SSV Reutlingen und sodann anhand der Bankuntreuefälle näher erläutert werden. Gezeigt werden soll insbesondere, wie mit Hilfe des Alternativenausschlussverfahrens denkbare Alternativerklärungen zur Vorsatzhypothese ausgeschlossen werden können. Nochmals betont sei, dass eine einzelne Pflichtverletzung bzw. ein einzelnes Indiz in der Regel keinen Rückschluss auf den Vorsatz ermöglichen wird. Vielmehr wird es immer auf eine umfassende Ermittlung des äußeren Geschehens und eine sorgfältige Ermittlung von Indizien und Alternativerklärungen ankommen, weil erst anhand des Gesamtbildes der Tat verlässliche Rückschlüsse möglich sein werden401. Bleiben Unsicherheiten bei der tatrichterlichen Beweiswürdigung bestehen, weil zum Beispiel nur eine Pflichtverletzung festgestellt ist, die nach der Erfahrung nicht zwingend mit einer Untreuetat verbunden ist, so ist eine Verurteilung nicht möglich. aa) Beispielsfall Sponsoring SSV Reutlingen In diesem bereits besprochenen Fall hatte der BGH zu entscheiden, wann bei einer Spende aus dem Vermögen eines Unternehmens durch den Vorstand eine strafbare Untreue vorliegt402. Dass es dem Angeklagten K, der die „Spende“ an den Sportverein bewirkt hatte, nicht um eine zulässige Werbemaßnahme, sondern um eine pflichtwidrige, vermögensschädigende Geldbeschaffung für einen Dritten ging, sah der BGH, wie mitgeteilt403, insbesondere durch die persönlichen Interessenverflechtungen und die Art und Weise des Geldtransfers als belegt an: K hatte in seiner Einlassung eingeräumt, zur Erfüllung privater Interessen des S, zu dem er in einem 399

BGH wistra 2008, S. 379, 382. In diesem 6. Kapitel unter A. I. und II. 401 Siehe oben, 4. Kapitel, C. IV. 1. 402 BGHSt 47, S. 187 ff. (Sponsoring SSV Reutlingen). Die Einzelheiten zum Sachverhalt sind bereits im 4. Kapitel, C. II. 2. g), mitgeteilt worden. 403 4. Kapitel, C. II. 2. g). 400

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beruflichen Abhängigkeitsverhältnis stand, gehandelt zu haben. Außerdem habe K die Angelegenheit nicht dem Gesamtvorstand zur Entscheidung vorgelegt oder den Aufsichtsrat angerufen, weil er wusste, dass er für die Zuwendungen keine Genehmigung erhalten würde. Damit es keinen Erklärungsbedarf für die Zuwendungen im Unternehmen geben würde, habe er für eine Umgehung der Hauptbuchhaltung gesorgt, indem er die Beträge von der Hauptkasse auf die Sekretariatskasse transferieren ließ, unzutreffende Belege anfertigte und die Beträge nach Barabhebung in Umschlägen dem S zur freien Verfügung übergab. Diese Aspekte sollen nun im Folgenden näher erörtert werden. (1) Art und Weise des Geldtransfers (a) Vorsatzhypothese Der Beispielsfall zeigt, dass Anhaltspunkt für ein (bedingt) vorsätzlich pflichtwidriges Handeln die Art und Weise der Vermögensverfügung sein kann. Weicht die Art des Transfers von dem sonst üblichen Zahlungsverkehr im Unternehmen oder in der Behörde signifikant ab (zum Beispiel bargeldhafte statt sonst im Unternehmen übliche unbare Abwicklung), so kann dies ein Indiz dafür sein, dass der Täter die Mittelverwendung verschleiern will, es sich also um eine Maßnahme handelt, die vom Unternehmenszweck nicht gedeckt ist. Derartige Verschleierungsmaßnahmen sprechen gegen das Vertrauen des Täters auf die fehlende Pflichtwidrigkeit und gegen einen etwaigen Irrtum, denn sie sind – vorbehaltlich etwaiger Alternativerklärungen – Ausdruck dafür, dass der Täter etwas verbergen wollte, was er für nicht legitim hielt. (b) Mögliche Alternativerklärungen und deren Ausschluss Zu berücksichtigen ist dabei allerdings, wie eine Entscheidung des OLG Frankfurt zu einer „Schmiergeld“-Zahlung zeigt, dass ein „dubioser“ Geldtransfer keineswegs automatisch zu einer Bejahung des Untreuevorsatzes führen kann und darf, sondern seinen Grund in den Umständen des Einzelfalles haben kann404. Lassen sich derartige dubiose Umstände feststellen, müssen also vor einer Bestätigung der Vorsatzhypothese (Nachteilszufügungsvorsatz) mögliche plausible Alternativerklärungen für das Verhalten ausgeschlossen werden. Es kann nämlich trotz der dubiosen Umstände sein, dass der Täter darauf vertraut hat, dass die Schmiergeldzahlungen dem Un404

OLG Frankfurt NStZ-RR 2004, S. 244 ff.

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ternehmen zu einem Gewinn verhelfen und gerade keinen Schaden begründen. Treffend daher die Ausführungen des OLG: „Allein aus der dubiosen Art der Geldbeschaffung sowie der Art und den [sic] Ort der Übergabe der einzelnen Beträge lässt sich ein zumindest bedingter Nachteilszufügungsvorsatz dieser Angeschuldigten nicht herleiten. Derartige Umstände sind – wie allgemein bekannt – bei Vorgängen im Zusammenhang mit Schmiergeldzahlungen nicht außergewöhnlich und für sich genommen nicht geeignet, weitergehende Schlüsse zu ziehen.“405

Die plausible Alternativerklärung für den „dubiosen“ Geldtransfer war in dem konkreten Fall also die (charakteristische) Verschleierung einer Schmiergeldzahlung. Diese Alternativerklärung ließ sich nicht widerlegen und konnte somit nicht zum Nachteil der Handelnden verwendet werden. (2) Verfälschung von Belegen und Rechnungen (a) Vorsatzhypothese Wie der Beispielsfall zeigt, kann auch einer Verfälschung von Belegen und Rechnungen und der damit verbundenen Manipulation der Buchhaltung im Rahmen der Vorsatzfeststellung Bedeutung zukommen. Relevant sind insoweit auch Fälle von bilanzieller Verschleierung406. Der BGH bestätigte in dem hier bereits erwähnten Fall von Untreue eines Geschäftsführers zum Nachteil einer GmbH die Vorsatzfeststellungen des Landgerichts, das auf die „erheblichen Verschleierungs- und Täuschungsmaßnahmen“ des Angeklagten abgestellt hatte407. Der Angeklagte hatte unter anderem Rechnungen an die vermögensgeschädigte GmbH fingiert, um so gegen Forderungen der GmbH, die aus dem Bau seines Privathauses resultierten, aufrechnen zu können und um Gegenstände für eine andere, ihm gehörende Firma aus den Mitteln der GmbH zu bezahlen. Auch in einem Fall, in dem ein Schulleiter Postquittungen von der Sekretärin um weitere, tatsächlich nicht begründete Positionen ergänzen ließ und diese Quittungen zur Erstattung dem Träger der Schule vorlegte, schlussfolgerte der BGH aus der Verfälschung von Belegen auf den Vorsatz. Eine Verfälschung von Belegen lasse nämlich darauf schließen, dass der Angeklagte die Pflichtwidrigkeit seines Handelns erkannt hat und nicht etwa der Meinung gewesen ist, dieses sei rechtlich mit seinen Pflichten als verantwortlicher Leiter der Schule vereinbar. Ein Irrtum über die Pflichtwidrigkeit 405 406 407

OLG Frankfurt NStZ-RR 2004, S. 244, 245. Vgl. Raum, in: Wabnitz/Janovsky, Wirtschaftsstrafrecht, 4. Kapitel, Rn. 106. BGHSt 34, S. 379, 390. Siehe dazu oben, 2. Teil, 4. Kapitel, C. II. 2. c).

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habe daher ersichtlich nicht vorgelegen408. Dem Schulleiter half auch nicht, dass er meinte, letztlich im Interesse der Schule und des Trägers gehandelt zu haben; die Verwendung der erlangten Beträge für Zwecke der Schule wertete der BGH lediglich als Schadenswiedergutmachung409. Ob auch in dem Fall eines Eisenbahnmitarbeiters, der den Fahrkartenschalter zu betreuen hatte und Geldbeträge aus der Kasse entnahm410, die Tatsache der falschen Führung des Ablieferungsbuches für die Vorsatzfeststellung eine entscheidende Rolle spielte, lässt sich den Entscheidungsgründen nicht mit Sicherheit entnehmen. Vermutlich kam es auf die Manipulation des Kassenbuches für die Feststellung des Vorsatzes deshalb nicht mehr entscheidend an, weil festgestellt war, dass der Täter zu eigenen Zwecken, nämlich zwecks Begleichung persönlicher Schulden handelte. Vermutlich war dies für den BGH schon ausschlaggebendes Vorsatzindiz, sodass es – anders als im vorgenannten Fall – nicht (zusätzlich) auf die Manipulation ankam. (b) Mögliche Alternativerklärungen und deren Ausschluss Sollen im konkreten Fall fingierte Rechnungen den (bedingten) Vorsatz bezüglich einer objektiv festgestellten Untreuehandlung indizieren, so ist zunächst sorgfältig zu prüfen, ob den Rechnungen tatsächlich keine Leistung zugrunde lag. Fehlt es hieran, so könnte eine zu überprüfende Alternativerklärung für die Rechnungsfingierung darin liegen, dass der Handelnde, zum Beispiel der Gesellschafter einer Einpersonen-GmbH, die Rechnungen zum Zwecke der Steuerhinterziehung fingiert hat (mit der möglichen Folge einer Strafbarkeit nach § 370 AO), nicht aber zum Zwecke der treuwidrigen Abführung des GmbH-Vermögens. So wäre es nicht ausgeschlossen, dass der handelnde Gesellschafter zwar objektiv eine Untreue begangen hat, indem er beispielsweise außerhalb der Verwendung des Jahresergebnisses eine Entnahme tätigt, dabei jedoch – aufgrund eines Irrtums über die gegenwärtige wirtschaftliche Lage der GmbH und die Höhe des zu erwartenden Gewinns – auch Teile des Stammkapitals (in untreuerelevanter Weise411) an sich ausschüttet und somit aufgrund des Irrtums nicht den subjektiven Tatbestand des § 266 verwirklicht. Eine solche objektive Untreuehandlung könnte mit einer von der Entnahme unabhängigen (versuchten) Steuerhinterziehung (§ 370 AO) durch Fingierung von Rechnungen, zum Beispiel 408

BGH NStZ 1986, S. 455, 456. Siehe dazu oben, 2. Kapitel, B. II. 5. 410 BGHSt 13, S. 315 ff. Kritik zu diesem Fall in objektiver Hinsicht: 1. Kapitel, A. III. 411 Wie erwähnt, sind untreuerelevante Eingriffe in das Stammkapital nach der Änderung des GmbHG duch das MoMiG nur noch in engeren Grenzen denkbar. 409

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um der GmbH Liquiditätsvorteile durch unberechtigte Geltendmachung von Vorsteuern zu verschaffen, zusammentreffen. Die Fingierung einer Rechnung muss also nicht notwendig Indiz für den Vorsatz auch bezüglich der Untreuehandlung sein. Erfolgt aber die – angeblich irrtümliche – Schmälerung des Stammkapitals gerade aufgrund der fingierten Rechnung und nicht nur in zufälligem Zusammenhang mit der Rechnungsfingierung, so kann man die Alternativerklärung des Versuchs einer Steuerhinterziehung regelmäßig ausschließen. Lassen sich im konkreten Fall zwar keine Verfälschungen oder Fingierungen von Rechnungen feststellen, gestaltet sich aber die Buchhaltung unordentlich oder treten Ungenauigkeiten in den bilanziellen Verhältnissen auf, so muss auch insoweit überprüft werden, ob es hierfür plausible Alternativerklärungen gibt. Eine unordentliche Buchhaltung kann ihre Ursache beispielsweise auch in einer durch mangelnde Sorgfalt gekennzeichneten „Grundeinstellung“ des Handelnden haben. Unübersichtliche bilanzielle Verhältnisse können ihre Ursache schlicht in einer komplexen Unternehmenssituation und fehlender Sachkompetenz haben. Ein Ausschluss dieser Alternativerklärungen wird meist nur im Rahmen einer Gesamtbetrachtung der möglichen Anhaltspunkte möglich sein. Tritt also beispielsweise eine unordentliche Buchführung neben weiteren nach der Erfahrung auf Untreue hindeutenden Anhaltspunkten auf (Art und Weise des Geldtransfers, fehlende Publizität der Verfügungen im Unternehmen usw.), so kann der Vorsatznachweis gelingen. (3) Genehmigungsverfahren und Gremienbeschlüsse (a) Vorsatzhypothese Bestehen in einem Unternehmen oder einer Behörde bestimmte Genehmigungsverfahren, können sich auch in diesem Zusammenhang Ansatzpunkte für die Vorsatzfeststellung ergeben. Derjenige Täter, der unternehmensfremde, zweckwidrige und/oder eigennützige Vermögensverfügungen vornehmen will, wird in der Regel darauf bedacht sein, die Verfügung bzw. ihren Zweck zu verschleiern, und deshalb Genehmigungsverfahren umgehen oder die für die Entscheidung erheblichen Informationen verfälschen, unterdrücken oder wahrheitswidrig ergänzen. Derartiges Verhalten legt also zumindest bedingten Vorsatz nahe. So wertete der BGH im erörterten Fall des Landrates den Verstoß gegen Genehmigungspflichten als Indiz für ein zumindest bedingt vorsätzliches Verhalten412. 412 BGH StraFo 2002, S. 268, 270 (Aussiedlergemeinschaftsunterkunft), siehe 4. Kapitel, C. II. 2. h).

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Relevante Anhaltspunkte kann auch der tatsächliche Ablauf von Gremienbeschlussverfahren bieten. Namentlich ein überstürzt wirkender Sitzungsablauf kann sich für die Handelnden im Rahmen der Vorsatzfeststellung als problematisch erweisen413. So hat der BGH im Fall Mannesmann/ Vodafone414 eine Reihe von Indizien aufgeführt, die darauf hindeuten, dass den Angeklagten die Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht bewusst war, bzw. die die Berufung auf einen Irrtum bezüglich der Pflichtwidrigkeit unplausibel erschienen ließen. Unter anderem führte er an, dass einer der vier Stimmberechtigten des Gremiums an der Abstimmung über die Zuerkennung der Prämien – nach lediglich kurzer mündlicher Information – nur telefonisch teilgenommen hatte, obwohl keine Eilbedürftigkeit vorgelegen habe415, wobei außerdem ein weiteres Mitglied des Gremiums wegen Krankheit abwesend war. Mangels Eilbedürftigkeit wäre es mit anderen Worten unverfänglicher gewesen, die Sitzung auf einen Zeitpunkt zu verschieben, bei dem alle Gremienmitglieder hätten persönlich anwesend sein können. (b) Mögliche Alternativerklärungen und deren Ausschluss Für die Nichteinholung einer objektiv erforderlichen Genehmigung kann es jedoch plausible Alternativerklärungen geben. Denkbar wäre zum Beispiel, dass der Betreffende das Genehmigungserfordernis überhaupt nicht kannte. Ausschließen ließe sich eine solche Alternativerklärung allerdings dann, wenn der Täter nachweislich in gleich gelagerten Fällen die Genehmigung der zuständigen Gremien eingeholt hat oder er nachweislich ausdrücklich auf die Genehmigungspflicht hingewiesen wurde (Urkunds- oder Zeugenbeweis). Anders kann es wieder sein, wenn tatsächliche Anhaltspunkte bestehen, dass der Täter im konkreten Fall irrtümlich von einer ausnahmsweisen Befreiung vom Genehmigungserfordernis ausging. Die Möglichkeit eines solchen Irrtums wäre dann zu widerlegen. Ob dies gelingt, wird maßgeblich von der Fundiertheit der Anhaltspunkte abhängen, die für die Annahme einer Genehmigungsbefreiung sprechen könnten. Verändert der Handelnde nachweislich wissentlich die für die Genehmigung relevanten Informationen, so sind plausible Alternativerklärungen kaum denkbar. Den Einwand des Landrats in dem vorstehend erwähnten Fall, er habe durch ein solches Verhalten im Zusammenhang mit der 413

Vgl. Schünemann, Organuntreue, S. 67. Siehe oben im 1. Kapitel, A. IV. 2., und 2. Kapitel, A. II. 4., sowie in diesem Kapitel unter A. II. 1. 415 BGH NJW 2006, S. 522, 527 (insoweit nicht abgedruckt in BGHSt 50, S. 331 ff.); ähnlich Schünemann, Organuntreue, S. 67. 414

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pflichtwidrigen Verfügung über Haushaltsmittel Schaden abwenden wollen, ließ der BGH nicht gelten, weil es seiner Ansicht nach fernlag, diesen Zweck unter Verstoß gegen die Genehmigungspflicht durch wissentlich falsche, täuschende Erklärungen zu erreichen416. Ist Anhaltspunkt für eine zumindest bedingt vorsätzliche Vorgehensweise ein überstürzter Sitzungsablauf, so muss erwogen werden, ob die Situation Eile erforderte. So kann plausible Alternativerklärung sein, dass die Handelnden mit einer schnellen Entscheidung im Unternehmensbereich Gewinnverluste oder Kursabstürze vermeiden oder ein gewinnbringendes Geschäft realisieren wollten. Dann erscheint es denkbar, dass bei der eilbedürftigen Entscheidung die Untreuerelevanz nicht erkannt417 bzw. eine Schädigung nicht in Kauf genommen wurde. Wird als Indiz auf eine telefonische Abstimmung abgestellt, so wäre zu prüfen, ob in dem Unternehmen derartige telefonische Abstimmungen üblich waren. Damit würde das Indiz entkräftet. bb) Fallgruppe Bankuntreue Diejenigen Tatumstände, die in den Bankuntreuefällen einen Rückschluss auf den Vorsatz ermöglichen sollen, hat der BGH in den beiden eingangs genannten Entscheidungen konkretisiert: Es sind namentlich die Verstöße gegen – allgemeine oder institutsspezifische – formale Pflichten eines ordentlichen Bankkaufmannes bei Kreditvergabe. Da es nach hier vertretener Ansicht im objektiven Tatbestand in den Kredituntreuefällen allein auf den Verstoß gegen das (materielle) Schädigungsverbot ankommt418, entfalten die formalen Verstöße erst bei der Vorsatzfeststellung ihre Wirkung419. Vor diesem Hintergrund lässt sich auch die viel kritisierte starke Betonung des an sich nur formellen und damit nicht unmittelbar zur Bejahung einer Pflichtverletzung im Sinne des § 266 führenden Verstoßes gegen § 18 KWG im Urteil vom 15. November 2001 fruchtbar machen420. Im Ergebnis ist daher der Rechtsprechung beizupflichten, die es für erforderlich hält, die 416

BGH StraFo 2002, S. 268, 270 (Aussiedlergemeinschaftsunterkunft). Vgl. RGSt 76, S. 115, 117. Dazu schon 4. Kapitel, C. II. 2. a). 418 3. Kapitel, A. III. 1. 419 Ebenso Laskos, Strafbarkeit, S. 87 und 150. Ähnlich kommt auch bei § 263 „schwerwiegenden Pflichtverletzungen“ Bedeutung zu, siehe BGH JZ 2004, S. 737, 742 = JR 2005, S. 31, 36, mit zustimmender Anmerkung Beulke, JR 2005, S. 37, 41. Auch Knierim, in: Wabnitz/Janovsky, Wirtschaftsstrafrecht, 8. Kapitel, Rn. 269, ist der Ansicht, dass bankspezifischen Pflichtwidrigkeiten eine erhebliche Indizwirkung bei der Vorsatzfeststellung zukommt. Ähnlich Richter, in: Firmenkundenkredite, S. 209, 274. 420 3. Kapitel, A. III. 1. 417

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Umstände der einzelnen Kreditgewährungen genau zu ermitteln421. Insbesondere muss dargelegt werden, ob und inwieweit der Kreditnehmer kreditwürdig war422, ob, inwieweit und mit welchem Ergebnis der Entscheidungsträger die Bonität geprüft hat423, ob und welche Sicherheiten die Bank erhalten hat424, welche Werte diese Sicherheiten hatten425, gegebenenfalls wann, in welchem Umfang und auf wessen Initiative Kreditausweitungen erfolgten426. Hierbei können sich Anhaltspunkte für Pflichtverletzungen und damit für die Vorsätzlichkeit ergeben. Die bei der Vorsatzfeststellung relevanten Pflichtverletzungen sollen im Folgenden beispielhaft näher erläutert werden. (1) Vernachlässigung von Informationspflichten Wie ausgeführt427, stellt die Rechtsprechung bei der Frage nach einer untreuerelevanten Pflichtverletzung bei Kreditvergabe maßgeblich auf eine sorgfältige Abwägung der Chancen und Risiken einer Kreditvergabe auf der Grundlage umfassender Informationen ab. Zweck dieser Informationseinholung und Bonitätsprüfung ist, wie erwähnt, von der Bank Schaden durch Eingehung eines übermäßigen Risikos abzuwenden. Durch die Bonitätsprüfung sollen planbare Risiken einer Kreditvergabe, nämlich insbesondere eine fehlende Kreditfähigkeit oder Kreditwürdigkeit des Kreditnehmers, vermieden werden428. (a) Vorsatzhypothese Führt der Entscheidungsträger überhaupt keine Bonitäts- und Sicherheitenprüfung durch, so wird er sich kaum darauf berufen können, nicht mit der Möglichkeit einer Minderwertigkeit des Kreditrückzahlungsanspruches gerechnet zu haben429. Zugleich wird er sich in einem solchen Fall regelmäßig nicht pauschal darauf berufen können, er habe gleichwohl auf einen guten Ausgang vertraut, denn er hat jegliche Vorsichtsmaßnahmen unterlassen, das (planbare) Risiko zu erkennen und zu vermeiden430. 421 422 423 424 425 426 427 428 429

(2).

Vgl. BGH NJW 1979, S. 1512; BGH wistra 1992, S. 26. Vgl. BGH NJW 1979, S. 1512. Vgl. BGH NJW 1979, S. 1512; BGH wistra 1992, S. 26. Vgl. BGH NJW 1979, S. 1512; BGH wistra 1992, S. 26. Vgl. BGH NJW 1979, S. 1512. BGH wistra 1992, S. 26. 3. Kapitel, A. III. 1. Siehe schon oben, 3. Kapitel, A. III. 1., Fußnote 741, S. 143. 3. Kapitel, A. III. 2. e) bb) (2), sowie in diesem Kapitel unter A. III. 1. c) bb)

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2. Teil, 6. Kap.: Die untreuespezifische Vorsatzfeststellung

(b) Mögliche Alternativerklärungen und deren Ausschluss Beruft sich der Handelnde auf ein Vertrauen auf den guten Ausgang, so muss es bei dieser Fallkonstellation der fehlenden Risikoabwägung besondere Anhaltspunkte geben, die diese Gegenhypothese belegen. In Betracht kommen kann der – allerdings von Keller/Sauer431 zu Recht als „unrealistisch“ bezeichnete – Fall, dass der Täter aufgrund bestimmter Aspekte auf eine positive Entwicklung der Bonität oder Sicherheitenwerte zwischen Bewilligung und Auszahlung vertraut hat. Bloß abstrakt-theoretische Alternativerklärungen („positive Entwicklung des kreditnehmenden Unternehmens aufgrund zu erwartender Verbesserung der allgemeinen Wirtschaftslage“) reichen auch hierbei nicht; die Alternativerklärung muss sich anhand des Gesamtgeschehens fundieren lassen und nicht als mit Erfahrungssätzen unvereinbar ausschließbar oder vage sein. Gleiches gilt, wenn der Täter zwar Informationen für eine Prüfung der Kapitaldienstfähigkeit eingeholt bzw. erhalten hat, diese aber ersichtlich nicht für eine vollständige Analyse der wirtschaftlichen Situation ausreichten432. Namentlich dann, wenn die eingeholten Informationen sogar nahelegten, dass der Kreditrückzahlungsanspruch minderwertig sein könnte, dürfte der Nachweis des zumindest bedingten Vorsatzes gelingen.

430 (Nur) in einer solchen Konstellation würde auch die Theorie von der unabgeschirmten Gefahr von Herzberg wohl zu einem „richtigen“ Ergebnis kommen. Prüft der Entscheidungsträger die Risiken der Kreditentscheidung vor der Auszahlung überhaupt nicht, so setzt er eine „unabgeschirmte Gefahr“. Allerdings ist zu bedenken, dass die Theorie auf die Kredituntreuefälle gar nicht anwendbar ist, weil die Untreue mit der Eingehung der konkreten Vermögensgefährdung bereits vollendet ist und demnach keine Abschirmungsmaßnahme mehr dazwischentreten können (vgl. Laskos, Strafbarkeit, S. 145, siehe bereits 3. Kapitel, B. II. 2. c) cc)). 431 Keller/Sauer, wistra 2002, S. 365, 369. 432 Anhaltspunkte für die Beurteilung, ob die eingeholten Informationen für die Bonitätsprüfung ausreichen, bieten die früheren Rundschreiben der deutschen Bankenaufsicht zu § 18 KWG. Diese Rundschreiben dienten der Konkretisierung des § 18 KWG (siehe zuletzt Rundschreiben vom 17. Mai 2002, Nr. 1/2000 – I 3-2370-1/2001). Mit Rundschreiben vom 09. Mai 2005 (BA 13 – GS 3350 – 1/2005, abgedruckt bei Beck/Samm/Kokemoor, KWG, Band 3, A 18/2) hat die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht diese Rundschreiben aufgehoben. Damit wird die Eigenverantwortung der Kreditinstitute bezüglich der Prüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Kreditnehmers wieder in den Vordergrund gestellt. Die früheren Rundschreiben können aber nach wie vor zumindest Anhaltspunkte für eine ausreichende Prüfung der Wirtschaftsverhältnisse des Kreditnehmers bieten.

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(2) Fehlen der erforderlichen Befugnis (Kompetenzmangel) Anstelle eines Verstoßes gegen die Informations- und Prüfpflichten oder neben einem solchen kann auch ein Verstoß gegen die jeweiligen Befugnisse des Entscheidungsträgers entsprechende Indizwirkung für das „Willenselement“ des Vorsatzes entfalten. Neben gesetzlichen Vorgaben für Beschlussfassungen (vgl. zum Beispiel §§ 13 Abs. 2 und 13a Abs. 2 KWG) existieren in Banken in der Regel interne Kompetenzvorschriften, die regeln, bis zu welcher Höhe ein Entscheidungsträger Kredite (ausnahmsweise) alleine oder (in der Regel) zusammen mit einem Entscheidungsträger einer bestimmten anderen Kompetenzstufe bewilligen und auszahlen darf und ab welcher Kredithöhe die Entscheidung Sache des (Gesamt-)Vorstandes ist433. Derartige Kompetenzregelungen enthalten zugleich inzident die Weisung, keine Kredite oberhalb der jeweiligen Befugnisgrenze zu bewilligen434. Mit Hilfe der Kompetenzregelungen soll letztlich ebenso wie mit der Pflicht zur Abwägung der Chancen und Risiken auf der Grundlage umfassender Information das Vermögen der Bank geschützt werden435, indem für die Bank riskante Geschäfte rechtzeitig erkannt und vermieden werden. Die in der Kompetenzordnung zum Ausdruck kommende Hierarchie der Entscheidungsbefugnisse ist die Folge der unterschiedlichen Einstufung von Qualifikation und Erfahrungswissen des jeweiligen Mitarbeiters, aber auch der Honorierung der individuellen Leistungen in dem Unternehmen436. Je größer das Kreditvolumen, desto „gefährlicher“ ist die Kreditvergabe für die Bank, denn der Ausfall eines nur geringvolumigen Kredites ist für das Gesamtergebnis ersichtlich weniger problematisch als der Ausfall eines Millionenkredites. Je höher die Risiken durch den Kreditumfang und die damit meist verbundene Komplexität, desto wichtiger ist es, die Entscheidung in die Hände berufserfahrener und qualifizierter Mitarbeiter zu legen, die Risiken generell und im konkreten Fall umfassend einschätzen können. Eng mit der Regelung von Kompetenzstufen hängt auch das regelmäßig geltende Vier-Augen-Prinzip zusammen, das beispielsweise in § 33 KWG gesetzlichen Niederschlag gefunden hat. Indem für die Kreditbewilligung und -auszahlung regelmäßig das Vier-Augen-Prinzip vorgeschrieben wird, soll gewährleistet werden, dass Fehler, die einem einzelnen Mitarbeiter unterlaufen können, durch einen zweiten Entscheider entdeckt werden können 433 Siehe auch Knierim, in: Wabnitz/Janovsky, Wirtschaftsstrafrecht, 8. Kapitel, Rn. 234 f. 434 Laskos, Strafbarkeit, S. 49. 435 Vgl. Laskos, Strafbarkeit, S. 73. 436 Vgl. Knierim, in: Wabnitz/Janovsky, Wirtschaftsstrafrecht, 8. Kapitel, Rn. 235.

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und etwaigen Manipulationsversuchen oder Unzuverlässigkeiten437 Einzelner vorgebeugt werden. (a) Vorsatzhypothese Verstößt der Entscheidungsträger der Bank (bewusst) gegen Kompetenzvorschriften oder das Vier-Augen-Prinzip, so kann dies Anhaltspunkt für eine Entscheidung gegen das Rechtsgut sein438, denn bei einem derartigen Verstoß kann der Verweis auf ein Vertrauen auf den guten Ausgang nicht als tatsachenfundiert angesehen werden. (b) Mögliche Alternativerklärungen und deren Ausschluss Auch insoweit sind mögliche Gegenhypothesen zu untersuchen. Geklärt werden muss in jedem Falle, ob der Verstoß gegen die Kompetenzordnung oder das Vier-Augen-Prinzip tatsächlich bewusst erfolgt ist. Gegen das Bewusstsein könnten im Einzelfall beispielsweise eine komplizierte Struktur der Kompetenzordnung mit vielen Ausnahmeregelungen, die Dringlichkeit der Entscheidungssituation oder die Unerfahrenheit des Kreditsachbearbeiters sprechen. Ist die Kreditbewilligung an die Zustimmung bestimmter Personen oder Gremien durch interne Regelungen im Kreditinstitut gebunden, so wird bei einem Verstoß zu untersuchen sein, ob die Regelungen überhaupt dem Vermögensschutz dienten. Diente die Regelung nicht dem Vermögensschutz439, so kann kaum ausgeschlossen werden, dass die Motivation für den Verstoß andere Gründe hatte als die Ermöglichung einer untreuerelevanten Vermögensentziehung. (3) Unvollständige oder unrichtige Angaben gegenüber Mitverantwortlichen oder Aufsichtsstellen im Zusammenhang mit der Kreditgewährung Auch bewusst unvollständige oder unrichtige Angaben gegenüber Mitverantwortlichen oder Aufsichtsstellen (zum Beispiel Aufsichtsrat, Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht) können Indizwirkung für den Vorsatz haben440. In erster Linie dürften insoweit Informationen zur Person des 437

Vgl. BFS-KWG/Fischer, § 33 Rn. 66. Auch Knierim, in: Wabnitz/Janovsky, Wirtschaftsstrafrecht, 8. Kapitel, Rn. 269, betrachtet Kompetenzüberschreitungen als relevant für den Vorsatznachweis. 439 So beispielsweise die Zustimmung des „vertrottelten Seniorchefs“ zu größeren Kreditbewilligungen, die nur aus „Pietätsgründen“ eingeholt werden soll, siehe oben, 2. Kapitel, C. II. 1. 438

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Kreditnehmers, zu dessen Bonität, zu den Sicherheiten, zum Finanzierungszweck sowie zu einer wirtschaftlichen Verflechtung zum Kreditnehmer441 relevant sein, da diese Aspekte maßgeblich für die Frage sind, ob der Kreditnehmer zur Rückzahlung des Kapitals und Erbringung der Kreditzinsen nachhaltig in der Lage sein wird. Beispielsweise könnte der Täter versuchen, die Zustimmung des Vorstandes oder des Aufsichtsrates zu einer Kreditbewilligung zu erlangen, indem er durch falsche Angaben den Eindruck erweckt, der zu genehmigende Kredit liege unterhalb der Beleihungsgrenze der Beleihungsobjekte442. Will der Entscheidungsträger (möglichen) Schaden vom Kreditinstitut abwenden, so liegt es ersichtlich fern, dies durch falsche Angaben gegenüber Mitverantwortlichen zu tun. Eine Berufung auf das Vertrauen in die Werthaltigkeit des Kreditrückzahlungsanspruches dürfte unter solchen Umständen kaum möglich sein443. Bewusst falsche Angaben rücken das Verhalten des Täters sogar in die Nähe absichtlichen Handelns. (4) Nichteinhaltung der vorgegebenen Zwecke (a) Vorsatzhypothese Auch die Nichteinhaltung vorgegebener Kreditzwecke soll nach Ansicht des BGH vorsatzindizierende Wirkung haben444. Welche Fälle der BGH bei dieser Fallgruppe vor Augen hat, wird nicht ganz deutlich. Als Zweckvorgaben könnten bankinterne Vorgaben in Betracht kommen, die die Verwendung der Kreditmittel nach bestimmten geschäftspolitischen Zwecken regeln. Existiert beispielsweise die Vorgabe, die Kreditmittel ausschließlich für eine bestimmte Branche (zum Beispiel Hotelbranche oder Finanzierung von Bürokomplexen im Ausland) zu verwenden, so würde der Entscheidungsträger durch eine anderweitige Verwendung, zum Beispiel für die Sanierung notleidender inländischer Wohnungsbaugesellschaften, gegen diese Zweckvorgaben verstoßen. Denkbar sind des Weiteren Vorgaben, die auf der Ebene des einzelnen Engagements regeln, dass die Kreditmittel nur für Finanzierungen gegen entsprechende Immobiliarsicherheit verwendet werden dürfen (das heißt nicht gegen andere, zum Beispiel bloße Personalsicherheiten oder gar „blanko“). Verwendet der Entscheidungsträger diese 440 Vgl. LG Düsseldorf, Urteil vom 19. Juni 2008 – 14 KLs 9/07 (Boxclever), abrufbar unter www.juris.de, Rn. 275. Siehe auch vorstehend unter aa) (3). 441 Vgl. Richter, in: Firmenkundenkredite, S. 209, 277. 442 Sachverhalt nachgebildet nach LG Stuttgart, Entscheidung vom 20. Oktober 1980 – VIII KLs 30/80, verb. mit KLs 48/80, zitiert nach Otto, Bankentätigkeit, S. 71. 443 Vgl. StraFo 2002, S. 268, 270 (Aussiedlergemeinschaftsunterkunft). 444 BGHSt 46, S. 30, 34 f. (Sparkasse).

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Kreditmittel stattdessen für einen unbesicherten Kontokorrentkredit, mit dem der Kreditnehmer seine Liquiditätsschwierigkeiten zu beheben versucht, so kann bei entsprechendem Möglichkeitswissen bezüglich einer Minderwertigkeit des Rückzahlungsanspruches die Grundlage für das Vertrauen auf ein Ausbleiben des Erfolges fehlen. (b) Mögliche Alternativerklärungen und deren Ausschluss Denkbare Alternativerklärung wäre beispielsweise, dass der Täter die kurzfristige Gewährung des Kontokorrentkredites damit begründen kann, dass er dem Kreditnehmer im Interesse der Bank hinsichtlich sonstiger bestehender Kredite eine nachhaltige Umfinanzierung ermöglichen wollte, die gerade einen Kreditausfall vermeiden sollte. Gibt es tatsächlich Anhaltspunkte für derartige Sanierungsziele, zum Beispiel ein fundiertes, wenn auch letztlich nicht erfolgreiches Sanierungskonzept, so kann die Alternativerklärung unter Umständen als plausibel erachtet werden. (5) Überschreitung der Höchstkreditgrenzen Betragsmäßige Grenzen für Kredite finden sich – abgesehen von etwaigen institutsspezifischen Regelungen – insbesondere in den §§ 13, 13a KWG. Nach § 13 Abs. 3 Satz 1 und Satz 5 KWG bzw. § 13a Abs. 3 Satz 1 und 5 KWG dürfen Nichthandelsbuchinstitute bzw. Handelsbuchinstitute bestimmte Großkrediteinzel- und Großkreditgesamtobergrenzen nicht ohne vorherige Zustimmung der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht überschreiten. Ein Verstoß gegen diese Vorschriften stellt eine Ordnungswidrigkeit gemäß § 56 Abs. 2 Nr. 6 und 7 KWG dar. Im Falle einer Überschreitung hat das Institut, unabhängig von der Zustimmung, das Überschreiten unverzüglich der Bundesanstalt und der Deutschen Bundesbank anzuzeigen und den Überschreitungsbetrag mit haftendem Eigenkapital zu unterlegen. Sinn und Zweck derartiger Höchstkreditgrenzen – bezogen auf einen einzelnen Kreditnehmer bzw. die Gesamtzahl der von einem Institut gewährten Großkredite – ist es, das maximale Verlustrisiko eines Kreditinstitutes zu beschränken445. Denn werden großvolumige Kreditengagements auf wenige Kreditnehmer kumuliert oder große Kreditrisiken auf nur einen Kreditnehmer konzentriert, so kann schon der Ausfall weniger bzw. des einen Großkreditnehmers zu existenzbedrohenden Ausfällen für das Institut führen446. 445

Vgl. BFS-KWG/Groß, Vor §§ 13–13b Rn. 1. Vgl. Fischer, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, § 130 Rn. 1; Müller, Bankenaufsicht, S. 156 f. Welche verheerenden Folgen der Zusam446

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Verstößt der Entscheidungsträger bewusst gegen diese Höchstkreditgrenzen, so kann dieser Verstoß dazu führen, dass er sich angesichts dieser Pflichtverletzung nicht mehr auf das Vertrauen in den guten Ausgang berufen kann, denn indem der Entscheidungsträger gegen diese vermögensschützenden Normen verstößt, bringt er – vorbehaltlich plausibler Alternativerklärungen im Einzelfall (Unkenntnis der Höchstgrenzen oder der Tatsachen, die im konkreten Fall die Überschreitung begründen) – zum Ausdruck, dass er sich bei entsprechendem Möglichkeitswissen bezüglich eines Schadenseintrittes gegen das Rechtsgut entschieden hat. (6) Sonstige Pflichtverletzungen und Tatumstände Der Katalog der für die Vorsatzfeststellung relevanten Pflichtverletzungen ist nicht abschließend. Bedeutung können darüber hinaus beispielsweise Verschleierungs- und Vertuschungsversuche haben, mit denen über die Kreditgewährung als solche, ihren Umfang oder unzureichende Sicherheitenwerte getäuscht werden soll447. Um eine Kreditüberschreitung bzw. eine unzureichende Kreditrückführung zu vertuschen, könnte der Bankmitarbeiter beispielsweise Zwischenkonten angelegen, Sollsalden durch zeitliche Buchungsverschiebungen „ausgleichen“ oder Buchungsdifferenzen durch kurzfristige Umbuchungen des Guthabens anderer Bankkunden vermeiden448. menbruch nur einer Bank auf die Existenz anderer Banken und letztlich die Gesamtwirtschaft haben kann, zeigte eindrucksvoll der Zusammenbruch der Darmstädter und Nationalbank (Danat-Bank; ausführlich dazu: Born, in: Deutsche Bankengeschichte, S. 17, 105 ff.): Infolge der politischen Situation nach der ReichstagsWahl vom 20. September 1930 kam es zu einem massenhaften Abzug von Auslandsgeldern und -krediten durch Auslandsgläubiger und einer dadurch bedingten Schwächung des deutschen Bankensektors. 1931 führte der Abzug von Auslandsgeldern schließlich zum Zusammenbruch der Danat-Bank, die die stärksten Kreditorenabzüge zu verkraften hatte. Der Zusammenbruch der Danat-Bank führte zu einem massenhaften Abzug der Kundeneinlagen auch bei „gesunden“ Banken (vgl. BFSKWG/Fischer, Einf. Rn. 4) und löste so eine allgemeine Bankenkrise aus. Folge war letztlich eine rückläufige Kreditvergabe und wohl dadurch bedingt eine Beschleunigung des Konjunkturverfalls in der deutschen Wirtschaft (Born in Deutsche Bankengeschichte, S. 17, 138). Zur künftigen Vermeidung einer solchen Krise (vgl. Wandel, in: Deutsche Bankengeschichte, S. 149, 150) wurde schließlich das am 5. Dezember 1934 verkündete Reichsgesetz über das Kreditwesen (RGBl. I 1934, S. 1203 ff.) geschaffen, Vorläufer des heutigen Kreditwesengesetzes. Vollumfängliche Krisensicherheit besteht indes nicht, wie die gegenwärtigen Auswirkungen der US-Hypothekenkrise (siehe dazu Amann, Spiegel-Online vom 17. August 2007; Pitzke, Spiegel-Online vom 16. August 2007; ders., Spiegel-Online vom 17. August 2007) auf die deutschen Banken zeigen (dazu beispielsweise Spiegel-Online vom 18. August 2007, abrufbar unter: www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,500626,00. html). 447 Richter, in: Firmenkundenkredite, S. 209, 276.

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2. Teil, 6. Kap.: Die untreuespezifische Vorsatzfeststellung

Der BGH führt als Kriterium auch die „Unbeherrschbarkeit“ des Kreditengagements an449. Zu einer solchen Unbeherrschbarkeit kann es insbesondere dann kommen, wenn einem kreditnehmenden Unternehmen neben einer Vielzahl bestehender Kredite und Nachfinanzierungen, bei denen die Sicherheitenposition kaum noch überschaubar ist und Sicherheitenwerte nicht aktuell und sachverständig überprüft werden, unbesicherte Kontokorrentkredite mit erheblichem Verfügungsrahmen gewährt werden, ohne dass eine ausreichende Überwachung des Gesamtkreditvolumens gegenüber den Sicherheitenwerten und der Nachhaltigkeit des Kreditrückführungspotenzials erfolgt. Kommt noch hinzu, dass der Kreditnehmer ein komplexes und intransparentes Firmengeflecht aufgebaut hat, das von der Bank nicht genau untersucht wird, so wird sich der Handelnde bei einer solchen nicht mehr überschaubaren Kreditsituation kaum darauf berufen können, er habe auf die Werthaltigkeit der Kreditrückzahlungsansprüche vertraut. Auch im Bereich der Betrugsdelikte hat der BGH im Rahmen der Feststellung des „Willenselementes“ auf ganz ähnliche Pflichtverletzungen abgestellt. Eine Pflichtverletzung kann ebenfalls namentlich in einem Verstoß gegen das KWG oder in einem „gravierenden“ Verstoß gegen (sonstige) Rechtsvorschriften liegen, die dem Anlegerschutz dienen (zum Beispiel unzureichende Bilanzierung des treupflichtigen Unternehmens mit der Folge intransparenter Vermögensverhältnisse)450. Noch einmal ausdrücklich hinzuweisen ist darauf, dass der Täter den jeweiligen Pflichtverstoß bewusst begangen haben muss451. Hat der Täter beispielsweise nicht erkannt, dass er gegen die Kompetenzvorschriften oder die Höchstkreditgrenzen verstößt, oder kannte der Täter die anlegerschützende Rechtsnorm nicht, kann die Pflichtverletzung für die Vorsatzfeststellung nicht herangezogen werden. Hat der Täter den Verstoß jedoch bewusst begangen (dies ist im Wege des Alternativenausschlussverfahrens festzustellen), so müssen etwaige Alternativerklärungen anhand des Gesamtgeschehens überprüft werden. Nur wenn eine Alternativerklärung mit dem sonstigen Geschehen vereinbar ist, kann sie als fundiert angesehen werden. Kann eine solche plausible Alternativerklärung nicht anhand von Erfahrungssätzen ausgeschlossen werden, ist der Nachweis des Vorsatzes nicht möglich.

448 449 450 451

Vgl. Knierim, in: Wabnitz/Janovsky, Wirtschaftsstrafrecht, 8. Kapitel, Rn. 242. BGHSt 47, S. 148, 157 (Sparkasse Mannheim). BGH JZ 2004, S. 737, 742 = JR 2005, S. 31, 36. Richter, in: Firmenkundenkredite, S. 209, 276.

A. Anwendung des Alternativenausschlussverfahrens auf § 266

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cc) Nachtatverhalten Im Rahmen der Vorsatzfeststellung wird auch diskutiert, ob Nachtathandlungen (zum Beispiel Rettungsmaßnahmen) oder Äußerungen nach der Tat452 indiziell für bzw. gegen den Vorsatz sprechen können453, wobei es dabei nicht um nachfolgenden Vorsatz (dolus subsequens)454, sondern um die Indizierung des Vorsatzes zur Tatzeit durch das Verhalten nach der Tat geht. Das Kriterium erscheint jedoch äußerst vage. Zumindest wird in jedem Einzelfall eine genaue Prüfung erforderlich sein, ob das konkrete Verhalten oder die konkrete Äußerung tatsächlich Ausdruck einer Bestätigung des Vorsatzes oder des Nichtvorsatzes zur Tatzeit ist, ja überhaupt sein kann; beispielsweise können nachträgliche vorsatzbejahende Äußerungen auch bloße Angeberei455 oder – umgekehrt – vorsatzabstreitende Äußerungen bloße Schutzbehauptungen sein. Man wird das Nachtatverhalten jedenfalls nur mit Bedacht als Beweisanzeichen werten können456. Vielfach wird sich nicht feststellen lassen, ob der Täter eine Rettungshandlung nach der eigentlichen Tatausführung tätigt, weil er schon bei der Tatausführung keinen Vorsatz hatte oder weil er vielmehr die Folgen seiner (vorsätzlichen) Tat fürchtet457 oder die (vorsätzliche) Tat nur bereut458, verdecken oder wiedergutmachen will. Ebenso wie ein „Vermeideverhalten“ im Sinne Armin Kaufmanns könnte auch ein Nachtatverhalten „Ergebnis verbrecherischstrategischen Kalküls“459 sein. Etwas anderes mag im speziellen Fall des unerlaubten Entfernens vom Unfallort (§ 142) gelten. Voraussetzung für die Verwirklichung des Deliktstatbestandes ist insbesondere, dass der Täter überhaupt Kenntnis oder Möglichkeitswissen davon hat, dass sich ein Unfall ereignet hat. Hierbei kann die Art und Weise des Entfernens vom Unfallort durchaus Aufschluss darüber geben, ob der Täter diese Kenntnis hatte. Entfernt er sich vom Unfallort mit abgeschaltetem Licht oder deutlich überhöhter Geschwindigkeit, so kann dies durchaus – bei Fehlen plausibler Alternativerklärungen – dafür sprechen, dass er die erforderliche Kenntnis oder das Möglichkeitswissen 452

Vgl. Frisch, in: GS-Meyer, S. 533, 560. BGH StV 1992, S. 574, 575; BGH StV 1993, S. 307. 454 Siehe dazu Roxin, Strafrecht AT, § 12 Rn. 91. Scheffler, JURA 1995, S. 349, 355, meint zum dolus subsequens, dieser lasse wenigstens Schlüsse auf den Tatvorsatz zu. 455 Vgl. Altvater, NStZ 2000, S. 18, 19. 456 Altvater, NStZ 2000, S. 18, 19; vgl. auch Bauer, wistra 1991, S. 168, 170, der eine Parallele zur unbeachtlichen protestatio facto contraria andeutet. 457 Vgl. BGH NStZ-RR 2001, S. 369, 370. 458 Vgl. MünchKommStGB/Schneider, § 212 Rn. 33. 459 Vgl. Hassemer, in: GS-Kaufmann, S. 289, 292. 453

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2. Teil, 6. Kap.: Die untreuespezifische Vorsatzfeststellung

des Unfalles hatte460. Allerdings dürfte es sich bei einem solchen Verhalten des Täters weniger um ein „Nachtatverhalten“ im obigen Sinne handeln, sondern vielmehr um ein Verhalten bei Ausführung der Tat, denn das „Sichentfernen“ ist bei § 142 Abs. 1 die Tathandlung. c) Motive und Interessenlage Maßgebliche Bedeutung bei der Feststellung des Vorsatzes, und zwar sowohl des direkten Vorsatzes als auch des bedingten Vorsatzes, kommt in der Rechtsprechung den Motiven und der Interessenlage des Täters zu. So heißt es beispielsweise bei den Tötungsdelikten: „In die Prüfung des im bedingten Vorsatz enthaltenen Willenselements ist auch die Motivlage des Täters einzubeziehen. An einem billigenden Inkaufnehmen des Tötungserfolges kann es insbesondere dann fehlen, wenn ein – aus der Sicht des Täters – nachvollziehbarer Beweggrund für eine so schwere Tat, wie die Tötung eines Menschen, fehlt.“461

Hierbei ist der enge Zusammenhang zwischen Hemmschwelle vor der Tötung eines Menschen462 und der fehlenden Motivation besonders hervorzuheben. Gerade dann, wenn kein einsichtiger Beweggrund für eine Tötung ersichtlich ist, zweifelt der BGH regelmäßig an einer Überwindung dieser Hemmschwelle463. Aber auch bei den Untreuefällen sollen nach der Rechtsprechung, wie erwähnt, Motive und Interessenlage wichtige Anhaltspunkte liefern. Hier kommt in erster Linie eine (beabsichtigte) Bereicherung durch Zuführung des anvertrauten Vermögens an den Täter selbst oder einen tatsächlich (nicht nur rechtlich) nahestehenden Dritten464 (zum Beispiel Ehegatte, Lebensgefährte, Kinder) in Betracht (aa)). Ein eigennütziges Handeln kann aber auch darin liegen, dass der Täter sich durch die Verfügung über das Vermögen einen ideellen oder einen mittelbar finanziellen Vorteil verschafft, ohne sich den veruntreuten Vermögensteil direkt zu verschaffen (bb)). Zur Vermeidung einer vorschnellen Vorsatzverneinung ist der Sachverhalt also auch auf Anhaltspunkte bzw. Beweise für derartige mittelbare Vorteile zu untersuchen. Lassen sich entsprechende eigennützige Motivationen nicht feststellen, fällt in der Praxis der Vorsatznachweis oft schwerer (cc)). 460 Vgl. BGH VRS 21, S. 113, 118. Dazu auch Geppert, in: LK, 11. Auflage, § 142 Rn. 170. 461 BGH NStZ 1994, S. 483, 484 f. 462 Siehe dazu 4. Kapitel, C. II. 1, insbesondere Fußnote 100. 463 Siehe z. B. BGH NStZ 1984, S. 19. 464 Vgl. Sachverhaltskonstellation bei BGH wistra 2000, S. 384 ff., wobei allerdings schon der objektive Tatbestand verneint wurde.

A. Anwendung des Alternativenausschlussverfahrens auf § 266

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Anhaltspunkte kann in so einem Fall eine genauere Betrachtung der Beziehung zwischen Täter und Tatopfer geben (dd)). aa) Eigennutz durch „direkte“ Bereicherung (1) Vorsatzhypothese Führt die Vermögensminderung nachweislich direkt zu einem Vermögenszuwachs beim Täter oder einem diesem tatsächlich nahestehenden Dritten, so kann dies für eine (bedingt) vorsätzliche Handlung sprechen. So könnte beispielsweise der (faktische) Geschäftsführer einer GmbH Vermögen treuwidrig von einem Konto der GmbH auf sein eigenes Konto transferieren465, sich auszahlen lassen oder sonst für private Zwecke verwenden466. Gerade wenn sich der Geschäftsführer privat in einer wirtschaftlich angespannten Lage befindet, können Vermögensverschiebungen Vorsatz nahe legen467. Auch im Bankbereich wird das Indiz des Eigennutzes relevant468. Handelt der Täter im Eigeninteresse (zum Beispiel Kreditgewährung an sich selbst oder nahestehende Dritte), so besteht die Gefahr, dass dieses Eigeninteresse die rationale Kreditentscheidung über die Vertretbarkeit des Einzelfallrisikos überlagert und zu unvertretbaren Kreditentscheidungen führt („Selbstbedienung“469), weil nicht mehr der Schutz des Bankvermögens im Vordergrund steht. Im Kreditbereich hat dieser Gedanke in § 15 KWG seinen Niederschlag gefunden: Bei einer Kreditvergabe an Organe, bestimmte Mitarbeiter (zum Beispiel Prokuristen) oder deren Ehegatten, Lebenspartner, minderjährige Kinder, sind in bestimmten Fällen besondere Beschlussfassungen und Zustimmungen erforderlich. Fehlt es bei einem Organkredit an der erforderlichen Beschlussfassung und Zustimmungseinholung nach § 15 Abs. 1 Satz 1 KWG, so könnte dies – bei vorhandener Möglichkeitskenntnis bezüglich der Minderwertigkeit – ein Anzeichen dafür sein, dass der Handelnde sich für die Rechtsgutverletzung entschieden hat470.

465

Vgl. BGH wistra 2006, S. 265. Vgl. BGHSt 34, S. 379, 383. 467 Vgl. BGH wistra 2008, S. 379, 382. 468 Vgl. BGHSt 46, S. 30, 34 (Sparkasse). 469 Begriff von Fischer, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, § 130 Rn. 4. 470 Zu möglichen Alternativerklärungen und deren Ausschluss bei einem Verstoß gegen Genehmigungspflichten siehe vorstehend unter b) aa) (3). 466

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2. Teil, 6. Kap.: Die untreuespezifische Vorsatzfeststellung

(2) Mögliche Alternativerklärungen und deren Ausschluss In Fällen von direkter Zuwendung des Vermögensvorteils muss als Alternativerklärung geprüft werden, ob der Täter die Verfügung für berechtigt hielt (und halten konnte), zum Beispiel aufgrund der irrigen Annahme eines Einverständnisses oder der Verkennung von Zustimmungserfordernissen. Da hier die Gefahr bloßer Schutzbehauptungen besonders groß ist, ist sorgfältig zu prüfen, ob es Anhaltspunkte gibt, die die Alternativerklärung, zum Beispiel die irrige Annahme eines Einverständnisses, stützen könnten. Behauptet der GmbH-Geschäftsführer, er habe mit dem auf sein Privatkonto überwiesenen Geld Verbindlichkeiten der GmbH gegenüber Dritten durch spätere Weiterleitung begleichen wollen471, so wird dies zunächst deswegen problematisch erscheinen, weil an sich kein Grund ersichtlich ist, weshalb die Begleichung der GmbH-Schulden auf dem Umweg über ein Privatkonto erfolgen soll. Ausgeschlossen ist eine solche Gegenhypothese aber nicht. Hat der Täter schon vor der untreuerelevanten Tat Vermögen der GmbH in gleicher Weise auf sein Privatkonto verfügt und damit dann nachweislich tatsächlich Verbindlichkeiten der GmbH beglichen, so könnte ihm dies unter Umständen zugutekommen. Anders wäre dies möglicherweise dann zu beurteilen, wenn der Täter nachweislich Kenntnis von einer bevorstehenden Insolvenz der GmbH hatte oder ihm zumindest entsprechende Anhaltspunkte nachweislich bekannt waren und die Beträge in einem engen zeitlichen Zusammenhang abverfügt werden oder eine Größenordnung aufweisen, in der objektiv keine Verbindlichkeiten bestanden und auch nicht subjektiv tatsachenfundiert vom Täter behauptet werden können. bb) Persönliche Interessenverflechtungen und sonstige Vorteile Hat der Täter das Vermögen des Treugebers nicht sich selbst oder einem nahestehenden Dritten direkt zugewendet, so wäre zu untersuchen, ob er durch die Verfügung über das Vermögen einen mittelbaren finanziellen Vorteil erlangt hat oder sonst ein ideelles Interesse an der schädigenden Vermögensverfügung hatte. Auch dies kann ebenso indiziell für den Vorsatz sein wie eine direkte Verfügung über das Fremdvermögen zugunsten des Täters. Ein mittelbarer finanzieller Vorteil könnte beispielsweise darin liegen, dass der Täter einem Dritten Vorteile zu Lasten des Vermögens des Treugebers zuwendet und von dem Dritten als „Gegenleistung“ Geld- oder Sachvorteile (zum Beispiel Provision [„Schmiergeld“], Schmuck, Reisen) erhält. Ein solcher Sachverhalt lag beispielsweise der BGH-Entscheidung 471

Vgl. den Fall BGH wistra 2006, S. 265.

A. Anwendung des Alternativenausschlussverfahrens auf § 266

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im Wuppertaler Korruptionsskandal zugrunde472. Der Angeklagte, Geschäftsführer einer GmbH, hatte Bauaufträge an die Firma G-KG zu überhöhten Preisen, also zum Nachteil der GmbH, vergeben und dafür eigene, umfangreiche Vorteilszuwendungen von dem gesondert verfolgten K erhalten (der wiederum von der G-KG für die Vermittlung von Aufträgen verdeckte Provisionen erhielt). Ist in einer solchen Fallkonstellation wenigstens Möglichkeitswissen bezüglich der Vermögensschädigung nachweisbar, so legt die Annahme der Zuwendung nahe, dass der Täter diese Gefahr ernst genommen und sich damit um des erstrebten Vorteils willen abgefunden hat. Auch bei einer Kreditvergabe ist denkbar, dass der Entscheidungsträger Kredite an bonitätsschwache Kreditnehmer vergibt, weil er dafür Sachoder Geldzuwendungen von dem Kreditnehmer erhält473. In Betracht kommen auch persönliche Interessenverflechtungen wie im erörterten Fall Sponsoring SSV Reutlingen474, in dem der Vorstand einer Aktiengesellschaft einem Sportverein, dessen Präsident zugleich designierter Aufsichtsratsvorsitzender des „zuwendenden“ Unternehmens war, Sponsoringgelder hat zukommen lassen. Ziel einer pflichtwidrigen Verfügung des Treunehmers über das Vermögen des Treugebers kann auch ein persönlicher Reputationsgewinn sein475. So könnte beispielsweise der Entscheidungsträger einer Bank – trotz für möglich gehaltener unzureichender Bonität des Kreditnehmers – „Problemkredite“ vergeben, um damit von einem Bonusprogramm zu profitieren, das für den Abschluss einer bestimmten Anzahl von Kreditverträgen Sondervergütungen vorsieht. Beweggrund für riskante Kreditvergaben kann aber auch ein genereller Erwartungsdruck nach Umsatz- und Produktausweitung sein, der die Wettbewerbsstellung der Bank verbessern soll476. Motivation gerade für hoch riskante Sanierungskredite, die den objektiven Tatbestand der Untreue erfüllen, könnte auch das Interesse darstellen, einen bereits notleidenden Kredit zu verdecken477. Hierbei ist allerdings im Einzelfall angesichts des unternehmerischen Entscheidungsspielraums genau zu prüfen, ob die Maßnahme in den Augen des Handelnden vielleicht doch Aussicht auf Erfolg gehabt haben könnte478 und 472

BGH NJW 2006, S. 2864 ff. Vgl. BGH, Entscheidung vom 25. März 1960 – 1 StR 606/59, zitiert nach Otto, Bankentätigkeit, S. 70. 474 BGHSt 47, S. 187 ff. Siehe 4. Kapitel, C. II. 2. g), und vorstehend unter b) aa). 475 Laskos, Strafbarkeit, S. 148. 476 Knierim, in: Wabnitz/Janovsky, Wirtschaftsstrafrecht, 8. Kapitel, Rn. 230. 477 Laskos, Strafbarkeit, S. 148; BGH, Entscheidung vom 25. März 1960 – 1 StR 606/59, zitiert nach Otto, Bankentätigkeit, S. 70. 478 Vgl. BGH wistra 2006, S. 266, 267. Siehe auch vorstehend A. III. 1. c) bb) (1) (b). 473

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2. Teil, 6. Kap.: Die untreuespezifische Vorsatzfeststellung

dies mit entsprechenden Tatsachen des Gesamtgeschehens als nicht völlig abstrakt-theorerische Möglichkeit belegt werden kann. Schließlich kann auch eine übertriebene Gewinnsucht des Täters Rückschlüsse auf seinen Vorsatz zulassen479. cc) Problem des fehlenden Eigennutzes In der Rechtspraxis ist die Feststellung des Untreuevorsatzes vor allem dann erschwert, wenn gerade kein Eigennutz des Täters festgestellt werden kann480: „Nach ständiger Rechtsprechung macht der weite Rahmen des objektiven Tatbestandes der Untreue erforderlich, strenge Anforderungen an den Nachweis der inneren Tatseite zu stellen. Dies gilt umso mehr, wenn nur bedingter Vorsatz infrage steht und der Täter – wie hier – nicht eigennützig gehandelt hat.“481

So hatte der BGH beispielsweise Zweifel am Vorsatz eines Rechtsanwaltes, der von Mandanten mit der Durchsetzung und Beitreibung von Forderungen beauftragt war, in der Sache aber weitgehend untätig blieb: Der Rechtsanwalt habe ersichtlich gegen seine Interessen gehandelt. Es habe nicht auf der Hand gelegen, dass der Rechtsanwalt die mit seinem Verhalten verbundenen finanziellen Nachteile und den möglichen Ansehensverlust um eines anderen Zieles willen in seinen Willen aufgenommen hatte482. Wichtig ist, in Fällen, in denen objektiv ein untreuerelevantes Verhalten bejaht werden kann, zunächst genau zu untersuchen, ob der Handelnde, wenn er schon keinen unmittelbaren Vorteil erzielt, so doch zumindest mittelbar von seiner Handlung profitiert (dazu vorstehend bb)) und aus diesem Grund ein Motiv für die Tat hat. Lässt sich dies nicht nachweisen, so ist zu überprüfen, ob sich aus der Beziehung zum Tatopfer, also dem Treugeber, Rückschlüsse auf den Vorsatz ziehen lassen (dazu nachstehend dd)). Aber auch ohne Feststellung eines eigennützigen Motivs oder besonderer Er479

Laskos, Strafbarkeit, S. 148. Labsch, Untreue, S. 335, charakterisiert Untreuehandlungen aus den Beobachtungen in der Rechtspraxis als „eigensüchtig motivierte Schädigungen“. Diese Charakterisierung dürfte damit zusammen hängen, dass in Fällen fehlenden Eigennutzes eine Verurteilung oft jedenfalls am fehlenden Vorsatznachweis scheitert und es daher umgekehrt oft nur in Fällen, in denen der Täter nachweislich eigensüchtig gehandelt hat, zur Verurteilung kommt, vgl. auch Aldenhoff/Kuhn, ZIP 2004, S. 103, 107, Fußnote 60. 481 BGH wistra 2003, S. 463, 464. Siehe dazu im Übrigen schon 1. Kapitel, C. 482 BGH NJW 1983, S. 461. Hier ist folgendes zu beachten: Im besprochenen Fall OLG Karlsruhe NStZ 1990, S. 82 ff. (siehe oben in diesem Kapitel, A. III. 1. c) cc)), hat das Gericht bei der Frage der Zahlungswilligkeit bei den belastenden Indizien maßgeblich auf aktives Tun (Abstreiten, Vertrösten etc.) abgestellt. Hier blieb der Rechtsanwalt nur untätig. 480

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kenntnisse aus der Beziehung zum Tatopfer ist der Vorsatznachweis nicht ausgeschlossen, und zwar selbst dann nicht, wenn der Täter angeblich zum Wohle des Treugebers gehandelt hat483. Jedenfalls dann, wenn sich eine Vielzahl bewusster Pflichtverletzungen feststellen lässt oder der Täter Geheimhaltungs- und Verschleierungsmaßnahmen ergreift, kann der Nachweis zumindest bedingten Vorsatzes gelingen. Weder muss die Schädigung des Vermögens des Treugebers noch eine Bereicherung auf Seiten des Täters beabsichtigt gewesen sein. Die Forderung des BGH nach „strengen Anforderungen“ bei der Vorsatzfeststellung in Fällen fehlenden Eigennutzes ist also demnach nicht zu beanstanden. Da die Vorsatzfeststellung bei fehlendem Eigennutz nur anhand des Rückschlusses aus dem objektiven Geschehen gelingen kann, müssen hierbei besonders sorgfältige Ermittlungen durch den Tatrichter vorgenommen werden, um das Möglichkeitswissen und die Entscheidung für die Rechtsgutverletzung, die nicht durch die „Bereicherung“ motiviert ist, nachzuweisen. dd) Emotive Nähe und feindselige Einstellung des Täters zum Opfer So wie tendenziell eine persönliche oder materielle Verflechtung zwischen Täter und dem durch die Untreuehandlung Begünstigten indizielle Wirkung für den Vorsatz haben kann, kann auch der Charakter der Bindung zwischen dem Täter und dem Treugeber (Tatopfer) zumindest vage Anhaltspunkte für oder gegen den Vorsatz liefern. Ähnlich wie bei den Tötungsdelikten eine „neutrale“ Beziehung zwischen Täter und Opfer gegen, eine feindselige Einstellung dagegen für Tötungsvorsatz sprechen kann484, kann eine emotive Nähe zwischen Treugeber und Treunehmer gegen das „Willenselement“ des Untreuevorsatzes, eine feindselige Einstellung zum Treugeber dagegen für das „Willenselement“ sprechen. Eine emotive Nähe kann bespielsweise dann gegeben sein, wenn der Treugeber dem Treupflichtigen besonders nahesteht (zum Beispiel anvertrautes väterliches Vermögen). Jedenfalls wenn die Untreuehandlung nicht zu einer Bereicherung beim Treupflichtigen führt, kann die emotive Nähe eine Gegenhypothese für den Vorsatz darstellen und eine Berufung auf das Vertrauen in den Nichteintritt des Schadens plausibel erscheinen lassen. Lassen sich dagegen Anhaltspunkte feststellen, die belegen, dass der Treupflichtige dem Treugeber „feindlich“ gesonnen war, so kann dies ein mögliches Indiz für das „Willenselement“ sein (zum Beispiel Schädigung des Vermögens des Arbeitgebers durch den Arbeitnehmer als Racheakt485). Auch hier wird der 483

Vgl. Saliger, Parteiengesetz, S. 480. BGH NStZ 1994, S. 483, 484 f. (Asylheim); siehe auch: Scheffler, JURA 1995, S. 349, 355. 484

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2. Teil, 6. Kap.: Die untreuespezifische Vorsatzfeststellung

Vorsatznachweis nur dann überzeugend gelingen, wenn die entsprechende (Möglichkeits-)Kenntnis der Folgen nachgewiesen werden kann und mögliche Alternativerklärungen ausgeschlossen werden können. Die innere positive Einstellung des Handelnden zum Erfolg sagt nämlich nichts über die Kenntnis der objektiven Tatbestandsmerkmale aus486. „Rachegelüste“ können nämlich subjektiv – auch bei objektiv zu bejahender Untreue, über die sich der Täter im Nachhinein insgeheim freut – mit bloßer Fahrlässigkeit koinzidieren.

B. Ergebnis Die praxisrelevante Darstellung der untreuespezifischen Vorsatzfeststellung hat gezeigt, dass mit Hilfe des Alternativenausschlussverfahrens eine einzelfallgerechte Vorsatzfeststellung bei Zugrundelegung des gesamten Tatgeschehens möglich ist. Dabei wurde deutlich, dass die Methode zur Vorsatzfeststellung in der gegenwärtigen Rechtsprechung durchaus erkennbar ist, jedoch noch einer konsequenteren Umsetzung bedarf. Der hier befürwortete materiellrechtliche Vorsatzbegriff hält damit einer Überprüfung seiner Tauglichkeit in prozessualer Hinsicht stand.

485 486

Vgl. Arzt/Weber, Strafrecht BT, § 22 Rn. 2. Vgl. Freund, Tatsachenfeststellung, S. 35.

Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse 1. Geschütztes Rechtsgut des § 266 ist allein das Vermögen. Das Erfolgsunrecht besteht in der Zufügung eines Vermögensschadens. Geschützt wird das Vermögen nur gegen bestimmte Angriffsformen; ein umfassender Schutz des Vermögens gegen jegliche Angriffsform würde eine wirtschaftliche Betätigung unmöglich machen. Handlungsunrecht ist bei § 266 der Missbrauch einer eingeräumten Verfügungs- oder Verpflichtungsbefugnis (1. Tatbestandsalternative) bzw. die Verletzung einer Treupflicht (2. Tatbestandsalternative). Die 1. Alternative setzt nach hier vertretener Ansicht ein im Außenverhältnis wirksames Handeln voraus; bei der 2. Alternative reicht eine rein tatsächliche Handlung zur Verwirklichung des Tatbestandes. Zusammenfassend lässt sich das Untreueunrecht als eine Schädigung fremden Vermögens „von innen heraus“ kennzeichnen. 2. Bei der Kennzeichnung der zum Vermögen zu zählenden Positionen ist eine juristisch-ökonomische Betrachtungsweise zugrundezulegen, bei der im Rahmen der Schadensbestimmung auch ein sogenannter individueller Schadenseinschlag beim Vermögensinhaber berücksichtigt wird (objektiv-individuelle Betrachtungsweise). Eine Anwendung der zu § 263 entwickelten Zweckverfehlungslehre auf § 266 erscheint nicht angezeigt. Ob eine – per se – vermögensmindernde Verfügung des Treupflichtigen untreuerelevant ist, ist nicht Frage des Vermögens- bzw. des Schadensbegriffs, sondern beim Merkmal der Treuwidrigkeit zu entscheiden. 3. Die Missbrauchsalternative ist lex specialis zur Treubruchuntreue. Das Merkmal der Vermögensbetreuungspflicht bezieht sich auf beide Tatbestandsalternativen und weist in beiden Fällen identischen Inhalt auf. An die Pflichtenstellung sind daher im Missbrauchstatbestand die gleichen Anforderungen zu stellen wie im Treubruchtatbestand. Im Interesse einer einschränkenden Auslegung des Untreuetatbestandes darf die untreuespezifische Pflichtenstellung nicht bei jeder vermögensbezogenen Tätigkeit im weitesten Sinne bejaht werden, sondern muss durch Selbstständigkeit und einen gewissen Entscheidungsspielraum gekennzeichnet sein. 4. Der Untreuetatbestand, der das Handlungsunrecht nicht detailliert regelt, ist limitiert akzessorisch zum außerstrafrechtlichen Pflichtenbereich (Zivilrecht, öffentliches Recht). Ein Verhalten, das zivil- oder öffentlichrechtlich erlaubt ist, kann nicht pflichtwidrig im Sinne des § 266 sein. Bestehen Ermessens- und Beurteilungsspielräume, so kann das Strafrecht nur

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in einem engen, eindeutigen Bereich eingreifen, dessen Konturierung kontrovers diskutiert wird. Eine besondere Höhenmarke für die Bejahung des § 266 bei Verstoß gegen eine – vermögensschützende – außerstrafrechtliche Pflichtvorgabe (namentlich das Schädigungsverbot) gibt es nicht. Insbesondere das von der Rechtsprechung eingeführte Merkmal „gravierend“ ist nicht in diesem Sinne zu verstehen; es gestaltet vielmehr in bestimmten Fällen einen etwaigen Beurteilungsspielraum näher aus und schließt insbesondere nicht vermögensschützende Pflichtvorgaben, zum Beispiel bloß formale Zustimmungspflichten, als untreuerelevante Pflichten aus. 5. § 266 beschreibt das Handlungsunrecht relativ unpräzise. Bei der Frage, ob eine Handlung, die im Ergebnis zu einer Vermögensminderung geführt hat, auch einen Missbrauch bzw. Treubruch im Sinne des Tatbestandes darstellt, ist auf den im konkreten Einzelfall geltenden Pflichtenmaßstab abzustellen. Fehlt es an einer speziellen Vorgabe des Treugebers (zum Beispiel einer Beschreibung des akzeptierten Risikoumfanges), so ist auf das jeder Vermögensbetreuungspflicht immanente Schädigungsverbot als Minimalpflicht zurückzugreifen. Dabei ist zu beachten, dass ein allgemeines Schädigungsverbot keine untreuespezifische Pflichtenstellung begründen kann. Nur dann, wenn zuvor eine solche spezifische Pflichtenstellung (Vermögensbetreuungspflicht) des Täters festgestellt wurde, kann das Schädigungsverbot im Rahmen der Prüfung der Pflichtwidrigkeit relevant werden. Einschränkend ist dabei zu verlangen, dass die Schädigung – insbesondere wenn es um Fälle der Zerstörung einer Sache und ähnliche Handlungen geht – in einem inneren Zusammenhang mit der Vermögensbetreuungspflicht steht und nicht nur bei Gelegenheit der Betreuung erfolgt. In Fällen, in denen als Pflichtenmaßstab das Schädigungsverbot herangezogen wird, lässt sich vom Taterfolg, also der Schädigung, auf die Pflichtwidrigkeit rückschließen. Ist dagegen nicht das Schädigungsverbot einschlägige Pflicht, so scheidet ein derartiger Rückschluss aus. In diesem Fall ist anhand des zivil- bzw. öffentlichrechtlichen spezifischen Pflichtenmaßstabes eingehend zu prüfen, ob die in Rede stehende Vermögensminderung tatsächlich entgegen den Vorgaben des Treugebers erfolgte. 6. Der subjektive Tatbestand des § 266 verlangt in seiner gegenwärtigen Fassung eine vorsätzliche Tatbegehung, wobei bedingter Vorsatz als ausreichend angesehen wird. Reformvorschläge, die dahin gehen, den Vorsatz auf dolus directus zu beschränken, eine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit oder eine Bereicherungsabsicht einzuführen, sind abzulehnen. Mit dolus eventualis als unterster subjektiver Grenze ist das Verhältnis zwischen einem ausreichenden Schutz des Treugebervermögens einerseits und einer Gewährleistung freier wirtschaftlicher Betätigung andererseits ausgewogen.

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7. Die schon vom Reichsgericht geforderten „strengen Anforderungen“ beim Nachweis des Untreuevorsatzes sind im Ausgangspunkt mit den seinerzeitigen Restriktionsbemühungen des nach einer Gesetzesnovellierung im Jahre 1933 als zu weit empfundenen Untreuetatbestandes zu erklären („Vorsatzlösung“). Die Restriktion des Untreuetatbestandes über den subjektiven Tatbestand ist indessen abzulehnen. Einschränkungen des Anwendungsbereiches müssen im Hinblick auf die Rechtssicherheit im objektiven Tatbestand erfolgen. Ein Vergleich der Entscheidungen zu § 266 mit der Rechtsprechung zu anderen Delikten legt allerdings nahe, dass die Rechtsprechung „strenge Anforderungen“ – trotz entsprechender Formulierung bei den Entscheidungen zur Untreue – nicht (nur) zum Zwecke der Restriktion des § 266, sondern generell bei der Vorsatzfeststellung verlangt. Der Grund für das Bedürfnis nach sorgfältigen (Tatsachen-)Feststellungen liegt offenbar in der Schwierigkeit begründet, – unabhängig vom konkreten Delikt – eine bedingt vorsätzliche von einer bewusst fahrlässigen Tatbegehung zu unterscheiden. Da die Rechtsprechung insoweit auf einen Rückschluss vom objektiven Geschehen auf die innere Tatseite angewiesen ist, bedarf es entsprechend genauer Feststellungen zum objektiven Tathergang. Insbesondere den Revisionsgerichten ist anderenfalls eine revisionsrechtliche Überprüfung der Entscheidungen der Vorinstanzen nicht möglich. Misslich ist, dass die Rechtsprechung die – insoweit verständliche – Forderung nach sorgfältigen Feststellungen bei § 266 weiterhin mit dem Hinweis auf die Weite des Tatbestandes verknüpft. 8. Bezugspunkte des Untreuevorsatzes sind in erster Linie die untreuespezifische Pflichtenstellung, der Missbrauch einer Verpflichtungs- oder Verfügungsbefugnis bzw. die Verletzung einer Treupflicht („Pflichtwidrigkeit“) und der Vermögensnachteil. Hinsichtlich der besonderen Pflichtenstellung (Vermögensbetreuungspflicht) als Vorsatzbezugspunkt ist im Interesse einer restriktiven Anwendung des § 266 schon im objektiven Tatbestand ein enger Maßstab anzuwenden. Unproblematisch ist die Feststellung der Pflichtenstellung und des entsprechenden Vorsatzes namentlich bei den Personen, die gerade zu dem Zweck der Vermögensfürsorge eingesetzt werden (zum Beispiel Vermögensverwalter, Unternehmensvorstände). 9. a) Der Vorsatz bezüglich des Missbrauchs einer Verpflichtungs- oder Verfügungsbefugnis bzw. bezüglich der Treupflichtverletzung setzt voraus, dass der Täter den Umfang seiner Befugnisse (Treupflicht) kennt und weiß, dass sich das konkrete Verhalten außerhalb der Grenzen bewegt. Maßgeblich für diese Beurteilung ist das zugrunde liegende zivil- oder öffentlichrechtliche Rechtsverhältnis. In Fällen, in denen objektiv ein Rückschluss von der Schädigung auf die Pflichtwidrigkeit möglich ist (Verstoß gegen das Schädigungsverbot als Minimalpflicht), folgt regelmäßig der Pflichtwidrigkeitsvorsatz aus dem Schädigungsvorsatz. Letztlich wird aber der Tat-

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bestand nicht eingeebnet, denn der Pflichtwidrigkeitsvorsatz ist das Bewusstsein des Schädigungsverbotes. Dieses Schädigungsverbot dürfte dem Treupflichtigen in der Regel bewusst sein. In Fällen, in denen es nicht um einen Verstoß gegen das Schädigungsverbot als solches geht, ist eingehend zu prüfen, ob dem Täter der Verstoß gegen die in Rede stehende zivil- oder öffentlichrechtliche Pflicht bewusst war; ein „Rückschluss“ ist also nicht möglich. b) Die Pflichtwidrigkeit ist kein zusätzliches Tatbestandsmerkmal, sondern eine wertende Umschreibung der Tathandlung, also des Missbrauchs bzw. der Treupflichtverletzung. c) Kennt der Täter einen Umstand nicht, der zum gesetzlichen Tatbestand gehört, handelt er nach § 16 ohne Vorsatz. Da es sich bei § 266 um einen stark normativ geprägten Tatbestand handelt, reicht bloße Tatsachenkenntnis nicht aus – der Täter muss vielmehr auch Bedeutungskenntnis haben, das heißt gewisse rechtliche Wertungen vornehmen. Insoweit reicht eine Parallelwertung in der Laiensphäre aus. Abzulehnen ist die Einordnung der „Pflichtwidrigkeit“ als gesamttatbewertendes Merkmal. Dem steht nach hier vertretener Ansicht nicht entgegen, dass mit der erforderlichen Tatbestandskenntnis in der Regel notwendig zugleich das Unrechtsbewusstsein gegeben ist. d) Ein etwaiges Einverständnis des Vermögensinhabers mit einer Maßnahme des Treupflichtigen ist bei § 266 tatbestandsausschließend, weil im Falle einer Zustimmung kein Widerspruch zu den internen Bindungen vorliegen und damit kein Missbrauch bzw. keine Treupflichtverletzung gegeben sein kann. Die irrige Annahme eines Einverständnisses schließt daher bereits den Tatbestand aus. Die Wirksamkeit des Einverständnisses ist bei § 266 nach normativen Kriterien zu beurteilen. Die entsprechende normative Wertung muss der Täter dementsprechend auch subjektiv (laienhaft) nachvollzogen haben. e) Eine mutmaßliche Zustimmung kann sich tatbestands- oder rechtswidrigkeitsausschließend auswirken. Eröffnet die Treupflichtvereinbarung Auslegungsspielraum, so kann im Einzelfall Anlass zur Heranziehung des hypothetischen Willens des Vermögensinhabers bestehen. Dies erfolgt bereits auf Tatbestandsebene, sodass dem mutmaßlichen Einverständnis keine eigenständige Bedeutung zukommt. Ein Irrtum bei der Zugrundelegung des hypothetischen Willens ist nach den gleichen Regeln zu lösen wie die irrige Annahme eines „tatsächlichen“ Einverständnisses. Bewegt sich die Untreuehandlung nicht mehr in den (tatsächlichen oder wenigstens hypothetischen) Grenzen des Innenverhältnisses, so kommt allenfalls eine mutmaßliche Einwilligung als Rechtfertigungsgrund in Betracht. Ergibt sich im Nachhinein, dass der Vermögensinhaber mit der konkreten Maßnahme nicht

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einverstanden war, so kann unter bestimmten Voraussetzungen gleichwohl der Vorsatz fehlen. 10. a) Zur Feststellung, ob ein Schaden im Sinne des § 266 vorliegt, ist eine Gesamtsaldierung unter Berücksichtigung aller wertmindernden und werterhöhenden Faktoren vorzunehmen. Ein Schaden liegt vor, wenn die Vermögenslage nach der Untreuehandlung hinter dem Ausgangswert zurückbleibt oder eine Vermögensmehrungsaussicht nicht wahrgenommen wurde. Evident ist die Schadenszufügung bei einer per se kompensationslosen Vermögensminderung; in diesen Fällen kommt es maßgeblich auf die Pflichtwidrigkeit an. Bei einer kompensierten Vermögensminderung kommt es bei der Schadensfeststellung entscheidend auf die Gleichwertigkeit der erhaltenen Gegenleistung an. Bei einer Forderung richtet sich der Wert nach der Bonität. Ersatzansprüche sind bereits im objektiven Tatbestand schadensausschließend zu berücksichtigen, wenn der Täter jederzeit ausgleichsfähig und -willig war. b) Maßgeblich für die Schadensfeststellung ist – argumentum e § 16 – der Zeitpunkt der Tathandlung, nicht ein etwaiger späterer Endschaden. Steht der endgültige Schaden im Zeitpunkt der Tathandlung noch nicht fest, so kommt ein Schaden in Gestalt einer schadensgleichen Vermögensgefährdung in Betracht. Die Kritik an dieser Figur verfängt nicht, wenn und soweit in der Sache als Schaden nicht eine bloß abstrakte Gefährdung als ausreichend angesehen, sondern eine tatsächliche Wertbeeinträchtigung gefordert wird. Als schadensgleich ist eine Vermögensgefährdung dann anzusehen, wenn die Gefahr hinreichend konkret ist und somit bereits eine Wertbeeinträchtigung eingetreten ist, was im Einzelfall im Wege einer Gesamtbetrachtung der von Rechtsprechung und Lehre entwickelten Kriterien zu beurteilen ist. Ein späterer Schadensausgleich ist lediglich als Schadenswiedergutmachung bei der Strafzumessung zu berücksichtigen. c) Vorsätzlich handelt der Täter, wenn er die ökonomischen Daten, die den Schaden begründen, richtig erfasst hat. Bei einer schadensgleichen Vermögensgefährdung muss er die Vermögensbeeinträchtigung im Zeitpunkt der Tathandlung erkannt haben – auf den späteren Endschaden kommt es insoweit nicht an. Kennt der Täter nicht alle Tatsachen, die den Schaden begründen, so liegt ein Tatbestandsirrtum vor. Erfordert die Feststellung des Schadens (auch) eine gewisse rechtliche Bewertung, so muss der Täter diese zumindest laienhaft nachvollzogen haben. Hat der Täter den sozialen Sinn erfasst, so führt eine falsche subjektive Einschätzung im Übrigen zu einem bloßen Subsumtionsirrtum. 11. Voraussetzung für die strafrechtliche Verantwortlichkeit ist auch bei § 266 die Kausalität zwischen Handlung und Erfolg. Anzuwenden sind auf den Untreuetatbestand auch die Grundsätze der objektiven Zurechnung.

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Demnach müssen bei einem Pflichtenverstoß der Schutzzweck der verletzten Regelung sowie der Pflichtwidrigkeitszusammenhang überprüft werden. Rein formelle Pflichtverstöße können eine Untreuestrafbarkeit nicht begründen. Entscheidend kommt es vielmehr auf materielle Verstöße gegen Pflichten, die dem Vermögensschutz dienen, an. Für den Vorsatz ist die Erkenntnis des Täters erforderlich, dass er eine unerlaubte Gefahr geschaffen hat. 12. Die Analyse einiger exemplarischer Entscheidungen aus der Fallgruppe der Bankuntreuefälle zeigt, dass die Gerichte oftmals lediglich bedingten Vorsatz bezüglich des Vermögensschadens problematisieren, obwohl nach den tatsächlichen Feststellungen in den Entscheidungen („erkannte Vermögensgefährdung“) direkter Vorsatz nahegelegen hätte. Generell gilt folgendes: Hatte der Täter sichere Kenntnis der Vermögensbeeinträchtigung – zum Beispiel von der Minderwertigkeit des Kreditrückzahlungsanspruches –, liegt direkter Vorsatz vor. Hatte er lediglich Möglichkeitswissen, kommt bedingter Vorsatz in Betracht. Gleiches gilt auch in Fällen, in denen auf eine sogenannte schadensgleiche Vermögensgefährdung abgestellt, also eine Situation angenommen wird, in der das Vermögen wirtschaftlich bereits beeinträchtigt ist, sich aber ein „endgültiger“ Schaden noch nicht realisiert hat. Keinesfalls kann es bei der Frage des Vorsatzes auf die Einstellung zu einem solchen „Endschaden“ ankommen („Realisierungsvorsatz“), was die Rechtsprechung verbal betont, in der Sache jedoch oft nicht beachtet. Der Täter muss zum Tatzeitpunkt wissen bzw. für möglich halten, dass das Vermögen beeinträchtigt ist. Hält er dies für möglich, so entfällt Vorsatz nicht etwa deshalb, weil er die spätere endgültige Realisierung des Schadens missbilligt. Ein solches „überschießendes Willenselement“ kann es nicht geben. 13. a) Der umstrittenen Abgrenzung von dolus eventualis und bewusster Fahrlässigkeit kommt bei § 266 insofern besondere Bedeutung zu, als diese Frage über die Straflosigkeit entscheidet, da eine fahrlässige Tatbegehung bei § 266 nicht unter Strafe gestellt ist. Die Einführung einer dritten Schuldform zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit de lege ferenda ist abzulehnen. b) Bei der Ermittlung des materiellrechtlichen Vorsatzbegriffes darf die Frage des Nachweises der subjektiven Tatseite einerseits nicht gänzlich außer Betracht bleiben, andererseits aber auch nicht dazu führen, das materielle Recht auf seine Beweismöglichkeiten hin „zuzuschneiden“. Vor der – notwendigen – Frage nach dem Beweis des Vorsatzes ist sein Begriff in materiellrechtlicher Hinsicht festzulegen. Insofern sind von den „herkömmlichen“ Vorsatzabgrenzungstheorien diejenigen Ansätze generell abzulehnen, die eine Billigung, ein bloßes Möglichkeits- oder Wahrscheinlichkeitswissen verlangen. Auch die (undifferenzierte) Einbeziehung der Gleichgül-

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tigkeit kann nicht weiterhelfen. Von den hier als „neuere kognitive Ansätze“ bezeichneten Theorien konnte letztlich keine Variante ohne weiteres für § 266 überzeugen. c) Die Kontroverse über die Frage, ob der Vorsatz nur aus einem intellektuellen oder zusätzlich aus einem voluntativen Element besteht, verliert angesichts der Tatsache, dass die Vertreter beider Positionen längst zu Recht übereinstimmend die ratio der Vorsatzstrafe in der „Entscheidung für die Rechtsgutverletzung“ sehen, also eine Art von Stellungnahme des Täters verlangen, an Bedeutung. Letztlich scheint die Entscheidung nur mehr eine Frage der Terminologie, wobei hier befürwortet wird, die erforderliche Stellungnahme nicht im intellektuellen Element, sondern in einem zusätzlichen (wenn man so will: voluntativen) Element zu verorten, schon um Verwechslungen mit rein kognitiven Ansätzen zu vermeiden. Zur Beschreibung der psychologischen Situation einer „Entscheidung für die Rechtsgutverletzung“ ist die Verwendung des herrschenden Begriffes „Ernstnahme“ und zur Umschreibung fehlenden Vorsatzes der Begriff des „Vertrauens“ zu befürworten. 14. Die Schwierigkeit des Vorsatznachweises ergibt sich daraus, dass der Vorsatz als innerpsychischer Vorgang nicht beobachtbar ist. Eine unmittelbare Feststellung ist nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaften nicht möglich. Trotz dieser Schwierigkeit ist eine Beweislastumkehr hinsichtlich der inneren Tatseite abzulehnen. Eine Auswertung des Schrifttums und genauere Analyse der Rechtsprechung ergibt, dass entscheidender Anknüpfungspunkt für die Vorsatzfeststellung das objektive Geschehen ist. Aus dem objektiven Geschehen wird auf den Vorsatz rückgeschlossen. Es handelt sich dabei um einen Indizienbeweis. Soweit der Vorsatz nicht als beweisbare Tatsache, sondern als Disposition angesehen wird und damit der Nachweis vermittels sogenannter Indikatoren erfolgen soll, ergibt sich letztlich nichts anderes. Indizien bzw. Indikatoren sind Aspekte des äußeren Geschehens, vermittels derer der Rückschluss auf den subjektiven Tatbestand erfolgt. Unterschiede im praktischen Ergebnis ergeben sich nicht. Zur Vermeidung einer schematischen Zuschreibung ist im konkreten Fall der Gesamtsachverhalt zu berücksichtigen, also eine Gesamtschau von Indizien vorzunehmen. Erforderlich ist eine vollständige Erfassung aller Indizien bzw. Indikatoren, wobei tatferne Indizien außer Betracht bleiben müssen. Die Kreation eines universellen Vorsatzbegriffes ist angesichts der Vielgestaltigkeit der Straftatbestände und der Lebenssachverhalte Utopie. Im Sinne einer einzelfallgerechten Vorsatzfeststellung können die maßgeblichen Indizien nur anhand des konkreten Einzelgeschehens gefunden und gewichtet werden. Verallgemeinerungsfähig ist allerdings die Methode, mit der Indizien bzw. Indikatoren gewonnen und überprüft werden können. Ein ver-

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bleibendes Fehlverurteilungsrestrisiko ist dabei trotz allem letztlich nicht vermeidbar. 15. Ist im Strafprozess die ontologische Urteilsbasis festgestellt, so hat das Gericht nach § 261 StPO über das Ergebnis der Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden. Das Gericht ist weder an Beweisregeln noch Richtlinien gebunden, darf aber andererseits auch nicht willkürlich entscheiden; zu beachten sind Beweisverwertungsverbote, Denkgesetze und Erfahrungssätze. Objektive bzw. subjektive Wahrscheinlichkeiten oder eine Anhäufung von Indizien können die Überzeugung im Sinne von § 261 StPO nicht vermitteln. Dies geschieht vielmehr mit Hilfe des sogenannten Alternativenausschlussverfahrens. Dabei wird die aufgrund entsprechender Indizien formulierte Hypothese („Vorsatz“) dadurch als richtig belegt, dass gegenläufige Alternativerklärungen als mit dem maßgeblichen Gesamtsachverhalt unvereinbar ausgeschlossen werden. Gibt es plausible Alternativerklärungen, die ein Vertrauen auf den guten Ausgang nahelegen und können diese nicht anhand von Erfahrungssätzen widerlegt werden, so ist der Vorsatznachweis gescheitert. Gelingt es, mögliche Alternativerklärungen zu widerlegen, so kann der Vorsatznachweis – vorbehaltlich eines etwaigen, nicht bloß abstrakt-theoretischen Zweifels des Richters – als erbracht angesehen werden. Die möglichen Indizien und Alternativerklärungen können nur anhand des konkreten Einzelfalles gewonnen werden und lassen sich nicht generell für alle Fallgestaltungen abstrahieren. Orientierungspunkte zur systematischen Gewinnung von Indizien und Alternativerklärungen aus einem Gesamtsachverhalt können dabei insbesondere sein: die Art und Qualität des Wissens und die Wahrnehmungsfähigkeit des Täters, die Art des geschaffenen Risikos und die spezifische Gestalt der Handlung, die Tatsituation sowie die allgemeine Disposition des Täters nebst seiner Motivation und Interessenlage. 16. Im Rahmen der praxisrelevanten Darstellung der untreuespezifischen Vorsatzfeststellung im 6. Kapitel konnte gezeigt werden, dass und wie der Untreuevorsatz im Wege des Indizienbeweises mit Hilfe des Alternativenausschlussverfahrens nachgewiesen werden kann. Der hier befürwortete materiellrechtliche Vorsatzbegriff erweist sich damit auch in prozessualer Hinsicht als adäquat.

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Sachwortverzeichnis Absicht 56–57 Alternativenausschlussverfahren 237 – bei Untreue 246 – Vorsatzhypothese 238 Analogieverbot 112 Äquivalenztheorie 127 Bankuntreue – Objektiver Tatbestand 142 – Rechtsprechungsanalyse 132 – Subjektiver Tatbestand 147 Bereicherungsabsicht 56, 61 Bestimmtheitsgebot 35, 39, 92, 117, 157 Betrug 21, 26, 30, 110 Beweislastumkehr 199 Beweismaß 231 Beweistheorie 226 Beweisverbote 228 Beweisverwertungsverbote 228 Beweiswürdigung, freie 226, 228 Billigungstheorie 167 – modifizierte 174 CDU Hessen 118, 150, 157 Constitutio Criminalis Carolina 226 Denkgesetze 229 Dispositionsbegriffe 203 dolus directus 56–57, 165 dolus eventualis 56, 166 dolus ex re 223 Einverständnis 96 Einwilligung 96

Entscheidung für die Rechtsgutverletzung siehe Vorsatz 186 Entscheidungstheorie 186 Erfahrungssätze 229, 237 Erlaubnistatbestandsirrtum siehe Irrtümer 104 Ernstnahme der Gefahr 193 Ernstnahmetheorie 171 Eventualvorsatz siehe dolus eventualis 188 Fahrlässigkeit 58 Fehlverurteilungsrisiko 223 Fuzzy Logic 207 Geldwäsche 59 Gesamttatbewertendes Merkmal siehe Pflichtwidrigkeit 80 Gleichgültigkeitstheorie 168 GmbH 79, 99 gravierend siehe Pflichtverletzung 41 Handlungsunwert 24 Haushaltsuntreue 31, 86 Hemmschwelle 210 Hessen-CDU siehe CDU Hessen 118 Höhenmarke 39, 42 in dubio pro reo 200, 232 Indikatoren 217 Indizien 217–218 Indizienbeweis 217, 226 Indizientheorie 201 Irrtümer 75 – Bedeutungskenntnis 77 – deskriptive Merkmale 76

Sachwortverzeichnis – – – – –

Erlaubnistatbestandsirrtum 104 normative Merkmale 76 Parallelwertung 77 Subsumtionsirrtum 126 Tatbestandsirrtum 76, 80, 87, 94, 97, 101–102, 125, 158 – Verbotsirrtum 77–78, 83, 86–87, 97, 100, 104, 158 Kausalität 127 – Vorsatz 130 Kognitive Theorien siehe Vorsatz 176 Kriminalstatistik 17 Kriterienbaum 206, 236 kupiertes Erfolgsdelikt 61 Manifestation des Vermeidewillens 169 Mannesmann/Vodafone 42, 81, 87, 215, 249 Missbrauchstheorie 34 Missbrauchsuntreue – Abgrenzung zu Treubruchuntreue 33 – Handlungsunwert 24 – lex specialis 39 Möglichkeitstheorie 176 Nachteil siehe Schaden 105 nemo tenetur 197 Nötigung 82 Objektive Zurechnung 128 – Vorsatz 130 Objektiver Tatbestand 68 Ontologische Urteilsbasis 227 Parteiverrat 75 petitio principii 229 Pfandkehr 25 Pflichtverletzung – Ermessensentscheidungen 43–44 – gravierende 41 – Pflichtenmaßstab 47 – Schädigungsverbot 51

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Pflichtwidrigkeit – Begriff 74 – Gesamttatbewertendes Merkmal 80 – Pflichtwidrigkeitsvorsatz 72, 80 Pflichtwidrigkeitszusammenhang 129 praesumtio doli 224 Realisierungsvorsatz siehe Vorsatz 150 Rechtsgut 21 recklessness 162 Restriktionsbemühungen 17, 57, 113, 150 Risikogeschäft 48 Risikotheorie 180 Rückschluss 46 – vom Schädigungs- auf Pflichtwidrigkeitsvorsatz 93 – von Indizien auf Vorsatz 227 – von Schädigung auf Pflichtwidrigkeit 53, 144 – von Schädigungs- auf Pflichtwidrigkeitsvorsatz 73 Schaden – Ersatzanspruch 108 – Gesamtsaldierung 105 – Schadenseinschlag 29, 33 – Schadensermittlung 105 – Selbstschädigung 30 – Vermögensgefährdung siehe dort 110 – Vermögensmehrung 105 – Vorsatz 123 – Wiedergutmachung 123 – Zeitpunkt 109 – Zweckverfehlungen 30 Schädigungsverbot siehe Pflichtverletzung 51 Scheckkartenurteil 36 Schuldtheorie siehe Unrechtsbewusstsein 87 Schutzzweck der Norm 128 Schwarze Kasse 110, 115, 117 Steuerhinterziehung 226

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Sachwortverzeichnis

Subjektiver Tatbestand 56 Subsumtionsirrtum siehe Irrtümer 126 Subventionsbetrug 59 Tatbestandsirrtum siehe Irrtümer 76 Theorie der unabgeschirmten Gefahr 182 Theorie der Vorsatzgefahr 183 Treubruchtheorie 34 Treubruchuntreue – Abgrenzung zu Missbrauchsuntreue 33 – Handlungsunwert 24, 26 Typologischer Vorsatzbegriff 205 ultima ratio 23, 41, 58, 60, 162 Unrechtsbewusstsein 86 – Schuldtheorie 87, 188 – Vorsatztheorie 86 Unschuldsvermutung 200 Unterschlagung 27, 38, 71 Verbotsirrtum siehe Irrtümer 77 Vermögen – Angriffsformen 22 – Vermögensbegriffe 27 – Vorsatz bzgl. Fremdheit 71, 78 Vermögensbetreuungspflicht – Abgrenzung 33 – Bankmitarbeiter 71 – dualistische Konzeption 34 – Geschäftsführer 70 – Kassierer 71 – modifizierte dualistische Konzeption 37 – modifizierte monistische Konzeption 37 – monistische Konzeption 36 – Prokurist 71 – Verortung 33 – Vorsatz 69, 80 – Vorstände 70 Vermögensgefährdung 110 – Analogieverbot 112 – Konkretisierung 118

– Kritik 111 – Vorsatz 124 Vermögensminderung – Kompensation 92, 106 – kompensationslos 44, 54, 106 Vermögensschaden siehe Schaden 105 Verschleifung, Verzahnung 46, 54, 246 Vertrauen auf den Nichteintritt des Erfolges 193 – als Alternativerklärung 239 Voluntative Theorien siehe Vorsatz 167 Vorsatz – Abgrenzung zur Fahrlässigkeit 161, 186 – Begriff 163, 165 – Beweis 163, 197, 218 – Entscheidung 186, 188 – Feststellung bei Tötungsdelikten 209 – Feststellung bei Untreue 210, 246 – Gleichgültigkeit 193 – Kognitive Theorien 176, 189 – Objektive Bezugspunkte 68 – Ratio der Vorsatzbestrafung 186 – Realisierungsvorsatz 150, 152 – Rückschluss siehe dort 46 – Voluntative Theorien 167, 190 – Willenselement 166, 192 – Wissenselement 157, 165 Vorsatzhypothese siehe Alternativenausschlussverfahren 238 Vorsatzlösung 64 Vorsatztheorie siehe Unrechtsbewusstsein 86 Vorsatzvermutung siehe praesumtio doli 224 Wahrheit 227, 231 Wahrscheinlichkeitstheorie 178–179 white-collar-Kriminalität 17 Willenselement siehe Vorsatz 166 Wissenselement siehe Vorsatz 157 Wucher 25 Zivilrechtsakzessorietät 39–40, 100 – Limitierung 41