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German Pages 336 Year 1998
ANKE FRANKENHERGER
Umweltschutz durch Rechtsverordnung
Schriften zum Umweltrecht Herausgegeben von Prof. Dr. M i c b a e I K I o e p f er, Berlln
Band 80
Umweltschutz durch Rechtsverordnung Eine recht'ivergleichende Untersuchung der Beteiligung an der Umweltschutz-Verordnungsgebung in Deutschland und Kanada
Von
Anke Frankenherger
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek- CIP-Einheitsaufnahme
Frankenberger, Anke:
Umweltschutz durch Rechtsverordnung : eine rechtsvergleichende Untersuchung der Beteiligung an der UmweltschutzVerordnungsgebung in Deutschland und Kanada I von Anke Frankenberger.- Berlin: Duncker und Humblot 1998 (Schriften zum Umweltrecht ; Bd. 80) Zugl.: Heidelberg, Univ., Diss., 1997 ISBN 3-428-09174-4
Alle Rechte vorbehalten
© 1998 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Wemet Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0935-4247 ISBN 3-428-09174-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 9
Die Rechtswissenschaft hat nicht bloß Stellung unter dem Gesetz zu nehmen, um den bereits in vollendeter Form vorliegenden Rechtsgedanken sich anzueignen. Sie hat auch dem noch weit höheren Beruf, den Rechtsgedanken, der noch unvollendet und unausgesprochen im Bewußtsein der Zeit lebt, zum Ausdruck und zur theoretischen Gestaltung zu bringen, und damit der Gesetzgebung vorzuarbeiten. Otto Bähr, Der Rechtsstaat - Eine publizistische Skizze, 2. Neudruckder AusgabeKassei1864,Aalen 1969,193 f.
Vorwort
Diese Arbeit lag im Wintersemester 1996/1997 der Juristischen ~akultät der Universität Heidelberg als Dissertation vor. Meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Eberhard Schmidt-Aßmann, danke ich ganz henlich für Betreuung und Erstkorrektur und besonders auch für die großzügig gewährte Unterstützung schon während meines Studiums. Zweitkorrektor der Arbeit war Herr Prof. Dr. Franz Merli, dem ich für die rasche Erstattung seines Gutachtens ausdrücklich danken möchte. Herrn Prof. Dr. Michael Kloepfer schulde ich Dank für die Übermittlung von Ergebnissen der Sachverständigen-Kommission zum Umweltgesetzbuch und die Aufnahme in die von ihm herausgegebene Schriftenreihe. Das Manuskript der Arbeit wurde im Juli 1996 abgeschlossen. Die Abschnitte über die Reformbestrebungen in Kanada und Deutschland sind auf den Stand von Mai 1997 gebracht worden. Die Arbeit hätte ohne die großzügige und vielfältige Unterstützung von Freunden und Bekannten in Kanada und Deutschland nicht geschrieben werden können: In Canada, my thanks go to Chris Rarland and Roh Young for helping me to get in touch with the right people, these are Artbur Sheffield at Environment Canada and John Mark Keyes at the Departrnent of Justice respectively, whose knowledge about and insight into Canadian regulation making was an inspiring source for me throughout my work. The colleagues at the Economic Analysis Branch and the Legal Services Unit at Environment Canada were kind enough to bear with me and my questions during a long Ottawa winter in 1994/1995. During my stay in Canada I was able to discuss aspects of the thesis with Dr. Margret Hili, Prof. Jamie Benidickson (University of Ottawa), and Prof. Frank Grad (Columbia University, USA) who provided helpful comments at an early stage, but do not bear any responsibilities for the work I submit now. Francois Bernier (Standing Joint Committee for the Scrutiny ofRegulations), Martin Boddington (Environment Canada), Gary Burford (Canadian Standards Association), Marie-Claude Goulet (Departrnent of Justice), Holly Mitchell (Queen's University), and Todd Weiler (Treasury Board), were kind enough to send me written material when I was already back in Germany and thereby tremendously facilitated my search for Canadian literature. The participants of the Internet discussion lists Int-Law and AdminLaw were several times able to help with my queries, and proved an invaluable research tool. Lawrence Alexander
Vorwort
8
(now with the Ministry of the Environment of British Columbia) was instrumental in a number of ways and I am very grateful for his continuos support. My deepest thanks go to Wemer Schwantje (formerly Departrnent of Justice), who took upon him the task of reading through a draft version of the thesis. He saved me from quite a few incorrectnesses and factual errors. Any remaining errors in this thesis are solely my own. Mein Dank in Deutschland geht zunächst an die schon legendäre Tante, 1 ohne deren fmanzielle Unterstützung diese Arbeit nicht möglich gewesen wäre. Das Studium an der Hochschule fiir Verwaltungswissenschaften in Speyer im Wintersemester 1993/1994 war fiir die Vorbereitung dieser Arbeit eine Quelle der Inspiration, und ich danke allen Dozenten fiir ihre Gesprächsbereitschaft. Ebenso danke ich Herrn Ministerialrat Dr. Eberhard Bohne (damals noch Bundesministerium fiir Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, nun Hochschule fiir Verwaltungswissenschaften in Speyer), Herrn Ministerialrat Dr. Konrad Reuter (Ausschußsekretär des Bundesratsausschusses fiir Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit) und Herrn Dieter Worch (Arbeitsgemeinschaft fiir Umweltfragen) fiir ihre bereitwillig gegebenen Auskünfte über die Praxis der Vorbereitung von Umweltschutz-Verordnungen. Auch hier gilt, daß alle in der Arbeit verbliebenen Unrichtigkeiten allein von mir zu verantworten sind. Von unschätzbarem Wert war die technische und logistische Unterstützung durch Herrn Dipl. Physiker Dr. Georg Dittmar. Für die kritische Durchsicht von Entwürfen und intensive Diskussionen über Aspekte der Arbeit danke ich Dr. Stefan Talmon und Sven-Helge Jork aus ganzem Herzen. Ohne diese Gesprächsmöglichkeiten wäre mir die Arbeit nicht gelungen. Der Germanistin Frau Gwendolyn Mertz danke ich fiir das Korrekturlesen. Speziell Madeleine Detzner, Aloys Ebener, Ruey-Fomg Lin, Kelly Mahovlich, Andrea Moritz, Sabine E. Nölke, Christopher D. Ram, Dr. Babette Sievers und Marianne Voigt danke ich fiir ihre verständnisvolle, geduldige und unterstützende Freundschaft während der Erstellung dieser Arbeit. Ich widme die Arbeit meinen Eltern, Helga und Volker Frankenberger. Köln, im Juni 1997 Anke Frankenherger
1 Schulze-Fielitz, Theorie und Praxis parlamentarischer Gesetzgebung, 1988, Vorwort; dort handelt es sich um eine Patentante, in meinem Fall um meine Großtante, Frau Elfriede Prang, Göttingen.
Inhaltsübersicht
Einleitung
21
A. Thema der Arbeit ....................................................................................................... 21 B. Gang der Untersuchung ............................................................................................. 32 Erster Teil
Charakteristika der Umweltschutz-Verordnungsgebung in Deutschland und in Kanada
34
A. Umweltschutz-Verordnungen .................................................................................... 34 B. Begriffe und Abgrenzungen ................................................. ,.................................... 57 C. Rechtliche Anforderungen an die Verordnungsgebung ............................................. 88 Zweiter Teil
Mitwirkung und Beteiligung an der Umweltschutz-Verordnungsgebung
111
A. Kanada ..................................................................................................................... 111 B. Deutschland ............................................................................................................. 176 C. Mögliche Erklärungen für die unterschiedlichen Strukturen der Mitwirkung und Beteiligung in Kanada und Deutschland ...........................................................249 Dritter Teil
Folgerungen und Ergebnisse für die Umweltschutz-Verordnungsgebung in Deutschland
261
A. Theoretische Erwägungen zu einer gesetzlichen RegeJung des Verfahrens der Umweltschutz-Verordnungsgebung .................................................................. 261 B. Rechtspolitische Vorschläge zur praktischen Verfahrensgestaltung ........................ 281 Literaturverzeichnis ...................................................................................................... 303 Sachregister .................................................................................................................. 333
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
21
A. Thema der Arbeit ....................................................................................................... 21 I. Rechtsverordnungen ........................................................................................ 23 II. Umweltrecht .................................................................................................... 25 III. Rechtsvergleich mit Kanada ............................................................................ 27 IV. Beteiligung ...................................................................................................... 30 B. Gang der Untersuchung ............................................................................................. 32 Erster Teil
Charakteristika der Umweltschutz-Verordnungsgebung in Deutschland und in Kanada
34
A. Umweltschutz-Verordnungen .................................................................................... 34 I. Zuständigkeit flir Umweltschutz im föderalen Staat.. ...................................... 35 1. Gesetzgebender Bund- vollziehende Länder in Deutschland .................... 35 2. Parallelität von Gesetzgebung und Vollzug in Kanada ............................... 37 II. Regelungsgegenstände und Regelungsintensität... ........................................... 39 1. Deutschland ................................................................................................ 39 2. Kanada ........................................................................................................41 III. Exemplarische Darstellungen ..........................................................................43 1. Das Bundesimmissionsschutzgesetz ...........................................................44 2. Das Abfallgesetz und das Kreislaufwirtschaft- und Abfallgesetz .............. .45 3. Das Chemikaliengesetz ...............................................................................47 4. Canadian Environmenta1 Protection Act... ................................................. .48 IV. Reformansätze ................................................................................................. 51 !. Spezifisch umweltrechtliche Reformen in Deutschland ............................. 51 a) Entwurf eines Umweltgesetzbuches ...................................................... 51 b) Neuordnung der Verfahren zur Umwe1tstandardsetzung ...................... .53 2. Vielfältige Reformen in Kanada ................................................................. 54 a) Überarbeitung von CEPA ...................................................................... 54 b) Entwürfe des Regulatory Efficiency Act und des Regulation Act ......... 56 B. Begriffe und Abgrenzungen ...................................................................................... 57 I. Normenhierarchie und Normenkonkretisierung .............................................. 58 1. Gesetze und Statutes .................................................................................... 59 2. Verordnungen und Regulations bzw. Statutory Instruments ....................... 62 3. Verwaltungsvorschriften und Quasi-Legislation ........................................ 65 4. Private Normen und Standards ................................................................... 66
12
Inhaltsverzeichnis Funktion und Bedeutung der Verordnungsgebung .......................................... 70 I. Erklärung der Zwitterstellung(en) ............................................................... 70 2. Entlastung von Gesetz und Gesetzgeber ..................................................... 73 3. Nutzung privater Vorarbeiten ..................................................................... 75 4. Zeitliche Verzögerung und Symbolik ......................................................... 77 III. Mitwirkung und Beteiligung ............................................................................78 I. Von der ,,Zusammenarbeit in den Ministerien" über die ,,Anhörung der beteiligten Kreise" bis zur mitwirkenden Kontrolle des Parlaments in Deutschland ............................................................................................ 79 2. Von Information bis Joint Decision-Making in Kanada ............................. 81 IV. Funktion und Bedeutung von Mitwirkung und Beteiligung ............................ 84 I. Koordination und Information .................................................................... 84 2. Akzeptanzsteigerung, Kontrolle und Partizipation ..................................... 85 II.
C. Rechtliche Anforderungen an die Verordnungsgebung ............................................. 88 I. Inhaltliche Begrenzungen und Anforderungen ................................................ 88 1. Art. 80 GG, Parlamentsvorbehalt und Wesentlichkeitslehre in Deutschland .. 88 2. Enabling Provision und Ultra Vires Doktrin in Kanada..............................91 II. Verfahrensrechtliche Anforderungen............................................................... 92 1. Ermächtigungsadressaten............................................................................92 2. Vorbereitungsphase .................................................................................... 93 a) Bestimmungen der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien und Regierungsbeschlüsse in Deutschland ........94 b) Zusammenspiel von Gesetzen und Selbstverpflichtungen der Regierung in Kanada .......................................................................96 (I) Code ofRegulatory Fairness und Federal Regulatory Plan ............. 97 (2) Gesetzliche Vorschriften des Statutory Instruments Act ................. 98 3. Begründungspflicht .................................................................................. 100 a) Begründung gemäß der GGO II und "Blaue Prüffragen" in Deutschland ......................................................................................... I 0 I b) Erstellung einer Kosten-Nutzen-Analyse (Regulatory Impact Analysis Statement) und eines Communication Plans in Kanada ........ 103 4. Entscheidungsverfahren ............................................................................ 105 a) Bundesregierung und Bundesrat in Deutschland ................................. ! 05 b) Govemor in Council in Kanada ........................................................... ! 08 5. Ausfertigung, Verkündung und Inkrafttreten ............................................ 109 Zweiter Teil
Mitwirkung und Beteiligung an der Umweltschutz-Verordnungsgebung
!II
A. Kanada ..................................................................................................................... II! I. Hintergrund der Entwicklung von Beteiligungsformen an umweltrechtlichen Entscheidungen ................................................................................... 111 I. Allgemeine Entwicklung .......................................................................... 111 2. N iagara Process und Green Plan ............................................................... 113 II. Exkurs: Rezeption von Einflüssen: die Umweltschutz-Verordnungsgebung in den USA .................................................................................................... 115 I. Grundlagen ............................................................................................... 116
Inhaltsverzeichnis
III.
IV.
V.
VI. VII.
13
a) Administrative Procedure Act.. ............................................................ 117 b) Executive Orders ................................................................................. 120 c) Umweltgesetze ..................................................................................... l22 2. Von Mitwirkung und Beteiligung zum Negotiated Rulemaking............... 122 3. Rezeption in Kanada ................................................................................. l24 a) Wissenschaftliche Rezeption ............................................................... 125 b) Gemeinsame Institutionen ................................................................... 126 4. Ergebnis .................................................................................................... 128 Exekutivmitwirkung ...................................................................................... 129 l. Intra-ministeriell ....................................................................................... 130 2. Inter-ministeriell ....................................................................................... l32 3. Provinzen .................................................................................................. 134 a) Canadian Council ofMinisters ofthe Environment... .......................... l35 (l) Zusammensetzung und Arbeitsweise............................................. l35 (2) Aufgaben und Einfluß aufdie Verordnungsgebung ...................... 136 b) Federal Provincial Advisory Committee .............................................. l38 c) Intergovernmental Agreements ............................................................ 13 9 Stakeholder Beteiligung................................................................................. l40 l . Begriff des und Arten von Stakeholders ................................................... 141 a) Begriff. ................................................................................................. 141 b) Wirtschaftsverbände ............................................................................ 142 c) Gewerkschaften und Umweltschutzgruppen ........................................ 143 d) Ureinwohner ........................................................................................ 144 2. Verfahren der Stakeholder-Beteiligung .................................................... 145 3. Strategie Options Process ......................................................................... 147 a) Grundsätze der Chemikalienkontrolle ................................................. 147 b) Verlauf des Strategie Options Process ................................................. 148 c) Ziele des Strategie Options Process ..................................................... 150 4. Andere Reformbestrebungen (Experimente mit Formen des Negotiated Ru1emaking) ............................................................................................. 151 5. Beteiligung institutionalisierter Beratungsgremien ................................... 152 a) Canadian Environmental Advisory Council ........................................ 153 (1) Aufgaben und Arbeitsweise ........................................................... I 53 (2) Einfluß aufdie Verordnungsgebung .............................................. 154 b) National Round Table on the Environment and the Economy ............. 156 (l) Rechtsgrundlage und Arbeitsweise ................................................ 157 (2) Einfluß auf die Verordnungsgebung .............................................. 15 8 c) Boards ofReview unter CEPA ............................................................ 159 6. Finanzierung von Beteiligung ................................................................... l60 Öffentlichkeitsbeteiligung ............................................................................. 163 l. Gesetzliche Pflichten zur Vorveröffentlichung gemäß CEPA .................. 164 2. Umweltschutz-Verordnungen im Federal Regulatory Plan und derEnvironmental Consultation Calendar .......................................................... 165 Parlamentarische Kontrolle ............................................................................ 167 · 1. Joint Committee for the Scrutiny of Regulations ...................................... 168 2. Geschäftsordnungsmöglichkeiten (Disallowance Procedure) ................... 170 Erfahrungen mit Beteiligung in Kanada ........................................................ 171 1. Consultation Fatigue ................................................................................. 172 2. Lösungsvorschläge ................................................................................... 173
14
Inhaltsverzeichnis 3. Fazit .......................................................................................................... l75
B. Deutschland ............................................................................................................. 176 Phasen der Umweltpolitik und Entwicklung von Beteiligungsformen ............. 176 I. II. Exekutivmitwirkung ...................................................................................... 179 1. Intra-ministeriell ....................................................................................... I 79 2. Inter-ministeriell ....................................................................................... l81 a) Geschäftsordnungsregeln ..................................................................... 181 b) Koordinationsgremien ......................................................................... 182 3. Bundesländer ............................................................................................ 184 a) Vorbereitende Mitwirkung ................................................................... 184 ( 1) Umweltministerkonferenz ............................................................. 185 (a) Rechtsgrundlage und Zusammensetzung ................................ 185 (b) Aufgaben und Arbeitsweise .................................................... 186 (2) Bund-Länder-Arbeitsgruppen ........................................................ 187 b) Zustimmung des Bundesrates .............................................................. 189 c) Rechtsverordnungsinitiativen des Bundesrates .................................... 192 4. Kommunen ............................................................................................... 193 III. Expertenbeteiligung ....................................................................................... 194 1. Unterrichtung und Anhörung der beteiligten Kreise ................................. 194 a) Kategorien von anzuhörenden Gruppen............................................... l95 (1) Vertreter der Wissenschaft ............................................................ 195 (2) Beteiligte Wirtschaft.. .................................................................... 197 (3) Behörden und Träger öffentlicher Belange.................................... l98 (4) Betroffene, insbesondere Umweltschutzverbände ......................... I 99 (5) Beim BMU geflihrte Verteilerliste ................................................202 b) Anhörungsverfahren ............................................................................203 (I) Verfahren nach§ 67 i.V.m. § 24 GGO II ...................................... 204 (2) Verfahren nach§ 51 BlmSchG......................................................205 (3) Verfahren nach§ 16 AbfG und§ 60 KrW-/AbfG ......................... 208 (4) Verfahren nach§ 17 Abs. 7 ChemG ..............................................210 c) Würdigung und Stellungnahme ........................................................... 212 2. Mitwirkung und Beteiligung von institutionalisierten Beratungsgremien...213 a) Umweltbundesamt ...............................................................................215 (1) Aufbau und Finanzmitte1 ............................................................... 216 (2) Aufgaben .......................................................................................216 (3) Arbeitsweise .................................................................................. 217 (4) Mitwirkung an der Verordnungsgebung ........................................21 7 b) Sachverständigenrat für Umweltfragen................................................219 (I) Zusammensetzung ......................................................................... 219 (2) Aufgaben .......................................................................................220 (3) Arbeitsweise .................................................................................. 220 (4) Einfluß auf die Verordnungsgebung .............................................. 221 3. Finanzierung von Beteiligung ...................................................................222 IV. Öffentlichkeitsbeteiligung .............................................................................225 1. Auswertung der Zeitschrift "Umwelt" ......................................................226 2. Arbeitsgemeinschaft für Umweltfragen .................................................... 228 a) Zusammensetzung ........... ;................................................................... 228 b) Aufgaben und Finanzierung................................................................. 229
Inhaltsverzeichnis
15
c) Einfluß auf die Verordnungsgebung .................................................... 231 Mitwirkende Kontrolle des Bundestages .......................................................232 1. Mitwirkung gemäß den Vorschriften der GGO II .....................................233 2. In Umweltgesetzen vorgesehene Mitwirkung ........................................... 234 a) Zustimmungserfordernis ......................................................................235 b) Aufhebungsbefugnis ............................................................................ 235 c) Abänderungsbefugnis ..........................................................................236 3. Verfassungsrechtliche Bewertung ............................................................ 237 a) Gegen die Verfahren vorgebrachte Bedenken ..................................... 237 b) Praktische Vorteile und Argumente fllr die Zulässigkeit ..................... 239 4. Verfassungspolitische Bewertung ............................................................. 241 VI. Erfahrungen mit Mitwirkung und Beteiligung in Deutschland......................... 244 1. Beteiligung nur auf Einladung .................................................................. 244 2. Beteiligung nur von Experten ................................................................... 246 3. Vorbehalte gegen eine Verrechtlichung von Beteiligung .........................247 4. Fazit ..........................................................................................................249 V.
C. Mögliche Erklärungen flir die unterschiedlichen Strukturen der Mitwirkung und Beteiligung in Kanada und Deutschland .................................................................. 249 I. Geographie .................................................................................................... 250 li. Gesellschaft ................................................................................................... 252 III. Rechtliche Tradition und Verwaltungskultur. ................................................ 254 IV. Zuständigkeitsverteilung................................................................................ 257 Dritter Teil
Folgerungen und Ergebnisse für die Umweltschutz-Verordnungsgebung in Deutschland
261
A. Theoretische Erwägungen zu einer gesetzlichen Regelung des Verfahrens der Umweltschutz-Verordnungsgebung ........................................................................ 261 I. Vorbemerkungen ........................................................................................... 261 li. Notwendigkeit einer Regelung ...................................................................... 263 1. Rechtsvergleichende Betrachtung ............................................................. 263 2. Strukturell ähnliche Verfahren in Deutschland .........................................264 3. Apokryphe Formen der Rechtsetzung....................................................... 267 III. Zulässigkeitsfragen ........................................................................................269 1. Kernbereich der Exekutive .......................................................................269 2. Dienende Funktion von Verfahren ............................................................271 3. Betroffenenlegitimation ............................................................................273 IV. Verfassungsrechtliche Pflicht zu einer Regelung .......................................... 274 1. Gebot der dauerhaft-umweltgerechten Entwicklung (Sustainable Development) ....................................................................................................275 2. Gebot der "Entstörung" der Legitimationszusammenhänge ..................... 277 3. Rolle und Funktion des Staates .................................................................279 B. Rechtspolitische Vorschläge zur praktischen Verfahrensgestaltung ........................ 281 I. Der Verfahrensvorschlag im Überblick ......................................................... 282 li. Ankündigung ................................................................................................. 283 1. Form und Inhalt ........................................................................................ 284
16
Inhaltsverzeichnis 2. Zeitpunkt .................................................................................................. 284 3. Publikationsorgan ..................................................................................... 285 III. Vermischung von Mitwirkung und Beteiligung ............................................ 286 IV. Abwägung ..................................................................................................... 289 I. Zusarnmenstellung .................................................................................... 290 2. Gewichtung...............................................................................................290 V. Begründung ...................................................................................................291 1. Verfassungsrechtliche Gebotenheil ..........................................................291 2. Ausgestaltung ...........................................................................................292 3. Auswirkungen...........................................................................................294 VI. Vorveröffentlichung ......................................................................................295 I. Sinn und Zweck ........................................................................................295 2. Zeitpunkt ..................................................................................................296 a) Referentenentwurf ...............................................................................296 b) Nach Verbändeanhörung und vor Zustimmung des Bundesrats ..........297 c) Ergebnis .......................................................................... ,....................298 3. Publikationsorgan ..................................................................................... 298 VII. Regelungsform .............................................................................................. 299 1. Geschäftsordnung der Bundesministerien.................................................299 2. Gesetzliche Regelung ...............................................................................300 VIII. Formulierungsvorschlag ................................................................................30 1
Literaturverzeichnis ......................................................................................................303 Sachregister ..................................................................................................................333
Abkürzungsverzeichnis a.A. AbfG Abs. ACK a.E. a.F. AGU AöR APA ARET
anderer Ansicht Abfallgesetz Absatz Amtschefkonferenz amEnde alter Fassung Arbeitsgemeinschaft flir Umweltfragen Archiv für öffentliches Recht Administrative Procedure Act Accelerated Reduction/Elimination of Toxics
BBU BOI BGBl BHO BlmSchG BLAK UIS BLAU BMELF BMG BMI BMJ BMJFG BMU BNAAct BNatG BR BUND BVerfGE
Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz Bund der Deutschen Industrie Bundesgesetzblatt Bundeshaushaltsordnung Bundesimmissionsschutzgesetz Bund-Länder-Arbeitskreis Umweltinformationssysteme Bund-Länder-ArbeitskreisUmweltchemikalien Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Bundesministerium für Gesundheit Bundesministerium des Inneren Bundesministerium der Justiz Bundesministerium flir Jugend, Familie und Gesundheit Bundesministerium flir Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit British North America Act Bundesnaturschutzgesetz Bundesrat Bund Umwelt und Naturschutz Deutschland Bundesverfassungsgerichtsentscheidung
CCME CEAA CEAC CELR CEN CEPA ChemG CSA
Canadian Council of Ministers of the Environment Canadian Environmental Assessment Act Canadian Environmental Advisory Council Canadian Environmental Law Reporter Canadian Environmental Network Canadian Environmental Proteebon Act Chemikaliengesetz Canadian Standards Association
DHB DIAND DIN
Deutscher Heimatbund Departrnent of Indian Affairs and Northern Development Deutsches Institut für Normung e.V.
2 Frankenherger
18
Abkürzungsverzeichnis
DNR DOE DÖV DVBl
Deutscher Naturschutzring Department of the Environment Die öffentliche Verwaltung Deutsches Verwaltungsblatt
EMR ENGO EO EPA EPS
Energy, Mines and Ressources Environmental Non-Governmental Organization Executive Order Environmental Protection Agency Environmental Protection Service
F.C.A. F.C.T.D. FPAC
Federal Court of Appeal Federal Court Trial Division Federal Provincial Advisory Committee
GewO GG GGO GK GMBI. GOBR GOBReg GOBT GS
Gewerbeordnung Grundgesetz Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien Gemeinschaftskommentar Gemeinsames Ministerialblatt Geschäftsordnung des Bundesrats Geschäftsordnung der Bundesregierung Geschäftsordnung des Bundestages Gedächtnisschrift
HdKWP HGrsG HStR HVerfR HdUR
Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis Haushaltsgrundsätzegesetz Handbuch des Staatsrechts Handbuch des Verfassungsrechts Handbuch des Umweltrechts
I.L.M. IMA ISO
International Legal Materials Interministerielle Arbeitsgruppe International Standards Organisation
JuS JZ
Juristische Schulung Juristenzeitung
KJ KrW-/AbfG KU
Kritische Justiz Kreislaufwirtschaft- und Abfallgesetz Koordinierungsstelle Umweltschutz
LAI
Länderausschuß Immissionsschutz
MDR
Monatsschrift für deutsches Recht
m.w.N.
mit weiteren Nachweisen
NAFTA NAGUS NJW NRTEE NRTEEA NVwZ
North American Free Trade Agreement Normungsausschuß Grundlagen des Umweltschutzes Neue Juristische Wochenschrift National Round Table on the Environment and the Economy National Round Table on the Environment and the Economy Act Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht
OECD
Organization for Economic Cooperation and Development
Abkürzungsverzeichnis
19
OMB
Office of Management and Budget
PCB PCO (J)
polychlorinierte Biphenyle Privy Council Office-Department of Justice
RAC
Regulatory Advisory Committee Review of European Community & International Environmental Law Regulatory Impact Analysis Statement Randnummer Revised Statutes of Canada Revised Statutes of Ontario Statutes of Canada Standards Council of Canada Supreme Court Reports Statutory Instruments Act Sammlung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof Statutes of Ontario Strategie Options Process Sachverständigen Rat für Umweltfragen Ständiger Abteilungsleiterausschuß Sachverständigen-Kommission für ein Umweltgesetzbuch
RECIEL RIAS Rn. R.S.C. R.S.O.
s.c. sec
S.C.R. SIA Slg.
s.o.
SOP SRU STALA SVK-UGB TA
TÜV
Tz.
UBA UGB-AT UMK UmweltHG
UPR
us
UVP UVPG
vo
VR VVDStL VwBIBW VwVfG WRMG W.W.R. ZaöRVR ZfG ZfU
ZParl ZRP
Technische Anleitung Technischer Überwachungsverein Textziffer Umweltbundesamt Umweltgesetzbuch - Allgemeiner Teil Umweltministerkonferenz Umwelthaftungsgesetz Umwelt- und Planungsrecht United States Supreme Court Reports Umweltverträglichkeitsprüfung Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz Verordnung Verwaltungsrundschau Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Verwaltungsblätter Baden-Württemberg Verwaltungsverfahrensgesetz Wasch- und Reinigungsmittelgesetz Western Weekly Reports Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Zeitschrift für Gesetzgebung Zeitschrift ftir Umweltrecht und Umweltpolitik Zeitschrift für Parlamentsrecht Zeitschrift ftir Rechtspolitik
Einleitung A. Thema der Arbeit Für ein Verfahren der Verordnungsgebung auf dem Gebiet des Umweltrechts sind zwei Erwägungen von essentieller Bedeutung: Zum einen ist bei dieser hochkomplexen und vorwiegend technischen Materie ein Verfahren staatlicher Normsetzung ohne die Beteiligung oder Vorarbeit sachverständiger privater Fachleute nicht denkbar. Zum anderen ist mittlerweile unbestritten, daß das Setzen von Umweltstandards wegen der in ihnen enthaltenen Abwägungen auch eine politische Entscheidung ist. 1 Es entsteht deswegen das Bedürfnis, das Verfahren der Umweltschutz-Verordnungsgebung an entsprechend legitimierte Instanzen anzubinden2 oder es zumindest durch besondere Gestaltung transparenter zu machen. 3 Das in Deutschland zur Zeit praktizierte Verfahren zur politisch-programmatischen Gestaltung4 stellt sich als geschlossenes, intransparentes System dar, das den Bürgern keine Beteiligungsmöglichkeiten eröffnet5 und daher in den Augen amerikanischer Kritiker nicht ausreichend demokratisch legitimiert ist. 6 Diese Unterschiede sind gerade mit Bezug auf die in Nordamerika genutzten Verfahren wiederholt in der deutschen Rechtswissenschaft konstatiert worden. 7 1 Creighton, in: Public Involvement and Social Impact Assessment, 1983, 143, 144; Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, 1986, 277; Jarass, NJW 1987, 1225, 1226;Brohm, in: HStRII, 1987, §36, Rn. 12; Salzwede/, NVwZ 1987,276, 277; Denninger, Normsetzung, 1990, 15; Mayntz, Die Verwaltung 1990, 137, 141; Pietzcker, in: Konfliktbewältigung durch Verhandlungen, Bd. 1,·1990, 263, 265; Andrews, in: Environmental Policy in the 1990s, 1990,167, 175; Wea/eu.a.,ControllingPollutionintheRound, 1991, 7l;Hughes u.a. (Hg.), Environmental Law and Policy, 1993, 187; Böhm, UPR 1994, 132, 133; Kloepfer, DVB11996, 964, 970. 2 Jarass, NJW 1987, 1225, 1229. 3 Salzwedel, NVwZ 1987, 276, 278; SRU, Umweltgutachten 1996, Tz. 849. 4 Der Begriff der 'Programmentwicklung' wird in der politologisch-soziologisch orientierten Verwaltungsforschung als Sammelbegrifffür die Ausarbeitung von Gesetz- und Verordnungsentwürfen und deren Novellierungen benutzt, Benzner, Ministerialbürokratie und Interessengruppen, 1989, 111; Lenk, in: Regieren und Politikberatung, 1994, 31, 32. 5 Rose-Ackerman, Umweltrecht, 1995, 136. 6 Brickmann u.a., Controlling Chemicals, 1985, 64. 7 Morawitz, Parlamentarische Zustimmung, 1961, 1411142; Schmidt-Aßmann, in: Verfahren als staats- und verwaltungsrechtliche Kategorie, 1984, 1, 23; Mayntz, Die Verwaltung 1990, 137, 148/149; Schrader, DÖV 1990, 326, 3311332; Lübbe-Wolff, ZfG
22
Einleitung
Es wird befürchtet, daß das Umweltrecht in Deutschland auch wegen dieser Defizite die ökologischen Probleme zukünftig nicht bewältigen kann, bzw. die Regelung in Formen geschieht, die rechtsstaatlich bedenklich sind.8 An allgemein gehaltenen Vorschlägen, wie die Verfahren der exekutiven Rechtsetzung besser organisiert und kontrolliert werden könnten, fehlt es nicht. 9 Auch die verfassungsrechtliche Gebotenheit eines solchen Verfahrensrechts ist schon herausgearbeitet worden. 10 Meist lehnen sich die allgemeinen Vorschläge für Verfahrensreformen an die Verfahren der Normsetzung in den privaten Instituten der überbetrieblichen, technischen Normung an. 11 Im Frühjahr 1996 legte der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) in seinem Umweltgutachten 1996 einen auf einer gründlichen Analyse beruhenden Vorschlag zur Neuordnung des Verfahrens der Setzung von Umweltstandards vor. 12 Der SRU hat die an den Verfahren der exekutiven Rechtsetzung geübte Kritik aufgenommen und sieht die von ihm vorgeschlagene Vereinfachung und Vereinheitlichung des Systems der Umweltstandards als eine vordringliche staatliche Aufgabe an. 13 In der deutschen Literatur fehlt es aber immer noch an konkreten Beispielen und der genauen Schilderung eines staatlichen Verfahrens, das den verfassungsrechtlichen Anforderungen gerecht wird und auch praktikabel ist. 14 Dies soll in dieser Arbeit geleistet werden. Anhand der Darstellung des kanadischen 1991 , 219, 244-246; Jarass, Natur und Recht, 1993, 49, 53 und 197; Majone, Controlling Regulatory Bureaucracies, 1993, 39; Rose-Ackerman, Umweltrecht, 1995, 267/268. 8 Lübbe-Wolf!, ZfG 1991, 219, 23 7, spricht vom 'verfassungsrechtlichen Unbehagen'. 9 Vorschläge von v. Lersner, Natur und Recht 1990, 193; Denninger, Normsetzung, 1990, 171; Giebeler, Verfahren und Maßstäbe, 1991, 15-17; Kloepfer u.a., Umweltgesetzbuch- AUgemeiner Teil, 1991, 9. und 10. Kapitel; Hüttermann, Grenzwerte, 1993, 145147; Lamb, Kooperative Gesetzeskonkretisierung, 1995, 229-231; vgl. auch Eichener/ Voelskow, Umweltinteressen in der verbandliehen Techniksteuerung, 1991, 15. 10 Lübbe-Wolff, ZfG 1991,219, 247; Denninger, Normsetzung, 1990, 178-180. 11 Gusy, UPR 1986, 241, 246/247; Müller-Foel, Technische Normen, 1987, 81-104; Bolenz, Technische Normung zwischen "Markt" und "Staat", 1987, 116-119 (DIN) und 125-128 (VDI); Lübbe-Wolff, in: Konfliktbewältigung durch Verhandlungen, Bd. 2, 1990,87, 100-105. 12 Darste1lung siehe unten, 1. Teil, A. IV. 1. b). 13 SRU, Umweltgutachten 1996, Tz.* 133. 14 Die Darste11ung Rose-Ackermans, Umweltrecht, 1995, bleibt unkonkret; sie enthält zwar die ausführliche Kritik des deutschen Systems, steHt das US-amerikanische aber nur kursorisch dar, 34 und 244-246, und verweist hinsichtlich der detai11ierten Kritik in den USA aufweiterfUhrende Literatur, Rose-Ackermans, Umweltrecht, 1995, 17, Fn. 14 und 257, Fn. 35. Das vom SRU vorgeschlagene Mode11 ist ein Idealtypus und noch nicht zur konkreten Umsetzung geeignet; SRU, Umweltgutachten 1996, Tz. 918. Konkrete Vorschläge enthält jetzt der Entwurf der Sachverständigen-Kommission für ein Umweltgesetzbuch (SVK-UGB). Dank der Hilfe Prof. Dr. Kloepfers konnten diese Vorschläge in der Arbeit noch Berücksichtigung finden.
A. Thema der Arbeit
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Systems der exekutiven Norrnsetzung im Umweltrecht sollen die Deflzite der deutschen Rechtsordnung auf dem Gebiet der Verordnungsgebung genau herausgearbeitet und eine Verfahrensalternative angeboten werden, die sich schon in der Praxis bewährt hat.
I. Rechtsverordnungen Staatliche Norrnsetzung, also das Setzen von allgemein verbindlichen, abstrakten Regeln, wird in Deutschland größtenteils in der Rechtsform der Verordnung vorgenommen. Dies belegen die Zahlen der in den jeweiligen Legislaturperioden vom Bundestag verabschiedeten Gesetze und der gleichzeitig von der Exekutive erlassenen Rechtsverordnungen. 15 Das Phänomen der "Übermacht" exekutiver Normgebung ist in allen westlichen Industrieländern zu beobachten16 und besteht gerade auf dem Gebiet des Umweltrechts. 17 Die Bedeutung der Rechtsverordnungen liegt aber nicht allein in ihrer Quantität, sondern auch in der Relevanz der durch sie geregelten Sachverhalte. Aus Sicht der Normadressaten sind zumeist dort (oder sogar erst in Verwaltungsvorschriften oder Technischen Anleitungen) die "wichtigen", das heißt die ihn direkt und unmittelbar betreffenden Regelungen getroffen. 18 So wirkt z.B. eine in einem Gesetz enthaltene Generalklausel auf den Rechtskreis des einzelnen erst dann wirklich ein, wenn sie durch eine Verordnung konkretisiert wird; wenn dort, wie im technischen Umweltrecht üblich, beispielsweise ein Grenzwert festgelegt ist. 19 Erst während einer nachträglichen behördlichen oder gerichtlichen Kontrolle verändert sich diese Blickrichtung wieder, und die gesetzliche Steuerung bekommt Bedeutung, denn dann muß festgestellt werden, ob die Regelungen der Verordnung von der Ermächtigung des Gesetzes urnfaßt sind. Die Rechtsform der Verordnung hat eine doppelte ,,Zwitterstellung": Dies betrifft einmal ihre Stellung in der Hierarchie der Rechtsquellen und zum anderen ihre Mittlungsposition zwischen den abstrakten Regelungen eines Gesetzes und der Detailliertheit von privaten Normen.20 Verordnungsgebung ist außerdem rechtsdogmatisch am Schnittpunkt der Kreise des Verfassungs- und des VerwalZahlen bis 1990 bei Schneider, Gesetzgebung, 2. Aufl. 1991 , Rn. !56. Für Großbritannien Beutler, DÖV 1975, 85; flir Frankreich und Italien Schneider, Gesetzgebung, 2. Aufl. 1991 , Rn. 233-235; generell OECD, Govemance in Transition, 1995, 67-72. 17 SRU, Umweltgutachten 1996, Tz. 735. 18 Lübbe-Woljf, ZfG 1991,219,239. 19 Die Rechtsquellen hoheitlicher Umweltstandards sind zu 6% Gesetze, zu 74% Verordnungen und zu 20% Verwaltungsvorschriften; 73 von !54 Umweltstandards (= 47%) sind in nichthoheitlichen Listen enthalten, SRU, Umweltgutachten 1996, Tz. 748. 20 Dazu siehe unten, I . Teil, B. I. 4. 15
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Einleitung
tungsrechts angesiedelt. Je nach Forschungsinteresse kann man sie dem einen oder dem anderen Rechtsgebiet zuordnen. Diese Unsicherheit in der rechtlichen Verortung mag die Ursache dafür sein, daß angesichts der Bedeutung der Rechtsverordnungen in der Rechtspraxis in Deutschland die rechtswissenschaftliche Literatur, die sich mit Verordnungen beschäftigt, nicht sehr umfangreich ist.21 Es wird noch immer ein Entwicklungsrückstand der normativen Handlungsformen beklagt.22 In Kanada haben sich zwei rechtswissenschaftliche Monographien ausführlich mit Delegated 23 bzw. Executive Legislation24 beschäftigt, und auch in der sozialwissenschaftlichen Literatur ist das Phänomen der Regulations verstärkt untersucht worden.25 Dabei wird der Begriff Regulation oft unjuristisch und weiter gefaßt als der deutsche Begriff der Rechtsverordnung.26 Regulation interessiert in Nordamerika nicht nur speziell als Handlungsform, sondern insbesondere als ein mögliches staatliches Steuerungsinstrument in Abgrenzung zu fmanziellen Instrumenten. Ausgangspunkt der Werke der sogenannten Regulation Theory ist zumeist eine Analyse der wirtschaftlichen Auswirkungen von Regulations, die der sogenannten "Standortdiskussion" in Deutschland sehr ähnlich ist. Man befürchtet, daß durch zu viele staatliche Normen- insbesondere im Arbeits- oder Umweltschutzbereich - die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Industrie verloren gehen bzw. beeinträchtigt werden könnte und daß Regulations Umweltschutzprobieme volkswirtschaftlich nicht effizient lösen. Des weiteren hat die Regulation Theory Lehrsätze zum Verhalten von Bürokratien entwickelt, die regulatives Recht setzen. 27 Die Frage der Mitwirkung und 21 Zu einzelnen Aspekten siehe Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, 1986, v. Danwitz, Die Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers, 1989, Busch, Das Verhältnis von Art. 80 Abs. I Satz 2 GG zum Gesetzes- und Parlamentsvorbehalt, 1992. 22 Hoffmann-Riem, AöR 115 (1990), 400, 435; Schmidt-Aßmann, DVBI 1989, 533, 535. Unter Berufung auf letzteren auch König, VR 1990, 401, 406. 23 Holland/McGowan, Delegated Legislation in Canada, 1989. 24 Keyes, Executive Legislation, 1992. 25 Stanbury (Hg.), Govemment Regulation, 1980; Bernier/Lajoie (Hg.), Regulations, Crown Corporations and Administrative Tribunals, 1985; Überblick über kanadische Literatur zu "Regulations", Bryden, 16 Queen's Law Journal (1991), 7, 9 Fn. 11-15. 26 Macdonald, in: Regulations, Crown Corporations and Administrative Tribunals, 1985, 81, 82; Francis, The Politics of Regulation, 1993, 5; Weiler, 8 Canadian Journal of Administrative Law and Practice (1995), 101, 104/105; vgl. OECD, Govemment in Transition, 1995, 149. 27 Das bekannteste Stichwort ist das der "Agency Capture", daß nämlich die Verwaltungsangehörigen wegen personeller Verquickung mit Interessen der von ihnen kontrollierten Industrie diesen mehr zur Durchsetzung verhelfen als dem öffentlichen Interesse, Emond, 13 Osgoode Hall Law Journal (1975), 783, 802; Englehart/ Trebilcock, Public Participation in the Regulatory Process: The Issue ofFunding, 1981 , 14; Anand/Scott, 60 Canadian Bar Review (1982), 81, 91192; König/Dose, Klassifizierungsansätze staatlicher
A. Thema der Arbeit
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Beteiligung von Verbänden und Interessengruppen an der N ormsetzung ist dabei von großer Bedeutung. Offenheit des Verfahrens und Mitwirkung von möglichst verschiedenen Interessengruppen werden als Mittel gesehen, die klientelorientierte Vereinnahmung einer Behörde zu verhindern. 28 Untersuchungen über regulatives Recht, seine Alternativen und Auswirkungen werden in den USA zum Teil ganz eindeutig als politische Stellungnahmen erstellt und verwendet, während dies in Kanada nur in abgemilderter Form geschieht. Regulations sind in Kanada noch nicht zum ideologischen "Schlachtfeld" geworden, wie in den USA, obwohl es diesbezügliche Bestrebungen gibt.29 Eine der Regulation Theory vergleichbare Forschung an der Schnittstelle von Rechtswissenschaft, Volkswirtschaft, Soziologie und Politologie gibt es in Deutschland nicht. Die Fachdisziplinen arbeiten meist in voneinander unabhängigen Kategorien. 30 Einige wenige amerikanische und englische Studien31 sind zur Fragestellung der Regulations in Deutschland erstellt worden, die auch für diese Untersuchung verwendet werden. Ziel der Arbeit ist es, unter Einbeziehung der nordamerikanischen Diskussion einen Beitrag zur Untersuchung der deutschen Rechtsform der Rechtsverordnung auf dem Gebiete des Umweltrechts zu leisten. II. Umweltrecht
Umweltrecht ist ein vergleichsweise neues Rechtsgebiet, entstanden durch den Problemdruck und den Handlungsbedarf, den die fortschreitende Industria-
Handlungsformen, 1989, 53; Paehlke, in: Environmental Policy in the 1990s, 1990,352, 362; Dyson, in: The Politics of German Regulation, 1992, 1, 22; Elgie, in: Law and Process in Environmental Management, 1993, 196, 213. Zu den verschiedenen F orschungsrichtungen der Regulation Theory sieheFrancis, The Politics ofRegulation, 1993, 7-10. 28 Emond, 13 Osgoode Hall Law Journal (1975), 783, 803; Brickman u.a., Controlling Chemicals, 1985,90 m.w.N.; Bryden, 16 Queen's Law Journal (1991), 7, 12. 29 Siehe z.B. den Aufsatz von Stanbury!Thompson, 20 Osgoode Hall Law Journal (1982), 678. Campbel/, in: Breaking the Shackles: Deregulating Canadian Industry, 1991, 1, 3-5, ist der Ansicht, daß Kanada gegenüber den USA auf dem Gebiet der Regulatory Reform die fuhrende Rolle zukommt. 30 Überblick über rechts-, wirtschafts-und politikwissenschaftliche, soziologische und rechtssoziologische, staats- und verwaltungswissenschaftliche Klassifikationen staatlichen Handels bei König/Dose, Klassifizierungsansätze staatlicher Handlungsformen, 1989; dies. in: Instrumente und Formen staatlichen Handelns, 1993, 3-150; zur 'schwer faßbaren Interdisziplinarität', Lenk, in: Regieren und Politikberatung, 1994, 31, 35-3 7. 31 Brickman u.a., Controlling Chernicals, 1985; Weale u.a., Controlling Pollution in the Round, 1991; Dyson (Hg.), The Politics of German Regulation, 1992; Rose-Ackerman, Umweltrecht, 1995.
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Einleitung
lisierung und die damit einhergehenden Umweltprobleme hervorgerufen haben. 32 Inzwischen hat sich dieses Rechtsgebiet, das zum überwiegenden Teil dem Besonderen Verwaltungsrecht zuzurechnen ist, sehr ausdifferenziert und eine rege Forschungstätigkeit ausgelöst. Festzustellen ist, daß das Umweltrecht eine Art Vorreiterrolle auf dem Gebiet des Verwaltungsrechts übernommen hat, insbesondere bezüglich neuer Handlungsformen und Prinzipien.33 Es wird schon von "ökologisch orientiertem Recht"34 gesprochen. Das Thema des Umweltschutzes ist von übergreifender Bedeutung und erfordert Umstrukturierungen in vielen Gebieten des Rechtsstaates, wenn es wirksames Recht sein soll. 3S In dem für diese Arbeit interessierenden Zusammenhang ist dies insbesondere hinsichtlich der Vorschriften der Fall, die die "Anhörung der beteiligten Kreise" vor dem Erlaß von Rechtsverordnungen zum Inhalt haben. Diese Regelung, die zum ersten Mal in der Gewerbeordnung verwendet wurde, wurde in das Bundesimmissionsschutz-Gesetz übernommen, und fand ihren Weg dann auch in andere Umweltgesetze.36 Sie gilt als Ausgestaltung des im Umweltrecht geltenden Kooperationsprinzips. 37 Der Grund dafür, daß auf dem Gebiet des Umweltrechts die Beteiligung von Betroffenen schon immer eine große Rolle spielte, liegt zum einen in der Entstehung dieses Rechtsgebiets aus dem technischen Sicherheitsrecht Ohne Einbeziehung der mit den technischen Geräten arbeitenden Anwender ist die staatliche Erarbeitung von Normen auf diesem Gebiet kaum möglich. Zudem stellt die Reglementierung von technischen Anlagen für den Eigentümer auch immer einen Eingriff in seine Freiheit und sein Eigentum dar. Rechtsstaatliche Grundsätze erfordern also zumindest seine Anhörung zu Entscheidungen.38 Zum anderen 32 Umweltpolitik wird erst seit 1969/1970 als selbständige politische Aufgabe verstanden, Hartkopf/Bohne, Umweltpolitik I, 1983, 84. 33 Kloepfer, Zur Rechtsumbildung durch Umweltschutz, 1990, 51; ders., JZ 1991, 73 7. 34 So der Titel eines Aufsatzes von Hoffmann-Riem, AöR 119 ( 1994), 590. Von der "Ökologisierung des Rechtsstaats" sprechen auch Bora, Zeitschrift fur Rechtsoziologie 1994, 126, 128; Kloepfer, DVBl 1996, 73, 80; Begriffwohl zuerst von Bosse/mann, KJ 1985, 345, 347. 3S Rose-Ackerman, Umweltrecht, 1995, 234; Uebersohn, Effektive Umweltpolitik, 1990, 50-52. Auch Konzepte politischer Modemisierung sind stark von der Umweltproblematik geprägt, Jänicke, Österreichische Zeitschrift fur Politikwissenschaft 1992, 433, 435; ders., ZfU 1993, 159, 163/164. 36 § 16 Abfallgesetz; § 60 KrW-/AbfG, § 17 ChemG; vgl. Denninger, Normsetzung, 1990, 54-57. Beispiele aus dem Gebiet des Wirtschaftsrechts bei Semar, Mitwirkung, 1969,42-48 und 52-57. 37 Lamb, Kooperative Gesetzeskonkretisierung, 176; Grüter, Umweltrecht und Kooperationsprinzip, 1990, 20/21, zu unterschiedlichen Kooperationsformen. 38 Aus diesem Grund fur sachgerechte und transparente Findungs- und Entscheidungsprozesse fur Umweltstandards, AGU, Umweltstandards, Das Umweltgespräch Nr. 29, 1986,2.
A. Thema der Arbeit
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kommt in jüngster Zeit die Tatsache hinzu, daß Umweltschutz eine Angelegenheit ist, über deren Verwirklichung und praktische Durchsetzung große Interessengegensätze herrschen. 39 Die unterschiedlichen, häufig gegensätzlichen, Interessen von Wirtschaft und Umweltschutz, zwischen Arbeitsplätzen in einer exportabhängigen Industrie und gesunden und sauberen Lebensverhältnissen, müssen in politischen und rechtlichen Verfahren ausgetragen werden. Die Anhörung der beteiligten Kreise vor der Verordnungsgebung ist ein Beispiel für ein solches Verfahren. Wenn man den ersten Aspekt dieser Arbeit (Verordnungen) mit dem zweiten (Umweltrecht) verknüpft, dann ist festzustellen, daß Umweltrecht in einem großem Maße Verordnungsrecht ist. Indem das Thema der Rechtsverordnungen auf ein Rechtsgebiet beschränkt wird,40 ist die Wahrscheinlichkeit, allgemeine Strukturen und gültige dogmatische Regeln herausarbeiten zu können, größer, als wenn das Thema ohne inhaltliche Begrenzung untersucht wird.
Iß. Rechtsvergleich mit Kanada Die Verbindung zum dritten Aspekt der Arbeit (Kanada) ergibt sich einmal daraus, daß die rechtliche und tatsächliche Situation hinsichtlich der Verwendung von exekutiven Normen auf dem Gebiet des Umweltrechts in den meisten industrialisierten Ländern sehr ähnlich ist. 41 Auch aus weiteren Gründen erscheint Kanada als hier geeignetes Vergleichsland. 42 Kanada gehört, als in Teilen ehemalige britische Kolonie, jetzt zum Commonwealth und das kanadische Rechtssystem ist, mit Ausnahme der französich beeinflußten Provinz Quebec, ein sogenanntes anglo-amerikanisches. Kanada ist wahrscheinlich das Land der Welt, auf das diese Bezeichnung am genauesten zutrifft, denn neben den historischen englischen Einflüssen ist es nunmehr durch das US-
Zeitschrift ftir Rechtssoziologie I994, I, 23. Eine Einschränkung auf das Rechtsgebiet des Schulrechts hat Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, I986, vorgenommen. Semar, Mitwirkung, I969, beschränkt sich auf das Wirtschaftsrecht 41 Umweltschutz gilt generell als lohnendes Gebiet für Rechtsvergleichung Bothe, ZaöRVR 1972, 482, 513; Brandl/Bungert, I6 Harvard Environmental Law Report ( 1992), I, 6. 42 Zur Auswahl eines geeigneten Vergleichslandes Constantinesco, Rechtsvergleichung, Bd. 2, I972, 31. Die Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Umweltschutzes zwischen Deutschland und Kanada wird durch zwischenstaatliche Abkommen unterstützt. Es besteht ein Regierungsabkommen zur Zusammenarbeit in Angelegenheiten von Wissenschaft und Technologie vom 16. April1971; BGB11972 II, 566, bzw. Canadian Treaty Series 1971, Nr. 52; und ein Verwaltungsabkommen zwischen denjeweiligen Bundesumweltministerien vom 17. September l990;abgedrucktin Umwelt ll/1990, 525-526. 39 Röhl,
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28
Einleitung
amerikanische43 Recht beeinflußt. Der Einfluß Frankreichs auf das politischadministrative System Kanadas ist dagegen minimal. 44 Die Mischung dieser Einflüsse macht Kanada als Objekt in der Rechtsvergleichung besonders interessant. Eine Untersuchung des kanadischen Rechtssystems ermöglicht es, quasi gleichzeitig eine Form der Rezeption von in den USA entwickelten Rechtssätzen mitzuuntersuchen. Trotz des starken US-amerikanischen Einflusses übernimmt Kanada die dortigen Entwicklungen nicht blind. Es rezipiert vielmehr diesen Einfluß, und verwandelt es unter Einbeziehung der eigenen englischen und französischen Rechtstraditionen in etwas Neues. Gerade die Gerichtsgeprägtheit des US-amerikanischen Verwaltungsrechts versucht Kanada durch von der Regierung initiierte konsensuale Beteiligungsverfahren zu umgehen. So steht Kanada in Bereichen des öffentlichen Rechts zum Teil skandinavischen oder anderen kontinentaleuropäischen Traditionen näher,45 und bildet ein Deutschland verwandteres System als die USA, die z.B. durch das Präsidialsystem und die spezifische Aufteilung des Kongresses in Repräsentantenhaus und Senat eine sehr andere Struktur des öffentlichen Rechts entwickelt haben.46 Auch Deutschland wird in seiner Rechtsentwicklung von den USA beeinflußt; der Austausch zwischen diesen beiden Ländern ist sehr rege.47 Eine Untersuchung von Rechtsphänomenen in Kanada ermöglicht neben ihrem Eigenwerr'8 auch eine
43 Chapin/Deneau, Citizen Involvement, 1978, 1 und 34; Bothe, Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart 35 (1986), 267, 329; zur Position Kanadas zwischen der Englands und der USA Sewell/O'Riordan, 16 Natural Resources Journal (1976), 1; flir tendenziell näher an den USA als an England hält Bryden, 16 Queen's Law Journal (1991), 7, 8 das kanadische Verwaltungsrecht; zum Einfluß des amerikanischen Rechts auf dem Gebiet des Wirtschaftsrechts Ziegel/Brierley, in: International Encyclopedia of Comparative Law, Bd. I, 1979, C-20; konkrete Fallbeispiele flir amerikanischen Einfluß im Umweltrecht bei Lucas, 16 Natural Resources Journal (1976), 73, 96; Hoberg, 11 Journal of Public Policy (1991), 107-13; ders., in: Canadian Environmental Policy, 1992, 246, 261. 44 Schultze, Das politische System Kanadas im Strukturvergleich, 1985, 14. 45 Bothe, Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart 35 (1986), 267, 330; Bryden, 16 Queen's Law Journal (1991), 7, 23. 46 Jarass, Natur und Recht 1993, 49, 54; Giebeler, Verfahren und Maßstäbe, 1991, 139-142, zu den Unterschieden zwischen Deutschland und den USA. Gerade das 'regulatory system' der USA unterscheidet sich grundlegend von dem anderer Länder, Vogel, National Styles ofRegulation, 1986, 267; Hoberg, Pluralisrn by Design, 1992, 9. 47 Der Begriff 'Umweltschutz' ist laut Müller, Innenwelt der Umweltpolitik, 1986, 55, eine Übersetzung aus dem amerikanischen Englisch. Zu amerikanischen Einflüssen in bezug auf (De-) Regulation, Lehmbruch, in: The Politics of German Regulation, 1992, 29, 31/32; Weale, in: The Politics of German Regulation, 1992, 159, 165/166. 48 Eichenhofer, Sozialrecht Kanadas, 1984, 23, zum Wert auslandsrechtlicher Darstellungen flir die nationale Rechtsdogmatik
A. Thema der Arbeit
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erste Einschätzung dessen, was US-amerikanische Rechtsfiguren bei Transformation in ein anderes Rechtssystem zu leisten in der Lage sind. 49 Eine weitere Gemeinsamkeit von Kanada und der Bundesrepublik Deutschland besteht in der Organisation als föderaler Staat. Die föderale Organisation hat auf dem Gebiet der Umweltschutz-Verordnungsgebung zur Folge, daß neben einer Beteiligung außerstaatlicher Stellen die Mitwirkung verschiedener Ebenen des Staates notwendig ist. Diese Parallelität in der Staatsorganisation Deutschlands und Kanadas läßt vermuten, daß die gefundenen Ergebnisse übertragbar sind. In deutschen Publikationen (nicht unbedingt in deutscher Sprache) veröffentlichte Abhandlungen über kanadisches öffentliches Recht betreffen (fast) ausschließlich Verfassungsrechts0, insbesondere die Canadian Charter ofRights and Freedoms (Charte canadienne des droits et libertes) von 1982.s1 Rechtswissenschaftliche Werke über Gebiete des kanadischen Verwaltungsrechts sind in Deutschland kaum zugänglich.52 Eine Darstellung des kanadischen Umweltrechts ist in Deutschland zwar in Grundzügen erfolgt,s3 jedoch wurde bislang dem Ver-. fahren der Verordnungsgebung dabei keine Beachtung geschenkt. Zwar will und kann diese Untersuchung nicht das gesamte kanadische Umweltrecht erläutern, jedoch wird es nötig sein, zur Einfiihrung in die Thematik wichtige Strukturelemente der kanadischen Regelungen aufzuzeigen.
49 So können die Forderungen von Rose-Ackerman, Umweltrecht, 1995, 268, nach Übernahme von Regelungen des OS-amerikanischen Verwaltungsrechts sinnvoll konkretisiert werden. so McWhinney, Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart 6 (1957), 35-46; ders., Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart 8 (1959), 435-441; Hobe, Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart 42 (1994), 595; Lane/Malanczuk, Der Staat 1981, 539, zur Vorgeschichte der Charter. SI McWhinney, Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart 32 (1983), 625-631; Bothe, Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart 35 (1986), 267-333; v. Simson, in: FS ftir Wolfgang Zeidler, 1987, 363-370; Weber, Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart 37 (1988), 597-620; der Text der Charter ist als Anhang zu der auslandsrechtlichen Untersuchung von Zimmermann, Kanadische Verfassungsinstitutionen im Wandel, 1992, 186-208, abgedruckt. Sl Knapp zu Verwaltungsverfahren und Rechtschutzsystem in der Provinz Ontario, Strauß, VwBIBW 1989, 394-396. SJ Bothe/Gündling, Neuere Tendenzen des Umweltrechts im internationalen Vergleich, 1990, 58-73; Kloepfer/Mast, Das Umweltrecht des Auslandes, 1994, 241-253; Müller, in: HdUR, 2. Aufl. 1994, Sp. 1227-1234. Spreng, Umweltrecht Kanadas, 1988, ist rein strafrechtlich orientiert und die in ihrer Untersuchung zugrunde gelegten Urnweltgesetze sind inzwischen zum Teil durch neue Kodifikationen ersetzt worden.
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IV. Beteiligung Diese Arbeit will einen Beitrag zur dogmatischen Durchdringung der Handlungsform der Rechtsverordnung leisten. Als Untersuchungsgegenstand ist der Aspekt der Beteiligung gewählt worden. Eine Beschränkung auf die Mitwirkung bestimmter staatlicher Institutionen (Bundestag54 und seine Ausschüsse, Bundesrat)55 oder nur die Beteiligung außerstaatlicher Stellen56 soll nicht erfolgen. Erst wenn man die verschiedenartigen Mitwirkungs- und Beteiligungsformen an der Umweltschutz-Verordnungsgebung in ihrer Gesamtheit darstellt, lassen sich inner-administrative Informationsstrukturen vollständig erkennen und wie in Kanada durch "Schaltentscheidungen"57 untergliedern. Manchen Beteiligungsformen wird eine kompensatorische Wirkung fiir den Grad der Bestimmtheit von Ermächtigungen oder fiir bestehende legitimatorische Defizite58 nachgesagt und die Zusammenschau soll dies überprüfen. Im Bereich des Umweltschutzes fmden sich die Vorschriften, die eine Beteiligung an der Verordnungsgebung vorschreiben nicht nur in Geschäftsordnungsregeln, sondern auch in den Gesetzen, die zur Verordnungsgebung selber ermächtigen. Rechtlich ist dabei unbestritten, daß Beteiligung (bis auf wenige Ausnahmefälle) immer nur im Vorfeld einer Entscheidung erfolgen darf. 59 Mitentscheidungskompetenzen dürfen gerade außerstaatlichen Gruppen nicht eingeräumt werden, um nicht die verfassungsrechtliche Kompetenzordnung und die Grundsätze der Gemeinwohlorientiertheit und der Verantwortung der Regierung auszuhöhlen. 60 Tatsächlich hat aber die Beteiligung im Vorfeld einer
54 So z.B. die Aufsätze von Konzak,DVBl 1994, 1107; Jekewitz, NVwZ 1994, 956 und Studenroth, DÖV 1995, 525; dazu siehe unten, 2. Teil, B. V. 55 Hüser, Die Mitwirkung der gesetzgebenden Körperschaften an dem Erlaß von Rechtsverordnungen, 1978; Riese, Der Maßgabebeschluß des Bundesrates bei der Zustimmung zu Rechtsverordnungen, 1992. 56 Conradi, Die Mitwirkung außerstaatlicher Stellen beim Erlaß von Rechtsverordnungen, 1962. 57 Schmidt-Aßmann, DVB11989, 533,536. 58 Dazu Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, 1986, 303; SchulzeFielitz, in: Parlamentarische Souveränität und technische Entwicklung, 1986, 71, 118; Kloepfer u.a., Umweltgesetzbuch- Allgemeiner Teil, 1991, 463/464; Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991 ), 329, 367; Bora, Zeitschrift ftir Rechtssoziologie 1994, 126, 138. 59 Schröder, Gesetzgebung und Verbände, 1976, 102 und 105; O'Riordan, 16 Natural Resources Journal (1976), 55, 70/71; Schmitt Glaeser, in: Verfahren als staats- und verwaltungsrechtliche Kategorie, 1984, 35, 62; Denninger, Normsetzung, 1990, 178; Gaßner u.a., Mediation, 1992, 21 und 67; Hili, DVBI 1993, 973, 978. 60 Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), 329, 355; vgl. Kunig, in: Konfliktbewältigung durch Verhandlungen, Bd.l, 1990,43,63.
A. Thema der Arbeit
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Entscheidung Auswirkungen auf die später getroffene Entscheidung.61 Man muß nicht Anhänger der Theorie des Agency Capture sein, um dies festzustellen; auch wird der Zweck der Informationsbeschaffung als Ziel der Beteiligung immer zuerst genannt. Die im Rahmen der Beteiligung gewonnenen Informationen sollen in die zu treffende Entscheidung einfließen.62 Über die Auswirkungen von Beteiligung bzw. Einflußnahme können allerdings in einer so allgemein konzipierten Studie wie dieser nur allgemeine Einschätzungen abgegeben werden.63 Konkrete Aussagen dazu wären allein in begrenzten Einzelfallstudien möglich.64 So wird diese Arbeit versuchen, zwischen der Skylla der Pauschalisierung und der Charbybdis der anscheinend unwesentlichen Einzelheiten hindurchzusteuem. Die im Zweiten Teil der Arbeit beschriebenen Institutionen und Verfahren sind in ihren Einzelheiten in zweifacher Hinsicht von Interesse. Zum einen soll dargestellt werden, wie untergesetzliche Normen konkret durch sie entwickelt werden; zum anderen bilden auch die Zusammensetzung und Arbeitsweise von Gremien, die nur entfernt mit exekutiver Normsetzung befaßt sind, den 'verwaltungskulturellen' Hintergrund fürVerfahren der Verordnungsgebung. In die Analyse von 'Beteiligung an der Umweltschutz-Verordnungsgebung' soll gerade auch die (deutsche) rechtswissenschaftliche Literatur einbezogen werden, die versucht, das Verwaltungsverfahren zu reformieren, um es integrativer,65 kooperativer66 oder reflexiver67 zu machen, und dadurch die Akzeptanz 61 Krüger, NJW 1966, 617; Brohm, in: HStR II, 1987, § 36, Rn. 31; Ritter, in: Wachsende Staatsaufgaben-sinkende Steuerungsfähigkeit des Rechts, 1990, 69, 74; Gusy, in: Konfliktbewältigung durch Verhandlungen, Bd. 2, 1990, 109, 113; Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), 329, 373; Kloepfer u.a., Umweltgesetzbuch- Allgemeiner Teil, 1991, 438; Lamb, Kooperative Gesetzeskonkretisierung, 1995, 24. Grüter, Umweltrecht und Kooperationsprinzip in der Bundesrepublik Deutschland, 1990, 20/21 , trennt deswegen je nach Intensität der Einflußnahme nach partizipativer und aufgabenzuweisender Kooperation; zu diesen Begriffen auch Lamb, Kooperative Gesetzeskonkretisierung, 1995, 179. 62 Henning, in: Regieren und Politikberatung, 1994, 59, 69: "Information ist Einflußnahme." 63 Zu den methodischen Problemen einer Untersuchung von Einflußnahme siehe Adam, Der Einfluß der Industrie- und Handelskammern auf politische Entscheidungsprozesse, 1979, 49-56; Hoberg, Pluralism by Design, 1992, 13, der 'agenda setting' als Kriterium ftir Einflußnahme verwendet, d.h. inwieweit Akteure den von ihnen beeinflußten Institutionen ihre 'Tagesordnung' aufzwingen können; vgl. Murswieck, in: Regieren und Politikberatung, 1994, 103, 106. 64 Auch im Falle von Fallstudien bestehen Schwierigkeiten, Konkretes über Einflußnahme herauszufinden, Mayntz, Politische Planung und demokratische Beteiligung, 1971, 14; Timm, Die wissenschaftliche Beratung der Umweltpolitk, 1989,99. 65 Hili, DVBl 1993, 973, zu Funktionen und Vorteilen des integrativen Verwaltungshande1ns, DVBl 1993, 976.
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Einleitung
von Entscheidungen68 und die Verfahrensgerechtigkeit69 zu erhöhen. Ausgangsthese der Arbeit ist, daß die auch in Deutschland erhobenen Forderungen nach einer verfahrensrechtlichen Ordnung der Beteiligungsverfahren der exekutiven Normsetzung in den in Kanada praktizierten Verfahren der UmweltschutzVerordnungsgebung zu einem guten Teil schon verwirklicht sind.70 Allerdings kann man an dem kanadischen Beispiel auch einige "Nebenwirkungen" studieren, die es vor einer etwaigen Übernahme der kanadischen Verfahren nach Deutschland sorgfältig zu ptüfen gilt. Dabei will diese Arbeit ausschließlich den Verfahrensablauf im Sinne von Steuerung/1 und nicht speziell mögliche Verfahrensfehler untersuchen.72 Die gerichtliche Kontrolle von Verfahren der Verordnungsgebung ist in beiden Ländern äußerst selten und kann auch dann erst an Bedeutung gewinnen, wenn ein kontrollierbares Verfahren existiert.73 Sinn einer Schwerpunktsetzung auf den Verfahrensverlauf ist zudem die Überlegung, daß in besser gestalteten Verfahren auch eine bessere inhaltliche Entscheidung getroffen wird;74 d.h. wirksameres Recht gesetzt wird und somit ein besserer Schutz der Umwelt erreicht wird.
B. Gang der Untersuchung Ziel der Arbeit ist es, die Beteiligung am Verfahren der UmweltschutzVerordnungsgebung in Deutschland zu untersuchen. Die gewählte Methode ist 66 Schulze-Fielitz, DVBl 1994, 657, Normsetzung wird in dem Beitrag allerdings ausgeklammert, DVBl 1994., 661. Auch Lamb, Kooperative Gesetzeskonkretisierung, 1995,24, klammert informelle Vorklärungen bei der Verordnungsgebung aus. 67 Pitschas, DÖV 1989, 785, 795. 68 Württemberger, NJW 1991, 257; Kloepfer, DVBI1996, 964, 975. 69 Röhl, Zeitschrift ftir Rechtssoziologie 1993, 1. 70 Im angelsächsischen Rechtsdenken wird der Verfahrensgedanke schon seit jeher höher bewertet, Hoffmann-Riem, AöR 119 (1994), 590, 591; Röh/, Zeitschrift flir Rechtssoziologie 1993, 1, 14; Beispiel flir das deutsche Unterschätzen von Verfahrensgestaltungen Giebeler, Verfahren und Maßstäbe, 1991,46 und 52. 71 Hoffmann-Riem, AöR 115 (1990), 400,406. 72 Davis, Discretionary Justice, 1976, 201, weist daraufhin, daß in Europa weit mehr als in Amerika der Schwerpunkt rechtswissenschaftlicher Untersuchungen auf der Gerichtskontrolle liegt, obwohl nur ein Bruchteil allen Verwaltungshandeins jemals von einem Gericht zu beurteilen ist. Zu den Vorwirkungen einer potentiellen Gerichtskontrolle Hoffmann-Riem, AöR 115 (1990), 400, 407-409, und ihren Grenzen AöR 115 (1990), 409-412; vgl. Wolf, Der Stand der Technik, 1986, 363/364. 73 Denninger, Normsetzung, 1990, 31, verbindet mit der Verbesserung von Normsetzungsverfahren auch die Hoffnung auf Entlastung der Gerichte. 74 Schmidt-Aßmann, Jura 1979, 505, 506; Schmitt Glaeser, in: Verfahren als staatsund verwaltungsrechtliche Kategorie, 1984, 35, 39; Müller, Innenwelt der Umweltpolitik, 1986, 3; Kennett, in: Law and Process in Environmental Management, 1993, 1, II.
B. Gang der Untersuchung
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die der Rechtsvergleichung mit Kanada, um durch die Gegenüberstellung mit den Regelungen und der Praxis in einem anderen Staat Erkenntnisse fiir das eigene System zu gewinnen7s und dadurch Alternativen zu entwickeln.76 Im ersten Teil der Arbeit werden zunächst die Umweltschutz-Verordnungen in ihr rechtliches Umfeld eingeordnet und auch Entwicklungen und Tendenzen auf diesem Gebiet beschrieben. Danach werden die in diesem Zusammenhang wichtigen Begriffe der unterschiedlichen Normenarten geklärt, das Institut der Rechtsverordnung von anderen abstrakt-generellen Regelungen abgegrenzt und seine Funktion näher bestimmt. Ebenso geht es um die Klärung der Begriffe von Mitwirkung und Beteiligung und deren Funktionen im Verfahren der Verordnungsgebung. Im letzten Abschnitt werden die bestehenden verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Verordnungsgebung und die geltenden Verfahrensregelungen fiir den Erlaß von Verordnungen in beiden Ländern untersucht. Der zweite Teil der Arbeit ist der Untersuchung der Mitwirkung und Beteiligung an der Umweltschutz-Verordnungsgebung gewidmet. Dabei beschäftigt sich der erste Abschnitt mit Kanada und der zweite mit Deutschland. Die Trennung nach Ländern ist notwendig, um das jeweilige System zusammenhängend darstellen zu können. Die verschiedenen mitwirkenden und zu beteiligenden Gremien und die Verfahren der Beteiligung bilden die Gliederungsstruktur der Abschnitte. Wegen der Bedeutung des US-amerikanischen Einflusses auf das kanadische Recht wird in einem Exkurs auf die Umweltschutz-Verordnungsgebung in den USA eingegangen. Im dritten Abschnitt werden Aspekte erörtert, die die festgestellten Unterschiede hinsichtlich von Mitwirkung und Beteiligung an der Umweltschutz-Verordnungsgebung in den beiden Ländern erklären können. Im dritten Teil werden Folgerungen fiir eine Umgestaltung des Verfahrens der Umweltschutz-Verordnungsgebung in Deutschland gezogen. Der erste Abschnitt enthält theoretische Erwägungen zu der Frage, ob eine gesetzliche Verfahrensregelung in Deutschland notwendig und zulässig ist. Die verfassungsrechtliche Gebotenheit eines entsprechenden Verfahrensrechts wird erörtert. Im zweiten Abschnitt wird eine Strukturierung des Verfahrens der Umweltschutz-Verordnungsgebung vorgeschlagen, die erweiterte Beteiligungsformen vorsieht und die eine angemessene verfahrensmäßige Bindung dieser Handlungsform ermöglichensoll. 75 Rechtsvergleichung schärft "den Blick für die Mängel und Schwächen nationaler Rechtsinstitute", Constantinesco, Rechtsvergleichung, Bd. 2, 1972, 336; zum Nutzen der Rechtsvergleichung auf dem Gebiet des Umweltschutzes Bothe, ZaöRV 1972, 483, 511; Bohne, Politics and Markets in Environmental Protection, 1988, 12/13; Peh/e, in: Umwe1tpolitik als Modemisierungsprozeß, 1993, 113, 114/115; zum Verfahren des Lesson Drawing, Rose, 11 Journal ofPublic Policy (1991), 3, 7. 76 Schulze-Fielitz, Theorie und Praxis parlamentarischer Gesetzgebung, 1988, 487; vgl. Rehbinder, Natur und Recht 1994, 313, 319. 3 Frankeoberger
Erster Teil
Charakteristika der Umweltschutz-Verordnungsgebung in Deutschland und in Kanada A. Umweltschutz-Verordnungen Um die Bedeutung der Verordnungsgebung fiir den Bereich des Umweltrechts zu verstehen, ist es notwendig, Grundstrukturen des Umweltrechts unter dem Aspekt der Verwendung von Verordnungen in aller Kürze nachzuzeichnen.
In beiden Ländern ist die Zuständigkeit fiir den Erlaß von Umweltgesetzen zwischen Bund und Ländern bzw. Provinzen aufgeteilt. Es gibt aber in keiner der beiden Verfassungsurkunden eine spezielle Norm, die die Zuständigkeit fiir den Umweltschutz insgesamt regelt, 1 sondern die Aufteilung wird durch Auslegung und Zusammenschau der verfassungsrechtlichen Zuständigkeitsnormen ermittelt. Diese werden unter I. dargestellt. Da sich diese Arbeit nur mit Verordnungen des Bundes beschäftigt,2 bleiben diejenigen Rechtsgebiete, die in den Verantwortungsbereich der Länder bzw. den der Provinzen fallen, im folgenden außer Betracht. 3 Auch Landesverordnungen aufgrund von Bundesgesetzen, die in Deutschland möglich sind,4 werden im weiteren Fortgang der Arbeit nicht erörtert. 1 Cotton/McCinn.on, in: Environmental Law and Business in Canada, 1993, 54, begründen dies für Kanada damit, daß sich der Begriff der "Umwelt" schwer definieren lasse, und daß Umweltschutzangelegenheiten bei der Verfassungsgebung im Jahre 1867 auch nicht als eigenes Zuständigkeitsgebiet anerkannt waren. Begriffsdefinitionen flir 'Umwelt', v. Lersner, in: HdUR, 2. Aufl. 1994, Sp. 2107-2112; zu Funktion, Eigenart und Möglichkeiten der Einteilung des Umweltrechts,Benderu.a., Umweltrecht, 3. Aufl. 1995, 1-24. 2 Diese Einschränkung erfolgt aus Praktikabilitätsgründen, da eine Bearbeitung selbst einer Auswahl der sechzehn Landesrechte in Deutschland und der Rechte der zehn Provinzen und zwei Territorien in Kanada den Rahmen der Arbeit sprengen würde. 3 In Kanada sind die Provinzen flir Angelegenheiten der Bodenordnung und seit 1982 auch flir Bodenschätze und andere Naturrohstoffe zuständig. Eine Ausnahme ist die Kernenergie, die seit 1946 durch den Atomic Energy Contra! Act, R.S.C. 1985, c. A-6, unter Bundesverwaltung durch das Atomic Energy Contra! Board gestellt wurde. Wegen der unterschiedlichen Verwaltungsform auf dem Gebiet des Kemenergierechts, bleibt dieses Rechtsgebiet im folgenden unerörtert. Übersicht zu den Zuständigkeiten des Bundes und der Provinzen im Umweltschutz, Doern/Conway, The Greening of Canada, 1994, 84. 4 Dazu Brodersen, in: GS für Wolfgang Martens, 1987, 57; zu ähnlichen Formen der Interdelegation an die Provinzen in Kanada, Keyes, Executive Legislation, 1992, 44-47.
A. Umweltschutz-Verordnungen
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Umweltgesetze können entweder als mediale, also fiir die einzelnen zu schützenden Medien (Boden, Wasser, Luft), oder als kausale, nach Erfassung von Gefahrenquellen, erstellt werden. Meist werden diese Möglichkeiten miteinander kombiniert;5 so ist Umweltschutz schon früh treffend als "problembezogene Querschnittsaufgabe"6 beschrieben worden. Der Ansatz des Umweltrechts in Deutschland und Kanada ist (im Gegensatz zu marktwirtschaftliehen Instrumenten, mit denen in beiden Ländern experimentiert wird)1 überwiegend der der administrativen Kontrolle: den Betreibern potentiell umweltverschmutzender Anlagen oder Produzenten oder Verwendem urnweltgefahrdender Stoffe werden durch Rechtsnormen diesbezüglich Pflichten auferlegt, um schädliche Auswirkungen auf die Umwelt zu verhindern bzw. zu vermeiden. Während Umweltgesetze diese Pflichten in sehr allgemeiner Art festschreiben, erfolgt eine detaillierte Festlegung z.B. von Grenzwerten, oder von anderen Pflichten (vorzunehmende Messungen, Wartungen, Anmeldungen) in untergesetzlichen Normen. Unter II. werden Beispiele fiir die Regelungsgegenstände und die Regelungsintensität im Umweltrecht gegeben. In Kanada ist das bedeutsamste zu Verordnungen ermächtigende Umweltgesetz wegen seines Regelungsumfanges der Canadian Environmental Profeetion Act(CEPA). Eine exakte Entsprechung dieses Gesetzes zu einem deutschen Umweltgesetz gibt es nicht. 8 Deshalb sollen unter III. die drei bzw. vier deutschen Gesetze knapp dargestellt werden, die CEPA im wesentlichen funktional entsprechen. Diese deutschen Gesetze enthalten alle eine Vorschrift, die es ermöglicht, die "beteiligten Kreise" vor der Verordnungsgebung zu hören. In einem letzten Abschnitt (IV.) wird ein Ausblick auf zu erwartende mögliche Reformen des Umweltrechts und des Verfahrens der Verordnungsgebung gegeben.
I. Zuständigkeit für Umweltschutz im föderalen Staat
1. Gesetzgebender Bund- vollziehende Länder in Deutschland Die vom Grundgesetz vorgesehene Kompetenzverteilung ist fiir den Bereich des Umweltschutzes in der Überschrift in einer Kurzformel zusammengefaßt. Dadurch, daß der Bund von seinen Kompetenzen der konkurrierenden Gesetzgebung aus Art. 74 Abs. 1 GG und denen der Rahmengesetzgebung aus Art. 75 Abs. 1 Nr. 3 und
5 Zur Notwendigkeit des Instrumentenmixes Jänicke, Österreichische Zeitschrift fiir Politikwissenschaft 1992,433,438. 6 Breuer, Der Staat 1981, 393, 395. 7 Zertifikatslösungen bzw. Emissions Trading; zum ersteren Kloepfer, Umweltrecht, 1989, § 4, Rn. 218-222; zu anderen ökonomischen Instrumenten auch ders., DVB11994, 12, 22; ausführlich zur kanadischen Rechtslage Task Force on Economic Instruments and Disincentives to Sound Environmental Practices, Final Report, 1994. 8 Siehe die Übersicht bei Weale, The new politics of pollution, 1992, 12/13.
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I. Teil: Charakteristika der Umweltschutz-Verordnungsgebung
4 GG Gebrauch gemacht hat, ist die überwiegende Anzahl deutscher Umweltgesetze Bundesrecht 9 Dies wurde möglich, weil der Bund sich durch Einfügung von Art. 74 Abs; I Nr. 24 (Zuständigkeit für Abfallbeseitigung, Luftreinhaltung, Lärmbekämpfung) im Jahre 1972 die zentrale Kompetenzgrundlage selber schuf. Die Aufteilung der Gesetzgebungsaufgaben zwischen Bund und Ländern ist aber im Grundgesetz letztlich nicht mit absoluter Eindeutigkeit erfolgt. Daß noch Raum für Interpretation besteht, ist zum Beispiel an der Diskussion um die Zuständigkeit des Bundes bezüglich eines Bodenschutzgesetzes10 zu erkennen. Der Vollzug von Umweltgesetzen erfolgt in Deutschland- bis auf wenige Ausnahmen- durch die Länder (vgl. Art. 30, 83 GG). Dabei unterliegen sie meist nur der Rechtsaufsicht des Bundes, in Auftragsangelegenheiten besteht auch Fachaufsicht (Art. 85 Abs. 4 GG). 11 Gemäß Art. 80 Abs. 2 GG bedürfen die meisten Verordnungen der Zustimmung des Bundesrates. Diese Verschränkung von Gesetzgebung und Vollzug erzwingt Kooperation zwischen Bund und Ländern schon im Vorfeld neuer Normsetzung und ist im Verfahren der Verordnungsgebung von entscheidender Bedeutung. Oft haben es die Länder in der Hand, für sie akzeptable Regelungen zu erzwingen. 12 Die verschiedenen Gremien, in denen sich die Bund-Länder-Kooperation vollzieht, werden im zweiten Teil der Arbeit ausführlich dargestellt. Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) wurde erst 1986 nach dem Unfall in Tschernobyl durch einen Organisationserlaß 13 errichtet. 14 Bis zu diesem Zeitpunkt wurden auf Bundesebene Umweltschutzangelegenheiten vom Bundesministerium des lnnem wahrgenommen. 15 Das BMU wird als im wesentlichen eine "Vorschriftenwerkstatt" beschrieben. 16 Im Jahre 1995 hatte es 800 Beschäftigte und verfugte über einen Etat von DM 1.363 Millionen.17
9 Übersicht über die Kompetenznormen und die von ihnen erfaßten Materien bei Kloepfer, Umweltrecht, 1989, § 2, Rn. 54. 10 Siehe nur Rid/Froeschle, UPR 1994, 321 m.w.N.; Bender u.a., Umweltrecht, 3. Aufl. 1995, 268/269. 11 Zu den Verwaltungskompetenzen Kloepfer, Umweltrecht 1989, § 2, Rn. 60-72; Bender u.a., Umweltrecht, 3. Aufl. 1995, 31132. 12 Zu der im Vergleich zu den US-amerikanischen States dadurch starken Stellung der Länder Rose-Ackerman, Umweltrecht, 1995, 92. 13 BGB11986 I, 864 und BGB11989 I, 2011. 14 Mertes!Müller, Verwaltungsarchiv 1987, 459, 462/463; Pehle, Verwaltungsarchiv 1988, 184, 185. 15 Zur Aufgabenwahrnehmung durch die Bundesregierung vor Gründung des BMU Hartkopf/Bohne, Umweltpolitik 1, 1983, 144-155. 16 So Mertes/Müller, Verwaltungsarchiv 1987, 459, 463; Weale, in: The Politics of German Regulation, 1992, 159, 166; Bender u.a., Umweltrecht, 3. Aufl. 1995, 32. 17 BMU, Das Bundesumweltministerium, 1995, 617; Zahlenangaben aus der Gründungszeit bei Mertes/Müller, Verwaltungsarchiv 1987, 459, 464; Pehle, Verwaltungsarchiv 1988, 184, 190; auch Rose-Ackerman, Umweltrecht 1995, 68.
A. Umweltschutz-Verordnungen
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2. Parallelität von Gesetzgebung und Vollzug in Kanada
Die gesetzgebensehen Zuständigkeiten zwischen dem Bund und den Provinzen bestimmen sich in Kanada nach der Verfassungurkunde von 1867 (British North-America Act, BNA-Act), in der durch den Constitution Act, 1982 geänderten Form (seitdem auch Canada-Act, 1982 genannt). 18 Der BNA-Act ist in der gerichtlichen Interpretation durch das Judicial Committee des Privy Council bis 1949 eng ausgelegt worden, 19 was bei einer Darstellung des Textes der Verfassung zu beachten ist. Section 91 BNA-Act zählt die Bereiche auf, in denen der Bund die ausschließliche Zuständigkeit zur Gesetzgebung hat, Sections 92, 92a und 93 BNA-Act enthalten die Aufzählung der ausschließlichen Zuständigkeit der Provinzen. Eine Mitwirkung der Provinzen an der Gesetzgebung des Bundes gibt es nicht. Der ehemals dafür konzipierte Senat (Sections 21 bis 29 BNAAct) muß zwar auch über jedes Gesetz mit abstimmen, hat aber keine wirkliche Bedeutung im Gesetzgebungsverfahren des Bundes. Eine anderweitige, rechtlich institutionalisierte Mitwirkung regionaler Interessen existiert nicht. 20 Die Bundeszuständigkeit fiir den Umweltschutz ergibt sich im wesentlichen aus den beiden großen, schwer abgrenzbaren Zuständigkeiten für "the regulation of Trade and Commerce" (Section 91 (2)) und "Peace, Order, and good Govemment" (Einleitung zu Section 91). Der Erlaß von CEPA wurde gerade auf die letztere Zuständigkeit gestützt. 21 Auch einige weitere Absätze der Section 91 enthalten Zuständigkeiten, die im weitesten Sinne zu Umweltschutzregelungen ermächtigen: Strafrecht, Schiffahrt (91 (10)), Fischerei (91 (12), bundeseigene Schulden und Eigentum (91 (la)), Land der Indianer Reservate (91 (24)). 22 Bei 18 R.S.C. 1985, Appendix Il. Der Canada Act, 1982 ist im Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart 32 (1983), 632-645, und als Anhang in Zimmermann, Kanadische Verfassungsinstitutionen im Wandel, 1992,209-227, abgedruckt. 19 DazuHogg, Constitutional Law ofCanada, 3. Aufl. 1992, 108-115; Lane/Malanczuk, Der Staat 1981, 539, 548; Hohe, Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart 42 (1994), 595, 602, beschreibt die Rechtsprechung zur Kompetenzordnung als Abwägung von Fall zu Fall. Seit 1949 erfolgt die Verfassungsrechtsprechung allein durch den 1875 errichteten Supreme Court in Ottawa, die Möglichkeit des Appeal zum Privy Council in Großbritannien wurde abgeschafft, Hogg, Constitutional Law of Canada, 3. Aufl. 1992, 201-204; McWhinney, Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart 6 ( 1957), 35, 36. 20 Zum Verhältnis von Senate und Hause ofCommons, Heard, Canadian Constitutional Conventions, 1991, 87-98. Eine Reform des Senats wird seit langem diskutiert; dabei ist das deutsche Modell des Bundesrates laut Hogg, Constitutional Law of Canada, 3. Aufl. 1992, 92, das beliebteste. Als Alternative gilt das "Triple E" Modell: die drei "E" stehen flir equal, elected und effective. Zum Bundesrats Modell auch Robertson, in: Perspectives on Canadian Federalism, 1988, 224, 23 I. 21 VanderZwaag/Duncan, in: Canadian Environmental Policy, 1992, 3, 8; vgl. Bothe, ZfU 1990, 331, 336. 22 Hogg, Constitutional Law of Canada, 3. Aufl. 1992, 730-734; Bothe/Gündling, Neuere Tendenzen des Umweltrechts im internationalen Vergleich, 1990, 58-60.
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I. Teil: Charakteristika der Umweltschutz-Verordnungsgebung
dem Erlaß eines Umweltschutzgesetzes können- wie auch in Deutschland- verschiedene Zuständigkeitsermächtigungen der Section 91 zusammengefaßt werden.23 Bundesrecht bricht im Falle von ihm widersprechenden Regelungen das Provinzrecht Wenn sich Regelungen aber lediglich überschneiden, gelten sowohl das Bundes- als auch das Provinzrecht 24 Der Vollzug der Bundesgesetze liegt grundsätzlich in der Hand des Bundes. Da es wegen der Größe des Landes schwierig und vor allem kostspielig ist, den Vollzug der Umweltgesetze und -Verordnungen gleichmäßig und effektiv vorzunehmen, wird verstärkt versucht, die Provinzen zur Zusammenarbeit zu bitten. Dabei müssen in jedem einzelnen Fall zwischen der Bundesregierung und den Provinzregierungen die Modalitäten ausgehandelt werden. 25 Seit kurzem wird durch sogenannte Administrative und Equivalency Agreements versucht, Rahmenregelungen fiir eine bessere Zusammenarbeit von Bund und Provinzen zu schaffen. Gewünscht ist ein sogenannter Single Window Approach: Unternehmen sollen nur noch mit einer Verwaltungsstelle zu tun haben und nicht mehr, wie bislang noch, mit zweien (Bund und Provinz). Das Bundesumweltministerium (Environment Canada oder Department of the Environment (DOE)26 genannt) wurde durch Gesetz (Department of the Environment Act, DOE Act2 l) im Jahre 1971 errichtet und ist fiir die Verwaltung aller Umweltschutzangelegenheiten zuständig, die in den Zuständigkeitshereich des Bundesparlaments fallen (Section 4 (1) DOE Act; exemplarisch werden dann einzelne Zuständigkeiten aufgezählt).Z8 DOE hatte im Haushaltsjahr 1994/1995 insgesamt 5.790 Mitarbeiter und ein Budget von 737 Millionen kanadischer Dollar zur Verfiigung.29
23 Entschieden vom Supreme Court of Canada ftir eine Verwaltungsvorschrift des Bundes, die die Umweltverträglichkeitsprüfung vorschrieb, Friends ofthe Oldman River Society v. Canada (Minister ofTransport) [1992] I S.C.R. 3, 72-73. 24 Hogg,Constitutiona1LawofCanada,3. Aufl. 1992,410/411 und m.w.N. 417-434. 25 Dazu Gertler, in: Law and Process in Environmenta1 Management, 1993, 254; Kloepfer/Mast, Das Umweltrecht des Auslandes, 1994, 244. 26 In Kanada wird ein Ministerium Department genannt, wenn es durch Gesetz (Statute) errichtet wurde. Bei Errichtung durch Verordnung (Proclamation of the Governor in Council) erhält es die Bezeichnung Ministry, Lordon, Crown Law, 1990, 37. 27 R.S.C. 1985, c. E-10. 28 Das Ministerium verlor bei einer Umstrukturierung im Juni 1993 die Zuständigkeit ftir die Nationalparks, die einem neuen Ministerium (Canadian Heritage) übertragen wurde; dazu Toner, in: How Ottawa Spends 1994-95, 1994, 229, 251. Dadurch ist die einführende Darstellung von Kloepfer/Mast, Das Umweltrecht des Auslandes, 1994, 244, leicht inakkurat. Überblick über die Gesetze, bei denen dem Ministerium eine beratende Rolle zukommt bei Doern/Conway, The Greening of Canada, 1994, 21. 29 Environment Canada, Program Review - EC 2000, 1994, 2; bis 1998 sollen davon 1.400 Stellen wegfallen und das Budget auf dann 503 Millionen Dollar gekürzt werden.
A. Umweltschutz-Verordnungen
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II. Regelungsgegenstände und Regelungsintensität
1. Deutschland Die Menge der Normen, die dem Umweltrecht zuzuordnen sind, ist in Deutschland in einem solchem Maße gewachsen, daß eine von Kloepfer erstmals 1981 zusammengestellte Loseblattsammlung "Umweltschutz" eine willkommene Ordnungsaufgabe übernommen hat und den Zugriff gerade aufuntergesetzliche Normen sehr erleichtert. Generell ergehen etwa vier- bis fiinfrnal so viele Bundesverordnungen wie Bundesgesetze. 30 hn Umweltrecht bestehen regelrechte Regelungspyramiden. Die in einer parlamentarischen Anfrage genannten Anzahl von 800 Umweltgesetzen, 2.770 Verordnungen und 4.690 Verwaltungsvorschriften wurde vom BMU dahingehend korrigiert, daß es auf Bundesebene 233 Gesetze, 549 Verordnungen und 498 Verwaltungsvorschriften mit zum Teil umweltrelevanten Regelungen gäbe, von denen das BMU fiir cirka 20 Gesetze, 61 Verordnungen und 25 Verwaltungsvorschriften zuständig sei.31 Die folgende Aufzählung dient der lllustration, ohne daß europarechtliehe oder landesrechtliche Vorschriften einbezogen wurden: 32 Das Bundesnaturschutzgesetz ist die Ermächtigungsgrundlage fiir die Bundesartenschutzverordnung;33 das Bundesjagdgesetz ermächtigt zur Verordnung über Jagdzeiten34 und zur Bundeswildschutzverordnung35 und gemäß des Wasch- und Reinigungsmittelgesetzes wurden bislang zwei Verordnungen36 erlassen. Das Tierschutzgesetz ist Grundlage fiir acht Verordnungen37 und eine Verwaltungsvorschrift.38 Zum Chemikaliengesetz ergingen bislang neun Verord-
30 Schneider, Gesetzgebung, 2. Aufl. 1991, Rn. 231. 31 Anfrage und Beantwortung abgedruckt in Umwelt 12/ 1995, 441. 32 Als Anlage zu SRU, Umweltgutachten 1996, liegt nun eine gründliche Analyse von
154 Umweltstandardlisten vor. 33 In der Neufassung vom 18. September 1989, BGB11989 I, 1677. 34 BGBl 1977 I, 531. 35 BGBl 1985 I, 2040. 36 Tensidverordnung, BGBl 1977 I, 244, und Phosphathöchsnnengen Verordnung, BGBI 1980 I, 664. 37 (I) Verordnung über das Halten von Hunden im Freien, BGB11974 I, 1265; (2) Tierschutzkomrnissionsverordnung, BGB11987 I, 1557; (3) Hennenhaltungs-Verordnung, BGBl1987 I, 2622; (4) Verordnung über Aufzeichnungen über Versuchstiere und deren Kennzeichnung, BGBl 1988 I, 639; (5) Versuchstiermeldeverordnung, BGB11988 I, 1213; (6) Verordnung zum Schutz von Tieren bei der Beförderung in Behältnissen, BGBI1988 I, 2413; (7) Verordnung zum Schutz kranker oder verletzter Tiere vor Belastungen beim Transport, BGB11993 I, 1078; (8) Schweinehaltungs-Verordnung, BGBl 1994 I, 311.
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1. Teil: Charakteristika der Umweltschutz-Verordnungsgebung
nungen39 und eine Verwaltungsvorschrift40. Das Wasserhaushaltsgesetz ist durch zwanzig Verwaltungsvorschriften und zwei Verordnungen näher ausgestaltet. Zum Kreislaufwirtschaft- und Abfallgesetz (früher Abfallgesetz) gibt es neun Verordnungen41 und drei Verwaltungsvorschriften (als Technische Anleitungen)42. Den Rekord hält das Bundesimmissionsschutzgesetz (BimSchG) mit insgesamt jetzt 22 Verordnungen und fiinf Verwaltungsvorschriften43 . Dazu gibt es 38 Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Durchfiihrung des Tierschutzgesetzes vom l. Juli 1988, Beilage zum BAnz Nr. l39a. 39 (1) Chemikalien-Altstoffverordnung, BGBI1990 I, 2544; (2) Giftinformations-Verordnung, BGBI1990 I, 1424; (3) FCKW-Halon-Verbots-Verordnung, BGB11991 I, 1090; (4) Chemikalien-Übergangsverordnung, BGBI 1992 I, 288; (5) Chemikalien-Verbotsverordnung, BGBII993 I, 1720; (6) Gefahrstoffverordnung, BGB11993 I, 1782; (7) Chemikalien-Bußgeldverordnung, BGBI1994 I, 718; (8) Püfnachweisverordnung, BGB11994 I, 1877; (9) Chemikalien-Kostenverordnung, BGBI19941, 2118. 40 Chemikalien Verwaltungsvorschrift-Bewertung, GMBI. 1992,438. 41 Verordnung über wassergefahrdende Stoffe bei der Beförderung in Rohrleitungsanlagen, BGBI1973 I, 1946; Abwasserherkunftsverordnung, BGBI1987 I, 1578. (1) Verordnung über den Betriebsbeauftragten fiir Abfall, BGBI19771, 1913; (2) Altölverordnung, BGB11987 I, 2335; (3) Abfallverbringungs-Verordnung, BGB11988 I, 2418; (4) Verordnung über die Entsorgung gebrauchter halogenierter Lösemittel, BGBI 1989 I, 1918; (5) Abfallbestimmungs-Verordnung, BGBI1990 I, 614; (6) Abfall- und Reststofftiberwachungs-Verordnung, BGBI 1990 I, 648; (7) Reststoffbestimmungs-Verordnung, BGBl 1990 I, 631, 862; (8) Verpackungsverordnung, BGBI1991 I, 1234; (9) Klärschlammverordnung, BGB11992 I, 912. 42 Erste allgemeine Abfallverwaltungsvorschrift über Anforderungen zum Schutz des Grundwassers bei der Lagerung und Ablagerung von Abfällen, GMBI. 1990, 74; TA Abfall, GMBI. 1991, 139, und TA Siedlungsabfall vom 14. Mai 1993, BAnz Nr. 99a. 43 l. BlmSchV, Verordnung über Kleinfeuerungsanlagen, BGBI 1988 I, 1059; 2. BlmSchV, Verordnung zur Emissionsbegrenzung von leichtflüchtigen Halogenkohlenwasserstoffen, BGBl 1990 I, 2694; 3. BlmSchV, Verordnung über Schwefelgehalt von leichtem Heizöl und Dieselkraftstoff, BGBl 1975 I, 264; 4. BlmSchV, Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen, BGBl 1985 I, 1586; 5. BlmSchV, Verordnung über Immissionsschutz- und Störfallbeauftragte, BGBI 1993 I, 1433; 6. BimSchV inzwischen außer Kraft getreten; 7. BimSchV, Verordnung zur Auswurfbegrenzung von Holzstaub, BGBI 1975 I, 3133; 8. BlmSchV, Rasenmäherlärm-Verordnung, BGBI1987 I, 1687; 9. BlmSchV, Verordnung über das Genehrnigungsverfahren, BGBI 1992 I, 1001; 10. BlmSchV, Verordnung über die Beschaffenheit und die Auszeichung der Qualitäten von Kraftstoffen, BGB11993 I, 2036;
A. Umweltschutz-Verordnungen
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weitere Verwaltungsvorschriften, die in Ausführung zu den einzelnen Verordnungen des BlmSchG ergangen sind. In den Verordnungen und Verwaltungsvorschriften fmden sich des weiteren Verweisungen auf private Normen, insbesondere vom DIN erstellte Normen. Das Umweltrecht als Rechtsgebiet stellt sich demnach in Deutschland als ein Rechtsgebiet dar, das in hohem Maße von untergesetzlichem Recht, insbesondere Rechtsverordnungen, geprägt ist.44 2. Kanada Ein vergleichbares Bild bietet sich in Kanada. Umweltschutzgesetze sind breit gefaßt und räumen der Exekutive großes Ermessen bei der Ausübung ihrer Kontrollpflichten ein. Jedes erlassene Gesetz ermächtigt zur näheren Ausgestaltung durch Verordnungen.4s Gestützt auf den Canada Wildlife Act6 ist nur eine Verordnung ( Wildlife Area Regulations) ergangen, die allerdings sehr häufig geändert wird; schon eine Gebührenanhebung in einem Schutzgebiet löst Änderungsbedarf aus. Auch der Weather Modification Information Act1 kommt bislang mit einer Verordnung aus. Das Gesetz über National Parks (National Parks Act)48 hat unzählige Verordnungen hervorgebracht. Neben sechs Verordnungen, die Schutzgebiete
11. 12. 13. 14.
BlmSchV, Emissionserklärungsverordnung, BGBI 1991 I, 2213; BlmSchV, Störfall-Verordnung, BGBI 1991 I, 1891; BlmSchV, Verordnung über Großfeuerungsanlagen, BGBI1983 I, 719; BlmSchV, Verordnung über Anlagen der Landesverteidigung, BGBI 1986 I, 380; 15. BlmSchV, Baumaschinenlärrn-Verordnung, BGBI1986 I, 1729; 16. BlmSchV, Verkehrslärrnschutzverordnung, BGBI1990 I, 1036; 17. BlmSchV, Verordnung über Verbrennungsanlagen flir Abfälle und ähnliche brennbare Stoffe, BGBI 1990 I, 2545, 2832; 18. BlmSchV, Sportanlagenlärrnschutzverordnung, BGBI1991 I, 1588, 1790; 19. BlmSchV, Verordnung über Chlor- und Bromverbindungen als Kraftstoffzusatz, BGB11992 I, 75; 20. BlmSchV, Verordnung zur Begrenzung der Kohlenwasserstoffemissionen beim Urnflillen und Lagern von Ottokraftstoffen, BGBI1992 I, 1727; 21. BlrnSchV, Verordnung zur Begrenzung der Kohlenwasserstoffemissionen bei der Betankung von Kraftfahrzeugen, BGBl 1992 I, 1730; 22. BlmSchV, Verordnung über Irnrnissionswerte, BGB11993 I, 1819. 44 Kloepfer u.a., Umweltgesetzbuch- Allgemeiner Teil, 1991, 462, nennen dies eine strukturelle Eigenart des bisherigen Umweltrechts. 45 Elgie, in: Law and Process in Environmental Management, 1993, 196, 206. Alexander, Federal Environmental Assessment and Regulatory Reform, 1994, 7, spricht von durchschnittlich sechzehn Verordnungen, die pro Gesetz in Kanada erlassen werden. 46 R.S.C. 1985, c. W-9. 47 R.S.C. 1985, c. W-5. 48 R.S.C. 1985, c. N-14.
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I. Teil: Charakteristika der Umweltschutz-Verordnungsgebung
festlegen, sind die anderen in 18 Hauptgruppen eingeteilt"9 und regeln das in den Parks erlaubte bzw. gebotene Verhalten. In Kanada gibt es unmittelbar bundeseigenes Land,so und so können sowohl der Bund als auch die Provinzen Naturschutzgebiete ausweisen. Der Migratory Birds Convention Act,51 einem Gesetz, das eine 1916 mit den USA geschlossene völkerrechtliche V ereinbarung52 umsetzt, ist die Grundlage für zwei Verordnungen (Migratory Birds Regulation und Migratory Bird Sanctuary Regulations). Zu den vom Bundesumweltministerium verwalteten Sections 36 bis 42 des Fischereigesetzes (Fisheries Act)53 ergingen bislang sieben Verordnungen,54 und zahlreiche Guidelines und Codes of Practice. 55 Der Canadian Environmental Assessment Act,56 der in etwa dem deutschen Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz entspricht, ist bislang durch vier Verordnungen57 ausgestaltet worden, und zukünftig werden noch eine Vielzahl von zum Teil schon vorveröffentlichten Verordnungen erlassen werden. Dabei dienen die Verordnungen vor allem der Festlegung, für welche Vorhaben keine Umweltverträglichkeitsprüfung erforderlich ist bzw. in welchen Fällen besondere Bestimmungen gelten. Die meisten untergesetzlichen Normen sind auf Grundlage des Canadian Environmental Profeetion Act (CEPA)58 erlassen worden; insgesamt sind es 25 Ver-
49 Den Überblick über ergangene Verordnungen gibt der alle drei Monate erscheinende Consolidated Index of Statutory Instruments zur Canada Gazette Part II, der unter dem Namen des jeweils ermächtigenden Gesetzes alle Fundstellen für Verordnungen und ihre Änderungen nachweist. Auf diese Angaben wurde hier im weiteren verzichtet. Die Übersicht über ergangene Verordnungen ist auf dem Stand vom 31. März 1997. 50 Dazu Lordon, Crown Law, 1990, Kapitel 7, insbesondere 225. 51 R.S.C. 1985, c. M-7. 52 Canada - United States of America: Convention for the Protection of Migratory Birds vom 16. August 1916. 53 R.S.C. 1985, c. F-14. Zur Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen dem Department of Fisheries and Oceans und dem DOE siehe Bonsor, in: Getting it Green, 1990, 155, 169. 54 (!)Chlor-Alkali Mercury Liquid Effluent Regulations; (2) Fish Toxicant Regulations; (3) Meat and Poultry Plant Liquid Effluent Regulations; (4) Meta\ Mining Effluent Regulations; (5) Petroleum Refinery Liquid Effluent Regulations; (6) Potato Processing Plant Liquid Effluent Regulations; (7) Pulp and Paper Effluent Regulations. 55 Guidelines und Code of Practices sind Formen von Quasi-Legislation, die in etwa den deutschen Verwaltungsvorschriften entsprechen; dazu siehe unten, B. I. 3. 56 S.C. 1992, c. 37 und Änderungen S.C. 1994, c. 46. 57 Comprehensive Study List Regulations; Exclusion List Regulations; Inclusion List Regulations und Law List Regulations. 58 R.S.C 1985, c. 16 (4th Supplement).
A. Umweltschutz-Verordnungen
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ordnungen59 und wiederum weitere Guidelines und Codes of Practice. Anstatt Verweisungen aufprivate Normen enthalten die Verordnungen zu CEPA zahlreiche Verweise auf zu verwendende Meßtechniken, die in weiteren Veröffentlichungen des Umweltministeriums detailliert beschrieben sind. 111. Exemplarische Darstellungen
Die zwecks exemplarischer Darstellung ausgewählten Gesetze sind für den Untersuchungsgegenstand insofern wichtig, als sie die Grundlage für zahlreiche und bedeutsame Umweltschutz-Verordnungen sind. Der Regelungsbereich von CEPA umfaßt ein sehr breites Spektrum, das in Deutschland funktional im wesentlichen dem Bundes-Immissionsschutzgesetz (BimSchG), dem Abfallgesetz (AbfG), bzw. ab Oktober 1996 dem Kreislaufwirtschaft- und Abfallgesetz (KrW/AbfG), und dem Chemikaliengesetz (ChemG) entspricht. CEPA, das BlmSchG und jetzt das KrW-/AbfG spielten zudem im Zeitpunkt ihres Erlasses eine Vorreiterrolle auf dem Gebiet des Umweltschutzes. Entscheidend ist weiterhin, daß sich die verwaltungspraktische Entwicklung von Verfahren der Beteiligung an der Umweltschutz-Verordnungsgebung vor allem gemäß diesen Gesetzen vollzog. Die Vorschrift des § 51 BlmSchG, die ihrerseits einen Vorläufer in dem inzwischen aufgehobenen § 24 der Gewerbe(1) Asbestos Minesand Mills Release Regulations; (2) Chlor-Alkali Mercury Release Regulations; (3) Chlorobiphenyls Regulations; (4) Chlorofluorocarbon Regulations, 1989; (5) Contaminated Fuel Regulations; (6) Export and Import of Hazardous Wastes Regulations; (7) Federal Mobile PCB Treatment and Destruction Regulations; (8) Fuels Information Regulations, No. 1; (9) Gasoline Regulations; (10) Masked Name Regulations; (11) Mirex Regulations, 1989; (12) New Substances Notification Regulations; (13) Ocean Dumping Regulations, 1988; (14) Ozone-depleting Substances Regulations; ( 15) Ozone-depleting Substances Products Regulations; (16) PCB Waste Export Regulations; (I 7) Phosphorus Concentration Regulations; (18) Polybrominated Biphenyls Regulations, 1989; (19) Polychlorinated Terphenyls Regulations, 1989; (20) Pulp and Paper Mill Defoamer and Wood Chip Regulations; (21) Pulp and Paper Mill Effluent Chlorinated Dioxins and Furans Regulations; (22) Secondary Lead Smelter Release Regulations; (23) Storage ofPCB Material Regulations; (24) Toxic Substarrces Export Notification Regulations; (25) Vinyl Chloride Release Regulations, 1992.
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I. Teil: Charakteristika der Umweltschutz-Verordnungsgebung
ordnung hatte, wurde in weitere Gesetze übernommen und auf die Beteiligung schon im Vorfeld einer Regelung ausgedehnt (vgl. § 14 AbfG). In Kanada wird die Beteiligung an der Verordnungsgebung zum Teil von CEPA normiert und neue Formen der Partizipation am Verfahren der Verordnungsgebung (z.B. der Strategie Options Process) werden unter diesem Gesetz erprobt. 1. Das Bundesimmissionsschutzgesetz
Das BimSchG ist im Jahre 1974 letztlich aus Novellierungen der Gewerbeordnung hervorgegangen und damit quasi polizeirechtlichen Ursprungs. 60 Es bezweckt den Schutz der Umwelt vor schädlichen Einwirkungen durch Luftverunreinigungen, Lärm, Erschütterungen und ähnlichen Vorgängen. Das Gesetz61 gliedert sich in sechs Teile: Der I. Teil enthält die vor die Klammer gezogenen allgemeinen Vorschriften; der II. Teil ist dem anlagenbezogenen Immissionschutz gewidmet, d.h. der Errichtung und dem Betrieb von Anlagen; der III. Teil dem produktbezogenen Immissionschutz, d.h. der Beschaffenheit von Stoffen, Erzeugnissen, Brennstoffen und Treibstoffen; der IV. Teil regelt den verkehrsbezogenen Immissionsschutz und der V. Teil den gebietsbezogenen Immissionsschutz, nämlich die Überwachung der Luftverunreinigung und das Instrument der Luftreinhaltepläne. Der VI. Teil des BlmSchG enthält nochmals gerneinsame Vorschriften, insbesondere fmdet sich dort die Vorschrift über die Anhörung der beteiligten Kreise vor dem Erlaß von Verordnungen ( § 51). Unter dem Aspekt der Verordnungsgebung ist es interessant zu wissen, daß das Gesetz insgesamt einundreißig Verordnungsermächtigungen an unterschiedliche Delegatare (Bundesregierung, Bundesministerium fiir Verkehr, BMU, Bundesministerium fiir Verteidigung) enthält. Von diesen Ermächtigungen verweisen sechzehn62 auf § 51, sind also nach Anhörung der beteiligten Kreise zu erlassen. 60 Zu dieser Entwicklung Müller, Innenwelt der Umweltpolitik, 1986, 220; Bohne, Politics and Markets in Environmental Protection, 1988, 29; Kloepfer, Zur Rechtsumbildung durch Umweltschutz, 1990, 25; Weale, in: The Politics of German Regulations, 1992, 159, 161; Bender u.a., Umweltrecht, 3. Autl. 1995, 332. Dabei entschied man sich allerdings bewußt ftir den Erlaß eines neuen Gesetzes anstelle von Einftigungen in die GewO, zu dieser Auseinandersetzung Wolf, Der Stand der Technik, 1986, 172/173; Rey, Der Einfluß von Interessengruppen, 1990, 74. 61 Überblick bei Bender u.a., Umweltrecht, 3. Aufl. 1995, 328-330, dann ausfUhrlieh 330-405; Kloepfer, Umweltrecht, 1989 in§ 7, 385-467; Darstellung auf Englisch Bohne, Politics and Markets in Environmental Protection, 1988, 29-46. 62 § 4 Abs. 1 S. 3; § 5 Abs. 2 S. I; § 7 Abs. 1 S. 1; § 22 Abs. I S. 2; § 23 Abs. I S. I; § 26 Abs. 2; § 29a Abs. 2; § 32 Abs. I S. 1; § 33 Abs. I S. I; § 34 Abs. 1; § 35; § 38 Abs. 2 (Bundesverkehrsministerium zusammen mit BMU); § 40 Abs. 2 S. 2; § 43 Abs. I; § 53 Abs. 1 S. 2 (BMU) und § 58a Abs. 1 S. 2 BimSchG. Ermächtigt ist immer die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates, wenn nicht anders vermerkt.
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Fünf Ermächtigungen enthalten keine Verpflichtung zur Anhörung.63 Sieben Ermächtigungen sind an die Landesregierungen gerichtetM und vier Ermächtigungen betreffen die Umsetzung von Verordnungen der Europäischen Union65 . Zwei Vorschriften ermächtigen zum Erlaß von Verwaltungsvorschriften66 und zwei Beratungsgremien des BMU fmden ihre Grundlage im BlmSchGY § 7 Abs. 5 BlmSchG ermöglicht die Verweisung auf jedermann zugängliche Bekanntmachungen sachverständiger Stellen, wenn 1. in der Rechtsverordnung das Datum der Bekanntmachung und die Bezugsquelle angegeben ist und 2. die Bekanntmachung beim Deutschen Patentamt archivmäßig gesichert niedergelegt ist und in der Rechtsverordnung darauf hingewiesen wird.
2. Das Abfallgesetz und das Kreislaufwirtschaft- und Abfallgesetz Das Abfallgesetz (AbfG) wurde 1986 erlassen und löste das mehrmals novellierte Abfallbeseitigungsgesetz von 1972 ab. 68 Zweck des Gesetzes war die Vermeidung und Verwertung von Abfallen. In § 2 Abs. 1 S. 2 AbfG wurde der Grundsatz aufgestellt, daß Abfalle in einer das Wohl der Allgemeinheit nicht beeinträchtigenden Weise zu entsorgen sind. Die nach Landesrecht zuständigen Körperschaften des öffentlichen Rechts waren gemäß § 3 Abs. 2 S. 1 AbfG verpflichtet, die auf ihrem Gebiet anfallenden Abfalle zu entsorgen. Das AbfG enthielt insgesamt vierzehn Verordnungsermächtigungen; davon ermächtigten zwei Vorschriften die Landesregierungen zum Erlaß von Verordnungen,69 acht die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates/0 drei das BMU mit Zustimmung des Bundesrates71 und eine das BMU im Einvernehmen mit dem Bundesministerium fiir Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (BMELF) und dem Bundesministerium fiir Jugend, Frauen und Gesundheit 63 § 10 Abs. 10; § 10 Abs. II (Bundesministerium der Verteidigung zusammen mit BMU); § 27 Abs. 4; § 34 Abs. 2 und§ 59 BlmSchG. 64 § 23 Abs. 2; § 40; § 44 Abs. 3; § 46 Abs. I S. 3; § 49 Abs. I und Abs. 2 BlmSchG. 65 § 7 Abs. 4; § 37; § 39 (Bundesverkehrsministerium zusammen mit BMU) und § 48a Abs. 1 BlmSchG. 66 Gemäß § 45 kann das BMU, gemäß § 48 BlmSchG die Bundesregierung nach Anhörung der beteiligten Kreise mit Zustimmung des Bundesrates Verwaltungs-vorschriften erlassen. 67 Technischer Ausschuß ftir Anlagensicherheit (§ 31 a) und Störfallkommission (§ Sl a). Zu ihnen Lamb, Kooperative Gesetzeskonkretisierung, 1995, 109/110. 68 Zur Enstehungsgeschichte Bender u.a., Umweltrecht, 3. Aufl. 1995, 558/559; Versteyl, AbfaiiG Kommentar, 2. Aufl. 1992, Einleitung, Rn. 4-28. 69 § 4 Abs. 4 S. I und§ 15 Abs. 3 AbfG. 70 § 2 Abs. 2 S. 2; § 2 Abs. 3 S. I; § Sa Abs. 2; §Sb S. 4; § 7b S. 2; § 12 Abs. 3; § 14 Abs. I und§ 14Abs. 2S. 3 AbfG. 71 § II Abs. 2 S. 3; § II Abs. 3 S. 4 und§ !Ia Abs. I S. 3 AbfG.
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I. Teil: Charakteristika der Umweltschutz-Verordnungsgebung
(BMJFFG)72• Nur in vier Ermächtigungen wurde die Anhörung der beteiligten Kreise gemäß § 16 AbfG zusätzlich zur Zustimmung des Bundesrates vorgeschrieben,73 allerdings beinhaltete von diesen § 14 AbfG auch die bedeutsamsten Ermächtigungen74 über die Kennzeichnung, getrennte Entsorgung und die Rücknahme und Rückgabe von Abfällen. § 4 Abs. 5 AbfG ermächtigte die Bundesregierung nach Anhörung der beteiligten Kreise mit Zustimmung des Bundesrates zum Erlaß von allgemeinen Verwaltungsvorschriften und war die Grundlage der TA Abfall. Um die Notwendigkeit einer Kreislaufwirtschaft und damit die Priorität der Vermeidung von Abfällen stärker zu betonen wurde im September 1994 das Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz (KrW-/AbfG) erlassen.75 Seine fünfundzwanzig Vorschriften, die zum Erlaß von Rechtsverordnungen ermächtigen, sind seit der Verkündung in Kraft, während das Gesetz selber erst am 7. Oktober 1996 in Kraft trat. An dieser Regelung ist deutlich erkennbar, daß Rechtsverordnungen von entscheidender Bedeutung76 unter dem KrW-/AbfG sind und daß man meinte, zu ihrem Erlaß einen zeitlichen Vorlauf von zwei Jahren zu benötigen.77 Wiederum ermächtigen zwei Paragraphen die Landesregierungen zum Erlaß von Rechtsverordnungen. 78 Von den Ermächtigungen für das BMU allein und auch im Einvernehmen mit dem BMELF und dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) kann immer erst nach Anhörung der beteiligten Kreise und Zustimmung des Bundesrates Gebrauch gemacht werden.79 Im Gegensatz zum 12
§ 15 Abs. 2 AbfG.
73 § 5 Abs. 2; §Sb S. 4; § 14 Abs. I und§ 14 Abs. 2 S. 3 AbfG. Zu§ 16 AbfG siehe
knapp Mühlenbruch, Außenwirksame Normenkonkretisierung durch "Technische Anleitungen", 1992, 120. 74 Bender u.a., Umweltrecht, 3. Aufl. 1995, 583. 75 Darstellung und Erläuterungen Schmidt, Einführung in das Umweltrecht, 4. Aufl. 1995, 116-142; Bender u.a., Umweltrecht, 3. Aufl. 1995, 558-631. Speziell zu den Verordnungsermächtigungen Reh, in: Birn!Jung, Abfallbeseitigungsrecht für die betriebliche Praxis, Bd. 4, 1995, I, 4-7. 76 Bender u.a., Umweltrecht, 3. Aufl. 1995, 566 und 584-589; SRU, Umweltgutachten 1996, Tz. 387 und 389. 77 Maurer, in: BK-GG, 1988, Art. 82, Rn. 141, schlägt diese Lösung vor, wenn das Gesetz und die erforderlichen Ausführungsverordnungen gleichzeitig in Kraft treten sollen. Leitzke, UPR 1996, 177, 181 , vertritt die Ansicht, daß die gemäß dem AbfG erlassenen Verordnungen nach dem 7. Oktober 1996 nicht fortgelten. Das untergesetzliche Regelwerk zum KrW-/AbfG, nämlich die die Verordnung zur Einführung des Europäischen Abfallkatalogs, die Verordnung zur Bestimmung von besonders überwachungsbedürftigen Abfällen und von überwachungsbedürftigen Abfällen zur Verwertung, die Nachweisverordnung und die Transportgenehmigungsverordnung, ist pünktlich zum 7. Oktober 1996 in Kraft getreten. 78 § 8 Abs. 2 und§ 27 Abs. 3 S. I KrW-/AbfG. 79 §54 Abs. I S. 2; § 8 Abs. I und 2 KrW-/AbfG.
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AbfD ist unter dem KrW-/AbfD der Erlaß von Rechtsverordnungen nach Anhörung der beteiligten Kreise gemäß § 60 die Regel. Nur drei Vorschriften ermächtigen die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates zum Verordnungserlaß ohne zuvor erfolgte Anhörung. 80
3. Das Chemikaliengesetz Das Chemikaliengesetz (ChemG) wurde 1980 erlassen und 1990 grundlegend novelliert. 1994 erfolgte eine weitere Anpassung aufgrund neuer Bestimmungen der Europäischen Union. 81 Das Gesetz soll (gemäß § 1 ChemG) "den Menschen und die Umwelt vor schädlichen Einwirkungen gefährlicher Stoffe und Zubereitungen schützen, insbesondere sie erkennbar machen, sie abwenden und ihrem Entstehen vorbeugen". Es stellt die Verpflichtung auf, neue Stoffe anzumelden (Zweiter Abschnitt des ChemG), um sie auf ihre potentiell gefährlichen Eigenschaften zu überprüfen (siehe § 7 ChemG).82 Die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung von gefährlichen Stoffen, Zubereitungen und Erzeugnissen wird im Dritten Abschnitt des ChemG geregelt. Nach diversen Mitteilungspflichten im Vierten Abschnitt enthält der Fünfte Abschnitt des Gesetzes die Ermächtigung zu Verboten und Beschränkungen sowie zu Maßnahmen zum Schutz von Beschäftigten.83 Das ChemG enthält insgesamt 22 Verordnungsermächtigungen.84 Die Fülle und Weite der Rechtsverordnungsermächtigungen wurden bei Erlaß des Gesetzes in der Literatur kritisch kommentiert. 85 Nur die Ermächtigungen des § 17 Abs. 1 bis Abs. 5 ChemG verpflichten die Bundesregierung zur Anhörung der beteiligten Kreise nach § 17 Abs. 7 ChemG.86 Alle anderen Verordnungsermächtigungen des Gesetzes sehen lediglich die Zustimmung des Bundesrates vor.
80 § 13 Abs. 4 S. 3; § 34 Abs. I S. 2 und § 49 Abs. 3 KrW-/AbfG. Allerdings ermächtigt § 57 KrW-/AbfG die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates ohne Anhörung der beteiligten Kreise zur Umsetzung von Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaft durch Rechtsverordnungen. 81 Bender u.a., Umweltrecht, 3. Aufl. 1995, 511/512. 82 Schneider, Politiknetzwerke der Chemikalienkontrolle, 1988, I 1112; zum Gremium, das die umweltrelevanten Altstoffe auf ihre Gefährlichkeit überprüft, Denninger, Normsetzung, 1990, 83-85. 83 Einführung bei Bender u.a., Umweltrecht, 3. Aufl. 1995, 509-540; zum Verfahren der Regulierung nach deutschem und europäischen Recht siehe auch Viebrock, Öffentlichkeit im Verfahren der Chemikalienkontrolle, 1995, 5-59. 84 Diese Zahl ergibt sich bei Zählung allein von Gesetzesabsätzen und nicht einzelner Nummern innerhalb von Absätzen. 85 Rehbinder u.a., Chemikaliengesetz, 1985, Einleitung, Rn. 30-36; Damaschke, Der Einfluß der Verbände auf die Gesetzgebung, 1986, 60. 86 Bender u.a., Umweltrecht, 3. Aufl. 1995, 534-536.
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4. Canadian Environmental Protection Act Das kanadische Umweltschutzgesetz ( Canadian Environmental Protection Act, CEPA) trat am 29. Juni 1988 in Kraft. Es sollte- unter Berücksichtigung der f6deralen Aufteilung - die Probleme lösen, die man mit den Vorgängergesetzen87 in bezugauf die Festlegung von Grenzwerten und deren Vollzug gehabt hatte. Das Gesetz isttrotzseines Namens keine Kodiftzierung des gesamten Umweltrechts, sondern es regelt vor allem die Freisetzung von gefährlichen Stoffen in die Umwelt.88 Das Gesetz hat insgesamt sieben Teile: nach vorgeschalteten Definitionen (Sections 1 bis 6) und allgemeinen Vorschriften über Environmental Quality Objectives, Guidelines and Code ofPractices (Teil I - Sections 7 bis 10)89 folgt der Hauptteil (Teil II- Sections 11 bis 48), der sich mit giftigen Substanzen beschäftigt. Teil III (Sections 49 bis 51) enthält Regelungen, die speziell Nährstoffe (Nutrients) betreffen, Teil IV (Sections 52 bis 60) beschäftigt sich mit Umweltschutz aufLand in Eigentum des Bundes, Teil V (Sections 61 bis 65) hat die internationale Luftreinhaltung zum Inhaltund Teil VI (Sections 66 bis 86) die Abfallbeseitigung aufhoher See. Der mit "Generaf' überschriebene Teil VII (Sections 87 bis 139) regelt neben dem Verfahren vor Untersuchungskommissionen (Boards of Review) vor allem Vollzugsfragen. 90 Bevor eine Substanz in ihrer Herstellung oder ihrem Gebrauch reglementiert werden darf, muß ihre Gefährlichkeit evaluiert werden. Sections 12 bis 18 CEPA enthalten die nötigen Ermächtigungen fiir Datenerhebungen, um eine solche Evaluation durchzufiihren. Da wegen der Menge der im Wirtschaftsverkehr gebräuchlichen und existierenden Altstoffe nicht jede Substanz evaluiert werden kann, sieht Section 12 CEPA vor, daß das Umwelt- und das Gesundheitsministerium gemeinsam eine Liste derjenigen Stoffe erstellen, die mit Vorrang auf ihre Gefährlichkeit bzw. Toxidität getestet werden sollen (Priority Substances List). Die erste, 44 Stoffe umfassende Priority Substances List wurde am 11. Februar 1989, die zweite, 25
87 Zu diesen Gesetzen Conway, in: Getting it Green, 1990, 25, 42; Bothe/ Gündling, Neuere Tendenzen des Umweltrechts im internationalen Vergleich, 1990, 61. 88 Darstellung und Erläuterungen Hughes u.a. (Hg.), Environrnental Law and Policy, 1993, 176-183. Bothe/Gündling, Neuere Tendenzen des Umweltrechts im internationalen Vergleich, 1990, 67, nennen es eine Teilkodifizierung, Kloepfer/Mast, Das Umweltrecht des Auslandes, 1994, 248, werten es als Kompilation vorhandener Normtexte bei gleichzeitiger behutsamer Fortentwicklung. Kanadische Umweltschützer kritisierten die ihnen mangelhaft erscheinende Reichweite des Gesetzes schon im Gesetzgebungsverfahren, Duncan!Swanson, Submission to the Parliamentary Committee on Bill C-74, 1988,4-7 und 13. 89 Diese Vorschriften sind meist die Grundlage fl.ir Vollzugsmaßnahmen, Environment Canada, CEPA Report, Aprill990-March 1991, 13. 90 EinfUhrende Darstellung des CEPA bei Hughes u.a.(Hg.), Environmental Law and Policy, 1993, 177-184; auf deutsch Bothe/Gündling, Neuere Tendenzen des Umweltrechts im internationalen Vergleich, 1990,67-70.
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Stoffe umfassende Priority Substanees List wurde am 16. Dezember 1995 in der Canada Gazette Part I veröffentlicht. 91 Section 25 CEPA verpflichtet das Umweltministerium zur Publikation einer "Liste der inländischen Substanzen" (Domestie Substanee List) und einer "Liste der nicht-inländischen Substanzen" (Non-domestie Substanees List), um die Voraussetzungen für eine Anmeldepflicht fiir neue Substanzen gemäß Sections 26 bis 30 CEPA zu schaffen.92 Die vom Anmelder zu übermittelnden Unterlagen sollen eine Evaluierung der Gefahrlichkeit der neuen Substanz ermöglichen. Nach Beendigung der Evaluation einer Substanz können das Umwelt- und Gesundheitsministerium gemeinsam der Bundesregierung eine giftige Substanz zur Aufnahme auf die "Liste der giftigen Substanzen" (List of Taxie Substanees) empfehlen (Section 33 CEPA i.V.m. Anlage 1). Gemäß Section 48 CEPA müssen dafiir bestimmte Verfahrensschritte eingehalten werden. Nur Substanzen, die auf der Taxie Substanees List stehen, dürfen hinsichtlich ihrer Herstellung, ihres Gebrauchs, ihrer Entsorgung oder weiterer Anforderungen durch Verordnungen gemäß Section 34 CEPA reglementiert werden. 93 Da das geschilderte Verfahren der Evaluation sehr aufwendig und langwierig ist, hat das Umweltministerium die Befugnis, bei Gefahr im Verzug sogenannte Interim Orders fiir einen befristeten Zeitraum zu erlassen.94 Section 41 bis 45 CEPA enthalten Bestimmungen, die die Ein- und Ausfuhr von giftigen Stoffen verbieten oder einschränken, wenn diese Stoffe in einem der drei Teile der Anlage II des Gesetzes als "Verbotene Substanzen" (Prohibited Substanees), als "Giftige Substanzen mit Ausfuhr-Genehrnigungserfordernis" (Taxie Substanees Requiring Export Notifieation) oder als "Gefahrlicher Abfall mit Ausfuhr-Genehrnigungserfordernis" (Hazardous Waste Requiring Export Noti.fieation) aufgefiihrt sind. Die Listen dieser Substanzen wurden vom Umweltministerium zusammengestellt und sind in Anlagen (Sehedu/es) zum Gesetz veröffentlicht. 95 CanadaGazette 1989, Part I, 543-545 undCanadaGazette 1995,Part I, 4238-4240. Die Domestic Substances List und die Non-domestic Substances List wurden am 26. Januar 1991 als Beilage zur Canada Gazette Part I veröffentlicht. 93 Zur Zeit enthält die List ofToxic Substances 21 Substanzen (Schedule I CEPA). Das Verfahren der verschiedenen Listen als Anhang zum CEPA ist stark von den Regelungsstrukturen in den USA beeinflußt,Hoberg, II Journal ofPublic Policy (1991), 107, 123/124. 94 Zu den Voraussetzungen siehe Darstellung bei Hughes u.a.(Hg.), Environmental Law and Policy, 1993, 180. 95 Zur Zeit gibt es in Kanada acht Prohibited Substances (Schedule II, Part I CEPA), 22 Taxie Substances Requiring Export Notification (Schedule II, Part II CEPA) und 111 Substanzen, die als Hazardous Waste Requiring Export or Import Notification (Schedule III CEPA) in den Anlagen zu CEPA aufgeflihrt sind, siehe Hughes u.a., Environmental Law and Policy, 181-183. Da diese Anlagen des Gesetzes nun durch Verordnungen geändert werden dürfen, handelt es sich um sogenannte "Henry VIII.'s" (gesetzesändemde) Klauseln, die von diesem Monarchen gerne genutzt wurden und deshalb seinenNamen erhielten; 91
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I. Teil: Charakteristika der Umweltschutz-Verordnungsgebung
CEPA enthält zahlreiche Ermächtigungsgrundlagen, um die auf den Listen aufgefiihrten Substanzen in jeder denkbaren Weise zu reglementieren.96 Ermächtigt ist entweder die Regierung (Governor in Council) allein97, die Regierung aufgrund eines Vorschlags der Umwelt- und Gesundheitsminister98, oder die Regierung nur aufgrund eines Vorschlages des Umweltministers99• Die meisten Verordnungen sind bislang unter Teil II des Gesetzes erlassen worden, um giftige Substanzen von der Herstellung bis zur letzten Beseitigung ( Cradleto-Grave Approach) gesetzgebefisch zu erfassen. Zum Teil sind die Sections des Gesetzes erst vollzugsfähig, wenn entsprechende Verordnungen erlassen wurden, z.B. Sections 36 bis 40 CEPA. 100 CEPA sieht in einigen Sections vor, 101 daß Verordnungen vorveröffentlicht werden und die Öffentlichkeit während eines Zeitraumes von 60 Tagen die Gelegenheit zur Stellungnahme hat. Die Vorveröffentlichung erfolgt in der Canada Gazette Part I. Auch fiir den Erlaß von Quasi-Legislation (Quality Objectives, Guidelines und Code of Practices) sieht Section 8 (3) CEPA die Möglichkeit von Beratungsverfahren vor. Section I 0 CEPA verlangt die Veröffentlichung der Vorschriften oder einen Hinweis aufsie in der Canada Gazette. Section 87 (2) CEPA gestattet die Verweisung aufprivate Normen und Spezifikationen. Es kann dabei auf den jeweiligen Stand der Normen verwiesen werden (dynamische Verweisung). 102 Die Frage der Veröffentlichung der in Bezug genommenen Normen wird im CEPA nicht angesprochen. 103 Section 5 und 6 ermöglichen die Einsetzung von Kommissionen (Advisory Committees) zur Beratung des Ministers und zur Abstimmung mit den Provinzen. Allgemein enthält das Gesetz in Section 2 (d) CEPA die Pflicht der Regierung, "to encourage the participation of the people of Canada in the making of decisions that dazu Holland!McGowan, Delegated Legislation in Canada, 1989, 178. Änderungen der Anlagen werden im Consolidated Index ofStatutory Instruments aufgeflihrt. 96 Schaubild zur Erklärung des Reglementierungsverfahrens bei Conway, in: Getting it Green, 1990, 25, 30. rn In Sections 22; 38; 45 (3); 47; 50 (2); 59; 86 und 120 CEPA. 98 Sections 32; 34 (1); 34 (2); 54 (I) und (2) CEPA. 99 Sections 61 (!); 63 und 134 CEPA. 100 Dazu Hughes u.a.(Hg.), Environmental Law and Policy, 1993, 180/181. 101 Dazu siehe unten, 2. Teil, A. V. 1. 102 Dies wird von den Gerichten in Kanada nicht beanstandet, Keyes, Executive Legislation, 1992, 278 und 283. Von der Ermächtigung in Section 87 (2) CEPA scheint noch kein Gebrauch gemacht worden zu sein. 103 Für Veröffentlichungspflicht wohl Keyes, Executive Legislation, 1992, 277; es gilt, daß die einbezogenen Dokumente den Adressaten zugänglich sein müssen, die sie betreffen, Keyes, Executive Legislation, 1992, 278; Hogg, Constitutional Law of Canada, 3. Aufl. 1992, 359-363, diskutiert unter der Überschrift lncorporation by Ref erence nur Fälle der Einbeziehung des Rechts anderer Provinzen.
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affect the environment" (die Bürger zur Beteiligung an den den Umweltschutz betreffenden Entscheidungen zu ermutigen).
IV. Reformansätze In beiden Ländern gibt es Bestrebungen, das Umweltrecht effektiver zu gestalten. Dabei sind insbesondere auch Vorschläge zur Änderung des Verfahrens der Verordnungsgebung gemacht worden. In Deutschland (dazu unter 1.) wurden zum einen Professoren der Rechtswissenschaft von der Bundesregierung mit der Entwicklung eines Umweltgesetzbuches beauftragt. Im Allgemeinen Teil des Entwurf zu einem Umweltgesetzbuches {UBG-AT) fmden sich Regelungen zum Verfahren der Verordnungsgebung. Zum anderen hat der Rat von Sachverständigen fiir Umweltfragen (SRU) in seinem Umweltgutachten 1996 die grundlegende Neuordnung des Verfahrens zur Erarbeitung von Umweltstandards gefordert. In Kanada (dazu unter 2.) fand 1995 die gesetzlich vorgesehene Überprüfung von CEPA durch den Parlamentsausschuß für Umwelt und dauerhaft-umweltgerechte Entwicklung (House ofCommons Standing Committee on Environment and Sustainable Development) statt, in deren Rahmen auch Vorschläge zur Reform des Verfahrens der Umweltschutz-Verordnungsgebung gemacht wurden. Des weiteren wurden von der Regierung Gesetzentwürfe zur generellen Reform des Regulatory Systems vorgelegt.
I. Spezifisch umweltrechtliche Reformen in Deutschland Die Diskussion um eine Reform des Verfahrens der Verordnungsgebung ist in Deutschland bislang eine spezifisch umweltrechtliche. Vorschläge zu einer allgemeinen Neuordnung des Verfahrens exekutiven Rechtsetzung fmden sich in Deutschland erst vereinzelt. 104 a) Entwurf eines Umweltgesetzbuches Um das bestehende deutsche Umweltrecht zu überarbeiten und in einer Kodifikation zusammenzufassen, beauftragte die Bundesregierung im Jahre 1988 Professoren der Rechtswissenschaft, einen Entwurf zu einem Umweltgesetzbuch zu erarbeiten. Ein Allgemeiner Teil wurde im Jahre 1991 veröffentlicht, 105 ein Be104 Für das Verwaltungsverfahrensgesetz als Ort der Ausgestaltung eines Verfahrensrechts exekutiver Normsetzung Hili, DVBl 1993, 973, 982; SRU, Umweltgutachten 1996, Tz. 848; Pünder, Exekutive Normsetzung, 1995, 293/294, gibt keinen Hinweis auf die rechtliche Verortung seines Regelungsvorschlages, es könnte sogar an eine Aufnahme in das GrÜndgesetz (zu Art. 80) gedacht sein. 105 Kloepfer u.a., Umweltgesetzbuch- Allgemeiner Teil, 1991 .
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I. Teil: Charakteristika der Umweltschutz-Verordnungsgebung
sonderer Teill994 106• Die Autoren bemühten sich vor allem im Allgemeinen Teil neben einer ,,registrierenden und systematisierenden Zusammenfassung auch um eine (behutsame) rechtsschöpferische Weiterentwicklung des Umweltrechts" 107 • Im Kapitel 9 des "Allgemeinen Teils" sind Vorschriften enthalten, die die Beteiligung interessierter Kreise und die Öffentlichkeit des Verfahrens betreffen. Kapitell 0 regelt die Rechtsetzung und Regelsetzung durch Rechtsverordnungen, Verwaltungsvorschriften und technische Regelwerke. Die Verfasser des Entwurfs befiirworten eine Formalisierung der bislang vorwiegend informal ablaufenden Informations- und Beratungsgespräche im Vorfeld der Verordnungsgebung.108 Die Öffentlichkeit soll ein Recht aufEinsieht in zur Vorbereitung von Verordnungen genutzte Dokumente und Unterlagen erhalten. Dieses Einsichtsrecht soll dann beginnen, wenn ein Verordnungsentwurf zum Zwecke der Beteiligung in Umlauf gegeben wurde(§ 143 III UGB-AT). Die Beteiligung der interessierten Kreise vor Erlaß einer Verordnung wird in § 152 UGB-AT vorgeschlagen. Generell soll die Verwaltung verpflichtet werden, Verordnungen nach wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Grundsätzen zu entwerfen(§ 153 UGB-AT). 1994 wurde eine interdisziplinär zusammengesetzte Sachverständigen-Kommission (SVK-UGB) vom Bundesumweltministerium beauftragt, 109 die sogenannten Professsorenentwürfe in Gesetzentwürfe umzuwandeln. Der Entwurf der SVK-UGB wurde im Sommer 1997 vorgelegt. Mit dem Erlaß eines Umweltgesetzbuch ist allerdings vor dem Ende des Jahrhunderts nicht zu rechnen. 110 Ziel der SVK-UGB war es weiterhin, gerade das Verfahrensrecht vereinheitlichend zusammenzuführen und "Ordnung in die untergesetzliche Normgebung" zu bringen. 111 Der Entwurfder SVK-UGB enthält in den§§ 16 bis 20 den Vorschlag eines ganz neuartigen Verfahrens für die Setzung untergesetzlicher Normen. Eine neu zu gründende Umweltkommission wird in die Vorbereitung eingeschaltet und soll insbesondere fiir die Einarbeitung von Vorschlägen der Öffentlichkeit in die Normen Sorge tragen.
106 Jarass u.a., Umweltgesetzbuch - Besonderer Teil, 1994; dazu Rehbinder, Natur und Recht 1994,313. 107 Kloepfer u.a., Umweltgesetzbuch- Allgemeiner Teil, 1991, 13. Dazu Storm, in: Auf dem Weg zum Umweltgesetzbuch, 1992, 9, 16-21; sehr kritisch Breuer, UPR 1995, 365, 366-369. 108 Rose-Ackerman, Umwe1trecht, 1995, 188, hält die Vorschläge fiir einen richtigen Schritt, insgesamt aber flir nicht weitgehend genug. 109 Zur Arbeit und auch zur Zusammensetzung der SVK-UGB, Send/er, NVwZ 1996, 1145, 1146. 110 Send/er, NVwZ 1996, 1145, 1151; offen gelassen Rehbinder, Natur und Recht 1994,313. 111 Send/er, NVwZ 1996, 1145, 1149.
A. Umweltschutz-Verordnungen
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b) Neuordnung der Verfahren zur Umweltstandardsetzung Der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen (SRU, auch Umweltrat genannt) hat den Vierten Abschnitt seines im März 1996 vorgelegten Umweltgutachtens112 der Bedeutung, Situationsanalyse und Verfahrensvereinheitlichung von Umweltstandards gewidmet. Unter Umweltstandards versteht der SRU "quantitative Festlegungen zur Begrenzung verschiedener Arten anthropogener Einwirkungen auf den Menschen und/oder die Umwelt". 113 Die Festlegung der Standards erfolgt dabei entweder als hoheitliche (Gesetz, Verordnung, Verwaltungsvorschrift) oder als nicht-hoheitliche Standards (private Normen). Im Falle der hoheitlichen Festlegung überwiegt die Rechtsform der Verordnung. 114 Als Ergebnis seiner ausführlichen Analyse bemängelt der SRU,
"- eine begriffliche und nomenklatorische Vielfalt mit weitgehend undefinierten Inhalten, - mangelnde Beteiligung von Öffentlichkeit und gesellschaftlichen Gruppen; fehlende oder unzureichende Begründung fiir die getroffene Entscheidung bei der weit überwiegenden Zahl von Standards, -mit wenigen Ausnahmen das Fehlen klarer Verfahrensordnungen sowie die häufige Nichtveröffentlichung der Rekrutierung und der Zusammensetzung von Entscheidungsgremien und - uneinheitliche Zuordnung der rechtlichen Verbindlichkeit; in den meisten Fällen das Fehlen klarer Regelungen der Überwachung und zeitlicher Fortschreibung gesetzter Standards." 11 f'
Der SRU empfiehlt für alle Verfahren der Standardfestsetzung ein Modell eines mehrstufigen Umweltstandardsetzungsverfahrens, das hinsichtlich der Verfahrensstufen, der Beteiligung und der Transparenz vereinheitlicht ist. 116 Grundelemente 112 Veröffentlichung als BT-Drucksache 13/4108 vom 14. März 1996. Zur Reform der kooperativen Normsetzung auch Kloepfer, DVB1 1996, 964, 970/971 . 113 SRU, Umweltgutachten 1996, Tz. 727. Akademie der Wissenschaften, Umweltstandards, 1992, 33, definieren sie als "Rechtsvorschriften, Verwaltungsvorschriften oder private Regelungen (z.B. DIN Vorschriften), durch die umweltbezogene, unbestimmte Rechtsbegriffe durch Operationalisierung und Standardisierung von meßbaren Größen in konkrete Verbote, Gebote oder Erlaubnisse umgesetzt werden." Zum Begriff des Umweltstandards siehe auch Hüttermann, Grenzwerte, 1993, 45-47. 114 SRU, Umweltgutachten 1996, Tz. 735 und 748; von 81 hoheitlichen Umweltstandards sind 60, d.h. 74%, in der Rechtsform der Verordnung ergangen. 115 SRU, Umweltgutachten 1996, Tz. 915. 116 SRU, Umweltgutachten 1996, Tz. 917 und Übersichten in Abbildungen 4.21. und 4.22. Wenn der Entscheidungsprozeß als intransparent und viele geseJischaftliche Gruppen von dem Prozeß der Problemdefinition ausschließend wahrgenommen wird, kann der Eindruck entstehen, daß die Umwelt "das Stiefkind der öffentlichen Polik sei, bzw. es an Initiative im Umweltschutz mangele, so Akademie der Wissenschaften Berlin, Umweltstandards, 1992, 328. Die 'Schaffung eines gesetzlich festgeschriebenen prozedura1en und organisatorischen Rahmens flir die gesetzeskonkretisierende GrenzwertaufsteJiung' hält auch Hüttermann, Grenzwerte, 1993, 145, flir 'zunehmend notwendiger'.
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I. Teil: Charakteristika der Umweltschutz-Verordnungsgebung
dieses Idealtypus sollen (1.) eine naturwissenschaftliche Zustandsanalyse und (2.) die Bestimmung der Kapazitäten an technischen Reduktionspotentialen und deren ökonomichen Kosten sein. Das dritte Element ist die öffentliche Diskussion zum Interessenausgleich zwischen gesellschaftlichen Einflußgrößen und die Auslotung politischer Handlungsspielräume im Vorfeld der Entscheidung. 111 Die Wichtigkeit der Beteiligung von Umweltverbänden am Verfahren der Standardsetzung wird vom SRU besonders betont. 118 Da einer dergestaltigen Neuordnung des Verfahrens vielfältige Schwierigkeiten entgegenstehen, schlägt der SRU als ersten Schritt zunächst nur die Schaffung eines Prototyps einer Verfahrensordnung nach Beratung durch ein zentrales Beratungsgremiums vor, das aus Vertretern der wesentlichen Fachdisziplinen, gesellschaftlichen Gruppen und der Verwaltung, jeweils auf dem Gebiet der Standardsetzung bestehen sol1. 119
2. Vie/fiiltige Reformen in Kanada Die in Kanada vorfmdbaren Reformansätze fiir das Verfahren der Verordnungsgebung sind nicht auf das Gebiet des Umweltschutzes beschränkt. Regulatory Reform fiir bestimmte wirtschaftliche Sektoren ist eiti. Arbeitsschwerpunkt der kanadischen Regierung. 120 Die unter b) vorgestellten Gesetzentwürfe betreffen potentiell jede Verordnungsgebung. a) Überarbeitung von CEPA Section 139 CEPA verlangt, daß das Gesetz und seine Anwendung innerhalb von fiinf Jahren nach seinem Erlaß von einem Ausschuß des House ofCommons überprüft werden. 121 Diese Überprüfung ist im Juni 1994 vom Umweltausschuß 117 SRU, Umweltgutachten 1996, Tz. 865 und 917. Ähnliches war von der Arbeitsgemeinschaft flir Umweltfragen schon 1986 vorgeschlagen worden, AGU, Umweltstandards, Das Umweltgespräch Nr. 29, 8/9. 118 SRU, Umweltgutachten 1996, Tz. 703; es wird auch die Einführung der Verbandsklage in all den Bereichen gefordert, in denen Umweltverbänden eine Verbandsbeteiligung eingeräumt ist, Tz. 705. 119 SRU, Umweltgutachten 1996, Tz. 919/920. 120 Diese Wirtschaftszweige sind die Automobil Industrie, die Gentechnologie, der Bergbau, die Forstwirtschaft und die Fischerei; neueste Entwicklungen können durch das Internet auf der Web-Page des kanadischen Treasury Board Secretariat eingesehen werden, http://www.tbs-sct.gc.ca/tb/home-eng.html. 121 Durch diese Berichtspflicht fiele das Gesetz nach Hoffmann-Riem, in: FS flir Wemer Thieme, 1993, 55, 56, schon in die Kategorie der experimentellen Gesetzgebung. Eine parlamentarische Überprüfung von CEPA soll nun regelmäßig alle sieben Jahre erfolgen, CEPA Review, The Govemment Response, 1995, Nr. 2.16, 21.
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des kanadischen Parlaments unter Vorsitz von Charles Caccia, der von August 1983 bis Juli 1984 Bundesumweltminister war, begonnen worden. Zur generellen Unterstützung des Ausschusses wurde beim Umweltministerium ein CEPAOffice eingerichtet, das unter anderem zwanzig Studienberichte zu einzelnen Themen erstellte. Der Ausschuß hielt 55 öffentliche Anhörungen ab, hörte über 300 Personen als Zeugen122 und erhielt über 70 zum Teil ausführliche schriftliche Stellungnahmen. Fünf Gespräche wurden als "Gespräche am runden Tisch" mit einer geringen Anzahl von Teilnehmern gefiihrt, die unterschiedliche Interessengruppen vertraten.123 Am 20. Juni 1995 legte der Ausschuß seinen Abschlußbericht mit insgesamt 141 Vorschlägen fiir die Überarbeitung von CEPA vor. Die Ausschußmitglieder der offiZiellen Opposition des Bloc Quebecois lehnten den Bericht in ihrer Stellungnahme insgesamt ab. 124 Hinsichtlich der Verordnungsgebung schlug der Ausschuß in Empfehlung Nr. 112 vor, CEPA dergestalt abzuändern, daß alle Verordnungen, Umweltschutzziele, Richtlinien, Vereinbarungen, Genehmigungen oder andere aufgrund des Gesetzes erstellten Dokumente vorveröffentlicht werden und die Öffentlichkeit eine angemessene Möglichkeit erhält, Stellungnahmen zu ihnen abzugeben. Dafiir soll gesetzlich eine Frist von sechzig Tagen vorgesehen werden, es sei denn, der Minister entscheidet, daß nach in CEPA festzulegenden Kriterien eine Notfallsituation vorliegt und deswegen eine kürzere Frist oder keine Ankündigung der Maßnahme gerechtfertigt ist. Der Minister soll desweiteren ausdrücklich dazu verpflichtet werden, die eingegangenen Stellungnahmen der Öffentlichkeit zu beachten und in einer schriftlichen Zusammenfassung darzulegen, in welcher Weise sie beachtet worden sind. 125 Weitere Vorschläge des Ausschusses zur Verordnungsgebung betreffen den Ausbau des Einspruchsrechts (Nr. 113), die Möglichkeit, Substanzen, die in Mit-
122 Liste aller gehörten Zeugen, alphabetisch geordnet nach den von ihnen vertretenen Organisationen mit Angabe des Datums der Anhörung und Verweis auf die Nummer des Ausschußprotokolls als Anhang A des Abschlußberichts des Ausschusses, Hause of Cammans, lt's about our Health, 1995, 319-332. 123 Liste dieser Veranstaltungen mit Datum, Ort und Angabe der Teilnehmer in Hause af Cammans,lt'saboutourHealth, 1995,333-337. 124 Hause ofCammans, It's about our Health, 1995, 347-356. Die Ablehnung wurde damit begründet, daß der Bericht vor allem versuche, die Zuständigkeit des Bundes auf dem Gebiet des Umweltschutzes auf Kosten der Provinzen auszudehnen. Alle Argumente fllr eine größere Dezentralisierung, die vom Bloc Quebecois befürwortet wird, seien unbeachtet geblieben. Sehr kritisch zum Abschlußbericht Leiss, in: Policy Frameworks, 1996, 121, 123 und 130, Fn. 14. 125 Hause afCommons, It's about our Health, 1995, 210/2ll, Erläuterung der Vorschläge, 207-210.
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I. Teil: Charakteristika der Umweltschutz-Verordnungsgebung
gliedsländem der Organization for Economic Cooperation and Development (OECD) verboten oder sonst reglementiert sind, auch in Kanada durch Verordnung zu verbieten oder zu reglementieren (Nr. 13, 18 und 26) und inhaltliche Erweiterungen von Verordnungsermächtigungen (Nr. 65, 70, 74, 76, 92). Am 14. Dezember 1995 veröffentlichte die kanadische Bundesregierung ihre Erwiderung auf den Bericht des Parlamentsausschusses. 126 Mit diesem Datum begann eine neunzigtägige Frist zur Vorlage von schriftlichen Stellungnahmen an die Regierung. Die Regierungserwiderung, die eine andere Struktur als der Parlamentsbericht hatte, hielt sich gerade hinsichtlich der Vorschläge zu einem geänderten Verordnungsgebungsverfahren sehr zurück. Zwar war die Regierung bereit, u.a. geplante Verordnungen in einem elektronischen Verzeichnis öffentlich zugänglich zu machen (Erwiderung Nr. 3.2.), verbindliche gesetzliche Regelungen fiir eine Frist für Stellungnahmen oder ein generelles Einspruchsrecht wurden aber nicht in Aussicht gestellt. Der von der Regierung ins Parlament eingebrachte Gesetzentwurf folgte dann in weiten Teilen jedoch dem Parlamentsbericht Mit 343 Sections in jetzt sieben Teilen stellt der Entwurf fast eine Verdopplung des alten CEPA dar. Section 332 des Entwurfs soll das Verfahren der Vorveröffentlichung vereinheitlichen. 127 Zu einer abschließenden Beschlußfassung über das Gesetz kam es bislang nicht, da Wahlen zum kanadischen Parlament fiir den 2. Juni 1997 einberufen wurden. Der Gesetzentwurf muß daher nach den Wahlen neu in das parlamentarische Verfahren eingebracht werden. b) Entwürfe des Regulatory Efficiency Act und des Regulation Act Im Dezember 1994 brachte die Regierung im Parlament den Entwurf eines Regulatory Efficiency Act als Bill C-62 ein. Ziel des Gesetzentwurfes war es, es den Adressaten von Verordnungsverpflichtungen in bestimmten Fällen zu gestatten, mit der sie überwachenden Behörde in einem sogenannten Compliance Plan eine Einhaltung der Ziele der Verordnung in anderer als der an sich in der Verordnung vorgesehenen Weise auszuhandeln. 128 Während die Regierung dies als Flexibilisierung pries, lehnten speziell Umweltschutzgruppen eine solche Möglichkeit wegen der Gefahr des UnterschreiteDs von Schutzbestimmungen kategorisch ab. Wegen des in Kanada schon nach jeder jährlichen Sitzungsperiode des Parlaments eingreifenden Grundsatzes der Diskontinuität ist dieser Ge-
CEPA Review, The Government Response, 1995. Der Gesetzentwurf ist im Internet abrufbar unter http://www.doe.ca (Mai 1997). 128 Darstellung und Diskussion des Gesetzentwurfes, Weiler, 8 Canadian Journal of Administrative Law and Practice (1995), 101, 1091110 und 114-121. 126 127
B. Begriffe und Abgrenzungen
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Setzentwurfjedoch zunächst hinfallig geworden {"died on the Order Paper"). Er ist bis Ende Juni 1996 nicht erneut ins Parlament eingebracht worden. Eine weitere Reforminitiative stellt der Entwurf des Regulation Act dar. Er wurde zunächst am 26. April1995 als Bill C-84 in das parlamentarische Verfahren eingebracht; nach Ablauf der Sitzungsperiode wurde er durch das erneute Einbringen nun zu Bill C-25. Der Entwurfist bewußt in sogenannter p/ain /anguage, also möglichst allgemein verständlich,129 verfaßt worden und sieht vor allem eine präzisere Fassung der bestehenden rechtlichen Regeln des Verordnungsgebungsverfahrens vor. Eine Verrechtlichung von Aspekten des Verfahrens der Verordnungsgebung, die zwar in der Praxis vorgenommen werden (Begriindung, Vorveröffentlichung), 130 ist im Regierungsentwurf nicht geplant. Die Ausschußberatung kann aber diesbezüglich noch Veränderungen bringen. Auf vorgesehene Neuerungen des Gesetzentwurfes, die für diese Arbeit von Bedeutung sind, wird an den entsprechenden Stellen der Arbeit eingegangen.
B. Begriffe und Abgrenzungen Sowohl die deutsche Rechtsverordnung als auch die kanadische delegated Legislation (delegierte Rechtsetzung) stehen in der Normenhierarchie zwischen dem förmlichen Parlamentsgesetz und weiteren untergesetzlichen, administrativen Rechtssetzungsformen. Im folgenden sollen die Normbegriffe, wie sie im weiteren Gang der Untersuchung verwendet werden, geklärt werden, und eine Abgrenzung der verschiedenen Rechtssatzformen voneinander vorgenommen werden. Dabei kann es gemäß der von Böckenförde herausgearbeiteten Unmöglichkeit der Festlegung von allgemeingültigen oder gar apriorischen Rechtsbegriffen nur um die konkrete Entwicklung der in den soziologischen Realitäten und rechtlichen Gegebenheiten der beiden Länder vorhandenen Typenbegriffe gehen. 131 Der zweite Abschnitt wird im einzelnen auf die Funktion und 129 Das Verfassen von Gesetzestexten in plain language ist ein in Kanada genutzter Weg, der zur besseren Verständlichkeit des Rechts beitragen soll. In Deutschland müssen Gesetzes- und Verordnungsentwürfe, bevor sie dem Kabinett zur Beschlußfassung vorgelegt werden, gemäß § 37 i.V.m. § 67 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien- Besonderer Teil (GGO II) dem Redaktionsstab der Gesellschaft für deutsche Sprache zugeleitet werden; dazu Leidinger, in: Praxis der Gesetzgebung, 1984, 47, 53. Wegen mangelnder juristischer Sachkunde und ungenügender organisatorischer Einbindung hält Kindermann, in: Studien zu einer Theorie der Gesetzgebung, 1982, 258, 264, dies aber für in der Sache wenig erfolgreich; ähnlich Schneider, Gesetzgebung, 2. Aufl 1991, Rn. 113. 130 Dazu siehe unten, C. II. 2. und passim. 131 Böckenforde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, 2. Aufl. 1981, 332 und 335; vgl. auch Kirchhof, Private Rechtsetzung, 1987, 27.
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I. Teil: Charakteristika der Umweltschutz-Verordnungsgebung
Bedeutung der Rechtsform der Verordnung bzw. von Regulations eingehen. Auch die Begriffe der Mitwirkung und Beteiligung bedürfen der Klärung (dazu unter III.). Ihre Funktion und Bedeutung in Verfahren der exekutiven Normsetzung werden unter IV. erörtert.
I. Normenhierarchie und Normenkonkretisierung Normen oder Rechtssätze sind immer durch Allgemeinheit und Abstraktheit gekeiUlZeichnet. Es sind Regeln, die für das Verhalten einer Vielzahl von Personen in bestimmten, vertypten Situationen über einen gewissen Zeitraum hinweg gelten. 132 Dadurch sind Normen geeignet, einen sachgerechten und die Gleichbehandlung sichemden Vollzug zu gewährleisten. 133 Normative Regeln sind notwendig, um Politik praktisch umzusetzen. 134 Rechtssätze weisen verschiedene Dimensionen auf. Wenn man Normen unter dem Aspekt der Normenhierarchie ordnet, ist die jeweilige Stellung der Norm im Verhältnis zu anderen Rechtssätzen entscheidend. Die Dimensionen des Inhalts, des Charakters oder auch der Struktur einer Norm ermöglichen weitere Abgrenzungen und damit auch eine etwas andere Untergliederung von Normen. 135 Die sich dann ergebende Einteilung muß neben Gesetz und Verordnung auch die Kategorie der privaten Normen enthalten. 136 Unter privaten Normen sollen hier nur Regelungen verstanden werden, die von denjeweiligen Normungsinstituten der Industrie bzw. anderen, nicht hoheitlich tätigen Vereinigungen gesetzt werden und die sich insbesondere auftechnische Sachverhalte beziehen. In einem sinnvoll ineinander greifenden, gestuften Rechtssatzsystem müssen sie mit dem staatlichen System verbunden werden. 137 Nur wenn auf sie in staatlichen Rechtsnormen verwiesen wird, haben private Normen allgemeinverbindliche Wirkung. 138
132 Ossenbühl, in: HStR III, 1988, § 61, Rn. II; Kirchhof, Private Rechtsetzung, 1987, 64 und 75; Keyes, Executive Legislation, 1992,24-27. 133 Badura, in: GS fiir Wolfgang Martens, 1987, 25, 25126; ähnlich Kloepfer, in: Zustand und Perspektiven der Gesetzgebung, 1989, 187, 210. 134 Holland/McGowan, Delegated Legislation, 1989, 102. 135 Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, 1986, 128, unterscheidet zwischen 'Regelungsebene' und 'Regelungsdichte'. 136 Mayntz, Die Verwaltung 1990, 137, 140, ordnet technische Normen in die Normenhierachie ein; auch Kunig, in: Auf dem Weg zum Umweltgesetzbuch, 1992, 157, ist der Ansicht, daß die im gesellschaftlichen Raum aufgestellten technischen Regelwerke zur exekutiven Rechtsetzung gehören. 137 Ossenbühl, DÖV 1982, 833, 842. 138 Zu den Wirkungen privater Normen im Zivil- und Strafrecht, Müller-Foel, Technische Normen, 1987, 25-31.
B. Begriffe und Abgrenzungen
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I. Gesetze und Statutes Sowohl Deutschland als auch Kanada ordnen die staatlichen Rechtsquellen in einer Normenhierarchie. Dies dient der Einheit und Folgerichtigkeit der Rechtsordnung.139 Das entscheidende Kriterium fiir die Stellung einer Norm in dieser Hierarchie ist die Stellung bzw. der Status des jeweiligen Normgebers. 140 Das, was als Produkt am Ende eines jeweils vorgeschriebenen verfassungsrechtlichen Verfahrens steht, hat die Stellung eines Gesetzes bzw. einer Statute. Eine inhaltliche Defmition oder Beschränkung kann141 und braucht nicht vorgenommen zu werden. Dies ist die Folge der Legitimationswirkung des vom Volk direkt gewählten Gesetzgebers. Die Unterscheidung zwischen materiellen und formellen Gesetzen nach dem jeweiligen Inhalt und Charakter142 ist deswegen obsolet. 143 In Kanada lautet der dogmatische Lehrsatz, der englischen Rechtstradition folgend, daß das souveräne Parlament "beliebig jedes Recht schaffen oder abschaffen" kann. 144 Jedoch ist in Kanada die parlamentarische Allgewalt, wie auch in Deutschland, durch die föderale Struktur einerseits und eine Verfassungsurkunde, das Grundgesetz bzw. den Constitution Act, 1982 und die Charter of Rights and Freedoms andererseits, beschränkt worden. 145 Dadurch ergeben sich nun rechtliche Unterschiede zwischen Kanada und Großbritannien. Das Parlamentsgesetz hat in der nationalen Ordnung nach der jeweiligen Verfassung den Geltungsvorrang vor Normen, die von der Exekutive gesetzt worden sind. Im konkreten Fall istjedoch zunächst die rangniedrigere, bzw. die am konkretesten und ausfiihrlichsten formulierte Regelung anzuwenden, bevor auf höherrangiges Recht zurückgegriffen werden darf. Die Legislative kann durch eigene Gesetzgebung jede der delegierten Materien wieder an sich ziehen.146 Auf Schwierigkeiten in der Anwendung der Normenhierachie, die durch
139 Bülow, in: HVerfR, 2. Aufl. 1994, § 30, Rn. 10; kritisch zum Bestehen einer eindeutigen Rechtsnormenhierarchie Schulze-Fielitz, Theorie und Praxis parlamentarischer Gesetzgebung, 1988, 143. 140 Ossenbühl, in: HStR III, 1988, § 62, Rn. 2; Driedger, 38 Canadian Bar Review (1960), 1,2. 141 Ossenbühl, in: HStR III, 1988, § 61, Rn. 5 und 13; Schmidt-Aßmann, Kommunale Rechtsetzung, 1981, 4. 142 Maunz, in: MID-GG Kommentar, 1978, Art. 80, Rn. 14 m.w.N. zu dieser alten Auffasung. 143 Zu der Bedeutung dieser Unterscheidung im Verfassungsrecht Bülow, in: HVerfR, 2. Aufl.l994, § 30, Rn. 6 und 7. 144 Dicey, Introduction to the Study ofthe Law ofthe Constitution, I 0. Aufl. 1961,39-85. 145 Hogg, Constitutional Law of Canada, 3. Aufl. 1992, 302, 304; Chapin/Deneau, Citizen Involvement, 1978, 7. 146 Maunz, in: M/D-GG Kommentar, 1978, Art. 80, Rn. 37; Wilke, AöR 98 (1973), 196, 215; Keyes, Executive Legislation, 1992, 10.
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I. Teil: Charakteristika der Umweltschutz-Verordnungsgebung
eine bundesstaatliche Gliederung entstehen, kann hier nicht weiter eingegangen werden. 147 Das Verfahren der Gesetzgebung ist in Deutschland in Grundzügen im Grundgesetz geregelt. Die Geschäftsordnungen der gesetzgebenden Körperschaften enthalten weitere Vorschriften, insbesondere fiir die sogenannte "innere" Gesetzgebungsarbeit. 148 Die kanadische Verfassungsurkunde, das Verfassungsgesetz von 1867, enthält nur wenige Bestimmungen, die das Gesetzgebungsverfahren betreffen. Section 17 legt fest, daß das kanadische Parlament aus der Königin, dem Oberhaus (Senate) und dem Unterhaus (Hause of Commons) besteht. Section 55 regelt die königliche Zustimmung zu Gesetzen. Alle anderen Regelungen des Gesetzgebungsverfahren sind teils in Statutes, teils in Geschäftsordnungen (Standing Orders) oder in den verfeinerten Traditionen des englischen Parlamentswesens ( Conventions ofthe Constitution) enthalten. 149 In beiden Ländern ist das Gesetzgebungsverfahren ein sehr offenes Verfahren. Parlamentsdrucksachen sind öffentlich, Sitzungen des Parlamentsplenums sind öffentlich, und über die Abgeordneten steht es jedem Interessierten zu, auf den Inhalt von Gesetzen Einfluß zu nehmen. 150 Öffentliche Einflußnahme wird durch die Abhaltung von Anhörungen ermutigt und gef6rdert.151 Gemeinsam ist beiden Ländern auch, daß es durch das parlamentarische Regierungssystem zu einer Verschränkung der legislativen mit der exekutiven Gewalt kommt. Dies ist nicht nur verfassungsrechtlich so vorgesehen, sondern wirkt sich im Gesetzgebungsverfahren auch ganz praktisch dadurch aus, daß Gesetzentwürfe im allgemeinen durch die Exekutive, also die Ministerialverwaltung, angefertigt werden. Dabei verwendet Kanada ein zentralisiertes Verfahren: nur die Legislation Section des Justizministeriums in Zusammenarbeit mit dem jeweiligen federführenden Mini-
147 Für Deutschland dazu Bülow, in: HVerfR, 2. Aufl. 1994, § 30, Rn. 12; Maunz, in: M/D-GG Kommentar, 1978, Art. 80, Rn. 44/45. Für Kanada Hogg, Constitutional Law ofCanada, 3. Aufl. 1992,353-358, Keyes, Executive Legislation, 1992,44-47. 148 Zum Verfahren der Gesetzgebung Ossenhühl, in: HStR III, 1988, § 63, insb. Rn. 1738. Begriff des 'inneren' Gesetzgebungsverfahrens wohl zuerst von Schwerdtfeger, in: Hamburg-Deutschland-Europa, 1977,173,178. 149 Hogg, Constitutional Law, 3. Aufl. 1992, 11112 und 17-26; Heard, Canadian Constitutional Conventions, 1991, 77 der auf die Relevanz der Anweisungen des Parlamentspräsidenten (Speakers' Rulings) hinweist. Speziell zum Parlamentsrecht Bourinot, Parliamentary Procedure and Practice in the Dominion of Canada, 1884 (1971) und seine Anlehnung an die Gebräuche in Großbritannien, 338; Dawson, Procedure in the Canadian House of Commons, 1962. I50 Menge/, ZRP 1984, 153, 156. 151 Zu den Verfahrensunterschieden zwischen Gesetz- und Verordnungsgebung in Deutschland, Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, 1986, 219-228.
B. Begriffe und Abgrenzungen
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sterium entwirft Gesetze. 152 In Deutschland wird der Gesetzentwurf im Fachministerium entworfen, aber durch das Justizministerium überprüft. 153 Ausformulierte Entwürfe der Opposition in Deutschland154 oder von einzelnen Abgeordneten in Kanada (Private Members' Bills) 155 sind die Ausnahme. Daß in Deutschland zum Teil Gesetzentwürfe der Regierung als Entwürfe der Regierungsfraktion ins Gesetzgebungsverfahren eingebracht werden, hat seine Gründe in dem dafür durch das Grundgesetz angeordneten, leicht unterschiedlichen Verfahren.156 Gesetze sollen und müssen das Wesentliche regeln. 157 Sie sind deswegen notwendig allgemein gehalten und enthalten neben Ziel- und Zweckdefmitionen Ermächtigungen zu untergesetzlicher Rechtssetzung, unbestimmte Rechtsbegriffe und Generalklauseln. 158 Im Umweltrecht werden in Deutschland als Generalklauseln vor allem die Begriffe der "allgemein anerkannten Regeln der Technik" (=herrschende Meinung unter den Praktikern), des "Standes der Technik"(= fortschrittliche V erfahren, deren praktische Eignung gesichert erscheint, da schon mit Erfolg erprobt) 159 oder des "Standes von Wissenschaft und Technik"(= neueste wissenschaftliche und technische Erkenntnisse) verwendet. 160
152 Einen Überblick über das Verfahren gibt Minister ofJustice and Attorney General ofCanada, The Federal Legislative Process in Canada, 2. Aufl. 1989; die zentrale Formulierung der Entwürfe wurde 1948 eingeführt, 3. Im Auftrag des Justizministeriums erstellte Driedger, A Manual for Legislative and Legal Writing, 1982, ein Lehrbuch flir das Verfassen von Normen; ein weiteres Anleitungsbuch ist Pigeon, Drafting and Interpreting Legislation, Toronto 1988. Gegen die Einftihrung einer Zentralisierung von Gesetzgebung, Hugger, Gesetze, 1983, 70; generell zur dezentralen Programmentwicklung in Deutschland, Benzner, Ministerialbürokratie und Interessengruppen, 1989, 112115. 153 Darstellung dieser Überprüfung, Hellenthal, Jura 1989, 169-178. 154 Beispiele und zehn Fallstudien dazu bei Sebaldt, Die Thematisierungsfunktion der Opposition, 1992. 155 ZiegeVBrierley, in: International Encyclopedia ofComparative Law, Bd.l, 1979, C-13. 156 Schulze-Fielitz, in: Parlamentarische Souveränität und technische Entwicklung, 1986,71, 79; Bülow, in: HVerfR, 2. Aufl. 1994, § 30, Rn. 35. 157 Zu der in Deutschland entwickelten Wesentlichkeitslehre siehe unten, l. Teil, C. I. 1. 158 Send/er, UPR 1981, l, 4; Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, 1986, 37/38: 'verdeckte Delegationsnormen'; SRU, Umweltgutachten 1996, Tz. 733; BMWi, Rechtsetzung und technische Normen, 5 empfiehlt, in staatlichen Rechtsvorschriften grundsätzlich nurdurch Generalklauseln auftechnische Normen Bezug zu nehmen. 159 Eine Legaldefinition enthält § 3 Abs. 6 BimSchG. 160 Zu diesen Begriffen kurz Backherms, JuS 1980, 9, 10; kritische Diskussion bei Müller-Foe/, Technische Normen, 1987, 33-39. BMWi, Rechtsetzung und technische Normen, 10, empfiehlt, ausschließlich diese drei Generalklauseln zu verwenden; ebenso BMJ, Handbuch der Rechtsförmlichkeit, 1991, 165. Zur 'Geburtsstunde' der 'anerkannten Regeln der Technik im Jahre 1909, Wolf, Der Stand der Technik, 1986, 120.
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I. Teil: Charakteristika der Umweltschutz-Verordnungsgebung
Die in Gesetzen enthaltene Steuerung ist fiir die heutige technisierte Industriegesellschaft häufig nicht mehr ausreichend. 161 Vereinzelt wurde deswegen vorgeschlagen, qualifizierten Ausschüssen oder fachlichen "Unterparlamenten" Normsetzungsaufgaben zu übertragen. 162 Gerade im Umweltrecht existieren verschiedene Typen kooperativer Standardsetzung. 163 In dieser Arbeit steht von den Formen der privaten, halbstaatlichen oder exekutivischen Standardsetzung die letztere, also Delegation an den Verordnungsgeber, im Mittelpunkt der Untersuchung.
2. Verordnungen und Regulations bzw. Statutory Instruments Verordnungen sind Rechtssätze, die aufgrund einer gesetzlichen Ermächtigung von der Exekutive erlassen werden und allgemeinverbindliche Wirkungen erzeugen.164 Die kanadische Definition für delegierte Normsetzung ist gleichlautend. 165 Die in Deutschland auch gebräuchliche Bezeichnung einer Verordnung als materielles Gesetz soll zum Ausdruck bringen, daß eine Verordnung, obwohl nicht vom Parlament selber erlassen, trotzdem die Rechtswirkungen eines Gesetzes hat. 166 Das Grundgesetz gestattet gemäß Art. 80 den Erlaß von Rechtsverordnungen nur aufgrund einer gesetzlichen Ermächtigung. Diese Ermächtigung muß selbst gewissen Anforderungen genügen. So wird gewährleistet, daß die Legislative die Kontrolle über die rechtsetzende Tätigkeit der Exekutive behält und diese auch an der parlamentarischen Legitimation teilhat. Auf der Grundlage eines Gesetzes enthalten Verordnungen Bestimmungen einer höheren Regelungsdichte. Durch Nutzung verwaltungseigenen und externen Sachverstandes werden in ihnen Re161 Schmidt-Aßmann, Ordnungsidee, 1982, 15-17; Lübbe-WolfJ, ZfG 1991 , 219, 242; Dussault/Borgeat, Administrative Law, Bd. 1, 2. Aufl. 1985, 306-309; Macdonald, in:
Regulations, Crown Corporations and Administrative Tribunals, 1985,81, 119. 162 Vorschlag von Backherms, JuS 1980, 9, 14 m.w.N.; ähnlich für die Berufung eines 'Umweltrates' analog zum Wissenschaftsrat, Akademie der Wissenschaften Berlin, Umweltstandards, 1992, 475-490; Wehner, Die Katastrophen der Demokratie, 1992, 109-112. Dagegen SR V, Umweltgutachten 1994, Tz. 82;SRU, Umweltgutachen 1996, Tz. 882;auchkritisch zu solchen Vorschlägen Grawert, in: Demokratie in Anfechtung und Bewährung, 1982,457, 463; ebenso Pitschas, DÖV 1989, 785, 798, wegen ungeklärter Verantwortlichkeit solcher ,,Fachparlamente" . 163 Lamb, Kooperative Gesetzeskonkretisierung, 1995, 71 . Damit tritt die Exekutive weitgehend an die Stelle des parlamentarischen Normgebers, Pitschas, DÖV 1989, 785, 789. 164 Ossenbühl, in: HStR III, 1988, § 64, Rn. I; Bryde, in: v. Münch GG Kommentar, Bd. 3,1983, Art. 80, Rn. 4. 165 Hogg, Constitutional Law, 3. Aufl. 1992, 340; Blake, Administrative Law, 1992, 125; Dussault/Borgeat, Administrative Law, Bd. 1, 2. Aufl. 1985, 319; Macdonald, in: Regulations, Crown Corporations and Administrative Tribunals, 1985, 91. 166 Magiera, Der Staat 13 (1974), 1, 7; Maunz, in: M/D-GG Kommentar, 1978, Art. 80, Rn. 14; Wilke, AöR 98 (1973), 196,205, nennt die Terminologie 'unübersichtlich'.
B. Begriffe und Abgrenzungen
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gelungen geschaffen, die zum direkten Gebrauch durch die Normadressaten- die Normunterworfenen und die ausführenden Behörden- gedacht sind. Verordnungen haben regelmäßig Vollzugsbezug und fiillen unbestimmte Rechtsbegriffe des Gesetzes aus; dies hat Auswirkungen auf die Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers167 und die richterliche Kontrolldichte. 168 Begriffliche Differenzierungen zwischen Maßnahme- und lndividualverordnungen169 oder auch zwischen Rechtsverordnungen und dem früher gebräuchlichen Ausdruck der "Verwaltungsverordnung" mögen aus dem Gesichtspunkt der unterschiedlichen richterlichen Kontrolle angemessen sein, in Hinblick auf die Normenkonkretisierung stellen sie nur die Bandbreite der möglichen Inhalte von Verordnungen dar. Kanada bedient sich zur Regelung von untergesetzlichen Noi:men eines Gesetzes, des Statutory Instruments Act (SIA) 170. In Section 2 (1) SIA werden die Begriffe der Regulation und des Statutory Instrument defmiert. Der Begriff des Statutory Instrument ist dabei der weitere, 171 der auch zum Ausdruck bringt, daß es sich um Rechtsvorschriften handelt, die von Statutes - also Gesetzen abgeleitet sind. Statutory Instrument können in seltenen Fällen auch solche Regierungsvorschriften sein, die vom Govemor in Council, das heißt der Bundesregierung insgesamt, 172 erlassen werden, ohne ausdrücklich durch Parlamentsgesetz vorgesehen zu sein. Ein solcher Erlaß exekutiven Rechts ist dann Ausfluß der Royal Prerogative. 173 Eine Regulation jedoch muß in jedem Fall durch Gesetz ermächtigt oder durch Gesetz mit einer Strafe bewehrt worden
167 v. Danwitz, Die Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers, 1989, 71. 168 Ossenbühl, in: HStR III, 1988, § 64, Rn. 35/36. l69 Ossenbühl, in: HStR III, 1988, § 64, Rn. 40/41. 170 R.S.C. 1985, c. S-22. Vorläufer des SIA war biszum I. Januar 1972 der Regulation Act, R.S.C. 1952, c. 235. Die am Regulation Act geübte Kritik ist bei Anderson, in: Govemment Regulation, 1980, 1~1, 155/156, zusammengefaßt. 171 Als Statutory Instrument gilt "any rule, order, regulation, ordinance, direction, form, tariff of costs or fees, letters patent, commission, warrant, proclamation, by-law, resolution or other instrument" wenn es "in the execution of a power conferred by or under an Act of Parliament" erstellt wurde. Keyes, Executive Legislation, 1992, 57 nennt die Definition "labyrinthine". Zu den Unterschieden zwischen den einzelnen -Instrumenten, Holland/McGowan, Delegated Legislation in Canada, 1989, 40; ausführlich Dussault/Borgeat, Administrative Law, Bd. 1, 2. Auf!. 1985,322-329. 172 Zu der Convention ofthe Constitution, daß in der Verfassungspraxis das Gremium des Governor General in Council mit dem Bundeskabinett gleichgesetzt wird, Hogg, Constitutional Law, 3. Auf. 1992, 17 und 234/235; Heard, Canadian Constitutional Conventions, 1991, 16-47; Lordon, Crown Law, 1990,34. 173 Dussault/Borgeat, Administrative Law, Bd. 1, 2. Auf!. 1985, 314-317; Holland/ McGowan, De1egated Legis1ation in Canada, 1989, 4; zu den rechtlichen Grenzen von in dieser Weise erlassenen Regeln, Lordon, Crown Law, 1990, 19/20; 61-106, ausführlich zu Crown Prerogatives.
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I. Teil: Charakteristika der Umweltschutz-Verordnungsgebung
sein und ist ein Statutory Instrument von rechtsetzendem Charakter. 174 Durch die Begriffe des Statutory Instrument einerseits und der Regulation andererseits soll der Unterschied im Charakter möglicher untergesetZlicher Normen ausgedrückt werden. Nur Regulations sind legislative lnstrumente. 175 Sie sind eine Rechtsatzform mittlerer Konkretisierungsart. Formen von Statutory Instruments sind regelmäßig konkreter (z.B. Gebührentarife). Interessant ist die kanadische Regelung in Section 4 SIA: wenn eine zum Erlaß von untergesetzlichen Normen ermächtigte Stelle Zweifel hat, ob eine von ihr entworfene Norm eine Regulation im Sinne des Gesetzes ist, dann muß sie eine Abschrift des Entwurfs dem stellvertretenden176 Justizminister vorlegen und dieser entscheidet dann über die Rechtsnatur des Entwurfs. Da die Sprache des Statutory Instruments Act sehr veraltet und kompliziert ist, 177 wurde am 26. April1995 der Gesetzentwurf zum Regulation Act von der kanadischen Regierung eingebracht. In diesem Gesetzentwurf wird auf die Bezeichnung Statutory Instrument ganz verzichtet und die Rechtsform der Regulation in Section 2 ( 1) des Entwurfs defmiert als "ein Dokument, das aufgrund eines Parlamentsgesetzes erstellt wurde, Verfahrensregeln enthält, die einseitig festgelegt wurden, die bindende Wirkung haben und allgemeine Anwendung finden, unter Einschluß aller Dokumente, die in einem Gesetz als Regulation bezeichnet werden" 178 .
174 Levy, 22 Canadian Public Administration (1979), 347, 350; Holland/McGowan, Delegated Legislation, 1989, 111. 175 Driedger, 38 Canadian Bar Review (1960), 1, 2; Anderson, in: Govemment Regulation, 1980, 151, 157. 176 Die Position entspricht in Deutschland in etwa der eines beamteten Staatssekretärs; so auch Kempfu.a., Politik und Politikstile im kanadischen Bundesstaat, 1991, 55; Einzelheiten zur Ernennung und Stellung der stellvertretenden Minister (Deputy Ministers) bei Doerr, TheMachineryofGovernment in Canada, 1981, 78-83; Dussault/Borgeat, Administrative Law, Bd. 1, 2. Aufl. 1985, 89-91; Lordon, Crown Law, 1990, 41142; Benzner, Ministerialbürokratie und Interessengruppen, 1989, 96-1 01 , zur Position des deutschen parlamentarischen Staatssekretärs, I 01-106, zur Position des beamteten Staatssekretärs. 177 Probleme entstehen auch, weil Section 2 (1) des Interpretation Act eine andere Definition von Regulation enthält als der SIA, dazu Holland/McGowan, Delegated Legislation, 1989,41. Des weiteren wurde seit Erlaß des Gesetzes kritisiert, daß die Möglichkeit besteht, Regulations vom Verfahren des SIA auszunehmen, Anderson, in: Govemment Regulation, 1980, 151. 178 Übersetzungvon Verfasserin; Section 2 (1) des Regulation Act lautet im Original: "In this Act, 'regulation' means a document that is made under an Act ofParliament and expresses rules of conduct that are unilaterally imposed, have binding legal effect and are of generat application and it includes any document that is called a regulation in an Act ofParliament".
B. Begriffe und Abgrenzungen
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3. Verwaltungsvorschriften und Quasi-Legislation Verwaltungsvorschriften sind die auf dem Weisungsrecht des Dienstherrn beruhenden, lediglich intern verbindlichen Anordnungen an nachfolgende Behörden und Amtsträger. 179 Sie sind die einzige in Deutschland zulässige Form der autonomen Rechtsetzung der Exekutive. Zwar wird in Deutschland Verwaltungsvorschriften unter gewissen Umständen auch Außenwirkung zuerkannt. 180 Die so konstruierte Außenwirkung ist allerdings nicht geeignet, eine unbedingte Bindungswirkungder Regelungen für die Gerichte herbeizufiihren.181 Für Verwaltungsvorschriften, die auf § 48 BlmSchG gestützt sind, wird dies zum Teil als mißlich bewertet, da sich die Verfahrensanforderungen für die Erstellung der Technischen Anleitungen kaum von denen für Rechtsverordnungen unterschieden. 182 Deswegen wird vorgeschlagen, die Technischen Anleitungen in Rechtsverordnungen zu überfUhren. 183 In Deutschland ist seit Juli 1990 für die Erstellung von Verwaltungsvorschriften aufHundesebene die "Richtlinie der Bundesregierung zur Gestaltung, Ordnung und Überprüfung von Verwaltungsvorschriften des Bundes (VwVR)" in Kraft. 184 Diese regelt unter anderem die Bezeichnung, die Bekanntmachung und die regelmäßige Überprüfung von Verwaltungsvorschriften. 185 Eine Beteiligung von außerstaatlichen Stellen ist in dem Verfahren nicht vorgesehen. Der gleichzeitig ergangene ,,Beschluß der Bundesregierung über Maßnahmen zur Verbesserung der Rechtsetzung und von Verwaltungsvorschriften" fordert jedoch, zur Verbesserung der Vollzugseignung von Gesetzes- und Verordnungsentwürfen "eine stärkere Heran-
Ossenbühl, in: HStR III, 1988, § 65, Rn. 4; Wolf, DÖV 1992, 849. Die in der Literatur dafür erforderlich gehaltenen Kriterien sind bei Wolf, DÖV 1992, 849, 851, übersichtlich dargestellt. 181 Der Europäische Gerichtshof hat deswegen in zwei Entscheidungen die Umsetzung von europarechtlichen Richtlinien durch Verwaltungsvorschriften (in diesem Fall die TA Luft) für nicht ausreichend erklärt, Slg. 1991 I, 2567 und 2607 (auch JZ 1991, 1031 und 1032); dazu m.w.N., Gusy, NVwZ 1995, 105, 107. 182 Feldhaus, UPR 1982, 137, 146, Fn. 97; Ossenbühl, in: HStR III, 1988, § 65, Rn. 65, Fn. 134, hält diese Vorschrift nur für eine Kompetenznorm, deren Sinn vor allem in der geregelten Anhörungspflicht liegt. Für die Bindungswirkung so erlassener Verwaltungsvorschriften auch Herdegen, AöR 114 ( 1987), 607, 616. 183 Staats, in: Studien zu einer Theorie der Gesetzgebung, 1982, 192, 200, für das Wasserhaushaltsgesetz, 204; ebenso Fischer, Umweltschutz durch technische Regelungen, 1989, 145; Wolf, DÖV 1992, 849, 857. Allgemein Dyckmans, Rechtsetzung zwischen Parlament und Regierung, 1979, 255/256. Mit der Neufassung von Verwaltungsvorschriften als Rechtsverordnungen (z.B. die 22. BlmSchV) ist inzwischen begonnen worden, SRU, Umweltgutachten 1996, Tz. 891. 184 GMB!. 1990, 39. 185 Eine weitere gesetzliche Reglementierung des Verfahrens hält Grupp, in: Reform des Verwaltungsverfahrensrechts, 1994, 215, 288, für unnötig. 179
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I. Teil: Charakteristika der Umweltschutz-Verordnungsgebung
ziehung des Sachverstandes und der Erfahrung von Anwendern - innerhalb und außerhalb der Verwaltung." 186 Auch die kanadische Rechtswissenschaft grenzt Verordnungen von anderen exekutiven Rechtssätzen nach ihrer Rechtsbindungswirkung ab: wenn sich zwar die Stelle, die die Vorschrift erlassen hat, nicht aber die Gerichte für an die Vorschrift gebunden halten, dann handelt es sich nur um sogenannte QuasiLegislation.187 Solche Vorschriften werden vor allem erlassen, um das Ermessen der Verwaltung zu strukturieren; dabei darf aber das eingeräumte Ermessen nicht übermäßig gebunden werden. Es muß die Möglichkeit bestehen bleiben, aufbesondere Einzelfalle zu reagieren. Die Behörde ist verpflichtet, eigene Vorschriften auch zu beachten. Zur Ermittlung des Rechtssatzcharakters einer Vorschrift wird in Kanada unter anderem auf die sprachliche Gestaltung der Vorschrift geachtet; ob sie z.B. sprachlich so gestaltet ist, daß eine Bindungswirkung naheliegt Es ist auch von Bedeutung, ob die Vorschrift von einer Stelle erlassen wurde, die zu einer solchen Regelung ermächtigt war. Die Ermächtigung muß um so klarer erkennbar sein, je intensiver die Regelung in individuelle Rechte eingreift. 188 Wenn Verfahrensvorschriften den Erlaß näher ausgestalten, dann wird eine Vorschrift eher für bindend, 189 und damit für eine Regulation, gehalten. Vereinzelt wurde vorgeschlagen, auch die Quasi-Legislation zur besseren Kontrolle von einem Parlamentsausschuß überprüfen zu lassen. 190 4. Private Normen und Standards
Die sachliche Regelungsdichte ist in Verwaltungsvorschriften und privaten technischen Normen am höchsten. Bei der Entstehung privater Normen stellt sich GMBI. 1990, 38, Punkt 1.2. Keyes, Executive Legislation, 1992, 14-23 m.w.N. zu der von Ganz, Quasi Legislation: Recent Developments in Secondary Legislation, 1987, übernommenen Terminologie; Blake, Administrative Law in Canada, 1992, 126. Mißverständich die Bezeichnung als "Administrative Regulations" bei Schneider, Gesetzgebung, 2. Aufl. 1991, Rn. 271. Die nichtbindenden Verwaltungsnormen werden von Dussault/Borgeat, Administrative Law, Bd. 1, 2. Aufl. 1985, 329-340, unter der Bezeichnung Directives erörtert. Beispiele flir die Vielfalt der Bezeichnungen Holland/McGowan, Delegated Legislation in Canada, 1989, 109. 188 Holland/McGowan, Delegated Legislation in Canada, 1989, 118; Keyes, Executive Legislation, 1992, 19. 189 Auch in Deutschland ziehen die Gerichte eine Verringerung ihrer Kontrollintensität eher in Betracht, wenn das zugrundeliegende Normenwerk bestimmten Verfahrensqualitäten entspricht, Schmidt-Aßmann, in: Konfliktbewältigung durch Verhandlungen, Bd. 2, 1990, 9, 23; vgl. Lamb, Kooperative Gesetzeskonkretisierung, 1995,62/63. 190 Anderson, in: Govemment Regulation, 1980, 151, 158. 186 187
B. Begriffe und Abgrenzungen
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die Frage der Beteiligung, die in dieser Arbeit untersucht werden soll, in Deutschland quasi invers: nur zum Teil wirken staatliche Stellen an den Normsetzungsverfahren der privaten Normungsvereine mit. 191 Die Bundesrepublik Deutschland hat in einem Vertrag mit dem Deutschen Institut für Normung (DIN) e.V. das DIN dazu verpflichtet, bei seiner Normsetzung auch öffentliche Zwecke zu beachten. 192 Normungsarbeit ist damit keine rein private Tätigkeit mehr, sondern eine besonders anerkannte öffentliche Tätigkeit. 193 Öffentliche Stellen können Vertreter in die Normungsausschüsse des DIN entsenden; ansonsten nimmt die Verwaltung jedoch keinen bestimmenden Einfluß auf die Regelsetzung durch das DIN.194 Um Umweltschutzaspekte auch im Rahmen der technischen Normung und damit zu einem frühen Zeitpunkt im Produktionsprozeß zu betonen, wurde 1987 im DIN die "Koordinierungsstelle Umweltschutz" (KU) gegründet. 195 Ihrer Tätigkeit wurde erst 1993 in einer Vereinbarung zwischen dem DIN und dem Bundesumweltministerium ein organisationsrechtlicher Rahmen gegeben. 196 Seit 1990 ist ihr ein Fachbeirat197 beigeordnet, dem im angemessenen Verhältnis Vertreter von Behörden aus dem Umweltbereich, der Industrie, der Gewerkschaften, der Umwelt- und Verbraucherverbände, der Wissenschaft und anderer interessierter Kreise angehören. Aufgabe der KU ist es, alle urnweltrelevanten, Siehe Wolf, Der Stand der Technik, 1986, 118. Vertrag der Bundesrepublik Deutschland mit dem DIN Deutsches Institut flir Normung e.V. vom 5. Juni 1975, abgedruckt mit Ergänzungen und Erläuterungen im D IN N ormenheft 10, 6. Aufl. 1995,43-63. Zum Vertrag Backherms, Das DIN Deutsches Institut für Normung e.V. als Beliehener, 1978, 56/57; Bolenz, Technische Normung zwischen "Markt" und "Staat", 1987, 157/158; Fischer, Umweltschutz durch technische Regelungen, 1989, 70; Eichener/Volezkow, Umweltinteressen in der verbandliehen Techniksteuerung, 1991, 85-87; Mayntz, in: Regieren und Politikberatung, 1994, 17, 21. 193 Backherms, Das DIN Deutsches Institut flir Normung e.V. als Beliehener, 1978, 60. 194 BMWi, Rechtsetzung und technische Normen, 29. Gusy, UPR 1986, 241 , 245: "Der interessierte private Sachverstand sitzt 'in' den Normungsausschüssen; das öffentliche Interesse rangiert als normative Vorgabe 'vor' den Gremien." Das DIN selbst bringt es auf die Formel: "Jeder kann mitwirken. Der Staat ist dabei ein wichtiger Partner, nicht weniger, nicht mehr.", DIN, Etwas über DIN, 1995, 4. 195 Datumsangabe laut mündlicher Auskunft eines Mitarbeiters der KU im DIN; LübbeWoljf, in: Konfliktbewältigung durch Verhandlungen, Bd. 2, 1990, 87, 104, nennt die KU 'noch im Aufbau befindlich'. Die vom Umweltbundesamt geförderte Studie, Lehmann, Normung und Umweltschutz, 1987, 211, regte die Gründung eines solchen Gremiums, analog zum Verbraucherrat, an. 196 Abdruck der auf § I 0 Abs. I des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und demDINgestützten Vereinbarung zwischen dem BMU und dem DIN vom 22. Oktober 1993 mit Anlage in Umwelt 111993, 8/9; dazu Führ, Zeitschrift für Umweltrecht 1993, 99, 101, der auch erwähnt, daß die Geschäftsstelle mit vier Mitarbeitern (Geschäftsführer, zwei wissenschaftliche Mitarbeiter, eine Sekretärin) besetzt ist. 197 Eichener/ Volezkow, Umweltinteressen in der verbandliehen Techniksteuerung, 1991, 152-154. 191
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I. Teil: Charakteristika der Umweltschutz-Verordnungsgebung
produktorientierten Normungsverfahren zu verfolgen und im Hinblick auf die Verwirklichung von Umweltschutzzielen auf die Verfahren einzuwirken. Zu diesem Zweck soll sie unter anderem dafur sorgen, daß ehrenamtlich tätige Fachleute aus den Bereichen Lärm, Luft, Boden und Wasser verstärkt zur Mitarbeit herangezogen werden (Punkt 2 der Vereinbarung zwischen dem DIN und dem Bundesumweltministerium (BMU)).1 98 Unter dem Dach der KU wurde 1993 der 'Normenausschuß Grundlagen des Umweltschutzes' (NAGUS) neu eingerichtet (Punkt 3 der Vereinbarung zwischen BMU und DIN). 199 Der NAGUS ist im DIN zuständig fiir die Normung von fachgebietsübergreifenden Grundlagen des Umweltschutzes, z.B. Fragen der Terminologie, des Umweltmanagements und der Umweltbilanzen auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene. KU und NAGUS werden vom BMU fmanziell unterstützt200 und seit 1990 durch das fur die technische Normung auf nationaler und internationaler Ebene zuständige Referat "Produktbezogener Umweltschutz" im BMU in ihrer Arbeit begleitet.201 Für die vorliegende Untersuchung ist von Interesse, daß die Entscheidung in einem Normsetzungsverfahren z.B. aufDIN Normen zu verweisen,202 häufig im Rahmen der Verordnungsgebung getroffen wird.203 Private Normen bekommen Rechtsqualität nur durch staatliche Anerkennung. 204 Direkte Verweisungen auf private Normen schon im Gesetzestext gibt es zur Zeit weder in Deutschland noch in Kanada.
198 Führ, Zeitschrift für Umweltrecht 1993, 99, 101. Zu den Schwierigkeiten der Beteiligung von Arbeitnehmer-, Verbraucher- und Umweltschutzinteressen an der überbetrieblichen Normung, Eichener!Voelskow, Umweltinteressen in der verbandliehen Techniksteuerung, 1991, 114-121. 199 Lamb, Kooperative Gesetzeskonkretisierung, 1995, 86. 200 Siehe unten, 2. Teil, B. III. 3. 201 Lamb, Kooperative Gesetzeskonkretisierung, 1995, 83 und 86. Produktbezogener Umweltschutz ermöglicht die Kontrolle der Einhaltung von Normen bei den Herstellern anstatt bei der regelmäßig größeren Zahl von Verwendem, Hucke, in: Verrechtlichung, 1980, 63, 71. 202 Zu Rechtsproblemen der Verweisung Brugger, Verwaltungsarchiv 1987, 1-44; speziell zum Publikationsgebot auch Ebsen, DÖV 1984, 654-662. 203 Einige Beispiele bei Marburger/Gebhard, in: Umweltschutz durch gesellschaftliche Selbststeuerung, 1993, 1, 33, Fn. 161. Es handelt sich um§ 2 der 10. BlmSchG "Benzin" VO; § 2 Nr. 12, § 3 Abs. 1 Nr. 9 der 1. BlmSchG "Kleinfeuerungsanlagen" VO; § 5 Abs. 3 i.V.m. Anlage 1 der AltölVO; Anlage der 18. BlmSchG "Sportanlagenlärm" VO; § 8 Abs. 2, § 12 Abs. I,§ 17 Abs. 4 der 13. BlmSchG "Großfeuerungsanlagen" VO; Anlage zur 1. VO zum Benzinbleigesetz; § 3 Abs. 4 Nr. 1, § 4 Nr. 2 der Chemikalien Verbotsverordnung (Verweisung aufiSO Normen) und Anhang 1 zur Klärschlarnmverordnung. 204 Kirchhof, Private Rechtsetzung, 1987, 53; Kloepfer, DVB11996, 964, 968.
B. Begriffe und Abgrenzungen
69
Auch in Kanada werden technische Regeln, dort Standards205 genannt, von privaten Organisationen erarbeitet. Staatliche Aufsicht über diese Organisationen übt das Standards Council of Canada (SCC) aus. Im SCC arbeiten Bundesregierung, Provinzregierungen, private Normungs- und Zertiflzierungsorganisationen sowie andere Interessengruppen zusammen. Das SCC ist eine durch Gesetz206 1970 errichtete öffentlich-rechtliche Gesellschaft ( Crown Corporation )207, deren Aufgabe es ist, die freiwillige Erarbeitung von technischen Regeln zum Nutzen der Wirtschaft und Industrie zu fördern und zu stärken (Section 4 (1) des Errichtungsgesetzes). Dazu läßt das SCC Normungsorganisationen, Zertiflzierungsorganisationen und Kalibrations- und Testlabors nach entsprechender Prüfung zu. Als Mitglieder des sogenannten National Standards System werden Organisationen zugelassen, die beständig, unparteiisch und mit technischem Sachverstand arbeiten. 208 Das SCC vertritt Kanada in der internationalen N ormungsorganisation ISO (Section 4 (2) (h) (i) des Errichtungsgesetzes) und hat die Sekretariatsaufgaben für den ISO Ausschuß übernommen, der die umweltschutzrelevanten technischen Normen der ISO 14000 Reihe209 entwickelt. Zur Zeit sind fiinf Organisationen vom SCC als Normungsorganisationen zugelassen, von denen die Canadian Standards Association (CSA) die wichtigste ist. 210 Die CSA erarbeitet, oft auch zusammen mit US-amerikanischen Organisationen, Richtlinien zum Umweltschutz. 211 Alle fiinf Organisationen im National
205 "Fundamentally, standards are publications that establish accepted practices, technical requirements and terminologies for diverse fields ofhuman endeavour." Standards Council ofCanada, National Standards System- Directory and Index of Standards, 15. Aufl. 1994, 3. 206 Standards Council of Canada Act, R.S.C. 1985, c. 41. 207 Crown Corporations sind eine schillemde Organisationsform. Manche Crown Corporations gleichen einer Verwaltungsbehörde, manche eher einem privatrechtlichem Unternehmen, Lordon, Crown Law, 1991, 49/50; einfUhrend und m.w.N. 49-60. So sind z.B. das Atomic Energy Contra/ Board und auch die Ölfirma Petro Canada Crown Corporations. Zur Errichtung, Kontrolle, Rechten und Pflichten, Garant, in: Regulations, Crown Corporations and Administrative Tribunals, 1985, 1-79; Dussault/Borgeat, Administrative Law, Bd. I, 2. Aufl. 1985, 141-160. 208 Section 4 (2) (d) des Errichtungsgesetzes; Standards Council ofCanada, National Standards System- Directory and Index of Standards, 15. Aufl., 1994, 3/4. 209 Zur ISO 14000 Reihe siehe SRU, Umweltgutachten 1996, Tz. 174. 210 Die anderen Organisationen sind: das Bureau de normalisation du Quebec, die Canadian Gas Association, das Canadian General Standards Board, das vor allem de einheitlichen Beschaffung in staatlichen Stellen dient, und Underwriters' Laboratories of Canada. Die CSA besteht seit 1919 und hat cirka 800 Mitglieder. Sie hat ftir das SCC die Sekretariatsaufgaben des ISO 14000 Ausschusses übernommen. 211 CSA, 1993 Annual Report, 5, erwähnt Richtlinien (Guide/ines) ftir: management systems, auditing, product design, labelling, life cycle analysis, waste management, environmental site assessment und corporate reporting. 1992 wurde die CCME Guide-
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l . Teil: Charakteristika der Umweltschutz-Verordnungsgebung
Standards System haben die Normungsaufgaben nach Sachgebieten untereinander aufgeteilt. Nach der Entwicklung können sie dem SCC Normen als National Standards ofCanada zur Genehmigung vorschlagen.212 Standards werden in den Normungsorganisationen durch Konsensverfahren erarbeitetund sind von nichtbindender Natur. Sie können aber rechtlich verpflichtend werden, wenn Bundesoder Provinzregierungen dies durch Verweisungen in Gesetzen und Verordnungen vorsehen. Der Entwurf des Regulation Act sieht in Section 16 die Verweisung auf Standards von vom SCC anerkannten Organisationen in Verordnungen auch als dynamische Verweisung vor. In Section 17 des Entwurfs wird dann der die Verordnung erlassenden Stelle die Pflicht auferlegt, die Zugänglichkeit dieser Materialen fiir die von der Verordnung Betroffenen durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen. II. Funktion und Bedeutung der Verordnungsgebung
Rechtsverordnungen sind eine schwierig zu kategorisierende Rechtsform. Sie haben in mehrfacher Hinsicht eine Zwitterstellung213 : sie sind Gesetze, werden aber von der Exekutive erlassen. Dadurch befmden sie sich auf der Grenze zwischen Verfassungs- und Verwaltungsrecht und sind sowohl Rechtsquelle als auch exekutive Handlungsform.214 Inhaltlich müssen sie einen Weg fmden zwischen Generalisierung und der Regelung von Details. Hier soll zunächst versucht werden, eine Erklärung fiir die Zwitterstellung(en) der Verordnung zu geben. Dann wird die der Verordnungsgebung allgemein zugeschriebene Funktion der Entlastung von Gesetz und Gesetzgeber näher beschrieben. Weitere Funktionen von Verordnungsgebung sind die Einbeziehung privater Vorarbeiten und bewußt genutzte Verzögerungseffekte. 1. Erklärung der Zwitterstellung(en) Ausgangspunkt der Überlegungen ist, daß es - wie oben schon angedeutet- keine unabänderlich feststehende, "richtige Stufe" in der Normenhierarchie fiir eine
line for the Management of Biomedical Waste in Canada gemeinsam von der CSA und Arbeitsgruppen der CCME vorbereitet. 212 Section 4 (2) (e) des Errichtungsgesetzes; Standards Council ofCanada, National Standards System- Directory and Index of Standards, 15. Aufl 1994, 4. 213 v. Danwitz, Die Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers, 1989, 20. 214 König/Dose, Klassifizierungsansätze staatlicher Handlungsformen, 1989, 25; Ossenbühl, in: Zustand und Perspektiven der Gesetzgebung, 1989, 99, 101, nennt die Frage nach Fu~tion und Bedeutung von Rechtsverordnungen eine "Verfassungssystemfrage ersten Ranges".
B. Begriffe und Abgrenzungen
71
bestimmte zu treffende Regelung gibt.215 Gerade an Umweltstandards kann man gut erkennen, daß diese nur "rechtliche Hüllen"216 oder eine bestimmte "äußere Form"217 sind, da sie sich auf allen Stufen der Normenhierarchie fmden lassen.218 Es besteht jedoch eine "gesetzgeberische Maxime", Regelungen auf der 'richtigen' Stufe der Normenhierarchie zu erlassen. 219 Man hat eine intuitive, quasi-vorrechtliche und kulturell geprägte Vorstellung davon, welche äußere Form zu welcher inhaltlichen Gestaltung paßt.22o Staatlicherseits wird dann ein Regelungsbereich auf die drei bzw. vier oben beschriebenen Vorschriftenarten und ihre Erstellungsverfahren aufgeteilt. 221 Dabei ist zunächst der entwerfenden Ministerialverwaltung die Wahl der
215 Bryde, in: v. Münch GG Kommentar, Bd. 3, 1983, Art. 80 GG, Rn. 7: "Es gibt keine Kriterien, nach denen sich feststellen läßt, ob eine Norm materiell RVO oder Verwaltungsvorschrift ist"; Dyckmans, Rechtsetzung zwischen Parlament und Regierung, 1979, 1811182; vgl. Mayntz, Die Verwaltung 1990, 137, 140; a.A. Hugger, Gesetze, 1983,268, darmaber spricht auch er von Zweckmäßigkeitserwägungen, 269/270; so auch Wolf, Der Stand der Technik, 1986, 424/425. Zu den Tendenzen der Annäherung verschiedener Rechtsetzungsverfahren, Schulze-Fielitz, Theorie und Praxis parlamentarischer Gesetzgebung, 1988, 139. 216 Giebeler, Verfahren und Maßstäbe, 1991, 13. 217 Lamb, Kooperative Gesetzeskonkretisierung, 1995, 232. 218 Wolf, Der Stand der Technik, 1986, 276; Rehbinder, Natur und Recht 1994, 313, 315 und 317. In § 2 Abs. I des Benzin-Blei Gesetzes werden z.B. Grenzwerte durch Gesetz festgelegt; dazu Hüttermann, Grenzwerte, 1993, 52. Gusy, NVwZ 1995, 105, 107, hält die rechtliche Vielfalt von Umweltstanards eher für ein Problem der Theorie, als der Praxis; a.A. Lübbe-Woljf, Natur und Recht 1993,217, 225, wegen der negativen Auswirkungen, die die Standardvielfalt im Vollzug hat. SRU, Umweltgutachten 1996, Tz.* 133 meint, daß der 'Wildwuchs von Standards zu Mißverständnissen, Verunsicherungen und Vertrauensschwund in der Öffentlichkeit' geftihrt hat. 219 Kloepfer, in: Zustand und Perspektiven der Gesetzgebung, 1989, 187, 202. Als "Sollen" auch bei Schulze-Fielitz, Theorie und Praxis parlamentarischer Gesetzgebung, 1988, 176, formuliert. 220 A.A.Hüttermann, Grenzwerte, 1993, 79; siehe aber Di Fabio, NVwZ 1995, 1, 3, der von der "Überraschung" spricht, die man empfindet, wenn ein materielles Umwelt Wirtschaftsgesetz wie die Verpackungsverordnung als Rechtsverordnung ergeht; Gusy, NVwZ 1995, 105, 112. Lepa, AöR 105 (1980), 337, 351, weist daraufhin, daß ftir den Normadressaten der Rangunterschied zwischen Gesetz und Verordnung ohne Belang ist, da durch beide Rechtsnormen eine gleichstark Bindung eintritt. 221 Schulze-Fielitz, Theorie und Praxis parlamentarischer Gesetzgebung, 1988, 174; Fliedner, ZfG 1991, 40, 45; Macdonald, in: Regulations, Crown Corporations and Administrative Tribunals, 1985, 81, 89/90. Die sogenannten 'Blauen Prüffragen' des BMI und BMJ (dazu unten, 1. Teil, C. II. 3. a)) legen in den Punkten 4. und 6. eine Art Subsidiaritätsverhältnis zwischen den verschiedenen Formen staatlicher Normen nahe, GMBI. 1990, 43,44.
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I . Teil: Charakteristika der Umweltschutz-Verordnungsgebung
Rechtssatzform überlassen. 222 Bestimmend kann dafiir folgende Überlegung sein: "Ohne gesetzliche Ermächtigung kann die Exekutive keine rechtmäßige Rechtsverordnung schaffen; wählt sie aber die Form einer Verwaltungsvorschrift, verzichtet sie damit auch auf die "Verordnungswirkung".223 In Kanada wird Recht von der Legislative mehr und mehr nur noch in der Weise gesetzt, daß die Gesetze allgemeine Zielvorstellungen festschreiben, die zu erreichen sind und der Exekutive weitreichende Verordnungsermächtigungen erteilt werden.224 Gleichzeitig wird aber das Verfahren der Verordnungsgebung durch Verfahrensschritte, insbesondere durch Kosten-NutzenAnalysen und Beteiligungsverfahren, dem Gesetzgebungsverfahren angenähert.225 Eine ähnliche Entwicklung ist in Deutschland zu beobachten. Hier wirkt allerdings vor allem der Bundestag selber kontrollierend an der Verordnungsgebung mit. 226 Alle im Rang unter dem Gesetz stehenden Normenarten haben gemeinsam, daß nach Einschätzung der Bearbeiter eines Gesetzentwurfes zum Zeitpunkt des Erlasses des Gesetzes eine bestimmte Regelung entweder gar nicht oder zumindest jetzt noch nicht als Anforderung festgelegt werden kann oder soll. Wenn man meint, daß wegen der der Regelungsmaterie innewohnenden Dynamik eine verbindliche rechtliche Regelung überhaupt unangebracht ist, dann wird im Gesetzestext eine Generalklausel eingefügt. Diese kann dann später wahlweise durch Verwaltungsvorschriften oder auch nur durch private Normen ausgefüllt werden. Der Rechtsform der Verordnung liegt die Einschätzung zugrunde, daß eine verbindliche rechtliche Regelung zwar möglich und wünschenswert ist, aber die Regelung zur Zeit noch nicht227 oder nicht in der Form 222 Loose, Entlastung, 1977, 85; Wolf, Der Stand der Technik, 1986, 203/204; Fliedner, ZfG 1991,40,54. Kunig, in: Aufdem Weg zum Umweltgesetzbuch, 1992, 157, 160, hält das Auswahlermessen hinsichtlich der Rechtsform flir gesetzlich nicht strukturiert und auch theoretisch kaum strukturierbar. Gusy, NVwZ 1995, 105, 112, will die Ministerialverwaltung zur verstärkten Nutzung von Rechtsverordnungen bewegen. 223 Bryde, in: v. Münch GG Kommentar, Bd. 3, 1983, Art. 80 GG, Rn. 8. SRU, Umweltgutachten 1996, Tz. 892: "In der Praxis erfolgt die Wahl der Rechtsform unabhängig von demjeweiligen Regelungsinhalt." 224 Nemetz, 26 Natural Ressources Journal (1986), 551, 565; Keyes, Executive Legislation, 1992,31 m.w.N.; Schrecker, in: Canadian Environmental Policy, 1992,83, 88; Elgie, in: Law and Process in Environmental Management, 1993, 196, 206; vgl. flir Deutschland Schulze-Fielitz, Theorie und Praxis parlamentarischer Gesetzgebung, 1988, 141. 225 Dies ist das Ziel des für die Reform des Regulatory Systems verantwortlichen Treasury Boards, Nachweise bei Alexander, Federal Environmental Assessment and Regulatory Reform, 1994, 28/29. Zugang zur Dokumentation des Treasury Board Secretariat durch das Internet, http://www. tbs-sct.gc.caltblhome-eng.html. 226 Dazu siehe unten, 2. Teil, B. V. 227 Loose, Entlastung, 1977, 67; Müller, Innenwelt der Umweltpolitik, 1986, 359; Brohm, in: Zustand und Perspektiven der Gesetzgebung, 1989, 217, 225.
B. Begriffe und Abgrenzungen
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des Gesetzes erfolgen soll. Die Entscheidung, eine bestimmte Regelung nicht in ein Gesetz einzufügen, sondern sie zu verschieben (an einen anderen Ort und meist auch in der Zeit), hat je nach Regelung unterschiedliche Gründe. 228 Die Bandbreite der Bewertungen des Verfahrens der Verordnungsgebung im Umweltschutzbereich in der Literatur reichen daher auch von "schnellerer Rechtsform"229 über "flexibel handhabbar"230 bis hin zu "schwerfällig"231 .
2. Entlastung von Gesetz und Gesetzgeber Verordnungsgebung ist geeignet, sowohl das Gesetz als auch den Gesetzgeber zu entlasten.232 Die Entlastung des Gesetzes geschieht dadurch, daß die zu einem Sachgebiet gehörenden Regelungen nicht im Gesetz enthalten sind. Das Gesetz als Text wird dadurch kürzer und übersichtlicher. Gleichzeitig erhöht sich allerdings die Unübersichtlichkeit für die Benutzer, die sicherstellen müssen, daß sie die in Verordnungen oder anderswo enthaltenen Regelungen auffmden. 233 Es ist die einhellige Meinung in der Literatur, daß die Delegation auf den Verordnungsgeber der Arbeitsentlastung des Parlamentes dient.234 Dadurch, daß
228 Macdonald, in: Regulations, Crown Corporations and Administrative Tribunals, 1985, 81, 111: "the motives for regulatory activity are too variabletobe reduced to a standard explanation"; OECD, Govemment in Transition, 1995, 70: "The underlying dynamic of regulation is that it serves visible and vocal groups, and imposes costs on diffuse and unsuspecting groups (such as consumers). There is no easier way for govemment to spend money than to regulate." 229 Schneider, Politiknetzwerke der Chemikalienkontrolle, 1988, 224-226, gibt Beispiele für den schnellen Erlaß von Verordnungen. 230 v. Danwitz, Die Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers, 1989, 51; Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, 1986, 222, 'flexibel und geschmeidiger'. 231 Timm, Die wissenschaftliche Beratung der Umweltpolitik, 1989, 317, als Einschätzung des Sachverständigenrates für Umweltfragen; vgl. SRU, Umweltgutachten 1996, Tz. 388-393, zu den seit 1991 geplanten Verordnungen zur Ausgestaltung des Abfallgesetzes. 232 Marburger/Gebhard, in: Umweltschutz durch gesellschaftliche Selbststeuerung, 1993, 1, 41; Schulze-Fielitz, Theorie und Praxis parlamentarischer Gesetzgebung, 1988, 534. 233 Brugger, Verwaltungsarchiv 1987, I, 7: "Für den Gesetzgeber wird es durch die Verweisung einfacher, für den Bürger schwieriger und für den Juristen interessanter." 234 Für Deutschland Ossenbühl, in: HStR III, 1988, § 64, Rn. 2; Magiera, Der Staat 13 (1974), 1, 17; Hugger, Gesetze, 1983, 273; Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, 1986, 267; Peine, ZfG 1988, 121, 128; Mößle, Inhalt, Zweck und Ausmaß, 1990, 59; Schneider, Gesetzgebung, 2. Aufl. 1991, Rn. 235; Studenroth, DÖV 1995, 525, 527; Thomsen, DÖV 1995, 989; vgl. Lamb, Kooperative Gesetzeskonkretisierung, 1995, 204. Für KanadaAnderson, in: Government Regulation, 1980, 151, 153/154; Dussault/Borgeat,
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I. Teil: Charakteristika der Umweltschutz-Verordnungsgebung
das Parlament die in Verordnungen getroffenen Regelungen nicht selber erstellt, sondern nur Direktiven für ihre Erstellung in der Ermächtigungsgrundlage festlegt, ist seine Aufgabe weniger aufwendig. Dieser Entlastungsaspekt ist beim erstmaligen Erlaß von Verordnungen- bis auf ein weniger an Gesetzestext - allerdings minimal, denn sowohl in Deutschland als auch in Kanada werden Gesetzes- und Verordnungsentwürfe in der Ministerialverwaltung vorbereitet. Insofern ist für die Gesetzgebung der treffende Ausdruck geprägt worden, daß das Parlament keine Gesetze macht, sondern sie verbindlich rnacht.235 Die wirkliche Entlastung für den Gesetzgeber tritt erst ein, wenn sich Änderungsbedarf an den Regelungen ergibt. Mit der Änderung einer Verordnung ist das Parlament nicht befaßt. So ist die Änderung einer Verordnung ist in den meisten Fällen schneller vorzunehmen, als die Änderung eines Gesetzes. 236 Gerade in Deutschland gibt es nur wenige Verfahrensvorschriften für die V erordnungsgebung und so kann sie schneller erfolgen als die mehr Verfahrensschritte umfassende Gesetzgebung.237 Zum Teil wird überdies vertreten, daß selbst bestehende gesetzliche Verpflichtungen zur Anhörung vor der Verordnungsgebung im "Normalfalle" der Änderung einer Verordnung nicht anwendbar seien.238 InKanada verwendet man als Mittel der schnellen Änderung von Verordnungen, wenn keine wesentlichen, substantiellen Veränderungen zu besorgen sind, das Mittel der sogenannten Omnibus Amendment Regulations. 239 Sinn der schnellen Anpas-
Administrative Law, Bd.l, 2. Aufl. 1985, 306; Macdonald, in: Regulations, Crown Corporations and Administrative Tribunals, 1985, 92; Hogg, Constitutional Law, 3. Aufl. 1992, 339. 235 Gusy, ZRP 1985, 291, 292; Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, 1986, 224 und Fn. 119; vgl. Sandhövel, Marktorientierte Instrumente der Umweltpolitik, 1994,43. 236 Grupp, DVBl 1974, 177; Kloepfer, in: Zustand und Perspektiven der Gesetzgebung, 1989, 187, 204; Bülow, in: HVerfR, 2. Aufl. 1994, § 30, Rn. 56. 237 Schulze-Fielitz, Theorie und Praxis parlamentarischer Gesetzgebung, 1988, 168, 'noch weniger dauerhaft'. Jekewitz, NVwZ 1994, 956, 957, weist darauf hin, daß der Gesetzgeber häufig durch ein Gesetz auch gleich schon erlassene Verordnungen mitändert; laut Conradi, NVwZ 1994,977,978, sind von 1988 bis 1993 insgesamt 52 Rechtsverordnungen durch Gesetz geändert worden; dieses Verfahren wird auch in Kanada praktiziert, dazu Keyes, Executive Legislation, 1992, 70 m.w.N. 238 So sind wohl Stich!Porger, Immissionsschutzrecht, 1994, § 51, Rn. 11, zu verstehen; dagegen und flir eine neue Anhörung im Rahmen der Vorbereitung der zu ändernden Norm, Lamb, Kooperative Gesetzeskonkretisierung, 1995, 164. 239 Diese Verordnungen fassen viele geringfügige Änderungen, häufig redaktioneller Art und an mehreren Verordnungen, zu einer Verordnung zusammen; dazu Environment Canada, CEPA Report, March 1994-April1995, 26/27; der Begriffläßt sich am ehesten als "Rechtsbereinigungsgesetz oder -verordnung" übersetzen; zu solchen Vorhaben in Deutschland Waffenschmidt, in: Für Recht und Staat, 1994, 869, 876. Andere Verwendung des Ausdrucks "Omnibus Gesetz" bei Jekewitz, NVwZ 1994, 956, 957 (als Bezeichung flir ein Artikelgesetz mit politischem Gesamtkonzept).
B. Begriffe und Abgrenzungen
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sung von Regelungen soll gerade im Umweltbereich die Dynamisierung des rechtlichen Schutzes sein. 240 In der Praxis ist jedoch in vielen Fällen eine lange Zeitdauer für die Erstellung oder Änderung von Verordnungen und auch Verwaltungsvorschriften zu beobachten.241 Die Zeiten, in denen das Verordnungsgebungsverfahren in Deutschland oft schon abgeschlossen war, bevor überhaupt das ermächtigende Gesetz in Kraft getreten ist, 242 sind selten geworden oder können nur mit einem "Kunstgriff' erreicht werden, wie beim KrW-/AbfG beabsichtigt. Zum Teil wird die Länge der Verfahren der Verordnungsgebung mit den "verfahrensmäßigen Komplikationen durch Mitwirkung und Beteiligung" erklärt.243 Hier sollen zunächst die weiteren Funktionen von Verordnungsgebung näher betrachtet werden.
3. Nutzung privater Vorarbeiten Es wird behauptet, daß die Parlamente nicht über ausreichenden Sachverstand bzw. genügend Hilfs- und Arbeitsmittel verfügten, um schwierige technische Fragen selbst zu regeln.244 Die Exekutive sei auf diesen Gebieten leistungsfähiger.245 Ein vergleichbares Verhältnis in bezug auf den vorhandenen Sachverstand besteht zwischen der Exekutive und den privaten Normungsorganisationen.246 In Deutschland ist das technische Sicherheitsrecht- das sich inzwischen mit dem Umweltrecht weitgehend überschneidet- aus dem Bestreben 240 Kritisch zur These des dynamischen Grundrechts- bzw. Rechtsgüterschutzes wegen der damit. verbundenen Verantwortungsverlagerung auf demokratisch nicht legitimierte Gremien, Hoffmann-Riem, AöR 115 (1990), 400,445. 241 Es dauerte sechs Jahre (nach der grundsätzlichen Kabinettsentscheidung), bis die Großfeuerungsanlagen-Verordnung erlassen wurde, Müller, Innenwelt der Umweltpolitik, 1986, 275; Änderungen der TA Luft benötigten sechs bzw. neun Jahre, deswegen skeptisch zu einem möglichen Zeitgewinn Kloepfer, Zur Rechtsumbildung durch Umweltschutz, 1990, 28; ebenso Gusy, NVwZ 1995, 105, 109; sehr oberflächlich daher die Aussagen von Kuh/, Der Kernbereich der Exekutive, 1993, 145/146. Zur Langwierigkeil der Erarbeitung von Verordnungen nach dem KrW-/AbfG, Leitzke, UPR 1996, 177, 181, Fn. 39. Beispiele für langwierige DIN Normsetzungsverfahren bei Eichener/ Voelskow, Umweltinteressen in der verbandliehen Techniksteuerung, 1991, 66. 242 Zu den Problemen, die dies bei Ausfertigung und Verkündung verursachen kann, Hal/ier, AöR 85 (1960), 391, 419/420; Lepa, AöR 105 (1980), 337, 367. 243 Schneider, Gesetzgebung, 2. Aufl. 1991, Rn. 240. Immer mehr Informationen sind vor einer Entscheidung zu berücksichtigen, Schulze-Fielitz, DVB11994, 657, 664. 244 So schon Nikusch, NJW 1967, 811, 813; für Kanada Anderson, in: Govemment Regulation, 1980, 151, 153. 245 Badura, in: GS für Wolfgang Martens, 1987, 25, 26; Dussault/Borgeat, Administrative Law, Bd. 1, 2. Aufl. 1985, 306. 246 Backherms, Das DIN Deutsches Institut für Normung e.V. als Beliehener, 1978, 81; Kunig, in: Auf dem Weg zum Umweltgesetzbuch, 1992, 157, 158; vgl. Schuppert, in: Wachsende Staatsaufgaben, sinkende Steuerungsfähigkeit des Rechts, 1990, 217,218/219.
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1. Teil: Charakteristika der Umweltschutz-Verordnungsgebung
der anlagenbetreibenden Industrie entstanden, V erboten und Reglementierungen der Behörden zuvorzukommen. So wurden erstmals in der Mitte des 19. Jahrhunderts die Dampfkesselüberwachungsvereine gegründet, die sich später zur Institution des TÜV weiterentwickelten.247 Zwischen den regelsetzenden Organisationen und der staatlichen Technikbewertung und Technikgestaltungbesteht ein teils kompetitives, teils komplementäres Verhältnis. 248 Eine Funktion der Verordnungsgebung angesichtsder aktiven privaten Normsetzung ist es, sich die private Vorarbeit zunutze zu machen und die von den Privaten entwickelten Standards ganz oder teilweise staatlich festzuschreiben, wenn dies nach dem Auftrag und der Zielsetzung der Gesetze sinnvoll ist. 249 Je mehr eine technische Entwicklung als abgeschlossen betrachtet werden kann, desto eher kommt der Erlaß von allgemein verbindlichen Rechtsvorschriften in Betracht, ohne den im Stand der Technik angelegten Dynamisierungseffekt beeinträchtigen zu müssen. 250 Vielfach ist staatliche Verordnungsgebung dann die Ratiftzierung privat gesetzter Standards.251 Die Zielsetzungen von privaten Normen sind jedoch andere, als die der staatlichen Rechtsetzung: private Normen sollen vor allem wirtschaftliche Vorteile durch Vereinheitlichung ermöglichen. 252 Die Einbeziehung von Gesichtspunk-
247 Darstellung bei Grawert, in: Demokratie in Anfechtung und Bewährung, 1982, 457, 478/479; Wolf, Der Stand der Technik, 1986, 101-113; Bo/enz, Technische Normung zwischen "Markt" und "Staat", 1987, 57 und 142; Müller-Foel, Technische Normen, 1987, 51-56; Hüttermann, Grenzwerte, 1993, 516; knapp zum TÜV auch Denninger, Normsetzung, 1990, 108/109. 248 Bolenz, Technische Normung zwischen "Markt" und "Staat", 1987, 56; Mayntz, Die Verwaltung 1990, 137, 149; Eichener!Voelzkow, Umweltinteressen in der verbandliehen Techniksteuerung, 1991, 35, zum Komp1ementärverhä1nis 63-67; Francis, The Politics ofRegulation, 1993,45 und 152. 249 Lübbe-WoljJ, in: Konfliktbewältigung durch Verhandlungen, 1990, 87, 89; vgl. Schuppert, in: Wachsende Staatsaufgaben- sinkende Steuerungsfähigkeit des Rechts, 1990,217,218/219. 250 Hanning, Umweltschutz und überbetriebliche technische Normung, 1976, 71/72; Feldhaus, UPR 1982, 137, 143; zu beobachten beispielsweise bei der Festlegung von Außenluft Standards, SRU, Umweltgutachten 1996, Tz. 810. BMWi, Rechtsetzung und technische Normen, 27, empfiehlt der Verwaltung in Fällen, in denen die Zielsetzungen einer Rechtsvorschrift wenig konkret sind, flir das baldige Zustandekommen der notwendigen technischen Normen zu sorgen. So sollen dafür entweder Technische Ausschüsse eingesetzt werden, andere der Verwaltung zugeordnete Gremien berufen werden oder die Feststellung der technischen Regeln selbst vorgenommen werden. 251 Vgl. Bolenz, Technische Normung zwischen ,,Markt" und "Staat", 1987, 103; flir den Erlaß von Verwaltungsvorschriften Brohm, in: HStR II, 1987, § 36, Rn. 26. 252 Zu weiteren Funkionen von Normung Gusy, UPR 1986,241, 243; Bolenz, Technische Normung zwischen "Markt" und "Staat", 1987, 7.
B. Begriffe und Abgrenzungen
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ten des Umweltschutzes erfolgt erst seit kurzer Zeit.253 Wenn nun im Rahmen der Verordnungsgebung auf private Vorarbeiten zurückgegriffen wird, dann kann es zu Konflikten zwischen den unterschiedlichen Zielsetzungen konunen, deren Lösung manchmallangwierig ist. 254 4. Zeitliche Verzögerung und Symbolik
Das Schaffen von Verordnungsermächtigungen und ein sich daran anschließendes Verfahren der Verordnungsgebung kann des weiteren auch genau den Zweck haben, eine Regelung zeitlich zu verzögem. 255 So ist es möglich, einen politischen Streit zunächst dadurch zu entschärfen, indem eine kontroverse Regelung nicht in das Gesetz übemonunen wird, sondern stattdessen eine Verordnungsermächtigung geschaffen wird. Dadurch kann der Streit aus dem öffentlichen Gesetzgebungsverfahren in das Verfahren der Verordnungsgebung verlegt werden.256 Dort ist der Konflikt weniger sichtbar, aber deswegen nicht unbedingt schneller lösbar.257 In der kanadischen Literatur wird eine solche Verschiebung zum Teil als Zweck von Beteiligungsverfahren angesehen.258 In gleicher Weise kann durch die Einfügung einer Verordnungsermächtigung einerseits politischer Handlungswille dokumentiert werden, andererseits dann aber im rein regierungsinternen Verfahren der Verordnungsgebung die Initiative verschleppt werden, um eben doch keine Regelung zu erlassen, bzw.
253 Marburger/Gebhard, in: Umweltschutz durch gesellschaftliche Selbststeuerung, 1993, I, 3; Mayntz, in: Regieren und Politikberatung, 1994, 17, 21. 254 Schulze-Fielitz, Theorie und Praxis parlamentarischer Gesetzgebung, 1988, 422, 'Verschiebung von Kompromißbildungsproblemen nach unten'; Rose-Ackerman, Umweltrecht, 1995, 123; vgl. Vobruba, in: Verbänden zwischen Mitgliederinteressen und Gemeinwohl, 1992, 80, I 03/104. 255 'Dilatorische Formelkompromisse', v. Brünneck, in: Wachsende Staatsaufgabensinkende Steuerungsfähigkeit des Rechts, 1990,253,255. Der Ausdruck stammt wohl von Carl Schmitt, so Zitat bei Schulze-Fielitz, Theorie und Praxis der Gesetzgebung, 1988, 67. 256 Staats, in: Studien zu einer Theorie der Gesetzgebung, 1982, 192, 204. Beispiele dafür bei Müller, Innenwelt der Umweltpo1itik, 1986, 359; Wolf, Der Stand der Technik, 1986, 174; Reh, in: Abfallbeseitigunsgrecht, Bd. 4, 1995, 1/2, in bezug auf die Ermächtigungen des KrW-/AbfG. 257 Gerade im Umweltrecht gibt es Beispiele für in Gesetzen enthaltene Verordnungsermächtigungen, von denen dann aber kein Gebrauch gemacht wurde; Peine, ZfG 1988, 121, 123 und 128; Beispiel hinsichtlich des WRMG bei Bohne, in: Konfliktbewältigung durch Verhandlungen, Bd. 1, 1990, 217, 222/223, die Vererdungsermächtigung des§ 9 Abs. 2 WRMG wurde nie genutzt, sondern stattdessen eine Absprache zwischen dem BMU und vier Industrieverbänden getroffen. 258 Stanbury/Fulton, Consultation, 1987,9 und 14; Tingley, in: Law and Process in Environmental Management, 1993, 319, 324, fürdie Verordnungsgebung zur Ausgestaltung des Canadian Environmenta/AssessmentAct; vgl. OECD, Technology on Trial, 1979,45.
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I. Teil: Charakteristika der Umweltschutz-Verordnungsgebung
nur bedingt vollzugsfähige. 259 Solche Entwicklungen sind ein Kennzeichen von symbolischer Gesetzgebung. 260 111. Mitwirkung und Beteiligung
Es ist schwierig, die zur Beschreibung von Beteiligung an der Verordnungsgebung benutzten Begriffe in ein sinnvolles System einzuordnen, weil sowohl in Deutschland als auch in Kanada häufig nicht zwischen der Beteiligung an einer Einzelfallentscheidung und der Beteiligung an Normsetzungsverfahren unterschieden wird.261 Die dann dargestellten Mitwirkungsformen haben oft eine genaue faktische Situation vor Augen, z.B. die Beteiligung an der Bauleitplanung, der Planfeststellung oder an einer Anlagengenehmigung, und sind für eine abstrakte Einordnung wenig brauchbar. Einer Differenzierung von Mayntz folgend,262 wird im weiteren Fortgang der Untersuchung der Begriff der 'Mitwirkung' gebraucht, wenn eine weitere staatliche Stelle in die V erordnungsgebung miteinbezogen wird. Demgegenüber soll der Begriff der 'Beteiligung' zum Ausdruck bringen, daß es sich um die Einflußnahme außerstaatlicher Stellen handelt. 263 Dieser Ausdruck hat den Vorteil der sprachlichen Nähe zum Begriff des 'Beteiligten' in§ 13 Abs. 1 VwVfG.264 Im Besonderen Teil der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien (GGO 11)265 wird zwischen dem Begriff der 'Beteiligung' - der gemeinsamen Bearbeitung einer
259 Bohne, Politics and Markets in Environmental Protection, 1988, 73; Lübbe-Wolff, Natur und Recht 1993, 217,227 und 229. 260 Zu Symbolic Regulation als erster Phase der Umweltpolitik, Emond, 36 McGill Law Joumal(l991), 742, 744-753; vgl. Deweesu.a., in: The Regulation ofQuality, 1983, 23; zu symbolischer Gesetzgebung Schulze-Fielitz, Theorie und Praxis parlamentarischer Gesetzgebung, 1988, 558 -561; Schrader, DÖV 1990, 326, 330; Lamb, Kooperative Gesetzeskonkretisierung, 1995, 65; Bohne, in: Auf dem Weg zum Umweltgesetzbuch, 1992, 181, 198, zur Gefahr, daß das UVPG zur symbolischen Gesetzgebung werden könne. 261 Das Problem wird angesprochen von Emond, 13 Osgoode Hall Law Journal (1975), 783, 7881789; Bregha u.a., The Integration ofEnvironmental Considerations into Govemment Policy, 1990, 22. 262 Mayntz, Politische Planung und demokratische Beteiligung, 1971, II; ebenso Schmidt-Aßmann, Jura 1979, 505, 515/516; Hili, Das fehlerhafte Verfahren und seine Folgen im Verwaltungsrecht, 1986,266-268. 263 Conradi, Mitwirkung, 1962,44, benutzt 'Mitwirkung' als Oberbegriffftir 'alle Formen der Beteiligung', die sie als 'beratende Teilnahme' näher charakterisiert; ähnlich Denninger, Normsetzung, 1990,38 und 178. Semar, Mitwirkung, 1969, 11, versteht unter 'Mitwirkung' 'die aus Anhörung, Heranziehung oder Aufgabenübertragung sich ergebende Integrierung verhandlicher Interessen in den Prozeß der unmittelbar staatlichen Willensbildung'. 264 Gemäߧ 9 VwVfG findet das VwVfG aufdie Verordnungsgebung keine Anwendung. 265 Näheres zur GGO siehe unten, I. Teil, C. II. 2. a).
B. Begriffe und Abgrenzungen
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Vorlage durch mehrere Ministerien(§ 23 GGO II)- und dem Begriff der 'Unterrichtung'- der Information anderer Stellen(§§ 24 bis 27 GGO II)- unterschieden. In beiden untersuchten Ländern lassen sich die verwendeten "Begriffscluster"266 nach bestimmten Kategorien sortieren und ordnen. Dabei verfügt das deutsche System über detailliertere Kategorien der inner-administrativen Mitwirkung. Dies ist insbesondere der Fall, wenn man die parlamentarische Kontrolle der Verordnungsgebung, wie in der Literatur überwiegend üblich, als eine Form der Mitwirkung oder Beteiligung betrachtet. Das kanadische System hat demgegenüber die Kategorien der außerstaatlichen Beteiligung stärker durchgeformt. 267
1. Von der "Zusammenarbeit in den Ministerien" über die "Anhörung der beteiligten Kreise" bis zur mitwirkenden Kontrolle des Parlaments in Deutschland Die Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien - Allgemeiner Teil- (GGO I) verpflichtet in § 21 alle Mitarbeiter eines Ministeriums zur engen Zusammenarbeit. Alle nach dem Geschäftsverteilungsplan oder der Natur der Sache nach in Betracht kommenden Stellen sind frühzeitig zu beteiligen. § 70 GGO I enthält eine ausführliche Regelung hinsichtlich der Zusammenarbeit zwischen mehreren Ministerien. Mitwirkung kann sich ihrer Intensität nach unterscheiden. Die Intensitätsspanne reicht von der bloßen Kenntnisgabe, dem 'Benehmen', über das zustimmende Einverständnis oder 'Einvernehmen' bis zum gemeinschaftlichen Entwurf oder der gemeinschaftlichen Entscheidung. 268 Alle diese Mitwirkungsformen zwischen verschiedenen Verwaltungseinheiten lassen sich auch unter den Begriff der 'Koordination' 269 subsumieren.
Im außerstaatlichen Bereich verläuft die Intensitätsspanne von der reinen Mitteilung einer Entscheidung ohne oder auch mit der Gelegenheit zur (schriftlichen) 266 Grima, in: Public Involvement and Social Impact Assessment, 1987, !II, meint, daß die Menge der verwendeten Termini und Euphemismen auf ein hochpolitisches und umstrittenes Thema hinweisen. Zu den Schwierigkeiten der Definition auch OECD, Technology on Trial, 1979, 15; Schaubild zum Bedeutungsradius des Begriffs der 'Kooperation', Rengeling, Das Kooperationsprinzip im Umweltrecht, 1988, 14. 267 "The question of techniques for participation will not even arise unless a right or opportunity to participate is first identified or established.", Lucas, 16 Natural Ressources Journal (1976), 73, 76; Thompson, in: Public Participation in Environmental Decision Making, 1979, 15, 16-19, stellt die Bedeutung von public participation aus der Sichtweise unterschiedlicher Fachdisziplinen dar. 268 Merkhiat 5 zur GGO I, Abschnitt II. und III.; König, in: Regierungspolitik und Koordination, 1976, 227, 232; v. Danwitz, Die Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers, 1989, 107, unterscheidet aber nicht zwischen Mitwirkung und Beteiligung. 269 EI/wein, Jahrbuch der Staats- und Verwaltungswissenschaft 5 ( 1991 ), 99. Definition von 'Koordination' bei Bul/, Jahrbuch zur Staats- und Verwaltungswissenschaft 5 (1991), 29, 30.
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I . Teil: Charakteristika der Umweltschutz-Verordnungsgebung
Stellungnahme, über die (mündliche) Anhörung von Sachkundigen oder Interessierten bis hin zur Partizipation, also der gestaltenden Beteiligung Privater an staatlichen Verfahren.270 Deutschland ist sehr zurückhaltend mit der Gewährung von Beteiligungsrechten an der Verordnungsgebung zugunsten außerstaatlicher Akteure.271 Ausnahmen bestehen fiir die kommunalen Spitzenorganisationen,272 die Beamtenorganisationen fiir sie betreffende Regelungen273 und im Naturschutzrecht fiir staatlich anerkannte Naturschutzverbände274 • Einer Selbstdefinition von Betroffenheit durch die Verbände275 oder gar einer allgemeinen Öffentlichkeitsbeteiligung in Normsetzungsverfahren steht die Rechtswissenschaft in Deutschland skeptisch gegenüber. 276 Nur die staatlichen Instanzen verfUgen über die allgemeine demokratische Legitimation, um verbindliche Entscheidungen zu treffen.m Indem außerstaatliche Interessengruppen an der Vorbereitung von staatlichen Entscheidungen beteiligt werden, kann es zu Irritationen dieses Legitimationsgefiiges kommen.278 Als eine Form der Mitwirkung wird die parlamentarische Kontrolle der Verordnungsgebung bezeichnet.279 In Deutschland haben sich gerade im Umweltrecht diverse Mischformen von unterschiedlicher Intensität entwickelt. Die 270 Schmitt Glaeser, in: Verfahren als staats- und verwaltungsrechtliche Kategorie, 1984, 35, 47. Diese Definiton bleibt hinter der in Kanada gebräuchlichen Verwendung von Participation als 'Teilhabe an der staatlichen Entscheidung' , zurück, Schatzow, in: Public Participation in Planning, 1977, 141. Eine Skala der Einflußmöglichkeiten findet sich bei Denninger, Normsetzung, 1990, 175/176. 271 Überblick über die diesbezüglich bestehenden Regelungen der GGO II bei Lamb, Kooperative Gesetzeskonkretisierung, 1995, 148/149. 272 Dazu Schröder, Gesetzgebung und Verbände, 1976, 116-119 m.w.N.; Meyer, ZfG 1994, 262; siehe auch unten, 2. Teil, B. II. 4. 273 §58 Beamtenrechtsrahmengesetz, § 94 Bundesbeamtengesetz und entsprechende landesrechtliche Vorschriften; dazu schon Schröder, Gesetzgebung und Verbände, 1976, 83-88. 274 § 29 BNatG,dazu Gassner, Natur und Recht 1991, 211. 275 Kunig, in: Konfliktbewältigung durch Verhandlungen, Bd. I, 1990, 43, 66, nur diejenigen könnten dann ihre Interessen angemessen vertreten, die sich lautstark und geschickt in Kommunikationsprozesse einzuschalten vermögen. 276 Dreier, in Parlamentarische Souveränität und technische Entwicklung, 1986, II, 43; v. Lersner, Natur und Recht 1990, 193, 196; Denninger, Normsetzung, 1990, 178180, verlangt nur eine kontroverse Gruppenrepräsentation; Schutt, NVwZ 1991, I 0, 11112. Redeker, NJW 1980, 1593, 1595, gesteht nur Grundrechtsbetroffenen verfahrensrechtliche Ansprüche zu; ebenso DiFabio, Verwaltungsarchiv 1990, 193, 213; Lamb, Kooperative Gesetzeskonkretisierung, 1995, 221. Siehe aber Schmitt Glaeser, in: Verfahren als staats-und verwaltungsrechtliche Kategorie, 1984, 35, 79, der vorschlägt, nur das 'Wie' einer Beteiligung zu reglementieren und nicht das 'Ob'. 277 Schröder, Gesetzgebung und Verbände, 1976, 105; Schiffer/Wolff, AöR 116 (1991), 169, 182; Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), 329,355-366 zum Legitimationsgefüge der Verwaltung. 278 Ritter, AöR 104(1979),389,410;Schmidt-Aßmann,AöR 116(1991), 329, 369u. 373. 279 v. Danwitz, Die Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers, 1989, 107.
B. Begriffe und Abgrenzungen
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Palette der Verfahrensgestaltungen reicht von der Vorlage einer Verordnung zur Kenntnisnahme (unter Umständen nur an einen Parlamentsausschuß) über das Erfordernis der Zustimmung des Parlaments zur Verordnung, bis hin zur Ablehnungs- und sogar Abänderungsbefugnis des Parlaments.280 2. Von Information bis Joint Decision-Making in Kanada
Der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien in Deutschland vergleichbare allgemeine Regeln über die Zusammenarbeit in den Ministerien gibt es in Kanada nicht.281 Die Koordination von auf CEPA gestützte Verordnungsgebung wird zwischen Abteilungen des Umwelt- und des Gesundheitsministeriums vorgenommen. Auch bei anderen Verordnungsgebungsinitiativen wird ein Iead Department (federführendes Ministerium) bestimrnt.282 Die Mitwirkung der Provinzen an der Umweltschutz-Verordnungsgebung vollzog sich bis 1988 rein informal. Seit 1988 gibt es durch CEPA eine gesetzliche Grundlage und ein Gremium zur Abstimmung auf diesem Gebiet.283 Einen größeren Raum als die Erörterung der Mitwirkungsformen zwischen staatlichen Stellen nimmt in der kanadischen Literatur die Darstellung von Beteiligungsformen ein. Kanadische Autoren stellen deutlich heraus, daß es ein Kontinuum von Beteiligungsformen der Öffentlichkeit an staatlichen Entscheidungen über Umweltschutzangelegenheiten gibt. Klassifizierungen werden vorgenommen, um die Vor- und Nachteile der einzelnen Formen darzustellen und Ratschläge zu geben, welches Verfahren fiir welche Entscheidung das angemessenste ist. 284 Zum Teil wird zwischen Beteiligung (Participation) und der
Dazu siehe unten, 2. Teil, B. V. Über die Koordination innerhalb der VeJWaltung, Doerr, The Machinery of Govemment in Canada, 1981, 138-148. 282 Die Bestimmung der Federführung zwischen Ministerien wird zum Teil durch Memoranda of Understanding getroffen, Brown, in: Canadian Environmental Policy, 1992, 24, 29/30. Bei Gesetzentwürfen liegt die Federführung im Regelfall bei dem Ministeriums, das das Gesetz vollziehen soll und dessen Minister den Entwurf im Parlament einbringen wird. 283 Dazu siehe unten, 2. Teil, A. 111. 3. b). 284 Emond, 13 Osgoode Hall Law Journal (1975), 783, 796; Daneke, in: Public lnvolvement and Social Impact Assessment, 1983, 11, 24; Parenteau, Public Participation in Environmental Decision-Making, 1988, 6/7; Weiler, 8 Canadian Journal of Administrative Law and Practice ( 1995), 101, 105; Stanbury/Fulton, Consultation, 1987, Schaubild 2 differenzieren daher nach von der Regierung initiierten und von Verbänden oder Einzelpersonen auf Eigeninitiative genutzten Formen der Beteiligung. Ein Anleitungsbuch für Beteiligungsverfahren ist, Canadian Centrefor Management Development, Consultations- When the Goal is Good Decisions, 1992. Auch König/Dose, Klassifizierungsansätze staatlicher Handlungsformen, 1989, 171/172, meinen, daß Klassifizierungen handlungsleitende Orientierungen anbieten können müssen. 280 281
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I. Teil: Charakteristika der Umweltschutz-Verordnungsgebung
tatsächlichen Beeinflussung (Injluence) unterschieden: dazwischen bestehe zwar in der Regel ein Zusammenhang, aber nicht notwendigerweise.28s Das Ziel der meisten Partizipationsformen ist es jedoch, das Ergebnis von Entscheidungen zu beeinflussen. 286 Eine meßbare Wirkung von Beteiligung läßt sich- außer in begrenzten Fallstudien- kaum ermitteln. In der kanadischen Literatur wird jedoch davor gewarnt, die Wirkung von Consultation zu unterschätzen.287 Auf der untersten Stufe der Beteiligungsformen, als einfachste Form der Interaktion staatlicher Stellen mit der Öffentlichkeit, steht die Information oder Erziehung (Information oder Education) der Öffentlichkeit. Sie kommt in Frage, wenn eine schon getroffene staatliche Entscheidung der Öffentlichkeit nur noch überund vermittelt werden soll. Eine Reaktion der Öffentlichkeit wird nicht erwartet.288 Wenn die Öffentlichkeit nach erfolgter Information um Kommentare und Stellungnahmen gebeten wird, dann handelt es sich um die nächsthöhere Stufe der Beteiligung (Public Information Feedback). Meist ist die Entscheidung selber schon getroffen und man sucht um Bestätigung nach289 oder versucht, die Öffentlichkeit von der Entscheidung zu überzeugen (Persuasion)_1'YJ Erst die folgende Stufe wird als Consultation bezeichnet. 291 Aufgrund eines bestimmten Antrages fiir ein Projekt oder im Zuge von öffentlicher Planung wird die Öffentlichkeit darüber informiert. Die Beteiligung fmdet meist in mehreren Phasen statt: nach einer generellen Bekanntgabe werden nähere Einzelheiten des Projekts mitgeteilt und in einem Anhörungstermin hört sich die staatliche Instanz die Stellungnahmen der Öffentlichkeit an.292 Auf der nächsthöheren Stufe wird die Beteiligung durch beratende Kommissionen (Advisory Committees) eingel8S Schatzow, in: Public Participation in Planning, 1977, 141; Daneke, in: Public lnvolvement and Social Impact Assessment, 1983, II, 25; Bregha u.a., The Integration of Environmental Considerations into Govemment Policy, 1990, 20. 286 Stanbury/Fulton, Consultation, 1987,4. 287 Filyk/Cote, in: Canadian Environmental Policy, 1992, 60, 62/63; Anand/Scott, 60 Canadian Bar Review (1982), 81, 95196, geben Beispiele fiir erfolgreichen Einfluß. 288 Parenteau, Public Participation in Environmental Decision - Making, 1988, 7 m.w.N.; Donaldson, Multi-Stakeholder Processes, 1994, 3. 289 Donaldson, Multi-Stakeholder Processes, 1994, 5. 2'YJ In mißlungenen Fällen wird dies zum ,,Decide-Announce - Defend''; dazu Priscoli, in: Die Modemisierung der Demokratie, 1993, 40, 43. 291 Donaldson, Multi-Stakeholder Processes, 1994, 5/6; Parenteau, Public Participation in Environmental Decision- Making, 1988, 7; Keyes, Executive Legis1ation, 1992, 81, bezeichnetconsultation als' half-way-house' zwischen der Anhörung einer Person vor einem Eingriff und der traditionellen Abwesenheit von Beteiligung bei der Verordnungsgebung. 292 Stanbury/Fulton, Consultation, 1987, 2/3; zur Bedeutung und der Möglichkeit der Einbeziehung auch emotionaler Stellungnahmen Creighton, in: Public Imvolvement and Social Impact Assessment, 1983, 143-161. Ausfiihr1ich zu Anhörungsterminen (Public Hearings) unter Einbeziehung auch des Rechts der Provinzen, Emond, l3 Osgoode Hall Law Journal (1975), 783, 807-835.
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ordnet. Fester Bestandteil der Arbeitsweise der meisten beratenden Kommissionen in Kanada ist die Durchfiihrung von öffentlichen Anhörungen.293 Weitergehende Einwirkungsmöglichkeiten fiir die Öffentlichkeit sind in gemeinsamen Planungsprozessen (Joint Planning/Decision-Making/Cooperation) gegeben.294 Sie sind in Kanada im Regelfall als Multi-Stakeholder-Verfahren ausgestaltet; d.h. daß an ihnen alle von einer Entscheidung Betroffenen und an ihr Interessierten teilnehmen können und sollen. 295 V erfahren dieser Art werden von der kanadischen Bundesregierung und auch von Provinzregierungen verstärkt gefOrdert und ausgestaltet. Eine größere Intensität der Beteiligung außerstaatlicher Stellen kann nur noch erreicht werden, wenn die Entscheidung an die Betroffenen zur Selbstentscheidung delegiert wird. Doch solche Modelle werden (zu Recht) als utopisch bezeichnet.296 Wesentlich leidenschaftsloser als in Deutschland wird in Kanada das Problem der Beteiligung von Interessengruppen betrachtet. Während man nicht verkennt, daß Repräsentativität der beteiligten Öffentlichkeit ein Problem darstellt,297 wird dennoch im Regelfall ein Modell fiir Beteiligungsprozesse befiirwortet, an denen grundsätzlich jede interessierte Person oder jeder interessierte Verband teilnehmen darf. 298 Die Vorstellung, daß allein der Staat das Gemeinwohl repräsentiert, gilt als überholt. 299 Wenn die Öffentlichkeit nicht konsultiert
293 Am Beispiel des Inquiry on Federal Water Policy, Filyk/Cote, in: Canadian Environmental Policy, 1992, 60, 74; generell OECD, Technology on Trial, 1979, 56-58. 294 Vergleichbare Stufung der Mitwirkungskategorien für die Bund-Provinz-Zusammenarbeit bei Heard, Canadian Constitutional Conventions, 1991, 114 (Consultation, Coordination, Joint Decision-Making). 295 Owen, in: Law and Process in Environmental Management, 1993, 335, 349; Donaldson, Multi-Stakeholder Processes, 1994, 6/7. 296 Donaldson, Multi-Stakeholder Processes, 1994, 8. Vgl. auch Dreier, in: Parlamentarische Souveränität und technische Entwicklung, 1986, II, 43; Sewell/0 'Riordan, 16 Natural Resources Journal (1976), I, 16/17. 297 Emond, 13 Osgoode Hall Law Journal (1975), 783, 787; Daneke, in: Public Involvement and Social Impact Assessment, 1983, II; Stanbury!Fulton, Consultation, 1987, 18-20; Bregha u.a., The Integration of Environmental Considerations into Govemment Policy, 1990, 21; Tingley, in: Law and Process in Environmental Management, 1993, 319, 321-323; Hoberg, in: Goveming Canada, 1993,307,322. 298 Thompson, in: Public Participation in Environmental Decision Making, 1979, 15, 23; Owen, in: Law and Process in Environmental Management, 1993, 335, 349; Donaldson, Multi-Stakeholder Processes, 1994, 49. Ebenso in den USA, Pünder, Exekutive Rechtsetzung, 1995, 128: "Jeder, der sich die Mühe macht, einen Brief zu schreiben, kann mitmachen." Beim Negotiated Rulemaking in den USA ist es das Ziel, alle verschiedenen Interessenstandpunkte, aber nicht alle verschiedenen Interessengruppen einzubeziehen, Dalton, RECIEL 1993, 354, 356. 299 Fox, Public Participation in the Administrative Process, 1979, 5; Hoberg, in: GovemingCanada, 1993,307,316.
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wird, dann wird vermutet, daß sich ausschließlich die Wirtschaftsinteressen im Verfahren durchgesetzt haben. 300 Nur spezielle Interessengruppen zur Beteiligung einzuladen, verursacht wegen des elitären Charakters voraussehbare Konfrontationen mit den Gruppen, die nicht beteiligt wurden.301 Wenn Sachkunde und Argumente von Seiten der Teilnehmer in das Verfahren eingebracht werden, wird die 'Herkunft' und Stellung der Teilnehmer auch unwichtiger.302
IV. Funktion und Bedeutung von Mitwirkung und Beteiligung Mitwirkung und Beteiligung sollen bestimmte Zwecke erfiillen. An erster Stelle der Funktionen stehen sowohl in Deutschland als auch in Kanada die Funktionen der Koordination und Informationsgewinnung. Darüber hinaus sollen Mitwirkung und Beteiligung aber auch zur Erhöhung der Akzeptanz von Entscheidungen beitragen und die Kontrolle von Entscheidungen ermöglichen. 1. Koordination und Information
Mitwirkung sichert eine abgewogene Entscheidung und eine einheitliche Haltung des Ministeriums bzw. der Bundesregierung. Auch kann durch sie Doppelarbeit vermieden werden (so § 21 GGO I). Der koordinierende und harmonisierende303 Aspekt steht bei Formen der Mitwirkung im Vordergrund. Beteiligung wird vor allem wegen des möglichen Informationsgewinnes fiir die Verwaltung praktiziert. Die inhaltliche Qualität der vorzubereitenden Rechtsregeln soll gesichert werden. 304 Die wohl noch herrschende Meinung in Deutschland versteht die Vorschriften der "Anhörung beteiligter Kreise" vor allem als Hilfe zur Sachverhaltsermittlung bzw. der Informationsaufnahme.305 Die Sachkunde der zu beteiligenden Kreise wird als ihr wesentlichster Aspekt angesehen. Der Aspekt der Informationsgewinnung ist auch in Kanada wl.ch-
300 Hoberg, in: Goveming Canada, 1993, 307, 316; Webb, Pollution Control in Canada, 1988, 59. 301 0/pin u.a., I Administrative Law Journal (1987), 575, 577; Owen, in: Law and Process in Environmental Management, 1993, 334, 349; Dona/dson, Multi-Stakeholder Processes, 1994,47/48. 302 Ting/ey, in: Law and Process in Environmental Management, 1993,319, 322; vgl. auch Zitat eines kanadischen Anwalts in OECD, Technology on Trial, 1979, 87/88. 303 Lamb, Kooperative Gesetzeskonkretisierung, 1995,209. 304 Kunig, in: Konfliktbewältigung durch Verhandlungen, Bd. 1, 1990,43,50. 305 Conradi, Mitwirkung, 1962, 20; Dagtog/ou, Der Private in der Verwaltung als Fachmann und Interessenvertreter, 1964, 130-133; Schröder, Gesetzgebung und Verbände, 1976, 25; für§ 51 BlmSchG Jarass, BlmSchG Kommentar, 3. Aufl. 1995, Rn. I; Lamb, Kooperative Gesetzeskonkretisierung, 1995, 157 m.w.N.
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tig. 306 Nur durch die Beteiligung der von der geplanten Regelung später Betroffenen kann im Umweltschutzbereich sichergestellt werden, daß eine Regelung praktikabel und für den Vollzug geeignet ist. 307 Außer den Informationen über die zu regelnde Materie erlangt die Verwaltung durch V erfahren der Beteiligung auch Informationen über die Ansichten und Interessen der Beteiligten, und wie sie eine geplante Regelung bewerten.308 So ist Beteiligung des weiteren ein Mittel der Interessenvertretung gegenüber der Regierung. 309 In der englischsprachigen Literatur wird detailliert dargestellt, wie es möglich ist, auch und gerade wertgeladene und emotionale Stellungnahmen der Öffentlichkeit als Informationsquelle zu nutzen.310
2. Akzeptanzsteigerung, Kontrolle und Partizipation Über den Informationsaspekt hinaus werden speziell der Beteiligung von außerstaatlichen Stellen weitere Funktionen zugesprochen. Man erhofft sich eine erhöhte Akzeptanz der in einem V erfahren mit Beteiligung getroffenen Entscheidung. Die Öffnung eines Verfahrens, z.B. durch eine Anhörung, soll Vertrauen in ein faires Verfahren schaffen. Wenn Vorschläge und Vorstellungen außerhalb der Verwaltung stehender Personen in eine Entscheidung einfließen können, gilt die Entscheidung als besser legitirniert. 311 Die vorgebrachten, unterschiedlichen Interessen sollen im Idealfall zum Konsens, zumin-
306 Lucas, 16 Natural Resources Journal (1976), 73, 74; Anand/Scott, 60 Canadian Bar Review (1982), 81, 93; Stanbury/Fulton, Consultation, 1987, 12; Bregha u.a., The Integration ofEnvironmental Considerations into Government Policy, 1990, 20. 307 Anand!Scott, 60 Canadian Bar Review (1982), 81 , 94; Lamb, Kooperative Gesetzeskonkretisierung, 1995, 199; Atzpodien, UPR 1990, 7, 14, es sollen der 'Ideenreichtum und die Innovationskraft' der beteiligten Kreise erschlossen werden. 308 Schröder, Gesetzgebung und Verbände, 1976, 26/27; Ossenbühl, in: HStR III, 1988, § 64, Rn. 59; Hoffmann-Riem, AöR 115 (1990), 400, 437; Schneider, Gesetzgebung, 2. Aufl. 1991, Rn. 263; Lamb, Kooperative Gesetzeskonkretisierung, 1995,200. 309 Lucas, 16 Natural Resources Journal (1976), 73, 74; Bregha u.a., The Integration of Environmental Considerations into Government Policy, 1990, 21; Anand/Scott, 60 Canadian Bar Review (1982), 81, 94, sprechen von neuen Blickwinkeln, die der Verwaltung eröffuet werden. 310 Creighton, in: Public Involvement and Social Impact Assessment, 1983, 143, 152 und !59; dies mahnt auch Altner, in: Im Dienste der Umwelt und der Politik, 1990, 39, 40/41, an; vgl. Priscoli, in: Die Modernisierung der Demokratie, 1993, 40, 51/52. Zum Umgang mit aus Überzeugungskonflikten resultierenden, unterschiedlichen Ansichten nun auch SRU, Umweltgutachten 1996, Tz. 686-692. 311 Stanbury/Fulton, Consultation, 1987, 12; Webb, Pollution Contra! in Canada, 1988, 59; Bregha u.a., The Integration of Environmenta1 Considerations into Government Policy, 1990, 21; Jarass, BimSchG Kommentar, 3. Aufl. 1995, Rn. I.
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dest aber zu einem von den Teilnehmern akzeptierten Ausgleich gebracht werden.312 Da Akzeptanz die Normbefolgung erhöht, wird so auch die Durchsetzung der getroffenen Regelungen verbessert, 313 und Beteiligung kann zum Mittel des Abbaus des im Umweltschutzbereich festgestellten Vollzugsdeftzits werden. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, daß durch jede Öffnung eines Verfahrens die Verwaltung hinsichtlich des von ihr vorbereiteten Materials gegenüber den Mitwirkenden und Beteiligten unter Rechtfertigungsdruck gerät. Sie wird dadurch genötigt, Analysen gründlich zu erstellen und insgesamt die Entscheidung gut zu begründen.314 Mitwirkung und Beteiligung sind deswegen Formen der Kontrolle der Verwaltung. 315 Kanadische Autoren sprechen auch offen über partizipative Verfahren als Ziel an sich. 316 Die Beteiligung an staatlichen Entscheidungen ist eine Form der allen Bürgern in einer Demokratie zukommenden Selbstbestimmung. Die Öffentlichkeit hat daher ein originäres Beteiligungsrecht317 beim Setzen von Umweltstandards. Da Standardsetzungsverfahren letztlich politische Verfahren sind, in deren Verlauf es notwendigerweise zu Kompromissen kommt, müsse auch die Öffentlichkeit daran beteiligt sein, denn nur so könne sie die Entscheidungen nachvollziehen und auch unterstützen. 318 Auf dieser Grundlage ist es
312 Conradi, Mitwirkung, 1962, 22; Blankenburg!Treiber, Die Verwaltung 1972,273, 275; OECD, Technology on Trial, 1979, 81-95; Menzel, Legitimation staatlicher Herrschaft durch Partizipation Privater, 1980, 95-100, der als Hauptfunktionen von Partizipation die Informationsbeschaffung, Demokratisierung und Konsenssicherung ansieht, 74-76; Grüter, Umweltrecht und Kooperationsprinzip, 1990, 25; Lamb, Kooperative Gesetzeskonkretisierung, 1995,201. 313 Schröder, Gesetzgebung und Verbände, 1976, 28; Lamb, Kooperative Gesetzeskonkretisierung, 1995, 202/203. 314 Anand!Scott, 60 Canadian Bar Review (1982), 81, 94. Den Aspekt des 'Peer Review' betont Giebeler, Verfahren und Maßstäbe, 1991, 57, für die amerikanischen Verfahren. 315 Conradi, Mitwirkung, 1962, 21; Schröder, Gesetzgebung und Verbände, 1976, 28; Parenteau, Public Participation in Environmental Decision-Making, 1988, 2; Lamb, Kooperative Gesetzeskonkretisierung, 1995, 211/212. 316 Emond, 13 Osgoode Hall Law Journal (1975), 783, 787; Parenteau, Public Participation in Environmental Decision-Making, 1988, 112; Weiler, 8 Canadian Journal of Administrative Law and Practice (1995), I 01, 125/126; dagegen aber Thompson, in: Public Participation in Environmental Decision Making, 1979, 15, 16. Brickman u.a., Controlling Chemicals, 1985, 90, halten in den USA das "Jeffersonian ideal of decision making by an enlightened and informed public" ftir den Ursprung dieses Zieles. 317 Parenteau, Public Participation in Environmental Decison-Making, 1988, I; Doern, in:CanadaatRisk, 1991,100,109. 318 Castrilli/Lax, in: Environmental Rights in Canada, 1981, 334, 375; Webb, Pollution Control in Canada, 1988, 59; Creighton, in: Public Involvement and Social Impact As~essment, 1983, 143, 157: "public participation does also serve the function of public education".
B. Begriffe und Abgrenzungen
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eine politische Wertentscheidung in Kanada, daß alle Mitglieder der Gesellschaft dazu ermutigt werden, sich an demokratischen Institutionen zu beteiligen319 und diese politische Beteiligung nicht nur in der Stinunabgabe in Wahlen für Repräsentationsorgane besteht. Auch in Deutschland wird inzwischen von einem Verfassungsauftrag gesprochen, der darin bestehen soll, Akzeptanz für staatliche Entscheidungen im Rahmen des Möglichen zu erreichen.32° Kooperation als Ausprägung allgemeiner demokratischer Prinzipien und einer Form des Grundrechtsschutzes durch Verfahren sind die rechtlichen Begründungen, die in Deutschland für die partizipative Funktion von Beteiligung diskutiert werden.321 Es mehren sich die Stimmen in der Literatur, die in der Anhörung der beteiligten Kreise mehr als nur Informationsbeschaffung sehen.322 Mit der Einführung partizipativer Verfahren im Umweltschutzbereich ist die Erwartung verbunden, daß die rechtliche Einräumung solcher Beteiligungsmöglichkeiten einen Anreiz darstellen kann, diese Möglichkeiten auch faktisch wahrzunehmen. So könnte Engagement geweckt werden, Biotope zu schützen und unökologisches Staatshandeln zu verhindern. Dies wäre eine staatsentlastende323 und wirtschaftlich effiziente Weise, um den optimalen Schutz der Umwelt zu erreichen.324
319 Eng/ehart/Trebilcock, Public Participation in the Regulatory Process: The Issue of Funding, 1981,24. 320 Hoffmann-Riem, AöR 115 (1990), 400, 415; vgl. Murswiek, Umweltschutz als Staatszweck, 1995, 69. 321 AusfUhrlieh Lamb, Kooperative Gesetzeskonkretisierung, 1995, 205-209. 322 Trute, Vorsorgestrukturen und Luftreinhaltung im BlmSchG, 1989, 99; HoffmannRiem, AöR 115 (1990), 400, 437; Lamb, Kooperative Gesetzeskonkretisierung, 1995, 206; Koch/Scheuing, GK-BimSchG, 1995, §51, Rn. 2. 323 Lamb, Kooperative Gesetzeskonkretisierung, 1995, 204. 324 BrandVBungert, 16 Harvard Environmental Law Review (1992), 1, 88. Daß die Einbeziehung Privater im Wege des verwaltungsgerichtlichen Drittschutzes den Umweltschutz in der Bundesrepublik Deutschland entscheidend effektiviert habe, meint K/oepfer, Zur Rechtsumbildung durch Umweltschutz, 1990, 36.
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I. Teil: Charakteristika der Umweltschutz-Verordnungsgebung
C. Rechtliche Anforderungen an die V erordnungsgebung I. Inhaltliche Begrenzungen und Anforderungen 1. Art. 80 GG, Parlamentsvorbehalt und Wesentlichkeitslehre in Deutschland
Die Verfassungsgeschichte der Verordnungsermächtigung in Deutschland beruht auf einer demokratisch-politischen und einer rechtsstaatliehen Tradition. Diese Traditionen haben zum einen das Verhältnis von Parlament und Regierung und zum anderen das Verhältnis von Staat und Bürger zum Gegenstand. 325 Nachdem es im 19. Jahrhundert gelungen war, das selbständige Verordnungsrecht des Monarchen zu einem gesetzesabhängigen zu machen, ist die Vorschrift des Art. 80 GG in das Grundgesetz aufgenommen worden, um zu verhindern, daß sich die Legislative gleichsam selber entmachtet, wie es in der Zeit der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus durch die sogenannten "Ermächtigungsgesetze" geschah.326 Die Delegation von Rechtsetzung auf die Exekutive ist gestattet, allerdings nur, wenn "Inhalt, Art und Ausmaß"327 der zu erwartenden Regelungen schon in der Ermächtigungsgrundlage bestimmt werden. "Die Rechtsetzung durch die Exekutive durchbricht zwar das Gewaltenteilungsprinzip; sie wird aber durch Art. 80 GG ausdrücklich zugelassen. Die Vorschrift umschreibt die Grenzen dieser Rechtsetzungsbefugnis, die sich aus den verfassungsrechtlichen Prinzipien des Rechtsstaats und der Gewaltenteilung ergeben".328 Art. 80 Abs. 1 Satz 3 GG bestimmt deswegen, daß die Rechtsgrundlage der Verordnung in der Verordnung selber anzugeben ist, um die Gesetzesabhängigkeit auch an dieser Stelle zu verdeutlichen.329
325 Mößle, Inhalt, Zweck und Ausmaß, 1990, 57; Busch, Das Verhältnis des Art. 80 Abs. I S. 2 GG zum Gesetzes- und Parlamentsvorbehalt, 1992, 27-34 und 34-39. Kewenig, ZParl 1973, 424: "Jede Beschäftigung mit dem Problem der Rechtsverordnung ftihrt vielmehr unmittelbar in Grundsatzfragen des Verhältnisses von Exekutive und Legislative und damit zu den Grundentscheidungen unserer Verfassung ftir den Rechtsstaat und die Demokratie." 326 BVerfGE 78, 249, 272; Ossenbühl, in: HStR III, 1988, § 64, Rn. 13; Busch, Das Verhältnis des Art. 80 Abs. I S. 2 GG zum Gesetzes- und Parlamentsvorbehalt, 1992, 130/131. 327 Zur Entstehungsgeschichte dieser Begriffstrias ausftihrlich Mößle, Inhalt, Zweck und Ausmaß, 1990, 39-56. 328 BVerfGE 18, 52, 59; Maunz, in: M/D-GG Kommentar, 1978, Art. 80, Rn. 2. 329 Die Verletzung dieser Vorschrift hat die Nichtigkeit der Verordnung zur Folge, Maunz, in: M/0-GG Kommentar, 1978, Art. 80, Rn. 20; Bryde, in: v. Münch GG Kommentar, Bd. 3, 1983, Art. 80, Rn. 24; Ossenbühl, in: HStR III, 1988, § 64, Rn. 65. Lücke, Begründungszwang und Verfassung, 1987, 37, wertet das Zitiergebot als eine Form der
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In einem parlamentarischen Regierungssystem stellt die Parlamentsmehrheit im Regelfall die Regierung, und so kann die Ermächtigung der Exekutive zur Rechtsetzung zu einer Möglichkeit werden, unbehelligt von parlamentarischen Auseinandersetzungen zu regieren. 330 Das Bundesverfassungsgericht hat auch aus diesem Grund durch die Entwicklung der "Wesentlichkeitslehre" die Lehre vom Vorbehalt des Gesetzes verfeinert. Gemäß der W esentlichkeitslehre ist es erforderlich, daß der Gesetzgeber die "wesentlichen" Entscheidungen durch Parlamentsgesetz selber trifft331 (deswegen auch Parlamentsvorbehalt genannt). Die Wesentlichkeit bestimmt sich dabei vor allem nach der jeweiligen Grundrechtsbetroffenheit332 Art. 80 GG ist in diesem Zusammenhang als spezielle Ausformung des Gesetzesvorbehalts anzusehen. 333 Der allgemeine Vorbehalt des Gesetzes bestimmt das "Ob" und das "Wie" des gesetzgebensehen Handelns. 334 Auf einer ersten Prüfungsstufe wird ermittelt, ob die angestrebte staatliche Maßnahme überhaupt einer gesetzlichen Grundlage in Gesetz oder Verordnung bedarf. Auf der zweiten Prüfungsstufe, wenn es um die Frage geht, ob eine Materie zur Regelung durch Rechtsverordnung auf die Exekutive delegiert werden darf, dann ist dies anhand einer funktionell-strukturellen Analyse335 zu ermitteln und gestattet, wenn die Vorschrift des Art. 80 eingehalten wird. Um die Einhaltung der Schrankentrias des Art. 80 GG zu überprüfen, hat das Bundesverfassungsgericht mehrere Formeln entwickelt.336 Die "Vorhersehbarkeitsformel" verlangt, daß der Staatsbürger im großen und ganzen vorhersehen kann, welche Regelungen ihn durch die Verordnung treffen werden. 337 Die "Selbstentscheidungsformel" wendet sich an den Gesetzgeber, der sich der verfassungsrechtlichen Pflicht zur Normsetzung bewußt bleiben soll, und die "Programmformel" berücksichtigt die Interessen des Verordnungsgebers an der verfassungsrechtlich gebotenen Begründung. Kritisch zur Aufweichung des Zitiergebots Sachs, BayVwBI1987, 209,210. 330 Mößle, Inhalt, Zweck und Ausmaß, 1990, 58; No/te, AöR 118 (1993), 378,409. 331 Ständige Rechtsprechung, BVerfGE 49, 89, 126; BVerfGE 76, 1, 75; BVerfGE 80, 124, 132; BVerfGE 88, 103, 116. 332 BVerfGE 83, 130, 142 m.w.N. 333 Busch, Das Verhältnis des Art. 80 Abs. I S. 2 GG zum Gesetzes- und Parlamentsvorbehalt, 1992, 133; zur funktionellen Identität von Parlamentsvorbehalt und Bestimmtheitsgrundsatz Gassner, DÖV 1996, 18, 25. 334 BVerfGE 77, 170, 231. 335 Nach Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, 1986, 201/202. 336 Nachweise zur frühen Rechtsprechung und Terminologie, Hass/earl, Die Begrenzung exekutiver Rechtsetzungsbefugnis, 1969, 61-79 und 172, ders., AöR 94 (1969), 85, 87, 88 und 89; unter Bezugnahme auf ihn, Bryde, in: v. Münch GG Kommentar, Bd. 3, 1983, Art. 80, Rn. 20. 337 Schon BVerfGE 1, 14, 60; später BVerfGE 55, 207, 225; BVerfGE 58, 257,277.
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I. Teil: Charakteristika der Umweltschutz-Verordnungsgebung
Bestimmtheit der Verordnungsgebung; die Ermächtigung muß das Programm, das die Rechtsverordnung dann näher ausgestaltet, schon enthalten.338 Denn es gehört "im Geltungsbereich des Gesetzesvorbehalts zum rechtsstaatlich-demokratischen Gehalt dieser Vorschrift, daß in einer Verordnung, die auf ihrer Grundlage ergeht und ihrem Grundgedanken entspricht, niemals ,originärer' politische Gestaltungswille der Exekutive zum Ausdruck kommen darr•.339 Wenn man allerdings diese Maßstäbe getreu an Regelungen im Umweltschutzbereich anlegte, dann dürften diese im Grunde nur in Gesetzesform ergehen. Inzwischen ist unbestritten, daß z.B. eine Grenzwertsetzung wegen der in ihr enthaltenen Risikenabwägungen über das akzeptable Risiko letztlich eine politische Entscheidung ist und keine allein aus naturwissenschaftlichen Gesetzmäßigkeiten ableitbare. 340 Jedoch wird Gewaltenteilung vom Bundesverfassungsgericht nicht mechanisch, sondern als "Grundsatz optimierender Funktionenzuordnung"341 verstanden. Die Bedeutung des Gewaltenteilungsgrundsatzes liegt nicht mehr allein in der "Verteilung von politischer Macht und Verantwortung sowie der Kontrolle der Machtträger", sondern zielt vielmehr "auch darauf ab, daß staatliche Entscheidungen möglichst richtig, d.h. von den Organen getroffen werden, die dafür nach ihrer Organisation, Zusammensetzung, Funktion und Verfahrensweise über die besten Voraussetzungen verfügen." 342 Je nach Eigenart des Regelungsbereiches muß der Gesetzgeber das Sachgebiet normativ erfassen. 343 Das Parlament ist wegen seiner spezifischen Arbeitweise und der Vielfalt anderer Aufgaben344 für die Regelsetzung auf dem Gebiet des Umweltschutzes nur bedingt geeignet, und so bleibt dem Gesetzgeber nicht mehr als die Errichtung von Verfahren und Strukturen, um die Entscheidungen der Exekutive auf diesem Wege zu steuern und zu kontrollieren. 345 Verordnungsgebung erscheint als der rechts338 BVerfGE 78, 249, 272; BVerfGE 80, I, 20; BVerfGE 85, 97, 105: "Der Gesetzgeber hat die Tendenz und das Programm der Rechtsverordnung so weit zu umreißen, daß deren Zweck und möglicher Inhalt feststehen. Es genügt aber, daß sie sich mit Hilfe allgemeiner Auslegungsgrundsätze erschließen lassen." Siehe auch Maunz, in: M/D-GG Kommentar, 1978, Art. 80, Rn. 28ff. 339 BVerfGE 78,249, 272. 340 Ossenbühl, DÖV 1982, 833, 834. 341 BVerfGE 68, 1, 86; Nolte, AöR 118 (1993), 378,404. 342 BVerfGE 68, 1, 86. Siehe auch Diskussion bei Lamb, Kooperative Gesetzeskonkretisierung, 1995,216-219. 343 BVefGE 76, I, 75. Vgl. Schulze-Fielitz, Theorie und Praxis parlamentarischer Gesetz-gebung, 1988, 177. 344 Zum Verständnis von Gesetzgebung als arbeitsteiligem Prozeß siehe SchulzeFielitz, Theorie und Praxis parlamentarischer Gesetzgebung, 1988, 424/425 und passim. 345 Für eine verfahrensrechtliche Kontrolle der Verordnungsgebung durch das Parlament, Bryde, in: v. Münch GG Kommentar, Bd. 3, 1983, Art. 80, Rn. 34; Wolf, Der Stand der Technik, 1986, 438; Ramsauer, in: AK-GG, Bd. 2, 1989, Art. 80, Rn. 50 und
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staatlich-demokratische Kompromiß, der überhaupt noch detaillierte, staatliche Rechtsetzung im Umweltbereich ermöglicht.346
2. Enabling Provision und Ultra Vires Doktrin in Kanada Das Erfordernis, daß Verordnungen nur aufgrund von gesetzlicher Ermächtigung erlassen werden dürfen, wird in Kanada durch die Prinzipien des Rechtsstaats und der Demokratie (Democracy and Rule of Law) begründet. 347 Eine gesetzliche Verpflichtung, die genaue Ermächtigungsgrundlage auch in der Verordnung selber anzugeben, gibt es nicht. Die Angabe wird aber im Regelfall zur Klarstellung für die Öffentlichkeit erfolgen.348 Auch in Kanada kam es durch den War Measures Act, 1914 zu einer Art Ermächtigungsgesetz, das der Regierung alle Rechtsetzungbefugnisse übertrug. In der Entscheidung Re Gray349 entschied der Supreme Court of Canada allerdings, daß diese Übertragung statthaft war, da sie nur im Rahmen der verfassungsrechtlichen inhaltlichen Grenzen erfolgt war.3so Das kanadische Recht kennt, wie auch das englische, keine wirkliche materielle Delegationsbegrenzung.m Das Parlament wird als diesbezüglich souverän angesehen und es kann ohnehin durch eigene Rechtsetzung eine delegierte Materie wieder an sich ziehen. Durch die kanadischen Verfassungsurkunden wirken aber die Zuständigkeitsordnung3s2und der Grundrechtskatalog der Canadian Charter of Rights and Freedoms353 delegationsbeschränkend. Des weiteren ist in der Verfassung geregelt, daß nur das House of Commons und nicht der Senate, Gesetze mit Auswirkungen auf den 61; Denninger, Normsetzung, 1990, 150/151; Lübbe-WoljJ, ZfG 1991, 219, 242; Lamb, Kooperative Gesetzeskonkretisierung, 1995, 219-222. 346 Ossenbühl, DÖV 1982, 833, 840; Wolf, DÖV 1992, 849, 857. 347 Keyes, Executive Legislation, 1992, 5-8. 348 Kritische Erörterung dieses Verfahrens bei Keyes, Executive Legislation, 1992, 138/139. Im Federal Regulatory Plan 1995 werden die Sections eines Gesetzes angegeben, die zum Erlaß der geplanten Verordnung ermächtigen. 349 [1918) 57 S.C.R. 150. 3S0 Zu dem Fall siehe Dussault!Borgeat, Administrative Law, Bd. 1, 2. Aufl. 1985, 340-344; Hogg, Constitutional Law, 3. Auf!., 1992,342 m.w.N.; Keyes, Executive Legislation, 1992, 42. 3S 1 Anders ist die Rechtslage in den USA; dort gilt im Grundsatz ein Delegationsverbot und nur wenn der Verwaltung "nachvollziehbare Grundsätze" (intellegible principles) an die Hand gegeben werden, ist die Delegation zulässig, Keyes, Executive Legislation, 1992, 42. Ausführliche Diskussion dieser Regel und ihrer Ausnahmen, No/te, AöR 118 (1993), 378, 381-393; Kischel, 46 Administrative Law Review (1994), 213227; Pünder, Exekutive Normsetzung, 1995, 44-52. 352 Diskussion bei Dussault!Borgeat, Administrative Law,Bd. 1, 2. Aufl. 1985, 319/320; Hogg, ConstitutionalLaw ofCanada, 3. Aufl. 1992, 343-353. 353 Dussault/Borgeat, Administrative Law, Bd. 1, 2. Aufl. 1985, 352-355; Keyes, Executive Legislation, 1992, 173-180; Blake, Administrative Law in Canada, 1992, 127.
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öffentlichen Haushalt (sogenannte Money Bills) einbringen darf. Daraus wird gefolgert, daß auch Regulations nur Haushaltswirkungen haben dürfen, wenn dies durch Parlamentsgesetz vorgesehen ist.
Ultra Vires 354 ist eine Verordnung, die in irgendeiner Weise zur V erfassung355 oder ihrem Ermächtigungsgesetz in Widerspruch steht oder das ermächtigende Gesetz sogar abändert. 356 Die Verordnung ist dann außerhalb ihrer gesetzlichen Grenzen ergangen. Sie kann deswegen nicht "die Zwecke und Vorschriften dieses Gesetzes ausfiillen"357 und wird bei einer gerichtlichen Kontrolle keinen Bestand haben.358 Durch diese Doktrin wird sichergestellt, daß sich die Verordnung in dem durch das Gesetz gesetzten Rahmen hält. II. Verfahrensrechtliche Anforderungen In diesem Abschnitt sollen die wichtigsten Verfahrensschritte und Vorschriften359 dargestellt werden, die in den beiden Ländern das Verfahren der Verordnungsgebung strukturieren. Diese verfahrensrechtlichen Anforderungen stellen den generellen Hintergrund für die im Zweiten Teil folgende detailliertere Betrachtung der Beteiligung an der Umweltschutz-Verordnungsgebung dar.
1. Ermächtigungsadressaten In Deutschland sind die Erstadressaten, die zum Erlaß von Rechtsverordnungen ermächtigt werden dürfen, in Art. 80 Abs. 1 Satz 1 GG abschließend aufgezählt: die Bundesregierung,360 ein Bundesminister oder die Landesregierungen.361 Art. 80
354 Driedger, 38 Canadian Bar Review (1960), I, 5; Anderson, in: Govemment Regulation, 1980, 151, 154; Jones/DeVi/lar, Principles of Administrative Law, 1985, 62; Macdonald, in: Regulations, Crown Corporations and Administrative Tribunals, 1985, 81, 98; Hogg, Constitutional Law ofCanada, 3. Aufl. 1992, 119. 355 Dussault/Borgeat, Administrative Law, Bd. I, 2. Aufl. 1985, 344-347. 356 Blake, Administrative Law in Canada, 1992, 127; ausfiihrlich Keyes, Executive Legislation, 1992,201-218. 357 Diese sogenannte omnibus provision ist meist die letzte Ermächtigung in langen gesetzlichen Ermächtigungskatalogen; zu ihrer Statthaftigkeit, Dussault/Borgeat, Administrative Law, Bd. I, 2. Aufl. 1985, 364/365; Keyes, Executive Legislation, 1992, 193-197. 358 Holland/McGowan, Delegated Legislation in Canada, 1989, 182ff. In jüngerer Zeit legen die Gerichte aus Gründen des Vertrauensschutzes eine Verordnung oft restriktiv oder verfassungskonform aus (reading down), um sie bestehen zu lassen, dazu Keyes, Executive Legislation, 1992,288-291 und 295/296. 359 Für das Verfahren der Verordnungsgebung gibt es keine Common Law Ru/es, Holland/McGowan, Delegated Legislation in Canada, 1989, 151. 360 Ausführlich zur Rolle des Regierungskollegiums beim Erlaß von Rechtsverordnungen, 0/diges, Die Bundesregierung als Kollegium, 1983, 175-196.
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Abs. 1 Satz 4 GG regelt dariiber hinaus den Fall der Subdelegation. Dazu muß schon im ermächtigenden Gesetz eine Weiteriibertragung vorgesehen sein und diese Übertragung muß dann durch Rechtsverordnung erfolgen.362 Der kanadische Statutory Instruments Act enthält keine abschließende Bestimmung bezüglich möglicher Adressaten für Rechtsverordnungsermächtigungen. Da die Begriffe der Regulation und des Statutory Instrument umfassender sind als der Begriff der Rechtsverordnung, wird untergesetzliches Recht in der Form von Gebührenordnungen, Zulassungsregelungen und Verwaltungsverfahrensvorschriften auch von einer Reihe von Kommissionen, Verwaltungsausschüssen, den öffentlichen Unternehmen (Crown Corporations) und anderen Gremien gesetzt, für die es in Deutschland kein genaues Äquivalent gibt. 363 Es gilt der Grundsatz, daß in der Ermächtigungsgrundlage selber bestimmt wird, wer zum Erlaß des untergesetzlichen Rechts ermächtigt ist. 364 Bezüglich der Möglichkeit der Subdelegation ist der dogmatische Ausgangspunkt in Kanada, daß delegatus non potest delegare, jedoch haben die Gerichte zahlreiche Ausnahmen von diesem Grundsatz zugelassen. 365 Gerade das Kabinett hat in Kanada die implied powers zur Delegation der Verordnungsgebung auf seine Unterausschüsse. 366 2. Vorbereitungsphase
Unter der Vorbereitungsphase einer Verordnung soll hier der Zeitraum der Erarbeitung des Textes des Entwurfs bis hin zum Erlaß einer Verordnung verstanden werden. 367 Diese Phasen unterscheiden sich in den beiden Ländern insofern, als in Kanada die Entwürfe für Regulations nach einer erstmaligen 361 Die Ermächtigung mehrerer Bundesminister gemeinsam ist möglich, Ossenbühl, in: HStR III, 1988, § 64, Rn. 28. 362 Zu anderen Einzelfragen, Maunz, in: M/D-GG Kommentar, 1978, Art. 80, Rn. 38ff; Ossenbühl, in: HStR III, 1988, § 64, Rn. 30-32. 363 Beispiele bei Holland/McGowan, Delegated Legislation in Canada, 1989, 9. Für den Bereich der Umweltschutz-Verordnungsgebung spielen solche Gremien keine Rolle. 364 Keyes, Executive Legislation, 1992, 70-72 und 253-267; Dussault/Borgeat, Administrative Law, Bd. I, 2. Aufl. 1985,372-376. 365 Holland/McGowan, Delegated Legislation in Canada, 1989, 123/124; Keyes, Executive Legislation, 1992, 253-267 und Lordon, Crown Law, 1990, 40 zu diesen Ausnahmen. 366 Blake, Administrative Law in Canada, 1992, 131 m.w.N.; dazu siehe unten, 4. b). 367 Kritisch zur Möglichkeit der Trennung zwischen Vorbereitungsphase und Entscheidung, Baden, in: Studien zu einer Theorie der Gesetzgebung, 1982, 131, 136; Meyer, ZtD 1994, 262, 276; siehe aber Schmidt-Aßmann, Die kommunale Rechtsetzung im Geflige der administrativen Handlungsformen und Rechtsquellen, 1981, 46; durch die notwendige Kabinettsentscheidung (dazu siehe unten, 4. a)) ist die Grenze von Vorbereitungsphaseund Entscheidung auch bei der Verordnungsgebung klar markiert.
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Kabinettsentscheidung vorveröffentlicht werden und erst nach Ablauf einer bestimmten Frist, gegebenenfalls aber auch der Wiederholung von Verfahrensschritten, die endgültige Fassung der Verordnung erlassen wird. Beteiligung an der Verordnungsgebung spielt sich fast ausschließlich in der Vorbereitungsphase ab. 368 Um Fragestellungen des Zweiten Teils nicht vorzugreifen, wird dieser Abschnitt vor allem die verschiedenen Rechtsgrundlagen bzw. die Grundsätze darstellen, die die Vorbereitungsphase kennzeichnen. a) Bestimmungen der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien und Regierungsbeschlüsse in Deutschland Die wichtigsten Bestimmungen über das Verfahren der Verordnungsgebung sind in Deutschland in der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien- Besonderer Teil- (GGO II) enthalten. Seit 1970 werden Änderungen der GGO im Gemeinsamen Ministerialblatt öffentlich bekanntgemacht369 Diegenaue Rechtsnatur der Geschäftsordnung ist umstritten. Während König die GGO als reine Dienstanweisung fiir den inneren Geschäftsbetrieb der Ministerien ansieht,370 ist Jekewitz der Ansicht, sie verkörpere hinsichtlich der Gestaltung des Verordnungsgebungsverfahrens konkretisiertes Verfassungsrecht371 . Eine Bindungswirkung der GGO II für Dritte und damit Außenwirkung wird aber allgemein vemeint.372 Zum Teil wird von Praktikern sogar bezweifelt, daß man sich in den Ministerien selber im ausreichenden Maße an die GGO II hält. 373 Im Jahre 1984 und 1989 hat die Bundesregierung außerdem Beschlüsse erlassen, die sich mit Maßnahmen der Verbesserung der Rechtsetzung beschäftigen.374
368 Einen Überblick vermittelt die Darstellung von König, in: Verwaltung im Rechtsstaat, 1987, 121-141. 369 GMBI. 1970, 90; Bekanntmachung der Neufassung der GGO II in GMBI. 1976, 550-568. Die Geschäftsordnungen der Bundesministerien (GGO I und GGO li), der Bundesregierung, des Bundestages, Bundesrates und des Vermittlungsausschusses werden vom Bundesministerium des Inneren in einer Loseblattsammlung herausgegeben, BM/, Geschäftsordnungen, Neuauflage 1974, Stand Juli 1991. 370 Beinhofer, Das Kollegialitätsprinzip der Regierung, 1981, 97; ebenso König, in: Verwaltung im Rechtsstaat, 1987, 121, 125. 37 1 Jekewitz, ZRP 1991, 281, 285. 372 Kloepfer, DVBI 1994, 441; Jekewitz, Recht und Politik 1993, 20, 23; ders., ZRP 1991, 281, 285 ; Ossenbühl, in: HStR III, 1988, § 63, Rn. 3; § 64, Rn. 64; § 65, Rn. 16; ähnlich schon Böckenforde, Die Organisationsgewalt im Bereich der Regierung, 1964, 127: 'praktische Geschäftsregeln'. 373 Leidinger, in: Gesetzgebungspraxis und Gesetzgebungslehre, 1980, 58, 59; Pehle, Verwaltungsarchiv 1988, 184, 195/196; vgl. Novak, in: Praxis der Gesetzgebung, 1984, 127,135. 374 Beide Beschlüsse sind abgedruckt in GMBI. 1990, 38 und 42.
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Die Beschlüsse wenden sich an die Bundesminister und enthalten keine Selbstverpflichtung der Regierung gegenüber der Öffentlichkeit. Insgesamt zwölf Paragraphen(§§ 64-75 GGO II) der Geschäftsordnung sind der Verordnungsgebung gewidmet. Durch zahlreiche Verweise auf die Abschnitte der GGO II, die die Gesetzgebung regeln, ist der Umfang der Verfahrensvorschriften insgesamt dann allerdings wieder umfangreicher. Wegen der Ähnlichkeit der Vorbereitungsverfahren von Gesetzen und Verordnungen ist es sinnvoll, die Erkenntnisse der Gesetzgebungslehre über die Vorbereitung von Gesetzentwürfen in diese Untersuchung miteinzubeziehen. 375 Zu Beginn einer Legislaturperiode ist es üblich, daß die Bundesregierung ein Arbeits- und Gesetzgebungsprogramm erstellt, in dem alle geplanten Rechtssetzungsvorhaben aufgefiihrt sind. Das Programm ist nicht öffentlich zugänglich und ihm wird sogar intern eine nur geringe Verbindlichkeit zugesprochen.376 Generell müssen geplante Gesetzes- oder Verordnungsinitiativen beim Bundeskanzleramt angemeldet werden. Dieses Anmeldeverfahren ist in den siebziger Jahren durch das sogenannte 'Datenblattsystem' formalisiert worden, um die zentrale Koordinierung zu erleichtern.377 Das Rechtsetzungsvorhaben bekommt eine Ordnungsnummer zugeteilt, die später auch auf der Kabinettsvorlage verwendet wird, und dem Bundeskanzleramt sind Angaben zum Zeitplan des Vorhabens zu machen. 378 § 64 Abs. 1 GGO II verlangt, wie schon Art. 80 GG, daß die Verordnung die ermächtigende Gesetzesbestimmung genau angibt. Der allgemeine Verweis auf das Gesetz reicht nicht aus. Auch soll schon in der Einleitungsformel deutlich gemacht werden, welcher oder welche Ermächtigungsadressat(en) die Verordnung erlassen haben. Alle Bestimmungen der GGO II, die sich mit der Mitwirkung und Beteiligung von unterschiedlichen Stellen an der Verordungsgebung beschäftigen, werden im Zweiten Teil der Arbeit ausfUhrlieh dargestellt und erörtert. Eine Überprüfung der Rechtsformlichkeit des Verordnungsentwurfs durch das Bundesministerium der Justiz (BMJ) fmdet im allgemeinen erst statt, wenn 375 Semar, Mitwirkung, 1969, 35; Schneider, Gesetzgebung, 2. Aufl. 1991, Rn. 112114; Bülow, in: HVerfR, 2. Aufl. 1994, § 30, Rn. 61. 376 Bu/1, Jahrbuch zur Staats- und Verwaltungswissenschaft 5 (1991), 29,41/42. 377 Zum Datenblattsystem Leidinger, in: Praxis der Gesetzgebung, 1984, 47, 51; die Einzelheiten des Systems sind § 22 Abs. 2 GGO II, der vorschreibt, daß eine Unterrich-
tung des Bundeskanzleramtes im Falle der Vorbereitung politisch wichtiger Gesetzent· würfe zu erfolgen hat, nicht zu entnehmen; auch die §§ 48-53 GGO I über Kabinettssachen, enthalten dazu keine Angaben. 378 Zu den Planungsbeauftragten des Bundeskanzleramts siehe König, in: Regierungspolitik und Koordination, 1976, 236,242/243.
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1. Teil: Charakteristika der Umweltschutz-Verordnungsgebung
die Vorlage der Bundesregierung zum Beschluß vorgelegt werden soll (§ 38 Abs. 1 GGO II). Die Prüfung soll sicherstellen, daß die geplante Verordnung mit den Vorschriften des Grundgesetzes übereinstimmt, insbesondere hinsichtlich der Zuständigkeiten und der Grundrechte.379 Die Prüfung der Rechtsförmlichkeit ist die verfahrensmäßige Voraussetzung des in § 26 Abs. 2 GOBReg eingeräumten Widerspruchsrechts der Bundesminister für Justiz und des Inneren gegen Gesetz- oder Verordnungsentwürfe wegen ihrer Unvereinbarkeit mit geltendem Recht. 380 Im BMI wird dazu die gleichgelagerte 'Prüfung der Verwaltungsförmlichkeit' vorgenommen. 381 In Fällen, in denen es während der Vorbereitung einer Verordnung zu Meinungsverschiedenheiten zwischen beteiligten Ministerien gekommen ist, soll das BMJ schon zu einem früheren Zeitpunkt eingeschaltet werden. 382 § 38 Abs. 2 GGO II weist darauf hin, daß dem BMJ genügend Zeit für die Prüfung der Rechtsförmlichkeit einzuräumen ist. Zur Erleichterung der Prüfung hat das BMJ ein Handbuch herausgegeben. 383 b) Zusammenspiel von Gesetzen und Selbstverpflichtungen der Regierung in Kanada Vorschriften, die das Verfahren der Verordnungsgebung näher ausgestalten, fmden sich in Kanada zum Teil in Gesetzen (Statutory Instruments Act); zum überwiegenden Teil aber beruht das generell praktizierte Verfahren wie auch in Deutschland auf rechtlich nicht verbindlichen Regierungsbeschlüssen. Diese sind jedoch gegenüber der Öffentlichkeit als Selbstverpflichtungen der Regie-
379 Detailliertes Prüfungschema bei Hellenthal, Jura 1989, 169, 172-177. Die Rechtsförmlichkeitsprüfung durch das BMJ geht auf einen Kabinettsbeschluß vom 21. Oktober 1949 zurück, BMJ, Handbuch der Rechtsformlichkeit, 1991, Rn. l. 380 Hellenthal, Jura 1989, 169, 170; Beinhofer, Das Kollegialitätsprinzip im Bereich der Regierung, 1981, 89; 0/diges, Die Bundesregierung als Kollegium, 1983, 169-174. 381 Dazu siehe Novak, in: Praxis der Gesetzgebung, 1984, 127-140. 382 Rechtsberatung erfolgt in Deutschland generell in jedem einzelnen Ministerium und nicht nur bei einer selbständigen organisatorischen Einheit. Dies ist Ausfluß des Ressortprinzips, Hellenthal, Jura 1989, 169, 170; zu weiteren Auswirkungen des Ressortsprinzips, Lehmbruch, in: The Politics of German Regulation, 1992, 29, 37-39. In Kanada sind alle in den Rechtsabteilungen eines Bundesministeriums beschäftigten Juristen formell dorthin aus dem Justizministerium abgeordnet und bilden in demjeweiligen Ministerium die Legal Services Unit. 38j BMJ, Handbuch der Rechtsformlichkeit, 1991. Zur Prüfung der Rechtsförmlichkeit und der Verwaltungsformlichkeit, König, in: Verwaltung im Rechtsstaat, 1987, 121, 137/138; Hucke!Wollmann, Kriterien zur Bestimmung der Wirkung von Gesetzen, 1982, 91-96; zur Entstehungsgeschichte der Prüfung Göbel, in: Praxis der Gesetzgebung, 1984, 104.
C. Rechtliche Anforderungen an die Verordnungsgebung
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rung formuliert und werden in der Praxis durchgängig eingehalten.384 In Kanada gibt es bislang kein allgemeines Verwaltungsverfahrensrecht Ein Administrative HearingsPowersand Procedures Act, der vor allem die Vereinheitlichung in V erfahren mit Anhörungen vor Einzelentscheidungen anstrebt, wird zur Zeit im Justizministerium vorbereitet. 385 Der Entwurf sieht keine Anwendbarkeit auf Verfahren der Verordnungsgebung vor. (1) Code ofRegulatory Fairness und Federal Regulatory Plan Im Jahre 1986 verkündete die damalige konservative kanadische Bundesregierung als eine Selbstverpflichtung den "Citizen 's Code ofRegulatory Fairness", zusammen mit einer Stellungnahme zu Fragen der Verordnungsgebung (Regulatory Policy). 386 Anstatt das US-amerikanische Programm der De-Regulation- also des Abbaus von Rechtsvorschriften- zu übernehmen, ging es in Kanada um ,,Regulating Smarter".381 Inhaltlich verpflichtete sich die Regierung zu einem Verfahren der Verordnungsgebung, das in offener, gerechter, eflizienter und verantwortungsbewußter Weise durchgeführt wird. Die Erklärung enthält fünfzehn Punkte, die sich auf den Umfang und die Notwendigkeit von Verordnungen, frühzeitige Ankündigung der Planung von Verordnungen, Mitwirkungs- und Beteiligungsmöglichkeiten im V erfahren der Verordnungsgebung und den gleichmäßigen Vollzug von Verordnungen beziehen. Gestützt auf diese Erklärung wurde ab 1987 dann mit der öffentlichen Ankündigung von Verordnungsgebungsinitativen in einem Federal Regulatory Plan begonnen. Alle Ministerien wurden verpflichtet, vor dem Entwurfvon Verordnungen eine Kosten-Nutzen-Analyse, ein sogenanntes Regulatory ImpactAnalysis Statement (RIAS), zu erstellen.
Vorläufer des Federal Regulatory Plan war schon seit 1983 die Regulatory Agenda,388 die die kanadische Bundesregierung im Mai und November eines 384 Weiler, 8 Canadian Journal of Administrative Law and Practice (1995), 101, 123: "none of these requirements can be said to present a control of discretion that is legally binding. And yet it is obeyed." (Hervorhebung von Verfasserin). 385 Department of Justice, Proposal for an Administrative Hearings Powers and Procedures Act, revised Dec. 21, 1995; der Textentwurfist auch im Internet zugänglich unter: http://canada.justice.gc.ca/Consu1tations!Proposallindex_en.html. 386 Der Text des Code ist z.B. unter iii. im Federal Regulatory Plan 1992 abgedruckt. Knappe Erörterung Bregha u.a., The Integration of Environmental Considerations into GovemmentPolicy, 1990,17. 387 Bryden, 16 Queen's Law Journal (1991 ), 7, 13; Campbell, in: Breaking the Shackles, 1991, 1, 2; Alexander, Federal Environmental Assessment and Regulatory Reform, 1995,21 m.w.N. 388 Holland/McGowan, De1egated Legislation in Canada, 1989, 14/15. Zu weiteren Reformvorläufern ausfUhrlieh ·Alexander, Federa1 Environmental Assessment and Regulatory Reform, 1995, 7-20.
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I. Teil: Charakteristika der Umweltschutz-Verordnungsgebung
jeden Jahres als Beilage zur Canada Gazette veröffentlichen ließ. Darin waren nur die Verordnungsinitiativen einiger ausgewählter Ministerien enthalten; das Umweltministerium gehörte allerdings dazu. 389 Ziel der Regulatory Agenda war es, über beabsichtigte Verordnungen zu informieren, so daß dann die interessierten Leser selber entscheiden konnten, ob sie sich über geplante Verordnungen noch detaillierter informieren wollten. Seit 1986 sind alle Bundesministerien dazu verpflichtet, einen Überblick über die Verordnungen zu geben, die sie voraussichtlich im nächsten Kalenderjahr erlassen werden. Diese Übersichten werden an das Treasury Board390 gesandt und dort im Herbst des Jahres als Federal Regulatory Plan veröffentlicht. Nach Ministerien bzw. Behörden geordnet werden darin alle Verordnungsvorhaben knapp beschrieben und ein Ansprechpartner für das jeweilige Projekt im Ministerium genannt. Die Zielsetzung dieses Planungsinstruments ist eine doppelte: man will zum einen die Öffentlichkeit und auch die anderen Ministerien über beabsichtigte Vorhaben und deren Entwicklung informieren; gleichzeitig kann das Treasury Board Secretariat so vorausplanen und sicherstellen, daß eine Verordnung ohne Zeitverzögerungen durch das V erfahren des Verordnungserlasses manövriert wird. (2) Gesetzliche Vorschriften des Statutory Instruments Act Die für alle Verordnungen geltenden gesetzlichen Verfahrensvorschriften finden sich im Statutory Instruments Act (SIA). Er ist als Versuch beschrieben worden, gewissermaßen den due process auf das Verfahren der Verordnungsgebung auszudehnen. 391 Weitere Verfahrensvorschriften sind gegebenenfalls im 389 Stellungnahme des Department of the Environment in der Beilage zur Canada Gazette vom 28. Mai 1983, 227-231 . 390 Das Treasury Board ist ftir die Planung, Abwicklung und Kontrolle der öffentlichen Gelder des Bundes verantwortlich; der jeweilige Präsident hat Ministerstatus. Das Gremium vertritt die Regierung auch in allen Angelegenheiten, die die Personalhoheit betreffen; es ist z.B. die Anstellungskörperschaft der Bundesbediensteten. Es gilt, neben dem Prime Minister's Office und dem Privy Counci/ Office, als eine direkt dem Premierminister unterstellte Zentralbehörde, die geeignet ist, die Vorschläge einzelner Fachminister unabhängig zu evaluieren, Chapin/Deneau, Citizen Involvement, 1978, 19 und 26/27. Zur Geschichte Doerr, The Machinery of Govemment in Canada, 1981, 51; Privy Counci/ Office, Responsibility in the Constitution, 1993,44-50. 391 Anderson, in: Govemment Regulation, 1980, 151, 160. Bei dem Erfordernis des Due Process of Law handelt es sich um eine US-amerikanische Rechtsfigur (Fifth Amendment to the US Constitution, 1791). Das kanadische Recht verwendet zur Charakterisierung von Verfahrensanforderungen die Begriffe Natural Justice und Legitimale Expectations. Zum ersten Begriff und seiner Abgrenzung zur fundamental justice nach Section 7 der Canadian Charter of Rights and Freedoms, Hogg, Constitutional Law of Canada, 3. Aufl. 1992, 1032-1035, zu beiden Doktrinen Keyes, Executive Legislation,
C. Rechtliche Anforderungen an die Verordnungsgebung
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ermächtigenden Gesetz enthalten. Die Vorbereitungsphase fmdet in Kanada in dem jeweiligen Ministerium statt, das die Verordnung erlassen wird, bzw. sie federfuhrend entwirft. 392 Dies ist ein Unterschied zu dem zentralisiert durchgeführten kanadischen Verfahren der Erstellung von Gesetzentwürfen. Die Entwürfe werden nach ihrer Fertigstellung gemäß Section 3 SIA auf Vorschlag des stellvertretenden Justizministers dem Clerk of the Privy Counci/393 übersandt und auf ihre Rechtsförmlichkeit geprüft. Die Prüfungskriterien der Rechtsförmlichkeitsprüfung sind in Section 3 (2) SIA vorgeschrieben: die Übereinstimmung der Verordnung mit ihrer Ermächtigungsgrundlage, die Vereinbarkeit mit der Charter of Rights and Freedoms, und generell die Form und Ausführung des Verordnungsentwurfs. Die Überprüfung wird von den Juristen des Justizministeriums, Abteilung des Privy Council (PCO(J)) durchgeführt. 394 Verordnungsentwürfe dürfen nur durch den stellvertretenden Minister eines Ministeriums an die Abteilung des PCO(J) gesandt werden; so soll sichergestellt werden, daß nur Entwürfe überprüft werden, die nicht später wieder zurückgezogen werden. Sobald die Überprüfung des Verordnungsentwurfs durchgeführt worden ist, wird der Entwurf innerhalb von sechs Monaten für einen Zeitraum von mindestens 30 Tagen in der Canada Gazette Part /vorveröffentlicht. 395 Die Vorveröffentlichung ist nur in einzelnen Fachgesetzen, nicht aber im SIA selber, vorgeschrieben.396 Durch die ständige Übung wird vereinzelt in der Literatur das Erfordernis der Vorveröffentlichung für ein allgemeines gesetzliches Erforder-
1992, 91-97 und 97/98. Keine der Doktrinen findet allerdings auf das Verfahren der Verordnungsgebung in Kanada Anwendung, Bryden, 16 Queen's Law Journal (1991), 7, 14; Keyes, Executive Legislation, 1992, 97/98 m.w.N. ; vgl. Holland/McGowan, Delegated Legis1ation in Canada, 1989, 143. 392 Holland/McGowan, Delegated Legislation in Canada, 1989, 16. 393 Das Privy Council ist ein Gremium, daß im alltäglichen Verfassungsleben mit dem Regierungskabinett gleichzusetzen ist. Zu dem Gremium und seiner ursprünglichen Bedeutung Chapin!Deneau, Citizen Involvement, 1978, 26/27; Doerr, The Machinery of Govemment in Canada, 1981, 30-32; Hogg, Constitutional Law, 3. Aufl 1992, 234; Privy Council Office, Responsibility in the Constitution, 1993, 42-44. 394 Keyes, Executive Legislation, 1992, 78; Alexander, Federal Environmental Assessment and Regulatory Reform, 1995, 71-73. 395 Wenn die Verordnungsinitiative nicht im Federal Regulatory Plan angekündigt war, wird ein Vorveröffentlichkeitszeitraum von sechzig Tagen empfohlen, Treasury Board Secretariat, How Regulators Regulate, 1992, 4. 396 Auch eines der Vorläufergesetze von CEPA, der Environmental Contaminants Act, enthielt in Section 5 schon das Erfordernis der Vorveröffentlichung von Verordnungen, Anderson, in: Government Regulation, 1980, 151, 162. Zur Vorveröffentlichung gemäß CEPA, siehe unten, 2. Teil, V. 1.
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I . Teil: Charakteristika der Umweltschutz-Verordnungsgebung
nis gehalten. 397 Einen gesetzlichen Anspruch auf Anhörung vor dem Erlaß von Verordnungen gibt es nicht. 398 Voraussetzung der Vorveröffentlichung ist die Zustimmung des Special Committee of Council, letztlich eine Kabinettsentscheidung.399 Falls es aufgrund von Stellungnahmen nach der Vorveröffentlichung der Verordnung zu wesentlichen Änderungen am Text der Verordnung kommt, dann müssen die Überprüfung und die Vorveröffentlichung in der Canada Gazette Part I wiederholt werden. Die Vorveröffentlichung muß auch wiederholt werden, wenn seit der Entscheidung des Special Committee of Council mehr als achtzehn Monate vergangen sind.400
3. Begründungspflicht Welche staatlichen Entscheidungen aus welchen Gründen einer Begründung bedürfen, wird in der rechtswissenschaftliehen Literatur in Deutschland intensiv diskutiert. 401 § 39 VwVfG verpflichtet die vollziehende Verwaltung bei Einzelfallentscheidungen in den meisten Fällen zu einer Begründung ihrer Entscheidung. Hinsichtlich des parlamentarischen Gesetzgebers wird zum Teil die Auffassung vertreten, daß er seine Entscheidungen nicht zu begründen brauche, denn er allein besitze die höchste demokratische Legitimation, und das parlamentarische Entscheidungsverfahren würde eine Begründung institutionell auch mitgewährleisten.402 Geschuldet sei vom Gesetzgeber das verfassungsgemäße Gesetz, nicht solche Ziele oder Begründungen.403 Rechtsverordnungen brauchen in Deutschland nur in Ausnahmefällen mit einer Begründung versehen zu werden; die Bestimmungen dazu fmden sich in der GGO li. Dadurch wird der rein interne Charakter dieser Begründung deutlich.404
397 Nemetz, 26 Natural Ressources Journal (1986), 551, 583; de legeferenda sprechen sich einige Stimmen in der Literatur für eine allgemeine gesetzliche Pflicht zur Vorveröffentlichung aus, Dussault/Borgeat, Administrative Law, Bd. 1, 2. Aufl. 1985, 458460; Macdona/d, in: Regulations, Crown Corporations and Administrative Tribunals, 1985, 81, 99 m.w.N.; Canadian Bar Association, Report of the Committee on Sustainable Development in Canada, 1990, 28/29. 398 Dussault/Borgeat, Administrative Law, Bd. I, 2. Auf!. 1985, 450-458 m.w.N. zur Rechtsprechung; auch der Entwurf des Regulations Act sieht keine über den SIA hinausgehende Einflihrung von Verfahrensrechten vor. 399 Dazu siehe unten, 4. b ). 400 Treasury Board Secretariat, The Federal Regulatory Process, 1991, 20. 401 Siehe nur Lücke, Begründungszwang und Verfassung, 1987. Zu dieser Diskussion wird im 3. Teil der Arbeit Stellung genommen, B. V. I. 402 Ossenbühl, NJW 1986, 2805, 2809. 403 Gusy, ZRP 1985,291, 298; ähnlich BVerfGE 49, 89, 129. 404 Lücke, Begründungszwang und Verfassung, 1987, 13; Ossenbühl, in: HStR III, 1988, § 64, Rn. 67.
C. Rechtliche Anforderungen an die Verordnungsgebung
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In Kanada wird gemäß der Selbstverpflichtung der Regierung im Code ofRegulatory Fairness eine externe Begründung durch die Erstellung und Veröffentlichung einer Kosten-Nutzen-Analyse gegeben. Das Bedürfnis nach staatsinterner Begründung wird durch den sogenannten Communications Plan erftillt. a) Begründung gemäß der GGO II und "Blaue Prüffragen" in Deutschland Für Rechtsverordnungen regelt § 66 S. 2 GGO II, daß sie mit einer Begründung zu versehen sind, wenn sie der Zustimmung des Bundesrates bedürfen, fmanzielle Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte oder Auswirkungen auf das Preisniveau haben. Eine Begründung steht im Ermessen des Ministeriums, wenn nähere Erläuterungen zur Verordnung zum Verständnis im Entscheidungsverfahren der Bundesregierung zweckdienlich erscheinen. Bezüglich Art und Umfang der Begründung wird auf § 40 Abs. 2 und 3 Satz 2 GGO II verwiesen. Finanzielle Auswirkungen einer Verordnung auf den Bundeshaushalt werden im Benehmen mit dem Finanzministerium ermittelt; dabei sind Schätzungen zulässig. Im Benehmen mit dem Wirtschaftsministerium sollen die Auswirkungen auf das Preisniveau, insbesondere auf die V erbraucherpreise, aber auch alle weiteren Auswirkungen auf die Verbraucher festgestellt werden. Die Begründungen bzw. Schätzungen sind als banal und unsystematisch405 beschrieben worden. Eine Veröffentlichungspflicht für die Begründungen gibt es nicht; sie sind aber in den Drucksachen des Bundesrats enthalten.406 Die Methode der Erstellung von Kosten-Nutzen-Analysen, mit der zumindest bei verkehrspolitischen Maßnahmen schon häufiger experimentiert worden ist, wird bei der Erstellung von Umweltschutz-Verordnungen in Deutschland nicht genutzt.407 Dabei schreiben § 7 Abs. 2 S. 1 BHO und § 6 Abs. 2 HGrG vor: "Für geeignete Maßnahmen von erheblicher fmanzieller Bedeutung sind Nutzen-Kosten-Untersuchungen anzustellen.''408 Die mangelnde Beachtung dieser Verpflichtung hat zum Teil sicher ihren Grund in methodischen Unsicherhei405 Brickman u.a., Controlling Chemicals, 1985, 91. Hucke, Gesetze, 1983, 255 spricht von ihrem 'traurigen Schattendasein'; Schneider, Gesetzgebung, 2. Aufl. 1991, 74 nennt sie 'wenig ergiebig und mager'. 406 Rose-Ackerman, Umweltrecht, 1995, 132. 407 SRU, Umweltgutachten 1996, Tz. 760: "Bei 88% der untersuchten Umwelt Standardlisten gibt es keinerlei Angaben zu diesem Typisierungsmerkmal." 408 Laut Piduch, Bundeshaushaltsrecht, 1995, § 7 BHO, Rn. 6, sind Nutzen-KostenUntersuchungen als Oberbegriff flir Kosten-Nutzen-Analysen und Kostenwirksamkeitsanalysen anzusehen; zu den Vorschriften der BHO und des HGrG Endres/Schwarze, Umweltnormierungen, 49, 70; Schulz/Schulz, Ztu 1991, 299, 301. Generell Schneider, Gesetzgebung, 2. Aufl. 1991, Rn. 113; SRU, Umweltgutachten 1994, Tz.133; knapp Rose-Ackerman, Umweltrecht, 1995,24.
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I. Teil: Charakteristika der Umweltschutz-Verordnungsgebung
ten;409 sie wird aber auch fehlendem Willen und Unvermögen zugeschrieben410 • Man geht in Deutschland davon aus, daß Kosten-Nutzen Erwägungen im Rahmen der allgemeinen öffentlichen Diskussion miterörtert werden. Diese Erwägung mag fiir die Gesetzgebung noch ihre Berechtigung haben, im Falle der Verordnungsgebung ist sie, bei der derzeitigen Verfahrensgestaltung, unrealistisch. Der Sachverständigemat fiir Umweltfragen schlägt dementsprechend im Umweltgutachten 1996 die verbindliche Durchführung von Kosten-Nutzen-Analysen vor der Umweltstandardsetzung vor.411 Um das Recht von nicht mehr benötigten Vorschriften zu bereinigen und auch um die Normerzeugung insgesamt zu drosseln, erließ die Bundesregierung am 11. Dezember 1984 einen Beschluß,412 der bewirken sollte, daß nur noch wirklich unausweichliche Rechtsetzungsvorhaben durchgefiihrt würden. Es wurde außerdem die unabhängige Kommission fiir Rechts- und Verwaltungsvereinfachung eingesetzt, die die Durchfiihrung dieses Beschlusses überprüft.413 Alle Bundesministerien sollen zur Erreichung der Ziele die sogenannten "Blauen Prüffragen" verwenden. 414 Die 'Prüffragen' sind eine Check-Liste, die die Notwendigkeit einer geplanten Vorschrift noch vor ihrer Erstellung testen sollen. Es werden zudem spezielle Schulungen fiir die mit Norrnsetzung befaßten Mitarbeiter der Ministerien abgehalten.415 Man hofft, daß bei Beachtung der Prüffragen sich die Menge bundesrechtlicher Vorschriften verringert bzw. sich auch die Qualität von Regelungen
409 Timm, Die wissenschaftliche Beratung der Umweltpolitik, 1989, 62-65; Schulzl Schulz,ZfV 1991,299,321-325;Bü/ow, in: HVertR,2. Aufl.1994, § 30, Rn. 67 a.E. 410 Hugger, Gesetze, 1983, 153-156 und 248; Schulz/Schulz, ZfV 1991,299, 325/326; Endres/Schwarze, Umweltschutz durch gesellschaftliche Selbststeuerung, 1993, 49, 71 . 411 SRU, Umweltgutachten 1996, Tz. 875. 412 GMBI. 1990, 42; dazu Kloepfer, DVBl 1995, 441, Fn. 9 und König, in: Verwaltung im Rechtsstaat, 1987, 121, 126/127 generell zu Prüffragen, Kriterienkatalogen und Arbeitshilfen. Schneider, Gesetzgebung, 2. Aufl. 1991, Rn. 102, meint, daß der Beschluß keine Auswirkungen gehabt habe. 413 Waffenschmidt, in: Für Recht und Staat, 1994, 869, 876 zu den Ergebnissen. Schon in der Weimarer Republik bestand beim Reichsminister des Inneren ein 'Ausschuß der Reichministerien für Vereinfachungsfragen ', Brecht, Die Geschäftsordnung der Reichsministerien, 1927, 15. 414 GMBI. 1990, 43-45; auch abgedruckt in BMJ, Handbuch der Rechtsförmlichkeit, 1991, Rn. 28. Die Prüffragen sollen im März 1996 überarbeitet worden sein; bislang ist allerdings noch kein erneuter Abdruck im GMBI. erfolgt. 415 v. Hammerstein, in: Zustand und Perspektiven der Gesetzgebung, 1989, 141 , 144. Schulze-Fielitz, Theorie und Praxis parlamentarischer Gesetzgebung, 1988, 385, wertet die Prüffragen als 'pragmatischen Versuch, Kriterien für innerministerielle Reflexionsprozesse anzugeben'.
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erhöht.416 Anforderungen an die Beteiligung von außerstaatlichen Stellen bei der Normsetzung sind in den Prüffragen nicht enthalten. b) Erstellung einer Kosten-Nutzen-Analyse (Regulatory Impact Analysis Statement) und eines Communication Plans in Kanada Seit 1986 werden in Kanada, gemäß der Selbstverpflichtung der Regierung, Verordnungsentwürfe fast ausnahmslos zusammen mit einer Kosten-NutzenAnalyse (Regulatory Impact Analysis Statement, RIAS) veröffentlicht. Die Analyse der möglichen Auswirkungen von Verordnungen soll die verordnungsgebenden Stellen zur Koordination zwingen und eine Überregulierung verhindem.417 Des weiteren soll sichergestellt werden, daß die Beamten, die die Verordnungen vorbereiten, sich über die möglichen Auswirkungen und die Beziehungen der neuen Verordnungsregelungen zu schon bestehenden Regelungen im Klaren sind. Die kanadische Regierung plant, zukünftig eine Betonung der Bedeutung von Kosten-Nutzen-Analysen im Umweltschutzbereich in die einleitenden Paragraphen von CEPA einzufiigen.418 Im Unterschied zu den deutschen "Prüffragen" ist es auch Ziel des kanadischen RIAS, der Öffentlichkeit das Verständnis der vorgeschlagenen Entwürfe zu erleichtern und damit die Abgabe von Stellungnahmen zu ermöglichen. Die Kosten-Nutzen-Analysen werden zusammen mit dem Text des Verordnungsentwurfs in der Canada Gazette Part I vorveröffentlicht und in überarbeiteter Form dann zusammen mit der beschlossenen Verordnung in Canada Gazette Part II veröffentlicht.419 Im allgemeinen beginnt die Analyse mit einer Beschreibung der Verordnung und der alternativen Regelungsmöglichkeiten und -techniken, die im Vorberei-
416 Dies wird nach einer ersten Bilanz der Anwendung im BMI für umso wahrscheinlicher gehalten, je früher die Prüf- und Beratungsstelle an der Vorschriftenerstellung mitwirken kann, Fliedner, ZfG 1991, 40, 51. 417 Seit 1978 wird eine kurze Studie über die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen zusammen mit dem Entwurf der Verordnungen veröffentlicht, Castrilli/Lax, in: Environmental Rights in Canada, 1981, 334, 339. Ziel dieser Politik war auch damals schon die Erhöhung der Beteiligung an der Verordnungsgebung, Anderson, in: Govemment Regulation, 1980, 151, 171, die beiden ersten Analysen wurden von Environment Canada erstellt, 176/177. Zu den Verfahrensänderungen 1986 knapp Minister ofJustice, The Federal Legislative Process in Canada, 2. Aufl. 1989, 18. 418 CEPA Review, The Govemment Response, 1995, Nr. l.8.; Doern!Conway, The Greening of Canada, 1994, 227/228 stellen dies unrichtigerweise schon als eine im CEPA enthaltene Anforderung dar. 419 Keyes, Executive Legislation, 1992, 80 und 104, Fn. 48.
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I. Teil: Charakteristika der Umweltschutz-Verordnungsgebung
tungsverfahren berücksichtigt, aber dann nicht weiter verfolgt wurden.420 Die Analyse stellt danach die voraussichtlichen Auswirkungen, ihre Kosten und Nutzen dar. Dabei werden sowohl direkte als auch indirekte Auswirkungen fiir die Gesellschaft im allgemeinen und fiir besondere Schichten der Gesellschaft, z.B. die Industrie, den Mittelstand, fiir die Verwaltung, Arbeitnehmer und Verbraucher berücksichtigt, wenn dies angebracht ist. 421 Ziel ist es, die Analyse so weit wie möglich zu quantifizieren. Es wird Wert darauf gelegt, daß im RIAS Einzelheiten zu den durchgefiihrten Beteiligungen oder Anhörungen enthalten sind. 422 Dazu wird mitgeteilt, wann zum ersten Mal eine Ankündigung im Federal Regulatory Plan erschien, und oft ist als Anhang dem RIAS eine Liste derjenigen Gruppen, Institutionen oder Personen beigefiigt, die an der Erstellung des Entwurfes beteiligt waren. Als letzten Punkt enhält die Analyse eine Beschreibung der Regelungstechniken, mit denen der Vollzug sichergestellt werden soll. Im RIAS sind auf jeden Fall Name, Adresse und Telefonnummer des zuständigen Sachbearbeiters im federfuhrenden Ministerium angegeben, so daß Interessierte einen Ansprechpartner fiir weitere Informationen bzw. Vorschläge ihrerseits haben. Während die Verordnung selber von den Juristen des PCO(J) auf ihre Rechtsförmlichkeit überprüft wird, wird das RIAS vom Treasury Board daraufhin überprüft, ob es den Anforderungen des Regierungserlasses zum Verordnungsgebungsverfahren genügt. Dies ist kein formell bzw. gesetzlich gestaltetes Überprüfungsverfahren, jedoch werden gegebenenfalls Abänderungsvorschläge oder andere Hinweise an das jeweilige Ministerium erteilt. 423 Der ebenfalls erstellte Communications Plan ist ein rein inner-administratives Dokument, das fiir den Minister des die Verordnung entwerfenden Ministeriums vorbereitet wird. Es soll zu seiner Information vor allem eine einfache, klare Botschaft beinhalten. Außerdem wird kurz dargestellt, inwieweit die Öffentlichkeit bislang an der Erstellung der Verordnung beteiligt war oder noch
420 Das Treasury Board Secretariat beauftragte Consulting and Audit Canada, eine Anleitung zur Erstellung des RIAS zu erarbeiten, den RIAS Writer's Guide, 1992. 421 Da sich diese Arbeit mit Verordnungen auf dem Gebiet des Umweltschutzes beschäftigt, soll hier nur am Rande erwähnt werden, daß alle anderen Verordnungen auch einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterzogen werden müssen, dazu Hanebury, in: Law and Process in Environmental Management, 1993, 101-126. 422 So wurde z.B. im RIAS für die Ozone-Depleting Substances Regulations in der Canada Gazette Part I, 1995, 3068, 3078 mitgeteilt, daß zur Vorbereitung der Verordnung zwei Anhörungen mit insgesamt 100 Teilnehmern stattgefunden hatten und der Entwurf an über 700 Interessierte verschickt worden war. Versand an über 700 Interessierte auch erwähnt in Canada Gazette Part I, 1995, 3367. 423 Dazu Alexander, Federal Environmental Assessement and Regulatory Reform, 1995, 69-71.
C. Rechtliche Anforderungen an die Verordnungsgebung
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beteiligt wird. Als drittes wird eine Einschätzung der möglichen Reaktionen der Öffentlichkeit auf die geplante Verordnung gegeben. Der Communications Plan wird nicht veröffentlicht. Er kann aber die Grundlage von Presseerklärungen bilden und ist ein wichtiges Mittel, um die Regierungspolitik einheitlich zu präsentieren. 4. Entscheidungsverfahren
Die Entscheidung über den Erlaß einer Verordnung wird in beiden Ländern an der Regierungsspitze getroffen. In Deutschland muß in den meisten Fällen von Umweltschutz-Verordnungen auch der Bundesrat einer Verordnung zustimmen. In Kanada wird die Entscheidung über einen Verordnungserlaß häufig nur von einem Unterausschuß des Kabinetts getroffen. a) Bundesregierung und Bundesrat in Deutschland Die§§ 48 bis 53 GGO I enthalten detaillierte Bestimmungen über die Vorbereitung, Kennzeichnung und geschäftsmäßige Behandlung von KabinettssachenSachen, die der Bundesregierung zum Beschluß zu unterbreiten sind ( § 48 Abs. 1 S. 1 GGO I) - in einem Ministerium vor und nach einer Kabinettssitzung. Die Vorbereitung der Kabinettssitzungen obliegt dem Staatssekretär des Bundeskanzleramtes gemäߧ 21 GOBReg. 424 § 15 Abs. 1 b) GOBReg schreibt vor, daß eine von der Bundesregierung zu erlassene Verordnung der Regierung zur Beratung und Beschlußfassung zu unterbreiten ist. Falls ein Bundesminister selbständig zum Verordnungserlaß ermächtigt ist, kommt es zur Beratung in der Runde des Regierungskollegiums nur, wenn der Verordnungsentwurf von "besonderer politischer Bedeutung" ist(§ 15 Abs. 1 c) GOBReg).425 In einem solchem Fall wird kein Kabinettsbeschluß gefaßt, sondern die Entscheidung wird (zustimmend) "zur Kenntnis genommen". 426 Zu einer Kabinettsentscheidung soll es bei Meinungsverschiedenheiten von Ministern nur als letztes Mittel kommen (siehe §§ 16und 17 GOBReg).427
424 Dazu König, in: Regieren in der Bundesrepublik Deutschland, Bd.2, 1990, 203, 207; zur Koordinationsfunktion des Bundeskanzleramtes auch Brauneck, Die rechtliche Stellung des Bundeskanzleramtes, 1994, 16-19. 425 Zu dieser Bestimmung, Lepa, AöR 105 (1980), 337, 369; Oldiges, Die Bundesregierung als Kollegium, 1983, 397-405. 426 So die Staatspraxis nach Beinhofer, Das Kollegialitätsprinzip im Bereich der Regierung, 1981, 80. 427 Zur Koordination innerhalb der Regierung Bull, Jahrbuch zur Staats- und Verwaltungswissenschaft 5 (1991 ), 29; knapp auch Dyson, in: The Politics ofGerman Regulation, 1992, 1, 15/16.
106
I . Teil: Charakteristika der Umweltschutz-Verordnungsgebung
Eine Koordinierungsaufgabe im Vorfeld der Bundesregierung übernimmt für den Bereich des Umweltschutzes der Kabinettsausschuß für Umwelt und Gesundheit, auch "Umweltkabinett" genannt. Dieser Auschuß, dem alle mit Umweltfragen befaßten Minister angehören, wurde 1970 eingerichtet und 1986 an die veränderte Kabinettsstruktur mit dem neuerrichteten BMU angepaßt.428 Da die Kabinettsausschüsse gewissermaßen ,,neben" der GOBReg und der GGO wirken,429 ist zum Teil ihre V ereinbarkeit mit dem Grundgesetz bezweifelt worden. 430 Üblicherweise befassen sich jedoch die Ausschüsse nicht mit der Vorbereitung eines konkreten Kabinettsbeschlusses. Sie sind eher ein Beratungsgremium für Materien mit intensivem Beratungsbedarf. Daher ist die Einrichtung und Verfahrensweise der Kabinettsausschüsse als vom Ermessen der Mitglieder der Bundesregierung über die geeignete Art ihrer Koordinierung gedeckt anzusehen. 431 Die Geschäftsordnung der Bundesregierung gestaltet zwei verschiedene Entscheidungsverfahren: das Regelverfahren der Entscheidung in gemeinsamer Sitzung nach § 20 Abs. 1 GOBReg und das sogenannte Umlaufverfahren432 bei fehlendem Beratungsbedarf nach § 20 Abs. 2 GOBReg. 433 Durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts434 ist nun klargestellt, daß ein Beschluß der Bundesregierung als Kollegium materiell nur dann zurechenbar ist, wenn alle Mitglieder vorher ausreichend über die Entscheidung und ihren Gegenstand informiert worden sind, ein Quorum die ausreichende Beteiligung sicherstellt, und sich eine Mehrheit der Regierungsmitglieder fiir die Entscheidung ausspricht. Das Umlaufverfahren in der bis zum Zeitpunkt der Entscheidung praktizierten F orm435 konnte die Einhaltung des Quorums und einer Mehrheitsentscheidung nicht gewährleisten. Das Bundesverfassungsgericht hat 428 Dittmann, in: HdUR, Bd.2, 2.Aufl. 1994, Sp. 1554; Hartkopf/Bohne, Umweltpolitik 1, 1983, 146; Müller, Innenwelt der Umweltpolitik, 1986, 59; Bothe, Verwaltungsorganisation im Umweltschutz, 1986, 14; Bull, Jahrbuch zur Staats- und Verwaltungs-wissenschaft 5 (1991), 29, 32; Busse, DVB11993, 413,414, Fn. 14. 429 Schulze-Fielitz, Der informale Verfassungsstaat, 1984, 51/52. Die Bundesregierung hat 1973 und 1974 durch Beschluß Rahmenregelungen flir den Geschäftsablauf der Kabinettsausschüsse festgelegt, die im Anhang zur GOBReg abgedruckt sind, BMI, Geschäftsordnungen, 1991. 430 Diskussion und Nachweise bei Busse, DVB11993, 413,416/417. 431 Oldiges, Die Bundesregierung als Kollegium, 1983, 245/246; Achterberg, in: HStR II, 1987, §52, Rn. 71; Busse, DVB11993, 413,417. 432 Bei diesem Verfahren wird die Zustimmung der Mitglieder der Bundesregierung auf schriftlichem Wege eingeholt. Über den Gebrauch des Verfahrens während der Zeit des Nationalsozialismus, Beinhofer, Das Kollegialitätsprinzip im Bereich der Regierung, 1981, 25. 433 Zu beiden Verfahren aus Anlaß der Entscheidung des BVerfG, Epping, DÖV 1995,719-724. 434 BVerfGE 91, 148, 166. 435 In dem bis zur Entscheidung praktizierten Verfahren wurde das Schweigen zu einer vorgeschlagenen Verordnung als Zustimmung fingiert.
C. Rechtliche Anforderungen an die Verordnungsgebung
107
deswegen entschieden, daß eine im Umlaufverfahren nach der bisher geübten Praxis beschlossene Rechtsverordnung künftig nichtig wäre. 436 Wenn die Verordnung von der Bundesregierung beschlossen ist, wird sie gemäß § 30 Abs. 1 GOBReg nach Gegenzeichnung durch den zuständigen Fachminister noch vom Bundeskanzleramt gezeichnet. Die meisten Umweltschutz-Verordnungen benötigen als weitere Voraussetzung ihrer Gültigkeit die Zustimmung des Bundesrates gemäß Art. 80 Abs. 2 GG. 437 Die Geschäftsordnung des Bundesrates (GOBR) regelt generell das Verfahren der Beschlußfassung im Plenum(§§ 17-35 GOBR) und in den Ausschüssen(§§ 36-45 GOBR), enthält aber keine speziellen Vorschriften für die Entscheidung über einen Verordnungsvorschlag der Bundesregierung. Nach Beratung im Bundesratsausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, und gegebenenfalls einer Mitberatung in weiteren Ausschüssen, wird von den Ausschüssen eine Beschlußempfehlung für die Beratung und Abstimmung im Bundesratsplenum erstellt.438 Seit der Grundgesetzänderung vom 27. Oktober 1994 hat der Bundesrat nach Art. 80 Abs. 3 GG nun auch die Möglichkeit, der Bundesregierung Verordnungsentwürfe vorzuschlagen.439 Die Änderung soll, wegen der gestiegenen Bedeutung der Verordnungsgebung, die Mitwirkung des Bundesrates an der Rechtsetzung des Bundes auch bei dieser Rechtsform verstärken. 440 Gleichzeitig ist so auch die ständige Praxis des Bundesrates, seine Zustimmung zu Verordnungen nur bedingt zu erteilen, nämlich unter der Maßgabe, daß diese in bestimmter Weise geändert werden,441 auf eine rechtliche Grundlage gestellt. 442 § 70 Abs. 2 GGO II bestimmt, daß eine erneute Entscheidung der Bundesregierung erforderlich ist, um nach einem Maßgabebeschluß des Bundesrates die Verordnung dann in der geänderten Fassung zu erlassen. BVerfGE 91, 148, 176. Antoni, AöR 114 (1989), 220, 229 zu dem Sinn dieses Erfordernisses. 438 Ausführlich zum Verfahren des Bundesrates Herzog, in: HStR li, 1987, § 46, Rn. 22-26 (Ausschüsse), Rn. 27-36 (Plenum) und Reuter, Praxishandbuch Bundesrat, 1991, vor§ 15 GOBR. 439 BGBl 1994 I, 3146; diese Änderung war von der Gemeinsamen Verfassungskommission empfohlen worden; BT-Drucksache 12/6000, 17, 32 und 38. 440 So die Begründung in BT-Drucksache 12/6000, 38. Der Bundesrat hat auch schon früher in Entschließungsanträgen die Bundesregierung zum Erlaß von Verordnungen aufgefordert, Beispiel bei Müller, Innenwelt der Umweltpolitik, 1986, 258/259. 441 Zu diesen sogenannten "Maßgabebeschlüssen" Scholz, DÖV 1990, 455, 457; Reuter, Praxishandbuch Bundesrat, 1991, § 32 GOBR, Rn. 38; Jekewitz, NVwZ 1994, 956, 958. Riese, Der Maßgabebeschluß des Bundesrates bei der Zustimmung zu Rechtsverordnungen, 1992, 4, erwähnt, daß der Bundesrat in 40% der Fälle seine Zustimmung zu einer Rechtsverordnung nur unter der Maßgabe von Änderungen erteilt. 442 Kritisch zu den Änderungen Sannwald, ZfG 1994, 134, 145, Fn. 70; Hofmann, NVwZ 1995, 134, 135. 436
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I. Teil: Charakteristika der Umweltschutz-Verordnungsgebung
b) Govemor in Council in Kanada Nachdem eine Verordnung das Placet des stellvertretenden Umweltministers, der Juristen der Abteilung PCO(J) und der Ökonomen des Treasury Boards erhalten hat, ist eine Kabinettsentscheidung notwendig, bevor der Entwurf in der Canada Gazette Part I vorveröffentlicht werden kann. Auch nach der Registrierung durch den Clerk of the Privy Council gemäß Section 5 und 6 SIA und vor der Veröffentlichung als gültiges Recht in der Canada Gazette Part //, muß der Governor in Council, also das Kabinett, über die Verordnung entscheiden. Das kanadische Recht hat keine geschriebenen Regeln fiir den Aufbau und das Entscheidungsverfahren des Kabinetts.443 Diese Fälle werden allein durch die Conventions of the Constitution geregelt. Rechtlich ist das Kabinett als ein Ausschuß des Privy Council anzusehen.444 Um die Schnelligkeit von Kabinettsentscheidungen und ihre Effizienz zu erhöhen, sind von allen Premierministern verschiedene Kabinettsausschüsse (Cabinet Committees) eingerichtet worden.445 Zum Teil wird dort eine Entscheidung vorberaten, bevor die Angelegenheit danach auf die Tagesordnung des Gesamtkabinetts gesetzt wird,446 zum Teil treffen diese Ausschüsse aber auch die Entscheidung. Seit 1988 gibt es einen Kabinettsausschuß fiir Umweltangelegenheiten und das Umweltministerium erhielt einen Sitz im wichtigen Priorities and Planning Committee. 441 Die Entscheidung über Verordnungen trifft das Special Committee of Council, dem regulär zehn Mitglieder angehören.448 Das Quorum für eine Entscheidung liegt
443 Matheson, The Prime Minister and the Cabinet, 1976, 1; zu den ungeschriebenen Regeln Heard, Canadian Constitutional Conventions, 1991,48-75. 444 Matheson, The Prime Minister and the Cabinet, 1976, 7; an sich besteht das Privy Council aus allen ehemaligen und derzeitigen Kabinettsmitgliedem; also allen Personen, die jemals von einem Premierminister als Minister zur gemeinsamen Beratung der Krone gebeten wurden und anderen, zu Privy Councillors ernannten Personen, Hogg, Constitutional Law of Canada, 3. Aufl. 1993, 234/235. 445 Matheson, The Prime Minister and the Cabinet, 1976, 82; Doerr, The Machinery of Government in Canada, 1981, 24-30; Dussault!Borgeat, Administrative Law, Bd. l, 2. Aufl 1985, 64-73; Schmitz, Reorganizing Government, 1994, 13-15, 19/20 gibt einen Überblick über die Strukturen der Kabinette verschiedener Premierminister. 446 Matheson, The Prime Minister and the Cabinet, 1976, 82; Minister ofJustice, The Federal Legislative Process in Canada, 2. Aufl. 1989, 9, zum Entscheidungsverfahren bei Gesetzgebungsinitiativen. 447 Dussault/Borgeat, Administrative Law, Bd. 1, 2. Auf!. 1985, 66/67 zu dessen Aufgaben; zu den Aufgaben des Umweltkabinettsausschusses, Bregha u.a., The Integration of Environmental Considerations into Government Policy, 1990, 20; Brown, in: Canadian Environmental Policy, 1992,24, 37; Doern/Conway, The Greening ofCanada, 1994,50. 448 Zu diesem GremiumDussault/Borgeat, Administrative Law, Bd. 1, 2. Aufl. 1985,72.
C. Rechtliche Anforderungen an die Verordnungsgebung
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bei vier Mitgliedern, die der Entscheidung zustimmen müssen.449 Außer in gemeinsamer Sitzung kann die Zustimmung der Minister auch in einem Umlaufverfahren (walk-around) eingeholt werden.450 Im Gesamtkabinett scheinen Abstimmungen weitgehend vermieden zu werden. Sobald eine Entscheidung getroffen wurde, sind alle Kabinettsmitglieder an sie gebunden und gehalten, sie voll zu unterstützen.451 5. Ausfertigung, Verkündung und lnkrafttreten
Art. 82 GG ist die weitere Verfassungsbestimmung mit Relevanz für das Verfahren der Verordungsgebung in Deutschland. Der Artikel regelt die Verkündung und das Inkrafttreten von Rechtsverordnungen. Die die Verordnung erlassende Stelle hat die Aufgabe, die Verordnung auszufertigen, und - vorbehaltlich anderweitiger gesetzlicher Regelung - im Bundesgesetzblatt452 zu verkünden. Unter 'Ausfertigung' ist die Herstellung der Originalurkunde durch Unterzeichnung des dafür zuständigen Amtsträgers zu verstehen. 453 Das Gesetz über die Verkündung von Rechtsverordnungen454 ermöglicht die Verkündung auch in anderen amtlichen Veröffentlichungen (z.B. dem Bundesanzeiger). Dann allerdings ist ein Hinweis in das Bundesgesetzblatt auf die am anderen Orte verkündete Verordnung aufzunehmen(§ 1 Abs. 2 des Gesetzes). Die Ausfertigung der Verordnung darf erst erfolgen, wenn das ermächtigende Gesetz in Kraft getreten ist.455 Abs. 2 des Art. 82 GG verlangt, daß jede Rechtsverordnung den Tag ihres Inkrafttretens bestimmt. Für den Fall, daß dies nicht geschehen ist, enthält Satz 2 dieses Absatzes, und auch § 3 Abs. 1 des Gesetzes über die Verkündung von Rechtsverordnungen, eine Auffangregelung. Dann treten Gesetze und Verordnungen mit dem vierzehnten Tage nach Ablauf des Tages, an dem das Bundesgesetzblatt ausgegeben worden ist, in Kraft. 449 Matheson, The Prime Minister and the Cabinet, 1976, 80, Keyes, Executive Legislation, 1992, 67, Fn. 11; Alexander, Federal Environmental Assessment and Regulatory Reform, 1995, 73. 450 Dabei gehen Beamte des federfuhrenden Ministeriums mit dem Verordnungsentwurf von Minister zu Minister, um deren Unterschrift ftir den Beschluß zu erhalten. Vier Minister müssen sich aus diesem Grund zu jedem Zeitpunkt in Ottawa aufhalten. Chris Ram, einem Mitarbeiter des kanadischen Justizministeriums, verdankt die Verfasserio die eindrucksvolle Schilderung dieses in Eilfallen praktizierten Verfahrens. 451 Zur Kabinettssolidarität Matheson, The Prime Minister and the Cabinet, 1976, 18 und 81; Heard, Canadian Constitutional Conventions, 1991,62-65. 452 Dazu ausführlich Severin, Das Bundesgesetzblatt, 1962, zur Bekanntgabe von Gesetzen im anglo-amerikanischen Rechtskreis, 16-22. 453 Maurer, in: BK-GG, 1988, Art. 82, Rn. 135 und 19 m.w.N. 454 BGBI 1950 I, 183; Sartorius Nr. 70. 455 Maurer, in: BK-GG, 1988, Art. 82, Rn. 140; Lepa, AöR 105 (1980), 337, 367; Fleck, DÖV 1966,633, 634; Hallier, AöR 85 (1960), 391,419/420.
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1. Teil: Charakteristika der Umweltschutz-Verordnungsgebung
In Kanada wird untergesetzliches Recht seit 1950 systematisch veröffentlicht. Der alte Regulations Act, Vorläufer des Statutory Instruments Act, legte die dafür die Grundlage, so daß der allgemeine Zugang zu Rechtsverordnungen gesichert war. 456 Nach Abschluß des Verfahrens der Vorveröffentlichung und erfolgter Kabinettsentscheidung muß die Verordnung innerhalb von sieben Tagen gemäß Section 5 und 6 SIA beim Clerk ofthe Privy Council registriert und danach in der Canada Gazette Part II veröffentlicht werden. Section 11 SIA enthält die Verpflichtung, jede neue Verordnung innerhalb von dreiundzwanzig Tagen nach ihrer Registrierung zu veröffentlichen. Vierteljährlich wird ein zusammenfassender Index aller zur Zeit gültigen Verordnungen und ihrer Änderungen veröffentlicht (Conso/idated Index of Statutory Instruments, Section 14 SIA). Da man diese Veröffentlichungsvorschriften rechtspraktisch gesehen für ein absolutes Minimum hält, 457 wird erwogen, bei einer Reform des Statutory Instruments Act die Möglichkeit eines elektronischen Zugangs zu Verordnungen vorzusehen, damit Verordnungsrecht so auch für die Öffentlichkeit leichter auffmdbar ist. 458 Nach Verkündung einer Verordnung gilt die sogenannte "Vermutung der Ordnungsgemäßheit" (Presumption of Regularity). Danach wird hinsichtlich aller Form- und Verfahrensvorschriften ihre Einhaltung angenommen, es sei denn, daß das Gegenteil nachgewiesen wird. 459 Eine Verordnung tritt, wenn nichts anderes bestimmt ist, am Tag ihrer Registrierung in Kraft (Section 6 (2) (b) Interpretation Act). Wenn ein früheres Inkrafttreten gewollt ist, greifen spezielle Vorschriften ein (Section 9 SIA).460
456 Mallory, in: Second Commonwealth Conference on Delegated Legislation, Bd. 3, 1983, 13, 17; dazu auch Jones/DeVillars, Principles of Administrative Law, 1985, 7275; Holland/McGowan, Delegated Legislation in Canada, 1989, 161ff. Davor wurden Verordnungen nur veröffentlicht, wenn das Ermächtigungsgesetz dies vorschrieb. 457 Keyes, Executive Legislation, 1992, 103 m.w.N. und 107. 458 Section 10 (2) des Entwurfs zu einem Regulation Act (siehe oben, A. IV. 2. b)) sieht die Möglichkeit der elektronischen Veröffentlichung der Canada Gazette vor. Section 26 Abschnitt c) iii) des Entwurfs gestattet es der Regierung, diese Möglichkeit durch Rechtsverordnung näher auszugestalten. Schon jetzt sind alle kanadischen Bundesgesetze beim Justizministerium auf dem Internet kostenlos elektronisch abrufbar (http://justice. gc.ca). Dies hat die Erstellung dieser Arbeit sehr erleichtert. 459 Keyes, Executive Legislation, 1992, 136-141. 460 Diskussion zahlreicher Probleme des Inkrafttretens Keyes, Executive Legislation, 1992, 129-132.
Zweiter Teil
Mitwirkung und Beteiligung an der Umweltschutz-Verordnungsgebung A.Kanada Entscheidungen im Rahmen der Verordnungsgebung im Umweltschutzbereich werden in Kanada unter Mitwirkung und Beteiligung der verschiedensten Gremien und Organisationen getroffen. Zum Teil wird versucht, Verordnungen in konsensorientierten Verfahren zu erarbeiten. Dieser Teil der Untersuchung soll die Institutionen und Gremien, die an der Verordnungsgebung in Kanada mitwirken, darstellen und ihre Einwirkungsmöglichkeiten erläutern. Dabei werden gerade neuentwikkelte Gremien und Verfahren und deren Rahmenbedingungen mit in die Untersuchung einbezogen. Einige der Gremien sind nicht direkt mit der Verordnungsgebung befaßt. Sie bilden jedoch den verwaltungskulturellen Hintergrund, vor dem die Verfahren der Umweltschutz-Verordnungsgebung stattfmden, und sind daher in ihrer Zusammensetzung und Arbeitsweise für diese Untersuchung von Interesse.
I. Hintergrund der Entwicklung von Beteiligungsformen an umweltrechtlichen Entscheidungen Um Rechtsvergleichung sinnvoll zu betreiben, muß man sich um Verständnis des Gesamtsystems bemühen, in das die untersuchte Regelung eingebettet ist. 1 Deswegen soll hier einleitend, anhand von einigen signifikanten Projekten, der Hintergrund der Entwicklung von Beteiligungsformen an umweltrechtlichen Entscheidungen in Kanada dargestellt werden.
1. Allgemeine Entwicklung Kanada hat eine lange Tradition der Bürgerbeteiligung.2 Erste Beteiligungsformen an umweltrechtlichen Entscheidungen entwickelten sich in Kanada in
Constantinesco, Rechtsvergleichung, Bd. 2, 1972, 237, 240 und 269. Überblick bei Draper, in: Involvement and Environment, 1977, 26; eine lange Tradition von Beteiligungsformen in den USA, Kanada und Großbritannien konstatiert OECD, Technology on Trial, 1979, 19. 1
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2. Teil: Mitwirkung und Beteiligung
den siebziger Jahren, als Umweltschutz zu einem politischen Thema wurde. 3 Das wichtigste Ereignis in diesem Bereich war das Verfahren der sogenannten Berger-Kommission, die 1974 berufen wurde, um Pläne für den Bau einer Ölpipeline durch das Mackenzie Valley im Norden der Provinzen British Columbia und Alberta zu evaluieren.4 Die Berger-Kommission hat in Kanada die Maßstäbe hinsichtlich des Verfahrens und des Stils von Kommissionen im Umweltschutzbereich gesetzt und auch sonst die Beteiligungsformen an umweltrechtlichen Entscheidungen entscheidend geprägt.5 Der Vorsitzende der Kommission, der Richter Thomas R. Berger, bemühte sich vor allem um die Einbeziehung der in dem Gebiet der geplanten Pipeline wohnenden Ureinwohner in das Verfahren. Er hielt Anhörungen in ihren Ortschaften ab, und die Anhörungen wurden landesweit im Rundfunk übertragen. Das Verfahren vor der Berger-Kommissionwar das erste Verfahren, in dem Umweltschutzgruppen fmanzielle Unterstützung für ihre Teilnahme erhielten.6 Der Bericht der Kommission wurde zum nationalen Bestseller.7 Die theoretische Diskussion über Beteiligungsrechte an umweltrechtlichen Entscheidungen des Staates - und damit auch an der Umweltschutz-Verordnungsgebung - fand in Kanada in den siebziger Jahre statt, als das Interesse an umweltpolitischen Themen weltweit große Ausmaße erreichte.8 Somit stammt ein Teil der in dieser Arbeit verwendeten Literatur aus dieser Zeit. Im Zuge der stagnierenden wirtschaftlichen Entwicklung ließ dann das Interesse der Bevölkerung an der Umweltschutzthematik merklich nach. Dies änderte sich am Ende der achtziger Jahre, als der Problemdruck in Kanada- auch durch inter-
3 Paehlke, in: Environmental Law in the 1990s, 1990, 352, 362; Hoberg, in: Governing Canada, 1993,307, 312/313; VanNijnatten, Environmental Governance, 1996,4. 4 Darstellung des Verfahrens und seiner Hintergründe in OECD, Technology on Trial, 1979,68-75. 5 Zur Bedeutung dieser Kommission Sewe/1/0 'Riordan, 16 Natural Resources Journal (1976), l, 9; Chapin/Deneau, Citizen Involvement, 1978, 30; Stanbury/Fulton, Consultation, 1988, 27; Weale, The new politics of pollution, 1992, l7l/l72; Doern/Conway, The Greening ofCanada, 1994,62. 6 Thompson, Environmental Regulation in Canada, 1980,45, Fn. 61; Doerr, TheMachinery of Govemment in Canada, 1981, 119, Fn. 65; Englehart!Trebilcock, Public Participation in the Regulatory Process: The lssue of Funding, 1981, 93-98; Anandl Scott, 60 Canadian Bar Review (1982), 81, 104/105, die dies als eine persönliche Entscheidung von Judge Berger darstellen, die dieser beim zuständigen Minister (für Indian Affairs, damals Jean Chretien) durchsetzte. 7 OECD, Technology on Trial, 1979, 74. 8 Weale, The new politics ofpollution, 1992, 10 und 167/168. Zu den Hintergründen in Kanada Schatzow, in: Public Participation in Planning, 1977, 141, 144/145; Chapin/Deneau, Citizen Involvement, 1978, 14; Hoberg, in: Governing Canada, 1993,307,312.
A. Kanada
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nationale Umweltkatastrophen (Bhopal- Dezember 1984, Tschernobyl- April 1986)- spürbar zunahm.9 Vom politischen Wld rechtlichen System war entschiedenes Handeln auf dem Gebiet des Umweltschutzes gefragt. Die gesetzgebensehen Aktivitäten, die erfolgten, waren jeweils von Verfahren der Mitwirkung Wld BeteiligWlg begleitet. 1986 wurde der Canadian Environmental Profeetion Aet im Parlament eingebracht10 Wld 1987 wurde von der Versammlung der Umweltminister des BWldes Wld der Provinzen eine spezielle Arbeitsgruppe fiir "dauerhaftumweltgerechte EntwicklWlg" (Sustainable Development) 11 ins Leben gerufen.
2. Niagara Proeess und Green Plan Bestrebungen, zumZwecke der BeteiligWlg die Zusammenarbeit von Umweltschutzgruppen Wld dem BWldesumweltministerium zu institutionalisieren, gab es schon seit Mitte der siebziger Jahre. Die Beteiligung wurde speziell 1980/1981 weiter ausgebaut, doch gab es immer wieder Phasen, in denen sich das Umweltministerium von Bestrebungen der InstitutionalisiefWlg wieder distanzierte. 12 Der entscheidende Auslöser fiir eine Wende in diesem schwankenden Verhältnis wird in dem sogenannten Niagara Proeess im Jahre 1985 gesehen. 13 Ursprünglich nur als eine Konferenz über "FabrikenmodemisiefWlg" geplant, die mit cirka fünfzig Teilnehmern im privaten Niagara Institute stattfand, wurde daraus letztlich die VorbereitWlg des kanadischen Umweltgesetzbuches, des Canadian Environmental Proteetion Aet (CEPA), mit dem Schwerpunkt der Reglementierung von giftigen Stoffen. Über ein halbes Jahr lang bemühten sich Vertreter von Wirtschaftsuntemehmen, Umweltschutzgruppen, Gewerkschaften und der Provinzen in intensiven Sitzungen um Zusammenarbeit. 14
9 Darstellung der Entwicklung bei Doern/Conway, The Greening of Canada, 1994, 12-15, 231, die auch den "Aufstieg, Fall und Wiederaufstieg" des Bundesumweltministeriums mit dieser Entwicklung erklären. 10 Zum Entwurf des Gesetzes Spreng, Umweltrecht in Kanada, 1988, 30 I /302. 11 Zu den möglichen Übersetzungen des Begriffs des Sustainable Development siehe SRU, Umweltgutachten 1994, Tz. 516; in dieser Arbeit wird aus den vom SRU genannten Gründen der dort vorgeschlagenen Übersetzung als 'dauerhaft-umweltgerechte Entwicklung' gefolgt. Sehr kritisch zu dem Begriff des Sustainable Development und mit Vorschlägen für inhaltsreichere Umweltschutz-Prinzipien, Leiss, in: Policy Frameworks, 1996, 121, 150-152. 12 Doern!Conway, The Greening ofCanada, 1994, 111/112. 13 Doern, in: Canada at Risk, 1991 , 100, 101; Hoberg, in: Goveming Canada, 1993, 307,317/318. 14 Beschreibung der Entwicklung in Doern/Conway, The Greening of Canada, 1994, 112-114; vgl. Toner, in: How Ottawa Spends 1994-95, 229, 242. Der Niagara Process 8 Frankeoberger
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2. Teil: Mitwirkung und Beteiligung
Durch das Erarbeiten von Sprachregelungen, Grundregeln fiir den gemeinsamen Umgang und der Errichtung einer neutralen Datenbasis zur Information gelang es, Vertrauen aufzubauen und inhaltlich zusammenzuarbeiten.15 Zeitgleich mit den Entwicklungen in Kanada wurden auch auf internationaler Ebene die Fragen des Umweltschutzes und der dauerhaft-umweltgerechten Entwicklung zu einem Dauerthema. Da das Ziel einer dauerhaft-umweltgerechten Entwicklung nur erreicht werden kann, wenn alle Mitglieder der Gesellschaft ihr Verhalten umstellen, sind Fragen der Beteiligung und des offenen Informationszugangs nach kanadischem Verständnis die Voraussetzung dafür, daß diese Verhaltensänderung geschieht. 16 Diese Auffassung fmdet ihre Grundlage im Bericht der sogenannten Brundtland-Komrnission: "Die Realität verflochtener wirtschaftlicher und ökologischer Systeme wird sich nicht ändern; die betreffende Politik und die Institution muß sich ändern." 17 Die in den siebziger Jahren noch abstrakt diskutierte Möglichkeit der Beteiligung privater Bürger und Organisationen an umweltrechtlichen Entscheidungen wird inzwischen auf allen Ebenen der kanadischen Bundesverwaltung praktiziert. 18 Die wesentlichen Stellungnahmen zum Thema der Beteiligung fmden sich deswegen nun vorwiegend in Publikationen der Regierung und des Bundesumweltrninisteriurns. Das weitere hier zu erwähnende Beispiel fiir die kontinuierlich geübte, breite Beteiligung von Umweltschutzgruppen und der Öffentlichkeit ist der kanadische Green Plan. 19 Dies ist ein vom Umweltministerium vorbereitetes Projekt der kanadischen Regierung aus dem Jahre 1990.2° Der Green Plan enthält politische Selbstverpflichtungen der Regierung fiir eine Vielzahl von Umweltschutzprojekten und -maßnahrnen in einer Größenordnung von drei Milliarden
ist als Ursprung der Multi-Stakeholder Consultation Verfahren auch in Government of Canada, AReport on the Green Plan Consultations, August 1990, 129, erwähnt. 15 Die Bedeutung der Veranstaltungen im Niagara Institute wird auch im National Round Table on the Environment and the Economy, Annual Review 1992-93, 18 betont. 16 Environment Canada, Annual Report 1989-1990, 3; Government of Canada, Canada's Green Plan, 1990, 16-18 und dessen Kapitel VII: Environmentally Responsihle Decision-Making, 131-158; Doern, in: Canada at Risk, 1991, 100, 108; Hause ofCommons, lt's about our Health, 1995, 40-42. 17 Hauff(Hg.), Unsere gemeinsame Zukunft, 1987, 304 und auch 320-323; Hoberg, in: Goveming Canada, 1993, 307,309 und 314. 18 Auf diese Entwicklung weisen Webb, Pollution Control in Canada, 1988, 55 und Alexander,Federa! Environmental Assessment and Regulatory Reform, 1995, 77-8l , hin. 19 GovernmentofCanada, Canada's Green Plan, 1990. 20 Toner, in: How Ottawa Spends 1994-1995, 1994, 229, 230-233; Gardner, Federal Intergovemmental Co-operation on Environmental Management, 1994, 15 und 21; Müller, HdUR, 2. Aufl 1994, 1227, 1229.
A. Kanada
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kanadischen Dollar.21 In ihm werden auch die Prinzipien des Verordnungsgebungsverfahrens aus dem Jahre 198622 speziell für Verordnungen unter CEPA wiederholt.23 Die Öffentlichkeit war in die Erstellung des Green Plan (der zunächst nur ein Frameworkfor Discussion on the Environment war) durch zahlreiche Anhörungen miteingebunden24 und die von der Bevölkerung gemachten V arschläge wurden dann in den Plan eingearbeitet. II. Exkurs: Rezeption von Einflüssen: die Umweltschutz-Verordnungsgebung in den USA Das kanadische Verfahren der Verordnungsgebung wird erst vollständig verständlich, wenn man sich zumindest die Grundzüge des US-amerikanischen Systems verdeutlicht. Die USA bilden gewissermaßen einen Spiegel, in den die Kanadier zu blicken gezwungen sind.25 Die kanadische Umweltschutz-Verordnungsgebung ist von dem Bestreben gekennzeichnet, die US-arnerikanischen Regelungen ohne deren institutionalisierte Verfahren zu übemehmen.26 Im folgenden sollen wichtige Grundlagen des US-arnerikanischen Systems der Verordnungsgebung und die dortige Entwicklung von Beteiligungsverfahren kurz dargestellt werden. Die geschichtlichen und gesetzlichen Grundlagen der Beteiligungsverfahren an umweltrechtlichen Entscheidungen in den USA unterscheiden sich in einigen Aspekten von denen Kanadas.27 Wirtschaftsunternehmen und Öffentlichkeit in Kanada sind aber über die US-amerikanischen Verfahren informiert28 und erwarten ihre Beteiligung an staatlichen V erfahren. In einem
Government ofCanada, Canada's Green Plan, 1990, 23. Siehe oben, 1. Teil, C. II. 2. b) (I). 23 Government ofCanada, Canada's Green Plan, 1990, 154/155. 24 OECD, Reducing Environmental Pollution, 1994, 24. Die Beteiligung ist dokumentiert und inhaltlich zusammengefaßt in Government of Canada, A Report on the Green Plan Consultations, 1990, unter Angabe von Ort, Datum und Teilnehmerzahlen der Information and Consultation Sessions, 135/136. Kritisch zu der im Rahmen des Green Plan stattgefundenen Beteiligung Brown, in: Canadian Environmental Policy, 1992, 24, 38; Hoberg, in: Governing Canada, 1993, 307, 321; Toner, in: How Ottawa Spends 1994-1995, 1994,229,242. 25 Der Ausdruck wird der kanadischen Schriftstellerin Margret Atwood zugeschrieben, Hoberg, 11 Journal of Public Policy (1991), 107, 127 m.w.N. Die Darstellung in CEPA Office, Public Participation, 1994, passim, enthält z.B. neben der Auswertung von Verfahren in den kanadischen Provinzen, insbesondere Ontario, vor allem eine Gegenüberstellung mit dem OS-amerikanischen Recht. 26 Hoberg, 11 Journal ofPublic Policy ( 1991 ), 107, 126, hält diesen Versuch fiir geglückt. 27 CEPA Office, Public Participation, 1994, 31. 28 Zur 'American media dominance', Hoberg, 11 Journal of Public Policy (1991), 107, 110. 21
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2. Teil: Mitwirkung und Beteiligung
dritten Abschnitt wird erläutert, in welchen Formen sich die Rezeption von OSamerikanischen Einflüssen in Kanada vollzieht.
1. Grundlagen Im OS-amerikanischen Regierungssystem teilen sich der aus Repräsentantenhaus und Senat bestehende Kongreß und der direkt gewählte Präsident samt den ihm unterstehenden unabhängigen Behörden (independent agencies) die Macht. 29 Dies kann bei ungünstigen politischen Mehrheitsverhältnissen zu einer Situation führen, in der Verordnungsgebung zu einer Art "Ersatz-Schlachtfeld" für Probleme wird, die in anderen politischen Systemen allein auf der parlamentarischen Ebene abgearbeitet werden. 30 So versucht der Kongreß dann, durch detaillierte Vorgaben für Verordnungsgebung in den ermächtigenden Gesetzen oder durch Sondergesetze für Verordnungen, Einfluß auf die Verwaltung des Präsidenten zu nehmen, während der Präsident dies durch eigene Weisungen (Executive Orders) zu konterkarieren sucht. Zudem hat der Supreme Court den Lehrsatz entwickelt, daß der Kongreß seine Befugnis Recht zu setzen, nur dann delegieren darf, wenn den Delegataren intellegible principles (verständliche Prinzipien) an die Hand gegeben werden.31 Dieses Erfordernis zusammen mit dem generellen Mißtrauen, das der Kongreß der Verwaltung gegenüber hegt, hat zur Folge, daß die OS-amerikanischen Gesetzebesonders im Umweltschutzbereich- häufig sehr detailliert und lang sind. 32 Hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Zuständigkeitsverteilung für den Umweltschutz auf den Bund und die Einzelstaaten gibt es auch in den USA einige Unsicherheiten, jedoch kann der Bund praktisch die Gesetze erlassen, die er für nötig 29 Schaubild aus dem United States Government Manual in Brngger, Einflihrung in das öffentliche Recht der USA, 1993, 170. Knappe, aber anschauliche Beschreibung der Beziehungen zwischen Exekutive und Legislative in den USA, Brickman u.a., Controlling Chemicals, 1985, 55156; Rose-Ackerman, Umweltrecht, 1995, 32-34. Zur Geschichte der Reformen des amerikanischen Systems der Verordnungsgebung, Tolchin/Tolchin, in: Regulatory Reform Reconsidered, 1985, 57-82. 30 Ähnlich Mashaw u.a., Administrative Law, 3. Aufl. 1992, 242; Francis, The Politics of Regulation, 1993, 63/64; Kischel, 46 Administrative Law Review (1994), 213, 251; RoseAckerman, Umweltrecht, 1995, 20; vgl. Harter, 71 Georgetown Law Journal (1982), 1, 5, zur Einflußnahme von Gerichten und Kongreß auf das Verfahren der Verordnungsgebung. 31 Keyes, Executive Legislation, 1992, 36-38; Nolte, AöR 118 (1993), 378, 384; Brngger, Einflihrung in das öffentliche Recht der USA, 1993, 174-179; Kischel, 46 Administrative Law Review (1994), 213, 225; Pünder, Exekutive Normsetzung, 1995,44-52. 32 Der Clean Air Act gleicht in weiten Teilen eher der TA Luft als dem BlmSchG, Jarass, Natur und Recht 1993, 49, 52; vgl. Giebeler, Verfahren und Maßstäbe, 1991, 23/24; Hoberg, in: Canadian Environmental Policy, 1992, 246, 251 und 260. Ders., Pluralism by Design, 1992, 46 m.w.N., erwähnt, daß in den von der EPA zu vollziehenden Gesetzen 13 8 von der Behörde einzuhaltende Fristen enthalten sind.
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erachtet.33 Es bleibt den Einzelstaaten allerdings unbenommen, striktere Vorschriften zu schaffen. Auf Bundesebene ist in den USA vor allem die Environmental Profeetion Agency (EPA)34 fiir die Entwicklung von untergesetzlichen Normen und deren Vollzug im Umweltschutzbereich zuständig. Der Zuständigkeitsbereich der EPA gegenüber den Einzelstaaten variiert je nach Regelungshereich (insbesondere z.B. zwischen dem Clean Air und dem Clean Water Act).35 Der Administrative Procedure Act (APA) 36 enthält die wichtigsten Regeln für die administrative Normsetzung. Er ist seit seinem Erlaß 1946 zwar nicht wesentlich im Wortlaut verändert, aber durch zahlreiche Gesetze ergänzt worden.37 Weitere Ergänzungen erfuhr das Verordnungsgebungsverfahren durch den Erlaß von präsidialen Anweisungen (Executive Orders) die unter b) dargestellt werden. a) Administrative Procedure Act Der APA entspricht in etwa dem deutschen Verwaltungsverfahrensgesetz, da auch er verschiedene Handlungsformen der Verwaltung definiert und Verfahrensabläufe fiir ihren Erlaß vorschreibt. Der wesentliche Unterschied zum Verwaltungsverfahrensgesetz ist aber, daß der APA auch Regeln fiir die untergesetzliche Normsetzung enthält. Eine Norm(ru/e) wird in§ 551 (4) desAPA defmiertals: "die Äußerung einer Behörde von genereller oder besonderer Anwendbarkeit und zukünftiger Wirkung, die dazu geschaffen wurde, die Rechtsanwendung oder Verwal-
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Rehbinder/Stewart, Environmental Protection Policy, 1988,43.
34 Die EPA wurde 1970 gegründet; zu ihrer Organisation Bothe, Verwaltungs-
organisation im Umweltschutz, 1986, 61-64; zur Einordnung der EPA in das System der Bundesverwaltung in den USA, Giebeler, Verfahren und Maßstäbe, 1991, 19-23; Bonine/McGarity, The Law ofEnvironmental Protection, 1992,251-254 m.w.N. 35 Zum Teil hat die EPA Aufsichtsbefugnisse gegenüber den Einzelstaaten, Jarass, Natur und Recht 1993, 49. Zum Clean Air Act siehe Giebeler, Verfahren und Maßstäbe, 1991, 33-35; Kloepfer/Mast, Das Umweltrecht des Auslandes, 1994, 229-231; EPA, The Plain English Guide to the Clean Air Act, 1994 (die States müssen die von der EPA entworfenen National Ambient Air Standards durch sogenannte State lmp/ementation Plans umsetzten); zum Clean Water Act siehe Giebeler, Verfahren und Maßstäbe, 1981, 31-33; Kloepfer/Mast, Das Umweltrecht des Auslandes, 1994, 235-237 (jede Einleitung in ein Gewässer ist genehmigungspflichtig, die States genehmigen auf Grundlage der national gesetzten Emissionsstandards Einleitungen in Gewässer). 36 5 U.S.C. (1994 ed) Chapter 5, §§ 498-550. 37 Zum Beispiel durch den Administrative Dispute Resolution Act, den Negotiated Rulemaking Act, den Freedom of Information Act, den Government in the Sunshine Act, den Federal Advisory Committee Act, den Privacy Act, den Regulatory Flexibility Act und den Paperwork Reduction Act, Fundstellen für alle Gesetze bei Mashaw u.a., Administrative Law, 3. Aufl. 1992, 142-147.
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2. Teil: Mitwirkung und Beteiligung
tungspraxis der Behörde zu vollziehen, auszulegen oder vorzuschreiben oder die das Verfahren oder die praktischen Anforderungen einer Behörde beschreibt. " 38
Das Verfahren der Normsetzung kommt zur Anwendung, wenn eine Norm erlassen, geändert, oder aufgehoben werden soll(§ 551 (5) APA). Das US-amerikanische Recht unterscheidet drei Typen von ru/es: 1. substantielle oder rechtsetzende Normen, die von einer Behörde gemäß eines gesetzlichen Auftrages erlassen werden und die das Gesetz vollziehen helfen sollen; diese Normen haben diesseihe rechtliche Wirkung wie Gesetze; 39 2. interpretierende Normen oder auch nur Äußerungen der Behörde, die die Öffentlichkeit über die behördliche Auslegung der verwalteten Gesetze aufklären sollen; und 3. Verfahrensregeln oder Stellungnahmen der Behörde, die die Öffentlichkeit über das voraussichtliche Vorgehen der Behörde in Fällen von ihr eingeräumten Ermessen informieren sollen.40 § 553 (b) (3} (A) nimmt die unter 2. und 3. beschriebenen Normen von den Verfahrensanforderungen des APA aus, es sei denn, es sind gesetzlich auch fiir diese Arten von Normen bestimmte Verfahrensschritte vorgeschrieben. Da die unter 1. beschriebenen Normen in ihrer Wirkung und Erstellung den deutschen Verordnungen oder den kanadischen regulations entsprechen, werden sie auch hier als "Verordnungen" bezeichnet.41 Drei Verfahren der Verordnungsgebung können unterschieden werden: 1. das informelle oder einfache notice-and-comment rulemaking-Verfahren; 2. das formale Normsetzungsverfahren; und 3. Mischformen aus den beiden vorgenannten (hybrid rulemaking). Das informelle Verfahren ist das Regelverfahren, wenn nicht durch Gesetz speziellere Formen vorgesehen sind. 38 Übersetzung von Verfasserin; zu der Definition Brugger, Einführung in das öffentliche Recht der USA, 1992, 1921193. 39 Zu diesen substantive ru/es, Jarass, DÖV 1985, 377, 383-384; nur diese ru/es stehen auch im Mittelpunkt der Untersuchung von Pünder, Exekutive Normsetzung, 1995, 33-36 (zur Erläuterung dieser Beschränkung). 40 Von Brugger, Einführung in das öffentliche Recht der USA, 1993, 193, 'Zielbestimmungen' genannt. Die Unterscheidbarkeit der drei Kategorien ist im einzelnen umstritten, soll hier aber nicht weiter problematisiert werden, siehe dazu Rose-Ackerman, Umweltrecht, 1995,247 m.w.N. 41 So auch Jarass, DÖV 1985, 377, 384; Brugger, EinfUhrung in das öffentliche Recht der USA, 1993, 192-197; Rose-Ackerman, Umweltrecht, 1995, 34; Pünder, Exekutive Normsetzung, 1995, 29. Giebeler, Verfahren und Maßstäbe, 1991, 39 meint, daß die rules im deutschen Recht keine Entsprechung hätten, sie seien zwischen Verordnungen und Verwaltungsvorschriften einzuordnen.
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§ 553 (b) bis (e) APA enthalten die Anforderungen an das informelle Verfahren: die Absicht, eine Norm zu erlassen, muß zusammen mit dem Verordnungsentwurf und näheren Informationen zu ihm im Federal Register 42 veröffentlicht werden, und die interessierte Öffentlichkeit muß Gelegenheit zur Stellungnahme zum Verordnungsentwurf erhalten. Eine mündliche Anhörung ist nicht zwingend vorgeschrieben. Meist wird zunächst eine advanced notice hinsichtlich des beabsichtigten Verordnungsgebungsverfahrens im Federal Register veröffentlicht und erst später der erarbeitete Verordnungsentwurf selber vorveröffentlicht Als Präambel steht vor dem Entwurf die jeweilige Kosten-Nutzen-Analyse, die aufgrund der Vorschriften der Executive Orders zu erstellen ist (dazu unter b)). Die Behörde muß die von Interessierten zum Entwurf präsentierten Tatsachen und Ansichten zur Kenntnis nehmen und erwägen und auf die wichtigsten Anregungen inhaltlich eingehen.43 Die Verordnung muß zusammen mit einer erläuternden Präambel mindestens dreißig Tage vor ihrem lokrafttreten im Federal Register veröffentlicht werden. Das formale Verfahren fmdet nur statt, wenn es durch Gesetz ausdrücklich vorgeschrieben wird.44 Für dieses Verfahren enthalten die§§ 556 und 557 APA Einzelheiten fiir die Ausgestaltung. Wichtigstes Charakteristikum dieses Verfahrens ist die einem Gerichtsverfahren nachgebildete Anhörung und die Anfertigung einer Niederschrift (record). 45 Die Behörde trägt die volle Beweislast fiir die Notwendigkeit und konkrete Ausgestaltung der geplanten Verordnung. Es bestehen strikte Regelungen über infomelle Außenkontakte der Behörde ( ex-partecommunication). Solche Kontakte sind gesetzlich nur für das formale Verordnungsgebungsverfahren verboten, doch dehnte die Rechtsprechung46 dieses Verbot auch auf informelle Verfahren aus. Der Supreme Court suchte die Ausdehnung von Verfahrensvorschriften zu begrenzen,47 doch hat die unterinstanzliehe
42 Das Federal Register erscheint täglich; zum inneren Ordnungssystem des Federal Register siehe Mackenthum/Bregman, Environmental Regulation Handbook, 1992, 29. 43 Pünder, Exekutive Normsetzung, 1995, 132, zum Verfahren des informal rulemaking 121-132. Das Verfahren wird so zum Ersatz des politischen Prozesses, das aber
gleichzeitig auch die angemessene Vertretung bzw. Teilnahme aller betroffenen Interessen vorsehen soll, Hoberg, Pluralism by Design, 1992, 48. 44 Dies ist nur selten der Fall, da solche Verfahren sehr zeitintensiv, umständlich und teuer sind. CEPA Office, Public Participation, 1994, 156 erwähnt ein formales Verordnungsgebungsverfahren unterdemFood, Drug and Cosmetics Act, das von 1959 bis 1971 dauerte. 45 Dazu Mintz/Miller, A Guide to Federal Agency Rulemaking, 2. Aufl. 1991,204-222. 46 Horne Box Office, Inc. v. FCC, 567 F.2d 9 (D.C. Circ., 1977). Zu diesem Fall und dem Problem im allgemeinen Giebe/er, Verfahren und Maßstäbe, 1991, 58; Mintz/Miller, A Guide to Federal Agency Rulemaking, 2. Aufl. 1991, 223-247; Mashaw u.a., AdministrativeLaw, 3. Aufl. 1992, 513-542; Pünder, Exekutive Normsetzung, 1995, 138/139. 47 Vermont Yankee Nuclear Power Corp. v. National Resources Defense Council, Inc., 435 U.S. 519 (1978).
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Rechtsprechung- gestützt auf eine extensive Auslegung der APA Vorschriftenweiterhin verfahrensrechtlich komplexe Mischformen für die UmweltschutzVerordnungsgebung geschaffen.48 In der überwiegenden Zahl der Fälle wird eine mündliche Anhörung vor der Verordnungsgebung durchgefiihrt.49 b) Executive Orders Zum Teil wird vertreten, daß die Bestimmungen des APA inzwischen weitgehend durch Executive Orders (E0)50 ausgehöhlt wurden;51 sie ergänzenjedenfalls das Verfahren der V erordnungsgebung um zahlreiche Verfahrensschritte im Vorfeld. PräsidentReaganerließ am 17. Februar 1981 die EO 12291.52 Darin wurde dem Office ofManagement and Budget (OMB)53 die Befugnis eingeräumt, das Verfahren der Verordnungsgebung für wichtige (major)54 Verordnungen zu beaufsichtigen.55 Außerdem wurden Kosten-Nutzen-Analysen und generelle Er48 Dolzer, DÖV 1982, 578, 589; Jarass, DÖV 1985, 377, 385; Brugger, Einführung in das öffentliche Recht der USA, 1993, 195/196. 49 Giebeler, Verfahren und Maßstäbe, 1991, 59, 114-116, zur Entwicklung des 'hybrid rule-making'. 50 Zu Geschichte, Rechtsnatur und Verbindlichkeit von Executive Orders siehe Mashaw u.a., Administrative Law, 3. Auf. 1992, 238-241 m.w.N.; knapp auch Giebeler, Verfahren und Maßstäbe, 1991,26/27. 51 Tolchin/Tolchin, in: Regulatory Reform Reconsidered, 1985, 57, 77; Mintz/Miller, A Guide to Federal Agency Rulemaking, 2. Aufl. 1991, 19, nennen die Änderungen durch Executive Orders die wichtigste Entwicklung im amerikanischen Verwaltungsrecht 52 46 Federal Register 13193 (1981). Zu den Auswirkungen dieser EO aufdas Verfahren der Umweltschutz-Verordnungsgebung Smith, Environmental Policy under Reagan's Executive Order, 1984; knapp Majone, Controlling Regulatory Bureaucracies, 1993, 13/14; Endres/Schwarze, in: Umweltschutz durch gesellschaftliche Selbststeuerung, 1993,49, 72173; Pünder, Exekutive Normsetzung, 1995,74175. Zu den Vorläufer EO's anderer Präsidenten und den Unterschieden zur EO 12291, Mashaw u.a., Administrative Law, 3. Aufl. 1992, 2411242. 53 Diese Behörde ist Teil des Executive Office ofthe President und wird als 'besonders wichtig' beschrieben, Brugger, Einführung in das öffentliche Recht der USA, 1993, 169/ l70m.w.N. 54 Die Wichtigkeit einer Verordnung wird nach ihren voraussichtlichen finanziellen Auswirkungen bestimmt; wenn diese 100 Millionen US $übersteigen, dann wird die Verordnung als major, bzw. nun als significant regulatory action qualifiziert. Die neue EO 12866 hat die Definition für eine significant regulatory action erheblich ausgeweitet, siehe Section 3 (f) (I) bis (4) der EO. In Kanada wurde im Federal Regulatory Plan 1994 eine ähnliche Klassifizierung benutzt; eine Verordnung wurde als major eingeordnet, wenn sie Kosten von über 50 Millionen $ auslösen würde oder große politische Bedeutung hatte. Diese Klassifizierung wurde im Federal Regulatory Plan 1995 nicht fortgeführt. 55 Dies war von der Rechtsprechung kurz zuvor schon für zulässig erklärt worden, Sierra Club v. Costle, 657 F. 2d 298 (D.C. Circ., 1981 ), dazu Hoberg, Pluralism by Design, 1992, 107.
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mittlungen hinsichtlich der Wirksamkeit fiir die Verordnungsgebung vorgeschrieben. Ziel war es, Verordnungen mit den geringsten Netto-Kosten fiir die Gesellschaft zu entwickeln.s6 Durch die EO 12498 vom 4. Januar 1985s7 wurde darüber hinaus ein jährlich von den Behörden zu erstellendes Regulatory Program gefordert, in dem die Verordnungsgebungsverfahren genannt werden sollten, die vorrangig bearbeitet wurden. Zweck der Reformen war, Überschneidungen und Widersprüche zwischen Verordnungen zu beseitigen und das Verständnis der Öffentlichkeit fiir neue Verordnungen zu erhöhen. Durch die von Präsident Clinton am 30. September 1993 erlassene EO 12866 (Regulatory Planning and Review)s8 wurden die EOs 12291 und 12498 aufgehoben. Gleichzeitig wurde ein neues Programm erlassen, wie das Verfahren der Verordnungsgebung zu reformieren sei, um es effiZienter zu gestalten. Es müssen weiterhin Kosten-Nutzen-Analysen fiir alle wichtigen Verordnungen erstellt werden (Section 1 (b) (6)) und alle derzeit geltenden Verordnungen sollen hinsichlieh ihrer Notwendigkeit überprüft werden (Section 5). Wenn sich inhaltlich überschneidende Regulierungen oder die Adressaten übermäßig belastende Verordnungen festgestellt werden, sollen diese aufgehoben oder entsprechend angepaßt werden. Die Unterabteilung Office of Information and Regulatory A.ffairs im OMB ist fiir die Überprüfung von Verordnungen verantwortlich (Section 2 (b), Section 6). Ziel der EO ist neben der Verwirklichung von Effektivitätsgesichtspunkten auch, das Verfahren fiir die Öffentlichkeit zugänglicher und transparenter zu machen (Section 6 (a) (1)). In einem Memorandumfor Heads of Departments and Agencies vom 4. März 1995 erläuterte Präsident Clinton seine Bestrebungen der Regulatory Re-Invention Initiative weiter. Er forderte speziell dazu auf, überflüssige Verordnungen aufzuheben, Angestellte auf der Basis von Ergebnissen und nicht fiir die Schaffung von bürokratischen Hindernissen (red tape) zu belohnen. Es seien Kontakte zur Öffentlichkeit auch in den Einzelstaaten zu suchen und Verordnungen auszuhandeln, statt diese zu diktieren.
s6 Zu den Zielen der EO 12291 DeMuth, in: Regulatory Reform Reconsidered, 1985, 21, 30; Harter, 71 Georgetown Law Journal (1982), 1, 109, meint, daß die Regulatory Input Analysis nur ein Ersatz sei fiir die Überlegungen und Abstimmungen, die Interessenten in einem Aushandlungsprozeß selber vornehmen würden. Zu den Zusammenhängen zwischen Kosten-Nutzen-Analysen und Beteiligungsverfahren siehe auch Thompson, Environmental Regulation in Canada, 1980,42/43. S7 50 Federal Register 1036 (1985). ss 58Federal Register 51735 (1993).
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2. Teil: Mitwirkung und Beteiligung
c) Umweltgesetze Außer den oben beschriebenen für alle Behörden geltenden Verfahren gibt es in den meisten Umweltgesetzen der USN9 spezielle Verfahrensvorschriften, die die Vorschriften des APA ergänzen und verschärfen. 60 Im Clean Air Act enthält vor allem § 307 Vorschriften, die es der Environmental Profeetion Agency (EPA) zur Pflicht machen, das Verfahren der Verordnungsgebung für die von ihr zu erlassenden Grenzwerte schriftlich zu dokumentieren. Diese Dokumentationspflicht hat u.a. die Aufgabe, die Nachprüfbarkeit in einem gerichtlichen Normenkontrollverfahren zu erleichtern. In der Akte zur Verordnung, dem sogenannten rulemaking docket, müssen 1. alle tatsächlichen Daten enthalten sein, auf die die Verordnung gestützt wird, 2. die Methoden erläutert werden, die genutzt wurden, um die Daten zu gewinnen und auszuwerten, und 3. sowohl die juristische Auslegung der Verordnung dargestellt werden, als auch die politischen Erwägungen offengelegt werden, die den Erlaß der geplanten Verordnung begründen.§ 307 des Clean Air Act dient auch dazu, die Normenkontrolle einzuschränken61 : sie ist zeitlich nur innerhalb von sechzig Tagen nach Veröffentlichung der Verordnung im Federal Register zulässig und in der Sache nur erfolgreich, wenn z.B. so schwerwiegende Verfahrensfehler bezüglich eines zentralen Punktes der Verordnung geschehen sind, daß eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür spricht, daß die Verordnung erheblich anders erlassen worden wäre, wenn der Fehler nicht unterlaufen wäre. Ähnliche Verfahrensvorschriften fmden sich auch in anderen US-amerikanischen Umweltschutzgesetzen.62
2. Von Mitwirkung und Beteiligung zum Negotiated Rulemaking Die Verfahren der Umweltschutz-Verordnungsgebung in den USA sind durch vielfaltige Mitwirkungspflichten und Beteiligungsmöglichkeiten gekenn-
59 Rehbinder/Stewart, Environmental Protection Policy, 1988, 111-113, zu den amerikanischen Regelungen zur Verhinderung von Luftverschmutzung, 115-120, zum Gewässerschutz; Darstellung speziell des Clean Air Act, Bohne, Politics and Markets in Environmental Protection, 1988, 15-28; zur Entstehungsgeschichte dieses Gesetzes Hoberg, Pluralism by Design, 1992,71-82. 60 Mashaw u.a., Administrative Law, 3. Aufl. 1992, 141 . 61 Dazu und zu vergleichbaren Vorschriften in anderen Umweltschutzgesetzen Boninel McGarity, The Law ofEnvironmental Protection, 1992,785. Zu§ 307 (d) Clean Air Act, Jarass, Natur und Recht, 1993, 49, 53. 62 Kurze Darstellung des Clean Water Act, des Resource Gonservalion and Recovery Act und des Taxie Substances Contra/Actin CEPA Office, Public Participation, 1994, 39-41; zu letzterem Gesetz auch Giebeler, Verfahren und Maßstäbe, 1991, 59-63; Schneider, Politiknetzwerke der Chemikalienkontrolle, 1988,209.
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zeichnet.63 In diesen Verfahren treffen die unterschiedlichen Ansichten über die Notwendigkeit einer Verordnung einerseits und ihre konkrete Ausgestaltung andererseits hart aufeinander. Häufig kommt es im Anschluß an das Verwaltungsverfahren zu einer gerichtlichen Überprüfimg der erlassenen Verordnung. 64 Dies wird durch § 706 APA erleichtert, der die Aufhebung einer Verordnung aufgrund von Fehlern im Verfahren des Erlasses regelt, und auch durch das in den USA geltende Recht zur Klagebefugnis von Verbänden, die öffentliche Interessen geltend machen.65 Vor Gericht kann auch über die Pflicht der Behörden, Umweltschutzstandards durch Verordnungen zu entwickeln, gestritten werden.66 Um die langwierigen gerichtlichen Auseinandersetzungen einzuschränken, ist in den USA seit Mitte der achtziger Jahre damit begonnen worden, die Methoden der sogenannten alternativen Streitbeilegung auch bei der Verordnungsgebung nutzbar zu machen. Nach umfangreicher Diskussion in der rechtswissenschaftliehen Literatur67 und Experimenten in der Praxis, bei denen die Environmenta/ Profeetion Agency eine Vorreiterrolle spielte,68 wurde 1990 der Negotiated Rulemaking Acf>9 erlassen, der das Aushandeln von Verordnungen zwischen den voraussichtlich von ihnen Betroffenen ermöglicht. Mit diesem zunächst bis zum 29. November 1996 befristeten Gesetz sind überwiegend 63 Darstellung der EPA Verfahren bei Mackenthum/Bregman, Environmental Regulations Handbook, 1992, 27; allgemein Mintz/Miller, A Guide to Federal Agency Rulemaking, 2. Aufl. 1991, 188-203. Z.B. hat auch die EG-Kommission Stellungnahmen in rulemaking Verfahren der EPA eingereicht, um dort die Interessen des gemeinsamen europäischen Marktes zu wahren, Schneider, Politiknetzwerke der Chemikalienkontrolle, 1988, 209. 64 Howlett, 97 Queen's Quarterly (1990), 580, 595, Fn. 3; Giebeler, Verfahren und Maßstäbe, 1991 , I 05: 80% der von der EPA erlassenen Verordnungen werden vor Gericht angegriffen. In 30% der Fälle fUhrt die Anfechtung der Standards zur Aufhebung, oft wird ein Standard sowohl von Seiten der Wirtschaft als auch von Seiten der Umweltschutzverhände angegriffen, Weale, The new politics of pollution, 1992, 176; Hoberg, Pluralism by Design, 1992, 104/105 und 199; Majone, Controlling Regulatory Bureaucracies, 1993, 18/19; Alexander, Federa1 Environmental Assessment and Regu1atory Reform, 1995, 103. 65 Rose-Ackerman, Umwe1trecht, 1995, 36-38. Zur Anwendung des§ 706 APA siehe Jarass, DÖV 1985,377, 386; Hartung, DÖV 1993,323,327-331. 66 Zu solchen citizen 's suits siehe Bonine/McGarity, The Law of Environmenta1 Protection, 1992, 797-815; generell zur Verrechtlichung des Verfahrens der Verordnungsgebung in den USA, Majone, Controlling Regu1atory Bureaucracies, 1993, 18/19. 67 Grundlegend Harter, 71 Georgetown Law Journal (1982), 1, 42-67, praktische Vorschläge 67-118; Überblick m.w.N. bei Alexander, Federal Environmental Assessment and Regulatory Reform, 1995, 86-103. 68 Von 1983 bis 1993 fanden 16 Verfahren des Aushandeins von Verordnungstexten statt, Da/ton, RECIEL 1993, 354, 355. 69 5 U. S. C. (1994 ed) Chapter 5, Subchapter III, §§ 561-570; dazu Mintz/Miller, A Guide to Federal Agency Rulemaking, 2. Aufl. 1991, 128-132.
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2. Teil: Mitwirkung und Beteiligung
positive Erfahrungen gemacht worden.70 Executive Order 12866 ermutigt in Section 6 (a) die Behörden, die Möglichkeiten des Aushandeins von Verord~ nungen zu nutzen.71 Der Weg, den Kongreß selbst in das Verfahren der Verordnungsgebung einzuschalten, wurde 1983 durch eine Entscheidung des Supreme Court verbaut. 72 Die Entscheidung erklärte das Mittel des legislativen Vetos, mit dem der Kongreß oder sogar nur das Repräsentantenhaus eine von der Verwaltung gesetzte Verordnung durch einfachen Beschluß wieder aufheben konnte, fiir verfassungswidrig. 3. Rezeption in Kanada
Wenn man das Verhältnis Kanadas zu den USA auf eine Kurzformel bringen will, dann sind die USA eher Gegenmodell als Vorbild.73 Man holt sich Amegungen, will sich aber vor allem von den USA auch abgrenzen.74 Im Gegensatz zu dem konfrontativen System der USA ist man in Kanada bestrebt, nach öffentlicher Beratung und durch Konsens zu entscheiden.75 Die Rezeption von 70 Da/ton, RECIEL 1993, 354, 358/359. Zu den Erfahrungen der EPA auch Alexander, Federal Environmenta1 Assessment and Regulatory Reform, 1995, 104-108. RoseAckerman, Umweltrecht, 1995, 199 und Weale, The new politics of pollution 1992, 176, meinen, daß noch keine verläßlichen Aussagen zur Wirksamkeit des Gesetzes vorliegen. Für den Versuch der Nachahmung in Deutschland spricht sich Hoffmann-Riem, AöR 115 (1990), 400, 437, aus. Die Geltung des Gesetzes wurde am 19. Oktober 1996 durch Section 11 des Administrative Dispute Resolution Act of 1996 verlängert. In einem weiteren Jahr sollen Vorschläge zum weiteren Verfahren diskutiert werden. 71 Da/ton, RECIEL 1993, 354, 355. Sie weist auch daraufhin, daß die Verfahren des Aushandeins nicht länger dauern als herkömmliche Verfahren der Verordnungsgebung, sogar wesentlich kürzer sind, wenn man die Zeit fllr ein sich anschließendes Gerichtsverfahren in die Berechnung einschließt, 358. Andrews, in: Environmental Policy in the 1990s, 1990, 167, 179, meint, daß das Aushandeln zwischen Betroffenen dem amerikanischen Verständnis entspricht. 72 Immigration and Naturalization Service (INS) v. Chadha, 462 U.S. 919 (1983), dazu No/te, AöR 118 (1993), 378, 390; Pünder, Exekutive Normsetzung, 1995, 153-155; zur Rechtslage vor der Entscheidung noch Dolzer, DÖV 1982, 578, 582. 73 Bothe, Kompetenzstruktur, 1977, 53; Schultze, Das politische System Kanadas im Strukturvergleich, 1985, 73; zur kanadischen Identität auch Lipset, Continental Divide, 1990, 42-56. 74 Doern!Conway, The Greening ofCanada, 1994, 130/131, sprechen von "Canada's inherent ambivalence about things American"; Ram, 15 New York Law School Journal of International and Comparative Law ( 1995), 279, 311: "element of cultural resistance"; vgl. Interview mit dem kanadischen Premierminister, Jean Chretien, ZEIT Nr. 42, 11. Oktober 1996, 14. 75 Nemetz, 26 Natural Resources Journal (1986), 551, 564;Adam, in: The RoJe ofEnvironmental Impact Assessment in the Decisionmaking Process, 1989, 119, 126; Page, in: Canadian Environmental Advisory Council, Review of Activities 1990/91 , 24, 25; Alexander, Federal Environmental Assessment and Regulatary Reform, 1995, 117 und 126. Ande-
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Anregungen aus den USA vollzieht sich zum einen im wissenschaftlichen Bereich, aber auch in den gemeinsamen Institutionen, die im Umweltschutz auf eine lange Tradition zurückblicken.76 a) Wissenschaftliche Rezeption Zwischen kanadischen und US-amerikanischen Hochschulen fmdet ein reger wissenschaftlicher Austausch auf allen Ebenen statt. Arbeiten, die kanadische und US-amerikanische Institutionen und Regelungen untersuchen und vergleichen, sind Legion.77 Der Einfluß des amerikanischen Rechts auf das kanadische ist ständig vorhanden.78 Gerade auf dem Gebiet des Umweltrechts sind in den siebziger Jahren die US-amerikanischen Gesetzgebungsintiativen - zum Beispiel der National Environmental Policy Act und der Michigan Environmental Protection Act in Kanada mit Neid zur Kenntnis genommen worden. Die amerikanischen Gesetze dienten daher als Vorbild für die spätere kanadische Umweltgesetzgebung.79 In den achtziger Jahren war eine ähnliche Tendenz in bezug auf die US-amerikanische Deregulierung zu beobachten.80 Auch hinsichtlich der Verordnungsgebung und der Normenkontrolle ist der ausländische Einfluß auf Kanada stark.81
rer Ansicht sind Valiante/Muldoon, in: Law and Process in Environmental Management, 1993, 142, die die unterschiedliche Nutzung der Gerichte zur Durchsetzung von Umweltschutz in den USA und Kanada nicht auf etwaige ,,kanadische Eigenheiten", sondern auf fehlende rechtliche Möglichkeiten in Kanada zurückfUhren; ähnlich Elgie, in: Law and Process in Environmental Management, 1993, 196,215, der meint, daß nach der erfolgten Änderung der Rechtsprechung des Supreme Court zur Umweltverträglichkeitsprüfung mehr' environmentallitigation' zu erwarten ist. Differenzierend zu dieser FrageHoberg, 11 Journal ofPublic Policy ( 1991 ), 107, 125; ders., in: Governing Canada, 1992, 307, 33 7. 76 Hoberg, ll Journal ofPublic Policy (1991), 107, 110/lll, unterteilt die Formen der Rezeption in 'economic dominance' und 'emulation'; letztere wiederum bewirkt durch 'media dominance', 'scientific dominance' und 'transnational policy communities'. 77 Vergleich der Ergebnisse kanadischer und US-amerikanischer Umweltregelungen Hoberg, 11 Journal ofPublic Policy (1991), 107-131; ders., in: Canadian Environmental Policy, 1992, 246. 78 Speziell für das Verwaltungsrecht Bryden, 16 Queen's Law Journal (1991), 7, 8/9 und 22, der aber auch auf den Unterschied zwischen Einfluß und Beherrschung (influence and domination) verweist. 79 Sewell/O'Riordan, 16 Natural Resources Journal (1976), l, 4-6; Howlett, 97 Queen's Quarterly (1990), 580,596, Fn. 5; CEPA Office, Public Participation, 1994,55. 80 Siehe z.B. Stanbury/Thompson, 20 Osgoode Hall Law Journal (1982), 678-720. 81 Da es in Kanada nur wenige diesbezügliche Gerichtsentscheidungen gab, habe man sich stark an ausländischem (vor allem Commonwealth-)Recht orientiert, Holland/McGowan, Delegated Legislation in Canada, 1989, 169.
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2. Teil: Mitwirkung und Beteiligung
Dabei fehlt es aber kanadischen Autoren nicht an der notwendigen Distanz zum US-amerikanischen System, das wegen seiner Gerichtslastigkeit gerade auf dem Gebiet der Verordnungsgebung eindeutig Schwächen hat. 82 Auch in der US-amerikanischen Literatur wird zum Teil eingeräumt, daß das derzeitige System für die Verordnungsgebung im Umweltschutzbereich nicht optimal ist. Es wird als zu fragmentiert beschrieben und die kanadischen und europäischen Programme werden gelobt.83 b) Gemeinsame Institutionen Ein zweiter Weg der Rezeption von Formen der Beteiligung sind die gemeinsamen Institutionen Kanadas und der USA.84 Das wohl älteste Beispiel einer gemeinsamen Institution im Umweltbereich ist die Canada- United States International Joint Commission. 85 Sie wurde schon durch den am 11. Januar 1909 geschlossenen .,Washington Treaty Relating to Boundary Waters and Questions Arising Along the Boundary between the United States and Canada"86 errichtet. Der Grenzvertrag untersagt es in seinem Artikel4, die Grenzgewässer so zu verschmutzen, daß Schaden für die jeweils andere Seite entsteht. Die am 2. Februar 1912 angenomme und am 2. Dezember 1964 überarbeitete Geschäftsordnung der Joint Commission 87 sieht in Section 5 (2) die Zulassung der Öffentlichkeit zu ihren Sitzungen vor und listet in Sections 11 (1) und (2) die Dokumente auf, die olme weitere Genehmigungsentscheidung öffentlich zugänglich sind. Section 15 der Geschäftsordnung enthält die Verpflichtung, alle von der Joint Commission beabsichtigten Maßnahmen in der Canada Gazette und dem Federa/ Register und auch in je einer Tageszeitung des von der Maßnahme betroffenen Gebietes anzukündigen. Die von der Joint Commission
82 Bryden, 16 Queen's Law Journal (1991), 7, 14 m.w.N.; Munton!Castle, in: Canadian Environmental Policy, 1992,203,217 m.w.N. 83 Daneke, in: Regulatory Reform Reconsidered, 1985, 83, 90/91; Harrison, 14 Journal of Policy Analysis and Management (1995), 221, 2211222; zu neuen, in der USamerikanischen Literatur diskutierten Reformplänen flir die Verfahren der Verordnungsgebung Pünder, Exekutive Normsetzung, 1995,291-293. 84 Übersicht von bi-nationalen Gremien außerhalb des Rahmens der International Joint Commission in Hughes u.a.(Hg.), Environmental Law and Policy, 1993, 543 und bei Semrau, in: The Nation State versus Continental Integration, 1991, 315, 316-319. 85 Zu ihrer Rolle speziell mit Bezug zu öffentlicher Beteiligung, Schatzow, in: Public Participation in Planning, 1977, 141, 147; generell Doern!Conway, The Greening of Canada, 1994, 127; Semrau, in: The Nation State versus Continental Integration, 1991, 315,319-322. 86 Vertrag abgedruckt in Weiss u.a., International Environmental Law, 1992,412-419. 87 Information Canada, International Joint Commission - United States and Canada Rules ofProcedure and Text ofTreaty, 1971 .
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durchgeführten Anhörungen sind öffentlich (Section 23 (4)) und jede interessierte Person hat ein Recht auf Anhörung durch die Kommission (Section 20). In den Jahren 1918 und 1951 berichtete die Joint Commission über die Umweltverschmutzung in den Great Lakes (Großen Seen)88• Weitere Berichte- jeweils nach öffentlichen Anhörungen erstellt- aus den Jahren 1969/1970 führten zur Ergreifung spezieller Schutzmaßnahmen fiir die Seen.89 Durch das 1972 geschlossene Great Lakes Water Quality Agreement (1978 neu verhandelt und 1987 nochmals leicht geändert) bekam die Joint Commission neue Aufgaben übertragen und die Befugnis, durch mehrere Institutionen (Wafer Quality Board, Regional Office) die Wasserqualität der Seen zu sichern.90 Die öffentliche Präsentation und Diskussion der von den gemeinsamen Institutionen erarbeiteten Berichte, auch im Rahmen der Abänderung der Verträge, ist ein selbstverständliches Charakteristikum der Arbeitsweise aller Gremien der Joint Commission. 91 Auch das am 13. März 1991 zwischen Kanada und den USA abgeschlossene "Regierungsabkommen über Luftreinhaltung" (Air Quality Agreement)92, durch das vor allem das Problem des "Sauren Regens" gelöst werden soll, verweist zur Beilegung von Streitigkeiten auf die fiir die International Joint Commission festgelegten Mechanismen. Allerdings werden inzwischen wohl die meisten umweltschutzrechtlichen Streitigkeiten zwischen Kanada und den USA auf Ministerialebene gelöst, ohne die bi-nationalen Gremien zu nutzen.93 Die fiir die grenzüberschreitenden Probleme zuständigen Mitarbeiter des Ministeriums haben alle einen counterpart in der EPA und mit ihnen oft täglich Kontakt. 94
88 Zu den Großen Seen gehören Lake Superior, Lake Michigan, Lake Huron, Lake Erie und Lake Ontario. 89 Munton/Castle, in: Canadian Environmental Policy, 1992, 203, 204. 90 Texte der Verträge und Anmerkungen in Weiss u.a., International Environmental Law, 1992, 419-433. Zur Vorgeschichte und Umsetzung Munton/Castle, in: Canadian Environmental Policy, 1992, 203, 205-212; Doern/Conway, The Greening of Canada, 1994, 128/129. Zu Anhörungen vor der International Joint Commission, Grima, in: Public Involvement and Social Impact Assessment, 1983, 111, 113 und 117. 91 Vgl. OECD, Reducing Environmental Pollution, 1994, 29. 92 Das Abkommen ist abgedruckt in Weiss u.a., International Environmental Law, 1992, 263-274. AusfUhrlieh zur Vorgeschichte dieses Abkommens Munton/Castle, in: Canadian Environmental Policy, 1992, 203, 212-222. Berichte werden von den gemeinsamen Gremien erst nach public participation erstellt, Environment Canada, CEPA Report March 1994-April1995, 33. 93 Doern!Conway, The Greening ofCanada, 1994, 130 sprechen von 90%. Zum Weg der bi-nationalen Kontakte als Methode der Übernahme von Regelungen der USA, Bennett, 11 Journal ofPublic Policy (1991), 31, 50. 94 Doern!Conway, The Greening ofCanada, 1994, 130.
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2. Teil: Mitwirkung und Beteiligung
Im Zusammenhang mit dem Abschluß des Freihandelsabkommens (North American Free Trade Agreement, NAFTA) mit den USA und Mexiko,95 wurde in einer weiteren Vereinbarung (North American Agreement on Environmental Cooperation) die Einrichtung gemeinsamer Institutionen zur gegenseitigen Beratung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Umweltschutzes beschlossen. 96 Kanada hatte schon während der Verhandlungen durch einen speziellen Ausschuß darauf hingewirkt, daß Umweltschutzbelange im Rahmen von NAFTA berücksichtigt werden.97
4. Ergebnis Generell beobachtet Kanada die Entwicklungen in den USA aufinerksam und ist bemüht, Ergänzungen des eigenen Systems vorzunehmen, wenn es den eigenen Zielen entspricht.98 Durch die wirtschaftlichen Gegebenheiten (Verflechtung) wird auch sehr direkter Druck auf Anpassung der kanadischen Regeln an die OS-amerikanischen ausgeübt. 99 Auf dem Gebiet des Verwaltungsrechts hat dieser Druck, insoweit es die Verordnungsgebung betrifft, aber keineswegs zu einer Übernahme geführt. Kanada ist bestrebt, das Verfahren der Verordnungsgebung rechtlich nicht zu sehr zu formalisieren. Man befiirchtet, daß dies sonst wie in den USA dazu fiihren könnte, daß die Verfahren in großer Anzahl von den Gerichten überprüft würden. So setzt Kanada auf ein flexibles und größtenteils informales System der Zusammenarbeit mit allen an der Verordnungsgebung Interessierten. Verfahrensregeln sind oft nicht gesetzlich normiert, sondern haben sich aus Selbstverpflichtungen und der gemeinsamen Übung histo-
95 Canada - Mexico - United States: North American Free Trade Agreement, 32 I.L.M. 289 (1993). 96 Canada- Mexico- United States: North American Agreement on Environmental Cooperation, 32 I.L.M. 1480 (1993); zu den Institutionen Doern/Conway, The Greening of Canada, 1994, 145/146. Kloepfer/Mast, Das Umweltrecht des Auslandes, 1994, 242 weisen daraufhin, daß es durch NAFTA zu Konkurrenzproblemen wegen unterschiedlicher Umweltschutzanforderungen kommen könnte. 97 Einzelheiten in Government of Canada, North American Free Trade Agreement Canadian Environmental Review, 1992. 98 Hoberg, 11, Journal ofPublic Policy (1991), 107, 109; im Zusammenhang mit der Einführung der Umweltverträglichkeitsprüfung Schrecker, in: Canadian Environmental Policy, 1992, 83, 95/96; für den Access to Information Act Bennett, 11 Journal ofPublic Policy (1991), 31-54; für das Verwaltungsrecht allgemein Bryden, 16 Queen's Law Journal (1991), 7, 14 und 22/23. 99 Stanbury/Thompson, 20 Osgoode Hall Law Journal (1982), 678, 706; konkretes Beispiel einer Verordnung im Automobilbereich Anderson, in: Government Regulation, 1980, 151, 162, Fn. 45; Hoberg, 11 Journal ofPub1ic Policy (1991), passim, gibt Beispiele aus einzelnen Umwe1trechtsbereichen.
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risch entwickelt. Es gibt keine kanadischen Gerichtsurteile, die das Verfahren der Verordnungsgebung auf Bundesebene zum Gegenstand hatten. 100 Auf Betreiben der Regierung werden offene, repräsentativ besetzte Gremien gegründet, denen Einfluß auf vielen Ebenen der Verwaltung eingeräumt werden, und auch die generelle Beteiligung der \Öffentlichkeit wird kontinuierlich fortgefiihrt. 101 Diese Entwicklung vollzieht sich bislang unabhängig von der jeweiligen politischen Couleur der Bundesregierung. lll. Exekutivmitwirkung Erschwert wird die Erstellung einer wissenschaftlichen Arbeit über kanadische Regierungsinstitutionen durch das Phänomen der fast kontinuierlichen Reform und Um-Organisation von Institutionen in Kanada. 102 Es werden nicht nur neue Ministerien gegründet, 103 die Zuständigkeiten der bestehenden Bundesministerien verschoben, 104 sondern auch das öffentliche Dienstrecht,105 die 100 Verrechtlichungstendenzen sind in Kanada aber deutlich auf dem Gebiet der Umweltverträglichkeitsprüfunng (UVP) zu finden, dazu Hoberg, in: Goveming Canada, 1993, 307, 323-334; Gardner, Federal Intergovemmental Co-operation on Environmental Management, 1994, 28/29. Eine UVP wurde in Kanada von Dezember 1973 bis 1992 aufgrundvon auf Section 5 (a) (ii) und Section 6 des Department ofthe Environment Act gestützte Guidelines, die vom Kabinett genehmigt waren, durchgeflihrt. Auslösendes Moment flir eine Kodifizierung waren die Entscheidung des Federal Court, Canadian Wildlife Federation Inc. v. Canada (Minister of Environment), [1989] 3 C.E.L.R. 287 (F.C.T.D.); affirmed [1990] 4 C.E.L.R. 1 (F.C.A.), und die Entscheidung des Supreme Court, Friends ofthe Oldman River Society v. Canada (Minister ofTransport [1992] 1 S.C.R. 3. Die Urteile sahen die Guidelines als quasi gesetzlich bindend für die Bundesverwaltung an. Nun ist das Verfahren insgesamt durch den Canadian Environmental Assessment Act auf eine gesetzliche Grundlage gestellt, Doern/Conway, The Greening of Canada, 1994, 190-210. 101 Der Einschätzung von Kloepfer/Mast, Das Umweltrecht des Auslandes, 1994, 245, daß die Einflußnahme der Öffentlichkeit in Umweltschutzfragen in Kanada noch vergleichsweise gering zu veranschlagen ist, kann deswegen nicht gefolgt werden; das dort zum Beleg für diese Aussage zitierte Werk stammt aus dem Jahre 1988. Gegen eine solche Einschätzung auch schon damals Webb, Pollution Control in Canada, 1988, 55 und Hoberg, in: Goveming Canada, 1993, 307, 309. 102 Hoberg, in: Goveming Canada, 1993, 307, 310. 103 1993 wurde das Heritage Ministerium gegründet (Department ofCommunications and Department of Multiculturalism and Citizenship), Toner, in: How Ottawa Spends 1994-95, 1994, 229, 251, nennt es eine 'structural anomaly'. 1996 erfolgte die Gründung des lntergovernmental Affairs Ministeriums. 104 Zu Veränderungen der Zuständigkeiten des Umweltministeriums Doern/Conway, The Greening ofCanada, 1994,22-37 im Kapitel mit dem Titel "DOE- A 'House Divided"'; vgl. Leiss, in: Policy Frameworks, 1996, 121 , 140; die Darstellung von Müller, in: HdUR, 2. Aufl. 1994, Sp. 1227, 1228/1229, ist schon nicht mehr auf dem neuesten Stand. 9 Fl1lllkenberger
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parlamentarische Geschäftsordnung, 106 und das Verwaltungsverfahren107 häufig geändert. Die Darstellung in dieser Arbeit bezieht sich auf den Stand bis einschließlich Mai 1996. 1. Intra-ministeriell Das kanadische Bundesumweltministerium (Department ofthe Environment, DOE) gliedert sich zum einen in die Zentrale in Ottawa und die fiinf Außenstellen in den Provinzen. 108 Die Zentrale ist in fiinf Hauptabteilungen unterteilt, von denen sich eine mit der Selbstverwaltung beschäftigt (Corporate Services). Von den restlichen Hauptabteilungen, die jeweils von einem Assistant Deputy Minister geleitet werden, ist die Hauptabteilung Policy and Communication mit ministeriumsübergreifender Planung und Koordination betraut, während die anderen drei - Environmental Conservation Service, Environmental Profeetion Service und Atmospheric Environment Service-, auch als Programm-Einheiten (program branches) bezeichnet werden. Zur Hauptabteilung Environmental Conservation gehören die Unterabteilungen zur Erstellung des Umweltberichts (State of the Environment), Artenvielfalt (Biodiverisity), Ecosystem Conservation und der Canadian Wildlife Service. Die Hauptabteilung Atmospheric Environment untergliedert sich in fiinf Unterabteilungen der Wettervorhersage und Klimaforschung.109 Die wichtigste Hauptabteilung für die Erstellung von Verordnungen ist derEnvironmental Profeetion Service, der sechs Unterabteilungen zugeordnet sind. 110 Die Unterabteilungen National Programs, Pollution Prevention, Technology
105 0 'Neal, Reorganizing Govemment: New Approaches to Public Service Reform, 1994, I, 2. 106 Stilborn, House of Commons Procedure: lts Reform, 1994, speziell 3-10. 107 Dasneueste Projekt ist die oben, 1. Teil, C. II. 2. b), schon erwähnte Vorbereitung einesAdministrative HearingsPowersand Procedures Act im Justizministerium. 108 Für Ontario besteht die Außenstelle in Toronto, für die atlantischen Provinzen in Dartmouth (Nova Scotia), für Quebec in Quebec City, für die Prärie Provinzen und die North-West Territories in Edmonton (Alberta) und für die Pazifikregion und den Yukon in Vancouver (British Columbia). Einen Überblick über die Tätigkeiten der Außenstellen geben Environment Canada, CEPA Report April 1993-March 1994, 45-49; Environment Canada, CEPA Report April 1994-March 1995, 47-52. Zum Aufbau des Ministeriums auch Spreng, Umweltrecht in Kanada, 1988, 139/140. 109 Einen Überblick über die Tätigkeiten des Atmospheric Environment Service und des Gonservalion and Protection Service geben die Jahresberichte des Ministeriums, z.B. Environment Canada, Annual Report 1988-1989, 4-11, Environment Canada, Annual Report 1989-1990, 5-14. 110 Doern/Conway, The Greening of Canada, 1994, 31132.
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Development und CEPA sind direkt mit Verfahren der Verordnungsgebung befaßt. Neben den politisch-programmatisch arbeitenden Einheiten der Haupteinheit gehören auch rein naturwissenschaftliche Einheiten und Forschungsgruppen zum DOE. Es gibt insgesamt acht dem DOE unterstehende wissenschaftliche National Institutes, von denen sich fiinf in der Provinz Ontario befmden, 111 zwei in Quebec 112 und eines in Saskatchewan. 113 Diese Institute befassen sich mit medienübergreifenden Umweltproblemen. Daneben gibt es weitere Forschungsstätten des Ministeriums fiir Einzelprobleme und fiir die Sammlung von Daten. 114 Diese Einheiten übernehmen auch praktische Vollzugsaufgaben, werden also z.B. bei der Reinigung von verschmutztem Wasser oder Boden nach Unfällen tätig. Auf die Bedeutung der wissenschaftlichen Forschung soll demnächst im Einleitungsteil von CEPA ausdrücklich hingewiesen werden. 115 Die Ergebnisse der Forschungsinstitute werden in Berichten veröffentlicht und sind die Basis fiir jede Verordnungsgebung. Zur Vorbereitung des Strategie Options Process, einem neuen Verfahren zur Verordnungsgebung, 116 wurden z.B. detaillierte Berichte fiir jede Chemikalie vorgelegt, die gemäß Section 11 (a) bis (c) CEPA fiir giftig erklärt worden war. Zur Vermittlung der naturwissenschaftlichen Arbeit des Ministeriums gibt der Berater fiir wissenschaftliche Angelegenheiten (Office of the Science Advisor) öffentliche Berichte117 heraus und berät die Spitze des Ministeriums darüber hinaus bei Entscheidungen, die die Forschungsinstitute betreffen. Welche Abteilungen des Ministeriums genau an der Verordnungsgebung mitwirken, entscheidet sich nach dem Sachgebiet der Verordnung. Die Zusammenarbeit geschieht dann in innerministeriellen Arbeitsgruppen, die nach Bedarf gegründet und zusammengesetzt werden. Entscheidungen werden durch briefing notes fiir den Minister vorbereitet. Wenn eine Regierungsentscheidung 111 Das National Water Research Institute, das Wastewater Technology Centre, das Atmospheric Research Directorate, das Canadian Climate Centre und das River Road Environmental Technology Centre. Zu deren Tätigkeiten siehe Environment Canada, CEPA Report March 1994-April 1995, 8-11. 112 Das National Wildlife Research Centre und das Centre Saint-Laurent. 113 National Hydrology Research Institute. 114 Environment Canada, Environmental Science & Technology - An Overview, 1993, 3 listet weitere 29 Laboratories auf. Generell zur Bedeutung und Funktion von Wissenschaft im Ministerium, Doern/Conway, The Greening of Canada, 1994, 74-78. 115 CEPA Review, The Govemment Response, 1995, Nr. 1.6., 15. 116 Darstellung des Verfahrens siehe unten, IV. 3. 117 Environment Canada, Environmental Science & Technology - An Overview, 1993, enthält z.B. eine Darstellung der Arbeit und Erfolge der Forschungsinstitute des Ministeriums.
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eingeholt werden muß, wie dies fiir die Verordnungsgebung notwendig ist, dann müssen die Vorarbeiten in das Format des Cabinet Memorandum gebracht werden. 118 Innerministerielle Konflikte sollen durch Abstimmung und Diskussion gelöst worden sein, bevor ein Memorandum to Cabinet dem Minister vorgelegt wird. Der Vorschlag eines Verordnungsentwurfs kann bis zu dreimal dem Kabinett unterbreitet werden: zunächst, um die generelle Zustimmung der Regierung einzuholen, dann zur Unterbreitung der ersten konkreten Regelungsvorschläge und letztlich fiir die Entscheidung über den erarbeiteten Verordnungsentwurf.119 Falls eine Abteilung des Ministeriums nicht am Verordnungsentwurf mitwirken konnte, bietet das Verfahren der Vorveröffentlichung Gelegenheit, zumindest dann eine Stellungnahme abzugeben. Solche Stellungnahmen von Abteilungen des DOE zu vorveröffentlichten Verordnungen anderer Abteilungen des Ministeriums sind in der Praxis recht häufig. 120
2. Inter-ministeriell Da Umweltschutz eine Querschnittaufgabe ist, betrifft ein spezielles Umweltproblem häufig den Zuständigkeitsbereich mehrerer Ministerien. Um die Entscheidungen auch im Bereich der Verordnungsgebung zu koordinieren, gibt es diverse inter-ministerielle Ausschüsse, die sich mit Einzelfragen befassen. Obwohl es in Kanada wegen des Mehrheitswahlsystems nur äußerst selten zu einer Koalitionsregierung kommt, unterscheiden sich die Bundesministerien erheblich nach den in ihnen vorherrschenden Auffassungen und bevorzugten Klientelgruppen, so daß es zwischen ihnen zu starken Auseinandersetzungen kommen kann. 121 Insbesondere mit der Abteilung Northem Affairs Program des Ministeriums fiir Belange der Ureinwohner und der Entwicklung des Nordens (Department of Indian Affairs and Northem Development, DIAND) hat das DOE eine Reihe
118 Zu Aufbau und Gestaltung dieses Dokumentes Doerr, The Machinery of Govemment in Canada, 1981, 93; knapp Minister ofJustice, The Federal Legislative Process in Canada, 2. Aufl. 1989, 9; Bregha u.a., The Integration ofEnvironmental Considerations into Govemment Policy, 1990, 16. 119 Doerr, The Machinery ofGovemment in Canada, 1981, 94. 120 Der Verfasserio ist dies konkret fiir die Verordnung über die CEPA Boards ofReview Ru/es bekannt, nach deren Vorveröffentlichung in der Canada Gazette Part I vom 18. Dezember 1992,3899-3907, nur Stellungnahmen anderer Abteilungen des Umweltministeriums eingingen. 121 Im Frühjahr 1995 stritten z.B. Environment Canada und Agriculture Canada erbittert über die Reichweite einer geplanten Verordnung zur Regelung gentechnischer Produkte, Leiss, in: Policy Frameworks, 1996, 121, 123, Fn. 4.
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von inhaltlichen Auseinandersetzungen gehabt. Die ökonomische Entwicklung des Nordens und die ökologische Bewahrung dieser Region sind nicht einfach in Einklang zu bringen.122 Auch mit dem Ministerium für Energie und Naturrohstoffe (Energy, Minesand Ressources, EMR) gab es zeitweise Probleme, weil an den von EMR geförderten Großprojekten zur Energieversorgung Kritik aus der Perspektive des Umweltschutzes nicht erwünscht war. 1986 wurde allerdings mit dem offenen BP.teiligungsverfahren des Energy Options Process im Energieministerium quasi ein Vorläufer des Strategie Options Process erprobt. 123 Die genaue Zahl von inter-ministeriellen Ausschüssen läßt sich nicht defmitiv ermitteln, da diese häufig ad hoc gegründet und wieder aufgelöst werden und auch auf allen Ebenen der Hierarchie des Ministeriums bestehen. 124 Im Jahre 1991 bestanden Ausschüsse fiir Wasser, giftige Substanzen, Tiefseeangelegenheiten125 und Pflanzenschutzmittei.l26 Im Falle einer nur temporären Zusammenarbeit zum Zweck der Erstellung einer Überblicksstudie bekommen diese Gremien häufig den Namen Task Force. 127 Zu den Aufgaben von interministeriellen Ausschüssen und Arbeitsgruppen gehört es, Programme und Pläne zu initiieren, über sie zu beraten und zu verhandeln, aber auch die Beurteilung der Implementation und Überwachung können eingeschlossen sein. 128 In Übereinstirnung mit der wechselhaften Entwicklung der Betroffenheit von Umweltschutzbelangen (rise- fall- rise), schwankte die Bedeutung der interministeriellen Koordination im Umweltbereich. Zu Beginn der neunziger Jahre, als das Umweltministerium wieder zu einem der wichtigeren Ministerien in Ottawa geworden war, 129 nahmen beispielsweise an Treffen für die Assistant 122 Zu diesen Auseinandersetzungen in den siebziger Jahren Doern/Conway, The Greening ofCanada, 1994, 67/68. 123 Zu dem Verhältnis zwischen DOE und EMR siehe Doern!Conway, The Greening ofCanada, 1994,68-71. Der Energy Options Process wird bei Bregha u.a., The Integration of Environmental Considerations into Govemment Policy, 1990, 21, als Beispiel flir ein Multi-Stakeholder Verfahren genannt, das einen einstimmig beschlossenen Abschlußbericht vorlegte. 124 Doerr, The Machinery ofGovernment in Canada, 1981 , 138/139; Kloepfer/Mast, Das Umweltrecht des Auslandes, 1994, 244. 125 Filyk/Cote, in: Canadian Environmental Policy, 1992, 60, 64, ausführlich zu einem Ausschuß flir Wasserschutz, 72-80. 126 Environment Canada, Towards a Toxic Substances Policy for Canada, 1994, I 0, dem Interdepartemental Executive Committee on Pest Control gehörten Vertreter der Ministerien Agriculture and Agri Food Canada, Environment Canada, Health Canada und Natural Resources Canada an. 127 Doerr, The Machinery ofGovernment in Canada, 1981, 142. 128 Doerr, The Machinery ofGovernment in Canada, 1981, 139-142. 129 Bis zur Kabinettsumbildung Ende Januar 1996 war die stellvertretende Premierministerin Sheila Copps Umweltrninisterin; sie wechselte ins Heritage Department.
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2. Teil: Mitwirkung und Beteiligung
Deputy Ministers Vertreter von bis zu sechsundzwanzig verschiedenen Ministerien bzw. Behörden teil. 130 Es ist das Ziel der Regierung, Umweltschutzaspekte in die Entscheidungen aller Regierungsbereiche zu integrieren. Angelegenheiten der Verordnungsgebung sind zudem ein besonderer Arbeitsschwerpunkt der kanadischen Regierung. Unter Federführung des fiir Regulatory Affairs zuständigen Treasury Board besteht ein inter-ministerieller Ausschuß (Regulatory Best Practices Committee), der sich speziell mit möglichen Verbesserungen auf dem Gebiet der Verordnungsgebung befaßt. Dazu sollen vor allem die Mitarbeiter der Ministerien auf dem Gebiet der untergesetzlichen Normsetzung aus- und weitergebildet werden. Es werden Schulungen in den einzelnen Ministerien, aber auch inter-ministerielle Workshops abgehalten, um das gegenseitige Lernen zu ermöglichen. Das Treasury Board gibt des weiteren Materialien heraus, in denen Modelle fiir gelungene Verordnungsgebung zum Zwecke der Nachahmung geschildert werden. 131 Die Durchfiihrung der inter-ministeriellen Abstimmung wird von den Juristen der Privy Council Section des Department of Justice im Rahmen ihrer Rechtsförmlichkeitspriifung griindlich überpriift, insbesondere dann, wetin mehrere Ministerien fiir den Erlaß der Verordnung zuständig sind (im Falle von CEPA regelmäßig Health Canada und Environment Canada). Die Art und Weise der Zusammenarbeit und Abstimmung muß im Regulatory Impact Analysis Statement dargestellt werden und wird so der Öffentlichkeit bekanntgegeben. 3. Provinzen Das System des kanadischen Föderalismus wird meist als "kooperativer"132 aber auch als "exekutiver"133 Föderalismus beschrieben, weil die jeweiligen Provinzregierungen mit der Bundesregierung über die Modalitäten der Zusammenarbeit verhandeln. Die Bedeutung des Verhältnisses von Bund und Provin-
in: Canadian Environmental Policy, 1992, 24, 26 und 39. Ale.xander, Federal Environmental Assessment and Regulatory Reform, 1995, 31; siehe auch Treasury Board ofCanada, The Federal Regulatory Process, 1991 und dies., How Regulators Regulate, 1992. 132 Hogg, Constitutional Law ofCanada, 3. Aufl. 1992, 131 m.w.N.; Hohe, Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart 42 (1994), 595, 603. 133 Chapin/Deneau, Citizen Involvement, 1978, 7-9; Doerr, The Machinery of Govemment in Canada, 1981, 1741175; Hogg, Constitutional Law of Canada, 3. Aufl. 1992, 132; Gardner, Federal Intergovemmental Co-operation on Environmental Management, 1994, 7. 130 Brown,
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zen und ihre gegenseitigen Abhängigkeiten sind für die kanadische Politik als "axiomatisch" beschrieben worden. 134 Als das DOE am Ende der achtziger Jahre mit den neuen Formen der Beteiligungsverfahren experimentierte, wurden die Provinzen dabei häufig als ein Stakeholder unter vielen betrachtet und behandelt. Dies rief den energischen Protest der Provinzen hervor. 13s Allerdings gestaltet sich die Abstimmung zwischen Bund und Provinzen wegen der unklaren verfassungsrechtlichen Zuständigkeitsregelung auf dem Gebiet des Umweltschutzes zum einen und der generellen Unsicherheit über den Fortbestand der Einheit Kanadas zum anderen als sehr schwierig. 136 In zahlreichen Treffen zwischen den Angehörigen der Regierungen oder den jeweiligen Verwaltungsbeamten wird versucht, den Bereich auszuloten, auf dem Kooperation möglich ist. 137 Auf dem Gebiet des Umweltschutzes geschieht die politische Abstimmung in der Versammlung der Umweltminister und deren Unterbau. Zusätzlich ist durch CEPA ein spezielles Gremium der Bund-Provinz Kooperation eingerichtet worden. a) Canadian Council ofMinisters ofthe Environment Ab 1964 diente das Canadian Council ofResource Ministers, das 1971 um die Umweltminister erweitert wurde, der politischen Koordination zwischen den Provinzen und dem Bund. 138 Seit 1988 heißt das Gremium Canadian Council of Ministers ofthe Environment (CCME). (I) Zusammensetzung und Arbeitsweise Dem CCME gehören der Bundesumweltminister und die Umweltminister aller Provinzen als Mitglieder an. Die Umweltminister der zwei Territorien haben nur Beobachterstatus, nehmen aber an den Diskussionen gleichberechtigt teil. 139 Der Vorsitz des CCME rotiert unter den Mitgliedern. Seit 1989 arbeitet ein ständiges Sekretariat mit Sitz in Winnipeg dem Gremium zu. Die Kosten des CCME trägt 134 Doern, in: Canada at Risk, 1991, 100, 105. Darstellung einzelner Aspekte bei Bothe, Kompetenzstruktur, 1977,51-55,76-79, 98-100 und 263-267. 13S Doern/Conway, The Greening ofCanada, 1994,93/94. 136 Doerr, The Machinery of Govemment in Canada, 1981, 180-185. 137 Hohe, Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart 42 (1994), 595, 603. Heard, Canadian Constituional Conventions, 1991, ll 0, zählt 254 Ministertreffen zwischen 1973 und 1983 und mindestens 417 Treffen zwischen Beamten aller Ministerien. Robertson, in: Perspectives on Canadian Federalism, 1988, 224, 245, erwähnt, daß pro Jahr ungefähr 500 Treffen von Ministern oder Beamten aus Bund und Provinzen stattfinden. 138 Zu den Anstrengungen dieses Gremiums, die allgemeine Öffentlichkeit in ihre Arbeit miteinzubeziehen Schatzow, in: Public Participation in Planning, 1977, 141, 144/145. 139 Skogstad/Kopas, in: Canadian Environmental Po1icy, 1992,43,48/49.
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2. Teil: Mitwirkung und Beteiligung
der Bund zu einem Drittel. Die Provinzen übernehmen die anderen zwei Drittel der Kosten, aufgeteilt nach ihrer jeweiligen Bevölkerungszahl. 140 Die föderale Zusammenarbeit im CCME hat sich nach und nach intensiviert und verbessert. Die Minister treffen sich inzwischen mehrmals im Jahr, die Deputy Ministers bis zu fünfmal jährlich und andere Verwaltungsbeamte kommen sogar noch häufiger zu Sitzungen zusammen. 141 Die Zusammenarbeit im CCME hat keine konkrete Rechtsgrundlage, 142 sondern muß letztlich als politische Kooperation bewertet werden. Es werden Informationen ausgetauscht, Angelegenheiten des Umweltschutzes debattiert qnd Initiativen der BundProvinz-Zusammenarbeit beschlossen. So rief das CCME zum Beispiel aus Anlaß eines Besuches der World Commission on Environment and Development (später vor allem BrundtlandKommission genannt) in Kanada eine kanadische Task Force on Environment and Economy ins Leben. 143 Der Abschlußbericht dieser Task Force war dann wiederum Auslöser für die Gründung von Round Tab/es on the Environment and the Economy. 144 (2) Aufgaben und Einfluß auf die Verordnungsgebung Ziel der Absprachen im CCME ist es, die gesetzlichen UmweltschutzAnforderungen in den Provinzen und im Bund zu vereinheitlichen. Dazu werden in den das CCME beratenden Arbeitsgruppen145 oder in dessen Auftrag Technische Anleitungen und Richtlinien (Codes of Practice, Guidelines)- oft
140 Skogstad/Kopas, in: Canadian Environmental Policy, 1992,43,49. 1988/1989 betrug die Förderungssumme des Bundes $ 117.000, Environment Canada, Annual Report 19881989, 29, und 1989/1990 wurden$ 174.000 aufgewendet, Environment Canada, Annual Report 1989-1990,41. 141 Skogstad!Kopas, in: Canadian Environmental Policy, 1992,43, 54. 142 Bothe, ZflJ 1990, 331, 342, gibt an, daß das CCME als Gesellschaft gemäß dem Canadian Companies Act organisiert sei. Diese Aussage konnte durch kanadische Quellen nicht bestätigt werden. 143 Bregha u.a., The Integration of Environmental Considerations into Government Policy, 1990, 1; Brown, in: Canadian Environmental Policy, 1992, 24, 32/33. Der Task Force gehörten sieben Umweltminister, sieben Vertreter von Wirtschaftsinteressen, zwei Vertreter von Umweltschutzgruppen und ein Wissenschaftler an, Canadian Environmental Advisory Council, Review of Activities 1987/88-1988/89, 3. Hoberg, in: Governing Canada, 1993, 307, 318, erwähnt die Task Force neben dem Niagara Process als Beispiel für die Nutzung eines Multi-Stakeholder Verfahrens zwecks Erreichung der Ziele einer dauerhaft-umweltgerechten Entwicklung. 144 Dazu siehe unten, IV. 5. b). 145 Bothe, ZflJ 1990, 331, 342 erwähnt sechs Advisory Committees.
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mit abfallrechtlichem Bezug - erarbeitet. 146 Dabei sind nicht nur Regierungsbeamte tätig. In mindestens einem Fall hat die Normungsorganisation Canadian Standards Association im Auftrag der CCME solche Richtlinien erarbeitet147 und es werden nun auch auch mit verschiedenen Interessenrepräsentanten besetzte Multi-Stakeholder-Gremien in die Arbeit einbezogen. 148 In einer neuen Initiative (CCME Harmonization) soll erreicht werden, daß langfristig der Bund die Zuständigkeit für das Setzen von nationalen Umweltstandards übernimmt und die Provinzen die Überwachung ihrer Einhaltung (Compliance) wahrnehmen. 149 Die rechtliche Verbindlichkeit der von dem CCME getroffenen Absprachen und Übereinkommen ist nicht eindeutig. Kritisiert wird an ihnen, daß sie es den Regierungen letztlich erlauben würden, durch Verträge gesetzliche oder gar verfassungsrechtliche Zuständigkeiten zu ändem. 150 Von Seiten des CCME wird jedoch betont, daß man nicht beabsichtige, die Verfassung neu zu schreiben, sondern nur die jeweiligen verfassungsrechtlichen Rollen zum Nutzen aller praktisch ausgestalten wolle. Direkten Einfluß auf die Verordnungsgebung des Bundes nimmt das CCME nicht. Die Vertreter der Umweltministerien der Provinzen sind bei der Vorbereitung von Verordnungen aber gesuchte Gesprächspartner im Bundesumweltministerium, denn häufig sind in den Provinzen schon Vorarbeiten auf ähnlichen Gebieten erfolgt. Die Bund-Provinz-Zusammenarbeit im Rahmen des CCME muß auch als Möglichkeit der regionalen Einflußnahme auf die Bundespolitik beurteilt werden, da es in Kanada kein anderes Gremium gibt, das diese Aufgabe wahrnimmt. 151 Angesichts der verfassungsrechtlichen Unsicher-
146 Beispielsweise CCME, Operating and Emission Guidelines for Municipal Solid Waste lncinerators, Juni 1989; CCME, National Guidelines for the Landfilling of Hazardous Wastes, April 1991; CCME, National Classification System for Contaminated Sites, März 1992; vgl. Müller, in: HdUR, 2. Aufl. 1994, Sp. 1227, 1233. 147 CCME, Guideline for the Management ofBiomedical Wastein Canada, February 1992, prepared by the Canadian Standards Association. 148 CCME, The Technical Basis for the National Packaging Protocol: Summary Report, Februar 1992, entwickelt von einer Multi-Stakeholder Group, dazu VanNijnatten, Environmental Governance, 1996, 6-10; CCME, Environrnental Code of Practice for Underground Storage Tank Systems containing Petroleum Products, März 1993, zusammen mit Vertretern der Ölindustrie entwickelt. 149 Zu ähnlichen Vorhaben aus dem Jahre 1990 VanderZwaag!Duncan, in: Canadian Environmental Policy, 1992, 3, 21; und im Jahre 1993, Gertler, in: Law and Process in Environmental Management, 1993, 254, 266; Gardner, Federal Intergovernmenta1 Cooperation on Environmental Management, 1994, 15; skeptisch zu der neuen Initiative Leiss, in: Po1icy Frameworks, 1996, 121, 140. 150 Gardner, Federa1 Intergovernmental Co-operation on Environmental Management, 1994, insbesondere 30131. 151 Robertson, in: Perspectives on Canadian Federalism, 1988, 224,227.
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2. Teil: Mitwirkung und Beteiligung
heit hinsichtlich der Zuständigkeiten im Umweltschutz ist eine enge Abstimmung zwischen Bund und Provinzen bei der Vorbereitung von jeglicher Rechtsetzung erforderlich, um nicht zu riskieren, daß Verordnungen wegen der Überschreitung der verfassungsrechtlichen Befugnisse von den Gerichten für verfassungswidrig erklärt werden. b) Federal Provincial Advisory Committee Section 6 CEPA sieht die Gründung eines Federal Provincial Advisory Committee (FPAC) vor. Es hat die Aufgabe, "den Umweltminister hinsichtlich der Möglichkeiten für gesamtst~tliche Handlungen und gemeinsame Maßnahmen zu beraten, insbesondere über Uberschneidungen von Bundes- und Provinzverordnungsinitiativen". 1S2
Speziell soll der Minister beraten werden, wenn beabsichtigt ist, Verordnungen aufgrundgewisser spezifizierter Ermächtigungsgrundlagen in CEPA zu erlassen, vgl. Section 6 (I) (a) CEPA. 153 Aber auch andere Umweltschutzangelegenheiten von gemeinsamem Interesse sollen in diesem Ausschuß erörtert werden, wenn sie den Regelungen von CEPA unterfallen (Section 6 (1) (b) CEPA). Dem FPAC gehören Vertreter des Bundesumwelt- und des Bundesgesundheitsministeriums an, sowie Vertreter jeder Provinz und der Territorien. Der Ausschuß tritt zweimal im Jahr zusammen und bekommt jeden Entwurf einer Verordnung zur Evaluation vorgelegt. 1s4 Der FPAC hat eine Arbeitsgruppe speziell zur Harmonisierung der Vorschriften über die die Ozonschicht schädigenden Substanzen gegründet. 1ss Eine Bund-Provinz Arbeitsgruppe für Fragen der Luftreinhaltung (Federal Provincial Advisory Committee on Air Quality)
ISl Übersetzung von Verfasserin. Section 6 (1) (b) lautet im Original: "For the purpose of establishing a framework for national action and taking cooperative action in matters affecting the environment and for the purpose of avoiding conflict between and duplication in, federal and provincial regulatory activity, the Minister shall, in cooperation with the govemments of the provinces, establish a federal-provincial advisory conunittee to advise the Minister(...)." ISJ DiedortaufgezähltenVerordnungenderSection34(1)(a),(b), (c), (d), (o) oder (q) CEPA betreffen die Reglementierung der Emission, des Umgangs, der Lagerung, des Transportes und der Beseitigung giftiger Substanzen; dazu siehe Hughes u.a., Environmental Law and Policy, 1993, 179. IS4 Environment Canada, CEPA Report, Aprill990-March 1991, 7; Skogstad!Kopas, in: Canadian Environmental Policy, 1992, 43, 55; House of Commons, It's about our Health, 1995, 261. Die Beteiligung des FPAC wird im Regulatory Impact Statement der Verordnung vermerkt, z.B. Canada Gazette Part I, 19. Dezember 1991, 3900 hinsichtlich der Environmental Protection Board ofReview Ru/es. ISS Environment Canada, CEPA Report, April1990-March 1991, 7/8.
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besteht schon seit 1969. 156 Dem FPAC kommt auch im Verfahren des unten näher dargestellten Strategie Options Process eine überprüfende und beratende Rolle zu.m Über die Willensbildung und Entscheidungsmodalitäten des FPAC gibt es keine Literatur. Es scheint wahrscheinlich, daß das Gremium kaum Entscheidungen trifft, sondern nur ein Forum zur Erörterung von Fragen bildet. Aus der Stellungnahme der Opposition zu dem Bericht des Parlamentsausschusses zur Überarbeitung von CEPA kann man entnehmen, daß das FPAC in Quebec wegen seiner Einrichtung durch ein Bundesgesetz als ein mit dem CCME konkurrierendes Gremium wahrgenommen wird. 158 Die Öffentlichkeit wird über die Beratungen des FPAC nicht speziell, sondern nur im Rahmen des jährlich vom Umweltministerium zu erstellenden Berichts über CEPA informiert (Section 6 (2) CEPA). Zukünftig plant die Regierung, das FPAC durch ein CEPA National Advisory Committee zu ersetzen, in dem vor allem auch die Vertreter der Territorien und der Ureinwohner Sitze erhalten sollen, dessen Aufgaben größtenteils aber mit denen des FPAC identisch bleiben. 159 c) Intergovemmental Agreements Zwischen dem Bund und einzelnen Provinzen können gemäß den Vorschriften von CEPA zwei Arten von Intergovernmental Agreements getroffen werden. Beide Arten der Vereinbarungen sollen zur Harmonisierung von Vorschriften beitragen und doppelte Reglementierungen vermeiden helfen. 160 Bei den sogenannten Administrative Agreements handelt es sich um arbeitsteilende Vereinbarungen. Vollzugsbeamte der Provinz können z.B. Inspektionen auch nach Bundesrecht übernehmen. Bei den sogenannten Equivalency Agreements sind der Bund und die Provinz übereinstimmend der Ansicht, daß das Umweltrecht der Provinz effektiv die Funktionen des Bundesrechts mit wahrnimmt.
156 Doern!Conway, The Greening of Canada, 1994, 89/90; zu diesem Gremium und nationalen Grenzwerten, die es in Zusammenarbeit mit der Wirtschaft entwickelte, Philipps/Pretash, 23 Alberta Law Review (1985), 1, 23; zu seiner Zusammenarbeit mit dem DOE, Environment Canada, CEPA Report April 1994-March 1995, 516. 157 Environment Canada, Guidance Document on the Options Evaluation Process, 1994, 3; Environment Canada, CEPA Report Aprill994-March 1995,5. 158 House ofCommons, It's about our Health, 1995, 262 und 347, 355. 159 CEPA Review, The Govemment Response, 1995, Nr. 2.2 und 2.3, 16. So auch der Gesetzentwurf flir die Neufassung von CEPA in den Sections 6 bis 8. 160 Gertler, in: Law and Process in Environmental Management, 1993, 254, 265 und 279; zu Equiva/ency Agreements auch Bothe, ZflJ 1990, 331, 340/341.
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2. Teil: Mitwirkung und Beteiligung
Sie beschließen deswegen, daß Bundesrecht auf bestimmte Anlagen oder Tätigkeiten nicht mehr zusätzlich angewendet werden muß. 161 Wieviele Administrative Agreements genau zwischen dem Bund und einer oder mehreren Provinzen geschlossen wurden und noch in Kraft sind, ist kaum zu ermitteln, da es kein zentrales Register für sie gibt und diese Vereinbarungen häufig von den Außenstellen des DOE getroffen werden. Ihre Zahl wird auf einige Hundert geschätzt. 162 In der Literatur163 wird gefordert, die föderalen Abstimmungsprozesse im Vorfeld des Abschlusses solcher Vereinbarungen für die Öffentlichkeit dergestalt zu öffnen, daß die ausgehandelten Absprachen vor ihrem Wirksamwerden vorveröffentlicht werden und Stellungnahmen zu ihnen abgegeben werden können. Auch müsse die nachträgliche Transparenz der getroffenen Vereinbarungen gewährleistet sein. Dazu wird vorgeschlagen, die Vereinbarungen zentral zu sammeln und in einem öffentlichen Register zu indizieren. 164 Bislang sieht CEPA in Section 98 nur vor, daß zum Vollzug von CEPA mit den Provinzen getroffene Absprachen nachträglich zu veröffentlichen sind und daß der CEPA-Jahresbericht des Ministeriums einen Abschnitt über den Vollzug der Absprachen enthalten muß. Im Rahmen der Überarbeitung von CEPA hat die Regierung auf die Kritik reagiert und sich zur Öffnung des Vorbereitungsprozesses verpflichtet. Die Vereinbarungen sollen zukünftig unter Beteiligung der Öffentlichkeit entwickelt und vorveröffentlicht werden. 165 IV. Stakeholder Beteiligung Die Verwendung des englischen Begriffs Stakeholder im Rahmen dieser Arbeit soll den Unterschied zur deutschen Beteiligung von Experten verdeutlichen. Nach Klärung des Begriffs und Erläuterungen zu den einzelnen Arten von Stakeholders, werden verschiedene Verfahren der Beteiligung dargestellt. Neben den allgemeinen Beteiligungsverfahren ist in Kanada in letzter Zeit zum einen mit sehr frühzeitiger Beteiligung (Strategie Options Process) und zum anderen mit konsensualen Verfahren der Verordnungsgebung experimentiert worden. 161 Erläuterung der Unterschiede und Bericht in Environment Canada, CEPA Report March 1994-April 1995, 6-8. Kritik der Regelungen über Equivalency Agreements schon bei Duncan/Swanson, Submission to the Parliarnentary Committee on Bill C-74, 1988, 7. 162 Gertler, in: Law andProcess in Environmental Management, 1993,254,262, Fn. 38. 163 Gertler, in: Law and Process in Environmental Management, 1993, 254, 281; so jetzt auch House ofCommons, It's about our Health, 1995, 267/268. 164 Verfahrensvorschläge bei Gertler, in: Law and Process in Environmental Management, 1993, 254,281-283. 165 CEPA Review, The Govemment Response, 1995, Nr. 2.5-2.12, 17/18. Dem Vorschlag des Parlarnentsausschusses, die Vereinbarungen von einer Zustimmung des Ausschusses abhängig zu machen, House ofCommons, lt's about our Health, 1995, 269, ist die Regierung nicht gefolgt.
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1. Begriff des und Arten von Stakeholders
a) Begriff Mit dem Begriff der Stakeholder-Beteiligung ist gemeint, daß alle diejenigen Institutionen, Gruppen und Personen an der Entscheidungsfmdung beteiligt werden sollen, die einen ,,stake", also einen Anteil oder ein Interesse, an der Entscheidung haben. Es sollen folglich die Teilnehmer sein, die vom Ergebnis der Entscheidung betroffen sein werden und/oder die in der Lage sind, das Ergebnis eines Entscheidungsfmdungsprozesses zu beeinflussen. 166 Die Interpretation des Begriffes liegt dabei ganz im Ermessen des Ministeriums. Zum Teil wurden im Bundesumweltministerium auch die Provinzregierungen nur noch als ein Stakeholder unter vielen angesehen. 167 Die Grenzen zur Popularbeteiligung sind fließend, da es ausreichend ist, sich in einer Angelegenheit fiir interessiert zu erklären. Gerichtliche Auseinandersetzungen hat es zu Fragen von Stakeholder-Beteiligung im Rahmen der Umweltschutz-Verordnungsgebung in Kanada bislang nicht gegeben. Grundsätzlich umfaßt der Begriff des Stakeholders vor allem außerstaatliche Stellen, also die Vertreter von Industrie- und Untemehmensinteressen, von Arbeitnehmerinteressen, von Umweltschutzgruppen und der kanadischen Ureinwohner.168 Umweltschutzgruppen werden im Sprachgebrauch des Umweltministeriums als ENGO 's bezeichnet - die Abkürzung für Environmental NonGovernmental Organizations. Die kanadische Öffentlichkeit kann auch als allgemeiner, immer mitbetroffener Stakeholder angesehen werden. Es sollen gerade auch einzelne, organisatorisch nicht an bestimmte Gruppen gebundene Personen zur Beteiligung ermutigt werden, denn diese Personen würden häufig "bohrende Fragen stellen und die Sachkenner dazu zwingen, ihre Arbeit zu entmystiftzieren."169 'Die Wissenschaft' wird nicht als Stakeholder angesehen; ihre Mitarbeit 166 Dona/dson, Multi-Stakeholder Processes, 1994, 47. Als "relevante Anspruchsgruppe" übersetzt den Begriff Kippes, VR 1995, 397, 398, weitere Definition Fn. 7. 167 Doern/Conway, The Greening ofCanada, 1994,93. Auch Government ofCanada, AReport on the Green Plan Consultations, August 1990, 129 enthält "Regierungen" in der Definition des Begriffs stakeholder: "A stakeholder is defined as an individual, special interest group, govemment or other organization that may have a vital interest in the issue, may be affected by the outcome, and/or may make an important contribution to its resolution." Bedenken wegen der unklaren Position des Staates äußert Hoberg, in: Goveming Canada, 1992, 307, 319-321. 168 Environment Canada, Guidance Document on the Options Evaluation Process, 1994, 1 listet ,.industry, aborigina/ groups, and non-governmental organizations (environmental and labour organizations, Speciallnterest Groups, etc) " als .. key Stakeholders" auf. 169 Donaldson, Multi-Stakeholder Processes, 1994, 49; Andrews, in: Environmental Policy in the 1990s, 1990, 167, 178, zum Mißtrauen, daß in der Risikobewertung inzwischen gegenüber Experten herrscht.
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2. Teil: Mitwirkung und Beteiligung
ist zwar generelle Voraussetzung von Verordnungsgebung im Umweltschutzbereich, ihre Einbeziehung gehört jedoch zur vorbereitenden Aufgabe des Ministeriums an sich. Die Kontrolle und Überprüfung der wissenschaftlichen Ergebnisse ist eines der Ziele von Mu/ti-Stakeho/der-Beteiligungsverfahren. b) Wirtschaftsverbände Da Umweltschutz-Verordnungen nicht ohne detaillierte Kenntnisse über Produktionsprozesse und technische Möglichkeiten erstellt werden können, das Umweltministerium und auch andere Regierungsstellen darüber aber nur in einem begrenztem Umfange verfügen, sind Vertreter der betroffenen Wirtschaftszweige in Kanada immer schon an der Entwicklung von Verordnungen beteiligt worden. 170 An solchen Vorarbeiten nehmen die Vertreter von Wirtschaftsverbänden, aber zum Teil auch Mitarbeiter einzelner Firmen teil. 171 Über den Organisationsgrad von Wirtschaftsverbänden in Kanada lassen sich keine allgemeinen Aussagen treffen; 172 er variiert nach Branche und Region, scheint aber deutlich unter den in Deutschland erreichten Organisationsgraden zu liegen. In einem speziellen Verfahren der Beteiligung (Strategie Options Process fiir Lösungsmittel in der Branche der Chemischen Textilreinigung) konnte beobachtet werden, daß die Verbandsvertreter der verschiedenen Reinigungsverbände (insgesamt acht Verbände) die Teilnahme an dem staatlichen Verfahren dazu nutzten, die Mitgliedszahl ihres V erbaudes zu vergrößern: durch die W ahrnehmung von Mitgliederinteressen in einem konkreten Fall würde sich die Attraktivität einer Mitgliedschaft fiir den einzelnen Reinigungsunternehmer erhöhen. 173 Wichtige Wirtschaftsverbände der Rohstoffmdustrie (Canadian Petroleum Association, Coa/ Association, Canadian Pulp and Paper Association, Canadi170 Doern/Conway, The Greening ofCanada, 1994, 107-111 mit Beispielen. Environment Canada, Environmental Consultations Calendar, 1993, 2, zeigt in einer graphischen Übersicht, daß die Wirtschaft in 70% aller Beteiligungsverfahren vertreten ist. 171 So waren im Environment Canada Regulatory Review External Advisory Panel die Canadian Chemical Producers' Association, die Mining Association ofCanada und Canadian Forest Products, aber auch Imperial Oil Ltd. und eine Bank vertreten; Environment Canada, Environmental Protection- Regulatory Review- Discussion Document, 1993, 155. 172 Stanbury/Fulton, Consultation, 1988, 30 erwähnen, daß es keinen nationalen Un-
ternehmens- oder Gewerkschaftsverband gibt, sie zählen je vier nationale Verbände auf. Einzelne Branchen der Rohstoffindustrien verfügen über einen sehr hohen Organisationsgrad, Hoberg, in: Governing Canada, 1993,307,315. 173 Die Verfasserin hatte Gelegenheit während ihrer Wahlstation im kanadischen Bundesumweltministerium Sitzungen eines der Strategie Options Processes teilnehmend zu beobachten. Diese Beobachtungen wurden für die Darstellung der kanadischen Verfahren verwertet. Zu dem beschriebenen Phänomen generell Eichener u.a., Interessenverbände in den neuen Bundesländern, 1992,21/22.
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an Chemical Producers 'Association) haben Abteilungen für die Wahrnehmung von Umweltschutzbelangen geschaffen und umweltschutzbezogene Verhaltensund Qualitätsrichtlinien für ihre Mitglieder erstellt. 174 Des weiteren haben sich die Produzenten von Umweltschutzgütern (Environmental Industries) zu einem Verband zusammengeschlossen175 und nehmen an staatlichen V erfahren teil. 176 c) Gewerkschaften und Umweltschutzgruppen Der Organisationsgrad der kanadischen Gewerkschaften ist sehr unterschiedlich177 und entsprechend unterschiedlich gestaltet sich ihre Beteiligung an Verfahren der Verordnungsgebung. Insgesamt sind 4 Millionen der 13,7 Millionen Arbeitnehmer Kanadas (27,7 Millionen Einwohner) gewerkschaftlich organisiert. Die größte Gewerkschaft ist der Canadian Labor Congress mit ungefähr 2,4 Millionen Mitgliedem. 178 Da Fragen des Arbeitsschutzes zur Zuständigkeit der Provinzen gehören, ist eine Beteiligung von Gewerkschaften nicht in jedem Fall von Verfahren der Umweltschutz-Verordnungsgebung gegeben. 179 Immer bedeutsamer in den kanadischen Verfahren der Verordnungsgebung ist die Beteiligung von Umweltschutzgruppen geworden. 180 Die exakte Anzahl der in Kanada bestehenden ENGOs ist nicht sicher zu ermitteln; der Green Plan spricht von über 1.800 ENGOs mit mehr als 1 Million Mitgliedem. 181 Die größten bzw. bekanntesten Gruppen sind die Canadian Wildlife Federation, die Canadian Nature Federation und die kanadischen Unterorganisationen der international operierenden Gruppen wie Greenpeace und Friends of the Earth. 174 Thompson, in: Canada- Handbooks to the Modem World, 1993, 507, 51 0; Doernl Conway, TheGreening ofCanada, 1994, 115. 175 Brown, in: Canadian Environmental Policy, 1992, 164, 171. 176 Im Environment Canada Regulatory Review Externat Advisory Panel wurde der Verband als ENGO eingeordnet, Environment Canada, Environmental Protection Regulatory Review- Discussion Document, 1993, 155. 177 Zahlenangaben bei Calvert, in: Canada- Handbooks to the Modem World, 1993, 553, 556; vgl. auch The Europa World Year Book 1995, Bd. 1, 727 und 7491750. 178 Calvert, in: Canada- Handbooks to the Modem World, 1993, 553, 563. Ein Vertreter des Canadian Labour Congress war Mitglied im Regulatory Review Externat Advisory Panel, Environment Canada, Environmental Protection - Regulatory ReviewDiscussion Document, 1993, 155. 179 Environment Canada, Environmental Consultations Calendar, 1993, 2, zeigt, daß sie nur in 30% aller Beratungsverfahren beteiligt sind. 180 Environment Canada, Environmental Consultations Calendar, 1993, 2, Beteiligung in 65% aller Beteiligungsverfahren. 181 Government of Canada, Canada's Green Plan, 1990, 135. Doern/Conway, The Greening ofCanada, 1994, 104, erwähnen, daß beim Canadian Environmental Network 2.000 Gruppen registriert sind. Mitgliederzahlen flir einzelne Umweltschutzgrupen bei Wilson, in: Canadian Environmental Policy, 1992, 109, 110/111.
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2. Teil: Mitwirkung und Beteiligung
1987 schlossen sich die bestehenden Umweltschutzgruppen auf Anraten des Canadian Environmental Advisory Counci/182 zum Canadian Environmental Network (CEN) zusammen, um so einen zentralen Ansprechpartner für das Bundesumweltministerium zu schaffen. Dies erleichterte beiden Seiten zum einen die Frage der fmanziellen Unterstützung von ENGOs durch das Ministerium und ermöglichte zum anderen auch eine verbesserte Beteiligung von ENGOs an Verfahren des Ministeriurns. 183 Die Umweltschutzgruppen unterscheiden sich im einzelnen sehr in ihren Schwerpunkt und Arbeitsweisen.184 Etliche haben sich darauf spezialisiert, an Verfahren des Umweltministeriums teilzunehmen. Diese Aufgabe wird häufig von Gruppen mit rechtlicher Ausrichtung wahrgenommen. 185 Die Regierung hat sich im Green Plan zur Unterstützung der Arbeit von ENGOs in jeder Hinsicht bekannt. 186 Die Umweltschutzgruppen sind in Kanada inzwischen zu der Einsicht gekommen, daß sie wirkungsvoller für ihre Ziele eintreten können, wenn sie innerhalb staatlicher Verfahren mitarbeiten, als wenn sie nur die Konfrontation mit dem Staat suchen.187 d) Ureinwohner Eine weitere Gruppe von Stakeholders an umweltrechtlichen Entscheidungen sind die Vertreter der kanadischen Ureinwohner. 188 Den Ureinwohnern sind 182 Filyk/Cote, in: Canadian Environmental Policy, 1992, 60, 72; VanNijnatten, Environmental Govemance, 1996, 4. Darstellung des Canadian Environmental Advisory Council siehe unten, 5. a). 183 Doern/Conway, The Greening ofCanada, 1994, 106. 184 VanNijnatten, Environmental Govemance, 1996, 4; Wilson, in: Canadian Environmental Policy, 1992, 109-125, gibt einen Überblick über das gesamte Spektrum. Zu Umweltschutzgruppen auch schon Schatzow, in: Public Participation in Planning, 1977, 141, 150/151. 185 West Coast Environmental Law Association (Vancouver), Environmental Law Centre (Edmonton), Canadian Environmental Defence Fund (Toronto), Canadian Environmental Law Association {Toronto) und Public Interest Advocacy Centre (Ottawa), Elgie, in: Law and Process in Environmental Management, 1993, 196, 203, Fn. 33, und auch Tingley, in: Law and Process in Environmental Management, 1993, 319 zu ihrer Arbeit im Environmental Law Centre. 186 Government ofCanada, Canada's Green Plan, 1990, 134-136. 187 Doering, Canadian Round Tables on the Environment and the Economy, 1993, 10; vgl. schon O'Riordan, 16 Natural Ressources Journal (1976), 55, 61, daß die Angleichung der environmental action groups an die 'weil established lobbies' eine Bedingung fiir Erfolg ist. 188 Auch dies wurde von der Regierung im Green Plan anerkannt und die Einbeziehung und Unterstützung von "aboriginal environmental consultation mechanisms" angekündigt; Government ofCanada, Canada's Green Plan, 1990, 133/134. Der Anteil von
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zum Teil durch Verträge, die durch Section 35 (l) der Verfassung von 1982 speziell anerkannt und bekräftigt wurden, Fisch- und Jagdrechte eingeräumt worden. Die Wahrnelunung dieser Rechte setzt eine intakte Umwelt voraus. Die Ureinwohner haben deswegen ein originäres Interesse an allen Bestimungen zum Umweltschutz. Ein vom Supreme Court 1990 entschiedener Fall189 erwähnt als obiter dicta, daß im Falle der Verordnungsgebung die Ureinwohner über eine beabsichtigte Regelung durch Verordnung zu informieren sind. 190 Die Vertretung der verschiedenen Völker und Stämme der Ureinwohner nelunen die Assembly of First Nations und der Congress ofAboriginal Peoples wahr. Der Anteil der Ureinwohner wurde 1991 auf 3% der kanadischen Bevölkerung geschätzt. 191 Kompliziert ist die Beteiligung von Vertretern der Ureinwohner deswegen, weil diese sich als eigene Nationen verstehen und ihr Selbstbestimmungsrecht einfordern. 192 Die Bundesregierung erkennt dieses Recht zur Selbstbestimmung im Grundsatz an und hat sich im Ralunen der Überprüfung von CEPA dazu verpflichtet, die Beteiligung der Vertreter der Ureinwohner zu verstärken. Vertreter der Ureinwohner sollen in allen Beratungsgremien vertreten sein und auch die Möglichkeit erhalten, eigene, auf ihren Gebieten geltende Umweltschutznormen aufzustellen. 193 2. Verfahren der Stakeholder-Beteiligung
Die vom DOE genutzten Verfahren der Stakeholder-Beteiligungbestehen vor allem aus bi-oder multi-lateralen Gesprächen mit Vertretern der oben beschriebenen Gruppen.194 Sie werden charakterisiert als "das Bereitstellen eines öffentlichen Forums zur Diskussion politischer Entscheidungen (policy), das dazu geeigBeteiligunngsverfahren des Umweltministeriums, an denen Gruppen von Ureinwohnern teilnahmen, stieg von 1992 auf 1993 um 15% auf einen Anteil von 50% der Verfahren, Environment Canada, Environmental Consultations Calendar, 1993,2. 189 R. v. Sparrow, [1990] 1 S.C.R. 1075. Von Watkins, in: Canada- Handbooks to the Modem World, 1993,583,592, eine 'bahnbrechende' (landmark) Entscheidung genannt. 190 [1990] 1 S.C.R. 1075, 1119, dazu VanderZwaag/Duncan, in: Canadian Environmental Policy, 1992, 3, 19 und Fn. 131. Diese Rechte sind als Gruppenrechte zu interpretieren, meinen Kapahesit/Klippenstein, 36 McGill Law Journal (1991), 925,958. 191 Watkins, in: Canada - Handbooks to the Modem World, 1993, 583, 584; zur Frage, wer rechtlich als Ureinwohner angesehen wird Elliot, Law and Aboriginal Peoples of Canada, 2. Aufl. 1994,9-23. 192 Siehe dazu Elliot, Law and Aboriginal Peoples of Canada, 2. Aufl. 1994, 193-225; Williams-Vedder, Die Rechtsstellung der eingeborenen Völker der USA und Kanada nach nationalem Recht und Völkerrecht, 1995, 70 -152, speziell 150-152. 193 CEPA Review, The Govemment Response, 1995, 79-82. 194 Zu regelmäßigen Treffen des Umweltministers mit acht Umweltschutzgruppen Wilson , in: Canadian Environmental Policy, 1992, 109, 119; andere Verfahren sind knapp auch bei Doern!Conway, The Greening of Canada, 1994, 114, beschrieben. 10 Frankenherger
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2. Teil: Mitwirkung und Beteiligung
net ist, Kompromisse zwischen Wirtschafts- und Umweltschutzbelangen herbeizufuhren und strukturierte Entscheidungsfmdung innerhalb der fragmentierten staatlichen Strukturen ermöglicht."195 Der Environmental Consultation Calendar gibt an, daß 60% der Beteiligungsverfahren des Umweltrninisteriums, ob aufnationaler oder regionaler Ebene, in Multi-Stakeholder Meetings oder Workshops bestehen. 196 Rechtliche Verfahrensregeln gibt es dafiir nicht. Es wird nicht verkannt, daß Sachverstand die Voraussetzung fiir eine sinnvolle Beteiligung der Stakeholder ist, aber das Ministerium sieht sich vor allem selber in der Pflicht, den verschiedenen Gruppen bei der Beschaffung dieses Sachwissens behilflich zu sein. Zu diesem Zweck werden Dokumente (Discussion Documents) erarbeitet und spezielle Briefings und Workshops zu einzelnen Themen abgehalten. 197 Die Stakeholder werden überwiegend als Repräsentanten ihrer Interessengruppen wahrgenommen und weniger als Experten zur Beratung des Ministeriums. Dies wird dadurch erleichtert, daß der wissenschaftliche Sachverstand von vorneherein beim Ministerium vorhanden ist oder von dort als Studie bei universitären oder anderen wissenschaftlichen Einrichtungen in Auftrag gegeben wurde. Das Ministerium bemüht sich um eine weite, offene Einbeziehung aller interessierten Gruppen und Personen. So wurden beispielsweise im Rahmen der 1992 durchgefiihrten Überprüfung aller Umweltschutz-Verordnungen (Regulatory Review) insgesamt 2.000 Gruppen und Personen angeschrieben und anhand eines konkreten Fragenkataloges um Stellungnahmen zu den bestehenden Verordnungen gebeten. 198 Mit Hilfe von kleineren Teams wurden die Ergebnisse dieser Stellungnahmen zu V arschlägen verarbeitet. Verordnungsentwürfe werden regelmäßig an über 700 Interessenten versand. Der Environmental Consultation Ca Zendar fiir 1994 fiihrte über 120 Beteiligungsverfahren auf, von denen sich 28% auf Gesetzgebungs- oder Verordnungsinitiativen bezogen, 32% dem Informationsaustausch (sharing ofinformation) dienen sollten, 22% Vollzugsbezug hatten und 18% der Verfahren zur Entwicklung von policy gedacht waren. 199
195 VanNijnatten, Environmental Govemance, 1996, 5, es geht um das Lösen eines gemeinsamen Problems. 196 Environment Canada, Environmental Consultations Calendar, 1993, 2; zwei Drittel aller Beteiligungsverfahren sind nationale Verfahren, 1. Zum Stil der Multi-Stakeholder Verfahren Hoberg, in: Goveming Canada, 1993, 307, 318-323. 197 Filyk!Cote, in: Canadian Environmental Policy, 1992, 60, 78, das Federal Inquiry on Water hörte beispielsweise 300 Personen oder Gruppenvertreter als Zeugen. 198 Environment Canada, Environmental Protection - Regulatory Review- Discussion Document, 1993,3/4, Fragenkatalog, 157-163. 199 Environment Canada, Environmental Consultations Calendar, 1993, I.
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3. Strategie Options Proeess Beim Strategie Options Proeess handelt es sich um ein neuentwickeltes Beteiligungsverfahren zur Erarbeitung von Reglementierungen giftiger Substanzen. Bevor eine Substanz durch eine aufgrund von CEPA erlassene Verordnung reglementiert werden darf, muß die Toxidität der Substanz in einer wissenschaftlichen Studie festgestelltund bewertetwerden (Section 34 CEPA). Weil die Menge der existierenden chemischen Verbindungen ungeheuer groß ist, besteht nach Section 12 CEPA die Möglichkeit, Substanzen, für die ein schneller Handlungsbedarf angenommen wird, mit Vorrang zu bewerten. Das DOE und das Gesundheitsministerium veröffentlichten 1989 die erste Priority Substanees List mit vierundvierzig chemischen Verbindungen.200 Die·.Ministerien waren nun verpflichtet, innerhalb von fünf Jahren die Bewertung dieser Stoffe vorzunehmen. 201 a) Grundsätze der Chemikalienkontrolle Bis zum September 1994 waren alle 44 Substanzen bewertet und 25 von ihnen für giftig gemäß Section 11 CEPA erklärt worden.202 Damit war es nun erforderlich, geeignete Strategien für den Umgang mit diesen Stoffen zu entwickeln. Jeder der für giftig erklärten Stoffe wurde in eine von zwei Kategorien eingestuft. Die Stoffe der Kategorie 1 (Track 1) sind solche, die alle drei der in Section 11 CEPA genannten Kriterien erfiillen.203 Sie sind so giftig, daß sie in
200 Canada Gazette Part I vom 11. Februar 1989, 543-545. Zwischenzeitlich ist eine zweite Liste mit fUnfundzwanzig Priority Substances veröffentlicht worden, Canada Gazette Part !vom 16. Dezember 1995, 4238-4240. 201 Wenn nach fllnf Jahren ftir einen auf der Priority Substances List verzeichneten Stoff kein Bewertungsverfahren durchgeftihrt wurde, kann jede Person Einspruch erheben und eine Untersuchung durch ein Board of Review verlangen (Section 14 CEPA). Sehr kritisch zu diesem Verfahren Leiss, in: Policy Frameworks, 1996, 121, 132-135. 202 Environment Canada, Towards a Toxic Substances Management Policy for Canada, 1994, 9. Diese Berichte müssen gemäß Section 13 (1) (b) CEPA veröffentlicht werden und eine Zusammenfassung des Berichts in der Canada Gazette abgedruckt werden (Section 13 (1) (c) CEPA). Für elf Substanzen lautete die Bewertung der Toxidität "unbewiesen", weswegen einige Umweltschutzgruppen eine Untersuchungskommission beantragten, da diese Bewertungskategorie im Gesetz nicht vorgesehen sei und zudem unklar sei, in welcher Weise diese elf Substanzen zu behandeln seien, CEPA Office, Public Participation, 1994, 117. Da keine Kommission eingesetzt wurde, erhoben die Umweltverbände Klage vor dem Federal Court, Canadian Environmental Law Association and Great Lakes United v. Sheila Copps (Minister of the Environment). Eine Entscheidung ist bislang nicht ergangen und auch nicht mehr zu erwarten, da das Ministerium die Substanzen von der Priority Substances List nahm und nun eine neue Liste vorliegt. 203 Die Kriterien sind: a) Gefahr ftirdie Umwelt ("immediate or long-term harmful effect on the environment"), b) Gefahr ftir ein Umweltrnedium, von dem menschliches Leben abhängt ("danger to the environment on which human life depends"), c) Gefahr ftir
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2. Teil: Mitwirkung und Beteiligung
absehbarer Zeit in Kanada und möglichst auch weltweit nicht mehr verwendet werden sollen. Deswegen soll entweder ihre Herstellung oder ihr Gebrauch verboten oder der Grenzwert fiir Ernissionen auf Null gesetzt werden. Im Verfahren der detaillierten Ausarbeitung von Verordnungen liegt die VOrtragspflicht fiir Gründe, warum eine Substanz nicht wie dargestellt reglementiert werden soll, bei der die Substanz herstellenden oder nutzenden Industrie.204 Diejenigen Substanzen, die zwar fiir giftig erklärt wurden, aber die nur ein oder zwei der in Section 11 CEPA genannten Kriterien erfüllen, fallen unter die Kategorie 2 (Track 2). Dies bedeutet, daß sie "von der Wiege bis zur Bahre" (cradle to grave), also von der Herstellung bis zur letzten Entsorgung, einer Kontrolle unterliegen sollen. Um die beste Form der Kontrolle und Regelung für diejenigen Substanzen der Kategorie 2 zu fmden, die noch nicht angemessen unter schon existierenden Verordnungen oder Programmen erfaßt sind, ist vom Umweltministerium ein spezielles Verfahren entwickelt worden. Dieses Strategie Options Process (SOP) genannte Verfahren hat zum Ziel, unter Beteiligung aller Stakeholder die effektivste und kostengünstigste Option zur Regelung der Substanzen auszuwählen und den Ministern vorzuschlagen.205 Es handelt sich dabei um ein beratendes V erfahren. Die Entscheidung in der Sache selber liegt allein bei den Ministern fiir Umwelt und Gesundheit.206 Es wird aber erwartet, daß ein Vorschlag, der konsensual von allen am V erfahren Beteiligten unterbreitet wird, eine große Überzeugungskraft und damit auch großen Einfluß auf die ministeriale Entscheidung haben wird. b) Verlauf des Strategie Options Process Als Vorstufe zum eigentlichen SOP-Verfahren fmdet zunächst das sogenannte lssue Integration statt.207 Dabei geht es darum, alle faktischen Informationen über eine Substanz, ihre Verwendung und ihre Auswirkungen unter Umweltschutzgesichtspunkten zusamrnenzutragen.208 Des weiteren dient diese Phase dazu, unmenschliches Leben oder Gesundheit in Kanada ("danger in Canada to human Iife or health"). 204 Environment Canada, Towards a Toxic Substances Management Policy for Canada, 1994,2. 205 Environment Canada, CEPA Report, April1993-March 1994,20. 206 Environment Canada, Guidance Document on the Options Evaluation Process, 1994, 1 und 5. 207 Environment Canada, Guidance Document on the Options Evaluation Process, 1994, 2/3. 208 Außer dem Priority Substances List Assessment Report wurden z.B. im Falle des Verfahrens ftir die Substanz Tetrachlorethen im Sektor der chemischen Textilreinigung ein technisches Informationsdokument (21 Seiten) erstellt und statistische Informationen
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ter Einbeziehung der Provinzen durch das Federal Provincial Advisory Committee, Beschlüsse über das weitere Verfahren zu fassen. Wenn es sich z.B. nur um eine regional oder lokal vorhandene Substanz handelt, sollen Problemlösungen auf diesen Ebenen weiter verfolgt werden. Wenn beschlossen wird, ein SOPVerfahren zu beginnen, muß während der Issue Integration entschieden werden, ob das Verfahren substanzgebunden (z.B. für die Stoffe Tetrachlorethen, Benzidin und keramische Fasern) oder nach den die Substanz nutzenden Wirtschaftszweigen (z.B. die Chemische Reinigungsindustrie, die holzkonservierende Industrie und die Oberflächenbehandlungsbranche) organisiert wird. Ende 1994 wurden die jeweiligen Stakeholder für sieben verschiedene SOPs vom Umweltministerium zu ersten Treffen eingeladen.209 Den Vorsitz dieser /ssue Tables genannten Gruppen hatte in jedem Fall ein Mitarbeiter des DOE oder eines Provinzministeriurns.210 Aufgabe der Issue Tables ist es zum einen, Umweltschutz-Zielvorstellungen hinsichtlich ihrer Branche oder ihres Stoffes zu entwikkeln und Möglichkeiten zur Erreichung dieser Ziele aufzuzeigen. Dazu wurden vom Umweltministerium sogenannte Socio-Economic Background Studies über denjeweiligen Wirtschaftssektor vorbereitet und auch weitere wissenschaftliche Hilfestellung durch die Einholung von Sachverständigengutachten ermöglicht. Zum anderen ist es Aufgabe der Issue Tables, die verschiedenen Optionen zu bewerten und diesbezüglich Empfehlungen für die Minister zu erarbeiten.211 Für die Tätigkeit ist ein Zeitrahmen von 18 Monaten vorgesehen. 212
über den Wirtschaftssektor, Daten über Emissionen des Stoffes und möglichst alle diesen Stoff betreffenden Richtlinien und Rechtsnormen aus anderen Provinzen und Ländern zusammengetragen. Diese Informationen wurden später allen Mitgliedern des Issue Tab/es zugänglich gemacht. 209 Es ging um die Stoffe: ( 1) Benzidin/Dichlorbenzidin, (2) Chlorparafin, (3) feuerbeständige keramische Fasern, (4) Tetrachlorethen in Sektor der chemischen Reinigung, (5) Tetrachlorethen und Trichlorethan bei der Oberflächenbehandlung, (6) Benzol und lösliche Nickelverbindungen in der Stahlindustrie, und (7) Kreosote, imprägnierte Abfälle und unorganische Arsenverbindungen in der Holzkonservierungsindustrie. Berichte über den Stand der begonnenen Verfahren in Environment Canada, CEPA Report, April 1994-March 1995, 25/26 und 45. 210 Environment Canada, Guidance Document on the Options Evaluation Process, 1994,4. 211 Environment Canada, Guidance Document on the Options Evaluation Process, 1994, 4/5. 212 Environment Canada, Towards a Toxic Substances Management Policy for Canada, 1994, 10.
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2. Teil: Mitwirkung und Beteiligung
An dem SOP-Verfahren wirken Mitarbeiter des Umweltministeriums, des Gesundheitsministeriums und des Wirtschaftsministeriums (Industry Canada) des Bundes und häufig Mitarbeiter der Umweltministerien der Provinzen mit. Es sind Vertreter der die Substanzen nutzenden und herstellenden Industrien beteiligt (entweder durch Verbandsvertreter, aber auch durch Mitarbeiter einzelner Unternehmen) und auch Umweltschutzgruppen entsenden Vertreter zu den /ssue Tab/es. Um das Arbeiten in den /ssue Tab/es nicht durch zu viele Mitglieder zu erschweren oder gar unmöglich zu machen, wird zwischen 'Vollmitgliedern' und nur schriftlich beteiligten Mitgliedern (corresponding members) unterschieden.213 Die Bestimmung über den Grad der Beteiligung (ob Vollmitglied oder nur schriftliche Information) wird zwischen den Mitarbeitern des DOE und den an Beteiligung Interessierten gemeinsam ausgehandelt. 214 Gerade fiir nicht sehr fmanzkräftige Interessenten ist die schriftliche Information über alle Sitzungen und Dokumente des Jssue Tab/es ein geeigneter Ausgleich fiir ihre mangelnde Verfahrensteilnahme. c) Ziele des Strategie Options Process Durch dieses aufwendige Verfahren will man in Kanada folgendes sicherstellen: erstens ist man der Ansicht, daß dieses offene Verfahren dazu beiträgt, die effektivste und kostengünstigste Lösung zur Verminderung giftiger Substanzen zu fmden. Es sollen auch vor allem die Möglichkeiten fiir die Anwendung marktwirtschaftlicher Instrumente215 (Abgaben, Pfand-Systeme, Handel mit Zertifikaten und Haftungsregelungen) und freiwilliger Selbstverpflichtung seitens der Industrie gründlich durchdacht werden, bevor das Mittel der Verordnung zum Einsatz kommt. 216 Zum zweiten geht es darum, alle Interessenten 213 Der Tetrachloroethylen - Dry Cleaning Sector - Issue Table hat fünfundzwanzig Vollmitglieder und weitere neunundzwanzig corresponding members. 214 Weiler, 8 Canadian Journal of Administrative Law and Practice (1995), 101, 119/120, hält eine Einigung über die Teilnahme an Beteiligungsverfahren flir möglich, ohne daß auf eine gerichtliche Klärung zurückgegriffen werden müßte 215 Martwirtschaftliche Instrumente (Economic Instruments) verstärkt zu nutzen, ist ein erklärtes Ziel der 1993 gewählten liberalen Bundesregierung. Zahlreiche Studien wurden in Auftrag gegeben, um ihren Einsatz im Bereich des Umweltschutzes vorzubereiten, z.B. Regulatory Consulting Group Inc., CEPA Review- Tool Box and Interventions, 1993; Task Force on Economic Instrumentsand Disincentives to Sound Environmental Practices, Final Report, 1994. Die Regierung hat angekündigt, in CEPA eine gesetzliche Ermächtigung flir den Einsatz von Economic Instruments zu schaffen, CEPA Review, The Govemment Response, Nr. 2. 13, 19/20. 216 Environment Canada, Towards a Toxic Substances Management Policy for Canada, 1994, 10. Die Vorbereitung eines Selbstbeschränkungsabkommens der Industrie hinsichtlich der Reduzierung giftiger Chemikalien wurde im Rahmen des ARET- (Accelerated Reduction/Elimination ofToxics) Programmes versucht, dazu 11.
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in einem offenen Verfahren in die Entwicklung von Umweltschutzstrategien einzubinden, damit Umweltschutzanforderungen gefunden werden, die allgemein akzeptiert werden und fiir die Industrie praktikabel und voraussehbar sind. Für das Jahr 1995/1996 sind fiinf weitere SOP-Verfahren geplant.217 In den überarbeiteten CEPA sollen die wesentliche Elemente des SOP-Verfahrens in den Text des Gesetzes übernommen werden.2 18 4. Andere Reformbestrebungen (Experimente mit Formen des Negotiated Rulemaking)
Als weiteres neuartiges Verfahren der kanadischen Umweltschutz-Verordnungsgebung soll ein Multi-Stakeholder-Verfahren vorgestellt werden, das die Reformbestrebungen sehr weit vorangetrieben hat.219 Es ist, ohne daß dies bei Beginn des Verfahrens beabsichtigt war, zu einem Experiment mit der Form des OS-amerikanischen Negotiated Rulemaking geworden. Zur Unterstützung bei der Erarbeitung von vier Verordnungen, die ihre Ermächtigungsgrundlage im kanadischen Umweltverträglichkeitsgesetz, dem Canadian Environmental Assessment Act (CEAA), haben, wurde von der Behörde, die bis zum Inkrafttreten des CEAA fiir das Verfahren der Umweltverträglichkeitsprüfung zuständig war (Federal Environmental Assessment Office) ein Regulatory Advisory Committee (RAC) gegründet. 220 Dem beratenden Ausschuß (RAC) gehören insgesamt sechzehn Mitglieder, ein Vorsitzender und ein Facilitator an. Von den Mitgliedern sind sechs Vertreter von Unternehmen oder Wirtschaftsinteressen, vier repräsentieren die Provinzen bzw. Territorien, vier vertreten ENGOs und zwei die Interessen der Ureinwohner. Mitarbeiter der verschiedenen Bundesministerien waren zu Beginn nicht Mitglied im RAC, nahmen an den Sitzungen aber als Beobachter teil.221 In insgesamt sechs jeweils zweitägigen Sitzungen bearbeitete das RAC
217 Sie betreffen verschiedene, in der Eisen- und Stahlindustrie, der metallverarbeitenden Industrie und bei der Elektrizitätsherstellung genutzte Substanzen, Environment Canada, CEPA Report March 1994-April 1995, 26. 2 18 CEPA Review, The Govemment Response, 1995, Nr. 9.14-9.18, 73. 219 Ein weiteres Multi-Stakeholder-Verfahren, ARET (Accelerated Reduction/Elimination ofToxics) begann schon 1991, muß aber in Teilen als gescheitert angesehen werden, da die Vertreter der Umweltschutzgruppen und der Ureinwohner das Forum verließen. AusfUhrlieh dazu die Studie von Leiss (Hg.), Lessons Leamed from ARET, 1996. 220 Zu den Hintergründen des Erlasses des kanadischen UVP-Gesetzes Alexander, Federal Environmental Assessment and Regulatory Reform, 1995, 33/34. 221 Alexander, Federal Environmental Assessment and Regulatory Reform, 1995, 39. Tingley, in: Law and Process in Environmental Management, 1993, 319, 324, spricht von zwanzig Mitgliedern.
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2. Teil: Mitwirkung und Beteiligung
vier für das lokrafttreten von CEAA entscheidende Verordnungen.222 Die Verordnungen waren in der Ministerialverwaltung vorbereitet und dann dem RAC als Entwurf vorgelegt worden. Gleichzeitig beschäftigte sich allerdings auch ein zwanzigköpfiger inter-ministerieller Ausschuß mit den Verordnungen. Wegen dieser speziellen Konstellation, aber auch wegen anfänglicher Unklarheit hinsichtlich der Aufgaben des RAC, erwies sich das Verfahren zunächst als schwierig. Jedoch hielten es die Vertreter aller Gruppen in Interviews für sinnvoll und fortführenswert. Im April 1993 legte der Ausschuß seinen Abschlußbericht vor und im September 1993 wurden die Verordnungen vorveröffentlicht.223 Die Zusammensetzung des RAC ist inzwischen leicht geändert worden. Auch die Ministerien entsenden nun Mitglieder in den RAC. Dadurch ist die Kommunikation zwischen den beratenden Mitgliedern und den letzlieh die Entscheidung treffenden staatlichen Akteuren erleichtert. Alexander, der das Verfahren des RAC im Vergleich zu den Formen des Negotiated Rulemaking in den Vereinigten Staaten und unter Auswertung von Interviews mit den Teilnehmenden und den Beobachtern untersucht hat, kommt zu dem Ergebnis, daß es durch Nutzung der amerikanischen Vorarbeiten des Negotiated Rulemaking noch verbessert werden kann und auf jeden Fall fortgesetzt werden sollte, da es die Ziele des Regulating Smarter in geeigneter Weise erfiillt.224
5. Beteiligung institutionalisierter Beratungsgremien Section 5 CEPA sieht ausdrücklich vor, daß das Umweltministerium und das Gesundheitsministerium entweder einzeln oder gemeinsam Beratungsgremien gründen können. So wurde zum Beispiel ein Priority Substances Advisory Panel gegründet, um die Minister hinsichtlich der Substanzen zu beraten, die mit Vorrang auf ihre Giftigkeit untersucht wurden. Nach Fertigstellung der Priority Substances List wurde dieses Gremium aufgelöst. 225 Zwischenzeitlich wurde zur Erarbeitung der zweiten Priority Substances List eine neue MultiStakeholder Gruppe gebildet. 226 Eine interne Übersicht des Ministeriums führt
222 Es handelte sich um die Exclusion List, die Inclusion List, die Law List und die Comprehensive Study List. Zu diesen Verordnungen Alexander, Federal Environmental Assessment and Regulatory Reform, 1995, 44-48. 223 Alexander, Federal Environmental Assessment and Regulatory Reform, 1995,41142. 224 Alexander, Federal Environmental Assessment and Regulatory Reform, 1995, 256-261. Differenzierte Ratschläge auf der Grundlage ihrer unter anderem durch die Teilnahme am RAC gewonnenen Erfahrungen macht auch Tingley, in: Law and Process in Environmental Management, 1993,319,331-334. 225 Environment Canada, CEPA Report, Aprill990-March 1991, 7. 226 Environment Canada, CEPA Report, April 1994-March 1995, 20/21. Zur Entwicklung der Besetzung von 'Think Tanks' vormals mit reinen Experten hin zur Reprä-
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Anfang 1995 insgesamt 42 Gremien auf, darunter auch Beratungsgremien, in die das Ministerium Mitarbeiter entsendet und fiir die einige nicht dem Ministerium angehörende Mitglieder durch das DOE ernannt werden. Das älteste institutionalisierte Gremium zur allgemeinen Beratung des Umweltministers ist das Canadian Environmental Advisory Council. Im folgenden sollen das Council und der 1988 errichtete National Round Table on the Environment and the Economy (NRTEE) vorgestellt werden. Mit dem NRTEE wurde erstmals das Prinzip der Multi-Stakeholder-Beteiligung ausdrücklich auch zur Grundlage eines institutionalisierten Beratungsgremiums gemacht. a) Canadian Environmental Advisory Council Das Canadian Environmental Advisory Council (CEAC) wurde 1972 zur Beratung des Umweltministers durch Beschluß des Bundeskabinetts gegründet. Bis zu 16 Mitglieder können dem CEAC angehören, meist sind es aus Kostengründen aber weniger Mitglieder (acht bis zwölf). Die Mitglieder sollen über Kenntnisse auf dem Gebiet des Umweltschutzes verfügen und verschiedene Bereiche des gesellschaftlichen Lebens und der Regionen Kanadas repräsentieren.227 Sie werden für eine Periode von drei Jahren vom Bundesumweltminister ernannt. Beamte des Bundesumweltministeriums gehören dem Gremium nicht an; das Ministerium unterstützt CEAC aber durch ein ständiges Sekretariat.228 Das erste Treffen des CEAC fand am 10. Mai 1972 statt, das hundertste im Februar 1988. (1) Aufgaben und Arbeitsweise Die Beratungsaufgaben des CEAC reichen von speziellen ihm übertragenen Angelegenheiten,229 über Berichte zum Stand des Umweltschutzes, abgegebene Empfehlungen hinsichtlich vordringlich von der Bundesregierung in Angriff zu nehmende Aufgaben, bis hin zur Einschätzung der Effektivität der Arbeit des Bundesumweltministeriums. Das CEAC versteht sich als ein außerhalb des sentativität nach verschiedenen Kriterien siehe Filyk/Cote, in: Canadian Environmental Policy, 1992,60, 80. 227 Canadian Environmental Advisory Council, Review of Activities 198911990, 28 weist darauf hin, daß in der Anfangszeit die meisten Mitglieder des CEAC aus universitären oder anderen wissenschaftlichen Einrichtungen kamen, daß aber die Zusammensetzung des Gremiums nach und nach repräsentativer wurde. Kritisch zur Repräsentativität des CEAC noch Schatzow, in: Public Participation in P1anning, 1977, 141, 145. 228 Filyk/Cote, in: Canadian Environmental Policy, 1992, 60, 66/67, zu Einzelheiten der Organisation und Ausstattung. 229 So gab das Ministerium ein Gutachten über den Vollzug der Umweltschutzgesetze des Bundes in Auftrag, Canadian Environmental Advisory Council, Enforcement Practices ofEnvironment Canada, 1987.
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2. Teil: Mitwirkung und Beteiligung
Ministeriums stehendes Gremium, das gleichermaßen zur Beratung des Ministers und der Öffentlichkeit verpflichtet ist. 230 Seine an den Umweltminister gerichteten Berichte sind nach Absprache mit dem Minister auch regelmäßig veröffentlicht worden. Die Durchführung öffentlicher Anhörungen durch das CEAC war von Beginn an ausgeschlossen worden,231 und der Schwerpunkt der Arbeit lag bei der vertraulichen Beratung des Umweltministers. Je nach Persönlichkeit des Ministers wandelte sich das Verhältnis und damit auch der Einfluß des CEAC, was den Jahresberichten deutlich zu entnehmen ist. 232 Bei Gründung des CEAC sah man ein institutionalisiertes Beratungsgremium als stabileren Weg an, Einfluß von Umweltschutzgruppen auf das Ministerium zuzulassen, als direkt den Kontakt mit Umweltschutzgruppen zu suchen.233 Viele der bekanntesten kanadischen Umweltschützerhaben dem CEAC als Mitglied angehört. Das CEAC suchte selber aktiv den Dialog mit Umweltschutzverbänden. Zum ersten Mal fand im März 1977 ein Treffen zwischen dreißig Vertretern von Umweltschutzgruppen und Mitgliedern des CEAC statt. 234 Daraus entstand die Idee zur Gründung des Canadian Environmental Network (CEN), einem Zusammenschluß von Umweltschutzgruppen. Die Mitglieder des CEAC treffen sich ungefähr alle zwei Monate zu gemeinsamen Sitzungen. Die Umweltminister haben sie meist durch schriftliche Stellungnahmen, aber auch in persönlichen Gesprächen beraten. Aus den Jahresberichten kann man entnehmen, daß es immer wieder Schwierigkeiten hinsichtlich der fmanziellen Ausstattung des CEAC gegeben hat. Das Budget des CEAC betrug im Jahre 1990/1991 $ 550.000. (2) Einfluß auf die Verordnungsgebung Inwieweit das CEAC selbst direkten Einfluß auf die Verordnungsgebung nimmt, konnte nicht ermittelt werden. Die Jahresberichte machen aber deutlich, daß sich das Gremium mit fast allen dringenden Umweltproblemen schon sehr frühzeitig beschäftigt hat und generelle Empfehlungen zu ihrer Behebung ge-
°Canadian Environmental Advisory Council, Annual Review 1973-1974, 7.
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Canadian Environmental Advisory Council, Review of Activities 1989/1990, 28. In den fünfundzwanzig Jahren seit Gründung des Bundesumweltministeriums wurde es von neunzehn verschiedenen Ministern und Ministerinnen geleitet, Übersicht bei Doern!Conway, The Greening of Canada, 1994, 39; zu ergänzen um Sheila Copps ab Oktober 1993, Sergio Marchi seit Januar 1996 und ChristineStewart seit Juni 1997. 233 Doern/Conway, The Greening ofCanada, 1994, 106; ähnlich schon Schatzow, in: Pub1ic Participation in P1anning, 1977, 141, 145. 234 Canadian Environmental Advisory Council, Reports of the First and Second Meetings of Public Interest Groups with the Canadian Environmental Advisory Council (March 15, 1977, November 21-22, 1977), 1978. 231
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geben hat. Neben allgemeinen Empfehlungen hat das CEAC auch Stellungnahmen zu konkreten Gesetzesvorhaben (Wildlife Export and Import Act, Environmental Profeetion Act 235, National Parks Act 236) abgegeben. Auch haben die Mitglieder des Rates durch das Sekretariat Zugang nicht nur zum Umweltminister, sondern auch zu allen anderen Abteilungen des DOE. Entscheidend ist jedoch, daß das CEAC schon sehr früh darauf hingewirkt hat, daß die Öffentlichkeit und Umweltschutzgruppen stärker an Entscheidungen der Verwaltung in Umweltschutzangelegenheiten und speziell auch an der Verordnungsgebung beteiligt werden. Auf einer Sitzung der Environment Councils of Canada 1981 wurden diesbezüglich weitgehende Beschlüsse gefaßt.237 Es wurde gefordert, nicht nur die offiziellen Gazettes als Ankündigungsmedium fiir beabsichtigte Verordnungen zu nutzen. Die Öffentlichkeit und Umweltschutzgruppen sollten vor dem Erlaß von Gesetzen und Verordnungen konsultiert werden. Bei allen Verwaltungsentscheidungen solle erläutert werden, in welcher Weise die von den Gruppen gegebenen Informationen erwogen wurden. Diese Themen wurden in fast allen folgenden Jahresberichten wieder aufgegriffen. 238 Das CEAC entscheidet nur durch Konsens. Der Einfluß des CEAC auf den Umweltminister ist sicher auch wegen dieses Entscheidungsmodus erheblich.239 Das CEAC unterstützte die Gründung der unten dargestellten "Runden Tische für Umwelt und Wirtschaft". Es gibt bewußt Doppelmitgliedschaften in beiden Grernien.Z40 Das CEAC versteht sich als traditionelles Gremium zur Beratung und Unterstützung des Ministers, sieht aber die neuen, öffentlichkeitswirksamer
235 Zusammenfassung der Stellungnahme zu CEPA in Canadian Environmental Advisory Council, Review of Activities 1985/86-1986/87, 20/21 . 236 Canadian Environmental Advisory Council, Review of Activities 1987/88-1988/89, 617. 237 Die Beschlüsse sind abgedruckt in Canadian Environmental Advisory Counci/, Review of Activities, 1981182-1982/83, 21-23. 238 Canadian Environmental Advisory Council, Review of Activities 1983/84, 7: 'Public Input to the Process of Establishing and Reviewing Environmental Standards' , Canadian Environmental Advisory Council, Review of Activities, 1985/86-1986/87, 5: 'increased provisions for public involvement to ensure that there are equal opportunities for all sectors of Canadian society to participate in the regulatory process'; Canadian Environmental Advisory Council, Review of Activities 1987/88-1988/89, 9: 'ensuring that all Ievels and departments of govemment establish consultation processes which encourage and facilitate public involvement and influence in policy-making and planning processes' ; ähnlich auch Canadian Environmental Advisory Counci/, Review of Activities 1989/90, 9. 239 Filyk/Cote, in: Canadian Environmental Policy, 1992, 60, 72. 24 Canadian Environmental Advisory Council, Review of Activities 1989/90, 7/8.
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2. Teil: Mitwirkung und Beteiligung
arbeitenden "Runden Tische" als wertvolle Ergänzung und Unterstützung seiner Arbeit an.241 b) National Round Table on the Environment and the Economy Die Gremien der "Runden Tische für Umwelt und Wirtschaft" auf Bundesund Provinzebene wurden auf Anraten des 1987 veröffentlichten Berichts der Task Force on Environment and Economy des Canadian Council of Resource and Environment Ministers gegriindet.242 Ziel der Task Force war es, "to foster environmentally sound econornic development"243 und Umsetzungsmaßnahmen dafiir vorzuschlagen. Als Mittel für die Umsetzung ihrer Vorschläge empfahl sie, sogenannte "Runde Tische für Wirtschaft und Umweltschutz" in allen Provinzen und im Bund zu gründen. An ihnen sollten alle an der Umsetzung von dauerhaftumweltgerechter Entwicklung (Sustainable Development) Interessierten teilnehmen können, insbesondere Vertreter von Umweltschutzgruppen, Gewerkschaften, mittelständischen Unternehmen und den kanadischen Ureinwohnern. Im Gespräch mit den Verantwortlichen in Verwaltung und Wirtschaft sollten die Runden Tische Gelegenheit erhalten, zu neuen Regierungsprogrammen Stellung zu nehmen oder auch Studien zu besonderen Problemen zu erarbeiten.244 Für die Bundesebene machte die National Task Force auch Vorschläge hinsichtlich der Struktur, der Aufgaben und der Ernennung der Mitglieder des Runden Tisches. Die Gründung des National Round Table on the Environment and the Economy (NRTEE) wurde im Oktober 1988 verkündet und im März 1989 wurden die insgesamt funfundzwanzig Mitglieder ernannt. 245 Die erste Sitzung fand am 14./15. Juni 1989 statt.
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Chant, in: Canadian Environmental Advisory Couneil, Review of Activities 1989/90,
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242 Howlett, 97 Queen's Quarter1y (1990), 580, 581; Gardner, Federal Intergovemmenta1 Co-operation on Environmenta1 Management, 1994, 14/15. 243 Howlett, 97 Queen 's Quarterly (1990), 580, 581. 244 Howlett, 97 Queen's Quarterly (1990), 580, 5811582; Filyk/Cote, in: Canadian Environmenta1 Policy, 1992, 60, 63. 245 Howlett, 97 Queen's Quarterly (1990), 580, 586 enthält eine Übersicht über die Zuordnung der Mitglieder aller Runden Tische. Dem NRTEE gehören nach dieser Einteilung sechs Mitglieder aus Bundes- und Provinzregierungen an, fiinf Vertreter kamen aus Unternehmen, drei Mitglieder waren Vertreter von Umweltschutzorganisationen und zwei Mitglieder Vertreter der Gewerkschaften. Die restlichen neun Mitglieder kamen aus 'other policy communities'- drei aus öffentlichen Instituten, zwei Professoren, zwei private Sachverständige und zwei Angehörige privater Institute. Howlett kritisiert, daß die Ureinwohner nicht im NRTEE vertreten sind, 582. Zwei NRTEE Mitglieder gehörten gleichzeitig auch dem CEAC an (Robert Page, Diane Griffin), ein NRTEE-Mitglied war ehemaliges CEAC-Mitglied (Susan Holtz CEAC 1982-1985). Die Ernennung neuer
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(1) Rechtsgrundlage und Arbeitsweise Seit Juni 1993 hat der NRTEE durch den Act to Establish the National Round Table on the Environment and the Economy 246 (NRTEEA, vorher Bill C-72) eine gesetzliche Grundlage. Ziel der gesetzlichen Verankerung des Gremiums war es, ihm mehr Unabhängigkeit vom Umweltministerium zu verschaffen und zu ermöglichen, daß fmanzielle Unterstützung der Privatwirtschaft eingeworben werden kann. 247 Rechtlich ist der NRTEE als Crown Corporation organisiert (Section 3 NRTEEA), einer Art öffentlichem Unternehmen. Die Mitglieder erhalten eine nominelle Vergütung von $ 325 bis $ 425 pro Sitzungstag für ihre Tätigkeit (Honoraria genannt). Außer den Vollmitgliedern arbeiten noch zweiundzwanzig weitere Personen in Untergruppen und Arbeitskreisen des NRTEE mit.248 Ein Sekretariat mit neunzehn Beschäftigten arbeitet dem Gremium zu. Die vom NRTEE herausgegebene Zeitschrift (National Round Table Review) bietet ein Forum, um Fragen der dauerhaft-umweltgerechten Entwicklung zu diskutieren249 und über die Aktivitäten des NRTEE zu informieren. Die Beschlußfassung im NRTEE erfolgt nur durch Konsens. Das Gremium hat detaillierte Kriterien und Verfahrensschritte festgelegt, wie es Konsens in Sachfragen innerhalb eines vorgegebenen Zeitrahmens erreichen wi11.250 Um die gesamtstaatliche Bedeutung zu betonen, untersteht der nationale Runde Tisch dem Premierminister und berichtet ihm direkt. 251 Der Premiermi-
Mitglieder wird in der Ganada Gazette Part I bekanntgegeben; beispielsweise in der Ausgabe vom 22. Juli 1995, 2343. 246 s.c. 1993, c. 31. 247 Ronald Doering, geschäftsfUhrender Direktor des NRTEE am 23. März 1993 in den Beratungen des Legislativausschusses zu Bill C-72, Legislative Garnmittee on Bill72, Minutes of Proceedings, 13. Der NRTEE wird aus Mitteln des Green Plans jährlich mit $3.5 Mio. von der Bundesregierung unterstützt und konnte darüber hinaus jährlich eine weitere Million Dollar als Spenden aus der Privatwirtschaft einwerben, 19. 248 Untergruppen und Arbeitskreise des NRTEE gibt es z.B. zu Fragen der Forstwirtschaft, der Papierwirtschaft, der Erziehung, des Handels und der Fischerei. 249 Die Ausgabe der Zeitschrift vom Frühjahr 1993 war z.B. dem Thema Umweltschutzgruppen (Environmental NGO's in the 1990s) gewidmet. 250 In zehn Schritten dargestellt in National Round Table on the Environment and the Economy, Annual Review 1992/1993, 8/9. Die Ganadian Standards Association hat Interesse an der Übernahme dieses Verfahrens als anerkanntes Verfahren zur Konfliktbeilegung geäußert, 23. Es ist inzwischen als Anlage zu CSA-Standard Z 764-96, A Guide to Public Involvement, aufgenommen worden. Zu Konsensverfahren siehe auch Alexander, Federal Environmental Assessment and Regulatory Reform, 1995, 84/85. 251 Laut Ronald Doering, geschäftsführender Direktor des NRTEE am 23. März 1993 in den Beratungen des Legislativausschusses zu Bill C-72, Legislative Garnmittee on Bill G-
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2. Teil: Mitwirkung und Beteiligung
nister ernennt die Mitglieder für einen Zeitraum von drei Jahren (Section 6 (1) und (2) NRTEEA). Nach einem Jahr endet die Mitgliedschaft für ein Drittel der Mitglieder, so daß gleichzeitig Konituität und Erneuerung des Gremiums gewährleistet sind. Zur Zeit hat der NRTEE vor allem eine erzieherische Funktion, die er durch die Erstellung und Veröffentlichung von Handbüchern, Studien und Berichten, aber auch Postern, Musikvideos und Computerspielen erfüllt. 252 (2) Einfluß auf die Verordnungsgebung Obwohl in dem ursprünglichen Vorschlag der Task Force vorgesehen war, daß die Runden Tische auch Einfluß auf die Entscheidungsfmdung in den Verwaltungen nehmen sollen, ist eine solche Entwicklung nach Einschätzung Howletts253 unwahrscheinlich. Die Runden Tische werden vor allem eine beratende Funktion übernehmen und die Berücksichtigung der gemachten Vorschläge liegt vollständig im Ermessen der Regierung. Das Gremium selbst versteht sich als Katalysator, der bewirkt, daß umweltgerechte Lösungen in den zuständigen Organisationen herbeigeführt werden. 254 Aus den Publikationen läßt sich nicht entnehmen, daß der NRTEE konkreten Einfluß auf die Verordnungsgebung im Umweltschutzbereich hätte, jedoch sollte der sonstige Einfluß des NRTEE nicht unterschätzt werden. Er symbolisiert die inzwischen gesetzlich festgeschriebene Entwicklung einer Kultur der Zusammenarbeit über Interessengegensätze hinweg. Vertreter der Wirtschaft und Mitglieder von Umweltschutzgruppen versuchen, die gegenseitigen Beweggründe und Argumente zu verstehen und gemeinsame Lösungen zu erarbeiten.255 Das Gremium ist insbesondere eine Gelegenheit, Vertreter der Bundes- und der Provinzregierungen zusammenzubringen, ohne daß sofort verfassungsrechtliche Zuständigkeitsfragen erörtert werden müssen, sondern pragma72, Minutes ofProcedeedings, 19, geschieht diese Beratung in Form von Briefen an den Premierminister, die zwei bis drei Wochen nach ihrer Absendung veröffentlicht werden. 252 Nachweise im National Round Table on the Environment and the Economy, Annual Review 1992/1993, 33-36. 253 Howlett, 97 Queen's Quarterly (1990), 580, 594. Doering, Canadian Round Tables on the Environment and the Economy, 1993, 1, hält es noch für zu früh, um eine Einschätzung der Auswirkungen dieser Gremien abzugeben. 254 National Round Table on the Environment and the Economy, Annual Review 199111992,6 und 8. 255 Zitat aus dem National Round Table on the Environment and the Economy, Annual Review 1991-1992, 7: "lt will be far preferable to establish common goals, common attitudes, a common understanding. In other words, far better to emphasize harmony through education by identifying the economic advantages of sustainability and the benefit of a less destructive existence." Siehe auch die Beschreibung der Zusammenarbeit in der Arbeitsgruppe zur Forstwirtschaft, 24-27.
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tische Lösungen fiir Umweltfragen im Vordergrund stehen.256 Das im NRTEE praktizierte V erfahren der Entscheidung durch Konsens wirkt sich auch auf andere staatliche Verfahren aus. In der kanadischen Gesellschaft wird erwartet, daß staatliche Entscheidungen erst nach umfangreichen Beratungen unter Beteiligung aller an der Entscheidung Interessierten getroffen werden. Durch den NRTEE wurde insofern ein Vorbild257 geschaffen, das letztlich bis hinein in das Verfahren der Verordnungsgebung relevant ist. c) Boards of Review unter CEPA Im Gegensatz zu den unter a) und b) beschriebenen ständigen Gremien, handelt es sich bei den Untersuchungskommissionen unter CEPA um ad hoc zu gründende Beratungsgremien in speziellen Fällen. CEPA eröffuet im Verfahren der Verordnungsgebung jeder interessierten Person die Möglichkeit, eine Untersuchungskommission (Board ofReview) zu beantragen (Section 89 CEPA).m Section 89 CEPA sieht, zum Teil durch Verweisungen auf andere Sections des Gesetzes, insgesamt vierzehn Fälle der Errichtung eines Board ofReview vor. In fiinfFällen ist die Errichtung einer Kommission nach dem Wortlaut des Gesetzes zwingend vorgeschrieben.259 In neun weiteren Fällen (praktisch beijeder Veränderung der Listen von gemäß CEPA kategorisierter Stoffe) liegt es im Ermessen des Mini256 Ronald Doering, geschäftsfUhrender Direktor des NRTEE am 23. März in den Beratungen des Legislative Committee on Bill C-72, Minutes ofProceedings, 22. Zur Bedeutung von Institutionen im Politikprozeß, Weale, The new politics of pollution, 1992, 221. Schon 1990 bestanden in allen Provinzen und Territorien entsprechende "Runde Tische", bzw. ihre Errichtung war angekündigt, Howlett, 97 Queen's Quarterly (1990), 580, 583; die Mitglieder aller Gremien treffen sich regelmäßig zum Zwecke der Abstimmung, 595. 257 Howlett, 97 Queen's Quarterly (1990), 580, 594; Bregha u.a., The Integration of Environmental Considerations into Govemment Policy, 1990, 21; Kloepfer/Mast, Das Umweltrecht des Auslandes, 1994, 253; Hoberg, in: Goveming Canada, 1993, 307,318, bezeichnet Multi-Stakeholder Verfahren als 'Standardverfahren'. 258 Erläuterungen dieser Sections in CEPA Office, Public Participation, 1994, 109111. Der Gesetzentwurf ftir die Neufassung von CEPA enthält diese Regelungen in den Sections 333 bis 341. 259 Eine Untersuchungskommission ist einzusetzen, wenn Einspruch erhoben wird, gegen vorveröffentlichte: (1) Verordnungen nach Section 62 (2), die die internationale Luftverschmutzung betreffen (Section 89 (2)); (2) Verordnungen nach Section 51 (2), die Phosphate betreffen (Section 89 (4)); (3) Verordnungen nach Section 55 (2) über die Umweltschutzkontrolle auf Land im Eigentum des Bundes (Section 89 (4)); (4) Entscheidungen nach Section 74 (1) über die Abfallbeseitigung aufhoher See (Section 89 (4)) und (5) wenn entgegen Section 14 keine Bewertung der Giftigkeit einer seit ftinf Jahren auf der Priority Substances List verzeichneten Substanz vorgenommen wurde (Section 89 (5)).
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sters, ob eine Untersuchungskommission eingesetzt wird (Section 89 (1) und (3) CEPA). Die Verpflichtung, eine Anhörung vor dem Board ofReview abzuhalten, besteht in jedem Fall erst, wenn schon ein Verordnungsentwurf vorveröffentlicht worden ist. 260 Seit Erlaß des Gesetzes 1988 ist noch in keinem Fall eines erhobenen Protestes eine solche Kommission eingesetzt worden.261 Weder CEPA noch die bislang nur vorveröffentlichten Verfahrensregeln262 fiir die Boards of Review enthalten nähere Angaben hinsichtlich der Personen, die als Mitglieder der Untersuchungskommissionen bestimmt werden können. Section 90 CEPA schreibt lediglich vor, daß einer Kommission nicht weniger als drei Personen angehören sollen. Der von der Kommission zu verfassende Abschlußbericht soll neben der Darstellung der der Kommission vorgelegten Beweise auch Empfehlungen an den Minister enthalten (Section 96 (1) CEPA). Der Abschlußbericht ist gemäß Section 96 (2) CEPA unmittelbar nach Übergabe an den Minister zu veröffentlichen. Die Entscheidung in der Sache liegt beim Minister. Nach Ansicht in der Literatur darf er sich fiir die Entscheidung auch auf Empfehlungen von wissenschaftlichen Beratern des Ministeriums stützen, die der Kommission noch nicht zur VerfUgung standen.263
6. Finanzierung von Beteiligung Um eine ausgewogene Beteiligung und gerade die Teilnahme von Umweltschutzgruppen an Entscheidungen des Umweltministeriums zu gewährleisten, ist in Kanada schon früh damit begonnen worden, fmanzielle Mittel für diesen Zweck bereit zu stellen. Auch in der Literatur wurden verschiedene Modelle der fmanziellen Unterstützung von Beteiligung diskutiert.264 Eine Möglichkeit, die fmanziellen Ressourcen nahezu kostenneutral fiir die Regierung bereitzustellen, bietet die vorgeschlagene Fonds-Lösung, bei der die aus Strafen und Ordnungsgeldem wegen Umweltdelikte eingenommenen Gelder in einen Fonds 260 Die Sections 90 bis 96 CEPA enthalten weitere Verfahrensregeln für Boards of Reviews. Ein Verordnungsentwurf gemäß Section 97 über das Verfahren vor den Kommissionen wurde zwar bereits vorveröffentlicht (Canada Gazette Part I, 18. Dezember 1992, 3899), ist aber bislang noch nicht in Kraft getreten. 261 Keyes, Executive Legislation, 1992, 91, führt dies auf die Erfahrungen mit Ver-
ordnungsgebung in den USA zurück, die man in Kanada nicht wiederholen will. Nach Auskunft des Ministeriums ist auch bis zum 31. März 1996 kein Board of Review eingesetzt worden. Zu dem einen anhängigen Gerichtsverfahren siehe oben, Fn. 200. 262 Environmental Protection Boards of Review Rules, Canada Gazette Part I, 19. Dezember 1992,3899-3907. 263 Cotton/Lucas, Canadian Environmental Law, 2. Aufl. 1995, § 4.38. 264 Anand/Scott, 60 Canadian Bar Review (1982), 81, 114-119; Courtois, in: Recent Developments in Administrative Law, 1987, 99; Valiante/Muldoon, in: Law and Process in Environmenta1 Management, 1993, 142, 164/165.
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eingebracht werden, aus dem dann die Beteiligung von Umweltschutzgruppen an staatlichen Verfahren fmanziert wird. 265 CEPA enthält in Section 120 sogar eine Ermächtigung der Regierung, durch Verordnung die Art und Weise der Verteilung von solchen Einnahmen zu regeln. Für eine solche Lösung hat sich der Parlamentsausschuß zur Überprüfung von CEPA ausgesprochen.266 Schon 1975 wurden sechs Umweltschutzgruppen direkt vom DOE fmanziell unterstützt. 267 Am Ende der achtziger Jahren wurden cirka $ 150.000 jährlich zu diesem Zweck bereitgestellt.268 Inzwischen ist die Summe, mit der allein die Dachorganisation Canadian Environmental Network (CEN) unterstützt wird, auf $ 225.000 jährlich gestiegen.269 Um Umweltschutzgruppen indirekt zu fördern, werden zum Teil vom DOE Beratungsverträge vergeben, deren Ziel es ist, den Gruppen zu ermöglichen, sich ohne spezielle eigene fmanzielle Aufwendungen in Themen einzuarbeiten, die inStakeholder-Verfahren erörtert werden sollen.270 So war geplant, daß das CEN vom DOE $ 100.000 erhält, um eine Person für zwei Jahre einzustellen, deren Aufgabe es sein sollte, während des Strategie Options Process die Verbindung zu den CEN angehörenden ENGOs zu halten. Der Mitarbeiter sollte an allen Treffen der Issue Tab/es teilnehmen, in allen Verfahren die Stellungnahmen fiir CEN abgeben und generell das CEN vertreten.271 Die meisten an den Verfahren des Ministeriums teilnehmenden Umweltverbände haben keine Bedenken, daß durch die fmanzielle Unterstützung durch das Ministerium ihre Unabhängigkeit und damit eventuell auch ihre Glaubwürdigkeit verloren gehen könnte. Die Gefahr wird zwar gesehen, aber nicht fiir entscheidend gehalten. 272
CEPA Office, Public Participation, 1994, 98, Fn. 226. Hause ofCommons, It's about our Hea1th, 1995, 232-234. 267 Das Canadian Environmental Advisory Council hatte 1975 die finanzielle Unterstützung von 'voluntary organizations concemed with environmental quality' vorgeschlagen, Canadian Environmental Advisory Council, Annual Review 1975, 3. 268 Doem!Conway, The Greening of Canada, 1994, 106; Environment Canada, Annual Report 1988/1989,26, weist$ 149.000 aus; Environment Canada, Annua1 Report 1989/1990, 37,$ 150.000. 269 Wilson, in: Canadian Environmental Policy, 1992, 109, 114; allerdings betrug diese Förderung in anderen Jahren laut Environment Canada, Annua1 Report 1988/1989, 27, sogar schon $414.000undgemäßEnvironment Canada,Annual Report 1989/1990,38, $403.000. 270 Wilson, in: Canadian Environmenta1 Policy, 1992, 109, 115. Diese Tatsache wurde der VerfasseTin auch in Gesprächen mit Mitarbeitern des Ministeriums bestätigt. 271 Unveröffentlichter Brief vom DOE Options Evaluation Team an P. Muldoon (CEN) vom 7. Dezember 1994 mit Vertragsvorschlag, Kopie im Besitz der Verfasserin. 272 Dazu folgendes, in Environment Canada Policy and Communications, Ensuring the Success of Multi-Stakeholder Initiatives, 1995, 7, abgedruckte Zitat: "Environment Canada will pay [a consultant] to ask me what I think, but they won't pay me to tell them." 265
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Zusätzlich zu der allgemeinen fmanziellen Unterstützung wird durch die Methode des Intervenor Funding (Finanzielle Unterstützung für Beigeladene) versucht, Umweltschutzgruppen die Beteiligung auch an Verfahren der Verordnungsgebung und -Überprüfung fmanziell zu erleichtern. Seinen Ursprung hat die Methode in dem Verfahren der Umweltverträglichkeits-Prüfung (UVP)273 und in den Verfahren vor der kanadischen Kommission, die für die Festlegung von Fernseh- und Telekommunikationsgebühren zuständig ist. 274 Wenn ein Betreiber sein Projekt einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterziehen muß, dann können interessierte Dritte, die sich an der UVP beteiligen wollen, fmanzielle Unterstützung von der staatlichen Behörde unter dem Participant Funding Program beantragen. Die beteiligten Umweltschutzgruppen werden dann gewissermaßen dafür finanziell entschädigt, daß sie neue Informationen und Gesichtspunkte in das Verfahren eingebracht haben. 275 Auch das Landwirtschaftsministerium und das Ministerium für Consumer and Corporate Affairs verfügen über ähnliche Unterstützungsprogramme. Die Provinz Ontario hat durch das "Gesetz über die fmanzielle Unterstützung von Beigeladenen" (Intervenor Funding Project Act)276 eine Möglichkeit geschaffen, die Beteiligung von Umweltschutzgruppen als Beigeladene in Verfahren einer UVP zu unterstützen, ohne gleichzeitig die Regierung fmanziell zu belasten. Die Kosten der Unterstützung von Beigeladenen kann dem sogenannten Proponent auferlegt werden. Proponent ist deijenige, der von dem Ausgang einer positiven UVP Entscheidung einen fmanziellen Nutzen hat. Eine mit der UVP selbst nicht befaßte, spezielle Kommission trifft die Entscheidung über den Status als Proponent, als Intervenor und ob, wann, und wieviel Unterstützung gewährt wird. Die Trennung von der in der Sache entscheidenden
273 CEPA Office, Public Participation, 1994, 97, erwähnt als weiteren Vorläufer der umweltrechtlichen Regeln das inzwischen abgeschaffte Court Challenges Program, das es ermöglichte, auf die Charter ofRights and Freedoms gestützte Klagen wegen sprachlicher oder anderer Ungleichbehandlungen finanziell zu unterstützen; zur finanziellen Unterstützung im Rahmen der UVP, Adam, in: The Rote of Environmental Impact Assessment in the Decisionmaking Process, 1989, 119, 121. 274 Zu den Verfahren vor der Canadian Radio and Telecommunications Commission (CRTC) siehe Englehardt/Trebilcock, Public Participation in the Regulatory Process: The lssue ofFunding, 1981, 49/50; Courtois, in: Recent Developments in Administrative Law, 1987, 99, 103-105; Beispiele auch bei Jeffery, 3 Canadian Journal of Administrative Law and Practice (1989), 69, 70. 275 Englehart!Trebilcock, Public Participation in the Regulatory Process: The Issue of Funding, 1981 , 49. 276 R.S.O. 1990, c. 1-13, geändert durch S.O. 1993, c. 27. Dazu Jeffery, 3 Canadian Journal of Administrative Law and Practice (1989), 69, 75-80. Zu in der Provinz British Columbia praktizierten Verfahren, Owen, in: Law and Process in Environmental Management, 1993, 335-366.
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Kommission von demjenigen Gremium, das die Entscheidung über die fmanzielle Unterstützung trifft, wird in Kanada als essentiell angesehen. 277 Für das Verfahren vor den CEPA Boards of Review gibt es noch keine Regelung für ein Programm der fmanziellen Unterstützung von Beigeladenen. Das Ministerium will diese Frage durch eine Verwaltungsrichtlinie (Guideline) regeln. Die Regelung eines Unterstützungsprogramm durch Verordnung will man vermeiden, da in diesem Fall eine Leistungsklage auf Unterstützung vor Gericht möglich wäre (im Verfahren des mandamus).218 Der Parlamentsausschuß zur Überprüfung von CEPA hat sich für ein Participant Funding Program auf gesetzlicher Grundlage ausgesprochen.279 Die Regierung hat in ihrer Erwiderung keine diesbezüglichenAnkündigungen gemacht. In dem Verfahren unter dem Strategie Options Process werden den Vertretern von Umweltschutzgruppen die Reise- und Übernachtungskosten gezahlt, die für die Teilnahme an den Sitzungen des Issue Tab/es nötig sind. An einer einheitlichen Handhabung der Unterstützung von Umweltschutzgruppen in Beteiligungsverfahren wird zur Zeit im Ministerium gearbeitet. Ein internes Arbeitspapier sieht vor, Reise- und Übernachtungskosten für Teilnehmer an Beteiligungsverfahren nur noch dann zu übernehmen, wenn die Teilnehmer diese nicht von der sie entsendenden Gruppe erstattet bekommen und von dieser Gruppe auch sonst kein Gehalt beziehen. Nur in außergewöhnlichen Umständen soll noch die bislang häufig genutzte Möglichkeit bestehen, Teilnehmer der Beteiligungsverfahren vertraglich zu einer dem Verfahren dienlichen Leistung zu verpflichten, um auf diese Weise die Teilnahme zu sichern.
V. Öffentlichkeitsbeteiligung Die kanadische Öffentlichkeit wird in vielfältiger Weise über die Maßnahmen und Pläne des Ministeriums informiert. Es werden Schriften herausgegeben, die z.B. über bestehende Gesetze allgemeinverständlich informieren, Umweltprobleme und ihre Ursachen erläutern und die Programme und Maßnahmen
277 Vorgeschlagen von Thompson, in: Public Participation in Environmental Decision Making, 1979, 15, 24; dann Anand/Scott, 60 Canadian Bar Review (1982), 81, 116. 278 Jedoch haben die UVP Entscheidungen Friends ofthe Oldman River Society v. Canada (Minister ofTransport) [1992] I S.C.R. 3 und Canadian Wildlife Federation Inc. v. Canada (Minister ofEnvironment, [1990] 4 C.E.L.R. I (F .C.A.) gezeigt, daß auch internen Guidelines Außenwirkung zukommen kann. Dem Ministerium ist deswegen in jedem Fall daran gelegen, die Frage der Finanzierung von Beteiligung einvernehmlich zu lösen. 279 House ofCommons, It's about our Health, 1995, 232-234; CEPA Review, The Government Response, 1995,28 verlangt weitere Stellungnahmen der Öffentlichkeit zu dieser Frage.
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des Ministeriums der Bevölkerung nahebringen sollen.280 Auf die bevorstehende Publikation von Verordnungen in der Canada Gazette wird in den Jahresberichten des Ministeriums deutlich hingewiesen. 281 Wohl einzigartig in der Welt dürfte die Environment Canada 's Success Stories Bank sein, in der Beispielsfälle aus dem privaten und dem öffentlichen Sektor gesammelt werden, in denen wirtschaftliche und ökologische Fortschritte erreicht wurden. Die Sammlung ist öffentlich zugänglich und hat zum Ziel, durch diese Vorbilder andere Gruppen und Unternehmen zur Nachahmung zu motivieren.282 Natürlich ist das DOE auch auf dem Internet vertreten und die meisten öffentlichen Dokumente sind dort in elektronischer Form abrufbar. 283 Im folgenden soll zum einen auf die gesetzlichen Vorschriften des Canadian Environmental Profeetion Act zur Vorveröffentlichung von Verordnungen und zum anderen auf den Federal Regulatory Plan der Bundesregierung und den von DOE herausgegebenen Consultation Calendar eingegangen werden. Die beiden letzteren Publikationen sind weitere Informationsmittel für die Öffentlichkeit über geplante Verordnungen und wollen gerade die allgemeine Öffentlichkeit284 zur Beteiligung an V erfahren des Ministeriums ermuntern.
1. Gesetzliche Pflichten zur Vorveröffentlichung gemäß CEPA CEPA enthält Vorschriften, die die Vorveröffentlichung von geplanten Verordnungen verlangen. Dadurch ist das Verfahren der Vorveröffentlichung, das von der Regierung bezüglich aller Verordnungen aufgrund der Selbstverpflichtung im Citizen 's Code ofRegulatory Fairness praktiziert wird,285 im Falle von Umweltschutz-Verordnungen größtenteils, aber nicht lückenlos, auf eine gesetzliche Grundlage gestellt.
280 Sogar der sehr verständlich formulierte und graphisch ansprechend gestaltete Green Plan wurde zwecks einer weiteren Verbreitung noch in eine verkürzte Fassung gebracht, Government ofCanada, Canada's Green Plan in Brief, 1990. 281 Environment Canada, CEPA Report, April 1990-March 1991, 22/23; Environment Canada, CEPA Report, April 1993-March 1994, 26; Environment Canada, CEPA Report, Aprill994-March 1995,31. 282 Environment Canada, Annual Report 1989/1990, 3/4. Die Regierung hat sich verpflichtet, diese Sammlung zu einem National Pollution Prevention Information Clearinghause auszubauen, CEPA Review, The Government Response, 1995, Nr. 6.10, 47. 283 Http://www .ec.gc.ca (Mai 1997). Alle Mitarbeiter sind per e-mail erreichbar. 284 Zu diesem Begriff siehe das Zitat eines kanadischen Umweltschützers in Tingley, in: Law and Process in Environmental Decisionmaking, 1993, 319, 322: "you are a member of the 'general public' until you assertively pursue a position, at which point, you become a special interest organization." 285 Siehe oben, 1. Teil, C. II. 2. b).
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In jedem Teil von CEPA fmden sich Verpflichtungen zur Vorveröffentlichung von Verordnungen. Nur Section 62 (2) (a) CEPA (International Pollution) unterscheidet explizit zwischen der in diesem Fall nicht nur jeder Person, sondern auch jeder von der geplanten Verordnung betroffenen Regierung, offenstehenden Möglichkeit der Übersendung von Stellungnahmen ("file with the minister comments in writing") einerseits, und der Möglichkeit des Einspruchs (notice of objection), der zur Einsetzung einer Untersuchungskommission (Board of Review) fiihren kann, andererseits. In allen anderen Fällen wird ausdrücklich nur noch auf die Einspruchsmöglichkeit innerhalb von 60 Tagen nach Veröffentlichung der geplanten Verordnung hingewiesen. Es erscheint aber folgerichtig, die bloße Abgabe von Stellungnahmen oder die Verordnung betreffende Vorschläge auch in diesen Fällen fiir zulässig anzusehen, da es sich dabei quasi um die abgemilderte Form eines Einspruchs handelt. Section 48 (1) CEPA (im Abschnitt über Taxie Substances) verpflichtet zur Vorveröffentlichung von nach Sections 33, 34, 41, 42, 43, 47 (a) und 47 (b) erlassenen Verordnungen. Allerdings enthalten in diesem Abschnitt auch Sections 22, 32, 38 und 47 (c) noch Verordnungsermächtigungen, die dann nur aufgrund der Selbstverpflichtung der Regierung dem Verfahren der Vorveröffentlichung unterliegen. Weitere gesetzliche Verpflichtungen zur Vorveröffentlichung enthalten Sections 51, 55 und 86 CEPA, die jeweils auch alle Verordnungsermächtigungen des jeweiligen Abschnitts umfassen. In der Canada Gazette veröffentlicht werden müssen des weiteren eine Zusammenfassung der Bewertung einer Substanz als giftig (Section 13 (1) (b) CEPA) und beschlossene Zielvorstellungen, Richtlinien oder sonstige Verwaltungsvorschriften oder zumindest ein Hinweis auf sie (Section 10 CEPA). Die Tatsache, daß die Vorschriften zur Vorveröffentlichung von Verordnungen in CEPA nur Stückwerk sind, wurde im Verfahren der Überprüfung von CEPA kritisiert und die Einfiihrung einer generellen Verpflichtung zu einem notice-and-comment-Verfahren gefordert. 286 Die Regierung hat sich bislang mit diesbezüglichen Zusagen bedeckt gehalten. Sie ist zwar bereit, Beteiligungsverfahren und Vorveröffentlichung zu praktizieren, will dies aber nicht auf gesetzliche - und damit vor den Gerichten einklagbare - Vorschriften stützen. 2. Umweltschutz-Verordnungen im Federal Regulatory Plan und der Environmental Consultation Calendar
Der Information der Öffentlichkeit weit im Vorfeld der Vorbereitung einer Verordnung dienen die Ankündigungen im Federal Regulatory Plan der Bundes286 CEPA Office, Public Participation, 1994, 115/116 und 123; Hause of Commons. It'saboutourHealth, 1995,207-211, VorschlagNr. 112.
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regierung. Der Federal Regulatory Plan ist das offiZielle, allgemein zugängliche Dokument, durch das die Öffentlichkeit am frühesten über eine geplante Verordnung informiert wird. Seit 1990 hat das DOE dort folgende Verordnungsinitiativen angekündigt:
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