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German Pages 302 [301] Year 2015
Fabian Scholtes Umweltherrschaft und Freiheit
Edition panta rei
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Editorial I In Umbruchzeiten und Zeiten beschleunigten Wandels ist die Philosophie in besondere Weise herausgefordert, Veränderungen unserer theoretischen und praktischen Weltbezüge zu artikulieren. Denn Begriffe, Kategorien und Topoi, unter denen Weltbezüge stehen und unter denen wir unser Denken und Handeln ausrichten, erweisen sich im Zuge jener Dynamik regelmäßig als einseitig, kontingent, dogmatisch oder leer. Dialektisches Denken richtet sich von alters her auf diejenige Gegensätzlichkeit, die die Beschränktheiten des Denkens und Handeins aus sich heraus hervorbringt, und zwar mit Blick auf die Einlösbarkeit seiner Ansprüche angesichts des Andersseins, Anderssein-Könnens oder Anderssein-Sollens der je verhandelten Sache. Dialektik versteht sich als Reflexion der Reflexionstätigkeit und folgt somit den Entwicklungen des jeweils gegenwärtigen Denkens in kritischer Absicht. Geweckt wird sie nicht aus der Denktätigkeit selbst, sondern durch das Widerfahrnis des Scheiterns derjenigen Vollzüge, die sich unter jenem Denken zu begreifen suchen. Ihr Fundament ist mithin dasjenige an der Praxis, was sich als Scheitern darstellt. Dieses ist allererst gedanklich neu zu begreifen in Ansehung der Beschränktheit seiner bisherigen begrifflichen Erfassung. Vor diesem Hintergrund ist für dialektisches Denken der Dialog mit anderen philosophischen Strömungen unverzichtbar. Denn Beschränkungen werden erst im Aufweis von Verschiedenheit als Unterschiede bestimmbar und als Widersprüche reflektierbar. Und ferner wird ein Anderssein-Können niemals aus der Warte einer selbstermächtigten Reflexion, sondern nur im partiellen Vorführen ersichtlich, über dessen Signifikanz nicht die dialektische Theorie bestimmt, sondern die Auseinandersetzung der Subjekte. Wissenschaftlicher Beirat 1 Prof. Dr. Christoph Halbig, Jena I Prof. Dr. Christoph Hubig, Stuttgart I Prof. Dr. Angelica Nuzzo, New York I HD Dr. Volker Schürmann, Leipzig I Prof. Dr. Pirmin Stekeler-Weithofer, Leipzig I Dr. Michael Weingarten, Marburg I Prof. Dr. Jörg Zimmer, Girona/Spanien
Autor dieses Bandes: Fabian Scholtes (Dipl-Vw.) hat in Tübingen u.a. im interdisziplinären Graduiertenkolleg »Globale Herausforderungen« promoviert. Derzeitige Forschung: Soziologie der Entwicklungszusammenarbeit, am Zentrum für Entwicklungsforschung, Universität Bonn.
FABIAN ScHOLTEs
Umweltherrschaft und Freiheit Naturbewertung im Anschluss an Amartya K. Sen
[transcript]
Meinen Eltern
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INHALT
Vorwort I. I. I. I.2. 1.3.
Einleitung Forschungsanliegen Struktur und methodischer Hintergrund der Untersuchung Allgemeine Begriffsabgrenzungen und -klärungen
Problemstellung und Prämissen Umweltherrschaft als Problemstellung II.l.l. Umgang mit Natur als Umweltherrschaft II.1.2. Umweltherrschaft als Folge einer doppelten Komplexität II.l.3. Umweltherrschaft als transkulturelle Ausübung kontingenter Präferenzen II.l.4. Alienität: Annahme der Möglichkeit fundamentaler interkultureller Differenz II.l.5. Konsequenzen für die Rechtfertigung von Umweltherrschaft 11.1.6. Gesellschaftlich organisiertes Wirtschaften als Adressat der Problemstellung II.2. Naturbegriffund naturethische Konzepte II.2.1. Zum Begriff von Natur II.2.2. Naturethische Grundpositionen und Wertkonzepte II.3. Anforderungen an eine Ethik des Wirtschaftens im Umgang mit Natur li. II.l.
9 11 11 14 15 21 22 22 24 27 29 31 32 34 34 37 43
JII.
III.l. III.2.
III.3.
III.4.
III.S.
III.6. IV. IV.l. IV.2. IV.3.
Normative Referenzen der Umweltökonomik und Umweltherrschaft Wahrnehmung von Natur durch die Ökonomik Bewertung von Natur in der Ökonomik III.2.1. Konzeptionell bedingte Instrumentalität III.2.2. Wohlfahrt als Ergebnisreferenz III.2.3. Liberale modale Referenz Tausch Handhabung von Natur gemäß der Ökonomik III.3.1. Konzeptionelle Dominanz des utilitaristischen (Staats-)Zwecks Wohlfahrt III.3.2. Zur legitimatorischen Reichweite von Freiheit und Wohlfahrt Problematisiemng der ökonomischen Naturkonzeption III.4.1. Rückblick: Zentrale Aspekte der ökonomischen Konzeption von Natur III.4.2. Kritik der wohlfahrtsökonomischen Naturkonzeption Normative Neuemugen in der (Umwelt-)Ökonomik III.5.1. Neuerungen im Bereich der Wohlfahrtsökonomik III.5.2. Ökologische Ökonomik als alternative Umweltökonomik Ergebnis und Konsequenzen
Sens wirtschaftsethische Konzeption Hinführung und Eingrenzung Sens Konzeption als normative Wirtschaftsethik Freiheit als zentraler Begriff der Konzeption IV.3.1. Freiheit: Arten, Konzeptionen und Aspekte IV.3.2. Freiheit bei Sen IV.4. Capabilities als partielle Repräsentation von Freiheit IV.4.l. Dimensionalität von Freiheit IV.4.2. Individuelle Partikularität von Freiheit IV.5. Aussagen der Konzeption zu Gesellschaft IV.5.1. Universaler Wert der Demokratie; Deliberation als Verhandlungsmodus IV.5.2. Verantwortung und unvollkommene Pflichten IV.5.3. Gerechtigkeit als Element der gesellschaftlichen Gestaltung IV.6. Aussagen der Konzeption zu Kultur und kulturellem Wandel IV.6.1. Kultur, Kulturalität, kultureller Wandel und interkulturelle Interferenz
47 48 51 51 54 63 66 68 71 73 74 75 82 83 89 94 97 98 102 104 104 112 130 130 135 141 142 150 155 160 162
IV.6.2. Zum Verhältnis der Konzeption zu bestehenden Kulturen IV.7. Aussagen der Konzeption zu Natur, Naturerhalt und Nachhaltigkeit IV.7.1. Umgang mit Natur als gesellschaftliches Problem jenseits des Marktes IV.7.2. Zur Ausrichtung der Bearbeitung von Umweltproblemen IV.7.3. Verwendungen von Positionen Sens durch A. K. Duraiappah und H.-P. Weikard IV.8. Zusammenfassung und Zwischenfazit V.
V.5.
Zur akzeptablen Rechtfertigung von Umweltherrschaft: Naturbewertung und Umweltpolitik im Anschluss an Sen Freiheit und Deliberation als Referenzen der Naturbewertung V.l.l. Freiheit als Ergebnisreferenz V.l.2. Deliberation als Modalreferenz Freiheit und die Rechtfertigung von Umweltherrschaft V.2.1. Freiheit als zwischengesellschaftlich akzeptable Referenz V.2.2. Grundsätzliche Orientierungen unter Wahrung dieser Geltungsfähigkeit Zwischengesellschaftlich akzeptable Naturbewertung V.3.1. Wahmehmung von Natur im Anschluss an Sen V.3.2. Bewertung von Natur mit Blick auf Freiheit V.3.3. Bewertung von Natur gemäß dem Modus der Deliberation Folgerungen für die Umweltpolitik V.4.1. Resultierende Grundsätze der Umweltpolitik V.4.2. Folgerungen mit Blick auflnstrumente der Umweltpolitik Zusammenfassung der Ergebnisse
VI.
Ausblick: Was folgt für die Umweltökonomik?
V.1.
V.2.
V.3.
V.4.
Literatur
166 169 171 174 178 184
187 188 189 195 198 200 205 218 218 221 233 242 243 260 268 275 281
Vorwort
Dieses Buch handelt von Natur und Freiheit - von Freiheit, die wir als Menschen im Umgang mit Natur und aus ihr heraus haben; die wir aber auch Anderen verweigern, indem wir von ihr Gebrauch machen. Die Frage »was sollen wir (dann) tun?« stellte dabei nicht einfach nur das Forschungsproblem dar, sondern war auch innerer Antrieb dafür, eine Antwort zu versuchen. Damit dokumentiert die Arbeit auch die eigenen Versuche philosophischer Orientierung in den vergangenen Jahren. Insofern ist das Buch - wie wohl viele Dissertationen - ein auch recht persönliches geworden. Umso mehr möchte ich, wenn ich es endgültig aus der Hand gebe, denen danken, die es mir ermöglicht haben. An erster, privater Stelle stehen meine wunderbaren Eltern. Ihrer grenzenlosen Unterstützung gegenüber ist die Widmung der Arbeit nur ein dürftiges Symbol. Wissenschaftlich gilt vor allem Professor Dieter Cansier mein herzlicher Dank. Er hat mir einen außerordentlichen Freiraum gegeben, meinen Weg durch das Forschungsprojekt zu finden. Neben seinem Vertrauen in das Projekt und mein Arbeiten hat er immer wieder auch die Rückbindung meiner Überlegungen an das Konkrete eingefordert. Professor Dietmar Mieth hat mich auf verschiedene Argumentationsmöglichkeiten, aber auch aufwichtige Klippen aufmerksam gemacht. Beiden danke ich hierfür sowie flir die Begutachtung der Arbeit. Unterstützung und Anregungen habe ich auch im Graduiertenkolleg Globale Herausforderungen in Tübingen erhalten, insbesondere von MiYong Lee-Peuker und von Norbert A. Richter; ferner von Sabine Dworog, Veit Bütterlin, Mike Höpp und Olaf J. Schumann. In der Auseinandersetzung mit Amartya Sens Ethik haben Gespräche v.a. mit Ingrid Robeyns und Manu Mathai vieles geklärt und das Vorhaben bestärkt, 9
UMWELTHERRSCHAFT UND FREIHEIT
diese Ethik hin zum Umgang mit Natur weiterzudenken. Damit die Gedanken zum Leser gelangen, müssen sie auch gedruckt werden; flir die finanzielle Unterstützung hierin danke ich wiederum dem DFG-Graduiertenkolleg Globale Herausforderungen. Den Weg aus dem Forschungsprojekt hinaus zu finden ist ebenso wichtig wie das Hineinkommen. Hierbei hat mir Thomas Potthast, nebst vielen geduldigen Antworten, durch den engagierten Blick nach vorne geholfen. Jens Badura schließlich bin ich für Perspektiven und philosophische Herausforderungen in einer Weise dankbar, die weit über dieses Buch hinausgeht; hier sei allein erwähnt, dass er mich dazu brachte, das große Ganze der Arbeit wieder zu sehen und sichtbar zu machen.
Tübingen, im März 2007
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Fabian Scholtes
I.
Einleitung
1.1. Forschungsanliegen Dieser Arbeit liegt zunächst ein theoretisches Interesse zugrunde: Sie geht der Frage nach, welche Aussagen sich von der wirtschaftsethischen Konzeption des indischen Ökonomen Amartya K. Sen mit Blick auf die Bewertung und den Umgang mit Natur ableiten lassen. Sen beschäftigt sich vorrangig mit Fragen der Entwicklung. Charakteristisch für seine Konzeption ist, dass sie gesellschaftliche Arrangements und Zustände dahingehend beschreibt und bewertet, wie die Einzelnen hinsichtlich ihrer realen Freiheit gestellt sind, ihre individuellen Ziele verfolgen und auch tatsächlich erreichen zu können. Der Diskurs über diesen Ansatz umfasst vor allem Fragen der Entwicklungspolitik und der sozialen Gerechtigkeit sowie Auseinandersetzungen mit der ökonomischen Theorie. Fragen der Umweltpolitik und der nachhaltigen Entwicklung wurden dagegen bisher kaum bearbeitet. Hier wird deshalb versucht, das Potential der Konzeption Sens in dieser Richtung auszuloten. Sen hat seine Konzeption in verschiedener Hinsicht als Alternative zu etablierten wohlfahrtsökonomischen Ansätzen ausgearbeitet, die durch ihre Umsetzung in der Wirtschafts- und Entwicklungspolitik bedeutende praktische Wirkung entfaltet haben. Eine Teildisziplin der allgemeinen Wohlfahrtsökonomik ist die Umweltökonomik, welche die Bewertungen alternativer Naturallokationen auf Basis der normativen Prämissen der Wohlfahrtsökonomik erfasst, theoretisiert und darauf entsprechende umweltpolitische Aussagen stützt. Indem Natur durch die ökonomische Theorie vorrangig in diesem disziplinären Feld behandelt wird, lässt sich das grundlegende theoretische Forschungsanliegen um den Zusatz ergänzen, welche Aussagen zu Natur sich aus Sens Konzeption im Unterschied zur wohlfahrts- bzw. umweltökonomischen Perspektive ableiten lassen.
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UMWELTHERRSCHAFT UND FREIHEIT
Aus diesem Zugang hat sich ergeben, dass ein aus ethischer Sicht zentraler Unterschied zwischen der Wohlfahrtsökonomik und Sens Konzeption in diesem Zusammenhang an einem spezifischen Problem festzumachen ist. Dieses Problem wird in Teil II unter dem Begriff der Umweltherrschaft genauer dargestellt. Es resultiert daraus, dass Ökonomien u.a. durch ökologische Zusammenhänge miteinander vernetzt sind und untereinander durch ihre jeweilige Naturnutzung auf die (ökologischen) Bedingungen des Wirtschafrens auch der Anderen Einfluss nehmen. Hierbei schreiben sie ihre jeweils eigenen Präferenzen in kulturell fremde Kontexte fort bzw. ein. Aus Sicht dieser Arbeit besteht nun die hiermit verbundene, ethische Problemstellung darin, dass Naturallokationen, die in ihrer Auswirkung auf fremde Ökonomien als Umweltherrschaft anzusehen sind, so vorzunehmen sind, dass sie überhaupt Aussicht haben, aus Sicht der Betroffenen akzeptabel begründet zu sein. Wie die spätere Analyse zeigen wird, kann die normative Wohlfahrtsbzw. Umweltökonomik der Herausforderung, Umweltherrschaft zu rechtfertigen, aus konzeptionellen Gründen bisher nicht gerecht werden. Daher wird die Konzeption von Sen - die im deutschen Sprachraum erst wenig verbreitet ist und daher detailliert vorgestellt wird - als eine mögliche Alternative untersucht und entsprechend weiterentwickelt. So mündet die allgemeine, theoretische bzw. theoriebezogene Fragestellung in eine spezifischere, praktisch-ethische Fragestellung ein: Inwiefern wird die Bewertung von bzw. der Umgang mit Natur entlang der Grundaussagen Sens dem Problem der Umweltherrschaft und ihrer Rechtfertigung besser gerecht als die wohlfahrtsbasierte Umweltökonomik? Die Arbeit hat somit ein allgemeines, auslotend angelegtes sowie ein konstruktiv-kritisches Forschungsanliegen. Dabei sei mit Blick auf Letzteres festgestellt, dass sich die kritische Analyse der etablierten Umweltökonomik vorrangig auf die Problematik der Umweltherrschaft bezieht - so sehr sie dabei auch die normativen Fundamente des wohlfahrtsökonomischen Rahmens betrifft. Die Kritik meint nicht die Umweltökonomik >als solchegegen< die Wohlfahrts- oder die Umweltökonomik allgemein zu argumentieren. Diese sind m.E. ohnehin - spätestens seit theoretischen Herausforderungen auch etwa durch Sen oder, im umweltökonomischen Bereich, durch die Ökologische Ökonomik- selbstkritischer, als ihnen zuweilen unterstellt wird. Vielmehr sind die Überlegungen gerade als konstruktives Angebot zu verstehen, und zwar sowohl an Sens Konzeption, die bisher wenig zu Natur sagt, als auch an die Umweltökonomik, die durch die Rezeption von Sens Ansatz bereichert werden kann.
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EINLEITUNG
In Abschnitt II werden neben der Problematik auch die zentralen Prämissen der weiteren Überlegungen eingeführt. Zwei Vorbemerkungen sindjedoch bereits hier zu treffen: Zunächst ließe sich fragen, warum es einer weiteren Analyse des problematischen Verhältnisses von Ökonomie und Ökologie (wie die Konstellation oft umrissen wird) bedarf, wo doch die darin akuten Konflikte bekannt sind und, statt der Analyse, vor allem der Lösung harren. Doch kann zum einen das Bewusstsein um dieses Verhältnis bzw. die enthaltenen Konflikte nicht nachdrücklich genug ausgeweitet und vertieft werden. Die vorliegende Arbeit stellt dabei vor allem auf die Ausweitung der Perspektive ab, indem sie mit dem Problem der Umweltherrschaft eine Facette dieser Konstellation betrachtet, die im bisherigen Diskurs meiner Wahrnehmung zufolge zu wenig beachtet wird. Diese Facette scheint umso mehr relevant, als für den darin enthaltenen Konflikt- nämlich zwischen den hier und heute Agierenden und den in zeitlicher und/oder räumlicher Feme Betroffenen- charakteristisch ist, dass er gerade nicht akut, sondern latent, dabei aber aus ethischer Perspektive kaum weniger problematisch ist. Zum anderen macht die Anerkennung der Problematik die fortgesetzte Reflexion ihrer Ursachen keineswegs überflüssig. Zu diesen Ursachen im weitesten Sinne gehören neben dem praktischen Umgang mit Natur, der politisch anzugehen wäre, auch die in diesem Umgang realisierten normativen Denk- und Bewertungsmuster, die ethisch anzugehen und zu hinterfragen sind. Diese stehen hier im Vordergrund, indem mit der wohlfahrtsbasierten Umweltökonomik eine wirkmächtige Theorie zum >richtigen< Umgang mit Natur problematisiert und ihr ein alternativer Rahmen der Wahrnehmung und Bewertung von Natur gegenübergestellt wird. Weiterhin ist vorab festzuhalten, dass ich persönlich- im Sinne von: außerhalb der vorliegenden Untersuchung, soweit die Wahrung dieses »außerhalb« tatsächlich möglich ist - einen weiter reichenden Naturschutz zu vertreten suche, als er heute häufig vertreten sowie praktisch realisiert wird. Eine solche persönliche Motivation darf in der eigentlichen Argumentation der Arbeit keine relevante Rolle spielen. Jedoch wäre es m.E. unlauter, sie zu verschweigen und damit feilschlicherweise eine motivationale Distanz zum Thema zu suggerieren. Vielmehr kann es dem Verständnis der Argumentation nur dienlich sein, wenn eine Motivation, die in ihrem Hintergrund steht, offen liegt. Diese Offenlegung relativiert allerdings nicht die im Weiteren getroffenen Aussagen. Diese müssen für sich selbst sprechen.
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UMWELTHERRSCHAFT UND FREIHEIT
1.2. Struktur und methodischer Hintergrund der Untersuchung Zunächst (Teil II) wird die erwähnte Problematik der Umweltherrschaft skizziert. Sie bildet zusammen mit einigen gmndlegenden Prämissen den normativen Prüfstein, anhand dessen in Teil III die wohlfahrtsbasierte Umweltökonomik kritisiert wird. Dann wird in Teil IV die Konzeption von Sen ausführlich vorgestellt und analysiert, um auf dieser Basis in Teil V zu entwickeln, was - im Sinne des ersten Anliegens aus seiner Konzeption ftir die Frage nach einem >richtigenistWerte< bewerten auch unsere >Präferenzendurch die Hintertüre< eingeführt: Auch dieser wird durch Menschen beigemessen und ist der Hinterfragung ausgesetzt.
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NATURBEGRIFF UND NATURETHISCHE KONZEPTE
»[ ... ] no biocentric holist has been able to date to say why nature is intrinsically valuable. The fundamental reason .for this belief being interpersonally incommunicable it is in a liberal society imperative to consider biocentrism as a personal conviction [ ... ] which deserves tobe respected but cannot demand adoption by others against their will.« (Hampicke 1999a: 169, Herv. F.S.)
Das Problem intrinsischer Werte von Natur besteht (nicht nur) für die vorliegende Arbeit darin, dass sie nicht argumentativ mit Gründen verallgemeinerbar sind. Denn wenn sie von Menschen zwar erkannt würden, aber ohne deren Zutun aus der Natur selbst heraus sprechen, bedürften sie gerade keiner durch Menschen zu vermittelnden Begründung oder RechtfertigLmg. Durch eine solche würden sie ja zu Werten, die letztlich Menschen zuweisen. Jedoch stellt Rechtfertigung die zentrale Herausforderung dar, welche Umweltherrschaft mit sich bringt. Werte, die »interpersonally incommunicable« sind, sind hierzu nicht geeignet. Diese Arbeit argumentiert also aus einer epistemisch wertanthropozentrischen (= wertanthropogenen) Perspektive heraus: Es werden nur Werte be1ücksichtigt, die von Menschen generiert und beigemessen werden.
11.3. Anforderungen an eine Ethik des Wirtschattens im Umgang mit Natur Wenn eine Gesellschaft einer anderen über ihr naturtransformatives Wirtschaften ihre eigenen Präferenzen aufnötigt, so die Prämisse meiner Überlegungen, dann sollten hierfür Gründe angeführt werden können, die überhaupt eine Chance haben, von den Betroffenen akzeptiert zu werden. Andernfalls würde vor dem Anspruch, die eigene Umweltherrschaft über Andere zu rechtfertigen, kapituliert. Welche Aspekte muss nun eine Ethik des Wirtschaftens berücksichtigen, damit die gesellschaftliche Organisation des Wirtschaftens in Orientierung an ihr diesen Anspruch verfolgen, vielleicht sogar einlösen kann? Wie kann sich angesichts nicht vermeidbarer Umweltherrschaft ein gegenüber den Betroffenen verantwortlicher Umgang mit Natur orientieren? Die folgenden Aspekte erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit, lassen sich jedoch bereits unmittelbar aus der bisher skizzierten Problematik ableiten und können zumindest als minimale Anforderungen erachtet werden. Anhand ihrer werden dann sowohl die Umweltökonomik analysiert als auch Sens Konzeption als Alternative analysiert Lmd fortentwickelt. Sie bilden den ethischen Prüfstein für die Legitimations- bzw. Begründungsreichweite dieser beiden Ethiken des Wirtschaftens im Kontext von Umweltherrschaft
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UMWELTHERRSCHAFT UND FREIHEIT
(1) Zunächst kann es als plausible Orientierung des Wirtschaftens gesehen werden, die Problematik der ökologischen Einflussnahme bzw. Umweltherrschaft bereits als solche zu reduzieren und so den Rechtfertigungsbedarf zu verringern. Dies läuft darauf hinaus, dass eine Ethik des Wirtschaftens in ihren Aussagen bereits die Nichtinterferenz der Präferenzen des jeweiligen Kontextes in fremde Kontexte als programmatisches Kriterium verankern müsste. Negativ formuliert: Eine Ethik, welche die naturwirksame Übertragung und Festschreibung eigener Präferenzen in fremde Kontexte nicht problematisiert, ist flir das Anliegen demnach nicht geeignet. Hiermit lässt sich bereits eine Stoßrichtung andeuten, in der die spätere Argumentation eine alternative Naturbewertung als umweltökonomische Basis zu begründen versucht: Im Gegenzug zur Festschreibung von Präferenzen wird es um die Erhaltung von Optionen, also von einer Offenheit im Umgang mit Natur gehen, die sich in ihrer Skepsis gegenüber der Übertragbarkeit von kontingenten Präferenzen als kluge Zurückhaltung bzw. als die Tugend einer weit reichenden Vorsicht verstehen lässt. (2) Gleichwohl wurde das Phänomen der Umweltherrschaft als ein zumindest nicht vollständig vermeidbares charakterisiert. Solange erschöpfbare Ressourcen verarbeitet werden, solange das globale Klima und ökologische Systeme nachhaltig beeinflusst werden, verbleibt ein Rechtfertigungsbedarf Unter den Bedingungen, die oben unter den Begriff Alienität gefasst wurden, scheint es jedoch nicht sinnvoll, an die Rechtfertigung bzw. an die hierzu herangezogene Ethik die Anforderung anzulegen, dass diese Ethik- und sei es nur aus unserer Sicht- in jedem Fall oder auch nur mit hoher Wahrscheinlichkeit von den fernen Betroffenen akzeptiert werden müssten. Wir können ja gerade nicht wissen, inwiefern unsere Begründungen unseres Umgangs mit Natur als Rechtfertigung akzeptiert werden. So hilfreich es wäre, aus bestimmten, als universal geltungsfähig (letzt-)begründeten Normen einen definitiv >richtigen< bzw. gerechtfertigten Umgang mit Natur ableiten zu können, so sehr hieße dieser Anspruch jedoch auch, die eigentliche Problematik der Umweltherrschaft zu verkennen. Denn ein Umwelthandeln in der Vermutung, dass wir >die< gültige Umweltethik gefunden bzw. begründet hätten, würde den Betroffenen die Umweltherrschaft in verschärfter - nämlich venneintlich unschuldiger - Weise zumuten. Daher wird in dieser Untersuchung nur mit dem schwachen Kriterium der Akzeptabilität (i.S.v. Akzeptanzfähigkeit bzw. möglicher Akzeptanz, vgl. Hubig 2000: 31 0) gearbeitet. Wir können nicht nur nicht um die faktische Akzeptanz unseres Umwelthandeins (bzw. seiner Rechtfertigung) durch beispielsweise zukünftige Generationen wissen. Sondern wir können auch nicht wissen können, was deren normative Akzeptanz-
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ANFORDERUNGEN AN EINE ETHIK DES WIRTSCHAFTENS
kriterien sein werden (die ja die Frage nach der faktischen Akzeptanz noch offen lassen). Daher ist Akzeptabilität hier im Sinne einer vermuteten, advokatarisch angestrebten, aber niemals unterstellten Akzeptanzfähigkeit gemeint. Es geht also mit dem Begriff darum, den Betroffenen unseres Umwelthandeins dadurch gerecht zu werden, dass wir es an eine Ethik binden, von der wir gute - und den Betroffenen hoffentlich nachvollziehbare - Gründe haben zu glauben, dass die Betroffenen sie akzeptieren können. Eine in diesem Sinne nur schwach formulierte Akzeptabilität unserer Naturallokationen bei den Betroffenen setzt schon formal immerhin voraus, dass unsere Gründe für diese Allokationen den Betroffenen überhaupt zugänglich sind. Andernfalls ist ihnen keinerlei Anlass geboten, die faktische Umweltherrschaft, die mit unserem Umwelthandeln einhergeht, überhaupt akzeptabel zu finden - sie wären mit buchstäblich grundloser Herrschaft konfrontiert. (3) Weiterhin scheint es jedoch notwendig, dass sich diese Gründe nicht nur überhaupt zugänglich sind, sondern auch auf einen Referenzrahmen bezogen sind, der seinerseits aus grundsätzlich akzeptablen Referenzen besteht. Denn die konkreten Gründe, die wir haben, um beispielsweise ein Naturgut zu transformieren, werden - gemäß des Kontingenzaspekts und der Alienitätsannahme - zumindest nicht in ihrer Konkretion ohne weiteres nachvollziehbar und akzeptabel sein. Die Zukünftigen etwa werden jenes Glück, das Menschen heute aus einer Transformation des Naturguts in ein Gewerbegebiet heraus haben, nicht notwendig als genau dieses Glück nachvollziehen. Die Referenz »Glück« als solche mag jedoch angefiihrt werden, wenn man davon ausgeht, dass es sich um eine handelt, die - wenn auch nicht in ihrer Konkretisierung - flir die Betroffenen prinzipiell nachvollziehbar und möglicherweise akzeptabel ist. (Meine Argumentation kommt allerdings zu einem anderen Ergebnis, demzufolge Glück eben keine brauchbare Referenz ist.) In der Analyse der Umweltökonomik und der Konzeption von Sen werden dabei Ergebnis- und Modalreferenz unterschieden, wie sie als Begriffe in der Einleitung erläutert wurden. (4) Selbst wenn eine Ethik die bisherigen Aspekte berücksichtigt, kommen Naturallokationen nicht umhin, von Gründen geleitet zu sein, die zumindest in ihrer Konkretheit kontingent sind. Wären die Gründe nicht kontingente, sondern notwendige, dann wären sie auch zur Rechtfertigung unseres Handeins leichter zu vertreten. So jedoch sind unsere Allokationen stets mit der Frage konfrontiert: Warum diese und nicht andere? Bzw., aus der Sicht der Betroffenen, warum diese - statt jener, die jenen Allokationsgründen entsprechen würden, die bei bzw. flir uns gelten? Da diese Kontingenz als solche nicht zu hintergehen ist, stellt
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UMWELTHERRSCHAFT UND FREIHEIT
sich als weiterer Anspruch an eine Ethik des Wirtschaftens, mit der Kontingenz umzugehen. In der normativen Ungewissheit darüber, welche konkreten Gründe die Betroffenen für die ihnen überlassene Natur akzeptieren würden, können wir es ihnen in unserem Umgang mit Natur letztlich nicht recht machen; gleichwohl sollte dies nicht einfach akzeptiert, sondern gehandhabt werden. Eine abschließende Prämisse betrifft die Rolle von Ethik hinsichtlich eines Politikbereichs wie dem Umgang mit Natur und damit auch den Anspruch, dem diese Arbeit gerecht werden will - insbesondere in der konstruktiven Weiterentwicklung von Sens Konzeption: Hier wird nicht versucht, Politik von der Aufgabe der Selbstorientierung (in einem reflexiven Sinne des sich selbst Orientierens)20 zu entlasten und einen allgemeinen und eindeutigen Katalog von Handlungsempfehlungen zu entwickeln. Dies ist zum einen durch Problemstellung bedingt. Denn wie in Aspekt (2) ausgeführt - aus der Alienitätsannahme lässt sich folgern, dass im Umgang mit Natur und dessen zeitlichen und räumlichen Fernwirkungen kein konkreter und für alle Menschen gültiger normativer Rahmen möglich ist. Zum anderen würde ein Katalog von konkreten Handlungsempfehlungen Sens Konzeption widersprechen, für die eine programmatische Offenheit und die konkretisierende Gestaltung im öffentlichen Raum zentral sind. Die mit dieser Prämisse verbw1dene Offenheit betrifft zumindest die Ethik des Wirtschaftens angesichts der zwischengesellschaftlichen Problematik der Umwelthenschaft. Auf dieser Ebene lassen sich also nur allgemeine, formale Aussagen treffen. Hiervon ist zu unterscheiden, dass Gesellschaften als organisierte Gemeinwesen innerhalb ihrer eigenen Grenzen als handlungsfähige- und darin zumindest teilweise effektiveAkteure erachtet werden. Auf einer praktischen Ebene mögen beispielsweise Staaten durchaus eine gesellschaftlich ausgehandelte Politik umsetzen können, welche sich an den notgedrungen wenig konkreten Aussagen einer zwischengesellschaftlich ausgerichteten Ethik orientiert, diese aber in ihrem eigenen Kontext konkretisiert. Wenn in Teil V.4 eine solche Konkretisierung vorgenommen wird, so stellt diese zwar nur eine Möglichkeit dar, welche Konsequenzen mit einer Orientierung an einer solchen Ethik verbunden sein können. Eine versuchsweise Konkretisierung scheint jedoch hilfreich, um den an Sen angelehnten, allgemeinen Entwurf fassbarer zu machen.
20 Vgl. zur Unterscheidung von (reflexiver) Selbstorientiemng und Orientiemng in einem Sinne des passiven >Orientiertwerdens< Luclrner (2000).
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111. Normative Referenzen der Umweltökonomik und Umweltherrschaft
In diesem Abschnitt III wird analysiert, wie sich die normative Umweltökonomik auf Basis ihrer zentralen Referenzen - Wohlfahrt und Tausch - zu der Problematik der Umweltherrschaft verhält. Die Problematisierung und Kritik beschränkt sich auf eben diesen Zusammenhang. Zunächst (III.l-3) wird die mainstream-umweltökonomische Konzeption von Natur anhand der drei Aspekte der Wahrnehmung, Bewertung und Handhabung von Natur untersucht. Dies geschieht en bloc, um die innere Kohärenz der Konzeption deutlich werden zu lassen; allerdings werden vereinzelt schon Bezüge zur Problemstellung der Arbeit aufgezeigt. Hieran schließt sich eine ihrerseits geschlossen formulierte Kritik an (III.4), die zeigt, dass die Umweltökonomik auf dieser normativen Basis dem Anspruch der akzeptablen Rechtfertigung von Umweltherrschaft im zwischengesellschaftlichen Kontext nicht gerecht wird. Es wird dann (III.5) geprüft, inwiefern theoretische Neuerungen gegenüber der wohlfahrts- bzw. umweltökonomischen Standardperspektive hinsichtlich der kritischen Punkte abweichen. Dabei wird sich zeigen, dass zwei Weiterentwicklungen, social choice- Theorie und Ökologische Ökonomie, das konstatierte Grundproblem zwar noch nicht überwunden haben, dass in beiden jedoch Potentiale hierzu enthalten sind. Vor diesem Hintergrund wird in III.6 die entwickelte Kritik zusammengefasst. In der Analyse der grundlegenden Charakteristika der ökonomischen Konzeption von Natur müssen Zusammenhänge aufgegriffen werden, die innerhalb der ökonomischen Theorie den Rang von Allgemeinplätzen erlangt haben. Dies ist unvermeidlich bzw. sogar angestrebt, da sich gerade diese Grundlagen als problematisch erweisen werden.
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UMWELTHERRSCHAFT UND FREIHEIT
111.1.Wahrnehmung von Natur durch die Ökonomik Natur gelangt in den modernen ökonomischen Blick dadurch, dass sie begrenzt vorhanden und - so wird angesichts angenommener unendlicher Bedürfnisse der Menschen unterstellt - daher knapp ist. Die Abhängigkeit menschlichen Wirtschaftens von Natur als letztlich begrenzt vorhandener wird also anerkannt. Ein Blick in die ökonomische Theoriegeschichte zeigt, dass diese heutige Wahrnehmung von Natur erst aus einem historischen Wandel resultiert. Die Physiokraten etwa - Vorläufer der klassischen Ökonomik - waren sich der Bedeutung von Natur in ausgeprägter Weise bewusst: Natur wurde als die Quelle produktiver Überschüsse überhaupt erachtet (vgl. Immler 1985, Blaug 1971: 67ff.). Auch bei den Klassikern wie Ricardo hatte sie unter dem Begriff »Boden« große Bedeutung und war nicht reduzierbar auf die anderen Faktoren Kapital und Arbeit (vgl. Fauchex/Noel 2001: 112, Costanza et al. 2001: 30f.). Alles Menschengemachte stellte bearbeitete, wertschöpfend transformierte Natur dar. Doch wurde Natur dabei nicht als knapp, sondern als frei verfügbar erachtet (Leipert 1994: 56). Auch schlossen zumindest die Klassiker in ihrem Fokus auf die damals zunehmenden Märkte und Tauschwerte nicht handelbare Naturgüter aus.21 Diese Mischung aus einer Anerkennung der Naturbasiertheit des Wirtschaftens einerseits und Vernachlässigung der begrenzten Verfügbarkeit von Natur andererseits kippte dann mit der neoklassischen Theorie über zwei Mechanismen um zu einem grundlegenden Bedeutungsverlust der Natur: Einerseits verliert die Analyse von Marktgleichgewichten bei gegebenen Anfangsausstattungen aus dem Blick, woher diese Ausstattungen überhaupt stammen (Leipert 1994: 56, Schwaab/Stewen 2001: 57ff.). Andererseits wird über mehrere Schritte hinweg die 21 »lnsgesamt kann man sagen, dass die Klassiker paradoxerweise den vermarktbaren natürlichen Ressourcen, das heißt denjenigen, die mit einem Tauschwert versehen sind, in ihrer Produktionstheorie eine privilegierte Rolle zugewiesen haben, gleichzeitig aber die Urheber des Ausschlusses der nicht marktfähigen, weil im Überfluss vorhandenen, natürlichen Ressourcen aus dem Bereich der ökonomischen Analyse sind.« (Faucheux/Noel 2001: 113) Bei Marx und Engels war dies nicht der Fall: Faucheux/Noel (ebd.) weisen daraufhin, dass in der gängigen ökonomischen Rezeption dieser Autoren vernachlässigt wird, welche Rolle Natur an der Seite von Kapital und Arbeit in der marxschen Analyse gespielt haben. »Die Arbeit ist, entgegen der allgemeinen Vorstellung nicht die einzige Quelle des Werts.« Allerdings sei richtig, dass beim späteren Marx »die unabdingbare Beteiligung der vermarkteten und nicht vermarkteten Ressourcen an der Produktion« vernachlässigt wird (ebd.: 115).
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WAHRNEHMUNG VON NATUR DURCH DIE ÖKONOMIK
Substituierbarkeit von Natur durch Kapital unterstellt, wobei Letzteres nicht mehr auf die Transformation von Natur zurückgeführt wird (Skourtos 1994: 49). Mit diesem Schritt wird zum einen die bisher gedachte Komplementarität von Natur und Menschengemachtem in ihr Gegenteil verkehrt. Zum anderen wird vernachlässigt, dass alle Produktion letztlich eine Bearbeitung bzw. Transformation von vorhandener Natur darstellt. Bisher hatte die Unterteilung von Natur und Menschengemachtem noch auf ein Kontinuum von mehr oder weniger transformierter Natur verwiesen (was dem in II.2 skizzierten Naturbegriff entspricht). In der nun jedoch etablierten Dichotomie von Natur und Produziertem, die das Kontinuum teilt und die Teile als Gegensätze konfrontiert, wird die Naturbasiertheit ausgeklammert. Die Unterordnung von Natur unter Menschengemachtes in der Hypothese vollständiger Substituierbarkeit reduziert die Rolle von Natur also auf eine empirische, nicht aber notwendige: Natur ist zwar faktisch, aber nicht zwingend Teil der Produktion, denn sie ist in ihrer Funktionalität allgemein ersetzbar. Die Wahrnehmung einer ökologischen Krise löste spätestens in den 1970er Jahren ein Erwachen der Ökonomik mit Blick auf Natur aus, und die allgemeine Substituierbarkeitshypothese geht in der mainstreamökonomischen Perspektive eine spezifische Synthese mit dem wieder gewonnenen Bewusstsein um die Abhängigkeit des Wirtschaftens von Natur ein: Die Naturbasiertheit des Wirtschaftens ist demnach zwar wieder anerkannt, gilt aber als zumindest teilweise umgehbar. Güter und Leistungen, die derzeit auf der Transformation von Natur beruhen und daher bei einer Übernutzung dieser gefährdet sind, können dieser Auffassung zufolge anders hergestellt werden oder durch andere ersetzt werden. Diese Position ist hier nicht als eine von Interesse, die im Gegensatz zu anderen keine nichtsubstituierbaren Naturgüter kennen würde. Diese Extremposition wird kaum ernsthaft vertreten. Die hiermit verbundene, oft überzeichnete Konfliktlinie mit der Ökologischen Ökonomik bzw. von Konzeptionen Starker vs. Schwacher Nachhaltigkeit wird weiter unten aufgegriffen (III.5.2). Hier ist wichtig, dass sich die Funktionalität von Natur immer auf das jeweils aktuelle Wirtschaften bezieht. Dieser konstitutive Bezug der ökonomischen Perspektive auf die jeweilige spezifische Ökonomie wird durch die Korrelation von theoretischen Positionen bzw. Forschungsinteressen mit Entwicklungen der realen Welt unterstrichen.22 Damit wird auch die Naturbasiertheit des Wirtschaftens
22 Hier ist an die bedeutende Rolle der Landwirtschaft im physiokratischen Konzept (Blaug 1971: 68f.), an die Sorge Jevons' um die knappe englische Kohle (1865) oder das Aufblühen der Umweltökonomik im An-
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nur vor dem Hintergrund dessen gesehen werden, was die Menschen dieser jeweiligen Ökonomie der Natur als (funktionalen) Wert beimessen. Hinzu kommt, dass die Ökonomik Natur formal als eine vom Wirtschaften verschiedene Sphäre konzipiert, als objektive Um-Welt, die dem menschlichen Handeln als Medium (>Umweltmedienistanthropozentrisch< - womit dann vor dem Hintergrund der Systematik aus II.2.2 zumeist eine enge moralische Anthropozentrik gemeint ist, die Natur im Extremfall nur als Ensemble produktiver Rohstoffe erachtet. Doch zunächst einmal ist die ökonomische Perspektive eine epistemisch-wertanthropozentrische, da sie nur Werte in Betracht zieht, die von Menschen durch Be-
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wertungen beigemessen werden. Dabei impliziert der Begriff der Präferenz, über den die Ökonomik Bewertungen letztlich einfängt, in einem allgemeinen Sinne vorerst nur die Wertbeimessung überhaupt sowie die Anordnung verschiedener Wertbeimessungen. Hieraus folgt die grundlegende ökonomische Standardposition: Jeder Wert »vermittelt sich über eine menschliche Präferenz« (Weimann 1999: 23; präzisierend 112). Zunächst ist also egal, warum man einer Sache einen Wert beimisst: Man hat als Mensch und in diesem Sinne epistemisch-wertanthropozentrisch eine Präferenz für diese Sache; man präferiert, dass es sie gibt, bzw. man präferiert sie gegenüber anderen Dingen. Indem nun jedoch Präferenzen in der ökonomischen Perspektive als Elemente einer Zielfunktion fungieren und die Befriedigung von Präferenzen als Beitrag zum Nutzen der Person verstanden wird, wird dem Begriff der Präferenz eine spezifische motivationale Qualität exklusiv zugeschrieben: Präferenzen werden, indem sie als konstituierende Elemente einer Nutzenfunktion gedacht werden, begrifflich auf solche eingeschränkt, die Menschen für etwas haben, weil sie davon einen Nutzen haben, sie werden zu Nutzenpräferenzen. Das heißt entgegen mancher Wahrnehmung nicht, dass Ökonomen denken, Menschen würden nur in einem alltagssprachlichen Sinne - nutzenorientiert oder strikt eigennützig handeln. Doch wird eine Präferenz für ein Handeln, das alltagssprachlich als uneigennützig gelten würde, über ihre Position in der Nutzenfunktion letztlich so gedacht, dass die Person von ihrer Umsetzung einen Nutzen hat. Dabei ist es irrelevant, wie man diesen Nutzen inhaltlich deutet, ob nun als Glück, als Wunschbefriedigung o.ä. Wichtig ist, dass von der bewerteten Entität - einer Art, einem Ökosystem oder einem einzelnen Exemplar- irgendetwas zu einem Menschen, der den Wert beimisst, zurückkommen muss. Eine moralische Anthropozentrik stellt dies insofern tatsächlich dar, als es eben nur Menschen sind (und nicht etwa Tiere), die von dem Bestand eines Naturguts etwas haben müssen, damit dieses als wertvoll gelten kann. Für das Weitere ist jedoch wichtiger, dass Menschen tatsächlich etwas davon haben müssen, damit Natur wertvoll ist. Damit schließt die Nutzenperspektive bzw. die Auffassung von Präferenzen als Nutzenpräferenzen systematisch solche Gründe für Naturerhalt aus, die nicht darin bestehen, dass etwas zu der bewertenden Person zurückkommt - jene Werte also, die in II.2.2 als »nutzenunabhängige Eigenwerte« bezeichnet wurden. Hieraus resultiert auch, dass Werte, die Menschen der Natur beimessen, in der ökonomischen Perspektive aus konzeptionellen Gründen - und gerade nicht etwa deshalb, weil Ökonomen keine Eigenwerte berücksichtigen wollten - grundsätzlich
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instrumentelle Werte sind. Denn was immer Natur wert ist, sie ist es wert, weil es dem Nutzen der Person dienlich ist. Damit widerspreche ich Marggraf/Streb (1997), die hinsichtlich der Berücksichtigung naturethischer Konzepte durch die Ökonomik der folgenden Auffassung sind: »Der ökonomische Bewertungsansatz berücksichtigt nicht nur den instrumentellen Wert der natürlichen Umwelt. Er trägt auch dem inhärenten Wert und damit dem gesamten anthropozentrischen Wert Rechnung.« (Ebd.: 241) Mit inhärentem Wert meinen sie dabei entweder den Wert, den ein Waldspaziergang nicht instrumentell als Abkürzung, sondern »weil man Lust dazu hat« (ebd.: 234). Man mag diesen Wert nun als beispielsweise ästhetischen Eigenwert (vgl. Fall (a) in 1.2.2) bezeichnen. Doch solange der ökonomische Kalkül auch den Autoren zufolge weiterhin heißt: »Die Menschen schätzen die natürliche Umwelt, weil sich deren Zustand direkt auf ihr Wohlbefinden (Nutzenniveau) auswirkt« (ebd.: 236f., Herv. F.S.), solange handelt es sich letztlich um einen instrumentellen Wert, denn der Waldspaziergang dient über die Spazierlust der Nutzenfunktion der Person. Oder die Autoren meinen tatsächlich, dass etwas als wertvoll erachtet wird (etwa der erste Zahn, den das eigene Kind verloren hat), ohne dass die Person, die ihm diesen Wert zuweist (und daher den Zahn aufhebt), etwas davon hat (ebd.). Dieser als nutzenunabhängig bezeichnete Wert ist jedoch in den nutzenbezogenen Kalkül strukturell nicht integriert, womit eben nicht dem »gesamten anthropozentrischen Wert« (womit Marggraf/Streb den gesamten von Menschen beigemessenen Wert meinen) Rechnung getragen wird. Hierbei handelt es sich um eine grundsätzliche Unschärfe in der umweltökonomischen Werttheorie. So wird etwa in das Konzept des Total Economic Value mit dem Existenzwert ein nutzungsunabhängiger Wert eingeführt- ein Naturgut ist deshalb (für Menschen) wertvoll, weil es existiert, hat also insofern einen Eigenwert. Andererseits wird dieser Wert jedoch als Nutzenkomponente verstanden - demnach ist es wiederum nur deshalb in seiner Existenz wertvoll, weil man etwas davon hat, womit der Wert zu einem instrumentellen wird. So heißt es bei Marggraf/Streb (1997: 185): »Wenn allein das Wissen, dass es bestimmte Umweltgüter [ ... ] gibt, Nutzen stiftet, spricht man davon, dass mit diesen Gütern Existenzwerte verbunden sind.« (Herv. F.S.) Diese Gleichsetzung von Wert und Nutzen ist keine Ungenauigkeit der Wortverwendung, sondern resultiert systematisch aus dem Nutzenbezug der ökonomischen Bewertung. Der Zusammenhang kann mit der Frage verdeutlicht werden, warum man Naturerhalt.fiir Andere betreibt: Man mag einerseits etwa das gute Gefühl daraus haben, ein solidarischer oder altruistischer Mensch zu
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sein. Diese Interpretation nimmt die Ökonomik vor, wenn sie Nutzen so breit versteht, dass auch Handlungen, die man gemeinhin als altruistisch beschreibt, wiederum als (Eigen-)Nutzen gedeutet werden. Man mag jedoch die Natur auch erhalten, weil man dies aus Gründen der intergenerationellen Gerechtigkeit für geboten hält - nutzenunabhängig, also ohne dass man selbst etwas davon hat. Dabei ist zunächst irrelevant, ob man es deshalb flir richtig oder geboten hält, weil spätere Menschen ihrerseits einen Nutzen o.ä. davon haben, oder ob dies von solchen Implikationen unabhängig ist.
111.2.2. Naturbewertung (2): Wohlfahrt als Ergebnisreferenz Die bisherige Analyse der gängigen ökonomischen Bewertung von Natur erfolgte in Bezug auf einen sehr allgemeinen Nutzenbegriff in. Die folgenden Charakterisierungen beziehen sich hingegen auf das spez(fische Nutzenverständnis, wie es der modernen Wohlfahrtsökonomik zugrunde liegt und sich im umweltökonomischen Instrumentarium zur Bewertung von alternativen Naturallokationen wieder findet.
a)
Subjektivität des ökonomischen Nutzenbegriffs
Ein erster Aspekt hiervon ist, dass Nutzen in der ökonomischen Tradition subjektiv konzipiert ist: Es geht um den Nutzen, den eine Person subj ektiv und innerlich von einer bestimmten Handlung - einem Konsum o.ä. - hat. Dabei unterscheiden sich die ältere, utilitaristische Perspektive und die der modernen Wohlfahrtsökonomik. Bei Ersterer ist eine gewisse Objektivierung des individuellen Nutzens auf zweierlei Art vorgesehen: Zum einen wird Nutzen mit mehr oder weniger konkreten psychementalen Zuständen identifiziert, etwa hedonistisch mit Lust oder eudämonistisch mit Glück. Zum anderen wird Nutzen als interpersonell vergleichbar und als mess- und zähl- bzw. summierbar konzipiert. Dadurch wird die Subjektivität und Innerlichkeit des Nutzenbegriffs zugunsten einer kollektiven, gesellschaftsweit maximierungsfähigen Substanz zu überwinden versucht. Weikard (1999: 26f.) bezeichnet diese Perspektive als objektivistische, um sie von der modernen, paretianischen Wohlfahrtsökonomik zu unterscheiden, in der diese Objektivierung hin zu bestimmten Gefühlen gerade nicht versucht wird. Dort wird zur Anerkennung der Nichtvergleichbarkeit und Subjektivität individueller Nutzenempfindungen Nutzen nicht mehr substantiell bzw. konkret, sondern nur formal bzw. abstrakt als Ergebnis von präferenzengeleiteten Wahlhandlungen verstan-
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den. Worin das Ergebnis genau besteht, wird also ausgeklammert. Die paretianische Perspektive bleibt in diesem Sinne konsequent subjektivistisch: »Werte werden nach diesem Konzept letztlich allein durch die Wahlhandlungen der Individuen bestimmt.« (Ebd.: 27) Trotzdem stellen beide Perspektiven auf eine innerliche und subjektive Nützlichkeit der Wahlhandlungen ftir die jeweilige Personab-und nicht auf die Nützlichkeit ftir einen äußerlichen, objektiven Zweck. Mit diesem Unterschied von subjektiv und objektiv ist dabei Folgendes gemeint: Der Konsum von Nahrung ist deshalb nützlich, weil die Person sich damit gut ftihlt bzw. ihren inneren Nutzen steigert. In einer anderen Perspektive wäre er dagegen deshalb nützlich, weil er der Person objektiv die notwendigen Kalorien für einen Tag zuführt. Für eine solche Perspektive reserviere ich daher den Begriff »objektivistisch«. Die Unterscheidung wird mit Blick auf die Nachvollziehbarkeit der Gründe für den Umgang mit Natur bedeutend sein: Wenn Naturschutz mit Nutzen im ökonomischen Verständnis begründet wird, sind diese Gründe letztlich subjektiv. Doch muss es sich nicht notwendigerweise um eine subjektive Größe handeln, wenn Menschen etwas davon haben, dass Natur erhalten wird. Gründe für Naturerhalt können vielmehr auch darin bestehen, dass jemand von dem Naturerhalt etwas Objektives, etwa objektiv vorhandene Handlungsmöglichkeiten hat. Da sich die Subjektivität der Wertbasis Nutzen als problematisch erweisen wird, wird eben diese Möglichkeit einer objektivistischen Wertbasis zentrale Bedeutung haben. Wenn in neueren Überlegungen z.B. von Wayne Sumner (1996) weiterhin subjektivistische gegen objektivistische Konzeptionen (einschließlich der hier behandelten von Sen) verteidigt werden, dabei jedoch beide- entgegen der hier verwendeten Terminologie- als Wohlfahrtskonzeptionen firmieren, so basiert dies auf einem anderen, allgemeineren Verständnis des Begriffs Wohlfahrt, nämlich gewissermaßen als der Maßstab, hinsichtlich dessen eine Gesellschaft überhaupt zu bewerten ist - ob dieser nun auf der nächst konkreteren Ebene als Nutzen (wie in der Wohlfahrtsökonomik) oder als Freiheit (wie bei Sen) verstanden wird. Folgte man dieser Begriffsverwendung, so würden sich die Konzeptionen »Wohlfahrt als Nutzen« vs. »Wohlfahrt als Freiheit« gegenüberstehen. Da es hier jedoch wesentlich um eine Gegenüberstellung von zwei Konzeptionen geht, die auch bei Sen die Form »Freiheit vs. Wohlfahrt« hatte, behalte ich diese Opposition bei. Mit Wohlfahrt ist also die Zielgröße der mainstream- Wohlfahrtsökonomik gemeint.
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b)
Unterbestimmtheit des ökonomischen Nutzenbegriffs
Ein zweiter Aspekt des ökonomischen Nutzenbegriffs folgt aus der Modernisierung der Wohlfahrtsökonomik hin zu einem Konzept von Nutzen, das nur formal bestimmt ist, nämlich als das (subjektive) Resultat von präferenzgeleiteten Wahlhandlungen. Nutzen ist das, was Menschen innerlich davon haben, wenn sie etwas tun, konsumieren etc. -was auch immer es jedoch genau ist. Inhaltlich ist Nutzen also unbestimmt. Hiermit baut die ökonomische Theorie auf einer breiter angelegten Handlungstheorie auf, wie sie heute sozialwissenschaftliehen Analysen im theoretischen Rahmen des rational choice zugrunde gelegt wird. Deren Grundannahmen reduzieren sich neben dem methodologischen Individualismus darauf, dass Menschen von Präferenzen geleitet, unter Restriktionen (Knappheitsbedingungen, Wahlzwang) und ihren Nutzen maximierend handeln (vgl. Kunz 2004: 35ff.). Letzteres besagt zunächst nur, dass Menschen ihre Ziele in möglichst hohem Maße zu verwirklichen suchen. Erst durch die Zielgröße Nutzen erfolgt die »neoutilitaristische« (Joas!Knöbl 2004: 162ff.) Rückbindung an den klassischen Utilitarismus, der ja nicht nur eine normative Ethik, sondern auch eine allgemeine Handlungstheorie darstellte. 23 Die Entleerung des Nutzenbegriffs um seine inhaltliche Substanz bringt programmatisch intendierte Vorteile, aber auch in Kauf genommene Nachteile mit sich: Einerseits kann mit einem solchen Handlungsmodell jedes Handeln - auch wenn es aus Beobachterperspektive nicht intuitiv als nutzenorientiert eingeordnet würde - in das selbe Schema übersetzt werden. Hierdurch werden z.B. die bereits erwähnte Rückführung von Altruismus auf Nutzenpräferenzen des Akteurs, bzw. die Integration von altruistischem Handeln in die breiter verstandene Nutzenfunktion möglich, so dass die Annahme der (Eigen-)Nutzenorientierung unbeschädigt bleibt. 24 Andererseits gilt jedoch hierdurch jedes Handeln als nützlich:
23 Der viel zitierte und kritisierte homo oeconomicus - handlungstheoretisches Modell der meisten ökonomischen Analysen - stellt eine besondere Form dieser Konzepts dar (Kunz 2004: 39ff.), bei dem die Kernannahmen um strittige Zusatzannahmen ergänzt sind: egoistische Eigennutzorientierung, kurzsichtigen Präferenz des aktuellen vor zukünftigem Nutzen, stabile Präferenzen, vollständige Information und der unbegrenzten Informationsverarbeitungskapazität 24 Dies unterscheidet sich also von der häufig zu findenden strategischen Interpretation von Altruismus als egoistische Investition in spätere Rückzahlungen. Stattdessen figuriert das für den anderen nützliche Verhalten positiv in der Nutzenfunktion des Handelnden.
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»Der tautologische Charakter der Nutzenmaximierungshypothese manifestiert sich darin, daß letztlich jede Handlung eines Individuums seinen Nutzen maximiert haben muß, denn das Individuum hätte andernfalls diese Aktion aus der Menge der Handlungsalternativen bei gegebenen Nebenbedingungen nicht gewählt.« (Kubon-Gilke 1995: 278) Weil das Handeln von Menschen als nutzenmaximierend verstanden wird, sind die Folgen dieses Handeins als -unter den gegebenen Bedingungen - nutzenmaximal zu verstehen. Mangels eines substantiellen Verständnisses dessen, was Nutzen ist (und was nicht), können sie nicht mehr unabhängig von dieser Tautologie in ihrer Nützlichkeit qualifiziert werden 25 Dies bzw. der nur noch formal bestimmte Nutzenbegriff haben nun folgenden Effekt: Solange Nutzen noch beispielsweise als (gefühltes) Glück verstanden wurde, konnte man das menschliche Handeln auf diese motivationale Basis zurückführen (etwa auf das Bedürfnis nach Glück) und Ergebnisse des Handeins unter Bezugnahme auf diese Basis explizieren (als Glückzunahme). Man konnte also substantielle Gründe dafür angeben, warum Menschen etwas tun - dahingestellt, wie realitätsnah und erklärungsfähig diese Gründe tatsächlich waren und wie sie sich in einer normativ-kritischen Perspektive darstellen. Seitdem jedoch Nutzen nur noch ein abstrakter Begriff für alles mögliche ist, das resultiert, wenn Menschen laut Unterstellung gemäß ihren Präferenzen und in Maximierungsabsicht handeln, bleiben die Gründe letztlich implizit: Man kann Handlungen nicht mehr auf etwas Substantielles zmückführen, das Menschen von ihnen haben. Man mag zwar noch Handlungen als Reaktionen auf Anreizfaktoren verstehen. Damit bleibt man jedoch weiterhin die Antwort auf die Frage schuldig, um welcher Wirkung und Ergebnisse willen denn auf einen Anreiz reagiert wurde; die Motive für das Handeln bleiben konzeptionell bedingt unsichtbar. 25 Die Entleerung des Nutzenbegriffs ist dabei auch als Berücksichtigung dessen zu verstehen, dass Nutzen als intersubjektiv nicht vergleichbar angenommen wird. Der Versuch, sich von substantiellen Nutzeninterpretationen unabhängig zu machen, findet eine Übersteigerung in der Theorie der Offenbarten Präferenzen (Samuelson 1938), in der von Verhalten auf Präferenzen geschlossen wird und nicht mehr die Erklärung des Verhaltens mit Präferenzen im Vordergrund steht: »Man schließt vielmehr von den Handlungen auf die Nutzenfunktion und versucht, eine Entscheidung so zu rekonstruieren, als ob der Akteur die Nutzenwerte und Wahrscheinlichkeilen der Konsequenzen kalkuliert hat; für die >tatsächlichen< Werte und kognitiven Prozesse interessiert man sich nicht.« (Kunz 2004: 48) Man will also gar nicht mehr wissen, was genau die Gründe für das Handeln sind, sondern man begnügt sich damit, das beobachtete Handeln ohnehin als nutzenmaximierend zu verstehen.
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Nutzen ist in dieser Konzeption also eine systematisch unterbestimmte Größe: Was eine Person von dem hat, was sie tut - was also der Nutzen gewissermaßen >eigentlich< ist-, verbleibt ihr innerlich und daher nach außen hin unklar. Ähnlich wie die Subjektivität des Nutzenbegriffs wird sich diese Unterbestimmtheit als problematisch e1weisen, wenn so verstandener Nutzen bzw. Wohlfahrt als Rechtfertigung denjenigen gegenüber dienen soll, die von dem wohlfahrtsorientierten Wirtschaften und diesem Umgang mit Natur betroffen sind.
c)
Liberaler Gehalt der wohlfahrtsökonomischen Nutzenkonzeption
Die nachgezeichnete Subjektivität, Innerlichkeit und konzeptionelle Unterbestimrntheit des ökonomischen Nutzenbegriffs sind nicht nur als Ergebnis methodologischer Überlegungen zu verstehen. Solche stehen zwar im Vordergrund, wenn die moderne paretianische Wohlfahrtsökonomik von der älteren, strenger utilitaristischen Variante abgegrenzt wird (vgl. Söllner 2001: 125/130). Jedoch enthält die formale Nutzenkonzeption als dritten Aspekt auch eine spezifische normativ-liberale Programmatik, die sich im Begriff der Konsumentenfreiheit widerspiegelt: Individuen sollen nicht nur- im rechtlichen etc. Rahmen - so oder so handeln bzw. konsumieren können, sondern sie sollen auch nicht explizieren und begründen müssen, warum sie so oder so handeln, geschweige denn ihr Handeln an fremde Präferenzen anpassen müssen. Nutzen bzw. die ihm dienlichen Handlungen sollen nicht durch eine inhaltliche Konkretisierung des Nutzenbegriffs - etwa als Lust - vor dem individuellen Handeln eingegrenzt werden. Dieser Zusammenhang von utilitaristischer Nutzenorientierung und liberalem Freiheitsprinzip ist allerdings in zwei konträre Richtungen zu lesen: Man kann einerseits in einer (politisch-)liberalen Argumentation für die freie Nutzenmaximierung der Einzelnen plädieren, weil Menschen >selbst am besten wissen, was sie wovon habenWiederherstellung< der >verlorenen< Optimalität des Marktgleichgewichts« (Endres 1994: 19) folgt als zentrale umweltökonomische Problemstellung (vgl. auch O'Hara 1998: 44). Optimal wäre das Marktgleichgewicht insofern, als genau jene transformative Inanspruchnahme der Natur resultierte, die der Wertschätzung der Betroffenen entspricht, wie sie auch in den Tauschwert eingehen würde.Z8 »Extern« bezieht sich dabei explizit nicht auf den einzelnen Akteur, der etwa dem Geschehen extern wäre, sondern darauf, dass das Geschehen dadurch suboptimal ist, dass es dem Preismechanismus extern ist (vgl. Weimann 1995: 29f.)- jenem Mechanismus also, in dem die Betroffenheit des Dritten über einen dezentralen Verhandlungsprozessper Kompensationsleistung ausgeglichen würde. Der Tauschmodus, wie er insbesondere auf Märkten realisiert wird, stellt somit die Referenz der umweltökonomischen Perspektive mit Blick darauf dar, in welchem Modus die relevanten Wertschätzungen von Natur zustande kommen sollen. Dies hat Gründe, die wie bei der Ergebnisreferenz Wohlfahrt (III.2.2) als methodische und normativethische gefasst werden können: Erstens wird handlungstheoretisch davon ausgegangen, dass sich im individuell freien Tauschhandeln die relative subjektive Wertschätzung eines (Natur-)Guts offenbart. Derartige Allokationshandlungen reflektieren demzufolge die Präferenz für ein Gut bzw. ihren Nutzen für die Person im Verhältnis zu Alternativen am besten. Insofern kann die umweltökonomische Abfrage von Zahlungsbereitschaften oder Präferenzen für Natur als die Imitation eines Kaufs von Natur verstanden werden: Es wird eine Tauschhandlung simuliert, die in Abwägung mit anderen Gütern dieser einen Wert in einer bestimmten Höhe beimisst. Diese Optimalität des individuellen, dezentralen Tauschhandeins leitet zweitens über zum normativen Postulat, dass wegen dieser Optimalität freier Tauschhandlungen im Wohlfahrtsergebnis eine Organisation des Wirtschaftens so erfolgen soll, dass Tauschhandlungen ungehindert 28 Ähnlich verhält es sich mit der optimalen Abbaurate im Fall von erschöpfbaren Ressourcen: Die Hotelling-Regel und die nachfolgenden Variationen des Grundmodells resultieren zunächst aus einer intertemporalen Gewinnmaximierung des Ressourceneigners. In einer gesellschaftlichen Perspektive folgt dann jedoch daraus, abhängig von einer sozialen Wohlfahrtsfunktion (einschließlich einer Zeitpräferenzrate und Verteilungsvorgaben) sowie von den technologischen Möglichkeiten und Grenzen (vgl. Perman et al. 2003: 511f.), eine sozial optimale Rate der Ressourcenerschöpfung - die realisiert würde, wenn bestimmte Bedingungen wie ein unendlicher Planungshorizont und perfekte Zukunftsmärkte erfüllt wären.
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erfolgen können. Dieser utilitaristisch dominierten Lesart, die den instrumentellen Gehalt der Freiheit betont, steht wiederum eine liberale Lesart gegenüber: Es soll die Wertschätzung der Natur in einer Höhe zur Geltung kommen, wie der Einzelne sie bei gewährleisteten Verfügungsrechten im Tausch gewählt hätte, weil dieses individuell freie Handeln Referenz für gesellschaftlich organisiertes Handeln ist. 29 Externalitäten werden daher nicht nur als Abweichungen vom Marktmechanismus verstanden, sondern auch als Fehlen einer wechselseitigen Übereinkunft: »We call those effects of human activities that occur without mutual agreement, externalities.« (Dasgupta!Mäler 2004: 1, Herv. F.S.) Der Tausch hingegen wird in der Ökonomik als faire Übereinkunft zwischen freien Menschen verstanden, die sich ihren Besitz in hinreichendem Informationsstand und zwanglos übereignen. Die Internalisierung von Externalitäten ist daher zu verstehen als die Ermöglichung bzw. Imitation des Tauschmechanismus, nämlich durch die Vergabe von Verfügungsrechten bzw. durch die Abfrage von Kompensationsforderungen oder in Nutzen-Kosten-Analysen, welche die sonst im Tausch vollzogene Abwägung von Vor- und Nachteilen vornehmen. Der Tauschmechanismus soll also nicht nur aus Gründen der Effizienz ermöglicht bzw. imitiert werden, sondern auch, um die negative Betroffenheit von Menschen zu vermeiden, denen keine solche Übereinkunft (etwa die Gewährung der Naturtransformation gegen Kompensation) möglich ist. Dieser advokatarische Aspekt wird bei intertemporalen Fragen der Ressourcennutzung deutlich, wo versucht wird, die Interessen noch nicht geborener Menschen zu vertreten. Umweltökonomische Verfahren zur Ermittlung des Werts alternativer Umweltqualitäten folgen der Intention, im Umgang mit Natur die individuellen Wertschätzungen zur Geltung kommen zu lassen, die aufgrundder Eigenschaften von Natur mit Blick auf Handelbarkeit etc. strukturell nicht im interpersonalen Tausch artikuliert werden können.
29 Insofern ist die Analyse, dass hinsichtlich der Ergebnisreferenz Wohlfahrt das utilitaristische Maximierungspostulat die liberale Unterbestimmung des Wohlfahrtsbegriffs dominiert, zu ergänzen: Das Maximierungspostulat reicht in der politischen Praxis etwa westlicher Gesellschaften nur soweit, wie der liberale, rechtstaatliche Ordnungsrahmen dies zulässt. Der bereits dem klassischen Utilitarismus bewusste mögliche Konflikt zwischen Freiheit und Nutzen ist jedoch im (unterbestimmten, aber zu maximierenden) Nutzen als Zielgröße bereits enthalten. Rosewarne (2002: 196) sieht die Hinwendung zu - zumindest dem Bewertungsmodus nach - marktorientierten Instrumenten und Umweltregimen ausdrücklich als liberales Bemühen, gegenüber staatlicher command-and-control-Umweltpolitik die freien Entscheidungen der Individuen in den Vordergrund zu rücken.
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111.3. Handhabung von Natur gemäß der Ökonomik Für den Zweck dieser Arbeit ist nur von Bedeutung, in welcher Weise die bisher in ihren Grundlagen nachgezeichnete ökonomische Konzeption von Natur dem Umgang eines Gemeinwesens mit Natur Orientierung bietet. Konkrete Instrumente, mit denen umweltpolitische Ziele umgesetzt werden, sind hier nicht von Belang. Denn Instrumente sind vor allem mit Blick auf ihre Ziele zu bewerten. Weil solche Ziele, wie sie etwa aus der wohlfahrtsökonomischen Orientierung von Umweltpolitik resultieren, den Mitteln als Referenz vorangestellt sind, sind sie vorrangig zu kritisieren. Weiterhin handelt es sich bei dem normativen Gehalt der ökonomischen Konzeption, wie sie hier kritisiert wird, um ein (utilitaristisch/liberal) sozialethisches. Die Kritik beschränkt sich daher auf die Orientierungsleistung der Theorie mit Blick auf die gesellschaftliche Organisation w1d Steuerung des Wirtschaftens. Individualethische Überlegungen zum Handeln des Einzelnen innerhalb einer Ökonomie bzw. Gesellschaft sind an dieser Stelle nicht relevant, da die normative mainstream-Ökonomik als Theoriegebäude hierzu m.E. keine durchgängige eigene Position vertritt. 30 Die Handhabung von Natur wird in der wohlfahrtsökonomischen Perspektive primär beim Staat gesehen: Weil sie strukturell nicht im Modus der eigentlichen modalen Referenz Tausch, also in privaten Verhandlungen erfolgen kann, »stehen >staatlichelndividualethik< zuschreiben, dass Menschen als Einzelne eigennützig handeln sollen. Dies wird gerne kritisch daraus gefolgert, dass die Ökonomik menschliches Handeln in heuristischer Absicht als eigennützig modelliert und die >Unsichtbare Hand< des Marktes als Mechanismus versteht, der Handeln, wenn es eigennützig erfolgt, zu einem Wohlfahrtsoptimum hin koordinieren kann. Also dient der Markt der gesellschaftlichen Optimierung bei Unterstellung (nicht: Präskription) eines individuellen Eigennutzhandelns. Damit ist allerdings nicht ausgeschlossen, dass das ökonomische Ve11rauen in die allgemeinnützige Transformation individuellen Egoismus' diesen nicht nur legitimiert, sondern auch forciert.
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HANDHABUNG VON NATUR GEMÄSS DER ÖKONOMIK
staatliches Eingreifen notwendig ist. 31 Die bis hier genannten Aspekte stellen letztlich die wohlfahrtsökonomische These dar, dass >der Markt< (die dezentrale Allokation im Tauschmodus, bei gewährleisteten privaten Eigentumsrechten) normalerweise (wenn nicht, wie im Fall Natur, darin strukturell verhindert) - und das heißt auch: in Verfahren und Ergebnis richtigerweise - die Wohlfahrt (als spezifisches Ziel) maximiert (und somit, bei verhinderter Maximierung, den alternativen Allokationsakteur bzw. -organisator Staat verlangt). Es liegt dann beim Staat als ordnungs- und wirtschaftspolitischem Akteur, die Internalisierung von Externalitäten im weitesten Sinne mit adäquaten Instrumenten vorzunehmen. Die Internalisierung kann, wie gezeigt wurde, sowohl advokatarisch im Sinne einer Imitation verhinderter Verhandlungen (als Interaktionsmodus) als auch optimierend im Sinne der verhinderten Markteffizienz (als Ergebnis) verstanden werden. Die in diesen beiden Intentionen enthaltenen Wertbegriffe Freiheit und Wohlfahrt können in ihrer Orientierung des staatlichen Handeins als Staatszwecke im verfassungsrechtlichen Sinne aufgefasst werden (vgl. Murswiek 1995: 1Of.): als die Existenz eines Staats legitimierende Intentionen.32 Diese sind zu unterscheiden von niedriger gestuften Staatszielen und Staatsaufgaben. In der liberal-utilitaristischen ökonomischen Perspektive werden typischerweise drei grundlegende Funktionen des Staats als Legitimationen staatlicher Herrschaft genannt: die Sicherung maximaler Freiheit für alle, die Sicherung sozialer Gerechtigkeit und die Ermöglichung eines größtmöglichen Wohlstands (vgl. Cansier/Bayer 2003: 99). Ob diese Liste zu ergänzen ist, kann hier offen bleiben. Untersucht werden hier (III.3.1) die bereits angesprochene Problematik des Konflikts zwischen liberalem und utilitaristischem Staatszweck (und möglicherweise anderen) sowie (III.3 .2) der legitimatorische Aspekt beider normativen Orientierungen flir staatliches Handeln. 31 Ygl. auch Brown (2000: 877). Gowdy (2004: 240) weist darauf hin, dass
zwar in dieser Hinsicht die Kritik an der wohlfahrtsökonomischen Umweltökonomik unberechtigt ist, dass aber andere Kritiken, die ähnlich diesem Vorwurf ebenfalls als Strohmann-Kritik zmückgewiesen würden, sehr wohl zuträfen. So würden Ökonomen zwar behaupten, entgegen der Kritik diese Nutzen-Kosten-Analysen gar nicht als einzige Instrumente zu favorisieren, faktisch würden aber die meisten Empfehlungen von Ökonomen an die Politik tatsächlich auf eben diesen Analysen fußen. 32 In einer solchen - keineswegs immer konsistenten - Zweck-MittelHierarchie können Ziele in Zweckkonkretisierungen für einen bestimmten Kontext bestehen (etwa in einem auf eine bestimmte Weise gerecht gedachten Gemeinwohl). Die Aufgaben wären dann nochmals konkretere Differenzen zwischen Ist und Soll, also Tätigkeitsfelder wie etwa das der Sozialpolitik, in denen aus den Zwecken abgeleitete Ziele praktischpolitisch verfolgt werden.
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111.3.1. Konzeptionelle Dominanz des utilitaristischen (Staats-)Zwecks Wohlfahrt Wenn die genannten Zwecke auf einer gleichen Ebene angesiedelt sind, bergen sie Zweckkonflikte: Es kann mehr Freiheit mit weniger Wohlfahrt einhergehen (vgl. III.2.2.c). Genau dieser Konflikt resultiert im Fall der wohlfahrtsökonomischen Perspektive aus dem unklaren Verhältnis von beiden Wertbegriffen zueinander auf der Zweckebene: »In der Ökonomie vermischen sich Freiheits- und Nutzenprinzip.« (Cansier/ Bayer 2003: 99) Es ist offen, in welchem Verhältnis Freiheit und Wohlfahrt stehen. Gerade diese Unklarheit ermöglicht jedoch mehr oder weniger willkürliche Über- bzw. Unterordnungen, in denen der untergeordnete Zweck in ein instrumentelles Verhältnis zum Übergeordneten gerät. Dann figuriert etwa die Freiheit zu Wettbewerb in bestimmten wettbewerbspolitischen Positionen als Mittel des eigentlichen Ziels Wohlfahrt, in anderen Positionen jedoch als Selbstzweck.33 Bei einer Unterordnung von Freiheit gemäß ersterer Positionen gerät der ursprüngliche Zweckkonflikt zwischen Freiheit und Wohlfahrt aus dem Blick bzw. wird in eine Zweck-Mittel-Hierarchie verwandelt. Hiervon zu unterscheiden ist der Fall, dass Wertbegriffe, die anderen Zwecken untergeordnet sind, in ihrer Instrumentalität miteinander im Konflikt stehen: Wird nicht nur Freiheit, sondern auch Gerechtigkeit im Sinne einer gleichmäßigeren Verteilung als Mittel für Wohlfahrt gedacht, dann können diese beiden Wertbegriffe in den Mittelkonflikt geraten, dass Maßnahmen für Verteilungsgerechtigkeit zu ihrer Finanzierung Steuern notwendig machen, welche als Freiheitseinschränkungen wahrgenommen werden. Diese Problematik stellt einen tagespolitischen Allgemeinplatz dar; sie unterstreicht die praktische Relevanz der identifizierten Unklarheit der wohlfahrtsökonomischen Perspektive mit Blick auf das Verhältnis von Freiheit und Wohlfahrt. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie sich nun die wohlfahrtsökonomische Unschärfe mit Blick auf das Verhältnis von Freiheit und Wohlfahrt auswirkt. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass bei einer praktischen Einbettung einer Ökonomie in einen rechtstaatlichen 33 Die wettbewerbstheoretische Kantzenbach-Hoppmann-Debatte illustriert diesen Zusammenhang: Während Kantzenbach mit dem Konzept eines »funktionsfahigen Wettbewerbs« die ökonomische Wohlfahrtsfunktionalität des Wettbewerbs in den Vordergrund stellte, sah Hoppmann Wettbewerb in Hayek'scher Tradition vor allem als Suchverfahren mit ungewissem Ausgang und stellt dem wettbewerbspolitischen Zielkomplex der »ökonomischen Vorteilhaftigkeit« den Zielkomplex der liberalen »Entschließungs- und Handlungsfreiheit« zur Seite (vgl. J. Schmidt 1997: 1282f.).
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Rahmen der Unschärfe Grenzen gesetzt werden: Der utilitaristische Auftrag der Wohlfahrtsmaximierung mag zwar in liberalen Staatskonzeptionen als Zweck gegenüber niedriger gelagerten Anliegen prinzipiell gleichrangig sein mit dem Zweck der Freiheitssicherung. Fundamentale Rechtsgrundsätze können jedoch nicht ohne weiteres unter Berufung auf Wohlfahrt hinterfragt, verrechnet oder gar umgestoßen werden. Auch klassische utilitaristische Ethiker würden die Nutzenorientierung nicht bis hin zu einer Wohlfahrtsdiktatur befürworten und die Verletzung liberaler Grundrechte in Kauf nehmen. Dies gilt auch für den umweltpolitischen Bereich, wo grundgesetzlich verankerte Umweltrechte kategorisch vor einer wohlfahrtsbezogenen Verrechnung geschützt sind (vgl. Cansier 1996c: 176). Demzufolge kommt dem Staat als ordnungs- und wirtschaftspolitischem Akteur eine zweipolige Rolle zu: Er hat einerseits den liberalen Auftrag, einen Rahmen für das freie (ökonomische) Agieren der Menschen zu schaffen, und andererseits den utilitaristische Auftrag, bei Ineffizienzen dieses freien Agierens wohlfahrtssteigernd einzugreifen. Während jedoch in liberalen Staatskonzeptionen sowie in der aufgeklärten ökonomischen Praxis die konstitutive Bedeutung von Rechten, die nicht auf Wohlfahrtsinstrumentalität reduziert werden kann, anerkannt ist und der Zweckkonflikt offen, aber geregelt bestehen bleibt, leistet die wohlfahrtsökonomische Konzeption einer Unterordnung des rechtsstaatliehen Rahmens unter das Nutzenkalkül Vorschub: »Paretian Welfare Economics is compatible with the existence of mles, obligations, established rights, etc. The value of such institutions, however, is not to be found in their concurrence with one or other preconceived ethical ideal, but in the fact that such institutions may be necessary for the optimisation of social welfare in a world of scarcity.« (van den Doel/van Velthoven 1993: 32)
Indem Regeln und Rechte dergestalt unter andere Wohlfahrtsfaktoren subsumiert werden, werden sie abhängig von ihrer Wohlfahrtseffektivität und verlieren ihre kategoriale Priorität. In der umweltökonomischen Perspektive ist diese Dominanz des Wohlfahrts- über den Rechtsgedanken konzeptionell ebenfalls installiert: Da diese über das Konzept der Öffentlichen Güter Natur als ein materielles Bereitstellungsproblem versteht - und weniger als ein Problem des eingeschränkten freien Handeins der Menschen - wird vor allem die Orientierung an der Ergebnisreferenz Wohlfahrt auf den Staat als umweltpolitischen Akteur übertragen. Dies gilt auch für ordnungspolitische Positionen, welche die individuelle Entscheidungsfreiheit des Konsumenten durch eine interventionistisch wahrgenommene Nachhaltigkeitspolitik bedroht sehen und da-
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her für einen allgemeinen Rahmen der ansonsten freien Entscheidungen plädieren (vgl. Klemmer 2002, Karl 2003). Denn dieser Rahmen dient dabei als »ökologische Leitplanke« (Klemmer 2002: 98) wiederum der Wohlfahrtsoptimierung. Diese Sichtweise ist allerdings keineswegs notwendig: Vielmehr kann sich Umweltordnungspolitik auch auf andere Zielgrößen beziehen (vgl. Gawel 2000: 19), insbesondere eben auf die qualitative Wahrung von Umweltrechten statt auf die Maximierung ökonomischer Wohlfahrt. Die ursprüngliche konzeptionelle Vermischung von Freiheit und Wohlfahrt wird also zur dominanten Referenz Wohlfahrt hin verengt. Diese Verengung ist ihrerseits verbunden mit der zuvor analysierten analogen Verengung des Wohlfahrtsbegriffs, der mit Blick auf mögliche Präferenzen zunächst formal-offen ist und dann durch die nachträgliche Konkretisierung und Substantiierung gemäß realisierter Wahlhandlungen geschlossen wird (vgl. III.2.2.d). Denn durch den Begriff der Öffentlichen Güter, der die Dominanz der utilitaristischen Referenz Wohlfahrt mitträgt, wird die Frage danach aufgeworfen, welche Teile der Natur Güter und daher erhaltenswert sind - was wiederum in der wohlfahrtsökonomischen Perspektive nur gemäß der realisierten Wahlhandlungen beantwortet werden kann. Hier schließt sich der Kreis zur eingangs analysierten, auf kontingentePräferenzeneingeschränkten Wahrnehmungs- und Bewertungsfähigkeit der Wohlfahrtsökonomik mit Blick auf Natur: Auch staatliches Allozieren von Natur ist, soweit es sich an der Wohlfahrtsökonomik orientiert, im Gefolge systematisch eingeschränkt auf diese Präferenzen und die dahinter stehenden, der Natur beigemessenen Zwecke. Hier soll nicht das Bild einer Umweltökonomik gezeichnet werden, die in der Praxis ausschließlich welfaristisch ist, also nur den Wertbegriff der Wohlfahrt im Blick hält. Denn dass der Güter- bzw. Effizienzaspekt gegenüber dem liberalen Rechtsaspekt dominiert, verweist ja gerade auf das zwar dominierte, nichtsdestotrotz aber vorhandene liberale Moment. Wenn die Internalisierung von Umweltschäden in der Umweltökonomik als Allokationsauftrag an den Staat über das Konzept der Öffentlichen Güter vor allem mit Blick auf die Ergebnisreferenz Wohlfahrt (also als Effizienzinstrument) gedacht wird, dann ist damit also auch der advokatarische Gedanke verknüpft, dass die Internalisierung an die Stelle der verhinderten wechselseitigen Übereinkunft tritt. Doch der umweltökonomische Versuch zu überwinden, dass Natur aus strukturellen Gründen den Menschen die >normale< Artikulation ihrer individuellen Wertschätzung über das Tauschverfahren unmöglich macht, rückt nichtsdestotrotz konzeptionell bedingt in eine Nachrangigkeit gegenüber der Wohlfahrtsorientierung.
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111.3.2. Zur legitimatorischen Reichweite von Freiheit und Wohlfahrt Über den Begriff des Staatszwecks wurde auf die legitimatorische Funktion der beiden Wertbegriffe Freiheit und Wohlfahrt bereits hingewiesen. Der folgende Abschnitt zeigt, dass die umweltökonomische Orientierung an der dominanten Ergebnisreferenz Wohlfahrt eine Legitimität jedoch nur aus der dominierten, nachrangigen liberalen Modalreferenz des Tauschs bzw. der wechselseitigen Übereinkunft beziehen kann. Der liberale Gehalt bleibt in der wohlfahrtsökonomischen Konzeption im Begriff der Wohlfahrt insofern enthalten, als diese inhaltlich (zunächst) unbestimmt als das Ergebnis freier Wahlhandlungen in wechselseitiger Übereinkunft gedacht wird. Die normative Wohlfahrtsökonomik stellt eine konsequentialistische Ethik dar, bezieht sich dabei jedoch - im Unterschied zu anderen, stärker selbstreflexiv angelegten Ethiken - auf eine Referenz, die in den eigentlichen Bewertungen von alternativen Allokationen bzw. Handlungen selbst nicht mehr reflektiert wird. Die Referenz kann insofem als »vormoralisch« verstanden werden (vgl. Düwell/Hübenthal/Wemer 2002a: 17): Um ein Handeln moralisch zu qualifizieren, werden seine absehbaren Folgen dann darauf hin befragt, inwiefern sie dem vorab als Referenz bestimmten und im Weiteren nicht mehr hinterfragten Nutzen als Gutem dienlich sind. Um in politikorientierenden Aussagen legitimiert zu sein, muss dieses Gute jedoch begründet sein. Daher stellt sich die Frage, warum Nutzen als subjektivinnerliches Ergebnis individueller Wahlhandlungen als gut gelten können soll. Würden hierzu von den handlungstheoretischen Prämissen der positiven W ohlfahrtsökonomik, also einer neoutilitaristischen Sozialtheorie (die in Deskription und Analyse menschliches Handeln als nutzenorientiert annimmt), die Aussagen der normativen Sozialethik Wohlfahrtsökonomik direkt abgeleitet (»Menschen maximieren ihren Nutzen; deshalb soll die Gesellschaft den Nutzen der Menschen ebenfalls maximieren«), dann läge ein Verstoß gegen das Rumesche Gesetz vor, demzufolge es logisch nicht möglich ist, aus einer deskriptiven Prämisse- darüber, was Menschen tun- ein Sollen als normative Aussage abzuleiten. Würde hingegen von der beschreibenden Charakterisierung eines Sachverhalts (»Menschen verfolgen ihre Präferenzen«) zunächst auf dessen Güte geschlossen (>mnd das Ergebnis ist gut«), um dann erst mit diesem Gut als Referenz ein politisches Sollen zu begründen (»es soll das, was Menschen bei möglicher Präferenzhandlung tun würden, maximal zustande gebracht werden, weil es gut ist«), dann läge ein argumentativer Fehler im Sinne des zweiten Teils von Moores Argument des
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Naturalistischen Fehlschlusses (vgl. Schaber 2002: 437ff.) vor, nämlich dass aus beschreibenden Aussagen keine Aussagen abgeleitet werden können, die »gut« enthalten: »Dass etwas lustmaximierend oder zweckmäßig sei, erübrigt nicht die Frage, ob es denn deshalb auch gut sei.« (Birnbacher 1997: 225) Die Orientierung von Umweltpolitik hin zu dem, was Menschen - hätten Verfügungsrechte vorgelegen und wäre eine wechselseitige Übereinkunft möglich gewesen - gemäß ihren Präferenzen getan hätten, wäre vor diesem Hintergrund noch nicht legitimiert, da die Frage, warum denn das, was sie getan hätten, gut gewesen wäre, offen bleibt. Handelt es sich jedoch bei der normativ-sozialethischen neben der deskriptiv-sozialtheoretischen um eine eigenständige Variante der Wohlfahrtsökonomik, so dass diese beiden gewissermaßen nebeneinander stehen und nicht durch einen gedanklichen Schluss miteinander verbunden sind, müssen diese Argumentationsfehler nicht vorliegen. Es wäre dann ausschließlich innerhalb der normativen Variante- unabhängig davon, wie die deskriptive Variante Wirklichkeit beschreibt - zu fragen, warum Nutzen als unterstelltes Ergebnis von Wahlhandlungen gut sei und eine konsequentialistische Orientierung der Politik legitimieren könne. So haben klassische Utilitaristen wie J.S. Mill ein beschriebenes Glücksstreben der Menschen nur als Plausibilisierungsargument für ihre normative utilitaristische Ethik herangezogen (vgl. Birnbacher 1997: 226), jedoch nicht von dem einen auf das andere geschlossen. Die eigentliche normative Begründung für das Sollen ist mit der deskriptionsbasierten Plausibilisiemng noch nicht geleistet; sie könnte und müsste noch erfolgen. Die Wohlfahrtsökonomik leistet jedoch ihrerseits keine solche Begründungsarbeit dafür, dass eine Gesellschaft nutzenmaximierend organisiert sein soll, sondern postuliert dies (vgl. Söllner 2001: 125). Es bleibt insofern offen, warum Nutzen als Ergebnisreferenz das Attribut »gut« beanspruchen können soll. Im Gegensatz zu älteren Versionen hat die Wohlfahrtsökonomik in ihrer modernen Fassung auf substantielle Nutzenkonzepte verzichtet. Nutzen hat daher keine andere konzeptionell vorgesehen Qualität als die, Ergebnis von individuellen Wahlhandlungen zu sein. Daher kann die Güte des Nutzens allein darin bestehen, dass diese Wahlhandlungen gemäß dem erfolgen, was Menschen individuell wollen. Damit die Vermutung »sie hätten (bei vorliegenden Verfügungsrechten etc.) so gehandelt« bzw. »sie würden so handeln« die umweltökonomischen Politikempfehlungen hin zu Internalisiemng etc. begründen kann, muss das »Handeln-Können« also seinerseits bereits gut und damit begründungsfähig sein. Dann basiert aber eine Legitimität der umweltökonomischen Bewertungen, so sehr sie auf Wohlfahrt ausge-
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richtet sind, wieder auf der liberalen Vorstellung, dass (nur) das freie Handeln der Menschen als solches staatlich-herrschaftliches Handeln etwa im Bereich der Allokation von Natur rechtfertigen kann. Rechtfertigungsgrundlage ist somit nicht ein wie auch immer gedachter Nutzen, den Menschen als Ergebnis ihres Handeins davon haben, sondem das schiere freie Handeln gemäß eigener Präferenzen als Modus des Zustandekommens dieses wie auch immer gearteten Nutzens. Diese Legitimationskraft findet sich auch im Tauschwert: Dieser kann nur deshalb als intersubjektiv geltungsfähig erachtet werden, weil er dem entspricht, was eine Person einem Gut an relativem Wert in einer wechselseitigen Übereinkunft beimisst bzw., wenn der Wert durch einen umweltökonomisch simulierten Tausch ermittelt wird, beimessen würde. Wenn also in monetär repräsentierten Nutzenaggregationen (NutzenKosten-Analysen, BIP o.ä.), auf die in utilitaristischer Tradition die Organisation einer Ökonomie gesellschaftlich auszurichten ist, ein intersubjektiver Geltungsanspruch mitschwingt, so ist dieser insofem ausschließlich als liberal fundiert zu verstehen, als die enthaltenen Tauschwerte (Preise) als Ergebnisse wechselseitiger Übereinkünfte gedacht werden. Ihre Legitimation müsste die Umweltökonomik also aus ihrem liberalen Gehalt ziehen, welches jedoch von ihrem utilitaristischen Gehalt dominiert wird. So bleibt die Legitimation ihres Kalküls ungeklärt bzw. fraglich.
111.4. Problematisierung der ökonomischen Naturkonzeption Die bisherige Auseinandersetzung mit der mainstream-ökonomischen Konzeption von Natur, nämlich (lll.l) der Wahmehmung, (III.2) der Bewertung und (1II.3) der daraus folgend vorgesehenen Handhabung von Natur, ist als Analyse erfolgt. In diesem Abschnitt erfolgt nun die Kritik dieser Konzeption im Zusammenhang mit der Problematik der Umweltherrschaft (III.4.2). Hierzu werden zunächst (III.4.l) die zentralen Aspekte zusammengeführt.
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111.4.1. Rückblick: Zentrale Aspekte der ökonomischen Konzeption von Natur Die der Umweltökonomik zugrunde liegende Wahrnehmung von Natur ist mit Blick auf die Naturbasiertheit des Wirtschaftens systematisch auf das begrenzt, was sich heute aufgrund der faktisch wirksamen Präferenzen als produktiv oder konsumtiv knapp darstellt (III.l ). Dadurch beschränkt sich die Wahrnehmung auf einekontingentefunktionale Rolle der Natur. Das umweltökonomische Naturbild enthält weiterhin eine Dichotomie von Natur und Kultur bzw. Ökonomie immanent, welche die Kulturalität von Natur ausspart. Insgesamt wird somit vernachlässigt, dass auch grundlegend andere Wahrnehmungen von Natur möglich sind. Auf Basis der kontingenten Präferenzen in einer Ökonomie erfolgt auch die ökonomische Bewertung von Natur. Diese ist konzeptionell bedingt auf instrumentelle Werte beschränkt (III.2.1 ): Es kann ein erhaltender Umgang mit Natur nicht damit begründet werden, dass Natur ein Eigenwert inhärent ist, der unabhängig davon wäre, dass man von diesem Erhalt etwas hat, nämlich einen Nutzen. Das spezifische wohlfahrtsökonomische Verständnis von Nutzen als normativer Ergebnisreferenz des Wirtschaftens hatte sich dabei als nur formal über freie Wahlhandlungen bestimmt, dagegen inhaltlich unbestimmt erwiesen (III.2.2): Was die Menschen als Nutzen von etwas haben, bleibt ihnen subjektiv-innerlich und implizit. Mit der handlungstheoretischen Nutzenmaximierungsannahme werden jedoch jene kontingenten Wahlhandlungen, welche die gesellschaftliche Wohlfahrt konkretisieren, selbstaffirmativ als optimal gedeutet. Dies schließt die liberale Offenheit des Nutzenkonzepts, nämlich seine ex ante inhaltliche Unbestimmtheit, indem nun bestimmte Dinge die Wohlfahrt substantiieren. Der insofern utilitaristisch dominierten Ergebnisreferenz Nutzen steht in der ökonomischen Naturbewertung die modale Referenz Tausch zur Seite (III.2.3): Die Bewertung von Natur erfolgt durch die Ermöglichung bzw. als Imitation des Tauschs, so dass Natur so bewertet wird, wie dies bei gewährleisteten Bedingungen flir die Tauschverhandlung der Fall wäre. Die beiden Referenzen dienen auch der wohlfahrtsökonomisch orientierten Handhabung von Natur durch die Gesellschaft. Staatliches Handeln soll die strukturellen Inkompatibilitäteil von Natur mit der marktliehen Verhandlung (insbes. negative Externalitäten) als Internalisierung ausgleichen, und zwar einerseits mit Blick auf das Ergebnis (nach-)optimierend sowie anderseits mit Blick auf den Modus advokatarisch (III.3). Dabei hat sich allerdings gezeigt, dass die utilitaristische Orientierung (Staatszweck Wohlfahrt) die liberale Orientierung (Staatszweck Freiheit) in der Auffassung von Natur als Öffentlichem Gut und
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PROBLEMATISIERUNG DER ÖKONOMISCHEN NATURKONZEPTION
Bereitstellungsproblem dominiert, wobei jedoch aus eben diesem liberalen Moment das umwelt- bzw. wohlfahrtsökonomische Kalkül seine eigentliche Legitimation beziehen müsste.
111.4.2. Kritik der wohlfahrtsökonomischen Konzeption von Natur Die Kritik der wohlfahrtsökonomischen Orientierung der Umweltökonomik erfolgt vor dem Hintergrund der in II.3 angeführten Aspekte 1-4; zentral ist dabei die Frage nach der zwischengesellschaftlichen Akzeptabilität der normativen Referenzen Wohlfahrt und Tausch. Denn es sind diese Referenzen, die als Gründe fungieren müssten, um ausgeübte Umweltherrschaft eines wohlfahrtsökonomisch orientierten bzw. organisierten Wirtschaftens über andere Gesellschaften zu rechtfertigen. Die Kritik erfolgt in zwei separaten Abschnitten. 34
a)
Subjektiv-innerliche Wohlfahrt als Gründe für andere?
Sofern die Umweltökonomik - je nach Bewertung der Natur - einen erhaltenden Umgang empfiehlt, versucht sie mit Blick auf den ersten Aspekt aus II.3 zwar im Ergebnis, die Ausübung von Umweltherrschaft und den damit verbundenen Rechtfertigungsbedarf zu verringern. Und man kann der Disziplin nicht vorwerfen, dass mit ihr nicht auch ein wesentlich vorsichtigerer Umgang mit Natur zu begründen wäre, als er heute der Fall ist. Jedoch tut sie dies nicht in dem expliziten Bewusstsein, dass der Umgang mit Natur aufgrund der Kontingenz der ihm zugrunde liegenden Zwecke eine naturbezogene Machtausübung darstellt, sofern diese Zwecke naturwirksam in andere Kontexte transportiert werden. Dies ist wiederum konzeptionell bedingt, nämlich dadurch, dass der Fokus auf die Präferenzen, die den Umgang mit Natur faktisch bestimmen, andere mögliche Präferenzen vernachlässigt. Hinzu kommt, dass die Schließung des zunächst offenen Wohlfahrtsbegriffs durch seine kontingente Substantiierung, zusammen mit der tautologischen Reifizierung dieser als das Normale, den letztlich willkürlichen Charakter eben dieser Substantiierung und der mit ihr verbundenen Umweltherrschaft verschleiern kann. Die liberale Vorstellung, 34 Allerdings betrifft sie weiterhin die wohlfahrtsökonomische Orientierung in einem, denn der moderne Wohlfahrtsbegriff enthält ja über seine formale Bestimmung als Ergebnis freier Wahlhandlungen den wohlfahrtsökonomischen Freiheitsbegriff, der auch im Tausch als spezifischem Verhandlungsmodus impliziert ist, so dass beide Aspekte letztlich nicht voneinander zu trennen sind.
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UMWELTHERRSCHAFT UND FREIHEIT
dass die Menschen selbst am besten wissen, was für sie gut ist, schützt ja in der ökonomischen Variante der Konsumentenfreiheit gerade die konkreten Konsumentscheidungen davor, hinterfragt zu werden. Dies mag in anderen Kontexten gerechtfertigt sein. Im spezifischen Kontext von Umweltbenschaft stellt sich allerdings durchaus die Frage, warum denn ausgerechnet diese Transaktionen bzw. diese Güter zu jenen Preisen als substantiierte Wohlfahrt die Betroffenheit anderer rechtfertigen können sollen, warum sie also auchfür die fernen Anderen gut sein sollen. Während man das Ideal der Konsumentenfreiheit als ein Postulat der Nichtinterferenz innerhalb einer Gesellschaft verstehen kann, fehlt zwischengesellschaftlich mit Blick auf den ersten Aspekt aus Il.3 ein solches Programm der Nichtinterferenz in andere kulturelle Kontexte. Dass die absolut knappe Natur vor allem als zu berücksichtigende Restriktion an das heutige Wirtschaften gedacht wird, spiegelt sich auch in praktischen umweltpolitischen Diskursen wider, wenn von der (einen) Nachhaltigen Entwicklung als einem langfristig möglichen Entwicklungspfad die Rede ist, auf den es zu wechseln gilt: Hier fehlt bereits sprachlich das Bewusstsein dafür, dass mit einem bestimmten - nachhaltig gesicherten und installierten - Pfad andere Entwicklungen ausgeschlossen würden und ein bestimmtes Wirtschaften verbindlich in die Zukunft extrapoliert wird, was seinerseits bei fehlender Reversibilität dieser Installation Umwelthenschaft impliziert. In dem konzeptionellen Fokus auf das jeweils aktuelle Wirtschaften und die darin funktional relevante Natur wird - nun mit Blick auf den vierten Aspekt aus 11.3 - auch der Kontingenz der naturwirksamen Präferenzen letztlich nicht Rechnung getragen. Die normative Ungewissheit dessen, was unser Umgang mit Natur für die Betroffenen mit möglicherweise fundamental anderen Präferenzen bedeutet, kommt nicht in den Blick. In dieser Hinsicht müsste die normative Ökonomik auf die neueren Entwicklungen in der positiven Ökonomik reagieren. Denn hier nimmt auf verschiedenen Gebieten in den letzten Jahren das Bewusstsein für die kulturelle Partikularität des ökonomischen Handeins zu - sei es in der Marketingforschung, wo Produkte kulturspezifisch beworben werden, sei es in der Evolutorischen Ökonomik, wo Präferenzen immerhin nicht mehr als exogen und insofern notwendige gedacht werden, sondern als dynamisch endogene, komplex beeinflusste und insofern anders mögliche. Wohlfahrt ist als den einzelnen Menschen innerliches, nicht explizites Ergebnis der Naturtransformationen den jeweils Anderen nicht zugänglich. Gerade weil die wohlfahrtsökonomische Perspektive es konsequent eine Sache der Einzelnen selbst sein lassen will, weswegen genau sie eine Wahlhandlung vornehmen, liegen die eigentlichen, substan-
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PROBLEMATISIERUNG DER ÖKONOMISCHEN NATURKONZEPTION
tiellen Motive und Ergebnisse der Handlungen - Wohlbefinden, Befriedigung, Wahrung der eigenen moralischen Integrität o.ä. - im Bereich der individuellen Selbstwahrnehmung. Mit Blick auf den zweiten Aspekt aus II.3 ist also die Zugänglichkeit von Gründen des Wirtschaftens, die für eine akzeptable Rechtfertigung von Umweltherrschaft notwendig ist, systematisch nicht gegeben: Selbst wenn Menschen morgen (und/ oder woanders) bereit wären, die heute verursachte reduzierte Naturverfügbarkeit wegen jenem zu akzeptieren, was die verursachenden Menschen davon hatten/haben, so ist ihnen bereits der erkennende Zugang hierzu verwehrt. Hiermit verbunden - nun mit Blick auf den dritten Aspekt aus II.3 ist Wohlfahrt im wohlfahrtsökonomischen Verständnis ein prinzipiell subjektives Ergebnis. Das, was bestimmte Menschen gemäß ihrer individuellen Selbstwahrnehmung innerlich davon haben, muss für andere Menschen keineswegs in derselben Weise Wohlfahrt darstellen- selbst wenn es als zunächst innerliches Ergebnis expliziert und anderen Menschen überhaupt zugänglich gemacht werden könnte. So sehr man beispielsweise eine Empfindung in Worte zu fassen versucht, so sehr bleibt diese grundlegend subjektiv. Das ändert sich nicht dadurch, dass Wohlfahrt monetär repräsentiert wird, denn ein Geldbetrag stellt zwar als Zahl eine objektive Größe dar, bleibt jedoch abstrakt und beschränkt sich darauf, den relativen Wert im Verhältnis zu anderen Gütern anzugeben. Er sagt also nichts für Andere Nachvollziehbares darüber aus, was inwiefern und warum konkret (so) wertvoll ist, dass es einen bestimmten Umgang mit Natur rechtfertigen könnte. Selbst wenn also beispielsweise eine spätere Gesellschaft von den Naturtransformationen der früheren Gesellschaft in dem Sinne profitiert, dass diese ihnen bestimmte (produzierte oder auch >natürlichehappen< to prefer: the market is, as it were, indifferent to these, >blind to reasonsHervorbringung< als Nutzengrößen letztlich verfälscht und damit nachträglich in ihrer Eigenheit unsichtbar gemacht.
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Gründe, wegen derer eine Gesellschaft Natur transformiert, einer davon betroffenen Gesellschaft zugänglich wären. Dies macht ihn ungeeignet zur Generierung von Entscheidungen über den Umgang mit Natur, wenn diese unter dem Anspruch stehen, fernen Betroffenen, indem sie ihnen zumindest zugänglich sind, gerecht zu werden. Denn die Betroffenen sind so mit schlechterdings unbegründeten Allokationen konfrontiert.
c)
Ergebnis
Zusammenfassend erweisen sich Wohlfahrt und Tausch als normative Referenzen der Umweltökonomik als problematisch hinsichtlich der Möglichkeit, Umweltherrschaft zu rechtfertigen - Wohlfahrt, weil sie weder zugänglich noch nachvollziehbar, sondern implizit und subjektiv ist; Tausch, weil dieser als Verhandlungsmodus nur Wertschätzungen koordiniert, aber keine Gründe expliziert bzw. sogar Gründe jenseits subjektiver Nutzenpräferenzen invisibilisiert. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass entfernte Gesellschaften, auf die wir über unser Wirtschaften Umweltherrschaft ausüben, unsere Eingriffe in die Naturbasis ihres jeweiligen Wirtschaftens auf Basis unserer Gründe akzeptieren, wie sie von der Umweltökonomik vorgesehen sind und angeführt werden müssten. Dieses Fazit betrifft die wohlfahrtsökonomisch basierte Umweltökonomik. Daher ist zu fragen, inwiefern die ökonomische Theoriebildung die Problematik und das bei ihr konstatierte Defizit bereits bearbeitet, bzw. ob die Kritik auf normative Neuerungen in den Bereichen der Wohlfahrts- und Umweltökonomik weniger oder anders zutrifft. Dies geschieht im folgenden Abschnitt.
111.5. Normative Neuerungen in der (U mwelt-)Ökonomi k Im Folgenden sind nur Neuerungen der normativen Ökonomik von Interesse. Fortschritte gegenüber den deskriptiven, analytischen, erklärenden oder prognostischen Seiten der Neuen Wohlfahrtsökonomik bzw. der neoklassischen Umweltökonomik werden daher nicht berücksichtigt. In der allgemeinen Wohlfahrtsökonomik (III.5 .1) haben vor allem zwei Entwicklungen Bedeutung, die sich als subjektivistische und als institutionalistische Umorientiemng verstehen lassen. Bei Ersterer handelt es sich um die in den vergangeneu Jahren an Bedeutung gewinnende happiness-Perspektive, in der das, was Menschen von ihren Wahlhandlungen bzw. in ihren Situationen haben, expliziert wird (hier besteht ein Bezug zur wohlfahrtsökonomischen Ergebnisreferenz). Bei Letzterer
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NORMATIVE NEUERUNGEN IN DER ÖKONOMIK
handelt es sich um den Komplex normativer public choice-Theorie, insbesondere der Konstitutionellen Ökonomik, sowie um jenen der normativen social choice-Theorie, in der vor allem Aussagen über das Zustandekommen von (Bewertungs-)Ergebnissen getroffen werden (hier besteht ein Bezug zur wohlfahrtsökonomischen Modalreferenz). Im speziellen Bereich der Umweltökonomik (III.5.2) finden sich die relevanten Neuerungen im Spannungsfeld zwischen neoklassisch ausgerichteter und der seit ca. 15 Jahren bestehenden Ökologischen Ökonomik.
111.5.1. Neuerungen im Bereich der Wohlfahrtsökonomik
a)
Happiness-Forschung als subjektivistische Umorientierung
Die Neue Wohlfahrtsökonomik kann zumindest insofern als eine objektivistische40 Abkehr von den utilitaristischen Wurzeln der Wohlfahrtsökonomik verstanden werden, als Nutzen nicht mehr mit konkreten subjektiven Empfindungen wie Glück oder Lust gleichgesetzt wird, sondern formal-abstrakt als Ergebnis von Wahlhandlungen gedacht wird und dabei zumeist durch monetäre (Einkommens-)Größen repräsentiert wird (Slesnick 1998: 2109). In Abkehr hiervon wiederum ist in den letzten Jahren eine Rückkehr zu den utilitaristischen Wurzeln, ein »from welfare to happiness«-Programm (Ng 2003) zu beobachten: »Economists are going back to Bentham to ask the question >what makes people happy?glücklich machenrechtenscomprehensive outcomes< (including actions undertaken, processes involved, and the like along with the final outcomes), instead of confining attention to only the >culmination outcomes< (what happens at the very end)« (Sen 2000: 49lf.; vgl. Sen 1997c). Sen vertritt also mit der Auffassung von Freiheit als einem substantiellen Gestaltungsergebnis - und nicht nur als einem formal aufrechterhaltenen Zustand - eine vorrangige Ergebnisorientierung, in welche die Verfahren jedoch systematisch integriert sind und damit flir die Bewertung von gesellschaftlichen Zuständen relevant bleiben. Insbesondere ist es nicht so, dass die »final outcomes« die »processes involved« systematisch dominieren würden- wie es gemäß Teil III.3.1 in der umweltbzw. wohlfahrtsökonomischen Perspektive der Fall war. Sen steht daher 72 Dabei meint Sen vor allem die Frage, ob das Zustandekommen von Ergebnissen beispielsweise mit Rechts- oder Freiheitsverletzungen einhergeht. Gleichfalls relevant wären solche Aspekte wie etwa die Handlungsmotivation hinter einem Ergebnis bzw. einer Handlung, die das Ergebnis hervorbringt. So bedeute es einen Unterschied, ob sich eine Person bei einer anderen entschuldigt, weil sie andernfalls Nachteile erwarten muss, oder ob sie es aus Einsicht in das eigene Fehlen tut (vgl. Sen 2000: 491).
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nicht in dem dort diagnostizierten Konflikt zwischen Liberalismus und Utilitarismus bzw. Konsequentialismus: Das liberale Anliegen einer (positiven) gewährleisteten Freiheit steht nicht als Verfahrensaspekt neben dem Ergebnisaspekt Nutzen, sondern stellt selbst ein - umfassend gedachtes - Ergebnisanliegen dar. Sen distanziert sich in seiner trotz des Freiheits- und Verfahrensbezugs konsequentialistischen Auffassung von utilitaristischer Ethik auch hinsichtlich der spezifischen Informationsbasis Nutzen. Sein Hauptargument ist, dass der subjektiv empfundene Nutzen einer Person nicht immer sinnvolles Maß für ihre tatsächliche Lage ist, denn »the deprived people tend to come to terms with their deprivation because of the sheer necessity of survival, and they may, as a result, Iack the courage to demand any radical change, and may even adjust their desires and expectations to what they unambitiously see as feasible« (Sen 1999a: 63).
Dieser in seinem Armutsbezug besondere Aspekt ist Teil eines allgemeinen Aspekts: Statt auf die subjektive Empfindung oder Selbstwahrnehmung eines Menschen - der dem Zitat zufolge ihre Wünsche einschränken und so bereits aus geringen Mitteln einen hohen Nutzen ziehen mag; oder der aufgmnd teurer Präferenzen auch aus umfangreichen Mitteln keinen Nutzen ziehen mag- stellt Sens Konzeption auf objektiv-äußerliche Möglichkeiten der Menschen ab, die von derartigen subjektiven Verzerrungen nicht betroffen sind. Genauer: Um zur adäquaten Bewertung einer Gesellschaft die objektive (i.S.v. »von subjektiver Bewertung gelöste«) Lage der Personen darin zu identifizieren, stellt die Konzeption auf die objektive (nun i.S.v. »gegenständlicher«) reale Handlungsfahigkeit der Menschen ab.
(iv) Zur Trennschärfe von processes und opportundies Sens Kritik an einer rein negativen Freiheitskonzeption erwächst aus Kontexten, wo insbesondere die materiellen Voraussetzungen- im obigen Beispiel: Eigentumsrechte (entitlements) an Lebensmitteln als Ausstattungen (endowments)- zur realen Umsetzung der Freiheit nicht gegeben sind. Daher ist eine Bereitstellung unter anderem von materiellen Ausstattungen als die Ermöglichung und damit erst effektive Gewährleistung von realer Freiheit notwendig. Entgegen einer verbreiteten Wahrnehmung ist dieser Ermöglichungsaspekt als zentraler Unterschied zu negativen Freiheitskonzeptionen allerdings nicht auf materielle Güter und auch nicht auf den Aspekt der tatsächlichen Zielerreichung beschränkt. Denn die reale Chance zur Verwirklichung von Freiheit - opportunity - betrifft nicht nur die Erreichung, sondern auch das Ver118
FREIHEIT ALS ZENTRALER BEGRIFF DER KONZEPTION
folgen von Zielen. Es besteht auch mit Blick auf diesen process-Aspekt die Notwendigkeit, den Ablauf ebenfalls positiv zu ermöglichen, statt nur negativ seiner Verhinderung zu begegnen. Hiermit vermengen sich Aspekte process- und opportunity-Aspekt: Um tatsächlich zu politischer Partizipation frei zu sein, muss erstens der Vorgang des Verfolgens dieses Ziels frei von Zwang sein. Verfahren bzw. Institutionen müssen also Abwehrrechte schützen. Zweitens aber müssen (andere) Institutionen auch den Zugang zur Politik ermöglichen, damit in diesem Vorgang Menschen drittens ihr Ziel der Partizipation erreichen können. Diese Zugangsmöglichkeiten beziehen sich zwar auf den Vorgang (process), stellen dabei jedoch Chancen (opportunities) dar. Die Differenzierung ist somit nicht überschneidungsfrei. Dies ist jedoch weniger als Problem zu sehen, sondern unterstreicht die komplexe Verbundenheit beider Elemente. 73 Deutlich wird in der Betonung des Chancenaspekts, dass Sen Freiheit nicht ohne die notwendigen Bedingungen allgemein (seien es nun materielle oder auch institutionelle Güter) denkt, welche ihre tatsächliche Umsetzung ermöglichen. Das wiederum heißt nicht, dass Freiheit erst durch ihre faktische Umsetzung zu Freiheit wird. Sondern es bedeutet, dass Freiheit erst durch ihre Umsetzbarkeif - gewährleistet durch Verfahren und Ausstattungen, die das Wählen und Verfolgen als Prozess und das Erreichen als Ergebnis ermöglichen- reale Freiheit darstellt.
(v) Relevante Zwecke positiver Freiheit Ein weiterer Aspekt von Sens Freiheitskonzeption als einer positiven, der im Zusammenhang mit Sens normativem Gesellschaftskonzept Bedeutung gewinnen wird, ist hier festzuhalten: Positive Konzeptionen erachten mehr Hindernisse (einschließlich personaler Nichtfähigkeiten) als freiheitsrelevant bzw. nehmen eine breitere Deutung des MacCallum'schen Parameters B vor als negative Konzeptionen. Gewissermaßen im Gegenzug fassen sie daflir die relevanten Zwecke (Parameter C) enger. Bei Sen ist dies ebenfalls der Fall: Er bezieht gesellschaftlich zu gewährleistende Freiheit auf »to Iead the kind of Jives they have reason to value« (1999a: 10, Herv. F.S.; vgl. auch 1992: 81). 74 Die Beschrän73 »There is, thus, an important distinction between the >process aspect< and the >oppo11unity aspect< of freedom. The recognition of this distinction does not, however, rule out the existence of overlaps between the two aspects.« (Sen 2002b: 589) 74 Gasper (2006) kritisiert, dass im Diskurs um Sens Ansatz oft nicht klar differenziert wird zwischen begründeten und (einfach) gewünschten Lebensführungen. Doch unterstreicht er, dass Sen «has throughout his career been insistently a reflective liberal, propounding that valuation is to be a reflective informed exercise" (ebd.: 12). 119
UMWELTHERRSCHAFT UND FREIHEIT
kung der Zwecke besteht also darin, dass es um begründet wertgeschätzte Zwecke des Handeins geht. Hierzu gehört, dass Sen die qualitative Werthaftigkeit unterschiedlicher Zwecke (bzw. der auf diese Zwecke bezogenen Freiheiten) und damit ihre gesellschaftliche und politische Relevanz als »varying from the extremely important to the completely trivial« (1987b: 108f.) ansieht. 75 So sehr es jedoch »wichtige« und »triviale« Zwecke grundsätzlich gibt, so sehr bleibt es jedoch in der Hand der Menschen, diese Gewichtung im politischen Raum vorzunehmen. Im Gegensatz zu anderen positiven Konzeptionen (vgl. IV.3.1) stellt Sen keine transzendentale Vernunft voran; er postuliert kein höheres Selbst oder sonstige Instanzen, die unabhängig von den Auffassungen der Menschen bestimmen, welche Freiheiten zur Verwirklichung welcher Zwecke relevant und daher gesellschaftlich zu ermöglichen sind. Stattdessen wird dem deliberativ-demokratischen Abgleich von individuell präferierten Handlungszwecken hierin eine zentrale Rolle zukommen (vgl. IV.5.1).
(vi) Sen im Verhältnis zu negativen Freiheitskonzeptionen Sens Auffassung von Freiheit ist im Verhältnis zu negativen Auffassungen als weiterreichende Konzeption zu verstehen: Während sich positive und negative Freiheit auf der systematisch-konzeptionellen Ebene als gegensätzliche Füllungen der Parameter der MacCallum'schen triadischen Beziehung gegenüberstanden, führt die positive Perspektive von Sen auf der politisch-konzeptionellen Ebene zu einem »sowohl als auch« und so über die negative Perspektive hinaus. 76 Neben die rechtstaatliche Gewährleistung von Abwehrrechten tritt die komplementäre
75 Damit, dass Handlungszwecke - »heings and doings« - qualitativ als unterschiedlich wertvoll zu erachten sind, geht einher, dass der rein quantitative Zuwachs an Wahlfreiheiten keine notwendige Verbesserung darstellt. 76 ln dieser Hinsicht e1weist sich Sens eigene Charakterisiemng seiner Konzeption m.E. als inkonsistent: Zwar beschreibt er positive Freiheit konform mit der Systematik auf Basis von MacCallum: »1 have found it more useful to see >positive freedom< as the person's ability to do the things in question taking everything into account (including extemal restraints as well as internal limitations).« (2002b: 586, Herv. i.O.) Somit reicht eine positive konzipierte Freiheit mit Blick auf die relevanten Zwänge weiter als eine negativ konzipierte: »A violation of negative freedom must also be [... ] a violation of positive freedom, but not vice versa.« (Ebd.) Andererseits versteht Sen beide Konzeptionen bereits auf dieser systematischkonzeptionellen Ebene (also vor der oben erwähnten politisch-konzeptionellen Ebene, auf der sich die mit negativer Freiheit verbundene Rechtsschutzpolitik mit der mit positiver Freiheit verbundenen Ausstattungspolitik ergänzt) als komplementäre Komponenten. Ähnlich Sen (1985b: 219; 2002c: 11, FN 13).
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FREIHEIT ALS ZENTRALER BEGRIFF DER KONZEPTION
Bereitstellung der Umsetzungsbedingungen - konkret also die Bereitstellung von Infrastrukturen, Ressourcen und sonstigen Ausstattungen, etwa (aber nicht zwingend und ausschließlich) durch den Staat. Damit schließt Sens positive Freiheit die von negativen Konzeptionen betonte Abwesenheit von Zwang ein: »The importance of overall freedom cannot eliminate the special significance of negative freedom.« (Sen 1992: 87, Herv. F.S.) »Overall freedom« meint positiv verstandene Freiheit, von der negative Freiheit eine Komponente ist (vgl. Sen l996b: 51). Auf der politisch-praktischen Ebene stellt sich jedoch die Frage, wie etwa damit umzugehen ist, dass der Staat die Bereitstellung der verschiedenen Bedingungen flir Freiheit nicht vornehmen kann, ohne seinerseits deren Finanzierung etwa durch Besteuerung, also eine zwangsbewehrte Verletzung von Eigentum und somit durch eine Freiheitsverletzung zu erwirken. Auf dieser Ebene stehen die beiden Gewährleistungsstrategien des (negativ begründeten) Rechtschutzes und der (positiv begründeten) Ausstattung also wieder in einem Konfliktverhältnis. Diese Frage läuft auf das Verhältnis von formalen Rechten zu materiellen Ausstattungen bzw. der prozeduralen Seite zur Chancenseite hinaus. Dies sind bei Sen zwei Seiten der gleichen Medaille, nämlich positiver Freiheit. In den von Sen kritisierten Konzeptionen von Nozick, Hayek und Rawls sind ermöglichende Ausstattungen hingegen nicht konstitutiver Teil der Freiheit und stehen zunächst mit dieser im Konflikt, da ihre Bereitstellung bzw. deren Finanzierung die negativ verstandene Freiheit beschränken würde. Diese Frage nach dem Vorrang der Freiheit leitet über in den nächsten Abschnitt, in dem Wert und Stellenwert von Freiheit in Sens Konzeption analysiert werden.
c)
Vorrang und Wert von Freiheit bei Sen
(i)
Kritik des Vorrangs ausstattungsindifferenter negativer Freiheit Sens Kritik an Nozicks Position in Anarchy, State, Utopia (1974) als (nur) negativer Konzeption von Freiheit ist insofern einfacher Art, als N ozicks minimalistischer Rechtsschutzstaat eine (sozialpolitische) Bereitstellung der erwähnten Ausstattungen überhaupt nicht - nicht nur nicht aus Gründen der Freiheit - vorsieht. Hier stehen sich konträre Gesellschaflskonzeptionen gegenüber, und an Nozick erwächst aus Sens Perspektive vor allem die Frage, wie eine Gesellschaft überhaupt legitim sein kann, in der massive Ungleichheit und Armut zugunsten der radikal vor Eingriffen geschützten Freiheit hingenommen werden, so dass die notwendigen Bedingungen für die Realisierung der Freiheit nicht flir alle gesichert sind.
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UMWELTHERRSCHAFT UND FREIHEIT
Mit Blick auf Hayek und Rawls ist die Kritik anders gelagert, da diese beiden-wenn auch in unterschiedlichem Maße- die Notwendigkeit von Ausstattungen im Gegensatz zu Nozick immerhin anerkennen, diese jedoch nicht als konstitutiv für Freiheit ansehen. Bei Rawls sind die im zweiten Grundsatz thematisierten Verteilungsfragen zwar grundlegender Bestandteil seiner Gerechtigkeitskonzeption (vgl. Rawls 1975: 81). Das Differenzprinzip, welches als zweiter Teil des zweiten Grundsatzes die akzeptablen Ungleichverteilungen mit Blick auf Grundgüter distributiv77 bestimmt, besagt in seiner Maximin-Variante sogar, dass Ungleichheiten maximal zugunsten des Schiechtestgestellten ausfallen müssen (Kersting 2000: 95ff.). Jedoch sind diese Verteilungsaussagen nachrangig gegenüber dem ersten Gnmdsatz, der das >>Umfangreichste System gleicher Grundfreiheiten« (Rawls 1975: 81) fiir jeden fordert, welches »mit dem gleichen System für alle anderen verträglich ist« (ebd.). Diese Grundfreiheiten sind wiederum untereinander zwar nicht absolut geschützt, sondern konkurrieren möglicherweise und sind daher in ein kohärentes System der wechselseitigen Regulierung zu bringen (Rawls 1998: 411). Doch haben sie absoluten Vorrang vor den im zweiten Grundsatz verankerten materiellen Ausstattungen, welche in Sens Auffassung die Freiheit erst real machen (vgl. Paul 1984: 377f.). Materielle Ausstattungen sind bei Rawls also wichtig, aber nicht konstitutiv für Freiheit. Daher lautet Sens Kritik auch nicht, wie im Fall von Nozick, dass die Gerechtigkeits- bzw. Gesellschaftskonzeption den (materiellen) Ausstattungen keinen Platz einräume, sondern dass diese Ausstattungen in die Nachrangigkeit gegenüber den negativ verstandenen Grundfreiheiten geraten. 78
(ii) Vorrang einer ausstattungsbewussten positiven Freiheit Dass Sen den absoluten Vorrang negativer Freiheit vor den materiellen Bedingungen ihrer realen Umsetzung kritisiert, heißt nicht, dass er nicht seinerseits ebenfalls Freiheit, wenn auch positiv verstanden, als zentrale Referenz ausmacht: »This does not, however, amount to saying that liberty should not have priority, but rather that the form ofthat demand should not have the effect of making economic needs be easily overlooked.« (Sen 1999a: 64) Indem in Sens positiver Auffassung von 77 Der erste Teil des zweiten Gmndsatzes bestimmt akzeptable Ungleichverteilungen prozedural: Diese müssen aus fairer Chancengleichheit mit Blick auf Positionen und Ämter resultieren (Rawls 1975: 81). 78 In seiner Antwort auf die Kritik, dass er die materiellen Voraussetzungen von Freiheit ausblende, bleibt Rawls (1998: 445) der Ansicht, dass materieBe Voraussetzungen zur realen Umsetzung der Gmndfreiheiten diese nicht mitkonstituieren und ihr Fehlen nur den Wert der Freiheiten reduzierte (vgl. auch Paul 1984: 387).
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FREIHEIT ALS ZENTRALER BEGRIFF DER KONZEPTION
Freiheit die materiellen Ermöglichungsbedingungen bereits konstitutiv enthalten sind, kann diese Vorrang haben, ohne selbst der Kritik ausgesetzt zu sein, grundlegende materielle Bedürfnisse zu ignorieren. Damit stellt sich auch der Vorrang der Freiheit bei Sen anders dar. Dies zeigt sich in der jeweiligen Position von Rechten: Bei Nozick gelten Eigentumsrechte als unverletzliche side constraints des interpersonellen Handelns. Der Vorrang der negativ verstandenen Freiheit dient hier der Anlage nach als (insofern sekundäre) Orientierung dem Schutz der primären, den Menschen naturrechtlich zugehörig gedachten individuellen Rechte. 79 Jenseits der Finanzierung eines Nachtwächterstaats ist kein Eingriff in Eigentumsrechte zu rechtfertigen; eine Beschränkung der negativen Freiheit wäre deshalb widrig, weil dadurch die vonangigen individuellen Rechte verletzt würden. Bei Rawls hingegen liegen negative Freiheit und der Rechtsanspruch auf sie (im ersten Grundsatz) auf einer gemeinsamen Ebene oberhalb der Ebene materieller Güter (im zweiten Grundsatz). Eine Umverteilungspolitik, die etwa durch Besteuerung in Eigentumsrechte eingreift, gilt demnach sowohl als Rechts- als auch als Freiheitsverletzung. Dieser Vonang der Freiheit ist also der Anlage nach so, dass diese Ausstattungspolitik als Freiheitsverletzung anzusehen ist. Genau dies ist bei Sen nicht zwingend der Fall, da diese Politik eine notwendige Voraussetzung für die Gewährleistung realer Freiheit ist. Insofern die Ansprüche der Menschen auf diese Ausstattungen - etwa im Rahmen der sog. Wirtschaftlichen, Sozialen und Kulturellen Menschenrechte - einen vergleichbaren Rechtsstatus wie die (politisch-)formalen Abwehrrechte haben, rangieren Rechte im Sinne negativer Freiheit sowie Rechte im Sinne materieller Ausstattungen auf einer Ebene, nämlich als Mittel für das vorrangige Ziel realer Freiheit. Es gibt demnach bei Sen zumindest konzeptionell keinen absoluten Vonang von (negativen Abwehr-)Rechten vor (positiven) Ausstattungen. Da Rechte sich nicht nur ergänzen, 79 Sterba (1994: 66ff.) unterscheidet Libertäre in Gefolge von John Locke, bei denen verschiedene Rechte der Menschen aller Gesellschaftlichkeit naturrechtlich vorangehen und negative Freiheit dem Schutz dieser Rechte dient, von jenen Libertären in Gefolge von Herbert Spencer, bei denen das zentrale Recht auf Freiheit an erster Stelle steht und andere Rechte von dieser Freiheit abgeleitet werden. Dabei meint »libertär« allerdings nicht ausschließlich die- Lockeanisehe-Position Nozicks (vgl. das eröffnende »individuals have rights« in Nozick 1974), die zumeist als repräsentativ angeführt wird. Gemeint ist ein Vorrang von Freiheit und (Eigentums-) Rechten, der stärker ist als in anderen (dann als »liberal« geführten) Konzeptionen. Dies ist auch im Rahmen eines left libertarianism möglich, dessen Vertreter versuchen, einerseits Eigentumsrechte zu schützen und andererseits - bzw. sogar hierauf basierend- Umverteilungen zu begründen, vgl. Fried (2004).
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UMWELTHERRSCHAFT UND FREIHEIT
sondern beispielsweise Recht auf Eigentum und Recht auf Grundernährung auch gegeneinander stehen können, sind sie ähnlich wie bei Rawls in ein kohärent abgestimmtes System zu bringen. Neu gegenüber Rawls ist, dass das System auch Rechte im Sinne materieller Ausstattungen enthält und somit die Komplexität der Koordination verschiedener Rechte zunimmt. Dabei ist wichtig, dass Rechte in ihrer Dienlichkeit mit Blick auf umfassend-real verstandene Freiheit zu begründen sind bzw. ihr Konfligieren in dieser Hinsicht zu lösen ist: Die Einschränkung eines Rechts zugunsten eines anderen kann immer nur in Rechtfertigung in Bezug auf reale Freiheit erfolgen.
(iii) Vorrang der Freiheit als Vorrang eines moralisch Guten? Wovor soll Freiheit nun Vorrang haben? In liberalen Gesellschaftsethiken meint Vorrang der Freiheit zumeist den der Freiheit individueller Lebensgestaltung vor kollektiver Wohlfahrt, oder vor kollektiven Ideen des Guten. Dies ist auch bei Sen der Fall, denn es geht um die individuelle Freiheit »to live the way they would like to live« (1999a: 38, Herv. F.S.). Deutlicher wird dieser liberal-individualistische Grundzug noch im Zusammenhang mit der (kulturellen) Pluralität von Ideen des Guten (vgl. IV.6). Jedoch ist hier zu differenzieren: Handelt es sich um eine umfassende Konzeption, einen comprehensive liberalism, welcher Freiheit als substantielles und dabei allgemein höchstes Gut ansieht, also als einen Wert an sich, auf dessen Basis dann eine rechtebasierte Gesellschaftsordnung normativ begründet wird? 80 Dieser Liberalismus sähe sich einer Kritik gegenüber, wie sie vor allem von kommunitaristischer Seite (vgl. einführend Rosa 2002, ReeseSchäfer 200la, Forst 1999), insbesondere in Reaktion aufRawls' Theorie der Gerechtigkeit formuliert wurde. Diese Kritik besagt zusammengefasst, dass Freiheit, indem sie eine substantielle Idee des Guten darstellt, welche möglicherweise von Menschen in anderen kulturellen Kontexten nicht geteilt würde, den dortigen Wertsystemen gegenüber nicht neutral sei und daher keinen allgemeinen Geltungsanspruch erheben dürfe. Damit wäre (auch) Sens Ansatz dem Vorwurf ausgesetzt, mit dem Vorrang der Freiheit als höchstem Wert den Menschen eine bestimmte und somit beschränkende Vorstellung guten menschlichen Lebens vorzuschreiben. Oder handelt es sich vielmehr um einen political liberalism, der die Pluralität von Vorstellungen des Guten ausd1ücklich berücksichtigen will und daher die Idee der Freiheit nicht als umfassende Lehre, sondern 80 Hier kann die Position von J.S. Mill in On Liberty (1859) als klassische Referenz gelten; heute gilt u.a. J. Raz (1986) als Vertreter dieser Auffassung, vgl. Gaus/Courtland (2003).
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FREIHEIT ALS ZENTRALER BEGRIFF DER KONZEPTION
allein in der politischen Domäne vertritt?81 Dieser Liberalismus versucht zumindest, der genannten Kritik gerecht zu werden, indem Freiheit weniger als bestimmtes und dominantes Gut vertreten wird, sondern als der Raum für einen »vernünftigen Pluralismus« (Rawls 1998: 106), indem das jeweils eigene Gute - wenn auch unter der Restriktion, dass es gegenüber Anderen als vernünftig begründbar ist - verfolgt und praktiziert werden kann. Daraus, dass in Sens Konzeption in den vergangeneu Jahren Freiheit größere Bedeutung gewonnen hat, wird bisweilen geschlossen, dass Sen im Sinne einer umfassenden liberalen Ethik Freiheit als einen Wert an sich sehe und ihr einen starken Vorrang vor anderen Werten einräume (vgl. IV.l). Martha C. Nussbaum, die mit Sen wichtige Grundsteine des capability approach gelegt hat, ist folgender Auffassung: »In Development as Freedom things become, I believe, even more problematic. For Sen speaks throughout the work of >the perspective of freedom< and uses language, again and again, suggesting that freedom is a general allpurpose social good [ ... ]« »Sen's response to these questions [ ... ] has been to say that freedom per se is a1ways good, although it can be badly used. Freedom, he said, is like male strength: male strength is per se a good thing, although it can used to beat up warnen.« (Nussbaum 2003a: 44/46) Diese Wahrnehmung, dass Sen Freiheit als »all-purpose social good« erachtet, also einen starken comprehensive liberalism vertritt, ist auch vor dem Hintergrund zu sehen, dass Nussbaum in dieser Zeit ihrerseits eine explizite Wende von essentialistischen Positionen hin zum Politischen Liberalismus vorgenommen hat (vgl. auch Nussbaum 2003b: 417; Deneulin 2002: 507ff.), so dass eine Klärung der Varianten von Sen und Nussbaum in ihrem Verhältnis auch in dieser Hinsicht notwendig war. Ihrer Wahrnehmung widersprechenjedoch zwei Aspekte von Sens Konzeption, die er nachd1ücklich vertritt: Zum einen ist Freiheit bei ihm immer handlungszweckgebunden, nämlich bezogen auf einzelne »doings and beings« (Sen 1992: 39), die Menschen wertschätzen. Es geht um Freiheit hinsichtlich etwas anderem, was seinerseits wertvoll ist - nicht um Freiheit als solche. Deutlicher wird dies in der Operationalisierung der Freiheiten als capabilities, die sich auf separate functionings (»doings and beings«) beziehen ( vgl. 81 Für diesen Unterschied steht die teilweise Abkehr Raw1s' von seiner Theorie der Gerechtigkeit (1975/1971 ), welche auf einen kantischen Liberalismus aufsetzte, hin zum Politischen Liberalismus (Rawls 1998/1993), dessen Gerechtigkeitskonzeption durch Anhänger verschiedener Weltanschauungen im Rahmen eines »übergreifenden Konsenses« befürwortet werden könne (vgl. Mieth 2002: 186f.).
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UMWELTHERRSCHAFT UND FREIHEIT
IV.4). Freiheit wird nicht als synthetischer Gesamtwert vertreten, dessen gesamtgesellschaftliche Maximierung ohne spezifische Berücksichtigung der einzelnen Freiheiten als solcher erfolgen soll. Dies ist ein wichtiges Charakteristikum von Sens Auffassung bzw. seiner umfassend konsequentialistischen Perspektive (vgl. IV.3.2.b.iii): Zwar stellt Freiheit im Sinne Sens die normative Referenz der Bewertlmg gesellschaftlicher Zustände dar und figuriert somit als die für konsequentialistische Ethiken notwendige, vormoralisch bestimmte Referenz (im utilitaristischen Fall: Nutzen), mit Blick auf welche dann die Konsequenzen z.B. von Politik bewertet werden. Jedoch ist diese Referenz nicht als eine substantielle Idee des Guten zu verstehen. Situationen sollen mit Blick auf die reale Freiheit der Menschen bewertet werden - jedoch nicht, weil diese Freiheit als solche das Gute darstellt, sondern weil sie den Menschen ermöglicht, das zu tun oder zu sein, was sie selbst und unabhängig von Sens normativer Konzeption flir sich als das individuell Gute erachten bzw. mit Gründen wertschätzen. In dem Moment, wo Menschen in einem Gemeinwesen konkrete Freiheiten als wichtige und (daher) gesellschaftlich zu gewährleistende bestimmen, konunt ihre jeweilige Konzeption des Guten gerade zum Tragen; deren Formulierung als Freiheiten erfolgt ja nur, um zu erfassen, inwiefern die Menschen zu diesem Guten überhaupt frei sind. Die Perspektive der Freiheit vernachlässigt also keineswegs, dass auch sie von Vorstellungen des Guten letztlich abhängig ist, nämlich in eben dieser Konkretisierung. Da sie jedoch die Realisierung der jeweiligen Vorstellungen ermöglichen will, ist Freiheit dem Guten systematisch, wenn auch nicht in hierarchischem Sinne, vorgelagert. Zum anderen sind diese Freiheiten in dem gesellschaftlichen Feld, in dem Sen sie einfordert, rechtfertigungspflichtig. Hinzu kommt, dass die Freiheiten kontextuell zu konkretisieren und zu priorisieren sind. Eine Gesellschaft oder Gruppe soll explizit das unvermeidliche »evaluative exercise« (Sen 1993b: 32) vornehmen, manche Freiheiten gegenüber anderen als wertvoller und daher als durch das Gemeinwesen bereitzustellen zu qualifizieren. Die Auffassung, dass Sen für Freiheit schlechthin, »no matter which freedoms and no matter for whom« (Nussbaum 2003b: 417), eintreten würde und dabei riskieren oder in Kauf nehmen würde, dass intuitiv schlechte Freiheiten - etwa die Freiheit »to beat up women« - nicht kritisierbar und moralisch verurteilbar sind, wird Sens Konzeption somit nicht gerecht. Diese wird stets unter der Prämisse vertreten, dass »evil or harmful functionings« (Alkire 2005: 121) auszuschließen sind. Außerdem geht es explizit um Freiheit, welche die Menschen begründet wertschätzen, so dass nicht mit Gründen vertretbare Freiheiten ebenfalls nicht ohne weiteres relevant sind.
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FREIHEIT ALS ZENTRALER BEGRIFF DER KONZEPTION
(iv) Intrinsischer und instrumenteller Wert von Freiheit Die Vermutung, Sen trete im Sinne eines comprehensive liberalism jenseits der politischen Domäne für den Wert Freiheit als solchen ein, ließe sich - wenn überhaupt - eher an Folgendem festmachen: Sen unterstellt, dass die Freiheit, ein individuell gewähltes Ziel verfolgen und erreichen zu können, nicht nur diese instrumentelle, sondern auch eine intrinsische Bedeutung habe. Zumeist wird dies so gedeutet, dass Menschen die Freiheit in der Verfolgung und Erreichung eines Ziels unabhängig von ihrer faktischen Nutzung wertschätzen. Hierzu gehört auch Sens Vermutung, dass Menschen von zwei Arrangements jenes bevorzugen würden, in welchem sie in einem dimensionalen Sinne über mehr Optionen verfügen - selbst wenn sie in beiden Settings sich letztlich für die gleiche Option entscheiden würden; die Möglichkeit, wählen zu können, könne als wertvoll eingeschätzt werden (Sen 1985a: 69f.). 82 Das heißt allerdings nicht, dass die schiere Anzahl von Optionen als solche die Qualität einer Situation ausmacht - die wählbaren Optionen müssen auch wertvoll sein. Verbunden mit dieser Sichtweise soll es Sen zufolge bei Entwicklung um die Freiheit zur Realisierung von wertgeschätztenfimctionings gehen, also nicht nur um die verwirklichten fimctionings : Die Freiheit etwas zu tun oder zu sein schließt das Ausmaß, in dem man es faktisch tut bzw. ist, notwendigerweise ein. Man kann sich nur so gut ernähren, wie man real frei ist, sich zu ernähren. Die Berücksichtigung nur dessen, was man hinsichtlich eines functioning faktisch realisiert hat (wie man sich also faktisch ernährt), schließt aus der Bewertung aus, wie frei man war, mehr als dieses zu realisieren. Die Berücksichtigung dessen, wie frei man ist, einfimctioning zu realisieren, schließt hingegen sowohl die faktische Realisierung ein, also auch die hierüber hinausgehende - und gemäß der Unterstellung intrinsisch bedeutende - Freiheit ein, mehr als das realisieren zu können. 82 Sen bezieht diese intrinsische Bedeutung auf den process-Aspekt (vgl. Sen 1988, 1999a: 18, FN 6). Ich halte das für inkonsistent, da auch die Möglichkeit, etwas nicht nur zu verfolgen, sondern auch erreichen zu könnenopportunity - unabhängig von ihrer faktischen Nutzung wertgeschätzt werden müsste. Die Frage, ob und inwiefern Menschen Freiheit als solche tatsächlich wertschätzen, bedarf letztlich empirischer Forschung. Zugunsten Sens Sichtweise mag das Phänomen der Reaktanz - ein »Erregungsoder Motivationszustand, der darauf abzielt, die bedrohte, eingeengte oder blockierte Freiheit wieder herzustellen« (Herlmer 1996: 97)- als Plausibilisierung angeführt werden. Doch wäre damit weder belegt, dass alle Menschen immer und überall Freiheit wertschätzen (geschweige in gleichem Maße oder in gleicher Weise), noch wäre begründet, warum Freiheit als normative Referenz für die (politische) Koordination interpersonalen Handeins gelten sollte.
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UMWELTHERRSCHAFT UND FREIHEIT
Diese Facette scheint Sens Position zwar dem Feld des comprehensive liberalism insofern zuzuordnen, als Freiheit nicht mehr nur Raum für etwas anderes Wertgeschätztes, sondern selbst wertvoll ist. Doch erstens begründet Sen diese Auffassung ausgesprochen zurückhaltend: Man hätte gute G1ünde anzunehmen, dass es für Menschen einen relevanten Unterschied darstellt, ob sie ein von ihnen gewähltes Ziel erreichen, indem sie es in freier Weise verfolgt haben, oder ob sie dazu gebracht werden und somit mit Blick auf den Vorgang- der process-Aspekt der Freiheit- unfrei sind (vgl. Sen 1988: 270ff.; 2004a: 330f.). Deutet man diese Formulierung so, dass dieser Unterschied in einem intrinsischen Wert von Freiheit gründet83 , dann bleibt zweitens offen, welchen intrinsischen Wert Freiheit habe. »Intrinsisch« stellt keine inhaltliche Beschreibung einer bestimmten Güte dar, die Menschen der Freiheit beimessen würden (womit die Unterstellung eines intrinsischen Werts mit der Kritik konfrontiert wäre, dass nicht alle Menschen diesen teilen würden), sondern ist vor allem eine formale Kategorie, von der die instrumentellen Werte von Freiheit (also ihre Dienlichkeit für Handlungszwecke) unterschieden werden. Als kritischer Aspekt bleibt bestehen, dass Sen zufolge Freiheit für jedermann irgendwie intrinsisch bedeutsam sei. Daher ist seine Auffassung mit der Kritik konfrontiert, dass Menschen z.B. in anderen Kontexten Freiheit überhaupt keine intrinsische Bedeutung beimessen. Allerdings nimmt die Annahme in Sens Konzeption keine hervorgehobene Rolle ein. Sie soll vor allem das Freiheitsverständnis in Abgrenzung zu anderen Auffassungen vervollständigen. Hinzu kommt, dass sich die politischen Folgerungen vorrangig auf die instrumentelle Wertigkeit von Freiheiten beziehen, die Sen zufolge häufig in einer wechselseitig produktiven Interdependenz zueinander stehen (vgl. ebd.: 37ff.). 84 Die Kritik, Sen würde eine starke oder gar undifferenziert dominante Auffassung von Freiheit als (einzig) Gutem vertreten, greift vor diesem Hintergrund nicht ohne weiteres. Wie Sens Konzeption im Spektrum von comprehensive vs. political liberalism letztlich zu verorten ist, bleibt 83 Sen selbst lässt mit der Formuliemng »intrinsic importance« (1999a: 36, Herv. F.S.) unklar, ob es um einen intrinsischen Wert geht, oder ob diese Bedeutung anders denn als Wert zu verstehen ist. 84 Indem gewährleistete Freiheiten also als zentrales Mittel ftir sich selbst Sen betont diese Identität von Freiheit als entwicklungspolitischem Ziel und Mittel - genutzt werden sollen, werden sie gerade nicht auf eine Instmmentalität reduziert. Dieses häufige Missverständnis von »instmmentellen Freiheiten« geht auf die irrefuhrende Formulierung in Sen 1999a (37ff.) zurück. Gemeint ist, dass Freiheiten in ihrer auch vorhandenen Instrumentalität gesehen werden. Es geht also um eine instrumentelle Rolle (Sen 1999a: 36).
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FREIHEIT ALS ZENTRALER BEGRIFF DER KONZEPTION
hier offen. Ob es überhaupt möglich ist, selbst in einer nur politisch gemeinten liberalen Konzeption Freiheit in keiner Weise als moralisch gut zu erachten, kann hier mit Gaus/Courtland (2003) bezweifelt, jedoch nicht geklärt werden. Wichtig ist, dass Freiheit als etwas an sich Gutes von Sen nur schwach vertreten wird und stattdessen die Handlungsgebundenheit der Freiheiten - etwas zu verfolgen und erreichen, was seinerseits selbst wertvoll ist - im Vordergrund steht.
(v)
Ergebnis: Sens objektivistisch-potentialbezogene Ausstattungsperspektive Aus den bisherigen Ausführungen resultiert bei Sen der Vorrang einer Freiheit, in der erstens ihre Realisierungsbedingungen konstitutiv enthalten sind und in der daher unterschiedliche Rechte als Gewährleistungsmittel zugunsten des gemeinsamen Ziels positiver Freiheit im Konflikt stehen können. Zweitens geht es um den Vorrang einer Freiheit als Raum, der die Verfolgung jeweiliger Werte und Vorstellungen des Guten ermöglicht, nicht um eine substantiell als Gut verstandene Freiheit, die es - in Sens durchaus konsequentialistischer Perspektive - dann in wohlfahrtsökonomischer Manier zu maximieren gelte. Noch geht es um eine synthetisch verstandene und in einer Weise gestaltete Freiheit; vielmehr ist Freiheit immer für etwas anderes, für diverse und zu konkretisierende Handlungszwecke, gut. Dieser zweite Aspekt von Freiheit als Möglichkeitsraum hatte sich gezeigt vor dem Hintergrund, dass es liberalen Gesellschaftsethiken um den Schutz der individuellen Lebensfühlung vor kollektiven (oder auch, wie die kommunitaristische Kritik aufgeworfen hatte, theorieimmanenten) Vorstellungen des guten Lebens geht. Der Aspekt hat jedoch neben dieser individualistischen eine weitere Facette, die sich mit Potentialbezug umschreiben lässt. Gemeint ist der Vorrang der objektiven Freiheit vor subjektiven Endergebnissen, insbesondere vor Nutzen. Dies wiederum heißt, drittens, dass es nicht um faktische Erreichungen geht, sondern um Erreichungspotentiale: Relevant ist nicht, wie gut eine Person ernährt ist, sondern wiefrei sie ist, sich so oder anders zu ernähren. Der Vorrang der objektiven Freiheit vor subjektiven Endergebnissen meint weiterhin, viertens, dass für Sens Konzeption nicht zentral ist, was Menschen am Ende aus dem, was sie tun oder sein können, an subjektiver Befriedigung ziehen. Die relevanten Ergebnisse sind keine innerlichen Zustände wie etwa empfundenes Glück. Grund war bei Sen, dass diese subjektiven Empfindungen durch Frustration oder Genügsamkeit die objektive Lage einer Person verzerrt darstellen. Stattdessen macht die Konzeption gewissermaßen bei den durch Verfahren/Institutionen und Ausstattungen gewährleisteten objektiven Handlungspotentialen als 129
UMWELTHERRSCHAFT UND FREIHEIT
Ergebnissen gesellschaftlicher Gestaltung halt. Sie fragt nicht mehr (zumindest nicht in ausschlaggebender Weise) danach, was die Menschen warum aus diesen Potentialen machen sowie was sie davon subjektiv-innerlich (als Nutzen) haben. In diesem Sinne sind die Konzeption und der in ihr enthaltene Vorrang der Freiheit als objektivistische (im Gegensatz zu den in Teil III.2.2 als subjektivistisch bezeichneten Nutzenorientierungen) und potentialbezogene (statt nur erreichungsbezogene) Orientierung an äußeren Ausstattungsergebnissen statt an innerlichen Endergebnissen wie Nutzen zu verstehen.
IV.4. Capabilities als partielle Repräsentation von Freiheit Konzeptionsgeschichtlich hatte sich gezeigt, dass der Begriff der capabilities von Sen bereits verwandt wurde, als seine Konzeption noch keine wohlfahrtsökonomische Alternative oder umfassende Entwicklungsphilosophie darstellte. Wenn capahilifies im Folgenden als eine - partielle - Repräsentation von Sens Freiheitsverständnis aufgefasst werden, so wird dadurch das Verhältnis historisch von hinten aufgezäumt. Mit der Konzeption ist dies jedoch konsistent, denn capahilifies drücken die Freiheitsauffassung bereits aus. Außerdem können aus dem capabilityKonzept präzisierende Facetten abgeleitet werden. Bei diesen handelt es sich (IV.4.1.) um die Dimensionalität von Freiheit, die Zuordnung der Freiheitsdimensionen zu bestimmten Freiheitsbereichen und die unvollständige Spezifizierung und Vielfalt der Dimensionen sowie (IV.4.2.) um den kontextbewussten normativen Individualismus der Konzeption.
IV.4.1. Dimensionalität von Freiheit a)
Capabilities als dimensionenspezifische Freiheiten
In Abschnitt IV.3.2.c.iii wurde gesagt, dass Sen Freiheit an Zwecke bindet. Während oben damit gemeint war, dass Freiheit nicht als Selbstzweck verstanden wird, ist hier ein anderer Aspekt von Bedeutung, nämlich dass Freiheit durch verschiedene Freiheiten (als Dimensionen) konstituiert wird. Dies ist zumindest mit Blick auf den positiven opportunity-Aspekt von Freiheit der Fall. Denn während Sen mit dem negativen process-Aspekt auch eine allgemeine, unspezifische Nichthinderung in der Wahl und Verfolgung von Zielen meinen mag, geht es bei jenem um die (ziel-)spezifische Möglichkeit bzw. Fähigkeit der Erreichung bestimmter Ziele. 130
CAPABILlTfES ALS PARTIELLE REPRÄSENTATION VON FREIHEIT
Auf diese Ziele, also die functionings (»beings and doings«) beziehen sich die verschiedenen capabilities einer Person: Sie stellen die .fimctioning-spezifischen Freiheiten einer Person dar, die ihr aus den verfügbaren Ausstattungen und zugänglichen Optionen resultieren. Die Gesamtheit dieser capabilities konstituieren ihrerseits - analog zur Freiheit, bzw. als opportunity-Freiheit - die gesamte capability einer Person: »Capability represents the various combinations of functionings (beings and doings) that the person can achieve.« (Sen 1992: 40) Mit denn verschiedenen Dimensionen (fimctionings) wird im Ausmaß der jeweiligen Freiheiten einer Person mit Blick auf diese Dimensionen ein n-dimensionaler Optionenraum aufgespannt, der die gesamte capability bzw. opportunity-Freiheit der Person darstellt und innerhalb dessen die Person verschiedenste Kombinationen (n-dimensionale Vektoren) von Ausprägungen der einzelnen Dimensionen realisieren kann.85
b)
We/1-being und agency als Freiheitsbereiche
Es wurde bereits erwähnt, dass Sen zufolge die .fimctionings bzw. die dazugehörigen capahililies unterschiedlich wichtig (und dann durch das Gemeinwesen zu ermöglichen) sein können. Diese Differenzierung bzw. Priorisierung ist eine politisch zu treffende, also keine konzeptionelle. Eine bereits konzeptionelle Differenzierung der Freiheitsdimensionen hingegen wird durch die Unterscheidung von well-being und agency geleistet. Dabei meint Ersteres in einem sehr allgemeinen Sinne das (selbstzentrierte) Wohlsein der Menschen selbst, ohne jedoch dabei auf materiellen Wohlstand, bestimmte subjektive Empfindungskategorien oder ähnliches eingeschränkt zu sein. Agency meint im Gegensatz hierzu »what a person can do in line with his or her conception of the good. The ability to do more good need not be to the person' s advantage.« (Sen 1985b: 206) Gemeint sind Handlungszwecke, die ein Mensch beispielsweise als moralischer Akteur auf Basis von Gründen hat: »goals and values she has reasons to pursue« (Sen 1992: 56). Bisweilen fasst Sen well-being als einen Ausschnitt aus dem umfassenden agencyZielkatalog einer Person auf ( 1993b: 35); zumeist stehen diese beiden sich jedoch als unterschiedliche Bereiche gegenüber. In jedem Fall eröffnet Sen mit dem Begriff der agency-Ziele konzeptionell den Raum ftir Motivationen und Ziele, die nicht auf das mit ihrer Umsetzung verbundene Wohlsein reduziert werden können. Das heißt nicht, dass mit ihrer Umsetzung nicht auch ein persönliches Wohlsein verbunden sein 85 »The capability is a set of such functioning n-tuples, representing the various alternative combinations of beings and doings any one (combination) ofwhich the person can choose.« (Sen 1993b: 38)
131
UMWELTHERRSCHAFT UND FREIHEIT
mag; sie haben jedoch davon unabhängig flir das Leben der Menschen Relevanz. 86 Die Bedeutung davon, dass die Dimensionalität von Freiheit in die genannten zwei Bereiche gegliedert wird, liegt nun vor allem darin, dass Menschen mit der Annahme von agency-Zielen auch (jedoch nicht ausschließlich) eine prinzipielle moralische Motivation unterstellt wird. Sens Konzeption baut damit auf einer breiteren Anthropologie und Rationalitätsunterstellung auf als die mainstream-ökonomische Eigennutzoder Egoismusannahme. Ob diese Unterstellung von agency, also einer aktiven, moralisch geleiteten sozialen Einstellung (»someone who acts and brings about change, and whose achievements can be judged in terms of her own values and objectives«, Sen 1999a: 19) aus positivsozialwissenschaftlicher oder psychologischer Perspektive haltbar ist, kann hier nicht vertieft werden (vgl. jedoch IV.5.1.b). Doch hat diese Annahme bei Sen ohnehin vor allem normativen Gehalt: Menschen sollen nicht auf well-being-Motivationen reduziert werden, weder in wissenschaftlicher Analyse noch in politischer Gestaltung. Sie sollen als aktive soziale Subjekte gedacht, behandelt und im Sinne von capability befähigt werden sowie als freie Subjekte in Anspruch genommen und in das politische Leben einbezogen werden können.
c)
Unvollständige Spezifizierbarkeit; basic capabilities und general capabilities
Die dimensionale Auffassung von Freiheit ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass Freiheit bei Sen als die Referenz dafllr gesehen wird, wonach gesellschaftliche Arrangements mit Blick auf die einzelnen Menschen zu bewerten sind: Indem Freiheit durch einzelne Dimensionen analytisch gefasst wird, stellt sie sich nicht als diffuser und schwer zu er86 Die zwei Freiheitsbereiche, nämlich well-heing-Freiheit und agencyFreiheit, sind nicht zu verwechseln mit den Freiheitsaspekten (opportunity/processes), auch wenn eine solche Gleichsetzung (etwa von opportunity-bezogenen capahililies als we/l-heing-Freiheiten, vgl. z.B. D. Crocker 2006: 156) naheliegend ist: Sen suggeriert zumindest eine Zusammengehörigkeit von well-heing als Zielbereich, capahility als Repräsentation der Freiheit in diesem Bereich und opportunity als dem dabei repräsentierten Freiheitsaspekt (vgl. 2004a: 331 ). Jedoch schließt die Konzeption nicht systematisch aus, dass nicht auch für agency-Ziele auch capahililies bzw. opportunity-Freiheiten notwendig sind, oder dass die Freiheiten im wellheing-Bereich nicht ebenfalls durch allgemeine process-Freiheit ermöglicht werden müssen. Hier zeigt sich wieder, dass die Differenzierung opportunity/process nicht trennscharf ist; auch zwischen Repräsentanten des Ansatzes herrscht eingestandenermaßen Uneinigkeit bzw. Unsicherheit über die systematische Zusammengehörigkeit der genannten Begriffe.
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CAPABILlTfES ALS PARTIELLE REPRÄSENTATION VON FREIHEIT
fassender Allgemeinzustand einer Person dar, sondern lässt sich an konkreteren Einzelheiten festmachen bzw. zur Messung operationalisieren. Eine Person ist demnach nicht insgesamt mehr oder weniger frei, sondern sie ist mit Blick auf bestimmte functionings in zu bestimmendem Ausmaße frei. Jedoch ist diese dimensionale Differenzierung in der Realität sozialwissenschaftlicher oder ökonomischer Analyse und Bewertung nicht bis in letzte Konsequenz umsetzbar: functionings können nur in einem begrenzten Maße konkretisiert werden, wenn sie analytisch oder politisch handhabbar bleiben sollen. So kann die Dimension Ernährung zwar von einem allgemeinen Sinne hin zu spezifischeren Aspekten differenziert werden - etwa Ernährung mit hinreichender Kalorienzahl, Ernährung gemäß kultureller Traditionen etc. Jedoch sind in der Realität die Dimensionen, die von Individuen wertgeschätzt werden, ungleich spezifischer und in ihrem Zusammenhang komplexer: Ein jeder schätzt mit Blick auf Ernährung eine jeweilige Vielzahl von Aspekten, die von anderen nicht notwendigerweise ebenfalls geschätzt werden. In analytischer Hinsicht muss daher die dimensionale Ausdifferenzierung der capability einer Person in verschiedene capabilities unvollständig bleiben, bzw. es muss ein Allgemeinheitsgrad erhalten bleiben, mit dem ein gesellschaftliches Arrangement Individuen-übergreifend betrachtet und zur Bewertung repräsentiert werden kann. In politischer Hinsicht kommt hinzu, dass sich ein Gemeinwesen mit Blick auf zu gewährleistende capahilifies nur verständigen und einig werden kann, wenn individuelle Sonderinteressen ab einer bestimmten Spezifität nicht mehr berücksichtigt werden. Dies ist hier insofern von Bedeutung, als die Frage danach, inwiefern Natur zu realer menschlicher Freiheit beiträgt, ebenfalls nur mit unvollkommen spezifizierbaren Funktionen beantwortet werden kann. Diese unvollständige Spezifizierbarkeit der capahilifies und die daher unscharfe Dimensionalität der (opportunity-)Freiheit sind offensichtlich nicht umgehbar. Die leitende Idee, Freiheit gemäß konkreter Dimensionen greifbar zu machen, bleibt nichtsdestotrotz bestehen. In diesem Zusammenhang bietet die Konzeption zwei Begriffe an, die eine weitere Qualifizierung verschiedener Freiheitsdimensionen (neben ihrer Zugehörigkeit zu den Bereichen agency bzw. well-being) ermöglichen und dabei die Spezifizierungsproblematik aufgreifen. Zum einen spricht Sen (z.B. 1993b: 41) von basic capabilities: »the term [ ... ]was intended to separate out the ability to satisfy certain crucially important functionings up to certain minimally adequate Ievels.« Sen geht also davon aus, dass bestimmte Dimensionen der Freiheit als »Crucially important« sowie als in bestimmter Höhe zu gewährleisten, tatsächlich spezifiziert werden können. Dadurch wird die notwendige Spezifizierungstiere an
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UMWELTHERRSCHAFT UND FREIHEIT
das Kriterium »crucially important« gekoppelt: Im obigen Beispiel würde also die Dimension Ernährung so weit spezifiziert, dass die im jeweiligen Kontext als »crucial« erscheinenden Anliegen erfüllt werden. Wird die capability-Perspektive beispielsweise zur Armutsanalyse eingesetzt, dann würde Ernährung so weit spezifiziert, dass ein bestimmtes Verständnis der Armutsgrenze (das etwa allgemein die minimale Verfllgbarkeit von Kalorien und Vitaminen, nicht aber deren Bereitstellung in konkreten traditionellen Speisen beinhaltet) darin zum Ausdruck kommt und somit Personen in ihrer Ernährungssituation als arm/nicht arm zugeordnet werden können. Die Auffassung von bestimmten Dimensionen und Freiheitsausmaßen als basic ist vor allem dann relevant, wenn es - in der vorliegenden Arbeit mit Blick auf Natur - um die nähere Bestimmung dessen geht, was ein zu erhaltendes bzw. zu gewährleistendes Minimum darstellt. Dieser Aspekt wird in Teil IV.5.3.b als Minimalgerechtigkeit Bedeutung haben. Demgegenüber meint der von I. Robeyns (2000) vorgeschlagene Begriff der .fimdamental capabilities einen anderen Aspekt der Spezifizierungstiefe: »These are the deeper, foundational, more abstract, aggregated (not over persons but over different capabilities in one person) capabilities.« (Ebd.: 9) In etwa zeit- und deckungsgleich hat S. Alkire (2002) den Begriff der generat capabilities vorgeschlagen; um die Terminologie übersichtlich zu halten, wird nunmehr vor allem Letzterer verwendet. Bei beiden geht es nicht um die Bestimmung von minimalen Basisfreiheiten, sondern um die Aggregation bestimmter spezifischer Freiheitsdimensionen in allgemeineren Dimensionen (etwa in Ernährung in einem allgemeinen Sinne). Mit diesem Terminus lässt sich die Spezifizierungsproblematik begrifflich zumindest angehen, indem man capabilities in einer Hierarchie als mehr oder weniger allgemein klassifiziert - was noch nichts darüber besagt, ob und in welchem Ausmaß sie Minimalcharakter haben. Weiterhin und entscheidender geht es um die den spezifischeren Dimensionen zugrunde liegenden Intentionen. Diese können mit Blick auf die Rechtfertigung spezifischerer capabilities als höhersü{fige Freiheitsdimensionen angesehen werden: Ob eine spezifische Ernährungsdimension wie die der tradierten Essensgewohnheiten als eine zu ermöglichende Freiheit gerechtfertigt ist, kann unter Rekurs daraufbestimmt werden, in welchem Verständnis die höherstufige Dimension Ernährung als general capability gerechtfertigt und zu ermöglichen ist: Steuert der Traditionsaspekt zur Ernährung im höherstufigen Sinne bei, wäre der Einschluss des Aspekts in die zu gewährleistenden Freiheiten begründet.
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CAPABILlTfES ALS PARTIELLE REPRÄSENTATION VON FREIHEIT
d)
Berücksichtigung und Nichtverrechnung der Vielfalt an Freiheitsdimensionen
Die Freiheitsauffassung bringt nicht nur mit sich, dass Freiheitsbereiche (well-being!agency ), -minima (basic capabilities) und -spezifitätstiefen (general capabi/ities) unterschieden werden können. Sie dokumentiert durch die explizite Wahrnehmung der verschiedenen functionings auch die Vielfalt dessen, was Menschen als »doing or being« wertschätzen können. Während im ökonomischen Wohlfahrtskonzept alle Dimensionen menschlicher Wertschätzung in eine einzige werttheoretische Dimension übersetzt werden und dabei zumeist die besonderen Qualitäten der einzelnen Dimensionen aus dem Blick verlieren bzw. unsichtbar machen, blieben diese in der capability-Perspektive grundsätzlich erhalten. Zwar stößt diese Beachtung der Diversität an die oben genannte Grenze, dass functionings nur begrenzt ausspezifiziert werden können. Nichtsdestotrotz bleibt Diversität in der konzeptionell verankerten (Multi-)Dimensionalität menschlicher Freiheit sichtbar. Damit ist auch verbunden, dass mögliche Konflikte, aber auch Komplementaritäten zwischen einzelnen Dimensionen bzw. ihrer Gewährleistung nicht in der Verrechnung in einen eindimensionalen Parameter unsichtbar werden. Sen betont dabei mögliche Komplementaritäten zwischen verschiedenen Freiheiten, etwa wenn für Frauen freier Zugang zum Arbeitsmarkt auch größere Freiheiten im familiären Bereich bedeutet (z.B. 1999a: 38ff.). Im Weiteren werden jedoch eher Konflikte zwischen (ökologischen und anderen) Freiheiten von Bedeutung sein. Diese stehen dann nicht mehr in einem einfachen Verrechnungsverhältnis, in dem >Äpfel mit Birnen< verglichen werden. Sondern die jeweiligen Freiheiten stehen sich in ihren irreduziblen Eigenschaften und Wertschätzungen gegenüber, so dass die Abwägung der konfligierenden Optionen in anderer Form als der Verrechnung zu treffen ist (vgl. V.4.1.g).
IV.4.2. Individuelle Partikularität von Freiheit
a)
Berücksichtigung interpersonaler Differenzen in der Umwandlung von Inputs
Während sich die zuletzt dargestellte Facette des dimensionalen Freiheitsverständnissesauf die Diversität vonfunctionings bzw. deren Wertschätzungen bereits bei einzelnen Personen bezieht, versucht Sens Konzeption auch der Diversität zwischen Personen gerecht zu werden. Dieser Anspruch, Menschen nicht nur überhaupt als Individuen, sondern in ihrer spezifischen Individualität gerecht zu werden, kann als konsequen-
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UMWELTHERRSCHAFT UND FREIHEIT
ter normativer Individualismus verstanden werden. Damit ist zunächst der Zusammenhang gemeint, der die capability-Perspektive überhaupt ins Leben gerufen hat: Sen hat in seiner grundlegenden Tanner-Lecture (Sen 1980) insbesondere deshalb für capabilities als gerechtigkeitstheoretisches Equalisandum plädiert, weil seiner Auffassung zufolge Menschen sich stark darin unterscheiden, welche konkreten Handlungsoptionen ihnen aus gleichen bereitgestellten Ressourcen oder Chancen erwachsen. Dem prominentesten Beispiel folgend (Muellbauer 1987: 40f.) gewinnen Menschen aus dem Besitz eines Fahrrads unterschiedlich große Mobilität, je nach physischer Konstitution, motorischem Geschick, ihrer kulturell mitgeprägten Freiheit, Fahrrad zu fahren etc. Auf diese Mobilität kommt es jedoch letztlich an, will man nicht Güter velwendungsunabhängig zum Selbstzweck erklären; daher ist auf sie abzustellen, nicht auf die in ungleicher Weise Freiheit bzw. Mobilität ermöglichenden Güter. Ähnlich lautet Sens Kritik an Rawls, dessen Grundgüter-Perspektive er einen Güterfetischismus vorwirft: Wenn ungleichen Menschen gleiche Güter zur VerfUgung gestellt werden, resultieren ihnen entsprechend ungleiche Chancen und Optionen - was der Intuition einer egalitaristischen Verteilungstheorie zuwiderlaufe. 87 Dies sei eine Verwechslung von »means and freedoms« (Sen 1992: 26), also von materiellen Gütern, sozialen Institutionen etc. als Mitteln mit dem, was Menschen dadurch tun oder sein können (vgl. auch Sen 1990a).88 Begrifflich fasst Sen diese interpersonale Diversität über den Terminus conversion factors. Hierunter sind Eigenschaften der Personen selbst sowie ihrer handlungswirksamen (sozialen, ökologischen etc.) Umwelt zu verstehen, die als Faktoren die Umwandlung von verfügbaren Inputs in Handlungsoptionen als Outputs mitbestimmen. Die folgende Graphik zeigt in statischer Darstellung den Zusammenhang von Gütern etc. mit persönlichen und Umweltcharakteristika sowie den resultierenden capabilities.
87 Zu seiner Auseinandersetzung mit Rawls vgl. Sen (1992: 26ff./73ff.). 88 Die Kritik richtet sich auch an eine Fixierung auf materiellen Wohlstand, wie sie in mit einer engen, jedoch häufigen Lesart der Wohlfahrtsökonomik einhergeht: commodities (Güter in einem engeren Sinne) sind nicht als solche als wertvoll zu erachten, sondern nur in ihrem Beitrag zu einem Ziel (z.B. capabilities), das die Ausrichtung des Wirtschaftens auf ihre Produktion begründet (vgl. hierzu insbesondere Sen 1985a: Commodities and Capabilities).
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CAPABILlT/ES ALS PARTIELLE REPRÄSENTATION VON FREIHEIT
A bbildung 1: Systematischer Zusammenhang zwischen Ausstattungs- und Umwandlungsfaktoren und capahilifies (in Anlehnung an Robey ns 2005: 98)
J
lndiv;duelle Konversionsfaktoren • nart\rlichc Eigenschaften • mdivJduelle falugkeJten •
etc
Soziale Faktoren • soziokulnircl lc, legale ctc. Tnstirutioncn • ökologische etc. \
• Exchange enfltlements Austauschbedmg tmgen z B auf Markten um Ausstatttmgen m Gute1 zu tauschen
r--e-nd-ow - ,-n,-,n-ts- - - , Verfügbare Ausstattungen, z.B. Land, Arbeitskraft etc.
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f-+
•
Soziohllrurcllc Einflüsse auf Präferenzbildung .............., und Ents.chcidtmg
+I
lJndivJdudl-biographi-
U mweltfaktoren Handhmgen etc. anderer Pen;onen tc~hno logisc_~ c u.a. Wtssensbestande
sehe, psychologische etc. Einflüsse auf Präfere~bildtmg und Entscheu.lung ~
t
Konversion von Gütern (Mitteln) in Freiheiten (gesellschaftliche Referenz)
Gewählte Nutzung von Freiheiten zu privaten Zielerreichungen (choice)
l.mtith:menl.\'
!'afwhilitit:s
Verfügbare alternative Güterbündel (Kaufkraft)
Möglichkeiten, distinkte Zwecke (functionings) in bestimmten Ausmaßen zu realisieren
(ad1iew d) .fimctionings fdktisch gewählte, verfOlgte und realisierte Zwecke
V
Mittel (capability inputs)
reale Freiheiten
genutzte Freiheiten
Der Begriff der conversion factors wird also systematisch und allgemein aus dem Zusammenspiel von Gütern und Menschen gewonnen. Er ist daher weder in der Konzeption noch in der Realität auf bestimmte Faktoren begrenzt; entsprechend groß ist die Vielfalt möglicher Faktoren, die Freiheit erst real werden lassen (oder beschränken). Gesellschaftliche Institutionen, soziale Regeln und deren kulturelle Wertfundamente, ökologische Faktoren etc. sind nur einige Beispiele (vgl. Sen 1999a: 70f., Robeyns 2005: 98f.). Aus Sicht der Konzeption ist zentral, dass die Faktoren berücksichtigt werden müssen, wenn die Analyse eines gesellschaftlichen Arrangements oder die Bereitstellung von Inputs durch das Gemeinwesen den Menschen in ihrer Individualität gerecht werden will: Eine schwangere Frau benötigt beispielsweise für eine bestimmte capability mit Blick auf Ernährung mehr Nahrung als ein Kind; ein Greis benötigt mit Blick auf Gesundheit andere Ausstattungen und Leistungen als einjunger Mann; etc.
b)
Berücksichtigung soziokultureller Kontexte
Mit der conversion-factor-Perspektive sollen nicht nur Menschen in ihren persönlichen Eigenschaften und Bedürfnissen, sondern auch ihrer jeweiligen sozialen und kulturellen Einbettung in einen konkreten Kontext berücksichtigt werden (vgl. Robeyns 2005: 98/1 08). Denn dieser Kontext prägt, erweitert, begrenzt aber auch die individuelle Umsetzung
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UMWELTHERRSCHAFT UND FREIHEIT
von verfügbaren Gütern und anderen Inputs in Handlungsoptionen. Teil davon ist, dass die capabiliry-Perspektive auch die Umsetzung von capabilities zu Zielerreichungen (achievements) als eine Wahlhandlung berücksichtigt, die sozial beeinflusst ist: Wenn eine Person eine capabiliry im Maße X besitzt, aber das fimctioning im Maße (X - d) realisiert, dann geht diese Entscheidung nicht nur auf ihre sozial beeinflusste capabiliry zurück, sondern auch auf die sozial geprägten Präferenzen sowie die sozial geprägten aktuellen Bedingungen, unter denen die Entscheidung getroffen wird. Die Person mag in ihrer capabiliry (im Sinne von opportuniry-Freiheit) sowie gemäß formal-rechtlicher Normen und Bedingungen (im Sinne von process-Freiheit) frei sein, X zu wählen; gemäß ihrer Präferenzen oder auch möglicher informell-sozialer Normen, die X etwa als Traditionsbruch werten würden, mag sie sich jedoch dagegen entscheiden und ihre Freiheit im Ausmaße d ungenutzt lassen. Im Diskurs um den capability approach ist dies vor allem insofern von Bedeutung, als dem Ansatz vorgeworfen wird, zu individualistisch zu sein: Indem er konsequent auf die Freiheit der einzelnen Individuen abstelle, vernachlässige er die Sozialität und Kulturalität von Personen und verliere aus dem Blick, wie wichtig beispielsweise Zugehörigkeiten zu Gruppen sind (vgl. z.B. Stewart 2005). Bei dieser Auseinandersetzung werden jedoch zumeist verschiedene >lndividualismen< unzureichend differenziert (vgl. ähnlich Robeyns 2000: 16f.): Gerade durch den Begriff der conversion factors werden ja beispielsweise Gruppenzugehörigkeiten berücksichtigt, und zwar sowohl als freiheitsbeschränkende wie auch als freiheitsermöglichende Faktoren. Der Ansatz versucht keineswegs, die capahililies bzw. ihr Zustandekommen losgelöst von sozialer Einbettung zu beschreiben oder zu analysieren. Mit Blick auf methodologischen Individualismus ist der Vorwurf insofern nicht haltbar. Mit Blick auf normativen Individualismus hingegen bezieht Sen klar Stellung zugunsten der Individuen als einzigen moralischen Anspruchsträgern. Gemeinschaftliche Phänomene werden in positiver Perspektive belücksichtigt, aber normativ auf ihre Auswirkung auf die Individuen hin befragt. Hiergegen wagen die Kritiker wiederum nicht den Schritt, Kollektiven einen eigenen und über die Individuen hinausgehenden moralischen Anspruch zuzugestehen und dadurch einem kollektiven Zwang gegenüber Individuen Vorschub zu leisten. Der Vorwurf eines übermäßigen Individualismus wird also nur methodologisch artikuliert, läuft dabei aber leer. 89 89 Allerdings sollte den Kritikern- ähnlich wie der kommunitaristischen Kritik an liberalen Theorien- zugute gehalten werden, dass sie die Notwendigkeit unterstreichen, Individuen als soziale und kulturell geprägte wahrzunehmen, und dass sie hiermit theoretische Vertiefungen vorantreiben.
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CAPABILlTfES ALS PARTIELLE REPRÄSENTATION VON FREIHEIT
Für die vorliegende Untersuchung ist die systematische Verankerung der sozialen und kulturellen Einbettung von Menschen sowie ihrer individuellen Umwandlungskapazitäten vor allem in folgender Hinsicht von Bedeutung: Der Ansatz stellt darauf ab, dass Menschen in der Art und Weise frei sein können, wie es für sie in ihrer persönlichen und sozialen Partikularität reale Freiheit darstellt. Der Ansatz ist nicht nur in der positiven Beschreibung und Analyse sozialer Arrangements kultur- und kontextbewusst Sondern es sollen auch die normativen Bewertungen der individuellen capahilifies und ihrer Verteilung sowie die sich darauf beziehenden Ausstattungspolitiken daran orientiert sein, was diese Inputs jeweils für die Menschen in ihrer kulturellen Eingebundenheit bedeuten. Hierdurch rückt die Kulturalität nicht nur der Umsetzung, sondern auch der Wertschätzung von Inputs in den Blick, einschließlich jener von Natur- im Gegensatz zur wohlfahrtsökonomischen Perspektive, in welcher sich Natur als kulturneutrale Um-Welt darstellt (vgl. auch III.6.1). Die Berücksichtigung dieser kulturellen Konstituiertheit von materiellen Ausstattungen ändert allerdings nichts daran, dass die mit ihnen verbundenen Freiheiten Zielbegriff einer objektivistischen Perspektive sind (vgl. IV.3.2.c.v): Sie stellt nicht auf subjektive Ergebnisse aus der Umsetzung von Optionen ab, sondern auf die zwar kulturell konstituierten, gleichwohl aber objektiv verfügbaren Optionen.
c)
Zur Messbarkeit von Freiheit und Anwendbarkeit der Konzeption
In diesem Zusammenhang ist auf eine Problematik hinzuweisen, welche die Anwendung der Konzeption in der Analyse und Gestaltung von sozialen Arrangements betrifft: Wie frei Menschen im Sinne ihrer gesamten capability (also ihres Optionenraums) tatsächlich sind, ist aus ihren beobachtbaren Positionen nicht ohne weiteres abzulesen. Die objektive Verfügbarkeit der Optionen scheint der Betrachtung, Messung etc. nicht zugänglich. Denn das Ausmaß, welches Menschen bezüglich verschiedener functionings faktisch gewählt haben bzw. praktizieren (der gewählte Vektor im Optionenraum) besagt nicht, dass sie nicht in anderem Maße frei gewesen wären und einen anderen Vektor hätten wählen können. Dieses Problem betrifft zum einen die fun ctionings als einzelne: Es ist nicht offensichtlich, wie groß die Differenz zwischen gewähltem achievement und der jeweiligen capability ist. Dieser extensionale blinde Fleck der Perspektive ist umso bedeutsamer, als der Begriff der capability gerade die Freiheit einer Person jenseits dessen, was sie faktisch erreicht hat, abbilden will. Zum anderen betrifft das Problem den Optio139
UMWELTHERRSCHAFT UND FREIHEIT
nemaum als ganzen, denn aus den überhaupt gewählten functionings geht nicht hervor, ob die Person nicht außerdem andere Dimensionen ebenfalls hätte wählen können (vgl. Robeyns 2000: 11 f.), so dass auch ein dimensionaler blinder Fleck besteht. Es ist also weder klar, wie viel mehr eine Person mit Blick auf Ernährung frei ist, als sie faktisch ernährt ist, noch ob sie mit Blick auf eine andere, nicht beobachtbar praktiziertefunctioning überhaupt frei ist (geschweige in welchem Maße). Heißt dies, dass mit der Konzeption mangels einer Messbarkeit der Freiheit und daher einer Umsetzbarkeit von präziser Freiheitspolitik nichts gewonnen ist? Die Antwort hängt davon ab, welcher Zweck verfolgt wird. Sen hat vielfach betont, dass die Perspektive der capahilifies und sein freiheitszentrierter Ansatz für verschiedene Beschreibungsoder Bewertungsanliegen offen sind (z.B. 1993b: 35). Es könne sogar sein, dass entgegen dem Fokus der Konzeption nicht so sehr capabilities, sondern achievements im Vordergrund stehen. In diesem Fall etwa läge der Vorzug der Konzeption weniger in ihrer extensionalen, sondern eher in ihrer dimensionalen Facette, nämlich dass die einzelnenfimctionings explizit im Blick bleiben. Kommt es hingegen auch auf die extensionale Facette an, so stellt sich die Frage, wie präzise die ungenutzte Freiheit, also die capability jenseits des achievements erfasst werden soll. Wenn einer Person eine bestimmte medizinische Infrastruktur objektiv immer zur Verfügung steht, sie diese aber nur selten nutzt, kann zumindest allgemein-unpräzise darauf geschlossen werden, dass sie in größerem Maße frei ist, als sie ihre Freiheit nutzt. Es gibt derzeit verschiedene Bemühungen, neben offenbaren Daten wie verfügbarer Infrastruktur etc. weitere Informationen durch Befragungen darüber zu erhalten, welche Optionen Menschen mit Blick auf verschiedene .fimctionings besitzen. Daher ist abzuwarten, ob die capability-Forschung geeignetes methodisches Werkzeug entwickelt, mit dem die theoretische Informationsbasis in der Empirie adäquat eingeholt werden kann und die objektiven Optionen der Menschen befriedigend genau abgebildet werden können. 90 Hier sind diese die technischen Anwendungs- und Umsetzungsprobleme insofern zunächst nicht entscheidend, als es hier um die normativen Ziele und Grundlagen geht, welche die Konzeption verfolgt bzw. auf denen sie aufbaut. Wichtig ist, ob die abgeleiteten Aussagen normativ-ethisch im Vergleich mit der in Teil III problematisierten Wohlfahrtsperspektiveangemessener sind, bzw. inwiefern sich eine freiheits90 Sen hat in dem ihm eigenen Stil unterstrichen, dass Präzision nicht das primäre Kriterium sein sollte, nach dem Bewertungskriterien und -maßstäbe ausgewählt werden: »Why must we reject being vaguely right in favour of being precisely wrang?« (1987a: 34)
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CAPABILlTfES ALS PARTIELLE REPRÄSENTATION VON FREIHEIT
basierte normative Orientierung der Umweltökonomik hinsichtlich der Problematik als adäquater oder vorzugswürdig darstellt. Capahililies stellen nicht nur eine anwendungsorientierte Konzeptualisierung bestimmter Aspekts von Sens Freiheitsauffassung dar, sondern verweisen auch auf Freiheit als soziales Phänomen und damit auf den gesellschaftlichen Raum, in dem individuelle Freiheit überhaupt konstituiert wird. Bisher wurde berücksichtigt, in welcher Weise zahlreiche Faktoren die Konversion von verfügbaren Ausstattungen, Institutionen etc. kontingent beeinflussen. Gesellschaft in diesem soziokulturellen Sinne wird durch Sens Konzeption vor allem positiv-analytisch erfasst, nämlich als faktischer Bedingungsraum, in dem Menschen aus freiheitsgewährleistenden Maßnahmen Freiheiten entstehen. Im Folgenden geht es darum, wie Gesellschaft in der Konzeption in normativer Perspektive als Gestaltungsraum gesehen wird, in dem Development as Freedom zum zentralen politischen Projekt erhoben wird.
IV.S. Aussagen der Konzeption zu Gesellschaft Sens Konzeption baut nicht auf einem systematischen Gesellschaftskonzept oder -begriff auf. Dies ist bereits ein erster Aspekt von Sens Perspektive auf Gesellschaft: Er äußert sich vor allem dazu, wie sich Gesellschaft als reales, jedoch nicht genauer spezifiziertes Phänomen zu seinem eigentlichen Thema verhält, nämlich wie sie in ihrer konkreten Gestalt, insbesondere in ihrer politischen Steuerung, die reale Freiheit der Menschen betrifft und fördert. Auch besitzt die Konzeption (positiv wie normativ) keinen spezifizierten Ökonomiebegriff, sondern reflektiert konkrete Organisationsformen des Wirtschaftens daraufhin, inwiefern sie real freiheitsdienlich sind (z.B. Sen 1993a). Dabei ist als zweiter Aspekt von Gesellschaft festzuhalten, dass normativ die Ökonomie als organisiertes Wirtschaften in diese eingebettet ist, nämlich durch das Primat der realen Freiheit als Vorteilsbegriff des Wirtschaftens (vgl. IV.2): Es steht zwar nicht fest, wie die Ökonomie konkret gestaltet sein soll, doch steht fest, mit Blick worauf sie für die Menschen in ihrer Gestaltung durch die Gesellschaft von Vorteil sein soll. Diese Bindung von Gesellschaft und Ökonomie an Freiheit bedeutet einerseits, dass die Konzeption ansonsten offen ist gegenüber der partikularen Gestaltung einzelner Gesellschaften und ihrer Ökonomien. Solange eine mögliche nichtkapitalistische Organisation des Wirtschaftens die reale Freiheit der Menschen gewährleistet bzw. fördert, spricht aus Sicht der Konzeption zunächst nichts gegen sie; gleiches gilt für eine Gesellschaftsstruktur, die sich von (westlich-)liberalen Modellen unter-
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UMWELTHERRSCHAFT UND FREIHEIT
scheidet. Andererseits ist festzuhalten, dass Märkten nichtsdestotrotz grundsätzlich Bedeutung zukommt: Gerade weil sie eine Organisationsform freier Interaktion darstellen, sind sie - bei Berücksichtigung der freiheitsbezogenen Konsequenzen - grundsätzlich und bereits vor Betrachtung der allokativen Effizienz zu befürworten (Sen 1994a: 126). Ebenso bringt die Annahme, dass sich Menschen auch innerhalb eines Gemeinwesens in ihren Wertvorstellungen unterscheiden, mit sich, dass eine Gesellschaft grundsätzlich pluralistisch angelegt sein muss. Diese allgemeinen Positionen Sens mit Blick auf Gesellschaft lassen sich aus seiner Konzeption unmittelbar ableiten. Spezifischere und explizite Positionen nimmt die Konzeption zu folgenden Themen ein: Mit Blick auf die Form der Regierung plädiert sie für eine partizipativ organisierte, deliberativ praktizierte Demokratie (IV.5.1 ). Die Gestaltung der Gesellschaft liegt damit in hohem Maße bei den Bürgern, die hierzu in eine soziale Pflicht genommen sind (IV.5.2). Hinsichtlich der konkreten Gestaltung der Gesellschaft, v.a. mit Blick auf Gerechtigkeit, bleibt die Konzeption daher offen und verweist auf die deliberative Konkretisierung in partikularen Kontexten (IV.5.3).
1V.5.1. Universaler Wert der Demokratie und Deliberation als Verhandlungsmodus a)
Drei freiheitsbezogene Wertaspekte der Demokratie
Sen plädiert für die demokratische Organisation und Steuerung von Gemeinwesen und erachtet Demokratie als universalen Wert. Dabei meint er mit universal nicht, dass alle Menschen jederzeit und überall Demokratie als Wert tatsächlich vertreten, sondern dass alle Menschen hierzu gute Gründe haben (1999b: 12). Sen sieht diese Universalität auf zwei Ebenen, nämlich auf einer normativen sowie auf einer empirischen, welche Erstere plausibilisierend unterstützt: Empirisch sei über die immense Vielfalt historisch-kultureller Kontexte hinweg demokratische Praxis in irgendeiner Form - teilweise in heftigem Widerstand gegen Unterdrückung - stets festzustellen gewesen. Normativ könnte von bestimmten Implikationen demokratischer Praxis gesagt werden, dass sie universal für alle Gesellschaften wertvoll seien. Demokratie ist insofern ein universaler Wert, als sie Sens Einschätzung zufolge universal geltungsfahige Werte hat. Demokratie stellt wie Freiheit keinen Selbstzweck dar, sondern ist an ihre Funktionen bzw. Implikationen gebunden. Als diese universal schätzenswerten Funktionen der Demokratie identifiziert Sen wiederum analog zu Freiheit eine intrinsische sowie eine instrumentelle: Erstere bestehe darin, dass Menschen politische und
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SENS KONZEPTION UND GESELLSCHAFT
soziale Teilhabe als solche schätzen würden, und zwar unabhängig von ihrer sozialen Position: Demokratie sei kein Luxusgut, das erst dann geschätzt würde, wenn man >satt istliberaler< zu verstehen als die wechselseitig engagierte Verhandlung, sondern nur als anders liberal. Die öffentliche Erwägung von Freiheiten und von Allokationen zu deren Gewährleistung ist insofern weniger als Begrenzung, sondern vorrangig als Bedingung und notwendige Implikation von gesellschaftlich ermöglichter und nie ganz privater individueller Freiheit zu verstehen.
b)
Zu den Voraussetzungen dieses deliberativen Demokratieverständnisses
Ähnlich wie mit Blick auf die Messbarkeit von Freiheit ist auch hier an Grenzen der Umsetzbarkeit des deliberativ-partizipativen Aspekts von Demokratie zu erinnern: Es ist nicht praktikabel, alle politischen Entscheidungen in diesem Modus zu treffen bzw. sie vor einer Abstimmung diskursiv zu reflektieren und vorzubereiten. Das ändert nichts an der normativen Grundposition, dass Entscheidungen nicht nur auf Abstimmungen, sondern auch auf dem Austausch und der Hinterfragung der jeweiligen Positionen beruhen sollten. Zwei Aspekte von Sens Konzeption sindjedoch festzuhalten, welche die Voraussetzungen einer solchen Idee und ihre Umsetzbarkeit zentral betreffen: Zum einen wird ein anspruchsvolles Menschenbild vorausgesetzt; zum anderen sind auch die Chancen der Menschen zu gewährleisten, an der deliberativen Praxis überhaupt effektiv teilnehmen zu können. Der zweite Aspekt bedarf keiner ausführlichen Erläuterung; festzuhalten ist, dass die Konzeption, indem sie auf die Gewährleistung solcher Chancen abstellt, selbst die Voraussetzungen daftir schaffen will, dass die Menschen als Bürger des Gemeinwesens zu dem favorisierten Demokratiekonzept in der Lage sind. Deliberation, die Konstruktion öffentlicher Werte etc. sind nicht nur notwendig, um die Umsetzung der Konzeption zu ermöglichen, sondern die erfolgreiche Umsetzung der Konzeption ermöglicht ihrerseits auch erst die angestrebte Deliberation. Man kann man diese wechselseitige Bedingtheit skeptisch sehen: Fehlt das eine, bleibt das andere ebenfalls aus. Optimistischer betrachtet ist ein gegenseitiger Verstärkungseffekt möglich, indem erfolgreiche deliberative Praxis mehr Menschen die effektive Teilnahme an ihr ermöglicht und dadurch ihrerseits effektiver wird. Problematischer ist der erste Aspekt: Die Umsetzung der Konzeption kann Menschen zwar real frei machen, an demokratischen Diskursen teilzunehmen; aber kann (und dürfte) sie auch dahin wirken, dass Menschen tatsächlich engagierte Bürger sind? Während der Ansatz auf die
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UMWELTHERRSCHAFT UND FREIHEIT
notwendigen institutionellen und materiellen Bedingungen selbst hinarbeiten kann, die eine deliberativ-demokratische Gesellschaft ermöglichen, scheint er von den motivationalen Bedingungen, insbesondere des unterstellten Deliberationswillens, abhängig zu sein. Sen geht davon aus, dass diese Bedingungen gegeben sind. Neben dem allgemein unterstellten Partizipationswillen (vgl. z.B. Dreze/Sen 1995: I 06) spielt dabei der bereits erwähnte Begriff der agency eine zentrale Rolle. Dieser meint allgemein, dass Menschen gegenüber ihrer Umgebung aktiv sind: »someone who acts and brings about change« (Sen 1999a: 19). In Abgrenzung zu dem stärker selbstzentrierten well-being meint agency außerdem einen anders motivierten Bereich vonfunctionings, also Ziele, die Menschen haben, ohne dass sie notwendigerweise selbst von deren Verfolgung und!oderErflillung etwas haben (vgl. IV.4.l.b). Der agency-Begriff spiegelt in besonderer Weise wider, dass Sen den Menschen allgemein die Fähigkeit und Eigenschaft unterstellt, nicht nur unter dem unmittelbaren Einfluss von Präferenzen erster Ordnung zu entscheiden und zu handeln, sondern ihr eigenes Wollen mit Gründen oder vor dem Hintergrund von Metapräferenzen (vgl. IV.3.2.a) reflektieren und steuern zu können. Das Besondere der agency-Annahme ist, dass sie soziale Motivationen impliziert, nämlich Motivationen (auch) hinsichtlich anderer sowie gegenüber der möglicherweise zu verändernden gesellschaftlichen Umwelt. Diese Motivationen müssen nicht immer gutartig sein: Rassistische Ausschreitungen etwa (vgl. Sen 1994b: 389) wären ein Beispiel für negative Motivationen, die systematisch dem Bereich der agency zuzuordnen wären. Jedoch besäßen Menschen allgemein auch positive soziale Motivationen (Sen 1999a: 261 ff.), ohne die nicht zuletzt auch das Funktionieren von kapitalistischen organisierten Gesellschaften nicht möglich sei (ebd.). Sen unterscheidet Motivationen, die einem weit gefassten Eigeninteresse entsprechen, von solchen, die darüber hinausgehend mit Gründen verbunden sind: »lf the knowledge of torture makes you sick, it is a case of sympathy; if it does not make you feel personally worse off, but you think it is wrong and you are ready to do so mething to stop it, it is a case of commitment.« (Sen 1977: 92; vgl. auch Sen 2002c: 35) Letzteres fällt in den agency-Bereich, da es auf Vorstellungen richtigen oder guten Handeins gründet. Sind diese Annahmen von Sen problematisch? Dass Menschen in einer Weise handeln, die derartige soziale Motivationen vermuten lässt, ist plausibel; ob sie dies tatsächlich aus Gründen tun, die nicht letztlich doch Teil eines weit gefassten Eigeninteresses sind, kann hier nicht ver-
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SENS KONZEPTION UND GESELLSCHAFT
tieft werden. 95 Entscheidend ist, was von der Annahme abhängt, bzw. ob Sen etwas auf die Annahme stützt, das ebenfalls betroffen wäre, wenn deren Plausibilität hinfällig würde. Eine Funktion der agency-Facette ist, dass Menschen nicht auf ein rein zweckrationales, selbstzentriertes Bild reduziert werden sollen, in dem kein Platz flir sozial motiviertes Handeln ist (vgl. IV.4.l.b). Dies würde nicht nur die Diversität menschlichen Wollens einschränken, sondern Menschen auch als unmündigreaktive oder gar passive Subjekte modellieren. Dem entgegen stützt die agency-Annahme Sens Argument, dass Entwicklung nicht nur Freiheit als Ziel hervorbringen soll, sondern auch aus der Freiheit der Menschen als einem Mittel resultieren kann (Sen 1999a: 4). Denn Menschen, die zu agency frei sind, könnten und würden positiven gesellschaftlichen Wandel hervorbringen (»bring about change«). Von der Triftigkeit der agency-Annahme hängt somit nur ab, ob den Bürgern eine motivationale Disposition für das »social commitment« (ebd.: 282)- welches für den gesellschaftlichen Wandel und das deliberative Demokratieverständnis wichtig ist - bereits unterstellt werden kann, oder ob dieses ihnen ohne eine solche Motivation abzuverlangen wäre. Träfe die agency-Annahme nicht zu, hieße das also zunächst nur, dass die von Sen vorgesehene Gestaltung des Gemeinwesens (noch) nicht durch eine entsprechende Motivation gestützt ist. Es hieße nicht, dass nicht der Anspruch trotzdem an die Bürger gerichtet werden könnte - es sei denn, man vertritt die Position, dass man Menschen nur abverlangen sollte, wozu sie ohnehin motiviert sind. Sicher ist zu beachten, dass ethische Forderungen an Gesellschaftsmitglieder deren Motivationen nicht gewaltsam zuwiderlaufen bzw. diese überfordern. Auch ist der bei Sen formulierte Anspruch an die Bürger, nämlich aktiv zu partizipieren und gesellschaftlich engagiert zu sein, hoch. Nichtsdestotrotz können die Anforderungen unabhängig davon gestellt werden, ob die agency-Annahme empirisch bestätigt ist. Sen hat in den letzten Jahren zunehmend diese andere Seite der Medaille ins Auge gefasst, nämlich neben dem, was den Menschen in bzw. von einem Gemeinwesen zukommen soll (reale Freiheit) auch das, was ihnen abverlangt werden kann und soll - insbesondere das Engagement von Bürgern als agents. Er begründet dabei sein Verständnis von »individual freedom as social commitment« (ebd.: Kap. 12) mit der Rezipro95 Ohnehin wäre es auch eine Frage des Begriffsverständnisses von Eigeninteresse: Wenn jemand unter Einsatz seines eigenen Wohls einer anderen Person hilft, weil er sich selbst sonst nicht mehr als moralisch integre Person ansehen könnte - handelt er dann aus Eigeninteresse, nämlich sich weiterhin als moralisch ansehen zu können, oder aus Gründen, das moralisch richtige zu tun?
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UMWELTHERRSCHAFT UND FREIHEIT
zität und wechselseitigen Bedingtheit von Freiheit und Verantwortung, aus der Pflichten erwachsen. Es wird sich zeigen, dass hierdurch die Anforderungen an die Bürger von der agency-Annahme unabhängig werden. Nachdem der Verhandlungsmodus der Deliberation in Sens Konzeption bisher vor allem auf der Habenseite von Freiheit Bedeutung hatte, nämlich in der Bestimmung und Priorisierung von gesellschaftlich zu gewährleistenden capabilities, gilt der folgende Abschnitt der Berücksichtigung der Sollseite: Verantwortung und Pflichten.
IV.5.2. Verantwortung und unvollkommene Pflichten Sen folgert aus einer gewährleisteten Freiheit der Bürger zunächst eine allgemeine Verantwortung (Sen 1999a: 284). Außerdem vertritt er die Ansicht, dass Bürgern bestimmte Pflichten zugerechnet werden können, nämlich in unvollkommene Pflichten zur Gewährleistung von solchen Menschenrechten, die (noch) nicht gesetzlich verankert sind (Sen 1999a: 230ff., 2000: 494ff., 2004a: 338ff.): Die Pflicht zur Gewährleistung solcher Rechte könne bei jenen Menschen gesehen werden, »who are in a position to help« (1999a: 230). Diese beiden Aspekte, Verantwortung und imperfekte Obligationen, sind systematisch enger verlmüpft als es bei Sen explizit wird. Dies wird im Folgenden herausgearbeitet.
a)
Verantwortung als allgemeine Implikation von Freiheit
Systematisch kann Verantwortung als mehrsteilige Relation gedacht werden, in der (i) Menschen sich als handelnde moralische Subjekte (ii) für Handlungen oder auch Unterlassungen als Objekte von Verantwortung (iii) gegenüber einer Instanz (iv) gemäß bestimmter Normen rechtfertigen (vgl. Wemer 2002: 522). Dabei kann unterschieden werden zwischen retrospektiver Verantwortung für das, was man getan hat (bzw. dessen Folgen), und prospektiver Verantwortung für etwas, zu dem man verpflichtet ist. Beide Aspekte sind eng verbunden: Man ist retrospektiv für das verantwortlich, was zuvor in der eigenen prospektiven Verantwortung lag; und man ist prospektiv verantwortlich für das, wofür man gegebenenfalls retrospektiv verantwortlich gemacht würde: »Ein Bademeister ist nicht in anderer Weise fl.ir den Tod des Schwimmers retrospektiv (mit-)verantwOttlich, wie er fl.ir die Sicherheit des Schwimmers[ .. .] prospektiv verantwortlich ist, sondern er ist für diese [Sicherheit, F.S.] deshalb verantwortlich, weil er in Zukunft fl.ir einen Unglücksfall retrospektiv verantwortlich sein würde.« (Hubig 2000: 297)
150
SENS KONZEPTION UND GESELLSCHAFT
Verantwortung kann als gegenseitige Erwartung verstanden werden, mit der sich Menschen in ihrer Interaktion begegnen: Man erwartet auf der gesellschaftlichen Seite, dass Menschen für ihr Handeln gemäß moralischer Standards verantwortlich gemacht werden können; man erwartet auf der individuellen Seite, dass Menschen gemäß dieser Standards handeln können. Dies beinhaltet, dass Verantwortung eine bestimmte Facette davon ist, dass Menschen sich als überhaupt moralische Akteure begegnen. Verantwortung bedarf nicht nur der Moralität im Sinne eines konkreten Normenhintergrunds, gemäß dem Menschen verantwortlich sind. Sondern sobald Moralität vorliegt und Menschen ihre Interaktion in einem moralischen Kontext sehen, besteht die wechselseitige Erwartung der Verantwortlichkeit. In diesem Sinne stellt sich Moralität als notwendige und hinreichende Bedingung für Verantwortung dar: Wenn und sobald Menschen sich als moralische Akteure begegnen, sind sie prinzipiell verantwortlich. Verantwortung setzt Freiheit als notwendige Bedingung voraus. Wer nicht frei ist, sich gegen eine Handlung zu entscheiden, kann für diese nicht zur Verantwortung gezogen werden; wer zu einer Handlung nicht frei ist, kann für ihre Unterlassung nicht verantwortlich gemacht werden: Dieses ought implies can-Prinzip ist weitgehend anerkannt. 96 Sen ist darüber hinaus der Auffassung, dass Freiheit auch hinreichende Bedingung für Verantwortung ist: »Without the substantive freedom and capability to do something, a person cannot be responsible for doing it. But actually having the freedom and capability to do something does impose on the person the duty to consider whether to do it or not, and this does involve individual responsibility.« (1999a: 284) Man muss also nicht nur, um verantwortlich zu sein, frei sein, sondern man ist auch verantwortlich, sobald man frei ist. Sen führt nicht weiter aus, warum genau Verantwortung unmittelbar aus Freiheit folgt; doch lässt sich der Zusammenhang mit Moralität als Zwischenschritt formulieren: Menschen sind deshalb verantwortlich, sobald sie frei sind, weil bzw. sobald sie sich als moralische Akteure begegnen und nicht durch Unfreiheit daran gehindert sind, tatsächlich moralisch zu handeln. Anders formuliert: Sobald man frei ist, ist man auch nicht verhindert, mora96 Unstrittig ist dies mit Blick auf Handlungsfreiheit (vgl. IV.3.1.), denn wer etwas tun will, aber z.B. physisch effektiv nicht dazu in der Lage ist, ist für das Ausbleiben der Handlung nicht verantwortlich. Strittiger wird dieser Aspekt vor allem mit Blick auf Willensfreiheit. Denn ob jemand, der beispielsweise im Affekt gewalttätig gehandelt hat, doch frei war, anders handeln zu wollen (die prinzipielle Möglichkeit des freien Wollens unterstellt), ist weniger eindeutig. 151
UMWELTHERRSCHAFT UND FREIHEIT
lisch zu handeln (hinreichende Bedingung 1); sobald man aber moralisch handeln kann, ist man verantwortlich (hinreichende Bedingung 2). In diesem Sinne wird im Folgenden Freiheit als nicht nur notwendige, sondern auch hinreichende Bedingung für Verantwortung verstanden; der Zwischenschritt der Moralität (dass Menschen sich als moralische Akteure begegnen) wird als Annahme vorausgesetzt - andernfalls schiene es müßig, überhaupt eine ethisch Argumentation anzubieten. Damit ist jedoch noch keine stärkere Annahme wie die der agency getroffen. Daher lässt sich die prinzipielle Verantwortung freier Menschen auch konstatieren, ohne dass diese in einem anspruchsvollen Menschenbild als sozial engagierte, zugm1sten von gesellschaftlichem Wandel tätige Subjekte angesehen werden. Selbst wenn sie vor allem im Sinne von well-being selbstzentriert handeln, können sie gemäß einer bestimmten Moral, etwa der Wahrung von Eigentumsrechten, handeln bzw. sich (gegenseitig) mit Blick auf die Wahrung dieser Rechte verantwortlich sehen. Auch hier ist zu unterstreichen: Sens Ansatz kann umso plausibler Bürgern Verantwortung allgemein zuweisen, als er die Voraussetzungen hierfür selbst schaffen will. Die Verantwortung der Menschen fällt nicht vom Himmel oder wird ihnen in einer anspruchsvollen Ethik zugeschrieben, ohne gleichzeitig die notwendigen Bedingungen zu gewährleisten. Verantwortung ist die Kehrseite der Medaille, die man sich mit der Freiheit gewissermaßen mit eingehandelt hat; aber sie ist dies eben nur in Verbindung mit real gewährleisteter Freiheit.
b)
Unvollkommene Pflichten als Erweiterung des Verantwortungsbereichs
Bisher wurde deutlich, auf welcher Basis Menschen als Bürger überhaupt verantwortlich sind. Wofür, gegenüber wem und in welcher Weise sie dies genau sind, ist in Sens Perspektive wiederum nicht theoretisch, sondern kontextuell politisch zu konkretisieren. Die Verantwortung von Menschen als solche lässt sich jedoch, ähnlich wie Freiheit, dimensional verstehen, nämlich als Bündel verschiedener Verpflichtungen, die Menschen haben und deren Nichterfüllung sie zu verantworten hätten. Indem man verschiedene Kategorien solcher Pflichten unterscheidet, lässt sich Verantwortung zumindest grundlegend ausdifferenzieren. Sen tut dies im Zusanunenhang mit Menschenrechten und entlehnt dabei von I. Kant die Unterscheidung in vollkommene und unvollkonunene Pflichten:
152
SENS KONZEPTION UND GESELLSCHAFT
»Human rights are rights that individuals have [... ] because of their status as human beings. These may or may not be legislated rights, but insofar as they are valued, that valuation can include the importance that is attached to the relevant persons' freedoms and also the responsibility that others have [... ] to help this person to attain these freedoms. lf others can help, then there is a responsibility that goes with it. Even if it is not specified who will have to do what to help the person [... ], there is a general need for any responsible agent, who is in a position to help, to consider his or her general duty to help others (when reasonably feasible ). The philosophical concept that is involved in these obligations is what Jmmanuel Kant called >imperfect obligationsperfect obligationvollkommenGleichmachereiJeder Anwesende soll satt werden.< [ .. .] Gleichheit sitzt hier auf Allgemeinheit auf. Die Gleichheitsterminologie ist redundant.« (Krebs 2002: 564) Gleichheit wäre nur eine »Begleiterscheinung« (ebd.: 571) davon, dass die basic capability des Sattseins allgemein, nämlich bei allen, erfüllt ist. 157
UMWELTHERRSCHAFT UND FREIHEIT
Ob die von Sen abgeleitete Sockelgleichheit als Gleichheit bezeichnet werden sollte oder nicht, ist hier nachrangig. Auch ist es nicht notwendig, die Egalitarismuskritik ausführlich an Sen anzulegen, da dieser nicht für Gleichheit oberhalb einer Sockelgleichheit eintritt. Jedoch ist mit Gosepath (2003) darauf hinzuweisen, dass auch absolut gedachte Standards immer auch relational sind: Erstens ist Gerechtigkeit »schon insofern relational, als es keine >absoluten< Argumente gibt, sondern nur solche, denen Freie und Gleiche im Prinzip zustimmen können« (ebd.: 281 ). Diese Relationalität ist in Sens Konzeption explizit enthalten: Bereits bei der Bestimmung der basic capabilities in der öffentlichen Deliberation beziehen sich die Menschen rechtfertigend aufeinander. Zweitens muss »eine in dem Sinne komparative Gerechtigkeitsperspektive eingenommen werden, dass [ ... ] der Anspruch aus der unparteiischen Perspektive aller beurteilt wird« (ebd.: 282). Um sicherzustellen, dass gleiche Fälle gleich behandelt werden, sind die Fälle aufeinander zu beziehen bzw. ins Verhältnis zueinander zu setzen. Die so erzeugte Allgemeinheit der Anspruchsgewährleistung, aus der Gleichheit als »Begleiterscheinung« erwächst, wird bei Sen nicht thematisiert. Doch folgt aus seinem Bekenntnis zu einer Universalistischen Ethik (vgl. IV.6.2.b), dass er keine ungleiche Behandlung gleicher Fälle vorsieht. Drittens müssten, so Gosepath, die Ansprüche »relational zu den sonstigen gesellschaftlichen Verpflichtungen und zur Verfügung stehenden Ressourcen beurteilt werden. Was wir einer einzelnen Person schulden, hängt wesentlich davon ab, was wir anderen Personen in vergleichbaren oder schlimmeren Lagen schulden und wie wir angesichts dieser Verpflichtungen unsere knappen Ressourcen [ ... ] einsetzen müssen.« (Ebd.: 282)
Dieser Knappheitsaspekt wird bei Sen nicht thematisiert, ist aber hier zentral: Natur ist in dem Sinne knapp, als es nicht möglich ist, allen Menschen ein derart hohes Niveau der Naturverfügbarkeit zu ermöglichen, wie es z.B. heute praktizierte Lebensstandards in Industrieländern voraussetzen. Daher kann die Frage, wie viel Natur jedem gerechterweise minimal verfügbar sein sollte, nicht einfach absolut beantwortet werden; sondern es müssen die möglichen Antworten (relational) abgleichen, ob die jeweils vorgeschlagenen Niveaus damit vereinbar sind, bei lmapper Natur allen Menschen gewährleistet zu werden. Wohlgemerkt folgt daraus noch keine Gleichheit in dem Sinne, dass ein bestimmtes Niveau an Naturverfügbarkeit allen Menschen verfügbar sein soll. Die von den Egalitarismuskritikern angestrebt Möglichkeit, dass Menschen über unterschiedliche Güterausstattungen verfügen, solange es für sie al158
SENS KONZEPTION UND GESELLSCHAFT
le jeweils hinreichend ist, bleibt also bestehen. Diese Art der NichtRelationalität, nämlich dass alle Menschen genug haben statt gleich viel, bleibt möglich. Um den mit Gosepath korrigierten Eindruck zu vermeiden, dass genug-Standards vollständig nicht-relational wären, kann diese Gerechtigkeitsauffassung, statt als »nicht-relationale« oder »absolute«, als Suffizienzgerechtigkeit bezeichnet werden. Dieser Begriff wird in V.4.l.f aufgegriffen. Hier sei bereits einem Missverständnis vorgebeugt: Suffizienz meint nicht ohne weiteres nur das Notwendigste, ist also kein zwingend minimalistisches Konzept. Einem wie hohen Standard gemäß Menschen genug haben sollen, und wie Verteilungen jenseits dieses Standards gerechterweise sein sollten, bleibt ja noch zu klären. 100
c)
Multiple Zugehörigkeit der Menschen und Bereichsspezifität
Dadurch, dass in Sens Konzeption Verteilungsgerechtigkeit politischpartizipativ zu bestimmen ist, ist die Konzeption einerseits mit vielen soziokulturellen Kontexten und unterschiedlichen Bewertungsfragen und -Situationen kompatibel. Andererseits wird hierdurch die Gestaltung der Gesellschaft durch Bürger und Politik zu einer ungleich komplexeren Aufgabe, als wenn der Ansatz allgemeine und eindeutige Verteilungsaussagen treffen würde. Dem ist entgegenzuhalten, dass Gerechtigkeit eben ein komplexes Anliegen ist und man durch eine vereinfachende one principle .fits all-Strategie den Menschen gerade nicht gerecht wird. Dass Sen die Komplexität nicht der einfachen Praktikabilität opfern will, wird im Folgenden noch deutlicher: Sen bleibt nicht nur offen mit Blick auf Aggregation und (Referenz-)Verteilung. Er weist auch stets darauf hin, dass neben der Verteilung von capahililies andere Aspekte wie Verfahren etc. ebenfalls für die jeweils in Frage stehende Bewertung wichtig sein könnte (1999a: 97f., vgl. IV.3.2.b.iii). Außerdem betont er, dass die Verwendung der Perspektive auch mit dem evaluative purpose variiere (z.B. 1993b: 35). Dies betrifft auch die Frage der Verteilung: Es muss nicht ein Verteilungsprinzip flir alle Bewertungsfragen das ange100 Hierauf ist deshalb hinzuweisen, weil neuerdings Kritik an Sens Ansatz laut wird, die ihn erstens auf Basis der Aussage »Gleichheit an basic capabilities« als (originäre) Verteilungstheorie versteht und zweitens diese Verteilungsaussage als Minimalismus kritisiert (z.B. Arneson 2006). Hier ist allerdings mit Kaufman (2006b) entgegenzuhalten, dass Sen weder ausschließt, dass jenseits solcher basic capabilities-Schwellen weitere Verteilungsaussagen getroffen werden können, noch dass er diese Suffizienzaussage stark vertreten bzw. ihr Vorrang vor anderen, etwa auf höherem Niveau egalitaristischen Verteilungsaussagen geben würde.
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UMWELTHERRSCHAFT UND FREIHEIT
messene sein. Dies spricht nochmals dafür, nicht von Seiten der Konzeption aus ein bestimmtes Verteilungsprinzip zu vertreten. Ein Grund dafür, dass die Bewertungsfragen variieren, liegt nicht so sehr in unterschiedlichen Anliegen des Bewertenden, sondern darin, dass Menschen Gerechtigkeit mit Blick auf eine Vielzahl von grundlegend unterschiedlichen Lebensaspekten empfinden. Sen hat hierauf im Kontext von Fragen internationaler Gerechtigkeit verwiesen (vgl. Sen 2002e). Dabei bezieht er sich auf die multiple Zugehörigkeit von Personen zu verschiedenen sozialen und identitätsstiftenden Lebenskontexten: Eine Person hat eine berufliche Umgebung, eine familiäre Zugehörigkeit, eine (z.B. nationale) politisch-kollektive Anhindung etc. Mit diesen Gruppen können unterschiedliche Vorstellungen von Gerechtigkeit sowie Forderungen und Verpflichtungen der Einzelnen mit Blick auf Gerechtigkeit verbunden sein. Daher sind >richtige< Aggregationen und Verteilungen zugehörigkeits- bzw. bereichsabhängig. Dies wiedemm heißt, dass nicht nur mit Blick auf verschiedene Lebensbereiche, sondern auch mit Blick auf verschiedene.functionings unterschiedliche Verteilungsregeln Anwendung finden können. Denn diese machen als Dimensionen die einzelnen Lebensbereiche in ihrer Verschiedenheit aus. Eine Gesellschaft, die über ihre konkrete Gerechtigkeitspolitik Vereinbarungen trifft, müsste dies demzufolge für einzelne Dimensionen und Lebensbereiche differenziert und diesen in ihren Besonderheiten jeweils entsprechend tun.
IV.6. Aussagen der Konzeption zu Kultur und kulturellem Wandel Dass Sen statt der Formuliemng einer universalen Gerechtigkeitstheorie die partikulare Bestimmung von konheten Verteilm1gsnormen im öffentlichen Diskurs befürwortet, ist als pluralistisch zu verstehen: Unterschiede zwischen und in Gesellschaften und ihren Norn1ensystemen, zwischen identitätsstiftenden Lebensbereichen sowie zwischen Bewertungsanliegen sollen berücksichtigt werden. Gegenüber dieser Pluralität und Komplexität von Verteilungsfragen sei ein »algorithmic blueprint« (Sen 1998b: 30), der kontextunabhängige Standardlösungen anbietet, nicht angemessen. Kulturelle Unterschiede bestehen jedoch nicht nm in Verteilungsfragen, sondern potentiell mit Blick auf sämtliche Normenbereiche, in denen Gmppen partikulare Wertvorstellungen praktizieren. Damit stellt sich zum einen die Frage, wie Sen Kulturen und ihr Verhältnis zueinander allgemein sieht, denn das in II.l dargestellte Problem der Umweltherrschaft wurde als ein interkulturelles verstanden. Weiter-
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SENS KONZEPTION UND KULTUR
hin vertritt Sen mit der Auffassung von Entwicklung als Freiheit selbst eine bestimmte Wertvorstellung, so sehr er auch die Gestaltung von Gesellschaft den jeweiligen Gemeinwesen und deren Werthaltungen überlässt. Daher stellt sich zum anderen die Frage danach, wie er das Verhältnis seiner Konzeption zu bestehenden Normensystemen bzw. Kulturen, in denen diese beispielsweise Anwendung finden soll, sieht. Denn wenn eine Orientierung der Umweltökonomik auf der Konzeption basieren soll, sollte sie zumindest Aussichten haben, als rechtfertigende Referenz von Betroffenen akzeptiert zu werden. Beide Fragen lassen sich problemorientiert stellen, nämlich mit Blick auf (potentiell) konjliktive Verhältnisse zwischen verschiedenen Kulturen sowie zwischen Sens Konzeption und anderen Kulturen. Da es Sen um Entwicklung geht, bieten sich zwei ihrer Aspekte zur Differenzierung solcher Konflikte an: Zum einen meint Entwicklung als positiv intendierte (Um-)Gestaltung der jeweiligen Lebenswelt einen Wandel, der einen Konflikt zwischen dem Neuen und dem Alten bedeuten kann. Zum anderen ist kultureller Wandel oft mit interkultureller Interferenz verbunden, mit der normative Vorstellungen von einem kulturellen Kontext in einen anderen hineinwirken bzw. diesen verändern, so dass ein Konflikt zwischen dem Fremden und dem Eigenen bestehen kann. Praktisch stellen sich diese Probleme etwa dann, wenn westliche Modelle des Wirtschaftens in entwicklungspolitischen Zielländern implementiert werden sollen und sich dabei eine neue und überdies fremde Kultur aufdrängt. Mithilfe dieser beiden Aspekte lässt sich die Problematik fmmulieren als die Frage nach der Legitimität von einer- etwa entwicklungspolitischen - Veränderung eines kulturellen Kontextes (erster Aspekt: Wandel), durch die fremde Wertvorstellungen Geltung gewinnen (zweiter Aspekt: Interferenz). Sens Positionen zu dieser Frage entfalten sich auf Basis eines bestimmten Verständnisses von Kultur und Kulturalität einschließlich ihres Verhältnisses zu Entwicklung. Dieses Verständnis wird zunächst nachgezeichnet (IV.6.1.a). Dann wird umgekehrt das Verhältnis von Entwicklung (als Wandel und Interferenz) zu etablierter Kultur geklärt, und zwar mit Blick auf interkulturelle Konstellationen allgemein (IV.6.l.b) sowie mit Blick auf die besondere, entwicklungspolitisch induzierte Interferenz durch Sens Konzeption (IV.6.2).
161
UMWELTHERRSCHAFT UND FREIHEIT
IV.6.1. Kultur, Kulturalität, kultureller Wandel und interkulturelle Interferenz a)
Kultur und Kulturalität in Sens Perspektive
Sen beschränkt sich in seinen Ausführungen zu Kultur und Kulturalität nicht auf ein bestimmtes Kulturkonzept Er nähert sich dem Phänomen von der Seite, welche verschiedenen Bedeutungen Kultur- jeweils eher ad hoc als systematisch verstanden - für Entwicklung hat. Der leitenden Frage »How does culture matter?« (Sen 2004c) geht nicht die Frage voraus, was Kultur sei. Eine entwicklungspolitische Bedeutung von Kultur sieht Sen in Künsten, Artefakten etc., die als »economically remunerative cultural activities and objects« (ebd.: 39) auch als Mittel für Entwicklung angesehen werden könnten. Ihre Kommerzialisierung etwa in Tourismusangeboten wäre jedoch vorsichtig zu handhaben. Denn dieses Kulturangebot, was hier gemeint ist, stelle auch ein konstitutives Ziel von Entwicklung dar, was es zu erhalten gelte: »Cultural capabilities« (ebd., FN 6), also die realen Möglichkeiten, selbst diese kulturellen Aktivitäten zu praktizieren bzw. Artefakte zu produzieren, seien wichtige menschliche Freiheiten. Andererseits misst Sen Kultur auch in der Bestimmung von Entwicklungszielen Bedeutung bei. Hier versteht er Kultur weitreichender, nämlich als Komplex von Normen und Wertvorstellungen: Was gut ist, z.B. welche capabilities und Freiheiten wie wichtig sind, sind kulturell geprägte Werturteile (vgl. auch Nussbaum/Sen 1989: 300). 101 Wertvorstellungen würden außerdem - nun in einer instrumentellen Perspektive - mit beeinflussen, wie eine Gesellschaft Entwicklungsziele praktisch verfolgt (Sen 2004c: 40): Für Verlauf und Erfolg von Entwicklung sei durchaus von Bedeutung, ob in der ökonomischen Sphäre eine Kultur des Tauschs, in der politischen Sphäre eine Kultur der Partizipation etc. etabliert sind. Dieser normative bzw. normierende Aspekt der Kulturalität hatte bereits im Zusammenhang mit den sog. Konversionsfaktoren Bedeutung: Geltende soziale Normen beeinflussen, welche realen Freiheiten einer Person im jeweiligen Kontext beispielsweise aus dem Besitz von Gütern in deren Verwendung erwachsen (vgl. IV.4.2.a). Nochmals weiter als die Auffassung von Kultur als normativem Gebilde reicht die von Kultur als wahmehmungs- und bedeutungsprägendes Gebilde: »[ .. .] the perceptual function is concemed with the way a member of a community may perceive the world, understand reality, ac101 »Human beings are seen [ ... ]in this approach [ ... ] as essentially social creatures whose deep aim is to live in a community [ .. . ] and to share with others a conception ofvalue.« (Nussbaum/Sen 1989: 317)
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SENS KONZEPTION UND KULTUR
cept norms and argue about what is tobe done.« (1998b: 13) Im Gegensatz zur »delineating role«, durch welche die Zugehörigkeit zu einer Gruppe z.B. die »formulation of any idea of the social good« (ebd.) prägt, spielt die Zugehörigkeit bereits darin eine Rolle, wie die Welt überhaupt wahrgenommen und ihr Bedeutung beigemessen wird. Sen berücksichtigt also die Kulturalität von Personen auf der Ebene sowohl der Normen als auch der Wahrnehmung. Er tut dies als Abgrenzung zu ökonomischer Standardtheorie: Menschen seien keine >Inselnforeignness< (irrespective of what people decide to choose, in an informed and reflected way).« (Sen 2004c: 53)
Hinzu kommt, dass die selbstgesteuerte Entwicklung von neuen bzw. die gewählte Übernahme (und Anpassung) von fremden kulturellen Verhaltensweisen und -normen überhaupt positiv gesehen werden kann, nämlich als Wahlhandlung, mit der sich die Menschen selbst besser stellen, aber auch als ein interkulturelles Lernen (Sen 2004c: 50ff.). 104 Die Legitimität kulturellen Wandels einschließlich der Interferenz von außen ist also an die Freiwilligkeit geknüpft, mit der Menschen ihre Traditionen verändern: »The ultimate test is the freedom of the citizens to exercise their free agency and choose in an informed and participatory way.« (Sen 2004c: 56) Diese Freiwilligkeit ist ihrerseits an Voraussetzungen gebunden: Es muss die reale Freiheit bestanden haben, den sich aufdrängenden Wandel oder Einfluss von außen (selektiv und adaptiv) anzunehmen, oder ihn zugunsten des Status Quo abzuwehren. Das klingt zunächst trivial, doch stellt sich in entwicklungspolitischen Kontexten durchaus die Frage, ob Menschen aus einer prekären Lage heraus anders können als die an sie herangetragene Option eines westlichen Wirtschaftsmodells zu übernehmen. Diese Freiheitsbedingung betrifft nicht nur die Frage, wie stark sich ein Wandel aufdrängt, sondern auch, wie 104 Dieses interkultureHe Lernen kann auch darin bestehen, dass lmlturübergreifende Kontakte einen Import von Ideen ermöglichen und diese, ohne dass auch die mit diesen Ideen verbundenenfremden Normen importiert würden, eine Zurückweisung der eigenen Normen und die Entwicklung eigener neuer Normen bewirken (vgl. Nussbaum/Sen 1989: 320).
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UMWELTHERRSCHAFT UND FREIHEIT
frei die Menschen sind, ihre Position hierzu zu vertreten. Diese partizipativen Freiheiten sind keineswegs schon vorausgesetzt: »An Afghan girl [... ] may indeed not be able to reason freely. Butthat does not establish an inability to reason, only a Iack of opportunity to do so.« (Sen l998b: 26)
IV.6.2. Zum Verhältnis der Konzeption zu bestehenden Kulturen a)
Sens Position zur Geltungsfähigkeit seiner Konzeption
Dieser letzte Aspekt führt zu Sens eigener partikularer Konzeption und der Frage, wie er diese im Verhältnis zu bestehenden anderen Kulturen sieht. Denn Development as Freedom zu verstehen bedeutet auch, dass jene Bedingungen zu gewährleisten sind, unter denen Menschen ihre kulturell geprägte Umgebung so verändern oder erhalten können, wie sie selbst es wertschätzen. Das macht das Verhältnis von Sens Konzeption zu bestehenden Kulturen ambivalent: Einerseits will die Idee der realen Freiheit partikulare Normensysteme, wie die Menschen sie selbst wählen und anpassen würden überhaupt ermöglichen. Andererseits steht sie mit bestehenden Normensystemen potentiell in Konflikt, und zwar umso mehr, je weniger Sens Idee von Freiheit und Selbstbestimmung in diesem Normensystem geteilt bzw. gewährleistet wird. Sie ist also mit Blick auf die konkrete Gestaltung von Gesellschaft einerseits offen angelegt, andererseits erscheint sie in ihrer eigenen Partikularität j edoch nicht neutral. Während der erste Aspekt als pluralistisch bezeichnet wnrde, stellt sich der zweite Aspekt als universalistisch dar: Sen vertritt die Auffassung, dass bei aller kulturellen Partikularität Freiheit universal wertvoll sei, zumeist indirekt, nämlich indem er weniger den Freiheitsbegriff selbst als vielmehr die Idee universaler Menschenrechte verteidigt (1999a: Kap. 10; 2004a: 328ff.). Nur gelegentlich heißt es explizit: »[ ... ] voices have been persistently raised in favour of freedom -in different forms - in distinct and distant cultures. lf the universalistic presumptions of this book, particularly in valuing the importance offreedom, aretobe rejected, the grounds for rejection must lie elsewhere [als in der These, Menschenrechte und Freiheit seien spezifisch westliche Werte, F.S.].« (Sen 1999a: 246)
Aus Sens Sicht ist die Interferenz seiner Konzeption in bestehende Normensysteme insofern unproblematisch, als Menschen ohnehin Freiheit wertschätzen und sich gegebenenfalls auch gegen die Unterdrü-
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SENS KONZEPTION UND KULTUR
ckung erhoben hätten bzw. erheben würden. Insofern stützt die Konzeption ihren allgemeinen Geltungsanspruch nicht nur auf die deliberative, reversible Kontextualisierung der Freiheit, in der die konkreten Wertvorstellungen zum Tragen kommen sollen (was der Konzeption den krude-universalistischen blueprint-Charakter nimmt, den man ihr vorwerfen könnte). 105 Sondern sie stützt ihren Geltungsanspruch auch auf Freiheit als universalen Wert. Gegen diese Strategie, sein Entwicklungsverständnis als universal geltungsfahig zu verteidigen, ließe sich verschiedenes vorbringen. Zum einen kann die empirische Beobachtung, dass Menschen gegen Unterdrückung aufbegehren und damit - so Sens Interpretation - sich für Freiheit aussprechen, nicht mehr sein als eine Plausibilisierung einer liberalen Position, die aber nichtsdestotrotz zunächst einmal und davon unabhängig normativ begründet sein muss. Dass alle Menschen frei sein sollen, weil bestimmte Menschen versuchen, frei zu sein, würde einen Sein-Sollens-Schluss darstellen. Dass Freiheit immer und überall zentrales Ziel von Politik sein soll, muss also anders begründet werden. Zum anderen ist das Aufbegehren gegen Unterdrückung keineswegs zwingend als Präferenz für eine bestimmte andere, freie Gesellschaft zu deuten; insofern wäre die empirische Beobachtung - wenn sie denn überhaupt als repräsentativ für alle Menschen verstanden wird -nicht notwendig ein Beleg für die allgemeine Wertschätzung von Freiheit, wie Sen sie versteht. 106 Mit Blick auf diesen zweiten Kritikpunkt ist jedoch zugunsten Sens daran zu erinnern, dass die Wertschätzung von Freiheit in seiner Konzeption nur schwach und wenig systematisch vertreten wird. Hinzu kommt außerdem bzw. vor allem, dass Freiheit bei Sen immer mit Blick auf etwas anderes, nämlich die zahlreichen Dimensionen lfunctionings) des Lebens verstanden wird (vgl. IV.3 .1.c.iii). Damit stellte sich Freiheit analog zu Demokratie (vgl. IV.5.l.a) weniger als etwas dar, das universal ein Wert ist, sondern vor allem als etwas, das universal Wert hatnämlich den Wert, dass sie das, was Menschen wertschätzen, möglich macht. Interne Kritik bzw. Dissidenz gegenüber einem freiheitseinschränkenden Status Quo, welche Sen als Beleg für die Wertschätzung von Freiheit anführt (ähnlich 1999a: 247), sind insofern als eine kulturverändernde agency zugunsten einer jeweilig besseren Gesellschaft, 105 Vgl. hierzu ausführlicher Sc hohes (2005c) sowie zu Sens und Nussbaums Varianten des capability approach als universalistischer Ethiken und ihrem Verhältnis Sturma (2000). 106 In IV.3.2.c.iv wurde darauf hingewiesen, dass die von Sen über den Begriff der intrinsischen Bedeutung insinuierte Wertschätzung von Freiheit insofern Anlass für eine Universalismuskritik an seiner Konzeption gibt, als nicht klar ist, ob alle Menschen Freiheit als solche - und hier wäre schon zu fragen: als welche? - wertschätzen.
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UMWELTHERRSCHAFT UND FREIHEIT
nicht zugunsten einer bestimmten freien Gesellschaft zu sehen. Dies betrifft auch den Stellenwert der von Sen geforderten kontextuellen Konkretisierung der allgemeinen Konzeption: Die Konkretisierung ist nicht im Sinne einer kontextuellen Variation des als solchen universalen Guts bzw. Wertes Freiheit zu verstehen. Sondern Freiheit ist zunächst einmal Begriff dafllr, inwiefern die Menschen ihren eigenen Wertvorstellungen, Gründen, Prinzipien etc. gemäß ihre Gesellschaft gestalten können. Auf dieser Basis wird in Teil V eine eigene Begründung entwickelt dafür, warum Sens Freiheitsbegriff zumindest im Kontext der Problemstellung dieser Untersuchung als Referenz geltungsfähig ist. Daher ist es hier auch nicht notwendig, auf den erstgenannten Kritikpunkt an Sens Universalismus näher einzugehen. Die Konzeption soll nur als normative Basis der spezifischen Problemstellung fungieren; ihre Geltungsfähigkeit in jenen Konstellationen, die bei Sen im Vordergrund stehen, ist damit nachrangig.
b)
Zur Geltungsfähigkeit dieser Position im Kontext von Umweltherrschaft
Wie stellt sich nun Umweltherrschaft und die mit ihr verbundene kulturelle Interferenz im Lichte jener allgemeinen Legitimationskriterien dar, die Sen für von ihm gemeinte Konstellationen andererseits aufgestellt hat? Zum einen bezieht sich Sen auf die Interaktion von Kulturen, die im Rahmen ihrer Interaktion bzw. über dieselbe kommunizieren könnten. Hingegen war für Umweltherrschaft kennzeichnend, dass aufgrund großer räumlicher und/oder zeitlicher Distanz die wechselseitige Betroffenheit nicht diskursiv verhandelt werden und beispielsweise zu einem Ausgleich gebracht werden kann. Zum anderen beziehen sich Sens Ausführungen auf direkte Interaktionen, etwa den Import kulturell fremder Bedeutungs- oder Verhaltensmuster, kultureller Artefakte etc., dem sich die Menschen grundsätzlich auch verweigern könnten. Hingegen ist für die Problematik von Umweltherrschaft charakteristisch, dass sich die Betroffenen der Verbindlichkeit nicht einfach verweigern können. Denn diese wird über die natürlichen Grundlagen der kulturellen Lebenswelten wirksam, sie betrifft die ökologisch-materiellen Ausstattungen einer Gesellschaft als fundamentale Voraussetzungen ihrer kulturellen Lebenswelt Dem Klimawandel, vergifteten Wasserhaushalten oder gerodeten Wäldern können sich Zukünftige physisch nicht einfach entziehen. Auch haben sie gerade im intertemporalen Zusammenhang nicht die Möglichkeit, mit den Verursachern zu verhandeln. Während also in den Fällen, die Sen vor Augen hat, eine freie Entscheidung gegen diese Einflüsse zumindest möglich scheint, ist diese im 168
SENS KONZEPTION UND KULTUR
Kontext der Übernutzung von Natur nicht möglich. Damit fällt die Legitimationsmöglichkeit weg, mit dem ökologisch transportierter kultureller Wandel bzw. interkulturelle Interferenz aus Sens Perspektive heraus rechtfertigbar wäre. Hieraus folgt zweierlei: Zum einen ist Umweltherrschaft in Sens Perspektive in hohem Maße problematisch. Umso mehr überrascht, dass die Thematik - Umgang mit Natur als transkulturelle Interferenz - , wie der folgende Überblick zeigt, im Diskurs um die Konzeption bisher nicht behandelt wird. Zum anderen und hieraus folgend bedarf die Perspektive offenbar zur normativen Handhabung der Problematik einer Weiterentwicklung. Denn sie stellt keine anderen Legitimationskriterien bereit als eben jene, die aus strukturellen Gründen gar nicht erst greifen können. Da die Problematik als solche jedoch nicht vollständig vermeidbar ist, bleibt die Frage offen, welche interkulturell wirksamen Transformationen von Natur aus Sicht der Konzeption denn legitimationsfähig bzw. legitim sind.
IV.7.Aussagen der Konzeption zu Natur, Naturerhalt und Nachhaltigkeit Sens Konzeption hat sich in der bisherigen Darstellung in verschiedener Hinsicht als originärer Gegenentwurf zu den von ihm kritisierten Konzepten erwiesen. Auf Sens Positionen zu Naturerhalt, intergenerationeller Gerechtigkeit usw. trifft dies weniger zu: Diese beschränken sich weitgehend auf Kritik. Überdies nehmen sie in seinen Schriften keinen exponierten Platz ein. 107 Im Folgenden wird eine Bestandsaufnahme dessen vorgenommen, was Sen selbst, aber auch andere Autoren auf seinem Ansatz basierend bisher beigesteuert haben. Das Feld beschränkt sich auf wenige Autoren, eine systematisierende Aufarbeitung steht noch aus. Der hier vorgenommene Versuch, Sens Konzeption als Grundlage einer alternativen Orientierung der Umweltökonomik zu deuten und fortzuentwickeln, kann als Beitrag zu einer solchen Aufarbeitung angesehen werden. Eine ähnliche, jedoch anders angelegte und weniger stark an Sen orientierte Arbeit stammt im deutschsprachigen Raum von Weikard (1999); im englischsprachigen Raum hat Duraiappah (2004) einen maßgeblichen Entwurf vorgelegt, in dem er Sens Ansatz für die spezifisch entwicklungspolitische Annäherung an das Umweltproblem fruchtbar zu machen versucht. Diese beiden umfangreicheren Versuche werden unten dargestellt. Duraiappahs Perspektive unterstreicht dabei, 107 Sen selbst zeigt sich wenig überrascht, dass sein Beitrag zu diesen Themen ihn nicht »particularly influential« gemacht habe (2003a: 330).
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UMWELTHERRSCHAFT UND FREIHEIT
dass das Umweltproblem vorwiegend als Variante des allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklungsproblems angegangen bzw. in diesem Kontext formuliert wird (vgl. Sen 2003b: 9). Neben den beiden genannten Arbeiten beschränkt sich die Auseinandersetzung bisher auf wenige Konferenzpapiere und Artikel. Auch bei den bisherigen Jahrestagungen der Human Development and Capability Association, wo der Diskurs um Sens Konzeption vorrangig geführt wird, steht das Problemfeld im Hintergrund. Selbst als 2003 das Tagungsthema From Sustainable Development to Sustainable Freedom hieß, hatten nur drei Beiträge originären Umweltbezug, darunter ein konzeptioneller Vorläufer von Duraiappah (2004) sowie eine erste Arbeit von Levrel (2003), die ebenfalls Umwelt und Naturerhalt als Faktor der Armutsbekämpfung auffasst. Bei der Jahrestagung 2005 in Paris wurde eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, welche die bisherigen verstreuten Versuche, Sens Ansatz unter dem Gesichtspunkt der Langfristigkeit und Nachhaltigkeit weiterzudenken, sammeln und systematisieren will; Ergebnisse stehen noch aus. Diese Arbeitsgruppe wie auch die Ausrichtung eines 2007 erscheinenden Sammelbands (Chiappero-Martinetti/Duraiappah, in Vorbereitung) sind ausdrücklich an den Begriff der Nachhaltigen Entwicklung gekoppelt: Sie beschränken sich nicht aufFragen des Umgangs mit Natur, sondern schließen (andere) soziale Fragestellungen ein. Damit indiziert die Existenz der Arbeitsgruppe kein erhöhtes Interesse am Thema Natur. In diesen Rahmen sind auch Versuche einzuordnen, den Ansatz flir Nachhaltigkeitsindikatoren fruchtbar zu machen (z.B. Distaso 2004, Constantini/Monni 2005). Übersichten über die zentralen Aussagen der Konzeption zum Umweltproblem finden sich z.B. in Scholtes (2007) sowie im Bereich grauer Literatur in Scholtes (2005d). Bisher liegt also wenig vor. 108 Doch wird sich im Folgenden zeigen, dass diese wenigen Positionen in verschiedener Hinsicht substantielle Kritik an anderen Konzepten enthalten. Sens Beiträge sind von zwei zentralen Leitmotiven durchzogen. Zum einen wird eine adäquatere 108 Kamsler (2006) ist dabei der Auffassung, dass »capability theory, as we have it, does not lend itself very well to thinking about the environment« (198). Sie selbst wirft die Frage auf, ob der capability-Ansatz über die Fommlierung von capability-Listen - am Beispiel von M. Nussbaum und S. Alkire - entweder seine anthropozentrische Basis überwinden und das »flourishing of other species and ecosystems« als eigenständige Politikziele vertreten kann oder aber Natur (anthropozentrisch) in entwicklungspolitische Ziele integrieren kann. Ihre Folgerungen beantworten die Frage zwar positiv, aber sehr allgemein. Die Veröffentlichung der Dissertation von Breena Holland, in der ein Kapitel »Environment as Capability« enthalten sein soll, steht noch aus.
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SENS KONZEPTION UND NATUR
Formulierung des Umweltproblems angestrebt; zum anderen geht es um eine alternative Konzeptualisierung der Menschen in diesem Problemkontext. Diese Motive sind jedoch zu dicht miteinander verwoben, als dass sie einer überschneidungsfreien Strukturierung der folgenden Darstellung dienen könnten. Stattdessen werden die bisherigen, disparat und wenig systematisch vertretenen Positionen Sens anhand von zwei Fragen sortiert, die im ersten Leitmotiv enthalten sind: (IV.7.1) Wie wird der Umgang mit Natur problematisiert? Und (IV.7.2): In welcher Richtung soll das Problem bearbeitet werden? Anschließend werden Duraiappahs (IV.7.3.a) und Weikards (IV.7.3.b) Arbeiten vorgestellt und eingeordnet.
IV.7.1. Umgang mit Natur als gesellschaftliches Problem jenseits des Marktes In Sens ersten Beiträgen (Sen 1995b, Anand/Sen 1994) werden die zentralen Positionen bereits formuliert. Zunächst (vgl. Sen 1995b) stellt er auf die eigentliche Formulierung von Natur-Ökonomie-Beziehungen als Probleme ab. Diese Formulierung müsse komplexer und tiefer gehend erfolgen, als die wohlfahrtsökonomisch konzipierte Umweltökonomik dies auf der Basis der Ermittlung von Zahlungsbereitschaften tue. Später fasst er diese Position so zusammen: »A proper statement of the problems calls for a fuller >social choice formulationistrichtigen< Zustands darin bestehen, dass die Optionen und die damit verbundene Freiheit den Zukünftigen erhalten bleiben, unabhängig davon, ob und wie diese sie nutzen sowie ob bzw. was sie davon haben.
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V.1.2. Deliberation als Modalreferenz Deliberation stellt für Sens Konzeption den zentralen Verhandlungsmodus dar. Das heißt nicht, dass nicht auf der Basis von deliberativ hergestellten Präferenzen auch andere Formen der Entscheidungstindung erfolgen können. Dass jedoch Bürger in engagiertem Diskurs und in Auseinandersetzung mit verschiedenen Präferenzen, deren Gründen etc. gemeinsame Positionen entwickeln, hatte sich als fundamental erwiesen. 124 Bezogen auf Natur hatte Sen sogar erkennen lassen, dass er sich davon verspricht, dass sich Werthaltungen zugunsten des Naturerhalts entwickeln. Unabhängig davon, ob dies erfolgversprechend ist, interessiert hier der zentrale Unterschied zur wohlfahrtsorientierten Umweltökonomik. Charakteristisch für den Markttausch als deren modale Referenz der Naturbewertung war, dass er als (im Idealfall) freie Interaktion und Übereinkunft eine Kommensurabilität verschiedenster Wertschätzungen erzeugt, ohne dass diese jedoch expliziert oder gar begründet werden müssten. Für die Deliberation sind hingegen die Explizierung von Präferenzen und den Gründen flir diese in der Öffentlichkeit sowie deren wechselseitig engagierte Verhandlung ausschlaggebend. Mit Blick auf den Umgang mit Natur bedeutet Ersteres, dass im Gegensatz zur wohlfahrtsökonomischen Umweltökonomik Natur nicht nur als öffentliches Gut gedacht wird, sondern der - insofern ohnehin gemeinwesentliche - Umgang mit ihr konsequenterweise auch in einem gemeinwesentlichen, öffentlich-politischen Modus bestimmt wird. 125 Damit wird Natur, die jedem Wirtschaften zugrunde liegt und über die sich Menschen daher fundamental betreffen, stärker in den öffentlichen Raum geholt. Das soll nicht heißen, dass nicht auch beispielsweise in liberalen Rechtsstaaten, deren marktwirtschaftlich organisierte Ökonomien an wohlfahrtsökonomischen Referenzen ausgerichtet sind, Natur ein Politikum darstellt und dem Wirtschaften von öffentlicher Seite Grenzen gesetzt werden.
124 Man mag diese Lesart von Sens Konzeption insofern relativieren wollen, als Sen selbst sich bisher nur gelegentlich fiir - so bezeichnete - deliberative Demokratiekonzepte ausdrücklich ausgesprochen hat. Doch implizieren seine Ausführungen in sehr schlüssiger Weise die Verbindung zu diesen Konzepten. Gerade angesichts Sens Betonung von public discussions scheint es legitim, diese Lesart anzuwenden. 125 Dabei geht es hier nicht um den Gut-Charakter, sondern um den öffentlichen Charakter. Der spezifisch ökonomische Begriff des Öffentlichen Guts (vgl. die große Initiale von Öffentlich), der u.a. durch das Kriterium des Nutzungsausschlusses bzw. der gelingenden Bepreisung der fremden Nutzung gewonnen wird, enthält bereits einen markttauschbasierten Gut-Begriff, der hier gerade nicht zugrunde hegen soll.
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Doch solange solche Steuerungen auf ein wohlfahrtsökonomisches Kalkül aufsetzen und die Bewertungen alternativer Umweltzustände in einem impliziten Modus erfolgen, so dass die Vorzugswürdigkeit alternativer Allokationen unklar bleibt, besteht eine Inkonsistenz, da ein öffentliches Gut - nicht bei der Entscheidungsfindung; diese mag öffentlich sein, basiert aber auf vorgenommenen Bewertungen - nicht-öffentlich verhandelt wird. Diese Inkonsistenz wird in einem öffentlichen Verhandlungsmodus zumindest dem Anspruch nach überwunden. Hinzu kommt, dass - im Gegensatz zu einer monetär abgleichenden Umweltökonomik - in einer explizierenden Verhandlung die zu erwartenden Differenzen in der Wertschätzung in substantielle Relationen zueinander gebracht werden können. Man weiß nicht nur, was dem anderen wie viel mehr oder weniger wert ist, sondern man weiß auch, was jemandem warum etwas wert ist und wie sich dies zu den eigenen Gründen verhält. Dies wiederum ermöglicht, dass der gesellschaftlich organisierte (gesteuerte, eingeschränkte) Umgang mit Natur, der in der Praxis notwendigerweise Konflikte und Kompromisse enthalten wird, in der Be1ücksichtigung konfligierender Interessen - im Sinne einer »diskursiven Rationalisierung der Entscheidungen« (vgl. IV.5.1.a) - stärker an dem ausgerichtet werden kann, was die Menschen hinter dem Naturerhalt >eigentlich< wollen. Ökonomisch gesprochen ermöglicht die Explizierung dadurch eine effektivere, präferenzadäquatere Umweltpolitik (vgl. auch Jakubowski et al. 2000: 333f.). Die Deliberation politisiert in einem positiven Sinne den Umgang mit Natur und erbringt dabei für die Politik eine Informationsvorleistung, die stärker differenziert und komplexitätsadäquater sein kann als das expertengestützte Ausrechnen von monetären Barwerten alternativer Naturallokationen. Insbesondere auf lokaler Ebene und zur Verhandlung akuter Allokationskonflikte finden sich etwa im Bereich der Umweltmediation konkrete Methoden, in denen die- wie Sen es bezeichnete- »soziale Formulierung des Umweltproblems« (vgl. IV.7.1) dazu dient, die eigentlichen Interessen überhaupt in einer die Verhandlung ermöglichenden Weise aufzudecken und so die politische Problemlösung in ihrer Effektivität und Effizienz zu stärken (vgl. hierzu Weiss 2004). Der Unterschied zur marktliehen Verhandlung reicht jedoch über die Explizierung der Gründe für das eigene Handeln hinaus. Denn Deliberation, die bei Sen essentiell auf die Konstruktion gemeinsamer Wertvorstellungen abstellt, verlangt auch die Reflexion und konstruktive Erwägung der eigenen und insbesondere der jeweils anderen Gründe - einschließlich der möglichen Revision der eigenen Position hin zu einer gemeinsamen. Naturallokationen erfolgen dann nach einem höheren Maß an kritischer Reflexion und Hinterfragung, als dies bei einer wohl-
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fahrtsökonomischen Orientierung der Fall wäre. Hier findet sich wieder, dass Sen Umweltprobleme als solche erachtete, deren Bearbeitung nicht (nur) durch den Menschen als Konsumenten erfolgen könne, sondern den Menschen als Bürger verlangt: als Person nämlich, die in ihrer Zugehörigkeit zur Öffentlichkeit des Gemeinwesen ein anderes, sozial reflektiertes Verhältnis zur Natur und zum Umgang mit ihr hat als nur jenes der selbstbezogenen Nutzenmaximierung. Hiermit verbunden ist ein weiterer Unterschied zum marktliehen Modus: Die soziale Formulierung von Umweltproblemen kann im Deliberationsmodus bewirken, dass die verschiedenen Präferenzen und Gründe für (oder gegen) Naturerhalt nicht nur explizit werden, sondern dass auch durch die Konstruktion einer gemeinsamen Sicht die Konfliktmasse der bisher divergierenden Sichten reduziert wird. Indem das Problem gemeinsam und insofern als ein gemeinsames formuliert wird, kann möglicherweise auch die Effektivität der politisch-praktischen Umsetzung gesteigert werden. Dabei mag man es bereits als Gewinn erachten, wenn überhaupt ein Einverständnis über die eigentlichen Dissense erzeugt wird (vgl. Weiss 2004: 195), selbst wenn diese als solche (zunächst oder langfristig) fortbestehen, da sie so zumindest den divergierenden Präferenzen angemessener gehandhabt werden können. Diese Aspekte sind mit Blick auf den Umgang speziell mit Natur umso bedeutender, als man davon ausgehen kann, dass sich Präferenzen bzw. Gründe flir bestimmte Handhabungen von Natur interkulturell stärker unterscheiden als mit Blick auf andere Güter. Denn dadurch, dass Menschen (außermenschlicher) Natur als etwas begegnen, das im Gegensatz zu Artefakten entweder ohne erkennbaren Zweck existiert oder aber nicht einzig und allein zweckmäßig ist ( vgl. II .2.1 ), ist bei Naturentitäten offener als bei zweckmäßig hergestellten Artefakten, worin ihr Wert besteht und wie daher mit ihnen umgegangen werden sollte. Gerade weil Natur erst durch die jeweilige Wahrnehmung der Menschen konstituiert wird, ist es plausibel, dass die Varianz dessen, worum Natur wertgeschätzt wird - selbst innerhalb kultureller Kontexte, also von der verschärfenden Alienitätsannahme absehend -, größer ist als bei klassischen Marktgütem. Umso größer ist daher der Unterschied, wenn die Präferenzen und Gründe des jeweiligen Gegenübers nicht einfach in Wahlhandlungen umgesetzt werden, sondern durch die Explizierung offenbar werden, miteinander in ein Verhältnis gebracht werden, reflektiert bzw. hinterfragt sowie aufeinander abgestimmt werden.
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V.2. Freiheit und die Rechtfertigung von Umweltherrschaft Wie stellt sich nun der Ansatz mit seinen Referenzen hinsichtlich einer akzeptablen Rechtfertigung von Umwelthenschaft dar, wenn Letztere aus Naturallokationen in Orientierung an diesen Referenzen erfolgt? Mit Blick auf den ersten Aspekt aus II.3 ist zunächst eine ausdrückliche Programmatik der Nichtinterferenz charakteristisch: Aus Sens Sicht ist eine Übertragung von Präferenzen in (kulturell) fremde Kontexte allgemein problematisch, wenn diese nicht freiwillig erfolgt - was bei Umweltheuschaft gerade der Fall ist. Auch wenn dieser Aspekt bisher hinsichtlich des Umgangs mit Natur nicht problematisiert wurde und obwohl aus Sens Positionen zu Nachhaltiger Entwicklung auch ein Substituierbarkeitsoptimismus spricht, der die mit ihm verbundene Renschaft wiederum gerade nicht problematisiert, würde es mit dem Grundtenor der Konzeption gerade konsistent sein, wenn z.B. ein möglichst wenig transformativer Umgang mit Natur diese Renschaft reduzierte. In jedem Fall handelt es sich um eine Perspektive, mit der Umweltheuschaft grundsätzlich unvereinbar ist, die sie also überhaupt als ein ernsthaftes Problem behandeln muss. Im Sinne des zweiten Aspekts aus II.3 spricht weiterhin ftir sie, dass die Gründe für das Wirtschaften und den damit verbundenen Umgang mit Natur den fernen Betroffenen überhaupt zugänglich und nachvollziehbar sind: Auch wenn Freiheiten bzw. Optionen nur kontextuell Anspruch auf Objektivität erheben können, so handelt es sich doch um einen Maßstab, der ftir Außenstehende nachvollziehbar gemacht werden kann. Die fernen Betroffenen wären beispielsweise damit konfrontiert, dass der Verbrauch fossiler Brennstoffe erfolgte, um Mobilität, warme Behausung etc. zu erzeugen- Freiheiten also, die sie als Gründe flir den Umgang mit Natur nicht notwendig teilen, die sie aber in einem sachlichen Sinne im Gegensatz zu subjektiv empfundener Wohlfahrt nachvollziehen können. Der Deliberationsmodus unterstützt durch die Explizierung, dass den Betroffenen die Gründe zugänglich sind; darüber hinaus ftihrt er dazu, dass jene Naturallokationen, die letztlich doch noch bestimmte Präferenzen in andere Kontexte verbindlich übertragen, zumindest weniger willkürlich sind als dann, wenn sie nur auf Basis von aggregierten Zahlungsbereitschaften erfolgen. Denn den Allokationen geht eine Begründungsarbeit voraus, die außerdem mit einer (selbst-) kritischen Erwägung jener Präferenzen verbunden ist, die im Tauschmodus kaum, zumindest aber nicht programmatisch hinterfragt werden. Das ändert zwar nichts daran, dass die Entscheidungen es den fernen Betroffenen letztlich nicht recht machen können, dass also die >Rest-Umwelt198
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herrschaft< eine Herrschaft bleibt. Jedoch reduziert die Erwägung des Umgangs mit Natur jene- aus Augen der Betroffenen- Willkür, die mit einer implizit-subjektiven Referenz (Wohlfahrt) und einem impliziten Verhandlungsmodus (Markttausch) verbunden ist. Im Sinne des vierten Aspekts aus II.3 lässt sich dies wiedemm als ein aktiver Umgang damit ansehen, dass die jeweiligen Konkretisierungen der Konzeption in ihrer Kontingenz letztlich doch immer nur kontextuell Geltung haben können. Hierin findet sich Sens Skepsis gegenüber der Allgemeingültigkeit substantieller gesellschaftlicher Gestaltungsprinzipien (in Sens Worten: blueprint approaches) und seine Ablehnung einer theoretischen, apriorischen Bestimmung gesellschaftlich relevanter Freiheiten. Seine politische Position, die solche Bestimmungen in den öffentlichen Raum verlagert, bezieht sich zwar nie explizit auf einen Kontingenzbegriff Insofern ist offen, inwiefern Sen Entscheidungen nicht nur als kontextuell partikulare ansieht, sondern auch als solche, die selbst innerhalb des jeweiligen Kontextes andere hätten sein können. Hierfür spricht jedoch wiederum die Annahme des möglichen internal criticism, dass nämlich kultureller Wandel auch kontextintern erfolgt und somit andere Präferenzen wirksam werden können. In jedem Fall zeigt sich ein zumindest zwischenkontextuell bewusster - und insofern mit der zwischengesellschaftlich formulierten Problematik dieser Arbeit kompatibler - Umgang damit, dass die jeweiligen Präferenzen keine notwendigen sind. Die genannten Aspekte sprechen bereits für eine an Sens Konzeption orientierte Naturbewertung. Doch stellt sich im Sinne des dritten Aspekts aus II.3 die zentrale Frage, warum bzw. inwiefern ferne Menschen Verbindlichkeiten aus unserem Umgang mit Natur deshalb akzeptieren sollten, weil dieser auf Bewertungen basiert, die mit Gründen (bzw. in einer Perspektive) der Freiheit vorgenommen werden. Denn es ist diese Referenz, die Sens Konzeption auszeichnet. Der öffentlich explizierende und erwägende Modus der Deliberation hingegen stellt sich zwar als vorzugswürdig dar, weil mit ihm Bewertungen erwogen bzw. hinterfragt sowie den Betroffenen zugänglich werden und er insofern den problematischen Facetten der Tauschreferenz entgegensteht. Auch ließe sich darüber hinaus die These entwickeln, dass für die Rechtfertigung von Umweltherrschaft der Deliberationsmodus nicht nur geeignet bzw. (relativ) vorzuziehen ist, sondern darüber hinaus - selbst unter Alienitätsbedingungen- als auch für ferne Betroffene (absolut) akzeptable Referenz gelten kann: Wenn man Umweltherrschaft als Problem anerkennt, den Aspekten aus II.3 folgt und außerdem Deliberation als Modus auf die zentralen Merkmale öffentlich/argumentativ reduziert, so ließe sich argumentieren, dass eine Rechtfertigung von Umweltherrschaft eben diese
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Merkmale notwendig voraussetzt und daher Deliberation eine notwendige (und insofern universal akzeptable) Antwort auf das Problem darstellt. Es ließe sich somit fragen, ob neben dem Freiheitsbezug nicht auch- oder sogar in erster Linie- die Deliberiertheit von Naturallokationsentscheidungen ihre Akzeptabilität bei fernen Betroffenen herstellt. Hiergegen spricht jedoch m.E. erstens, dass Deliberation als Begriff gerade in seiner Verwendung in Theorien deliberativer Demokratie wesentlich spezifischer konnotiert ist, als dass er nur ein >ÜberhauptVerhandeln< meinen würde; hier ist etwa an den von D. Cracker (2006) unterstrichenen Anspruch der wechselseitigen Engagiertheit zu erinnern (vgl. IV. 5.l.a). Deliberation sollte daher nicht als >der< (einzige und insofern zwischengesellschaftlich akzeptable) öffentliche und argumentative Bewertungsmodus gelten. Zweitens ist der Modus in Sens Konzeption - im Gegensatz zu Freiheit - noch zu wenig ausgearbeitet, als dass er bereits hier als alienitätsfahiger Wertbegriff vertreten werden könnte. Als gegenüber dem Tausch vorzugswürdige Referenz wird er jedoch weiterhin berücksichtigt. Diese Frage nach der zwischengesellschaftlichen Akzeptabilität von Freiheit wird mm im folgenden Abschnitt in zwei Schritten behandelt: Warum sollte Freiheit als eine auch in den Augen der fernen Betroffenen akzeptable Referenz gelten können? Und inwiefern sollte sie als Referenz dienen? Dann (V.2.2) wird gefragt, welche allgemeinen Orientierungsaussagen sich hieraus folgern lassen.
V.2.1. Freiheit als zwischengesellschaftlich akzeptable Referenz Sen hatte zur Begründung der übergesellschaftlichen Geltung von Freiheit als Referenz der Gesellschaftsgestaltung eine Universalisierungsstrategie verfolgt, die Freiheit als etwas Positives versteht, das von allen Menschen geschätzt wird. Dies hatte als problematisch erwiesen (vgl. IV.6.2.a): Er bleibt die Begründung dafür schuldig, wamm Freiheit, selbst wenn sie empirisch von allen Menschen als solche geschätzt würde, dann auch Referenz sein sollte. Auch kann eine solche Wertschätzung von Freiheit nicht ohne weiteres allen Menschen unterstellt werden. Daher wird im Folgenden eine alternative Strategie vorgeschlagen, um Freiheit als allgemein akzeptable Referenz zumindest im Umgang mit Natur zu vertreten. Zunächst (a) wird Freiheit als basaler Wert charakterisiert; daran anschließend wird sie (b) als überhaupt mögliche sowie als in einem schwachen und einem starken Sinne naheliegende Referenz begründet.
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a)
Freiheit als basaler Wert
Bisher war Sens Konzeption vor der Kritik, eine partikulare Idee des Guten universal vorzuschreiben, insofern geschützt, als Freiheit kein Wert ist, sondern den Wert hat, dasjeweils Gute zu ermöglichen. Es gilt sie daher nur fiir das zu gewährleisten, was sie jeweils ermöglicht. Jedoch war Teil von Prämissen und Problemstellung, dass eben jenes, was Menschen in konkreten Kontexten wertschätzen, nicht auf andere, insbesondere weit entfernte Kontexte übertragbar ist. Das, was Freiheit den Menschen konkret an Handlungen etc. ermöglicht, kann also nicht die gesuchte Rechtfertigungsbasis sein; es ist vielmehr auf den Freiheitsbegriff selbst zurückzugreifen. Hierzu verstehe ich Freiheit im Folgenden als etwas, das ein Wert ist und im Zentrum der Begründung stehen kann, ohne jedoch dabei eine substantielle Moral zu transportieren bzw. ein Gut als solches darzustellen: als ein basaler Wert, nämlich die »Bedingungen, [ ... ] unter denen (als höherstufigen Werten) ein Umgang und eine Gewichtung konkreter Werthaltungen möglich wird« (Hubig 2001: 193). Basal meint also, dass diese Werte anderen Werten ermöglichend zugrunde liegen. Höherstufig sind sie insofern, als sie auf einer höheren Abstraktionsebene liegen: Freiheit ermöglicht als basaler Wert, dass überhaupt konkrete Werthaltungen auf einer weniger abstrakten Ebene eingenommen, praktiziert, gewichtet etc. werden können; jedoch schreibt sie noch keinerlei konkrete Werthaltungen vor (nicht einmal die, dass Freiheit als solche gut wäre). Als basaler Ermöglichungswert kann Freiheit nun zwischengesellschaftliche Akzeptabilität daraus beanspruchen, dass sie letztlich nur Ausdruck der Möglichkeit des (intentionalen) Handeins überhaupt ist. Freiheit ist notwendige Bedingung dafür, dass Menschen sich innerlich überhaupt als eigenständige Subjekte ihres Handeins verstehen und konstituieren können, ohne darin von Zwängen bereits vorbestimmt zu sein; sowie dass sie äußerlich überhaupt die reale Möglichkeit haben, zu Handlungsoptionen ein von dieser selbstkonstituierten Identität geleitetes Verhältnis aufzubauen und darauf basierend, also eigenen Intentionen gemäß, so oder anders zu handeln. 126 So sind auch Freiheiten, die in der Erwägung alternativer Naturallokationen an Stelle von Nutzengrößen als Gründe für bestimmte Präferenzen anzuführen wären (bzw. von den Betroffenen als Gründe ftir die ihnen verfügbare Natur anzuerkennen wären), zunächst einmal als notwendige Konkretisierungen von etwas zu verstehen, das handelnde Menschen allgemein benötigen, um 126 In dieser Differenzierung von Aspekten der Möglichkeit moralischen Handelns, nämlich Identität und Handlungsoptionen, fol ge ich Hubig (1995: 139ff.).
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gemäß ihrer jeweiligen Vorstellungen des Guten leben zu können. Freiheiten sind zwar bei Sen als Ziel- bzw. Vorteilsbegriff des Wirtschaftens zu verstehen; was sie jedoch als Gründe des Wirtschaftens auszeichnet, ist, dass sie im Gegensatz zu Wohlfahrt- die tatsächlich ein Handlungsziel darstellen mag - kein Handlungsziel, sondern handlungsermöglichende Bedingungen darstellen und damit den basalen Wert Freiheit in einer jeweiligen Ausdeutung verkörpern. Dass Freiheit als grundlegende Bedingung des Handeins überhaupt einen basalen Wert darstellt, hängt nicht davon ab, wie dieses Handeln konkret aussieht und welche konkreten Freiheiten daher jeweils notwendig sind.
b)
Freiheit als mögliche und naheliegende Referenz
Versteht man Freiheit in diesem Sinne als basalen Wert, so kann mit ihr auch ein (beispielsweise erhaltender) Umgang mit Natur begründet werden, ohne sich dabei auf einen Wertbegriff zu stützen, der bereits als solcher - vor seiner jeweiligen Konkretisierung in partikularen Kontexten - kontingent ist und somit für die Betroffenen nicht notwendig einen Wert darstellt. Denn indem Freiheit die Ermöglichung des Handelnkönnens (und des Wertenkönnens) meint, ist Freiheit vielmehr auch zwischengesellschaftlich und auch unter Bedingungen kultureller Alienität, ein notwendiger Wert. Wenn Handeln erst auf Basis der Freiheit möglich ist, Präferenzen und eine Identität als Handelnder selbst auszubilden und in realen Optionen umzusetzen, dann setzt jedes partikulare Handeln auf diese Bedingungen auf. Freiheit macht es gerade erst möglich, dass Handlungen keine notwendigen sind, sondern auch andere sein könnten. 127 Daher kann Freiheit hier als eine Referenz erachtet werden, die auch in Augen ferner Betroffener grundsätzlich Akzeptabilität besitzt, weil sie ja gerade als Begriff dafür steht, dass Menschen das jeweils Eigene tun können. Ganz gleich, wie verschieden dieses Eigene von dem Anderer ist: Die Freiheit hierzu ist eine notwendige Bedingung. 127 Dieser dichte Zusammenhang von Freiheit und Kontingenz (vgl. Makropoulos 2004: 392) lässt sich auch in die andere Richtung lesen: Erst dadurch, dass das Handeln nicht notwendig und determiniert ist, lässt sich die Freiheit im Sinne von gewährleisteten Bedingungen des Handeins fiir sinnvoll halten. Eine Freiheit, in der nur notwendiges Handeln möglich ist, ist keine Freiheit. An dieser Stelle ist auch darauf hinzuweisen, dass Kontingenz zwar im hier behandelten Kontext problemverstärkend wird, indem die Gründe des Wirtschaftens, weil sie kontingent sind, nicht notwendigerweise von Betroffenen als Gründe akzeptiert werden. Das heißt aber weder, dass diese Kontingenz der menschlichen Lebensgestaltung zu überwinden wäre, noch dass sie als solche ein Problem darstellt. Tm Gegenteil: Dass Handlungen keine notwendigen Verhaltensweisen darstellen, zeichnet das menschliche Leben gerade aus.
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Wenn Umweltherrschaft für die Betroffenen deshalb problematisch ist (und daher ihre Rechtfertigung überhaupt relevant ist), weil sie einen bestimmten Umgang mit Natur in andere Kontexte hinein verbindlich werden lässt und dabei andere Umgangsweisen ausschließt, dann geht es gerade um die Freiheit, anders - nämlich gemäß eigener Gründe und Präferenzen - handeln zu können. Hieraus lässt sich weiterhin folgern, dass Freiheit als notwendige Bedingung des Handelnkönnens nicht nur zwischengesellschaftlich akzeptabel ist, sondern dass die Begründungen von Naturallokationen sich auch auf Freiheit beziehen sollten - auf die Freiheit sowohl der AHazierenden als auch der Betroffenen. Denn die verbindliche Wirkung von Naturallokationen wurde gerade nicht als ein Wohlfahrtsproblem analysiert, sondern als die transkulturelle Präskription partikularer Präferenzen, also als Zwang bzw. Herrschaft. Daher liegt es bereits in einem intuitiven, schwachen Sinne nahe, die Betroffenheit von Umweltherrschaft unter Rekurs auf den systematischen Gegenbegriff Freiheit zu formulieren und zu problematisieren, nämlich als Freiheitsverlust, und den Umgang mit der Problematik an eben diesem Begriff auszurichten. Als basaler Wert und Gegenbegriff von Herrschaft liegt Freiheit jedoch auch in einem stärkeren Sinne nahe: Wenn das Projekt zwischengesellschaftlicher Rechtfertigung von Umweltherrschaft überhaupt verfolgt werden soll, dann am ehesten über den Begriff der Freiheit, da bzw. sofern dieser eben die Errnöglichung des jeweils Eigenen meint. Wenn Naturtransformationen gegenüber den fernen Betroffenen überhaupt rechtfertigbar sind, dann vor allem unter Rekurs auf jenen Wertbegriff, der mangels einer zwischengesellschaftlichen geteilten substantiellen Referenz und mangels gemeinsamer Vorstellungen über den richtigen Umgang mit Natur als einziger herangezogen werden kann, nämlich jener, der denjeweiligen Umgang mit Natur ermöglicht; der also gerade nicht auf bestimmte Naturallokationen abstellt, die in einem positiven Sinne für alle richtig sind, sondern der zumindest der Intention nach keine eigene Vorstellung des Guten vertritt. Nun mag Freiheit im Sinne eines basalen Werts zwar mögliche und naheliegende Referenz sein, da sie allein auf die Möglichkeit abstellt, dass Menschen überhaupt und gemäß ihren eigenen Wertvorstellungen bewerten und handeln können. Letztlich dringt jedoch auch dieser Wert in die Wertesysteme anderer Gesellschaften substantiell ein, nämlich dann, wenn der Freiheitsbegriff konkretisiert wird und hierauf basierend Naturallokationen begründet werden, die mit ihren Fernwirkungen diese partikularen Substantiierungen von Freiheit - also das jeweilige Verständnis, welche Freiheiten warum wichtig sind - in die Gesellschaften der Betroffenen transportieren. Wenn also individuelle Mobilität im
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UMWELTHERRSCHAFT UND FREIHEIT
Freiheitsverständnis der Heutigen eine bedeutende Freiheit ist und daher die Verwendung eines Rohstoffs wie Erdöl als Kraftstoff rechtfertigt, dann wird dieses substantielle Freiheitsverständnis über den Verbrauch des Öls auch in einer späteren Gesellschaft wirksam, für die jedoch individuelle Mobilität keineswegs so bedeutend ist, als dass sie die Nichtverfügbarkeit des Öls beispielsweise zur Kunststoffproduktion rechtfertigen würde. Inwiefern betrifft dies die behauptete Akzeptanzfähigkeit von Freiheit als Referenz von Naturbewertungen und -allokationen? Charakteristisch für die Problematik der Umweltherrschaft war, dass das Dilemma, von dem sie zumindest derzeit gekennzeichnet ist, ein unlösbares ist: Wir müssen Natur allozieren und betreffen damit Andere unvermeidlich, und zwar teilweise verbindlich und definitiv; gleichzeitig können wir dabei zumindest den fernen Betroffenen letztlich nicht durch Berücksichtigung ihrer - uns unbekannten - Maßstäbe bzw. Wertvorstellungen gerecht werden. Demnach ist die jeweilige Substantiierung von Freiheit, so sehr sie in dem Bemühen stehen mag, das Wirtschaften beispielsweise der Zukünftigen nicht mit unseren Vorstellungen des Guten zu verbindlich zu beschränken, in dieser Hinsicht notwendig f ehlbar. Auch der Erhalt bestimmter (und nicht anderer) Natur stellt eine Entscheidung gemäß partikularer Präferenzen dar; auch unter Bezug auf Freiheit ist die problematische Interferenz unserer Präferenzen in fremde Kontexte unvermeidlich. Vor diesem Hintergrund kann es dann jedoch auch nur Anspruch an eine Orientierung des Umgangs mit Natur sein, den Anderen zumindest dem Anspruch und der Intention nach sowie in der Umsetzung soweit wie möglich ihr jeweiliges Anderssein zu lassen. Der Freiheitsbegriff, für den die Intention bzw. der Anspruch der Nichtinterferenz wie für keinen anderen Wertbegriff konstitutiv und programmatisch ist, erscheint daher nur in diesem Sinne, unter diesen dilemmatischen Bedingungen akzeptabel - und nicht, weil er das Problem der Umweltherrschaft tatsächlich in dem Sinne >löstVorstufe< zur Ermöglichung verantwortlichen Handeins bzw. zu einer Verantwortungsethik dar (ebd.: 40f.). Zumindest ist dies nicht programmatisch der Fall. Allerdings wäre zu untersuchen, inwiefern sich die hier vorgenommenen (nicht primär verantwortungssondern freiheitsethischen) Überlegungen an Kornwachs anschließen lassen. Denn von den von unserem Handeln Betroffenen ist ja anzunehmen, dass es sich um moralische Akteure handelt, und dass ihr Handeln, dessen (ökologische) Möglichkeitsbedingungen zu erhalten sind, insofern auch grundsätzlich ein verantwortliches ist. 129 Option meint in Hubigs Terminologie das, was im Total Economic Vatue unter Options-, Existenz- und Vermächtniswert gefasst wird, also Werte, die aus einer (potentiellen) zukünftigen, jedenfalls noch nicht vo llzogenen Nutzung resultieren- wobei Nutzung noch nicht Transformation meint, jedoch die äußere Seite meint, näm lich das Handelnkönnen. Der Vermächtniswert hingegen, bzw. die Erhaltung von Natur aufgrundeines Verrnächtniswerts, ist nicht auf eine Nutzung hin ausgerichtet; auch ist er nicht über eine spezifische Schutzmotivation, nämlich des Vererbens, definiert. Sondern der Wert ist inhaltlich bestimmt, indem er aus der Bewahrung der Möglichkeitsbedingungen resultiert, die inneren
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Der erstgenannte Aspekt ist mit Sens positiver Freiheitsauffassung unmittelbar verbunden, da diese ja auf die notwendigen Bedingungen dafür abstellt, Freiheit umsetzen zu können. Es muss reale Handlungsoptionen geben, und zwar so, dass auch das »Weiterhandelnkönnen« (Gottschalk-Mazouz/Mazouz/Hubig 2003: 894) gewährleistet bleibt; die Freiheit von Zwang ist ohne solche Optionen keine wirkliche Freiheit. Der zweite Aspekt ist bisher nur implizit enthalten: Die Frage der Selbstkonstitution als wertendem Subjekt, mit einer Identität im Verhältnis zur jeweiligen Umgebung, kommt bei Sen nur in dem Moment zum Tragen, wo er problematisiert, dass Arme sich in ihren Wünschen und Bedürfnissen an ihrer Lage >realistisch< ausrichten (vgl. IV.3.2.b.iii), also eine angepasste Identität ausbilden. Es würde nun dieser Grundorientierung widersprechen, im Zusammenhang mit Natur reale Handlungsoptionen positiv, aktiv bereitzustellen und dadurch wiederum eigene Präferenzen in die zeitliche oder räumliche Distanz zu extrapolieren. Ein Anlegen von Natur, etwa in Form von Wiederaufforstungen, enthält ja immer auch unsere Vorstellungen dessen, was wie wertvoll und deshalb (wieder-)herzuste\len ist. Vielmehr meint die Idee des Bedingungserhalts, dass diese Optionen auf der positiven Seite der Freiheit durch die Unterbindung von ökologisch transportiertem Zwang auf der negativen Seite gewährleistet bleiben. Im Fall von Natur, die ja im Sinne einer Ausstattung (vgl. hierzu V.3.2.b) von sich aus schon da ist, müssen die von Sen so betonten materiellen Umsetzungsbedingungen von Freiheit weniger geschaffen, sondern vor allem erhalten werden. Daher lassen sich flir die (heutigen) Handelnden vor allem negative Handlungsregeln als allgemeine Orientierungen ableiten, die auf die Vermeidung bzw. Reduktion von Umweltherrschaft zielen. Sie senken dadurch einerseits den Rechtfertigungsbedarf; andererseits kommt dadurch die verbleibende Herrschaft nur noch als eine zustande, die in der Intention ihrer eigenen Vermeidung erfolgt. Hier ist erstens an die nächstliegende Quelle von Umweltherrschaft zu denken, nämlich ineversible Verluste an Naturgütern. Diese verletzen die realen Freiheiten der Betroffenen in einem fundamentalen Sinne, indem sie Selbstkonstituierungen und Wahlhandlungen unmöglich machen. Damit sind insbesondere Artenverluste, die Erschöpfung nicht erneuerbarer Ressourcen etc. gemeint. Ineversibel ist dabei so zu verstehen, dass diese Natur den Betroffenen nicht mehr verfügbar ist - sei es, weil eine letztlich doch mögliche Regeneration nicht im Rahmen ihrer (zeitlichen, aber auch räumlichen) Reichweite liegt, weil beispielsweise
Voraussetzungen für freies Handeln - Präferenzen, Wertvorstellungen etc. - individuell und frei entwickeln zu können.
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tropischer Regenwald erst nach mehreren menschlichen Generationen der Regeneration wieder eine vergleichbare Qualität hat; sei es, weil bestimmte Arten tatsächlich unwiderruflich verloren sind; sei es, weil eben diese oder jene Qualität beispielsweise des Regenwaids nie wieder erreicht wird. Irreversibilitäten machen Umweltherrschaft absolut: Die Betroffenen sind absolut unausweichlich mit den Präferenzen und Zwecksetzungen der ABozierenden konfrontiert. Es liegt daher nahe, dass diese streng zu vermeiden sind. Hiermit ist in Bezug auf die Debatte zwischen Konzepten Starker oder Schwacher Nachhaltigkeit ein fundamentaler Substituierbarkeitspessimismus verbunden, der auf der politischen Ebene eine dementsprechende Nähe zur Ökologischen Ökonomik ankündigt. Wohlgemerkt folgt hier nicht deshalb ein zurückhaltender Umgang mit Natur, weil eine bestimmte Natur als die zu erhaltende erkannt worden wäre. Vielmehr folgt die Zurückhaltung aus der Einsicht in die normative Ungewissheit, dass wir nicht wissen können, was der Verlust einer Art, einer Ressource etc. für die fernen Betroffenen darstellt. Zweitens folgt, dass auch bereits die Fixierung eines bestimmten Umgangs mit Natur beispielsweise durch kostenintensive und schwer widerrufliche Installationen bestimmter Nutzungsweisen - man denke an die Rolle fossiler Brennstoff in der globalen Energieökonomie - im Rahmen des gesellschaftlich organisierten Wirtschaftens zu vermeiden sind. Denn diese machen die Praxis anderer Präferenzen unmöglich, indem sie bei sich wandelnden Präferenzen eine präferenzadäquate Umgestaltung des Umgangs mit Natur verhindem, stellen also Umdisponierungsschranken dar. Sie wirken, ähnlich wie der irreversible Verlust von Naturgütern, als nachhaltig fixierte Sachzwänge, welche sowohl das Handeln selbst als auch die für das Handeln ausschlaggebende Identität der Menschen kontingent vorstrukturieren und einschränken. Sofem sich die Betroffenen diesen Fixierungen nicht entziehen können, handelt es sich dann auch nicht nur um eine Macht-, sondern um eine Herrschaftskonstellation. Dies steht im Unterschied zu Nachhaltigkeitskonzepten, in denen Transformationen von Natur, die als substituierbar angesehen wird, als möglich erachtet werden, da ja (nur) die Bedingungen des heutigen Wirtschafleus zu sichem sind. Im Gegensatz zur wohlfahrtsökonomischen Perspektive, wo mit der selbstaffirmativen Nutzenmaximierungsannahme eine bestimmte Substantiierung der Wohlfahrt tendenziell perpetuiert wird, geht mit dieser Freiheitsperspektive einher, dass nicht eine Entwicklung dauerhaft zu ermöglichen ist, sondern die Bedingungen dafür, dass auch auf fundamental verschiedene Entwicklungspfade abge-
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wichen werden kann - sowohl im lokalen wie im überlokalen oder globalen Kontext (vgl. gerrauer V.4.l.d).130 Drittens und hiermit verbunden sollte es Teil der umweltökonomischen Orientierung sein, schon vor der Handhabungsebene des Naturerhalts oder der Naturtransformation, nämlich auf der Bewertungsebene, die Beimessungen anderer Werte als der jeweils aktuellen nicht unmöglich zu machen. Denn dies hieße, den Menschen eine wichtige Option der Bezugnahme auf Natur und der Bildung eines Verhältnisses zur ihr zu nehmen, was seinerseits wichtig ftir die Selbstkonstitution ihrer Identität als wertendes Subjekt ist (vgl. Hubig 2001: 194). Hierzu ist wiederum zu gewährleisten, dass nicht nur der Umgang mit Natur, sondern auch Diskurse über Natur diese nicht mit bestimmten Bedeutungs- und Wertbeimessungen umfassend und unveränderlich prägen und vereinnahmen. Hier sei an den Naturbegriff erinnert, der in II.2.1 zugrunde gelegt wurde: Natur ist demnach allgemein das, was nicht vom Menschen gemacht ist (und somit nicht auf menschliche Zwecke zurückgeht), sondern erst durch die jeweiligen Bezugnahmen als etwas (Zweckmäßiges) konstituiert wird. Hieraus ließe sich wiedemmein vorsichtiger Umgang mit Natur folgern, und zwar nicht, weil sich eine bestimmte Bezugnahme oder ein bestimmtes Verhältnis zu Natur als richtig erweisen könnte (etwa: dass eine Landschaft beeindmckend und daher zu erhalten ist), sondern weil Natur im Gegensatz zu Artefakten zweck- und bezugsoffen ist und daher ihre Erhaltung verschiedene Möglichkeiten der Bezugnahme offen hält - was in einer Freiheitsperspektive grundsätzlich vorzugswürdig erscheint (vgl. hierzu auch IV.4.1.e). Diese allgemeinen Orientierungsaussagen lassen sich zusammenfassend auf Leitbegriffe der Vorläufigkeit und des Offenhalten.~ bringen: Naturallokationen sollten so vorgenornn1en werden, dass die mit ihnen verbundene Substantiierung des Freiheitsbegriffs so weit wie möglich vorläufig bleibt, also möglichst wenig die Bedingungen der Anderen langfristig oder gar definitiv einschränkt und sich in andere Kontexte fortschreibt; und sie sollten so vorgenommen werden, dass absehbare Optionen- unabhängig davon, ob sie heute schon für bestimmte Zwecke als wertvoll erachtet werden - bereits kurzfristig möglichst wenig verschlossen werden. Je weniger Natur auf Basis unserer Zweckzuweisun130 Allerdings ist auch festzuhalten, dass eine weitreichende Flexibilisiemng der Umgangsformen mit Natur zumindest mit Blick auf andere Freiheitshereiche nicht nur vorteilhaft sein mag. So kann es etwa aus Gründen der Stabilität und (Planungs-)Sicherheit, die sich ja auch eine Quelle von Freiheit darstellt, notwendig sein, die Energieökonomie für die Bedarfsdeckung hinreichend fest zu verankern.
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gen definitiv transformiert und dadurch von unseren Zwecken bzw. Präferenzen vereinnahmt wird, umso geringer auch unser Eingriff in die zweckoffenen Bedingungen der Anderen. Dabei stellt zwar auch erhaltender Umgang mit Natur eine Entscheidung dar, die von unseren Präferenzen geleitet ist, doch ist die Fortschreibung dieser Präferenzen dadurch schwächer, dass die fernen Anderen mit nach wie vor zweckoffener (da nicht bzw. wenig transformierter) Natur und nicht mit partikular zweckmäßigen Artefakten konfrontiert sind. Der Leitbegriff der Vorläufigkeit stellt sich als naheliegende Konsequenz von Sens Konzeption dar: Er lässt sich aus dessen Grundsatz folgern, den Freiheitsbegriff in den kulturell partikularen Kontexten zu konkretisieren, kombiniert mit der Annahme, dass kultureller Wandel beständig geschieht und somit diese Kontexte ihrerseits vorläufige und beständig erneuerte Normenzusammenhänge darstellen. Dieser Aspekt ist allerdings im bisherigen Diskurs um die Konzeption kaum beachtet worden.
b)
Klugheitsethik und provisorische Naturbewertung
Mit diesen beiden Leitbegriffen und der Annahme, dass gegenüber den fernen Betroffenen keine zuverlässig >richtigen< Naturallokationen möglich sind, stellt sich die in diesen Orientierungsaussagen skizzierte Naturethik als Variante dessen dar, was Hubig (vgl. 2000, 2001, 2002) im interkulturellen und technikethischen Kontext als »provisorische Moral« vertritt: eine Ethik des Offenhaltens bzw. der Venneidung von Verunmöglichungen, welche auch ihre eigenen Bewertungen als immer nur provisorisch geltende versteht. Hubig bezieht sich dabei auf ein Konzept, das A. Luckner auf der Basis von R. Descartes entwickelt hat. 131 Hubig versteht provisorische Moral als eine Form der Klugheitsethik. Für diese sei kennzeichnend, dass sie (i) anerkennt, dass sich das Gute nicht in einem exklusiven Prinzip formulieren lässt (welches dann auch der Umweltökonomik zuverlässig >richtig< zugrunde gelegt werden könnte) und daher verschiedene Prinzipien konkurrieren bzw. konfligie131 Vgl. ausfuhrlieh in Luckner (2005: 141ff.). Descartes versucht in seinem Discours de Ia Methode (1637) aus einer fundamental zweifelnden Perspektive heraus mit eben jener nonnativen Ungewissheit umzugehen, mit der angesichts unbekannter und möglicherweise fundamental anderer Präferenzen von entfernten Menschen auch die Umweltökonomik konfrontiert ist. Allerdings ist das Provisorische bei Descartes seinerseits selbst nur vorläufig, der er die Hoffnung auf eine mögliche nonnativethische Gewissheit keineswegs aufgegeben hat und daher seine vorsichtigen Handlungsempfehlungen nur solange fiir notwendig hält, bis das nomadierende Suchen nach ethischer Gewissheit erfolgreich in einem festen Haus bzw. Gebäude klarer ethischer Prinzipien endet.
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ren (vgl. 2000: 304f.). Aus diesem Grund »wird das Gute als gelingendes Streben formal gefasst, und zwar im Blick auf den Gesamtlebensvollzug als Gelingendem« (ebd., Herv. F.S.). Für dieses Gelingen ist es (ii) zunächst notwendig, dass die Bedingungen des Wertens und Handeins nicht gefahrdet werden, auch nicht durch die vereinseitigende Orientierung an singulären Werten oder Prinzipien. Weiterhin ist (iii) die intellektuelle Tugend und Kompetenz der Urteilskraft ein für dieses Gelingen notwendiges Vermögen. Schließlich lassen sich (iv) die Diagnose von Problemlagen und das Abwägen von Handlungsalternativen »nicht von Individuen a11ein bewerkstelligen. Deshalb bedarf die Klugheitsethik ihrerseits einer institutionellen (politischen) Vervollkommnung: Erst durch die politisch realisierte Ermöglichung auf sachzwangbefreiten Foren sowie eine Ergänzung individue11er Erfahrungen hin zu einer Lebenserfahrung, deren Inhalte durch Erziehung und Bildung vermitteln werden, entstehen Klugheit und Urteilskraft.« (Ebd.) Die Entsprechungen dieser Grundannahmen mit Sens Konzeption bzw. dem, was bisher mit Blick auf den Umgang mit Natur gefolgert wurde, sind offensichtlich: Sen vertritt ebenfalls (i) ein formales Konzept des gelingenden Lebens, indem er auf die reale Freiheit abstellt, das jeweils partikular Gute sein oder tun zu können. Auch aus seiner Konzeption folgt (ii), wie oben gezeigt wurde, die Notwendigkeit des Erhalts bzw. der Gewährleistung jener Bedingungen, unter denen Menschen ein solches Gelingen real möglich ist. Dies schließt (iii) das empowerment der Menschen durch Erziehung, Bildung etc. ein, welches ihnen auch ermöglicht, als urteilsfahige Personen eigenständig und individuell werten und handeln zu können. Außerdem hatte sich (iv) auch die Formulierung und Erwägung von Problemen im öffentlichen Raum als zentrales Merkmal der Konzeption erwiesen. Indem auch die umweltökonomische Orientierung im Anschluss an Sen von eben diesen klugheitsethischen Grundannahmen sowie den Merkmalen einer provisorischen Moral geprägt ist, lässt sie sich daran anschließend als provisorische Umweltökonomik verstehen- eben als eine, die Naturbewertungen wegen der anerkannten normativen Ungewissheit mit zumindest zwischengesellschaftlich stets provisorischem Geltungsanspruch vornimmt und gerade hieraus zwischengesellschaftliche Akzeptabilität gewinnt. Die im vorigen Abschnitt allgemein fonnulierten Orientierungen scheinen allerdings weit reichende, starke Forderungen darzustellen was mit einer Ethik, die ihrem Selbstverständnis nach Aussagen mit provisorischem Geltungsanspruch trifft, auf den ersten Blick nicht vereinbar scheint. Zunächst sei deshalb daran erinnert, dass diese Aussagen
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konzeptionell als Orientierungen gefolgert werden, dass dies jedoch gerade nicht von der Notwendigkeit befreit, sich bei den eigentlichen Naturbewertungen (wenn auch unter Berücksichtigung der oben genannten Aspekte) selbst zu orientieren. Damit sind die Aussagen nicht der kritischen Reflexion entzogen. Dies schließt insbesondere den Abgleich mit anderen normativen Aussagesystemen ein. Gerade bei einer Anlehnung an Sens Ansatz ist zu beachten, dass aus diesem auch etwa im entwicklungspolitischen Kontext Forderungen abgeleitet werden können. Es besteht kein systematischer Vorrang des Umgangs mit Natur bzw. der damit verbundenen Orientierungen vor allen anderen Bereichen bzw. Anliegen, die mit einer Freiheitsperspektive einhergehen. Allerdings stellt sich bereits vor diesem Abgleich mit anderen Bereichen die Frage, welche normative Intensität die oben entwickelten Orientierungsaussagen haben. Klugheitsethik zielt in Abgrenzung zur Prinzipienethik nicht auf zweck-und situationsunabhängige, stark normative Ge- und Verbote bzw. kategorische Imperative ab (vgl. Luclmer 2002, 2005). Vielmehr geht es im Sinne einer nur schwachen Narrnativität um ratsames (nicht: gebotenes) Handeln und um die intellektuelle Tugend der Selbstorientierung an verschiedenen Gesichtspunkten. Dies resultiert aus einer für Klugheitsethiken konstitutiven »Skepsis bezüglich einer direkten handlungsorientierenden Funktion moralischer Normen« (Luckner 2002: 207): Wenn sich ein Schachspieler an das Spiel begibt, stehen die (normativen) Regeln zwar fest; allein bzw. direkt an ihnen kann sich der Spieler jedoch nicht orientieren, wenn er sich fragt, welcher Spielzug nun ratsam ist. Klugheitsetbische Erwägungen versuchen hingegen, pragmatische Imperative anzubieten, die bei bestimmten Zwecken und in bestimmten Situationen - etwa dem Schachspiel - der Selbstorientierung helfen, dabei aber eben auch nur situativen, provisorischen Geltungsanspruch haben. Reduzieren sich daher die allgemeine Orientierung, Bedingungen des Wählenkönnens zu erhalten, und die Orientierung, Optionen offen zu halten, auf normativ schwache Gesichtspunkte der Selbstorientierung? Gerade aus der klugheitsetbischen Annahme, dass keine Vereinseitigungen zugunsten bestimmter Werte oder Prinzipien vorgenommen werden sollen, wäre ja zu folgern, dass diese Orientierungen nur einen schwachen Status haben können. Jedoch bezieht sich die klugheitsetbische Zurückhaltung mit Blick auf normativ starke Aussagen und ihre Favorisierung von situationsspezifischer Urteilskraft auf den Bereich des konkreten Handeins bei (jeweils) gegebenen Zwecken. Davon zu unterscheiden ist der Bereich der Möglichkeitsbedingungen flir dieses Handeln. Zu diesen Bedingungen zählt auch Natur. Insofern ist die Anwendung kluger Urteilskraft auf der Ebene konkreten Bewertens und Handeins in den Rahmen der normativ
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starken Forderungen von Vorläufigkeit, Reversibilität und des Offenhaltens von Optionen eingebettet zu denken. »[ ... ] ob uns geboten ist, [ ... ] dem Umweltschutz höchste Priorität einzuräumen, sind dabei im Grunde gar keine Orientierungsfragen, weil sie lediglich die Bedingungen der Möglichkeit flir die Erhaltung der Orientienmgsbereiche des Handelns, also den Rahmen des Erlaubten betreffen.« (Luckner 2002: 216) So können die oben abgeleiteten Grundorientierungen auch aus klugheitsethischer Perspektive als notwendiger Rahmen in einem starken Sinne verstanden werden. Genauer: Gerade wenn man der klugheitsetbischen Annahme folgt, dass normative Prinzipien irreduzibel konkurrieren, so dass Prinzipien des Umgangs mit Natur in ihrer Richtigkeit ftir die weit entfemten Menschen nicht abgesichert werden können, dann ist auch für eine provisorische Umweltökonomik die Grundorientierung, die Bedingungen der Möglichkeit des jeweiligen Handeins zu erhalten, ein notwendiges, starkes und nicht nur provisorisches Rahmengebot In dieser Perspektive bezieht sich die klugheitsetbische Provisorik der Naturallokationen also nicht darauf, ob das Ziel des Bedingungserhalts zu verfolgen ist, sondern durch welchen Umgang mit Natur. Die Skepsis gegenüber normativen Prinzipien trifft vor allem die Möglichkeit, dem allgemeinen Ziel des Bedingungserhalts mit bestimmten Handlungsprinzipien - Naturallokationsprinzipien - eindeutig und für die Betroffenen akzeptabel entsprechen zu können. Es sind diese Prinzipien, deren Akzeptabilität zwischengesellschaftlich problematisch ist (im Gegensatz zur Akzeptabilität des basalen Werts Freiheit bzw. des grundlegenden Bedingungserhalts als solchem) und die daher nicht exklusiv und vereinseitigend zum Tragen kommen sollen. Umso mehr sind daher die konkreten Naturbewertungen in ihrer Bemühung, zwischengesellschaftlich akzeptabel zu sein, erstens auf die oben genannten Grundorientierungen zurückverwiesen, provisorisch zu bleiben und möglichst keine Umgangsformen mit Natur (definitiv) festzuschreiben. Zweitens aber sind sie in Ermangelung substantieller Allokationsprinzipien auf den politischen Raum der Erwägung zurückverwiesen, einschließlich der Anwendung kluger Urteilskraft, welche die konkreten Orientierungen des Handeins (also die Naturallokationen) zumindest in zwischengesellschaftlicher Perspektive nicht aus der Idee eindeutiger Richtigkeit gewinnt, soudem aus schwach normativen Gesichtspunkten und der leitenden Idee der Ratsamkeit. Aus klugheitsethischer Sicht ist dies so, weil starke Prinzipien die eigene Reflexion des konkreten Handeins hinsichtlich seiner Ratsamkeit nicht ersetzen können und außerdem nicht exklusiv und vereinseitigend zur Anwendung kommen sollten; aus Sicht dieser Arbeit ist dies umso mehr so, als starke Prinzipien ftir das konkrete Handeln bzw. die Bewertung und Allokation
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von Natur zumindest zwischengesellschaftlich akzeptabel gar nicht zur Verfügung stehen.
c)
Zur Berücksichtigung der fernen Anderen als prozeduralem Minimum
Hiermit schließt sich der Kreis zurück zu Sen, der ja in seiner politischen Konzeption ebenfalls anstelle von substantiellen Prinzipien die öffentliche Erwägung favorisiert. Allerdings bezieht sich Sen begrifflich nicht auf klugheitsetbische Überlegungen, obwohl für die Praxis seiner Konzeption praktische Klugheit bei den Bürgern in hohem Maße notwendig ist- und zwar nicht nur im Sinne einer Kompetenz, denn dies ist in Sens Perspektive der capabilities und des empowerments impliziert132, sondern neben diesen Kompetenz- und Bedingungsaspekten auch im Sinne einer Tugend oder Haltung. Dieser tugendethische Aspekt kann hier nicht im Detail vertieft werden; auch kann nicht ausbuchstabiert werden, welche Tugenden sich dabei als relevant darstellen, wie sie konzeptionell zu integrieren wären o.ä.133 Jedoch ist zumindest eine bestimmte Grundhaltung auch in der hier entwickelten, normativ schwachen Perspektive bereits als Anspruch an die Menschen impliziert: die fundamentale Haltung nämlich, dass die fernen Betroffenen überhaupt in dem Sinne grundlegend als Menschen anerkannt werden, die ihre jeweils eigenen Vorstellungen des Guten praktizieren können sollten, die insofern auch nur mit Naturallokationen unsererseits konfrontiert sein sollten, welche zumindest ihrer Intention gemäß sowie aufgrund ihrer normativen Referenzen überhaupt akzeptabel sind. Diese Haltung resultiert aus der Ausgangsprämisse der Untersuchung, dass Umweltherrschaft überhaupt rechtfertigungspflichtig ist und daher, wenn sie schon unvermeidlich ist, diesem Anspruch genügen soll132 Hier wäre neben personalen Bedingungen wie Ausdrucksfahigkeit, reale Freiheit zur Teilnahme an Deliberationen etc. auch an institutionelle Bedingungen zu erinnern, die flir das Gelingen der deliberativen Praxis notwendig sind: zugängliche Foren, hinreichende Verhandlungszeit etc. 133 Dies kann vielmehr als ein allgemeines Desiderat angesehen werden, da sich Sens Konzeption hinsichtlich ihrer Realisierung im politischen Raum, insbesondere in der Deliberation, auf Bürgertugenden stützt, diese aber voraussetzt, ohne sie als eine Anforderung an den Menschen als Bürger näher zu begründen. So ist etwa die Annahme von Menschen als Bürgern mit sozial engagierten Werthaltungen (agency-Annahme, vgl. IV.4.1.b, IV.S.l.b) bisher kaum ausbuchstabiert, systematisch in die Konzeption integriert oder gar soziologisch untermauett. Die vorliegende Arbeit versucht eine Untermauerung des allgemeinen politischen Anspruchs an Bürger eines Gemeinwesens in einem späteren Abschnitt, unter Rückgriff auf Bestandteile von Sens Konzeption.
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te. Sie ist umso mehr zu thematisieren, als sie aus der Perspektive einer provisorischen Umweltökonomik heraus so etwas wie ein prozedurales Minimum darstellt. Denn mit der Anerkennung der normativen Ungewissheit, aus der die Provisorik der Naturallokationen resultiert, ist es gleichfalls urunöglich, einen bestimmten Natummgang im Sinne eines materiellen Minimums konzeptionell als den zwischengesellschaftlich richtigen Bedingungserhalt zu identifizieren. Solche Untergrenzen können zwar innerhalb eines gesellschaftlichen Kontextes etwa als Umweltgesetze einen starken normativen Status erlangen. In einer zwischengesellschaftlichen Perspektive können sie sich hingegen immer nur als kontingente und daher nicht notwendig erfolgreiche Bemühung darstellen, den fernen Betroffenen gerecht zu werden (vgl. weiterführend V.4.l.b). Hinsichtlich der naheliegenden Frage, hinter welchen normativen Standard wir denn - bei aller normativen Ungewissheit- auch zwischengesellschaftlich nicht zurück können, ohne das ethische Unternehmen der akzeptablen Rechtfertigung von Umweltherrschaft aufzugeben, lässt sich also statt eines materiellen ökologischen Minimums nur diese Grundhaltung anführen, die in der Erwägung von Naturallokationen allgemein die advokatarische Berücksichtigung der Interessen der fernen Anderen impliziert. Dies wirft die Frage auf, ob die hier entwickelte Konzeption nicht bereits auf einer theoretischen Ebene in einem Dilemma gefangen ist: Einerseits soll mangels normativer Gewissheit nicht ein bestimmter Naturumgang vereinseitigend als der richtige postuliert werden. Andererseits passt es nicht zu dem Gmndtenor einer provisorischen Umweltökonomik, dass die jeweilige Entscheidung über den Natummgang derart den deliberativen Verhandlungen der Menschen >ausgeliefert< sein soll, dass riskiert wird, dass diese sich für umfangreiche Naturtransformationen und damit verbunden Umweltherrschaft entscheiden. Dies ist ja umso mehr vorstellbar, als die entfernten Betroffenen keine politische Möglichkeit zur Durchsetzung ihrer Interessen haben und somit Allokationen, die ihnen gegenüber rücksichtslose sind, keine Sanktionen auslösen würden. Einerseits will die Konzeption den Menschen also in einem prozeduralen Sinne einräumen, in den deliberativen Verhandlungen Entscheidungen zu treffen, ohne darin schon durch substantielle Prinzipien (materielle Naturerhaltsvorgaben) eingeschränkt zu sein; andererseits kann sie aber auch nicht in einem ergebnisbezogenen Sinne zulassen, dass die Naturallokationen der Einen die Freiheiten der Anderen verletzen. Da nun die prozedurale und die ergebnisbezogene Facette von Freiheit in Sens Konzeption gleichermaßen zentrale Positionen einnehmen, kann nicht theoretisch abgeleitet werden, ob das - wie auch immer ausfallende- Ergebnis von deliberativen Verhandlungen prozedural Priori215
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tät hat oder ob die starke Orientierung des Bedingungserhalts nicht doch den möglichen Verhandlungsergebnissen konzeptionelle Grenzen setzt. Wie ist hiermit umzugehen? Die Problematik, dass verschiedene Freiheiten konfligieren, liegt auch in anderem Zusammenhang vor, nämlich wenn die materiellen Ausstattungen, die für reale Freiheit notwendig sind, eine steuerfinanzierte staatliche Bereitstellung mit sich bringen: Es sind dann die damit jeweils verbundenen Ansprüche oder Rechte Zugangsrechte zu notwendigen Ressourcen sowie Abwehrrechte zur Wahrung des Eigentums - in ein kohärentes System zu bringen (vgl. IV.3.2.c.ii). Der konzeptionsimmanente Konflikt zwischen verschiedenen Rechten bzw. Freiheiten ist also im politischen Raum zu handhaben. Dadurch wird er in die Verantwortung der Verhandelnden übergeben. Dass Sens politische Konzeption anstelle apriorischer Festlegungen den Menschen die Möglichkeit und Notwendigkeit bewahrt, selbst darüber zu entscheiden, wie ihre Gesellschaft konkret gestaltet sein soll, hat also die Kehrseite, dass die Konzeption in hohem Maße auf die politische Entscheidung vertraut- was gewissermaßen die positive Formulierung des >Sich-Auslieferns< darstellt. Hierin schwingt ein hoher Anspruch an die Menschen als Bürger mit. Umso wichtiger ist es, das bisher wenig untersuchte tugendethische Fundament von Sens Konzeption auszuloten, was jedoch hier nicht möglich ist. Konzeptionell kann das erwähnte Dilemma nicht aufgelöst werden - weder durch Sens eigene Konzeption noch durch eine provisorische Umweltökonomik. Es bleibt das Vertrauen darauf, dass Urteilskraft, wenn sie den Menschen denn real möglich ist, als moralisch verantwortliche Haltung in der Praxis tatsächlich zur Anwendung kommt und das Dilemma zumindest insofern auflösen kann, dass die allgemeine Orientierung des Bedingungserhalts zugunsten der fernen Betroffenen ernsthaft berücksichtigt wird. 134 134 Das heißt auch, dass eine Gesellschaft nicht bestimmte Naturallokationen gegen die (prozedurale) Freiheit von Menschen umweltpolitisch durchsetzen darf. Dabei ist weniger das allgemeine Demokratieproblem gemeint, dass Naturallokationen aufgrund einer Mehrheitsentscheidung gegen die Minderheit umgesetzt würden. Hier ist vielmehr eine zwischengesellschaftliche Dominanz von Interesse: Wenn die Heutigen auch nach der Deliberation - sogar einstimmig, ohne Mehrheitsdominanz - eine stark transformative Naturallokation beschließen, wird ihre prozedurale Freiheit in der Umsetzung dieser Entscheidung gewah1t bzw. realisiert. Wenn diese Naturallokation jedoch (opportunity- )Freiheiten Anderer derart beeinträchtigt, dass die fundamentale Orientierung des Bedingungserhalts verletzt wird, stellt sie sich in Rekurs auf die hier entwickelte Konzeption auch als illegitim dar. Soll also die Bewahrung der Freiheiten der Zukünftigen gegen die Freiheit der heute Entscheidenden durchgesetzt werden? Bei Hans Jonas etwa steht dem »Prinzip Verantwortung« (1979) nicht wie bei Sen Freiheit so grundlegend ge-
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Man mag dies unbefriedigend finden. Doch die Alternative wäre, bereits auf der konzeptionellen Ebene bestimmte ökologische Standards nicht nur festzusetzen, sondern auch als zwischengesellschaftlich richtig zu verstehen; dies geht jedoch nicht mit der Annahme zusammen, dass Natur in dem, was sie für die Menschen ist, kulturell konstituiert wird und darin fundamental verschieden sein kann. Aufgrund der Unmöglichkeit, die >richtigen< Bedingungen - im Sinne ökologischer Bestände etc. - zu kennen bzw. zu postulieren, stellt sich die Grundorientierung des Bedingungserhalts zusammen mit den daraus abgeleiteten negativen Handlungsregeln als ein abstraktes Ziel dar, welches gerade nicht unmittelbar handlungsorientierend sein kann. Dieses Ziel ist als Leitidee zu verstehen, die nicht außerhalb des politischen Kontextes ausbuchstabiert werden kann sowie deren politische Ausbuchstabierung nicht notwendig jenseits dieses Kontextes gelten kann. Durch diese Verlagerung in den politischen Raum rücken die Tugend und Kompetenz der klugen Selbstorientierung für konkretes Handeln umso mehr in den Vordergrund. Um den Grundgedanken einer provisorischen Naturbewertung und Umweltökonomik genauer zu fassen, können daher im Weiteren (V.3) zwar Konkretisienmgen zu Bewertung von alternativen Naturallokationen vorgeschlagen werden. Jedoch haben diese zumindest in der zwischengesellschaftlichen Perspektive nur den Status von Gesichtspunkten, nicht von normativen Prinzipien; ob solche Aussagen in der politischen Praxis (V.4) darüber hinaus normativ stärkeren Status erhalten, ist eine Frage der partikularen Gesellschaftsgestaltung. Indem sie als Gesichtspunkte vorgeschlagen werden, kann hier also eine theoretische Konkretisierung vorgenommen werden, ohne jedoch dabei die offene Programmatik bereits konzeptionell - also vor ihrer Konkretisierung in der politischen Praxis - mit starken umweltökonomischen Prinzipien zu verengen. genüber, dass systematisch ausgeschlossen wäre, dass Naturerhalt auch diktatorisch durchgesetzt werden darf. Dahingestellt, inwiefern Jonas dies erwogen hat (hierzu Reese-Schäfer 1997: 205ff., Werner 1994: 321ff.): Man kann mit ihm zu einer Ökodiktatur gelangen insofern, als der Erhalt des Lebens Vorrang vor der Freiheit des Einzelnen hat. Dann stellt sich nicht mehr die Frage, was zu tun ist, wenn Menschen sich gegen Naturerhalt entscheiden; dessen Durchsetzung liegt auf der Hand. Dagegen sind bei Sen erstens Menschen gegenüber Menschen verantwortlich (und nicht gegenüber der Natur selbst, was die Genese der Pflichten bei Jonas für die Pflichtenträger wenig nachvollziehbar und damit problematisch macht). Dadurch ist Politik stets verantwortlich. Zweitens ist Politik auch an die Freiheit der individuellen Menschen (und nicht nur an das Leben der Menschen als Kollektiv) gebunden. Beides lässt keine Ökodiktatur zu. So muss auch hier die partizipative Entscheidung der Heutigen respektiert werden.
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V.3. Zwischengesellschaftlich akzeptable Naturbewertung In den letzten beiden Abschnitten wurde gezeigt, (V. I) was folgt, wenn die beiden zentralen Referenzen von Sens Konzeption der Bewertung von Natur zugrunde gelegt werden, sowie (V.2) inwiefern - im Unterschied zum wohlfahrtsökonomischen Referenzrahmen - Umweltherrschaft, die aus solchen Naturbewertungen folgt, zwischengesellschaftlich akzeptabel rechtfertigt werden kann. In diesem Abschnitt V.3 wird nun analysiert, inwiefern in der Freiheitsperspektive basierend auf Sen und im Einklang mit diesen bisherigen Ergebnissen Natur wahrgenommen (V.3.1) bzw. zur Bewertung gemäß der Ergebnisreferenz Freiheit erfasst werden kann (V.3.2). In einer ergebnisbezogenen Perspektive werden dabei konkretere Bewertungsaspekte eruiert, anhand derer die eigentliche Bewertung vorgenommen werden kann. In einer modusbezogenen Perspektive wird dann untersucht, wie sich die Modalreferenz der Deliberation auswirkt (V.3.3).
V.3.1. Wahrnehmung von Natur im Anschluss an Sen Sens eigene Ausführungen hatten eine der wohlfahrtsökonomischen ähnliche Perspektive auf Natur offenbart: Diese wurde als Pool produktiver und in dieser (!) Produktivität grundsätzlich substituierbarer materieller Ressourcen verstanden (vgl. IV.7.2). Dies deutet erstens auf eine Auffassung von Natur als etwas beobachterunabhängig Objektivem, neutral Gegenständlichem. Es fehlt offenbar ein Bewusstsein um die Kulturalität von Natur, nämlich ihre kontingente Konstituierung als das, was sie in den Augen des jeweiligen Betrachters >istgood enough< is not good enough«. ln: Alexander Kaufman (Hg.), S. 17-43.
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