Unionsprimärrechtliche Pflichten der EU-Mitgliedstaaten zum Ausbau der Stromnetze: Zugleich ein Beitrag zur Diskussion um eine originäre Leistungsdimension der Warenverkehrsfreiheit [1 ed.] 9783428557943, 9783428157945

Energiebinnenmarkt und Energieunion sind nur mithilfe eines ausreichend ausgebauten Stromnetzes zu verwirklichen. Auch u

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Unionsprimärrechtliche Pflichten der EU-Mitgliedstaaten zum Ausbau der Stromnetze: Zugleich ein Beitrag zur Diskussion um eine originäre Leistungsdimension der Warenverkehrsfreiheit [1 ed.]
 9783428557943, 9783428157945

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Schriften zum Europäischen Recht Band 193

Unionsprimärrechtliche Pflichten der EU-Mitgliedstaaten zum Ausbau der Stromnetze Zugleich ein Beitrag zur Diskussion um eine originäre Leistungsdimension der Warenverkehrsfreiheit

Von Max Baumgart

Duncker & Humblot · Berlin

MAX BAUMGART

Unionsprimärrechtliche Pflichten der EU-Mitgliedstaaten zum Ausbau der Stromnetze

Schriften zum Europäischen Recht Herausgegeben von

Siegfried Magiera · Detlef Merten Matthias Niedobitek · Karl-Peter Sommermann

Band 193

Unionsprimärrechtliche Pflichten der EU-Mitgliedstaaten zum Ausbau der Stromnetze Zugleich ein Beitrag zur Diskussion um eine originäre Leistungsdimension der Warenverkehrsfreiheit

Von Max Baumgart

Duncker & Humblot · Berlin

Basler Dissertation, 2018. Die Hohe Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität zu Köln hat diese Arbeit im Jahr 2018 ebenfalls als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2020 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: 3w+p GmbH, Ochsenfurt-Hohestadt Druck: CPI buchbücher.de GmbH, Birkach Printed in Germany ISSN 0937-6305 ISBN 978-3-428-15794-5 (Print) ISBN 978-3-428-55794-3 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinen Eltern

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde 2018 von der Juristischen Fakultät der Universität Basel sowie der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln im Rahmen einer Cotutelle de thèse als Dissertation angenommen. Soweit sie Verweise auf das EU-Sekundärrecht enthält, beziehen sich diese auf den Rechtsstand vor Inkrafttreten des EU-Gesetzgebungspakets „Saubere Energie für alle Europäer“. Mein ganz besonderer Dank gilt den Erstbetreuern des Cotutelle-Verfahrens, Herrn Prof. Dr. Stephan Breitenmoser und Frau Prof. Dr. Daniela Winkler, für ihre stetige und fortwährende Unterstützung. Herrn Prof. Dr. Peter Hettich danke ich insbesondere für die Mitwirkung als Zweitbetreuer, Herrn Prof. Dr. Torsten Körber für den notwendigen Freiraum für die Fertigstellung des Projekts während meiner Mitarbeitertätigkeit an seinem Institut und Herrn Prof. Dr. Ulrich Ehricke besonders für die ersten Anregungen zu dem Thema. Für die Aufnahme meiner Arbeit in die Schriften zum Europäischen Recht danke ich Herrn Prof. Dr. Siegfried Magiera, Herrn Prof. Dr. Detlef Merten, Herrn Prof. Dr. Matthias Niedobitek und Herrn Prof. Dr. Karl-Peter Sommermann. Überdies gilt mein herzlicher Dank der Hanns-SeidelStiftung, von der ich für das vorliegende Projekt aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) ein Promotionsstipendium erhalten habe. Ebenso herzlich danke ich dem Verein zur Förderung des Instituts für Energierecht e. V. und der Rechtsanwaltssozietät Pinsent Masons LLP für großzügige Beiträge zu den Druckkosten der Arbeit. Mein Dank gilt ferner einer Vielzahl von weiteren Personen, die meine Dissertation mit wertvollen Tipps und Hilfestellungen begleitet haben bzw. für vertiefte inhaltliche Diskussionen zur Verfügung standen, sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Instituts für Energiewirtschaftsrecht der Universität zu Köln und des ehemaligen Instituts für Energierecht an der Universität zu Köln für die gemeinsame Zeit. Köln, im Dezember 2019

Max Baumgart

Inhaltsübersicht Kapitel 1 Einleitung

21

A. Hintergrund und Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 B. Ansatz und Lücke in der bisherigen Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 C. Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 D. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 E. Bedeutung des Forschungsbeitrags für den gesamteuropäischen Energiehandel und insbesondere auch für die Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 Kapitel 2 Anwendung der Vorschriften zum freien Warenverkehr

41

A. Anwendbarkeit der Art. 28 ff. AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 B. Wareneigenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Strom als Ware . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Abgrenzung zu anderen Waren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Handelsabsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

42 42 46 47

C. Sonstige Anwendungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 I. Grenzüberschreitender Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 II. Befindlichkeit der Waren im freien Verkehr der Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 D. Zwischenergebnis und Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 Kapitel 3 Zu einer allgemeinen originären Leistungsdimension

51

A. Zum Spannungsfeld von Integration, Solidarität und Souveränität . . . . . . . . . . . . . . . . 51 B. Zur normativen Grundlage einer allgemeinen originären Leistungsdimension . . . . . . I. Kritik am Vorliegen der normativen Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Grammatikalische Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Teleologische Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Systematische Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Historische Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Zwischenergebnis und Bedeutung für den Fortgang der Untersuchung . . . . . . .

56 56 56 61 71 83 83

10

Inhaltsübersicht

C. Ausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Reichweite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

84 84 101 108

D. Zwischenergebnis und Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 Kapitel 4 Zu einer speziellen originären Leistungsdimension für die Ware Strom A. Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Zur besonderen Bedeutung von Strom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Souveränitätsvorbehalt und virtueller Handel in Gebotszonen . . . . . . . . . . . . . . III. Zu dem, was die Vertragsgemeinschaft vernünftigerweise vom Mitgliedstaat verlangen kann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zum Ermessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

111 111 111 112 113 115 116

B. Zur Rechtfertigung eines Unterlassens des Ausbaus der Stromnetze . . . . . . . . . . . . . . 116 C. Handlungsformen der Mitgliedstaaten zur Erfüllung der Leistungspflicht . . . . . . . . . . 123 D. Zwischenergebnis und Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 Kapitel 5 Weitere pflichtbegründende Vorschriften

126

A. Sonstiges Unionsprimärrecht als Grundlage für eine mitgliedstaatliche Pflicht zum Ausbau der Stromnetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 B. Art. 4 Abs. 3 EUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Akzessorische Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Solidaritätspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

126 127 128 131 135

C. Art. 37 Abs. 1 Unterabs. 1 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Übertragungs- und Verteilernetzbetreiber als staatliche Handelsmonopole . . . . . II. Umformungspflicht und Verhältnis der Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

136 136 139 142

D. Art. 106 Abs. 1 AEUV i. V. m. 102 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Art. 106 Abs. 1 AEUV und Unternehmen im Sinne der Vorschrift . . . . . . . . . . . II. Verstoß gegen Art. 102 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Rechtfertigungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Verhältnis zu den Vorschriften des freien Warenverkehrs . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

142 142 146 160 161 164

E. Zwischenergebnis und Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165

Inhaltsübersicht

11

Kapitel 6 Ergebnis und Ausblick

166

A. Gesamtergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 B. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 C. Ergebnisse in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 Kapitel 7 Summary in English

176

Kapitel 8 Résumé en français

179

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196

Inhaltsverzeichnis Kapitel 1 Einleitung

21

A. Hintergrund und Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 B. Ansatz und Lücke in der bisherigen Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 C. Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 D. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 E. Bedeutung des Forschungsbeitrags für den gesamteuropäischen Energiehandel und insbesondere auch für die Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35

Kapitel 2 Anwendung der Vorschriften zum freien Warenverkehr

41

A. Anwendbarkeit der Art. 28 ff. AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 B. Wareneigenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 I. Strom als Ware . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 II. Abgrenzung zu anderen Waren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 III. Handelsabsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 C. Sonstige Anwendungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 I. Grenzüberschreitender Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 II. Befindlichkeit der Waren im freien Verkehr der Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 D. Zwischenergebnis und Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50

Kapitel 3 Zu einer allgemeinen originären Leistungsdimension

51

A. Zum Spannungsfeld von Integration, Solidarität und Souveränität . . . . . . . . . . . . . . . . 51

14

Inhaltsverzeichnis

B. Zur normativen Grundlage einer allgemeinen originären Leistungsdimension . . . . . . 56 I. Kritik am Vorliegen der normativen Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 II. Grammatikalische Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 1. Offener Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 2. Kein Unterschied zwischen Art. 34 und 35 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 3. Verbotsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 III. Teleologische Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 1. Grundrechte und Grundfreiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 2. Auslegung im Hinblick auf die Vertragsziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 3. Souveränitätsverlust . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 4. „Mehr Markt“ oder „Schutz vor weniger Markt“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 5. Keine Rückschlüsse von Systematisierungsversuchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 6. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 IV. Systematische Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 1. Art. 4 Abs. 3 EUV und der Grundsatz nach Treu und Glauben . . . . . . . . . . . . . 71 2. Integrationsmethode und richterliche Macht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 3. Binnenmarktgewährleistung nach Art. 26 Abs. 2 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 4. Koordinierungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 5. Keine Daseinsvorsorge im EU-Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 6. Kein Verstoß gegen Art. 107 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 7. Grundsätze der mitgliedstaatlichen Wirtschaftspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 8. Territoriale Souveränität der Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 9. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 V. Historische Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 VI. Zwischenergebnis und Bedeutung für den Fortgang der Untersuchung . . . . . . . . . 83 C. Ausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 I. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 1. Beeinträchtigung des Marktzugangs oder -ausgangs durch ein Unterlassen . . . 84 2. Rechtswidrigkeit des Zustands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 3. Behinderungswille . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 4. Spürbarkeitskriterium, Relevanzregel, Kernbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 5. Höhere Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 6. Eigenständige Begründung der Pflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 II. Reichweite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 1. Nur dasjenige, was die Vertragsgemeinschaft vernünftigerweise vom Mitgliedstaat verlangen kann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 2. Mitgliedstaatliches Ermessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 3. Überprüfung einer Verletzung der Leistungspflicht durch den EuGH . . . . . . . . 107 III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108

Inhaltsverzeichnis

15

D. Zwischenergebnis und Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109

Kapitel 4 Zu einer speziellen originären Leistungsdimension für die Ware Strom

111

A. Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 I. Zur besonderen Bedeutung von Strom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 II. Souveränitätsvorbehalt und virtueller Handel in Gebotszonen . . . . . . . . . . . . . . . . 112 III. Zu dem, was die Vertragsgemeinschaft vernünftigerweise vom Mitgliedstaat verlangen kann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 IV. Zum Ermessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 V. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 B. Zur Rechtfertigung eines Unterlassens des Ausbaus der Stromnetze . . . . . . . . . . . . . . 116 C. Handlungsformen der Mitgliedstaaten zur Erfüllung der Leistungspflicht . . . . . . . . . . 123 D. Zwischenergebnis und Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124

Kapitel 5 Weitere pflichtbegründende Vorschriften

126

A. Sonstiges Unionsprimärrecht als Grundlage für eine mitgliedstaatliche Pflicht zum Ausbau der Stromnetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 B. Art. 4 Abs. 3 EUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 I. Akzessorische Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 II. Solidaritätspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 III. Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 C. Art. 37 Abs. 1 Unterabs. 1 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 I. Übertragungs- und Verteilernetzbetreiber als staatliche Handelsmonopole . . . . . . 136 II. Umformungspflicht und Verhältnis der Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 D. Art. 106 Abs. 1 AEUV i. V. m. 102 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 I. Art. 106 Abs. 1 AEUV und Unternehmen im Sinne der Vorschrift . . . . . . . . . . . . 142 II. Verstoß gegen Art. 102 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 1. Verpflichtungsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146

16

Inhaltsverzeichnis 2. Marktbeherrschende Stellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 a) Relevanter Markt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 b) Beherrschende Stellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 c) Binnenmarkt oder wesentlicher Teil desselben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 3. Missbräuchliches Ausnutzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 a) Missbrauch durch die (notwendige) Beschränkung der Kapazität für die grenzüberschreitende Stromübertragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 b) Missbrauch durch die Einschränkung der technischen Entwicklung zum Schaden der Verbraucher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 c) Kausalität zwischen Missbrauch und Ausnutzung der beherrschenden Stellung und freier Entscheidungsspielraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 4. Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . 158 5. Modifikation der Voraussetzungen des Art. 102 AEUV bei der Anwendung von Art. 106 Abs. 1 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 III. Rechtfertigungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 IV. Verhältnis zu den Vorschriften des freien Warenverkehrs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 V. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164

E. Zwischenergebnis und Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165

Kapitel 6 Ergebnis und Ausblick

166

A. Gesamtergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 B. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 C. Ergebnisse in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170

Kapitel 7 Summary in English

176

Kapitel 8 Résumé en français

179

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196

Abkürzungsverzeichnis a. A. ABl. Abs. ACER AEUV AJP/PJA AöR Art. AS Aufl. BB Bd. BGBl. BGE BV BVerfG BVerfGE bzgl. bzw. c. CEER CMLRev d. h. DAR DÖV DVBl ebd. ECLI ECT EEG EEIR EFTA

anderer Ansicht Amtsblatt der Europäischen Union (bis zum 31. Dezember 2002 unter der Bezeichnung Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften) Absatz Agency for the Cooperation of Energy Regulators (engl., Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden) Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union v. 1. 12. 2009 (konsolidierte Fassung in ABl. C 202 v. 7. 6. 2016, S. 1 ff.) Aktuelle Juristische Praxis/Pratique Juridique Actuelle (Zeitschrift) Archiv des öffentlichen Rechts (Zeitschrift) Artikel Amtliche Sammlung des Bundesrechts (Schweiz) Auflage Betriebs-Berater (Zeitschrift) Band Bundesgesetzblatt (Deutschland) Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichtes Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft v. 18. 4. 1999 (SR 101) Bundesverfassungsgericht, Karlsruhe Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts bezüglich beziehungsweise contre Council of European Energy Regulators (engl., Rat der Europäischen Energieregulierungsbehörden) Common Market Law Review (Zeitschrift) das heißt Deutsches Autorecht (Zeitschrift) Die Öffentliche Verwaltung (Zeitschrift) Deutsches Verwaltungsblatt (Zeitschrift) ebenda European Case Law Identifier Vertrag über die Energiecharta v. 17. 12. 1994 (BGBl. 1997 II, S. 4 ff.; SR 0.730.0) Gesetz für den Ausbau erneuerbarer Energien v. 21. 7. 2014 (BGBl. 2014 I, S. 1066 ff.) Energie, Environnement, Infrastructrures, Revue mensuelle European Free Trade Association (engl., Europäische Freihandelsassoziation)

18 EG EGMR EGV

Abkürzungsverzeichnis

Europäische Gemeinschaft Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Straßburg Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft v. 25. März 1957, umbenannt durch den Vertrag von Maastricht (1992) in: Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (BGBl. 1957 II, S. 766 ff.) EGV (Amsterdam) Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft i. d. F. v. 18. Juni 1997 (konsolidierte Fassung in ABl. C 340 v. 10. 11. 1997, S. 173 ff.) EGV (Nizza) Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft i. d. F. v. 11. Dezember 2000 (konsolidierte Fassung in ABl. C 325 v. 24. 12. 2002, S. 1 ff.) EMRK Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten v. 4. 11. 1950 (BGBl. 1952 II, S. 686 ff.; SR 0.101) engl. englisch ENTSO-E European Network of Transmission System Operators for Electricity (engl., Europäisches Netzwerk der Übertragungsnetzbetreiber für Strom) EnWG Gesetz über die Elektrizitäts- und Gasversorgung v. 7. 5. 2005 (BGBl. 2005 I, S. 1970 ff. u. 3621) EnWZ Zeitschrift für das gesamte Recht der Energiewirtschaft ER EnergieRecht (Zeitschrift) et Energiewirtschaftliche Tagesfragen (Zeitschrift) EU Europäische Union/European Union EuG Gericht der Europäischen Union (vor Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon: Gericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften), Luxemburg EuGH Gerichtshof der Europäischen Union (vor dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften), Luxemburg EuR Europarecht (Zeitschrift) EurUP Zeitschrift für Europäisches Umwelt- und Planungsrecht EUV Vertrag über die Europäische Union v. 1. 12. 2009 (konsolidierte Fassung in ABl. C 202 v. 7. 6. 2016, S. 1 ff.) EuZW Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht ew Magazin der Energiewirtschaft (Zeitschrift) EWeRK Energie- und Wettbewerbsrecht in der Kommunalen Wirtschaft (Zeitschrift) EWG Europäische Wirtschaftsgemeinschaft EWR Europäischer Wirtschaftsraum EWS Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht (Zeitschrift) f. folgende ff. fortfolgende Fn. Fußnote franz. französisch GATT 1947 General Agreement on Tarif and Trade v. 30. 10. 1947 (engl., allgemeines Zoll- und Handelsabkommen) (Anlagenband I zum BGBl. 1951 II, S. 4 ff.) GATT 1994 General Agreement on Tarif and Trade v. 15. 4. 1994 (engl., allgemeines Zoll- und Handelsabkommen) (ABl. L 336 v. 23. 12. 1994, S. 11 ff.)

Abkürzungsverzeichnis GG GRC Hrsg. i. d. F. v. i. R. d. i. S. d. i. V. m. insb. IR JA JB JURA JuS JWELB JZ KN KSzW kV lit. m. w. N. N&R NJW Nr. NuR NZKart RdE Rdn. RIW Rs. Rspr. RTDeuR Rz. S. s. s. o. SJES sog. SR SWP SZIER TEU TFEU TFUE

19

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland v. 23. 5. 1949 (BGBl. 1949 I, S. 1 ff.). Charta der Grundrechte der Europäischen Union v. 1. 12. 2009 (ABl. C 303 v. 14. 12. 2007, S. 1 ff.) Herausgeber in der Fassung vom im Rahmen der im Sinne der in Verbindung mit insbesondere InfrastrukturRecht (Zeitschrift) Juristische Arbeitsblätter (Zeitschrift) Juristische Blätter (Zeitschrift) Juristische Ausbildung (Zeitschrift) Juristische Schulung (Zeitschrift) The Journal of World Energy Law & Business JuristenZeitung (Zeitschrift) Kombinierte Nomenklatur Kölner Schrift zum Wirtschaftsrecht (Zeitschrift) Kilovolt litera mit weiteren Nachweisen Netzwirtschaften und Recht (Zeitschrift) Neue Juristische Wochenschrift (Zeitschrift) Nummer Natur und Recht (Zeitschrift) Neue Zeitschrift für Kartellrecht Recht der Energiewirtschaft (Zeitschrift) Randnummer Recht der internationalen Wirtschaft (Zeitschrift) Rechtssache Rechtsprechung Revue trimestrielle de droit européen Randziffer Satz bzw. Seite siehe siehe oben Schweizerische Juristen-Zeitung (Zeitschrift) sogenannte(n)(s) Systematische Rechtssammlung (Schweiz) Stiftung Wissenschaft und Politik Schweizerische Zeitschrift für Internationales und Europäisches Recht Treaty on European Union (engl., Vertrag über die Europäische Union, s. dort) Treaty on the Functioning of the European Union (engl., Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, s. dort) Traité sur le fonctionnement de l’Union européenne (franz., Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, s. dort)

20 TUE u. a. Unterabs. Urt. v. verb. vgl. VIK VSE/AES WTO WuW WVK z. B. ZaöRV ZEuS ZfE ZIP zit. ZNER ZRP ZSR

Abkürzungsverzeichnis Traité sur l’Union européenne (franz., Vertrag über die Europäische Union, s. dort) unter anderem bzw. und andere Unterabsatz Urteil vom verbundene vergleiche Verband der Industriellen Energie- & Kraftwirtschaft Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen/Association des entreprises électriques suisses/Associazione delle aziende elettriche svizzere World Trade Organization (engl. Welthandelsorganisation) Wirtschaft und Wettbewerb (Zeitschrift) Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge v. 23. 5. 1969 (BGBl. 1985 II, S. 926 ff.; SR 0.111) zum Beispiel Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Zeitschrift für Europarechtliche Studien Zeitschrift für Energiewirtschaft Zeitschrift für Wirtschaftsrecht zitiert Zeitschrift für Neues Energierecht Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für Schweizerisches Recht

Kapitel 1

Einleitung A. Hintergrund und Problemstellung Die Verwirklichung von Energiebinnenmarkt und Energieunion stellt ein besonders aktuelles und zentrales Ziel der EU dar,1 welches bereits auf Art. 3 Abs. 3 S. 1 EUV zurückzuführen ist. Der Wunsch der Schaffung einer über den reinen Binnenmarkt hinausgehenden Energieunion, die dann möglicherweise auch NichtEU-Mitglieder umfasst,2 hat indes erst in jüngerer Zeit Gestalt angenommen. EU-Binnenmarkt und Energieunion sind nur mithilfe eines ausreichend ausgebauten Stromnetzes zu erreichen.3 Vorhandene Kapazitäten von grenzüberschreitenden Verbindungsleitungen und Grenzkuppelstellen sind regelmäßig nicht ausreichend und begründen damit Wettbewerbshemmnisse.4 Das Erfordernis des Netzausbaus ergibt sich zudem bereits aus der zunehmenden Integration erneuerbarer Energien im Besonderen5 sowie der sich wandelnden Rahmenbedingungen im Allgemeinen.6 Nicht nur die Übertragungsnetze, sondern auch die Verteilernetze müssen ausgebaut werden.7 Ein ohne wesentliche Verzögerungen vorangetriebener Netzausbau würde ebenfalls die Verwirklichung des Energiebinnenmarkts bezwe1

Vgl. nur Kommission, Mitteilung v. 25. 2. 2015, COM (2015) 80 final; Kommission, Mitteilung v. 28. 5. 2014, COM (2014) 330 final, S. 9; Frenz, EnWZ 2015, 481 (481 f.); LealArcas, Energy Union, S. 11 ff.; Pellerin-Carlin, in: Leal-Arcas/Wouters, EU Energy Law and Policy, 67 (67). Zu den Vorteilen des grenzüberschreitenden Stromhandels Wawer, ZfE 2009, 91 (91). 2 Vgl. Leal-Arcas, Energy Union, S. 27 ff.; den Begriff der Energieunion prägend Tusk, Financial Times v. 21. 4. 2014; siehe auch Fischer/Geden, SWP-Aktuell 36, April 2015, S. 1 f. 3 Vgl. Kommission, Mitteilung an das Europäische Parlament und den Rat v. 25. 2. 2015, COM (2015) 82 final; Giesberts/Tiedge, EurUP 2013, 166 (166); Schadtle, ZNER 2013, 126 (126); Strobel, ZEuS 2013, 167 (169); Wawer, ZfE 2009, 91 (91). 4 Vgl. König, Engpassmanagement, S. 640 f.; Presser, Stromhandel, S. 33; Salje, in: Baur, Entwicklungen, 39 (44). 5 Vgl. Knieps, in: Sioshansi, Evolution, 147 (147 f.), der zudem darauf hinweist, dass es vorkommen kann, dass Netzbetreiber ihre Netze teilweise ohne ökonomische Anreize ausbauen müssen; Schacht/Patzack/Vennegeerts/Bock/Schmidt, ew 6/2015, 68 (68). 6 Hetzel/Müller, ew 6/2015, 36 (36); ausführlich zum Stromnetzausbau in zonalen Märkten Bertsch/Brown/Hagspiel/Just, The Energy Journal 2016, Bd. 38, Nr. 5, 129 (129 ff.); zum Nutzen von Netzausbau auch Wawer, ZfE 2009, 91 (91); von Weizsäcker, WuW 1997, 572 (572 ff.). Siehe mit Blick auf die Schweiz Schlecht/Weigt, SJES 2015, 125 (125 ff.). 7 Vgl. vom Dahl, N&R 2015, 194 (194).

22

Kap. 1: Einleitung

ckende Aufteilung der europäischen Stromgebotszonen überflüssig machen.8 Mit einem ausreichend ausgebauten Stromnetz könnte der den Strom umleitende Einsatz von Phasenschiebern an den mitgliedstaatlichen Grenzen und damit auch eine Renationalisierung der Energiepolitik vermieden werden.9 Die EU kann hinsichtlich des Ausbaus transeuropäischer Netze nur unterstützend tätig werden. Sie kann zwar aufgrund von Art. 194 Abs. 1 lit. d) AEUV weitere Maßnahmen treffen, um den Ausbau der Stromnetze zu erleichtern, nicht jedoch den eigentlichen Ausbau vornehmen, da die Art. 170 bis 172 AEUV in Bezug auf den Ausbau von Stromnetzen Art. 194 AEUV als speziellere Vorschriften vorgehen.10 Dies ergibt sich dadurch, dass ansonsten das Regelungssystem der Art. 170 ff. AEUV ausgehebelt würde: Art. 170 AEUV benennt ausdrücklich auch die „Energieinfrastruktur“. Es ist davon auszugehen, dass die Vertragsparteien, hätten sie das Kompetenzverhältnis neu regeln wollen, Änderungen an diesem ausdrücklichen Wortlaut vorgenommen hätten. Folglich ist die EU nach Art. 170 Abs. 1 AEUV auf einen Beitrag zum Ausbau transeuropäischer Netze beschränkt. Damit verbleibt die wesentliche Kompetenz zum Ausbau der Stromnetze bei den Mitgliedstaaten.11 Während die EU versucht, die Verwirklichung des Strombinnenmarkts über den Erlass einschlägigen Sekundär- und Tertiärrechts, dessen Um- und Durchsetzung durch das Einleiten von Vertragsverletzungsverfahren sowie unter Verwendung des Kartellrechts zu fördern,12 wurde bisher weder in Rechtsprechung noch Literatur 8

Siehe nur Mussaeus/Sänger/Linden, RdE 2017, 172 (172 ff., insb. 178). Vgl. auch Schneidewindt, ER 2016, 16 (17); zum Einsatz von Phasenschiebern siehe die Ausführungen zu den Ringfluss-Daten in ACER/CEER, Annual Report on the Results of Monitoring the Internal Electricity and Gas Markets in 2016, Electricity Wholesale Markets Volume, October 2017, S. 72 ff.; Schulte-Beckhausen/Schneider/Kirch, RdE 2014, 101 (104 ff.); zu mehr Solidarität als Antwort auf die negativen Folgen der Ringflüsse und dessen Ausdruck in Art. 194 AEUV Talus/Aalto, in: Leal-Arcas/Wouters, EU Energy Law and Policy, 15 (19). 10 Vgl. dazu Gundel, EWS 2011, 25 (30); ders., in: Danner/Theobald, Energierecht, EuEnR 10 Rdn. 44; Hirsbrunner, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 194 AEUV Rdn. 22; Lecheler/ Recknagel, in: Dauses/Ludwigs, Handbuch, M. Rdn. 292; Leidinger, in: Posser/Faßbender, Netzplanung, Kapitel 3 Rdn. 43. Das Konkurrenzproblem der Art. 194 und 171 f. AEUV aufwerfend bereits Ehricke/Hackländer, ZEuS 2008, 579 (591). Vgl. zum Verhältnis von Art. 172 AEUV zu Art. 114 AEUV van Vormizeele, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 170 AEUV Rdn. 21; zum Verhältnis von Art. 172 AEUV zu Art. 194 Lecheler/Recknagel, in: Dauses/Ludwigs, Handbuch, M. Rdn. 292. 11 Zur Rolle der Mitgliedstaaten beim Ausbau der Stromnetze, insb. im Rahmen eines regionalen Ansatzes, Palle, Dimensions. S. 1 f. 12 Siehe zu umfassender Kritik am bestehenden Rechtsrahmen Europäischer Rechnungshof, Sonderbericht: Verbesserung der Sicherheit der Energieversorgung durch die Entwicklung des Energiebinnenmarkts: Es bedarf größerer Anstrengungen, abrufbar unter http://www.eca.eu ropa.eu/Lists/ECADocuments/SR15_16/SR_ENERGY_SECURITY_DE.pdf (Stand: 27. 12. 2019); ausführlich dazu Ortlieb, EWeRK 2016, 198 (198 ff.). Vgl. außerdem Leal-Arcas/Alemany Ríos/Grasso, JWELB 2015, 291 (295); zu aktuellen Entwicklungen auf dem Gebiet der Rechtsetzung insbesondere Verordnung (EU) 2015/1222 der Kommission v. 24. 7. 2015 zur Festlegung einer Leitlinie für die Kapazitätsvergabe und das Engpassmanagement, ABl. L 197 9

A. Hintergrund und Problemstellung

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unmittelbar die Frage behandelt, ob sich nicht bereits aus den Verträgen selbst eine Verantwortlichkeit der Mitgliedstaaten für die Schaffung und Gewährleistung europäischer Stromnetze ergibt.13 Diese Lücke soll die vorliegende Arbeit schließen. Mit Blick auf das Ziel der Untersuchung soll im Folgenden unter dem Begriff des Netzausbaus alle quantitativen und qualitativen Maßnahmen verstanden werden,14 die beabsichtigen, die Aufnahme von Strom in das Stromnetz zu verbessern, und von denen neben dem Einspeisenden auch andere Nutzer einen Vorteil ziehen.15 Er soll auch sämtliche Vorbereitungs- und Investitionsmaßnahmen16 umfassen, da die Mitgliedstaaten ihre Stromnetze in der Regel nicht selbst unterhalten. Der Begriff meint also insbesondere alle Maßnahmen, die das Ziel haben, die Stromnetze zu erweitern, zu unterhalten und an den neuesten Stand der Technik anzupassen.17 Die vorliegende Untersuchung wird zeigen, dass für die EU-Mitgliedstaaten im Rahmen bestimmter Voraussetzungen eine umfassende Pflicht besteht, die Stromnetze auszubauen. Damit trägt das Projekt zur Schaffung von Energiebinnenmarkt und Energieunion bei, ohne dass für diese Ziele die Einspeisung von volatilen Erneuerbaren Energien reduziert werden muss. Es weist damit auf eine rechtliche Grundlage hin, mit deren Hilfe Energiebinnenmarkt, Energieunion sowie die Erzeugung und Einspeisung volatiler Erneuerbarer Energien zu vereinbaren sind, und wertet eine intelligente Netzplanung von einem lediglich politisch und ökonomisch wünschenswerten Ziel zu einer rechtlichen Verpflichtung auf.

v. 25. 7. 2015, S. 24 ff.; dazu erläuternd Estermann/Jachmann/Müller/Weißbach, et 2015, 41 (41 ff.). Zur Verwendung des Kartellrechts siehe nur Kommission, Entscheidung v. 14. 4. 2010, Sache 39351 – Swedish Interconnectors; kritisch zur Vorgehensweise der Kommission, die Stromgebotszonen aufzuteilen statt zu erweitern, und aus volkswirtschaftlicher Perspektive Schulz/Paulun, VIK Mitteilungen 4/2016, 19 (19 f.). Zum Effekt der bisherigen Maßnahmen und zu in Zukunft notwendigen Schritten Leal-Arcas/Alemany Ríos/Grasso, JWELB 2015, 291 (297 f. mit Nachweisen in den Mitteilungen der Kommission). Siehe außerdem Palle, Dimensions, S. 4 f. 13 Allenfalls Börner, RdE 2014, 367 (370). 14 Zum Begriff des Netzausbaus und dessen Differenzierung Rauch, IR 2008, 218 (218); König, in: Säcker, Energierecht, § 11 EnWG Rdn. 59. 15 Im Sinne von Salje, Erneuerbare-Energien-Gesetz 2017, § 12 Rdn. 2 (i. R. d. Abgrenzung im EEG); de Wyl/Hartmann/Hilgenstock, IR 2006, 218 (220). Dieses Verständnis ermöglicht zudem eine schärfere Abgrenzung, da sonst auch jede Stromnetzanschlusspflicht eine mittelbare Pflicht zum Stromnetzausbau begründen würde. Dies liegt daran, dass auch ein Verständnis möglich wäre, das den Stromnetzanschluss ebenfalls unter den Begriff des Stromnetzausbaus fasst. „Stromnetzanschluss“ meint nämlich nach einem EuGH-Urteil „die physische Verbindung mit dem Netz“, EuGH, Urt. v. 9. 10. 2008, Rs. C-239/07, ECLI:EU:C:2008:551, Rdn. 41 – Sabatauskas u. a. Siehe dazu auch Koenig/Kühling/Winkler, WuW 2003, 228 (228 ff.). 16 Vgl. die Aufzählung bei Salje, Erneuerbare-Energien-Gesetz 2017, § 12 Rdn. 2. 17 Ähnlich Jarass, EWeRK 2016, 169 (169).

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Kap. 1: Einleitung

B. Ansatz und Lücke in der bisherigen Forschung Zentraler Ansatz der Untersuchung ist die rechtsdogmatische Frage, ob die Vorschriften zum freien Warenverkehr über ihre abwehrrechtliche und schutzrechtliche Dimension eine originäre Leistungspflicht zur Schaffung und Gewährleistung von Infrastruktur enthalten. Unter einer originären Leistungspflicht ist eine Pflicht zu verstehen, die sich unmittelbar aus der Grundfreiheit ergibt und nicht nur den Zugang zu oder die Teilhabe an einer bestehenden Einrichtung betrifft; letztere wird als derivative Pflicht bezeichnet.18 In der Literatur besteht die Tendenz, die Frage nach einer originären Leistungsdimension in der Form eines Leistungsanspruchs oder eines Leistungsrechts zu diskutieren.19 Nur vereinzelt bestehen Ansätze, die eine isolierte Diskussion der originären Leistungsdimension in der Form einer Leistungspflicht nahe legen.20 Deutlich wird eine originäre Leistungsdimension der Grundfreiheiten bisher mehrheitlich abgelehnt.21 Zudem lassen sich in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs allenfalls Ansätze einer originären Leistungsdimension in Bezug auf die Vorschriften zum freien Dienstleistungsverkehr finden.22 Allerdings kann in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Warenverkehrsfreiheit eine Entwicklung nachgezeichnet werden, die von einem anfänglichen Verständnis der ihr zugrunde liegenden Normen als Diskriminierungsverbot hin zu einem Beschränkungsverbot verläuft.23 Gleichzeitig wird der An18 Vgl. zu dieser Unterscheidung: Martens, Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, Heft 30, 7 (21); Unruh, Verfassungsbegriff, S. 552 m. w. N. Die derivative Pflicht erschöpft sich im Rahmen der Grundrechte bereits im allgemeinen Gleichheitssatz, vgl. Martens, Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, Heft 30, 7 (21 ff.); Unruh, Verfassungsbegriff, S. 552 f. Gleiches gilt im Rahmen der Vorschriften zum freien Warenverkehr in Bezug auf deren Ausprägung als Diskriminierungsverbot. 19 Ehlers, in: Ehlers, Europäische, § 7 Rdn. 40; Füller, Warenverkehrsfreiheiten, S. 37 ff.; Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 1, Rdn. 210 ff.; Riem, Grundfreiheiten, S. 5; Stachel, Schutzpflichten, S. 17 f. 20 Koch, Gewährleistungspflicht, S. 169. 21 Siehe Cremer, in: Ehlers/Fehling/Pünder, Wirtschaftsrecht, § 9 Rdn. 30; Ehlers, in: Ehlers, Europäische, § 7 Rdn. 40; Füller, Warenverkehrsfreiheiten, S. 37 ff.; Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 1, Rdn. 210 ff.; Stachel, Schutzpflichten, S. 17. Im Ergebnis so auch Koch, Gewährleistungspflicht, S. 169; a. A. Riem, Grundfreiheiten. Bis Ehlers, in: Ehlers, Europäische, 3. Aufl., § 7 Rdn. 37, hielt dieser die Zuerkennung einer originären Leistungsdimension noch in „krassen Ausnahmefällen“ für möglich; wortgleich Ehlers, JURA 2001, 266 (272). 22 So jedenfalls Riem, Grundfreiheiten, S. 134 ff., insbesondere mit Hinweis auf EuGH, Urt. v. 16. 5. 2006, Rs. C-372/04, ECLI:EU:C:2006:325 – Watts. 23 Breitenmoser/Weyeneth, Europarecht, Rdn. 884; Classen, EuR 2004, 416 (417 m. w. N.); Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 34 – 36 AEUV Rdn. 35 ff.; Kotzur, in: Geiger/ Khan/Kotzur, Kommentar, Art. 34 AEUV, Rdn. 8. Eine ähnliche Entwicklung lässt sich auch bei den übrigen Grundfreiheiten nachzeichnen, vgl. nur anschaulich zur Dienstleistungsfreiheit Hatzopoulos/Do, CML Rev. 2006, 923 (923 ff.).

B. Ansatz und Lücke in der bisherigen Forschung

25

wendungsbereich der Vorschriften von Rechtsprechung und Literatur stetig erweitert.24 Eine Ansicht will sich sogar gänzlich von den Kategorien eines Diskriminierungs- oder Beschränkungsverbots lossagen und vielmehr darauf abstellen, welche Arten von Beschränkungen die Grundfreiheit verbieten will.25 Zwar unterliegt diese Entwicklung nicht unerheblicher Kritik.26 Im Grunde werden nämlich bei einem Verständnis der Vorschriften als Beschränkungsverbot sämtliche Beschränkungen des innerunionalen Handels einer Prüfung der Vereinbarkeit mit den Vorschriften zur Gewährleistung der Warenverkehrsfreiheit unterworfen.27 Die Frage, wie genau dieses Beschränkungsverbot im Speziellen und die Vorschriften zur Warenverkehrsfreiheit im Allgemeinen zu verstehen sind, entscheidet allerdings darüber, ob ihnen nicht auch eine originäre Leistungspflicht zu entnehmen ist. Besonders bedeutend dafür ist, wie die Vertragsziele der immer engeren Union und der Verwirklichung des Binnenmarkts sowie der Stärkung der Solidarität zwischen den Völkern mit der Rücksichtnahme auf die mitgliedstaatliche Souveränität in Einklang zu bringen sind. Dies entscheidet, wieviel Rechtsetzungsautonomie bei den Mitgliedstaaten verbleibt.28 Anerkannt ist die abwehrrechtliche Dimension der Vorschriften zu Warenverkehrsfreiheit: Maßnahmen eines Mitgliedstaats, die gegen die Vorschriften zur Warenverkehrsfreiheit verstoßen, sind abzustellen.29 Überdies ist seit den Entscheidungen in den Rechtssachen Kommission/Frankreich (1997)30 und Schmidberger (2003)31 festzustellen, dass die Vorschriften zum freien Warenverkehr auch eine Schutzpflicht enthalten.32 Der Mitgliedstaat hat auch gegen solche Verhaltensweisen Dritter vorzugehen, die Hemmnisse für den freien Warenverkehr 24

Siehe zur Zurechnung privaten Verhaltens zum Mitgliedstaat EuGH, Urt. v. 24. 11. 1982, Rs. C-249/81, ECLI:EU:C:1982:402 – Kommission/Irland; zur Schutzpflicht des Mitgliedstaats EuGH, Urt. v. 9. 12. 1997, Rs. C-265/95, ECLI:EU:C:1997:595 – Kommission/Frankreich; zur unmittelbaren Drittwirkung der Warenverkehrsfreiheit im Überblick Keun, Handlungspflichten, S. 24 ff. Kritisch zur letzteren u.A. Burgi, EWS 1999, 327 (327 ff). Zum eine etwaige horizontale Wirkung betreffenden EuGH-Urt. v. 12. 7. 2012, Rs. C-171/11, ECLI:EU:C:2012:453 – Fra.bo siehe: Schweitzer, EuZW 2012, 765 (765 ff.); Sibony/Defossez, RTDeuR 2013, 171 (171 ff.). Allgemein auch Brinker, NZKart 2017, 609 (609). 25 Eilmansberger, JB 1999, 345 (347), der zu Recht darauf hinweist, dass die vorgenannten Kategorien gewisse Unschärfen aufweisen. 26 Vgl. Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 34 – 36 AEUV Rdn. 35 ff. m. w. N. 27 Classen, EuR 2004, 416 (416); Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 34 – 36 AEUV Rdn. 3 m. w. N. 28 Vgl. diesbzgl. auch Classen, EuR 2004, 416 (416 m. w. N.). 29 Vgl. dazu Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 34 – 36 AEUV Rdn. 11. 30 EuGH, Urt. v. 9. 12. 1997, Rs. C-265/95, ECLI:EU:C:1997:595 – Kommission/Frankreich. 31 EuGH, Urt. v. 12. 6. 2003, Rs. C-112/00, ECLI:EU:C:2003:333 – Schmidberger. 32 Bestätigt durch EuGH, Urt. v. 1. 7. 2014, Rs. C-573/12, ECLI:EU:C:2014:2037, Rdn. 74 – Ålands Vindkraft. Vgl. dazu auch Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 34 – 36 AEUV Rdn. 13. Siehe zur dogmatischen Herleitung z. B. Jaeckel, Schutzpflichten, S. 222 ff.

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Kap. 1: Einleitung

schaffen.33 Auch das aktive Tätigwerden, um gegen Beeinträchtigungen durch Dritte vorzugehen, stellt eine Leistung des Mitgliedstaats im weiteren Sinne dar. Dass die Vorschriften zur Warenverkehrsfreiheit eine originäre Leistungsdimension entfalten, ist daher nicht abwegig.34 Vielmehr besteht ein großer Interpretationsspielraum bei Generalklauseln, zu denen auch die Art. 34 und 35 AEUV gehören.35 In nationalen Verfassungen ist für den Bereich der Grundrechte geklärt, dass diese, wenn auch mit unterschiedlicher Reichweite, ebenso eine abwehr- und schutzrechtliche Funktion wie (auch) eine originäre Leistungspflicht entfalten können.36 Für den Bereich der Grundfreiheiten beschränkt sich die Diskussion in Rechtsprechung und Literatur fast ausschließlich auf die beiden erstgenannten Funktionen.37 Ob die Vorschriften zum freien Warenverkehr eine originäre Leistungspflicht enthalten, wird durch Auslegung ermittelt.

C. Methode I. Für diese Untersuchung ist der Auslegungsmaßstab schon deshalb detailliert darzulegen, da die Kritik an der Zuerkennung einer originären Leistungsdimension der Grundfreiheiten häufig über allgemeine, einen normativen Anknüpfungspunkt vermissen lassende Erwägungen, die sich also letztlich nur als Behauptung darstellen, nicht hinausgeht.38 Ganz generell erscheint Kritik an der Auslegung des EURechts auch schon deshalb zu entstehen, da es häufig an einer Verständigung über die genaue Auslegungsmethodik fehlt.39 Die Auslegung erfolgt anhand einer Kombination der verschiedenen Auslegungsmethoden. Das Heranziehen einer einzigen Auslegungsmethode würde den Blick auf den vollen Sinngehalt einer Norm verschließen.40 Der Wortlaut der Vor33 EuGH, Urt. v. 9. 12. 1997, Rs. C-265/95, ECLI:EU:C:1997:595, Rdn. 31 – Kommission/ Frankreich; EuGH, Urt. v. 12. 6. 2003, Rs. C-112/00, ECLI:EU:C:2003:333, Rdn. 59 f. – Schmidberger. 34 Vgl. Unruh, Verfassungsbegriff, S. 542 f., der sämtliche diskutierten (Grundrechts-) Funktionen entweder der abwehr- oder der schutzrechtlichen Funktion zuordnen will. 35 Zuleeg, EuR 1969, 97 (105 m. w. N.). 36 Vgl. für Deutschland: Kloepfer, Grundrechte, S. 2 ff.; Martens, Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, Heft 30, 7 (21 ff. und insb. S. 26 f. m. w. N.); Sachs, in: Sachs, Grundgesetz, Vor Art. 1 Rdn. 49; vgl. für die Schweiz: Schweizer, in: Ehrenzeller/Schindler/Schweizer/Vallender, Bundesverfassung, Vorbemerkungen zu Art. 7 – 36, Rdn. 35, und Art. 35 Rdn. 11 ff., insb. Rdn. 18; in Bezug auf das Recht auf ein schickliches Begräbnis Mastronardi, in: Ehrenzeller/Schindler/Schweizer/Vallender, Bundesverfassung, Art. 7 Rdn. 48; zum Gehalt des Art. 7 BV insb. im Verhältnis zum Gehalt des Art. 1 GG ebd., Art. 7 Rdn. 53 m. w. N. 37 Anders nur die in Fn. 21 genannte Literatur. 38 Siehe dazu Kapitel 3 B. I. und Kapitel 3 B. III. 3. 39 Vgl. Brinker, NZKart 2017, 609 (610). 40 Zuleeg, EuR 1969, 97 (99 m. w. N.).

C. Methode

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schriften steht jeweils am Anfang der Untersuchung,41 um „rational nicht nachprüfbare Elemente so weit wie möglich zurückzudrängen“42. Die Auslegung der untersuchten Vorschriften orientiert sich vorrangig an deren Sinn und Zweck. Dabei fragt die Auslegung danach, welches gemeinsame Verständnis bzw. welche gemeinsame Übereinkunft der Vorschrift zu Grunde liegt.43 Dieses bzw. diese ist/sind im Wesentlichen im Hinblick auf die Ziele der Verträge festzustellen.44 Der Vorrang der Auslegung nach Sinn und Zweck begründet sich insbesondere durch die Notwendigkeit der dynamischen Auslegung: Die dem europäischen Binnenmarkt zu Grunde liegenden Vorschriften bilden die Wirtschaftsverfassung für das auf Dauer angelegte europäische Projekt;45 in Bezug auf diese langfristig angelegte Zielsetzung der wirtschaftlichen Integration der Mitgliedstaaten, erfordert die Anwendung der einschlägigen Vorschriften die Möglichkeit der dynamischen Auslegung, um sich an Veränderungen anzupassen.46 Eine andere Ansicht ist im Hinblick auf das supranationale Konstrukt der EU abzulehnen;47 es handelt sich um eigenes Recht der Union, das zwar Konsequenzen für die Mitgliedstaaten hat, sich aber unabhängig von deren Einfluss in ihrer Rolle als Mitgliedstaaten entwickelt, gleichwohl die Mitgliedstaaten selbstverständlich über die Unionsorgane Europäischer Rat und Rat der Europäischen Union Einfluss nehmen. Die EU ist nicht (mehr) lediglich ein Subjekt internationalen Rechts.48 Der Vorrang der teleologischen Auslegung ergibt sich auch aus dem teils unterschiedlichen und insbesondere uneinheitlichen Wortlaut in verschiedenen, gleichsam rechtsverbindlichen, Fassungen.49 Für das Primat der teleologischen Auslegung sprechen ferner rein praktische Gründe, außerdem können bei

41

Vgl. Kreße, ZRP 2014, 11 (11 m. w. N.); Pechstein/Drechsler, in: Riesenhuber, Methodenlehre, 125 (Rdn. 12 m. w. N.). 42 Zuleeg, EuR 1969, 97 (99 f. m. w. N.). 43 Post, California Law Review 2010, 1319 (1342). 44 Pechstein/Drechsler, in: Riesenhuber, Methodenlehre, 125 (Rdn. 27 m. w. N.). 45 Bleckmann, Europarecht, Rdn. 765; Keun, Handlungspflichten, S. 47. Eine Rangfolge der Auslegungsmethoden ablehnend Zuleeg, EuR 1969, 97 (99 m. w. N.). Kritisch zum Begriff der dynamischen Auslegung Bleckmann, NJW 1982, 1177 (1180 f.). Zur Begründung des Vorrangs der teleologischen Auslegung im EU-Recht gegenüber gegenläufiger Praxis im Völkerrecht ebd., 1177 (1181). 46 Pechstein/Drechsler, in: Riesenhuber, Methodenlehre, 125 (Rdn. 11); zu weit geht hingegen die pauschale Forderung, sich über den Wortlaut hinwegzusetzen, so z. B. gefordert von Bleckmann, Europarecht, Rdn. 765; Keun, Handlungspflichten, S. 47. Hirsch, DAR 2000, 500 (501), spricht von einem „dynamischen Integrationsprozess mit offenem Ende“; der Integrationsprozess sei „unumkehrbar und anhaltend“. 47 Vgl. Pechstein/Drechsler, in: Riesenhuber, Methodenlehre, 125 (Rdn. 4 und 10 m. w. N.). Zum Begriff der Supranationalität Breitenmoser/Weyeneth, Europarecht, S. 20 ff. 48 Vgl. Pechstein/Drechsler, in: Riesenhuber, Methodenlehre, 125 (Rdn. 4 und 10 m. w. N.). 49 Pechstein/Drechsler, in: Riesenhuber, Methodenlehre, 125 (Rdn. 40 f. m. w. N.), erwägen, dass kein Rangverhältnis zwischen den Auslegungsmethoden besteht. Die „Besonderheiten des Unionsrechts“ führten aber dazu, dass andere als die teleologische und systematische Auslegung nur eingeschränkt Anwendung finden würden.

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Kap. 1: Einleitung

der Übersetzung Fehler passieren.50 Auch für den Europäischen Gerichtshof ist die Auslegung nach Sinn und Zweck entscheidend, wenngleich er in der Mehrheit der Fälle bereits mit dem Wortlaut der Vorschrift zu einer Entscheidung findet.51 Die erforderliche Möglichkeit der dynamischen Auslegung lässt sich durch die Auslegung nach dem Grundsatz des effet utile erreichen.52 Dabei geht es darum, diejenige Auslegung zu wählen, mithilfe derer die Vertragsziele auf dem einfachsten und gleichzeitig wirksamsten, mithin effizientesten, Wege erreicht werden.53 Die Bezugnahme auf den Grundsatz des effet utile hat an der konkreten Vorschrift zu erfolgen; er begründet selbständig keine Rechte.54 Der Grundsatz des effet utile ist letztlich Ausfluss des im Rahmen der Vertragsauslegung heranzuziehenden Grundsatzes von Treu und Glauben.55 Im Rahmen der Auslegung primärrechtlicher Vorschriften nach ihrem Sinn und Zweck sind diese auch einer Funktionsanalyse zu unterziehen, die die Funktion der Vorschriften im Hinblick auf die übrigen Normen betrachtet.56 Ziel dieser Analyse ist, dass sich das Ergebnis der Auslegung sinnvoll, bestimmungsgemäß und widerspruchsfrei in das Gesamtgefüge des Vertrags einbettet.57 Daher kann der Grundsatz des effet utile auch nicht meinen, sich über jedweden Ansatzpunkt, sei er grammatikalischer oder systematischer Natur, hinwegzusetzen, um damit eine Auslegung zu finden, die beinahe schrankenlos die Vertragsziele erreicht.58 Um diese Überdehnung auszuschließen, die die Grenze der Auslegung hin zur Rechtsfortbildung verwischen würde, müssen Sinn und Zweck der ausgelegten Vorschrift in Wortlaut der Vorschrift und/oder systematischer Einbettung einen Anknüpfungspunkt finden.59 Eine rein abstrakte Bewertung darf nicht

50

Vgl. Kreße, ZRP 2014, 11 (13 m. w. N.). Dederichs, Methodik, S. 66 f. und 135; darauf hinweisend Pechstein/Drechsler, in: Riesenhuber, Methodenlehre, 125 (Fn. 95). 52 Keun, Handlungspflichten, S. 47 m. w. N. aus der Rspr.; zur Frage, wie offen die juristische Auslegungsmethodik sein sollte, auch Post, California Law Review 2010, 1319 (1319 ff.). 53 Mittmann, Rechtsfortbildung, S. 217 m. w. N.; dazu auch Bleckmann, NJW 1982, 1177 (1180 m. w. N.). 54 Riem, Grundfreiheiten, S. 53. 55 Beul, steueranwaltsmagazin 2013, 92 (94 m. w. N.). 56 Pechstein/Drechsler, in: Riesenhuber, Methodenlehre, 125 (Rdn. 30). 57 Pechstein/Drechsler, in: Riesenhuber, Methodenlehre, 125 (Rdn. 30 m. w. N.). 58 Keun, Handlungspflichten, S. 48 m. w. N., spricht lediglich davon, dass „im […] Vertrag angelegte […] Wertungen“ nicht überschritten werden dürften. 59 Mittmann, Rechtsfortbildung, S. 219 m. w. N.; Zuleeg, EuR 1969, 97 (104 m. w. N.), der formuliert: „Bedenken gegen die Methode wegen zu großer Subjektivität bei der Feststellung von Sinn und Zweck einer Norm können mit einem Hinweis auf die systematische Stufe zerstreut werden, die feste Maßstäbe für die Bewertung liefert.“; vgl. auch EuGH, Urt. v. 9. 3. 1978, Rs. C-79/77, ECLI:EU:C:1978:47, Rdn. 6 – Kühlhaus Zentrum/Hauptzollamt HamburgHarburg; Kreße, ZRP 2014, 11 (11 m. w. N.). Im Ergebnis so wohl auch Koch, Gewährleistungspflicht, S. 129 f. 51

C. Methode

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erfolgen.60 Entgegenstehende Wertungen sind zu berücksichtigen.61 Die teleologische Auslegung wird demnach durch Systematik und Wortlaut, letztere durch die teleologische Auslegung selbst eingeschränkt. Dabei ist eine trennungsscharfe Abgrenzung der teleologischen und der systematischen Auslegung nicht möglich und Teile der Literatur ordnen erstere sogar der letzteren zu.62 II. Mithin ist in einem ersten Schritt die Vorschrift so auszulegen, dass sie dem mit den Verträgen im Ganzen und mit der Vorschrift selbst verfolgten Ziel größtmöglich Rechnung trägt. In einem zweiten Schritt ist zu ermitteln, ob diese Auslegung auch einen Anknüpfungspunkt in Wortlaut und/oder Systematik findet. In einem dritten Schritt sind dem nach den vorangegangenen Schritten gefundenen Ergebnis entgegenstehende grammatikalische und/oder systematische Überlegungen zu berücksichtigen. Eine historische Auslegung kann hingegen nur bedingt erfolgen. Die Gesetzesmaterialien, die im Vorfeld der drei Gründungsverträge erarbeitet wurden, sind weder veröffentlicht noch für den Europäischen Gerichtshof zugänglich gemacht worden.63 Allenfalls könnten die Materialien für eine Auslegung nutzbar gemacht werden, die die Mitgliedstaaten im Rahmen des Zustimmungsprozesses veröffentlicht haben.64 Solange sich die Vertragsparteien bewusst entschieden haben, die Gesetzesmaterialien auf Unionsebene nicht zu veröffentlichen, wäre es eine Umgehung des Willens der Vertragsparteien, Schlussfolgerungen aus den Materialien, die die Mitgliedstaaten im Rahmen des Zustimmungsprozesses veröffentlicht haben, zu ziehen. Es kann daher nur auf diejenigen Gesetzesmaterialien zurückgegriffen werden, die im Rahmen der neueren Unionsverträge veröffentlicht wurden.65 Aber auch hierbei ist zu beachten, dass die Entwicklung der EU von einer besonderen Dynamik geprägt ist.66 Daher können frühere Umstände nur noch bedingt zur Ermittlung der heutigen Rechtslage herangezogen werden.67 Mithin erlangt die historische Auslegung in Form der subjektiv-historischen Auslegung im Rahmen der Untersuchung nur dann Bedeutung, soweit sie sich der travaux préparatoires der neueren Verträge bedient, zu denen auch auf Unionsebene die Dokumente öffentlich 60

So aber wohl Bleckmann, Europarecht, Rdn. 766. Keun, Handlungspflichten, S. 48 m. w. N. 62 Vgl. Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 19 EUV Rdn. 15; Zuleeg, EuR 1969, 97 (107). Zur Praxis des EuGHs: Pechstein/Drechsler, in: Riesenhuber, Methodenlehre, 125 (Rdn. 40). 63 Bleckmann, NJW 1982, 1177 (1178); Keun, Handlungspflichten, S. 46 m. w. N.; Pechstein/Drechsler, in: Riesenhuber, Methodenlehre, 125 (Rdn. 13 und Rdn. 33 m. w. N.). 64 Bleckmann, NJW 1982, 1177 (1178). 65 Pechstein/Drechsler, in: Riesenhuber, Methodenlehre, 125 (Rdn. 34). 66 Keun, Handlungspflichten, S. 46 m. w. N.; zu den „integrationstheoretischen Grundlagen“ des EU-Rechts Grimmel/Jakobeit, in: Hatje/Müller-Graff, Organisations- und Verfassungsrecht, § 2. 67 Keun, Handlungspflichten, S. 46 m. w. N.; Pechstein/Drechsler, in: Riesenhuber, Methodenlehre, 125 (Rdn. 13). 61

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Kap. 1: Einleitung

zugänglich sind.68 In Form der objektiv-historischen Auslegung bezieht sie sich auf Vorgängernormen. In beiden Fällen kann sie wegen der besonderen Dynamik der Entwicklung der EU nur unterstützend herangezogen werden. III. Sinn und Zweck der zu untersuchenden Vorschriften erschließen sich im Hinblick auf die Vertragsziele. Die Bestimmung dieser Vertragsziele erscheint hingegen nicht unproblematisch. Zwar bestimmte der Europäische Gerichtshof diese Ziele der Verträge in der Vergangenheit anhand der Art. 2 und 3 EGV (Amsterdam); denkbar wäre daher, dass nach der Neukonzeption der Verträge nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon auf Art. 2 EUV und die Art. 1 bis 17 AEUV abgestellt werden könnte.69 Allerdings scheint die vormals selbstverständliche Annahme, dass die Summe der Mitgliedstaaten die Union darstellt, nicht mehr zu überzeugen: Art. 1 Abs. 1 EUV („eine Europäische Union […], der die Mitgliedstaaten Zuständigkeiten zur Verwirklichung ihrer gemeinsamen Ziele übertragen“) ist zu entnehmen, dass die EU ein anderes Rechtssubjekt als die Gesamtheit der Mitgliedstaaten darstellt; denn ihr können Zuständigkeiten übertragen werden. Außerdem verweist Art. 1 Abs. 1 EUV auf die „gemeinsamen Ziele“, die folglich an anderer Stelle zu finden sein müssen. Daher kann von den Zielen der juristischen Person der Union nicht unmittelbar auf die Ziele der Verträge geschlossen werden. Da auch Art. 3 EUV das Ziel „der Union“70 und damit nicht der Mitgliedstaaten bestimmt, können die über die Unionsziele hinausgehenden Vertragsziele in dieser Vorschrift nicht normiert sein. Dies galt im Übrigen bereits für die Art. 2 und 3 EGV (Amsterdam), die nach deren Wortlaut Aufgabe und Tätigkeit „der Gemeinschaft“ regelten und damit die Aufgabe und Tätigkeit der juristischen Person der Europäischen Gemeinschaft. Hingegen betrafen sie damit nicht Aufgabe und Tätigkeit der Mitgliedstaaten. Insbesondere sind die Mitgliedstaaten keine Organe der Union.71 Diese Überlegung lässt sich auch daran festmachen, dass seit dem Vertrag von Lissabon Art. 4 Abs. 3 Unterabsatz 3 Variante 2 EUV lautet: „Die Mitgliedstaaten […] unterlassen alle Maßnahmen, die die Verwirklichung der Ziele der Union gefährden könnten.“72 Die Vorgängervorschrift des Art. 10 Abs. 2 EGV (Amsterdam) lautete noch: „Sie unterlassen alle Maßnahmen, welche die Verwirklichung der Ziele dieses Vertrags gefährden könnten.“73 Die Vertragsparteien haben die Begrifflichkeiten damit konkretisiert. Zudem können die Vertragsziele auch nicht anhand von

68 Die Zuläsigkeit der subjektiv-historischen Auslegung mit guten Gründen gänzlich ablehnend Zuleeg, EuR 1969, 97 (100 m. w. N.). 69 Pechstein/Drechsler, in: Riesenhuber, Methodenlehre, 125 (Rdn. 28). 70 Bspw. Abs. 1: „Ziel der Union ist es, den Frieden, ihre Werte und das Wohlergehen ihrer Völker zu fördern.“ und Abs. 3 Satz 5: „Sie fördert den wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalt und die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten.“ Hervorhebungen durch den Autor. 71 So aber Due, Gemeinschaftstreue, S. 2. 72 Hervorhebung durch den Verfasser. 73 Hervorhebung durch den Verfasser.

C. Methode

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Art. 1 bis 17 AEUV bestimmt werden:74 Die dort normierten Zuständigkeiten und Grundsätze sind viel mehr Ergebnis als Grund der Übertragung mitgliedstaatlicher Kompetenzen. Sie wurden gemäß Art. 1 Abs. 1 EUV zum Zwecke der Verwirklichung der gemeinsamen Ziele übertragen und sagen also nichts darüber aus, was die gemeinsamen Ziele sind. Damit verbleiben nur die Präambeln der Verträge als Erkenntnisquelle zur Bestimmung der Vertragsziele,75 da dort ausdrücklich die Vertreter der Mitgliedstaaten Erwähnung finden. Die Präambeln erläutern, welche Überlegungen die Mitgliedstaaten veranlasst haben, die EU zu gründen. Sie können also Aufschluss dafür geben, welchen Sinn und Zweck die EU-Verträge insgesamt verfolgen. IV. Fraglich ist letztlich noch, ob allgemeine Grundsätze des Völkerrechts herangezogen werden können, um Unionsprimärrecht auszulegen. Nach Art. 3 Abs. 5 S. 2 EUV leistet die Union „einen Beitrag […] zur strikten Einhaltung und Weiterentwicklung des Völkerrechts, insbesondere zur Wahrung der Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen.“

Daraus folgt, dass das von der Union, respektive von ihren Organen, erlassene Recht, folglich Sekundär- und Tertiärrecht, unter Hinzuziehung des für die spezifische Fragestellung relevanten Völkerrechts ausgelegt werden kann.76 Da die Vorschrift allerdings nur die Union und nicht auch die Mitgliedstaaten verpflichtet, auf die strikte Einhaltung und Weiterentwicklung des Völkerrechts hinzuwirken, können die relevanten Normen des Völkerrechts, insbesondere das Völkergewohnheitsrecht, jedoch nicht für die Auslegung des Primärrechts nutzbar gemacht werden.77 Dies ergibt sich auch daraus, dass es sich bei der Rechtsordnung der EU um eine 74

A. A. Pechstein/Drechsler, in: Riesenhuber, Methodenlehre, 125 (Rdn. 27 m. w. N.). Vgl. die bei Riem, Grundfreiheiten, Fn. 401, angeführten Nachweise. Vgl. auch Pechstein/Drechsler, in: Riesenhuber, Methodenlehre, 125 (Rdn. 34 m. w. N.), die diese Bezugnahme allerdings der historischen Auslegung zuordnen. Zuleeg, EuR 1969, 97 (103), unterscheidet zwischen Vertragszielen und Präambeln. Nach Zuleeg, EuR 1969, 97 (107), ist die Interpretation der Norm im Lichte der Vertragsziele der systematischen Auslegung zuzuordnen. Systematische Erwägungen ergeben aber auch eine Auslegung im Lichte der Präambeln, vgl. Zuleeg, EuR 1969, 97 (103). 76 Reimer, Methodenlehre, S. 296 m. w. N. 77 Vgl. in diesem Zusammenhang auch EuGH, Urt. v. 3. 9. 2008, verb. Rs. C-402/05 P und C-415/05 P, ECLI:EU:C:2008:461, Rdn. 291 f.: „Insoweit ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die Befugnisse der Gemeinschaft unter Beachtung des Völkerrechts auszuüben sind ([…]), wobei der Gerichtshof in derselben Randnummer des ersten dieser beiden Urteile ferner klargestellt hat, dass die Auslegung eines aufgrund dieser Befugnisse erlassenen Rechtsakts und die Festlegung seines Anwendungsbereichs im Licht des einschlägigen Völkerrechts zu erfolgen haben. Außerdem hat der Gerichtshof entschieden, dass die in den Art. 177 EG[V (Amsterdam)] und 181 EG[V (Amsterdam)] vorgesehenen Befugnisse der Gemeinschaft auf dem Gebiet der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und Entwicklung unter Beachtung der im Rahmen der Vereinten Nationen und anderer internationaler Organisationen gegebenen Zusagen ausgeübt werden müssen ([…]).“ A. A. Reimer, Methodenlehre, S. 296 m. w. N., der der Auffassung ist, dass die Auslegung im Lichte des Völkerrechts unter bestimmten Voraussetzungen auch für das Primärrecht Anwendung findet. 75

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Kap. 1: Einleitung

Rechtsordnung eigener Art handelt.78 Etwas anderes könnte sich allenfalls für das Primärrecht ergeben, welches die durch intergouvernementale Zusammenarbeit geprägten Politikbereiche regelt.79 Aber auch hier muss eine zwingende Berücksichtigung des Völkerrechts mit Hinweis auf die Rechtsordnung eigener Art abgelehnt werden. Folglich können allgemeine Grundsätze des Völkerrechts nicht herangezogen werden, um Unionsprimärrecht auszulegen. Denkbar wäre, dass das Völkerrecht über die rechtsvergleichende Methode Berücksichtigung finden könnte. Wenngleich rechtsvergleichende Erwägungen auch in Bezug auf das Völkerrecht grundsätzlich zulässig sind,80 lassen sich andere völkerrechtliche Verträge wie das WTO-Abkommen81 und der ECT nicht für die Auslegung des Unionsprimärrechts verwerten: zunächst ist die Rechtsvergleichung keine für die Auslegung zwingende Methode;82 stärker ist das Argument, dass die Union im Gegensatz zu den WTO- und ECT-Vertragsgemeinschaften eine ihr eigene Dynamik aufweist, die auf ihren Charakter als Integrationsrechtsordnung zurückzuführen ist. Originäre Leistungspflichten im Sinne der Untersuchung sind in dem in das WTO-Abkommen eingegliederten GATT 1994 nicht zu finden; der ECT weist Ansätze von Ausbaupflichten auf. Originäre Leistungspflichten in Bezug auf den Stromnetzausbau sind im Welthandel damit jedenfalls nicht selbstverständlich; die sich aus Art. 34 und 35 AEUV ergebende originäre Leistungspflicht, die zu einem Ausbau der Stromnetze führt, ist, wie der Forschungsbeitrag zeigen wird, der besonderen Dynamik der EU geschuldet. V. Aufgrund aktueller politischer Entwicklungen, die die Souveränität der einzelnen Mitgliedstaaten herausstellen,83 ist darauf hinzuweisen, dass die politische und rechtliche Bewertung strikt voneinander zu trennen sind.84 Sie geschehen auf zwei unterschiedlichen Ebenen. Die Auslegung des Unionsrechts wird durch freien Warenverkehr und Marktzugang als wesentliche Wertentscheidungen geprägt.

78 Zur Einordnung des Unionsrechts als Rechtsordnung sui generis Pechstein/Drechsler, in: Riesenhuber, Methodenlehre, 125 (Rdn. 4 ff. m. w. N.). Kritisch Meng, Entwicklungsstufe, S. 209 ff. 79 Vgl. Pechstein/Drechsler, in: Riesenhuber, Methodenlehre, 125 (Rdn. 12 m. w. N.). 80 Pechstein/Drechsler, in: Riesenhuber, Methodenlehre, 125 (Rdn. 36 ff.). 81 Übereinkommen zur Errichtung der Welthandelsorganisation v. 15. 4. 1994 (BGBl. 1994 II, S. 1441 ff.; SR 0.632.20). 82 Pechstein/Drechsler, in: Riesenhuber, Methodenlehre, 125 (Rdn. 36). 83 Vgl. dazu nur Brinker, NZKart 2017, 609 (610); Giegerich, in: Giegerich/Gstrein/ Zeitzmann, Between, 17 (18 ff.); Weber, DÖV 2017, 741 (741 ff., insb. 748). Hojnik, CMLRev 2012, 291 (292), sieht ein „lack of solidarity and the rise of populism in many EU countries […] jeopardize […] EU market law.“ 84 Generell zum Spannungsfeld von Politik und Recht Everling, Spannungsfeld, S. 53 ff., insb. S. 70 ff.

D. Gang der Untersuchung

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D. Gang der Untersuchung Nach dieser Einleitung (Kapitel 1) befasst sich die Untersuchung im nächsten Schritt (Kapitel 2) mit den im Wesentlichen aus Art. 28 Abs. 2 AEUV resultierenden Voraussetzungen für die Anwendbarkeit und den Anwendungsbereich der Vorschriften zum freien Warenverkehr für die Ware Strom. Kapitel 3 und 4, welche den Schwerpunkt der Arbeit bilden, widmen sich der Auslegung der Art. 34 und 35 AEUV, zunächst in Bezug auf eine allgemeine originäre Leistungspflicht und in einem weiteren Schritt in Bezug auf eine spezielle originäre Leistungspflicht für Strom. In Kapitel 5 erstreckt sich die Untersuchung auf das Verhältnis der Art. 34 und 35 AEUV zu anderen pflichtbegründenden Vorschriften. Dies sind die Art. 4 Abs. 3 EUV, der gemeinhin als pflichtbegründende Generalklausel betrachtet wird, Art. 37 Abs. 1 Unterabs. 1 AEUV, der ausdrücklich eine Pflicht zum aktiven Tätigwerden („Umformung“) enthält und dessen Untersuchung sich daher hier aufdrängt, und Art. 106 Abs. 1 i. V. m. Art. 102 AEUV. Neben der in dieser Untersuchung zentralen Frage nach einer originären Leistungsdimension der Vorschriften zum freien Warenverkehr, die sich dogmatisch auf ein Unterlassen gründet, ist etwa denkbar, dass sich im Einzelfall auch aufgrund getätigter aktiver Handlungen, die dem Mitgliedstaat entweder zugerechnet werden können oder für die er aus anderen Gründen verantwortlich gehalten werden kann, eine Pflicht zum Ausbau der Stromnetze ergeben könnte: So verpflichtete sich der schwedische Übertragungsnetzbetreiber Svenska kraftnät im Vorhinein zu der diese Verpflichtungen für verbindlich erklärenden Kommissions-Entscheidung in der Sache Swedish Interconnectors85 zum Bau und der Inbetriebnahme einer 400-kVÜbertragungsleitung,86 um einen Verstoß gegen Art. 102 AEUV auszuschließen. Denkbar ist, dass sich bereits unmittelbar aus Art. 102 AEUV eine Pflicht der Unternehmen zum Ausbau der Stromnetze ergibt, die über Art. 106 Abs. 1 AEUV auf die Mitgliedstaaten übergeleitet werden kann. Dabei liegt der Tatvorwurf für die Mitgliedstaaten in diesem Fall dann auch in einem Unterlassen. Beiläufig stellte die Kommission in der genannten Entscheidung auch fest, dass das bedenkliche unternehmerische Verhalten auch einen Verstoß gegen Art. 35 AEUV darstellen würde, wäre es vom Mitgliedstaat ausgegangen.87 Nunmehr kann ein unternehmerisches Verhalten unter bestimmten Voraussetzungen auch im Rahmen der Vorschriften zum freien Warenverkehr dem Mitgliedstaat zugerechnet

85

Kommission, Entscheidung v. 14. 4. 2010, Sache 39351 – Swedish Interconnectors. Kommission, Entscheidung v. 14. 4. 2010, Sache 39351, Rdn. 48 – Swedish Interconnectors. 87 Kommission, Entscheidung v. 14. 4. 2010, Sache 39351, Rdn. 43 – Swedish Interconnectors. 86

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Kap. 1: Einleitung

werden.88 Demnach ist es durchaus denkbar, dass die in Bezug auf Art. 102 AEUV getroffenen Überlegungen auch auf eine isolierte Anwendung des Art. 35 AEUV übertragbar sind. Grundsätzlich könnte so auch zu überlegen sein, dass die Vorschriften zum freien Warenverkehr einen Mitgliedstaat bereits dann zum Ausbau seiner Stromnetze verpflichten, wenn dieser zum Schutz seines Stromnetzes an einer Landesgrenze Phasenschieber einrichtet.89 Da der Leitungswiderstand durch den Einsatz eines Phasenschiebers derart erhöht wird, dass der Strom umgeleitet wird, stellt der Einsatz eines Phasenschiebers nämlich bereits aufgrund der abwehrrechtlichen Dimension der Vorschriften zum freien Warenverkehr einen Verstoß gegen die Art. 34 und 35 AEUV dar, der nur mit Hinweis auf die Sicherheit des Stromnetzes gerechtfertigt werden kann und einer Verhältnismäßigkeitskontrolle unterliegt.90 So könnte zu argumentieren sein, dass der Einsatz eines Phasenschiebers unangemessen ist, wenn es der den Einbau des Phasenschiebers veranlassende Mitgliedstaat über Jahre versäumt hat, sein eigenes Stromnetz auszubauen, da dann die negativen Effekte der Einspeisung einer großen, unerwarteten Strommenge mindestens geringer ausfielen oder gar ganz ausblieben. Diese Annahme überzeugt allerdings nur dann, wenn den Mitgliedstaat bereits generell eine Pflicht zum Ausbau der Stromnetze treffen würde. Andernfalls wäre ein Mitgliedstaat dazu verpflichtet, im Grunde nicht erforderliche Mittel, die im Rahmen der Prüfung der Erforderlichkeit noch als nicht gleich geeignet ausgeschieden sind, so zu entwickeln, dass sie nach einem angemessenen Zeitablauf gleich geeignet sind. Schon deshalb muss jedenfalls in dieser Konstellation verlangt werden, dass den Mitgliedstaat bereits aus einem anderen Grund eine Pflicht zum Ausbau der Stromnetze treffen muss. Diese Pflicht könnte aus der in der Untersuchung hergeleiteten originären Leistungsdimension der Vorschriften resultieren, die statt an den Einsatz der Phasenschieber schon früher an das Unterlassen des Netzausbaus anknüpft. Folglich ist jedenfalls eine gesonderte Untersuchung eines Verstoßes gegen Art. 34 und 35 AEUV durch das Einrichten eines Phasenschiebers mit dem Ziel, eine Ausbaupflicht zu begründen, nicht vorzunehmen. Um den Fokus der Untersuchung in den Kapiteln 2 bis 4 auf eine originäre Leistungsdimension der Vorschriften zum freien Warenverkehr nicht zu verlieren und um Wiederholungen mit den Ausführungen zu Art. 106 Abs. 1 AEUV i. V. m. Art. 102 AEUV zu vermeiden, unterlässt die Untersuchung zudem eine isolierte Betrachtung einzelner, konkret veranlasster Kapazitätsbeschränkungen mit dem Ziel

88 Vgl. nur EuGH, Urt. v. 24. 11. 1982, Rs. C-249/81, ECLI:EU:C:1982:402 – Kommission/ Irland; EuGH, Urt. v. 5. 11. 2002, Rs. C-325/00, ECLI:EU:C:2002:633, Rdn. 17 ff. – Kommission/Deutschland; Becker, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 34 AEUV Rdn. 86 f. 89 Vgl. auch die komplementäre Überlegung in Kapitel 5 B. III., ob nicht der Mitgliedstaat, der den Einsatz der Phasenschieber durch sein Verhalten provoziert, verantwortlich ist. 90 Vgl. allgemein zur Verhältnismäßigkeit des Einsatzes von Phasenschiebern SchulteBeckhausen/Schneider/Kirch, RdE 2014, 101 (105 f.).

E. Bedeutung für den gesamteuropäischen Energiehandel

35

der Entlastung des inländischen Netzes aus dem Blickwinkel der Warenverkehrsfreiheit91. Kapitel 6 formuliert das Ergebnis und gibt einen Ausblick. Kapitel 7 und 8 enthalten Zusammenfassungen der Arbeit in Englisch und Französisch.

E. Bedeutung des Forschungsbeitrags für den gesamteuropäischen Energiehandel und insbesondere auch für die Schweiz I. Ein vollständig integrierter Strombinnenmarkt hätte nicht nur Auswirkungen auf die EU-Mitgliedstaaten. Auch Drittstaaten wären unmittelbar betroffen, insbesondere solche, die aufgrund ihrer geographischen Lage eine besondere Nähe zur EU aufweisen. So hat die Schweiz durch ihre geographische Lage im Zentrum von Nordund Südeuropa eine besondere Bedeutung (nicht nur) für den europäischen Strommarkt inne;92 für sie ist die Bedeutung der Untersuchung immanent. Sie, wie auch andere Drittstaaten, würden von einer Beteiligung an einer Energieunion und stärkeren Vernetzung mit dem Unionsnetz in Bezug auf Stromhandel und Versorgungssicherheit profitieren;93 umgekehrt würde auch die EU von einer Beteiligung und stärkeren Vernetzung der Schweiz profitieren.94 Da insbesondere die Übertragungsnetze für die neuen Herausforderungen in der Energieversorgung eine wesentliche Rolle spielen,95 ist die Bedeutung des Schweizerischen Übertragungsnetzes hervorzuheben. Dessen Rolle ist bei der Umstellung der noch auf das alte System zugeschnittenen Stromnetze auf die zunehmende Versorgung durch Erneuerbare Energien und die Verbindung einzelner Märkte nicht zu unterschätzen.96 Die Schweiz verbindet die drei größten Strommärkte Zentraleuropas,97 ist hinsichtlich der Stromnetze und damit auch insgesamt in Bezug auf die Energieversorgung und insbesondere die Versorgungssicherheit mit der EU eng verknüpft98 und besitzt viele

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Vgl. beispielsweise nur: Kommission, Entscheidung v. 14. 4. 2010, Sache 39351, Rdn. 43 – Swedish Interconnectors; König/Baumgart, EuZW 2018, 491 (494 f.). 92 Schlecht/Weigt, SJES 2015, 125 (126); vgl. auch die Ausführungen von Ziegler, in: Meng/ Ress/Stein, FS Europa-Institut, 639 (639 ff.). 93 Hettich/Walther/Schreiber Tschudin, Stromabkommen, S. 34 f. m. w. N. 94 Siehe nur die Ausführungen bei Hettich/Walther/Schreiber Tschudin, Stromabkommen, S. 35 m. w. N.; Schlecht/Weigt, SJES 2015, 125 (125 ff.). 95 Schlecht/Weigt, SJES 2015, 125 (125). 96 Schlecht/Weigt, SJES 2015, 125 (126). 97 Schlecht/Weigt, SJES 2015, 125 (126). 98 Kommission, Mitteilung v. 25. 2. 2015, COM (2015) 80 final, S. 4. Eng ist die Verknüpfung der Stromnetze insbesondere mit Italien, vgl. Hettich/Walther/Schreiber Tschudin, Stromabkommen, S. 35 m. w. N.

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Kap. 1: Einleitung

Flexibilitätsreserven99 für Frankreich. Auch insgesamt bietet die EU einen großen Markt für die Schweizerischen Flexibilitätsprodukte.100 Der Ausbau von Stromübertragungskapazitäten könnte der Schweiz daher auch helfen, Strom aus ihren Flexibilitätsreserven besser zu verkaufen.101 Da Strom trotz seiner besonderen Eigenschaften einer ähnlichen Ökonomik wie andere Güter unterliegt, würde der Abbau von Handelsbarrieren durch eine unionsrechtliche Verpflichtung zum Stromnetzausbau zu einer Angleichung der Preise in den verschiedenen Regionen der EU führen, was wiederum Einfluss auf die Preise in der Schweiz haben dürfte. Der Einfluss von Veränderungen in den Strommärkten der EU für die Schweiz als Stromtransitland liegt daher auf der Hand.102 Da auch die Schweiz eine eigene Energiewende anstrebt, ist für die Eidgenossenschaft relevant, wie sie nach dem Ausstieg aus der Kernenergie Versorgungssicherheit gewährleisten kann.103 Dazu kann ein Ausbau des europäischen Stromnetzes beitragen; die Schweiz würde von einem EU-internen Stromnetzausbau in Bezug auf ihre eigene Versorgungssicherheit profitieren. Zwar ist die schweizerische Volksinitiative zu einem kurzfristigeren Ausstieg aus der Kernenergie gescheitert.104 Der Ausstieg aus der Kernenergie ist aber – wenn auch ohne Frist – beschlossen: Schweizerische Kernkraftwerke dürfen nur noch solange am Netz bleiben, wie sie als ”sicher” eingestuft werden. Fragen zum Ersatz der schweizerischen Kernkraftwerke sind eng mit der Frage nach der Versorgungssicherheit verknüpft. Werden Kernkraftwerke durch Anlagen zur Erzeugung von Erneuerbaren Energien ersetzt, kann der Verbund mit einem EUweiten, stärker integrierten Netz auch schweizerische volatile Stromeinspeisung besser ausgleichen. Im Rahmen der Überlegungen, ein Stromabkommen zwischen der Schweiz und der EU abzuschließen, könnten aber nicht nur diese tatsächlichen Gesichtspunkte Bedeutung erlangen; auch die Übernahme und Auslegung des Unionsrechts dürfte Gegenstand der Verhandlungen sein.105 Insbesondere ist darauf hinzuweisen, dass die

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Flexibilitätsreserven sind solche Anlagen, die den Strom unabhängig von äußeren Umständen – d. h. unabhängig von Wind und Sonne etc. – „speichern“ bzw. produzieren können, bspw. also Wasserkraft- oder Pumpspeicheranlagen, von denen die Schweiz eine Vielzahl besitzt, s. Schlecht/Weigt, SJES 2015, 125 (127). Für eine Untersuchung verschiedener Flexibilitätsoptionen im deutschen Kontext Künzel/Klumpp/Weidlich, ZfE 2017, 33 (33 ff.). 100 Vgl. auch Balleis, Politische Studien 468/2016, 53 (58). 101 Hettich/Walther/Schreiber Tschudin, Stromabkommen, S. 13. 102 Schlecht/Weigt, SJES 2015, 125 (126). 103 Schlecht/Weigt, SJES 2015, 125 (127). 104 Volksinitiative „Für den geordneten Ausstieg aus der Atomenergie (Atomausstiegsinitiative)“, abgehalten am 27. 11. 2016. Mehr Informationen unter https://www.admin.ch/gov/de/ start/dokumentation/abstimmungen/20161127/atomausstiegsinitiative.html (Stand: 27. 12. 2019). 105 Vgl. dazu im Allgemeinen Hettich/Walther/Wohlgemuth/Camenisch/Drittenbass, Strommarkt 2023, S. 112.

E. Bedeutung für den gesamteuropäischen Energiehandel

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Schweiz schon jetzt über das Freihandelsabkommen zwischen ihr und der EU106 mit den Art. 13, 13 A und 20 des Abkommens Vorschriften kennt, die sich stark an die Art. 34, 35 und 36 AEUV anlehnen.107 Daher könnte überlegt werden, dass auch die Schweiz eine Pflicht zum Ausbau ihrer Stromnetze trifft, wenngleich es im Freihandelsabkommen an einer mit den EU-Verträgen vergleichbaren Integrationszielsetzung fehlt und diese Annahme daher abzulehnen ist.108 II. Wie bereits dargelegt, ist der Stromnetzausbau schon aufgrund der Kompetenzzuweisungen vor allem durch nationales Recht begründet; aber wie so häufig im Bereich des Wirtschaftsrechts109 bedingen auch hier nicht nur die Ebenen des nationalen und des EU-Rechts die Konturen des Rechtsgebiets: Für die Vertragsstaaten des EWR-Abkommens110 ist die Untersuchung schon deshalb relevant, weil der Vertrag für die dort gebundenen Staaten die Vorschriften zum freien Warenverkehr im Wesentlichen übernimmt (Art. 8 bis 16 des Vertrags) und sich daher auch rechtliche Implikationen ergeben könnten. Dabei muss die Auslegung des EWRAbkommens allerdings aufgrund unterschiedlicher Zielsetzungen des Abkommens und der EU-Verträge nicht zwingend zum gleichen Ergebnis führen wie die Auslegung der EU-Verträge.111 Grundsätzlich gewährleistet Art. 8 Abs. 2 EWR-Abkommen freien Warenverkehr nur für solche Waren, die ihren Ursprung im Gebiet einer Vertragspartei haben. Energiespezifische Regelungen trifft, über den Verweis in Art. 24 EWR-Abkommen, Anhang IV des EWR-Abkommens. Da auch mit Art. 7 und 13 des EFTA-Übereinkommens112, zu dessen Vertragsparteien auch die Schweiz gehört, den Art. 34, 35 und 36 AEUV vergleichbare Vorschriften geschaffen wurden, drängt sich auch hier die Frage auf, inwieweit aus dem Verbot mengenmäßiger Einund Ausfuhrbeschränkungen eine Pflicht zum Ausbau der Stromnetze abgeleitet werden kann. Zudem lehnt sich Art. 18 Abs. 1 lit. b) an Art. 102 AEUV an, der ebenfalls Gegenstand der Untersuchung ist. Jedenfalls fehlen den EWR- und EFTA106 Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft v. 22. 7. 1972. Siehe dazu auch Breitenmoser/Weyeneth, EuZW 2012, 854 (854); dies., Europarecht, S. 198 f.; dies., in: Biaggini/Häner/Saxer/Schott, Verwaltungsrecht, Rdn. 31.5 ff. 107 Vgl. nur Behrens, Marktöffnungs- und Wettbewerbsrecht, Rdn. 196; Hettich/Walther/ Wohlgemuth/Camenisch/Drittenbass, Strommarkt 2023, S. 114. 108 Vgl. die sich bei Breitenmoser/Weyeneth, in: Biaggini/Häner/Saxer/Schott, Verwaltungsrecht, Rdn. 31.9, andeutende Diskussion. 109 Vgl. bspw. nur Baumgart/Mantilla Blanco, RdE 2018, 242 (248); Möller, Subventionen. 110 Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum, ABl. L 1 v. 3. 1. 1994, S. 3 ff. Allgemein zum EWR Breitenmoser/Weyeneth, in: Kronke/Melis/Kuhn, Handbuch, Teil C Rdn. 70 ff. 111 Vgl. Behrens, Marktöffnungs- und Wettbewerbsrecht, Rdn. 186 f.; Epiney, in: Breuer/ Epiney/Haratsch/Schmahl/Weiß, FS Klein, 541 (541 ff.); Müller-Graff, in: von der Groeben/ Schwarze/Hatje, Unionsrecht, Vor Art. 34 – 37 AEUV Rdn. 27. Siehe überdies in Bezug auf Art. 37 AEUV Ehricke, WuW 1995, 691 (693 f.). 112 Übereinkommen zur Errichtung der Europäischen Freihandelsassoziation v. 4. 1. 1960 (SR 0.632.31).

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Kap. 1: Einleitung

Verträgen ähnlich wie dem Freihandelsabkommen den EU-Verträgen vergleichbare Integrationszielsetzungen, sodass zwar eine hohe Wahrscheinlichkeit tatsächlicher Auswirkungen aufgrund des verstärkten EU-internen Netzausbaus besteht. Weitreichende Ausbauverpflichtungen werden den Vorschriften hingegen nicht zu entnehmen sein. Bedeutung wird die Untersuchung auch für die Vertragsstaaten des Vertrags über die Energiegemeinschaft113 gewinnen. Dieser Vertrag zielt unter anderem auf die Errichtung eines integrierten Elektrizitätsmarkts ab und bezweckt mit der Schaffung eines stabilen Investitionsklimas die Steigerung der Versorgungssicherheit.114 Dabei handelt es sich also letztlich um Zielsetzungen, für die der Ausbau der Stromnetze wesentliche Voraussetzung ist. Ähnlich dem EWR-Abkommen übernimmt Art. 41 des Energiegemeinschaftsvertrags für die Energiegemeinschaft im Wesentlichen die Vorschriften zum freien Warenverkehr. Auch hier hat die Auslegung aufgrund unterschiedlicher Zielsetzungen der Abkommen und der EU-Verträge allerdings nicht zwingend zum gleichen Ergebnis zu führen.115 Nach Art. 42 kann die Energiegemeinschaft Maßnahmen zur Schaffung eines einheitlichen Marktes ohne Binnengrenzen für Netzenergie treffen. Im Übrigen könnte für die Schweiz anstelle des separaten Abschlusses eines Stromabkommens mit der EU auch ein Beitritt zur Energiegemeinschaft in Betracht kommen.116 III. Um den Kontext und die Bedeutung des Forschungsbeitrags vollständig zu erfassen, sei an dieser Stelle noch auf die Ebene des sonstigen internationalen Rechts eingegangen. Hier wird das Energierecht und damit auch das Recht des Stromnetzausbaus von Vorschriften des Welthandelsrechts eingerahmt, namentlich durch GATT 1994 und ECT. Das GATT 1994 gehört zum WTO-Recht.117 Genau wie das Unionsrecht regelt es Fragen des Zugangs zu ausländischen Märkten. Letztlich muss angenommen werden, dass die Gründerstaaten beim Schluss der gemeinschaftlichen Verträge und bei der Konzeption der Vorschriften zum freien Warenverkehr die Vorschriften des

113 Ausführlich Buschle/Talus, Energy Community. Im Überblick auch Gundel, in: Danner/ Theobald, Energierecht, EuEnR 10 Rdn. 93 ff. 114 Vgl. Art. 2 Abs. 1 des Vertrags zur Gründung der Energiegemeinschaft v. 25. 10. 2005, ABl. L 198 v. 20. 7. 2006, S. 18 ff. Dazu auch Woltering, Energieaußenpolitik, S. 94. 115 Vgl. Epiney, in: Breuer/Epiney/Haratsch/Schmahl/Weiß, FS Klein, 541 (541 ff.); Müller-Graff, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Unionsrecht, Vor Art. 34 – 37 AEUV Rdn. 27 m. w. N.; oben Fn. 111. 116 Hettich/Walther/Schreiber Tschudin, Stromabkommen, S. 47 ff. 117 Vgl. nur Herdegen, Wirtschaftsrecht, § 10 Rdn. 16. Ausführlich zum WTO-Recht und dessen Bezug zum Energiebereich Cottier/Malumfashi/Matteotti-Berkutova/Nartova/de Sépibus/Bigdeli, in: Cottier/Delimatsis, Prospects, 211 (211 ff.); Woltering, Energieaußenpolitik, S. 99 ff. Vgl. auch die Übersicht bei Breitenmoser/Weyeneth, in: Kronke/Melis/Kuhn, Handbuch, Teil C Rdn. 10 ff.

E. Bedeutung für den gesamteuropäischen Energiehandel

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GATT 1947 vor Augen hatten.118 Art. XI GATT 1947/1994 regelt die „General Elimination of Quantitative Restrictions“; dessen Abs. 2 hat Ähnlichkeiten mit Art. 36 AEUV.119 Während sich diese GATT-Vorschrift ausdrücklich („product of the territory“) nicht auf Waren bezieht, die aus Drittländern stammen,120 ist dies bei den Vorschriften zur Warenverkehrsfreiheit nach dem AEUV gemäß Art. 28 Abs. 2 AEUV der Fall. Außerdem ist bei Art. XI GATT 1947/1994 ausdrücklich ein Grenzbezug Voraussetzung („on the importation“); die innerstaatliche Behandlung ausländischer Waren ist in Art. III GATT 1947/1994 geregelt.121 Der ECT regelt als multilateraler Vertrag wichtige Fragen des Energiehandels122 und des Schutzes von Auslandsinvestitionen123 im Energiesektor.124 Die den Energiehandel regelnden Art. 3 bis 7 ECT entfalten dabei besondere Relevanz, da sie ebenfalls Regelungen dazu treffen, welche Voraussetzungen ein Mitgliedstaat für den Transit125 von Energie, also auch von Strom, zu treffen hat. Besondere Bedeutung kommt dabei Art. 7 ECT zu, der explizit Transitregelungen enthält. Nach Art. 3 ECT wirken die Vertragsparteien darauf hin, für Primärenergieträger und Energieerzeugnisse den Zugang zu den internationalen Märkten unter marktüblichen Bedingungen zu erleichtern und ganz allgemein einem offenen und wettbewerblichen Markt zu entwickeln. Art. 4 ECT statuiert explizit, dass die Bestimmungen des WTO-Abkommens, also damit auch diejenigen des GATT 1994, durch die Vorschriften des ECT nicht beeinträchtigt werden. Art. 5 ECT verbietet solche handelsbezogenen Investitionsmaßnahmen, die gegen das GATT 1994 verstoßen (Abs. 1). Art. 5 Abs. 2 ECT definiert diese genauer. Nach Art. 6 Abs. 1 ECT hat jede Vertragspartei darauf hinzuwirken, Marktverzerrungen und Wettbewerbsbeschränkungen bei einer Wirtschaftstätigkeit im Energiebereich zu verringern. Dies könnte letztlich auch darauf hinauslaufen, dass sich die Vertragsstaaten um einen Ausbau ihrer Stromnetze bemühen sollen. Art. 6 Abs. 2 ECT stellt sicher, dass die Vertragsparteien auch gegen einseitiges oder abgestimmtes wettbewerbswidriges Verhalten vorgehen. Art. 7 ECT trifft ausdrücklich Bestimmungen zum Transit. Nach dessen Abs. 1 sollen die Vertragsstaaten den Transit von Primärenergieträgern und Energieerzeugnissen erleichtern. Abs. 2 betrifft ausdrücklich den Ausbau der 118

Cottier, ZSR 2015 I, 325 (325); White, CMLRev 1989, 235 (239); vgl. auch MüllerGraff, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Unionsrecht, Vor Art. 34 – 37 AEUV Rdn. 24; siehe für einen Vergleich der Bedeutung des GATT 1947 mit der Bedeutung der Vorschriften zum freien Warenverkehr auch Dauses, RIW 1984, 197 (197 f.). 119 White, CMLRev 1989, 235 (240). 120 White, CMLRev 1989, 235 (240). 121 White, CMLRev 1989, 235 (240). Siehe ganz allgemein auch Hettich/Walther/Wohlgemuth/Camenisch/Drittenbass, Strommarkt 2023, S. 144. 122 Dazu auch Woltering, Energieaußenpolitik, S. 86 ff. m. w. N. 123 Dazu im Überblick auch Baumgart/Mantilla Blanco, KSzW 2016, 179 (179 ff.). 124 Ausführlich Wälde, Energy Charter Treaty. Im Überblick auch Gundel, in: Danner/ Theobald, Energierecht, EuEnR 10 Rdn. 91 ff. 125 Dazu ausführlich Leal-Arcas/Grasso/Alemany Ríos, Energy Security, S. 153 ff.

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Kap. 1: Einleitung

Energiebeförderungseinrichtungen, der von den Vertragsparteien „ermutigt“ werden soll. Abs. 3 schließt eine Diskriminierung von Primärenergieträgern und Energieerzeugnissen im Transit gegenüber eigenen aus. Abs. 4 regelt ausdrücklich, dass der Netzausbau von den Vertragsparteien nicht erschwert werden darf, soweit der Transit von Primärenergieträgern und Energieerzeugnissen nicht zu marktüblichen Bedingungen erreicht werden kann. Abs. 5 regelt, wann der Ausbau einer Energiebeförderungseinrichtung zu gestatten ist. Im letzten Unterabsatz statuiert die Vorschrift aber auch, dass letztlich hinter den seit langem bestehenden Fluss von Primärenergieträgern und Energieerzeugnissen nicht zurückgefallen werden darf. Abs. 7 regelt das Streitbeilegungsverfahren über Fragen im Zusammenhang mit dem Transit. Abs. 10 lit. b) definiert als Energiebeförderungseinrichtung u. a. die Hochspannungsnetze und Hochspannungsleitungen. Im Ergebnis enthält der Vertrag über die Energiecharta damit gewisse Ausbaupflichten der Vertragsparteien in Bezug auf ihre Stromnetze, was auch nochmal an Art. 7 Abs. 9 ECT deutlich wird: Hat eine Vertragspartei keine Hochspannungsnetze, muss sie in Bezug auf diese auch keine Maßnahmen treffen, darf den Bau solcher allerdings gemäß Art. 7 Abs. 4 ECT grundsätzlich auch nicht erschweren. Zuletzt sei darauf hingewiesen, dass die EU wie auch bspw. Deutschland und die Schweiz Vertragspartner von WTO-Vereinbarung und ECT sind. IV. Die Untersuchung hat mithin eine besondere Relevanz nicht nur für die Strommärkte der einzelnen EU-Mitgliedstaaten, sondern auch für benachbarte Länder, wenngleich sich diese zum Teil aus tatsächlichen und weniger aus rechtlichen Gründen ergibt.

Kapitel 2

Anwendung der Vorschriften zum freien Warenverkehr A. Anwendbarkeit der Art. 28 ff. AEUV Eingangs ist darauf hinzuweisen, dass für die Untersuchung nicht etwa die Vorschriften zur Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 ff. AEUV) vorrangig anzuwenden wären. Die Untersuchung geht der Pflicht zur Gewährleistung von Infrastruktur nach. Im Zentrum der rechtlichen Würdigung steht also die Frage, ob Infrastruktur geschaffen oder unterhalten werden muss, damit Waren frei zirkulieren können. Nicht hingegen geht es darum, Dienstleistungen frei anbieten zu können, obgleich der allgemeine Betrieb der Stromnetze als Dienstleistung qualifiziert werden könnte126 und es sich bei den Eigentümern der zum Transport der Waren notwendigen Netze um Dienstleister handelt. Es wird die Frage behandelt, ob Pflichten zur Gewährleistung eines freien Warenverkehrs durch den Ausbau von Infrastruktur bestehen. Zwar wird damit die Zuerkennung einer Pflicht erwogen, die sich selbst als Bereitstellungsleistung, also als Dienstleistung, darstellt, allerdings wird im Folgenden nicht die Beschränkung einer Dienstleistung diskutiert – dann wären die Art. 56 ff. AEUV anwendbar –, sondern die Zuerkennung einer Gewährleistungspflicht, die dem freien Warenverkehr dient. Die Anwendung der Vorschriften zum freien Warenverkehr ist auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil die Vorschriften zum freien Dienstleistungsverkehr generell Anwendungsvorrang erhielten.127 Da Strom als Ware zu qualifizieren ist,128 ist die Dienstleistungsfreiheit aufgrund ihrer Subsidiarität nicht anwendbar (Art. 57 Unterabs. 1 AEUV)129. Zudem ist eine generelle Bereichsausnahme für Strom, entgegen der früher in der Literatur vertretenen Ansicht, dass der Energiesektor von den Vorschriften der 126 Lecheler/Recknagel, in: Dauses/Ludwigs, Handbuch, M. Rdn. 16. Allgemein zum Begriff der Dienstleistung im internationalen Recht und im EU-Recht Breitenmoser/Weyeneth, in: Kronke/Melis/Kuhn, Handbuch, Teil C Rdn. 4 ff. und 60 ff. 127 Siehe zu dieser Diskussion Schneider, in: Schneider/Theobald, Energiewirtschaft, § 2 Rdn. 13 m. w. N. Vgl. auch den Hinweis bei Breitenmoser/Weyeneth, in: Kronke/Melis/Kuhn, Handbuch, Teil C Rdn. 87. 128 Siehe jetzt anschließend Kapitel 2 B. 129 Siehe auch Breitenmoser/Weyeneth, Europarecht, Rdn. 944.

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Kap. 2: Anwendung der Vorschriften zum freien Warenverkehr

Grundfreiheiten und den sonstigen allgemeinen Wirtschaftsbestimmungen der Verträge ausgenommen werden sollte,130 bereits mangels ausdrücklicher Differenzierung im Normtext abzulehnen. Eine ausdrückliche Bereichsausnahme, wie sie etwa in Art. 58 Abs. 1 AEUV für den freien Dienstleistungsverkehr auf dem Gebiet des Verkehrs vorgesehen ist,131 besteht für die Vorschriften zum freien Warenverkehr nicht. Ferner zeigt die Einführung spezifischer Energiekompetenzen wie durch den Vertrag von Lissabon, dass das Unionsrecht sich auch auf den Energiebereich beziehen will.132

B. Wareneigenschaft I. Strom als Ware 1. Zentrale Abschnitte der Untersuchung betreffen die Art. 34, 35 und 37 AEUV. Welche Sachverhalte von diesen Vorschriften zum freien Warenverkehr erfasst werden, beurteilt sich vorrangig nach Art. 28 Abs. 2 AEUV. Die Norm erklärt die Art. 34 bis 37 AEUV für anwendbar, soweit es sich um Waren handelt. Strom müsste also eine Ware sein. Dies wird heute beinahe unstreitig bejaht: Zum einen hat der Europäische Gerichtshof mit Urteil vom 27. April 1994 ausdrücklich entschieden, dass es sich auch bei Elektrizität um eine Ware handele.133 Hier stützte sich der Gerichtshof auf die Erwägung, dass diese Klassifikation von den Mitgliedstaaten nicht bestritten werde, was sich unter anderem dadurch zeige, dass Elektrizität im Rahmen des Zolltarifschemas als Ware angesehen werde.134 Die Auffassung der Rechtsprechung lässt sich überdies mit einem Blick auf sonstige internationale Verträge stützen. So fasst das Übereinkommen der Vereinten Nationen über Verträge über den internationalen Warenkauf v. 11. 4. 1980135 elektrische Energie jedenfalls vom Wortlaut her unter den Warenbegriff, da die Vertragsparteien die Notwendigkeit gesehen haben, elektrische Energie in Art. 2 lit. (f) vom Warenbegriff des Übereinkommens explizit auszunehmen.136 Folglich ist die elektrische 130 Dazu die Nachweise bei Schneider, in: Schneider/Theobald, Energiewirtschaft, § 2 Rdn. 12. 131 Breitenmoser/Weyeneth, in: Kronke/Melis/Kuhn, Handbuch, Teil C Rdn. 83; Tiedje, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Unionsrecht, Art. 58 AEUV Rdn. 1 ff. 132 Schneider, in: Schneider/Theobald, Energiewirtschaft, § 2 Rdn. 12. 133 EuGH, Urt. v. 27. 4. 1994, Rs. C-393/92, ECLI:EU:C:1994:171, Rdn. 28 – Gemeente Almelo u. a./Energiebedrijf Ijsselmij; zur Entwicklung und zum Streitstand zusammenfassend Presser, Stromhandel, Fn. 192. 134 EuGH, Urt. v. 27. 4. 1994, Rs. C-393/92, ECLI:EU:C:1994:171, Rdn. 28 – Gemeente Almelo u. a./Energiebedrijf Ijsselmij. 135 SR 0.221.211.1. 136 Vgl. dazu auch United Nations, Conference on Contracts for the International Sale of Goods, Official Records, S. 16, abrufbar unter http://www.cisg.law.pace.edu/cisg/text/secomm/

B. Wareneigenschaft

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Energie im Sinne des Übereinkommens vom Wortlaut aus gesehen zunächst noch als Ware zu verstehen. Weil verschiedene nationale Systeme die Frage nach der Warenqualität von elektrischer Energie unterschiedlich beantworten,137 muss elektrische Energie zur notwendigen Klarstellung erst durch eine explizite Regelung ausgenommen werden. Eine solche explizite Ausnahmeregelung besteht im AEUV nicht. Zum anderen lässt sich Strom bereits unter frühere Definitionen der Rechtsprechung subsumieren. So führte der Europäische Gerichtshof bereits 1968 an, dass unter Waren im Sinne der Warenverkehrsfreiheit „Erzeugnisse zu verstehen [sind], die einen Geldwert haben und deshalb Gegenstand von Handelsgeschäften sein können. […] Sonach sind Güter den Normen des Gemeinsamen Marktes unterworfen, sofern der Vertrag nicht ausdrücklich Ausnahmen vorsieht.“138

Strom wird im Rahmen von Bilanzkreisen gehandelt.139 Ein Bilanzkreis soll dabei die Abweichungen zwischen Einspeisungen und Entnahmen für die verschiedenen Entnahmepunkte innerhalb des Bilanzkreises aufrechnen, welche dann durch den Übertragungsnetzbetreiber als Ausgleichsenergie ausgeglichen werden; ergibt sich letztlich, dass trotz der Ausgleichsenergie für die verschiedenen Bilanzkreise die Gesamtsumme der eingespeisten von der ausgespeisten Elektrizität in der Regelzone abweicht, muss sogenannte Regelenergie abgerufen werden.140 Da Strom also ein Erzeugnis ist, das einen Geldwert hat und also Gegenstand von Handelsgeschäften sein kann,141 ist Strom eine Ware im Sinne der Vorschriften zum freien Warenverkehr. Weiterhin ging der Europäische Gerichtshof bereits 1964 implizit davon aus, dass es sich bei Strom um eine Ware handelt.142 Stellt man darauf ab, dass bei der Stromlieferung mehrere Leistungen zusammenfallen, ist auf den Schwerpunkt der Gesamtleistung bzw. den Schwerpunkt der

secomm-02.html (Stand: 27. 12. 2019), „This subparagraph excludes sales of electricity from the scope of this Convention on the ground that in many legal systems electricity is not considered to be goods and, in any case, international sales of electricity present unique problems that are different from those presented by the usual international sale of goods.“; Khoo, in: Bianca/Bonell, International Sales Law, S. 38 f. 137 Khoo, in: Bianca/Bonell, International Sales Law, S. 38 f. 138 EuGH, Urt. v. 10. 12. 1968, Rs. C-7/68, ECLI:EU:C:1968:51 – Kommission/Italien; so auch EuGH, Urt. v. 21. 10. 1999, Rs. C-97/98, ECLI:EU:C:1999:515, Rdn. 30 – Jägerskiöld. 139 De Wyl/Thole/Bartsch, in: Schneider/Theobald, Energiewirtschaft, § 16 Rdn. 243; siehe zur Situation in der Schweiz Waldner, AJP/PJA 2010, 1311 (1314 f.); Waldner/Rechsteiner, VSE/AES Bulletin 1/2010, 21 (21 ff.). 140 De Wyl/Thole/Bartsch, in: Schneider/Theobald, Energiewirtschaft, § 16 Rdn. 244. 141 Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 1, Rdn. 831; Müller-Graff, in: von der Groeben/ Schwarze/Hatje, Unionsrecht, Art. 34 AEUV Rdn. 276 m. w. N. 142 Ehlermann, in: Lukes, EWG-Binnenmarkt, S. 38; Everling, in: Lukes, EWG-Binnenmarkt, S. 141 f., mit Hinweis auf EuGH, Urt. v. 15. 6. 1964, Rs. C-6/64, ECLI:EU:C:1964:66, S. 1274 ff. – Costa/E.N.E.L.

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Kap. 2: Anwendung der Vorschriften zum freien Warenverkehr

Leistung im Einzelfall abzustellen,143 der bei grenzüberschreitenden und innerstaatlichen Stromlieferungen „in der Verbringung der Elektrizität […] und nicht etwa in der Bereitstellung von Netzinfrastruktur“ 144 zu sehen ist. 2. Denkbar ist, dass aber auch bereits die physikalischen Eigenschaften von Strom zum selben Ergebnis führen. In diesem Zusammenhang wird in der Literatur zum Teil davon ausgegangen, dass die Klassifizierung eines Gutes als Ware grundsätzlich Körperlichkeit voraussetze.145 So könnte vertreten werden, dass es sich bei einer Ware um eine Sache oder einen Gegenstand handeln muss. Der Europäische Gerichtshof stellt fest, dass jedenfalls „Gegenstände, die im Hinblick auf Handelsgeschäfte über eine Grenze verbracht werden“, den Vorschriften zur Warenverkehrsfreiheit unterliegen.146 In einem weiteren Urteil heißt es, dass „der gemeinsame Zolltarif […] nur die Einfuhr von Waren, also von körperlichen Gegenständen“ betreffe.147 Strom ist der Transport elektrischer Ladungen.148 In herkömmlichen Leitern dienen für diesen Ladungstransport als Ladungsträger Elektronen.149 Da es sich bei Elektronen um kleine Teilchen handeln kann,150 könnte überlegt werden, nicht auf Strom per se, sondern zumindest auch auf die Elektronen als Ladungsträger abzustellen. Teilchen sollten aufgrund ihrer möglichen Körperlichkeit als Sache einzuordnen sein. Macht man den Begriff des Gegenstands zum ausschlaggebenden Faktor, könnte überlegt werden, dass ein einzelnes Teilchen nicht wirklich „zu gegen“ ist. Erst ab einer vom Menschen ohne Hilfsmittel visuell wahrnehmbaren Größe könnte von „Zu-Gegen-Sein“ gesprochen werden und mithin von einem Gegenstand. Ob diese eng an den Wortlaut angelehnte Auslegung zulässig ist, ist im Hinblick auf den vom Europäischen Gerichtshof in der englischen Version verwendeten Begriff des „objects“151 allerdings äußerst fraglich. Die wortlautorientierte Auslegung führt deshalb nicht weiter. Überdies erscheint es bereits problematisch, auf die Elektronen selbst abzustellen, da sich diese beim Wechselstrom – wenn überhaupt – nur um winzige Distanzen bewegen. 143 Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 1, Rdn. 829; Lecheler/Recknagel, in: Dauses/Ludwigs, Handbuch, M. Rdn. 16. Vgl. im Übrigen auch Breitenmoser/Weyeneth, in: Kronke/Melis/ Kuhn, Handbuch, Teil C Rdn. 6 f. 144 Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 1, Rdn. 830. Dies nehmen Lecheler/Recknagel, in: Dauses/Ludwigs, Handbuch, M. Rdn. 16, auch bereits ohne den Verweis auf das Zollschema an. 145 Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 1, Rdn. 829. 146 EuGH, Urt. v. 9. 7. 1992, Rs. C-2/90, ECLI:EU:C:1992:310, Rdn. 26 – Kommission/ Belgien. Diese Aussage des EuGH ist mit Blick auf die übrigen Urteile bereits nicht als abschließend zu betrachten. 147 EuGH, Urt. v. 14. 7. 1977, Rs. C-1/77, ECLI:EU:C:1977:130, 1. Leitsatz – Bosch GmbH/Hauptzollamt Hildesheim. 148 Vgl. Demtröder, Experimentalphysik 2, S. 44; Tipler/Mosca, Physik, S. 966. 149 Demtröder, Experimentalphysik 2, S. 44. 150 Vgl. dazu z. B. Pietschmann, Quantenmechanik, insb. S. 75 ff. m. w. N. 151 Die leiteinische Herkunft objectum bedeutet soviel wie „something thrown down or presented (to the mind)“, http://www.dictionary.com/browse/object (Stand: 27. 12. 2019).

B. Wareneigenschaft

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Insgesamt überzeugt es eher und schon aufgrund des anzulegenden Auslegungsmaßstabs auf den Sinn und Zweck der Vorschriften zum freien Warenverkehr abzustellen.152 Die Vorschriften zum freien Warenverkehr zielen im Lichte der Vertragsziele einer immer engeren Union und der Verwirklichung des Binnenmarkts darauf ab, nicht nur körperliche Gegenstände zu erfassen, sondern alles was gehandelt wird. Am Ende lässt sich auch ohne eine Körperlichkeit von Strom eine Vergleichbarkeit mit anderen körperlichen handelbaren Gegenständen herstellen,153 sodass eine unterschiedliche Behandlung kaum einleuchtet. In der Literatur wird vertreten, dass die Wareneigenschaft bereits dann gegeben sei, wenn das zu klassifizierende Gut beherrsch- und begrenzbar sei,154 was einer Körperlichkeit damit jedenfalls nahe käme. Dies gilt für Strom schon aufgrund von „Leitungsbindung und der Flussregelung durch Erzeugung und Schaltung“.155 Dazu ist unterstützend anzuführen, dass die Art. 34, 35 und 37 AEUV im Zusammenhang mit dem Ziel der Verträge stehen, den Binnenmarkt zu verwirklichen. Da der Strombinnenmarkt als Unterfall des Binnenmarkts zu betrachten ist, spricht vieles dafür, dass der Warenbegriff des Art. 28 Abs. 2 AEUV vom Sinn und Zweck her auch Strom umfasst. Am Ende gebietet auch bereits die Gleichbehandlung der verschiedenen Energieträger Strom, Erdgas und Erdöl eine Klassifizierung von Strom als Ware, da die letztgenannten Energieträger ebenfalls als Waren zu qualifizieren sind.156 3. Eine absolute Mindermeinung stellt die Ansicht dar, dass Strom erst durch Regulierung zu einer Ware gemacht werde und daher keine Ware sei.157 Damit von einer Ware gesprochen werden könne, müssten Markt, Handel und Wettbewerb erst grundsätzlich möglich sein.158 Zuzugeben ist, dass die Klassifizierung von Strom als Ware im Sinne der Vorschriften zur Warenverkehrsfreiheit einige rechtliche Probleme aufwirft. Selbst wenn Strom nicht bereits „von Natur aus“ eine Ware wäre, wird er aber durch die Mitgliedstaaten als eine solche betrachtet und spätestens durch das Zolltarifschema zu einer solchen gemacht. Diese funktionale Betrachtung spricht für die Anerkennung von Strom als Ware.159 Möglicherweise lässt sich die aus 2003 stammende Gegenansicht auch dadurch erklären, dass der Strombinnenmarkt zu diesem Zeitpunkt noch unzureichend ausgebildet war und wesentliche Handelsvoraussetzungen erst im selben Jahr mit dem Reformpaket160 und in den Folgejahren durch das dritte Binnenmarktpaket geschaffen wurden. Eine Ware muss im Ergebnis weder eine Sache noch ein Gegenstand sein. 152 153 154 155 156 157 158 159 160

Vgl. auch die Erwägungen bei Everling, in: Lukes, EWG-Binnenmarkt, S. 142. Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 1, Rdn. 831, 834 ff. Lukes, RIW 1998, 581 (583). Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 1, Rdn. 831; Lukes, RIW 1998, 581 (583). Ehlermann, in: Lukes, EWG-Binnenmarkt, S. 38. So Hermes, in: Bohne, Neubestimmung, 135 (141 f.). So Hermes, in: Bohne, Neubestimmung, 135 (142). Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 1, Rdn. 830 m. w. N. Zur Historie Schneider, in: Schneider/Theobald, Energiewirtschaft, § 2 Rdn. 42 ff.

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Kap. 2: Anwendung der Vorschriften zum freien Warenverkehr

II. Abgrenzung zu anderen Waren Grundsätzlich wäre denkbar, leitungsgebundenen Strom nicht insgesamt als dieselbe Ware zu verstehen, sondern Strom jeder Gebotszone oder Strom, der zu einem anderen Zeitpunkt eingespeist wird, jeweils als eigene Ware zu klassifizieren. Dies ist aber mit Blick auf Sinn und Zweck der Vorschriften zum freien Warenverkehr, einen EU-weiten Binnenmarkt zu schaffen, nicht vereinbar und daher abzulehnen. Ferner wäre denkbar, Elektrizität im Ganzen als Ware und Strom nicht als eigene Warenkategorie zu betrachten. Wenn Strom und die in einem Medium gespeicherte Energie, zum Beispiel in Batterien, als ein und dieselbe Ware betrachtet werden könnten, hätte dies spätestens Auswirkungen auf das mitgliedstaatliche Ermessen beim Ausbau der Infrastruktur. Fraglich wäre dann auch, ob überhaupt eine mengenmäßige Beschränkung im Sinne der Artikel 34 und 35 AEUV bejaht werden könnte. Insofern könnten Energieträger wie Batterien nur als „Behältnisse“ für den elektrischen Strom verstanden werden. Dies könnte dann auch bedeuten, dass der Mitgliedstaat nicht unmittelbar zum Ausbau der Stromnetze verpflichtet wäre, da er insgesamt nur eine Elektrizitätsinfrastruktur gewährleisten müsste und elektrische Primärelemente und Primärbatterien auch auf der herkömmlichen Verkehrsinfrastruktur transportiert werden könnten.161 Allerdings wird in Anhang I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif162 unter dem KN-Code 2716 00 00 Elektrischer Strom und werden unter dem KN-Code 8506 Elektrische Primärelemente und Primärbatterien aufgeführt. Dies spricht bereits dafür, dass Strom als eigene Ware zu betrachten ist, da Strom und elektrische Primärelemente und Primärbatterien unter unterschiedlichen KN-Codes zu finden sind. Zudem stellt die in anderen Energieträgern gespeicherte Energie, selbst wenn es sich um Kondensatoren handelt, bei denen die Energie in einem elektrischen Feld gespeichert und daher nicht umgewandelt wird,163 ein anderes „Erzeugnis“ dar als elektrischer Strom. Diese Überlegung fügt sich in die bereits oben genannte Definition des Europäischen Gerichtshofs von 1968 ein.164 Mithin stellt elektrischer Strom eine eigene Ware dar.

161 Zum Ermessen unten Kapitel 4 A. IV. Überdies wäre sicherlich auch dasjenige, was die Vertragsgemeinschaft vernünftigerweise vom Mitgliedstaat verlangen kann, anders zu beurteilen. Vgl. dazu Kapitel 3 C. II. 1. 162 Zuletzt geändert durch die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1101/2014 der Kommission v. 16. 10. 2014, ABl. L 312 v. 31. 10. 2014, S. 1 ff. 163 Tipler/Mosca, Physik, S. 926 ff. 164 Siehe Fn. 138.

B. Wareneigenschaft

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III. Handelsabsicht Es wird überlegt, dass jedes Erzeugnis insgesamt und damit auch Elektrizität zum Zweck des Handels eingeführt werden müsse, damit die Vorschriften zur Gewährleistung der Warenverkehrsfreiheit Anwendung finden.165 Letztlich handelt es sich damit um eine Erwägung, die die Frage betrifft, ob überhaupt eine Ware im Sinne der Vorschriften zum freien Warenverkehr vorliegt. Hinter dieser Erwägung steht der Gedanke, dass Strom, der aus rein physikalischen Gründen grenzüberschreitend in Netze gedrückt wird, lediglich ein technisches Phänomen darstellt und daher mit dem freien Warenverkehr nichts zu tun haben könnte. Sie findet auch einen Anknüpfungspunkt in der Dassonville-(1974)-Formel, die explizit eine „Handelsregelung der Mitgliedstaaten“166 fordert. Im Hinblick auf Sinn und Zweck der Vorschriften zum freien Warenverkehr, den Markt zu schützen, überzeugt diese Auffassung. Denn bei diesem technischen Phänomen geht es nicht darum, dass zwei Marktteilnehmer grenzüberschreitend Handel treiben. Es liegt lediglich ein physikalischer Effekt vor. Strom, der aus rein physikalischen Gründen grenzüberschreitend in Netze gedrückt wird, ist daher nicht unter die Warenverkehrsfreiheit zu fassen. Fraglich ist, ob auch eine Handelsabsicht bei Strom besteht, der zu dem Zweck eingespeist wird und werden soll, für die Einspeisung eine festgelegte Vergütung zu bekommen, wie dies beispielsweise bei Strom aus Erneuerbaren Energien in Deutschland der Fall ist, für den nicht die Pflicht zur Direktvermarktung besteht.167 Generell wirken sich Beschränkungen aber nie nur ausschließlich auf diese Art des Stroms aus, sondern es ist auch immer Strom betroffen, der zum Zweck des Handels eingespeist wird oder werden soll. Insbesondere lassen sich Strom, der zum Zweck des Handels eingespeist wird und solcher, der nicht zum Zweck des Handels eingespeist wird, bereits physikalisch nicht mehr unterscheiden.168 Im Grundsatz ist für Strom, der zum Zweck des Handels eingespeist wird, daher die Anwendbarkeit der Art. 34, 35 und 37 AEUV zu bejahen. Strom ist mithin als Ware im Sinne der Vorschriften zur Gewährleistung der Warenverkehrsfreiheit zu betrachten. Mit der Klassifikation von Strom als Ware, ist eine wesentliche Voraussetzung für die Anwendbarkeit der Art. 34, 35 und 37 AEUV erfüllt. Liegen auch die restlichen Voraussetzungen vor, können sowohl Art. 34 und 35 AEUV als auch Art. 37 AEUV verschiedene Rechtsfolgen auslösen.

165

Schulte-Beckhausen/Schneider/Kirch, RdE 2014, 101 (105). EuGH, Urt. v. 11. 7. 1974, Rs. C-8/74, ECLI:EU:C:1974:82, Rdn. 5 – Dassonville. Hervorhebung durch den Verfasser. 167 Schulte-Beckhausen/Schneider/Kirch, RdE 2014, 101 (105); vgl. §§ 37 und 38 EEG. 168 Schulte-Beckhausen/Schneider/Kirch, RdE 2014, 101 (105). 166

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Kap. 2: Anwendung der Vorschriften zum freien Warenverkehr

C. Sonstige Anwendungsvoraussetzungen I. Grenzüberschreitender Sachverhalt Art. 34 und 35 AEUV verbieten mengenmäßige Einfuhr- und Ausfuhrbeschränkungen und Maßnahmen gleicher Wirkung „zwischen den Mitgliedstaaten“. Daraus ergibt sich die Anwendungsvoraussetzung eines grenzüberschreitenden Sachverhalts.169 Gleiches gilt für Art. 37 Abs. 1 Unterabs. 1 AEUV, der von Diskriminierungen „zwischen den Angehörigen der Mitgliedstaaten“ spricht. Rein nationale Beschränkungen und Maßnahmen werden von den Vorschriften also nicht erfasst.170 Wenn aber die Art. 34, 35 und 37 AEUV zur Verwirklichung des Binnenmarkts geschaffen sind, ergibt sich aus dem Sinn und Zweck der Normen, dass der Sachverhalt nicht wirklich „eine Grenze überschreiten“ muss. Es ist vielmehr auf die Binnenmarktrelevanz abzustellen.171 Die gegenständlichen Fragestellungen beziehen sich auf die grundlegende Infrastruktur, die notwendig ist, um Strom von einem Ort in der Union an einen anderen zu verbringen: Grundsätzlich verursacht „Drehstrom elektrotechnische Sonderprobleme, die die Elektrizität eigentlich zu einer „lokalen“ Energie machen“172 und durch Stromfluss entsteht Reibungswärme und damit ein Energieverlust.173 Dass der Stromtransport daher über weite Strecken auch unwirtschaftlich sein kann, ändert nichts daran, dass er auch über die mitgliedstaatlichen Grenzen hinaus handelbar sein kann und sein soll. Dazu dienen die Übertragungsnetze. Übertragungsnetze sollen eine hohe elektrische Leistung über weite Strecken mit möglichst wenig Verlust leiten, während Verteilernetze den Strom zum Verbraucher bringen sollen.174 Aber auch Verteilernetze müssen entsprechend ausgebaut sein, um den Strom aus einem Mitgliedstaat zu jedem Lastnehmer eines anderen Mitgliedstaats zu bringen, da Lastnehmer grundsätzlich nicht unmittelbar an das Übertragungsnetz angeschlossen sind.175 An diesen Annahmen ändert auch der Handel von Strom in Gebotszonen und die Tatsache, dass Strom vor allem virtuell (d. h. durch Anmeldung eines der ver169

Becker, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 34 Rdn. 19; Breitenmoser/Weyeneth, Europarecht, Rdn. 872; a. A. Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 34 – 36 AEUV Rdn. 16. 170 Röhl, JURA 2006, 321 (325 m. w. N.). 171 Vgl. dazu auch EuGH, Urt. v. 9. 9. 2004, Rs. C-72/03, ECLI:EU:C:2004:506, Rdn. 21 ff. – Carbonati Apuani; Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 34 – 36 AEUV Rdn. 38. Zu dieser äußerst diffizilen Frage, welche Maßnahmen nunmehr genau von den Grundfreiheiten erfasst werden können, auch Oliver/Enchelmaier, CMLRev 2007, 649 (650 ff.); Oliver/Roth, CMLRev 2004, 407 (429 ff.). Eine engere Auffassung vertritt u.A. Classen, EuR 2004, 416 (417 m. w. N.). 172 Müller, Elektrizitätswirtschaft, S. 27. 173 Pick, Ordnungsprobleme, S. 87. 174 Müller, Elektrizitätswirtschaft, S. 163; zu den dazu erforderlichen Spannungen siehe zusammenfassend Presser, Stromhandel, S. 32. 175 Vgl. zur Bedeutung der Verteilernetze auch vom Dahl, N&R 2015, 194 (194).

C. Sonstige Anwendungsvoraussetzungen

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einbarten Strommenge entsprechenden Fahrplans bei dem Übertragungsnetzbetreiber) und nicht physisch gehandelt wird, nichts. Stromgroßhandelsmärkte sind in der EU in Gebotszonen gegliedert, durch die unterstellt wird, Strom könne innerhalb einer solchen Zone ganz ohne physikalische Einschränkungen gehandelt werden. Zwischen den Gebotszonen finden Kapazitätsvergaben statt. Dabei werden die handelsbeschränkenden Engpässe auf Handelsebene durch das Konzept einer Gebotszone lediglich an die Gebotszonengrenzen verschoben.176 Der virtuelle Handel ist also letztlich immer auf die physikalischen Gegebenheiten rückführbar.177 Insgesamt sind sowohl grenzüberschreitende Verbindungsleitungen wie auch innerstaatliche Stromnetze für den Binnenmarkt relevant.178 Da aufgrund der Leitungsgebundenheit von Strom der Handel zwischen zwei Mitgliedstaaten ohne ausreichende Übertragungs- und Verteilernetze nicht oder nur erschwert möglich ist, ist für das Stromleitungsnetz insgesamt der grenzüberschreitende Sachverhalt zu bejahen. Während dies für die Übertragungsnetze fast selbstverständlich ist, sind Verteilernetze insbesondere in ihrer Gesamtheit wesentlich. Auch Erwägungsgrund 2 S. 2 der Kommissions-Verordnung zur Festlegung einer Leitlinie für die Kapazitätsvergabe und das Engpassmanagement 2015/1222/EU179 führt an: „Die Versorgung der Unionsbürger mit Elektrizität kann nur über Netze erfolgen.“ Außerdem geht auch Anhang IV Nummer 1 zur transeuropäischen Energieinfrastruktur-Verordnung 347/2013/EU180 davon aus, dass innerstaatlichen Netzen grenzüberschreitende Auswirkungen, folglich Binnenmarktrelevanz, zukommen kann. Dabei ist sogar denkbar, dass die Verordnung eine das Primärrecht konkretisierende Funktion übernimmt. Sie definiert allerdings nur, ab wann hinsichtlich eines Vorhabens von „erheblichen grenzüberschreitenden Auswirkungen“ ausgegangen wird. Dies schließt nicht aus, dass für das gesamte Elektrizitätsnetz – wenn auch nicht überall in erheblichem Maße – grenzüberschreitende Auswirkungen bestehen. Das Merkmal des grenzüberschreitenden Sachverhalts im Sinne der Vorschriften zum freien Warenverkehr erfordert immerhin keine besondere Erheblichkeit.

176

König/Baumgart, EuZW 2018, 491 (494). Siehe zum Zusammenhang zwischen virtueller und physischer Stromlieferung Waldner, AJP/PJA 2010, 1311 (1317 ff., insb. Rdn. 53). 178 Vgl. CEER, Dokument „Completing the Internal Energy Market: The Missing Steps.“ v. 6. 10. 2003, Punkt 6 a), abrufbar unter https://www.ceer.eu/documents/104400/-/-/087e78ba-c91 5 - 0264 - 8c8c-e45cd60091ef (Stand: 27. 12. 2019); darauf verweisend Höffler/Wittmann, The Energy Journal, Bd. 28, Nr. 1, 113 (113). Im Übrigen werden Verbindungsleitungen, wenn sie grenzüberschreitend sind, auch „Interkonnektoren“ genannt; unter „Grenzkuppelstellen“ versteht man hingegen die Verbindungsstücke der nationalen Netze, vgl. Gruber, Stromlieferungen, S. 40; Presser, Stromhandel, S. 32. 179 Siehe Fn. 12. 180 Verordnung (EU) 347/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 17. 4. 2013 zu Leitlinien für die transeuropäische Energieinfrastruktur und zur Aufhebung der Entscheidung Nr. 1364/2006/EG und zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 713/2009, (EG) Nr. 714/2009 und (EG) Nr. 715/2009, ABl. L 115 v. 25. 4. 2013, S. 39 ff. 177

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Kap. 2: Anwendung der Vorschriften zum freien Warenverkehr

II. Befindlichkeit der Waren im freien Verkehr der Union Die Warenverkehrsfreiheit erfasst wegen Art. 28 Abs. 2 AEUV nicht nur den in einem Mitgliedstaat produzierten und eingespeisten Strom, sondern auch solchen, der aus einem Drittland in den freien Verkehr der Union gelangt. Der Begriff des freien Verkehrs kann dabei nicht einen „völlig freien“ Verkehr meinen. Beim freien Verkehr muss es vom Sinn und Zweck her auf die grundsätzliche Handelbarkeit ankommen. Dass Strom physisch nur schwer lenkbar ist, schadet mithin der „Freiheit des Verkehrs“ nicht. Damit erfüllt auch das leitungsgebundene In-die-Union-Gelangen das Tatbestandsmerkmal des freien Verkehrs. Zudem ist auch die Durchfuhr einer Ware erfasst.181

D. Zwischenergebnis und Zusammenfassung Strom ist eine Ware, die sich im freien Verkehr der Union befindet und im Übrigen keiner Bereichsausnahme unterliegt. Erfasst ist zwar grundsätzlich nur solcher Strom, der mit Handelsabsicht eingespeist wird; dieser lässt sich allerdings physikalisch nicht von solchem Strom unterscheiden, der nicht mit Handelsabsicht eingespeist wurde. Die Betrachtung der Vorschriften zum freien Warenverkehr geschieht im Rahmen der Untersuchung in Bezug auf einen grenzüberschreitenden Sachverhalt. Folglich sind in den denkbaren und im Weiteren diskutierten Fällen die Vorschriften zur Gewährleistung der Warenverkehrsfreiheit anwendbar, die in Bezug auf das Untersuchungsziel auch nicht von den Vorschriften zur Dienstleistungsfreiheit verdrängt werden.

181

Becker, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 34 Rdn. 16.

Kapitel 3

Zu einer allgemeinen originären Leistungsdimension A. Zum Spannungsfeld von Integration, Solidarität und Souveränität I. Die Frage nach einer allgemeinen wie auch nach einer speziellen originären Leistungspflicht aus den Vorschriften zum freien Warenverkehr bewegt sich in einem Spannungsfeld, welches sich zwischen den Wertungstrias der immer weiteren EUIntegration, mitgliedstaatlicher Solidarität und nationaler Souveränität aufspannt. Es sind diese Grundgedanken, die hinter den Argumenten in der Diskussion um die Zuerkennung einer grundfreiheitlichen Leistungspflicht stehen. Dabei stellen sich insbesondere die gegenläufigen Interessen von unionaler Integration und nationaler Souveränität als Gegensatzpaar dar.182 1. Die Wertung einer immer weiteren EU-Integration einschließlich der Verwirklichung des Binnenmarkts nimmt ihren Ausgangspunkt bereits in den Präambeln der Verträge. Nach der Präambel des EUV haben die Mitgliedstaaten, „entschlossen, den mit der Gründung der Europäischen Gemeinschaften eingeleiteten Prozess der europäischen Integration auf eine neue Stufe zu heben, […] eingedenk der historischen Bedeutung der Überwindung der Teilung des europäischen Kontinents und der Notwendigkeit, feste Grundlagen für die Gestalt des zukünftigen Europas zu schaffen, […] in dem Wunsch, die Solidarität zwischen ihren Völkern unter Achtung ihrer Geschichte, ihrer Kultur und ihrer Traditionen zu stärken, […] entschlossen, die Stärkung und die Konvergenz ihrer Volkswirtschaften herbeizuführen und eine Wirtschafts- und Währungsunion zu errichten, die im Einklang mit diesem Vertrag und dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union eine einheitliche, stabile Währung einschließt, in dem festen Willen, im Rahmen der Verwirklichung des Binnenmarkts sowie der Stärkung des Zusammenhalts und des Umweltschutzes den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt ihrer Völker unter Berücksichtigung des Grundsatzes der nachhaltigen Entwicklung zu fördern 182 Vgl. bereits zum Spannungsfeld von europäischer Integration und nationaler Souveränität Giegerich, in: Utz/Ernst/Schulz, FS Schmidt-Jorzig, 603 (623 ff.); in Bezug auf Art. 352 AEUV Winkler, EuR 2011, 384 (384 ff.). Ausführlich zum Konzept der Souveränität Oeter, Dialektik 1998/3, 113 (113 ff.); bzw. zu Historie, Bedeutung und Funktion im Völkerrecht ders., in: Cremer/Giegerich/Richter/Zimmermann, FS Steinberger, 259 (259 ff.). Zu der etwas anders gelagerten Spannung zwischen europäischer Integration und demokratischer Partizipation ders., ZaöRV 1995, 659 (659 ff.).

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Kap. 3: Zu einer allgemeinen originären Leistungsdimension und Politiken zu verfolgen, die gewährleisten, dass Fortschritte bei der wirtschaftlichen Integration mit parallelen Fortschritten auf anderen Gebieten einhergehen, […] entschlossen, den Prozess der Schaffung einer immer engeren Union der Völker Europas, in der die Entscheidungen entsprechend dem Subsidiaritätsprinzip möglichst bürgernah getroffen werden, weiterzuführen, im Hinblick auf weitere Schritte, die getan werden müssen, um die europäische Integration voranzutreiben, […] beschlossen, eine Europäische Union zu gründen […]“.

Nach der Präambel des AEUV kommen die Mitgliedstaaten überein „in dem festen Willen, die Grundlagen für einen immer engeren Zusammenschluss der europäischen Völker zu schaffen, entschlossen, durch gemeinsames Handeln den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt ihrer Staaten zu sichern, indem sie die Europa trennenden Schranken beseitigen, in dem Vorsatz, die stetige Besserung der Lebens- und Beschäftigungsbedingungen ihrer Völker als wesentliches Ziel anzustreben, in der Erkenntnis, dass zur Beseitigung der bestehenden Hindernisse ein einverständliches Vorgehen erforderlich ist, um eine beständige Wirtschaftsausweitung, einen ausgewogenen Handelsverkehr und einen redlichen Wettbewerb zu gewährleisten, in dem Bestreben, ihre Volkswirtschaften zu einigen und deren harmonische Entwicklung zu fördern, indem sie den Abstand zwischen einzelnen Gebieten und den Rückstand weniger begünstigter Gebiete verringern, in dem Wunsch, durch eine gemeinsame Handelspolitik zur fortschreitenden Beseitigung der Beschränkungen im zwischenstaatlichen Wirtschaftsverkehr beizutragen, in der Absicht, die Verbundenheit Europas mit den überseeischen Ländern zu bekräftigen, und in dem Wunsch, entsprechend den Grundsätzen der Satzung der Vereinten Nationen den Wohlstand der überseeischen Länder zu fördern, entschlossen, durch diesen Zusammenschluss ihrer Wirtschaftskräfte Frieden und Freiheit zu wahren und zu festigen, und mit der Aufforderung an die anderen Völker Europas, die sich zu dem gleichen hohen Ziel bekennen, sich diesen Bestrebungen anzuschließen […]“.

Auch Art. 1 Abs. 2 EUV spricht von einer „immer engeren Union der Völker Europas“. Im Zentrum des Integrationsziels steht dabei die wirtschaftliche Integration. Dies äußert sich insbesondere auch durch die Fokussierung der Verträge auf die Errichtung des Binnenmarkts. Daneben zieht sich der Gedanke der „Integration durch Recht“ durch die Verträge,183 der insbesondere in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs etwa in der Gestalt des effet-utile-Grundsatzes oder der – in eng gefassten Fällen – unmittelbaren Wirkung von Richtlinien184 zum Tragen kommt. 2. Die Stärkung der Solidarität zwischen den Völkern findet sich zunächst ebenfalls in den Präambeln wieder. Diesbezüglich formuliert die Präambel zum EUV den mitgliedstaatlichen „Wunsch, die Solidarität zwischen ihren Völkern unter Achtung ihrer Geschichte, ihrer Kultur und ihrer Traditionen zu stärken“. Nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs liegt der Solidaritätsgedanke „gemäß der in [… Art. 4 Abs. 3 EUV] eingegangenen Verpflichtung […] dem gesamten Ge183 Vgl. nur Breitenmoser, SZIER 2007, 415 (416); Everling, Spannungsfeld, S. 58 ff.; Winkler, EuR 2011, 384 (387). 184 Vgl. nur Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 288 Rdn. 47 ff.

A. Zum Spannungsfeld von Integration, Solidarität und Souveränität

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meinschaftssystem zugrunde […]“185. Das in der Präambel zum EUV normierte Vertragsziel wird durch die Formulierung in Art. 194 Abs. 1 AEUV unterstützt. Demnach verfolgt „die Energiepolitik der Union […] im Geiste der Solidarität[186] zwischen den Mitgliedstaaten im Rahmen der Verwirklichung oder des Funktionierens des Binnenmarkts und unter Berücksichtigung der Notwendigkeit der Erhaltung und Verbesserung der Umwelt“

die im Weiteren in der Vorschrift beschriebenen Ziele. Die Union hat demnach bei ihrer Energiepolitik die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten zu beachten. Art. 194 Abs. 1 AEUV schützt dieses Solidaritätsprinzip also noch einmal besonders.187 Zudem lässt sich eine besondere Nähe des Solidaritätsprinzips zu dem ebenfalls die Verträge durchziehenden Loyalitätsgrundsatz beobachten.188 In der Gesamtschau ergänzt und erweitert damit die Zielsetzung der mitgliedstaatlichen Solidarität das Integrationsziel. 3. Auch die nationale Souveränität findet sich in den Verträgen wieder. Bereits zu Beginn des EUV, in Art. 4 Abs. 2 S. 2 EUV, ist geregelt, dass die Union die grundlegenden Funktionen des Staates, insbesondere die Wahrung der territorialen Unversehrtheit, zu achten hat. Ferner ist der in Art. 5 EUV niedergelegte Subsidiaritätsgrundsatz zu nennen, der mit den letzten Vertragsänderungen (zumindest symbolische) Stärkung erfahren hat.189 Zum anderen sind die Politikbereiche zu nennen, in denen Integrationserfolge auf der Grundlage von intergouvernementaler Zusammenarbeit erreicht werden müssen, nicht jedoch im Rahmen der Supranationalität, namentlich die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik sowie der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. In diesen Bereichen ist Einstimmigkeit bei der Entscheidungsfindung Voraussetzung.190 Allerdings finden sich auch in den supranationalen Politikbereichen weiterhin Souveränitätsvorbehalte, wie etwa in Art. 172 Abs. 2 AEUVoder Art. 194 Abs. 2 Unterabs. 2 AEUV. Art. 172 S. 2 AEUV spiegelt zudem den Wunsch der Vertragsparteien wider, dass Infrastrukturvorhaben auf dem Gebiet eines Mitgliedstaats nur mit dessen Einverständnis gebaut werden.191

185

EuGH, Urt. v. 10. 12. 1969, Verb. Rs. C-6/69 und C-11/69, ECLI:EU:C:1969:68, Rdn. 14 ff. – Kommission/Frankreich. 186 Zum Hintergrund des Begriffs Talus/Aalto, in: Leal-Arcas/Wouters, EU Energy Law and Policy, 15 (19 f.). 187 Vgl. vertiefend zur Verankerung des Solidaritätsgedankens in den EU-Verträgen Ehricke/Hackländer, ZEuS 2008, 579 (594 ff.). 188 Dazu ausführlich Hatje, Loyalität, S. 16 f. 189 Vgl. nur Calliess, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 5 EUV, Rdn. 1, 19 ff., 65 ff.; von Borries, in: Everling/Narjes/Sedemund, FS Deringer, 22 (24 ff.). 190 Vgl. insb. Art. 24 EUV; siehe auch Breitenmoser/Weyeneth, Europarecht, S. 22 f. 191 Vgl. Calliess, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 172 AEUV Rdn. 10; unten Kapitel 3 B. IV. 8.

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Kap. 3: Zu einer allgemeinen originären Leistungsdimension

Gleichermaßen ist der Vertrag von Lissabon im Lichte der Ablehnung des Vertrags über eine Verfassung für Europa zu verstehen, der ausdrücklich staatliche Symbole wie die europäische Hymne regeln wollte;192 deren Fehlen in den Verträgen hat seitdem jedenfalls eine ebenso starke Symbolkraft, wie sie mit dem Einfügen in den Verfassungsvertrag bezweckt war, die nun aber vielmehr die Souveränität der Mitgliedstaaten betont. II. Durch die Bindung der Mitgliedstaaten an die Vorschriften zum freien Warenverkehr trägt deren Regelungsinhalt zur Schaffung einer immer engeren Union und zur Verwirklichung des Binnenmarkts bei. Während sich diese Wertung durch die Verträge zieht und sich zusammen mit dem Ziel der Stärkung der Solidarität zwischen den mitgliedstaatlichen Völkern bereits in den Präambeln wiederfindet, steht diesen Richtungsentscheidungen der EU-Verträge die Wertung der nationalen, insbesondere der territorialen Souveränität der Mitgliedstaaten gegenüber. Die Vorschriften zum freien Warenverkehr haben gerade in der Vergangenheit elementar zur Schaffung einer immer engeren Union und der Verwirklichung des Binnenmarkts beigetragen und daher eine entsprechende Bedeutung für die europäische Integration erlangt. Daraus erklärt sich auch die Betrachtung des Europäischen Gerichtshofs, der den freien Warenverkehr als einen der „tragenden Grundsätze“ der Union bzw. des Unionsrechts ansieht.193 Dieser sei durch die Vorschriften der Art. 34 und 35 AEUV umgesetzt.194 Nunmehr ist ein freier Warenverkehr und jedenfalls die vollständige Verwirklichung des Binnenmarkts nicht ohne eine ausreichende Infrastruktur für die in diesem Binnenmarkt zirkulierenden Waren denkbar. Prägnant und zutreffend wird in der Literatur erwogen, dass „auf dem Weg von der rechtlichen zur realen Freiheit […] unter Umständen der Rückgriff auf grundfreiheitliche Leistungsansprüche erforderlich“195 ist. Es gebe eine „rechtliche Notwendigkeit, den Funktionsgehalt der europäischen Grundfreiheiten zu erweitern“196. Jedenfalls ist die Annahme grundfreiheitlicher Leistungsansprüche – bzw. in Bezug auf die hier geführte Untersuchung: grundfreiheitlicher Leistungspflichten – nicht nur praktisch hilfreich;197 vielmehr ist sie praktisch notwendig.198 Über den Grundsatz des effet utile ist diese praktische Notwendigkeit zu einer rechtlichen Notwendigkeit zu verdichten. 192

S. 1 ff.

Siehe Art. I-8 des Vertrags über eine Verfassung für Europa, ABl. C 310 v. 16. 12. 2004,

193 EuGH, Urt. v. 9. 12. 1997, Rs. C-265/95, ECLI:EU:C:1997:595, Rdn. 24 – Kommission/ Frankreich; EuGH, Urt. v. 12. 6. 2003, Rs. C-112/00, ECLI:EU:C:2003:333, Rdn. 51 – Schmidberger. 194 Unter Bezugnahme auf die Vorgängervorschriften EuGH, Urt. v. 9. 12. 1997, Rs. C-265/ 95, ECLI:EU:C:1997:595, Rdn. 27 – Kommission/Frankreich; EuGH, Urt. v. 12. 6. 2003, Rs. C-112/00, ECLI:EU:C:2003:333, Rdn. 54 – Schmidberger. 195 Riem, Grundfreiheiten, S. 346. 196 Riem, Grundfreiheiten, S. 341. 197 Riem, Grundfreiheiten, S. 342. 198 Siehe Kapitel 1 A.

A. Zum Spannungsfeld von Integration, Solidarität und Souveränität

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Dabei wird die Kritik an der rechtlichen Zuerkennung grundfreiheitlicher Leistungspflichten in dem aufgezeigten Spannungsfeld zu verorten sein; letztlich läuft die Ablehnung dieser Zuerkennung darauf hinaus, dass der Wertung der immer weiteren Integration im Gegensatz zur Wertung der nationalen Souveränität zu viel Geltung verschafft werde. Wenngleich es sich bei der Wertung der nationalen, insbesondere der territorialen Souveränität um kein Ziel der Verträge handelt, legt ihre Erwähnung in verschiedensten Vorschriften eine Berücksichtigung bei der Auslegung der Vorschriften zum freien Warenverkehr im Lichte des Integrationsund Solidaritätsziels nahe. Während also die vertraglichen Wertungen von immer engerer Union und der Verwirklichung des Binnenmarkts sowie der Stärkung der Solidarität zwischen den Völkern die Reichweite der Auslegung in eine Richtung bestimmen, bestimmt die sich in den genannten Vorschriften wiederfindende Wertung der Achtung der territorialen Souveränität der Mitgliedstaaten die Reichweite der Auslegung in eine andere. Die Auslegung der Vorschriften zum freien Warenverkehr sieht sich daher mit der Herausforderung konfrontiert, dieses Spannungsfeld zu lösen. Eine detaillierte Auseinandersetzung anhand teleologischer und systematischer Erwägungen nimmt dabei zwangsläufig auf die dem Spannungsfeld zugrundeliegenden Wertungen Bezug: Während die Wertungen von Integration und Solidarität zur Begründung der originären Leistungspflicht herangezogen werden können, wirkt die Wertung der Achtung der territorialen Souveränität bei ihrer Begrenzung. Sie hindert ihre Begründung hingegen aufgrund der elementaren Bedeutung des Binnenmarktprinzips nicht. III. Das Spannungsfeld berührt zudem die Frage, ob nur ein Verhalten oder auch ein Zustand als Verstoß gegen die Vorschriften zum freien Warenverkehr gewertet werden kann. Denkbar ist eine solche Fragestellung sowohl in Bezug auf das allgemeine Straßennetz wie auch in Bezug auf das Strom- und Gasleitungsnetz. So wird in der Literatur beispielsweise die „Zementierung“ eines Engpasses durch die Versteigerung grenzüberschreitender Kapazitäten als Beschränkung der Warenverkehrsfreiheit angesehen,199 nicht allerdings bereits der Engpass selbst. Dieses Kapitel bildet den Schwerpunkt der Arbeit. Es widmet sich der Auslegung der Art. 34 und 35 AEUV und nimmt dabei regelmäßig Bezug auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Es dient dazu, zu klären, ob den Vorschriften der Art. 34 und 35 AEUVeine originäre Pflicht zum Stromnetzausbau zu entnehmen ist. Um dieses Ziel zu erreichen, untersucht es, ob sich aus den Vorschriften der Art. 34 und 35 AEUV eine allgemeine originäre Leistungspflicht zum Infrastrukturausbau ergibt. Erst im darauffolgenden Kapitel soll geklärt werden, ob sich eine spezielle originäre Leistungspflicht zum Stromnetzausbau von der zuvor postulierten, allgemeinen Pflicht unterscheidet, welche weiteren Konsequenzen sich daraus ergeben und welche weiteren Überlegungen angeführt werden können. Da Kritik an einer originären Leistungspflicht der Grundfreiheiten durch die Literatur 199

Tödtmann/Kaluza, RdE 2011, 241 (246).

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Kap. 3: Zu einer allgemeinen originären Leistungsdimension

häufig an allgemeinen Erwägungen festgemacht wird, die eine klare normative Untersuchung vermissen lassen, sieht sich dieses Kapitel mit der Herausforderung konfrontiert, die originäre Leistungspflicht kleinschrittig mit der der Untersuchung zugrunde liegenden Methode nachzuweisen.

B. Zur normativen Grundlage einer allgemeinen originären Leistungsdimension I. Kritik am Vorliegen der normativen Grundlagen In der Literatur wird vorgebracht, dass die Vorschriften der Grundfreiheiten bereits keine ausreichende Grundlage für die Annahme eines „Anspruch[s] auf Schaffung noch nicht vorhandener Einrichtung oder auf die Gewährung zusätzlicher Vergünstigungen sonstiger Art“ böten.200 Es ist Aufgabe dieser Untersuchung, dieser Kritik entgegen zu treten, indem sie detailliert zeigt, dass jedenfalls die Vorschriften zum freien Warenverkehr eine ausreichende normative Grundlage für die Pflicht zur Gewährleistung ausreichender Infrastruktur bieten, die im offenen Wortlaut der Art. 34 und 35 AEUV wurzelt. Der offene Wortlaut ermöglicht die Auslegung im Lichte des effet utile, die zu einer originären Leistungspflicht der Mitgliedstaaten führt.201

II. Grammatikalische Erwägungen 1. Offener Wortlaut Art. 34 und 35 AEUVenthalten nach ihrem Wortlaut das Verbot von Einfuhr- und Ausfuhrbeschränkungen sowie aller Maßnahmen gleicher Wirkung. Das Verbot adressiert die Mitgliedstaaten.202 Nur der Wortlaut der ersten Alternative ist offen genug, um auch mangelnde Infrastrukturen unter die Vorschriften zu fassen. Dies liegt insbesondere daran, dass das Sprachverständnis des Begriffs der „Maßnahme“ im Sinne der zweiten Alternative überschritten würde, wenn man auch ein Unterlassen unter diesen Begriff fasste.203 Unter einer Beschränkung hingegen ist nach 200

Ehlers, in: Ehlers, Europäische, § 7 Rdn. 40. Vgl. dazu auch die Ansicht von Riem, Grundfreiheiten, S. 167 ff. Vgl. im Übrigen zu dem Versuch, zwischen der Kritik am Bestehen einer originären Leistungsdimension und möglicher Kritik an einer mitgliedstaatlichen Pflichtenstellung zu unterscheiden, ebd., S. 19. 202 Siehe nur Becker, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 34 Rdn. 83. Zu einer möglichen Kritik an einer mitgliedstaatlichen Pflichtenstellung Riem, Grundfreiheiten, S. 19 und 201 ff. 203 Keun, Handlungspflichten, S. 38 f. Duden online, http://www.duden.de/rechtschreibung/ Masznahme (Stand: 27. 12. 2019) erklärt eine „Maßnahme“ als „Handlung, Regelung o. ä., die etwas Bestimmtes bewirken soll“. 201

B. Zur normativen Grundlage einer allgemeinen originären Leistungsdimension

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dem allgemeinen Verständnis „etwas, was jemanden einschränkt“204, zu verstehen. Das können auch bestehende Strukturen sein, sodass die erste Alternative der Vorschrift eine ausreichend offene Formulierung enthält. Eine Gegenauffassung vertritt, dass einer Beeinträchtigung im Sinne der Dassonville-(1974)-Formel – und damit letztlich auch einer Beschränkung im Sinne der Vorschriften – bereits vom Wortlaut her ein Ereignis zu Grunde liegen müsse.205 Zwar handelt es sich bei einer aufgrund der Grundfreiheiten durch den Mitgliedstaat vorzunehmenden Handlung dann um ein Ereignis; dies kann aber nicht das von dieser Gegenauffassung geforderte Ereignis sein.206 Diese will schließlich gerade gewährleisten, dass nicht jedes mitgliedstaatliche Unterlassen den Tatbestand der Vorschriften zum freien Warenverkehr erfüllt.207 Die vorzunehmende Maßnahme ist Rechtsfolge und nicht Tatbestandsvoraussetzung. Letztlich erfordert aber auch eine Beeinträchtigung kein Ereignis: Unter „beeinträchtigen“ ist nämlich lediglich „auf jemanden, etwas eine behindernde, hemmende, negative Wirkung ausüben“ zu verstehen.208 Im Übrigen würde das Erfordernis eines Ereignisses die Europäische Kommission einem besonderen Handlungsdruck unterwerfen; dass sie, wie im Energiebereich, erst nach Jahrzehnten des Bestehens unionswidriger Zustände Vertragsverletzungsverfahren einleitet,209 wäre dann nicht mehr denkbar. Zudem ist nicht auf die Definition des Europäischen Gerichtshofs abzustellen, da diese nur den gegenwärtigen Stand der Rechtsprechung wiedergibt, sondern auf die Vorschrift selbst und damit der Begriff der Beschränkung auszulegen. Zwar nimmt der Europäische Gerichtshof an, dass es sich auch in der Schutzpflichtenkonstellation um den Fall einer Maßnahme gleicher Wirkung handelt. Dabei stellt er auf das Unterlassen des Mitgliedstaats ab.210 Diese Annahme überzeugt nicht. Vielmehr müsste in diesem Fall entweder darauf abgestellt werden, dass immerhin private Maßnahmen vorliegen und die Vorschrift ihrem Wortlaut nach keine mitgliedstaatlichen Maßnahmen verlangt oder ebenfalls auf die erste Alternative zurückgegriffen werden. Jedenfalls die jeweils erste Alternative der Art. 34 und 35 AEUV lässt also nach dem Wortlaut zu, auch ein Unterlassen unter die Vorschriften zu fassen. Entsprechende Erwägungen lassen sich auch für den Ver204

2019).

Duden online, http://www.duden.de/rechtschreibung/Beschraenkung (Stand: 27. 12.

205 Koch, Gewährleistungspflicht, S. 169; darauf hinweisend Riem, Grundfreiheiten, S. 266. Im Übrigen scheint es diese Ansicht als ausreichend anzusehen, wenn das Ereignis in der Zukunft liegt, vgl. Koch, Gewährleistungspflicht, S. 244. Dort wird darauf hingewiesen, dass Mitgliedstaaten bereits Vorkehrungen gegen Katastrophen wie Erdrutsche etc. zu treffen hätten. 206 So aber Riem, Grundfreiheiten, S. 266. 207 Koch, Gewährleistungspflicht, S. 169. 208 Duden online, http://www.duden.de/rechtschreibung/beeintraechtigen (Stand: 27. 12. 2019). 209 Siehe die (allerdings nicht erfolgreichen) Vertragsverletzungsverfahren als Teil des Dreistufenkonzepts zur Verwirklichung des Energiebinnenmarkts ab 1988; dazu Schneider, in: Schneider/Theobald, Energiewirtschaft, § 2 Rdn. 34. 210 Siehe EuGH, Urt. v. 12. 6. 2003, Rs. C-112/00, ECLI:EU:C:2003:333, Rdn. 64 – Schmidberger.

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Kap. 3: Zu einer allgemeinen originären Leistungsdimension

tragstext in anderen Amtssprachen treffen.211 Nach dem Wortlaut kommt es daher auch in Betracht, fehlende oder mangelhafte Strukturen unter die Art. 34 und 35 AEUV zu fassen.212 Dem könnte entgegenstehen, dass der Begriff der mengenmäßigen Beschränkungen aus historischen Gesichtspunkten bislang und im Wesentlichen nur auf Kontingentierungen angewendet wird; die Art. 34 und 35 AEUV greifen traditionelle Instrumente des Außenhandels auf.213 Erweiterungen des Anwendungsbereichs der Vorschriften zum freien Warenverkehr durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs erfuhren diese mittels der immer weitergehenden Auslegung der Maßnahmen gleicher Wirkungen. Das sich daher aufdrängende Argument, der Begriff der mengenmäßigen Beschränkungen müsse sich in diesem historischen Kontext auch strikt auf Kontingente beschränken, überzeugt aber mit Blick auf die dynamische Entwicklung und die gebotene dynamische Auslegung des Unionsrechts nicht. Die Vorschriften sprechen von dem durchaus offenen Begriff der mengenmäßigen Beschränkungen und nicht lediglich von Kontingenten. Mithin lässt der Wortlaut eine weite Auslegung aufgrund von Sinn und Zweck zu.214 Möglich wäre, an dieser Stelle bereits zwischen den unterschiedlichen Formen von Waren zu unterscheiden. So wird vertreten, dass wenn die Einfuhr einer Ware nur zeitlich verzögert werde, keine mengenmäßige Beschränkung, sondern eine Maßnahme gleicher Wirkung vorliege.215 Dann würde es sich in Bezug auf Infrastruktur bei körperlichen Waren immer um eine Maßnahme gleicher Wirkung und damit keine mengenmäßige Beschränkung handeln. Bei der Einfuhr von Strom wird diese bei einem Engpass hingegen nicht nur zeitlich verzögert, da es sich bei späterem Stromimport nicht mehr um denselben Strom handelt. Diese Überlegungen könnten dazu führen, dass der Wortlaut eine solch weite Auslegung hin zu einer originären Leistungspflicht nur für die Ware Strom ermöglicht. Diese klar trennende Differenzierung ist allerdings abzulehnen: der Wortlaut einer mengenmäßigen Einfuhrbzw. Ausfuhrbeschränkung erlaubt bereits, auch mangelnden Strukturen für körperliche Waren unter diese Begriffe zu fassen. Liegt ein Engpass vor, ist die Menge der Ein- bzw. Ausfuhr beschränkt. 2. Kein Unterschied zwischen Art. 34 und 35 AEUV Hinzuweisen ist im Übrigen auf den Umstand, dass sich der Wortlaut der Art. 34 und 35 AEUV nur in den Begriffen „Einfuhr“ und „Ausfuhr“ unterscheidet. Art. 34 211 So statuiert der Vertragstext in französischer und englischer Sprache: „Les restrictions quantitatives à l’importation ainsi que toutes mesures d’effet équivalent, sont interdites entre les États membres.“; „Quantitative restrictions on imports and all measures having equivalent effect shall be prohibited between Member States.“ 212 Anders wohl Keun, Handlungspflichten, S. 38 f. 213 Vgl. Behrens, Marktöffnungs- und Wettbewerbsrecht, Rdn. 132 und 121. Siehe auch die implizite Beschränkung des Begriffs auf Kontingentierungen bei Lukes, RIW 1998, 581 (589). 214 So auch Eilmansberger, JB 1999, 345 (345). 215 Becker, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 34 AEUV Rdn. 35 m. w. N.

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und 35 AEUV sind demnach als ein einheitliches Regelungswerkzeug zu betrachten, welches der Gewährleistung des freien Warenverkehrs insgesamt dient.216 Überlegungen, die darauf abzielen, entgegen dem beinahe identischen Wortlaut der Vorschriften, aus Art. 34 und 35 AEUV unterschiedlich weitreichende Folgen abzuleiten,217 überzeugen aufgrund des klaren Wortlauts nicht. Zwar legt bislang auch der Europäische Gerichtshof unterschiedliche Maßstäbe an die Bedeutung der Vorschriften zur Ausfuhr an.218 Es wird argumentiert, dass die Vorschrift des Art. 35 AEUV deshalb nicht so weit interpretiert werden kann, wie die Vorschrift des Art. 34 AEUV, da dies sonst Herstellern ermögliche, Vorschriften eines Mitgliedstaats in Bezug auf die Herstellung eines Produkts zu nutzen, um sie dann im anderen Mitgliedstaat zu vertreiben, ohne den dortigen Vorschriften zur Herstellung des Produkts noch den dortigen sonstigen nationalen Vorschriften zu genügen; die Niederlassungsfreiheit schütze hier ausreichend.219 Dieses Argument, das darauf abzielt, ein „Rosinenpicken“ zu vermeiden,220 lässt sich jedoch nicht in den Verträgen festmachen. Somit indiziert der Wortlaut eine kongruente Behandlung von Art. 34 und 35 AEUV. 3. Verbotsbegriff Auch der Begriff „verboten“ erlaubt eine weite Auslegung aufgrund von Sinn und Zweck: Die Formulierung beschreibt einen zu erreichenden Zustand und verzichtet darauf darzulegen, mit welchen Mitteln dieses Ziel zu erreichen ist.221 Diese Annahme lässt sich mit einem Vergleich der Art. 34 und 35 AEUV mit Art. 92 und 96 AEUV stützen. Daraus kann abgeleitet werden, dass mit der Formulierung der Verträge, etwas sei „verboten“, mehr gemeint sein muss, als eine reine Unterlassungsverpflichtung.222 So wird im Abschnitt zur Verkehrspolitik sowohl in Art. 92 AEUV das Unterlassen bestimmter Maßnahmen angeordnet, während in Art. 96 AEUV von einem Verbotensein gesprochen wird.223 Daraus lässt sich letztlich schließen, dass unter letzterem Begriff ein Mehr als eine Unterlassensverpflichtung zu verstehen ist; ein Argument welches sich auch mit Blick auf die Historie von Art. 30 AEUV bestätigen lässt: Während die Mitgliedstaaten nach 216

In diesem Sinne wohl auch Streil, in: Beutler/Bieber/Pipkorn/Streil, S. 297. Siehe auch Oliver/Roth, CMLRev 2004, 407 (419 ff.). 218 Vgl. nur EuGH, Urt. v. 8. 11. 1979, Rs. C-15/79, ECLI:EU:C:1979:253, Rdn. 6 ff. Dazu auch: Dietz/Streinz, EuR 2015, 50 (53) (mit konkretem Bezug auf das Marktzugangskriterium); Streil, in: Beutler/Bieber/Pipkorn/Streil, Rechtsordnung, S. 297; Szydlo, CMLRev 2010, 753 (754 ff.). 219 Classen, EuR 2004, 416 (419 f.). 220 Classen, EuR 2004, 416 (419 f.). 221 Koch, Gewährleistungspflicht, S. 120 f. 222 Koch, Gewährleistungspflicht, S. 119 ff. 223 Koch, Gewährleistungspflicht, S. 119. 217

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Art. 12 EGV verpflichtet waren, untereinander weder neue Einfuhr- oder Ausfuhrzölle oder Abgaben gleicher Wirkung einzuführen noch die in ihren gegenseitigen Handelsbeziehungen angewandten zu erhöhen, sind mit der Neufassung als Art. 25 EGV (Amsterdam) Ein- und Ausfuhrzölle oder Abgaben gleicher Wirkung zwischen den Mitgliedstaaten verboten.224 Zwar lässt sich dieses Ergebnis nicht zwangsläufig durch die Überschrift des dritten Kapitels der Artikel zum freien Warenverkehr bestärken. Teil 3 Titel 2 Kapitel 3 AEUV ist mit der Überschrift „Verbot von mengenmäßigen Beschränkungen zwischen den Mitgliedstaaten“ versehen. Die sich in diesem Kapitel befindenden Vorschriften standen vor dem Vertrag von Lissabon in Kapitel 2 von Teil 3 Titel 1 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, welches nach der Änderung durch den Vertrag von Amsterdam dieselbe Überschrift trug. Vor der Änderung durch den Vertrag von Amsterdam sprach das Kapitel noch von „Beseitigung der mengenmäßigen Beschränkungen zwischen den Mitgliedstaaten“.225 Die Überschriften von EUV und AEUV sind amtlich226 und damit verbindlich. Aus der Änderung der Überschrift könnte auf der einen Seite geschlussfolgert werden, dass eine aktive Beseitigung der mengenmäßigen Beschränkungen aus den Vorschriften zur Gewährleistung der Warenverkehrsfreiheit eben gerade nicht gewollt und daher abzuleiten ist, sondern dass die Vorschriften lediglich ein Verbot enthalten. Zumindest könnte daraus zu schließen sein, dass die Änderung dem Wunsch folgt, die Vorschriften zum freien Warenverkehr noch restriktiver zu fassen. Auf der anderen Seite ist der Begriff des Verbots zielgerichteter als der Begriff der Beseitigung, indem er nicht nur den Vorgang der Beseitigung umfasst, sondern mindestens auch noch das Ziel klar formuliert, nämlich dass mengenmäßige Beschränkungen zwischen den Mitgliedstaaten nicht mehr existieren dürfen. Der Begriff des Verbots stellt also keine handlungsbezogene, sondern eine zielbezogene Formulierung dar. Beide Interpretationen scheinen allerdings für sich genommen legitim, sodass die Änderung der Überschrift alleine zu wenig Anhaltspunkte gibt, um ein generelles Argument für das Verständnis von Art. 34 und 35 AEUV anzuführen. Im Zusammenspiel mit den übrigen Erwägungen überzeugt indes nur die letztgenannte Auslegung. Ein Gegenargument, das aus Art. 45 AEUV abgeleitet werden könnte, ist abzulehnen: Im Gegensatz zu Art. 34 und 35 AEUV spricht Art. 45 AEUV nicht von einem Beschränkungsverbot, sondern davon, dass die Freizügigkeit der Arbeitnehmer gewährleistet ist.227 Zwar könnte man überlegen, dass der Begriff der Gewährleistung über den eines Verbots hinausgeht,228 letztlich sind aber beide Formulierungen offen und daher gleichermaßen einer weitgehenden Auslegung zugänglich. 224 225 226 227 228

Koch, Gewährleistungspflicht, S. 120 f. Siehe auch Schroeder, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 34 AEUV Fn. 60. Vgl. nur Vertrag von Lissabon, ABl. C 306 v. 17. 12. 2007, S. 1 ff. Koch, Gewährleistungspflicht, S. 116. Ausführlich dazu Riem, Grundfreiheiten, S. 94 f. Riem, Grundfreiheiten, S. 95.

B. Zur normativen Grundlage einer allgemeinen originären Leistungsdimension

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4. Zwischenergebnis Der Wortlaut der Vorschriften ist offen, eine umfassende Pflicht zur Gewährleistung von Infrastruktur aus den Art. 34 und 35 AEUV herzuleiten. Der offene Wortlaut ermöglicht eine Auslegung im Hinblick auf Sinn und Zweck der Norm und daher nach dem Grundsatz des effet utile im Hinblick auf die Vertragsziele.

III. Teleologische Erwägungen 1. Grundrechte und Grundfreiheiten Die Diskussion um die Existenz von Leistungspflichten ist insbesondere mit Blick auf die Dogmatik von Grundrechten bekannt. Dort wie auch in Bezug auf die Grundfreiheiten sind die Erwägungen sehr ähnlich, die hinter den einzelnen Begründungsansätzen stehen. Diese Grundideen finden sich in anderen Einkleidungen wieder. Dies gilt sowohl für die nationalen wie europäischen Grundrechte. Wenngleich das deutsche und (erst recht) das schweizerische Recht keine Relevanz für eine unionsautonome Auslegung haben,229 lassen sich die Argumente, die angeführt werden, um in diesen nationalen Rechtsordnungen originäre Leistungspflichten aus den Grundrechten herzuleiten, für die grundfreiheitliche Diskussion übertragen.230 Auch die deutschen und schweizerischen Grundrechte wurden zunächst mit einer anderen Zielrichtung, nämlich nur als Abwehrrecht konzipiert; aber auch ihnen wird nunmehr eine Schutzpflicht und sogar (in engem Rahmen) eine Leistungspflicht entnommen.231 Wenn nicht bereits der Wortlaut der Vorschriften eine Leistungspflicht impliziert, sind es meist teleologische Erwägungen, die zu der Zuerkennung von Leistungspflichten führen. Die meisten originären Leistungspflichten im deutschen Grundgesetz wie auch in der schweizerischen Bundesverfassung sind ausdrücklich normiert.232 Die Art. 34 229

Unionsrecht ist autonom auszulegen, siehe Borchardt, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach, Europarecht, § 15 Rdn. 32. Allenfalls kann nationales Recht im Rahmen der ergänzenden, rechtsvergleichenden Methode Bedeutung erlangen, vgl. Keun, Handlungspflichten, S. 45 m. w. N.; Pechstein/Drechsler, in: Riesenhuber, Methodenlehre, 125 (Rdn. 36 ff. m. w. N.). 230 Ähnlich und in Bezug auf die grundfreiheitliche Schutzpflichtendimension Keun, Handlungspflichten, S. 45 m. w. N. Siehe insbesondere auch Meurer, EWS 1998, 196 (197) und die Nachweise, die er in Fußnote 18 seines Beitrags anführt. Im Ergebnis so wohl auch Riem, Grundfreiheiten, S. 60 ff. Kritisch Füller, Warenverkehrsfreiheiten, S. 41, der anmerkt, dass die Frage, ob Grundrechte auch entgegen ihres Wortlauts eine originäre Leistungsdimension aufweisen können, innerhalb der EU-Mitgliedstaaten vorwiegend eine deutsche Frage sei; darauf hinweisend Riem, Grundfreiheiten, S. 20. Vgl. im Übrigen zu der auf dieser Feststellung beruhenden Kritik ebd., S. 175 f. 231 Siehe auch Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 1, Rdn. 220 m. w. N. 232 Siehe bspw. Art. 6 Abs. 4 GG und Art. 19 BV. Vgl. überdies in Bezug auf das deutsche Grundgesetz Martens, Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer,

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Kap. 3: Zu einer allgemeinen originären Leistungsdimension

und 35 AEUV formulieren hingegen nicht ausdrücklich eine originäre Leistungspflicht. Eine Übertragbarkeit des Gedankens der positiv normierten Leistungsgrundrechte scheidet damit von vornherein aus. Hingegen begründen Art. 1 und 2 GG unter bestimmten Voraussetzungen ebenfalls Leistungspflichten, obwohl dies dem Wortlaut nicht unmittelbar zu entnehmen ist. Gleiches gilt für Art. 7 BV, aus dem der Anspruch auf ein schickliches Begräbnis hergeleitet wird.233 So begründe Art. 1 Abs. 1 GG einen Leistungsanspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums, während Art. 20 Abs. 1 GG dem Gesetzgeber den Auftrag erteile, jedem ein menschenwürdiges Existenzminimum zu sichern.234 Letztlich wird dieser Leistungsanspruch aus teleologischen Gesichtspunkten heraus begründet, indem das deutsche Bundesverfassungsgericht statuiert: „Dieser objektiven Verpflichtung aus Art. 1 Abs. 1 GG korrespondiert ein Leistungsanspruch des Grundrechtsträgers, da das Grundrecht die Würde jedes individuellen Menschen schützt […] und sie in solchen Notlagen nur durch materielle Unterstützung gesichert werden kann.“235

Hier stellt das Bundesverfassungsgericht darauf ab, dass Ausnahmesituationen ein aktives Tätigwerden des Staats erforderten könnten. Ähnliche Erwägungen werden auch in Bezug auf Art. 12 GG getroffen. So formulieren die Richter: „Der für die Würdigung von Auswahlregelungen maßgebende Grundsatz, dass jedem hochschulreifen Staatsbürger an sich ein Recht auf Zulassung zum Studium seiner Wahl zusteht, entspricht hingegen heute – wenn auch teilweise mit abweichender Begründung – überwiegender Auffassung. Er beruht – wie das Bundesverfassungsgericht schon bei anderer Gelegenheit hervorgehoben hat […] – ebenso wie die daraus abgeleiteten weiteren Grundsätze auf der hohen Bedeutung freier Berufsentscheidungen für eine eigenverantwortliche Lebensführung in einem freiheitlichen Gemeinwesen und kann in seiner normativen Geltung nicht von dem geringeren oder höheren Grad der Realisierungsmöglichkeiten abhängen.“236

Hingegen wird das Recht auf ein schickliches Begräbnis in der Schweizerischen Bundesverfassung vorwiegend auf Vorgängernormen gestützt.237 Jedenfalls können Leistungsansprüche also über den Wortlaut hinaus über den Sinn und Zweck oder auch objektiv-historische Erwägungen begründet werden, solange dies die AusleHeft 30, 7 (21 ff. und insb. S. 26 f. m. w. N.); in Bezug auf die schweizerische Bundesverfassung Schweizer, in: Ehrenzeller/Schindler/Schweizer/Vallender, Bundesverfassung, Vorbemerkungen zu Art. 7 – 36, Rdn. 35; ebd., Art. 35 Rdn. 11 ff., insb. Rdn. 18. 233 Mastronardi, in: Ehrenzeller/Schindler/Schweizer/Vallender, Bundesverfassung, Art. 7 Rdn. 48. Zum Gehalt des Art. 7 BV insb. im Verhältnis zum Gehalt des Art. 1 GG ebd., Art. 7 Rdn. 53 m. w. N. 234 BVerfG, Urt. v. 9. 2. 2010, 1 BvL 1/09, BVerfGE 125, 175, Rdn. 133. 235 BVerfG, Urt. v. 9. 2. 2010, 1 BvL 1/09, BVerfGE 125, 175, Rdn. 134. 236 BVerfG, Urt. v. 8. 2. 1977, 1 BvF 1/76, BVerfGE 43, 291, juris Rdn. 68 – numerus clausus II. 237 Vgl. Mastronardi, in: Ehrenzeller/Schindler/Schweizer/Vallender, Bundesverfassung, Art. 7 Rdn. 1.

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gungsmethode der jeweiligen Rechtsordnung zulässt. Häufig wird also im Rahmen der Zuerkennung von grundrechtlichen Leistungspflichten auf die hohe Bedeutung des einzelnen Rechts für bedeutsame anderweitige Wertentscheidungen abgestellt. Auch in Bezug auf die Warenverkehrsfreiheit könnte auf ihre hohe Bedeutung für das europäische Projekt abgestellt werden, solange dies der Auslegungsmaßstab zulässt. Ein Automatismus, dass originäre Leistungspflichten schon deshalb auch aus den Grundfreiheiten abgeleitet werden können, da grundrechtliche Leistungspflichten bestehen, existiert hingegen nicht. Dies liegt erstens daran, dass Grundfreiheiten und Grundrechte nicht vergleichbar sind, da wesentliche Unterschiede zwischen ihnen bestehen:238 Wenngleich Grundfreiheiten und Grundrechte in der Literatur in eine teils sehr enge Beziehung gebracht werden,239 regeln Grundrechte die Beziehung zwischen dem Staat und den Privaten. Grundfreiheiten hingegen betreffen das Verhältnis zwischen den Mitgliedstaaten und zwischen einem Mitgliedstaat und der Union. Zweitens verbietet sich bereits der automatische Rückschluss von einzelnem nationalem Recht auf das Unionsrecht, da nur durch eine eigene, unionsrechtliche Lösung dem Unionsrecht als Rechtsordnung sui generis Rechnung getragen werden kann.240 Aufgrund der fehlenden Vergleichbarkeit von Grundrechten und Grundfreiheiten, lassen sich auch keine unmittelbaren Rückschlüsse aus den Grundrechten der GRC ableiten, wenngleich auch dort die (ausschließliche) Zuerkennung von Abwehr- und Schutzpflichtendimension dominiert.241 Auch dabei orientiert sich die GRC an der EMRK,242 da nach Art. 52 Abs. 3 GRC die Rechte der GRC, soweit sie den durch die EMRK garantierten Rechten entsprechen, die gleiche Bedeutung und Tragweite haben sollen, wie sie in der EMRK verliehen wird; allerdings können sie über diesen Standard an Schutz hinausgehen. So sind jedenfalls auch aus der EMRK resultierende Schutzpflichten anerkannt.243 Nach der EMRK habe 238 Zu der Frage Möstl, EuR 2002, 318 (328 ff.); Röhl, JURA 2006, 321 (322). Vgl. zu der Teilung der „Rolle des Hoheitsträgers“ im Unionsrecht Burgi, EWS 1999, 327 (329). 239 Siehe die Nachweise bei Oliver/Roth, CMLRev 2004, 407 (410). 240 Keun, Handlungspflichten, S. 45. Zu weiteren Erwägungen vgl. auch ebd., S. 44 f. m. w. N. Zum Unionsrecht als Recht sui generis: Mittmann, Rechtsfortbildung, S. 153 ff. 241 Vgl. Hatje, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 51 GRC Rdn. 23 ff. m. w. N.; Jaeckel, Schutzpflichten, S. 183 ff.; Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 51 EU-GRCharta Rdn. 25; Stachel, Schutzpflichten, S. 18; van Vormizeele, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 1 GRC Rdn. 5 und Art. 2 GRC Rdn. 6; Zimmermann, EU-Grundrechtecharta, S. 32 f. (mit dem ausdrücklichen Hinweis, dass sich die GRC auf bloße Teilhaberechte beschränke); allgemein zu den Grundrechten der GRC auch Breitenmoser/Riemer/Seitz, Grundrechtsschutz, S. 197 ff. 242 Vgl. bspw. Becker, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 52 GRC Rdn. 14 m. w. N. Ausführlich zu Bedeutung und Inhalt der EMRK Breitenmoser/Riemer/Seitz, Grundrechtsschutz, S. 9 ff. und 363 ff. 243 Breitenmoser, SZIER 2007, 415 (423 f.); Jaeckel, Schutzpflichten, S. 103 ff. Xenos, Positive Obligations, S. 204, erwägt, dass mit EGMR, Urt. v. 13. 6. 1979, NJW 1979, 2449 (2452), Rdn. 45 – Marckx/Belgien, bereits über eine reine Schutzpflicht hinausgehende (Leistungs-)Pflichten der Vertragsstaaten anerkannt wurden. Vgl. die Hinweise auf weitere

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Kap. 3: Zu einer allgemeinen originären Leistungsdimension „[d]er Staat nicht nur die Pflicht, Eingriffe in Grundrechte Einzelner abzuwehren oder zu unterlassen, sondern […] überdies auch die Pflicht, die Grundrechte positiv zu gewährleisten, d. h. Maßnahmen zu ergreifen, damit Grundrechte aktiv ausgeübt werden können und nicht bloß illusorisch bleiben – und dies auch bei Grundrechtsverletzungen im Verhältnis zwischen Privaten […].“244

Zusammenfassend ist zwar ein automatischer Schluss von der Grundrechtsdogmatik auf die Grundfreiheiten abzulehnen. Jedoch lässt sich überlegen, dass, ähnlich der Begründung von Leistungspflichten im deutschen und schweizerischen Recht, die Frage über das Bestehen oder Nicht-Bestehen von Leistungsansprüchen über den Wortlaut hinaus im Wesentlichen eine Frage des Sinns und Zwecks einer Norm sind. Dem steht auch nicht entgegen, dass die Frage nach Leistungsrechten eine „typisch deutsche Rechtsfrage“ sei,245 während die Frage nach der Existenz von Schutzpflichten noch als Teil der europäischen Grundrechtsdogmatik aufgefasst werden könne.246 Überdies lässt sich, entgegen einer Ansicht in der Literatur247, nicht feststellen, dass nur die Grundrechte – und nicht eben auch die Grundfreiheiten – auf ein mehr Freiheit ermöglichendes Verständnis gerichtet sind. 2. Auslegung im Hinblick auf die Vertragsziele a) Nach der der Untersuchung zugrunde gelegten Auslegungsmethode ist unter Anwendung des Grundsatzes des effet utile zu untersuchen, welche Auslegung den einfachsten und gleichzeitig wirksamsten Weg darstellt, die Vertragsziele zu erreichen. Diese ergeben sich insbesondere aus den Präambeln, da dort die Mitgliedstaaten niedergelegt haben, mit welchen Überzeugungen sie die Verträge abgeschlossen haben.248 Nicht hingegen kann für die Auslegung nach Sinn und Zweck und damit in Bezug auf die Vertragsziele auf Art. 3 Abs. 3 S. 1 EUV und das Protokoll über den Binnenmarkt und den Wettbewerb (Protokoll Nr. 27) zurückgegriffen werden. Zwar enthalten diese Artikel Vorschriften, die im Zusammenhang mit der vertraglichen Wertung, eine immer weitere Integration voranzutreiben, gelesen werden können. Allerdings handelt es sich hierbei lediglich um eine Zielsetzung der Union, nicht jedoch um eine solche der Mitgliedstaaten, sodass eine Auslegung mit Blick auf diese Vorschriften ausscheidet.249 Auch das Protokoll über den Binnenmarkt und den einschlägige Urt. bei Keun, Handlungspflichten, S. 14; Streinz/Michl, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 51 GR-Charta Rdn. 30. 244 Schweizer, in: Ehrenzeller/Schindler/Schweizer/Vallender, Bundesverfassung, Art. 35 Rdn. 62. 245 Füller, Warenverkehrsfreiheiten, S. 41. 246 Keun, Handlungspflichten, S. 14. 247 Reyes y Ráfales, DVBl 2015, 268 (275). 248 Siehe ausführlich Kapitel 1 C. 249 Siehe oben Kapitel 1 C.

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Wettbewerb (Protokoll Nr. 27) kann für die Bestimmung der Vertragsziele nicht herangezogen werden. Dieses regelt, dass der Binnenmarkt, wie er in Art. 3 EUV beschrieben wird, ein System umfasst, das den Wettbewerb vor Verfälschungen schützt; nach Art. 51 AEUV sind die Protokolle und Anhänge der Verträge Bestandteile der Verträge. Damit gestaltet das Protokoll über den Binnenmarkt und den Wettbewerb nach seinem Wortlaut ausdrücklich nur den Begriff des Binnenmarkts im Sinne des Art. 3 EUVaus. Nach seiner systematischen Stellung im dritten Teil des AEUV, also im gleichen Teil wie die Art. 34 und 35 AEUV, sind die Art. 34 und 35 AEUV vielmehr im Zusammenhang mit Art. 26 Abs. 2 AEUV zu sehen, der ebenfalls den Begriff des Binnenmarkts definiert. Art. 3 Abs. 3 S. 1 EUV und das Protokoll über den Binnenmarkt und den Wettbewerb sind daher lediglich im Rahmen der Zielsetzung der Union als eigene Rechtspersönlichkeit heranzuziehen und können mithin nicht für die Auslegung der Vorschriften zum freien Warenverkehr in Bezug auf eine Pflicht für die Mitgliedstaaten verwendet werden. b) Das in den Präambeln niedergelegte Ziel einer immer engeren Union und der Verwirklichung des Binnenmarkts wie auch das Ziel der Stärkung der Solidarität zwischen den Völkern250 lässt sich am effizientesten durch die Annahme einer umfassenden und originären Pflicht zur Gewährleistung von Infrastruktur erreichen.251 Ausreichende Infrastruktur ist für den Binnenmarkt unerlässlich.252 Dies gilt sowohl für die grenzüberschreitende wie auch die innerstaatliche Infrastruktur. Zwar erwog der Europäische Gerichtshof: „Es ist daran zu erinnern, dass, wie der Gerichtshof in verschiedenem Zusammenhang betont hat, der EWG-Vertrag mit der Errichtung eines Gemeinsamen Marktes und der schrittweisen Annäherung der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten auf den Zusammenschluss der nationalen Märkte zu einem einheitlichen Markt abzielt, der die Merkmale eines Binnenmarktes aufweist.“253

Die Verbindung einzelner Märkte reicht hingegen nicht aus, um dem Integrationsziel der Vorschriften zum freien Warenverkehr gerecht zu werden. Klargestellt sei daher, dass „Zusammenschluss“ im Sinne der zitierten Passage des Urteils des Europäischen Gerichtshofs nicht lediglich eine Verbindung meinen kann, sondern final auch Ausbaumaßnahmen im Inland erfordert. Durch eine umfassende Gewährleistungspflicht können Versorgungsengpässe in einzelnen Mitgliedstaaten mittelfristig vermieden werden, was die Solidarität zwischen den Völkern stärkt. Diese Gewährleistungspflicht zielt damit auf die Gewährleistung eines Infrastruk250

Siehe Kapitel 3 A. Vgl. zu einer ähnlichen Auslegung Keun, Handlungspflichten, S. 48. Den Gedanken einer weitestmöglichen Interpretation der Grundfreiheiten kritisch diskutierend Classen, EuR 2004, 416 (416 m. w. N.). 252 In diesem Zusammenhang auch zur immensen Bedeutung des Verkehrs für die EU Hirsch, DAR 2000, 500 (500 m. w. N.). 253 EuGH, Urt. v. 25. 4. 1985, Rs. C-207/83, ECLI:EU:C:1985:161, Rdn. 17 – Kommission/ Vereinigtes Königreich. 251

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Kap. 3: Zu einer allgemeinen originären Leistungsdimension

turausbaus und geht damit über die Anwendung der Vorschriften im Rahmen eines Anspruchs auf Nutzung der vorhandenen Infrastruktur hinaus.254 c) Wenngleich überlegt werden könnte, dass – aufgrund der gebotenen weiten Auslegung – Mitgliedstaaten ebenfalls in die Pflicht genommen werden müssten, auf andere Mitgliedstaaten einzuwirken, die die durch diese verursachten Beeinträchtigungen nicht abstellen,255 ist die Annahme eines solchen besonders weiten Pflichtenkreises mit dem Hinweis abzulehnen, dass in diesen Konstellationen der verursachende Mitgliedstaat als Störer vorrangig in die Pflicht zu nehmen ist. Es ist lediglich anzunehmen, dass sich eine mitgliedstaatliche Pflicht ergibt, die Europäische Kommission über Binnenmarktstörungen zu unterrichten.256 Zudem will die hier getroffene Untersuchung gerade eine Leistungspflicht der Mitgliedstaaten begründen und keinen originären Leistungsanspruch. In diesem Zusammenhang überzeugt, dass die Grundfreiheiten im Allgemeinen auf die objektive Verwirklichung des Binnenmarkts gerichtet sind und eine subjektive Wirkungsrichtung auszuschließen ist.257 Die Verträge adressieren Union und Mitgliedstaaten. Dies ergibt sich bereits aus der durchweg angewandten verobjektivierten Form des Wortlauts der einzelnen Vorschriften im Allgemeinen sowie derjenigen zum freien Warenverkehr im Speziellen.258 Es ergibt sich ein „Vorrang der institutionellen vor der individuellen Gewährleistung“259. Schon deshalb liegt die Begründung einer objektiven originären Leistungspflicht zum Ausbau von Infrastruktur näher als die Begründung eines subjektiven originären Leistungsanspruchs zum Ausbau von Infrastruktur. d) Ferner tritt neben die enge Fokussierung auf die effizienteste Auslegung der Vorschriften die Begründung – ähnlich der bereits oben zitierten Entscheidung des deutschen Bundesverfassungsgerichts260 und einer ehemals in der Literatur vertretenen Auffassung („krasse Ausnahmefälle“)261 – dass der freie Warenverkehr in Notlagen nur durch ein aktives Tätigwerden des Mitgliedstaats gewährleistet werden kann. Dieser Begründungsansatz ergänzt die Betrachtung aus Effizienzgesichtspunkten in Einzelfällen, muss sie aber nicht notwendigerweise begleiten. Zu der Ebene der Pflicht, Hindernisse für den freien Warenverkehr zu beseitigen, kommt demnach die Überlegung hinzu, dass die Mitgliedstaaten in solchen Fällen einzu254

Vgl. zu diesen zwei unterschiedlichen, grundsätzlich möglichen Zielrichtungen die Erwägungen im Rahmen von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG von Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, Art. 2 GG Rdn. 93. 255 Koch, Gewährleistungspflicht, S. 246 f. 256 Koch, Gewährleistungspflicht, S. 246 f. 257 Kluth, AöR 1997, 557 (574). 258 Kluth, AöR 1997, 557 (574). 259 Kluth, AöR 1997, 557 (574). 260 BVerfG, Urt. v. 9. 2. 2010, 1 BvL 1/09, BVerfGE 125, 175, Rdn. 134. 261 Ehlers, in: Ehlers, Europäische, 3. Aufl., § 7 Rdn. 37; wortgleich Ehlers, JURA 2001, 266 (272).

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greifen haben, in denen sich aufgrund der bestehenden Situation freier Wettbewerb überhaupt nicht entwickeln kann. 3. Souveränitätsverlust Vielfältige Anmerkungen knüpfen an thematisch ähnliche Überlegungen zur Überforderung, Zumutbarkeit, Freihandel und Fremdheit sowie zur Einmischung eines Mitgliedstaats in die Angelegenheiten eines anderen an. Hinter diesen Anmerkungen stehen bestimmte Erwägungen, die die verschiedenen Pole des aufgezeigten Spannungsfelds aufgreifen. Sie schließen sich insbesondere an die weitreichenden Befürchtungen vor einem weiteren nationalen Souveränitätsverlust an, die aber nicht notwendigerweise normativ festzumachen sind. Vielmehr gründet sich die überwiegende Mehrheit der Kritik an der Annahme einer originären, grundfreiheitlichen Leistungsdimension sogar auf Erwägungen, die primär einen normativen Anknüpfungspunkt vermissen lassen und daher eher genereller Natur sind. Die Kritik erklärt sich aber auch vor dem Hintergrund, dass in der rechtswissenschaftlichen Diskussion einer grundfreiheitlichen Leistungsdimension nicht ausreichend genau zwischen einer Pflichten- und einer Anspruchsfunktion unterschieden wird und sich somit die Konturen einer originären Leistungsdimension aufheben. Es ist anzunehmen, dass die Befürchtung262 besteht, dass einzelne objektive Pflichten auf der Grundlage der Grundfreiheiten subjektiv durch den Bürger einklagbar sind. Die vorliegende Untersuchung hat allein zum Ziel, eine Leistungspflicht zu begründen. a) Im Konkreten wird nun vertreten, die Annahme einer aus den Grundfreiheiten abgeleiteten originären Leistungspflicht würde diese „überfordern“.263 Die administrativen und finanziellen Aufwendungen der Mitgliedstaaten seien bei einer solchen Annahme zu groß.264 Die Grundfreiheiten würden dann „von Diskriminierungs- und Beschränkungsverboten in Leistungsgebote“ gewandelt.265 Von einer derartigen „Umpolung“ 266 kann indes nicht die Rede sein: Die Grundfreiheiten sind seit der Gründung der Europäischen Gemeinschaften Herzstück und Treiber der Europäischen Integration. Dass sich durch die Auslegung der Vorschriften zum freien Warenverkehr aus diesen auch eine Pflicht zum Ausbau von Infrastruktur ergibt, ist letztlich nur konsequent. Nur etwas anders gewendet wird diese Kritik in der Weise formuliert, dass ein aus den Grundfreiheiten zu entnehmendes originäres Leistungsrecht diesen fremd sei.267 Die Grundfreiheiten zielten lediglich auf die

262 263 264 265 266 267

Dieser entgegen tretend bereits Kapitel 3 B. III. 2. Ehlers, in: Ehlers, Europäische, § 7 Rdn. 40. Stachel, Schutzpflichten, S. 18. Ehlers, in: Ehlers, Europäische, § 7 Rdn. 40. Ehlers, in: Ehlers, Europäische, § 7 Rdn. 40. Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 1, Rdn. 213.

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Kap. 3: Zu einer allgemeinen originären Leistungsdimension

„Wettbewerbsneutralität durch Freihandel“.268 Daher genüge die Abschaffung von Hindernissen.269 Soweit sich die Kritik damit nicht nur lediglich auf die Versubjektivierung der Grundfreiheiten bezieht, ist ihr entgegen zu halten, dass neutraler Wettbewerb zwischen den Mitgliedstaaten eben gerade nur dadurch geschaffen werden kann, dass eine entsprechende Infrastruktur besteht. Nicht vorhandene Infrastruktur stellt ein wesentliches Hindernis für den Handel zwischen den Mitgliedstaaten dar. Es kann daher nicht davon gesprochen werden, dass originäre Leistungspflichten den Grundfreiheiten fremd sind. Zudem unterliegt das Verständnis der Grundfreiheiten und damit insbesondere auch das Verständnis der Vorschriften zum freien Warenverkehr einem dynamischen Wandel.270 Selbst wenn die Vorschriften zum freien Warenverkehr ein subjektives Recht der Marktteilnehmer auf einen freien Verkehr ihrer Waren beinhalteten, würde überdies die Erwägung greifen, dass die Beschränkung der Vorschriften der Art. 34 und 35 AEUV auf eine Abwehr- und Schutzfunktion ohne originäre Leistungspflicht keinesfalls immer genügt, um die Voraussetzungen und Bedingungen zur Ausübung des Rechts auf einen freien Warenverkehr zu gewährleisten.271 b) Ebenfalls widerspreche eine dadurch aus den Grundfreiheiten folgende „Leistungsverwaltung im Übermaß“ dem den Vorschriften zugrundeliegenden Gedanken des Freihandels.272 Hingegen wird freier Handel durch eine originäre Leistungspflicht zur Schaffung von Infrastruktur gerade erst geschaffen. Daher kann nicht von einer Unvereinbarkeit mit dem Gedanken des Freihandels gesprochen werden. Es handelt sich um eine der klassischen Zielsetzungen des Regulierungsrechts. c) Weiterhin wird angeführt, dass der „Güter-, Personen- und Leistungsaustausch durch den Markt und nicht durch den Staat gewährleistet werden“273 solle. Dies zeige „sich auch an dem Begriff der ,Marktfreiheiten‘“274, der klarstellen würde, dass es „sich nicht um Leistungsfreiheiten gegen den Staat“ handele.275 Letztlich erweisen sich diese Erwägungen als frommer Wunsch: Staaten haben die entsprechenden Rahmenbedingungen für Markt und Wettbewerb zu schaffen und diese Rahmenbedingungen sind teilweise nur durch ein aktives Tun des Staates zu besorgen. Überdies wird auch bei Annahme einer originären Leistungspflicht der bezeichnete Austausch vorrangig durch Private geleistet. Der Staat tritt hier lediglich unter268 Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 1, Rdn. 213. Vgl. auch die Darstellung und Diskussion bei Riem, Grundfreiheiten, S. 16 und 166 f. 269 Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 1, Rdn. 213 m. w. N. 270 Vgl. dazu Riem, Grundfreiheiten, S. 149 ff. 271 Vgl. zu einer ähnlichen Formulierung im Hinblick auf die Grundrechte Schweizer, in: Ehrenzeller/Schindler/Schweizer/Vallender, Bundesverfassung, Art. 35 Rdn. 16 m. w. N. 272 Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 1, Rdn. 214 m. w. N. 273 Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 1, Rdn. 218. 274 Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 1, Rdn. 218. 275 Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 1, Rdn. 218.

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stützend hinzu. Zuzugeben ist, dass die Schutzpflicht zwar auch als originäre Leistungspflicht betrachtet werden kann,276 diese aber die „Ordnung der Beziehungen Privater, die aus den Fugen geraten sind, [regelt,] so dass der Staat schützend eingreifen muss.“277 Ein festgestellter Unterschied zwischen diesen beiden Zielrichtungen von originärer Leistungspflicht im engeren Sinne und Schutzpflicht schließt aber nicht aus, dass die Vorschriften zur Warenverkehrsfreiheit über die Schutzpflicht hinaus weitere originäre Leistungspflichten begründen. d) Ein Teil der Literatur entnimmt den Grundfreiheiten, so von ihr formuliert, „kein Recht auf Einfuhr und Abnahme“.278 Zu diesem Gedanken wird in Bezug auf die Frage nach einem Leistungsanspruch angeführt, dass sich bei „derartigen Leistungsansprüchen auf Import […] der Bestimmungsstaat in den Markt des Herstellungsstaates ein[mische], was einen Eingriff in einen fremden Markt bedeutete.“279

Die Grundfreiheiten enthielten deshalb kein solches Recht, da ein Abnahmerecht von den Mitgliedstaaten nicht geleistet werden könne.280 Bei der sich aus der Auslegung ergebenden Pflicht zum Ausbau von Infrastruktur geht es allerdings nicht um ein Abnahmerecht. Die Pflicht bezieht sich alleine darauf, die Abnahme durch andere Private zu ermöglichen. e) Etwaigen Bedenken in Bezug auf die Zumutbarkeit originärer Leistungspflichten für die Mitgliedstaaten ist zu erwidern, dass sich deren Zumutbarkeit bereits daraus ergibt, dass ein Unterlassen einem aktiven Tätigwerden gleichsteht und das Abstellen unionswidriger Zustände per se als zumutbar angesehen werden muss.281 Dies ist schließlich grundlegende Voraussetzung für einen Vertrag, aus dem sich gegenseitige Rechte und Pflichten ergeben. Letztlich wird dem Wunsch nach einer Zumutbarkeitsgrenze auch durch die weiter unten angeführten Einschränkungen Rechnung getragen.

4. „Mehr Markt“ oder „Schutz vor weniger Markt“ Fraglich ist aber, ob der Sinn und Zweck der Art. 34 und 35 AEUV die mitgliedstaatliche Handlung zu „mehr“ Markt umfassen oder ob die Art. 34 und 35 AEUV nicht vielmehr umgekehrt nur vor „weniger“ Markt schützen. Dieser Sinn und Zweck könnte einer Gesamtschau der Verträge zu entnehmen sein: „Mehr“ Markt wird regelmäßig durch Maßnahmen der Union geschaffen. Akteure dieses „mehr Wettbewerb“ sind gerade nicht die Mitgliedstaaten. Dagegen könnte auch gefragt 276

Vgl. auch die Erwägungen in Kapitel 1 B. Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 1, Rdn. 219. 278 Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 1, Rdn. 218 m. w. N. 279 Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 1, Rdn. 218; mit Hinweis auf Füller, Warenverkehrsfreiheiten, S. 41 f. 280 Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 1, Rdn. 218. 281 Riem, Grundfreiheiten, S. 187 f. 277

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Kap. 3: Zu einer allgemeinen originären Leistungsdimension

werden, ob Wettbewerb geschützt werden kann, ohne Wettbewerb zu schaffen. Jedenfalls ist eine klare Unterscheidung zwischen der Schaffung von „mehr“ und dem Schutz vor „weniger“ Markt nicht möglich; auch der Abbau von Handelshemmnissen wie beispielsweise von beschränkenden Rechtsnormen führt zu mehr Markt. Die Grenze ist daher fließend und kann nicht klar abgesteckt werden. Bestand eine beschränkende Rechtsnorm beispielsweise vor Inkrafttreten der Verträge, führt deren Abschaffung zu „mehr Markt“. Eine klare Funktionsabgrenzung ist daher abzulehnen. In diesem Zusammenhang sei auf die Ansicht Bezug genommen, dass der „seit langer Zeit bestehende und [unions- und/oder] gemeinschaftsrechtlich geduldete status quo“ keinen Verstoß gegen die Vorschriften zum freien Warenverkehr darstelle:282 diese Auffassung begründet ihre Überlegung über ein zu forderndes Tatbestandsmerkmal eines zuvor eingetretenen Ereignisses; fraglich wäre dann aber, ob auch auf solche Ereignisse abgestellt werden dürfte, die bereits vor dem Inkrafttreten der Verträge eingetreten sind. 5. Keine Rückschlüsse von Systematisierungsversuchen In der Literatur wird ausführlich überlegt, ob nicht bereits gewisse Rückschlüsse aus der Systematisierung von Grundrechts- und Grundfreiheitsfunktionen abgeleitet werden könnten; so sei denkbar, diese Systematisierung auf die Grundfreiheiten zu übertragen.283 Diese Überlegung setzt hingegen schon logisch am falschen Ende an: unterschiedliche Grundrechts- bzw. Grundfreiheitsfunktionen können nur dann systematisiert werden, wenn die Grundrechte und Grundfreiheiten auch entsprechende Ausprägungen haben. Die Systematisierung der Funktionen von Grundrechten bzw. Grundfreiheiten hat in keinem Fall einen eigenen rechtlichen Gehalt. Sie dient vielmehr ausschließlich der Beschreibung und Erfassung dieser Funktionen. Zuzustehen ist, dass die die Überlegung erst aufwerfende Literatur letztlich ebenfalls zu dieser Erkenntnis kommt.284 Ferner gilt gleiches auch für die Bezeichnung der Grundfreiheiten als eben solche:285 Solange die Benennung keinen normativen Anknüpfungspunkt besitzt, lassen sich keine Rückschlüsse für das Untersuchungsziel ziehen. Auch die Überlegung, dass den Grundrechten ähnliche grundfreiheitliche Funktionen der Grundfreiheiten in einer besonderen Einstands- und Treuepflicht der Union gegenüber ihren Unionsbürgern nach Art. 20 AEUV begründet seien, führt nicht weit: ein dem Verhältnis zwischen Staat und Bürger vergleichbares Einstandsund Treueverhältnis begründet die Unionsbürgerschaft gerade nicht.286 282 Koch, Gewährleistungspflicht, S. 169. Zur Richtigkeit dieser Ansicht bereits Kapitel 3 B. II. 1. 283 Riem, Grundfreiheiten, S. 56 ff. m. w. N. 284 Riem, Grundfreiheiten, S. 59. 285 Riem, Grundfreiheiten, S. 81 ff. m. w. N. 286 Riem, Grundfreiheiten, S. 56 ff. m. w. N.

B. Zur normativen Grundlage einer allgemeinen originären Leistungsdimension

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6. Zwischenergebnis Die angeführten teleologischen Erwägungen legen eine umfassende Pflicht der Mitgliedstaaten zum Ausbau und zur Gewährleistung von Infrastruktur nahe, die sich sowohl auf grenzüberschreitende wie auch auf innerstaatliche Infrastruktur bezieht. Diese Pflicht gründet sich auf die Auslegung nach dem Grundsatz des effet utile, die durch den offenen Wortlaut der Art. 34 und 35 AEUV ermöglicht wird. Die von den Kritikern der Zuerkennung einer originären Leistungsdimension angebrachten Erwägungen stehen einer teleologischen Auslegung in die Richtung einer Pflicht zum Ausbau von Infrastruktur nicht entgegen.

IV. Systematische Erwägungen 1. Art. 4 Abs. 3 EUV und der Grundsatz nach Treu und Glauben a) Während die Pflicht zum Ausbau der Infrastruktur über den Weg der Auslegung nach dem Grundsatz des effet utile einen Anknüpfungspunkt im offenen Wortlaut findet, kann sie nur bestehen, soweit dieser Auslegung rechtssystematische Erwägungen nicht entgegenstehen.287 Einer dieser systematischen Anknüpfungspunkte ist Art. 4 Abs. 3 EUV, der einer originären Leistungspflicht aus den Vorschriften zum freien Warenverkehr jedenfalls nicht entgegensteht. Art. 4 Abs. 3 EUV ist lex generalis in Bezug auf andere pflichtbegründende Vorschriften der Verträge288 und damit letztlich auch in Bezug auf aus den Art. 34 und 35 AEUV resultierender Pflichten. Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 2 EUV formuliert, dass die „Mitgliedstaaten […] alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zur Erfüllung der Verpflichtungen, die sich aus den Verträgen oder den Handlungen der Organe der Union ergeben“

ergreifen. Einer Betrachtung von Art. 4 Abs. 3 EUV ist mithin zu entnehmen, dass die Mitgliedstaaten jedenfalls auch an anderer Stelle in den Verträgen zu einem aktiven Tätigwerden verpflichtet sind, sodass Art. 4 Abs. 3 EUV dem Ergebnis der teleologischen Auslegung jedenfalls nicht widerspricht. b) Ein anderer systematischer Anknüpfungspunkt für die Auslegung der Vorschriften zum freien Warenverkehr könnte der Grundsatz von Treu und Glauben sein, der allerdings aufgrund seiner Konkretisierung in Art. 4 Abs. 3 EUV bei der Auslegung der Vorschriften der Art. 34 und 35 AEUV außer Acht zu lassen ist. Der 287

Siehe Kapitel 1 C. Vgl. EuGH, Urt. v. 14. 12. 1995, Rs. C-387/93, ECLI:EU:C:1995:439, Rdn. 46 – Banchero; Geiger, in: Geiger/Khan/Kotzur, Kommentar, Art. 4 EUV Rdn. 6 (der eine Bestätigung seiner Ansicht wohl in EuGH, Urt. v. 24. 10. 1973, Rs. C-9/73, ECLI:EU:C:1973:110, Rdn. 39 – Schlüter/Hauptzollamt Lörrach, sieht); Fischer, JA 1998, 838 (840); Streinz, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 4 EUV Rdn. 28 m. w. N. 288

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Kap. 3: Zu einer allgemeinen originären Leistungsdimension

Grundsatz von Treu und Glauben ist in Art. 31 Abs. 1 WVK289 enthalten. Zwar haben nicht alle EU-Mitgliedstaaten das Übereinkommen ratifiziert, allerdings wird die Norm wohl als Völkergewohnheitsrecht anzusehen sein,290 welches aber aufgrund der für diese Arbeit herangezogenen Methode keine Bedeutung hat.291 Der Grundsatz von Treu und Glauben kann aber auch mithilfe der rechtsvergleichenden Auslegung aus einem Vergleich der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen hergeleitet werden,292 sodass diesbezüglich die Notwendigkeit des Verweises auf Art. 31 Abs. 1 WVK entfällt. Somit ist der Grundsatz von Treu und Glauben zwar auch den Verträgen immanent, erschöpft sich jedoch in der Konkretisierung durch Art. 4 Abs. 3 EUVund durch die Heranziehung des Grundsatzes des effet utile im Rahmen der teleologischen Auslegung.293 Art. 4 Abs. 3 EUV ist als geschriebener Grundsatz der „Unionstreue“ bereits Ausfluss dieses im Rahmen der Vertragsauslegung heranzuziehenden Grundsatzes.294 Der Grundsatz von Treu und Glauben ist daher bei der Auslegung der Art. 34 und 35 AEUV unbeachtlich. 2. Integrationsmethode und richterliche Macht Einer besonders weiten Auslegung, insbesondere mit Blick auf das Integrationsziel, könnte aber die Unterscheidung der Methode der Integration in eine positive und eine negative Integration entgegenstehen: So wird unter dem Begriff der positiven Integration diejenige methodische Herangehensweise verstanden, die durch Legislativakte eine Rechtsangleichung herstellt und somit die Integration der unterschiedlichen Systeme fördert.295 Unter dem Begriff der negativen Integration ist hingegen diejenige Methode zu verstehen, die sich dadurch kennzeichnet, dass aufgrund allgemeingültiger Normen Beschränkungen durch die Judikative abgebaut werden, bezogen auf die EU aufgrund der Grundfreiheiten.296 Da diese methodische 289

Text veröffentlicht in BGBl. 1985 II, S. 927 ff. Vgl. Kreße, ZRP 2014, 11 (13). 291 Vgl. Kapitel 1 C. 292 Siehe nur den Hinweis bei Pechstein/Drechsler, in: Riesenhuber, Methodenlehre, 125 (Rdn. 39). 293 Vgl. Beul, steueranwaltsmagazin 2013, 92 (94 m. w. N.). 294 Beul, steueranwaltsmagazin 2013, 92 (94 m. w. N. in Bezug auf die Benutzung des Begriffs der „Unionstreue“). 295 Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 34 – 36 AEUV Rdn. 2; Scharpf, in: Marks/Scharpf/Schmitter/Streeck, Governance, 15 (15, 19). Zur Notwendigkeit positiver Integrationsmaßnahmen in Märkten Eger/Wagener, in: Hatje/Müller-Graff, Organisations- und Verfassungsrecht, § 3 Rdn. 31 ff. Siehe auch Große Hüttmann, in: Große Hüttmann/Wehling, Europalexikon, S. 283. Zur (positiven) Harmonisierung anschaulich bspw. Streinz, in: Everling/ Roth, Mindestharmonisierung, 9 (9 ff.). 296 Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 34 – 36 AEUV Rdn. 2; Scharpf, in: Marks/Scharpf/Schmitter/Streeck, Governance, 15 (15 f.). Zum Recht als „Mittel und […] Motor der Integration“ im konkreten Bezug auf Art. 352 AEUV auch Winkler, EuR 2011, 384 (387 ff.). 290

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Unterscheidung also letztlich lediglich daran anknüpft, ob die Integrationsbemühungen von der Legislative oder Judikative ausgehen, ist auch eine von den Gerichten positiv begründete Pflicht der negativen Integration zuzuordnen. Die Unterscheidung hilft dabei, das Problem der Gewaltenteilung im Hinblick auf die Handlungsspielräume von Legislative und Judikative zu erfassen und zu beschreiben, wobei sich die Bedeutung von positiver oder negativer Integration in den einzelnen Politikbereichen unterscheiden kann.297 Als Kategorisierung, die dabei hilft, die unterschiedlichen Ansätze der europäischen Integration zu beschreiben, kann sie keine Hinweise für die Auslegung der Vorschriften liefern.298 Am Ende beantwortet sie lediglich die Frage, inwieweit hoheitliche Gewalt zwischen Judikative und Legislative aufgeteilt ist. Unabhängig von der Frage, von wem die einzelnen Integrationsbemühungen ausgehen, führt die Annahme, dass ein Mitgliedstaat zu einem aktiven Tätigwerden verpflichtet ist, zu einer Ausweitung richterlicher Macht.299 So wird ausdrücklich kritisiert, dass bei der Annahme von originären Leistungspflichten aufgrund der Grundfreiheiten der Europäischen Gerichtsbarkeit zu viel Raum gegeben werde.300 Dem Europäischen Gerichtshof dürfe keine politische Macht eingeräumt werden.301 Verkannt wird dabei, dass es sich bei der Frage, ob der Europäischen Gerichtsbarkeit gegenüber den Mitgliedstaaten oder auch dem Unionsgesetzgeber zu viel Spielraum gegeben werde, ausschließlich um eine politische Erwägung handelt. Dass die Europäische Gerichtsbarkeit durch die Ableitung von originären Leistungspflichten aus den Grundfreiheiten daher mehr Raum bekommt, ist eine für die Auslegung unbeachtliche Erwägung, da sie rein politisch ist. Überdies „erweist sich gerade in Krisenzeiten, dass den politischen [Unions…]organen nicht allein die Verantwortung für die Sicherung des Integrationsbestands überlassen bleiben darf.“302

297 Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 34 – 36 AEUV Rdn. 2 f.; ausführlich zum Verhältnis von negativer und positiver Integration Scharpf, in: Marks/Scharpf/Schmitter/ Streeck, Governance, 15 (15 bis 39 m. w. N.); die von Scharpf herausgearbeitete Asymmetrie hervorhebend Grimm, Verfassung II, S. 267. Siehe für ein Anwendungsbeispiel Möstl, EuR 2002, 318 (318 f.). Vgl. generell zum Verhältnis von Recht und Politik auch Post, California Law Review 2010, 1319 (1319 ff.). 298 Anders wohl Riem, Grundfreiheiten, S. 150 f. 299 Kühling, NJW 1999, 403 (403). 300 Ehlers, in: Ehlers, Europäische, § 7 Rdn. 40. Zur „Gefahr einer uferlosen Anwendung der Grundfreiheiten“ Dietz/Streinz, EuR 2015, 50 (50). Zur „Abgrenzung zwischen zulässiger Rechtsfortbildung und Kompetenzanmaßung“ in Bezug auf das Tätigwerden des EuGHs Riem, Grundfreiheiten, S. 177 ff. 301 Siehe dazu die Darstellung bei Riem, Grundfreiheiten, S. 21 ff. Zur weiteren Diskussion der Frage, heruntergebrochen auf die Abgrenzung von „zulässiger Rechtsfortbildung und Kompetenzanmaßung“, ebd., S. 177 ff. 302 Dauses, RIW 1984, 197 (206). Siehe auch die Ausführungen von Everling, Spannungsfeld, S. 83 ff.

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Kap. 3: Zu einer allgemeinen originären Leistungsdimension

3. Binnenmarktgewährleistung nach Art. 26 Abs. 2 AEUV Da vereinzelt aus dem ehemaligen, zu Art. 26 Abs. 2 AEUV wortgleichen, Art. 14 EGV (Amsterdam) eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten, „diese Freiheiten allen Gemeinschaftsbürgern unmittelbar einzuräumen“303, entnommen wird, könnte die Vorschrift einen systematischen Hinweis für eine umfassende Gewährleistungspflicht geben. Der Begriff des Binnenmarkts in Art. 26 Abs. 2 AEUV geht über den Begriff des Binnenmarkts nach Art. 3 EUV hinaus, indem dieser einen Raum ohne Binnengrenzen umfasst, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gemäß den Bestimmungen der Verträge gewährleistet ist. Damit umfasst der Binnenmarkt nämlich nicht nur ein System, das den Wettbewerb vor Verfälschungen schützt, wie ihn das den Begriff in Art. 3 EUV konkretisierende Protokoll über den Binnenmarkt und den Wettbewerb beschreibt. Betrachtet man Strom nunmehr als Ware, ist der Binnenmarkt im Sinne der Vorschrift ein Raum, in dem auch der freie Verkehr von Strom gewährleistet ist. Diese Gewährleistung erfolgt aber nur „gemäß den Bestimmungen der Verträge“. Im Rahmen der Diskussion zur Schutzpflichtendimension wird daher vertreten, dass in dem Fall, in dem die „Bestimmungen der Verträge“ (also insbesondere Art. 34 und 35 AEUV) keine Schutzpflicht ergeben, Art. 26 Abs. 2 AEUV diese auch nicht begründen kann.304 Diese Überlegung ist auf die Frage nach einer Leistungsdimension zu übertragen. Sie überzeugt mit Blick auf die Funktion von Wortlaut und Systematik, eine zu weitgehende teleologische Auslegung zu begrenzen. Sie ist zudem unabhängig davon, ob die Begründung einer Schutzpflichten- oder originären Leistungsdimension diskutiert wird, sodass auch in Bezug auf letztere anzuführen ist, dass Art. 26 Abs. 2 AEUV für den Gegenstand der Untersuchung kein weitergehendes Argument liefert. Im Übrigen findet sich auch eine so weitgehende Definition des Binnenmarktbegriffs, wie sie Art. 3 Abs. 1 lit. c) EGV (Amsterdam) aufstellte, in den Verträgen in der Version des Vertrags von Lissabon nicht mehr.305 An diesem Ergebnis ändert auch Art. 170 AEUV nichts. Die Vorschrift enthält die Ziele der Union im Bereich der transeuropäischen Netze. Art. 171 AEUV konkretisiert die dazu möglichen Maßnahmen und Art. 172 AEUV regelt deren Beschlussfassung. Nach Art. 170 Abs. 1 AEUV trägt die Union zum Auf- und Ausbau transeuropäischer Netze in den Bereichen der Energieinfrastruktur bei. Die Norm nimmt dabei ausdrücklich auch auf das Ziel in Art. 26 AEUV Bezug: „Um einen Beitrag zur Verwirklichung der Ziele der Art. 26 […] zu leisten“. Damit trägt die Union lediglich mit den Maßnahmen nach Art. 171 AEUV zum Auf- und Ausbau transeuropäischer Netze bei. Die Vorschrift ergänzt damit das Prinzip der begrenzten 303

Hirsch, DAR 2000, 500 (502). Keun, Handlungspflichten, S. 45 f. 305 Dort hieß es: „Die Tätigkeit der Gemeinschaft im Sinne des Artikels 2 umfasst nach Maßgabe dieses Vertrags und der darin vorgesehenen Zeitfolge: […] c) einen Binnenmarkt, der durch die Beseitigung der Hindernisse für den freien Waren-, Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr zwischen den Mitgliedstaaten gekennzeichnet ist“. 304

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Einzelermächtigung, welches den Mitgliedstaaten die Kompetenz zum Auf- und Ausbau der Netze belässt. Art. 170 Abs. 1 AEUV verweist auf die Ziele des Art. 26 AEUV und damit auf den Binnenmarkt-Begriff nach Art. 26 Abs. 2 AEUV. Daran, dass Art. 26 Abs. 2 AEUV nur im Zusammenhang mit den anderen Bestimmungen der Verträge interpretiert werden kann, ändert Art. 170 Abs. 1 nichts. 4. Koordinierungspflichten Die europäischen Verträge enthalten an vielen Stellen Pflichten der Mitgliedstaaten zur Koordination ihrer einzelstaatlichen Politiken, die im Rahmen der vertraglichen Wertung der mitgliedstaatlichen Solidarität gelesen werden könnten. So weist auch Art. 171 Abs. 2 S. 1 AEUV die Mitgliedstaaten an, ihre einzelstaatlichen Politiken untereinander in Verbindung mit der Kommission zu koordinieren, die sich erheblich auf die Verwirklichung der Ziele des Art. 170 AEUV auswirken können. Von der Existenz einer Koordinationspflicht kann hingegen nur in den seltensten Fällen auf weitere Pflichten geschlossen werden, da eine Pflicht, die einzelstaatlichen Politiken zu koordinieren, grundsätzlich nicht über eben diesen Inhalt hinausgeht. Jedenfalls gibt Art. 171 Abs. 2 S. 1 AEUV keine Anhaltspunkte für über die Koordinationspflicht hinausgehende Pflichten. Weder schließt die Vorschrift weiter gehende Pflichten aus, noch ist es möglich, ein „Mehr“ als Koordination in sie hineinzulesen. 5. Keine Daseinsvorsorge im EU-Recht a) Wichtig erscheint die Überlegung, dass eine allgemeine Pflicht zum Ausbau der Stromnetze aus den Art. 34 und 35 AEUV der deutschen Daseinsvorsorge oder dem französischen service public jedenfalls sehr nahe käme. Im Gegensatz zur deutschen Verfassung kennt die Schweiz mit den Art. 81a ff. BV sogar besondere verfassungsrechtliche Pflichten zur Errichtung von Verkehrsinfrastruktur. Eine solche Pflicht zur Daseinsvorsorge oder des service public kennt das EU-Recht in ausdrücklicher Form hingegen nicht; die Verträge „schweigen“ zu dieser Frage.306 Vielmehr enthält das EU-Primärrecht in Art. 14 AEUV nur den Schutz der „Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse“.307 Während die „Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse“ in Art. 106 Abs. 2 AEUV enger zu fassen sind als die aus den nationalen Rechtssystemen stammenden Begriffe Daseinsvorsorge und service public,308 geht es bei den „Diensten von allgemeinem Interesse“ im Sinne von Art. 14 AEUV grundsätzlich um staatliche Leistungen der Daseinsvor-

306

Riem, Grundfreiheiten, S. 21 und 176 f. m. w. N. Zur Auslegung des Begriffs Meng, in: Breuer/Epiney/Haratsch/Schmahl/Weiß, FS Klein, 569 (569 ff.). 308 Kling/Thomas, Kartellrecht, § 7 Fn. 53 m. w. N. 307

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Kap. 3: Zu einer allgemeinen originären Leistungsdimension

sorge bzw. des service public.309 Auf der einen Seite stehen diese Leistungen folglich nach Art. 14 AEUV unter dem Schutz der Verträge; auf der anderen Seite zielt das EU-Recht wegen des in Art. 119 Abs. 1 AEUV niedergelegten Grundsatzes der offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb auf eine Liberalisierung des Markts ab.310 Wegen dieser Zielrichtung auf die Liberalisierung des Markts könnte überlegt werden, dass positiv normierte Pflichten der Daseinsvorsorge oder des service public den EU-Verträgen fremd sind. Dies könnte dazu führen, dass eine Gewährleistungspflicht aus den Vorschriften zum freien Warenverkehr generell abzulehnen ist. Allerdings fehlt es nur an einer ausdrücklichen Normierung von Gewährleistungspflichten in den Verträgen für die Mitgliedstaaten, die der deutschen Daseinsvorsorge oder dem französischen service public ähneln. Es ist gerade nicht auszuschließen, dass statt einer ausdrücklichen Nennung den Art. 34 und 35 AEUV den Unionsverträgen implizite Gewährleistungspflichten zu entnehmen sind. Die Tatsache, dass Leistungspflichten in den Vertragstexten nicht explizit erwähnt werden, stellt gerade kein Indiz dafür dar, dass sich nicht implizit ein der Daseinsvorsorge oder dem service public vergleichbares Konzept aus den Verträgen ergibt.311 Zudem kennen die Verträge mit Art. 14 AEUV immerhin (die mitgliedstaatlichen) Konzepte der Daseinsvorsorge und des service public, obwohl diese nicht in allen Mitgliedstaaten üblich sind.312 b) Diese Überlegungen spiegeln sich auch in Art. 36 GRC wider, mit dem das Solidaritätsziel der Union eine normative Anknüpfung gefunden hat. Art. 36 GRC verpflichtet die Union, „den Zugang zu Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse, wie er durch die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten im Einklang mit den Verträgen geregelt ist, [anzuerkennen und zu achten,] um den sozialen und territorialen Zusammenhalt der Union zu fördern“.

Art. 36 GRC steht in Titel IV der GRC, der die Bezeichnung „Solidarität“ trägt.313 Insoweit ist die Union aber nur verpflichtet, diese einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten zu achten, wie sie eben „im Einklang mit den Verträgen“ stehen. Die Vorschrift gibt daher keine besonderen Anhaltspunkte für die Frage nach originären Leistungspflichten aus den Grundfreiheiten. Mit der Position

309

Hatje, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 14 AEUV, Rdn. 1 ff. Jung, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 14 AEUV Rdn. 1. 311 Siehe zu vergleichbaren Erwägungen in Bezug auf den dort begründeten originären Leistungsanspruch Riem, Grundfreiheiten, S. 176 f. 312 Vgl. dazu von Beust, in: Ehricke, Energiewirtschaftsrecht, 13 (14). Siehe zur Stromversorgung als Daseinsvorsorge auch vom Dahl, N&R 2015, 194 (194). Zur Begründung der Pflicht zur Stromversorgung im deutschen Verfassungsrecht von Lewinski, EnWZ 2013, 439 (440 m. w. N.). Ausführlich zu den Begriffen auch Kling/Thomas, Kartellrecht, § 7 Fn. 53 m. w. N. 313 Vgl. im Übrigen zu den in diesem Kapitel enthaltenen Unionszielbestimmungen Zimmermann, EU-Grundrechtecharta, S. 33 f. 310

B. Zur normativen Grundlage einer allgemeinen originären Leistungsdimension

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der Vorschrift in der GRC314 erscheint es plausibel, dass die Vorschrift bezweckt, eine weitgehende Liberalisierung auch solcher Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse zu verhindern und Rücksicht insbesondere auf die Bürger und Bürgerinnen der Union zu nehmen. Die Vorschriften zum freien Warenverkehr könnten damit eine Grundlage für eine Form der Daseinsvorsorge bzw. des service public im Unionsrecht darstellen. 6. Kein Verstoß gegen Art. 107 AEUV Im Rahmen der systematischen Betrachtung muss auch auszuschließen sein, dass die hier untersuchte Annahme einer originären Leistungspflicht nicht bereits explizit gegen andere Vertragsvorschriften verstößt. Eine aus den Vorschriften zum freien Warenverkehr abgeleitete Leistungspflicht könnte insoweit gegen die Beihilfevorschriften des Art. 107 AEUV verstoßen, wenn diese gemäß der Norm eine staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfe gleich welcher Art darstellt, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälscht oder zu verfälschen droht, soweit sie den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigt. Da dies jedoch dem Wortlaut nach bereits nur gilt, soweit in den Verträgen nicht etwas anderes bestimmt ist, und mit einer Verpflichtung aus den Vorschriften zum freien Warenverkehr eben dies geschehen ist (also etwas anderes bestimmt wurde), läge bei der Annahme einer solch gearteten Pflicht auch kein Verstoß gegen Art. 107 AEUV vor.315 Überdies würde schon deshalb keine Wettbewerbsverfälschung vorliegen, da eine etwaige Pflicht zur Gewährleistung von Infrastruktur gerade der Gewährleistung des Wettbewerbs dient. Ein Verstoß gegen Art. 107 AEUV ist folglich ausgeschlossen. 7. Grundsätze der mitgliedstaatlichen Wirtschaftspolitik Wesentliche Richtungsentscheidungen können hingegen aus den Art. 119 und 120 AEUV entnommen werden. Die Normen heben den den Verträgen immanenten Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb hervor. Art. 119 AEUV adressiert zudem ausdrücklich nicht nur die Union sondern ebenfalls die Mitgliedstaaten, indem sein Abs. 1 statuiert, dass die Tätigkeit der Mitgliedstaaten und der Union im Sinne des Art. 3 EUV nach Maßgabe der Verträge die Einführung einer Wirtschaftspolitik umfasse, die auf einer engen Koordinierung der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten, dem Binnenmarkt und der Festlegung gemeinsamer Ziele beruht und dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb verpflichtet ist. Art. 119 Abs. 3 AEUV statuiert zudem „richtungsweisende Grundsätze“, zu denen auch „gesunde öffentliche Finanzen und monetäre 314 Vgl. dazu ganz allgemein Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 36 EUGRCharta Rdn. 2 ff. 315 Vgl. dazu ausführlich und überzeugend Riem, Grundfreiheiten, S. 183 f.

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Kap. 3: Zu einer allgemeinen originären Leistungsdimension

Rahmenbedingungen“ gehören. Auch diese richtungsweisenden Grundsätze sind ausdrücklich sowohl von der Union als auch von den Mitgliedstaaten einzuhalten. Art. 120 S. 2 AEUV setzt voraus, dass die Mitgliedstaaten und die Union im Einklang mit dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb handeln und dabei auch die in Art. 119 AEUV genannten Grundsätze einhalten. Die Vorschrift erwägt die Förderung eines effizienten Einsatzes der Ressourcen. Zieht man die Betrachtung von Art. 119 und 120 AEUV nunmehr für die systematische Auslegung der Art. 34 und 35 AEUV heran, ist festzustellen, dass sich die Auslegung jedenfalls nicht gänzlich gegen die in Art. 119 und 120 AEUV enthaltenden Grundsätze stellen sollte. Dies wäre insbesondere dann nicht der Fall, wenn die Mitgliedstaaten auch bei Annahme einer originären Leistungspflicht einen weitgehenden Spielraum besäßen. Eine systematische Betrachtung unter Bezugnahme auf die Art. 119 und 120 AEUV intendiert mithin, dass eine etwaige sich auf die Vorschriften zum freien Warenverkehr gründende originäre Leistungspflicht weder die öffentlichen Finanzen und monetären Rahmenbedingungen der Mitgliedstaaten außer Acht lassen sollte wie auch einen effizienten Einsatz der Ressourcen ermöglichen sollte, sodass sie im Ergebnis in ihrer Reichweite zu beschränken wäre. Auch Art. 171 Abs. 1 S. 2 AEUV, nach dem die Union bei ihren Maßnahmen die potentielle wirtschaftliche Lebensfähigkeit der Vorhaben zu berücksichtigen hat, gibt einen Hinweis darauf, dass ein unbegrenzter Infrastrukturausbau wider aller Vernunft von den Vertragsparteien nicht gewollt ist. Die Haushaltshoheit der Mitgliedstaaten wird im Übrigen durch die Annahme einer originären Leistungsdimension der Vorschriften zum freien Warenverkehr nicht in unzulässiger Weise berührt: Da der Haushalt weiterhin unmittelbar durch den Mitgliedstaat selbst festzusetzen ist, ist ein unzulässiger Eingriff in die mitgliedstaatliche Haushaltshoheit abzulehnen.316 Auch die Kritik, dass es jedenfalls eine mittelbare Wirkung auf die mitgliedstaatlichen Haushalte ohne ausreichende unionsrechtliche Grundlage gebe,317 ist abzulehnen: die Umsetzung von Pflichten aus völkerrechtlichen Verträgen kommt immer mit Kosten für die Vertragsstaaten einher. Die Mitgliedstaaten haben sich selbst an die Verträge gebunden, die von der Judikative nur ausgestaltet werden.318 Auch die Eigentumsordnung in den Mitgliedstaaten (Art. 345 AEUV) wird durch die Zuerkennung einer Netzausbaupflicht nicht berührt.

316

So in Bezug auf die Annahme originärer Leistungsansprüche aus den Grundfreiheiten Riem, Grundfreiheiten, S. 169 ff. Vgl. im Übrigen die Arbeit von Wischmeyer, Kosten. 317 Frenz, EuZW 2006, 748 (749 m. w. N.); darauf hinweisend Riem, Grundfreiheiten, S. 17 f. 318 Vgl. auch Wischmeyer, Kosten, S. 35 ff., insb. S. 37.

B. Zur normativen Grundlage einer allgemeinen originären Leistungsdimension

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8. Territoriale Souveränität der Mitgliedstaaten Eine entscheidende Wertung, die das diesem Kapitel zugrundeliegenden Spannungsfeld aufspannt, ist die territoriale Souveränität der Mitgliedstaaten. Diese Wertung kann an völkerrechtliche Normen319, die Vorschriften der Art. 172 S. 2 AEUV und Art. 4 Abs. 2 S. 2 EUV angebunden werden. a) Allerdings kann die vertragliche Wertung, dass die nationale Souveränität bei der gegenständlichen Auslegung zu berücksichtigen ist, dogmatisch nur an die beiden letztgenannten Vorschriften gründen. Zwar wäre denkbar, die Bedeutung der territorialen Souveränität im Völkerrecht auch für die hiesige Fragestellung zu berücksichtigen. Erwägungen, die sich aus dem Völkerrecht ergeben, sind allerdings für die Auslegung von Vertragsprimärrecht von keiner Relevanz.320 Etwas anderes könnte sich allenfalls für das Vertragsprimärrecht ergeben, welches die durch intergouvernementale Zusammenarbeit geprägten Politikbereiche regelt.321 Bei der im Zentrum der hiesigen Untersuchung stehenden Vorschriften handelt es sich aber um einen Bereich der supranationalen Zusammenarbeit. Dafür wird in der Literatur formuliert: „Insbesondere Grundsätze wie die Respektierung der staatlichen Souveränität und damit die enge Auslegung staatlicher Verpflichtungen bei der Interpretation der entsprechenden Normen oder die Auslegung aufgrund einer späteren Übung bei der Anwendung des Vertrages (Art. 31 Abs. 3 lit. b) WVK) können für die Auslegung des supranationalen Unionsrechts nicht fruchtbar gemacht werden.“322

Nunmehr ist die territoriale Souveränität im Völkerrecht ein tragender Grundsatz.323 Selbst, wenn hier dieser Grundsatz im Wege einer Auslegung im Lichte des Völkerrechts Anwendung fände, müsste überlegt werden, ob sich der Grundsatz der Achtung der territorialen Souveränität nicht bereits in Vorschriften der EU-Verträge konkretisiert hat. Solche Vorschriften, die den Grundsatz der Achtung der territorialen Souveränität aufgreifen, sind Art. 172 S. 2 AEUV und Art. 4 Abs. 2 S. 2 EUV. b) Daher steht einer allzu weitgehenden Auslegung der Art. 34 und 35 AEUV, hin zu einer umfassenden und unbegrenzten Gewährleistungspflicht für Infrastruktur, zunächst Art. 172 S. 2 AEUVentgegen. Art. 172 S. 2 AEUV statuiert das Erfordernis der Billigung des Mitgliedstaats, dessen Hoheitsgebiet von einer Leitlinie oder einem Vorhaben von gemeinsamem Interesse betroffen ist. Die Vorschrift erkläre sich dadurch, dass die Mitgliedstaaten bisher nicht bereit gewesen seien, aufgrund des 319 Ausführlich Giegerich, in: Utz/Ernst/Schulz, FS Schmidt-Jorzig, 603 (603 ff.); zu Historie, Bedeutung und Funktion im Völkerrecht Oeter, in: Cremer/Giegerich/Richter/Zimmermann, FS Steinberger, 259 (259 ff.). 320 Siehe Kapitel 1 C. 321 Siehe Kapitel 1 C. und Pechstein/Drechsler, in: Riesenhuber, Methodenlehre, 125 (Rdn. 12 m. w. N.). 322 Pechstein/Drechsler, in: Riesenhuber, Methodenlehre, 125 (Rdn. 12 m. w. N.). 323 Pechstein/Drechsler, in: Riesenhuber, Methodenlehre, 125 (Rdn. 12 m. w. N.).

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Kap. 3: Zu einer allgemeinen originären Leistungsdimension

damit einhergehenden besonderen Souveränitätsverlustes im sensiblen Bereich der Territorialhoheit auch gegen ihren Willen zu Infrastrukturvorhaben verpflichtet zu werden.324 Die Vorschrift stelle eine „verfahrensrechtliche Sonderregelung für die Ausübung dieser Zuständigkeit“325 dar. Sie hebt die besondere Bedeutung der unterschiedlichen Kompetenzverteilung zwischen Mitgliedstaaten und Union wie auch die Wichtigkeit des Subsidiaritätsprinzips beim Ausbau von transeuropäischen Netzen hervor.326 Wenngleich sich das Billigungserfordernis aus Art. 172 S. 2 AEUV nur auf die Leitlinien und Vorhaben von gemeinsamem Interesse bezieht, fühlten sich die Vertragsparteien veranlasst, die Vorschrift in dieser Form zu verfassen. Daher lässt sich annehmen, dass der Vorschrift eine allgemeine Wertungsentscheidung zugrunde liegt und die Überlegung, dass die Mitgliedstaaten nicht auch gegen ihren Willen zu einem konkreten Infrastrukturprojekt auf ihrem Staatsgebiet verpflichtet werden sollen, daher rechtlichen Gehalt erhalten könnte. Um eine in sich schlüssige Lösung für das aufgeworfene Spannungsfeld zu finden, muss diese der Vorschrift innewohnende Erwägung bei der Auslegung der Art. 34 und 35 AEUV Berücksichtigung finden. Bei Art. 172 S. 2 AEUV handelt es sich um eine Ausnahme zu Art. 172 S. 1 AEUV. Mit dem Europäischen Gerichtshof ist anzunehmen,327 dass Ausnahmen restriktiv auszulegen sind. Zudem gelten völkerrechtliche Grundsätze im supranationalen Bereich eher eingeschränkt.328 Daher ist überdies fraglich, ob Art. 172 S. 2 AEUV nicht nur das Erfordernis der Zustimmung in Bezug auf das „Wie“ des Ausbaus verlangt, nicht aber in Bezug auf das „Ob“. Mithin steht die Vorschrift einer grundsätzlichen, umfassenden Ausbaupflicht nicht entgegen. Wie die ihr zu entnehmenden Erwägungen hingegen berücksichtigt werden müssen, wird noch zu schlussfolgern sein.329 Zu erwägen ist noch, dass im Hinblick darauf, dass der Europäische Gerichtshof keine Kompetenz hat, politisch zu gestalten,330 in den Bereichen, in denen auch eine Kompetenz der Union zur Rechtsetzung besteht, ein wirkungsgleiches Ergebnis durch die Anwendung der Grundfreiheiten nur mit größter Vorsicht angenommen werden sollte. Allerdings besteht bei den Art. 170 ff. AEUV in Bezug auf den transnationalen Infrastrukturausbau nur eine Unterstützungskompetenz durch die Union. Ein wirkungsgleiches Ergebnis zwischen Unionspflichten und mitgliedstaatlichen Pflichten wird deshalb gerade nicht erreicht. 324

Calliess, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 172 AEUV Rdn. 10. Calliess, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 172 AEUV Rdn. 12 m. w. N. 326 Schröder, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 172 AEUV Rdn. 4. 327 EuGH, Urt. v. 23. 10. 1997, Rs. C-159/94, ECLI:EU:C:1997:501, Rdn. 53 – Kommission/Frankreich; vgl. auch Pechstein/Drechsler, in: Riesenhuber, Methodenlehre, 125 (Rdn. 27); Bleckmann, NJW 1982, 1177 (1180), formuliert: „Im Völkerrecht beinhaltet dieser Grundsatz eine Vermutung für die Souveränität der Staaten. Im Gemeinschaftsrecht besteht dagegen diese Vermutung zugunsten der die Staatensouveränität einschränkenden Freiheiten des Gemeinsamen Marktes.“ 328 Pechstein/Drechsler, in: Riesenhuber, Methodenlehre, 125 (Rdn. 12 m. w. N.). 329 Dazu Kapitel 3 C. 330 Schwarze, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 19 EUV, Rdn. 42. 325

B. Zur normativen Grundlage einer allgemeinen originären Leistungsdimension

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c) Weiterhin ist eine Achtung der territorialen Souveränität der Mitgliedstaaten bereits Art. 4 Abs. 2 S. 2 EUV zu entnehmen. Dieser statuiert, dass die Union die grundlegenden Funktionen des Staates, insbesondere die Wahrung der territorialen Unversehrtheit, die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der nationalen Sicherheit achtet. Mithin ergibt sich aus Art. 172 S. 2 AEUV und Art. 4 Abs. 2 S. 2 EUV die vertragliche Wertung, dass die territoriale Souveränität der Mitgliedstaaten im Rahmen der Auslegung der Art. 34 und 35 AEUV zu berücksichtigen ist. Sie spricht nicht per se gegen die Annahme einer Pflicht zu einer umfassenden Gewährleistung für sowohl grenzüberschreitende als auch innerstaatliche Infrastruktur; diese Wertungen sollten aber im Rahmen der Auslegung beachtet werden. Nicht hingegen kann Art. 171 Abs. 1 S. 2 AEUV berücksichtigt werden, da sich dieser nur an die Union und nicht an die Mitgliedstaaten richtet. d) Es wird vertreten, dass der Handlungsspielraum der Mitgliedstaaten und derjenige des Unionsgesetzgebers durch eine Annahme originärer Leistungspflichten aus den Grundfreiheiten zu weit zurückgedrängt werden.331 Auch dabei handelt es sich um einen Aspekt, der das Spannungsfeld von Integration und mitgliedstaatlicher Souveränität berührt. Würde sich die originäre Leistungsdimension als Pflicht zur Harmonisierung darstellen, unterliefe diese die Kompetenz zur Rechtsangleichung des Unionsgesetzgebers.332 Die Untersuchung zeigt hingegen, dass aus systematischen Erwägungen heraus die territoriale Souveränität der Mitgliedstaaten zu achten ist und den Mitgliedstaaten daher ein Spielraum zu erhalten ist.333 Der Spielraum des Unionsgesetzgebers wird zudem nicht eingeschränkt, er kann weiterhin positive Gesetzgebungsmaßnahmen treffen, um den Binnenmarkt zu verwirklichen. Zudem besteht beim Ausbau von Infrastruktur nur eine Unterstützungskompetenz des Unionsgesetzgebers.334 Diese Kompetenz kann also gar nicht durch die Annahme von originären Leistungspflichten aus den Vorschriften zum freien Warenverkehr eingeschränkt werden. Vielmehr gelingt es dem Unionsgesetzgeber dadurch, die Häufigkeit der Fälle zu erhöhen, in denen der Unionsgesetzgeber überhaupt unterstützend tätig werden kann. Der Spielraum der Mitgliedstaaten und des Unionsgesetzgebers wird mithin nicht durch die Annahme einer originären Leistungspflicht aus den Vorschriften zum freien Warenverkehr zurückgedrängt.

9. Zwischenergebnis Systematische Erwägungen unterstützen zwar die Begründung einer originären Leistungspflicht aus den Vorschriften zum freien Warenverkehr unter Bezugnahme auf den Grundsatz des effet utile nicht, sie stehen der Begründung aber auch nicht 331 332 333 334

Ehlers, in: Ehlers, Europäische, § 7 Rdn. 40. Kingreen, Struktur, S. 200 f. Siehe dazu unten Kapitel 3 C. Siehe oben Kapitel 1 A.

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Kap. 3: Zu einer allgemeinen originären Leistungsdimension

entgegen. Vielmehr ergeben sich vereinzelnd Wertungen, die einer einmal begründeten Pflicht beschränkend entgegenstehen und daher in Bezug auf ihre Reichweite Anwendung finden könnten: Art. 4 Abs. 3 EUV steht einer originären Leistungspflicht aus den Vorschriften zum freien Warenverkehr zumindest nicht entgegen; der Grundsatz von Treu und Glauben erschöpft sich in der Konkretisierung durch Art. 4 Abs. 3 EUV und durch die Heranziehung des Grundsatzes des effet utile im Rahmen der teleologischen Auslegung und kann daher nicht herangezogen werden, um aus sich heraus eine originäre Leistungsdimension der Vorschriften zum freien Warenverkehr zu begründen. Die Unterscheidung in positive und negative Integration stellt nur eine methodische Unterscheidung dar, die im Wesentlichen anhand der unterschiedlichen Ausgangsakteure, nämlich entweder anhand der Legislative oder anhand der Judikative, getroffen wird; daher kann sie auch nicht angeführt werden, um aus ihr Hinweise für die Auslegung der Vorschriften zu bekommen. Systematische Erwägungen lassen sich auch nicht aus der Überschrift des dritten Kapitels der Artikel zum freien Warenverkehr ziehen, da diese nur unzureichende Anhaltspunkte gibt. Die Gewährleistung des Binnenmarkts nach Art. 26 Abs. 2 AEUV erfolgt nur „gemäß den Bestimmungen der Verträge“ und bietet daher kein systematisches Argument. Da Art. 170 Abs. 1 AEUVauch nur auf dem Binnenmarkt-Begriff des Art. 26 Abs. 2 AEUV verweist, lässt sich auch unter Hinzunahme dieser spezielleren Vorschrift für die Auslegung kein Mehrwert ziehen. Die Koordinierungspflicht nach Art. 171 Abs. 2 S. 1 AEUV spricht weder für noch gegen die Begründung einer über die Koordinierung hinausgehenden Ausbaupflicht. Erwägungen zur Daseinsvorsorge oder zum service public stehen einer originären Ausbaupflicht in den Verträgen nicht entgegen. Zudem enthält Art. 36 GRC auch keine weiterführenden Hinweise. Die Zuerkennung einer originären Leistungsdimension für die Vorschriften zum freien Warenverkehr würde auch keinen Wertungswiderspruch zu Art. 107 AEUVergeben. Art. 119 und 120 AEUV heben den den Verträgen immanenten Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb hervor, gegen den eine Auslegung der Art. 34 und 35 AEUV demnach nicht verstoßen sollte. Die Vorschriften erwägen zudem ausdrücklich auch für die Tätigkeit der Mitgliedstaaten die Berücksichtigung der Grundsätze von gesunden öffentlichen Finanzen und monetären Rahmenbedingungen sowie der Förderung eines effizienten Einsatzes der Ressourcen. Auch Art. 171 Abs. 1 S. 2 AEUV gibt einen Hinweis darauf, dass ein unbegrenzter Infrastrukturausbau wider aller Vernunft von den Vertragsparteien nicht gewollt ist. Aus Art. 172 S. 2 AEUV und Art. 4 Abs. 2 S. 2 EUV, nicht jedoch aus dem allgemeinen Völkerrecht, ergibt sich die vertragliche Wertung, dass die territoriale Souveränität der Mitgliedstaaten im Rahmen der Auslegung der Art. 34 und 35 AEUV zu berücksichtigen ist.

B. Zur normativen Grundlage einer allgemeinen originären Leistungsdimension

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V. Historische Erwägungen Betrachtet man die Vorgängervorschriften der sich aktuell in Kraft befindlichen Vertragsversionen, lässt sich die unterstützende Erwägung anführen, dass die ursprünglich in den Präambeln niedergelegten Vertragsziele auch zum Zeitpunkt der letzten Vertragsänderungen von den Vertragsparteien gewollt wurden; so wurde beispielsweise ein vollständiges Beschränkungsverbot im Rahmen der Niederlassungsfreiheit durch den Vertrag von Amsterdam eingeführt, an dem auch durch den Vertrag von Lissabon nicht gerüttelt wurde.335 Dies legt jedenfalls nahe, dass sich trotz der Änderung politischer Realitäten im Kern am rechtlichen Gehalt der Verträge im Hinblick auf das Integrationsziel nichts geändert hat. Der in die Verträge eingegangene Wille der Vertragsparteien zu einer immer engeren Union und der Verwirklichung des Binnenmarkts besteht fort.

VI. Zwischenergebnis und Bedeutung für den Fortgang der Untersuchung Die detaillierte teleologische, systematische und historische Betrachtung der Art. 34 und 35 AEUV zeigt, dass die Berücksichtigung des effet utile eine Auslegung der Vorschriften verlangt, die eine originäre und umfassende Pflicht der Mitgliedstaaten zum Ausbau und zur Gewährleistung von Infrastruktur vorsieht, die sich sowohl auf grenzüberschreitende wie auch auf innerstaatliche Infrastruktur bezieht. Dabei wird diese Auslegung erst durch den offenen Wortlaut der Vorschriften zum freien Warenverkehr ermöglicht. Damit stellen – entgegen der eingangs erörterten Kritik336 – die Vorschriften zum freien Warenverkehr eine ausreichende normative Grundlage für die Pflicht zur Gewährleistung ausreichender Infrastruktur dar. Insbesondere systematische Erwägungen lassen aber darauf schließen, dass diese zu postulierende Pflicht eingeschränkt werden muss. Es ist zudem festzuhalten, dass sich das der Untersuchungsfrage zu Grunde liegende Spannungsfeld zwischen den Wertungen einer immer weiteren EU-Integration, mitgliedstaatlicher Solidarität und nationaler Souveränität in der Betrachtung der Vorschriften zum freien Warenverkehr, insbesondere aus teleologischer und systematischer Sicht, wiederfindet. Einen Vorschlag zur Lösung dieses Spannungsfelds enthält nunmehr der folgende Abschnitt. Die hier gefundenen Erwägungen sind heranzuziehen, um die Voraussetzungen und die Reichweite der originären Leistungspflicht auszugestalten.

335 336

Vgl. Riem, Grundfreiheiten, S. 88 ff. Kapitel 3 B. I.

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Kap. 3: Zu einer allgemeinen originären Leistungsdimension

C. Ausgestaltung I. Voraussetzungen Dabei liegt der Bestimmung der Voraussetzungen einer warenverkehrsrechtlichen Pflicht im Wesentlichen die Frage zugrunde, welche Beeinträchtigungen im Verantwortungsbereich des Mitgliedstaats liegen. Diese Verantwortungsdimension erfordert zunächst die Klärung der erfassten Qualität einer die Pflicht auslösenden Beeinträchtigung (Beeinträchtigung des Marktzugangs oder -ausgangs durch ein Unterlassen sowie Rechtswidrigkeit des Zustands) sowie der Notwendigkeit einer konkreten Intention (Behinderungswille). Darüber hinaus stellt sich die Frage nach der Quantität der erfassten Beeinträchtigungen (Spürbarkeitskriterium, Relevanzregel, Kernbereich sowie Höhere Gewalt) und ob diese Verantwortungsdimension ausschließlich in den Art. 34 und 35 AEUV wurzelt (Eigenständige Begründung der Pflicht). 1. Beeinträchtigung des Marktzugangs oder -ausgangs durch ein Unterlassen a) Die Auslegung ergibt, dass unter eine mengenmäßige Beschränkung im Sinne der Art. 34 und 35 AEUVauch jedes Unterlassen zu fassen ist, das den Zugang zu und den Ausgang aus dem Markt eines Mitgliedstaats für Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten behindert. Dies folgt aus der Verknüpfung der sich aus der Auslegung ergebenen und daher zu berücksichtigenden Prinzipien der Wirkungsgleichheit und des Abstellens auf den Marktzugang und Marktausgang, die sich jedenfalls einzeln auch in Rechtsprechung und Literatur nachweisen lassen. b) Zur Erläuterung ist auf die für die Schutzpflicht grundlegende Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache Kommission/Frankreich (1997) einzugehen. Dort stellte dieser fest, „dass alle unmittelbaren oder mittelbaren, tatsächlichen oder potentiellen Beeinträchtigungen der Einfuhrströme im innergemeinschaftlichen Handel beseitigt werden sollen.“337

Daraus schlussfolgert der Europäische Gerichtshof im Weiteren, dass Art. 34 AEUV „nicht nur Maßnahmen, die auf den Staat zurückzuführen sind und selbst Beschränkungen für den Handel zwischen den Mitgliedstaaten schaffen [umfasst], sondern […] auch dann Anwendung finden [kann], wenn ein Mitgliedstaat keine Maßnahmen ergriffen hat, um gegen Beeinträchtigungen des freien Warenverkehrs einzuschreiten, deren Ursachen nicht auf den Staat zurückzuführen sind.“338 337

EuGH, Urt. v. 9. 12. 1997, Rs. C-265/95, ECLI:EU:C:1997:595, Rdn. 29 – Kommission/ Frankreich. 338 EuGH, Urt. v. 9. 12. 1997, Rs. C-265/95, ECLI:EU:C:1997:595, Rdn. 30 – Kommission/ Frankreich.

C. Ausgestaltung

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Dies führt zu der Annahme des Gerichtshofs, dass „der innergemeinschaftliche Handelsverkehr […] nämlich ebenso wie durch eine Handlung dadurch beeinträchtigt werden [könne], dass ein Mitgliedstaat untätig bleibt oder es versäumt, ausreichende Maßnahmen zur Beseitigung von Hemmnissen für den freien Warenverkehr zu treffen, die insbesondere durch Handlungen von Privatpersonen in seinem Gebiet geschaffen wurden, die sich gegen Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten richten.“339

Im Ergebnis stellt der Europäische Gerichtshof in dieser sehr zentralen Entscheidung fest, dass auch ein mitgliedstaatliches Unterlassen unter den Tatbestand der Vorschriften zum freien Warenverkehr fallen kann,340 wenngleich er in dieser Entscheidung nur die Schutzpflichtendimension begründet. Die bisher angeführten Erwägungen führen dazu, dass es im Hinblick auf das effiziente Erreichen der Vertragsziele einer immer engeren Union, der Verwirklichung des Binnenmarkts sowie der Stärkung der Solidarität zwischen den mitgliedstaatlichen Völkern generell (und damit sowohl in Bezug auf die Abwehr-, Schutz- wie auch die Leistungsdimension) weniger auf das „Wie“ des Erreichens dieser Ziele ankommt. Vielmehr steht, im Sinne des effet utile, die Zielerreichung selbst im Vordergrund. Daher hat sich die Frage, ob ein Verstoß gegen die Art. 34 und 35 AEUV vorliegt, an der Wirkungsgleichheit des mitgliedstaatlichen Handelns oder Unterlassens zu orientieren. Die Wirkungsgleichheit ist damit nicht pflichtbegründende, sondern ausformende Erwägung.341 Folglich ist zunächst irrelevant, aus welchen Gründen der freie Warenverkehr beeinträchtigt ist. So kommt es beispielsweise nicht darauf an, ob ein Grenzübergang durch staatliche Anweisung geschlossen oder durch einen umgefallenen Baum342 versperrt wird. Genauso bedeutend kann es für die genannten Vertragsziele sein, dass sich die fehlende Möglichkeit des Grenzübergangs ganz einfach dadurch ergibt, dass es keine Brücke über den Grenzfluss343 zwischen den beiden Mitgliedstaaten gibt. Damit kann der Tatbestand der Art. 34 und 35 AEUV sowohl im Allgemeinen wie auch im Speziellen in Bezug auf eine originäre Leistungsdimension sowohl durch ein Handeln wie auch durch ein Unterlassen erfüllt werden. In der Gesamtschau stellt sich das Kriterium der Wirkungsgleichheit dabei als Fortentwicklung der Dassonville-(1974)-Formel dar. Wenn nach dieser

339 EuGH, Urt. v. 9. 12. 1997, Rs. C-265/95, ECLI:EU:C:1997:595, Rdn. 31 – Kommission/ Frankreich. 340 Vgl. auch Kainer, JuS 2000, 431 (434 m. w. N.); Meurer, EWS 1998, 196 (197). 341 Vgl. zur Schutzpflichtendimension Keun, Handlungspflichten, S. 47. 342 Das Kriterium der Wirkungsgleichheit überzeugend am Beispiel der Behinderung des freien Warenverkehrs durch Naturgewalten illustrierend Kainer, JuS 2000, 431 (434). Zur Gewährleistungspflicht bei Naturkatastrophen auch Koch, Gewährleistungspflicht, S. 243 f. 343 Zur Frage, ob dem Mitgliedstaat eine Ausbaupflicht auferlegt werden kann, die auch Handlungen anderer Mitgliedstaaten erfordert siehe Kapitel 3 C. II. 1.

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Kap. 3: Zu einer allgemeinen originären Leistungsdimension „jede Handelsregelung der Mitgliedstaaten, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern, […] als Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Beschränkung anzusehen [ist]“344,

stellt der Europäische Gerichtshof bereits in diesem Urteil lediglich auf die potenziellen Auswirkungen der fraglichen Beschränkung ab. Allerdings fasste er zu diesem Zeitpunkt nur „jede Handelsregelung“ unter die Vorschriften zum freien Warenverkehr. Das Abstellen auf die Wirkungsgleichheit eines Handelns oder Unterlassens eröffnet einen besonders weiten Anwendungsspielraum. So wurde in Bezug auf die Schutzpflichtendimension angemerkt, dass damit nicht nur Werbekampagnen eine Beschränkung darstellten, die der Mitgliedstaat unmittelbar veranlasst hat, sondern auch solche, die von inländischen Unternehmen ausgingen und die das Verhalten der Konsumenten so verändern, dass diese vermehrt inländische Produkte kaufen.345 Dieser Kritik könnte auch schon im Rahmen der Schutzpflichtendimension mit der in dieser Untersuchung angenommenen tatbestandlichen Einschränkung auf dasjenige, was die Vertragsgemeinschaft vernünftigerweise vom Mitgliedstaat verlangen kann, abgeholfen werden.346 Zusammenfassend ergibt sich, dass die Berücksichtigung des effet utile zum Kriterium der Wirkungsgleichheit führt. Dieses Kriterium der Wirkungsgleichheit wird in ständiger Praxis auch von der europäischen Rechtsprechung herangezogen. Mithin sind die Mitgliedstaaten also auch schon dann zu einem Handeln verpflichtet, wenn sie selbst zuvor nicht gehandelt und die notwendigen Handlungen bisher lediglich unterlassen haben. Im Ergebnis kann daher auch ein mitgliedstaatliches Unterlassen den Tatbestand der Art. 34 und 35 AEUV erfüllen. c) Zentral ist nun die Überlegung, dass diese grundsätzliche Erwägung zur Wirkungsgleichheit einer Beeinträchtigung auch in Verbindung mit der Betrachtung herangezogen werden kann, dass auch bereits eine Beschränkung des Marktzugangs den Tatbestand der Vorschriften zum freien Warenverkehr erfüllt. Die in dieser Untersuchung getätigte Auslegung der Art. 34 und 35 AEUV erfordert, dass Marktzugang und Marktausgang als Kriterien herangezogen werden müssen, um die Voraussetzungen einer originären Leistungspflicht aus den Vorschriften zu bestimmen. Die Überlegung zur Frage, ob auch bereits eine Beschränkung des Marktzugangs den Tatbestand der Vorschriften zum freien Warenverkehr erfüllt, hat insbesondere in der Entscheidung Kommission/Italien (2009) ihren Niederschlag in der Rechtspre344

EuGH, Urt. v. 11. 7. 1974, Rs. C-8/74, ECLI:EU:C:1974:82, Rdn. 5 – Dassonville; dazu auch White, CMLRev 1989, 235 (235 f.). Allgemein zu den Maßnahmen gleicher Wirkung Behrens, Marktöffnungs- und Wettbewerbsrecht, Rdn. 134 ff. 345 Keun, Handlungspflichten, S. 51. 346 Zu dieser tatbestandlichen Einschränkung s. u. Kapitel 3 C. II. 1.

C. Ausgestaltung

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chung gefunden. Aus seiner bisherigen Rechtsprechung347 leitet der Europäische Gerichtshof her, dass Art. 34 AEUV „die Verpflichtung widerspiegelt, sowohl die Grundsätze der Nichtdiskriminierung und der gegenseitigen Anerkennung von Erzeugnissen, die in anderen Mitgliedstaaten rechtmäßig hergestellt und in den Verkehr gebracht wurden, einzuhalten als auch Erzeugnissen aus der Gemeinschaft einen freien Zugang zu den nationalen Märkten zu gewährleisten“348.

Im Weiteren führt er aus, dass „als Maßnahmen mit gleicher Wirkung wie mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen […] ebenfalls […] jede sonstige Maßnahme, die den Zugang zum Markt eines Mitgliedstaats für Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten behindert“349

anzusehen sei. So ist der Marktzugang für den Europäischen Gerichtshof spätestens seit dieser Entscheidung ausdrücklich Kriterium zur Bestimmung, ob ein Verstoß gegen die Vorschriften zum freien Warenverkehr vorliegt. Insbesondere aus teleologischer Sicht kann erst dann von der Verwirklichung des Binnenmarkts gesprochen werden, wenn für alle Marktakteure der Zugang zum Binnenmarkt im gleichen Maße besteht. Das ist erst dann der Fall, wenn keine unterschiedlichen Marktsegmente mehr existieren und der Markt mithin als ein gemeinsamer betrachtet werden kann.350 Besonders könnte nicht von der Verwirklichung des Binnenmarkts gesprochen werden, wenn es Mitgliedstaaten möglich wäre, verschiedene Regionen vom gemeinsamen Markt auszunehmen; dabei kann es nicht auf die Differenzierung ankommen, ob eine Region vom gemeinsamen Markt durch diskriminierende oder unterschiedslose Regelungen ausgenommen wird.351 Die absolute Vollendung des Binnenmarkts erfordert damit auch mehr als dass sich die Großhandelspreise in benachbarten Stromgebotszonen nur häufig angleichen.352 Im Ergebnis ist nach diesen Überlegungen die Beeinträchtigung des Marktzugangs 347 Im Sinne des Urteils auch auch EuGH, Urt. v. 8. 3. 2001, Rs. C-405/98, EU:C:2001:135, Rdn. 18 – Gourmet International Products; EuGH, Urt. v. 23. 2. 2006, Rs. C-441/04, ECLI:EU:C:2006:141, Rdn. 20, 30 – A-Punkt Schmuckhandel. Einen Überblick über einzelne Urteile im Sinne von Kommission/Italien gibt Reyes y Ráfales, DVBl 2015, 268 (269 ff.). 348 EuGH, Urt. v. 10. 2. 2009, Rs. C-110/05, ECLI:EU:C:2009:66, Rdn. 34 – Kommission/ Italien. Zu bereits früheren Forderungen der Generalanwälte, den Marktzugang als Kriterium in der Dogmatik der Grundfreiheiten zu berücksichtigen, Dietz/Streinz, EuR 2015, 50 (51 f.). 349 EuGH, Urt. v. 10. 2. 2009, Rs. C-110/05, ECLI:EU:C:2009:66, Rdn. 37 – Kommission/ Italien. Zu dieser Rechtsprechung auch Classen, EuR 2009, 555 (555 ff.). Das Urteil in der Rs. Kommission/Italien wurde u.A. bestätigt in: EuGH, Urt. v. 4. 6. 2009, Rs. C-142/05, ECLI:EU:C:2009:336, Rdn. 24 – Mickelsson und Roos; EuGH, Urt. v. 2. 12. 2010, Rs. C-108/ 09, ECLI:EU:C:2010:725, Rdn. 48 bis 50 – Ker-Optika; EuGH, Urt. v. 26. 4. 2012, Rs. C-456/ 10, EU:C:2012:241, Rdn. 33 bis 35 – ANETT; EuGH, Urt. v. 23. 12. 2015, Rs. C-333/14, ECLI:EU:C:2015:845, Rdn. 32 – The Scotch Whisky Association. 350 Vgl. Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 34 – 36 AEUV Rdn. 51. 351 Dietz/Streinz, EuR 2015, 50 (59). 352 Die EU-Kommission verfolgt ein anderes Zielmodell, vgl. König/Baumgart, EuZW 2018, 491 (495).

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Kap. 3: Zu einer allgemeinen originären Leistungsdimension

wesentliche Voraussetzung des Tatbestands der Vorschriften zum freien Warenverkehr.353 Die Erwägungen legen auch nahe, dass das gleiche auch im Speziellen für die originäre Leistungsdimension der Art. 34 und 35 AEUV gelten muss. Aus den Erwägungen lässt sich auch schlussfolgern, dass die Frage, ob der Marktzugang beeinträchtigt ist, über die Frage einer reinen Diskriminierung der Marktteilnehmer hinausgeht. Der Marktzugang ist also ein Kriterium, welches im Rahmen des Beschränkungsverbots heranzuziehen ist, nicht aber im Rahmen des engeren, ebenfalls von den Vorschriften zum freien Warenverkehr umfassten, Diskriminierungsverbots. Das Diskriminierungsverbot hat einen deutlich kleineren Anwendungsbereich.354 In Bezug auf Art. 35 AEUV stellt sich das Marktzugangskriterium als Marktausgangskriterium dar.355 Fraglich ist aber, ob sich etwas anderes ergibt, da der Europäische Gerichtshof durch die Rechtsprechung in der Rechtsache Keck und Mithouard356 selbst Einschränkungen des Anwendungsbereichs des Art. 34 AEUV vorgenommen hat und sich diese mithin einschränkend auf die sehr weite Anwendungsvoraussetzung des Vorliegens einer Marktzugangs- bzw. Marktausgangsbeschränkung im Rahmen des Tatbestands der originären Leistungsdimension auswirken.357 So könnten nach der Rechtsprechung „den Absatz der inländischen Erzeugnisse und der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten rechtlich wie tatsächlich in der gleichen Weise berühren[de]“358 Beschränkungen vom Anwendungsbereich der Art. 34 und 35 AEUV ausgenommen werden, wenn es sich dabei um „Bestimmungen, die bestimmte Verkaufsmodalitäten beschränken oder verbieten“359 handelt. Danach stellten nur solche Maßnahmen eine Beschränkung der Warenverkehrsfreiheit dar, die produktbezogen sind; vertriebsbezogene Maßnahmen hingegen nicht.360 Während sich 353

Vgl. dazu auch die Überlegungen bei Dietz/Streinz, EuR 2015, 50 (58). Zur Diskussion, ob die Vorschriften zum freien Warenverkehr sich nicht lediglich auf ein Verbot willkürlicher Diskriminierungen beschränken auch Koch, Gewährleistungspflicht, S. 173 ff. 355 Zur unzutreffenden Reduktion der Vorschriften zur Ausfuhrfreiheit auf lediglich ein Verbot von Diskriminierungen Dietz/Streinz, EuR 2015, 50 (53 und 70 m. w. N.). 356 EuGH, Urt. v. 24. 11. 1993, verb. Rs. C-267/91 und C-268/91, ECLI:EU:C:1993:905 – Keck und Mithouard. Dieses Urteil bespricht Reich, ZIP 1993, 1815 (1815 ff.). Siehe allgemein zur Keck-Rechtsprechung auch Breitenmoser/Weyeneth, Europarecht, Rdn. 889 f.; Keun, Handlungspflichten, S. 53 ff.; Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 34 – 36 AEUV Rdn. 49 ff. 357 Riem, Grundfreiheiten, S. 265 f.; zur ähnlichen Frage in Bezug auf die Schutzpflichtendimension Koch, Gewährleistungspflicht, S. 167 f. 358 EuGH, 24. 11. 1993, verb. Rs. C-267/91 und C-268/91, ECLI:EU:C:1993:905, Rdn. 16 – Keck und Mithouard. 359 EuGH, 24. 11. 1993, verb. Rs. C-267/91 und C-268/91, ECLI:EU:C:1993:905, Rdn. 16 – Keck und Mithouard. 360 Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 34 – 36 AEUV Rdn. 49 m. w. N.; vgl. auch Oliver/Martínez Navarro, in: Barnard/Peers, European Union Law, 339 (350 f.). 354

C. Ausgestaltung

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die unzureichende Kapazität grenzüberschreitender Verbindungsleitungen noch unterschiedlich auf inländische Marktteilnehmer und solche aus anderen Mitgliedstaaten auswirkt, ist nämlich denkbar, dass innerstaatliche Infrastrukturengpässe für inländische Marktteilnehmer und solche aus anderen Mitgliedstaaten gleich wirken, da für innerstaatliche Leitungen in der Regel explizit keine Kapazitäten ausgewiesen werden. Die Erwägung aus der Entscheidung zur Rechtssache Keck und Mithouard lässt sich aber nur schwer mit dem Ziel der Vorschriften, den Binnenmarkt zu verwirklichen, vereinbaren, jedenfalls wenn diese als abschließend betrachtet werden. Vielmehr muss zur Verwirklichung des Binnenmarkts jede Region erreichbar sein.361 Dies gilt auch in Hinblick auf leitungsgebundene Märkte. Eine Region ist in einem leitungsgebundenen Markt nur dann erreichbar, wenn auch die innerstaatlichen Infrastrukturnetze ausreichend ausgebaut sind. Auch aus ökonomischer Sicht ist nicht ersichtlich, warum zwischen innerstaatlichen und grenzüberschreitenden Netzen und einzelnen Leitungen unterschieden werden sollte. Auch die transeuropäische Energieinfrastruktur-Verordnung 347/2013/EU362 unterscheidet nicht zwischen grenzüberschreitendem und innerstaatlichem Netzausbau, soweit grenzüberschreitende Auswirkungen festgestellt werden können.363 Art. 26 Abs. 2 AEUV definiert den Binnenmarkt als Raum ohne Binnengrenzen ohne dabei zwischen zwischenstaatlichen und innerstaatlichen Grenzen zu unterscheiden.364 Insgesamt stellt der Europäische Gerichtshof daher auch zu Recht darauf ab, einen Verstoß anzunehmen, wenn „die gegenseitige wirtschaftliche Durchdringung im Rahmen der [Union]“365 gehemmt wird. Zudem könnte er im Hinblick auf sein Urteil in der Rechtssache Kommission gegen Italien366 schlicht von der strikten Unterscheidung in und von produkt- und vertriebsbezogenen Maßnahmen abgewichen sein und nur noch auf den Marktzugang abstellen.367 Jedenfalls lässt sich der Auslegung die zwingende Un361 Vgl. zur Feststellung, dass eine Beeinträchtigung der Warenverkehrsfreiheit vorliegen kann, wenn auch nur ein Teil des mitgliedstaatlichen Gebietes betroffen ist Becker, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 34 AEUV Rdn. 34 m. w. N.; Schroeder, in: Streinz, EUV/ AEUV, Art. 34 AEUV Rdn. 33 m. w. N. Becker weist darauf hin, dass es „dabei […] keine Rolle [spielt], dass in solchen Fällen regelmäßig auch die in anderen Landesteilen hergestellten Waren von der Einfuhr ausgeschlossen sind.“ 362 Siehe Fn. 180. 363 Vgl. auch Kapitel 2 C. I. 364 Vgl. EuGH, Urt. v. 9. 9. 2004, Rs. C-72/03, ECLI:EU:C:2004:506, Rdn. 23 – Carbonati Apuani. 365 EuGH, Urt. v. 25. 4. 1985, Rs. C-207/83, ECLI:EU:C:1985:161, Rdn. 17 – Kommission/ Vereinigtes Königreich. 366 EuGH, Urt. v. 10. 2. 2009, Rs. C-110/05, ECLI:EU:C:2009:66, Rdn. 37 – Kommission/ Italien. 367 Behrens, Marktöffnungs- und Wettbewerbsrecht, Rdn. 139; Oliver/Martínez Navarro, in: Barnard/Peers, European Union Law, 339 (351 f.). Zur Frage des Verhältnisses der „DreiStufen“-Rspr. zur Keck-Rspr. Cremer/Bothe, EuZW 2015, 413 (416 ff.); Dietz/Streinz, EuR 2015, 50 (69 f.).

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Kap. 3: Zu einer allgemeinen originären Leistungsdimension

terscheidung von produkt- und vertriebsbezogenen Maßnahmen nicht unmittelbar entnehmen. Zudem scheidet die Anwendbarkeit der Keck-Rechtsprechung auf die hier im Schwerpunkt erörterte Frage schon von vornherein aus, würde sich ihre Aussage doch darauf beschränken, dass vertriebsbezogene Beschränkungen vom Anwendungsbereich der Art. 34 und 35 AEUV ausgenommen wären; die Frage nach der Gewährleistung von Infrastruktur ist nämlich produktbezogen. Die Erwägungen aus der Entscheidung in der Rechtssache Keck und Mithouard sind mithin nicht für die Konturierung des Tatbestands der originären Leitungsdimension der Vorschriften zum freien Warenverkehr heranzuziehen. Letztlich stellt der Europäische Gerichtshof aber auch bereits mit der Entscheidung in der Rechtssache Keck und Mithouard grundsätzlich auf den Marktzugang als Kriterium ab.368 Die Keck-Rechtsprechung stellt sich nämlich nur als eine vom Europäischen Gerichtshof getroffene (bedenkliche) Ausgestaltung der Frage nach einer Marktzugangsbeeinträchtigung dar. Auszugsweise sei hier aus Keck und Mithouard angeführt: „Demgegenüber ist entgegen der bisherigen Rechtsprechung die Anwendung nationaler Bestimmungen, die bestimmte Verkaufsmodalitäten beschränken oder verbieten, auf Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten nicht geeignet, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten im Sinne des Urteils Dassonville […] unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern, sofern diese Bestimmungen für alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer gelten, die ihre Tätigkeit im Inland ausüben, und sofern sie den Absatz der inländischen Erzeugnisse und der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten rechtlich wie tatsächlich in der gleichen Weise berühren. Sind diese Voraussetzungen nämlich erfüllt, so ist die Anwendung derartiger Regelungen auf den Verkauf von Erzeugnissen aus einem anderen Mitgliedstaat, die den von diesem Staat aufgestellten Bestimmungen entsprechen, nicht geeignet, den Marktzugang für diese Erzeugnisse zu versperren oder stärker zu behindern, als sie dies für inländische Erzeugnisse tut. Diese Regelungen fallen daher nicht in den Anwendungsbereich von Artikel 30 EWG-Vertrag.“369

Vertriebsbezogene Maßnahmen seien also deshalb grundsätzlich auszunehmen, weil sie den Marktzugang im Regelfall nicht behinderten. So formulierte der Europäische Gerichtshof in der Rechtssache Gourmet International Products: „Nach Randnummer 17 des Urteils Keck und Mithouard fallen nationale Bestimmungen, die bestimmte Verkaufsmodalitäten beschränken oder verbieten, nur dann nicht in den Anwendungsbereich des Artikels [… 34 AEUV], wenn sie nicht geeignet sind, den Markt-

368

Vgl. dazu auch Jansson/Kalimo, CMLRev 2014, 523 (523 ff.). Vgl. zur Interpretation der Keck-Rspr. in Bezug auf das Verhältnis zum Marktzugang Schroeder, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 34 AEUV Rdn. 41 ff. 369 EuGH, Urt. v. 24. 11. 1993, verb. Rs. C-267/91 und C-268/91, ECLI:EU:C:1993:905, Rdn. 16 f. – Keck und Mithouard. Hervorhebung durch den Verfasser. Bestätigend EuGH, Urt. v. 8. 3. 2001, Rs. C-405/98, ECLI:EU:C:2001:135, Rdn. 18 – Gourmet International Products.

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zugang für Erzeugnisse aus einem anderen Mitgliedstaat zu versperren oder stärker zu behindern, als sie dies für inländische Erzeugnisse tun.“370

Anders gewendet, und so demnach zu Recht auch vom Europäischen Gerichtshof gefordert,371 muss ein Zusammenhang des Hindernisses mit der Einfuhr der Waren bestehen. Unterstützend ist anzuführen, dass auch der Europäische Gerichtshof nie einen Beweis für eine tatsächlich den Handel behindernde Wirkung gefordert hat: es genügte dafür immer vielmehr das Potenzial einer Maßnahme.372 Auch die Literatur stellt in vielfach überzeugender Weise auf den Marktzugang ab.373 Sie ergänzt damit die Diskussion, deren wesentliche Impulse vor allen Dingen von den Generalanwälten ausgegangen sind.374 Insbesondere wurde bereits von Generalanwalt Jacobs statt den aus der Keck-Rechtsprechung zu entnehmenden Kriterien das Abstellen auf den Marktzugang vorgeschlagen, wobei dieses durch den dem Kartellrecht entlehnten de minimis-Test eingeschränkt werden sollte.375 Die Überlegung, die Grundfreiheiten wollten den Zugang zum Markt verwirklichen, während die Grundrechte vor der Einschränkung (wirtschaftlicher) Freiheit schützten,376 unterstützt diese Tendenz. In der Literatur wird darüber hinaus und analog zum Kartellrecht377 erwogen, eine Bestimmung des relevanten Markts in sachlicher, räumlicher und zeitlicher Hinsicht vorzunehmen.378 Auch in der Literatur werden verschiedenste Ansätze gefordert, um ein Ausufern des Marktkriteriums zu 370 EuGH, Urt. v. 8. 3. 2001, Rs. C-405/98, EU:C:2001:135, Rdn. 18 – Gourmet International Products. 371 EuGH, Urt. v. 31. 3. 1982, Rs. C-75/81, ECLI:EU:C:1982:117, Rdn. 9 – Blesgen; EuGH, Urt. v. 11. 7. 1990, Rs. C-23/89, ECLI:EU:C:1990:300, Rdn. 10 – Quietlynn und Richards/Southend Borough Council. 372 White, CMLRev 1989, 235 (236). 373 Classen, EuR 2004, 416 (418 f. m. w. N.); Dietz/Streinz, EuR 2015, 50 (59 ff.); Jansson/ Kalimo, CMLRev 2014, 523 (523 ff.). 374 Vgl. dazu im Überblick Dietz/Streinz, EuR 2015, 50 (51 f.). Siehe auch Generalanwalt Fennelly, Schlussanträge v. 16. 6. 1998, Rs. C-67/97, ECLI:EU:C:1998:294, Rdn. 20 – Bluhme. 375 Generalanwalt Jacobs, Schlussanträge v. 24.11. 1994, Rs. C-412/93, ECLI:EU:C:1994:393, Rdn. 42 – Leclerc-Siplec/TF1 und M6: „Wenn der Grundsatz darin besteht, daß alle Unternehmen ungehinderten Zugang zum gesamten Markt der Gemeinschaft haben sollten, dann besteht das sachgerechte Prüfungskriterium meines Erachtens darin, ob eine wesentliche Beschränkung dieses Zugangs vorliegt. Dies würde natürlich darauf hinauslaufen, dass in Artikel 30 [= Art. 34 AEUV] eine Prüfung nach dem Grundsatz „de minimis non curat praetor“ eingeführt würde. Sobald anerkannt ist, dass die Notwendigkeit besteht, den Anwendungsbereich des Artikels 30 [= Art. 34 AEUV] zu begrenzen, um übermäßige Eingriffe in die Regelungsbefugnisse der Mitgliedstaaten zu verhindern, erscheint eine Prüfung, bei der darauf abgestellt wird, in welchem Umfang eine Maßnahme den Handel zwischen Mitgliedstaaten dadurch behindert, daß sie den Marktzugang beschränkt, als die am ehesten einleuchtende Lösung.“; darauf hinweisend Dietz/ Streinz, EuR 2015, 50 (51). Vgl. auch die Nachweise bei Jansson/Kalimo, CMLRev 2014, 523 (526). 376 Möstl, EuR 2002, 318 (328). 377 Dazu dann auch unten in Kapitel 5 D. II. 2. a). 378 Dietz/Streinz, EuR 2015, 50 (60 ff.).

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vermeiden.379 Auf der anderen Seite lassen sich aber auch grundsätzliche Bedenken finden:380 Zum einen sei die Frage nach der Beeinträchtigung des Marktzugangs zu unbestimmt, weshalb bei der Anwendung des Kriteriums die dazu ergangenen Entscheidungen des Gerichtshofs im Zentrum der Untersuchung stünden, und es bestünden daher bereits konzeptionelle Probleme.381 Andererseits ließe eine Auslegung im Hinblick auf das Binnenmarktziel nur die Betrachtung zu, wie der durch die fragliche Maßnahme Benachteiligte in einem „hypothetischen Binnenmarkt stünde“; die Grundfreiheiten würden darüber hinaus keine Besserstellung der Betroffenen bezwecken.382 Diese grundsätzliche Kritik überzeugt hingegen nicht, da eine Beeinträchtigung des Marktzugangs durchaus zu bestimmen ist. Zuzugeben ist, dass das Marktzugangskriterium einen besonders großen Anwendungsbereich der Vorschriften zum freien Warenverkehr eröffnet. Allerdings ist die Berufung auf ein enges Verständnis des Binnenmarktziels nicht belegbar: im Gegenteil lässt sich anhand der Präambeln der Verträge feststellen, dass die Verträge eine immer stärkere Integration bezwecken. d) Mit Blick auf den effet utile sind die Kriterien der Wirkungsgleichheit und des Marktzugangs bzw. -ausgangs zu verbinden. Die Urteile in den Rechtssachen Kommission/Frankreich (1997)383 und Kommission/Italien (2009)384 ergeben dies zwar noch nicht unmittelbar, der Europäische Gerichtshof hat in der Entscheidung in der Rechtssache Kommission/Italien (2009) nur auf den Begriff der Maßnahme gleicher Wirkung abgestellt und also jede sonstige Maßnahme unter diese zweite Variante des Art. 34 AEUV gefasst. Nach den in dieser Untersuchung getroffenen Feststellungen385 kann der Begriff der Maßnahme allerdings aufgrund der Auslegungsgrenzen in Bezug auf den Wortlaut gerade kein Unterlassen umfassen. Möglich ist hingegen, dass jedes sonstige Unterlassen, das den Zugang zum Markt eines Mitgliedstaats für Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten behindert, als mengenmäßige Beschränkung im Sinne der Vorschrift verstanden werden könnte. Dies verlangt nicht nur die in dieser Untersuchung vorgenommene Auslegung in teleologischer Hinsicht unter Hinzuziehung des Grundsatzes des effet utile; es lässt sich auch ebenfalls ein Anknüpfungspunkt in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache Kommission/Frankreich (1997) finden. Indem der Europäische Gerichtshof anführt, dass Art. 34 AEUV „nicht nur Maßnahmen, die auf den Staat zurückzuführen sind und selbst Beschränkungen für den Handel zwischen 379

Vgl. nur Dietz/Streinz, EuR 2015, 50 (62 f.). Vgl. auch die Nachweise bei Jansson/Kalimo, CMLRev 2014, 523 (526). 381 Reyes y Ráfales, DVBl 2015, 268 (274). 382 Reyes y Ráfales, DVBl 2015, 268 (274 f.). 383 EuGH, Urt. v. 9. 12. 1997, Rs. C-265/95, ECLI:EU:C:1997:595, Rdn. 30 f. – Kommission/Frankreich. 384 EuGH, Urt. v. 10. 2. 2009, Rs. C-110/05, ECLI:EU:C:2009:66, Rdn. 37 – Kommission/ Italien. 385 Kapitel 3 B. II. 1. 380

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den Mitgliedstaaten schaffen“386 erfasse, stellt er inzident auch fest, dass staatliche Maßnahmen erst zu einer Beschränkung führen. Wenn also die zweite Variante der Vorschrift einen Tatbestand enthält, der die binnenmarktschädlichen Beschränkungen erst verursacht und diese Beschränkungen bereits durch die erste Variante der Vorschrift verboten sind, erscheint ein direkter Zugriff auf diese erste Variante durchaus möglich. Dass sich aus grammatikalischen, systematischen und teleologischen Aspekten auch keine Andersbehandlung des Art. 35 AEUV ergibt, wurde schon erläutert.387 Deshalb fällt unter eine mengenmäßige Beschränkung im Sinne der Art. 34 und 35 AEUV auch jedes Unterlassen, das den Zugang zu und den Ausgang aus dem Markt eines Mitgliedstaats für Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten behindert. Die hier erwogene Formel ergänzt damit auch die vielfach zitierte Rechtsprechung in der Rechtssache Dassonville (1974). Andere Ansätze, die zur Begründung eines originären Leistungsanspruchs aufgrund der Grundfreiheiten versuchen, die Dassonville-(1974)-Formel selbst zu modifizieren,388 sind durch die hier vorgenommene Begriffsbestimmung der mengenmäßigen Beschränkungen im Sinne der Art. 34 und 35 AEUV also schon nicht erforderlich. 2. Rechtswidrigkeit des Zustands Die Rechtswidrigkeit des Zustands ist allerdings keine Voraussetzung der originären Leistungspflicht. Im Rahmen der Schutzpflichtproblematik finden sich in der Literatur Stimmen, die das Vorliegen eines rechtswidrigen Zustands zur Voraussetzung für die Auslösung einer mitgliedstaatlichen Handlungspflicht machen.389 Dabei unterscheidet eine Auffassung zwischen der Rechtswidrigkeit nach nationalem Recht, die immer eine Schutzpflicht auslöse, und einer unionsrechtsspezifischen Rechtswidrigkeit, deren Voraussetzungen erst noch erarbeitet werden müssten.390 Eine andere Ansicht macht hingegen ausschließlich das nationale Recht zur Bestimmung der Rechtswidrigkeit zum Maßstab.391 Diese Auffassungen folgen der Erwägung, dass nicht jedes private Verhalten eine Handlungspflicht für die Mitgliedstaaten auslösen kann, da dann beispielsweise auch private Werbung unter den Anwendungsbereich der Vorschriften fiele.392 Folglich soll dadurch also eine aus386

EuGH, Urt. v. 9. 12. 1997, Rs. C-265/95, ECLI:EU:C:1997:595, Rdn. 30 – Kommission/ Frankreich. 387 S. o. Kapitel 3 B. II. 2. 388 Siehe Riem, Grundfreiheiten, S. 257 ff. Auch in Bezug auf die Schutzpflichtendimension schlägt Koch, Gewährleistungspflicht, S. 168 f., eine Modifikation der Dassonville-Formel vor. 389 So z. B. Hirsch, DAR 2000, 500 (503); Meurer, EWS 1998, 196 (199). 390 Meurer, EWS 1998, 196 (199). 391 Hirsch, DAR 2000, 500 (503). 392 Meurer, EWS 1998, 196 (198 f.); mit einem überzeugenden Lösungsansatz Kainer, JuS 2000, 431 (434): „Staatliche Schutzpflichten entstehen nur dann, wenn private Beeinträchti-

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Kap. 3: Zu einer allgemeinen originären Leistungsdimension

ufernde Anwendung der Vorschriften zum freien Warenverkehr vermieden werden. Insofern ist denkbar, auch für die originäre Leistungspflicht der Mitgliedstaaten das Vorliegen eines rechtswidrigen Zustands nach nationalem Recht zur Voraussetzung zu machen. Da es dann allerdings den Mitgliedstaaten an die Hand gegeben würde, selbst zu bestimmen, welche Verhaltensweisen und Zustände eine Gewährleistungspflicht auslösen, kann die Strafbarkeit oder Rechtswidrigkeit des Verhaltens nach nationalem Recht keine taugliche Begrenzung der Tatbestandsmäßigkeit sein.393 Es ergibt sich die Notwendigkeit einer unionsrechtlichen Beurteilung.394 In diesem Zusammenhang wird zur Frage nach den Voraussetzungen einer Schutzpflicht aus den Vorschriften zum freien Warenverkehr erwogen, dass auch die Rechtswidrigkeit der privaten Maßnahmen anhand eines unionsrechtlichen Maßstabs bestimmt werden könne.395 Normative Anknüpfungspunkte, die die Rechtswidrigkeit zu einem spezifischen Kriterium machen könnten, fehlen aber. Nichtsdestotrotz stellt sich natürlich die Frage, welche privaten Verhaltensweisen eine Schutzpflicht auslösen können. Dies ist aber nicht notwendigerweise an die Frage nach der Rechtswidrigkeit eines privaten Verhaltens zu knüpfen. Macht man hingegen die Rechtswidrigkeit zur Voraussetzung der Auslösung mitgliedstaatlicher Pflichten und sucht gleichzeitig nach den Voraussetzungen der Rechtswidrigkeit, handelt es sich um einen Zirkelschluss.396 Das Vorliegen eines rechtswidrigen Zustands ist deshalb weder in Bezug auf die Schutzpflicht397 noch auf die Leistungsdimension erforderlich. 3. Behinderungswille Auch das Erfordernis eines Behinderungswillens ist abzulehnen. In der Literatur wird im Rahmen der Auseinandersetzung mit der Schutzpflichtendimension vertreten, dass nur solche Beeinträchtigungen des Marktzugangs, jedenfalls im Hinblick auf privates Verhalten, eine Beeinträchtigung im Sinne der Art. 34 und 35 AEUV darstellen, die gerade auf die Beeinträchtigung des Marktzugangs gerichtet sind.398 gungen mit einem einseitig zwingenden Charakter privatautonom grenzüberschreitende Wirtschaftstätigkeit im Sinne der Grundfreiheiten verhindert oder erschwert.“ 393 So in Bezug auf die Schutzpflichtendimension Keun, Handlungspflichten, S. 53 m. w. N. 394 Letztlich so auch EuGH, Urt. v. 1. 7. 2014, C-573/12, ECLI:EU:C:2014:2037, Rdn. 74 m. w. N. – Ålands Vindkraft, der lediglich davon ausgeht, „dass der innergemeinschaftliche Handelsverkehr, ebenso wie durch eine Handlung, dadurch beeinträchtigt werden kann, dass ein Mitgliedstaat es versäumt, ausreichende Maßnahmen zur Beseitigung von Hemmnissen für den freien Warenverkehr zu treffen, die namentlich durch Handlungen von Wirtschaftsteilnehmern geschaffen, aber durch eine besondere Regelung des Mitgliedstaats ermöglicht wurden“; Keun, Handlungspflichten, S. 53 m. w. N. 395 Meurer, EWS 1998, 196 (199 f.). 396 Kainer, JuS 2000, 431 (434). 397 Im Ergebnis so auch Koch, Gewährleistungspflicht, S. 167. 398 Keun, Handlungspflichten, S. 55 f.

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Dadurch wird versucht, unerwünschte Ergebnisse, wie beispielsweise die Wertung eines Verkehrsunfalls in Grenznähe, der die Autobahn blockiert, als Beeinträchtigung der Warenverkehrsfreiheit, auszuschließen.399 Auch hier könnte darüber nachgedacht werden, diese Überlegungen für die Diskussion der Voraussetzungen einer originären Leistungspflicht aus den Vorschriften zum freien Warenverkehr nutzbar zu machen. Allerdings findet die Erwägung, einen subjektiven Behinderungswillen der beteiligten Akteure oder auch der Mitgliedstaaten zur Voraussetzung zu machen, keine Stütze in Wortlaut, Systematik oder Sinn und Zweck der Verträge. Das hier in Rede stehende Unterlassen erfordert also gerade nicht die Intention, den freien Warenverkehr zu beschränken. In diesem Sinne verlangt der Europäische Gerichtshof auch bereits für streitige Regelungen im Rahmen der Abwehrdimension nicht, dass diese die Beeinflussung von Handelsströmen bezwecken.400 4. Spürbarkeitskriterium, Relevanzregel, Kernbereich Der zum Teil weite Anwendungsbereich der Vorschriften zum freien Warenverkehr führte zu der Forderung in der Literatur, eine Spürbarkeitsgrenze einzuführen.401 Diese ist allerdings, wie die folgenden Ausführungen zeigen, sowohl in ihrer Ausprägung als Spürbarkeitskriterium, Relevanzregel oder als Beschränkung auf einen Kernbereich der Vorschriften aus dogmatischen Gründen abzulehnen. Die Forderung gründet sich auf die Erwägung, dass nicht jedes private Verhalten eine Handlungspflicht für die Mitgliedstaaten auslösen könne, da dann beispielsweise auch private Werbung unter den Anwendungsbereich der Vorschriften fiele.402 Auch die Frage, ob eine „Erheblichkeitsschwelle“ begründet werden kann, wenn bereits den Marktzugang beschränkende Maßnahmen einen Verstoß gegen die Vorschriften zum freien Warenverkehr darstellen, wird diskutiert.403 Erst recht sollte diese Diskussion daher auf die Frage nach den Voraussetzungen einer originären, grundfreiheitlichen Leistungspflicht übertragen werden. So wird durch die einen originären grundfreiheitlichen Leistungsanspruch zuerkennende Literatur überlegt, ob sich eine Spürbarkeitsgrenze auch als taugliches Kriterium zur Konturierung der von 399

Siehe Keun, Handlungspflichten, S. 56; zum Beispiel des Verkehrsunfalls dies., S. 52. EuGH, Urt. v. 11. 7. 1985, verb. Rs. C-60/84 und C-61/84, ECLI:EU:C:1985:329, Rdn. 21 f. – Cinéthèque/Fédération nationale des cinémas français. 401 Fezer, JZ 1994, 623 (624 f. m. w. N.); Streil, in: Beutler/Bieber/Pipkorn/Streil, Rechtsordnung, S. 297. Koch, Gewährleistungspflicht, S. 169 ff., diskutiert die Spürbarkeitsgrenze ausführlich für die Schutzpflichtendimension. 402 Kainer, JuS 2000, 431 (434), mit einem überzeugenden Lösungsansatz: „Staatliche Schutzpflichten entstehen nur dann, wenn private Beeinträchtigungen mit einem einseitig zwingenden Charakter privatautonom grenzüberschreitende Wirtschaftstätigkeit im Sinne der Grundfreiheiten verhindert oder erschwert“. Siehe auch Koch, Gewährleistungspflicht, S. 164 und 169 ff. 403 Siehe Cremer/Bothe, EuZW 2015, 413 (416). Siehe ausführlich, systematisierend und an der Rechtsprechung des EuGH belegend Jansson/Kalimo, CMLRev 2014, 523 (527 ff.). 400

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Kap. 3: Zu einer allgemeinen originären Leistungsdimension

ihr als Begrenzungsmaßstab geforderten Mindestmaß-Formel eignet.404 Wenngleich eine Notwendigkeit der Beschränkung des Anwendungsbereichs der Vorschriften zum freien Warenverkehr sowohl in den bekannten Dimensionen405 wie auch hier besteht, lässt sich eine Spürbarkeitsgrenze nicht begründen: a) Das sog. „Spürbarkeitskriterium“ entstammt dem Kartellrecht; eine Wettbewerbsbeschränkung nach Art. 101 Abs. 1 AEUV ist nur dann verboten, wenn sie auch spürbar ist.406 Gleiches gilt in Bezug auf Art. 102 AEUV.407 Grund für die Annahme des Spürbarkeitskriteriums im Bereich des Kartellrechts ist insbesondere dessen Ziel: es bewirkt eine Abwägung zwischen den privaten Interessen des nach Gewinn strebenden Marktteilnehmers und dem Allgemeininteresse eines wettbewerblich orientierten Binnenmarkts.408 Dabei setzt die Spürbarkeit eine Schwelle fest, nach deren Überschreiten erst von einer Gefahr für den Wettbewerb zu sprechen wäre.409 Dieses dem Kartellrecht entlehnte Kriterium der Spürbarkeit wird allerdings sowohl von der Rechtsprechung410 als auch mehrheitlich von der Literatur411 zur Begrenzung des Tatbestands der Art. 34 und 35 AEUV abgelehnt. Diese Ablehnung begründet sich insbesondere dadurch, dass die Mitgliedstaaten zur Gemeinschaftstreue verpflichtet und daher stärker gebunden seien.412 Würde man jedenfalls das Spürbarkeitskriterium als Lösung des aufgezeigten Spannungsfelds von immer weiteren EU-Integration, mitgliedstaatlicher Solidarität und nationaler Souveränität anerkennen, würde dies zwar einen angemessenen Ausgleich der konkurrierenden Wertungen ergeben. Dem besonders bedeutsamen Integrationsziel könnte hingegen deutlich stärker Geltung verschafft werden, indem nicht bereits der Tatbestand der originären Leistungspflicht begrenzt wird, sondern erst deren Reichweite. Zudem lässt sich durch das weiter unten vorgeschlagene Kriterium413 besser auch an die mitgliedstaatlichen Kapazitäten anknüpfen, der 404

Riem, Grundfreiheiten, S. 263 f.; zur Mindestmaß-Formel gesondert Kapitel 3 C. II. 1. So auch EuGH, Urt. v. 13. 3. 1984, Rs. C-16/83, ECLI:EU:C:1984:101, Rdn. 20 – Prantl; White, CMLRev 1989, 235 (237 f. m. w. N.). White weist darauf hin, dass der EuGH Ausnahmen gemacht hat, diese sich aber insbesondere durch das Prinzip der Verhältnismäßigkeit ergäben; die Übertragbarkeit dieser Regel generell ablehnend Ganten, Drittwirkung, S. 141 ff. m. w. N.; Keun, Handlungspflichten, S. 59 f.; Roth, in: Due/Lutter/Schwarze, FS Everling, Bd. II, 1231 (1243 m. w. N.). 406 Weiß, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 101 AEUV Rdn. 85 m. w. N. 407 Weiß, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 102 AEUV Rdn. 75 m. w. N. 408 Keun, Handlungspflichten, S. 58 m. w. N. 409 Keun, Handlungspflichten, S. 58 m. w. N. 410 EuGH, Urt. v. 13. 3. 1984, Rs. C-16/83, ECLI:EU:C:1984:101, Rdn. 20 – Prantl; EuGH, Urt. v. 5. 4. 1984, verb. Rs. C-177/82 und C-178/82, ECLI:EU:C:1984:144, Rdn. 13 – Van de Haar; EuGH, Urt. v. 14. 3. 1985, Rs. C-269/83, ECLI:EU:C:1985:115, Rdn. 10 – Kommission/ Frankreich. Siehe dazu Mortelmans, CMLRev 2001, 613 (633 f.). 411 Siehe die Literaturangaben bei Keun, Handlungspflichten, S. 58; a. A. Fezer, JZ 1994, 317 (317 und 324), der zudem in der Keck-Rspr. die Einführung eines „Spürbarkeitstests“ sieht. 412 Keun, Handlungspflichten, S. 59 m. w. N. 413 Kapitel 3 C. II. 1. 405

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grundsätzlichen Leistungspflicht nachzukommen. Das Spürbarkeitskriterium würde nur die Auswirkungen der Beschränkung des freien Warenverkehrs berücksichtigen. b) Überlegenswert ist allerdings noch, ob das Spürbarkeitskriterium nicht als Ausfluss des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes angesehen werden kann, da eine auf Tatbestandsebene umfassende Pflicht zur Gewährleistung von Infrastruktur auf der Rechtfertigungsebene mit der Achtung der territorialen Souveränität der Mitgliedstaaten kollidiert. Bei der Kollision der Pflicht zum Ausbau der Infrastruktur mit der Achtung der territorialen Souveränität der Mitgliedstaaten könnte somit ein Ausgleich der entgegengesetzten vertraglichen Wertungen durch eine Verhältnismäßigkeitsprüfung geschehen. Allerdings überzeugt diese Überlegung nicht, da die Auslegung des Unionsprimärrechts erfordert, dass entgegenstehende systematische Wertungen wie die territoriale Souveränität der Mitgliedstaaten bereits auf Tatbestandsebene berücksichtigt werden. c) Das Spürbarkeitskriterium ergibt sich auch nicht allgemein aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Dieser findet nämlich erst auf der Stufe der Rechtfertigung Eingang in die Prüfung.414 Dort muss zunächst ein anerkannter Rechtfertigungsgrund gefunden werden. Allenfalls erscheint es möglich, eine gewisse Spürbarkeit auf Rechtfertigungsebene zu berücksichtigen, wenn Rechte Dritter betroffen sind. Da dies allerdings nicht zwangsläufig so sein muss, ist die Spürbarkeit an dieser Stelle, also auf Tatbestandsebene, abzulehnen. Zum besseren Verständnis sei hier klargestellt, dass sich das Spürbarkeitskriterium daher im kartellrechtlichen Rahmen auch erst durch eine Abwägung auf Rechtfertigungsebene ergeben würde, wenn die Vorschriften der Art. 101 AEUV und Art. 102 AEUV nicht bereits aufgrund ihres offenen Wortlauts die Möglichkeit eröffneten, die Spürbarkeit im Rahmen des Tatbestands zu berücksichtigen. Im Kartellrecht wird zwischen den privaten Interessen des nach Gewinn strebenden Marktteilnehmers (welche grundrechtlich verbürgt sind) und dem Allgemeininteresse eines wettbewerblich orientierten Binnenmarkts abgewogen.415 Mitgliedstaaten können sich hingegen nicht auf Grundrechte berufen, da diese als Abwehrrechte gegen den Staat konzipiert sind. d) Im Schrifttum gibt es hingegen die Auffassung, dass die vom Europäischen Gerichtshof postulierten „zwingenden Erfordernisse des Gemeinwohls“ auch bereits auf der Tatbestandsebene und nicht erst auf der Rechtfertigungsebene Einfluss in die Prüfung finden.416 Das Spürbarkeitskriterium könnte sich folglich als Ausgleich im Rahmen des Tatbestands zwischen Pflicht und zwingenden Erfordernissen des Gemeinwohls ergeben. So könnten bereits im Rahmen des Tatbestands Umwelt414 Anders wohl Meurer, EWS 1998, 196 (200), der Ansätze zur Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bereits bei der Frage nach einer Verletzung der Rechtspflicht in EuGH, Urt. v. 9. 12. 1997, Rs. C-265/95, ECLI:EU:C:1997:595 – Kommission/Frankreich, findet. 415 Keun, Handlungspflichten, S. 58 m. w. N. 416 Eilmansberger, JB 1999, 345 (347 und dort Fn. 7). Vgl. ausführlich auch Füller, Warenverkehrsfreiheiten, S. 44 ff.

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Kap. 3: Zu einer allgemeinen originären Leistungsdimension

belange und Interessen des Mitgliedstaats in künstlerischer, geschichtlicher oder archäologischer Hinsicht, kurz: kulturelle Belange, berücksichtigt werden. Durch die zwingenden Erfordernisse des Gemeinwohls könnte sich bereits eine Begrenzung des Tatbestands ergeben. Die Frage, ob die zwingenden Erfordernisse des Gemeinwohls Teil des Tatbestands sind oder vielmehr erst auf Rechtfertigungsebene heranzuziehen sind, ist letztlich eine Frage dessen, ob der sogenannten Innen- oder der sogenannten Außentheorie gefolgt wird.417 Dogmatisch überzeugend ist allerdings letztlich nur die Außentheorie, insbesondere da gegenüber der Innentheorie die Vorschriften bereits in allen Fällen eine Wirkung entfaltet, quasi also ein „Recht“ begründet wird, und ihnen daher nicht nur in den Fällen eine solche Position zukommt, in denen der Tatbestand nicht aufgrund von anderen vertraglichen Wertungen wie auch dem Verhältnismäßigkeitsprinzip abzulehnen ist.418 Daher kann auch die tatbestandliche Einschränkung nicht bereits durch zwingende Erfordernisse des Gemeinwohls vorgenommen werden. Mithin überzeugt diese Unterscheidung zwischen geschriebenen Rechtfertigungsgründen des Art. 36 AEUV und ungeschriebenen zwingenden Erfordernissen des Gemeinwohls bereits in dogmatischer Hinsicht nicht und erscheint daher als nicht sachgerecht. Sie finden damit beide erst Berücksichtigung auf der Rechtfertigungsebene. e) Bei der sogenannten Relevanzregel handelt es sich letztlich um das Spürbarkeitskriterium, aber nicht in Hinblick darauf, wie intensiv eine Beeinträchtigung ist, sondern wie wahrscheinlich ihr Eintritt ist.419 Sie wird auf den Ausspruch des Europäischen Gerichtshofs bezogen, der in der Zeit vor der Keck-Rechtsprechung solche Beeinträchtigungen nicht als Verstoß gegen die Vorschriften zum freien Warenverkehr angesehen hat, die „zu ungewiss und zu indirekt“ seien.420 Teile der Literatur sprechen sich dafür aus, dass potenzielle Beeinträchtigungen des Marktzugangs keinen Verstoß gegen die Vorschriften zum freien Warenverkehr darstellen.421 Allerdings geben Wortlaut und Systematik eine solche Relevanzregel nicht her. f) Überlegungen, die die Frage betreffen, ob der Tatbestand der grundfreiheitlichen Schutzpflicht erst dann gegeben ist, wenn sich die wirtschaftlichen Kräfte des Binnenmarkts nicht mehr selbstregulieren können,422 lassen sich zwar grundsätzlich auch für die originäre Leistungsdimension der Vorschriften zum freien Warenverkehr anstellen.423 So könnte man überlegen, dass eine originäre Leistungsdimension erst 417

Überzeugend Füller, Warenverkehrsfreiheiten, S. 47 ff. Überzeugend Füller, Warenverkehrsfreiheiten, S. 49 f. 419 Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 34 – 36 AEUV Rdn. 55. 420 EuGH, Urt. v. 13. 10. 1993, Rs. C-93/92, ECLI:EU:C:1993:838 – CMC Motorradcenter/Baskiciogullari; dazu Fezer, JZ 1994, 623 (624); Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/ AEUV, Art. 34 – 36 AEUV Rdn. 55 m. w. N.; Mortelmans, CMLRev 2001, 613 (634 m. w. N.). 421 So Cremer/Bothe, EuZW 2015, 413 (416 ff.). 422 Koch, Gewährleistungspflicht, S. 173. 423 Riem, Grundfreiheiten, S. 264 f. 418

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dann bejaht werden kann, wenn der Kernbereich des freien Warenverkehrs betroffen ist. 424 Zu beachten ist aber, dass die Frage nach der Gewährleistung von Infrastruktur immer bereits einen Bereich des Regulierungsrechts betrifft, in dem der Staat als Behörde auftritt, die die unterschiedlichen Projekte zu genehmigen hat. Durch die Zuerkennung einer originären Leistungsdimension soll gerade freier Warenverkehr ermöglicht werden. Zudem würde diese einem Spürbarkeitskriterium sehr ähnliche und eher ausdruckslose Formel der Wertung der nationalen Souveränität zu viel Gewicht zumessen und damit Integrations- und Solidaritätsziel nicht ausreichend Geltung verschaffen. 5. Höhere Gewalt Eine weitere Voraussetzung ergibt sich aus dem allgemeinen eigenständigen Rechtsgedanken der höheren Gewalt. Sinn und Zweck der Vorschriften zum freien Warenverkehr kann es nicht sein, vom Mitgliedstaat Unmögliches zu verlangen. Die reine Beeinträchtigung aufgrund eines Ereignisses höherer Gewalt kann daher nicht tatbestandlich sein. Höhere Gewalt ist dabei zwar kein allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts, aber ein allgemeiner, eigenständiger Rechtsgedanke, der „Züge des allgemeinen Gedankens der Billigkeit sowie des allgemeinen Gedankens der Unmöglichkeit“ trägt.425 Wenn es sich „in Abhängigkeit von dem Bereich, in dem der Begriff seine Wirkung entfalten soll[,] um einen vom Willen des Betroffenen unabhängigen, unvorhersehbaren und außergewöhnlichen Umstand [handelt], der als unvermeidbare Folge die Rechtspflichtverletzung nach sich zieht“426,

kann dem Mitgliedstaat kein Vorwurf gemacht werden, seiner aus den Vorschriften zum freien Warenverkehr resultierenden Leistungspflicht nicht nachgekommen zu sein. Erst wenn er im Nachgang zu diesem Ereignis höherer Gewalt nichts unternimmt, um die Beeinträchtigung abzuwenden, sollte der Tatbestand mit Blick auf Sinn und Zweck der Vorschriften erfüllt sein. Diese Einschränkung durch höhere Gewalt ist auch durch den Europäischen Gerichtshof in anderen Fallkonstellationen in ständiger Rechtsprechung anerkannt. So „können es […] unüberwindliche Schwierigkeiten einem Mitgliedstaat unmöglich machen, die ihm nach dem Gemeinschaftsrecht obliegenden Verpflichtungen einzuhalten“427. 424

Riem, Grundfreiheiten, S. 264 f.; in Bezug auf die Schutzpflicht finden sich ähnliche Überlegungen auch bei Koch, Gewährleistungspflicht, S. 170. 425 Soetebeer, Gewalt, S. 140 ff. m. w. N. Das Zitat stammt von S. 153. 426 Soetebeer, Gewalt, S. 72 ff. (u.A. mit Hinweis auf EuGH, Urt. v. 9. 2. 1984, Rs. C-284/82 ECLI:EU:C:1984:47, Rdn. 11 – Busseni/Kommission; EuGH, Urt. v. 12. 7. 1984, Rs. C-209/83, ECLI:EU:C:1984:274, Rdn. 21 ff. – Valsabbia/Kommission). 427 EuGH, Urt. v. 29. 1. 1998, Rs. C-280/95, ECLI:EU:C:1998:28, Rdn. 16 – Kommission/ Italien; siehe auch EuGH, Urt. v. 11. 7. 1985, Rs. C-101/84, ECLI:EU:C:1985:330, Rdn. 16 – Kommission/Italien.

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Kap. 3: Zu einer allgemeinen originären Leistungsdimension

Eine Beschränkung des freien Warenverkehrs stellt daher, entsprechend dem, was der Europäische Gerichtshof in Bezug auf höhere Gewalt und Verpflichtungen des Mitgliedstaats aus einer Richtlinie entschieden hat, in der „Zeit, die eine Verwaltung bei der Anwendung gewöhnlicher Sorgfalt objektiv benötigt“, um das Hindernis zu beseitigen, keinen Verstoß gegen die Verträge dar.428 Damit höhere Gewalt vorliegt müssen „die Folge der Unmöglichkeit der Rechtspflichterfüllung“ sowie ein „besondere[…r], weil im Einzelfall unzumutbare[…r], Umstand“ zusammenkommen.429 6. Eigenständige Begründung der Pflicht Die Auslegung hat ergeben, dass die Art. 34 und 35 AEUV alleine eine ausreichende Grundlage für die Begründung einer originären Leistungspflicht der Mitgliedstaaten zum Ausbau von Infrastruktur bilden. Daher ergibt sich auch nicht die Notwendigkeit, die Vorschriften in Verbindung mit Art. 4 Abs. 3 EUV heranzuziehen, um das Untersuchungsziel zu erreichen. In der Literatur wird die grundfreiheitliche Leistungsdimension ebenfalls ohne eine Anwendung in Verbindung mit Art. 4 Abs. 3 EUV begründet; dort wird die Erwägung angeführt, dass es sich bei den grundfreiheitlichen Leistungspflichten um originäre mitgliedstaatliche Pflichten handele und Art. 4 Abs. 3 EUV nur dann herangezogen werden müsse, wenn es gelte, wie in der Schutzpflichtenkonstellation, eine Garantenstellung zu begründen.430 Eine Garantenstellung ist dann notwendig, wenn dem Tatbestand eines Handelns ein Unterlassen gleichgestellt werden soll.431 Ob aber selbst in der Schutzpflichtenkonstellation eine Anwendung der Art. 34 und 35 AEUV i. V. m. Art. 4 Abs. 3 EUV notwendig ist, ist umstritten.432 Auch in Bezug auf die Schutzpflichtendimension überzeugt die Annahme, dass diese bereits durch eine eigenständige Anwendung der Vorschriften zum freien Warenverkehr begründet wird: Sowohl hinsichtlich der Leistungsdimension wie auch der Schutzpflichtendimension erfüllt ein Unterlassen aufgrund des anzulegenden Kriteriums der Wirkungsgleichheit bereits aus sich heraus den Tatbestand;433 ein Unterlassen muss dem Handeln also nicht erst gleichgestellt werden. Im Übrigen könnte man für die Schutzpflichtendimension bereits überlegen, dass sich die rechtsmethodisch geforderte Garantenstellung durch die Vorschriften der Art. 34 und 35 AEUV selbst begründet. Die Auslegung hat jedenfalls gezeigt, dass die originäre Leistungspflicht zur Gewährleistung von In428 Siehe EuGH, Urt. v. 11. 7. 1985, Rs. C-101/84, ECLI:EU:C:1985:330, Rdn. 16 – Kommission/Italien. 429 Soetebeer, Gewalt, S. 153. 430 Riem, Grundfreiheiten, S. 112. 431 Schwarze, EuR 1998, 53 (54 m. w. N.). 432 Vgl. Becker, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 34 Rdn. 12 m. w. N.; diesbzgl. a. A. wohl Generalanwalt Lenz, Schlussanträge v. 9. 7. 1997, Rs. C-265/95, ECLI:EU:C:1997:346, Rdn. 12 – Kommission/Frankreich. 433 Siehe dazu Kapitel 3 C. I. 1.

C. Ausgestaltung

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frastruktur über die Vorschriften zum freien Warenverkehr wegen ihres offenen Wortlauts unter Bezugnahme des Grundsatzes des effet utile und des deshalb anzulegenden Kriteriums der Wirkungsgleichheit ohne Heranziehung weiterer Vorschriften begründet werden kann.

II. Reichweite 1. Nur dasjenige, was die Vertragsgemeinschaft vernünftigerweise vom Mitgliedstaat verlangen kann a) Die hier nachgewiesene originäre und warenverkehrsfreiheitliche Leistungspflicht ist auf dasjenige, was die Vertragsgemeinschaft vernünftigerweise vom Mitgliedstaat verlangen kann, zu begrenzen. In der Literatur wird vertreten, dass sich der Umfang einer originären Leistungsdimension der Grundfreiheiten lediglich auf einen Minimalstandard erstrecken kann: auf ein sog. „Mindestmaß“, einen „unerlässlichen grundfreiheitlichen Mindest(gewährleistungs)standard“.434 Dabei wird der Versuch unternommen, die sehr unbestimmte Mindestmaßformel anhand bekannter Diskussionen um die Einschränkung der grundfreiheitlichen Tatbestände zu konkretisieren.435 Da diese Forderung nach einer Begrenzung auf den Minimalstandard im Rahmen der Begründung eines originären Leistungsanspruchs erhoben wird, begründet sie sich dadurch, dass „niemand […] in irgendeinem Lebensbereich Anspruch auf staatliche Leistungen im Umfang eines optimalen Standards eigener Wünsche und Interessen erheben [könne], da sich die Verteilung von Ressourcen an einem gesamtgesellschaftlichen Interessenausgleich zu orientieren“

habe.436 Diese Argumentation resultiert in der Überlegung, dass es sich bei der Begründung einer originären Leistungsdimension der Grundfreiheiten um die Zuerkennung eines subjektiven Anspruchs handelt. Für das Untersuchungsziel der Zuerkennung einer objektiven originären Leistungspflicht kann sie folglich nicht herangezogen werden. Aufgrund der besonderen Wichtigkeit, die der freie Warenverkehr für das zentrale Ziel der Verträge der immer engeren Union, der Verwirklichung des Binnenmarkts und auch der Stärkung der Solidarität zwischen den mitgliedstaatlichen Völkern darstellt, sowie der teleologischen Auslegung am Maßstab des effet utile, überzeugt die Beschränkung auf lediglich einen Minimalstandard nicht. Wenngleich die eine originäre Leistungsdimension zuerkennende Literatur erwägt, dass 434

Riem, Grundfreiheiten, S. 196 und 263. Riem, Grundfreiheiten, S. 263 ff. 436 Riem, Grundfreiheiten, S. 196 unter Bezug u.A. auf Sendler, DÖV 1978, 581 (586), der Teilhabe- und Leistungsrechte im grundgesetzlichen Rahmen analysiert. 435

102

Kap. 3: Zu einer allgemeinen originären Leistungsdimension

„ohne ein Korrektiv in Form einer tatbestandlichen Restriktion der originären Leistungspflichten […] es […] zu einer Ausuferung des Anwendungsbereiches der europäischen Grundfreiheiten [… komme], die weit über deren Zielsetzung [… hinausschieße]“437,

stellt sich diese Erwägung an sich nur als Behauptung dar, ohne dabei die genaue Zielsetzung der Grundfreiheiten zu belegen. Sie greift damit eine ähnliche Argumentationsstruktur auf, wie sie von den Vertretern der Ansicht, dass keine originäre Leistungsdimension der Grundfreiheiten bestehe,438 angebracht wird und verbleibt damit ohne normative Anknüpfung und methodische Unterlegung. Wenn eine Restriktion der hier begründeten Leistungspflicht anzunehmen ist, dann muss sich diese aus der Auslegung der Vorschriften, die die originäre Leistungspflicht begründen, ergeben. b) Die Beschränkung der Reichweite der Pflicht ergibt sich aus einer Berücksichtigung der notwendigen Achtung der territorialen Souveränität der Mitgliedstaaten, die bei der systematischen Auslegung mit Blick auf Art. 172 S. 2 AEUV und Art. 4 Abs. 2 S. 2 EUV ermittelt wurde. Das Spannungsfeld, in dem sich die Auslegung von Art. 34 und 35 AEUV bewegt, ist durch eine sich aus der Kollision der gegensätzlichen Wertungen ergebende Beschränkung auf dasjenige, was die Vertragsgemeinschaft vernünftigerweise vom Mitgliedstaat verlangen kann, zu lösen. Sie gründet sich dogmatisch auf den Vorbehalt des Möglichen. Der Kritik, dass etwas Unmögliches auch nicht geschuldet sein kann,439 wird durch die hier vorgenommene Beschränkung der Pflicht abgeholfen. Diese Überlegungen gründen sich auf ähnliche Erwägungen, die bereits im Rahmen originärer Leistungspflichten aus den deutschen Grundrechten durch das Bundesverfassungsgericht angestellt wurden. So erwog es im Rahmen des viel beachteten Urteils in der Rechtssache numerus clausus I: „Auch soweit Teilhaberechte nicht von vornherein auf das jeweils Vorhandene beschränkt sind, stehen sie doch unter dem Vorbehalt des Möglichen im Sinne dessen, was der Einzelne vernünftigerweise von der Gesellschaft beanspruchen kann. Dies hat in erster Linie der Gesetzgeber in eigener Verantwortung zu beurteilen, der bei seiner Haushaltswirtschaft auch andere Gemeinschaftsbelange zu berücksichtigen und nach der ausdrücklichen Vorschrift des Art. 109 Abs. 2 GG den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts Rechnung zu tragen hat.“440

437

Riem, Grundfreiheiten, S. 261. Dazu oben Kapitel 3 B. III. 3. 439 Füller, Warenverkehrsfreiheiten, S. 42. Zur „tatsächliche[n] sowie rechtliche[n] Handlungsmöglichkeit“ im Rahmen der Schutzpflichtendimension Koch, Gewährleistungspflicht, S. 182 f. 440 BVerfG, Urt. v. 18. 7. 1972, 1 BvL 32/70 und 25/71, BVerfGE 33, 303, Rdn. 70 – numerus clausus I. Hervorhebungen durch den Verfasser. Ausführlich zum Urteil Unruh, Verfassungsbegriff, S. 552. In Bezug auf die Schweiz vgl. Schweizer, in: Ehrenzeller/Schindler/ Schweizer/Vallender, Bundesverfassung, Art. 35 Rdn. 18: „Dass solche Leistungen staatlicherseits nur begrenzt erbracht werden können, ist unbestritten (BGE 138 I 225 E. 3.5, 229; vgl. Rz. 22).“ 438

C. Ausgestaltung

103

Die vertragliche Wertung, die territoriale Souveränität der Mitgliedstaaten zu achten, findet somit Eingang in die Auslegung. Die Beschränkung der originären Leistungspflicht zum Ausbau von Infrastruktur auf dasjenige, was die Vertragsgemeinschaft vernünftigerweise vom Mitgliedstaat verlangen kann, begrenzt die Reichweite der zuerkannten originären Leistungspflicht, ist für diese aber keine Voraussetzung und hindert sie damit auch nicht an ihrem Entstehen. Durch diese allgemeine und grundsätzliche Begründung der Pflicht kommt der besonderen Bedeutung des vertraglichen Integrationsziels bei der Auslegung eine angemessene Geltung zu. Die Einschränkung begründet sich auch durch die Erwägung, dass das Recht den Kontext und seine Konsequenzen nicht gänzlich außer Acht lassen darf.441 Zudem findet sie auch einen ausdrücklichen Anknüpfungspunkt in den oben geschilderten Erwägungen bzgl. der Art. 119 und 120 AEUV.442 c) Die hier vertretende Ansicht der Einschränkung der originären Leistungspflicht aus den Vorschriften zum freien Warenverkehr auf dasjenige, was die Vertragsgemeinschaft vernünftigerweise vom Mitgliedstaat verlangen kann, wird sich der Kritik zu stellen haben, eine gewisse Unschärfe mit sich zu bringen. Fraglich ist folglich, welche Kriterien herangezogen werden können, um diese recht allgemeine Formel zu konkretisieren. Wieweit die originäre Leistungspflicht zum Ausbau von Infrastruktur aufgrund der Vorschriften zum freien Warenverkehr im Einzelfall reicht, wird durch die Gerichte zu entscheiden sein. Vernünftigerweise kann die Vertragsgemeinschaft vom Mitgliedstaat nur verlangen, was jedenfalls in einer Gesamtbetrachtung in Bezug auf die eigene Volkswirtschaft noch wirtschaftlich ist. Nur so können die Wertungen der Verträge, insbesondere die Wahrung der nationalen Souveränität und die Wertentscheidungen zur mitgliedstaatlichen Wirtschaftspolitik aus den Art. 119 und 120 AEUV angemessen berücksichtigt werden. Dabei können sowohl der einzelwirtschaftliche Nutzen443 wie auch die einzelwirtschaftlichen Kosten444 berücksichtigt werden. Insoweit finden sich hier auch die bereits in der Literatur zur Ausgestaltung der originären Leistungsdimension getroffenen Überlegungen zum „Vorbehalt des Möglichen“ und zur Verhältnismäßigkeit beim Verwaltungsaufwand wieder,445 wenngleich wohl dasjenige was jedenfalls in einer Gesamtbetrachtung in Bezug auf die eigene Volkswirtschaft noch wirtschaftlich ist, im Einzelfall zu einer unterschiedlich weitreichenden Pflicht führen kann. Dies kann auch bedeuten, dass der Mitgliedstaat die Nutzer einer Infrastruktur durch eine Gebühr, bspw. in Form einer (angemessenen) Autobahnmaut oder eines Netzentgeltes (unabhängig davon, ob es auf die End441

Zu dieser Erwägung Post, Califomia Law Review 2010, 1319 (1319 ff.). Zu deren Einfluss auf die hier getätigte Auslegung Kapitel 3 B. IV. 7. 443 Dazu Jarass, EWeRK 2016, 169 (169). 444 Dazu Jarass, EWeRK 2016, 169 (169 f.). Vgl. allgemein zu den Kosten von aus Grundrechten resultierenden Pflichten Wischmeyer, Kosten. 445 Riem, Grundfreiheiten, S. 269 ff. und 274 f. Vgl. auch zur „Rolle geordneter Finanzen als ,Wirksamkeitsvoraussetzung‘ der Grundrechte“ (S. 2); Wischmeyer, Kosten. 442

104

Kap. 3: Zu einer allgemeinen originären Leistungsdimension

kunden umgelegt wird oder nicht), an der Finanzierung des (Strecken-)Netzes beteiligen kann. Zudem sind Effizienzgesichtspunkte bei der Bestimmung des gebotenen Ausbaus zu berücksichtigen. Ferner scheint es angemessen, bei der Bestimmung dessen, was die Vertragsgemeinschaft vernünftigerweise vom Mitgliedstaat verlangen kann, auch diejenigen Mittel zu berücksichtigen, die die Union Kraft ihrer Unterstützungskompetenz bereitstellt, wie beispielsweise Unterstützungsfonds. Durch letztere kann sich dasjenige, was in Bezug auf die eigene Volkswirtschaft noch wirtschaftlich ist, anders darstellen. Da Umwelt- und Kulturbelange erst bei der Abwägung der entgegenstehenden Interessen auf Rechtfertigungsebene zu berücksichtigen sind, können die sozialen Kosten des Netzausbaus446 hingegen auch erst dort angerechnet werden. Die Art. 34 und 35 AEUV binden die Mitgliedstaaten gleichermaßen. Folglich besteht auch keine rechtliche Verpflichtung, solche Mitgliedstaaten, die sich im Vergleich mit den anderen Mitgliedstaaten in einer „erheblich nachteilig abweichenden wirtschaftlichen Gesamtlage“ befinden, von ihrer Verpflichtung aus der originären Leistungsdimension447 und damit zu einem Ausbau der Infrastruktur auszunehmen. Überdies würde der Mitgliedstaat auch durch eine besser ausgebaute Infrastruktur von einem stärkeren freien Warenverkehr profitieren und damit zudem in einer absehbaren Zeit seine wirtschaftliche Lage verbessern. Nach dem vorher gesagten kann einen Mitgliedstaat in einer schlechteren wirtschaftlichen Lage allerdings eine weniger weit reichende Ausbauverpflichtung treffen. Von einem Mitgliedstaat wird die Vertragsgemeinschaft vernünftigerweise nicht verlangen können, Leistungen vorzunehmen, die im Zuständigkeitsbereich eines anderen Mitgliedstaats liegen. Beispielsweise kann der Mitgliedstaat nicht ohne Weiteres eine Brücke über den Grenzfluss errichten, ohne das Einverständnis des anderen betroffenen Mitgliedstaats einzuholen. Gleiches gilt beispielsweise aber auch für Unterseekabel in der Nordsee.448 Dasjenige, was die Vertragsgemeinschaft vernünftigerweise vom Mitgliedstaat verlangen kann, ist folglich insoweit zu konkretisieren, dass der verpflichtete Mitgliedstaat alles hinreichende und notwendige tun muss, um auf den Ausbau der Infrastruktur hinzuwirken. Dies kann bedeuten, dass er bei dem anderen – ebenfalls aus der Warenverkehrsfreiheit verpflichteten – Mitgliedstaat das Einverständnis einholen muss bzw. das Projekt gemeinsam umzusetzen hat. Außerdem kann die Vertragsgemeinschaft vernünftigerweise vom Mitgliedstaat nur verlangen, eine Beseitigung des Hindernisses durch den Ausbau der Infrastruktur in der dafür erforderlichen Zeit und nicht schneller vorzunehmen. Hierauf sind die Erwägungen des Europäischen Gerichtshofs, die er in Bezug auf höhere Gewalt und 446

Dazu Jarass, EWeRK 2016, 169 (170). Riem, Grundfreiheiten, S. 281 ff. 448 Vgl. hierzu nur die Hinweise auf Art. 2 und 3 des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen v. 10. 12. 1982 (BGBl. 1994 II S. 1799 ff.; SR 0.747.305.15) bei Zimmermann, DÖV 2003, 133 (134). 447

C. Ausgestaltung

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Verpflichtungen des Mitgliedstaats aus einer Richtlinie angeführt hat, zu übertragen: Eine Beschränkung des freien Warenverkehrs stellt in der „Zeit, die eine Verwaltung bei der Anwendung gewöhnlicher Sorgfalt objektiv benötigt“, um das Hindernis zu beseitigen, keinen Verstoß gegen die Verträge dar.449 Dies kann die Vertragsgemeinschaft mithin nicht vernünftigerweise vom Mitgliedstaat verlangen. d) Würde man den hier getroffenen Ansatz über die originäre Leistungsdimension hinaus auch auf die Schutzpflichtendimension übertragen, also auf sämtliche Sachverhalte, in denen ein aktives Einschreiten eines Mitgliedstaats zu fordern ist, könnte er dazu dienen, dass lediglich autonome Entscheidungen Privater, die den Binnenmarkt nicht wesentlich beeinträchtigen, keine Pflicht der Mitgliedstaaten begründen, gegen diese Beeinträchtigungen einzuschreiten.450 Dort wäre zu überlegen, ob sich dasjenige, was die Vertragsgemeinschaft vernünftigerweise vom Mitgliedstaat verlangen kann, insoweit konkretisiert, dass jedenfalls dann keine Handlungspflicht ausgelöst wird, „wenn der Import oder Export von Wirtschaftsleistungen nach wie vor von privatautonomen Entscheidungen abhängt.“451 2. Mitgliedstaatliches Ermessen a) Des Weiteren ergibt sich eine Einschränkung der dargelegten, originären Leistungspflicht durch ein mitgliedstaatliches Ermessen, da für den Mitgliedstaat unterschiedliche Möglichkeiten bestehen, dasjenige, was die Vertragsgemeinschaft vernünftigerweise vom Mitgliedstaat verlangen kann, zu realisieren. Diese Überlegung lässt sich bereits in Bezug auf die Schutzdimension finden; dort bestehen verschiedene Handlungsvarianten, wie der Mitgliedstaat den freien Warenverkehr vor der Beeinträchtigung durch Private bewahren kann.452 Diese Erwägung lässt sich ohne Weiteres auf die Fragestellung der hier getätigten Untersuchung übertragen und wird zudem bereits in der Literatur, die einen originären grundfreiheitlichen Leistungsanspruch zuerkennt, erörtert.453

449 Siehe EuGH, Urt. v. 11. 7. 1985, Rs. C-101/84, ECLI:EU:C:1985:330, Rdn. 16 – Kommission/Italien. Vgl. die Ausführungen in Kapitel 3 C. I. 5. für den Fall, dass das Hindernis aufgrund von höherer Gewalt entstanden ist. 450 Zum gleichgerichteten Versuch durch Hinzuziehung des Spürbarkeitskriteriums Koch, Gewährleistungspflicht, S. 171. 451 Diese Einschränkung schlägt Kainer, JuS 2000, 431 (434), vor, dessen Überlegung andererseits auch mit teleologischen Erwägungen begründet oder auch als Ausfluss der praktischen Konkordanz mit der allgemeinen Handlungsfreiheit der betroffenen Privaten auf Rechtfertigungsebene angesehen werden könnte. 452 Vgl. die Begründungen der Rspr.: EuGH, Urt. v. 9. 12. 1997, Rs. C-265/95, ECLI:EU:C:1997:595, Rdn. 33 – Kommission/Frankreich; EuGH, Urt. v. 12. 6. 2003, Rs. C112/00, ECLI:EU:C:2003:333, Rdn. 93 – Schmidberger; sowie Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 1, Rdn. 208 f.; Meier, EuZW 1998, 84 (87); Meurer, EWS 1998, 196 (200). 453 Riem, Grundfreiheiten, S. 297 f.

106

Kap. 3: Zu einer allgemeinen originären Leistungsdimension

b) Die Überlegung, die Reichweite der originären Leistungspflicht durch ein mitgliedstaatliches Ermessen zu begrenzen, erfolgt auch aus dem Umstand, dass die Union eben keine Kompetenz zum Ausbau der Infrastruktur hat, sondern dazu nur beitragen kann.454 Ebenso wurde auch im Rahmen der Schutzpflichtendimension argumentiert: Die grundfreiheitliche Schutzpflicht erforderte ein Tätigwerden des Mitgliedstaats im Bereich der inneren Sicherheit, der in der Kompetenz des Mitgliedstaats liegt; daher müsse dem Mitgliedstaat grundsätzlich obliegen, welche Maßnahmen er ergreift.455 So gelte in diesem Bereich „die alleinige Verantwortlichkeit der Mitgliedstaaten“, die „nach ihrem Ermessen eine Lösung für auftretende Störungen des grenzüberschreitenden Warenverkehrs finden müssen.“456 Übertragen auf die Problematik der Untersuchung ist demzufolge hervorzuheben, dass die Mitgliedstaaten weiterhin die alleinige Verantwortlichkeit für den Ausbau der Infrastruktur trifft und es mithin ihre Aufgabe verbleibt, für einen mit den Verträgen konformen Ausbau der Infrastruktur zu sorgen. In der Literatur wird hinsichtlich der Entstehung einer Schutzpflicht in Bezug auf die innere Sicherheit betreffendes Verhalten Privater auch formuliert: „Mithin folgt sowohl aus der Wertentscheidung der Mitgliedstaaten, einen freien Warenverkehr zu schaffen, als auch aus ihrer Zuständigkeit für die öffentliche Sicherheit und Ordnung die Verpflichtung, den freien Warenverkehr vor Beeinträchtigungen zu schützen.“457

In Bezug auf die Schutzpflichtendimension findet weiterhin Erwähnung, dass für die Mitgliedstaaten damit zwar kein Entschließungs-, aber ein Auswahlermessen besteht.458 Ähnliche Erwägungen finden sich auch im Rahmen der Diskussion um einen originären grundfreiheitlichen Leistungsanspruch.459 Diese sich aus dem Gedanken der Schonung der Kompetenz des Mitgliedstaats im Bereich der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ergebene Erwägung lässt sich auch für alle anderen Handlungen heranziehen, die im Bereich mitgliedstaatlicher Kompetenz liegen. Demnach ist auch für eine originäre Leistungspflicht auf der Grundlage der Warenverkehrsfreiheit anzuführen, dass zwar kein Entschließungs-, aber ein Auswahlermessen für den Mitgliedstaat besteht. c) Fraglich war bereits im Rahmen der Diskussion einer Schutzpflichtendimension, ob ein konkreter Erfolg der mitgliedstaatlichen Bemühungen verlangt werden

454

Zu dieser Kompetenzstreitigkeit Kapitel 1 A. Schwarze, EuR 1998, 53 (54 f. m. w. N.). 456 Schwarze, EuR 1998, 53 (59), mit Nachweis in EuGH, Urt. v. 9. 12. 1997, Rs. C-265/95, ECLI:EU:C:1997:595, Rdn. 33 – Kommission/Frankreich. 457 Meurer, EWS 1998, 196 (198). 458 Keun, Handlungspflichten, S. 66 f. m. w. N. 459 Riem, Grundfreiheiten, S. 297 f. 455

C. Ausgestaltung

107

kann.460 Generalanwalt Lenz bezieht dazu in den Schlussanträgen zur Rechtssache Kommission/Frankreich (1997) wie folgt Stellung: „So wird man auch im hier vorliegenden Bereich nicht verlangen dürfen, dass ein Mitgliedstaat ein bestimmtes Ergebnis — hier also die Freiheit des Warenverkehrs — garantiert (,obligation de résultat‘). Wie es der Vertreter der Kommission in der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof ausgeführt hat, wird aber zumindest zu verlangen sein, dass er die zur Herbeiführung dieses Zieles erforderlichen Schritte unternimmt. Man wird mit anderen Worten verlangen müssen, dass der betroffene Mitgliedstaat, ,alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner und besonderer Art‘ trifft, um dieses Ergebnis zu bewirken (,obligation de moyens‘).“461

Diese Überlegungen sind auch auf die hier gegenständliche Leistungsdimension zu übertragen: Im Hinblick auf den sich aus der Auslegung ergebenden und hier dargelegten mitgliedstaatlichen Spielraum ist den Ausführungen des Generalanwaltes zuzustimmen. Mithin ist zwar kein Erfolg der Maßnahmen im eigentlichen Sinne zu verlangen; die Maßnahmen müssen allerdings geeignet sein, um den bezweckten Erfolg zu erreichen. d) Zusammenfassend ist damit auch entgegen einer Ansicht in der Literatur462 die Beschränkung der Vorschriften zum freien Warenverkehr auf ein reines, wenn auch nicht zu enges, Diskriminierungsverbot nicht der einzige Weg, dem Schutz der nationalen Rechtsetzungsgewalt als Ausprägung der mitgliedstaatlichen Souveränität Respekt zu zollen sowie der Kompetenzordnung der Verträge Rechnung zu tragen. Dies ist auch durch weite Einschränkungen, wie der Zuerkennung eines mitgliedstaatlichen Ermessens, möglich. Im Übrigen sei an dieser Stelle nur kurz erwähnt, dass auch Art. 106 Abs. 2 AEUV keine Einschränkung der in dieser Arbeit nachgewiesenen Leistungspflicht darstellt, da sich die Vorschrift nach ihrem Wortlaut nur an Unternehmen richtet. Die Netzausbaupflicht trifft aber die Mitgliedstaaten. 3. Überprüfung einer Verletzung der Leistungspflicht durch den EuGH Eine Handlungspflicht kann nur dann als verletzt angesehen werden, wenn der Inhalt der Pflicht nicht umgesetzt wurde. Wie auch bei der Frage, ob eine waren-

460 Ablehnend Kühling, NJW 1999, 403 (403 f.), der sich in seinem Beitrag in Bezug auf die Frage, ob der Mitgliedstaat einen Erfolg schuldet, mit den Schlussanträgen des Generalanwalts sowie mit EuGH, Urt. v. 9. 12. 1997, Rs. C-265/95, ECLI:EU:C:1997:595 – Kommission/ Frankreich, auseinandersetzt. Dazu auch Koch, Gewährleistungspflicht, S. 134 f. 461 Generalanwalt Lenz, Schlussanträge v. 9. 7. 1997, Rs. C-265/95, ECLI:EU:C:1997:346, Rdn. 45 – Kommission/Frankreich. 462 Reyes y Ráfales, DVBl 2015, 268 (275).

108

Kap. 3: Zu einer allgemeinen originären Leistungsdimension

verkehrsrechtliche Schutzpflicht verletzt wurde,463 hat sich auch bei der Fragestellung der hiesigen Untersuchung eine Offensichtlichkeits-Kontrolle des Europäischen Gerichtshofs anzuschließen. So wird in Bezug auf die Schutzpflichtenproblematik in der Literatur zu Recht darauf hingewiesen, dass bei der Begründung weiterer aus den Vorschriften zum freien Warenverkehr resultierender Pflichten äußerst behutsam vorgegangen werden sollte.464 Dass ein staatliches Ermessen insoweit überprüft wird, wie ein Verstoß offensichtlich ist, ist jedenfalls auch so dem deutschen und französischen Recht zu entnehmen.465 Bei der Überprüfung des mitgliedstaatlichen Ermessens durch den Europäischen Gerichtshof hat dem zeitlichen Moment besondere Bedeutung zuzukommen. Entstehen bereits seit Jahren Handelshemmnisse durch unzureichende Infrastruktur, ist die Verletzung der Leistungspflicht offensichtlich. Diese Überlegung geht mit der Erwägung einher, dass der Europäische Gerichtshof auch in der Rechtssache Kommission/Frankreich (1997) und damit im Rahmen der Begründung einer Schutzpflicht aus den Vorschriften zum freien Warenverkehr zeitliche Erwägungen als wesentlich ansieht.466

III. Zwischenergebnis Die vorangegangenen Erwägungen haben gezeigt, dass Wirkungsgleichheit und Marktzugang wesentliche Merkmale sind, die bestimmen, wann und wo im Einzelfall für einen Mitgliedstaat eine allgemeine, originäre Pflicht zum Ausbau von Infrastruktur entsteht. Daraus ergibt sich, dass unter dem Begriff der mengenmäßigen Beschränkungen im Sinne der Art. 34 und 35 AEUV auch jedes Unterlassen zu verstehen ist, das den Zugang zu und den Ausgang aus dem Markt eines Mitgliedstaats für Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten behindert. Diese Formel ergänzt die die Maßnahmen mit gleicher Wirkung definierende Dassonville-(1974)-Formel. Überlegungen, die darauf abzielen, einen rechtswidrigen Zustand oder einen subjektiven Behinderungswillen zu verlangen, finden hingegen keinen normativen Anknüpfungspunkt und müssen daher unberücksichtigt bleiben. Aus den gleichen Gründen müssen auch die Fragen nach der Spürbarkeit oder Relevanz der Beeinträchtigung sowie danach, ob der Kernbereich des freien Warenverkehrs betroffen ist, außer Acht bleiben. Die Pflicht entsteht nicht in Fällen höherer Gewalt. Zudem bieten die Vorschriften eine ausreichende Grundlage für die nachgewiesene Pflicht; es bedarf keiner Heranziehung von Art. 4 Abs. 3 AEUV.

463 Keun, Handlungspflichten, S. 68 f. m. w. N.; Koch, Gewährleistungspflicht, S. 195 m. w. N. 464 Kühling, NJW 1999, 403 (404), in Bezug auf EuGH, Urt. v. 9. 12. 1997, Rs. C-265/95, ECLI:EU:C:1997:595 – Kommission/Frankreich. 465 Schwarze, EuR 1998, 53 (57 m. w. N.). 466 EuGH, Urt. v. 9. 12. 1997, Rs. C-265/95, ECLI:EU:C:1997:595, Rdn. 40 – 52 – Kommission/Frankreich; dazu auch Meurer, EWS 1998, 196 (201).

D. Zwischenergebnis und Zusammenfassung

109

Die dargelegte originäre Ausbaupflicht ist auf dasjenige, was die Vertragsgemeinschaft vernünftigerweise vom Mitgliedstaat verlangen kann, zu beschränken. Das bedeutet, dass der verpflichtete Mitgliedstaat alles hinreichende und notwendige tun muss, um auf den Ausbau der Infrastruktur hinzuwirken, dies aber eben auch nur in der Zeit, die er bei der Anwendung gewöhnlicher Sorgfalt objektiv benötigt. Er ist nur zu dem verpflichtet, was jedenfalls in einer Gesamtbetrachtung in Bezug auf die eigene Volkswirtschaft noch wirtschaftlich ist. Zudem sind bei letzterem diejenigen (finanziellen) Mittel zu berücksichtigen, die die Union Kraft ihrer Unterstützungskompetenz bereitstellt. Ferner besitzen die Mitgliedstaaten ein weitreichendes Ermessen. Ein Erfolg der vom Mitgliedstaat unternommenen Ausbaumaßnahmen ist nicht zu verlangen; die Maßnahmen müssen allerdings geeignet sein, um den bezweckten Erfolg zu erreichen, und können durch den Europäischen Gerichtshof im Rahmen einer Offensichtlichkeits-Kontrolle überprüft werden.

D. Zwischenergebnis und Zusammenfassung Eine umfassende und originäre Leistungspflicht zur Gewährleistung von Infrastruktur bewegt sich im Spannungsfeld der Ziele einer immer engerer Union und der Verwirklichung des Binnenmarkts sowie der Stärkung der Solidarität auf der einen Seite und der Achtung der nationalen Souveränität auf der anderen Seite. Aus der Auslegung ergibt sich, dass die Vorschriften der Art. 34 und 35 AEUV – selbständig – eine originäre Pflicht zum Infrastrukturausbau enthalten. Diese begründet sich mit Blick auf den Grundsatz des effet utile und fügt sich in den offenen Wortlaut ein. Systematische Erwägungen ergeben, dass auf die Territorialhoheit der Mitgliedstaaten Rücksicht genommen werden muss. Die Auslegung ergibt, dass Wirkungsgleichheit und Marktzugang entscheidende Kriterien sind, um festzustellen, wann diese Pflicht besteht. Unter dem Begriff der mengenmäßigen Beschränkungen im Sinne der Art. 34 und 35 AEUV ist jedes Unterlassen zu fassen, das den Zugang zu und den Ausgang aus dem Markt eines Mitgliedstaats für Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten behindert. Weitere Voraussetzung ist lediglich, dass kein Fall höherer Gewalt vorliegt. Letztlich wird diese sehr umfassende Pflicht dadurch eingegrenzt, dass der Mitgliedstaat nur zu einem Ausbau verpflichtet ist, den die Vertragsgemeinschaft vernünftigerweise vom Mitgliedstaat verlangen kann. Weiterhin besteht für den Mitgliedstaat ein sehr weiter Ermessensspielraum, welche Ausbaumaßnahmen er zu ergreifen hat. Zudem ist vom Mitgliedstaat nicht zu verlangen, dass die von ihm unternommenen Ausbaumaßnahmen zum Erfolg führen; die Maßnahmen müssen allerdings geeignet sein, um den bezweckten Erfolg zu erreichen. Im Ergebnis verbietet sich damit auch die pauschale Ablehnung einer originären Leistungsdimension der Grundfreiheiten mit der Begründung, die Funktion der Grundfreiheiten beschränke sich auf die der Abwehr von Diskriminierungen und

110

Kap. 3: Zu einer allgemeinen originären Leistungsdimension

Beschränkungen.467 Die Untersuchung hat hier vielmehr gezeigt, dass eben eine solche originäre Leistungsdimension zu begründen ist. Dabei sind die gefundenen Einschränkungen in Bezug auf Voraussetzung und Reichweite der Pflicht geeignet, dass eingangs skizzierte Spannungsfeld zwischen immer engerer Union und der Verwirklichung des Binnenmarkts sowie der Stärkung der Solidarität auf der einen Seite und der Achtung der nationalen Souveränität auf der anderen Seite zu lösen.

467

Stachel, Schutzpflichten, S. 17.

Kapitel 4

Zu einer speziellen originären Leistungsdimension für die Ware Strom A. Besonderheiten I. Zur besonderen Bedeutung von Strom Die Auslegung hat gezeigt, dass die Art. 34 und 35 AEUV eine umfassende und originäre Pflicht zur Gewährleistung von Infrastruktur enthalten. Diese Überlegung gilt nunmehr erst recht in Bezug auf die die Ware Strom betreffende Infrastruktur. Strom ist mittlerweile Grundvoraussetzung allen Wirtschaftens und damit besonders wichtig für die Verwirklichung des Binnenmarkts. Der Binnenmarkt für Energie gehört zu den größten Produktmärkten Europas.468 Die spezifischen Herausforderungen der Ware Strom sind nur auf Unionsebene zu lösen. Überdies sind die Stromnetze im Gegensatz zu sonstiger Verkehrsinfrastruktur aktuell nicht besonders gut ausgebaut. Wenn ferner wie bei dem zunehmenden Einsatz von Phasenschiebern die Rechtfertigung eines Verstoßes gegen die Vorschriften der Art. 34 und 35 AEUV durch Erwägungen im Zusammenhang mit Art. 36 AEUV zur Regel wird,469 führen Abwehr- und Schutzdimension der Art. 34 und 35 AEUV ohne eine originäre Leistungspflicht nicht weiter. Ergänzend ist anzuführen, dass die Übertragungs- und Verteilernetzbetreiber, also die Handlungsakteure, aufgrund der mitgliedstaatlichen Genehmigungserfordernisse nicht frei sind, die Stromnetze beliebig auszubauen.470 Im Hinblick auf Sinn und Zweck einer Verpflichtung zum Ausbau der Stromnetze ergibt sich, dass eine umfassende Gewährleistungspflicht für die Mitgliedstaaten daher besonders effektiv ist, denn diese sind diejenigen, die den Ausbau der Handlungsakteure genehmigen müssen.

468

Frenz/Kane, NuR 2010, 464 (465 m. w. N.). Vgl. zu den rechtlichen Erwägungen der Rechtfertigung eines Phasenschiebereinsatzes Schulte-Beckhausen/Schneider/Kirch, RdE 2014, 101 (104 ff.); siehe auch Ehlermann, in: Lukes, EWG-Binnenmarkt, S. 39 ff.; zur Problemstellung auch Kapitel 1 A. 470 Vgl. auch Kommission, Entscheidung v. 14. 4. 2010, Sache 39351, Rdn. 85. Zum Planungsverfahren ganz allgemein Posser/Faßbender, Netzplanung, insb. S. 27 ff. 469

112

Kap. 4: Zu einer speziellen Leistungsdimension für die Ware Strom

II. Souveränitätsvorbehalt und virtueller Handel in Gebotszonen 1. Aus Art. 194 Abs. 2 UnterAbs. 2 AEUV kann keine systematische Erwägung gezogen werden, die eine originäre Leistungspflicht in Bezug auf Energienetze allgemein ausschließt. Zwar berühren nach Art. 194 Abs. 2 UnterAbs. 2 AEUV die Maßnahmen des Art. 194 Abs. 2 UnterAbs. 1 S. 1 AEUV unbeschadet des Art. 192 Abs. 2 lit. c nicht das Recht eines Mitgliedstaats, die Bedingungen für die Nutzung seiner Energieressourcen, seine Wahl zwischen verschiedenen Energiequellen und die allgemeine Struktur seiner Energieversorgung zu bestimmen. Ist das Stromnetz ausreichend ausgebaut, könnte dies bedeuten, dass Mitgliedstaaten mit Strom aus solchen Quellen versorgt werden, die im eigenen Land politisch nicht gewollt sind. Beispielsweise könnte die Bundesrepublik Deutschland, die in den vergangenen Jahren auf eine vermehrte Förderung von Strom aus Erneuerbaren Quellen gesetzt hat, durch den Stromnetzausbau mit besonders günstigem Strom aus Kernkraft aus Frankreich konfrontiert sein. Art. 194 Abs. 2 UnterAbs. 2 AEUV bezieht sich allerdings ausdrücklich auf die Maßnahmen nach Art. 194 Abs. 2 UnterAbs. 1 AEUV; eine enge Auslegung erscheint daher angemessen. Überdies bezweckt Art. 194 Abs. 2 UnterAbs. 2 AEUV vielmehr, zu verhindern, dass die Union einem Mitgliedstaat vorgeben kann, welche Stromquellen im eigenen Land erlaubt oder verboten sind,471 was sich insbesondere aus dem Wortlaut „seine Wahl zwischen verschiedenen Energiequellen“472 ergibt. Der Ausbau der Energienetze tangiert zudem nicht die allgemeine Struktur der Energieversorgung. Art. 194 Abs. 2 UnterAbs. 2 AEUV schließt daher eine originäre Leistungspflicht in Bezug auf Energie- und mithin die Stromnetze nicht prinzipiell aus. 2. Überdies steht der Annahme einer originären Leistungspflicht für die Ware Strom nicht entgegen, dass in der EU für verschiedene Marktgebiete durch das Konzept der Stromgebotszonen gerade angenommen wird, Strom könne innerhalb einer solchen Zone ganz ohne physikalische Einschränkungen gehandelt werden. Dies liegt bereits daran, dass ein unzureichender Netzausbau die Grenzziehung entlang struktureller Engpässe erfordert,473 an denen dann Kapazitätsvergaben stattfinden und darüber hinaus auch insgesamt (trotz Marktkopplung) unterschiedliche Preise entstehen können. Schon das widerspricht der Idee eines vollendeten Binnenmarkts. Unterschiede ergeben sich auch nicht mit Blick darauf, dass Strom vor allem virtuell und nicht physisch gehandelt wird. Da der virtuelle Handel letztlich auf den

471 472 473

Vgl. Hirsbrunner, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 194 AEUV Rdn. 31 f. m. w. N. Hervorhebungen durch den Verfasser. König/Baumgart, EuZW 2018, 491 (493).

A. Besonderheiten

113

physischen rückführbar ist,474 verbleibt die Notwendigkeit eines physischen Stromnetzausbaus.

III. Zu dem, was die Vertragsgemeinschaft vernünftigerweise vom Mitgliedstaat verlangen kann 1. In Bezug auf das Untersuchungsziel der Begründung einer Pflicht zum Ausbau der Stromnetze stellt sich im Konkreten bzw. für die Praxis die Frage, ob beispielsweise eine grenzüberschreitende Verbindungsleitung nach Zypern zu verlangen ist, oder ob auch ohne eine solche von der Verwirklichung des Binnenmarkts gesprochen werden kann. Letztlich werden nämlich immer Hindernisse für den freien Warenverkehr aufgefunden werden können und die Annahme einer so weitgehenden Integrationsverpflichtung würde dazu führen, dass die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet wären, die sog. „Kupferplatte“ zu schaffen, da nach der hier diskutierten Annahme jede Leitung bereits eine Beschränkung und damit einen Verstoß gegen die Vorschriften zur Warenverkehrsfreiheit darstellen würde. Denklogisch müsste man sogar über ein Herunterkühlen dieser Kupferplatte nachdenken, um Reibungsverluste zu reduzieren und die Leitfähigkeit des Materials zu verbessern. Daher finden sich in der Praxis bereits im Hinblick auf die Frage, wann der Binnenmarkt verwirklicht wäre, verschiedene Interpretationen: @ Erstens könnte darauf abgestellt werden, dass die Verwirklichung des Binnenmarkts durch mehr grenzüberschreitende Verbindungsleitungen zu erreichen ist;475 @ zweitens könnte die Verwirklichung des Binnenmarkts durch die Annahme aller europäischer Netzkodizes und der vollständigen Umsetzung des dritten Binnenmarktpakets zu erreichen sein;476

474

Vgl. bereits die Ausführungen in Kapitel 2 C. I. siehe zum Zusammenhang zwischen virtueller und physischer Stromlieferung insb. Waldner, AJP/PJA 2010, 1311 (1317 ff., insb. Rdn. 53). 475 Vgl. CEER, Dokument „Completing the Internal Energy Market: The Missing Steps“ v. 6. 10. 2003, Punkt 6, abrufbar unter https://www.ceer.eu/documents/104400/-/-/087e78ba-c9150264-8c8c-e45cd60091ef (Stand: 27. 12. 2019); die auf diese Fundstelle verweisenden Höffler/ Wittmann, The Energy Journal, Bd. 28, Nr. 1, 113 (113 ff.). Siehe dazu auch das Ziel eines Stromnetzverbunds von 10 Prozent, Kommission, Mitteilung an das Europäische Parlament und den Rat v. 25. 2. 2015, COM (2015) 82 final; vgl. auch Kommission, Mitteilung v. 25. 2. 2015, COM (2015) 80 final, S. 9 f. 476 Damit also durch u. a. die Annahme ohne Änderung und Ergänzung derjenigen Netzkodizes, die ENTSO-E vorgeschlagen hat, nicht jedoch solcher, die ENTSO-E nicht als erforderlich ansieht. Vgl. zur Umsetzung eines vollständig integrierten Energiebinnenmarkts durch Netzkodizes Kommission, Mitteilung v. 25. 2. 2015, COM (2015) 80 final, S. 11; „zur Ausarbeitung europäischer Netzkodizes“ Fischerauer, ZNER 2012, 453 (453 ff.).

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Kap. 4: Zu einer speziellen Leistungsdimension für die Ware Strom

@ drittens könnte unter der Verwirklichung des Binnenmarkts die Abschaffung staatlicher Markteingriffe zu verstehen sein;477 @ viertens könnte mit der Verwirklichung des Binnenmarkts auch lediglich mehr politische Koordination gemeint sein;478 @ letztlich sieht das Zielmodell der EU-Kommission für den Energiebinnenmarkt vor, dass (mehrere) flexible Gebotszonen entlang von strukturellen Engpässen gebildet werden, die dann über einen Marktkopplungs-Mechanismus miteinander verbunden werden.479 Im Übrigen werden durch den Europäischen Gerichtshof „absurde Auslegungsergebnisse“ abgelehnt.480 Eine Verpflichtung, die so weit ginge, dass unter ganz Europa eine Kupferplatte gebaut werden muss, wäre ein solch absurdes Ergebnis. Die abstrakte Beschränkung der originären Leistungspflicht zum Ausbau von Infrastruktur auf dasjenige, was die Vertragsgemeinschaft vernünftigerweise vom Mitgliedstaat verlangen kann, bietet für diese praktischen Probleme eine angemessene Lösung. 2. Hinsichtlich dessen, was die Vertragsgemeinschaft vernünftigerweise vom Mitgliedstaat verlangen kann, ergeben sich Wertungsunterschiede zwischen einer allgemeinen originären Leistungspflicht zum Ausbau von Infrastruktur und einer speziellen originären Leistungspflicht zum Ausbau der Stromnetze. Diese begründen sich dadurch, dass Strom im Gegensatz zu anderen, körperlichen Waren nur über Leitungen transportiert werden kann. Andere, körperliche Waren könnten nämlich auch ohne ein gut ausgebautes Verkehrsnetz jedenfalls über Land getragen werden, während für den Strom das Vorhandensein von Leitungen unabkömmlich ist: Wird die elektrische Energie beispielsweise in Batterien transportiert, handelt es sich nicht mehr um die Ware Strom.481 Dies liegt ferner an dem Umstand, dass die Begründung der speziellen originären Leistungspflicht für Strom aus ausschließlich Effizienzgesichtspunkten durch die Annahme einer einem „Notfall“ nahekommenden Ausnahmesituation482 unterstützt wird. Dies gilt insbesondere für fehlende grenzüberschreitende Verbindungsleitungen und vom Stromnetz isolierte Regionen. 3. Würde man die Reichweite der Ausbaupflicht hingegen, wie in der Literatur vorgeschlagen, lediglich auf einen Minimalstandard beschränken,483 wäre es denk477

Beispielsweise von Anreizsystemen, Anreizreserven, der Förderung von Erneuerbaren Energien oder auch der Nuklearhaftpflicht. Zum Erfordernis einer „strengen Durchsetzung des EU-Wettbewerbsrechts“ Kommission, Mitteilung v. 25. 2. 2015, COM (2015) 80 final, S. 10. 478 Vgl. dazu auch Kommission, Mitteilung v. 25. 2. 2015, COM (2015) 80 final, S. 10. 479 Erwägungsgründe 1, 3 und 11 der Kommissions-Verordnung 2015/1222/EU (Fn. 12); König/Baumgart, EuZW 2018, 491 (495). 480 Bleckmann, NJW 1982, 1177 (1179 m. w. N.). 481 S. o. Kapitel 2 B. II. 482 S. o. Kapitel 3 B. III. 2. 483 S. o. Kapitel 3 C. II. 1.

A. Besonderheiten

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bar, dass es bei körperlichen Waren ausreicht, dass eine ausreichende Verkehrsinfrastruktur besteht, damit Waren aus einem Mitgliedstaat in einen anderen gelangen können. Aber selbst, wenn man für die die Ware Strom betreffende Infrastruktur nur einen Minimalstandard fordern würde, wäre zu berücksichtigen, dass die Lieferung und damit auch der Handel mit Strom auf Leitungen angewiesen ist. Der den Minimalstandard begründende „unerlässliche[…] grundfreiheitliche[…] Mindest(gewährleistungs)standard“484 für den freien Verkehr der Ware Strom wird damit konsequenterweise einen weitreichenderen Zustand des Ausbaus der Netze umfassen als der Zustand des Ausbaus der allgemeinen Verkehrsnetze. 4. Im Ergebnis wird die Vertragsgemeinschaft vernünftigerweise vom Mitgliedstaat einen weitreichenderen Ausbau der Stromnetze verlangen können, als dies beispielsweise für die allgemeinen Verkehrsnetze gilt. Dabei wird auch die oben dargelegte485 besondere Bedeutung der Ware Strom für die Wirtschaft und damit auch den Binnenmarkt Berücksichtigung finden müssen. Somit erscheint auch der Umstand, dass die Refinanzierung von Netzausbaumaßnahmen nicht immer gesichert ist,486 als ein eher nachranging zu berücksichtigender Gesichtspunkt. Im Übrigen kann die Vertragsgemeinschaft vom Mitgliedstaat vernünftigerweise nicht verlangen, die Erhebung von (angemessenen) Netzentgelten zu verbieten.

IV. Zum Ermessen Ein Unterschied zwischen einer allgemeinen originären Leistungspflicht zum Ausbau von Infrastruktur und einer speziellen originären Leistungspflicht zum Ausbau der Stromnetze besteht auch im Hinblick auf das mitgliedstaatliche Ermessen. Bei sonstiger Verkehrsinfrastruktur kann der Mitgliedstaat zwischen dem Ausbau des Straßennetzes, des Schienennetzes und der Flug- und Schiffshäfen wählen. Dies bedeutet allerdings nicht, dass diese Pflicht dadurch bereits per se leerläuft. Es sind Einzelfälle denkbar, in denen abgeschiedene Regionen keinen ausreichenden Verkehrsinfrastrukturausbau vorweisen. Im Hinblick auf die Ware Strom kann der Mitgliedstaat hingegen nur die Übertragungs- und Verteilerinfrastruktur ausbauen, weil Strom auf die Übertragung und Verteilung durch Leitungen angewiesen ist. Dies bedeutet, dass das mitgliedstaatliche Ermessen in Bezug auf die Ware Strom damit deutlich stärker eingeschränkt ist.

484 485 486

Riem, Grundfreiheiten, S. 196 und 263; dazu auch Kapitel 3 C. II. 1. Kapitel 4 A. I. Vom Dahl, N&R 2015, 194 (195, 198 f.).

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Kap. 4: Zu einer speziellen Leistungsdimension für die Ware Strom

V. Zwischenergebnis Die rechtliche und auch praktische Notwendigkeit einer originären Leistungsdimension der Vorschriften zum freien Warenverkehr ist erst recht in Bezug auf die Ware Strom offensichtlich. Dies liegt an der besonders hohen Bedeutung von Strom für die heutige Wirtschaft und damit letztlich für den Binnenmarkt selbst sowie an dem derzeitig unzureichenden Ausbaustand der Stromnetze. Konstellationen, in denen die Abwehr- und Schutzdimension der Art. 34 und 35 AEUV den Binnenmarkt nicht schützen können und daher Schutzlücken auftreten, können aus sich heraus bereits die Notwendigkeit einer originären Leistungspflicht zum Ausbau der Stromnetze tragen. Da die Mitgliedstaaten auch schon jetzt regulierend in den Ausbau der Stromnetze eingreifen, ist es nur konsequent, dass diese zu Adressaten einer grundfreiheitlichen Ausbauverpflichtung werden. Daran ändert auch der energierechtliche Souveränitätsvorbehalt in Art. 194 Abs. 2 UnterAbs. 2 AEUV nichts, denn dieser betrifft im Wesentlichen nur die Maßnahmen der Union nach Art. 194 Abs. 2 UnterAbs. 1 AEUV und bezweckt zudem nur die mitgliedstaatliche Bestimmung des Energiemixes der selbst im Land produzierten Energiemengen zu gewährleisten. Auch die Tatsache, dass Strom virtuell sowie in Gebotszonen gehandelt wird, ändern nichts an der Annahme einer Leistungsdimension der Art. 34 und 35 AEUV für die Ware Strom, da das Gebotszonenkonzept Handelsbeschränkungen nur an die Gebotszonengrenzen verschiebt und der virtuelle Handel auf die physischen Gegebenheiten zurückzuführen ist. In Bezug auf die Reichweite wird die Vertragsgemeinschaft vernünftigerweise vom Mitgliedstaat einen stärkeren Ausbau der Stromnetze verlangen können als dies beispielsweise für die allgemeinen Verkehrsnetze gilt. Die besondere Bedeutung und Eigenheiten der Ware Strom wie auch in Einzelfällen hinzutretende „Notfallsituationen“ werden zu einer größeren Reichweite der die Stromnetze betreffenden Ausbaupflicht führen. Da der Mitgliedstaat bei Strom im Gegensatz zur allgemeinen Verkehrsinfrastruktur nicht zwischen mehreren Transportmitteln wählen kann, sondern auf den Ausbau von Leitungen angewiesen ist, ist sein mitgliedstaatlichen Auswahlermessen in diese Richtung eingeschränkt.

B. Zur Rechtfertigung eines Unterlassens des Ausbaus der Stromnetze I. Die vorangegangenen Abschnitte haben gezeigt, dass Art. 34 und 35 AEUVeine originäre Pflicht der Mitgliedstaaten zum Ausbau der Stromnetze begründen. Unterlassen die Mitgliedstaaten also die aufgrund dieser Pflicht erforderlichen Maßnahmen, stellt das Unterlassen einen Verstoß gegen die Vorschriften zum freien

B. Zur Rechtfertigung eines Unterlassens des Ausbaus der Stromnetze

117

Warenverkehr dar. Dabei stellt sich im Weiteren die Frage, ob dieser tatbestandliche Verstoß gerechtfertigt werden kann. In den Diskussionen um die abwehr-487 und schutzrechtliche488 Dimension der Art. 34 und 35 AEUV werden regelmäßig Überlegungen aus Art. 36 AEUV, ungeschriebenen Schutzgütern oder aufgrund von entgegenstehenden Rechten Dritter angeführt, um einen Verstoß gegen die Vorschriften zum freien Warenverkehr zu rechtfertigen. Auch auf die Möglichkeit einer Rechtfertigung einer Beeinträchtigung durch Art. 347 AEUV wird hingewiesen.489 Die Rechtfertigung selbst steht unter dem Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit490 des Unterlassens. Die Übertragung dieser Überlegungen für die hier nachgewiesene leistungsrechtliche Dimension erscheint daher nur konsequent. Aufgrund teleologischer Erwägungen steht dem mitgliedstaatlichen Handeln ein mitgliedstaatliches Unterlassen gleich.491 Daher ist nicht ersichtlich, warum für die Rechtfertigungsebene eines Verstoßes gegen die Vorschriften zum freien Warenverkehr durch ein Unterlassen ein anderer Maßstab anzulegen wäre als für einen Verstoß gegen die Vorschriften zum freien Warenverkehr durch ein aktives Handeln. Auch die einen originären Leistungsanspruch aus den Grundfreiheiten bejahende Literatur prüft das Vorliegen von Rechtfertigungsgründen.492 Im Rahmen der Rechtfertigung können allerdings – entgegen der einen originären grundfreiheitlichen Leistungsanspruch annehmenden Literaturansicht493 – anderweitige Wertungen der Verträge nicht herangezogen werden. Diese sind bereits bei der Auslegung der Vorschriften zu berücksichtigen und bestimmen damit die Reichweite der originären Leistungspflicht auf Tatbestandsebene. Zudem wird vertreten, die Grundfreiheiten selbst könnten die Annahme einer originären Leistungsdimension im Einzelfall ausschließen; so sei denkbar, dass für die Erfüllung der Leistungsdimension „zu Finanzierungszwecken“ die Grundfreiheiten wiederum beschränkende Steuern eingeführt werden.494 Dabei verkennt diese Auffassung, dass die Finanzierung der Erfüllung der aus der originären Leistungsdimension resultierenden Pflichten wirtschaftliche Erwägungen darstellen, deren Anführung – jedenfalls im Rahmen der Rechtfertigungsprüfung – unzulässig ist.495 487

Vgl. nur Behrens, Marktöffnungs- und Wettbewerbsrecht, Rdn. 141. Vgl. hierzu im Überblick Kainer, JuS 2000, 431 (435); Koch, Gewährleistungspflicht, S. 186. 489 Koch, Gewährleistungspflicht, S. 188 f. m. w. N. 490 Siehe dazu nur Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 36 AEUV Rdn. 88 ff. 491 Siehe oben Kapitel 3 C. I. 1. 492 Riem, Grundfreiheiten, S. 285 ff. 493 Riem, Grundfreiheiten, S. 289 f. 494 Riem, Grundfreiheiten, S. 287 ff. 495 Dazu EuGH, Urt. v. 19. 12. 1961, RS. C-7/61, ECLI:EU:C:1961:31, S. 720 – Kommission/Italien; EuGH, Urt. v. 7. 2. 1984, RS. C-238/82, ECLI:EU:C:1984:45, Rdn. 23 – Duphar; EuGH, Urt. v. 11. 6. 1985, RS. C-288/83, ECLI:EU:C:1985:251, Rdn. 28 – Kommission/Irland; EuGH, Urt. v. 28. 3. 1995, RS. C-324/93, ECLI:EU:C:1995:84, Rdn. 36 – The Queen/ Secretary of State for the Home Department, ex parte Evans Medical und Macfarlan Smith; 488

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Kap. 4: Zu einer speziellen Leistungsdimension für die Ware Strom

Die Gewährung der Leistung selbst müsste einen Verstoß gegen die Grundfreiheiten darstellen, sodass entgegenstehende grundfreiheitliche Erwägungen im Rahmen der Rechtfertigungsprüfung angeführt werden könnten. Dies ist allerdings nicht ersichtlich. Mithin begrenzt die Rechtfertigung eines Verstoßes gegen die Vorschriften zum freien Warenverkehr die Rechtsfolgen, die durch diesen Verstoß ausgelöst werden. Die an das Unterlassen des Ausbaus der Stromnetze anknüpfende Leistungspflicht kann folglich nur soweit reichen, wie das jeweils streitgegenständliche, mitgliedstaatliche Unterlassen nicht gerechtfertigt ist. II. Nach Art. 36 S. 1 AEUV stehen die Bestimmungen der Art. 34 und 35 AEUV „Einfuhr-, Ausfuhr- und Durchfuhrverboten oder -beschränkungen nicht entgegen, die aus Gründen der öffentlichen Sittlichkeit, Ordnung und Sicherheit, zum Schutze der Gesundheit und des Lebens von Menschen, Tieren oder Pflanzen, des nationalen Kulturguts von künstlerischem, geschichtlichem oder archäologischem Wert oder des gewerblichen und kommerziellen Eigentums gerechtfertigt sind.“

Die Anführung dieser geschriebenen Rechtfertigungsgründe wird allgemein durch die einen originären Leistungsanspruch bejahende Literatur erwogen496 und ist auch für den Bereich des Stromnetzausbaus denkbar. Beispielsweise kann unter Berufung auf das nationale Kulturgut von archäologischem Wert der Netzausbau quer durch eine Ausgrabungsstätte verhindert werden. Auch historisch bedeutsame Gebiete neuerer Zeit, wie etwa das Gebiet, durch das die West- und Ostdeutschland trennende Mauer verlief, können unter Berufung auf das nationale Kulturgut von geschichtlichem Wert gänzlich von Stromtrassen freigehalten werden. Die öffentliche Sicherheit kann hingegen nicht als Rechtfertigungsgrund mit der Begründung angeführt werden, von Bürgern und Bürgerinnen organisierte Unruhen verhinderten den Bau einer Trasse. Gegen unzulässige Protestaktionen hat der Mitgliedstaat nämlich bereits aufgrund seiner aus den Vorschriften zum freien Warenverkehr resultierenden Schutzpflicht vorzugehen. Denkbar ist aber, dass zum Ausbau der Stromnetze das mit Risiken behaftete Freilegen einer Giftmülldeponie erforderlich ist, welches den Rechtfertigungsgrund der öffentlichen Sicherheit oder des Schutzes der Gesundheit und des Lebens von Menschen berührt. Aber auch der Artenschutz könnte als Unterfall des Schutzes der Gesundheit und des Lebens von Tieren und Pflanzen497 eine Rechtfertigung begründen, wenn es also um eine besonders schützenswerte Tiergattung geht. Der Schutz von Tieren und Pflanzen kann schon dann als Rechtfertigung angeführt werden, EuGH, Urt. v. 9. 12. 1997, RS. C-265/95, ECLI:EU:C:1997:595, Rdn. 62 – Kommission/ Frankreich; Behrens, Marktöffnungs- und Wettbewerbsrecht, Rdn. 143; Meurer, EWS 1998, 196 (201). 496 Riem, Grundfreiheiten, S. 286. 497 Siehe weiterführend Becker, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 36 Rdn. 19; Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 36 AEUV Rdn. 205; Ziegler, Environment, S. 76 ff.

B. Zur Rechtfertigung eines Unterlassens des Ausbaus der Stromnetze

119

„soweit es sich um Populationen handelt, die Merkmale aufweisen, die sie von anderen unterscheiden und die folglich als schutzwürdig angesehen werden, sei es, um sie vor einer mehr oder weniger imminenten Gefahr des Aussterbens zu bewahren, sei es, wenn eine solche Gefahr nicht besteht, aus einem wissenschaftlichen oder anderen Interesse an der Erhaltung der reinen Population an dem betreffenden Ort.“498

III. Denkbar ist jedoch, dass im Einzelfall bestehenden Beeinträchtigungen der Umwelt nicht unter Art. 36 AEUV zu fassen sind,499 sich der Schutz der Umwelt in diesen Fällen allerdings trotzdem aufdrängt. Beispielsweise seien Überlegungen in Bezug auf die Bodenversiegelung oder für den Ausbau notwendigen Abholzungen zu nennen, die sich negativ auf die Umwelt und das Klima auswirken könnten, wenngleich diese allgemeinen, über die in Art. 36 AEUV geschützten Interessen hinausgehenden Umweltbelange beim Ausbau der Stromnetze nur in den allerseltensten Fällen einschlägig sein werden. Diese allgemeinen Erwägungen des Umweltschutzes lassen sich aufgrund der notwendigen engen Auslegung des Art. 36 AEUV nicht unter den Rechtfertigungstatbestand des Art. 36 AEUV fassen: Die Vorschrift wurde für eine noch engere Auslegung der Art. 34 und 35 AEUV konzipiert, die eine enge Auslegung der Rechtfertigungsvorschrift selbst erfordert.500 Aus Art. 114 Abs. 4 AEUV ergibt sich, dass der Umweltschutz nicht in Art. 36 AEUV geregelt sein kann.501 Nichtsdestotrotz ist der Schutztatbestand „Gesundheit und Leben von Tieren oder Pflanzen“ eng mit dem Umweltschutz verwandt. Die erst später an stärkerer Bedeutung gewonnenen Überlegungen zu Verbraucher- und Umweltschutz502 sind daher im Rahmen einer Analogie zu Art. 36 AEUV zu begründen.503 Zwar wird argumentiert, Art. 36 AEUV sei eine Ausnahmevorschrift; eine Analogie sei daher methodisch nicht möglich.504 Art. 36 AEUV ist allerdings keine Ausnahmevorschrift im eigentlichen Sinne: Die Norm hat sich vielmehr zu einem allgemeinen, wenn auch eng auszulegenden Rechtfertigungstatbestand entwickelt. Rechtfertigungstatbestände sind keine Ausnahmevorschriften im eigentli498

EuGH, Urt. v. 3. 12. 1998, RS. C-67/97, ECLI:EU:C:1998:584, Rdn. 34 – Bluhme. Im Detail wendet der EuGH die Formel in diesem Urteil nur auf Tierpopulationen an. Sie lässt sich aber genauso für Pflanzen nutzen, vgl. die generalisierenden Ausführungen von Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 36 AEUV Rdn. 205. 499 Vgl. hierzu auch Ziegler, Environment, S. 73 ff. 500 Röhl, JURA 2006, 321 (327); zu den dadurch entstehenden dogmatischen Problemen Füller, Warenverkehrsfreiheiten, S. 52 f. 501 Röhl, JURA 2006, 321 (Fn. 73). Vgl. auch die Ausführungen von Becker, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 36 AEUV Rdn. 57 f.; Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 36 AEUV Rdn. 205 und 214; Müller-Graff, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Unionsrecht, Art. 34 AEUV Rdn. 224. 502 Röhl, JURA 2006, 321 (326 m. w. N.). 503 Ähnlich Dauses, RIW 1984, 197 (202). 504 Füller, Warenverkehrsfreiheiten, S. 51 m. w. N. Siehe zur Feststellung des EuGHs, dass es sich bei Art. 36 AEUV um eine Ausnahmevorschrift handelt, und zur Ablehnung der Möglichkeit, andere als die in Art. 36 AEUV genannten Gründe in dessen Rahmen geltend zu machen, die Nachweise bei Dauses, RIW 1984, 197 (203 f.).

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Kap. 4: Zu einer speziellen Leistungsdimension für die Ware Strom

chen Sinne.505 Außerdem stellt sich das alternativ anzunehmende Postulat von ungeschriebenen Rechtfertigungsgründen neben Art. 36 AEUV im Ergebnis als nichts anderes dar als eben eine solche Analogie. Umweltgesichtspunkte, die als Teil der zwingenden Erfordernisse des Gemeinwohls angesehen werden,506 können folglich im Rahmen dieser Analogie berücksichtigt werden. Es erscheint allerdings als durchaus problematisch, ob diese zwingenden Gründe des Allgemeinwohls auch im Rahmen der hier behandelten originären Leistungspflicht angeführt werden können. Zwar ist es grundsätzlich konsequent und notwendig, diese Erwägungen von der abwehr- und schutzrechtlichen Dimension auf die hier diskutierte Konstellation zu übertragen. Ähnliche Überlegungen finden auch in Bezug auf den in der Literatur diskutierten Leistungsanspruch auf Grundlage der Grundfreiheiten statt.507 Es ist nämlich umstritten, ob diese ungeschriebenen Schutzgüter nur dann eine Maßnahme rechtfertigen können, wenn diese „unterschiedslos auf inländische wie auf eingeführte Erzeugnisse angewandt wird.“508 Die die Begründung einer originären Leistungspflicht ermöglichende Auslegung wurde an den offenen Wortlaut der „Beschränkung“ geknüpft, während bei einer „Maßnahme“ noch ein aktives Tun erforderlich gewesen wäre.509 Engpässe, die sich in einem Stromnetz ergeben, stellen mengenmäßige Einfuhr- oder Ausfuhrbeschränkungen dar. Aufgrund der Offenheit des Begriffs „Beschränkung“ sind unter diesen nicht nur solche Maßnahmen oder ein Unterlassen zu fassen, welche als nicht unterschiedslos einzustufen sind oder ist. Daher sind hier auch ungeschriebene Rechtfertigungsgründe anwendbar: die unterschiedlichen Ansichten knüpfen nämlich daran an, ob eine Maßnahme „unterschiedlich anwendbar“ ist.510 Das sind mangelnde Strukturen nicht. Folglich kann insbesondere auch der Umweltschutz im Allgemeinen als Rechtfertigungsgrund eines Unterlassens des Ausbaus der Stromnetze herangezogen

505 Vgl. diesbzgl. auch den Begriff der „Grundrechtsbegrenzungen“ im deutschen Recht bei Sachs, in: Sachs, Grundgesetz, Vor Art. 1 Rdn. 96 ff. 506 EuGH, Urt. v. 20. 9. 1988, RS. C-302/86, ECLI:EU:C:1988:421, Rdn. 9 – Kommission/ Dänemark; EuGH, Urt. v. 14. 7. 1998, RS. C-389/96, ECLI:EU:C:1998:357, Rdn. 19 – AherWaggon gegen Bundesrepublik Deutschland; EuGH, Urt. v. 14. 12. 2004, RS. C-309/02, ECLI:EU:C:2004:799, Rdn. 75 – Radlberger Getränkegesellschaft und S. Spitz; EuGH, Urt. v. 14. 12. 2004, RS. C-463/01, ECLI:EU:C:2004:797, Rdn. 75 – Kommission/Deutschland; EuGH, Urt. v. 11. 12. 2008, RS. C-524/07, ECLI:EU:C:2008:717, Rdn. 57 – Kommission/ Österreich; EuGH, Urt. v. 1. 7. 2014, RS. C-573/12, ECLI:EU:C:2014:2037, Rdn. 77 – Ålands Vindkraft; ausführlich Ziegler, Environment, S. 73 ff.; Röhl, JURA 2006, 321 (327 ff.). Siehe auch Breitenmoser/Weyeneth, Europarecht, Rdn. 888; Riem, Grundfreiheiten, S. 290. 507 Riem, Grundfreiheiten, S. 291 f. 508 EuGH, Urt. v. 11. 5. 1989, RS. C-25/88, ECLI:EU:C:1989:187, Rdn. 10 – Strafverfahren gegen E. R. Wurmser; zum Streitstand Schroeder, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 36 AEUV Rdn. 34. 509 S. o. Kapitel 3 B. II. 1. 510 Röhl, JURA 2006, 321 (329 m. w. N.).

B. Zur Rechtfertigung eines Unterlassens des Ausbaus der Stromnetze

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werden. Somit findet der Umweltschutz als Unterpunkt sozialer Kosten des Netzausbaus an dieser Stelle Berücksichtigung.511 Finanzielle Erwägungen können vom Mitgliedstaat hingegen nicht angeführt werden, denn dabei handelt sich um wirtschaftliche Erwägungen.512 Beschränkungen des freien Warenverkehrs können aber nur durch nicht-wirtschaftliche Gründe gerechtfertigt sein.513 Wären auch wirtschaftliche Gründe als Rechtfertigungsgrund zulässig, wäre die Herstellung eines funktionierenden Binnenmarkts nicht zu erreichen.514 Wirtschaftliche Gründe werden im Rahmen der hier getätigten Untersuchung zudem bereits zur Bestimmung des dem den Mitgliedstaaten eingeräumten Spielraums berücksichtigt.515 IV. Nach Art. 347 AEUV „setzen sich [die Mitgliedstaaten] miteinander ins Benehmen, um durch gemeinsames Vorgehen zu verhindern, dass das Funktionieren des Binnenmarkts durch Maßnahmen beeinträchtigt wird, die ein Mitgliedstaat bei einer schwerwiegenden innerstaatlichen Störung der öffentlichen Ordnung, im Kriegsfall, bei einer ernsten, eine Kriegsgefahr darstellenden internationalen Spannung oder in Erfüllung der Verpflichtungen trifft, die er im Hinblick auf die Aufrechterhaltung des Friedens und der internationalen Sicherheit übernommen hat.“

In der Vorschrift wird allgemein auch ein Rechtfertigungsgrund gesehen.516 Somit ist denkbar, dass die genannten Gründe im Einzelfall das Unterlassen eines Ausbaus der Stromnetze rechtfertigen können. V. Letztlich kann das Unterlassen des Infrastrukturausbaus auch mit dem Hinweis auf Rechte Dritter gerechtfertigt werden. Diese auch bereits für die Schutzpflicht getroffene Überlegungen,517 die sich dogmatisch auf die Einheit des Unionsrechts gründen,518 sind auch hier anzuwenden. In Betracht kommen insbesondere Grund-

511

Vgl. Jarass, EWeRK 2016, 169 (170). Dazu bereits oben Kapitel 3 C. II. 1. EuGH, Urt. v. 10. 7. 1984, RS. C-72/83, ECLI:EU:C:1984:256, Rdn. 35 – Campus Oil; EuGH, Urt. v. 7. 2. 1984, RS. C-238/82, ECLI:EU:C:1984:45, Rdn. 23 – Duphar. 513 EuGH, Urt. v. 19. 12. 1961, RS. C-7/61, ECLI:EU:C:1961:31, S. 720 – Kommission/ Italien; EuGH, Urt. v. 7. 2. 1984, RS. C-238/82, ECLI:EU:C:1984:45, Rdn. 23 – Duphar; EuGH, Urt. v. 11. 6. 1985, RS. C-288/83, ECLI:EU:C:1985:251, Rdn. 28 – Kommission/Irland; EuGH, Urt. v. 28. 3. 1995, RS. C-324/93, ECLI:EU:C:1995:84, Rdn. 36 – The Queen/ Secretary of State for the Home Department, ex parte Evans Medical und Macfarlan Smith; EuGH, Urt. v. 9. 12. 1997, RS. C-265/95, ECLI:EU:C:1997:595, Rdn. 62 – Kommission/ Frankreich. 514 Meurer, EWS 1998, 196 (201). 515 S. o. Kapitel 3 C. II. 1. 516 Karpenstein, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 347 AEUV Rdn. 1; darauf hinweisend Koch, Gewährleistungspflicht, S. 188 f. m. w. N. 517 Siehe Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 1, Rdn. 206 f. m. w. N.; im Überblick Koch, Gewährleistungspflicht, S. 165 f. 518 Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 1, Rdn. 206 m. w. N. 512

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Kap. 4: Zu einer speziellen Leistungsdimension für die Ware Strom

rechte519 staatlicher und nichtstaatlicher Übertragungs- und Verteilernetzbetreiber, soweit diese betroffen sein können, beispielsweise im Hinblick auf deren Eigentum, also insbesondere mit Blick auf Art. 17 GRC. Überdies kommen Grundrechte Privater in Betracht, durch deren Grundstücke Stromleitungen gebaut würden. Auch Meinungsäußerungs- und Versammlungsfreiheit können im Einzelfall einen Verstoß gegen die Vorschriften zum freien Warenverkehr rechtfertigen.520 Diese Rechte Dritter können je nach Maßnahme stärker oder schwächer betroffen sein. So greift die Schaffung von Investitionsanreizen für einen Ausbau der Infrastruktur – wenn überhaupt – nur mittelbar in die Rechte der Grundstückseigentümer ein. VI. An dieser Stelle ist noch darauf hinzuweisen, dass die Heranziehung einer der genannten Rechtfertigungsgründe einen Verstoß gegen die Vorschriften zum freien Warenverkehr noch nicht endgültig ausschließt. Vielmehr greift ein Rechtfertigungsgrund erst durch, wenn die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme bzw. des Unterlassens zu bejahen ist.521 So wie auch im Rahmen der abwehr- und schutzrechtlichen Dimension eine praktische Konkordanz herzustellen ist,522 ist dieses auch für die originäre Leistungsdimension der Vorschriften zum freien Warenverkehr zu fordern. VII. Im Ergebnis findet eine originäre Pflicht zum Stromnetzausbau aus Art. 34 und 35 AEUV ihre Grenze in kollidierenden Vertragsvorschriften und ungeschriebenen Rechtsregeln, allen voran in den Rechtfertigungsgründen des Art. 36 AEUV. Die an das Unterlassen des Stromnetzausbaus anknüpfende Handlungspflicht kann folglich nur soweit reichen, wie das mitgliedstaatliche Unterlassen nicht gerechtfertigt ist. Diese Rechtfertigung kann sich aus den in Art. 36 AEUV niedergelegten Gründen ergeben, aus ungeschriebenen Gründen oder durch die Postulierung von Rechten Dritter. Sie selbst steht unter dem Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit des Unterlassens.

519 EuGH, Urt. v. 12. 6. 2003, RS. C-112/00, ECLI:EU:C:2003:333, Rdn. 74 – Schmidberger; in Bezug auf die Dienstleistungsfreiheit EuGH, Urt. v. 14. 10. 2004, RS. C-36/02, ECLI:EU:C:2004:614, Rdn. 35 – Omega; grundlegend zum Verhältnis Grundfreiheiten und Grundrechte Reynolds, CMLRev 2016, 643 (643 ff.). Siehe auch Riem, Grundfreiheiten, S. 290 und 292 f. Diskutiert wird, ob Grundrechte nicht auch unter das Merkmal „öffentliche Ordnung“ im Sinne von Art. 36 AEUV subsumiert werden können, siehe Oliver/Roth, CMLRev 2004, 407 (437 ff.). 520 EuGH, Urt. v. 12. 6. 2003, RS. C-112/00, ECLI:EU:C:2003:333, Rdn. 78 ff. – Schmidberger. 521 Dazu Breitenmoser/Weyeneth, Europarecht, Rdn. 892; Röhl, JURA 2006, 321 (330 m. w. N.). 522 Siehe nur Koch, Gewährleistungspflicht, S. 175 ff.

C. Handlungsformen der Mitgliedstaaten zur Erfüllung der Leistungspflicht

123

C. Handlungsformen der Mitgliedstaaten zur Erfüllung der Leistungspflicht Die vorangegangenen Untersuchungsschritte haben gezeigt, dass es im Wesentlichen auf das Ergebnis, also die Wirkungsgleichheit der Bemühungen des Mitgliedstaats ankommt. Die Wahl der Mittel steht dem Mitgliedstaat also frei.523 Grundlegend sind zwei Optionen zu unterscheiden: Der Mitgliedstaat kann die Übertragungs- und Verteilernetzbetreiber verpflichten, die Stromnetze auszubauen524 oder lediglich effektive Investitionsanreize525 setzen. Wählt der Mitgliedstaat die erste Variante, so hat er die Umsetzung der Pflicht zu gewährleisten.526 Beispielsweise ist in Deutschland anerkannt, dass den Staat bzgl. der Energieversorgung nur noch eine Gewährleistungsverantwortung trifft, die er durch Gesetzgebung und Regulierung erfüllt. Der Stromnetzausbau selbst kann quantitativ oder qualitativ erfolgen:527 Einerseits können weitere Leitungen hinzugebaut werden. Dies kann entweder durch Überlandleitungen oder aber auch durch eine Erdverkabelung geschehen.528 Auf der anderen Seite können bestehende Leitungen aber auch mechanisch-technisch verbessert oder deren Effizienz mit Hilfe der Digitalisierung gesteigert, also ein sogenanntes „smart grid“ geschaffen werden.529 Beim Ausbau der Stromnetze ist darauf zu achten, dass sich deren Kapazität nunmehr an der maximal zu erwartenden Belastung orientieren sollte.530 Dies liegt im Wesentlich daran, dass sich Strom aufgrund seiner physikalischen Beschaffenheit praktisch nicht direkt speichern lässt531 und auch eine 523 Siehe auch Kapitel 3 C. II. 2. Zu möglichen Handlungsformen im Rahmen der mitgliedstaatlichen Pflicht, die Warenverkehrsfreiheit vor der Beeinträchtigung durch aktive Handlungen Privater zu schützen, Burgi, EWS 1999, 327 (330). 524 Vgl. bspw. § 11 Abs. 1 Satz 1 EnWG. In diesem Sinne wohl auch Art. 12 lit. a) und c) und Art. 25 Abs. 1 Richtlinie 2009/72/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 13. 7. 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/54/EG, ABl. L 211 v. 14. 8. 2009, S. 55 ff. 525 So wohl auch der Gedanke in Art. 6 Abs. 1 lit. a) B. Richtlinie 2005/89/EG. 526 So wohl auch der Gedanke in Art. 22 Abs. 7 Richtlinie 2009/72/EG (Fn. 524). 527 Siehe dazu auch die Literatur in Fn. 15. 528 Siehe zu den technischen Fragen Oeding/Oswald, Kraftwerke, insb. Kapitel 9, 10 und 12. 529 Vgl. vom Dahl, N&R 2015, 194 (195). 530 Müller, Elektrizitätswirtschaft, S. 26; Presser, Stromhandel, S. 30 f. 531 Feser/Schäfer, in: Voß, Zukunft, 123 (123 und 134); Hettich/Walther/Wohlgemuth/ Camenisch/Drittenbass, Strommarkt 2023, S. 108 m. w. N.; Müller, Elektrizitätswirtschaft, S. 26. Allerdings wird bei Kondensatoren die Energie in einem elektrischen Feld gespeichert und muss nicht erst umgewandelt werden, Tipler/Mosca, Physik, S. 926 ff., sodass man von einem direkten Speicher sprechen könnte. Begriffsdefinitorisch ist Strom allerdings bewegte Ladung, vgl. Tipler/Mosca, Physik, S. 966, sodass zumindest die hier so getroffene Aussage, dass Strom nicht direkt speicherbar ist, streng genommen richtig ist; siehe allerdings auch zur Wirtschaftlichkeit von Kondensatoren Energie-Forschungszentrum Niedersachsen, Eignung von Speichertechnologien zum Erhalt der Systemsicherheit, 8. März 2013, http://www.bmwi. de/BMWi/Redaktion/PDF/Publikationen/Studien/eignung-von-speichertechnologien-zum-er

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Kap. 4: Zu einer speziellen Leistungsdimension für die Ware Strom

indirekte Speicherung unwirtschaftlich ist.532 Diese Beobachtung führt dazu, dass immer so viel Strom eingespeist werden muss, wie nachgefragt wird.533 Folglich müssen die Stromnetze auch belastbar genug sein, um den Transport der nachgefragten Strommenge zu gewährleisten.534 Zudem muss das gewählte Mittel auch selbst rechtmäßig sein: beispielsweise müssen bei der Digitalisierung der Stromnetze auch die Grundrechte der betroffenen Akteure berücksichtigt werden.535 In manchen Gebieten kann aufgrund der notwendigen Berücksichtigung von Umwelt- oder Kulturbelangen statt eines quantitativen Ausbaus nur ein qualitativer Ausbau in Betracht kommen, ergo das Ermessen in Bezug auf die Wahl der Mittel aus rechtlichen Gründen eingeschränkt sein.

D. Zwischenergebnis und Zusammenfassung Zusammenfassend ergibt sich eine originäre Leistungsdimension bezüglich der Infrastruktur für die Ware Strom aus den gleichen Vorschriften wie für die Infrastruktur sonstiger Waren. Die Vertragsgemeinschaft wird insbesondere aufgrund der besonders großen Bedeutung der Ware Strom für den Binnenmarkt vernünftigerweise vom Mitgliedstaat einen weitreichenderen Ausbau der Stromnetze verlangen können als dies beispielsweise für die allgemeinen Verkehrsnetze gilt. Der in Art. 194 Abs. 2 UnterAbs. 2 AEUV geregelte, mitgliedstaatliche Souveränitätsvorbehalt sowie die Tatsache, dass Strom virtuell sowie in Gebotszonen gehandelt wird, ändern nichts an der Annahme einer Leistungsdimension der Art. 34 und 35 AEUV für die Ware Strom. Allerdings besteht für die Ware Strom nur eine einzige Möglichkeit des Transports, nämlich über Übertragungs- und Verteilernetze; der Ermessensspielraum der Mitgliedstaaten ist daher in Bezug auf die Ware Strom noch stärker eingeschränkt. Eine originäre Pflicht zum Stromnetzausbau aus Art. 34 und 35 AEUV findet ihre Grenze in kollidierenden Vertragsvorschriften und ungeschriebenen Rechtsregeln, allen voran in den Rechtfertigungsgründen des Art. 36 AEUV. Die an das Unterlassen des Stromnetzausbaus anknüpfende Handlungspflicht kann folglich nur soweit reichen, wie das mitgliedstaatliche Unterlassen nicht gerechtfertigt ist. Diese Rechtfertigung kann sich aus den in Art. 36 und 347 AEUV niedergelegten Gründen ergeben, aus ungeschriebenen Gründen oder durch die Postulierung von Rechten halt-der-systemsicherheit,property=pdf,bereich=bmwi2012,sprache=de,rwb=true.pdf (Stand: 27. 12. 2019), S. 39 ff. 532 Cameron, Competition, Rdn. 1.63; Müller, Elektrizitätswirtschaft, S. 160; Presser, Stromhandel, S. 30. 533 Müller, Elektrizitätswirtschaft, S. 160; Presser, Stromhandel, S. 30 f. 534 Presser, Stromhandel, S. 31. 535 Vgl. nur Baumgart, in: Leal-Arcas/Wouters, EU Energy Law and Policy, 353 (354 ff.). In Bezug auf Deutschland Baumgart/Mallmann, ZNER 2017, 95 (95 ff.).

D. Zwischenergebnis und Zusammenfassung

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Dritter, insbesondere von Grundrechten. Die Rechtfertigung selbst steht unter dem Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit des Unterlassens. Hinsichtlich der Umsetzung der originären Leistungspflicht stehen dem Mitgliedstaat verschiedene Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung.

Kapitel 5

Weitere pflichtbegründende Vorschriften A. Sonstiges Unionsprimärrecht als Grundlage für eine mitgliedstaatliche Pflicht zum Ausbau der Stromnetze Im Übrigen ist denkbar, dass sich Pflichten der Mitgliedstaaten zum Ausbau der Stromnetze nicht nur aus den Vorschriften der Art. 34 und 35 AEUV ergeben. Auch könnten Art. 4 Abs. 3 EUV, Art. 37 AEUV und Art. 106 Abs. 1 AEUV i. V. m. Art. 102 AEUV eine Grundlage für mitgliedstaatliche Pflichten zum Ausbau der Stromnetze bieten. Im Sinne des Untersuchungsziels soll daher Inhalt und Rechtsfolge dieser Vorschriften in Bezug auf mögliche Ausbaupflichten untersucht und zudem an den Stellen, an denen Überschneidungen festzustellen sind, das Verhältnis zu den Art. 34 und 35 AEUV herausgearbeitet werden. Grundsätzlich ist es dabei möglich, dass auch in Bezug auf die im Folgenden diskutierten Vorschriften die Auslegung im Rahmen der Wertungstrias der immer weiteren EU-Integration, mitgliedstaatlicher Solidarität und nationaler Souveränität erfolgt. Der folgende Abschnitt wird allerdings zeigen, dass die Auslegung aufgrund der angelegten Methodik deutlich stärker durch die Grenzen von Wortlaut und Systematik konturiert wird als dies für die Art. 34 und 35 AEUV der Fall ist.

B. Art. 4 Abs. 3 EUV Es ist denkbar, dass sich eine Pflicht zum Ausbau der Stromnetze auch aus Art. 4 Abs. 3 EUV ergibt. Generell wird Art. 4 Abs. 3 EUV als lex generalis zu anderen pflichtbegründenden Vorschriften der Verträge verstanden.536 Die Vorschrift ist als geschriebener Grundsatz der „Unionstreue“ Ausfluss des im Rahmen der Vertragsauslegung heranzuziehenden Grundsatzes von Treu und Glauben.537 Sie regelt

536

Siehe die Nachweise in Fn. 288. Beul, steueranwaltsmagazin 2013, 92 (94 m. w. N. in Bezug auf die Benutzung des Begriffs der „Unionstreue“). Siehe auch Hatje, Loyalität, S. 37 f. 537

B. Art. 4 Abs. 3 EUV

127

insbesondere Loyalitätspflichten zwischen Union und Mitgliedstaaten538 und geht damit über „eine spezielle auf die Bedürfnisse der [… Union] zugeschnittene Fassung der Regel ,Pacta sunt servanda‘“539 hinaus. Der Inhalt der Vorschrift ist im Rahmen der Auslegung zu ermitteln. Dass dieser auch auf eine originäre Leistungspflicht gerichtet sein könnte, ist nicht bereits durch die Existenz anderweitiger, gegebenenfalls speziellerer Vorschriften ausgeschlossen,540 also auch nicht durch die oben nachgewiesene originäre Leistungspflicht auf der Grundlage der Art. 34 und 35 AEUV. Dabei fasst Art. 4 Abs. 3 EUV verschiedene Pflichten der Mitgliedstaaten zusammen und gliedert diese im Wesentlichen in drei Unterabsätze.

I. Akzessorische Pflichten So regelt Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 2 EUV, dass die Mitgliedstaaten alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zur Erfüllung der Verpflichtungen, die sich aus den Verträgen oder den Handlungen der Organe der Union ergeben, ergreifen. Zur Begründung einer Verpflichtung über Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 2 EUV müsste sich also eine Verpflichtung aus den Verträgen oder den Handlungen der Organe ergeben. Für eine Verpflichtung aus den Handlungen der Organe der Union ist Art. 291 Abs. 1 AEUV die speziellere Norm. Eine Verpflichtung aus den Verträgen muss sich aus diesen ergeben. Insoweit begründet Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 2 EUV nur eine Regelung für das Auswahlermessen und kann nur zusammen mit einer Verpflichtung herangezogen werden, die sich aus einer anderen Norm der Verträge ergeben muss.541 Damit begründet Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 2 EUV keine selbständige Pflicht, sondern verweist lediglich auf andere im Vertrag normierte Pflichten, für deren Erfüllung die Mitgliedstaaten alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zu ergreifen haben.542 Insoweit begrenzt hier der Wortlaut der Vorschrift deren Auslegung. Zum Teil wird allerdings vertreten, dass die Vorschrift entgegen des eindeutigen Wortlauts eigene Handlungspflichten begründe.543 In der Literatur wird formuliert, dass sich aus dieser Generalnorm für die Mitgliedstaaten die Verpflichtung ergebe, 538 Hatje, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 4 EUV Rdn. 25 ff. Siehe auch Due, Gemeinschaftstreue, S. 3. Allgemein zu der Frage, ob die in den Verträgen findende Verankerung des Loyalitätsprinzips zu einer weiteren Integration führen muss Hatje, Loyalität, S. 102 f. 539 Due, Gemeinschaftstreue, S. 2. 540 Riem, Grundfreiheiten, S. 54. 541 Liest man Due, Gemeinschaftstreue, S. 4 ff., in diesem Sinne, ist den dort gemachten Ausführungen zuzustimmen. Nicht aber ergibt sich eine Verstärkung andernorts normierter Pflichten per se. Vgl. auch Koch, Gewährleistungspflicht, S. 134 f. 542 So auch Riem, Grundfreiheiten, S. 55. Vgl. auch Koch, Gewährleistungspflicht, S. 114 m. w. N.; die a. A. von Due, Gemeinschaftstreue, S. 8 ff. 543 Siehe nur die Darstellung bei Koch, Gewährleistungspflicht, S. 114. Weitere Nachweise bei Keun, Handlungspflichten, S. 40.

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Kap. 5: Weitere pflichtbegründende Vorschriften

„dafür zu sorgen, dass die Grundfreiheit des freien Warenverkehrs auf ihrem Gebiet wirkungsvoll in Anspruch genommen werden kann.“544 Zwar läge bei der Annahme einer derartig ausgestalteten Pflicht eine Pflicht zur Gewährleistung von Infrastruktur nahe, da ohne ausreichende Infrastruktur die Grundfreiheit des freien Warenverkehrs nicht wirkungsvoll in Anspruch genommen werden könnte. Eine solche Pflicht, die sich nicht auf den Wortlaut, sondern allenfalls durch Sinn und Zweck begründen ließe, würde auf diese Weise allerdings gewiss die noch zulässige Auslegung gemäß dem angelegten Maßstab545 überschreiten.546 In eine ähnliche Richtung tendiert die Ansicht, die der Formulierung Neben- und Sekundärpflichten entnehmen will; danach würde sich bei einem Verständnis vertraglicher Pflichten als Pflichten, die auf einen dauerhaften Zustand zielen, ein weiter gefasster Anwendungsspielraum der Formulierung ergeben.547 Würden aber bereits anderweitig normierte vertragliche Pflichten offen sein für die Ausrichtung auf die Erreichung eines dauerhaften Zustands, müssten wohl bereits diese Pflichten als spezieller angesehen werden. Schon deshalb ist nicht ersichtlich, wo Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 2 EUV über seinen akzessorischen Charakter hinausgehen sollte. Die Vorschrift verleiht auch keiner an einem anderen Ort normierten Pflicht eine größere Reichweite,548 da der insoweit ausdrückliche Wortlaut nur lediglich einen akzessorischen Verweis zulässt. Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 2 EUV begründet folglich keine über den Wortlaut hinausgehende Handlungspflicht.

II. Solidaritätspflichten 1. An diesem Ergebnis ändert es auch nichts, wolle man in der Vorschrift – wie zum Teil vertreten549 – eine Solidaritätspflicht begründet sehen. In seinem Urteil zur Rechtssache Kommission/Italien (1973) geht der Europäische Gerichtshof ohne Normanknüpfung von einer „Pflicht zur Solidarität, welche die Mitgliedstaaten durch ihren Beitritt zur Gemeinschaft übernommen haben“, aus.550 In der in dem Urteil besprochenen Form – nämlich in Bezug auf den Nichtvollzug von Rechtsverordnungen – ist diese wohl in Art. 4 Abs. 3 EUV zu verordnen. In einem anderen Urteil sieht der Gerichtshof die Solidarität „diesen Verpflichtungen wie dem ge544

Fischer, JA 1998, 838 (840). Kapitel 1 C. 546 Nach Keun, Handlungspflichten, S. 41, bestünde „[o]hne akzessorischen Bezug zu einer vertraglich bestehenden Hauptpflicht […] die Gefahr, dass vertragliche Wertungen unterlaufen würden.“ 547 Koch, Gewährleistungspflicht, S. 137. 548 Vgl. die Überlegung bei Riem, Grundfreiheiten, S. 55. 549 So Keun, Handlungspflichten, S. 39 f., die mit Hinweis auf die EuGH-Rspr. eine Solidaritätspflicht aus Art. 10 EGV (Amsterdam) entnommen haben will. Vgl. zum Verhältnis von Solidarität und Loyalität Hatje, Loyalität, S. 16 f. 550 EuGH, Urt. v. 7. 2. 1973, Rs. C-39/72, ECLI:EU:C:1973:13, Rdn. 24 f. – Kommission/ Italien. 545

B. Art. 4 Abs. 3 EUV

129

samten Gemeinschaftssystem“ zugrundeliegend.551 Zwar wäre denkbar, dass eine solche Solidaritätspflicht zu einem Ausbau der Stromnetze führt. Aber auch diese Solidaritätspflicht kann keine weitergehenden Rechtsfolgen bewirken, als Wortlaut und Systematik zulassen. Auch eine etwaige in Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 2 EUV enthaltende Solidaritätspflicht führt demnach nicht zu einem Ausbau der Stromnetze. 2. Denkbar wäre auch hier,552 dass sich wegen Art. 194 AEUV etwas anderes ergibt. So wird zum Teil vertreten, dass sich aus dem „Geiste der Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten“ oder gar aus einem allgemeinem, den Verträgen immanenten Rechtsprinzip, ergebe, dass für die Mitgliedstaaten untereinander eine Solidaritätspflicht besteht.553 Während in den Europäischen Verträgen in der Version des Vertrags von Nizza noch spärlich auf den Begriff der Solidarität Bezug genommen wurde, ist dies in den Europäischen Verträgen in der Version des Vertrags von Lissabon deutlich häufiger der Fall.554 Dabei ist die Solidarität durch „Gemeinsamkeit, Zusammengehörigkeit und gegenseitige Unterstützung“555 geprägt. Der Europäische Gerichtshof definiert die Solidarität als „das mit der Zugehörigkeit zur Gemeinschaft verbundene Gleichgewicht zwischen Vorteilen und Lasten“556. Diese Solidaritätspflicht könnte sich in Bezug auf das in Art. 194 Abs. 1 lit. d) AEUV normierte Ziel der Förderung der Interkonnektion der Energienetze oder auch im Zusammenhang mit der Vermeidung der Abschottung der Strommärkte durch die Aufteilung in Gebotszonen557 oder mit dem Einsatz von Phasenschiebern558 entweder als eigene Pflicht zum aktiven Tätigwerden oder jedenfalls als unterstützende Erwägung für die hier gegenständliche Argumentation darstellen. Zwar sei „die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten […] in den Lissabon-Verträgen als ein Rechtsreflex der Pflicht zur Solidarität gegenüber der EU konzipiert. Dennoch [verstärke] sich im Gefolge der Aktionen zur Bewältigung der Euro-Finanzkrise das Verständnis des ,Geists der Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten‘ zu einer Verpflichtung, die im Negativen wie auch im Positiven operationalisiert werden kann und nationale Alleingänge behindert.“559

Dabei seien 551 EuGH, Urt. v. 10. 12. 1969, Verb. Rs. C-6/69 und C-11/69, ECLI:EU:C:1969:68, Rdn. 14 ff. – Kommission/Frankreich. 552 Siehe bereits oben Kapitel 4 A. II. 553 Vgl. dazu Börner, RdE 2014, 367 (367 ff. m. w. N.); a. A. wohl Ehricke/Hackländer, ZEuS 2008, 579 (596). 554 Ehricke/Hackländer, ZEuS 2008, 579 (594), die darauf verweisen, dass im EGV (Nizza) nur Art. 2 auf die Begrifflichkeit der Solidarität verwiesen hat. 555 Ehricke/Hackländer, ZEuS 2008, 579 (596). 556 EuGH, Urt. v. 7. 2. 1973, Rs. C-39/72, ECLI:EU:C:1973:13, Rdn. 24 f. – Kommission/ Italien; darauf hinweisend Ehricke/Hackländer, ZEuS 2008, 579 (594 f.). 557 König/Baumgart, EuZW 2018, 491 (491 ff.). 558 Schulte-Beckhausen/Schneider/Kirch, RdE 2014, 101 (104 ff.). 559 Börner, RdE 2014, 367 (372 m. w. N.).

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Kap. 5: Weitere pflichtbegründende Vorschriften

„die Organe der EU und die Mitgliedstaten gemeinsam die Garanten für einen funktionierenden Binnenmarkt, und daraus [speise] sich ihre wechselseitige Solidarität.“560

Eine zentrale Überlegung ist dabei auch, dass „ein Binnenmarktsektor (Energie), dessen Teilmärkte (Energiemärkte) funktionieren sollen, […] nicht nur der Sicherheit der Güterversorgung (Energieversorgungssicherheit), sondern auch mehr oder minder intensiver infrastruktureller und anderer tatsächlicher sowie rechtlicher Voraussetzungen“

bedürfe.561 Dabei wird statuiert, dass die Mitgliedstaaten „zum einen […] – über die getreue Umsetzung von EU-Recht hinaus – […] unbeschadet nationaler Markteffekte ihre permanenten physischen Gleichgewichte in den Netzen halten [müssen], um mengentausch und damit binnenmarktfähig zu sein.“562

Sie müssten sich „zum anderen […] aller Maßnahmen enthalten, die sich negativ auf andere Mitgliedstaaten und insbesondere deren Netzstabilität auswirken.“563 Es verbleibe die Frage, ob diese Solidarität auch eine „positive Solidaritätspflicht“ umfasse, also eine „Pflicht zu aktiver Hilfe“ enthalte.564 Art. 194 Abs. 1 AEUV stellt allerdings bereits vom Wortlaut her lediglich eine Kompetenznorm der Union dar. Diese hat den „Geist der Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten“ bei ihrem Tätigwerden im Rahmen des Art. 194 AEUV zu beachten. Die Präambel zum EUV formuliert den mitgliedstaatlichen „Wunsch, die Solidarität zwischen ihren Völkern unter Achtung ihrer Geschichte, ihrer Kultur und ihrer Traditionen zu stärken“. Eine Auslegung unter Berufung auf die praktische Wirksamkeit der Vorschrift, wie sie in Bezug auf das in der Präambel normierte Vertragsziel der Stärkung der Solidarität zwischen den Völkern angedacht werden könnte, scheitert an dem zu engen Wortlaut des Art. 194 Abs. 1 AEUV.565 Damit ergibt sich aus Art. 4 Abs. 3 EUV i. V. m. Art. 194 Abs. 1 AEUVauch keine Ausbaupflicht, die die Verbindungsleitungen zu Drittländern wie der Schweiz betreffen; hier hätte sonst argumentiert werden können, dass der Geist der Solidarität in seiner Ausprägung als Gewährleistung der Versorgungssicherheit auch zum Ausbau der Verbindung mit versorgungssicherheitsrelevanten Drittstaaten führt.

560 561 562 563 564 565

Börner, RdE 2014, 367 (381 m. w. N.). Börner, RdE 2014, 367 (368). Börner, RdE 2014, 367 (369). Börner, RdE 2014, 367 (369). Börner, RdE 2014, 367 (369 ff.). Anders wohl Bings, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 194 AEUV Rdn. 34 m. w. N.

B. Art. 4 Abs. 3 EUV

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III. Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit 1. Damit verbleibt nur die in Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 und 3 EUV näher geregelte sogenannte Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit,566 die eine Pflicht zum Ausbau der Stromnetze begründen könnte. So achten und unterstützen sich die Union und die Mitgliedstaaten nach Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 EUV gegenseitig bei der Erfüllung der Aufgaben, die sich aus den Verträgen ergeben. Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 3 EUV regelt demgegenüber, dass die Mitgliedstaaten die Union bei der Erfüllung ihrer Aufgabe unterstützen und alle Maßnahmen, die die Verwirklichung der Ziele der Union gefährden könnten, unterlassen. Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 3 EUV konkretisiert damit die Achtungs- und Unterstützungspflicht der Mitgliedstaaten gegenüber der Union in eine Handlungs- und Unterlassungspflicht. Für die Regelungen im ersten Unterabs. verbleibt also nur noch ein eigenständiger Anwendungsbereich für die Pflicht der Mitgliedstaaten gegenüber anderen Mitgliedstaaten, sich bei der Erfüllung der Aufgaben, die sich aus den Verträgen ergeben, zu achten und zu unterstützen, und für selbige Pflicht der Union gegenüber den Mitgliedstaaten. Der erste Unterabsatz ist für die Fragestellung der Untersuchung demnach deshalb relevant, weil er eine Achtungs- und Unterstützungspflicht für Mitgliedstaaten gegenüber anderen Mitgliedstaaten erfasst. Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 3 EUV stellt sich mithin in Bezug auf die Union als lex specialis zu Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 AEUV dar. Wenngleich die Unterlassungspflicht des Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 3 EUV in der Vergangenheit dafür angeführt wurde, in Verbindung mit anderen Vorschriften der Verträge einen Verstoß gegen diese zu begründen,567 kann die Pflicht, etwas zu unterlassen, schon nicht zu einem aktiven Tätigwerden der Mitgliedstaaten in Bezug auf den Ausbau der Stromnetze führen. Eine Pflicht zum Ausbau könnte mithin nur auf die Achtungspflicht aus Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 EUV bzw. die Unterstützungspflichten in Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 und 3 EUV zu gründen sein. Fraglich ist aber, was unter „achten“ und „unterstützen“ im Sinne der Vorschrift zu verstehen ist. Dies bedarf der tiefergehenden Untersuchung: 2. Achten bedeutet „jemandem Achtung entgegenbringen; jemanden respektieren“, „jemandem, einer Sache Beachtung, Aufmerksamkeit schenken; jemanden, eine Sache beachten“ oder einfach „aufpassen, achtgeben“.568 Wenn die Mitgliedstaaten sich und die Union also bei der Erledigung der Aufgaben „achten“ sollen, führt dies dazu, dass sie Maßnahmen zu unterlassen haben, die die Erledigung der Aufgaben der anderen beeinträchtigen können. Eine Handlungspflicht ergibt sich gerade nicht aus dem Wortlaut. Ein anderes, rechtliches Verständnis des Wortlauts, ist nicht ersichtlich. Auch die Systematik unterstützt diese Auslegung: Da Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 3 EUV die Unterstützungspflicht aus Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 566

So beispielsweise bezeichnet von Geiger, in: Geiger/Khan/Kotzur, Kommentar, Art. 4 EUV Überschrift zu den Rdn. 5 ff. 567 Vgl. Due, Gemeinschaftstreue, S. 8 f.; Kühling, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 106 AEUV Rdn. 24 m. w. N. 568 Duden online, http://www.duden.de/rechtschreibung/achten (Stand: 27. 12. 2019).

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Kap. 5: Weitere pflichtbegründende Vorschriften

EUV hinsichtlich der Union konkretisiert, liegt es nahe, dass Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 3 EUVauch die Achtungspflicht aus Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 EUV hinsichtlich der Union konkretisiert. Nach Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 3 EUV unterlassen die Mitgliedstaaten alle Maßnahmen, die die Verwirklichung der Ziele der Union gefährden könnten. Somit meint „achten“ im Sinne von Art. 4 Abs. 3 EUV im Wesentlichen eine Unterlassungspflicht und insbesondere keine Handlungspflicht. Allenfalls kann sich aus der Vorschrift eine Pflicht ergeben, „dass in einem solchen Fall der Änderung einer Praxis die Behörden des betroffenen Mitgliedstaats vorher über die neue Praxis unterrichtet werden, damit es ihnen nicht unmöglich gemacht wird, sich auf die neue Praxis vorzubereiten und ihr bei der Ausstellung der Dokumente […] Rechnung zu tragen.“569

Diese Unterrichtungspflichten halten sich im Rahmen des Wortlauts. Mithin ergibt sich aus den Achtungspflichten der Mitgliedstaaten gegenüber den anderen Mitgliedstaaten aus Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 EUV und der Mitgliedstaaten gegenüber der Union aus Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 3 EUV keine Pflicht zum aktiven Tätigwerden und damit keine Pflicht zum Ausbau der Stromnetze. Im Ergebnis meint „Achten“ im Sinne von Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 EUV im Wesentlichen eine Unterlassungspflicht und insbesondere keine Handlungspflicht. Deshalb ergibt sich aus den Achtungspflichten der Mitgliedstaaten gegenüber den anderen Mitgliedstaaten aus Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 EUV und der Mitgliedstaaten gegenüber der Union aus Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 3 EUV keine Pflicht zum aktiven Tätigwerden und damit keine Pflicht zum Ausbau der Stromnetze. 3. Nunmehr ist zu untersuchen, ob sich jedenfalls aus dem Begriff „unterstützen“ im Sinne der Vorschrift zielführende Überlegungen ergeben. Grammatikalische Erwägungen legen nahe, dass mit dem Begriff des Unterstützens im Sinne der Norm keine Überleitung der Unionsaufgaben auf die Mitgliedstaaten erfolgt und daher aus dieser Vorschrift auch keine aktive Binnenmarkterrichtungspflicht abgeleitet werden kann. Unterstützen bedeutet nämlich „jemanden bei etwas behilflich sein“ bzw. „sich für jemanden, jemandes Angelegenheiten o. ä. einsetzen und dazu beitragen, dass jemand, etwas Fortschritte macht, Erfolg hat“.570 Grundsätzlich erschiene der Wortlaut damit zwar dafür offen, dass auch die Mitgliedstaaten aktiv tätig werden müssen, zu den Aufgaben der Union beizutragen. Allerdings erfolgt nach dem Wortlaut der Vorschrift das Unterstützen „nach dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit“. Mithin arbeitet man zusammen, man übernimmt aber nicht die Aufgaben des anderen. Systematische Erwägungen verbleiben zu wage, um über diese grammatikalische Grenze hinweg helfen zu können: Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 2 EUV spricht davon, alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zur Erfüllung der Ver569

EuGH, Urt. v. 22. 3. 1983, Rs. C-42/82, ECLI:EU:C:1983:88, Rdn. 36 – Kommission/ Frankreich. 570 Duden online, http://www.duden.de/rechtschreibung/unterstuetzen_beistehen_helfen_ entlasten (Stand: 27. 12. 2019).

B. Art. 4 Abs. 3 EUV

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pflichtungen, die sich aus den Verträgen oder den Handlungen der Organe der Union ergeben, zu ergreifen. Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 und Unterabs. 3 Alternative 1 EUV verlangen bereits, dass die Mitgliedstaaten sich gegenseitig und die Union bei der Erfüllung ihrer Aufgaben unterstützen. Es müssen also nicht nur konkrete Handlungen zur Erfüllung von Verpflichtungen, die sich aus den Verträgen oder den Handlungen der Organe der Union ergeben, ergriffen werden; die Mitgliedstaaten müssen die Union sogar bei der Erfüllung ihrer Aufgabe unterstützen.571 Damit geht Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 3 Alternative 1 EUV über das geforderte Maß an Handlung aus Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 2 EUV hinaus.572 Allerdings sind mitgliedstaatliche Pflichten nicht nur in Art. 4 Abs. 3 EUV geregelt, sondern finden sich an vielen Stellen in den Verträgen. Daraus ergibt sich bereits, dass wenn ein Sachverhalt von einer anderen Norm erfasst ist, die Frage, ob eine Pflicht besteht oder nicht, nicht durch die sehr allgemein gehaltene Vorschrift des Art. 4 Abs. 3 EUV geregelt wird.573 Die Pflichten der Mitgliedstaaten im Hinblick auf den Binnenmarkt regeln bereits die Art. 26 ff. AEUV. Wenngleich also der Begriff der Unterstützung sehr weit ausgelegt werden kann, haben die Mitgliedstaaten die Union nur bei deren Aufgabe zu unterstützen. Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 3 EUV differenziert ausdrücklich zwischen der Unionsaufgabe, für die die Mitgliedstaaten eine Unterstützungspflicht trifft, und den Unionszielen, die die Mitgliedstaaten nicht gefährden dürfen. Ziele der Union sind beispielsweise in Art. 3 Abs. 3 S. 1 EUV normiert („Die Union errichtet einen Binnenmarkt.“). Unter Aufgabe muss daher beispielsweise verstanden werden, was in Art. 170 AEUV normiert ist. Damit kann Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 3 Variante 1 EUV die Mitgliedstaaten allenfalls verpflichten, die Union dabei zu unterstützen, dass sie zum Ausbau der transeuropäischen Netze beiträgt. Da aber auch die Union nur auf einen Beitrag beschränkt ist, kann diese Unterstützungspflicht nicht dazu führen, dass die Mitgliedstaaten aufgrund von Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 3 Variante 1 EUV selbst die Stromnetze auszubauen hat. Historische Überlegungen sprechen zwar auch für eine weitergehende Auslegung der Vorschrift. So regelte Art. 10 Abs. 1 S. 2 EGV (Amsterdam) nur, dass die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft, heute also der Union, die Erfüllung ihrer Aufgabe erleichtern. In der heutigen Fassung des Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 3 Alternative 1 EUV ist nunmehr nicht nur geregelt, dass die Mitgliedstaaten die Erfüllung der Aufgabe der Union erleichtern, sondern, dass die Mitgliedstaaten die Union bei der Erfüllung ihrer Aufgabe unterstützen. Erleichtern beschränkt sich nämlich auf das „einfacher, bequemer, leichter ertragbar machen“574. Damit fordert die Norm in ihrer aktuellen Fassung also ein Mehr als die Vorgängernorm.575 571

Hatje, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 4 EUV Rdn. 72; Streinz, in: Streinz, EUV/ AEUV, Art. 4 EUV Rdn. 65. 572 Streinz, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 4 EUV Rdn. 65. 573 Vgl. Streinz, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 4 EUV Rdn. 27. 574 Duden online, http://www.duden.de/rechtschreibung/erleichtern (Stand: 27. 12. 2019). 575 Streinz, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 4 EUV Rdn. 65; a. A. Hatje, in: Schwarze, EUKommentar, Art. 4 EUV Rdn. 71.

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Kap. 5: Weitere pflichtbegründende Vorschriften

Auch in Bezug auf die Auslegung nach Sinn und Zweck könnte die maximal mögliche Auslegung nach dem Grundsatz des effet utile darauf abzielen, dass das Ziel der Verträge, die Errichtung eines Binnenmarkts, am besten zu erreichen ist, wenn die Mitgliedstaaten eine umfassende Gewährleistungspflicht trifft. Man könnte argumentieren, wenn die Union keine Kompetenz zur Gewährleistung der notwendigen Infrastruktur hat, dass das Wort „unterstützen“ so auszulegen wäre, dass die Mitgliedstaaten eben jene umfassende Gewährleistungspflicht trifft. Allerdings würden auch diese Überlegungen den Wortlaut der Vorschrift überschreiten. 4. Gleiches gilt auch für Erwägungen in Bezug auf das allgemeine Störerprinzip und das aus dem Umweltvölkerrecht stammende Schädigungsverbot576. Zwar ist denkbar, dass bereits das allgemeine Störerprinzip zu einem Ausbau der Stromnetze führen könnte. Mitgliedstaaten richten sogenannte Phasenschieber an den Verbindungsleitungen der mitgliedstaatlichen Netze ein, um zu verhindern, dass Strommengen, die von Netzen des Mitgliedstaats, in dem diese produziert wurden, nicht mehr aufgenommen werden können, in das eigene Stromnetz gelangen.577 Die Einrichtung dieser Phasenschieber wird zwar vereinzelt als Verstoß gegen die Vorschriften zum freien Warenverkehr, dann aber als durch in Art. 36 AEUV genannte Gründe gerechtfertigt angesehen.578 Nunmehr kann überlegt werden, ob die Mitgliedstaaten, die den überschüssigen Strom nicht in ihren eigenen Netzen aufnehmen können und dadurch Kosten in den benachbarten Netzen verursachen, im Gegensatz zu den die Phasenschieber errichtenden Mitgliedstaaten als ursächliche Störer anzusehen. Es könnte angeführt werden, dass die die Phasenschieber errichtenden Mitgliedstaaten zu ihrem Verhalten herausgefordert würden. Überlegungen, diese ursächlichen Störer daher bereits zu einem Stromnetzausbau zu verpflichten, um den überschüssigen Strom in ihren eigenen Netzen aufnehmen zu können und dadurch keine Kosten in den Netzen benachbarter Mitgliedstaaten zu verursachen, können allerdings aufgrund des engen Wortlauts des Art. 4 Abs. 3 EUV keine Stütze in den Verträgen finden. Denkbar wäre noch, diesen Stromnetzausbau an das Unterlassungsgebot in Bezug auf alle Maßnahmen, die die Verwirklichung der Ziele der Union gefährden könnten, in Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 3 Halbsatz 2 EUV anzuknüpfen. Würde man daran anknüpfen, muss aber bereits davon ausgegangen werden, dass die Mitgliedstaaten auch ihre eigene Stromproduktion bzw. Einspeisung reduzieren könnten, sodass sich eine ureigene Pflicht zum Ausbau der Stromnetze nicht ergeben kann. Auch das aus dem Umweltvölkerrecht stammende Schädigungsverbot ändert nichts an dem hier gefundenen Ergebnis. Das Schädigungsverbot verbietet es einem Staat, seine Rechte so zu nutzen, „dass einem anderen Staat Schäden an seiner 576

Bäumler, Schädigungsverbot; Beyerlin/Marauhn, International Environmental Law, S. 39 ff.; Dupuy/Viñuales, International Environmental Law, S. 55 ff. 577 Siehe auch oben Kapitel 1 A. Ausführlich Schulte-Beckhausen/Schneider/Kirch, RdE 2014, 101 (104 ff.). 578 Schulte-Beckhausen/Schneider/Kirch, RdE 2014, 101 (105 f.).

B. Art. 4 Abs. 3 EUV

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Umwelt entstehen.“579 Jedenfalls ist denkbar, dass bereits ein nur auf Umweltbeeinträchtigungen beschränktes Schädigungsverbot auch Auswirkungen auf die Ziele der EU-Verträge hat: so wird in der Literatur das Beispiel angeführt, dass ein Staat durch die Zuführung von brennbaren Chemikalien in eine auch zur gewerblichen Schifffahrt genutzte Wasserstraße nicht nur Auswirkungen auf die Umwelt, sondern eben auch auf die Befahrbarkeit dieser Wasserstraße haben könnte.580 Ob dieses Verbot der Schädigung über das Umweltvölkerrecht auch in anderen Gebieten des Völkerrechts, wie etwa dem Welt- und Finanzvölkerrecht, oder gar als allgemeines Prinzip des Völkerrechts anzuerkennen ist, ist noch nicht abschließend geklärt.581 Wenn aber ein solch allgemeines Prinzip existiert und dieses „deutlich macht, dass Staaten nicht ohne Rücksicht auf die Interessen anderer völlig frei agieren können“582, dann ist grundsätzlich denkbar, dass ein EU-Mitgliedstaat, der durch eine hohe Stromeinspeisung, ohne dabei ein eigenes ausreichend ausgebautes Stromnetz vorzuhalten, dieses Schädigungsverbot verletzt, wenn die hohe Stromeinspeisung dazu führt, dass hohe Kosten in den Stromversorgungssystemen der Nachbarstaaten entstehen oder sogar die Möglichkeit besteht, dass dort Schäden an den Versorgungsnetzen auftreten. Wäre ein solch allgemeines Schädigungsverbot im Völkerrecht zu bejahen, dann müsste dieses auch tatsächlich Einfluss auf die Auslegung des Unionsprimärrechts haben können. Dies ist aber aufgrund des engen Auslegungsmaßstabs nicht möglich.583 Eine diese allgemeinen Grundsätze berücksichtigende Auslegung von Art. 4 Abs. 3 EUV scheidet daher aus. Es kann mithin dahinstehen, ob das Prinzip des Schädigungsverbots über das Umweltvölkerrecht hinaus auch generell im Völkerrecht anzuerkennen ist. 5. Im Ergebnis ergibt sich auch aus den Achtungs- und Unterstützungspflichten der Mitgliedstaaten gegenüber den anderen Mitgliedstaaten aus Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 EUV und der Mitgliedstaaten gegenüber der Union aus Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 3 EUV keine Pflicht zum Ausbau der Stromnetze. Es ist also insgesamt nicht ersichtlich, dass Art. 4 Abs. 3 EUV eine Pflicht der Mitgliedstaaten zum Ausbau der Stromnetze begründet.

IV. Zwischenergebnis Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 2 EUV begründet keine selbständigen Pflichten, sondern verweist lediglich auf andere im Vertrag normierte Pflichten. Auch aus Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 EUV und Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 3 EUV ergeben sich keine Pflichten zum Ausbau der Stromnetze. Die Annahme einer solchen Pflicht könnte sich in allen 579 580 581 582 583

So zusammenfassend Bäumler, Schädigungsverbot, S. 265. Koch, Gewährleistungspflicht, S. 246. Siehe aber Bäumler, Schädigungsverbot, S. 265 ff. Bäumler, Schädigungsverbot, S. 268. S. o. Kapitel 1 C.

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Kap. 5: Weitere pflichtbegründende Vorschriften

Fällen des Art. 4 Abs. 3 EUV allenfalls über Sinn und Zweck der Vorschriften begründen; eine solche Auslegung findet allerdings keinen Anknüpfungspunkt in Wortlaut und/oder Systematik und wäre mithin unzulässig. Weder existiert eine spezielle oder allgemeine Solidaritätspflicht für die Mitgliedstaaten im EU-Recht, die Einfluss auf die Auslegung von Art. 4 Abs. 3 EUV haben könnte, noch lässt sich das allgemeine Störerprinzip aufgrund des engen Wortlauts der Vorschrift bei deren Auslegung berücksichtigen. Ein etwaiges allgemein anzunehmendes völkerrechtliches Schädigungsverbot findet keine Beachtung für die Auslegung, da Völkerrecht generell keine Berücksichtigung bei der Auslegung des gegenständlichen Unionsprimärrechts findet. Mithin ergibt sich aus Art. 4 Abs. 3 EUV keine Pflicht der EUMitgliedstaaten zum Ausbau der Stromnetze.

C. Art. 37 Abs. 1 Unterabs. 1 AEUV I. Übertragungs- und Verteilernetzbetreiber als staatliche Handelsmonopole 1. Nach Art. 37 Abs. 1 Unterabs. 1 AEUV haben die Mitgliedstaaten „ihre staatlichen Handelsmonopole derart um[zuformen], dass jede Diskriminierung in den Versorgungs- und Absatzbedingungen zwischen den Angehörigen der Mitgliedstaaten ausgeschlossen ist.“

Die Vorschrift erfährt in Rechtsprechung und Literatur im Verhältnis zu den Art. 34 bis 36 AEUV, mit denen sie zusammen im Kapitel zum „Verbot von mengenmäßigen Beschränkungen zwischen den Mitgliedstaaten“ steht, sowie im Verhältnis zu den Art. 101 ff. AEUV, eine eher untergeordnete Bedeutung.584 Dies gilt allerdings nicht für den Energiebereich, wo Art. 37 AEUV in seiner alten Fassung lange Zeit die wesentliche primärrechtliche Vorschrift war, an der sich Stromhandelsmonopole zu messen hatten.585 Im Gegensatz zu den Art. 34 und 35 AEUV enthält die Norm mit ihrem Wortlaut auch ausdrücklich eine Pflicht zu einem aktiven Tätigwerden, nämlich der Umformung. Eine Pflicht der Mitgliedstaaten, auch aktiv tätig zu werden, und nicht nur bestimmte Maßnahmen zu unterlassen, kann ihr daher bereits aus ihrem Wortlaut und nicht erst über den „Umweg“ der teleologischen Auslegung entnommen werden. Denkbar ist, dass sich diese Umformungspflicht als eine Pflicht zum Ausbau der Stromnetze darstellt, da nur durch den Ausbau der Netze Diskriminierungen im Sinne der Vorschrift abgestellt werden könnten. Der folgende Abschnitt hat sich mithin mit den einzelnen Tatbestandsmerkmalen der Vorschrift zu befassen, wobei der Auslegung des Diskriminierungsbegriffs der Vorschrift dabei eine besondere Bedeutung zukommt. 584 585

Ehricke, WuW 1995, 691 (691) spricht von „Schattendasein“. Näher dazu Schneider, in: Schneider/Theobald, Energiewirtschaft, § 2 Rdn. 14 m. w. N.

C. Art. 37 Abs. 1 Unterabs. 1 AEUV

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2. Zunächst ist zu untersuchen, wen die Vorschrift adressiert. Ausdrücklich richtet sie sich an die Mitgliedstaaten und bezieht sich auf deren „staatliche Handelsmonopole“. Nach Art. 37 Abs. 1 Unterabs. 2 S. 1 AEUV gilt die Vorschrift für alle Einrichtungen, durch die ein Mitgliedstaat unmittelbar oder mittelbar die Einfuhr oder die Ausfuhr zwischen den Mitgliedstaaten rechtlich oder tatsächlich kontrolliert, lenkt oder merklich beeinflusst. Nach Art. 37 Abs. 1 Unterabs. 2 S. 2 AEUV gilt sie zudem auch für die von einem Staat auf andere Rechtsträger übertragenen Monopole. Die Norm differenziert nicht zwischen Monopolen, die durch staatliche Regelung, durch einen Verdrängungswettbewerb entstanden sind oder solchen, bei denen es sich um sogenannte natürliche Monopole586 handelt. Jegliche Form eines Monopols, unabhängig von der Art des Entstehens, gefährdet den Wettbewerb gleichermaßen. Aus dieser teleologischen Erwägung heraus ist Art. 37 AEUV mithin auch auf natürliche Monopole anwendbar. Eine andere Ansicht vertritt, dass sich die Beeinflussung der Handelsströme im Sinne der Vorschrift gerade aus dem staatlichen Einfluss ergeben muss, um zu einer Anwendbarkeit der Norm zu kommen.587 Diese enge Auslegung ist aber aufgrund des offenen Wortlauts, der auch die hier vertretene Ansicht zulässt, nicht zwingend. Da Monopole generell wettbewerbsfeindlich sind,588 sind im Sinne des effet utile auch natürliche Monopole unter die Vorschrift zu fassen. Da aufgrund der hohen Kosten für die Errichtung und Unterhaltung der Stromleitungen regelmäßig ausscheidet, neben einem bestehenden ein weiteres Stromnetz zu errichten und zu betreiben, handelt es sich bei Übertragungs- und Verteilernetzbetreibern um sog. „natürliche (Dienstleistungs-)Monopole“.589 Daher ist eine Anwendung von Art. 37 Abs. 1 Unterabs. 1 AEUV auf diese Unternehmungen nicht von vornherein ausgeschlossen. Damit Art. 37 Abs. 1 Unterabs. 1 AEUV auch auf Übertragungs- und Verteilernetzbetreiber Anwendung findet, müsste die Vorschrift auch auf Dienstleistungsmonopole Anwendung finden. Dies ist grundsätzlich nicht der Fall.590 Nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofs ergebe sich „sowohl aus der Stellung dieser Bestimmung innerhalb des Kapitels über die Beseitigung der mengenmäßigen Beschränkungen als auch aus der Verwendung der Worte „Einfuhr“ 586

Zu dem Begriff Behrens, Marktöffnungs- und Wettbewerbsrecht, Rdn. 283 f. Berg, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 37 AEUV Rdn. 5 m. w. N. 588 Vgl. Behrens, Marktöffnungs- und Wettbewerbsrecht, Rdn. 272 ff. 589 Germer/Dittmann/Dorß/Koopmann/von der Wense, in: Germer/Loibl, Energierecht, 199 (207); Knieps, in: Sioshansi, Evolution, 147 (162); Presser, Stromhandel, S. 42; Reh, in: Hoffmann-Riem/Schneider, Steuerung, 225 (228); Schmidt, Liberalisierung, S. 189 f.; zur Abgrenzung des sachlichen und räumlich relevanten Markts s. Kommission, Sache 39351 – Swedish Interconnectors, Rdn. 16 ff. und Rdn. 80; vgl. auch Füller, in: Bornkamm/Montag/ Säcker, Münchener Kommentar, Bd. 1, Einl. Rdn. 1124; Sablière, EEIR, Dezember 2015, 23 (23). 590 EuGH, Urt. v. 30. 4. 1974, Rs. C-155/73, ECLI:EU:C:1974:40, Rdn. 10 – Sacchi; EuGH, Urt. v. 7. 12. 1995, Rs. C-17/94, ECLI:EU:C:1995:422, Rdn. 35 f. – Gervais u. a. 587

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Kap. 5: Weitere pflichtbegründende Vorschriften

und „Ausfuhr“ in Satz 2 des ersten Absatzes […], dass sie den Handel mit Waren betrifft, sich aber nicht auf ein Dienstleistungsmonopol beziehen kann.“591

Die das Dienstleistungsmonopol betreffenden Regelungen seien vielmehr an den Vorschriften der Art. 34 und 35 AEUV zu messen.592 Im Hinblick auf das Ziel der Verträge einer immer engeren Union und der Verwirklichung des Binnenmarkts, in dessen Kontext auch Art. 37 AEUV zu lesen ist,593 überzeugt die Ansicht594, dass ein Handelsmonopol im Sinne des Art. 37 AEUV aber auch dann bereits vorliegt, wenn sich das Monopol auf den Handel zwischen den Mitgliedstaaten auswirkt. Der Begriff des Handelsmonopols umfasst damit auch solche Monopole, deren Unternehmung sich zwar nicht direkt auf den An- und Verkauf von Waren richtet, die aber eine besondere Bedeutung für den Handel haben.595 Diese teleologische Erwägung findet auch eine grammatikalische Stütze: der etwas engere Wortlaut des „Handelsmonopols“ aus Art. 37 Abs. 1 Unterabs. 1 AEUV wird nämlich durch Art. 37 Abs. 1 Unterabs. 2 S. 1 AEUV erweitert. Demnach gilt dieser Artikel für alle Einrichtungen, durch die ein Mitgliedstaat unmittelbar oder mittelbar die Einfuhr oder die Ausfuhr zwischen den Mitgliedstaaten rechtlich oder tatsächlich kontrolliert, lenkt oder merklich beeinflusst. Zudem ist in den englischen und französischen Sprachvarianten der Vorschrift nur von „State monopolies of a commercial character“ bzw. von „monopoles nationaux présentant un caractère commercial“ die Rede. Auch Dienstleistungsmonopole, die einen besonderen Einfluss auf den Handel haben, haben einen „kommerziellen Charakter“. Damit werden auch solche Dienstleistungsmonopole von der Vorschrift erfasst, die einen mittelbaren Einfluss auf den Handel im europäischen Binnenmarkt haben.596 Die Unternehmung von Übertragungs- und Verteilernetzbetreibern richtet sich nun nicht direkt auf den Anund Verkauf von Waren, hat aber durch die Notwendigkeit, die Übertragungs- und Verteilerinfrastruktur zu betreiben, eine besondere Bedeutung für den Handel und kann sich auch auf den Handel zwischen den Mitgliedstaaten auswirken. Daher sind Übertragungs- und Verteilernetzbetreiber „Handelsmonopole“ im Sinne der Vorschrift. Da Art. 37 Abs. 1 Unterabs. 1 AEUV dem Wortlaut nach nur auf staatliche Monopole Anwendung findet, ist die Vorschrift auch nur auf solche Übertragungsund Verteilernetzbetreiber anwendbar, die als „staatlich“ im Sinne der Vorschrift einzuordnen sind. Das ist dann bei einem Monopol der Fall, wenn

591

EuGH, Urt. v. 30. 4. 1974, Rs. C-155/73, ECLI:EU:C:1974:40, Rdn. 10 – Sacchi. EuGH, Urt. v. 7. 12. 1995, C-17/94, ECLI:EU:C:1995:422, Rdn. 38 – Gervais u. a. 593 Beachte zum Ziel der Vorschrift auch EuGH, Urt. v. 14. 12. 1995, Rs. C-387/93, ECLI:EU:C:1995:439, Rdn. 27 m. w. N. – Banchero. 594 Leible/Streinz, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 37 AEUV Rdn. 13 f. 595 Vgl. Leible/Streinz, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 37 AEUV Rdn. 14. 596 Leible/Streinz, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 37 AEUV Rdn. 14. 592

C. Art. 37 Abs. 1 Unterabs. 1 AEUV

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„die staatlichen Behörden in der Lage sind, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu kontrollieren oder zu lenken oder ihn über eine zu diesem Zweck geschaffene Einrichtung oder ein auf andere Rechtsträger übertragenes Monopol merklich zu beeinflussen.“597

Es ist dabei also unbeachtlich, von welcher staatlichen Einrichtung die Kontrolle ausgeht.598 Folglich sind solche Übertragungs- und Verteilernetzbetreiber als „staatlich“ im Sinne der Vorschrift einzuordnen, bei denen ein Mitgliedstaat eine Mehrheitsbeteiligung an dem Monopol besitzt.

II. Umformungspflicht und Verhältnis der Vorschriften 1. Fraglich ist nunmehr die Rechtsfolge einer Anwendung von Art. 37 Abs. 1 Unterabs. 1 AEUV auf staatliche Übertragungs- und Verteilernetzbetreiber. Die Vorschrift verpflichtet die Mitgliedstaaten ihre staatlichen Handelsmonopole derart umzuformen, dass jede Diskriminierung in den Versorgungs- und Absatzbedingungen zwischen den Angehörigen der Mitgliedstaaten ausgeschlossen ist. Dabei hat der Mitgliedstaat die staatlichen Monopole nur dann abzuschaffen, wenn dies die einzige Möglichkeit ist, um die Diskriminierungen in den Versorgungs- und Absatzbedingungen zwischen den Angehörigen der Mitgliedstaaten auszuschließen.599 Um dem Untersuchungsziel zu dienen, müsste die Rechtsfolge dieser Anwendung in den Ausbau der Stromnetze münden. Zur Bestimmung der Rechtsfolge ist die Vorschrift auszulegen: 2. Zunächst kann festgestellt werden, dass der Wortlaut der Vorschrift („formen […] um“) aufgrund seiner Offenheit und der Weite des Begriffs eine weite Auslegung im Lichte der Vertragsziele einer immer engeren Union und der Verwirklichung des Binnenmarkts ermöglicht. Deshalb erscheint es plausibel, dass auch der Europäische Gerichtshof das Ziel der Vorschrift hervorhebt, statt das Mittel zur Erreichung dieses Ziels zu definieren. Im Detail formuliert er in der Rechtssache Manghera u. a.: „Ohne die Abschaffung dieser Monopole zu verlangen, schreibt diese Bestimmung bindend ihre Umformung derart vor, dass am Ende der Übergangszeit die vollständige Beseitigung der erwähnten Diskriminierungen gewährleistet ist.“600

597 EuGH, Urt. v. 27. 4. 1994, Rs. C-393/92, ECLI:EU:C:1994:171, Rdn. 29 – Gemeente Almelo u. a./Energiebedrijf Ijsselmij, in Bestätigung des Urt. v. 4. 5. 1988, Rs. C-30/87, ECLI:EU:C:1988:225, Rdn. 13 – Bodson/Pompes funèbres des régions libérées. 598 EuGH, Urt. v. 4. 5. 1988, Rs. C-30/87, ECLI:EU:C:1988:225, Rdn. 13 – Bodson/Pompes funèbres des régions libérées. 599 Ehricke, WuW 1995, 691 (698 f.). Vgl. auch Behrens, Marktöffnungs- und Wettbewerbsrecht, Rdn. 145; Breitenmoser/Weyeneth, Europarecht, Rdn. 894. 600 EuGH, Urt. v. 3. 2. 1976, Rs. C-59/75, ECLI:EU:C:1976:14, Rdn. 5 – Manghera u. a.; bestätigt durch EuGH, Urt. v. 23. 10. 1997, Rs. C-159/94, ECLI:EU:C:1997:501, Rdn. 32 – Kommission/Frankreich.

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Kap. 5: Weitere pflichtbegründende Vorschriften

Nach seiner Entscheidung in der Rechtssache Franzén (1997) verlange die Vorschrift, „dass die Organisation und die Funktionsweise des Monopols so umgeformt wird, dass jede Diskriminierung in den Versorgungs- und Absatzbedingungen zwischen den Angehörigen der Mitgliedstaaten ausgeschlossen ist, so dass der Handel mit Waren aus anderen Mitgliedstaaten gegenüber dem mit einheimischen Waren weder rechtlich noch tatsächlich benachteiligt und der Wettbewerb zwischen den Volkswirtschaften der Mitgliedstaaten nicht verfälscht wird“601.

Art. 37 Abs. 1 Unterabs. 1 AEUV zielt folglich auf die Beseitigung der Diskriminierungen zwischen den Marktteilnehmern, „allerdings mit Ausnahme der durch das Bestehen der betreffenden Monopole bedingten Einschränkungen des Handels“.602 Die Vorschrift gibt also insbesondere nicht vor, wie die Mitgliedstaaten diese Diskriminierung zu beseitigen haben. Vielmehr hat der Mitgliedstaat daher alle für diese Beseitigung erforderlichen Mittel zu ergreifen.603 Zudem könnten deshalb aber auch solche Einschränkungen des freien Warenverkehrs hinzunehmen sein, die durch das Bestehen des Monopols bedingt sind. Eine mögliche Diskriminierung aufgrund mangelnder Übertragungs- und Verteilernetzkapazität hängt jedoch in keinem Fall mit dem Bestehen des Handelsmonopols zusammen. Die Umformungspflicht würde demnach auch hier zur Anwendung kommen. 3. Es ist folglich zu untersuchen, was genau unter einer „Diskriminierung“ im Sinne von Art. 37 Abs. 1 Unterabs. 1 AEUV zu verstehen ist. Diese Diskriminierung in den Versorgungs- und Absatzbedingungen zwischen den Angehörigen der Mitgliedstaaten muss am Ende einer Umformungszeit ausgeschlossen sein. Für eine weitergehende Interpretation des in Art. 37 Abs. 1 Unterabs. 1 AEUV enthaltenden Diskriminierungsverbots als dem der Art. 34 und 35 AEUV spricht, dass eine Diskriminierung nach Art. 37 Abs. 1 Unterabs. 1 AEUV nach dessen Wortlaut ausdrücklich „ausgeschlossen“ sein muss. Diese Formulierung ist deutlich stärker als beispielsweise der Begriff „abgestellt“. Daraus folgt, dass insbesondere auch potenzielle Diskriminierungen unter den Begriff der Diskriminierung im Sinne der Vorschrift zu fassen sind. Die Vorschrift zielt zudem darauf, eine Diskriminierung „zwischen den Angehörigen der Mitgliedstaaten“ auszuschließen. Sie meint demnach nicht nur eine Diskriminierung zwischen dem Handelsmonopol und anderen Anbietern.604

601

EuGH, Urt. v. 23. 10. 1997, Rs. C-189/95, EU:C:1997:504, Rdn. 40 m. w. N. – Franzén. EuGH, Urt. v. 23. 10. 1997, Rs. C-189/95, EU:C:1997:504, Rdn. 39 – Franzén. 603 Ehricke, WuW 1995, 691 (698 m. w. N.). 604 So allerdings wohl der Ansatz von Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 37 AEUV Rdn. 9. 602

C. Art. 37 Abs. 1 Unterabs. 1 AEUV

141

4. Eine Diskriminierung meint eine Unterscheidung605. Durch die Kapazitätsvergabe an den Grenzen einer Gebotszone, die entlang einer mitgliedstaatlichen Grenze verläuft, werden ausländische Stromlieferanten gegenüber solchen aus dem Inland benachteiligt, da diese eine entsprechende Leitungskapazität zu ersteigern haben und sich damit die Lieferung selbst verteuert; sie werden mithin diskriminiert.606 Kosten einer Stromlieferung sind ein Teil der Versorgungs- und Absatzbedingungen der Ware Strom, weil sie sich auf den Absatz des Produktes auswirken.607 Da nun also Art. 37 Abs. 1 AEUV verlangt, dass „jede Diskriminierung in den Versorgungs- und Absatzbedingungen zwischen den Angehörigen der Mitgliedstaaten ausgeschlossen ist“, folgt aus diesem Umstand, dass die Mitgliedstaaten darauf hinzuwirken haben, dass „ihre“ Netzbetreiber das zu ihnen gehörende Stromnetz derart umformen, dass eine Kapazitätsvergabe an den mitgliedstaatlichen Grenzen entfällt. Da jedoch ein unzureichend ausgebautes Netz die Ziehung von Stromgebotszonengrenzen entlang der strukturellen Engpassstellen erfordert,608 kann einer derartigen Umformungsverpflichtung langfristig nur durch den Ausbau der Stromnetze nachgekommen werden. Da Art. 36 AEUV vom Wortlaut und von der Systematik (er steht vor Art. 37 Abs. 1 Unterabs. 1 AEUV) nicht auf Art. 37 AEUV anwendbar ist,609 besteht für das Unterlassen eines Ausbaus keine Möglichkeit der Rechtfertigung. Dies bedeutet allerdings nicht, dass so durch Art. 37 Abs. 1 Unterabs. 1 AEUV ein unendlicher Netzausbau verlangt ist. Vielmehr können mit einem ausreichend ausgebauten Netz Mitgliedstaat-übergreifende Stromgebotszonen eingerichtet werden, sodass eine Kapazitätsvergabe jedenfalls an den mitgliedstaatlichen Grenzen nicht erforderlich ist. Im Ergebnis können daher unzureichende Stromübertragungs- und Stromverteilernetzkapazitäten eine Diskriminierung in den Versorgungs- und Absatzbedingungen darstellen, die langfristig nur durch den Ausbau dieser Netze verhindert werden kann. 5. Da nicht ersichtlich ist, warum ein Mitgliedstaat in Bezug auf die in seinem Eigentum stehenden Handelsmonopole gegenüber den sonstigen natürlichen Monopolen privilegiert sein sollte, sind die sich aus den Art. 34 und 35 AEUV sowie aus Art. 37 AEUV anzunehmenden Pflichten nebeneinander zu befolgen.

605 Vgl. http://www.duden.de/rechtschreibung/diskriminieren (Stand: 27. 12. 2019). Allgemein zum Diskriminierungsverbot im EU-Recht Cottier, ZSR 2015 I, 325 (333 f.). 606 Tödtmann/Kaluza, RdE 2011, 241 (241 ff.). 607 Vgl. allgemein zum Schluss von einem Vorliegen einer Diskriminierung auf die Erfüllung des Merkmals „Versorgungs- und Absatzbedingungen“ Schroeder, in: Streinz, EUV/ AEUV, Art. 37 AEUV Rdn. 16 f. 608 König/Baumgart, EuZW 2018, 491 (493). 609 Ehricke, EWS 1994, 186 (186 ff.); ders., WuW 1995, 691 (702 f.).

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Kap. 5: Weitere pflichtbegründende Vorschriften

III. Zwischenergebnis Mithin findet Art. 37 Abs. 1 Unterabs. 1 AEUV auch auf natürliche Monopole Anwendung, selbst wenn es sich dabei um Dienstleistungsmonopole handelt, soweit diese eine besondere Bedeutung für den Handel haben und der Mitgliedstaat eine Mehrheitsbeteiligung an dem Monopol besitzt. Zusammenfassend ist festzustellen, dass Art. 37 Abs. 1 Unterabs. 1 AEUV auch auf solche Übertragungs- und Verteilernetzbetreiber anwendbar ist, die im Mehrheitseigentum eines Mitgliedstaats stehen. Art. 37 Abs. 1 Unterabs. 1 AEUV verpflichtet die Mitgliedstaaten ihre staatlichen Übertragungs- und Verteilernetzbetreiber derart umzuformen, dass jede Diskriminierung in den Versorgungs- und Absatzbedingungen zwischen den Angehörigen der Mitgliedstaaten ausgeschlossen ist. Der Wortlaut der Vorschrift „formen […] um“ eröffnet eine weite Auslegung im Lichte der Vertragsziele einer immer engeren Union und der Verwirklichung des Binnenmarkts. Da Art. 37 Abs. 1 Unterabs. 1 AEUVerfordert, dass „jede Diskriminierung in den Versorgungs- und Absatzbedingungen zwischen den Angehörigen der Mitgliedstaaten ausgeschlossen ist“, haben die Mitgliedstaaten darauf hinzuwirken, dass die in ihrem Eigentum stehenden Netzbetreiber das ihnen gehörende Stromnetz derart ausbauen, dass eine (diskriminierende) Kapazitätsvergabe an den mitgliedstaatlichen Grenzen entfällt. Dies ist langfristig nur durch einen Ausbau der Stromnetze möglich. Die aus Art. 37 Abs. 1 Unterabs. 1 AEUV resultierende Pflicht steht neben derjenigen aus den Art. 34 und 35 AEUV.

D. Art. 106 Abs. 1 AEUV i. V. m. 102 AEUV I. Art. 106 Abs. 1 AEUV und Unternehmen im Sinne der Vorschrift 1. Eine weitere Grundlage für mitgliedstaatliche Pflichten zum Stromnetzausbau könnte Art. 106 Abs. 1 AEUV i. V. m. Art. 102 AEUV darstellen. Art. 106 Abs. 1 AEUV formuliert eine Pflicht für die Mitgliedstaaten in Bezug auf öffentliche bzw. sonstige, besonders privilegierte Unternehmen. So werden die Mitgliedstaaten gemäß Art. 106 Abs. 1 AEUV in Bezug auf öffentliche Unternehmen und auf Unternehmen, denen sie besondere oder ausschließliche Rechte gewähren, keine den Verträgen und insbesondere den Art. 18 und 101 bis 109 AEUV widersprechende Maßnahmen treffen oder beibehalten.

D. Art. 106 Abs. 1 AEUV i. V. m. 102 AEUV

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Dabei ist der Begriff der „Maßnahmen“, welche die Mitgliedstaaten weder treffen noch beibehalten dürfen, autonom auszulegen;610 dies entspricht dem in dieser Untersuchung angelegten Auslegungsmaßstab. Die Vorschrift definiert nicht, was genau unter einer Maßnahme zu verstehen ist und eröffnet damit eine weite Auslegung aufgrund teleologischer Erwägungen. Art. 106 Abs. 1 AEUV gewährleistet, dass die Mitgliedstaaten sich ihren unionsvertraglichen Verpflichtungen nicht dadurch entziehen, dass sie öffentliche Unternehmen Handlungen vornehmen lassen, die sie sonst selbst vorgenommen hätten.611 Das bedeutet, dass sich die Mitgliedstaaten ihren unionsvertragsrechtlichen Pflichten nicht enthalten können sollen, indem sie für ihre Tätigkeit staatliche Unternehmen gründen, die dann wiederum unionsvertragswidrige Zustände verursachen.612 Im Lichte dieser Überlegungen nach Sinn und Zweck der Vorschrift, gebietet die Auslegung unter Bezugnahme des Grundsatzes des effet utile eine weite Auslegung des Begriffs der Maßnahme.613 Jedenfalls ist anerkannt, dass Art. 106 Abs. 1 AEUV eine Verantwortlichkeit für einen Mitgliedstaat schafft, wenn dieser derart auf die in Art. 106 Abs. 1 AEUV genannten Unternehmen einwirkt, dass letztere keine freie Entscheidungsmöglichkeit mehr haben und ihnen ein daher wettbewerbswidriges Handeln im Rahmen von Art. 101 und 102 AEUV nicht mehr angelastet werden kann.614 Der Wortlaut des Art. 106 Abs. 1 AEUV spricht allgemein von Maßnahmen, die weder getroffen noch beibehalten werden dürfen, nicht jedoch etwa von lediglich „mitgliedstaatlichen Maßnahmen“. Er beschränkt den Begriff der Maßnahmen folglich nicht auf originär mitgliedstaatliche Maßnahmen. Damit ist also nicht nur die mitgliedstaatliche Einflussnahme vom Tatbestand erfasst, sodass eine weite Auslegung jedenfalls in die Richtung möglich ist, dass es sich bei diesen Maßnahmen auch um ausschließlich unternehmerische Maßnahmen handeln kann.615 Entgegen Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 3 EUV spricht Art. 106 Abs. 1 AEUV auch nicht nur lediglich von einem passiven Unterlassen sondern von einem aktiven „werden […] keine den Verträgen […] widersprechende Maßnahmen […] beibehalten“. Der Wortlaut und die Systematik der Vorschrift sind daher nicht zu eng gefasst, um auch die von einem Unternehmen ausgehenden Maßnahmen im Lichte des effet utile unter Art. 106 Abs. 1 AEUV zu fassen. Rechtsprechung und Literatur verweisen hingegen 610 Dohms, in: Wiedemann, Handbuch, § 35 Rdn. 78; Kling/Thomas, Kartellrecht, § 7 Rdn. 25. 611 Kling/Thomas, Kartellrecht, § 7 Rdn. 1 f. m. w. N.; Koch, Gewährleistungspflicht, S. 139 m. w. N. 612 Kling/Thomas, Kartellrecht, § 7 Rdn. 1 m. w. N.; Koch, Gewährleistungspflicht, S. 139. 613 Vgl. auch Kling/Thomas, Kartellrecht, § 7 Rdn. 25; van Vormizeele, in: Schwarze, EUKommentar, Art. 106 AEUV Rdn. 30. 614 EuGH, Urt. v. 13. 12. 1991, Rs. C-18/88, ECLI:EU:C:1991:474, Rdn. 20 – RTT/GBInno-BM. 615 Im Ergebnis so auch Bieber, in: Beutler/Bieber/Pipkorn/Streil, Rechtsordnung, S. 364. Vgl. zudem die Darstellungen bei Koch, Gewährleistungspflicht, S. 140 f.; Müller-Graff/Zehetner, Unternehmen, S. 87 f.

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Kap. 5: Weitere pflichtbegründende Vorschriften

(nur) auf die Fälle der mitgliedstaatlichen Einflussnahme,616 die der Maßnahmenbegriff des Art. 106 Abs. 1 AEUV in jedem Fall enthält. Da der Begriff der Maßnahme allerdings eine aktive Handlung voraussetzt, muss für die mitgliedstaatliche Pflicht auch ein aktives Verhalten der Unternehmen festzustellen sein; ein unternehmerisches Unterlassen reicht nicht aus. Demnach ist unter einer Maßnahme im Sinne von Art. 106 Abs. 1 AEUV also nicht nur jede Art staatlichen Handels zu verstehen.617 Vielmehr meint eine Maßnahme im Sinne der Vorschrift jede Art des Handelns. Durch die Verwendung der Begriffe „treffen“ und „beibehalten“ sichert die Vorschrift, dass sowohl ein aktives Handeln wie auch ein passives Unterlassen des Mitgliedstaats erfasst werden. Das bedeutet, dass der jeweilige Mitgliedstaat nicht nur einer reinen Unterlassungspflicht unterliegt; vielmehr hat er auch aktiv einzuschreiten.618 Dies bezieht sich im Regelfall auf die Beseitigung von unionsrechtswidrigen Rechtsnormen,619 kann aber auch das Abstellen vertragswidrigen Verhaltens der staatlichen oder sonstigen, besonders privilegierten Unternehmen umfassen. Handelt also eines der genannten Unternehmen entgegen der EU-Verträge, ist ein Mitgliedstaat über Art. 106 Abs. 1 AEUV verpflichtet, gegen dieses Handeln einzuschreiten. Damit überträgt Art. 106 Abs. 1 AEUV bestimmte Pflichten, die den genannten Unternehmen unter anderem aus Art. 101 und 102 AEUV erwachsen, auf die Mitgliedstaaten.620 2. Um auch über Art. 106 Abs. 1 AEUV eine mitgliedstaatliche Pflicht zum Ausbau der Stromnetze herzuleiten, muss zunächst eine solche Pflicht aufgrund einer anderen Vertragsvorschrift für ein Unternehmen bestehen. Bei diesem muss es sich auch um ein öffentliches Unternehmen oder ein Unternehmen, denen die Mitgliedstaaten besondere oder ausschließliche Rechte gewähren, handeln. Dabei drängt sich auf, dass Übertragungs- und Verteilernetzbetreiber nicht nur einer aus dem Sekundärrecht621 erwachsenen Pflicht zum Ausbau der Stromnetze unterliegen, sondern sich diese in bestimmten Situationen womöglich auch bereits aus dem 616 EuGH, Urt. v. 4. 5. 1988, Rs. C-30/87, ECLI:EU:C:1988:225, Rdn. 32 ff. – Bodson/ Pompes Funèbres des régions libérées; EuGH, Urt. v. 19. 3. 1991, Rs. C-202/88, ECLI:EU:C:1991:120, Rdn. 24 – Frankreich/Kommission; Behrens, Marktöffnungs- und Wettbewerbsrecht, Rdn. 1465, 1472 und 1479; Dohms, in: Wiedemann, Handbuch, § 35 Rdn. 78; Koch, Gewährleistungspflicht, S. 141 ff.; Kühling, in: Streinz, EUV/AEUV, Art: 106 AEUV Rdn. 24; Mestmäcker/Schweitzer, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 1, Art. 106 Abs. 1 AEUV Rdn. 93; van Vormizeele, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 106 AEUV Rdn. 29. 617 So aber Kling/Thomas, Kartellrecht, § 7 Rdn. 25 ff. m. w. N. 618 Kling/Thomas, Kartellrecht, § 7 Rdn. 28 m. w. N. 619 Vgl. bei Kling/Thomas, Kartellrecht, § 7 Rdn. 28 m. w. N. 620 Jung, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 106 AEUV Rdn. 7 m. w. N. Vgl. auch Kühling, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 106 AEUV Rdn. 5; Schneider, in: Schneider/Theobald, Energiewirtschaft, § 2 Rdn. 19. 621 Vgl. Art. 12 und 25 Richtlinie 2009/72/EG (Fn. 524). Allerdings bestehen mit Blick auf die bloße Unterstützungskompetenz der Union, kompetenzrechtliche Bedenken und damit solche in Bezug auf die Rechtmäßigkeit der Vorschriften, vgl. Kapitel 1 A.

D. Art. 106 Abs. 1 AEUV i. V. m. 102 AEUV

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Unionsprimärrecht ergibt. In Bezug auf das Untersuchungsziel, mitgliedstaatliche Pflichten zum Ausbau der Stromnetze zu begründen, ist zunächst zu definieren, was unter einem Unternehmen im Sinne der Vorschrift zu verstehen ist. Ein Unternehmen im Sinne von Art. 106 Abs. 1 AEUV umfasst, genau wie die Begriffe der Art. 101 und 102 AEUV,622 „jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einrichtung unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung“,623 was sich bereits aus dem Grundsatz des effet utile ableiten lässt.624 Originär hoheitliche Tätigkeiten sind auszunehmen.625 Das heißt dann also auch, dass die wirtschaftlich tätige Einheit nicht zwangsläufig in einer privatrechtlichen Form organisiert sein muss.626 Dieses Unternehmen muss entweder öffentlich sein oder ihm müssen durch die Mitgliedstaaten besondere oder ausschließliche Rechte gewährt werden. Ein öffentliches Unternehmen liegt dann vor, wenn auf dessen „Geschäftsplanung oder Tätigkeit öffentliche Hoheitsträger über Eigentum, Beteiligungsverhältnisse, Stimmrecht oder in sonstiger Weise mittelbar oder unmittelbar bestimmenden Einfluss ausüben können“627.

Ein Mitgliedstaat gewährt dann einem Unternehmen besondere Rechte, wenn „hoheitliche[…] Befugnisse auf mehrere Unternehmen ohne Ausschließlichkeitsposition [übertragen werden], wodurch diese gegenüber ihren Wettbewerbern begünstigt werden.“628

Ausschließliche Rechte liegen vor,

622

Kling/Thomas, Kartellrecht, § 7 Rdn. 7 ff. m. w. N. EuGH, Urt. v. 23. 4. 1991, Rs. C-41/90, ECLI:EU:C:1991:161, Rdn. 21 – Höfner und Elser; EuGH, Urt. v. 16. 3. 2004, verb. Rs. C-264/01, C-306/01, C-354/01 und C-355/01, ECLI:EU:C:2004:150, Rdn. 46 – AOK-Bundesverband u. a.; EuGH, Urt. v. 11. 7. 2006, Rs. C205/03 P, ECLI:EU:C:2006:453, Rdn. 25 – FENIN/Kommission; vgl. auch Kommission, Entscheidung v. 14. 4. 2010, Sache 39351, Rdn. 23 m. w. N. – Swedish Interconnectors; Jung, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 106 AEUV Rdn. 11 m. w. N. Ausführlich zum Unternehmensbegriff Kling, NZKart 2017, 611 (611 ff.); Kling/Thomas, Kartellrecht, § 4 Rdn. 18 f.; Kühling, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 106 AEUV Rdn. 6 ff. m. w. N. 624 Kling, NZKart 2017, 611 (611). 625 Ausführlich Kling, NZKart 2017, 611 (612 ff.); vgl. auch Koch, Gewährleistungspflicht, S. 213 mit Hinweis auf die EuGH-Rechtsprechung. 626 Kling, NZKart 2017, 611 (612 ff.). 627 Jung, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 106 AEUV Rdn. 13 m. w. N. Dazu auch Breitenmoser/Weyeneth, Europarecht, Rdn. 1038; Kling/Thomas, Kartellrecht, § 7 Rdn. 10; Kühling, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 106 AEUV Rdn. 15 ff. Vgl. auch die tertiärrechtliche Definition in Art. 2 lit. b) Richtlinie 2006/111/EG der Kommission v. 16. 11. 2006 über die Transparenz der finanziellen Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und den öffentlichen Unternehmen sowie über die finanzielle Transparenz innerhalb bestimmter Unternehmen, ABl. L 318 v. 17. 11. 2006, S. 17 ff.; a. A. Koch, Gewährleistungspflicht, S. 214 ff. 628 Jung, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 106 AEUV Rdn. 16 m. w. N. Dazu auch Kling/Thomas, Kartellrecht, § 7 Rdn. 21 ff.; Kühling, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 106 AEUV Rdn. 21. 623

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Kap. 5: Weitere pflichtbegründende Vorschriften

„wenn wirtschaftliche Tätigkeitsbereiche einem Unternehmen unter ausschlussgleicher, wesentlicher Beeinträchtigung der Marktzutrittschancen von Wettbewerbern vorbehalten bleiben.“629

Das Betreiben von Übertragungs- und Verteilernetzen stellt eine Tätigkeit wirtschaftlicher Art dar, sodass auch Übertragungs- und Verteilernetzbetreiber als öffentliche oder sonstige, besonders privilegierte Unternehmen im Sinne des Art. 106 Abs. 1 AEUV angesehen werden können, wenn sie die dargelegten zusätzlichen Voraussetzungen erfüllen. Somit sind in jedem Fall diejenigen Übertragungs- und Verteilernetzbetreiber vom Tatbestand erfasst, die in öffentlichem Eigentum stehen. Ob allerdings auch Netzbetreiber, bei denen das nicht der Fall ist, infolge von Konzessionierung oder Genehmigung als sonstiges, besonders privilegiertes Unternehmen im Sinne der Vorschrift einzuordnen sind,630 kann abschließend nur unter Bezug auf die spezifischen, in einem Mitgliedstaat geltenden Regeln beurteilt werden631 und muss hier daher offen gelassen werden. Ergibt sich folglich bereits aus einer anderen Vertragsvorschrift eine Pflicht für diese öffentlichen oder sonstigen, besonders privilegierten Unternehmen, so kann diese Pflicht auf den Mitgliedstaat, der den bestimmenden Einfluss auf das Unternehmen ausübt oder der dem Unternehmen besondere oder ausschließliche Rechte gewährt, zu übertragen sein. Als Vorschrift, die Übertragungs- und Verteilernetzbetreiber zum Ausbau ihrer Stromnetze in bestimmten Situationen verpflichtet, kommt Art. 102 AEUV in Betracht.

II. Verstoß gegen Art. 102 AEUV 1. Verpflichtungsgrundlage a) Art. 102 AEUV erklärt die missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung auf dem Binnenmarkt oder auf einem wesentlichen Teil desselben durch ein oder mehrere Unternehmen, soweit dies dazu führen kann, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen, für mit dem Binnenmarkt unvereinbar und verboten. Stromnetzausbaupflichten hat die Europäische Kommission in der Vergangenheit bereits auf der Grundlage von Art. 102 AEUV begründet; allerdings erfolgte der Ausbau in der konkreten Entscheidung im Rahmen einer Verpflich-

629 Jung, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 106 AEUV Rdn. 16 m. w. N. Dazu auch Kling/Thomas, Kartellrecht, § 7 Rdn. 19 f.; Kühling, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 106 AEUV Rdn. 20. 630 Siehe nur die Aufstellung der Fälle aus der EuGH-Rechtsprechung bei Mestmäcker/ Schweitzer, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 1, Art. 106 Abs. 1 AEUV Rdn. 50 f. 631 Vgl. auch Dohms, in: Wiedemann, Handbuch, § 35 Rdn. 54 ff.

D. Art. 106 Abs. 1 AEUV i. V. m. 102 AEUV

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tungszusage.632 In dieser Entscheidung verpflichtete sich der schwedische Übertragungsnetzbetreiber Svenska Kraftnät sein Netzgebiet in zwei oder mehr Regelzonen zu unterteilen, um die von der Kommission festgestellten Wettbewerbsbeschränkungen abzustellen.633 Da in einem bestimmten Korridor die Wettbewerbsbeschränkungen allerdings nicht bzw. nicht effizient durch Regelzonen aufgehoben werden konnten, sagte Svenska Kraftnät den Aufbau einer weiteren Übertragungsleitung zu.634 Eine unternehmerische Pflicht zum Ausbau der Stromnetze aufgrund von Art. 102 AEUV, die dann über Art. 106 Abs. 1 AEUV auf den Mitgliedstaat übergeleitet werden kann, erscheint daher denkbar. b) Problematisch ist aber, ob sich aus der Formulierung „unvereinbar und verboten“ überhaupt eine Pflicht ergeben kann. Entsprechend den Ausführungen zu Art. 34 und 35 AEUV635 beschreibt aber auch der Verbotsbegriff des Art. 102 AEUV lediglich das Ziel und nicht die Mittel. Grundsätzlich hat sich ein Unternehmen (nur) einer missbräuchlichen Ausnutzung seiner marktbeherrschenden Stellung zu enthalten. Allerdings erscheinen Fälle denkbar – wie beispielsweise der der Swedish-Interconnectors-Entscheidung zugrunde liegende –, in denen sich das Unternehmen unter gegebenen (tatsächlichen) Rahmenbedingungen zu einem Missbrauch i. S. v. Art. 102 AEUV herausgefordert sieht. In diesen Fällen folgt aus dem Grundsatz des effet utile, dass Art. 102 AEUV so auszulegen ist, dass ein Unternehmen bereits im Vorhinein Maßnahmen zu treffen hat, die eine missbräuchliche Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung in Zukunft vorbeugen. Nur so kann das Missbrauchsverbot der Art. 102 AEUV seine volle Wirksamkeit entfalten. Dies folgt im Übrigen daraus, dass allgemein für den Missbrauchstatbestand das Vorliegen einer „ernste[n] Besorgnis eines unzulässigen Verhaltens“ bereits ausreicht.636 Zur Herleitung von Stromnetzausbaupflichten aus Art. 102 AEUV, die sich dann gegebenenfalls auch über Art. 106 Abs. 1 AEUV auf die Mitgliedstaaten überleiten lassen, müsste zunächst der Tatbestand des Art. 102 AEUV erfüllt sein. Dazu müsste in einem ersten Schritt eine marktbeherrschende Stellung netzbetreibender Unternehmen vorliegen.

632 Vgl. Kommission, Entscheidung v. 14. 4. 2010, Sache 39351, Rdn. 48 – Swedish Interconnectors. Siehe allgemein zur „Gestaltung der europäischen Energiemärkte durch Verpflichtungszusageentscheidungen der Kommission“ den zweiteiligen Beitrag von Gussone, IR 2011, 50 (50 ff.), bzw. ders., IR 2011, 74 (74 ff.). 633 Kommission, Entscheidung v. 14. 4. 2010, Sache 39351, Rdn. 47 – Swedish Interconnectors. 634 Kommission, Entscheidung v. 14. 4. 2010, Sache 39351, Rdn. 48 – Swedish Interconnectors. 635 Kapitel 3 B. II. 1. 636 Vgl. nur Rehbinder, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, § 32 Rdn. 5 m. w. N. (dort in Bezug auf § 32 GWB).

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Kap. 5: Weitere pflichtbegründende Vorschriften

2. Marktbeherrschende Stellung a) Relevanter Markt aa) Es ist zu untersuchen, auf welchem Markt das Unternehmen, von dem das fragliche Verhalten ausgeht, eine beherrschende Stellung innehat; nur, wenn eine Abgrenzung des relevanten Markts vorgenommen wurde, kann festgestellt werden, ob ein Unternehmen auf diesem Markt eine marktbeherrschende Stellung innehat und ob es diese marktbeherrschende Stellung in missbräuchlicher Weise ausgenutzt hat.637 Der relevante Markt ist im Wesentlichen in sachlicher und räumlicher Richtung abzugrenzen.638 Bestehen konkrete Angebots- oder Nachfragesituationen nur zu bestimmten Zeiten, kann es notwendig sein, auch diesen zeitlichen Aspekt bei der Bestimmung des relevanten Markts zu berücksichtigen.639 bb) Dabei ist bei der Frage, wie der relevante Markt in sachlicher Hinsicht abzugrenzen ist, auf die Austauschbarkeit des gehandelten Guts, insbesondere aus der Perspektive der Abnehmer, abzustellen.640 Folglich ist zu überlegen, ob es neben dem untersuchten Gut andere Güter gibt, die die Nachfrage in wesentlich gleichem Maß befriedigen.641 Strom in Übertragungs- und Verteilungssituationen kann als Energieträger nur in geringstem Maße durch andere Energieträger ausgetauscht werden. Damit ergeben sich sowohl Stromübertragungsmärkte642 wie auch Stromverteilungsmärkte643 als sachlich relevante Märkte. Zwar sind Verteilernetzbetreiber zum Teil auch im Stromvertrieb gegenüber Endkunden und auf Stromerzeugermärkten tätig,644 da sie bei weniger als 100.000 Anschlussnehmern oder der ausschließlichen Belieferung von kleinen isolierten Netzen von den Entflechtungsvorschriften ausgenommen werden können645 Unternehmen können allerdings auf mehreren sach637 Behrens, Marktöffnungs- und Wettbewerbsrecht, Rdn. 814 f.; Breitenmoser/Weyeneth, Europarecht, Rdn. 1003; Weiß, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 102 AEUV Rdn. 5. 638 Weiß, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 102 AEUV Rdn. 5 m. w. N. 639 Behrens, Marktöffnungs- und Wettbewerbsrecht, Rdn. 833 (mit Hinweis auf EuGH, Urt. v. 14. 2. 1978, Rs. C-27/76, ECLI:EU:C:1978:22, Rdn. 22 ff. – United Brands/Kommission, in dem über die Substituierbarkeit des Guts der Banane zu verschiedenen Jahreszeiten nachgedacht wird); Weiß, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 102 AEUV Rdn. 5 m. w. N. 640 Behrens, Marktöffnungs- und Wettbewerbsrecht, Rdn. 818. 641 Weiß, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 101 AEUV Rdn. 91 m. w. N. 642 Dazu Kommission, Entscheidung v. 4. 2. 2010, Sache COMP/M.5707, Rdn. 6 – Tennet/ E.ON; Kommission, Entscheidung v. 14. 4. 2010, Sache 39351, Rdn. 16 f. m. w. N. – Swedish Interconnectors; Füller, in: Bornkamm/Montag/Säcker, Münchener Kommentar, Bd. 1, Einl. Rdn. 1124. 643 Mit deutlich stärkerer Differenzierung Füller, in: Bornkamm/Montag/Säcker, Münchener Kommentar, Bd. 1, Einl. Rdn. 1124. 644 Klause/Schwintowski, BB-Special Energie-/Kartellrecht 2.2010 zu Heft 14, 1 (5). Siehe ganz allgemein auch zur Marktabgrenzung im Elektrizitätsbereich Lecheler/Recknagel, in: Dauses/Ludwigs, Handbuch, M. Rdn. 15. 645 Siehe Art. 26 Abs. 4 Richtlinie 2009/72/EG (Fn. 524).

D. Art. 106 Abs. 1 AEUV i. V. m. 102 AEUV

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lichen und räumlichen Märkten tätig sein, sodass Stromverteilermärkte durchaus als eigene, sachlich relevante Märkte qualifiziert werden können. cc) Um den relevanten Markt in räumlicher Richtung abzugrenzen, ist auf dasjenige Gebiet abzustellen, „in dem die Wettbewerbsbedingungen hinreichend homogen sind.“646 So gilt der räumlich relevante Markt nach Auffassung der Europäischen Kommission „als das Gebiet, in dem die beteiligten Unternehmen die relevanten Produkte oder Dienstleistungen anbieten, in dem die Wettbewerbsbedingungen hinreichend homogen sind und das sich von benachbarten Gebieten durch spürbar unterschiedliche Wettbewerbsbedingungen unterscheidet.“647

Damit ist gemeint, dass ein Markt dadurch gekennzeichnet ist, dass in seinen Grenzen ähnliche Wettbewerbsbedingungen herrschen. Ein wesentlicher Faktor für diese räumliche Abgrenzung sind entstehende Transportkosten.648 In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob bereits die einzelne Stromleitung als räumlich relevanter Markt anzusehen ist oder ob sich darüber hinaus das gesamte vom Netzbetreiber kontrollierte Netz als räumlich relevanter Markt darstellt.649 So hat auch die Europäische Kommission darüber nachgedacht, einen eigenen Markt für die grenzüberschreitenden Verbindungsleitungen anzunehmen.650 Da die Versteigerung von Engpasskapazitäten Stromlieferungen deutlich verteuern kann, spricht einiges dafür, die jeweils einzelnen, durch Engpasssituationen voneinander eingefassten Stromleitungen in räumlicher Richtung als separate Märkte abzugrenzen. Je nachdem von welchem Ursprungsort der Strom in der konkreten Nachfragesituation geliefert wird und über welchen physikalischen Weg der Ladungsaustausch erfolgt, ergeben sich in der Regel keine alternativen Beschaffungskonstellationen, sodass je nach konkreter Nachfragesituation vermutlich aber auch die dann konkret benutzten Leitungen als ein Markt abzugrenzen wären. Lediglich um die Situation handhabbar zu erfassen, sind die Stromübertragungs- und Stromverteilermärkte je nach jeweiligem Netzgebiet abzugrenzen.651 dd) Die Notwendigkeit, die hier einschlägigen Übertragungs- und Verteilermärkte auch in zeitlicher Richtung abzugrenzen, ergibt sich daher zumindest bei einer 646

Weiß, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 101 AEUV Rdn. 93 m. w. N. Weiß, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 101 AEUV Rdn. 93 m. w. N. 648 Behrens, Marktöffnungs- und Wettbewerbsrecht, Rdn. 830; Klause/Schwintowski, BBSpecial Energie-/Kartellrecht 2.2010 zu Heft 14, 1 (8). 649 Vgl. Kommission, Entscheidung v. 14. 4. 2010, Sache 39351, Rdn. 18 ff. m. w. N. – Swedish Interconnectors. 650 Kommission, Entscheidung v. 4. 2. 2010, Sache COMP/M.5707, Rdn. 8 – Tennet/E.ON; darauf hinweisend Füller, in: Bornkamm/Montag/Säcker, Münchener Kommentar, Bd. 1, Einl. Rdn. 1124. 651 Vgl. nur die Kommissionspraxis: Kommission, Entscheidung v. 9. 12. 2004, Sache COMP/M.3440, Rdn. 34 und 75 – EDP/ENI/GDP; Kommission, Entscheidung v. 21. 12. 2005, Sache COMP/M.3696, Rdn. 254 – E.ON/MOL; Kommission, Entscheidung v. 14. 4. 2010, Sache 39351, Rdn. 18 f. – Swedish Interconnectors. 647

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Kap. 5: Weitere pflichtbegründende Vorschriften

Abgrenzung nach Netzgebieten nicht: zum einen ist der Wettbewerb von Strom mit anderen Energieträgern zu jeder Zeit äußerst begrenzt. Zum anderen können Übertragungs- und Verteilerleistungen im Regelfall und ganz generell nicht durch andere Netze ersetzt werden.652 b) Beherrschende Stellung Zur weiteren Bejahung der Tatbestandsvoraussetzung des Art. 102 AEUV ist nunmehr zu untersuchen, ob auf den dargelegten relevanten Märkten eine beherrschende Stellung der netzbetreibenden Unternehmen besteht. Eine beherrschende Stellung eines Unternehmens ist dann anzunehmen, wenn die Machtstellung des Unternehmens „dieses in die Lage versetzt, einen wirksamen Wettbewerb auf dem relevanten Markt zu verhindern, indem sie ihm die Möglichkeit verschafft, sich seinen Wettbewerbern, seinen Abnehmern und schliesslich den Konsumenten gegenüber in einem nennenswerten Umfang unabhängig zu verhalten.“653

Dabei müssen Abnehmer nicht zwangsläufig auch Verbraucher sein. Jedenfalls ergibt sich eine beherrschende Stellung im Sinne der Vorschrift für Monopole:654 Monopole weisen auf den ihnen zugeordneten Märkten eine Alleinstellung auf, aufgrund derer sich gänzlich andere, für das Monopol besonders günstige Wettbewerbsbedingungen ergeben als dies auf einem Markt der Fall wäre, auf dem kein Monopol besteht.655 Folglich gilt dies auch für den Fall natürlicher (Netz-)Monopole.656 Da der Betrieb physischer Netze mit hohen Fixkosten verbunden ist,657 handelt es sich auch bei Übertragungs- und Verteilernetzbetreibern um Monopole. Aufgrund ihrer Monopolstellung verfügen sie über die Kontrolle der Übertragungsund Verteilerkapazitäten in ihrem Einflussbereich.658 Mithin ist eine beherrschende Stellung von Übertragungs- und Verteilernetzbetreibern in Bezug auf einzelne Stromleitungen und hinsichtlich der gesamten von ihnen kontrollierten Netzgebiete anzunehmen.

652 Vgl. nur die Ausführungen in Kommission, Entscheidung v. 9. 12. 2004, Sache COMP/ M.3440, Rdn. 34. 653 Breitenmoser/Weyeneth, Europarecht, Rdn. 1003 (mit Hinweis auf EuGH, Urt. v. 14. 2. 1978, Rs. C-27/76, ECLI:EU:C:1978:22 – United Brands/Kommission); siehe auch Weiß, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 102 AEUV Rdn. 7. 654 Weiß, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 102 AEUV Rdn. 12 m. w. N. 655 Behrens, Marktöffnungs- und Wettbewerbsrecht, Rdn. 272. 656 Zu dieser Begrifflichkeit im Überblick Fesenmair, Dienstleistungsmonopole, S. 155 f. 657 Behrens, Marktöffnungs- und Wettbewerbsrecht, Rdn. 284. 658 Kommission, Entscheidung v. 14. 4. 2010, Sache 39351, Rdn. 25 m. w. N. – Swedish Interconnectors.

D. Art. 106 Abs. 1 AEUV i. V. m. 102 AEUV

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c) Binnenmarkt oder wesentlicher Teil desselben Nachdem nun für stromnetzbetreibende Unternehmen eine beherrschende Stellung auf den Stromübertragungs- und Stromverteilermärkten festgestellt wurde, ist in einem nächsten Schritt zu untersuchen, ob es sich bei Stromübertragungs- und Stromverteilermärkten um den Binnenmarkt oder um einen wesentlichen Teil des Binnenmarkts handelt. Dies ergibt sich unmittelbar aus Art. 102 AEUV, der nur die missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung auf dem Binnenmarkt oder auf einem wesentlichen Teil desselben betrifft.659 Dabei wird aufgrund der weiten geographischen Ausdehnung der EU eine beherrschende Stellung eines Unternehmens auf dem Binnenmarkt selbst nur in Einzelfällen zu bejahen sein.660 Schon deshalb ist insbesondere von Bedeutung, was unter einem wesentlichen Teil des Binnenmarkts im Sinne der Vorschrift zu verstehen ist. Mit einer eher funktionalen Betrachtung im Lichte des EU-Ziels der Überwindung der mitgliedstaatlichen Grenzen, kann bereits ein wesentlicher Teil des Binnenmarkts im Sinne des Art. 102 AEUV vorliegen, wenn das komplette Staatsgebiet eines Mitgliedstaats betroffen ist.661 Sind nur Teile eines mitgliedstaatlichen Territoriums betroffen, müssen weitere Kriterien herangezogen werden, die sich aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift ergeben: Da schon seinem Wortlaut nach Art. 102 AEUV das Ziel der Förderung bzw. der Schutzes des Binnenmarkts entnommen werden kann, liegt es nahe, eine gewisse „Binnenmarktrelevanz“ für die Bejahung des Tatbestandsmerkmals zur Voraussetzung zu machen.662 Dem weiteren Zweck der Vorschrift, Handelspartner und Verbraucher wie auch den Wettbewerb „als Institution“ zu schützen,663 steht diese Überlegung auch nicht entgegen. Zudem dient die Anwendung der Vorschrift bei nur binnenmarktrelevanten Sachverhalten auch bei Art. 102 AEUV der Verhältnismäßigkeit des unionalen Eingriffs in die unternehmerischen Freiheiten. Mithin ist die wirtschaftliche Bedeutung des betroffenen Gebietes festzustellen.664 Die räumliche Größe des betroffenen Gebiets ist hingegen nicht relevant.665 Daher kann im Einzelfall auch ein lediglich regionaler Markt als wesentlicher Teil des

659

Vgl. auch Weiß, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 102 AEUV Rdn. 22. Eilmansberger/Bien, in: Bornkamm/Montag/Säcker, Münchener Kommentar, Bd. 1, Art. 102 AEUV Rdn. 125. 661 Weiß, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 102 AEUV Rdn. 22 m. w. N. 662 Eilmansberger/Bien, in: Bornkamm/Montag/Säcker, Münchener Kommentar, Bd. 1, Art. 102 AEUV Rdn. 126. 663 De Bronett, in: Wiedemann, Handbuch, § 22 Rdn. 2; Kling/Thomas, Kartellrecht, § 6 Rdn. 4 m. w. N.; Zum Verhältnis von Binnenmarktziel und Marktöffnung Behrens, Marktöffnungs- und Wettbewerbsrecht, Rdn. 30. 664 Weiß, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 102 AEUV Rdn. 22 m. w. N. 665 Weiß, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 102 AEUV Rdn. 22 m. w. N. 660

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Kap. 5: Weitere pflichtbegründende Vorschriften

Binnenmarkts angesehen werden, wenn diesem die entsprechende wirtschaftliche Bedeutung zukommt.666 Aus diesen Voraussetzungen ergibt sich, dass der gesamte Stromübertragungsmarkt eines Mitgliedstaats als wesentlicher Teil des Binnenmarkts im Sinne des Art. 102 AEUV anzusehen ist.667 Dies liegt zum einen daran, dass dieser Stromübertragungsmarkt dann das gesamte Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats betrifft; zum anderen betrifft die beherrschende Stellung dann einen wesentlichen Teil des Binnenmarkts, wenn das Unternehmen alle grenzüberschreitenden Verbindungsleitungen eines Landes kontrolliert, da dann keine anderen Möglichkeiten bestehen, Strom in das Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats einzuführen oder auszuführen als über die grenzüberschreitenden Verbindungsleitungen des Unternehmens.668 Diese Voraussetzungen liegen beispielsweise hinsichtlich der deutschen Gegebenheiten nicht vor: in Deutschland teilt sich das Land in vier Übertragungsnetzgebiete auf. Aus diesen Voraussetzungen ergibt sich aber auch, dass grundsätzlich auch Stromverteilermärkte, soweit sie eine ausreichende wirtschaftliche Bedeutung haben, als wesentlicher Teil des Binnenmarkts betrachtet werden können. 3. Missbräuchliches Ausnutzen a) Missbrauch durch die (notwendige) Beschränkung der Kapazität für die grenzüberschreitende Stromübertragung aa) Art. 102 AEUVerklärt die missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung auf dem Binnenmarkt oder auf einem wesentlichen Teil desselben durch ein oder mehrere Unternehmen, soweit dies dazu führen kann, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen, für mit dem Binnenmarkt unvereinbar und verboten. Damit Art. 102 AEUV Anwendung findet, muss demnach auch ein Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung vorliegen. Dabei erläutert Art. 102 Abs. 2 AEUV, worin dieser Missbrauch insbesondere bestehen kann. Eine allgemeine Definition, was genau unter einem Missbrauch im Sinne der Vorschrift zu verstehen ist, enthält diese nicht. Daher ist für den Fall, dass keines der Regelbeispiele erfüllt ist, in einer Gesamtschau dieser einzelnen Regelbeispiele und mit Blick auf Sinn und Zweck von Art. 102 AEUV festzustellen, ob ein Missbrauch im Sinne der Vorschrift gegeben ist.669 Sollten sich aus dem Missbrauchsverbot des Art. 102 666

Weiß, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 102 AEUV Rdn. 23; grundsätzlich sind regionale Märkte kein wesentlicher Teil des Binnenmarkts im Sinne des Art. 102 AEUV, vgl. EuGH, Urt. v. 5. 10. 1988, Rs. C-247/86, ECLI:EU:C:1988:469, Rdn. 23 – Alsatel/Novasam. 667 So auch Kommission, Entscheidung v. 14. 4. 2010, Sache 39351, Rdn. 26 m. w. N. – Swedish Interconnectors (mit Hinweis auf Kommission, Entscheidung v. 13. 6. 2000, Sache COMP/M.1673). 668 Kommission, Entscheidung v. 14. 4. 2010, Sache 39351, Rdn. 26 – Swedish Interconnectors. 669 Ähnlich Brinker, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 102 AEUV Rdn. 15.

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AEUV Pflichten zum Ausbau der Stromnetze ergeben, können diese nach den vorgenannten Ausführungen670 auch nur dann auf die Mitgliedstaaten übertragen werden, wenn dieser Missbrauch in einem aktiven Tätigwerden der Unternehmen begründet ist; andernfalls würde die Wortlautgrenze des Art. 106 Abs. 1 AEUV überschritten. bb) Zu allererst ist denkbar, dass die notwendige Beschränkung der Kapazität für die grenzüberschreitende Stromübertragung unter bestimmten Voraussetzungen einen Verstoß gegen Art. 102 AEUV darstellt, aus dem eine Pflicht des adressierten Unternehmens zum Ausbau der Stromnetze abgeleitet werden kann.671 Dies könnte sich dann ergeben, wenn die notwendige Kapazitätsbeschränkung zu einem Verstoß gegen Art. 102 AEUV führt, die nur durch den Ausbau des Stromnetzes abzustellen wäre. Vorliegend findet das Regelbeispiel von Art. 102 Abs. 2 lit. c) AEUV Anwendung. Die Vorschrift verbietet die Anwendung unterschiedlicher Bedingungen bei gleichwertigen Leistungen gegenüber Handelspartnern, wodurch diese im Wettbewerb benachteiligt werden. Kapazitätsbeschränkungen der grenzüberschreitenden Verbindungsleitungen können notwendig werden, um eine Belastung interner Stromnetze des Mitgliedstaats zu vermeiden.672 Diese Kapazitätsbeschränkungen können zu unterschiedlichen und insbesondere deutlich höheren Preisen „hinter“ der beschränkten grenzüberschreitenden Verbindungsleitung führen und damit einen Nachteil für die Kunden darstellen.673 Folglich führt ein derartiges Verhalten eines die Kapazität beschränkenden Unternehmens zu einer Diskriminierung der Kunden des Unternehmens aufgrund ihres Wohn- oder Geschäftssitzes.674 Eine solche Diskriminierung ist als Missbrauch im Sinne der Vorschrift einzuordnen,675 da derartige Unterscheidungen mit dem Binnenmarktziel unvereinbar sind: In einem solchen Fall würde das handelnde Unternehmen durch die Beschränkung von Übertragungskapazität zu einer Segmentierung der Märkte, im Falle der Beschränkung der Kapazität grenzüberschreitender Verbindungsleitungen zu einer Aufteilung der Märkte nach Mitgliedstaaten der EU oder des EWR beitragen, und die „Kunden und Erzeuger 670

S. o. Kapitel 5 D. I. Kommission, Entscheidung v. 14. 4. 2010, Sache 39351 – Swedish Interconnectors. Vgl. hierzu auch Wolf, in: Bornkamm/Montag/Säcker, Münchener Kommentar, Bd. 2, § 19 GWB Rdn. 167. 672 Vgl. nur im konkreten Fall Kommission, Entscheidung v. 14. 4. 2010, Sache 39351, Rdn. 27 und 38 – Swedish Interconnectors. 673 Kommission, Entscheidung v. 14. 4. 2010, Sache 39351, Rdn. 41 – Swedish Interconnectors. 674 Kommission, Entscheidung v. 14. 4. 2010, Sache 39351, Rdn. 42 – Swedish Interconnectors. 675 EuGH, Urt. v. 14. 2. 1978, Rs. C-27/76, ECLI:EU:C:1978:22, Rdn. 204 ff. – United Brands/Kommission; EuGH, Urt. v. 2. 3. 1983, Rs. C-7/82, ECLI:EU:C:1983:52, Rdn. 54 ff. – GVL/Kommission; Kommission, Entscheidung v. 14. 4. 2010, Sache 39351, Rdn. 42 – Swedish Interconnectors. Vgl. auch die Ausführungen zu Art. 102 Abs. 2 lit. c) AEUV bei Eilmansberger, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 102 AEUV Rdn. 51 ff. 671

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Kap. 5: Weitere pflichtbegründende Vorschriften

entgegen den grundlegenden Zielen der EU daran“ hindern, vom Binnenmarkt zu profitieren.676 Im Fall der Beschränkung der Kapazität grenzüberschreitender Verbindungsleitungen würde diese sich nur für ausländische Kunden auswirken, sodass für diese Fälle anzumerken ist, dass eine solche Diskriminierung bereits aufgrund von Art. 18 AEUV, nach dessen Wortlaut im Anwendungsbereich der Verträge jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten ist, untersagt wäre.677 Im Übrigen würde eine derartige Beschränkung der Leitungskapazitäten durch den Mitgliedstaat mit dem Ziel der Entlastung des inländischen Netzes auch gegen Art. 35 AEUV verstoßen.678 Ein Missbrauch durch die Beschränkung innerstaatlicher Leitungen und damit auch durch Verteilernetzbetreiber scheidet hingegen aus, da für innerstaatliche Leitungen Kapazitäten in der Regel nicht explizit ausgewiesen werden; sie können daher auch nicht beschränkt werden. cc) Wenngleich durch derartige Handlungen eine missbräuchliche Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung im Sinne des Art. 102 AEUV festzustellen ist, ergibt dies noch nicht zwangsläufig, dass damit auch die Pflicht zum Ausbau der Stromnetze verbunden ist. Art. 102 AEUV besagt nichts darüber, wie die adressierten Unternehmen die missbräuchliche Ausnutzung ihrer marktbeherrschenden Stellung verhindern oder abzustellen haben. Grundsätzlich ist daher anzunehmen, dass diese zwischen der Einrichtung eines diskriminierungsfreien Managements des Engpasses und der Erweiterung der Kapazität wählen können.679 Es ist allerdings vorstellbar, dass diese Wahl in Fällen beschränkt ist, in denen die Einrichtung eines diskriminierungsfreien Engpassmanagements nicht möglich ist. Dann könnte sich die Pflicht ergeben, die einzig durchführbare Möglichkeit zu wählen, um den Verstoß auszuschließen. Die Wahl ist insbesondere dann eingeschränkt, wenn in einem Gebiet für die Bildung eines eigenen Marktpreises zu wenig geeignete Ressourcen zur Stromerzeugung vorhanden sind.680 Dann ist das Unternehmen zum Ausbau des

676 Kommission, Entscheidung v. 14. 4. 2010, Sache 39351, Rdn. 44 – Swedish Interconnectors. 677 Kommission, Entscheidung v. 14. 4. 2010, Sache 39351, Rdn. 43 – Swedish Interconnectors. Siehe zum Diskriminierungsverbot des Art. 18 AEUV Cottier, ZSR 2015 I, 325 (333 f.). 678 Kommission, Entscheidung v. 14. 4. 2010, Sache 39351, Rdn. 43 m. w. N. – Swedish Interconnectors. Vgl. dazu auch die Ausführungen in Kapitel 1 D. 679 So in Bezug auf § 19 GWB Nothdurft, in: Langen/Bunte, Deutsches Kartellrecht, § 19 GWB Rdn. 455. 680 Kommission, Entscheidung v. 14. 4. 2010, Sache 39351, Rdn. 48 – Swedish Interconnectors. Die Kommission bzw. der schwedische Übertragungsnetzbetreiber Svenska Kraftnät führen aus, dass ein „effizientes Engpassmanagement durch Regelzonen“ nicht möglich sei. Der Begriff der Effizienz scheint allerdings nicht abschließend definiert. So spricht Wawer, ZfE 2009, 91 (94), davon, dass ein Engpassmanagement dann effizient sei, „wenn die installierten Kapazitäten vollständig genutzt werden“. Dies scheint allerdings nicht dem von der Kommission und Svenska Kraftnät angelegten Verständnis zu entsprechen.

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Stromnetzes verpflichtet.681 Die Wahl des Unternehmens zwischen Engpassmanagement und Kapazitätserweiterung ist auch dann eingeschränkt, wenn die Kapazität auf lange Sicht hinter dem Gesamtkapazitätsbedarf zurückbleibt.682 Dies begründet sich dogmatisch durch den Schutz vor einer durch „die Hintertür“ stattfindenden Reduktion der Kapazitäten; im Sinne des Wettbewerbs haben sich die nach Art. 102 AEUV zu treffenden Maßnahmen an den Bedürfnissen aller Nutzer zu orientieren.683 Könnten Angebot und Nachfrage im Einzelfall anderweitig ausgeglichen werden, insbesondere durch den Zubau von Kraftwerkskapazitäten, würde dies im Übrigen nichts an der hier getroffenen Beurteilung ändern: für diesen regionalen Ausgleich sind die Marktteilnehmer und nicht die Übertragungsnetzbetreiber zuständig und nur letztere sind in der hier behandelten Konstellation Adressaten der aus Art. 102 AEUV entstehenden Verpflichtung.684 b) Missbrauch durch die Einschränkung der technischen Entwicklung zum Schaden der Verbraucher aa) Überdies ergibt sich aus Art. 102 Abs. 2 lit. b) AEUV, dass Unternehmen auch dann ihre beherrschende Stellung auf einem wesentlichen Teil des Binnenmarkts missbräuchlich ausnutzen, wenn sie ihre technische Entwicklung, folglich damit auch die technische Entwicklung ihrer Netze, zum Schaden der Verbraucher einschränken. Da sonst die Wortlautgrenze des Art. 106 Abs. 1 AEUV überschritten würde, können auch hier Pflichten, die auf Art. 102 Abs. 2 lit. b) AEUV beruhen, nur dann über Art. 106 Abs. 1 AEUV auf die Mitgliedstaaten übertragen werden, wenn der hier normierte Missbrauch eine „Maßnahme“ darstellt, also ein aktives Tätigwerden der Unternehmen vorliegt.685 bb) Art. 102 Abs. 2 lit. b) AEUV bedarf einer weiten Auslegung;686 erstens, weil es sich nur um ein Regelbeispiel handelt und zweitens, weil Art. 102 Abs. 2 lit. b) AEUV ebenfalls unter Berücksichtigung des Grundsatzes des effet utile heranzuziehen ist. Art. 102 Abs. 2 lit. b) AEUV hat zum Ziel, die Verbraucher davor zu schützen, dass sich Produkte und Leistungen durch eine künstliche Verknappung des 681 Vgl. nur die vom schwedischen Übertragungsnetzbetreiber vorgeschlagene Verpflichtung in Kommission, Entscheidung v. 14. 4. 2010, Sache 39351, Rdn. 48 – Swedish Interconnectors. 682 Wolf, in: Bornkamm/Montag/Säcker, Münchener Kommentar, Bd. 2, § 19 GWB Rdn. 167. Vgl. auch die Ausführungen bei Koenig/Kühling/Winkler, WuW 2003, 228 (236 ff.); Schmidt-Preuß, RdE 1996, 1 (5) (zu Investitionspflichten, wenn keine freien Kapazitäten mehr bestehen); Papier, BB 1997, 1213 (1219). 683 Wolf, in: Bornkamm/Montag/Säcker, Münchener Kommentar, Bd. 2, § 19 GWB Rdn. 167; Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 2, § 19 GWB Rdn. 333. 684 Vgl. Kommission, Entscheidung v. 14. 4. 2010, Sache 39351, dort Fn. 35 – Swedish Interconnectors. 685 S. o. Kapitel 5 D. I. 686 Kling/Thomas, Kartellrecht, § 6 Rdn. 104.

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Kap. 5: Weitere pflichtbegründende Vorschriften

Angebots verteuern.687 Unter den Begriff der technischen Entwicklung lässt sich daher auch der Ausbau der Stromnetze subsumieren.688 Aufgrund der gebotenen weiten Auslegung sind sowohl der qualitative wie auch der quantitative Netzausbau unter die Vorschrift zu fassen. Damit ergibt sich bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen aus Art. 106 Abs. 1 AEUV i. V. m. Art. 102 Abs. 2 lit. b) AEUV eine Pflicht für die Mitgliedstaaten, auf ihre öffentlichen Übertragungs- und Verteilernetze oder solche, denen sie besondere oder ausschließliche Rechte gewähren, hinzuwirken, ihre Stromnetze auszubauen. Dies gilt wiederum allerdings nur für solche Einschränkungen, denen ein aktives Verhalten, zum Beispiel eine Anweisung durch die Unternehmensleitung oder leitende Angestellte oder ähnliches, zu Grunde liegt. Andernfalls wäre der Wortlaut des Art. 106 Abs. 1 AEUV überschritten und die Pflicht aus Art. 102 Abs. 2 lit. b) AEUV wäre nicht mehr auf den Mitgliedstaat überzuleiten. cc) Grundsätzlich ist anzumerken, dass es auf den ersten Blick nicht leicht ist, festzustellen, welches Niveau der technischen Entwicklung angemessen ist, um ein Zurückbleiben hinter diesem Niveau und damit eine Einschränkung der technischen Entwicklung festzustellen.689 Es wird angenommen, dass jedenfalls dann bereits ein Verstoß gegen die Vorschrift vorliegt, wenn das im Zentrum der Untersuchung stehende Unternehmen nicht ausreichend Rücksicht auf die spezifischen Interessen der Kunden nimmt.690 Übertragen auf den Fall des Ausbaus der Stromnetze sollte daher davon ausgegangen werden, dass jedenfalls dann eine missbräuchliche Ausnutzung der marktbeherrschenden Stellung im Sinne von Art. 102 Abs. 2 lit. b) AEUV anzunehmen ist, wenn das netzbetreibende Unternehmen nicht ausreichend Rücksicht auf die Interessen der Kunden und Erzeuger genommen hat. dd) Von der aus Art. 102 AEUV folgenden Ausbauverpflichtung sind alle Formen des Ausbaus umfasst, also sowohl der qualitative wie auch der quantitative Ausbau.691 Für eine weitergehende Unterscheidung sind keine Gründe ersichtlich; vielmehr ist schon im Lichte des effet utile alles zu unternehmen, um die missbräuchliche Ausnutzung der marktbeherrschenden Stellung zu verhindern bzw. abzustellen. Art. 102 AEUV beschreibt das Ziel („unvereinbar und verboten“) und trifft folglich keine Regelung zu den für die Erreichung des Ziels notwendigen Maßnahmen.692

687

Eilmansberger, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 102 AEUV Rdn. 43. Vgl. Bulst, in: Langen/Bunte, Europäisches Kartellrecht, Art. 102 AEUV Rdn. 206. Zum Ausbau eines GSM-Mobilfunknetzes als technische Entwicklung i. S. d. Vorschrift Kommission, Entsch. v. 18. 12. 1996, ABl. L 76 v. 8. 3. 1997, S. 19 ff., Rdn. 21. 689 Eilmansberger, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 102 AEUV Rdn. 47. 690 Eilmansberger, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 102 AEUV Rdn. 47 m. w. N. 691 Wolf, in: Bornkamm/Montag/Säcker, Münchener Kommentar, Bd. 2, § 19 GWB Rdn. 167 m. w. N. 692 Vgl. zu diesen Erwägungen auch die Überlegungen in Kapitel 3 B. II. 1. 688

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c) Kausalität zwischen Missbrauch und Ausnutzung der beherrschenden Stellung und freier Entscheidungsspielraum aa) Übertragungsnetzbetreiber unterliegen den Vorschriften zur Entflechtung693 und werden daher nicht auch auf Stromerzeugungs- oder Stromhandelsmärkten tätig. Mögliche Missbrauchssituationen, die von Übertragungsnetzbetreibern ausgehen, betreffen daher regelmäßig andere Märkte und gerade nicht die Märkte für Stromübertragung. Auch in solchen Fällen, in denen Verteilernetzbetreiber der Entflechtung unterliegen694 und daher nicht mit anderen Marktteilnehmern im Verteilergebiet um den Stromvertrieb konkurrieren, wirkt sich eine Ausnutzung der marktbeherrschenden Stellung von Verteilernetzbetreibern in der Regel auf einem anderen Markt aus. Diese Situationen sind daher solche der Marktdivergenz695 – d. h. Missbrauch und Ausnutzung der marktbeherrschenden Stellung geschehen auf unterschiedlichen Märkten –, die ebenfalls von Art. 102 AEUV aufgrund der durch die Heranziehung des Grundsatzes des effet utile gebotenen, weiten Auslegung erfasst werden.696 Wenngleich unterschiedliche Auffassungen vertreten werden, wann genau eine Kausalität zwischen Missbrauch und Ausnutzung der beherrschenden Stellung positiv begründet werden muss und wann diese vermutet werden kann,697 gelingt der Nachweis698 der Kausalität in der Regel in allen hier diskutierten Fällen: auf einem vergleichbaren Markt wäre der Strompreis jeweils günstiger, wenn die Kapazitäten nicht im Zusammenhang mit der beherrschenden Stellung künstlich heruntergeregelt bzw. im Falle der Einschränkung der technischen Entwicklung die Stromnetze weniger oder keine Engpässe aufweisen würden. Problematisch erscheinen lediglich theoretisch denkbare Einzelfälle, in denen durch den verpflichtenden Ausbau des Netzes die zulässige Kostenumwälzung des Ausbaus sich derart auf den Strompreis niederschlägt, dass der Strompreis aufgrund des erhöhten Netznutzungsentgeltes eben doch nicht günstiger wird. Mit Blick auf das Ziel des Art. 102 AEUV, die Verbraucher davor zu schützen, dass sich Produkte und Leistungen durch eine künstliche Verknappung des Angebots verteuern,699 sollte eine Betrachtung angelegt werden, die prognostiziert, ob sich die Ausbau- und anschließenden Betreiberkosten langfristig nicht derart auf den Strompreis auswirken,

693

Art. 9 ff. Richtlinie 2009/72/EG (Fn. 524). Art. 26 Abs. 4 Richtlinie 2009/72/EG (Fn. 524). 695 Zum Begriff Kling/Thomas, Kartellrecht, § 6 Rdn. 90. 696 Vgl. oben Kapitel 1 C. 697 Vgl. nur EuGH, Urt. v. 14. 11. 1996, Rs. C-333/94, ECLI:EU:C:1996:436, Rdn. 27 – Tetra Pak/Kommission; Kling/Thomas, Kartellrecht, § 6 Rdn. 90 und 97 m. w. N.; Weiß, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 102 AEUV Rdn. 44 m. w. N. 698 Zur Methode des sog. „Als-ob-Wettbewerb-Tests“ Kling/Thomas, Kartellrecht, § 6 Rdn. 90 m. w. N. 699 Eilmansberger, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 102 AEUV Rdn. 43. 694

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Kap. 5: Weitere pflichtbegründende Vorschriften

dass trotz Reduktion des marktlichen Preisanteils ein gleichbleibender oder höherer Gesamtpreis erzielt wird. bb) Überdies ergibt sich für alle Formen des Missbrauchs nach Art. 102 AEUV die Notwendigkeit, für die Anwendung von Art. 102 AEUV einen Entscheidungsspielraum des Unternehmens zum Tatbestand zu zählen.700 Dort wird explizit ein „Missbrauch“ gefordert. Ein Missbrauch eines Unternehmens kann vom Wortlaut her nur dann vorliegen, wenn dieses die Möglichkeit hat, auch rechtmäßige Entscheidungen zu treffen, also nicht bereits durch einen vom Mitgliedstaat gesetzten Rechtsrahmen in seiner Entscheidungs- und Handlungsfreiheit eingeschränkt wird. Tatsächliche Rahmenbedingungen reichen hingegen nicht aus, um einen Missbrauch abzulehnen. Dann muss das Unternehmen eben gerade aufgrund des effet-utileGrundsatzes Maßnahmen ergreifen, die eine solche Ausnutzung in Zukunft ausschließen. Verpflichtet hingegen ein Mitgliedstaat die Unternehmen durch rechtliche Anordnung zu einer Ausnutzung der marktbeherrschenden Stellung, ist gegen diesen mittels eines Vertragsverletzungsverfahrens vorzugehen. 4. Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten Da Art. 102 AEUV die missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung untersagt, soweit dies dazu führen kann, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen, muss das hier in Rede stehende Verhalten der Netzbetreiber jedenfalls objektiv geeignet701 sein, eine Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten zu verursachen.702 Allerdings ist eine Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten – auch im Rahmen des Art. 102 AEUV – nur dann anzunehmen, wenn diese „spürbar“ ist. Das bedeutet, dass die Schwere der Beeinträchtigung eine gewisse Erheblichkeitsschwelle überschreiten muss.703 Zwar ist umstritten, ob Art. 102 AEUV die Berücksichtigung eines Spürbarkeitskriteriums zulässt.704 Da nach Art. 102 AEUV nur die missbräuchliche Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung verboten ist, soweit sie den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigen kann, lässt sich die Voraussetzung einer Spürbarkeit allerdings ohne weiteres in den Tatbestand 700 EuGH, Urt. v. 13. 12. 1991, Rs. C-18/88, ECLI:EU:C:1991:474, Rdn. 20 – RTT/GBInno-BM; EuGH, Urt. v. 11. 11. 1997, verb. Rs. C-359/95 und C-379/95, ECLI:EU:C:1997:531, Rdn. 33 – Kommission und Frankreich/Ladbroke Racing; Behrens, Marktöffnungs- und Wettbewerbsrecht, Rdn. 1455. 701 Vgl. nur Weiß, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 102 AEUV Rdn. 72. 702 Siehe auch Breitenmoser/Weyeneth, Europarecht, Rdn. 1008. 703 Vgl. nur in Bezug auf Art. 101 Abs. 1 AEUV Kirchhoff, in: Bornkamm/Montag/Säcker, Münchener Kommentar, Bd. 1, Art. 101 AEUV Rdn. 528. 704 Dazu Weiß, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 102 AEUV Rdn. 75 m. w. N.; a. A. Behrens, Marktöffnungs- und Wettbewerbsrecht, Rdn. 1146 (mit Hinweis auf EuGH, Urt. v. 13. 2. 1979, Rs. C-85/76, ECLI:EU:C:1979:36, Rdn. 123 – Hoffmann-La Roche/Kommission).

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hineinlesen.705 Diese Voraussetzung ist zudem geboten, da sie das Ergebnis der erforderlichen Abwägung zwischen unternehmerischen Freiheiten und unionalem Eingriff darstellt.706 Eine unmittelbare und spürbare Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten ist dann anzunehmen, wenn das Verhalten des Netzbetreibers den Stromfluss aus einem Mitgliedstaat in einen anderen einschränkt.707 Die beschriebenen Missbrauchssituationen führen zu höheren Preisen und beeinträchtigen damit den Handel zwischen den Mitgliedstaaten. Die Spürbarkeit solchen Verhaltens ergibt sich einerseits daraus, dass der Tatbestand als Zwischenstaatlichkeits-Klausel formuliert ist, zum anderen aufgrund der besonderen Bedeutung der Überwindung der mitgliedstaatlichen Grenzen708 zur Schaffung eines vereinten Europas: wird demnach der Stromfluss „zwischen“ den Mitgliedstaaten eingeschränkt, ist der Tatbestand in jedem Fall als erfüllt an zu sehen. Dies ist jedenfalls der Fall, wenn ein Netzbetreiber die Kapazität einer grenzüberschreitenden Verbindungsleitung beschränkt und dadurch eine künstliche Marktsegmentierung auf dem Binnenmarkt geschaffen wird.709 Letztlich handelt es sich damit auch um eine Beschränkung des Marktzugangs für die von der Kapazitätsbeschränkung betroffenen Stromhandelnden Unternehmen. Auch in anderen Fällen wurde angenommen, dass die Beschränkung des Marktzugangs den Tatbestand von Art. 106 Abs. 1 AEUV erfüllt.710 Schwerer zu beurteilen sind hingegen Einschränkungen der technischen Entwicklung auf den Verteilermärkten. Grundsätzlich können sich auch diese marktbeschränkend auswirken. Hier sind die Einzelfälle detailliert zu betrachten und zu untersuchen, ob die Auswirkungen für die Ziele des Art. 102 AEUV durch solche Kapazitätsbeschränkungen in Verteilernetzen in einem angemessenen Verhältnis mit der Einschränkung der unternehmerischen Freiheiten durch die Anwendung der Vorschrift stünden. Im Ergebnis werden geringste Preiserhöhungen hinzunehmen sein, da sie nicht spürbar im Sinne des Art. 102 AEUV sind.

705

Vgl. auch Kapitel 3 C. I. 4. Keun, Handlungspflichten, S. 58 m. w. N. 707 Vgl. Kommission, Entscheidung v. 14. 4. 2010, Sache 39351, Rdn. 46 m. w. N. – Swedish Interconnectors. 708 Eilmansberger/Bien, in: Bornkamm/Montag/Säcker, Münchener Kommentar, Bd. 1, Art. 102 AEUV Rdn. 125, führen dieses Argument auch für die Auslegung des Tatbestandsmerkmals „auf dem Binnenmarkt oder auf einem wesentlichen Teil desselben“ an. 709 Kommission, Entscheidung v. 14. 4. 2010, Sache 39351, Rdn. 46 – Swedish Interconnectors. 710 So zur Vorgängervorschrift EuG, Urt. v. 12. 12. 2000, Rs. T-128/98, ECLI:EU:T:2000:290, insb. Rdn. 154 ff. – Aéroports de Paris/Kommission; Kommission, XXX. Bericht über die Wettbewerbspolitik 2000 v. 7.5. 2001, SEK(2001)694 endgültig, Rdn. 98 f. Weitere Nachw. bei Kühling, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 106 AEUV Rdn. 28. 706

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Kap. 5: Weitere pflichtbegründende Vorschriften

5. Modifikation der Voraussetzungen des Art. 102 AEUV bei der Anwendung von Art. 106 Abs. 1 AEUV Nachdem die vorangegangenen Untersuchungsschritte gezeigt haben, dass Sachverhalte denkbar sind, in denen Übertragungs- und Verteilernetzbetreiber durch Art. 102 AEUV zum Ausbau ihrer Stromnetze verpflichtet sind, wäre es möglich, diese Ausbaupflichten auf der Grundlage von Art. 106 Abs. 1 AEUV nach dem oben Gesagten auf die Mitgliedstaaten überzuleiten. Rechtsprechung711 und Teile der Literatur712 vertreten, dass bei der Anwendung von Art. 106 Abs. 1 AEUV i. V. m. Art. 102 AEUV die Tatbestandsvoraussetzungen der letztgenannten Vorschrift modifiziert werden müssten. Wortlaut und Systematik des Art. 106 Abs. 1 AEUV lassen hingegen eine die Voraussetzungen des Art. 102 AEUV modifizierende Auslegung nicht zu. Im Ergebnis ist Art. 106 Abs. 1 AEUV somit nur dann unmittelbar anwendbar, wenn andere Vorschriften, auf die sich Art. 106 Abs. 1 AEUV bezieht, vollumfänglich Anwendung finden.713

III. Rechtfertigungsmöglichkeiten 1. Ausdiskutiert erscheint, dass ein unternehmerischer Verstoß gegen Art. 102 AEUV ausschließlich durch wettbewerbsbezogene Gründe gerechtfertigt werden kann. Damit können sich jedenfalls die Unternehmen selbst nicht auf die in Art. 36 AEUV genannten Gründe oder die zwingenden Gründe des Allgemeinwohls stützen.714 Ein wettbewerbsbezogener Gesichtspunkt, unter dem eine grundsätzlich gegen Art. 102 AEUV verstoßene Maßnahme gerechtfertigt werden könnte, sind nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs „technische oder kommerzielle Notwendigkeiten“.715 Diese Notwendigkeit kann das im Zentrum der Untersuchung stehende Unternehmen allerdings schon aus Gründen der Ziele der Vorschrift sowie um keine Umgehung zu ermöglich nicht selbst definieren.716 Aufgrund der Ziele des Unionsrechts scheiden zudem nationale Interessen bei der Bestimmung dieser Notwendigkeit aus. Somit können die Unternehmen insbesondere nicht anführen, dass die Herunterregelung grenzüberschreitender Kapazitäten 711

EuGH, Urt. v. 17. 7. 2014, C-553/12 P, ECLI:EU:C:2014:2083, Rdn. 46 – Kommission/ DEI; darauf bezugnehmend auch Heller, EWeRK 2014, 288 (292 ff.). 712 Siehe nur Behrens, Marktöffnungs- und Wettbewerbsrecht, Rdn. 1468; Heller, EWeRK 2014, 288 (292 ff.). 713 So auch Kling/Thomas, Kartellrecht, § 7 Rdn. 3. 714 Behrens, Marktöffnungs- und Wettbewerbsrecht, Rdn. 1134. Vgl. im Übrigen allgemein zum Grundrechtsschutz im Wettbewerbsrecht Breitenmoser, SZIER 2007, 415 (415 ff.). 715 EuGH, Urt. v. 3. 10. 1985, Rs. C-311/84, ECLI:EU:C:1985:394, Rdn. 26 – CBEM/CLT und IPB; EuGH, Urt. v. 27. 3. 2012, Rs. C-209/10, ECLI:EU:C:2012:172, Rdn. 41 – Post Danmark; vgl. dazu auch Behrens, Marktöffnungs- und Wettbewerbsrecht, Rdn. 1135. 716 Vgl. mit Behrens, Marktöffnungs- und Wettbewerbsrecht, Rdn. 1135.

D. Art. 106 Abs. 1 AEUV i. V. m. 102 AEUV

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notwendig war, um Engpässe im nationalen Netz zu beseitigen. Generell sollte sich eine Notwendigkeit nur dann ergeben, wenn einzelne Kunden nicht lediglich zum Vorteil anderer Kunden einen Nachteil hinzunehmen haben. Weitere Rechtfertigungsmöglichkeiten könnten sich zwar durch legitime unternehmerische Interessen717 sowie aufgrund der durch die fragliche Maßnahme gewonnene Effizienzvorteile718 ergeben, allerdings erscheinen diese Gründe in den hier untersuchten Konstellationen ebenfalls als nicht einschlägig. 2. Fraglich ist, ob dies bedeutet, dass auch für Art. 106 Abs. 1 AEUV keine über wettbewerbsbezogene Erwägungen hinausgehenden Rechtfertigungsgründe angebracht werden können. Nach Art. 106 Abs. 1 AEUV haben die Mitgliedstaaten keine den Verträgen widersprechende Maßnahmen beizubehalten. Denkbar ist, dass dann keine den Verträgen widersprechende Maßnahmen vorliegen, wenn im konkreten Einzelfall Umwelt- oder andere schützenswerte Belange die konsequente, zum Zweck des Wettbewerbs erfolgende Durchsetzung von Art. 102 AEUV überwiegen. Schließlich sind die Mitgliedstaaten nach Art. 106 Abs. 1 AEUV auch dazu verpflichtet, keine den Verträgen widersprechende Maßnahmen zu treffen. Eine solche Maßnahme könnte die Nicht-Beachtung von Umwelt- oder anderen schützenswerten Belangen sein. Insoweit ergibt sich ein Interessenkonflikt, der dadurch gelöst werden kann, dass über ein sehr weites Verständnis des Tatbestandsmerkmals „keine den Verträgen […] widersprechende Maßnahmen“ gelöst werden kann: Hier finden jedenfalls auf der Ebene der Anwendung des Art. 106 Abs. 1 AEUV nicht-wettbewerbsbezogene Interessen Berücksichtigung, sodass auch bei einer Anwendung von Art. 106 Abs. 1 AEUV i. V. m. Art. 102 AEUV im Einzelfall ausgeschlossen sein kann, dass einzelne Stromleitungen durch Naturschutzgebiete etc. gebaut werden müssen.

IV. Verhältnis zu den Vorschriften des freien Warenverkehrs 1. Da sich also im Einzelfall aus einer Anwendung von Art. 106 Abs. 1 AEUV i. V. m. Art. 102 AEUV Pflichten der Mitgliedstaaten zum Ausbau der Stromnetze ergeben können, drängt sich die Frage auf, in welchem Verhältnis die Anwendung dieser Vorschriften zu einer isolierten Anwendung der Art. 34, 35 und 37 AEUV steht. Zur Klärung wird im Folgenden in einem ersten Schritt das Verhältnis von Art. 102 AEUV zu den Art. 34, 35 und 37 AEUV untersucht und in einem zweiten Schritt überlegt, ob sich dadurch etwas durch die Anwendung von Art. 106 Abs. 1 AEUV ändert. 717 EuGH, Urt. v. 14. 2. 1978, Rs. C-27/76, ECLI:EU:C:1978:22, Rdn. 184/194 – United Brands/Kommission; Behrens, Marktöffnungs- und Wettbewerbsrecht, Rdn. 1136 f. 718 EuG, Urt. v. 10. 7. 1990, Rs. T-51/89, ECLI:EU:T:1990:41, Rdn. 26 ff. – Tetra Pak/ Kommission; EuGH, Urt. v. 27. 3. 2012, Rs. C-209/10, ECLI:EU:C:2012:172, Rdn. 41 f. – Post Danmark; Behrens, Marktöffnungs- und Wettbewerbsrecht, Rdn. 1138 f.

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Kap. 5: Weitere pflichtbegründende Vorschriften

Zu allererst ist festzustellen, dass das Verhältnis von Art. 102 AEUV zu den Vorschriften zum freien Warenverkehr nicht abschließend geklärt ist. Insbesondere lässt sich eine Entscheidungspraxis von Europäischem Gerichtshof und Kommission zur Bestimmung dieses Verhältnisses schon deshalb nur schwer heranziehen, da in der Praxis in den allerseltensten Fällen Vorschriften aus beiden Abschnitten der Verträge gemeinsam behandelt werden.719 Historisch betrachtet liegt Art. 102 AEUV auf der einen Seite und den Vorschriften zum freien Warenverkehr auf der anderen Seite eine unterschiedliche Konzeption zu Grunde.720 Art. 102 AEUV hat durch die Verträge von Rom Einzug in die Verträge gefunden.721 Während sich die Vorschriften zum freien Warenverkehr in dieser ihnen ursprünglichen Konzeption unmittelbar an die Mitgliedstaaten richten,722 adressiert Art. 102 AEUV Unternehmen;723 die parallele Anwendbarkeit der Vorschriften scheint daher auf den ersten Blick aufgrund dieses unterschiedlichen Adressatenkreises selbstverständlich. Auf den zweiten Blick ist allerdings festzustellen, dass die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs dieses ursprüngliche Konzept aufgebrochen hat. So hat der Europäische Gerichtshof in jüngerer Zeit sogar die Festlegung von technischen Normen durch private Vereinigungen den Vorschriften zum freien Warenverkehr unterworfen,724 ist also von der strengen Adressierung der Mitgliedstaaten abgewichen. In früheren Fällen ist der Europäische Gerichtshof zwar nicht davon abgewichen, dass die Vorschriften zum freien Warenverkehr die Mitgliedstaaten direkt adressieren, hat letztere aber zudem für das Verhalten Privater verantwortlich gemacht.725 In diesem Zusammenhang sei noch darauf hingewiesen, dass die stringente Handhabung der Vorschriften zum freien Warenverkehr auch dadurch hätte stärker gewährleistet werden können, dass jedenfalls, statt einer unmittelbaren Zurechnung unternehmerischen Handelns zum Mitgliedstaat aufgrund dessen Einflussnahme, eine Zurechnung dieses unternehmerischen Handelns durch eine Anwendbarkeit des Art. 106 Abs. 1 AEUV in Verbindung mit den Vorschriften zum freien Warenverkehr hätte erfolgen können. Begründet hat er die Erweiterung des Anwendungsbereichs insbesondere mit dem Argument, dass die Regelungen zum freien Warenverkehr nicht durch die Übertragung von mitgliedstaatlichen Kompetenzen auf Unternehmen umgangen werden sollen.726 719

Mortelmans, CMLRev 2001, 613 (614). Schweitzer, EuZW 2012, 765 (766 m. w. N.). 721 Schweitzer, EuZW 2012, 765 (767 m. w. N.). 722 Schweitzer, EuZW 2012, 765 (766 m. w. N.). 723 Schweitzer, EuZW 2012, 765 (766 f. m. w. N.). 724 EuGH, Urt. v. 12. 7. 2012, Rs. C-171/11, ECLI:EU:C:2012:453 – Fra.bo; dazu Schweitzer, EuZW 2012, 765 (765 ff.); Sibony/Defossez, RTDeuR 2013, 171 (171 ff.). 725 Zur Zurechnung privaten Verhaltens zum Mitgliedstaat EuGH, Urt. v. 24. 11. 1982, Rs. C-249/81, ECLI:EU:C:1982:402 – Kommission/Irland; zur Schutzpflicht des Mitgliedstaats EuGH, Urt. v. 9. 12. 1997, Rs. C-265/95, ECLI:EU:C:1997:595 – Kommission/Frankreich. 726 EuGH, Urt. v. 24. 11. 1982, Rs. C-249/81, ECLI:EU:C:1982:402, Rdn. 27 f. – Kommission/Irland. 720

D. Art. 106 Abs. 1 AEUV i. V. m. 102 AEUV

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Allerdings ergibt sich trotz der inkonsequenten Handhabung der Vorschriften zum freien Warenverkehr durch den Europäischen Gerichtshof kein Grund, warum von der parallelen Anwendbarkeit der Vorschriften abgewichen werden sollte. Trotz der immer weiteren Auslegung der Vorschriften zum freien Warenverkehr beruhen diese in zentralen Punkten weiterhin auf einer anderen Konzeption. Zum einen ergeben sich bei der Feststellung von Verstößen gegen die jeweiligen Vorschriften unterschiedliche Ansprüche auf Schadensersatz.727 Schadensersatz infolge eines Verstoßes gegen die Vorschriften der Art. 101 ff. AEUV können von den Einzelnen aufgrund nationalen Rechts, dem nunmehr auch die Richtlinie über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen728 zugrunde liegt, eingeklagt werden.729 Schadensersatz aufgrund einer Verletzung des EU-Primärrechts richtet sich hingegen nach der Brasserie du Pêcheur-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs, die für den Schadensersatz sehr enge Voraussetzungen aufstellt, etwa, dass die verletzte Vorschrift auch bezweckt, dem Betroffenen Rechte zu verleihen, eine hinreichende Qualifizierung des Verstoßes und einen unmittelbaren Kausalzusammenhang zwischen Verstoß und entstandenem Schaden.730 Des Weiteren erfolgt die Durchsetzung eines Verstoßes gegen Art. 102 AEUV in einem anderen Durchsetzungsverfahren als die Durchsetzung eines Verstoßes gegen die Vorschriften zum freien Warenverkehr:731 Für einen Verstoß gegen die kartellrechtlichen Vorschriften verhängt die Europäische Kommission Zwangsgelder; für kartellrechtswidriges Verhalten in der Vergangenheit erlässt sie Geldbußen.732 Bei einem Verstoß gegen die Vorschriften zum freien Warenverkehr oder Art. 4 Abs. 3 EUV kann die Kommission oder können andere Mitgliedstaaten ein Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 258 Abs. 2 AEUV bzw. Art. 259 AEUV einleiten. Damit bleibt es also bei dem eingangs getroffenen Befund, dass Art. 102 AEUV neben den Art. 34, 35 und 37 AEUV parallele Anwendung findet. 2. Auch bei der Hinzuziehung des Art. 106 Abs. 1 AEUV ist weiterhin von einer parallelen Anwendbarkeit der Vorschriften auszugehen.733 Dies ergibt sich im Wesentlichen aus den Erwägungen, die bereits zu Art. 102 AEUV alleine und seinem Verhältnis zu den Vorschriften des freien Warenverkehrs angeführt wurden: Auch wenn Art. 106 AEUV die Verantwortlichkeit auf die Mitgliedstaaten überleitet, 727

Schweitzer, EuZW 2012, 765 (769 m. w. N.). Richtlinie 2014/104/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 26. 11. 2014 über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach nationalem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union, ABl. L 349 v. 5. 12. 2014, S. 1 ff. 729 Dazu Kling/Thomas, Kartellrecht, § 9 Rdn. 35 ff. 730 EuGH, Urt. v. 5. 3. 1996, verb. Rs. C-46/93 und C-48/93, ECLI:EU:C:1996:79 – Brasserie du pêcheur/Bundesrepublik Deutschland und The Queen/Secretary of State for Transport, ex parte Factortame u. a. 731 Schweitzer, EuZW 2012, 765 (769 m. w. N.). 732 Dazu Kling/Thomas, Kartellrecht, § 9 Rdn. 59 ff. 733 So wohl auch Behrens, Marktöffnungs- und Wettbewerbsrecht, Rdn. 1467. 728

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Kap. 5: Weitere pflichtbegründende Vorschriften

besitzt die Vorschrift, die den Ursprung der Verpflichtung bildet, also Art. 102 AEUV, eine unterschiedliche Untersuchungsrichtung, die sich dann auch durch die gemeinsame Anwendung in Verbindung mit Art. 106 Abs. 1 AEUV fortsetzt. Art. 106 Abs. 1 AEUV i. V. m. Art. 102 AEUV steht im Ergebnis also neben den Art. 34, 35 und 37 AEUV.

V. Zwischenergebnis Art. 106 Abs. 1 AEUV beschränkt den Begriff der Maßnahmen nicht auf originär mitgliedstaatliche Maßnahmen, sodass es sich bei diesen Maßnahmen auch um ausschließlich unternehmerische handeln kann. Aus diesen Erwägungen lässt sich eine akzessorische Anwendung des Art. 106 Abs. 1 AEUV i. V. m. Art. 102 AEUV ableiten, sobald der Anwendung von Art. 102 AEUV im Einzelfall eine unternehmerische Maßnahme zugrunde liegt. Auf diese Weise überträgt Art. 106 Abs. 1 AEUV bestimmte Pflichten, die öffentlichen oder sonstigen, besonders privilegierten Unternehmen aus Art. 102 AEUV erwachsen, auf die Mitgliedstaaten. Übertragungs- und Verteilernetzbetreiber können im Einzelfall öffentliche oder sonstige, besonders privilegierte Unternehmen im Sinne des Art. 106 Abs. 1 AEUV sein. Diese haben auf den Stromübertragungs- bzw. Stromverteilermärkten aufgrund ihrer Eigenschaft als natürliche Monopole eine beherrschende Stellung. Ein Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung kann sich im Einzelfall durch die Beschränkung grenzüberschreitender Stromübertragungskapazität wie auch durch die Einschränkung der technischen Entwicklung zum Schaden der Verbraucher ergeben. Um der Wortlautgrenze des Maßnahmen-Begriffs gerecht zu werden, muss der Ausbaupflicht allerdings ein aktives Verhalten der Unternehmen zugrunde liegen. Die Kausalität zwischen Missbrauch und Ausnutzung der marktbeherrschenden Stellung kann dabei regelmäßig nachgewiesen werden. Aufgrund des Wortlauts „Missbrauch“ erfordert Art. 102 AEUV zu dessen Anwendung die Möglichkeit der Unternehmen, auch rechtmäßige Entscheidungen zu treffen, also nicht bereits durch einen vom Mitgliedstaat gesetzten Rechtsrahmen in seiner Entscheidungs- und Handlungsfreiheit eingeschränkt zu sein. Die beschriebenen Missbrauchssituationen führen zu höheren Preisen für die Kunden und beeinträchtigen damit den Handel zwischen den Mitgliedstaaten. Die gebotene Berücksichtigung einer Spürbarkeit der Auswirkungen für den Binnenmarkt führt dazu, dass geringste Preiserhöhungen hinzunehmen sind. Da in diesen Fällen der Tatbestand von Art. 102 AEUV erfüllt ist und damit dann auch derjenige von Art. 106 Abs. 1 AEUV, ergibt sich aus Art. 106 Abs. 1 i. V. m. Art. 102 AEUV eine Pflicht der Mitgliedstaaten zum Ausbau der Stromnetze. Diese Pflicht zum Stromnetzausbau steht aufgrund der unterschiedlichen Konzeption der

E. Zwischenergebnis und Zusammenfassung

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Kartellvorschriften und derjenigen zum freien Warenverkehr neben den aus den Art. 34, 35 und 37 AEUV resultierenden Pflichten.

E. Zwischenergebnis und Zusammenfassung Eine mitgliedstaatliche Pflicht zum Ausbau der Stromnetze lässt sich nicht unmittelbar aus Art. 4 Abs. 3 EUV ableiten. Die Vorschrift verweist im Wesentlichen lediglich auf andere im Vertrag begründete Pflichten und eine darüber hinausgehende Auslegung lässt sich nicht mit Wortlaut und/oder Systematik vereinbaren. Nach Art. 37 Abs. 1 Unterabs. 1 AEUV haben die Mitgliedstaaten ihre staatlichen Handelsmonopole derart umzuformen, dass jede Diskriminierung in den Versorgungs- und Absatzbedingungen zwischen den Angehörigen der Mitgliedstaaten ausgeschlossen ist. Eine Pflicht der Mitgliedstaaten, auch aktiv tätig zu werden, und nicht nur bestimmte Maßnahmen zu unterlassen, kann ihr daher bereits aus ihrem Wortlaut und nicht erst über den „Umweg“ der teleologischen Auslegung entnommen werden. Art. 37 AEUV findet auch auf natürliche Monopole Anwendung, selbst wenn es sich dabei um Dienstleistungsmonopole handelt, soweit diese eine besondere Bedeutung für den Handel haben und der Mitgliedstaat eine Mehrheitsbeteiligung an dem Monopol besitzt. Zusammenfassend ist damit festzustellen, dass Art. 37 Abs. 1 AEUV auch auf solche Übertragungs- und Verteilernetzbetreiber anwendbar ist, die im Mehrheitseigentum eines Mitgliedstaats stehen. Aus Art. 37 Abs. 1 Unterabs. 1 AEUV folgt, dass die Mitgliedstaaten darauf hinzuwirken haben, dass die in ihrem Eigentum stehenden Netzbetreiber das zu ihnen gehörende Stromnetz derart ausbauen, dass eine (diskriminierende) Kapazitätsvergabe an den mitgliedstaatlichen Grenzen entfällt. Eine Pflicht der Mitgliedstaaten zum Ausbau der Stromnetze kann sich im Einzelfall auch aus einer Anwendung des Art. 106 Abs. 1 AEUV i. V. m. Art. 102 AEUV ergeben. Unter gewissen Voraussetzungen kann sich ein Verhalten staatlicher oder sonstiger, privilegierter Unternehmen im Sinne von Art. 106 Abs. 1 AEUV als Verstoß gegen Art. 102 AEUV darstellen, welcher wegen der notwendigen Berücksichtigung des Grundsatzes des effet utile die Pflicht zum Ausbau der Stromnetze zur Folge hat. Eine im Einzelfall aus Art. 106 Abs. 1 AEUV i. V. m. Art. 102 AEUV resultierende Pflicht zum Stromnetzausbau steht aufgrund der unterschiedlichen Konzeption der Kartellvorschriften und derjenigen zum freien Warenverkehr neben der aus den Art. 34, 35 und 37 AEUV resultierenden Pflicht zum Ausbau der Stromnetze.

Kapitel 6

Ergebnis und Ausblick A. Gesamtergebnis I. Die Untersuchung hat gezeigt, dass sich im Rahmen des Spannungsfelds zwischen den Wertungstrias Integration, Solidarität und mitgliedstaatlicher Souveränität bereits aus dem Primärrecht für die EU-Mitgliedstaaten eine Pflicht zum Ausbau ihrer Stromnetze ergibt. Demnach enthalten die Art. 34 und 35 AEUV eine allgemeine originäre Leistungspflicht zum Ausbau von Infrastruktur, deren Begründung die Auslegung der Vorschriften nach Sinn und Zweck unter Berücksichtigung des Grundsatzes des effet utile gebietet. Den Mitgliedstaat trifft eine Gewährleistungsverantwortung für den freien Warenverkehr. Die Pflicht konkretisiert sich in Bezug auf die Ware Strom auf eine mitgliedstaatliche Pflicht zum Ausbau der Stromübertragungs- und Stromverteilernetze. Wo Abwehr- und Schutzdimension der Vorschriften zum freien Warenverkehr versagen, lässt sich eine immer engere Union, die Verwirklichung des Binnenmarkts und eine Stärkung der Solidarität zwischen den Völkern innerhalb der EU durch die hier nachgewiesene originäre Leistungspflicht vorantreiben. Diese Pflicht der Mitgliedstaaten auf der Grundlage von Art. 34 und 35 AEUV ist dabei keineswegs nur eine gewagte These: Die Untersuchung hat vielmehr detailliert gezeigt, dass etwaige Bedenken an der Annahme einer solchen Pflicht auf Grundlage einer warenverkehrsrechtlichen Leistungsdimension keinen normativen Anknüpfungspunkt besitzen. Das Unionsrecht ist durch seine besondere Dynamik geprägt, die sich in einer wandelbaren Auslegung widerspiegelt: die für das EU-Recht anzulegende Auslegungsmethode erlaubt Sinn und Zweck der Vorschriften zu voller Wirksamkeit zu gelangen und begrenzt diese Richtung durch Wortlaut und Systematik der Vorschriften. Zudem zeigt das Ergebnis, dass die Ausbaupflicht für die Mitgliedstaaten begrenzt ist. Der Umfang der Pflicht berücksichtigt individuelle mitgliedstaatliche Möglichkeiten und Eigenheiten. II. Das angesprochene Spannungsfeld von Integration, Solidarität und Souveränität wird dabei auf Tatbestandsebene gelöst. So ist unter dem Begriff der mengenmäßigen Beschränkungen im Sinne der Art. 34 und 35 AEUV auch jedes Unterlassen zu fassen, das den Zugang zu und den Ausgang aus dem Markt eines Mitgliedstaats für Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten behindert. Dies ergibt sich aus der Verknüpfung der sich aus der Auslegung ergebenen und daher zu berücksichtigenden Prinzipien der Wirkungsgleichheit und des Abstellens auf den

A. Gesamtergebnis

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Marktzugang und Marktausgang, die sich jedenfalls einzeln auch in Rechtsprechung und Literatur nachweisen lassen. Die auf diese Annahme zu gründende originäre Leistungspflicht zum Ausbau der Stromnetze ist in Fällen höherer Gewalt bereits tatbestandlich ausgeschlossen. Die notwendige Begrenzung einer umfassenden Leistungspflicht, die diesem Spannungsfeld immanent ist, ist zu erreichen, indem die Mitgliedstaaten nur soweit zu einem Ausbau ihrer Stromnetze verpflichten sind, wie dies vernünftigerweise durch die Vertragsgemeinschaft vom Mitgliedstaat verlangt werden kann. Dasjenige, was die Vertragsgemeinschaft vernünftigerweise vom Mitgliedstaat verlangen kann, umfasst unter anderem nur einen Ausbau in der Zeit, die der Mitgliedstaat bei der Anwendung gewöhnlicher Sorgfalt objektiv benötigt. Weiterhin umfasst es auf Grund systematischer Überlegungen in Bezug auf Art. 119 und 120 AEUV nur das, was jedenfalls in einer Gesamtbetrachtung in Bezug auf die eigene Volkswirtschaft des Mitgliedstaats noch wirtschaftlich ist. Dabei sind allerdings diejenigen Mittel zu berücksichtigen, die die Union Kraft ihrer Unterstützungskompetenz bereitstellt. Auch die Einräumung eines umfangreichen Auswahlermessens dient ganz grundsätzlich diesem Begrenzungsziel. In Bezug auf die allgemeine Verkehrsinfrastruktur verfügt der Mitgliedstaat dabei aufgrund der Fülle der Möglichkeiten, die Grundlage für einen Handel körperlicher Waren herzustellen, über ein sehr weites Auswahlermessen. Da Strom aber nur über Leitungen übertragen und verteilt werden kann, ist das mitgliedstaatliche Ermessen in Bezug auf die Ware Strom eingeschränkt. Versuche, die Begrenzung einer umfassenden originären Leistungspflicht durch das Heranziehen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in verschiedenen Ausprägungen zu erreichen, schlagen wegen der konsequenten dogmatischen Anwendung der Vorschriften zum freien Warenverkehr fehl. Weitere Spannungsfelder, wie etwa das zwischen der von den Mitgliedstaaten umzusetzenden Pflicht und schützenswerten geschichtlichen, archäologischen oder Umweltbelangen, sind auf der Rechtfertigungsebene zu lösen. So kann im Einzelfall das Unterlassen eines Ausbaus der Stromnetze aufgrund von Art. 34 und 35 AEUV durch die in Art. 36 AEUV angeführten Gründe, zwingende Gründe des Allgemeinwohls oder entgegenstehende Rechte Dritter gerechtfertigt werden. Diese Rechtfertigung selbst steht unter dem Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit des Unterlassens. Die an das Unterlassen des Stromnetzausbaus anknüpfende Handlungspflicht kann folglich nur soweit reichen, wie das mitgliedstaatliche Unterlassen nicht gerechtfertigt ist. III. Eine Pflicht zum Ausbau der Stromnetze ergibt sich zudem auch aus Art. 37 Abs. 1 UnterAbs. 1 AEUV. Da Art. 37 Abs. 1 AEUV erfordert, dass „jede Diskriminierung in den Versorgungs- und Absatzbedingungen zwischen den Angehörigen der Mitgliedstaaten ausgeschlossen ist“, haben die Mitgliedstaaten darauf hinzuwirken, dass die in ihrem Eigentum stehenden Netzbetreiber, die ebenfalls als „Handelsmonopol“ i. S. d. Vorschrift einzuordnen sind, das zu ihnen gehörende Stromnetz derart ausbauen, dass eine (diskriminierende) Kapazitätsvergabe an den

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Kap. 6: Ergebnis und Ausblick

mitgliedstaatlichen Grenzen entfällt. Der Wortlaut der Vorschrift „formen […] um“ eröffnet eine weite Auslegung im Lichte der Vertragsziele einer immer engeren Union und der Verwirklichung des Binnenmarkts. Zwar kann das Unterlassen eines Ausbaus in Bezug auf Art. 37 Abs. 1 UnterAbs. 1 AEUV aus systematischen Gründen nicht gerechtfertigt werden. Dies bedeutet allerdings auch nicht, dass so durch Art. 37 Abs. 1 UnterAbs. 1 AEUV ein unendlicher Netzausbau verlangt ist. Vielmehr können mit einem ausreichend ausgebauten Netz Mitgliedstaat-übergreifende Stromgebotszonen eingerichtet werden, sodass eine Kapazitätsvergabe an der Grenze nicht erforderlich ist. Die Pflicht reicht also nicht so weit wie die auf den Art. 34 und 35 AEUV basierende Ausbaupflicht. Diese Pflichten werden ergänzt durch im Einzelfall bestehende – letztlich im Ursprung auf ein vorangegangenes Handeln zurückführbare – Ausbaupflichten, die aus kartellrechtlichen Überlegungen im Zusammenspiel von Art. 106 Abs. 1 AEUV und Art. 102 AEUV entstehen können und dann Gestalt annehmen, wenn staatliche oder sonstige, besonders privilegierte Unternehmen wettbewerbswidrige Maßnahmen treffen, bei denen der Rechtsverstoß nur durch den Ausbau der Stromnetze zu verhindern ist. Art. 106 Abs. 1 AEUVerlaubt aufgrund seines offenen Wortlauts eine weite Auslegung im Lichte des effet utile insoweit, dass dem Mitgliedstaat auch eine Gewährleistungspflicht für staatliche oder sonstige, besonders privilegierte Unternehmen im Sinne der Vorschrift obliegt, die über eine Verantwortlichkeit für die reine Einflussnahme hinausgeht. Dadurch werden Pflichten, die an die genannten Unternehmen gerichtet sind, auf den Mitgliedstaat übertragen. Wenn sich Übertragungs- und Verteilernetzbetreiber im Einzelfall als öffentliche oder sonstige, besonders privilegierte Unternehmen im Sinne des Art. 106 Abs. 1 AEUV darstellen, kann sich unter bestimmten Voraussetzungen – schon wegen ihrer beherrschenden Stellung auf den Stromübertragungs- bzw. Stromverteilermärkten – ein Missbrauch dieser marktbeherrschenden Stellung ergeben. Dieser Missbrauch kann sich in eng umgrenzten Einzelfällen aus der kausalen und freiverantwortlichen Beschränkung grenzüberschreitender Kapazität oder der Einschränkung der technischen Entwicklung zum Schaden der Verbraucher ergeben, wenn die beschriebenen Missbrauchssituationen zu höheren Preisen für die Kunden führen und folglich den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigen. Die gebotene Berücksichtigung einer Spürbarkeit der Auswirkungen für den Binnenmarkt führt dazu, dass geringste Preiserhöhungen hinzunehmen sind. Eine sich aus dem Umstand, dass der Verstoß nur durch den Ausbau der Stromnetze abstellbar ist, ergebene Pflicht steht aufgrund der unterschiedlichen Konzeption der Kartellvorschriften und derjenigen zum freien Warenverkehr neben den aus den Art. 34 und 35 AEUV resultierenden Pflichten. Art. 4 Abs. 3 EUV begründet hingegen nicht unmittelbar eine mitgliedstaatliche Pflicht zum Ausbau der Stromnetze. Die Norm verweist im Wesentlichen lediglich auf andere im Vertrag begründete Pflichten und eine darüber hinausgehende Auslegung lässt sich nicht mit Wortlaut und/oder Systematik vereinbaren.

B. Ausblick

169

B. Ausblick Auch und insbesondere in Bezug auf die Stromnetzinfrastruktur obliegt den EUMitgliedstaaten eine Gewährleistungsverantwortung, die einer Pflicht zur europäischen Daseinsvorsorge bzw. zu einem europäischen service public nahe kommt. Dabei müssen die Mitgliedstaaten den freien Warenverkehr nicht durch eigene, unmittelbare Handlungen gewährleisten. Sie können vielmehr auf die Erfüllungsverantwortung privater Unternehmen zurückgreifen. Die Untersuchung gibt der Europäischen Kommission ein Werkzeug an die Hand, Energiebinnenmarkt und Energieunion zu verwirklichen, ohne dass für diese Ziele die Einspeisung von volatilen Erneuerbaren Energien reduziert werden muss. Die intelligente Planung der europäischen Stromnetze stellt sich als rechtliche Verpflichtung dar, die sowohl die Europäische Kommission als auch die Mitgliedstaaten selbst im Rahmen von Vertragsverletzungsverfahren durchsetzen können. Dabei muss die Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 258 AEUV in Gang setzen, indem sie zunächst nach Art. 258 Abs. 1 AEUV eine mit Gründen versehene Stellungnahme zu dem nach ihrer Ansicht vorliegenden Verstoß gegen die Vertragsvorschriften durch den Mitgliedstaat abgibt. Nach Art. 258 Abs. 2 AEUV kann sie daraufhin den Europäischen Gerichtshof anrufen, sollte der Mitgliedstaat ihrer Stellungnahme nicht innerhalb der von ihr gesetzten Frist nachkommen. Ein Mitgliedstaat könnte ein Vertragsverletzungsverfahren einleiten, wenn sich dieser beispielsweise besonderen Belastungen aufgrund von nicht oder nur schwer kalkulierbaren Ringflüssen ausgesetzt sieht. Für diese Konstellation ist Art. 259 AEUV einschlägig, nach dessen Abs. 1 jeder Mitgliedstaat den Europäischen Gerichtshof anrufen kann, wenn er der Auffassung ist, dass ein anderer Mitgliedstaat gegen eine Verpflichtung aus den Verträgen verstoßen hat. Dabei hat er nach Art. 259 Abs. 2 bis 4 AEUV grundsätzlich vorab die Kommission zu befassen. Nicht auszuschließen ist im Übrigen, dass die in dieser Untersuchung getroffenen Überlegungen Auswirkungen auf das unionale Sekundär- und Tertiärrecht haben werden; schließlich wird der Strombinnenmarkt von Seiten der Kommission vor allen Dingen durch die Elektrizitätsbinnenmarkt-Richtlinie 2009/72/EG734, die Versorgungssicherheits-Richtlinie 2005/89/EG735, die transeuropäische Energieinfrastruktur-Verordnung 347/2013/EU736 und die Stromhandelsverordnung 714/2009/ EG737 mitsamt der Kommissions-Verordnung zur Festlegung einer Leitlinie für die 734

Siehe Fn. 524. Richtlinie (EG) Nr. 2005/89 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 18. 1. 2006 über Maßnahmen zur Gewährleistung der Sicherheit der Elektrizitätsversorgung und von Infrastrukturinvestitionen, ABl. L 33 v. 4. 2. 2006, S. 22 ff. 736 Siehe Fn. 180. 737 Verordnung (EG) Nr. 714/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 13. 7. 2009 über die Netzzugangsbedingungen für den grenzüberschreitenden Stromhandel und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1228/2003, ABl. L 211 v. 14. 8. 2009, S. 15 ff. 735

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Kap. 6: Ergebnis und Ausblick

Kapazitätsvergabe und das Engpassmanagement 2015/1222/EU738 vorangetrieben. Darin vereinzelt enthaltende Vorschriften, die entweder explizit Pflichten zum Ausbau der Stromnetze enthalten oder diesen jedenfalls faktisch berühren, werden im Zusammenspiel mit der primärrechtlichen Pflicht der Mitgliedstaaten zum Ausbau der Stromnetze zu lesen sein, wenngleich eine detaillierte Behandlung dieser Frage an dieser Stelle dahingestellt und weiterführenden Untersuchungen überlassen sei.739 Die Arbeit hat gezeigt, welche weiteren Entwicklungspotenziale bei der Auslegung des EU-Primärrechts bestehen. Da die EU-Verträge nur unter besonderem Aufwand geändert werden können, wird es bis zur Schaffung einer echten „Verfassungsänderungskompetenz“ der Union aber auch gerade erforderlich sein, dieses große Auslegungspotenzial zu nutzen, um das europäische Projekt zu sichern.

C. Ergebnisse in Thesen Insgesamt lassen sich die Ergebnisse der Untersuchung in folgende Thesen zusammenfassen: @ Das EU-Primärrecht ist so auszulegen, dass die Auslegung dem mit dem Vertrag im Ganzen verfolgten Ziel größtmöglich Rechnung trägt, wobei dem Auslegungsergebnis grammatikalische und systematische Erwägungen nicht gänzlich entgegen stehen dürfen. Die historische Auslegungsmethode hat aufgrund der besonderen Dynamik des Unionsrechts nur unterstützende Bedeutung;740 @ die Vertragsziele als Grundlage für die Auslegung nach Sinn und Zweck können weitgehend nur aus den Präambeln hergeleitet werden, da sich viele vertragliche Vorschriften häufig nur auf die Ziele der juristischen Person der EU beziehen;741 @ für die Frage nach einer Gewährleistungspflicht für (Stromübertragungs- und Stromverteiler-)Infrastruktur sind die Vorschriften zum freien Warenverkehr und nicht etwa die Vorschriften zum freien Dienstleistungsverkehr anwendbar; zudem besteht keine Bereichsausnahme für die Ware Strom;742 738

Siehe Fn. 12. Anders bestärken aber auch im Sekundärrecht wurzelnde Prinzipien die Existenz der in der Untersuchung begründeten Ausbaupflicht, etwa wenn Art. 16 Abs. 6 UnterAbs. 1 lit. b Stromhandelsverordnung die Verwendung von Engpassmanagementerlösen für den Stromnetzausbau verlangt, oder auch wenn Art. 6 Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen, ABl. L 206 v. 22. 7. 1992, S. 7 ff., den Mitgliedstaaten gewisse Gewährleistungspflichten im Rahmen von Infrastrukturprojekten auferlegt bzw. jedenfalls eine Verantwortung für diese Infrastruktur zuerkennt. 740 Kapitel 1 C. 741 Kapitel 1 C. 742 Kapitel 2. 739

C. Ergebnisse in Thesen

171

@ Strom, der mit Handelsabsicht eingespeist wird, stellt dabei eine eigene Warenkategorie im Sinne der Artikel 28 ff. AEUV dar;743 @ die Vorschriften zum freien Warenverkehr in Art. 34 und 35 AEUVenthalten eine originäre Leistungspflicht der Mitgliedstaaten zum Ausbau ihrer grenzüberschreitenden und innerstaatlichen Infrastruktur- und damit auch ihrer Stromnetze;744 @ diese Pflicht der Mitgliedstaaten fügt sich in den offenen Wortlaut der Art. 34 und 35 AEUV ein;745 @ sie gründet sich auf den Sinn und Zweck der Warenverkehrsfreiheit, der mit Blick auf die Präambeln der Verträge festzustellen ist und dem gemäß dem Grundsatz des effet utile größtmögliche Geltung zu verschaffen ist; darüber hinaus tritt neben die enge Fokussierung auf die effizienteste Auslegung der Vorschriften der Begründungsansatz, dass der freie Warenverkehr in Notlagen nur durch ein aktives Tätigwerden des Mitgliedstaats gewährleistet werden kann;746 @ da die Verwirklichung des Binnenmarkts die wesentliche Säule der EU darstellt, ist das Spannungsfeld von Integration, Solidarität und nationaler Souveränität dahingehend zu lösen, dass die letztgenannte Wertung der Begründung einer Leistungspflicht nicht entgegensteht; diese Wertung kann die Reichweite der Pflicht allerdings begrenzen;747 @ unter den Begriff der mengenmäßigen Beschränkungen im Sinne der Art. 34 und 35 AEUV fällt daher auch jedes Unterlassen, das den Zugang zu und den Ausgang aus dem Markt eines Mitgliedstaats für Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten behindert;748 @ dies resultiert aus der Verknüpfung der sich aus der Auslegung ergebenen und daher zu berücksichtigenden Prinzipien der Wirkungsgleichheit und des Abstellens auf den Marktzugang und Marktausgang, die sich jedenfalls einzeln auch in Rechtsprechung und Literatur nachweisen lassen;749 @ die originäre Leistungspflicht ist aufgrund des allgemeinen Rechtsgedankens der höheren Gewalt in eben diesen Fällen nicht gegeben;750

743 744 745 746 747 748 749 750

Kapitel 2 B. Kapitel 3. Kapitel 3 B. II. Kapitel 3 B. III. 2. Kapitel 3 B. IV. Kapitel 3 C. I. Kapitel 3 C. I. 1. Kapitel 3 C. I. 5.

172

Kap. 6: Ergebnis und Ausblick

@ die Pflicht aus Art. 34 und 35 AEUV ergibt sich aufgrund der teleologischen Auslegung bereits aus sich selbst heraus. Daher bedarf es zu ihrer Begründung nicht der Heranziehung von Art. 4 Abs. 3 EUV;751 @ vertragliche Wertungen aus den Art. 119, 120, 172 S. 2 AEUV und Art. 4 Abs. 2 S. 2 EUV bewirken eine Beschränkung der Ausbaupflicht auf dasjenige, was die Vertragsgemeinschaft vernünftigerweise vom Mitgliedstaat verlangen kann, und räumen dem Mitgliedstaat ein umfassendes Ermessen bei der Verwirklichung des Ausbaus ein; dem steht eine Offensichtlichkeits-Kontrolle des EuGHs gegenüber;752 @ das bedeutet zunächst, dass der verpflichtete Mitgliedstaat alles hinreichende und notwendige tun muss, um auf den Ausbau der Infrastruktur hinzuwirken;753 @ dasjenige, was die Vertragsgemeinschaft vernünftigerweise vom Mitgliedstaat verlangen kann, umfasst unter anderem nur einen Ausbau in der Zeit, die der Mitgliedstaat bei der Anwendung gewöhnlicher Sorgfalt objektiv benötigt;754 @ weiterhin umfasst dasjenige, was die Vertragsgemeinschaft vernünftigerweise vom Mitgliedstaat verlangen kann, auf Grund systematischer Überlegungen in Bezug auf Art. 119 und 120 AEUV nur das, was jedenfalls in einer Gesamtbetrachtung in Bezug auf die eigene Volkswirtschaft des Mitgliedstaats noch wirtschaftlich ist; dabei sind allerdings diejenigen Mittel zu berücksichtigen, die die Union Kraft ihrer Unterstützungskompetenz bereitstellt;755 @ der mitgliedstaatliche Souveränitätsvorbehalt im Energiebereich aus Art. 194 Abs. 2 UnterAbs. 2 AEUV sowie die Tatsache, dass Strom virtuell sowie in Gebotszonen gehandelt wird, ändern nichts an der Annahme einer Leistungsdimension der Art. 34 und 35 AEUV für die Ware Strom;756 @ in Bezug auf den Ausbau der Stromnetze haben die Mitgliedstaaten schon wegen der Bedeutung der Ware Strom für den Binnenmarkt im Allgemeinen und seiner besonderen Eigenschaften im Besonderen mehr zu leisten als in Bezug auf andere Infrastruktur;757 @ in Bezug auf den Ausbau der Stromnetze haben die Mitgliedstaaten einen eingeschränkten Ermessensspielraum, da für die Ware Strom nur eine einzige Möglichkeit des Transports, nämlich über Übertragungs- und Verteilernetze, besteht;758 751 752 753 754 755 756 757 758

Kapitel 3 C. I. 6. Kapitel 3 C. II. Kapitel 3 C. II. 1. Kapitel 3 C. II. 1. Kapitel 3 C. II. 1. Kapitel 4 A. II. Kapitel 4 A. III. Kapitel 4 A. IV.

C. Ergebnisse in Thesen

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@ das Unterlassen des Stromnetzausbaus kann im Einzelfall bei Vorliegen der Tatbestände des Art. 36 AEUV sowie bei Vorliegen ungeschriebener Rechtfertigungsgründe gerechtfertigt sein; in Betracht kommen insbesondere Gründe der öffentlichen Sicherheit, des Artenschutzes, des nationalen Kulturguts von geschichtlichem und archäologischem Wert sowie allgemeiner Umweltbelange;759 @ eine mitgliedstaatliche Pflicht zum Ausbau der Stromnetze lässt sich hingegen nicht unmittelbar aus Art. 4 Abs. 3 EUV ableiten; die Norm verweist im Wesentlichen lediglich auf andere im Vertrag begründete Pflichten und eine darüberhinausgehende Auslegung lässt sich nicht mit Wortlaut und/oder Systematik der Vorschrift vereinbaren;760 @ Art. 37 Abs. 1 UnterAbs. 1 AEUV findet auch auf natürliche Monopole Anwendung, selbst wenn es sich dabei um Dienstleistungsmonopole handelt, soweit diese eine besondere Bedeutung für den Handel haben und der Mitgliedstaat eine Mehrheitsbeteiligung an dem Monopol besitzt;761 @ der Wortlaut der Vorschrift „formen […] um“ eröffnet eine weite Auslegung im Lichte der Vertragsziele einer immer engeren Union und der Verwirklichung des Binnenmarkts;762 @ da Art. 37 Abs. 1 UnterAbs. 1 AEUVerfordert, dass „jede Diskriminierung in den Versorgungs- und Absatzbedingungen zwischen den Angehörigen der Mitgliedstaaten ausgeschlossen ist“, haben die Mitgliedstaaten darauf hinzuwirken, dass die in ihrem Eigentum stehenden Netzbetreiber das zu ihnen gehörende Stromnetz derart ausbauen, dass eine (diskriminierende) Kapazitätsvergabe an den mitgliedstaatlichen Grenzen entfällt;763 @ die aus Art. 37 Abs. 1 UnterAbs. 1 AEUV resultierende Pflicht steht neben derjenigen aus den Art. 34 und 35 AEUV;764 @ eine Pflicht der Mitgliedstaaten zum Ausbau der Stromnetze kann sich allerdings auch im Einzelfall aus einer Anwendung des Art. 106 Abs. 1 AEUV i. V. m. Art. 102 AEUV ergeben;765 @ dies begründet sich insbesondere durch die Feststellung, dass Art. 106 Abs. 1 AEUV den Begriff der Maßnahmen nicht nur auf originär mitgliedstaatliche Maßnahmen beschränkt, sodass es sich bei diesen Maßnahmen auch um ausschließlich unternehmerische Maßnahmen handeln kann;766 759 760 761 762 763 764 765 766

Kapitel 4 B. Kapitel 5 B. Kapitel 5 C. I. Kapitel 5 C. II. Kapitel 5 C. II. Kapitel 5 C. II. Kapitel 5 D. Kapitel 5 D. I.

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Kap. 6: Ergebnis und Ausblick

@ aus diesen Erwägungen lässt sich eine akzessorische Anwendung des Art. 106 Abs. 1 AEUV i. V. m. Art. 102 AEUV ableiten, sobald der Anwendung von Art. 102 AEUV im Einzelfall eine unternehmerische Maßnahme zugrunde liegt; daher überträgt Art. 106 Abs. 1 AEUV bestimmte Pflichten, die öffentlichen Unternehmen oder Unternehmen, denen die Mitgliedstaaten besondere oder ausschließliche Rechte gewähren, aus Art. 102 AEUV erwachsen, auf die Mitgliedstaaten;767 @ Übertragungs- und Verteilernetzbetreiber können im Einzelfall solche Unternehmen im Sinne des Art. 106 Abs. 1 AEUV sein;768 @ aus dem Grundsatz des effet utile folgt, dass Art. 102 AEUV so auszulegen ist, dass ein Unternehmen bereits im Vorhinein Maßnahmen zu treffen hat, die eine missbräuchliche Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung in Zukunft vorbeugen;769 @ die Netzbetreiber haben auf den Stromübertragungs- bzw. Stromverteilermärkten aufgrund ihrer Eigenschaft als natürliche Monopole eine beherrschende Stellung;770 @ ein Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung kann sich in eng umgrenzten Einzelfällen durch die Beschränkung der grenzüberschreitenden Übertragungskapazität wie auch durch die Einschränkung der technischen Entwicklung zum Schaden der Verbraucher ergeben;771 @ die Kausalität zwischen Missbrauch und Ausnutzung der marktbeherrschenden Stellung kann dabei regelmäßig nachgewiesen werden;772 @ aufgrund des Wortlauts „Missbrauch“ erfordert Art. 102 AEUV zu dessen Anwendung die Möglichkeit der Unternehmen, auch rechtmäßige Entscheidungen zu treffen, also nicht bereits durch einen vom Mitgliedstaat gesetzten Rechtsrahmen in seiner Entscheidungs- und Handlungsfreiheit eingeschränkt zu sein;773 @ die beschriebenen Missbrauchssituationen können zu höheren Preisen für die Kunden führen und beeinträchtigen in diesen Fällen den Handel zwischen den Mitgliedstaaten; mit Blick auf das Ziel des Art. 102 AEUV, die Verbraucher vor Preissteigerungen durch künstliche Angebotsverknappungen zu schützen, sollte dabei betrachtet werden, ob sich die Ausbau- und anschließenden Betreiberkosten langfristig nicht derart auf den Strompreis auswirken, dass trotz Reduktion des marktlichen Preisanteils ein gleichbleibender oder höherer Gesamtpreis er767 768 769 770 771 772 773

Kapitel 5 D. I. Kapitel 5 D. I. Kapitel 5 D. II. 1. Kapitel 5 D. II. 2. Kapitel 5 D. II. 3. Kapitel 5 D. II. 3. c). Kapitel 5 D. II. 3. c).

C. Ergebnisse in Thesen

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zielt wird; überdies führt die die gebotene Berücksichtigung einer Spürbarkeit der Auswirkungen für den Binnenmarkt dazu, dass geringste Preiserhöhungen hinzunehmen sind;774 @ auf der Ebene der Anwendung des Art. 106 Abs. 1 AEUV können durch ein weites Verständnis des Tatbestandsmerkmals „keine den Verträgen […] widersprechende Maßnahmen“ nicht-wettbewerbsbezogene Interessen Berücksichtigung finden, sodass auch bei einer Anwendung der kartellrechtlichen Vorschriften im Einzelfall ein gebotener Ausbau der Stromnetze ausgeschlossen sein kann, bspw. wenn es um den Bau einer Leitung durch ein Naturschutzgebiet geht;775 @ eine im Einzelfall aus Art. 106 Abs. 1 AEUV i. V. m. Art. 102 AEUV resultierende Pflicht zum Stromnetzausbau steht aufgrund der unterschiedlichen Konzeption der Kartellvorschriften und derjenigen zum freien Warenverkehr neben den aus Art. 34, 35 und 37 AEUV abzuleitenden Pflichten.776

774 775 776

Kapitel 5 D. II. 4. Kapitel 5 D. III. Kapitel 5 D. IV.

Kapitel 7

Summary in English A. The aim of an internal market for energy – as already stipulated by Article 3(1)(1) TEU –, the so-called Energy Union and the de facto changes in electricity production structures require a suitable electricity transmission and distribution grid within the EU Member States. If this infrastructure is missing, an expansion of infrastructure becomes necessary. B. While the EU has considerable competencies to support grid extensions, e. g. by financing certain projects, it does not have the competence to build the electricity networks itself: although Article 194 TFEU, relating to energy policy, may be understood – because of its wording – to enable the EU to create secondary law obligations to extend the electrical grids, Articles 170 to 172 TFEU, containing provisions on transeuropean infrastructure policy, are more specific on this matter than Article 194 TFEU. Thus, Articles 170 and 172 TFEU have to be applied a priori. This is partly due to the fact that, if Article 194 TFEU could be interpreted in the way to give the EU the mentioned competence, the regulatory system of Article 170 et seq. TFEU would be frustrated: Article 170 TFEU expressly refers to “energy infrastructures”. It can be assumed that the legislator, had it wanted to reorganize the competence relationship, would have made changes to this express wording. Consequently and under Article 170(1) TFEU, the EU is limited to only contribute to the establishment and development of electrical grids, but not to take action itself. In the context of this lack of EU competence, this study asks whether the European treaties contain the obligation, if not for the European Union, then for the Member States, to create the new necessary electrical grids. In Commission/France (9 December 1997), the European Court of Justice decided that intra-community trade can be impaired by a Member State if the Member State fails to take adequate measures to remove barriers to the free movement of goods. According to the ECJ in the specific situation, this applies to barriers established by actions from private individuals in the Member State’s territory, which are directed against products from other Member States. Thus, the Court identified for the first time the existence of a protection obligation of the Member States, which is deduced from the fundamental freedoms. C. The present study demonstrates, going beyond the ECJ’s statement in Commission/France (9 December 1997), that the provisions on the free movement of goods contain not only a protection obligation, but also constitute the affirmative obligation to create and maintain a minimum level of existing infrastructure for the

Summary in English

177

internal market. In the context of the tensions between EU integration, Member State solidarity and national sovereignty, EU primary law obliges EU Member States to develop their electricity grids. Accordingly, the rules on the free movement of goods, namely Articles 34 and 35 TFEU, contain a general obligation to develop infrastructure, taking into account the principle of effet utile. The objectives of an ever closer union and the completion of the internal market, as well as the goal of strengthening solidarity between the member states’ people, can be achieved most effectively by the adoption of a comprehensive and direct obligation to provide infrastructure. Further, in emergency situations the free movement of goods can only be guaranteed by active action by the Member State. D. In the context of the good electricity, Member States are obliged to extend their, both international and national, electricity transmission and electricity distribution networks. This obligation is by no means merely a daring hypothesis. Rather, the study systematically demonstrates that any concerns about accepting such an obligation on the basis of the provisions on the free movement of goods do not have any normative point of reference. Quite the contrary, EU law is characterized by its particular dynamism, which is reflected in a flexible interpretation. The result is that the concept of quantitative restrictions within the meaning of Articles 34 and 35 TFEU shall also include any abstaining from taking action which hinders access to and exit from the market of a Member State in respect of products from other Member States. This is due to the combination of the principles of the equality of the effect and the dedication to market access and market exit, but recognizing the limits set by the wording of e. g. the second alternative of Article 34 and 35 (“measures having equivalent effect“). Both principles are reflected in case law and legal literature. The interpretation intends to allow the provisions to be fully effective for the purpose of the treaties, though this interpretation is strictly limited by grammatical and systematic aspects. E. In this framework, the study demonstrates that the obligation to expand infrastructure is limited. The necessary limitation of this wide obligation must be achieved by obliging the Member States to develop their electricity networks only insofar as the contracting community of states can reasonably require from the Member State. What the Contracting Community can reasonably expect from the Member State includes, inter alia, an extension in the time which the Member State objectively requires for the extension of the grid by applying ordinary care. Furthermore, due to systematic considerations with regard to Articles 119 and 120 TFEU, the obligation covers only what is still economically viable in an overall view of the Member State’s own economy. The scope of duty takes into account individual Member State options and characteristics. However, Member States have to take into account those resources that the EU provides for the Member States through its supportive capacity. Furthermore, Member States, to protect their legislative competence, have wide discretion in selecting the measures for the extension of the grids. With regard to the general transport infrastructure, Member States have a wide range of options, given the abundance of possibilities to establish the basis for trade in

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Kap. 7: Summary in English

physical goods. However, as electricity can only be transmitted and distributed via grids, the Member State’s discretionary power in relation to the product is limited. More, the Member States’ obligation to extend their infrastructure does not exist in cases of force majeure. Other areas of tension, such as between the extension obligation and historical, archaeological or environmental considerations worthy of protection, must be resolved at the level of justification. Accordingly, on a case-by-case basis, the removal of power grids on the basis of Articles 34 and 35 TFEU can be justified by the grounds set out in Article 36 TFEU, overriding reasons based on the general interest or conflicting rights of third parties. This justification itself is subject to the principle of proportionality. F. The obligation to develop the electricity grids on the basis of Articles 34 and 35 TFEU is complemented by an obligation based on considerations both in the context of Article 37(1) TFEU and of Article 106(1) TFEU and Article 102 TFEU. As Article 37 (1)(1) TFEU requires Member States to “adjust any State monopolies of a commercial character so as to ensure that no discrimination regarding the conditions under which goods are procured and marketed exists between nationals of Member States”, they must ensure that the network operators in their possession develop their electricity grids in such a way that a (discriminatory) capacity allocation at member state borders will become unnecessary. Article 106(1) TFEU, by virtue of its open wording, allows for a wide interpretation in the light of effet utile. As a result, obligations addressed to public undertakings and undertakings to which Member States grant special or exclusive rights are transferred to the Member State. In some cases, and if certain conditions are met, the abuse of a dominant position by a transmission and distribution system operator may lead to a Member State obligation to extend the electrical grid. By contrast, Article 4(3) TEU does not directly establish a Member State obligation to develop its infrastructure. This is mainly due to the provision’s limited wording.

Kapitel 8

Résumé en français A. Cette thèse traite de la question de savoir si les États membres de l’UE ont l’obligation d’étendre ou de maintenir leurs réseaux électriques pour assurer une infrastructure de transport et de distribution d’électricité adéquate afin de réaliser les objectifs d’un marché intérieur de l’énergie fixés par l’article 3 paragraphe 1 phrase 1 TUE et une Union de l’énergie. Si cette infrastructure est manquante, une expansion du réseau électrique devient nécessaire. L’expansion des réseaux d’électricité est également déjà une réponse nécessaire aux changements dans les structures de production d’électricité. B. L’Union européenne a beaucoup de moyens de ne soutenir que les extensions de réseau en utilisant ses dispositions en matière de concurrence telles que les articles 170 à 172 TFUE et l’article 194 TFUE, par exemple grâce au financement. Cependant, l’Union européenne n’a pas la compétence pour construire elle-même les réseaux d’électricité. Les articles 170 à 172 TFUE relatifs au développement des réseaux d’électricité sont plus spécifiques que l’article 194 TFUE. Pour cela les articles 170 à 172 TFUE doivent être appliqués prioritairement. Cela est en partie dû au fait que, sans cette application prioritaire, le système de réglementation des articles 170 et suivants TFUE ne serait pas respecté: l’article 170 TFUE nomme expressément les «infrastructures de l’énergie». On peut supposer que le législateur, s’il avait voulu réorganiser les rapports de compétence, aurait apporté des modifications à cette formulation explicite en supprimant la référence aux infrastructures de l’énergie dans l’article 170 TFUE. Par conséquent, l’Union européenne est limitée à une seule contribution au titre de l’article 170 paragraphe 1 TFUE. Si les traités européens ne contiennent donc pas de compétence législative de l’Union européenne en la matière, il se pose ainsi la question de savoir s’ils contiennent au moins l’obligation pour les États membres de créer les nouveaux réseaux électriques nécessaires. Dans son arrêt Commission c. France du 9 décembre 1997, la Cour européenne de justice a décidé que les échanges intracommunautaires pouvaient être entravés par un État membre s’il s’abstient d’agir ou s’il reste en défaut d’adopter les mesures suffisantes pour empêcher des obstacles à la libre circulation des marchandises, qui peuvent notamment être crées par des actions de particuliers sur son territoire dirigées contre des produits d’autres États membres. Ainsi, la Cour a identifié pour la première fois l’existence d’une obligation de protection des États membres, la déduisant des libertés fondamentales.

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Kap. 8: Résumé en français

C. Cette thèse montre que les libertés fondamentales comportent non seulement une obligation de protection, mais constituent également l’obligation positive de créer et de maintenir un niveau minimum d’infrastructure pour le marché intérieur. Dans le contexte des conflits entre intégration européenne, solidarité des États membres et souveraineté nationale, le droit primaire européen oblige déjà les États membres de l’UE à développer leurs réseaux électriques. Par conséquent, les règles relatives à la libre circulation des marchandises, à savoir les articles 34 et 35 TFUE, contiennent une obligation générale de développer les infrastructures, en tenant compte du principe d’effet utile. D. Dans le contexte du produit électricité, les États membres sont tenus d’étendre leurs réseaux de transport d’électricité et de distribution d’électricité. Cette obligation pesant sur les États membres sur la base des articles 34 et 35 TFUE n’est en aucun cas une simple hypothèse audacieuse: au contraire, l’enquête montre en détail que toute préoccupation concernant l’acceptation d’une telle obligation sur la base des dispositions sur la libre circulation des marchandises n’a pas de point de référence normatif. Bien au contraire, le droit de l’UE se caractérise par son dynamisme particulier, qui se traduit par une interprétation variable. L’interprétation vise à permettre aux dispositions d’être pleinement efficaces par rapport à la finalité des traités, tout en étant strictement limitée par des aspects grammaticaux et systématiques. E. En outre, le résultat montre que l’obligation d’étendre les infrastructures est limitée pour les États membres. Cela signifie d’abord que la notion de restrictions quantitatives au sens des articles 34 et 35 TFUE comprend également toute abstention de prendre des mesures qui entravent l’accès et la sortie du marché d’un État membre pour des produits en provenance d’autres États membres. Cela résulte de la combinaison des principes de l’égalité des effets et du dévouement à l’accès au marché et à la sortie du marché. Les deux principes peuvent être démontrés individuellement dans les procédures judiciaires et la doctrine. L’obligation des États membres d’extraire leur infrastructure est déjà exclue en cas de force majeure. La limitation nécessaire de cette obligation large doit être réalisée en obligeant les États membres à développer leurs réseaux d’électricité uniquement dans la mesure où la communauté contractante des États peut raisonnablement l’exiger de l’État membre. Ce que la Communauté contractante peut raisonnablement exiger de l’État membre doit permettre à l’État membre de pendre le temps nécessaire pour la réalisation de l’expansion de l’infrastructure. En outre, en raison de considérations systématiques concernant les articles 119 et 120 TFUE, elle ne couvre que ce qui est encore économiquement viable dans une vision globale de l’économie de l’État membre. La portée du droit tient compte des options et des caractéristiques des différents États membres. Cependant, il convient de prendre en compte les ressources que l’UE fournit aux États membres grâce à sa capacité de soutien. En outre, les États membres disposent d’une grande latitude pour choisir les mesures d’extension des réseaux. En ce qui concerne l’infrastructure générale de transport, l’État membre dispose d’un très large éventail d’options, étant donné l’abondance

Résumé en français

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des moyens d’établir la base du commerce des biens matériels. Toutefois, étant donné que l’électricité ne peut être transmise et distribuée que par des réseaux, le pouvoir discrétionnaire de l’État membre en ce qui concerne le produit est limité. D’autres conflits, telles que l’obligation de transposition par les États membres et des considérations historiques, archéologiques ou environnementales méritant protection, doivent être résolues au niveau de la justification. Ainsi, au cas par cas, la suppression des réseaux électriques sur la base des articles 34 et 35 TFUE peut être justifiée par les motifs énoncés à l’article 36 TFUE, des raisons impérieuses fondées sur l’intérêt général ou des droits contradictoires des tiers. Cette justification est elle-même soumise au principe de proportionnalité. F. L’obligation de développer les réseaux d’électricité sur la base des articles 34 et 35 TFUE est complétée par une obligation fondée sur l’article 37 paragraphe 1 TFUE et une obligation fondée sur des considérations dans le contexte de l’article 106 paragraphe 1 TFUE et de l’article 102 TFUE. Puisque l’article 37, paragraphe 1 TFUE exige que « [l]es États membres aménagent les monopoles nationaux présentant un caractère commercial, de telle façon que soit assurée, dans les conditions d’approvisionnement et de débouchés, l’exclusion de toute discrimination entre les ressortissants des États membres », les États membres doivent agir sur les gestionnaires de réseau dont ils sont propriétaires pour que ceux-ci développent leur réseau électrique d’une manière de garantir qu’il n’y a pas une allocation des capacités de transmission discriminatoire aux frontières nationales. L’article 106 paragraphe 1 TFUE, qui permet en raison de sa formulation ouverte, une large interprétation à la lumière de l’effet utile. Les obligations à l’égard des entreprises publiques et des entreprises auxquelles les États membres accordent des droits spéciaux ou exclusifs sont par conséquent transférées à l’État membre. Dans certains cas, lorsque cela s’applique aux gestionnaires de réseau de transport et de distribution, l’abus de position dominante peut entraîner, sous certaines conditions, une obligation d’extension de leurs réseaux. En revanche, l’article 4 paragraphe 3 TUE n’impose pas directement l’obligation d’un État membre de développer des réseaux d’électricité. G. En résumé et en particulier en ce qui concerne l’infrastructure du réseau électrique, les États membres de l’UE ont la responsabilité de garantir une infrastructure pour réaliser la libre circulation des marchandises, qui se rapproche d’une obligation telle que celle du concept français de service public.

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Sachverzeichnis Abwehrpflicht 24 ff., 34, 61, 63, 68, 85, 95, 97, 110 f., 116 f., 120, 122, 166 Allgemeininteresse, zwingende Gründe 167 Allgemeinwohl siehe Allgemeininteresse, zwingende Gründe Artenschutz 118 Ausbau – Begriff 23, 123 f., 156 – Kompetenz 22 – Notwendigkeit 21 f., 112 f. Ausfuhr 37, 48, 56, 58 ff., 118, 137 f. Auslegung 26 ff., 56 ff. Batterie 46, 114 Beihilfe 77 Beschränkung 84 ff. – Begriff 56 ff., 120 – Verbot 24 f., 59 ff., 83 – von Kapazität 34 f., 152 ff. Binnenmarkt 21 f., 27, 35, 45, 48 f., 51 ff., 64 ff., 74 ff., 87, 111 ff., 151 ff. Daseinsvorsorge 75 ff., 169 Dassonville 47, 57, 85 f., 93 Dienstleistungsfreiheit 41 f. Diskriminierung 24 f., 40, 48, 67, 86 ff., 107, 136, 139 ff., 153 f., 165, 167 Effet utile 28 f., 52, 54, 56, 61, 64 ff., 71 f., 81 ff., 101 f., 109, 134, 137, 143, 145, 147, 155 ff., 165 ff. Einfuhr 44, 48, 56, 58, 60, 69, 84, 87, 91, 118, 120, 137 f. Energiecharta 32, 38 ff. Energiehandel 35 ff., 48 f., 112 f. Energiequellen 112 Energieunion 21 ff., 35 f., 169 Ermessen 46, 105 ff., 115, 123 f., 127, 167

Gebotszone 21 f., 46, 48 f., 87 f., 112 ff., 124, 129, 141, 168 Grenzüberschreitend 21, 43 f., 47 ff., 55, 65, 81, 83, 89, 106, 113 f., 149, 152 ff., 160 f., 164, 168 Grundfreiheiten 24 ff., 41 f., 51 ff., 61 ff., 67 ff., 91 ff., 95, 98 f., 101 ff., 127 f. Grundrechte 26, 61 ff., 70, 91, 97, 102 f., 121 ff. Haushalt 78, 102 f. Höhere Gewalt 99 f., 105, 108 f., 167 Infrastrukturausbau siehe Ausbau Integration 21, 27, 32, 37 f., 51 ff., 64 ff., 72 f., 81 ff., 92, 96, 99, 103, 113, 126, 166 Kapazitätsbeschränkung siehe Beschränkung, von Kapazität Kausalität 157, 163 Keck 88 ff., 98 Kernbereich siehe Spürbarkeit Kompetenz 22, 31, 37, 42, 74 f., 79 ff., 104, 106 f., 109, 130, 134, 162, 167, 170 Kooperation siehe Zusammenarbeit Koordinierung siehe Zusammenarbeit Kupferplatte 113 f. Leistungspflicht 24 ff. Loyalitätspflicht 53, 126 f., 131 ff. Markt 69 f. – beherrschende Stellung 148 ff. – Binnen- siehe Binnenmarkt – Missbrauch 146 ff., 152 ff., 164, 168 – Zugang 32, 38 f., 84 ff., 94 ff., 108 ff., 166 f. Missbrauch siehe Marktmissbrauch Missbräuchliches Ausnutzen siehe Marktmissbrauch Monopole 150

Sachverzeichnis – – – –

Dienstleistungs- 137 f., 142, 165 Handels- 136 ff., 165, 167 f. natürliche 137, 142, 164 f. staatliche 138 f.

Netzausbau siehe Ausbau Numerus clausus 62, 102 f. Offensichtlichkeits-Kontrolle Phasenschieber

108 f.

22, 34, 111, 129, 134

Rechtfertigung 97 f., 104, 111, 116 ff., 124 f., 141, 160 f., 167 f. Relevanzregel siehe Spürbarkeit Schmidberger 25 f., 54, 57, 105 f., 121 f. Schutzpflicht 25 f., 57, 61, 63 f., 68 f., 74, 84 ff., 93 ff., 98 f., 100 f., 105 ff., 118, 121 Schweiz 35 ff., 40, 61 f., 64, 75, 130 Service public siehe Daseinsvorsorge Solidarität 25, 51 ff., 65, 75 f., 83, 85, 96, 99, 101 f., 109 f., 126, 128 ff., 136, 166 Souveränität 25, 32, 51, 53 ff., 79 ff., 96 f., 99, 102 f., 107, 109 f., 112, 116, 124, 126, 166 Spürbarkeit 84, 95 ff., 108 f., 158 f., 164, 168 Störerprinzip 66, 134, 136 Strom – Abkommen 36, 38

197

– Handel 35, 48 f., 112 f., 116, 136, 157, 159, 169 f. Swedish Interconnectors 33, 147, Transeuropäisch siehe Grenzüberschreitend Übertragungsnetzbetreiber 33, 43, 48 f., 111, 121 ff., 136 ff., 142, 144, 146 f., 150, 155, 157, 160, 164 f., 168 Umformung 33, 136, 139 ff. Umwelt 51 ff., 98, 104, 119 ff., 124, 134 f., 161, 167 Unterlassen 33 f., 56 f., 59, 69, 84 ff., 92 f., 95, 100 f., 108 f., 116 ff., 124 f., 131 f., 141, 143 f., 166 ff. Versorgungssicherheit 35 f., 38, 130, 169 f. Verteilernetzbetreiber 111, 121 ff., 136 ff., 142, 144, 146, 148, 150, 154, 157, 160, 164 f., 168 Vertragsziele 25, 28, 30 f., 45, 53, 61, 64 ff., 83, 85, 130, 139, 142, 168 Warenbegriff 42 ff. Welthandelsorganisation 32, 38 ff. Wettbewerb 45, 52, 64 f., 67 ff., 74, 77 f., 82, 137, 150 f., 153 Wirtschaftspolitik 65, 77 f., 103 Zoll 42 ff., 59 f. Zusammenarbeit 32, 53, 79 – Pflicht zur loyalen siehe Loyalitätspflicht