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German Pages 376 Year 2006
Schriften zum Umweltrecht Band 146
Umweltabgaben zur Ökologisierung der Landwirtschaft Von
Stefan Möckel
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
STEFAN MÖCKEL
Umweltabgaben zur Ökologisierung der Landwirtschaft
Schriften zum Umweltrecht Herausgegeben von Prof. Dr. Michael Kloepfer, Berlin
Band 146
Umweltabgaben zur Ökologisierung der Landwirtschaft
Von
Stefan Möckel
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
Gefördert durch das Stipendienprogramm der Deutschen Bundesstiftung Umwelt. Die Juristische Fakultät der Universität Leipzig hat diese Arbeit im Jahre 2005 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten # 2006 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0935-4247 ISBN 3-428-12098-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Christine und Frank Möckel
Vorwort Der Schutz der Umwelt dient der Freiheit der Menschen und der zukünftigen Generationen. Obwohl in Deutschland zum Teil ein hoher Standard im Umweltschutz erreicht ist, weist die Landwirtschaft noch Defizite auf. Die Landwirtschaft kennzeichnet eine große Flächeninanspruchnahme mit weitreichenden Umweltauswirkungen, ein schwieriges Marktumfeld und erhebliche finanzielle Unterstützungen durch die Europäische Gemeinschaft und Deutschland. Die Umweltbelastung mit ökonomischen Steuerungsinstrumenten zu verbessern, ohne den Landwirten ihre Existenzgrundlage zu entziehen, ist Ziel dieser Dissertation. Danken möchte ich Prof. Dr. Christoph Enders für die intensive Betreuung und die Erstellung des Erstgutachtens sowie Prof. Dr. Wolfgang Köck und Prof. Dr. Michael Rodi für die Erstellung des Zweit- und Drittgutachtens. Mein Dank gilt der Deutschen Bundesstiftung Umwelt, Osnabrück, und ihren engagierten Mitarbeitern. Für ihre Unterstützung danken möchte ich Lydia Peruth, Christine Möckel, Frank Möckel, Marika Ehm, Lore Möckel, Klaus Möckel, Karl Schubert, Günther Schubert, Marianne Schulze und Oskar Schulze. Halle (Saale), im November 2005
Stefan Möckel
Inhaltsverzeichnis Einleitung ...................................................................................................................... 25
Erster Teil Notwendigkeit ökonomischer Lenkungsinstrumente zur Ökologisierung der Landwirtschaft
27
§ 1 Umweltprobleme der Landwirtschaft in Deutschland...................................... 27 A. Arten- und Biotopschwund ............................................................................... 27 B. Bodenbeeinträchtigung ..................................................................................... 29 C. Gewässerbelastung ........................................................................................... 30 D. Luftbelastung .................................................................................................... 31 E. Lebensmittelbelastung ...................................................................................... 32 § 2 Gegenwärtige Bewältigung der landwirtschaftlichen Umweltprobleme durch Politik und Recht ........................................................ 33 A. Einsatz von Subventionen................................................................................. 35 B. Einsatz ordnungsrechtlicher Regelungen.......................................................... 40 § 3 Umweltabgaben als alternatives Instrument im Umweltschutz....................... 47 A. Ökonomische Konzeption von Umweltabgaben............................................... 47 I. Defizite einer vollständigen Internalisierung der externen Umweltkosten .............................................................................. 48 II. Konzept eines politischen Steuerungsmodells (Standard-PreisAnsatz) ....................................................................................................... 49 B. Lenkungspolitische Vor- und Nachteile von Umweltabgaben.......................... 50 C. Exkurs: Umweltabgaben versus Zertifikate und Kontingente .......................... 53
10
Inhaltsverzeichnis Zweiter Teil Steuer- und Abgabenmodelle zur ökologischen Ausrichtung der Landwirtschaft
56
§ 4 Ziele und Anknüpfungspunkte von Umweltabgaben zur Ökologisierung der Landwirtschaft ................................................................... 56 § 5 Ökologische Ausrichtung der Grundsteuer....................................................... 61 A. Gegenwärtige Ausgestaltung und Reformbedürftigkeit der Grundsteuer ................................................................................................ 61 B. Möglichkeiten einer Lenkung landwirtschaftlicher Bewirtschaftungsweisen ................................................................................... 63 C. Ökologische und ökonomische Folgenabschätzung einer Differenzierung................................................................................................. 66 D. Zusammenfassung ............................................................................................ 67 § 6 Ökologische Ausrichtung der Umsatzsteuer...................................................... 69 A. Gegenwärtige Umsatzsteuersysteme................................................................. 69 B. Änderungsmöglichkeiten .................................................................................. 71 § 7 Möglichkeiten der Belastung des Einsatzes von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln mit Abgaben................................................................... 74 A. Studien, Erfahrungen und Vorschläge in der Europäischen Gemeinschaft und in Deutschland .................................................................... 74 I. Studien zu Abgaben auf Pflanzenschutzmittel im Auftrag der Europäischen Kommission ......................................................................... 74 1. Studie von Oskam, Vijftigschild und Graveland ................................... 75 2. Studie von Hoevenagel, van Noort und de Kok .................................... 76 II. Erfahrungen in anderen Mitgliedstaaten..................................................... 79 1. Schweden............................................................................................... 79 2. Dänemark .............................................................................................. 80 3. Niederlande ........................................................................................... 83 4. Österreich .............................................................................................. 85 5. Finnland................................................................................................. 87
Inhaltsverzeichnis
11
III. Diskussion in Deutschland ......................................................................... 88 B. Ausgestaltungsmöglichkeiten von Abgaben auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel......................................................................................... 89 I. Abgabe auf Düngemittel............................................................................. 89 1. Anknüpfungspunkte für eine Abgabe .................................................... 90 a) Handelbarer Mineraldünger.............................................................. 90 b) Wirtschaftsdünger............................................................................. 92 c) Nährstoffüberschuss ......................................................................... 94 d) Nährstoffgehalt im Boden................................................................. 95 2. Abgabesatz und seine ökologischen sowie ökonomischen Auswirkungen........................................................................................ 95 II. Abgabe auf Pflanzenschutzmittel ............................................................... 98 1. Differenzierung nach den Umweltgefahren........................................... 99 2. Differenzierung nach festgelegten Standarddosen............................... 112 3. Abgabesatz und seine ökologischen sowie ökonomischen Auswirkungen...................................................................................... 117 III. Exkurs: Finanzieller Ausgleich ................................................................ 120 C. Zusammenfassung .......................................................................................... 121
Dritter Teil Europarechtliche Zulässigkeit von Umweltabgaben zur Ökologisierung der Landwirtschaft
124
§ 8 Primärrechtliche Schranken............................................................................. 126 A. Souveränität der Mitgliedstaaten im Steuer- und Abgabenrecht..................... 127 B. Verbot abgabenrechtlicher Diskriminierungen nach Art. 90 EGV ................ 128 I. Maßstab für Umweltabgaben .................................................................... 128 II. Vereinbarkeit der vorgeschlagenen Umweltabgaben mit Art. 90 EGV ... 131 1. Änderung der Umsatzsteuer ................................................................. 131 2. Abgaben auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel ................................... 133 C. Beschränkungsverbot in Art. 28 EGV ........................................................... 134
12
Inhaltsverzeichnis D. Gemeinsame Agrarpolitik gemäß Art. 32 ff. EGV ........................................ 135 I. Kompetenzabgrenzung zwischen nationalem Steuer- und Abgabenrecht und der Gemeinsamen Agrarpolitik .................................. 137 II. Vereinbarkeit der vorgeschlagenen Umweltabgaben mit Art. 32 ff. EGV ........................................................................................ 139 1. Relevanz und Umfang der Prüfung ..................................................... 139 a) Einfluss auf die Preisbildung oder die Struktur der landwirtschaftlichen Betriebe ......................................................... 140 b) Behinderung des Funktionierens der Mechanismen der gemeinsamen Marktorganisationen ................................................ 142 2. Änderung der Grundsteuer .................................................................. 146 3. Änderung der Umsatzsteuer ................................................................ 148 4. Abgaben auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel................................... 150 E. Unzulässigkeit von Beihilfen gemäß Art. 87 EGV ........................................ 152 I. Anwendbarkeit für abgabenrechtliche Ermäßigungen und Befreiungen .............................................................................................. 153 II. Vereinbarkeit der vorgeschlagenen Umweltabgaben mit Art. 87 EGV ............................................................................................ 157 1. Änderung der Grundsteuer .................................................................. 157 2. Änderung der Umsatzsteuer ................................................................ 159 3. Abgaben auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel................................... 160 F. Allgemeiner Gleichheitsgrundsatz.................................................................. 161 G. Zusammenfassung .......................................................................................... 162
§ 9 Abkommen im Rahmen der World Trade Organisation ............................... 165 § 10 Sekundärrechtliche Schranken......................................................................... 167 A. Änderung der Umsatzsteuer............................................................................ 168 I. Regelung der ermäßigten Steuersätze in Art. 12 Abs. 3 a) und 4 i. V. m. Anhang H der 6. EG-Umsatzsteuer-Richtlinie ............................ 168 II. Gemeinsame Pauschalregelung für landwirtschaftliche Erzeuger in Art. 25 der 6. EG-Umsatzsteuer-Richtlinie .......................................... 170 B. Abgaben auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel.............................................. 173
Inhaltsverzeichnis
13
I. Regelungen zu Düngemitteln ................................................................... 174 1. Richtlinie 76/116/EWG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten für Düngemittel.................................................... 174 2. Richtlinie 86/278/EWG über den Schutz der Umwelt und Böden bei der Verwendung von Klärschlamm in der Landwirtschaft ............ 174 3. Richtlinie 91/676/EWG zum Schutz der Gewässer vor Verunreinigung durch Nitrat aus landwirtschaftlichen Quellen .......... 175 II. Regelungen zu Pflanzenschutzmitteln ...................................................... 175 1. Richtlinie 91/414/EWG über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln.......................................................................... 175 2. Richtlinie 67/548/EWG über die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung gefährlicher Stoffe ..................................................... 176 a) Anwendbarkeit von Artikel 30 der Richtlinie auf Pflanzenschutzmittel....................................................................... 177 b) Beschränkung des Inverkehrbringens gefährlicher Stoffe im Sinne von Art. 30 der Richtlinie................................................ 178 c) Anwendbarkeit von Art. 30 der Richtlinie auf Abgaben ................ 178 d) Abgabenrechtliche Anknüpfung als schutzverstärkende Maßnahme nach Art. 95 Abs. 4 und 5 EGV oder Art. 176 EGV .......... 181 3. Richtlinie 1999/45/EG über die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung gefährlicher Zubereitungen ........................................ 187 III. Regelungen zu Verbrauchsteuern ............................................................. 188 1. Richtlinie 92/12/EWG über das allgemeine System, den Besitz, die Beförderung und die Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger Waren .................................................................................................. 188 2. 6. EG-Umsatzsteuer-Richtlinie............................................................ 191 C. Zusammenfassung .......................................................................................... 192
Vierter Teil Verfassungsrechtliche Zulässigkeit von Umweltabgaben zur Ökologisierung der Landwirtschaft
194
§ 11 Verfassungsrechtliche Finanzordnung............................................................. 196 A. Verfassungsrechtlicher Steuerbegriff.............................................................. 196
14
Inhaltsverzeichnis I. Allgemeine Legitimation von Steuern...................................................... 198 II. Legitimer Anknüpfungsgegenstand von Steuern...................................... 199 B. Gesetzgebungskompetenz............................................................................... 201 I. Neue Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 72 Abs. 2 GG................................................................................................. 201 II. Regelungswidersprüche zwischen Steuer- und Sachgesetzgeber – doppelte Gesetzgebungskompetenz oder Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung? .................................................................................. 203 C. Vereinbarkeit der vorgeschlagenen Umweltabgaben mit der Finanzordnung ................................................................................................ 208 I. Änderung der Grundsteuer ....................................................................... 208 1. Steuerliche Gesetzgebungskompetenz................................................. 209 2. Widersprüche gegenüber Sachregelungen........................................... 211 II. Änderung der Umsatzsteuer ..................................................................... 213 III. Abgaben auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel ....................................... 213 1. Verhältnis der Sonderabgaben zu den Steuern. ................................... 214 2. Verfassungsrechtlicher Steuerbegriff .................................................. 218 3. Steuerfindungsrecht des Bundes bzw. der Länder. .............................. 219 a) Schutz der Finanzverteilung nach Art. 106 GG.............................. 221 b) Schutz der Bürger ........................................................................... 223 c) Sonderabgaben als Ersatz für ein Steuerfindungsrecht................... 224 4. Subsumtion von Steuern auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel unter den Begriff der Verbrauchsteuer ................................................ 224 D. Zusammenfassung .......................................................................................... 231
§ 12 Freiheitsgrundrechte ......................................................................................... 233 A. Grundrechtsprüfung von Lenkungssteuern im Allgemeinen .......................... 235 I. Bestimmung des Eingriffsbegriffs ............................................................ 235 II. Wirkungen von Lenkungssteuern ............................................................. 238 1. Belastungswirkung .............................................................................. 240 2. Gestaltungswirkung ............................................................................. 240 III. Rechtfertigungsmaßstab bei Lenkungssteuern ......................................... 243
Inhaltsverzeichnis
15
1. Anwendbarkeit des Verhältnismäßigkeitsprinzips bei Lenkungssteuern.................................................................................. 245 2. Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsprinzips bei Umweltsteuern..................................................................................... 248 a) Öffentlicher Zweck......................................................................... 248 b) Geeignetheit.................................................................................... 248 c) Erforderlichkeit............................................................................... 250 d) Angemessenheit.............................................................................. 252 B. Bei Umweltsteuern im Agrarbereich relevante Freiheitsgrundrechte ............. 254 I. Berufsfreiheit – Art. 12 Abs. 1 GG........................................................... 254 1. Allgemeine Anforderungen für Umweltsteuern .................................. 254 2. Vereinbarkeit der vorgeschlagenen Umweltsteuern mit Art. 12 Abs. 1 GG............................................................................................ 257 a) Änderung der Grundsteuer ............................................................. 257 b) Änderung der Umsatzsteuer ........................................................... 260 c) Steuern auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel................................ 262 II. Eigentumsgarantie – Art. 14 Abs. 1 GG................................................... 264 1. Allgemeine Anforderungen an Umweltsteuern ................................... 264 a) Belastungswirkung ......................................................................... 265 b) Gestaltungswirkungen .................................................................... 271 2. Vereinbarkeit der vorgeschlagenen Umweltsteuern mit Art. 14 Abs. 1 GG............................................................................................ 272 a) Änderung der Grundsteuer ............................................................. 272 b) Änderung der Umsatzsteuer ........................................................... 275 c) Steuern auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel................................ 276 III. Schutz des Existenzminimums – Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG................................................................................................. 277 C. Zusammenfassung .......................................................................................... 279 § 13 Gleichheitsgrundsatz ......................................................................................... 282 A. Allgemeine Dogmatik des Gleichheitsgebots ................................................. 284 I. Bestimmung objektiver Gerechtigkeitsmaßstäbe...................................... 286
16
Inhaltsverzeichnis II. Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips......................................... 290 III. Gesetzesvorbehalt..................................................................................... 290 IV. Schlussfolgerung ...................................................................................... 292 B. Gerechtigkeitsmaßstäbe bei Umweltsteuern ................................................... 292 I. Leistungsfähigkeitsprinzip als Gerechtigkeitsmaßstab hinsichtlich des Finanzierungszwecks ......................................................................... 293 II. Verursacherprinzip als Gerechtigkeitsmaßstab bei Umweltschutzzielen ................................................................................. 296 III. Konflikt von Leistungsfähigkeitsprinzip und Verursacherprinzip............ 299 IV. Exkurs: Gerechtigkeitsmaßstäbe bei Umweltsonderabgaben ................... 302 C. Vereinbarkeit der vorgeschlagenen Umweltabgaben mit Art. 3 Abs. 1 GG ....................................................................................................... 302 I. Änderung der Grundsteuer ....................................................................... 302 II. Änderung der Umsatzsteuer ..................................................................... 306 III. Steuern auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel.......................................... 311 D. Zusammenfassung .......................................................................................... 312
Fünfter Teil Möglichkeiten einer Ökologisierung der Landwirtschaft mittels Umweltabgaben durch die Europäische Gemeinschaft
314
§ 14 Steuer- und abgabenrechtliche Kompetenzen der Europäischen Gemeinschaft zur Ökologisierung der Landwirtschaft .................................. 315 A. Art. 93 EGV – Kompetenz zur Harmonisierung der indirekten Steuern......... 317 B. Art. 95 EGV – Harmonisierungskompetenz zur Verwirklichung des Binnenmarktes ................................................................................................ 318 C. Art. 94 EGV – Harmonisierungskompetenz zur Verwirklichung des Gemeinsamen Marktes ................................................................................... 320 D. Art. 175 Abs. 2 EGV – Kompetenz für umweltrechtliche Vorschriften überwiegend steuerlicher Art.......................................................................... 321 E. Art. 37 Abs. 2 EGV i. V. m. Art. 34 Abs. 2, 35 EGV – Kompetenz zur Regelung der Gemeinsamen Agrarpolitik....................................................... 324
Inhaltsverzeichnis
17
I. Verhältnis von Art. 37 EGV zu Art. 175 EGV ......................................... 325 II. Verhältnis von Art. 37 EGV zu Art. 93, 94 EGV ..................................... 327 III. Verhältnis von Art. 37 EGV zu Art. 152 EGV ......................................... 328 IV. Ergebnis.................................................................................................... 328 F. Art. 152 EGV – Kompetenz für Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung .......................................................................... 329 G. Art. 269 EGV – Kompetenz zur Erhebung von Eigenmitteln der Gemeinschaft .................................................................................................. 330 H. Zusammenfassung .......................................................................................... 331 § 15 Kompetenzen der Europäischen Gemeinschaft zur Verwirklichung der vorgeschlagenen Umweltsteuern................................................................ 332 A. Kompetenz zur ökologischen Ausrichtung der Grundsteuer........................... 332 B. Kompetenz zur ökologischen Ausrichtung der Umsatzsteuer......................... 333 C. Kompetenz für die Einführung von Steuern auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel....................................................................................... 335 D. Zusammenfassung .......................................................................................... 338 Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse.................................................... 339 Literaturverzeichnis ................................................................................................... 352 Sachregister................................................................................................................. 372
Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Ausgestaltungsmöglichkeiten einer Pestizidabgabe ......................................77 Tabelle 2: Untersuchungsergebnisse ..............................................................................78 Tabelle 3: Mittelwerte der Stickstoffbilanzgrößen für die alten Bundesländer im Jahr 1991 ..................................................................................................91 Tabelle 4: Ausgewählte Gefährlichkeitsmerkmale und besondere Gefahren mit Umweltrelevanz nach der Richtlinie 67/548/EWG ...............................100 Tabelle 5: Vorschlag für ein kumulatives Bewertungssystem anhand der Einstufung gemäß der Richtlinie 67/548/EWG ...........................................103 Tabelle 6: Auswahl von in Deutschland im Jahr 2002 zugelassenen und eingestuften Wirkstoffen von Pflanzenschutzmitteln ..................................104 Tabelle 7: Dänische Standarddosen und Steuerlasten von 74 DK (9,96 €) je Standarddosis bezüglich einer Auswahl von Wirkstoffen ...........................113 Tabelle 8: Vergleich der Abgaben- bzw. Steuerlast je kg Wirkstoff (Auswahl) ....................................................................................................115
Abkürzungsverzeichnis a. a. O.
am angeführten Ort
ABl.
Amtsblatt
Abs.
Absatz
a. F.
alte Fassung
AöR
Archiv des öffentlichen Rechts
ARL
Akademie für Raumforschung und Landesplanung
Art.
Artikel
Aufl.
Auflage
BB
Betriebsberater
BBodSchG
Bundesbodenschutzgesetz
Bd.
Band
Begr.
Begründer
BewG
Bewertungsgesetz
BFH
Bundesfinanzhof
BfN
Bundesamt für Naturschutz
BGBl.
Bundesgesetzblatt
BgVV
Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin
BISD
Basic Instruments and Selected Documents
BK
Bonner Kommentar
BMF
Bundesministerium für Finanzen
BML
früheres Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
BMU
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
BMVEL
Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft
BNatSchG
Bundesnaturschutzgesetz
BranntwMG Branntweinmonopolgesetz BStBl.
Bundessteuerblatt
BT.-Drs.
Bundestags-Drucksachen
BVerfG
Bundesverfassungsgericht
BVerfGE
Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts
BVerwG
Bundesverwaltungsgericht
BVerwGE
Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts
Abkürzungsverzeichnis
20 bzw.
beziehungsweise
DB
Der Betrieb
DEPA
Danish Environmental Protection Agency
ders.
derselbe
dies.
dieselbe
d. h.
das heißt
DÖV
Die Öffentliche Verwaltung
DStJG
Deutsche Steuerjuristische Gesellschaft
DStR
Deutsches Steuerrecht
DStZ
Deutsche Steuer-Zeitung
DüngeMG
Düngemittelgesetz
DüngeV
deutsche Düngeverordnung
DVBl.
Deutsches Verwaltungsblatt
DVWK
Deutscher Verband für Wasserwirtschaft und Kulturbau
EFMA
European Fertilizer Manufacturers Association
EG
Europäische Gemeinschaft
EGV
Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft
EMRK
Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten
endg.
endgültig
EStG
Einkommensteuergesetz
EU
Europäische Union
EUDUR
Handbuch zum europäischen und deutschen Umweltrecht
EuGH
Europäischer Gerichtshof
EuGRZ
Europäische Grundrechte-Zeitschrift
EuR
Europarecht (Zeitschrift)
EUV
Vertrag über Europäische Union
EuZW
Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht
EVG
Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft
EWG
Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft
EWS
Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht
f., ff.
folgende
FFH
Flora-Fauna-Habitat
Fn.
Fußnote
FR
FinanzRecht
FS
Festschrift
h. L.
herrschende Lehre
h. M.
herrschende Meinung
Hrsg.
Herausgeber
Abkürzungsverzeichnis
21
GAKG
Gesetz über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“
GAP
Gemeinsame Agrarpolitik
GATT
General Agreement on Tarifs and Trade (Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen von 1994 im Rahmen der WTO)
GewStG
Gewerbesteuergesetz
GG
Grundgesetz
GrStG
Grundsteuergesetz
i. d. R.
in der Regel
i. H. v.
in Höhe von
ILM
International Legal Materials
insb.
insbesondere
i. S. v.
im Sinne von
i. V. m.
in Verbindung mit
JEPM
Journal of Environmental Planning and Management
JöR
Jahrbuch des öffentlichen Rechts
JuS
Juristische Schulung
JZ
Juristenzeitung
KfzStG
Kraftfahrzeugsteuergesetz
KJ
Kritische Justiz
KOM
Kommissionsdokument
KSE
Kölner Schriften zum Europarecht
KStG
Körperschaftsteuergesetz
LABO
Länder-Bund-Arbeitsgemeinschaft Bodenschutz
Ls.
Leitsatz
MDR
Monatsschrift für Deutsches Recht
MINAS
Mineral Accounting System (der Niederlande)
MINLNV
ministerie van landbouw naturbeheer en visserji (Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt und Fischerei der Niederlande)
Mio.
Million
m. w. N.
mit weiteren Nachweisen
n. F.
neue Fassung
NJW
Neue Juristische Wochenschrift
NuR
Natur und Recht
NVwZ
Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht
NZM
Neue Zeitschrift für Miet- und Wohnungsrecht
ÖStZ
Österreichische Steuer-Zeitung
Ö-BGBl.
Österreichisches Bundesgesetzblatt
Abkürzungsverzeichnis
22 PflSchG
Pflanzenschutzgesetz
PSM
Pflanzenschutzmittel
RGBl.
Reichsgesetzblatt
RIW
Recht der internationalen Wirtschaft
RL
Richtlinie
Rn.
Randnummer
Rs.
Rechtssache
Rspr.
Rechtsprechung
RStBl.
Reichssteuerblatt
S.
Seite
Slg.
Sammlung des Europäischen Gerichtshofes
StRK
Sammlung höchstrichterlicher Steuer-Rechtsprechung in Karteiform
SRU
Rat von Sachverständigen für Umweltfragen
st.
ständige
StRK
Sammlung höchstrichterlicher Steuer-Rechtsprechung in Karteiform
StuW
Steuer und Wirtschaft
SubvG
Subventionsgesetz
Tab.
Tabelle
TEHG
Treibhausgas-Emissionshandelgesetz
Tz.
Textziffer
u. a.
unter anderem
UAbs.
Unterabsatz
UBA
Umweltbundesamt
UGB-KomE Umweltgesetzbuch – Entwurf der Unabhängigen Sachverständigenkommission UPI
Umwelt- und Prognose-Institut Heidelberg
UPR
Umwelt- und Planungsrecht
UR
Umsatzsteuer Rundschau
UStG
Umsatzsteuergesetz
UStDV
Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung
UTR
Umwelt- und Technikrecht
UVR
Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht
v. a.
vor allem
VermStG
Vermögensteuergesetz
vgl.
vergleiche
VO
Verordnung
VVDStRL
Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer
WG-BW
Wassergesetz Baden-Württemberg
Abkürzungsverzeichnis WSI
Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut der Hans Böckler Stiftung
WTO
World Trade Organisation
z. B.
zum Beispiel
ZgS
Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft
ZKF
Zeitschrift für Kommunalfinanzen
ZUR
Zeitschrift für Umweltrecht
23
Einleitung Die vorliegende, rechtswissenschaftliche Arbeit ist getragen von einem umweltpolitischen Anspruch. Sie untersucht, inwieweit sich eine ökologische Ausrichtung der Landwirtschaft durch Umweltabgaben anregen lässt und welche rechtlichen Grundlagen und Grenzen hierbei zu beachten sind. Eine Verbesserung der Umweltsituation im Agrarbereich ist dringend erforderlich, da die bisherige Intensivlandwirtschaft ganz überwiegend für den Rückgang von Arten und Biotopen verantwortlich ist und in hohem Maße Böden und Gewäs1 ser belastet. Zur Erfüllung der Wasserrahmen-Richtlinie müssen Deutschland und die anderen Mitgliedstaaten bis 2015 die gewässerbelastenden Einträge aus der Landwirtschaft deutlich reduzieren. Die Notwendigkeit einer nachhaltigen Landwirtschaft wurde von den politischen Organen der Europäischen Gemeinschaft als auch von der Bundesrepublik Deutschland erkannt. Die Europäische Gemeinschaft reformiert seit 1991 ihre Gemeinsame Agrarpolitik. Zu den Reformschwerpunkten gehören die verstärkte Berücksichtigung von Umweltbelangen und die Förderung der ökologi2 schen Landwirtschaft. Mit der Agenda 2000 intensivierte die Gemeinschaft ab 3 1997 die bis heute andauernde Entwicklung. Im Rahmen der Agenda 2000 führte sie Agrarumweltprogramme ein und koppelte die Direktzahlungen an die 4 Einhaltung bestimmter Umweltstandards. In Deutschland verstärkte ab 1998 die Förderung der ökologischen Landwirtschaft. Es steckte sich das ehrgeizige Ziel, bis zum Jahr 2010 den Flächenanteil von zurzeit 4,3 Prozent auf 20 Pro5 zent anzuheben und den Stickstoffüberschuss in der Landwirtschaft von der6 zeit 105 kg/ha auf 80 kg/ha zu senken. Während die Europäische Gemeinschaft vor allem mit Subventionen ihre Ziele verfolgt, setzt Deutschland auf das ordnungsrechtliche Gebot der guten fachlichen Praxis. Beide Instrumente zeigten in ihrer praktischen Wirkung indes Schwächen und erwiesen sich als kontrollintensiv, weshalb sich die Frage ___________ 1
RL 2000/60/EG, ABl. EG 2000 Nr. L 327, S. 1 ff. Kommission (EG), KOM (1992) 23 (5. Umweltaktionsprogramm), Vol. II S. 40 ff., Vol. III S. 57 ff. 3 Kommission (EG), KOM (2001) 31 (6. Umweltaktionsprogramm), S. 47 ff. 4 Ein großer Reformschritt war die zwingende Koppelung von Direktzahlungen an ökologische Standards durch die VO 1782/2003/EG, ABl. EG 2003 Nr. L 270, S. 1 ff. 5 Bundesregierung, Perspektiven für Deutschland, S. 113. 6 Bundesregierung, Perspektiven für Deutschland. 2
26
Einleitung
nach Alternativen stellt. Aufgrund der verwaltungstechnischen Unmöglichkeit einer umfassenden Kontrolle der Bewirtschaftungsmethoden aller Landwirte bieten sich ökonomische Instrumente wie Umweltabgaben an, die mit finanziellem Druck Verhaltensänderungen anregen. Mit Umweltabgaben ließen sich die ökologischen Folgekosten einer Intensivbewirtschaftung auf die Verursacher umlegen und so in den Wirtschaftskreislauf zurückführen. Im Gegensatz zu Subventionen nehmen sie die Landwirte als Verursacher in die Verantwortung. Die Dissertation gliedert sich in sechs Teile. Zur Einführung und rechtspolitischen Begründung des Untersuchungsgegenstandes sind im 1. Teil die Umweltprobleme der Landwirtschaft, die Defizite der bisherigen Maßnahmen sowie die Vor- und Nachteile von Umweltabgaben als alternative Instrumente dargestellt. Der 2. Teil erörtert, welche Umweltabgaben, insbesondere bestehende Steuern, für eine ökologische Ausrichtung der Landwirtschaft in Betracht kommen, und wie man sie ausgestalten könnte. Näher untersucht werden eine Änderung der Grundsteuer und Umsatzsteuer sowie neu einzuführende Abgaben auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel und deren Lenkungsmöglichkeiten unter Beachtung von ökologischen, wirtschaftlichen und verwaltungstechnischen Gesichtspunkten. Mit der Grundsteuer lassen sich Lenkungseffekte erreichen, wenn die Intensivlandwirtschaft höher besteuert wird und so einen Teil der ökologischen Folgekosten tragen müsste, während die ökologische Landwirtschaft konkurrenzfähiger würde. Eine Ausweitung des ökologischen Landbaus könnte auch über eine Differenzierung der Umsatzsteuer erfolgen, indem man ökologische und konventionelle Agrarerzeugnisse unterschiedlich hoch besteuert, um die bestehenden Preisunterschiede zu verringern. Schließlich ließe sich mit Abgaben auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel zielgerichtet der Einsatz umweltbelastender Betriebsmittel reduzieren. Die ausgearbeiteten Änderungs- oder Abgabenvorschläge werden anschließend im 3. Teil auf ihre Vereinbarkeit mit dem Europarecht und im 4. Teil auf das deutsche Verfassungsrecht hin überprüft. Europarechtliche Vorgaben und Beschränkungen können nationalen Umweltabgaben aus dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, aus den ins Gemeinschaftsrecht integrierten Abkommen im Rahmen der World Trade Organisation und aus dem gemeinschaftsrechtlichen Sekundärrecht erwachsen. Verfassungsrechtlich sind insbesondere die Finanzordnung des Grundgesetzes sowie die Grundrechte entscheidend für die Zulässigkeit lenkender Steuern und Abgaben. Abgerundet wird die Arbeit im 5. Teil mit der Frage, ob und inwieweit die Europäische Gemeinschaft im Rahmen ihrer Kompetenzen Umweltabgaben zur Ökologisierung der Landwirtschaft europaweit einführen könnte. Abschließend fasst Teil 6 die Untersuchung zusammen und gibt einen wertenden Ausblick.
Erster Teil
Notwendigkeit ökonomischer Lenkungsinstrumente zur Ökologisierung der Landwirtschaft § 1 Umweltprobleme der Landwirtschaft in Deutschland Die Landwirtschaft bewirtschaftete im Jahr 2004 in Deutschland eine Fläche 1 von 17 Mio. ha oder 47,6 Prozent der Landfläche. Hiervon beanspruchte die 2 ökologische Landwirtschaft mittlerweile 734 027 ha oder 4,3 Prozent. In ihrer umfassenden Umgestaltung der Landschaft hat die Landwirtschaft Einfluss auf alle Umweltmedien (Luft, Boden, Wasser), auf das Landschaftsbild, die Erholungseigenschaft der Natur, auf das Klima wie auch auf ihre Erzeugnisse. Seit Beginn der Fünfziger Jahre hat ein radikaler Strukturwandel in der Landwirtschaft eingesetzt. Zuvor war die Bewirtschaftung eine die Umwelt prägende Beeinflussung, welche aber auch bestimmte Biotope und Arten erst ermöglichte und der wir die Entstehung unserer Kulturlandschaft verdanken. Der verstärkte Einsatz von Technik, die durch chemische Dünge- und Pflanzenschutzmittel ermöglichte Intensivierung, die Melioration und Flurbereinigung haben nunmehr die Arten- und Biotopvielfalt stark beeinträchtigt und vor allem die 3 Boden- und Gewässerbelastung ansteigen lassen.
A. Arten- und Biotopschwund Der Verlust sowie die Beeinträchtigung von Lebensräumen und Arten ist ei4 nes der größten Umweltprobleme. Nach der vom Bundesamt für Naturschutz letztmalig 1996 vorgenommenen Erstellung der Roten Liste für gefährdete ___________ 1
Bundesregierung, Agrarbericht 2005, Tz. 15. Bundesregierung, Agrarbericht 2005, Tz. 56. 3 Überblick bei Knickel/Janßen/Schramek/Käppel, Naturschutz und Landwirtschaft, S. 40 f.; BfN, Rote Liste gefährdeter Pflanzen; BfN, Rote Liste gefährdeter Tiere; BfN, biologische Vielfalt, S. 51 f., 215 ff.; Kommission (EG), KOM (99) 22, S. 15 ff.; SRU, Umweltgutachten 2000, Tz. 344 ff.; SRU, Umweltprobleme 1992, S. 20, 61 ff.; Schink, in: Ramsauer, Landwirtschaft und Ökologie, S. 14 f.; Henneke, Landwirtschaft, S. 53 ff. 4 Kommission (EG), KOM (99) 22, S. 15 ff.; SRU, Sondergutachten 2002, Tz. 5. 2
1. Teil: Notwendigkeit ökonomischer Lenkungsinstrumente
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5
Pflanzen hält die flächenhafte Verarmung unserer Flora an. So sind z. B. 31 Prozent der Farn- und Blütenpflanzen und 46 bis 61 Prozent der Moose und 6 Flechten gefährdet. Insgesamt wurden 28,7 Prozent der Pflanzenarten als „gefährdet“, „stark gefährdet“ und „vom Aussterben bedroht“ eingestuft, wobei 7 3,7 Prozent schon ausgestorben sind. Ursächlich ist neben der Zerstörung von Lebensräumen und dem Einsatz von Pestiziden die Verdrängung konkurrenzschwacher Arten durch starkwüchsige Pflanzen aufgrund von Nährstoffeinträ8 gen. Noch dramatischer sieht die Situation bei den Tieren aus. Gemäß der Roten 9 Liste sind 3 Prozent aller Arten bereits ausgestorben und 40 Prozent gefährdet. Hierbei sind mit 79 Prozent Kriechtiere und mit 67 Prozent Lurche am stärks10 ten bedroht. Bei den Säugetieren sind 38 Prozent gefährdet und schon 13 11 Prozent ausgestorben oder verschollen. Der negative Trend hält bei den meis12 ten Tiergruppen an. Ursächlich sind auch hier wieder Biotopentwertungen und -verluste, verursacht durch Eutrophierung, Grundwasserabsenkung oder intensive landwirtschaftliche Nutzung aber auch durch die hohe Siedlungs- und 13 Verkehrsdichte. 69 Prozent aller noch bestehenden Biotoptypen und 92 Prozent der besonders schutzwürdigen Biotoptypen sind als gefährdet einzustu14 fen. Insgesamt sind hierbei 15 Prozent von vollständiger Vernichtung bedroht und 32,5 Prozent stark gefährdet, nur 6,1 Prozent der schutzwürdigen Biotope 15 sind nicht potenziell gefährdet. Mit rund 35 Prozent ist die Landwirtschaft am stärksten für die Gefährdung der Biotope verantwortlich, wobei mit der Flurbereinigung nochmals 15 Pro___________ 5
BfN, Rote Liste gefährdeter Pflanzen, S. 15 ff. BfN, Biologische Vielfalt, Tab. 2.5 (S. 47). 7 UBA, Umweltdaten 2002, S. 50; SRU, Umweltgutachten 2000, Tab. 2.4.1-1 (S. 194). Eine Übersicht der gefährdeten Pflanzengruppen enthält z. B. BfN, Daten zur Natur 1999, S. 67 f. 8 SRU, Umweltgutachten 2000, Tz. 346; Knickel/Janßen/Schramek/Käppel, Naturschutz und Landwirtschaft, S. 38 ff.; BfN, biologische Vielfalt, S. 39 f., 49 ff., 59 ff. 9 BfN, Rote Liste gefährdeter Tiere, S. 19. 10 BfN, Rote Liste gefährdeter Tiere, Tab. 2 (S. 20 f.) mit einer Übersicht über alle gefährdeten Arten. 11 BfN, Rote Liste gefährdeter Tiere, Tab. 2 (S. 20 f.). 12 BfN, Rote Liste gefährdeter Tiere, S. 25. 13 BfN, Rote Liste gefährdeter Tiere, S. 25; BfN, biologische Vielfalt, Tab. 2.7 (S. 50); UBA, Umweltdaten 2002, S. 50; SRU, Umweltgutachten 2000, Tz. 349 f.; SRU, Sondergutachten 2002, Tz. 6. 14 Riecken/Ries/Ssymank, Rote Liste der gefährdeten Biotoptypen, S. 25, 34; UBA, Umweltdaten 2002, S. 50; SRU, Umweltgutachten 2000, Tz. 353, Tab. 2.4.1-5 (S. 202) enthält eine Liste der Biotoptypen, die nicht schon als FFH-Gebiete geschützt aber gefährdet sind. 15 Riecken/Ries/Ssymank, Rote Liste der gefährdeten Biotoptypen, S. 21 ff., 25. 6
§ 1 Umweltprobleme der Landwirtschaft in Deutschland
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zent hinzukommen. Ursächlich sind insbesondere die Intensivbewirtschaftung und die einhergehende Nivellierung der Landschaft, die Abnahme der Strukturvielfalt (Hecken etc.), die Entwässerung feuchter und nasser Standorte, die Umwandlung von Grün- in Ackerland, die Intensivierung der Grünlandnutzung 17 sowie die Boden- und Gewässereutrophierung.
B. Bodenbeeinträchtigung Landwirtschaftlich genutzte Böden sind großflächig von Verdichtung und 18 Erosion bedroht. Zusätzlich werden die Böden mit einem durchschnittlichen Stickstoffüberschuss von 105 kg/ha und einem Phosphorüberschuss von 9,5 19 kg/ha belastet. Im Jahr 2000/01 wurden in Deutschland 1.847 Tsd. t Stickstoff, 351,3 Tsd. t Phosphat und 544 Tsd. t Kali als Handelsdünger verkauft 20 (Tendenz seit 1999 wieder leicht fallend). Die Düngung mit mineralischen 21 Nährstoffen erfolgt in immer stärkerem Maße auch auf Grünlandflächen. Insgesamt stammen 48 Prozent der diffusen Stickstoffemissionen in terrestrischen 22 Ökosystemen aus der Landwirtschaft. Durch Stickstoffeinträge treten Veränderungen der Vegetationszusammensetzung, der Humusformen sowie der Bodenfunktionen (Pufferkapazität, Filterfunktion) und dem zu Folge auch Verän23 derungen der Wasser- und Stoffkreisläufe ein. Um die Eutrophierung zu verringern, will Deutschland bis zum Jahr 2010 den Stickstoffüberschuss auf 80 24 kg/ha absenken. Weiterhin belastet die landwirtschaftliche Verwendung von 25 1 Mio. t Klärschlamm die Böden vor allem mit Schwermetallen. ___________ 16
SRU, Umweltgutachten 2000, Abb. 2.4.1-1 (S. 197); BfN, biologische Vielfalt, Abb. 2.16b (S. 52); BMU, Umweltbericht 2002, S. 120; SRU, Umweltprobleme 1992, Abb. 3.1 (S. 65), S. 21 ff., 65 ff., 69 ff. Im Jahr 2001 waren 3913 Flurbereinigungsverfahren mit einer Gesamtfläche von 2,6 Mio. ha anhängig. Der Staat förderte im gleichen Jahr die Flurbereinigung und den ländliche Wegebau immer noch i. H. v. 108,6 Mio. € (Bundesregierung, Agrarbericht 2003, Übersicht 23 (S. 69)). 17 BfN, Daten zur Natur 1999, S. 86; BfN, biologische Vielfalt, S. 34 ff., Abb. 2.16a (S. 51); SRU, Umweltprobleme 1992, S. 19 ff., 61 ff.; SRU, Sondergutachten 1996, Tz. 168 ff.; Schink, in: Ramsauer, Landwirtschaft und Ökologie, S. 14f, 27 ff. 18 SRU, Umweltgutachten 2000, Tz. 464, 467; Kommission (EG), KOM (99) 22, S. 13 f.; Schink, in: Ramsauer, Landwirtschaft und Ökologie, S. 23 ff. 19 Bundesregierung, Agrarbericht 2005, Tz. 4; UBA, Umweltdaten 2002, S. 20. 20 UBA, Umweltdaten 2002, S. 19. 21 SRU, Umweltprobleme 1992, S. 19 f. 22 BfN, biologische Vielfalt, S. 57. 23 SRU, Umweltgutachten 2000, Tz. 480; BfN, biologische Vielfalt, S. 57 ff. 24 Bundesregierung, Perspektiven für Deutschland, S. 114. 25 UBA, Daten zur Umwelt 2000, S. 185 f. Insgesamt vielen 2.2 Mio. t Klärschlamm (Trockenmasse) an.
1. Teil: Notwendigkeit ökonomischer Lenkungsinstrumente
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C. Gewässerbelastung Zwar hat sich die Situation der Gewässer dank besserer Klärvorrichtungen bei Siedlungs- und Industrieabwässern verbessert, es besteht aber weiterhin Handlungsbedarf bei den diffusen Einträgen von Dünge- und Pflanzenschutz26 mitteln aus der Landwirtschaft. Bei Oberflächengewässern machen die diffusen Stickstoffeinträge 72 Prozent und die Phosphoremissionen 66 Prozent 27 28 aus. Die Landwirtschaft hat hieran den größten Anteil. Nach Angaben des Umweltbundesamtes kann „eine weitere Verringerung der Seeneutrophierung nur durch eine Reduzierung des Nährstoffeintrags aus der Landwirtschaft er29 folgen.“ Die Eutrophierung der Gewässer verursacht ein vermehrtes Wachstum nährstoffliebender Pflanzen, wie z. B. Algen, infolge dessen es zu einem 30 Artenrückgang kommt. 31
Die diffusen Nährstoffeinträge belasten auch das Grundwasser. So lagen 1995 bei 87 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche Europas die Nitrat32 grenzwerte über dem Leitwert von 25 mg/l. In Deutschland ergab die Bestandsaufnahme zur Wasserrahmen-Richtlinie, dass 85 Prozent der Grundwasserkörper aufgrund diffuser Stoffeinträge, hauptsächlich Nitrateinträge aus der 33 Landwirtschaft, keinen guten Zustand erreichen. Neben Düngemitteln werden die Gewässer mit im Regelfall wasserlöslichen 34 Pflanzenschutzmitteln aus der Landwirtschaft belastet, von denen in Deutschland im Jahr 2002 rund 14.300 t Herbizide, 10.000 t Fungizide und 500 t Insek35 tizide verkauft wurden. Insgesamt sind 1.156 Pflanzenschutzmittel bestehend 36 aus ca. 200 Wirkstoffen zugelassen. Die Gewässerbelastung durch Pflanzenschutzmittel liegt oftmals über den Zielvorgaben der „Internationalen Kommission zum Schutz des Rheins“, wobei Studien ergaben, dass ein wesentlicher 37 Teil auch durch Hofabflüsse erfolgt. An 9,7 Prozent aller Grundwassermess___________ 26
SRU, Umweltgutachten 2000, Tz. 585; SRU, Umweltprobleme 1992, S. 32 ff., 45 ff., 72 ff., 96 ff., 104; Kommission (EG), KOM (99) 22, S. 11 ff. 27 UBA, Umweltdaten 2002, S. 43. 28 UBA, Umweltdaten 2002, S. 43; Bundesregierung, Agrarbericht 2003, Tz. 23. 29 UBA, Umweltdaten 2002, S. 46. 30 SRU, Umweltprobleme 1992, S. 112 ff., 122 ff.; SRU, Sondergutachten 1985, Tz. 739 ff. 31 SRU, Umweltgutachten 2000, Tz. 607; SRU, Sondergutachten 1998, Tz. 41 ff. 32 Kommission (EG), KOM (99) 22, S. 12. 33 BMU, Wasserrahmenrichtlinie, S. 30, 52. 34 UBA, Umweltdaten 2002, S. 44. 35 BML Bundesregierung, Agrarbericht 2003, Schaubild 2 S. 16. 36 UBA, Umweltdaten 2002, S. 20. 37 SRU, Umweltgutachten 2000, Tz. 592 f.
§ 1 Umweltprobleme der Landwirtschaft in Deutschland
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stellen herrschen Pflanzenschutzmittelgehalte vor, die oberhalb des Trinkwas38 sergrenzwertes von 0,1 μg/l liegen. Sowohl die Nährstoffanreicherung als auch der Rückstand von Pflanzen39 schutzmitteln erfordert eine Aufbereitung des Trinkwassers. Die Kosten für die Entfernung von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln schätzte man schon 40 1983 für die alten Bundesländer auf 1,6 Mrd. DM (0,87 Mrd. €) jährlich. Ins41 gesamt gab der Staat 1998 für den Gewässerschutz 5,72 Mrd. € aus.
D. Luftbelastung Die Landwirtschaft erzeugt im wesentlichen Ammoniak-, Distickstoffoxid42 und Methanemissionen. Europaweit entfallen 9 Prozent der Treibhausgase 43 auf die Landwirtschaft. In Deutschland emittiert die Landwirtschaft mit 624.000 t rund 95 Prozent der gesamten Ammoniakemissionen, wobei der überwiegende Teil bei der 44 Tierhaltung entsteht. Ammoniak trägt, über die Luft verbreitet, wesentlich zum Effekt des „sauren Regens“ bei. Methan und Distickstoffoxid sind hingegen vor allem als Klimagase von Bedeutung, wobei z. B. Methan einundzwanzigmal so intensiv wirkt wie Kohlendioxid und Distickstoffoxid eine Ozon ab45 bauende Wirkung zukommt. Die Vieh haltende Landwirtschaft verursacht in Deutschland mit 44,9 Prozent (ca. 1.4 Mio. t) den größten Teil der anthropoge46 nen Methanemissionen. Auch der Anteil an den Distickstoffoxidemissionen, 47 verursacht durch den Düngemitteleinsatz, ist hoch. Insgesamt hat die Landwirtschaft an den Emissionen aller Treibhausgase in Deutschland jedoch nur ___________ 38
UBA, Umweltdaten 2002, S. 48. Dabei ist eine ansteigende Tendenz zu verzeichnen, so dass die Einhaltung des Grenzwertes zunehmend zum Problem wird (SRU, Umweltgutachten 1996, Tz. 326). 39 SRU, Umweltprobleme 1992, S. 124 ff. 40 Winje, Kosten der Wasserversorgung, S. 172 ff., 180; Wicke, Umweltökonomie, S. 82, 108. Das Umwelt- und Prognose-Institut Heidelberg schätzte hingegen allein die Kosten für die Nitratbeseitigung auf 2 Mrd. DM (1,02 Mrd. €) (UPI, Kosten der Umweltbelastung, S. 34, 37). 41 UBA, Umweltdaten 2002, S. 12. 42 Kommission (EG), KOM (99) 22, S. 14. 43 Rechnungshof (EG), Sonderbericht 14/2000, Tz. 42. 44 UBA, Umweltdaten 2002, S. 33; SRU, Umweltgutachten, Tz. 736, Tab. 2.4.4-10 (S. 309). 45 SRU, Umweltprobleme 1992, S. 129 f. 46 UBA, Umweltdaten 2002, S. 34. 47 UBA, Umweltdaten 2002, S. 34. Die Land- und Abfallwirtschaft hat einen Anteil von 58,9 %, was ca. 114.000 t entspricht.
1. Teil: Notwendigkeit ökonomischer Lenkungsinstrumente
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einen Anteil von 0,2 Prozent. Zusätzlich zu den drei genannten Stoffen, emittiert die Landwirtschaft verschiedene sich verflüchtigende oder vernebelnde Bestandteile von Dünge- oder Pflanzenschutzmitteln. Problematisch sind vor allem letztere, da sie für Pflanzen, Tiere und auch Menschen toxische Inhaltsstoffe enthalten können.
E. Lebensmittelbelastung Dünge- und Pflanzenschutzmittel bzw. ihre Umwandlungsprodukte können sich in Lebens- und Futtermitteln anlagern. Das letzte im Jahr 2002 durchgeführte Lebensmittelmonitoring zeigte einen deutlichen Anstieg der Belastung gegenüber dem Jahr 2000, da jetzt Pflanzenschutzmittel nur bei 45,7 Prozent der geprüften Lebensmittel nicht vorkamen, 47 Prozent der Proben Rückstände im Rahmen der zulässigen Höchstmengen enthielten und 7,3 Prozent der Pro49 ben die Höchstmengen überschritten. Bei den Rückständen von Düngemitteln ist insbesondere das aus Stickstoff gebildete Nitrat bedenklich, da hieraus Nitri50 te und krebserregende Nitrosamine entstehen können. Insgesamt ist die Belas51 tung mit Nitraten und Phosphaten aber als gering anzusehen. In den tierischen Lebensmitteln können sich hingegen Rückstände von Tierarzneimitteln und 52 Futtermittelzusatzstoffen anreichern.
___________ 48
UBA, Umweltdaten 2002, S. 27. Bundesregierung, Agrarbericht 2005, Tz. 6. Im Jahr 2000 kamen hingegen in 23,3 % der Proben Rückstände im Rahmen der Grenzwerte vor und nur 1,6 % überschritten die Höchstwerte (vgl. BgVV, Lebensmittelmonitoring 2000, S. 6, weiterführende Ergebnisse zu verschiedenen Produktgruppen und S. 43 ff. Kurzübersicht über die Ergebnisse der Jahre 1995-1999; UBA, Umweltdaten 2002, S. 53. 50 SRU, Umweltprobleme 1992, S. 145 f. 51 BgVV, Lebensmittelmonitoring 2000, S. 6. 52 SRU, Umweltprobleme 1992, S. 147 f. 49
§ 2 Gegenwärtige Bewältigung der landwirtschaftlichen Umweltprobleme durch Politik und Recht Die geschilderten negativen Folgen der Intensivlandwirtschaft für die Umwelt sind seit längerem bekannt. Auf europäischer Ebene setzte jedoch erst ab 1 1991 mit dem 5. Umweltaktionsprogramm und der Reform der Gemeinsamen 2 Agrarpolitik (GAP) ein Umdenken ein. Die Reformbestrebungen wurden mit 3 der Agenda 2000 fortgesetzt. Die Europäische Kommission erkannte, dass die bisherige Subventionspolitik mit Interventionspreisen eine Intensivlandwirtschaft fördert, die zu Lasten der Umwelt immer höhere, nicht benötigte Erträge 4 erzeugt. Die Europäische Gemeinschaft senkte deshalb die Interventionspreise in den gemeinsamen Marktorganisationen und führte parallel Direktzahlungen 5 zur Einkommensunterstützung ein. Die Direktzahlungen entkoppelte die Ge6 meinschaft mit der Agrarreform 2003 weitgehend von der Produktion und verknüpfte sie mit bestimmten Grundanforderungen an die landwirtschaftliche Betriebsführung, mit der Einhaltung von gemeinschaftsrechtlichen Umweltvor7 schriften sowie der von den Mitgliedstaaten zu konkretisierenden Pflicht, die ___________ 1
Kommission (EG), KOM (1992) 23, Vol. II S. 40 ff., Vol. III S. 57 ff. Kommission (EG), KOM (1991) 100; KOM (1991) 258. 3 Agenda 2000, S. 28; Kommission (EG), KOM (1999) 22, S. 6 f. 4 Kommission (EG), KOM (1991) 100, S. 1 ff. 5 Mit den Direktzahlungen will die Europäische Union statt einer Förderung über die Marktpreise die Landwirte unmittelbar und weitgehend produktunabhängig unterstützen (vgl. Erwägungsgrund 24 der VO 1782/2003/EG, ABl. EG 2003 Nr. L 270, S. 1 ff.). Direktbeihilfen sind z. B. Investitionsbeihilfen, Beihilfen für benachteiligte Gebiete, Ausgleichszahlungen für Einschränkungen durch Natura 2000 und Wasserrahmen-Richtlinie und Agrarumweltmaßnahmen gemäß der VO 1257/99/EG, ABl. EG 1999 Nr. L 160, S. 80 ff. bzw. ab 1.1.2007 gemäß der VO 1698/2005/EG, ABl. EG 2005 Nr. L 277, S. 1 ff. sowie Direktzahlungen im Rahmen der gemeinsamen Marktorganisationen, wie Flächenstilllegungsprämien, Tier- und Pflanzenprämien (vgl. die Übersicht im Anhang I der VO 1782/2003/EG, ABl. EG 2003 Nr. L 270, S. 1 [53 ff.]). 6 Art. 3 ff. und Anhang III und IV der VO 1782/2003/EG, ABl. EG 2003 Nr. L 270, S. 1 ff., die Cross-Compliance Regelungen für Direktzahlungen im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik enthält. Kommission (EG), Agenda 2000, S. 31 ff., 35 f.; KOM (1999) 22, S. 21 ff. 7 U. a. die Vogelschutz-Richtlinie RL 79/409/EWG; die FFH-Richtlinie RL 92/43/ EWG; die Grundwasserschutz-Richtlinie RL 80/68/EWG; die Klärschlamm-Richtlinie RL 86/278/EWG, die Nitrat-Richtlinie RL 91/676/EWG, Wasserrahmen-Richtlinie 2000/60/EG. Einen Überblick gibt Bundesregierung, Agrarbericht 2005, Tab. 61 (S. 136). 2
1. Teil: Notwendigkeit ökonomischer Lenkungsinstrumente
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Flächen in einem guten landwirtschaftlichen und ökologischen Zustand zu erhalten. Bei wiederholt fahrlässiger Nichteinhaltung sind Kürzungen der Direktzahlungen bis zu 15 Prozent und bei Vorsatz sogar von 20 bis 100 Prozent vor8 gesehen. Mit der 2003 fortgeführten Agrarreform vereinbarten die Mitgliedstaaten gleichfalls eine schrittweise Reduzierung der Direktzahlungen (Modu9 lation). Ergänzend zur Reform der herkömmlichen Agrarmaßnahmen wurde 10 ein Förderprogramm „Agrarumweltmaßnahmen“ aufgelegt, das bestimmte Umweltmaßnahmen der Landwirte vergütet und von den Mitgliedstaaten auszugestalten ist. Weiterhin regelte die Gemeinschaft mit der EG-Ökolandbau11 Verordnung Standards für den ökologischen Landbau und traf mit der Nitrat12 13 Richtlinie sowie der Pflanzenschutzmittel-Richtlinie ordnungsrechtliche Maßnahmen, welche die schon bestehenden Richtlinien zur Qualität der Ge14 15 wässer und zum Einsatz von Klärschlämmen ergänzten. Mit der Wasserrah16 men-Richtlinie verpflichtet die Europäische Gemeinschaft die Mitgliedstaaten zu einem umfassenden Gewässermanagement, das spätestens ab 2009 eine stärkere Reduzierung der Einträge von Nährstoffen und wassergefährdenden Pflanzenschutzmitteln aus der Landwirtschaft erfordert, da die stoffliche Belastungen der Gewässer überwiegend aus diffusen Quellen und vorrangig aus der 17 Landwirtschaft kommen. Bis 2015 (mit maximaler Verlängerung bis 2027) müssen die Mitgliedstaaten einen guten Zustand der Oberflächengewässer und des Grundwassers erreichen, was ein deutliche Reduzierung der stofflichen Einträge verlangt. Ebenfalls bezweckt die Gemeinschaft mit der Verordnung 18 850/2004/EG die Verwendung und Freisetzung bestimmter persistenter organischer Stoffe zu verringern. Deutschland hat die europäischen Vorgaben weitgehend in nationales Recht 19 umgesetzt. Die Verknüpfung der Direktzahlungen mit umweltrechtlichen ___________ 8
Art. 6 und 7 der VO 1782/2003/EG, ABl. EG 2003 Nr. L 270, S. 1 ff. Art. 10 der VO 1782/2003/EG, ABl. EG 2003 Nr. L 270, S. 1 ff. 10 Art. 22 ff. der VO 1257/99/EG über die Förderung der Entwicklung des ländlichen Raums durch den EAGFL, ABl. EG 1999 Nr. L 160, S. 80 ff. Ab 1.1.2007 wird die Verordnung durch Art. 36 ff. der VO 1698/2005/EG, ABl. EG 2005 Nr. L 277, S. 1 ff. abgelöst. 11 VO 2092/91/EWG, ABl. EG 1991 Nr. L 198, S. 1 ff. 12 RL 91/676/EWG, ABl. EG 1991 Nr. L 375, S. 1 ff. 13 RL 91/414/EWG, ABl. EG 1991 Nr. L 230, S. 1 ff. 14 RL 76/464/EWG, ABl. EG 1976 Nr. L 129, S. 23 ff. 15 RL 86/278/EWG, ABl. EG 1986 Nr. L 181, S. 6 ff. 16 RL 2000/60/EG, ABl. EG 2000 Nr. L 327, S. 1 ff. 17 Holzwarth, ZUR 2005, S. 510 [512 f.]; LAWA, Landwirtschaft, S. 4. 18 ABl. EG 2004 Nr. L 229, S. 5 ff. 19 Z. B. mit dem Düngemittelgesetz sowie dem Pflanzenschutzgesetz und den entsprechenden Verordnungen, dem Wasserhaushaltsgesetz (insbesondere §§ 25a-d, 33a), der Klärschlammverordnung. Allerdings verurteilte der EuGH Deutschland wegen un9
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Vorgaben regeln und konkretisieren das Direktzahlungen-Verpflichtungs20 gesetz und die Direktzahlungen-Verpflichtungsverordnung. Der Bund und die Ländern fördern im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Ag21 rarstruktur und des Küstenschutzes“ gemäß Verordnung 1257/1999/EG bzw. 22 ab 2007 gemäß Verordnung 1698/2005/EG vielfältige Agrarumweltmaßnah23 men der Landwirte. Des Weiteren richtete der Bund ein Förderprogramm mit bis zu 20 Mio. €/a ein, um den Anteil der ökologischen Landwirtschaft bis zum 24 Jahr 2010 auf 20 Prozent anzuheben. Bei der Einhaltung von umweltrechtlichen Standards setzt Deutschland neben den Subventionsauflagen auf das Ordnungsrecht, mit dem es vor allem die Einhaltung der guten fachlichen 25 Praxis vorschreibt. Spezielle Regelungen enthalten das Düngemittelgesetz, das Pflanzenschutzgesetz aber auch das Bundesbodenschutzgesetz sowie das Bundesnaturschutzgesetz. Ökonomisch steuernde Instrumente, wie Abgaben, 26 wurden weder auf europäischer noch auf nationaler Ebene eingeführt. Da sich politisch der Einsatz neuer Instrumente nur bei Defiziten der angewandten Mittel empfiehlt, ist im Folgenden die Effektivität der herkömmlichen Instrumente zu erörtern.
A. Einsatz von Subventionen Die Europäische Gemeinschaft unterstützt die Landwirtschaft jährlich mit 27 mehr als 45 Mrd. €. Damit kommen rund 50 Prozent aller Ausgaben der Gemeinschaft dem Agrarsektor zugute. Die erhebliche Förderung diente von Anfang vor allem der Sicherung der landwirtschaftlichen Einkommen und der Stabilisierung der Agrarmärkte gemäß Art. 33 Abs. 1 b) und c) EGV. Sie hat jedoch gleichzeitig die Intensivierung der Landwirtschaft und der Umweltbelas28 tung begünstigt. Trotz der verstärkten Einbeziehung von Umweltbelangen bei ___________ genügender Umsetzung der Nitrat-Richtlinie 91/676/EWG (vgl. EuGH Rs. C-161/00, Kommission/Deutschland, vom 14.3.2002, www.europa.eu.int). 20 BGBl. I 2004, S. 1767. 21 ABl. EG 1999 Nr. L 160, S. 80 ff. 22 ABl. EG 2005 Nr. L 277, S. 1 ff. 23 Gemäß dem Gesetz über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ (GAKG), BGBl. 1988 I, S. 1055. Vgl. die Übersicht des BMVEL, Meilensteine der Agrarpolitik, S. 95 ff. 24 Bundesregierung, Agrarbericht 2005, Tz. 99; Agrarbericht 2003, Tz. 162. 25 Ausführlicher hierzu in § 2 B. 26 Das „Reduktionsprogramm chemischer Pflanzenschutz“ des BMVEL zieht eine Abgabe auch für die Zukunft nicht in Betracht (vgl. BMVEL, Reduktionsprogramm, S. 14). 27 Bundesregierung, Agrarbericht 2005, Tab. 62 (S. 137). 28 Kommission (EG), KOM (1991) S. 1 ff., KOM (1999) 22, S. 5 ff.
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der Vergabe von Beihilfen, erfährt der Einsatz von Subventionen sowohl grundsätzliche als auch spezielle Kritik. 29
Generelles Problem von Subventionen ist, dass sie einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe zukommen, obwohl sie von der Allgemeinheit erbracht werden. Sie bewirken insofern eine Umverteilung von Mitteln, bei der die Gesellschaft für das Wohlergehen Einzelner die Verantwortung übernimmt. Im Bereich des Umweltschutzes lassen sich zwei verschiedene Wirkungsweisen konstatieren. Zum einen können Subventionen umweltschädliche Entwicklungen und Verhaltensweisen fördern, wenn von ihnen Anreize zur intensiven Inanspruchnahme der Umwelt ausgehen. Zum anderen haben staatliche Förderungen, die gerade dem Schutz der Umwelt dienen und z. B. umweltschonende Maßnahmen unterstützen, den Effekt, dass Maßnahmen zur Reduzierung von Umweltbelastungen nicht von den Verursachern der Belastung, sondern von der Allgemeinheit getragen werden. Damit wird die Verantwortung des einzelnen Verursachers von Umweltbeeinträchtigungen (Verursacherprinzip) aufgehoben und durch die generelle Verantwortlichkeit der Gemeinschaft (Gemein30 lastprinzip) ersetzt. Die Allgemeinheit muss Kosten tragen, die sie grundsätzlich nicht zu verantworten hat, soweit die Umweltbelastung nicht von jedermann, sondern von individualisierbaren Verursachern ausgeht. Die bisherige Subventionspolitik in der Landwirtschaft hat jedoch dazu geführt, dass die meisten Landwirte nur bei einer finanziellen Förderung oder Kompensation bereit sind, Umweltbeeinträchtigungen zu unterlassen, und verschärfende Anfor31 derungen auf erheblichen Widerstand treffen. Selbst der Vertragsnaturschutz, der z. B. mittels Agrarumweltmaßnahmen besondere Umweltmaßnahmen der Landwirte fördern soll, kann im Widerspruch zum umweltrechtlichen Verursacherprinzip stehen. Nach der gegenwär32 tigen Regelung der Agrarumweltmaßnahmen und einer weit verbreiteten An___________ 29
Im Sinne von Leistungen der öffentliche Hand ohne marktmäßige Gegenleistung. Zu den Gefahren einer Umweltsubventionierung Leiser, Umweltschutz, S. 126 ff. 31 SRU, Sondergutachten 2002, Tz. 80 ff., 338, 360. 32 Art. 22 ff. der VO 1257/99/EG und GAGK. Das Agrarumweltprogramm fördert z. B. schon die umweltverträgliche Bewirtschaftung unter Einschränkung des Düngeund Pflanzenschutzmitteleinsatzes, die Extensivierung der pflanzlichen Erzeugung und die Verringerung des Tierbestandes auf den Weiden (Art. 22 der VO 1257/99/EG i. V. m. Art. 12, 17 Durchführungsverordnung 1750/99/EG, ABl. EG 1999 Nr. L 214, S. 31 ff.; vgl. BMVEL, Meilensteine der Agrarpolitik, S. 96 f. und Anlagen 13-17; BfN, biologische Vielfalt, S. 218). Ab 1.1.2007 löst die VO 1698/2005/EG die VO 1257/99/ EG ab, welche die Fördermöglichkeiten zusammenfasst aber auch erweitert. Nach Art. 31 können dann Beihilfen für die Einhaltung von Normen des Umweltschutzes gewährt werden, die erst kürzlich aufgenommen worden. Art. 36 ff. erlauben Beihilfen als Ausgleich für naturbedingte Nachteile bestimmter Regionen, für Einschränkungen durch die Vogelschutz-RL 79/409/EWG, FFH-RL 92/43/EWG und die WasserrahmenRL 2000/60/EG sowie für die freiwillige Einhaltung von überobligatorischen Agrarumwelt- und Tierschutzverpflichtungen. 30
§ 2 Gegenwärtige Bewältigung der Umweltprobleme
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sicht sind Beschränkungen der Bewirtschaftungsintensität, die über die als Mindeststandard gedachte gute fachliche Praxis hinausgehen, förderungswürdig. Damit fördert man nicht zusätzliche Umweltleistungen der Landwirte, für die sie an sich nicht verantwortlich sind, sondern eine bloße Verringerung der von ihnen verursachten Belastungsintensität. Die Allgemeinheit übernimmt an Stelle der eigentlichen Verursacher die Umweltschutzkosten. Von einem Vertragsnaturschutz im Einklang mit dem Verursacherprinzip kann man meiner Ansicht nach nur sprechen, wenn Leistungen honoriert werden, die besondere Umweltformen, insbesondere die Artenvielfalt der Kulturlandschaft, erhalten und für die keine sonstige speziellere Verantwortlichkeit besteht. Soweit hin34 gegen nur die Reduzierung der Belastungsintensität gefördert wird, entlastet die Gesellschaft nur die eigentlichen Verursacher. Die weitgehende Ersetzung des Verursacherprinzips durch das Gemeinlastprinzip im Agrarbereich wirft erhebliche gleichheitsrechtliche Probleme im Hinblick auf andere Wirtschaftsbereiche auf, weshalb die Sonderstellung der Landwirtschaft einem erheblichen Rechtfertigungsdruck unterliegt. Die Verdrängung des Verursacherprinzips widerspricht den Grundsätzen der gemeinschaftsrechtlichen Umweltpolitik, wonach gemäß Art. 174 Abs. 2 EGV das 35 Verursacherprinzip zu verwirklichen ist. Eine konsequente Umsetzung des Verursacherprinzips würde den Abbau aller Subventionen bedeuten, die nur auf ein Unterlassen von bestimmten umweltbeeinträchtigenden Bewirtschaftungsformen hinauslaufen, da hierfür der Verursacher verantwortlich ist. Derartige vermeidbare Umweltbeeinträchtigungen sind mit ordnungsrechtlichen Ge36 und Verboten, Lenkungsabgaben oder Lizenzen zu verhindern. Beschränkungen des Eigentums sind aufgrund der Sozialpflichtigkeit sowie der Verursacherverantwortung grundsätzlich auch ohne finanzielle Honorierung zu er37 warten. Nach dem Verursacherprinzip sind allein zusätzliche, positive Umweltleistungen der Landwirtschaft förderungswürdig. ___________ 33
Europäische Kommission, KOM (99) 22, S. 23 f., 27 f.; dies., Evaluation, S. 125, 135; Rechnungshof (EG), Sonderbericht 14/2000, Tz. 71, der aber die teilweise nicht vorhandenen oder zu niedrigen Standards der guten fachlichen Praxis beklagt; BfN, biologische Vielfalt, S. 224 ff.; SRU, Sondergutachten 1996, Tz. 239, 246; SRU, Sondergutachten 2002, Tz. 338, wobei der Rat hierbei aus Akzeptanz- und wirtschaftlichen Gründen für einen niedrigen Standard der guten fachlichen Praxis plädiert. 34 Z. B. mit Beihilfen als Ausgleich für Einschränkungen aufgrund der Wasserrahmen-RL 2000/60/EG gemäß Art. 38 VO 1698/2005/EG, ABl. EG 2005 Nr. L 277, S. 1 ff. 35 Rechnungshof (EG), Sonderbericht 14/2000, Tz. 71. 36 SRU, Umweltgutachten 2000, Tz. 435. 37 SRU, Sondergutachten 1996, Abs. 2.5, insb. Tz. 237 ff.; SRU, Umweltgutachten 1996, Tz. 1246. Zur Problematik der ausgleichspflichtigen Sozialbindung in Form der Inhalts- und Schrankenbestimmung Peine, NuR 2002, S. 522 [526 ff.], der alle Nutzungsbeschränkungen als entschädigungslos ansieht, welche die Privatnützigkeit des
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Neben dem grundsätzlichen Konflikt mit dem Verursacherprinzip weisen Subventionen im Agrarbereich trotz der seit 1992 vorgenommen Reformen Defizite hinsichtlich einer Reduzierung der Intensität und einer Ökologisierung der Landwirtschaft auf. Im Jahr 2000 übte der Europäische Rechnungshof in seinem Sonderbericht über die Ökologisierung der Gemeinsamen Agrarpolitik erhebliche Kritik an den seit 1992 getroffenen Reformen der gemeinsamen Marktorganisationen 38 sowie an den neu eingeführten Agrarumweltmaßnahmen. Er warf der Gemeinschaft vor, dass die Absenkung der Interventionspreise und ihre Kompensation durch flächenbezogene Direktzahlungen kaum die Anreize für eine 39 intensive Produktion verringerten. So reduzierte sich der Einsatz von Düngemitteln und Pflanzenschutzmitteln seit 1992 insgesamt nur geringfügig und beruhte in Finnland, Schweden und Dänemark vor allem auf der eingeführten 40 Besteuerung der Mittel. Oftmals riefen die neuen flächenbezogenen Direktzahlungen neue Umweltbelastungen hervor, wenn bestimmte Bewirtschaftungsweisen stärker oder schwächer gefördert werden (z. B. höhere Aus41 gleichszahlungen für bewässerte Flächen). Ursächlich für die negative Wirkung ist der mit den Direktzahlungen bezweckte Kompensationsausgleich für die reduzierte Preisstützung, weshalb bei kosten- und umweltintensiveren Produktionsverfahren höhere Beträge angesetzt wurden. Zu den konzeptionellen Schwächen von Preisstützungen und Direktzahlungen kommen Defizite bei der mitgliedstaatlichen Umsetzung und Kontrolle von Umweltauflagen bei Direktzahlungen, Flächenstilllegungsbeihilfen und spe42 ziellen Agrarumweltmaßnahmen. Teilweise wurden an die Auszahlung von Beihilfen überhaupt keine Umweltauflagen geknüpft oder wenn ja, deren Ein43 haltung nicht kontrolliert. Insofern verwundert es nicht, wenn 1998 insgesamt 27,8 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche der Gemeinschaft Bestandteil von Agrarumweltmaßnahmen war, gefördert mit einer durchschnittlichen Prämie 44 von 99 €/ha. Nach Ansicht des Rechnungshofes dienen letztere im Ergebnis ___________ Eigentums unberührt lassen. Nach Chris Müller, NuR 2002, S. 530 [533] muss auch die Situationsgebundenheit von Grundstücken berücksichtigt werden. 38 Rechnungshof (EG), Sonderbericht 14/2000. 39 Rechnungshof (EG), Sonderbericht 14/2000, Tz. 10 ff., 27 ff. 40 Rechnungshof (EG), Sonderbericht 14/2000, Tz. 11 f. Zu der Besteuerung der Mittel in einigen Ländern der Gemeinschaft siehe § 7 A. II. 41 Rechnungshof (EG), Sonderbericht 14/2000, Tz. 13 ff. 42 Rechnungshof (EG), Sonderbericht 14/2000, Tz. 17 f., 19 ff., 38 f., 71. 43 So brauchten Landwirte um die Extensivierungsprämie bei Nutztieren zu erhalten, in den Anträgen nur weniger Tiere angeben (Rechnungshof (EG), Sonderbericht 14/ 2000, Tz. 20). 44 Kommission (EG), Evaluation, S. 23. Insgesamt wurden 4 % der Ausgaben des EAGFL für diese Maßnahmen bereitgestellt.
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vor allem als Einkommensstütze (bei Aufrechterhaltung bestehender Bewirtschaftungsmethoden) und lässt sich die Durchführung einiger Maßnahmen 45 kaum mit dem Verursacherprinzip vereinbaren. Auch die Europäische Kommission musste in ihrer Evaluation der europäischen Agrarumweltmaßnahmen 46 vielfältige Durchsetzungs- und Kontrollprobleme diagnostizieren. Die Überwachung der umweltrechtlichen Verpflichtungen stellt aufgrund der Verschiedenartigkeit und Vielschichtigkeit hohe Anforderungen an die Kontrollinstanzen. So lassen sich einige Verpflichtungen nur zu bestimmten Jahreszeiten, Terminen oder nur vor Ort kontrollieren. Oftmals erfolgt in den Mitgliedstaaten nur eine Kontrolle mit Satellitenbildern, weil eine Datengrundlage und geeig47 nete Umweltindikatoren fehlen. Bei einigen Verpflichtungen mussten die Kommission und der Rechnungshof sogar feststellen, dass eine Kontrolle prak48 tisch nicht möglich ist. Insbesondere die bloße Verringerung des Dünge- und Pflanzenschutzmitteleinsatzes ist weder mit Bodenproben noch durch Überprüfung der Buchführung ausreichend kontrollierbar. Der Rechnungshof bezifferte die Kosten für die Durchführung der Agrarumweltmaßnahmen auf 700 Mio. € jährlich, wobei die Europäische Umweltagentur feststellte, dass trotzdem in vielen Regionen Verwaltungskapazitäten 49 fehlen und erhebliche Kontrolldefizite bestehen. Selbst die Kontrolle der Mitgliedstaaten durch die Kommission beurteilte der Rechnungshof als unzurei50 chend. Auch der Rat für Umweltfragen in Deutschland beklagte bei den bisherigen Agrarumweltmaßnahmen den hohen Verwaltungsaufwand für Abwicklung, Kontrolle sowie Evaluation und fürchtet um die Akzeptanz beim Steuer51 zahler. Um die Defizite zu verbessern, hat die Kommission vorgeschlagen, jährliche 52 Inspektionen bei mindestens 5 Prozent der Betriebe durchzuführen. Des Weiteren solle verstärkt das System des ökologischen Landbaus genutzt werden, bei dem aufgrund der freiwilligen Kennzeichnungsüberprüfung gemäß der EG53 Ökolandbau-Verordnung ein etabliertes Kontrollsystem besteht. ___________ 45
Rechnungshof (EG), Sonderbericht 14/2000, Tz. 38 f., 71 ff. Kommission (EG), Evaluation, S. 120 f. 47 Kommission (EG), Evaluation, S. 121 f., Rechnungshof (EG), Sonderbericht 14/ 2000, Tz. 80. 48 Kommission (EG), Evaluation, S. 120 f.; Rechnungshof (EG), Sonderbericht 14/ 2000, Tz. 77 und Kasten 10. 49 Rechnungshof (EG), Sonderbericht 14/2000, Tz. 74. 50 Rechnungshof (EG), Sonderbericht 14/2000, Tz. 72, 82 ff.; Kommission (EG), Evaluation, S. 36 f. 51 SRU, Sondergutachten 2002, Tz. 80, 107, 236. 52 Kommission (EG), Evaluation, S. 121 f. 53 Kommission (EG), Evaluation, S. 122 f. 46
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Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass sich Beihilfen im Agrarbereich für eine Ökologisierung der Landwirtschaft nur mit erheblichem Aufwand und unter Inkaufnahme von Einkommensbeschränkungen bei intensiven Produktionsweisen nutzen lassen. Gleichzeitig besteht selbst bei speziell ausgerichteten Umweltmaßnahmen die Gefahr, dass sie nur eingeschränkt praktikabel sind und 54 leicht zu einer Breitenförderung der normalen Bewirtschaftung ausufern. Bei bestimmten Zielen, wie z. B. der Reduzierung des Verbrauchs von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln, sind Beihilfen aufgrund der Unkontrollierbarkeit der Auflagen kein geeignetes Mittel.
B. Einsatz ordnungsrechtlicher Regelungen Das Ordnungsrecht mit der Anordnung von Ver- oder Geboten ist das klassische Handlungsmittel des Staates zur Verhaltenslenkung seiner Bürger. Das Umweltschutzrecht entwickelte sich dabei aus dem allgemeinem Sicherheitsund Polizeirecht, indem sich das allgemeine Ziel, die öffentliche Sicherheit und den einzelnen Bürger vor Gefahren zu schützen, auf die Umwelt und Umweltgefahren erweiterte. Eine Kernfunktion des Umweltordnungsrechts ist die Gefahrenabwehr, da es hier verbindlicher Verhaltensanweisungen bedarf, die sich notfalls auch mit Zwang durchsetzen lassen. Verstärkt hinzu trat indes in Anbetracht der weit reichenden und zeitlich langfristigen Auswirkungen von Umweltbeeinträchtigungen der Vorsorgezweck, um schon im Vorfeld die Entstehung von Gefahren zu verhindern oder zumindest zu beeinflussen. Insbesondere die Festlegung von Umweltqualitätsnormen im europäischen Umweltrecht hat dem Ordnungsrecht eine neue Regelungsdimension gegeben. Gleichwohl kämpft das europäische und nationale Umweltrecht mit Durchsetzungsproblemen, deren Ursachen zum Teil in der Materie zum Teil in den angewandten Mitteln liegen. Die Durchsetzung von Naturschutzbelangen behindert generell deren monetäre Unbestimmtheit. Da sich Umweltbelange kaum in Geld beziffern lassen, erscheinen sie gegenüber anderen Belangen als diffus und wenig spezifisch. Schwerwiegende Umweltprobleme treten in aller Regel erst in der Summe vieler Einzelfälle auf, so dass öffentliche Umweltbelange oft im Rahmen der planerischen oder ordnungsrechtlichen Abwägungsund Ermessensentscheidung gegenüber stärker interessengeleiteten Belangen 55 wie Wirtschaftskraft und Arbeitsplätzen als weniger bedeutsam erscheinen. ___________ 54
Kommission (EG), Evaluation, S. 120 ff.; Rechnungshof (EG), Sonderbericht 14/ 2000, Tz. 71 ff. 55 SRU, Sondergutachten 2002, Tz. 127 ff.; Lübbe-Wolff, NuR 1993, S. 217 [220 f.]; Gawel, in: Gawel/Lübbe-Wolff, Rationale Umweltpolitik, S. 237 [258]; Ketteler/Kippels, Umweltrecht, S. 58.
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Bisher versucht man Umweltproblemen ganz überwiegend mit den althergebrachten Mitteln des Ordnungsrechts zu begegnen. Dessen Einsatz im Bereich der Vorsorge, bei dem Maßnahmen keine konkrete Gefahr einschränken, sondern nur die allgemeine Umweltbelastung reduzieren sollen, erfolgte allerdings 56 nicht ohne Kritik. Das Ordnungsrecht, welches als Befehl und Zwang dem Bürger gegenübertritt, ist beim Umweltschutz auf die verstärkte Mitarbeit und Motivation der Adressaten angewiesen. Die Verwaltungsbehörden bedürfen zum Erlass und Vollzug umweltschützender Maßnahmen vielfältiger Informationen, die ihnen in aller Regel nur der Adressat liefern kann oder die sie mit erheblichen Ver57 waltungsaufwand selber ermitteln müssen. Die erforderliche Mitwirkungsbereitschaft des Bürgers wird indes kaum bestehen, wenn die Verpflichtung mit wirtschaftlichen Nachteilen verbunden ist und dem Eigeninteresse zuwider58 läuft. Aufgrund der fehlenden Eigenmotivation bedarf es bei der Durchsetzung von umweltrechtlichen Ver- oder Geboten umfangreicher Vollzugskontrollen und der Androhung von Zwangsmaßnahmen (Ersatzvornahmen, Buß59 geldern, Strafen etc.), die bei verhaltensbezogenen Anforderungen in der Re60 gel nicht umfassend möglich sind. Wegen der hohen Kontrolldichte stellt sich für das Ordnungsrecht vor allem im Bereich der Gefahrenvorsorge die Frage nach der Effizienz, die sich dabei nicht nur auf den verwaltungstechnische Kontrollaufwand beschränkt, sondern die auch auf die volkswirtschaftliche Effektivität auszuweiten ist. Ökonomen bemängeln, dass bei ordnungsrechtlichen Vorsorgemaßnahmen Umweltverbesserungen und -investitionen nicht dort vorgenommen werden, wo es wirtschaft61 lich am effektivsten und ökonomischsten ist, sondern wo sie angeordnet sind. Aufgrund der geringen Ausnutzung von Potentialen und Kostenvorteilen seien derartige Maßnahmen volkswirtschaftlich wenig effektiv. Daneben verhindere ___________ 56
SRU, Umweltgutachten 1994, Tz. 297 ff., 337 ff., 360; Lübbe-Wolff, NuR 1993, S. 217 [218]; dies. mit Verbesserungsvorschlägen in: Modernisierung; Köck, NuR 1992, 412 f.; Bohne, in: Böhret/Hill, Ökologisierung, S. 128 [132, 141 f.]; Rusch, Stickstoffabgabe, S. 109 ff., 122 ff.; Ketteler/Kippels, Umweltrecht, S. 58; Klopfer, Umweltrecht, § 5 Rn. 157 m. w. N. 57 Ein gutes Beispiel findet sich bei Lübbe-Wolff, NuR 1993, S. 217 [226 f.]. 58 Lübbe-Wolff, NuR 1993, S. 217 [218 f.]; Jarass, DVBl. 1985, S. 193 [197]; Köck, NuR 1992, 412 [413]; Hendler, NuR 2000, S. 661. So ist der finanzielle Anreiz der wichtigste Entscheidungsgrund von Landwirten für die Teilnahme an Agrarumweltmaßnahmen, mit Abstand gefolgt von dem Interesse an Natur und Umwelt (SRU, Sondergutachten 2002, Tz. 80, Abb. 3-1 (S. 46)). 59 Hendler, NuR 2000, S. 661. 60 Lübbe-Wolff, NuR 1993, S. 217 [227]. 61 Gawel, in: Gawel/Lübbe-Wolff, Rationale Umweltpolitik, S. 237 [258]; SRU, Umweltgutachten 1994, Tz. 338; Köck, NuR 1992, 412 [413]; Hendler, NuR 2000, S. 661.
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die generelle Festschreibung bestimmter Technikstandards einen effektiven Ressourcen- und Mitteleinsatz, vermittle keine Anreize, das festgelegte Maß zu 62 überschreiten, und beschränke den Umweltschutz auf einen Status quo. Zu den Problemen auf der Ebene der Adressaten treten Interessenkonflikte innerhalb der Behörden hinzu, die ja nicht nur den Umweltschutz zu überwachen und zu fördern, sondern auch z. B. die Wirtschaftskraft und Arbeitsplätze erhalten sollen. Diese Interessenkonflikte wirken sich besonders stark aus, wenn der Gesetzgeber wie im Umweltrecht mit unbestimmten Rechtsbegriffen und der Einräumung von Ermessens- sowie planerischen Abwägungsspielräu63 men arbeitet. Das Opportunitätsprinzip, welches seine Wurzel im Polizei- und Ordnungsrecht hat, wo es auf eine Gefahrenbeurteilung und Abwägung im Einzelfall ankommt, erweist sich für das Umweltordnungsrecht als wenig geeignet, da schwerwiegende Umweltprobleme in aller Regel nicht im konkreten Einzelfall, sondern erst in der Summe vieler Einzelfälle entstehen. Im Einzelfall ist daher oftmals nicht die Gefahrenschwelle erreicht, gleichwohl die Abwehr der kumulierten Umweltgefahr gerade eine strikte Einhaltung der Umweltvorgaben 64 im Einzelfall erfordert. Die mit der Auslegung von unbestimmten Rechtsbegriffen und der Angreifbarkeit von Abwägungsentscheidungen eintretende Rechtsunsicherheit befördert eine eher zurückhaltende Entscheidungspraxis der 65 Behörden bei. Gleichwohl lässt sich die Verwendung von Generalklauseln und Ermessensspielräumen nicht vermeiden, will man nicht das Umweltord66 nungsrecht durch Überregulierung zur Vollzugsunfähigkeit führen. Unerlässlich bleibt das Ordnungsrecht auch für die konkrete Gefahrenabwehr, da hier verbindliche Anweisungen und entsprechende Zwangsmittel nicht verzichtbar sind. Zum Schutz der Umwelt findet das Ordnungsrecht auch im Agrarbereich 67 Anwendung. Dreh- und Angelpunkt der derzeitigen ordnungsrechtlichen Regelung im Agrarbereich ist das Erfordernis der guten fachlichen Praxis, wie es 68 § 17 BBodSchG, §§ 18, 5 Abs. 3 u. 4 BNatSchG, § 1a DüngeMG und § 6 ___________ 62
SRU, Umweltgutachten 1994, Tz. 339; Hendler, NuR 2000, S. 661; Nutzinger, in: Roßnagel/Neuser, Reformperspektiven, S. 46; Köck, JZ 1993, S. 59 [61]. Im Einzelfall, insbesondere bei Kontrollproblemen, kann eine konkrete Technikvorgabe effektiver sein (Lübbe-Wolff, in: Gawel/Lübbe-Wolff, Umweltordnungsrecht, S. 99 [101 f., 122 ff.]). 63 Lübbe-Wolff, NuR 1993, S. 217 [220 f.]; Gawel, in: Gawel/Lübbe-Wolff, Rationale Umweltpolitik, S. 237 [258]; Ketteler/Kippels, Umweltrecht, S. 58. 64 Lübbe-Wolff, NuR 1993, S. 217 [220 f.]. 65 Lübbe-Wolff, NuR 1993, S. 217 [221 f.]; Jarass, DVBl. 1985, S. 193 [194]. 66 Bohne, in: Böhret/Hill, Ökologisierung, S. 128. Kloepfer, Umweltrecht, § 5 Rn. 172. 67 Einen Überblick geben Schink, in: Ramsauer, Landwirtschaft und Ökologie, S. 11 ff.; Rusch, Stickstoffabgabe, S. 37 ff. 68 Näher konkretisiert durch Düngeverordnung, BGBl. I 1996, S. 118.
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Abs. 1 PflSchG normieren. Ziel der Regelungen ist die nachhaltige Sicherung der Leistungsfähigkeit der Böden sowie der Schutz von Mensch, Tier und Umwelt vor den schädlichen Auswirkungen der Landwirtschaft, wobei gleichfalls die Funktionsfähigkeit der Landwirtschaft erhalten bleiben soll. Im Einzelnen enthalten die Vorschriften mehr oder weniger spezifische Anforderungen an die Bodenbearbeitung, die Landschaftsgestaltung, den Tierbesatz, die Düngung und den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln. Am detailliertesten sind hierbei die Vorschriften zur Düngung und zum Einsatz von Pflanzenschutzmitteln. So bestimmen § 1a Abs. 2 DüngeMG i. V. m. § 2 DüngeV, dass der Düngemitteleinsatz nach dem Nährstoffbedarf der Pflanzen unter Berücksichtigung der im Boden verfügbaren Nährstoffe und organischen Substanzen auszurichten ist, wobei gemäß § 5 DüngeV betriebsbezogene Nährstoffbilanzen aufzustellen sind. Weiter ist in Umsetzung der europäischen Nitrat-Richtlinie 71 91/676/EWG das Ausbringen von Wirtschaftsdünger gemäß § 3 Abs. 7 DüngeV untersagt, wenn der Stickstoffgehalt im Boden bei Grasland 210 kg/ha und bei Ackerland 170 kg/ha beträgt. Hinsichtlich des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln schreibt § 6 PflSchG vor, dass Pflanzenschutzmittel nicht anzuwenden sind, wenn der Anwender damit rechnen muss, dass ihre Anwendung im Einzelfall schädliche Auswirkungen auf die Gesundheit von Mensch und Tier, auf Gewässer oder sonstige erhebliche schädliche Auswirkungen, insbesondere auf den Naturhaushalt hat. Die Landwirte sind gemäß § 6a Abs. 1 PflSchG verpflichtet, die bei der Zulassung des Mittels festgesetzten und in der Gebrauchsanleitung angegebenen Anwendungsbestimmungen einzuhalten. Die Befolgung der Anwendungsbestimmungen sind für den Umwelt- und Gesundheitsschutz entscheidend, da sich die für eine Zulassung erforderliche Unbedenklichkeit gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 3 PflSchG auf die bestimmungsgemäße und sachgerechte Anwendung bezieht. Grenzwerte über die auszubringende Menge je Hektar oder über den Gehalt von Wirkstoffen in landwirtschaftlichen Böden existieren jedoch nicht. Kaum konkret durchsetzbare Pflichten enthält § 17 Abs. 2 BBodSchG, welcher versucht die Vorsorgepflicht hinsichtlich einer boden- und naturschonenden 72 Bodenbearbeitung näher zu konkretisieren. Mit dem neuen § 5 BNatSchG ist die gute fachliche Praxis auch im Naturschutzrecht verstärkt nach Umweltgesichtspunkten ausgerichtet worden, nachdem jahrelang über die Anforderungen ___________ 69
Ergänzt durch die Verordnung über Anwendungsverbote für Pflanzenschutzmittel, BGBl. I 1992, S. 1887. 70 Eine Übersicht der derzeit geltenden Regelungen findet sich bei SRU, Sondergutachten 2002, Tab. 5-9 (S. 137); Turner/Werner, Agrarrecht, S. 193 ff. 71 ABl. EG 1991 Nr. L 375, S. 1 ff. Wegen der unvollständigen Umsetzung wurde Deutschland vom EuGH verurteilt (Rs. C-161/00, Kommission/Deutschland, vom 14. März 2002, www.europa.eu.int). 72 BGBl. I 2002, S. 1193.
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des alten § 8 Abs. 7 BNatSchG, wonach die gute fachliche Praxis gemäß den Fachgesetzen grundsätzlich mit den Naturschutzzielen zu vereinbaren sei, 73 Streit herrschte. Noch immer ist aber die gesetzliche Ausgestaltung der guten fachlichen Praxis in den Fachgesetzen von sehr allgemeinen und unbestimmten Pflichten 74 geprägt, die nur schwer durchsetzbar sind. So hat der Europäische Gerichtshof § 6 Abs. 1 PflSchG für europarechtswidrig erklärt, weil dieser kein striktes Schutzsystem für Tier- und Pflanzenarten vorsieht, wie es Art. 12, 13 und 16 75 der FFH-Richtlinie 92/43/EWG von Deutschland fordern. § 6 Abs. 1 PflSchG bestimmt nach Ansicht des Gerichtshofes nicht in klarer, spezifischer und strikter Weise, wann Pflanzenschutzmittel zum Schutz vor Schädigungen verboten sind. Auch im BBodSchG ist der Begriff der schädlichen Bodenveränderung in § 2 Abs. 3 BBodSchG sehr unbestimmt, da es an einer Festlegung der Schutz76 güter und dem Grad der Wahrscheinlichkeit fehlt. Im neuen BNatSchG enthält die Regelung über den Tierbesatz in § 5 Abs. 4 Spiegelstrich 4 mangels 77 konkreter Vorgaben kaum Problemlösungspotential. Weiterhin ist das Verbot der Beeinträchtigung der natürlichen Ausstattung über das zur Erzielung eines nachhaltigen Ertrags erforderliche Maß hinaus (§ 5 Abs. 4 Spiegelstrich 6 78 BNatSchG) wenig steuerungs- und vollzugsfähig. Zusätzlich beansprucht § 5 BNatSchG als Rahmenvorschrift keine unmittelbare Geltung (§ 11 BNatSchG), sondern muss erst von den Ländern als verbindliche Anforderung normiert werden, wobei sie jedoch stärkere Konkretisierungen treffen können. Ein nahezu vollständiges Regelungsdefizit besteht im Bereich der gasförmigen Emissi79 onen der Landwirtschaft. Insgesamt hat die Normierung der guten fachlichen Praxis teilweise nur einen Appellcharakter, da nur wenige Anforderungen (hauptsächlich im Dün80 geMG und PflSchG) bußgeldbewehrt sind. Ursächlich für die fehlende Buß___________ 73
Vgl. Gassner, in: Gassner/Bendomir-Kahlo/Schmidt-Räntsch, BNatSchG, § 8 a. F. Rn. 19 ff. Definitionsversuche und -probleme z. B. bei Knickel/Janßen/Schramek/Käppel, Naturschutz und Landwirtschaft, S. 22 ff., 46, 82 ff. Die neuen Anforderungen sind erläutert bei SRU, Sondergutachten 2002, Tz. 343 ff.; Chris Müller, NuR 2002, S. 530 [531 ff.]. 74 SRU, Sondergutachten 1996, Tz. 194 ff., 209; SRU, Sondergutachten 2002, Tz. 343 ff., 359 f.; Peine, NuR 2002, S. 522 [524 f.]; Chris Müller, NuR 2002, S. 530 [531, 534 f.]; Schlacke, ZUR 2002, S. 377 [381]; Schink, in: Ramsauer, Landwirtschaft und Ökologie, S. 11 [34 f.]. 75 EuGH vom 10.01.2006, ZUR 2006, S. 134 [136]. 76 Zum Meinungsstand Schlabach/Landel/Notter, ZUR 2003, S. 73 ff. 77 Chris Müller, NuR 2002, S. 530 [534 f.]; SRU, Sondergutachten 2002, Tz. 348. 78 Chris Müller, NuR 2002, S. 530 [535]; SRU, Sondergutachten 2002, Tz. 350. 79 SRU, Sondergutachten 1996, Tz. 207 f. 80 Peine, NuR 2002, S. 522 [526]; SRU, Sondergutachten 2002, Tz. 356, 358, 360. So ist gemäß § 26 Abs. 1 Nr. 2 BBodSchG allein die nachsorgende Beseitigungs- und
§ 2 Gegenwärtige Bewältigung der Umweltprobleme
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geldbewehrung ist der Umstand, dass viele Verpflichtungen zu unbestimmt 81 sind, um sie mit behördlicher Anordnung und Zwangsgeld durchzusetzen. Ist der Schutz der Umwelt im Agrarbereich schon innerhalb der Gesetze nicht zufrieden stellend, so kommen noch erhebliche, teilweise bereichsimmanente Durchsetzungs- und Kontrollprobleme hinzu. So stellte der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen schon 1985 fest, dass eine ordnungsrechtliche Überwachung des Düngereinsatzes angesichts der großen Zahl von Be82 trieben (im Jahr 2004 existierten noch 372.400 Betriebe ) nicht denkbar er83 scheint. Verhaltensbezogene Anforderungen, wie z. B. mengenmäßige Ausbringungsbeschränkungen von Klärschlamm und Gülle, sind gegen den Wider84 stand der Adressaten kaum vollziehbar. Aus diesen Gründen empfiehlt der 85 Rat weiterhin die Einführung einer Stickstoffabgabe. Ähnliche Kontrollprob86 leme existieren auch beim Einsatz von Pflanzenschutzmitteln. Trotz des bestehenden hohen Schutzstandards nach §§ 6 ff., 15 PflSchG sind die Gewässer aber auch Lebensmittel mit zu hohen Rückständen belastet und räumt das Bundesministerium für Verbraucherschutz ein, dass über den Grad der Verwirklichung des Schutzes durch die Einhaltung dieser Vorschriften in der Praxis we87 nig bekannt ist. Das Ministerium fordert für die Zukunft eine stärker Beschränkung des Einsatzes auf das notwendige Maß und schlägt hierzu unter anderem durchschnittliche Behandlungsintensitätsindizes als Vergleichsvorgaben, eine bessere Sachkunde, stärkere Kontrollen und eine Ausweitung von 88 Maßnahmen des integrierten Pflanzenschutzes vor. Ansonsten kann auf die schon genannten Kontroll- und Durchführungsdefizite bei den Agrarumweltmaßnahmen verwiesen werden, da auch hier umweltrechtliche Verpflichtungen zu überwachen sind, nur mit dem Unterschied, dass statt dem Anreiz der Sub89 vention das Druckmittel des Buß- oder Zwangsgeldes besteht. ___________ Sanierungspflichten nach § 4 Abs. 3, 5 und 6 BBodSchG nicht aber die Vorsorgepflicht gemäß §§ 7, 17 Abs. 1und 2 BBodSchG bußgeldbewehrt; nehmen §§ 65 f. BNatSchG sowohl die Eingriffsregelung (§ 18) als auch § 5 BNatSchG von der Bußgeldsanktion aus. Die Einhaltung der guten fachlichen Praxis wird auf Bundesebene einzig durch die Eingriffsregelung § 18 Abs. 2 BNatSchG sanktioniert. Bußgeldbewehrt sind allerdings nach § 7 DüngeV etliche Verpflichtungen zum Düngemitteleinsatz und gemäß § 40 PflSchG die Pflichten aus § 6 Abs. 1 und 2 und § 6a Abs. 1 PflSchG. 81 SRU, Sondergutachten 2002, Tz. 357. 82 Bundesregierung, Agrarbericht 2005, Tz. 14. 83 SRU, Sondergutachten 1985, Tz. 1400. 84 Lübbe-Wolff, NuR 1993, S. 217 [227]. 85 SRU, Sondergutachten 1996, Tz. 209; SRU, Umweltgutachten 2000, Tz. 487 ff. 86 SRU, Sondergutachten 1996, Tz. 201, 203. Auch verschärfte Haftungsregelungen scheiden infolge der schwierigen Verursachernachweise aus (Tz. 204). 87 BMVEL, Reduktionsprogramm, S. 9. 88 BMVEL, Reduktionsprogramm, S. 11 ff. 89 Siehe § 2 A.
1. Teil: Notwendigkeit ökonomischer Lenkungsinstrumente
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Zusammenfassend ist gegenüber einer Umsetzung der Umweltschutzziele 90 einzig mit den Mitteln des Ordnungsrechts Skepsis angebracht. Das Ordnungsrecht ist nötig, um zwischen erlaubten und unerlaubten Umweltnutzungen bzw. Verhaltensweisen zu unterscheiden. Es ist ein notwendiges und effektives Mittel zur Gefahrenabwehr, da sich mit ihm im Einzelfall verbindliche 91 Grenzen festlegen lassen. Seine Stärke liegt in der Regulierung konkreter Umweltprobleme, bei denen nicht die Verringerung der Gesamtbelastung der 92 Umwelt, sondern eine bestimmte Einzelgefahr im Vordergrund steht. Der Anwendung im Vorsorgebereich stehen deutliche Bedenken aufgrund der fehlenden Motivierung der Adressaten und der teilweisen Unmöglichkeit einer umfassenden Kontrolle entgegen, die sich auch nicht allein durch qualitative 93 Verbesserung der Behörden beseitigen lässt. Die vorsorgende Reduzierung der gesamten Nutzungsintensität der Landwirtschaft durch eine großflächige Änderung der Bewirtschaftungsweise und des Mitteleinsatzes wird man daher 94 allein mit dem Ordnungsrecht nicht erreichen können.
___________ 90
Chris Müller, NuR 2002, S. 530 [537]. Hansjürgens, in: Gawel/Lübbe-Wolff, Umweltordnungsrecht, S. 251 [260 ff.]; Köck, NuR 1992, 412 [415f., 417 f.]; Hendler, NuR 2000, S. 661. 92 Köck, in: Gawel/Lübbe-Wolff, Rationale Umweltpolitik, S. 323 [339 ff.]. 93 Lübbe-Wolff, NuR 1993, S. 217 [229]; Hendler, NuR 2000, S. 661 [662]. 94 Vgl. Köck, NuR 1992, 412 [415 f., 418]; Hendler, NuR 2000, S. 661 [662 f.]; SRU, Sondergutachten 1996, Tz. 197 f. 91
§ 3 Umweltabgaben als alternatives Instrument im Umweltschutz A. Ökonomische Konzeption von Umweltabgaben Vielfältige Bestrebungen zur Effektivierung des Umweltrechts sehen den Einsatz von Umweltabgaben vor, wobei hierbei über alle Finanzinstrumente des Staates, wie Steuern, Sonderabgaben, Beiträge und Gebühren, nachgedacht 1 wird. Umweltabgaben sind in verschiedener Hinsicht verwendbar. Sie können dazu dienen, Einnahmen zu erzielen, die für Umweltschutzmaßnahmen verwendet werden. Daneben kann man mit Umweltabgaben auch eine Internalisierung externer Kosten und eine ökonomische Lenkung des Verhaltens der Adressaten erreichen. Gerade die letzten beiden Wirkungen sind in der Regel das eigentliche Ziel von Umweltabgaben. Die Idee, mit Abgaben zu steuern, ist an sich nicht neu, sondern war immer 2 schon Bestandteil der Politik. Neu hinzugekommen ist aber das wirtschaftswissenschaftliche Konzept der Internalisierung. Es beruht auf der Erkenntnis, dass die Selbstregulation des freien Marktes bei öffentlichen Umweltgütern wie Luft, Wasser, Boden aber auch hinsichtlich der Arten- und Biotopvielfalt versagt, da deren Nutzung, Beeinträchtigung und Verbrauch sowie die Problemverlagerung zu Lasten zukünftiger Generationen (Ressourcenverbrauch, Langzeitwirkungen von Umweltbelastungen) weder vom volkswirtschaftlichen noch vom betriebswirtschaftlichen System des Marktes auch nur annähernd erfasst 3 werden. Ursächlich für die Nichterfassung ist die systembeherrschende Sprache des Preises. Da öffentliche Umweltgüter in aller Regel kostenlos zur Verfügung stehen und sich ihre relative Knappheit sowie ihr Wert für die heutige Gesellschaft und die zukünftigen Generationen nur schwer in Geld ausdrücken lassen, fließen die Kosten der Umweltnutzung nicht in die volks- und betriebs___________ 1
Kommission (EG), KOM (92) 23, Vol. II, S. 72 ff.; BMU, UGB-KomE, S. 182 ff., 779 ff. bezogen auf Sonderabgaben, Gebühren und Beiträge; UPI, Ökologische Steuerreform; SRU, Umweltgutachten 1994, Tz. 337 ff., 360 ff.; UBA, Ökologische Steuerreform; Köck, JZ 1993, S. 59 ff.; Sprenger/Körner/Paskuy/Wackerbauer, Steuer- und Abgabensystem; Wilhelm, Sighard, BB 1990, S. 751 ff. gibt einen Überblick über die Vorschläge der Parteien; Lübbe-Wolff, NuR 1993, S. 217 [218]. 2 Kloepfer, Umweltrecht, § 5 Rn. 224. 3 Nutzinger, in: Roßnagel/Neuser, Reformperspektiven, S. 39 ff. mit geschichtlichen Rückblick.
1. Teil: Notwendigkeit ökonomischer Lenkungsinstrumente
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wirtschaftliche Preisgestaltung mit ein. Die trotzdem entstehenden Kosten sowie die Verluste an Qualität und Ressourcen trägt stattdessen die Allgemeinheit. Die Kostenverlagerung bzw. Nichtberücksichtigung widerspricht nicht 5 nur dem Gerechtigkeitsgedanken der Verursacherverantwortung, sondern regt einen sorglosen Umgang und Verbrauch an. Als Lösung wurde von den Wirtschaftswissenschaften, insbesondere von 6 7 Pigou und Hotelling ein Modell vorgeschlagen, welches die Defizite des ökonomischen Systems nicht ordnungsrechtlich, sondern innerökonomisch löst, indem öffentliche Güter einen Wert erhalten und die Nutzung sowie Be8 einträchtigung als Kosten in die marktwirtschaftlichen Prozesse mit einfließen. Nicht die Allgemeinheit oder die zukünftigen Generationen sollen die Kosten tragen, sondern der jeweilige Verursacher. Die Internalisierung externer Kosten sorgt für eine bessere Allokation der Auswirkungen und schafft gleichzeitig ein Eigeninteresse der Wirtschaftsteilnehmer, mit Umweltgütern sparsam, sorgsam und effektiv umzugehen. Allerdings setzt die Internalisierung entsprechende verpflichtende Maßnahmen des Staates voraus. Als Instrumente kommen verteuernde Umweltabgaben sowie die Monetarisierung von Umweltgütern mittels handelbarer Zertifikate und Lizenzen in Betracht.
I. Defizite einer vollständigen Internalisierung der externen Umweltkosten Die von Pigou und Hotelling vorgeschlagene vollständige Internalisierung der Umweltkosten und der Ressourcenknappheit sah vor, dass jeder die Kosten nach seinem konkreten Verursacherbeitrag tragen sollte. Hierbei bestehen aber nahezu unüberwindbare Praktikabilitätsprobleme, da ein Großteil der Umweltbeeinträchtigungen aufgrund diffuser Verursacherbeiträge und durch die Akkumulation einzelner Ursachen erfolgt, bei denen eine genaue Verursacherzu9 rechnung nicht möglich ist. Gerade für diese Fälle, die sich wegen der proble___________ 4
Siebert, Ökonomische Theorie, S. 19 ff., 141 ff.; Hansjürgens, Umweltabgaben, S. 23 ff.; Wicke, Umweltökonomie, S. 41 ff. Hey, StuW 1998, S. 32 [33]; Kloepfer, Umweltrecht, § 5 Rn. 180 ff., 225; Nutzinger, in: Roßnagel/Neuser, Reformperspektiven, S. 39 ff. Meßerschmidt, Umweltabgaben, S. 55 ff. 5 Kloepfer, Umweltrecht, § 5 Rn. 180 f., § 9 Rn. 35. 6 Pigou, Economics of Welfare, S. 162. Übersetzung abgedruckt in: Siebert, Umwelt, S. 23-38. Vgl. die wirtschaftswissenschaftliche Darstellung der Pigou-Steuer bei Hansjürgens, Umweltabgaben, S.28 ff. 7 Hotelling, Journal of Political Economy, Band 31 (1931), S. 137 ff. 8 SRU, Umweltgutachten 1994, Tz. 337; Nutzinger, in: Roßnagel/Neuser, Reformperspektiven, S. 39 [41 f.]; Köck, NuR 1992, 412 [414 ff.]; F. Kirchhof, EUDUR, § 38 Rn. 2 ff.; Hansjürgens, Umweltabgaben, S. 26 ff. 9 Kloepfer, Umweltrecht, § 5 Rn. 226; Meßerschmidt, Umweltabgaben, S. 70 f.; Hey, StuW 1998, S. 32 [33].
§ 3 Umweltabgaben als alternatives Instrument
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matischen Verursacherzuordnung nur schwer mit dem Ordnungsrecht regeln lassen, werden internalisierende Instrumente vorgeschlagen, die allerdings mit den selben Problemen kämpfen. Lässt sich der Verursacherbeitrag noch ermitteln, so scheitert eine ideale Internalisierung oftmals an der nahezu unmöglichen Bestimmung der Kosten von Umweltbeeinträchtigungen und Ressourcenverbrauch, da sich für viele Umweltgüter kein Marktpreis bildet und er auch 10 nicht aus den Gütern ableitbar ist.
II. Konzept eines politischen Steuerungsmodells (Standard-Preis-Ansatz) Aufgrund der Erkenntnis, dass sich für viele Umweltgüter und Umweltschäden ein Marktpreis nicht bildet, sondern allenfalls politisch festlegen lässt, ha11 12 ben Baumol und Oates den Standard-Preis-Ansatz entwickelt. Danach sei nicht mehr die vollständige und genaue Internalisierung der Kosten das Ziel, sondern ein bestimmter politisch festzulegender Zustand, den es mit Hilfe von Umweltabgaben zu erreichen gilt. Dem liegt der Gedanke zu Grunde, dass aus den Problemen der Verursacher- und der Kostenbestimmung nicht folgen darf, dass Umweltgüter wie bisher unentgeltlich nutzbar sind, da die Umweltprobleme und der übermäßige Ressourcenverbrauch auf Dauer nicht tolerabel 13 sind. Soll das Ziel eines möglichst effektiven Umweltschutzes nicht an einer exakten ökonomischen Abbildung des Internalisierungsgedankens scheitern, ist die Politik gefordert, die Ursachenzusammenhänge und Kosten anhand wissen14 schaftlicher Erkenntnisse pauschal zuzuweisen. Im Ergebnis ist die Festlegung des Abgabetatbestandes und der Abgabenhöhe eine politische Entscheidung, begrenzt durch die rechtlichen Vorgaben. Die Abgabenlast sollte nach Möglichkeit die Grenzkosten einer umweltfreundliche15 ren Substitutionsalternative übersteigen. Allerdings ist die Substitution keine 16 zwingende Effektivitätsvoraussetzung von Umweltabgaben, da auch der Ver___________ 10
Kloepfer, Umweltrecht, § 5 Rn. 225; Meßerschmidt, Umweltabgaben, S. 70 f., welcher zu Recht gegen den befürchteten Ausverkauf der Natur einwendet, dass Umweltabgaben die derzeitige kostenlose Nutzung ablösen sollen. Bestehende ordnungsrechtliche Verbote, die v. a. der Gefahrenabwehr dienen, sollen mit Umweltabgaben nicht abgeschafft werden. 11 Baumol/Oates übersetzt in: Siebert, Umwelt und wirtschaftliche Entwicklung, S. 169 ff. 12 Vgl. die Darstellung bei Köck, JZ 1993, S. 59 [61]; Nutzinger, in: Roßnagel/Neuser, Reformperspektiven, S. 39 [42 f.]. 13 Köck, JZ 1993, S. 59 [61]. 14 Nutzinger, in: Roßnagel/Neuser, Reformperspektiven, S. 39 [42 f.]; Kloepfer, Umweltrecht, § 5 Rn. 227; Meßerschmidt, Umweltabgaben, S. 64 f. 15 Balmes, Umweltsteuern, S. 10 ff.; Hey, StuW 1998, S. 32 [34]. 16 So aber Balmes, Umweltsteuern, S. 10 ff.
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zicht und die Minderung von Umweltnutzungen ein oder sogar das Ziel von 17 Umweltabgaben sind. Die Bevölkerung hat mittlerweile die Idee der Umweltlenkungsabgaben überwiegend akzeptiert. Nach einer Erhebung von Kuckartz im Auftrag des Umweltbundesamtes sind 13 Prozent der Befragten „sehr bereit“ und 47 Prozent „eher bereit“ höhere Steuern zu zahlen, wenn die Mehreinnahmen direkt 18 dem Umweltschutz zugute kämen. 55 Prozent akzeptieren die Logik der eingeführten Ökosteuer, dass höhere Energiesteuern zu einem rationellen und sparsamen Umgang mit Energie anregen und 84 Prozent finden es gerecht, dass derjenige geringere Steuern zahlen soll, welcher die Umwelt in geringerem 19 Maße belastet. 73 Prozent finden, die Bundesregierung solle mehr für den 20 Umweltschutz tun.
B. Lenkungspolitische Vor- und Nachteile von Umweltabgaben Als in den Wirtschaftswissenschaften die Idee einer Internalisierung der externen Kosten mittels des Abgabenrechts geboren wurde, versprach man sich davon eine umfangreiche Erneuerung der Umweltpolitik und eine Ablösung 21 des Ordnungsrechts. Mittlerweile ist allgemein anerkannt, dass Umweltabgaben keine Allheilmittel sind und insbesondere nicht das Ordnungsrecht über22 flüssig machen. Vielmehr kommen beiden sich gegenseitig ergänzende Funktionen zu, die mit ihrer unterschiedlichen Wirkungsweise zusammenhängen. Während das Ordnungsrecht rechtsverbindliche Ge- oder Verbote hinsichtlich bestimmter Verhaltensweisen ausspricht, verpflichten Umweltabgaben nur zur Zahlung eines Geldbetrages. Die verhaltenslenkende Wirkung beruht bei Umweltabgaben allein auf dem ökonomischen Druck der Geldzahlungspflicht. Dieser reizt den Adressaten ökonomisch an, bei Überschreiten der Grenzkosten wirtschaftlichere Substitutionsalternativen zu wählen, welche den Abgabentatbestand nicht erfüllen. Da diese Schwelle in jedem Einzelfall unterschiedlich hoch sein kann, wird eine moderate Abgabenlast nie für alle Fälle den erforderlichen ökonomischen Druck ausüben, sondern nur in den Bereichen mit niedri23 geren Grenzkosten zu einem Umlenken anregen. Deshalb ist das Instrument ___________ 17
Nutzinger, in: Roßnagel/Neuser, Reformperspektiven, S. 39 [45]. UBA, Umweltbewusstsein 2000, S. 8, 36. 19 UBA, Umweltbewusstsein 2000, S. 8, 38. 20 UBA, Umweltbewusstsein 2000, S. 38 f. 21 Hartkopf/Bohne, Umweltpolitik, S. 239. 22 Köck, NuR 1992, 412 [415 f.] m. w. N.; P. Kirchhof, DStJG Bd. 15, S. 3 [5 ff.]; Sacksofsky, Umweltschutz, S. 23 ff. 23 Hey, StuW 1998, S. 32 [33 f.]; Kloepfer, Umweltrecht, § 5 Rn. 230 ff. 18
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der Umweltabgabe im Bereich der Gefahrenabwehr, wo es auf die Einhaltung 24 bestimmter Standards im Einzelfall ankommt, ungeeignet. In diesen Fällen hilft allein eine verbindliche Anordnung im Rahmen des Ordnungsrechts. Der lenkungspolitische Vorteil von Umweltabgaben liegt vielmehr im Bereich der längerfristig angelegten Vorsorge, bei der nicht in jedem Einzelfall, sondern für 25 die gesamte Volkswirtschaft bestimmte Umweltziele erreicht werden sollen. Der von Umweltabgaben ausgehende ökonomische Druck erzeugt, eine entsprechende Abgabenhöhe vorausgesetzt, bei den Adressaten ein Eigeninteresse an der Vermeidung der Abgabenlast. Umweltabgaben nutzen somit das innovative Potential der Marktwirtschaft, indem sie auch überobligatorische Anstren26 gungen belohnen. Sie können zu stetigen Verbesserungen und Kosteneinsparungen anregen, wobei allerdings eine langfristige Anhebung der Abgabensätze nötig sein wird, und helfen, einen Status quo bei den Umweltinvestitionen zu 27 vermeiden. In Bereichen, in denen aufgrund sich vermischender Verursacherverantwortlichkeiten ein konkretes ordnungsrechtliches Gebot nicht möglich ist, können Abgaben, wenn sie z. B. Ressourcen oder Emissionen verteuern, alle für eine Umweltbelastung Verantwortlichen zu einem sparsameren Umgang 28 anregen. Dass die abgabenrechtlichen Anreize nicht nur in den wirtschaftswissenschaftlichen Theorien Wirkungen herbeiführen, zeigt die zum 1. April 1999 eingeführte und seitdem schrittweise erhöhte Ökosteuer auf Mineralöle 29 und Strom. So reduzierte sich der Verbrauch von Benzin seit 1998 um 15 Prozent, wobei der Preisanstieg von 80 Cent je Liter Benzin auf bis zu 115 Cent nur zum Teil auf die steuerliche Mehrbelastung von 15,35 Cent zurück30 geht. Leicht gestiegen ist der Absatz von Diesel, da seit 1998 verstärkt Dieselfahrzeuge als sparsamere Alternative gekauft werden. Allerdings gleicht der Dieselmehrverbrauch von 4,5 Prozent nicht die Einsparungen beim Benzin aus, so dass insgesamt seit 1998 der Mineralölverbrauch um 9,7 Prozent zurück31 ging. Mit Umweltabgaben lassen sich daher durchaus die Gesamtumweltbeeinträchtigungen einer Volkswirtschaft reduzieren, wobei die Wahlfreiheit im Einzelfall gewährleistet, dass nur dort Umweltmaßnahmen getroffen werden, wo ___________ 24
Hey, StuW 1998, S. 32 [34 f.]. Lübbe-Wolff, in: Roßnagel/Neuser, Reformperspektiven, S. 97 [107]. 26 Nutzinger, Steuern, S 46; Kloepfer, Umweltrecht, § 5 Rn. 184. 27 Nutzinger, in: Roßnagel/Neuser, Reformperspektiven, S. 39 [46]. 28 Köck, NuR 1992, 412 [415 f., 418]; ders., JZ 1993, S. 59 [61]; Hendler, NuR 2000, S. 661 [662 f.]; SRU, Sondergutachten 1996, Tz. 197 f. 29 Gesetz zum Einstieg in die ökologische Steuerreform, BGBl. I 1999, S. 378, in der Fassung Gesetzes zur Fortentwicklung der ökologischen Steuerreform, BGBl. I 2002, S. 4602. 30 BMF, Monatsbericht 3/2004, S. 35 [Tabellen S. 37, 39, 43]. 31 BMF, Monatsbericht 3/2004, S. 35 [Tabellen S. 42, 43]. 25
1. Teil: Notwendigkeit ökonomischer Lenkungsinstrumente
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sie ökonomisch am effektivsten vorzunehmen sind. Begründen Umweltabgaben keine Verhaltenspflichten, beschränkt sich auch die Kontrolle auf die Einhaltung der Abgabentatbestände. Eine vergleichbare ordnungsrechtliche Regelung würde zwar die Verhaltensänderung im Einzelfall erzwingen können, bedürfte aber hierzu eines erheblichen Kontrollaufwandes, der sich schon jetzt als problematisch erweist. Den aufgezeigten Vorteilen stehen indes auch Nachteile gegenüber. Die von 33 verschiedener Seite geäußerte Kritik beruht zum Teil jedoch auf einem falsch verstandenen Einsatzgebiet. Gegen Umweltabgaben wendet man ein, dass sich mit ihnen keine verbindlichen Verhaltensänderungen erzielen lassen, da der 34 Adressat stattdessen die Abgabenlast auf sich nehmen könnte. Dieser Vorwurf der Wirkungsunschärfe ist indes nur hinsichtlich der Gefahrenabwehr im Einzelfall berechtigt, nicht aber bezüglich der Reduzierung der volkswirtschaftlichen Gesamtbelastungen, bei der es gerade auf die Verringerung von kumulativen Umweltbelastungen und diffusen Einträgen ankommt. Hier ökonomische Eigeninteressen zu wecken, statt Kontroll aufwendige Gebote zu erlassen, könnte langfristig das effektivere Mittel sein. Schwerer wiegt dagegen der Vorwurf, dass eine genaue Bestimmung der Umweltschäden und der Verursachung oftmals nicht möglich sei, so dass die Festlegung des Abgabetatbestandes und -höhe eine rein politische Entschei35 dung ist. Allerdings beinhaltet die nicht hundertprozentige Umsetzung eines wirtschaftswissenschaftlichen Idealmodells grundsätzlich noch keine ökonomische oder ökologische Wirkungslosigkeit. Vielmehr ist, wie auch im Ordnungsrecht, eine politische Entscheidung gerade eine Notwendigkeit bei Sachzwängen und Interessenkonflikten. Umweltabgaben ermöglichen es zumindest, bestimmte Umweltnutzungen, die bisher unentgeltlich oder nur wenig vergütet waren, mit einem, wenn auch politisch festzulegenden Preis zu versehen, der die Nutzer zu einem sparsameren Umgang anregt und zumindest teilweise die externen Folgekosten finanziell abbildet. So weit man weiterhin beklagt, dass die Abgaben gerade den zu veranlas36 senden Umweltinvestitionen die finanziellen Mittel entziehen, hat auch dieses Problem zwei Seiten. Denn erst die betriebswirtschaftlich einzustellende Abgabenlast schafft überhaupt einen Anreiz, höhere Kosten durch Investitionen ein___________ 32
Nutzinger, in: Roßnagel/Neuser, Reformperspektiven, S. 39 [45 f.]; Hendler, NuR 2000, S. 661 [663]. 33 Z. B. Kloepfer, Umweltrecht, § 5 Rn. 228 ff.; P. Kirchhof, DStJG Bd. 15, S. 3 [5 ff.]; F. Kirchhof, DVBl. 2000, S. 1166 [1168 ff.]. 34 P. Kirchhof, DStJG Bd. 15, S. 3 [5 f.]; Kloepfer, Umweltrecht, § 5 Rn. 230 ff. Ausführlich hierzu unter § 12 A. III. 2. b. 35 P. Kirchhof, DStJG Bd. 15, S. 3 [7 f.]; Kloepfer, Umweltrecht, § 5 Rn. 225, 227. 36 Kloepfer, Umweltrecht, § 5 Rn. 229.
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zusparen. Außerdem wird die kurzfristige Abgabenlast die Investitionskosten regelmäßig nicht annähernd erreichen, vielmehr rentieren sich die Investitionen erst über einen längeren Zeitraum. Das bedeutet, dass eine angemessene und nicht erdrosselnde Abgabenbelastung nur in geringem Maße Mittel für Investitionen entzieht. Dieser verbleibende Betrag ließe sich im Übrigen mit Übergangsfristen vermeiden, bei denen die Adressaten schon im Vorfeld investieren können. Schließlich wendet man speziell gegen Umweltsteuern ein, dass sie in den allgemeinen Finanzhaushalt fließen und man damit nicht klar zwischen ihrer 37 Finanzierungsfunktion und Lenkungsfunktion abgrenzen kann. Hierbei muss allerdings gesehen werden, dass der Staat vielfältigste Umweltaufgaben aus allgemeinen Staatsmitteln und nicht aus Sonderfonds finanziert, so dass umweltrechtlich motivierte Einnahmen auch dem Staatshaushalt zufließen können und sollten. Weiterhin ist die Trennung von Einnahmen und Ausgaben verfassungsrechtlich in Art. 104a ff. GG vorgegeben. Es ist nicht ersichtlich, warum dies im Bereich des Umweltschutzes anders sein soll. Im Übrigen erfüllen Umweltsteuern ihre Umweltschutzfunktion im Regelfall nicht erst als Finanzierungsmittel, sondern vor allem als ökonomisches Anreizmittel.
C. Exkurs: Umweltabgaben versus Zertifikate und Kontingente Als ein weiteres ökonomisches Instrument im Umweltschutz entwickelten 38 Ökonomen die Idee handelbarer Zertifikate und Nutzungsrechte. Mit der begrenzten Zuweisung von Rechten, soll die vormals kostenlose Nutzung (z. B. Emission bestimmter Stoffe) zu einem wirtschaftlichen Gut werden, das stetig 39 verknappt wird und in seinem Wert steigt. Durch die Handelbarkeit der Kontingente lässt sich die volkswirtschaftliche Effizienz steigern, da nunmehr dort investiert wird, wo die Vermeidungs- oder Substitutionskosten am geringsten sind. Ein verbesserter Umweltschutz entsteht jedoch erst, wenn durch politische Vorgaben die Nutzungsmengen langfristig reduziert werden, da ansonsten nur eine ökonomische Allokation mit einer bloßen Verlagerung der Umweltbe40 einträchtigungen eintritt. Ein solches System ist sinnvoll im internationalen Bereich, da sich mit nationalen Abgaben keine globalen Lenkungseffekte erzie___________ 37
Z. B. die Argumente des Bundes der Industrie und des Deutschen Industrie- und Handelstages bei Franke, StuW 1990, S. 217 [223 f.]. 38 Die erste Anwendung von Zertifikaten zum Umweltschutz wird in Deutschland mit dem Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz (TEHG) erfolgen, welches die Richtlinie 2003/87/EG der EU umsetzt. 39 Wicke, Umweltökonomie, S. 383 f.; Feldhaus, DVBl. 1984, S. 552 [553]; Kloepfer, Umweltrecht, § 5 Rn. 285 f. 40 Feldhaus, DVBl. 1984, S. 552 [553]; Kloepfer, Umweltrecht, § 5 Rn. 295.
1. Teil: Notwendigkeit ökonomischer Lenkungsinstrumente
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len lassen. Sie mag auch effektiv bei der Verringerung von Umweltbeeinträchtigungen sein, die ein sich austauschendes Medium betreffen (z. B. die Luft 41 über einer bestimmten Region oder ein Wassereinzugsgebiet). Die ökonomische Idee einer Wertzuweisung darf jedoch nicht darüber hinweg täuschen, dass die Einhaltung und Überwachung der Nutzungsrechte einen erheblichen Kontrollaufwand mit sich bringt, der mit der Durchsetzung von ordnungsrecht42 lichen Vorgaben vergleichbar ist. Die staatliche Verwaltung wird allenfalls dadurch entlastet, dass man wie beim Handel mit CO2-Emissionen die Kontrolle privaten Zertifizierungsorganen (wie z. B. TÜV) überlässt, die von den Un43 ternehmen zu bezahlen sind. Allerdings kann es hier, wie bei den Wirtschaftsprüfern eingetreten, zu Interessenkollisionen kommen, welche die Kontrollqualität gefährden, so dass zumindest eine effektive staatliche Kontrolle der Zertifizierungsunternehmen erforderlich ist. Speziell im hier interessierenden Bereich der Landwirtschaft sind jedoch erhebliche Schwierigkeiten erkennbar. Wollte man z. B. den Einsatz von Düngeund Pflanzenschutzmitteln mit handelbaren Kontingenten reduzieren, müsste man jedem Landwirt ein geringeres Kontingent als die derzeitige Menge zuweisen. Die Einhaltung der Kontingentmengen wäre dann mit Bodenproben und exakter Buchführung zu kontrollieren. Es wurde jedoch schon bei den Agrarumweltmaßnahmen deutlich, dass eine wirksame Kontrolle von Mengenbe44 schränkungen beim Dünge- und Pestizideinsatz nahezu unmöglich ist. Zwar könnte man die Kontrolle einem vom Landwirt zu bezahlenden privaten Zertifizierungsunternehmen übertragen, würde aber dem Landwirt neben dem Er45 tragsrückgang zusätzliche Kosten auferlegen. Problematisch ist auch, dass es durch handelbare Kontingente zu einer Verschärfung der Belastungssituation in agrarintensiven Gebieten kommen kann, wenn dortige Landwirte Kontingente von Landwirten aus landwirtschaftlichen 46 Grenzstandorten abkaufen, da anders als bei austauschenden Umweltmedien (Wasser und Luft) die Bodenbelastung situationsgebunden ist. Zwar sind auch ___________ 41
Wicke, Umweltökonomie, S. 385; Kloepfer, Umweltrecht, § 5 Rn. 288. Aber auch hier ist im Regelfall eine räumliche Abgrenzungsmöglichkeit erforderlich (vgl. Nutzinger, in: Roßnagel/Neuser, Reformperspektiven, S. 39 [44]). 42 Wicke, Umweltökonomie, S. 387 f.; P. Kirchhof, NVwZ 1988, S. 97 [102]; Feldhaus, DVBl. 1984, S. 552 [553]. Zu den sonstigen Problemen und Befürchtungen insbesondere den Schwierigkeiten einer gerechten Zuteilung der Rechte vgl. Kloepfer, Umweltrecht, § 5 Rn. 288 ff. m. w. N.; Feldhaus, DVBl. 1984, S. 552 [554]. 43 Vgl. § 5 Abs. 3 TEHG. 44 Siehe § 2 A. 45 Bei den Umweltabgaben stünde der Landwirt hingegen vor der Alternative: Ertragsrückgang bei geringerer Abgabenlast oder Ertragsbeibehaltung bei höherer Abgabenlast. 46 Vgl. Wicke, Umweltökonomie, S. 387; P. Kirchhof, NVwZ 1988, S. 97 [102].
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Abgaben auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel gegen die Bildung von „hot spots“ nicht gewappnet. Eine gleichmäßige Verteuerung verhindert aber zumindest einen übermäßigen Einsatz der Mittel. Der größere Vorteil von Umweltabgaben gegenüber Zertifikatmodellen ist aber im geringeren Verwaltungsaufwand zu sehen. Statt bei jedem Landwirt den Mitteleinsatz zu kontrollieren, genügen für eine Verteuerung der Mittel Abgaben auf der Ebene der 47 Hersteller oder Händler. Da deren Zahl wesentlich kleiner ist als die 372.000 Landwirte, wäre der Kontrollaufwand entsprechend geringer.
___________ 47
SRU, Umweltgutachten 1996, Tz. 1240, der deshalb den Einsatz einer Stickstoffabgabe seit längerem befürwortet. Ausführlich wird in § 7 die Ausgestaltung einer Abgabe auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel behandelt.
Zweiter Teil
Steuer- und Abgabenmodelle zur ökologischen Ausrichtung der Landwirtschaft § 4 Ziele und Anknüpfungspunkte von Umweltabgaben zur Ökologisierung der Landwirtschaft Eine ökologische Steuerung der Landwirtschaft mit Abgaben muss von den spezifischen Umweltproblemen sowie den ursächlichen Verhaltensweisen ausgehen und sollte nach Möglichkeit die existierenden Abgaben mit einbeziehen. Wie festgestellt, verursacht die Landwirtschaft durch die verschiedensten Bewirtschaftungsmaßnahmen Beeinträchtigungen bei der Flora, der Fauna und allen Umweltmedien sowie für den Menschen. Verantwortlich sind insbesondere die intensive Bodenbearbeitung, der übermäßige Einsatz von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln wie auch ein zu hoher Tierbesatz. Als Abgaben kommen grundsätzlich alle Finanzierungsinstrumente, d. h. Steuern, Sonderabgaben, Beiträge sowie Gebühren, in Betracht. Mit dem Einsatz von Umweltabgaben müßten sich die betreffenden Verhaltensweisen steuern lassen. Eine Steuerung könnte als eine umfassende Lenkung über z. B. definierte Standards, wie dem ökologischen Landbau, oder als spezielle Steuerung bestimmter Verhaltensweisen erfolgen. Beides hat Vor- und Nachteile. Eine spezielle Abgabe, auf z. B. den Einsatz von Düngemitteln, wird eine größere Anzahl von Landwirten bewegen, ihr diesbezügliches Verhalten zu ändern, wohingegen es für eine umfassende Umstellung auf den ökologischen Landbau eines größeren Anreizpotentials bedürfte. Andererseits existieren im deutschen Abgabenrecht schon genügend Abgaben, so dass eine Zersplitterung des Finanzrechts durch zu viele Einzelabgaben zu vermeiden ist. Einzelabgaben sollten daher nur eingesetzt werden, wenn eine leichte Erhebung sowie effektive Kontrolle möglich und die belastete Verhaltensweise spezifisch für bestimmte Umweltprobleme verantwortlich ist. Dies ist vor allem beim Einsatz von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln der Fall. Bei den anderen Bewirtschaftungsmaßnahmen, wie z. B. die Tierbesatzdichte oder bestimmte Methoden der Bodenbearbeitung, ist dagegen die einzelne Maßnahme nur schwer zu kontrollieren und Teil der Bewirtschaftungsweise. Hier empfiehlt sich eine Lenkung, die einen umfassenderen Standard wie den ökologischen Landbau steuerlich begünstigt und bei der sich die Landwirte freiwillig einem Kontrollsystem unterwerfen, um eine Änderung der gesamten Bewirtschaftungsweise zu errei-
§ 4 Ziele und Anknüpfungspunkte von Umweltabgaben
57
chen. Bei der Melioration und Flurbereinigung ist aufgrund der Eingriffsintensität sowie der knappen Landressourcen eine ordnungsrechtliche Steuerung zu bevorzugen. Weiter ist zu untersuchen, welche bestehenden Abgaben für eine ökologische Lenkung nutzbar sind oder ob man neue Abgaben einführen muss. Bei der Wahl der Finanzierungsinstrumente sind deren rechtlich zugewiesenen Funkti1 onen zu beachten. Während Beiträge und Gebühren für eine potentielle oder 2 tatsächlich erlangte individuelle Gegenleistung des Staates erhoben werden, sind Steuern allgemeine Finanzierungsmittel, die von keiner Gegenleistung abhängen. Eine Zwischenstellung nehmen die Sonderabgaben ein, da sie zwar ähnlich wie Steuern gegenleistungslos sind, ihre Einnahmen aber der speziellen Gruppe der Abgabenzahler wieder zufließen müssen. Damit scheiden Gebühren und Beiträge für eine Ökologisierung der Landwirtschaft weitestgehend aus, da die Bewirtschaftung des Bodens von keiner staatlichen Leistung abhängt, sondern Teil des Eigentumrechts ist. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Wasserpfennig-Entscheidung die Einstufung einer Abgabe auf Sondervorteile im Rahmen einer öffentlich-rechtlichen Nutzungsregelung unter 3 die Begriffe Gebühr, Beitrag oder Sonderabgabe ausdrücklich offen gelassen. Die landwirtschaftliche Bodennutzung beruht indes nicht auf staatlich gewährten Sondervorteilen, da die landwirtschaftliche Nutzung privater Flächen, anders als z. B. die Gewässernutzung, keiner öffentlich-rechtlichen Bewirtschaftungsordnung unterliegt. Somit kommen für eine abgabenrechtliche Ökologisierung der Landwirtschaft nur Steuern und Sonderabgaben in Betracht, die 4 beide keine Gegenleistung des Staates voraussetzen. Von den bestehenden 5 Steuern, welche die Landwirtschaft direkt oder indirekt betreffen, könnten die Einkommensteuer, die Umsatzsteuer und die Grundsteuer für eine Lenkung verwendbar sein. Die Einkommensteuer, die gemäß §§ 13 ff. EStG auch die Einkünfte der Landwirte besteuert, wäre insofern tauglich, als die Höhe der Einkünfte auch von der Bewirtschaftungsweise abhängt. Allerdings beeinflussen auch andere Faktoren, wie der Arbeitseinsatz oder die Vermarktung, die Einkommen der Landwirte, so dass sich die Einkünfte nicht allein wegen der ökologischen oder ___________ 1
Einen Überblick gibt z. B. Lang, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 3 Rn. 9-27. BVerfGE 82, S. 159 [181]; 93, S. 319 [343 f.]. 3 BVerfGE 93, S. 319 [344 f.] In der Literatur versucht man den „Wasserpfennig“ näher zu bestimmen, wobei vor allem über die Form der Gebühr diskutiert wird (vgl. Meyer, Gebühren, S. 42 ff.; Lang, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 3 Rn. 19; Jarass, Nichtsteuerliche Abgaben und lenkende Steuern, S. 36 f.) 4 Vgl. BVerfGE 49, S. 343 [353 f.]; 65, S. 325 [344]; 67, S. 256 [274 f.]; 93, S. 319 [343 f.]. 5 Vgl. den Überblick bei Altehoefer/Bauer/Fichtelmann/Fischer/Freund/Walter, Besteuerung der Land- und Forstwirtschaft. 2
2. Teil: Mögliche Steuer- und Abgabenmodelle
58
konventionellen Bewirtschaftung unterscheiden. Eine differenzierende Besteuerung würde daher die Landwirte unterschiedlich stark treffen, so dass man keine eindeutige Abschätzung geben kann, inwieweit sich umweltschonendere 6 Bewirtschaftungsweisen effektiv anregen lassen. Des Weiteren liegt der Einkommensteuer als Steuer auf die Einkommen aller natürlichen Personen grundsätzlich der Gedanke zu Grunde, dass alle Einkommen unabhängig von ihrem 7 Entstehungsgrund gleich besteuert werden. Allerdings hat die Einkommensteuer mit ihrer progressiven Steuersatzausgestaltung schon eine soziale Umverteilungsfunktion erhalten, indem höhere Einkommen im Verhältnis zu niedrige8 ren stärker besteuert sind. Im Laufe der Zeit fügte man gleichfalls eine Vielzahl von Ausnahmen, Begünstigungen in Form von Steuerbefreiungen, Abschreibungsmöglichkeiten und sonstige Sondervorschriften in die Einkommensteuerregelungen ein, so dass mittlerweile die Steuergerechtigkeit, Verständlichkeit und Kontrollierbarkeit bei der Einkommensteuer stark ge9 schwächt sind. Aufgrund dieser komplizierten Steuerregelung empfiehlt es sich nicht, in die Einkommensteuer noch eine weitere Lenkungsregelung zu implementieren. Eine Lenkungswirkung wäre aufgrund der vielfältigen Wechselbeziehungen und Überlagerungen mit anderen Lenkungs- und Ausgleichsfunktionen auch kaum abschätzbar und würde außerdem den Faktor Arbeit unmittelbar belasten. Eine abgabenrechtliche Ökologisierung der Landwirtschaft bezweckt indes eine Internalisierung externer Kosten, nicht aber eine Verteuerung der Arbeitskraft. Sinnvoller erscheint die Verwendung der Grund- und Umsatzsteuer, da erstere an den Produktionsfaktor Boden und letztere an die Erzeugnisse anknüpfen. Beide stehen damit in einem engeren Zusammenhang zu den landwirtschaftlichen Umweltbeeinträchtigungen. Die Grundsteuer ist als Steuer auf den Grundbesitz prädestiniert für eine umweltrechtliche Steuerung der Grundstücksnutzung. Entsprechend existieren schon eine Vielzahl von Reformkonzepten, mit dem Ziel die Bodennutzung zu beeinflussen und vor allem dem fortschreitenden Flächenverbrauch entgegenzuwirken. Im Bereich der Landwirtschaft könnte eine unterschiedliche Besteuerung in Abhängigkeit von den Umweltwirkungen der Bewirtschaftungsweise erfolgen. Wendet sich die Grundsteuer direkt an die Landwirte, so belastet die Umsatzsteuer die Endverbraucher, auf welche die Unternehmer die Steuer über___________ 6
Generell skeptisch gegenüber Steuervergünstigungen in der Einkommensteuer, Tipke, Steuerrechtsordnung, S. 365 f., da hier die einkommensstarken Steuerzahler weitaus stärker begünstigt werden. 7 Lang, in: Tipke/Lang § 9 Rn. 1. 8 Lang, in: Tipke/Lang § 9 Rn. 2; P. Kirchhof, in: Kirchhof, EStG, Einleitung Rn. 17. 9 P. Kirchhof, in: Kirchhof, EStG, Einleitung Rn. 18 ff., Lang, in: Tipke/Lang § 9 Rn. 1 ff.
§ 4 Ziele und Anknüpfungspunkte von Umweltabgaben
59
wälzen. Dies macht die Umsatzsteuer in unserem System der Marktwirtschaft als Umweltsteuer interessant, weil das Konsumverhalten mit für die Umweltbeeinträchtigungen verantwortlich ist. Aufgrund der Korrelation von Angebot und Nachfrage kann man nicht die Hersteller und Unternehmen für Umweltbelastungen alleine haftbar machen, da sie zum Großteil nur auf Kundenwünsche reagieren. Produkte, die der Verbraucher nicht nachfragt, werden langfristig von der Industrie nicht mehr angeboten. Umgekehrt stellen Unternehmen bei einem guten Absatz verstärkt diese Produkte her. Im Bereich der Landwirtschaft hat so der Wunsch der Konsumenten nach immer preiswerteren Lebensmitteln wesentlich zur Entstehung der Intensivlandwirtschaft beigetragen. Die Machtposition bedeutet aber nicht nur, dass der Verbraucher als Mittler im Umweltschutz in Frage kommt, sondern verdeutlicht vor allem seine Verantwortung für die Auswirkungen des Konsums. Der Konsum ist die treibende 10 Kraft beim umweltschädigenden Ressourcenverbrauch. Maßnahmen, die den Konsum eindämmen oder ökologische Alternativen propagieren, setzen an der Ursache der meisten Umweltbeeinträchtigungen an. Hierbei können insbeson11 dere Steuern, welche bestimmte umweltbelastende Waren verteuern, helfen. Soweit jedoch überlegt wird, auch dem landwirtschaftlichen Verbrauch von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln mit einer erhöhten Umsatzsteuer auf diese 12 Mittel entgegenzuwirken, muss dem Vorschlag schon an dieser Stelle keine Aussicht auf Erfolg bescheinigt werden. Landwirtschaftlich genutzte Düngeund Pflanzenschutzmitteln sind keine Waren für Konsumenten, sondern betriebliche Hilfsmittel für die Landwirte, denen nach Art. 17 bzw. Art. 25 der 13 14 6. EG-Umsatzsteuer-Richtlinie ein Recht zum Vorsteuerabzug zusteht. Die an die Verkäufer von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln gezahlte Vorsteuer bekommt der Landwirt vom Finanzamt erstattet. In Folge dessen ist die Umsatzsteuer auf Betriebsmittel nur ein durchlaufender Posten, so dass keine Lenkungswirkung gegenüber den Landwirten eintreten kann. Gleichwohl ist es sinnvoll, die Verwendung von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln nicht nur über Anreize zur generellen Änderung der Bewirtschaftungsweise zu beeinflussen, sondern sie gezielt zu verringern. Von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln gehen aufgrund ihres breiten und starken Einsatzes ___________ 10
So verbrauchen 20 Prozent der Menschheit, die in konsumorientierten Industriegesellschaften leben, 80 Prozent der Weltressourcen (Lang, UTR Bd. 16, S. 55 [77]; ders., DStJG Bd. 15, S. 115 [139 ff.,145 ff.]). 11 Eine verstärkte Konsumbesteuerung zugunsten einer Freistellung des gesparten oder investierten Einkommens fordert insbesondere Lang, UTR Bd. 16, S. 55 [77 ff.]; ders., DStJG Bd. 15, S. 115 [149 ff.]. Eine solche Ausrichtung findet auch verstärkt Rückhalt in der Bevölkerung (vgl. UBA, Umweltbewusstsein 2000, S. 8). 12 Oskam/Vijftigschild/Graveland, Additional EU policy instruments, S. 126 ff. 13 RL 77/388/EWG, ABl. EG 1977 Nr. L 145, S. 1 ff. 14 Ausführlich ist das System der Umsatzsteuer in § 6 A. dargestellt.
2. Teil: Mögliche Steuer- und Abgabenmodelle
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erhebliche Umweltbeeinträchtigungen aus. Eine Umweltabgabe, welche die Umstellung der Bewirtschaftungsweise auf z. B. den ökologischen Landbau anregt, wird bei einer moderaten Abgabenlast regelmäßig nur einen geringen Teil der Landwirte zu einer so weitgehenden Verhaltensänderung bewegen. Der überwiegende Teil wird ihre Bewirtschaftungsweise indes nicht ändern. Will man mit einer Abgabe den Dünge- und Pflanzenschutzmitteleinsatz in der Gesamtheit reduzieren, muss die Abgabebelastung gezielt und unabhängig von der sonstigen Bewirtschaftungsweise auf den Mitteln ruhen. Eine Verteuerung der Mittel könnte wie in Schweden, Dänemark oder Österreich zu einem deutlichen Rückgang der Mittel führen und würde auch konventionelle Landwirte 15 zu einer Verhaltensänderung anregen. Eine Ökologisierung der Landwirtschaft ist ohne eine flächendeckende Reduzierung der Dünge- und Pflanzenschutzmittel aber nicht möglich, weshalb deren Besteuerung Schwerpunkt der abgabenrechtlichen Untersuchung sein soll. Die Untersuchung kann sich dabei auf eine Vielzahl von Vorschlägen stützen, da für die Mittel in Deutschland wiederholt Abgaben eingefordert wurden. Sie kann gleichfalls die in anderen Ländern der Europäischen Gemeinschaft existierenden Abgaben und Erfahrun16 gen für die Frage der möglichst effektiven Ausgestaltung heranziehen. Die Belastung ließe sich mit der Erhebung einer speziellen Verbrauchsteuer oder als Sonderabgabe verwirklichen. Da anders als bei der Grund- und Umsatzsteuer keine bestehende Abgabe ergänzt, sondern eine neue Abgabe einzuführen wäre, bedarf die Ausgestaltung der Abgabe im Verhältnis zu den anderen Möglichkeiten einer weitergehenden Untersuchung. Als aussichtsreich für eine Ökologisierung der Landwirtschaft sind folgende Umweltabgaben: Eine ökologisch ausgerichtete Grundsteuer, welche die Steuerbelastung auch von der Art der Bodenbewirtschaftung abhängig macht. Eine Umsatzsteuer, in die eine steuerliche Differenzierung zwischen ökologischen und konventionellen Agrarerzeugnissen implementiert ist. Sowie spezielle Steuern oder Sonderabgaben auf den Einsatz oder den Preis von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln. Die §§ 5-7 erarbeiten die Ausgestaltungsmöglichkeiten anhand von Lenkungs- und Praktikabilitätsgesichtspunkten, wobei soweit möglich auch die ökonomischen Auswirkungen mit einzubeziehen sind. Die rechtliche Überprüfung der Vorschläge erfolgt dann im Anschluss in den Teilen 3 und 4.
___________ 15 16
Ausführlich hierzu in § 7. Siehe § 7 A. II.
§ 5 Ökologische Ausrichtung der Grundsteuer A. Gegenwärtige Ausgestaltung und Reformbedürftigkeit der Grundsteuer Die Anknüpfung an Grund und Boden zählt zu den ältesten Besteuerungsformen. Die Grundsteuer erfasst das Grundeigentum als Vermögensgegenstand, wobei sich die Steuerhöhe gemäß der Einheitsbewertung nach § 13 GrStG i. V. m. §§ 19 ff. Bewertungsgesetz (BewG) an den Soll-Erträgen orien1 tiert. Sie ist nach § 3 Abs. 2 AO eine Realsteuer, da sie weder an die Person anknüpft, noch den Konsum besteuert. Steuerobjekt ist der im Gemeindegebiet liegende Grundbesitz (§ 2 GrStG). Steuerschuldner ist gemäß § 10 Abs. 1 GrStG, wem der Steuergegenstand bei der Feststellung des Einheitswertes zuzurechnen ist. Die Zurechnung bestimmt sich nach § 39 AO, der sich an der 2 wirtschaftlichen Situation orientiert. Danach ist grundsätzlich der zivilrechtliche Eigentümer Steuerschuldner (§ 39 Abs. 1 AO). Sollte aber ein anderer die tatsächliche Herrschaft in einer den Eigentümer ausschließenden Weise ausüben, so ist ihm das Wirtschaftsgut zuzurechnen (§ 39 Abs. 2 Nr. 1 AO). Dies 3 ist beim Mieter und Pächter grundsätzlich nicht der Fall. Eine Ausnahme ist jedoch bei landwirtschaftlichen Pächtern zu machen, da die dauerhaft gepachteten Flächen gemäß §§ 33 BewG zur wirtschaftlichen Einheit des landwirt4 schaftlichen Betriebs gehören. Der zu zahlende Grundsteuerbetrag berechnet sich aus dem Steuermessbetrag und dem gemeindlichen Hebesatz (§ 25 GrStG). Der Steuermessbetrag ist vorweg von den Lagefinanzämtern (§ 18 AO) festzusetzen. Er ergibt sich nach § 13 GrStG aus dem Einheitswert multipliziert mit den in §§ 14 f. GrStG festgelegten Steuermesszahlen. Die höhere Steuermesszahl für Landwirtschaftsflächen gegenüber sonstigen Flächen, insbesondere Bauland, bedeutet keine Schlechterstellung. Vielmehr soll der höhere Satz die wesentlich niedrigeren Einheitswerte der Landwirtschaftsflächen, 5 die sich nach dem Ertragswertverfahren (§ 36 BewG) bestimmen, ausgleichen. ___________ 1
Seer, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 13 Rn. 201. Troll, Grundsteuergesetz, § 10; Seer, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 13 Rn. 207, § 5 Rn. 110 ff. 3 Seer, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 13 Rn. 207, § 5 Rn. 110 ff. 4 Rössler/Troll, BewG/VermG, § 33 BewG Rn. 11, 20. Bei der Verpachtung eines landwirtschaftlichen Betriebes bleibt jedoch der Verpächter Steuerschuldner (Rn. 18). 5 Bizer/Lang, UBA-Texte 21/00, S. 25. 2
2. Teil: Mögliche Steuer- und Abgabenmodelle
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Die Grundsteuer ist allerdings in ihrer gegenwärtigen Ausgestaltung stark 6 7 reformbedürftig. Teilweise fordert man sogar ihre Abschaffung. Gedacht als kontinuierliche Steuerquelle, die sich am Wert des Grundstücks orientiert, hat sie sich im Laufe der Zeit zu einer komplizierten und gleichheitsrechtlich problematischen Steuer entwickelt. Hauptproblem ist die Anknüpfung an Einheitswerte, deren letzte bundeswei8 te Erhebung 1964 erfolgte und 7 Jahre in Anspruch nahm. Die Einheitsbewertung nach dem Bewertungsgesetz ist nicht nur aufwendig, sie ist aufgrund der Vielzahl von zu berücksichtigenden Belangen im Ergebnis beliebig und birgt 9 erhebliche Ungleichgewichtungen. Deshalb stellte das Bundesverfassungsgericht in seinen Beschlüssen zur Erbschaft- und Vermögensteuer fest, dass die derzeitige niedrige Bewertung von Immobilarvermögen nach dem Bewertungsgesetz gegenüber den übrigen Vermögensgegenständen verfassungswid10 rig ist. Zwar soll sich die Bewertung am Verkehrswert einschließlich der Er11 träge orientieren, tatsächlich liegt sie aber weit darunter. Das gilt insbesondere für die allein nach den Erträgen zu bestimmenden land- und forstwirtschaftlichen Grundstücke, deren Einheitswerte nur 1 bis 5 Prozent des Verkehrswertes ausmachen und damit erheblich günstiger bewertet sind als sonsti12 ges Grundeigentum. Insofern erfasst die Grundsteuer Wertsteigerungen nur ungenügend und kann die tatsächliche Leistungsfähigkeit nicht genau abbil13 den. Reformüberlegungen wollen aber oftmals nicht nur die Ungleichheiten beseitigen, sondern auch die bodenpolitische Lenkungsfunktion der Grundsteu14 er reaktivieren, um der täglichen Neuausweisung von 130 Hektar für Sied___________ 6
Zu den Reformbemühungen vgl. Enquete-Kommission, Schutz des Menschen und der Umwelt, S. 304 ff.; SRU, Sondergutachten 2002, Tz. 173 ff.; Kleiber, NZM 1999, S. 777 ff.; F. Stein, ZKF 2000, S. 74 ff.; Drosdzol, DStZ 1999, S. 831 ff. 7 Tipke, Steuerrechtsordnung, S. 819 f.; Kruse, BB 1996, S. 717 [720]. 8 F. Stein, ZKF 2000, S. 74; Bizer/Schuckmann, in: Ewringmann, Ökologische Steuerreform, S. 137 [150]. 9 Wissenschaftlicher Beirat beim BMF, Einheitsbewertung, S. 6 f.; Seer, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 13 Rn. 210; F. Stein, ZKF 2000, S. 74; Drosdzol, DStZ 1999, S. 831 [832]; Bizer/Schuckmann, in: Ewringmann, Ökologische Steuerreform, S. 137 [140 ff.]. Zu den verschiedenen Reformvorschlägen Drosdzol, DStZ 2001, S. 689 [691 ff.]. 10 BVerfGE 93, S. 121 [146 f.]; 93, S. 165 [177 f.]. 11 Drosdzol, DStZ 1999, S. 831 [832]. So machen z. B. die Einheitswerte für unbebaute Grundstücke nur 8,95 % der Verkehrswerte aus. 12 Bizer/Schuckmann, in: Ewringmann, Ökologische Steuerreform, S. 137 [141, 146 f.]; Wissenschaftlicher Beirat beim BMF, Einheitsbewertung, S. 10 f., 16 ff. 13 Rodi, ZUR 2002, S. 164 [166]; Bizer/Schuckmann, in: Ewringmann, Ökologische Steuerreform, S. 137 [141, 146]; Apel/Henckel, Flächen sparen, S. 114. 14 Die kurzzeitige Grundsteuer C (BGBl. I 1960, S. 341) in den Jahren 1961/62 sollte die Bautätigkeit anregen.
§ 5 Ökologische Ausrichtung der Grundsteuer
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lungs- und Verkehrsflächen (Tendenz steigend) entgegen zu wirken. Ziel der Bundesregierung ist es, bis zum Jahr 2020 den Flächenverbrauch auf 30 ha/Tag 16 zu senken, indem z. B. schon ausgewiesenes Bauland genutzt wird. Für die Reform oder den Umbau der Grundsteuer zu einer ökologischen Steuer, gibt es in der Rechtswissenschaft vielfältige Vorstellungen und Ideen. Gleichfalls wird auch an die Einführung von ergänzenden Sonderabgaben gedacht, wie z. B. eine Naturschutzabgabe für nicht ausgleichspflichtige Eingriffe oder eine Ver17 siegelungsabgabe. Für die hier interessierende Ökologisierung der Landwirtschaft sollen jedoch vorrangig die existierenden Steuern genutzt werden, um einer verwirrenden Steuer- und Abgabenvielfalt vorzubeugen.
B. Möglichkeiten einer Lenkung landwirtschaftlicher Bewirtschaftungsweisen Die von verschiedener Seite geäußerten Reformvorschläge zielen in unterschiedliche Richtungen. Ein Teil will mit einer stärkeren Besteuerung der Bodenwerte, die bestehenden Ungleichgewichtungen aufheben und die Wertsteigerungen abschöpfen, die dem Grundstückseigentümer ohne sein eigenes Zu18 tun aus gesellschaftlichen oder bodenpolitischen Entwicklungen erwachsen. Weiterhin erhofft man sich mit einer Wertbesteuerung, ausgewiesene, wertvolle Baugrundstücke vor allem in den Städten einer Bebauung zuzuführen, um den Flächenverbrauch auf der grünen Wiese einzudämmen. Allerdings ist dieser Effekt in Anbetracht der hohen Verkehrswerte und der Investitionssummen von Bauvorhaben als gering einzustufen, solange man nicht die Grundsteuer19 sätze drastisch erhöht. Dem Vorwurf der Wirkungslosigkeit sind auch die anderen Vorschläge ausgesetzt, die dem Flächenverbrauch mit Versiegelungsfak___________ 15
Bundesregierung, Perspektiven für Deutschland, S. 99 f. 1997 waren es noch 120 ha/Tag; SRU, Umweltgutachten 2000, Tz. 454, 456, 532; Schmalholz, ZUR 2002, S. 158 [159]; Michaelis, ZUR 2002, S. 129 ff.; Rodi, ZUR 2002, S. 164 ff.; Bizer/ Schuckmann, in: Ewringmann, Ökologische Steuerreform, S. 137 [139]. 16 Bundesregierung, Perspektiven für Deutschland, S. 99. Der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen fordert sogar langfristig ein Nullwachstum (SRU, Umweltgutachten 2000, Tz. 532). 17 SRU, Umweltgutachten 2000, Tz. 538; Apel/Henckel, Flächen sparen, S. 126 f.; Bizer/Ewringmann, Abgaben für den Bodenschutz, S. 26 ff.; Michaelis, ZUR 2002, S. 129 [131]. 18 Drosdzol, DStZ 1994, S. 205 [206 ff.]; Groth/Streck, KJ 1998, S. 318 ff.; Apel/Henckel, Flächen sparen, S. 116 ff.; Kleiber, NZM 1999, S. 777 [780 ff.]; Löhr, Bodenwertabgabe, S. 44 ff. Der Vorschlag der Finanzministerkonferenz vom 4.5.2000 für eine reformierte Grundsteuer wird dargestellt und diskutiert bei Drosdzol, DStZ 2001, S. 689 ff. 19 Kritisch z. B. F. Stein, ZKF 2000, S. 74 [79]; Löhr, Bodenwertabgabe, S. 54 ff.; Michaelis, ZUR 2002, S. 129 [130].
2. Teil: Mögliche Steuer- und Abgabenmodelle
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toren in der Grundsteuer begegnen wollen. Für eine Lenkung landwirtschaftlicher Bewirtschaftungsweisen sind beide Vorschläge nicht weiter nutzbar, da die landwirtschaftliche Bewirtschaftungsweise nur gering den Bodenwert beeinflusst und Böden nicht versiegelt. Vielmehr muss eine ökologische Lenkung unmittelbar an die Bodennutzung anknüpfen, wie es die Vorschläge 21 für eine Flächennutzungsteuer oder eine kombinierte Bodenwert-Flächennut22 zungsteuer vorsehen. Beide Varianten wollen die Grundsteuer nach verschiedenen Nutzungskategorien staffeln und zwischen der naturnahen Bodennutzung, der konventionellen Landwirtschaft, den planmäßig bebauten und genutzten Flächen, den planmäßig nicht bebauten bzw. zu extensiv bebauten Flä23 chen sowie der unerwünschten Versiegelung abstufen. Allein die verschiedene Anknüpfung an die Fläche und den Bodenwert unterscheidet die Modelle. Hierbei ist allerdings eine kombinierte Bodenwert-Flächennutzungsteuer vorzuziehen, da sie mit der Anknüpfung an den Bodenwert auch die geforderte 24 Leistungsfähigkeit des Steueradressaten mit berücksichtigt. Die Wertermittlung sollte aber nicht nach der derzeitigen Einheitsbewertung erfolgen, sondern ist am praktikabelsten nach den baurechtlichen Bodenrichtwerten durchzufüh25 ren. Anders als bei der Steuerung der Baulandmobilisierung und der Versiegelung ist die Effektivität einer ökologischen Lenkung bei landwirtschaftlichen Flächen höher einzuschätzen, da die Landwirtschaft große Flächen bei geringer 26 Wertschöpfung nutzt. Die Lenkung beabsichtigt nicht die Aufgabe der landwirtschaftlichen Nutzung, sondern soll nur die Art und Weise der Bewirtschaftung ändern. Sind die finanziellen Unterschiede der Bewirtschaftungsformen gering, so regen schon moderate Grundsteuerunterschiede Änderungen an. Außerdem muss eine Umstellung von konventioneller auf ökologische Bewirt___________ 20
Bizer/Schuckmann, in: Ewringmann, Ökologische Steuerreform, S. 137 [157 ff.]. Bizer/Lang, UBA-Texte 21/00, S. 56 ff.; Bizer/Schuckmann, in: Ewringmann, Ökologische Steuerreform, S. 137 [162 ff.]; Bizer, NuR 1995, S. 385 [389 ff.].; Enquete-Kommission, Schutz des Menschen und der Umwelt, S. 306 f. Befürwortend SRU, Sondergutachten 2002, Tz. 176. 22 Rodi, ZUR 2002, S. 164 [166 ff.]; F. Stein, ZKF 2000, S. 74 [79]; Apel/Henckel, Flächen sparen, S. 122, 128 f.; Losch u. a., in: ARL, Flächenhaushaltspolitik, S. 206 f. Bei dem Modell werden Bodenwert, Fläche, Benutzungsfaktor, Steuermesszahl und Hebesatz miteinander multipliziert, wobei man aber Benutzungsfaktor und Steuermesszahl vereinheitlichen könnte. 23 Rodi, ZUR 2002, S. 164 [167]; Bizer/Lang, UBA-Texte 21/00, S. 63 f., 67 ff. 24 H. M. vgl. BVerfGE 61, S. 319 [343 f.]; 93, S. 121 [135]; 97, S. 332 [346]; 99, S. 246 [260]; Reiß, DStJG Bd. 13, S. 3 [10 ff.]; Tipke, Steuerrechtsordnung, S. 479 ff. Ausführlich wird das Leistungsfähigkeitsprinzip in § 13 B. I. erörtert. 25 So das Ergebnis der Modelluntersuchung bei Lehmbrock/Coulmas, Grundsteuerreform, S. 11 ff., 167 (Modell C und D). 26 Michaelis, ZUR 2002, S. 129 [130]. 21
§ 5 Ökologische Ausrichtung der Grundsteuer
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schaftung nicht automatisch zu Einkommenseinbußen oder einem Wertverlust der Grundstücke führen. Ist die Umstellungsphase von rund 3 Jahren abgeschlossen, können ökologische Landwirte einen wesentlich hochpreisigeren Markt beliefern und quantitative Erzeugungseinbußen ausgleichen. Eine vergleichende Untersuchung des Verbraucherministeriums ergab, dass ökologische Landwirte gegenüber der konventionellen Vergleichsgruppe ähnliche Um27 satzerlöse erzielten. Indes hängt eine Betriebsumstellung neben betriebswirtschaftlichen Überlegungen auch von der Motivation der Landwirte ab, die oftmals die Aufgabe ihrer ausgeübten Arbeitsweise sowie die Aneignung neuer Bewirtschaftungsformen und Erkenntnisse scheuen. Eine steuerliche Differenzierung wäre ein Signal an die konventionelle Landwirtschaft, dass sie nicht mehr wie bisher mit staatlicher Unterstützung rechnen kann. Für die steuerliche Ausgestaltung der Differenzierung kommen verschiedene Anknüpfungspunkte innerhalb der Grundsteuer in Frage. So könnte man die Einheitswerte oder Bodenwerte, die Steuermesszahlen oder die gemeindlichen Hebesätze anhand der Bewirtschaftungsweise abstufen. Eine Differenzierung bei der Einheitsbewertung oder der zukünftigen Bodenwertbestimmung hätte jedoch den Nachteil, dass die bisher schon geringe Orientierung am Verkehrswert weiter mit Fremdbelangen überfrachtet würde. Die Wertbestimmung sollte 28 deshalb frei von Lenkungszwecken sein. Aufgrund der verfassungsrechtlichen Hebesatzgarantie für Gemeinden in Art. 106 Abs. 6 GG sollten auch die Hebesätze frei von landes- oder bundesrechtlichen Vorgaben bleiben. Am 29 sinnvollsten ist daher eine Differenzierung der Steuermesszahl in § 14 GrStG. Die Steuerformel könnte folgendermaßen aussehen: Bodenwert x Fläche (oder flächenbezogener Einheitswert) x nutzungsabhängige Steuermesszahl x gemeindlicher Hebesatz. Andererseits könnte auch jede Gemeinde ihre Hebesätze entsprechend ausdifferenzieren, um den ökologischen Landbau in ihrem Gemeindegebiet auszuweiten. Da die zukünftige Höhe der Steuermesszahlen wesentlich vom Umfang der gesamten Grundsteuerreform abhängt, wird in dieser Arbeit nur die Möglichkeit einer Differenzierung nach Bewirtschaftungsformen untersucht. Eine Differenzierung zwischen ökologischer und konventioneller Bewirtschaftung sollte, um einheitliche Standards zu Grunde zu legen, an die Einhal30 tung und Klassifizierung der EG-Ökolandbau-Verordnung anknüpfen. Zwar ist bei der ortsgebundenen Grundsteuer an sich keine europäische Klassifizie___________ 27
Bundesregierung, Agrarbericht 2005, Übersicht 13 (S. 29). Ähnlich die Ansicht der von der Bundesregierung eingesetzten Sachverständigenkommission (www.bundesfinanzministerium.de/Anlage1369/Bericht-zum-Download. pdf (S. 34); vgl. Drosdzol, DStZ 2001, S. 689 [692]). 29 Vgl. den Vorschlag von Bizer/Lang, UBA-Texte 21/00, S. 63 f. 30 2092/91/EWG, ABl. EG 1991 Nr. L 198, S. 1 ff. 28
2. Teil: Mögliche Steuer- und Abgabenmodelle
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rung nötig. Landwirte, die ökologische Erzeugnisse produzieren, aufbereiten oder einführen, müssen sich aber schon bisher nach Art. 1 und 8 der Verordnung dem dortigen Kontrollsystem unterwerfen. Eine Anknüpfung wäre insofern kaum mit mehr Verwaltungsaufwand verbunden. In Anbetracht des bestehenden Klassifizierungsstandards sollte die Grundsteuer nicht hinsichtlich der konkreten Bewirtschaftung (Grünland, Ackerbau, Obstanbau etc.) differenzieren, da dies einen wesentlich höheren Kontrollaufwand mit sich brächte, ohne 31 dass größere ökologische Verbesserungen zu erwarten sind.
C. Ökologische und ökonomische Folgenabschätzung einer Differenzierung Die ökologischen und ökonomischen Folgen einer unterschiedlichen Besteuerung hängen wesentlich von der konkreten Höhe der Grundsteuer ab. Legt man für konventionell bewirtschaftete Flächen eine Belastung von mindestens 30 €/ha und für ökologische Flächen 5 €/ha zu Grunde, würde sich die Ertragslage für ökologische Landwirte verbessern. Für wie viele konventionelle Betriebe damit auf lange Sicht eine Umstellung wirtschaftlicher wäre, hängt von der Ertragsstreuung bei den Landwirten ab. Die Gewinne landwirtschaftlicher Haupterwerbsbetriebe in den Jahren 2003/04 wiesen erhebliche Unterschiede 32 von -255 bis 942 €/ha auf. Damit würde sich in Anbetracht der höheren Gewinne von ökologischen Betrieben eine Umstellung für eine nicht unerhebliche Zahl konventioneller Landwirte lohnen, insbesondere wenn eine Grundsteuer33 differenz von 25 €/ha den Unterschied nochmals um 26 Prozent vergrößert. Allerdings ist bei dieser Aussage zu beachten, dass die Vergleichsstudie nur wirtschaftlich gleich starke Betriebe berücksichtigte (613 €/ha), der durch34 schnittliche Gewinn aller konventionellen Landwirte aber weiterhin höher ist. Bei einer aufkommensneutralen Grundsteuerreform wird insofern angezweifelt, ob sie großflächige Umstellungen anregen kann, da die Belastungsunterschiede 35 noch zu gering ausfallen. Wie viele Betriebe daher tatsächlich umstellen, hängt auch von den sonstigen Hindernissen ab, so dass eine Prognose hinsichtlich der Betriebsumstellungen und der ökologischen Verbesserungen nicht ___________ 31
Anders als die Bewirtschaftungsart, richtet sich die Anbaukultur wesentlich stärker nach der Nachfrage der Märkte und der landwirtschaftlichen Fruchtfolge. 32 Bundesregierung, Agrarbericht 2005, Tab. 29 (S. 108). 33 Vgl. Bundesregierung, Agrarbericht 2005, Übersicht 13 (S. 29). 34 Vgl. Bundesregierung, Agrarbericht 2005, Übersicht 13 (S. 29). 35 Bizer/Lang, UBA-Texte 21/00, S. 97, 113. Nach ihrem Modell der Flächensteuer erhöht sich die Grundsteuerlast für konventionell bewirtschaftete Flächen auf 38 DM/ha (19,34 €/ha) und übersteigt damit kaum die von ihnen angenommene, durchschnittliche Steuerlast von 33 DM/ha (16,87 €/ha).
§ 5 Ökologische Ausrichtung der Grundsteuer
67
möglich ist. Es ist aber anzunehmen, dass eine derartige Grundsteuerdifferenzierung Betriebsumstellungen anregen kann und entsprechende Umweltentlastungen für die umgestellten Flächen resultieren. Ökonomisch würde ein Satz von 30 €/ha bei einer durchschnittlichen Größe 36 konventioneller Betriebe von 66,8 ha (2003/04) eine Grundsteuerbelastung von 2.004 € je Betrieb ergeben. Dies wären 883 € mehr als bei der bisherigen, 37 durchschnittlichen Grundsteuerlast von 1.121 € je Betrieb (16,78 €/ha ). Bezogen auf den durchschnittlichen Gewinn konventioneller Landwirte von 38 27.112 € im Jahr 2003/04 würde sich die Steuerbelastung für konventionelle Betriebe von derzeit 4,1 Prozent um weitere 4,3 Prozent auf 7,4 Prozent erhöhen. Bezieht man die vorgeschlagene Grundsteuerbelastung auf den Ver39 gleichstest des Verbraucherministeriums , ergibt sich für die verglichenen konventionelle Betriebe eine Belastung von 3.015 € bzw. 10,9 Prozent des 40 Gewinns und für ökologische Betriebe eine Steuerlast von 504,5 € bzw. 1,4 41 Prozent des Gewinns. Damit käme es zu einer durchschnittlichen Belastungsdifferenz von 2.510,5 €/a zwischen ökologischen und konventionellen Landwirten. Das Grundsteueraufkommen würde bei 16,2 Mio. ha konventionell bewirtschafteter und 0,73 Mio. ha ökologisch genutzter Fläche ca. 490 Mio. € betra42 gen. Es wäre deutlich höher als das gesamte Aufkommen der Grundsteuer A (einschließlich forstwirtschaftlicher Flächen) von 339 Mio. € im Jahr 2002.
D. Zusammenfassung Die Grundsteuer lastet als Realsteuer auf dem Grundeigentum. Ihr Steuersatz bestimmt sich anhand der Einheitsbewertung der Grundstücke, den Steuermesszahlen in §§ 14, 15 GrStG und den kommunalen Hebesätzen. Die Einheitsbewertung bedarf einer dringenden Anpassung an aktuelle Verkehrswerte, um Ungleichgewichtungen zu beseitigen. Insbesondere land- und forstwirtschaftliche Flächen sind erheblich günstiger bewertet. ___________ 36
Bundesregierung, Agrarbericht 2005, Übersicht 13 (S. 29). Bizer/Lang, UBA-Texte 21/00, S. 97. 38 Bundesregierung, Agrarbericht 2005, Übersicht 13 (S. 29). 39 Bundesregierung, Agrarbericht 2005, Übersicht 13 (S. 29). 40 Ausgehend von einer durchschnittlichen Betriebsgröße von 100,5 ha und einem Gewinn von 27,676 €. 41 Ausgehend von einer durchschnittlichen Betriebsgröße von 100,9 ha und einem Gewinn von 37.090 €. 42 Errechnet nach Bundesregierung, Agrarbericht 2005, Tab. 1 (S. 83), Tz. 56. 37
68
2. Teil: Mögliche Steuer- und Abgabenmodelle
Für eine Reform der Grundsteuer plädieren verschiedene Vorschläge. Sie wollen mit einer Änderung den täglichen Flächenverbrauch zurückdrängen und teilweise die Grundsteuer nach der Umweltverträglichkeit der Nutzung ausrichten. Um im Bereich der landwirtschaftlichen Nutzung Lenkungswirkungen zu erzielen, sollte die Grundsteuer die ökologische Bewirtschaftung im Sinne der EG-Ökolandbau-Verordnung gegenüber der sonstigen konventionellen Nutzung steuerlich begünstigen. Da ökologische Landwirte sich schon jetzt dem Kontrollsystem unterwerfen, um ihre Erzeugnisse als „ökologisch“ kennzeichnen zu können, wäre die Differenzierung mit wenig Verwaltungsaufwand verbunden. Die Steuermesszahlen in § 14 GrStG sind am geeignetsten für eine bundesweite Implementierung. Allerdings könnte auch jede Gemeinde nach Art. 106 Abs. 6 GG ihre Hebesätze entsprechend differenzieren. Anders als bei einer Reduzierung des Flächenverbrauches würde schon ein geringer steuerlicher Belastungsunterschied von 25 €/ha eine Änderung der Bewirtschaftungsweise anregen, ohne die konventionellen Landwirte übermäßig zu belasten.
§ 6 Ökologische Ausrichtung der Umsatzsteuer Der Konsum, als einer der Triebfedern des Ressourcenverbrauchs, hat in letzter Zeit verstärkt Ideen hervorgerufen, ihn mit Steuern in umweltschonendere Bahnen zu lenken. Das Augenmerk richtet sich dabei vor allem auf einen ökologischen Umbau der Umsatzsteuer, die als umfassende Verbrauchsteuer jeglichen Konsum besteuert. Die Vorschläge reichen von einer an die Umsatz1 steuer gekoppelten allgemeinen Umweltverbrauchsteuer über eine Abschaf2 fung des Vorsteuerabzugs für umweltbelastende Produkte bis hin zu einer Umsatzsteuerdifferenzierung, bei der umweltbeeinträchtigende Waren mit erhöhten Steuersätzen belastet und umweltschonende Produkte mit ermäßigten 3 Steuersätzen begünstigt werden. Allgemein erachtet man es als Vorteil, dass bei der Umgestaltung der Umsatzsteuer kaum zusätzlicher Verwaltungsauf4 wand entstünde, weil die Steuererhebung wie bisher erfolgen würde. Da eine Förderung des Absatzes ökologischer Erzeugnisse nur durch eine steuerliche Besserstellung gegenüber konventionellen Produkten zu erreichen ist, soll im Folgenden die bisherige Umsatzsteuer auf Möglichkeiten untersucht werden, den Steuersatz zu differenzieren oder ökologische Agrarerzeugnisse ganz zu befreien. Die Vorschläge hinsichtlich einer allgemeinen Umweltverbrauchsteuer bzw. einer Abschaffung des Vorsteuerabzugs sind hingegen nicht weiter in5 6 teressant, da ihnen bis jetzt die 6. EG-Umsatzsteuer-Richtlinie entgegensteht.
A. Gegenwärtige Umsatzsteuersysteme Die Umsatzsteuer ist in Deutschland seit 1968 als eine Allphasen-NettoSteuer ausgestaltet. Das bedeutet, dass die Steuer auf jeder Umsatzstufe erhoben wird, auf der eine Leistung von einem Unternehmer an einen anderen oder an einen Endverbraucher erfolgt. Bemessungsgrundlage ist das Entgelt ohne ___________ 1
Sauerborn, in: Nutzinger/Zahrnt, Öko-Steuern, S. 247 ff.; Naumann/Sauerborn, WSI-Mitteilungen 1989, S. 438 ff. 2 Heidinger, ÖStZ 1989, S. 238 f. 3 Rodi, Umweltsteuern, S. 90 ff.; Höfling, StuW 1992, S. 242 [245]; Balmes, Umweltsteuern, S. 221 ff.; Heidinger, ÖStZ 1989, S. 238 f. 4 Heidinger, ÖStZ 1989, S. 238 [239]; Rodi, Umweltsteuern, S. 92. 5 Richtlinie 77/388/EWG, ABl. EG 1977 Nr. L 145, S. 1 ff. Die aktuelle konsolidierte Fassung ist unter www.europa.eu.int veröffentlicht. Ausführlich unter § 10 A. 6 Art. 17, 33 der 6. EG-Umsatzsteuer-Richtlinie.
2. Teil: Mögliche Steuer- und Abgabenmodelle
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Umsatzsteuer, wobei der Unternehmer die an seine Lieferanten gezahlte und in 7 deren Rechnungen ausgewiesene Vorsteuer abziehen kann (§ 15 UStG). Abführen muss der Unternehmer daher nur die Steuer auf den von ihm geschaffenen Mehrwert. Mit dem Vorsteuerabzug wird eine kumulative Steigerung der Steuerlast vermieden und die Wettbewerbsneutralität der Umsatzsteuer ge8 wahrt. Der steuerpflichtige Unternehmer kann den vollen Umsatzsteuerbetrag in seiner Rechnung ausweisen (§ 14 UStG) und somit die Steuer auf seine Abnehmer überwälzen. Aufgrund der beabsichtigten Überwälzung trägt die Steuerlast im Ergebnis der Endverbraucher, welcher gemäß § 15 UStG nicht zum 9 Vorsteuerabzug berechtigt ist. Die Steuerpflicht für die Unternehmen erfolgt 10 allein aus regelungs- und kontrolltechnischen Gründen. Das Umsatzsteuergesetz enthält in § 12 Abs. 2 Nr. 2 UStG eine Ermäßigung für landwirtschaftliche Erzeugnisse und in § 24 UStG eine Begünstigung für sogenannte pauschalierte Landwirte. Gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 2 UStG unterliegen alle in der Anlage aufgeführten Erzeugnisse statt dem Normalsatz von 16 Prozent (§ 12 Abs. 1 UStG) einem ermäßigten Steuersatz von 7 Prozent. Die Begünstigung landwirtschaftlicher Produkte wurde 1933 mit dem Ziel einge11 führt, die Arbeitslosigkeit in der Landwirtschaft zu vermindern. Die damalige fünfzigprozentige Ermäßigung wurde seither bei insgesamt steigenden Steuersätzen beibehalten. Daneben unterstützt das Umsatzsteuergesetz die Landwirte mit der Sonderregelung in § 24, die § 12 UStG verdrängt, und gewährleistet ihnen einen pauschalierten Vorsteuerausgleich von 9 Prozent ihres Umsatzes. Da gemäß § 24 Abs. 1 Nr. 3 UStG auch der Umsatz mit 9 Prozent besteuert wird und sich damit Umsatzsteuer und Vorsteuerabzug ausgleichen, müssen die 12 Landwirte weder ihre tatsächlich anfallenden Vorsteuern nach § 15 UStG noch überhaupt ihren Umsatz gegenüber dem Finanzamt ausweisen. Sie können vielmehr die gegenüber den Abnehmern ausgewiesene Umsatzsteuer behalten und müssen sie nicht ans Finanzamt abführen. Offizieller Zweck der Regelung, die auf Art. 25 der 6. EG-Umsatzsteuer-Richtlinie beruht, ist es, die 13 Landwirte von den Aufzeichnungspflichten zu befreien. Indirekt geht mit der ___________ 7
Ohne dem Vorsteuerabzug käme es zu einer unerwünschten Kumulation der Umsatzsteuerbelastung, da die gezahlte Umsatzsteuer als Kostenfaktor mit in den Verkaufspreis hineinfließen würde. Vgl. Reiß, DStJG Bd. 13, S. 24 ff. 8 Reiß, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 14 Rn. 3. 9 Zeuner, in: Bunjes/Geist, UStG, Einleitung Anm. 14; Reiß, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 14 Rn. 4. 10 Bericht des Finanzausschusses, BT.-Drs. V/1581, Allg., Nr. 3; Reiß, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 14 Rn. 4. 11 RGBl. 1933 I, S. 651; RGBl. 1934, S. 942; Schöll, in: Sölch/Ringleb, UStG, § 24 Rn. 1. 12 Vorsteuern sind die an Lieferanten gezahlten Umsatzsteuerbeträge. 13 Kommission (EG), KOM (73) 950, S. 30 f., 34 f.; Hundt-Eßwein, in: HundtEßwein/Schuhmann, UStG, § 24 Rn. 1. Mit der Sonderregelung sollte insbesondere die
§ 6 Ökologische Ausrichtung der Umsatzsteuer
71
14
Pauschalierung eine von der Rechtswissenschaft kritisierte, aber von der Politik tolerierte Subventionierung der Landwirte einher, weil im Regelfall die tatsächlich angefallenen Vorsteuern nicht 9 Prozent des Umsatzes ausmachen. Wie hoch der Subventionseffekt insgesamt sein muss, verdeutlichte die Diskussion um den Regierungsentwurf für ein Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/ 15 2002, der eine Abschaffung des § 24 UStG vorsah. Die Landwirtschaftsvertreter machten damals Einbußen von rund 380 Mio. € jährlich geltend und er16 reichte schließlich den Fortbestand der subventionierenden Sonderregelung. Problematisch ist die Sonderregelung aber auch hinsichtlich ihres festgelegten Umsatzsteuersatzes von 9 Prozent. Da dieser Satz 2 Prozent über dem ermäßigten Satz für Agrarerzeugnisse nach § 12 Abs. 2 Nr. 2 UStG liegt, werden direkt vermarktende Landwirte gegenüber dem Einzelhandel benachteiligt. Ins17 gesamt ist eine Abschaffung von § 24 UStG rechtlich zu begrüßen.
B. Änderungsmöglichkeiten Eine steuerliche Besserstellung von ökologischen Erzeugnissen gegenüber konventionellen Produkten lässt sich erreichen, indem man entweder die ökologischen Erzeugnisse von der Umsatzsteuer befreit bzw. einem ermäßigten Satz unterwirft oder die konventionellen Erzeugnisse stärker besteuert. Gleichgültig wie sich die Differenz erzeugen lässt, bedarf es hierbei eines rechtlich eindeutigen Abgrenzungskriteriums, welches nach Möglichkeit einfach zu bestimmen und leicht zu kontrollieren ist. Mit der Einstufung ökologischer Anbauweisen beschäftigen sich eine Vielzahl privater Anbauverbände, die jedoch alle unterschiedliche Standards propagieren. Für eine umfassende und gleichheitsrechtlich zulässige Abgrenzung sind sie nicht verwendbar. Als einheitlicher Standard bietet sich vielmehr die Anknüpfung an die Kennzeichnung als 18 „ökologisch“ gemäß Art. 5 der EG-Ökolandbau-Verordnung an. Sie gewährleistet einen europaweit geltenden Mindeststandard und stellt auch die Einstu___________ 1968 erfolgte Wiedereinbeziehung der Land- und Forstwirtschaft in das Mehrwertsteuersystem erleichtert werden. 14 Zezschwitz, StuW 1971, S. 26 ff.; Reiß, in: Soell, Umsatzsteuerkongreß-Bericht 1988/89, S. 43 [70 ff.]; Tehler, in: Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, § 24 Rn. 10; Stadie, Vorsteuerabzug, S. 208; Widmann, UR 1999, S. 20, 25; Schneeloch, DStR 1984, S. 415 ff. 15 Art. 8 des Entwurfs für ein Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002, BT.-Drs. 14/23. 16 Widmann, UR 1999, S. 20, 25. 17 Zu den Konflikten mit Art. 91 EGV und Art. 12 Abs. 3 a) der 6. EG-UmsatzsteuerRichtlinie, die aufgrund der Subventionswirkung und der speziellen deutschen Ausgestaltung der Pauschalregelung auftreten, ausführlich Möckel, DStZ 2002, S. 824 ff. 18 VO 2092/91/EWG, ABl. EG 1991 Nr. L 198, S. 1 ff.
2. Teil: Mögliche Steuer- und Abgabenmodelle
72
fung von Produkten aus anderen Mitgliedstaaten sowie Drittländern (Art. 11 der Verordnung) sicher. Die gegenüber den privaten Anbauverbänden schwächeren Standards ermöglichen eine breitere Förderung des Umweltschutzes im Bereich der Landwirtschaft, die einer geringen Maximalwirkung vorzuziehen ist. Die steuerliche Anknüpfung an die Verordnung bringt kaum Mehraufwand bei der Kontrolle mit sich, da sich schon jetzt die betreffenden Landwirte dem Kontrollsystem in Art. 8 und 9 der EG-Ökolandbau-Verordnung unterwerfen müssen, wenn sie ihre Produkte als „ökologisch“ deklarieren. Demgegenüber würde ein neues Kriterium oder die Anknüpfung an die Standards der Anbauverbände eine doppelte Einstufung und Überprüfung erfordern. Auch gestattet die Europäische Kommission den Mitgliedstaaten in ihrem Gemeinschaftsrah19 men für staatliche Beihilfen im Agrarsektor, die Kontrollkosten für das Verfahren nach der EG-Ökolandbau-Verordnung bis zu 100 Prozent der tatsächlich entstandenen Kosten zu übernehmen. Unabhängig davon, wie man den steuerlichen Vorteil ausgestaltet, empfiehlt sich daher eine Anknüpfung an die Kennzeichnung gemäß der EG-Ökolandbau-Verordnung. Für eine weitestgehende Förderung des ökologischen Landbaus käme die Befreiung seiner Erzeugnisse in Betracht. Allerdings können sich Steuerbefreiungen für den befreiten Unternehmer, aber auch für den Endverbraucher nachteilig auswirken, da hierbei grundsätzlich die Möglichkeit wegfällt, seine an die Lieferanten gezahlte Umsatzsteuer abzuziehen (§ 15 Abs. 2 Nr. 1 UStG, Art. 17 Abs. 3 der 6. EG-Umsatzsteuer-Richtlinie). Kann der Unternehmer aber seine Vorsteuern nicht geltend machen, wird er sie auf den Verkaufspreis umlegen, mit der Folge, dass es bei mehreren Unternehmern zu einer Kumulation der Vorsteuern kommen kann, die zu einer erheblichen Verteuerung der Produkte und zu Wettbewerbsverzerrungen führen. Es bedarf deshalb der Möglichkeit einer Vorsteuervergütung, wie es z. B. § 4a UStG gemeinnützigen, mildtätigen oder kirchlichen Körperschaften einräumt. Eine Steuerbefreiung mit Vorsteuerabzug ist im Ergebnis aber nur ein auf null reduzierter Steuersatz. Eine Steuerbefreiung im eigentlichen Sinne ist wegen des fehlenden Vorsteuerabzugs nicht zu befürworten. Statt ökologische Erzeugnisse zu befreien, ist es daher besser, sie einem geringeren Steuersatz als dem bisher nach § 12 Abs. 2 UStG geltenden ermäßigten Satz von 7 Prozent zu unterwerfen. Kumulativ oder alternativ könnte man auch den Steuersatz für konventionelle Erzeugnisse anheben und dem Normalsatz von 16 Prozent unterwerfen. Man müsste bei beiden Varianten allerdings auch § 24 UStG ändern, da im Falle der Direktvermarktung der Durchschnittssatz in § 24 Abs. 1 Nr. 3 UStG gegenüber dem Endverbraucher gilt. Bei einer Anhebung des Durchschnittssatzes von 9 Prozent gemäß § 24 Abs. 1 Nr. 3 UStG auf 16 Prozent für konventionelle Landwirte, kämen auf diese ___________ 19
ABl. EG 2000 Nr. C 28, S. 2, (Punkt 13.4 Abs. 3).
§ 6 Ökologische Ausrichtung der Umsatzsteuer
73
Buchführungspflichten zu, da dann eine Differenz zu dem pauschalen Vorsteuerausgleich von 9 Prozent besteht und sie nunmehr ihren Umsatz gegenüber dem Finanzamt erklären müssten. Welche von den aufgezeigten Varianten im Ergebnis empfehlenswert ist, hängt von den rechtlichen Schranken ab, die insbesondere das sekundäre Europarecht der nationalen Umsatzbesteuerung setzen.
§ 7 Möglichkeiten der Belastung des Einsatzes von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln mit Abgaben Die Erhebung von lenkenden Abgaben auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel ist sowohl in der Europäischen Gemeinschaft als auch in Deutschland schon seit längerem in der Disskussion. In einigen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft existieren oder existierten derartige Abgaben. Bei der Entwicklung konkreter Abgabenvorschläge sind die schon gemachten Vorschläge und Erfahrungen einzubeziehen und zu würdigen. Von besonderer Bedeutung sind hierbei die 1 Ausgestaltung, die ermittelte oder prognostizierte Preiselastizität , welche den Verbrauchsrückgang je einem Prozent Preissteigerung angibt, wie auch der Verwaltungsaufwand.
A. Studien, Erfahrungen und Vorschläge in der Europäischen Gemeinschaft und in Deutschland I. Studien zu Abgaben auf Pflanzenschutzmittel im Auftrag der Europäischen Kommission Umfangreiche Untersuchungen hinsichtlich einer Abgabe auf Pflanzenschutzmittel erfolgten im Auftrag der Europäischen Kommission. 1997 stellten Oskam, Vijftigschild und Graveland vom Mansholt Institut der niederländischen Wageningen Agricultural University eine Studie über alternative Instru2 mente einer Umweltpolitik bei Pflanzenschutzmitteln vor. Die Studie war Teil einer umfassenden Untersuchung der zukünftigen Umweltpolitik der Gemein3 schaft im Bereich der Pflanzenschutzmittel. Die Studie wurde 1999 mit der Analyse einer europaweiten Abgabe auf Pflanzenschutzmittel durch Hoevena4 gel, van Noort und de Kok ergänzt. In dem Vorschlag für das 6. Umweltakti___________ 1
Eine Preiselastizität von z. B. -0,3 besagt, dass bei einer Preiserhöhung um 10 % die Umsätze um 3 Prozent zurückgehen. 2 Oskam/Vijftigschild/Graveland, Additional EU policy instruments for plant protection products, S. 1997. 3 Die Untersuchung trägt den Titel „Possibilities for future EC environmental policy on plant protection products“. Sie besteht aus sechs Teilstudien. Eine Zusammenfassung erstellten Oppenheimer Wolff/Donnelly, Synthesis Report, 1997. Alle Studien sind unter www.europa.eu.int abrufbar. 4 Hoevenagel/van Noort/de Kok, levies on pesticides.
§ 7 Abgaben auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel
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onsprogramm 2001-2010 der Europäischen Gemeinschaft erwägt die Kommission auch die Einführung steuerlicher Anreize zur Verringerung der Verwen5 dung von Pflanzenschutzmitteln.
1. Studie von Oskam, Vijftigschild und Graveland Die Studie befasst sich mit Alternativen zum Ordnungsrecht und erörtert u. a. die Steuerung des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln mittels Umweltabgaben. Die Autoren erwägen eine Lenkung über die Umsatzsteuer, die jedoch aufgrund des Vorsteuerabzugs für Landwirte wirkungslos bleiben müsste, so6 wie eine selbstständige Verbrauchsabgabe. Hinsichtlich der hier interessierenden Verbrauchsabgabe untersucht die Studie drei verschiedene Varianten. Zwei Modelle sehen eine prozentuale Verteuerung der Verkaufspreise von Pflanzenschutzmitteln vor (sogenannte Wertabgaben). Eine Variante knüpft an die Menge des Wirkstoffs im Produkt an. Gemeinsam ist allen, dass sie auf der Verkaufsstufe zu erheben und damit von den Herstellern, Importeuren oder Weiterverkäufern zu entrichten sind. Bei den Wertabgaben legt die Studie Abgabensätze von 10 oder 25 Prozent der Produktpreise zu Grunde. Sie nimmt weiter eine Preiselastizität von -0,4 an, was 7 einem Mittelwert verschiedener Untersuchungen entspricht. Bei einem Satz von 10 Prozent würde sich der europaweite Umsatz um 4 Prozent von 5,574 8 Mrd. € auf 5,351 Mrd. € vermindern. Ein Satz von 25 Prozent käme zu einer höheren Reduzierung von 10 Prozent, wobei die Studie von einer linearen Preiselastizität ausgeht. Bei der auf Wirkstoffmengen bezogenen Abgabe nimmt die Studie einen Satz von 1,80 € je Kilogramm Wirkstoff an. Bezogen auf das Referenzjahr 1994 entspricht dies einer Verteuerung des Durchschnittspreises von 18 €/kg Wirkstoff um zehn Prozent. Sie führt zu gleich ho9 hen Einnahmen wie eine zehnprozentige Wertabgabe (512,8 Mio. €). Allerdings geht die Studie bei der Wirkstoffabgabe im Vergleich zur Wertabgabe von einer höheren Effektivität (Preiselastizität) aus und schätzt die Reduzie10 rung auf 4,95 Prozent. Bei einigen Mitgliedstaaten wären die Unterschiede ___________ 5
KOM (2001) 31, S. 49. Allerdings ist diese Überlegung nicht ausdrücklich in dem Beschlußvorschlag zum 6. Umweltaktionsprogramm aufgenommen wurden (vgl. Art. 6 Abs. 3 des Vorschlags). 6 Oskam/Vijftigschild/Graveland, Additional EU policy instruments, S. 122 ff. bzw. 133 ff. Zur Ungeeignetheit der Umsatzsteuer siehe § 4. 7 Oskam/Vijftigschild/Graveland, Additional EU policy instruments, S. 135. 8 Oskam/Vijftigschild/Graveland, Additional EU policy instruments, Tabelle S. 138. 9 Oskam/Vijftigschild/Graveland, Additional EU policy instruments, S. 137, 141. 10 Oskam/Vijftigschild/Graveland, Additional EU policy instruments, S. 140 f.
2. Teil: Mögliche Steuer- und Abgabenmodelle
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zwischen beiden Varianten noch größer, falls bei ihnen ein gegenüber dem eu11 ropäischen Durchschnitt niedrigeres oder höheres Preisniveau vorherrscht. Zur Abschätzung des Verwaltungsaufwands beruft sich die Studie auf Erfahrungen in Dänemark, Schweden und Schätzungen in den Niederlanden. Sie nimmt bei einer Wertabgabe feste Verwaltungskosten in Höhe von 2 Promille des Umsatzes an und schätzt die Kostensteigerung je ein Prozent Abgabe auf 12 0,2 Promille. Insgesamt stuft die Studie die Vollstreckbarkeit der Abgaben als 13 sehr gut ein. Im Hinblick auf den Umweltschutz sieht die Studie es als nachteilig an, dass weder die Wertabgabe noch die Wirkstoffabgabe die wirklichen Umweltbelastungen der unterschiedlichen Pflanzenschutzmittel widerspiegeln, da ein niedriger Preis oder eine geringe Dosierung keine geringe Umweltbelas14 tung bedingen Als Alternative erwägt die Studie einen Mix aus Wert- und Wirkabgaben unter Einbeziehung der Klassifikationen von gefährlichen Stof15 fen nach der Richtlinie 67/548/EWG. 16
2. Studie von Hoevenagel, van Noort und de Kok
Aufbauend auf die Ergebnisse von Oskam, Vijftigschild und Graveland untersucht die Studie eine europaweite Abgabe auf Pflanzenschutzmittel. Die Untersuchung beschränkt sich jedoch auf ökonomische sowie ökologische Belange und umfasst nicht die rechtliche Durchführbarkeit. Nach der Studie kennzeichnet eine ideale Abgabe, dass sie nach der Umweltschädlichkeit der Pflanzenschutzmittel differenziert, den korrekten Abgabensatz wählt, effizient erhoben und rückerstattet wird, betrugssicher ist und die Landwirte ständig zu 17 Einsparungen anreizt. Für eine europaweite Abgabe diagnostizieren sie eine Vielzahl von Ausgestaltungsmöglichkeiten, wie die übernommene Tabelle verdeutlicht.
___________ 11
Vgl. Oskam/Vijftigschild/Graveland, Additional EU policy instruments, Tabellen 8.2.1 und 8.2.2, S. 138 f. 12 Oskam/Vijftigschild/Graveland, Additional EU policy instruments, S. 133, Tabellen S. 138, 140 (bei den Angaben auf S. 133 fehlen 2 Nullen nach dem Komma). 13 Oskam/Vijftigschild/Graveland, Additional EU policy instruments, S. 144 Tab. 8.2.3. 14 Oskam/Vijftigschild/Graveland, Additional EU policy instruments, S. 143. 15 ABl. EG 1967 Nr. P 169, S. 1 ff. 16 Hoevenagel/van Noort/de Kok, levies on pesticides. 17 Hoevenagel/van Noort/de Kok, levies on pesticides, S. 27.
§ 7 Abgaben auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel
77
Tabelle 1 Ausgestaltungsmöglichkeiten einer Pestizidabgabe Anknüpfungspunkt
Abgabesatz
Abgabenschuldner
Einnahmeadressat
Verwendung
Umweltbelastung fester Satz
Hersteller
Europäische Union
Großhandelspreis Mindestsatz
Großhändler
Mitgliedstaaten allg. Finanzhaushalt
Einzelhandelspreis Wirkstoffmenge
differenEinzelhändzierte Sätze ler Landwirte
alle / spezielle Pflanzenschutzmittel
Agrarbehörden
GAP
Flächenprämien Getreideprämien Innovationsprogramme Umweltschutzmaßnahmen
18
Quelle: Hoevenagel/van Noort/de Kok (EIM)
Die oben aufgelisteten Variationen evaluiert die Studie nach der ökologischen Wirksamkeit, der ökonomischen Wirtschaftlichkeit, der Akzeptanz der 19 Betroffenen und der Leichtigkeit der Erhebung. Dabei versuchen Hoevenagel, van Noort und de Kok anhand von konkreten Beispielen des Pflanzenschutzmitteleinsatzes in bestimmten Regionen und für bestimmte Agrarerzeug20 nisse die Auswirkungen verschiedener Abgabenmodelle zu ermitteln. Sie nehmen an, dass der Landwirt ökonomisch rational handelt und Pestizide nur soweit verwendet, wie die Ertragssteigerung die Kosten übersteigt. Die Abgabensätze differieren zwischen zwei Szenarien. Szenario 1 sieht eine einheitliche Abgabe von 20 Prozent für alle Pflanzenschutzmittel vor. Szenario 2 differenziert zwischen einem Satz von 40 Prozent auf gefährliche, von 20 Prozent auf 21 weniger gefährliche und von 10 Prozent auf harmlose Mittel. Entscheidend für die Prognose ist die zugrunde gelegte Preiselastizität. Die Studie greift dafür auf die Werte von 15 anderen Studien zurück und differenziert zum einen ___________ 18
Hoevenagel/van Noort/de Kok, levies on pesticides. S. 69. Hoevenagel/van Noort/de Kok, levies on pesticides, S. 69 ff. 20 Levies on pesticides, S. 42 ff. Herausgegriffen wurden England/Wales (Salat/Fungizide), Spanien/Almeria (grüner Pfeffer/Fungizide), Niederlande (Gurken/Insektizide), England/Wales (Gurken/Insektizide), Schweden (Kartoffeln/Fungizide), Niederlande (Kartoffeln/Fungizide), Niederlande (Mais/Herbizide), England/Wales (Wintergerste/ Herbizide) und Schweden (Winterweizen/Fungizide). 21 Hoevenagel/van Noort/de Kok, levies on pesticides, S. 45 f. Die Einstufung nimmt auf die Klassifizierung der Richtlinien 93/21/EWG und 91/414/EWG Bezug (S. 32 ff.). 19
2. Teil: Mögliche Steuer- und Abgabenmodelle
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zwischen niedriger und hoher Preiselastizität und zum anderen zwischen Fun22 giziden (-0,4/-0,8), Herbiziden (-0,7/-0,9) und Insektiziden (-0,3/-0,8). Im Durchschnitt zeigten sich folgende Auswirkungen: Tabelle 2 Untersuchungsergebnisse Änderung der: Pestizidverwendung
Szenario 1 (niedrigster / höchster Wert) -14 % (-8 % / -18 %)
gesamte Produktionskosten +0,1 % (-0,1 % / +0,2 %) Bruttoeinnahmen je Landwirt
-143 € (-7 € / -365 €)
Szenario 2 (niedrigster / höchster Wert) - 18 % (-7 % / -32 %) + 0,02 % (-0,2 % / +0,2 %) - 155 € ( -9 € / -396 €)
23
Quelle: Hoevenagel/van Noort/de Kok (EIM)
Die Befunde verdeutlichen, dass eine einheitliche aber mehr noch eine differenzierende Abgabe ökologische Verbesserungen bringt, ohne die Produktionskosten der Landwirte merklich zu erhöhen. Einzig die Erträge der Landwirte gehen infolge des geringeren Pestizideinsatzes zurück, was sinkende Brutto24 einnahmen bedingt. Hierbei gab es allerdings erhebliche regionale und kulturbedingte Unterschiede. Vor allem bei der intensiven Landwirtschaft, wie sie in den Niederlanden betrieben wird, verursacht eine Pestizidverringerung dop25 pelt bis zehnfach so hohe Ertragseinbußen. Mit einer Rückführung der Steuereinnahmen an die betroffenen Landwirte durch Subventionen (z. B. Flächenprämien oder Umweltschutzprämien) ließen sich die Einkommensverluste jedoch verringern. Die Autoren warnen allerdings vor einer Verallgemeinerung der Ergebnisse, da die Untersuchungen zeigen, dass trotz gleicher Pflanzenkul26 turen die Ergebnisse von Land zu Land differieren. 27
Im Ergebnis kommen die Autoren zu folgenden Empfehlungen. Eine europäische Abgabenregelung sollte grundsätzlich alle Pflanzenschutzmittel umfassen. Sie sollte weiter am Wert (Preis) der Mittel anknüpfen, da nach ihrer An___________ 22
Hoevenagel/van Noort/de Kok, levies on pesticides, S. 39 f., 46. Hoevenagel/van Noort/de Kok, levies on pesticides, S. 39 f., 65. 24 Die Änderung der Bruttoeinnahmen berechnet die Studie anhand der Einnahmen aus der Abgabe, den Produktionskosten und der Anzahl der Landwirte (Hoevenagel/van Noort/de Kok, levies on pesticides, S. 47). 25 Hoevenagel/van Noort/de Kok, levies on pesticides, Tabelle 5.13 S. 65. 26 Hoevenagel/van Noort/de Kok, levies on pesticides, S. 67. 27 Hoevenagel/van Noort/de Kok, levies on pesticides, S. 78 f. 23
§ 7 Abgaben auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel
79
sicht die ökologisch wirksamere Besteuerung anhand der jeweiligen Umwelt28 belastung mangels fundiertem Wissen derzeit noch nicht umsetzbar ist. Sie sollte nur Mindestsätze vorgeben, die am besten nach der ökologischen Gefähr29 lichkeit der Mittel sich staffeln. Steuerschuldner sollten aus Gründen der ein30 fachen Erhebung die Hersteller sein. Die Einnahmen sollten den betroffenen Landwirten im Rahmen von Umweltschutzprogrammen wieder zugute kom31 men.
II. Erfahrungen in anderen Mitgliedstaaten Die Belastung von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln mit speziellen Lenkungsabgaben ist in der Europäischen Gemeinschaft sehr unterschiedlich verwirklicht. Vorreiter sind Schweden und Dänemark, die sowohl Abgaben auf Düngemittel als auch auf Pestizide kennen und damit gute Erfahrungen gemacht haben. Beide Länder erheben die Abgaben auf der Ebene der Hersteller und Händler in Form eines festen oder eines prozentualen Betrages, so dass insgesamt nur geringe Verwaltungskosten entstehen. Einen sehr eigenen Weg zur Reduzierung des Düngereinsatzes haben die Niederlande mit ihrem Mineral Accounting System (MINAS) gewählt, welches eine Abgabe auf den betrieblichen Stickstoff- und Phosphorüberschuss beinhaltet. Abgaben auf Düngemittel kannten Österreich und Finnland. Beide Länder schafften sie mit dem Beitritt in die Europäische Gemeinschaft 1995 wieder ab. Jedoch sind insbesondere die Erfahrungen in Österreich für eine deutsche Abgabe aufschlussreich.
1. Schweden 32
Schweden erhebt seit 1984 Steuern auf Düngemittel als auch auf Pflanzen33 schutzmittel mit dem Ziel, deren Einsatz in der Landwirtschaft zu vermindern. Im Gegensatz zu Finnland und Österreich wurden die Steuern trotz des Beitritts in die Europäische Gemeinschaft beibehalten. 34
Die Düngemittelsteuer lastet auf Ammoniak, Kaliumnitrat und Kalzium35 nitrat. Der Steuersatz selber bestimmt sich nach den in den Düngemitteln ent___________ 28
Hoevenagel/van Noort/de Kok, levies on pesticides, S. 71 ff. Den Mitgliedstaaten soll die Wahl zwischen Einzel- oder Großhandelspreisen belassen bleiben. 29 Hoevenagel/van Noort/de Kok, levies on pesticides, S. 73 ff. 30 Hoevenagel/van Noort/de Kok, levies on pesticides, S. 75 f. 31 Hoevenagel/van Noort/de Kok, levies on pesticides, S. 76 ff. 32 Lag (1984:409) om skatt på gödselmedel, www.rixlex.riksdagen.se. 33 Lag (1984:410) om skatt på bekämpningsmedel, www.rixlex.riksdagen.se. 34 Vgl. die Zusammenfassung, in: Kommission (EG), Inventar der Steuern, S. 478 f.
2. Teil: Mögliche Steuer- und Abgabenmodelle
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haltenen Wirkstoffen Stickstoff und Kadmium. Seit Oktober 2001 beträgt der Satz für jedes enthaltene Kilogramm Stickstoff 1,80 SK (0,20 €). Bezogen auf die Düngemittelpreise von 1991/92 bewirkte die Steuer eine Erhöhung um 30 36 bis 35 Prozent. Zusätzlich wird das enthaltene Kadmium mit 30 SK (3,27 €) je Gramm besteuert. Steuerpflichtig sind die Hersteller und Händler aber auch die Landwirte, die ihre Mittel aus dem Ausland beziehen. Die Steuerschuld ist monatlich unter Abgabe einer Steuererklärung abzuführen. Von der Steuer sind die Düngemittel abzuziehen, die in andere Länder ausgeführt, wieder zurückgenommen oder zu anderen Zwecken als der Pflanzendüngung genutzt werden. Im Jahr 2000 zahlten 67 Steuerpflichtige Steuereinnahmen von 336 Mio. SK (36,63 Mio. €). Die Steuererhebung verursachte mit 0,8 Prozent der Steuerein37 nahmen nur geringe Verwaltungskosten. Das schwedische Landwirtschaftsministerium schätzt, dass die Steuer 2.000 t Stickstoff jährlich einspart, was einer Reduzierung von sieben Prozent entspräche. Die Preiselastizität von Düngemitteln schätzen verschiedene Studien auf -0,17 bis -0,25 bzw. -0,12 bis 38 -0,51. 39
Der Pestizidsteuer unterfallen alle Mittel, die dem Schutz vor Pflanzen, Tieren, Bakterien oder Viren dienen. Der Steuersatz betrug im Jahr 2001 20 SK (2,18 €) je Kilogramm enthaltenen Wirkstoff, was die Preise um durchschnittlich 5 Prozent erhöhte. In ihrer sonstigen Ausgestaltung entspricht die Steuer der Düngemittelsteuer. Das Steueraufkommen betrug im Jahr 2000 42 Mio. SK (4,578 Mio. €), aufgebracht von 42 Steuerpflichtigen. Wegen der geringen Zahl Steuerpflichtiger fallen nach Schätzungen nur sehr niedrige Verwaltungs40 kosten bei der Steuererhebung an (0,05 Prozent der Steuereinnahmen).
2. Dänemark Dänemark erhebt seit 1996 eine Steuer auf Pflanzenschutzmittel und seit 1998 auf Düngemittel. Eine Abgabe auf Pestizide von 3 Prozent kennt Dänemark zwar schon seit 1986, aber erst 1996 hat die Abgabe eine wesentliche Erhöhung der Abgabensätze auf 27 bzw. 13 Prozent erfahren, mit dem ausdrücklichen Ziel den Verbrauch von Pflanzenschutzmitteln um 5 bis 10 Prozent zu ___________ 35
Nummer 2814, 2834, 3102, 3105 der Europäischen Kombinierten Nomenklatura. Rougoor/Zeijts/Hofreither/Bäckman, JEPM 44 (2001), S. 877 [882]. 37 Rougoor/Zeijts/Hofreither/Bäckman, JEPM 44 (2001), S. 877 [882]. 38 Vgl. Rougoor/Zeijts/Hofreither/Bäckman, JEPM 44 (2001), S. 877 [883]. 39 Vgl. die kurze Zusammenfassung in Kommission (EG), Inventar der Steuern, S. 480. 40 Oskam/Vijftigschild/Graveland, Additional EU policy instruments, S. 136. 36
§ 7 Abgaben auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel
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41
senken. Gleichzeitig wurde die Abgabe in eine Verbrauchsteuer zugunsten 42 des Staatshaushaltes umgewandelt. Um eine weitere Reduzierung um 10 Pro43 zent zu erzielen, hob Dänemark im November 1998 die Steuersätze erneut an. Die Steuersätze sind als prozentualer Anteil der Einzelhandels- bzw. Großhandelspreise einschließlich der Steuer jedoch ohne Umsatzsteuer festgesetzt. Sie betragen nun für Insektizide und chemische Mittel zur Bodendesinfektion 35 Prozent des Einzelhandelspreises, für Herbizide, Fungizide, Mittel zur Regulierung des Pflanzenwachstums, zur Abschreckung von Insekten, Säugetieren und Fischen 25 Prozent des Einzelhandelspreises und für sonstige Mittel 3 Prozent 44 des Großhandelspreises. Rechnet man die Prozentanteile in prozentuale Aufschläge um, ergibt sich eine wesentlich höhere Belastung von 53,85 Prozent, 45 33,33 Prozent oder 3,09 Prozent auf dem Herstellerpreis. Die Differenzierung zwischen Insektiziden und Herbiziden bzw. Fungiziden beruht allerdings nicht auf einer unterschiedlichen Gefahr für Umwelt und Mensch, sondern würdigt 46 allein die verschiedenen Ausgangspreise. Steuerpflichtig sind die registrierten Hersteller oder Importeure, wobei die Abrechnung monatlich erfolgt. Ähnlich wie in Schweden sind die Umsätze steuerfrei, wenn Pflanzenschutzmittel an andere registrierte Unternehmer oder ins Ausland geliefert werden. Eine Besonderheit der dänischen Steuer ist, dass die Steuerausweisung durch das Steuerministerium anhand der vorher eingereichten Verkaufspreise festgelegt 47 wird. Die Steuereinnahmen betrugen 1998 298 Mio. DK (40,12 Mio. €). Die Steuererhöhung Ende 1998 steigerte die Einnahmen im Folgejahr auf 455 Mio. DK (61,26 Mio. €), um dann infolge des Verbrauchsrückganges auf 375 Mio. DK 48 (50,48 Mio. €) abzusinken. Die finanzielle Belastung der Landwirte ist insgesamt aber geringer, da parallel zur Erhöhung der Steuer die Grundsteuer abgesenkt (1996 um 185 Mio. DK (24,91 Mio. €), 1998 um ca. 200 Mio. DK (26,93 Mio. €)) und ein Programm zur Förderung des biologischen Landbaus geschaf___________ 41
LOV nr. 416 af 14/06/1995, www.retsinfo.dk/danlov/danlov.htm. Vgl. DEPA, Economic Instruments, S. 79; Oskam/Vijftigschild/Graveland, Additional EU policy instruments, S. 134. Die Erhöhung diente der Verwirklichung des 1986 beschlossenen nationalen Pestizid Plans, der bis 1997 eine Reduzierung auf die Hälfte des Niveaus von 1981-85 anstrebte (vgl. DEPA, Economic Instruments, S. 78). 42 Oskam/Vijftigschild/Graveland, Additional EU policy instruments, S. 134. 43 LOV nr. 798 af 09/11/1998, www.retsinfo.dk/danlov/danlov.htm; Vorschlag für das Änderungsgesetz 1998, Folketinget 1997/1998, Lovforslag nr. L 44, S. 10, S. 12. 44 Als Einzelhandelspreis gilt der statistisch erfasste höchste Preis je Pestizid (§ 2). Bei den Großhandelspreisen kommt es auf die tatsächlich erzielten Erlöse an (§ 8). 45 DEPA, Economic Instruments, S. 79. 46 DEPA, Economic Instruments, S. 79 f. Oskam/Vijftigschild/Graveland, Additional EU policy instruments, S. 134. 47 Oskam/Vijftigschild/Graveland, Additional EU policy instruments, S. 136. 48 DEPA, Economic Instruments, S. 80; Skatteministeriet, Rapport, S. 19.
2. Teil: Mögliche Steuer- und Abgabenmodelle
82 49
fen wurde. Die Verwaltungskosten beziffert Dänemark auf 0,5 Prozent der 50 Steuereinnahmen. Sie sind höher als in Schweden, was auf das installierte staatliche Preisauszeichnungssystem zurückzuführen ist. Die Effekte für den Umweltschutz untersuchte eine Studie des Steuerminis51 teriums in Zusammenarbeit mit dem Landwirtschaftsministerium. Während die Behandlungshäufigkeit nahezu konstant blieb, verringerte sich die eingesetzte Menge der Pestizide von durchschnittlich 22.694 t/a in den Jahren 198152 1985 auf 14.825 t im Jahr 1997 bzw. 12.445 t im Jahr 1999. Im ersten Jahr (1996) wurde eine besonders starke Reduzierung festgestellt, die auf vorgezo53 genen Einkäufen beruhte. Insgesamt reduzierte sich der Verbrauch bis 1999 54 gegenüber dem Vergleichsjahr 1994 um 36 Prozent, was eine erhebliche Preiselastizität von mindestens -0,7 bedeutet. Bemängelt wird jedoch, dass die Steuer nicht nach den jeweiligen Auswirkungen der Wirkstoffe auf Umwelt 55 und Mensch differenziert. Weiterhin wurde auch nicht das angestrebte Ziel 56 erreicht, die Intensität der Pestizidanwendung pro Hektar vom Faktor 2,67 in den Jahren 1981-85 auf 1,34 zu senken, da bis 1999 nur eine Verbesserung auf 57 den Faktor 2,33 eintrat. Der Verbrauchsrückgang von 36 Prozent beruhte vor allem auf der Aufgabe unrentabler landwirtschaftlicher Flächen. In der oben genannten Studie wird daher intensiv über eine Änderung nachgedacht, bei der sich die Steuer statt am Verkaufspreis nach der vorgegebenen Standarddosis je 58 Hektar (im Sinne einer Wirkdosis) orientiert. Der dabei vorgeschlagene Steu59 ersatz soll 74 DK (9,96 €) je Standarddosis betragen. Die Menge des Wirkstoffes, die einer Standarddosis entsprechen soll, variiert bei jedem Wirkstoff ___________ 49
Vorschlag für das Änderungsgesetz 1998, Folketinget 1997/98, Lovforslag nr. L 44, S. 11, www.retsinfo.dk; DEPA, Economic Instruments, S. 80. Oskam/Vijftigschild/ Graveland, Additional EU policy instruments, S. 134. 50 Oskam/Vijftigschild/Graveland, Additional EU policy instruments, S. 136. 51 Skatteministeriet, Rapport om muligheden for at omlægge pesticidafgiften til en afgift på behandlingshyppighed (Rapport). 52 Skatteministeriet, Rapport, S. 17. Die Menge der Wirkstoffe sank von 9.743 t (1985) auf 3.605 t (1999). 53 DEPA, Economic Instruments, S. 80; Skatteministeriet, Rapport, S. 17, 97 f. Die Jahre 1995 und 1996 sind daher für vergleichende Aussagen nur bedingt verwendbar. 54 Skatteministeriet, Rapport, S. 16. 55 DEPA, Economic Instruments, S. 80. 56 Berechnet nach der Formel: Verkaufte Menge Aktivstoff / (Standarddosis je Hektar x genutzter Landwirtschaftsfläche) (vgl. Skatteministeriet, Rapport, S. 22). 57 Skatteministeriet, Rapport, S. 17, 20; DEPA, Economic Instruments, S. 80. Vorschlag für Änderungsgesetz, Folketinget 1997/98, Lovforslag nr. L 44, S. 11 f. 58 Skatteministeriet, Rapport, S. 22 ff. Jedoch wurden schon im Vorschlag für das Änderungsgesetz 1998, Folketinget 1997/98, Lovforslag nr. L 44, S. 5 ff., alternative Besteuerungsgrundlagen (Umweltbelastungsindex, Menge der Aktivstoffe, Standarddosis) erörtert. 59 Skatteministeriet, Rapport, S. 63 ff.
§ 7 Abgaben auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel
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und wird vom Gesetzgeber festgesetzt. Für die verkauften Pflanzenschutzmittel würde sich die jeweilige Steuerlast dann aus der Menge der Wirkstoffe je Stan60 darddosis und dem Anteil der Wirkstoffe am Verkaufsprodukt berechnen. Die gleichfalls erhobene Düngemittelsteuer auf Ammoniak, Kaliumnitrat, Ammoniumchlorid sowie auf mineralischen oder chemischen Stickstoffdünger 61 und kombinierte Düngemittel hat bis jetzt keine weitergehenden Untersuchungen erfahren, so dass hier nur die Ausgestaltung skizziert werden kann. Der Steuersatz beträgt für alle Düngemittel einheitlich 5 DK (0,67 €) je Kilogramm Stickstoff. Steuerpflichtig und registrierungspflichtig ist jeder Unternehmer der Düngemittel verkauft. Düngemittel aus Ländern außerhalb der Europäischen Gemeinschaft sind bei der Einfuhr entweder vom Exporteur oder vom inländischen Abnehmer steuerlich zu verantworten. Die Steuer ist monatlich abzuführen, wobei wie bei den Pestiziden alle Waren ausgenommen sind, welche an andere registrierte Unternehmer oder ins Ausland geliefert werden.
3. Niederlande Einen anderen Weg hinsichtlich der Düngemittelbesteuerung sind seit 1998 62 die Niederlande gegangen. Die niederländische Landwirtschaft ist durch eine intensive Bewirtschaftung mit hohen Stickstoff- und Phosphoreinträgen ge63 prägt. Seit 2001 sind alle viehhaltenden Landwirte dem System MINAS (Mineral Accounting System) unterworfen, das für Stickstoff und Phosphor den gesamten Eintrag (mineralische und organische Düngemittel, Futter) und Aus64 trag (Agrarerzeugnisse, Milch, Fleisch, Dünger) erfasst. Aus der Differenz ___________ 60
Vgl. hierzu die schon aufgestellten Tabellen im Anhang 6 und 7, in: Skatteministeriet, Rapport, S. 106 ff., 109 ff. Die konkrete Formel lautet: Steuerbetrag je kg Verkaufsprodukt = (74 DK / Standarddosis je Aktivstoff (in g)) x Anteil der Aktivstoff je kg Verkaufsprodukt (in g). 61 LOV nr. 418 af 26/06/1998, www.retsinfo.dk/danlov/danlov.htm. Steuer bezieht sich auf Nummer 2814, 2834, 2827, 3102 und 3105 der Europäischen Kombinierten Nomenklatura. Organische Düngemittel sind nur steuerpflichtig, soweit sie granuliert, pulverisiert oder sonst bearbeitet wurden und zum Verkauf in Packungen zu 50 kg oder weniger bestimmt sind (§ 1 Abs. 2). 62 Einen Überblick über das niederländische System findet sich in MINLNV, Policy Document, Abs. 4.2; MINLNV, newsletter 34/1998, Abs.: Proposal to reduce nitrates sent to European Commission.EFMA, Agricultural and Environmental Policies, S. 11; EuGH Rs. C-322/00, Kommission/Niederlande, vom 2.10.2003, www.europa.eu.int; Teenstra, RSP scientific report 168; Hanley, in: Shortle/Abler, Environmental Policies, S. 159 f.; Dugast, fertilizer use in West Europe, S. 6. 63 MINLNV, Policy Documents, Abs. 2. 64 Artikeln 14 bis 54 Wet houdende regelen inzaken het verhandelen van meststoffen en de afvoer van mestoverschotten (Gesetz über den Düngemittelhandel und die Entsorgung überschüssigen Düngers) (Stbl. 1986, Nr. 590) in der geänderten Fassung des Gesetzes vom 16. September 1999 (Stbl. 1999, Nr. 406).
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2. Teil: Mögliche Steuer- und Abgabenmodelle
zwischen Ein- und Austrag wird dann der Überschuss an Nitrat oder Phosphor ermittelt, der die Umwelt belastet. Die Landwirte müssen den Ein- und Austrag jährlich abrechnen, können dabei jedoch zwischen einer exakten und einer pau65 schalen Berechnungsmethode wählen. Landwirte mit einem Viehbesatz von mehr als 2,5 Vieheinheiten pro Hektar müssen die Abrechnung durch eine 66 Audit-Prüfung verifizieren lassen. Um die Landwirte zu einer Reduzierung des jährlichen Überschusses anzureizen, ist dieser mit einer Abgabe belastet. Die Abgabensätze betragen seit 2002 für jedes Kilogramm Phosphor 20 NGL 67 (9 €) und Stickstoff 5 NGL (2,3 €). Die Konzeption geht davon aus, dass die Abgabensätze über den Kosten aller Einsparmöglichkeiten liegen, um eine entsprechend starke Lenkungswirkung zu erreichen. Allerdings muss der Landwirt nicht die Abgabe für den gesamten Überschuss entrichten, sondern nur für den Betrag, der die jährlichen, gestatteten Verlustbeträge (loss standards) von 20 kg/ha für Phosphat, 140 bzw. 60 kg/ha für Stickstoff auf Gras- bzw. Ackerland auf lehmigen oder torfigen Böden und 180 bzw. 100 kg/ha für Stickstoff auf 68 sonstigen Böden überschreitet. Ziel des Systems ist es, gegenüber dem Referenzjahr 1985 den Stickstoffeintrag in Oberflächengewässer bis 2003 um 50 Prozent und die Emission von Ammoniak bis 2010 um 80 Prozent zu minimieren und damit einen optimalen 69 Nitrat- und Phosphorumsatz zu erreichen. Die dadurch ermöglichten Einsparungen bei der Wasseraufbereitung schätzt man auf 250 Mio. NLG (113,45 Mio. €). MINAS versucht nachzubilden, dass die Bewirtschaftung dem Boden Mineralien entzieht, die ersetzt werden müssen, weshalb nur der nicht gebrauchte Mineralienüberschuss umweltschädlich ist. Die enge Anbindung an die Stoffkreisläufe macht die Regelung jedoch kompliziert in der Erfassung 70 und Kontrolle sowie anfällig für Schwankungen vor allem beim Austrag, wenn es aufgrund von Naturereignissen oder Krankheiten zu Ertragseinbußen 71 kommt. Die Kontrolle erfolgt bisher durch mindestens eine Stichprobe je ___________ MINLNV, Manure, S. 9 ff.; MINLNV, Policy Document, Abs. 4. Der jeweilige Mineralienverbrauch durch Pflanzen, Milchkühe, Rinder, Schweine etc. wird pauschal festgesetzt, so dass es nur noch auf die geerntete Menge Agrarerzeugnisse bzw. den Tierbestand je Hektar ankommt. 65 MINLNV, Policy Document, Abs. 4.2.1; MINLNV, Manure, S. 10. 66 MINLNV, Manure, S. 10 f. 67 MINLNV, Manure, S. 11 Tabelle 2. 68 MINLNV, Manure, S. 11 Tabelle 1. 69 MINLNV, Integrated Approach, Abs. 7. Allerdings sollte die Reduzierung um 50 Prozent ursprünglich mittels anderer Maßnahmen schon bis 1995 erreicht werden. 70 MINLNV, Policy Documents, Abs. 4.2.1. 71 Vgl. MINLNV, newsletter 35/1999, Abs. 1 und 3. So mussten zusätzliche Ausnahmen von der Abgabe gewährt werden, weil es aufgrund starker Regenfälle zu Ernteverlusten oder infolge der Schweinepest zu einem im Abrechnungsjahr späteren Aufstocken des Viehbestandes kam.
§ 7 Abgaben auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel
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Landwirt innerhalb von 6 Jahren und durch den Vergleich der Ein- und Ausgänge bei Lieferungen der Landwirte untereinander anhand früherer Erklärun72 gen und der Viehbuchführung. Die Schwäche des niederländischen Systems ist darin zu sehen, dass in Anbetracht des Aufwandes für die Ermittlung des Überschussbetrages die Durchsetzung der Verlustbeträge mit einer Abgabe wenig effektiv ist und nicht den 73 74 Anforderungen der Nitrat-Richtlinie 91/676/EWG genügt. Da die europäische Nitrat-Richtlinie in Art. 5 Abs. 4 a i. V. m. Anhang III Abs. 2 beim Ausbringen von Dung die Stickstoffmenge grundsätzlich auf 170 kg/ha begrenzt, müsste die niederländische Regelung entsprechende Überschussbeträge verbindlich einfordern, anstatt sie der Anreizwirkung einer Abgabe zu überlassen. Schließlich schöpft MINAS aufgrund der hohen Verlustbeträge gerade nicht die Stärke von Abgaben aus, im unverbindlichen Vorsorgebereich zusätzliche Anreize zu schaffen. Die Zurückhaltung ist den Interessen der Landwirtschaft geschuldet, der eine zu schnelle Umstellung ihrer Bewirtschaftung – 1998 verursachte sie noch Stickstoff- bzw. Phosphorüberschüsse von 370 kg/ha bzw. 75 65 kg/ha – nicht zugemutet werden sollte.
4. Österreich 76
Österreich erhob von 1986 bis Ende 1994 eine Düngemittelabgabe auf natürliche Phosphate und Nitrate, tierische oder pflanzliche Düngemittel sowie mineralischen oder chemischen Stickstoff-, Phosphor- und Kalidünger. Ursprünglich bezweckte man mit der Abgabe die Finanzierungslücke bei den Exportsubventionen für österreichisches Getreide zu schließen, weshalb die Ab77 gabe auch dem Getreidewirtschaftsfond zufloss. Die Reduzierung des Düngemittelverbrauchs war nur Nebenzweck, der im Laufe der Zeit aber eine er___________ 72
MINLNV, Manure, S. 11. ABl. EG 1991 Nr. L 375, S. 1 ff. 74 EuGH Rs. C-322/00, Kommission/Niederlande, vom 2.10.2003, Rn. 58, 71 ff., www.europa.eu.int. 75 MINLNV, Policy Documents, Abs. 4.2.2. Dies scheint auch dem Umstand geschuldet zu sein, dass die Industrie maßgeblich an der Entwicklung von MINAS mitgewirkt hat (vgl. a. a. O. Abs. 4.2.1). Zur Wirksamkeit der Lobbyarbeit der niederländischen Landwirte vgl. H. Becker, Düngemitteleinsatz, S. 127. 76 Ö-BGBl. Nr. 208/1986 ST0081. Eingefügt in §§ 53 a bis 53 m Marktordnungsgesetz (Ö-BGBl. Nr. 210/1985 ST0093). 77 Schneider, in: Agrarsoziale Gesellschaft, Öko-Steuern, S. 162 [163]; Hofreither/Sinabell, Austrian Levy on Mineral Fertilizer, S. 5 f. Die Abgabe trug im Schnitt 40 % zum Getreidewirtschaftsfond bei, aus denen Exportsubventionen finanziert wurden (Hofreither/Sinabell, a. a. O., S. 7). 73
2. Teil: Mögliche Steuer- und Abgabenmodelle
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hebliche Aufwertung erfahren hat. Die 1991 erfolgte Erhöhung der Beitragssätze bezweckte vorrangig die Reduzierung des Düngemitteleinsatzes. Mit dem Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft hob Österreich die Abgabe auf. Neben Befürchtungen der rechtlichen Unvereinbarkeit sollte die Abschaffung vor allem Wettbewerbsnachteile österreichischer Bauern vermeiden. Hinzu kam, dass mit Geltung der europäischen Marktorganisationen Exportsubventionen für Getreide allein in die Kompetenz der Europäischen Gemeinschaft fielen, so dass kein Finanzierungsbedarf für den Getreidewirtschaftsfond mehr bestand. Ähnlich wie in Schweden bestimmte sich die Abgabenhöhe nach den enthaltenen Wirkstoffen. Ab 1991 waren für jedes Kilogramm Stickstoff 6,50 Schilling (0,47 €), Phosphor 3,50 Schilling (0,25 €) und Kali 1,90 Schilling (0,14 €) zu zahlen. Beitragspflichtig war, wer Düngemittel anderen verschaffte, importierte oder herstellte. Die Abgabe war ähnlich der Umsatzsteuer gegenüber dem Abnehmer auszuweisen und überzuwälzen. Der Förderungsbeitrag war monatlich unter Angabe der verwendeten Düngemittelmengen zu erbringen. Vergleicht man die Abgabe mit dem deutschen Abgabensystem, so entsprach sie weitgehend einer Sonderabgabe, da sie eine bestimmte Gruppe belastete und die Einnahmen gruppennützig verwendete. Mit der Abgabe erzielte Österreich 1986/87 Einnahmen von 737 Mio. Schilling (53,56 Mio. €), die bis 1993/94 auf 1.177 Mio. Schilling (85,54 Mio. €) 79 80 anstiegen. Die Verwaltungskosten betrugen ca. 0,7 Prozent der Einnahmen. Die Erhebung der Abgabe wurde als problemlos eingeschätzt, da keine weitergehende Differenzierung und keine Gewährung von Freibeträgen je Betrieb 81 oder Hektar erfolgten. Trotz der Finanzierungsfunktion für Exportsubventionen gingen von ihr ökologische Lenkungsanreize im Hinblick auf eine sparsamere Verwendung von Düngemitteln aus. Unmittelbar mit Einführung der Abgabe 1986 reduzierte sich die verkaufte Nitratmenge um 15,5 Prozent, was auf vorgezogene Düngemittelkäufe der Landwirte zurückzuführen ist, da die Hersteller die Preiserhö82 hung nicht sofort überwälzten. Für die weiteren Jahre von 1986 bis 1988 kam es zu einer Reduktion des Stickstoffeinsatzes um 18.000 bis 20.000 t (11-12,5 83 Prozent). Diese Reduktion sei jedoch nur zum Teil auf die Preiserhöhung von ___________ 78
Ö-BGBl. Nr. 396/1991 ST00145. Rougoor/Zeijts/Hofreither/Bäckman, JEPM 44 (2001), S. 877 [880]; Schneider, in: Agrarsoziale Gesellschaft, Öko-Steuern, S. 162 [164] (bis 1991/92 1.200 Mio. Schilling). 80 Rougoor/Zeijts/Hofreither/Bäckman, JEPM 44 (2001), S. 877 [880]. 81 Schneider, in: Agrarsoziale Gesellschaft, Öko-Steuern, S. 162 [164 f.]. 82 Hofreither/Sinabell, Austrian Levy on Mineral Fertilizers, S. 8. 83 Schneider, in: Agrarsoziale Gesellschaft, Öko-Steuern, S. 162 [166] nimmt 20 % an. 79
§ 7 Abgaben auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel
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10 bis 12 Prozent in diesem Zeitraum zurückzuführen, da bei einer angenommenen Preiselastizität von -0,2 der Verkauf nur um 2,5 Prozent (4.000 t Stick84 stoff) hätte zurückgehen dürfen. Als Ursache für die wesentlich höhere Ein85 sparung vermutet man den verstärkten Einsatz von Leguminosen und ein Umdenken der Landwirte über den Düngemittelverbrauch als Kostenfaktor. Diese indirekten Wirkungen der Düngemittelabgabe machten ungefähr fünfzig Prozent der Reduktion aus. Deutliche Wirkungen zeigte die Abgabe bei ihrer 86 Abschaffung 1995. Es kam zu einem Preissturz bis fünfzig Prozent. Gleichzeitig stieg der Stickstoffverbrauch um über zehn Prozent an. Hinsichtlich der konkreten Verbesserungen für die Umwelt geht man davon aus, dass in dem Zeitraum 1987 bis 1994 der jährliche Stickstoffaustrag pro 87 Hektar sich stetig um 0,8 Prozent oder 0,5 kg/ha verringerte. Inwieweit sich durch die Abgabe die Nitratbelastung des Grundwassers reduzierte, ist auf88 grund fehlender Daten für den Zeitraum vor 1992 nicht mehr feststellbar.
5. Finnland Finnland erhob von 1976 bis 1994 eine Steuer auf Düngemittel in der Land89 wirtschaft. Die Steuer belastete bis 1992 jedes Kilogramm Düngemittel mit umgerechnet 0,005 € bis 0,08 €. Wegen der sehr geringen Höhe wirkte sich die Steuer kaum auf den Düngemittelverbrauch aus. 1992 erfolgte eine Umstellung auf das Gewicht des Wirkstoffes und eine Erhöhung je Kilogramm Stickstoff 90 auf 2,6 FK (0,44 €) und Phosphor auf 1,7 FK (0,29 €). Die Erhöhung bewirkte einen Preisanstieg um 62 Prozent. Erstmals zeigten sich mit einem 91 Verbrauchsrückgang von 22 Prozent deutliche Lenkungseffekte. Insgesamt ergab sich eine Preiselastizität von -0,3 Prozent. Bereinigt man diese um die auch erfolgten Flächenstilllegungen, vermindert sie sich auf -0,15. Mit Eintritt in die Europäische Gemeinschaft wurde die Steuer abgeschafft, um finnische 92 Landwirte nicht im Wettbewerb zu behindern. ___________ 84
Hofreither/Sinabell, Austrian Levy on Mineral Fertilizers, S. 9; Schneider, in: Agrarsoziale Gesellschaft, Öko-Steuern, S. 162 [167 f.]. 85 Pflanzen, die Stickstoff aus der Luft binden. 86 Hofreither/Sinabell, Austrian Levy on Mineral Fertilizers, S. 10. 87 Hofreither/Sinabell, Austrian Levy on Mineral Fertilizers, S. 13 m. w. N. 88 Hofreither/Sinabell, Austrian Levy on Mineral Fertilizers, S. 12. 89 Zuletzt gemäß dem Gesetz 1084/1990, http://finlex4.edita.fi. 90 Gesetz 776/1992, http://finlex4.edita.fi. Rougoor/Zeijts/Hofreither/Bäckman, JEPM 44 (2001), S. 877 [883]. 91 Rougoor/Zeijts/Hofreither/Bäckman, JEPM 44 (2001), S. 877 [884]. 92 Aufhebungsgesetz 533/1994 (http://finlex4.edita.fi) und Begründung HE 96/1994 (www.eduskunta.fi).
2. Teil: Mögliche Steuer- und Abgabenmodelle
88
III. Diskussion in Deutschland In Deutschland gibt es eine Vielzahl von Stimmen, welche die Einführung von Abgaben auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel fordern. Die Forderungen hinsichtlich einer Düngemittelabgabe beschränken sich in aller Regel auf eine Abgabe (meist als Steuer) von 50 bis 200 Prozent auf den Kilopreis von Stickstoff im Mineraldünger. Einen umfassenden Überblick der politischen Diskussion über eine Stickstoffabgabe bis 1996 enthält die Dissertation von Rusch, 93 weshalb hier nur die wichtigsten Vorschläge vorgestellt sind. Der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen empfiehlt schon seit Mitte der achtziger 94 Jahre eine Stickstoffabgabe, welche den Preis verdoppelt. Eine noch höhere Steuer von 200 Prozent auf den Stickstoffpreis sah der weit reichende Vorschlag einer ökologischen Steuerreform des Umwelt- und Prognose-Instituts 95 Heidelberg vor, wobei die Steuer erst ab 80 kg/ha erhoben werden sollte. Das Institut erhoffte sich damit, den Verbrauch um 430.000 t jährlich senken zu können, wobei Steuereinnahmen von rund 330 Mio. € anfielen. Inwieweit eine Abgabe den Stickstoffeinsatz reduziert, hängt von der entsprechenden Preiselastizität ab. Für Deutschland gehen die Schätzungen dabei von -0,1 bis -0,8 96 aus. Die Differenzen beruhen auf unterschiedlichen Ausgangsmaterialien und Berechnungsmodellen. Indes kommen auch Studien aus anderen Ländern oder 97 europaweite Untersuchungen zu ähnlichen Ergebnissen. Hinsichtlich einer Abgabe auf Pflanzenschutzmittel gibt es in Deutschland nur wenige Vorschläge. Dies mag zum einen daran liegen, dass der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen schon sehr zeitig eine Abgabe aus Grün98 den der geringen Effektivität ablehnte. Zum anderen wurde das Problem der Überdüngung als weitaus dringender angesehen. Eine Abgabe forderte das Heidelberger Umwelt- und Prognose-Institut mit einem Preisaufschlag von 200 ___________ 93
Rusch, Stickstoffabgabe, S. 197 ff. Ergänzend sei noch die positive Stellungnahme der Enquete-Kommission, Schutz der Grünen Erde, S. 268 ff. hinsichtlich einer Stickstoffabgabe oder -steuer erwähnt. 94 SRU, Sondergutachten 1985, Tz. 1391; SRU, Umweltgutachten 1996, Tz. 1239 ff.; SRU, Sondergutachten 1996, Tz. 197 ff.; SRU, Umweltgutachten 2000, Tz. 435. Einen Aufschlag von 100 Prozent empfiehlt auch Rusch, Stickstoffabgabe, S. 228. 95 UPI, Ökologische Steuerreform, S. 40. 96 Vgl. den Überblick bei Feldwisch/Frede, Gewässerschutz, S. 58 ff., Tabelle S. 115. Der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen geht unter Berufung auf andere Quellen von -0,26 bis -0,5 aus (SRU, Sondergutachten 1996, Tz. 198). H. Becker schätzte in seiner Untersuchung den Rückgang auf -0,45 (H. Becker, Düngemitteleinsatz, Tab. 4.4 (S. 55)). Strotmann kommt in seiner Analyse bei unterschiedlichen Agrarreformszenarien auf Verbrauchsrückgänge zwischen -0,62 und -0,78 (Strotmann, Stickstoffsteuer, Übersicht 6.1 (S. 132)). 97 Vgl. den Überblick in Verschurr/van Well, Stimulating organic farming, S. 21 f. 98 SRU, Sondergutachten 1985, Tz. 1302; SRU, Sondergutachten 1996, Tz. 205.
§ 7 Abgaben auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel
89
Prozent auf synthetische Mittel, wobei der Verbrauch um 15.000 t oder 46 Prozent zurückgehen sollte. Weiter untersuchte Dehio eine einheitliche Abgabe von 100 Prozent und kam zu einer Reduktion von ca. 30 Prozent, die mit einem Verlust der flächenbezogenen Nettowertschöpfung von rund 7 Prozent einher99 gehen würde. Insgesamt schwanken die Schätzungen bezüglich der Preiselas100 tizität zwischen -0,4 bis -2,0. Realistischer dürfte, wie die Studien in Dänemark, Schweden und den Niederlanden zeigen, aber eine geringere Preiselasti101 zität von -0,3 bis -0,4 sein.
B. Ausgestaltungsmöglichkeiten von Abgaben auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel Im Folgenden sollen die verschiedenen Ausgestaltungsmöglichkeiten einer Abgabe auf Düngemittel- und Pflanzenschutzmittel anhand der oben dargestellten Erfahrungen und Untersuchungen diskutiert werden. Kriterien sind an dieser Stelle die ökologische Wirksamkeit, die ökonomischen Auswirkungen, die Praktikabilität und der Verwaltungsaufwand für die Kontrolle. Die Prüfung der rechtlichen Zulässigkeit erfolgt anschließend im 3. und 4. Teil.
I. Abgabe auf Düngemittel Zur Reduzierung des Düngemitteleinsatzes kommen unterschiedliche Modelle in Betracht. Man könnte, wie in Schweden und Dänemark, auf den Preis handelbarer Düngemittel eine feste oder prozentuale Abgabenlast aufschlagen. Ob hingegen die Belastung des Wirtschaftsdüngers sinnvoll ist, erscheint fraglich. Weiter könnte man wie in den Niederlanden den betrieblichen Nährstoffüberschuss mit einer Abgabe belasten oder aber die Abgabe an den Nährstoffgehalt im Boden festmachen. Zu klären ist auch, welche Nährstoffe und Düngemittel man besteuern sollte. Die größte Bedeutung haben Stickstoff, Phos102 phat und Kali, wobei man Stickstoff als Leitnährstoff bezeichnen kann. Or___________ 99
Dehio, Steuern im Pflanzenschutzbereich, S. 124, 132. Waibel/Fischer, Kosten und Nutzen, S. 94 Tab. 5.6; Dehio, Steuern im Pflanzenschutzbereich, S. 124; Zeddis, in: Agrarsoziale Gesellschaft, Öko-Steuern, S. 137 [141] geht bei 50 %igen Besteuerung von einer Reduzierung des Pflanzenschutzmitteleinsatzes auf Null aus. Vgl. den Überblick bei Feldwisch/Frede, Gewässerschutz, S. 78 f. 101 Vgl. die Zusammenstellung der Ergebnisse verschiedener Studien bei Waibel/Fischer, Kosten und Nutzen, S. 95; Verschurr/van Well, Stimulating organic farming, S. 17; Hoevenagel/van Noort/de Kok, levies on pesticides, S. 39 f.; Feldwisch/Frede, Gewässerschutz, S. 79. 102 UBA, Daten zur Umwelt 2000, S. 33 f.; Kommission (EG), KOM (2000) 20, S. 13, 22, 30. 100
2. Teil: Mögliche Steuer- und Abgabenmodelle
90
ganische Düngemittel (Wirtschaftsdünger) enthalten alle drei Stoffe, wenn auch in unterschiedlicher Konzentration. Bei mineralischen Mitteln ist der einzelne Nährstoff gezielt einsetzbar. Da übermäßige Phosphat- und Kaliüberschüsse im Boden gleichfalls eine ökologische Beeinträchtigung darstellen, 103 sollte eine Abgabe nach Möglichkeit alle Inhaltsstoffe umfassen.
1. Anknüpfungspunkte für eine Abgabe a) Handelbarer Mineraldünger Eine Abgabe, die sich auf mineralische Düngemittel beschränkt, reduziert nur wirksam die Nährstoffüberschüsse, wenn dessen Anteil an der gesamten Düngung nicht gänzlich unbedeutend ist. Statistische Daten ergeben, dass die Landwirte seit 1982 relativ konstant 62 Prozent der Stickstoffmenge mit Mine104 raldünger und 38 Prozent mit Wirtschaftsdünger zuführen. Die Entwicklung seit 1950 zeigt sogar, dass die Zufuhr von Stickstoff aus Wirtschaftsdünger sich parallel dem Pflanzenbedarf nur leicht erhöhte, wohingegen die Verwendung von mineralischem Stickstoff sowie der Stickstoffüberschuss überpropor105 tional anstiegen. Bei Phosphat war 1982 der Anteil des Mineraldüngers ähn106 lich hoch, sank aber bis zum Jahr 1998 auf 42 Prozent ab. Der schon 1982 niedrige Kalianteil von 43 Prozent reduzierte sich bis 1998 auf 30 Prozent. Damit lohnt sich eine Abgabe hauptsächlich für mineralischen Stickstoff. Nimmt man eine Preiselastizität von -0,3 an, welche dem Mittelwert der oben 107 genannten Studien und Erfahrungen anderer Länder entspricht, ließe sich mit einer Abgabe von 100 Prozent, wie sie in Deutschland oftmals gefordert wird, 108 der Mineraldüngereinsatz um 30 Prozent oder um 822 Mio. kg reduzieren. Die Einkommensverluste der Landwirte schätzt man aufgrund der verschiedenen, angenommenen Preiselastizitäten und Ertragsrückgänge bei einer Abgabe 109 von 100 Prozent auf 1,5 Prozent bis 13 Prozent. ___________ 103
Dies hätte der Abgabe in Österreich entsprochen. Finnland beschränkte sich auf Stickstoff und Phosphor. Schweden besteuert nur Stickstoff sowie Kadmium und Dänemark allein Stickstoff (siehe § 7 A. II.). 104 Berechnet nach den Daten aus: UBA, Daten zur Umwelt 2000, Tab. 3.2 und 3.5 (S. 34 f.); Enquete-Kommission, Schutz der Grünen Erde, Tab. 2.21 (S. 148); SRU, Sondergutachten 1985, Tz. 410 ff., Tab. 3.26 (Tz. 414). 105 Enquete-Kommission, Schutz der Grünen Erde, S. 149 Abb. 2.11. 106 UBA, Daten zur Umwelt 2000, Tab. 3.2 und 3.5 (S. 34 f.); SRU, Sondergutachten 1985, Tz. 410 ff., Tab. 3.26 (Tz. 414). 107 Siehe § 7 A. 108 Ausgehend von der gesamten eingesetzten Mineraldüngermenge von 2.740 Mio. kg im Jahr 2000/01 (UBA, Umweltdaten 2002, S. 19). 109 Strotmann, Stickstoffsteuer, S, 140; Becker, Düngemitteleinsatz, Tab. 4.4 (S. 55).
§ 7 Abgaben auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel
91
Tabelle 3 Mittelwerte der Stickstoffbilanzgrößen für die alten Bundesländer im Jahr 1991 Mineraldünger
Wirtschafts N-FiDepodünger xierung sition
Eintrag Entzug durch StickstoffüberPflanzen schuss
137
83
280
30
30
145
135
110
Quelle: Enquete-Kommission
Ob es jedoch überhaupt zu Ertragsrückgängen kommt, ist zumindest beim Stickstoff fraglich. Wie die Enquete-Kommission „Schutz der Erdatmosphäre“ aufzeigte, tragen zum Stickstoffgehalt nicht nur Mineral- und Wirtschaftsdünger, sondern auch die Depositionen aus der Verbrennung fossiler Energieträger und die biotische Stickstoffixierung mittels Leguminosen und Mikroorganis111 men bei (siehe Tabelle 3). Aus dieser Bilanz folgt, dass sich der Nährstoffbedarf der Pflanzen zumindest als bundesweiter Mittelwert mit dem Eintrag von Wirtschaftsdünger, der Stickstoffixierung und den sonstigen Stickstoffdepositionen abdecken ließe. Ackerbaubetriebe ohne Viehzucht könnten Wirtschaftsdünger von Viehzuchtbetrieben erwerben. Die Nachfrage wäre sogar vorteilhaft, da sie eine Überdün112 gung der Flächen von Viehzuchtbetrieben vermeidet. Mögliche verbleibende Stickstoffdefizite ließen sich mit einem verstärkten Anbau von Leguminosen auffangen. Eine zusätzliche Zufuhr von mineralischem Stickstoff wäre allenfalls in geringen Mengen nötig und bei weitem nicht in dem jetzigen Ausmaß. Daraus lassen sich zwei Konsequenzen ableiten. Ersten dürften die Ertragseinbrüche bei einer Verminderung des mineralischen Stickstoffaustrags um 30 Prozent gering ausfallen. Zweitens sind Freibeträge zum Schutz der Landwirte nicht erforderlich, wenn der gesamte Stickstoffbedarf durch nicht mineralische Düngemittel gedeckt werden kann. Da Phosphat und Kali hauptsächlich über den Wirtschaftsdünger zugeführt werden, sind die ökonomischen Auswirkungen einer Abgabe auf mineralischen Dünger auch bei diesen Stoffen als gering einzuschätzen. ___________ 110
Enquete-Kommission, Schutz der Grünen Erde, Tab. 2.21 (S. 148). Enquete-Kommission, Schutz der Grünen Erde, S. 138 ff. 112 Das Problem der hohen Transportkosten des i. d. R. feuchten Wirtschaftsdüngers (vgl. Enquete-Kommission, Konzept Nachhaltigkeit, S. 135 (Minderheitsvotum)) ließe sich mittels spezieller Trocknungs- und Aufbereitungsverfahren lösen, wie es z. B. in den Niederlanden propagiert wird. Vgl. auch das Verfahren von „Peter Bio“ zur Aufbereitung von Hühnerkot in: Rusch, Stickstoffabgabe, S. 219. 111
2. Teil: Mögliche Steuer- und Abgabenmodelle
92
Ob man die Abgabe als festen Betrag, wie in Schweden und Dänemark, oder als prozentualen Aufschlag erhebt, birgt im Ergebnis kaum Unterschiede. Für einen festen Betrag spricht, dass die Abgabenlast mit der Herstellung des Düngemittels feststeht, weshalb die Abgabe schon auf der Ebene der Hersteller, Importeure oder der Großhändler erhoben werden kann. Er bringt aber den Nachteil mit sich, bei veränderten Marktpreisen und inflationärer Geldentwertung jedes Mal die Abgabensätze anpassen zu müssen. Bei einer prozentualen Abgabe wäre hingegen eine Erhebung auf der Ebene der Händler sinnvoll, um die Abgabe nicht durch spätere Preisaufschläge der Händler zu marginalisieren. Der Kontrollaufwand und die Verwaltungskosten sind als gering einzu113 schätzen. Denn gemäß § 3 Abs. 2 DüngeMG hat das Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft in § 2 Abs. 2 und 5 i. V. m. Anlage 2 Nr. 1 der DüngeV vorgeschrieben, dass der Gehalt der einzelnen Bestandteile von Düngemitteln zu kennzeichnen ist. Damit ist eine leichte Abgabenberechnung schon jetzt möglich.
b) Wirtschaftsdünger Rund 40 Prozent des Stickstoffeintrags und sogar 70 Prozent des Kalieintrags resultieren aus dem Einsatz von Wirtschaftsdünger, weshalb die Einbezie114 hung desselben grundsätzlich als zweckmäßig erscheint. Sie ruft jedoch erhebliche Probleme in der Erhebung und Kontrolle hervor, da der Wirtschaftsdünger in jedem Viehzuchtbetrieb in unterschiedlichen Mengen anfällt und der jeweilige Nährstoffgehalt von der Tierart und dem verwendeten Futter abhängt. Hinzu kommt, dass der Landwirt allenfalls grob die anfallenden Mengen messen und darüber Buch führen kann. Die genaue Bestimmung des Nährstoffgehalts ist nur durch chemische Analysen feststellbar. Selbst wenn man den Anfall von Wirtschaftsdünger pauschal nach dem Viehbestand bestimmen würde, 115 bliebe die Frage nach der Wirksamkeit einer Besteuerung. Eine Reduzierung lässt sich nur durch eine Verringerung der Viehbestände erreichen. Anders als bei mineralischem Handelsdünger müsste der Landwirt damit erhebliche, wirtschaftliche Einbußen hinnehmen. Er wird den Bestand daher erst bei Abgabensätzen reduzieren, die ein Vielfaches der vorgeschlagenen Sätze auf Handels116 dünger ausmachen. Bei moderaten Abgabenlasten steht hingegen der Erhe___________ 113
So die Enquete-Kommission, Schutz der Grünen Erde, S. 269. Schweden und Österreich beziffern ihre Verwaltungskosten mit 0,8 bzw. 0,7 Prozent der Abgabeeinnahmen. 114 H. Becker, Düngemitteleinsatz, S. 46. 115 Streit/Wildemann/Jesinghaus, Landwirtschaft und Umwelt, S. 56. 116 Streit/Wildemann/Jesinghaus, Landwirtschaft und Umwelt, S. 56 f.
§ 7 Abgaben auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel
93
bungsaufwand in keinem Verhältnis zur prognostizierbaren Wirkung. Des Weiteren ist zu beachten, dass nicht nur die übermäßige Düngung negative Umweltauswirkungen hat, sondern auch die im Verhältnis zum Bedarf der Pflanzen zu geringe Düngung, da hierdurch die Böden auf längere Sicht Nährstoff117 defizite aufweisen und verarmen. Eine umweltgerechte Düngung muss sich daher am Bedarf der Pflanzen orientieren und alle Nährstoffquellen berücksich118 tigen. Dies entspricht den Anforderungen von § 1a Abs. 2 DüngeMG an die gute fachliche Praxis. Wie die Enquete-Kommission (Tabelle 3) aufzeigte, lässt sich der Stickstoffbedarf durch den Einsatz von Wirtschaftsdünger, biotischer Stickstoffixierung und Deposition sichern. Im Umkehrschluss verdeutlichen die Werte aber auch, dass auf ein Ausbringen von Wirtschaftsdünger nicht verzichtet werden kann, ohne auf den Mineraldünger als Substitut zurückgreifen zu müssen. Letzteres wäre aber ökologisch und ökonomisch von Nachteil. Die Verwendung von immer anfallenden Wirtschaftsdünger verwirklicht eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft, bei der die entnommenen Nährstoffe (Futter, Agrarerzeugnisse) dem Boden wieder zugeführt werden. Ökonomisch stellt Wirtschaftsdünger als Abfallprodukt die preiswertere Alternative dar. Wirtschaftsdünger ist deshalb gegenüber Mineraldünger das bessere Substitut. Verwaltungstechnisch lässt sich eine Abgabe auf gehandelten Mineraldünger leichter und ohne Aufwand für den Landwirt bei der Industrie oder den Großhändlern erheben. Eine Abgabe auf Wirtschaftsdünger ist insgesamt nicht zu befürwor119 ten. Im Sinne der Kreislaufwirtschaft erscheint auch die Nutzung von Klärschlämmen grundsätzlich als ökologisch sinnvoll. Wegen der hohen Belastung 120 mit Schadstoffen aus Industrie und Haushalten empfiehlt es sich jedoch nicht, ein Ausweichen der Landwirte auf Klärschlämme zu fördern. Eine Abgabe auf Düngemittel sollte daher Klärschlamme mit umfassen und nur den landwirtschaftlichen Wirtschaftsdünger ausklammern. Verwaltungstechnisch verursacht die Einbeziehung von Klärschlamm wenig Aufwand, da nach § 7 Abs. 7 i. V. m. § 3 Abs. 5 Klärschlammverordnung die Betreiber einer Abwasserbehandlungsanlage über Menge, Nährstoff- und Schadstoffgehalt und Empfänger der abgegebenen Klärschlämme Buch führen müssen. Sie lassen sich deshalb ohne größeren Aufwand als Abgabenschuldner heranziehen. ___________ 117
Vgl. SRU, Sondergutachten 1985, Tz. 1393. Enquete-Kommission, Schutz der Grünen Erde, S. 267. 119 So z. B. auch SRU, Sondergutachten 1985, Tz. 1390, 1401; Rusch, Stickstoffabgabe, S. 218 f. 120 SRU, Sondergutachten 1985, Tz. 415 ff. Vgl. auch die Erwägungsgründe zur Richtlinie 86/278/EWG über den Schutz der Umwelt und insbesondere der Böden bei der Verwendung von Klärschlamm in der Landwirtschaft, ABl. EG 1986 Nr. L 181, S. 6 ff. 118
2. Teil: Mögliche Steuer- und Abgabenmodelle
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c) Nährstoffüberschuss Der beste Einsatz von Düngemitteln orientiert sich am Nährstoffbedarf der Pflanzen, da jeder darüber hinausgehende Nährstoffüberschuss ökonomisch überflüssig und ökologisch nachteilig ist. Eine Abgabe, die wie bei MINAS in 121 den Niederlanden am jeweiligen Nährstoffüberschuss anknüpft, würde sehr genau zwischen nötigem und unnötigem Düngemitteleinsatz differenzieren. Mit einer Abgabe auf den Nährstoffüberschuss ließe sich konkret das erklärte Ziel der Bundesregierung ansteuern, den gesamten Stickstoffüberschuss auf 122 jährlich 80 kg/ha zu senken. Allerdings erfordert die Ermittlung des Überschusses eine umfassende Bilanzierung der Zu- und Abfuhr von Nährstoffen. Eine betriebsbezogene Bilanzierung sieht seit 1996 § 5 DüngeV für Stickstoff, 123 Phosphat und Kali vor. Der Landwirt muss alle Nährstoffeinträge durch Handelsdünger, Wirtschaftsdünger, Bodenhilfsstoffe sowie Leguminosen und alle Ausfuhren durch Ernteerzeugnisse, Beweidung sowie sonstige Abgaben tierischer und pflanzlicher Produkte protokollieren (§ 5 Abs. 3 DüngeV). Die Abgabe ließe sich auf die ermittelten Überschüsse erheben. Zwar ist die Bilanzierung an sich mit Verwaltungsaufwand für den Landwirt verbunden, wegen der schon bestehenden Pflicht würde eine Abgabe aber keinen zusätzlichen Aufwand für den Landwirt mit sich bringen. Es entstünde allein mehr Kontrollaufwand für die Behörde, da mit der finanziellen Belastung ein Anreiz zur falschen Bilanzierung entsteht. Der Aufwand wird wegen der erforderlichen um124 fassenden Prüfung höher sein als bei einer Abgabe auf Mineraldünger. Gegenüber einer Abgabe auf Mineraldünger belässt die Überschussabgabe dem Landwirt die Freiheit, wie er den Überschuss mindert, und reizt auch zu einer Verringerung des Wirtschaftsdüngers an. Eine Schwäche des Systems ist aber die gleiche Belastung aller Substitute, so dass der im Sinne einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft sinnvollere Einsatz von Leguminosen und Wirtschaftsdünger nicht gefördert wird. Fraglich ist auch, wie witterungsbedingte Ernteverluste oder krankheitsbedingte Nichtbewirtschaftung in den Bilanzen zu berücksichtigen sind, da in diesen Fällen die 125 Nährstoffausfuhr geringer ausfällt. In Anbetracht des erheblichen Kontrollaufwandes ist eine Abgabe auf den Nährstoffüberschuss nicht zu befürworten. ___________ 121
Siehe § 7 A. II. 3. Bundesregierung, Perspektiven für Deutschland, S. 114. 123 Die Düngeverordnung geht damit über die Nitrat-Richtlinie 91/676/EWG hinaus, die allein die Ermittlung des Stickstoffbedarfs und des Stickstoffgehalts der Böden in Art. 5 Abs. 4 a) i. V. m. Anhang III Nr. 1.3 c) verlangt. 124 Die Niederlande beschränken daher die Kontrolle von MINAS auf eine Zufallsüberprüfung jedes Landwirtes innerhalb von 6 Jahren (vgl. MNLNV, Manure, S. 11). 125 Die Niederlande haben zum Ausgleich die abgabenfreien Verlustbeträge ausnahmsweise erhöht (MINLNV, newsletter 35/1999, Abs. 1 und 3). 122
§ 7 Abgaben auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel
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d) Nährstoffgehalt im Boden Als weitere Anknüpfungsmöglichkeit könnte man auch den mineralischen 126 Nährstoffgehalt der Böden in regelmäßigen Abständen überprüfen. Eine solche Abgabe würde jedes Kilogramm, welches einen festgelegten Nährstoffbetrag je Hektar oder Schlag überschreitet, belasten. Erhebungstechnisch könnte sich die Abgabe auf § 4 DüngeV stützen, der den Landwirt zur schlagspezifischen Bestimmung des Nährstoffgehaltes im Boden verpflichtet. Die pflichtwidrige oder unterlassene Untersuchung ist sogar gemäß § 7 Nr. 7 DüngeV eine Ordnungswidrigkeit. Trotz dieser an sich weitgehenden Verpflichtung zur Nährstoffbestimmung, ist die Regelung für eine Abgabe schlecht geeignet. Erstens mangelt es an einem festen Zeitpunkt für die Bodenprobe, da der Nährstoffgehalt im Verlaufe der Jahreszeiten und Bewirtschaftungsmaßnahmen er127 heblich schwankt. Zweitens wären bloße Schätzungen oder die Übernahme der Ergebnisse anderer Proben, wie es die Düngeverordnung gestattet, nicht ausreichend. Drittens sind auch die Zeitspannen von 6 oder sogar 9 Jahren bei Phosphat und Kali zu lang, da innerhalb dieser Zeitspannen hohe Nährstoffeinträge längst in die Umwelt emittiert sind. Insgesamt sind der Aufwand und die Kosten für den Landwirt (chemische Untersuchung der Proben) sowie der Kontrollaufwand für die Behörde höher einzuschätzen als bei einer Abgabe auf Mineraldünger. Ob dies auch hinsichtlich einer Anknüpfung an Nährstoffbilanzen gilt, lässt sich schwer sagen. Bezogen auf die ökologische Genauigkeit ist die Nährstoffbilanzierung zu bevorzugen, da die Bodenmesswerte stark von der Witterung abhängen und bei umweltbeeinträchtigenden Verlusten von Nährstoffen an die Umwelt sinken. Gleicht der Landwirt diese Verluste durch Nachdüngen aus, kann dies die Bodenmessung nicht erfassen, wohingegen beim Bilanzmodell der Nährstoffüberschuss anstiege.
2. Abgabesatz und seine ökologischen sowie ökonomischen Auswirkungen Nach der von Pigou vorgeschlagenen Internalisierung aller externen Kosten müssten auf die Landwirte alle durch die Überdüngung anfallenden Kosten übertragen und dürften nicht wie mit dem „Wasserpfennig“ Entschädigungen an Landwirte für Schutzgebietsauflagen gezahlt werden. Jene lassen sich indes nur zum Teil monetär bestimmen (nicht bestimmbar sind z. B. die Kosten ___________ 126
Hofreither/Sinabell, N-Emissionen, S. 11 ff. allerdings in Ergänzung mit einer Prämie bei Unterschreitung eines festgelegten Nährstoffbetrages. 127 Hofreither und Sinabell haben den Herbst vorgeschlagen, um vor dem Stickstoffaustrag in der Winterperiode die Messungen durchzuführen (N-Emissionen, S. 12.).
2. Teil: Mögliche Steuer- und Abgabenmodelle
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128
durch klimaschädliche und ozonabbauende Distickstoffoxidemissionen ) und noch schwieriger dem einzelnen Landwirt kausal zurechnen. Einen Teil der externen Kosten verdeutlicht der Aufwand für die öffentliche Trinkwasseraufbe129 reitung. Die Kosten für die Entfernung von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln bei der Trinkwasseraufbereitung wurden 1983 für die alten Bundesländer 130 auf 1,6 Mrd. DM (0,87 Mrd. €) jährlich geschätzt. Das Umwelt- und Prognose-Institut Heidelberg bezifferte 1989 die Kosten in den alten Bundesländern für die reine Nitratbeseitigung auf 2 Mrd. DM (1,02 Mrd. €) und die ökologischen Wertverluste sogar auf 35 Mrd. DM (17,9 Mrd. €). Die Enquete131 Kommission gab für 1994 die Beseitigungskosten je Kilogramm Nitrat mit 60 DM (30,68 €) an. Insgesamt gab der deutsche Staat 1998 für den Gewässer132 schutz umgerechnet 5,72 Mrd. € aus. Im Vergleich hierzu kauften die Land133 wirte seit 1994 relativ konstant für ca. 1,5 Mrd. € Düngemittel ein. Nimmt man gesamtdeutsche Wasseraufbereitungskosten von einer Milliarde € an, die in Anbetracht fast zehnjähriger Preissteigerungen sehr wahrscheinlich zu gering sind, ergeben sich, bezogen auf den gesamten Stickstoffaustrag von 3,06 134 Mrd. kg im Jahr 1998 , externe Kosten von ca. 0,33 € je kg/N. Rechnet man sie ausschließlich dem mineralischen Stickstoff zu, kommt man für die 1998 135 verkauften 1,9 Mrd. kg Stickstoff auf 0,5 € je kg/N. Das entspricht ungefähr 50 Prozent des damaligen durchschnittlichen Marktpreises von 0,92 €/kg (1,80 136 DM/kg) Stickstoff. Bezieht man die Kosten auf den Stickstoffüberschuss in 137 Deutschland von rund 2,4 Mrd. kg im Jahr 1992, betragen diese 0,42 €/kg. Diese sehr grobe Abschätzung der Trinkwasseraufbereitungskosten kann allerdings nur einen Anhaltspunkt geben für die letztlich politische Entscheidung über die konkreten Abgabensätze. Dabei sollte man vorerst niedrigere Sätze einführen, um den Landwirten eine behutsame Anpassung zu ermöglichen und in späteren Jahren mit schrittweisen Erhöhungen den Anreiz für einen sparsamen Umgang beizubehalten, da durch den Gewöhnungseffekt die Lenkungs___________ 128
Hierzu ausführlich Enquete-Kommission, Schutz der Grünen Erde, S. 35, 120 ff. Bei Trinkwasser gilt gemäß Art. 4 Abs. 1 b) i. V. m. Anhang I, Teil B der Richtlinie 98/83/EG, ABl. EG 1998 Nr. L 330, S. 32 ein Nitrat-Grenzwert von 50 mg/l und ein Grenzwert für Pestizide von insgesamt 50 μg/l. 130 Winje, Kosten der Wasserversorgung, S. 172 ff., 180; Wicke, Umweltökonomie, S. 82, 108. 131 Schutz der Grünen Erde, S. 268. 132 UBA, Umweltdaten 2002, S. 12. 133 Bundesregierung, Agrarbericht 2001, Tab. 8 (S. 14), Bundesregierung, Agrarbericht 2005, Tab. 20 (S. 98). 134 UBA, Daten zur Umwelt 2000, Tab. 3.2 und 3.5 (S. 34 f.). 135 UBA, Daten zur Umwelt 2000, Tab. 3.2 (S. 34). 136 Rusch, Stickstoffabgabe, S. 226. 137 Errechnet nach den Daten der Enquete-Kommission, Schutz der Grünen Erde, S. 49, Tab. 2.21 (S. 148). 129
§ 7 Abgaben auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel
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wirkung mit der Zeit schwächer wird. Langfristig sollte der Abgabesatz 100 Prozent des Marktpreises betragen, um annähernd die externen Kosten abzudecken und eine dreißigprozentige Reduzierung zu erreichen. Die ökologischen Vorteile sind in der Reduzierung des Düngemitteleinsatzes um 30 Prozent zu sehen, die bei einem Abgabesatz von 100 Prozent zu er138 warten ist. Auch die ökonomischen Auswirkungen hängen von der eintretenden Reduzierung des Mineraldüngereinsatzes ab. Bisher gaben konventio139 nelle Landwirte rund 94 €/ha für Düngemittel aus. Verdoppeln sich die Düngemittelpreise bei einer gleichzeitigen Verringerung des Verbrauchs um 30 Prozent, erhöht sich der finanzielle Aufwand auf ca. 130 €/ha. Dies würde bei konventionellen Betrieben zu einer durchschnittlichen betrieblichen Mehrbelastung von 2.405 € oder rund 8,8 Prozent des Gewinns von 27.112 € im Jahr 140 2003/04 führen. Für ökologisch wirtschaftende Betriebe wäre die Mehrbelastung indes vergleichsweise gering, da sie nach der Vergleichsstudie des Verbraucherministeriums 2003/04 nur 807 € für Düngemittel ausgaben, während vergleichbare konventionelle Betriebe Mittel im Wert von 8.643 € einsetz141 ten. Soweit die Freistellung einer bestimmten Mindestmenge an mineralischen Düngemitteln gefordert wird, so z. B. das Umwelt- und Prognose-Institut Hei142 delberg bis zu einer Hektarmenge von 80 kg N/a, ist dies nicht zu befürworten. Eine solche Freistellung erfordert einen erheblichen Verwaltungs- und Kontrollaufwand, da nun doch die tatsächlich ausgebrachte Düngermenge je Hektar zu erfassen ist. Im Übrigen ist eine solche Freistellung aus ökologischen aber auch agrarwirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht geboten, da wie oben festgestellt, die benötigte Düngemittelmenge durch Wirtschaftsdünger und Leguminosen abgedeckt werden kann. Zwar erfordert dies bei der häufig vorkommenden Trennung zwischen Tier- und Ackerbaubetrieben eine räumliche Verteilung des Wirtschaftsdüngers. Gerade diese Verteilung ist aber aus Umweltschutzgründen erwünscht, um die erheblichen Belastungen durch Gülle in einigen Regionen abzubauen.
___________ 138
Siehe § 7 B. I. 1. a). Bundesregierung, Agrarbericht 2005, Übersicht 13 (S. 29). 140 Berechnung anhand der Daten in Bundesregierung, Agrarbericht 2005, Übersicht 13 (S. 29). 141 Bundesregierung, Agrarbericht 2005, Übersicht 13 (S. 29). 142 UPI, Ökologische Steuerreform, S. 40. Ähnlich Weinschenk, in: Nutzinger/ Zahrnt, Öko-Steuern, S. 147 [152 f.]. 139
2. Teil: Mögliche Steuer- und Abgabenmodelle
98
II. Abgabe auf Pflanzenschutzmittel Eine Abgabe auf Pflanzenschutzmittel lässt sich sinnvoll nur auf der Ebene der Hersteller und Händler erheben, da die konkrete Verwendung durch den Landwirt kaum mehr kontrollierbar ist. Eine Abgabe sollte nach Möglichkeit alle zugelassenen Pflanzenschutzmittel erfassen, um unerwünschte Substituti143 onsprozesse zu vermeiden. Sie ließe sich auf den Preis der Mittel oder die enthaltene Menge von Wirkstoffen aufschlagen. Beide Varianten wären nach den Erfahrungen in Dänemark, Schweden und Österreich einfach durchzuset144 zen und nur mit geringem Verwaltungsaufwand verbunden. Eine Anknüpfung an die Wirkstoffmenge könnte sich auf die bisher schon in § 19 PflSchG niedergelegten Informationspflichten stützen, demgemäß die Hersteller, Importeure oder Erstvertriebshändler der Biologischen Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft die Art und Menge der enthaltenen Wirkstoffe für jedes Pflanzenschutzmittel melden müssen, welches sie an einen inländischen Empfänger verkauften. Auch müssen die Hersteller schon jetzt gemäß § 20 Abs. 2 Nr. 4 PflSchG die Art und Menge der enthaltenen Wirkstoffe auf der Verpackung kennzeichnen. Problematisch ist jedoch, dass weder der Preis noch die Wirkstoffmenge die Belastungswirkungen für Mensch und Umwelt widerspiegeln, da oftmals ältere Pflanzenschutzmittel preiswerter sind, aber größere Gefahren bergen können 145 als neu entwickelte Mittel. Eine einheitliche Abgabe für alle Pflanzenschutzmittel kann ihr Lenkungspotential somit nicht vollständig entfalten und gegebenenfalls zu unerwünschten Substitutionsprozessen führen. Besser wäre es, die Abgabe zusätzlich nach der Gefährlichkeit für Mensch und Umwelt zu differenzieren. Der dann bestehende Anreiz für die Landwirte, schädlichere Mittel durch weniger belastende zu ersetzen, würde eine höhere Entlastung für 146 die Umwelt mit sich bringen.
___________ 143
So auch Hoevenagel/van Noort/de Kok, levies on pesticides, S. 70 f. Eine aktuelle Liste der in Deutschland zugelassenen Pflanzenschutzmittel ist bei der Biologischen Bundesanstalt www.bba.de erhältlich. 144 Siehe § 7 A. II. Gute Erhebungsmöglichkeiten prognostizieren auch Oskam/Vijftigschild/Graveland, Additional EU policy instruments, Tab. 8.2.3 (S. 144); Hoevenagel/van Noort/de Kok, levies on pesticides, S. 71; Kommission (EG), Workshop 1999, Protokollpunkt 3. 145 Vgl. Hoevenagel/van Noort/de Kok, levies on pesticides, S. 72. 146 Vgl. Hoevenagel/van Noort/de Kok, levies on pesticides, S. 27, 72, 75; Oskam/Vijftigschild/Graveland, Additional EU policy instruments, S. 143; DEPA, Economic Instruments, S. 80; SRU, Sondergutachten 1985, Tz. 1302; SRU, Sondergutachten 1996, Tz. 205.
§ 7 Abgaben auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel
99
Ob man die Differenzierung anhand der europäischen Richtlinie 147 67/548/EWG über die Einstufung und Kennzeichnung gefährlicher Stoffe vornimmt oder ein festzulegendes System der Standarddosen schafft, wie es in Dänemark angedacht wird, bedarf einer tiefer gehenden Untersuchung.
1. Differenzierung nach den Umweltgefahren Eine Abgabe, welche die Umweltbelastung mit berücksichtigt, würde die größere ökologische Wirksamkeit erreichen. Allerdings wurde bisher eine differenzierende Abgabe als zu kompliziert und derzeit noch nicht befriedigend 148 lösbar angesehen. Ob die Anknüpfung tatsächlich nur mit großen Schwierigkeiten möglich ist, erscheint indes fraglich. Die Europäische Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten stufen seit 1967 mit 149 der Richtlinie 67/548/EWG alle chemischen Stoffe, somit auch die Wirkstoffe von Pflanzenschutzmitteln, nach bestimmten Gefährlichkeitsmerkmalen unter Benennung besonderer Gefahren ein. Der Umfang der Untersuchung wurde dabei stetig erweitert und ausdifferenziert. Die Bestimmung der Gefährlichkeitsmerkmale und besonderen Gefahren (sogenannte R-Sätze) erfolgt anhand von Versuchen an Tieren oder Pflanzen, bei denen für alle Stoffe gleiche Do150 sen verabreicht und die jeweiligen Reaktionen beobachtet werden. Die Einstufung bezieht sich somit auf eine bestimmte Wirkstoffmenge. Eine Auswahl der derzeit geltenden Gefährlichkeitsmerkmale und R-Sätze bildet die Tabelle 4 ab, deren Angabe auf die hier interessierenden Umweltgefahren beschränkt ist. Sie entspricht § 3a Abs. 1 Chemikaliengesetz und §§ 4, 6 Abs. 1 Nr. 3 Gefahrenstoffverordnung, welche die europäische Richtlinie 151 67/548/EWG ins Deutsche Recht umsetzen.
___________ 147
ABl. EG 1967 Nr. P 196, S. 1 ff. Seitdem vielfach geändert, u. a. durch RL 92/32/ EWG, ABl. EG 1992 Nr. L 154, S. 1 ff. 148 Z. B. SRU, Sondergutachten 1996, Tz. 205. 149 ABl. EG 1967 Nr. P 196, S. 1 ff. 150 Vgl. Anhang VI, Nr. 3.2 ff. der RL 2001/59/EG, ABl. 2001 Nr. L 225, S. 273 ff. So ist z. B. ein Stoff als sehr giftig einzustufen, wenn bei einer Festdosis von 5 mg/kg Körpergewicht der Ratte, die Überlebensrate weniger als 100 % ist. 151 Zur möglicherweise rechtswidrigen Umsetzung der Richtlinie mittels kurzem Verweis in der Chemikalien-Verbots-Verordnung B. Becker, DVBl 2003, S. 1487 ff.
2. Teil: Mögliche Steuer- und Abgabenmodelle
100
Tabelle 4 Ausgewählte Gefährlichkeitsmerkmale und besondere Gefahren mit Umweltrelevanz nach der Richtlinie 67/548/EWG 153
Gefährlichkeitsmerkmale von Stoffen und 152 Zubereitungen
Besondere Gefahren (R-Sätze)
T+ sehr giftig (die in sehr geringen Mengen bei Einatmen, Verschlucken oder Hautresorption zum Tode führen oder akute oder chronische Gesundheitsschäden verursachen)
R26 (beim Einatmen), R27 (bei Hautkontakt), R28 (bei Verschlucken), R39 (ernste Gefahr irreversibler Schäden)
T giftig (die in geringen Mengen bei Einatmen, Verschlucken oder Hautresorption zum Tode führen oder akute oder chronische Gesundheitsschäden verursachen)
R23 (beim Einatmen), R24 (bei Hautkontakt), R25 (bei Verschlucken), R39 (ernste Gefahr irreversibler Schäden), R48 (ernste Gesundheitsschäden bei längerer Exposition)
154
Xn gesundheitsschädlich (die bei Einatmen, Verschlucken oder Hautresorption zum Tode führen oder akute oder chronische Gesundheitsschäden verursachen können)
R20 (beim Einatmen), R 21 (bei Hautkontakt), R22 (bei Verschlucken), R48 (ernste Gesundheitsschäden bei längerer Exposition), R65 (kann bei Verschlucken Lungenschäden verursachen); R68 (irreversibler Schaden möglich)
C ätzend (die lebende Gewebe bei Berührung zerstören können)
R34 (verursacht Verätzungen), R35 (verursacht schwere Verätzungen)
R36 (Augen), R37 (AtmungsorgaXi reizend (die – ohne ätzend zu sein – durch kurzfristige, längere oder wiederholte Berührung ne), R38 (Haut), R41 (Gefahr ernsmit der Haut oder Schleimhaut eine Entzündung ter Augenschäden), hervorrufen können) Sensibilisierend (die bei Einatmen oder Hautresorption Überempfindlichkeitsreaktionen hervorrufen können, so dass bei künftiger Exposition gegenüber dem Stoff oder der Zubereitung charakteristische Störungen auftreten)
R42 (durch Einatmen), R43 (durch Hautkontakt)
155
Carc. cat (1-3) Krebs erzeugend (die bei Einatmen, Verschlucken oder Hautresorption Krebs erregen oder die Krebshäufigkeit erhöhen können)
___________ 152
Art. 2 Abs. 2 der RL 67/548 in seiner derzeitigen Fassung. Anhang III und Anhang VI, Nr. 3 bis 5 RL 67/548/EWG in der aktuellen Fassung gemäß Änderungsrichtlinie 2001/59/EG, ABl. 2001 Nr. L 225, S. 1 [85 ff., 271 ff.]. 154 Berichtigungsrichtlinie 92/32R (01), ABl. EG 1992 Nr. L 317, S. 83. 155 Anhang VI, Nr. 4.2.1, ABl. 2001 Nr. L 225, S. 1 [283]. 153
§ 7 Abgaben auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel
101
cat. 1 (Stoffe, die auf den Menschen bekanntermaßen Krebs erzeugend wirken)
R45 (kann Krebs erzeugen), R49 (beim Einatmen)
cat. 2 (Stoffe, die als Krebs erzeugend für den Menschen angesehen werden sollten)
R45 (kann Krebs erzeugen), R49 (beim Einatmen)
cat. 3 (Stoffe, die wegen möglicher Krebs erzeu- R40 (Verdacht auf Krebs erzeugender Wirkung auf den Menschen zu Besorgnis gende Wirkung) Anlass geben) 156
Mut. cat (1-3) erbgutverändernd (die bei Einatmen, Verschlucken oder Hautresorption vererbbare genetische Schäden zu Folge haben oder die Häufigkeit erhöhen können) cat 1 (Stoffe, die auf den Menschen bekanntermaßen erbgutverändernd wirken)
R46 (kann vererbbare Schäden verursachen)
cat. 2 (Stoffe, die als erbgutverändernd für den Menschen angesehen werden sollten)
R46 (kann vererbbare Schäden verursachen)
cat. 3 (Stoffe, die wegen möglicher erbgutverän- R68 (irreversibler Schaden mögdernder Wirkung auf den Menschen zu Besorg- lich) nis Anlass geben) 157
Repr. cat (1-3) fortpflanzungsgefährdend (die bei Einatmen, Verschlucken oder Hautresorption nicht vererbbare Schäden der Nachkommenschaft hervorrufen oder deren Häufigkeit erhöhen oder eine Beeinträchtigung der männlichen oder weiblichen Fortpflanzungsfunktionen oder -fähigkeit zur Folge haben können) cat 1 (Stoffe, die beim Menschen die Fortpflanzungsfähigkeit bekanntermaßen beeinträchtigen bzw. bekanntermaßen fruchtschädigend sind)
R60 (kann Fortpflanzungsfähigkeit beeinträchtigen), R61 (kann Kind im Mutterleib schädigen)
cat. 2 (Stoffe, die als beeinträchtigend für die Fortpflanzungsfähigkeit bzw. als fruchtschädigend angesehen werden sollten)
R60 (kann Fortpflanzungsfähigkeit beeinträchtigen), R61 (kann Kind im Mutterleib schädigen)
cat. 3 (Stoffe, die wegen möglicher Beeinträchtigung der Fortpflanzungsfähigkeit des Menschen bzw. fruchtschädigender (entwicklungschädigender) Wirkungen zu Besorgnis Anlass geben)
R62 (kann möglicherweise die Fortpflanzungsfähigkeit beeinträchtigen), R63 (kann Kind möglicherweise im Mutterleib schädigen) Fortsetzung nächste Seite
___________ 156 157
Anhang VI, Nr. 4.2.2, ABl. 2001 Nr. L 225, S. 1 [284 f.]. Anhang VI, Nr. 4.2.3, ABl. 2001 Nr. L 225, S. 1 [287 f.].
102
2. Teil: Mögliche Steuer- und Abgabenmodelle
Fortsetzung Tabelle 4
Gefährlichkeitsmerkmale von Stoffen und Zubereitungen 158
N Umweltgefährlich (die im Fall des Eintritts in die Umwelt eine sofortige oder spätere Gefahr für eine oder mehrere Umweltkomponenten zur Folgen haben oder haben können)
159
sonstige toxische Eigenschaften
Besondere Gefahren (R-Sätze) R50 (sehr giftig für Wasserorganismen), R51 (giftig für Wasserorganismen), R52 (schädlich für Wasserorganismen), R53 (kann in Gewässern längerfristig schädliche Wirkungen haben), R54 (giftig für Pflanzen), R55 (giftig für Tiere), R56 (giftig für Bodenorganismen), R57 (giftig für Bienen), R58 (kann längerfristig schädliche Wirkungen auf die Umwelt haben), R59 (gefährlich für die Ozonschicht) R64 (kann Säuglinge über Muttermilch schädigen), R66 (rissige Haut), R67 (Dämpfe können Schläfrigkeit und Benommenheit verursachen)
Mit den von der Europäischen Gemeinschaft oder den Mitgliedstaaten jeweils ermittelten Gefährlichkeitsmerkmalen und besonderen Gefahren lässt sich ein Bewertungssystem hinsichtlich der einzelnen Wirkstoffe von Pflanzenschutzmitteln entwickeln. Dabei ist im Gegensatz zu den Befürchtungen des 160 Sachverständigenrats für Umweltfragen keine Abwägung zwischen den einzelnen Gefahren bzw. Schutzzwecken nötig, da sich die Gefahren kumulieren und nicht gegenseitig aufheben. Abgabenrechtlich sind alle Wirkstoffe zu bevorzugen, die in der Gesamtbetrachtung möglichst geringe Auswirkungen für Mensch und Umwelt aufweisen. Die Tabelle 5 schlägt ein mögliches Bewertungssystem vor, welches die einzelnen Gefährlichkeitsmerkmale und besonderen Gefahren gewichtet und bei jedem Wirkstoff in Form zu summierender Punkte berücksichtigt.
___________ 158
Anhang VI, Nr. 3.2.8, ABl. 2001 Nr. L 225, S. 1 [291 ff.]. Anhang VI, Nr. 3.2.8, ABl. 2001 Nr. L 225, S. 1 [281 f.]. 160 SRU, Sondergutachten 1996, Tz. 205. 159
§ 7 Abgaben auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel
103
Tabelle 5 Vorschlag für ein kumulatives Bewertungssystem anhand der Einstufung 161 gemäß der Richtlinie 67/548/EWG Kategorie
Zwei Zusatzpunkte für folgende besondere Gefahren
Punkte
Ein Zusatzpunkt für folgende besondere Gefahren
sehr giftig: T+
5
R26, R 27
R39
giftig: T
4
R23, R24
R39
gesundheitsschädlich: Xn
3
R20, R21, R48, R68
ätzend: C
2
R35
reizend: Xi
2
R41
sensibilisierend: R42 und 2 R43 Krebs erzeugend: Carc. Cat. 3
2
Cat. 2 (R45, R49)
Cat. 1 (R45, R49)
Erbgut verändernd: Mut. Cat. 3
3
Cat. 2 (R 46)
Cat. 1 (R46)
Fortpflanzung gefährdend: Repr. Cat. 3
2
Cat. 2 (R60, R61)
Cat.1 (R60, R61)
umweltgefährlich: N
3
R50, R58, R53, R59
sonstige toxische Eigenschaften
R64
Nach dem Bewertungssystem lassen sich alle gemäß der Richtlinie einge162 stuften Wirkstoffe anhand ihrer umweltbelastenden Wirkung kategorisieren. Zum 1.1.2002 waren in Deutschland 261 Wirkstoffe für Pflanzenschutzmittel 163 zugelassen. 105 von ihnen sind nach der Richtlinie 67/548/EWG als gefährlich eingestuft. ___________ 161
Soweit in der Richtlinie Stoffe sowohl als sehr giftig (T+), giftig (T) und gesundheitsschädlich (Xn) eingestuft werden, zählt im Bewertungssystem nur das höchste Gefährlichkeitsmerkmal, da sich diese drei Klassen allein in der gefahrauslösenden Menge unterscheiden und ein sehr giftiger Stoff immer auch giftig und gesundheitsschädlich ist. 162 Eine aktuelle Zusammenstellung aller eingestuften Wirkstoffe (RL 67/548/EWG Anhang I), die alle Ergänzungsrichtlinien mit berücksichtigt, ist bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin; Nölderstr. 40-42, 10317 Berlin bzw. unter www.baua.de erhältlich. 163 Eine gemäß Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 91/414/EWG jährlich aktualisierte Liste der zugelassenen Wirkstoffe und Mittel kann bei der Biologischen Bundesanstalt für
2. Teil: Mögliche Steuer- und Abgabenmodelle
104
Tabelle 6 listet alle als gefährlich eingestuften Wirkstoffe mit Angabe der Gefahrenklassen und der besonderen Gefahren auf und bewertet diese nach 164 dem oben vorgeschlagenen Bewertungssystem. Die übrigen Mittel sind entweder ungefährlich oder noch nicht überprüft worden, was insbesondere bei 165 den alten Stoffen der Fall sein kann.
Tabelle 6
Captan Chlorfenvinphos Phosphamidon Thiophanatmethyl
13306-2 470906
0012
1317121-6 2356405-8
T, Xi, N T+, N
40-23-4143-50 28-24-5053
0094
T+, N
28-24-6850-53
0370
Xn, N
68-20-4350-53
0239
3
16
32 €
15
30 €
3
15
30 €
3
15
30 €
(2 € je Punkt)
Abgabenlast je kg Wirkstoff
fortpflanzungsgefährdend
erbgutverändernd
krebserzeugend
(R-Sätze)
Besondere Gefahren
Gefährlichkeitsmerkmale
BBA-Nummer
CAS Nummer
Pestizid
Kategorie der Merkmale:
Bewertung nach System in Tabelle 5 (in Punkten)
Auswahl von in Deutschland im Jahr 2002 zugelassenen und eingestuften Wirkstoffen von Pflanzenschutzmitteln
___________ Land- und Forstwirtschaft angefordert werden: Königin-Luise-Straße 19, 14195 Berlin oder www.bba.de. 164 Der hier zu Grunde gelegte Anhang I ist auf dem Stand der Ergänzungsrichtlinie 2001/59/EG (28. Anpassung). Möglicherweise firmieren die fehlenden zugelassenen Wirkstoffe im Anhang I unter einer anderen Bezeichnung als in der, die leider auch keine CAS-Nummer nennt, oder es handelt sich bei ihnen um alte Wirkstoffe, für die noch keine Bewertung erfolgte. 165 Die Richtlinie 67/548/EWG in der Fassung der Richtlinie 92/32/EWG stellt Stoffe, die sich schon vor 1981 im Verkehr befanden, von der Anmeldung frei (Art. 13 Abs. 1 1. Bindestrich i. V. m. Art. 2 Abs. 1 h) der Richtlinie).
§ 7 Abgaben auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel Folpet
0091
Tolylfluanid
13307-3 73127-1
Tridemorph Brodifacoum
2460286-6 5607310-0
0320
Butocarboxim Dichlorfluanid Dichlorvos Fenbutatin-oxid lambdaCyhalothrin Esfenvalerat Flusilazol Imazalil
3468110-2 108598-9 62-737 1335608-6 9146508-6
0391
6623004-4 8550919-0 3555444-0 168983-4 13742-8
0767
1026592-6 74-839
0365
13726-8 2278123-3 156366-2 6835937-5
0119
Ioxynil Metam (Natrium) Methamidophos Methylbromid Thiram Bendiocarb Carbofuran Cyfluthrin
0371
0683
0203 0200 0410 0751
0769 0448 0212 0113
0469 0344 0678
Xn, 40-20-36Xi, N 43-50 T, N 23-36/37/ 38-43-48/ 20-50/53 Xn, 61-20/22Xi, N 38-50-53 T+, 27/28N 48/24/2550-53 T, Xi, 23/24/25N 36-50-53 Xn, 20-36-43Xi, N 50-53 T+, 26-24/25N 43-50 T+, 26-36/38Xi, N 50/53 T+, 26-25-21N 50-53 23/25-4350-53 Xn, 40-61-22N 51-53 Xn, 20/22-41Xi, N 50-53 T, N 63-25-2150-53 Xn, 22-31-34C, N 43-50-53
3
2
T, N
T+, 28-24-36Xi, N 50 T, N 23/2536/37 /3840-48 /2050-59 Xn, 68-20/22Xi 36/37-43 T, N 23/25-2150-53 T+, 26/28-50N 53 T+, 28-23-50N 53
3
2
3
3
105 14
28 €
14
28 €
14
28 €
13
26 €
13
26 €
13
26 €
13
26 €
13
26 €
12
24 €
12
24 €
12
24 €
12
24 €
12
24 €
12
24 €
12
24 €
12
24 €
12
24 €
11
22 €
11
22 €
11
22 €
Fortsetzung nächste Seite
2. Teil: Mögliche Steuer- und Abgabenmodelle
106
betaCyfluthrin Difenacoum Diuron Flufenacet Guazatin Myclobutanil Triazophos Amitrol
6835937-5
0813
T+, N
5607307-5 33054-1
0521
T+, N Xn, N
11
22 €
11
22 €
11
22 €
11
22 €
11
22 €
11
22 €
11
22 €
10
20 €
0902
28-48/2550-53 22-4048/22-5053 Xn, 22-48/22N 43-50-53 Xn, 21/22Xi, N 36/38-5053 Xn, 63-22-36Xi, N 51-53 T, N 23/25-2150-53 Xn, 40-48/22N 51-53 T, N 23-50-53
10
20 €
0837
T, N
10
20 €
10
20 €
10
20 €
10
20 €
10
20 €
10
20 €
0046
0776 0401 0004
0363 0513 0825 0029
23/25-5053 T, N 24/2550/53 Xn, 22-43-50N 53 Xn, 63-22-50N 53 Xn, 22-36-50Xi, N 53 Xn, 40-50/53 N
3
3
3
3
3
(2 € je Punkt)
Abgabenlast je kg Wirkstoff
fortpflanzungsgefährdend
erbgutverändernd
krebserzeugend
(R-Sätze)
26/28-5053
142459 0922 -58-3 13516- 0449 27-2
8867189-0 2401747-8 61-825 Azoxys- 131860 trobin -33-8 Benfura- 82560carb 54-1 Chlor2921pyrifos 88-2 Cymoxa- 57966nil 95-7 Cypro94361conazol 06-5 Dazomet 53374-4 Iprodione 3673419-7
Besondere Gefahren
Gefährlichkeitsmerkmale
BBA-Nummer
CAS Nummer
Pestizid
Kategorie der Merkmale:
Bewertung nach System in Tabelle 5 (in Punkten)
Fortsetzung Tabelle 6
§ 7 Abgaben auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel Isoproturon Isoxaflutole Pyrethrine Warfarin Aluminiumphosphid Lithium 1-amino4-Anthrachinon-2sulfonat Calciumphosphid Coumatetralyl 2,4-D Magnesiumphosphid Oxydemetonmethyl Pirimicarb Pyridate
3412359-6 141112 -29-0 61302200-6 81-812 2085973-8
0411
Xn, N Xn, N Xn, N
40-22-5053 63-50-53
0114
T
0352
T+, N
61-48/2552-53 28-32-50
0924 0098
3 3
20/21/2250-53 1
107 10
20 €
10
20 €
10
20 €
10
20 €
9
18 €
125328 0123 -86-1
Xi, N 41-43-5153
9
18 €
130599-3 583629-3
0348
T+, N T+
28-50
9
18 €
9
18 €
94-757 1205774-8
0027
Xn, Xi T+, N
27/2848/24/2552-53 22-37-4143-52-53 15/29-2850
9
18 €
9
18 €
30112-2
0032
T, N
24/25-50
9
18 €
0309
T, N
25-50-53
9
18 €
0610
Xi, N 38-43-5053 Xi, N 36-43-5053 N 40-60-6143-51-53 Xn, 22-36-43Xi 52-53 Xn, 22-50-53 N Xn, 20-38N 51/53 Xn, 22-50-53 N Xn, 65-50/53 N
9
18 €
9
18 €
9
18 €
8
16 €
8
16 €
8
16 €
8
16 €
8
16 €
2310298-2 5551233-9 Triflura- 1582lin 09-8 Vin50471clozolin 44-8 Bentazon 2505789-0 Dithia3347non 22-6 Fenpro67564pimorph 91-4 Fuberi3878dazol 19-1 Haloxy- 72619fop-R 32-0
0026
0354
0321 0412 0335 0045 0608 0214
3
2
Fortsetzung nächste Seite
2. Teil: Mögliche Steuer- und Abgabenmodelle
108
Meta41394mitron 05-2 Metri21087buzin 64-9 Prosulfu- 94125ron 34-5 Chlor1698idazon 60-8 Dicamba 191800-9 Dichlor- 120prop-P 36-5 Fluazi79241fop-P 46-6 Glypho- 1071sat 83-6 Glypho- 8159181-3 sat-trimesium 143390 Kreso-89-0 ximmethyl Pendi40487methalin 42-1 Quinoxy- 124495 fen -18-7 Triadi43121mefon 43-3 Bromo1689xynil 84-5 Fena60168rimol 88-9
0456
Xn, N Xn, N Xn, N N
65-50/53
8
16 €
22-50-53
8
16 €
22-50-53
8
16 €
43-50-53
7
14 €
22-41-5253 21/22-3841 63-50-53
7
14 €
7
14 €
0833
Xn, Xi Xn, Xi N
7
14 €
0405
Xi, N 41-51-53
7
14 €
0901
Xn, N
22-51-53
7
14 €
0904
N
40-50-53
7
14 €
0404
N
43-50-53
7
14 €
0915
N
43-50-53
7
14 €
0425
22-51-53
7
14 €
0264
Xn, N T
0495
N
0337 0917 0089 0218 0771
3
3
63-25
3
6
12 €
62-63-6451-53
3
6
12 €
(2 € je Punkt)
Abgabenlast je kg Wirkstoff
fortpflanzungsgefährdend
erbgutverändernd
krebserzeugend
(R-Sätze)
Besondere Gefahren
Gefährlichkeitsmerkmale
BBA-Nummer
CAS Nummer
Pestizid
Kategorie der Merkmale:
Bewertung nach System in Tabelle 5 (in Punkten)
Fortsetzung Tabelle 6
§ 7 Abgaben auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel MCPA Mecoprop-P Metalaxyl-M Parathionmethyl Sulfotep Terbufos Carbendazim Carfentrazone (ethyl) Flupyrsulfuron (methylNatrium) Flurtamone Isofenphos Metsulfuron (Methyl) Thiabendazol Triasulfuron Benomyl Chlormequat (chlorid) Dimethoat Ethofumesat Mancozeb Maneb Amitraz
94-746 93-652 7063017-0 29800-0
0074
0088
Xn, Xi Xn, Xi Xn, Xi T+
368924-5 1307179-9 1060521-7 128639 -02-1
0104
109
22-38-41
6
12 €
22-38-41
6
12 €
22-41
6
12 €
28-24
6
12 €
T+
27/28
6
12 €
0459
T+
27/28
6
12 €
0378
Xn
40
5
10 €
0927
N
50-53
5
10 €
144740 0925 -54-5
N
50-53
5
10 €
9652523-4 2531171-1 7422364-6
0913
N
50-53
5
10 €
0408
T
24/25
5
10 €
0672
N
50-53
5
10 €
14879-8 8209750-5 1780435-2 99981-5
0256
N
50-53
5
10 €
0802
N
50-53
5
10 €
4
8€
0388
Xn
21/22
4
8€
60-515 2622579-6 801801-7 1242738-2 3308961-1
0042
Xn
21/22
4
8€
0383
N
51-53
4
8€
0010
Xi
37-43
4
8€
0073
Xi
37-43
4
8€
0532
Xn
22
3
6€
0772 0933
0261
68
3
3
Fortsetzung nächste Seite
2. Teil: Mögliche Steuer- und Abgabenmodelle
110
Azaconazol Metaldehyd Phoxim
6020731-0 10862-3 1481618-3 2923293-7
0892
Xn
44-22
3
6€
0151
Xn
22
3
6€
0307
Xn
22
3
6€
0476
Xn
22
3
6€
95037-8 64-197 230317-5 Diflu83164fenican 33-4 Fluro69377xypyr 81-7 Calcium- 10043carbid 52-4
0232
42/43
2
4€
Pirimiphosmethyl Methidathion Essigsäure Triallat
0928
C
10-35
2
4€
0135
C
34
2
4€
0698
52-53
1
2€
0666
52-53
1
2€
0
0€
0603
(2 € je Punkt)
Abgabenlast je kg Wirkstoff
fortpflanzungsgefährdend
erbgutverändernd
krebserzeugend
(R-Sätze)
Besondere Gefahren
Gefährlichkeitsmerkmale
BBA-Nummer
CAS Nummer
Pestizid
Kategorie der Merkmale:
Bewertung nach System in Tabelle 5 (in Punkten)
Fortsetzung Tabelle 6
Quelle: eigene Berechnungen, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin
Da sich die Gefahreneinstufung auf eine konstante Menge der Wirkstoffe bezieht, sollte die Abgabe nicht auf den Preis der Pflanzenschutzmittel, sondern auf der Wirkstoffmenge lasten. Geht man von dem 1998 in Deutschland 166 bezahlten durchschnittlichen Preis von 28 € je Kilogramm Wirkstoff aus, so ___________ 166
Laut UBA, Daten zur Umwelt 2000, S. 34 f. (Abb. 3.1.) betrug der Absatz von Pflanzenschutzmittelwirkstoffen 1998 in Deutschland 40 Mio. kg. Bezieht man dies auf die gesamten Ausgaben der Landwirtschaft für Pflanzenschutzmittel von 2.233 Mio.
§ 7 Abgaben auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel
111
könnte der Abgabesatz z. B. 2 € je Umweltbelastungspunkt und Kilogramm Wirkstoff betragen. Er würde für gefährliche Stoffe eine Steigerung des Durchschnittspreises um mehr als 100 Prozent bewirken und sich für nicht belastende Stoffe bis auf Null verringern (vgl. die Abgabenlast je Kilogramm Wirkstoff in Tabelle 6). Damit regt die Abgabe Landwirte an, auf weniger umweltbelastende Pflanzenschutzmittel auszuweichen. Die erwünschten Substitutionsprozesse bewirken anders als bei einer undifferenzierten Abgabe schon positive Effekte für Mensch und Umwelt, wenn der Landwirt wegen des Risikos eines totalen Ernteausfalls auf Pflanzenschutzmittel nicht gänzlich verzichten will bzw. erst bei einer sehr hohen Abgabenlast von einem Einsatz absehen würde. Der Verwaltungsaufwand ist gegenüber einer undifferenzierten Abgabe nur als geringfügig höher einzuschätzen, da die Einstufung neuer Wirkstoffe nach der Richtlinie 67/548/EWG schon heute für die Zulassung erforderlich ist und 167 gemäß Art. 3 Abs. 4 der Richtlinie 91/414/EWG nur Pflanzenschutzmittel in Verkehr gebracht werden dürfen, die nach der Richtlinie 67/548/EWG eingestuft, verpackt und gekennzeichnet sind. Die Anknüpfung an die Richtlinie 67/548/EWG bietet weiter den bedeutenden Vorteil, eine europaweit einheitliche Bewertung vornehmen zu können, so dass es zu keiner mittelbaren Diskriminierung von aus anderen Mitgliedsländern importierten Stoffen kommt. Die für die Abgabe notwendigen Daten über Art und Menge der abgegebenen Pflanzenschutzmittel und die in ihnen enthaltenen Wirkstoffe müssen die Hersteller und Importeure schon jetzt gemäß § 19 Abs. 1 PflSchG der Biologischen Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft jährlich melden. Auf europäischer Ebene schreibt Art. 16 Nr. 1 c) der Richtlinie 91/414/EWG vor, dass auf der Verpackung Name und Menge der Wirkstoffe anzugeben sind. Gemäß Art. 17 der Richtlinie müssen die Mitgliedstaaten überprüfen, ob die in den Verkehr gebrachten Pflanzenschutzmittel den Anforderungen entsprechen. Durch die Abgabe könnte der Kontrollaufwand einzig deshalb ansteigen, weil mit der unterschiedlichen Abgabenbelastung für die Hersteller und Händler ein Anreiz besteht, Art und Menge der Wirkstoffe falsch anzugeben. Hier bietet sich als Vergleichsmöglichkeit im deutschen Recht die nach § 5 Abs. 4 BNatSchG im Rahmen der guten fachlichen Praxis neu hinzugekommene Pflicht der Landwirte an, wonach eine schlagspezifische Dokumentation über den Einsatz von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln nach Maßgabe des Fachrechts zu führen ist. Die Pflicht ließe sich insoweit konkretisieren, indem die ___________ DM (1141,71 €) im Jahr 1998 (Bundesregierung, Agrarbericht 2001, Tab. 8 (S. 14)) ergibt sich ein Durchschnittspreis von 28,54 €. Dies deckt sich mit den Angaben von Oskam/Vijftigschild/Graveland, Additional EU policy instruments, S. 141, wonach die Durchschnittspreise 1994 zwischen 8,- € in Italien und 39,- € in Finnland schwankten und im Europadurchschnitt ca. 18,- € betrugen. 167 Richtlinie über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln, ABl. EG 1991 Nr. L 230, S. 1 ff.
112
2. Teil: Mögliche Steuer- und Abgabenmodelle
Landwirte Art und Menge der Wirkstoffe sowie Hersteller oder Importeur melden müssen. Insgesamt ist eine nach Gefahrenklassen differenzierende Pflan168 zenschutzmittelabgabe ohne übermäßigen Verwaltungsaufwand möglich.
2. Differenzierung nach festgelegten Standarddosen In Dänemark gibt es Bestrebungen, die derzeit preisbezogene Pflanzen169 schutzmittelsteuer auf eine Besteuerung nach Standarddosen umzustellen. Die Standarddosis bezeichnet eine durch Gesetz oder behördliche Entscheidung festgelegte Wirkdosis, die bestimmt, welche Menge eines Pflanzenschutzmittels bezogen auf einen Hektar genügt, um die gewünschte Wirkung zu erzielen. Eine Besteuerung nach Standarddosen würde die gewünschte Wirkung immer gleich besteuern, auch wenn die Menge und der Preis der Mittel in Abhängigkeit von der Wirkungsintensität der Pflanzenschutzmittel schwanken. Ziel ist es vor allem, unerwünschte Substitutionsprozesse zu vermeiden, die ein einheitlicher, preisbezogener Prozentsatz bei variierenden Preisen verursacht. Der Steuersatz wäre für alle Standarddosen mit 74 DK (9,96 €) gleich. Nur die staatlicherseits festzulegenden Standarddosen je Hektar unterscheiden sich bei jedem Wirkstoff. Für niedrige Dosen wäre der Abgabesatz hoch, für größere Dosen niedriger. Konkret sollen sich die Standarddosen nach den vom Däni170 schen Institut für Landwirtschaftsforschung festgesetzten Einzelstandarddosen je Anbaufrucht und dem Flächenanteil der jeweiligen Anbaufrucht bestim171 men. Für einige Wirkstoffe wurden schon Standarddosen vorgeschlagen (Tabelle 7). Aufgrund der sehr unterschiedlichen Standarddosen variiert die Steuerlast mit Sätzen zwischen 3,5 € und 2490 € je kg Wirkstoff erheblich. Die Unterschiede bei den Standarddosen spiegeln aber nicht ausschließlich die unterschiedlichen Wirkungen auf Mensch und Umwelt wider, vielmehr orientiert sich die Festlegung hauptsächlich an der beabsichtigten Wirkungsintensität als Pflanzenschutzmittel. So sollen stark umweltbelastende Mittel, wie z. B. Carbofuran oder Chlorfenvinphos, in höheren Standarddosen angewandt werden, weil ihr landwirtschaftlicher Wirkungsgrad niedrig ist.
___________ 168
Auch Hoevenagel/van Noort/de Kok, levies on pesticides, S. 71 f. schätzen den Verwaltungs- und Erhebungsaufwand als akzeptabel ein. 169 Skatteministeriet, Rapport, S. 29 f., 33 ff. Siehe § 7 A. II. 2. 170 Skatteministeriet, Rapport, S. 29 f., 24 ff., 101. 171 Skatteministeriet, Rapport, S. 33 f., S. 100 ff. (Bilag 5.3) Die jeweiligen Anbaufrüchte hängen vom Einsatzgebiet der Pflanzenschutzmittel ab und können variieren (vgl. die Beispiele auf S. 34 und 101).
§ 7 Abgaben auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel
113
Tabelle 7 Dänische Standarddosen und Steuerlasten von 74 DK (9,96 €) je Standarddosis bezüglich einer Auswahl von Wirkstoffen Wirkstoff
Standard- Steuerlast je dosis in g kg Wirkstoff in DK je Hektar
Standarddosis in g je Hektar
Steuerlast je kg Wirkstoff in DK
azoxystrobin
250
296 (39 €)
desmedipham
720
103 (13,86 €)
bitertanol
250
296 (39 €)
dicamba
200
370 (49,8 €)
chlorothalonil
1.250
59 (7,94 €)
dichlorprop-P
698
106 (14,27 €)
cyprodinil
750
99 (13,32 €)
1.085 difenzoquatmethylsulfat
dimethomorph
150
493 (66,36 €) diflufenican 94
789 (106,2 €)
fenpropidin
750
99 (13,32 €)
ethofumesat 400
185 (24,9 €)
fenpropimorph
750
99 (13,32 €)
fenoxaprop- 69 P-ethyl
1.072 (144,29 €)
fluazinam
200
370 (49,8 €)
flamprop600 Misopropyl
123 (16,56 €)
kreosoximmethyl
125
592 (79,68 €) fluazifob-P- 267 butyl
277 (37,28 €)
mancozeb
1.500
49 (6,6 €)
fluroxypyr
139
532 (71,6 €)
maneb
1.500
49 (6,6 €)
glufosinatammonium
600
123 (16,56 €)
prochloraz
453
163 (21,94 €) glyphosat
1.260
59 (7,94 €)
propamocarb
992
75 (10,09 €)
1.260
59 (7,94 €)
propiconazol
125
208
355 (47,78 €)
svovl
5.600
592 (79,68 €) haloxyfobethoxy13 (1,75 €) ethyl
tebuconazol
273
271 (36,48 €) ioxynil
Wirkstoff
Fungizide
Herbizide
Wachstumsregler
glyphosattrimesium
400
185 (24,9 €)
isoproturon
1.250
59 (7,94 €)
isoxaben
100
740 (99,6 €)
chlormequat- 985 chlorid
75 (10,09 €)
ethephon
177 (23,82 €) linuron
417
68 (9,15 €)
1.100
67 (9,02 €) Fortsetzung nächste Seite
2. Teil: Mögliche Steuer- und Abgabenmodelle
114 Fortsetzung Tabelle 7
Standarddosis in g je Hektar
Steuerlast je kg Wirkstoff in DK
mepiquatchlorid
1.200
62 (8,34 €)
trinexapacethyl
125
592 (79,68 €)
Wirkstoff
Insektizide
Wirkstoff
Standard- Steuerlast je dosis in g kg Wirkstoff in DK je Hektar
Herbizide MCPA
849
87 (11,71 €)
mechlorprop
3.000
25 (3,36 €)
alpha-cypermethrin
13
5.873 (790,47 €)
mechlorprop-P
1.837
40 (5,38 €)
carbofuran
755
98 (13,19 €)
metamitron
2.100
35 (4,71 €)
chlorfenviphos
1.500
49 (6,6 €)
methabenzthiazuron
2.450
30 (4,04 €)
cypermethrin 15
5.086 (684,55 €)
metribuzin
245
302 (40,65 €)
dimethoat
308
241 (32,44 €) metsulfuron-methyl
6
12.333 (1659,96 €)
esfenvalerat
11
6.897 (928,3 €)
napropamid 540
137 (18,44 €)
lambdacyhalothrin
7
10.123 (1362,5 €)
pendimethalin
1.273
58 (7,81 €)
malathion
926
80 (10,77 €)
phenmedipham
720
103 (13,86 €)
metaldehyd
750
99 (13,32 €)
propaquiza- 126 fob
590 (79,41 €)
pirimicarb
131
565 (76,05 €) propyzamid 645
115 (15,49 €)
1.511 (203,37 €)
prosulfocarb
2.800
26 (3,5 €)
tau-fluvalinat 49
pyridat
900
82 (11,04 €)
aclonifen
1.500
49 (6,6 €)
terbuthylazin
767
96 (12,92 €)
asulam
800
93 (12,52 €)
thifensulfu- 8 ron-methyl
bentazon
602
123 (16,56 €) triallat
1.600
46 (6,19 €)
bromoxynil
400
185 (24,9 €)
4
18.500 (2490 €)
clopyralid
120
615 (82,78 €) tribenuron
8
9.867 (1328,04 €)
Herbizide
triasulfuron
9.046 (1217,54 €)
§ 7 Abgaben auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel desmedipham
720
103 (13,86 €) triflusulfuron-methyl
45
115 1.644 (221,27 €)
172
Quelle: Skatteministeriet
Das Besteuerungssystem nach Standarddosen ließe sich ökologisch effektivieren, wenn man die Höhe der Standarddosen nicht nur nach der Behandlungswirksamkeit, sondern auch anhand der umweltbelastenden Wirkung festlegt. Ein solches System könnte man verwirklichen, indem von der rein agrartechnisch bestimmten Standarddosis je nach Umweltbelastungsgrad prozentuale Beträge abgezogen werden. Eine Kombination mit dem Bewertungssystem in Tabelle 5 ist möglich, indem man die zu einem Kilogramm Wirkstoff ins Verhältnis gesetzte Standarddosis mit den Bewertungspunkten multipliziert, wobei wegen des höheren Endergebnisses der Abgabesatz statt 9,96 € z. B. nur 1 € betragen sollte. Die Abgabenlast je Kilogramm Wirkstoff ließe sich nach folgender Formel berechnen: Abgabenlast =
1000 g Standarddosis in g
× Bewertungspunkte × 1 Euro
Die daraus resultierende Abgabenlast ist für eine Auswahl von Wirkstoffen in Tabelle 8 aufgeführt. Sie zeigt, dass der kombinierte Ansatz bei den gefährlicheren Wirkstoffen zu höheren Abgabebeträgen führt, die weniger gefährlichen hingegen gering belastet. Mit diesem progressiven Satz bestünde für den Landwirt ein starker Anreiz, weniger umweltbelastende Mittel einzusetzen. Tabelle 8
Standarddosen Tabelle 7
Kombination beider Systeme
14 €
7,94 €
5,56 €
16,56 € 13,29 €
ioxynil
24 €
24,9 €
30 €
24,9 €
isoproturon 20 €
7,94 €
8€
20 €
39 €
bentazon
16 €
bromoxynil 12 €
Bewertung nach Tabelle 6
glyphosat
azoxystrobin
Kombination beider Systeme
Wirkstoff
Standarddosen Tabelle 7
Bewertung nach Tabelle 6
Vergleich der Abgaben- bzw. Steuerlast je kg Wirkstoff (Auswahl)
40 €
15 €
Wirkstoff
Fortsetzung nächste Seite
___________ 172
Rapport, S. 106 ff. (Bilag 6).
2. Teil: Mögliche Steuer- und Abgabenmodelle
116
Kombination beider Systeme
Standarddosen Tabelle 7
Wirkstoff
Bewertung nach Tabelle 6
Kombination beider Systeme
Standarddosen Tabelle 7
Wirkstoff
Bewertung nach Tabelle 6
Fortsetzung Tabelle 8
carbofuran
22 €
13,19 € 14,57 €
kreosoxim- 14 € methyl
79,68 € 56 €
chlorfenviphos
30 €
6,6 €
lambda24 € cyhalothrin
1362,5 €
1714,29 €
chlormequatchlorid
8€
10,09 € 4,06 €
mancozeb
8€
6,6 €
2,67 €
maneb
8€
6,6 €
2,67 €
dicamba
14 €
49,8 €
MCPA
12 €
11,71 € 7,07 €
dichlorprop-P
14 €
14,27 € 10,03 €
metaldehyd
6€
13,32 € 4 €
diflufenican
2€
106,2 € 10,64 €
metamitron 16 €
4,71 €
dimethoat
8€
32,44 € 12,99 €
metribuzin
40,65 € 32,65 €
esfenvalerat
24 €
928,3 € 1090,91 €
metsulfu10 € ron-methyl
1659,9 €
833,33 €
ethofumesat
8€
24,9 €
pendimethalin
14 €
7,81 €
5,5 €
fenpropimorph
16 €
13,32 € 10,67 €
pirimicarb
18 €
76,05 € 68,7 €
fluazifobP-butyl
14 €
37,28 € 26,22 €
triallat
4€
6,19 €
1,25 €
fluroxypyr
2€
71,6 €
triasulfuron
10 €
2490 €
1250 €
10 €
35 €
10 €
7,19 €
16 €
3,81 €
Berechnung: Kombination = (1000g/Standarddosis) x Bewertungspunkte x 1 €)
Gegenüber einer Abgabe, die allein an die Umweltbelastungen anknüpft, hat die Einbeziehung der Anwendungsintensität den Vorteil, dass bei geringen Standarddosen die Lenkungswirkung nicht irrelevant wird, weil die Abgabenlast entsprechend ansteigt. Andererseits schwächen hohe Standarddosen bei schon in geringen Mengen gefährlichen Wirkstoffen die ökologische Wirksamkeit der Abgabe. Auf jeden Fall höher einzuschätzen ist der Verwaltungsaufwand, da mit den Standarddosen ein weiteres Tatbestandsmerkmal festzulegen ist. Andererseits muss aber jetzt schon die Biologische Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft gemäß § 15 Abs. 2 Nr. 2 a) PflSchG bei der
§ 7 Abgaben auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel
117
Zulassung über die Aufwandmenge entscheiden, die in der Gebrauchsanleitung gemäß § 20 Abs. 2 Nr. 6 a PflSchG anzugeben ist. Eine kombinierte Abgabe anhand der Umweltbelastung und festgelegten Standarddosen sollte daher auf jeden Fall in Erwägung gezogen werden. Eine Abgabe auf allein agrarökonomisch festgelegte Standarddosen ist mangels einer Würdigung der Umweltbelastung indes nicht zu empfehlen.
3. Abgabesatz und seine ökologischen sowie ökonomischen Auswirkungen Der Abgabesatz sollte sich an den externen Kosten orientieren. Die externen Kosten des Pestizideinsatzes sind weit gefächert. Sie reichen über die Kosten für die Trinkwasseraufbereitung, den Verlust an Biodiversität und der Ertragsfähigkeit der Böden, den Kontrollkosten für die Lebensmittelüberwachung bis zu den Kosten durch die Belastung der menschlichen Gesundheit. Nur ein geringer Teil lässt sich eindeutig der Landwirtschaft kausal zurechnen bzw. mo173 netär erfassen. So sind insbesondere die entstehenden Behandlungskosten und Ausfallverluste durch chronische Gesundheitsschäden noch weitgehend 174 unbeziffert. In einer sehr vorsichtigen Zusammenfassung aller eindeutig monetär bewertbaren Effekte von Pflanzenschutzmitteln im Jahr 1998 kommen Waibel und Fischer auf insgesamt 252 Mio. DM (128,85 Mio. €) jährlich für 175 die alten Bundesländer. Die tatsächlichen Kosten liegen aber deutlich über 176 den errechneten Wert. Demgegenüber gaben die deutschen Landwirte im 177 Jahr 2003 für Pflanzenschutzmittel 1.457 Mio. € aus. Diese Verkaufsmenge war in den letzten Jahren relativ konstant. 178
1998 betrug der gesamtdeutsche Absatz an Wirkstoffen ca. 40 Mio. kg. Legt man die Kosten von 128,85 Mio. € auf die verkaufte Menge um, ergibt sich eine Kostenlast von 3,22 €/kg Wirkstoff, was 11,5 Prozent des Durch179 schnittspreises von 28 €/kg Wirkstoff im Jahr 1998 entspräche. Eine Abgabe von 50 Prozent würde das Vierfache (rund 500 Mio. €) einbringen. Bei dem ___________ 173
Vgl. die nicht bewerteten Effekte bei Waibel/Fischer, Kosten und Nutzen, S. 224 ff., Tab. 7.1 (Spalte 3). 174 Waibel/Fischer, Kosten und Nutzen, S. 225 ff., Tab. 7.1, schätzen die in ihrer Bilanz einbezogenen Gesundheitskosten von 23,2 Mio. DM (11,86 €) auf nur 9 % der wirklichen Gesundheitskosten. 175 Waibel/Fischer, Kosten und Nutzen, S. 224 f., Tab. 7.1. 176 Waibel/Fischer, Kosten und Nutzen, S. 224 ff. Amerikanische Untersuchungen schätzen das Verhältnis externer Kosten zum Pflanzenschutzmittelaufwand auf 170 % (Waibel/Fischer, Kosten und Nutzen, S. 227). 177 Bundesregierung, Agrarbericht 2005, Tab. 20 (S. 98). 178 UBA, Daten zur Umwelt 2000, S. 35. 179 Siehe § 7 B. II. 1.
118
2. Teil: Mögliche Steuer- und Abgabenmodelle
Vorschlag, der an die Umweltbelastung anknüpft, würde ein Abgabesatz von 2 € je Bewertungspunkt die Wirkstoffe im Durchschnitt mit 16,65 €/kg be180 lasten und 583 Mio. € Einnahmen erzielen. Er läge damit in der Größenordnung einer Abgabe von 50 Prozent. Die ökologische Wirksamkeit hängt von der Preiselastizität ab. Ausgehend von einem einheitlichen Satz schätzen verschiedene Studien die Preiselastizität 181 auf -0,1 bis -0,5. In Deutschland sind jedoch zweifelnde Stimmen hinsichtlich eines Nachfragerückganges zu vernehmen, die davon ausgehen, dass wegen des Risikos eines totalen Ertragsverlustes der Landwirt höhere Preise ak182 zeptieren wird, solange er noch Gewinn erwirtschaften kann. Eine neuere Studie von Waibel und Fischer über die Kosten und den Nutzen des chemischen Pflanzenschutzes kommt hingegen zu dem Schluss, dass der gesamtwirtschaftliche Nutzen von Pflanzenschutzmitteln mit 0,75 € je ausgegebenen 0,51 € bei weitem nicht so hoch einzuschätzen ist, wie allgemein angenom183 men. Es werde das Potential zur Verringerung von Pflanzenschutzmitteln unterschätzt, da wegen der relativ geringen und konstanten Preise für chemische Pflanzenschutzmittel kein Bedarf an Alternativen, wie dem integrierten Pflan184 zenschutz, besteht. Die langfristige Preiselastizität schätzen sie daher auf 185 -0,5. Oskam, Vijftigschild und Graveland kommen bei ihrer Untersuchung von konkreten Einsatzgebieten auf noch höhere Preiselastizitäten. Bei einer zwanzigprozentigen Wertabgabe prognostizieren sie einen Rückgang des Pestizid186 einsatzes von 14 Prozent, was einer Preiselastizität von -0,7 entspräche. Für eine nach Gewässergefährlichkeit differenzierende Abgabe mit Sätzen von 40 Prozent für gefährliche, 20 Prozent für weniger gefährliche und 10 Prozent 187 harmlose Wirkstoffe schätzen die Autoren den Rückgang auf 18 Prozent. Diese starke Reduzierung des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln bestätigen auch die Erfahrungen in Dänemark, wo eine Wertabgabe von 53,85 Prozent auf Insektizide und 33,33 Prozent auf Fungizide und Herbizide innerhalb ___________ 180
Siehe § 7 B. II. 1. (Tab. 6). Oskam/Vijftigschild/Graveland, Additional EU policy instruments, S. 135; Hoevenagel/van Noort/de Kok, levies on pesticides, S. 39 f.; Waibel/Fischer, Kosten und Nutzen, Tab. 5.9 (S. 95). 182 SRU, Sondergutachten 1986, Tz. 1302; SRU, Sondergutachten 1996, Tz. 205; Dehio, Steuern im Pflanzenschutzbereich, S. 124. 183 Waibel/Fischer, Kosten und Nutzen, S. 230 f. 184 Waibel/Fischer, Kosten und Nutzen, S. 228 f. 185 Waibel/Fischer, Kosten und Nutzen, S. 229. 186 Hoevenagel/van Noort/de Kok, levies on pesticides, S. 65, vgl. die differenzierten Preiselastizitäten S. 46. 187 Hoevenagel/van Noort/de Kok, levies on pesticides, S. 65 Tab. 5.13, S. 45 f. 181
§ 7 Abgaben auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel
119 188
von 4 Jahren einen Nachfragerückgang von 36 Prozent erzeugte. Allerdings bewirkte der Rückgang in Dänemark nur eine geringe Reduzierung der Hand189 lungsintensität, da der Rückgang überwiegend auf Flächenaufgaben beruhte. Ein Grund könnte in der fehlenden Differenzierung nach Wirksamkeit und Gefährlichkeit zu sehen sein, weshalb die dänische Studie eine Umstellung auf 190 Standarddosen empfiehlt. Legt man für die Abschätzung der ökologischen Wirksamkeit eine mittlere Preiselastizität von -0,35 zu Grunde, so würde bei einem undifferenzierten Abgabensatz von 50 Prozent der Absatz um 17,5 Prozent zurückgehen. Die in Deutschland nachgefragte Wirkstoffmenge von rund 40 Mio. kg würde sich um ca. 7 Mio. kg vermindern. Eine nach der Gefährlichkeit für Mensch und Umwelt differenzierende Abgabe würde hierbei vor allem die gefährlicheren Wirkstoffe verringern und insoweit eine größere Entlastung für Mensch und Umwelt erzielen. Ähnlich vermindert auch eine nach Standarddosen und Umweltbelastung kombinierte Abgabe hauptsächlich die gefährlicheren Stoffe. Zu den ökonomischen Auswirkungen einer Pflanzenschutzmittelabgabe existieren bis jetzt nur wenige Prognoserechnungen. Im Jahr 2003/04 gaben konventionelle Landwirte im Durchschnitt für Pflanzenschutzmittel 86 €/ha 191 oder insgesamt 5.774 € je Betrieb aus. Bei einem fünfzigprozentigen Abgabesatz stiegen die durchschnittlichen Kosten um 24 Prozent auf ca. 106 €/ha oder 7.080 € je Betrieb, wenn die Landwirte gleichzeitig den Verbrauch um 17,5 Prozent reduzieren. Die Abgabe würde den durchschnittlichen Gewinn konventioneller Landwirte von 27.112 € im Jahr 2003/04 um ca. 4,9 Prozent 192 oder 1.335 € schmälern. Für ökologische Landwirte bewirkt die Abgabe hingegen in Anbetracht des geringen Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln eine sehr geringe Gewinneinbuße von nicht mehr als 100 €. Nach der vom Bundesverbraucherministerium durchgeführten Vergleichsstudie ökologischer und konventioneller Betriebe gaben die begutachteten ökologischen Betriebe nur 202 € für Pflanzenschutzmittel aus, während die konventionellen Betriebe mit 193 6.934 € mehr als das 34fache benötigten.
___________ 188
Skatteministeriet, Rapport, S. 16. Die Differenzierung zwischen Insektiziden einerseits und Herbiziden sowie Fungiziden andererseits, soll nur die geringeren Marktpreise von Insektiziden ausgleichen. Sie spiegelt grundsätzlich keine unterschiedliche Umweltgefährlichkeit wieder. 189 Skatteministeriet, Rapport, S. 17, 20; DEPA, Economic Instruments, S. 80. 190 Skatteministeriet, Rapport, S. 22 ff., 63 ff. 191 Bundesregierung, Agrarbericht 2005, Übersicht 13 (S. 29). 192 Berechnung nach Daten in Bundesregierung, Agrarbericht 2005, Übersicht 13 (S. 29). 193 Bundesregierung, Agrarbericht 2005, Übersicht 13 (S. 29).
120
2. Teil: Mögliche Steuer- und Abgabenmodelle
Nach Dehio mindert eine fünfzigprozentige Abgabe die Nettowertschöpfung 194 um 3,6 Prozent. Demgegenüber prognostizieren Oskam, Vijftigschild und Graveland anhand der Untersuchung bestimmter Pestizidanwendungsgebiete in Europa bei einer zwanzigprozentigen, undifferenzierten Abgabe einen durchschnittlichen Anstieg der Kosten für den Landwirt um 0,1 Prozent und einen 195 durchschnittlichen Rückgang des jährlichen Bruttoeinkommens von 143 €. Eine fünfzigprozentige Abgabe würde demnach geringe Kostensteigerungen von 0,25 Prozent oder Einkommensverlusten von 357,5 € je Landwirt verursachen. Bezogen auf den durchschnittlichen, konventionellen Betriebsgewinn 196 von 27.112 € würde das Einkommen um etwas mehr als ein Prozent sinken. Für die differenzierende Abgabe (40-20-10-Prozent) ermittelten Oskam, Vijftigschild und Graveland einen geringeren Kostenanstieg von durchschnittlich 0,02 Prozent, jedoch eine mit 155 € höhere Einbuße beim Bruttoeinkom197 men. Die höhere Einbuße könnte auf der im Durchschnitt höheren Abgabenlast von 23 Prozent gegenüber dem einheitlichen Satz von 20 Prozent beruhen. Bezogen auf eine nach Umweltbelastung differenzierende Abgabe mit einem durchschnittlichen Satz von 50 Prozent entstünden für deutsche Landwirte Einkommensverluste von 337 € oder einem Prozent.
III. Exkurs: Finanzieller Ausgleich Einige Studien und Autoren wollen Abgaben auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel mit direkten oder indirekten Subventionen für die Landwirte kom198 binieren, um Einkommenseinbußen auszugleichen. Neben pauschalen, flächenbezogenen Ausgleichszahlungen, wie es der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen vorschlägt, werden auch ökologisch ausgerichtete Erstattungen 199 diskutiert. Die Möglichkeiten sind in Anbetracht der bestehenden landwirtschaftlichen Subventionen vielfältig. Hinterfragt werden soll daher hier nur die Notwendigkeit einer Erstattung. Die Landwirtschaft ist ein Wirtschaftssektor ___________ 194
Dehio, Steuern im Pflanzenschutzbereich, Übersicht 6.3 (S. 125). Hoevenagel/van Noort/de Kok, levies on pesticides, S. 65 Tab 5.13. Die Ergebnisse schwanken hierbei zwischen Kostensteigerungen von -0,1 % (Niederlande) bis +0,2 % (England, Spanien) bzw. Einkommensverluste von 7 € (England) bis 365 € (Niederlande). Sie hängen vom Grad der Intensivierung und dem bisherigen Einsatz der Mittel in der Landwirtschaft ab, die in den Niederlanden sehr hoch, in Deutschland jedoch eher gering sind (vgl. Hoevenagel/van Noort/de Kok, a. a. O., Tab. 2.3 (S. 13)). 196 Bundesregierung, Agrarbericht 2005, Übersicht 13 (S. 29). 197 Hoevenagel/van Noort/de Kok, levies on pesticides, Tab. 5.13 (S. 65). 198 Z. B. SRU, Sondergutachten 1985, Tz. 1396 ff.; Hoevenagel/van Noort/de Kok, levies on pesticides, S. 76 ff.; Weinschenk, in: Nutzinger/Zahrnt, Öko-Steuern, S. 147 [152 f., 156]. 199 Hoevenagel/van Noort/de Kok, levies on pesticides, S. 77 f. 195
§ 7 Abgaben auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel
121
mit einer sehr starken Ausrichtung nach öffentlichen Förderprogrammen und einer geringen volkswirtschaftlichen Bedeutung (nur 1 Prozent des Bruttosozi200 alprodukts ). Allein der Europäische Agrarhaushalt gewährte 2004 Subventi201 onen von 44,6 Mrd. €. Gleichzeitig ist der Sektor durch eine hohe Überproduktion in Kombination mit starkem Preisverfall und hoher Umweltbelastung gekennzeichnet. Um diese unerwünschte Spirale zu stoppen, reduziert die Europäische Gemeinschaft die Interventionspreise und koppelte die Direktzahlun202 gen an Umweltstandards. Die Landwirtschaft wird bisher aber nicht nur direkt, sondern auch indirekt gefördert, indem die von ihr verursachten externen 203 Kosten die Allgemeinheit trägt. Wie oben erwähnt, verursachte allein in den alten Bundesländern die Entfernung von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln aus 204 dem Trink- und Brauchwasser Kosten von 0,8 bis 1 Mrd. €. Die Landwirtschaft muss dafür bisher nicht aufkommen. Das Konzept einer nachhaltigen 205 Umweltpolitik, wie es auch die Bundesregierung verfolgt, kann eine solche Risiko- und Verantwortungsabnahme nicht billigen, solange es möglich ist, den Verursacher von Umweltkosten zu ermitteln und die Kosten, sei es auch in einer abstrakten Weise, zu internalisieren. Die Einnahmen der Abgaben auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel sollten daher nicht den Landwirten wieder zufließen, sondern zur Deckung des Finanzbedarfs der Allgemeinheit (z. B. Trinkwasseraufbereitung) verwendet werden und dem Staatshaushalt zukommen, aus dem auch Umweltschutzmaßnahmen finanziert werden.
C. Zusammenfassung Abgaben auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel können, anders als die vorgeschlagenen Änderungen der Grundsteuer und der Umsatzsteuer, nicht auf bestehende Steuern oder Sonderabgaben zurückgreifen. Für sie ist eine weitaus umfangreichere Untersuchung der verschiedenen Möglichkeiten nötig. Erfahrungen in Schweden, Dänemark, Niederlande, Österreich und Finnland sowie diverse Studien und Vorschläge ermöglichen eine Konkretisierung der Abgabenvorschläge. ___________ 200
SRU, Sondergutachten 1996, Tz. 169. Bundesregierung, Agrarbericht 2005, Tab. 62 (S. 137). 202 Siehe § 2. 203 Zum Teil sogar in Form landesrechtlicher Wasserentnahmeabgaben, welche zur Finanzierung der Entschädigungen für Landwirte bei Wasserschutzauflagen verwandt werden sollten. Diese Umkehrung des Verursacherprinzips zu Lasten der Allgemeinheit wurde aber vom Bundesverfassungsgericht nicht beanstandet (BVerfGE 93, S. 319 [347]). 204 Siehe § 7 B. I. 2. 205 Perspektiven für Deutschland. 201
122
2. Teil: Mögliche Steuer- und Abgabenmodelle
Eine Abgabe auf Düngemittel sollte nur mineralische Düngemittel und Klärschlämme erfassen und ist bei den Herstellern, Händlern sowie den Betreibern von Abwasserbehandlungsanlagen zu erheben. Sie ist im Vergleich zu einer umfassenden Besteuerung des Nährstoffeintrags die ökologisch wie ökonomisch sinnvollere Variante und, wie die Erfahrungen in anderen Mitgliedstaaten zeigen, nur mit geringem Verwaltungsaufwand bei der Erhebung verbunden. Eine Einbeziehung des Wirtschaftsdüngers empfiehlt sich trotz der bekannten Probleme der Überdüngung durch Gülle in Gebieten mit intensiver Tierhaltung nicht, da die Verwendung von Wirtschaftsdünger grundsätzlich einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft entspricht. Probleme entstehen erst durch die ungleiche Verteilung auf den landwirtschaftlichen Flächen. Eine Belastung mit einer Abgabe würde bei großem Kontrollaufwand allerdings kaum mehr bewirken als die schon bestehenden ordnungsrechtlichen Begrenzungen des Austrags von Wirtschaftsdünger. Statt dessen könnte eine ausschließliche abgabenrechtliche Verteuerung mineralischer Düngemittel auch eine bessere Verteilung des Wirtschaftsdüngers anregen, wenn Agrarbetriebe Wirtschaftsdünger als Alternative zu mineralischen Düngemitteln ankaufen. Eine Abgabe auf mineralische Düngemittel und Klärschlämme sollte langfristig mindestens 100 Prozent betragen, um den Einsatz der Mittel um ca. 30 Prozent oder rund 822 Mio. kg zu reduzieren. Eine trotz Verbrauchsreduzierung eintretende betriebliche Mehrbelastung von durchschnittlich 1.746 €/a ist den Landwirten in Anbetracht der hohen, externen Kosten wirtschaftlich noch zuzumuten. Die Reduzierung des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln ist Ziel sowohl der Bundesregierung als auch der Europäischen Gemeinschaft. Eine Abgabe auf Pflanzenschutzmittel wäre geeignet deren Einsatz zu verringern, wie es die bestehenden Abgaben in Dänemark und Schweden zeigen. Eine Erhebung wäre mit geringem Kontrollaufwand möglich, wenn man sie bei den Herstellern und Händlern der Mittel erhebt. Um eine größer Wirkung für die Umwelt zu erreichen, sollte die Abgabe nach der Umweltbelastung differenzieren. Eine solche Differenzierung ist mit dem hier vorgeschlagenen kumulativen Bewertungssystem möglich, welches sich auf die Einstufung gemäß der Richtlinie 67/548/ EWG über die Kennzeichnung und Einstufung gefährlicher Stoffe bezieht. Die Differenzierung nach der Gefährlichkeit hätte den großen Vorteil, dass die Abgabe die Landwirte verstärkt anregt, die belastenderen Mittel durch weniger Gefährliche zu ersetzen, ohne gleich gänzlich auf Pflanzenschutz verzichten zu müssen. Eine differenzierte Abgabe würde deshalb vor allem den Einsatz der gefährlichen Mittel verringern. Ob man zusätzlich auch die Wirksamkeit mit einbezieht, wie es Dänemark mit so genannten Standarddosen überlegt, ist eine politische Entscheidung zwischen Verwaltungsaufwand und stärkeren Lenkungswirkungen. Eine Abgabe würde indes auch schon bei einem einheitlichen Satz den Verbrauch um 17,5 Prozent oder ca. 7 Mio. kg Wirkstoff vermindern.
§ 7 Abgaben auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel
123
Die ökonomischen Auswirkungen für Landwirte sind anhand der prognostizierten Gewinnbelastungen von 1 bis 4,9 Prozent als tolerabel anzusehen, wenn man die weit reichenden Umweltauswirkungen und die erheblichen Einsparpotentiale beim ökologischen Landbau mit bedenkt. Nicht empfehlenswert ist hingegen ein finanzieller Ausgleich für die Landwirte, da die Umweltbelastung durch den Einsatz von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln erhebliche Kosten für die Allgemeinheit verursacht, welche die Abgabeeinnahmen ausgleichen können.
Dritter Teil
Europarechtliche Zulässigkeit von Umweltabgaben zur Ökologisierung der Landwirtschaft 1
Seit der Europäische Gerichtshof in der Rechtssache Costa/ENEL feststellte, dass die Mitgliedstaaten mit dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft eine eigene verbindliche Rechtsordnung geschaffen haben, indem sie der Gemeinschaft eigene Hoheitsrechte übertrugen und insoweit ihre Souveränitätsrechte beschränkten, ist der Vorrang der Verträge (Primärrecht) aber auch des von den Gemeinschaftsorganen erlassenen sekundären 2 Gemeinschaftsrechts vor dem nationalen Recht allgemein anerkannt. Zwar hat 3 das Bundesverfassungsgericht mit seiner „Solange I“ Entscheidung Bedenken hinsichtlich des Grundrechtsschutzes geäußert. Nach der Neufassung regelt nunmehr Art. 23 GG explizit die Übertragung von Hoheitsrechten auf die Gemeinschaft, die dabei zu beachtenden Grenzen (v. a. im Fall von Abs. 1 Satz 3 die Ewigkeitsgarantie in Art. 79 Abs. 3 GG) und die verbindliche Geltung des 4 Europarechts innerhalb dieser Grenzen. Die vorgestellten Möglichkeiten von Umweltabgaben zur Ökologisierung der Landwirtschaft dürfen daher dem Primärrecht und dem abgeleiteten Sekundärrecht nicht widersprechen. Primärrechtliche Schranken können den Vorschlägen aus dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) erwachsen. Für die Frage, welche Verordnung oder Richtlinie einschlägig ist, kommt es auf die jeweilige Steuer und Abgabe an. Weiterhin binden völkerrechtliche Verträge der Europäischen Gemeinschaft gemäß Art. 300 Abs. 7 EGV sowohl deren Organe als auch die Mitgliedstaaten. Sie gehen insofern dem sekundären Gemeinschaftsrecht und dem ___________ 1
Rs. 6/64, Slg. 1964, S. 1251 [1269 f.]. EuGH Rs. 106/77, Simmenthal, Slg. 1978, S. 629 Rn. 18. In der Literatur statt vieler: Oppermann, Europarecht, Rn. 616 ff. m. w. N.; Bleckmann, Europarecht, Rn. 1070 ff. zu den verschiedenen Begründungsmodellen, Rn. 1086 ff. zur Rechtsprechung des EuGH, Rn. 1107 ff. zur Rechtsprechung des BVerfG. 3 BVerfGE 37, S. 271 [280 f.]. 4 Dürfen Gemeinschaftsmaßnahmen nur im Rahmen von Art. 23 GG ergehen, ist insofern eine diesbezügliche Prüfungskompetenz des Bundesverfassungsgerichts anzunehmen (Enders, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar, vor Art. 1 GG Rn. 127). Das zum Maastrichter-Vertrag ergangene Urteil des Verfassungsgerichts in BVerfGE 89, S. 155 [182 ff.] betont zwar die Grenzen der Hoheitsübertragung, kann aber eine Verletzung derselben durch das deutsche Zustimmungsgesetz nicht feststellen. 2
3. Teil: Europarechtliche Zulässigkeit
125
5
nationalen Recht vor, weshalb im Rahmen der europarechtlichen Zulässigkeit auch die Abkommen der World Trade Organisation zu beachten sind. Lässt sich eine bestehende, nationale Norm nicht mit dem Europarecht vereinbaren, ist sie zwar nicht nichtig, aber für gemeinschaftsrelevante Sachverhalte ohne 6 weitere Feststellungsakte unanwendbar. Neue Gesetzgebungsakte kommen nach Ansicht des Gerichtshofes hingegen erst gar nicht wirksam zustande, 7 wenn sie gegen Gemeinschaftsrecht verstoßen.
___________ 5
EuGH Rs. 21-24/72, International Fruit, Slg. 1972, S. 1219 Rn. 14/18; Rs. 181/73, Haegeman, Slg. 1974, S. 449 Rn. 2/6; Hahn, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 133 Abs. 69, 71; Prieß/Berrisch, in: Prieß/Berrisch, WTO-Handbuch, S. 760. 6 EuGH Rs. 34/67, Lück, Slg. 1968, S. 363 [373]; Rs. 106/77, Simmenthal, Slg. 1978, S. 629 Rn. 18-26; Oppermann, Europarecht, Rn. 632 f. 7 EuGH Rs. 106/77, Simmenthal, Slg. 1978, S. 629 Rn. 18.
§ 8 Primärrechtliche Schranken Umweltlenkungsabgaben im Agrarbereich betreffen als Querschnittsmaterie verschiedene Politikbereiche des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft. Als Steuern oder Abgaben unterfallen sie dem Kapitel der steuerlichen Vorschriften in Art. 90 ff. EGV. Aufgrund ihres Lenkungszweckes, den Umweltschutz im Agrarbereich zu verbessern, berühren sie auch die Umweltpolitik in Art. 174 ff. EGV. Wegen ihres Lenkungsgegenstandes greifen die Vorschläge in die Gemeinsame Agrarpolitik ein, die mit Art. 32 ff. EGV und den betreffenden gemeinsamen Marktorganisationen umfassend europarechtlich ausgestaltet ist. Soweit sie, wie die Umsatzsteuer oder die Abgabenmodelle auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel, auch Waren aus anderen Mitgliedstaaten belasten, kommen die Vorschriften über den Schutz des freien Warenverkehrs in Art. 23 ff. und 28 EGV in Betracht. Als Lenkungsinstrumente mit einer teilweise bezweckten, finanziellen Begünstigung ökologischer Bewirtschaftungsformen könnten für sie weiterhin die Vorschriften über staatliche Beihilfen in Art. 87 ff. EGV einschlägig sein. Allerdings enthalten nicht alle vertraglichen Politikbereiche Schranken für die Erhebung von Umweltabgaben. Insbesondere die Vorschriften über die Umwelt richten sich nur an die Gemeinschaft und gestatten den Mitgliedstaaten in Art. 176 EGV weitergehende 1 Maßnahmen. Für die Prüfung sind nur folgende Vorschriften relevant. Das Diskriminierungsverbot in Art. 90 EGV bzw. das Verbot von Zöllen und zollgleichen Abgaben in Art. 23, 25 EGV, das Verbot mengenmäßiger Einfuhrbeschränkungen in Art. 28 EGV, das gemeinschaftliche Agrarrecht in Art. 32 ff. EGV, das Beihilfeverbot nach Art. 87 EGV und der aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen hergeleitete allgemeine Gleichheitsgrundsatz. Die für die Zulässigkeit der Vorschläge relevanten Vorschriften stehen grundsätzlich in keinem Spezialitätsverhältnis zueinander und sind daher nebeneinander zu prüfen. Die politikübergreifenden Auswirkungen von Umweltabgaben im Agrarbereich können indes Abwägungen und Ausgleiche zwischen den einschlägigen Normen erforderlich machen. Insbesondere ist bei allen Vorschriften zu beachten, dass die Mitgliedstaaten ihre nationale Steuersouveränität weitgehend behalten wollten und der Europäischen Gemeinschaft nur eingeschränkt Kompetenzen übertragen haben. ___________ 1
EuGH Rs. C-379/92, Peralta, Slg. 1994 I, S. 3453 Rn. 57; Epiney, in: Rengeling, EUDUR, § 30 Rn. 11; Schröder, in: Rengeling, EUDUR, § 31 Rn. 12 f.
§ 8 Primärrechtliche Schranken
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A. Souveränität der Mitgliedstaaten im Steuer- und Abgabenrecht Die Kompetenz zur Steuer- und Abgabenerhebung zählt zum Kernbereich mitgliedstaatlicher Souveränität und ist nur sehr zurückhaltend zugunsten der 2 Gemeinschaft beschränkt. Einen ausdrücklichen Harmonisierungsauftrag an die Europäische Gemeinschaft zur Angleichung der nationalen Steuervorschriften enthält nur Art. 93 EGV für die Umsatzsteuer und die indirekten Steuern, die auf Produkten oder Dienstleistungen lasten. Harmonisierungsmaßnahmen bezüglich der übrigen Steuerarten, wie z. B. der Einkommensteuer, sind nicht ausdrücklich gestattet und ließen sich nach Ansicht der Literatur allenfalls auf 3 die allgemeine Binnenmarktkompetenz in Art. 94 EGV stützen. Sonst ist die Europäische Gemeinschaft nur in Art. 175 Abs. 2 EGV hinsichtlich des Schutzes der Umwelt zum Erlass von Vorschriften steuerlicher Art ermächtigt. Alle der Gemeinschaft übertragenen Kompetenzen im Bereich des Steuerund Abgabenrechts sehen einen einstimmigen Ratsbeschluss beim Erlass von Maßnahmen vor. Von dem Abbau des Einstimmigkeitserfordernisses zugunsten von Mehrheitsentscheidungen in vielen Kompetenzbereichen der Gemeinschaft, mit dem Ziel die Handlungsfähigkeit der Gemeinschaft zu gewährleisten, haben die Mitgliedstaaten ausdrücklich das Steuer- und Abgabenrecht ausgenommen. So fallen unter die 1986 mit der Einheitlichen Europäischen Akte eingefügte Harmonisierungsvorschrift zur Errichtung des Binnenmarktes in Art. 95 EGV (früher Art. 100a EGV a. F.), ausdrücklich nicht Bestimmungen über Steuern (Art. 95 Abs. 2 EGV). Für die Finanzierung des Gemeinschaftshaushaltes ist nach Art. 269 Abs. 2 EGV sogar eine Annahme durch die Mitgliedstaaten wie bei den Gründungsverträgen erforderlich. Das Festhalten am Einstimmigkeitserfordernis soll verhindern, dass gegen den Willen eines Mitgliedstaates eine Regulierung im Steuer- und Abgabenrecht ergeht. Weiterhin verdeutlicht die sehr zurückhaltende Beschränkung nationaler Steuern und Abgaben in Art. 90 bis 92 EGV, welche hauptsächlich den gemeinschaftlichen Warenverkehr vor steuerlichen Diskriminierungen schützen sollen, wie wichtig den Staaten beim Aushandeln der Gemeinschaftsverträge der Erhalt der nationalen Steuersouveränität war. Diese Absicht gilt es bei der Auslegung und Abgrenzung von nationalen und gemeinschaftlichen Kompetenzen zu berücksichtigen. ___________ 2
Waldhoff, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 90 EGV Rn. 1 f. m. w. N., Art. 93 Rn. 1; Oppermann, Europarecht, Rn. 1153; Förster, in: Bleckmann, Europarecht, Rn. 2010 ff.; Stumpf, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 93 EGV Rn. 1 ff. 3 Oppermann, Europarecht, Rn. 1188; Christian Müller, indirekte Verhaltenssteuerung, S. 61 f.; Wasmeier, Umweltabgaben und Europarecht, S. 235 f.; Hilf, NVwZ 1992, S. 105 [108, Fn. 25]; Birk, Handbuch des europäischen Abgabenrechts, § 11 Rn. 3; Mick, in: Birk, Handbuch des europäischen Abgabenrechts, § 24 Rn. 30; F. Kirchhof, in: Rengeling, EUDUR, § 38 Rn. 63.
3. Teil: Europarechtliche Zulässigkeit
128
B. Verbot abgabenrechtlicher Diskriminierungen nach Art. 90 EGV I. Maßstab für Umweltabgaben Art. 90 EGV enthält ein direkt geltendes Diskriminierungsverbot, das den Mitgliedstaaten untersagt, Waren aus anderen Mitgliedstaaten gegenüber inländischen Erzeugnissen unmittelbar oder mittelbar mit höheren inländischen 4 Abgaben, gleich welcher Art, zu belasten. Die Vorschrift ergänzt die Bestimmungen über die Abschaffung von Zöllen und die Unzulässigkeit von staatlichen Beihilfen mit dem Ziel, eine vollkommene Wettbewerbsneutralität der inländischen Besteuerung für inländische und eingeführte Erzeugnisse sicherzustellen und den freien Warenverkehr zwischen den Mitgliedstaaten zu ge5 währleisten. Art. 90 EGV ist von Art. 23 und 25 EGV abzugrenzen, welche den Mitgliedstaaten verbieten, untereinander Ein- und Ausfuhrzölle sowie Abgaben 6 gleicher Wirkung zu erheben. Eine Abgabe kann nicht gleichzeitig eine inländische Abgabe i. S. v. Art. 90 EGV und eine zollgleiche Abgabe nach Art. 23, 7 25 EGV sein. Zölle und Abgaben zollgleicher Wirkung ziehen die Grenzüberschreitung der Ware als Belastungsgrund heran und sind nicht Teil einer allgemeinen inländischen Abgabe, die systematisch sämtliche inländischen und ein8 geführten Waren gleichermaßen erfasst. Allerdings kann auch eine allgemeine Abgabe zollähnlich sein, wenn sie ausschließlich zur Finanzierung von Tätigkeiten bestimmt ist, die den erfassten einheimischen Erzeugnissen in spezifi9 scher Weise zugute kommen und die Belastungen vollständig ausgleichen. Da die vorgeschlagenen Steueränderungen und Umweltabgaben weder an den Grenzübertritt anknüpfen, noch deren Einnahmen den inländischen Erzeugnis10 sen wieder zugute kommen sollen, ist hier allein Art. 90 EGV einschlägig. ___________ 4
Geiger, EUV/EGV, Art. 91 EGV Rn. 1, 21. Ständige Rspr. vgl. nur EuGH Rs. 168/78, Kommission/Frankreich, Slg. 1980, S. 347 Rn. 4. Eilers/Bahns/Sedlaczek, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, EUV/EGV, Art. 90 EGV Rn. 1. 6 EuGH Rs. 77/76, Cucchi/Avez, Slg. 1977, S. 987 Rn. 14; Schröer-Schallenberg, in: Birk, Handbuch des europäischen Abgabenrechts, § 16 Rn. 11 ff. 7 EuGH Rs. 57/65, Lütticke/Hauptzollamt, Slg. 1966, S. 257 [267]; Rs. 25/67, Milch-, Fett-, Eierkontor/Hauptzollamt, Slg. 1968, S. 311 [330]. 8 EuGH Rs. 2 und 3/69, Diamantarbeiders, Slg. 1969, S. 211 Rn. 15/18, 20/21; Rs. 132/78, Sàrl Denkavit Loire, Slg. 1979, S. 1923 Rn. 7; Henke, in: Birk, Handbuch des europäischen Abgabenrechts, § 21 Rn. 4, 7. 9 EuGH Rs. 77/76, Cucchi/Avez, Slg. 1977, S. 987 Rn. 16 ff. 10 Vgl. EuGH Rs. 319/81, Kommission/Italien, Slg. 1983, S. 601, Rn. 22; Rs. 278/83, Kommission/Italien, Slg. 1985, S. 2503, Rn. 12. 5
§ 8 Primärrechtliche Schranken
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Art. 90 EGV untersagt nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofes alle steuerlichen Maßnahmen, welche die Gleichbehandlung von eingeführten Erzeugnissen unmittelbar und mittelbar berühren sowie die Einfuhr aus anderen 11 Mitgliedstaaten zugunsten inländischer Erzeugnisse erschweren könnten. Eine Diskriminierung können die Abgabensätze, die Steuerveranlagung (z. B. unterschiedliche Bemessungsgrundlagen, Befreiungen oder Entlastungsmaßnah12 men ) aber auch die unterschiedlichen Durchführungsbestimmungen enthal13 ten. Die vorgeschlagenen Umweltabgaben sehen eine Differenzierung zwischen ökologischer und konventioneller Bewirtschaftung vor oder knüpfen an die unterschiedliche Gefährlichkeit von Betriebsmitteln an, weshalb sich die Frage stellt, inwieweit lenkungspolitische Differenzierungen bei Art. 90 EGV möglich sind. In Anbetracht der Souveränitätsvorbehalte der Mitgliedstaaten 14 im Abgabenrecht versteht der Gerichtshof Art. 90 EGV nicht wie Art. 28 EGV als ein allgemeines Beschränkungsverbot, sondern als ein Diskriminierungsverbot, welches eine differenzierende Besteuerung grundsätzlich zu15 lässt. Eine solche zurückhaltende Auslegung gebietet ein systematischer Ver___________ 11
EuGH Rs. 168/78, Kommission/Frankreich, Slg. 1980, S. 347 Rn. 5; Rs. 252/86, Bergandi, Slg. 1988, S. 1343 Rn. 25. Hierzu zählen auch Abgaben, welche die Waren nur mittelbar belasten. Z. B. eine Abgabe auf den grenzüberschreitenden Straßenverkehr: EuGH Rs. 20/76, Schöttle&Söhne, Slg. 1977, S. 247 Rn. 16 oder auf die Bereitstellung von Spielautomaten: EuGH Rs. 252/86, Bergandi, Slg. 1988, S. 1343 Rn. 27. In der Literatur wird deshalb sogar eine analoge Anwendung auf Dienstleistungen befürwortet, so: Stumpf, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 90 EGV Rn. 9; dies., in: EuZW 1991, S. 713 [714]. Ablehnend Balke, Steuerliche Gestaltungsfreiheit, S. 24 f. wegen der Existenz von Art. 49 ff. EGV. 12 EuGH Rs. 17/81, Pabst&Richarz, Slg. 1982, S. 1331 Rn. 19; Rs. 73/79, Kommission/Italien, Slg. 1980, S. 1533 Rn. 15 f.; Schröer-Schallenberg, in: Birk, Handbuch des europäischen Abgabenrechts, § 16 Rn. 26, 30. 13 EuGH Rs. 45/75, Rewe, Slg. 1976, S. 181 Rn. 17; Rs. 168/78, Kommission/Frankreich, Slg. 1980, S. 347 Rn. 7; Eilers/Bahns/Sedlaczek, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, EUV/EGV, Art. 90 EGV Rn. 33 ff.; Balke, Steuerliche Gestaltungsfreiheit, S. 36 ff.; Stumpf, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 90 EGV Rn. 17 f. 14 EuGH Rs. 27/67, Fink Frucht, Slg. 1968, S. 333 [346]; Rs. 31/67, Stier, Slg. 1968, S. 351 [360]; Balke, Steuerliche Gestaltungsfreiheiten, S. 83 ff. m. w. N. auf S. 57 f.; Waldhoff, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 90 EGV Rn. 2; Wohlfahrt, in: Schwarze, Wirtschaftsrecht, S. 141, 157. 15 EuGH Rs. 27/67, Fink Frucht, Slg. 1968, S. 333 [345 f.]; Rs. 31/67, Stier, Slg. 1968, S. 352 [360 f.]; Rs. 148/77, Hansen&Balle, Slg. 1978, S. 1787 Rn. 16; Rs. 168/78, Kommission/Frankreich, Slg. 1980, S. 347 Rn. 14 ff.; Rs. 46/80, Vinal/Orbat, Slg. 1981, S. 77 Rn. 13 ff.; Rs. 200/85, Kommission/Italien, Slg. 1986, S. 3953 Rn. 8; Rs. 252/86, Bergandi, Slg. 1988, S. 1343 Rn. 29 f.; Rs. 132/88, Kommission/Griechenland, Slg. 1990 I, S. 1567 Rn. 17; Rs. C-47/88, Kommission/Dänemark, Slg. 1990 I, S. 4509 Rn. 10, 12 f.; Rs. C-213/96, Outokumpu, Slg. 1998 I, S. 1777 Rn. 30. Zustimmend: Geiger, EUV/EGV, Art. 91 Rn. 15; Eilers/Bahns/Sedlaczek, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, EUV/EGV, Art. 90 EGV Rn. 15 f.; Waldhoff, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 90 EGV Rn. 13 f.; Balke, Steuerliche Gestaltungsfreiheiten, S. 52 ff., 77 f., 85 ff., 109 ff.
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3. Teil: Europarechtliche Zulässigkeit
gleich der Vorschriften. Während dem Art. 28 EGV mit Art. 30 EGV ein ausdrücklicher Ausnahmetatbestand zugeordnet ist, sieht Art. 90 EGV trotz der Steuersouveränität der Mitgliedstaaten keine Ausnahmen vor. Ein ähnlich weit verstandener Art. 90 EGV würde die Souveränität der Mitgliedstaaten stärker 16 als Art. 28 EGV beschränken. Seit dem Urteil Hansen&Balle hat der Gerichtshof daher in wiederholter Rechtsprechung bei Art. 90 EGV steuerliche Vergünstigungen zugunsten legitimer Zwecke für zulässig erklärt, wenn die Einteilung der Steuergruppen anhand objektiver Differenzierungskriterien erfolgt, die Differenzierung legitimen Zwecken dient und keine diskriminierende 17 oder schützende Wirkung aufweist. Die verfolgten Differenzierungszwecke dürfen dem Gemeinschaftsrecht und der darin zum Ausdruck kommenden 18 Werteordnung nicht widersprechen. Allerdings hatte der Gerichtshof in seinen früheren Urteilen immer nur von legitimen wirtschaftlichen und sozialen Zwecken gesprochen. Er sah es als legitimen sozialen Zweck an, bestimmte Arten von Erzeugnissen zu fördern und andere Arten zu erschweren, sofern eingeführte Erzeugnisse nicht diskriminiert 19 20 werden. Mit dem Urteil Outokumpu hat er jetzt auch ausdrücklich ökologi21 sche Gründe für eine Differenzierung anerkannt. Eine Differenzierung nach ökologischen Kriterien entspricht dem Gemeinschaftsrecht und dessen Werteordnung, da nach den Artikeln 2, 6, 174 bis 176 EGV der Schutz der Umwelt eine wichtige Aufgabe der Europäischen Gemeinschaft darstellt, die in allen ___________ Dagegen will Wohlfahrt die Rechtsprechung des EuGH zum Art. 28 EGV auf Art. 90 EGV übertragen, wonach die Einschränkung „weder ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten darstellen“ darf, in: Schwarze; Wirtschaftsrecht, S. 141, 157. 16 Balke, Steuerliche Gestaltungsfreiheit, S. 187 f. 17 EuGH Rs. 148/77, Hansen&Balle, Slg. 1978, S. 1787 Rn. 16 f.; Rs. 168/78, Kommission/Frankreich, Slg. 1980, S. 347 Rn. 14 ff.; Rs. 169/78, Kommission/Italien, Slg. 1980, S. 385 Rn. 14 ff.; Rs. 171/78, Kommission/Dänemark, Slg. 1980, S. 447, Rn. 14 ff.; Rs. 46/80, Vinal/Orbat, Slg. 1981, S. 77 Rn. 13 ff.; Rs. 142 und 143/80, Essevi und Salengo, Slg. 1981, S. 1413 Rn. 21; Rs. 319/81, Kommission/Italien, Slg. 1983, S. 601 Rn. 13; Rs. 200/85, Kommission/Italien, Slg. 1986, S. 3953 Rn. 8; Rs. 252/86, Bergandi, Slg. 1988, S. 1343 Rn. 29 f. 18 EuGH Rs. 142 und 143/80, Essevi und Salengo, Slg. 1981, S. 1413 Rn. 21; Rs. 319/81, Kommission/Italien, Slg. 1983, S. 601, Rn. 13; Schröer-Schallenberg, in: Birk, Handbuch des europäischen Abgabenrechts, § 16 Rn. 40, 44; Wohlfahrt, in: Schwarze, Wirtschaftsrecht, S. 141, 156 f. 19 EuGH Rs. 252/86, Bergandi, Slg. 1988, S. 1343 Rn. 30 ff. 20 Rs. C-213/96, Slg. 1998 I, S. 1777 Rn. 31 ff. 21 Das Urteil bestätigt die schon in seinen früheren Urteilen zur Altölabgabe oder hubraumabhängigen Kraftfahrzeugsteuer angedeutete Möglichkeit, ökologische Gesichtspunkte bei der Besteuerung zu berücksichtigen (vgl. EuGH Rs. 21/79, Kommission/Italien, Slg. 1980, S. 1 Rn. 3, 22; Rs. 112/84, Humblot, Slg. 1985, S. 1367 Rn. 12; Rs. 433/85, Feldain, Slg. 1987, S. 3521 Rn. 11).
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Bereichen zu berücksichtigen ist. Eine Differenzierung aus umweltpolitischen Aspekten, die eingeführte Waren nicht diskriminiert bzw. inländische Waren 23 nicht schützt, ist deshalb grundsätzlich zulässig.
II. Vereinbarkeit der vorgeschlagenen Umweltabgaben mit Art. 90 EGV Art. 90 EGV erfasst alle Abgabetypen wie Steuern, Sonderabgaben, Beiträ24 ge und Gebühren, soweit sie Waren aus anderen Mitgliedstaaten betreffen. Infolgedessen beschränkt Art. 90 EGV nicht die Änderung der Grundsteuer, da die Grundsteuer sich allein auf ortsgebundene Grundstücke bezieht. Das Diskriminierungsverbot ist aber für die Änderung der Umsatzsteuer und die Abgaben auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel von Relevanz, da diese auch ausländische Waren erfassen.
1. Änderung der Umsatzsteuer Eine umsatzsteuerliche Differenzierung zwischen ökologischen und konventionellen Agrarerzeugnissen dürfte nach Art. 90 Abs. 1 EGV keine mittelbare 25 Diskriminierung gleichartiger, ausländischer Waren beinhalten. Der Europäische Gerichtshof bestimmt die Gleichartigkeit danach, ob die Waren auf der gleichen Produktions- oder Vertriebsstufe in den Augen des Verbrauchers die 26 gleichen Eigenschaften haben und denselben Bedürfnissen dienen. Hierbei sind Unterscheidungen des nationalen Steuerrechts nicht maßgeblich, da es sich bei der Gleichartigkeit um einen eigenständigen, gemeinschaftsrechtlich 27 auszulegenden Begriff handelt. Grundsätzlich haben ökologische wie konventionelle Agrarerzeugnisse als Nahrungs- und Futtermittel die gleichen Eigenschaften, dienen denselben Bedürfnissen und werden der gleichen Verwendung zugeführt. Andererseits sind ökologische Agrarerzeugnisse in einem die Umwelt weniger belastenden Verfahren erzeugt worden und enthalten im Re___________ 22
EuGH Rs. 302/86, Kommission/Dänemark, Slg. 1988, S. 4607 Rn. 8. So auch Balke, Steuerliche Gestaltungsfreiheit, S. 125 f.; Stumpf, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art 90 Rn. 11. 24 Stumpf, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 90 EGV Rn. 7. 25 Die Anwendung des subsidiären Art. 90 Abs. 2 EGV scheidet aus, da in Deutschland sowohl ökologische als auch konventionelle Agrarerzeugnisse produziert werden. 26 Ständige Rspr., erstmalig in EuGH Rs. 45/75, Rewe, Slg. 1976, S. 181, Rn. 12; Rs. 168/78, Kommission/Frankreich, Slg. 1980, S. 347 Rn. 5; Rs. 171/78, Kommission/ Dänemark, Slg. 1980, S. 447 Rn. 5; Rs. 216/81, COGIS, Slg. 1982, S. 2701 Rn. 7; Rs. C367-377/93, Roders u. a., Slg. 1995 I, S. 2229 Rn. 27. 27 EuGH Rs. 168/78, Kommission/Frankreich, Slg. 1980, S. 347 Rn. 36; Geiger, EUV/EGV, Art. 91 EGV Rn. 11. 23
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gelfall geringere Schadstoffrückstände (z. B. Pestizide). Aufgrund der Preisdifferenz von bis zu 100 Prozent sind ökologische Erzeugnisse für den Großteil der Bevölkerung keine Alternative zu konventionellen Waren. Das bestehende 28 Preisniveau ist bei der Frage der Gleichartigkeit nicht zu vernachlässigen. Das Problem der Gleichartigkeit kann dahin stehen, wenn trotz Gleichartigkeit, die Differenzierung anhand objektiver Differenzierungskriterien erfolgt, legitimen Zwecken dient und keine diskriminierende oder schützende Wirkung aufweist. Die Unterscheidung zwischen ökologischen und konventionellen Agrarerzeugnissen stellt auf die Art der Herstellung ab. Der Gerichtshof hat als objektives Unterscheidungsmerkmal Ursprung und Art der Herstellung aner29 kannt. Indem die vorgeschlagene Differenzierung an die EG-ÖkolandbauVerordnung anknüpft, ist eine europaweit einheitliche Besteuerung ökologischer Erzeugnisse gewährleistet und eine mittelbare Diskriminierung eingeführter Waren ausgeschlossen. Die Differenzierung bezweckt eine Verbesserung des Umweltschutzes. Haupterfordernis des Umweltschutzes ist die Förderung einer nachhaltigen Entwicklung, welche die natürlichen Lebensgrundlagen zu Gunsten künftiger 30 Generationen sichern hilft. Art. 174 Abs. 1 EGV konkretisiert dies u. a. auf die Erhaltung und den Schutz der Umwelt, die Verbesserung ihrer Qualität und die umsichtige sowie rationelle Verwendung natürlicher Ressourcen. Eine niedrigere Besteuerung ökologischer Agrarerzeugnisse oder eine höhere Belastung konventioneller Erzeugnisse soll die Preisunterschiede zwischen beiden Produktarten ausgleichen, um den Absatz ökologischer Produkte zu steigern und die ökologisch bewirtschaftete Fläche zu erhöhen. Eine Umstellung konventionell genutzter Flächen verringert den Belastungsdruck auf Biotope, Ar31 ten, Böden und Gewässer. Gleichzeitig würden konventionelle Agrarerzeugnisse, die eine wesentlich intensivere Umweltbeanspruchung und -belastung mit sich bringen, als Ausgleich für die bisher nicht in Rechnung gestellten, ex32 ternen Umweltkosten eine höhere Abgabenlast tragen müssen. Damit dient die Differenzierung einem legitimen Zweck. Da die Einnahmen aus der Umsatzsteuer auch nicht den inländischen Erzeugnissen wieder zugute kommen 33 und nicht die Belastung ausgleichen, erfüllt eine Differenzierung zwischen ___________ 28
Vgl. EuGH Rs. 170/78, Kommission/Großbritannien, Slg. 1983, S. 2265, Rn. 11 f.; Eilers/Bahns/Sedlaczek, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, EUV/EGV, Art 90 EGV Rn. 61 f. 29 EuGH Rs. 140/79, Farmaceutici/DAF, Slg. 1981,1, Rn. 14 f.; Rs 46/80, Vinal/Orbat, Slg. 1981, S. 77, Rn. 13 f. 30 Geiger, EUV/EGV, Art 6 EGV Rn. 3. 31 Siehe § 1. 32 Siehe § 3 A. 33 Nach EuGH Rs. 266/91, CELBI, Slg. 1993, S. 4337, Rn. 13 ff. wäre dies eine unzulässige Diskriminierung.
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ökologischen und konventionellen Agrarerzeugnissen gemäß der EG-Ökolandbau-Verordnung die Anforderungen von Art. 90 Abs. 1 EGV.
2. Abgaben auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel Die vorgeschlagene prozentuale Abgabe auf mineralische Düngemittel und Klärschlämme birgt keine Konflikte mit Art. 90 EGV. Sie behandelt inländische wie importierte Düngemittel gleich, enthält keine weiteren Differenzierungen und sieht auch keine Rückerstattung für inländische Düngemittelhersteller vor. Soweit man die Nährstoffe Stickstoff, Phosphat und Kali verschieden stark belastet, wäre auch dies keine Ungleichbehandlung, da die Stoffe unterschiedliche, chemische Eigenschaften besitzen, die alle von den Pflanzen benötigt werden. Lässt sich kein Nährstoff durch den anderen ersetzen, sind sie keine gleichartigen Waren nach Art. 90 Abs. 1 EGV. Da alle Nährstoffe auch in Deutschland hergestellt werden, kommt auch nicht subsidiär Art. 90 Abs. 2 EGV in Betracht. Problematischer erweisen sich die Vorschläge für eine nach Umweltbelastung oder Standarddosen differenzierende Abgabe auf Pflanzenschutzmittel. Für eine diskriminierende Differenzierung nach Art. 90 Abs. 1 EGV mangelt es zwar schon an der Gleichartigkeit der Wirkstoffe, da jeder Wirkstoff unterschiedliche Eigenschaften besitzt und unterschiedlichen Anwendungen dient. Allerdings könnte Art. 90 Abs. 2 EGV betroffen sein, wenn ein Wirkstoff nur in anderen Mitgliedstaaten produziert wird und vergleichbare Wirkstoffe in Deutschland aufgrund einer geringeren Umweltbelastung oder Standarddosis niedriger besteuert würden. Zwar soll die Abgabe nicht die inländische Produktion von Pflanzenschutzmitteln schützen, sondern generell den Mitteleinsatz reduzieren, trotzdem wäre eine mittelbare Besserstellung der inländischen Produktion nicht auszuschließen. Entscheidend für die Vereinbarkeit mit Art. 90 EGV ist, dass die Differenzierung einem legitimen Zweck dient und auf einem objektiven Kriterium beruht. Die Differenzierung bezweckt eine größere ökologische Wirksamkeit der Abgabe, indem sie gefährlichere Mittel höher belastet, und verfolgt insofern ein legitimes Ziel. Mit der Anknüpfung an die Gefahreneinstufungen gemäß der Richtlinie 67/548/EWG liegt ein europaweit einheitliches und objektives Kriterium zu Grunde, das nicht den Schutz der inländischen Produktion bezweckt. Zweifelhaft erscheint aber die Objektivität einer Differenzierung nach Standarddosen, wenn diese nicht europaweit festgelegt sind, sondern vom Mitgliedstaat nach mehr oder weniger agrar- und umweltwissenschaftlichen Erkenntnissen bestimmt werden. Hier eröffnen sich durchaus Spielräume für nationale Egoismen. Für die Vereinbarkeit mit Art. 90 EGV ist eine strikte Objektivität bei der nationalen Festlegung der Standarddosen erforderlich, soweit man nicht gleich eine europaweite Lösung
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3. Teil: Europarechtliche Zulässigkeit
sucht. Um Konflikte mit Art. 90 EGV zu vermeiden, empfiehlt es sich, die Differenzierung allein nach der Umweltbelastung gemäß der Richtlinie 67/547/ EWG vorzunehmen.
C. Beschränkungsverbot in Art. 28 EGV Art. 28 EGV untersagt den Mitgliedstaaten, mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen sowie Maßnahmen gleicher Wirkung zwischen den Mitgliedstaaten zu errichten. Die Vorschrift hat durch den Europäischen Gerichtshof eine sehr weitgehende Auslegung erfahren. So verbietet Art. 28 EGV nach dem 34 Dassonville-Urteil grundsätzlich alle nationalen Regelungen, die geeignet sind, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern. Ausgenommen von Art. 28 EGV sind nach Ansicht des Gerichtshofes staat35 liche Maßnahmen, für die speziellere Vertragsvorschriften gelten. Hierzu zählen das Verbot von Zöllen und Abgaben gleicher Wirkung in Art. 23, 25 EGV wie auch das abgabenrechtliche Diskriminierungsverbot in Art. 90 EGV. Abgaben, die in den Anwendungsbereich von Art. 90 EGV fallen, sind nicht an 36 Art. 28 EGV zu überprüfen. Dies ist konsequent, da andernfalls das weit reichende Beschränkungsverbot in Art. 28 EGV immer das Diskriminierungsver37 bot in Art. 90 EGV unterlaufen und die Wahrung der nationalen Steuersouveränität gegenstandslos machen würde. Da sowohl für die Änderung der Umsatzsteuer als auch für die Abgaben auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel Art. 90 EGV einschlägig ist, scheidet für sie Art. 28 EGV aus. Einzig die Änderung der Grundsteuer müsste sich an Art. 28 EGV messen lassen. Zwar umfasst Art. 28 EGV nach dem Dassonville-Urteil sowohl unmittelbar-tatsächliche als auch mittelbar-potentielle Behinderungen des freien Warenverkehrs. Bei einer Grundsteuerdifferenzierung nach Nutzungsarten ist aber selbst eine ___________ 34
EuGH Rs. 8/74, Dassonville, Slg. 1974, S. 837 Rn. 5. Ständige Rspr. EuGH Rs. 252/86, Bergandi, Slg. 1988, S. 1343 Rn. 34 f.; Rs. C-78 bis 83/90, Compagnie de L´Quest u. a., Slg. 1992 I, S. 1847 Rn. 20 f.; Rs. C-17/91, Lornoy, Slg. 1992 I, S. 6523 Rn. 14 f.; Rs. C-266/91, CELBI, Slg. 1993 I, S. 4337, Rn. 26 ff. Vgl. auch EuGH Rs. 27/67, Fink Frucht, Slg. 1968, S. 334 [346]; Rs. 74/76, Iannelli/Meroni, Slg. 1977, S. 557 Rn. 9/10; Rs. 222/82, Apple and Pear, Slg. 1984, S. 4083 Rn. 30. 36 Geiger, EUV/EGV, Art. 91 Rn. 4.; Waldhoff, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 90 Rn. 22; Balke, Steuerliche Gestaltungsfreiheit, S. 179 ff.; Jarass, Nichtsteuerliche Abgaben und lenkende Steuern, S. 99. 37 Wie schon unter § 8 B. I. festgestellt, hat der EuGH immer ein allgemeines Beschränkungsverbot bei Art. 90 EGV abgelehnt (vgl. EuGH Rs. 31/67, Stier, Slg. 1968, S. 352 [360 f.]; Rs. C-132/88, Kommission/Griechenland, Slg. 1990 I, S. 1567 Rn. 17; Rs. C-47/88, Kommission/Dänemark, Slg. 1990 I, S. 4509 Rn. 10). 35
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mittelbar-potentielle Behinderung des innergemeinschaftlichen Handels nicht anzunehmen, da die Grundsteuer keine eingeführte Waren betrifft, sondern nur inländische Grundstücke besteuert. Zwar erhöht dies die Produktionskosten deutscher Landwirte. Eine generelle Angleichung der Steuerlasten für die Bürger und Unternehmer in den Mitgliedstaaten bedürfte aber einer umfassenden Harmonisierung des Steuer- und Abgabenrechts in der Gemeinschaft nach Art. 93, 94 EGV. Art. 28 EGV beschränkt nicht die Steuer- und Abgabenvorschläge.
D. Gemeinsame Agrarpolitik gemäß Art. 32 ff. EGV Eine Ökologisierung der Landwirtschaft mit Hilfe des Steuer- und Abgabenrechts schafft Veränderungen in einem Wirtschaftsbereich, der mit der Gemeinsamen Agrarpolitik nach Art. 32 ff. EGV von der Europäischen Gemeinschaft sehr umfassend geregelt ist. Nach Art. 34 EGV i. V. m. Art. 37 Abs. 2 und 3 EGV ist die Gemeinschaft ermächtigt, gemeinsame Marktorganisationen für landwirtschaftliche Erzeugnisse zu errichten. Dabei ist die Gemeinschaft an 38 die rechtlich verbindlichen Zielvorgaben des Art. 33 EGV gebunden. Für die Mitgliedstaaten resultieren aus Art. 33 EGV allerdings nur Bindungswirkungen, soweit die Gemeinschaft durch Schaffung gemeinsamer Marktorganisatio39 nen rechtlich verbindliches Sekundärrecht erlässt oder die Mitgliedstaaten zur 40 Umsetzung oder Durchführung der Gemeinsamen Agrarpolitik ermächtigt. Ansonsten enthalten Art. 32 bis 37 EGV keine unmittelbaren Ge- oder Verbote 41 an die Mitgliedstaaten. Sie sind vielmehr Ermächtigungen und Schranken der Kompetenz der Europäischen Gemeinschaft. Aufgrund der umfassenden Ausgestaltung der Gemeinsamen Agrarpolitik durch die Gemeinschaft mit Verordnungen, Richtlinien und Entscheidungen stellt sich die Frage, ob und inwieweit Deutschland noch im Bereich der Landwirtschaft eigene Regelungen treffen kann und wenn ja, welchen Beschränkungen es unterworfen ist. Hierbei ist zu unterscheiden, zwischen nationalen Maßnahmen, die unmittelbar im Agrarbereich ergehen, und steuer- und abgabenrechtlichen Maßnahmen, welche die Landwirtschaft nur betreffen. ___________ 38
Geiger, EUV/EGV, Art. 33 EGV Rn. 3; Gilsdorf/Priebe, in: Grabitz/Hilf, Kommentar zur EU, Art. 39 EGV a. F. Rn. 2. 39 EuGH Rs. C-1/96, World Farming, Slg. 1998 I, S. 1251 Rn. 41, 47; Hix, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 32 EGV Rn. 16; Gilsdorf/Priebe, in: Grabitz/Hilf, Kommentar zur EU, Art. 38 EGV a. F. Rn. 55 f. 40 EuGH Rs. 5/88, Wachauf, Slg. 1989, S. 2609 Rn. 19; Rs. C-351/92, Graff, Slg. 1994 I, S. 3361 Rn 17; Thiele, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 34 EGV Rn. 38. 41 Boest, Agrarmärkte, S. 260 f.
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Allgemein gilt, dass die Mitgliedstaaten solange eigenständig handeln können, wie der Gemeinschaft Kompetenzen nicht ausschließlich übertragen wurden oder sie ihre gemäß Art. 5 Abs. 1 EGV begrenzten Einzelermächtigungen ausgeübt hat. Mangels einer ausdrücklichen Vertragsaussage und in Anbetracht des 1992 in Art. 5 Abs. 2 EGV eingefügten Subsidiaritätsprinzips ist der Europäischen Gemeinschaft mit Art. 32 ff. EGV keine ausschließliche Kompetenz 42 eingeräumt worden. In Bereichen, in denen die Gemeinschaft eine gemeinsame Marktorganisation geschaffen hat, sind jedoch nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofes die Mitgliedstaaten „nicht mehr befugt, durch einseitig erlassene innerstaatliche Rechtsvorschriften in den Preisbildungsmecha43 nismus der gemeinsamen Marktorganisation einzugreifen.“ Bei einem Untätigbleiben des Gemeinschaftsgesetzgebers bei der Durchführung der Marktorganisationen sind die Mitgliedstaaten nicht Kraft eigener Zuständigkeit, sondern nur in Erfüllung der Pflicht zur Zusammenarbeit zum Erlass eigener Rege44 45 lungen befugt. Die Literatur befürwortet diesen Kompetenzverlust der Mitgliedstaaten, wobei insbesondere Marktunterstützungsmaßnahmen (Beihilfen, Interventionen), die Erhebung von Zöllen oder zollgleichen Abgaben, Ein- und Ausfuhrbeschränkungen und Maßnahmen gleicher Wirkung ausgeschlossen 46 sein sollen. Gleichwohl hat der Europäische Gerichtshof den Mitgliedstaaten auch bei den gemeinsamen Marktorganisationen eine Restkompetenz für nationale Maßnahmen zuerkannt, wenn sie die Preisgestaltung auf der Einzelhandels- und ___________ 42
Gilsdorf/Booß, in: Grabitz/Hilf, Kommentar zur EU, Art. 43 EGV a. F. Rn. 37; Hix, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 37 EGV Rn. 24 f.; Boest, Agrarmärkte, S. 267 ff.; Thiele, GAP, S. 47 ff., 57 f. 43 EuGH Rs. 31/74, Galli, Slg. 1975, S. 47 Rn. 29/31; Rs. 65/75, Tasca, Slg. 1976, S. 291 Rn. 9/11; Rs. 31/74; Rs. 154/77, Dechmann, Slg. 1978, S. 1573 Rn. 16/17; Rs. 83/78, Pigs Markting Board, Slg. 1978, S. 2347 Rn. 56/57; Rs. 95 und 96/79, Kefer und Delmelle, Slg 1980, S. 103 Rn. 8; Rs. 216/86, Antonini, Slg. 1987, S. 2919 Rn. 6; Rs. C281/87, Kommission/Griechenland, Slg. 1989, S. 4015 Rn. 16; Rs. 83/78; Rs. C-35/88, Kommission/Griechenland, Slg. 1990 I, S. 3125 Rn. 29; Rs. C-110/89, Kommission/Griechenland, Slg. 1991 I, S. 2659 Rn. 21; Rs. C-61/90, Kommission/Griechenland, Slg. 1992 I, S. 2407 Rn. 22. Vgl. auch EuGH Rs. 77/76, Gucchi, Slg 1977, S. 987 Rn. 35. 44 EuGH Rs. 47-48/83, Midden-Nederland, Slg. 1984, S. 1721 Rn. 23; Rs. C-159/89, Dietz-Matti, Slg. 1990 I, S. 2013 Rn. 12 f. 45 Boest, Agrarmärkte, S. 263 f.; Gilsdorf/Booß, in: Grabitz/Hilf, Kommentar zur EU, Art. 43 EGV a. F. Rn. 37, 39; Hix, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 37 EGV Rn. 24 f. 46 Gilsdorf/Booß, in: Grabitz/Hilf, Kommentar zur EU, Art. 43 EGV a. F. Rn. 39. So verbieten z. B. die Art. 15 Abs. 2 VO 1766/92/EWG (Getreide); Art. 15 Abs. 2 VO 2759/75/EWG (Schweinefleisch) und Art. 33 Abs. 2 VO 1255/1999/EG (Milch und Milcherzeugnisse) den Mitgliedstaaten die Erhebung von Zöllen und zollähnlichen Abgaben bzw. Ein- und Ausfuhrbeschränkungen und Maßnahmen gleicher Wirkung gegenüber Drittstaaten.
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Verbraucherebene regeln, die Marktorganisationen nur ein Preissystem auf der Produktions- und Großhandelsstufe enthalten und die nationalen Maßnahmen die Ziele und das Funktionieren der in Frage stehenden gemeinsamen Marktor47 ganisation nicht gefährden. Somit verbleibt den Mitgliedstaaten eine allgemeine Regelungskompetenz für den Einzelhandels- und Verbraucherbereich. Noch weit reichender könnte aber die Kompetenz der Mitgliedstaaten hinsichtlich der Erhebung von Steuern- und Abgaben im Bereich der Landwirtschaft sein, da die nationale Steuersouveränität nur sehr eingeschränkt auf die Europäische Gemeinschaft übertragen wurde. Bei den zu untersuchenden Steueränderungen und Abgabemodellen handelt es sich nicht um ausschließliche Agrarmaßnahmen, sondern in erster Linie um Steuern und Abgaben. So belasten die Umsatzsteuer und die Grundsteuer in Deutschland nicht nur die Landwirtschaft, sondern alle Waren bzw. Grundstücke. Die Implementierung einer ökologischen Lenkungsfunktion hinsichtlich der Agrarwirtschaft, hebt den Charakter einer allgemeinen Steuer nicht auf. Selbst die Abgaben auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel dienen neben ihrer Gestaltungswirkung auch der Einnahmeerzielung zugunsten des nationalen Staatshaushaltes. Für alle Vorschläge sind die Reichweite der nationalen Steuer- und Abgabensouveränität und die Abgrenzung der gemeinschaftlichen Agrarkompetenz daher von besonderer Bedeutung.
I. Kompetenzabgrenzung zwischen nationalem Steuer- und Abgabenrecht und der Gemeinsamen Agrarpolitik Der Europäische Gerichtshof hat zu diesem Kompetenzkonflikt in den Urtei48 len Irish Creamery Milk Suppliers Association und Samvirkende Danske 49 Landboforeninger Stellung genommen. Darin erklärte er eine vorübergehend erhobene Verbrauchsteuer auf landwirtschaftliche Erzeugnisse und eine vorübergehende Erhöhung der Grundsteuer auf landwirtschaftlichen Grundbesitz für grundsätzlich mit den Bestimmungen des EWG-Vertrages über die Agrarpolitik und den Regelungen der gemeinsamen Marktorganisationen vereinbar.
___________ 47
EuGH Rs. 216/86, Antonini, Slg. 1987, S. 2919 Rn. 6; Rs. 154/77, Procureur Du Roi/Dechmann, Slg. 1978, S. 1573 Rn. 16/17; Rs. 95 und 96/79, Kefer und Delmelle, Slg 1980, S. 103 Rn. 8; Rs. 65/75, Tasca, Slg. 1976, S. 291 Rn. 9/11; Rs. 31/74, Galli, Slg. 1975, S. 46 Rn. 29/31, 32/34. 48 Rs. 36 und 71/80, Slg. 1981, S. 735 Rn. 24; Wägenbaur, in: Grabitz, Kommentar zum EWG-Vertrag, vor Art. 95 EGV a. F. Rn. 1 f. 49 Rs. 297/82, Slg. 1983, S. 3299 Rn. 17.
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3. Teil: Europarechtliche Zulässigkeit 50
In dem Urteil Apple and Pear sah der Gerichtshof auch eine nicht nur vorübergehende Abgabe auf landwirtschaftliche Erzeugnisse als zulässig an. Nach der seitdem mehrmals bestätigten Rechtsprechung des Gerichtshofes, ist eine nationale Abgabe erst mit der Gemeinsamen Agrarpolitik unvereinbar, „wenn sie durch ihren Einfluss auf die Preisbildung oder durch die sich daraus möglicherweise ergebende Strukturänderung bei den landwirtschaftlichen Betrieben bewirkt, dass das Funktionieren der innerhalb der betreffenden gemein51 samen Marktorganisation vorgesehenen Mechanismen behindert wird.“ Für die Unzulässigkeit einer Abgabe kommt es somit entscheidend darauf an, ob sie das Funktionieren der in den Marktorganisationen vorgesehenen Mecha52 nismen behindert. Die wissenschaftliche Literatur stimmt der Rechtsprechung des Gerichtshofes ganz überwiegend zu, setzt sich allerdings nicht tiefer gehend mit der Prob53 lematik auseinander. Einzig Boest erachtet jede innerstaatliche Abgabe mit marktlenkendem Charakter für unzulässig, da Art. 32 ff. EGV eine Sonderrege54 lung gegenüber Art. 90 EGV enthalten. Für eine solche Vorrangstellung des Agrarrechts gegenüber dem Steuerrecht gibt es jedoch keine systematischen Anhaltspunkte. Art. 36 EGV bestimmt eine Vorrangstellung der Art. 32 ff. EGV nur gegenüber den Wettbewerbsvorschriften (Art. 81-89 EGV). Zwar könnte man weiter an die Konkurrenzregel in Art. 32 Abs. 2 EGV denken. Diese Regel war jedoch nur von Bedeutung für die vom freien Warenverkehr abweichenden Übergangsvorschriften in Art. 42, 44 bis 48 EGV (a. F.). Mit dem Amsterdamer Vertrag wurden diese weitgehend gegenstandslosen Regelungen bis auf Art. 36 und 38 EGV, welcher nationale Ausgleichsabgaben gestattet, gestrichen. Eine von Art. 90 EGV abweichende Bestimmung enthalten die Art. 32 ff. EGV nicht, so dass Art. 32 Abs. 2 EGV keinen darüber hinausge55 henden allgemeinen Vorbehalt beinhaltet. Vielmehr wird sogar im Hinblick ___________ 50
Rs. 222/82, Slg. 1983, S. 4083 Rn. 31. Gegenstand des Urteils war ein britischer Pflichtbeitrag für alle Erzeuger von Äpfeln und Birnen zur Finanzierung des Rates zur Förderung der Äpfel- und Birnenerzeugung (S. 4089 f.). 51 EuGH Rs. 222/82, Apple and Pear, Slg. 1983, S. 4083 Rn. 31. Ähnlich die Formulierung in EuGH Rs. 36 und 71/80, Irish Creamery Milk Suppliers Association, Slg. 1981, S. 735 Rn. 24; Rs. 297/82, Samvirkende Danske Landboforeninger, Slg. 1983, S. 3299 Rn. 14 f., 17; Rs. C-235/90, Aliments Morvan, Slg. 1991 I, S. 5419 Rn. 10; Rs. C-27/96, Danisco Sugar, Slg. 1997 I, S. 6653 Rn. 24; Rs. C-132/95, Jensen, Slg. 1998 I, S. 2975 Rn. 37. 52 Das in dem Urteil Aliments Morvan nicht ausdrücklich auf die Behinderung der Marktmechanismen abgestellt wurde, ist wegen der nachfolgenden Urteile Danisco Sugar und Jensen nicht als eine Aufgabe dieser Anforderung zusehen. 53 Gilsdorf/Booß, in: Grabitz/Hilf, Kommentar zur EU, Art. 43 EGV a. F. Rn. 40. 54 Boest, Agrarmärkte, S. 95. 55 Gilsdorf/Priebe, in: Grabitz/Hilf, Kommentar zur EU, Art. 38 EGV a. F. Rn. 33 f.; van Rijn, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, EUV/EGV, Art. 32 EGV Rn. 12 f.
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auf die notwendige Geschlossenheit des Steuerrechts ein Vorrang der Harmonisierungskompetenz in Art. 93 EGV auch für landwirtschaftliche Erzeugnisse 56 angenommen. Weiter muss auch die in der zurückhaltenden Übertragung der Steuersouveränität der Mitgliedstaaten bei der Gemeinsamen Agrarpolitik Berücksichtigung finden, wenn sich wie hier beide Politikbereiche überschneiden. Es ist der Rechtsprechung des Gerichtshofes zuzustimmen, die versucht, den Konflikt zwischen gemeinschaftsrechtlicher Agrarkompetenz und nationaler Steuersouveränität auszugleichen.
II. Vereinbarkeit der vorgeschlagenen Umweltabgaben mit Art. 32 ff. EGV 1. Relevanz und Umfang der Prüfung 57
Die Urteile des Gerichtshofes betrafen Abgaben, die entweder den Landwirten als Grundsteuer oder als Pflichtbeitrag unmittelbar auferlegt wurden oder diese mittelbar in Form einer Verbrauchsteuer tangierten. Zwar ging es in dem Ausgangsurteil Irish Creamery Milk Suppliers Association um eine Verbrauchsteuer, die nicht von den Landwirten, sondern von den Exporteuren, den Verarbeitungs- und Lagerhaltungsunternehmen zu entrichten war. Trotzdem prüfte der Gerichtshof die Vereinbarkeit mit der Gemeinsamen Agrarpolitik, da die Steuer nur aus verwaltungstechnischen Gründen bei den Exporteuren und Verarbeitungsunternehmen erhoben wurde und die irische Regierung beabsichtigte, die Landwirte über verringerte Nettopreise mittelbar zu be58 lasten. Abgaben, die Produktionsmittel oder landwirtschaftliche Erzeugnisse verteuern und damit mittelbar zu Einkommenseinbußen der Landwirte führen, müssen sich grundsätzlich auch an der Gemeinsamen Agrarpolitik vereinbaren lassen. Für die Vorschläge bedeutet dies, dass neben der Grundsteuer, welche die Landwirte unmittelbar belastet, auch die Abgaben auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel an der Gemeinsamen Agrarpolitik zu überprüfen wären, da die Abgaben von den Herstellern und Händlern auf die Landwirte überzuwälzen sind. Schwieriger ist die Frage bei der Umsatzsteuer zu beantworten, weil diese ___________ 56
Gilsdorf/Priebe, in: Grabitz/Hilf, Kommentar zur EU, Art. 38 EGV a. F. Rn. 22. Vgl. Wissenschaftlicher Beirat des BML, Kompetenzverteilung für die Agrarpolitik, S. 25. 57 EuGH Rs. 222/82, Apple and Pear, Slg. 1983, S. 4083; Rs. 36 und 71/80, Irish Creamery Milk Suppliers Association, Slg. 1981, S. 735; Rs. 297/82, Samvirkende Danske Landboforeninger, Slg. 1983, S. 3299. 58 EuGH Rs. 36 und 71/80, Irish Creamery Milk Suppliers Association, Slg. 1981, S. 735 [738 f.] und Rn. 13 f.
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3. Teil: Europarechtliche Zulässigkeit
für Landwirte grundsätzlich wettbewerbsneutral ist. Die Umsatzsteuer wird zwar auch bei den Landwirten erhoben, diese können aber einerseits ihre Vorsteuern gegenüber dem Fiskus geltend machen, andererseits den Steuerbetrag des Mehrwerts auf den jeweiligen Käufer und im Endeffekt auf den Endverbraucher überwälzen. Allerdings können von der Besteuerung der Verbraucherpreise auch Rückwirkungen auf die Landwirte ausgehen, wenn die Überwälzung des Steuerbetrages nicht gelingt oder die Besteuerung den Umsatz 59 verringert. Somit ist auch die Umsatzsteuer an der Gemeinsamen Agrarpolitik zu messen. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes wären die Vorschläge für eine Grund- und Umsatzsteueränderung bzw. für Abgaben auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel unzulässig, wenn sie Einfluss auf die Preisbildung oder die Struktur der landwirtschaftlichen Betriebe haben und dadurch das Funktionieren der innerhalb der betreffenden gemeinsamen Marktorganisationen vor60 gesehenen Mechanismen behindern. Bevor die jeweiligen Vorschläge geprüft werden, ist noch genauer zu ermitteln, wann ein Einfluss auf die Preisbildung oder die Betriebsstruktur vorliegt, welche Mechanismen die Marktorganisationen aufweisen und wann ihr Funktionieren behindert wird.
a) Einfluss auf die Preisbildung oder die Struktur der landwirtschaftlichen Betriebe Die gemeinsamen Marktorganisationen regulieren, wie auch der Gerichtshof 61 in seinen Urteilen zur allgemeinen Kompetenzrechtsprechung feststellte, die 62 Preisbildung auf der Ebene der Produktions- und Großhandelsstufe. Die Vor___________ 59
Damit entspricht dies weitgehend der Konstellation in EuGH Rs. 36 und 71/80, Irish Creamery Milk Suppliers Association, Slg. 1981, S. 735. 60 Siehe § 8 D. I. 61 EuGH Rs. 216/86, Antonini, Slg. 1987, S. 2919 Rn. 6; Rs. 154/77, Procureur Du Roi/Dechmann, Slg. 1978, S. 1573 Rn. 16/17; Rs. 95 und 96/79, Kefer und Delmelle, Slg 1980, S. 103 Rn. 8; Rs. 65/75, Tasca, Slg. 1976, S. 291 Rn. 9/11; Rs. 31/74, Galli, Slg. 1975, S. 46 Rn. 29/31, 32/34. 62 Die gemeinsame Marktorganisation (GMO) für Getreide (VO 1766/92, ABl. 1992 EG Nr. L 181, S. 21) enthält in Art. 3 Abs. 3 ausdrücklich einen Interventionspreis für die Großhandelsstufe und in Art. 8 Abs. 1 Satz 2 einen Mindestpreis für zur Stärkeherstellung bestimmte Kartoffeln. Die GMO für Reis (VO 3072/95 ABl. EG 1995 Nr. L 329, S. 18) enthält in Art. 3 Abs. 3 ausdrücklich einen Interventionspreis für die Großhandelsstufe. Die GMO für Zucker (VO 1260/2001 ABl. EG 2001 Nr. L 178, S. 1) sieht in Art. 2 Abs. 3 einen Interventionspreise für Fabrikzucker vor und verpflichtet die Zuckerhersteller in Art. 5 Abs. 1 gleichzeitig beim Kauf von Zuckerrüben einen Mindestpreis zu zahlen. Die GMO für Fette (VO 136/66 ABl. 1966 Nr. L 172/3025) legt Art. 4 Abs. 1 einen Erzeugerrichtpreis auf der Großhandelsstufe für gewöhnliches, natives Olivenöl fest, weiter sind Art. 22 Abs. 1 und 2 Richt- und Interventionspreise für Ölsaa-
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schläge müssten die markt- oder betriebswirtschaftlichen Prozesse auf der Ebene der Landwirte bzw. der Händler beeinflussen. Alternativ sieht der Europäische Gerichtshof in der Änderung der betrieblichen Struktur eine Quelle für eine Behinderung der gemeinsamen Marktorganisationen, weil die Betriebsstruktur Einfluss auf die Art und den Umfang der Versorgung der Agrarmärkte 63 hat. Ob eine Abgabe die Betriebsstruktur verändert, hängt von der Dauer,
___________ ten, die auf der Großhandelsstufe festgelegt werden, vorgesehen. Die GMO für Obst und Gemüse (VO 2200/96 ABl. EG 1996 Nr. L 297, S. 1) trifft in Art. 11 ff. Regelungen über Erzeugerorganisationen und gewährt in Art. 15 diesen eine Beihilfe für die Finanzierung von Marktrücknahmen mit Rücknahmevergütung für die Erzeuger. Die GMO für Verarbeitungserzeugnisse aus Obst und Gemüse (VO 2001/96 ABl. Nr. L 297, S. 29) sieht lediglich in Art. 2 Abs. 2 eine Produktionsbeihilfe für die Verarbeiter vor, die im Gegenzug den Erzeuger gemäß Art. 3 einen Mindestpreis für das Ausgangserzeugnis zahlen müssen. Die GMO für Flachs und Hanf (VO 1308/70 ABl. 1970 Nr. L 146, S. 1) enthält in Art. 2 nur eine Ermächtigung zu Interventionsmaßnahmen der Gemeinschaft. Die GMO für Rindfleisch (VO 1254/99 ABl. 99 Nr. L 160, S. 21) sieht eine fakultative Intervention gemäß Art. 27 auf dem Gebiet oder einer Region eines Mitgliedstaates für frisches oder gekühltes Rindfleisch vor. Gemeint sind wegen der begrifflichen Bezugnahme auf das „gemeinschaftliche Handelsklassenschema“ i. S. v. Art. 26 Abs. 1 Schlachtkörper ausgewachsener Rinder gemäß der Verordnung (EWG) Nr. 1208/81. Auch hier wird daher auf die Produktionsstufe abgestellt. Im übrigen sollen die Interventionskäufe schrittweise abgebaut werden (Erwägungsgrund 20 der Verordnung). Die GMO für Schweinefleisch (VO 2759/75 ABl. 1975 Nr. L 282, S. 1) enthält in Art. 3 eine fakultative Interventionsregelung bzgl. geschlachteter Schweine (gemäß EuGH Rs. 154/77, Dechmann, Slg. 1978, S. 1573 Rn. 11/15 für die Produktionsund Großhandelsstufe). Die GMO für Schaf- und Ziegenfleisch (VO 2467/98 ABl. 1998 Nr. L 312, S. 1) sieht in Art. 3 einen Grundpreis für frische oder gekühlte Tierkörper von Schafen und in Art. 11 ff. Interventionsmaßnahmen für Tierkörper oder Teile vom Lämmern vor. Die GMO für Milch und Milcherzeugnisse (VO 1255/99 ABl. 1999 Nr. L 160, S. 48) legt in Art. 3 Abs. 1 Satz 2 einen Richtpreis für die von den Erzeugern insgesamt verkaufte Milch und in Art. 4 ff. einen Interventionspreis für Butter und Magermilchpulver fest. Keinen Preismechanismus enthalten die GMOs für Geflügelfleisch (VO 2777/75 ABl. 1975 Nr. L 282, S. 77), für Eier (VO 2771/75 ABl. Nr. L 282, S. 49), für Bananen (VO 404/93 ABl. 1993 Nr. L 47, S. 1), für lebende Pflanzen und Waren des Blumenhandels (VO 234/68 ABl. 1968 Nr. L 55, S. 1), für Wein (VO 1493/99 ABl. 1999 Nr. L 179, S. 1), für Hopfen (VO 1696/71 ABl. EG 1971 Nr. L 175, S. 1), für Saatgut (VO 2358/71 ABl. 1971 Nr. L 246, S. 1), Trockenfutter (VO 603/95 ABl. 1995 Nr. L 63, S. 1), Rohtabak (VO 2075/92 ABl. EG 1992 Nr. L 215, S. 70), sonstige Erzeugnisse des Anhang II des Art. 32 Abs. 3 EGV (VO 827/68 ABl. 1968 Nr. L 151, S. 16). Vgl. EuGH Rs. 36 und 71/80, Irish Creamery Milk Suppliers Association, Slg. 1981, S. 735 Rn. 20; Rs. 297/82, Samvirkende Danske Landboforeninger, Slg. 1983, S. 3299 Rn. 13; van Rijin, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, EUV/EGV, Art. 34 EGV Rn. 21. 63 EuGH Rs. 297/82, Samvirkende Danske Landboforeninger, Slg. 1983, S. 3299 Rn. 15; EuGH Rs. C-235/90, Aliments Morvan, Slg. 1991 I, S. 5419 Rn. 9 ff.
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3. Teil: Europarechtliche Zulässigkeit
dem Umfang, der Einbeziehung der Einkommen, der Belastung einzelner oder 64 vieler Erzeugnisse aber auch von der Situation des betreffenden Marktes ab. Indes ist eine Strukturänderung nicht nur negativ zu sehen. Wie die seit 1992 vorgenommenen Reformversuche der Europäischen Gemeinschaft zei65 gen, ist die gegenwärtige Struktur der Betriebe kein Optimum. Die gegenwärtige Landwirtschaft kämpft mit vielfältigen Problemen, wie der Überschussproduktion, den sinkenden Agrarpreisen und der erheblichen Umweltbelastung. Es ist deshalb problematisch einen Status quo zu schützen und jede Entwicklung als Gefahr anzusehen, wenn selbst Fördermaßnahmen der Europäischen Gemeinschaft, wie z. B. zur Stärkung der ökologischen Landwirtschaft, die 66 Struktur der landwirtschaftlichen Betriebe ändern. Die positiven Seiten einer Strukturänderung sind vor allem bei der Frage zu würdigen, ob eine von den Vorschlägen ausgehende Strukturänderung die Mechanismen der gemeinsamen Marktorganisationen behindert.
b) Behinderung des Funktionierens der Mechanismen der gemeinsamen Marktorganisationen Die gemeinsamen Marktorganisationen verfolgen hauptsächlich die in Art. 33 Abs. 1 b) und c) EGV genannten Ziele, die Agrarmärkte zu stabilisieren und dadurch den Landwirten einen angemessenen Lebensunterhalt zu ermöglichen. Neben Regeln über die Vermarktung und die Klassifizierung sowie über die Außenhandelsbeziehungen der Gemeinschaft zu Drittländern sehen die meisten Marktorganisationen Preisbildungsmechanismen für bestimmte Er67 zeugnisse und sonstige nicht zum Preissystem zählende, direkte Beihilfen vor. Der Gerichtshof sah in den Preisbildungsmechanismen den entscheidenden 68 Kern der Marktorganisationen. Mit den Mechanismen sind die Steuerungs___________ 64
EuGH Rs. 297/82, Samvirkende Danske Landboforeninger, Slg. 1983, S. 3299 Rn. 16; Rs. 36 und 71/80, Irish Creamery Milk Suppliers Association, Slg. 1981, S. 735 Rn. 20; Rs. C-235/90, Aliments Morvan, Slg. 1991 I, S. 5419 Rn. 10 ff. 65 Kommission (EG), Agenda 2000, S. 28, 35 f.; Kommission (EG), KOM (99) 22, S. 5 ff. 66 Kommission (EG), KOM (99) 22, S. 10 f., 25 f. 67 Vgl. z. B. die gemeinsame Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse, VO 1255/1999/EG, ABl. EG 1999 Nr. L 160, S. 48; Erwägungsgrund 2 der gemeinsamen Marktorganisation für Reis, VO 3072/95 ABl. EG 1995 Nr. L 329, S. 18; Thiele, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 34 EGV Rn. 15 ff.; Oppermann, Europarecht, Rn. 1378. Vgl. EuGH Rs. 36 und 71/80, Irish Creamery Milk Suppliers Association, Slg. 1981, S. 735 Rn. 13, 20. 68 EuGH Rs. 36 und 71/80, Irish Creamery Milk Suppliers Association, Slg. 1981, S. 735 Rn. 24; Rs. 297/82, Samvirkende Danske Landboforeninger, Slg. 1983, S. 3299 Rn. 13. Vgl. auch die Urteile zur allgemeinen Kompetenzabgrenzung EuGH Rs. 31/74, Galli, Slg. 1975, S. 47 Rn. 9/11, 29/31; Rs. 65/75, Tasca, Slg. 1976, S. 291 Rn. 9/11;
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systeme aus Interventions- und Richtpreisen gemeint, mit denen die gemeinsamen Marktorganisationen den Marktpreis zugunsten der Landwirte beeinflus69 sen sollen. Sie bezwecken, auf der Produktions- und der Großhandelsstufe ein Preisniveau zu erreichen, das sowohl die Interessen der Produktion in dem betreffenden Sektor, als auch die Belange der Verbraucher berücksichtigt und 70 die Versorgung sicherstellt, ohne zur Überproduktion anzureizen. Ein solcher Mechanismus existiert zwar nicht in allen gemeinsamen Marktorganisationen, gleichwohl für die wichtigsten Produkte. Die Richtpreise für einzelne Erzeugnisse drücken das Preisniveau aus, welches für die Landwirte ein angemessenes 71 Einkommen im Sinne von Art. 33 Abs. 1 c) EGV ermöglichen soll. Sie ersetzen aber nicht die Marktpreise. Vielmehr sollen mit den Richtpreisen die Interventionspreise bestimmt werden, mit dem Zweck, die Marktpreise dem Richt72 preis anzunähern. Unterschreitet demnach der Marktpreis den Interventionspreis, können oder müssen die mitgliedstaatlichen Interventionsstellen die Er73 zeugnisse von den Landwirten zum Interventionspreis aufkaufen. Allerdings ist bei der Überprüfung der Vorschläge auch zu berücksichtigen, dass seit 1992 die Europäische Gemeinschaft bestrebt ist, die Interventionsregelungen zu verringern und zukünftig ganz abzubauen, um die damit verbun74 dene Marktverzerrung und Überproduktion zu unterbinden. Als Ergänzung und langfristigen Ersatz führte die Gemeinschaft verstärkt Direktzahlungen ein, welche die Einkommen der Landwirte nicht über die Marktpreise, sondern un75 mittelbar unterstützen. Sie ergehen in der Regel unabhängig von der Pro___________ Rs. 154/77, Dechmann, Slg. 1978, S. 1573 Rn. 16/17; Rs. 83/78, Pigs Markting Board, Slg. 1978, S. 2347 Rn. 56/57; Rs. 95 und 96/79, Kefer und Delmelle, Slg 1980, S. 103 Rn. 8; Rs. 216/86, Antonini, Slg. 1987, S. 2919 Rn. 6; Rs. C-281/87, Kommission/ Griechenland, Slg. 1989, S. 4015 Rn. 16; Rs. C-61/90, Kommission/Griechenland, Slg. 1992 I, S. 2407 Rn. 22. Vgl. Boest, Agrarmärkte, S. 208 ff., 262 ff.; Thiele, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 34 Rn. 15 ff. 69 Vgl. EuGH Rs. 36 und 71/80, Irish Creamery Milk Suppliers Association, Slg. 1981, S. 735 Rn. 20; Rs. 297/82, Samvirkende Danske Landboforeninger, Slg. 1983, S. 3299 Rn. 13. 70 EuGH Rs. 297/82, Samvirkende Danske Landboforeninger, Slg. 1983, S. 3299 Rn. 13. Zur Beschränkung auf die Produktions- und Großhandelsebene siehe die Auswertung der Marktorganisationen in Fußnote 62. 71 Pellens, Agrarrecht 2000, S. 213, 215; Hix, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 34 EGV Rn. 5. 72 Hix, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 34 EGV Rn. 5. 73 Vgl. Hix, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 34 EGV Rn. 7. 74 Kommission (EG), Agenda 2000, S. 28, 31, 35 f.; KOM (1999) 22, S. 21 bis 30; KOM (2000) 485, Tz. 51; KOM (2002) 394, S. 5 ff.; Rechnungshof (EG), Sonderbericht 14 /2000, Tz. 7 bis 3; z. B. Erwägungsgründe der GMO für Getreide VO 1766/92, ABl. EG 1992 Nr. L 181, S. 21 ff. Siehe auch § 2. 75 Im Rahmen der gemeinsamen Marktorganisationen v. a. flächen- und produktbezogene Beihilfen, wie z. B. Flächenstilllegungs- oder Ausgleichsprämien, Tier- und Pflanzenprämien (vgl. die Übersicht im Anhang I der VO 1782/2003/EG, ABl. EG 2003
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3. Teil: Europarechtliche Zulässigkeit
duktquantität und sind seit 2003 mit Umweltanforderungen verknüpft, deren 76 Nichteinhaltung Kürzungen nach sich zieht. Zusätzlich führte die Gemeinschaft spezielle Umweltschutzbeihilfen ein, die Agrarumweltmaßnahmen fi77 nanziell vergüten. Auch die generellen Ziele, wie die Sicherstellung der Versorgung, haben sich gewandelt. Bezweckte man früher, die Verbraucher ausreichend und zu angemessenen Preisen mit Agrarprodukten zu versorgen, so sind die hierdurch entstandene Überproduktion und der damit einhergegangene Preisverfall die 78 Hauptprobleme der heutigen Landwirtschaft. Sie stehen im engen Zusammenhang mit Qualitätsverlusten und Umweltbelastungen, die infolge der Intensivierung und dem Einsatz chemischer Mittel sowie von Abfallstoffen eingetre79 ten sind. Ein wesentlicher Schwerpunkt der Reformbemühungen der Gemeinschaft ist es daher, die Qualität anzuheben, die Quantität zu senken und die 80 Umwelt zu entlasten. Die Steigerung der Qualität beinhaltet ein neues Verständnis von dem in Art. 33 Abs. 1 a) EGV vorgegebenen Ziel der Produkti81 onserhöhung. Des Weiteren ist der Umweltschutz gemäß Art. 6 EGV auch im Rahmen der Agrarpolitik zu beachten. Diesbezüglich vorgenommene Maßnahmen sind zum einen die Abkoppelung der finanziellen Förderung von den Erträgen, die Etablierung von Kontroll- und Kennzeichnungssystemen zur verstärkten Förderung der ökologischen Landwirtschaft, die Agrarumweltpro82 gramme und das Ökosiegel. Eine Abgabe ist als unzulässig anzusehen, wenn sie aufgrund ihres Einflusses auf die Preisbildung oder die Betriebsstruktur die noch bestehenden Preisbildungsmechanismen auf der Produktions- und Groß___________ Nr. L 270, S. 1 [53 ff.]). Außerhalb existieren Investitionsbeihilfen, Beihilfen für benachteiligte Gebiete, Agrarumweltmaßnahmen gemäß der VO 1257/99/EG über die Förderung der Entwicklung des ländlichen Raums, ABl. EG 1999 Nr. L 160, S. 80 ff., die ab 1.1.2007 weitgehend durch VO 1698/2005/EG, ABl. EG 2005 Nr. L 277, S. 1 ff. abgelöst wird. 76 Art. 3 ff. der VO 1782/2003/EG, ABl. EG 2003 Nr. L 270, S. 1 zur Festlegung von Gemeinschaftsregeln für Direktzahlungen im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik. 77 Agrarumweltmaßnahmen gemäß Art. 22 ff. der VO 1257/99/EG bzw. ab 1.1.2007 nach Art. 39 f. der VO 1698/2005/EG, ABl. EG 2005 Nr. L 277, S. 1 ff. 78 Mittlerweile muss der Verbraucher im Verhältnis zum Verdienst wesentlich weniger für die meisten Nahrungsmittel ausgeben als noch vor 50 Jahren (Bundesregierung, Agrarbericht 2003, Tab. 2 (S. 98)). 79 Stichworte sind hier v. a. BSE, Salmonellen, Nitrofen, Antibiotika etc. 80 Kommission (EG), KOM (1991) 100; KOM (1991) 258; KOM (1999) 22, S. 6 f.; Agenda 2000, S. 28, 31 ff. 81 VO 2092/91/EWG (EG-Ökolandbau-Verordnung), ABl. EG 1991 Nr. L 198, S. 1; van Rijan, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, EUV/EGV, Art. 33 EGV Rn. 7. m. w. N.; Thiele, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 33 EGV Rn. 3. 82 Kommission (EG), Agenda 2000, S. 28, 31, 35 f.; KOM (1999) 22, S. 21 bis 30; KOM (2000) 485, Tz. 51. Siehe auch § 2.
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handelsstufe, das System der Direktzahlungen oder die Reformbemühungen 83 behindert. Fraglich ist, wann eine Behinderung vorliegt. Grundsätzlich ist festzuhalten, dass jede Abgabe auf die Arbeit, die Erzeugnisse oder die Betriebsmittel eines Landwirtes die Produktionskosten erhöht und damit die Marktpreise sowie die Einkommen der Landwirte beeinflusst. Weiter wirken sich auch Verbrauchsteuern auf Agrarerzeugnisse, wie die Umsatzsteuer, mittelbar auf den Landwirt aus, wenn ihm die Überwälzung auf die Endverbraucher oder Händler nicht gelingt. Eine Behinderung kann somit nicht jede Beeinflussung sein, wenn nicht die Steuersouveränität der Mitgliedstaaten im Agrarbereich gänzlich entfallen soll. Für den Gerichtshof genügt daher nicht schon die potentielle Möglichkeit einer Behinderung, vielmehr muss eine tatsächliche Behinderung 84 eintreten, die vom nationalen Gericht festzustellen ist. Damit erhebt der Gerichtshof weniger strengere Anforderungen für die Vereinbarkeit einer nationalen Abgabe als, wie oben erwähnt, bei einer spezifischen Agrarmaßnahme, bei der schon die Gefährdung, somit die Möglichkeit einer Behinderung, der Ziele und des Funktionierens der gemeinsamen Marktorganisationen eine Zulässig85 keit ausschließt. Der Gerichtshof respektiert damit die Abgabensouveränität der Mitgliedstaaten und führt zur Begründung ausdrücklich aus: „Es ist daher nicht Zweck der gemeinsamen Agrarpolitik, die in der Landwirtschaft tätigen Personen gegen die Wirkungen einer nationalen Einkommenspolitik abzuschirmen. Auch dient die Festsetzung gemeinsamer Preise im Rahmen der gemeinsamen Marktorganisationen nicht dazu, den Agrarerzeugern unabhängig von allen von den nationalen Behörden auferlegten Abgaben bestimmte Nettopreise zu garan86 tieren.“
Hinsichtlich der Preisbildungsmechanismen sah der Gerichtshof eine Behinderung erst als gegeben an, wenn sich die nationale Abgabe spürbar auf das 87 Niveau der Marktpreise auswirkt. Dies wäre der Fall, wenn die Abgabe die ___________ 83
Vgl. EuGH Rs. C-355/00, Freskot AE, ABl. EG 2003 Nr. C 171, S. 2 f. [1. Entscheidungsgrund]. 84 Ständige Rechtsprechung EuGH Rs. 36 und 71/80, Irish Creamery Milk Suppliers Association, Slg. 1981, S. 735 Rn. 19, 24, wobei er ausdrücklich die vom Kläger geltend gemachte potentielle Wirkung (Rs. 36 und 71/80, Slg. 1981, S. 735 Rn. 16) als unzureichend ablehnte. Dem Urteil folgend EuGH Rs. 297/82, Samvirkende Danske Landboforeninger, Slg. 1983, S. 3299 Rn. 17; Rs. 222/82, Apple and Pear, Slg. 1983, S. 4083 Rn. 31; Rs. C-235/90, Aliments Morvan, Slg. 1991 I, S. 5419 Rn.12. 85 Siehe § 8 C. 86 EuGH Rs. 36 und 71/80, Irish Creamery Milk Suppliers Association, Slg. 1981, S. 735 Rn. 13; Rs. 297/82, Samvirkende Danske Landboforeninger, Slg. 1983, S. 3299 Rn. 8. Der Gerichtshof folgte damit der Ansicht der Europäischen Kommisssion (vgl. EuGH Rs. 297/82, Samvirkende Danske Landboforeninger, Slg. 1983, S. 3299 [3313]. 87 EuGH Rs. 297/82, Samvirkende Danske Landboforeninger, Slg. 1983, S. 3299 Rn. 14.
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3. Teil: Europarechtliche Zulässigkeit
von den Marktorganisationen bezweckten Einkommenssteigerungen gezielt 88 und vollständig wieder abschöpft. Nähere Ausführungen zu sonstigen Behinderungsmöglichkeiten machte nur die Europäische Kommission in ihrer Stel89 lungnahme zum Fall Irish Creamery Milk Suppliers Association. Sie erachtete eine Abgabe für unzulässig, wenn sie die Produktion oder das Recht zum Verkauf auf dem Markt beschränkt oder einen Preisstop zur Folge hat, der die Erzielung der durch die Marktorganisation vorgesehenen Preise unmöglich mache. Im Ergebnis kommt diese Beurteilung der Dogmatik im Deutschen Recht sehr nahe, wonach erdrosselnde Abgaben, welche den Abgabenschuldner übermäßig belasten, seine Vermögensverhältnisse grundlegend beeinträchtigen und bei denen sich die Ausübung eines Berufes nicht mehr lohnen würde, ver90 fassungswidrig sind. Damit lässt sich festhalten, dass eine Beeinflussung des Preisniveaus noch keine Behinderung der Preismechanismen darstellt, solange die Interventionspreise ungehindert eingreifen und ihren Zweck, ein Preisniveau in Höhe der Richtpreise zu schaffen, noch erfüllen können. Die Maßstäbe bei den Preisbildungsmechanismen sind auf die Direktzahlungen zu übertragen, die sich mit den Reformbemühungen zu einem wesentlichen Instrument der Gemeinsamen Agrarpolitik entwickelt haben. Auch bei den Direktzahlungen und Reformbemühungen gilt, dass nicht jede Beeinflussung die Unzulässigkeit zur Folge hat, da die Gemeinsame Agrarpolitik gerade nicht bezweckt, die Landwirte von der nationalen Einkommenspolitik abzuschirmen. Eine Abgabe darf die Einkommensunterstützung für die Landwirte und die allgemeine Umgestaltung des Agrarbereichs zu einer qualitätsbewussten, umweltverträglichen Landwirtschaft nur nicht unangemessen beeinträchtigen. Dies wäre der Fall, wenn eine nationale Abgabe bezweckt, die gemeinschaftsrechtlichen Direktzahlungen vollständig abzuschöpfen. Gleichfalls nicht mehr mit der Gemeinsamen Agrarpolitik zu vereinbaren, ist eine Abgabe, welche den Reformbemühungen explizit entgegenwirkt.
2. Änderung der Grundsteuer Die Grundsteuererhebung beeinflusst sowohl die Preisbildung auf der Produktions- und Großhandelsstufe als auch die Struktur der landwirtschaftlichen Betriebe. Die Steueranhebung für konventionelle Betriebe erhöht deren Produktionskosten, was eine Anpassung der Erzeugerpreise erfordern kann, wenn ___________ 88
EuGH Rs. 297/82, Samvirkende Danske Landboforeninger, Slg. 1983, S. 3299 Rn. 10 und die diesbzgl. Stellungnahme der Europäischen Kommission, S. 3313. 89 EuGH Rs. 36 und 71/80, Slg. 1981, S. 735, 745. 90 BVerfGE 14, S. 221 [241]; 30, S. 250 [272]; 38, S. 61 [102]; 70, S. 219 [230]; 87, S. 153 [169].
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der Landwirt die Kosten nicht anderweitig einspart. Die Differenzierung der Steuersätze zwischen ökologisch und konventionell bewirtschafteten Flächen bezweckt, konventionelle Landwirte zu einer verstärkten Umstellung ihrer Bewirtschaftung auf den ökologischen Landbau anzuregen. Damit beabsichtigt sie eine Strukturänderung der Betriebe. Sowohl der Einfluss auf die Preisbildung als auch die Strukturänderungen führen allerdings nur zur Unzulässigkeit der Grundsteueränderungen, wenn sie das Funktionieren der Preisbildungsmechanismen und Direktzahlungen in den gemeinsamen Marktorganisationen sowie die allgemeinen Reformbemühungen tatsächlich und spürbar beeinträchtigen. Der Grundsteuervorschlag würde zwar die Produktionskosten für konventi91 onelle Landwirte um durchschnittlich 883 € erhöhen. Eine Steuermehrbelastung von 4,3 Prozent des durchschnittlichen Gewinns von 27.112 € erdrosselt konventionelle Landwirte aber noch nicht und beschränkt nicht die Preisbildung oder den Verkauf ihrer Erzeugnisse. Die bestehenden Interventionspreise können eingreifen, wenn der Marktpreis auf das Interventionsniveau absinken sollte. Die Marktpreise können sich ungehindert bilden. Zwar würden die konventionellen Landwirte bei gleich bleibenden Interventionspreisen netto weniger erhalten. Das Preisbildungssystem bezweckt aber nach ausdrücklicher Feststellung des Gerichtshofes und der Kommission nicht, den Landwirten bestimmte Nettopreise zu sichern. Sie sind vielmehr generelle Marktstützungen. Da die differenzierende Grundsteuer nicht gezielt und vollständig die Interventionspreise abschöpft, ist insgesamt keine spürbare Behinderung der Preismechanismen ersichtlich. Gleiches gilt für die Direktzahlungen und Reformbemühungen. Die Mehrbelastung konventioneller Landwirte schmälert zwar die finanzielle Förderung der Landwirte durch Direktzahlungen, braucht diese Förderungen aber nicht auf. In den Jahren 2003/04 erhielten konventionelle Betriebe Direktzahlungen 92 von durchschnittlich 345 €/ha (ohne Investitionsbeihilfen). Bei einer durch93 schnittlichen Produktionsfläche von 66,8 ha betrug die Förderung für den gesamten Betrieb 23.046 €. Die Grundsteuer bezweckt nicht, die Direktzahlungen abzuschöpfen oder deren teilweise implementierte Lenkungswirkung abzuschwächen. Vielmehr will die Änderung zu einer stärkeren Umstellung auf den 94 ökologischen Landbau gemäß der EG-Ökolandbau-Verordnung anregen, indem sie die umweltbelastendere Bewirtschaftungsform stärker besteuert. Dies entspricht sowohl dem europarechtlich in Art. 174 Abs. 2 EGV gebotenen ___________ 91
Siehe § 5 C. Bundesregierung, Agrarbericht 2005, Übersicht 13 (S. 29). 93 Bundesregierung, Agrarbericht 2005, Übersicht 13 (S. 29). 94 RL 2092/91/EWG, ABl. EG 1991 Nr. L 198, S. 1 ff. 92
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3. Teil: Europarechtliche Zulässigkeit
Verursacherprinzip als auch der ökologischen Ausrichtung der Direktzahlun95 gen, bei denen Art. 3 ff. der Verordnung 1782/2003/EG eine Verknüpfung mit allgemeinen oder spezifischen Umweltauflagen vorsieht. Sie entspricht weiterhin dem Gemeinschaftsrahmen für Agrarbeihilfen, bei dem die Kommission allein die steuerliche Begünstigung der Intensivlandwirtschaft für proble96 matisch erachtet. Eine Grundsteueränderung würde nicht die Direktzahlungen behindern, sondern vielmehr die allgemeinen Reformbemühungen der Gemeinschaft unterstützen. Insgesamt ist die vorgeschlagene, ökologische Ausrichtung der Grundsteuer mit der Gemeinsamen Agrarpolitik zu vereinbaren.
3. Änderung der Umsatzsteuer Die Umsatzsteuer soll den privaten Konsum besteuern. Da sie aber steuertechnisch bei den Unternehmern, Händlern und Landwirten erhoben wird, kann eine misslungene Überwälzung oder ein Umsatzrückgang auch die Preisbildung auf der Produktions- und Großhandelsstufe beeinflussen. Weiterhin wirkt sich die Umsatzsteuer auf die Produktionsstufe aus, soweit der Landwirt als Direktvermarkter seine Produkte selber an den Endverbraucher verkauft und die Einzelhandelsebene mit der Produktionsstufe zusammenfällt. Somit kann die Umsatzsteuer die Preisbildung auf der Produktions- und Großhandelsstufe zwar nicht generell, aber im Ausnahmefall beeinflussen. Hinsichtlich der Struktur der landwirtschaftlichen Betriebe ist eine Einflussnahme eindeutig zu bejahen, da mit den Vorschlägen gerade der Anteil ökologisch wirtschaftender Betriebe erhöht und der konventionelle Anteil reduziert werden soll. Eine Strukturänderung ist Ziel der Abgabe. Sowohl die beabsichtigten Strukturänderungen als auch die nicht auszuschließende Einflussnahme auf die Preisbildung stehen einer Vereinbarkeit der Umsatzsteueränderungen mit der Gemeinsamen Agrarpolitik nur entgegen, wenn sie die Preisbildungsmechanismen und Direktzahlungen innerhalb der gemeinsamen Marktorganisationen wie auch die generellen Reformbemühungen behindern. Eine mögliche Beeinflussung der Preisbildung ist noch keine Behinderung der Mechanismen, solange die erhöhte Umsatzsteuer für konventionelle Erzeugnisse nicht die Preisbildung oder den Verkauf dieser Erzeugnisse verhindert oder die mit den Interventionspreisen gewährten Vorteile abschöpft. Derartige Folgen sind bei einer Anhebung um 9 Prozent auf den ansonsten für die meisten Produkte geltenden Normalsatz von 16 Prozent nicht ___________ 95
ABl. EG 2003 Nr. L 270, S. 1 ff. Kommission (EG), Gemeinschaftsrahmen für staatliche Beihilfen im Agrarsektor, ABl. EG 2000 Nr. C 28, S. 2 ff., Nr. 5.5.4. 96
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anzunehmen. Die Verbraucherpreise für Agrarerzeugnisse sind in den letzten Jahrzehnten im Vergleich zu sonstigen Konsumgütern und der Lohnentwick98 lung stetig gesunken. Eine Erhöhung um 9 Prozent würde diese Entwicklung etwas ausgleichen, ohne die Produkte übermäßig zu verteuern. Da es für konventionelle Produkte, außer den noch teueren, ökologischen Waren, keine konkurrierenden Alternativen gibt, ist kein Grund ersichtlich, warum die Landwirte und Händler die Umsatzsteuer nicht vollständig an den Endverbraucher weitergeben können. Insoweit werden sich die Nettopreise und Einkommen der Landwirte kaum negativ verändern. Die beabsichtigte Verlagerung von Verkaufsanteilen auf ökologische Agrarerzeugnisse, wird in Anbetracht der bestehenden Preisunterschiede nicht so stark ausfallen, dass die konventionellen Landwirte nicht mehr ihre Produkte angemessen verkaufen könnten. Sollten die Landwirte durch die Marktlage gezwungen sein, statt an den Händler an die Interventionsstelle zu verkaufen, so ist dies im Übrigen genau der Fall, für den 99 die Interventionsmechanismen geschaffen wurden. Somit ist eine Behinderung der Preisbildungsmechanismen nicht ersichtlich. Auch hinsichtlich der Direktzahlungen ist keine Behinderung anzunehmen. Zwar kann die Umsatzsteuererhöhung für konventionelle Landwirte Einkommenseinbußen hervorrufen, wenn die Überwälzung misslingt oder der Absatz zurückgeht, und insofern den Zielen der Direktzahlungen entgegenwirken. Wie der Gerichtshof aber betont, bezweckt die gemeinsame Agrarpolitik nicht, den Landwirten ein bestimmtes Mindesteinkommen zu sichern oder sie von der nationalen Fiskalpolitik freizustellen. Erst eine unmittelbare Anknüpfung oder eine beabsichtigte Abschöpfung der Direktzahlungen wären als Behinderung anzusehen. Beides ist indes mit der Umsatzsteueränderung nicht beabsichtigt und auch nicht möglich, da sie die Endverbraucher belastet und die herstellenden Landwirte allenfalls mittelbar betrifft. Die mit dem Änderungsvorschlag auch bezweckten Strukturänderungen in der Landwirtschaft widersprechen nicht den Reformbemühungen der Gemeinschaft, da die Besserstellung der ökologischen Landwirtschaft der neueren Ausrichtung der Gemeinsamen Agrarpolitik folgt, die eine Stärkung des Ökolandbaus forciert. Die Umsatzsteueränderung führt zu einer stärkeren Anwen___________ 97
Der Europäische Gerichtshof hatte sogar eine proportionale Beschränkung der Einzelhandelsspannen nicht als Gefährdung des Preisbildungssystems angesehen, soweit diese im wesentlichen nach den Einkaufspreisen der früheren Vermarktungsstufen berechnet wird und deren Entwicklung folgt, die Vertriebs- und Einfuhrkosten des Einzelhändlers berücksichtigt und in einer Höhe festgesetzt ist, die den innergemeinschaftlichen Handel nicht behindert (vgl. EuGH Rs. 154/77, Procureur Du Roi/Dechmann, Slg. 1978, S. 1573 Rn. 23; Rs. 95 und 96/79, Kefer und Delmelle, Slg 1980, S. 103 Rn. 11). 98 Bundesregierung, Agrarbericht 2003, Tab. 2 (S. 98). 99 Vgl. Erwägungsgrund 2 und 5 der gemeinsamen Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse, VO 1255/1999/EG, ABl. EG 1999 Nr. L 160, S. 48 f.
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3. Teil: Europarechtliche Zulässigkeit
dung der EG-Ökolandbau-Verordnung 2092/91/EWG. Die geringeren aber hochwertigeren Erträge des Ökolandbaus können dem Preis- und Qualitätsverfall entgegenwirken. Die auf dem Markt erzielbaren höheren Preise tragen dazu bei, eine angemessene Lebenshaltung der Landwirte im Sinne des Art. 33 100 Abs. 1 b) EGV zu sichern. Damit wirkt sich eine ökologische Differenzierung der Umsatzsteuer, trotz ihrer gewollten Wirkung auf die Betriebsstruktur und mittelbaren Beeinflussung der Preisbildung nicht behindernd auf die Mechanismen der gemeinsamen Marktorganisationen und den Reformbemühungen aus. Vielmehr unterstützt sie die mit der Agrarreform der Europäischen Gemeinschaft angestrebte ökologische Verbesserung der Landwirtschaft.
4. Abgaben auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel Abgaben auf Dünge- bzw. Pflanzenschutzmittel erhöhen die Einkaufspreise der Landwirte für diese Mittel. Die Verteuerung der Mittel erhöht für alle Landwirte die Produktionskosten, solange sie die Mehrkosten nicht durch einen geringeren Einsatz der Mittel ausgleichen. Daneben verursachen eine geringere Nährstoffzufuhr und ein geringerer Pestizideinsatz möglicherweise Ertragsund Einkommenseinbußen. Da höhere Produktionskosten bzw. niedrigere Erträge durch höhere Produktpreise ausgeglichen werden müssen, beeinflussen die Abgaben die Preisbildung auf der Produktions- und Einzelhandelsstufe. Anders als bei der Grund- und Umsatzsteuer bezwecken die Abgaben keine Änderung der Struktur landwirtschaftlicher Betriebe oder den Anbau anderer Erzeugnisse, sondern einzig eine allgemeine Reduzierung des Nährstoffaustrages und des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln. Die Abgaben betreffen alle Landwirte, soweit sie mineralische Nährstoffe und Pflanzenschutzmittel zukaufen oder Nährstoffüberschüsse verursachen. Allerdings kann die Verteuerung der vor allem in der konventionellen Landwirtschaft wesentlich stärker eingesetzten Mittel zu einer Umstellung auf ökologische Bewirtschaftung anregen, so dass eine Strukturänderung nicht auszuschließen ist. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes verstoßen die Abgaben gegen die Gemeinsame Agrarpolitik, wenn ihr Einfluss auf die Preisbildung oder auf die Struktur der landwirtschaftlichen Betriebe das Funktionieren der Preisbildungsmechanismen und der Direktzahlungen in den Marktorga101 nisationen und die allgemeinen Reformbemühungen behindert. ___________ 100
Vgl. Erwägungsgründe zur EG-Ökolandbau-Verordnung 2092/91/EWG, ABl. EG 1991 Nr. L 198, S. 1 ff.; van Rijn, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, EUV/EGV, Art. 33 EGV Rn. 8. 101 Siehe § 8 D. II. 1.
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Die Beeinflussung der Preisbildung dürfte die Preisbildungsmechanismen der gemeinsamen Marktorganisationen nicht tatsächlich behindern, so dass die Interventionspreise nicht mehr ihre Funktion erfüllen können. Hierzu müssten die Abgaben aber die Agrarproduktion derart verteuern, dass ein Verkauf oder eine Preisbildung bei den Agrarerzeugnissen nicht mehr möglich ist bzw. die Vorteile aus den Interventionspreisen wieder vollständig abgeschöpft werden. Nutzen die Landwirte die prognostizierten Einsparpotentiale, belastet eine Abgabe von 100 Prozent auf mineralische Düngemittel die konventionellen Land102 wirte mit 2.405 €/a oder 8,8 Prozent ihres durchschnittlichen Gewinns. Eine Abgabe von 50 Prozent auf Pflanzenschutzmittel würde weiter durchschnittliche Mehrkosten von 1.335 €/a oder 4,9 Prozent des Gewinns verursachen, wenn die Landwirte gleichzeitig ihren Verbrauch um 17,5 Prozent verrin103 gern. Mehrbelastungen von insgesamt 13,7 Prozent sind zwar schon erheblich, erdrosseln aber noch nicht die Produktion und den Absatz. In Anbetracht der im Vergleich zu anderen Gebrauchsgütern sehr geringen Preise für landwirtschaftliche Produkte erscheint eine entsprechende Preissteigerung noch als durchsetzbar. Eine übermäßige Beschränkung des Verkaufs der Produkte bzw. der Preisbildung ist nicht anzunehmen. Die Abgaben sollen trotz der finanziellen Belastung nicht die Vorteile abschöpfen, die dem Landwirt aus dem Interventionssystem entstehen, sondern sie dienen einer verursachergerechten Kostentragung der Folgen einer übermäßigen Düngung und Verwendung von Pflanzenschutzmitteln. Eine Behinderung der Preisbildungsmechanismen ist im Rahmen der vorgeschlagenen Abgabenhöhen noch nicht zu befürchten. Entsprechendes lässt sich auch für die Direktzahlungen sagen. Zwar erhöhen die Abgaben die Produktionskosten der Landwirte und führen zu Ertragseinbußen. Solange die Zahlung der Direkthilfen von durchschnittlich 345 €/ha oder 104 23.046 € je Betrieb nicht gezielt und vollständig abgeschöpft werden, wirken sich nationale Abgaben nicht behindernd aus. Weiterhin muss ein Landwirt, der an seiner bisherigen Bewirtschaftungsweise festhält, schon im Rahmen der bisherigen Reform mit Einkommenseinbußen rechnen, weil die Interventionspreise abgesenkt und die Direktzahlungen mit Umweltauflagen versehen werden. Im Übrigen fördert die verursachergerechte Belastung von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln die Ziele der europäischen Umweltpolitik (Art. 174 Abs. 2 EGV), wie sie die seit 1992 eingeläutete Agrarreform auch im Bereich der Landwirtschaft verstärkt zur Durchsetzung verhelfen will. Die Vereinbarkeit mit den Reformbemühungen zeigt sich auch daran, dass sich die Europäische Kommission schon intensiver mit einer europäischen Abgabe auf Pflan___________ 102
Siehe § 7 B. I. 2. Siehe § 7 B. II. 3. 104 Bundesregierung, Agrarbericht 2005, Übersicht 13 (S. 29). 103
3. Teil: Europarechtliche Zulässigkeit
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zenschutzmittel befasst hat und sie als ein Mittel der zukünftigen europäischen 105 Umweltpolitik in Betracht zieht. Die Abgabenvorschläge behindern nicht die Mechanismen der Marktorganisationen und die Reformbemühungen im Bereich der Gemeinsamen Agrarpolitik. Bleiben die Abgabensätze im Rahmen der Vorschläge, sind sie mit der Gemeinsamen Agrarpolitik zu vereinbaren.
E. Unzulässigkeit von Beihilfen gemäß Art. 87 EGV Der Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft definiert den Begriff der Beihilfe nicht näher, so dass die Auslegung des Europäischen Gerichtshofes große Bedeutung erlangt. Der Gerichtshof, die Kommission und Teile der Literatur verstehen den Begriff der Beihilfe sehr weit und erstrecken ihn nicht nur auf auszahlende Subventionen, sondern auch auf sogenannte Verschonungssubventionen wie Befreiungen und Ermäßigungen von Abgaben und 106 Steuern. Auf eine abschließende Definition verzichtet man aber, um staatli107 chen Umgehungsmaßnahmen nicht Tür und Tor zu öffnen. Wichtig ist allein, 108 dass ein geldwerter Vorteil ohne Gegenleistung gewährt wird. Allerdings beschränkt sich der Tatbestand von Art. 87 Abs. 1 EGV auf staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen, die bestimmte Unternehmen oder Produktionszweige begünstigen. Private Fördermaßnahmen und allgemeine Konjunkturprogramme oder Unterstützungen für die Bürger sind von dem Beihilfeverbot grundsätzlich ausgenommen. Dem Wortlaut des Art. 87 Abs. 1 EGV „Beihilfen gleich welcher Art“ folgend, fragen Rechtsprechung und Literatur bei der Einstufung einer nationalen Fördermaßnahme nicht nach den Gründen oder Zielen, sondern stellen allein auf die Wirkungen für den zwischenstaatli___________ 105
Kommission (EG), KOM (2001) 31, S. 49 und die Studien im Auftrag der Europäischen Kommission (siehe § 7 A.). 106 EuGH Rs. 173/73, Italien/Kommission, Slg. 1974, S. 709 Rn. 26/28; Rs. C-387/ 92, Banco Exterior de España, Slg. 1994 I, S. 877 Rn. 14; Rs. C-156/98, Deutschland/ Kommission, Slg. 2000 I, S. 6857 Rn. 26; Kommission (EG), ABl. 1963, S. 2235 (Parlamentsanfrage); dies. unter E.3.2. im Gemeinschaftsrahmen für staatliche Umweltschutzbeihilfen, ABl. EG 2001 Nr. C 37, S. 3 ff.; Jobs, Steuern auf Energie, S. 293 m. w. N.; v. Wallenberg, in: Grabitz/Hilf, Kommentar zur EU, Art. 92 EGV a. F. Rn. 3; Rengeling, in: Börner/Neundörfer, KSE 32, S.23 [26]; Rawlinson, in: Lenz, EGV, Art. 87 EGV Rn. 2; Cremer, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 87 EGV Rn. 7, 18. 107 v. Wallenberg, in: Grabitz/Hilf, Kommentar zur EU, Art. 92 EGV a. F. Rn. 5; Giensch, Umweltschutzbeihilfen, S. 7 m. w. N. Kritisch zu der Einzelfallpraxis des Europäischen Gerichtshofes und der in der Regel kritiklosen Übernahme durch die Literatur Wieberneit, Umweltsubventionen, S. 318 ff. 108 v. Wallenberg, in: Grabitz/Hilf, Kommentar zur EU, Art. 92 EGV a. F. Rn. 3 ff.; Oldiges, NVwZ 1996, S. 280 [281].
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chen Wettbewerb und Handel ab. Folglich sind alle Maßnahmen nach Art. 87 EGV unzulässig, die in verschiedenster Form die finanzielle Belastung, 110 welche ein Unternehmen normalerweise zu tragen hat, abschwächen.
I. Anwendbarkeit für abgabenrechtliche Ermäßigungen und Befreiungen Wie die Artikel 23, 25, 28 und 90 ff. EGV dient das Beihilfeverbot der Verwirklichung des Gemeinsamen Marktes und soll verhindern, dass der Handel zwischen den Mitgliedstaaten durch staatliche Vergünstigungen an inländische 111 Unternehmen beeinträchtigt wird. Die Vorschrift über staatliche Beihilfen ist 112 grundsätzlich neben den steuerlichen Vorschriften anwendbar, wenn ein Mitgliedstaat bestimmten Unternehmen oder Produktionszweigen abgabenrechtli113 che Vorteile gegenüber der „normalen Belastung“ einräumt. Allerdings verzichtet der Gerichtshof in der Regel auf eine Prüfung, wenn er einen Verstoß 114 gegen Art. 90 EGV festgestellt hat. Ein solcher Verstoß konnte für die vorgeschlagenen Umweltabgaben nicht festgestellt werden. Die Einbeziehung von abgaben- und steuerrechtlichen Befreiungen und Ermäßigungen in den Beihilfebegriff wirft Konflikte mit der vom Vertrag nur ___________ 109
EuGH Rs. 173/73, Italien/Kommission, Slg. 1974, S. 709 Rn. 26/28; Rs. C-241/ 94, Frankreich/Kommission, Slg. 1996 I, S. 4551 Rn. 20; Rs. C-75/97, Belgien/Kommission, Slg. 1999 I, S. 3671 Rn. 25 m. w. N.; v. Wallenberg, in: Grabitz/Hilf, Kommentar zur EU, Art. 92 EGV a. F. Rn. 5; Magiera, in: Rengeling, EUDUR, § 37 Rn. 25; Jobs, Steuern auf Energie, S. 293; Cremer, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 87 EGV Rn. 7. 110 EuGH Rs. 30/59, Steenkolenmijnen, Slg. 1961, S. 3 [43]; Rs. 72 und 73/91, Sloman Neptun, Slg. 1993 I, S. 887 Rn. 15; Rs. C-387/92, Banco Exterior de España, Slg. 1994 I, S. 877 Rn. 13; EuGH Rs. C-158/98, Deutschland/Kommission, Slg. 2000, S. I6857 Rn. 25, 30. 111 EuGH Rs. 173/73, Italien/Kommission, Slg. 1974, S. 709 Rn. 26/28; Rs. C-387/ 92, Banco Exterior de España, Slg. 1994 I, S. 877 Rn. 12; Rs. 73/79, Kommission/Italien, Slg. 1980, S. 1533 Rn. 8. 112 EuGH Rs. 73/79, Kommission/Italien, Slg. 1980, S. 1533 Rn. 9; Waldhoff, in: Calliess/Ruffert,, EUV/EGV, Art. 90 Rn. 23; Schröer-Schallenberg, in: Birk, Handbuch des europäischen Abgabenrechts, § 16 Rn. 15; Voß, in: Grabitz/Hilf, Kommentar zur EU, Art. 95 EGV a. F. Rn. 68. 113 EuGH Rs. 30/59, Steenkolenmijnen, Slg. 1961, S. 3 [43]; Rs. 72 und 73/91, Sloman Neptun, Slg. 1993 I, S. 887 Rn. 15; Rs. C-387/92, Banco Exterior de España, Slg. 1994 I, S. 877 Rn. 13; EuGH Rs. C-158/98, Deutschland/Kommission, Slg. 2000, S. I6857 Rn. 25, 30. 114 EuGH Rs. 148/77, Hansen&Balle, Slg. 1978, S. 1787 Rn. 13 f. Art. 87 EGV ist trotz Art. 36 EGV anwendbar, da der Rat in den gemeinsamen Marktorganisationen und in der Verordnung 26/62/EWG, ABl. EG 1962 Nr. 30, S. 993 ff. die Anwendbarkeit der Beihilferegeln bestimmt hat.
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3. Teil: Europarechtliche Zulässigkeit 115
wenig eingeschränkten Steuersouveränität der Mitgliedstaaten auf, da Art. 87 EGV Beihilfen nur ausnahmsweise nach den Absätzen 2 und 3 gestattet. Würde unter die Beihilfevorschrift jegliche abgabenrechtliche Differenzierung fallen, bei der Unternehmen unterschiedlich besteuert werden, käme Art. 87 EGV die Funktion eines steuerlichen Diskriminierungsverbotes zu. Ein solches Verbot ist aber ausdrücklich nur in Art. 90 bis 92 EGV aufgenom116 men. Ob Art. 87 EGV die Funktion eines Auffangtatbestands für steuerliche Diskriminierungen zukommt, ist in Anbetracht der systematischen Stellung 117 im EGV anzuzweifeln. Die zurückhaltende und lückenhafte Beschränkung von Abgaben in Art. 90 bis 92 EGV sollte nach dem Willen der Vertragsparteien ihre nationale Steuersouveränität nur soweit beschränken als es für den gemeinsamen Binnenmarkt unabdingbar ist. Die Steuerhoheit wäre aber stark eingeschränkt, wenn die Zulässigkeit einer abgabenrechtlichen Differenzierung immer von einer Entscheidung der Europäischen Kommission nach den Absät118 zen 2 und 3 des Art. 87 EGV abhängt. Darüber hinaus wirft die Feststellung einer abgabenrechtlichen Beihilfe Schwierigkeiten auf, weil hierbei der Ver119 gleichsmaßstab der „normalen Belastung“ nötig ist. Anders als bei den klassischen Subventionen, bei der jede Geldzahlung eine Beihilfe darstellt, hängt die Beurteilung von Steuerermäßigungen und -befreiungen von dem Vergleichsmaßstab ab. Eine Ausnahme von der „normalen Belastung“ ließe sich auch bei einer neuen Abgabe annehmen, wenn diese sich nicht auf alle Unter120 nehmen erstreckt. Besonders bedeutsam ist die Relativität des Vergleichsmaßstabes auf europäischer Ebene, da hier schon die allgemeinen Abgabenund Steuerbelastungen zwischen den Mitgliedstaaten divergieren. So muss, anders als bei der klassischen Subvention, eine abgabenrechtliche Entlastung nicht unbedingt einheimische Unternehmen in wettbewerbsverzerrender Weise begünstigen, sondern kann auch eine Anpassung an den europäischen Durch___________ 115
Siehe § 8 A. Kritisch insoweit Wieberneit, Umweltsubventionen, S. 324; Rodi, Subventionsrechtsordnung, S. 154 f.; U. Becker, Gestaltungsspielraum, S. 66; Soell, in: Salzwedel/Burhenne, Grundzüge des Umweltrechts, S. 635 [653]; Seidel, in: Schwarze, Integrationsrecht, S. 61 [78]; Soltész, EuZW 1998, S. 747 [751] m. w. N. 117 Soell, in: Salzwedel/Burhenne, Grundzüge des Umweltrechts, S. 635 [652]; Wieberneit, Umweltsubventionen, S. 323 f. 118 Vgl. Bleckmann/Koch, in: Ipsen/Rengeling/Mössner/Weber, Verfassungsrecht im Wandel, S. 305 [306 ff.]; Koch, Umweltbeihilfen, S. 18 f.; Rodi, Subventionsrechtsordnung, S. 159; Götz, Wirtschaftssubventionen, S. 123 f.; Seidel, NVwZ 1993, S. 105 [117]. 119 EuGH Rs. 30/59, Steenkolenmijnen, Slg. 1961, S. 3 [43]; Rs. 72 und 73/91, Sloman Neptun, Slg. 1993 I, S. 887 Rn. 15; Rs. C-387/92, Banco Exterior de España, Slg. 1994 I, S. 877 Rn. 13; EuGH Rs. C-158/98, Deutschland/Kommission, Slg. 2000, S. I6857 Rn. 25, 30. 120 Dies nehmen v. Wallenberg, in: Grabitz/Hilf, Kommentar zur EU, Art. 92 EGV a. F. Rn. 6 und Rengeling, in: Börner/Neundörfer, KSE 32, S.23 [30] an. 116
§ 8 Primärrechtliche Schranken
155
schnitt beinhalten. Insgesamt ist bei Art. 87 EGV ein Kompromiss erforderlich, der wirkliche abgabenrechtliche Wettbewerbsverzerrungen dem Beihilfeverbot unterwirft, aber nicht jede steuerliche Differenzierung untersagt und nicht die Steuersouveränität der Mitgliedstaaten aufhebt. Der Gerichtshof versucht übermäßige Einschnitte in die Steuerhoheit der 121 Staaten nach folgenden Kriterien zu vermeiden. Unter den Beihilfebegriff fasst er nur die Befreiungen und Ermäßigungen von Abgaben, die eine Sonderstellung in dem jeweiligen nationalen Abgabensystem einnehmen und nicht durch die Natur bzw. den inneren Aufbau (Wesen und Struktur) des Systems 122 gerechtfertigt sind. Damit müssen sich nur systemfremde Abgabevergünstigungen an dem Beihilfeverbot messen lassen. Im Ergebnis lehnt sich der Gerichtshof an seine Rechtsprechung zu Art. 90 EGV an, bei der sachlich gerechtfertigte Steuerbefreiungen oder -ermäßigungen zulässig sind, solange jede unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung von ausländischen Waren sowie der 123 Schutz der inländischen Produktion ausgeschlossen ist. Die Abgrenzung zwischen Differenzierungen, die dem Steuersystem entsprechen, und außerhalb des Systems stehenden Begünstigungen korrespondiert mit der deutschen Dogmatik, die zwischen subventionierender Steuervergünstigung und ein124 schränkender Tatbestandsregelung unterscheidet. Die Unterscheidung berücksichtigt, dass Steuertatbestände oftmals regelungstechnisch abstrakt und weit formuliert sind, um dann mittels korrigierender, negativer Tatbestandsmerkmale den eigentlichen Steuertatbestand zu bestimmen, ohne dass der Ge125 setzgeber mit der Grundformel einen Regeltatbestand schaffen wollte. Für die Abgrenzung ist daher entscheidend, inwieweit die Ausnahmeregelung dem zu Grunde gelegten allgemeinen Fiskal- oder Lenkungszweck der Norm dient. ___________ 121
Z. B. hat der Gerichtshof in dem Urteil EuGH Rs. C-213/96, Outokumpu, Slg. 1998, S. 1777 eine bezüglich der Herkunft und Erzeugung unterscheidende finnische Energiesteuer nicht an Art. 87 EGV, sondern einzig an Art. 90 EGV geprüft. Gleiches gilt für steuerliche Vergünstigungen bei der Branntweinsteuer in EuGH Rs. 148/77, Hansen&Balle, Slg. 1978, S. 1787, Rn. 13 f. 122 EuGH Rs. 173/73, Italien/Kommission, Slg. 1974, S. 709 Rn. 33/35; Rs. C-75/97, Belgien/Kommission, Slg. 1999 I, S. 3671 Rn. 33 f., zwar ging es in diesem Fall um Vergünstigungen innerhalb eines Sozialversicherungssystems, dieses ist aber den Steuersystemen gleichzusetzen. 123 EuGH Rs. C-213/96, Outokumpu, Slg. 1998, S. 1777 Rn. 30 ff.; Rs. 142 u. 143/80, Essevi&Salengo, Slg. 1981, S. 1413 Rn. 21; Rs. 168/78, Kommission/Frankreich, Slg. 1980, S. 347 Rn. 16 und die Rspr. zu Art. 90 EGV (siehe § 8 B. I.). 124 Frick, Steuervergünstigungen und Beihilfeverbot, S. 27 bis 30 m. w. N. 125 Lang, Steuervergünstigungen, S. 26 ff., 74 ff., 78; ders., in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 4 Rn. 20 f.; Frick, Steuervergünstigungen und Beihilfeverbot, S. 27; Strickrodt, in: Strickrodt/Wöhe/Flämig/Felix, Handwörterbuch des Steuerrechts, S. 1367. Z. B. BVerfGE 82, S. 60 [86 ff.] zur verfassungsrechtlich gebotenen Freistellung des Existenzminimums.
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3. Teil: Europarechtliche Zulässigkeit
Die Ausgestaltung hat sich regelmäßig an grundlegenden Gerechtigkeitsprinzipien, wie z. B. dem Leistungsfähigkeitsprinzip, zu orientieren. Eine weitere Einschränkung des Anwendungsbereichs von Art. 87 EGV bei Steuern und Abgaben könnte aus dem Tatbestandsmerkmal „aus staatlichen 126 Mitteln“ resultieren. Nach Ansicht des Gerichtshofes dient das Merkmal nur der Abgrenzung zu privaten Fördermaßnahmen (z. B. Sponsoring) und bedeutet nicht, „dass alle von einem Staat gewährten Vorteile unabhängig davon 127 Beihilfen darstellen, ob sie aus staatlichen Mitteln finanziert werden“. Bei Steuerbefreiungen bzw. -ermäßigungen erscheint das Tatbestandsmerkmal insofern zweifelhaft, als hier der Staat nur auf die Einnahme von Mitteln verzichtet, nicht aber Gelder verteilt. Der Europäische Gerichtshof sah deshalb bisher nur im Verzicht auf früher erhobene Steuereinnahmen, die der Staat normaler128 weise erzielt, eine Mittelgewährung. In einer neueren Entscheidung, welche eine französische Direktverkaufsabgabe für Pharmahersteller wegen der feh129 lenden Einbeziehung der Großhändler für unzulässig erklärte, hat sich der Gerichtshof aber einer wesentlich weiter gehenden Auslegung angeschlossen, 130 die auch den teilweisen Verzicht auf neu erhobene Steuern mit einbezieht. Ob dies noch mit dem Wortlaut zu vereinbaren ist, erscheint zweifelhaft. Zwar können auch neu eingeführte Abgaben Wettbewerbsverzerrungen bewirken. Es würde aber das Merkmal „aus staatlichen Mitteln“ negieren, wenn die Nichtwahrnehmung von Möglichkeiten schon ein staatlicher Mitteleinsatz wäre. Zu Ende gedacht, wäre jede Abgabe eine Beihilfe, da sie noch mehr Sachverhalte erfassen bzw. noch höher festgelegt werden könnte. Im Falle der Direktverkaufsabgabe auf Pharmahersteller hätte der Gerichtshof auch prüfen müssen, warum die Abgabe nur auf Pharmaerzeugnisse beschränkt ist und nicht z. B. auch andere direkt verkaufte Erzeugnisse erfasst. Eine so weitgehende Auslegung von Art. 87 EGV würde die Steuersouveränität der Mitgliedstaaten sehr einschränken, da sie nicht mehr frei in der Auswahl ihrer Steuergegenstände ___________ 126
Zur allgemeinen Diskussion um das Tatbestandsmerkmal vgl. Soltész, EuZW 1998, S. 747 ff. 127 EuGH Rs. C-379/98, Stromeinspeisungsgesetz, Slg. 2001 I, S. 2099 Rn. 58, wobei der Gerichtshof die Forderung der Kommission nach einer erweiternden Auslegung des Beihilfebegriffes, gestützt auf einer Analogie zu Art. 81 EGV, ausdrücklich ablehnt (Rn. 63 f.); Rs. 72 und 73/91, Sloman Neptun, Slg. 1993 I, S. 887 Rn. 19 ff.; Rs. C-52/ 97, Epifanio Viscido, Slg. 1998 I, S. 2629 Rn. 13 f. Zustimmend Mederer, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, EUV/EGV, Art. 87 EGV Rn. 24 f., 26; Soltész, EuZW 1998, S. 747 ff. mit Rechtsprechungsübersicht. 128 EuGH Rs. C-158/98, Deutschland/Kommission, Slg. 2000, S. I-6857 Rn. 8 f., 26 zu § 52 Abs. 8 EStG bezweckte Investitionstätigkeit in den neuen Bundesländern mit höheren Abschreibungsmöglichkeiten anzuregen. 129 EuGH Rs. C-53/00, Ferring/ACOSS, DVBl. 2002, S. 392 f. 130 v. Wallenberg, in: Grabitz/Hilf, Kommentar zur EU, Art. 92 EGV a. F. Rn. 6; Rengeling, in: Börner/Neundörfer, KSE 32, S.23 [30].
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wären. Da neue Abgaben erst ein Abgabensystem schaffen, ist bei der Anwendung von Art. 87 EGV sehr genau zu schauen, ob eine Ausnahme bestimmter Steuergegenstände oder -adressaten eine systemfremde Begünstigung darstellt. Insgesamt ist der Beschränkung des Beihilferechts durch den Gerichtshof auf systemfremde Befreiungen und Ermäßigungen zuzustimmen, um einen sinnvollen Ausgleich zwischen Beihilfeverbot und nationaler Steuersouveräni131 tät zu erreichen. Bei neu eingeführten Abgaben ist jedoch im Zweifel von einer systemgerechten Ausnahme auszugehen.
II. Vereinbarkeit der vorgeschlagenen Umweltabgaben mit Art. 87 EGV Lenkungsabgaben, die zu Umweltverbesserungen anregen sollen, müssen umweltbeeinträchtigendes Verhalten höher als nicht bzw. weniger beeinträchtigendes belasten. In der Entlastung umweltschonenderer Bewirtschaftungsweisen von Landwirten, wie bei der Grund- und Umsatzsteuer, oder weniger gefährlicher Betriebsmittel, wie bei der Abgabe auf Pflanzenschutzmittel, könnten jedoch Beihilfen zu sehen sein, die unter Art. 87 EGV fallen, wenn die Differenzierungen nicht den zugrunde liegenden Systemen entsprechen.
1. Änderung der Grundsteuer Die vorgeschlagene Differenzierung zwischen ökologischer und konventioneller Bewirtschaftung führt dazu, dass ökologische Landwirte eine geringere Steuerlast tragen müssen. Dies stellt nach Ansicht des Gerichtshofes eine an sich unzulässige Begünstigung bestimmter Unternehmen dar, wenn es sich um eine systemfremde Ausnahmeregelung handelt. Das gegenwärtige System der Grundsteuer kennt zwar Differenzierungen, diese sind aber nicht nach ökologi132 schen Kriterien ausgerichtet. Eine ökologische Lenkung bei landwirtschaftlichen Flächen entspricht nicht dem gegenwärtigen Grundsteuersystem und muss sich an Art. 87 EGV messen lassen. Die Implementierung ist unzulässig, ___________ 131
Befürwortend auch Wieberneit, Umweltsubventionen, S. 323; Jobs, Steuern auf Energie, S. 295; Wasmeier, Umweltabgaben und Europarecht, S. 10, 196; U. Becker, Gestaltungsspielraum, S. 66; Frick, Steuervergünstigungen und Beihilfeverbot, S. 22; Soell, in: Salzwedel/Burhenne, Grundzüge des Umweltrechts, S. 635 [653]; Seidel, in: Schwarze, Integrationsrecht, S. 61 [78]; Götz, Wirtschaftssubventionen, S. 123 f.; Palme, Nationale Umweltpolitik, S. 121 f. 132 Die unterschiedlichen Steuermesszahlen in §§ 14 und 15 GrStG begünstigen zum Einnehmen den Bau von Ein- und Zweifamilienhäusern und gleichen zum anderen die niedrigen Einheitswerte für land- und forstwirtschaftliche Flächen aus.
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3. Teil: Europarechtliche Zulässigkeit
wenn sie den Wettbewerb zu verfälschen droht und den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigt. Beide Tatbestandsmerkmale sind ein Korrektiv zum weiten Beihilfebegriff und liegen nicht zwangsläufig vor. Die Kommission muss darlegen inwieweit die Maßnahme die Wettbewerbssituation tatsäch133 lich beeinträchtigt oder hierzu geeignet ist. Die Überprüfung ist im Hinblick auf den Zweck des Art. 87 EGV zu sehen, der nationale Maßnahmen verhin134 dern soll, welche die Verwirklichung der Vertragsziele gefährden. Da die Kommission gemäß Art. 88 EGV die Beihilfen im Vorfeld überprüfen muss, reicht nach allgemeiner Ansicht die potentielle Geeignetheit zu einer Wettbe135 werbsverfälschung oder Handelsbeeinträchtigung aus. Bei der Überprüfung der Merkmale zeigt sich hier allerdings deutlich die oben angesprochene Relativität bei steuerlichen Beihilfen. Weil einige Mitgliedstaaten keine Grundsteuer kennen und insgesamt die von den Landwirten 136 zu tragende Abgabenlast unterschiedlich ist, kann man nicht sagen, dass eine Verringerung der Steuerlast für ökologische Landwirte in Deutschland, ihnen einen Wettbewerbsvorteil gegenüber ihren ausländischen Konkurrenten verschaffe. Vielmehr könnte die Absenkung auch nur die Wettbewerbsbedingungen angleichen. Ob ein verringerter Grundsteuersatz für ökologische Flächen den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigt, ist deshalb anzuzweifeln. Sollte die Kommission, die hierüber zu entscheiden hätte, trotzdem eine Beeinträchtigung annehmen, könnte sie die Differenzierung allerdings als Maßnahme zur Entwicklungsförderung eines gewissen Wirtschaftszweiges nach Art. 87 Abs. 3 c) EGV für zulässig erklären. In Anbetracht der Unsicherheiten bei Art. 87 EGV ist es empfehlenswert, die Differenzierungen für die Landwirtschaft mit einer allgemeinen, ökologisch 137 ausgerichteten Reform der Grundsteuer zu verbinden. Derartige Vorschläge existieren mit einer Flächennutzungsteuer oder Bodenwert-Flächennutzungsteuer, welche die Steuerlast nach den verschiedenen Nutzungsarten differen___________ 133
EuGH Rs. 296 und 318/82, Leeuwarder, Slg. 1985, S. 809 Rn. 23 f.; Wieberneit, Umweltsubventionen, S. 345 f., 350 f.; Leibrock, Regionalförderung, S. 80, 92; Ress, Kultur und Europäischer Binnenmarkt, S. 137; U. Becker, Gestaltungsspielraum, S. 67; Haneklaus, Regionalpolitik, S. 172; Mederer, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, EUV/ EGV, Art. 87 EGV Rn. 43. A.A. Rengeling, in: Börner/Neundörfer, KSE 32, S. 23 [31]; Rolfes, Regionale Wirtschaftsförderung, S. 93. 134 Ress, Kultur und Europäischer Binnenmarkt, S. 137 135 EuGH Rs. 730/79, Philip Morris, Slg. 1980, S. 2671 Rn. 12; Wieberneit, Umweltsubventionen, S. 353; Mederer, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, EUV/EGV, Art. 87 EGV Rn. 41; v. Wallenberg, in: Grabitz/Hilf, Kommentar zur EU, Art. 92 EGV a. F. Rn. 30; Rengeling, in: Börner/Neundörfer, KSE 32, S.23 [32]. 136 Kommission (EG), Inventar der Steuern. 137 Zum überfälligen Reformbedarf siehe § 5 A.
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zieren wollen. Zu bevorzugen ist das Konzept der Bodenwert-Flächennutzungsteuer, das sich mit der Wertanknüpfung (Einheitswert oder Bodenrichtwerte) am Leistungsfähigkeitsprinzip und mit der Nutzungsart am europarechtlich in Art. 174 Abs. 2 EGV normierten Verursacherprinzip orientiert. Die steuerliche Begünstigung ökologischer Landwirte als naturschonende Nutzung würde in dieser Systematik aufgehen und wäre keine systemfremde Ausnahme. Für eine solche grundlegende Reform wäre Art. 87 EGV nicht weiter einschlägig.
2. Änderung der Umsatzsteuer Der Vorschlag für eine ökologische Ausrichtung der Umsatzsteuer sieht vor, ökologische Agrarerzeugnisse gegenüber konventionellen Produkten niedriger zu besteuern, indem man den Steuersatz von 7 Prozent für Ökoprodukte noch weiter absenkt oder konventionelle Erzeugnisse dem Normalsatz von 16 Prozent unterwirft. Die angestrebte Begünstigung ökologischer Waren berührt Art. 87 EGV aber nur, wenn damit auch bestimmte Unternehmen begünstigt werden. Aufgrund des Vorsteuerabzugs und der gesetzlichen Überwälzung auf den privaten Käufer belastet die Umsatzsteuer nicht die Landwirte, sondern nur ihre Konsumenten. Eine Umsatzsteuerermäßigung kommt somit den Endverbrauchern zugute. Vergünstigungen für Endverbraucher fallen grundsätzlich nicht unter Art. 87 Abs. 1 EGV, es sei denn, sie begünstigen mittelbar be139 stimmte Unternehmen. Für die ökologischen Landwirte resultiert aus einem ermäßigten Umsatzsteuersatz einzig ein Wettbewerbsvorteil gegenüber den höher besteuerten konventionellen Produkten, der sich allenfalls als Umsatzsteigung mittelbar finanziell auswirkt. Wettbewerbsvorteile aufgrund einer unterschiedlichen Besteuerung von Waren sind in Art. 90 EGV ausdrücklich geregelt, wohingegen Art. 87 EGV vor allem unmittelbare Beihilfen an Unternehmen oder Produktionszweige erfasst. So legte dann auch die Europäische Kommission im bis 2001 gültigen Gemeinschaftsrahmen für staatliche Umweltbei140 hilfen bei steuerlichen Vergünstigungen für Endverbraucher nicht die strengen Anforderungen wie für Investitions- und Betriebsbeihilfen zu Grunde. Im 141 aktuellen Gemeinschaftsrahmen führt sie Umweltbeihilfen an Endverbrau___________ 138
Bizer/Lang, UBA-Texte 21/00, S. 56 ff.; Bizer/Schuckmann, in: Ewringmann, Ökologische Steuerreform, S. 137 [162 ff.]; Bizer, NuR 1995, S. 385 [389 ff.]; Rodi, ZUR 2002, S. 164 [166 ff.]. Siehe § 5 B. 139 Wasmeier, Umweltabgaben und Europarecht, S. 196; Koch, Umweltschutzbeihilfen, S. 22; Seidel, NVwZ 1993, S. 105 [117]; Mederer, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, EUV/EGV, Art. 87 EGV Rn. 32. 140 ABl. EG 1994 Nr. C 72, S. 3, S. 8 ff. (3.5.). 141 Vgl. Gemeinschaftsrahmen für staatliche Umweltschutzbeihilfen, ABl. EG 2001 Nr. C 37, S. 3 ff., Tz. 28 ff. und Tz. 42 ff.
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cher gar nicht mehr auf. Nach dem früheren Gemeinschaftsrahmen wollte die Kommission Vergünstigungen für Endverbraucher nur an Art. 87 EGV überprüfen, wenn sie spürbare, finanzielle Vorteile für bestimmte Unternehmen mit sich bringen. Aber selbst in diesem Fall erklärte die Kommission derartige Beihilfen für genehmigungsfähig, sofern sie ohne herkunftsbedingte Diskriminierung der Erzeugnisse angewandt werden, 100 Prozent der umweltbezogenen Mehrkosten nicht überschreiten und nicht gegen sonstiges Gemeinschaftsrecht verstoßen. Diese Voraussetzungen entsprechen nicht den Anforderungen, welche die Kommission bei Betriebsbeihilfen stellte, sondern dem Art. 90 EGV. Wie festgestellt, ist eine Differenzierung zwischen ökologischen und konventionellen Agrarerzeugnissen aufgrund der Anknüpfung an die EG-ÖkolandbauVerordnung 2092/91/EWG und dem dahinter stehenden Umweltschutzzweck 142 mit Art. 90 EGV zu vereinbaren. Die Umsatzsteuerdifferenzierung wäre somit auch mit Art. 87 EGV zu vereinbaren.
3. Abgaben auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel Soweit eine Abgabe auf Düngemittel mineralische Nährstoffe besteuert, den in der Landwirtschaft anfallenden Wirtschaftsdünger hingegen nicht, könnte diese Ausnahmeregelung eine Begünstigung inländischer Landwirte sein. Die Herausnahme des Wirtschaftsdüngers verzerrt indes nicht den gemeinschaftlichen Wettbewerb und beschränkt nicht den Handel, da Wirtschaftsdünger bei der Tierhaltung unvermeidbar anfällt. Die Düngung mit mineralischen Nährstoffen ist nur eine zusätzliche Düngung oder ein Ersatz für Betriebe mit ausschließlicher Pflanzenproduktion. Die Belastung mineralischer Düngemittel kann zwar den Verkauf mineralischer Nährstoffe auch aus anderen Mitgliedstaaten vermindern. Dies beruht aber allein auf der Verteuerung der Mittel und nicht auf der Freistellung des Wirtschaftsdüngers. Der mögliche Absatzrückgang wäre nicht geringer, wenn Wirtschaftsdünger auch besteuert würde, da die Landwirte ihn bei Nichtnutzung entgeltlich entsorgen müssten. Art. 87 EGV steht einer Düngemittelabgabe nicht entgegen. Die Europäische Kommission hat auch keine Schritte gegen die Abgaben in Dänemark und Schweden unternommen. Etwas anders ist die Problemlage bei der vorgeschlagenen Differenzierung einer Abgabe auf Pflanzenschutzmittel, da die Differenzierung nach der Umweltbelastung oder festgelegten Standarddosen bestimmte Hersteller von Pestiziden begünstigen könnte. Allerdings macht eine solche Differenzierung gerade das System der Abgabe aus, wenn man Pestizide gemäß dem Verursacherprinzip nach ihrer Wirkung für die Umwelt besteuern will. Niedrigere Abgabenlas___________ 142
Siehe § 8 B. I.
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ten für ungefährliche oder weniger belastende Mittel sind keine systemfremden Ausnahmen, sondern Teil der beabsichtigten Lenkungsabgabe. Die Anknüpfung an die Verursachung von Umweltgefahren setzt das gemeinschaftsrechtliche Verursacherprinzip (Art. 174 Abs. 2 EGV) um. Eine derartige Abgabe fällt somit nicht in den Anwendungsbereich von Art. 87 EGV. Art. 87 EGV steht im Ergebnis weder der vorgeschlagenen Abgabe auf mineralische Düngemittel als auch auf der differenzierenden Abgabe auf Pflanzenschutzmittel entgegen.
F. Allgemeiner Gleichheitsgrundsatz Der Europäische Gerichtshof nimmt seit längerem richterrechtlich die Existenz eines allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes neben den ausdrücklich geregelten Gleichheitssätzen in Art. 12 EGV, Art. 34 Abs. 2 UAbs. 2 EGV, Art. 90 143 EGV und Art. 141 EGV an. Er leitet das Diskriminierungsverbot als allgemein anerkannten Rechtsgrundsatz aus den speziellen Gleichheitssätzen im EGV, den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten sowie der Normierung in 144 Art. 14 EMRK her. Nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofes verlangt der Gleichheitsgrundsatz, „dass vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich und unterschiedliche Sachverhalte nicht gleich behandelt werden, sofern dies nicht ob145 jektiv gerechtfertigt ist.“ Der Gerichtshof räumt den Gemeinschaftsorganen bei der Suche nach objektiven Gründen für eine unterschiedliche oder gleiche Behandlung einen weiten Beurteilungsspielraum ein, der nur durch ein Willkürverbot begrenzt wird, so dass quasi jeder sachliche Unterschied eine Un___________ 143
Erstmals EuGH Rs. 117/76 und 16/77, Ruckdeschel, Slg. 1977, S. 1753 Rn. 7. Einen Überblick über Geschichte und Reichweite des europäischen Gleichheitsgrundsatzes geben Kischel, EuGRZ 1997, S. 1 ff. 144 EuGH Rs. C-267 und 285/88, Wiudard, Slg. 1990 I, S. 435 Rn. 13; Kischel, EuGRZ 1997, S. 1 [3]. Soweit erwogen wird, die Kompetenzvorschrift in Art. 13 EGV als ein darüber hinausgehendes Diskriminierungsverbot auszulegen, da die Ermächtigung zur Bekämpfung bestimmter Diskriminierungen ein entsprechendes diskriminierungsfreies Verhalten der Gemeinschaftsorgane voraussetze, hat sich diese Auffassung noch nicht in der Rechtswissenschaft oder beim Gerichtshof durchgesetzt (Holoubek, in: Schwarze, EUKommentar, Art. 13 EGV Rn. 9. A.A. Epiney, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 13 EGV Rn. 1 f.). 145 EuGH Rs. 117/76, Ruckdeschel, Slg. 1977, S. 1753 Rn. 7; Rs. C-267 und 285/88, Wiudard, Slg. 1990 I, S. 435 Rn. 13; Rs. C-306/93, SMW Winzersekt, Slg. 1994 I, S. 5555 Rn. 30; Rs. C-217/91, Spanien/Kommission, Slg. 1993 I, S. 3923 Rn. 37; Kischel, EuGRZ 1997, S. 1 [4].
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3. Teil: Europarechtliche Zulässigkeit 146
gleichbehandlung rechtfertigt. Anderseits prüft der Gerichtshof teilweise aber auch, ob die objektiven Gründe, welche die Ungleichbehandlung rechtfer147 tigen sollen, verhältnismäßig sind. Allerdings hat der Gerichtshof den Organen zugestanden, mögliche Harmonisierungen in Etappen vorzunehmen und 148 dadurch bedingte Ungleichbehandlungen als gerechtfertigt angesehen. Normadressaten des allgemeinen Gleichheitssatzes sind in erster Linie die 149 Gemeinschaft und ihre Organe. Die Mitgliedstaaten sind an den allgemeinen Gleichheitssatz nur soweit gebunden als der Geltungsbereich des Gemein150 schaftsvertrages die Materie noch umfasst. Rechtsgebiete, die vom Gemeinschaftsrecht ausgeklammert sind und noch der vollen Souveränität der Mitgliedstaaten unterliegen, unterfallen nicht dem gemeinschaftsrechtlichen Gleichheitssatz, andernfalls eine vertraglich nicht gewollte Harmonisierung eintreten würde. Aus der Beschränkung des allgemeinen Gleichheitssatzes auf die vertraglichen Aufgabengebiete der Gemeinschaft sowie auf gemeinschaftsrelevantes Handeln der Mitgliedstaaten folgt gleichfalls ein Vorrang der im Vertrag ausdrücklich normierten Diskriminierungsverbote, die jedoch im Lich151 te eines allgemeinen Gleichheitsgebots auszulegen sind. Im Bereich des Abgabenrechts verdrängt das abgabenrechtliche Diskriminierungsverbot in Art. 90 152 EGV das allgemeine Gleichheitsgebot.
G. Zusammenfassung Das Gemeinschaftsrecht ist für Deutschland als Mitgliedstaat bindend. Allerdings reicht die Bindung nur soweit, wie der Gemeinschaft im Rahmen der Verträge Kompetenzen übertragen wurden. Im Bereich des Steuer- und Abgabenrechts haben die Mitgliedstaaten nur sehr eingeschränkt Befugnisse zur Harmonisierung an die Gemeinschaft abgegeben. Anders verfuhren sie im Bereich der Landwirtschaft, wo sie der Gemeinschaft eine umfassende Kompetenz zur Regelung der Gemeinsamen Agrarpolitik zuwiesen. Nationale Um___________ 146
EuGH Rs. C-479/93, Francovich, Slg. 1995 I, S. 3871 Rn. 23 ff.; Rs. C-306/93, SMW Winzersekt, Slg. 1994 I, S. 5555 Rn. 31; Rs. C-217/91, Spanien/Kommission, Slg. 1993 I, S. 3923 Rn. 37 ff.; Rs. C-267 und 285/88, Wiudard, Slg. 1990 I, S. 435 Rn. 14; Rs. 43/71, Merkur, Slg. 1973, S. 1055 Rn. 22. Kischel, EuGRZ 1997, S. 1 [5]. 147 EuGH Rs. 14/76, Bela-Mühle, Slg. 1977, S. 1210 Rn. 7; Rs. 43/71, Merkur, Slg. 1973, S. 1055 Rn. 22; EuZW 1998, S. 601 Tz. 31, 34 ff. 148 EuGH Rs. C-479/93, Francovich, Slg. 1995 I, S. 3871 Rn. 25. 149 Bleckmann, Europarecht, Rn. 1780; Kischel, EuGRZ 1977, S. 1 [6]. 150 Bleckmann, Europarecht, Rn. 1780; Kischel, EuGRZ 1977, S. 1 [6 f.]. 151 Vgl. EuGH Rs. 117/76 und 16/77, Ruckdeschel, Slg. 1977, S. 1753 Rn. 7; Kischel, EuGRZ 1977, S. 1 [5 f.]. 152 Oppermann, Europarecht, Rn. 1173.
§ 8 Primärrechtliche Schranken
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weltabgaben zur Ökologisierung der Landwirtschaft müssen aufgrund ihrer Zwischenstellung mit beiden Kompetenzen im Einklang stehen, wobei im Bereich der Gemeinsamen Agrarpolitik zu beachten ist, dass sie trotz des Lenkungszwecks zuvorderst Instrumente des Abgaben- und Steuerrechts sind. Im Ergebnis lassen sich die Vorschläge zur Änderung der Grund- und Umsatzsteuer sowie zur Einführung von Abgaben auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel mit dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, insbesondere den Art. 90, 32 ff., 87 EGV, vereinbaren. Die Vorschläge erfüllen die Anforderungen des abgabenrechtlichen Diskriminierungsverbotes in Art. 90 EGV. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes ist eine Differenzierung aufgrund objektiver Kriterien zulässig, zu denen auch ökologische Gesichtspunkte zählen, soweit die Abgabe keine diskriminierende Wirkung aufweist. Um letzteres sicherzustellen, ist es geboten, bei der ökologischen Modifizierung der Umsatzsteuer an die europaweit einheitliche Klassifizierung von ökologischen Agrarerzeugnissen durch die EG-ÖkolandbauVerordnung 2092/91/EWG anzuknüpfen. Ähnliches gilt für eine nach der Umweltbelastung differenzierende Abgabe auf Pflanzenschutzmittel. Sie sollte die Gefährlichkeit der Mittel anhand der Richtlinie 67/548/EWG über die Einstufung gefährlicher Stoffe bestimmen. Obwohl die Gemeinschaft von ihren landwirtschaftlichen Regelungsbefugnissen sehr weitgehend Gebrauch gemacht hat, befreit die Gemeinsame Agrarpolitik die Landwirte nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofes nicht von der nationalen Fiskalpolitik. Eine abgaben- und steuerrechtliche Belastung ist möglich, solange diese nicht durch ihren Einfluss auf die Preisbildung oder die Struktur der landwirtschaftlichen Betriebe das Funktionieren der in den Marktorganisationen vorgesehenen Mechanismen behindert. Zwar haben die Vorschläge durchaus Einfluss auf die Erzeugerpreise und sollen, wie im Falle der Grund- und Umsatzsteueränderung, die Struktur der Betriebe verändern. Eine Behinderung der in den Marktorganisationen vorgesehenen Interventionspreisregelungen, der Direktzahlungen und der angestrebten Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik konnte jedoch bei keinem der Vorschläge festgestellt werden. Mit ihrer ökologischen Zielrichtung unterstützen sie vielmehr die agrarpolitischen Reformbestrebungen der Gemeinschaft. Allerdings darf die Abgabenbelastung nicht so hoch sein, dass die Abgaben die gemeinschaftsrechtlich gewährten Förderungen vollständig aufbrauchen. Bei den empfohlenen Steuersätzen besteht diese Gefahr nicht. Grundsätzlich unterfallen Abgaben auch der gemeinschaftsrechtlichen Beihilferegelung, da Abgabenbegünstigungen nach allgemeinem Verständnis Beihilfeformen sind, wenn sie bestimmte Unternehmen oder Produktzweige fördern. Um die Abgabensouveränität der Mitgliedstaaten jedoch nicht über die Maße einzuschränken, nimmt der Europäische Gerichtshof Befreiungen, Ermäßigungen und sonstige Differenzierungen von Art. 87 EGV aus, wenn sie dem
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3. Teil: Europarechtliche Zulässigkeit
inneren Aufbau und dem Wesen der jeweiligen Steuer entsprechen. Eine ökologische Differenzierung von Landwirten sollte deshalb bei der Grundsteuer mit einer umfassenden ökologischen Ausrichtung einhergehen. Bei der Umsatzsteuer kann hingegen eine Differenzierung der Steuersätze für ökologische und konventionelle Agrarerzeugnisse auch singulär eingeführt werden, da die Umsatzsteuer den Endverbraucher belastet und Unternehmen allenfalls mittelbar begünstigt oder benachteiligt und die Änderung mit dem Diskriminierungsverbot in Art. 90 EGV zu vereinbaren ist. Gleichfalls unproblematisch ist eine undifferenzierte Abgabe auf Düngemittel wie auch eine nach Gefährlichkeit differenzierende Abgabe auf Pflanzenschutzmittel, da die Differenzierung gerade die Systematik einer solchen Abgabe ausmacht.
§ 9 Abkommen im Rahmen der World Trade Organisation Seit 1947 sind die internationalen Handelsbeziehungen Deutschlands und später der europäischen Gemeinschaft durch das GATT-Abkommen geregelt. 1995 überführte man das Abkommen in die neu gegründete World Trade Organisation (WTO). Völkerrechtliche Abkommen, welche die Europäische Gemeinschaft abschließt, sind gemäß Art. 300 Abs. 7 EGV grundsätzlich sowohl für die Organe der Gemeinschaft als auch für Deutschland als Mitglied der Europäischen Gemeinschaft verbindlich. Die Abkommen gehen dem gemein1 schaftlichen Sekundärrecht und dem Recht der Mitgliedstaaten vor. Als „in2 tegrierender Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung“ erlangen völkerrechtliche Abkommen der Gemeinschaft in Deutschland grundsätzlich wie das 3 Europarecht über Art. 23 GG Geltung. Hinsichtlich der Abkommen im Rahmen der WTO hat der Europäische Gerichtshof aber eine unmittelbare Anwendbarkeit abgelehnt. Er begründet dies mit der Intention der Abkommen, die auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit beruhen sowie mit den vorgesehenen Streitschlichtungsmechanismen, die eine Verletzung der Abkommen vor allem im Wege der Verhandlung ausräumen 4 sollen. Nach Ansicht des Gerichtshofes entstünde bei einer unmittelbaren Geltung ein Ungleichgewicht zwischen den Handelspartnern, da die anderen 5 WTO-Mitglieder eine unmittelbare Anwendung ablehnen. Eine verbindliche Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes würde den Gemeinschaftsor6 ganen den Spielraum nehmen, über den die Handelspartner noch verfügen. Eine Ablehnung der unmittelbaren Geltung entspricht auch dem 11. Erwägungsgrund des europäischen Ratsbeschlusses zur Genehmigung der WTO-Abkom___________ 1
Hahn, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 133 Abs. 69, 71; Prieß/Berrisch, in: Prieß/Berrisch, WTO-Handbuch, S. 760. 2 EuGH Rs. 21-24/72, International Fruit, Slg. 1972, S. 1219 Rn. 14/18; Rs. 181/ 73, Haegeman, Slg. 1974, S. 449 Rn. 2/6. 3 Streinz, in: Sachs, GG, Art. 32 Rn. 9b; Prieß/Berrisch, in: Prieß/Berrisch, WTOHandbuch, S. 760. 4 EuGH Rs. C-149/96, Portugal/Rat, Slg. 1999 I, S. 8395 Rn. 36 ff., 47; Rs. C300/98 und C-392/98, Dior u. a., Slg. 2000 I, S. 11307 Rn. 43 f.; Rs. 307/99, OGT Fruchthandelsgesellschaft, Slg. 2001 I, S. 3159 Rn. 24 f.; Rs. C-377/98, Niederlande/Parlament-Rat, Slg. 2001 I, S. 7079 Rn. 52 f. 5 EuGH Rs. C-149/96, Portugal/Rat, Slg. 1999 I, S. 8395 Rn. 44 f. 6 EuGH Rs. C-149/96, Portugal/Rat, Slg. 1999 I, S. 8395 Rn. 46.
3. Teil: Europarechtliche Zulässigkeit
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men. Im Ergebnis nimmt der Gerichtshof eine Überprüfungskompetenz nur in den Fällen an, bei denen die Gemeinschaft bestimmte, im Rahmen der WTO übernommene Verpflichtungen umsetzt oder Gemeinschaftsmaßnahmen aus8 drücklich auf spezielle Bestimmungen der WTO-Abkommen verweisen. Für die Abgabenvorschläge resultieren deshalb aus den WTO-Abkommen keine rechtlichen Schranken. Um Konflikte mit den Handelspartnern zu vermeiden, sollte man bei dem Erlass der Lenkungsabgaben das abgabenrechtliche Diskriminierungsverbot in Art. III Abs. 1 und 2 des Allgemeine Zoll- und Han9 10 delsabkommen von 1994 (GATT), dessen Auslegung durch den Panel weitgehend der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zu Art. 90 EGV 11 entspricht, und das Übereinkommen über die Landwirtschaft mit seiner Senkungsverpflichtung hinsichtlich der Agrarsubventionen beachten.
___________ 7
EG-Ratsbeschluß 94/800/EG, ABl. EG 1994 Nr. L 336, S. 1 ff. EuGH Rs. C-149/96, Portugal/Rat, Slg. 1999 I, S. 8395 Rn. 49. 9 www.wto.org; deutsche Übersetzung in EG-Ratsbeschluß 94/800/EG, ABl. EG 1994 Nr. L 336, S. 11 ff. 10 Vgl. Panel-Entscheidung, EC – Measures Affecting Asbestos, www.wto.org (WT/ DS135/AB/R), Tz. 80, 100; Panel-Entscheidung, United States – Measures Affecting Alcoholic and Malt Beverages, BISD 39th S, S. 206 Tz. 5.74 ff. 11 Agreement on agricultur, www.wto.org; deutsche Übersetzung in EGRatsbeschluß 94/800/EG, ABl. EG 1994 Nr. L 336, S. 22 ff. 8
§ 10 Sekundärrechtliche Schranken Die Organe der Gemeinschaft erlassen in Form von Verordnungen, Richtlinien und Entscheidungen umfangreiche Regelungen, welche die Mitgliedstaaten nach dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft binden. Die abgeleiteten Rechtssätze gelten in Form der Verordnung und Entscheidung unmittelbar. Richtlinien bedürfen hingegen noch eines nationalen Umsetzungsaktes, wobei der nationale Gesetzgeber aber an den gemeinschaftsrechtlichen Rahmen gebunden ist. Für die Vereinbarkeit der einzelnen Abgabenvorschläge zur Ökologisierung der Landwirtschaft kommt es auf die jeweiligen einschlägigen Gemeinschaftsakte an, die aufgrund der unterschiedlichen Regelungsmaterien und -mittel verschieden sind, weshalb eine gemeinsame Prüfung nicht möglich ist. Die im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik erlassen Verordnungen und Richtlinien wurden schon bei Art. 32 ff. EGV angesprochen und stehen den Vorschlägen nicht entgegen. Für die Änderung der Grundsteuer existiert kein weiteres sekundäres Gemeinschaftsrecht, das einer Differenzierung nach ökologischer und konventioneller Bewirtschaftung zuwiderlaufen könnte. Insbesondere die EG-Ökolandbau-Verordnung 2092/91/EWG, an die eine Differenzierung anknüpfen sollte, steht einer solchen Förderung der ökologischen Landwirt1 schaft nicht entgegen. Die Umsatzsteueränderung muss sich hingegen an der 2 6. EG-Umsatzsteuer-Richtlinie messen lassen. Sonstige Rechtsvorschriften, wie die einbezogene EG-Ökolandbau-Verordnung 2092/91/EWG und die Ver3 brauchsteuer-Richtlinie 92/12/EWG , haben keine Auswirkungen auf die Umsatzsteuer und untersagen nicht die Förderung ökologischer Agrarerzeugnisse. Die weitaus meisten Vorschriften sind bei den neu einzuführenden Abgaben auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel zu beachten, da die Europäische Gemeinschaft zum einen Verbrauchsabgaben sehr detailliert geregelt, zum anderen zur Harmonisierung der nationalen Vorschriften umfangreiche Richtlinien zur Zusammensetzung, Kennzeichnung und Verpackung von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln wie auch zum Schutz der Umwelt vor Klärschlämmen und Nitraten erlassen hat. ___________ 1
Art. 12 der EG-Ökolandbau-Verordnung erklärt nur ein Verbot oder eine Beschränkung der Vermarktung von als ökologisch gekennzeichneten Produkten für unzulässig. 2 RL 77/388/EWG, ABl. EG 1977 Nr. L 145, S. 1 ff. in ihrer aktuellen Fassung. 3 ABl. EG 1992 Nr. L 76, S. 1 ff.
3. Teil: Europarechtliche Zulässigkeit
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A. Änderung der Umsatzsteuer Das Umsatzsteuerrecht ist infolge der ausgeübten Harmonisierungskompetenz der Europäischen Gemeinschaft (Art. 93 EGV) weitgehend durch das sekundäre Europarecht vorgegeben. Die betreffende 6. EG-Umsatzsteuer-Richt4 linie enthält in Art. 12 Abs. 3, 4 und 5 sowie Art. 25 Regelungen, welche den Änderungsvorschlag betreffen. Soweit bei der Ausarbeitung erwogen wurde, ökologische Erzeugnisse gänzlich von der Umsatzsteuer zu befreien, ist dies 5 aufgrund der abschließenden Aufzählung von befreiten Waren in Art. 13 ff. der 6. EG-Umsatzsteuer-Richtlinie ausgeschlossen. Eine Befreiung wäre aufgrund des fehlenden Vorsteuerabzuges auch nicht empfehlenswert.
I. Regelung der ermäßigten Steuersätze in Art. 12 Abs. 3 a) und 4 i. V. m. Anhang H der 6. EG-Umsatzsteuer-Richtlinie Art. 12 Abs. 3 a) der 6. EG-Umsatzsteuer-Richtlinie bestimmt, dass der normale Umsatzsteuersatz nicht niedriger als 15 Prozent sein darf und nur zwei ermäßigte Sätze zulässig sind, die mindestens 5 Prozent betragen müssen. Weiter schränkt die Richtlinie die Gegenstände, bei denen ein ermäßigter Satz zulässig ist, auf die in Anhang H aufgezählten Kategorien ein. Aus dieser Bestimmung resultiert jedoch keine Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die Gegen6 stände des Anhanges H einem ermäßigten Satz zu unterwerfen. Sie müssen, wenn sie die Option wahrnehmen, auch nicht alle Gegenstände einer Kategorie 7 ermäßigen. Die Mitgliedstaaten könnten somit innerhalb der in Anhang H aufgezählten Steuergegenstände differenzieren. Die Kategorien 1 und 10 des Anhanges H umfassen Nahrungs- und Futtermittel, lebende Tiere, Saatgut, Pflanzen und damit die meisten der in der Anlage zu § 12 Abs. 2 UStG aufgezählten 8 landwirtschaftlichen Erzeugnisse. Einzig die in den Nummern 6 bis 9 der Anlage genannten Erzeugnisse fallen unter keine Kategorie des Anhangs H, sondern sind mit Art. 28 Abs. 2 i) der 6. EG-Umsatzsteuer-Richtlinie einer Über___________ 4
Ursprungstext 77/388/EWG, ABl. EG 1977 Nr. L 145, S. 1 ff. Konsolidierte Fassung ist unter www.europa.eu.int veröffentlicht. 5 EuGH Rs. 203/87, Kommission/Italien, Slg 1989, S. 371 Rn. 9. 6 Kommission (EG), KOM (94) 584, S. 12.; dies., KOM (97) 559, S. 8 f.; Lohse, in: Rau/Dürrwächter, UStG, Art. 12 der 6. MwSt-RL. 7 Kommission (EG), KOM (94) 584, S. 12. 8 Der Kategorie 1 des Anhanges H lassen sich die Nr. 1-5, 10-33, 35-44, 46 und 47 der Anlage zum UStG, der Kategorie 10 die Nr. 45 und 23 der Anlage zuordnen. Die in Folge der Einführung des Art. 28 Abs. 2 i) 6. EG-Umsatzsteuer-Richtlinie nicht mehr zulässigen Gegenstände wurden schon herausgenommen. Vgl. Langer, in: Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, Art. 12 6. EG-RL S. 7; Huschens, UVR 1996, S. 257 [260]; Schlienkamp, UR 1996, S. 287 ff.; Lohse, in: Rau/Dürrwächter, UStG, Art. 12 der 6. MwSt-RL.
§ 10 Sekundärrechtliche Schranken
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gangsbestimmung unterworfen. Ein ermäßigter Steuersatz auf Erzeugnisse aus ökologischem Landbau wäre daher möglich. Er müßte aber mindestens 5 Prozent betragen. Um einen größeren Steuerunterschied als 2 Prozent zu erzielen, ist es daher sinnvoller, konventionelle Erzeugnisse von dem ermäßigten Satz auszunehmen und dem Normalsteuersatz von 16 Prozent zu unterwerfen und nur ökologische Erzeugnisse ermäßigt zu besteuern. Da die Ermäßigungsmöglichkeit gemäß Art. 12 Abs. 3 a) der Richtlinie fakultativ ist, wäre die Normalbesteuerung nicht unzulässig. Im Hinblick auf die in Art. 12 Abs. 3 a) UAbs. 3 der 6. EG-UmsatzsteuerRichtlinie vorgegebenen Grenze von zwei ermäßigten Sätzen könnte es Probleme mit der Sonderregelung in § 24 Abs. 1 UStG geben, da diese zwei Durch9 schnittssätze von 5 und 9 Prozent vorsieht. Nach Ansicht des Bundesfinanzho10 fes sind die zwei Durchschnittssätze ermäßigte Umsatzsteuersätze, weshalb mit § 12 Abs. 2 UStG das Limit von 2 Sätzen derzeit überschritten ist. § 24 UStG ist zu ändern, um einer Europarechtswidrigkeit aller ermäßigten Sätze vorzubeugen. Schafft man § 24 UStG nicht ganz ab, so ist zumindest der Durchschnittssatz für landwirtschaftliche Umsätze in § 24 Abs. 1 Nr. 3 UStG 11 von 9 auf 7 Prozent abzusenken, um ihn § 12 Abs. 2 UStG anzugleichen. Für die beabsichtigte Begünstigung von ökologischen Erzeugnissen empfiehlt es sich, keinen zusätzlichen ermäßigten Satz von 5 Prozent einzuführen, sondern es bei dem Satz von 7 Prozent in § 12 Abs. 2 EGV zu belassen und dafür die konventionellen Erzeugnisse mit 16 Prozent zu besteuern. Die Normalbesteuerung konventioneller Erzeugnisse ermöglicht einen größeren Steuerunterschied und vermeidet Konflikte mit der Begrenzung der ermäßigten Steuersätze. Als zusätzliche Anforderung bestimmt Art. 12 Abs. 4 der 6. EG-Umsatzsteuer-Richtlinie, dass jeder ermäßigte Satz es ermöglichen muss, von dem Umsatzsteuerbetrag die gesamte Vorsteuer abzuziehen. Dies kann im Rahmen dieser Arbeit nicht festgestellt werden, da bei jedem landwirtschaftlichen Erzeugnis eine unterschiedliche Wertsteigerung eintritt. Es ist davon auszugehen, 12 dass der bisherige, ermäßigte Satz von 7 Prozent einen Abzug ermöglicht. Letztendlich dürfte auch die unterschiedliche Behandlung von ökologischen und konventionellen Erzeugnissen nicht von der 6. EG-Umsatzsteuer-Richtlinie untersagt werden. In ihrem 2. Bericht zur Harmonisierung der Umsatzsteu___________ 9
Zur daraus resultierenden Europarechtswidrigkeit der gegenwärtigen Ausgestaltung von § 24 UStG siehe Möckel, DStZ 2002, S. 824 [827]. 10 BFH, BStBl. II 99, S. 39 [40]; 99, S. 41 [42]; Cissée, in: Bunjes/Geist, UStG, § 24 Rn. 13 ff., 13; Hundt-Eßwein, in: Hundt-Eßwein/Schuhmann, UStG, § 24 Rn. 1, 15 ff. 11 Eine solche Reduzierung sah schon Art. 7 Nr. 9 des Regierungsentwurfs für ein Gesetz zum Abbau von Steuervergünstigungen, BT.-Drs. 15/119, S. 14, 50, vor, wurde aber im parlamentarischen Verfahren nicht umgesetzt. 12 Der Bundesrechnungshof errechnete für den Zeitraum 1991/92 eine durchschnittliche Vorsteuerbelastung pauschalierter Landwirte von 7,25 % (vgl. BT.-Drs. 13/3495).
3. Teil: Europarechtliche Zulässigkeit
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ern führt die Kommission aus, dass die Richtlinie den Grundsatz enthält, wonach auf gleichartige Gegenstände und Dienstleistungen keine unterschiedlichen Umsatzsteuersätze erhoben werden dürfen, es sei denn, diese wären durch objektive Unterschiede begründet. Ein solcher Grundsatz kann Art. 12 Abs. 5 der Richtlinie entnommen werden, der bestimmt, dass bei der Einfuhr eines Gegenstandes der gleiche Steuersatz anzuwenden ist, der für die Lieferung des gleichen Gegenstandes im Inland gilt. Die Vorschrift entspricht inhaltlich der 14 15 Regelung von Art. 90 Abs. 1 EGV. Wie bei diesem festgestellt, beruht die Unterscheidung zwischen ökologischen und konventionellen landwirtschaftlichen Erzeugnissen auf einem objektiven Differenzierungskriterium zugunsten eines legitimen öffentlichen Zwecks und ruft keine Diskriminierungen zwischen und in- und ausländischen Erzeugnissen hervor. Die Differenzierung wäre somit auch mit diesem Grundsatz zu vereinbaren. Insgesamt setzt Art. 12 der 6. EG-Umsatzsteuer-Richtlinie einer Umweltlenkung Grenzen, schließt aber eine Differenzierung zwischen ökologischen und konventionellen Erzeugnissen nicht aus, bei der für ökologische Agrarprodukte der ermäßigte Satz von 7 Prozent beibehalten wird und für konventionelle der Normalsatz von 16 Prozent gilt.
II. Gemeinsame Pauschalregelung für landwirtschaftliche Erzeuger in Art. 25 der 6. EG-Umsatzsteuer-Richtlinie Mit Art. 25 der 6. EG-Umsatzsteuer-Richtlinie wird den Mitgliedstaaten die fakultative Möglichkeit eingeräumt, für landwirtschaftliche Erzeuger mittels eines Pauschalsatzes die Vorsteuerbelastung auszugleichen. Deutschland hat mit § 24 UStG die Möglichkeit wahrgenommen. Zweck der Pauschalierung ist es, dem Landwirt einen Vorsteuerabzug zu gewähren, ohne dass dieser, wie sonst bei der Normalbesteuerung üblich, zur 16 Buchführung und zur Abgabe einer Steuererklärung verpflichtet ist. Um die gleichmäßige Erhebung der eigenen Einnahmen der Europäischen Gemein___________ 13
Kommission (EG), KOM (97) 559, S. 9. EuGH prüft Umsatzsteuersätze, die nach der Herkunft der Waren unterscheiden, an Art. 90 EGV (z. B. EuGH Rs. 278/83, Kommission/Italien, Slg. 1985, S. 2503 Rn. 12). 15 Siehe § 8 B. II. 1. 16 Kommission (EG), KOM (73) 950, S. 34 f., die diese Sonderregelung auch nur als eine Übergangsregelung zur Normalbesteuerung einführen wollte, s. S. 35, 37. Vgl. diesbezüglich die Protokollerklärung des Rates abgedruckt in: Lohse, 6. EG-Umsatzsteuer-Richtlinie, S. 131; Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses, ABl. EG 1974 Nr. C 139, S. 15; Langer, in: Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, Art 25 der 6. RL-EG Rn. 5. 14
§ 10 Sekundärrechtliche Schranken
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schaft zu sichern und Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden, sollte die Pauschalierung dem Landwirt nur einen organisatorischen Vorteil bringen, nicht 17 aber mit finanziellen Vor- oder Nachteilen verbunden sein. Nach Art. 25 Abs. 3 S. 3 i. V. m. Abs. 2 6. Gedankenstrich der 6. EG-Umsatzsteuer-Richtlinie darf der Pauschalausgleich nicht die makro-ökonomisch zu bestimmende Umsatzsteuervorbelastung der Gesamtheit aller pauschalierten 18 Landwirte überschreiten. Es ist allerdings fraglich, ob der derzeitige pauschale Vorsteuerabzug von 9 Prozent in § 24 Abs. 1 S. 3 UStG für landwirtschaftliche Umsätze den Anforderungen des Art. 25 Abs. 3 der 6. EGUmsatzsteuer-Richtlinie gerecht wird. Denn es ist erstaunlich, dass 1996 nur 19 zwei Prozent aller Landwirte für die Normalbesteuerung optierten, obwohl nach Art. 25 Abs. 3 der Ausgleich maximal die durchschnittliche tatsächliche 20 Vorsteuerbelastung erreichen darf. Ein Durchschnittswert kann aber nicht für 98 Prozent aller Landwirte die tatsächlichen Vorsteuern erstatten. Dass trotzdem so wenige Landwirte für die Normalbesteuerung optieren, lässt vermuten, dass die Ausgleichspauschale von derzeit 9 Prozent höher als die durchschnitt21 liche Vorsteuerbelastung ist. Bei einer Änderung von § 24 UStG empfiehlt es sich daher, die Vorsteuerpauschale gleichfalls auf 7 Prozent des Umsatzes abzusenken, wenn man § 24 UStG nicht besser ganz abschafft. Für eine ökologische Lenkungswirkung sollten ökologisch wirtschaftende Landwirte ihren Umsatz mit 7 Prozent versteu___________ 17
Kommission (EG), KOM (73) 950, S. 31 ff., 37. Bei Lieferungen ins Ausland verlangt Art. 91 EGV jedoch einen Ausgleich, der die tatsächlich im Einzelfall gezahlten Vorsteuern nicht überschreitet, andernfalls eine unzulässige Rückvergütung vorliegt (Möckel, DStZ 2002, S. 824 ff.). 19 Wurzer, BB 1998, S. 1396 [1397]. 20 Vgl. Kommission (EG), KOM (73) 950, S. 34; KOM (83) 435, S. 14. An dieser Stelle muss hervorgehoben werden, dass die in Art. 25 Abs. 3 und 2 vorgesehene Berechnung der Pauschalausgleichs-Prozentsätze in einer Spirale gegen Null endet. Denn entspricht dieser Satz die durchschnittliche Vorsteuerbelastung aller pauschalierten Landwirte, ist er für Landwirte mit einer überdurchschnittlichen Vorsteuerbelastung zu gering. Optieren diese für die Normalbesteuerung, reduziert sich nicht nur die Anzahl der pauschalierten Landwirte, sondern auch die durchschnittliche Mehrwertsteuervorbelastung. Wird der Ausgleichssatz gemäß der neuen Entwicklung abgesenkt, lohnt es sich wiederum für Landwirte mit überdurchschnittlicher Vorsteuerbelastung nicht mehr, in der Sonderregelung zu verbleiben, so dass der Ausgleichssatz erneut den verbliebenen Pauschallandwirten anzupassen ist. 21 Zweifelnd insoweit Zezschwitz, StuW 1971, S. 26 ff.; Reiß, in: Soell, Umsatzsteuerkongreß-Bericht 1988/89, S. 43 [70 ff.]; Tehler, in: Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, § 24 Rn. 10; Stadie, Vorsteuerabzug, S. 208; Widmann, UR 1999, S. 20, 25; Schneeloch, DStR 1984, S. 415 ff., der die nachteiligen betriebswirtschaftlichen Auswirkungen einer solchen Subvention im Umsatzsteuerrecht herausarbeitet. Vgl. auch die ursprüngliche Begründung zu Art. 8 Nr. 18 des Regierungsentwurfs für das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002, BT.-Drs. 14/23, S. 199. 18
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3. Teil: Europarechtliche Zulässigkeit
ern müssen und eine gleich hohe Vorsteuerpauschale erhalten. Konventionelle Landwirte sind hingegen mit 16 Prozent zu besteuern, wobei ihnen aber kein pauschaler Vorsteuerausgleich von 16 Prozent gewährt werden kann, da dies bei weitem die tatsächliche Vorsteuerlast übersteigen würde. Setzt man jedoch die Vorsteuerpauschale mit 7 Prozent fest, müssten die konventionellen Landwirte nun doch Buchführungspflichten erfüllen, da für die Abführung der rest22 lichen 9 Prozent ein Nachweis des Umsatzes nötig ist. Damit würde aber der Hauptzweck der Sonderregelung entfallen, so dass es besser ist, konventionelle Landwirte der Normalbesteuerung in § 12 UStG zu unterwerfen und von der Sonderregelung auszuschließen. Sie würden dann im Rahmen der Normalbesteuerung ihre tatsächlichen Vorsteuern ersetzt bekommen. Fraglich ist, ob eine Differenzierung zwischen ökologischen und konventionellen Landwirten nach Art. 25 der 6. EG-Umsatzsteuer-Richtlinie zulässig wäre. Ursprünglich sollten nach dem Kommissionsvorschlag nur die kleinen Landwirtschaftsbetriebe, bei denen eine normale Buchführung nicht zu erwar23 ten ist, von der Normalbesteuerung befreit werden. Diese Beschränkung wur24 de vom Rat nicht übernommen. Gemäß Art. 25 Abs. 9 der Richtlinie steht jedem Mitgliedstaat die Möglichkeit offen, bestimmte Gruppen landwirtschaftlicher Erzeuger von der Pauschalregelung auszunehmen, bei denen die Anwendung der Normalregelung keine verwaltungstechnischen Schwierigkeiten mit sich bringt. Bei den heutigen landwirtschaftlichen Betrieben ist letzteres kaum anzunehmen, da schon aus betriebswirtschaftlichen Gründen eine Buchführung auch für Landwirte von Vorteil ist und von den meisten auch vorgenommen wird. Für kleine Betriebe und Nebenerwerbslandwirte, bei denen sich eine aufwendige Buchführung kaum lohnt, stünde die Sonderregelung für Kleinunternehmen zur Verfügung (Art. 24 der Richtlinie bzw. § 19 UStG). Den Mitgliedstaaten ist es nach Art. 25 Abs. 3 UAbs. 2 der Richtlinie weiterhin erlaubt, die Höhe der Ausgleichssätze für einzelne Teilbereiche der Landwirtschaft unterschiedlich festzulegen. Eine Bestimmung, welche Bereiche und in welchem Umfang unterschiedlich besteuert werden dürfen, enthält Art. 25 nicht. Somit könnte der nationale Gesetzgeber ökologische und konventionelle Landwirtschaftsbetriebe unterschiedlichen Sätzen unterwerfen oder ___________ 22
Vgl. § 67 Abs. 1 S. 2 UStDV, wonach die Landwirte hinsichtlich der Umsätze nach § 24 Abs. 1 Nr. 2 UStG mit einem Durchschnittssatz von 16 % nicht von den Aufzeichnungspflichten befreit sind. 23 Kommission (EG), KOM (73) 950, S. 37 f. 24 Vgl. Ratsbeschluß v. 13.6.1977, RL 77/388/EWG, ABl. EG Nr. L 145, S. 1. Auch das Europäische Parlament wollte mit der Pauschalregelung eine dauerhafte, v. a. buchhalterische Vereinfachung für die Land- und Forstwirte schaffen, vgl. Nr. 15 der Stellungnahme und die Streichung des Art 27 Abs. 5 im Vorschlag des Europäischen Parlaments v. 8.4.1974, ABl. EG Nr. C 40, S. 34.
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von der Pauschalbesteuerung ausschließen. Einzig die Grenzen des höherran25 gigen Art. 90 EGV müssen bei dieser Differenzierung beachtet werden. Somit lässt sich die vorgeschlagene Differenzierung zwischen ökologischen und konventionellen Landwirten sowohl im Rahmen von § 12 UStG als auch bei der Sonderregelung in § 24 UStG verwirklichen.
B. Abgaben auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel Das abgeleitete Recht der Europäischen Gemeinschaft betrifft in vielfältiger Weise den Einsatz von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln aber auch die Erhebung von Verbrauchsabgaben. Den Vorschlägen für neu einzuführende Abgaben auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel könnten insbesondere die Richtlinien über die Kennzeichnung und Einstufung von Dünge- und Pflanzenschutzmittel im Besonderen und von gefährlichen Stoffen im Allgemeinen entgegenstehen (d. h. die Düngemittel26 27 Richtlinie 76/116/EWG , die Pflanzenschutzmittel-Richtlinie 91/414/EWG , die Richtlinie 67/548/EWG über die Einstufung, Verpackung und Kennzeich28 nung gefährlicher Stoffe und die Richtlinie 1999/45/EG über gefährliche Zu29 bereitungen ), da diese Harmonisierungsmaßnahmen auch Regelungen zum Schutz des freien Warenverkehrs enthalten. Daneben könnte eine Regelungs30 konkurrenz mit der Klärschlamm-Richtlinie 86/278/EWG und der Nitrat31 Richtlinie 91/676/ EWG bestehen. Umfassend hat die Europäische Gemeinschaft auch den Einsatz von Ver32 brauchsteuern in der Verbrauchsteuer-Richtlinie 92/12/ EWG und in der 33 6. EG-Umsatzsteuer-Richtlinie geregelt.
___________ 25
Siehe § 8 B. II. 1. ABl. EG 1976 Nr. L 24, S. 21 ff. 27 Richtlinie über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln, ABl. EG 1991 Nr. L 230, S. 1 ff. 28 ABl. EG 1967 Nr. P 196, S. 1 ff. Die Richtlinie wurde 1992 mit der Änderungsrichtlinie 92/32/EWG, ABl. EG 1992 Nr. L 154, S. 1 ff. vollständig neu gefasst. 29 ABl. EG 1999 Nr. L 200, S. 1 ff. 30 ABl. EG 1986 Nr. L 181, S. 6 ff. 31 ABl. EG 1991 Nr. L 375, S. 1 ff. 32 ABl. EG 1992 Nr. L 76, S. 1 ff. 33 RL 77/388/EWG, ABl. EG 1977 Nr. L 145, S. 1 ff. 26
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I. Regelungen zu Düngemitteln 1. Richtlinie 76/116/EWG zur Angleichung der Rechtsvorschriften 34 der Mitgliedstaaten für Düngemittel Die Richtlinie harmonisiert die technischen Vorschriften über die Bezeichnung und Zusammensetzung von Nährstoffdünger. Dazu führt sie die Bezeichnung „EG-Düngemittel“ ein und regelt die Kennzeichnung, Etikettierung und den Verschluss der Verpackungen. Eine Düngemittelabgabe könnte allein aufgrund Art. 7 der Richtlinie beschränkt sein. Dieser Artikel untersagt es den Mitgliedstaaten, aus Gründen der Zusammensetzung, Kennzeichnung und Verpackung den Verkehr mit „EG-Düngemitteln“ zu verbieten, zu beschränken oder zu behindern. Allerdings verbietet der Artikel nicht generell eine Behinderung des Verkehrs, sondern nur aus den genannten Gründen. Der Vorschlag für eine Abgabe auf handelbaren Mineraldünger knüpft zwar mit der Abgrenzung von organischem Wirtschaftsdünger an Eigenschaften der Düngemittel an. Mit Zusammensetzung meint die Richtlinie allerdings nicht die Einordnung als Mineraldünger, da sie sich sowieso ausschließlich auf mineralische Düngemittel und nicht auf Wirtschaftsdünger bezieht, sondern die jeweilige Zusammensetzung mineralischer Düngemittel. Unzulässig wäre daher eine Abgabe, die an die einzelnen Nährstoffarten unterschiedliche Folgen knüpft. Soweit eine Abgabe weder auf die konkrete Zusammensetzung noch auf die Kennzeichnung oder Verpackung von „EG-Düngemitteln“ Bezug nimmt, sondern allgemein auf Mineraldünger lastet, wäre sie mit Art. 7 der Richtlinie zu vereinbaren.
2. Richtlinie 86/278/EWG über den Schutz der Umwelt und Böden bei 35 der Verwendung von Klärschlamm in der Landwirtschaft Aufgrund der Belastung der Klärschlämme mit Schadstoffen empfiehlt es sich, auch diese zu besteuern. Die Klärschlamm-Richtlinie soll den Schutz des Menschen, der Tiere, der Pflanzen und der Umwelt, insbesondere des Bodens, bei der Verwendung von Klärschlämmen in der Landwirtschaft gewährleisten. In Anbetracht des Schutzzwecks gestattet Art. 12 der Richtlinie den Mitgliedstaaten, falls erforderlich, strengere als die in dieser Richtlinie vorgesehenen Maßnahmen zu erlassen. Eine Abgabe, die den Einsatz von Klärschlämmen gegenüber sonstigem Wirtschaftsdünger finanziell benachteiligt, wäre somit als eine weitergehende Maßnahme zulässig.
___________ 34 35
ABl. EG 1976 Nr. L 24, S. 21 ff. ABl. EG 1986 Nr. L 181, S. 6 ff.
§ 10 Sekundärrechtliche Schranken
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3. Richtlinie 91/676/EWG zum Schutz der Gewässer vor Verunreinigung 36 durch Nitrat aus landwirtschaftlichen Quellen Zum Schutz der menschlichen Gesundheit und der Gewässer will die NitratRichtlinie die aus landwirtschaftlichen Quellen resultierende Nitratbelastung reduzieren. Hierzu verpflichtet die Richtlinie die Mitgliedstaaten entsprechende Maßnahmen zu erlassen, insbesondere Gewässer als gefährdet auszuweisen (Art. 3), Regeln der guten fachlichen Praxis aufzustellen (Art. 4) und Aktionsprogramme zum Schutz und der Verbesserung gefährdeter Gewässer festzulegen (Art. 5). Zur Verringerung der Nitratbelastung infolge landwirtschaftlicher Bewirtschaftung hat die Richtlinie in Anhang III, Nr. 1.3. eine Begrenzung von Düngemitteln vorgeschrieben und in Nr. 2 konkret die Höchstmenge des organischen Wirtschaftsdüngers auf 170 kg/ha Stickstoff jährlich begrenzt. Ein Verbot weitergehender Schutzmaßnahmen enthält die Richtlinie nicht. Vielmehr fordert Art. 5 Abs. 5 die Mitgliedstaaten zu zusätzlichen Maßnahmen und verstärkten Aktionen auf, wenn die Maßnahmen im Rahmen der Aktionspro37 gramme zur Verwirklichung der Ziele nicht ausreichen. Darüber hinaus gestattet auch Art. 176 EGV bei der auf Art. 175 EGV gestützten Richtlinie strengere nationale Vorschriften.
II. Regelungen zu Pflanzenschutzmitteln 1. Richtlinie 91/414/EWG über das Inverkehrbringen 38 von Pflanzenschutzmitteln Die Richtlinie dient zum einen dem Schutz von Mensch und Umwelt vor den Gefahren, die von Pflanzenschutzmitteln ausgehen können, zum anderen aber auch der Harmonisierung der nationalen Zulassungsvorschriften, um die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes auch bei den Pflanzen39 schutzmitteln sicherzustellen. Gemäß Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie gehen die in ihr enthaltenen Bestimmungen den Vorschriften der Richtlinien 67/548/EWG 40 und 99/45/EG vor. Für den Umweltschutz enthält die Richtlinie verschiedene Bestimmungen. So dürfen gemäß Art. 3 Abs. 1 nur gemäß der Richtlinie zugelassene Pflanzen___________ 36
ABl. EG 1991 Nr. L 375, S. 1 ff. Vgl. Wasmeier, Umweltabgaben und Europarecht, S. 308 f. 38 Richtlinie über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln, ABl. EG 1991 Nr. L 230, S. 1 ff. 39 Erwägungsgründe 1,2 und 6 der Richtlinie. 40 Beide Richtlinien werden nachfolgend näher behandelt. 37
176
3. Teil: Europarechtliche Zulässigkeit
schutzmittel in den Verkehr gebracht werden. Des Weiteren beschränkt Art. 3 Abs. 4 das Inverkehrbringen von Wirkstoffen auf alle gemäß der Richtlinie 67/548/EWG eingestuften, verpackten und gekennzeichneten Wirkstoffe. Pflanzenschutzmittel sind gemäß Art. 4 Abs. 1 nur zuzulassen, wenn deren Wirkstoffe in Anhang I aufgeführt sind und sichergestellt ist, dass sie keine unannehmbaren Auswirkungen auf Pflanzen, Pflanzenerzeugnisse und die Umwelt haben, den zu bekämpfenden Wirbeltieren kein unnötiges Leiden oder Schmerzen zufügen und keine un- oder mittelbar schädlichen Auswirkungen auf die Gesundheit von Mensch und Tier oder auf das Grundwasser zu befürchten sind. Die Mitgliedstaaten sind gemäß Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie 91/414/EWG grundsätzlich verpflichtet, Pflanzenschutzmittel, die in anderen Mitgliedstaaten bereits zugelassen sind, selber zuzulassen. Art. 3 Abs. 2 untersagt den Mitgliedstaaten die Herstellung, Lagerung und den Verkehr von Pflanzenschutzmitteln zu behindern, die zwar nicht in ihrem Land, aber in einem anderen Mitgliedstaat zugelassen sind. Dieses Behinderungsverbot gilt aber nur hinsichtlich der Anwendung in einem anderen Mitgliedstaat. Es trifft daher nicht die An41 sicht zu, dass Art. 3 Abs. 2 eine Abgabe auf Importe verbietet. Die Verwendung im Inland regelt die Verbotsklausel nicht.
2. Richtlinie 67/548/EWG über die Einstufung, Verpackung 42 und Kennzeichnung gefährlicher Stoffe Die Richtlinie gilt für alle chemischen Stoffe, unabhängig ob sie in natürlicher oder produktionstechnisch hergestellter Form existieren, und bewertet diese nach ihrer Gefährlichkeit für Mensch und Umwelt. Sie umfasst daher auch Wirkstoffe von Pflanzenschutzmitteln. Alle Wirkstoffe von Pflanzenschutzmitteln sind gemäß der Richtlinie 67/548/EWG anzumelden, einzustufen, zu kennzeichnen und zu verpacken, soweit die Richtlinie 91/414/EWG keine spezielleren Vorschriften enthält. Damit gelten grundsätzlich alle Bestimmungen der 43 Richtlinie 67/548/EWG auch bei Pflanzenschutzmitteln. Die für eine Abgabe auf Pflanzenschutzmittel empfohlene Anknüpfung an die Gefährlichkeitseinstufung nach der Richtlinie 67/548/EWG könnte indes Probleme aufwerfen, da Art. 30 der Richtlinie den Mitgliedstaaten untersagt, das Inverkehrbringen von Stoffen wegen der Anmeldung, Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung ___________ 41
So jedoch Wasmeier, Umweltabgaben und Europarecht, S. 331 f. ABl. EG 1967 Nr. P 196, S. 1 ff. Die Richtlinie wurde 1992 mit der Änderungsrichtlinie 92/32/EWG, ABl. EG 1992 Nr. L 154, S. 1 ff. vollständig neu gefasst. 43 Der Anwendungsausschluss für Schädlingsbekämpfungsmittel in Art. 1 Abs. 2 f) der RL 67/548/EWG gilt nicht für Landwirte, da diese als Unternehmer keine Endverbraucher im rechtlichen Sinne sind. 42
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im Sinne dieser Richtlinie zu verbieten, zu beschränken oder zu behindern, wenn die Stoffe den Vorschriften dieser Richtlinie entsprechen. Gegen das Verbot könnte eine nationale Abgabe auf Pflanzenschutzmittel verstoßen, deren Abgabensätze sich an der Einstufung orientieren. Dazu müsste Art. 30 auch für Pflanzenschutzmittel anwendbar sein, die vorgeschlagene Abgabe das Inverkehrbringen beschränken bzw. behindern und Art. 30 auch für Abgaben gelten. Sollte dies zutreffen, könnte die Abgabe vielleicht als weitergehende, nationale Umweltschutzmaßnahme statthaft sein. Eine europarechtlich erhobene Abgabe ist demgegenüber nicht an Art. 30 gebunden, da dieser nur an die Mitgliedstaaten adressiert ist und außerdem Rechtsakte der Gemeinschaft nur an Primärrecht gebunden sind, nicht aber an gleichrangiges Sekundärrecht.
a) Anwendbarkeit von Artikel 30 der Richtlinie auf Pflanzenschutzmittel Wegen des Anwendungsvorrangs der Richtlinie 91/414/EWG ist Art. 30 der Richtlinie 67/548/EWG nur zu beachten, wenn die Richtlinie 91/414/EWG keine abweichenden spezielleren Regelungen enthält. Die Richtlinie 91/414/EWG regelt die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln. Eine weitergehende Beschränkung von zugelassenen Pflanzenschutzmitteln gestattet die Richtlinie nur in Art. 10 Abs. 1 UAbs. 2 und 3 und Art. 11, wonach die Mitgliedstaaten die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln, die in anderen Ländern zugelassen sind, aus besonderen Gründen verweigern oder mit Auflagen versehen können. Derartige Ausnahmen vom generellen Anerkennungsgebot sind statthaft, wenn sie zur Durchführung anderer Maßnahmen gemäß dem Gemeinschaftsrecht geboten sind und sich unter Berücksichtigung des Umweltschutzes auf den Vertrieb und die Anwendung der Pflanzenschutzmittel erstrecken (Art. 10 Abs. 1 UAbs. 2 Richtlinie 91/414/EWG). Weiterhin sind gemäß Art. 10 Abs. 1 UAbs. 3 Richtlinie 91/414/EWG Ausnahmen zulässig, wenn die unterschiedlichen Ernährungsgewohnheiten (Kontaminationsrisiko) es erfordern oder wenn gemäß Art. 11 Abs. 1 Richtlinie 91/414/EWG der Mitgliedstaat aus berechtigten Gründen eine Gefahr für die Gesundheit von Mensch und Tier oder die Umwelt annimmt. All diese Ausnahmen treffen indes nicht auf eine generelle, dauerhafte Abgabe für alle Pflanzenschutzmittel zu, da weder das Gemeinschaftsrecht eine solche Abgabe vorsieht noch die generelle Gefahr der Mittel für die Ausnahme ausreicht. Mangels einer Ermächtigung der Mitgliedstaaten zu weitergehenden Beschränkungen von zugelassenen Pflanzenschutzmitteln in der Richtlinie 91/414/EWG, gilt Art. 30 der Richtlinie 67/548/EWG bei einer Abgabe auf zugelassene Pflanzenschutzmittel.
3. Teil: Europarechtliche Zulässigkeit
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b) Beschränkung des Inverkehrbringens gefährlicher Stoffe im Sinne von Art. 30 der Richtlinie Eine Abgabe auf Pflanzenschutzmittel verbietet nicht das Inverkehrbringen gefährlicher Stoffe. Sie könnte sich aber beschränkend auswirken. Den Begriff „beschränken“ verwendet der Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft an verschiedenen Stellen, in denen der Gemeinsame Markt oder der Binnenmarkt gewährleistet wird (z. B. Art. 49, 56 Abs. 1 EGV). Die Auslegung von Art. 30 der Richtlinie sollte sich an den Interpretationen zu Art. 49, 56 EGV orientieren. Der Europäische Gerichtshof versteht den Begriff der „Beschränkungen“ in beiden Artikeln sehr umfassend. Er lässt schon Maßnahmen genügen, die geeignet sind, den Dienstleistungs- oder Kapitalverkehr we44 niger attraktiv zu machen. Für Art. 30 der Richtlinie lässt sich schlussfolgern, dass „Beschränkung“ gleichfalls umfassend zu verstehen ist und jede Maßnahme darunter fällt, die aufgrund der Anknüpfung an die Einstufung den Verkehr mit bestimmten Stoffen weniger attraktiv macht. Eine Abgabe, welche die Abgabenlast anhand der jeweiligen Gefährlichkeitsmerkmale bestimmt, verteuert gefährlichere Stoffe und erschwert das Inverkehrbringen derselben. Somit wäre Art. 30 der Richtlinie betroffen.
c) Anwendbarkeit von Art. 30 der Richtlinie auf Abgaben Art. 30 der Richtlinie könnte allerdings für abgabenrechtliche Beschränkungen unanwendbar sein. Zwar enthält der Wortlaut von Art. 30 keine derartige Aussage. Ein Geltungsausschluss für Abgaben könnte indes aus Art. 5 Abs. 1 EGV folgen, wonach der Anwendungsbereich einer Vorschrift des Sekundärrechts nur soweit reicht, wie die zugrunde liegenden Einzelermächtigungen in 45 den Verträgen es gestatten. Alle darüber hinausgehenden Regelungen würden in rechtswidriger Weise in die Souveränität der Mitgliedstaaten eingreifen. Kompetenzverletzendes Sekundärrecht können die Mitgliedstaaten mit der Nichtigkeitsklage (Art. 231, 230 EGV) anfechten und wird bei Erfolg vom Ge46 richtshof ex tunc für nichtig erklärt. Die Beschränkung der Einzelermächtigungen hat indes auch Konsequenzen für die Auslegung von Normen des Sekundärrechts. Denn bevor eine Norm für nichtig zu erklären ist, muss sie sich ___________ 44
EuGH Rs. C-3/95, Broede, Slg. 1996 I, S. 6511 Rn. 25; Rs. C-484/93, Svensson und Gustavsson, Slg. 1995 I, S. 3955 Rn. 10. Ähnlich Hakenberg, in: Lenz, EG-Vertrag, Art. 49/59 Rn. 22; Bröhmer, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 56 EGV Rn. 17 ff. Einschränkend Kluth, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 49 EGV Rn. 40 f. 45 Zum Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung Oppermann, Europarecht, Rn. 513, 516 f.; Bleckmann, Europarecht, Rn. 380 ff. 46 Oppermann, Europarecht, Rn. 740 ff. 747.
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47
vertragskonform ausgelegt werden. Reichweite und Umfang der Ermächtigung bestimmen sich nach dem geltenden Vertragstext zum Zeitpunkt des Erlasses der Gemeinschaftsmaßnahme. 48
Der Gemeinschaftsgesetzgeber stützte die Richtlinie 92/32/EWG , welche die Richtlinie 67/548/EWG neu formulierte, generell auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, hob allerdings Art. 100a EGV a. F. expliziert hervor. Da die Richtlinie 1992 erlassen wurde, gilt der 49 EWG-Vertrag in der Fassung der „Einheitlichen Europäischen Akte“ von 50 1987. Die späteren Änderungen durch den Vertrag zu Maastricht – 1993 in Kraft getreten – sind noch nicht zu berücksichtigen. Art. 100a EGV a. F. ermächtigte die Gemeinschaft umfassend zu Maßnahmen, welche die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes zum Gegenstand haben. Dies beinhaltet neben der Abschaffung von Grenzkontrollen und sonstigen nationalen Abschottungen auch die Beseitigung von Wettbewerbsverfälschungen und, wie Art. 100a Abs. 3 EGV a. F. verdeutlichte, flankierende Maßnahmen im Bereich 51 des Gesundheits-, Verbraucher- und Umweltschutzes. Allerdings nahm Art. 100a Abs. 2 EGV a. F. wie der heutige Art. 95 Abs. 2 EGV ausdrücklich Steuern von der Harmonisierungskompetenz aus. Der europäische Steuerbegriff umfasst alle gegenleistungsunabhängigen Abgaben und unterscheidet 52 nicht wie die deutsche Dogmatik zwischen Steuern und Sonderabgaben. Regelungen zu Verbrauchsabgaben, wie z. B. Abgaben auf Pflanzenschutzmittel, sind ausdrücklich auf Art. 93 EGV (früher Art. 99 EGV a. F.) zu stützen und insofern nach Art. 95 Abs. 2 EGV ausgeschlossen. Der Gemeinschaftsgesetzgeber konnte somit nicht auf der Grundlage von Art. 100a Abs. 1 EGV a. F. Regelungen über indirekte Steuern oder Verbrauchsabgaben auf Pflanzenschutzmittel erlassen, sondern hätte diese auf Art. 99 EGV a. F. stützen müssen, der eine einstimmige Ratsentscheidung erfordert. ___________ 47
Bleckmann, Europarecht, Rn. 554. ABl. EG 1992 Nr. L 154, S. 1 ff. 49 ABl. EG 1987 Nr. L 169, S. 1 ff. 50 ABl. EG 1992 Nr. C 224, S. 1 ff. 51 EuGH Rs. C-300/89, Kommission/Rat (Titandioxid), Slg. 1991 I, S. 2867 Rn. 14 f. Bezüglich der damaligen Auslegung von Art. 100a EGV siehe Bardenhewer/Pipkorn, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, EUV/EGV, (5. Aufl.) Art 100a EGV a. F. Rn. 7 ff. Zur neuen Fassung Kahl, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 95 EGV Rn. 7, 10. 52 Wasmeier, Umweltabgaben und Europarecht, S. 228 ff.; Voß, in: Grabitz/Hilf, Recht der EU, Art. 93 EGV Rn. 8. Vgl. EuGH Rs. C-235/90, Aliments Morvan, Slg. 1991 I, S. 5419 Rn. 2; Rs. C-78-83/90, Campagnie Commerciale, EWS 1992, S. 309 Rn. 1, 35. Teilweise will man auch Gebühren und Beiträge von Art. 95 Abs. 2 EGV ausnehmen (Wolffgang, in: Lenz, EGV, Art. 93 EGV Rn. 8; Ohler, fiskalische Integration, S. 208). Ausführlich wird die Reichweite des europäischen Steuerbegriffs in § 14 B. erörtert. 48
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3. Teil: Europarechtliche Zulässigkeit
Nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofes ist allerdings eine Gemeinschaftsmaßnahme nicht schon nichtig, wenn einzelne Neben- und Hilfsbestim53 mungen in kompetenzielle Bereichsausnahmen fallen. Dies lehnt sich an die allgemein entwickelte Rechtsprechung zur Kompetenz aufgrund „implied power“ an, die es den Gemeinschaftsorganen erlaubt, abrundende Vorschriften zu erlassen, damit die Maßnahme in zweckmäßiger und vernünftiger Weise zur 54 Anwendung gelangen kann. Eine Vorschrift, die an sich kompetenzgemäß ist, aber in ihrem Umfange über den Kompetenzbereich hinausgeht, wäre daher nicht einschränkend auszulegen, wenn der weite Umfang zur Durchsetzung der Vorschrift erforderlich ist. Art. 30 der Richtlinie 92/32/EWG soll ohne Nennung konkreter Maßnahmen den freien Verkehr gefährlicher Stoffe vor jeglicher nationalen Beschränkung schützen, die aufgrund der Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung gemäß der Richtlinie erfolgen könnte. Insoweit besteht auch bei einer Einbeziehung von Abgaben ein ausreichender Sachzusammenhang zum Regelungsinhalt der Richtlinie, wenn eine abgabenrechtliche Belastung nach dem Grad der Einstufung erfolgt und den freien Warenverkehr beschränken würde. Eine beschränkte Auslegung von Art. 30 durch den Europäischen Gerichtshof ist daher nicht anzunehmen, so dass einer abgabenrechtlichen Anknüpfung weiterhin Art. 30 entgegensteht. Zwar dient die aufwendige Gefahreneinstufung insofern nur dem Wissen sowie der Kennzeichnung und nicht aber der Verringerung des Einsatzes gefährlicher Stoffe. Dieses umweltpolitische Defizit müssen die Mitgliedstaaten akzeptieren, es sei denn, der Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft oder sekundäres Gemeinschaftsrecht gestatten umweltrechtliche Schutzverstärkungsmaßnahmen. Die Richtlinie 92/32/EWG enthält mit Art. 31 eine solche Schutzklausel. Diese erlaubt den Mitgliedstaaten das Inverkehrbringen eines gefährlichen Stoffes vorübergehend zu untersagen oder an besondere Bedingungen zu knüpfen, wenn er der begründeten Annahme ist, dass die nicht mehr angemessene Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung eine Gefahr für Mensch und Umwelt darstellt. Eine dauerhafte Abgabe auf alle gefährlichen Pflanzenschutzmittel ließe sich hierauf jedoch nicht stützen, weshalb nur noch die Schutzverstärkungsklauseln in Art. 95 Abs. 4 und 5 EGV und Art. 176 in Frage kommen.
___________ 53
EuGH Gutachten 1/78, Slg. 1979, S. 2871 Rn. 56. Zustimmend Pipkorn/Bardenhewer-Rating/Taschner, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, EUV/EGV, Art 95 EGV Rn. 54. 54 EuGH Rs. 8/55, Fédération Charbonnière, Slg. 1955/56, S. 196 [312]; Rs. 20759, Italien/Hohe Behörde, Slg. 1960, S. 681 [708]; Rs. 25/59, Niederlande/Hohe Behörde, Slg. 1960, S. 743 [781]; Bleckmann, Europarecht, Rn. 798 ff.
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d) Abgabenrechtliche Anknüpfung als schutzverstärkende Maßnahme nach Art. 95 Abs. 4 und 5 EGV oder Art. 176 EGV Untersagt Art. 30 der Richtlinie 92/32/EWG den Mitgliedstaaten jegliche Beschränkung aufgrund der Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung, so könnte vielleicht eine an die Gefährlichkeitseinstufung anknüpfende Abgabe aufgrund der Schutzverstärkungsklauseln in Art. 95 Abs. 4 und 5 EGV und Art. 176 EGV als weitergehende Umweltschutzmaßnahmen statthaft sein. Ziel der Klauseln ist es, die Souveränität der Mitgliedstaaten auf dem sich noch entwickelnden Gebiet des Gesundheits- und Umweltschutzes zu wahren, die mit der Mehrheitsentscheidung in Art. 95 Abs. 1 EGV und Art. 175 Abs. 1 EGV eingeschränkt wurde. Anders als bei der Frage nach der Rechtsgrundlage, kommt es bei Schutzergänzungsmaßnahmen auf die Vertragsfassung zum Zeitpunkt der nationalen Maßnahme an, da die mittlerweile erweiterten Klauseln sich auf aktuelle Maßnahmen beziehen und auch Gemeinschaftsrecht beschränken. Somit gelten die aktuellen Art. 95 Abs. 4 bis 5 EGV und Art. 176 EGV. Art. 95 Abs. 4 und 5 EGV kommen für eine Abgabe auf Pflanzenschutzmittel nicht weiter in Betracht, da Art. 94 Abs. 4 EGV nur die Beibehaltung nationaler Bestimmungen gestattet und für Art. 95 Abs. 5 EGV neue wissenschaftliche Erkenntnisse einzelstaatliche Bestimmungen zum Schutz der Umwelt oder Arbeitsumwelt aufgrund eines spezifischen Problems für den Mitgliedstaat er55 forderlich machen müssen. Der Abgabe liegen aber weder neue wissen56 schaftliche Erkenntnisse zu Grunde, noch werfen Pflanzenschutzmittel gegenüber anderen Mitgliedstaaten ein spezifisch deutsches Problem auf. Somit verbleibt einzig Art. 176 EGV. Art. 176 EGV gestattet es den Mitgliedstaaten, bei gemeinschaftsrechtlichen Maßnahmen aufgrund Art. 175 EGV stärkere Schutzmaßnahmen beizubehalten oder zu ergreifen. Dazu müsste es sich bei der Richtlinie 92/32/EWG jedoch um eine Maßnahme im Sinne von Art. 175 EGV handeln. Wie oben festgestellt, stützte sich der Rat in seinen Erwägungsgründen allgemein auf den Vertrag und speziell auf Art. 100a EGV a. F. Allerdings ist die Entscheidung des Rates hinsichtlich der anzuwendenden Kompetenz nicht bindend, da es nach Ansicht des Gerichtshofes nicht auf die Entscheidung des Gemeinschaftsgesetzgebers ankommt, sondern die Wahl der Rechtsgrundlage auf objektiven, ___________ 55
Die Neufassung stellt gegenüber Art. 100a Abs. 4 EGV a. F. klar, dass es auf das Abstimmungsergebnis und das Abstimmungsverhalten des Mitgliedstaates im Ratsbeschluss nicht ankommt und auch nachträgliche Maßnahmen möglich sind. Zum früheren Streit z. B. Kahl, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 95 Rn. 27 ff. 56 Die Bewertung nach der Richtlinie 67/548/EWG erfolgt schließlich schon seit 1967, wenn sie auch stetig verfeinert und erweitert wurde.
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gerichtlich nachprüfbaren Umständen beruhen muss. Zu diesen Umständen 58 gehören insbesondere Ziel und Inhalt der Maßnahme. Für die Frage der Rechtsgrundlage kommt es daher entscheidend auf die verfolgten Ziele und den Regelungsinhalt der Änderungsrichtlinie 92/32/EWG an. Die Erwägungsgründe heben sowohl die Notwendigkeit einer Harmonisierung der nationalen Vorschriften für die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung als auch den Schutz von Mensch und Umwelt hervor. Zur Erreichung dieser Ziele verpflichtet die Richtlinie in Art. 7 Abs. 1 und Art. 8 Abs. 1 die Hersteller oder Importeure, ihre gefährlichen Stoffe bei den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten anzumelden, wobei diese einen Vorschlag für die Einstufung und Kennzeichnung des Stoffes unterbreiten und entsprechende Daten darlegen müssen. Die nationalen Behörden müssen alle angemeldeten Stoffe bewerten und die Richtigkeit der Einstufung und Kennzeichnung überprüfen (Art. 16 Abs. 1). Angemeldete Stoffe dürfen frühestens 60 Tage nach der Anmeldung in Verkehr gebracht werden, soweit die Stoffe entsprechend verpackt sowie gekennzeichnet sind und keine gegenteilige Benachrichtigung der Behörde erfolgt (Art. 10, 22, 23). Die Änderungsrichtlinie schreibt damit ein strenges Regime der Anmeldung und Kontrolle vor, das seit der Ausgangs59 richtlinie 67/548/EWG im Jahr 1967 stetig ausgebaut und vertieft wurde. Nach Ziel und Inhalt dient die Änderungsrichtlinie der Harmonisierung der nationalen Vorschriften wie auch dem Schutz der Gesundheit von Mensch und Umwelt. Als Rechtsgrundlage kamen somit Art. 130s EGV a. F. und Art. 100a EGV a. F. in Betracht. Nach Art. 130s i. V. m. 130r Abs. 1 EGV a. F. konnte die Gemeinschaft Maßnahmen sowohl zum Schutz der Umwelt als auch zum Schutz der menschlichen Gesundheit erlassen. Art. 100a EGV a. F. gewährte eine allgemeine Harmonisierungskompetenz zur Verwirklichung des Binnenmarktes, wobei nach Absatz 3 ausdrücklich auch der Gesundheits-, Verbraucher- und Umweltschutz zu berücksichtigen und diesbezüglich von einem hohen Schutzniveau auszugehen war. Ob und wie Kompetenzen im Allgemeinen voneinander abzugrenzen sind, hängt sowohl von den Normen als auch von der Regelung ab. Vorrangig kommt es auf das Verhältnis der Normen untereinander an, soweit sich eine ___________ 57
EuGH Rs. 45/86, Kommission/Rat, Slg. 1987, S. 1493 Rn. 11; Rs. 131/86, Vereinigtes Königreich/Rat, Slg. 1988, S. 905 Rn. 29. 58 EuGH Rs. C-187/93, Parlament/Rat, Slg. 1994 I, S. 2857 Rn. 17; Rs. C-155/91, Kommission/Rat, Slg. 1993 I, S. 939 Rn. 7 m. w. N.; Rs. C-300/89, Kommission/Rat (Titandioxid), Slg. 1991 I, S. 2867 Rn. 10. 59 Die ursprüngliche Richtlinie 67/548/EWG, ABl. EG 1967 P Nr. 169, S. 1 ff. erfasste nur die gesundheitsrelevante Gefährlichkeitsmerkmale giftig, gesundheitsschädlich, ätzend, reizend und enthielt weitaus geringere Anforderungen an das Inverkehrbringen.
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Spezialität bzw. Subsidiarität feststellen lässt. Fehlt es an einer eindeutigen Normaussage, bestimmen der Gerichtshof und die herrschende Literatur die anzuwendende Kompetenzvorschrift anhand des Schwerpunktes der Maßnah60 me. Der Gemeinschaftsgesetzgeber darf in diesem Fall allein auf die Rechtsgrundlage abstellen, die für den überwiegenden Hauptzweck einschlägig ist. Verfolgt die Maßnahme hingegen nach Ziel und Inhalt untrennbar mehrere Zwecke, bei denen keiner von wesentlicher oder überwiegender Bedeutung ist, 61 so ist die Maßnahme auf alle betroffenen Rechtsgrundlagen zu stützen. Die Rechtsprechung von der „doppelten Rechtsgrundlage“ gilt aber nicht uneingeschränkt. Vielmehr fragte der Gerichtshof in seinem grundlegenden Urteil zur Titandioxid-Richtlinie auch, ob die Ermächtigungsvorschriften ein ähnliches Gesetzgebungsverfahren verlangen und das Europäische Parlament gleichwer62 tig zu berücksichtigten ist. Die Kompetenzabgrenzung zwischen Art. 100a EGV a. F. und Art. 130s EGV a. F. bzw. heute zwischen Art. 95 und 175 EGV war und ist Anlass viel63 fältiger Diskussionen. Die Frage war auch schon mehrfach beim Gerichtshof 64 anhängig. Schwierig gestaltet sich die Abgrenzung deshalb, weil nach Art. 95 Abs. 3 EGV ausdrücklich Belange des Umwelt- und Gesundheitsschutzes zu berücksichtigen sind und ein hohes Schutzniveau zu verfolgen ist. Gleichzeitig betreffen nationale aber auch gemeinschaftsrechtliche Umweltschutzmaßnahmen regelmäßig den Binnenmarkt, da Produktstandards den Warenverkehr und produktions- sowie anlagebezogene Vorschriften die Wettbewerbsbedingungen 65 beeinflussen. Zwar räumt Art. 175 Abs. 2 EGV nunmehr bezüglich der dortigen Maßnahmen einen Vorrang von Art. 95 EGV ein. Der hier fragliche ___________ 60
EuGH Rs. C-42/97, Parlament/Rat, EuR 1999, S. 353 Rn. 42; Rs. C-187/93, Parlament/Rat, Slg. 1994 I, S. 2857 Rn. 25; Rs. C-155/91, Kommission/Rat, Slg. 1993 I, S. 939 Rn. 19 m. w. N. Hernfeld, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 94 EGV Rn. 21; Art. 95 EGV Rn. 15; Schröer, EuR 1991, S. 356 [358 ff., 368]; ders., Kompetenzverteilung, S. 128 ff.; Pipkorn/Bardenhewer-Rating/Taschner, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, EUV/EGV, Art 95 EGV Rn. 52, Kahl, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 95 EGV Rn. 52; Calliess, ZUR 2003, S. 129 [132 f.]. 61 EuGH Rs. C-42/97, Parlament/Rat, EuR 1999, S. 353 Rn. 38 ff.; Rs. C-300/89, Kommission/Rat (Titandioxid), Slg. 1991 I, S. 2867 Rn. 13, 17; Rs. 165/87, Kommission/Rat, Slg. 1988, S. 5545 Rn. 11 ff. 62 EuGH Rs. C-300/89, Kommission/Rat (Titandioxid), Slg. 1991 I, S. 2867 Rn. 17 ff. 63 Zum Meinungsstand vgl. Schröer, Kompetenzverteilung, S. 105 ff. 64 EuGH Rs. C-300/89, Kommission/Rat (Titandioxid), Slg. 1991 I, S. 2867 Rn. 10; Rs. C-155/91, Kommission/Rat, Slg. 1993 I, S. 939 Rn. 7 m. w. N.; Rs. C-187/93, Parlament/Rat, Slg. 1994 I, S. 2857 Rn. 17. 65 Jarass, EuZW 1991, S. 530 [531]; Nettesheim, EuR 1993, S. 243 [258]; Everling, EuR 1991, S. 179 [181]. Ähnliche Abgrenzungsprobleme existieren z. B. bei den Richtlinien zur Emissionsbegrenzung von Kraftfahrzeugen (vgl. Möckel, UPR 2003, S. 377 [380 f.]).
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3. Teil: Europarechtliche Zulässigkeit
Art. 130s EGV a. F. enthielt jedoch keine solche Subsidiaritätsklausel. Ein solches Spezialitäts- bzw. Subsidiaritätsverhältnis lässt sich auch nicht aus der 66 Systematik oder Sinn und Zweck der Vorschriften ableiten. Beide Kompetenznormen haben trotz der Überschneidungen einen unterschiedlichen Anwendungsbereich. Die in Art. 95 Abs. 3 EGV normierte akzessorische Pflicht zur Berücksichtigung von Umweltbelangen macht aus der Harmonisierungsvorschrift keine spezielle Umweltkompetenz, sondern soll bei der Binnenmarktharmonisierung den Umwelt-, Gesundheits- und Verbraucherschutz sichern, damit dieser nicht hinter den wirtschaftlichen Überlegungen zurück67 fällt. Demgegenüber gewährt Art. 175 EGV eine eigenständige besondere Kompetenz zum Erlass von umweltschützenden Maßnahmen unabhängig davon, ob diese einen Binnenmarktbezug oder eine harmonisierende Wirkung 68 haben. Eine Spezialität von Art. 95 EGV ist nach neuerer Rechtsprechung des 69 Gerichtshofes auch nicht, wie noch im Titandioxid-Urteil vertreten, bei pro70 duktbezogenen Umweltmaßnahmen mit Binnenmarktbezug anzunehmen. Eine Kompetenzabgrenzung hat daher nach dem Schwerpunkt der Richtlinie zu erfolgen. Dient die Maßnahme mehr dem Umweltschutz und bewirkt sie nur nebenbei eine Harmonisierung des Binnenmarktes, so hätte sie auf Art. 130s 71 EGV a. F. gestützt werden müssen. Liegt ihr Schwerpunkt im Bereich der Harmonisierung, wäre die Anwendung von Art. 100a EGV a. F. korrekt gewesen. Hinsichtlich des Harmonisierungsziels muss aber beachtet werden, dass jede Gemeinschaftsregelung eine harmonisierende Wirkung auf den Binnenmarkt hat, da sie einheitliche Standards in allen Mitgliedstaaten schafft. Nach Ansicht des Gerichtshofes muss die Maßnahme vielmehr zur Beseitigung spür72 barer Wettbewerbsverzerrungen beitragen. ___________ 66
Ausführlich Schröer, Kompetenzverteilung, S. 117 ff.; Kahl, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 95 EGV Rn. 52; Hernfeld, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 95 EGV Rn. 15; Molkenbur, DVBl. 1990, S. 677 [682]; Beyer, JuS 1997, S. 294 [296]; Christian Müller, indirekte Verhaltenssteuerung, S. 52 ff. Für eine Subsidiarität von Art. 130s EGV a. F. Pernice, NVwZ 1990, S. 201 [206]; Bardenhewer/Pipkorn, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, EUV/EGV, (5. Aufl.) Art 100a EGV a. F. Rn. 51, die aber trotzdem beide Vorschriften nach dem Schwerpunkt der Maßnahme abgrenzen wollen. 67 Beyer, JuS 1997, S. 294 [296]. 68 EuGH Rs. C-62/88, Griechenland/Rat, Slg. 1990 I, S. 1527 Rn. 19 f.; Christian Müller, indirekte Verhaltenssteuerung, S. 53 ff. 69 Rs. C-300/89, Kommission/Rat, Slg. 1991 I, S. 2867 Rn. 17 ff. 70 EuGH Rs. C-187/93, Parlament/Rat, Slg. 1994 I, S. 2857 Rn. 25; Rs. C-155/91, Kommission/Rat, Slg. 1993 I, S. 939 Rn. 19 m. w. N. 71 Vgl. EuGH Rs. C-187/93, Parlament/Rat, Slg. 1994 I, S. 2857 Rn. 25; Rs. C155/91, Kommission/Rat, Slg. 1993 I, S. 939 Rn. 19 m. w. N. 72 EuGH C-376/98, Deutschland/Rat und Parlament, Slg. 2000 I, S. 8419 Rn. 106 ff.
§ 10 Sekundärrechtliche Schranken
185
Ob bei der Richtlinie 92/32/EWG ein umweltrechtlicher Schwerpunkt anzunehmen ist, lässt sich nicht schon den Erwägungsgründen entnehmen, da diese gleichgewichtig sowohl den Umweltschutz- als auch den Harmonisierungszweck benennen. Inhaltlich vereinheitlicht die Richtlinie das Verfahren über die Anmeldung, Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung gefährlicher Stoffe. Die Einführung detaillierter Gefährlichkeitsmerkmale und besonderer Gefahrensätze, die Anforderungen an Kennzeichnung und Verpackung sowie die zeitlichen und materiellen Einschränkungen des Inverkehrbringens machen aber auch deutlich, dass die Richtlinie dem Schutz der Gesundheit und der Umwelt weiträumig zur Geltung verhelfen soll, selbst wenn hierbei das Inverkehrbringen und der Handel erschwert werden. Fraglich ist daher, ob eine Gemeinschaftsmaßnahme noch das Funktionieren des Binnenmarktes fördert, wenn sie zwar vereinheitlichte, aber stetig verschärfte Anforderungen an das Inverkehrbringen von Produkten stellt. Bei der Diskussion um das gemeinschaftsrechtliche Verbot der Tabakwerbung wurde ein Abstützen von Gemeinschaftsmaßnahmen auf Art. 95 EGV (Art. 100a EGV a. F.) angezweifelt, wenn diese den freien Handel und Dienstleistungsverkehr im Binnenmarkt mehr einschränken als erleichtern, indem sie über den höchsten Standard in den Mit73 gliedstaaten hinausgehen. Der Gerichtshof folgte den Argumenten und sah in der Tabakrichtlinie eine Generalisierung der Wettbewerbsbeschränkungen auf alle Mitgliedstaaten, die den Binnenmarkt stärker einschränkt und nicht auf der 74 Grundlage von Art. 100a EGV a. F. zulässig war. Ähnlich urteilte der Gerichtshof bei der Abfallrichtlinie 91/156/EWG, die das Verbringen von Abfäl75 len unterband, und daher zur Recht auf Art. 130s EGV a. F. gestützt wurde. Die Ausführungen lassen sich auf die Richtlinie 67/548/EWG übertragen, deren stetig verschärfte Anforderungen das Inverkehrbringen gefährlicher Stoffe erschweren und über den Stand in den Mitgliedstaaten zum Zeitpunkt der Harmonisierung hinausgehen. Geht man folglich davon aus, dass die Änderungsrichtlinie 92/32/EWG mehr den Schutz der Gesundheit und der Umwelt als einer Stärkung des Binnenmarktes dient, hätte sie nicht auf Art. 100a EGV a. F. sondern auf Art. 130s EGV a. F. gestützt werden müssen, mit der Konsequenz, dass statt eines qualifizierten Mehrheitsbeschlusses ein einstimmiger Ratsbeschluss erforderlich gewesen wäre. Ob ein einstimmiger Ratsbeschluss erging, ist jedoch mangels einer Protokollierung des genauen Abstimmungser-
___________ 73
Hernfeld, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 95 EGV Rn. 11, 15 m. w. N.; Nettesheim, EuR 1993, S. 243 [259]; T. Stein, EuZW 1995, S. 435 [437]. 74 EuGH C-376/98, Deutschland/Rat und Parlament, Slg. 2000 I, S. 8419 Rn. 96 ff., 112. 75 EuGH Rs. C-187/93, Parlament/Rat, Slg. 1994 I, S. 2857 Rn. 25; Rs. C-155/91, Kommission/Rat, Slg. 1993 I, S. 939 Rn. 19 m. w. N.
186
3. Teil: Europarechtliche Zulässigkeit 76
gebnisses nicht mehr in Erfahrung zu bringen, so dass die Richtlinie gegen das Einstimmigkeitserfordernis verstoßen würde. In Anbetracht dieser Konsequenz ist anzunehmen, dass der Gerichtshof im 77 Falle einer Entscheidung wie im Titandioxid-Urteil beide Zwecke als gleich78 gewichtig und untrennbar ansehen wird. Im Titandioxid-Urteil lehnte der Gerichtshof hierbei trotz untrennbarer Schwerpunkte eine doppelte Abstützung ab und räumte Art. 100a EGV a. F. einem Vorrang mit der Begründung ein, das mit der bei Art. 100a EGV a. F. im Verfahren der Zusammenarbeit vorgesehenen, stärkeren Beteiligung des Europäischen Parlaments ein grundlegendes demokratisches Prinzip verwirklicht ist, welches bei Art. 130s EGV a. F. so 79 noch nicht eingeführt war. Weiterhin hob der Gerichtshof hervor, dass wegen der bei einer Doppelabstützung gebotenen Einstimmigkeit (Art. 130s. EGV a. F.) der qualifizierte Mehrheitsbeschluss als ein wesentliches Element des 80 Verfahrens der Zusammenarbeit wegfiele. Trotz der an dem Titandioxid81 Urteil erhobenen Kritik von Teilen der Literatur , die vor allem ein Aushöhlen der eigenständigen Umweltkompetenz befürchtete, ist es unwahrscheinlich, dass der Gerichtshof die Kompetenzabgrenzung im Falle der Richtlinie 92/32/EWG anders entscheiden würde, wenn ohne den erforderlichen einstim___________ 76
Laut Auskunft des Generalsekretariats des Rates hat aufgrund offensichtlicher Mehrheitsverhältnisse keine formelle Abstimmung stattgefunden. Das Ratsprotokoll 5993/92 dokumentiert nur die Annahme des Richtlinienvorschlags. Allerdings wurde der gemeinsame Standpunkt, der gemäß Art. 149 Abs. 2 B) EGV a. F. beim Verfahren der Zusammenarbeit zu bilden war, laut dem Ratsprotokoll 5860/92 einstimmig getroffen. 77 Rs. C-300/89, Kommission/Rat (Titandioxid), Slg. 1991 I, S. 2867 Rn. 17 ff. Das Urteil betraf die gleiche Abgrenzung von Art. 100a und 130s EGV in der Fassung vor 1993. Des Weiteren enthielt auch die Titandioxid-Richtlinie Umweltschutzanforderungen an das Einbringen, Einleiten und Emittieren von Abfällen. Die damit einhergehende und vom Gemeinschaftsgesetzgeber bezweckte Vereinheitlichung der Produktions- und Wettbewerbsbedingungen stufte der Gerichtshof jedoch auch als Hauptzweck ein, so dass grundsätzlich sowohl Art. 100a als auch 130s EGV a. F. einschlägig waren. 78 In einem früheren Urteil hat er zumindest schon festgestellt, dass die Richtlinie 67/548/EWG in der Fassung der Richtlinie 79/831, ABl. EG 1979 Nr. L 259, S. 10 ff. beiden Zielen dient, dabei aber keine Ausführungen über die Gewichtigkeit und das Rangverhältnis der Ziele gemacht (EuGH Rs. 278/85, Kommission/Dänemark, Slg. 1987, S. 4069 Rn. 16). Allerdings brauchte er damals noch keine Abgrenzung zwischen beiden Zwecken und Kompetenzen vorzunehmen, da 1979 weder Art. 130s noch Art. 100a EGV a. F. existierten. 79 EuGH Rs. C-300/89, Kommission/Rat (Titandioxid), Slg. 1991 I, S. 2867 Rn. 20. 80 EuGH Rs. C-300/89, Kommission/Rat (Titandioxid), Slg. 1991 I, S. 2867 Rn. 19. 81 Schröer, EuR 1991, S. 356 [358 ff., 368]; ders., ausführlich in, Kompetenzverteilung, S. 128 ff., 134 ff.; Nettesheim, EuR 1993, S. 243 [256 ff.]; Thiel, Umweltrechtliche Kompetenzen, S. 150 f.; Glaesner, NuR 1988, S. 166 [170]; T. Stein, EuZW 1995, S. 435 [437]; Vandermeersch, EuropeanLawReview 1987, S. 407 [418 f.]. A.A. Kahl, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 95 EGV Rn. 53; Bardenhewer/Pipkorn, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, EUV/EGV, (5. Aufl.) Art 100a EGV a. F. Rn. 51.
§ 10 Sekundärrechtliche Schranken
187
migen Ratsbeschluss die Richtlinie nichtig wäre. Somit empfiehlt es sich nicht, eine Abgabe auf Pflanzenschutzmittel auf Art. 176 EGV zu stützen. Allerdings könnte aufgrund der deutlich gewordenen Zweifel an der Richtigkeit der Kompetenzgrundlage auch hinsichtlich der Umweltkompetenz eine einschränkende Auslegung von Art. 30 der Richtlinie 67/548/EWG geboten sein. Ob der Europäische Gerichtshof aber einer einschränkenden Auslegung auch folgen würde, ist zweifelhaft. Vor Einführung einer differenzierenden Abgabe auf Pflanzenschutzmittel sollte daher auf europäischer Ebene eine Freistellung von Art. 30 gesichert oder eine entsprechende Änderung der Vorschrift angestrebt werden, andernfalls der Europäischen Gerichtshof die Abgabe nach der bisherigen Rechtsprechung wahrscheinlich als europarechtswidrig einstuft. Die von der Europäischen Kommission angestrebte Neuordnung der Chemi82 kalienpolitik durch die vorgeschlagene Verordnung zur Registrierung, Be83 wertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH) sieht jedoch bisher keine Möglichkeit der Verstärkung des Schutzes der Umwelt durch die Mitgliedstaaten vor. Sowohl Art. 125 der vorgeschlagenen REACHVerordnung als auch der damit zusammenhängende Vorschlag für eine Ände84 rung der Richtlinie 67/548/EWG sehen einen Schutz des freien Wettbewerbs vor, wie er bisher in Art. 30 der Richtlinie 67/548/EWG besteht. Mit Art. 125 des REACH-Vorschlages will die Kommission sogar den Mitgliedstaaten eine Behinderung der Verwendung von chemischen Stoffen, die der REACHVerordnung entsprächen, untersagen. Nach Art. 126 des Vorschlages dürften die Mitgliedstaaten zum Schutz der menschlichen Gesundheit oder der Umwelt allein vorübergehende Maßnahmen treffen.
3. Richtlinie 1999/45/EG über die Einstufung, Verpackung und 85 Kennzeichnung gefährlicher Zubereitungen 86
Die Richtlinie ersetzt die vormals bestehende Richtlinie 78/631/EWG. Sie verfolgt wie die obigen Richtlinien sowohl das Ziel, Mensch und Umwelt zu 87 schützen, als auch die nationalen Vorschriften anzugleichen. Gemäß Art. 1 Abs. 2 i. V. m. Art. 2 Abs. 2 gilt die Richtlinie für alle Zubereitungen, die mindestens einen gefährlichen Stoff im Sinne der Richtlinie 67/548/EWG enthal___________ 82
Kommission (EG), KOM (2001), S. 88. Kommission (EG), KOM (2003), S. 644 (1). 84 Kommission (EG), KOM (2003), S. 644 (2). 85 ABl. EG 1999 Nr. L 200, S. 1 ff. 86 ABl. EG 1972 Nr. L 206, S. 13. 87 Erwägungsgründe der Richtlinie. 83
3. Teil: Europarechtliche Zulässigkeit
188
ten. Auch im Übrigen verweist die Richtlinie für der Bestimmung der Gefährlichkeitsmerkmale und -eigenschaften auf die in der Richtlinie 67/548/EWG ausgeführten Verfahren. Bei Pflanzenschutzmitteln wird ergänzend die Richtlinie 91/414/EWG herangezogen. Hinsichtlich einer Abgabe könnte vor allem die Harmonisierungsklausel über den freien Verkehr von Zubereitungen in Art. 18 der Richtlinie problematisch sein. Die Klausel ist gleich lautend mit Art. 30 der Richtlinie 67/548/EWG und untersagt zum Schutz des freien Warenverkehrs den Mitgliedstaaten Zubereitungen aufgrund ihrer Einstufung und Kennzeichnung nach dieser Richtlinie zu verbieten, zu beschränken oder zu behindern. Da Pflanzenschutzmittel in aller Regel Zubereitungen gefährlicher Stoffe enthalten, würde die Richtlinie 99/45/EG anwendbar sein. Art. 1 Abs. 4 der Richtlinie 99/45/EG bestätigt die Anwendbarkeit, beschränkt sie aber andererseits auf Vorschriften über die Einstufung, Verpackung, Kennzeichnung und Sicherheitsdatenblätter. Damit finden die entsprechenden Artikel 4 bis 14 Anwendung. Fraglich ist, ob Art. 18 der Richtlinie auf für Pflanzenschutzmittel Geltung beansprucht. Dagegen spricht, dass die Richtlinie 91/414/EWG eigenständig die Zulassung und das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln regelt. Art. 18 der Richtlinie 99/45/EG ergänzt weiterhin, dass die Vorschrift nur unbeschadet der anderen Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts gelten soll. Letztendlich ist die Frage für die Europarechtskonformität der vorgeschlagenen Abgabe von nachrangiger Bedeutung, da Art. 18 der Richtlinie nicht über den geprüften Art. 30 der Richtlinie 67/548/EWG hinausgeht. Wenn die Wettbewerbsvorschrift in Art. 30 der Richtlinie 67/548/EWG nach hier vertretener Ansicht einer nach Gefährlichkeit differenzierenden Abgabe auf Pflanzenschutzmittel, welche an die Kennzeichnung anknüpft, entgegensteht, wäre dies auch bei Art. 18 der Richtlinie 99/45/EG der Fall, weshalb auch Art. 18 geändert werden müsste.
III. Regelungen zu Verbrauchsteuern 1. Richtlinie 92/12/EWG über das allgemeine System, den Besitz, die 88 Beförderung und die Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger Waren Mit der auch als Systemrichtlinie bezeichneten Richtlinie ist das Bestreben, die Verbrauchsteuern der Mitgliedstaaten zu harmonisieren, zu einem vorläufi89 gen Abschluss gekommen. Sie bleibt weit hinter der Absicht der Europäischen Kommission zurück, welche eine vollständige Harmonisierung unter Ab___________ 88 89
ABl. EG 1992 Nr. L 76, S. 1 ff. Zur Entwicklung der Harmonisierung Jatzke, Verbrauchsteuerrecht, S. 23 ff.
§ 10 Sekundärrechtliche Schranken
189
schaffung aller Verbrauchsteuern mit Ausnahme von Steuern auf Mineralöle, Spirituosen und Tabakwaren vorschlug. Da derzeit keine weitergehende Har90 monisierung der sonstigen Verbrauchsteuern geplant ist und die Europäische 91 Kommission ausdrücklich Umweltsteuern als zulässig anerkennt, soweit sie sich an die Anforderungen der Richtlinie 92/12/EWG halten, sind die Mitgliedstaaten nicht mehr zum Stillhalten verpflichtet. Die diskutierte Stillhalteverpflichtung der Mitgliedstaaten hinsichtlich der Einführung neuer Verbrauch92 steuern ist somit obsolet geworden. Die Richtlinie gilt gemäß Art. 1 Abs. 1 für Verbrauchsteuern und alle indirekten Steuern, die unmittelbar oder mittelbar auf den Verbrauch von Waren erhoben werden, mit Ausnahme der Umsatzsteuer. Da der europäische Steuerbegriff nicht zwischen Steuern und den deutschen Sonderabgaben unterscheidet, fallen alle gegenleistungslosen, produktbezogenen Abgaben unter diese 93 Richtlinie. Die Vorschläge für Abgaben auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel sehen die Besteuerung der Mittel auf der Hersteller- oder Händlerebene vor, weshalb sie als indirekte Abgaben in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen. Allerdings regelt die Richtlinie nur detailliert die Verbrauchsteuern auf Mineralöle, Spirituosen und Tabakwaren. Bezüglich sonstiger Waren und Dienstleistungen stellt Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie klar, dass hierauf weiterhin Steuern erhoben werden können, soweit diese im Handelsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten keine mit dem Grenzverkehr verbundenen Formalitäten nach sich ziehen. Art. 3 Abs. 3 kommt bis auf das Verbot von Grenzformalitäten eine rein deklaratorische Funktion zu und stellt damit keine eng auszulegende Aus94 nahme dar. Welche Formalitäten untersagt sind, führt die Richtlinie nicht nä___________ 90
Vorgeschlagene Rechtsakte zur Änderung der Richtlinie 92/12/EWG sind unter www.europa.eu.int abfragbar. 91 Kommission (EG), KOM (97) 9, S. 1 ff., 10 ff. 92 Da ein ausdrückliches Stillhaltegebot hinsichtlich der Verbrauchsteuern in Form einer Richtlinie trotz mehrmaliger entsprechender Vorschläge der Europäischen Kommission (ABl. EG 1985 Nr. C 315, S. 5 und ABl. EG 1987 Nr. C 250, S. 3) nicht zustande kam, versuchte man ein entsprechendes Gebot aus Art. 93 EGV abzuleiten (Grabitz, RIW 1989, S. 623 [635 f.]; Gosch, StuW 1990, S. 201 [212f.]). Ein derartiges Stillhalteverbot ist aber abzulehnen. Wie das Gesetzgebungsverfahren zur VerbrauchsteuerRichtlinie indes zeigte, muss ein Vorschlag der Kommission nicht eins zu eins vom Rat und Parlament umgesetzt werden, so dass eine vorauseilende Stillhalteverpflichtung die Souveränität der Mitgliedsstaaten zu stark einschränkt (kritisch insoweit Ohler, fiskalische Integration, S. 155 f., Wasmeier, Umweltabgaben und Europarecht, S. 287). 93 Wasmeier, Umweltabgaben und Europarecht, S. 284. 94 Wasmeier, Umweltabgaben und Europarecht, S. 287. Vgl. auch das Urteil EuGH C-434/97, Kommission/Frankreich, Slg. 2000 I, S. 1129 Rn. 13, 26 f. zu Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie, in dem der EuGH eine von der Kommission zur Verwirklichung des Binnenmarktes geforderte enge Auslegung unter Bezugnahme auf Art. 3 Abs. 3 nicht folgte.
190
3. Teil: Europarechtliche Zulässigkeit
her aus. In der Literatur geht die überwiegende Ansicht dahin, dass ein steuerlicher Grenzausgleich noch möglich ist, soweit die damit verbundene Erfas95 sung nicht mehr beim tatsächlichen Grenzübertritt erfolgt. Die Entstehungsgeschichte der Vorschrift habe gezeigt, dass die Mitgliedstaaten lediglich Behinderungen durch Kontrollen beim Grenzübertritt ausschließen, nicht aber auf 96 jegliche Kontrolle grenzüberschreitender Warenlieferung verzichten wollten. Inländische Steuerlager, wie es Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 92/12/EWG bei Mineralölen, Spirituosen und Tabakwaren vorsieht, sollen demnach weiterhin 97 zulässig sein. Die Abgabenvorschläge dürften somit keine Grenzformalitäten nach sich ziehen. Beim Handel mit Dünge- und Pflanzenschutzmitteln entstehen verschiedene Warenströme. Für die Lenkungswirkung ist allein entscheidend, dass alle Verkäufe an den inländischen Landwirt belastet werden. Lieferungen ins Ausland sind, um Wettbewerbsverzerrungen zu Lasten deutscher Hersteller 98 und Exporteure zu vermeiden, von der Abgabe zu befreien. Weiterhin können auch alle Lieferungen an inländische Zwischenhändler befreit werden, egal ob sie von einem in- oder ausländischen Hersteller oder Zwischenhändler (einschließlich ausländischer Exporteure) stammen, da als Abgabenschuldner der letzte inländische Verkäufer genügt. Als einzige gemeinschaftsrechtlich relevante Warenbewegungen verbleiben daher Lieferungen von einem Hersteller oder Händler aus einem anderen Mitgliedstaat an einen inländischen Landwirt und der direkte Eigenerwerb eines Landwirtes in einem anderen Mitgliedstaat. Für letzteren Fall ließe sich eine selbstständige Abgabepflicht des Landwirts normieren, die entsprechend der schlagspezifischen Dokumentationspflicht 99 nach § 5 Abs. 4 BNatSchG kontrollierbar wäre. Ein System der Steuerla100 ger , wie es z. B. das deutsche Kaffeesteuergesetz (§§ 5-7) vorsieht, ist demgegenüber allenfalls für eine bessere Kontrolle der Unternehmer nötig. Grundsätzlich ist eine buß- bzw. strafgeldbewehrte Zahlungsverpflichtung als ausreichend anzusehen, da die Hersteller und Händler auch schon aufgrund handels-, gesellschafts- sowie steuerrechtlicher Normen zu einer umfassenden Buchfüh___________ 95
Ohler, fiskalische Integration, S. 171; Wasmeier, Umweltabgaben und Europarecht, S. 287 ff.; Jatzke, Verbrauchsteuerrecht, S. 48 ff. A.A. Arndt, CO2-/Energiesteuer, S. 120 ff., Pernice, NVwZ 1990, S. 201 [204]. 96 Jatzke, Verbrauchsteuerrecht, S. 49; Ohler, fiskalische Integration, S. 171; Bongartz, in: Peters/Bongartz/Schröer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht, Rn. B 13. 97 Wasmeier, Umweltabgaben und Europarecht, S. 288 f.; Ohler, fiskalische Integration, S. 171. 98 Vgl. die Ausgestaltungen in Schweden und Dänemark (§ 7 A. II. 1. und 2.). 99 Vgl. § 4 schwed. DüngStG; § 4 schwed. PflStG; §§ 2, 18 dän. DüngStG; §§ 3 f., 12 dän. PflStG (§ 7 A. II. 1. und 2.). 100 Steuerlager ist ein rechtlicher Status für einen Unternehmer bei dem die Steuer ausgesetzt ist.
§ 10 Sekundärrechtliche Schranken
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rung ihrer Umsätze verpflichtet sind, aus denen sich fast alle nötigen Angaben entnehmen lassen. Ob die im Übrigen auch kontrollbedürftige Einrichtung von Steuerlagern dem Steuermissbrauch besser vorbeugt, erscheint zweifelhaft. Soweit Hersteller oder Händler aus einem anderen Mitgliedstaat in Deutschland selber verkaufen, würden sie der normalen Abgabenpflicht unterliegen. Dies ist zwar mit Nachweispflichten und Formalitäten verbunden. Es handelt sich hierbei aber um keine Formalitäten die aufgrund des Grenzübertritts erfolgen, sondern um Pflichten die jeder inländische Abgabenzahler unabhängig vom Grenzübertritt erfüllen muss. Sie lassen sich mit der Umsatzsteuerpflicht ausländischer Unternehmer in Deutschland vergleichen. Im Ergebnis steht Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 92/12/EWG den vorgeschlagenen Abgaben auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel nicht entgegen, da diese keine Grenzformalitäten erfordern.
2. 6. EG-Umsatzsteuer-Richtlinie
101
Die Umsatzsteuer als allgemeine Verbrauchsteuer erfasst weitgehend alle Waren und Dienstleistungen. Spezielle Verbrauchsteuern könnten daher auch von der Harmonisierung der Umsatzsteuer betroffen sein. Das Verhältnis beider Steuerarten regelt Art. 33 der 6. EG-Umsatzsteuer-Richtlinie, indem er klarstellt, dass neben der Umsatzsteuer weiterhin Verbrauchsteuern bzw. sonstige Abgaben zulässig sind, sofern diese nicht den Charakter von Umsatzsteuern haben und nicht mit Formalitäten beim Grenzübergang verbunden sind. Die Einhaltung letzterer Bedingung konnte schon bei der vorhergehenden Richtlinie 92/12/EWG geklärt werden. Hinsichtlich der ersten Anforderung kommt es auf eine Bestimmung des Charakters der Umsatzsteuer an. Nach Ansicht des Gerichtshofes soll Art. 33 die Einführung von Steuern, Abgaben und Gebühren verhindern, die das Funktionieren des gemeinsamen Umsatzsteuersystems dadurch beeinträchtigen, dass sie den Waren- und Dienstleistungsverkehr in einer 102 der Umsatzsteuer vergleichbaren Art und Weise belasten. Die Umsatzsteuer charakterisiert er dabei wie folgt: „Die Mehrwertsteuer gilt ganz allgemein für alle Umsätze mit Gegenständen und Dienstleistungen, sie ist, unabhängig von der Anzahl der Geschäfte, proportional zum Preis dieser Gegenstände und Dienstleistungen, sie wird auf jeder Stufe der Erzeugung und des Vertriebs erhoben, und sie erfasst schließlich den Mehrwert der Gegenstände und Dienstleistungen, d. h., die bei einem Umsatz entstehende Steuer wird unter Abzug ___________ 101
RL 77/388/EWG, ABl. EG 1977 Nr. L 145, S. 1 ff. EuGH Rs C-28/96, Fazenda Publica/Fricarnes, Slg. 1997 I, S. 4939 Rn. 36 f. m. w. N.; Rs. C-437/97, EKW und Wein & Co, Slg. 2000 I, S. 1157 Rn. 20 f. m. w. N. 102
192
3. Teil: Europarechtliche Zulässigkeit
der Steuer berechnet, die bei dem vorhergehenden Umsatz entrichtet worden 103 ist“. Die Abgaben auf handelbare Dünge- und Pflanzenschutzmittel sollen, wie die Umsatzsteuer, prozentual und damit proportional zum Preis erhoben werden. Andererseits beziehen sie sich nicht auf alle, sondern nur auf ganz bestimmte Produkte. Auch sehen die Vorschläge keine Abgabenpflicht auf jeder Produktions- und Vertriebsstufe vor, sondern es soll allein der letzte Verkauf an den Landwirt erfasst werden, egal ob er vom Hersteller oder Großhändler erfolgt. Bei einem unmittelbaren Ankauf durch den Landwirt im Ausland, trifft die Abgabenpflicht ihn sogar persönlich. Letztendlich fehlt es auch an dem entscheidenden Merkmal des Vorsteuerabzugs, da die Abgaben nur einmal und dann aber vollständig auf der letzten Vertriebsstufe zu erheben sind. Damit haben die Abgabenvorschläge keinen mit der Umsatzsteuer vergleichbaren Charakter, so dass Art. 33 der 6. EG-Umsatzsteuer-Richtlinie einer Abgabe auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel nicht entgegensteht.
C. Zusammenfassung Das von den Organen der Gemeinschaft erlassene sekundäre Gemeinschaftsrecht ist für die Mitgliedstaaten bindend und hat ihnen mittlerweile weit reichende Vorgaben auferlegt. Aufgrund des Souveränitätsvorbehalts im Abgaben- und Steuerrecht existieren in diesem Bereich nur Harmonisierungsrichtlinien für indirekte Steuern, insbesondere für die Umsatzsteuer und Verbrauchsteuern. Bei der Änderung der Grundsteuer sind keine sekundären Gemeinschaftsvorschriften zu beachten. Für die Umsatzsteueränderung muss vor allem die Vereinbarkeit mit der 6. EG-Umsatzsteuer-Richtlinie gewahrt sein. Diese erlaubt nur zwei ermäßigte Umsatzsteuersätze von mindestens 5 Prozent auf die im Anhang H aufgelisteten Waren. Eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur ermäßigten Besteuerung bestimmter Produkte besteht nicht. Es können deshalb konventionelle Agrarerzeugnisse aus der bisher in Deutschland bestehenden Steuerermäßigung von 7 Prozent herausgenommen und die Ermäßigung auf ökologische Nahrungsmittel beschränkt werden, so dass sich eine Differenz von 9 Prozent ergibt. Eine dringende Reformation bedarf jedoch der pauschale Vorsteuerausgleich in § 24 UStG, da die Erhebung von Durchschnittssätzen mit dem gemeinschaftsrechtlichen Verbot von mehr als zwei ermäßigten Steuersätzen kollidiert. Gleichfalls sollte, um auch bei pauschalisiert besteuerten Landwirten eine Len___________ 103
EuGH Rs. C-437/97, EKW und Wein & Co, Slg. 2000 I, S. 1157 Rn. 22. m. w. N.; Rs C-28/96, Fazenda Publica/Fricarnes, Slg. 1997 I, S. 4939 Rn. 38; Rs. 252/86, Bergando, Slg. 1988, S. 1343 Rn. 15.
§ 10 Sekundärrechtliche Schranken
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kungswirkung zu erzielen, konventionelle Landwirte von der Sonderregelung ausgenommen werden, wenn man die systemfremde Vorschrift nicht gleich ganz abschafft. Eine Vielzahl von Verordnungen und Richtlinien betreffen aufgrund der weit reichenden Regelung die Vorschläge für Abgaben auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel. Während die Abgabe auf mineralische Düngemittel und Klärschlämme unproblematisch ist, soweit die Abgabe nicht nach der Zusammensetzung differenziert, stehen insbesondere der wichtigen Differenzierung einer Pflanzenschutzabgabe nach der Gefährlichkeit der Stoffe die Wettbewerbsschutzvorschrift in Art. 30 der Richtlinie 67/548/EWG sowie die gleich lautende Vorschrift in Art. 18 der Richtlinie 1999/45/EG entgegen. Diese untersagen den Mitgliedstaaten jede Beschränkung des Handels aufgrund der Einstufung und Kennzeichnung gefährlicher Stoffe und Zubereitungen, wozu auch die vorgeschlagene abgabenrechtliche Belastung anhand der Einstufungen gehört. Ob Deutschland sich für eine differenzierende Abgabe auf die umweltrechtliche Schutzverstärkungserlaubnis in Art. 176 EGV stützen kann, ist in Anbetracht des mit den Richtlinien auch verbundenen Regelungszwecks der Harmonisierung von Zulassungsvorschriften sehr zweifelhaft. Wie der Europäische Gerichtshof im Falle einer Klage entscheiden wird, lässt sich aufgrund der schwierigen Rechtslage und wandelnder Rechtsprechung bei einer doppelten Kompetenzabstützung nicht sicher prognostizieren. Für eine Differenzierung nach der Umweltbelastung empfiehlt es sich deshalb, vor Einführung die Richtlinien zu ändern, um auf Gemeinschaftsebene rechtliche Sicherheit herzustellen. Allderings will die Europäische Gemeinschaft derzeit ihr Chemikalienrecht durch die von der Kommission vorgeschlagene REACH-Verordnung neu fassen, die jedoch keine umweltrechtlichen Schutzverstärkungsklauseln für Mitgliedstaaten vorsieht, vielmehr sogar jede Behinderung der Verwendung chemischer Stoffe untersagt. Eine Änderung noch im Rahmen dieses Rechtsetzungsverfahren ist anzustreben aber unwahrscheinlich. Hinsichtlich der sonstigen Richtlinien ist zu beachten, dass die Abgaben auf Düngemittel als auch auf Pflanzenschutzmittel keine Grenzformalitäten mit sich bringen dürfen und hinreichend vom Umsatzsteuersystem abzugrenzen sind, indem sie nur einmal auf der letzten Vertriebsstufe ohne Vorsteuerabzug erhoben werden.
Vierter Teil
Verfassungsrechtliche Zulässigkeit von Umweltabgaben zur Ökologisierung der Landwirtschaft Die vorgeschlagenen Änderungen der Grund- und Umsatzsteuer wie auch die Abgaben auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel müssen sich mit dem deutschen Grundgesetz vereinbaren lassen. Umweltabgaben, die zu einem umweltfreundlicheren Handeln anregen sollen, sind dabei nur ein spezieller Anwendungsbereich von Lenkungsabgaben. Der verhaltenslenkende Einsatz von Steuern und Abgaben hat in der verfassungsrechtlichen Dogmatik vielfältige Probleme und Diskussionen hervorgerufen. Die Doppelfunktion von Lenkungsabgaben als Finanzierungsmittel des Staates und als politisches Steuerungsmittel hat zur Konsequenz, dass sowohl die fiskalischen Regelungen des Grundgesetzes als auch die freiheits- und gleichheitssichernden Normen, vor allem die Grundrechte, betroffen sind. Aufgrund ihrer zweifachen Eingriffswirkung als Zahllast wie als Verhaltensbeeinflussung können Lenkungsabgaben eine doppelte Rechtfertigung und Rechtsgrundlage erfordern. Lenkungsabgaben sind prinzipiell bei allen Formen staatlicher Einnahmeerzielung denkbar, soweit sie die spezifischen Merkmale beachten. Während Beiträge und Gebühren als Äquivalent für eine staatliche Gegenleistung erhoben werden, sind Steuern und Sonderabgaben gegenleistungs1 lose, allgemeine Finanzierungsmittel. Die vorgeschlagenen Umweltabgaben zur Ökologisierung der Landwirtschaft knüpfen an keine staatliche Gegenleistung an. Soweit eine Änderung der Grundsteuer und der Umsatzsteuer vorgesehen ist, beschränken sich die Vorschläge auf das Instrument der Steuer, welche dem allgemeinen Staatshaushalt zukommen. Hinsichtlich der neu einzuführenden Abgaben auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel käme eine Ausgestaltung als Steuer aber auch als Sonderabgabe in Betracht. Da Art. 105 f. GG die Steuer ausdrücklich als das Finanzierungsinstrument des Staates vorsieht, ist die Steuer der nicht geregelten Sonderabgabe grundsätzlich vorzuziehen, welche aufgrund ihrer Konkurrenzstellung erhebliche verfassungsrechtliche Be2 denken aufwirft. ___________ 1
BVerfGE 49, S. 343 [353 f.]; 65, S. 325 [344]; 67, S. 256 [274 f.]; 93, S. 319 [343 f.]; ZUR 2005, S. 426 [427]. 2 Zur verfassungsrechtlichen Diskussion bei Sonderabgaben siehe § 11 C. III. 1.
4. Teil: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit
195
Auch wenn im Vordergrund dieser Arbeit die Ausgestaltung und die rechtlichen Möglichkeiten konkreter Lenkungsabgaben stehen, kann eine exakte Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit nur erfolgen, wenn die verfassungsrechtlichen Grenzen vorher geklärt sind, weshalb vor der Prüfung eine dogmatische Erörterung der generellen Zulässigkeit von Lenkungsabgaben stattfinden muss. In Anbetracht der Thematik dieser Arbeit ist die dogmatische Untersuchung auf die bei den Abgabenvorschlägen abzeichnenden Probleme und konkreten Prüfungsfragen zu beschränken. Eine umfassende Behandlung der Dogmatik von Lenkungsabgaben, die z. B. Gebühren und Beiträge diskutiert, ist nicht Zweck dieses Kapitels. Vielmehr soll versucht werden, Grundsätzliches festzuhalten, Begriffsverwirrungen klarzustellen und einen anwendbaren Maßstab zur Überprüfung konkreter Einzelsteuern herauszuarbeiten, unter welchen sich die vorgeschlagenen Steueränderungen oder Abgaben subsumieren lassen. Dabei liegt der Schwerpunkt der Untersuchung auf der Zulässigkeit von Umweltsteuern. Für alle Abgabenvorschläge ist die Klärung folgender Fragen von entscheidender Bedeutung: Inwieweit gestatten die Finanzordnung und die Steuerkompetenz in Art. 105 f. GG den Einsatz von Lenkungssteuern? Welche Anforderungen resultieren aus den Freiheitsgrundrechten? Verlangt der Gleichheitsgrundsatz die Einhaltung bestimmter Gerechtigkeitsmaßstäbe?
§ 11 Verfassungsrechtliche Finanzordnung Die Art. 105 und 106 GG regeln die Gesetzgebungskompetenz für die Erhebung von Steuern und die Verteilung des Steueraufkommens zwischen Bund, Ländern und Gemeinden. Aus der Finanzverteilung in Art. 106 GG, die verschiedene Steuerarten und -klassen aufzählt, leitet die Rechtswissenschaft verschiedene, oftmals umstrittene Anforderungen für Steuern im Allgemeinen und Lenkungssteuern im Besonderen ab. Nach Art. 106 GG bestimmt sich gemäß Art. 105 Abs. 2 GG grundsätzlich auch, wem die Gesetzgebungskompetenz zusteht. Bei Lenkungssteuern ist allerdings aufgrund der Doppelfunktion fraglich, ob neben der Steuerkompetenz auch eine Sachkompetenz gemäß Art. 70 ff. GG erforderlich ist. Des Weiteren kann eine verhaltenslenkende Steuer mit Sachregelungen in Konflikt geraten, so dass sich die Frage stellt, wann ein unzulässiger Wertungswiderspruch innerhalb der Rechtsordnung vorliegt und wie er zu beheben ist. Bevor näher auf die verschiedenen Anforderungen an Lenkungssteuern eingegangen wird, ist der verfassungsrechtliche Steuerbegriff zu bestimmen, um eine Zuordnung der Abgabenvorschläge zu ermöglichen.
A. Verfassungsrechtlicher Steuerbegriff Das Grundgesetz definiert in Art. 105 f. GG den Begriff der Steuer nicht, sondern setzt ihn als gegeben voraus. Das Bundesverfassungsgericht ging in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass das Grundgesetz an die schon exis1 tierende Definition in der Abgabenordnung anknüpft. Mittlerweile hat sich je2 doch ein eigenständiger verfassungsrechtlicher Steuerbegriff entwickelt, der mit der Definition in § 3 AO aber noch die wesentlichen Merkmale teilt: 1. Eine Steuer ist eine Geldleistung und keine Natural- oder Dienstleistung. 2. Sie ist keine Gegenleistung für besondere hoheitliche Leistungen, steht daher anders als Gebühren und Beiträge nicht in einem Synallagma. ___________ 1
BVerfGE 49, S. 343 [353 f.]; 65, S. 325 [344]; 67, S. 256 [282] m. w. N.; Lang, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 3 Rn. 10 m. w. N. 2 BVerfGE 67, S. 256 [282]; 84, S. 239 [269]; Siekmann, in: Sachs, GG, vor Art. 104a Rn. 49, 51 ff.; Lang, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 3 Rn. 12 ff.
§ 11 Verfassungsrechtliche Finanzordnung
197
3. Sie ist voraussetzungslos zu erheben. 3
4. Sie ist eine Gemeinlast , die zur Einnahmeerzielung von einem öffentlich4 rechtlichen Gemeinwesen auferlegt wird und der allgemeinen Deckung des Finanzbedarfs desselben dient. Die Einnahmeerzielung ist begriffsnotwendig. Sie muss endgültig sein, was eine vorgesehene Rückzahlung rechtmä5 ßig erhobener Steuern ausschließt. Um „der Notwendigkeit Rechnung zu tragen, dass die Steuer in der modernen Industriegesellschaft zwangsläufig auch zum zentralen Lenkungsinstru6 ment aktiver staatlicher Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik geworden ist“, hat das Bundesverfassungsgericht und die Rechtswissenschaft den verfassungs7 rechtlichen Steuerbegriff für außerfiskalische Lenkungszwecke geöffnet. Lenkungssteuern sind zulässig, soweit sie nicht die Einnahmeerzielung 8 gänzlich unterbinden und damit die Form der Steuer missbrauchen. Derartige „erdrosselnde“ Steuern kommen in ihren Auswirkungen einem ordnungsrechtlichen Verbot nahe, welches dann das verfassungsrechtlich vorgesehene Mittel 9 ist, um Verhaltensweisen absolut vorzuschreiben. Allerdings kann der z. B. wirtschafts-, sozial- oder umweltpolitische Lenkungszweck nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts durchaus Hauptzweck einer Steuer sein, solange 10 der Fiskalzweck existent bleibt. Mit den Urteilen zur so genannten Ökosteuer
___________ 3
BVerfGE 84, S. 239 [269]; 98, S. 106 [118]. Das Grundgesetz sieht eine Erhebung nur durch Bund, Länder, Gemeinden (Art. 105 f.) und Kirchen (Art. 140 i. V. m. Art. 137 Abs. 6 WRV) vor. 5 BVerfGE 67, S. 256 [282 f.]. 6 BVerfGE 55, S. 274 [299]; 67, S. 256 [282]. 7 BVerfGE 16, S. 147 [161]; 38, S. 61 [79 f.]; 55, S. 274 [299]; 93, S. 121 [147]; 98, S. 106 [117 f.]; Papier, Gesetzesvorbehalte, S. 80 ff. mit überzeugender grundsätzlicher Begründung; Rodi, Rechtfertigung von Steuern, S. 194; Selmer, Steuerinterventionismus, S. 209 ff.; ders., UTR Bd. 16, Umweltschutz durch Abgaben und Steuern, S. 15 [21 f.]; Vogel, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 87 Rn. 51 f.; Tipke, Steuerrechtsordnung, S. 364 ff.; Meßerschmidt, Umweltabgaben, S. 110 f.; Osterloh, NVwZ 1991, S. 823 [826 f.]; Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 71 ff., 200 f.; v. Arnim, VVDStRL 30 (1981), S. 286 ff.; P. Kirchhof, DStJG Bd. 15, S. 21. Ausdrücklich befürwortet Lang, UTR Bd. 16, S. 55 [87] den ökologischen Umbau des Steuerrechts. 8 BVerfGE 16, S. 147 [161]; 38, S. 61 [80 f.]; 93, S. 121 [147]; BVerwGE 96, S. 272 [288]; P. Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 88 Rn. 55; Lang, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 3 Rn. 10; Siekmann, in: Sachs, GG, vor Art. 104 a Rn. 63 f.; Vogel, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 87 Rn. 51. 9 Lang, DStJG Bd. 15, S. 115 [125]. 10 BVerfGE 3, S. 407 [409]; 7, S. 244 [251]; 16, S. 147 [162]; 38, S. 61 [80]; 98, S. 106 [118]. Ähnlich auch BVerwGE 96, S. 272 [290]. 4
198
4. Teil: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit 11
(erhöhte Mineralölsteuer und neue Stromsteuer ) hat das Bundesverfassungs12 gericht nunmehr explizit Umweltsteuern anerkannt.
I. Allgemeine Legitimation von Steuern Die grundsätzliche Rechtfertigung von Steuern hängt eng mit der Rechtfer13 tigung des Staates als friedensstiftende Gesellschaftsform zusammen. Die Aufgaben und Pflichten, welche dem Staat durch das Grundgesetz zugewiesen sind, erfordern, dass der Staat finanziell in die Lage versetzt wird, diese Aufga14 ben zu erfüllen. Die Bürger übernehmen diese finanzielle Verantwortung, in15 dem sie als Gemeinlast mit Steuern den Staatshaushalt finanzieren. Der Staat ist ein Steuerstaat. Die Nennung von Steuern in Art. 105 f. GG positiviert nur 16 die Notwendigkeit eines Steuerstaates. Erst die Steuerpflicht statt der Dienstleistungspflicht ermöglicht dem Bürger, seine grundrechtlich geschützten Frei17 heiten auch wahrzunehmen. Die Staatsfinanzierung steht demnach als rechtfertigender Grund hinter allen Steuern. Es können, wie bei Lenkungssteuern, andere Gemeinwohlinteressen von Verfassungsrang hinzutreten.
___________ 11
Gesetz zum Einstieg in die ökologische Steuerreform, BGBl. I 1999, S. 378, gemäß des Gesetzes zur Fortentwicklung der ökologischen Steuerreform, BGBl. I 2002, S. 4602. 12 BVerfG NVwZ 2004, S. 846-850. 13 Tipke, Steuerrechtsordnung, S. 228 ff. 14 Tipke, Steuerrechtsordnung, S. 230; Rodi, Rechtfertigung von Steuern, S. 28 f. Von einem anderen Ansatz geht hingegen P. Kirchhof (z. B., in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 88 Rn. 84, 92 ff.) aus. Steuern sind seiner Ansicht nach durch die gestattete Teilhabe am wirtschaftlichen Geschehen gerechtfertigt, weshalb Steuern sich auf die Sozialpflichtigkeit des Eigentums in Art. 14 Abs. 2 GG stützen können. Dieser Begründungsansatz ist jedoch insofern fraglich, als man von naturgegebenen und nicht vom Staat verliehenen Grundfreiheiten ausgeht. Dies mag zwar beim Eigentum, als einer staatlich eingerichteten Rechtsposition zweifelhaft sein, nicht allerdings bei der Berufs- und Erwerbstätigkeit. 15 Jachmann, StuW 2000, S. 239 f.; Trzaskalik, Gutachten zum 63. Dt. Juristentag, S. 49. 16 BVerfGE 78, S. 249 [266 f.]; 93, S. 319 [342]; Vogel, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 87 Rn. 43; Selmer/Brodersen, DVBl. 2000, S. 1153 [1164]. Ob die Nennung von konkreten Einzelsteuern in Art. 106 GG eine rechtfertigende materielle Wirkung zukommt (so z. B. BVerfGE 13, S. 331 [348]) ist sehr umstritten (kritisch z. B. Tipke, Steuerrechtsordnung, S. 233, 298 ff.; Trzaskalik, Gutachten zum 63. Dt. Juristentag, S. 45, 57). 17 Isensee, in: Stödter/Thieme, FS Ipsen, S. 409 [424]; Rodi, Rechtfertigung von Steuern, S. 28 f.
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199
II. Legitimer Anknüpfungsgegenstand von Steuern Umweltsteuern entfalten ihre Lenkungswirkung nur, wenn der Steuertatbestand umweltbelastendes Verhalten erfasst. Dies kann unmittelbar oder mittelbar erfolgen, je nachdem, ob die konkrete Handlung oder z. B. das hergestellte Produkt besteuert wird. Für Umweltsteuern ist daher nicht jeder Steuergegenstand gleich geeignet. Fraglich ist, ob das Instrument der Steuer schon begrifflich, d. h. von ihrem verfassungsrechtlichen Wesen her, bestimmte Steuergegenstände ausschließt. Insbesondere ist umstritten, ob schon Art. 106 GG eine Anknüpfung an die Leistungsfähigkeit erfordert. Die in letzter Zeit verstärkt geäußerte Auffassung hält allein ein Anknüpfen an Steuergegenstände für ver18 fassungsgemäß, die finanzielle Leistungsfähigkeit indizieren. Die Argumentation beruft sich auf die als Rechtsfolge angeordnete Geldzahlungspflicht, die nur aus dem gespeicherten Einkommen erbracht werden kann, weshalb Steuern die Leistungsfähigkeit der Adressaten nicht außer Acht lassen dürfen. Diese Ansicht übersieht jedoch, dass Gebühren und Beiträge auch Geldzahlungspflichten normieren, ohne dass man deswegen eine Berücksichtigung der finanziellen Leistungsfähigkeit fordert. Vielmehr ist anerkannt, dass Gebühren 19 und Beiträge sich nach dem Äquivalenzprinzip richten sollen. Gewichtiger ist deshalb das Argument, dass Art. 106 GG nur Steuern aufzähle, welche an die 20 Leistungsfähigkeit anknüpfen. Ob man eine solche Aussage aus Art. 106 GG 21 herleiten kann, erscheint in Anbetracht der vom Parlamentarischen Rat aufgelisteten Aufzählung bekannter Steuern fraglich, da diese Aufzählung weder ein gerechtes, ausgewogenes Steuersystem beinhaltet, noch eine Erwähnung schon 22 die Einzelsteuer rechtfertigt. Aus der Ertragverteilungsregel – die Art. 106 GG darstellt – lassen sich keine konkreten Wertentscheidungen des Verfas___________ 18
P. Kirchhof, DStJG Bd. 15, S. 3 [21 ff.]; ders., in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 88 Rn. 69 ff.; ders., StuW 1994, S. 297 [298 f. ]; Trzaskalik, Gutachten zum 63. Dt. Juristentag, S. 28, 46 ff., ders., StuW 1992, S. 135 [141]; Selmer/Brodersen, DVBl. 2000, S. 1153 [1159]; Köck, JZ 1991, S. 692 [696 f.]; Morgenthaler, DStJG Bd. 15, S. 197 [210]; Müller-Franken, JuS 1997, S. 872 [874 f.]; Vogel, DStJG Bd. 12, S. 123 [142]. Teilweise verwenden die Autoren den Begriff der Zahlungsfähigkeit synonym für finanzielle Leistungsfähigkeit. 19 P. Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 88 Rn. 199, Rn. 213, 220; Lang, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 3 Rn. 18, 20. 20 Trzaskalik, Gutachten zum 63. Dt. Juristentag, S. 28, 46; ders., StuW 1992, S. 135 [141]. 21 JöR (n. F.) 1951, S. 750 ff. 22 Trzaskalik, Gutachten zum 63. Dt. Juristentag, S. 45, 57; Lang, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 3 Rn. 3; Tipke, Steuerrechtsordnung, Bd. III 1092 ff.; Wendt, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 104 Rn. 28 f.; Jarass, Nichtsteuerliche Abgaben und lenkende Steuern, S. 17. Bei der Verbrauchsteuer nach Art. 106 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 Nr. 5 GG ist zweifelhaft, ob sich die Steuern überhaupt mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip vereinbaren lassen (Tipke, Steuerrechtsordnung, S. 959 ff.; ausführlich unter § 11 C. III. 4.).
200
4. Teil: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit 23
sungsgebers oder gar eigenständige Steuerprinzipien ableiten. So kennt dann auch der verfassungsrechtliche Steuerbegriff des Bundesverfassungsgerichts, wie ausgeführt, keine Beschränkung auf Steuergegenstände, die Leistungsfähigkeit ausdrücken. Vielmehr hat das Gericht den Begriff ausdrücklich für 24 Lenkungszwecke geöffnet. Nach herrschender Ansicht leitet sich das Leistungsfähigkeitsprinzip nicht aus Art. 106 GG, sondern aus Art. 3 Abs. 1 GG 25 ab. Normiert Art. 3 Abs. 1 GG die Anforderung, die Steuerlast nach der Leistungsfähigkeit zu verteilen, kann das Leistungsfähigkeitsprinzip kein steuerlicher Legitimationsgrund für die Steuer als solche sein, da die Anforderungen 26 von Art. 3 GG keine materiellen Inhalte von Art. 105 f. GG sind. Soweit man sich auf eine gleichheitsrechtlich gebotene Steuerlastverteilung nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip stützt, ist weiter zu beachteten, dass das Prinzip zuguns27 ten anderer, gewichtigerer Ziele zurücktreten kann. Aus dem gleichheitsrechtlichen Leistungsfähigkeitsprinzip lassen sich somit keine Rückschlüsse für die Frage ziehen, ob der Steuertatbestand unabhängig von dem gebotenen Verteilungsmaßstab Leistungsfähigkeit indizieren muss. Darüber hinaus lässt sich auch die Reduzierung des Leistungsfähigkeitsprin28 zips auf monetäre Leistungsfähigkeit anzweifeln. So will Gawel die Leistungsfähigkeit nicht allein auf die finanziellen Verhältnisse beschränken, sondern auf alle Möglichkeiten der Bedürfnisbefriedigung erweitern. Maßstab wäre statt des monetären Einkommens das reale Einkommen des Individuums, welches die oftmals kostenlose Nutzung von Umweltgütern zur Bedürfnisbefriedigung mit umfasst. Die Befürworter einer monetären Leistungsfähigkeit wenden gegen diesen Ansatz vor allem die Beliebigkeit und Unkontrollierbar29 keit eines solchen Einkommensbegriffs ein. Allerdings muss man auch bei einer monetären Leistungsfähigkeit bedenken, dass die in Geld ausgedrückte ___________ 23
Lang, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 3 Rn. 3; Tipke, Steuerrechtsordnung, Bd. III 1092 ff.; Wendt, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 104 Rn. 28 f. 24 Vgl. Osterloh, NVwZ 1991, S. 823 [826 f.]. 25 BVerfGE 61, S. 319 [343 f.]; 93, S. 121 [135]; 97, S. 332 [346]; 99, S. 246 [260]; Reiß, DStJG Bd. 13, S. 3 [10 ff.]; Tipke, Steuerrechtsordnung, S. 479 ff.; Lang, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 4 Rn. 81 ff.; Trzaskalik, Gutachten zum 63. Dt. Juristentag, S. 46 ff.; Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 50 ff., S. 163; Vogel, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 87 Rn. 90 ff.; Huster, Rechte und Ziele, S. 358 f. Ausführlich in § 13 B. I. 26 Die Einhaltung des Leistungsfähigkeitsprinzips bedeutet nur, dass keine Beeinträchtigung des Gleichheitsgrundsatzes vorliegt. Eine Rechtfertigung für die Belastung und den möglichen Eingriff in Art. 14 GG liegt damit noch nicht vor, sondern ist in dem Finanzbedarf des Staates und der Verantwortung der Bürger zu suchen. 27 Ausführlich zur Abwägung im Gleichheitssatz unter § 13 B. 28 StuW 1999, S. 374 ff.; ders., Umweltabgaben zwischen Steuer- und Gebührenlösung, S. 43 ff. 29 Kritisch z. B. Trzaskalik, Gutachten zum 63. Dt. Juristentag, S. 46 in Fn. 174.
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Leistungsfähigkeit ebenfalls nur ein relativer Maßstab ist. Geld ist als abstrakter Tauschwert nur soviel wert, wie sich damit Bedürfnisse befriedigen lassen. Starke Inflation mit einem Anstieg der Löhne macht die Leute nicht reicher, sondern ärmer, wenn die Preise schneller steigen. Monetäre Leistungsfähigkeit kann daher allein die Möglichkeit der Bedürfnisbefriedigung indizieren. Es ist deshalb durchaus konsequent, unter Leistungsfähigkeit die tatsächliche Möglichkeit der Bedürfnisbefriedigung zu verstehen und hierbei auch die unentgeltliche Bedürfnisbefriedigung an Umweltgütern mit einzubeziehen. Auch wenn aus Gründen der Praktikabilität eine steuerliche Einbeziehung aller befriedigten Bedürfnisse kaum möglich ist, bedeutet dies andererseits nicht, dass die Verfassung Steuern auf Gegenstände beschränkt, die nur finanzielle Leistungsfähigkeit ausdrücken. Eine derartige Beschränkung ist abzulehnen.
B. Gesetzgebungskompetenz Das Grundgesetz regelt in Art. 105 GG die finanzrechtliche Kompetenzverteilung. Der Bund hat nach Absatz 2 die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für alle Steuern, soweit ihm das Aufkommen nach Art. 106 GG ganz oder zum Teil zusteht bzw. die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG vorliegen. Da die Grundsteuer nach Art. 106 Abs. 6 GG den Gemeinden gehört und die Abgaben auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel möglicherweise als Verkehrsteuern im Sinne von Art. 106 Abs. 2 Nr. 4 GG den Ländern zustehen, kommt es auf die Anforderungen des Art. 72 Abs. 2 GG an. Bei Lenkungssteuern ist schließlich weiterhin zu klären, ob neben der Steuerkompetenz eine Sachkompetenz nötig ist und wem die Kompetenz im Falle eines Widerspruchs zwischen Steuerrecht und Sachregelung zustehen soll. Sollten sich die Abgaben auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel nur als Sonderabgaben verwirklichen lassen, scheidet die Steuerkompetenz sogar ganz aus, da Sonderabgaben als zweckgebundene Abgaben, die nicht dem allgemeinen Staatshaushalt zukom30 men, unter die Sachkompetenz nach Art. 70 ff. GG fallen.
I. Neue Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 72 Abs. 2 GG 31
Der Bund hat nach der 1994 erfolgten Neufassung von Art. 72 Abs. 2 GG das Recht zur konkurrierenden Gesetzgebung nur noch, soweit die Herstellung ___________ 30
BVerfGE 4, S. 7 [13]; 18, S. 315 [328 f.]; 37, S. 1 [16 f.]; 55, S. 274 [297]; ZUR 2005, S. 426; P. Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 88 Rn. 258 ff. 31 BGBl. I 1994, S. 3146.
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4. Teil: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit
gleichwertiger Lebensverhältnisse oder die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erfordert. Über die Auslegung und Reichweite des neuen Art. 72 Abs. 2 GG 32 gab es in der Literatur erhebliche Meinungsverschiedenheiten. Nunmehr liegt mit dem Urteil zum Altenpflegegesetz eine ausführliche Deutung des Bundesverfassungsgerichts vor, die der vom Gesetzgeber beabsichtigten Verschärfung 33 der Anforderungen Rechnung trägt. Danach unterliegte der Bundesgesetzgeber, anders als bei der alten Fassung, einer umfassenden gerichtlichen Kontrolle, die sowohl die Ermessensentscheidung als auch die nötige Prognoseent34 scheidung umfasst. Die früher praktizierte, bloße Vertretbarkeitsprüfung mit Anerkennung eines weiten Ermessensspielraumes ist damit obsolet. Es kommt auf die richtige Tatsachenfeststellung und Einstellung der Belange an. Gleichzeitig legt das Gericht auch die Ziele, die eine bundesgesetzliche Regelung rechtfertigen können, wesentlich strenger aus als früher. Zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse ist der Bund nur befugt, wenn sich die Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik in erheblicher, das bundesstaatliche Sozialgefüge beeinträchtigender Weise auseinander entwickelt haben oder eine 35 solche Entwicklung sich konkret abzeichnet. Die alleinige Verbesserung der Lebensverhältnisse reicht nicht aus. Ähnliches gilt für die Wahrung der Rechtseinheit. Bloße Gesetzesvielfalt auf Länderebene oder die Verfolgung 36 sonstiger Gemeinwohlinteressen rechtfertigen noch kein Bundesgesetz. Erst wenn die unterschiedlichen Regelungen eine Rechtszersplitterung mit problematischen Folgen verursachen, die weder im Interesse des Bundes noch der 37 Länder hinnehmbar ist, kann eine Bundesregelung ergehen. Die uneinheitliche Behandlung desselben Lebenssachverhaltes muss erhebliche Rechtsunsicherheiten und eine unzumutbare Behinderung im Rechtsverkehr erzeugen können. Auch der Wahrung der Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse dient eine Bundesregelung nur, wenn sie erhebliche Nachteile für die Gesamtwirtschaft abwenden soll, die aufgrund der Länderregelungen oder des 38 Untätigbleibens der Länder entstehen. Nach dem ausdrücklichen Willen des Verfassungsgesetzgebers soll aber dem Bund insbesondere im Bereich der beruflichen Ausbildung und Zulassung eine Regelungskompetenz zustehen. ___________ 32
Für eine bundesfreundliche Auslegung, die kaum über die alte Fassung hinausgeht, z. B. Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 72 Rn. 10 ff., insb. 15. Diese Auffassung lehnt das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich ab, da sie im Widerspruch zum gesetzgeberischen Willen steht (BVerfGE 106, S. 62 [142]). 33 BVerfGE 106, S. 62. 34 BVerfGE 106, S. 62 [135 f., 142 f., 148 ff.]. 35 BVerfGE 106, S. 62 [144]. 36 BVerfGE 106, S. 62 [145]. 37 BVerfGE 106, S. 62 [145 f.]. 38 BVerfGE 106, S. 62 [146 f.].
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Das Gericht hat auch mit der früheren Rechtsprechung gebrochen, wonach der Bundesgesetzgeber weitgehend selber entscheiden konnte, ob für eine Bun39 desregelung ein Bedürfnis bestand oder nicht. Das eingeführte Merkmal der Erforderlichkeit ist voll justiziabel und nur erfüllt, wenn sich die genannten Ziele nicht oder nicht hinlänglich ohne ein Bundesgesetz erreichen lassen. Ob dies der Fall ist, hängt vom Gehalt der Regelung ab und weniger vom beabsichtigten Regelungsziel. Allerdings soll es genügen, dass die Regelung den gewünschten Erfolg zumindest fördert. Eine bundeseinheitliche Länderregelung schließt das Gericht als Alternative jedoch aus, da Art. 72 Abs. 2 GG gerade die Möglichkeit zu eigenständigen Länderregelungen schützen soll. Stellt sich abschließend die Frage, ob die enge Auslegung des Art. 72 Abs. 2 GG auch für das Steuerrecht gelten soll. Art. 105 Abs. 2 GG verweist ohne Einschränkung auf Art. 72 Abs. 2 GG. Allerdings bestand die Verweisung schon vor der Verfassungsänderung. Nach Art. 105 Abs. 2 Alt. 1 GG steht dem Bund immer die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz zu, wenn ihm das Aufkommen der Steuern ganz oder zum Teil nach Art. 106 GG zukommt. Nur soweit das Aufkommen ausschließlich den Ländern zufließt, hat der Bund eine Regelungskompetenz im Rahmen des Art. 72 Abs.2 GG. Damit hat der Verfassungsgesetzgeber dem Bund eine weit reichende Steuergesetzgebungskompetenz zu Lasten der Länder eingeräumt. Als Ausnahme von dem grundsätzlichen Gedanken, dass der Bund nur im Falle der Einnahmenzuweisung die Steuerkompetenz innehaben soll, wäre die Verweisung auf Art. 72 Abs. 2 GG eng auszulegen. Die restriktive Auslegung des vom Verfassungsgesetzgeber verschärften Art. 72 Abs. 2 GG durch das Bundesverfassungsgericht muss auch für die Verweisung in Art. 105 Abs. 2 GG gelten.
II. Regelungswidersprüche zwischen Steuer- und Sachgesetzgeber – doppelte Gesetzgebungskompetenz oder Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung? Setzt man Steuern zur Verhaltenslenkung ein, erhalten sie eine über die Einnahmeerzielung hinausgehende Funktion, die sonst dem Sachgesetzgeber vorbehalten ist. Treffen Sach- und Steuergesetzgeber unterschiedliche Regelungen, kommt es zu einem Konflikt zwischen dem Instrument der Sachregelung und der Steuer, aber auch zwischen den Kompetenzregeln in Art. 70 ff. GG und Art. 105 f. GG. Der Konflikt ist besonders relevant, wenn Sach- und der Steuergesetzgeber nicht identisch sind, sondern sich die Kompetenzen auf Bund und Länder verteilen. ___________ 39
BVerfGE 106, S. 62 [142 f., 148 ff.].
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4. Teil: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit
Ein Teil der Literatur versucht, das Problem im Vorfeld auszuschließen, indem man für Lenkungssteuern eine doppelte Kompetenzgrundlage aus Steuer40 und Sachkompetenz verlangt. Das Bundesverfassungsgericht und die überwiegende Literatur halten hingegen eine zusätzliche Sachkompetenz für nicht 41 erforderlich, da ihrer Ansicht nach Lenkungssteuern Steuern bleiben. Steuergesetze mit einem lenkenden Haupt- oder Nebenzweck fallen weiterhin unter die Steuergesetzgebungskompetenz. Der letzteren Ansicht ist grundsätzlich zuzustimmen. Während die Steuerkompetenz die Kompetenz zum Erlass von Zahlungspflichten verteilt, weist die 42 Sachkompetenz die Befugnis zur Anordnung von Verhaltenspflichten zu. Lenkungssteuern fordern rechtsverbindlich nur Zahlungspflichten ein und bleiben somit im Kern immer Steuern. Da von jeder Steuer auch verhaltenslenken43 de Wirkungen ausgehen, empfiehlt sich eine Abgrenzung der Instrumente anhand der normierten Rechtsbefehle. Bei der Frage nach einer Sachkompetenz müsste man sonst bei jeder Steuer nach den Motiven des Steuergesetzgebers forschen. Lenkungssteuern verfolgen zwar explizit einen verhaltenssteuernden Zweck, dienen aber weiterhin der Einnahmeerzielung und enthalten immer noch einen Zahlungsbefehl. Einzig der ökonomische Druck, welcher von der Steuerpflicht ausgeht, wird für eine Verhaltenslenkung genutzt. Ökonomischer 44 Druck ist, soweit er nicht erdrosselnd wirkt, nicht mit einem Verhaltensbefehl gleichzusetzen. Die steuerliche Kompetenzregelung bestimmt, wer (Bund oder Land) über das Finanzierungsinstrument der Steuer entscheiden soll. Sie stellt ___________ 40
Tipke, Steuerrechtsordnung, S. 123 m. w. N.; Vogel, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 87 Rn. 52; P. Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 88 Rn. 56; ders., DStJG Bd. 15, S. 3 [10]; Selmer, Steuerinterventionismus, S. 160 ff. Unstimmigkeiten bestehen zwischen den Vertretern dieser Ansicht bei der Frage, wann eine Steuer in eine Sachregelung umschlägt und ab wann eine Sachkompetenz nötig ist. 41 BVerfGE 3, S. 407 [409]; 7, S. 244 [251]; 16, S. 147 [162]; 38, S. 61 [80]; 98, S. 106 [117 f.]; Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 105 Rn. 24; Starck, in: Vogel/Tipke, FS Wacke, S. 206 ff.; Selmer, UTR Bd. 16, S. 15 [22]; Meßerschmidt, Umweltabgaben, S. 134 f.; Jarass, Nichtsteuerliche Abgaben und lenkende Steuern, S. 15 f. Einschränkend BVerwGE 96, S. 272 [290 f.]; Fischer-Menshausen, in: v. Münch, GG, Art. 105 Rn. 9. 42 BVerfGE 98, S. 106, 119; Trzaskalik, Gutachten zum 63. Dt. Juristentag, S. 36. 43 BVerfGE 21, S. 12 [27]; 31, S. 8 [23]; Rodi, Rechtfertigung von Steuern, S. 98 f.; Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 71 ff., 200; Selmer, Steuerinterventionismus, S. 61, 217; F. Kirchhof, DVBl. 2000, S. 1166 [1167]; Trzaskalik, Gutachten zum 63. Dt. Juristentag, S. 37; Jarass, Nichtsteuerliche Abgaben und lenkende Steuern, S. 15; Papier, Gesetzesvorbehalte, S. 90. Als Beispiel sei die Umsatzsteuer erwähnt, die eine Kaufentscheidung durchaus beeinflussen kann, wenn man sich überlegt, dass man das Produkt bei einem Rabatt von 16 % gekauft hätte. 44 Erdrosselnde Steuern schließt aber schon der Steuerbegriff aus (siehe § 11 A.).
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nicht Steuern von den verfassungsrechtlichen Schranken (v. a. Grundrechte) frei, die Sachregelungen begrenzen. Die Kompetenzverteilung ist deshalb losgelöst von der Eingriffswirkung zu betrachten, da es hier nur um die Zuständigkeit von Bund oder Ländern hinsichtlich eines bestimmten Instruments geht. Entscheiden sich die Gesetzgeber für das Instrument der Steuer ist deshalb grundsätzlich Art. 105 f. GG die entscheidende Kompetenzverteilungsregel. Eine Ausnahme muss allerdings für den Fall gemacht werden, dass eine steuerliche Regelung im Widerspruch zu einer Regelung des Sachgesetzgebers steht und der Steuergesetzgeber nicht mit dem Sachgesetzgeber identisch ist. In diesem Fall entsteht ein Konflikt zwischen den verschiedenen Steuer- und Sachgesetzgeber. Fraglich ist, ob man den Konflikt im Rahmen der Gesetzgebungskompetenzen oder wie das Bundesverfassungsgericht im Rahmen seines aus dem Rechtsstaatsprinzip hergeleiteten Gebots der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung lösen sollte. Das Bundesverfassungsgericht entwickelte in seinen Entscheidungen zur kommunalen Verpackungssteuer und zu landesrechtlichen Abfallabgaben das 45 Gebot der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung erheblich weiter. In beiden Urteilen ging es um das Verhältnis von bundesrechtlichem Abfallrecht zu landesrechtlichem und kommunalem Steuerrecht. Das Gericht leitete aus der durch den Bund wahrgenommenen Regelung des Abfallrechts einen entsprechenden Kompetenzverlust der Länder und Gemeinden ab. Hierbei stützte es sich jedoch nicht auf Art. 72 GG, sondern auf das allgemeine in Art. 28 und Art. 20 Abs. 3 GG nur rudimentär geregelte Rechtsstaatsprinzip: „Das Rechtsstaatsprinzip verpflichtet alle rechtsetzenden Organe des Bundes und der Länder, die Regelungen jeweils so aufeinander abzustimmen, dass den Normadressaten nicht gegenläufige Regelungen erreichen, die die Rechtsordnung widersprüchlich machen. Welche der einen Widerspruch begründenden Regelungen zu weichen hat, 46 bestimmt sich grundsätzlich nach dem Rang, der Zeitenfolge und der Spezialität.“
Die Anknüpfung an das materielle Rechtsstaatsprinzip bedeutet, dass der Grundsatz der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung nicht nur im Kompetenzverhältnis Bund-Länder, sondern auch innerhalb einer Kompetenzebene 47 gilt. Der lenkende Steuergesetzgeber darf demnach nicht mit Sachregelungen in Konflikt geraten – denen nach Ansicht des Gerichts der Vorrang gebühre –, da die Steuerkompetenz nur Zahlungspflichten vorsehe, die gegebenenfalls ver___________ 45
BVerfGE 98, S. 106 [118 ff.]; 98, S. 83 [104 f.]. Anders jedoch früher BVerfGE 49, S. 343 [359]. 46 BVerfGE 98, S. 106 [118 f.]; 98, S. 83 [104 f.]. 47 Vgl. Fischer, JuS 1999, S. 1096 [1099]; Weidemann, DVBl. 1999, S. 73 [74 f.]; Rodi, StuW 1999, S. 105 [109 ff.]; Murswiek, Die Verwaltung 2000, S. 241 [275].
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4. Teil: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit 48
haltensregelnde Wirkungen entfalten können. Der Gesetzgeber kann aufgrund einer Steuerkompetenz nur insoweit lenkend und damit mittelbar gestaltend in den Kompetenzbereich eines Sachgesetzgebers übergreifen, als die Lenkung weder der Gesamtkonzeption der sachlichen Regelung noch konkreten Einzel49 regelungen zuwiderläuft. Diese hohen Anforderungen an die Widerspruchsfreiheit haben heftige Kri50 tik von Seiten der Literatur hervorgerufen. Sie gingen weit über das herkömmliche Gebot der Widerspruchsfreiheit hinaus, indem nicht mehr der logische, d. h. sich gegenseitig ausschließende Normwiderspruch verfassungswid51 rig sein soll, sondern schon der inhaltliche Wertungswiderspruch. Man wendet ein, dass ein Verbot inhaltlicher Wertungswidersprüche das Gebot der Rechtssicherheit beeinträchtigen würde, da Disharmonien und Wertungswidersprüche nicht selten sind. Dem Gericht wird außerdem vorgeworfen, sich mit dem umfassenden Gebot eine Handhabe zu verschaffen, missliebige Regelungen aufgrund von Wertungswidersprüchen aufzuheben und sich damit über die 52 Wertentscheidungen des demokratisch legitimierten Gesetzgebers zu stellen. Die Kritik ist berechtigt, soweit der Sachgesetzgeber mit dem Steuergesetzgeber identisch ist. Denn in diesem Fall spiegeln Wertungswidersprüche innerhalb der Rechtsordnung nur die Wertungskonflikte innerhalb des Grundgesetzes wider. Soll der Gesetzgeber die Freiheit der Bürger gewährleisten, die Wirtschaft fördern, soziale Ausgleiche schaffen, Familien und Umwelt schützen, kann er dies nicht mit einem einzigen Gesetz, welches alle Widersprüche ausgleicht. Vielmehr wird jedes Gesetz in eine bestimmte Richtung weisen und mit anderen insoweit in Wertungswidersprüche geraten. Gleichfalls muss es dem Gesetzgeber unbenommen bleiben, Probleme mit verschiedenen Maßnahmen zu lösen, soweit sich diese nicht gegenseitig konterkarieren. Schließlich billigt ihm das Bundesverfassungsgericht im Hinblick auf die Geeignetheit staatlicher Maßnahmen einen weiten Prognosespielraum zu und muss auch akzeptieren, dass er bei unsicherer Erfolgsprognose zwei sich ergänzende Wege einschlägt. Im Fall von Umweltsteuern wird dies besonders deutlich. Hier bedarf es des Ordnungsrechts, um die absoluten Grenzen der Gefahrenabwehr zu ___________ 48
BVerfGE 98, S. 106 [118 f.]; 98, S. 83 [104 f.]. BVerfGE 98, S. 106 [119]. 50 Murswiek, Die Verwaltung 2000, S. 241 [275 f.]; Sendler, NJW 1998, S. 2875 f.; Rodi, StuW 1999, S. 105 [110 ff.]; Fischer, JuS 1998, S. 1097 [1099 f.]; Bothe, NJW 1998, S. 2333 ff. A.A. Weidemann, DVBl. 1999, S. 73 [74 f.]. Die Kritik wendet sich auch gegen die überflüssige Bemühung des Rechtstaatsprinzips, da der Fall nach ihrer Ansicht auch mit Hilfe der Kompetenzvorschriften (Art. 72 GG) lösbar gewesen wäre. 51 Sendler, NJW 1998, S. 2875 [2876]; Murswiek, Die Verwaltung 2000, S. 241 [276]. 52 Murswiek, Die Verwaltung 2000, S. 241 [276]. 49
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sichern. Mit den nicht verpflichtenden, sondern motivierenden Umweltsteuern versucht der Gesetzgeber hingegen im Vorsorgebereich Potentiale zu erschließen, die ihm bei einem Ge- oder Verbot verwehrt bleiben. Ein umfassendes Verbot von Wertungswidersprüchen würde dem Gesetzgeber die Entscheidungsbefugnis nehmen, welche Maßnahmen er einsetzen will. Rechtliche und damit verfassungsrechtlich untragbare Widersprüche entstehen indes erst da, wo Regelungen sich gegenseitig aufheben. Anders sieht es bei einem Wertungswiderspruch aus, bei dem der Steuergesetzgeber nicht mit dem Sachgesetzgeber identisch ist, sondern sich die Kompetenzen auf Bund und Länder, gegebenenfalls auch Gemeinden, verteilen. Ein solches Auseinanderfallen lag bei den betreffenden Urteilen zur kommunalen Verpackungssteuer oder den Landesabfallabgaben vor. In diesem Falle entsteht aus dem Wertungswiderspruch ein Kompetenzkonflikt. Jedoch bedarf es für die Lösung dieses Konflikts nicht eines Rückgriffs auf das Rechtsstaatsprinzip, sondern es genügen die Kompetenzregeln des Grundgesetzes. Steuergesetze, die mit ihrer Lenkungswirkung den Sachregelungen des Bundes oder Länder widersprechen, sind kompetenzwidrig, da Steuern grundsätzlich nur der Ein53 nahmeerzielung dienen. Für neue Sachregelungen, die einer bestehenden Lenkungssteuer widersprechen, gilt dies indes nicht. Vielmehr sind im Falle eines bloßen Wertungswiderspruchs beide verfassungsgemäß und behält auch das Steuergesetz seine Gültigkeit, da es zum Zeitpunkt des Erlasses ohne Widerspruch und damit kompetenziell korrekt ergangen war. Entsteht durch die hinzukommende Sachregelung ein sich gegenseitig ausschließender Normwiderspruch mit dem früheren Steuergesetz, verstößt die Sachregelung aufgrund des Vorrangs der Sachkompetenz gegenüber Lenkungssteuern nicht gegen die Kompetenzverteilung, aber gegen das eng zu verstehende Gebot der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung, welches in dem Rechtsstaatsprinzip begründet ist und logische Normwidersprüche unabhängig von der Kompetenzverteilung ausschließt. Im Ergebnis ist weder eine doppelte Rechtsgrundlage noch ein generelles, erweitertes Gebot der Widerspruchsfreiheit zwischen Sach- und Steuergesetzen zu befürworten, da ein Konflikt nur bei Widersprüchen zwischen dem verhaltenslenkenden Steuerrecht und den Sachregelungen auftritt, wenn gleichzeitig Steuer- und Sachgesetzgeber auseinander fallen. Dieser Konfliktfall lässt sich besser im Einzelfall mit dem Vorrang der Sachkompetenz vor der Steuerkompetenz und der nach dem Rechtsstaatsprinzip gebotenen logischen Widerspruchsfreiheit von Normen im Sinne von sich gegenseitig ausschließenden ___________ 53
lung.
Dies gilt auch für eine Bundessteuer gegenüber einer landesrechtlichen Sachrege-
4. Teil: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit
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Normwidersprüchen lösen. Neue Lenkungssteuern, die mit bestehenden Sachregelungen im Wertungswiderspruch stehen, verstoßen demnach gegen die Kompetenzverteilung in Art. 70 ff. GG, unabhängig ob sie der Bund oder ein Land einführen will. Neue Sachregelungen sind hingegen nach dem Gebot der Widerspruchsfreiheit erst dann unzulässig, wenn sie bestehende Steuerregelungen logisch widersprechen und aufheben würden. Ein bloßer Wertungswiderspruch steht ihnen nicht entgegen.
C. Vereinbarkeit der vorgeschlagenen Umweltabgaben mit der Finanzordnung I. Änderung der Grundsteuer Die Grundsteuer ist in Art. 106 Abs. 6 GG als eigene Steuerart verfassungsrechtlich anerkannt. Soll die Grundsteuer nach einer Reform dem verfassungsrechtlichen Grundsteuerbegriff entsprechen, dürfen die wesentlichen Charakterelemente nicht beseitigt werden. Hierzu gehören die allgemeinen Steuermerkmale, insbesondere die Gegenleistungslosigkeit und die zumindest als Nebenzweck gewährleistete Einnahmeerzielung. Das Grundgesetz enthält jedoch kaum weitere Auskünfte über Inhalt und Charakter der Grundsteuer, als dass sie an Grund und Boden anknüpfen soll. Insofern kommt es auf die historische 54 Auslegung und Ausgestaltung an. Das Halten von Grundstücken galt Jahr55 hunderte lang als Zeichen wirtschaftlicher Stärke. Die gegenwärtige Grundsteuer ist konkret als Soll-Ertragsteuer ausgestaltet und hat den Zweck, die Eigentümer gemäß der Einheitsbewertung wirtschaftlich gleichmäßig zu belas56 ten. Fraglich ist jedoch, ob der Wertbezug ein konstitutives Wesensmerkmal 57 der Grundsteuer ist, da in diesem Falle eine wertunabhängige Flächennut58 zungsteuer, wie sie teilweise vorgeschlagen wird, nicht als Grundsteuer zulässig wäre. Ein Wertbezug ist geboten, wenn Art. 106 Abs. 6 GG oder die Finanzordnung im Allgemeinen eine steuerliche Ausrichtung nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip verlangt. Eine solche Anforderung kann Art. 106 GG, der nur eine Aufzählung bekannter Steuern enthält, nicht entnommen werden, 59 da sich das Leistungsfähigkeitsprinzip aus Art. 3 Abs. 1 GG ableitet. Es be___________ 54
Rodi, ZUR 2002, S. 164 [166]. Rodi, ZUR 2002, S. 164 [166]; Bizer/Schuckmann, in: Ewringmann, Ökologische Steuerreform, S. 137 [140]. 56 Bizer/Schuckmann, in: Ewringmann, Ökologische Steuerreform, S. 137. 57 So Rodi, ZUR 2002, S. 164 [166]. 58 Bizer/Lang, UBA-Texte 21/00, S. 56 ff.; Bizer/Schuckmann, in: Ewringmann, Ökologische Steuerreform, S. 137 [162 ff.]. 59 Siehe § 11 A. II. und § 13 B. I. 55
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deutet aber nicht, dass der Wertbezug bei der Grundsteuer gänzlich irrelevant ist. Ob die Grundsteuer dem Leistungsfähigkeitsprinzip genügt oder gegebenenfalls von diesem abweichen darf, ist vielmehr im Rahmen von Art. 3 Abs. 1 GG zu überprüfen. Das hier favorisierte Modell der BodenwertFlächennutzungsteuer würde auf jeden Fall weiterhin den Wert der Grundstücke berücksichtigen, indem es an reformierte Einheitswerte oder Bodenrichtwerte anknüpft. Soweit die steuerliche Differenzierung zwischen ökologischer und konventioneller Landwirtschaft in die bestehende Grundsteuer implementiert wird, ist ein Wertbezug über die herkömmlichen Einheitswerte gegeben, wenn auch nicht in optimaler Weise. Die vorgeschlagene Differenzierung genügt auch den allgemeinen Anforderungen des verfassungsrechtlichen Steuerbegriffs, da weder die Gegenleistungslosigkeit noch die Einnahmeerzielung beseitigt werden. Die für konventionelle Landwirtschaftsflächen vorgeschlagene Steuerlast von 30 €/ha würde den durchschnittlichen Gewinn um 4,3 Prozent 60 belasten und wirkt insofern nicht erdrosselnd. Auch das in Art. 106 GG verbürgte Recht der Kommunen, die Einnahmen einzuziehen und die Hebesätze zu bestimmen, wahrt der Änderungsvorschlag. Damit bleibt zu klären, wem die Steuergesetzgebungskompetenz zusteht und ob Widersprüche gegenüber Sachregelungen eintreten, die einer Differenzierung nach ökologischer und konventioneller Bewirtschaftungsweise entgegenstehen.
1. Steuerliche Gesetzgebungskompetenz Nach Art. 105 Abs. 2 GG hat der Bund die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz, wenn ihm nach Art. 106 GG das Aufkommen der Steuern ganz oder zum Teil zusteht oder die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG vorliegen. Art. 106 Abs. 6 GG weist das Aufkommen der Grundsteuer den Gemeinden zu. Damit ist der Bund nur im Rahmen von Art. 72 Abs. 2 GG zur bun61 desweiten Regelung der Grundsteuer befugt. Aufgrund der 1994 erfolgten Einschränkung des Art. 72 Abs. 2 GG ist fraglich, ob für eine Änderung der 1973 eingeführten Grundsteuer der neue oder alte Art. 72 Abs. 2 GG gilt. Nach Art. 125a Abs. 2 GG gilt Bundesrecht, welches vor der 1994 erfolgten Änderung des Art. 72 Abs. 2 GG ergangen ist, als Bundesrecht fort. Für die Frage, inwieweit der Bund auch zu einer späteren Änderung des fortgeltenden Bundesrechts befugt ist und ob dabei Art. 72 Abs. 2 GG in der neuen Fassung gilt, enthält das Grundgesetz keine Antwort. Ihr kommt aber nach der strengen Auslegung von Art. 72 Abs. 2 GG (n. F.) durch das Bundesverfassungsgericht er___________ 60 61
Siehe § 5 C. Wolff, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 125a Rn. 19.
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4. Teil: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit 62
hebliche Relevanz zu. In der Rechtswissenschaft versuchte man, soweit das Problem angesprochen wird, einen Kompromiss zu finden. Eine vollständige Freistellung von Art. 72 Abs. 2 GG hinsichtlich des bestehenden Bundesrechts würde die mit der Grundgesetzänderung angestrebte Kompetenzumverteilung 63 zugunsten der Länder zu sehr behindern. Eine strikte Anwendung von Art. 72 Abs. 2 GG könnte hingegen zu einer Versteinerung des Rechts führen, wenn 64 der Bund die Kompetenz nicht für Länderregelungen freigibt. Änderungen sollten daher unabhängig vom neuen Art. 72 Abs. 2 GG statthaft sein, wenn sie nicht das Gewicht oder die Reichweite der bundesgesetzlichen Regelungen im 65 Verhältnis zum Landesrecht weiter erhöhen. Notwendige Anpassungen an sich ändernde tatsächliche oder politische Verhältnisse sollten möglich sein. Dieser eingeschränkte aktive Bestandsschutz ist ein sinnvoller Ausgleich zwischen dem Erneuerungsinteresse und der Absicht, den Ländern mehr Kompetenzen zuzuweisen. Erweiternde Änderungen oder grundlegende Reformen sind daher nur nach dem neuen Art. 72 Abs. 2 GG möglich. Mit der Implementierung einer umweltpolitischen Differenzierung zwischen landwirtschaftlichen Bewirtschaftungsformen würde die Grundsteuer einen zusätzlichen Regelungszweck erhalten, der nicht bloß einer Anpassung an veränderte Umstände dient, weshalb eine diesbezügliche Änderung der Steuermesszahlen dem neuen Art. 72 Abs. 2 GG unterliegt. Dem Bund stünde die konkurrierende Kompetenz folglich nur zur Verfügung, wenn sich die Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik in erheblicher Weise auseinander entwickeln, eine problematische Rechtszersplitterung droht oder erhebliche Nachteile für die Gesamtwirtschaft abzuwenden sind. Ob bei einer Grundsteueränderung diese Voraussetzungen vorliegen, erscheint fraglich. Die Grundsteuer kann nicht gleichwertige Lebensverhältnisse herstellen, da den Kommunen in Art. 106 Abs. 6 GG ein Hebesatzrecht garantiert ist. Im Rahmen der nach § 26 GrStG von den Ländern festzulegenden Höchstsätze können die Kommunen die Steuerbelastung der Grundstücke in ihrer Gemeinde selber bestimmten, weshalb schon jetzt von Gemeinde zu Gemeinde andere Grundsteuerbelastungen existieren. Dies hat bisher auch zu keiner problematischen Rechtszersplitterung geführt. Aufgrund der Situationsgebundenheit von Grundstücken, haben die unterschiedlichen Grundsteuerbelastungen nur geringen Einfluss auf den länderübergreifenden Rechtsverkehr. Bei Unterschieden in den Grundsteuerregelungen ist keine nicht hinnehmbare Rechtszersplitterung ___________ 62
BVerfGE 106, S. 62 [135 ff.]. Siehe § 11 B. I. Sommermann, Jura 1995, S. 393 [396]. 64 Sommermann, Jura 1995, S. 393 [396]; Wolff, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 125a Rn. 19; Kirn, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 125a Rn. 5. 65 Sommermann, Jura 1995, S. 393 [396]; Wolff, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 125a Rn. 19; Kirn, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 125a Rn. 5; Schmehl, DÖV 1996, S. 724 [731]. 63
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zu befürchten. In Anbetracht der schon existierenden Belastungsunterschiede erfordert gleichfalls die Wahrung der Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse keine bundesweite Regelung. Einzig eine umfassende Grundsteuerreform könnte die Wirtschaftseinheit stärker beeinträchtigen als bisher. Ob dadurch aber schon erhebliche Nachteile für die Gesamtwirtschaft entstehen, erscheint in Anbetracht der Situationsgebundenheit von Grundstücken sehr fraglich. Solange nur einige Länder ihre Grundsteuersätze nach ökologischen Gesichtspunkten ausrichten, sind erhebliche Nachteile für die Gesamtwirtschaft nicht zu befürchten, da die Belastungsunterschiede im Rahmen der schon bestehenden Differenzen bleiben dürften. Insgesamt ist eine Bundeskompetenz für eine zukünftige umfassende Grundsteuerregelung nicht ersichtlich. Für eine Änderung oder Reform der Grundsteuer bedeutet die fehlende Bundeskompetenz allerdings nicht, dass die Länder die Grundsteuer nunmehr entsprechend ändern dürften. Vielmehr ist nach Art. 125a Abs. 2 GG bei bestehendem Bundesrecht erst ein ausdrückliches Freigabegesetz des Bundes nötig, welches der Bundestag ohne Zustimmung des Bundesrates beschließen müss66 te. Damit bedürfte eine ökologische Ausrichtung der Grundsteuer sowohl eines Bundesgesetzes als auch der entsprechenden Landesgesetze. Die politische Durchsetzbarkeit ist als gering einzustufen.
2. Widersprüche gegenüber Sachregelungen Eine Differenzierung der Grundsteuer hinsichtlich der Bodenbewirtschaftung kann nur durch die Länder erfolgen. Aufgrund des Vorrangs der Sachkompetenz vor verhaltenslenkendem Steuerrecht bei einem Auseinanderfallen des Sach- und Steuergesetzgebers dürften die Länder nicht den Sachregelungen des Bundes im Bereich der Landwirtschaft widersprechen, da diesem u. a. nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 17, 18, 20 und Art. 75 Abs. 1 Nr. 3 GG die diesbezügliche Sachkompetenz zusteht. Im hier interessierenden Bereich der Landwirtschaft hat der Bundesgesetzgeber eine Vielzahl von Regelungen erlassen, welche die Bewirtschaftungsweise reglementieren und beschränken. Als roter Faden zieht sich durch fast alle Einzelregelungen das Erfordernis der guten fachlichen Praxis. Die gute fachliche Praxis bestimmen § 5 Abs. 4 BNatSchG, § 17 Abs. 2 BBodSchG, § 1a 67 DüngeMG und § 6 PflSchG näher. Die Anforderungen sind in den letzten ___________ 66
Wolff, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 125a Rn. 22 ff.; Kirn, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 125a Rn. 4 f. 67 Ausführlicher wurde schon in § 2 B. darauf eingegangen. § 6 Abs. 1 PflSchG hat der EuGH, ZUR 2006, S. 134 [136] wegen unzureichendem Schutz von Tier- und Pflanzenarten für europarechtswidrig erklärt.
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4. Teil: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit
Jahren stetig konkretisiert und verschärft worden. Allerdings handelt es sich bei den meisten Vorgaben mehr um Empfehlungen als um durchsetzbare, bußgeldbewehrte Pflichten. Sie geben nur einen Mindeststandard vor und schließen weitergehende Maßnahmen nicht aus. So können Landwirte nach der wesentlich strengeren EG-Ökolandbau-Verordnung 2092/91/EWG wirtschaften, 68 aber auch diesbezüglich gefördert werden. Die Neuausrichtung der europäischen Agrarpolitik macht die Direktzahlungen von der Einhaltung von Umweltstandards abhängig und fördert mit Agrarumweltmaßnahmen auch positive 69 Umweltleistungen. Die Bundesregierung unterstützt schließlich den ökologischen Landbau jährlich mit 20 Mio. € und hat sich diesbezüglich das ehrgeizige Ziel gesetzt, den Anteil des ökologischen Landbaus auf 20 Prozent anzuhe70 ben. Insgesamt ist die nachhaltige Ausrichtung der Landwirtschaft noch zu keinem Ende gekommen und stellen die diesbezüglichen Bundesgesetze keine 71 abschließende Konzeption dar. Die ökologische Lenkung mit der Grundsteuer ist eine Ergänzung zu den Sachregelungen und steht mit diesen nicht in einem Wertungswiderspruch. Mit der Differenzierung sollen weder die Standards der EG-Ökolandbau-Verordnung für alle Landwirte verbindlich sein, noch schließt die Festlegung von ordnungsrechtlichen Mindeststandards die Förderung von überobligatorischen Anstrengungen aus. Ein Wertungswiderspruch könnte allenfalls hinsichtlich § 1a Abs. 1 S. 2 DüngeMG auftreten. Die 1989 eingefügte Norm verdeutlicht die Ausrichtung der guten fachlichen Praxis im Hinblick auf die Förderung der Landwirtschaft, wenn es heißt: „Die Düngung nach guter fachlicher Praxis dient der Versorgung der Pflanzen mit notwendigen Nährstoffen sowie der Erhaltung und Förderung der Bodenfruchtbarkeit, um insbesondere die Versorgung der Bevölkerung mit qualitativ hochwertigen sowie preiswerten Erzeugnissen zu sichern.“ Fraglich ist, ob sich damit vereinbaren lässt, konventionelle Landwirte, die allein nach der ordnungsrechtlich gebotenen guten fachlichen Praxis wirtschaften, höher zu besteuern. Eine höhere Grundsteuer für konventionelle Landwirte würde auch deren Agrarerzeugnisse verteuern. Damit besteht zwar ein Wertungswiderspruch, ein sich gegenseitig ausschließender Normwiderspruch existiert indes noch nicht, da § 1a DüngeMG nicht die Preisgestaltung der Erzeugnisse regelt, sondern die Anwendbarkeit von Düngemitteln. Allenfalls mittelbar wirkt sich die Verwendung von Düngemitteln auf den Preis der Erzeugnisse aus. In Anbetracht der erheblichen Produktionsüberschüsse der Landwirtschaft ___________ 68
Z. B. mit Einführung eines Ökosiegels. Siehe § 2. 70 Bundesregierung, Agrarbericht 2005, Tz. 99; dies., Agrarbericht 2003, Tz. 162; dies., Perspektiven für Deutschland, S. 113. 71 Für das BNatSchG folgt dies schon aus der Rahmenkompetenz. 69
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in Deutschland und Europa sowie dem einhergehenden Preisverfall ist es fraglich, ob das in § 1a DüngeMG geäußerte Ziel zeitgemäß ist. Die Vorschrift steht vielmehr im Konflikt zu den konkretisierten Anforderungen der guten fachlichen Praxis in § 5 Abs. 4 Spiegelstrich 6 BNatSchG, wonach die natürliche Ausstattung der Nutzfläche (Boden, Wasser, Flora, Fauna) nicht über das zur Erzielung eines nachhaltigen Ertrages erforderliche Maß hinaus beeinträch72 tigt werden darf. Sie widerspricht weiter den Bemühungen der Europäischen Gemeinschaft, die Intensivbewirtschaftung zu vermindern. Die Überversorgung der Bevölkerung mit preiswerten Lebensmitteln bedarf keiner Bevorzugung mehr gegenüber den Belangen der Umwelt. Zur Entschärfung des Konfliktpotentials ist § 1a Abs. 1 Satz 2 DüngeMG den heutigen Anforderungen an 73 die gute fachliche Praxis anzupassen.
II. Änderung der Umsatzsteuer Anders als die Grundsteuer wirft die Änderung der Umsatzsteuer keine Probleme auf. Die Änderung bezweckt keine umfassende Reform, sondern nur eine lenkungspolitische Ergänzung. Eine Differenzierung zwischen ökologischen und konventionellen Agrarerzeugnissen ändert die Eigenschaften der Umsatzsteuer nicht. Eine Aufladung von Steuern mit lenkungspolitischen Zwecken ist zulässig, soweit der Fiskalzweck nicht völlig verdrängt wird. So dienen die bisher bei der Umsatzsteuer existenten Ermäßigungen vor allem sozialpolitischen Zielen. Der Änderungsvorschlag lässt sich mit dem verfassungsrechtlichen Steuerbegriff vereinbaren. Nach Art. 106 Abs. 3 GG gebührt das Aufkommen dem Bund als auch den Ländern gemeinsam. Damit hat der Bund gemäß Art. 105 Abs. 2 GG die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz. Art. 72 Abs. 2 GG findet keine Anwendung. Da dem Bund zur Ökologisierung der Landwirtschaft mit Art. 74 GG Nr. 17, 18, 20 sowie Art. 75 Abs. 1 Nr. 3 GG entsprechende Sachkompetenzen zustehen, fallen Steuer- und Sachgesetzgeber nicht auseinander, so dass etwaige Wertungswidersprüche keine Kompetenzkonflikte verursachen.
III. Abgaben auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel Die Einführung von Abgaben auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel wirft hinsichtlich der Finanzordnung vielfältige Fragen auf. Von grundlegender Be___________ 72 73
Chris Müller, NuR 2002, S. 530 [535]. Ähnlich Chris Müller, NuR 2002, S. 530 [535].
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4. Teil: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit
deutung ist die Unterscheidung zwischen dem verfassungsrechtlich vorgesehe74 nen Instrument der Steuer und der vom Bundesverfassungsgericht anerkannten Sonderabgabe, da beide unterschiedliche Anforderungen verlangen. Im Folgenden ist zu klären, ob die Abgaben auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel als Steuer oder in Form einer Sonderabgabe rechtlich zulässig sind und welches Instrument zu empfehlen ist. Hierzu sind die beiden Instrumente zu vergleichen.
1. Verhältnis der Sonderabgaben zu den Steuern Steuern sind ausdrücklich von der Verfassung in Art. 105 f. GG als Finanzierungsmittel des Staates vorgesehen. Die Steuereinnahmen verteilen sich nach der Regelung des Art. 106 GG auf die Gebietskörperschaften. Ihre Erhebung erfolgt losgelöst von den zu finanzierenden staatlichen Aufgaben und unter den Augen des Parlaments, da Steuern nach Art. 110 GG bzw. den entsprechenden Landesvorschriften in den Finanzhaushalt einzustellen sind. Bei den Regelungen über die verfassungsrechtliche Finanzverfassung in Art. 104a bis 108 GG handelt es sich nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts um einen Kernbereich der bundesstaatlichen Struktur wie auch der politischen Machtver75 teilung in der Bundesrepublik. Allerdings enthält das Grundgesetz keinen abschließenden Kanon zulässiger 76 Abgabetypen. Das Grundgesetz erwähnt Sonderabgaben an keiner Stelle. Die tatsächliche und rechtliche Existenz verdanken Sonderabgabe der Kreativität 77 der Politik und der Anerkennung durch das Bundesverfassungsgericht. Im Regelfall lag den Sonderabgaben ein spezifischer Sachzweck zu Grunde, welcher die Einnahmeerzielungsfunktion stark in den Hintergrund rückte. Das erste umfassende Urteil erging 1980 und erklärte die Erhebung einer Berufsausbildungsabgabe zum Zwecke der Sicherstellung eines ausreichenden Angebots an Ausbildungsplätzen für verfassungsgemäß, zeigte aber gleichzei78 tig deutlich die Grenzen derartiger Nichtsteuern auf. Es folgten Urteile u. a. 79 80 hinsichtlich einer Schwerbehindertenabgabe , einer Investitionsabgabe , einer 81 82 Künstlersozialabgabe , einer Fehlbelegungsabgabe , einer Feuerwehrab___________ 74
Erstmals in BVerfGE 4, S. 7 [13 ff.]; 18, S. 315 [328 f.]. BVerfGE 55, S. 274 [300 f.]. 76 BVerfGE 82, S. 159 [181]; 93, S. 319 [342]; ZUR 2005, S. 426. 77 Schon in BVerfGE 4, S. 7 [13 f.]; 8, S. 274 [317]; 18, S. 315 [328 f.] ohne sie jedoch als Sonderabgabe zu bezeichnen. 78 BVerfGE 55, S. 274 ff. 79 BVerfGE 57, S. 139 ff. 80 BVerfGE 67, S. 256 ff. 81 BVerfGE 75, S. 108 ff. 75
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gabe , zum „Kohlepfennig“ , zum so genannten „Wasserpfennig“ , zu Lan86 desabfallabgaben , zu landesrechtlichen Altenpflege-Ausbildungsvergütungs87 88 abgaben , zum Klärschlamm-Entschädigungsfonds und zum Solidarfonds 89 Abfallrückführung . Schwerpunkt aller Entscheidungen war der Versuch des Bundesverfassungsgerichts Kriterien zu entwickeln, mit denen sich Sonderabgaben eindeutig von dem verfassungsrechtlich etablierten Instrument der Steuer abgrenzen lassen, um die in Art. 105 f. GG normierte Finanzverfassung nicht 90 durch die Anerkennung von Sonderabgaben zu erodieren. Die Gefahr besteht, da Sonderabgaben anders als Gebühren und Beiträge von keiner individuell zukommenden Gegenleistung des Staates abhängen, sie im Regelfall auch der Finanzierung öffentlicher Aufgaben dienen und die Adressaten zusätzlich zu 91 ihrer Steuerzahlungspflicht belasten. Auch die Abgrenzung anhand der Verfolgung von Lenkungszwecken gestaltet sich schwierig, wenn nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch Steuern Lenkungsfunktionen 92 zukommen darf. Infolgedessen erfolgte die begriffliche Bestimmung der Sonderabgabe hauptsächlich durch Ausschluss der bestehenden Finanzierungsmittel Steuer, Gebühr und Beitrag, weshalb der Anerkennung der Sonderabgabe eine Auffangfunktion innewohnt, mit der sich das Bundesverfassungsgericht der von Seiten der Politik erhobenen Notwendigkeit derartiger Sonderfinan93 zierungsinstrumente nicht verschließen wollte. In seinem ersten Urteil, welches eine sogenannte Finanzierungssonderabgabe zum Gegenstand hatte, arbeitete das Bundesverfassungsgericht Kriterien für die Zulässigkeit von Sonderabgaben neben der Steuer heraus, die auch heute 94 noch Kern seiner Rechtsprechung sind. Sonderabgaben dürfen danach vor al___________ 82
BVerfGE 78, S. 249 ff. BVerfGE 92, S. 91 ff. 84 BVerfGE 91, S. 186 ff. 85 BVerfGE 93, S. 319 ff. 86 BVerfGE 98, S. 83 ff. 87 BVerfGE 108, S. 186 ff. 88 BVerfG ZUR 2004, S. 350 ff. 89 BVerfG ZUR 2005, S. 426 ff. 90 Z. B. BVerfGE 55, S. 274 [298 ff.]; 93, S. 319 [342 ff.]; Selmer, Sonderabfallabgaben, S. 35. 91 Vgl. P. Kirchhof, DStJG Band 15, S. 3 [16 ff.]; Selmer, Sonderabfallabgaben, S. 35. 92 Zuletzt z. B. bezüglich der Ökosteuer in BVerfGE NJW 2004, S. 846 [847]. 93 Vgl. Köck, Sonderabgabe, S. 19. 94 Erstmals umfassend darstellend BVerfGE 55, S. 274 [298 ff., insb. 304 ff.]; 67, S. 256 [274 ff.]; 91, S. 186 [201 ff.]; zuletzt BVerfG ZUR 2005, S. 426 [427 f.]; P. Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 88 Rn. 231 ff.; Sieckmann, in: Sachs, GG, vor Art. 104 a GG Rn. 146; Lang, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 3 Rn. 21 ff. 83
216
4. Teil: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit 95
lem keine allgemeine Finanzierungsfunktion besitzen. Der Belastungsgrund sowie der Finanzierungszweck müssen eine Sachkompetenz evident erfor96 dern. Im Einzelnen fordert das Bundesverfassungsgericht, dass eine Sonderabgabe nur eine abgrenzbare, homogene gesellschaftliche Gruppe belastet. Sie muss einen spezifischen Zweck verfolgen, der zu der Gruppe in einem engen Zusammenhang steht. Gleichfalls muss das Abgabenaufkommen überwiegend im Interesse der belasteten Gruppe verwand werden, weshalb es einem Sonder97 fond und nicht dem allgemeinen Staatshaushalt zufließen darf. Sonderabgaben stehen lenkungspolitischen Zwecken offen und sind als nichtsteuerliche Abgabe aufgrund einer Sachkompetenz nach Art. 70 ff. GG zu erlassen. Neu hinzukommen ist das Erfordernis der vollständige Dokumentation in den Haushaltsplänen des Bundes oder der Länder oder zumindest in den Anlagen zum Haushaltsplan, womit das Bundesverfassungsgericht sicherstellen will, dass Parlament und Öffentlichkeit vollständig über das gesamte staatliche Finanzvo98 lumen informiert wird. In späteren Urteilen nahm das Gericht teilweise von diesen Anforderungen Abstand, wenn der ganz überwiegende Zweck der Abgabe nicht die Finanzierung, sondern die Gestaltung von Sachverhalten ist, oder die Abgabe ein be99 sonderes sachliches Ziel verfolgt. Derartige lenkende Sonderabgaben können z. B. als Ersatz für eine nicht erfüllte Rechtspflicht erhoben werden oder eine bestimmte Verhaltensweise beim Adressaten anregen. Sie müssen sich daher 100 mit den sonstigen Sachregelungen vereinbaren lassen. Das Bundesverfas101 sungsgericht stuft diese Abgaben als „Ausgleichsabgaben eigener Art“ ein, während die Rechtswissenschaft versucht Kategorien zu bilden. Im Einzelnen ist hierbei noch vieles im Fluss, was insbesondere für die Frage nach Umwelt102 sonderabgaben gilt. Sonderabgaben waren aufgrund ihrer begrifflichen Unbestimmtheit und der problematischen Abgrenzung zum Instrument der Steuer von Anfang an erheblicher Kritik ausgesetzt. Sie sind bis heute ein verfassungsrechtlicher Streit___________ 95
BVerfGE 55, S. 274 [298 f.]. Osterloh, NVwZ 1991, S. 823 [825]. 97 Dabei genügen mittelbare, potentielle Vorteile für den einzelnen Abgabenpflichtigen (BVerfG ZUR 2004, S. 350 [352]; ZUR 2005, S. 426 [428]). 98 BVerfGE 108, S. 186 [216, 218 f.]; ZUR 2004, S. 350 [351]; ZUR 2005, S. 426 [427]. 99 BVerfGE 67, S. 256 [277 f.]; 75, S. 108 [147 f.]; 78, S. 249 [267 f.]; 92, S. 91 [115 ff.]. Erneut bestätigt in BVerfG ZUR 2005, S. 426 [427]. 100 BVerfGE 98, S. 83 [100 f.]. 101 BVerfGE 67, S. 256 [277]; 92, S. 91 [115]. 102 Tiefergehend z. B. Köck, Sonderabgabe, S. 141 ff. 96
§ 11 Verfassungsrechtliche Finanzordnung
217
103
punkt geblieben. Ihre Existenz steht ganz grundsätzlich im Konflikt mit der Finanzverfassung und dem darin zum Ausdruck kommenden „Prinzip des Steuerstaates“, wonach die Finanzierung des Bundes und der Länder in erster Linie 104 mit Steuern erfolgen soll. Probleme bereiten insbesondere die Umgehung der steuerlichen Kompetenz- und Aufkommensregeln in Art. 105 f. GG durch Fi105 nanzierungsmöglichkeiten aufgrund Sachkompetenz. Das in Art. 106 GG sehr detailliert austarierte System der steuerlichen Einnahmeverteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen wie auch der Finanzausgleich zwischen den Ländern nach Art. 107 Abs. 2 GG wird unterlaufen, wenn Gebietskörperschaften sich kraft Sachkompetenz weitere Finanzmittel verschaffen. Umgekehrt belastet eine Sonderabgabe den Bürger zusätzlich, der ja immer schon Adressat von Steuern ist, ohne dass die Verfassung eine solche Belastung aus106 drücklich vorsieht. Gleichzeitig ruft die Beschränkung der Sonderabgabe auf bestimmte Gruppen der Bürger, um diese von den grundsätzlich alle belastenden Steuern abzugrenzen, erhebliche Gleichheitsprobleme hervor, die zumin107 dest einer weitergehenden Rechtfertigung aus Sachgründen bedürfen. Weiterhin fehlte bisher bei Sonderabgaben Transparenz und parlamentarische Kon108 trolle, wenn allein der Kontrolle durch den Sachgesetzgeber unterliegen, weshalb jetzt das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich die Dokumentation 109 im Haushaltsplan oder im Anhang verlangt. Insgesamt möchte das Bundesverfassungsgericht, dass Sonderabgaben sel110 tene Ausnahmen bleiben, die nicht zur freien Wahl des Gesetzgebers stehen. Ob sich ein „Wahlrecht“ tatsächlich verhindern lässt, ist allerdings zweifel111 haft. Schließlich hat es der Gesetzgeber in der Hand ein Finanzierungs- oder ___________ 103
BVerfGE 55, S. 274 [298 ff.]; 67, S. 256 [274 ff.]; 91, S. 186 [201 ff.]; P. Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 88 Rn. 223 ff.; Sieckmann, in: Sachs, GG, vor Art. 104 a Rn. 126 ff.; Selmer/Brodersen, DVBl. 2000, S. 1153 [1163 f.]; Hey, StuW 1998, S. 32 [37]; Osterloh, NVwZ 1991, S. 823 [824, 825 f.]. 104 BVerfGE 78, S. 249 [266 f.]; 91, S. 186 [201 f.]; 93, S. 319 [342, 344]; Vogel, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 87 Rn. 43; Selmer/Brodersen, DVBl. 2000, S. 1153 [1164]. 105 BVerfGE 55, S. 274 [300 ff.]; 93, S. 319 [342 f.]; P. Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 88 Rn. 225, 228 f. Dies korrespondiert allerdings auch mit dem umgekehrten Eindringen der Steuerkompetenz in Sachkompetenzen durch Lenkungssteuern. 106 BVerfGE 55, S. 274 [302]; 93, S. 319 [343]; P. Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 88 Rn. 223, 226; ders., DStJG Bd. 15, S. 3 [18 ff.]. 107 BVerfGE 93, S. 319 [343]. 108 BVerfGE 55, S. 274 [302 f.]; 93, S. 319 [343]; P. Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 88 Rn. 224, 230; ders., DStJG Bd. 15, S. 3 [17]. 109 BVerfGE 108, S. 186 [218 f.]. 110 BVerfGE 55, S. 274 [Ls. 4, S. 302, 308]; 82, S. 159 [181]; 91, S. 186 [Ls. 1, 203]; 93, S. 319 [346]. 111 Sieckmann, in: Sachs, GG, vor Art. 104a Rn. 130.
4. Teil: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit
218
Lenkungsmittel so auszugestalten, dass es den Anforderungen an eine Sonderabgabe oder Steuer genügt. Für die Untersuchung von Abgaben auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel folgt, dass aufgrund der erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken gegenüber Sonderabgaben die Abgaben bevorzugt als Steuer zu erheben sind. Erst wenn sich die Abgaben nicht in der Form von Steuern realisieren lassen, wäre auch eine Erhebung als Sonderabgabe in Betracht zu ziehen. Im Folgenden soll daher die Möglichkeit einer Besteuerung von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln untersucht werden. Eine Besteuerung müsste die Voraussetzungen für den verfassungsrechtlichen Steuerbegriff erfüllen und auch nach den Art. 105 f. GG zulässig sein. Letzteres beinhaltet ein schwerwiegendes Problem, da in der Rechtswissenschaft umstritten ist, ob die Einführung von Steuern auf die Steuerarten in Art. 106 GG beschränkt ist oder ein darüber hinausgehendes Steuerfindungsrecht existiert. Für Steuern auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel ist dieser Konflikt insoweit relevant, als unsicher ist, ob sie sich unter den Begriff der Verbrauchsteuer bzw. der Verkehrsteuer (Art. 106 Abs. 1 Nr. 2 bzw. Abs. 2 Nr. 4 GG) subsumieren lassen. Die Auslegung der Steuerarten in Art. 106 GG ist wiederum eng mit der Frage nach dem Steuerfindungsrecht verbunden. Von der Anerkennung eines Steuerfindungsrechts bzw. der Einordnung von Steuern in Art. 106 GG hängt gleichfalls die Bestimmung der Steuergesetzgebungskompetenz ab.
2. Verfassungsrechtlicher Steuerbegriff Nach ständiger Rechtsprechung kennzeichnet eine Steuer, dass sie als Geldleistung zur allgemeinen Finanzierung eines öffentlich-rechtlichen Gemeinwesens erhoben wird, ohne dass sie eine Gegenleistung für eine besondere hoheit112 liche Leistung darstellt. Der Gesetzgeber hat es somit in der Hand, ob er das Aufkommen einer gegenleistungslosen Abgabe dem allgemeinen Finanzhaushalt (Steuer) oder einem Sonderfond (Sonderabgabe) zuweist. Die Vorschläge konzipieren keine Abgaben auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel als Gegenleistungen für eine staatliche Leistung. Zwar dienen die Abgaben dazu, die Kosten, die der Allgemeinheit aufgrund des umweltbeeinträchtigenden Einsatzes der Mittel entstehen, von den Landwirten zumindest teilweise mitfinanzieren zu lassen. Die externen Kosten stellen aber keine staatliche Leistung dar, sondern sind aufgezwungene Wertverluste und Maßnahmekosten zu Lasten des Gemeinwohls. Neben der Refinanzierung externer Kosten bezwecken die Abgaben, mit dem Lenkungsanreiz den Verbrauch der Mittel zu verringern. Ein derartiger Lenkungszweck ist nach dem Steuerbegriff ___________ 112
Siehe § 11 A. I.
§ 11 Verfassungsrechtliche Finanzordnung
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nicht unzulässig, soweit die Einnahmeerzielung nicht gänzlich wegfällt. Die Vorschläge sollen den Verbrauch nicht vollständig unterbinden und die Landwirte „erdrosseln“, sondern sind darauf ausgelegt, den Verbrauch zu verringern 113 und die Landwirte an den Folgekosten zu beteiligen. Weist man das Aufkommen dem allgemeinen Finanzhaushalt zu, lassen sich die Vorschläge unter den verfassungsrechtlichen Steuerbegriff subsumieren.
3. Steuerfindungsrecht des Bundes bzw. der Länder Art. 105 GG verteilt die Gesetzgebungskompetenzen zwischen Bund und 114 Ländern. In Verbindung mit der Finanzverteilungsregelung in Art. 106 GG leitet ein Teil der Rechtswissenschaft eine Beschränkung des Steuerfindungsrechts sowohl des Bundes als auch der Länder ab. Obwohl der Streit unter den Rechtswissenschaftlern schon seit längerem besteht, konnte sich weder eine der 115 Ansichten durchsetzen, noch gab es eine klärende Entscheidung des Bun116 desverfassungsgerichts. ___________ 113
Siehe § 7 B. I. 2. und B. II. 3. Siehe § 11 B. 115 Ein Steuerfindungsrecht befürworten: Tipke, Steuerrechtsordnung, S. 1092 ff.; Selmer, UTR Bd. 16, S. 15 [37 f.]; ders. Steuerinterventionismus, S. 144 f., 154 f.; Jarass, Nichtsteuerliche Abgaben und lenkende Steuern, S. 16 ff.; Müller-Franken, JuS 1997, S. 872 [877 f.]; Fischer-Menshausen, in: v. Münch, GG, Art. 105 Rn. 16 f., Art. 106 Rn. 14a; Klein, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, Art 105 Rn. 5, Art. 106 Rn. 7; Wendt, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 104 Rn. 28 f.; eingeschränkt Maunz, in: M/D, GG, Art. 105 Rn. 46 f., Art. 106 Rn. 19 ff.; Osterloh, NVwZ 1991, S. 823 [827 f.]; Hey, StuW 1998, S. 32 [38 f]. Ablehnend demgegenüber: Höfling, StuW 1992, S. 242 [244]; Siekmann, in: Sachs, GG, Art. 105 Rn. 44 ff.; Jachmann, StuW 2000, S. 239 [243]; Köck, JZ 1991, S. 692 [696]; Vogel, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 87 Rn. 32; Birk, in: Wassermann, GG-AK, Art. 105 Rn. 21 f., Art. 106 Rn. 6; Rodi, Umweltsteuern, S. 45 m. w. N.; Stern, Staatsrecht II, S. 1119 f. 116 Allerdings wird teilweise BVerfGE 67, S. 256 [286] als Entscheidung gegen ein Steuerfindungsrecht interpretiert. Dies verkennt jedoch, dass das Gericht in dem Urteil nur die generelle Unzulässigkeit einer rückzahlbaren Anleihe annahm, die erst gar nicht unter den verfassungsrechtlichen Steuerbegriff fiel. Es lehnte dabei sowohl eine Anwendung von Art. 30 GG als Kompetenzgrundlage ab, da damit die Länder die Kompetenzverteilung in Art. 105 Abs. 2a GG umgehen könnten, als auch die Aufgabe des Merkmals der Nichtrückzahlbarkeit beim Steuerbegriff in Art. 105 GG, um Interpretationskämpfe hinsichtlich der sonstigen Merkmale und Abgrenzungsprobleme bezüglich Art. 115 GG zu vermeiden. Gegen eine Ablehnung des Steuerfindungsrechts durch das Bundesverfassungsgericht spräche auch, dass es in BVerfGE 49, S. 343 [354] die Kommunalabgabe, die sich keiner der Steuern des Art. 106 GG zuordnen ließ, den „übrigen Steuern“ in Art. 105 Abs. 2 GG zuwies. Weiter erkannte BVerfGE 16, S. 64 [77 ff.] hinsichtlich des alten Art. 105 GG entgegen der damals schon ablehnenden Literatur ein Steuerfindungsrecht der Länder ausdrücklich an, obwohl im alten Art. 106 GG auch schon die Ertragsverteilung geregelt war. 114
220
4. Teil: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit
Als Hauptargument gegen ein Steuerfindungsrecht wird das sehr detaillierte Ertragsverteilungssystem zwischen Bund, Ländern und Gemeinden in Art. 106 117 GG angeführt. Da die politischen Gestaltungsmöglichkeiten entscheidend auch von den finanziellen Mitteln der Organe abhängen, komme der Vorschrift eine wesentliche föderale Bedeutung zu – auch im Sinne einer Schutzfunktion 118 für die Länder. Wäre der Katalog in Art. 106 GG nicht abschließend, könnten sich Bund und Länder mittels neuer Steuern an der Verteilungsregel vorbei 119 mehr Mittel zuführen. Da es dem Bund an einer Kompetenz zur Regelung der Ertragsverteilung mangele, würden außerdem frei schwebende Einnahmen 120 entstehen, deren Verteilung ungeregelt bliebe. Weiterhin leitet man aus Art. 106 GG eine Schutzfunktion für den Bürger ab, der wissen soll, welche 121 Steuern und Steuerlasten auf ihn zukommen können. Die Befürworter eines Steuerfindungsrechts argumentieren dagegen, dass der Verfassungsgesetzgeber 1969 mit der Finanzreform den vorher in Art. 105 Abs. 2 GG aufgelisteten Katalog von Steuergruppen gerade zugunsten einer unbeschränkten Steuergesetzgebungskompetenz im Rahmen des Art. 72 Abs. 2 122 GG abschaffte. Wortlaut und Entstehungsgeschichte von Art. 105 Abs. 2 GG 123 sprächen gegen eine Beschränkung auf den Katalog von Art. 106 GG. Des Weiteren wenden sie ein, dass der Verfassungsgesetzgeber in Art. 106 GG alle 124 damals existierenden oder bekannten Steuern erfasste und verteilte, die weder durchgängig dem Leistungsfähigkeitsprinzip entsprächen, noch ein gerech125 tes und ausgewogenes Steuersystem darstellten. Art. 106 GG enthalte insoweit keine konkreten Wertentscheidungen des Verfassungsgebers hinsichtlich einer gerechten Aufteilung der Steuerlasten auf die Steuerpflichtigen, sondern ___________ 117
Vogel, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 87 Rn. 32; Förster, Verbrauchsteuern, S. 33 f.; Birk, in: Wassermann, GG, Art. 105 Rn. 21. 118 Vogel, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 87 Rn. 32; Förster, Verbrauchsteuern, S. 33 f.; Balmes, Umweltsteuern, S. 142 f. Vgl. hinsichtlich der Frage eines Wahlrechts zwischen Steuer und Sonderabgabe BVerfGE 55, S. 274 [300 ff.]. 119 Birk, in: Wassermann, GG-AK, Art. 105 Rn. 21. 120 Förster, Verbrauchsteuern, S. 34. 121 Birk, in: Wassermann, GG-AK, Art. 106 Rn. 6; Förster, Verbrauchsteuern, S. 33 f. 122 JöR (n. F.) 1951, S. 750 ff.; BT.-Drs. V/2861, Teil B Tz. 127 f., 131. Wendt, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 104 Rn. 29; Jarass, Nichtsteuerliche Abgaben und lenkende Steuern, S. 19 f. 123 Fischer-Menshausen, in: v. Münch, GG, Art. 106 Rn. 16 f.; Klein, in: SchmidtBleibtreu/Klein, GG, Art 105 Rn. 5; Wendt, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 104 Rn. 29. 124 Vgl. Parlamentarischen Rat zu Art. 105 und 106 GG a. F., in: JöR (n. F.) 1951, S. 750 ff. und zur Finanzreform 1969, BT.-Drs. V/2861, Teil B Tz. 134 ff. 125 Trzaskalik, Gutachten zum 63. Dt. Juristentag, S. 45, 57.
§ 11 Verfassungsrechtliche Finanzordnung
221 126
regelt allein die sekundäre Verteilung unter den Steuergläubigern. Der Ge127 setzgeber muss nicht alle Steuern in Art. 106 GG erheben. Eine Beschränkung auf Art. 106 GG würde jedoch die Mängel und überholten Strukturen 128 fortführen sowie einer Reform des deutschen Steuerrechts im Wege stehen. Art. 106 GG beschränke die Steuerkompetenz daher allenfalls hinsichtlich sei129 ner Grundzüge und der generellen Funktionsfähigkeit der Ertragsverteilung. Im Folgenden soll auf die entscheidenden Argumente tiefer eingegangen werden. Art. 106 GG enthält keine ausdrückliche Beschränkung der Steuerfindung. Soll Art. 106 GG trotz Entstehungsgeschichte und Wortlaut von Art. 105 Abs. 2 GG eine derartige Einschränkung rechtfertigen, ist diese Argumentation einer stärkeren Begründungslast ausgesetzt. Ob die Ertragsverteilungsregel dem gerecht wird, erscheint zweifelhaft.
a) Schutz der Finanzverteilung nach Art. 106 GG Die Finanzverteilung würde einem Steuerfindungsrecht entgegenstehen, wenn die Verteilung ein stabiles Gleichgewicht zwischen Bund, Ländern und Gemeinden gewährleistet. Art. 106 GG verpflichtet die Gesetzgeber nicht, alle aufgezählten Steuern zu erheben, sondern nur zur generellen Funktionsfähig130 keit des Finanzverteilungssystems. Auch beschränkt Art. 106 GG nicht die Anzahl der Steuern, da er Steuergruppen wie Verbrauch- und Verkehrsteuern 131 auflistet. Art. 106 GG begrenzt gleichfalls nicht die Steuerausgestaltung und die Höhe der einzelnen Steuersätze. Im Ergebnis ist die Finanzordnung damit 132 erheblichen Schwankungen sowie Gestaltungsmöglichkeiten ausgesetzt und ___________ 126
Lang, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 3 Rn. 3; Tipke, Steuerrechtsordnung, Bd. III 1092 ff.; Wendt, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 104 Rn. 28 f.; Jarass, Nichtsteuerliche Abgaben und lenkende Steuern, S. 17. 127 Rodi, Rechtfertigung von Steuern, S. 164 ff.; Vogel, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 87 Rn. 31 m. w. N.; Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 106 Rn. 19; Fischer-Menshausen, in: v. Münch, GG, Art. 106 Rn. 13. 128 BVerfGE 16, S. 64 [78]; Osterloh, NVwZ 1991, S. 823 [827]; Hey, StuW 1998, S. 32 [39]; Fischer-Menshausen, in: v. Münch, GG, Art. 105 Rn. 17; Tipke, Steuerrechtsordnung, S. 1094; Wendt, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 104 Rn. 29; Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 106 Rn. 19. 129 Fischer-Menshausen, in: v. Münch, GG, Art. 105 Rn. 17; Wendt, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 104 Rn. 30. 130 Vogel, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 87 Rn. 31; Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 106 Rn. 19. 131 Jarass, Nichtsteuerliche Abgaben und lenkende Steuern, S. 17; Vogel, in: Isensee/ Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 87 Rn. 32. 132 Vgl. den Überblick über die geschichtliche Entwicklung der Finanzverteilung bis 1968 in BT.-Drs. V/2861, Teil B Tz. 68 ff.
222
4. Teil: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit 133
stellt kein stabiles System dar. Eine Schutzbedürftigkeit der Finanzverteilung gegenüber nicht aufgelisteten Steuern lässt sich daher allenfalls aufgrund der „frei schwebenden“ Erträge bei neuen Steuern begründen, da Art. 106 GG kei134 ne Generalklausel enthält. Daraus könnte man schließen, dass der Verfassungsgeber doch nicht von einem über Art. 106 GG hinausgehenden Steuerfindungsrecht ausgegangen ist. Andererseits könnte der Verfassungsgesetzgeber der Ansicht gewesen sein, mit Art. 106 GG alle denkbaren Steuerarten dauerhaft geregelt zu haben, um Streitigkeiten zwischen Bund, Ländern und Ge135 meinden aufgrund der Steuererträge vorzubeugen. Dafür spricht, dass Art. 106 GG neben der Erwähnung existierender Einzelsteuern (z. B. Biersteuer) auch generelle Ertragszuweisungen kennt. So sind grundsätzlich alle Verbrauchsteuern dem Bund und alle Verkehrsteuern den Ländern zugewiesen. Schaut man sich die einzelnen Steuerarten an, so erfasst Art. 106 GG quasi alle Steuerquellen, die in der Rechtswissenschaft diskutiert werden: das private Einkommen und der Gewinn von Körperschaften, das Vermögen einschließlich Erbschaften und Grundstücken sowie die Einkommensverwendung in Form 136 von Verkehrs- und Verbrauchsakten. Ein derart umfassendes Verständnis von Art. 106 GG würde erklären, warum der Verfassungsgesetzgeber bei Art. 105 GG einerseits keine Beschränkung der Steuererhebungskompetenz wollte, vielmehr in der Begründung ein Steuerfindungsrecht erwähnt, andererseits in Art. 106 GG neben der Verbrauch- und Verkehrsteuer keinen weiteren 137 Auffangtatbestand schuf. Wollte der Verfassungsgeber mit Art. 106 GG umfassend alle denkbaren oder schon existierenden Steuern verteilen, resultieren daraus zwei Konsequenzen. Erstens wollte er nicht mit Art. 106 GG ein Steuerfindungsrecht ausschließen, was die fehlende, ausdrückliche Beschränkung in Art. 105 Abs. 2 GG erklärt. Zweitens sind die aufgezählten Steuerarten in Art. 106 GG weit zu verstehen, damit sie alle zu verteilenden Steuern erfas138 sen. Letztendlich ist bei einer weiten Auslegung der aufgelisteten Steuerarten ___________ 133
Jarass, Nichtsteuerliche Abgaben und lenkende Steuern, S. 17. Eine Regelung der Ertragsverteilung neuartiger Steuern wurde weder bei der Einführung von Art. 106 GG im Jahr 1949 noch bei seiner Änderung 1969 angesprochen und diskutiert, da man nur die Verteilung der bekannten Steuern im Blick hatte (vgl. JöR (n. F.) 1951, S. 750 ff.; BT.-Drs. V/2861, Teil B Tz. 134 ff.). 135 BT.-Drs. V/2861, Teil B Tz. 12 Nr. 4 (Ziele der Finanzreform) und Tz. 134, wo es heißt: „Unter Berücksichtigung der Lastenbegrenzung ist für die Aufteilung der Steuern ein möglichst dauerhaftes und überschaubar gestaltetes System zu schaffen, das eine Anpassung an den sich ändernden Mittelbedarf der einzelnen Ebenen gewährleistet und so angelegt ist, dass unnötige Auseinandersetzungen zwischen Bund und Ländern vermieden werden.“ 136 Vogel, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 87 Rn. 95; P. Kirchhof, StuW 1984, S. 297 [298]; ders., in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 88 Rn. 70 ff.; Lang, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 4 Rn. 95. 137 BT.-Drs. V/2861, Teil B Tz. 127 ff. 138 Vgl. BVerwGE 6, S. 247 [255]; Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 106 Rn. 19. 134
§ 11 Verfassungsrechtliche Finanzordnung
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auch kein über Art. 106 GG hinausgehendes Steuerfindungsrecht mehr nötig, wenn neue Steuern sich im Zweifel unter die Begriffe der Verbrauch- oder Verkehrsteuern subsumieren lassen. Insofern bedürfte es dann auch nicht mehr der Versuche, sogenannte „frei schwebende“ Erträge einer Regelung zuzufüh139 ren. b) Schutz der Bürger In Anbetracht der bestehenden, steuerlichen Gestaltungsfreiheiten im Rahmen des Art. 106 GG, kann die Finanzverteilungsregel keinen Belastungsschutz für den Bürger gewähren. Art. 106 GG begrenzt weder die Zahl der Steuern noch die gesamte oder einzelne Steuerbelastung. Es ist daher nur konsequent, dass das Bundesverfassungsgericht in seinem Vermögensteuer140 beschluss einen derartigen Schutz nicht aus Art. 106 GG, sondern in Form des Halbteilungsgrundsatzes aus Art. 14 Abs. 1 und 2 GG herleitete, auch wenn man über die Grenze von fünfzig Prozent streiten mag. Auch die weiteren Grenzen des Steuergesetzgebers hinsichtlich einer gerechten Steuererhebung, wie etwa das Leistungsfähigkeitsprinzip sowie sonstige Prinzipien bei Lenkungssteuern, ergeben sich nicht aus Art. 106 GG, sondern aus den Grund141 rechten, hier vor allem Art. 3 Abs. 1 GG. Einen derartigen Individualschutz 142 hatte der Verfassungsgesetzgeber auch nicht mit Art. 106 GG beabsichtigt. Art. 106 GG gewährt keinen über die Grundrechte hinausgehenden Schutz des Bürgers, sondern bleibt eine Regel zur Verteilung der Steuererträge zwischen den Gebietskörperschaften. Soweit das Bundesverfassungsgericht der Finanzverfassung eine grundrechtssichernde Funktion zuweist, beschränkt sich diese auf die Geltendmachung einer Kompetenzverletzung bei grundrechtsrelevanten Maßnahmen und auf die mögliche Kontrolle durch den vom Parlament zu ver143 abschiedenden Haushaltsplan. ___________ 139
Diskutiert wird hierbei über eine Ergänzung der Verfassung (Tipke, Steuerrecht, S. 1095, Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 106 Rn. 20.), über die Zuweisung der Ertragskompetenz zur Steuerkompetenz (Osterloh, NVwZ 1992, S. 823 [828]; Wendt, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 104 Rn. 29; Fischer-Menshausen, in: v. Münch, GG, Art. 106 Rn. 14a; Jarass, Nichtsteuerliche Abgaben und lenkende Steuern, S. 18 f.) oder über eine Anwendung von Art. 30 GG (ablehnend Birk, in: Wassermann, GG-AK, Art. 106 Rn. 7; Förster, Verbrauchsteuern, S. 34 f.; Maunz, in: Maunz/ Dürig, GG, Art. 106 Rn. 20; Stern, Staatsrecht II, S. 1119). 140 BVerfGE 93, S. 121 [138]. 141 Die Überfrachtung von Art. 106 GG ist eine der Folgen aus der Abkehr der Steuerrechtsdogmatik von der allgemeinen Grundrechtsdogmatik und dem Festhalten am Willkürverbot bei Art. 3 Abs. 1 GG. 142 JöR (n. F.) 1951, S. 750 ff.; BT.-Drs. V/2861, Teil B Tz. 134 ff. 143 BVerfGE 55, S. 274 [302 f.].
4. Teil: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit
224
c) Sonderabgaben als Ersatz für ein Steuerfindungsrecht Die Ablehnung eines Steuerfindungsrechts und die enge Auslegung der Steuerbegriffe in Art. 106 GG führen dazu, dass der Gesetzgeber bei neuen Abgaben auf das Instrument der Sonderabgabe ausweicht. Aufgrund ihrer verfassungsrechtlichen Problematik als nicht genannte, haushaltsflüchtige Finanzierungsmittel soll sie nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts seltene 144 Ausnahme bleiben und strengen Anforderungen unterliegen. Eine Auslegung der verfassungsrechtlichen Steuervorschriften muss dieses höchst problematische Ausweichen berücksichtigen. In Anbetracht der verfassungsrechtlichen 145 Bedenken gegenüber Sonderabgaben , ist es dogmatisch überzeugender, das 146 Institut der Sonderabgabe einzuschränken und stattdessen ein Steuerfindungsrecht anzuerkennen sowie die Steuerarten in Art. 106 GG weit auszulegen. Dies hätte gegenüber der Sonderabgabe den Vorteil, dass sich neue Steuern in das System existierender Steuern einordnen müssen, vom Parlament im Haushalt aufzustellen wären und eine gleichheitsrechtlich problematische Sonderbelastung bestimmter Gruppen sowie die Existenz von Schattenhaushalten vermieden würde. Dogmatisch wäre eine Einordnung in das verfassungsrechtlich vorgesehene Instrumentarium ein Mehr an Rechtsklarheit und Rechtssicherheit, sowohl für den Bürger als auch für die Gesetzgeber. Im Ergebnis spricht wenig gegen ein Steuerfindungsrecht, da die Finanzverteilungsregel kein stabiles System enthält und sich „frei schwebende“ Erträge durch eine weite Auslegung der Steuerarten in Art. 106 GG vermeiden lassen. Allerdings wäre im Falle einer weiten Auslegung von Art. 106 GG, die alle denkbaren Steuern im Zweifel den Kategorien Verbrauch- oder Verkehrsteuer zuordnet, ein über Art. 106 GG hinausgehendes Steuerfindungsrecht überflüssig. Insofern ist bei dem Streit um ein Steuerfindungsrecht das Recht an sich zweitrangig. Entscheidend ist vor allem die begriffliche Auslegung der Steuerarten in Art. 106 GG.
4. Subsumtion von Steuern auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel unter den Begriff der Verbrauchsteuer Steuern auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel könnten sich unter die in Art. 106 GG aufgeführten Steuerarten der Verbrauch- oder Verkehrsteuer sub___________ 144
BVerfGE 55, S. 274 [Ls. 4, S. 302, 308]; 82, S. 159 [181]; 91, S. 186 [Ls. 1, 203]; 93, S. 319 [346]. 145 Siehe § 11 C. III. 1. 146 Eine Abschaffung fordern sogar Sieckmann, in: Sachs, GG, vor Art. 104 a GG Rn. 130 ff.; Lang, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 3 Rn. 27.
§ 11 Verfassungsrechtliche Finanzordnung
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sumieren lassen. Bei beiden Kategorien ist die begriffliche Reichweite noch nicht abschließend geklärt, so dass die Frage nach der Einstufung der Vorschläge von der Auslegung der Begriffe abhängt. Da die Steuern auf Düngeund Pflanzenschutzmittel den Verbrauch der Mittel durch die Landwirte reduzieren sollen, kommt zuvorderst eine Einordnung als Verbrauchsteuer in Betracht. Weder das Grundgesetz noch das einfache Recht oder das Europarecht ken147 nen eine Legaldefinition der Verbrauchsteuer. Auch die Verfassungsbegründungen zu Art. 105 bzw. 106 GG beschreiben den Begriff nicht, sondern setzen 148 ihn als gegeben voraus. Einzig in den Begründungen zur Finanzreform 1955 wurde näher ausgeführt, dass Verbrauchsteuern Steuern sind, die den Verbrauch vertretbarer, regelmäßig zum baldigen Verzehr und kurzfristigen 149 Verbrauch bestimmter Güter des ständigen Bedarfs belasten. In der Finanz- und Rechtswissenschaft hat es vielfältige Bestimmungsversuche gegeben. Eine abschließende, allgemein anerkannte Definition konnte sich 150 aber nicht durchsetzen. Anerkannt ist, dass Verbrauchsteuern auf Gegenständen lasten sollen, die ihrem typischen Verwendungszweck nach tatsächlich oder rechtlich verbraucht werden, indem die stoffliche oder rechtliche Existenz 151 oder Selbstständigkeit aufgehoben wird. Weniger geklärt ist hingegen die Frage, ob nur der private oder auch der unternehmerische Verbrauch von Art. 106 Abs. 1 Nr. 2 GG umfasst ist. Da Dünge- und Pflanzenschutzmittel ganz überwiegend in den Landwirtschaftsbetrieben als Betriebsmittel und weniger vom privaten Verbraucher verwendet werden, kommt der Frage für die 152 Einstufung der zu untersuchenden Steuern entscheidende Bedeutung zu.
___________ 147
BFHE 141, S. 369 [370]; Peters/Bongartz/Schröer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht, Rn. C 1. 148 BFHE 141, S. 369 [370]. 149 BT.-Drs. II/480, S. 170 Tz. 160. Das Bundesverfassungsgericht hat die Definition bei der kommunalen Verpackungsabgabe übernommen (BVerfGE 98, S. 106 [123]). 150 Jatzke, Verbrauchsteuerrecht, S. 41; Selmer/Brodersen, DVBl. 2000, S. 1153 [1160 f.]. 151 Peters/Bongartz/Schröer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht, Rn. C 3 ff.; Jatzke, Verbrauchsteuerrecht, S. 54. Eine solche Definition scheint auch das Bundesverfassungsgericht vorauszusetzen (vgl. BVerfG NVwZ 2004, S. 846 [848]). Strittig ist aber schon, ob auch Dienstleistungen unter den Verbrauchsteuerbegriff fallen (ablehnend z. B. Jatzke, a. a. O., S. 42 ff.). Dafür spräche zumindest Art. 3 Abs. 3 der RL 92/12/ EWG. 152 Die pauschale Einordnung einer Stickstoffsteuer als eine Verbrauchsteuer auf den Privatkonsum, wie sie Rusch, Stickstoffabgabe, S. 217 f. trifft, überzeugt hingegen nicht.
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4. Teil: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit 153
Etliche Stimmen der Literatur wollen Verbrauchsteuern grundsätzlich auf den privaten Konsum beschränken und erkennen nur bei einer schwierigen Abgrenzung von privatem und unternehmerischem Konsum letzteren als zulässigen Verbrauchsteuergegenstand an (z. B. bei Mineralöl), soweit es nicht zu einer überwiegenden Besteuerung der Betriebsmittel kommt. Das Bundesverfassungsgericht und der Bundesfinanzhof sehen zwar auch in dem Privatkonsum den eigentlichen Verbrauchsteuergegenstand, erachten aber eine Erhebung bei den Unternehmen als zulässig, soweit die Möglichkeit einer Überwälzung be154 steht. In seinem Urteil zur Ökosteuer hat das Bundesverfassungsgericht nunmehr unter den Verbrauchsteuerbegriff ausdrücklich auch eine Besteuerung von Produktionsmitteln subsumiert, weil die Überwälzbarkeit auf den Endverbraucher solange nicht ausgeschlossen ist, wie der gewerbliche Verbraucher 155 die Steuerbelastung in den Preis seiner Produkte einstellen kann. Das Gericht hat sich damit nicht grundlegend von seiner früheren Rechtsprechung abgewendet, sondern nur betont, dass die hypothetische Möglichkeit der Überwäl156 zung ausreicht. Auch der Bundesfinanzhof stufte mit dem früheren § 103 b BranntwMG eine reine Produktionsmittelsteuer auf industriell verwendetes Propanol und Methanol als Verbrauchsteuer ein, weil der private Verbraucher zumindest mittelbar die Steuerlast trägt, da sie der Unternehmer als Produkti157 onskosten in seiner Preiskalkulation berücksichtigt. Die grundsätzliche Beschränkung des Verbrauchsteuerbegriffs auf den privaten Verbrauch begründet man vor allem mit der Abschöpfung der Leistungsfähigkeit der Bürger, wobei man das Leistungsfähigkeitsprinzip als steuerlichen Rechtfertigungsgrund an158 sieht. Ergänzend verweist man außerdem auf das wirtschaftspolitische Ar___________ 153
Schmölders, Verbrauchsteuern, S. 90 ff.; Jachmann, StuW 2000, S. 239, 244 f.; Förster, Verbrauchsteuern, S. 63; Peters/Bongartz/Schröer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht, Rn. C 6; Lang, DStJG Bd. 15, S. 115 [134 ff.]; Lang, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 3 Rn. 32; Tipke, Steuerrechtsordnung, S. 959 f.; Arndt, CO2-/Energiesteuer, S. 50 ff., 72 f. Einschränkend Müller-Franken, JuS 1997, S. 872 [875 f.]. 154 BVerfGE 14, S. 76 [96]; 27, S. 375 [384]; 31, S. 8 [20]; 98, S. 106 [123 f.], wobei es in diesem Urteil die Leistungsfähigkeit im vermeidbaren umweltschädlichen Verbrauch sieht; BFHE 110, S. 213 [215]; 141, S. 369 [372 ff.]. Bzgl. der Aufwandsteuer, die das Bundesverfassungsgericht der Verbrauchsteuer zuordnet BVerfGE 16, S. 64 [74]; 49, S. 343 [354]; 65, S. 325 [346 f.]. Sie bestimmen damit die Verbrauchsteuer nicht mehr allein nach der Nexus-Theorie des Reichfinanzhofes (RFHE 3, S. 159 [161]), der mit dem Merkmal des Verbringens des Gegenstandes in den steuerfreien Verkehr die Verbrauchsteuer von der Verkehrsteuer abgrenzte (vgl. BFHE 141, S. 369 [374 f.]). 155 BVerfG NVwZ 2004, S. 846 [848]. 156 BVerfGE 14, S. 76 [96]; 27, S. 375 [384]; 31, S. 8 [20]; BVerfG HFR 1987, S. 93. 157 BFHE 141, S. 369 [370 ff., 375 ff.]. 158 BVerfGE 98, S. 106 [124]; NVwZ 2004, S. 846 [49]; Schmölders, Verbrauchsteuern, S. 90, 93; Förster, Verbrauchsteuern, S. 63 f.; Peters/Bongartz/Schröer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht, Rn. C 6, C. 20 ff.; Lang, DStJG Bd. 15, S. 115 [135];
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gument, wonach Verbrauchsteuern nicht die Wettbewerbsbedingungen der Un159 ternehmen verschlechtern und den Standort Deutschland gefährden dürfen. Demgegenüber will eine andere Ansicht den Verbrauchsteuerbegriff weit auslegen und auch den unternehmerischen Verbrauch von Betriebsmitteln als 160 eigenständiges Verbrauchsteuerobjekt mit einbeziehen. Für eine erweiterte Auslegung lässt sich anführen, dass der Wortlaut von Art. 106 Abs. 1 Nr. 2 GG keine Beschränkung auf den Endverbraucher enthält, vielmehr nur „Verbrauchsteuern“ auflistet. Die allgemeine Definition des Begriffs „Verbrauch“ als bestimmungsgemäße Beseitigung der stofflichen oder rechtlichen Existenz bzw. Selbstständigkeit schließt grundsätzlich den unternehmerischen Verbrauch nicht aus. Denn auch der Hersteller von Gütern verbraucht bei der Produktion Stoffe, die ihre körperliche oder rechtliche Existenz verlieren. Auch werden nicht alle Stoffe weiterverarbeitet an den privaten Käufer übertragen, sondern es tritt zum Teil ein endgültiger Nutzwertverlust der Stoffe ein, indem diese emittiert werden oder als Abfälle den Herstellungsbetrieb verlassen. Eine Begriffsbestimmung der „Verbrauchsteuer“ muss die Funktion von Art. 106 GG beachten. Wie schon beim Steuerfindungsrecht ausgeführt, soll Art. 106 GG die Steuererträge unter Bund, Ländern und Gemeinden dauerhaft verteilen, um Streitigkeiten über Steuereinnahmen zwischen den Gebietskörperschaften auszuschließen. Der Verfassungsgesetzgeber war daher daran interessiert, mit Art. 106 GG alle denkbaren Steuerarten zu erfassen, wobei er das 161 Steuerfindungsrecht gerade nicht ausdrücklich beschränkte. Eine enge Auslegung der Steuerbegriffe würde dem Zweck von Art. 106 GG widersprechen, keine ungeregelten Steuererträge entstehen zu lassen. Gleichzeitig würde der Gesetzgeber in die verfassungsrechtlich sehr zweifel162 hafte Sonderabgabe gedrängt. Es überzeugt daher nicht, den Begriff der Verbrauchsteuer anhand bestehender oder vorkonstitutioneller Verbrauchsteu163 ern zu definieren, weil Art. 106 GG gerade ein offenes Verteilungssystem 164 für die Zukunft schaffen sollte. Wollte der Verfassungsgesetzgeber das Recht zur Erhebung von Verbrauchsteuern auf existierende Verbrauchsteuern ___________ Jachmann, StuW 2000, S. 239 [243 ff.]; Tipke, Steuerrechtsordnung, S. 963 f.; Jatzke, Verbrauchsteuerrecht, S. 38, 65 f. m. w. N. 159 Lang, DStJG Bd. 15, S. 115 [138 f.]; Jachmann, StuW 2000, S. 239 [244]. 160 Osterloh, NVwZ 1991, S. 823 [828]; Jarass, Nichtsteuerliche Abgaben und lenkende Steuern, S. 13; Köck, JZ 1991, S. 692 [697 f.]; Selmer, UTR Bd. 16, S. 15 [35 f.]; Selmer/Brodersen, DVBl. 2000, S. 1153 [1160]; Dänzer-Vanotti, BB 1989, S. 754 f. 161 Siehe § 11 C. III. 3. a). 162 Siehe § 11 C. III. 1. und 3. c). 163 So aber Förster, Verbrauchsteuern, S. 62 f. m. w. N. 164 Kritisch z. B. auch Trzaskalik, Gutachten zum 63. Dt. Juristentag, S. 61; Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 106 Rn. 19.
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4. Teil: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit
beschränken, hätte er dies ausdrücklich in Art. 105 und 106 GG ausführen können. Im Übrigen hat sich der einfache Gesetzgeber bei der Erhebung von Verbrauchsteuern kaum von systembildenden Gründen leiten lassen, sondern eine sehr willkürliche Auswahl von Gütern der Verbrauchsteuer unterworfen, die allenfalls Ergiebigkeitsgründen folgte und auch Produktionsmittel mit ein165 bezog. Soweit man für einen engen Verbrauchsteuerbegriff die Leistungsfähigkeit der Bürger anführt, muss hier zum Teil die Erörterung des Prinzips vorgezogen werden, obwohl es als gleichheitsrechtliches Verteilungsprinzip richtiger Wei166 se eine Anforderung von Art. 3 Abs. 1 GG und nicht von Art. 106 GG ist. Das Leistungsfähigkeitsprinzip als steuerlicher Gerechtigkeitsmaßstab besagt ganz allgemein, dass jeder Bürger entsprechend seiner finanziellen Möglichkeiten besteuert wird und insofern jeder Bürger im Verhältnis die gleiche Belastung tragen muss. Verbrauchsteuern sollen die Leistungsfähigkeit abschöpfen, die in der Vermögensverwendung beim Konsumieren zum Ausdruck kommt. Die Vermögensverwendung wird im deutschen Steuersystem jedoch schon umfassend von der Umsatzsteuer besteuert, die in Art. 106 Abs. 3 GG explizit anerkannt ist und ein wesentliches Element der Finanzverteilung darstellt. Der Begriff der Verbrauchsteuer in Art. 106 Abs. 1 Nr. 2 GG erstreckt sich daher nur auf Verbrauchsteuern, die nicht wie die Umsatzsteuer alle Waren belasten, sondern nur bestimmte Waren einer Besteuerung unterwerfen. Diese Zusatzbelastung gegenüber der allgemeinen Umsatzsteuer bedarf jedoch einer besonderen Rechtfertigung vor dem Gleichheitsgrundsatz. Denn grundsätzlich indiziert jeder ausgegebene Euro unabhängig vom gekauften Gut nur die gleiche Leistungsfähigkeit. Wird der Konsum der Endverbraucher aber schon mit der Umsatzsteuer belastet, ist die in der Vermögensverwendung hervortretende Leistungsfähigkeit schon abgeschöpft. Damit entzieht die Umsatzsteuer den speziellen Verbrauchsteuern zwar nicht den Erhebungsgrund Einnahmeerzielung, gleichwohl aber die Berufung auf das Leistungsfähigkeitsprinzip im Rahmen 167 des Art. 3 Abs. 1 GG. Zusätzliche Verbrauchsteuern sind mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip nur zu vereinbaren, soweit sich am besteuerten Gut eine be168 sondere Leistungsfähigkeit (Luxusgüter) ablesen lässt. Bei den existierenden ___________ 165
BFHE 105, S. 554 [559]; 141, S. 369 [372 f.]; Peters/Bongartz/Schröer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht, Rn. C 25 f.; Jatzke, Verbrauchsteuerrecht, S. 56; Förster, Verbrauchsteuern, S. 60, 62. 166 Ausführlicher zur Herleitung des Prinzips unter § 13 B. I. 167 Kritisch insoweit Tipke, Steuerrechtsordnung, S. 959 ff.; P. Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 88 Rn. 166; Lang, DStJG Bd. 15, S. 115 [129]; Selmer/Brodersen, DVBl. 2000, S. 1153 [1161]. 168 Tipke, Steuerrechtsordnung, S. 964 ff.; Jatzke, Verbrauchsteuerrecht, S. 59 ff., 64. Der Definitionsversuch im Finanzverfassungsgesetz 1955, BT-Drucks II/480, S. 170 Nr. 160, wonach Verbrauchsteuern regelmäßig Güter des ständigen Bedarfs belasten, lässt
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Verbrauchsteuern auf Kaffee, Spirituosen, Tabak, Mineralöl und Strom ist dies indes nicht der Fall, da die Güter von allen Bevölkerungsschichten nachgefragt 169 werden. Spezielle Verbrauchsteuern auf den privaten Verbrauch genügen aufgrund ihrer Sonderbelastung nicht dem gleichheitsrechtlichen Leistungsfähigkeitsprinzip, sondern bedürfen zur Vereinbarkeit mit dem Gleichheitssatz 170 eines anderen Rechtfertigungsgrundes. Als Grund käme insbesondere der Schutz der Umwelt in Betracht, da sich die Besteuerung des Verbrauchs gut für 171 eine umweltpolitische Verhaltenssteuerung eignet. Lassen sich private Verbrauchsteuern schon nicht mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip vereinbaren, ist aus dem Leistungsfähigkeitsprinzip erst recht keine begriffliche Verengung der Verbrauchsteuern auf den privaten Konsum abzuleiten. Vielmehr ist das Gegenteil der Fall. Da die Umsatzsteuer nur den privaten Konsum belastet und der unternehmerische Konsum aufgrund des Vorsteuerabzuges (§ 15 UStG) von der Umsatzsteuer befreit ist, hätte eine spezielle Verbrauchsteuer auf Betriebsmittel keine doppelte Belastung zur Folge. Bestimmt man den Verbrauchsteuerbegriff konsequent nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip – wobei damit eine Anforderung von Art. 3 Abs. 1 GG auf Art. 106 GG übertragen würde – wäre der betriebliche Konsum der einzig verbleibende Steuergegenstand für Verbrauchsteuern. Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass nur der private Endverbraucher leistungsfähig sei, nicht aber der Unternehmer. So wird die Erhebung der Körperschaft- und Gewerbesteuer (Art. 106 Abs. 3 und 6 GG) grundsätzlich mit der vorhandenen Leistungsfähigkeit von Unternehmen begründet, auch wenn die bisherige Aus172 gestaltung sowie Aufteilung gleichheitsrechtlich problematisch ist. Gleiches ___________ sich somit nicht mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip vereinbaren und spiegelt nur die damals existierenden Verbrauchsteuern wieder. 169 Tipke, Steuerrechtsordnung, S. 964 ff.; Jatzke, Verbrauchsteuerrecht, S. 59 ff., 64. 170 Die bloße Erwähnung in Art. 106 GG genügt dafür allerdings nicht (Tipke, Steuerrechtsordnung, S. 528 ff., 968 f.; Jatzke, Verbrauchsteuerrecht, S. 56 ff.; Rodi, Rechtfertigung von Steuern, S. 74 ff., S. 166 f.; Trzaskalik, Gutachten zum 63. Dt. Juristentag, S. 45, 57). Dass das Bundesverfassungsgericht trotzdem die Verbrauchsteuern (früher sogar auf Salz, Zucker, Leuchtmittel etc.) nicht für verfassungswidrig erklärte (vgl. BVerfGE 3, S. 58 [135 f.]; 9, S. 201 [206]; 50, S. 57 [77]; 65, S. 325 [354]; 68, S. 237 [250]), lässt sich nur auf das Verständnis von Art. 3 Abs. 1 GG als Willkürverbot, wonach jeder sachliche oder vernünftige Grund akzeptabel ist, und dem daraus abgeleiteten weiten Ermessensspielraum des Gesetzgebers zurückführen. 171 Tipke, Steuerrechtsordnung, S. 953, 966 f., 979; Lang, DStJG Bd. 15, S. 115 [129]; ders., in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 4 Rn. 112; P. Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 88 Rn. 166; Peters/Bongartz/Schröer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht, Rn. C 30 f. Auch das BVerfG hat in BVerfGE 98, S. 106 [124 f.] den umweltbeeinträchtigenden Verbrauch als zulässige Steuerquelle anerkannt und darin sogar ein Zeichen der Leistungsfähigkeit gesehen. A.A. Jatzke, Verbrauchsteuerrecht, S. 62; Trzaskalik, StuW 1992, S. 135 [140]. 172 Tipke, Steuerrechtsordnung, S. 734 ff. (zur Körperschaftssteuer) m. w. N., S. 1031, der es als bedenklicher ansieht, dass die Körperschaftsteuer als Unternehmens-
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4. Teil: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit
muss für Verbrauchsteuern gelten. Zwar dient der unternehmerische Verbrauch der Produktion und Gewinnerzielung, in ihm drückt sich aber auch die Leistungsfähigkeit des Unternehmens aus. Denn wer seine Produktion ausweiten kann und den Einsatz von Produktionsmitteln erhöht, ist leistungsfähiger als der Unternehmer, der infolge schlechten Geschäfts seine Produktion drosseln 173 muss, um Kosten zu sparen. Des Weiteren ist es auch aufgrund von Gleichheitserwägungen gerechtfertigt, die Unternehmen an der Staatsfinanzierung zu beteiligen, da diese wie die Bürger von der Aufgabenerfüllung des Staates (Sicherheit, Infrastruktur etc.) profitieren. Allerdings ist der betriebliche Verbrauch, wie bei Privatpersonen, nur ein Teilindikator für die Leistungsfähigkeit und sollte im Rahmen der gesamten Steuerbelastung nicht der Einzige bleiben. Demgegenüber steht hinter der pauschalen Behauptung der Nichtleistungsfähigkeit von Unternehmen die wirtschaftspolitische Absicht, die deutsche Wirt174 schaft vor wettbewerbsbeeinträchtigenden Verbrauchsteuern zu schützen. Das Leistungsfähigkeitsprinzip rechtfertigt aber eine solche wirtschaftsfördernde Ausnahme nicht. Im Ergebnis ist eine Beschränkung des Verbrauchsteuerbegriffs auf den privaten Konsum abzulehnen. Aufgrund der umsatzsteuerrechtlichen Belastung von Gütern des privaten Verbrauchs, ist eine Besteuerung unternehmerischer Betriebsmittel sogar die einzige Verbrauchsteuerform, die sich mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip vereinbaren lässt. Verbrauchsteuern können daher auch Betriebsmittel erfassen. Für Steuern auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel ergibt sich somit Folgendes. Sie belasten Betriebsmittel der Landwirte, die beim bestimmungsgemäßen Verbrauch ihre stoffliche Selbstständigkeit verlieren, indem sie auf landwirtschaftlichen Flächen unwiederbringlich ausgetragen werden. Die vorgeschlagenen Steuern sind somit als Verbrauchsteuern einzustufen. Dies gilt auch, wenn man der Ansicht des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesfinanzhofes folgt, wonach für eine Besteuerung von Betriebsmitteln eine Überwälz175 barkeit auf den Endverbraucher zumindest möglich sein muss. Hierbei ist es ___________ steuer nicht alle Unternehmen erfasst. Ebenso zur Gewerbesteuer Rodi, Rechtfertigung von Steuern, S. 200 ff. Der Streit um die Gewerbesteuer dreht sich daher auch weniger um das Leistungsfähigkeitsprinzip, als um den Umstand, dass die Gewerbesteuer als zusätzliche Steuer neben der Einkommens- und Körperschaftssteuer einer besonderen Rechtfertigung bedarf, die teilweise im Äquivalenzprinzip gesehen wird (vgl. Tipke, a. a. O. S. 828 f., 841ff.). Tipke plädiert deshalb für eine umfassende Unternehmenssteuer, welche die Körperschaft- und Gewerbesteuer vereinigt (a. a. O. S. 1026 f.). 173 Wird der Betriebsgewinn in das Unternehmen investiert, ist eine Betriebsmittelsteuer die einzige Steuer, welche die Leistungsfähigkeit des Unternehmens erfassen würde. 174 Lang, DStJG Bd. 15, S. 115 [138 f.]; Jachmann, StuW 2000, S. 239 [244]. 175 BVerfG NVwZ 2004, S. 846 [848]; BFH 141, S. 369 [372 f.].
§ 11 Verfassungsrechtliche Finanzordnung
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unerheblich, ob die gewerblichen Verbraucher die Steuerlast tatsächlich und vollständig überwälzen können. Steuern auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel werden bei den Herstellern und Händlern erhoben und auf die Landwirte übergewälzt. Diese wiederum sind nicht daran gehindert, die höheren Produktionskosten in ihre Erzeugerpreise einzustellen und insofern an den Endverbraucher weiterzureichen. Wie die Ökosteuer auf Mineralöl und Strom sind daher auch 176 Steuern auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel als Verbrauchsteuern zulässig. Steuern auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel könnten als Verbrauchsteuern gemäß Art. 105 Abs. 2, 106 Abs. 1 Nr. 2 GG vom Bund erlassen werden, da sie keine örtlichen Verbrauch- und Aufwandsteuern im Sinne von Art. 105 177 Abs. 2a GG sind, sondern sich auf die gesamte Bundesrepublik erstrecken. Hinsichtlich des Verhältnisses zu bestehenden Sachregelungen ist zu konstatieren, dass kein sich gegenseitig ausschließender Normwiderspruch mit § 1a 178 Abs. 1 DüngeMG besteht. Ein verbleibender Wertungswiderspruch beschränkt nicht die Steuergesetzgebungskompetenz, da der Bund sowohl für das sachliche Düngemittelrecht als auch für Einführung von Verbrauchsteuern auf 179 Dünge- und Pflanzenschutzmittel zuständig ist.
D. Zusammenfassung Steuern sind als ausdrücklich im Grundgesetz vorgesehene Instrumente den verfassungsrechtlich problematischen Sonderabgaben vorzuziehen. Die Finanzordnung gestattet die Verfolgung von Lenkungszwecken bei Steuern, so dass sich eine umweltrechtliche Verhaltensänderung sowohl in die Grund- und Umsatzsteuer integrieren als auch mit den speziellen Verbrauchsteuern auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel verwirklichen lässt. Die Aufzählung in Art. 106 GG beschränkt Steuern nach überzeugender Ansicht nicht auf Gegenstände, die Leistungsfähigkeit ausdrücken, sondern dient der Verteilung bekannter Steuerarten. In Anbetracht der Verteilungsfunktion von Art. 106 GG sind die dort aufgelisteten Steuerbegriffe weit auszulegen, um eine umfassende Steuerverteilung zu gewährleisten. Insofern lässt sich auch ein generelles Steuerfindungsrecht mit Art. 106 GG vereinbaren. Eine Besteuerung von betrieblich genutzten Dünge- und Pflanzenschutzmitteln ist als Verbrauchsteuer zulässig. ___________ 176
Vgl. BVerfG NVwZ 2004, S. 846 [848]. Örtliche Verbrauch- und Aufwandsteuern beschränken sich demgegenüber auf einen begrenzten Gebietsbereich, z. B. das Gemeindegebiet (BVerfGE 98, S. 106 [124]). 178 Vgl. § 11 C. I. 2. 179 Vgl. § 11 B. II. 177
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4. Teil: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit
Soweit Lenkungssteuern mit Sachregelungen in Widerspruch geraten, ist zu differenzieren, ob die Gesetzgebungskompetenzen von Bund bzw. Ländern auseinander fallen und ob es sich um einen bloßen Wertungswiderspruch oder um einen sich gegenseitig ausschließenden Normwiderspruch handelt. Ein Wertungswiderspruch ist kompetenzrechtlich nur beachtlich, wenn der Steuergesetzgeber nicht mit dem Sachgesetzgeber identisch ist. Eindeutig dem Bund zugewiesen sind indes die Kompetenzen zur Änderung der Umsatzsteuer (Art. 105 Abs. 2, 106 Abs. 3 GG) und zur Erhebung von Verbrauchsteuern auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel (Art. 105 Abs. 2, 106 Abs. 1 Nr. 2 GG). Wegen der Sachkompetenz des Bundes im Bereich der Landwirtschaft sind mögliche Wertungswidersprüche unbeachtlich. Anders ist die Situation zukünftig aber bei einer Änderung der Grundsteuer, da nach der strengeren Auslegung von Art. 72 Abs. 2 GG durch das Bundesverfassungsgericht die Kompetenz für eine Änderung der Grundsteuer gemäß Art. 105 Abs. 2, 106 Abs. 6 GG nunmehr den Ländern zusteht. In Anbetracht der Ortsgebundenheit von Grundstücken sowie dem in Art. 106 Abs. 6 GG garantierten Hebesatzrecht der Gemeinden ist eine bundesweite Grundsteuerregelung nicht zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse, der Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit erforderlich. Bei einer landesrechtlichen Grundsteueränderung dürfte die Verhaltenssteuerung nicht im Wertungswiderspruch zu bestehenden Bundesregelungen stehen. Eine Grundsteueränderung durch die Ländern bedarf wegen der bisherigen Bundesregelung nach Art. 125a Abs. 2 GG weiterhin eines Freigabegesetzes des Bundes, so dass insgesamt eine Grundsteueränderung erheblichen verfahrensrechtlichen Beschränkungen unterliegt. Finanzverfassungsrechtlich sind daher nur die Änderung der Umsatzsteuer und die Verbrauchsteuern auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel zu empfehlen.
§ 12 Freiheitsgrundrechte Umweltsteuern können sowohl mit ihrem Lenkungszweck wie auch mit ihrer finanziellen Belastung die freiheitsschützenden Grundrechte beeinträchtigen. Nach der verfassungsrechtlichen Dogmatik bei Sachregelungen müssen sich staatliche Maßnahmen rechtfertigen, die in den Schutzbereich von Grundrechten eingreifen, andernfalls sind sie verfassungswidrig. Es hat sich hierbei ein dreigliedriger Prüfungsaufbau etabliert, bei dem man zwischen dem Schutzbereich des Grundrechtes, der Feststellung des Eingriffs und der an1 schließenden Rechtfertigung des Eingriffs abstuft. Allerdings weicht die Rechtswissenschaft bei der Prüfung von Steuergesetzen teilweise erheblich von 2 der allgemeinen Grundrechtsdogmatik ab. Für die Sonderentwicklung lassen sich mehrere Gründe nennen. Zum einen ist die Steuerrechtswissenschaft stark von finanzwissenschaftlichen Einflüssen 3 geprägt, deren Schwerpunkt die gerechte Lastenverteilung ist. Man versucht vor allem allgemeine Steuergerechtigkeitsprinzipien zu entwickeln, welche das Gleichbehandlungsgebot in Art. 3 Abs. 1 GG konkretisieren, und vernachläs4 sigt darüber die Überprüfung an den Freiheitsgrundrechten. Zum anderen wurde und wird die freiheitsrechtliche Begrenzung der Steuerbelastung als ineffektiv angesehen, weil der Finanzierungszweck in seiner Allgemeinheit jede steuerliche Belastung rechtfertige und insofern das Verhältnismäßigkeitsprinzip 5 versage. Einzig bei Lenkungssteuern soll hinsichtlich der verhaltenslenkenden Wirkung der für Sachregelungen geltende Prüfungsmaßstab angewandt werden, da hier ein konkreter Zweck verfolgt wird, der es erlaubt, die Wirkungen ___________ 1
Vgl. Enders, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar, vor Art. 1 GG Rn. 94 ff. Z. B. P. Kirchhof, DStJG Bd. 15, S. 3 [9 ff.]; Balmes, Umweltsteuern, S. 120 f.; Trzaskalik, Gutachten zum 63. Dt. Juristentag; S. 21 ff. Eine ausführliche Diagnose findet sich bei Rodi, Rechtfertigung von Steuern, S. 41 ff. 3 Rodi, Rechtfertigung von Steuern, S. 41 ff. Ähnliches gilt auch für Entwicklung von Umweltabgaben (vgl. z. B. Kloepfer, Umweltrecht, § 5 Rn. 225 ff., 228 ff.). 4 Z. B. die Ausführungen von Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, v. a. S. 187 ff., 231. 5 BVerfGE 63, S. 343 [367]; grundlegend Papier, Gesetzesvorbehalte, S. 78 f.; Tipke, Steuerrechtsordnung, S. 418 f. m. w. N.; Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 187 ff., 231; P. Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 88 Rn. 82; Vogel, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 87 Rn. 71. Vgl. Rodi, Rechtfertigung von Steuern, S. 49 ff. m. w. N., der die vollständige Preisgabe als voreilig ansieht (S. 55). Ausführlich wird auf das „Versagen“ des Verhältnismäßigkeitsprinzips in § 12 A. III. 1. eingegangen. 2
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4. Teil: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit 6
auf Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit zu prüfen. Ob Freiheitsgrundrechte tatsächlich die Erhebung von Steuern nicht angemessen begrenzen können, ist indes zweifelhaft. Die in Art. 1 Abs. 3 GG normierte Bindung des Gesetzgebers an die Grundrechte erstreckt sich auch auf den Steuer7 gesetzgeber. Der Steuergesetzgeber ist nicht freier, aber auch nicht beschränkter als der ordnungsrechtliche Gesetzgeber. Schließlich ist auch bei einer Steuer von Bedeutung, in welches Grundrecht bzw. wie stark sie eingreift und ob sie entsprechend gerechtfertigt ist. Eine Steuer, die an bestimmte berufliche oder andere Tätigkeiten anknüpft und damit möglicherweise die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) oder die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) beeinträchtigt, muss sich rechtfertigen, inwiefern dies zur Einnahmeerzielung erforderlich ist. Aber selbst bei der regelmäßig betroffenen Eigentumsgarantie (Art. 14 Abs. 1 GG) führte das Bundesverfassungsgericht in seinem Vermögensteuerbeschluss aus, dass nicht jede Steuerbelastung gerechtfertigt ist, viel8 mehr die Gesamtbelastung nicht die Hälfte der Einnahmen überschreiten darf. Eine Sonderbehandlung von Steuern resultiert auch nicht aus der Finanzverfassung in Art. 105 f. GG, da Kompetenzvorschriften als wertneutrale Ver9 teilungsregeln keine grundrechtsbeschränkende Wirkung haben. Vielmehr sind Eingriffe in Grundrechte durch entsprechende Gemeinwohlinteressen von Verfassungsrang gerechtfertigt. Kommen Grundrechte mit anderen Verfassungswerten in Konflikt, sind diese Spannungen innerhalb der Rechtfertigung 10 nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz auszugleichen. Eine Güterabwägung kann nur mit den verfolgten Zielen erfolgen. Im Fall der Steuererhebung ist dies die Finanzierung des Staatshaushaltes (Fiskalzweck). Bei den Lenkungssteuern kommen Lenkungszwecke hinzu, wie im hier zu untersuchenden Fall der Umweltschutz. Sowohl der Fiskalzweck als auch die Lenkungszwecke können eine Einschränkung von Grundrechten erfordern. In Anbetracht der Zweifel an einer Sonderstellung von steuerlichen Eingriffen in Freiheitsgrundrechte ist bei der Überprüfung der Steuervorschläge die allgemeine Dogmatik von Eingriffsgesetzen anzuwenden und sind nur im Ein___________ 6
Rodi, Rechtfertigung von Steuern, S. 52 f., 194; Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 223; Tipke, Steuerrechtsordnung, S. 419. 7 Tipke, Steuerrechtsordnung, S. 105; ausführlich Rodi, Rechtfertigung von Steuern, S. 74 ff., 183 f. m. w. N., der sich zu Recht gegen Versuche wendet, der Finanzverfassung eine Sonderstellung zu geben. 8 BVerfGE 93, S. 121 [138]. Ausführlicher zum Halbteilungsgrundsatz in § 12 B. II. 1. a). 9 Tipke, Steuerrechtsordnung, S. 111. 10 BVerfGE 28, S. 243 [260 f.]; 93, S. 1 [21]; Hesse, Verfassungsrecht, 20. Aufl. Rn. 317 ff.; Degenhart, Staatsrecht I, Rn. 7, 398 ff.; P. Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 59 Rn. 28.
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zelfall, falls erforderlich, Abweichungen vorzunehmen. Da Lenkungssteuern verschiedene, kontrovers diskutierte Wirkungen hervorrufen, ist vor der Untersuchung der einzelnen Änderungs- und Steuervorschläge der allgemein anzulegende Prüfungsmaßstab zu ermitteln.
A. Grundrechtsprüfung von Lenkungssteuern im Allgemeinen Legt man der Grundrechtsprüfung die Unterteilung in Schutzbereich, Eingriff und Rechtfertigung zu Grunde, so hängt die Relevanz der steuerlichen Auswirkungen davon ab, ob man sie als Eingriffe bzw. Beeinträchtigungen 12 grundrechtlicher Schutzgüter qualifizieren kann. Hierbei ist grundsätzlich von dem Eingriffsbegriff auszugehen, wie er bei der allgemeinen Grundrechtsprüfung verwendet wird. Allerdings erfolgt in der steuerrechtlichen Dogmatik die Diskussion über die Grundrechtsrelevanz oftmals völlig losgelöst vom Ein13 griffsbegriff. Sie ist eine Folge der oben kritisierten Abkehr von der allgemeinen Grundrechtsdogmatik und insbesondere durch die Fixierung auf das Problem der gerechten Steuerlastverteilung bedingt. Bei der Beurteilung der Vereinbarkeit mit den Freiheitsgrundrechten führt die Abkehr zu verwirrenden Begriffsverwendungen, finanzwissenschaftlicher statt rechtswissenschaftlicher Argumentation und teilweise zu inkonsequenten Ergebnissen. Im folgenden sind die Lenkungswirkungen nach der allgemeinen Eingriffsdogmatik einzuordnen.
I. Bestimmung des Eingriffsbegriffs Die Anforderungen an einen Grundrechtseingriff sind dogmatisch noch 14 nicht als abschließend geklärt. Der Eingriffsbegriff soll abgrenzen, welche staatlichen Maßnahmen rechtfertigungsbedürftig sind und welche nicht. Als ___________ 11
Auch Rodi, Rechtfertigung von Steuern, S. 49 befürwortet, dass die Steuerdogmatik sich nur soweit wie notwendig von der allgemeinen Dogmatik entfernen sollte. 12 Rodi, Rechtfertigung von Steuern, S. 77 ff.; Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 196 ff. 13 So z. B. P. Kirchhof, DStJG Bd. 15, S. 3 [9 ff.]; Balmes, Umweltsteuern, S. 120 f.; Trzaskalik, Gutachten zum 63. Dt. Juristentag; S. 21 ff. 14 Z. B. Ipsen, Staatsrecht II, Rn. 125; Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2, S. 76 ff., 128 ff. Selbst der Begriff „Grundrechtseingriff“ sieht sich berechtigter Kritik ausgesetzt (z. B. Enders, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar, vor Art. 1 GG Rn. 94). Um nicht in dem schon ohnehin verworrenen Gebiet der Lenkungssteuern neue Verständnisschwierigkeiten zu verursachen, soll an dem allgemein etablierten Begriff festgehalten werden. Gemeint ist ein Eingriff in grundrechtlich geschützte Güter. Umfassend diskutierend z. B. Eckhoff, Grundrechtseingriff.
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4. Teil: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit
gesichert gelten zwei Erkenntnisse. Ersten liegt ein Eingriff vor, wenn er sich unter den „klassischen“ Eingriffsbegriff subsumieren lässt. Dazu müsste die staatliche Maßnahme gezielt (final), befehlend (imperativ), rechtsförmlich und unmittelbar auf ein grundrechtlich geschütztes Verhalten Bezug nehmen und 15 mehr als eine irrelevante Belästigung verursachen. Zweitens hat sich herauskristallisiert, dass für die umfassende Geltung der Grundrechte der „klassische“ 16 Eingriffsbegriff zu eng ist. Entscheidend ist nicht die Art und Weise des staatlichen Eingriffs, sondern die Wirkung, d. h. die Beeinträchtigung des grund17 rechtlich geschützten Gutes. Auch mittelbare, faktische Beeinträchtigungen können Grundrechtsgüter verletzten und damit den Grundrechtsschutz aktivie18 ren. Ob man die mittelbare, faktische Beeinträchtigung als Eingriff bezeichnet 19 oder – wie neuerdings das Bundesverfassungsgericht – zwischen dem Eingriff und der Beeinträchtigung differenziert, kann hinsichtlich des Grundrechtsschutzes dahingestellt bleiben, da auch die Grundrechtsbeeinträchtigung nach Ansicht des Gerichts der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung be20 darf. Problematisch ist indes die Abgrenzung zu Beeinträchtigungen der Schutzgüter, die von Privatpersonen ausgehen. Da Grundrechte auch positive Schutzpflichten gegenüber dem Staat normieren, beeinträchtigt grundsätzlich auch unterlassenes staatliches Handeln die Schutzgüter. Es muss daher bei einer Erweiterung des Eingriffsbegriffs sichergestellt sein, dass staatliches Verhalten (Handeln oder Unterlassen) für die Beeinträchtigung ursächlich und zurechenbar ___________ 15
Bleckmann, Staatsrecht II, § 12 Rn. 34 ff.; Enders, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar, vor Art. 1 GG Rn. 102. 16 Enders, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar, vor Art. 1 GG Rn. 106; Bleckmann, Staatsrecht II, § 12 Rn. 40 ff. Die Kritik am „modernen“ Eingriffsbegriff richtet sich deshalb nicht gegen diese Erkenntnis, sondern gegen die Tauglichkeit anderer Abgrenzungskriterien (vgl. Enders, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar, vor Art. 1 GG Rn. 112; Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2, S. 128). 17 Dies kann der „klassische“ Eingriffsbegriff wegen seiner maßnahmebezogenen Sichtweise (Ipsen, Staatsrecht II, Rn. 13.) nicht leisten. 18 Z. B. BVerfGE 66, S. 39 [59 f.]; NJW 1999, S. 3399 [3401]; 3404 [3405]; 3477; Enders, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar, vor Art. 1 GG Rn. 108 f.; Rodi, Rechtfertigung von Steuern, S. 78 f. 19 BVerfG DVBl. 2002, S. 1351 [1354 ff.]. 20 Relevant wird die Unterscheidung allein bei der Geltung des Gesetzesvorbehalts. Dieser sei nach Ansicht des Bundesverfassungsgericht bei mittelbaren, faktischen Eingriffen nicht erforderlich, da derartige mittelbaren, faktischen Wirkungen sich typischerweise der vorangehenden Normierung entziehen und der Gesetzesvorbehalt bei mittelbaren Eingriffen seine grundrechtsschützende, Rechtsschutz gewährleistende aber auch demokratische Funktion (Parlamentsvorbehalt) nicht mehr erfüllen kann, da für diese Fälle eine sehr weite und unbestimmte Ermächtigung notwendig wäre (BVerfG DVBl. 2002, S. 1351 [1355 f.]).
§ 12 Freiheitsgrundrechte
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ist, da die Grundrechte nur gegenüber dem Staat Schutzwirkungen entfalten. Nur er ist an sie unmittelbar gebunden (Art. 1 Abs. 3 GG). Die äquivalente Kausalität ist hierbei wegen ihrer Weite kein ausreichendes Kriterium, da der Staat theoretisch für jedes private Verhalten verantwortlich wäre, allein weil er 22 keine Maßnahmen ergriffen hat. Ein so weit verstandener Eingriffsbegriff würde die grundrechtliche Rechtfertigung ausufern lassen, staatliches Handeln 23 lähmen und der Judikative einen Kompetenzzuwachs verschaffen. Für eine Zurechnung als Zuweisen von Verantwortlichkeit ist vielmehr entscheidend, ob der Verantwortliche die Geschicke auch hätte bewusst beeinflussen können. Zurechenbare Beeinflussung verlangt die Vorhersehbarkeit der Folgen zum Zeitpunkt der Maßnahme (ex-ante). In der Rechtswissenschaft wird deshalb teilweise die Rechtfertigungsbedürftigkeit anhand der Prognostizierbarkeit der 24 Grundrechtsbeeinträchtigung bestimmt. Allerdings löst dies nur bedingt die Zurechnungsschwierigkeiten, da grundsätzlich jede Folge prognostizierbar ist und sei es als nicht auszuschließendes Restrisiko. Entscheidend ist mit welcher Wahrscheinlichkeit die Folgen eintreten und ab welcher Wahrscheinlichkeit man eine Verantwortlichkeit annimmt. Damit ist der moderne Eingriffsbegriff von zwei Kriterien abhängig, die nicht mehr vollständig objektiv bestimmbar ___________ 21
BVerfGE 66, S. 39 [60]; Enders, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar, vor Art. 1 GG Rn. 106, 110; Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2, S. 128. Zu den verschiedenen Zurechnungskritierien bei Steuern vgl. Rodi, Rechtfertigung von Steuern, S. 102 ff. 22 Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2, S. 128 f. 23 Bleckmann, Staatsrecht II, § 12 Rn. 40, 43; Rodi, Rechtfertigung von Steuern, S. 99; Pieroth/Schlink, Staatsrecht II, Rn. 228. 24 Rodi, Rechtfertigung von Steuern, S. 105; Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 198 f., 224 f.; Vogel, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 88 Rn. 84; Bleckmann, Staatsrecht II, § 12 Rn. 44. Tendierend BVerfGE 84, S. 239 [272]. Hiergegen wendet sich Eckhoff, Grundrechtseingriff, S. 194 f. mit dem Argument, dass „die beeinträchtigende Wirkung nicht davon abhängt, ob sie absichtlich bewirkt wurde oder ob sie vorhersehbar war, ...“. Diese Aussage ist an sich richtig, sie übersieht allerdings, dass die Beeinträchtigung nicht aussagt, wem sie zuzurechnen ist (dem Staat oder einer Privatperson?). Zwar ließe sich das Problem der fehlenden Zurechnung und damit der fehlenden Verantwortlichkeit auf der Rechtfertigungsebene behandeln. Es würde aber mit der eigentlichen Rechtfertigung aus Gründen des Gemeinwohls nicht vergleichbar sein. Begrifflich muss nur der Verantwortliche sich rechtfertigen. Die Kritik Eckhoffs ist nur bezüglich des Merkmals Finalität berechtigt. Andere Ansichten wollen an dem imperativen Merkmal des „klassischen“ Eingriffsbegriffs anknüpfen und sehen in einer „befehlsähnlichen“ Wirkung ein Zurechnungskriterium (Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2, S. 129 ff. m. w. N.). Das Merkmal liefert aber nur Ergebnisse, wenn an einer positiven staatlichen Handlung angeknüpft werden kann. Es muss dabei klären, warum die Wirkung (die Beeinträchtigung) überhaupt der staatlichen Handlung zuzurechnen ist. Dies gelingt nur, weil das Merkmal „befehlsähnlich“ den Willen des Staates mit berücksichtigt und somit indirekt auf die Finalität abstellt. Das Kriterium versagt jedoch bei einem unterlassenen staatlichen Handeln. Unklar ist auch, wie überhaupt eine befehlsähnliche Wirkung aussehen soll, da eine faktische Grundrechtsbeeinträchtigung gerade keinen Imperativ enthält.
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4. Teil: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit
sind. Dies kann man kritisieren, für die Rechtsordnung ist es indes nichts Ungewöhnliches. Bei jedem strafrechtlichen oder zivilrechtlichen Fahrlässigkeitsvorwurf kommt es auf diese Kriterien an; bei jeder Polizeimaßnahme muss der Grad der Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung prognostiziert werden. Die im Polizeirecht entwickelte „Je-Desto“-Formel, mit der die Wahrscheinlichkeitsschwelle anhand der Schutzwürdigkeit des betroffenen Gutes bestimmt wird, lässt sich deshalb auch auf den Grundrechtseingriff übertra25 26 gen. Irrelevante Belästigungen bleiben insoweit unberücksichtigt. Eine Zurechnung staatlichen Handelns ist zweifellos gegeben, wenn die Beeinträchtigung der Schutzgüter bewusst geschieht. Bezweckt der Staat mittelbare, faktische Auswirkungen auf die Grundrechte, übernimmt er uneingeschränkt die Verantwortung dafür. Finalität hinsichtlich einer Grundrechtsbeeinträchtigung erhebt diese immer in den Status eines rechtfertigungsbedürf27 tigen Eingriffs. Nicht überzeugend ist dagegen, für die Zurechnung allein 28 finale Beeinträchtigungen anzuerkennen. Es widerspricht einem weit verstandenen Grundrechtsschutz, vorhersehbare, aber nicht beabsichtigte Beeinträchtigungen von der Rechtfertigungspflicht auszunehmen. Die billigende Inkaufnahme von Grundrechtsbeeinträchtigungen ist dem Staat ebenfalls zuzurech29 nen.
II. Wirkungen von Lenkungssteuern Betrachtet man die Auswirkungen von Lenkungssteuern, so ist allgemein anerkannt, dass von jeder Steuer, unabhängig ob Lenkungs- oder Fiskalsteuer, 30 neben dem Geldentzug auch nichtfiskalische Wirkungen ausgehen. Etabliert ___________ 25
Z. B. BVerfGE 49, S. 89 [142] (Kalkarentscheidung). Rodi, Rechtfertigung von Steuern, S. 99; Enders, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar, vor Art. 1 GG Rn. 110. 27 Unstrittig. Eckhoff, Grundrechtseingriff, S. 192, 196; Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 195 f.; Selmer, Steuerinterventionismus, S. 218; Rodi, Rechtfertigung von Steuern, S. 103 f.; Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2, S. 189 f. 28 Dies verlangen z. B.: Selmer, Steuerinterventionismus, S. 217 ff.; Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2, S. 189 f. 29 Vgl. BVerfGE 61, S. 291 [308]; 66, S. 39 [59 f.]; NJW 1999, S. 3477; insbesondere soll bei Art. 12 Abs.1 GG eine objektiv aus der steuerlichen Vorschrift zu erkennende „berufsregelnde Tendenz“ ausreichen, st. Rspr. seit BVerfGE 13, S. 181 [186 f.]; 98, S. 106 [117]. 30 BVerfGE 21, S. 12 [27]; 31, S. 8 [23]; Rodi, Rechtfertigung von Steuern, S. 98 f.; Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 71 ff., 200; Selmer, Steuerinterventionismus, S. 61, S. 217; F. Kirchhof, DVBl. 2000, S. 1166 [1167]; Trzaskalik, Gutachten zum 63. Dt. Juristentag, S. 37; Jarass, Nichtsteuerliche Abgaben und lenkende Steuern, S. 15; Papier, Gesetzesvorbehalte, S. 90. 26
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hat sich die Unterscheidung in Belastungs- und Gestaltungswirkung. Inhaltlich wird der Begriff der Gestaltungswirkung aber unterschiedlich weit verstanden. Soweit man als Gestaltungswirkungen auch die Folgen des Geldent32 zuges ansieht, überzeugt dies nicht, da diese Folgen immanenter, logisch nicht abtrennbarer Teil der Belastungswirkung des Geldentzuges sind. Der Entzug von Geld bedeutet gleichfalls, dass weniger Geld zur Verfügung steht. Bei der einen Aussage wird nur der Blick auf die Handlung, bei der anderen der Blick auf das verbliebene Vermögen gerichtet. Letztere Feststellung kann nicht von der Belastungswirkung getrennt werden, ohne auch die erste Aussage ihres Inhalts zu berauben. Rein begrifflich „gestaltet“ zwar auch der Geldentzug die Vermögensverhältnisse. Will man aber zwischen dem Geldentzug und den sonstigen Auswirkungen (Vermeidungsreaktionen) trennen, ist der Begriff der „Gestaltungswirkung“ auf Ausweichwirkungen zu beschränken. In dieser Arbeit ist der Begriff der Gestaltungswirkung deshalb so zu verstehen, dass er nur Ausweichwirkungen umfasst und die Folgewirkungen der Geldzahlungspflicht (wie z. B. sinkende Gewinnspannen von Unternehmen, kein Geld für Investitionen) ausnimmt, da sie Teil der Belastungswirkung sind. Die Unterscheidung zwischen Belastungs- und Gestaltungswirkung beruht auf der Sicht des Betroffenen. Sie ist nicht gleichzusetzen mit der Differenzierung zwischen Fiskal- und Lenkungszweck (Sicht des Gesetzgebers), die leicht zu einer verfassungsrechtlichen Unterscheidung zwischen Fiskal- und Len33 kungssteuern verleitet. Die Absicht zu Lenken unterscheidet zwar Lenkungs34 steuern von Fiskalsteuern. Es bedeutet aber nicht, wie teilweise angenommen, dass Fiskalsteuern keine rechtfertigungsbedürftigen Gestaltungswirkungen auf35 weisen können und deshalb anderen Prüfungsmaßstäben unterliegen. Wie beim Eingriffsbegriff erörtert, können mittelbare, faktische Beeinträchtigungen dem Staat als Eingriffe zugerechnet werden. Eine Beschränkung der Rechtfertigung auf beabsichtigte Folgen des Gesetzgebers folgt einem zu engen finalen Eingriffsbegriff, der nichts über die tatsächliche Eingriffsintensität der Norm und über die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Rechtfertigung aus___________ Als Beispiel sei die Umsatzsteuer erwähnt, die eine Kaufentscheidung durchaus beeinflussen kann, wenn man sich überlegt, dass man das Produkt bei einem Rabatt von 16 % gekauft hätte. 31 Grundlegend Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 67 ff. 32 So Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 206 und ihm folgend Rodi, Rechtfertigung von Steuern, S. 83. 33 So aber Meßerschmidt, Umweltabgaben, S. 127 f., 134; Balmes, Umweltsteuern, S. 121, 145 ff.; Jarass, Nichtsteuerliche Abgaben und lenkende Steuern, S. 86 f. 34 Selmer, Steuerinterventionismus, S. 61 f., 217 ff., 225, der die nicht beabsichtigten Steuereffekte nur durch die „objektive“ Wirkung von Grundrechte begrenzen will (S. 237 ff.); Meßerschmidt, Umweltabgaben, S. 134; Balmes, Umweltsteuern, S. 121, 145 ff. 35 Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 198 ff., 216.
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sagt. Steuerzwecke sind bei der verfassungsrechtlichen Überprüfung einer Steuer nicht Rechtfertigungsgegenstand, sondern Rechtfertigungsgrund. Die Trennung zwischen Fiskal- und Lenkungssteuern kann allenfalls ein Anhaltspunkt für mögliche Eingriffswirkungen sein.
1. Belastungswirkung Eine Belastungswirkung (Geldentzug) entsteht, wenn der Steueradressat den Steuertatbestand verwirklicht und als Rechtsfolge einer Zahlungspflicht ausgesetzt ist. Allgemein lässt sich festhalten, dass die Zahlpflicht ein finaler, unmittelbarer und rechtsförmlicher Befehl ist, der die Kriterien des „klassischen“ 37 Eingriffsbegriffs erfüllt. Probleme entstehen in Bezug auf das betroffene Schutzgut. Die Pflicht zur Zahlung eines Geldbetrages, mithin zu einer nicht gewollten Handlung, greift auf jeden Fall in die durch Art. 2 Abs. 1 GG ge38 schützte allgemeine Handlungsfreiheit. Ob daneben die Zahlungspflicht einen Eingriff in eine von Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Eigentümerposition darstellt, 39 ist noch nicht abschließend geklärt.
2. Gestaltungswirkung Anders als die Belastungswirkung beruhen die Gestaltungswirkungen (auch bei Lenkungssteuern) nicht auf einem Befehl, der einseitig und rechtlich ver___________ 36
Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 198 f., 201 f., 216 f. Vergleich hierzu auch die obige Kritik an der Beschränkung des „modernen“ Eingriffsbegriffs auf finale tatsächliche Beeinträchtigungen (§ 12 A. I.). 37 Die rechtliche Zahlpflicht und der tatsächliche Geldentzug sind zwar nicht gleichzusetzen. Jedoch erfordert die Maßnahmebezogenheit des „klassischen“ Eingriffsbegriffs ein Abstellen auf den Befehl und nicht auf den Vollzug. Der Befehl beschränkt schon rechtlich die Freiheit des Bürgers, während der Geldentzug die faktische Wirkung ist, die beim Grundrechtsschutz nicht übersehen werden darf. 38 Vogel, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 88 Rn. 87 m. w. N. Insoweit kann man nicht behaupten, die Belastungswirkung verletze keine konkreten individuellen Rechtspositionen des Einzelnen (so aber Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 187, der wahrscheinlich zu einer derartigen Behauptung verleitet wird, weil er die immanenten Folgewirkungen des Geldentzuges nicht der Belastungswirkung zuordnet (Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 206). Allenfalls tritt Art. 2 Abs. 2 GG hinter Art. 14 Abs. 1 GG zurück, wenn man in der Belastungswirkung eine Eigentumsverletzung sieht. Im Ergebnis ähnlich BVerfGE 93, S. 121 [137] (Vermögenssteuer), wenn auch in die Verfügungsgewalt und die Nutzungsbefugnis über das Vermögen eingriffen werden soll. 39 Dazu mehr unter § 12 B. II. 1. a).
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bindlich vorgibt, dass und wie bestimmte Verhaltensweisen zu ändern seien. Vielmehr resultieren die Ausweichwirkungen allein aus dem Vermeidungs42 druck, der von den steuerlichen Zahlungspflichten ausgeht und den Steueradressaten motiviert, nach Möglichkeit nicht den gesetzlich normierten Steuertatbestand zu erfüllen. Dies sehen im Ergebnis auch diejenigen Autoren nicht anders, die in ihrem Bestreben, die Gestaltungswirkung einem ordnungsrechtlichen Befehl gleichzusetzen, fälschlicherweise von einem „Verhaltensbefehl“ 43 sprechen. Der Vergleich hinkt, denn im Unterschied zum ordnungsrechtlichen Verbot entzieht die Steuer dem besteuerten Verhalten nicht die Legalität. Weicht der Steueradressat trotzdem aus, folgt er einzig seinem ökonomischen Vermeidungsinteresse. Gleichermaßen nicht korrekt ist auch die Charakterisierung als „Wahlschuld“, setzt der juristische Begriff „Schuld“ doch eine rechtli44 che Verpflichtung voraus, die es zu erfüllen gilt. Lenkungssteuern enthalten wie Fiskalsteuern nur einen imperativen Eingriff, nämlich bei Verwirklichung des Steuertatbestandes den als Rechtsfolge angeordneten Geldbetrag zu zahlen. Aufgrund der fehlenden Verbindlichkeit lassen sich Gestaltungswirkungen nicht unter den „klassischen“ Eingriffsbegriff subsumieren, auch wenn sie vom Staat beabsichtigt sind und man vielleicht auch eine Unmittelbarkeit der Wir45 kung annehmen könnte. ___________ 40
Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2, S. 104. BVerfGE 98, S. 106 [117]: „Es [das Steuergesetz] verpflichtet den Steuerschuldner nicht rechtsverbindlich zu einem bestimmten Verhalten, gibt ihm aber durch Sonderbelastung eines unerwünschten oder durch steuerliche Verschonung eines erwünschten Verhaltens ein finanzwirtschaftliches Motiv, sich für ein bestimmtes Tun oder Unterlassen zu entscheiden.“; BVerwGE 96, S. 172 [287 ff.]; ausführlich Trzaskalik, Gutachten zum 63. Dt. Juristentag, S. 21 ff.; Rodi, Rechtfertigung von Steuern, S. 79 f., 98 ff.; Selmer/Brodersen, DVBl. 2000, S. 1153 [1155]; Meßerschmidt, Umweltabgaben, S. 77 f. 42 Grundsätzlich unabhängig, ob vom Gesetzgeber beabsichtigt (Lenkungssteuer) oder nicht (Fiskalsteuer). 43 P. Kirchhof, DStJG Bd. 15, S. 3 [11]; F. Kirchhof, DVBl. 2000, S. 1166 [1168 ff.]. Dass die Verwendung des Begriffs „Befehl“ juristisch unsauber und außerhalb jeder dogmatischen Inhaltsbestimmung steht, zeigen bereits in sich widersprüchliche Formulierungen vom „ökonomisch übermittelten unverbindlichen Verhaltensbefehl“ (so F. Kirchhof, DVBl. 2000, S. 1166 [1169]). 44 Die Autoren, die von einer „Wahlschuld“ sprechen, nehmen eine Determiniertheit bezüglich der Verhaltensänderung an, die so im Gesetz nicht angelegt ist. Z. B. die Ausführungen P. Kirchhof, DStJG Bd. 15, S. 3 [10 f.] „Eine lenkende Abgabe begründet für den Pflichtigen die Wahlschuld, sich entweder der Abgabe zu unterwerfen oder das im Lenkungstatbestand empfohlene Verhalten zu beachten. Abgabenlast und Verhaltensbindung begründen jeweils eine eigenständige Beschwer, unter denen der Pflichtige zwar auswählen, denen er aber in der Alternativität nicht ausweichen kann.“ Ähnlich Kloepfer, Umweltrecht, § 5 Rn. 236 f. Dazu die insoweit berechtigte Kritik Trzaskaliks, Gutachten zum 63. Dt. Juristentag, S. 22 f. 45 Dies bejahen Selmer, Steuerinterventionismus, S. 216, 229 f. und Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 208, da die Ausweichreaktion Erstwirkung sei. 41
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4. Teil: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit
Der mangelnde Befehl bedeutet aber nicht, dass die Gestaltungswirkungen 46 irrelevant und nicht rechtfertigungsbedürftig sind. Indem der Staat bestimmte Verhaltensweisen besteuert, sie als Tatbestandsmerkmale in seine Steuern aufnimmt, macht er sie wegen der zu erbringenden Geldleistung weniger attraktiv 47 gegenüber nicht oder weniger besteuerten Alternativen. Zwar kann es sein, 48 dass wegen fehlender Substitutionsmöglichkeiten oder zu niedriger finanziel49 ler Belastung eine Verhaltensänderung nicht in Betracht gezogen wird. Man kann aber eine verhaltensändernde Wirkung, somit eine Beeinträchtigung der Freiheitsausübung, für die Mehrzahl der Steuern nicht ausschließen, auch wenn sich die Frage nach der Beeinträchtigung nicht abstrakt, sondern nur an der konkreten Steuer feststellen lässt. Eine faktische Beeinträchtigung der Grundrechte ist dem Staat zuzurechnen, wenn die Beeinträchtigung nicht nur äquivalent kausal, sondern auch vorhersehbar ist. Er hat sie zweifellos zu verantworten, wenn er die Beeinträchtigung 50 beabsichtigte. Bei Lenkungssteuern bezweckte der Steuergesetzgeber die Gestaltungswirkungen, weshalb die Beeinträchtigungen ihm als rechtferti51 gungsbedürftige Grundrechtseingriffe zuzurechnen sind. 52
Die gegenläufige Ansicht , wonach steuerliche Gestaltungswirkungen unbeachtlich seien, da sie auf irrelevanten Motiven des Gesetzgebers beruhen und es allein auf den objektiven Gesetzesinhalt ankommt, überzeugt hingegen nicht. Sie beruht auf einer vom „klassischen“ Eingriffsbegriff geprägten Grundrechtsrelevanz steuerlicher Maßnahmen, die allein Rechtspflichten im Auge hat und mittelbare, faktische Beeinträchtigungen für irrelevant hält. Zwar ___________ 46
Egal ob man die mittelbare, faktische Beeinträchtigung in den Eingriffsbegriff mit einbezieht (i.S.d. „modernen Eingriffsbegriff“) oder als eigenständige, grundrechtsrelevante Größe prüft (so neuerdings BVerfG DVBl. 2002, S. 1353 [1354 f.]). 47 BVerfGE 13, S. 181 [186]; 98, S. 106 [ 117]; Rodi, Rechtfertigung von Steuern, S. 83 f.; Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 14 Rn. 170 ff. 48 Obwohl es diesen Fall praktisch selten geben wird, da man theoretisch zumindest auf alles verzichten könnte. 49 So schreckt die Grundsteuer kaum jemand vom Kauf von Grundstücken ab. 50 Siehe § 12 A. I. 51 Im Ergebnis ganz überwiegende Ansicht, auch wenn oftmals nicht auf den Eingriffsbegriff eingegangen wird. Bzgl. Art. 6 Abs. 1 GG: BVerfGE 6, S. 55 [81 f.] und bzgl. Art. 12 Abs. 1 GG: BVerfGE 16, S. 147 [162 f.]; 37, S. 1 [17 f.]; 38, S. 61 [79]; 98, S. 106 [117]. P. Kirchhof, DStJG Bd. 15, S. 3 [10 f.]; Meßerschmidt, Umweltabgaben, S. 127 f. m. w. N., 139 ff.; Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 68 ff.; Jarass, Nichtsteuerliche Abgaben und lenkende Steuern, S. 86 f.; Balmes, Umweltsteuern, S. 130, 147 ff. m. w. N.; Rodi, Umweltsteuern, S. 47; ders., Rechtfertigung von Steuern, S. 83, 98 ff.; Selmer, Steuerinterventionismus, S. 217 ff.; F. Kirchhof, DVBl. 2000, S. 1166 [1167, 1170]. 52 Trzaskalik, Gutachten zum 63. Dt. Juristentag, S. 21 ff., 28: „Der Zahlungsbefehl changiert nicht zum Vermeidungsbefehl. Der rechtlich relevante Eingriff liegt allein in der Zahllast.“ [S. 23]; Papier, Gesetzesvorbehalte, S. 80 ff., insb. S. 84.
§ 12 Freiheitsgrundrechte
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ist richtig, dass bei der Bestimmung des Gesetzesinhalts durch Auslegung der subjektive Wille des Gesetzgebers nur zu berücksichtigen ist, wenn er im Ge53 setz seinen hinreichenden Ausdruck gefunden hat. Es wird jedoch verkannt, dass Gestaltungswirkungen im Steuertatbestand und damit objektiv im Gesetz angelegt sind, indem der Gesetzgeber bei der Wahl des Steuergegenstandes an bestimmte Güter oder Verhaltensweisen anknüpft oder bei der Ausgestaltung der jeweiligen Steuerhöhe zusätzliche grundrechtsrelevante Kriterien einführt. Lässt sich eine Beeinträchtigung in diesem Sinne dem Staat zurechnen, ist sie auch eine rechtfertigungsbedürftige Grundrechtsbeeinträchtigung. Zusammenfassend sind sowohl die Belastungswirkungen als auch die beabsichtigten oder zumindest vorhersehbaren Gestaltungswirkungen grundrechtsrelevant und rechtfertigungsbedürftig.
III. Rechtfertigungsmaßstab bei Lenkungssteuern Beeinträchtigt eine staatliche Maßnahme Grundrechte, muss der Eingriff gerechtfertigt sein, andernfalls ist die Maßnahme für verfassungswidrig zu erklären. Bei der Rechtfertigung von Eingriffen in Freiheitsgrundrechte stellt das Grundgesetz unterschiedliche Anforderungen. Ausdrücklich normiert das Grundgesetz in einzelnen Grundrechten einen Gesetzesvorbehalt, der besagt, dass die Grundrechte durch Gesetz eingeschränkt werden können und Eingriffe 54 nur durch oder aufgrund eines Gesetzes erfolgen dürfen. Eine Ausnahme macht neuerdings das Bundesverfassungsgericht bei mittelbar, faktischen Be55 einträchtigungen. Ein Gesetzesvorbehalt als Ermächtigung der Verwaltung sei hier nur erforderlich, wenn die Wirkungen normierbar sind. Die Frage, inwieweit die einzelnen Grundrechte einschränkbar sind, hängt davon ab, ob das Grundrecht einen einfachen bzw. qualifizierten Gesetzesvor56 behalt einräumt. Grundrechte ohne Gesetzesvorbehalt sind allerdings nicht schrankenlos, vielmehr sind sie durch verfassungsimmanente Schranken be57 grenzt. Im Einzelfall können kollidierende Grundrechte und andere Rechts58 werte von Verfassungsrang vorbehaltlose Grundrechte beschränken. Dem ___________ 53
BVerfGE 1, S. 229 [312]; 10, S. 234 [244]; 11, S. 126 [130]; 33, S. 265 [294]; 59, S. 128 [153]. 54 Ipsen, Staatsrecht II, Rn. 159. 55 BVerfG DVBl. 2002, S. 1353 [1354 f.]. 56 Enders, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar, vor Art. 1 GG Rn. 115. 57 Enders, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar, vor Art. 1 GG Rn. 116. 58 Ständige Rspr. des BVerfGE 28, S. 243 [261]; 81, S. 278 [292 ff.]; 83, S. 130 [139]; 84, S. 212 [228] und h. L. vgl. Enders, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar, vor Art. 1 GG Rn. 116; Dreier, in: Dreier, GG, Vorb. Rn. 88 f.; Sachs, in: Sachs, GG, Vor Art. 1 Rn. 120 ff. Nicht überzeugend hingegen die Ansicht, dass kollidierende Ver-
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4. Teil: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit
Gesetzgeber kommt bei der Kollision konkurrierender Verfassungswerte eine vermittelnde Funktion zu. Die bei den Vorschlägen in Frage kommenden Grundrechte (Art. 12 Abs. 1 GG, Art. 14 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG) enthalten jedoch einfache Gesetzesvorbehalte, die keine speziellen Anforderungen vorgeben. Weiterhin dürfen staatliche Maßnahmen gemäß Art. 19 Abs. 2 GG nicht den Wesensgehalt der Grundrechte antasten. Art. 19 Abs. 2 GG fordert, dass trotz überwiegender Gemeinwohlinteressen ein Grundrecht nicht völlig aufgehoben werden darf, sondern dass der Wesenskern erhalten bleibt. Bei Lenkungssteuern kommt eine so weitgehende Beeinträchtigung allenfalls bei erdrosselnden Steuern in Betracht, deren Steuerhöhe so hoch ist, dass die Steuer von den allerwenigsten erbracht werden kann und die Betroffenen das besteuerte Verhalten nicht mehr ausüben können. Allerdings schließt schon der Steuerbegriff, wie er vom Bundesverfassungsgericht definiert wird, erdrosselnde Steuern aus. Ein Konflikt mit der Wesensgehaltsgarantie könnte allenfalls mit der steuerlichen Gesamtbelastung bei Art. 14 Abs. 1 GG auftreten. Neben dem Gesetzesvorbehalt und der Wesensgehaltsgarantie hat das Bundesverfassungsgericht aus den Einzelgrundrechten und dem Rechtsstaatsprinzip das Prinzip der Verhältnismäßigkeit von staatlichen Maßnahmen und Ge59 setzen hergeleitet. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip, auch Übermaßverbot genannt, sieht einen abgestuften Prüfungsmaßstab vor, der Mittel und Zweck in Relation setzt. Inhaltlich verlangt das Prinzip, dass der Eingriff in das jeweilige Grundrecht einem öffentlichen Zweck dient und das Mittel zur Erreichung des Zwecks geeignet, erforderlich und angemessen (Verhältnismäßigkeit im enge60 ren Sinne) ist. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip gilt grundsätzlich auch für Steuern. Allerdings wird die Anwendbarkeit des Prinzips von Teilen der Steuerrechtswissenschaft hinsichtlich der steuerlichen Belastungswirkung angezweifelt. Darüber hinaus ist insbesondere bei Lenkungssteuern unklar, welche Belange in die Verhältnismäßigkeitsprüfung einzustellen sind und welche Anforderungen bei den einzelnen Prüfungsstufen gelten.
___________ fassungsgüter schon den Schutzbereich des Grundrechts beschränken. Erstens treten Kollisionen nur im konkreten Einzelfall (z. B. durch unterschiedlichen Freiheitsgebrauch zweier Grundrechtsträger) auf und nicht schon abstrakt in der Verfassung. Eine abstrakte Beschränkung des Schutzgehaltes würde das Grundrecht sehr beschränken. Zweitens wäre dann der schlichtende Gesetzgeber keiner Rechtfertigung unterworfen. Vgl. Pieroth/Schlink, Staatsrecht II, Rn. 323 f.; Dreier (a. a. O.), Vorb. Rn. 98. 59 BVerfGE 19, S. 342 [348 f.]; 23, S. 127 [133]; Enders, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar, vor Art. 1 GG Rn. 122. 60 BVerfGE 48, S. 396 [402]; Enders, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar, vor Art. 1 GG Rn. 123.
§ 12 Freiheitsgrundrechte
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1. Anwendbarkeit des Verhältnismäßigkeitsprinzips bei Lenkungssteuern Es hat sich in der Steuerrechtswissenschaft die Auffassung verbreitet, dass im Hinblick auf die Einnahmeerzielung das Verhältnismäßigkeitsprinzip versage, da der sehr allgemeine Zweck der Einnahmeerzielung nicht weiter differenzierbar sei, ohne auf die Ausgabenseite zu schauen, und keine abstufbare Ge61 wichtung erlaube. Demzufolge sei der Geldentzug immer zur Einnahmeerzie62 lung geeignet, erforderlich und angemessen. Dies würde bedeuten, dass die 63 Belastungswirkung immer verhältnismäßig ist. Einzig bei den Gestaltungswirkungen entfaltet nach dieser Ansicht das Verhältnismäßigkeitsprinzip seine Wirkung, da hier ein konkreter Zweck verfolgt werde, der es erlaube, die Wirkungen auf Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit (Verhältnismä64 ßigkeit im engeren Sinne) zu prüfen. Der Behauptung, das Verhältnismäßigkeitsprinzip versage bei der Belastungswirkung, ist jedoch in ihrer Pauschalität entgegenzutreten. Sie beruht zum überwiegenden Teil auf einer Verallgemeinerung der Verhältnismäßigkeitsprüfung, die allein zwischen Geldentzug und Einnahmeerzielung abwägt und losgelöst vom einzelnen Grundrecht erfolgt, weshalb man meint, nicht die Einnahmeerzielung an den Grundrechten messen 65 zu können. Die dieser Ansicht zu Grunde liegenden Annahmen überzeugen jedoch nicht. Erstens lässt sich die Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht auf eine Abwägung zwischen Geldentzug und Einnahmezweck reduzieren. Eine solche Gegenüberstellung kann zu keinem Ergebnis führen, da sich ohne Geldentzug keine Einnahmen erzielen lassen. Bei Steuern muss man für die Feststellung der Verhältnismäßigkeit vielmehr den Tatbestand und die Rechtsfolge des Steuergesetzes beurteilen. Der Tatbestand eines Steuergesetzes bestimmt wer und wann zur Zahlung einer Steuer verpflichtet ist. Bei Lenkungssteuern enthält der Tatbestand weiterhin mögliche Differenzierungsmerkmale, um be___________ 61
BVerfGE 63, S. 343 [367]; grundlegend Papier, Gesetzesvorbehalte, S. 78 f.; Tipke, Steuerrechtsordnung, S. 418 f. m. w. N.; Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 187 ff., 222, 231; P. Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 88 Rn. 82; Vogel, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 87 Rn. 71; vgl. Rodi, Rechtfertigung von Steuern, S. 51 f. m. w. N., der die vollständige Preisgabe als voreilig ansieht (S. 55). 62 Papier, Gesetzesvorbehalte, S. 76 ff.; Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 189, der dabei aber die Angemessenheit unterschlägt. 63 Birk, der die Folgewirkungen des Geldentzuges nicht der Belastungswirkung zuordnen will, kommt bezüglich der Folgewirkungen zu einer „Ineffektivität“ des Verhältnismäßigkeitsprinzips (Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 221 f.). 64 Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 223; Rodi, Rechtfertigung von Steuern, S. 52 f., 194; Tipke, Steuerrechtsordnung, S. 419. 65 Vgl. Papier, Gesetzesvorbehalte, S. 76 ff.; Vogel, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 87 Rn. 71; Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 187 ff., 192 f.; Balmes, Umweltsteuern, S. 145 ff.
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4. Teil: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit
stimmte Adressaten oder Verhaltensweisen unterschiedlichen Rechtsfolgen auszusetzen. Die Rechtsfolge legt fest, wie hoch die Steuerlast ausfällt. Vom Tatbestand eines Steuergesetzes hängt ab, in welche Grundrechte eingegriffen wird. Die Rechtsfolge wirkt sich demgegenüber auf die Intensität des Grundrechtseingriffs aus. Prüfungsgegenstand ist daher nicht die jeweilige Belastungs- und Gestaltungswirkung und auch nicht der Fiskal- oder Lenkungs66 zweck, sondern der normierte Steuertatbestand mit seiner Rechtsfolge. Zweitens darf die Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht losgelöst von dem konkret betroffenen Grundrecht stattfinden. Betrachtet man das Steuergesetz unter dem Blickwinkel eines konkreten Grundrechts, drängt sich die Frage auf, warum z. B. zur Einnahmeerzielung ein Eingriff in die Berufsfreiheit erforder67 lich ist. Denn in diesem Beispiel wäre eine Steuer, deren Tatbestand an keine berufliche Tätigkeit anknüpft, zur Einnahmeerzielung gleich geeignet aber weniger belastend. Eine Beeinträchtigung der Berufsfreiheit muss demzufolge durch andere Steuerzwecke gerechtfertigt sein, wie z. B. sozialer Ausgleich, Umweltschutz etc. Eine Verhältnismäßigkeitsprüfung muss fragen, ob hinsichtlich eines konkreten Grundrechts die Ausgestaltung des Tatbestandes und der Rechtsfolge zur Einnahmeerzielung oder zur Verfolgung von Lenkungszwecken geeignet, erforderlich und angemessen ist. Ist Gegenstand der Verhältnismäßigkeitsprüfung der Steuertatbestand mit seiner Rechtsfolge, kann aus einer darüber hinausgehenden Unterscheidung zwischen Fiskal- und Lenkungssteuern oder Belastungs- und Gestaltungswirkung kein unterschiedlicher Prüfungsmaßstab resultieren. Die unterschiedlichen Rechtfertigungsgründe wirken sich erst bei der Rechtfertigung innerhalb der Prüfungsstufen des Übermaßverbotes aus. So kann der Fiskalzweck zwar die Belastungswirkung, nicht aber darüber hinausgehende Gestaltungswirkungen rechtfertigen, da diese für die Einnahmeerzielung nicht erforderlich sind. Hingegen kann der Lenkungszweck die Gestaltungswirkung, aber auch die Belastungswirkung rechtfertigen, weil 68 er der Belastungswirkung als Anreizmittel bedarf. Drittens überzeugt auch das Argument nicht, dass Inhalt, Legitimation und Wichtigkeit des Fiskalzwecks nicht bestimmbar seien, weshalb bei der Ange___________ 66
Etliche Autoren scheinen aber gerade dies prüfen zu wollen, z. B. Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 187 ff.; Balmes, Umweltsteuern, S. 145 ff.; Jarass, Nichtsteuerliche Abgaben und lenkende Steuern, S. 86 f. 67 Im Ergebnis ähnlich Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 222, 254 f. der allerdings übersieht, dass diese Feststellung eine Frage der Erforderlichkeit des Steuertatbestandes zur Erreichung des Fiskalzwecks ist. 68 Zu einem vergleichbaren Ergebnis kommt Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 236 ff., 254 ff., allerdings unter dem Vorzeichen seiner Theorie, wonach sich die Belastungswirkungen nur an lastenausteilenden Verfassungsnormen (Gleichheitsgrundsatz) und Gestaltungswirkungen nur an gestaltungsbegrenzenden Normen (Freiheitsgrundrechte) effektiv messen lassen (S. 231).
§ 12 Freiheitsgrundrechte
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messenheitsprüfung keine Abwägung möglich ist. Festzuhalten ist, dass ohne den Einnahmezweck eine nicht lenkende Steuer mangels eines legitimen öffentlichen Zwecks gegen die Freiheitsgrundrechte (Art. 14 Abs. 1 und Art. 2 69 Abs. 1 GG) verstoßen würde. Schwierig ist allein die Bestimmung der Wichtigkeit des Einnahmezwecks und dessen Bedeutung im Hinblick auf eine konkrete Steuerhöhe und einen konkreten Steuertatbestand. Ob diese Schwierigkeit und das damit verbundene Abwägungsproblem eine Besonderheit des Steuerrechts oder nicht vielmehr ein generelles Problem von abstrakten Gemeinwohl70 interessen ist, welches auch bei ordnungsrechtlichen Grundrechtseingriffen auftritt, ist mehr als fraglich. Die Wichtigkeit der Einnahmeerzielung kann durchaus eingrenzt werden. Die Einnahmeerhebung erhält ihre Legitimation 71 aus den zu finanzierenden Staatsaufgaben und -pflichten. Da die Staatsaufgaben wiederum der Freiheitssicherung des einzelnen Bürgers dienen, kann das Finanzierungsinteresse keine übermäßige Freiheitsbeschränkung rechtfertigen, ohne den eigentlichen Zweck Freiheitssicherung zu konterkarieren. Die Recht72 sprechung des Bundesverfassungsgerichts zur „erdrosselnden“ Steuer und 73 neuerdings zum so genannten „Halbteilungsgrundsatz“ bei Art. 14 GG verdeutlicht, dass steuerliche Belastbarkeit nicht unbegrenzt ist. Die ZweckMittel-Relation beim Verhältnismäßigkeitsprinzip reduziert sich daher nicht, 74 wie einige Autoren bei den Freiheitsgrundrechten meinen, auf eine gerechte Lastenverteilung unter den Bürgern. Setzen die Freiheitsgrundrechte dem Steuergesetzgeber weite Grenzen, bedeutet dies nicht, dass die Freiheitsgrundrechte 75 und das Verhältnismäßigkeitsprinzip als Prüfungsmaßstab überflüssig wären. Somit lässt sich für die Verhältnismäßigkeitsprüfung von Lenkungssteuern festhalten, dass der normierte Tatbestand und die Rechtsfolgen eines Steuergesetzes zu prüfen sind, die Prüfung am betroffenen Grundrecht zu erfolgen hat und der Fiskalzweck durchaus nicht jede Steuerlast rechtfertigt. ___________ 69
Die Einhaltung des Leistungsfähigkeitsprinzips allein kann die Belastungswirkung nicht rechtfertigen. Dies verkennt Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 187 ff., 193, 231 (Schaubild) mit seiner These, dass die Belastungswirkung an Lastenausteilungsnormen (Art. 3 Abs. 1 GG) zu messen sind. 70 Zum Beispiel muss bei Geschwindigkeitsbegrenzungen im Straßenverkehrsrecht der öffentliche Zweck Verkehrssicherheit mit dem Eingriff in die Handlungsfreiheit abgewogen werden. Ab welcher Geschwindigkeit eine generelle Begrenzung auf Autobahnen gerechtfertigt wäre, ist dabei eine Abwägungsentscheidung. 71 Siehe § 11 A. I. 72 BVerfGE 14, S. 221 [241]; 63, S. 343 [368]; 82, S. 159 [190]. 73 BVerfGE 93, S. 121 [138]. 74 Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 192 f.; Papier, Gesetzesvorbehalte, S. 79. 75 Es bedeutet auch nicht, dass auf die Ausgabenverwendung zur Rechtfertigung zuzugreifen ist, mit der nicht praktikablen Anforderung, „dass die am wenigsten dringliche Aufgabe noch die Erhebung der am schwersten belastenden Steuer rechtfertigt.“ (v. Arnim, VVDStRL 39 (1981), S. 287 [316]).
4. Teil: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit
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2. Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsprinzips bei Umweltsteuern Umweltsteuern, wie die vorgeschlagene Änderung der Grund- und Umsatzsteuer sowie die Steuern auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel, müssten einen öffentlichen Zweck verfolgen und zur Erreichung des Zwecks geeignet, erforderlich und angemessen sein.
a) Öffentlicher Zweck Ist die Verwaltung an die Zwecke des Ermächtigungsgesetzes gebunden, so kann der Gesetzgeber grundsätzlich frei bestimmen, welchen Zwecken ein Gesetz dienen soll. Grenzen erwachsen ihm nur insoweit aus der Verfassung, als 76 er keine verfassungswidrigen Ziele verfolgen darf. Der legitime Zweck ist Bezugspunkt für die Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit der gesetzlichen Regelung. Umweltsteuern beabsichtigen ganz generell die Erzielung von Einnahmen und den Schutz der Umwelt. Beide Zwecke erkennt die Verfassung an (Art. 105 f. GG, Art. 20a GG).
b) Geeignetheit Umweltsteuern müssen zur Erreichung der mit ihnen verfolgten Zwecke geeignet sein. In der Literatur wird die Geeignetheit von Lenkungssteuern im Allgemeinen und von Umweltsteuern im Besonderen angezweifelt. Es wird kritisiert, dass Umweltsteuern ihre Gestaltungswirkung nicht verbindlich und absolut durchsetzen können, da der Adressat als Ausweg die Steuerlast begleichen 77 kann. Die gegenüber ordnungsrechtlichen Ge- oder Verboten aus dem Wesen der Steuer bedingte Zielungenauigkeit bzw. Wirkungsunschärfe mache Umweltsteuern zweckuntauglich oder zumindest wenig geeignet. Dem ist zu widersprechen, da für die Geeignetheit der konkrete Zweck der Umweltsteuer zu beachten ist. Will der Gesetzgeber unverzichtbare Umweltstandards im Einzelfall festsetzen, welche z. B. der grundrechtlich geforderten Gefahrenabwehr dienen (Schutzpflichten), sind Steuern wegen der fehlenden Verbindlichkeit ungeeignet. Will der Gesetzgeber im Rahmen der allgemeinen Vorsorge aber eine generelle Verbesserung der Umweltbelastung erzielen, bei denen es nicht auf den konkreten Einzelfall ankommt, ist der unverbindliche, ___________ 76
Ipsen, Staatsrecht II, Rn. 172 ff. Beschränkungen können sich z. B. aus qualifizierten Gesetzesvorbehalten ergeben. 77 P. Kirchhof, DStJG Bd. 15, S. 3 [7 f.]; Kloepfer, Umweltrecht, § 5 Rn. 230 ff. Vgl. Meßerschmidt, Umweltabgaben, S. 138, 142 ff.
§ 12 Freiheitsgrundrechte
249 78
ökonomische Druck von Steuern kein Nachteil, sondern ein Vorteil. Aufgrund der Anreizwirkung eignen sich ökonomische Instrumente besser als das kontrollintensive Ordnungsrecht dazu, die Gesamtbelastung zu reduzieren, da 79 sie Eigeninteressen wecken und die ökonomische Allokation fördern. Dies gilt insbesondere bei kumulativen und diffusen Umweltbelastungen, bei denen die konkrete Einzelbelastung schwer als Verursachung ermittelt und beschränkt werden kann. Der Gesetzgeber, die Begrenztheit der Steuern im Blick, will regelmäßig nur gesamtstaatliche Effekte erzielen, wie der bisherige Einsatz von 80 Steuern zeigt. Für die Geeignetheit von Umweltsteuern muss man daher auf den speziellen Zweck der Maßnahme abstellen und kann nicht Umweltschutz im allgemeinen als Ziel annehmen. Andernfalls wäre jede Maßnahme, die nicht alle Umweltprobleme lösen kann, ungeeignet. Aufgrund dieser Wesensverschiedenheit von Ordnungsrecht und Umweltsteuern kann man beide Instrumente nicht wirklich als Alternativen ansehen und im Rahmen der Verhältnis81 mäßigkeitsprüfung gegenüber stellen. Des Weiteren gehen die Anforderungen an die Geeignetheit nicht über eine Prognosevermutung hinaus. Das Bundesverfassungsgericht nimmt erst eine verfassungsrechtlich beachtliche Ungeeignetheit an, wenn ex-ante die vom Gesetzgeber gewählte Maßnahme evident zweckuntauglich oder die zu Grunde 82 liegende Prognose nicht sachgerecht bzw. vertretbar ist. Die tatsächliche spä83 tere Entwicklung ist demgegenüber irrelevant. Es genügt, dass es möglich er84 scheint, dass die Maßnahme das angestrebte Ziel fördert. Eine Zweckuntauglichkeit kann Umweltsteuern trotz der Unverbindlichkeit nicht generell ___________ 78
Vgl. BVerfGE 38, S. 61 [81 f.]; Selmer, Steuerinterventionismus, S. 223 f., welcher jedoch mit der generellen Verneinung einer Betroffenheit subjektiver Freiheitsgrundrechte bei nicht beabsichtigten Lenkungswirkungen zu weit geht. 79 Siehe § 3 B. So ging z. B. seit Einführung der Ökosteuer 1999 der Mineralölverbrauch in Deutschland bis zum Jahr 2003 um 10 % zurück (BMF, Monatsbericht 3/2004, S. 35 [Tabellen S. 42]. 80 Z. B. bezweckt die Ökosteuer nicht jedem Bürger oder Unternehmen nur ein bestimmtes Energiekontingent zu erlauben, sondern die Senkung des Energieverbrauchs der gesamten Volkswirtschaft. 81 Meßerschmidt, Umweltabgaben, S. 109. Dazu mehr bei der Erforderlichkeit. 82 Ständige Rspr.: BVerfGE 7, S. 377 (412); 16, S. 147 [181]; 30, S. 250 [263]; 38, S. 61 [88]; 50, S. 290 [332 ff.]; 57, S. 139 [159 f.]; 67, S. 157 [175] wobei das BVerfG in Abhängigkeit vom jeweiligen Sachbereich und Deutlichkeit des Gesetzgebers, den Maßstab von einer reinen Evidenzkontrolle über eine Vertretbarkeitskontrolle bis zu einer intensivierten inhaltlichen Kontrolle anpasst (z. B. BVerfGE 50, S. 290 [332 f.]). Eine intensive Prognosekontrolle fordert Meßerschmidt, Umweltabgaben, S. 140 ff. für Sonderabgaben. 83 BVerfGE 30, S. 250 [263]; 67, S. 158 [175]. 84 Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20 VII Rn. 74; Jarass, Nichtsteuerliche Abgaben und lenkende Steuern, S. 89.
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4. Teil: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit 85
bescheinigt werden. Vielmehr kommt es darauf an, ob dem Lenkungsadressa86 ten überhaupt eine Vermeidung des Steuertatbestandes möglich ist. Fehlt es an Substitutionsmöglichkeiten, läuft der steuerliche Vermeidungsdruck ins Leere. Allerdings bedeutet Substitution nicht nur ein Ausweichen auf alternati87 ven Handlungen, Techniken oder Produkten, sondern auch Verzicht.
c) Erforderlichkeit Der Grundsatz der Erforderlichkeit verlangt, dass kein weniger belastendes Mittel existiert, welches für die Erreichung des verfolgten Zwecks zumindest gleich geeignet ist und auch die Allgemeinheit sowie Dritte nicht stärker be88 lastet. Dem Gesetzgeber steht bei der Beurteilung der Erforderlichkeit ein Spielraum zu, der durch die Einschätzungsprärogative im Hinblick auf die Ge89 eignetheit begründet ist. Es wurde bei der Frage der „Effektivität“ des Verhältnismäßigkeitsprinzips schon darauf hingewiesen, dass die Prüfung am konkret betroffenen Grundrecht erfolgen muss. Bei der Erforderlichkeit muss sich daher jede Steuer, auch die Fiskalsteuer, fragen lassen, ob der Eingriff in das jeweilige Grundrecht wirklich notwendig ist und nicht ein Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit ein milderes Mittel wäre. Was die Erforderlichkeit von Umweltsteuern zur Verwirklichung des Umweltschutzzieles betrifft, so wurde das Instrument der Steuer seit Anbeginn mit dem Ordnungsrecht verglichen. Sah man früher Steuern wegen ihres unverbindlichen Lenkungsdruckes als ein milderes Mittel gegenüber dem ordnungsrechtlichen Verbot an, so zog die Rechtswissenschaft dies später wieder in 90 Zweifel. ___________ 85
Meßerschmidt, Umweltabgaben, S. 80 f., 142; Jarass, Nichtsteuerliche Abgaben und lenkende Steuern, S. 89; Balmes, Umweltsteuern, S. 149 ff.; Selmer, Steuerinterventionismus, S. 213 f.; F. Kirchhof, DVBl. 2000. S. 1166 [1169]. Vgl. BVerfGE 38, S. 61 [82], welches allerdings das Problem der Unschärfe im Bestimmtheitsgrundsatz verankert; ähnlich Trzaskalik, Gutachten zum 63. Dt. Juristentag, S. 24; Selmer/Brodersen, DVBl. 2000, S. 1153 [1157]. 86 Lang, DStJG Bd. 15, S. 115 [131]; F. Kirchhof, DVBl. 2000, S. 1166 [1170]; Balmes, Umweltsteuern, S. 10 ff., 149. 87 So wäre z. B. derzeit das 3-Liter-Auto die technisch umweltfreundlichste Substitutionsmöglichkeit, eine hohe Mineralölsteuer kann aber darüber hinaus zum Umsteigen auf öffentliche Verkehrsmittel oder zum Verzicht auf unnötige Fahrten anregen. 88 BVerfGE 25, S. 1 [19 f.]; 30, S. 292 [319]; 77, S. 84 [109 ff.]; 88, S. 145 [164]; Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20 VII Rn. 75; Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 152. 89 BVerfGE 30, S. 292 [319]; 77, S. 84 [109 f.]; Pieroth/Schlink, Staatsrecht II, Rn. 285 ff. 90 Vgl. den Überblick bei Meßerschmidt, Umweltabgaben, S. 103 ff.
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Eingewandt wird zum einen der Doppelcharakter von Lenkungssteuern, welche zwar die Wahl zwischen Zahlen oder Vermeiden lassen, aber im Er91 gebnis eine der Alternativen wirksam durchsetzen. Lenkungssteuern seien demnach im Ergebnis verpflichtend wie ein ordnungsrechtlicher Befehl und können zu einer Belastungskumulation führen. Hiergegen spricht, dass Lenkungssteuern hinsichtlich der Gestaltungswirkung nicht über ordnungsrechtliche Ge- oder Verbote hinausgehen, die ein Verhalten verbindlich anordnen, 92 sondern wegen der Wahlmöglichkeit dahinter zurückbleiben. Einzig bei nicht vorhandenen Substitutionsmöglichkeiten reduziert sich die Lenkungssteuer auf 93 eine verbindliche Zahlpflicht wie bei sonstigen Fiskalsteuern, die nicht mit der ordnungsrechtlichen Verhaltenspflicht vergleichbar ist. Der umgekehrte Fall, dass wegen Zahlungsunfähigkeit der Steueradressat zur Vermeidung des 94 Steuertatbestandes gezwungen wird, geht gleichfalls nicht über ein Verbot hinaus. Zum anderen wird beklagt, dass Umweltsteuern mit der Zahlpflicht eine Sanktionsautomatik besitzen, welche „Verwaltungsbefehl“, Anordnung der Vollstreckung und Festsetzung des Zwangsmittels vereint, ohne ein Verwaltungs- und Vollstreckungsverfahren mit Rechtsschutzmöglichkeiten auf jeder 95 Stufe wie im Ordnungsrecht vorzusehen. In der Zahlpflicht eine Sanktion zu sehen, die einem Zwangs- bzw. Bußgeld oder einer Geldstrafe entsprechen soll, bedeutet den Lenkungsdruck der Umweltsteuer mit dem verbindlichen ordnungsrechtlichen Verbot gleichzusetzen. Zwar verpflichten Lenkungssteuern bei einer unterlassenen Verhaltensänderung, wie bei einem bußgeldbewehrten, ordnungsrechtlichen Verbot, zu einer Geldzahlung und sind die ökonomischen Folgen somit ähnlich. Eine Gleichsetzung würde aber den rechtlich bedeutsamen Unterschied ignorieren, dass im Gegensatz zur steuerlichen Zahlpflicht das Bußgeld oder die Geldstrafe ein „Unwerturteil“ über die Nichtbefolgung
___________ 91
Kloepfer, Umweltrecht, § 5 Rn. 236; v. Arnim, VVDStRL 39 (1981), S. 286 [331]. Ebenso Meßerschmidt, Umweltabgaben, S. 105; Jarass, Nichtsteuerliche Abgaben und lenkende Steuern, S. 1999, S. 89 f. 93 Jarass, Nichtsteuerliche Abgaben und lenkende Steuern, S. 1999, S. 89 f.; Meßerschmidt, Umweltabgaben, S. 105 f. 94 P. Kirchhof, DStJG Bd. 15, S. 3 [7]. Allerdings bleibt die Erfüllung „erdrosselnder“ Steuern im Unterschied zum ordnungsrechtlichen Verbot objektiv legal möglich. 95 P. Kirchhof, JZ 1979, S. 153 [157]; Kloepfer, Umweltrecht, § 5 Rn. 236; F. Kirchhof, DVBl. 2000, S. 1166 [1172] mit dem weit hergeholten Argument, dass beim Nichtbefolgen eines ordnungsrechtlichen Verbots noch die Möglichkeit einer Ausnahmegenehmigung bestehe. Etwas in die Richtung tendiert unter dem Einfluß P. Kirchhofs BVerfGE 98, S. 83 [104 f.], ohne konkret auf die Erforderlichkeit einzugehen. Vgl. zur Problematik Meßerschmidt, Umweltabgaben, S. 106 f., der darin aber keine verfassungswidrige Rechtsschutzverkürzung sieht. 92
252
4. Teil: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit 96
eines Ge- oder Verbotes aussprechen. Weiterhin befreit die Zahlung des Zwangsgeldes oder Strafgeldes nicht von der ordnungsrechtlichen Pflicht. Sie kommt als Sanktionen nur hinzu. Bei den Lenkungssteuern dagegen sind beide Alternativen legal. Es tritt mit der Zahlpflicht keine zusätzliche Sanktion, sondern eine erstmalige Rechtspflicht ein, wie sie bei jeder Fiskalsteuer entsteht. Der Steueradressat darf die besteuerte Verhaltensweise immer vornehmen. Als einzige Handlung verbietet die Steuer die Nichtbefolgung der Zahlpflicht. Gegen den Zahlungsbescheid bestehen jedoch wie bei einem ordnungsrechtlichen Ver- oder Gebot Rechtsschutzmöglichkeiten. Ist aber der Lenkungsdruck von Umweltsteuern mit dem ordnungsrechtlichen Verbot rechtlich nicht vergleichbar, kann das ordnungsrechtliche Verbot nicht als milderes, gleich geeignetes 97 Mittel angesehen werden.
d) Angemessenheit Innerhalb der Angemessenheit werden zum ersten Mal in der Verhältnismäßigkeitsprüfung der Eingriff und die rechtfertigenden Gemeinwohlziele unmittelbar gegenüber gestellt. Erforderlich ist eine Abwägung zwischen der Beeinträchtigung des geschützten Freiheitsbereichs mit dem vom Gesetzgeber ver98 folgten Zweck des Mittels. Das Abwägungsergebnis ist abhängig von dem betroffenen Grundrecht, dem Schweregrad des Eingriffs und der Wichtigkeit der verfolgten Gemeinwohlziele. Der Schweregrad des steuerlichen Eingriffs bestimmt sich wiederum anhand der Steuerhöhe und der Ausgestaltung des 99 Steuertatbestandes. Losgelöst von der konkreten Steuer, lässt sich bei Umweltsteuern sagen, dass der Fiskalzweck mit Art. 105 f. GG und der beabsichtigte Umweltschutz mit Art. 20a GG ihren Niederschlag in der Verfassung gefunden haben. Beiden kommt entsprechende Bedeutung zu. Die Erzielung von Einnahmen ist für ei100 nen Staat, dem kostenträchtige Aufgaben zugewiesen sind, existenziell. Dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und nachkommenden Generationen ___________ 96
Papier, Gesetzesvorbehalte, S. 60 f., 86 f. zur mangelnden Vergleichbarkeit von Strafen und Steuern; Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2, S. 136 f. der als Gemeinsamkeit ordnungsrechtlicher Befehle und Steuern nur die „Motivation durch vermeidbare nachteilige Rechtsfolgen“ ansieht. 97 Selmer/Brodersen, DVBl. 2000, S. 1153 [1155]; Meßerschmidt, Umweltabgaben, S. 109; Trzaskalik, Gutachten zum 63. Dt. Juristentag, S. 27 f.; Jarass, Nichtsteuerliche Abgaben und lenkende Steuern, S. 89 f. 98 BVerfGE 38, S. 61 [86]; Enders, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar, vor Art. 1 GG Rn. 123. 99 Selmer, Steuerinterventionismus, S. 263 f. zu Art. 12 GG, wobei er v. a. der wettbewerbsverzerrenden Wirkung Bedeutung zumißt. 100 Siehe § 11 A. I.
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kommt nach herrschender Auffassung zwar kein Vorrang gegenüber anderen Staatszielen zu, in seiner Funktion als Existenzsicherung der Menschen be101 nennt Art. 20a GG aber ein sehr wichtiges Gemeinwohlinteresse. Neben dem neu eingefügten Umweltschutzziel enthält das Grundgesetz mit dem Sozialstaatsprinzip in Art. 20 Abs. 1 und dem gesamtwirtschaftlichen Gleichgewicht in Art. 109 Abs. 2 nur wenige andere Staatsziele. Von der Bedeutung her lässt 102 sich Art. 20a GG am ehesten mit dem Sozialstaatsprinzip vergleichen. Staatsziele verpflichten den Staat, auch wenn sie kein subjektives Recht zu103 gunsten der Bürger enthalten. Sie richten sich wegen des Konkretisierungserfordernisses primär an den Gesetzgeber. Zum Schutzauftrag des Art. 20a GG gehört neben der Pflicht zum umweltschonenden Verhalten des Staates vor allem der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen vor Beeinträchtigungen Dritter. Natürliche Lebensgrundlagen umfassen die Umweltmedien Boden, Wasser und Luft aber auch die frei lebenden Tiere und Pflanzen und ihre Lebens104 räume. Der Schutzumfang erstreckt sich von der Gefahrenabwehr bis zur Ri105 sikovorsorge unterhalb der Gefahrenschwelle. Letzteres folgt aus dem zeitlichen Rahmen, den Art. 20a GG hinsichtlich der Verantwortung für die künftigen Generationen vorsieht, da eine Gefahr im Sinne eines wahrscheinlichen Schadens bei generationsübergreifenden Zeitspannen kaum prognostizierbar ist. Der Staat ist deshalb nicht nur verpflichtet, weitere Verschlechterungen zu 106 verhindern, sondern die Situation auch zu verbessern. Soweit Umweltsteuern zusätzlich die Gesundheit der Menschen schützen sollen, können sie sich auch auf Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG stützten, der eine Schutzpflicht des Staates vor Be107 einträchtigungen der Gesundheit durch Privatpersonen normiert. Allerdings existieren der Schutz der Umwelt und der Gesundheit der Menschen nicht losgelöst von den sonstigen Gemeinwohlzielen. Vielmehr konkurrieren sie mit anderen Belangen (z. B. dem Sozialstaatsprinzip, Grundrechten). Umweltbelastende Verhaltensweisen sind daher nicht generell zu verbieten. Wie bei widerstreitenden Grundrechten ist auch der Interessenkonflikt zwischen verfassungsrechtlichen Zielen im Wege der praktischen Konkordanz zu ___________ 101
Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, Art. 20a Rn. 5, 12; Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 20a Rn. 14 f., 55. 102 Vgl. Degenhart, Staatsrecht I, Rn. 425 ff., 441 ff. 103 Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 20a Rn. 12 m. w. N. 104 Degenhart, Staatsrecht I, Rn. 443; Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 20a Rn. 30. Der eher akademische Streit, ob Art. 20a GG anthropozentrisch oder ökozentrisch zu verstehen ist, soll hier nicht vertieft werden. 105 Degenhart, Staatsrecht I, Rn. 443; Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 20a Rn. 36, 49 f. 106 Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 20a Rn. 43 f., der sogar ein Verschlechterungsverbot annimmt. 107 BVerfG 39, S. 1 [42]; 49, S. 89 [142]; 53, S. 30 [57 f.]; 88, S. 203 [251]; Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 2 Rn. 188 ff.; Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, Art. 2 Rn. 20b.
4. Teil: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit
254 108
lösen. Damit wird nicht dem gewichtigeren Interesse ein absoluter Vorrang eingeräumt, sondern versucht, einen optimalen Ausgleich zu finden, der jedem 109 Ziel die weitestgehende Verwirklichung ermöglicht. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass bei Umweltsteuern ohne jede Einschränkung wie bei Sachregelungen der Verhältnismäßigkeitsmaßstab anwendbar ist und Umweltsteuern nicht generell ungeeignet, nicht erforderlich oder unangemessen sind. Umweltsteuern sollen und können konkrete Umweltstandards nicht in jedem Einzelfall durchsetzen, sondern dienen mit ihrer ökonomischen Anreizwirkung der Verringerung der Gesamtbelastungen einer Gesellschaft und dem Ausgleich von externen Umweltkosten. Sie stehen deshalb zum Ordnungsrecht nicht in einem Alternativverhältnis, vielmehr ergänzen sich beide Instrumente mit ihren jeweiligen Stärken und Schwächen. Da die Einnahmeerzielung und der Umweltschutz staatliche Aufgaben von Verfassungsrang sind, können Umweltsteuern grundrechtliche Freiheiten einschränken, wobei Grundrechte ohne Gesetzesvorbehalt nicht ausgenommen sind.
B. Bei Umweltsteuern im Agrarbereich relevante Freiheitsgrundrechte Die vorgeschlagenen Umweltsteuern zur Ökologisierung der Landwirtschaft können verschiedene Freiheitsgrundrechte beeinträchtigen. Soweit die Vorschläge die Bewirtschaftungsweise der Landwirte zu ändern beabsichtigen, Erzeugnisse oder Betriebsmittel verteuern, nehmen sie Einfluss auf die in Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit der Landwirte aber auch der Hersteller und Händler. Hinsichtlich der Belastungswirkung könnte bei allen Steuern der Schutz des Eigentums in Art. 14 Abs. 1 GG betroffen sein. Alle Steuern müssen darüber hinaus den Schutz des Existenzminimums beachten, den das Bundesverfassungsgericht aus Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG herleitet. Jedes Grundrecht stellt andere Anforderungen an den Schutz des jeweiligen Guts, so dass vor Überprüfung der Vorschläge die spezifischen Prüfungsmaßstäbe zu klären sind. I. Berufsfreiheit – Art. 12 Abs. 1 GG 1. Allgemeine Anforderungen für Umweltsteuern Das Bundesverfassungsgericht legt Art. 12 Abs. 1 GG trotz der Trennung im Text als ein Grundrecht mit einheitlichem Schutzbereich aus, das sowohl die ___________ 108
Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 72, 317 f.; Degenhart, Staatsrecht I, Rn. 7, 398 ff. Vgl. BVerfGE 28, S. 243 [260 f.]; 93, S. 1 [21]; Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 72, 317 f.; P. Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 59 Rn. 28. 109
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110
Berufswahl als auch die Berufsausübung schützt. Art. 12 Abs. 1 GG umfasst jede Tätigkeit von gewisser Dauer, die der Schaffung und Erhaltung einer Le111 bensgrundlage dient. Die Betätigung ist auch als Nebenerwerb von Art. 12 112 Abs. 1 GG geschützt. Allerdings gewährt die Berufsfreiheit keinen Anspruch 113 auf gleich bleibende Wettbewerbsbedingungen und Marktpositionen. Bei einer Steuer konstatiert das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung einen Eingriff in den Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG erst, „wenn sie in engem Zusammenhang mit der Ausübung eines Berufes steht 114 und – objektiv – eine berufsregelnde Tendenz deutlich erkennen lässt.“ Das Erfordernis der „berufsregelnden Tendenz“ soll klären, wann Art. 12 Abs. 1 GG als Spezialgrundrecht bezüglich der Berufstätigkeit einschlägig ist, und die quasi immer bestehenden allgemeinen Auswirkungen auf die Berufsfreiheit 115 (z. B. durch die Einkommensteuer, die Körperschaftssteuer) ausgrenzen. Eine berufsregelnde Tendenz wird angenommen, wenn der Gesetzgeber eine 116 diesbezügliche Absicht hatte oder die Anknüpfung an berufsausübende Tätigkeiten nicht nur die Allgemeinheit berührt, sondern einen bestimmbaren, von der Allgemeinheit verschiedenen Personenkreis tatsächlich und nicht völlig un117 erheblich beeinträchtigt. Bei Steuern ist die wettbewerbsverzerrende Wir118 kung entscheidend zur Bestimmung der Schwere der Beeinträchtigung. Demgegenüber sollen rein formale Anknüpfungen an berufliche Tätigkeiten, wie es vor allem bei den überzuwälzenden Verbrauchsteuern (z. B. Umsatz119 steuer) der Fall ist, keine „berufsregelnde Tendenz“ aufweisen. Letzteres sollte indes nicht ausnahmslos gesehen werden, da eine Verteuerung der Verkaufspreise mittelbare Auswirkungen auf den Umsatz der Produzenten und Händler hat. Zumindest dann, wenn der Umsatz für bestimmte Erzeugnisse ge___________ 110
BVerfGE 7, S. 377 [401 f.]. BVerfGE 7, S. 377 [397 ff.]. 112 BVerwGE 84, S. 194 [197]. 113 BVerfGE 105, S. 252 [265]; 106, S. 275 [298 f.]; BVerfG NVwZ 2004, S. 846. 114 Das Merkmal der „berufsregelnden Tendenz“ hat das BVerfG in dem Ausgangsurteil (BVerfGE 13, S. 181 [186 f.]) speziell für Steuern entwickelt. Seither ständige Rspr.: BVerfGE 13, S. 181 [186]; 16, S. 147 [167]; 37, S. 1 [17]; 38, S. 61 [79]; 98, S. 106 [117]. 115 Enders, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar, vor Art. 1 GG Rn. 98, 107 f.; Selmer, AöR 101 (1976), S. 309 [426], da sonst Art. 12 GG zu einem „Allerweltsgrundrecht“ würde. 116 Bleckmann, Staatsrecht II, § 33 Rn. 58; Jarass, Nichtsteuerliche Abgaben und lenkende Steuern. Vgl. BVerfGE 37, S. 1 [17 f.]; 75, S. 108 [154]; BVerfG NJW 1998, S. 1627 [1628]. 117 BVerfG 16, S. 147 [176 f.]; 38, S. 61 [92 f.]) 47, S. 1 [21]; 81, S. 108 [122]. 118 Selmer, Steuerinterventionismus, S. 263 ff., 280. 119 BVerfGE 37, S. 1 [17 f.]; 75, S. 108 [154].; Rodi, Rechtfertigung von Steuern, S. 105. Kritisch Christian Müller, indirekte Verhaltenssteuerung, S. 122 f. 111
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4. Teil: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit
zielt gedrosselt werden soll, ist eine „berufsregelnde Tendenz“ anzunehmen. Bezogen auf die Unterscheidung zwischen Belastungswirkungen (Geldentzug und Folgewirkungen) und Gestaltungswirkungen (Ausweichwirkungen) können beide Wirkungsarten „berufsregelnde Tendenzen“ beinhalten, da die Belastungswirkung den Gewinn aus der Berufstätigkeit schmälert und die Gestaltungswirkung die berufliche Tätigkeit an sich beeinträchtigt. Das Bundesverfassungsgericht bezieht den Gesetzesvorbehalt in Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG sowohl auf die Berufswahl als auch auf die Berufsaus120 übung. Da die Wahl des Berufes und die Art der Ausübung für den Einzelnen eine unterschiedliche Bedeutung haben, nimmt das Gericht mit seiner DreiStufen-Lehre bei der Rechtfertigung graduelle Abstufungen innerhalb der Ver121 hältnismäßigkeitsprüfung vor. Mit dem Erfordernis der Abwehr von nachweisbaren oder höchstwahrscheinlichen, schweren Gefahren für ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut stellt das Gericht die strengsten Anforderungen an objektive Berufswahlschranken, die unabhängig von den Qualifikationen des Einzelnen die Wahl eines Berufes ausschließen. Für subjektive Berufswahlschranken, die an persönliche Eigenschaften und Fähigkeiten der Bürger anknüpfen, genügt hingegen 122 schon der Schutz wichtiger Gemeinschaftsgüter. Den geringsten Anforderungen unterliegen Regelungen, welche die konkrete Berufsausübung beschränken. Hier reichen vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls aus, um eine Regelung als zweckmäßig erscheinen zu lassen, da anders als bei der persönlichen Berufswahl, der Einzelne mit der Berufsausübung unmittelbar in das 123 soziale Leben eingreift. Aufgrund der unterschiedlichen Schwere von Eingriffen in die Berufsfreiheit muss sich der Gesetzgeber im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Erforderlichkeit, Angemessenheit) rechtfertigen, warum er eine Maßnahme nicht auf der geringsten Stufe (Berufsausübung) ge124 troffen hat. Auch bei Steuern wendet das Bundesverfassungsgericht zur Abschätzung der Schwere und Rechtfertigungsbedürftigkeit des Eingriffs die Drei-StufenLehre an, wobei es regelmäßig ohne nähere Begründung von einer Berufsaus125 übungsregelung ausgeht. Eine Berufswahlbeschränkung liege erst vor, wenn ___________ 120
BVerfGE 7, S. 377 [402 f.]. Erstmalig BVerfGE 7, S. 377 [405 f.]. 122 Ständige Rspr. BVerfGE 7, S. 377 [406 ff.]; 13, S. 97 [107]; 93, S. 213 [235]. Tettinger, in: Sachs, GG, Art. 12 Rn. 104 ff. 123 BVerfGE 7, S. 377 [405]; 86, S. 28 [41 f.]; 93, S. 363 [369]. 124 Ständige Rspr. BVerfGE 7, S. 377 [405, 408]; 82, S. 209 [228 f.]; 93, S. 363 [371]. 125 BVerfGE 13, S. 181 [187]; 16, S. 147 [163]; 38, S. 61 [85]. Zustimmend Meßerschmidt, Umweltabgaben, S. 135. 121
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eine Steuer aufgrund ihrer objektiven Gestaltung und Höhe den betroffenen Berufsbewerbern in aller Regel und nicht nur in Ausnahmefällen wirtschaftlich unmöglich macht, den gewählten Beruf ganz oder teilweise zur Grundlage ihrer 126 Lebensführung zu machen. Die in der Literatur geäußerte Kritik an der Anwendbarkeit der Stufenleh127 re trifft insoweit zu, als die Zuordnung zu den Stufen nicht nur anhand des Anknüpfungsgegenstandes erfolgen darf, sondern auch die Höhe der Steuerbelastung mit erfassen muss. So kann eine „erdrosselnde“ Steuer einer objektiven Berufswahlschranke gleichkommen. Fehl geht jedoch der Versuch, die Nichtanwendbarkeit mit einer Sonderstellung des Steuerrechts zu begründen, wonach das Steuerrecht sich grundsätzlich nicht den Stufen zuordnen lasse, da die steuerliche Hemmung der beruflichen Tätigkeit immer auch die Berufswahl be128 einflusst. Dieses Argument ließe sich auf jede Beschränkung der Berufsausübung übertragen, da hierdurch immer ein bestimmter Beruf weniger attraktiv wird. Es verdeutlicht nur, dass eine Berufsausübungsregel in eine Berufswahlschranke umschlagen kann, wenn sie entsprechend schwere tatsächliche Wir129 kungen aufweist, wie es auch das Bundesverfassungsgericht nicht verkennt. Die Abstufungen sind Anhaltspunkte für die Schwere einer Berufsbeeinträchtigung, um entsprechend die Rechtfertigung auszurichten. Es empfiehlt sich deshalb, weiterhin an einem abgestuften Rechtfertigungsmaßstab festzuhalten, um der Abwägung ein grobes Gerüst zu geben, der feinere Differenzierungen nicht 130 ausschließt.
2. Vereinbarkeit der vorgeschlagenen Umweltsteuern mit Art. 12 Abs. 1 GG a) Änderung der Grundsteuer Die Grundsteueränderung beabsichtigt, konventionelle Landwirte mit einer höheren Grundsteuer zu belasten, um eine Umstellung auf ökologische Bewirtschaftung anzuregen. Ihr kommt insofern eine berufsregelnde Tendenz zu, weshalb sie sich vor Art. 12 Abs. 1 GG rechtfertigen muss. Die vorgeschlagene Belastung ist aber nicht so stark, dass eine normale Bewirtschaftung nicht mehr ___________ 126
BVerfGE 13, S. 181 [186 f.]; 38, S. 61 [85]. So aber Selmer, Steuerinterventionismus, S. 258 ff., insb. S. 261; Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 218. 128 Selmer, Steuerinterventionismus, S. 258; Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 218. 129 BVerfGE 11, S. 30 [42 f.]. 130 Insoweit hat sich das BVerfG der Kritik, in: der Literatur an einer zu schematischen Prüfung angepasst und verwendet die Stufentheorie nur als Richtschnur innerhalb einer umfassenden Verhältnismäßigkeitsprüfung (BVerfGE, S. 82, S. 209 [228 ff.]; 86, S. 28 [38 f.]; Tettinger, in: Sachs, GG, Art 12 Rn. 114 ff., 123). 127
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4. Teil: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit
möglich wäre, sondern bezweckt vielmehr nur eine Änderung der Berufsausübung von konventionellen Landwirten. Eine objektive oder subjektive Berufswahlschranke scheidet bei einer moderaten Belastung von 30 €/ha aus. Trotzdem müsste auch die Beeinträchtigung der Berufsausübung zum Schutz der Umwelt geeignet, erforderlich und angemessen sein. Die steuerliche Differenz weist den konventionellen Landwirten zumindest teilweise die externen Umweltkosten zu. Die Steuerbelastung verschiebt weiter die Renditeunterschiede zwischen ökologischer und konventioneller Landwirtschaft zugunsten des Ökolandbaus. Auch wenn die Umstellung von vielen anderen Faktoren abhängt und wahrscheinlich weniger als 5 Prozent der Landwirte aufgrund der Steuerunterschiede umstellen werden, so ist der Änderungsvorschlag insgesamt nicht ungeeignet, für die Umwelt Verbesserungen zu erreichen. Hinsichtlich der Erforderlichkeit ist grundsätzlich festzuhalten, dass jede Maßnahme, die den ökologischen Landbau stärken will, notwendigerweise an der Bewirtschaftungsweise und an der Berufsausübung ansetzen muss. Ein Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit lässt sich nicht vermeiden. Da die Grundsteuer nur die Berufsausübung beeinträchtigt, käme hinsichtlich der Erforderlichkeit als milderes Mittel allenfalls eine mildere Berufsausübungsregel in Betracht, die gleich geeignet sein müsste und die Allgemeinheit oder Dritte nicht stärker belasten dürfte. Ordnungsrechtliche Ver- und Gebote scheiden generell aus, da sie aufgrund ihrer verbindlichen Wirkung kein milderes Mittel gegen131 über den nur ökonomisch lenkenden Umweltsteuern sind. Reine informelle Maßnahmen (wie Aufklärung, Werbekampagnen) sind hingegen nicht gleich effektiv, da sie den erheblichen Preisunterschied unberührt lassen. Eine staatliche Subvention könnte zwar vergleichbares leisten, führt aber zu einer finanziellen Belastung des Staatshaushaltes und der Allgemeinheit. Im Übrigen würde eine Subvention auch dem Verursacherprinzip widersprechen. Somit könnten allein andere Grundsteuerausgestaltungen oder andere Steuern gleich effektiv und trotzdem milder sein. Eine geringere Steuerdifferenz innerhalb der Grundsteuer zwischen ökologischen und konventionellen Landwirten scheidet wegen der damit verbundenen geringeren Lenkungsanreize aus. Ob die anderen in dieser Arbeit erörterten Vorschläge die Berufsausübung bei gleicher Effektivität weniger belasten, erscheint zweifelhaft. Zwar würde eine Dünge- und Pflanzenschutzmittelabgabe unmittelbar an ein umweltbeeinträchtigendes Verhalten anknüpfen und insofern gezielte Lenkungsanreize setzen. Da der ökologische Landbau sich aber nicht nur durch einen geringen Dünge- und Pflanzenschutzmitteleinsatz auszeichnet, sondern z. B. auch einen geringeren Viehbesatz oder ein Verwendungsverbot genetisch veränderter Pflanzen beinhaltet, ist eine Dünge- und Pflanzenschutzabgabe in ihrer Wirkung nicht vergleichbar. ___________ 131
Wie in § 12 A. III. 2. b) und c) festgestellt, ergänzen sich das Ordnungsrecht und Umweltsteuern vielmehr.
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Gleiches gilt für die Umsatzsteueränderung, da hier nicht Landwirte, sondern die Endverbraucher stärker belastet werden. Zwar mögen die mittelbaren Auswirkungen auf die Landwirte hierbei geringer ausfallen. Wegen der stärkeren Belastung der Endverbraucher ist eine Umsatzsteueränderung gleichwohl nicht milder. Im Ergebnis ist zu konstatieren, dass die Steuervorschläge aufgrund ihrer unterschiedlichen Anknüpfungspunkte bei der Erforderlichkeit in keinem Alternativverhältnis stehen. Handelt es sich bei der Grundsteuer um einen Eingriff in die Berufsausübung, so ist nach der Drei-Stufen-Lehre des Bundesverfassungsgerichts der Eingriff angemessen, wenn vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls die beeinträchtigten Interessen überwiegen. Die Differenzierung zwischen ökologischer und konventioneller Bewirtschaftung soll Landwirte zum Umstellen ihrer Bewirtschaftung anregen und dadurch die Landfläche vergrößern, die nach den Kriterien der EG-Ökolandbau-Verordnung genutzt wird. Der Schutz der Umweltmedien, der Flora und Fauna sowie der Menschen ist nach Art. 20a GG 132 und Art. 2 Abs. 2 GG eine wichtige Aufgabe des Staates. Eine Reduzierung 133 der von der Landwirtschaft ausgehenden Umweltbelastungen ist langfristig erforderlich. Selbst wenn nur ein paar Prozent der Landwirte umstellen, erfährt die ökologisch bewirtschaftete Fläche, die derzeit 4,3 Prozent beträgt, eine nicht unerhebliche Ausweitung, mit entsprechend positiven Folgen für die Umweltsituation auf den Flächen. Des Weiteren helfen die höheren Einnahmen von den Landwirten, die nicht ihre Bewirtschaftungsweise ändern, einen Teil der verursachten externen Umweltkosten zu refinanzieren, und entlasten somit 134 die Allgemeinheit. Legt man allein die geschätzten Kosten von 1 Mrd. € für die Beseitigung von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln bei der Trinkwas135 seraufbreitung auf die 355.934 konventionellen Landwirtschaftsbetriebe um, ergibt sich eine Kostenlast von 2.809 € je Landwirt. Der Grundsteuervorschlag belastet demgegenüber die konventionellen Landwirte mit 883 € zusätzlich und 136 entzöge 4,3 Prozent des durchschnittlichen Gewinns im Jahr 2003/4. Eine Grundsteuerdifferenzierung zwischen 5 €/ha für ökologische Flächen und 30 €/ha für konventionelle Flächen ist nicht unangemessen, sondern würde, wenn auch nur annäherungsweise, den Verursacherbeitrag der konventionellen Landwirtschaft widerspiegeln. Der Schutz der Umwelt und der menschlichen Gesundheit rechtfertigt insofern eine mit der Verteuerung einhergehende Benachteiligung der Berufsausübung. Die vorgeschlagene Grundsteuerdifferenzierung lässt sich mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbaren. ___________ 132
Siehe § 12 A. III. 2. d). Siehe § 1. 134 Siehe § 7 B. I. 2. 135 Bundesregierung, Agrarbericht 2005, Tz. 14, 56. 136 Siehe § 5 C. 133
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b) Änderung der Umsatzsteuer Die Änderung der Umsatzsteuer soll in Anbetracht der Vorgaben der 6. EGUmsatzsteuer-Richtlinie, konventionelle Erzeugnisse dem normalen Umsatzsteuersatz von 16 Prozent unterwerfen und den ermäßigten Steuersatz von 7 Prozent auf ökologische Produkte beschränken. Anders als die Grundsteuer knüpft die Umsatzsteuer nicht unmittelbar an die Berufsausübung oder die Berufswahl an. Als einheitliche Verbrauchsteuer auf alle Waren und Dienstleistungen fehlt es ihr grundsätzlich an einer berufsregelnden Tendenz, da die Steuer ohne Wettbewerbsverzerrungen an die Endverbraucher weitergereicht werden soll. Allerdings könnte der Änderungsvorschlag die berufsbezogene Neutralität durch den Änderungsvorschlag insofern aufhoben, als er mit der Anknüpfung an die EG-Ökolandbau-Verordnung ausdrücklich auf die Herstellungsweise von Waren Bezug nimmt. Zwar soll auch hier die Steuer auf den Endverbraucher übergewälzt werden. Die unterschiedlichen Steuersätze von ökologischen und konventionellen Agrarerzeugnissen beabsichtigen indes eine Verschiebung der Marktanteile, mithin eine Veränderung der Wettbewerbsbedingungen für die Landwirte. Der gezielten Beeinflussung des Umsatzes von Landwirten kommt berufsregelnde Tendenz zu, auch wenn die steuerliche Differenz mit 9 Prozent moderat ist, so dass der Änderungsvorschlag als rechtfertigungsbedürftiger Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit anzusehen ist, welche geeignet, erforderlich und angemessen sein 137 muss. Fraglich ist, ob sich der Änderungsvorschlag in Anbetracht der hohen Preisunterschiede zwischen konventionellen und ökologischen Erzeugnissen überhaupt eignet, eine Umweltverbesserung zu bewirken. Der Anteil ökologischer 138 Betriebe liegt derzeit bei 3,9 Prozent. Infolge der geringeren Erträge und höheren Arbeitskosten kann die ökologische Landwirtschaft nicht mit den Preisen für konventionelle Agrarerzeugnisse konkurrieren, weshalb ihr Anteil bisher nur marginal blieb. Die Erhöhung der Umsatzsteuer um 9 Prozent für konventionelle Landwirte müsste das Ziel, dem Ökolandbau einen höheren Marktanteil zu ermöglichen, zumindest fördern. Da lebensnotwendige Agrarerzeugnisse nicht verzichtbar sind, ist zweifelhaft, ob ökologische Erzeugnisse eine Substitutionsalternative darstellen. Eine Steuerdifferenz von 9 Prozent gleicht auf jeden Fall nicht die Preisdifferenz von bis zu hundert Prozent zwischen ökologischen und konventionellen Agrarerzeugnissen aus. Ökologische Lebensmittel werden in aller Regel teurere Alternativen bleiben. Insoweit ist zu befürchten, dass es kaum zu einer Änderung des Kaufverhaltens und damit zu einer Verschiebung der Marktanteile kommen wird. Andererseits konnte der Ökoland___________ 137 138
Vgl. BVerfG NJW 2004, S. 846. Bundesregierung, Agrarbericht 2005, Tz. 56.
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bau seinen Anteil trotz der höheren Preise kontinuierlich steigern, da immer mehr Menschen auf Qualität und umweltschonende Herstellung achten. Eine Reduzierung der Preisdifferenz würde diese Tendenz fördern und ökologische Agrarerzeugnisse für einen größeren Kreis umweltbewusster Bürger als Alternative interessanter machen. Auch wenn der große Umschwung bei den Endverbrauchern nicht durch die Änderung der Umsatzsteuer eintreten wird, erscheint es nicht unsachgerecht oder unvernünftig, von einer gewissen Verschiebung der Marktanteile auszugehen, weshalb der Änderungsvorschlag durchaus geeignet ist, den Umweltschutz zu fördern. Wie bei der Grundsteueränderung festgestellt, muss jede Maßnahme, die den ökologischen Landbau stärken will, notwendigerweise auf die Bewirtschaftungsweise Bezug nehmen und damit die Berufsausübungsfreiheit beeinträchtigten. Festgestellt wurde auch, dass ordnungsrechtliche Ge- oder Verbote, Subventionen, informelle Maßnahmen aber auch die anderen Umweltsteuervorschläge keine milderen Mittel darstellen, die gleich geeignet sind und auch 139 die Allgemeinheit oder Dritte nicht stärker belasten. Somit könnten allein andere Umsatzsteuerausgestaltungen oder andere Steuern gleich effektiv und trotzdem milder sein. Einer Umsatzsteueränderung sind europarechtlich enge 140 Grenzen gesetzt , die eine Steuerbefreiung oder einen ermäßigten Steuersatz von weniger als 5 Prozent für ökologische Erzeugnisse untersagen. Damit verbleibt als effektive Möglichkeit einzig, den Steuersatz für konventionelle Erzeugnisse anzuheben. Zwar könnte man konventionelle Erzeugnisse statt mit 16 Prozent mit einem niedrigeren Steuersatz belasten, allerdings würde diese Maßnahme weniger effektiv sein und könnte im Übrigen gegen die europarechtliche Grenze von zwei ermäßigten Sätzen verstoßen. Die steuerliche Benachteiligung konventioneller Agrarerzeugnisse zugunsten des Umweltschutzes müsste den Landwirten zumutbar sein. Dem Umweltschutz kommt aufgrund Art. 20a GG ein großes Gewicht innerhalb der Ge141 meinwohlziele zu. Weiterhin wird die Erhöhung der Umsatzsteuer für konventionelle Agrarerzeugnisse wegen der bestehenden Preisvorteile nicht übermäßig den Marktanteil der konventionellen Landwirtschaft schmälern. Eine Besteuerung mit dem Normalsatz steigert zwar die Steuerlast um 9 Prozent. Sie geht aber nicht über die Steuerbelastung hinaus, die auf anderen gleichfalls lebensnotwendigen Güter (wie z. B. Kleidung) lastet. Entscheidend für die Frage der Angemessenheit ist daher, ob der bezweckte Umweltschutz die Gründe für die bisherige Ermäßigung überwiegt. Eingeführt wurde die Ermäßigung 1933
___________ 139
Siehe § 12 B. I. 2. a). Siehe § 10 A. I. 141 Siehe § 12 A. III. 2. d). 140
4. Teil: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit
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142
zur Sicherung von Arbeitsplätzen in der Landwirtschaft. Mit dem trotzdem 143 eingetretenen Bedeutungsschwund für den Arbeitsmarkt hat sich die Rechtfertigung auf die soziale Funktion für die Verbraucher verlagert und damit von Art. 12 GG entfernt. Geht man weiter davon aus, dass der in der Regel lebensnotwendige Verbrauch von Nahrungsmitteln in der Gesamtheit eine eher konstante Größe ist und eine Selbstversorgung vom ganz überwiegenden Teil der Bevölkerung nicht mehr betrieben wird, verliert ein niedriger Umsatzsteuersatz für die Landwirtschaft weiter an Bedeutung. Schließlich muss bei der Abwägung auch beachtet werden, dass die Landwirtschaft sich nicht nur positiv auf das Gemeinwohl auswirkt (Arbeitsplätze, Versorgung mit Nahrungsmitteln), sondern immer stärker das Gemeinwohl, vor allem die Umwelt, beeinträch144 tigt. Insoweit überwiegt der angestrebte Schutz der Umwelt eine Beeinträchtigung der Berufsausübung für konventionelle Landwirte, so dass sich eine entsprechende Änderung der Umsatzsteuer mit der Berufsausübungsfreiheit vereinbaren lässt. c) Steuern auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel Die vorgeschlagenen Steuern auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel verteuern den Gebrauch bestimmter landwirtschaftlicher Betriebsmittel, um zum einen Einnahmen für den Finanzhaushalt aber auch einen Ausgleich für die externen Kosten des Einsatzes dieser Mittel zu erzielen und zum anderen den Verbrauch der Mittel zu verringern. Steuern, die den Verkauf und Einsatz landwirtschaftlicher Betriebsmittel drosseln wollen, kommt eine „berufsregelnde Tendenz“ bezüglich der Berufsfreiheit der Hersteller und Händler wie auch der Landwirte zu. Die „berufsregelnde Tendenz“ entfällt für Landwirte nicht, wenn die Steuern vorgelagert bei den Herstellern oder Händlern erhoben werden, da diese Anknüpfung nur erhebungstechnische Gründe hat und eine Überwälzung auf die Landwirte Ziel der Steuern ist. Zwar liegt in diesem Fall kein rechtlich verpflichtender Eingriff im Sinne des „klassischen“ Eingriffsbegriffs wie bei den Herstellern und Händlern vor, eine grundrechtsrelevante, faktische Beeinträchtigung der Berufsausübungsfreiheit ist trotzdem zu konsta145 tieren, die der Rechtfertigung bedarf. ___________ 142
Rn. 1. 143
RGBl. 1933 I, S. 651; RGBl. 1934, S. 942; Schöll, in: Sölch/Ringleb, UStG, § 24
Im Jahr 2004 arbeiteten noch 1,27 Mio. Erwerbstätige in der Landwirtschaft (Bundesregierung, Agrarbericht 2005, Tz. 17). 144 Siehe § 1. 145 Insoweit macht es sich das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zur Ökosteuer (BVerfG NJW 2004, S. 846 f.) zu einfach, wenn eine Preiserhöhung eindeutig auf staatliches Handeln zurückzuführen ist.
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Wie schon allgemein festgehalten, sind Umweltsteuern weniger geeignet im konkreten Einzelfall zielsicher eine Veränderung hervorzurufen, als vielmehr in der Gesamtheit eine prozentuale Verbesserung zu erreichen. Wissenschaftliche Prognosen und Erfahrungen in anderen Ländern zeigen, dass eine hundertprozentige Steuer auf Düngemittel den Verbrauch um 30 Prozent und eine fünfzigprozentige Steuer auf Pflanzenschutzmittel deren Einsatz um 17,5 Pro146 zent reduzieren kann. Ein entsprechend geringerer Einsatz der Mittel senkt die Nährstoffüberschüsse der Böden und den Eintrag von Pflanzenschutzmitteln zugunsten von Mensch und Umwelt. Die Effektivität einer Steuer auf Pflanzenschutzmittel lässt sich steigern, wenn man die Mittel nach ihrer Gefährlichkeit differenziert und so vor allem den Verbrauch riskanter Wirkstoffe verringert. Hinsichtlich der Erforderlichkeit gilt wie bei der Grundsteuer, dass ordnungsrechtliche Verbote, informelles Handeln oder staatliche Subventionen gegenüber Umweltsteuern keine milderen, gleich geeigneten Mittel darstellen, 147 welche die Allgemeinheit oder Dritte nicht stärker belasten. Wie bei der Grund- und Umsatzsteuer scheiden auch die anderen Steuervorschläge zur Ökologisierung der Landwirtschaft als Alternative aus, da diese aufgrund der unterschiedlichen Anknüpfungspunkte keine vergleichbaren, milderen Maßnahmen sind. Will man den Mitteleinsatz bei allen Betrieben verringern, ist eine unmittelbare Belastung des umweltbeeinträchtigenden Verhaltens die geeignetste Maßnahme. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind Eingriffe in die Berufsausübung durch vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls zu recht148 fertigen. Die Vorschläge greifen in die Berufsausübungsfreiheit nur soweit ein, als der Umsatz für Hersteller und Händler von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln zurückgeht und die Landwirte finanziell genötigt sind, die Mittel sparsamer einzusetzen und Ertragseinbußen hinzunehmen oder höhere Produktionskosten zu akzeptieren. Andererseits können sie erhebliche Vorteile für die Umwelt bringen. Eine Reduzierung des Dünge- und Pflanzenschutzmitteleinsatzes um 30 bzw. 17,5 Prozent bedeutet für die Umwelt eine erhebliche Entlastung. Ein geringerer Pflanzenschutzmitteleinsatz führt auch zu einer geringeren Belastung der Agrarerzeugnisse. Sowohl der Gesundheitsschutz (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) als auch der Umweltschutz (Art. 20a GG) sind überragend wichtige Gemeinschaftsgüter, die nach der Drei-Stufen-Lehre sogar eine objektive Berufswahlbeschränkung rechtfertigen könnten. Es ist des Weiteren zweckmäßig, Dünge- und Pflanzenschutzmittel zu besteuern, da die Lenkungsmaßnahmen an der Ursache für die Gesundheits- und Umweltbelastung ___________ 146
Siehe § 7 B. I. 1. und § 7 B. II. 3. Vgl. § 12 B. I. 2. a). 148 Siehe § 12 B. I. 147
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4. Teil: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit
ansetzen. Wenn Steuern auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel nicht generell den Verkauf der Mittel und den landwirtschaftlichen Einsatz unmöglich machen, d. h. „erdrosselnde“ Wirkungen aufweisen, sind sie als verhältnismäßige Beschränkungen der Berufsausübung anzusehen.
II. Eigentumsgarantie – Art. 14 Abs. 1 GG 1. Allgemeine Anforderungen an Umweltsteuern Der Schutz der Eigentumsgarantie in Art. 14 GG könnte bei Umweltsteuern in zweifacher Hinsicht betroffen sein. Zum einen entzieht die Geldleistungspflicht (Belastungswirkung) dem Steueradressaten einen Vermögenswert, der von Art. 14 GG geschützt sein könnte. Zum anderen kann die Gestaltungswirkung die Ausübung des Eigentumsrechts beschränken, wenn eine Steuer bestimmte Verwendungsformen finanziell belastet. Art. 14 Abs. 1 GG schützt alle 149 privatrechtlichen, vermögenswerten Rechte. Vom Schutzumfang erfasst ist der Bestand und die private Nutzung des Eigentums, mit diesem tun und lassen zu können, wie es einem beliebt. Nach zutreffender herrschender Ansicht 150 schützt Art. 14 Abs. 1 GG jedoch nicht den Eigentumserwerb. Ein Schutz der Erwerbsaussicht würde vom grundrechtlichen Bezug auf eine konkrete Eigentümerposition abweichen. Eine Besteuerung des Erwerbs, z. B. mittelbar 151 durch Verbrauchssteuern, greift in kein Schutzgut von Art. 14 GG ein. Fraglich ist weiterhin, ob neben den Einzelrechten ein allgemeines Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb existiert, dessen Schutz über die ein152 zelnen Eigentümerpositionen hinausgeht. Anerkannt ist indes, dass Chancen 153 und allgemeine Gegebenheiten nicht geschützt sind. Eine Änderung der Rechtslage, die den Wirtschaftsteilnehmer nur Chancen nimmt, ist eine für 154 Art. 14 Abs. 1 GG grundsätzlich unbeachtliche soziale Neuordnung. Art. 14 Abs. 1 GG sieht einen einfachen Gesetzesvorbehalt vor, der den Gesetzgeber neben der Beschränkung auch zur Inhaltsbestimmung ermächtigt, mit der Fol___________ 149
Vgl. Pieroth/Schlink, Staatsrecht II, Rn. 903. Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 14 Rn. 221 f.; Wendt, in: Sachs, GG, Art. 14 Rn. 43; Wieland, in: Dreier, GG, Art. 14 Rn. 151. 151 Jarass, Nichtsteuerliche Abgaben und lenkende Steuern, S. 83. 152 Positiv die h. M. z. B. BVerwGE 62, S. 224 [226]; Wendt, in: Sachs, GG, Art. 14 Rn. 26, vgl. Pieroth/Schlink, Staatsrecht II, Rn. 905. Skeptisch dagegen BVerfGE 45, S. 142 [173]; 51, S. 193 [221 f.]. 153 BVerfGE 45, S. 142 [173]; 51, S. 193 [221 f.]; Jarass, Nichtsteuerliche Abgaben und lenkende Steuern, S. 84; Wendt, in: Sachs, GG, Art. 14 Rn. 47; Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 14 Rn. 100. 154 BVerfGE 45, S. 142 [173]. 150
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ge, dass er Eigentümerpositionen und Nutzungsmöglichkeiten dem Schutzbe155 reich entziehen kann. Eingriffe in Schutzgüter unterliegen dem Gebot der Verhältnismäßigkeit und bedürfen der Rechtfertigung durch ein überwiegendes 156 Gemeinwohlinteresse. Art. 14 Abs. 2 GG hebt hierbei die Bedeutung des Eigentums für die Allgemeinheit besonders hervor. Die Sozialpflichtigkeit schränkt den Grundrechtsschutz zugunsten des Gemeinwohls ein, zu dem auch 157 der in Art. 20a GG gebotene Umweltschutz gehört. Für die zu überprüfenden Steuervorschläge können die geschützten Rechte am Grundeigentum oder am sonstigen Sacheigentum, am Eigentum an Bargeld und Geldforderungen auf unterschiedliche Weise durch die Belastungs- oder die Gestaltungswirkungen 158 betroffen sein.
a) Belastungswirkung Ob die Auferlegung von Geldzahlungspflichten die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG berührt, ist bis heute nicht abschließend dogmatisch geklärt. Da der Schwerpunkt der Untersuchung bei den Lenkungswirkungen liegt, sei an dieser Stelle nur ein kurzer Überblick erlaubt. Die ablehnende Sichtweise geht maßgeblich auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zurück, wonach die Geldzahlungspflicht keinen gegenständlich bestimmten Geldbetrag entzieht, sondern aus dem Gesamtver159 mögen des Schuldners zu erfüllen sei. Da Art. 14 Abs. 1 GG indes nicht das Vermögen als solchen, sondern nur konkrete Rechtspositionen schütze, greife die Geldzahlungspflicht grundsätzlich nicht in die Eigentumsgarantie ein. Etwas anderes soll nur gelten, wenn die Geldleistungspflichten den Betroffenen übermäßig belasten und seine Vermögensverhältnisse so grundlegend beein___________ 155
Wendt, in: Sachs, GG, Art. 14 Rn. 54 ff. Die erstmalige Inhaltsbestimmung, welche den Eigentumsbegriff einschränkt, ist jedoch ein Eingriff in Art. 14 Abs. 1 GG. 156 BVerfGE 52, S. 1 [29 f., 32]; Wendt, in: Sachs, GG, Art. 14 Rn. 70. 157 Meßerschmidt, Umweltabgaben, S. 138. 158 Wendt, in: Sachs, GG, Art. 14 Rn. 24; v. Arnim, VVDStRL 39, S. 287 [300 f.]. 159 BVerfGE 4, S. 7 [17]; 14, S. 221 [241]; 75, S. 108 [154]; 78, S. 232 [243]; 89, S. 48 [61]; 91, S. 207 [220]; 95, S. 267 [300]; 96, S. 375 [397]. Eine frühe Analyse z. B. schon bei Friauf DÖV 1980, S. 480 [484 ff.]. Dem BVerfG folgend Jarass, Nichtsteuerliche Abgaben und lenkende Steuern, S. 83 f. Selmer, Steuerinterventionismus, S. 302 ff., 336 ff. der nur in der objektiven Wertentscheidung (Institutsgarantie, Privatnützigkeit) eine abgabenrechtliche Begrenzungswirkung erblickt (S. 313 ff.); Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 180 ff., 203 ff. der den reinen Geldentzug als Eingriff in konkrete Eigentümerpositionen ablehnt, m. w. N. Einzig bei „erdrosselnden“ Steuern, die den Vermögensbestand übermäßig belasten, sollte ausnahmsweise ein Verstoß gegen Art. 14 GG vorliegen (BVerfGE 14, S. 221 [241]; 63, S. 343 [368]; 82, S. 159 [190]).
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trächtigen, dass sie eine erdrosselnde Wirkung haben. In seinem Vermögensteuerbeschluss hat der 2. Senat des Bundesverfassungsgerichts eine Änderung der ständigen Rechtsprechung propagiert, wonach die Vermögensteuer „in die in der Verfügungsgewalt und Nutzungsbefugnis über ein Vermögen angelegte allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) gerade in deren Ausprägung als persönliche Entfaltung im vermögensrechtlichen Bereich (Art. 14 GG)“ ein161 greift. Er ging damit nicht soweit, dass Art. 14 GG das Vermögen an sich 162 schütze, wie es einige Literaturstimmen befürworten , sah in dem Vermögensteuergesetz gleichwohl einen Eingriff in die Eigentumsgarantie. Damit folgte der 2. Senat Bestrebungen in der Literatur, den Eigentumsschutz auch gegen163 über Steuern zu gewähren. Neben der Begründung, dass Steuern die Verfügungsbefugnis des Eigentümers beschränken, wird in der Literatur auch vertreten, dass die Geldzahlungspflicht nicht nur allgemein in das Vermögen, son164 dern auch in eine konkrete Eigentümerposition eingreift. Allerdings wendet man hiergegen ein, dass die Geldzahlungspflicht eine Geldsummenverpflichtung ist, die gerade nicht die Übertragung von bestimmtem Bargeld oder Geld165 forderungen einfordert. Der Diskussion, ob Steuern grundsätzlich in Art. 14 Abs. 1 GG eingreifen und insofern rechtfertigungsbedürftig sind, kommt mit dem vom 2. Senat im Vermögensteuerbeschluss postuliertem Halbteilungsgrundsatz erhebliche Bedeutung zu. Bisher ging man davon aus, dass Steuern, wenn sie denn in Art. 14 Abs. 1 GG eingreifen, auf jeden Fall durch den allgemeinen Finanzierungszweck gerechtfertigt seien, solange sie keine erdrosselnde Wirkung aufweisen. Nunmehr stellte das Bundesverfassungsgericht mit dem Halbteilungsgrundsatz die Grenze auf, dass „... die steuerliche Gesamtbelastung des Sollertrages bei typisierender Betrachtung von Einnahmen, abziehbaren Aufwendungen und sonstigen Entlastungen in der Nähe einer hälftigen Teilung zwischen privater 166 und öffentlicher Hand verbleibt ...“. Der Grundsatz hat vielfältige Kritik und Zustimmung erfahren. Sie wendet sich zum Teil gegen die Anwendung von Art. 14 GG bei Steuern im Allgemeinen, wie gegen den Halbteilungsgrundsatz ___________ 160
Z. B. BVerfGE 78, S. 232 [243]; 95, S. 267 [300]. BVerfGE 87, S. 153 [169]; 93, S. 121 [137]. Der Wandel ist maßgeblich durch die Berufung von P. Kirchhof zum Bundesverfassungsrichter beeinflusst worden. 162 Kimminich, in: Dolzer, BK zum GG, Art. 14 Rn. 61. 163 Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 14 Rn. 172; Wendt, in: Sachs, GG, Art. 14 Rn. 38; Rodi, Rechtfertigung von Steuern, S. 87, 93 f.; P. Kirchhof, VVDStRL 39 (1981), S. 213 [233 ff., 238]; ders., Handbuch des Staatsrechts, § 88 Rn. 90, 99. 164 Seer, FR 1999, S. 1280 [1283]; Friauf, DÖV 1980, S. 480 [488]; Roth, öffentliche Abgaben, S. 53; Klein, StuW 1966, S. 432 [475]. 165 Rodi, Rechtfertigung von Steuern, S. 87; Selmer, Steuerinterventionismus, S. 303 f.; Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 181. 166 BVerfGE 93, S. 121 [138]. 161
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im Speziellen. So hat sich der 1. Senat des Bundesverfassungsgerichts in nachfolgenden Urteilen nicht der Sichtweise des 2. Senats im Vermögensteuerbeschluss angeschlossen, sondern an seiner bisherigen Rechtsprechung festgehalten, wonach Steuern grundsätzlich nicht in die Eigentumsgarantie eingreifen, infolgedessen auch keine Begrenzung auf die Hälfte der Gesamtsteuerlast be167 gründbar sei. Ablehnend verhielt sich auch der Bundesfinanzhof, welcher eine Bindungswirkung des Vermögensteuerbeschlusses im Hinblick auf den Halbteilungsgrundsatz nach §§ 31 Abs. 1 und 2 BVerfGG verneinte, um gleichfalls an der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 168 festhalten zu können. Seiner Ansicht nach handelt es sich bei den Ausführungen des 2. Senats zum Halbteilungsgrundsatz um ein bloßes „obiter dicta“, da der Vermögensteuerbeschluss den Grundsatz weder im Tenor aufnahm, noch die Entscheidung über die Vermögensteuer auf dem Grundsatz beruhte, vielmehr habe sich das Bundesverfassungsgericht nur nebenbei hierzu geäu169 ßert. Eine Bindung erwachse den Sachgerichten aber nach § 31 Abs. 1 BVerfGG nur aus den die Entscheidung tragenden Gründen. Unabhängig von der Frage, ob die Sachgerichte an den Halbteilungsgrundsatz gebunden sind, stellt sich für die Verfassungsmäßigkeit der Vorschläge gleichwohl die Frage, ob Steuern in Art. 14 GG eingreifen und deshalb eine bestimmte Obergrenze der Gesamtbelastung nicht überschreiten dürfen. Bei der Frage der Eingriffsqualität von Steuern überzeugt trotz der Kritik der Ansatz, wonach Steuern nicht nur das Vermögen schmälern, sondern eine 170 konkrete Eigentümerposition entziehen. Wie die Kritiker selber hervorheben, besteht der Unterschied zwischen der steuerlichen Geldzahlungspflicht und dem ihrer Ansicht nach eigentumsrelevanten Entzug von Bargeld und Geldforderungen in dem verbliebenen Recht des Steuerschuldners, die konkrete Vermögensposition auswählen zu dürfen. Allein wegen dieser Auswahlmöglichkeit einen Eingriff in eine konkrete Eigentümerposition abzulehnen, beruht jedoch auf der engen, allein auf die staatliche Maßnahme gerichteten Sichtweise 171 des „klassischen“ Eingriffsbegriffs. Während man auf den Befehl schaut, übersieht man die tatsächliche Beeinträchtigung. Rein faktisch muss der Steuerschuldner, wie bei der zivilrechtlichen Gattungsschuld mit anschließendem Verfügungsgeschäft, eine konkrete Eigentümerposition aufgeben (Bargeld oder Geldforderungen) und an den Staat übertragen. Bei der Aufgabe kann er zwar über das „Wie“ nicht aber über das „Ob“ der Konkretisierung entscheiden. Die ___________ 167
BVerfGE 95, S. 267 [300]. BFH FR 1999, S. 1303 [1305]; BFHE 192, S. 513 [514]. 169 BFH FR 1999, S. 1303 [1304 f.]; Lang, NJW 2000, S. 457 f. 170 v. Arnim VVDStRL 39 (1981), S. 287 [301 f., Fn. 61]; Rodi, Rechtfertigung von Steuern, S. 93. 171 Zur diesbezüglichen Kritik siehe § 12 A. I. 168
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steuerliche Zahlungspflicht entzieht im Ergebnis immer eine konkrete Vermögensposition, auch wenn sie diese aufgrund der Gleichartigkeit von Geldpositi172 onen nicht genau bezeichnet. Die Anerkennung eines Eingriffs in die Eigentumsgarantie durch die steuerliche Zahlungspflicht bedeutet gleichwohl nicht, dass Art. 14 Abs. 1 GG das Vermögen als solches schützt. Denn der Begriff Vermögen umfasst nicht nur die Anzahl der Vermögenspositionen, sondern auch den Wert der Vermögenspositionen (z. B. Wert des Grundstücks am Tag X). Auch Geld (Bargeld oder Geldforderungen) ist eine konkrete Vermögensposition mit einem abgeleiteten Vermögenswert (Kaufkraft). Die steuerlichen Geldzahlungspflichten entziehen die Rechtsposition und nicht die Kaufkraft des Geldes. Letzteres wäre z. B. bei einer Abwertung der Währung bzw. einer 173 Inflation der Fall. Eine Abwertung der Kaufkraft ist nicht mehr vom Schutz konkreter Eigentümerpositionen umfasst, sondern unterliegt dem allgemeinen Schutz des Vermögens, den Art. 14 Abs. 1 GG nicht gewährleistet. Hingegen stellt der Entzug einer Vermögensposition, wie sie durch die Belastungswirkung von Steuern erfolgt, einen Eingriff in die Eigentumsgarantie dar, den die Wahlfreiheit bezüglich des konkreten Eigentumsgegenstandes nicht wieder 174 aufhebt. Greifen Steuern in Art. 14 GG ein, bedürfen sie einer Rechtfertigung, weshalb entgegen der Ansicht des Bundesfinanzhofes die Frage nach der Geltung eines Halbteilungsgrundsatzes zu stellen ist. Der 2. Senat hat den Grundsatz zwar bei der Vermögensteuer entwickelt, er lässt sich aber als Konkretisierung 175 des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes verallgemeinern. Bei der Diskussion um den Halbteilungsgrundsatz zeichnen sich folgende Problemkreise ab: Lässt sich aus Art. 14 GG eine fünfzig Prozent Grenze herauslesen? Erstreckt sich die zu Grunde zu legende Gesamtbelastung auf alle Steuern und Abgaben? Ist der Grundsatz als subjektives Abwehrrecht überhaupt praktikabel? Ein Eingehen auf die noch sehr im Fluss befindliche Diskussion ist im Rahmen dieser Arbeit nur eingeschränkt möglich. ___________ 172
Ebenso Seer, FR 1999, S. 1280 [1283]; Friauf, DÖV 1980, S. 480 [488]. Vergleicht man die Geldzahlungspflicht mit der Beeinträchtigung von Grundeigentum, so entspricht die Zahlungspflicht der Pflicht, ein Stück des Grundstückes zum Wegebau abzugeben, nicht aber der bloßen Wertminderung, die infolge einer planungsrechtlichen Qualifizierung als landwirtschaftliche Nutzfläche statt als Baugrundstück eintritt. 174 Seer, FR 1999, S. 1280 [1283]; Depenheuer, in: Mangoldt/Klein/Starck, Art. 14 GG Rn. 173. 175 Entwickelt von P. Kirchhof, VVDStRL 39 (1981), S. 213 [238 ff.]; zustimmend z. B. Vogel, NJW 1996, S. 1257 [1258]; Butzer, Freiheitsrechtliche Grenzen, S. 135 ff.; Lang, NJW 2000, S. 457 [459]; Seer, FR 1999, S. 1280 [1282 ff.]; mit Einschränkung Tipke, Steuerrechtsordnung, S. 457; Arndt/Schumacher, NJW 1995, S. 2603 [2604]; Rose, DB 1995, S. 2387 ff. 173
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Die fünfzig Prozent Grenze leitete das Gericht aus Art. 14 Abs. 2 GG ab, wonach der Gebrauch der Eigentümerpositionen „zugleich“ dem privaten Nutzen und dem Wohl der Allgemeinheit dienen soll. Eine solche Wortlautin176 terpretation ist sehr zielorientiert. Gleichwohl kommt dem Wort „zugleich“ in Art. 14 Abs. 2 GG durchaus eine inhaltliche Bedeutung zu, besagt es doch, dass die Eigentumsgarantie durch die Sozialpflichtigkeit zwar beschränkt, aber 177 nicht verdrängt werden kann. Das Wort „zugleich“ begrenzt die Sozialpflichtigkeit. Begründen lässt sich die Einschränkung der Sozialpflichtigkeit damit, dass dem Steuerpflichtigen ein Kernbestand des Erfolges eigener Betätigung im wirtschaftlichen Bereich als Ausdruck der grundsätzlichen Privatnützigkeit des Erworbenen und der grundsätzlichen Verfügungsbefugnis über die 178 geschaffenen vermögenswerten Rechtspositionen erhalten bleiben muss. Entzieht das Steuersystem dem Steuerpflichtigen mehr als fünfzig Prozent seiner Einkünfte, beansprucht der Staat den überwiegenden Teil seiner Arbeitsleistung. Damit läuft das Steuersystem aber dem freiheitsschützenden Charakter von Art. 14 GG und der Subsidiarität staatlichen Handelns zuwider. Zwar dient die staatliche Aufgabenerfüllung, die durch Steuern finanziert wird, auch dem Schutz und der Ausübung der Freiheit des Einzelnen, hier vor allem der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit. Sie kehrt sich aber ins Gegenteil um, wenn die staatliche Aufgabenerfüllung dem Bürger erst den überwiegenden 179 Teil seiner Freiheit entzieht. Im Steuerrecht kann, wie z. B. im Polizeirecht, eine staatliche Maßnahme, die dem Schutz der Freiheit des Einzelnen dient, bei übermäßiger Anwendung eine Freiheitsbeschränkung werden. Insofern macht eine Begrenzung der Gesamtsteuerlast auf maximal die Hälfte der Einnahmen durchaus Sinn, schlägt doch ab dieser Grenze die Freiheitsgewährung in eine überwiegende Freiheitsbeschränkung um. Versteht man Art. 14 GG als Schutz der Erfolge wirtschaftlicher Betätigungsfreiheit, so muss die rechtfertigungsbedürftige Gesamtsteuerbelastung alle auf den Bürger lastenden Abgaben erfassen, denen keine individualisierbare Gegenleistung des Staates gegenübersteht. Gebühren, Beiträge und auch die Sozialabgaben zugunsten der Renten- und Krankenversicherung bleiben außer Betracht. Einzubeziehen sind indes alle Steuern und Sonderabgaben die direkt auf dem Einkommen lasten, wie auch die indirekten und sonstigen Steuern und Sonderabgaben, welche die Einkommensverwendung und das Vermögen be___________ 176
Kritisch zu dieser Interpretation des „zugleich“ Tipke, MDR 1995, S. 1177 [1179]; ders., Steuerrechtsordnung, S. 452 ff.; Sondervotum von Böckenförde, in: BVerfGE 93, S. 149 [157]; Bull, NJW 1996, S. 281 [283 f.]; Eschenbach, DStZ 1997, S. 413 [414]; Arndt/Schumacher, NJW 1995, S. 2603 [2604]. 177 Butzer, Freiheitsrechtliche Grenze, S. 76; Seer, FR 1999, S. 1280 [1285 f.]. 178 BVerfGE 93, S. 121 [137]. 179 Jachmann, StuW 1996, S. 97 [103 f.]; Butzer, Freiheitsrechtliche Grenzen, S. 77 ff.; Seer, FR 1999, S. 1280 [1284 ff.].
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steuern. Denn auch letztere entziehen dem Steuerpflichtigen ein Teil seiner aufgrund wirtschaftlicher Betätigungsfreiheit erlangten Eigentümerpositionen. Sind in die Gesamtbelastung alle Steuern und Sonderabgaben einzubeziehen, ist zweifelhaft, ob sich die Gesamtsteuerlast im konkreten Einzelfall bei 181 dem sich auf Art. 14 GG berufenden Bürger praktikabel ermitteln lässt. Die Gesamtsteuerbelastung lässt sich nicht pauschal annehmen, da die steuerliche Gesamtbelastung nicht bei allen Bürgern im gleichen Verhältnis zum Einkommen und Vermögen steht, weil jeder Bürger unterschiedliche Steuertatbestände verwirklicht, Einkommen erzielt und Vermögen besitzt. Zwar macht das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss Ausführungen, dass dem Gesamtbelastung der Sollertrag, welcher den typischerweise zu erwartenden Ertrag unter Berücksichtigung von Einnahmen, abziehbaren Aufwendungen und sonstigen Entlastungen, zu Grunde zu legen ist. Gleichwohl hat der Beschluss insofern viele Frage offen gelassen, weshalb in der Literatur die Gesamtbelastung unterschiedlich bestimmt wird, wobei man zum Teil anzweifelt, ob der Sollertrag gegenüber dem Ist-Ertrag bei allen Einkommensarten angebracht ist oder 182 nur bei Vermögenserträgen. Des Weiteren hängt die Ermittlung der Gesamtbelastung von einer festzulegenden Zeitspanne ab, da Steuern und Einkommen fortlaufende Größen sind, man zum Vergleich aber einer festen Summe der Belastungen durch die Einzelsteuern und des erzielten Einkommens bedarf. Schließlich wird es im Hinblick auf die indirekten Steuern schwierig sein, alle 183 verwirklichten Steuertatbestände zu ermitteln. In Anbetracht der Ermittlungsprobleme im Einzelfall ist der Halbteilungsgrundsatz, wie das Bundesverfassungsgericht vielleicht mit dem Hinweis auf die Typisierung andeutet, nur als abstrakte volkswirtschaftliche Grenze zu verstehen, die wie bei einem 184 Staatsziel den Gesetzgeber nur objektiv verpflichtet und ihm dabei die Konkretisierung überlässt, aber keinen subjektiven Abwehranspruch des Einzelnen ___________ 180
Butzer, Freiheitsrechtliche Grenzen, S. 88 ff. Lang, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 4 Rn. 223; ders., NJW 2000, S. 457 [460]; Arndt/Schumacher, NJW 1995, S. 2603 [2605]. Differenzieren zwischen vermeidbarer und unvermeidbarer Vermögensverwendung will dagegen Seer, FR 1999, S. 1280 [1288]. Allerdings ist fraglich, ob in der freiwilligen Vermögensverwendung bei vermeidbaren Ausgaben, der umsatzsteuerbelastete Endverbraucher auch die Umsatz- oder Verbrauchsteuer freiwillig zahlt oder eher als notwendiges Übel in Kauf nimmt. Kritisch Eschenbach, DStZ 1997, S. 413 [416]. 181 Butzer, Freiheitsrechtliche Grenzen, S. 91 ff., 121 f.; Lang, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 4 Rn. 223; Eschenbach, DStZ 1997, S. 413 [416]; Arndt/Schumacher, NJW 1995, S. 2603 [2604 f.]; Tipke, Steuerrechtsordnung, 2.Aufl. S. 455 ff., der ein Ausführungsgesetz für nötig hält. 182 Vgl. z. B. Seer, FR 1999, S. 1280 [1288 ff.]; Rose, DB 1995, S. 2387 [2388 f.]. Die Fixierung des BVerfG auf den Sollertrag könnte dem Untersuchungsgegenstand Vermögensteuer geschuldet sein. 183 Seer will deshalb nur die notwendigen Vermögenswendungen pauschal erfassen. 184 Ähnlich dem Staatsziel des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts in Art. 109 Abs. 2 GG.
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begründet. Dem Gesetzgeber käme bei einem solchen Verständnis ein größerer Einschätzungsspielraum zu, infolge dessen die gerichtliche Überprüfung nur deutliche Verstöße gegen den Grundsatz rügen könnte. Für die hier zu überprüfenden Steuervorschläge folgt daraus, dass ihre Steuerlast allein nicht schon fünfzig Prozent der Einnahmen des durchschnittlichen Steuerpflichtigen übersteigen darf. Eine umfassende Ermittlung der Gesamtbelastung ist in dieser Arbeit nicht durchführbar, da sie eine umfangreiche Daten186 auswertung erfordern würde. Allenfalls grob kann eine mögliche Überschreitung der Halbteilungsgrenze beurteilt werden. b) Gestaltungswirkungen Umweltsteuern können in Art. 14 GG eingreifen, indem sie zur Erreichung bestimmter Lenkungszwecke an konkrete Eigentümerpositionen anknüpfen und das Innehaben sowie die Nutzung von Gegenständen mit der steuerlichen 187 Belastung erschweren (z. B. KFZ-Steuer). Diese Beeinträchtigung ist dem Staat regelmäßig zuzurechnen, weil er die Anknüpfung bewusst ausgewählt hat und die damit einhergehenden Wirkungen, wenn nicht beabsichtigt, so doch mit hoher Wahrscheinlichkeit prognostizierbar waren. Allerdings muss dabei die soziale Funktion der betroffenen Nutzung beachtet werden. Im Verhältnis zu den anderen Grundrechten tritt Art. 14 GG zurück, wenn die Nutzung allein der Verwirklichung anderer Freiheitsgrundrechte dient und die Eigentümerpo188 sition nur eine untergeordnete Rolle spielt. Im Ergebnis greifen Umweltsteuern mit ihrer Belastungswirkung wie jede Steuer in Art. 14 Abs. 1 GG ein. Steuern müssen nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts in der Gesamtbelastung die Substanz des Vermögens unberührt lassen und dürfen auch nicht mehr als die Hälfte der typischerweise zu erwartenden Einnahmen entziehen. Von den Lenkungswirkungen gehen vor allem Nutzungsbeschränkungen aus, die zugunsten des verfolgten Lenkungszwecks gerechtfertigt sein müssten. ___________ 185
Lang, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 4 Rn. 223; Butzer, Freiheitsrechtliche Grenze, S. 92 m. w. N., 109 f.; Arndt/Schumacher, NJW 1995, S. 2603 [2605]. A.A. Rose, DB 1995, S. 2387 [2390]. 186 Welche Aspekte bei der Ermittlung zu berücksichtigen wären vgl. z. B. Seer, FR 1999, S. 1280 [1289 ff.]. 187 Jarass, Nichtsteuerliche Abgaben und lenkende Steuern, S. 83 f.; Meßerschmidt, Umweltabgaben, S. 136 f.; Selmer, Steuerinterventionismus, S. 308., 336 ff.; Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 203 ff.; P. Kirchhof, VVDStRL 39 (1981), S. 213 [237]; Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 14 Rn. 170 f. 188 Jarass, Nichtsteuerliche Abgaben und lenkende Steuern, S. 84 f.; Pieroth/Schlink, Staatsrecht II, Rn. 915.
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4. Teil: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit
2. Vereinbarkeit der vorgeschlagenen Umweltsteuern mit Art. 14 Abs. 1 GG a) Änderung der Grundsteuer Eine ökologische Modifizierung der Grundsteuer könnte in zweifacher Hinsicht Art. 14 Abs. 1 GG verletzen. Zum einen beeinflusst die Differenzierung die Nutzungsbefugnis von landwirtschaftlichen Grundstücken (Gestaltungswirkung). Das Modell einer Bodenwert-Flächennutzungsteuer knüpft an die verschiedenen Nutzungsformen des Grundeigentums an, um speziell in der Landwirtschaft eine stärkere Bewirtschaftung nach ökologischen Kriterien anzureizen. Allerdings tritt Art. 14 GG insoweit hinter der Berufsausübungsfreiheit zurück, da steuerliche Differenzierung in weitaus stärkerem Maße die Berufsfreiheit als die Eigentumsgarantie betrifft und die beeinträchtigende Gestaltungswirkung bezüglich der Eigentumsgarantie schon von Art. 12 Abs. 1 GG erfasst ist. Zum anderen greift die Geldzahlungspflicht, wie bei jeder Steuer, in geschützte Vermögenspositionen ein (Belastungswirkung). Da die Grundsteuer eine spezielle Form der Vermögensteuer auf Grundstücken ist, wirft der Vermögensteuerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts bei der grundsätzlichen Vereinbarkeit der Belastungswirkung besondere Probleme auf. Die Grundsteueränderung muss die schon angesprochene Obergrenze der hälftigen Einnahmeteilung beachten, welche das Bundesverfassungsgericht mit 189 dem Halbteilungsgrundsatz aufstellte. Danach ist bei einer Gesamtbelastung von mehr als der Hälfte der Einnahmen eine weitere Zahlpflicht nicht mehr gerechtfertigt. Nach Angaben der Bundesregierung betrug für das Jahr 2003/04 die durchschnittliche Belastung der Landwirte mit privaten Steuern 4.635 €, 190 was ca. 17 Prozent des Gewinns von 27.112 € in diesem Zeitraum entsprach. Der Reformvorschlag würde die Belastung für konventionelle Landwirte um weitere 4,3 Prozent anheben. Die Gesamtbelastung bliebe aber auch zukünftig mit weniger als 25 Prozent weit unter der Hälfte des Einkommens. Der Halbteilungsgrundsatz ist kein Hindernisgrund für eine differenzierte Besteuerung. In seinem Vermögensteuerbeschluss hat das Bundesverfassungsgericht auch 191 spezielle Anforderungen an die Erhebung einer Vermögensteuer gestellt. Eine Vermögensteuer darf nur so bemessen sein, „dass sie in ihrem Zusammenwirken mit den sonstigen Steuerbelastungen die Substanz des Vermögens, den Vermögensstamm, unberührt lässt und aus den üblicherweise zu erwartenden, 192 möglichen Erträgen (Sollerträge) bezahlt werden kann.“ Das Gericht räumt ___________ 189
BVerfGE 93, S. 121 [138]. Siehe § 12 B. II. 1. a). Bundesregierung, Agrarbericht 2005, Tab. 30 (S. 109), Übersicht 13 (S. 29). 191 BVerfGE 93, S. 121 [137]. 192 BVerfGE 93, S. 121 [137]. 190
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der Vermögensbesteuerung nur einen geringen Spielraum ein, da die Vermögensteuer in die Verfügungsgewalt und Nutzungsbefugnis des Eigentümers eingreift und das ruhende Vermögen in aller Regel aus versteuertem Einkommen gebildet wurde. Dem Eigentümer müsse aber ein Kernbestand des Erfolgs seiner wirtschaftlichen Betätigung als Ausdruck der grundsätzlichen Privatnüt193 zigkeit des Erworbenen und der Verfügungsbefugnis erhalten bleiben. Da die Grundsteuer eine Vermögensteuer auf Grundvermögen ist, gelten für sie die Aussagen entsprechend. Der Beschluss ist in der Rechtswissenschaft nicht nur bezüglich des Halbteilungsgrundsatzes, sondern auch hinsichtlich der Anforderungen an eine Vermögenssteuer umstritten und wirft etliche weiterführende Fragen auf. Für eine umfassende Grundsteuerreform ist vor allem die Frage entscheidend, ob nach dem Beschluss nur Vermögensteuern zulässig sind, die allein den Vermögens194 ertrag besteuern, ohne am Vermögen selber Maß zu nehmen. Der am Beschluss beteiligte Richter Böckenförde lehnt in seinem Sondervotum eine solche Beschränkung ab, da es in der Verfassung nicht angelegt ist, dass die Vermögensteuer eine Soll-Ertragsteuer sein muss. Derartige Entscheidungen stünden allein dem Gesetzgeber zu. Im Übrigen würde eine Beschränkung auf den Sollertrag mit dem Begriff der „Vermögensteuer“ in Art. 106 Abs. 2 GG in Widerspruch treten. Andererseits muss man dem Beschluss nicht zwangsläufig eine derartige Beschränkung entnehmen. Er lässt sich vielmehr auch dahingehend verstehen, dass weiterhin das Vermögen Steuergrundlage sein darf und die Sollerträge nur die Steuerlast beschränken, um eine Konfiska195 tion zu vermeiden. Dies entspräche dem vom Gericht hervorgehobenen Eigentumsschutz, wonach der Vermögensstamm zu schützen sei. Es würde erklären, warum das Gericht die damalige Konzeption der Vermögenssteuer mit diesen Anforderungen für vereinbar hielt, obwohl die Vermögenssteuer in § 4 VermStG als Steuergegenstand ausdrücklich das Gesamtvermögen des Steuer196 pflichtigen benannte. Die Vermögenssteuer war als Steuer gedacht, die auf dem Vermögenswert lastet, deren Belastungshöhe aber durch den Sollertrag 197 beschränkt ist, nicht aber als eine Steuer auf den Sollertrag. Eine Interpretation des Sollertrags als Belastungsgrenze könnte auch erklären, warum das Gericht an den Sollerträgen festhielt, obwohl bekannt war, dass die Prognose der ___________ 193
BVerfGE 93, S. 121 [137]; 42, S. 263 [295]; 50, S. 290 [341]. So die Interpretation des Urteils durch den beteiligten Richter Böckenförde in seinem Sondervotum, in: BVerfGE 93, S. 121 [149 [158 ff.]]. 195 Für eine derartige Konzeption des Eigentumsschutzes Birk, DStJG Bd. 22, S. 7 [20 f., 24]; Böckenförde, Sondervotum zu BVerfGE 93, S. 121 [149 [160]]. 196 BVerfGE 93, S. 121 [139 f.]. Das Gericht rügt am Ende allein Divergenz bei der Grundsteuerbewertung [142 ff.]. 197 Gesetzesbegründung, BT.-Drs. VI/3418, S. 51, Böckenförde, Sondervotum zu BVerfGE 93, S. 121 [149 [158 f.]]; Weber-Grellet, BB 1996, S. 1415 [1417]. 194
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4. Teil: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit
Sollerträge sehr ungenau, gleichheitsrechtlich fragwürdig und seit längerem in 198 der Kritik ist. Das Festhalten erscheint nur sinnvoll, wenn das Gericht die Sollerträge als Obergrenze der Vermögensbelastung versteht, im Übrigen aber 199 der Wert des Vermögens Steuergrundlage sein soll. Demnach wäre eine Vermögensteuer nicht hinsichtlich des Steuergegenstandes auf den Sollertrag beschränkt, sondern nur hinsichtlich der Steuerhöhe. Ist der Sollertrag die vermögenssteuerliche Obergrenze, bleibt zu klären, welche Erträge der Sollertrag umfasst. Das Bundesverfassungsgericht definiert 200 ihn als den üblicherweise zu erwartenden Ertrag. Hierzu zählen vor allem Miet-, Pacht- und Zinseinnahmen. Nicht mit einzubeziehen sind Erträge aus der gewerblichen oder beruflichen Nutzung, da sie weniger dem Vermögenswert als solchem entwachsen, sondern Resultat der aufgewandten Arbeit mit dem Gegenstand sind, und im heutigen Steuersystem schon von der Einkommens-, Körperschafts- und Gewerbesteuer erfasst werden. Die Sollerträge sollten auch keine Wertsteigerungen umfassen. Zum einen hätte eine Besteuerung in Höhe der Wertsteigerung eine unzulässige, konfiskatorische Wirkung, wenn der Eigentümer gezwungen ist, zur Begleichung der Steuerschuld den Vermögensgegenstand zu veräußern. Zum anderen fließen die Wertzuwächse schon in die Steuergrundlage (Wert des Vermögens) mit ein. Eine erneute Berücksichtigung beim Steuersatz hätte eine Doppelbesteuerung zur Folge, die gleichheitsrechtlich nicht gerechtfertigt ist. Für die vorgeschlagene Änderung der Grundsteuer bedeutet die Beschränkung auf den Sollertrag, dass die Grundsteuerlast nicht die typischerweise zu erwartenden Erträge übersteigen darf. Anhaltspunkte hierfür bieten die durchschnittlichen Miet- und Pachteinnahmen von bestimmten Grundstücksarten, die im Regelfall mit den Wertunterschieden korrelieren. Im Bereich der Landwirtschaft betrug 1999/2000 der Pachtpreis bei juristischen Personen im Durch201 schnitt 91,1 €/ha. Ein Grundsteuersatz von 30 €/ha für konventionell bewirtschaftete Flächen würde weniger als ein Drittel des Sollertrages ausmachen und insoweit die vom Bundesverfassungsgericht gestellten Anforderungen erfüllen.
___________ 198
Eine Umstellung auf die Besteuerung der Ist-Erträge wäre bei einer bloßen Ertragsbesteuerung einfacher und hinsichtlich der individuellen Leistungsfähigkeit gerechter. Kritisch z. B. Tipke, Steuerrechtsordnung, S. 786. 199 Auch die Ausführungen zur Freistellung des zur persönlichem Lebensführung dienenden Vermögens (BVerfGE 93, S. 121 [137]) wären bei einer reinen Ertragsbesteuerung unverständlich, da diese Vermögensgegenstände (selbstgenutztes Einfamilienhaus etc.) gerade keine finanziellen Erträge abwerfen, sondern allenfalls persönliche Bedürfnisse befriedigen. Sie dürften an sich schon keiner Soll-Ertragsteuer unterfallen. 200 BVerfGE 93, S. 121 [137]. 201 Bundesregierung, Agrarbericht 2001, Tabelle 27 (S. 30).
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b) Änderung der Umsatzsteuer Die Umsatzsteuer besteuert das zivilrechtliche Verpflichtungsgeschäft und nicht das Verfügungsgeschäft, bei dem das Eigentum übergeht. Da der Eigentumserwerb selbst nicht vom Schutz des Art. 14 GG erfasst ist, berührt die tatbestandliche Anknüpfung der Umsatzsteuer nicht Art. 14 GG. Damit enthalten die Vorschläge keine das Eigentum beeinträchtigende Gestaltungswirkungen. Gleichwohl bleibt es aber bei der Beeinträchtigung durch die Belastungswirkung. Bei indirekten Steuern kommen jedoch zwei betroffene Grundrechtsträger in Betracht. Zum einen die rechtlich zur Zahlung der Steuer verpflichteten Unternehmen, zum anderen die Verbraucher, welche die Steuerlast aufgrund der Überwälzung eigentlich tragen. Die Einschaltung von Privatpersonen hebt die Zurechnung des Staates nach dem modernen Eingriffsbegriff nicht auf, wenn er die mittelbare Beeinträchti202 gung von Schutzgütern beabsichtigt. Eine Steuer, die wie die Umsatzsteuer ihrem Zweck nach auf Überwälzung angelegt ist und nur aus steuerverwaltungstechnischen Gründen bei den vorgelagerten Unternehmern erhoben wird, beeinträchtigt tatsächlich die Endverbraucher. Die Unternehmer hingegen müssen zwar die Steuer an den Fiskus abführen, haben aber ihm gegenüber auch einen Anspruch auf Erstattung der Vorsteuern nach § 14 UStG. Insofern soll die Steuerbelastung nicht den Unternehmer treffen. Dieser fungiert nur als Hilfsperson des Staates, weshalb dem Staat die Belastung der Endverbraucher durch die übergewälzte Umsatzsteuer zuzurechnen ist. Die auf Überwälzung angelegte Umsatzsteuer beeinträchtigt die Eigentumsgarantie der Endverbrau203 cher. Die Beeinträchtigung besteht indes nicht in der Beschränkung des Erwerbsvorganges von Eigentum, welcher nicht von Art. 14 GG geschützt ist, sondern in der Aufgabe von zusätzlichen geldwerten Eigentümerpositionen bei der Bezahlung. Zwar erfolgt die Belastung des Endverbrauchers mittelbar über die steuerpflichtigen Unternehmen. Aufgrund der im Umsatzsteuergesetz angelegten Überwälzung, ist nach dem modernen Eingriffsbegriff die mittelbare 204 Entziehung von Eigentümerpositionen dem Staat als Eingriff zuzurechnen. Probleme in Bezug auf die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs durch eine Aufhebung der Ermäßigung für konventionelle Produkte treten allenfalls im Rahmen der Angemessenheit auf. Grundsätzlich wird der Normalsteuersatz von 16 Prozent allgemein als angemessen akzeptiert. Er liegt nur wenig über dem Mindeststeuersatz von 15 Prozent, den Art. 12 Abs. 3 der 6. EG___________ 202
Siehe § 12 A. I. Seer, FR 1999, S. 1280 [1288]; Rose, DB 1995, S. 2387 [2388]; Butzer, Freiheitsrechtliche Grenzen, S. 93 Fn. 15. 204 Vgl. § 12 A. I. 203
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4. Teil: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit 205
Umsatzsteuer-Richtlinie vorschreibt. Die steuerliche Gesamtbelastung könnte dadurch aber auf über die Hälfte des Einkommens ansteigen. Diese Gefahr besteht insbesondere bei Steuerpflichtigen mit niedrigen Einkommen. Mit der Änderung müssen deshalb höhere Einkommensteuerfreibeträge einhergehen, die zwar nicht für jeden, aber zumindest für den finanzschwachen Bürger die eintretende Mehrbelastung ausgleichen. Der Eingriff in Art. 14 Abs. 1 GG ist bei einer Erhöhung der Freibeträge und der Sozialhilfesätze als verhältnismäßig anzusehen.
c) Steuern auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel Wie die Umsatzsteuer bezwecken auch die vorgeschlagenen speziellen Steuern auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel eine Überwälzung von den gesetzlich verpflichteten Steuerzahlern, den Herstellern und Verkäufern der Mittel, auf die eigentlichen Steueradressaten, die Landwirte. Insofern beeinträchtigen auch Steuern auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel die Eigentumsgarantie der Landwirte. Trotz der Einschaltung Privater ist die beabsichtigte, faktische Beeinträchtigung nach dem modernen Eingriffsverständnis dem Staat zuzurech206 nen. Der Eingriff ist jedoch durch den Fiskalzweck gerechtfertigt, solange die gesamte Steuerbelastung für Landwirte aufgrund der zusätzlichen Steuerlast die Hälfte ihrer Einnahmen nicht übersteigt. Dies kann hier nur grob geschätzt werden. Konventionelle Landwirtschaftsbetriebe erwirtschafteten im 207 Jahr 2003/04 einen durchschnittlichen Gewinn von 27.112 €. Hiervon waren 208 4.635 € an privaten Steuern abzuführen. Die sehr geringe Steuerbelastung ist eine Folge der fast in allen Steuergesetzen anzutreffenden Steuerermäßigungen 209 und -befreiungen für Land- und Forstwirte. Die Steuern auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel würden, wenn die konventionellen Landwirte ihren Mitteleinsatz entsprechend der Prognosen reduzieren, zu einer betrieblichen Mehr210 belastung von 3.740 €/a oder 13,7 Prozent des Gewinns führen. Die Gesamtsteuerbelastung bliebe mit rund 30 Prozent weiterhin unterhalb der Hälfte ihrer Einnahmen, wie es das Bundesverfassungsgericht mit seinem „Halbteilungsgrundsatz“ fordert. ___________ 205
Siehe § 10 A. I. Vgl. § 12 A. I. und § 12 B. II. 2. b). 207 Bundesregierung, Agrarbericht 2005, Übersicht 13 (S. 29). 208 Bundesregierung, Agrarbericht 2005, Tab. 30 (S. 109). 209 Z. B. § 13a EStG bzw. § 23 KStG, § 2 Abs. 3 GewStG, § 3 Nr. 7 KfzStG. 210 2.405 € oder rund 8,8 Prozent aufgrund der Düngemittelsteuer (siehe § 7 B. I. 2.) und 1.335 € oder 4,9 Prozent aufgrund der Steuer auf Pflanzenschutzmittel (siehe § 7 B. II. 3.). 206
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Im Ergebnis verletzten die vorgeschlagen Umweltsteuern nicht die Eigentumsgarantie, auch wenn man den umstrittenen und deutlich die Rechtfertigung von Steuern verschärfenden Halbteilungsgrundsatz des Bundesverfassungsgerichts aus dem Vermögensteuerbeschluss anwendet. Allerdings sollte die Anhebung der Umsatzsteuer für konventionelle Agrarerzeugnisse mit einer Anhebung der Einkommensteuerfreibeträge und Sozialhilfebeträge einhergehen. Weiterhin muss eine Änderung der Grundsteuer zusätzlich die Bindung der Steuerhöhe an den Sollertrag von Grundstücken beachten.
III. Schutz des Existenzminimums – Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG 211
Das Bundesverfassungsgericht leitet in ständiger Rechtsprechung aus dem Schutz der Menschenwürde in Art. 1 Abs. 1 GG und dem Sozialstaatsprinzip in Art. 20 Abs. 1 GG das verfassungsrechtliche Gebot ab, dass der Staat dem Steuerpflichtigen ein Existenzminimum belassen muss. Der Staat darf im Abgabenrecht das Einkommen, das zur Schaffung der Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein benötigt wird, nicht entziehen und den Bürger von staatlicher Hilfe abhängig machen. Der Schutz des Existenzminimums erfordert, dass der Gesetzgeber den existenznotwendigen Aufwand in angemessener, realitätsgerechter Höhe von der Einkommensteuer freistellt. Dabei kann er die Fälle typisierend behandeln, solange kein Steuerpflichtiger darauf verwiesen wird, seinen existenznotwendigen Bedarf statt aus eigenen Einkommen durch die Inanspruchnahme von Staatsleistungen zu sichern. Bei der Ermittlung des existenznotwendigen Bedarfs orientiert sich das Gericht an den im Sozialhilferecht bestimmten Mindestbedarf, der tatsächliche Aufwand bleibt 212 unberücksichtigt. Mit den Einkommensteuerfreibeträgen hat der Steuergesetzgebung der verfassungsrechtlichen Anforderung Rechnung getragen. Allerdings erstreckt sich der Schutz des Existenzminimums nicht nur auf die Einkommensteuer, sondern grundsätzlich auf alle Steuern, wobei einige Steuern, insbesondere die Umsatzsteuer, das Existenzminimum nur schwer von sich aus schützen. Indirekte Steuern, wie die Umsatzsteuer oder die speziellen Verbrauchsteuern, knüpfen an das verwendete Vermögen im Zeitpunkt seiner Ausgabe an. Zwar ist die Vermögensverwendung grundsätzlich ein geeigneter Teilindikator für die Leistungsfähigkeit der Bürger. Da indirekte Steuern jedoch unabhängig ___________ 211
BVerfGE 82, S. 60 [85]; 87, S. 153 [169, 171]; 99, S. 216 [233]; 99, S. 246 [259 ff.]. Vgl. Tipke, Steuerrechtsordnung, S. 420 ff.; Lang, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 1 Rn. 24; Butzer, Freiheitsrechtliche Grenzen, S. 57. 212 BVerfGE 87, S. 153 [171]; 99, S. 216 [233]; 99, S. 246 [259 f.]; Tipke, Steuerrechtsordnung, S. 421 ff. m. w. N.; Tipke/Lang, Steuerrecht, § 1 Rn. 24.
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4. Teil: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit
von der tatsächlichen finanziellen Lage des Verbrauchers erhoben werden, stehen sie in erheblichen Konflikt mit dem Schutz des Existenzminimums. Vor allem die Umsatzsteuer, die als umfassende Verbrauchsteuer auf jedem Produkt 213 lastet, kann das Existenzminimum nur unzureichend schützen. Mit Grundnahrungsmitteln besteuert sie auch den lebensnotwendigen Konsum, auf den der Bürger nicht verzichten kann. Um die Umsatzsteuer mit dem Sozialstaatsprinzip in Einklang zu bringen, sind unterschiedliche Möglichkeiten im Gespräch. Denkbar wäre die Freistellung von lebensnotwendigen Gütern, wie Nah214 rungsmittel, Kleidung und Wohnung. Für Nahrungsmittel schließt jedoch das Europarecht mit der 6. EG-Umsatzsteuer-Richtlinie eine Umsatzsteuerbefreiung aus, da die Richtlinie in Art. 13 steuerbefreite Leistungen abschließend aufzählt. Steuerpolitisch spräche gegen eine Freistellung, dass auch ein Großteil des Konsums leistungsfähiger Bürger unberücksichtigt bliebe. Als Alternative wird vorgeschlagen, mit einer vom Finanzamt zu zahlenden Umsatzsteuer215 vergütung das Existenzminimum Einkommensschwacher zu sichern. Dieser Vorschlag ist aus mehreren Gründen nicht empfehlenswert. Der Vergütungsanspruch muss an die Einkommensverhältnisse der Steuerpflichtigen anknüpfen. Damit würde man nur einen zum einkommensteuerrechtlichen Freistellungsanspruch parallelen und damit überflüssigen Anspruch schaffen. Besser ist es daher, bei der Festlegung des Einkommensteuerfreibetrags die indirekten Steuern 216 mit einzubeziehen, die auf dem existenznotwendigen Bedarf lasten. Der Steuerpflichtige wird somit im Voraus für spätere Steuerzahlungen freigestellt. Allerdings entlastet eine Freistellung von der Einkommensteuer nur einkom217 mensteuerpflichtige Personen, nicht aber Einkommenslose. Hier helfen nur die sozialen Sicherungssysteme, wie Sozialhilfe oder Wohngeld etc. Auch sie müssten den Mindestbedarf, einschließlich der darauf lastenden indirekten 218 Steuern, abdecken. Zwar ließe sich in diesem Falle einwenden, dass der Staat dem Bürger erst Geld auszahlt, um es ihm später beim Konsumieren in Form von Verbrauchsteuern wieder abzunehmen. Die Konfliktsituation unterscheidet sich jedoch von der Konstellation, dass der Staat dem Bürger mit der Steuer erst eigene Mittel entzieht und ihn dadurch von Sozialleistungen abhängig macht. Will man den Konflikt völlig vermeiden, dürfen indirekte Steuern sich ___________ 213
Tipke, Steuerrechtsordnung, S. 922 ff.; Lang, DStJG Bd. 15, S. 115 [157 ff.]; Rodi, Umweltsteuern, S. 93; P. Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 88 Rn. 120. 214 So Tipke, Steuerrechtsordnung, S. 922 ff. m. w. N. 215 Tipke, Steuerrechtsordnung, S. 926 ff.; Lang, StuW 1990, S. 107 [126 f.]. 216 BVerfG NJW 1999, S. 3478; BVerfG v. 23.8.1999, in: Weiß, StRK GG Art. 3 ESt R. 118 (S. 233 ff.); Jachmann, StuW 2000, S. 239 [242]. 217 Vgl. die Kritik von Tipke, Steuerrechtsordnung, S. 424; 922 ff. 218 Vgl. P. Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 88 Rn. 121.
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nicht auf lebensnotwendige Güter erstrecken. Für die Umsatzsteueränderung bedeutet dies, dass der Wegfall des ermäßigten Steuersatzes für konventionelle Agrarerzeugnisse mit dem gebotenen Schutz des Existenzminimums zu vereinbaren ist, wenn durch eine entsprechende Anhebung der Einkommensteuerfrei219 beträge und des Sozialhilfesatzes die Mehrbelastung ausgeglichen wird. Ein solcher Ausgleich ist auch schon aufgrund von Art. 14 GG geboten, wenn man dem Halbteilungsgrundsatz des Bundesverfassungsgerichts gerecht werden will. Deutlich geringer ist der Konflikt bei den vorgeschlagenen Verbrauchsteuern auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel, da keine lebensnotwendigen Güter belastet werden. Der Einsatz von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln im Vergleich zur derzeitigen Verwendung lässt sich erheblich reduziert. Eine Substitution durch Verzicht ist anders als bei Grundnahrungsmitteln durchaus möglich. Ähnlich gestaltet sich die Situation bei einer Änderung Grundsteuer. Auch hier können die Landwirte auf den ökologischen Landbau als Alternative umstellen. Im Ergebnis ist eine Anpassung der Einkommensteuerfreibeträge nur bei der Änderung der Umsatzsteuer notwendig, nicht aber bei den übrigen Vorschlägen.
C. Zusammenfassung Der Steuergesetzgeber ist, wie der Sachgesetzgeber, gemäß Art. 1 Abs. 3 GG an die Grundrechte und damit an die Freiheitsgrundrechte gebunden. Freiheitsgrundrechte begrenzen Steuern entgegen einer weit verbreiteten Meinung auch hinsichtlich des Finanzierungszwecks. Bei der Bestimmung der Eingriffsqualität ist bei Umweltsteuern zwischen der Belastungswirkung infolge der Geldzahlungspflicht und der Gestaltungswirkung aufgrund des ökonomischen Vermeidungsdrucks zu unterscheiden. Während die Belastungswirkung unter den „klassischen“ Eingriffsbegriff fällt, ist der Staat nach dem modernen Eingriffsbegriff, wonach jede dem Staat zurechenbare und nicht unerhebliche Beeinträchtigung von Schutzgütern ein Eingriff darstellt, auch hinsichtlich der beabsichtigten oder vorhersehbaren Gestaltungswirkung rechtfertigungsbedürftig. Auf beide Wirkungen lässt sich das Verhältnismäßigkeitsprinzip anwenden. Soweit Umweltsteuern hinsichtlich ihrer Geeignetheit für den Umweltschutz und ihrer Erforderlichkeit im Vergleich zum Ordnungsrecht kritisiert werden, muss man ihren konkreten Zweck beachten. Anders als ordnungsrechtliche Ge- und Verbote bezwecken sie keine zwingende Verhaltens___________ 219
Wie hoch genau die Anhebung ausfallen müsste, bedarf eines tieferen Eingehens auf die Zusammensetzung des Mindestbedarfs, das hier nicht möglich ist.
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4. Teil: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit
änderung im Einzelfall, sondern eine allgemeine Verhaltensänderung in der Gesellschaft. Umweltsteuern sind daher nicht zur Gefahrenabwehr geeignet. Ihre Stärken bestehen vielmehr in einer ökonomisch angeregten, längerfristigen Vorsorge, die ordnungsrechtlich nicht mehr praktikabel eingefordert werden kann. Sie ergänzen somit das Ordnungsrecht, ohne es ersetzen zu wollen. Bei der verfassungsrechtlichen Überprüfung sind die vorgeschlagenen Umweltsteuern vor allem an der Berufsfreiheit, der Eigentumsgarantie und dem sozialstaatlichen Schutz des Existenzminimums zu messen. Alle Vorschläge weisen aufgrund der implizierten Zielrichtung – Ökologisierung der Bewirtschaftungsweise – eine berufsregelnde Tendenz auf, die einer Rechtfertigung vor Art. 12 Abs. 1 GG bedarf. Legt man die Drei-Stufen-Lehre des Bundesverfassungsgerichts als Abwägungshilfe in der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu Grunde, sind alle Vorschläge nur als Eingriffe in die Berufsausübungsfreiheit zu qualifizieren, die schon durch vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls gerechtfertigt sind. Die Vorschläge dienen dem in Art. 20a GG und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gebotenen Schutz der Umwelt sowie der menschlichen Gesundheit. Sie sind zur Erreichung dieses Ziels geeignet, erforderlich und angemessen. Bei Art. 14 Abs. 1 GG sind sowohl die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als auch die Meinungen in der Rechtswissenschaft noch uneinheitlich, ob Steuern in ihrer Belastungswirkung überhaupt in die Eigentümerfreiheit eingreifen. Das Bundesverfassungsgericht und weite Teile der Literatur lehnen dies grundsätzlich mit dem Verweis auf den nicht umfassten Vermögensschutz ab und wollen nur im Falle einer ganz übermäßigen, „erdrosselnden“ Belastung einen Schutz aus Art. 14 GG ableiten. Demgegenüber versuchte der 2. Senat des Bundesverfassungsgerichts in seinem Vermögensteuerbeschluss den Schutzgehalt dahingehend zu erweitern, dass Steuern schon die Verfügungs- und Nutzungsbefugnis des Eigentümers über sein Vermögen beeinträchtigen. In Anbetracht der Schutzfunktion von Grundrechten spricht jedoch viel dafür, in der Geldzahlungspflicht die Entziehung einer einzelnen Eigentümerposition zu sehen, da der Steueradressat zwar noch über die konkrete Position entscheiden kann, er aber zu Abgabe einer dann konkretisierten Eigentümerposition verpflichtet ist. Geht man von einem Eingriff in Art. 14 GG aus, so stellt sich die Frage, welchen Maßstab die Eigentümerfreiheit insbesondere im Rahmen der Verhältnismäßigkeit bei Steuern verlangt. Nach dem Vermögensteuerbeschluss des 2. Senates soll die Gesamtsteuerbelastung die Hälfte aller Einnahmen des Steuerpflichtigen nicht übersteigen dürfen. Trotz aller Kritik, insbesondere an der Herleitung aus dem Wort „zugleich“ in Art. 14 Abs. 2 GG und an der Praktikabilität, überzeugt die Konkretisierung einer angemessenen Gesamtsteuerbelastung auf maximal die Hälfte, da nur so die freiheitsschützende Aufgabenerfüllung des Staates nicht die Freiheit selber aufhebt. Inwieweit die Gesamtsteuerbelastung im Einzelfall ermittelbar ist und ob der
§ 12 Freiheitsgrundrechte
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Halbteilungsgrundsatz ein subjektives Recht gewährt oder nur eine objektive Verpflichtung des Steuergesetzgebers darstellt, muss im Rahmen dieser Arbeit offen bleiben, weshalb bezüglich der Steuervorschläge nur eine grobe Abschätzung der möglichen Auswirkungen auf die Gesamtsteuerbelastung und die Überschreitung der fünfzig Prozent Grenze erfolgt. Danach überschreitet die steuerliche Gesamtbelastung bei der Änderung der Grundsteuer oder den Steuern auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel nicht die geforderte hälftige Teilung der Einnahmen. Problematisch ist die Einhaltung des Halbteilungsgrundsatzes und der Schutz des Existenzminimums bei einer erhöhten Umsatzsteuer auf konventionelle Agrarerzeugnisse, da die Umsatzsteuer blind gegenüber den Einnahmen des belasteten Endverbrauchers ist. Als Lösung für dieses grundsätzliche Problem bei indirekten Steuern empfiehlt sich eine entsprechende Freistellung bei der Einkommensteuer und eine Erhöhung der staatlichen Unterstützungen, damit einkommensschwache Endverbraucher nicht mehr als die Hälfte ihrer Einnahmen als Steuern abführen. Eine Änderung der Umsatzsteuer sollte mit einer Anhebung der Einkommensteuerfreibeträge und der Sozialhilfesätze einhergehen, um eine Verletzung von Art. 14 GG auszuschließen.
§ 13 Gleichheitsgrundsatz Dem Gleichheitsgrundsatz kommt für die Erhebung und Ausgestaltung von Steuern und den sonstigen Abgaben eine überragende Bedeutung zu, bei Umweltsteuern sogar in doppelter Hinsicht. Zum einen ist, wie bei jeder Steuer, die Steuerlast gleichheitsrechtlich gerecht zu verteilen. Zum anderen darf aber auch die beabsichtigte Umweltwirkung nicht dem Gleichheitssatz zuwiderlaufen. Aus dem Gleichheitsgebot leitet die ganz herrschende Meinung für alle Steuern die Forderung ab, dass die Steuerlast nach der Leistungsfähigkeit der 1 Steuerpflichtigen zu verteilen ist. Dem Wortlaut von Art. 3 Abs. 1 GG „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich“ lässt sich ein derartiges Verteilungsprinzip indes nicht ausdrücklich entnehmen, vielmehr muss das Leistungsfähigkeitsprinzip als Gerechtigkeitsmaßstab erst an Art. 3 Abs. 1 GG herangetragen werden. Mit der Konkretisierung des Gleichheitsgrundsatzes auf ein bestimmtes Steuerverteilungsprinzip geht die Steuerrechtswissenschaft allerdings weit über 2 das herkömmliche Verständnis von Art. 3 Abs. 1 GG als ein Willkürverbot hinaus, wie es gegenüber Sachregelungen angenommen wurde und wird. So sah das Bundesverfassungsgericht in seiner allgemeinen Dogmatik Art. 3 Abs. 1 GG erst als verletzt an, „wenn wesentlich Gleiches ungleich und wesentlich Ungleiches gleich behandelt wird, ohne dass sich ein vernünftiger sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonstwie sachlicher Grund finden 3 lässt, kurzum die Bestimmung willkürlich ist.“ Die große Offenheit des Will___________ 1
Z. B. BVerfGE 61, S. 319 [343 f.]; 63, S. 343 [368]; 66, S. 214 [223]; 67, S. 290 [297]; 74, S. 182 [199 f.]; 82, S. 60 [86]; 89, S. 346 [352]; 93, S. 121 [135]; 97, S. 332 [346]; 99, S. 246 [260]; Reiß, DStJG Bd. 13, S. 3 [10 ff.]; Tipke, Steuerrechtsordnung, S. 479 ff.; Lang, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 4 Rn. 81 ff.; Trzaskalik, Gutachten zum 63. Dt. Juristentag, S. 46 ff.; P. Kirchhof, StuW 1985, S. 319 ff., insb. 322 f.; Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 50 ff., S. 163; Selmer/Brodersen, DVBl. 2000, S. 1153 [1156]; F. Kirchhof, in: Rengeling, EUDUR, § 38 Rn. 69; Vogel, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 87 Rn. 90 ff.; Huster, Rechte und Ziele, S. 358 f.; ders., in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar, Art. 3 GG Rn. 134 ff. 2 BVerfGE 3, S. 58, [135 f.]; 9, S. 201 [206]; 50, S. 57 [77]; 68, S. 237 [250]. Grundlegend Leibholz, Gleichheit vor dem Gesetz, S. 57 ff., 72 ff., 98; Alexy, Grundrechte, S. 368 f., 373 ff.; P. Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 124 Rn. 195 ff., 201 ff.; Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, S. 258 ff.; Bleckmann, Staatsrecht II, § 24 Rn. 139 ff. Weiter Nachweise bei Möckel, DVBl. 2003, S. 488 f. 3 Ständige Rspr. seit BVerfGE 1, S. 14 [52]; z. B. noch BVerfGE 61, S. 138 [147]; 68, S. 237 [250]; 89, S. 132 [141]. Teilweise hat das BVerfG den Prüfungsmaßstab auf
§ 13 Gleichheitsgrundsatz
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kürverbots und die damit einhergehende sehr beschränkte gerichtliche Kontrolle hat vielfältige Anstrengungen hervorgerufen, den Gleichheitsgrundsatz effektiver auszugestalten, indem man insbesondere das Verhältnismäßigkeits4 prinzip bei Art. 3 Abs. 1 GG anwendet. Das Bundesverfassungsgericht hat sich den Bemühungen mit seiner so genannten „neuen“ Formel teilweise angeschlossen und verlangt nun bei Differenzierungen, die sich unmittelbar oder mittelbar auf Personen oder Freiheitsgrundrechte auswirken, die Beachtung von Verhältnismäßigkeitserforder5 nissen. Die Übertragung des Verhältnismäßigkeitsprinzips ist jedoch auch starker Kritik ausgesetzt, da das Prinzip die Abwägung zwischen den Interessen des Staates und dem Schutzinteresse der Betroffenen rationaler ausgestaltet, es aber bei der Gleichheitsprüfung an einer derartigen Zweck-Mittel___________ die evidente Unsachlichkeit beschränkt (z. B. BVerfGE 12, S. 326 [333]; 18, S. 121 [124] m. w. N.). 4 Kloepfer, Gleichheit, S. 62 ff.; Pieroth/Schlink, Staatsrecht II, Rn. 440 ff., Gubelt, in: v. Münch, GG, Art. 3 Rn. 15 ff., 29; Tipke, Steuerrechtsordnung, S. 328 ff., 332; Osterloh, in: Sachs, GG, Art. 3 Rn. 18 ff.; Zippelius, VVDStRL 47 (1989), S. 7 [23 f.]; Jarass, NJW 1997, S. 2545 [2548 f.]; Schoch, DVBl. 1988, S. 863 [874]. Differenzierend Huster, Rechte und Ziele, S. 239 ff.; ders., in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar, Art. 3 GG Rn. 73 ff.; Sachs, JuS 1997, S. 124 [129]; ders., Verfassungsrecht II, B 3 Rn. 32, 39; Paehlke-Gärtner, in: Umbach/Clemens, GG, Art. 3 I Rn. 106, 133. 5 BVerfGE 60, S. 123 [134]; 82, S. 126 [146]; 88, S. 87 [96]; 89, S. 15 [22]; 90, S. 46 [56]; 95, S. 267 [316 f.]. Die entscheidenden Passagen seien hier nach BVerfGE 95, S. 267 [316 f.] zitiert: „Da der Grundsatz, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind, in erster Linie eine ungerechtfertigte Verschiedenbehandlung von Personen verhindern soll, unterliegt der Gesetzgeber bei einer Ungleichbehandlung von Personengruppen regelmäßig einer strengen Bindung. Diese Bindung ist um so enger, je mehr sich die personenbezogenen Merkmale den in Art. 3 Abs. 3 GG genannten annähern und je größer deshalb die Gefahr ist, dass eine an sie anknüpfende Ungleichbehandlung von Sachverhalten zur Diskriminierung einer Minderheit führt. Die engere Bindung ist jedoch nicht auf personenbezogene Differenzierungen beschränkt. Sie gilt vielmehr auch, wenn eine Ungleichbehandlung von Sachverhalten mittelbar eine Ungleichbehandlung von Personengruppen bewirkt. Bei lediglich verhaltensbezogenen Unterscheidungen hängt das Maß der Bindung davon ab, inwieweit die Betroffenen in der Lage sind, durch ihr Verhalten die Verwirklichung der Merkmale zu beeinflussen, nach denen unterschieden wird. Überdies sind dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers umso engere Grenzen gesetzt, je stärker sich die Ungleichbehandlung von Personen oder Sachverhalten auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten nachteilig auswirken kann.“ In der Literatur wird aber teilweise angezweifelt, ob das Bundesverfassungsgericht tatsächlich das Verhältnismäßigkeitsprinzip, wie es bei den Freiheitsrechten entwickelt wurde, bei Art. 3 Abs. 1 GG anwenden will (z. B. Huster, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar, Art. 3 GG Rn. 73 f.; Sachs, Verfassungsrecht II, B 3 Rn. 32). Die Kritik übersieht jedoch, dass das Bundesverfassungsgericht die Verhältnismäßigkeitserfordernisse auf der Rechtfertigungsebene und nicht bei der Feststellung von Ungleichbehandlungen anwenden will.
4. Teil: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit
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Relation fehlt, soweit man Personengruppen und Sachverhalte statt rechtliche 6 Güter vergleicht. Für die Überprüfung von Umweltsteuern sind deshalb folgende Fragen zu beantworten: Beschränkt sich Art. 3 Abs. 1 GG auf eine bloße Willkürkontrolle oder ist auch das Verhältnismäßigkeitsprinzip anzuwenden? Gebietet der Gleichheitsgrundsatz bestimmte Gerechtigkeitsprinzipien? Beide Fragestellungen stehen in einem engen Zusammenhang zueinander und sind für die Anforderungen an Umweltsteuern von grundlegender Bedeutung. Von ihrer Beantwortung hängt ab, ob sich das Leistungsfähigkeitsprinzip dem Gleichheitsgebot entnehmen lässt oder ob es auf einer Sonderstellung des Steuerrechts beruht. Schließlich bestimmt die Antwort auch, ob bei Umweltsteuern andere Verteilungsmaßstäbe als das Leistungsfähigkeitsprinzip, wie z. B. das Verursacherprinzip, gelten oder ob das Leistungsfähigkeitsprinzip Umweltsteuern ausschließt.
A. Allgemeine Dogmatik des Gleichheitsgebots Der Gleichheitsgrundsatz in Art. 3 Abs. 1 GG ist, obwohl eines der zentralen Grundrechte in einem Rechtsstaat, immer noch mit vielen offenen Fragen 7 verbunden. Ursächlich für dafür ist die inhaltliche Offenheit. Art. 3 Abs. 1 GG besagt nur, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind. Der Gleichheitsgrundsatz beschränkt sich aber nicht nur auf die Rechtsanwendungsgleichheit, 8 sondern umfasst auch die Rechtsetzungsgleichheit. Eine Rechtsordnung muss vor allem bei der Rechtsetzung berücksichtigen, dass jeder Mensch und jeder zu regelnde Sachverhalt einzigartig ist. Will man die Freiheit und die Individu9 alität des Einzelnen erhalten, darf Gleichheit nicht Gleichmacherei bedeuteten. Der Gleichheitsgrundsatz gebietet keine formale Gleichheit, sondern verlangt 10 als umfassendes Gerechtigkeitsgebot normative Gleichheit , die im Sinne einer 11 verhältnisbezogenen Gleichheit auf Unterschiede Rücksicht nimmt. Wegen ___________ 6
Heun, in: Dreier, GG, Art. 3 Rn. 24 ff.; P. Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 124 Rn. 161 ff.; Rodi, Rechtfertigung von Steuern, S. 41, 45 f.; Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, S. 258 ff.; Ipsen, Staatsrecht II, Rn. 767 ff. 7 Ausführlicher wird die Dogmatik des Gleichheitsgrundsatzes bei Möckel, DVBl. 2003, S. 488 ff. behandelt. 8 Huster, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar, Art. 3 GG Rn. 15 ff. 9 Alexy, Grundrechte, S. 360; P. Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 124 Rn. 99 ff., 103 ff.; Rüthers, in: FS Zeidler, Bd. 1, S. 19 [20 f.]; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 3 Rn. 3 ff. 10 Man bezeichnet sie auch als rechtliche, materiale oder wertmäßige Gleichheit. 11 Leibholz, Gleichheit vor dem Gesetz, S. 38 ff., insb. S. 45; Zippelius, VVDStRL 47 (1989), S. 7 [20 ff., 23 ff.]; P. Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staats-
§ 13 Gleichheitsgrundsatz
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der grundsätzlichen Verschiedenheit der Menschen und Sachverhalte kann 12 Gleichheit nur eine Abstraktion auf einen Vergleichsmaßstab bedeuten. Das Bundesverfassungsgericht drückt dies mit seiner Standardaussage aus, dass we13 sentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln ist. Normative Gleichheit beinhaltet somit die Verwirklichung von Gerechtig14 keitsmaßstäben, die sich indes bei jeder Regelungsmaterie unterscheiden kön15 nen. Da Art. 3 Abs. 1 GG keine Vergleichsmaßstäbe erwähnt, bedarf er der 16 Konkretisierung von außen. Für die Dogmatik von Art. 3 Abs. 1 GG ist die Frage von grundlegender Bedeutung, ob und wieweit der Gesetzgeber oder das Bundesverfassungsgericht befugt sind, das Gleichheitsgebot zu konkretisieren. Die Antwort hängt davon ab, inwieweit eine Inhaltsbestimmung von Art. 3 Abs. 1 GG nach objektiven Kriterien möglich ist. In der bisherigen Dogmatik wurde die Frage unterschiedlich beantwortet. Die schon erwähnte Auslegung von Art. 3 Abs. 1 GG als ein bloßes Willkürverbot, geht davon aus, dass eine Inhaltsbestimmung des Gleichheitsgebots nur beschränkt justiziabel ist und daher dem Gesetzgeber ein weiter Entscheidungsspielraum zusteht, solange er sachliche und vernünftige Gründe für seine Entscheidung anführen kann. Mit der Implementierung des Verhältnismäßigkeitsprinzips hat man versucht, dem entgegenzuwirken. Die Anwendbarkeit des Verhältnismäßigkeitsprinzips setzt hierbei voraus, dass man dem Art. 3 Abs. 1 GG objektiv bestimmte Gerechtigkeitsmaßstäbe entnehmen kann, um ___________ rechts, § 124 Rn. 85, 103 ff., 193 f., Schoch, DVBl. 1988, S. 863 [866 f.] m. w. N.; Osterloh, in: Sachs, GG, Art. 3 Rn. 3; Starck, in: Link, Gleichheitssatz, S. 51 [55 f.]; Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, S. 258; Böckenförde, Gleichheitssatz, S. 46; Alexy, Grundrechte, S. 359 ff., 379 f.; Huster, Rechte und Ziele, S. 21 ff., 41 f., 228 ff., die begrifflichen Missverständnisse hervorhebend; ders., in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar, Art. 3 GG Rn. 22 ff., 32. 12 Sachs, Verfassungsrecht II, B 3 Rn. 12; Paehlke-Gärtner, in: Umbach/ Clemens, GG, Art. 3 I Rn. 126. 13 Ständige Rspr. seit BVerfGE 1, S. 14 [52]; z. B. noch BVerfGE 61, S. 138 [147]; 68, S. 237 [250]; 89, S. 132 [141]. Auch der EuGH versteht das europarechtliche Diskriminierungsverbot im Sinne normativer Gleichheit (z. B. EuGH Rs. C-279/93, Schumacker, Slg. 1995, S. 225 Tz. 30). 14 BVerfGE 1, S. 264 [276]; 3, S. 58 [135]; 6, S. 55 [70]; 12, S. 341 [348]; 15, S. 126 [146]; 49, S. 343 [360]; 56, S. 1 [16]; P. Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 124 Rn. 250; Sachs, JuS 1997, S. 124; Huster, Rechte und Ziele, S. 35; Zippelius, VVDStRL 47 (1989), S. 7 [23 ff.]; ders., Recht und Gerechtigkeit, S. 289 f.; Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 161 ff.; Alexy, Grundrechte, S. 363; Osterloh, in: Sachs, GG, Art. 3 Rn. 3. 15 BVerfGE 93, S. 121 [134]; P. Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 124 Rn. 205 ff., 250; Huster, Rechte und Ziele, S. 215 ff.; PaehlkeGärtner, in: Umbach/Clemens, GG, Art. 3 I Rn. 126; Schoch, DVBl. 1988, S. 863 [878], dies als Systemgerechtigkeit bezeichnend. 16 Allerdings schließen Art. 3 Abs. 2 und 3 GG bestimmte Vergleichsmerkmale explizit aus. Sachs, Verfassungsrecht, B 3 Rn. 13.
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eine Abwägung im Sinne einer Zweck-Mittel-Relation zwischen dem Gebot der Gleichbehandlung und den widerstreitenden Interessen des Staates vornehmen zu können, da das Prinzip nicht zum Vergleich von Personen und 17 Sachverhalten geeignet ist.
I. Bestimmung objektiver Gerechtigkeitsmaßstäbe Eine objektive Herleitung von Gerechtigkeitsmaßstäben erfordert eine strikte Trennung zwischen den gleichheitsrechtlich relevanten Belangen (Gemeinsamkeiten/Unterschiede) der von einer Maßnahme Betroffenen und den sonsti18 gen Interessen der Allgemeinheit sowie Dritter. Die dogmatische Trennung ermöglicht es, den Inhalt des Gleichheitssatzes (normative Gleichheit) als eigenständigen Wert bzw. Rechtsposition zu verstehen. Durch Ausklammern der Belange der Allgemeinheit oder nicht betroffener Dritter lassen sich leichter entsprechende Gerechtigkeitsmaßstäbe objektiv herleiten, da nun vorerst keine Nützlichkeitsüberlegungen mit ins Spiel kommen, bei denen zwischen verschiedenen Werten abzuwägen wäre, sondern allein Unterschiede und Gemein19 samkeiten der betroffenen Personen zu vergleichen sind. Eine Abwägung mit den außen stehenden Belangen sollte erst nach Feststellung der objektiven Gerechtigkeitsmaßstäbe stattfinden. Demgegenüber nimmt man bei dem Verständnis von Art. 3 Abs. 1 GG als Willkürverbot eine solche Trennung gerade nicht vor und wägt alle Belange schon in der Inhaltsbestimmung des Gleichheitsgebots ab, wobei dem Gesetzgeber ein entsprechender Entscheidungsspiel20 raum eingeräumt werden muss. Um normative Gleichheit nicht zu einem uferlosen Gerechtigkeitsgedanken auszuweiten, bei dem jegliche Belange in Einklang zu bringen sind, ist der Schutzgehalt von Art. 3 Abs. 1 GG auf die Individualgerechtigkeit zu beschränken. Individualgerechtigkeit entspricht dem eigentlichen subjektiven Gehalt des Gleichheitsgebots als ein Grundrecht zum
___________ 17
Huster, Rechte und Ziele, S. 209 f., 216 ff., 239 ff., 468; Sachs, JuS 1997, S. 124 [129]; ders., Verfassungsrecht II, B 3 Rn. 39; Möckel, DVBl. 2003, S. 488 [490 f.]. 18 Huster, Rechte und Ziele, S. 164 ff., 217 f., 468 f.; ders., in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar, Art. 3 GG Rn. 40 f., 75 ff.; Möckel, DVBl. 2003, S. 488 [491 ff.]. 19 Huster, Rechte und Ziele, S. 209 f., 216 ff., 239; ders., in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar, Art. 3 GG Rn.77, 85 f. 20 Z. B. BVerfGE 19, S. 101 [115], wonach der Schutz des mittelständischen Einzelhandels mittels einer Steuer nicht evident unsachlich ist. Leibholz, Gleichheit vor dem Gesetz, S. 57 ff., 72 ff., 98; Alexy, Grundrechte, S. 368 f., 373 ff.; P. Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 124 Rn. 195 ff., 201 ff.; Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, S. 258 ff. Vgl. Möckel, DVBl. 2003, S. 488 [489 f.].
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Schutz des Einzelnen. Gefordert ist im Kern eine gerechte Behandlung des betroffenen Individuums im Vergleich zu den anderen betroffenen Personen. Das Verständnis von Art. 3 Abs. 1 GG als ein Willkürverbot beruht demgegenüber weniger auf der Grundrechtsfunktion als auf der objektiven Wertaussage, dass der Staat zur generellen Richtigkeit staatlichen Handelns angehalten ist. Allerdings darf der objektive Wertgehalt nicht dazu führen, den subjektiven Schutzgehalt aufzulösen, indem man die umfassendere objektive Wertaussage überträgt. Dies geschieht bei einer dogmatischen Verkürzung des Gleichheitssatzes auf ein Willkürverbot, da alle konkurrierenden Belange schon in die Bestimmung der normativen Gleichheit mit einfließen und keine eigenständige Abwägung mehr zwischen der Individualgerechtigkeit und den widerstreiten22 den, sonstigen Werten stattfindet. Will man die Grundrechtsfunktion wieder stärker hervorheben, wie es das Bundesverfassungsgericht mit seiner „neuen“ Formel versucht, so ist die Individualgerechtigkeit von den sonstigen Belangen zu trennen. Die mit dieser Konzeption verbundene Beschränkung des gesetzgeberischen Wertungsspielraums bei der Inhaltsbestimmung von Art. 3 Abs. 1 GG entspricht dessen Funktion als Grundrecht, das gemäß Art. 1 Abs. 3 GG den Gesetzgeber bindet und ihm auch keine Bestimmung des In23 halts (anders z. B. bei Art. 14 Abs. 1 GG) einräumt. Eine generelle Freistellung des Gesetzgebers bei der Auswahl der Differenzierungskriterien innerhalb 24 der Individualgerechtigkeit widerspricht der grundrechtlichen Schutzfunktion von Art. 3 Abs. 1 GG. Als generelle Leitlinie bei der Bestimmung der Individualgerechtigkeit lässt sich sagen, dass belastende Maßnahmen die Verantwortung der Betroffenen würdigen müssen. Begünstigende Maßnahmen müssen hingegen auf die Be25 dürftigkeit des Einzelnen abstellen. Außerdem sind hierbei alle gleichheits26 27 rechtlichen Konkretisierungen des Grundgesetzes zu berücksichtigen. Eine ___________ 21
Osterloh, in: Sachs, GG, Art. 3 Rn. 3 f.; Schoch, DVBl. 1988, S. 863 [867]; Heun, in: Dreier, GG, Art. 3 Rn. 32; P. Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 124 Rn. 194 ff. Ausführlich Möckel, DVBl. 2003, S. 488 [492 f.]. 22 Z. B. in BVerfGE 1, S. 14 [52 f.]; 12, S. 341 [348 ff.]; 61, S. 138 [147 f.]. Kritisch v. Arnim, VVDStRL 39 (1981), S. 322 FN. 142, 326 f.; ders., Staatslehre, S. 157; Kloepfer, Gleichheit, S. 55 f. 23 Möckel, DVBl. 2003, S. 488 [493 f.]. So aber die Argumentation der Kritik an einer Übertragung des Verhältnismäßigkeitsprinzip (z. B. Alexy, Grundrechte, S. 368 f.). 24 So aber Huster, Rechte und Ziele, S. 226 f.; ders., in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar, Art. 3 GG Rn. 90, der beim Vergleich der betroffenen Personen am Willkürverbot festhalten will, soweit aus dem Grundgesetz keine konkreteren Anforderungen folgen. 25 Huster, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar, Art. 3 GG Rn. 143. 26 Art. 3 Abs. 2 und 3, Art. 6 Abs. 5, Art. 33 Abs. 1 und 2 und Art. 38 GG. 27 Vgl. Huster, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar, Art. 3 GG Rn. 91 ff.
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Abwägung mit sonstigen Werten von Verfassungsrang (Grundrechte Dritter, Staatsziele etc.) erfolgt indes erst auf der Ebene der Rechtfertigung. Die Bestimmung der objektiven Gerechtigkeitsmaßstäbe hängt jedoch auch von der 28 jeweiligen Regelungsmaterie bzw. dem Regelungszweck ab. Unter Regelungszweck ist hierbei nicht der spezielle Zweck der Maßnahme zu verstehen, der ja in seiner Spezialität gerade mit dem Gleichheitsgrundsatz in Konflikt stehen kann (z. B. Hunde besteuern, Einzelhandel fördern). Vielmehr ist auf den übergeordneten, generellen Zweck abzustellen (z. B. Sicherheit, Umweltschutz, Finanzierung des Staatshaushaltes, Wirtschaftsförderung), der bei Gesetzen in den Staatszielen und Staatsaufgaben des Grundgesetzes zu suchen 29 ist. Andernfalls kommt es zu einem Zirkelschluss, bei dem höchstens Wider30 sprüche innerhalb des Gesetzes hervortreten. Sind Gerechtigkeitsmaßstäbe anhand der abstrakten Regelungszwecke zu bestimmen, kann es zu einem Konflikt der Maßstäbe kommen, wenn eine Maßnahme mehr als einen Zweck verfolgt. Dies ist insbesondere bei Umweltsteuern der Fall, da sie der Einnahmeerzielung aber auch dem Schutz der Umwelt dienen. Gerade auf diese Zweckvielfalt verweisen die Kritiker einer Trennung zwischen der normativen Gleichheit und den Interessen der Allgemeinheit oder Dritter und verneinen infolgedessen die Möglichkeit, bei der Inhaltsbestimmung von Art. 3 Abs. 1 GG die Belange 31 der Allgemeinheit auszuklammern. Das Problem beinhaltet allerdings nur die Frage, wie und wo man dogmatisch die aus unterschiedlichen Regelungszwecken folgenden Gerechtigkeitsmaßstäbe zu einem Ausgleich führt. Zum einen kann man schon bei der Bestimmung der normativen Gleichheit die Maßstäbe ausgleichen. Dies hätte zur Konsequenz, dass die Inhaltsbestimmung eine nicht mehr vollständig rational lösbare Abwägungsentscheidung wäre, die einer ___________ 28
BVerfGE 9, S. 291 [294 ff.]; 41, S. 269 [282]; Tipke, Steuerrechtsordnung, S. 272 f., 320; P. Kirchhof, Gleichheit vor dem Gesetz, S. 11, 32 f.; ders., NJW 1987, S. 2354 [2355]; ders., in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 124 Rn. 10, 32 ff.; Huster, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar, Art. 3 GG Rn. 88, 132 ff.; Kallina, Willkürverbot und neue Formel, S. 16 ff., 137; Kloepfer, Gleichheit, S. 56; Böckenförde, Gleichheitssatz, S. 71 f.; Paehlke-Gärtner, in: Umbach/Clemens, GG, Art. 3 I Rn. 126. So gilt z. B. bei der steuerlichen Einnahmeerzielung das Leistungsfähigkeitsprinzip, während im Umweltrecht das Verursacherprinzip als Gerechtigkeitsprinzip anerkannt ist (ausführlicher unter § 13 B.). 29 P. Kirchhof, NJW 1987, S. 2354 [2355] spricht von Staatszielen. 30 Hierzu kann auf die Kritik am Merkmal der Systemgerechtigkeit verwiesen werden, soweit sich das Bundesverfassungsgericht, wie z. B. in BVerfGE 61, S. 138 [147 f.]; allein auf das Binnensystem einer Vorschrift bezieht: Zacher, AöR 93 (1968), S. 341 [352 ff.]; Rupp, in: Starck, Bundesverfassungsgericht, S. 364 [382 f.]; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 3 Abs. 1 Rn. 50 f. und ihm folgend P. Kirchhof, NJW 1987, S. 2354 [2356]. 31 Z. B. Heun, in: Dreier, GG, Art. 3 Rn. 27; Rüfner, in: Dolzer, BK zum GG, Art. 3 Abs. 1 Rn. 98 f.; Kallina, Willkürverbot und neue Formel, S. 177 ff.
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subjektiven Wertung des Gesetzgebers bedarf. Infolgedessen würde das Gleichheitsgebot kaum über das Willkürverbot hinausgehen. Zum anderen lässt sich der Ausgleich aber auch in die Ebene der Rechtfertigung verlagern, indem man davon ausgeht, dass eine Maßnahme grundsätzlich alle Gerechtigkeits33 maßstäbe zu verwirklichen hat. Verwirklicht das Gesetz einen oder mehrere Maßstäbe nicht, greift es in den Schutzgehalt von Art. 3 Abs. 1 GG ein. Dieser Eingriff kann allerdings gerechtfertigt sein, wenn der eine Zweck die Abweichung vom Gerechtigkeitsmaßstab des anderen Zwecks erfordert (siehe Abbildung). Eine Antwort ist mittels einer Abwägung zu finden.
Regelungszweck A
Schutzbereich
Regelungszweck B
Abweichung
Gerechtigkeitsmaßstab A
Gerechtigkeitsmaßstab B
Eingriff
Maßnahme verwirklicht nur Gerechtigkeitsmaßstab A Rechtfertigung Abwägung
Abbildung: Aufbau und Abwägungsprozesse bei Art. 3 Abs. 1 GG
___________ 32
Dies mag der Grund sein, warum Huster, Rechte und Ziele, S. 226 f.; ders., in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar, Art. 3 GG Rn. 90 den Gesetzgeber bei der Suche nach dem Gerechtigkeitsmaßstab nur an ein Willkürverbot binden will. 33 Einen ähnlichen Gedanken scheint das Bundesverfassungsgericht seit dem Vermögensteuerbeschluss (BVerfGE 93, S. 121 [148 f.]; 99, S. 280 [296]; BVerfG NVwZ 2004, S. 846 [847]; ähnlich v. Arnim, VVDStRL 39 (1981), S. 286 [329].) zu verfolgen, wenn es einerseits feststellt, dass steuerliche Lenkungsmaßnahmen, die vom gleichheitsrechtlich gebotenen Leistungsfähigkeitsprinzip abweichen, rechtfertigungsbedürftig sind und fordert, dass auch die Abweichung zugunsten des Lenkungszwecks gleichheitsrechtlich ausgestaltet sein muss, indem die Maßnahme an die richtigen Merkmale anknüpft. Allerdings legt das Gericht als Maßstab nur das Willkürverbot zu Grunde und erkennt jeden sachlichen Grund an (BVerfG NVwZ 2004, S. 846 [848]).
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4. Teil: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit
II. Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips Trennt man zwischen der Individualgerechtigkeit und den sonstigen konkurrierenden Belangen, lässt sich nicht nur die Prüfung des Gleichheitssatzes, wie bei den Freiheitsgrundrechten, dogmatisch in Schutzbereich, Eingriff und 34 Rechtfertigung einteilen, sondern auch das Verhältnismäßigkeitsprinzip übertragen. Denn anders als bei der Bestimmung des Gerechtigkeitsmaßstabes als Inhalt normativer Gleichheit, bei der es auf eine Würdigung der Personen und Sachverhalte ankommt, lassen sich die von Art. 3 Abs. 1 GG gebotene, normative Gleichheit und die sonstigen Interessen der Allgemeinheit oder Dritter mit 35 einander abwägen. Weicht eine staatliche Maßnahme vom gebotenen Gerechtigkeitsmaßstab ab, greift die Maßnahme in die von Art. 3 Abs. 1 GG geschützte Individualgerechtigkeit ein und bedarf der Rechtfertigung durch einen über36 wiegenden, öffentlichen Zweck. Der bei einer solchen Trennung entstehende Wertekonflikt zwischen der Individualgerechtigkeit und den Interessen der All37 gemeinheit sowie Dritter ist mittels einer Abwägung zu lösen. Damit existiert eine mit den Freiheitsrechten vergleichbare Konfliktkonstellation zwischen zwei widerstreitenden Interessen, nämlich dem subjektiven Recht des Betroffenen auf normative Gleichbehandlung und den Interessen der Allgemeinheit und Dritter. Es kann gefragt werden, ob die Abweichung zur Erreichung des öffentlichen Zwecks geeignet und erforderlich ist, sowie ob der Zweck zur normativen Gleichheit in einem angemessenen Verhältnis steht. Damit liegt eine Zweck-Mittel-Relation vor, wie sie beim Verhältnismäßigkeitsprinzip erforder38 lich ist, so dass einer Anwendung des Prinzips nichts entgegensteht.
III. Gesetzesvorbehalt Beschränkt man den Schutzgehalt von Art. 3 Abs. 1 GG auf die Individualgerechtigkeit, so stellt sich die Frage, inwieweit der Gesetzgeber zugunsten an___________ 34
Kloepfer, Gleichheit, S. 54 ff., 64; Huster, Rechte und Ziele, S. 225 ff.; ders., in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar, Art. 3 GG Rn. 78 ff. Dem dreigliedrigen Aufbau hat sich Jarass, AöR 120 (1995), S. 345 [361 ff., 380]; ders., NJW 1997, S. 2545 f. angeschlossen, will aber im Schutzbereich am Willkürverbot festhalten (AöR, S. 376). 35 Huster, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar, Art. 3 GG Rn. 75 f. 36 Huster, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar, Art. 3 GG Rn. 120 ff. 37 Die Literatur zum Steuerrecht verlangt ähnliches, wenn zugunsten von Lenkungszwecken vom Leistungsfähigkeitsprinzip als Ausprägung von Gerechtigkeit abgewichen wird (z. B. Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 244 f.; Vogel, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 87 Rn. 86; v. Arnim, in: Hansmeyer, Staatsfinanzierung, S. 725 [737 f.]; ders., VVDStRL 39 (1981), S. 322 f., 326 f.; Tipke, Steuerrechtsordnung, S. 331). 38 Vgl. Huster, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar, Art. 3 GG Rn. 75 f., 123 ff.
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derer Belange und Zwecke von diesem Maßstab abweichen kann. Da Art. 3 Abs. 1 GG keinen Gesetzesvorbehalt normiert, kann eine Beschränkung grundsätzlich nur im Rahmen der verfassungsimmanenten Schranken erfolgen. Wie bei vorbehaltlos gewährten Freiheitsrechten (z. B. Art. 4 Abs. 1, Art. 5 Abs. 3 GG) können aber im Einzelfall kollidierende Grundrechte und andere Rechts39 werte von Verfassungsrang vorbehaltlose Grundrechte beschränken. Dem Gesetzgeber kommt bei der Kollision konkurrierender Verfassungswerte eine vermittelnde Funktion zu. Er kann daher von der Individualgerechtigkeit abweichen, um Zwecke von Verfassungsrang zu erfüllen. Eine Beschränkung des Gesetzgebers auf Zwecke von Verfassungsrang hat indes nicht zur Folge, dass er wegen Art. 3 Abs. 1 GG nunmehr kaum noch Regelungen erlassen könne. 40 Denn die Verfassung benennt alle wichtigen Ziele des Staates. Abweichungen vom gebotenen Gerechtigkeitsmaßstab lassen sich zum Beispiel mit dem verfassungsrechtlichen Gebot der Rechtssicherheit und -klarheit aus Art. 20 Abs. 3 41 GG (abstrahierende Pauschalierungen oder Typisierungen), dem Sozialstaats42 prinzip in Art. 20 Abs. 1 GG (umverteilende Regelungen) oder dem Schutz anderer Grundrechte rechtfertigen. Vielmehr drückt sich in der Vorbehaltlosigkeit der wahre Wert des Gleichheitssatzes als wichtiges Gebot einer Rechtsordnung aus. Eine Beschränkung bedeutet schließlich auch nicht, dass der Ge43 setzgeber jetzt nur von der Verfassung gebotene Ziele verfolgen darf. Vielmehr kann er grundsätzlich jedes Ziel verfolgen und entsprechende Maßnahmen treffen, solange er sich an den diesbezüglichen Gerechtigkeitsmaßstab ___________ 39
Vgl. BVerfGE 28, S. 243 [261]; 52, S. 233 [247]; 57, S. 70 [99]; 81, S. 278 [292 ff.]; 83, S. 130 [139]; 84, S. 212 [228] und h. L. vgl. Dreier, in: Dreier, GG, Vorb. Rn. 88 f.; Sachs, in: Sachs, GG, Vor Art. 1 Rn. 120 ff. 40 So aber die Befürchtung von Huster, Rechte und Ziele, S. 233 ff., 239 und Kloepfer, Gleichheit, S. 57 f., die beide mit unterschiedlichen Hilfskonstruktionen einen weitreichenden Gesetzesvorbehalt schaffen wollen. 41 BVerfGE 16, S. 6 [16 ff.]; 65, S. 283 [291]; Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 122 f. 42 Strittig ist allerdings, ob das Sozialstaatsprinzip in Art. 20 Abs. 1 GG auch vorbehaltlose Grundrechte einschränken kann (ablehnend Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 50; befürwortend Neumann, DVBl. 1997, S. 92, [98 f.]). Eine unmittelbare Beschränkung von Grundrechten ohne nähere Konkretisierung durch den Gesetzgeber lehnte das Bundesverfassungsgericht in BVerfGE 59, S. 231 [263] ab, sah aber in BVerfGE 57, S. 70 [99] den Gesetzgeber auch bei vorbehaltlosen Grundrechten als befugt an, zwischen den widerstreitenden Verfassungsinteressen, zu denen auch das Sozialstaatsprinzip gehört, einen Ausgleich zu finden. Auch beim Gleichheitssatz akzeptierte das Bundesverfassungsgericht das Sozialstaatsprinzip als rechtfertigenden Grund für eine Ungleichbehandlung (vgl. BVerfGE 94, S. 241 [263]; 99, S. 367 [395]). Will der Gesetzgeber Abgaben sozialstaatlich ausgestalten und greift er damit in das von Art. 3 Abs. 1 GG gebotene Leistungsfähigkeitsprinzip ein, so konkretisiert er das Sozialstaatsprinzip und versucht zwischen gerechter Lastenverteilung und sozialer Umverteilung zu vermitteln. 43 Die Befürchtung hat Tipke, Steuerrechtsordnung, S. 332.
4. Teil: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit
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hält, da er dann nicht in Art. 3 Abs. 1 GG eingreift. Erst wenn er den gebotenen Maßstab missachtet, greift die Maßnahme in den Gleichheitsgrundsatz ein und bedarf einer Rechtfertigung durch Güter von Verfassungsrang.
IV. Schlussfolgerung Die ersten beiden Fragen sind somit dahingehend zu beantworten: Der Gleichheitsgrundsatz gebietet als Grundrecht die Einhaltung objektiv zu bestimmender Gerechtigkeitsmaßstäbe, welche die normative Gleichheit hinsichtlich der betroffenen Individuen konkretisieren. Bei der Bestimmung des Schutzgehaltes von Art. 3 Abs. 1 GG sind deshalb alle sonstigen Belange der Allgemeinheit oder Dritter nicht mit einzubeziehen. Sie können aber eine Abweichung vom gebotenen Gerechtigkeitsmaßstab rechtfertigen, wobei hierbei das Verhältnismäßigkeitsprinzip anzuwenden ist. Damit geht der Gleichheitsgrundsatz über ein bloßes Willkürverbot hinaus, das wegen der Einbeziehung aller Belange in den Schutzbereich von Art. 3 Abs. 1 GG nicht geeignet ist, den Schutzauftrag (Individualgerechtigkeit) zu verwirklichen. Für die gleichheitsrechtliche Überprüfung von Umweltsteuern sind die allgemein gebotenen Gerechtigkeitsmaßstäbe zu ermitteln. Die Maßstäbe haben dabei die unterschiedlichen verfolgten Zwecke (Einnahmeerzielung und Umweltschutz) zu beachten. Verwirklichen Umweltsteuern die gebotenen Gerechtigkeitsmaßstäbe nicht, bedarf es eines rechtfertigenden Grundes von Verfassungsrang, der mit dem Gebot der normativen Gleichheit abzuwägen ist.
B. Gerechtigkeitsmaßstäbe bei Umweltsteuern Der Gleichheitssatz enthält, wie festgestellt, keinen absoluten Gerechtigkeitsmaßstab, der für alle Regelungsmaterien gleich ist. Vielmehr kann je nach Regelungszweck eine unterschiedliche Behandlung der Adressaten gleichheitsrechtlich geboten sein. Bei der Suche nach den bei Umweltsteuern geltenden Gerechtigkeitsmaßstäben kommt es daher auf die mit ihnen verfolgten Zwecke an. Umweltsteuern dienen sowohl der Finanzierung des Staatshaushaltes als auch dem Schutz der Umwelt. Der Doppelfunktion entsprechen die verschiedenen Wirkungen. Während zur Einnahmeerzielung eine Geldzahlungspflicht erforderlich ist (Belastungswirkung), soll der Umweltschutz mit dem von Steu44 ern ausgehenden Vermeidungsdruck erreicht werden (Gestaltungswirkung). Allerdings bestimmen nicht die Wirkungen, sondern die verfolgten Zwecke die Gerechtigkeitsmaßstäbe, da die Wirkungen auch von Maßnahmen ausgehen ___________ 44
Siehe § 12 A. II.
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können, die anderen Zwecken dienen. Die bezüglich des Finanzierungs- und des Umweltschutzzwecks zu suchenden Maßstäbe der Individualgerechtigkeit dürfen sich nur an den Belangen der betroffenen Personen orientieren. Die Gerechtigkeitsmaßstäbe müssen, um Individualgerechtigkeit zu verwirklichen, die Verantwortung des Steuerzahlers für die finanzielle Ausstattung des Staates wie auch für den Schutz der Umwelt würdigen. Hinsichtlich der Finanzierungsfunktion kommt das von der herrschenden Meinung verlangte Leistungsfähigkeitsprinzip als gebotener Maßstab in Betracht. Der Umweltschutz könnte demgegenüber dem Verursacherprinzip unterworfen sein. Nach welchen Prinzipien sich die Steuervorschläge zur Ökologisierung der Landwirtschaft richten müssen, ist im Folgenden auszuarbeiten.
I. Leistungsfähigkeitsprinzip als Gerechtigkeitsmaßstab hinsichtlich des Finanzierungszwecks Für die Finanzierung der allgemeinen Staatsaufgaben sind alle Staatsbürger mitverantwortlich. Das Finanzierungsinstrument Steuer muss als Gemeinlast 46 den staatlichen Finanzbedarf gerecht auf alle Bürger verteilen. Weiterhin kennzeichnet den steuerlichen Fiskalzweck, im Unterschied zu den Gebühren und Beiträgen, das Fehlen einer individuellen Gegenleistung von Seiten des Staates. Eine Verteilung nach dem Äquivalenzprinzip wäre wegen der fehlenden, individualisierbaren Gegenleistung kein geeigneter Maßstab für die Belas47 tungswirkung von Steuern. In Betracht kommen alternativ für die möglichst gleichmäßige Verteilung der Finanzierungslast das Prinzip der Kopfsteuer, wonach der Betrag für jeden Bürger gleich wäre, oder das Leistungsfähigkeitsprinzip, wonach der Betrag im Verhältnis zur individuellen finanziellen Belastbarkeit bestimmt wird. Das Leistungsfähigkeitsprinzip kann sich auf die allgemeine Rechtfertigung von Steuern stützen, wonach der Bürger für den Staat als ein Gebilde verantwortlich ist, das seinem Schutz dient und seine wirtschaftliche Betätigung sichert. Die Verantwortung beschränkt sich auf die Beteiligung des Staates am finanziellen Erfolg seiner wirtschaftlichen Betätigung. Nach Art. 3 Abs. 1 GG muss jeder Bürger die gleiche Verantwortung tragen. Gleichheit, so wurde ___________ 45
So sind z. B. für Gebühren auch Geldzahlungspflichten nötig und gehen von ihnen damit Belastungswirkungen aus. Trotzdem dienen sie als Gegenleistungspflichten für staatliche Leistungen einem anderen Zweck als Steuern und sind mit dem Äquivalenzprinzip anderen Maßstäben unterworfen. 46 BVerfGE 84, S. 239 [269]. 47 Ausführlich Tipke, Steuerrechtsordnung, S. 475 ff., der für Sondersteuern (z. B. Mineralölsteuer) Ausnahmen machen will. Dies betrifft aber schon die Frage nach der gerechtfertigten Abweichung vom allgemeinen Gerechtigkeitsmaßstab.
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4. Teil: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit
oben ausgeführt, bedeutet aber nicht formale Gleichheit, sondern normative Gleichheit, welche die tatsächlichen Unterschiede der betroffenen Menschen berücksichtigt. Eine individualgerechte Verteilung finanzieller Verantwortung muss sicherstellen, dass jedem Bürger ein im Verhältnis seiner Finanzkraft 48 gleicher Teil an finanzieller Freiheit entzogen wird. Normative Gleichbehandlung schließt somit formal gleiche Geldbeträge aus, welche den Wohlhabenden gegenüber dem Nichtwohlhabenden proportional weniger in die Verantwortung nehmen. Die Kopfsteuer ist kein geeigneter Maßstab zur gleichmäßigen 49 Verteilung der Steuerlast. Sie gewährleistet nicht, dass der finanzschwache oder gar mittellose Bürger entsprechend weniger belastet, und schützt nicht das Existenzminimum als Ausprägung von Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 20 Abs. 1 50 GG . Somit ist das Leistungsfähigkeitsprinzip, wie es von der ganz herrschen51 den Meinung bei Steuern gefordert wird, der objektiv gebotene Gerechtigkeitsmaßstab, der die Belastungswirkung gerecht auf die Individuen verteilt. Vergleichsmerkmal hinsichtlich des Fiskalzwecks muss die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des einzelnen Steuerzahlers sein. Gleichwohl statuiert das Leistungsfähigkeitsprinzip kein eindeutiges System der Steuererhebung, da es nichts darüber aussagt, wie die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zu messen ist. Diese Frage ist für die steuerliche Anknüpfung von entscheidender Bedeutung. Leistungsfähigkeit indizieren nach allgemeiner Anschauung das erzielte Einkommen (Einnahmen), das gespeicherte Einkom52 men (Vermögen) und die Einkommensverwendung (Konsum). Nur eine um___________ 48
Ähnlich BVerfGE 93, S. 121 [135]; Walz, Steuergerechtigkeit und Rechtsanwendung, S. 163. Schon am Anfang des vergangenen Jahrhunderts wurde mit dem Opferminimumprinzip im Sinne einer verhältnisbezogenen Belastung das Leistungsfähigkeitsprinzip verwirklicht. Vgl. die Darstellung bei Rodi, Rechtfertigung von Steuern, S. 15 f. 49 Allgemeine Ansicht vgl. nur P. Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 88 Rn. 64; Tipke, Steuerrechtsordnung, S. 473 ff. 50 Siehe § 12 A. II. 4. 51 BVerfGE 68, S. 287 [310]; 74, S. 182 [199 f.] 84, S. 348 [363 f.]; 96, S. 1 [6]; 101, S. 132 [139]; 101, S. 151 [156]; Selmer, UTR Bd. 16, S. 15 [30]; Selmer/Brodersen, DVBl. 2000, S. 1153 [1156, 1158]; Osterloh, NVwZ 1991, S. 823 [826 f.]; Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 236 ff.; Vogel, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 87 Rn. 86; Meßerschmidt, Umweltabgaben, S. 131 f.; Wendt, DÖV 1988, S. 710 [714]; Huster, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar, Art. 3 GG Rn. 134 ff. Teilweise wird angezweifelt, ob das Leistungsfähigkeitsprinzip auf indirekte Steuern (Verbrauchs-, Umsatzsteuern) anwendbar oder vielmehr Wettbewerbsneutralität geboten sei (so P. Kirchhof, StuW 1985, S. 319 [324]; ders., in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 88 Rn. 123 ff.) Dies übersieht jedoch, dass der Gerechtigkeitsmaßstab hinsichtlich der mit der Steuer Belasteten (Konsumenten) und nicht der rein technischen Steuerzahler zu ermitteln ist. Wettbewerbsneutralität soll dagegen nur verhindern, dass die Unternehmen überhaupt belastet werden. 52 BVerfGE 7, S. 244 [260 ff.]; 16, S. 64 [74]; 65, S. 345 [357]; 98, S. 106 [124]; BVerfG NVwZ 2004, S. 846 [849]; Tipke, Steuerrechtsordnung, S. 900 ff., 903 ff. m. w. N.; Lang, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 4 Rn. 95; Vogel, in: Isensee/Kirchhof,
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fassende Betrachtung aller Indikatoren bildet die individuelle Leistungsfähigkeit ab. Jedoch sagt das Leistungsfähigkeitsprinzip nichts über die Gewichtung der Indikatoren aus. Allein Art. 106 GG könnte mit seiner Auflistung mögli53 cher Steuerarten die Wahl und Gewichtung der Indikatoren begrenzen. Doch gibt dieser Rahmen keine Auskunft, an welche Steuergegenstände und in welcher Höhe der Gesetzgeber steuerlich anknüpfen kann. Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts hat der Gesetzgeber bei der Auswahl des Steuergegenstandes und bei der Bestimmung des Steuersatzes einen weit reichenden Gestaltungsspielraum, muss aber die einmal getroffene Belastungsentscheidung 54 folgerichtig im Sinne der Belastungsgleichheit umsetzen. Weiter muss sich die Auswahl grundsätzlich auf Steuergegenstände beschränken, die Leistungsfähigkeit indizieren, wenn Leistungsfähigkeit das gerechte Vergleichsmerkmal ist. Dies entspricht im Ergebnis der Meinung, welche eine Beschränkung der Steuergegenstände aus der Aufzählung in Art. 106 GG herleiten will, dabei aber übersieht, dass die Verteilung nach der Leistungsfähigkeit ein Gebot des 55 Gleichbehandlungsgrundsatzes ist. Der Gesetzgeber kann trotz des in Art. 106 GG vorgesehenen Vielsteuersystems die Steuergegenstände nicht völ56 lig beliebig aussuchen. Denn soll die Summe der Einzelsteuern die individuelle Leistungsfähigkeit in seiner Gesamtheit erfassen, ist innerhalb der drei Indikatoren grundsätzlich jedes Einkommen, jedes Vermögen und jeder Konsum gleich zu besteuern. Eine Abweichung von den bei Art. 3 Abs. 1 GG gebotenen Gerechtigkeitsmaßstäben bedaf nach der oben ausgeführten Dogmatik der Rechtfertigung durch widerstreitende Interessen der Allgemeinheit oder Dritter von Verfassungsrang, andernfalls ist die Maßnahme verfassungswidrig. Im Ergebnis gebietet der Gleichheitsgrundsatz hinsichtlich des Fiskalzwecks bei Steuern eine Verteilung der Steuerlast nach der individuellen Leistungsfähigkeit des einzelnen Steuerpflichtigen. Das Leistungsfähigkeitsprinzip muss sowohl bei der Auswahl des Steuergegenstandes als auch bei der Ausgestaltung innerhalb der Steuer beachtet werden, wobei allerdings Abweichungen durchaus gerechtfertigt sein können. ___________ Handbuch des Staatsrechts, § 87 Rn. 95; P. Kirchhof, StuW 1984, S. 297 [298]; ders., in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 88 Rn. 70 ff.; Reiß, DStJG Bd. 13, S. 3 [13]; Jakob, Umsatzsteuer, § 1 Rn. 1. 53 Das BVerfG erachtet alle dort aufgelisteten Steuergegenstände für zulässig (z. B. BVerfGE 7, S. 244 [252]; 93, S. 121 [134 f.]). Ob Art. 106 GG das Steuerfindungsrecht beschränkt oder eine reine Aufkommensverteilungsregel darstellt, ist jedoch strittig (siehe § 11 A. II. und § 11 C. III. 2.). 54 BVerfGE 65, S. 325 [354]; zuletzt 93, S. 121 [136]; 99, S. 88 [95]; 99, S. 280 [290]; 101, S. 151 [155]; 101, S. 132 [138]. Zustimmend Lang, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 4 Rn. 98. 55 Siehe § 11 A. II. 56 Vgl. Tipke, Steuerrechtsordnung, S. 326 ff., 959 ff.; Trzaskalik, Gutachten zum 63. Dt. Juristentag, S. 57 ff.
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4. Teil: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit
II. Verursacherprinzip als Gerechtigkeitsmaßstab bei Umweltschutzzielen Das Umweltrecht kennt eine Vielzahl von Prinzipien, die jedoch oftmals nur verkleidete Ziele (z. B. Gefahrenabwehrprinzip, Vorsorgeprinzip, Kompensationsprinzip) oder Umschreibungen staatlicher Maßnahmen sind (z. B. Koopera57 tionsprinzip). Für die Individualgerechtigkeit kommt es allein auf Prinzipien an, die zwischen den Bürgern die Verantwortung zum Schutz der Umwelt verteilen. Derartige Prinzipien der Verantwortungszuweisung sind das Gemeinlastprinzip, wonach die Gesamtheit der Bürger für Umweltbeeinträchtigungen haftet, und das aus dem Polizeirecht kommende Verursacherprinzip, das jeden Einzelnen für sein umweltbeeinträchtigendes Verhalten zur Verantwortung 58 zieht. Beide Prinzipien gehen von einer unterschiedlichen Konzeption aus. Das Gemeinlastprinzip verteilt entstandene Schäden oder Schutzmaßnahmen auf die Allgemeinheit, indem die Kosten für die Schadensbeseitigung von allen getragen werden. Das Verursacherprinzip hilft im Polizei- und Ordnungsrecht zu bestimmen, wer für welche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verantwortlich ist und entsprechende Maßnahmen oder Kosten akzeptie59 ren muss. Verantwortung tragen natürliche aber auch juristische Personen, deren Verhalten für eine Gefahr adäquat und äquivalent ursächlich sind und 60 denen auch die Folgen vorhersehbar waren. Im Bereich des Umweltschutzes, welcher nur ein Spezialgebiet des Polizei- und Ordnungsrechts darstellt, richtet sich das Prinzip auf spezielle Gefahren für Mensch und Umwelt, wobei Gefah61 ren grundsätzlich alle Risiken umfassen. Seine Funktion, Gefahren bestimmten Verursachern zuzuordnen, bleibt gleich. Das Prinzip weist im Umweltrecht dem Verursacher einer Umweltbeeinträchtigung die finanzielle Verantwortung für Umweltschäden zu und bestimmt ihn auch als Adressat von Verhaltensän62 derungen. Indem das Prinzip auf die individuelle Verantwortung des Einzel___________ 57
Vgl. die Auflistung bei Bender/Sparwasser/Engel, Umweltrecht, § 1 Rn. 78 ff. Bender/Sparwasser/Engel, Umweltrecht, § 1 Rn. 89 ff. 59 Z. B. § 4 SächsPolG. Schenke, in: Steiner, Besonderes Verwaltungsrecht, II Rn. 143 ff. Das Prinzip ist weiterhin auch im Zivil- und insbesondere im Strafrecht von Bedeutung, soweit es um die Zurechnung von menschlichen Verhaltensweisen hinsichtlich bestimmter Folgen geht. 60 Schenke, in: Steiner, Besonderes Verwaltungsrecht, II Rn. 146, S. 154 ff.; Wolff/ Bachof/Stober, Verwaltungsrecht Band 1, § 36 Rn. 16. 61 Die hinsichtlich der Maßnahmen übliche Unterscheidung in Gefahrenabwehr und Vorsorge beruht nur auf der Schwere und der Wahrscheinlichkeit von Gefahren. Da fernliegende Gefahren nicht unbedingt schon Verbote rechtfertigen, können in diesem Bereich nur weniger strenge Vorsorgepflichten erlassen werden. Bei der Zuordnung von Gefahren im Rahmen des Verursacherprinzips ist diese Differenzierung irrelevant. 62 Rehbinder, Verursacherprinzip, S. 35 f.; Kloepfer, Umweltrecht, § 4 Rn. 41 ff.; Breuer, in: Schmidt-Aßmann, Besonderes Verwaltungsrecht, 5. Abschn. Rn. 12 ff.; Meßerschmidt, Umweltabgaben, S. 87 f. 58
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nen abstellt, verteilt es die Verantwortung nach dem Grad der Ursächlichkeit für bestimmte Gefahren und Risiken. Das Verursacherprinzip ist somit ein Gerechtigkeitsprinzip, das die finanzielle oder rechtliche Verantwortung für Um63 weltbeeinträchtigungen nach der individuellen Verantwortlichkeit zuweist. Die Suche nach der von Art. 3 Abs. 1 GG gebotenen Individualgerechtigkeit ist gerade die Suche nach einem Vergleichsmerkmal, welches, bezogen auf einen Zweck, die Verantwortlichkeit der Adressaten indiziert und sonstige Belange der Allgemeinheit und Dritter vorerst nicht beachtet. Da das Verursacherprinzip allein auf das individuelle Verhalten abstellt, ist es bei Maßnahmen zum Schutz der Umwelt vor Gefahren und Risiken, die von Privatpersonen 64 ausgehen, der geeignetste Maßstab normativer Gleichheit. Dem Gemeinlastprinzip kommt demgegenüber im Umweltrecht nur die Funktion eines subsidiären Auffangprinzips zu, wenn sich die Verantwortung des individuellen Verur65 sachers nicht oder nicht eindeutig ermitteln lässt. So hat dann auch das Europarecht in Art. 174 Abs. 2 EGV das Verursacherprinzip ausdrücklich zum Leitprinzip des Umweltrechts erhoben. Ähnliches sieht der Entwurf der Unabhängigen Sachverständigenkommission des Bundesumweltministeriums für ein 66 Umweltgesetzbuch vor. Soweit das Verursacherprinzip wegen möglicher sozialer Härten als Gerech67 tigkeitsprinzip kritisiert wird, muss man beachten, dass die Kritiker Gerechtigkeit umfassender verstehen und soziale Gerechtigkeit mit einbeziehen. Die ___________ Die ursprüngliche engere Auffassung von einem reinen Kostenzurechnungsprinzip ist zu Recht aufgegeben worden, da sich die materielle Verantwortlichkeit nicht in der nachträglichen Kompensation erschöpft, sondern die Gefahrenabwehr oder die Vorsorge den Verantwortlichen auch verpflichten, sein umweltbeeinträchtigendes Verhalten zu unterlassen oder abzuändern. 63 Jarass, Nichtsteuerliche Abgaben und lenkende Steuern, S. 56; BMU, UGBKomE, S. 456; Bender/Sparwasser/Engel, Umweltrecht, Teil 1 Rn. 74. 64 Kloepfer, Umweltrecht, § 4 Rn. 41 ff., 47; Breuer, in: Schmidt-Aßmann, Besonderes Verwaltungsrecht, 5. Abschn. Rn. 12; v. Arnim, in: Hansmeyer, Staatsfinanzierung, S. 725 [737]; Siebert, produzierte Chaos, S. 158; in diesem Sinne auch Hey, StuW 1998, S. 32 [40, 47]. Auch das Bundesverfassungsgericht konstatierte in seinem Ökosteuerurteil (BVerfG NVwZ 2004, S. 846 [849]), dass hinsichtlich der gesetzlichen Absicht, einen sparsameren Umgang mit Energieressourcen anzureizen (Lenkungszweck), eine gleichmäßige Belastung bei gleicher Umweltschädlichkeit des Verbrauchs geboten ist. Es bestimmte somit die Verteilung nach der Ursächlichkeit für Umweltbelastungen, auch wenn es nicht ausdrücklich das Verursacherprinzip anführte. 65 BMU, UGB-KomE, S. 111, 457; Kloepfer, Umweltrecht, § 4 Rn. 55 ff.; Bender/Sparwasser/Engel, Umweltrecht, § 1 Rn. 92; Breuer, in: Schmidt-Aßmann, Besonderes Verwaltungsrecht, 5. Abschn. Rn. 17; Meßerschmidt, Umweltabgaben, S. 88; Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 20a Rn. 35 sieht das Verursacherprinzip sogar als von Art. 20a GG geboten an. 66 BMU, UGB-KomE, S. 111, 456. 67 Z. B. Meßerschmidt, Umweltabgaben, S. 92.
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4. Teil: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit
bei Art. 3 Abs. 1 GG zu bestimmende normative Gleichheit richtet sich jedoch nach dem jeweiligen Regelungszweck. Ein sozialer Regelungszweck verlangt andere Maßstäbe als ein umweltschützender Zweck. Für das Ziel Umweltschutz kommt es allein auf die Verantwortung des Einzelnen für bestimmte Umweltbeeinträchtigungen an. Der gleichheitsrechtliche Gerechtigkeitsgehalt des Verursacherprinzips kann daher nicht mit sozialen Argumenten angezweifelt werden. Anpassungen aus sozialstaatlichen Gründen sind aber im Rahmen der Rechtfertigung möglich. Das Verursacherprinzip formuliert indes ein eher abstraktes Bild von Individualgerechtigkeit. Die konkrete Ausgestaltung und die möglichen Anknüpfungspunkte sind durch das Prinzip nur allgemein vorgegeben. So bedingt die Verkettung von Kausalitäten, dass als Verursacher oftmals mehrere Verantwortliche in Betracht kommen. Fraglich ist, ob das Verursacherprinzip als Gerechtigkeitsprinzip eine bestimmte Form der Kausalität (Äquivalenz, Adäquanz 68 oder Vorhersehbarkeit) verlangt. Eine reine äquivalente Kausalität, wonach die Verhaltensweise nicht hinweg gedacht werden darf, wäre zu weitgehend. Vielmehr ist eine nach allgemeiner Lebenserfahrung oder wissenschaftlichen Erkenntnissen wesentliche Kausalität zu fordern, die Mitursächlichkeit ein69 schließt. So sind bei einem umweltbelastenden Produkt der Hersteller und der Konsument verantwortlich, da beide durch das ökonomische System von An70 gebot und Nachfrage untrennbar miteinander verknüpft sind. Bei Umwelt71 steuern kommen somit mehrere Umsetzungsvarianten in Betracht. Man könnte das Verursacherprinzip als ausschließliches Kostenzurechnungsprinzip an72 wenden, indem man die verursachten, externen Zusatzkosten internalisiert. Die von Pigou entwickelte Idee, alle Folgekosten zu internalisieren, stellt jedoch ein ökonomisches Ideal dar, welches aufgrund der Komplexität der Kausalverhältnisse und der schwierigen monetären Bewertung von Umweltgütern ___________ 68
Vgl. die Diskussion bei Meßerschmidt, Umweltabgaben, S. 90 ff.; Schenke, in: Steiner, Besonderes Verwaltungsrecht, II Rn. 154; Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht Band 1, § 36 Rn. 16. Zur strafrechtlichen Kausalitätsdiskussion z. B. Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil, S. 292 ff., 308 ff., 310 ff.; zu den zivilrechtlichen Bestimmungsansätzen z. B. Larenz, Schuldrecht Band 1, S. 431 ff. 69 BVerwGE 10, S. 258 [260 f.]; Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht Band 1, § 36 Rn. 16. Zur Diskussion um eine spezielle polizeirechtliche Kausalität vgl. Schenke, in: Steiner, Besonderes Verwaltungsrecht, II Rn. 155 f. 70 Kloepfer, Umweltrecht, § 4 Rn. 49; Rehbinder, Verursacherprinzip, S. 29 ff.; Balmes, Umweltsteuern, S. 225; Adams, JZ 1989, S. 787 [789], der allerdings deswegen das Verursacherprinzip für eine Leerformel hält. 71 Rehbinder, Verursacherprinzip, S. 136 f.; Meßerschmidt, Umweltabgaben, S. 93 f.; Breuer, in: Schmidt-Aßmann, Besonderes Verwaltungsrecht, 5. Abschn. Rn. 13 ff.; Kloepfer, Umweltrecht, § 4 Rn. 43. 72 Rehbinder, Verursacherprinzip, S. 136 ff.; Meßerschmidt, Umweltabgaben, S. 62. Siehe § 3 A. I.
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und -schäden nicht konsequent umsetzbar ist. Besser ist es, statt der tatsächlichen Schadenskosten pauschalisierte Kostenzuweisungen festzulegen, um ei74 nen politisch festgelegten Zustand zu erreichen (Standard-Preis-Ansatz). Das Verursacherprinzip ist nicht nur ein Kostenzurechnungsprinzip, sondern weist generell die individuelle Verantwortung für Umweltgefahren zu. Umweltschutzmaßnahmen müssen sich nicht auf nachfolgende Reparaturmaßnahmen beschränken. Sie können auch versuchen, den Umweltbeeinträchtigungen im Vorfeld zu begegnen, indem man das ursächliche Verhalten verändert. Umweltsteuern können dies, losgelöst von den tatsächlichen externen Kosten, verwirklichen, wenn man das umweltschädigende Verhalten entsprechend seinem Verursacherbetrag und in einer Höhe besteuert, die zur Vermeidung an75 reizt. Danach sind die Verursacher nicht nur hinsichtlich der Kosten, sondern bezüglich der Umweltbeeinträchtigungen als solche verantwortlich. Wie stark der Anreiz und somit der Lenkungsdruck sein sollte, bleibt dem Gesetzgeber überlassen, da das Verursacherprinzip als Maßstab der Individualgerechtigkeit die Verantwortung nur unter den Verursachern, nicht aber zwischen Staat und Bürgern verteilt. Es muss nur gewährleistet sein, dass innerhalb einer Steuer konsequent nach der Ursächlichkeit, also der Schwere der Verantwortung differenziert wird. Umweltabgaben müssen deshalb die Ursächlichkeit des Adressaten für Umweltbeeinträchtigungen schon tatbestandlich erfassen. Dies kann geschehen, indem man an das umweltbeeinträchtigende Verhalten (z. B. die Emission von Stoffen, die Verwendung umweltschädlicher Produkte etc.) anknüpft. Insgesamt ist eine Besteuerung nach der Anreizwirkung gegenüber der 76 reinen Kostenzurechnung vorzuziehen.
III. Konflikt von Leistungsfähigkeitsprinzip und Verursacherprinzip Umweltabgaben sind oft dem Vorwurf der Umweltungerechtigkeit ausgesetzt, weil sie dem Wohlhabende eine Umweltbeeinträchtigung gestatten, für den Nichtleistungsfähigen aber wie ein Verbot wirken. Der Vorwurf spiegelt die oben herausgearbeiteten unterschiedlichen Anforderungen des Gleichheitssatzes an Umweltabgaben wieder. Gebietet Art. 3 Abs. 1 GG bei Umweltsteuern für den Fiskalzweck eine Verteilung nach der individuellen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und eine tatbestandliche Anknüpfung an Steuergegenstände, die Leistungsfähigkeit indizieren; so bestimmt er hinsichtlich des ___________ 73
Siehe § 3 A. I. Siehe § 3 A. II. 75 Breuer, in: Schmidt-Aßmann, Besonderes Verwaltungsrecht, Abschn. 5 Rn. 12, 15; Rehbinder, Verursacherprinzip, S. 136, 152 f.; Kloepfer, Umweltrecht, § 4 Rn. 43, § 5 Rn. 181. 76 Rehbinder, Verursacherprinzip, S. 152, 161; Kloepfer, Umweltrecht, § 5 Rn. 227. 74
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4. Teil: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit
Umweltschutzes, dass sich die Steuerlast nach der Verantwortung für Umweltbeeinträchtigungen verteilt und der Steuergegenstand das umweltbeeinträchtigende Verhalten mit erfasst. Die Doppelfunktion von Umweltsteuern bedingt somit unterschiedliche Steuergegenstände sowie Steuerverteilungen und erfordern einen Ausgleich der Maßstäbe. Bei einem erfolgreichen Ausgleich hat der Vorwurf der Umweltungerechtigkeit keinen Bestand. Für den Ausgleich kommen unterschiedliche Möglichkeiten in Frage. Eine weit verbreitete Ansicht in der Steuerrechtswissenschaft will dem Leistungsfähigkeitsprinzip gegenüber sonstigen Prinzipien und Zwecken einen Vorrang einräumen, da das Leistungsfähigkeitsprinzip aus dem Wesen der 77 Steuer folge. Konsequenterweise sollen daher die Steuergegenstände immer 78 Leistungsfähigkeit indizieren. Allenfalls innerhalb der Steuer können andere Verteilungsprinzipien als das Leistungsfähigkeitsprinzip angelegt werden, wenn ein öffentlicher Zweck die Abweichung rechtfertigt. Ein solch absoluter Vorrang des Leistungsfähigkeitsprinzips erscheint jedoch zweifelhaft. Das Leistungsfähigkeitsprinzip folgt nicht schon aus der 79 Steuerauflistung in Art. 106 GG. Die obige Ansicht übersieht, dass sich die Geltung und der Inhalt des Leistungsfähigkeitsprinzips nach seiner Funktion als Gerechtigkeitsmaßstab hinsichtlich des Finanzierungszwecks nach Art. 3 Abs. 1 GG bestimmt. Es ist allgemein anerkannt, dass der Gesetzgeber mit Steuern nicht nur Einnahmen erzielen, sondern auch andere Zwecke (auch als 80 Hauptzweck) verfolgen darf. Die bei anderen Steuerzwecken gebotenen Gerechtigkeitsmaßstäbe, wie z. B. beim Umweltschutz das Verursacherprinzip, relativieren die Geltung des Leistungsfähigkeitsprinzips. Ein verfassungsrechtlicher Steuerbegriff, der das Leistungsfähigkeitsprinzip zum absoluten Steuerverteilungsprinzip erklärt, würde hinsichtlich der verfassungsrechtlich zulässigen Lenkungszwecke eine Verteilung fordern, die dem Gleichheitssatz zuwi81 derläuft. Dieser Konflikt kann in zwei Richtungen entschieden werden. Entweder man hebt die Zweckoffenheit der Steuer wieder auf und beschränkt sie allein auf den Fiskalzweck. Oder man muss anerkennen, dass das Leistungsfähigkeitsprinzip nur ein Gerechtigkeitsprinzip unter mehren ist, soweit die Steuer mehr als einen Zweck verfolgt. Ein gewisser Vorrang des Leistungsfähigkeitsprinzips resultiert allenfalls daraus, dass der Fiskalzweck zumindest ___________ 77
P. Kirchhof, DStJG Bd. 15, S. 3 [21 ff.]; ders., in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 88 Rn. 69 ff.; Köck, JZ 1991, S. 692 [696 f.]; Trzaskalik, Gutachten zum 63. Dt. Juristentag, S. 28, 46 ff., ders., StuW 1992, S. 135 [141]; Selmer/Brodersen, DVBl. 2000, S. 1153 [1159]; Morgenthaler, DStJG Bd. 15, S. 197 [210]; MüllerFranken, JuS 1997, S. 872 [874 f.]; Vogel, DStJG Bd. 12, S. 123 [142]. 78 Siehe § 11 A. II. 79 Siehe § 11 A. II. 80 Siehe § 11 A. I. 81 Ähnliches klingt bei Frenz, Verursacherprinzip im Öffentlichen Recht, S. 192 f.
§ 13 Gleichheitsgrundsatz
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Nebenzweck der Steuer sein muss, wohingegen andere Zwecke nicht zwingend zu verfolgen sind. Das Leistungsfähigkeitsprinzip ist insoweit bei jeder Steuer zu beachten, allerdings nur relativ und nicht absolut. Es kann zugunsten ande82 rer Ziele zurücktreten. Wie festgestellt, müssen Umweltsteuern sowohl dem Leistungsfähigkeitsprinzip als auch dem Verursacherprinzip genügen. Idealer Weise würde die Leistungsfähigkeit mit der umweltrechtlichen Ursächlichkeit zusammenfallen, wenn z. B. der Umweltnutzer besonders leistungsfähig ist. Regelmäßig fällt die Leistungsfähigkeit aber nicht mit der umweltrechtlichen Verantwortung zusammen, was regelmäßig der Fall sein wird, so dass unterschiedliche Differenzen entstehen, die bei der Rechtfertigung zu berücksichtigen sind. Die geringsten Widersprüche entstehen, wenn der Steuertatbestand beide Gerechtigkeits83 merkmale würdigt, indem er beide Maßstäbe verschachtelt. Ein geringer Widerspruch liegt auch vor, wenn der Steuergegenstand sowohl Leistungsfähigkeit und Ursächlichkeit indiziert, bei der Steuersatzverteilung aber entweder nach der Leistungsfähigkeit oder nach der Verursachung von Umweltbeeinträchtigungen differenziert. Als Beispiel seien hier Verbrauchssteuern auf umweltschädliche Produkte genannt (z. B. Mineralölsteuer). Ein erheblicher Widerspruch besteht indes, wenn der Steuergegenstand nur ein Gerechtigkeitsmerkmal ausdrückt, d. h. entweder Leistungsfähigkeit oder Ursächlichkeit 84 indiziert. In diesem Fall verdrängt der eine Maßstab den anderen völlig. Letzteres wäre nur begrenzt gleichheitsrechtlich zulässig, da zwischen den gebotenen Gerechtigkeitsmaßstäben ein Ausgleich im Sinne der praktischen Konkordanz zu suchen ist, wonach jeder grundrechtliche Schutz weitestgehend zu verwirklichen ist. Im Übrigen darf das Leistungsfähigkeitsprinzip aufgrund der Fiskalzweckverpflichtung nicht völlig unbeachtet bleiben. Im Ergebnis müssen Umweltsteuern zwei Gerechtigkeitsmaßstäbe einhalten. Hinsichtlich des Finanzierungszwecks fordert Art. 3 Abs. 1 GG eine Ausgestaltung der Belastungswirkung nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip. Bezüglich des Schutzes der Umwelt muss sich die Gestaltungswirkung nach dem Verursacherprinzip ausrichten. Soweit beide Maßstäbe sich widersprechen, kann die ___________ 82
BVerfGE 65, S. 325 [354]; 68, S. 287 [310]; 74, S. 182 [199 f.] 84, S. 348 [363 f.]; 85, S. 238 [244]; 96, S. 1 [6]; 101, S. 132 [139]; 101, S. 151 [156]; Selmer, UTR Bd. 16, S. 15 [30]; Selmer/Brodersen, DVBl. 2000, S. 1153 [1156, 1158]; Osterloh, NVwZ 1991, S. 823 [826 f.]; Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 236 ff.; Vogel, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 87 Rn. 86; Meßerschmidt, Umweltabgaben, S. 131 f.; Wendt, DÖV 1988, S. 710 [714]. 83 So kann die Steuer nach der Leistungsfähigkeit ausgerichtet sein und innerhalb der selben Leistungsfähigkeit aber nach dem umweltbelastenden Verhalten differenzieren oder umgekehrt. 84 Wenn man nicht mit Gawel, StuW 1999, S. 374 ff. sogar in der Umweltnutzung einen Indikator für Leistungsfähigkeit erblicken will.
4. Teil: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit
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Nichtverwirklichung eines Maßstabes durch den anderen Zweck gerechtfertigt sein. Dabei ist allerdings im Rahmen der einzelnen Steuer ein Ausgleich zu suchen, der beiden gebotenen Prinzipien zur Durchsetzung verhilft oder zumindest eine völlige Verdrängung eines Maßstabes verhindert.
IV. Exkurs: Gerechtigkeitsmaßstäbe bei Umweltsonderabgaben Umweltsonderabgaben dienen, anders als Steuern, nicht der Finanzierung des allgemeinen Staatshaushaltes, sondern sind auch hinsichtlich des Aufkommens zweckgebunden. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts müssen Sonderabgaben der Gruppe der Abgabenzahler wieder zugute 85 kommen. Ihre Einnahmen haben deshalb einem eigenständig verwalteten Fonds zu zufließen. Hinsichtlich der anzulegenden Gerechtigkeitsmaßstäbe ist bei Umweltabgaben entscheidend, ob sie ausschließlich Lenkungszwecke verfolgen oder auch der Finanzierung bestimmter Umweltaufgaben dienen. Beim Lenkungszweck gebietet die Individualgerechtigkeit eine Erhebung nach dem Verursacherprinzip. Beim Finanzierungszweck wird es jedoch schwieriger. Anders als bei den Steuern ist bei Umweltsonderabgaben die Verwendung der Einnahmen dem Lenkungszweck unterworfen. Sie sollen auch den Umweltschutz befördern. Fraglich ist deshalb, ob hier, wie bei den Steuern, das Leistungsfähigkeitsprinzip zu beachten ist oder wegen des bezweckten Umweltschutzes das Verursacherprinzip gilt. Sonderabgaben werden von einer bestimmten abgrenzbaren Gruppe erhoben und sollen dieser generell wieder zufließen. Bezweckt eine Umweltsonderabgabe die Verbesserung der Umweltsituation im Bereich der Abgabengruppe, so überwiegt die Umweltverantwortung des Einzelnen die rein finanzielle Verantwortung, da die Einnahmeerzielung nur Mittel zum Umweltschutz und nicht, wie bei Steuern, Selbstzweck ist. Somit ist das Verursacherprinzip bei Umweltsonderabgaben der einzig zu beachtende Gerechtigkeitsmaßstab.
C. Vereinbarkeit der vorgeschlagenen Umweltabgaben mit Art. 3 Abs. 1 GG I. Änderung der Grundsteuer Der Vorschlag für eine Grundsteueränderung bezweckt eine unterschiedliche Steuerbelastung für ökologische und konventionelle Landwirtschaftsflä___________ 85
BVerfGE 55, S. 274 [298 ff., insb. 304 ff.]; 67, S. 256 [274 ff.]; 91, S. 186 [201 ff.]; P. Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 88 Rn. 231 ff.
§ 13 Gleichheitsgrundsatz
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chen. Ausgehend von einer Dogmatik, bei welcher der Schutzbereich von Art. 3 Abs. 1 GG die Einhaltung bestimmter auf den jeweiligen Regelungszweck bezogener Gerechtigkeitsprinzipien gebietet, müsste die Grundsteueränderung grundsätzlich sowohl dem Leistungsfähigkeits- als auch dem umwelt86 rechtlichen Verursacherprinzip entsprechen. Soweit die Grundsteuer teilweise 87 mit dem Äquivalenzprinzip begründet wird, gewährleistet dies nicht die Indi88 vidualgerechtigkeit bei den gegenleistungslosen Steuern. Zwar profitiert der Grundstückseigentümer regelmäßig von kommunalen Leistungen. Diese werden aber soweit sie konkret zurechenbar sind, schon durch entsprechende Gebühren und Beiträge abgegolten (z. B. Abwasseranschlussbeitrag, Abwassergebühr, Straßenbeitrag etc.). Generelle Leistungen, die jeder Gemeindebürger in Anspruch nimmt, stehen hingegen in keinem konkreten Bezug zum Grundeigentum. Sie sind vielmehr durch Steuern zu finanzieren, die dazu dienen, den allgemeinen Finanzbedarf des Staates zu decken. Somit gilt bei der Grundsteu89 er das Leistungsfähigkeitsprinzip. Das Leistungsfähigkeitsprinzip verlangt, dass sich die steuerliche Belastung an der individuellen Leistungsfähigkeit orientiert. Diese lässt sich anhand des Einkommens, des gespeicherten Vermögens sowie der Vermögensverwendung bestimmen. Grundstücke sind speichernde Vermögenswerte. Trotzdem wird in der Rechtswissenschaft generell die Vereinbarkeit der Grundsteuer mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip angezweifelt, da die derzeitigen Einheitswerte kaum den Verkehrswert widerspiegeln und die Grundsteuer vor allem nicht die indi90 viduelle Finanzlage berücksichtigt. Außerdem sei neben einer Einkommensteuer, die auch Vermögenserträge erfasst, und einer Umsatzsteuer für eine Vermögensbesteuerung kein Platz mehr, weil auch die Vermögen- und Grundsteuer aus dem Einkommen finanziert werden und kein überzeugender 91 Rechtfertigungsgrund erkennbar ist. Eine besondere Leistungsfähigkeit des Grundstückseigentümers an sich sei nicht ersichtlich, da ein Grundstück auch 92 mit einer Schuld belastet sein kann, die den gesamten Wert aufbraucht. Diese Argumentation ist zu einseitig. Die verschiedenen steuerlichen Anknüpfungen des gegenwärtigen Steuersystems dienen dazu, ein umfassendes Bild der Leistungsfähigkeit des Bürgers zu ermitteln, was ein einzelner Indika___________ 86
Siehe § 13 A. und B. Z. B. Begründung zum Einführungsgesetz des Realsteuergesetzes, RStBl. 1937, S. 689. 88 Tipke, Steuerrechtsordnung, S. 810, 817 f. 89 Siehe § 13 B. I. 90 Tipke, Steuerrechtsordnung, S. 817; Seer, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 13 Rn. 201 f., 210. 91 Tipke, Steuerrechtsordnung, S. 775 ff., 780, 786. 92 Tipke, Steuerrechtsordnung, S. 813 f. 87
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4. Teil: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit
tor nicht könnte. Grundstücke können in Folge der Situationsumstände aber auch durch die rechtliche oder tatsächliche Nutzungsart erhebliche Wertsteigerungen erfahren, die nur teilweise auf Investitionen des Eigentümers zurückgehen. Derartige Vermögenszuwächse erfassen weder die Einkommens- noch die Umsatzsteuer. Gleiches gilt für sonstige Vermögensgüter, seien es Unternehmensbeteiligungen, Aktien oder Kunstgegenstände. Große Vermögen entstehen oftmals weniger durch langsames Ansparen von Einkommen als durch von außen eintretende erhebliche Wertsteigerungen von Vermögensgütern, weshalb das Vermögen nicht schon abschließend durch die Einkommensteuer erfasst 93 ist. Zumindest die nicht einkommensbedingten Vermögenssteigerungen kann 94 nur eine Vermögenswertsteuer berücksichtigen. Das Vermögen an sich ist 95 nicht nur, wie oft angenommen, ein Indiz für ein höheres Einkommen, sondern verkörpert einen eigenständigen Teil der individuellen Leistungsfähig96 keit. Die Besteuerung von Vermögensgegenständen entspricht dem Leistungsfähigkeitsprinzip, weil die Wertsteigerung der Vermögensgegenstände ei97 nen Teil der Leistungsfähigkeit ausmacht. Die Nichtberücksichtigung würde zu wesentlichen Ungleichbehandlungen führen, weil dann das Steuersystem nicht die tatsächliche Leistungsfähigkeit abbildet und wesentliche Unterschiede 98 vernachlässigt. Es läge, wenn nicht ein Verstoß, so doch eine rechtfertigungsbedürftige Abweichung vom Leistungsfähigkeitsprinzip vor. Ob man die Vermögenswertsteuer in eine Grundsteuer für Immobilarvermögen und eine Vermögensteuer für sonstige Vermögensgegenstände trennt, ist eine rein steuertechnische Frage, soweit der Belastungsmaßstab vergleichbar ist. Eine Doppelbesteuerung durch Grundsteuer und Vermögensteuer ist jedoch nicht durch eine höhere Leistungsfähigkeit des Grundeigentümers gerechtfertigt. Die Verteilung der Steuerlast nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip erfordert, dass jeder Vermögensgegenstand entsprechend seinem Wert gleich hoch belastet wird. Es hat sich jedoch beim Bewertungsgesetz gezeigt, dass es verwaltungstechnisch nur mit viel Aufwand möglich ist, alle Vermögenswerte zu er___________ 93
So aber Tipke, Steuerrechtsordnung, S. 778 ff. Strunk, StuW 1980, S. 51 [53]. Vgl. Rodi, ZUR 2002, S. 164 [166 f.]. 95 Zu derartigen Rechtfertigungstheorien vgl. Tipke, Steuerrechtsordnung, S. 775 ff. 96 Gesetzesbegründung BT.-Drs. VI/3418, S. 51; Böckenförde, Sondervotum zu BVerfGE 93, S. 121 [149 [155, 158 f.]]; Birk, DStJG Bd. 22, S. 7 [12, 15 f., 22 f.] m. w. N. Als bloßes Indiz für Vermögenserträge ist das Vermögen zutreffend ein eher ungenaues Mittel und sollte besser durch eine Besteuerung der Ist-Erträge ersetzt werden. 97 Diese einkommensunabhängige Wertsteigerung übersieht Tipke bei seiner Analyse der Versuche die Vermögensteuer durch das Leistungsfähigkeitsprinzip zu rechtfertigen (vgl. Steuerrechtsordnung, S. 775 ff). 98 Ähnlich Böckenförde, Sondervotum zu BVerfGE 93, S. 121 [149 [162, 164]]; Birk, DStJG Bd. 22, S. 7 [15 f., 18]; Weber-Grellet, BB 1996, S. 1415 [1416]. 94
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fassen und zu bewerten. Vor allem im privaten Bereich ist die Ermittlung der Vermögensverhältnisse schwierig, da anderes als bei den Unternehmen keine Bilanzierungspflichten bestehen. Ob die Finanzämter von möglichen Vermögenswerten erfahren, hängt oftmals nur von der Ehrlichkeit mancher Steuer100 pflichtiger ab. Insofern ist eine gerechte Lastenverteilung nicht mehr gewährleistet. Aufgrund der praktischen Probleme stellt sich die Frage, ob es dem Leistungsfähigkeitsprinzip mehr entspräche, Vermögen als ganzes außen vor zu lassen oder nur Güter zu besteuern, die wie Grundstücke, Wertpapiere, Un101 ternehmensbeteiligungen und Barvermögen kontrollier- und bewertbar sind. Grundsätzlich ist eine teilweise Umsetzung des Leistungsfähigkeitsprinzips gegenüber einer Nichtumsetzung vorzuziehen, wobei aber eine dringende Neubewertung der Grundstückswerte erforderlich ist. Andererseits kann die nicht vollständige Besteuerung aller Vermögensgegenstände unerwünschte Lenkungswirkungen entfalten, wenn die Betroffenen auf nicht besteuerte Gegenstände ausweichen. Für die vorgeschlagene Änderung folgt daraus, dass sie mit einer Reform der Einheitsbewertung einhergehen sollte. Betrachtet man allein die Änderung, so unterscheidet sich die Steuerlast nach der Bewirtschaftungsweise, wobei allerdings die Anknüpfung an die Einheitswerte nicht aufgehoben wird. Die Differenzierung beseitigt somit die Ausrichtung nach der Leistungsfähigkeit nicht, sondern relativiert sie nur durch einen weiteren Faktor. Diese Abschwächung des Leistungsfähigkeitsprinzips könnte durch den mit der Änderung verfolgten Schutz der Umwelt gerechtfertigt sein. Der Gleichheitssatz erfordert bei Umweltsteuern hinsichtlich der Gestaltungswirkung eine Verteilung nach dem Verursacherprinzip, die jeden gemäß seinem Verursacherbeitrag belastet. Eine Steuer, die zwischen ökologischer und konventioneller Landwirtschaft differenziert, wird diesem Prinzip gerecht. Um die Ursächlichkeit bodenbeeinträchtigender Wirkungen steuerlich zu würdigen, ist eine Anknüpfung an die Bodenfläche nötig. Allerdings erfolgt auch hier keine hundertprozentige Umsetzung, da in die Steuerberechnung auch der Grundstückswert einfließt. Letzteres ist der Umsetzung des Leistungsfähigkeitsprinzips geschuldet, zu dem der Steuergesetzgeber auch verpflichtet ist. Somit lassen sich beide Prinzipien nicht vollständig verwirklichen, da der jeweilige andere Regelungszweck eine Abweichung erfordert. Ein Ausgleich zwischen den widerstreitenden Zielen und Gerechtigkeitsmaßstäben erfordert 102 einen Kompromiss bei dem jeder Maßstab weitestgehend eingehalten wird. ___________ 99
Birk, DStJG Bd. 22, S. 7 [17 f.]. Zur Einheitsbewertung von Grundstücken: Wissenschaftlicher Beirat beim BMF, Einheitsbewertung, S. 18 ff. 100 Tipke, Steuerrechtsordnung, S. 799; Birk, DStJG Bd. 22, S. 7 [18]. 101 Birk, DStJG Bd. 22, S. 7 [18, 23 f.]. 102 Siehe § 13 B. III.
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4. Teil: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit
Einen solchen Kompromiss beinhaltet die Verknüpfung beider Kriterien im Steuertatbestand (Einheitswert mal differenzierten Steuermessbetrag). Die verbleibenden Einschränkungen sind durch den jeweiligen Gesetzeszweck gerechtfertigt. Sowohl der Finanzierungszweck als auch der Schutz der Umwelt sind wichtige Ziele des Staates von Verfassungsrang (Art. 105 f. GG und Art. 20a GG). Beide Ziele sind langfristig für die Existenz des Staates und dem Wohlergehen seiner Bürger unerlässlich. Die Beeinträchtigung des Gleichheitssatzes durch die nicht hundertprozentige Verwirklichung der gebotenen Gerechtigkeitsmaßstäbe ist durch die Bedeutung beider Zwecke gerechtfertigt. Der Änderungsvorschlag verletzt somit Art. 3 Abs. 1 GG nicht.
II. Änderung der Umsatzsteuer Die aus Art. 3 Abs. 1 GG abgeleitete Individualgerechtigkeit verlangt bei Umweltsteuern grundsätzlich eine Anknüpfung an die individuelle Leistungsfähigkeit und an die individuelle Ursächlichkeit für Umweltbeeinträchtigun103 gen. Dies gilt auch für eine Änderung der Umsatzsteuer. Die Umsatzsteuer knüpft zwar am Umsatz der Unternehmer an, belastet aber aufgrund der Überwälzung und des Vorsteuerabzugs den Endverbraucher. Steuergegenstand der Umsatzsteuer ist der private Konsum des Bürgers, um dessen Kaufkraft zu be104 lasten. Die Kaufkraft ist grundsätzlich bei jedem Produkt gleich. Eine Differenzierung zwischen ökologischen und konventionellen Erzeugnissen würde vom Leistungsfähigkeitsprinzip abweichen. Die mit der Differenzierung beabsichtigte Gestaltungswirkung hinsichtlich des Konsumentenverhaltens müsste andernfalls dem Verursacherprinzip gerecht werden. Der Konsum ist als ein Indikator für die individuelle Leistungsfähigkeit an105 erkannt, auch wenn er diese nur sehr vergröbert abbildet. Da bei der Besteuerung des für den Konsum ausgegebenen Geldes dessen Herkunft, das Einkommen des Konsumenten, unberücksichtigt bleibt, lässt sich am Konsum die individuelle Leistungsfähigkeit nur begrenzt feststellen. Die Konsumbesteuerung ergänzt nur die anderen Indikatoren und gibt in der Gesamtbetrachtung der festzustellenden individuellen Leistungsfähigkeit zusätzliche Konturen. Die umsatzsteuerliche Anknüpfung entspricht insoweit dem Leistungsfähigkeits___________ 103
Siehe § 6 B. BVerfGE 101, S. 132 [139]; Reiß, DStJG Bd. 13, S. 3 [21 f.]. 105 Siehe § 13 B. I. BVerfGE 98, S. 106 [124]. Zu den Nachteilen des Indikators Konsum P. Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 88 Rn. 72, 120. 104
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prinzip. Da jeder ausgegebene Euro unabhängig vom Konsumgegenstand die gleiche finanzielle Leistungsfähigkeit ausdrückt, wäre nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip grundsätzlich jeder Konsum mit dem gleichen Steuersatz zu besteuern. Befreiungen oder ermäßigte Steuersätze weichen vom Leistungsfähig107 keitsprinzip ab. Sie bedürfen einer Rechtfertigung vor dem Gleichheitssatz. Derartige Abweichungen sind in der Regel sozialstaatlich motiviert, da eine gleichmäßige Besteuerung jeglichen Konsums in Konflikt mit dem Sozialstaatsprinzip und dem daraus abgeleiteten Existenzminimum steht, soweit le108 bensnotwendige Güter der Steuer unterfallen. Sie können aber auch anderen Lenkungszwecken, wie z. B. dem Umweltschutz, dienen. Soweit die Änderung der Umsatzsteuer konventionelle Agrarerzeugnisse aus dem ermäßigten Steuersatz herausnimmt und dem Normalsteuersatz von 16 Prozent unterwirft, stellt es das Leistungsfähigkeitsprinzip zu Lasten des Sozialstaatsprinzips wieder her, da nun konventionelle Erzeugnisse wie die sonstigen Waren besteuert werden. Eine gleiche Steuerlast spiegelt die gleich bleibende Leistungsfähigkeit je ausgegebenen Euro wieder. Die verbleibende Ermäßigung für ökologische Erzeugnisse würde jedoch weiterhin von einer gleichmäßigen Belastung gemäß dem Leistungsfähigkeitsprinzip abweichen. Der dadurch verbleibende Eingriff in den Gleichheitsgrundsatz kann jedoch durch den beabsichtigten Schutz der Umwelt gerechtfertigt sein. Die Differenzierung soll der ökologischen Bewirtschaftung zu einer größeren Verbreitung verhelfen und dem Schutz der Umwelt dienen. Der Umweltschutz ist nach Art. 20a GG ein legitimer Zweck von Verfassungsrang, der eine 109 Abweichung vom Leistungsfähigkeitsprinzip rechtfertigt. Eine Differenzierung der Umsatzsteuer um 9 Prozent ist geeignet, den Marktanteil von ökologischen Agrarerzeugnissen zu stärken und dadurch die umweltschonend bearbei110 tete Landfläche in Deutschland zu erhöhen. Sie fördert insoweit den Schutz 111 der Umwelt. Auch die Frage der Erforderlichkeit ist zu bejahen. Als eine Maßnahme, die weniger in den Gleichheitssatz eingreift, käme ein ordnungsrechtliches Gebot oder eine Subventionierung der ökologischen Bewirtschaftung in Betracht. Allerdings führt ein Ge- oder Verbot zu einer wesentlich stärkeren Beeinträchtigung der Berufsfreiheit der Landwirte und widerspricht insoweit der Erforderlichkeit, da das mildere Mittel keine stärkere Belastung der ___________ 106
BVerfGE 36, S. 321 [333] allerdings noch von einem Verständnis als Verkehrssteuer ausgehend; Reiß, DStJG Bd. 13, S. 19 f.; Tipke, Steuerrechtsordnung, S. 900 ff., 903 ff. m. w. N.; Jakob, Umsatzsteuer, § 1 Rn. 1 ff. 107 BVerfGE 101, S. 132 [139]; 101, S. 151 [156] m. w. N. 108 Vgl. Lang, DStJG Bd. 15, S. 115 [157 ff.]; Rodi, Umweltsteuern, S. 93; Tipke, Steuerrechtsordnung, S. 922 ff. 109 Meßerschmidt, Umweltabgaben, S. 131 f.; Balmes, Umweltsteuern, S. 167 f. 110 Siehe § 12 B. I. 2. b). 111 Siehe § 12 B. I. 2. b).
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4. Teil: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit
Allgemeinheit oder Dritter verursachen darf. Aus dem gleichen Grund scheiden auch Subventionen aus, welche die Allgemeinheit finanziell belasten würden. Bleiben allein steuerliche Maßnahmen. Bei diesen lässt sich jedoch eine Differenzierung des Steuersatzes nach der Bewirtschaftungsform nicht vermeiden, wenn man steuerliche Anreize zugunsten ökologisch hergestellter Erzeugnisse gewähren will. Einzig das Ausmaß der Differenzierung könnte reduziert werden. Dies hätte allerdings auch eine Verminderung der Anreizwirkung und mithin der Effektivität zur Folge und wäre deshalb nicht gleich geeignet. Bei der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne sind das Gleichheitsgebot (Einhaltung des Leistungsfähigkeitsprinzips) mit dem verfolgten Umweltschutz abzuwägen. Art. 3 Abs. 1 GG kommt als Grundrecht und als Ausfluss allgemeiner Rechtsstaatlichkeit ein hoher Rang zu. Das gebotene Leistungsfähigkeitsprinzip darf als Gerechtigkeitsmaßstab beim Fiskalzweck daher nicht durch jeden sachlichen oder vernünftigen Grund beiseite geschoben werden. Mit dem Umweltschutz tritt jedoch der Individualgerechtigkeit ein ebenfalls hohes Verfassungsgut entgegen. Die natürlichen Lebensgrundlagen ermöglichen die Existenz des Menschen und seine Existenz als Träger von Grundrechten. Keiner der Werte überwiegt eindeutig den anderen. Für die Angemessenheit kommt es daher auf die konkrete Ausgestaltung an und inwieweit sich beide Ziele im Wege der praktischen Konkordanz weitestgehend verwirklichen lassen. Die Erhebung eines reduzierten Satzes hebt nicht die umsatzsteuerrechtliche Bindung an den Konsum als Indikator von Leistungsfähigkeit auf. Der Steuergegenstand indiziert weiterhin Leistungsfähigkeit. Die Vorschläge beschränken das Leistungsfähigkeitsprinzip einzig in der unterschiedlichen Gewichtung des Konsums. Dem stehen die positiven Effekte für die Umwelt gegenüber, die von einem höheren Marktanteil ökologischer Erzeugnisse ausgehen. Zwar kann die Differenz von neun Prozent nicht den Preisunterschied aufheben, sie beschleunigt aber den trotz der hohen Preisunterschiede jetzt schon wachsenden Marktanteil ökologischer Agrarerzeugnisse. Wegen des hohen Flächenanteils der Landwirtschaft in Deutschland verringert ein Anstieg des ökologischen Landbaus um wenige Prozentpunkte die Umweltbelastung auf einer nicht unerheblichen Fläche. Im Ergebnis ist eine Ermäßigung um neun Prozent für angemessen zu erachten, da sie sowohl der Individualgerechtigkeit als auch dem Umweltschutz weitestgehende Durchsetzung erlaubt. Die ökologisch motivierte Differenzierung wird auch dem Verursacherprinzip gerecht, indem die Besteuerung die Verursachung von Umweltbeeinträchtigungen mit berücksichtigt. Zwar bewirtschaftet der Konsument nicht selber die Felder, der Kauf umweltbelastend hergestellter Güter begründet aber gleichsam eine Mitverantwortung. Denn erst der Konsument schafft den Anreiz, welcher die Landwirte bewegt, bestimmte Produkte zu erzeugen. Ohne die Nachfrage nach immer preiswerteren Nahrungsmitteln hätte es die Industrialisierung der
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Landwirtschaft nicht gegeben. Da für den Konsumenten die Folgen der Erzeugung seines gekauften Produkts durchaus vorhersehbar sind, verantwortet auch er die konventionell hergestellten Agrarerzeugnisse. Der Konsum konventioneller Erzeugnisse indiziert diese Mitverantwortungen und ist als Steuergegenstand geeignet, das Verursacherprinzip umzusetzen. Das Verursacherprinzip verlangt aber neben der tatbestandlichen Anknüpfung auch eine Verteilung der Zahlungspflichten nach dem Grad der Ursächlichkeit. Soll die Umweltsteuer nicht nur Kosten zurechnen, sondern Anreizwirkungen aussenden, ist der Gesetzgeber in der durchschnittlichen Steuerhöhe frei, soweit er die proportionale Verteilung nach der Ursächlichkeit beachtet. Hierbei ist die Anknüpfung an die EG-Ökolandbau-Verordnung gemeinschaftsrechtlich geboten, um Wett112 bewerbsverzerrungen zu vermeiden. Aufgrund der 6. EG-UmsatzsteuerRichtlinie sind auch die Anzahl der Steuersätze (ein Normalsatz und zwei ermäßigte Sätze) und die Steuerhöhe (mindestens 15 bzw. 5 Prozent) be113 schränkt. Die Differenzierung zwischen ökologischen Erzeugnissen (7 Prozent) und konventionellen Erzeugnissen (16 Prozent) würde die unterschiedlichen Umweltbeeinträchtigungen zumindest teilweise würdigen. Während von der konventionellen Bewirtschaftungsmethode erhebliche Umweltbelastungen ausgehen, beeinträchtigt die Bewirtschaftung nach ökologischen Maßstäben die Umwelt und die Umweltmedien wesentlich weniger. In Anbetracht der verbindlichen Vorgaben des Europarechts ist eine Differenzierung mit nur zwei Sätzen von 7 und 16 Prozent mit dem Verursacherprinzip zu vereinbaren. Die Änderung könnte aber gegen das Verursacherprinzip und damit gegen den Gleichheitssatz verstoßen, indem sonstige ökologische Produkte anderer 114 Branchen nicht von einem ermäßigten Umsatzsteuersatz profitieren. Die Gerechtigkeitsmaßstäbe bestimmen sich bei Art. 3 Abs. 1 GG nach den verfolgten Regelungszwecken. Eine Verpflichtung des Staates zum Schutz der Umwelt enthält Art. 20a GG. Gleichwohl gilt diese Verpflichtung nicht absolut, da sie mit anderen Aufgaben (z. B. Schutz der Grundrechte, Sozialstaatlichkeit) konkurriert. Dem Staat und vor allem dem Gesetzgeber kommt die Aufgabe zu, die widerstreitenden Interessen auszugleichen und so umzusetzen, dass jeder Zweck sich weitestgehend verwirklicht. Welcher Zweck wie stark und mit welchem Instrument verfolgt wird, ist vor allem eine politisch zu verantwortende Entscheidung. Eine Einschränkung resultiert auch nicht aus dem Gleichheitssatz, da dieser nicht die Verfolgung bestimmter Zwecke gebietet, vielmehr hinsichtlich der Regelungszwecke wertungsoffen ist. Der Gesetzgeber muss somit bestimmte Gerechtigkeitsmaßstäbe nicht generell umsetzen, sondern nur dann, ___________ 112
Siehe § 8 B. II. 1. Siehe § 10 A. I. 114 Zum Problem der Lückenhaftigkeit vgl. Lang, DStJG Bd. 15, S. 115 [140]; Balmes, Umweltsteuern, S. 226 f. 113
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4. Teil: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit
wenn er sich im Rahmen seines Entscheidungsspielraumes entschieden hat, den diesbezüglichen Regelungszweck zu verfolgen. Es ist gleichheitsrechtlich unbeachtlich, dass innerhalb des staatlichen Instrumenteneinsatzes eine unterschiedliche Zweckgewichtung erfolgt. Soweit kritisiert wird, dass nicht das gesamte Steuersystem einheitlichen Maßstäben entspricht und z. B. Umweltsteuern nicht alle Güter oder Verhaltensweisen nach ihrer Umweltverträglichkeit 115 belasten, so ist dem der Entscheidungsspielraum bei der Zweckverfolgung 116 entgegenzuhalten. Der Steuergesetzgeber muss nicht alle Umweltbeeinträchtigungen gleichmäßig verfolgen, solange die Abwägungsentscheidung begründet ist. Eine umfassend am Ziel des Umweltschutzes ausgerichtete Umsatzsteuer sollte zwar grundsätzlich alle Umsätze am Verursacherprinzip messen. Allerdings stehen der Ermäßigung anderer ökologischer Produkte vielfältige europarechtliche Schranken entgegen. Zum einen beschränkt Anhang H der 6. EG-Umsatzsteuer-Richtlinie die für einen ermäßigten Steuersatz zulässigen Umsätze, der sich weder an ökologischen Kriterien orientiert, noch eine umfassende Auflistung aller Produkte beinhaltet. Zum anderen dürfen steuerliche Differenzierungen gemäß Art. 90 EGV nicht zu versteckten Diskriminierungen von Waren aus anderen Mitgliedstaaten führen. Dies könnte aber der Fall sein, wenn die Bewertung der ökologischen Qualität von Produkten nach nationalen Maßstäben erfolgt, die nicht europaweit anerkannt sind. Eine Erstreckung des umweltrechtlichen Verursacherprinzips auf andere Güter bedarf deshalb zumindest einer europaweit einheitlichen Klassifizierung der Umwelteigenschaften. Eine solche Klassifizierung existiert bei den wenigsten Produkten und bei weitem nicht so umfas117 send, wie mit der EG-Ökolandbau-Verordnung. Eine nur auf Agrarerzeugnisse bezogene ökologische Differenzierung ist daher mit Art. 3 Abs. 1 GG zu vereinbaren.
___________ 115
Trzaskalik, Gutachten zum 63. Dt. Juristentag, S. 55 ff.; Lang, DStJG Bd. 15, S. 115 [140 f.]; Hey, StuW 1998, S. 32 [47]. 116 Auch Lang, DStJG Bd. 15, S. 115 [140]; Balmes, Umweltsteuern, S. 226 f. halten eine punktuelle Besteuerung zugunsten des Umweltschutzes mit dem Gleichheitssatz für vereinbar. 117 Zu nennen wäre z. B. die Richtlinie 67/548/EWG über die Einstufung von gefährlichen Stoffen hinsichtlich ihrer Gesundheits- und Umweltgefahren oder die Richtlinien 70/220/EWG und 88/77/EWG zur Begrenzung von Kfz-Emissionen.
§ 13 Gleichheitsgrundsatz
311
III. Steuern auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel Auch die vorgeschlagenen Steuern auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel dienen sowohl dem Umweltschutz als auch der Einnahmeerzielung. Sie müssen 118 somit dem Verursacher- und Leistungsfähigkeitsprinzip entsprechen. Das Verursacherprinzip verlangt, dass jeder Stoff nach seiner Gefährlichkeit für die Umwelt belastet wird. Hinsichtlich der Düngemittel Stickstoff, Phosphor und Kali lässt sich eine unterschiedliche Gefährlichkeit nicht feststellen, da alle Stoffe im natürlichen Boden vorkommen und erst die übermäßige Zuführung problematisch ist. Entscheidend ist somit die Menge und nicht die Art des Stoffes, weshalb alle Nährstoffe gleich hoch zu besteuern sind. Anders sieht es bei Pflanzenschutzmitteln aus. Wie die Bewertung nach der Richtlinie 67/548/EWG zeigt, bergen die Mittel höchst unterschiedliche Risiken für die menschliche Gesundheit und die Umwelt. Gemäß dem Verursacherprinzip sollte die Abgabe nach dem Gefahrengrad differenzieren. Dem könnten aber Art. 30 der Richtlinie 67/548/EWG und Art. 18 der Richtlinie 99/45/EG entgegenstehen, die jede nationale Beschränkung des Inverkehrbrin119 gens aufgrund der dort getroffenen Gefahreneinstufung verbieten. Sollte dies auch für eine schutzverstärkende Umweltabgabe gelten (rechtliche Sicherheit würde erst ein Urteil des Gerichtshofes bringen), wäre eine derartige Differenzierung anhand der Einstufung europarechtlich ausgeschlossen. In diesem Fall ließe sich das Verursacherprinzip nicht konsequent umsetzen. Der normative Gerechtigkeitsmaßstab ist insoweit europarechtlich eingeschränkt. Gleichwohl wäre aber noch eine gleichmäßige Besteuerung aller Pflanzenschutzmittel möglich, die dem Verursacherprinzip gerecht würde, als jedes Pflanzenschutzmittel die Umwelt beeinträchtigt. Die Anknüpfung an die Einkommensverwendung entspricht grundsätzlich 120 121 dem Leistungsfähigkeitsprinzip. Leistungsfähig sind auch Unternehmen. Allerdings sind Verbrauchsteuern problematisch, sofern sie neben der allge122 meinen Umsatzsteuer einzelne Güter besonders belasten. Da die Unternehmen die Umsatzsteuer auf die Endverbraucher überwälzen bzw. als Vorsteuerausgleich erstattet bekommen, tragen sie im Ergebnis nicht die Umsatzsteuerlast. Anders als bei Verbrauchsteuern auf Gegenständen der Endverbraucher kommt es bei Betriebsmitteln zu keiner doppelten Belastung. Die unternehmerische Leistungsfähigkeit, die sich im Verbrauch von Betriebsmitteln zeigt, ___________ 118
Siehe § 13 B. Siehe § 10 B. II. 2. und 3. 120 Z. B. BVerfGE 98, S. 106 [124]. Siehe auch § 13 B. I. 121 Siehe § 11 C. III. 4. 122 Siehe § 11 C. III. 4. 119
4. Teil: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit
312
wird nur einmal abgeschöpft. Verbrauchsteuern auf Betriebsmittel lassen sich 123 mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip vereinbaren. Insgesamt ist eine Steuer auf Düngemittel mit dem Gleichheitsgrundsatz zu vereinbaren. Bei einer Steuer auf Pflanzenschutzmittel lässt sich demgegenüber das Verursacherprinzip nur eingeschränkt verwirklichen. Da die Abweichung vom Gerechtigkeitsmaßstab europarechtlich geboten ist, ist Art. 3 Abs. 1 GG gleichwohl nicht verletzt.
D. Zusammenfassung Der Gleichheitsgrundsatz in Art. 3 Abs. 1 GG ist für Steuern von großer Bedeutung, da sich gerade bei ihnen die Frage nach einer gerechten Verteilung der Steuerlasten stellt. Die Steuerrechtswissenschaft hat mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip schon früh konkrete Maßstäbe aus dem Grundsatz hergeleitet, die weit über die sonst gebräuchliche Auslegung als Willkürverbot hinausgehen. Nunmehr gibt es auch innerhalb der allgemeinen Dogmatik zu Art. 3 Abs. 1 GG deutliche Bestrebungen, den Gleichheitssatz effektiver auszugestalten und insbesondere das Verhältnismäßigkeitsprinzip zu integrieren. Schwierig gestaltet sich indes die Suche nach gleichheitsrechtlichen Gerechtigkeitsmaßstäben, die zur Konkretisierung und Anwendung von Art. 3 Abs. 1 GG nötig sind, da der Gleichheitssatz selber keine Aussage enthält, was gleich und was ungleich ist. Zur Stärkung der grundrechtlichen Schutzfunktion von Art. 3 Abs. 1 GG empfiehlt sich, im Gegensatz zum allumfassenden Auslegung als Willkürverbot den Schutzgehalt auf Gerechtigkeitsmaßstäbe zu beschränken, welche die normative Gleichheit allein anhand der Belange der von einer Maßnahme Betroffenen bestimmen. Sonstige Belange der Allgemeinheit und Dritter, die bei dem Verständnis als Willkürverbot schon in die Bestimmung der normativen Gleichheit mit einbezogen werden, sind demgegenüber erst bei der Rechtfertigung von Eingriffen in den Schutzgehalt zu berücksichtigen. Eine derartige Trennung bietet neben einer justiziablen Inhaltsbestimmung von Art. 3 Abs. 1 GG den Vorteil, das Verhältnismäßigkeitsprinzip anwenden zu können. Denn weicht eine staatliche Maßnahme von dem gebotenen Gerechtigkeitsmaßstab ab, bedarf sie der Rechtfertigung durch Zwecke von Verfassungsrang und besteht somit eine Zweck-Mittel-Relation, welche das Verhältnismäßigkeitsprinzip ausgestalten kann. Bei der Bestimmung der Gerechtigkeitsmaßstäbe ist jedoch zu beachten, dass sie vom jeweiligen Regelungszweck abhängen. Verfolgt eine Maßnahme mehrere Zwecke, gebietet der Gleichheitsgrundsatz möglicherweise auch verschiedene Maßstäbe. Eine solche Konstellation besteht bei Umweltsteuern. Während der Finanzierungszweck nach allge___________ 123
Siehe auch § 11 C. III. 4.
§ 13 Gleichheitsgrundsatz
313
meiner Ansicht eine Verteilung der Steuerlast nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip erfordert, verlangt der auch beabsichtigte Schutz der Umwelt eine Differenzierung nach dem Verursacherprinzip, bei dem die Verantwortung des Einzelnen für Umweltbeeinträchtigungen berücksichtigt wird. Kann der Gesetzgeber bei der konkreten Umweltsteuer nicht beide Maßstäbe verwirklichen, bedarf die Abweichung der Rechtfertigung durch den mitverfolgten Zweck. Sowohl für die Einhaltung des Leistungsfähigkeitsprinzips als auch für das Verursacherprinzip sind verschiedene Gestaltungen möglich. So drückt nicht nur das erzielte Einkommen, sondern gleichfalls das gespeicherte und das verwendete Einkommen Leistungsfähigkeit aus. Auch die Zurechnung von Umweltbeeinträchtigungen kann mehrere Verursacher betreffen, so dass dem Gesetzgeber ein Ausgestaltungsspielraum verbleibt. Die Steuervorschläge zur Ökologisierung der Landwirtschaft erfassen die Leistungsfähigkeit und die Umweltverantwortung auf unterschiedliche Weise. Die Grundsteuer knüpft an den gespeicherten Vermögenswert an und würdigt mit der vorgeschlagenen Differenzierung anhand der EG-Ökolandbau-Verordnung die unterschiedlichen Umweltauswirkungen der ökologischen bzw. konventionellen Landwirtschaft. Verwirklicht die Änderung somit das Verursacherprinzip, ruft die bestehende Grundstücksbewertung nach veralteten Einheitswerten indes erhebliche Probleme mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip hervor. Eine Änderung sollte daher mit einer umfassenden Reform der Einheitsbewertung einhergehen. Weniger problematisch gestaltet sich die Änderung der Umsatzsteuer. Diese bezieht sich weiterhin auf die Leistungsfähigkeit der Endverbraucher und berücksichtigt mit den unterschiedlichen Steuersätzen die umweltrechtliche Mitverantwortung der Konsumenten. Soweit die Differenzierung Abweichungen von dem Leistungsfähigkeitsprinzip erfordert, sind diese durch den Umweltschutzzweck gerechtfertigt. Gleichfalls mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip zu vereinbaren sind die Steuern auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel, da der Verbrauch von Betriebsmitteln Leistungsfähigkeit ausdrückt, die noch nicht von der Umsatzsteuer erfasst ist. Sie verwirklichen auch das Verursacherprinzip. Eine genaue Differenzierung anhand der Gefährlichkeit der Pflanzenschutzmittel ist allerdings europarechtlich nicht möglich, da Art. 30 der Richtlinie 67/548/EWG und Art. 18 der Richtlinie 99/45/EG eine Beschränkung aufgrund der Gefahreneinstufung untersagen, so dass nur die generelle Verantwortung für den Mitteleinsatz erfassbar ist. Um trotzdem die ökologisch empfehlenswerte Abstufung nach den Auswirkungen auf Mensch und Umwelt vornehmen zu können, sollte auf europäischer Ebene die Richtlinien entsprechend geändert werden. Insgesamt sind die Vorschläge mit dem Gleichheitssatz zu vereinbaren, wobei für die Grundsteuer aber eine umfassende Neubewertung der Grundstückswerte erforderlich ist.
Fünfter Teil
Möglichkeiten einer Ökologisierung der Landwirtschaft mittels Umweltabgaben durch die Europäische Gemeinschaft Die Ökologisierung der Landwirtschaft durch Umweltabgaben könnte statt auf nationaler auch auf europäischer Ebene erfolgen. Eine Regelung durch die Europäische Gemeinschaft hätte den Vorteil, dass euroapeweit die Umweltsituation auf landwirtschaftlichen Flächen verbessert wird, wie es die Wasserrahmen-Richtlinie von allen Mitgliedstaaten fordert. Sie würde Wettbewerbsverzerrungen vermeiden, die bei unterschiedlichen nationalen Maßnahmen eintreten können. Ebenfalls wären gemeinschaftsrechtliche Umweltabgaben nicht an die Vorschriften des sekundären Europarechts gebunden. Bei der Umsatzsteuer könnte man eine wesentlich weiter gehende ökologische Lenkung des Verbrauchs von Agrarerzeugnissen verwirklichen, indem die 1 6. EG-Umsatzsteuer-Richtlinie entsprechend geändert wird. Auch die bei einer nationalen Steuer auf Pflanzenschutzmittel unzulässige Anknüpfung an die Gefahreneinstufung der Wirkstoffe gemäß der Richtlinie 67/548/EWG über ge2 fährliche Stoffe wäre auf europäischer Ebene möglich. Neben den rechtlichen Vorteilen hätte eine europaweite Geltung von Lenkungssteuern eine wesentlich größere Wirkung für den Umweltschutz und würde gleichzeitig die Entstehung von Wettbewerbsverzerrungen zumindest innerhalb der Europäischen Gemeinschaft vermeiden. Allerdings darf die Europäische Gemeinschaft nur im Rahmen der ihr übertragenen Kompetenzen handeln (vgl. Art. 5 Abs. 1 EGV). Zur Verwirklichung der vorgeschlagenen Lenkungen innerhalb der Grundsteuer, der Umsatzsteuer oder durch neu einzuführende Abgaben auf Düngeund Pflanzenschutzmittel sind daher entsprechende Ermächtigungen der Europäischen Gemeinschaft im Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft erforderlich.
___________ 1
Ursprungstext 77/388/EWG, ABl. EG 1977 Nr. L 145, S. 1 ff. Konsolidierte Fassung ist unter www.europa.eu.int veröffentlicht. 2 ABl. EG 1967 Nr. P 196, S. 1 ff. Die Richtlinie wurde 1992 mit der Änderungsrichtlinie 92/32/EWG, ABl. EG 1992 Nr. L 154, S. 1 ff. vollständig neu gefasst.
§ 14 Steuer- und abgabenrechtliche Kompetenzen der Europäischen Gemeinschaft zur Ökologisierung der Landwirtschaft Der Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft sieht keine generelle Kompetenzübertragung vor, welche die Gemeinschaft zu umfassendem Handeln ermächtigt, sondern beschränkt die Befugnis auf konkrete Aufgabenund Regelungsgebiete. Es gilt das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung, 1 das ausdrücklich in Art. 5 Abs. 1 EGV statuiert ist. Einzig Art. 308 EGV enthält eine subsidiäre Generalklausel für den Fall, dass ein Tätigwerden der Gemeinschaft zur Erreichung ihrer Ziele erforderlich ist, ohne dass eine konkrete Befugnisnorm vorliegt. Hinzu kommen die vom Gerichtshof entwickelten Lehren des „implied power“ und „effet utile“, die eine ergänzende Regelungsbefugnis der Gemeinschaft begründen können, wenn ohne sie die Vertragsvorschriften nicht in vernünftiger und zweckmäßiger Weise zur Anwendung ge2 langen. Welche Befugnisnorm anzuwenden ist, entscheidet nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes nicht der Gemeinschaftsgesetzgeber, sondern be3 stimmt sich anhand objektiver Kriterien, die gerichtlich überprüfbar sind. Dazu zählen neben primärrechtlichen Spezialitäts- und Subsidiaritätsklauseln, vor 4 allem Zweck und Inhalt der Maßnahme. Verfolgt die Regelung mehrere Zwecke, so richtet sich die Kompetenzgrundlage nach dem Schwerpunkt der Maß5 nahme. Bei untrennbar gleichgewichtigen Zwecken ist die Maßnahme auf alle ___________ 1
Oppermann, Europarecht, § 6 Rn. 511, 513; Langguth, in: Lenz, EGV, Art. 5 Rn. 10 ff. 2 EuGH Rs. 8/55, Fédération Charbonnière de Belgique, Slg. 1955/56, S. 197 [311 f.]; Rs. 165/87, Kommission/Rat, Slg. 1988, S. 5545 Rn. 7 ff.; Oppermann, Europarecht, § 6 Rn. 527 ff. 3 EuGH 45/86, Kommission/Rat, Slg. 1987, S. 1493 Rn. 11; Rs. 131/86, Vereinigtes Königreich/Rat, Slg. 1988, S. 905 Rn. 29; Rs. C-155/91, Kommission/Rat, Slg. 1993 I, S. 939 Rn. 19; Rs. C-187/93, Parlament/Rat, Slg. 1994 I, S. 2857 Rn. 17. 4 Siehe § 10 B. II. 2. d). 5 EuGH Rs. C-42/97, Parlament/Rat, EuR 1999, S. 353 Rn. 42; Rs. C-187/93, Parlament/Rat, Slg. 1994 I, S. 2857 Rn. 25; Rs. C-155/91, Kommission/Rat, Slg. 1993 I, S. 939 Rn. 19 m. w. N. Zustimmend Hernfeld, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 94 EGV Rn. 21, Art. 95 EGV Rn. 15; Schröer, EuR 1991, S. 356 [358 ff., 368]; ders., Kompetenzverteilung, S. 128 ff.; Pipkorn/Bardenhewer-Rating/Taschner, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, EUV/EGV, Art 95 EGV Rn. 52; Kahl, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 95 EGV Rn. 52; Calliess, ZUR 2003, S. 129 [132 f.].
316
5. Teil: Möglichkeiten der Europäischen Gemeinschaft
einschlägigen Rechtsgrundlagen zu stützen (Lehre von der „doppelten Rechtsgrundlage“), soweit nicht aufgrund von Unterschieden im Gesetzgebungsverfahren, insbesondere bei der Beteiligung des Parlamentes, eine Kompetenz 6 vorzuziehen ist. Eine zusätzliche Beschränkung hat die Gemeinschaftskompetenz durch die Einführung des Subsidiaritätsprinzips in Art. 5 Abs. 2 GG erfahren. Danach darf im Bereich der nicht ausschließlichen Gemeinschaftszuständigkeit die Gemeinschaft nur tätig werden, sofern und soweit die Ziele auf der Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreichbar und wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkung besser auf Gemeinschaftsebene zu verwirklichen sind. Die Beantwortung der Erforderlichkeitsfrage obliegt den betreffenden Gemeinschaftsorganen. Mit dem Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit haben die Mitgliedstaaten versucht die Anforde7 rung mit folgenden Leitlinien zu konkretisieren. Erstens muss der zu regelnde Bereich transnationale Aspekte aufweisen, die durch die Maßnahmen der Mitgliedstaaten nicht ausreichend geregelt werden können. Die Möglichkeit der Mitgliedstaaten zur Zusammenarbeit schließt aber ein Gemeinschaftshandeln nicht aus, da eine solche Koordinierung gerade im Rahmen der Gemeinschaft 8 erfolgen soll. Zweitens müssen Maßnahmen auf Gemeinschaftsebene wegen ihres Umfanges oder ihrer Wirkungen im Vergleich zu nationalen Maßnahmen besser geeignet sein. Eine Kompetenz der Gemeinschaft ist anzunehmen, wenn das Ziel mindestens ein Mitgliedstaat nicht verwirklichen kann und die Ge9 meinschaftsmaßnahme einen Mehrwert bringt. Die Beantwortung dieser Fragen erfordert eine Prognoseentscheidung, die nur begrenzt justiziabel ist, so dass den Gemeinschaftsorganen ein großer Entscheidungsspielraum zu10 kommt. Es erscheint in Anbetracht der bisherigen europarechtsfreundlichen Kompetenzrechtsprechung als unwahrscheinlich, dass der Gerichtshof die Subsidiaritätsklausel ähnlich streng handhaben wird, wie das Bundesverfas11 12 sungsgericht neuerdings Art. 72 Abs. 2 GG. Nach seinen bisherigen Urtei___________ 6
EuGH Rs. C-42/97, Parlament/Rat, EuR 1999, S. 353 Rn. 38 ff.; Rs. C-300/89, Kommission/Rat (Titandioxid), Slg. 1991 I, S. 2867 Rn. 13, 17 ff.; Rs. 165/87, Kommission/Rat, Slg. 1988, S. 5545 Rn. 11 ff. 7 ABl. EG 1997 C 340. Hierzu Langguth, in: Lenz, EGV, Art. 5 Rn. 3 ff.; Lienbacher, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 5 EGV Rn. 32. 8 Zuleeg, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, EUV/EGV, Art. 5 EGV Rn. 31. 9 Zuleeg, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, EUV/EGV, Art. 5 EGV Rn. 29 ff. 10 Lienbacher, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 5 EGV Rn. 24; Zuleeg, in: Nörr/Oppermann, Subsidiarität, S. 185 [194]. 11 BVerfGE 106, S. 62 [135 ff.]. Siehe § 11 B. I. 12 Oppermann, Europarecht, § 6 Rn. 520; Lienbacher, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 5 EGV Rn. 25 ff., 29, 31.
§ 14 Steuer- und abgabenrechtliche Kompetenzen der Gemeinschaft
317
len zu schließen, wird er allenfalls bei offenkundigen Fehlentscheidungen das 13 Prinzip rügen. Im Folgenden sind die Kompetenzen zu untersuchen, die für eine Änderung der Grundsteuer, der Umsatzsteuer und für eine Einführung von europaweiten Abgaben auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel in Betracht kommen.
A. Art. 93 EGV – Kompetenz zur Harmonisierung der indirekten Steuern Die Gemeinschaft ist nach Art. 93 EGV ermächtigt und verpflichtet die indirekten Steuern der Mitgliedstaaten zu harmonisieren. Art. 93 EGV geht als Spezialvorschrift hinsichtlich der indirekten Steuern dem Art. 94 EGV vor. Indirekte Steuern lasten auf Produkten oder Dienstleistungen und werden vom 14 Steuerpflichtigen auf den eigentlichen Steuerschuldner übergewälzt. Die Harmonisierung muss für die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes notwendig sein. Damit verweist Art. 93 EGV auf Art. 14 EGV, der in Absatz 2 den Binnenmarkt als einen Raum ohne Binnengrenzen definiert, indem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gewährleistet ist. Um die Grundfreiheiten zu verwirklichen, sind die Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten, die zu verfälschenden Wettbewerbsbedingungen 15 führen, zu harmonisieren. Der Gemeinschaft kommt dabei ein Prognose- und Einschätzungsspielraum zu, der einer richterlichen Kontrolle nur begrenzt un16 terworfen ist. Die Vorschrift enthält nicht nur den Auftrag Steuergrenzen abzuschaffen (vor allem Grenzkontrollen), sondern soll auch die Vereinheitli17 chung der Bemessungsgrundlagen und der Steuersätze voran bringen. Die europäische Gemeinschaft kann hierbei auch ein völlig neues Steuersystem instal18 lieren und ist nicht an die nationalen Vorgaben gebunden. Fraglich ist, inwieweit Art. 93 EGV auch die ökologische Ausrichtung von indirekten Steuern erlaubt. Nach Art. 6 EGV sind die Erfordernisse des Umweltschutzes bei den anderen Gemeinschaftspolitiken, also auch bei der Verwirklichung des Binnenmarktes, mit einzubeziehen. Eine Harmonisierung von ___________ 13
Vgl. EuGH Rs. C-233/94. Deutschland/Parlament-Rat, Slg. 1997 I, S. 2405 Rn. 26 f. 55 f.; Rs. C-84/94, Vereinigtes Königreich/Rat, Slg. 1996 I, S. 5755 Rn. 55 ff. 14 Bleckmann, Europarecht, Rn. 1991; Wasmeier, Umweltabgaben und Europarecht, S. 39 ff. 15 EuGH Rs. C-300/89, (Titandioxid), Slg. 1991 I, S. 2867 Rn. 14 f. 16 Wasmeier, Umweltabgaben und Europarecht, S. 234 f. 17 Stumpf, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 93 EGV Rn. 13. 18 Hilf, NVwZ 1992, S. 105 [108]; Sedemund, EuZW 1991, S. 658 [659]; Pipkorn/ Bardenhewer-Rating/Taschner, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, EUV/EGV, Art. 95 EGV Rn. 46.
5. Teil: Möglichkeiten der Europäischen Gemeinschaft
318
bestehenden nationalen Umweltsteuern, wie z. B. der Mineralölsteuer, ist daher auf jeden Fall möglich, soweit diese Einfluss auf den Wettbewerb haben. Gleichfalls ist eine vorbeugende Kompetenz zum Erlass neuer Regelungen und Steuern zu befürworten, wenn einzelne Mitgliedstaaten über die Erhebung derartiger Steuern konkret nachdenken, um Wettbewerbsverfälschungen gar nicht 19 erst eintreten zu lassen. Aufgrund des Einstimmigkeitserfordernisses müssten ohnehin alle Mitgliedstaaten für eine Neuregelung sein, so dass es unsinnig wäre, erst eine nationale Regelung vorzuschieben, um ein Harmonisierungserfor20 dernis zu begründen. Als schwierig erweist sich die Frage, ob innerhalb einer harmonisierten Steuer die Gemeinschaft ökologische Aspekte einführen darf, obwohl aufgrund der bestehenden Harmonisierung die Mitgliedstaaten keine dementsprechenden Maßnahmen mehr treffen können. Eine Gefahr für den Wettbewerb und den Binnenmarkt liegt an sich nicht vor. Allerdings darf eine erfolgte Harmonisierung nicht dazu führen, dass nunmehr ein unveränderbarer Status quo entsteht, bei dem weder die Mitgliedstaaten noch die Gemeinschaft eine Kompetenz zur Weiterentwicklung der Steuer hätten. Die Harmonisierungskompetenz muss zur Modernisierung des Rechts ermächtigen, wenn der Harmonisierungsauftrag 21 an sich abgeschlossen ist. Ob Art. 93 EGV zur Weiterentwicklung harmonisierter Steuern die Einführung von Lenkungsaspekten erlaubt, erscheint fraglich, da sich die Kompetenz allein auf die Sicherung des Binnenmarktes und des Wettbewerbes konzentriert. Es ergibt sich aber in Verknüpfung mit Art. 6 EGV und Art. 175 Abs. 2 EGV eine Ermächtigung der Gemeinschaft, indirekte Steuern mit ökologischen Gestaltungswirkungen zu versehen, weil Art. 6 EGV die Beachtung der Erfordernisse des Umweltschutzes bei allen Gemeinschaftsmaßnahmen verlangt und Art. 175 Abs. 2 Bindestrich 1 EGV umweltrechtliche Vorschriften überwiegend steuerlicher Art gestattet.
B. Art. 95 EGV – Harmonisierungskompetenz zur Verwirklichung des Binnenmarktes Art. 95 EGV ermächtigt die Gemeinschaft sehr weitgehend zum Erlass von Maßnahmen, welche die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes ___________ 19
Vgl. Christian Müller, indirekte Verhaltensteuerung, S. 45 f.; Hernfeld, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 94 EGV Rn. 9; Art. 95 EGV Rn. 23; Pipkorn/Bardenhewer-Rating/Taschner, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, EUV/EGV, Art. 95 EGV Rn. 43 f.; Sedemund, EuZW 1991, S. 658 [659]; Hilf, NVwZ 1992, S. 105 ff. [108]; kritisch Schröder, DStJG Bd. 15, S. 87 [94]; Birk, Handbuch des europäischen Abgabenrechts, § 11 Rn. 11 ff. 20 Jansen, ZUR 2003, S. 257 [263]. 21 Hernfeld, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 94 EGV Rn. 9; Art. 95 EGV Rn. 23.
§ 14 Steuer- und abgabenrechtliche Kompetenzen der Gemeinschaft
319
fördern. Die umfangreiche Ermächtigung haben die Vertragsparteien aber insofern wieder eingeschränkt, als sie mit Art. 95 Abs. 2 EGV ausdrücklich Steuern ausnahmen und Kompetenzen mit Einstimmigkeitserfordernis zuwiesen (Art. 93, 94 und 175 Abs. 2 EGV). In der deutschen Rechtswissenschaft ist strittig, ob Sonderabgaben unter die 22 Ausnahme fallen. Ein Teil der Literatur will die deutsche Trennung zwischen Steuern und Sonderabgabe auf das Europarecht übertragen und Sonderabgaben 23 dem Art. 95 EGV zuordnen. Eine solche Beschränkung des europarechtlichen Steuerbegriffs sowie von Art. 95 Abs. 2 EGV ist allerdings wenig überzeu24 gend. Die Kompetenzausnahme sichert den Mitgliedstaaten in Anbetracht der sensiblen fiskalischen Souveränität zu, dass diesbezügliche Gemeinschaftsmaßnahmen nicht mit Mehrheitsentscheidung, sondern einstimmig zu erlassen sind. Zur fiskalischen Souveränität zählt auch die Erhebung von Sonderabga25 ben. Denn nicht in allen Mitgliedstaaten wird der Steuerbegriff so eng wie in Deutschland ausgelegt. So listet die Kommission in ihrem Inventar der mitgliedstaatlichen Steuern Abgaben auf, die nach deutschem Verständnis keine 26 Steuern, sondern Sonderabgaben wären. Des Weiteren normiert auch das Grundgesetz keine Trennung zwischen Steuern und Sonderabgaben. Erst das Bundesverfassungsgericht schuf das Rechtsinstitut einer Sonderabgabe, um in Anbetracht der restriktiven Auslegung der Steuererhebungskompetenz in Art. 106 GG dem Staat darüber hinausgehende Abgabenmodelle zu ermögli27 chen. Letztendlich ist die Sonderabgabe nur dem sehr engen deutschen Steu28 erbegriff geschuldet, den der Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften in dieser Form nicht kennt. Dass der Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft demgegenüber von einem umfassenden Steuerbegriff ausgeht, verdeutlicht die Kapitelüberschrift „Steuerliche Vorschriften“, obwohl das Kapitel auch die Zulässig___________ 22
Vgl. die Übersicht bei Ohler, fiskalische Integration, S. 206 f.; Wasmeier, Umweltabgaben und Europarecht, S. 227 ff. 23 Grabitz, RIW 1989, S. 623 [636]; Hilf, NVwZ 1992, S. 105 [107]. 24 Vgl. die Kritik bei Ohler, fiskalische Integration, S. 206 f.; Wasmeier, Umweltabgaben und Europarecht, S. 227 ff.; F. Kirchhof, in: Rengeling, EUDUR, § 38 Rn. 60 f. 25 Wasmeier, Umweltabgabe, S. 228; Ohler, fiskalische Integration, S. 206 f.; F. Kirchhof, in: Rengeling, EUDUR, § 38 Rn. 61. 26 Kommission (EG), Inventar der Steuern 2000, S. 91 (DK 3.1.19), S. 159 (EL 3.1.4), S. 161 (EL.3.1.8, 3.1.9), S. 400 (P.1.6); Wasmeier, Umweltabgaben und Europarecht, S. 37 f., 227 ff.; F. Kirchhof, in: Rengeling, EUDUR, § 38 Rn. 60 f. 27 BVerfGE 4, S. 7 [13 f.]; 8, S. 274 [317]; 67, S. 256 [274 ff.]; P. Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 88 Rn. 221 ff. 28 Nach einer verbreiteten Ansicht soll sich das Steuerfindungsrecht auf die in Art. 106 GG aufgezählten Steuerarten beschränken (siehe § 11 C. III. 2.).
5. Teil: Möglichkeiten der Europäischen Gemeinschaft
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keit von Sonderabgaben, Gebühren und Beiträge regelt. Zweifelhaft ist einzig, ob der Begriff der „Steuer“ in Art. Art. 93 und 95 Abs. 2 EGV auch Gebühren und Beiträge umfasst oder sich auf gegenleistungsunabhängige, nicht30 kausale „steuerähnliche“ Abgaben beschränkt. Letztere Auffassung ist überzeugender, da sie die unterschiedlichen, sprachlichen Fassungen von Art. 90 und 93 EGV beachtet, ohne aber auf den engen deutschen Steuerbegriff abzustellen. Dem europarechtlichen Steuerbegriff sind alle gegenleistungsunab31 hängigen Abgaben (Steuern und Sonderabgaben) zuzuordnen. Die Ausnahmeregelung in Art. 95 Abs. 2 EGV erstreckt sich somit auf Steuern und Sonderabgaben. Auf der Grundlage von Art. 95 EGV können weder Steuern noch Sonderabgaben ergehen.
C. Art. 94 EGV – Harmonisierungskompetenz zur Verwirklichung des Gemeinsamen Marktes Art. 94 EGV ermächtigt allgemein zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, die sich unmittelbar auf die Errichtung oder das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes auswirken. Zu den anzugleichenden Vorschriften zählen auch Vorschriften steuerlicher Art, da Art. 94 EGV anders als Art. 95 EGV Bestimmungen über Steuern nicht ausschließt. Allerdings ist Art. 93 EGV hinsichtlich der indirekten Steuern spezieller. Aus der Spezialregelung des Art. 93 EGV könnte man auch einen generel32 len Harmonisierungsausschluss hinsichtlich der direkten Steuern erblicken. Nach der ganz überwiegenden Literaturansicht soll Art. 94 EGV trotzdem bei direkten Steuern anwendbar sein, da diese erheblichen Einfluss auf den Bin-
___________ 29
Z. B.: EuGH Rs. 94/74, IGAV, Slg. 1975, S. 699; Rs. 74/76; Rs. 29/87, Denkavit, Slg. 1988 I, S. 2965 Rn. 36. Voß, in: Grabitz/Hilf, Recht der EU, Art. 90 EGV Rn. 20 f. 30 Für eine Beschränkung: Wasmeier, Umweltabgaben und Europarecht, S. 37 ff., 229 f.; Voß, in: Grabitz/Hilf, Recht der EU, Art. 93 EGV Rn. 8. Für einen umfassenden Steuerbegriff Wolffgang, in: Lenz, EGV, Art. 93 EGV Rn. 8; Ohler, fiskalische Integration, S. 208. 31 Wasmeier, Umweltabgaben und Europarecht, S. 228 ff. Vgl. EuGH Rs. C-235/90, Aliments Morvan, Slg. 1991 I, S. 5419 Rn. 2; Rs. C-78-83/90, Campagnie Commerciale, EWS 1992, S. 309 Rn. 1, 35. Gleichfalls sind „Gebühren“, denen sich allenfalls im weitesten Sinne eine Gegenleistung zuordnen lässt, wie z. B. der baden-württembergische Wasserpfennig in § 17 a ff. WG-BW noch unter den europarechtlichen Steuerbegriff zu fassen (so Wasmeier, Umweltabgaben und Europarecht, S. 230; abgrenzend zur deutschen Steuer BVerfGE 93, S. 319 [345 f.]). 32 So überlegend Hilf, NVwZ 1992, S. 105 [108], der diesem Argument aber nicht folgt.
§ 14 Steuer- und abgabenrechtliche Kompetenzen der Gemeinschaft
321 33
nenmarkt haben können und somit ein Harmonisierungsbedarf besteht. Für eine Harmonisierungsmaßnahme wäre aber auch hier ein einstimmiger Ratsbeschluss erforderlich.
D. Art. 175 Abs. 2 EGV – Kompetenz für umweltrechtliche Vorschriften überwiegend steuerlicher Art Mit Art. 174 f. EGV haben die Mitgliedstaaten die Gemeinschaft umfassend zum Erlass von Maßnahmen auf dem Gebiet des Umweltschutzes ermächtigt. Die Maßnahmen sollen der Erhaltung und dem Schutz der Umwelt, der Verbesserung ihrer Qualität, dem Schutz der menschlichen Gesundheit sowie der umsichtigen und rationellen Verwendung der natürlichen Ressourcen dienen. Art. 175 Abs. 2 Bindestrich 1 EGV benennt als mögliche Maßnahme ausdrücklich Vorschriften steuerlicher Art. Um auf die Steuersouveränität der Mitgliedstaaten Rücksicht zu nehmen, hat man bei dieser Kompetenzzuweisung am Einstimmigkeitserfordernis festgehalten. Zwar räumt Art. 175 Abs. 2 EGV der 34 Harmonisierungsvorschrift des Art. 95 EGV Vorrang ein, da dieser in Absatz 2 jedoch Steuern und Sonderabgaben ausnimmt, verbleibt es in diesen Fällen bei Art. 175 Abs. 2 EGV. Nicht abschließend geklärt ist indes die Reichweite der Kompetenz, insbesondere ob die Gemeinschaft auch neue Steuern einführen darf. Teilweise erachtet man, unter Verweis auf die deutsche Dogmatik, eine Sachkompetenz als ungeeignet zur Erhebung von Steuern, und will Art. 175 Abs. 2 EGV auf Son35 derabgaben beschränken. Dies verkennt jedoch, dass eine strikte Trennung zwischen Steuer- und Sachkompetenzen – anders als im Grundgesetz – nicht im EGV festgelegt ist, welches sich gerade in Art. 175 Abs. 2 EGV aber auch in Art. 38 EGV und Art. 94 EGV verdeutlicht. Überholt ist nach der neueren 36 Rechtsprechung des Gerichtshofes auch die Ansicht, dass dem Art. 175 EGV alle Regelungen entzogen wären, die in irgendeiner Weise den Wettbewerb 37 oder den Binnenmarkt betreffen. ___________ 33
Oppermann, Europarecht, Rn. 1188; Christian Müller, indirekte Verhaltenssteuerung, S. 61 f.; Wasmeier, Umweltabgaben und Europarecht, S. 235 f.; Hilf, NVwZ 1992, S. 105 [108, Fn. 25]; Birk, Handbuch des europäischen Abgabenrechts, § 11 Rn. 3; Mick, in: Birk, Handbuch des europäischen Abgabenrechts, § 24 Rn. 30; F. Kirchhof, in: Rengeling, EUDUR, § 38 Rn. 63. 34 Hernfeld, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 95 EGV Rn. 14. 35 Birk, Handbuch des europäischen Abgabenrechts, § 11 Rn. 15. 36 EuGH Rs. C-187/93, Parlament/Rat, Slg. 1994 I, S. 2857 Rn. 25; Rs. C-155/91, Kommission/Rat, Slg. 1993 I, S. 939 Rn. 19 m. w. N.; Jahns-Böhm, in: Schwarze, EUKommentar, Art. 175 EGV Rn. 7; Christian Müller, indirekte Verhaltenssteuerung, S. 53. 37 Hilf, NVwZ 1992, S. 105 [107].
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5. Teil: Möglichkeiten der Europäischen Gemeinschaft
Nicht überzeugend ist gleichfalls der Versuch, Art. 175 Abs. 2 EGV wie Art. 93, 95 EGV mit dem Verweis auf Art. 174 Abs. 2 UAbs. 2 EGV auf Har38 monisierungsmaßnahmen zu beschränken. Die Ermächtigung zur Einführung von Schutzverstärkungsklauseln bei Harmonisierungsmaßnahmen geht auf die jetzt in Art. 6 EGV ausgelagerte Verpflichtung zurück, den Umweltschutz in allen Politikbereichen mit einzubeziehen. Der Unterabsatz bezieht sich somit vor allem auf Harmonisierungskompetenzen (insbesondere Art. 94 und 95 EGV), da mit Art. 176 EGV schon eine primärrechtliche Schutzklausel für 39 Maßnahmen nach Art. 175 EGV existiert. Aus der Ermächtigung lässt sich im Umkehrschluss nicht folgern, dass die gemeinschaftsrechtliche Umweltpolitik auf Harmonisierungsmaßnahmen beschränkt ist, da andernfalls Art. 174 f. EGV kaum über Art. 95 Abs. 3 EGV hinausgehen würde. Die Klausel lässt sich in keiner Weise mit den ausdrücklichen Beschränkungen auf Harmonisierung in Art. 93 bis 95 EGV vergleichen. Als weiteres Argument gegen die Einführung neuer Steuern wendet man ein, dass die Gemeinschaft nach Art. 175 EGV nicht befugt ist, sowohl sich oder den Mitgliedstaaten Einnahmen zu verschaffen, die in den allgemeinen Finanzhaushalt fließen, da die nach dieser Auffassung spezielleren Art. 269 40 und Art. 93 EGV nicht zum Erlass neuer Steuern ermächtigen. Zulässig sei nur eine steuerliche Regelung, bei der die Einnahmen für eine spezielle umweltbezogene Aufgabe verwendet werden, was dem deutschen Modell einer 41 Sonderabgabe gleich käme. Die Ansicht ist in doppelter Hinsicht zweifelhaft. Erstens regelt zwar Art. 269 EGV die Finanzierung aus Eigenmitteln, erkennt 42 aber in Abs. 1 „sonstige Einnahmen“ an. Zweitens überzeugt auch der Ausschluss gemeinschaftsrechtlicher Steuern, die den Finanzhaushalten der Mitgliedstaaten zugute kämen, in mehrfacher Hinsicht nicht. Ein Vorrang von Art. 93, 94 und 95 EGV lässt sich nicht aus 43 dem Vertrag herleiten. Die Vorrangregelung in Art. 175 Abs. 2 EGV beschränkt sich auf Art. 95 EGV, wobei dieser gerade nicht zur Harmonisierung von Steuern ermächtigt. Da Art. 175 Abs. 2 EGV im Gegensatz zu Art. 93 und 94 EGV die Gemeinschaft zu Maßnahmen befähigt, die nicht nur der Harmoni___________ 38
So F. Kirchhof, in: Rengeling, EUDUR, § 38 Rn. 56. Jahns-Böhm, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 174 EGV Rn. 23 f. Die Ermächtigung dient insbesondere der Ergänzung von Art. 95 Abs. 10 EGV aber auch Art. 93 und 94 EGV. 40 Schröder, DStJG Bd. 15, S. 87 [93]; P. Kirchhof, DStJG 15, S. 3 [26 f.]; Hilf, NVwZ 1992, S. 105 [107]. 41 Hilf, NVwZ 1992, S. 105 [107]; Schröder, DStJG Bd. 15, S. 87 [93]. 42 Thiel, umweltrechtliche Kompetenzen, S. 78 f. Ausführlich unter § 14 G. 43 Eilers/Bahns/Sedlaczek, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, EUV/EGV, Art. 93 EGV Rn. 13; Schröer, Kompetenzverteilung, S. 164 f.; Christian Müller, indirekte Verhaltenssteuerung, S. 52 ff. Siehe auch § 10 B. II. 2. d). 39
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sierung und Verwirklichung des Binnenmarktes dienen, haben Art. 93, 94 und 44 175 Abs. 2 EGV nicht den gleichen Regelungsinhalt. Gleichfalls schließt ein 45 Binnenmarktbezug nicht automatisch die Umweltkompetenz aus. Vielmehr kommt es nach Ansicht des Gerichtshofes und Teilen der Literatur auf den 46 Schwerpunkt der Maßnahme an. Ebenfalls steht einer Beschränkung von Art. 175 Abs. 2 EGV auf Sonderabgaben der Wortlaut entgegen, wonach die 47 Gemeinschaft Vorschriften steuerlicher Art erlassen kann. Der Begriff der Steuer umfasst unstreitig Abgaben, die der Finanzierung des allgemeinen 48 Haushalts dienen. Art. 175 Abs. 2 EGV jeglichen Einfluss auf die allgemeinen Finanzhaushalte abzusprechen, würde einen völlig neuen Steuerbegriff bedingen. Im Übrigen kann man auch nicht einwenden, dass die Einführung neu49 er Steuern oder Abgaben die Steuersouveränität der Mitgliedstaaten verletzt. Die Parlamente der Mitgliedstaaten haben mit Schaffung der Ermächtigungsgrundlage dem Souveränitätsverlust zugestimmt. Teilweise erkennen sie sogar ausdrücklich die Möglichkeit europäischer Abgaben zugunsten der nationalen Finanzhaushalt an (z. B. Deutschland in Art. 106 Abs. 1 Nr. 7 GG). Umweltsteuern, die den allgemeinen Haushalten zukommen, lässt sich auch nicht entgegenhalten, dass ihr Aufkommen nicht der Umwelt zugute käme, da aus den allgemeinen Haushalten vielfältige Umweltmaßnahmen finanziert werden. Außerdem dienen Umweltsteuern nicht nur der Finanzierung, sondern sollen vor allem die ökologischen Kosten internalisieren und zu einem umweltschonenderen Verhalten anreizen. Die umweltschützende Wirkung geht somit schon vom Steuertatbestand aus und nicht erst von der Einkommensverwendung. Nicht ersichtlich ist hingegen, dass Art. 175 Abs. 2 EGV steuerliche 50 Maßnahmen allein auf die Finanzierungsfunktion beschränkt. In der Ermächtigung ist sowohl vom Wortlaut als auch vom Sinn und Zweck her eine Kompetenz zu sehen, die Lenkungssteuern erlaubt, welche den allgemeinen Finanzhaushalten zufließen. Besteht mit Art. 175 Abs. 2 EGV eine Kompetenz zum Erlass steuerlicher Vorschriften, so hat die Gemeinschaft eine umweltsteuerliche Regelung sowohl auf die Harmonisierungskompetenz als auch auf die Umweltkompetenz zu stüt___________ 44
Schröer, Kompetenzverteilung, S. 164 f. EuGH Rs. C-187/93, Parlament/Rat, Slg. 1994 I, S. 2857 Rn. 25; Rs. C-155/91, Kommission/Rat, Slg. 1993 I, S. 939 Rn. 19. 46 Siehe § 11 B. II. 2. d). 47 Calliess, ZUR 2003, S. 129 [130]. 48 Siehe § 14 B. Strittig ist allein, ob der europarechtliche Steuerbegriff auch haushaltsexterne Sonderabgaben deckt. 49 So aber Birk, Handbuch des europäischen Abgabenrechts, § 11 Rn. 11 bzgl. Art. 99 EGV a. F. 50 Vgl. Thiel, umweltrechtliche Kompetenzen, S. 76 f.; Kommission (EG), KOM (2001) 31, S. 47 ff. 45
5. Teil: Möglichkeiten der Europäischen Gemeinschaft
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51
zen, wenn sie auf bestehende nationale Steuern Einfluss nimmt. Eine doppelte Abstützung wäre nur ausgeschlossen, wenn die Rechtsgrundlagen unterschiedliche Gesetzgebungsverfahren vorsehen, insbesondere das Parlament verschie52 den zu beteiligen ist. Art. 93, 94 und 175 Abs. 2 EGV verlangen das gleiche Gesetzgebungsverfahren, wonach der Rat auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des Parlaments und des Wirtschafts- und Sozialausschusses einstimmig den Rechtsakt erlassen muss. Einzig Art. 175 Abs. 2 EGV fordert zusätzlich eine Anhörung des Ausschusses der Regionen, was allenfalls einen Vorrang von Art. 175 Abs. 2 EGV begründt. Im Ergebnis ist ein paralleles Abstützen auf Art. 93 bzw. 94 und Art. 175 Abs. 2 EGV möglich, wenn die Steuer ihrem Ziel und Inhalt nach untrennbar und gleichgewichtig sowohl dem Funk53 tionieren des Binnenmarktes als auch dem Schutz der Umwelt dient.
E. Art. 37 Abs. 2 EGV i. V. m. Art. 34 Abs. 2, 35 EGV – Kompetenz zur Regelung der Gemeinsamen Agrarpolitik Die Mitgliedstaaten haben der Europäischen Gemeinschaft in Art. 32 ff. EGV eine umfassende Kompetenz zur Regelung der Landwirtschaft einge54 räumt. Rechtsgrundlage für den Erlass von Rechtsakten ist Art. 37 Abs. 2 55 UAbs. 3 EGV. Die Maßnahmen müssen den in Art. 33 EGV aufgezählten Zielen dienen und werden durch Art. 34, 35, 37 Abs. 3 und 4 sowie Art. 38 56 EGV näher konkretisiert. Verfahrensrechtlich verlangt die Agrarkompetenz einen qualifizierten Mehrheitsbeschluss des Rates, dem ein Vorschlag der Kommission und eine Anhörung des europäischen Parlaments vorangegangen sein muss. Anders als bei anderen Kompetenzgrundlagen mit Mehrheitsent___________ 51
Nicht nachvollziehbar ist, warum Christian Müller, indirekte Verhaltenssteuerung, S. 55 f., Art. 93 EGV für produktbezogene Abgaben dennoch als vorrangig ansieht, weil der Steueradressat oder das Steuerobjekt am Binnenmarkt teilnimmt. Denn im Ergebnis stellt dies eine Spezialität von Art. 93 EGV dar. 52 EuGH Rs. C-300/89, Kommission/Rat (Titandioxid), Slg. 1991 I, S. 2867 Rn. 17 ff. Siehe § 11 B. II. 2. d). 53 Vgl. Nowack, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, EUV/EGV, (5. Aufl.) Art. 99 EGV a. F. Rn. 11, 101; Wolffgang, in: Lenz, EGV, Art. 93 Rn. 5; Schröder, DStJG Bd. 15, S. 87 [93]; Schröer, Kompetenzverteilung, S. 165 f. Auch die Kommission (EG) stützte ihren Vorschlag für eine CO2-/Energiesteuer auf Art. 99 und 130s EGV a. F. (ABl. EG 1992 Nr. C 196, S. 1). 54 EuGH Rs. C-11/88, Kommission/Rat, Slg. 1989, S. 3799; Rs. C-180/96, Vereinigtes Königreich/Kommission, Slg. 1998 I, S. 2265 Rn. 134 f.; Hix, in: Schwarze, EUKommentar, Art. 37 EGV Rn. 5. 55 EuGH Rs. 68/86, Vereinigtes Königreich/Rat, Slg. 1988, S. 855 Rn. 14; Rs. C180/96, Vereinigtes Königreich/Kommission, Slg. 1998 I, S. 2265 Rn. 133. 56 Hix, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 32 EGV Rn. 2.
§ 14 Steuer- und abgabenrechtliche Kompetenzen der Gemeinschaft
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scheidung wurde die Position des Parlaments nicht mittels des Verfahrens der Mitentscheidung oder der Zusammenarbeit (Art. 251 f. EGV) gestärkt. Fraglich ist, ob sich Umweltabgaben im Bereich der Landwirtschaft auf Art. 32 ff. EGV stützen lassen. Dies setzt mindestens voraus, dass Umweltabgaben die in Anhang I aufgezählten Erzeugnisse (Art. 32 Abs. 3 EGV) oder die landwirtschaftliche Tätigkeit regeln und den in Art. 33 EGV genannten Zielen dienen. Da die Vorschläge nicht nur den Agrarbereich, sondern auch die Steuer- und die Umweltkompetenz betreffen, müssen die einschlägigen Kompetenzen abgrenzt werden. Dies hängt von möglichen Spezialitätsverhältnissen oder 57 alternativ vom Schwerpunkt der zu erlassenden Regelung ab.
I. Verhältnis von Art. 37 EGV zu Art. 175 EGV Art. 33 ff. EGV und Art. 174 f. EGV ordnen keinen Vorrang und keine Subsidiarität gegenüber der anderen Kompetenzgrundlage an, da beide Kompetenzgrundlagen sich grundsätzlich in ihren Zielen unterscheiden. So benennt Art. 33 EGV nicht den Umweltschutz als Ziel, sondern vor allem die Produktionssteigerung der Landwirtschaft. Allerdings ist die Gemeinschaft aufgrund Art. 6 EGV in allen Politikbereichen angehalten, die Erfordernisse des Umweltschutzes einzubeziehen. Bei Art. 174 f. EGV ist die Ökologisierung der Landwirtschaft kein ausdrücklich erwähntes Ziel. Die Verpflichtung zur umsichtigen und rationellen Verwendung der natürlichen Ressourcen umfasst indes auch die Aufgabe, eine schonende und nachhaltige Bodennutzung von Seiten der Landwirtschaft zu erreichen. Somit erweisen sich Umweltmaßnahmen im Landwirtschaftsbereich als eine Querschnittsmaterie, die beide Kompetenzgrundlagen betreffen. Gleichwohl hat der Europäische Gerichtshof teilweise bei Maßnahmen, die den Zielen von Art. 33 EGV dienen, der Agrarkompetenz einen Vorrang eingeräumt, auch wenn die Maßnahme gleichzeitig den Schutz der menschlichen 58 Gesundheit oder der Umwelt bezweckte. Begründet hat er die weite Auslegung der Kompetenzgrundlage u. a. mit den Querschnittsklauseln zum Umwelt- und Gesundheitsschutz in Art. 6 EGV (früher Art. 130r Abs. 2 UAbs. 1 EGV a. F.) und Art. 152 Abs. 1 EGV. Ein der Spezialität gleichkommender Vorrang ist indes fraglich, da Art. 175 EGV nicht die gleichen Tatbestands___________ 57
Siehe § 14. EuGH Rs. 68/86, Vereinigtes Königreich/Rat, Slg. 1988, S. 855 Rn. 12; Rs. C405/92, Mondiet, Slg. 1993 I, S. 6133 Rn. 26 f.; Rs. C-180/96, Vereinigtes Königreich/Kommission, Slg. 1998 I, S. 2265 Rn. 120 ff.; Rs. C-106/97, DADI, Slg. 1999 I, S. 5983 Rn. 41. Thiel, umweltrechtliche Kompetenzen, S. 107 ff., der jedoch die Konsequenz einer Mehrheitsentscheidung im Umweltbereich durch eine Doppelabstützung vermeiden will. 58
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5. Teil: Möglichkeiten der Europäischen Gemeinschaft
merkmale aufweist und sich nur hinsichtlich des Regelungsobjektes Über59 schneidungen ergeben. In einem neueren Urteil orientiert sich der Gerichtshof wieder stärker an seiner sonstigen Rechtsprechung zur Kompetenzbestimmung und nimmt bei der Agrar- und Umweltkompetenz eine Abgrenzung nach dem 60 Schwerpunkt vor. Sind beide Ziele gleich wesentlich, wären grundsätzlich beide Rechtsgrundlagen heranzuziehen, solange sich die Verfahren vereinbaren 61 lassen. Allerdings unterscheiden sich die Verfahren von Art. 37 Abs. 2 EGV und Art. 175 Abs. 2 EGV insoweit, als bei 175 Abs. 2 EGV ein einstimmiger Ratsbeschluss erforderlich ist. Wegen der gleichen Parlamentsbeteiligung lässt 62 sich das Urteil des Gerichtshofes zur Titandioxid-Richtlinie nicht direkt übertragen, wonach aufgrund des Demokratieprinzips die Kompetenz vorrangig ist, welche das Parlament stärker beteiligt. Es ist daher fraglich, nach welcher Kompetenznorm sich das Rechtsetzungsverfahren bestimmen sollte. Eine Ansicht plädiert wegen des „effet utile“ für die Anwendung des erleichterten Beschlussverfahrens in Art. 37 Abs. 2 UAbs. 3 EGV, da den Organen nicht das Recht zustehen dürfe, ein erschwertes 63 Beschlussverfahren zu wählen. Meines Erachtens berücksichtigt diese Ansicht zu wenig den Zweck der Kompetenzvorschriften. Kompetenzen übertragen der Gemeinschaft Teile der mitgliedstaatlichen Rechtsetzungsbefugnis und stellen insofern eine eher eng auszulegende Ausnahme von der an sich bestehenden nationalen Souveränität dar, wie es Art. 5 EGV bestätigt. Der Schutz der Souveränität würde aber unterlaufen, wenn Maßnahmen, die zumindest teilweise in Bereiche mit Einstimmigkeitserfordernis fallen, mehrheitlich be64 schlossen werden dürfen. Alle steuerlichen Ermächtigungen (Art. 93, 94, 175 Abs. 2 EGV) verlangen einen einstimmigen Ratsbeschluss, um die mitgliedstaatliche Steuersouveränität zu schützen. Art. 95 Abs. 2 EGV nimmt Steuern ausdrücklich vom Mehrheitsbeschluss aus. Das Einstimmigkeitserfordernis im 65 Bereich des Steuerrechts war ein wesentlicher Konsens der Vertragsparteien. Trotz des doppelten Regelungsschwerpunktes ist daher ein einstimmiger Rats___________ 59
Schröer, Kompetenzverteilung, S. 141 f. EuGH Rs. C-164/97 u. 165/97, Europäisches Parlament/Rat, Slg. 1999 I, S. 1139 Rn. 14 f. Zustimmend Schröer, Kompetenzverteilung, S. 141 ff.; Hix, in: Schwarze, EUKommentar, Art. 37 EGV Rn. 7; Christian Müller, indirekte Verhaltenssteuerung, S. 85. 61 Für eine Doppelabstützung auch Thiel, umweltrechtliche Kompetenzen, S. 109 f.; Hix, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 37 EGV Rn. 7; Schröer, Kompetenzverteilung, S. 148 ff. 62 EuGH Rs. C-300/89, Kommission/Rat (Titandioxid), Slg. 1991 I, S. 2867 Rn. 17 ff. 63 Schröer, Kompetenzverteilung, S. 148 f., 151. 64 Vgl. Nowack, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, EUV/EGV, (5. Aufl.) Art. 99 EGV a. F. Rn. 11. 65 Siehe § 8 A. 60
§ 14 Steuer- und abgabenrechtliche Kompetenzen der Gemeinschaft
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66
beschluss nach Art. 175 Abs. 2 EGV nötig. Art. 37 Abs. 2 UAbs. 3 EGV tritt bei Umweltabgaben hinter Art. 175 Abs. 2 EGV zurück.
II. Verhältnis von Art. 37 EGV zu Art. 93, 94 EGV Obwohl Art. 93 EGV wie auch Art. 94 EGV zur Rechtsangleichung ermächtigen, um die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes zu verwirklichen, ist bei der Abgrenzung zur Agrarkompetenz zu unterscheiden. Während die Agrarkompetenz in Art. 34 Abs. 2 und Art. 38 EGV zu speziellen Abgaben ermächtigt, die der Finanzierung oder dem Ausgleich von Agrarmaßnahmen 67 dienen, gewährt Art. 93 EGV der Gemeinschaft eine ausdrückliche Harmonisierungskompetenz bezüglich der indirekten Steuern. Um die verbliebene Steuersouveränität der Mitgliedstaaten zu schützen, wurde bei Art. 93 EGV an einem einstimmigen Ratsbeschluss festgehalten. Wie bei Art. 175 Abs. 2 EGV ausgeführt, gilt es den diesbezüglichen Willen der Vertragsparteien zu beachten, weshalb aufgrund der gleich starken Parlamentsbeteiligung grundsätzlich Art. 93 EGV vorzuziehen ist. Dagegen könnte einzig Art. 32 Abs. 2 EGV sprechen, der den Agrarvorschriften einen Vorrang gegenüber den Vorschriften für die Errichtung des Gemeinsamen Marktes einräumt. Ob hierzu auch Art. 93 EGV zu zählen ist, hängt davon ab, wie weit man den Begriff des Gemeinsamen Marktes in Art. 32 Abs. 2 EGV verstehen will. Art. 32 Abs. 2 EGV wurde in den Vertragstext aufgenommen, um Abweichungen von den Grundsätzen und Harmonisierungen des Gemeinsamen Marktes zugunsten der Landwirtschaft zu gestatten. Die Regel war vor allem für die vom freien Warenverkehr abweichenden Übergangsvorschriften in Art. 42, 44 bis 48 EGV a. F. von Bedeutung. Für die Besteuerung von Landwirten oder Agrarerzeugnissen existierten hingegen keine Sonderregeln innerhalb der Agrarkompetenz. Da es sich bei Art. 93 EGV um keine generelle Harmonisierungsvorschrift, sondern um eine spezielle Steuerkompetenz zur Errichtung des Binnenmarktes handelt, sind steuerliche Harmonisierungsmaßnahmen, die auch landwirtschaftliche Erzeugnisse oder Betriebsmittel betreffen, wie z. B. die Umsatzsteuer, auf Art. 93 68 EGV zu stützen. Anders ist die Situation bei Art. 94 EGV, da die Vorschrift keinen konkreten steuerlichen Harmonisierungsauftrag enthält. Vielmehr normiert Art. 94 EGV ___________ 66
So auch Thiel, umweltrechtliche Kompetenzverteilung, S. 110. Zu den Abgaben der Marktorganisationen Dünnweber, in: Birk, Handbuch des europäischen Abgabenrechts, § 13. 68 Art. 93 EGV befürworten ebenfalls Hix, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 37 Rn. 9 und Nowack, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, EUV/EGV, (5. Aufl.) Art. 99 EGV a. F. Rn. 11. A.A. Christian Müller, indirekte Verhaltenssteuerung, S. 58 f. 67
5. Teil: Möglichkeiten der Europäischen Gemeinschaft
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eine generelle Harmonisierungsvorschrift zur Errichtung des Gemeinsamen Marktes, so dass Art. 32 Abs. 2 EGV einschlägig und die Agrarkompetenz vor69 rangig ist. Soweit eine Regelung sowohl Ziele der Agrarpolitik, insbesondere die Produktion und Vermarktung landwirtschaftlicher Erzeugnisse betrifft, als auch der Verwirklichung des Gemeinsamen Marktes dient, ist sie allein auf Art. 37 Abs. 2 EGV zu stützen.
III. Verhältnis von Art. 37 EGV zu Art. 152 EGV Art. 152 Abs. 1 EGV bestimmt, dass bei der Festlegung und Durchführung aller Gemeinschaftspolitiken und -maßnahmen ein hohes Gesundheitsschutzniveau sicherzustellen ist. In Folge dessen hat der Europäische Gerichtshof den Gesundheitsschutz als Teil der gemeinsamen Agrarpolitik angesehen, soweit er 70 die Landwirtschaft betrifft. Aufgrund der BSE-Krise wurde die spezielle Kompetenz in Art. 152 Abs. 4 EGV um den Buchstaben b erweitert. Nunmehr sind Maßnahmen in den Bereichen Veterinärwesen und Pflanzenschutz, die unmittelbar den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung zum Ziel haben, auf 71 der Grundlage von Art. 152 EGV und nicht Art. 37 EGV zu treffen. Bei mehreren Zwecken ist Art. 37 Abs. 2 EGV nur einschlägig, wenn der Schutz der menschlichen Gesundheit bloß ein mittelbarer Zweck der Gemeinschaftsmaßnahme ist. Die Bedeutung der Ziele ist wie bei der generellen Kompetenzabgrenzung objektiv zu bestimmen.
IV. Ergebnis Im Ergebnis ist bei der Anwendung von Art. 37 Abs. 2 UAbs. 3 EGV genau zu unterscheiden. Eine Umweltabgabe im Agrarbereich ist auf Art. 175 Abs. 2 EGV zu stützen, da diese Kompetenzvorschrift aufgrund des einstimmigen Ratsbeschlusses die Steuersouveränität der Mitgliedstaaten stärker wahrt. Harmonisiert die Umweltabgabe bestehende indirekte Steuern, ist zusätzlich auch Art. 93 EGV einschlägig. Betrifft die Abgabe jedoch direkte Steuern, ist Art. 94 EGV nicht anwendbar, da Art. 32 Abs. 2 EGV der Landwirtschaftskompetenz gegenüber der allgemeinen Harmonisierungskompetenz einen Vor___________ 69
EuGH 68/86, Vereinigtes Königreich/Rat, Slg. 1988, S. 855 Rn. 14 ff.; Rs. C11/88, Kommission/Rat, Slg. 1989, S. 3799; Rs. C-131/87, Kommission/Rat, Slg. 1989, S. 3743 Rn. 11, 25. Zustimmend Hix, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 37 EGV Rn. 10. 70 EuGH 68/86, Vereinigtes Königreich/Rat, Slg. 1988, S. 855 Rn. 12; Rs. C-131/87, Kommission/Rat, Slg. 1989, S. 3743 Rn. 25. 71 Berg, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 152 EGV Rn. 24.
§ 14 Steuer- und abgabenrechtliche Kompetenzen der Gemeinschaft
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rang einräumt. Im Fall von Umweltabgaben verbliebe es aber bei dem vorrangigen Art. 175 Abs. 2 EGV. Ausdrücklich ausgeschlossen ist die Agrarkompetenz hingegen von Art. 152 Abs. 4 b) EGV, wenn eine Umweltabgabe das Veterinärwesen oder den Pflanzenschutz regelt, um unmittelbar den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung zu sichern.
F. Art. 152 EGV – Kompetenz für Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung Der Gesundheitsschutz ist gemäß Art. 152 Abs. 1 UAbs. 1 EGV grundsätzlich Teil der übrigen Politiken. Einzig Art. 152 Abs. 4 EGV normiert spezielle Gesundheitskompetenzen. Fraglich ist das Verhältnis von Art. 152 Abs. 4 EGV zu den anderen Kompetenzen. Ausdrücklich schließt Art. 152 Abs. 4 b) EGV, wie oben festgestellt, den Art. 37 EGV bei Maßnahmen in den Bereichen Veterinärwesen und Pflanzenschutz aus, die unmittelbar den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung bezwecken. Gegenüber Art. 175 Abs. 2 EGV trifft Art. 152 EGV keine so klare Aussage. Vielmehr ist die Gemeinschaft im Rahmen von Art. 174 Abs. 1 EGV ausdrücklich zu Maßnahmen zum Schutz der menschlichen Gesundheit ermächtigt worden. Fehlt es an einer Spezialitäts- oder Subsidiaritätsklausel, so bestimmt sich 72 die Kompetenzabgrenzung nach dem Schwerpunkt der Maßnahme. Bei untrennbar gleichwertigen Zwecken sind grundsätzlich beide Kompetenznormen anzuwenden, soweit die Gesetzgebungsverfahren vergleichbar sind. Allerdings sieht Art. 152 Abs. 4 EGV das Verfahren der Mitentscheidung vor (mit qualifiziertem Rats- und Parlamentsbeschluss), während bei Art. 175 Abs. 2 EGV ein einstimmiger Ratsbeschluss ergehen muss, wobei das Parlament nur anzuhören ist. Nach dem Titandioxid-Urteil wäre aufgrund des Demokratieprinzips Art. 152 Abs. 4 EGV mit seiner stärkeren Parlamentsbeteiligung vorzuziehen. Andererseits wollten die Vertragsparteien im Bereich des Steuerrechts gerade keine Mehrheitsentscheidungen zulassen. Bei einer Abwägung zwischen dem Demokratieprinzip und der Steuersouveränität der Mitgliedstaaten ist jedoch dem Verfahren mit einer stärkeren Parlamentsbeteiligung eine größere Bedeutung beizumessen, da die Souveränität schon durch die Kompetenzübertragung an sich beeinträchtigt ist, so dass die Entscheidung zwischen Mehrheits- oder Einstimmigkeitsbeschluss nur noch eine untergeordnete Bedeutung hat. Art. 152 Abs. 4 b) EGV ist gegenüber Art. 175 Abs. 2 EGV als vorrangig anzusehen. Aufgrund des gleichen Gesetzgebungsverfahrens in Art. 93 EGV und Art. 94 EGV, gilt die Aussage auch für diese Harmonisierungskompetenzen. ___________ 72
Schmidt am Bach, in: Grabitz/Hilf, Recht der EU, Art. 152 Rn. 62. Siehe § 14.
5. Teil: Möglichkeiten der Europäischen Gemeinschaft
330
Auch hier ist wegen der stärkeren Beteiligung des Parlaments Art. 152 Abs. 4 b) EGV vorzuziehen, soweit die Maßnahme unmittelbar die Gesundheit schützt. Nach Art. 152 Abs. 4 c) EGV kann die Gemeinschaft im Rahmen der Gesundheitspolitik Fördermaßnahmen treffen, die jedoch keine Harmonisierungen der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten enthalten dürfen. Letzteres wäre jedoch bei jedem der Vorschläge der Fall, da in allen oder zumindest in einigen Mitgliedstaaten eine Umsatzsteuer, eine Grundsteuer oder eine Abgabe auf Dünge- oder Pflanzenschutzmittel besteht. Somit geht nur Art. 152 Abs. 4 b) EGV den übrigen Kompetenzen in Art. 37 Abs. 2 EGV, Art. 175 Abs. 2 EGV, Art. 93 EGV und Art. 94 EGV vor.
G. Art. 269 EGV – Kompetenz zur Erhebung von Eigenmitteln der Gemeinschaft Über die Finanzierung ihres Haushaltes durch Eigenmittel kann die Gemeinschaft nur sehr begrenzt allein entscheiden. Nach Art. 269 Abs. 2 EGV bedarf diese Entscheidung, wie bei einer Vertragserweiterung, der Zustimmung der 73 nationalen Parlamente. Die als Ausnahme vorgesehene Möglichkeit, den Haushalt aus sonstigen Einnahmen zu finanzieren, stellt keine eigenständige Erhebungskompetenz der Gemeinschaft dar, sondern gewährleistet nur die Einstellung von Einnahmen, die aufgrund anderer Ermächtigungen erhoben wurden (z. B. landwirtschaftliche Mitverantwortungsabgaben gem. Art. 33 f., Art. 74 37 EGV). Ob hierzu auch die Kompetenz in Art. 175 Abs. 2 EGV zählt, ist 75 fraglich. In der Diskussion um eine europaweite CO2- bzw. Energiesteuer lehnten die meisten Literaturstimmen dies ab, weil die Einnahmen so erheblich wären, dass die Zustimmungspflicht der Mitgliedstaaten in Art. 269 EGV quasi 76 ausgehebelt würde. In Anbetracht des ausdrücklichen Ratifizierungsvorbehalts der nationalen Parlamente bezüglich der Eigenmittel der Gemeinschaft, spricht vieles dafür, dass die sonstigen Einnahmen allenfalls wenig bedeutsame 77 Nebeneinnahmen abdecken.
___________ 73
Hilf, NVwZ 1992, S. 105 [109]. EuGH Rs. 108/81, Anylum/Rat, Slg. 1982, S. 3107 Rn. 23 ff., 32; Bieber, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, EUV/EGV, Art. 269 EGV Rn. 36 ff. 75 Ablehnend P. Kirchhof, DStJG Bd. 15, S. 3 [26]. 76 Hilf, NVwZ 1992, S. 105 [109 f.]; Schröder, DStJG Bd. 15, S. 87 [96]; Breuer, DVBl. 1992, 485 [496]. 77 Hilf, NVwZ 1992, S. 105 [109]. 74
§ 14 Steuer- und abgabenrechtliche Kompetenzen der Gemeinschaft
331
H. Zusammenfassung Im Ergebnis lassen sich Umweltabgaben zur Ökologisierung der Landwirtschaft auf die Umweltkompetenz in Art. 175 Abs. 2 EGV hinsichtlich Vorschriften steuerlicher Art sowie auf die Kompetenz zur Harmonisierung der indirekten Steuern in Art. 93 EGV stützen, die gemeinsam anzuwenden sind. Aufgrund des einstimmigen Ratsbeschlusses bei Art. 175 Abs. 2 EGV und Art. 93 EGV gehen diese Kompetenzvorschriften der an sich auch einschlägigen Agrarkompetenz in Art. 37 Abs. 2 EGV vor. Im speziellen Fall einer Umweltabgabe im Bereich des Veterinärwesens oder des Pflanzenschutzes, die unmittelbar dem Schutz der menschlichen Gesundheit dient, findet schließlich allein Art. 152 Abs. 4 b) EGV Anwendung.
§ 15 Kompetenzen der Europäischen Gemeinschaft zur Verwirklichung der vorgeschlagenen Umweltsteuern A. Kompetenz zur ökologischen Ausrichtung der Grundsteuer Zur Regelung der Grundstücksbesteuerung existieren auf europäischer Ebene noch keine Rechtsakte. Bei den in Betracht kommenden Rechtsgrundlagen scheidet Art. 93 EGV aus, da die Grundsteuer als nicht produktbezogene Real1 steuer keine indirekte Steuer im Sinne von Art. 93 EGV ist. Gleichfalls ist Art. 152 Abs. 4 b) EGV nicht einschlägig, weil die Grundsteueränderung allenfalls mittelbar dem Schutz der Gesundheit dient und den Pflanzenschutz nur tangiert. Damit verbleibt es bei Art. 175 Abs. 2 EGV, Art. 37 Abs. 2 EGV und Art. 94 EGV, wobei letzterer wegen Art. 32 Abs. 2 EGV gegenüber Art. 37 EGV subsidiär ist. Die Differenzierung der Grundstücksbesteuerung nach der Ein- oder Nichteinhaltung der EG-Ökolandbau-Verordnung soll zu einer Verbreitung des ökologischen Landbaus führen. Sie entspricht den Zielen von Art. 174 Abs. 1 EGV, so dass Art. 175 Abs. 2 EGV anwendbar wäre. Die Rechtsgrundlage erlaubt der Gemeinschaft grundsätzlich die Erhebung von Steuern, die den allgemeinen Finanzhaushalten der Mitgliedstaaten zugute kommen. Einzig die Erzielung von eigenen Einnahmen ist wegen Art. 269 EGV beschränkt. Die Grundsteuer, welche den Mitgliedstaaten zusteht, wäre eine geeignete Steuer für Umweltlenkungsanreize. Förderung und Ausweitung des ökologischen Landbaus sind wegen Art. 6 EGV auch Anliegen der Gemeinsamen Agrarpolitik. Weiterhin lassen sich hierdurch nachhaltigere und höherpreisige Produkte erzeugen und vermarkten, so dass grundsätzlich auch Art. 37 Abs. 2 UAbs. 3 EGV einschlägig wäre. Obwohl der Umweltschutzzweck untrennbar mit der zu fördernden ökologischen Bewirtschaftungsweise verbunden ist und insoweit eine doppelte Rechtsgrundlage vorliegt, ist die Maßnahme auf Art. 175 Abs. 2 ___________ 1
Wasmeier, Umweltabgaben und Europarecht, S. 45. Im Allgemeinen fasst man unter diese Kompetenz, neben den Verbrauchsabgaben auf Mineralöl, Tabak und Alkohol, auch die indirekten Verkehrsteuern auf den Kapitalverkehr, die Beförderung und auf Versicherungen (z. B. Eilers/Bahns/Sedlaczek, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, EUV/EGV, Art. 93 EGV Rn. 14, 74; Stumpf, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 93 Rn. 10 f.). Vgl. RL 77/799/EWG zur gegenseitigen Amtshilfe bei direkten Steuern, ABl. EG 1977, Nr. L 336, S. 15-20.
§ 15 Verwirklichung der vorgeschlagenen Umweltsteuern
333
EGV zu stützten, da in Anbetracht der starken Souveränitätsvorbehalte im 2 Steuerrecht an einem einstimmigen Ratsbeschluss festzuhalten ist. Hinsichtlich des Subsidiaritätsprinzips lässt sich sagen, dass eine europaweite Grundsteueränderung in einem weitaus größeren Umfang Verbesserungen für die Umwelt bewirkt, als wenn nur einige Mitgliedstaaten derartige Maßnahmen treffen. Andererseits existiert nicht in allen Mitgliedstaaten eine 3 Grundsteuer. Eine europäische Lenkungsmaßnahme müsste daher um effektiver zu sein, die entsprechenden Mitgliedstaaten auch verpflichten, eine Grundsteuer einzuführen. Dies ist aber kaum mehr von Art. 175 Abs. 2 EGV gedeckt, da die Grundstücksbesteuerung nicht allein den Umweltschutz zum Ziel hat, sondern auch der allgemeinen Einnahmeerzielung als Vermögensteuer dient. Der gegenüber den indirekten Steuern wesentlich geringere Einfluss auf den Gemeinsamen Markt rechtfertigt auch keine Harmonisierung auf der Grundlage von Art. 94 EGV. Kann die Europäische Gemeinschaft nicht alle Mitgliedstaaten zur Einführung einer differenzierten Grundsteuer verpflichten, wäre eine europäische Lösung kaum effektiver als auf der Ebene der Mitgliedstaaten. Ob dieser geringe Mehrwert für Art. 5 Abs. 2 EGV genügt, ist fraglich. Eine europaweite ökologische Ausrichtung der Grundstücksbesteuerung ist aufgrund des Subsidiaritätsprinzips nicht zu empfehlen.
B. Kompetenz zur ökologischen Ausrichtung der Umsatzsteuer Die Europäische Gemeinschaft kann ausdrücklich nach Art. 93 EGV die Umsatzsteuer harmonisieren. Sie hat diese Kompetenz schon früh mit der 4 Richtlinie 67/227/EWG wahrgenommen. Die derzeit geltende 6. EG-Umsatz5 steuer-Richtlinie hat die Harmonisierung so weit ausgebaut, dass den Mitgliedstaaten nur noch ein begrenzter Regelungsspielraum hinsichtlich der Steu6 erhöhe und den Steuerermäßigungen bleibt. Um die Vorschläge für eine Differenzierung zwischen ökologischen und konventionellen Agrarerzeugnissen auf europäischer Ebene umzusetzen, müsste man die 6. EG-Umsatzsteuer-Richtlinie entsprechend ändern. Anders als die Mitgliedstaaten könnte die Gemeinschaft für ökologische Erzeugnisse nicht nur einen ermäßigten Steuersatz, sondern sogar eine Steuerbefreiung festlegen, indem sie Art. 13 ff. der Richtlinie ändert. Letzteres wäre aufgrund des fehlenden Vorsteuerabzugs jedoch nicht zu ___________ 2
Siehe § 14 E. I. Laut der Europäischen Kommission, Inventar der Steuern 2000, wird in Belgien, Frankreich, Italien, Portugal, Niederlande und in Schweden keine Grundsteuer erhoben. 4 ABl. EG 1967 Nr. L 71, S. 1301 ff. Zur Geschichte Birkenfeld/Forst, Umsatzsteuerrecht im Europäischen Binnenmarkt, S. 98 ff. 5 RL 77/388/EWG, ABl. EG 1977 Nr. L 145, S. 1 in ihrer heutigen Fassung. 6 Siehe § 10 A. I. 3
5. Teil: Möglichkeiten der Europäischen Gemeinschaft
334 7
empfehlen. Einfacher ist es, die Änderung in das herkömmliche System der ermäßigten Steuersätze einzubetten, indem man die Kategorie 1 des Anhangs H auf Nahrungs- und Futtermittel beschränkt, die nach der EG-ÖkolandbauVerordnung 2092/91 gekennzeichnet sind. Dazu müsste die Europäische Gemeinschaft im Rahmen der Kompetenz zu einer ökologischen Differenzierung ermächtigt sein. Art. 93 EGV erlaubt Harmonisierungsmaßnahmen, die für die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes notwendig sind. Nach dem bisherigen Harmonisierungsstand können die Mitgliedstaaten einen oder zwei ermäßigte Sätze von mindestens fünf Prozent auf Gegenstände und Dienstleistungen des Anhangs H erheben, worunter die meisten Agrarerzeug8 nisse fallen. Von dieser Möglichkeit haben die meisten Länder Gebrauch gemacht, wobei sie aber nicht zwischen ökologischen und konventionellen Agrarerzeugnissen differenzieren, sondern allenfalls zwischen unterschiedlichen 9 Produktarten. Die Frage, ob sich die verbliebenen Umsatzsteuerdifferenzen zwischen den Mitgliedstaaten auf das Funktionieren des Binnenmarktes behindernd auswirken, hat die Europäische Kommission in zwei Berichten zu klären 10 versucht. Danach reizen die unterschiedlichen Umsatzsteuersätze zwar dazu 11 an, in anderen Mitgliedsländern einzukaufen. Diese Verschiebungen verursachen aber keine erheblichen Wettbewerbsverzerrungen und Funktionsstörungen des Binnenmarktes, so dass die Kommission 1997 eine weitere Anglei12 chung der Umsatzsteuersätze vorerst nicht als erforderlich ansah. Ein vollständiges Funktionieren des Binnenmarktes sei nach Ansicht der Kommission aber erst mit einer gänzlichen Angleichung der Sätze und einer Umstellung auf 13 das Ursprungslandprinzip zu erreichen. Für die Einführung einer Differenzierung zwischen ökologischen und konventionellen Erzeugnissen ergibt sich damit Folgendes. Ist schon für das Funktionieren des Binnenmarktes eine Harmonisierung der ermäßigten Sätze und Güter nicht notwendig, so gilt dies erst recht für eine Differenzierung nach ökologischen Kriterien. Allerdings existiert in den Mitgliedstaaten ein verstärktes Interesse, die Umsatzsteuer auch lenkungspolitisch zu nutzen und insbeson14 dere den Absatz umweltfreundlicher Waren zu fördern. Hieraus könnte sich ein vorbeugendes Harmonisierungserfordernis ergeben. Bei der allgemeinen Kompetenzabgrenzung wurde aber festgestellt, dass für Art. 93 EGV eine um___________ 7
Siehe § 6 B. Siehe § 10 A. I. 9 Kommission (EG), Landwirtschaft ... Fakten und Zahlen, Tab. 3.3.11. 10 KOM (1994) 584; KOM (1997) 559. 11 Kommission (EG) KOM (1994) 584, S. 8, 13 f.; KOM (1997) 559, S. 5, 12. 12 Kommission (EG) KOM (1994) 584, S. 11, 14; KOM (1997) 559, S. 7, 10. 13 Kommission (EG) KOM (1997) 559, S. 8. 14 Kommission (EG) KOM (1997) 559, S. 15 ff., 27. 8
§ 15 Verwirklichung der vorgeschlagenen Umweltsteuern
335
weltrechtliche Weiterentwicklung von Harmonisierungsmaßnahmen ohne konkrete Notwendigkeit für das Funktionieren des Binnenmarktes alleine nicht genügt. Zwar ist gemäß Art. 6 EGV der Umweltschutz bei allen Politiken zu beachten, er erweitert bestehende Einzelkompetenzen aber allenfalls in ihrem Umfang nicht aber in ihren Voraussetzungen. Für den Einbau ökologischer Kriterien in die Umsatzsteuer bedarf es deshalb einer weiteren Einzelermächtigung, wie sie mit Art. 175 Abs. 2 EGV vorliegt. Die Regelungsbefugnis hinsichtlich „Vorschriften überwiegend steuerlicher Art“ ist nicht weiter einge15 schränkt und beschränkt sich insbesondere nicht auf Sonderabgaben. Eine Differenzierung der Umsatzsteuer nach ökologischen und konventionellen Erzeugnissen gemäß der EG-Ökolandbau-Verordnung dient dem Schutz der Umwelt sowie der umsichtigen und rationellen Verwendung der Ressource Boden. Der Vorschlag lässt sich auf Art. 175 Abs. 2 EGV abstützen, der aufgrund der gleichen Anforderungen an das Gesetzgebungsverfahren neben Art. 93 EGV anwendbar wäre. Als weitere Voraussetzung für eine europarechtliche Regelung wäre das Subsidiaritätsprinzip zu beachten. Theoretisch ist es jedem Mitgliedstaat gestattet, im Rahmen der bisherigen 6. EG-Umsatzsteuer-Richtlinie, zwischen ökologischen und konventionellen Agrarerzeugnissen zu differenzieren. Rein tatsächlich ist es jedoch sehr unwahrscheinlich, dass alle Mitgliedsländer eine solche Differenzierung vornehmen werden. Denn bisher sind regelmäßig alle Agrarerzeugnisse einem ermäßigten Satz unterworfen, weshalb eine Anhebung für konventionelle Erzeugnisse erheblichen politischen Widerstand hervorrufen wird. Eine europaweite Differenzierung ließe sich sehr wahrscheinlich nur durch eine Gemeinschaftsmaßnahme verwirklichen. Eine umfassende europaweite Lenkung würde für den Umweltschutz einen Mehrwert bringen und auch die europäische Verflechtung sowie Reglementierung der Landwirtschaft widerspiegeln. Wegen ihres Umfanges und ihrer Wirkung ließe sich die Ökologisierung der Landwirtschaft besser auf Gemeinschaftsebene zu erreichen. Die Europäische Gemeinschaft kann deshalb nach Art. 175 Abs. 2 EGV i. V. m. Art. 93 EGV eine Differenzierung zwischen ökologischen und konventionellen Agrarerzeugnissen innerhalb der 6. EG-Umsatzsteuer-Richtlinie vorschreiben.
C. Kompetenz für die Einführung von Steuern auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel Steuern auf Dünge- und/oder Pflanzenschutzmittel werden derzeit in Däne16 mark, Schweden, und den Niederlanden erhoben. Die Ausgestaltungen diffe___________ 15 16
Siehe § 14 D. Siehe § 7 A. II.
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5. Teil: Möglichkeiten der Europäischen Gemeinschaft
rieren sowohl im Steuersatz als auch bezüglich ihres Anknüpfungspunktes. So knüpfen in Schweden die Steuern auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel sowie in Dänemark die Düngemittelsteuer als Festbetrag an die Nährstoff- bzw. Wirkstoffmenge an, währenddessen die dänische Pestizidsteuer als Prozentsatz vom Einzelhandelspreis erhoben wird. Die Niederlande besteuern hingegen nur den betrieblichen Nährstoffüberschuss. In Deutschland wird zumindest die Erhebung einer Abgabe auf Düngemittel seit längerem diskutiert, auch wenn bis 17 heute die Diskussion folgenlos blieb. Auch im Vereinigten Königreich wurden seit 1999 Überlegungen hinsichtlich einer Abgabe auf Pflanzenschutzmittel angestellt, aber am Ende verworfen. Die unterschiedlichen Regelungen und Überlegungen in den Mitgliedstaaten könnten eine Harmonisierungsmaßnahme von Seiten der Europäischen Gemeinschaft rechtfertigen. Entsprechende Studien hat die Europäische Kommission hinsichtlich einer Abgabe auf Pflanzen18 schutzmittel schon erstellen lassen. Als Kompetenzgrundlage käme zuerst Art. 93 EGV in Frage, weil es sich bei den Steuern auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel um indirekte Steuern handelt. Da Art. 93 EGV die Kompetenz nicht auf Verbrauchssteuern beschränkt, kann dahingestellt bleiben, ob der Begriff der Verbrauchssteuer, wie in Deutschland vertreten, nur Steuern auf den privaten Endverbraucher um19 fasst. Die europaweite Einführung von Steuern auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel müsste als Harmonisierungsmaßnahme für die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes notwendig sein. Dies ist der Fall, wenn die Existenz der Steuern in einigen Ländern zu Wettbewerbsverzerrungen führen. Derartige Verzerrungen können in zweierlei Hinsicht eintreten. Zum einen haben die Landwirte in den Ländern mit einer Steuer höhere Produktionskosten bzw. einen Ertragsrückgang und sind deshalb im europaweiten Wettbewerb benachteiligt. Zum anderen hat die Europäische Kommission schon bei der Umsatzsteuer festgestellt, dass der Normalsteuersatz auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel deutsche Pauschallandwirte in erheblichem Umfang dazu bewegte, diese Mittel in den Nachbarländern einzukaufen, in denen nur ein ermäßigter 20 Umsatzsteuersatz erhoben wird. Da bei den vorgeschlagenen Steuern auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel kein Vorsteuerabzug zu gewähren ist, besteht eine ähnliche Anreizwirkung wie bei pauschalierten Landwirten. Um diese Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden, ist eine Harmonisierung der Düngeund Pflanzenschutzmittelsteuern und eine Angleichung der Umsatzsteuersätze nötig. Eine Harmonisierung lässt sich daher auf Art. 93 EGV stützen. Im Rah___________ 17
Siehe § 7 A. III. Siehe § 7 A. I. 19 Zur Auslegung des Verbrauchsteuerbegriffs siehe § 11 C. III. 4. Für den europarechtlichen Verbrauchsabgabenbegriff kann die nationale Bestimmung ohnehin nur ein Indiz sein. 20 Kommission (EG), KOM (1994) 584, S. 11; KOM (1997) 559, S. 5. 18
§ 15 Verwirklichung der vorgeschlagenen Umweltsteuern
337
men der Harmonisierung muss die Gemeinschaft nicht der Mehrheit der Mitgliedstaaten folgen und die Steuern europaweit abschaffen. Sie ist vielmehr aus Art. 6 EGV verpflichtet, auch im Rahmen von Harmonisierungsmaßnahmen die Erfordernisse des Umweltschutzes zu beachten, so dass europaweite Steuern nicht unzulässig sind. Gleichfalls muss sie nicht ein in einem Mitgliedstaat bestehendes System umsetzen, sondern kann ein neues eigenständiges Abga21 benmodell etablieren. Neben Art. 93 EGV könnten sich Steuern auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel auch auf Art. 175 Abs. 2 EGV stützen, da sie den Einsatz der Mittel verringern sollen, um die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen und die Qualität der Umwelt zu verbessern. Wegen der ähnlichen Gesetzgebungsverfahren ließen sich entsprechende Gemeinschaftsmaßnahmen kumulativ auf Art. 93 und 175 Abs. 2 EGV stützen. Beide Vorschriften sind gegenüber der gleichfalls einschlägigen Kompetenz im Agrarbereich (Art. 37 Abs. 2 UAbs. 3 EGV) aufgrund des einstimmigen Ratsbeschlusses, welcher dem Schutz der mitglied22 staatlichen Steuersouveränität dient, vorrangig. Bei der Steuer auf Pflanzenschutzmittel ist indes auch Art. 152 Abs. 4 b) EGV einschlägig, da die Steuer den Pflanzenschutz betrifft und unmittelbar auch den Schutz der menschlichen Gesundheit zum Ziel hat. Eine Reduktion des Pflanzenschutzmitteleinsatzes führt zu einer geringeren Belastung der Luft, Böden, Gewässer sowie der Agrarerzeugnisse, wodurch sich die Aufnahme der Mittel durch den Menschen verringert. Die Steuer fällt somit in den Anwendungsbereich des Art. 152 Abs. 4 b) EGV. Wegen des ausdrücklichen Vorrangs gegenüber Art. 37 Abs. 2 EGV und der Subsidiarität von Art. 93 EGV und Art. 175 Abs. 2 EGV aufgrund der schwächeren Parlamentsbeteiligung, ist 23 die Steuer ausschließlich auf Art. 152 Abs. 4 b) EGV zu stützen. Anders als bei der Grundsteuer ist das Subsidiaritätsprinzip hier weniger problematisch. Wie bei der Umsatzsteuer gezeigt, kann eine nationale Belastung der Dünge- und Pflanzenschutzmittel zu Kaufkraftverschiebungen zwischen den Mitgliedstaaten führen. Eine solche Wettbewerbsverzerrung kann von den einzelnen Mitgliedstaaten nur mit Kontrollaufwand im Inland verhindert werden, da Grenzkontrollen nach Art. 3 Abs. 3 der Verbrauchsteuer24 Richtlinie 92/12/ EWG untersagt sind. Somit ist eine Steuerbelastung effektiver, wenn alle Mitgliedstaaten eine gleich hohe Steuer erheben. Eine solche europaweite Lösung lässt sich aber am sinnvollsten als Gemeinschaftsmaßnahme verwirklichen. Des Weiteren hätte eine gemeinschaftsrechtliche Maßnahme ___________ 21
Siehe § 14. A. Siehe § 14 E. I. und II. 23 Siehe § 14 E. III. und F. 24 ABl. EG 1992 Nr. L 76, S. 1 ff. 22
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5. Teil: Möglichkeiten der Europäischen Gemeinschaft
schon allein vom Umfang her eine wesentlich größere Wirkung für den Gesundheits- und Umweltschutz. Eine Regelung auf Gemeinschaftsebene ist daher nicht als subsidiär anzusehen. Die Europäische Gemeinschaft kann auf der Grundlage von Art. 93 EGV und Art. 175 Abs. 2 EGV eine Steuer auf Düngemittel und auf der Grundlage von Art. 152 Abs. 4 b) EGV eine Steuer auf Pflanzenschutzmittel europaweit einführen.
D. Zusammenfassung Die Europäische Gemeinschaft kann gemäß Art. 5 EGV nur im Rahmen der ihr übertragenen Einzelermächtigungen handeln und ist dem allgemeinen Subsidiaritätsgrundsatz unterworfen. Der Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft enthält verschiedene Kompetenzen, die der Gemeinschaft eine umweltrechtliche Lenkung der Landwirtschaft mit Steuern gestatten. Die Ermächtigungen verteilen sich auf die einzelnen Politikbereiche und sind bei der Querschnittsmaterie landwirtschaftliche Umweltabgaben teilweise nebeneinander anwendbar. So erlaubt Art. 93 EGV die Harmonisierung der indirekten Steuern, Art. 175 Abs. 2 1. Bindestrich EGV den Erlass umweltrechtlicher Vorschriften überwiegend steuerlicher Art, Art. 37 Abs. 2 UAbs. 3 EGV Maßnahmen im Agrarbereich und Art. 152 Abs. 4 b) EGV spezielle Maßnahmen zum unmittelbaren Schutz der Gesundheit im Bereich des Pflanzenschutzes. Für die vorgeschlagenen Umweltsteuern ergibt sich folgendes Bild. Eine Änderung der Grundsteuer müsste auf Art. 175 Abs. 2 EGV gestützt werden, der dem Art. 37 Abs. 2 UAbs. 3 EGV aufgrund des Einstimmigkeitserfordernisses vorgeht, welcher wiederum Art. 94 EGV verdrängt. Allerdings ermächtigt Art. 175 Abs. 2 EGV nur zur ökologischen Ausgestaltung von bestehenden Grundsteuern. Da jedoch nicht in allen Mitgliedstaaten Grundsteuern erhoben werden, würde sich eine Gemeinschaftsregelung nur auf einige Mitgliedstaaten beschränken und wäre insofern nicht mehr mit dem Subsidiaritätsprinzip zu vereinbaren. Gemeinschaftsrechtlich möglich sind die Änderung der Umsatzsteuer und die Einführung von Steuern auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel. Die Umsatzsteuer ist schon jetzt mit der 6. EG-Umsatzsteuer-Richtlinie stark europarechtlich ausgestaltet. Eine ökologische Differenzierung der Umsatzsteuersätze kann mittels einer Änderung der Richtlinie erfolgen, wozu die Gemeinschaft nach Art. 93 EGV und Art. 175 Abs. 2 EGV berechtigt ist. Bei den Steuern auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel ist zu differenzieren. Eine Steuer auf Düngemittel lässt sich als indirekte Umweltsteuer auf Art. 93 EGV und Art. 175 Abs. 2 EGV stützen. Art. 37 Abs. 2 UAbs. 3 EGV tritt dabei als subsidiär zurück. Bei der Steuer auf Pflanzenschutzmittel verdrängt hingegen Art. 152 Abs. 4 b) EGV sowohl Art. 37 Abs. 2 EGV als auch Art. 93 und 175 Abs. 2 EGV. Beide Steuern bringen einen europäischen Mehrwert und genügen dem Subsidiaritätsprinzip.
Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse Notwendigkeit von Umweltabgaben zur Ökologisierung der Landwirtschaft Im Jahr 2004 beanspruchte die deutsche Landwirtschaft 47,6 Prozent der Landfläche. Davon wurden 4,3 Prozent nach ökologischen Anbaumethoden bewirtschaftet. Aufgrund der Intensivierung der Anbaumethoden, des Einsatzes chemischer Hilfsmittel, der Maßnahmen zur Flurbereinigung und Melioration trägt die Landwirtschaft die größte Verantwortung für den Verlust an Arten und Biotopen. Daneben beeinträchtigt sie erheblich Böden, Gewässer, das Grundwasser, sowie die Luft. Die Bewältigung der Probleme auf europäischer oder nationaler Ebene mit Hilfe des Subventions- oder Ordnungsrechts hatte, trotz der seit 1991 einsetzenden europäischen Reformbestrebungen, bisher nur mäßigen Erfolg. Zwar macht die Europäische Gemeinschaft die Fördermenge von fast 50 Mrd. € jährlich verstärkt von der Einhaltung von Umweltauflagen abhängig. Gleichwohl nehmen die Subventionen die Landwirte aus ihrer Umweltverantwortung und übertragen sie auf die Allgemeinheit. Hinzu treten Durchsetzungsprobleme, da auch subventionsrechtliche Auflagen, wie ordnungsrechtliche Ge- und Verbote, zu ihrer Einhaltung der Kontrolle bedürfen. Bei der Vielzahl von Landwirten sind vor allem mengenmäßige Beschränkungen des Einsatzes von Düngeund Pflanzenschutzmitteln kaum zu überwachen. So sind entsprechende Anforderungen der guten fachlichen Praxis auch mehr Appelle an die Landwirte 1 als bußgeldbewehrte Verpflichtungen. Aufgrund der Durchsetzungsprobleme ist es sinnvoll mit Umweltabgaben als ökonomische Steuerungsmittel nachzudenken, die Landwirte auch finanziell in die Verantwortung für ihre Umweltbelastungen nehmen und mit Anreizwirkungen im Vorsorgebereich wirksamer Verhaltensänderungen anzuregen. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund der zukünftigen Maßnahmen zur Senkung der diffusen Einträge aus der Landwirtschaft in Gewässer, die Deutsch2 land zur Erfüllung der Wasserrahmen-Richtlinie treffen muss.
___________ 1
Zur Europarechtswidrigkeit von § 6 Abs. 1 PflSchG wegen unzureichendem Schutzsystem vgl. EuGH, ZUR 2006, S. 134 [136]. 2 RL 2000/60/EG, ABl. EG 2000 Nr. L 327, S. 1 ff.
Zusammenfassung
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In Betracht kommende Abgabenmodelle Für eine Verbesserung der Umweltsituation im Bereich der Landwirtschaft kommen verschiedene Umweltabgaben in Frage. Die Arbeit beschränkt sich auf eine Ausarbeitung und rechtliche Überprüfung einer ökologischen Ausrichtung der Grundsteuer sowie der Umsatzsteuer und auf die Einführung von Abgaben auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel. Allen Vorschlägen ist gemeinsam, dass sie mehr oder weniger auf die Bewirtschaftung der Landwirte Bezug nehmen. Eine Änderung der Grundsteuer sollte zwischen der ökologischen Bewirt3 schaftung gemäß der EG-Ökolandbau-Verordnung und der herkömmlichen, konventionellen Bearbeitung landwirtschaftlicher Flächen differenzieren, um ein Umstellen auf den ökologischen Landbau anzuregen. Die Differenzierung ließe sich innerhalb der Steuermesszahlen in § 14 GrStG verwirklichen, wobei z. B. die Endbelastung 5 €/ha für ökologische und 30 €/ha für konventionelle Flächen betragen könnte. Bei der Umsatzsteuer ist demgegenüber das Kaufverhalten der Konsumenten Ziel der Verhaltensänderung, da die Umsatzsteuer aufgrund der Überwälzung nicht die Unternehmen und Landwirte, sondern die Endverbraucher belastet. Auch hier empfiehlt sich eine Anknüpfung an die EG-ÖkolandbauVerordnung, um ein europaweit einheitliches Abgrenzungsmerkmal zu nutzen. Konkret wird vorgeschlagen, ökologische Erzeugnisse weiterhin nur mit 7 Prozent (§ 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG) zu besteuern, konventionelle Produkte aber dem Normalsatz von 16 Prozent (§ 12 Abs. 1 UStG) zu unterwerfen und auch von der Sonderregelung in § 24 UStG auszunehmen. Anders als eine generelle Förderung der ökologischen Landwirtschaft, kann eine abgabenrechtliche Verteuerung von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln nicht in bestehende Steuern oder Abgaben integriert werden, sondern bedarf der Einführung neuer Abgaben und insofern einer weitergehenden Untersuchung. Aufgrund der verfassungsrechtlichen Zweifel an dem Institut der Sonderabgabe, ist grundsätzlich das Instrument der Steuer zu bevorzugen. Die Abgabe auf Düngemittel sollte allein den mineralischen Dünger und die Verwendung von Klärschlämmen erfassen, den in den landwirtschaftlichen Betrieben anfallenden Wirtschaftsdünger aber ausnehmen, da dessen Verwendung grundsätzlich Teil des ökologischen Kreislaufs ist. Um eine Reduzierung des Düngemitteleinsatzes um 30 Prozent zu erreichen, bedarf es nach den vorliegenden Erfahrungen in anderen Mitgliedstaaten und Prognosen einer Abgabenbelastung von 100 Prozent des Marktpreises. ___________ 3
VO 2092/91/EWG, ABl. EG 1991 Nr. L 198, S. 1 ff.
Zusammenfassung
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Eine Abgabe auf chemische Pflanzenschutzmittel wäre am wirksamsten, wenn der Abgabesatz anhand der Gefährlichkeit der Wirkstoffe für Mensch und Umwelt sich staffelt, um so eine größere ökologische Lenkungswirkung zu erreichen und den Pflanzenschutz der Landwirte nicht übermäßig einzuschränken. Eine solche Differenzierung lässt sich mit einem kumulativen Bewertungssystem verwirklichen, welches sich auf die Bewertung der Wirkstoffe gemäß der Richtlinie 67/548/EWG über die Einstufung und Kennzeichnung 4 gefährlicher Stoffe bezieht. Nochmals steigern ließe sich die Wirkung, wenn sich die Abgabenhöhe auch nach der Wirkstoffintensität je Hektar richtet, wie es in Dänemark mit so genannten Standarddosen angedacht wird. Allgemein erwarten Prognosen bei einer durchschnittlichen Verteuerung von 50 Prozent eine Verringerung des Mitteleinsatzes um ca. 17 Prozent. Die Besteuerung von Pflanzenschutzmitteln in Dänemark erzielte sogar noch größere Einspareffekte. In Deutschland ließen sich so rund 7 Mio. kg an Wirkstoffen einsparen. Differenziert man die Besteuerung nach Gefahrenklassen, würden vor allem die gefährlichen Mittel reduziert werden. Die Abgaben auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel sind bei den Herstellern und Händlern zu erheben, welche die Abgabenlast auf die Landwirte überwälzen. Erfahrungen in Schweden und Dänemark zeigen, dass die Verwaltungskosten mit weniger als 0,5 Prozent der Einnahmen sehr gering sind.
Europa- und verfassungsrechtliche Vorgaben Die unter Lenkungsgesichtspunkten herausgearbeiteten Vorschläge wurden nachfolgend auf ihre europarechtliche und verfassungsrechtliche Zulässigkeit untersucht. Im Europarecht begrenzen sowohl der Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft als auch die von der Europäischen Gemeinschaft erlassenen sekundären Rechtsvorschriften die Souveränität Deutschlands. Allerdings haben die Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft nur eingeschränkt Teile ihrer Steuersouveränität übertragen und hielten unter anderem am Einstimmigkeitserfordernis fest. Nur hinsichtlich der Umsatzsteuer und anderen indirekten Steuern räumten sie der Gemeinschaft eine weitergehende Harmonisierungskompetenz ein, welche die Gemeinschaft vor allem hinsichtlich der Umsatzsteuer wahrnahm. Nationale Abgaben müssen das Diskriminierungsverbot in Art. 90 EGV beachten und dürfen keine unstatthaften Beihilfen nach Art. 87 EGV enthalten. Weiterhin greifen die vorgeschlagenen Umweltabgaben mit ihren Lenkungs___________ 4
ABl. EG 1967 Nr. P 196, S. 1 ff. Die Richtlinie wurde 1992 mit der Änderungsrichtlinie 92/32/EWG, ABl. EG 1992 Nr. L 154, S. 1 ff. vollständig neu gefasst.
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wirkungen in Politikbereiche ein, die durch die Europäische Gemeinschaft sehr weitergehend geregelt sind. Dies betrifft insbesondere die Gemeinsame Agrarpolitik in Art. 32 ff. EGV. Aus dem sekundären Europarecht erwachsen nur der Umsatzsteueränderung sowie den Abgaben auch Dünge- und Pflanzenschutzmittel Beschränkungen. Im deutschen Verfassungsrecht hat das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich Lenkungssteuern als ein zentrales Lenkungsinstrument aktiver Wirtschaftsund Gesellschaftspolitik in modernen Industriegesellschaften anerkannt. Gleichwohl sind Umweltabgaben vielfältigen Zweifelsfragen ausgesetzt, die im Rahmen der Arbeit zu erörtern sind. Von Bedeutung ist zum einen, welche Anforderungen die Finanzordnung in Art. 105 f. GG an Steuern stellt, insbesondere ob sie Steuern auf Leistungsfähigkeit indizierende Steuergegenstände und die in Art. 106 GG genannten Steuerarten beschränkt sowie Sonderabgaben zulässt. Zum anderen ist zu klären, inwieweit Steuern an den Freiheitsgrundrechten zu messen sind und hierbei das Verhältnismäßigkeitsprinzip der Steuerbelastung Schranken setzt. Der Schwerpunkt aller verfassungsrechtlichen Abgabenprüfungen ruht jedoch auf dem Gleichheitsgrundsatz. Auf der Suche nach einem gerechten Verteilungsmaßstab hat sich in der Steuerdogmatik das Leistungsfähigkeitsprinzip durchgesetzt. Wie dieses Prinzip sich aus dem bisher vor allem nur als Willkürverbot verstandenem Art. 3 Abs. 1 GG entwickeln lässt und inwieweit bei Umweltsteuern möglicherweise noch weitere Gerechtigkeitsprinzipien, wie das Verursacherprinzip, zu beachten sind, bedurfte als Grundlage für die weitere Prüfung der Vorschläge einer vorheriger Klärung. Im Ergebnis ergab die Prüfung, dass sich alle Änderungs- und Abgabenvorschläge grundsätzlich wie nachfolgend dargestellt mit dem Europa- und dem Verfassungsrecht vereinbaren lassen, wobei allerdings zum Teil Abstriche zu machen sind bzw. dem Gesetzgeber nur ein schmaler Gestaltungsspielraum zusteht.
Vereinbarkeit der Abgabenvorschläge mit dem primären Europarecht Die Vorschläge sind nach dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft zulässig. Sie verstoßen nicht gegen Art. 90 EGV und Art. 28 EGV. Insbesondere ist auch die Verschiedenbehandlung von Pflanzenschutzmitteln anhand ihrer Gefährlichkeit nach Art. 90 EGV möglich. Allerdings sollte die Besteuerung nicht nach national festzulegenden Standarddosen erfolgen, da hier eine diskriminierende Wirkung nicht auszuschließen ist. Problematischer ist hingegen die Vereinbarkeit mit der Gemeinsamen Agrarpolitik der Europäischen Gemeinschaft, welche umfangreiche finanzielle Stützungsmaßnahmen für die Landwirte vorsieht. Eine steuerliche Zusatzbelas-
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tung steht daher unabwendbar im Konflikt zu den gemeinschaftsrechtlichen Fördermaßnahmen, auch wenn der Europäische Gerichtshof ausdrücklich festhält, dass die Gemeinsame Agrarpolitik die Landwirte nicht von der nationalen Einkommenspolitik freistellt. Nationale Abgaben im Agrarbereich erachtet er für zulässig, soweit sie die Mechanismen der gemeinsamen Marktorganisationen nicht behindern. Die Regelungen in den Marktorganisationen sind seit 1991 umfangreichen Veränderungen unterworfen, die der generellen Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik dienen. Mit den Reformen will man die Finanzleistungen an die Landwirte begrenzen und vor allem von ökologischen Standards abhängig machen, um die produktbezogenen Unterstützungen, welche die wirtschaftlich wie ökologisch problematische Intensivlandwirtschaft beförderten, abzubauen. Langfristiges Ziel ist eine nachhaltige Ausrichtung der Landwirtschaft, weshalb sich das Konfliktpotential von Umweltabgaben, die dem gleichen Ziel dienen, mit der Gemeinsamen Agrarpolitik verringert hat. Von den drei Vorschlägen wirft die Änderung der Grundsteuer die größten Konflikte auf, da sie unmittelbar die Landwirte belastet und eine umfassende Umstellung anregen soll. Sie nimmt direkt Einfluss auf die Struktur der Landwirtschaft und die Einkommen der Landwirte. Trotzdem ist sie, solange die Steuersätze nicht die Förderungen der Gemeinschaft übermäßig abschöpfen, mit der Gemeinsamen Agrarpolitik zu vereinbaren. Weniger Konflikt beladen, ist die Änderung der Umsatzsteuer, weil hier die Landwirtschaft nur mittelbar beeinflusst wird, soweit die Steuerdifferenzierung die Marktanteile von konventionellen Landwirten zugunsten der ökologischen Erzeugnisse verschiebt. Auch die Abgaben auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel bergen keine größeren Probleme. Zwar verteuern sie die Betriebsmittel und Produktionskosten der Landwirte, behindern bei Abgabensätzen bis zu 100 Prozent aber nicht die Förderungsmechanismen in den gemeinsamen Marktorganisationen, weshalb sie sich mit der Gemeinsamen Agrarpolitik vereinbaren lassen. Schließlich können Umweltabgaben, wenn sie Befreiungen oder Ermäßigungen enthalten, die dem System der Abgabe fremd sind, genehmigungsbedürftige Unternehmensbeihilfen im Sinne von Art. 87 Abs. 1 EGV darstellen. Bei der Umsatzsteuer, die Unternehmen allenfalls mittelbar begünstigt, sowie bei den Abgaben auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel wirft Art. 87 EGV keine Probleme auf. Anders sieht es hingegen bei der Grundsteueränderung aus, die ökologisch wirtschaftende Landwirte begünstigt. Um eine systemfremde Beihilfe auszuschließen, sollte eine Differenzierung mit einer umfassenden, ökologischen Ausrichtung der Steuer einhergehen.
Vereinbarkeit der Abgabenvorschläge mit dem sekundären Europarecht Das sekundäre Recht der Europäischen Gemeinschaft beschränkt die Umsatzsteuer und die Abgaben auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel.
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Eine Änderung der Umsatzsteuer muss sich an die weit reichenden Vorga5 ben der 6. EG-Umsatzsteuer-Richtlinie halten, die in Art. 12 Abs. 3 a) nur zwei ermäßigte Sätze von mindestens 5 Prozent auf bestimmte in Anhang H aufgeführte Produkte erlaubt. Hierzu gehören alle landwirtschaftlichen Erzeugnisse, so dass man für ökologische Produkte am ermäßigten Satz von 7 Prozent festhalten kann, während man konventionelle Erzeugnisse dem Normalsatz von 16 Prozent unterwirft. Eine vollständige Befreiung ökologischer Agrarerzeugnisse schließt die Richtlinie indes explizit aus. Ein Absenken des Durchschnittssatzes und des pauschalen Vorsteuerausgleichs in § 24 UStG von 9 Prozent auf 7 Prozent und die Herausnahme von konventionell wirtschaftenden Landwirten ist jedoch nach Art. 25 der Richtlinie möglich. Die 6. EG-Umsatzsteuer-Richtlinie beschränkt auch die Einführung von Abgaben auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel, da nach Art. 33 der Richtlinie spezielle Verbrauchsabgaben nicht den Charakter einer Umsatzsteuer aufweisen und nicht mit Grenzformalitäten verbunden sein dürfen. Letzteres fordert 6 gleichfalls Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 92/12/EWG über Verbrauchsteuern. Beide Anforderungen stehen jedoch den Abgaben auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel nicht entgegen, da die Abgabenvorschläge nur bestimmte Produkte erfassen, keinen Vorsteuerabzug gewähren und keine Grenzformalitäten erfordern. Wesentlich weit reichender sind die Regelungen der Richtlinie 67/548/EWG über die Einstufung und Kennzeichnung gefährlicher Stoffe bezüglich einer Abgabe auf Pflanzenschutzmittel. Nach Art. 30 der Richtlinie dürfen die Mitgliedstaaten den freien Warenverkehr mit gefährlichen Stoffen nicht aufgrund der vorgeschriebenen Gefahreneinstufung beeinträchtigen. Etwas anderes gilt auch nicht aufgrund der Richtlinie über das Inverkehrbringen von Pflanzen7 schutzmitteln. Eine nationale Abgabe auf zugelassene Pflanzenschutzmittel, deren Abgabenhöhe sich anhand der Einstufung nach der Richtlinie 67/548/ EWG bestimmt, beeinträchtigt das Inverkehrbringen der Mittel. Ob sich Deutschland hinsichtlich Art. 30 der Richtlinie 67/548/EWG auf die Schutzverstärkungsklausel in Art. 176 EGV berufen kann, ist nach der bisherigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu verneinen. Gleiches gilt für die entsprechende Verbotsklausel in Art. 18 der Richtlinie 99/45/EG über die 8 Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung gefährlicher Zubereitungen. Vor Einführung einer differenzierenden Abgabe auf Pflanzenschutzmittel sollte die ___________ 5
RL 77/388/EWG, ABl. EG 1977 Nr. L 145, S. 1 ff. Seither hat die Richtlinie eine Vielzahl von Änderungen erfahren. Die konsolidierte Fassung ist unter www.europa.eu. int veröffentlicht. 6 ABl. EG 1992 Nr. L 76, S. 1 ff. 7 RL 91/414/EWG, ABl. EG 1991 Nr. L 230, S. 1 ff. 8 RL 99/45/EG, ABl. EG 1999 Nr. L 200, S. 1 ff.
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Vereinbarkeit mit den Richtlinien sichergestellt sein, indem man auf eine entsprechende Änderung durch die Europäische Gemeinschaft hin wirkt. Allerdings sieht die von der Europäischen Kommission angestrebten Neuordnung der Chemikalienpolitik durch die vorgeschlagene Verordnung zur Registrie9 rung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH) 10 und Änderung der Richtlinie 67/548/EWG keinen größeren Spielraum für schutzverstärkende Maßnahmen der Mitgliedstaaten vor. Im Gegenteil will die Kommission mit der REACH-Verordnung sogar eine Behinderung der Verwendung von chemischen Stoffen, die der REACH-Verordnung entsprächen, untersagen.
Vereinbarkeit der Abgabenvorschläge mit dem Verfassungsrecht Die vorgeschlagenen Umweltabgaben sind mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben der Finanzordnung, der Freiheitsgrundrechte und des Gleichheitsgrundsatzes grundsätzlich zu vereinbaren. Die Prüfung zeigte jedoch auch, dass Umweltabgaben weit reichenden Schranken ausgesetzt sind und insbesondere eine Grundsteueränderung erhebliche Schwierigkeiten aufweist. Um Konflikte mit der Finanzordnung des Grundgesetzes in Art. 105 f. GG zu vermeiden, sollten Umweltabgaben in Form des verfassungsrechtlich vorgesehenen Instruments der Steuer und nicht als Sonderabgaben ergehen. Die vorgeschlagenen Änderungen der Grund- und Umsatzsteuer verändern nicht deren steuerlichen Charakter. Hinsichtlich der Abgaben auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel ist fraglich, ob das Grundgesetz die Steuererhebung auf die in Art. 106 GG aufgezählten Steuerarten beschränkt bzw. ob sich Abgaben auf landwirtschaftliche Betriebsmittel unter die Gruppe der Verbrauchsteuern in Art. 106 Abs. 1 Nr. 2 GG subsumieren lassen. Beide Fragen bedingen einander und lassen sich gemeinsam beantworten. Der Verfassungsgeber wollte mit dem derzeitigen Art. 106 GG ein dauerhaftes und umfassendes System der Finanzverteilung schaffen, ohne dass er ausdrücklich ein Steuerfindungsrecht der Länder oder des Bundes ausschloss. Beides lässt sich nur vereinbaren, wenn man die Steuerbegriffe in Art. 106 GG weit ausgelegt, so dass sie alle denkbaren Steuerausgestaltungen erfassen und einer Verteilung zuführen. Insbesondere die Kategorien der Verbrauch- und Verkehrsteuer sind deshalb umfassend zu verstehen. Die oftmals vorgenommene Beschränkung von Verbrauchsteuern auf den Konsum des Endverbrauchers entspricht deshalb nicht dem Zweck von Art. 106 GG. Vielmehr ist auch der Verbrauch von Betriebsmitteln verbrauchsteuerfähig, wes___________ 9
Kommission (EG), KOM (2003), S. 644 (1). Kommission (EG), KOM (2003), S. 644 (2).
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halb Abgaben auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel als Verbrauchsteuern ergehen können. Die Gesetzgebungskompetenz stünde gemäß Art. 105 Abs. 2 GG dem Bund zu, der auch für die Änderung der Umsatzsteuer zuständig wäre. Die vorgeschlagene Änderung der Grundsteuer kann der Bund, obwohl die Grundsteuer eine Bundessteuer ist, gemäß Art. 105 Abs. 2, 106 Abs. 6 und 72 Abs. 2 GG nicht mehr vornehmen, da nach der strengen Auslegung des neu gestalteten Art. 72 Abs. 2 GG durch das Bundesverfassungsgericht keine Bundeskompetenz mehr vorliegt. Allerdings können auch die Länder eine ökologische Differenzierung nur vornehmen, wenn der Bund die Grundsteuer gemäß Art. 125a Abs. 2 GG durch Gesetz freigegeben hat. Die Länder müssten gleichfalls das Gebot der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung hinsichtlich des Bundesrechts beachten. Eine Änderung der Grundsteuer ist somit kompetenzrechtlich sehr beschränkt und kaum empfehlenswert. Nur die Gemeinden könnten ihre Hebesätze entsprechend ökologisch ausrichten. Die Doppelfunktion von Umweltsteuern verursacht eine doppelte Eingriffswirkung hinsichtlich der Freiheitsgrundrechte. Während die von der Zahlpflicht ausgehende Belastungswirkung ein klassischer, befehlender Eingriff ist, muss gleichwohl die durch den Vermeidungsdruck entstehende Gestaltungswirkung dem Staat nach dem modernen Eingriffsverständnis als Eingriff in geschützte Grundrechtspositionen zugerechnet werden. Die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG), die Eigentumsgarantie (Art. 14 Abs. 1 GG) als auch der Schutz des Existenzminimums (Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG) stehen aber den Abgabenvorschlägen nicht entgegen. Insbesondere sind die Umweltabgaben nicht generell gegenüber dem verbindlichem Umweltrecht ungeeignet, da sie eine allgemeine Verbesserung der Umweltsituation und nicht wie das Ordnungsrecht eine Einhaltung bestimmter Grenzen im Einzelfall bezwecken. Soweit die Steuervorschläge mit ihrer objektiven berufsregelnden Tendenz die Berufsfreiheit der Landwirte oder der Hersteller und Händler von Düngeund Pflanzenschutzmitteln durch die Belastungs- und Gestaltungswirkung beeinträchtigen, rechtfertigt der beabsichtigte Schutz der Umwelt die Grundrechtseingriffe. Bei der Eigentumsgarantie ist fraglich, ob die steuerliche Zahlungsverpflichtung Art. 14 GG beschränkt und ob der vom 2. Senat des Bundesverfassungs11 gerichts im Vermögensteuerbeschluss aufgestellte Halbteilungsgrundsatz, wonach die Gesamtsteuerbelastung nicht die Hälfte der zu erwartenden Einnahmen übersteigen darf, zu beachten ist. Erstreckt sich der Grundrechtsschutz ___________ 11
BVerfGE 93, S. 121 [137].
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im Sinne des modernen Eingriffsbegriffs auch auf mittelbare faktische Beeinträchtigungen, so greift auch die Pflicht einen bestimmten Geldbetrag an den Fiskus abzuführen in die Eigentumsgarantie ein, auch wenn der Steuerschuldner noch die konkrete aufzugebende Eigentümerposition auswählen muss. Ausgehend von einem steuerlichen Eigentumseingriff ist dann auch die Suche nach einer Konkretisierung der Verhältnismäßigkeit eines solchen Eingriffs konsequent. Soll die staatliche Aufgabenerfüllung der Freiheitsverwirklichung der Bürger dienen, darf die finanzielle Belastung ihnen nicht erst den überwiegenden Teil seiner Freiheit nehmen. Trotz Zweifel an der Praktikabilität des Halbteilungsgrundsatzes sollten die Abgabenvorschläge diese Grenze einhalten. Bei der vorgeschlagenen Besteuerung von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln ist eine Überschreitung bei den Landwirten nicht ersichtlich. Allerdings könnte die Umsatzsteuer bei finanzschwachen Bürgern die Grenze verletzten. Indirekte Steuern, wie die Umsatzsteuer, erfassen die Einkommenssituation der Belasteten nicht, sondern schauen nur auf die Ausgaben, weshalb sie das finanzverfassungsrechtliche Erdrosselungsverbot sowie den Halbteilungsgrundsatz als auch den Schutz des Existenzminimums nur begrenzt beachten können. Eine Erhöhung des Umsatzsteuersatzes für konventionelle Agrarerzeugnisse müsste deshalb mit einer Erhöhung der Einkommensteuerfreibeträge und Sozialhilfesätze einhergehen. Problematisch ist nach dem Vermögensteuerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts eine weitere Besteuerung des Grundeigentums durch eine Grundsteuer, da unsicher ist, ob eine solche Steuer nur auf den zu erwartenden Sollerträgen lasten darf. In Anbetracht der verfassungsrechtlichen Probleme einer Änderung der Grundsteuer bzw. der Umsatzsteuer ist eine Besteuerung von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln vorzuziehen. Die umfangreichsten Anforderungen an Steuern im Allgemeinen und an Umweltsteuern im besonderen enthält der Gleichheitsgrundsatz in Art. 3 Abs. 1 GG. Im Steuerrecht wird der Gleichheitssatz nicht nur als ein bloßes Willkürverbot verstanden, bei dem jeder sachliche oder vernünftige Grund eine Ungleichbehandlung rechtfertigt, sondern als ein Grundrecht, welches mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip einen bestimmte Verteilungsmaßstab bei Steuern vorgibt. Die Arbeit versucht die spezielle steuerrechtliche Dogmatik zu Art. 3 Abs. 1 GG mit allgemeinen Bemühungen in Einklang zu bringen, den Gleichheitsgrundsatz zu effektivieren und insbesondere das Verhältnismäßigkeitsprinzip zur Anwendung zu bringen. Als subjektives Grundrecht auf Gleichbehandlung fordert der Schutzgehalt von Art. 3 Abs. 1 GG nicht nur eine vernünftige Verteilung von Lasten und Pflichten, sondern die Einhaltung konkreter Gerechtigkeitsmaßstäbe, welche objektiv allein anhand der Belange der Betroffenen und dem jeweiligen Regelungszweck zu bestimmen sind. Sonstige Interessen der Allgemeinheit oder Dritter sind, anders als beim Willkürverbot, erst in der Rechtfertigung zu berücksichtigen. Eine solche Trennung ermöglicht
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es, bei der Abwägung zwischen den gebotenen Gerechtigkeitsmaßstäben und den konkurrierenden Interessen der Allgemeinheit oder Dritter zu differenzieren und das Verhältnismäßigkeitsprinzip anzuwenden. Der Gleichheitsgrundsatz gebietet bei Umweltsteuern hinsichtlich des Finanzierungszwecks eine Verteilung nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip und hinsichtlich des Umweltschutzes nach dem Verursacherprinzip. Der Gesetzgeber muss beiden Gerechtigkeitsmaßstäben entsprechen. Fordert der eine Maßstab Abweichungen vom anderen Maßstab, muss der dahinter stehende Zweck die Abweichung rechtfertigen, andernfalls ist der Gleichheitsgrundsatz verletzt. Im Rahmen des Ausgleichs zwischen dem Leistungsfähigkeits- und Verursacherprinzip ist die vorgeworfene Umweltungerechtigkeit von Umweltabgaben zu verhindern. Die Vorschläge lassen sich mit dem strengeren Verständnis von Art. 3 Abs. 1 GG vereinbaren. Allerdings ist aufgrund der Gegensätzlichkeit der zu verwirklichenden Prinzipien sowie der europarechtlichen Schranken eine hundertprozentige Umsetzung mit den Vorschlägen nicht möglich. Die Änderung der Grundsteuer wird dem Verursacherprinzip gerecht, ist infolge der reformbedürftigen Einheitswerte aber kaum noch mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip zu vereinbaren. Eine Grundsteueränderung sollte daher unbedingt auch die Einheitsbewertung erneuern. Demgegenüber entspricht die Umsatzsteuer grundsätzlich dem Leistungsfähigkeitsprinzip. Soweit aufgrund der vorgeschlagenen Verschiedenbehandlung von diesem Prinzip abgewichen wird, ist die Beeinträchtigung durch den gleichfalls verfolgten Schutz der Umwelt gerechtfertigt. Eine Umsetzung des Verursacherprinzips ist indes nur im Rahmen der europarechtlichen Vorgaben (6. EG-Umsatzsteuer-Richtlinie) möglich. Eine Differenzierung der Umsatzsteuersätze kann deshalb die unterschiedlichen Umweltauswirkungen von ökologischen und konventionellen Agrarerzeugnissen nur pauschal würdigen. Auch eine Besteuerung von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln entspricht den Gerechtigkeitsmaßstäben. Die Steuern verwirklichen anders als bestehende Sonderverbrauchsteuern das Leistungsfähigkeitsprinzip, da Betriebsmittel aufgrund des Vorsteuerabzugs im Ergebnis nicht mit der Umsatzsteuer belastet sind, sich aber gleichwohl im Verbrauch von Hilfsmitteln die Leistungsfähigkeit von Unternehmen, in diesem Fall der Landwirte, ausdrückt. Steuern auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel genügen auch dem Verursacherprinzip, da der Einsatz der Mittel für die Belastung von Mensch und Umwelt verantwortlich ist. Allerdings stehen Art. 30 der Richtlinie 67/548/EWG und Art. 18 der Richtlinie 99/45/EG einer weitergehenden Differenzierung der Steuer auf Pflanzenschutzmittel anhand der Gefährlichkeit der einzelnen Wirkstoffe entgegen, so dass nur eine gleichmäßige Besteuerung aller Wirkstoffe möglich ist.
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Das Verursacherprinzip lässt sich beim gegenwärtigen Rechtsstand somit nur eingeschränkt verwirklichen. Um eine größere Lenkungswirkung zu erreichen, sollte eine Änderung der Richtlinien auf europäischer Ebene angestrebt werden, damit die aufwändige Bewertung gefährlicher Stoffe auch für eine abgabenrechtliche Steuerung nutzbar ist.
Einführung der Abgabenmodelle durch die Europäische Gemeinschaft Statt einer nationalen Verwirklichung der Änderungs- und Abgabenvorschläge ließe sich die Landwirtschaft auch europaweit durch Umweltabgaben nachhaltiger ausgestalten, wenn der Europäischen Gemeinschaft entsprechende Kompetenzen zustehen. Gemeinschaftsmaßnahmen sind gemäß Art. 5 EGV nur im Rahmen der übertragenen Einzelermächtigungen möglich, wobei Gemeinschaftsmaßnahmen gegenüber einer nationalen Umsetzung einen Mehrwert erbringen müssen. Dem Subsidiaritätsprinzip würde die europaweite Einführung einer ökologisch ausgerichteten Grundsteuer nicht genügen, da die Kompetenzen in Art. 175 Abs. 2 EGV und Art. 94 EGV keine umfassende Grundstücksbesteuerung durch die Gemeinschaft gestatten. Eine ökologische Ausrichtung der Umsatzsteuer hinsichtlich der Agrarerzeugnisse lässt sich demgegenüber auf Art. 93 EGV und Art. 175 Abs. 2 EGV stützen und ist auch mit dem Subsidiaritätsprinzip zu vereinbaren. Konkret müsste der Gemeinschaftsgesetzgeber nur Anhang H und die Sonderregelung über den pauschalen Vorsteuerausgleich in Art. 25 der 6. EG-Umsatzsteuer-Richtlinie auf ökologische Erzeugnisse gemäß der EG-ÖkolandbauVerordnung begrenzen. Gemeinschaftsrechtlich möglich wäre auch die Erhebung von Abgaben auf Dünge- und Pflanzenschutzmittel, wobei eine Düngemittelabgabe auf der Grundlage von Art. 93 EGV und Art. 175 Abs. 2 EGV ergehen müsste, während für eine Abgabe auf Pflanzenschutzmittel Art. 152 Abs. 4 b) EGV spezieller ist. Beide Abgaben sind auf europäischer Ebene effektiver gegenüber einer nationalen Verwirklichung. Die Einführung durch die Europäische Gemeinschaft hätte hinsichtlich der Abgabe auf Pflanzenschutzmittel den besonderen Vorteil, dass eine Verschiedenbehandlung anhand der Gefahreneinstufung gemäß der Richtlinie 67/548/EWG möglich ist, da Art. 30 Richtlinie 67/548/ EWG und Art. 19 Richtlinie 99/45/EG nur die Mitgliedstaaten binden.
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Fazit Insgesamt ist für eine Ökologisierung der Landwirtschaft mit Umweltabgaben folgendes Resümee zu ziehen. Die Landwirtschaft bedarf noch längere Zeit der finanziellen Förderung durch den Nationalstaat oder die Europäische Gemeinschaft. Eine finanzielle Belastung der Landwirte durch Umweltabgaben birgt nicht nur rechtliche Probleme, sondern ist auch politisch nur schwer durchsetzbar, soweit nicht gewichtige Vorteile für den Einsatz von Abgaben sprechen. Eine Grundsteuerdifferenzierung, welche die Landwirte unmittelbar belastet, ist nicht zu empfehlen, da sie erhebliche rechtliche Schwierigkeiten aufwirft. Eine Änderung der Grundsteuer steht wesentlich stärker als die anderen Vorschläge im Konflikt mit der Gemeinsamen Agrarpolitik und dem Beihilferecht. Dem Bund fehlt die Gesetzgebungskompetenz für eine ökologisch orientierte Änderung, gleichzeitig bedürfte die Kompetenz der Länder nach Art. 125a Abs. 2 GG aber eines Freigabebeschlusses des Bundes. Letztendlich erscheint nach dem Vermögensteuerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts die Grundbesteuerung insgesamt als fraglich. Die gleichfalls untersuchte Umgestaltung der Umsatzsteuer soll eine Veränderung des Kaufverhaltens der Endverbraucher bewirken. Allerdings ist dies in Anbetracht der immer noch erheblichen Preisunterschiede zwischen konventionellen und ökologischen Erzeugnissen nur sehr beschränkt möglich, will man nicht konventionelle Erzeugnisse unverhältnismäßig stark verteuern. Zwar ist eine Umsatzsteueränderung trotz der weit reichenden europarechtlichen Vorgaben an sich zulässig, gleichwohl ist eine Förderung des ökologischen Landbaus durch Anhebung des Umsatzsteuersatzes für konventionelle Erzeugnisse in Anbetracht der damit verbundenen finanziellen Belastung für einen Großteil der Bevölkerung nur eingeschränkt zu befürworten. Sie wäre erheblichen politischen Widerständen ausgesetzt und würde nur beschränkt ökologische Verbesserungen erzielen. Insbesondere ihre Blindheit gegenüber den Einkommensverhältnissen der Endverbraucher kann zu einer nicht mehr verfassungsrechtlich zulässigen Belastung von Bürgern mit geringen Einkommen führen, die sich nur durch die Anhebung der Einkommensteuerfreibeträge und der Sozialhilfesätze auffangen lässt. Empfehlenswert sind indes Steuern auf mineralische Düngemittel, Klärschlämme und chemische Pflanzenschutzmittel. Sie erfassen zwar nicht alle Umweltauswirkungen landwirtschaftlicher Tätigkeit, die Reduzierung des Einsatzes der Mittel kann wesentlich die Umweltsituation verbessern. Anders als die steuerliche Förderung des ökologischen Landbaus, regt die Besteuerung der Betriebsmittel alle Landwirte zu einer zurückhaltenden Verwendung an. So kann eine Verteuerung der Düngemittel um 100 Prozent den Verbrauch um rund 800 Mio. kg reduzieren und die Kreislaufwirtschaft beim Wirtschaftsdün-
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ger verbessern. Gegenüber Subventionsauflagen oder ordnungsrechtlichen Verboten hat die Besteuerung den großen Vorteil, dass nicht der Einsatz der Mittel bei den Landwirten kontrolliert werden muss. Eine Kontrolle des Austrages von Dünge- und Pflanzenschutzmittel hat sich in der Vergangenheit als nahezu unmöglich erweisen. Allenfalls mit unverhältnismäßig viel Verwaltungsaufwand kann die Einhaltung von Subventionen oder Verboten überprüft werden, welche die Ausbringungsmengen begrenzen. Bei den vorgeschlagenen Steuern genügt es hingegen, die Mittel auf der Ebene der Hersteller und Händler zu verteuern, um die Landwirte allein über die ökonomische Wirkung zu einer geringeren Verwendung zu motivieren. Hierbei entstehen, wie in Schweden oder Dänemark, Verwaltungskosten von weniger als 1 Prozent des Steueraufkommens, da nur die Hersteller und Händler zu kontrollieren sind, deren Zahl wesentlich kleiner ist als die der fast 400.000 Landwirte. Bei der Steuer auf Pflanzenschutzmittel sollte eine Regelung im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft erfolgen, um eine Differenzierung nach den Gefahren für Mensch und Umwelt gemäß der Richtlinie 67/548/EWG vornehmen zu können. Allerdings wäre hierzu eine einstimmige Entscheidung des Rates nötig, der nunmehr 25 Mitglieder umfasst. Alternativ sollte deshalb im Rahmen der Neuordnung der Chemikalienpolitik eine Änderung von Art. 30 der Richtlinie 67/548/EWG und Art. 19 der Richtlinie 99/45/EG erfolgen sowie in die vorgeschlagene REACH-Verordnung umweltrechtliche Schutzverstärkungsklauseln mit aufgenommen werden, um eine nationale Besteuerung zu ermöglichen. Aber selbst wenn die Bemühungen auf europäischer Ebene keinen Erfolg haben, ist eine undifferenzierte, nationale Steuer auf Pflanzenschutzmittel immer noch zu empfehlen, da eine steuerliche Verteuerung von 50 Prozent den Austrag der Pflanzenschutzmittel um ca. 7 Mio. kg vermindern kann.
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Sachregister Abfallabgaben 205 ff., 215 Abgabe – auf Düngemittel siehe Düngemittel – auf Pflanzenschutzmittel siehe Pflanzenschutzmittel – Diskriminierungsverbot 128 ff. – erdrosselnde 53, 146 – Ermäßigungen 153 ff. – Modelle 47 ff., 56, 74 ff., 89 ff., 98 ff. Agenda 2000 25, 33, 142 ff. Agrarumweltmaßnahmen 34 ff., 45, 54, 144, 212 Äquivalenzprinzip 199, 293, 303 Artenschwund 27 f., 47 Beeinträchtigung (mittelbar, faktische) 236 ff., 238 ff., 243, 262, 276, 347 Befehl 41, 204, 236 f., 240 ff., 251, 267, 346 Beihilfe 33, 36 ff., 72, 126, 128, 136, 142 ff., 148, 152 ff., 341, 343 Beiträge 47, 56 f., 86, 131, 139, 194 ff., 199, 215, 269, 293, 303, 320 Belastungswirkung 238 ff., 243 ff., 254, 256, 264 ff., 272, 275, 279 f., 292 ff., 346 Berufsfreiheit 234, 246, 254 ff., 272, 280, 307, 346 Betriebsmittel 26, 59, 129, 145, 157, 225 ff., 254, 262, 311 ff., 327, 343 ff. Bewirtschaftungsweise 26, 38 f., 46, 56 ff, 63 ff., 68, 151, 157, 209, 211, 254, 258 ff., 280, 305, 332 Binnenmarkt 127, 154, 175, 176 ff., 317 ff., 321 ff., 327, 333 ff. Biotopschwund 27 f., 47
Bodenrichtwerte 64, 159, 209 Bodenwert-Flächennutzungsteuer 64, 158 f., 272 Dänemark 38, 60, 76, 80 ff., 89, 92, 98 f., 112 ff., 118 f., 121 f., 160, 335 f., 341, 351 Demokratieprinzip 186, 326, 329 Direktzahlungen 25, 33 ff., 38, 121, 143 ff., 146 ff., 212 Diskriminierungsverbot – europarechtliches siehe Abgaben – verfassungsrechtliches siehe Gleichheitssatz Düngemittel – Abgabe 56, 83 ff., 88 ff., 133, 150 f., 160 f., 174 ff., 188 ff., 213 ff., 335 ff. – Abgabesatz 95 ff. – Mineraldünger siehe mineralische – mineralische 83, 85, 89 ff., 122, 133, 150 f., 160 f., 174, 193, 340, 350 – Nährstoffgehalt 89, 92, 95 – Nährstoffüberschuss 89, 94 f., 336 – Steuer 79 f., 80 ff., 87, 88, 213 ff., 262 f., 276 f., 311 f. – Wirtschaftsdünger 43, 89 ff., 122, 160, 174 f., 340, 350 Eigentumsgarantie 234, 264 ff., 280, 346 f. Eingriffsbegriff 235 ff., 238 ff., 262, 267, 275, 279, 347 Einheitswerte 61 ff., 209, 303 ff., 313, 348 Einkommenseinbußen, -verluste 65, 78, 90, 120, 139, 149 f.
Sachregister Einkommensteuer 57 f., 127, 255, 277 f., 281, 303 f. Einkommensteuerfreibetrag 276 ff., 281, 347, 350 Einzelermächtigung 136, 178, 315, 335, 338, 349 Emissionshandel 53 Existenzminimum 254, 277 ff., 294, 307, 346 f. Freiheitsgrundrechte 195, 233 ff., 283, 290, 342 ff. Finanzierungsfunktion, -zweck 53, 86, 215, 233, 266, 279, 293 ff., 300, 302, 306, 312, 323, 348 Finanzordnung 26, 195, 196 ff., 342, 345 Finnland 38, 87, 121 Fiskalsteuer 238 ff., 250 ff. Flächennutzungsteuer 64, 158 GATT 165 f. Gebühren 47, 56 f., 131, 191, 194 ff., 199, 215, 269, 293, 303, 320 Gefahrenabwehr 40 ff., 51 f., 206, 248, 253, 280, 296 f. Gemeinlastprinzip 36 f., 296 f. Gemeinsame Agrarpolitik 25, 126, 135 ff., 163, 342 f. gemeinsame Marktorganisationen 33, 38, 86, 126, 135 ff., 163, 343 Gemeinschaftsrahmen der Europäischen Kommission – für Agrarbeihilfen 72, 148 – für Umweltbeihilfen 152, 159 f. Gerechtigkeitsmaßstab 228, 282 ff. Gesetzesvorbehalt 243 f., 254, 256, 264, 290 f. Gesetzgebungskompetenz 196, 201 ff., 209 ff., 213, 218, 219 ff., 231 f., 346, 350 Gestaltungswirkung 137, 238 ff., 243 ff., 256, 264 ff., 272 ff., 279 f., 292 ff., 302 ff., 318, 346
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Gesundheitsschutz 43, 183, 263, 325, 328 ff. Gewässerbelastung 27, 30 f. Gleichheitsgrundsatz, Gleichheitsgebot 195, 228, 282 ff., 342, 347 f. – im EGV 126, 161 f. Grundsteuer 26, 56 ff., 81, 117 f., 131, 134 f., 137, 139, 146 ff., 157 ff., 167, 194, 201, 208 ff., 232, 257 ff., 272 ff., 279 f., 302 ff., 312 f., 314, 330, 332 f., 338, 339 ff. Grundwasser 28, 30 f., 34, 87, 176, 339 Gute fachliche Praxis 37, 43 ff., 93, 211 ff. Halbteilungsgrundsatz 223, 247, 266 ff., 272 ff., 280 f., 346 f. Hebesatzrecht (der Gemeinde) 61 f., 65, 210, 232 Individualgerechtigkeit 284 ff., 292 ff., 302 ff. Internalisierung 47 ff., 58, 91 f. Interventionspreise 33, 38, 121, 140 f., 143, 146 f., 151 Klärschlamm 29, 45, 93 f., 173 ff., 215 Kompetenzen der Europäischen Gemeinschaft – Doppelabstützung 183 ff., 325 f. – „implied power“ 180, 315 – Schwerpunkt der Maßnahme 180, 183, 315, 323, 329 Konsum 59, 65 f., 148 f., 226 ff., 278, 294 f., 298, 306 ff., 313, 340, 345 Kontingente 53 f. Kontrolldefizite 38 ff. Kopfsteuer 293 f. Lebensmittelbelastung 32 Leistungsfähigkeit, -prinzip 62 ff., 156, 159, 199 ff., 208 f., 220, 226 ff., 278, 284, 293 ff., 299 ff., 302 ff., 347 f.
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Sachregister
Lenkungsfunktion, -zweck 53, 62, 65, 126, 137, 151, 163, 197 ff., 213, 215, 218, 227, 233 f., 239, 246, 271, 300, 302, 307 Lenkungswirkung siehe Gestaltungswirkung Luftbelastung 31 Mehrwertsteuer siehe Umsatzsteuer Mineral Accounting System (MINAS) 79, 83 ff., 94 Mineralölsteuer 60, 198, 293, 301, 318 Niederlande 76, 78 f., 83 ff., 89, 94, 120 f., 335 f. normative Gleichheit 284 ff., 294, 298, 312 ökologische Steuerreform 51, 88 Ökosteuer 50 f., 197 f., 226, 231, 245, 297 Ordnungsrecht 25, 37, 40 ff., 47 ff., 57, 75, 122, 197, 206, 212 f., 234, 241, 247 ff., 258, 261, 263, 279 f., 296, 307 f., 339 ff. Österreich 60, 75, 85 ff., 98, 121, Pestizide siehe Pflanzenschutzmittel Pflanzenschutzmittel – Abgabe 56, 74 ff., 88, 98 ff., 133, 150 f., 160 f., 175 ff., 188 ff., 213 ff., 335 ff. – Abgabesatz 117 ff. – Bewertungssystem 102 ff., 115, 122, 341 – Gefährlichkeitsmerkmale 99 ff., 178, 185, 188 – Steuer 79 f., 80 ff., 213 ff., 213 ff., 262 f., 276 f., 311 f. – Wirkstoffe 30, 43, 75 ff., 80 ff., 98 ff., 121 f., 133, 176 ff., 263, 314, 336, 341, 348 f. Pigou Steuer 48 ff., 95, 298
Preisbildungsmechanismen 142 ff., 146 ff. Preiselastizität 74 ff., 95 ff., 117 ff., 121 f. Rechtsstaatsprinzip 205 ff., 244 Sachkompetenz 196, 201 ff., 211, 213, 215 ff., 232, 321 Schutzbereich 233 ff., 254 f, 265, 289 ff., 303 Schutzpflicht 236, 248, 253 Schutzverstärkungsklauseln 176, 181 ff., 193, 322, 351 Schweden 38, 60, 76, 79 ff., 86, 89, 92, 98, 221 f., 160, 335 f., 341, 351 Soll-Ertragsteuer 208, 273 ff. Sonderabgabe 47, 56 ff., 63, 86, 221, 131, 179 f., 189, 194, 201, 213 ff., 231 f., 269 f., 302, 319 ff., 335, 340 ff. Sozialhilfe 276 ff., 281, 347 ff. Staatsziel 253, 270, 288 Standarddosen 99, 112 ff., 119, 122, 133, 160, 341 f. Standard-Preis-Ansatz 49 f., 299 Steuer – Befreiung 58, 72, 155 f., 261, 278, 333 – Begriff 179, 189, 196 ff., 208 ff., 218 f., 224, 226 ff., 231, 244, 300, 319 f., 323, 345 – Einnahmen 78, 80 ff., 88, 156, 214, 227, 322 f. – erdrosselnde 197, 244, 247, 257, 264 ff., 280 – Findungsrecht 218 ff., 231, 345 – Gegenstand 61, 199, 226 ff., 243, 273 f., 295, 300 f., 306 ff. – indirekte 120, 127, 179, 189, 192, 269 f., 275, 277 ff., 317 f., 320, 327 f., 330, 332 f., 336, 338, 341, 347 – Kompetenz 195 ff., 203 ff., 221, 327 – Messzahl 61, 65, 67 f., 210, 340 – Staat 198, 217
Sachregister
– Tatbestand 155, 199 f., 240 ff., 246 f., 250 ff., 301, 306, 323 – Verteilung 219 ff., 231, 282, 300 Steuersouveränität der Mitgliedstaaten 126 f., 130, 134, 137, 139, 145, 154 ff., 321 ff., 324, 327 ff., 337, 341 Stickstoffüberschuss 25, 29, 90 f., 94, 96 Stillhalteverpflichtung 189 Stromsteuer 198 Subventionen 25 f., 35 ff., 78, 85 f., 120 f., 152 ff., 166, 261, 263, 308, 339, 351 Substitution 49 f., 53, 98, 111 f., 242, 250 f., 260, 279
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Verkehrsteuer 201, 218, 221 ff., 341 Vermögensteuer 62, 223, 234, 266 ff., 272 ff., 304, 333 Verpackungssteuer 205 ff. Vertragsnaturschutz 36 f. Verursacherprinzip 36 ff., 148, 159 ff., 258, 284, 293, 296 ff., 299 ff., 302 ff., 313, 342, 348 f. Verwaltungsaufwand, -kosten 39, 41, 55, 66, 68 f., 70 ff., 76, 79 ff., 86, 92, 94, 98, 111 f., 116, 122, 341, 351 Vorsorge 40 ff., 51, 85, 207, 244 f., 253, 280, 296, 339 Vorsteuerabzug 59, 69 ff., 75, 159, 168, 170 f., 192 f., 229, 306, 323, 336, 344
Trinkwasseraufbereitung 96, 117, 121 Umsatzsteuer 26, 57 ff., 69 ff., 75, 81, 86, 121, 126 f., 131 f., 134, 137, 139 f., 145, 148 ff., 159 f., 163 f., 167 ff., 189, 191 ff., 194, 213, 228 ff., 231 f., 255, 259 ff., 275 f., 277 ff., 303 f., 306 ff., 313 f., 327, 333 ff., 339 ff. Verbrauchsabgabe 75, 167, 179, 336, 344 Verbrauchsteuer 60, 69, 81, 137, 139, 145, 163, 184 ff., 191 f., 218 ff., 224 ff., 232, 255, 260, 277 ff., 311 f. 344 ff. Verhältnismäßigkeitprinzip 233, 244 ff., 279, 283 ff., 290, 292, 312, 342, 347 f.
Wahlfreiheit 51, 268 Warenverkehr 126 ff., 134, 138, 173, 176 ff., 188, 327, 344 Wasserpfennig-Entscheidung 57 Wettbewerb 70, 72, 86 f., 128, 138, 140, 152 ff., 171, 179, 183 ff., 190, 193, 227, 255, 260, 309, 314, 317 f., 321, 334 ff. Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung 203 ff., 346 Willkürverbot 161 f., 282 ff., 312 f., 342, 347 World Trade Organisation (WTO) 165 f. Zertifikate 48, 53 f.