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German Pages 233 Year 1996
Beiträge zum Parlamentsrecht
Band 36
Umfang und Grenzen des parlamentarischen Untersuchungsrechts gegenüber Privaten im nichtöffentlichen Bereich
Von
Marc Köhler
Duncker & Humblot · Berlin
MARe KÖHLER Umfang und Grenzen des parlamentarischen Untersuchungsrechts gegenüber Privaten im nichtöffentlichen Bereich
Beiträge zum Parlaments recht Herausgegeben von Werner Kaltefleiter, U1rich Karpen, Wolfgang Zeh in Verbindung mit Peter Badura, Wolfgang Heyde, Joachim Linck Georg-Berndt Oschatz, Hans-Peter Schneider Uwe Thaysen
Band 36
Umfang und Grenzen des parlamentarischen Untersuchungsrechts gegenüber Privaten im nichtöffentlichen Bereich
Von
Mare Köhler
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Köhler, Mare: Umfang und Grenzen des parlamentarischen Untersuchungsrechts gegenüber Privaten im nichtöffentlichen Bereich I von Marc Köhler. - Berlin : Duncker und Humblot, 1996 (Beiträge zum Parlamentsrecht ; Bd. 36) Zugl.: Hannover, Univ., Diss., 1995 ISBN 3-428-08604-X NE:GT
Alle Rechte vorbehalten © 1996 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübemahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-6674 ISBN 3-428-08604-X Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 i§
Vorwort Der Fachbereich Rechtswissenschaften der Universität Hannover hat die vorliegende Arbeit im Sommersemester 1995 als Dissertation angenommen. Sie ist für die Drucklegung geringfügig überarbeitet worden. Bei Herrn Prof. Dr. Dr. h. c. Hans-Peter Schneider bedanke ich mich für die Betreuung und Unterstützung der Dissertation sowie für ihre Aufnahme in die "Beiträge zum Parlamentsrecht". Bei Herrn Prof. Dr. Gunther Schwerdtfeger bedanke ich mich für die Übernahme des Zweitgutachtens. Hannover, im Juli 1995 Mare Köhler
Inhaltsverzeichnis I. Problemstellung .................................................................
17
I. Einleitung.....................................................................
17
2. Was ist eine parlamentarische Untersuchung gegenüber Privaten im nichtöffentlichen Bereich? ...........................................................
20
a) Einteilung parlamentarischer Enqueten nach ihren Zielen und Aufgaben ...
20
b) Abgrenzung privatgerichteter Untersuchungen gegenüber Enqueten im öffentlichen und halböffentlichen Bereich .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
22
c) Feststellung der Grenze zwischen allgemeiner BetroffenensteIlung und privatgerichteter Untersuchung...............................................
26
H. Entwicklung und Funktion des parlamentarischen Untersuchungsrechts im privaten Bereich ......................................................................
31
1. Die Entstehung des Enqueterechts der Weimarer Republik
31
2. Privatgerichtete Enqueten zur Zeit der Weimarer Republik
34
a) Der Untersuchungsausschuß ,,Mont Cenis" ................................
34
b) Der Ausschuß zur Aufklärung des Massenunglücks in Oppau ..............
35
c) Die "Barmat"-Untersuchungsausschüsse ...................................
37
3. Privatgerichtete parlamentarische Untersuchungen des Deutschen Bundestages
40
a) Der Untersuchungsausschuß "Überprüfung von Einfuhren" ................
40
b) Der Untersuchungsausschuß "Kraftstoffvertrieb" ...........................
41
c) Der Untersuchungsausschuß ,,Bonner Bauten" .............................
42
d) Der Untersuchungsausschuß "Zeche Dahlbusch" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
43
e) Der "Fibag"-Untersuchungsausschuß ......................................
43
f) Der Untersuchungsausschuß "Schützenpanzer HS-30" .....................
44
g) Der Untersuchungs ausschuß "Pan International" ...........................
45
h) Der "Flick"-Untersuchungsausschuß .......................................
46
i) Der Untersuchungsausschuß "Neue Heimat" ...............................
48
j) Der "HDW/IKL"-Untersuchungsausschuß .................................
52
k) Der Untersuchungsausschuß "Transnuklear/Atomskandal" .................
55
8
Inhaltsverzeichnis 4. Privatgerichtete Enqueten der Länder der Bundesrepublik Deutschland. . . . . . . .
58
a) Untersuchungsausschüsse im Zusammenhang mit Bau- und Grundstücksgeschäften . ............... .... . ................. . ............. ... .. . .........
58
aal Enqueten des Berliner Abgeordnetenhauses ...........................
59
bb) Enqueten des Bayerischen Landtages...................... . ...........
61
cc) Enqueten in weiteren Bundesländern....................... ..... ......
61
b) Untersuchungsausschüsse zur Überprüfung ungerechtfertigter Bevorzugungen... .... . ...... ...... ..... . ...... .......... . .... ....... .... ...... ........
62
c) Untersuchungsausschüsse zur Überprüfung der Parteienspendenpraxis .....
64
d) Untersuchungsausschüsse zur Klärung der Ursachen von Grubenunglücken
65
e) Untersuchungsausschüsse zum Thema Gefährdung von Mensch und Umwelt.......................................................................
65
f) Untersuchungsausschüsse, die sich direkt auf den privaten Unternehmens-
bereich bezogen ...........................................................
67
g) Sonstige privatgerichtete Untersuchungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
69
5. Folgerungen aus den bisherigen Erörterungen .................................
70
III. Versuche einer Klärung des Problems der Zulässigkeit privatgerichteter Enqueten in der Literatur .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
72
1. Die Korollartheorie Zweigs ...................................................
72
a) Analyse der Vorstellungen Zweigs .........................................
72
b) Vergleich der Auffassungen Smends und Lewaids mit denen Zweigs..... ..
74
c) Die Auslegung der Korollartheorie .........................................
76
d) Schützt die Korollartheorie vor Eingriffen in den Privatbereich? ...........
79
2. Die Notwendigkeit des "öffentlichen Interesses" an der parlamentarischen Untersuchung .. ..... ................ .. ............ ..... ..........................
80
a) Der Begriff des "öffentlichen Interesses" .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
81
b) Wer entscheidet über das Vorliegen des "öffentlichen Interesses" ....... ....
82
c) Ist diese Entscheidung justiziabel? ............................. . .... .. .....
83
d) Schützt das "öffentliche Interesse" vor Eingriffen in den Privatbereich? ....
84
3. Die Argumentation der Anhänger eines weitgehenden Untersuchungsrechts im privaten Bereich ..............................................................
85
Inhaltsverzeichnis
9
4. Rechtsdogmatische Eingrenzungsversuche des parlamentarischen Untersuchungsrechts gegenüber Privaten..............................................
91
5. Die Diskussion um die BetroffenensteIlung .................................... 113 a) Empfiehlt sich eine Unterscheidung zwischen Zeugen und Betroffenen im Untersuchungsverfahren? .................................................. 113 aa) Argumente gegen die Anerkennung eines Betroffenenstatus ........... 114 bb) Argumente für die Anerkennung eines Betroffenenstatus .............. 117 cc) Untersuchungsausschußgesetze und Regelungsentwürfe mit und ohne BetroffenensteIlung ................................................... 119 b) Wer ist von einer parlamentarischen Enquete betroffen? .................... 120 c) Welche Rechte hahen Betroffene parlamentarischer Untersuchungen? ...... 125 aa) Die Regelungen in den vorhandenen Untersuchungsausschußgesetzen und Vorschläge zur Neukodifikation ................................... 125 bb) Literaturmeinungen zu den Betroffenenrechten ........................ 128 (1) Rechtliches Gehör und Mitwirkungsrechte einschließlich des
Rechts auf Gegendarstellung ...................................... 128
(2) Aussageverweigerungsrecht und Eidesverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135
IV. Die Behandlung privatgerichteter Untersuchungen in der Rechtsprechung........ 141 1. Urteile aus der Zeit der Weimarer Republik ................................... 141 2. Urteile und Beschlüsse von Gerichten der Bundesrepublik Deutschland ....... 143 a) Gerichtliche Entscheidungen hinsichtlich der Zulässigkeit privatgerichteter Enqueten .................................................................. 143 b) Gerichtliche Entscheidungen über Umfang und Grenzen der Rechte parlamentarischer Untersuchungsausschüsse gegenüber Privaten im Untersuchungsverfahren ........................................................... 153 aa) Urteile und Beschlüsse, die das Recht parlamentarischer Untersuchungssausschüsse auf Vorlage von Akten privaten Inhalts gegenüber Behörden betreffen.................................................... 153 bb) Die Rechtsprechung zur Anwendung von Zwangsmitteln im Rahmen einer parlamentarischen Enquete ........ , ...... '" ...... '" . .. . . . ... . . 158 cc) Entscheidungen, die sich auf die Beweisaufnahme durch Zeugen bzw. Betroffene beziehen ................................................... 164 c) Entscheidungen zur Frage der gerichtlichen Überprüfbarkeit von AbschluBberichten parlamentarischer Untersuchungsausschüsse..................... 168
10
Inhaltsverzeichnis
V. Schutzwürdige Belange bei privatgerichteten Enqueten
170
1. Der grundrechtliche Persönlichkeitsschutz .................................... 170 2. Der Datenschutz für Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse ..................... 173 a) Die verfassungsrechtliche Grundlage des Schutzes von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen ....................................................... 173 b) Die inhaltliche Bestimmung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen .... 178 c) Umfang und Grenzen des verfassungsrechtlichen Schutzes von Betriebsund Geschäftsgeheimnissen ......................................... . . . . . .. 181
VI. Die Anwendung des parlamentarischen Untersuchungsrechts gegenüber Privaten im nichtöffentlichen Bereich ..................................................... 184 1. Müssen bei Enqueten im privaten Unternehmensbereich alle betroffenen Unternehmen im Einsetzungsantrag abschließend genannt werden? ............... 184 2. Der gegenständliche Anwendungsbereich der privatgerichteten Enquete....... 186 3. Bundesstaatliche Grenzen des parlamentarischen Untersuchungsrechts im Privatbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 4. Umfang und Grenzen des Beweiserhebungsrechts parlamentarischer Untersuchungsausschüsse ............................................................. 194 a) Die Anwendbarkeit strafprozessualer Zwangsmittel ......... : .............. 194 aa) Die Anwendbarkeit von Zwangsbefugnissen der StPO im Rahmen von Enqueten, die den Privatbereich lediglich als Annex zum öffentlichen Bereich in ihre Untersuchungen mit einbeziehen ...................... 194 bb) Die Anwendbarkeit strafprozessualer Zwangsmittel im Rahmen von unmittelbar privatgerichteten Enqueten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 cc) Die Anwendbarkeit strafprozessualer Zwangsmittel im Rahmen von Enqueten, die den durch öffentliche Mittel subventionierten Privatbereich betreffen ........................................................ 199 dd) Modalitäten der Anwendung strafprozessualer Zwangsbefugnisse im Rahmen einer parlamentarischen Enquete ............................. 202 b) Der Anspruch parlamentarischer Untersuchungsausschüsse auf Herausgabe von Behördenakten privaten Inhalts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 203 5. Die inhaltliche Bestimmtheit des Untersuchungsauftrags ...................... 206
VII. Die Rechtsstellung von Auskunftspersonen im Untersuchungsverfahren .......... 209 1. Ist Betroffenen ein Sonderstatus zuzubilligen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 209 2. Das Recht auf Gegendarstellung ............................. . ........ . ....... 214
Inhaltsverzeichnis
11
VIII. Vorschläge für Verfassungs- und Gesetzesänderungen ............................ 218 1. Empfehlung für eine Änderung von Art. 44 GG und der entsprechenden landesverfassungsrechtlichen Regelungen........................................ 218 2. Empfehlungen für gesetzliche Regelungen in den Untersuchungsausschußgesetzen des Bundes und der Länder............................................. 219 IX. Zusammenfassung ............................................................... 222
Literaturverzeichnis ............................ . ........................ . ............. 226
Abkürzungsverzeichnis a.A.
anderer Ansicht
a.D.
außer Dienst
a.F.
alte Fassung
AG
Aktiengesellschaft
AG
Amtsgericht
AK
Alternativkommentar
AO
Abgabenordnung
AöR
Archiv des öffentlichen Rechts
AuslInvG
Auslandsinvestitionsgesetz
AWG
Außenwirtschaftsgesetz
Bad.
Badischer
BAGE
Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts
Bay.
Bayerischer
Bay.VBI.
Bayerische Verwaltungsblätter
BayVerfG
Bayerischer Verfassungsgerichtshof
BayVerfGE
Entscheidungen des Bayerischen Verfassungsgerichtshofes
BayVGH
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Berl.
Berliner
BGAG
Beteiligungsgesellschaft für Gemeinwirtschaft AG
BGH
Bundesgerichtshof
BGHSt
Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen
BGHZ
Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen
BK
Bonner Kommentar
Brem.
Bremer
BremStGHE
Entscheidungen des Bremer Staatsgerichtshofs
BTDS
Drucksachen des Deutschen Bundestages
BVerfG
Bundesverfassungsgericht
BVerfGE
Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts
BVerwG
Bundesverwaltungsgericht
DB
Der Betrieb
DGB
Deutscher Gewerkschaftsbund
DJT
Deutscher Juristentag
AbkÜfzungsverzeichnis DNVP
Deutschnationale Volkspartei
DÖV
Die Öffentliche Verwaltung
Drucks.
Drucksachen
13
DVBI.
Deutsches Verwaltungsblatt
EStG
Einkommensteuergesetz
ESVGH
Entscheidungssammlung des Hessischen und des WürttembergischBadischen Verwaltungs gerichtshofs
EuGRZ
Europäische Grundrechte-Zeitschrift
FAZ
Frankfurter Al1gemeine Zeitschrift
FG
Finanzgericht
Fn.
Fußnote
GAL
Grüne Alternative Liste
GBI.
Gesetzblatt
GeschOBT
Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages
GG
Grundgesetz
GVBI.
Gesetz- und Verordnungsblatt
GVG
Gerichtsverfassungsgesetz
Hamb.
Hamburger
Hess.
Hessischer
HessStGH
Hessischer Staatsgerichtshof
HDW
Howaldtswerke - Deutsche Werft
h.M.
herrschende Meinung
HRG
Hochschulrahmengesetz
IKL
Ingenieurkontor Lübeck
IPA
Interparlamentarische Arbeitsgemeinschaft
i.S.
im Sinne
iV.m.
in Verbindung mit
JMBlNW
Justizministerialblatt Nordrhein-Westfalen
JW
Juristische Wochenschrift
KG
Kommanditgesellschaft
KPD
Kommunistische Partei Deutschlands
LG
Landgericht
LPG
Landespressegesetz
mbH
mit beschränkter Haftung
MuW
Markenschutz und Wettbewerb
m.w.N.
mit weiteren Nachweisen
n.P.
neue Fassung
NJW
Neue Juristische Wochenschrift
Abkürzungsverzeichnis
14 Nordrhein-Westf.
Nordrhein-Westfälischer
Nr.
Nummer
NS
nationalsozialistische
NVwZ
Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht
OHG
Offene Handelsgesellschaft
OVG
Oberverwaltungsgericht
OVGE
Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts
Preuß.
Preußischer
Rdnr.
Randnummer
RG
Reichsgericht
RGSt
Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen
RGZ
Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen
Rheinl.Pfälz.
Rheinland-Pfälzischer
ROP
Recht und Organisation der Parlamente. Systematische Sammlung des Verfassungs- und Wahlrechts, der Geschäftsordnungen und aller sonstigen Materialien der Parlamente des Bundes und der Länder, der europäischen Institutionen und der Vereinten Nationen. Herausgegeben im Auftrag der Interparlamentarischen Arbeitsgemeinschaft von Wolfgang Burhenne.
Saarl.
Saarländischer
Sachs.-Anhalt.
Sachsen-Anhaltinischer
Sächs.
Sächsischer
SchHLS
Schleswig-Holsteinische Landessatzung
Schleswig-Host.
Schleswig-Holsteinischer
Sten.Ber.
Stenographischer Bericht
StGB
Strafgesetzbuch
StPO
Strafprozeßordnung
st.Rspr.
ständige Rechtsprechung
t
Tonnen
Thür.
Thüringischer
UAG
Untersuchungsausschußgesetz
UPR
Umwelt- und Planungsrecht
u.U.
unter Umständen
Verf.
Verfassung
VG
Verwaltungsgericht
Vorb.
Vorbemerkung
Vorl.Nds. Verf.
Vorläufige Niedersächsische Verfassung
VVDStRL
Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer
VwGO
Verwaltungsgerichtsordnung
Abkürzungsverzeichnis WahlprüfungsG
Wahlprüfungsgesetz
WRV
Weimarer Reichsverfassung
Ztp
Zeitschrift für Politik
ZParl
Zeitschrift für Parlamentsfragen
ZPO
Zivilprozeßordnung
ZRP
Zeitschrift für Rechtspolitik
15
I. Problemstellung 1. Einleitung Art. 44 des Grundgesetzes normiert das Recht der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse in enger Anlehnung an Art. 34 der Weimarer Reichsverlassung von 1919. Zwar weist die Nonn des Grundgesetzes einige Modifikationen gegenüber der Weimarer Regelung auf', sie betreffen jedoch nur Details, die hier vernachlässigt werden können. Betrachtet man diese Fakten, so sollte man meinen, es handele sich bei dem parlamentarischen Untersuchungsrecht nach Art. 44 GG um ein in jeder Weise bewährtes Rechtsinstitut, dessen Anwendungsprobleme inzwischen weitgehend geklärt sind. Das Gegenteil ist jedoch der Fall. Der Streit um die Refonnbedürltigkeit des parlamentarischen Untersuchungsrechts ist so alt wie das Untersuchungsrecht selbst. Er hat wiederholt die staatsrechtliche Abteilung des Deutschen Juristentages 2 beschäftigt, und es besteht seit langem weitgehend Einigkeit darüber, daß das Recht der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse einer Refonn bedarl. Obwohl es an Vorschlägen dafür nicht mangelt 3 , ist bisher nicht absehbar, ob und wann eine solche stattfindet. Das auf Bundesebene fehlende Ausführungsgesetz zur Regelung des Untersuchungsverlahrens wird derweil durch eine schon als kurios anzusehende Praxis ersetzt. Der Bundestag bestimmt jeweils in seinen Einsetzungsbeschlüssen die Anwendung der sog. IPA-Vorschriften, soweit sie geltendem Recht nicht widersprechen, und unter der Voraussetzung, daß die Mitglieder des Ausschusses übereinstimmend keine sonstigen Bedenken dagegen haben4 . Unter den IPA-Rege1n ist der "Entwurl eines Gesetzes über Einsetzung und Verlahren von Untersuchungsausschüssen des Bundestages,,5 aus dem Jahre 1969 zu verstehen. Dieser von einer interparlamentarischen Arbeitsgemeinschaft erarbeitete Entwurl ist niemals Gesetz 1 Im einzelnen Maunz, in MaunzlDürig, Kommentar zum GG, 7. Aufl., München, Stand 9191, Art. 44, Rdnr. l. 2 34. DJT 1926,45. DJT 1964,57. DJT 1988. 3 Übersicht bei Versteyl, in v. Münch, Kommentar zum GG, Bd. 2, 3. Aufl., München 1989, Art. 44, Rdnr. 29; siehe auch Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, München 1980, S. 60. 4 Vgl. nur die Einsetzungsanträge: BTDS X/34, Ziffer II. (Flick); BTDS X15575, Ziffer VI. (Neue Heimat); BTDS Xl/50, Ziffer V. (HDW/IKL); BTDS XIII 680, Ziffer VI. und BTDS Xl/1683 Nr. 6 (Transnukiear/Atomskandai). 5 BTDS V/4209.
2 Köhler
18
I. Problemstellung
geworden. Das Paradoxe an dieser Vorgehensweise ist, daß hier ein ,,Nicht-Gesetz" praktisch als Gesetz behandelt wird, und dies von parlamentarischen Untersuchungsausschüssen, die doch Unterorgane des für die Gesetzgebung zuständigen Bundestages sind. Das hat zur Folge, daß die IPA-Vorschriften lediglich Innenrechtsnormen sind, auf die sich der private Betroffene nicht berufen kann6 . Obwohl § 18 der IPA-Vorschriften die Rechtsstellung des Betroffenen regelt und der Ausschuß die IPA-Regeln anwendet, kann der potentiell Betroffene sich nicht dagegen wehren, wenn ihm der Untersuchungsausschuß die Behandlung als Betroffener versagt. Die Anerkennung als Betroffener hängt in rechts staatlich bedenklicher Weise von der "Gnade" des Untersuchungsausschusses ab, zumal § 18 Abs. 1 Nr.4 der IPA-Regeln sehr weit gefaßt ist. Ein Gesetz über parlamentariche Untersuchungsausschüsse könnte zwar das grundgesetzlich garantierte Untersuchungsrecht nicht einschränken, es wäre aber in der Lage, zu einer Klärung von Umfang und Grenzen dieses Rechts beizutragen. Der Hauptgrund für immer wieder zutage tretende Unsicherheiten über Umfang und Grenzen des parlamentarischen Untersuchungsrechts ist jedoch in Art. 44 GG selbst zu sehen. Diese Vorschrift äußert sich über Wesen, Inhalt und Zweck der parlamentarischen Untersuchung nur unzureichend 7 . Solange das Untersuchungsrecht durch eine derart offene Vorschrift garantiert wird, ist nicht zu erwarten, daß die Diskussion über Umfang und Grenzen des parlamentarischen Untersuchungsrechts zu einem allgemein konsensfähigen Ergebnis führt. Deshalb ist am Ende der Arbeit ein Vorschlag für eine Neufassung von Art. 44 GG zu finden. Während der Ausarbeitung dieser Dissertation wurde eine Arbeit von Werner Richter mit dem Titel "Privatpersonen im parlamentarischen Untersuchungsausschuß"s und eine weitere von Stefan Studenroth mit dem Titel "Die parlamentarische Untersuchung privater Bereiche,,9 veröffentlicht. Es handelt sich dabei um Dissertationen, die sich von dieser Arbeit trotz einiger Überschneidungen wesentlich unterscheiden. Richter geht zwar darauf ein, ob und inwiefern parlamentarische Untersuchungsausschüsse sich in der bisherigen Staatspraxis mit der Aufklärung von Sachverhalten aus dem Privatbereich befaßt haben lO, er legt dabei jedoch den Schwerpunkt auf Ausschüsse des Bundes und erwähnt nur 5 Enqueten auf Landesebene. Richter verfolgt die Geschichte der privatgerichteten Enquete nicht bis in die Weimarer Zeit zurück. In seinen Ausführungen zur Korollartheorie 11 erwähnt er zwar, daß diese Theorie auf Zweig zurückgeht, es fehlt jedoch eine genaue Analyse dessen OVG Münster, NVwZ 1987, S. 606 f. Siehe auch Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, München 1980, S. 59. 8 Richter, Privatpersonen im parlamentarischen Untersuchungsausschuß, München 1991. 9 Studenroth, Die parlamentarische Untersuchung privater Bereiche, Baden-Baden 1992. 10 Richter, S. 4 ff. 11 Richter, S. 26 f. 6
7
1. Einleitung
19
vielzitierten Aufsatzes aus dem Jahre 1913. Die Rechtsprechung zum Themenkomplex der privatgerichteten Enquete wird in der Dissertation nur lückenhaft und unvollständig dargestellt 12. Richter erörtert die Anforderungen, die an 'die Beachtung schutzwürdiger Belange aus dem Bereich natürlicher Personen oder juristischer Personen des Privatrechts bzw. sonstiger Personenmehrheiten im Untersuchungsverfahren zu stellen sind, nicht abgestuft nach dem Einsetzungsantrag, dem Beweisantrag und der Möglichkeit des Einsatzes von Zwangsmitteln. Eine differenzierte Behandlung der Anwendungsmöglichkeit von Zwangsbefugnissen der StPO im Rahmen einer parlamentarischen Enquete fehlt ganz. Die Diskussion um die BetroffenensteIlung wird nur verkürzt dargestellt 13 . Richter setzt sich nicht mit der Frage auseinander, ob Auskunftspersonen einer parlamentarischen Enquete unter bestimmten Voraussetzungen ein Recht auf Gegendarstellung zuzubilligen ist. Der Schwerpunkt seiner Arbeit liegt stattdessen auf dem Gebiet des Persönlichkeitsschutzes, des Geheimnisschutzes und des Rechtsschutzes. Überschneidungen mit dieser Dissertation bestehen hinsichtlich der Erörterung der Kompetenzfrage und des Themenkomplexes "öffentliches Interesse". Bei der rechtlichen Einordnung des letztgenannten Begriffes wird in den beiden Arbeiten jedoch ein konträrer Standpunkt vertreten l4 . Richter stellt bei der Bestimmung des Anwendungsbereichs parlamentarischen Untersuchungsrechts gegenüber natürlichen Personen oder juristischen Personen des Privatrechts oder sonstigen Personenmehrheiten im wesentlichen auf die Schutzwirkung eines normativ zu bestimmenden öffentlichen Interesses ab. Er bietet keine Perspektiven und neuen Lösungsansätze. Auch mit der Arbeit von Studenroth gibt es Überschneidungen hinsichtlich der Darstellung des Meinungsstandes zur Frage der Untersuchungskompetenz im privaten Bereich einschließlich der Ausführungen zum "öffentlichen Interesse". Seine Dissertation beschränkt sich jedoch im wesentlichen auf die Erörterung der Zulässigkeit privatgerichteter Enqueten auf Bundesebene. Der Länderbereich wird weitgehend vernachlässigt. Studenroth stellt die Staatspraxis parlamentarischer Enqueten nur anhand von 4 Bundestagsuntersuchungsausschüssen aus neuerer Zeit dar 1S • Er geht in diesem Zusammenhang weder auf die Untersuchungspraxis zur Zeit der Weimarer Republik noch auf Enqueten auf Landesebene ein. Trotz dieser verkürzten Darstellung behauptet Studenroth das Vorliegen einer "Akzentverschiebung bei der parlamentarischen Untersuchung" in dem Sinne, daß der private Bereich, insbesondere der Unternehmensbereich, in jüngerer Zeit verstärkt zum Thema parlamentarischer Enqueten gemacht wird l6 . Eine genauere Analyse der Staatspraxis parlamentarischer Enqueten seit der Weimarer Zeit zeigt jedoch, daß eine solche Richter, S. 20 ff. Richter, S. 97 ff. 14 Richter, S. 30 ff.; vgl. unten III.2., insbes. III.2.c). 15 Studenroth, S. 19 ff., er geht auf den Flick-, Neue-Heimat-, U-Boot- und den Transnuklear-Untersuchungsausschuß ein. 16 Studenroth, S. 18 f., vgl. ferner S. 58. 12 \3
2*
20
I. Problemstellung
These nicht haltbar ist 17 . Mit der Korollartheorie Zweigs setzt sich auch Studenroth nicht auseinander. In seiner Arbeit finden sich ebenfalls keine Erörterungen über die Beachtung schutzwürdiger Belange im Untersuchungsverfahren, abgestuft nach Einsetzungantrag, Beweisantrag und der Anwendung von Zwangsmitteln. Es fehlt eine differenzierte Auseinandersetzung mit der Möglichkeit des Einsatzes strafprozessualer Zwangsbefugnisse und mit dem Anspruch auf Herausgabe von Behördenakten privaten Inhalts insgesamt. Studemoth erwähnt weder die Betroffenenproblematik noch geht er darauf ein, ob Auskunftspersonen parlamentarischer Untersuchungsausschüsse ein Recht auf Gegendarstellung zuzubilligen ist. Grundsätzliche Aussagen über den grundrechtlichen Persönlichkeitsschutz und den Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen finden nur am Rande Erwähnung.
2. Was ist eine parlamentarische Untersuchung gegenüber Privaten im nichtöffentlichen Bereich? Bevor nun die einzelnen Problembereiche erörtert werden, bedarf es einer näheren Definition dessen, womit sich diese Dissertation schwerpunktmäßig befaßt. Wann liegt überhaupt eine parlamentarische Untersuchung "gegenüber Privaten im nichtöffentlichen Bereich" vor? Dies gilt es zu klären, bevor Umfang und Grenzen privatgerichteter Enqueten ausgelotet werden.
a) Einteilung parlamentarischer Enqueten nach ihren Zielen und Aufgaben Zunächst lassen sich zwischen parlamentarischen Untersuchungen unter verschiedenen Gesichtspunkten, wie der AufgabensteIlung, dem Gegenstand der Untersuchung, der Intention der Antragsteller und dem Untersuchungsziel, Einteilungen vornehmen. Schneider unterscheidet hinsichtlich des Untersuchungsziels zunächst global zwischen Mißstandsenqueten und Sachstandsenqueten 18 . Erstere befassen sich mit Unzulänglichkeiten verschiedenster Art, wie Mißbräuchen, Rechtsoder Pflichtverletzungen, Verfahrensfehlern und ähnlichen zu beanstandenden Zuständen oder Vorfällen. Demgegenüber dienen Sachstandsenqueten der Information und Entscheidungsvorbereitung des Parlaments. Mit ihrer Hilfe kann sich das Parlament zu bestimmten Themen sachkundig machen, über die es politische Entscheidungen treffen will. Vgl. unten 11.2., insbes. lI.5. Schneider, in Altemativkommentar, Kommentar zum GG für die Bundesrepublik Deutschland (AK), Bd. 2, 2. Aufl., Neuwied 1989, Art. 44, Rdnr. 3. 17
18
2. Was ist eine privatgerichtete Enquete im nichtöffentlichen Bereich?
21
Hinsichtlich ihrer Aufgabenstellung teilt Schneider die parlamentarischen Untersuchungen ein in: 1. Kontrollenqueten 2. Gesetzgebungsenqueten 3. Kollegialenqueten Kontrollenqueten dienen der Überprüfung und Aufdeckung eventueller Mißstände im Bereich von Regierung und Verwaltung. Auch die Kontrolle der Justiztätigkeit fällt unter diese Rubrik. Die Bezeichnung administrative- und Justiz-Enquete ist daher ebenfalls gebräuchlich. Untersuchungen, die der Aufdeckung von Mißständen dienen sollen, werden bildhafter noch durch den Begriff "Skandal-Enquete" beschrieben. Gesetzgebungsenqueten, auch legislative Enqueten genannt, dienen dem Erhalt von Informationen, die für geplante Vorhaben der Gesetzgebung erforderlich sind. Kollegialenqueten beinhalten die Aufklärung von Vorgängen innerhalb des Parlaments. Hierzu gehören auch die Wahl- und Abgeordnetenenqueten. Das außerparlamentarische Verhalten von Abgeordneten kann auch durch eine solche Enquete überprüft werden. In diese Rubrik gehören ebenfalls die Enqueten zur Wahrung des Parlamentsansehens. Die Bezeichnung "politisch-propagandistische Enquete" wird zum Teil noch für parlamentarische Untersuchungen gebraucht, deren eigentliches Ziel es ist, die Öffentlichkeit auf bestimmte Vorgänge und Probleme aufmerksam zu machen. Mit dem Begriff Empfehlungsenquete wird eine parlamentarische Untersuchung bezeichnet, deren Aufgabe darin besteht, der Regierung oder Verwaltung Vorschläge im Hinblick auf ein bestimmtes Verhalten zu unterbreiten. Die genannten Einteilungsmöglichkeiten von parlamentarischen Untersuchungen schließen sich nicht gegenseitig aus, vielmehr kommt es in der Praxis häufig vor, daß sie sich ergänzen. So kann eine Kontrollenquete durchaus gleichzeitig Elemente einer Gesetzgebungsenquete aufweisen und, soweit Abgeordnete mitbetroffen sind, auch Kollegialenquete sein. Politisch-propagandistischen Zwecken dient eine parlamentarische Untersuchung mehr oder weniger eigentlich immer. Nahezu jeder Untersuchungsausschuß kann am Ende seiner Tatigkeit Empfehlungen, gleich welcher Art, an Regierung oder Verwaltung richten. In der Praxis stehen heute die Mißstands- und Kontrollenqueten im Mittelpunkt der Untersuchungstätigkeit nach Art. 44 GG. Grund dafür, daß es kaum noch Sachstands- und Gesetzgebungsenqueten gibt, ist, daß sich das Parlament hierfür andere Instrumente geschaffen hat. Sachstandsenqueten sind in die Enquete-Kommission nach § 56 GeschOBT abgewandert. Diese stehen weniger im Rampenlicht der Öffentlichkeit und bieten nach § 56 Abs. 2 GeschOBT die Möglichkeit der Beteiligung von Fachleuten. Im Rahmen von Gesetzgebungsverfahren machen die zuständigen Fachausschüsse zunehmend Gebrauch von der Möglichkeit der öffentlichen Anhörung von Sachverständigen, Interessenvertretem und anderen Aus-
22
1. Problemstellung
kunftspersonen nach § 70 GeschOBT 19 • Auch die Kollegialenqueten haben kaum noch Bedeutung, seitdem die Wahlprüfung in eigenen Ausschüssen nach § 3 WahlprüfungsG stattfindet.
b) Abgrenzung privatgerichteter Untersuchungen gegenüber Enqueten im öffentlichen und halböffentlichen Bereich Neben der Einteilung parlamentarischer Enqueten nach ihren Zielen und Aufgaben ist für das Thema dieser Arbeit von besonderer Bedeutung, gegen wen sich eine Untersuchung nach Art. 44 GG richtet. So ist zunächst einmal zu unterscheiden: Sollen Vorgänge im öffentlichen Bereich behandelt werden, oder ist die parlamentarische Untersuchung privatgerichtet. Der Begriff der "privatgerichteten Enquete" läßt sich am besten negativ definieren. Er bezeichnet eine parlamentarische Untersuchung, die sich nicht gegen die gesetzgebende, vollziehende oder rechtsprechende Gewalt richtet. Wird der Ausschuß im privaten Bereich tätig, ist wiederum zu unterscheiden zwischen Unternehmensenqueten und Individualenqueten. Erstere bezeichnen Ausschüsse, die sich mit Zuständen oder Vorgängen in privaten Unternehmen befassen, während letztere den privaten Lebensbereich von Individuen untersuchen. Dabei kann es sich jeweils um Mißstands- oder um Sachstandsenqueten handeln. Es ist auch durchaus möglich, daß eine parlamentarische Untersuchung nach Art. 44 GG zugleich Unternehmens- und Individualenquete ist. Neben den Untersuchungen, die sich eindeutig dem öffentlichen oder privaten Bereich zuordnen lassen, sind Enqueten denkbar, bei denen dies weniger leicht möglich ist. Sie betreffen mit Untersuchungen der Angelegenheiten von Kirchen, kommunalen Gebietskörperschaften, Hochschulen, Gewerkschaften, Parteien oder Presseunternehmen einen halböffentlichen Bereich, der näherer Betrachtung bedarf. Bei den Kirchen, oder, allgemeiner ausgedrückt, bei den Religionsgemeinschaften, f.iHt es nicht schwer, den geistlich-seelsorgerischen Bereich als "privat" zu bezeichnen. Gerade die großen Kirchen besitzen jedoch einen umfangreichen Verwaltungsapparat, der dem der staatlichen Verwaltung durchaus vergleichbar ist. Nach Art. 140 GG sind die Regelungen über Religion und Religionsgemeinschaften der Art. 136, 137, 138, 139 und 140 der Weimarer Verfassung vom 11. 8. 1919 Bestandteil des Grundgesetzes. Art. 137 Abs. 1 WRV postuliert die Trennung von Staat und Kirche. In der Bundesrepublik Deutschland gibt es keine Staatskirche, wie dies in Großbritannien der Fall ist. Das Verhältnis von Staat und Kirche ist grundsätzlich durch "Trennung" gekennzeichnet. Art. 137 Abs. 3 WRV garantiert das kirchliche Selbstordnungs- und Selbstverwaltungsrecht. Aufgrund 19
Schneider, in AK, Art. 44, Rdnr. 3.
2. Was ist eine privatgerichtete Enquete im nichtöffentlichen Bereich?
23
der Regelung des Art. 137 Abs. 5 WRV besitzen die großen Religionsgemeinschaften den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts. Sie werden deshalb jedoch weder dem Staat eingegliedert noch einer staatlichen Kontrolle unterworfen 2o . Im Gegenteil, der Staat erkennt das innere Selbstverwaltungsrecht der Kirchen an und nimmt darauf keinen Einfluß. Das innere Kirchenrecht, also die Gesamtheit der Rechtsnormen, die das Leben innerhalb der Kirche regeln, wird von den Religionsgemeinschaften autonom bestimmt. Über Streitigkeiten entscheiden Kirchengerichte. Ist eine parlamentarische Untersuchung, die sich mit Vorgängen innerhalb einer Kirche befaßt, nun eine Enquete im Privatbereich oder wendet sie sich gegen die öffentliche Gewalt? Nach der O.g.21 Definition ist eine Enquete nach Art. 44 GG privatgerichtet, wenn sie sich nicht gegen die gesetzgebende, vollziehende oder rechtsprechende Gewalt richtet. Die Kirchen werden im Rahmen ihrer Selbstverwaltungsgarantie sowohl rechtsetzend als auch rechtsprechend und verwaltend tätig. Sie üben dabei auch Gewalt aus. Diese ist jedoch keine Staatsgewalt. Der Staat kann nach dem Grundgestz im Innenbereich der Kirche keine Gewalt ausüben. Mit dem Begriff "Gewalt" in O.g. Definition privatgerichteter Untersuchungen ist jedoch "Staatsgewalt" gemeint. Diese ist ein wesentliches Merkmal des Staates und damit des "Öffentlichen" und entspricht seiner Aufgabe, rechtliche Ordnung und Rechtsfrieden herzustellen und zu sichern. Nur eine Untersuchung, die sich gegen diese "öffentliche" Gewalt und ihre Repräsentanten richtet, ist keine Privatenquete. Eine Untersuchung innerer Angelegenheiten der Kirche ist also eine Untersuchung im "Privatbereich". Dies gilt demgegenüber nicht für parlamentarische Enqueten im Bereich des äußeren Kirchenrechts, also des Staatskirchenrechts, das das Verhältnis des Staates zu Religion und zu den Religionsgemeinschaften betrifft. Nicht mit dem Selbstverwaltungsrecht der Kirchen vergleichbar ist das Recht der kommunalen Selbstverwaltung der Gemeinden und Gemeindeverbände nach Art. 28 Abs. 2 GG. Städte und Gemeinden sind als Körperschaften des öffentlichen Rechts in den Staat eingeordnet und der Staatsgewalt unterworfen. Sie nehmen teilweise staatliche Aufgaben wahr und unterliegen insofern der Fach- und Rechtsaufsicht der Länder. Auch im Selbstverwaltungsbereich unterliegen die Gemeinden einer umfassenden Rechtsaufsicht. Sie sind der Staatsfunktion Exekutive zuzurechnen22 . Den Gemeinden wird durch das Grundgesetz nicht wie den Kirchen Staatsfreiheit verbürgt, sondern ihnen wird "als Träger öffentlicher Verwaltung im Rahmen des organisatorischen Staatsaufbaus"23 begrenzte Autonomie zugesichert. Was die eigenen Angelegenheiten der Gemeinden sind, wird wiederum innerhalb der Grenzen des Art. 28 Abs. 2 GG durch den Gesetzgeber bestimmt. BVerfGE 30, 415 ff., 428 =NJW 1971, S. 932. Siehe oben I.2.b) 22 Böcken!örde, Parlamentarische Untersuchungsausschüsse und kommunale Selbstverwaltung, AöR 103/1, S. 3 ff., S. 26. 23 Böckenförde, S. 33. 20
21
1. Problemstellung
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Auch parlamentarische Untersuchungen gegenüber Hochschulen sind dem öffentlichen Bereich zuzurechnen. Nach § 58 HRG sind diese Bildungsstätten Körperschaften des öffentlichen Rechts und zugleich staatliche Einrichtungen. Hinsichtlich ihrer Körperschaftsangelegenheiten haben sie das Recht der Selbstverwaltung. Zu den staatlichen Angelegenheiten der Hochschule gehören u. a. die Personalangelegenheiten der staatlichen Bediensteten, die Haus- und Grundstücksverwaltung, der Vollzug des staatlichen Haushalts, die Durchführung staatlicher Prüfungen und die Immatrikulation und Exmatrikulation von Studenten. Die Hochschulen sind insofern der Exekutive im weiteren Sinne zuzurechnen. Zu den Selbstverwaltungsangelegenheiten gehört neben Forschung und Lehre die Organisation des Lehrbetriebs einschließlich des Erlasses dafür erforderlicher Hochschulsatzungen. Auch in diesem Bereich übt das Land nach § 59 Abs. 1 HRG eine Rechtsaufsicht aus. Der Staat erläßt organisatorische Vorschriften für die Bildung von Kollegialorganen. Dieses begrenzte Selbstverwaltungsrecht der Hochschulen reicht, ähnlich wie bei den Gemeinden, nicht aus, sie hinsichtlich des parlamentarischen Untersuchungsrechts dem privaten Bereich zuzurechnen. Das gleiche gilt für die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, die zwar staatsfrei organisiert, nicht aber völlig entstaatlicht, sondern der öffentlichen Verwaltung im weiteren Sinne zugeordnet sind. Auch die Gewerkschaften nehmen eine besondere Stellung in unserem Rechtssystem ein. Art. 9 Abs. 3 GG schützt sie in ihrem Bestand, in ihrem Recht auf Organisationsfreiheit, Freiheit der Willensbildung sowie auf koalitionsmäßige Betätigung 24 • Weiterhin sind die Koalitionen aufgrund der Regelung von Art. 9 Abs. 3 GG in Verbindung mit dem Tarifvertragsgesetz Inhaber der Tarifautonomie. Darin sieht die h.M. eine Übertragung staatlicher Rechtsetzungsbefugnis auf die Koalitionen, die damit auch im öffentlichen Interesse liegende Aufgaben wahrnehmen 25 . Allein die Tarifautonomie macht jedoch aus der Gewerkschaft als privatrechtlichem Verband keinen Träger öffentlicher Gewalt. 26 Die Freiheit der Sozialpartner, die Tarife für Arbeitsleistungen zu bestimmen, ist durch Art. 9 Abs. 3 GG nicht in ihrem derzeitigen Bestand, sondern lediglich in ihrem Kernbereich gewährleistet. Der Gesetzgeber ist zur Modifikation der Tarifautonomie und zu ihrer Fortentwicklung berechtigt. 27 Die Befugnis zur Regelung der Tarife unterliegt dem Vorbehalt des Gesetzes, sofern das Gesetzesrecht zwingenden Charakter hat. Tarifvertragliche Regelungen, die gegen Bundes- oder Landesgesetze verstoßen, sind unwirksam. Eine parlamentarische Untersuchung im Gewerkschaftsbereich ist daher als privatgerichtet zu bezeichnen. Vgl. BVerfGE 17, 333; 18,26; 19,312; 28, 304; 50, 36 f. BVerfGE 28, 304; 34, 316; 44,341; BAGE 1,258 ff., 262 ff. 26 Seifert/Hömig, GG für die Bundesrepublik Deutschland, 4. Aufl., Baden-Baden 1991, Art. 9, Rdnr. 13. 27 BVerfGE 20,317; Scholz, in Maunz/Dürig, Art. 9, Rdnr. 299 ff. 24
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2. Was ist eine privatgerichtete Enquete im nichtöffentlichen Bereich?
25
Die politischen Parteien sind ein Paradebeispiel für Institutionen im halböffentlichen Bereich. Das Grundgesetz räumt ihnen in Art. 21 eine Sonderstellung gegenüber anderen Vereinigungen ein. Dabei fallt bereits die Stellung von Art. 21 im Normengefüge des Grundgesetzes auf. Die Regelung findet sich im Organisationsteil der Verfassung unter der Überschrift ,,11. Der Bund und die Länder". Auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) billigt den politischen Parteien in seiner Rechtsprechung eine Bedeutung zu, die zu der Erwägung Anlaß gibt, sie dem öffentlichen Bereich zuzurechnen. Danach nehmen die politischen Parteien die Stellung von "verfassungsrechtlichen Institutionen,,28 ein. Sie werde~ als Verfassungsorgane 29 charakterisiert und können ihre Rechte im Organstreitgverfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG vor dem BVerfG verfolgen 30. Demgegenüber sind die Parteien weder Teil der Staatsorganisation noch Körperschaften des öffentlichen Rechts 31 , sondern bürgerlich-rechtliche Personenvereinigungen. Das BVerfG sieht in ihnen "frei gebildete, im gesellschaftlich-politischen Bereich wurzelnde Gruppen". Sie sind nicht Staatsorgan, sondern lediglich "dazu berufen, bei der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken und in den Bereich der institutionellen Staatlichkeit hineinzuwirken" .32 Politische Parteien sind keine Träger öffentlicher Gewalt und daher hinsichtlich des parlamentarischen Untersuchungsrechts nach Art. 44 GG ebenfalls dem privaten Bereich zuzurechnen. Auch die Presse erfüllt in unserem heutigen Gemeinwesen eine wichtige Aufgabe, die angesichts der Notwendigkeit von Informationen für das Funktionieren einer modemen Massendemokratie nicht unterschätzt werden darf. In Anbetracht der Bedeutung einer funktionierenden Presse für Staat und Gesellschaft kann man durchaus von einer "öffentlichen Aufgabe" sprechen. 33 Hinsichtlich parlamentarischer Untersuchungen nach Art. 44 GG können daraus jedoch keine Argumente abgeleitet werden, die es rechtfertigen könnten, Untersuchungen gegenüber Presseunternehmen dem öffentlichen Bereich zuzurechnen. Diese Ausführungen zu Untersuchungen, die sich auf die Angelegenheiten von Kirchen, kommunalen Gebietskörperschaften, Hochschulen, Gewerkschaften, Parteien oder Presseunternehmen beziehen, sollen die Komplexität der Bereiche, die einer parlamentarischen Untersuchung zugänglich sind, verdeutlichen. Enqueten, die sich auf diese Institutionen beziehen, weisen Besonderheiten auf, die im Rahmen dieser Arbeit, deren Schwerpunkt die Behandlung der privaten Unternehmensenquete und der Individualenquete ist, nicht erörtert werden. Obwohl Untersuchungen gegenüber Kirchen, Gewerkschaften, Parteien und Presseunternehmen grundsätzlich dem privaten Bereich zuzurechnen sind, gilt das, was in den nachfol28 29
30 31 32
33
Vgl. BVerfGE 1,208 ff., 225; seitdem st. Rspr. BVerfGE 20, 56 ff., 100 =NJW 1966, S. 1503. BVerfGE 24, 260 ff., 263. BVerfGE 20, 101; 52, 85. BVerfGE 20, 56 ff., 100 f. Siehe Herzog, in Maunz/DÜfig, Art. 5, Rdnr. 119 f.
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I. Problemstellung
genden Kapiteln zu Untersuchungen im Individual- und privaten Unternehmensbereich ausgeführt wird, nicht auch automatisch für Enqueten in diesen ,,halböffentlichen" Bereichen. c) Feststellung der Grenze zwischen allgemeiner BetrotTenenstellung und privatgerichteter Untersuchung
Nach der Definition dessen, was unter "privatgerichteter Enquete" zu verstehen ist, und im Anschluß an die Erörterung möglicher parlamentarischer Untersuchungen im halböffentlichen Bereich gilt es nun noch zu klären, wie weit Private in ein Untersuchungsverfahren involviert sein müssen, damit die Enquete sich "gegen sie" richtet. Es kommt insofern darauf an, Abgrenzungskriterien aufzustellen, die es ermöglichen, zu unterscheiden, ob eine natürliche Personen oder juristische Person des Privatrechts bzw. eine sonstige Personenmehrheit direkt durch eine Untersuchung betroffen ist, oder ob jemand durch eine Enquete nur insofern betroffen ist, als von ihm als Zeugen Aussagen erwartet werden, die sein eigenes Verhalten lediglich am Rande zum Gegenstand der Untersuchung machen. Im letzteren Falle nehmen Private nur eine allgemeine Betroffenenstellung ein, die es nicht rechtfertigt, die Enquete als privatgerichtet zu bezeichnen. Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß sich parlamentarische Untersuchungen nach Art. 44 GG im Sinne einer streng juristischen Betrachtungsweise gegen niemanden richten 34 . Sie dienen ausschließlich der Aufklärung von Sachverhalten. Wenn im folgenden davon gesprochen wird, daß sich eine Untersuchung "gegen" Individuen oder private Unternehmen richtet, so handelt es sich hierbei um eine rein faktische Betrachtungsweise. Damit soll zum Ausdruck gebracht werden, daß die Aufklärung von Vorgängen bei Privatpersonen oder Unternehmen Aufgabe bestimmter parlamentarischer Enqueten ist. Insofern wird in diesem Zusammenhang auch nicht differenziert, ob es das Ziel einer Untersuchung ist, Mißstände im privaten Bereich aufzuzeigen, oder ob Vorwürfe gegen Unternehmen oder Individuen widerlegt werden sollen. Es gibt eine Reihe von Definitionen der Stellung des Betroffenen gegenüber einer parlamentarischen Untersuchung: 1. Die Empfehlungen der Konferenz der Präsidenten der Deutschen Länderparlamente zur Regelung des Verfahrens von parlamentarischen Untersuchungsausschüssen vom 4. Mai 1961 billigen Betroffenen eine Sonderstellung zu, wenn aus dem Untersuchungsauftrag eindeutig hervorgeht, daß sich die Untersuchung "ausschließlich" oder "ganz überwiegend" gegen sie richtet 35 . Das baye34 Schneider, Empfiehlt sich eine gesetzliche Neuordnung der Rechte und Pflichten parlamentarischer Untersuchung~ausschüsse, Referat in Verhandlungen des 57. DJT, Bd. 2, Teil M, München 1988, S. M 54 ff., 84 f. 35 Veröffentlicht in ROP, S. 231 005; ZParl3 (1972), S. 433, Nr. VII 3a.
2. Was ist eine privatgerichtete Enquete im nichtöffentlichen Bereich?
27
rische Gesetz über die Untersuchungsausschüsse des Bayerischen Landtages 36 definiert die BetroffenensteIlung in dieser Form. 2. Nach dem baden-württembergischen Gesetz über Einsetzung und Verfahren von Untersuchungsausschüssen sind Personen von einer Enquete betroffen, "über die der Untersuchungsausschuß im Bericht eine Äußerung abgeben will, ob eine persönliche Verfehlung vorliegt,m. Das sächsische Untersuchungsausschußgesetz hat diese Regelung übernommen 38 . 3. Der 57. Deutsche Juristentag (DJT) entschloß sich zu folgendem Vorschlag für die Regelung der Betroffenenstellung: "Betroffen ist, wer aufgrund paralleler oder zu erwartender Ermittlungen, Ermittlungs- und Strafverfahren ein besonderes Schutzbedürfnis besitzt.,,39
4. § 18 der bereits erwähnten IPA-Regeln40 definiert Betroffene in Abs. 1 Nr. 4 als "Personen, bei denen sich aus dem Untersuchungsauftrag oder aus dem Verlauf der Untersuchung ergibt, daß die Untersuchung sich ausschließlich oder ganz überwiegend gegen sie richtet". Der Musterentwurf der Präsidenten der Deutschen Länderparlamente aus dem Jahre 1972 hat diese Begriffsbestimmung in § 20 Abs. 1 übernommen41 . Gegen die unter 1. genannte Definition der BetroffenensteIlung durch die Präsidenten der Länderparlamente läßt sich einwenden, daß es danach vom Formulierungsgeschick der Antragsteller einer parlamentarischen Untersuchung abhinge, wer von ihr betroffen ist. Es ist nicht sachgerecht, allein dem Wortlaut des Untersuchungsauftrages die entscheidende Bedeutung beizumessen. Partsch kritisiert diese Regelung als "Prämie für die Unehrlichkeit,,42, weil demjenigen, gegen den sich die Untersuchung verdeckt wendet, nicht die Stellung eines Betroffenen zugebilligt wird. Zu weit gefaßt ist demgegenüber die unter 2. aufgeführte baden-württembergisehe Legaldefinition der BetroffenensteIlung. Die Absicht, im Bericht eine Äußerung darüber abzugeben, ob in einem bestimmten Verhalten einer Person eine Verfehlung zu sehen ist, sagt nichts darüber aus, inwiefern sie auch im Mittelpunkt der Untersuchung stand. Da es keine Vorschriften über die Erstellung von AbschlußArt. 13 des Gesetzes v. 23. 3. 1970, GVBI. S. 95; ROP S. 232 101. § 19 Abs. 1 Nr. 4 des Gesetzes v. 3. 3. 1976, GBI. S. 194; ROP S. 231601. 38 § 19 Abs. 1 Nr. 4 des Gesetzes v. 12.2. 1991, Sächs. GVBI. Nr. 3, S. 29. 39 Beschlüsse des 57. DIT, in Verhandlungen des 57. DIT, Bd. 2, Teil M, München 1988, S.M249. 40 Siehe oben unter Fn. 5. 4l In ROP S. 231 021; ZParl3 (1972) S. 427; Thaysen/Schüttemeyer, Bedarf das Recht der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse einer Reform? Baden-Baden 1988, S. 300 ff., 305. 42 Partseh, Empfiehlt es sich, Funktion, Struktur und Verfahren der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse grundlegend zu ändern?, Gutachten in Verhandlungen des 45. DJT, Bd. 1, Teil 3, München, Berlin 1964, S. 210. 36 37
28
I. Problemstellung
und Zwischenberichten gibt, unterschiedliche Wertungen im Mehrheits- und Minderheitsbericht möglich sind und die Verfehlung von geringem Stellenwert sein kann, ist der Kreis derer, die nach dieser Vorschrift von einer parlamentarischen Untersuchung betroffen sein können, zu unbestimmt. Die Regelung "entbehrt praktisch jeglicher Konturen". 43 Der unter 3. genannte Beschluß des 57. DJT zieht demgegenüber den Kreis der Betroffenen sehr eng. Dort wird lediglich auf im Zusammenhang mit der Angelegenheit stehende Ermittlungs- und Strafverfahren abgestellt. Eine derart enge Definition des Betroffenen kann durchaus angebracht sein, wenn es darum geht, wem besondere Rechte wie das der Zeugnisverweigerung zugestanden werden sollen. Für die Entscheidung darüber, wann eine Untersuchung "gegen" Private gerichtet ist, kann sie jedoch nicht herangezogen werden. § 18 der IPA-Regeln stellt für die Zuerkennung der Betroffenenstellung sowohl auf den Untersuchungsauftrag als auch auf den Verlauf der Untersuchung ab. Er berücksichtigt also nicht ausschließlich die Formulierung des Antrags, sondern auch den tatsächlichen Verlauf der Untersuchung. Diese Regelung ist aus den bereits genannten Gründen der Empfehlung der Präsidenten der Deutschen Länderparlamente vorzuziehen.
Die Rechtsstellung des Betroffenen steht nach § 18 Nr. 4 IPA-Regeln "Personen" zu. Der Neue-Heimat-Untersuchungsausschuß des Deutschen Bundestages hat einen Antrag der Neuen Heimat Hamburg, als Betroffene anerkannt zu werden, abgelehnt, weil diese Stellung nur eine natürliche Person einnehmen könne. Ob dem hinsichtlich der Verleihung besonderer Verfahrensrechte im Untersuchungsausschuß zugestimmt werden kann, soll hier dahinstehen. Für die Klassifizierung einer Untersuchung als "privatgerichtet" kann es nicht darauf ankommen, ob sie sich gegen eine natürliche Person, eine juristische Person des Privatrechts oder gegen eine sonstige Personenmehrheit, z. B. einen nicht eingetragenen Verein, wendet. § 18 Abs. 1 Nr. 4 der IPA-Regeln verlangt ferner für die Anerkennung einer Person als von der Untersuchung betroffen, daß sich diese "ausschließlich" oder "ganz überwiegend" gegen sie richtet. Wie bereits festgestellt 44 , schließen sich verschiedene Typen von parlamentarischen Untersuchungen hinsichtlich Zielsetzung und AufgabensteIlung nicht gegenseitig aus. So kann eine Untersuchung gleichzeitig Mißstands- und Sachstandsenquete sein. Einer Gesetzgebungsenquete kann gleichzeitig die Aufgabenstellung einer Kontrollenquete übertragen sein. Genauso schließen sich auch Untersuchungen gegenüber der öffentlichen Gewalt und privatgerichtete Untersuchungen nicht gegenseitig aus. Beide Elemente können nebeneinander Bestandteil desselben Ausschusses sein. Es erscheint daher zu streng, 43 Müller-Boysen, Die Rechtsstellung des Betroffenen vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuß, München 1980, S. 73. 44 Siehe oben I.2.a).
2. Was ist eine privatgerichtete Enquete im nichtöffentlichen Bereich?
29
eine Untersuchung nur als privatgerichtet anzuerkennen, wenn sie sich "ausschließlich" oder "ganz überwiegend" gegen Private wendet. Unterhalb dieser Schwelle kann sich eine Untersuchung zumindest auch gegen private Unternehmen oder Individuen richten. Dies kann z. B. so aussehen: Ein Landesparlament setzt einen Untersuchungsausschuß ein, der Mißstände bei der staatlichen Bauverwaltung überprüfen soll. In diesem Rahmen spielt auch die Beziehung einiger Beamter zu privaten Unternehmen eine gewisse Rolle. Im Zusammenhang damit werden anläßlich der Überprüfung der staatlichen Bauaufsicht die Gewerke von fünf Firmen am Rande und, ohne dem größere Bedeutung beizumessen, mituntersucht. Bei den Bauleistungen einer weiteren Firma werden erhebliche Mängel an ihren Gewerken festgestellt. Daraufhin folgt eine genaue Überprüfung der Firma und des Verhältnisses ihrer leitenden Angestellten zu Beamten der Bauverwaltung. Darüber hinaus wird die Bonität der Firma, die fachliche Qualifikation der Angestellten, die Firmenorganisation und die Fluktuation des Betriebspersonals untersucht. Dabei findet auch Erwähnung, daß der Geschäftsführer des Bauunternehmens aufgrund einer außerehelichen Beziehung zu einer seiner Mitarbeiterinnen die Aufsicht über das Firmenpersonal zeitweise nur unzureichend wahrgenommen hat. Die Behandlung der Angelegenheit in der Öffentlichkeit hat den Konkurs des Unternehmens und die Scheidung des Geschäftsführers zur Folge. Selbst wenn der Ausschuß sich zu 80 % mit Mißständen bei der staatlichen Bauverwaltung und nur zu 20 % mit den Vorgängen bei dem privaten Bauunternehmen befaßt hat, ist eine solche Untersuchung zumindest auch als privatgerichtet zu bezeichnen. Dennoch hat sich die Untersuchung nicht im Sinne von § 18 IPA-Regeln "ganz überwiegend" gegen die private Baufirma gerichtet. Der schleswig-holsteinische Justizminister Dr. Klaus Klingner hielt es in der Diskussion des 57. DJT für die Zuerkennung der Sonderstellung eines Betroffenen für ausreichend, daß sich die Untersuchung "ganz oder teilweise,,45 gegen ihn richtet. Einer solchen Regelung ist der Vorzug zu geben, da für die Klassifizierung einer Untersuchung als privatgerichtet nicht allein entscheidend sein kann, inwiefern vom selben Ausschuß untersuchte Angelegenheiten im öffentlichen Bereich quantitativ überwiegen. Dabei ist klar, daß sich eine parlamentarische Enquete nur dann gegen Private richtet, wenn Unternehmen oder Individuen nicht nur nebensächlicher Gegenstand der Untersuchung sind. Für die Klassifizierung einer Enquete als privatgerichtet reicht es nicht aus, daß Unternehmen oder Individuen lediglich am Rande in die Untersuchung mit einbezogen werden. Statt zu sagen, eine Untersuchung ist privatgerichtet, wenn sie sich teilweise gegen Private wendet, sollte besser verlangt werden, daß sie sich zu einem "maßgeblichen Teil" gegen sie richtet. Das Wort "maßgeblich" bezieht sich dabei sowohl auf den Umfang der Untersuchungen im Privatbereich gegenüber de-
45
In Verhandlungen des 57. DJT, Bd. 2, Teil M, München 1988, S. M 178.
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I. Problemstellung
nen im öffentlichen Bereich, als auch darauf, in welchem Ausmaß sein privater Bereich für den Einzelnen zum Gegenstand der Untersuchung gemacht wird. Eine Untersuchung ist danach privatgerichtet, wenn sich aus dem Untersuchungsauftrag oder aus dem Verlauf der Untersuchung ergibt, daß eine natürliche Person oder juristische Person des Privatrechts bzw. eine sonstige Personenmehrheit ganz oder zu einem maßgeblichen Teil Gegenstand der Untersuchung wird. Diese Definition hat sicher den Nachteil, daß sie einen großen Auslegungsspielraum beinhaltet. Eine weniger offene Formulierung müßte sich aber zwangsläufig mehr an formalen Gegebenheiten, wie an der Formulierung des Untersuchungsauftrags, orientieren. Eine formalisierte Betrachtungsweise könnte den Unwägbarkeiten und Unvorhersehbarkeiten des parlamentarischen Untersuchungsverfahrens nicht gerecht werden, bei dem unversehens ein Privater ins Zentrum treten kann, ohne daß dies beabsichtigt oder im Untersuchungsauftrag erkennbar angelegt war. Im folgenden wird untersucht, ob und inwieweit parlamentarische Enqueten gegenüber Privaten im nicht-öffentlichen Bereich nach geltendem Verfassungsrecht zulässig sind. Die Erörterungen sollen sich dabei auf die Problematik von Untersuchungen, die die Privatsphäre und den privaten Untemehmensbereich berühren, konzentrieren. Enqueten, im unter I.2.b) beschriebenen halböffentlichen Bereich von den Kirchen bis zu den Parteien sollen demgegenüber nicht problematisiert werden. Zunächst wird auf die Entstehung des Untersuchungsrechts der Weimarer Reichsverfassung und dann auf die Inhalte, mit denen sich einzelne privatgerichtete Ausschüsse seit jener Zeit befaßten, eingegangen.
11. Entwicklung und Funktion des parlamentarischen Untersuchungsrechts im privaten Bereich 1. Die Entstehung des Enqueterechts der Weimarer Republik Als "geistiger Vater" des Untersuchungsrechts von Weimar gilt der Volkswirtschaftler und Soziologe Max Weber. An der Nahtstelle zwischen konstitutioneller Monarchie und Republik setzte er sich in zahlreichen Publikationen 1 für eine Stärkung des Parlaments durch ein wirksames Untersuchungsrecht ein. Weber wies dem parlamentarischen Enqueterecht nahezu ausschließlich eine Kontrollfunktion gegenüber der mächtigen Exekutive zu. Er vernachlässigte den Gesichtspunkt der Gesetzesenquete 2 und sah das parlamentarische Untersuchungsrecht nicht als Mittel zur Aufdeckung von Mißständen im privaten Bereich. Im Verfassungsentwurf vom 20.2. 1919 findet sich eine Regelung des Untersuchungsrechts in § 52. Dieser nach dem damaligen Innenminister benannte Preußsche Entwurf3 faßte das Untersuchungsrecht nach den Vorschlägen von Max Weber, der an den Vorbesprechungen teilnahm 4 . Danach sollte folgendes gelten: ,,Jedes Haus des Reichstags hat das Recht und auf Verlangen von einem Fünftel seiner Mitglieder die Pflicht, Ausschüsse zur Untersuchung von Tatsachen einzusetzen, wenn die Gesetzlichkeit oder Lauterkeit von Regierungs- oder Verwaltungsmaßnahmen des Reiches angezweifert wird ... ".
Im Preußschen Entwurf war das Untersuchungsrecht also als reines Kontrollrecht des Parlaments gegenüber der Exekutive ausgestattet. Weder Gesetzgebungsenqueten noch privatgerichtete Untersuchungen wären danach zulässig gewesen. Bereits im Staatenausschuß ist die Einschränkung des Untersuchungsrechts durch die Klausel "wenn die Gesetzlichkeit oder Lauterkeit von Regierungs- oder Verwaltungshandeln des Reiches angezweifelt wird" gestrichen worden. Nach den 1 Er veröffentlichte im Sommer 1917 eine Artikelserie in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung; vgl. ferner Mommsen (Hrsg.), Max Weber, Zur Neuordnung Deutschlands (Schriften und Reden 1918-1920), Bd. 16, Tübingen 1988, S. 151 Nr.2. 2 Steffani, Die Untersuchungsausschüsse des Preußischen Landtags zur Zeit der Weimarer Republik, Düsseldorf 1960, S. 7. 3 Veröffentlicht im Deutschen Reichsanzeiger, Nr. 15,20. l. 1919, Erste Beilage. 4 Steffani, S. 77.
32
II. Entwicklung und Funktion des Untersuchungsrechts
Ausführungen von Reichsinnenminister Dr. Preuß vor der Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung "ist diese Fassung weniger aus prinzipiellen Gründen als deswegen abgeändert worden, weil man sagte, sie sei allzu unbestimmt, und glaubte, die neue Fassung sei besser,,5. Es ist jedoch nicht nachvollziehbar, inwiefern die Regelung durch den Wegfall der genannten Einschränkung bestimmter geworden sein soll. Der Preußsche Entwurf beschränkte den Zweck der Untersuchungen auf die Kontrolle der Exekutive. Nach Wegfall dieser Klausel war die Formulierung des Untersuchungsrechts offener, also unbestimmter als zuvor. Einen Antrag von Delbrück-Schultz, die ursprüngliche Fassung der Regierungsvorlage wiederherzustellen, lehnte die Verfassunggebende Deutsche Nationalversammlung ab6 . Der Abgordnete Hausmann sprach sich in der vorangegangenen Debatte dagegen aus, da ansonsten der Beschluß, eine Untersuchungskommission einzusetzen, einem Mißtrauensvotum gegen die Regierung zumindest sehr nahe käme? In dieselbe Richtung ging die Argumentation des Abgeordneten Gröber. Wenn der Staatsgerichtshof aus diesen Äußerungen jedoch in Anlehnung an die Preußsche Mitteilung über den Grund der Änderung seines Entwurfs im Staatenausschuß den Schluß zieht: "Die Ablehnung (des Antrags Delbrück-Schultz) erfolgte auch hier nicht wegen des Inhalts, sondern wegen der Form des Antrags"S, so kann dem nicht zugestimmt werden. Die Verfassunggebende Nationalversammlung hat sich bewußt für ein Untersuchungsrecht entschieden, das über das des § 52 im ursprünglichen Preußschen Entwurf hinausgeht. Nach Streichung der Klausel, die das Enqueterecht auf die Kontrolle der Exekutive beschränken sollte, waren sowohl Gesetzgebungsenqueten unabhängig von jedweder Regierungskontrolle als auch Untersuchungen im privaten Bereich prinzipiell möglich. Daß sich die Verfassunggebende Deutsche Nationalversammlung darüber durchaus im klaren war, ergibt sich auch aus den Debattenbeiträgen. Der bereits erwähnte Abgordnete Gröber sah die Hauptbedeutung der Tätigkeit von Untersuchungsausschüssen in der Vorbereitung von Gesetzgebungsaktionen. Er hielt es nicht für nötig, daß Vorwürfe gegen die Regierung zu erheben sind, und wendet sich damit aus inhaltlichen Gründen, gegen den Antrag Delbrück-Schultz9 • Auch der Abgeordnete Schultz sieht wesentliche Unterschiede zwischen dem ursprünglichen Preußschen Entwurf von § 52 und dem nach den Änderungen durch den Staatenausschuß der Verfassunggebenden Nationalversammlung vorgelegten 5 Verhandlungen der Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung, Anlage zu den Steno Ber., Aktenstück Nr. 391, S. 265. 6 Aktenstück Nr. 391, S. 264, 266, Antrag 149. 7 Aktenstück Nr. 391, S. 265. 8 Entscheidungen des Staatsgerichtshofs v. 12. 1. 1922, RGZ 104, Anhang, S. 423 ff., 429. 9 Verhandlungen der Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung, Anlage zu den Steno Ber., Aktenstück Nr. 391, S. 265.
1. Die Entstehung des Enqueterechts der Weimarer Republik
33
Entwurf eines Artikels 55. Er kritisiert, daß nach letzterem nahezu jedes Ereignis Thema einer parlamentarischen Untersuchung werden kann,lo und setzt sich für einen gemeinsam mit dem Abgeordneten Delbrück eingebrachten Antrag ein, die ursprüngliche engere Fassung wiederherzustellen. Für den Fall, daß sich dafür keine Mehrheit in der Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung finden würde, beantragte Schultz hilfsweise, das Untersuchungsrecht ausdrücklich auf Tatsachen zu beschränken, "welche das öffentliche Interesse berühren"Y Auch über diesen Vorschlag wurde debattiert. Der Abgeordnete Dr. Cohn hielt eine solche Regelung für überflüssig, da es für ihn selbstverständlich war, daß parlamentarische Enqueten nur mit Angelegenheiten von öffentlichem Interesse befaßt werden dürfen. Reichsinnenminister Dr. Preuß hielt den Begriff des "öffentlichen Interesses" nicht für geeignet, um das Untersuchungsrecht einzuschränken. Er forderte die Abgeordneten auf, wenn sie das Untersuchungsrecht spezifizieren wollten, dies durch die Annahme des Antrags Delbrück-Schultz zu tun 12 . Die Verfassunggebende Deutsche Nationalversammlung hat jedoch nicht nur den Antrag Delbrück-Schultz Nr. 149, sondern auch den Antrag Schultz Nr. 156 abgelehnt. Sie war sich dabei durchaus bewußt, daß es nicht nur um Form- oder Formulierungsfragen ging, sondern um das inhaltliche Problem, ob und gegebenenfalls wie das parlamentarische Enqueterecht eingeschränkt werden sollte. Sie hat sich gegen eine Einschränkung entschieden. Aus der Entstehungsgeschichte des schließlich im Art. 34 WRV normierten Untersuchungsrechts der ersten deutschen Republik läßt sich keine Beschränkung auf den öffentlichen Bereich herleiten. Nahezu alle Einzelstaaten des Reiches entschlossen sich im Zuge der Gründung der Weimarer Republik zur Einführung eines wirksamen parlamentarischen Untersuchungsrechts. Ihre Normierungen orientierten sich dabei eng an Art. 34 WRY. Diese Vorschrift war auch Vorbild für die Regelung von Art. 44 GG. Die Abweichungen gegenüber dem Recht der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse nach der Weimarer Verfassung sind nicht grundsätzlicher Art und ergeben keine Änderungen im Hinblick auf Enqueten im privaten Bereich. Im Herrenchiemseer Verfassungskonvent fand der Vorschlag, die Möglichkeit der Einsetzung von Untersuchungsausschüssen auf den Zweck der Gesetzesvorbereitung und der Exekutivkontrolle zu beschränken, keine Mehrheit 13 • Das Untersuchungsrecht der Bundesländer entspricht auch heute in den wesentlichen Punkten dem des Bundes. Aktenstück Nr. 391, S. 264. Antrag Nr. 156. 12 Aktenstück Nr. 391, S. 265. 13 Bericht des Verfassungsausschusses der Ministerpräsidenten-Konferenz der Westlichen Besatzungszonen, Darstellender Teil, S. 36 f., zitiert nach BVerfGE 77, 1 ff., 45 f.; vgl. ferner zum Herrenchiemseer Verfassungskonvent Studenroth, S. 117 f. und Meyer-Bohl, Die Grenzen der Pflicht zur Aktenvorlage und Aussage vor parlamentarischen Untersuchungsausschüssen, Berlin 1992, S. 59 f. 10 II
3 Köhler
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II. Entwicklung und Funktion des Untersuchungsrechts
2. Privatgerichtete Enqueten zur Zeit der Weimarer Republik a) Der Untersuchungsausschuß "Mont Cenis" Bereits der erste Reichstag hat in seiner 120. Sitzung am 22. 6. 1921 14 einen Untersuchungsausschuß zur Klärung von Mißständen unmittelbar im privaten Unternehmensbereich eingesetzt l5 . Er sollte ein Massenunglück in der privaten Kohlenzeche Mont Cenis untersuchen. Die Konstituierung der Enquete ging zurück auf einen Antrag der USPD I6 . Der Reichstag hat das Grubenunglück als solches und das Für und Wider eines Untersuchungsausschusses zu diesem Thema ausführlich diskutiert 17. Grundsätzliche Bedenken gegen die Zulässigkeit parlamentarischer Untersuchungen im privaten Bereich hat dabei keine Seite vorgebracht. Demgegenüber plädierten einige Redner dafür, die Aufklärung des Unglücks nicht ausschließlich der Bergbehörde zu überlassen, da ja möglicherweise auch Mißstände in ihrem Verantwortungsbereich mit zu dem Unglück geführt haben könnten. Sie sprechen sich daher dafür aus, das Unglück durch einen unabhängigen parlamentarischen Untersuchungsausschuß aufklären zu lassen l8 . Aus ihren Äußerungen wird deutlich, daß der Ausschuß nicht nur Mißstände im privaten Bereich, sondern auch im öffentlichen Bereich der Bergbehörde untersuchen sollte. Aus den stenographischen Berichten der Reichstagsdebatte vom 2. 7. 1921 ergibt sich jedoch, daß gewisse Zweifel an der Zulässigkeit des Ausschusses aus bundesstaatlicher Sicht durchaus bestanden. Die Bergaufsicht oblag den Ländern, während das Reich lediglich die Zuständigkeit zum Erlaß von Arbeiterschutzgesetzen hatte. Der Hauptausschuß des Preußischen Landtags hat sich denn auch darüber empört, daß "man bei der Untersuchung die Bergbehörde nicht zulassen wollte" 19. Der Abgeordnete Janschek war jedoch der Ansicht, daß es das "gute Recht" des Reichstages war, sie an der Untersuchung nicht zu beteiligen2o• Der Bericht des Ausschusses21 besteht aus einer Schilderung der Ursachen des Grubenunglücks 22 und aus einem Antrag an den Reichstag, einen Beschluß zu treffen, wonach die Regierung ersucht wird, in einigen Punkten tätig zu werden. Ausdrücklich empfiehlt der Ausschuß die baldige Einbringung eines ReichsberggesetSteno Ber., S. 4073 ff. Steno Ber., S. 4081. 16 Ursprünglicher Antrag Steno Ber., S. 4073, durch den Reichstagspräsidenten präzisierter Antrag Steno Ber., S. 4076. 17 Steno Ber., S. 4073 ff., 129. Sitzung, 2. 7. 1921, Steno Ber., S. 4298 ff. lB Abgeordneter Rosemann für die Antragsteller, 120. Sitzung, 22. 6. 1921, Steno Ber., S. 4073; Abgeordneter Hue, S. 4074. 19 Darüber berichtet der Abgeordnete Janscheck, 129. Sitzung, 2. 7. 1921, Steno Ber., S.4325. 20 Steno Ber., S. 4326. 21 Reichstag, 1. Wahlperiode, Aktenstück Nr. 4857. 22 Aktenstück Nr. 4857, Anlage. 14
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2. Privatgerichtete Enqueten zur Zeit der Weimarer Republik
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zes. Wenn dies auch aus dem Untersuchungs auftrag nicht hervorgeht, hat es der Ausschuß dennoch wohl selbstverständlich als seine Aufgabe verstanden, Empfehlungen, u. a. auch zur Gesetzgebung, zu geben.
b) Der Ausschuß zur Aufldärung des Massenunglücks in Oppau Bereits gut drei Monate nach Einsetzung des Untersuchungsausschusses zu den Ereignissen auf der Zeche Mont Cenis beschloß der Reichstag am 28. 9. 1921 erneut die Einsetzung eines Ausschusses nach Art. 34 WRV zur Aufklärung eines Massenunglücks 23 . Vorausgegangen war die Explosion eines Lagers von Ammonsulfatsalpeter im Oppauer Werk der Badischen Anilin- und Sodafabrik. Es handelte sich dabei um ein Unglück ungeheuren Ausmaßes. Der Abgeordnete Hofmann sprach von über 500 Toten und über 1000 Verletzten, darunter viele Erblindete 24 . Er schilderte aber auch die Not der Überlebenden in der ursprünglich 7500 Einwohner zählenden Gemeinde Oppau. Nach ersten Untersuchungen waren 63 % aller Baulichkeiten des Ortes, in dem überwiegend Arbeiter wohnten, vollständig zerstört und nicht wieder aufbaufähig. Auch von den übrigen Gebäuden konnten überwiegend nur Grund- und Giebelmauern beim Aufbau wiederverwendet werden. Lediglich ca. 1 bis 2 % der Wohnungen in Oppau gelten als minderbeschädigt, beschädigt nur insofern, als sie die Türen und die Fenster und zum Teil die Dächer verloren haben. Sogar die umliegenden Städte und Gemeinden Ludwigshafen, Mannheim, Frankenthai und Oggersheim wiesen "enorme" Schäden auf25 . Die Badische Anilin- und Sodafabrik erzeugte in ihrem Oppauer Werk Düngemittel für die Landwirtschaft. Die Düngung mit Stickstoff war sehr wichtig für die Ernährung der deutschen Bevölkerung nach dem 1. Weltkrieg 26 . Explodiert war in Oppau ein Lager von ca. 4500 t Ammonsulfatsalpeter. Dieses damals neuartige Düngesalz galt bis dahin auch unter Chemikern als nicht explosibel. Man hatte deshalb seit Jahren bei der Leerung der Speicher festgewordene Salzblöcke gesprengt27 . Eine solche Sprengung könnte dennoch Auslöser der Explosion gewesen sein 28 . Die Chemisch-Technische Reichsanstalt hat nach dem Unglück sofort Versuche mit dem Salz durchgeführt und kam zu dem Ergebnis, "daß das Doppelsalz in der Tat zur Explosion gebracht werden kann, aber nur unter Anwendung außerordentlich starker Initialzündungen, wie kräftige Sprengkapseln zusammen mit größeren Sprengstoffmengen,,29. Reichstag, 1. Wahlperiode, 135. Sitzung, Steno Ber., S. 4593 ff., S. 4616. Steno Ber., S. 4600. 25 Steno Ber., S. 4601. 26 Vgl. Dietrich, Abgeordneter des Deutschen Reichstages, Steno Ber., S. 4610. 27 Antwort des Reichsarbeitsministers Dr. Brauns auf eine Interpellation, Steno Ber., S.4597. 28 Steno Ber., S. 4599. 23
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II. Entwicklung und Funktion des Untersuchungsrechts
Abgeordnete der linksgerichteten Parteien machten auch die kapitalistischen Produktionsmethoden und die darin immanenten ständigen Bemühungen zur Steigerung der Produktivität für das Unglück mitverantwortlich 3o . Sie berichteten von ihren Gesprächen mit Arbeitern, wonach das Werk die Produktion mit verschiedenen Methoden fortwährend gesteigert hat, was auch zu Lasten der Arbeitssicherheit gegangen sei. Die Abgeordneten Brey und Remmele vermuteten, daß der Versuch einer "Rekordsprengung,,31 mit stärkerem Sprengstoff zu dem Unglück geführt hatte. Am Ende der Reichstagsdebatte, in der Möglichkeiten des Unglückshergangs genauso zur Sprache kamen wie verschiedene Alternativen zur Aufklärung der Katastrophe, setzte der Reichstag schließlich entsprechend dem Antrag Agnes vom 27. 9. 1921 32 einen Untersuchungsausschuß zur Feststellung der Ursachen des Massenunglücks in Oppau ein 33 . Auf die bundesstaatliche Problematik bei der Einsetzung eines solchen Ausschusses wies der Abgeordnete der Bayerischen Volkspartei, Schwarzer, hin 34 . Er sprach sich gegen die Durchführung einer Enquete auf Reichsebene aus, da der Bayerische Landtag zu diesem Zeitpunkt bereits einen entsprechenden Ausschuß eingesetzt hatte. Für den Fall, daß der Reichstag trotz dieser bereits bestehenden Enquete auf Landesebene einen eigenen Untersuchungsausschuß einsetzen würde, hielt der Abgeordnete es für erforderlich, den Reichstagsausschuß im Untersuchungsauftrag ausdrücklich zur Zusammenarbeit mit dem Ausschuß des Bayerischen Landtags zu verpflichten. Ein entsprechender Zusatzantrag des Abgeordneten Schwarzer zum Untersuchungsantrag fand jedoch im Reichstag keine Mehrheit 35 . Der Deutsche Demokrat Dr. Petersen sprach sich für seine Partei gegen den Zusatzantrag "Schwarzer" aus. Er wies darauf hin, daß seine Fraktion nicht etwa gegen eine tatsächliche Zusammenarbeit der Ausschüsse sei. Die Deutschen Demokraten hielten es jedoch für bedenklich, "einen Reichstagsausschuß gesetzlich durch einen Beschluß an die Zusammenarbeit mit einem Landtagsausschuß zu binden,,36.
29 Gutachten über die Eigenschaften des in Oppau zur Explosion gekornrnenen Arnrnonsulfatsalpeters, erstellt von der Chemisch-Technischen Reichsanstalt, zitiert nach Reichsarbeitsminister Dr. Brauns, Steno Ber., S. 4598. 30 Brey, Steno Ber., S. 4595 f.; Schwarz, Steno Ber., S. 4605 f., Remmele, Steno Ber., S. 4612 ff. 31 Brey, Steno Ber., S. 4596, vgl. Remmele, Steno Ber., S. 4596. 32 Reichstag, I. Wahlperiode, Drucks. Nr. 2706. 33 Steno Ber., S. 4616. 34 Steno Ber., S. 4611. 35 Steno Ber., S. 4616. 36 Steno Ber., S. 4616.
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c) Die "Barmat"-Untersuchungsausschüsse
Der dritte Reichstag setzte in seiner 4. Sitzung am 9. 1. 1925 entsprechend einem Antrag "Schiele und Genossen,m der DNVP einen Untersuchungsausschuß ein 38 , dessen Thema auch den privaten Bereich berührte. Die Enquete sollte überprüfen, ob es im Zusammenhang mit der Gewährung von Krediten aus öffentlichen Mitteln an die Konzerne Kutisker, Barmat und Michael zu Unregelmäßigkeiten gekommen war und wer gegebenenfalls die Verantwortung dafür trug. Zum selben Themenkomplex setzte der zweite Preußische Landtag in seiner Sitzung vom 16. 1. 1925 ebenfalls einen parlamentarischen Untersuchungsausschuß ein 39 . Auch die Einsetzung dieses Ausschusses ging auf einen Antrag der Deutschnationalen4o zurück. Die Untersuchung sollte danach klären, inwieweit "politische Momente" oder "unlautere Beeinflussungen" für die Kreditvergabe von Bedeutung waren und ob sich Personen des öffentlichen Lebens oder Beamte in diesem Zusammenhang Vorteile verschafft hatten. In dieser Angelegenheit beantragte im Preußischen Landtag jedoch nicht nur die äußerste Rechte, sondern auch die extreme Linke Aufklärung durch einen Untersuchungsausschuß. Der Einsetzungsantrag der KPD war äußerst aggressiv und propagandistisch formuliert und verlangte u. a. die Untersuchung der Beziehungen von Politikern der SPD und des Zentrums zu den "Schieberkonzernen" und die "Aufdeckung des gesamten Korruptionssumpfes". Der Abgeordnete Pieck forderte darin für seine Partei kein rein parlamentarisches Gremium, sondern einen "proletarischen Untersuchungsausschuß", der sich aus Arbeiter- und Angestelltenräten zusammensetzen sollte41. Neben dem Reichstag und dem Preußischen Landtag setzte auch der Sächsische Landtag einen parlamentarischen Untersuchungsausschuß in dieser Angelegenheit ein 42 • Untersuchungsausschüsse dienen nicht nur der objektiven Sachverhaltsaufklärung durch das Parlament, sondern sind auch Mittel des politischen Kampfes. Von Fall zu Fall steht mehr das eine oder das andere im Vordergrund. Die genannten Ausschüsse des Jahres 1925 dienten in erster Linie der politischen Agitation der extremen Parteien sowohl von links als auch von rechts. Dabei ging es nicht nur um die Aufdeckung eventueller Mißstände beim politischen Gegner, sondern es sollte darüber hinaus das politische System von Weimar, die Demokratie, getroffen werden. Im Jahre 1925 fanden auf Reichsebene zum zweiten Mal Präsidentenwah37
Drucks. Nr. 68.
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Steno Ber., S. 55. Preuß. Landtag, 2. Wahlperiode, Steno Ber., S. 101 f. Preuß. Landtag, 2. Wahlperiode, Drucks. Nr. 58. 2. Wahlperiode, Drucks. Nr. 83. Steffani, S. 178, Fn. 3.
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II. Entwicklung und Funktion des Untersuchungsrechts
len statt. Die Weimarer Verfassung stattete dieses Amt mit weitgehenden Machtbefugnissen aus. Sowohl im Reich als auch in Preußen standen daneben Regierungsbildungen nach den Wahlen vom Dezember 1924 an. Wirtschaftlicher Hintergrund der Affäre waren Kreditschwierigkeiten, in die die genannten Konzerne geraten waren. Sie hatten, wie auch andere und bedeutendere Unternehmensgruppen, in der Inflationszeit zu stark expandiert, was bei ihnen zu Zeiten der mit der Währungsreform einhergehenden Deflation zu finanziellen Schwierigkeiten führte. Bei den Barmat-Unternehmen handelte es sich um einen kleineren Konzern. Er erhielt während der Inflationszeit zunächst von der Preußischen Staatsbank, später indirekt von der Reichspost Millionenkredite. Der Konzern galt als kreditsicher, kam jedoch Ende 1924 in finanzielle Schwierigkeiten, die sich dadurch verstärkten, daß Kreditverlängerungen versagt wurden. Nachdem die Öffentlichkeit auf die Vorgänge bei der Unternehmensgruppe aufmerksam wurde, schaltete sich die Staatsanwaltschaft ein und verhaftete schließlich am 31. 12. 1924 Julius Barmat und sämtliche Generaldirektoren des Konzerns. Die in wirtschaftliche Schwierigkeiten geratene Unternehmensgruppe stand danach ohne Leitung da und brach mit einer Schuldenlast von ca. 10 Millionen Mark zusammen43 . Der Zentrumsabgeordnete Schwering vertrat im preußischen Ausschuß die Meinung, daß die Verhaftungen den Niedergang des Unternehmens "wesentlich beschleunigt" hätten und in einer vergleichbaren Situation der sich in ähnlichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten befindende Stinnes-Konzern wahrscheinlich auch zusammengebrochen wäre. Barmat war Ausländer, und seine Verhaftung war deshalb nicht so riskant44 . Zusammenfassend läßt sich sagen, daß mit den Barmat-Unternehmen ein kleinerer Konzern, der Staatskredite erhalten hatte, in wirtschaftlich schwierigen Zeiten zusammengebrochen war. Unabhängig davon, inwiefern fehlerhaftes Management zu dem Bankrott geführt hat, handelt es sich hierbei um einen marktwirtschaftlich alltäglichen Vorgang ohne besondere volkswirtschaftliche Brisanz. Daß hier, wie Steffani es nennt, "zweitrangige Vorgänge,,45 propagandistisch zu einem Skandal hochstilisiert wurden, der an die Substanz der Republik ging, hängt damit zusammen, daß der Barmat-Konzern besonders den Deutschnationalen Angriffspunkte bot, die genau in ihr rechtsextremes Weltbild und ihre Argumentationsmuster paßten. Die Barmats waren, wie bereits erwähnt, Ausländer und dazu noch Ostjuden. Der Firmenchef Julius Barmat war holländischer Sozialdemokrat und verfügte über umfangreiche Kontakte zu führenden deutschen Sozialdemokraten, bei denen es sich um Repräsentanten der Weimarer Republik handelte. Steffani. S. 170. 52. Sitzung des Preuß. Untersuchungsausschusses, 2. Wahlperiode, Drucks. Nr. 1480, S. 2968 f. 45 Steffani, S. 184. 43
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2. Privatgerichtete Enqueten zur Zeit der Weimarer Republik
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Die DNVP und die ihr nahestehende Presse führte seit langem eine Hetzkampagne gegen den sozialdemokratischen Reichspräsidenten Ebert. Die Untersuchungsausschüsse sollten auch dazu dienen, die Angriffe gegen den Reichspräsidenten fortzusetzen. Anknüpfungspunkt dafür bildete lediglich eine Bleistiftnotiz Eberts auf einem Telegramm Barmats, in dem dieser sich um die Erteilung eines Dauervisums bemühte. Weder der preußische Untersuchungsausschuß 46 noch der des Reichtstages konnten Ebert jedoch irgendwelche Vorwürfe machen. Der Reichstagsausschuß veröffentlichte am Ende der dritten Wahlperiode unter der Überschrift ,,Mündlicher Teilbericht" eine Erklärung, die ausschließlich Ebert betraf. Diese lautete: " ... 2. Der 19. Ausschuß stellt hinsichtlich dieser (die Ebert betreffenden) Fragen fest: Die gegen den verstorbenen Reichspräsidenten erhobenen Vorwürfe haben sich als unbegründet erwiesen. - Das Verhalten des Reichspräsidenten Ebert gegenüber Julius Barmat und dessen Familienangehörigen war völlig einwandfrei. Berlin, den 24. März 1928".47
Vor diesem Hintergrund fällt es nicht schwer, sich vorzustellen, was es für eine Privatperson oder eine private Firmengruppe bedeutet, Untersuchungen in einem derart hochpolitischen Verfahren über sich ergehen zu lassen. Sowohl der Reichstag als auch der preußische Ausschuß untersuchten schwerpunktmäßig die Vorgänge bei den Barmats, obwohl nach dem Untersuchungsauftrag die Geschehnisse bei den Konzernen Michael und Kutisker in gleicher Weise hinterfragt werden sollten. Aus den "Untersuchungsausschüssen Staatskredite" wurden die "Barmat-Ausschüsse". Dabei bot zumindest der Fall Kutisker nicht weniger Angriffspunkte als der Fall Barmat. Für die politische Auseinandersetzung im preußischen Ausschuß waren aber Barmats Empfehlungsschreiben führender Sozialdemokraten interessanter als Kutiskers skrupellose Bestechung von Beamten der Staatsbank48 . Im Mittelpunkt der Ausschußuntersuchungen standen Barmats Beziehungen zu prominenten Sozialdemokraten, und zwar auch, sofern diese in keinerlei Zusammenhang mit der Kreditgewährung durch die Staatsbank standen. Barmats "allgemeine Beziehungen,,49 zu demokratischen deutschen Politikern hat der Ausschuß auf Initiative der Deutschnationalen teilweise bis ins Detail ausgeforscht. Es ging dabei genauso um parteipolitische wie um persönliche Kontakte zu diesem Personenkreis. Wie sehr der Untersuchungsausschuß des preußischen Landtages den durch den Untersuchungsauftrag vorgezeichneten Themenkreis außer acht ließ, zeigt eine Äußerung des preußischen Abgeordneten Dr. v. Waldthausen. Als die Ausschußmitglieder in der 26. Sitzung erörterten, ob ein Teilbericht erstattet werden sollte, äußerte v. Waldthausen als Berichterstatter, daß er bisher "über die Staatsbank kaum etwas zu 46 Abschlußbericht, Preuß. Landtag, 2. Wahlperiode, Drucks. Nr. 1480, S. 3057-3061. 47 Reichstag, 3. Wahlperiode, Drucks. Nr.4161. 48 Steffani, S. 174. 49 Steffani, S. 174.
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II. Entwicklung und Funktion des Untersuchungsrechts
sagen"SO hätte. Die Ausforschung von Bannats Beziehungen zu Politikern der Sozialdemokratie diente nicht mehr der Untersuchung von Unregelmäßigkeiten bei der Vergabe von Krediten durch die Staatsbank, sondern war agitatorischer Selbstzweck. Einige Abgeordnete betrieben in öffentlichen Sitzungen eine detaillierte Erforschung des Lebenswandels prominenter Zeugen. Der AbschlußberichtSl des preußischen Untersuchungsausschusses spiegelt wider, daß es sich hier nicht um einen "Untersuchungsausschuß Staatskredite", sondern um den "Bannat-Ausschuß" handelte. Ca. 80 % des Berichts befassen sich mit dem Fall Bannat. Die darin erhobenen Vorwürfe gegen Personen des öffentlichen Lebens fallen eher banal aus. Dem Abgeordneten Heilmann und dem Reichskanzler a.D. Bauer wird jeweils in einem Fall unvorsichtiges Verhalten vorgeworfen. Polizeipräsident Richter wird vorgehalten, sich bei seinem privaten, freundschaftlichen Verkehr mit Julius Bannat nicht die erforderliche Zurückhaltung auferlegt zu haben. Die Ausschußmitglieder setzten sich im Abschlußbericht für eine gesetzliche Neuregelung der Organisation der Staatsbank ein. Insofern lag also auch eine Gesetzesenquete vor. In erster Linie handelte es sich jedoch, wie bereits erwähnt, um eine politisch-propagandistische Enquete. Im Zusammenhang damit wies die Untersuchung Elemente einer Kollegialenquete und einer Mißstandsenquete im öffentlichen und stärker noch im privaten Bereich auf. Dabei handelte es sich aufgrund der umfangreichen Ausforschungen Bannats privater Beziehungen zu sozialdemokraschen Politikern zumindest im gleichen Maße um eine Individualenquete wie um eine private Unternehmensenquete. Obwohl der Ausschuß keine Verfehlungen im zuvor von den extremen Parteien der Öffentlichkeit glauben gemachten Ausmaß feststellen konnte, kam es bei der Diskussion des Abschlußberichtes im preußischen Landtag erneut zu einer erhitzten Debatte, in der die ganze Affäre nochmals agitatorisch ausgeschlachtet wurdes2 .
3. Privatgerichtete parlamentarische Untersuchungen des Deutschen Bundestages a) Der Untersuchungsausschuß "Überprüfung von Einfuhren"
Der erste Deutsche Bundestag setzte auf Antrag der Bayern-ParteiS3 einen Untersuchungsausschuß nach Art. 44 GG ein, der die bisherigen Einfuhren in das VerPreuß. Landtag, 2. Wahlperiode, Drucks. Nr. 580, S. 1534. Abschlußbericht, Preuß. Landtag, 2. Wahlperiode, Drucks. Nr. 1480, S. 3057-3061. 52 Preuß. Landtag, 2. Wahlperiode, Steno Ber. v. 11. u. 12. 11. 1925, S. 6260-6313, 63226330,6363-6399. 53 Einsetzungsantrag, BTDS I/381; Abschlußbericht, BTDS I/ 1596. 50 51
3. Privatgerichtete Untersuchungen des Deutschen Bundestages
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eInigte Wirtschaftsgebiet und in die Bundesrepublik Deutschland überprüfen sollte. Entsprechend den damaligen Beschränkungen des deutschen Außenhandels wirkte bei den Importen eine staatliche Behörde, die Außenhandelsstelle, mit. Die Auswahl der Firmen, die an diesen Geschäften zu beteiligen waren, erfolgte auf Vorschlag der regionalen Wirtschaftsverbände über die Wirtschaftsministerien der Länder. Die Außenhandels stelle hatte darauf zu achten, daß sie an den Importen alle Firmen beteiligte, die einen Anspruch darauf hatten. Sofern die Behörde von den ihr unterbreiteten Vorschlägen der Wirtschaftsverbände abwich, mußte dies unter objektiven und sachgerechten Kriterien erfOlgen54 . Der Ausschuß hatte Vorwürfe zu klären, wonach behördliche Mitarbeiter einige Firmen, z. B. aufgrund persönlicher Beziehungen, bevorzugten und andere benachteiligten. Weiterhin waren Behauptungen zu überprüfen, die aussagten, daß die Außenhandelsstelle aufgrund der Herkunft ihrer Mitarbeiter den norddeutschen Handel gegenüber dem süddeutschen vorzog 55 . Der Ausschuß kam zu dem Ergebnis, daß die Vorwürfe unberechtigt waren 56 . Der Ausschuß sollte in erster Linie der Ermittlung von Mißständen im Bereich der Außenhandelsstelle dienen. Enqueten, die sich mit der Überprüfung eventueller Unregelmäßigkeiten bei der Auftragsvergabe durch staatliche Stellen befassen, müssen jedoch zwangsläufig als Annex die u. U. bevorzugten oder benachteiligten Firmen in ihre Untersuchung mit einbeziehen.
b) Der Untersuchungsausschuß "Kraftstoffvertrieb"
Auf Antrag der SPD-Fraktion57 beschloß der erste Deutsche Bundestag in seiner 37. Sitzung vom 10. 2. 1950 die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses "Kraftstoffvertrieb". Der Ausschuß sollte sich mit den bestehenden wirtschaftlichen und organisatorischen Verhältnissen auf diesem Gebiet befassen. Nach dem Untersuchungsauftrag war u. a. zu klären, welche Umstände für die Kraftstoffpreise von Bedeutung waren, was für Abgaben darauf in Betracht kamen und wem die am 1. 1. 1950 eingetretene Erhöhung der Kraftstoffpreise zugute gekommen war. Die Enquete befaßte sich insbesondere mit dem Unternehmen ,,zentralbüro für Mineralöl GmbH". Dieses führte Z.Z. der Bewirtschaftung von Treibstoffen in Deutschland dessen Einkauf und Verteilung für die Arbeitsgemeinschaft Mineralölverteilung durch. In letzterer waren die Firmen des Mineralölhandels zusammengefaßt5s . Zentrales Thema des Berichts waren die Auswirkungen der Änderung ab54 55
56 57
58
AbschluBbericht, Abschlußbericht, Abschlußbericht, BTDS 1/541. Abschlußbericht,
S. 13, 15. S. 10 f. S. 19 f. BTDS I/4675, S. 1.
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H. Entwicklung und Funktion des Untersuchungsrechts
gabenrechtlicher Vorschriften und die Kosten des Vertriebssystems59 . Bei diesem Ausschuß handelte es sich in erster Linie um eine privatgerichtete Sachstandsenquete.
c) Der Untersuchungsausschuß "Bonner Bauten"
Auch der dritte Untersuchungsausschuß des ersten Deutschen Bundestages berührte den privaten Unternehmensbereich. Das Parlament setzte ihn am 2. 3. 1950 auf Antrag der SPD-Fraktion60 ein. Er sollte die im Raum Bonn vergebenen Aufträge untersuchen. Es ging dabei um Baumaßnahmen des Bundes zur Errichtung von Bauten für die Unterbringung von Bundesorgangen61 und für die Besatzungsmacht62 . Auch die Bestellungen und Lieferungen der Einrichtungsgegenstände hat der Ausschuß überprüft. Nach dem Untersuchungsauftrag sollten u. a. die Grundsätze der Auftragsvergabe kontrolliert werden. In diesem Zusammenhang ging es auch um die Klärung der Frage, inwiefern Auftragserteilungen durch unzuständige Stellen erfolgt waren. Den privaten Unternehmensbereich betrafen vor allem die Ziffern 3 bis 5 des Untersuchungsauftrages. Danach war zu überprüfen, welche Vorkehrungen getroffen wurden, um Überforderungen durch Lieferanten zu vermeiden, ob es zu Überforderungen gekommen ist und ob einzelne Interessenten, Interessentenkreise oder bestimmte Gebietsteile einseitig bevorzugt wurden. Der Ausschuß kommt zu dem Ergebnis, daß die Vorkehrungen zur Vermeidung von Überforderungen nicht ausreichend waren. Insbesondere waren Kalkulationsprüfungen nicht im erforderlichen Umfang durchgeführt worden63 . Der erste Bericht erwähnt, daß eine Lieferung von Einrichtungsgegenständen der Firma Telkamphaus aus Heidelberg für das Bundespresse- und Informationsamt "nicht unerheblich überteuert" war64 • Abgesehen von einer gewissen Bevorzugung der Bauwirtschaft des Raumes Bonn stellt der Ausschuß hinsichtlich der Bauten für die Bundesorgane keine Bevorzugung einzelner Interessenten oder Interessentenkreise fest. Der zweite Bericht, der sich mit Baumaßnahmen für die Besatzungsmacht einschließlich der Beschaffung von Einrichtungsgegenständen befaßt, bemängelt, daß der Wettbewerb teilweise unzureichend war. Dadurch sind bestimmte Firmen aus der Umgebung Bonns und aus anderen Teilen des Landes Nordrhein-Westfalen nicht unerheblich 59
60 61
62 63
64
Abschlußbericht, S. 1 ff. Einsetzungsantrag v. 7. 2. 1950, BTDS 1/523. l. Bericht, BTDS 1/2275. 2. Bericht, BTDS 1/3626. 1. Bericht, S. 19 Ziffer 3 f.; 2. Bericht, S. 13 Ziffer 4.
S.9.
3. Privatgerichtete Untersuchungen des Deutschen Bundestages
43
bevorzugt worden. Als Beispiel dafür wird in der Zusammenfassung der Ergebnisse eine Firma Schlüter erwähnt65 . Bei diesem Ausschuß handelte es sich in erster Linie um eine Mißstandsenquete im öffentlichen Bereich. Die Kontrolle privater Unternehmen war ein Annex dazu. d) Der Untersuchungsausschuß "Zeche Dahlbusch" Am 22. 6. 1950 nahm der Deutsche Bundestag ein Grubenunglück in der nordrhein-westfälischen Schachtanlage Dahlbusch vom 20.5. 1950, das über 70 Todesopfer forderte, zum Anlaß, einen parlamentarischen Untersuchungsausschuß mit dieser Angelegenheit zu befassen. Die Einsetzung erfolgte aufgrund eines Antrags der KPD-Fraktion66 und eines dazu gestellten Änderungsantrags der SPD-Fraktion67 • Wahrend ersterer sich direkt auf die Klärung der Ursachen für die Grubenkatastrophe und somit auch auf Mißstände im privaten Unternehmensbereich bezog, war letzterer als Gesetzgebungsenquete formuliert. Der SPD-Abgeordnete Dr. Nölting begründete dies vor dem Deutschen Bundestag damit, daß auf Bundesebene lediglich die eventuelle Notwendigkeit der Änderung oder Neuschaffung von Bundesgesetzen nachgeprüft werden kann, während die Überwachung des Bergbaus den zuständigen Bergbehörden der Länder obliegt 68 . Er wandte sich weiterhin gegen die von der KPD-Fraktion beantragte gleichberechtigte Ausschußmitgliedschaft von Beauftragten der IG Bergbau und Mitgliedern des Betriebsrats der Zeche Dahlbusch und verwies in diesem Zusammenhang auf die Möglichkeit der Anhörung von Zeugen und Sachverständigen. Der Bundestagsuntersuchungsausschuß ,,zeche Dahlbusch" hat nach nur drei Sitzungen seine Tatigkeit ohne ersichtlichen Grund eingestellt69 . e) Der "Fibag"-Untersuchungsausschuß In der 4. Wahlperiode des Deutschen Bundestages kam es zur Einsetzung des Fibag-Untersuchungsausschusses7o . Der Ausschuß sollte u. a. aufklären, inwieweit sich der damalige Verteidigungsminister Strauß bei der Vergabe von Aufträgen für eine Privatperson bzw. für eine private Interessentengruppe eingesetzt hatte und ob sein Handeln insofern korrekt war7l . Der Untersuchungsauftrag bezog sich vom 65
S. 13 Ziffer 5.
BTDS I/980. 67 BTDS I/1068. 68 Bundestag, 1. Wahlperiode, Sitzung v. 22. 6. 1950, Steno Ber., S. 2582. 69 Partsch, Gutachten zum 45. DIT, S. 169. 70 Bundestag, 4. Wahlperiode, Sitzung v. 21. 3. 1962, Steno Ber., S. 773 D -774 A. 71 Einsetzungsantrag der SPD-Fraktion V. 13.3. 1962, BTDS IV1247. 66
44
II. Entwicklung und Funktion des Untersuchungsrechts
Wortlaut her in erster Linie auf das Verhalten des Bundesministers der Verteidigung. Die Begründung des Antrags 72 durch den SPD-Abgeordneten lahn zeigt, daß die Intention der Opposition darin bestand, eventuelle Mißstände dort aufzudecken. Auch der Ausschuß sah seine Aufgabe darin, eine Mißstandsenquete gegenüber Bundesminister Strauß durchzuführen73 . Die Beantwortung der aufgeworfenen Fragen machte jedoch umfangreiche Ermittlungen im privaten Bereich erforderlich. So war die fachliche Qualifikation des zu öffentlichen Aufträgen herangezogenen Herrn Schloß zu beurteilen. Weiterhin waren nicht nur die Vorschläge einer privaten Interessentengruppe für die Errichtung von Wohnungen für die USStreitkräfte Thema des Ausschusses, sondern darüber hinaus Einzelheiten über die geplante Gründung einer Aktiengesellschaft namens "Fibag". Der erste schriftliche Bericht des Ausschusses befaßt sich in weiten Bereichen mit der Person des Herrn Schloß74 . Dort wird u. a. auf seinen beruflichen Werdegang, auf Aktivitäten zur Anbahnung von Geschäftsbeziehungen zu Behörden und auf sein Auftreten eingegangen. Er war nach Meinung des Ausschusses nicht befugt, die Berufsbezeichnung "Architekt" zu führen 75 . Abgesehen davon bestand hinsichtlich der Einschätzung der fachlichen Fähigkeiten von Herrn Schloß keine Einigkeit zwischen Mehrheit76 und Minderheit77 im Ausschuß. Er durfte, auch ohne zur Führung des Titels "Architekt" berechtigt zu sein, Baupläne ausarbeiten und einreichen. Obwohl die Intention des Ausschusses überwiegend darin zu sehen war, eine Kontrollenquete gegenüber dem Minister durchzuführen, weist die Ausschußtätigkeit starke Elemente einer Mißstandsenquete im privaten Bereich auf. Letztere ist hinsichtlich der umfangreichen Ermittlungen zu der Person Schloß nicht nur als private Unternehmensenquete, sondern darüber hinaus als Individualenquete zu klassifizieren.
o Der Untersuchungsausschuß "Schützenpanzer OS-30" In seiner 5. Wahlperiode setzte der Deutsche Bundestag auf Antrag der sich damals in der Opposition befindenden Fraktion der ED.P. 78 am 16. 3. 1967 den Untersuchungsausschuß "HS-30" ein. Es ging dabei um die Überprüfung eventueller Unregelmäßigkeiten beim Vertragsabschluß und bei der Abwicklung eines Schützenpanzerprojekts. 72 73 74 75
76 77 78
Bundestag, 4. Wahlperiode, Steno Ber., S. 772 f. Schriftlicher Bericht des I. Untersuchungsausschusses, BTDS IV/5l2, S. 12. S. 2 ff.
S.3. S.4. 2. schriftlicher Bericht, BTDS IV /639, S. 6. BTDS V1l468.
3. Privatgerichtete Untersuchungen des Deutschen Bundestages
45
Die Enquete machte umfangreiche Ermittlungen im Bereich privater Firmen der Rüstungsindustrie erforderlich. Dem Untersuchungsauftrag entsprechend war zu überprüfen, ob der Auftrag zum Bau des Panzers HS-30 Firmen übertragen wurde, die in der Durchführung eines solchen Projekts keine Erfahrung hatten und ob darauf wesentliche Mängel konstruktiver oder technischer Art zurückzuführen waren79 . Es ging weiterhin um die Frage einer eventuellen Bezahlung von tatsächlich nicht gelieferten Konstruktionsunterlagen gegenüber einer Firma namens "Hispano-Suiza". Es sollte auch geprüft werden, ob dieses Unternehmen den im Bundestag vertretenen Parteien oder ihnen nahestehenden Organisationen Zuwendungen gemacht hat 8o . Die Untersuchungen im privaten Unternehmensbereich nahmen bei dieser Enquete sowohl vom Umfang als auch von ihrer Bedeutung her eine derart zentrale Stellung ein, daß sie nicht mehr als bloßer Annex der Kontrolle des öffentlichen Bereichs erscheinen 81 . Es handelte sich hier um eine Mißstandsenquete im öffentlichen und im privaten Bereich.
g) Der Untersuchungsausschuß "Pan International"
Am 1. 10. 1971 setzte der Deutsche Bundestag auf Antrag der CDU/CSU-Fraktion 82 den Untersuchungsausschuß "Pan International" ein. Es ging dabei um eine Überprüfung der Aufsichtstätigkeit des Bundesverkehrsministeriums und des Luftfahrtbundesamtes gegenüber diesem Luftfahrtunternehmen. Anlaß für die Einsetzung des Ausschusses war, daß am 6. 9. 1971 eine Maschine der Gesellschaft auf der Autobahn in der Nähe von Hamburg notlanden mußte, wobei 22 Menschen ums Leben kamen. Die Enquete sollte umfangreiche Vorwürfe, die dem Unternehmen gemacht wurden, klären und ergründen, inwiefern Mißstände behördlich bekannt waren. Es ging u. a. um "schwerste Vorwürfe,,83 wegen der Vernachlässigung von Sicherheitsbestimmungen, die ehemals dort beschäftigte Flugbetriebsleiter gegen "Pan International" erhoben hatten. Zu klären war, ob finanzielle Schwierigkeiten des Unternehmens zu einer Vernachlässigung der Wartung von Maschinen geführt hatten und inwiefern sich die Werkstätten in einem Zustand befanden, wie er für eine ordnungsgemäße Durchführung derartiger Arbeiten erforderlich war. Im Rahmen der Enquete sollte auch überprüft werden, ob die vorhandenen gesetzlichen Bestimmungen ausreichten 84 . 79 80 81
82 83 84
Abschlußbericht, BTDS V/4527, S. 13 ff. Abschlußbericht, S. 81 ff. Vgl. Abschlußbericht. BTDS VII2624. BTDS VII2624, Nr. 1.a). BTDS VII2624, S. 2 Nr. 3.
46
II. Entwicklung und Funktion des Untersuchungsrechts
Der Untersuchungsbericht85 zeigt Mängel in der Aufsichtspraxis des Luftfahrtbundesamtes und des Bundesverkehrsministeriums auf!6. Er stellt erhebliche Mißstände im Unternehmensbereich fest, die nach Auffassung des Ausschusses ,,zweifel in die Zuverlässigkeit und Leistungsfähigkeit des Luftfahrtunternehmens Pan International begründen mußten,,87. Die Untersuchung ist in erster Linie als Mißstandsenquete im öffentlichen und privaten Bereich und daneben auch als Gesetzgebungsenquete zu klassifizieren.
h) Der "Flick"-Untersuchungsausschuß In Verbindung mit dem Flick-Untersuchungsausschuß des Deutschen Bundestages kam es zu einer aufsehenerregenden Diskussion darüber, ob und inwiefern der den Privatbereich betreffende Inhalt von Aktenmaterial der Regierung vor dem Zugriff parlamentarischer Untersuchungsausschüsse zu schützen ist. In diesem Verfahren spielte vor allem das Steuergeheimnis des § 30 AO eine Rolle. Der Sachverhalt soll hier zur Erinnerung nochmals kurz skizziert werden 88 : Der Flick-Konzern verkaufte im Jahre 1975 seine 29 %ige Daimler-Benz-Beteiligung an die Deutsche Bank. Anschliessend bemühte er sich für die Wiederanlage des größten Teils des Veräußerungsgewinns, u. a. in Form einer Beteiligung am amerikanischen Grace-Konzern, um Steuervergünstigungen gern. § 6b EStG und § 4 AuslInvG. Voraussetzung dafür war u. a., daß diese Form der Wiederanlage "volkswirtschaftlich besonders förderungswürdig" war. Auf Antrag des flick-Konzerns erteilte der Bundesminister für Wirtschaft im Benehmen mit dem Bundesminister der Finanzen und den Wirtschaftsministern der betroffenen Länder entsprechende Bescheinigungen für die steuerbegünstigte Wiederanlage des Veräußerungsgewinns. Diese Entscheidung des Wirtschaftsministers fand in der Presse und bei den Parteien große Aufmerksamkeit und stieß auf erhebliche Kritik. Dennoch lehnte es die Bundesregierung unter Berufung auf das Steuergeheimnis des § 30 AO ab, dem Parlament detailliert offenzulegen, was die beteiligten Minister zu dieser Entscheidung veranlaßt hatte 89 . Im Zusammenhang mit dem sog. Parteispendenskandal kam der Verdacht auf, daß die dem Flick-Konzern gewährten Steuererleichterungen in Verbindung mit der "großzügigen" Spendenpraxis des Konzerns standen. Daraufhin eingeleitete staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren gipfelten im November 1983 in der Anklageerhebung wegen Bestechung bzw. Bestechlichkeit gegen die beteiligten 85
86 87 88 89
BTDS VI/3830. Zusammenfassung, S. 118 ff. S. 118, Nr. 749 und 754. Genauer siehe BVerfGE 67, 100 ff., 103 ff.; BTDS X/5079, 1 ff. BVerfGE 67,100 ff., 105.
3. Privatgerichtete Untersuchungen des Deutschen Bundestages
47
Minister und Manager des Flick-Konzerns90 . Bei Durchsuchungen der Büros von Dr. Friedrich Karl Flick und Eberhard von Brauchitsch wurden Unterlagen sichergestellt, aus denen sich Hinweise auf Aktivitäten des Flick-Konzerns gegenüber den Amtsträgern ergaben, die mit den Verfahren nach § 6b EstG und § 4 AuslInvG befaßt waren. Die Namen dieser Personen waren auch in der sog. "Diehl-Liste" verzeichnet. Dabei handelte es sich um eine Aufstellung des Leiters der Buchhaltung, Rudolf Diehl, über ,,inoffizielle Zahlungen". Mit zwei Bescheiden vom 27. 12. 1983 nahm das Bundesministerium für Wirtschaft die der Firma Flick am 8. 9. 1976 und am 28. 9. 1978 erteilten Bescheinigungen nach § 4 AuslInvG für den Kauf von Aktien des amerikanischen GraceKonzerns zurück. Dies begründete das Bundesministerium für Wirtschaft damit, daß die Voraussetzungen für die Erteilung dieser Bescheinigungen zu keiner Zeit vorgelegen hatten 91. Auf Antrag der SPD-Fraktion92 hat der Deutsche Bundestag am 19. 5. 1983 einen Untersuchungsausschuß eingesetzt93 . Dieser sollte klären, ob und wenn ja in welcher Weise der Flick-Konzern Einfluß auf die Entscheidungen von Parlamentsund Regierungsmitgliedern sowie von Mitarbeitern der Verwaltung genommen hat. Der Ausschuß beschloß, Beweis zum Untersuchungsauftrag zu erheben, u. a. durch Beiziehung der einschlägigen Vorgänge beim Bundesminister für Wirtschaft und beim Bundesminister der Finanzen. Die daraufhin übersandten Akten waren jedoch insofern unvollständig, als Seiten fehlten sowie Passagen geschwärzt oder beim Fotokopieren abgedeckt waren. Die Ministerien beriefen sich dabei auf das Steuergeheimnis des § 30 AO. Weiterhin verwiesen sie auf "Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse des Steuerpflichtigen oder Verhältnisse Dritter", die auf diese Weise geschützt werden müßten94 . Die Minderheit im Ausschuß betrieb daraufhin ein Organstreitverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht mit dem Ziel der Feststellung, daß die verweigerte Aktenherausgabe verfassungswidrig war95 . Der Flick-Untersuchungsausschuß des Deutschen Bundestages warf eine Reihe von Fragen hinsichtlich Umfang und Grenzen der Rechte parlamentarischer Untersuchungsausschüsse gegenüber privaten Unternehmen auf. Die zu erörternden Fragestellungen waren jedoch insofern sehr speziell, als sie unter dem Eindruck einer abgabenrechtlichen Problemstellung standen. Auf den Kern gebracht, gab der Flick-Untersuchungsausschuß Anlaß zur Diskussion über die Geltung des Steuer90 91
92 93 94 95
BTDS X/5079, S. 3 f. BVerfGE 67, 100 ff., 106. BTDS X/34. 10. Wahlperiode, Steno Ber., S. 422 ff., 433. BVerfGE 67, 100 ff., 109 f. BVerfGE 67, S. 114.
48
11. Entwicklung und Funktion des Untersuchungsrechts
geheimnisses nach § 30 AO vor parlamentarischen Untersuchungsausschüssen. Der Ausschuß verhängte keine Zwangsmittel gegenüber Zeugen, wenngleich er es in einem Fall angedroht hatte 96 . Bei dieser Enquete handelte es sich um eine Mißstandsenquete gegenüber der Bundesregierung, die den privaten Unternehmensbereich als Annex zum öffentlichen Bereich in ihre Untersuchungen mit einbezog.
i) Der Untersuchungsausschuß "Neue Heimat" Wesentlich allgemeiner und auch brisanter waren die Umfang und Grenzen der Rechte parlamentarischer Untersuchungsausschüsse betreffenden Fragen, die der Bundestags-Untersuchungsausschuß "Neue Heimat" aufwarf. Hier handelte es sich um eine ausschließlich privatgerichtete Enquete, und die angewandten Zwangsmittel gipfelten in der Verhängung von Beugehaft gegen den Vorstandsvorsitzenden der BGAG, Alfons Lappas 97 . Die Verhängung und Vollstreckung von Beugehaft war ein Novum in der Geschichte der Bundestags-Untersuchungsausschüsse98 . Auch die Vorgeschichte dieser aufsehenerregenden Enquete soll hier nochmals vergegenwärtigt werden. Seit den 70er Jahren geriet der gewerkschaftseigene Wohnungsbaukonzern Neue Heimat, Gemeinnützige Wohnungs- und Siedlungsgesellschaft mbH, Hamburg, zunehmend in wirtschaftliche Schwierigkeiten. Diese führten in den beginnenden 80er Jahren zu erheblichen Verlusten, woraufhin seit 1984 auch der breiten Öffentlichkeit die finanziellen Schwierigkeiten des Konzerns zur Kenntnis gelangten. Die Neue Heimat versuchte, ihre wirtschaftlichen Probleme durch vermehrte Wohnungsverkäufe zu lösen. Dies führte 1985/1986 u. a. zum Verkauf von ca. 21.000 Wohneinheiten an die eigens zu diesem Zweck gegründete, ebenfalls gewerkschaftseigene Beteiligungsgesellschaft für Immobilien mbH, Frankfurt99 . Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Neuen Heimat und deren Auswirkungen auf die Mieter beschäftigten in den Jahren 1985/1986 wiederholt den Deutschen Bundestag. Auch hat es in dieser Zeit Kontakte zwischen der Neuen Heimat und der Bundesregierung gegeben. Die Neue Heimat führte Verhandlungen mit Bauministern und -senatoren der Länder mit dem Ziel einer Übernahme von Wohnungen oder ganzer Regionalgesellschaften der Neuen Heimat durch ländereigene Gesellschaften. Im Zuge dieser Verhandlungen fand im Februar 1985 ein Gespräch statt, an dem auch der Bundesbauminister teilnahm. Hier vereinbarten die beteiligten Minister mit der Neuen Heimat eine umfangreiche wirtschaftliche Überprüfung Abschlußbericht, BTDS X/5079, S. 7. Die FAZ berichtet in ihrer Ausgabe v. 17. 10. 86 auf S. 1 u. 2 über die Aussageverweigerung von Alfons Lappas und die Beantragung von Beugehaft durch den Untersuchungsausschuß. 98 Abschlußbericht des Neue-Heimat-Untersuchungsausschusses, BTDS X/6779, S. 300. 99 Abschlußbericht, S. 18. 96 97
3. Privatgerichtete Untersuchungen des Deutschen Bundestages
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des Konzerns. Diese sollte von neutraler Stelle, der Treuarbeit AG, Frankfurt, im Auftrag der Neuen Heimat durchgeführt werden und neben den unmittelbar die Neue Heimat betreffenden wirtschaftlichen Daten, wie z. B. Angaben über das Anlagevermögen, die Verbindlichkeiten und Sicherheiten, auch Auskunft über Verflechtungen der gemeinnützugen Neue Heimat mit der nichtgemeinnützigen Neuen Heimat Städtebau GmbH, Hamburg, geben. Diese Prüfung von neutraler Stelle war Vorbedingung für weitere Gespräche. Die Zusage dafür zogen der damalige Vorsitzende des Vorstands, Alfons Lappas, und der damalige Geschäftsführer der Neuen Heimat, Hamburg, Dr. Diether Hoffmann, jedoch im März 1986 zurück. Sie legten stattdessen am 26. 3. 1986 eine interne Ausarbeitung vor, nach der die realisierbaren Vermögenswerte der Neuen Heimat in Höhe von 22 Mrd. DM die Verbindlichkeiten in Höhe von 17 Mrd. DM um 5 Mrd. DM überstiegen 100. Der Bundesbauminister und die Bauminister der unionsgeführten Bundesländer lehnten daraufhin weitere Gespräche mit der Neuen Heimat sowie finanzielle Zuwendungen ihrerseits ab. Demgegenüber forderten die SPD-regierten Bundesländer die Bundesregierung zu einer Zusage ihrer finanziellen Beteiligung an der Sanierung der Neuen Heimat auf. Seit 1982 traten neben den wirtschaftlichen Problemen auch persönliche Bereicherungen früherer Geschäftsführer der Neuen Heimat und Verstöße gegen das Wohnungsgemeinnützigkeitsrecht zutage. Ein Bericht des Nachrichtenmagazins "Spiegel" vom 8. 2. 1982 war Anlaß dafür, daß sich der Konzern von den betroffenen Geschäftsführern trennte 101. Der sog. "Neue Heimat-Skandal" führte zunächst in zwei Bundesländern zur Durchführung parlamentarischer Enqueten. Am 23.2. 1983 setzte die Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg einen Untersuchungsausschuß ein. Dieser sollte zum einen die Aufsichtstätigkeit der Behörden gegenüber der Neuen Heimat und zum anderen die Geschäftsbeziehungen zwischen der Stadt Hamburg und der Unternehmensgruppe einer Überpüfung unterziehen 102 . Genau einen Monat später folgte der Bayerische Lantag dem Hamburger Beispiel und beauftragte einen Untersuchungsausschuß damit, "alle Vorgänge beim Bau der Trabantenstadt Neu-Perlach infolge der Einschaltung der nichtgemeinnützigen Terrafinanz und der Neuen Heimat durch die Landeshauptstadt München" zu überprüfen 103. Der Hamburger Ausschuß legte am 7. 5. 1986 seinen Bericht vor, der Untersuchungsausschuß des Bayerischen Landtags hatte dies bereits am 15. 2. 1984 getan l04 . Die Berichte bestätigten persönliche Bereicherungen von Geschäftsführern der Neuen Heimat sowie Verstöße des Konzerns gegen das Wohnungsgemeinnützigkeitsrecht, insbesonAbschlußbericht, S. 20. Abschlußbericht, S. 20. 102 Hamb. Bürgerschaft, 11. Wahlperiode, Drucks. Nr. 153; Drucks. Nr. 188; Drucks. Nr. 202; Plenarprotokoll XI/5, Steno Ber., S. 249 f. 103 Bay. Landtag, 10. Wahlperiode, Drucks. Nr.545. 104 Zitiert nach BTDS X/6779, S. 20. 100 101
4 Köhler
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11. Entwicklung und Funktion des Untersuchungsrechts
dere in der Form der Übertragung gemeinnützig gebundenen Vermögens auf die nichtgemeinnützige Neue Heimat Städtebau GmbH, Hamburg. Nach einer Vermutung des Hamburger Ausschusses waren die Entscheidungsträger für diese Vermögensverschiebungen bei der Beteiligungsgesellschaft für Gemeinwirtschaft AG (BGAG), der zentralen Finanzholding des DGB, zu suchen. Am 7.3. 1986 folgte der Nordrhein-Westfälische Landtag auf Antrag von CDU und ED.P. vom 4. 3. 1986 mit der Einsetzung eines weiteren Untersuchungsausschusses zum Themenkomplex Neue Heimat. Er sollte die Aufsichts- und Verwaltungstätigkeit der Landesregierung auf dem Gebiet der Wohnungsbauförderung kontrollieren. Zu untersuchen war u. a. die Geschäftstätigkeit der Wohnungsbauförderungsanstalt gegenüber der Unternehmensgruppe 105. Am 5.6. 1986 setzte schließlich der Deutsche Bundestag l06 auf Antrag der Bundestagsfraktion der CDU/CSU und der ED.P. vom 4.6. 1986 107 den parlamentarischen Untersuchungsausschuß ,,Neue Heimat" ein. Nach dem Untersuchungsauftrag beinhaltet die Enquete schwerpunktmäßig die Überprüfung von Mißständen bei der Neuen Heimat und den ihr nahestehenden gewerkschaftseigenen Unternehmen und Gesellschaften. Untersucht werden sollten unter Punkt 11. Verstöße gegen Bundesrecht einschließlich des Ausnutzens von Gesetzeslücken sowie daraus entstandene Schäden für die Bundesrepublik Deutschland, für Mieter und Dritte. Die Untersuchung erstreckt sich auch auf die Frage, inwieweit die betroffenen Unternehmen Maßnahmen zur Aufklärung und Wiedergutmachung der Schäden getroffen haben. Was dabei im einzelnen zu untersuchen ist, wird unter Punkt 111. konkretisiert, wobei die Fragestellung teilweise bis ins Detail vorgegeben ist und sich nahezu auf den gesamten Bereich des wirtschaftli chen Tätigwerdens des Konzerns erstreckt. Der unter Punkt IV. genannte Untersuchungsauftrag, nach dem zu prüfen war, inwieweit die Neue Heimat oder ihr nahestehende Personen, Unternehmen oder Gesellschaften versucht haben, durch Einflußnahme auf Regierung und Verwaltung für sie positive gesetzliche Regelungen durchzusetzen, beinhaltet zumindest auch eine Kontrollenquete gegenüber der Regierung. Die sich aus Punkt 11. ergebenden und in Punkt III. konkretisierten Untersuchungsaufträge werden alle durch den Passus ergänzt, "und welche Folgerungen der Bundesgesetzgeber daraus ziehen sollte". Es werden also sämtliche vermuteten bzw. zu untersuchenden Mißstände in den unter II.1.a) genannten gewerkschaftseigenen Unternehmen und Gesellschaften in bezug zur Gesetzgebung gesetzt. Damit wird insofern der Eindruck des Vorliegens einer Gesetzgebungsenquete erweckt.
105 Einsetzungsantrag der CDU u. der F.D.P. v. 4. 3. 1986, Nordrhein-Westf. Landtag, 10. Wahlperiode, Drucks. Nr. 660 (neu). 106 BTDS X/2l9, Steno Ber., S. 16957-16964. 107 BTDS X/5575.
3. Privatgerichtete Untersuchungen des Deutschen Bundestages
51
Unter Punkt V. nennt der Untersuchungsauftrag schließlich das Ziel, mit Hilfe der Erkenntnisse aus der Untersuchung sämtlicher zuvor genannter Themen eine Empfehlung an die Bundesregierung zu erarbeiten. Die BGAG und die Neue Heimat bestritten die verfassungsmäßige Zulässigkeit des Untersuchungsausschusses auf Bundesebene. Sie wandten sich insbesondere dagegen, daß der Untersuchungsausschuß "Neue Heimat" Geschäftsinterna der BGAG untersucht 108 . Es kam im Zusammenhang mit der Ausschußtätigkeit zu 24 Verfahren, teils vor den ordentlichen Gerichten, teils vor den Verwaltungsgerichten und beim BVerfG 109 . Der Ausschuß lehnte es ab, die Neue Heimat, Gemeinnützige Wohnungs- und Siedlungsgesellschaft mbH, Hamburg, als Betroffene im Sinne von § 18 der IPARegeln anzuerkennen. Das daraufhin eingeleitete Klageverfahren endete durch Klagrücknahme nach der spektakulären Übernahme der Neuen Heimat durch die Schießer-Gruppe. Im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes war der Neuen Heimat jedoch sowohl beim VG Köln als auch beim OVG Münster der Erfolg versagt geblieben llo . Die Entscheidungen dieser beiden Gerichte sind aufgrund des bereits erwähnten Rechtsstatus der IPA-Regeln 1ll leicht nachvollziehbar. Aus diesen Normen des Innenrechts konnte die Neue Heimat keine subjektiven öffentlichen Rechte herleiten. Wie stark der Neue-Heimat-Untersuchungsausschuß der CDU/CSU und der ED.P. als politisches Kampfinstrument im Wahlkampf dienen sollte, versuchen SPD und Grüne in ihren Minderheitsvoten nachzuweisen 112. Sie veröffentlichen Auszüge aus zwei internen Strategiepapieren des Büroleiters der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Dr. Rudolf Kabel, und dessen Mitarbeiters Rudolf Seiler vom April 1986. Darin erörtern diese die Vorgehensweise unter politisch-taktischen Gesichtspunkten. Der politische Nutzen einer Großen Anfrage wird mit dem der Einsetzung eines Untersuchungsausschusses abgewogen. Schließlich schlagen sie einen ,,Fahrplan" vor, nach dem zunächst eine Große Anfrage im Bundestag eingebracht und später dennoch ein Untersuchungsausschuß eingesetzt wird. Danach hieß es: "Dieser Zeitplan ermöglicht eine häufige öffentlich wirksame Erörterung des Themas ,Neue Heimat' innerhalb der nächsten Wochen. Durch die Verschiebung der Einsetzung des Untersuchungsausschusses auf den Monat Juni wird zugleich die danach zwangsläufig eintretende Pause, die zum Herbeischaffen und Auswerten der Akten benötigt wird, in die Ferien verlegt. Die dann vorzunehmenden Ver-
108
109
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4*
Abschlußbericht, BTDS X 6779, S. 26; FAZ v. 17. 10. 1986, S. 1 u. 2. Überblick siehe Abschlußbericht, S. 29 ff. VG Köln, 4 L 958/86; OVG Münster, 15 B 1849/86. Siehe oben 1.1. Abschlußbericht, S. 216 ff., 297 ff.
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11. Entwicklung und Funktion des Untersuchungsrechts
nehmungen von Funktionären des DGB und der ,Neue Heimat' finden in den Monaten der Vorwahlkampf- und der Wahlkampfzeit statt ll3 ." Die Grünen werten in ihrem Sondervotum den Neue-Heimat-Untersuchungsausschuß als Reaktion der die Regierung tragenden Parteien CDU/CSU und ED.P. auf den von der SPD beantragten Flick-Untersuchungsausschuß und die heftigen Angriffe des DGB auf die Regierung wegen der Änderung von § 116 Arbeitsförderungsgesetz 114 • Grund für die vorzeitige Beendigung der Beweisaufnahme im Flick-Untersuchungsausschuß war nach den Ausführungen der Grünen, daß der Bundeskanzler und CDU-Vorsitzende Dr. Kohl den damaligen SPD-Vorsitzenden Brandt unter Druck gesetzt habe II 5. Die Grünen berufen sich auf vom Nachrichtenmagazin "Spiegel" am 27. 10. 1986 veröffentlichte Zitate aus einer Aktennotiz des SPD-Vorsitzenden Willy Brandt aus dem Oktober 1984. Kohl soll danach geäußert haben: " ... wenn es eine weitere Eskalation der Spendenaffare gebe, werde sich die Union die Gewerkschaften vorknöpfen.,,1l6
j) Der "HDW/IKL"-Untersuchungsausschuß Die Untersuchungsausschüsse "Flick" und "Neue Heimat" waren nicht die einzigen Enqueten der 10. Wahlperiode, die die Frage nach dem Umfang des parlamentarischen Untersuchungsrechts im privaten Bereich berührten. Gegen Ende der Legislaturperiode befaßte sich der 4. Untersuchungsausschuß der 10. Wahlperiode mit der illegalen Lieferung von Konstruktionsunterlagen für den U-Boot-Bau an Südafrika durch die Firmen HDW (Howaldtswerke-Deutsche Werft) und IKL (Ingenieurkontor Lübeck). Die Großwerft HDW steht zu 74,9 % im Eigentum der Salzgitter AG, die wiederum selbst eine Gesellschaft ist, die zu 100 % dem Bund gehört. Der übrige Anteil an der HDW in Höhe von 25,1 % steht im Eigentum des Landes Schleswig-Holstein ll7 . Das Ingenieurkontor Lübeck ist ein Privatunternehmen llS . Am 26. 11. 1986 berichteten die "Kieler Nachrichten" in einem Artikel über den Verkauf von U-Boot-Blaupausen an das Apartheidssystem in Südafrika durch das Kieler Unternehmen HDW. Das Unternehmen habe dafür rund 46 Mill. DM kassiert, ohne daß für die Ausfuhr der Unterlagen eine Genehmigung nach dem AuAbschlußbericht, S. 217, 298. Abschlußbericht, S. 297. 115 Abschlußbericht, S. 296 f., 299. 116 Abschlußbericht, S. 297. 117 Beschlußempfehlung und Zwischenbericht des 1. Untersuchungsausschusses der 11. Wahlperiode, BTDS XII6141, S. 41. 118 Antwortschreiben der SPD-Fraktion auf ein Anschreiben des Vorsitzenden des AntiApartheid-Ausschusses der Vereinten Nationen mit Fragenkatalog, als Anlage 31 in Beschlußempfehlung und Zwischenbericht, S. 332 ff., S. 341. 113
114
3. Privatgerichtete Untersuchungen des Deutschen Bundestages
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ßenwirtschaftsgesetz (AWG) erteilt worden sei. Über die erforderliche Ausnahmegenehmigung sei im Bundeskabinett zwar beraten worden, zu ihrer Erteilung sei es jedoch nicht gekommen. Der bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß habe sich für eine solche Genehmigung ausgesprochen. Die SPD-Opposition nahm bereits die Haushaltsdebatte am 26. 11. 1986 zum Anlaß, das U-Bootgeschäft im Plenum des Deutschen Bundestages anzusprechen 1i9 . Am 3. 12. 1986 berichtete Bundesfinanzminister Stoltenberg dem Haushaltsausschuß von diesem Geschäft, und am 4. 12. 1986 fand auf Antrag der SPDFraktion eine Aktuelle Stunde des Bundestages zu diesem Thema statt. Die Opposition gab sich jedoch mit den Antworten der Regierung nicht zufrieden. Sie sah weitere offene Fragen und hatte den Eindruck, daß die Bundesregierung gegenüber dem Parlament nicht sämtliche ihr bekannten Informationen offengelegt hatte 120. Am 10. 12. 1986 erfolgte auf Antrag der SPD-Fraktion 121 unter Einbeziehung eines Ergänzungsantrags der Fraktion "Die Grünen,,122 die Einsetzung des 4. Untersuchungsausschusses der 10. Wahlperiode. Entsprechend des Diskontinuitätsgrundsatzes wurde dieser Ausschuß bereits mit Ende der Wahlperiode am 17. 2. 1987 wieder aufgelöst, ehe er seine Arbeit richtig beginnen konnte 123. Der 11. Deutsche Bundestag setzte daraufhin auf Antrag der SPD-Fraktion 124 am 2.4. 1987 den 1. Untersuchungsausschuß der Wahlperiode mit gleichlautendem Untersuchungsauftrag ein. Der Ausschuß sollte klären, in welcher Weise sich der Bundeskanzler und andere Regierungsmitglieder sowie Verwaltungsmitarbeiter mit dem U-Boot-Geschäft befaßt haben. Eingeschlossen wurde in diesem Zusammenhang eine Überprüfung des Verhaltens von Ministerpräsidenten der Länder, wobei der bayerische Amtsinhaber Franz Josef Strauß im Untersuchungs auftrag sogar ausdrücklich genannt wurde. Die Umstände der Lieferung von Konstruktionsunterlagen durch deutsche Unternehmen waren zu untersuchen. Es sollte festgestellt werden, ob auch Teile von Unterseebooten geliefert wurden. Der Einsetzungsantrag der Fraktion "Die Grünen" in der 11. Wahlperiode 125 bezog sich wesentlich direkter auf den privatwirtschaftlichen Bereich als der Antrag der SPD-Fraktion. Unter Punkt 1. hieß es: " ... Welche vertraglichen Bindungen sind die Firmen eingegangen und welche bundesdeutschen Zulieferfinnen oder Zweigniederlassungen bundesdeutscher Finnen in Südafrika waren oder sind an dem U-Boot-Geschäft beteiligt? ... " 119 120 121
122 123 124 125
Beschlußempfehlung und Zwischenbericht, S. 69. Beschlußempfehlung und Zwischenbericht, S. 71. BTDS X/6709. BTDS X/6737. Beschlußempfehlung und Zwischenbericht, S. 72. BTDS XI/50. BTDS XI/84.
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H. Entwicklung und Funktion des Untersuchungsrechts
Der Antrag fand jedoch keine Mehrheit im Bundestag l26 , und die Fraktion "Die Grünen" erreichte allein nicht das Minderheitsquorum des Art. 44 Abs. 1 GG. Einen Beschlagnahmeantrag des Untersuchungsausschusses lehnte das Amtsgericht Bonn in seinem Beschluß vom 23. 9. 1988 127 ab, da es den Untersuchungsauftrag für verfassungswidrig hielt. Grund dafür war, daß dieser auch unmittelbar die Länderebene mit einbezog und insofern ein Verstoß gegen das Bundesstaatsprinzip vorlag. Dies sei nur kurz erwähnt, interessanter ist in diesem Zusammenhang eine Passage aus dem im Beschluß wiedergegebenen Parteivortrag der Antragsgegnerinnen HDW und IKL. Darin wenden sie sich gegen die Beschlagnahme mit dem Argument, diese würde verfassungswidrig in unerträglicher Weise in ihren privaten Geschäftsbetrieb eingreifen. Sie sind der Ansicht, daß sie als nicht gemeinwirtschaftliche Unternehmen nicht durch die Untersuchung ausgeforscht werden dürften 128 • Die Firmen hielten sich also für schutzwürdiger als die gemeinnützige Neue Heimat, obwohl HDWein Unternehmen der öffentlichen Hand ist. Die SPD-Fraktion hat mit zwei Änderungsanträgen l29 , einmal vor und einmal nach dem Beschluß des Amtsgerichts Bonn vom 23. 9. 1988, versucht, den Untersuchungsauftrag so zu ändern, daß er einer verfassungsrechtlichen Überprüfung standhält. Beide Anträge berücksichtigen, daß ein Untersuchungsausschuß des Bundes keine Kontrolle im Länderbereich ausüben darf. Sie nennen unter Punkt 11. ausdrücklich die Firmen HDW und IKL. Die SPD-Fraktion folgte damit einem Rat des Bevollmächtigten für das Beschlagnahmeverfahren, Prof. Schneider, Hannover, der diese Klarstellung im Untersuchungsauftrag für verfasssungsrechtlich geboten hielt, da in Grundrechte der Unternehmen eingegriffen werden sollte 130. Es war ferner beabsichtigt, mit der Nennung der Firmen zu verdeutlichen, daß auch ihr Verhalten in gewissem Umfang von der Enquete zu untersuchen ist. Im ersten Änderungsantrag der SPD-Fraktion vom 20. 1. 1988 ist unter Punkt IY.b) das Ziel der Erarbeitung einer Empfehlung an den Deutschen Bundestag sowie der Überprüfung der Notwendigkeit gesetzgeberischer Maßnahmen enthalten. Neben einer Änderung des Untersuchungsauftrags hielt Prof. Schneider es für erforderlich, vor einem Antrag auf Beschlagnahme von Unternehmensakten zu prüfen, ob sich die angeforderten Unterlagen nicht bereits in den Akten der Oberfinanzdirektion Kiel befanden 131. Diese war mit der Aufklärung der Angelegenheit bereits befaßt, bevor der parlamentarische Untersuchungsausschuß eingesetzt wurde l32 . Plenarprotokoll XI/8, Steno Ber., S. 439 A. In BeschluBempfehlung und Zwischenbericht, Anlage 11, S. 230 ff. = NJW 1989, S. 1101 f. 128 BeschluBempfehlung und Zwischenbericht, S. 233. 129 BTDS XI/l684 und BTDS XI/3747. 130 I. Änderungsantrag, BTDS XI/l684, S. 3. 131 Klageschrift der SPD-Fraktion V. 3. 7. 1989 im Organstreitverfahren gegen den Deutschen Bundestag, als Anlage 14 in BeschluBempfehlung und Zwischenbericht, S. 243. 126 127
3. Privatgerichtete Untersuchungen des Deutschen Bundestages
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In der Plenardebatte des Deutschen Bundestages über den 1. Änderungsantrag der SPD-Fraktion vom 20. 1. 1988 begründete der Abgeordnete Dr. Struck die Nennung der Firmen im Antrag damit, daß der Untersuchungsauftrag dadurch präzisiert würde. Es ging nach seinen Ausführungen weiterhin um die Überprüfung von Regierungsverhalten, "wobei das Handeln der Firmen im Vorfeld dazugehört" 133. Der Redner verwies darauf, daß sich nicht nur aus den Regierungsakten, sondern auch aus den Firmenakten ersehen läßt, ob die Unternehmen mit Billigung der Regierung gehandelt haben. Der CDU-Abgeordnete Bohl warf der SPD demgegenüber vor, sie wolle aus einer regierungsbezogenen Kontrollenquete eine Skandalenquete gegenüber den Firmen machen 134. Der erste Antrag der SPD-Fraktion auf Änderung des Untersuchungsauftrags fand im Parlament keine Mehrheit 135 . Der 2. Änderungsantrag der SPD-Fraktion wurde von den Koalitionsfraktionen im selben Sinne kritisiert wie der erste. So beanstandete für die ED.P. die Abgeordnete Seiler-Albring, daß die Untersuchungen durch den Antrag nicht ausdrücklich auf die Bundesregierung beschränkt wurden, sondern gerade auf die Unternehmen bezogen waren. Sie warf der SPD vor, "eine unternehmensbezogene Untersuchung dem bisherigen Untersuchungs auftrag aufzustülpen,,136. Auch dieser Änderungsantrag fand im Bundestag keine Mehrheit 137 . Die SPD-Fraktion hat daraufhin ein Organstreitverfahren vor dem BVerfG eingeleitet. Sie sah in der Ablehung der Änderungsanträge eine Verletzung ihres Rechts aus Art. 44 Abs. 1 GG. Nach einem Schreiben des BVerfG beschloß der Deutsche Bundestag auf Antrag aller Fraktionen am 15. 2. 1990 einstimmig eine Reihe von Änderungen des Untersuchungsauftrags 138 . Der Ausschuß legte am 5. 10. 1990 seinen Abschlußbericht vor 139 .
k) Der Untersuchungsausschuß "TransnuklearlAtomskandal" Bereits im Januar 1988 setzte der Deutsche Bundestag wieder einen parlamentarischen Untersuchungsausschuß ein 140. Dieser 2. Ausschuß der 11. Wahlperiode befaßte sich mit Unregelmäßigkeiten bei privaten Firmen der Atomindustrie, insbesondere bei der Firma Transnuklear. Damit bekam die Frage nach Umfang und 132 133 134 135 136 137
138 139 140
Beschlußempfehlung und Zwischenbericht, S. 49 ff., S. 69 ff. Bundestag, Plenarprotokoll XI/58, Steno Ber., S. 4039 D. Steno Ber., S. 4041 D. Steno Ber., S. 4048 A. Bundestag, Plenarprotokoll XI/l21, Sten Ber., S. 8890 B. Steno Ber., S. 8899. BVerfG, Beschluß V. 12. 12. 1990, NVwZ 1991, S. 466 f. BTDS XI/8109 und XI/8176 V. 9. U. 23. 10. 1990. Bundestag, Plenarprotokoll XI/55, Steno Ber., S. 3777 ff., 3791 f.
11. Entwicklung und Funktion des Untersuchungsrechts
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Grenzen des parlamentarischen Untersuchungsrechts im privaten Bereich allgemein und speziell im privatwirtschaftlichen Bereich erneut Aktualität. Die Firma Transnuklear stand zu zwei Dritteln im Eigentum der Hanauer Kernkraft-Firma Nukem, und zu einem Drittel gehörte sie der französischen NukemTochter Transnuc1eaire I41 . Sie war also ein Tochterunternehmen von Nukem. Bei Transnuklear handelte es sich um ein Unternehmen, das die Nuklear-Entsorgung von Kernkraftwerken betrieb. Nach Angaben des Nachrichtenmagazins "Spiegel" vom Ende des Jahres 1987 142 wickelte Transnuklear zu diesem Zeitpunkt 80 % aller Transporte strahlenden Gutes in der Bundesrepublik ab. Sie war die einzige Firma, die eine Genehmigung für die Beförderung plutoniumverseuchten atomaren Abfalls hatte l43 . Der Einsetzung des Untersuchungsausschusses vorausgegangen waren staats anwaltliche Ermittlungen und umfangreiche Presseberichte 144 über Schmiergeldzahlungen durch Transnuklear. Hans-Joachim Fischer hatte als neuer kaufmännischer Geschäftsführer der Nukem-Tochter bereits kurz nach Amtsantritt Schwarzgeldkonten in der Schweiz entdeckt und herausgefunden, daß die Firma damit bisher Sach- und Geldzuwendungen an Mitarbeiter von Kunden finanziert hatte. Transnuklear selbst hat daraufhin bei der Staatsanwaltschaft Hanau Anzeige wegen Betruges, Untreue und Urkundenfälschung erstattet l45 . Bereits nach anfänglichen groben Schätzungen überstieg der Betrag, der für Schmiergeldzahlungen gleich welcher Art abgezweigt wurde, die Höhe von 2 Mill. DM. Geflossen sind diese Gelder, um Mitarbeiter von Kernkraftwerken dazu zu bewegen, im Bereich der Nuklear-Entsorgung Geschäfte mit Transnuklear zu machen l46 . Der "Spiegel" berichtete, daß mit gefälschten Belegen Millionenbeträge der Firmenkasse entnommen wurden, um damit an Auftraggeber Schmiergeldzahlungen in einer Höhe von bis zu 1 % der Auftragssumme zu leisten. Tatsächlich soll jedoch noch mehr geflossen sein 147. Weist ein derartiges Geschäftsgebaren für sich genommen nur darauf hin, daß sich die Transnuklear auf diese Weise wirtschaftliche Vorteile erkaufen wollte, so gab es andererseits auch Zeitungsberichte, die den Verdacht aufkommen ließen, daß auch die Umgehung von Sicherheitsvorschriften durch Zahlungen ermöglicht werden sollte l48 . Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auf die ZusammenarDer Spiegel, 53/87, S. 20. Der Spiegel, 53/87, S. 18. 143 Der Spiegel, 53/87, S. 23. 144 Der Spiegel, 18/87, S. 14 f.; 30/87, S. 70 f.; 52/87, S. 34 ff.; 53/87, S. 18 ff. 145 Bericht der Bundesregierung zur Entsorgung der Kernkraftwerke und anderer kerntechnischer Anlagen, BTDS X1/1632, S. 49; Der Spiegel, 18/87, S. 14. 146 Bericht der Bundesregierung zur Entsorgung der Kernkraftwerke und anderer kemtechnischer Anlagen, S. 49. 147 Der Spiegel, 18/87, S. 15. 148 Der Spiegel, 52/87, S. 37; 53/87, S. 18 ff. 141
142
3. Privatgerichtete Untersuchungen des Deutschen Bundestages
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beit von Transnuklear mit dem belgischen Atomforschungszentrum Mol. Die Nuklear-Speditionsfirma hatte Anfang der 80er Jahre einen Vertrag mit den Belgiern aus Mol geschlossen. Danach verpflichtete sich das belgische Staatsunternehmen zur Abnahme von leicht- und mittelradioaktivem Abfall aus deutschen Reaktoren. Dieser sollte durch Verbrennen, Verdampfen und Pressen auf ein Fünftel seines Volumens reduziert, konditioniert und dann zurückgeschickt werden l49 . Der "Spiegel" berichtete, daß die Hanauer Firma 25 Mill. DM für die Dienstleistungen der Belgier gezahlt hat, obwohl lediglich 10 bis 12 Mill. DM angemessen gewesen wären. In diesem Zusammenhang erwähnt das Nachrichtenmagazin einen Verdacht, wonach von Zeit zu Zeit auch eine Fuhre hochradioaktiven Mülls nach Mol gefahren worden sein soll, obwohl Transnuklear offiziell nur schwach radioaktive Kraftwerksabfalle dorthin bringen durfte l50 . Der Deutsche Bundestag hatte in seiner 55. Sitzung der 11. Wahlperiode am 21. 1. 1988 über drei Anträge zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zu entscheiden 151. Den Antrag der Grünen 152 hat der Bundestag abgelehnt 153. Der Antrag der CDU/CSU und ED.P. 154 sowie der Antrag der SPD 155 erreichte jeweils das Quorum des Art. 44 Abs. 1 GG. Der Bundestag hat im vereinfachten Beschlußverfahren über beide Anträge abgestimmt und einen Untersuchungsausschuß eingesetzt, der sowohl die Themen des CDU/CSU/ED.P.-Antrages als auch des SPDAntrages behandeln sollte l56 . Beide Anträge zielten auf eine Aufklärung der Vorgänge und Verantwortlichkeiten hinsichtlich der Verletzung von atomrechtlichen Vorschriften durch die in Hanau ansässigen Unternehmen. Der Untersuchungsausschuß Transnuklearl Atomskandal war in erster Linie eine privatgerichtete Mißstandsenquete. Daneben enthielt er jedoch im Zusammenhang mit dem Vollzug atornrechticher Vorschriften auch Elemente einer Kontrollenquete im öffentlichen Bereich. Der Einsetzungsantrag der Koalitionsfraktionen CDU/CSU und ED.P. ist unter Punkt V. ausdrücklich auch als Gesetzgebungs- und Empfehlungsenquete formuliert. In diesem Zusammenhang wird u. a. die Möglichkeit der Umorganisation von Bundesbehörden, der Änderung der Aufgabenverteilung zwischen staatlichen Einrichtungen und privaten Unternehmen sowie der Neuverteilung von Kompetenzen zwischen Bund und Ländern genannt. Der SPD-Antrag unterscheidet sich von dem der Koalitionsfraktionen im wesentlichen dadurch, daß er die Vornahme einer Bestandsaufnahme hinsichtlich der Entsorgung radioaktiver Abfälle beinhaltet. Die 149 150 151 152 153 154 155 156
Der Spiegel, 53/87, S. 22. Der Spiegel, 52/87, S. 37. Plenarprotokoll XI/55, Steno Ber., S. 3779 ff. BTDS XI/1681 (neu). Steno Ber., S. 3792. BTDS XI/1680. BTDS XI/1683 (neu). Steno Ber., S. 3791 D, 3792 A.
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H. Entwicklung und Funktion des Untersuchungsrechts
Untersuchung ist insofern auch als Sachstandsenquete über die Gefahren und Risiken beim Umgang mit Kernbrennstoffen und Atommüll zu klassifizieren.
4. Privatgerichtete Enqueten der Länder der Bundesrepublik Deutschland Nach der Darstellung von 11 Bundestagsuntersuchungsausschüssen, die den Privatbereich in der unterschiedlichsten Art und Weise berührten, soll nun auf die parlamentarischen Untersuchungen in den Bundesländern eingegangen werden. Der im Januar 1988 eingesetzte Untersuchungsausschuß Transnuklear/Atomskandal war der 27. in der Geschichte des Bundestages l57 . Wenn von diesen Ausschüssen 11 ganz oder teilweise privatgerichtet waren, so entspricht dies einem Anteil von über einem Drittel. Bereits bis 1987 hatten die Bundesländer 219 parlamentarische Untersuchungen durchgeführt l58 . Die nachfolgenden Ausführungen sollen einen Überblick darüber verschaffen, inwiefern dabei privatgerichtete Enqueten eine Rolle spielten und zu welchen Themen sich Landtage des Mittels der Aufklärung durch parlamentarische Untersuchungen vorwiegend bedienten. Aufgrund der Vielzahl der Ausschüsse, die sich auf Länderebene mit privaten Vorgängen befaßten, wird auf eine ausführliche und vollständige Darstellung aller durchgeführten Enqueten und der von ihnen behandelten Themen verzichtet. Soweit möglich, werden Sachgebiete aufgezeigt, aus denen Vorfälle wiederholt zur Einsetzung parlamenarischer Untersuchungsausschüsse geführt haben.
a) Untersuchungsausschüsse im Zusammenhang mit Bauund Grundstücksgeschäften
Die Auftragsvergabe der öffentlichen Hand an private Unternehmen sowie Grundstücksgeschäfte waren häufig Gegenstand parlamentarischer Untersuchungen. Die Gründe hierfür sind im Zusammentreffen mehrerer Aspekte zu sehen. Derartige Vorhaben werden von der Öffentlichkeit in der Regel mit Interesse verfolgt, es geht um sehr viel Geld, und die Konkurrenz im Baubereich ist groß. Weiterhin erfordert die Durchführung öffentlicher Bauten eine enge Zusammenarbeit zwischen der Bauverwaltung und privaten Firmen. Dies erhöht zum einen die Gefahr der Korruption und führt zum anderen dazu, daß Vorwürfe in der Öffentlichkeit relativ schnell erhoben werden.
157 158
Überblick bei ThaysenlSchüttemeyer, S. 279 ff. ThaysenlSchüttemeyer, S. 279 ff.
4. Privatgerichtete Enqueten der Bundesländer
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aa) Enqueten des Berliner Abgeordnetenluluses Bereits 1951 setzte das Abgeordnetenhaus von Berlin den "Biag"-Untersuchungsausschuß ein, der in der Presse erhobene Vorwürfe gegen zwei Baufirmen klären sollte 159. Der Ausschuß führte umfangreiche Ermittlungen zum Betrieb der Firma Biag und zur Persönlichkeit des damaligen Vorstandsmitglieds und Hauptaktionärs Steffen Mandel durch l60 . Der AbschluBbericht beschreibt die Entwicklung des Unternehmens seit seiner Gründung, insbesondere aber nach 1945. Auf Mandel wird nicht nur im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit bei der Biag eingegangen, sondern sein gesamtes Entnazifizierungsverfahren, sein Engagement bei der NSDAP und die Umstände, die dazu führten, daß er ins KZ eingeliefert wurde, fanden Erwähnung. Der Ausschuß äußerte zum Teil erhebliche Kritik an der Durchführung des Entnazifizierungsverfahrens durch den Spruchausschuß Charlottenburg und die Allgemeine Kommission als Entnazifizierungsbehörde l61 . Im Bericht wird die Überzeugung geäußert, daß in unzulässiger Weise Einfluß auf das Verfahren genommen wurde l62 . Kernpunkt der Untersuchung war die in der Öffentlichkeit kritisierte Bewilligung größerer GARIOA- und ERP-Kredite für zwei Bauprojekte der Biag. Das Bauunternehmen errichtete eine Markthalle und Wohnbauten in der Müllerstraße auf einem städtischen Grundstück, das der Restitution unterlag. Die ehemaligen jüdischen Grundstückseigentümer hatten bereits ihren Rückerstattungsanspruch angemeldet. Dafür, daß das Bauvorhaben trotz des schwebenden Verfahrens nicht gestoppt wurde, macht der Ausschuß fehlerhaftes Verhalten der zuständigen Behörden verantwortlich, das er zumindest teilweise als "grob fahrlässig" einstuftl63. Die Finanzierung der Projekte hat der Ausschuß einer genauen Untersuchung unterzogen 164. Besondere Beachtung fand dabei die Frage, in welcher Höhe der Biag Eigenmittel zur Verfügung standen. Der Bericht kommt insgesamt zu einer negativen Einschätzung des Unternehmens und der an ihm beteiligten Persönlichkeiten l65 . Die Firma Degen wird unter Punkt V. nur kurz erwähnt. Während der Untersuchungsauftrag auf eine ausschließlich privatgerichtete Enquete schließen läßt, sieht es der Ausschuß tatsächlich in erster Linie als seine Aufgabe an, die Verwaltung zu kontrollieren. Der Untersuchungsbericht läßt darauf schließen, daß der Ausschuß die umfangreichen Ermittlungen im privaten Bereich 159 Einsetzungsantrag, 1. Wahlperiode, Drucks. Nr. 70; Abschlußbericht, 1. Wahlperiode, Drucks. Nr. 1350. 160 Vgl. Abschlußbericht, S. I ff. 161 Abschlußbericht, S. 2. 162 Abschlußbericht, S. 3. 163 Abschlußbericht, S. 3 ff. 164 Abschlußbericht, S. 4 f. 165 Abschlußbericht, S. 5.
H. Entwicklung und Funktion des Untersuchungsrechts
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nur vornahm, um das Verwaltungshandeln besser beurteilen zu können. Er betrachtete die die Firma Biag und Steffen Mandel betreffenden Untersuchungen quasi wie eine Klärung von Vorfragen. Die Seriosität der Geschäftspartner der Verwaltung sollte überpruft werden, um vor dem Hintergrund dieses Wissens das Verwaltungshandeln zu kontrollieren. Die Ermittlungen im privaten Bereich nehmen dafür insbesondere in bezug auf Steffen Mandel allerdings einen sehr weiten Raum ein. Die Untersuchung ist als Mißstandsenquete sowohl im privaten als auch im öffentlichen Bereich zu klassifizieren. Soweit der private Bereich betroffen ist, liegt sowohl eine Unternehmensenquete als auch aufgrund der umfangreichen Ermittlungen zur Person Mandels eine Individualenquete vor. Das Berliner Abgeordnetenhaus setzte noch mehrfach Untersuchungsausschüsse ein, die sich mit Vorgängen im Bau- und Grundstücksbereich befaßten. Es beschloß am 25. 9. 1980 die Einsetzung eines Ausschusses, der die Umstände des Verkaufs von Grundstücken durch die städtische Wohnungsbaugesellschaft GeSo Bau klären sollte. Insbesondere war zu prufen, an welchen Personenkreis und zu welchen Bedingungen Grundstücke veräußert wurden l66 . Im Januar 1981 setzte das Abgeordnetenhaus einen Untersuchungsausschuß "zur Aufklärung der Darlehensgewährung und Bürgschaftserteilung an die Firmengruppe Bautechnik des Architekten Dietrich Garski,,167 ein l68 . Die landeseigene Berliner Bank hatte der Unternehmensgruppe Darlehen gewährt, die wiederum durch Landesbürgschaften abgesichert waren. Die Einsetzung des Ausschusses erfolgte, nachdem die Garski-Gruppe zahlungsunfähig war. Am 27. 2. 1986 setzte das Berliner Parlament einen Untersuchungsausschuß "Berliner Baubereich" ein l69 . Er sollte die Hintergrunde von Entscheidungen der öffentlichen Hand im Bau- und Grundstücksbereich aufklären. Es ging um die Frage, ob bei der Vergabe von Grundstücken, bei der Erteilung von Baugenehmigungen oder bei der Bewilligung öffentlicher Mittel für einzelne Bauvorhaben persönliche Vorteile oder andere sachfremde Erwägungen eine Rolle gespielt haben. Auch Partei spenden sollten in diesem Zusammenhang überpruft werden. Unter Punkt III. des Einsetzungsantrags wird ausdrucklich nach Verkaufsgesprächen mit dem Geschäftsmann Putsch gefragt 170. Hintergrund der Angelegenheit war ein in der Öffentlichkeit bekanntgewordener Korruptionsskandal, in den u. a. der Baustadtrat Antes verwickelt war.
Einsetzungsantrag der CDU v. 17.9.1980,8. Wahlperiode, Drucks. Nr. j43. Einsetzungsantrag v. ED.P., SPD u. CDU v. 23. 1. 1981, 8. Wahlperiode, Drucks. Nr.673. 168 Ser!. Abgeordnetenhaus, 8. Wahlperiode, 45. Sitzung v. 22. 1. 1981, Steno Ser., S. 1958 D ff. 169 Ser!. Abgeordnetenhaus, 10. Wahlperiode, 23. Sitzung v. 27. 2. 1986, Steno Ser., S. 1283 ff. 170 Einsetzungsantrag v. 21. 2. 1986, 10. Wahlperiode, Drucks. Nr. 585. 166
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4. Privatgerichtete Enqueten der Bundesländer
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bb) Enqueten des Bayerischen Landtages
Am 12. 3. 1968 setzte der Bayerische Landtag einen Untersuchungsausschuß zur Überprüfung von Grundstücksgeschäften des Freistaates Bayern im Raum Ingolstadt ein 171. Aufgeklärt werden sollten die Hintergründe und Folgen von Grundstücksverkäufen an einen Herrn Dr. Hanns Maier. Beim Untersuchungsausschuß "Finck/Winterstein,,172, den der Bayerische Landtag am 28. 4. 1970 einsetzte, ging es nicht um Grundstücksgeschäfte, sondern um Vorgänge, die im Zusammenhang mit Landabgabeverpflichtungen der Grundeigentümer Finck und Winterstein standen. Zu prüfen waren dabei u. a. die Höhe des Landabgabesolls und die gezahlte Entschädigung für abgegebene Grundstücke. Die zu überprüfenden Maßnahmen standen im Zusammenhang mit der Bereinigung der Bodenreform und der Entschädigung von Bodenreformland. Am 20. 7. 1983 setzte der Bayerische Landtag einen Untersuchungsausschuß ein, der sich mit u!lzulässigen Baupreisabsprachen privater Firmen und deren Aufklärung durch die zuständigen Landesbehörden befaßte 173 • ce) Enqueten in weiteren Bundesländern
Die Bremische Bürgerschaft setzte am 9. 7. 1969 einen Untersuchungsausschuß ein 174, der die Hintergründe von in der Öffentlichkeit beanstandeten Grundstücksgeschäften aufzuklären hatte. Der Weser-Kurier berichtete am 28.6. 1969 über angebliche Unkorrektheiten beim Kauf von Grundstücken für den Autobahnbau und auf dem Hollerland. Dem Makler Wilhelm Lohmann sollten zulasten der öffentlichen Hand ungerechtfertigte Gewinne in Millionenhöhe zugeflossen sein. In der 6. Wahlperiode setzte der Landtag des Saarlandes am 31. 1. 1975 einen Untersuchungsausschuß ein, der den Zusammenbruch eines Bauunternehmens, der Saar-Bau-Union AG, überprüfen sollte 175 . Es ging dabei insbesondere um die Frage, welche Rolle die Landesregierung in diesem Zusammenhang gespielt hat. Zu untersuchen war das Geschäftsgebaren der AG unter dem Gesichtspunkt, ob sie ei171 Einsetzungsantrag der SPD-Fraktion v. 23. 2. 1968, Bay. Landtag, 6. Wahlperiode, Beilage 839; Einsetzungsantrag der CSU-Fraktion v. 6. 3. 1968,6. Wahlperiode, Beilage 855. 172 Einsetzungsantrag der SPD-Fraktion v. 19.2. 1970, Bay. Landtag, 6. Wahlperiode, Beilage 2886; Einsetzungsantrag der CSU-Fraktion v. 23. 2. 1970, Bay. Landtag, 6. Wahlperiode, Beilage 2897. 173 Einsetzungsantrag der SPD-Fraktion v. 28. 6. 1983, 10. Wahlperiode, Drucks. Nr. 1292; Beschlußempfehlung des Ausschusses für Geschäftsordnung und Wahlprüfung v. 19.7. 1983, 10. Wahlperiode, Drucks. Nr. 1523. 174 Bremer Bürgerschaft, 7. Wahlperiode, Steno Ber., S. 1635; Einsetzungsantrag der CDU-Fraktion v. 30. 6. 1969,7. Wahlperiode, Drucks. Abt. II Nr. 256. 175 Saarl. Landtag, 6. Wahlperiode, 53. Sitzung v. 31. 1. 1975, Steno Ber., S. 2537; Einsetzungsantrag der SPD-Fraktion v. 15. 1. 19756. Wahlperiode, Drucks. Nr. 1775.
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11. Entwicklung und Funktion des Untersuchungsrechts
nen ruinösen Wettbewerb betrieben hat. Zu Beginn der 7. Wahlperiode beschloß der Saarländische Landtag erneut die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses "Saar-Bau-Union AG,,176. Der Schleswig-Holsteinische Landtag beschloß am 5.5. 1977 die Durchführung einer Enquete zur Aufklärung einer möglichen Beeinflussung der Landespolitik durch geschäftliche Interessen des Abgeordneten Gerisch oder/und Firmen des BIG-Konzerns 177 . Bei letzterem handelte es sich um einen Zusammenschluß von Bauunternehmen, die auch in Konkurrenz zur Neuen Heimat standen. Der Parlamentarier Gerisch war an der Leitung von Firmen dieser Gruppe beteiligt. Aufgabe des Ausschusses war es, mögliche Einflußnahmen auf die unterschiedlichsten Politikfelder einer Überprüfung zu unterziehen. Es sollte u. a. untersucht werden, ob es zutrifft, daß ein Ermittlungsverfahren der Kieler Staatsanwaltschaft ergeben hat, daß Gerisch zum Zwecke der Beeinflussung der Landespolitik auf dem Gebiet der Abfallbeseitigung von einer Berliner Firma Geld erhalten hat l78 . Weiterhin war zu prüfen, ob im Herbst 1975 für die damals von dem Abgeordneten geleitete BIG-Gewerbebau "ein Sanierungs- bzw. Abwicklungskonzept unter Federführung der Schleswig-Holsteinischen Landesbank erarbeitet wurde, an welchem sich die Landesregierung im Rahmen eines sog. Landeskonzeptes beteiligte" 179. Der Einsetzung des Ausschusses vorausgegangen waren Vorwürfe in Presse und Fernsehen über eine mögliche Verquickung geschäftlicher Interessen mit Bereichen der Landespolitik. b) Untersuchungsausschüsse zur Überprüfung ungerechtfertigter Bevorzugungen In den Ländern wurden auch mehrfach parlamentarische Untersuchungsausschüsse eingesetzt, um Vorwürfe der ungerechtfertigten Bevorzugung Privater durch die öffentliche Hand aufzuklären. Dabei standen wiederholt Korruptionsvorwürfe im Mittelpunkt der Untersuchung. Der Bayerische Landtag hat am 8. 10. 1954 einen Untersuchungsausschuß zur Prüfung des Falles ,,Metex" eingesetzt 180. Durch die Enquete sollte geklärt wer176 Einsetzungsantrag der SPD-Fraktion v. 11. 2. 1976, Saarl. Landtag, 7. Wahlperiode, Drucks. Nr. 277; Saarl. Landtag, 7. Wahlperiode, 10. Sitzung v. 18. 2. 1976, Steno Ber., S.519. 177 Einsetzungsantrag der SPD-Fraktion V. 19. 4. 1977, Schleswig-Holst. Landtag, 8. Wahlperiode, Drucks. Nr. 715; Erweiterungsantrag der CDU-Fraktion V. 4. 5. 1977,8. Wahlperiode, Drucks. Nr. 729; 8. Wahlperiode, 41. Sitzung V. 5. 5. 1977, Steno Ber., S. 2756 ff. 178 Einsetzungsantrag der SPD-Fraktion, Nr. 4.a). 179 Einsetzungsantrag der SPD-Fraktion, Nr. 3.a). 180 Antrag der Bayern-Partei V. 29. 9. 1954, Bay. Landtag, 2. Wahlperiode, Beilage 5903; Einsetzungsbeschluß, 2. Wahlperiode, Beilage 5934; Bericht V. 22. 11. 1954, 2. Wahlperiode, Beilage 6094.
4. Privatgerichtete Enqueten der Bundesländer
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den, ob Abgeordnete durch Intervention eine Steuernachforderung gegenüber dem Unternehmen verhindert haben. Weiterhin wird im Untersuchungs auftrag nach etwaigen Vergütungen des Unternehmens an Mitglieder des Landtages, die bei der Begutachtung von Kreditanträgen der Metex mitgewirkt haben, oder an ihre Parteien gefragt. Auch andere, ähnlich gelagerte Fälle sollten einer Überprüfung unterzogen werden, insbesondere die Firma DumpelSl. Am 27. 1. 1977 setzte der Bayerische Landtag einen Ausschuß ein, der sich mit Vorgängen um die Firmengruppe "Glöggler" befassen sollte 1S2 . An diese waren Subventionen in erheblichem Umfang geflossen, und die Untersuchung sollte die Gründe der Gewährung dieser staatlichen Hilfen nachvollziehen. Es war zu prüfen, . ob sie im Zusammenhang mit Spenden an die Regierungspartei standen. Der Ausschuß hatte Provisionszahlungen des Unternehmens u. a. an einen Ministerialrat Dr. Dörrbecker für eine genehmigte Nebentätigkeit in Höhe von mindestens 300.000,- DM zu untersuchen. Auch die Umstände des Verkaufs eines Alpsees durch Herrn Glöggler an den Freistaat Bayern einschließlich der dafür gezahlten Vermittlungs gebühr an den bereits erwähnten Landesbeamten sollten geklärt werden. Der Bayerische Landtag setzte am 23. 1. 1986 einen parlamentarischen Untersuchungsausschuß zur Überprüfung eventueller Einflußnahmen auf Steuerstrafverfahren bzw. staatsanwaltschaftliehe Ermittlungen ein 1S3 . Zuvor hatte der "Stern" in seiner Ausgabe vom 19. 9. 1985 behauptet, daß es dem bayerischen Hosenfabrikanten Schleicher im Zusammenwirken mit anderen gelungen sei, über das Finanzminsterium die Einstellung des gegen ihn gerichteten Steuerstrafverfahrens zu erreichen. Dieser Vorwurf sollte geklärt werden. Dabei war auch ein eventueller zeitlicher oder sachlicher Zusammenhang mit Spenden an die Regierungspartei zu überprüfen, insbesondere, ob dem Finanzminister ein Umschlag mit Geld übergeben worden ist. Der Ausschuß sollte ferner die Umstände ermitteln, unter denen der ursprünglich zuständige Staatsanwalt Klug aus dem laufenden Ermittlungsverfahren gegen die Verantwortlichen der Mega-Petrol und andere ausschied. Zu klären war unter anderem, gegen wen und wegen welcher strafrechtlich relevanten Vorgänge Tatverdacht bestand und wieweit die staatsanwaltschaftlichen Untersuchungen bereits fortgeschritten waren. Am 10. 12. 1975 setzte das Parlament des Bundeslandes Schleswig-Holstein einen Untersuchungsausschuß zur Aufklärung der Arzneimittelversorgung der Universitätskliniken Kiel durch die Hofapotheke ein,s4. Der Ausschuß sollte prüfen, EinsetzungsbeschluB, Nr. 3. Einsetzungsantrag v. 2. 12. 1976,8. Wahlperiode, Drucks. Nr. 3992. 183 Einsetzungsantrag v. 4. 12. 1985, 10. Wahlperiode, Drucks. Nr. 8726; Beschlußempfehlung des Ausschusses für Geschäftsordnung und Wahlprüfung v. 21. 1. 1986, 10. Wahlperiode, Drucks. Nr. 8973; Beschlußempfehlung des Ausschusses für Geschäftsordnung und Wahlprüfung v. 23. 1. 1986, 10. Wahlperiode, Drucks. Nr. 8982. 181
182
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H. Entwicklung und Funktion des Untersuchungsrechts
ob ihren Inhabern im Rahmen dieser Medikamentenlieferungen ungerechtfertigte Vorteile zulasten des Landes Schleswig-Holstein erwachsen sind.
c) Untersuchungsausschüsse zur Überprüfung
der Parteispendenpraxis
Im Zusammenhang mit dem sog. Parteispendenskandal kam es Mitte der 80er Jahre wiederholt zur Einsetzung von Untersuchungsausschüssen im Bereich der Bundesländer. Zu überprüfen waren verdeckte Spenden, zumeist von Unternehmen, aber auch von Privatpersonen. Aus steuerlichen Gründen wurden die Parteien nicht durch direkte Geldzuwendungen, sondern durch Zahlungen auf dem Umweg über Vereinigungen, wie Berufs- und Wirtschaftsverbände, die den jeweiligen Parteien nahe standen, gefördert. Findige Politiker gründeten teilweise derartige Organisationen lediglich zu dem Zweck, die beschriebene Spendenpraxis zu ermöglichen. Am 20. 4. 1983 setzte der Landtag von Baden-Württemberg auf Antrag der SPD-Opposition l85 einen Untersuchungsausschuß zur Aufklärung der verdeckten Parteienfinanzierung ein. Nach Ablauf der Legislaturperiode beschloß der Landtag, in der 9. Wahlperiode am 24. 4. 1985 erneut eine Enquete "Politisch motivierte Steuerhinterziehung" durchzuführen 186.
Auch die Landtage von Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen untersuchten die Praxis der Partei spenden in ihrem Land mit Hilfe parlamentarischer Ausschüsse l87 • Das rheinland-pfälzische Parlament beschloß die Durchführung einer solchen Enquete auf Antrag der SPD-Opposition I88 . Danach sollte die Überprüfung des Verhaltens von Mitgliedern der Landesregierung und Mitarbeitern des Landes gegenüber Organisationen, die in die Geldbeschaffung für Parteien verwikkelt waren, im Mittelpunkt der Untersuchung stehen. Die Beziehungen von Verantwortlichen für die Landesexekutive zu juristischen oder natürlichen Personen, die den im Antrag zuvor genannten Organisationen haben Spenden zukommen lassen, waren zu überprüfen l89 • 184 Einsetzungsantrag v. 17. 10. 1975,8. Wahlperiode, Drucks. Nr. 108; Erweiterungsantrag v. 9. 12. 1975, 8. Wahlperiode, Drucks. Nr. 170; 8. Wahlperiode, 11. Sitzung v. 10. 12. 1975, Steno Ber., S. 682 ff. 185 Einsetzungsantrag V. 20. 4. 1983,8. Wahlperiode, Drucks. Nr. 3785. 186 Antrag der SPD-Fraktion V. 29. 3. 1985,9. Wahlperiode, Drucks. Nr. 1412. 187 Der Landtag von Rheinland-Pfalz setzte am 13. 9. 1984 einen Untersuchungsausschuß "Parteispenden" ein, der Landtag von Nordrhein-Westfalen beschloß am 18. 9. 1985 die Durchführung eines Untersuchungsausschusses "Parteienfinanzierung", ThaysenlSchüttemeyer, S. 283. 188 Einsetzungsantrag V. 12. 9. 1984, Rheinl.-Pfälz. Landtag, 10. Wahlperiode, Drucks. Nr.897. 189 Einsetzungsantrag unter Nr. 5.
4. Privatgerichtete Enqueten der Bundesländer
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d) Untersuchungsausschüsse zur Klärung der Ursachen von Grubenunglücken
In den Bundesländern Nordrhein-Westfalen und Saarland überprüften parlamentarische Enqueten wiederholt die Sicherheit der dortigen Bergwerke. Schwere Unglücksfälle boten zumeist den Anlaß für die Einsetzung der Ausschüsse. Der Nordrhein-Westfälische Landtag setzte am 4.5. 1955 einen Untersuchungsausschuß "Grubensicherheit" für den Rest der 3. Wahlperiode ein 190. Dieser hatte den Auftrag, alle größeren Grubenunglücke in dem Bundesland aufzuklären l9l . Das Parlament wiederholte die Einsetzung eines solchen Ausschusses für die gesamte 4. und 5. Wahlperiode l92 . Am 10. 10. 1961 beschloß der Landtag des Saarlandes die Durchführung einer Enquete zur Aufklärung des Unglücks in der Grube "Jägersfreude" vom August desselben Jahres l93 . Das Parlament beauftragte den eingesetzten Untersuchungsausschuß am 16. 2. 1962 damit, auch die Umstände der Explosion in der Grube "Luisenthal" zu klären l94 . Am 24. 11. 1976 und am 16. 9. 1980 setzte sich der Ausschuß für Grubensicherheit jeweils selbst als parlamentarischer Untersuchungsausschuß gern. Art. 81a (a.F.) bzw. Art. 80 (n.F.) Saarländische Landesverfassung i.Y.m. § 60 Abs. 2 S. 2 Gesetz über den Landtag ein, um Grubenunglücksfälle zu untersuchen 195 .
e) Untersuchungsausschüsse zum Thema Gefährdung von Mensch und Umwelt Wiederholt beschäftigten sich parlamentarische Untersuchungsausschüsse auf Länderebene mit der Gefährdung von Mensch und Umwelt durch private Unternehmen.
190 Einsetzungsantrag v. 29. 4. 1955, Nordrhein-Westf. Landtag, 3. Wahlperiode, Drucks. Nr.170. 191 Bericht über Unglücke auf Zeche "Nordstern" und Zeche "Dahlbusch" v. 4. 10. 1955, 3. Wahlperiode, Drucks. Nr. 232. 192 Wiedereinsetzungsantrag v. 30. 7. 1958,4. Wahlperiode, Drucks. Nr. 3; Bericht über Unglück auf Zeche "Sachsen" v. 10.4.1962,4. Wahlperiode, 80. Sitzung, Sten. Ber., S. 2957; Wiedereinsetzungsantrag V. 24. 7. 1962,5. Wahlperiode, Drucks Nr. 4. 193 Einsetzungsantrag V. 3.10. 1961, Saar\. Landtag, 4. Wahlperiode, Drucks. Nr. 127; Abschlußbericht V. 13. 12. 1962,5. Wahlperiode, Drucks. Nr. 558. 194 Antrag auf Erweiterung des Untersuchungsauftrags V. 13. 2. 1962, 4. Wahlperiode, Drucks. Nr. 396; 1. Zwischenbericht V. 2. 3. 1962,4. Wahlperiode, Drucks. Nr. 416; 2. Zwischenbericht V. 14. 5. 1962,4. Wahlperiode, Drucks. Nr. 457; Schlußbericht V. 8. 5. 1963,4. Wahlperiode, Drucks. Nr. 650. 195 Thaysen/Schüttemeyer, S. 282, 284.
5 Köhler
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H. Entwicklung und Funktion des Untersuchungsrechts
Am 19. 6. 1957 setzte die Hamburgische Bürgerschaft einen Ausschuß in der Angelegenheit des Waffenhändlers Schlüter ein. Dieser Ausschuß sollte prüfen, ob alle gesetzlichen Vorschriften für den Handel und die Lagerung von Waffen eingehalten wurden 196. Die Beachtung der erforderlichen Rücksichten auf die benachbarten Bewohner und die Sicherheitsinteressen der Bevölkerung waren zu untersuchen. Die Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg setzte am 19. 9. 1979 einen Untersuchungsausschuß zur Überprüfung der Ursachen und Konsequenzen eines Giftgas- und Munitionsskandals ein 197. Im Mittelpunkt der Enquete standen Ermittlungen hinsichtlich der Firma Stoltzenberg. Die Zeitschrift "Konkret" hatte bereits in ihrer Ausgabe vom 16. 7. 1970 dem Unternehmen die Produktion und Lagerung von gemeingefährlichen Giftkampfstoffen vorgeworfen. Es sollte geklärt werden, welche Überprüfungen und Ermittlungen der Senat daraufhin durchgeführt hatte. Das Hamburger Parlament setzte am 1. 2. 1984 einen Untersuchungsausschuß zur Überprüfung der Ablagerung von Industriemüll auf der Deponie Georgswerder und anderen Hamburger Deponien ein l98 . Es war dabei auch zu klären, welchen Anteil private Abfallbeseitigungsfirmen, z. B. die Firma Uhlig und andere Unternehmen, sowie die Firma Boehringer an der Verunreinigung der Deponieflächen hatten. Der Ausschuß befaßte sich intensiv mit den dioxinhaltigen Abfallen bei Boehringer l99 . Auch Hinweise auf Ablagerungen auf dem Werksgelände wurden verfolgt2oo . Das Gefahrenpotential, das von den Giftmüllabfällen dieses Unternehmens ausging, führte 1984 zur Schließung des Betriebs2ol • Bereits am 29. 7. 1948 setzte der Landtag von Rheinland-Pfalz einen Untersuchungsausschuß zur Feststellung der Ursachen einer Explosionskatastrophe bei der BASF in Ludwigshafen ein 202 . Es handelte sich hierbei erneut um ein Unglück ungeheuren Ausmaßes in der Badischen Anilin- und Sodafabrik, das eine große Anzahl von Menschenleben forderte.
196
Einsetzungsantrag v. 19. 6. 1957, Harnb. Bürgerschaft, 4. Wahlperiode, Steno Ber.,
S.596.
Einsetzungsantrag v. 18.9. 1979,9. Wahlperiode, Drucks. Nr. 1201. Einsetzungsantrag der CDU-Fraktion v. 18. 1. 1984, 11. Wahlperiode, Drucks. Nr. 1898; Einsetzungsantrag der GAL v. 1. 2. 1984, 11. Wahlperiode, Drucks. Nr. 1952; 11. Wahlperiode, 31. Sitzung, Steno Ber., S. 1815 ff. 199 Abschlußbericht v. 26. 2. 1985, 11. Wahlperiode, Drucks. Nr. 3774, S. 82 ff., 92 ff., 116,147 ff., 157. 200 Abschlußbericht, S. 82 ff. 201 11. Wahlperiode, 64. Sitzung v. 28. 3. 1985, Steno Ber., S. 3741. 202 Einsetzungsantrag v. 29. 7. 1948, Rheinl. Pfälz. Landtag, 1. Wahlperiode, Drucks. Abt. H, Nr. 547; 1. Wahlperiode, 35. Sitzung v. 29. 7. 1948, Steno Ber., S. 860 f. 197
198
4. Privatgerichtete Enqueten der Bundesländer
67
f) Untersuchungsausschüsse, die sich direkt auf den privaten Unternehmensbereich bezogen
Parlamentarische Enqueten der Bundesländer bezogen sich in einigen Fällen direkt auf den privaten Unternehmensbereich, indem sie die Eigentumsverhältnisse oder die Wirtschaftlichkeit privater Firmen einer Überprüfung unterzogen. Der 1. Schleswig-Holsteinische Landtag setzte am 12. 12. 1949 einen Untersuchungsausschuß ein, der die privaten Eigentums- und Nutzungsverhältnisse an dem Vermögenskomplex der"Kieler Neuesten Nachrichten" und der "Kieler Nachrichten" nachvollziehen und erörtern sollte 203 . Das Unternehmen, das die zuerst genannte Zeitung herausgab, war ursprünglich bis 1942 eine OHG, deren alleiniger Inhaber ein Dr. Heinrich war. 1942 verkaufte dieser, nach eigenen Angaben unter Druck, 51 % seiner Zeitung an einen NS-Konzern. Nach dem Krieg erhielt der CDU-Abgeordnete Koch eine Lizenz für die Herausgabe einer bürgerlich-demokratischen Zeitung. Es gab eine Verabredung zwischen Dr. Heinrich, Dr. Koch und drei weiteren CDU-Politikern, wonach diese eine Gesellschaft zur Herausgabe der geplanten Zeitung gründen wollten. An dieser sollte Dr. Heinrich zu 60 % und die vier anderen Herren zu je 10 % beteiligt sein 204 . Zuvor hatten drei der vier Politiker Dr. Heinrich gegenüber der britischen Besatzungsmacht eine günstige Bescheinigung hinsichtlich seiner NS-Vergangenheit ausgestellt205 . Aufgrund der o.g. Beteiligungsverabredung wurde gegen die Abgeordneten Schröter, Dr. Emcke und Koch der Vorwurf erhoben, "sie hätten sich von Dr. Heinrich große Vermögens werte ohne wirtschaftliche Gegenleistung gegen die Zusicherung politischer Protektion versprechen lassen,,206. Darin, dies zu überprüfen, sah der Untersuchungsausschuß seine Hauptaufgabe 207 . An der schließlich gegründeten "Kieler-Nachrichten GmbH" war Dr. Heinrich im Gegensatz zu den genannten vier CDU-Abgeordneten nicht beteiligt. Ihm verblieb lediglich sein 49 %iger Eigentumsanteil an den betreffenden Grundstücken, Gebäuden und Maschinen. Auf die zwischen Mehrheit und Minderheit z.T. strittigen Einzelheiten der Gründe hierfür soll in diesem Zusammenhang nicht eingegangen werden. Für die CDU sprach sich der Abgeordnete Ryba im Minderheitsbericht vehement gegen die Zulässigkeit einer Empfehlungsenquete aus 20S . Der SPD-Abgeord203 Schleswig-Holst. Landtag, 1. Wahlperiode, 28. Tagung, Steno Ber., S. 218; Einsetzungsantrag der SPD-Fraktion v. 3. 12. 1949, 1. Wahlperiode, Landtagsvorlage 282/3. 204 Abschlußbericht v. 24. 4. 1950, 1. Wahlperiode, 33. Tagung, Steno Ber., S. 6 f. 205 Steno Ber., S. 8. 206 Steno Ber., S. 7. 207 Siehe Mehrheitsbericht, Steno Ber., S. 6 ff., Minderheitsbericht, Steno Ber., S. 26 ff. 208 Steno Ber., S. 44.
5*
11. Entwicklung und Funktion des Untersuchungsrechts
68
nete Adler nahm in der Aussprache zu den Berichten die gegenteilige Position ein. Er sah es als eine der wichtigsten Aufgaben des Abschlußberichtes an, das Ergebnis zusammenzufassen, Schlußfolgerungen daraus zu ziehen und der Landesregierung zu raten, wie sie weiter verfahren so1l209. Hinsichtlich der Überprüfung der Eigentums- und Nutzungsverhältnisse an dem Zeitungsunternehmen lag eine Untersuchung im privatwirtschaftlichen Bereich vor. Die politische Vergangenheit von Dr. Heinrich wurde genauso erörtert wie die Entwicklung seiner wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse. Es handelte sich also auch um eine Individualenquete. Daneben ist die Tatigkeit des Ausschusses als Empfehlungsenquete und als Kollegialenquete hinsichtlich des Verhaltens der genannten CDU-Abgeordneten zu werten. Letztere beinhaltete den politischen Schwerpunkt der Untersuchung. Auf Antrag der CDU-Fraktion vom 15. 11. 1950210 führte der Badische Landtag eine parlamentarische Untersuchung zur Prüfung der Verhältnisse und Wiederaufbaumöglichkeiten beim Aluminium-Walzwerk Wutöschingen durch. Der Ausschuß sollte die Gründe feststellen, die den Wiederaufbau des demontierten Betriebes bisher verhindert hatten, und Vorschläge für die Wiederingangsetzung des Werkes machen. Das Unternehmen war für das Land Baden volkswirtschaftlich bedeutsam und insbesondere für die Beschäftigungssituation im Wutachtal von großer Wichtigkeit. Es war vor und während des 2. Weltkrieges an der Rüstungsproduktion beteiligt und litt in der Besatzungszeit besonders stark unter Demontagemaßnahmen211 . Für die Mitglieder des Untersuchungsausschusses schien es sicher zu sein, daß ausländische Interessen die Beseitigung der Walzkapazität des Werkes förderten 212 . Im Rahmen der Durchführung der Enquete erörterten die Ausschußmitglieder auch die Eigentumsverhältnisse an dem Unternehmen. Sie beschäftigten sich mit der Frage der notwendigen Investitionen und deren Finanzierung durch Landesmittel erheblichen Umfanges 213 . Die Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg setzte am 13.4. 1978 einen Untersuchungsausschuß zur Feststellung der Gründe für das Scheitern der Sanierung der Firma Blohm ein 214 . Der Senat hatte zum Erhalt des Unternehmens und der Arbeitsplätze erhebliche Mittel aufgewandt und den Betrieb schließlich weitergeführt. Überprüft werden sollten u. a. das Sanierungskonzept der Hamburger Regierung, die Gründe, die zum Scheitern der Übernahmeverhandlungen mit Steno Ber., S. 62. Bad. Landtag, 1. Wahlperiode, Drucks. Nr. 16. 21l Bericht V. 28. 3.1951,1. Wahlperiode, 11. Sitzung, Steno Ber., S. 4 ff., S. 5. 212 Steno Ber., S. 6. 213 Steno Ber., S. 7. 214 Einsetzungsantrag V. 29. 3. 1978, Hamb. Bürgerschaft, 8. Wahlperiode, Drucks. Nr.3529. 209
210
4. Privatgerichtete Enqueten der Bundesländer
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der Finna Feintoll AG geführt haben, und warum der Senat einen Konkursantrag für die Robert Blohm GmbH hatte stellen lassen. Das Hamburger Abendblatt hatte in seiner Ausgabe vom 23. 3. 1978 Wirtschaftssenator Nölling mit folgender Äußerung zitiert: "Nach meinem Eindruck ist es in diesem vermurksten Laden nicht möglich gewesen, auch bei größten Anstrengungen und bestem Willen aller Beteiligten soviel Ordnung hineinzubringen, daß man beispielsweise heute nun endlich mal verläßliche Kalkulationsgrundlagen hätte".
Zu klären war, ob die genannte Zeitung die Bemerkung des Senatsmitglieds korrekt wiedergegeben hatte und inwieweit sie die tatsächliche Situation bei Bohm wiedergab 21S . Der Ausschuß konnte seine Arbeit in der 8. Wahlperiode nicht beenden. Die Bürgerschaft setzte daraufhin zu Beginn der 9. Legislaturperiode eine Enquete mit dem gleichen Untersuchungsauftrag ein 216 .
g) Sonstige privatgerichtete Untersuchungen
Am 8. 5. 1953 setzte der Bayerische Landtag einen Untersuchungs ausschuß ,,Fi1mkredite" ein 217 . Dieser sollte die Hintergründe hoher Verluste des Landes aufgrund der Übernahme von Staatsbürgschaften aufhellen. Die Enquete befaßte sich in weiten Teilen mit Vorgängen bei der Produktion, der Finanzierung und beim Vertrieb von Filmen durch private Unternehmen. Der Ausschuß beschäftigte sich mit der Gründung und der Arbeit einer von den Banken getragenen Filmfinanzierungsgesellschaft mbH218 . Besondere Beachtung und Erwähnung im Abschlußbericht fanden auch die Verhältnisse bei den Verleihfinnen 219 . So wird von einer Liquiditätskrise bei der Finna Bejöhr-Film-Verleih22o berichtet. Dasselbe Unternehmen hatte, wie auch die Siegel-Monopol-KG, von den vereinnahmten Geldern zu wenig an den Staat abgeführt221 .
Der Hessische Landtag setzte in seiner Sitzung vom 29. 10. 1971 einen Untersuchungsausschuß "Frankfurter Bund für Volksbildung e.v." ein 222 . Es handelte sich Einsetzungsantrag unter Nr. 9. Einsetzungsantrag v. 13. 9. 1978, 9. Wahlperiode, Drucks. Nr. 114; Einsetzungsbeschluß v. 27. 9. 1978,9. Wahlperiode, Steno Ber., S. 154 ff. 217 Einsetzungsantrag v. 5. 3. 1953, Bay. Landtag, 2. Wahlperiode, Beilage 3940; Abschlußbericht V. 5. 8. 1954,2. Wahlperiode, Beilage 5776. 218 Abschlußbericht, S. 1 f. 219 Abschlußbericht, S. 3 ff. 220 Abschlußbericht, S. 5 f. 221 Abschlußbericht, S. 6 f. 222 Einsetzungsantrag V. 27. 10. 1971, Hess. Landtag, 7. Wahlperiode, Drucks. Nr. 901. 215
216
70
H. Entwicklung und Funktion des Untersuchungsrechts
dabei um einen mit öffentlichen Mitteln geförderten privatrechtlichen Verein 223 , der die Aufgaben einer Volkshochschule in der Stadt Frankfurt/M. wahrnahm. Er übernahm damit entsprechend § 5 S. 2 des damals geltenden Gesetzes über die Volkshochschulen vom 12.5. 1970224 eine Pflichtaufgabe der kreisfreien Stadt225 . Daneben betrieb der Frankfurter Bund für Volksbildung e.V. auch das Theater am Turm. Anlaß zu der Einsetzung des Untersuchungsausschusses war ein Bericht in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 5. 10. 1971, dessen Titel lautete: "Die Volkshochschule organisiert Hausbesetzungen" . Dem Artikel zufolge sollten führende Repräsentanten der Volkshochschule im Frankfurter Westend Hausbesetzungen organisiert und darüber hinaus durch bezahlte "Untersuchungsberichte" unterstützt haben. Eine Umfunktionierung des Theaters am Turm sei laut FAZ der bisher größte Erfolg einer Kaderbildung durch die Linke gewesen. Hier handelte es sich um eine Mißstandsenquete gegenüber einem privatrechtlichen Verein, der nicht nur mit öffentlichen Mitteln gefördert wurde, sondern darüber hinaus zulässigerweise eine Pflichtaufgabe einer Kommune wahrnahm. Soweit sich der Untersuchungsauftrag auf die Mitarbeiter des Vereins bezieht, liegt eine Individualenquete vor.
5. Folgerungen aus den bisherigen Erörterungen Aus den vorangegangenen Ausführungen ergibt sich, daß aus der Entstehungsgeschichte des heutigen Art. 44 GG keine Beschränkung des Untersuchungsrechts auf den öffentlichen Bereich hergeleitet werden kann und daß es in der Parlamentspraxis seither immer wieder Ausschüsse gegeben hat, die sich mit Geschehnissen im privaten Bereich befaßt haben. Meist war der private Unternehmensbereich betroffen, teilweise wurde jedoch auch der individuelle Lebensbereich von Privatpersonen berührt und zum Diskussionsthema im politischen Kampf gemacht. Daß die Diskussion der Zulässigkeit von Untersuchungen im privaten Bereich erst seit dem "Flick"-Untersuchungsausschuß verstärkt geführt wird, läßt sich also keinesfalls damit begründen, daß es solche Untersuchungen früher nicht gegeben hat. Wohl aber ist die Sensibilität für die Problematik des Schutzes der Privatsphäre allgemein gestiegen, wofür auch das Volkszählungsurteil des BVerfG226 ein InBöckenförde, S. 21. Hess. GVBI., 1970, I, S. 341. 225 Meyer, Rechtsgutachten zur Frage, ob eine beabsichtigte Empfehlung des Deutschen Bundestages an die Bundesregierung zulässiger Anlaß für die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses im Sinne des Art. 44 GG und für die Ausübung strafprozessualen Zwanges gegenüber Privaten sein kann, erstattet der Beteiligungsgesellschaft für Gemeinwirtschaft (BGAG), 1986, unveröffentlicht, im weiteren zitiert Meyer, Rechtsgutachten H, S. 32. 226 NJW 1984, S. 419 ff. 223
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5:Folgerungen aus den bisherigen Erörterungen
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diz ist. Die Grundrechte, die im Grundgesetz eine Aufwertung gegenüber der Weimarer Verfassung erfahren haben, erlangen zunehmend Beachtung und Bedeutung als wirksames Instrument zum Schutz der privaten Lebensverhältnisse. Nicht übersehen werden darf auch, daß mit dem Unternehmen Flick und der Neuen Heimat Konzerne den Schutz ihres privaten Unternehmensbereichs geltend gemacht haben, die nicht nur im Rampenlicht der Öffentlichkeit standen, sondern auch in der Lage waren, ihre Interessen wirksam zu vertreten. Diese Entwicklung spiegelt sich deutlich in der Formulierung der Untersuchungsaufträge wider. Sie waren z. B. im Falle ,,Mont Cenis,,227 und "Biag,,228 so formuliert, als seien die Untersuchungen ausschließlich privatgerichtet, obwohl auch die Exekutive kontrolliert werden sollte. Demgegenüber zeichnen sich die Einsetzungsanträge seit dem Neue-Heimat-Untersuchungsausschuß 229 dadurch aus, daß teilweise krampfhaft versucht wird, über die Formulierung von Gesetzgebungs- und Empfehlungsenqueten zu verhindern, daß die Untersuchung als privatgerichtete Mißstandsenquete erscheint.
Reichstag, 1. Wahlperiode, 120. Sitzung v. 22. 6. 1921, Steno Ber., S. 4073 ff., 4076. Berl. Abgeordnetenhaus, I. Wahlperiode, Drucks. Nr. 170. 229 Neue Heimat, BTDS X/5575; HDW/IKL, BTDS XI/50; Transnuklear, BTDS XIIl680 und XIII 683 (neu). 227 228
111. Versuche einer Klärung des Problems der Zulässigkeit privatgerichteter Enqueten in der Literatur 1. Die Korollartheorie Zweigs Das Bemühen um die Erarbeitung praktisch handhabbarer Kriterien zur Bestimmung von Umfang und Grenzen des parlamentarischen Untersuchungsrechts ist so alt wie das Untersuchungsrecht selbst. Allgemeine Anerkennung findet noch heute die Korollartheorie Zweigs aus dem Jahre 1913 1. Der Begriff "Corollarium" bezeichnet einen Lehrsatz, der aus dem Vorhergehenden unmittelbar folgt und deshalb keines weiteren Beweises bedarf2 . Unter Korollartheorie ist zu verstehen, daß "aus der statusmäßigen Stellung,,3 des Untersuchungsausschusses als Hilfsorgan des Parlaments folgt, daß die Kompetenzen des Untersuchungsausschusses nicht weiter gehen können, als die des Hauptorgans Parlament.
a) Analyse der Vorstellungen Zweigs
Die Einmütigkeit, in der sich die Literatur seit der Weimarer Zeit auf Zweig beruft, fordert eine genaue Analyse seiner Ausführungen. Er befaßt sich in seiner Monographie unter der Überschrift "Die parlamentarische Enquete nach deutschem und österreichischem Recht,,4 mit der Bedeutung des Enqueterechts für eine eigenständige Tatsachenerrnittlung der Volksvertretungen in den konstitutionellen Monarchien Deutschlands und Österreichs. Er geht auf die Geschichte des Enqueterechts ein5 und kommt für Preußen zu dem Ergebnis, daß ein Grund für die ge1 Zweig, Die parlamentarische Enquete nach deutschem und österreichischem Recht, ZfP 1913, S. 265 ff., 267, 307; Bäckenfärde, S. 4 ff.; Kipke, Die Untersuchungsausschüsse des Deutschen Bundestages, Berlin, 1985, S. 39 f.; Partseh, Gutachten zum 45. DIT, S. 15 f.; Keßler, Die Aktenvorlage und Beamtenaussage im parlamentarischen Untersuchungsverfahren, AöR 88, S. 313 ff.; Rechenberg, in Bonner Kommentar, Kommentar zum Grundgesetz, Heidelberg, Stand 2/93, Art. 44 GG, Rdnr. 7; Achterberg, Parlamentsrecht, Tübingen 1984, S. 446 f.; Lammers, in AnschützlThoma, Handbuch des Deutschen Staatsrechts, 2. Bd., Tübingen 1932, § 94, S. 465. 2 Meyers Lexikon, 4. Aufl., Bd. 4, Leipzig und Wien 1890, S. 284. 3 Kipke, S. 39. 4 Zweig, S. 265. 5 Zweig, S. 272.
1. Die Korollartheorie Zweigs
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ringe Bedeutung des parlamentarischen Untersuchungsrechts dort in einer einschränkenden Auslegung von Art. 82 der Preussischen Verfassung contra legern durch die juristische Zweckjurisprudenz zu sehen ist6 . Zweig erwähnt die ausgeprägte Entwicklung des Untersuchungsrechts in England 7 und geht darauf ein, daß das Untersuchungsrecht "im deutschen Boden nicht Wurzeln fassen konnte"s. Auch in Österreich hatte das parlamentarische Enqueterecht bis zum Jahre 1913 keine Bedeutung erlangt. Dies veranlaßte Zweig, an der Machtstellung und am Machtbewußtsein des österreichischen Abgeordnetenhauses zu zweifeln 9 . Ziel dieser Veröffentlichung war es, aufzuzeigen, daß in den konstitutionellen Verfassungssystemen der genannten Länder der parlamentarischen Untersuchung allmählich die sachliche Grundlage entzogen wurde. Die Tatsachenerrnittlung zur Vorbereitung gesetzgeberischer und administrativer Maßnahmen wanderte zunehmend in den Exekutivbereich ab, während das Informationsbedürfnis der Parlamente schwand lO • Diese Ausführungen zu Zweigs viel zitiertem Aufsatz sollen reichen, um klar zu machen, daß es Zweig keinesfalls in erster Linie darum ging, eine neue Theorie zu entwickeln, mit deren Hilfe die Grenzen des parlamentarischen Untersuchungsrechts ausgelotet werden konnten. Es war nicht sein vorrangiges Ziel, Kriterien zu entwickeln, mit denen etwa ein Ausufern des parlamentarischen Untersuchungsrechts verhindert werden könnte, denn er kritisiert ja gerade das kümmerliche Schattendasein, das das parlamentarische Untersuchungsrecht in den konstitutionellen Monarchien Deutschlands und Österreichs fristete. Ausführungen zur Korollartheorie sind nicht das zentrale Thema Zweigs, sondern finden eher am Rande Erwähnung. Die Abhandlung beginnt mit einigen einführenden Sätzen zum Enqueterecht. In diesem Zusammenhang erwähnt Zweig auch erstmals die Korollartheorie: "Schon aus der Definition des parlamentarischen Enqueterechts ergibt sich die dynamische Natur der Einrichtung. Sie erscheint als logisch oder juristisch notwendiges Korollar der der Volksvertretung zugewiesenen Tatigkeit, als sachliche Vorbereitung und Ergänzung jener Formalakte, in welchen ein Parlament seine verfassungsmäßige Zuständigkeit verwirklicht. Hierin liegt die Zweck- und Grenzbestimmung für die durch die parlamentarische Enquete zu leistende Ermittlungsfunktion, deren Inhalt und Umfang sich in jedem einzelnen Fall nach der allgemeinen Kompetenz des Vertretungskörpers bemißt, ..... 11.
Zweig, S. 287 f. Zweig, S. 273. 8 Zweig, S. 293. 9 Zweig, S. 330. 10 Zweig, S. 269, 343 ff. 11 Zweig, S. 267.
6 7
74
III. Die Zulässigkeit privatgerichteter Enqueten
Zweig geht in seinem 80 Seiten umfassenden Aufsatz noch an drei weiteren Stellen l2 auf die Korollartheorie ein. Er erwähnt, daß das Parlament rechts- und, bei grundgesetzlicher Fixierung seiner Zuständigkeit, auch verfassungswidrig handelt, wenn es die Untersuchungsfunktion einer Enquete weiter fassen will, als seine eigene Zuständigkeit reicht 13 • Im Rahmen der Erörterung des preußischen und österreichischen Enqueterechts erwähnt Zweig, daß in beiden Ländern das Prinzip anerkannt ist, daß sich das parlamentarische Untersuchungsrecht nur soweit erstrecken kann, wie die Kompetenz der Volksvertretung reicht l4 . Die Korollartheorie war dem Inhalt nach also bereits verbreitet, bevor Zweig seine Abhandlung veröffentlichte. Insofern hat er keine neue Theorie entwickelt, sondern allenfalls den Namen "Korollartheorie" geprägt. Nimmt man hinzu, daß auch Zweig diese Theorie in seinem Aufsatz weder besonders herausstellt, noch überhaupt als etwas Neues darstellt, so ist es um so erstaunlicher, wie einmütig sich bis heute die Literatur auf ihn beruft.
b) Vergleich der Auffassungen Smends und Lewaids mit denen Zweigs Zur Zeit der Weimarer Republik vertraten Smend und Lewald Ansichten, die denen Zweigs widersprachen. Smend wendet sich dagegen, in parlamentarischen Untersuchungsausschüssen lediglich Hilfsorgane der Volksvertretung zu sehen. Er führt dazu aus: "Die Verfassung selbst bindet die Ausschüsse nicht ausdrücklich an die Rolle bloßer Hilfsorgane des Reichstagsplenums; politische Einigung durch evidente Klärung politischer Fragen, die einen wesentlich die Einheit hindernden Keil im deutschen politischen .Körper darstellen, liegt in der Linie der allgemeinen Integrationsaufgabe der Verfassung überhaupt und der Demokratie von Weimar insbesondere,,15. Diese Ausführungen zum Enqueterecht entsprechen Smends grundsätzlichem Verfassungsverständnis. Er war maßgeblich am Schulenstreit der 20er Jahre beteiligt und stellte dem bis dahin herrschenden positivistisch-fonnalen Verfassungsverständis die von ihm entwickelte Integrationslehre entgegen. Sahen die Positivisten in der Verfassung lediglich das Organisationsstatut des Staates, stellte er durch einen geisteswissenschaftlich orientierten Ansatz ihr einheitsstiftendes Element in den Mittelpunkt seiner Lehre. Smend versteht die Verfassung als ein die politischen und gesellschaftlichen Kräfte zusammenführendes System l6 • Zweig, S. 271, 288, 307. Zweig, S. 271. 14 Zweig, S. 288, 307. 15 Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, in Staatsrechtliche Abhandlungen und andere Aufsätze, 2. Aufl., Berlin 1968, S. 119 ff., 245. 12
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1. Die Korollartheorie Zweigs
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Weiterhin darf nicht unerwähnt bleiben, daß die oben zitierten Ausführungen Smends im Zusammenhang mit der Diskussion der Zulässigkeit des ersten Untersuchungsausschusses des Reichstages zur Erörterung der Kriegsschuld standen. Einen solchen Ausschuß gab es bereits vor der Wahl des Ersten Reichstages zu Zeiten der Nationalversammlung. Er konnte seine Arbeit jedoch nicht abschliessen, und der Erste Reichstag hat ihn deshalb erneut eingesetzt 17 . Dieser Ausschuß sollte umfangreiche Untersuchungen zum Ausbruch und Verlust des Krieges und zum Zusammenspiel der militärischen und politischen Stellen in dieser Angelegenheit anstellen. Es ging also um die Klärung wichtiger politischer Fragen durch das in Art. 34 der Verfassung vorgesehene Rechtsinstitut. Von daher ist es verständlich, daß Smend, ausgehend von der Integrationslehre, die Klärung politischer Fragen zum Zwecke der politischen Einigung durch das dafür in Frage kommende Verfassungsinstitut für zulässig erachtete. Ein solcher Ausschuß entsprach der Integrationsaufgabe der Verfassung. Bei einem genaueren Vergleich der Vorstellungen Smends mit denen Zweigs wird deutlich, daß diese gar nicht so weit auseinander liegen, wie es auf den ersten Blick erscheint. Meyer 18 weist darauf hin, daß es sich bei dem Ausschuß zur Erörterung der Kriegsschuld um eine Kontrollenquete mit Skandalcharakter handelte. Es ging vorwiegend um die Kontrolle von Regierung, Politikern, Verwaltung und Militär. Eine solche Enquete wäre jedoch auch nach den Vorstellungen Zweigs zulässig gewesen. Gerade im Bereich der Kontollenquete legt er die Korollartheorie weit aus. Zweig läßt hier als Formalakt, zu dessen Vorbereitung und Ergänzung eine parlamentarische Enquete nach seinen Ausführungen nur zulässig ist 19 , ausdrücklich eine Resolution ausreichen 2o . Damit sind dieser Art der parlamentarischen Untersuchung praktisch kaum Grenzen gesetzt. Berücksichtigt man, daß Kontrollenqueten letziich der Klärung politischer Fragen dienen, so wird deutlich, daß sowohl Zweig als auch Smend der Klärung derartiger Angelegenheiten durch Untersuchungsausschüsse ein weites Feld einräumen. Methodisch unterscheiden sie sich dadurch, daß Zweig diese Untersuchungskompetenzen aus der Kontrollbefugnis der Volksvertretung ableitet, während Smend auf die allgemeine Integrationsaufgabe der Verfassung abstellt. Vom Ergebnis her dürfte dies kaum zu praktischen Unterschieden führen. Auch Lewald setzt sich für eine eigenständige Untersuchungskompetenz im Rahmen der "Verwaltungsenquete oder politischen Enquete" ein: "Die politische Enquete unterscheidet sich von der Gesetzgebungsenquete dadurch, daß sie nicht wie diese eine in notwendiger funktioneller Abhängigkeit von der Tätigkeit des 16 Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1,2. Aufl., München 1984, S.92. 17 Reichstag, 1. Wahlperiode, 7. Sitzung v. 3. 7. 1920, Steno Ber., S. 192 f. 18 Meyer, Rechtsgutachten TI, S. 35. 19 Siehe oben rn.1.a). 20 Zweig, S. 267.
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III. Die Zulässigkeit privatgerichteter Enqueten Parlaments selbst stehende Hilfstätigkeit ist. Sie hat vielmehr unabhängig von ihrer möglichen Zweckbindung auf eine parlamentarische Beschlußfassung eine in ihr selbst ruhende Bedeutung,,21.
Er führt weiterhin aus: "Art. 34 erweitert die Zuständigkeit des Parlaments über die durch die anderen Normen des Parlamentsrechts gezogenen Grenzen hinaus, er hat also die Bedeutung einer selbständigen materiellen Zuständigkeitsnorm, die dem Parlament eine Generalkontrollkompetenz verleiht,,22.
In diese Generalkontrollkompetenz schließt Lewald ausdrücklich die Kontrolle über die Handhabung der Aufsicht über die Landesbehörden durch die Exekutive des Reichs nach Art. 15 WRVein23 . Auch Lewaids Vorstellungen unterscheiden sich bei näherem Hinsehen kaum von denen Zweigs. Er geht wie Smend im Bereich der politischen Enquete, also im Rahmen der Kontrolle von Regierung und Verwaltung, von einer eigenständigen Untersuchungskompetenz aus, die nicht aus den Kompetenzen der Volksvertretung abgeleitet werden muß. Insofern unterscheidet auch er sich von Zweig. Letzterer legt jedoch, wie bereits erwähnt, die Korollartheorie im Bereich der Kontrollenquete so weit aus, daß er kaum zu anderen Ergebnissen kommen dürfte als Lewald. Die Korollartheorie unterscheidet sich von den Vorstellungen Smends und LewaIds weniger durch ihre praktischen Ergebnisse, als durch ihre verfassungstheoretische Ableitung. Gerade insofern überzeugt jedoch die Korollartheorie Zweigs. Parlamentarische Untersuchungsausschüsse werden von der Volksvertretung eingesetzt, sind an den von ihr formulierten Untersuchungsauftrag gebunden, legen das Ergebnis ihrer Arbeit dem Parlament vor, und ihr Zweck liegt in der Informationsbeschaffung für die Volksvertretung. Das Recht zur "parlamentarischen" Untersuchung ist ein Recht des Parlaments. Im Grundgesetz, insbesondere in Art. 44 GG, gibt es keinen Anhaltspunkt für einen von der Volksvertretung unabhängigen eigenen Kompetenzbereich parlamentarischer U ntersuchungsausschüsse 24 •
c) Die Auslegung der Korollartheorie
Wie bereits erwähnt, findet die Korollartheorie heute allgemeine Anerkennung 25 . Ihre Auslegung ist jedoch umstritten. Die Vertreter eines engen gegenständlichen Anwendungsbereichs dieser Theorie26 stehen denen gegenüber, die 21 Lewald, Enqueterecht und Aufsichtsrecht, AöR 44 N.F. Bd. 5, S. 269 ff., 288 f. 22 Lewald, S. 293. 23 Lewald, S. 298. 24 Vgl. Stern, Staatsrecht, Bd. 2, S. 105. 25 Siehe oben III.!.
1. Die Korollartheorie Zweigs
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sich für eine weite Auslegung der Theorie aussprechen 27 . Die Befürworter einer engen Interpretation der Korollartheorie halten die Einsetzung parlamentarischer Untersuchungsausschüsse nur für zulässig, wenn diese der Vorbereitung rechtsverbindlicher Beschlüsse des Parlaments dienen. Es kann sich dabei entweder um Gesetzesbeschlüsse oder um Formalakte handeln, die die Verfassung im Zusammenhang mit der Kontrollfunktion des Parlaments vorsieht. Insbesondere ist hier das Mißtrauensvotum nach Art. 67 GG zu erwähnen. Das parlamentarische Untersuchungsrecht wird als Instrument zur Vorbereitung verfassungsmäßiger Entschließungen des Parlaments betrachtet. Diese Auffassung, Böckenförde nennt sie die ältere 28 , war bereits unter der Geltung von Art. 34 WRV verbreitet. Die Vertreter einer weiten Auslegung der Korollartheorie halten es nicht für erforderlich, daß die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses der Vorbereitung von Parlamentsbeschlüssen dienen muß, die sich durch ihre Rechtsverbindlichkeit auszeichnen. Für sie ist es ausreichend, wenn das Untersuchungsthema innerhalb der Befassungskompetenz des Parlaments liegt, wenn es also unabhängig von einer eventuellen Beschlußfassung darüber beraten darf29 . Böckenförde kritisiert an der engen Auffassung, daß ihr die Vorstellungen von den Parlamentszuständigkeiten der konstitutionellen Monarchie zugrunde liegen 30 und sie somit nicht mehr zeitgemäß ist. Das von einer strikten Gewaltentrennung ausgehende System des Konstitutionalismus beschränkte die Zuständigkeit der Volksvertretung auf die Aufgaben, die ihr durch die Verfassung ausdrücklich zugewiesen waren. Auch war die Regierung nicht vom Vertrauen des Parlaments abhängig. Folgerichtig verweisen die Anhänger einer weiten Auslegung der Korollartheorie auf die Ausdehnung der Parlamentsfunktionen seit dem Übergang vom konstitutionellen zum parlamentarisch-demokratischen Verfassungssystem. Das Parlament ist unter der Geltung des Grundgesetzes das einzige unmittelbar durch das Volk legitimierte Verfassungsorgan. Es kontrolliert nicht nur die Regierung, sondern es bestellt sie durch die Kanzlerwahl und ist zu ihrer Abberufung befugt. Die 26 Poetzsch/Heffter, Handkommentar der Reichsverfassung, 3. Aufl., Berlin 1928, Vorb. zu Art. 34-35, S. 180; Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs v. 11. 8. 1919, 14. Aufl., Berlin 1933, Art. 34, S. 218, 3.; Kipke, S. 39; Keßler, S. 314; Schweiger, in Nawiasky/Schweiger/Knöpfle, Die Verfassung des Freistaates Bayern, Kommentar, 2. Aufl., München 1963, Art. 25, Rdnr. 3. 27 Böckenförde, S. 6 ff.; Masing, Parlamentarische Untersuchungen gegenüber Privaten?, Der Staat 1988, S. 273 ff., 276 f.; Maunz, in Maunz/Dürig, Art. 44, Rdnr. 3 f.; Steinberger, Rechtsgutachten zu der Frage, ob der Untersuchungsauftrag auf Bundestagsdrucksache 11/ 1683 (neu) in allen Teilen den verfassungsrechtlichen und sonstigen rechtlichen Anforderungen genügt, um zu seiner Erfüllung etwa notwendige Zwangsmittel gegenüber Zeugen sowie die Beschlagnahme von Akten mit Erfolg bei Gericht beantragen zu können, erstattet dem 2. Untersuchungsausschuß der 11. Wahlperiode des Deutschen Bundestages in BTDS XI17800, Anlage 7, S. 1181 ff., 1191 f. 28 Böckenförde, S. 6. 29 Steinberger, S. 1191 f. 30 Böckenförde, S. 6.
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III. Die Zulässigkeit privatgerichteter Enqueten
Regierung ist also vom Parlament abhängig und muß sich umfassend vor ihm verantworten. Der Volksvertretung wächst damit Leitungsgewalt ZU 31 . Sie sieht sich der Aufgabe gegenübergestellt, ständig die unterschiedlichsten Problembereiche einer politischen Lösung zuführen zu müssen. Das Parlament bedarf daher der Infonnation 32. Die Vertreter einer weiten Auslegung der Korollartheorie verweisen auf die Stellung des Parlaments als "politisches Repräsentationsorgan des Volkssouveräns,,33 und als "parlamentarisches Forum der Nation,,34. Sie sind der Auffassung, daß dem Parlament für alle Gegenstände, die es beraten und diskutieren kann, auch das Instrument der parlamentarischen Untersuchung zur Sachaufklärung und Infonnation zur Verfügung stehen muß. In Anbetracht der erheblichen Meinungsunterschiede hinsichtlich des möglichen Umfangs parlamentarischer Untersuchungen erscheint es erstaunlich, daß sich beide Positionen auf dieselbe Theorie berufen. Dies macht deutlich, daß die große Übereinstimmung hinsichtlich der Anerkennung der Korollartheorie mehr eine begriffliche als eine inhaltliche ist. Bei einem Vergleich der Argumente für eine enge mit denen für eine weite Auslegung überzeugen letztere. Das Ziel dieser Theorie ist, zu verhindern, daß parlamentarische Untersuchungsausschüsse als Hilfsorgane der Volksvertretung Kompetenzen ausüben, die ihrem Kreationsorgan Parlament nicht zustehen. Dafür ist es jedoch nicht erforderlich, die Ausübung des parlamentarischen Untersuchungsrechts auf bestimmte Parlamentsfunktionen zu beschränken, zumal eine solche Einschränkung weder Art. 44 GG, noch die Verfassung insgesamt fordert. Der Grund dafür, daß die in der konstitutionellen Monarchie entstandene Korollartheorie heute in einem gänzlich anderen Verfassungssystem unbestrittener ist denn je, liegt in der Anbindung der Kompetenzen parlamentarischer Untersuchungsausschüsse an diejenigen des Parlaments. Da sich der Kreis der Aufgaben und Befugnisse der Volksvertretung in der parlamentarischen Demokratie immens erweitert hat, sind auch Enqueten nach Art. 44 GG in größerem Umfang möglich. Dies ist nur konsequent und folgerichtig, weil Untersuchungsausschüsse ein Instrument sind, mit dem sich das Parlament die für seine Sachentscheidungen notwendigen Infonnationen verschaffen kann. Damit ist allerdings nicht gesagt, daß diese parlamentarischen Ausschüsse im gesamten Spektrum ihres möglichen Tatigkeitsbereichs zur Beweiserhebung die Zwangsrechte des Art. 44 Abs. 2 GG anwenden dürfen. Darauf wird noch zurückzukommen sein.
Masing, aaO., S. 276; Schäfer, Der Bundestag, 4. Aufl., Opladen, 1982, S. 14. Vgl. Masing, S. 276. 33 Böckenförde, S. 8; vgl. Memminger, Parlamentarische Kontrolle der Regierung durch Untersuchungsausschüsse, DÖV 1986, S. 15 ff., 16. 34 Böckenfärde, S. 9; vgl. Memminger, S. 16. 31
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1. Die Korollartheorie Zweigs
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d) Schützt die Korollartheorie vor Eingriffen in den Privatbereich?
Eine Grenze des Untersuchungsrechts als Ausgangspunkt für die weiteren Erörterungen ist also in der Korollartheorie zu sehen, wenngleich sie weit auszulegen ist. Daher ist zunächst zu fragen, ob damit bereits ein praktikabeles Abgrenzungskriterium hinsichtlich des Umfangs und der Grenzen parlamentarischer Enqueten gegenüber Privaten gefunden ist. Diese Frage ist zu verneinen. Die Korollartheorie markiert lediglich die äußersten Grenzen des Untersuchungsrechts nach Art. 44 GG. Sie ermöglicht eine Bestimmung der Grenzen, die sich für das Enqueterecht aus dem Gesichtspunkt der Gewaltengliederung und des föderativen Staatsautbaus ergeben. Greitbare Kriterien für die Festlegung von Umfang und Grenzen des Untersuchungsrechts im privaten Bereich sind damit jedoch nicht gefunden. Dies gilt sowohl bei einer weiten als auch bei einer engen Auslegung der Theorie. Der Grund dafür, daß weder die weite noch die enge Auslegung der Korollartheorie zu befriedigenden Ergebnissen hinsichtlich der Bestimmung des Umfangs der Zulässigkeit von Untersuchungen im privaten Bereich führt, ist darin zu sehen, daß diese Theorie zum Schutz privater Rechte nicht konzipiert und auch nicht geeignet ist. Zwar können die unterschiedlichen Auslegungsweisen im Einzelfall zu anderen Ergebnissen im Hinblick auf die Zulässigkeit einer privatgerichteten Untersuchung führen. Diese Differenzen sind jedoch zufällige Folgen einer Theorie, die den Umfang zulässiger Enqueten ausschließlich vom Standpunkt der Beziehungen des Hilfsorgans Untersuchungsausschuß zum Hauptorgan Parlament beurteilt. Eine sachgerechte Differenzierung zur Bestimmung der Grenzen des Enqueterechts mit dem Ziel des Schutzes von Persönlichkeitsrechten und privaten Unternehmensrechten vermag diese Theorie nicht zu leisten. Dies soll kurz an einem Beispiel erläutert werden: Der Bundestag plant, einen parlamentarischen Untersuchungsausschuß einzusetzen, um die Geschäftspraktiken der Rüstungsindustrie beim Waffenexport zu überprüfen. Anlaß ist die Kritik des Auslands an deutschen Waffenexporten im Zusammenhang mit dem Golfkrieg. Schwerpunktmäßig soll untersucht werden, inwiefern die Firmen dabei gegen deutsches und internationales Recht verstoßen haben. Setzt der Deutsche Bundestag den Ausschuß mit dem Ziel ein, Empfehlungen zu erarbeiten, wie sich die Bundesregierung in Zukunft vom Standpunkt des geltenden Rechts aus verhalten soll, um illegale Exporte zu verhindern, so wäre ein solcher Ausschuß bei einer engen Auslegung der Korollartheorie unzulässig, da kein rechtsverbindlicher Parlaments beschluß herbeigeführt werden soll. Bei einer weiten Auslegung der Theorie wäre der Ausschuß jedoch zulässig. Würde der Bundestag hingegen beschließen, daß das Ziel der Enquete die Erarbeitung neuer gesetzlicher Bestimmungen ist, so wäre die Untersuchung nach beiden Auslegungsmethoden zulässig. Die Rechte der privaten Firmen würden aber durch eine Empfehlungsenquete im gleichen Maße berührt, wie durch eine Gesetzgebungsenquete.
111. Die Zulässigkeit privatgerichteter Enqueten
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Das Beispiel macht weiterhin deutlich, wie stark bei einer engen Auslegung der Korollartheorie die Frage der Zulässigkeit einer Enquete vom Formulierungsgeschick der Antragsteller, also in der Regel von einer parlamentarischen Minderheit, abhängt. Es läßt sich nahezu jede Untersuchung als Gesetzgebungs- oder Kontrollenquete formulieren. Ob tatsächlich rechtsverbindliche Beschlüsse im Rahmen der Gesetzgebung oder der Exekutivkontrolle zu treffen sind, wird sich immer erst am Ende einer Untersuchung herausstellen. Grundsätzlich kann jeder Ausschuß nach Art. 44 GG am Ende seiner Tätigkeit zu dem Ergebnis kommen, daß die eine oder andere gesetzliche Regelung geändert werden sollte. Jede Kontrollenquete kann letztlich dazu führen, daß das Ergebnis der Ausschußtätigkeit der Vorschlag zu einem konstruktiven Mißtrauensvotum nach Art. 67 GG an das Parlament ist. Eine enge Auslegung der Korollartheorie führt also dazu, daß sie bei geschickter Formulierung des Einsetzungsantrags zu dem selben Ergebnis führt, wie die weite Auslegung. Dies könnte nur verhindert werden durch eine Überprüfung der Ernsthaftigkeit vorgegebener Absichten, mittels der Untersuchung verbindliche Gesetzgebungs- oder Kontrollbeschlüsse des Parlaments herbeizuführen. Damit müßte das Ergebnis der Untersuchung praktisch vorweggenommen werden. Außerdem wäre der antragstellenden Minderheit bis zur Mißbrauchsgrenze eine Entscheidungsprärogative hinsichtlich ihrer Untersuchungsziele zuzubilligen. Die Korollartheorie ist in ihrer weiten Auslegung ein bewährtes und nach wie vor überzeugendes Instrument, um die äußersten Grenzen des Enqueterechts der Volksvertretungen in Bund und Ländern zu bestimmen. Eine enge Auslegung der Theorie wird weder den umfassenden Parlamentsfunktionen des parlamentarischdemokratischen Systems noch den Anforderungen der Parlamentspraxis gerecht. Es bedarf über die Korollartheorie hinaus zusätzlicher Kriterien zum Schutz der Rechte von natürlichen Personen oder juristischen Personen des Privatrechts bzw. sonstiger Personenmehrheiten.
2. Die Notwendigkeit des "öffentlichen Interesses" an der parlamentarischen Untersuchung Die Diskussion darüber, inwiefern eine Beschränkung des parlamentarischen Untersuchungsrechts auf Gegenstände von öffentlichem Interesse wirksam gegen Eingriffe in private Angelegenheiten schützt, wird seit der Einführung des Enqueterechts in die Weimarer Verfassung geführt. Die Verfassunggebende Deutsche Nationalversammlung hat sich bereits 1919 mit der Problematik befaßt und sich dagegen entschieden, das Recht der parlamentarischen Untersuchung ausdrücklich auf Tatsachen zu beschränken, welche im öffentlichen Interesse liegen 35 . Die Abgeordneten hielten dies für überflüssig, da es für sie selbstverständlich war, daß sich 35
Siehe oben II.1.
2. Das "öffentliche Interesse" an der parlamentarischen Untersuchung
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weder der Reichstag noch eine parlamentarische Enquete mit ausschließlich privaten Angelegenheiten befaßt.
a) Der Begriff des "öffentlichen Interesses" Auch heute ist allgemein anerkannt, daß ein parlamentarischer Untersuchungsausschuß nach Art. 44 GG nur Angelegenheiten von öffentlichem Interesse behandeln darf36 . Über Inhalt und Konturen des Begriffs sowie über die Frage seiner Justiziabilität besteht jedoch nach wie vor Unklarheit. Es gibt unterschiedliche Auffassungen darüber, ob dieses Merkmal nach inhaltlich zu bestimmenden objektiven Kriterien oder aber rein faktisch zu definieren ist. Für die Anhänger einer Definition des Begriffs "öffentliches Interesse" nach objektiven Maßstäben kommt es darauf an, welche Bedeutung die Aufklärung einer Angelegenheit für Staat und Gesellschaft hat37 . Sie stellen ab auf das "von subjektiver Interessiertheit zu trennende, objektive Interesse,,38 der Allgemeinheit an der Feststellung bestimmter Sachverhalte. Das Untersuchungsthema muß einen Bezug zum Gemeinwohl aufweisen 39 . Unstreitig liegt das öffentliche Interesse bei dieser Begriffsbestimmung jedenfalls dann vor, wenn die zu untersuchende Materie durch Rechtsnormen dem staatlichen Bereich zugeordnet ist. Demgegenüber halten andere Autoren ein tatsächlich vorhandenes, sog. faktisches öffentliches Interesse für ausreichend4o . Für sie kommt es darauf an, ob Vorgänge, die untersucht werden sollen, die Aufmerksamkeit und das Interesse der Allgemeinheit erregen oder nicht41 . Di Fabio weist in diesem Zusammenhang darauf hin, daß allein die faktische Befassung des Parlaments mit einer Angelegenheit diese in Anbetracht des Stellenwerts der Volksvertretung zum Gegenstand öffentlichen Interesses machen kann 42 • Auch Böckenförde hält ein tatsächlich vorhandenes öffentliches Interesse für ausreichend, da das, was "alle angeht und bewegt", aus der privaten Sphäre heraustritt und den Charakter des Öffentlichen erhält. Er erachtet es allerdings aus Gründen der rechtsstaatlichen Freiheitssicherung auch 36 Böckenförde, S. 14; Maunz, in Maunz/Dürig, Bd. 3, Art. 44, Rdnr. 19; Partsch, Gutachten zum 45. DIT, S. 16 ff.; Linck, Untersuchungsausschüsse und Privatsphäre, ZRP 1987, S. 11 ff., 14; Vetter, Verfassungsrechtliche Grenzen der Beweiserhebung parlamentarischer Untersuchungsausschüsse, DÖV 1987, S. 426 ff., 430; Schleich, Das parlamentarische Untersuchungsrecht des Bundestages, Berlin 1985, S. 31 f.; Kipke, S. 45. 37 Schleich, S. 32, Kipke, S. 45. 38 Kipke, S. 45. 39 Steinberger, S. 1195. 40 Böckenförde, S. 15; Vetter, S. 430; Di Fabio, Rechtsschutz im parlamentarischen Untersuchungsverfahren, Berlin 1988, S. 42 f. 41 Vetter, S. 430. 42 Di Fabio, S. 43.
6 Köhler
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III. Die Zulässigkeit privatgerichteter Enqueten
beim Vorliegen eines öffentlichen Interesses für erforderlich, dieses mit entgegenstehenden persönlichen oder Privatinteressen abzuwägen. Bei diesem Prozeß darf sich nur ein "überwiegendes öffentliches Interesse" durchsetzen43. Weder der objektive noch der faktische Begriff des öffentlichen Interesses bietet indes ein greifbares Abgrenzungskriterium zum Schutz des privaten Bereichs. Eine Betrachtungsweise, die auf das tatsächliche Interesse an einer Angelegenheit abstellt, verzichtet auf jeglichen inhaltlichen Schutz der Privatsphäre oder des privaten Unternehmensbereichs. Hier ist kaum vorstellbar, daß ein vom Parlament diskutiertes oder sogar festgelegtes Untersuchungsthema in der Öffentlichkeit kein Interesse fände. Dabei gibt es kein objektives Kirterium, woran die Anteilnahme der Öffentlichkeit an einer Angelegenheit letztlich gemessen werden könnte. Es dürfte wohl kaum der richtige Weg sein, den Versuch zu unternehmen, die quantitative Berichterstattung in den Medien festzustellen und darauf bei der Entscheidung über das Vorliegen öffentlichen Interesses abzustellen. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß gerade die Boulevardpresse oft in skandalöser Weise über das Privatleben von Persönlichkeiten berichtet, die aus welchen Gründen auch immer gerade im Rampenlicht der Öffentlichkeit stehen. Daran sollte sich das parlamentarische Untersuchungsrecht nicht orientieren. Auf den ersten Blick erscheint eine Bestimmung des Begriffs "öffentliches Interesse" nach objektiven Kriterien eher geeignet, einen Schutz des Privatbereichs zu bewirken. Hier ist jedoch Masing zuzustimmen, der darauf hinweist, daß eine Bestimmung dessen, "was das Gemeinwesen in Wahrheit betrifft", mit rechtlichen Kriterien nicht zu leisten ist44 . Er begründet dies damit, daß menschliches Handeln stets potentiell öffentlich ist, wo es zwischenmenschliche Bezüge aufweist. Die Entscheidung der Frage, was für Staat und Gesellschaft bedeutsam und aufklärungsbedürftig ist, kann nur unter politischen, nicht aber unter rechtlichen Gesichtspunkten getroffen werden.
b) Wer entscheidet über das Vorliegen des "öffentlichen Interesses"? Sowohl bei einer faktischen als auch bei einer objektiven Begriffsbestimmung ist die Frage nach dem Vorliegen öffentlichen Interesses eine politische. Sie kann daher nur im Parlament entschieden werden, da es das Recht der für politische Beschlüsse zuständigen Volksvertretung ist, eine parlamentarische Untersuchung nach Art. 44 GG durchzuführen. Im Falle einer Mehrheitsenquete beschließt das Parlament über das Vorliegen öffentlichen Interesses an der parlamentarischen Untersuchung, indem es dem Einsetzungsantrag zustimmt. Handelt es sich jedoch um
43 44
Böckenförde, S. 15. Masing, S. 273.
2. Das "öffentliche Interesse" an der parlamentarischen Untersuchung
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eine von mindestens einem Viertel der Mitglieder des Bundestages initiierte Minderheitsenquete, so ist es die Entscheidung der beantragenden Minderheit, ob die Durchführung der von ihr angestrebten Untersuchung im öffentlichen Interesse liegt. Das parlamentarische Untersuchungsrecht ist ein Minderheitsrecht. Sofern die Antragsteller das Quorum des Art. 44 Abs. 1 GG erreichen, hat ihnen die Mehrheit hinsichtlich ihrer politischen Vorstellungen über das Vorliegen öffentlichen Interesses keine Vorschriften zu machen. Auch Rechenberg billigt dem Parlament bzw. der beantragenden Minderheit die Kompetenz-Kompetenz in dieser Sache zu45 . Der von Böckenförde geforderte Abwägungsprozeß mit privaten Belangen46 führt zu keinem anderen Ergebnis, denn die Entscheidung der Frage, ob ein öffentliches Interesse gegenüber Privatintere.ssen überwiegt, ist in diesem Falle genauso eine politische wie die Feststellung, ob ein solches überhaupt vorhanden ist.
c) Ist eine Entscheidung jusitziabel?
Wenn die Entscheidung über das Vorliegen öffentlichen Interesses eine politische ist, so stellt sich die Frage ihrer Überprüfbarkeit durch die Justiz. In der Literatur ist die Auffassung verbreitet, nach der der Beschluß zur Einsetzung einer Enquete nur begrenzt gerichtlich daraufhin überprüft werden kann, ob die Untersuchung im öffentlichen Interesse liegt. Linck wertet das öffentliche Interesse als justiziable Zulässigkeitsvoraussetzung, deren Vorliegen jedoch nur auf die Einhaltung der relativ weiten Grenzen parlamentarischen Ennessens überprüft werden kann47 . Steinberger hält es für möglich, gerichtlich zu kontrollieren, ob das Parlament den ihm zustehenden Beurteilungsspielraum offenkundig verletzt hat48 . Di Fabio und Schröder befürworten lediglich eine Willkürkontrolle 49 . Letzterer billigt dabei der Beurteilung der Einsetzungsminderheit oder -mehrheit indizielle Bedeutung zu 50 . Würde man die Feststellung der Parlamentsmehrheit oder der die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses beantragenden Minderheit hinsichtl~ch des Vorliegens öffentlichen Interesses am Thema der Enquete einer Kontrolle durch die Gerichte unterwerfen, so hätte dies zur Folge, daß letztlich die Judikative über eine 45 Rechenberg, in BK, Art. 44 GG, Rdnr. 9; ebenso Steffani, Über die parlamentarischen Untersuchungsausschüsse, in Kluxen, Parlamentarismus, 5. Aufl., Königsstein/Ts. 1980, S.267. 46 Siehe oben 1I1.2.a). 47 Linck, Untersuchungsausschüsse und Privatsphäre, S. 14; ähnlich Böckenförde, S. 16. 48 Steinberger, S. 1196. 49 Di Fabio, S. 137; Schröder, Empfiehlt sich eine gesetzliche Neuordnung der Rechte und Pflichten parlamentarischer Untersuchungsausschüsse? Gutachten in Verhandlungen des 57. DJT, Bd. 1, Teil E, München 1988, S. E 22. 50 Ähnlich Müller-Boysen, S. 123; vgl. auch Schotz, Parlamentarischer Untersuchungsausschuß und Steuergeheimnis, AöR 105, 564 ff., 595.
6*
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III. Die Zulässigkeit privatgerichteter Enqueten
ureigene parlamentarische Frage bestimmt. Masing weist darauf hin, daß kein Gericht die im Legislativbereich getroffene Entscheidung ändern könnte, ohne "die politische Leitungsfunktion des Parlaments zu überholen"sl. Es ist daher der konsequenten Auffassung Schneiders zuzustimmen, der in dem Begriff des öffentlichen Interesses lediglkh "eine nicht justiziabele, nähere Umschreibung der Untersuchungsaufgabe" sieht. Ob dieses Kriterium erfüllt ist, unterliegt ausschließlich "dem gerichtlich nicht kontrollierbaren, politischen Einschätzungsermessen der Antragsteller"s2.
d) Schützt das "öffentliche Interesse" vor Eingriffen in den Privatbereich? Eine Beschränkung des Untersuchungsrechts durch das Merkmal des öffentlichen Interesses stellt keinen wirksamen Schutz vor der Behandlung privater Angelegenheiten in parlamentarischen Enqueten dar. Dies liegt zum einen daran, daß ein inhaltlich derart 'offener und konturenloser Begriff den öffentlichen Bereich vom privaten nicht abzugrenzen vermag. Zum anderen fehlt es natürlichen Personen oder juristischen Personen des Privatrechts bzw. sonstigen Personenmehrheiten an der Möglichkeit, das Vorliegen dieses Kriteriums gerichtlich überprüfen zu lassen. Mengel kommt daher zu dem Ergebnis, daß vieles dafür spricht, auf diese "Voraussetzung" (Anführungszeichen von ihm) für parlamentarische Untersuchungen ganz zu verzichten 53 . Dem ist jedoch nicht zuzustimmen. Selbst wenn eine juristisch exakte Begriffsdefinition nicht möglich ist, hilft das Kriterium dennoch bei einer Beschreibung der Angelegenheiten, zu deren Aufklärung Ausschüsse nach Art. 44 GG eingesetzt werden können s4 . Wann das Merkmal des öffentlichen Interesses erfüllt ist, liegt zwar letztlich in der Entscheidung des Parlaments bzw. der Einsetzungsminderheit, es gibt jedoch den Parlametariern Anlaß, Überlegungen darüber anzustellen, ob die Durchführung einer geplanten Enquete tatsächlich diesem Kriterium entspricht. Aus der mangelnden gerichtlichen Überprüfbarkeit dieser Untersuchungsvoraussetzung darf nicht automatisch gefolgert werden, daß sie überflüssig ist. Der Bundestag ist, wie das BVerfG, ein oberstes Verfassungsorgan, dessen Entscheidung in ausschließlich politischen Angelegenheiten zu respektieren ist. Gewarnt werden muß allerdings davor, die Schutzwirkungen des Merkmals "öffentliches Interesse" gegenüber Untersuchungen im Privatbereich zu überschätzen. Keinesfalls dürfen andere, wirksame Kriterien zum Schutz von natürlichen Personen oder juristischen Personen des Privatrechts oder sonstigen PersonenMasing, S. 278 f. Schneider, in AK, Bd. 2, Art. 44 GG, Rdnr. 11. 53 Mengel, Die Auskunftsverweigerung der Exekutive gegenüber parlamentarischen Untersuchungsausschüssen, EuGRZ 1984, S. 97 ff., 99. 54 Vgl. Schneider, in AK; siehe oben III.2.c). 51
52
3. Argumente für ein weitgehendes Untersuchungsrecht
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mehrheiten vernachlässigt werden. Die politische Entscheidung des Parlaments über das Vorhandensein öffentlichen Interesses an einer parlamentarischen Untersuchung kann allein nicht ausreichen, um die Anwendung von Zwangsmitteln im Privatbereich zu rechtfertigen.
3. Die Argumentation der Anhänger eines weitgehenden Untersuchungsrechts im privaten Bereich Die Befürworter eines weiten gegenständlichen Anwendungsbereichs des parlamentarischen Untersuchungsrechts beschränken sich im wesentlichen darauf, die Grenzen des Enqueterechts mit Hilfe der Korollartheorie und des öffentlichen Interesses zu bestimmen55. In Anbetracht der Erörterungen unter m.l. und 111.2. kommen sie damit automatisch zu einem Ergebnis, nach dem umfangreiche Untersuchungen auch im privaten Bereich möglich sind. Vor allem während der Geltung der Weimarer Reichsverfassung wurde die Diskussion über die Reichweite des parlamentarischen Untersuchungsrechts vorwiegend unter Heranziehung der genannten Stichworte geführt. Hierauf soll daher nur kurz eingegangen werden. Anschütz verweist lapidar darauf, daß Untersuchungsausschüsse dazu dienen, die Beschlüsse des Reichstages vorzubereiten und daß diese Zweckbestimmung sogleich die Grenze ihrer Zuständigkeit aufzeigt. Die Kompetenz der Ausschüsse nach Art. 34 WRV kann nicht weiter reichen, als die des Parlaments56 . Der Autor beschränkt sich also auf die Wiedergabe des Inhalts der Korollartheorie. Im selben Sinne argumentiert Lammers 57 • Er führt jedoch ebenfalls an, daß die Untersuchung im öffentlichen Interesse liegen muß. Auch Poetzsch/Heffter grenzen den Aufgabenbereich parlamentarischer Enqueten lediglich dadurch ein, daß sie die Korollartheorie inhaltlich wiedergeben, im übrigen erwähnen sie, daß Art. 34 WRV zur Untersuchung von Angelegenheiten von öffentlichem Interesse konzipiert wurde 58 . Ein typischer Vertreter dieser Linie in neuerer Zeit ist Böckenförde. Er befürwortet eine weite Auslegung der Korollartheorie 59 und betrachtet sich insofern als Vertreter einer jüngeren Auffassung 60 • Ausgehend von einem weiten gegenständlichen Anwendungsbereich des parlamentarischen Untersuchungsrechts, sieht er letzteres durch Schranken begrenzt, die sich aus dem Prinzip der Gewaltengliederung, der Bundesstaatlichkeit und dem grundrechtlichen Schutz der individuellen Freiheit ergeben61 • Zum Zwecke ihrer Gewährleistung verlangt Böckenförde, daß 55
56 57 58 59
60
So Partsch, Gutachten zum 45. DIT, S. 15 ff. Anschütz, Art. 34, S. 218. Lammers, in Anschütz/Thoma, S. 465 f. Poetzsch/Heffter, S. 179 f. Bäckenfärde, S. 9 f. Bäckenfärde, S. 8.
86
III. Die Zulässigkeit privatgerichteter Enqueten
die Voraussetzung eines besonderen öffentlichen Interesses an der Untersuchung ernst genommen wird62 . Er hält grundsätzlich die Anwendung von Beweiserhebungs- und Zwangsbefugnissen im gesamten Bereich des parlamentarischen Untersuchungsrechts für zulässig 63 . Stern ist ebenfalls ein Befürworter eines umfangreichen Anwendungsbereichs parlamentarischen Untersuchungsrechts. Er legt die Korollartheorie weit aus, indem er Enqueten zur Vorbereitung sog. schlichter Parlamentsbeschlüsse für zulässig erachtet64 • Begrenzt wird das Recht zur Durchführung von Untersuchungen auf Angelegenheiten von öffentlichem Interesse, bei deren Bestimmung den Grundrechten als Schranke besondere Bedeutung zukommt65 . Auch Maunz beschränkt sich neben einer inhaltlichen Wiedergabe der Korollartheorie darauf, Untersuchungen im Privatbereich durch den Begriff des öffentlichen Interesses einzugrenzen66 . Ein beachtlicher Vertreter eines weiten gegenständlichen Anwendungsbereichs parlamentarischen Untersuchungsrechts im nicht öffentlichen Bereich ist Linck67 . Er setzt sich jedoch gleichzeitig dafür ein, daß der Gesetzgeber Private im Untersuchungsverfahren wirksamer als bisher schützt68 . Ohne den Begriff Korollartheorie ausdrücklich zu erwähnen69 , befürwortet Linck deren Inhalt. Er verweist darauf, daß in den Untersuchungsausschußgesetzen einiger Bundesländer vorgeschrieben ist, daß parlamentarische Enqueten nur zulässig sind, "wenn sie geeignet sind, dem Landtag Grundlagen für eine Beschlußfassung im Rahmen seiner verfassungsmäßigen Zuständigkeit zu vermitteln,,7o. Die Kompetenz von Untersuchungsausschüssen reicht nicht weiter als die des Parlaments. Linck erörtert in diesem Zusammenhang zunächst die Grenzen parlamentarischer Untersuchungen im privaten Bereich zur Vorbereitung der Gesetzgebung. Entsprechend den Grundsätzen der Korollartheorie stellt er dabei im wesentlichen auf den Umfang der gegenständlichen Regelungskompetenz des Gesetzgebers ab. Böckenförde, S. 10. Böckenförde, S. 13. 63 Böckenjörde, S. 13, 39. 64 Stern, Die Kompetenz der Untersuchungsausschüsse nach Art. 44 GG im Verhältnis zur Exekutive unter besonderer Berücksichtigung des Steuergeheimnisses, AöR 109, S. 199 ff., 226,228. 65 Stern, Die Kompetenzen der Untersuchungsausschüsse, S. 229. 66 Maunz, in Maunz/Dürig, Art. 44, Rdnr. 14 ff., insbes. Rdnr. 19. 67 Linck, Untersuchungsausschüsse und Privatsphäre, S. 11 ff.; Linck, Anmerkung zu BVerfG, Beschluß v. I. 10. 1987,2 BvR 1178/86 u. a. (E 77,1 ff.), DÖV 1988, S. 264 f. 68 Linck, Untersuchungsausschüsse und Privatsphäre, S. 11. 69 Linck, Untersuchungsausschüsse und Privatsphäre, er erwähnt den Begriff nur in Fn. 19, nicht aber im Text. 70 Linck, Untersuchungsausschüsse und Privatsphäre, S. 11, dort sind in Fn. 17 auch die entsprechenden Untersuchungsausschußgesetze aufgeführt. 61
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3. Argumente für ein weitgehendes Untersuchungsrecht
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Diese ist nahezu unbegrenzt. Linck verzichtet bei dieser Feststellung bewußt auf eine Unterscheidung hinsichtlich der Gesetzgebungskompetenz zwischen Bund und Ländern. Grundsätzlich ist jede Materie einer rechtlichen Normierung zugänglich 71. Einzubeziehen in die Regelungskompetenz des Parlaments ist neben dem einfachen Gesetzesrecht auch die Möglichkeit der Änderung von Verfassungsvorschriften. Soweit der Volksvertretung des Bundes die Befugnis zusteht, das Grundgesetz zu ändern, kann sie sich auch des Mittels der parlamentarischen Untersuchung zur Tatsachenermittlung bedienen. Die Grenzen möglicher Verfassungsänderungen ergeben sich dabei aus Art. 79 Abs. 3 GG. Lediglich in dem Bereich, der einer Grundgesetzänderung nicht zugänglich ist, sind auch Gesetzgebungsenqueten unzulässig. Die Informationsgewinnung zu legislativen Zwecken urnfaßt neben dem öffentlichen auch den privaten Bereich, soweit die erforderlichen Grundlageninformationen nur dort gewonnen werden können 72. Im Anschluß an die Erörterung von Untersuchungsmöglichkeiten zum Zwecke der Gesetzgebung geht Linck auf Enqueten zur Vorbereitung parlamentarischer Kontrolle ein73 • Er führt zunächst aus, daß sich letztere nicht nur auf die Exekutive und in gewissem Umfang auf die Rechtsprechung bezieht, sondern darüber hinaus auch auf vielfältige juristische Personen des öffentlichen Rechts sowie auf öffentliche Einrichtungen in privater Rechtsform. Die Palette der möglichen Beschlüsse, die die Volksvertretung im Rahmen ihrer Kontrollfunktion fassen kann und zu deren Vorbereitung sie sich des Mittels einer parlamentarischen Untersuchung bedienen darf, reicht auf Bundesebene vom Mißtrauensvotum nach Art. 67 GG über die Mißbilligung von Regierungsverhalten bis zu politischen Entschließungen, in denen die Exekutive zu einem bestimmten Handeln oder Unterlassen aufgefordert wird74 • So kann das Parlament z. B. von der Regierung die Vorlage eines bestimmten Gesetzentwurfs verlangen. Der Volksvertretung ist es nicht verwehrt, sich mit Entschließungen auch an die Öffentlichkeit zu wenden. Diese Argumentation Lincks entspricht der der Anhänger einer weiten Auslegung der Korollartheorie 75, obwohl er sie auch in diesem Zusammenhang nicht ausdrücklich erwähnt. Die Grenzen der Entschließungskompetenz von Parlamenten faßt er dabei genauso weit wie die Gesetzgebungskompetenz. Für das Untersuchungsrecht des Deutschen Bundestages nach Art. 44 GG bedeutet dies, daß auch im Kontrollbereich das Enqueterecht lediglich durch Art. 79 Abs. 3 GG begrenzt ist76 •
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73 74 75 76
Linck, Untersuchungsausschüsse und Privatsphäre, Linck, Untersuchungsausschüsse und Privatsphäre, Linck, Untersuchungsausschüsse und Privatsphäre, Linck, Untersuchungsausschüsse und Privatsphäre,
S. S. S. S.
12. 12. 13. 13.
Siehe oben III.l.c). Linck, Untersuchungsausschüsse und Privatsphäre, S. 13.
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III. Die Zulässigkeit privatgerichteter Enqueten
Im Anschluß an die Feststellung, daß Enqueten im privaten Bereich in den Grenzen von Art. 79 Abs. 3 GG grundsätzlich zulässig sind, geht Linck auf das Kriterium der "Geeignetheit" parlamentarischer Untersuchungen ein. § 1 Abs. 2 der IPA-Regeln 77 verlangt für die Zulässigkeit einer Untersuchung, daß diese "geeignet" ist, dem Bundestag Grundlagen für eine Beratung im Rahmen seiner verfassungsmäßigen Zuständigkeit zu vermitteln. Die Untersuchungsausschußgesetze einiger Länder beinhalten gleichlautende Regelungen 78 • Nach Linck handelt es sich bei dem Kriterium der Geeignetheit um eine Zulässigkeitsvoraussetzung, die unabhängig von ihrer ausdrücklichen Normierung allgemein als verbindlich angesehen wird79 • Eine Untersuchung im privaten Bereich muß objektiv geeignet sein, parlamentarisches Handeln vorzubereiten. Soll hingegen eine natürliche Personen oder juristische Person des Privatrechts bzw. eine sonstige Personenmehrheit lediglich aus parteipolitischen Erwägungen in der Öffentlichkeit diskreditiert werden, ist die Enquete unzulässig. Linck sieht in dem Kriterium der "Geeignetheit" parlamentarischer Untersuchungen zurecht keinen wirksamen Schutz des Privatbereichs 8o . Jeder Einsetzungsantrag läßt sich so fassen, daß die Enquete danach der parlamentarischen Beschlußfassung dient. Im übrigen ist auch die Entscheidung darüber, was zur Vorbereitung einer Abstimmung in der Volksvertretung "geeignet" ist, eine politische. Für sie muß daher hinsichtlich ihrer Überprüfbarkeit dasselbe gelten, wie für die Frage, ob eine Untersuchung im öffentlichen Interesse liegt81 • Die Argumentation Keßlers entspricht in den wesentlichen Punkten der Auffassung Lincks. Er spricht sich indirekt für eine weite Auslegung der Korollartheorie aus, indem er hinsichtlich der Zulässigkeit parlamentarischer Untersuchungen darauf abstellt, daß der rechtsetzenden und kontrollierenden Beschlußfassung des Parlaments nur durch Art. 79 Abs. 3 GG eine Grenze gezogen ist. Innerhalb dieses Rahmens darf sich die Volksvertretung des Mittels der Enquete zur Informationsbeschaffung bedienen 82 . Die Ausführungen Scholz' zur Reichweite des Untersuchungsrechts nach Art. 44 GG stimmen inhaltlich mit denen der zuvor genannten Autoren weitgehend überein. Danach können parlamentarische Enqueten grundsätzlich in sämtlichen Kompetenzbereichen der Volksvertretung eingesetzt werden. Die Befugnisse von Untersuchungsausschüssen als Hilfsorgane des Parlaments werden sowohl in positiver als auch in negativer Hinsicht durch die Kompetenzen des Hauptorgans bestimmt83 . BTDS V/4209. Im einzelnen Linck, Untersuchungsausschüsse und Privatsphäre, S. 13 Fn. 39, S. 11 Fn.17. 79 Linck, Untersuchungsausschüsse und Privatsphäre, S. 13 Fn. 39 m.w.N. 80 Linck, Untersuchungsausschüsse und Privatsphäre, S. 13. 81 Siehe oben III.2.c). 82 Keßler, S. 314. 77
78
3. Argumente für ein weitgehendes Untersuchungsrecht
89
Begrenzt sieht Scholz das Untersuchungsrecht auf Angelegenheiten von öffentlichem Interesse. Themen ausschließlich privaten Interesses dürfen nicht Inhalt einer Enquete sein. Fällt ein privates Interesse jedoch mit einem untersuchungsmäßig legitimierten öffentlichen Interesse zusammen, kann es Thema einer parlamentarischen Untersuchung nach Art. 44 GG sein84• Eine Grenze für die Tätigkeit von Untersuchungsausschüssen sieht Scholz im Schutzbereich der individuellen Privat- und Persönlichkeitssphäre. In diesen durch Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG abgesteckten Raum dürfen parlamentarische Enqueten nicht eingreifen 85 . Er unterscheidet dabei zwischen der absolut geschützten Privat- oder Intimsphäre und dem "weiten Bereich" der Privatsphäre sowie der Sozialsphäre, die durch die Grundrechte nur noch teilweise nach dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit geschützt sind86 . Gerade wenn die Sozialsphäre betroffen ist, stehen dabei öffentliche und private Belange häufig nebeneinander. In diesen Fällen billigt Scholz in Anlehnung an seine Ausführungen zum öffentlichen Interesse parlamentarischen Untersuchungsausschüssen die Befugnis zum Tatigwerden grundsätzlich ZU 87 . Sie sind jedoch, entsprechend dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, gehalten, den privaten Rechten gegenüber möglichst schonend vorzugehen. Das Gleiche soll für private Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisse gelten, die im Rahmen des durch Art. 14 GG geschützten Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb grundsätzlich geschützt sind88 . Scholz' Vorstellungen hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Grenzen für das Tatigkeitsfeld parlamentarischer Untersuchungsausschüsse bieten keinen wirksamen Schutz für den Privatbereich. Er lehnt seine Ausführungen eng an das Merkmal des öffentlichen Interesses an. Dieses hat sich für den Schutz privater Belange jedoch als unzureichend erwiesen 89 . Im übrigen ist darauf hinzuweisen, daß parlamentarische Untersuchungen gegenüber natürlichen Personen oder juristischen Personen des Privatrechts bzw. sonstigen Personenmehrheiten in aller Regel die Sozialsphäre betreffen. Die Vorstellung, daß ein Parlament eine Enquete einsetzt, deren Auftrag es ist, die Intimsphäre von Privatpersonen als Selbstzweck zu untersuchen, ist unwahrscheinlich. Demgegenüber ist es durchaus realistisch, daß im Rahmen einer Mißstandsenquete zur Aufklärung von Korruptionsvorwürfen z. B. der Frage nachgegangen wird, inwieweit intime Beziehungen zwischen Mitarbeitern/Mitarbeiterinnen privater Firmen und Angehörigen öffentlicher Verwaltungen von ersteren initiiert oder ausgenutzt wurden, um ungerechtfertigte geschäftliche Vorteile für ihr Unternehmen zu erlangen. 83 84 85
86 87 88
89
Scholz, Scholz, Scholz, Scholz, Scholz, Scholz,
s. 593.
S. 594 f. S. 605. S. 605 f. S. 606. S. 606 f.
Siehe oben II1.2., insbesondere III.2.d).
III. Die Zulässigkeit privatgerichteter Enqueten
90
Di Fabios Ausführungen zu den Grenzen parlamentarischer Untersuchungskompetenz weichen kaum von denen Scholz' ab. Als Anhänger einer weiten Auslegung der Korollartheorie 90 verweist er auf die Schutzwirkung der Grundrechte, die insbesondere in ihrem Kerngehalt aufgrund der Regelung von Art. 19 Abs. 2 GG als absolute. Sperre wirken. Weiterhin führt der Autor den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit an, der eine Abwägung von öffentlichem Interesse und Individualrechten gebietet91 . Diese beiden Schranken parlamentarischen Untersuchungsrechts bezeichnet er als "externe", da sie den allgemeinen Grundsätzen der Verfassung entnommen sind, und unterscheidet sie von der dem parlamentarischen Untersuchungsrecht des Art. 44 GG immanenten Grenze des öffentlichen Interesses 92 • Becker sieht im Begriff des öffentlichen Interesses die notwendige Abgrenzung des parlamentarischen Untersuchungsrechts gegenüber der grundrechtlich geschützten Privatsphäre des Einzelnen 93 . Er erkennt dabei durchaus, daß damit der Enquete nach Art. 44 GG ein weites Tätigkeitsfeld eröffnet wird, hält dieses aber für erforderlich, um den Bedürfnissen der parlamentarischen Praxis gerecht zu werden. Weiterhin weist der Autor auf die Hilfsorganqualität von Untersuchungsausschüssen und die sich daraus ergebenden Grenzen des Enqueterechts hin. In diesem Zusammenhang erwähnt er u. a. auch die "grundrechtlich geschützte Individualsphäre des Einzelnen,,94. Indem Mengel sich dafür ausspricht, auf das Kriterium des öffentlichen Interesses zu verzichten 95 , ohne andere Abgrenzungsmerkmale an dessen Stelle zu setzen, verweist er den Schutzanspruch des Privatbereichs nahezu ausschließlich auf Grenzen, die sich auf das Tatigwerden parlamentarischer Untersuchungsausschüsse beziehen. Die Einsetzung von Enqueten ist danach im gesamten Tatigkeitsfeld der Volksvertretung möglich. Der Schutz des Einzelnen vor unzulässigen Eingriffen durch die Ausschußtätigkeit kann nach Mengel ,,in ausreichendem Maße durch den im Grundgesetz gewährleisteten Individualgrundrechtsschutz erfüllt werden,,96. Die Rechtmäßigkeit der Handlungen parlamentarischer Enqueten im Privatbereich ist an den Grundrechten und am Rechtsstaatsprinzip zu messen. Kölble erörtert schwerpunktmäßig die bundesstaatlichen Grenzen des parlamentarischen Untersuchungsrechts 97 . Seine Ausführungen sollen hier jedoch nicht unerwähnt bleiben, da sie zumindest mittelbar auch Einfluß auf die Frage haben, in Di Fabio, S. 24 ff., insbesondere S. 26. Di Fabio, S. 40. 92 Di Fabio, S. 41 ff. 93 Becker, Ein Beitrag zum Recht der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse, OÖV 1964, S. 505 ff., 507. 94 Becker, S. 507. 95 Mengel, S. 99; vgl. oben III.2.d). % Mengel, S. 99. 97 Kölble, Parlamentarisches Untersuchungsrecht und Bundesstaatsprinzip, OVBI. 1964, S. 701 ff. 90
91
4. Eingrenzungsversuche des Untersuchungsrechts
91
welchem Umfang privatgerichtete Enqueten zulässig sind. So wurden beispielsweise sowohl im Fall Barmat als auch im Rahmen der Aufklärung des Neue-Heimat-Skandals Untersuchungsausschüsse des Reichs- bzw. des Bundestages neben den jeweiligen Ausschüssen auf Länderebene tätig 98 . Am Beginn seiner Ausführungen spricht sich Kölble zunächst allgemein für eine weite Auslegung der Korollartheorie aus. Hinsichtlich der Zuständigkeitsverteilung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und ihren Ländern verweist er darauf, daß dem Bundestag die Kompetenz obliegt, diese im Rahmen des Art. 79 Abs. 3 GG zu ändern99 • Weiterhin ist dem Bund nach Art. 28 Abs. 3 GG die Pflicht auferlegt, zu gewährleisten, daß die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern den Grundsätzen des Art. 28 Abs. 1 und 2 GG entspricht. Kölble erwähnt die im GG nicht ausdrücklich normierte Aufgabe des Bundestages als parlamentarisches Forum der Nation, Angelegenheiten von gesamtstaatlichem Interesse zu behandeln. In diesem Zusammenhang beruft er sich auf die Integrationsaufgabe der Verfassung nach der Lehre Smends 1OO • Die Befugnis der Volksvertretung des Bundes, den Länderbereich berührende Themen zu erörtern, reicht weiter als ihre Kompetenz zur einfachen Gesetzgebung sowie ihre Zuständigkeit im Bereich von Verwaltung und Rechtsprechung 101 . Nahezu jeder Sachverhalt kann sowohl unter dem Gesichtspunkt der Gesetzgebung als auch im Hinblick auf seine Behandlung durch Verwaltung oder Rechtsprechung der Aufklärung durch parlamentarische Untersuchungen zugänglich sein. Die Aufteilung der jeweiligen Kompetenzen zwischen Bund und Ländern ist in bezug auf die verschiedenen Staatsfunktionen in mannigfacher Weise verzahnt. Kölble kommt im Anschluß an diese Erörterungen zu dem Resümee, "daß es kaum einen Sachverhalt geben dürfte, der unter allen wie immer gearteten Gesichtspunkten ausschließlich in den potentiellen Zuständigkeitsbereich der Länder fallt,,102. Er faßt damit die Zuständigkeitsgrenzen von Bundestagsuntersuchungsausschüssen im Länderbereich weit.
4. Rechtsdogmatische Eingrenzungsversuche des parlamentarischen Untersuchungsrechts gegenüber Privaten Die Anhänger eines weitgehenden Untersuchungsrechts im privaten Bereich billigen natürlichen Personen oder juristischen Personen des Privatrechts bzw. sonstigen Personenmehrheiten keinen ausreichenden Schutz gegenüber parlamentariVgl. oben II.2.c), II.3.i). Kölble, S. 702. 100 Kölble, S. 702. tol Kölble, S. 703. 102 Kölble, S. 703.
98 99
92
III. Die Zulässigkeit privatgerichteter Enqueten
schen Enqueten zu. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Möglichkeit der Anwendung von strafprozessualen Zwangsmitteln im Rahmen eines Untersuchungsverfahrens. Das Gros der unter III.3. erwähnten Autoren überschätzt die Kriterien der Korollartheorie und des öffentlichen Interesses hinsichtlich ihrer Wirksamkeit zur Beschränkung des Untersuchungsrechts nach Art. 44 GG im Privatbereich. In jüngerer Zeit mehren sich in der Literatur Stimmen, die sich für ein weniger weit gehendes parlamentarisches Enqueterecht aussprechen. Die in diesem Zusammenhang diskutierten rechtsdogmatischen Begründungen sollen im folgenden erörtert werden. Einige Autoren befürworten es, die Einsetzung von Untersuchungsausschüssen vom Vorliegen eines ,,hinreichenden Anlasses" oder "Anfangsverdachts" abhängig zu machen lO3 • Schröder sieht darin eine Voraussetzung für die Erstreckung der Untersuchungsbefugnis auf den privaten Bereich 104. Er begründet dies damit, daß durch die parlamentarische Enquete privat(wirtschaftlich)e Vorgänge an die Öffentlichkeit gelangen und dem Ausschuß die Befugnis zusteht, sich bei ihrer Aufklärung der Anwendung von Zwangsrechten zu bedienen. Der Autor beruft sich darauf, daß die Einleitung jedes rechtsstaatlichen Anforderungen genügenden Verfahrens eines "besonderen und geregelten Anlass(-es)" bedarf. Dieser kann nicht durch die Möglichkeit der Abwehr einzelner Untersuchungshandlungen kompensiert werden 105. Meyer-Bohl erachtet für die Einsetzung einer parlamentarischen Enquete im Privatbereich einen Verdacht auf das Vorliegen von Verstößen gegen gesetzliche Bestimmungen für erforderlich. Es muß sich dabei um Vorschriften handeln, die von ihrem Schutzzweck her der Wahrung und Einhaltung des Gemeinwohls dienen 106 . Schröder stellt einen Vergleich zwischen dem parlamentarischen Untersuchungsverfahren nach Art. 44 GG und dem Strafverfahren an. In letzterem ist "das Untersuchungsthema" durch die Notwendigkeit eines Anfangsverdachts für das Vorliegen einer strafbaren Handlung nach mate~ellem Recht der beliebigen Manipulation entzogen. Der Autor ist der Ansicht, daß für das Verfahren einer parlamentarischen Enquete "sinngemäß" (Anführungszeichen von ihm) dasselbe gelten muß. Dies sei notwendig, "damit eine willkürliche, diskriminierende Instrumentalisierung zu Lasten der privat(wirtschaftlich)en Sphäre möglichst vermieden wird" 107. Im Anschluß an diese Erörterungen geht Schröder der Frage nach, wodurch der Begriff des hinreichenden Anlasses konkretisiert wird. In diesem Zusammenhang 103 In letzter Zeit vertraten diese Ansicht: Schräder, Gutachten zum 57. DIT, S. E 7 ff., 20, 24; DepenheuerlWinands, Der parlamentarische Untersuchungs auftrag: inhaltliche Bestimmtheit und thematische Reichweite, ZRP 1988, S. 258 ff., 262 f.; Meyer-Bohl, S. 89 ff. 104 Schräder, Gutachten zum 57. DIT, S. E 20. 105 Schräder, S. E 21. [06 Meyer-Bohl, S. 89 ff. 107 Schräder, Gutachten zum 57. DJT, S. E 21.
4. Eingrenzungsversuche des Untersuchungsrechts
93
setzt er sich auch mit dem Kriterium des öffentlichen Interesses auseinander 108 . Am Ende dieser Ausführungen finden sich interessante Überlegungen zu der Frage, inwieweit parlamentarische Untersuchungsausschüsse neben der vollziehenden Gewalt Rechtsverstöße im privaten Bereich aufklären dürfen 109 . Schon aus Gründen der Gewaltenteilung ist dies in erster Linie eine Aufgabe der Exekutive. Dem Parlament steht keine allgemeine Gesetzesaufsicht über das Verhalten natürlicher Personen oder juristischer Personen des Privatrechts bzw. sonstiger Personenmehrheiten zu. Aus diesen Gründen hält Schröder es für notwendig, vor Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zu prüfen, inwieweit die Informations- und Überwachungskapazität der vollziehenden Gewalt für die erforderliche Tatsachenermittlung ausreicht. Ohne Einschaltung der Exekutive darf die Volksvertretung nur dann durch eine parlamentarische Untersuchung auf die Privatsphäre zugreifen, wenn die angestrebte Aufklärung nicht bereits mit Hilfe der vollziehenden Gewalt zu erlangen ist. Demgegenüber reicht es nicht aus, wenn das Parlament darauf verweist, daß es seine Aufgabe ist, über die Ausgabe öffentlicher Mittel in der Form der Subventionsvergabe an Private zu wachen llO . Unter dem Stichwort der Geeignetheit parlamentarischer Untersuchungen zur Vorbereitung der "Beratung", "Beschlußfassung" oder "Entscheidung" des Parlaments geht Schröder erneut auf die Notwendigkeit eines himeichenden Anlasses für Enqueten nach Art. 44 GG im privaten Bereich ein Ill. Er hält einen solchen nur für gegeben, wenn die Ausschußtätigkeit der Gesetzesvorbereitung oder der Kontrolle staatlichen Handelns dienen soll. Lediglich diese Untersuchungsziele rechtfertigen die Durchführung eines Verfahrens, das nicht nur besonders öffentlichkeitswirksam, sondern darüber hinaus auch noch mit den Zwangsmitteln der StPO ausgestattet ist. Bei parlamentarischen Enqueten, die anderen Absichten dienen, wie z. B. der Erarbeitung von Empfehlungen, wäre die Proportionalität zwischen Eingriffswirkung und Untersuchungsziel nicht mehr gewahrt 112 . Dies soll allerdings nur für "isolierte" Empfehlungsenqueten gelten. Sobald eine solche Untersuchung in sachlichem Zusammenhang mit einer Gesetzgebungs- oder Kontrollenquete steht, hält Schröder diese auch im privaten Bereich für zulässig l13 . Der Autor macht weiterhin Ausführungen zur Frage der Selektion des zur Untersuchung bestimmten "privat(wirtschaftlich)en Verhaltens,,1l4. Er erörtert dies unter dem Gesichtspunkt, daß die Enquete zur Vorbereitung eines Gesetzes- oder Kontrollakts "geeignet" sein muß. Eine beliebige Involvierung von Privatrechtssubjekten in ein parlamentarisches Untersuchungsverfahren sei nicht zulässig. Bei der 108
109 HO HI
H2 113
H4
Schröder, Gutachten zum 57. DIT, S. E 21 ff. Schröder, Gutachten zum 57. DIT, S. E 23. Schröder, Gutachten zum 57. DIT, S. E 23. Schröder, Gutachten zum 57. DIT, S. E 24 f. Schröder, Gutachten zum 57. DIT, S. E 25. Schröder, Gutachten zum 57. DIT, S. E 25. Schröder, Gutachten zum 57. DIT, S. E 25 f.
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III. Die Zulässigkeit privatgerichteter Enqueten
Auswahl der natürlichen Personen oder juristischen Personen des Privatrechts bzw. sonstigen Personenmehrheiten, deren Verhalten überprüft werden soll, kommt es insbesondere bei Gesetzgebungsenqueten, aber auch bei Untersuchungen zur Vorbereitung eines parlamentarischen Kontrollakts darauf an, daß diese hinreichend repräsentativ ist, damit sich das Parlament daraus sachkundig machen kann. Dabei muß natürlich die verfügbare Untersuchungskapazität berücksichtigt werden. Depenheuer/Winands halten für die Einsetzung eines Ausschusses nach Art. 44 GG generell, also nicht nur sofern sich die Enquete auf den privaten Bereich bezieht, einen Anfangsverdacht für erforderlich 115. Sie vergleichen zunächst das parlamentarische Untersuchungsrecht mit anderen Informations- und Kontrollmitteln des Parlaments 116 . In diesem Zusammenhang finden u. a. das Interpellations- und Zitierrecht und die Möglichkeit der Einsetzung von Enquetekommissionen Erwähnung. Depenheuer/Winands kommen zu dem Ergebnis, daß die parlamentarische Kontroll- und Informationsbefugnis in den Ausschüssen nach Art. 44 GG aufgrund der Regelungen in Abs. 2 und 3 ein Maximum an Intensität erreicht 1I7 • Die Autoren erachten die Anwendung dieses schärfsten aller parlamentarischen Informationsmittel nur zur Kontrolle und beim Vorliegen eines konkreten Anlasses für verfassungsrechtlich zulässig. Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuß ist notwendig "verdachtsakzessorisch", d. h. daß ein Einsetzungsantrag nur zulässig ist, wenn bereits ein bestimmter Skandal- oder Mißstandsverdacht besteht. Es ist nicht Aufgabe einer Enquete, erst nach Verdachtsmomenten zu suchen. Depenheuer/Winands begründen ihre Ansicht mit der sinngemäßen Anwendung der Strafprozeßordnung, die in § 152 Abs. 2 für die Erhebung öffentlicher Klage fordert, daß zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für die Begehung einer Straftat vorliegen 118. Die Verfasser sehen sich in ihrer Auffassung durch die Regelung des Art. 45a Abs. 2 GG bestärkt. Danach hat der Verteidigungsausschuß auch die Rechte eines Ausschusses nach Art. 44 GG und ist auf Antrag eines Viertels seiner Mitglieder verpflichtet, als solcher zu fungieren, indem er "eine Angelegenheit" zum Gegenstand seiner Untersuchung macht. Der Begriff "Angelegenheit" beinhaltet nach Auffassung Depenheuer/Winands "ein Vorkommnis tatsächlicher Art, das vermöge seiner politischen Bedeutsamkeit zum Gegenstand der Untersuchung erhoben wird,,119. Es handelt sich dabei um ein "vorgegebenes Substrat" des Einsetzungsantrags 120. Neben der sinngemäßen Anwendung der StPO und der Regelung von Art. 45a Abs. 2 GG führen die Autoren zur Begründung der verfassungsrechtlichen Forde115
Jl6 117
Jl8 Jl9 120
DepenheuerlWinands, S. 262 f. DepenheuerlWinands, S. 261 f. DepenheuerlWinands, S. 262. DepenheuerlWinands, S. 262 DepenheuerlWinands, S. 263. DepenheuerlWinands, S. 263.
4. Eingrenzungsversuche des Untersuchungsrechts
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rung nach einem Anfangsverdacht noch die Entstehungsgeschichte von Art. 34 WRV 121 an. Sie berufen sich darauf, daß nach dem ursprünglichen Verfassungsentwurf parlamentarische Untersuchungen nur zulässig sein sollten, "wenn die Gesetzlichkeit oder Lauterkeit von Regierungs- oder Verwaltungshandeln des Reiches angezweifelt wird,,122. Die Verfasser behaupten in Anlehnung an Preuß 123, daß die Streichung des Vorbehalts nicht aus inhaltlichen Gründen erfolgte 124 und der Mißstandsverdacht daher als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal von Art. 44 GG anzusehen ist. Dem kann jedoch bei einer genaueren Analyse der Verhandlungen der Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung, wie sie unter 11.1. vorgenommen wurde, nicht zugestimmt werden. Die Versammlung hat sich gegen die ursprünglich geplante Beschränkung des Enqueterechts auf die Untersuchung von Mißständen im Regierungs- und Verwaltungs bereich entschieden. Ein Grund dafür war, daß die Durchführung von Gesetzgebungsenqueten ermöglicht werden sollte. Aus einer historischen Interpretation von Art. 44 GG läßt sich entgegen der Auffassung von Depenheuer/Winands 125 , nicht herleiten, daß Untersuchungsausschüsse "verdachtsakzessorisch" sind. Nach Auffassung der Verfasser rechtfertigt die Vorbereitung gesetzgeberischer Maßnahmen nicht die Anwendung des Rechts der Untersuchungsausschüsse nach Art. 44 GG 126. Dies soll allerdings nicht heißen, daß parlamentarische Enqueten, deren Einsetzung zur Kontrolle und aus Anlaß einer konkreten Angelegenheit erfolgte, dem Parlament keine Gesetzgebungsanregungen oder rechtspolitischen Empfehlungen geben dürfen. Dies kann jedoch nur "akzidentiell" geschehen und ist nicht Wesensmerkmal der Untersuchung 127 • Indem Depenheuer/Winands Untersuchungsausschüsse lediglich als Kontrollorgane ansehen, fassen sie das Recht der parlamentarischen Enquete nach Art. 44 GG eng. Darauf, inwieweit der private Bereich innerhalb dieses Rahmens in Untersuchungen einbezogen werden darf, gehen sie nur am Rande ein. Für zulässig erachten die Verfasser die Einsetzung von Ausschüssen zur Kontrolle staatlich geförderter Unternehmen l28 . Sie folgen insofern vermutlich dem Beschluß des BVerfG zur Beschlagnahme von Aufsichtsratsprotokollen zugunsten des parlamentarischen Untersuchungsausschusses "Neue Heimat" vom 1. 10. 1987 129 , ohne diesen ausDepenheuerlWinands, S. 263. DepenheuerlWinands, S. 263; vgl. oben 11.1. 123 V gl. oben 11.1. 124 In diesem Zusammenhang berufen sie sich in Fn. 58 auch auf RGZ 104, 423 ff., 428 f. Dieser Entscheidung des Staatsgerichtshofs kann jedoch wie bereits unter II.l., ausgeführt, in diesem Punkt nicht zugestimmt werden. 125 DepenheuerlWinands, S. 263. 126 DepenheuerlWinands, S. 262. 127 DepenheuerlWinands, S. 262. 128 DepenheuerlWinands, S. 262. 129 BVerfGE 77,1 ff., 39, 43 ff. = EuGRZ 1987, S. 531 ff., 541, 543. 121
122
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III. Die Zulässigkeit privatgerichteter Enqueten
drücklich zu erwähnen. In dem Aufsatz wird nicht konkretisiert, wann ein Unternehmen als "staatlich gefördert" zu gelten hat. Subventionen der öffentlichen Hand werden sowohl durch direkte finanzielle Unterstützungszahlungen als auch in Form von steuerlichen Vergünstigungen, z. B. als Anreiz für bestimmte Investitionen, gewährt. Das Geflecht von Vorschriften des Bundes.und der Länder, die, auf welche Art und Weise auch immer, die Förderung von Unternehmen beinhalten, ist dabei so dicht, daß nahezu jeder größere Betrieb mehr oder weniger subventioniert wird. An anderer Stelle erwähnen die Autoren, daß sie Kontrolluntersuchungen für zulässig erachten, soweit sich diese auf "öffentlich re1evante(s) Handeln Privater,,130 oder "Vorgänge des öffentlichen Lebens l3l beziehen. Auch hier konkretisieren sie jedoch nicht, was darunter zu verstehen ist. Ein weiterer Anhänger der Auffassung, daß parlamentarische Untersuchungen nach Art. 44 GG zu Zwecken der Kontrolle und Mißstandsbeseitigung, nicht aber zur Vorbereitung der Gesetzgebung durchgeführt werden dürfen, ist Zeh!32. Er begründet dies damit, daß durch die Regelung des § 56 GeschOBT das Institut der Enquete-Kommission geschaffen wurde und damit auch deren Aufgabenbereich von dem der Untersuchungsausschüsse abgespalten ist. Der Deutsche Bundestag kann eine Kommission nach § 56 Abs. 1 S. 1 GeschOBT "zur Vorbereitung von Entscheidungen über umfangreiche und bedeutsame Sachkomplexe" einsetzen. Die Intention, die mit der Schaffung dieser Vorschrift verbunden war, sieht Zeh darin, daß die Vorbereitung von Gesetzen und anderen Maßnahmen und die damit zusammenhängenden umfangreichen Sachverhaltsermittlungen ausschließlich unter Anwendung dieser Regelung des Geschäftsordnungsrechts erfolgen sollte. Entsprechend ihrer Zweckbestimmung sind die Enquete-Kommissionen auf die freiwillige Kooperation der Verfahrensbeteiligten angewiesen und haben nicht die Befugnis, Zwangsmittel anzuwenden.
In der Aufspaltung des traditionellen Enqueterechts in Enquete-Kommissionen einerseits und Untersuchungsausschüsse andererseits sieht Zeh eine parlamentsrechtliche Selbstverpflichtung des Bundestages, zur Vorbereitung politischer Sachentscheidungen nicht das Strafprozeßrecht zu benutzen. Der Autor hält diese Festlegung der Volksvertretung nicht nur für verbindlich, sondern erachtet sie darüber hinaus auch durch Gesetz nicht ohne weiteres für abänderbar. Er verweist insofern auf den verfassungskonkretisierenden und -entwickelnden Aspekt des Parlamentsrechts!33. Sofern sich aus Kontoll- und Mißstandsuntersuchungen nach Art. 44 GG Anregungen für gesetzgeberische Maßnahmen ergeben, sind diese, wenn sie zusätzliDepenheuerlWinands, S. 263. DepenheuerlWinands, Fn. 58. 132 Zeh, Regelungsbedarf und Regelungschancen für das Verfahren parlamentarischer Untersuchungsausschüsse, DÖV 1988, S. 701 ff., 709 f. 133 Zeh, S. 709. 130
131
4. Eingrenzungsversuche des Untersuchungsrechts
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cher Aufklärung bedürfen, in einem gesonderten Verfahren weiter zu verfolgen. Das parlamentarische Untersuchungsrecht, das die Möglichkeit der Anwendung strafprozessualer Zwangsmittel beinhaltet, ist auch in diesem Zusammenhang nicht das richtige Instrument zur Vorbereitung von Gesetzgebungsmaßnahmen. Demgegenüber kann parallel zur Arbeit eines Untersuchungsausschusses oder im Anschluß daran eine Enquete-Kommission mit der Erarbeitung von Regelungsmöglichkeiten für den Gesetzgeber betraut werden. Auf diese Weise wird verhindert, daß das für legislative Zwecke konzipierte pluralistische Verfahren des § 56 GeschOBT umgangen wird. Außerdem kann so die bloße Behauptung gesetzgeberischer Ziele nicht ausreichen, um alle potentiell regelungsfähigen Lebensbereiche, notfalls unter Anwendung von Zwang, einer Untersuchung nach Art. 44 GG zu unterziehen 134. Zeh spricht sich im übrigen dafür aus, auf eine generelle Grenzziehung der Untersuchungsbefugnis im privaten Bereich über Formeln wie der des öffentlichen Interesses zu verzichten und es bei einer einzelfallbezogenen Güterabwägung zu belassen. Der rigorosen Ausnutzung von Eingriffsmöglichkeiten soll dadurch entgegengewirkt werden, daß sie de lege ferenda mit einem größeren politischen und rechtlichen Risiko verbunden werden 135 . Ein Gesetz könnte für die Überschreitung der Untersuchungskompetenz wirksame Sanktionsmöglichkeiten in der Form von Ansprüchen auf Schadensersatz und Gegendarstellung beinhalten und die Preisgabe schutzwürdiger Informationen unter Strafe stellen. Die derzeit geltenden gesetzlichen Regelungen hält der Autor nicht für ausreichend. Zeh erachtet es für möglich, auf diese Weise eine Selbstbeschränkung parlamentarischer Untersuchungsausschüsse herbeizuführen. Schröder hat sich damit auseinandergesetzt, inwiefern parlamentarische Untersuchungsausschüsse Rechtsverstöße im privaten Bereich aufklären dürfen, obwohl dies primär eine Aufgabe der Exekutive ist. Depenheuer/Winands und Zeh sind der Ansicht, daß Enqueten nach Art. 44 GG nur zur Kontrolle eingesetzt werden dürfen. Auch Masing setzt sich mit einer beachtlichen und konsequenten Argumentation dafür ein, das Untersuchungsrecht ausschließlich als parlamentarisches Kontrollinstrument und nicht als allgemeines Informationsmittel zu interpretieren l36 . Im Gegensatz zu Depenheuer/Winands stellt er dabei die Problematik privatgerichteter Enqueten in den Mittelpunkt seiner Überlegungen. Masing führt zunächst aus, daß weder die Korollartheorie 137 noch das Erfordernis des öffentlichen Interesses 138 oder die Grundrechte 139 einen effektiven Schutz vor parlamentarischen Untersuchungen im Privatbereich gewährleisten können. 134
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Zeh, S. 710. Zeh, S. 705. Masing, insbes. S. 281, 287 f. Masing, S. 275 ff. Masing, S. 278 f. Masing, S. 279 f.
7 Köhler
III. Die Zulässigkeit privatgerichteter Enqueten
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Die Menschen- und Bürgerrechte stehen dem durch Art. 44 Abs. 1 S. 1 GG garantierten Beweiserhebungsrecht parlamentarischer Untersuchungsausschüsse auf der Ebene des Verfassungsrechts gegenüber. Beide müssen einander nach dem Prinzip praktischer Konkordanz im Einzelfall in der Weise zugeordnet werden, daß sie soweit wie möglich ihre Wirkung entfalten 140. Ein "griffiges Kriterium", nach dem Grundrechtsschutz und das Recht zur Beweisaufnahme abwägend zum Ausgleich gebracht werden könnten, ist jedoch nicht in Sicht. Verläßlich vorhersehbar ist daher nur der Kembereich der Grundrechte, also ihre "absolute Minimalposition" geschützt l41 • Es besteht die Gefahr, daß die parlamentarische Enquete im privaten Bereich mangels wirksam begrenzender Kriterien zu einem ,,kaum zügelbare(n) Observationsmittel gegenüber dem Bürger" wird l42 • Den Grund dafür sieht Masing darin, daß die herrschende Auffassung die Korollartheorie zum Ausgangspunkt ihrer Überlegungen macht. Damit bindet sie das Untersuchungsrecht grundsätzlich an sämtliche Funktionen der Volksvertretung und interpretiert dieses als allgemeines parlamentarisches Informationsmittel. Der Autor wirft die Frage auf, ob es nicht richtiger wäre, das Enqueterecht nach Art. 44 GG lediglich als parlamentarisches Kontrollmittel zur Aufklärung staatlicher Sachverhalte zu definieren. Argumente dafür ergeben sich bei einer Auslegung der Norm aus den Gesamtzusammenhang des Grundgesetzes 143. Masing stellt zunächst fest, wodurch sich Untersuchungsausschüsse von den einfachen Parlamentsausschüssen im wesentlichen unterscheiden. Erstere sind mit den Zwangsbefugnissen der StPO ausgestattet (Art. 44 Abs. 2 S. 1 GG), das Enqueterecht ist ein Recht der parlamentarischen Minderheit (Art. 44 Abs. 1 S. 1 GG), und die Beweiserhebung der Ausschüsse ist grundsätzlich öffentlich (Art. 44 Abs. 1 S. 1 , 2. Hs. GG)I44. Nachfolgend analysiert der Autor die verfassungssysthematischen Gründe dieser Besonderheiten, um daraus Rückschlüsse auf die Reichweite des Untersuchungsrechts zu ziehen. Indem Art. 44 Abs. 2 S. 1 GG das Enqueterecht mit außenwirksamen Zwangsbefugnissen ausstattet, weicht die Vorschrift von der im übrigen geltenden Funktionengliederung des Grundgesetzes ab. Dem Parlament werden "gerichtsähnliche( ) exekutivische( ) Rechte" übertragen l45 . Ein Grund dafür könnte in der parlamentarischen Kontrollfunktion zu sehen sein. Die Volksvertretung bestimmt im Rahmen der ihr obliegenden Gesetzgebungskompetenz die Grundlinien der gesamten Rechtsordnung. Daran sind auf der einen 140 141 142 143 144
145
Masing, Masing, Masing, Masing, Masing, Masing,
S. 279, unter Bezugnahme auf BVerfGE 67,100 ff., 143 f. S. 280. S. 280. S. 281. S. 281. S. 282.
4. Eingrenzungsversuche des Untersuchungsrechts
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Seite die staatlichen Instanzen und auf der anderen Seite die Bürger gebunden. Um die Einhaltung der Gesetze zu gewährleisten, bedarf es der Kontrolle. Gegenüber natürlichen Personen oder juristischen Personen des Privatrechts bzw. sonstigen Personenmehrheiten obliegt die Durchsetzung des Rechts arbeitsteilig der Exekutive und der Justiz. Soweit die zur Anwendung kommenden Rechtsnormen dies vorsehen, können dabei auch Zwangsmittel eingesetzt werden. Masing hält zusätzliche eigene Aufklärungsrechte des Parlaments in diesem Bereich nicht nur für überflüssig, sondern sieht in ihnen darüber hinaus eine "sinnwidrige Abweichung von dem Grundsatz der Funktionengliederung" 146. Anders zu beurteilen ist jedoch die Gesetzmäßigkeitskontrolle staatlichen Handelns 147 . Insofern kann das Parlament nicht auf die Instrumentarien der zu überprüfenden Gewalten verwiesen werden, sondern die Volksvertretung bedarf eigener Befugnisse, um die Befolgung der Rechtsnormen durch Exekutive und Judikative zu überwachen. Insbesondere gegenüber der vollziehenden Gewalt besteht die Notwendigkeit eigener parlamentarischer Untersuchungskompetenzen, um der Unkontrollierbarkeit des Regierungs- und Verwaltungsapparates entgegenwirken zu können. Zur Sicherstellung einer wirksamen Nachprüfung von Exekutivhandlungen ist es erforderlich, daß das Parlament notfalls Zwangsmittel einsetzen kann, um an Informationen aus diesem Bereich zu gelangen. Darin ist der Grund dafür zu sehen, daß Art. 44 Abs. 2 S. 1 GG Hilfsorganen des Parlaments in Abweichung von der sonst geltenden Funtionengliederung des Grundgesetzes ausnahmsweise Exekutivbefugnisse zuerkennt 148 . Parlamentarische Kontrolle bezieht sich jedoch nicht nur auf die Befolgung von Gesetzen, sondern ist darüber hinaus auch politische Kontrolle 149 . Das bedeutet für Untersuchungen gegenüber der Exekutive, daß Entscheidungen von Regierung und Verwaltung hinsichtlich ihrer politischen Zweckmäßigkeit einer Überprüfung unterzogen werden können. Dies ist konsequent und folgerichtig, da die Regierung dem Parlament verantwortlich ist. Der Charakter des parlamentarischen Untersuchungsrechts als politisches Kontroll- und Kampfmittel paßt jedoch nicht zu Enqueten im Privatbereich. Natürliche Personen oder juristische Personen des Privatrechts sind der Volksvertretung nicht politisch rechenschaftspflichtig wie dieExekutive. Im Gegenteil, ihre Handlungsfreiheit wird "um ihrer selbst willen" anerkannt und durch die Grundrechte geschützt 150 . Im Rahmen der Gesetze kann jedes Individuum sein Verhalten und seine Verantwortlichkeitsmaßstäbe, auch wenn diese als anstößig empfunden werden, selbst bestimmen. Das Parlament ist als Forum der Nation befugt, gesellschaftliche Entwicklungen zu beobachten, zu kritisieren sowie Schlußfolgerungen aus diesen zu ziehen. In diesem Zusammenhang kön146 147 148 149
ISO
7*
Masing, Masing, Masing, Masing, Masing,
S. S. S. S. S.
282. 282 f. 283. 283 f. 283 f.
100
III. Die Zulässigkeit privatgerichteter Enqueten
nen auch der Öffentlichkeit bekannt gewordene Handlungen Privater diskutiert werden. Tritt der Staat dem Bürger jedoch mit hoheitlichen Mitteln gegenüber, indem er nicht nach außen getragene Daten und Fakten unter Anwendung von Zwangsrechten ermittelt, so muß er sich an die Funktionengliederung des Grundgesetzes halten. Das heißt es ist Sache der Exekutive, die Erhebungen im Rahmen der dafür vorgesehenen Formen und Verfahren durchzuführen. Selbstverständlich können zu diesem Zweck Rechtsnormen neu geschaffen oder geändert werden i51 . Art. 44 GG beinhaltet indes keine pauschale Befreiung von gesetzlichen Verfahrensregelungen zugunsten parlamentarischer Informationsbedürfnisse l52 . Auch die Ausgestaltung des Enqueterechts nach Art. 44 GG als Recht der parlamentarischen Minderheit spricht gegen die Zulässigkeit von Untersuchungen im privaten Bereich 153. Das Grundgesetz steigert damit die Effektivität der Kontrolle gegenüber der Exekutive, da in einem System, in dem die Parlamentsmehrheit die Regierung stellt, an der Aufklärung von Mißständen in ihrem Verantwortungsbereich naturgemäß in erster Linie die Minorität interessiert ist. Aufgrund dieser Konzeption ist es gerechtfertigt, das parlamentarische Untersuchungsrecht als Kampfinstrument der Opposition zu bezeichnen. In gleichem Maße, wie die Normierung der Enquetebefugnis als Recht der Minderheit den Erfordernissen einer effektiven Kontrolle der Exekutive gerecht wird, widerspricht sie einer Anwendbarkeit des Rechts nach Art. 44 GG zur Ausforschung des privaten Bereichs. Das Untersuchungsrecht ist zugeschnitten auf die Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner. Sofern dieser über die parlamentarische Mehrheit verfügt, stellt er die Regierung, die ihrerseits den gesamten Verwaltungsapparat unter sich hat. Die Ausgestaltung des Enqueterechts als Recht der Minderheit bedeutet eine gewisse Stärkung der grundsätzlich schwachen Position der parlamentarischen Minorität. Natürliche Personen oder juristische Personen des Privatrechts bzw. sonstige Personenmehrheiten sind jedoch selbst weder Konkurrenten um staatliche Macht, noch stehen ihnen Befugnisse zu, die mit denen der Exekutive vergleichbar wären. Bei einer Einbeziehung dieses Bereichs in Untersuchungen nach Art. 44 GG würden Private zur Ersatzzielscheibe von Angriffen, die eigentlich Gruppierungen mit staatlich-politischer Zielsetzung treffen sollen. Bürger oder Unternehmen würden nach Maßgabe einer qualifizierten parlamentarischen Minderheit "politikpflichtig" (Anführungszeichen von ihm) 154. Auch das Öffentlichkeitsprinzip des Art. 44 Abs. 1 GG weist das Untersuchungsrecht nach Ansicht Masings als Kontrollinstrument aus 155. Der Grundsatz, nach dem die Beweisaufnahme in der Regel öffentlich ist, dient in erster Linie der "Flankierung des Minderheitenrechts,,156. Die Opposition verfügt über keine parla151 152 153 154 155
Masing, Masing, Masing, Masing, Masing,
S. 289. S. 284. S. 285 f. S. 286. S. 287.
4. Eingrenzungsversuche des Untersuchungsrechts
101
mentarische Mehrheit und hat daher nicht die Möglichkeit, Mißstände abzustellen. Aufgrund dieser schwachen Stellung ist die öffentlichkeitswirksame Darstellung von Unzulänglichkeiten im Bereich von Regierung und Verwaltung für die Minorität von großer Bedeutung. Sie hat die Chance, durch Mobilisierung der öffentlichen Meinung Druck auf Regierung und Parlamentsmehrheit auszuüben. Dies kann im Hinblick auf zukünftige Wahlen sehr wirksam sein. Vergleichbare Gründe für ein öffentliches Ausschußverfahren bei Untersuchungen im Privatbereich sind nicht ersichtlich. Die damit verbundenen erheblichen Eingriffe in die Privatsphäre oder den privaten Unternehmensbereich wären nicht zu rechtfertigen l57 . Memminger befaßt sich in erster Linie mit der Frage, in welchem Umfang sich das Parlament des Mittels der parlamentarischen Untersuchung zu Zwecken der Regierungskontrolle bedienen darf158 . Er vertritt insofern eine restriktive Auffassung I59 • Am Rande geht der Autor auch auf Enqueten nach Art. 44 GG im Privatbereich ein. Memminger führt aus, daß ein Skandal Anlaß für die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses sein kann, wenn er sich auf der Ebene von Legislative, Exekutive oder Judikative abspielt. Demgegenüber rechtfertigt ein rein privater Skandal keinesfalls die Durchführung eines parlamentarischen Untersuchungsverfahrens 160. Der Verfasser konkretisiert allerdings nicht, wann eine Angelegenheit ausschließlich der Privatsphäre oder dem privaten Unternehmensbereich zuzurechnen ist. Meyer hat sich im Zusammenhang mit dem Neue-Heimat-Untersuchungsausschuß des Deutschen Bundestages intensiv mit der Frage der Zulässigkeit von Gesetzgebungs- und Empfehlungsenqueten im privaten Bereich auseinandergesetzt. Im Hinblick auf Legislativenqueten des Bundes geht er zunächst darauf ein, daß bei Berücksichtigung möglicher Verfassungsänderungen im Rahmen von Art. 79 GG kein gesellschaftlicher Bereich mehr denkbar ist, der in diesem Zusammenhang nicht einer Untersuchung nach Art. 44 GG unterzogen werden könnte l61 . Meyer sieht nur zwei Möglichkeiten, der drohenden Allgewalt des Staates auf diesem Gebiet durch Einschränkungen des parlamentarischen Untersuchungsrechts entgegenzuwirken. Die eine besteht darin, Gesetzgebungsenqueten nach Art. 44 GG für unzulässig zu erachten. Die Alternative dazu sieht Meyer in einer Minimierung der Eingriffsrechte bei Untersuchungen zu legislativen Zwecken l62 . Masing, S. 286. Masing, S. 286. 158 Memminger, S. 15 ff. 159 Memminger, insbes. S. 20 ff. 160 Memminger, S. 16. 161 Meyer, Rechtsgutachten zur Frage der Rechtsstellung der Beteiligungsgesellschaft für Gemeinwirtschaft AG und ihrer Organe bei einer Inanspruchnahme im Rahmen der Beweiserhebung durch den aufgrund des gemeinsamen Antrages der Fraktionen der CDU/CSU und ED.P. v. 4. 6. 1986 (BTDS X/5575) eingesetzten dritten Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages "Neue Heimat", erstattet der Beteiligungsgesellschaft für Gemeinwirtschaft (BGAG), unveröffentlicht, im weiteren zitiert: Meyer, Rechtsgutachten I, S. 62. 156 157
102
III. Die Zulässigkeit privatgerichteter Enqueten
In seinen weiteren Ausführungen stellt Meyer fest, daß Gesetzgebungsenqueten in der Vergangenheit kaum vorgekommen sind, und geht darauf ein, wie schwer es ist, greifbare Kriterien für eine Begrenzung der Eingriffsrechte in diesem Bereich zu finden 163 . Der Verfasser läßt die Entscheidung für eine der beiden genannten Möglichkeiten zur Einschränkung des Enqueterechts im Legislativbereich jedoch offen. Er hält Gesetzgebungsenqueten zumindest dann für unzulässig, wenn sie mißbräuchlich genutzt werden sollen. Dies ist der Fall, sofern diese Form der parlamentarischen Enquete nur vorgeschoben wird, weil sonst die Zuständigkeit zur Untersuchung eines Sachverhalts, z. B. aufgrund der bundesstaatlichen Kompetenzverteilung, nicht gegeben wäre oder falls gesetzgeberische Ziele nicht ernsthaft verfolgt werden, sondern die Enquete lediglich genutzt wird, um aus anderen Gründen Fakten mit Hilfe von Zwangsmitteln zu erheben l64 . Eine Untersuchung, die tatsächlich Gesetzgebungszwecke verfolgt, muß bei der Auswahl ihrer Themen darauf achten, daß diese für den zu regelnden Bereich repräsentativ sind. Dies ist nicht der Fall, wenn eine Enquete sich lediglich mit Mißständen und Anomalien befaßt, ohne der Kenntnis des Normalzustandes ausreichende Bedeutung beizumessen. Konkret bedeutet dies für Meyer im Fall der Neuen Heimat 165 , daß eine Untersuchung von Mißständen bei dieser Firmengruppe nicht ausreichte, um Grundlage für ernsthafte gesetzgeberische Ziele auf dem Gebiet des Rechts der Wohnungsgemeinnützigkeit, des Mieterschutzes, des Städtebaus oder der Wohnungsbauförderung zu sein 166 . Parlamentarische Untersuchungsausschüsse sind nach Art. 1 Abs. 3 GG an die Grundrechte gebunden 167 . Voraussetzung für die Durchführung einer ausschließlich privat gerichteten Enquete ist nach Ansicht Meyers, daß das Verfahren des Ausschusses und die Rechtsstellung der Betroffenen durch Gesetz geregelt sind 168 . Dies ist auf Bundesebene bisher nicht der Fall. Art. 44 GG ist als Eingriffsnorm nur ausreichend bei Untersuchungen, die primär den Innenbereich des Staates betreffen 169 . Der Verfasser hält den Gesetzesvorbehalt in dieser Hinsicht für anwendbar, da Art. 44 GG keine Regelung darüber beinhaltet, inwiefern die Wirksamkeit eines Untersuchungsverfahrens im Einzelfall die Einschränkung von Grundrechten rechtfertigt. Dieses Defizit wird nicht durch die sinngemäße Anwendung der Vorschriften über den Strafprozeß nach Art. 44 Abs. 2 S. 1 GG kompensiert, da auch der Gebrauch dieser Regelung mit erheblichen Unsicherheiten verbunden ist. Die Situation des Betroffenen vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuß ent162 163
164
165
166 167 168 169
Meyer, Rechtsgutachten I, Meyer, Rechtsgutachten I, Meyer, Rechtsgutachten I, Vgl. oben II.3.i). Meyer, Rechtsgutachten I, Meyer, Rechtsgutachten I, Meyer, Rechtsgutachten I, Meyer, Rechtsgutachten I,
S. 63 . S. 63. S. 66. S. S. S. S.
72 f. 75 ff. 77 ff., insbes. S. 80. 79.
4. Eingrenzungsversuche des Untersuchungsrechts
103
spricht weder der des Zeugen noch der des Angeklagten im Strafprozeß. Aufgrund der Vielfalt möglicher Inhalte von Enqueten nach Art. 44 GG müssen materiell rechtliche Vorschriften nowendig sehr allgemein gehalten werden. In solchen Fällen kommt der Organisation des Verfahrens für den Grundrechtsschutz besondere Bedeutung zu. Sofern Betriebsgeheimnisse von erheblichem Umfang offenbart werden sollen, sind Geheirnhaltungsvorschriften erforderlich 170. Die Untersuchung der Zulässigkeit von Empfehlungsenqueten beginnt Meyer mit einer ausführlichen Erörterung der Frage, ob privates Verhalten als solches dem Enqueterecht des Deutschen Bundestages unterliegt l7l . Er kommt dabei zu dem Ergebnis, daß Ausschüssen nach Art. 44 GG kein Kontrollrecht über den Privatbereich oder die Gesellschaft zusteht 172. Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist die Vorschrift desArt. 30 GG 173 • Danach ist die Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung der staatlichen Aufgaben, - Meyer faßt beides unter dem Begriff der "echten Kompetenzen" zusammen -, alternativ auf den Bund und die Länder verteilt. Kompetenzrechtlich neutrale Materien gibt es nicht. Soweit eine Angelegenheit nicht dem Gesamtstaat zugewiesen ist, sind die Länder zuständig. Da die parlamentarische Untersuchung immer mit der Möglichkeit von Eingriffen verbunden ist, rechnet der Verfasser sie der Ausübung staatlicher Befugnisse i.S. von Art. 30 GG zu. Es gibt keine Vorschrift, nach der dem Bund die Zuständigkeit für die Durchführung von Enqueten nach Art. 44 GG im Privatbereich ausdrücklich übertragen wird. Eine konkludente Regelung entsprechenden Inhalts könnte allenfalls aus Art. 44 Abs. 1 GG entwickelt werden. In diesem Zusammenhang setzt sich Meyer mit Ausführungen Böckenfördes auseinander, nach denen sich die Funktion des Parlaments erweitert habe und damit automatisch der Anwendungsbereich des parlamentarischen Untersuchungsrechts gewachsen sei 174 . Der Verfasser hält einen bloßen Funktionenzuwachs beim Parlament für nicht ausreichend, um damit automatisch den Anwendungsbereich des parlamentarischen Untersuchungsrechts wachsen zu lassen 175 • Beim Enqueterecht nach Art. 44 GG handelt es sich um eine Befugnis, die mit Eingriffsrechten versehen ist und daher um eine echte Kompetenz i.S. von Art. 30 GG. In einer Erweiterung des Untersuchungsrechts wäre daher eine Änderung des Grundgesetzes zu sehen, die nur im Rahmen von Art. 79 Abs. I und 2 GG möglich ist 176 . Aus der Kompetenzverteilungsnorm des Art. 30 GG ergibt sich die verfassungsrechtliche Notwendigkeit, Aufgaben und Befugnisse entweder dem Bund oder den Ländern zuzuordnen. Parallelzuständigkeiten sollen verhindert werden. Darüber 170 171
172 173 174 175 176
Meyer, Meyer, Meyer, Meyer, Meyer, Meyer, Meyer,
Rechtsgutachten I, S. 79. Rechtsgutachten 11, S. 17-42. Rechtsgutachten 11, S. 40. Rechtsgutachten 11, S. 18 f. Rechtsgutachten 11, S. 19 ff. Rechtsgutachten 11, S. 20 ff. Rechtsgutachten 11, S. 21.
104
III. Die Zulässigkeit privatgerichteter Enqueten
hinausgehende staatliche Aktivitäten, zu denen auch die Äußerungsfunktionen des Bundesparlaments als parlamentarisches Forum der Nation zählen, werden aus föderalen Gesichtspunkten kompetenzrechtlich nicht für regelungsbedürftig gehalten. Der Grund dafür ist darin zu sehen, daß es keine Probleme aufwirft, wenn z. B. in der aktuellen politischen Diskussion Themen gleichzeitig von der Volksvertretung des Bundes und von den Länderparlamenten behandelt werden 177. Demgegenüber kann von einem Funktionenzuwachs in diesem Bereich nicht automatisch auf eine Erweiterung der Befugnisse LS. Art. 30 GG geschlossen werden. Etwas anderes könnte lediglich bei einem echten Kompetenzzuwachs des Bundesparlaments gelten 178. Im Anschluß an die zuvor skizzierten Ausführungen setzt sich Meyer mit der Frage nach der Zulässigkeit von Empfehlungsenqueten auseinander 179. Die Erörterungen sollen der Klärung der Frage dienen, ob das Untersuchungsziel der Erarbeitung einer Empfehlung an die Bundesregierung dem Parlament eine Kompetenz zur Durchführung einer privatgerichteten Enquete eröffnen kann. Er kommt dabei zu dem Ergebnis, daß Empfehlungsenqueten unzulässig sind. Eine solche parlamentarische Untersuchung würde gegen wesentliche Strukturprinzipien des Grundgesetzes verstoßen 180. Die Anerkennung einer Empfehlungsenquete würde nach Ansicht Meyers zu einer Aufhebung jedweder Grenzen führen, die dem Bund gegenüber den Ländern durch die Verfassung gezogen sind. Darin wäre ein Verstoß gegen die bundesstaatliche Kompetenzverteilung des Grundgesetzes zu sehen 181 . Meyer begründet seine Auffassung damit, daß Empfehlungsenqueten sich thematisch noch weniger eingrenzen lassen, als dies bei Gesetzgebungsenqueten bereits der Fall ist 182 . Unverbindliche Empfehlungen werden für zulässig erachtet, obwohl sie nicht zu den im Grundgesetz aufgeführten Kompetenzen des Bundestages gehören. Dies erscheint insofern unproblematisch, als es sich hierbei um Vorschläge der Parlamentsmehrheit ohne jede Verbindlichkeit handelt 183 . Eine ganz andere Problematik wirft jedoch die Frage auf, ob eine solche Empfehlung durch eine möglicherweise auf einen Minderheitsantrag zurückgehende parlamentarische Untersuchung nach Art. 44 GG mit den entsprechenden Eingriffsrechten vorbereitet werden darf. Die Bundesregierung hat neben der Wahrnehmung der ihr durch das Grundgesetz zugewiesenen echten Kompetenzen die Möglichkeit, auf nahezu allen Politikfeldern tätig zu werden, und sei es auch nur in Form von Stellungnahmen 184. Es 177
178
179 180 181 182 183
Meyer, Meyer, Meyer, Meyer, Meyer, Meyer, Meyer,
Rechtsgutachten II, S. 21 f. Rechtsgutachten II, S. 21. Rechtsgutachten II, S. 42 ff. Rechtsgutachten II, S. 59. Rechtsgutachten II, S. 54. Rechtsgutachten II, S. 51, 53. Rechtsgutachten II, S. 52.
4. Eingrenzungsversuche des Untersuchungsrechts
105
finden regelmäßige Konsultationen zwischen dem Bundeskanzler und den Ministerpräsidenten der Länder sowie zwischen Bundes- und Landesministern statt. Bei diesen Gelegenheiten werden auch Landesangelegenheiten erörtert. Im Falle einer Verbindung von Empfehlungsrecht und Empfehlungsenquete könnte sich ein Untersuchungsausschuß des Bundes mit Inhalten wie den Schulverhältnissen einzelner Länder oder mit Vorgängen bei der Landespolizei beschäftigen, um dem Bundeskanzler oder Bundesministern Vorschläge zu unterbreiten, welche Themen mit welchem Ziel erörtert werden sollten. Als weiteres Beispiel könnten Empfehlungen im Bereich der Ausführung von Bundesgesetzen durch die Länder nach Art. 84 GG oder der Bundesauftragsverwaltung nach Art. 85 GG Grund für eine Überprüfung nahezu der gesamten Landesverwaltung durch den Deutschen Bundestag sein. Durch diese Form der Untersuchung könnte jeglicher Schutz der "Länder und ihrer Landesverfassungsräume" gegenüber dem Bund unterlaufen werden 185 . Eine Anerkennung von Empfehlungsenqueten würde nach Ansicht Meyers auch im Hinblick auf die Grundsätze der Gewaltenteilung gegen die Organdifferenzierung des Grundgesetzes und die relative Unabhängigkeit der Verfassungsorgane verstoßen 186 . Der Verfasser verweist in diesem Zusammenhang auf Ausführungen, die das BVerfG im sog. "Flick-Urteil" gemacht hat 187 . Das Gericht billigt darin der Exekutive u. a. "einen auch von parlamentarischen Untersuchungsausschüssen grundsätzlich nicht ausforschbaren Initiativ-, Beratungs- und Handlungsbereich" ZU 188 .
Würde man diese Art der Enquete als zulässig erachten, wäre es möglich, daß Ausschüsse nach Art. 44 GG Akten der Exekutive herausverlangen, um auf der Basis der daraus gewonnenen Erkenntnisse der Bundesregierung über den Deutschen Bundestag Empfehlungen zu geben. In diesem Fall nähme der Untersuchungsausschuß der Regierung nicht nur die Initiative ab, sondern er würde sie darüber hinaus mit Hilfe ihrer eigenen Unterlagen in Handlungszwang setzen. Bei einer Minderheitsenquete könnte sich die Opposition auf diese Weise das "Herrschaftswissen der Regierung" aneignen, um es für eigene Vorschläge zu verwenden. Die Grenze der Unabhängigkeit der Gewalten wäre damit überschritten 189 . Als weiteres Argument gegen die Zulässigkeit einer Empfehlungsenquete führt Meyer an, daß diese in einem unüberbrückbaren Widerspruch zur Systematik der Grundrechte in der Verfassung stehen würde 190. Diese Rechte begrenzen grundsätzlich nicht die Kompetenz selbst, sondern erwirken durch die Anwendbarkeit von Art. 1 Abs. 3 GG eine Beschränkung in der Kompetenzausübung l9l . Art. 44 \84
185 186 \87
188 189
190
Meyer, Rechtsgutachten 11, Meyer, Rechtsgutachten 11, Meyer, Rechtsgutachten 11, Meyer, Rechtsgutachten H, BVerfGE 67, 100 ff., 139. Meyer, Rechtsgutachten 11, Meyer, Rechtsgutachten H,
S. 52. S. 53.
S. 57.
S. 55 f. S. 56. S. 59.
106
III. Die Zulässigkeit privatgerichteter Enqueten
Abs. 2 GG billigt parlamentarischen Untersuchungsausschüssen Befugnisse zu, bei deren Anwendung die Durchsetzung einer Enquete zwangsläufig mit Grundrechtseingriffen verbunden ist. Hinzu kommt, daß Untersuchungen von einer Parlamentsminderheit erzwungen werden können. Bei Anerkennung einer Empfehlungsenquete könnten praktisch alle politisch mehr oder weniger interessanten Angelegenheiten zum Gegenstand eines Ausschusses nach Art. 44 GG gemacht werden. Bei einer solchen Konstellation würden die Grundrechte sowohl in ihrer durch Art. 1 Abs. 3 GG als auch in ihrer durch Art. 19 Abs. 1 GG zum Ausdruck kommenden Bedeutung unzulässig verkürzt. Sie "stünden zur Disposition einer Parlamentsminderheit"l92. Hinzu kommt, daß es, abgesehen von der wenig aussagekräftigen Regelung des Art. 44 Abs. 1 S. 1 GG, keine spezielle gesetzliche Grundlage für eine Beschränkung der Grundrechte gibt 193 . Meyer verdeutlicht seine Ausführungen anhand des Beispiels, daß der Wunsch der Erarbeitung einer Empfehlung an die Bundesregierung zum Thema der Subventionierung der Werften bei Anerkennung dieser Form der Enquete ausreichen könnte, um Geschäftsunterlagen der Werftindustrie einzusehen 194. Die Exekutive verfügt mangels gesetzlicher Grundlage nicht über die Möglichkeit, Zugriff auf derartige Akten von Privatfirmen zu nehmen. Es bestünde die Gefahr, daß Empfehlungsenqueten jeweils dort eingesetzt werden, wo die Rechte der Exekutive enden. Diese Form der Untersuchung nach Art. 44 GG würde "die rechtsstaatliche Balance zwischen dem Organ, dem die Empfehlung gilt, und dem privaten Bereich zerstören" 195. Steinberger nimmt eine interessante Differenzierung zwischen dem Umfang des Untersuchungsrechts insgesamt und dem Recht zum Einsatz von Zwangsbefugnissen nach der StPO vor. Grundlage seiner Überlegungen ist die Enquetebefugnis auf Bundesebene nach Art. 44 GG. Er faßt die Befassungskompetenz von Untersuchungsausschüssen entsprechend der Organkompetenz des Parlaments weit l96 . Demgegenüber rechtfertigt nicht jede zulässige Enquete auch den Einsatz von Zwangsmitteln im privaten Bereich. Nach den Ausführungen Steinbergers liegt der Sinn des Untersuchungsrechts darin, dem Bundestag die Möglichkeit zu eröffnen, sich mit seiner Hilfe selbst die erforderlichen Informationen zur Wahrnehmung aller seiner Funktionen zu verschaffen. Er verweist in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf die Bedeutung, die dem Bundesparlament als politischem Forum der Nation zukommt 197 • Der gegenständliche Anwendungsbereich des parlamentarischen Untersuchungsrechts 191 192 193 194 195 1% 197
Meyer, Rechtsgutachten TI, S. 9, 57. Meyer, Rechtsgutachten 1I, S. 57. Meyer, Rechtsgutachten 1I, S. 58. Meyer, Rechtsgutachten 1I, S. 58. Meyer, Rechtsgutachten 1I, S. 59. Steinberger, S. 1191 f. Steinberger, S. 1191.
4. Eingrenzungsversuche des Untersuchungsrechts
107
entspricht dem Umfang der Organkompetenzen des Bundestages l98 . Aus der Gesetzgebungskompetenz der Volksvertretung folgt, daß sie sich, auch im Rahmen von Sachstands- und Perspektivenenqueten, unabhängig von der Exekutive über die Beachtung und Wirkung von Bundesrecht informieren kann. Dies gilt auch für den nichtstaatlichen Bereich. Steinberger verweist in diesem Zusammenhang auf legislative Befugnisse des Bundestages hinsichtlich des privaten, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und familiären Lebens nach Art. 73 ff. GG 199 • Um die durch die Regelung des Art. 44 Abs. 2 S. 1 GG grundsätzlich mögliche Anwendung von Zwangsmitteln im privatwirtschaftlichen Bereich zu begrenzen, ist es nicht notwendig, bereits die Befassungskompetenz von Untersuchungsausschüssen einzuengen. Parlamentarische Enqueten lassen sich in weiten Bereichen auch ohne die Anwendung von Zwangsbefugnissen durchführen 2OO • Der Einsetzung einer Sachstands- und Perspektivenenquete steht nach Auffassung Steinbergers nicht entgegen, daß sich der Bundestag zur Auflärung von Sachkomplexen auch des Mittels der Enquetekommission nach § 56 GeschOBT bedienen kann. Durch die Verfassung zugewiesene Kompetenzen können durch Bestimmungen der Geschäftsordnung nicht verdrängt werden 201 . Die bundesstaatlichen Grenzen von Untersuchungen nach Art. 44 GG faßt der Verfasser ebenfalls weit. Das Enqueterecht steht dem Bund jedenfalls in dem Umfang zu, wie er über Gesetzgebungs-, Vollzugs- oder Aufsichtskompetenzen verfügt 202 . Dies gilt grundsätzlich auch für das Tlitigwerden von Untersuchungsausschüssen gegenüber natürlichen Personen oder juristischen Personen des Privatrechts bzw. sonstigen Personenmehrheiten. So kann im Rahmen einer Mißstandsenquete aufgeklärt werden, inwiefern Private gegen Bundesrecht verstoßen haben oder ob Dritten derartige Verstöße durch sie ermöglicht wurden. In diesem Zusammenhang können Unzulänglichkeiten des normativen Rechts sowie Mängel bei seiner Anwendung zutage treten 203 • Der Bundestag darf sich aber auch unabhängig von tatsächlichen oder vermuteten Mißständen durch Einsetzung einer Sachstandsoder Perspektivenenquete Kenntnisse in Bereichen verschaffen, in denen ihm die Gesetzgebungskompetenz zusteht204 . Dies gilt unabhängig davon, ob die Ausführung der Gesetze den Ländern obliegt. Auch eine legislative Zielsetzung ist für die Durchführung einer solchen Enquete nicht erforderlich 205 . Steinberger, S. 1191 f. Steinberger, S. 1193. 200 Steinberger, S. 1197. 201 Steinberger, S. 1195. 202 Steinberger, S. 1186, 1188 f. 203 Steinberger, S. 1190. 204 Steinberger, S. 1190 f.; aufgrund des Anlasses seines Gutachtens geht Steinberger hier in erster Linie auf das Thema der friedlichen Nutzung der Kernenergie ein; aus dem Gesamtzusammenhang seiner Abhandlungen kann jedoch geschlossen werden, daß seine Ausführungen auch für andere Bereiche gelten, in denen dem Bund die Gesetzgebungskompetenz zusteht. 198
199
108
III. Die Zulässigkeit privatgerichteter Enqueten
Die Fonnulierung des Untersuchungs auftrags, d. h. die vom Bundestag vorzunehmende Abgrenzung des Themas der Enquete von anderen Sachbereichen 206 , muß rechtsstaatlichen Bestimmtheitsanforderungen genügen 207 . Zeugen, die der Untersuchungsausschuß ordnungsgemäß lädt, sind zur Aussage verpflichtet. Die Reichweite der Zeugnispflicht findet ihre Grenze dort, wo die sachliche Zuständigkeit des Untersuchungsausschusses endet208 . Die Pflicht zur Aussage ist mit Ordnungssanktionen bewehrt, die bis zur Beugehaft gehen können. Darüber hinaus ist die Beschlagnahme von Gegenständen zu Beweiszwecken möglich. Aus Gründen rechtsstaatlicher Freiheitsgewährleistung müssen Untersuchungsaufträge daher hinreichend bestimmt sein. Für Mißstandsenqueten folgert Steinberger aus dem Bestimmtheitserfordernis, daß der Einsetzungsbeschluß auf tatsächlichen Anhaltspunkten beruhen muß, aus denen sich die Möglichkeit des Vorliegens von Unzulänglichkeiten ergibt209 . Ein solcher Verdacht kann sich dann im Lauf der Untersuchung entweder bestätigen oder auflösen. Der Verfasser definiert nicht, wann ein Mißstand in diesem Sinne gegeben ist. Tatsächliche Anhaltspunkte, die die Einsetzung einer solchen Enquete rechtfertigen, liegen nach seinen Ausführungen jedenfalls immer dann vor, wenn "bei vernünftiger Betrachtung ex ante mit einiger Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, daß Verstöße gegen Rechtsvorschriften vorgekommen sind,,21O. Die Durchführung von Sachstands-, Perspektiven- und Gesetzgebungsenqueten muß nicht auf einem vergleichbaren Anlaß beruhen. Dennoch ist es notwendig, daß der Untersuchungsauftrag unter Bestimmtheitsgesichtspunkten einen Rahmen vorgibt, der das Untersuchungsziel abgrenzt211 . Auch diese Enqueten können Pflichten anderer Staatsorgane, z. B. zur Aktenvorlage oder zur Rechts- und Amtshilfe, auslösen. Es muß möglich sein, derartige Verlangen daraufhin zu überprüfen, ob sie sich im Rahmen eines Untersuchungsauftrages halten, der weder die bundesstaatlichen noch die organschaftlichen Kompetenzen des Bundesparlaments überschreitet212 .
In Sachen "Transnuklear/Atomskandal',213 hielt Steinberger es weder für erforderlich, im Untersuchungs auftrag die zu überprüfenden "Vorgänge" und "Vorkommnisse" zu konkretisieren, noch war es seiner Ansicht nach notwendig, die in 205 Steinberger hatte keinen Anlaß, im Rahmen seines Rechtsgutachtens die Frage zu problematisieren, ob Konstellationen denkbar sind, in denen das Untersuchungsrecht des Bundes weiter reicht als seine Gesetzgebungs-, Vollzugs- und Aufsichtskompetenzen. 206 Steinberger. S. 1200. 207 Steinberger. S. 1198 ff. 208 Steinberger. S. 1199. 209 Steinberger. S. 1201 f. 210 Steinberger. S. 1201. 211 Steinberger. S. 1202 f. 212 Steinberger. S. 1202 f. 213 Siehe oben II.3.k).
4. Eingrenzungsversuche des Untersuchungsrechts
109
die Enquete einzubeziehenden Betriebe und Unternehmen abschließend aufzuzählen214 . Er verweist in diesem Zusammenhang darauf, daß Anhaltspunkte über mögliche Mißstände zum Zeitpunkt der AntragsteIlung bereits öffentlich bekannt waren. Sie hatten insbesondere im Entsorgungsbericht der Bundesregierung vom 13. Januar 1988215 Erwähnung gefunden. Dort wurden auch Unternehmen benannt, die an den Vorkommnissen möglicherweise beteiligt sein konnten. Es ist zu unterscheiden zwischen den Bestimmtheitsanforderungen, die an den Untersuchungsauftrag zu stellen sind, und solchen, an denen Entscheidungen während der Durchführung eines Verfahrens nach Art. 44 GG zu messen sind. Dabei kann es sich um Beweisbeschlüsse oder um Anträge handeln, die zum Zwecke ihrer zwangsweisen Durchsetzung bei den zuständigen Gerichten gestellt werden. Selbstverständlich müssen auch die in diesem Zusammenhang getroffenen richterlichen Entscheidungen inhaltlich hinreichend bestimmt sein216 . Bei der parlamentarischen Enquete handelt es sich um ein mehrstufiges Verfahren mit eigenen Prüfungskompetenzen auf den verschiedenen Stufen. Dadurch wird grundsätzlich die Rechtssicherheit Betroffener erhöht. Aufgrund der Mehrstufigkeit des Untersuchungsverfahrens kann es gerechtfertigt sein, geringere Anforderungen an den Bestimmheitsgrad des am Beginn des Verfahrens stehenden Einsetzungsbeschlusses zu stellen 217 • Steinberger befaßt sich eingehend mit den Grenzen, die sich für das Beweiserhebungsrecht parlamentarischer Untersuchungsausschüsse aus dem Grundrechtsschutz Privater ergeben 218 . Im Mittelpunkt seiner Erörterungen steht dabei die Frage nach der Zulässigkeit des Einsatzes von Zwangsmitteln gegenüber natürlichen Personen oder juristischen Personen des Privatrechts bzw. sonstigen Personenmehrheiten. Der Verfasser setzt sich mit den Ausführungen Masings auseinander. Diese hält er zwar für "beachtenswert"ZI9, wendet sich jedoch dagegen, das Enqueterecht des Art. 44 GG für den privaten Bereich enger zu fassen als die Befassungskompetenz des Bundestages. Dadurch würde das parlamentarische Untersuchungsrecht zu stark beschränkt. Wäre das Vorliegen eines Staatsbezuges durch die mögliche Verletzung staatlicher Ausführungs- und Aufsichtspflichten Voraussetzung für die Einsetzung einer Enquete, so würden gerade solche Bereiche der Untersuchung nach Art. 44 GG, entzogen, die durch Rechtsnormen nicht geregelt sind22o •
214 215 216
217
218 219 220
Steinberger, S. 1203. BTDS XI/1632, Anlage B, S. 49 ff. Steinberger, S. 1203. Steinberger, S. 1203. Steinberger, S. 1208 ff. Steinberger, S. 1208. Steinberger, S. 1209.
HO
III. Die Zulässigkeit privatgerichteter Enqueten
Untersuchungsausschüsse üben bei der Wahrnehmung ihrer Befugnisse nach Art. 44 GG hoheitliche Gewalt aus und sind durch Art. 1 Abs. 3 GG an die Grundrechte gebunden. Das Beweiserhebungsrecht parlamentarischer Enqueten und die Grundrechte Betroffener stehen sich daher auf der Ebene des Verfassungsrechts gegenüber. Dieses Spannungsverhältnis ist entsprechend dem Prinzip praktischer Konkordanz im Einzelfall durch eine Auslegung aufzulösen, die es ermöglicht, daß jede Norm ihre Wirkung soweit wie möglich entfalten kann 221 . Hinsichtlich der Frage nach der Zulässigkeit des Einsatzes von Zwangsmitteln unterscheidet Steinberger zwischen "Mißstandsenqueten, die - und insoweit als sie - auf die Aufklärung möglicher Rechtsverstöße gerichtet sind, und allen anderen Enqueten, insbesondere den Gesetzgebungs-, Sachstands- und Perspektivenenqueten,,222. Lediglich bei ersteren ist die Anwendung strafprozessualer Zwangsrechte als verhältnismäßiger Eingriff in die Grundrechte Privater zu werten. Dies gilt allerdings nur, wenn ein tatsachenbezogener konkreter Anfangsverdacht vorliegt, der bei vernünftiger Betrachtungsweise ex ante den Schluß rechtfertigt, daß durch die Aufklärung eines Sachverhalts Rechtsverstöße aufgedeckt werden. In allen anderen Fällen würde der Einsatz von Zwangsbefugnissen der StPO einen Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz darstellen 223 . Bei einer vergleichenden Betrachtungsweise kommt Steinberger zu dem Ergebnis, daß in anderen Rechtsgebieten Zeugnispflichten genauso wie Pflichten zur Herausgabe von Gegenständen sowie die dazugehörigen Sicherungsmittel von der Beschlagnahme bis zur Beugehaft grundsätzlich nur zur Gewährleistung der Rechtsordnung vorgesehen sind224 . Die Beschränkung der Grundrechte durch derartige Eingriffstatbestände dient der Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche, der Sanktionierung von Unrecht, sei es straf- oder ordnungsrechtlicher Natur, sowie der Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Zur Aufklärung von Sachverhalten zu anderen Zwecken, z. B. politischer oder wirtschaftlicher Art, sind vergleichbare, notfalls mit Zwangsmitteln durchsetzbare Zeugnisoder Herausgabepflichten in unserem Rechtssystem unbekannt. Die zur Gewährleistung der Rechtsordnung grundsätzlich anerkannten Grundrechtsbeschränkungen stellen verhältnismäßige Eingriffe in die Freiheitsgewährleistungen des Grundgesetzes dar. Der Grund dafür ist darin zu sehen, daß jeder Bürger seine Freiheiten nur voll entfalten kann, wenn sich auch seine Mitbürger an Gesetz und Recht halten. Die Beschränkung von Freiheitsrechten dient hier also letztlich ihrer allgemeinen Durchsetzbarkeit. Zur Verfolgung anderer Zwecke, wie der politisch-parlamentarischen Auseinandersetzung, sieht die Rechtsordnung den Einsatz von Zwangsmitteln nicht vor225 . 221 222 223 224 225
Steinberger, Steinberger, Steinberger, Steinberger, Steinberger,
S. S. S. S. S.
1209. 1211. 1213. 1211 ff., vgl. auch S. 1215 f. 1211 f.
4. Eingrenzungsversuche des Untersuchungsrechts
111
Da Zwangsrechte gegenüber Privaten auch in anderen Verfahren, die der Aufklärung von Rechtsverstößen dienen, zur Anwendung gelangen können, sieht Steinberger keinen Grund, warum für Untersuchungsverfahren nach Art. 44 GG, die auf das gleiche Ziel ausgerichtet sind, etwas anderes gelten soll. Er erachtet dafür jedoch das Vorhandensein eines gewichtigen, über das Strafverfolgungsinteresse hinausgehenden öffentlichen Interesses für erforderlich 226 • Im Rahmen von Enqueten, die nicht die Aufdeckung von Rechtsverletzungen bezwecken, hält der Verfasser den Einsatz strafprozessualer Zwangsbefugnisse mit dem rechtsstaatlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht für vereinbar. Dies gilt beispielsweise für Gesetzgebungs-, Sachstands- und Perspektivenenqueten227 . Im Gegensatz zur Exekutive schuldet der Bürger dem Bundestag keine Rechenschaft über sein Verhalten, solange er sich an die Rechtsordnung hält. Er entscheidet selbst über die Art und Weise seiner Lebensführung und ist dabei nicht an die Wertvorstellungen anderer gebunden 228 . Privatpersonen werden in den verschiedensten Rechtsgebieten spezielle Auskunftsverpflichtungen auf gesetzlicher Grundlage auferlegt. Darüber hinaus ist der Bürger nicht beliebiges Informationsobjekt des Staates229 . Weitere Aspekte, die bei der Beurteilung der Frage nach der Verhältnismäßigkeit von Grundrechtseingriffen durch den Einsatz strafprozessualer Zwangsmittel zu berücksichtigen sind, ergeben sich aus der Gestaltung des Untersuchungsverfahrens. Es handelt sich dabei um ein politisches Verfahren, dessen zentrales Element die Beweiserhebung ist. Aus diesem Grunde sind auch die tatsächlichen Wirkungen, die Grundrechtseingriffe in diesem Zusammenhang auslösen, zu beachten 23o . Parlamentarische Enqueten nach Art. 44 GG sind Instrumente des politischen Kampfes 231 . Dies gilt nicht nur für Mißstandsenqueten, denn auch im Verlauf von Sachstandsenqueten können sich unversehens Situationen und Konstellationen ergeben, in denen die Untersuchung als Kampfinstrument für politische Zwecke nutzbar gemacht wird232 . Personen, die als Zeugen vor dem Ausschuß auftreten, werden dabei in die Strategie der jeweiligen Opponenten einbezogen. Es besteht nicht nur in Ausnahmefällen die Gefahr, daß deren schutzwürdige Belange beeinträchtigt werden 233 . Das Untersuchungsverfahren entbehrt wesentlicher Schutzfunktionen, die das Strafverfahren Beschuldigten bzw. Angeklagten und auch Zeugen bietet. Dies gilt 226 227 228 229 230 231 232 233
Steinberger, Steinberger, Steinberger, Steinberger, Steinberger, Steinberger, Steinberger, Steinberger,
S. S. S. S. S. S. S. S.
1214. 1214. 1215. 1216. 1216. 1216. 1217. 1216 f.
112
111. Die Zulässigkeit privatgerichteter Enqueten
z. B. für die Filterwirkung, die sich aus der Stufung in Ennittlungs-, Zwischenund Hauptverfahren ergibt und letztlich dem Schutz der Grundrechte dient. Es fehlt eine Aufgabenverteilung, die sich mit der zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung vergleichen ließe und u. a. ebenfalls grundrechts schützend wirkt. Im Gegensatz zu Strafrichtern sind die Mitglieder parlamentarischer Ausschüsse nach Art. 44 GG weder zur Unparteilichkeit verpflichtet noch können sie wegen Befangenheit abgelehnt werden 234 . Zeugen vor Untersuchungsausschüssen sind nicht nur zur wahrheitsgemäßen, sondern auch zur vollständigen Aussage verpflichtet, wobei sie nichts für den Vernehmungsgegenstand Erhebliches verschweigen dürfen. Letzterer wird nicht nur durch den konkreten Beweisbeschluß festgelegt, sondern umfaßt darüber hinaus Fragen und Vorhalte durch die Ausschußmitglieder zum gesamten Untersuchungsauftrag 235 . Die Aussageverpflichtung im Rahmen von Sachstands-, Gesetzgebungs- und Perspektivenenqueten nimmt daher einen für den einzelnen Zeugen kaum mehr zu übersehenden Umfang ein. In Anbetracht der Strafandrohungen durch die Aussagedelikte hält Steinberger eine erzwungene Zeugenaussage nur zur Aufklärung konkreter Rechtsverstöße für gerechtfertigt236 . Wesentlich für die Beurteilung der Frage nach der Verhältnismäßigkeit des Einsatzes von Zwangsmitteln ist für den Verfasser ferner, daß das Ziel von Enqueten, die nicht der Aufklärung von Rechtsverstössen dienen, auch ohne die Anwendung strafprozessualer Zwangs befugnisse erreicht werden kann. Dies gilt insbesondere für Sachstandsund Perspektivenenqueten 237 . Aufgrund der zuvor erörterten Gesichtspunkte dürfen nach Auffassung Steinbergers die Zwangsrechte der StPO gegenüber Privaten nur im Rahmen von Mißstandsenqueten zur Aufklärung von Rechtsverstößen eingesetzt werden. Eine darüber hinausgehende Anwendung strafprozessualer Zwangsmittel wäre nicht mit dem verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei Grundrechtseingriffen zu vereinbaren 238 . Unabhängig davon dürfen Beweisaufnahmen immer dann durchgeführt werden, wenn die von einem Beweisbeschluß Betroffenen diesem freiwillig nachkommen 239 . Von dem Grundsatz, daß parlamentarischen Untersuchungsausschüssen Zwangsbefugnisse gegenüber Privaten nur zur Aufklärung von Rechtsverstößen zustehen, gibt es Ausnahmen 24o. Diese betreffen Bereiche, in denen die Grundrechte nicht anwendbar sind und daher das Beweiserhebungsrecht von Enqueten nach Art. 44 Steinberger, S. 1217. Steinberger, S. 1217, er bezieht sich insofern auf die Auffassung des Bundesgerichtshofs in seinem Urteil v. 3. 10. 1978, NJW 1979, S. 266 ff., 267. 236 Steinberger, S. 1217 f. 237 Steinberger, S. 1218. 238 Steinberger, S. 1218. 239 Steinberger, S. 1218. 240 Steinberger, S. 1218. 234 235
5. Die Diskussion um die BetroffenensteJlung
113
GG nicht einzuschränken vermögen. Das ist der Fall, wo sich die öffentliche Hand zur Erfüllung ihrer Aufgaben der Formen des Privatrechts bedient oder wo sie, z. B. durch Gründung einer GmbH, privatwirtschaftlieh tätig wird. Dem Staat stehen keine Grundrechte zu; dabei kommt es nicht darauf an, in welcher Rechtsfrom er handelt. Weiterhin können sich Angehörige des öffentlichen Dienstes hinsichtlich ihres dienstlich erlangten Wissens gegenüber parlamentarischen Untersuchungsausschüssen nicht auf den Grundrechtsschutz berufen. Sie bedürfen allerdings der Aussagegenehmigung nach § 54 StPO. In Bereichen, in denen das Beweiserhebungsrecht parlamentarischer Untersuchungsausschüsse nicht durch die Freiheitsrechte des Grundgesetzes beschränkt wird, können strafprozessuale Zwangsrechte grundsätzlich auch im Rahmen von Sachstands-, Perspektiven- und anderen Enqueten zur Anwendung gelangen. Natürliche Personen und juristische Personen des Privatrechts bzw. sonstige Personenmehrheiten sind aufgrund gesetzlicher Regelungen in den unterschiedlichsten Bereichen gegenüber amtlichen Stellen zur Erteilung von Auskünften verpflichtet. Die Zulässigkeit der Erhebung individualisierter Daten rechtfertigt indes nicht ihre Weitergabe an andere Träger öffentlicher Gewalt241 . An die Voraussetzungen für den zwangs weisen Zugriff von Untersuchungsausschüssen gemäß §§ 94 ff. StPO auf Akten und Schriftstücke privaten Inhalts, die sich im Gewahrsam der öffentlichen Hand befinden, stellt Steinberger dennoch geringere Anforderungen, als er sie für den unmittelbaren Zugriff auf Unterlagen von Privaten für erforderlich erachtet. Seiner Ansicht nach gebietet die Bedeutung des Untersuchungsrechts hinsichtlich schriftlicher Beweisstücke, die sich bereits im Besitz staatlicher Stellen befinden, auch bei Sachstands- und Perspektivenenqueten eine einzelfallbezogene Abwägung mit dem Grundrechtsschutz. Diese kann dazu führen, daß parlamentarischen Untersuchungsausschüssen bei entsprechenden Geheimhaltungsvorkehrungen individualisierte Daten, die die Privatsphäre oder den privaten Untemehmensbereich betreffen, zugänglich gemacht werden müssen242 .
5. Die Diskussion um die BetrotTenenstellung a) Empfiehlt sich eine Unterscheidung zwischen Zeugen und Betroffenen im Untersuchungsverfahren?
Außerordentlich umstritten ist in der Literatur die Problematik der Rechtsstellung Betroffener vor parlamentarischen Untersuchungsausschüssen. Es bestehen zunächst divergierende Ansichten hinsichtlich der Frage, ob ihnen überhaupt eine Sonderstellung zukommt. Autoren, die dem positiv gegenüberstehen, streiten um die inhaltliche Ausgestaltung des Betroffenenstatus. Auf Bundesebene liegt der 241 242
Steinberger, S. 1219. Steinberger, S. 1219.
8 Köhler
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III. Die Zulässigkeit privatgerichteter Enqueten
Grund für die unterschiedlichen Meinungen über die BetroffenensteIlung letztlich in der Regelung des Art. 44 Abs. 2 S. 1 GG. Auf der Basis sinngemäßer Anwendung der Vorschriften über den Strafprozeß lassen sich sowohl Argumente dafür finden, Personen, die im Mittelpunkt der Untersuchung stehen, wie Zeugen zu behandeln, als auch für die Zuerkennung der Rechte Beschuldigter bzw. Angeklagter im Strafverfahren. Zur Zeit der Geltung der Weimarer Reichsverfassung gab es keine grundsätzliche Diskussion um die Anerkennung eines Sonderstatus für Betroffene von parlamentarischen Untersuchungsausschüssen. Es wurde im allgemeinen nur zwischen Zeugen und Sachverständigen unterschieden 243 . Auch heute spricht einiges dagegen, von einer Enquete nach Art. 44 GG betroffenen Auskunftspersonen eine Sonderstellung einzuräumen. Darauf wird im folgenden zunächst eingegangen.
aa) Argumente gegen die Anerkennung eines BetroJfenenstatus
Rein formal ist darauf hinzuweisen, daß es im Untersuchungs verfahren keinen Beschuldigten gibt244 • Es dient lediglich der Ermittlung von Tatsachen durch das Parlament. Alle Verfahrensbeteiligten sind zwar gehalten und verpflichtet, an der vom Ausschuß betriebenen Sachverhaltsaufklärung mitzuwirken, es ist jedoch nach Auffassung Schneiders niemand in dem Sinne Widerpart des Ausschusses, daß eine Verteidigung notwendig wäre 245 . Keiner der Verfahrensbeteiligten hat mit einer Bestrafung durch den Ausschuß zu rechnen. Die Auskunftspflichten gegenüber parlamentarischen Enqueten nach Art. 44 GG ähneln weniger den Zeugnispflichten im Strafverfahren als anderen öffentlich-rechtlichen Auskunftspflichten, etwa nach dem Volkszählungsgesetz, dem Bundesseuchengesetz oder dem Abfallbeseitigungsgesetz246 • Iekewitz unterstützt die Vorstellungen Schneiders und kritisiert, daß mit dem aus dem Ordnungswidrigkeitenrecht stammenden Begriff des Betroffenen das Untersuchungsverfahren wieder in die Nähe des Strafrechts rückt. Er wendet sich gegen die Übernahme einer "Quasi-Beschuldigte(n)-Stellung" in das Verfahren der parlamentarischen Enquete. Die Pflicht zur Aussage vor Untersuchungsausschüssen ist für ihn eine öffentlich-rechtliche Auskunfts- und Mitwirkungspflicht sui generis 247 . Auch Kleinert wendet sich aufgrund der unterschiedlichen Aufgaben von
243 Anschütz, Art. 34, S. 222, 8b; Lammers, in Anschütz/Thoma, § 94, S. 470 f.; Poetzschl Heffter, S. 184, III.13.b. 244 Rechenberg, in BK, Art. 44, Rdnr. 25. 245 Schneider, Referat zum 57. DIT, S. M 84. 246 Schneider, Referat zum 57. DIT, S. M 84. 247 Jekewitz, Diskussionsbeitrag, in Verhandlungen des 57. DJT, Bd. 2, Teil M, München 1988, S. M 180.
5. Die Diskussion um die BetroffenensteIlung
115
Straf- und Untersuchungsverfahren gegen eine Unterscheidung von Zeugen und Betroffenen248. Mit ähnlichen Argumenten hat die Enquete-Kommission Verfassungsreform eine Differenzierung zwischen Zeugen und Betroffenen abgelehnt 249 . Sie hielt eine solche aus dem Strafprozeß stammende Einteilung der Auskunftspersonen im Untersuchungsverfahren für systemwidrig. Während im Strafverfahren die persönliche Schuld eines Menschen im Hinblick auf die Verwirklichung eines gesetzlich fest umrissenen Tatbestandes untersucht wird, ist es Aufgabe von Untersuchungsausschüssen, Sachverhalte unter politischen Gesichtspunkten aufzuklären und zu bewerten. Es geht um die Feststellung politischer Verantwortlichkeit für vermeintliche Fehlentwicklungen. Gegen die Anerkennung eines Sonderstatus für Personen, die im Mittelpunkt der Enquete stehen, spricht weiterhin, daß die förmliche Erklärung eines Zeugen zum Betroffenen auch diskriminierend wirken kann 25o . Die Anwendung wesentlicher Beschuldigtenrechte aus dem Strafverfahren auf Auskunftspersonen parlamentarischer Untersuchungsausschüsse führt nach Ansicht Schneiders in der Öffentlichkeit fcilschlicherweise zu dem Eindruck, "man sitze über sie zu Gericht". Dadurch wird dann zwangsläufig die Frage aufgeworfen, welchen Sinn ein solches Verfahren neben den Ermittlungen der Justiz überhaupt hat. Bei Anerkennung des Betroffenenstatus entsteht eine künstlich aufgebaute Konfrontation zwischen Informant und Ausschuß. Die Übernahme strafprozessualer Kategorien läßt dabei "die parlamentarische Enquete zwangsläufig zu einem "Tribunal" denaturieren,,251. Auch Zeh bezweifelt, daß es richtig ist, die ohnehin in der Öffentlichkeit häufig vorgenommene Gleichsetzung von Untersuchungs- und Strafverfahren nochmals dadurch zu bestätigen, daß für Auskunftspersonen der parlamentarischen Enquete ein Status geschaffen wird, der dem von Angeklagten vor Strafgerichten entspricht252 . Nach einer Aussage Langners sind in der Vergangenheit Ausschüsse häufig davor zurückgeschreckt, ,jemandem von Anfang an den Makel der Betroffenheit auf die Stirn zu drücken,,253.
248 Kleinert, Podiumsbeitrag zur Seminartagung der Deutschen Vereinigung für Parlamentsfragen e.V. u. des Niedersächsischen Landtages, Hannover, 20. u. 21. 11. 1987, in Thaysen/Schüttemeyer, S. 72. 249 BTDS VII/5924, S. 54 f. 250 Darauf weist die Landtagspräsidentenkonferenz im Jahre 1979 hin, Protokoll der 51. Konferenz der Landtagspräsidenten v. 19. 11. 1979, Abschnitt III 7, S. 28. 251 Schneider, Referat zum 57. DIT, S. M 85. 252 Zeh, S. 705. 253 Langner, Podiumsbeitrag zur Seminartagung der Deutschen Vereinigung für Parlamentsfragen e. V. u. des Niedersächsischen Landtages, Hannover, 20. u. 21. 11. 1987, in Thaysen/Schüttemeyer, S. 58.
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III. Die Zulässigkeit privatgerichteter Enqueten
Bedenken gegen eine Sonderstellung ergeben sich auch unter dem Aspekt der Wirksamkeit parlamentarischer Untersuchungen. Schröder weist darauf hin, daß bei einer sinngemäßen Anwendung der Rechte Beschuldigter möglicherweise Konflikte mit der Verfahrensherrschaft des Ausschusses entstehen. Die Anerkennung von Frage- und Beweisantragsrechten kann die Enquete erschweren und verzögern. Dies sollte in Anbetracht dessen, daß auch für Untersuchungsausschüsse der Diskontinuitätsgrundsatz gilt und bei fortgeschrittener Wahlperiode das Zeitproblem immer mehr an Bedeutung gewinnt, nicht unterschätzt werden 254. Arndt sieht in parlamentarischen Enqueten ein Instrument zur Selbstreinigung unseres demokratischen Staatswesens. Er hält sie für das wichtigste Mittel, die Sauberkeit des öffentlichen Lebens zu garantieren, und befürchtet, daß dieser Effekt durch zu viel individuelle Schutzrechte kaputt gemacht wird, wodurch dann letztlich auch die Demokratie Schaden nimmt 255 . Zeh verweist darauf, daß Untersuchungsausschüsse überwiegend zur Aufdekkung politischen oder administrativen Fehlverhaltens eingesetzt werden. Die wichtigsten Auskunftspersonen sind daher zwangsläufig diejenigen, deren Handlungen kontrolliert werden sollen. Würde ihnen der Betroffenenstatus mit Aussageverweigerungs- und Mitwirkungsrechten zuerkannt, hätte dies zur Folge, daß die Aufklärung von Sachverhalten in weiten Bereichen nur noch durch die Befragung von "Randfiguren" (Anführungszeichen von ihm) betrieben werden könnte. Für Zeh bedeutet dies, den "Sinn parlamentarischer Untersuchungen im Verfahren selbst aufzuheben,,256. Er fordert, auf eine Unterscheidung zwischen Zeugen und Betroffenen zu verzichten und dafür die Stellung aller Auskunftspersonen vor parlamentarischen Untersuchungsausschüssen unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten zu verbessern. Ein weiteres Argument gegen die Anerkennung eines Betroffenenstatus ist, daß die Entscheidung darüber, bei welchen Auskunftspersonen die Voraussetzungen für eine solche Sonderstellung vorliegen, in der praktischen Handhabung große Schwierigkeiten bereitet. Dies betrifft schon die Frage, wer entscheidet, ob jemand von einer parlamentarischen Enquete "betroffen" ist. Naheliegend wäre eine Zuständigkeit des Ausschusses für die Klärung derartiger Angelegenheiten. Dabei ergeben sich jedoch weitere Probleme, da dieses Gremium entsprechend den politischen Kräfteverhältnissen im Parlament zusammengesetzt ist. Bei einer Mehrheitsentscheidung des Untersuchungsausschusses bestünde die Gefahr, daß der Regierung nahestehende Auskunftspersonen eher als Betroffene anerkannt würden als solche, die der Opposition zuzurechnen sind. Wenn die Entscheidung nur einstimmig getroffen werden könnte, wäre es möglich, daß Mehrheit und Minderheit eine Art Abkommen über besserzustellende Verfahrensbeteiligte treffen und auch in Schröder, Gutachten zum 57.DJT, S. E 48 f. Amdt, Diskussionsbeitrag, in Verhandlungen des 57. DJT, Bd. 2, Teil M, München 1988, S. M 183. 256 Zeh, S. 706. 254 255
5. Die Diskussion um die BetroffenensteIlung
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diesem Fall politische Motive den Ausschlag geben 257 . Auch die "Enquetekommission Verfassungsreform" begründet ihre ablehnende Haltung gegenüber der Betroffenenstellung u. a. damit, daß es schwer ist, zwischen Zeugen und Betroffenen zu unterscheiden und daß entstehende Auseinandersetzungen die Sachaufklärung nur behindern 258 • bb) Argumente für die Anerkennung eines BetroJfenenstatus
Alsberg forderte bereits Mitte der 20er Jahre zwischen "Objekten der Untersuchung", "Verdächtigen" oder "Beschuldigten" (Anführungszeichen von ihm) und den "eigentlichen Zeugen" nicht nur bei der Vereidigung zu unterscheiden. Er befürwortete es, den Auskunftspersonen, die heute als Betroffene bezeichnet werden, wesentliche Beschuldigtenrechte zuzuerkennen 259 . Maunz wendet sich dagegen, Personen, gegen die sich eine Untersuchung richtet, als Zeugen zu behandeln. Er hält dies mit den Geboten der Rechtsstaatlichkeit nicht für vereinbar und bestreitet, daß die Anwendung der Strafprozeßvorschriften in dieser Form noch "sinngemäß" ist26o . Auch Müller-Boysen plädiert für die Anerkennung einer Sonderstellung Betroffener261 • Sie verweist darauf, daß dieser Personenkreis im Mittelpunkt der parlamentarischen Untersuchung steht und sich daher erheblich von unbeteiligten Dritten, die als Zeugen gehört werden, unterscheidet262 . Personen, gegen die sich eine Enquete richtet, sind emotional sehr stark in das Verfahren eingebunden, und es dürfte ihnen schwer fallen, Tatsachen wertneutral wiederzugeben 263 • Müller-Boysen ist der Auffassung, daß die Lage des Betroffenen im Untersuchungsverfahren eher der eines Beschuldigten als der eines Zeugen im Strafverfahren entspricht. Letztgenannter nimmt mehr eine "objektähnliche Stellung" am Rande ein, während die Erstgenannten im Mittelpunkt des Verfahrens stehen. Nicht nur dem Beschuldigten, sondern auch dem Betroffenen wird ein Schuldvorwurf gemacht, auch wenn dieser von anderer Qualität ist und nicht unmittelbar sanktioniert werden kann264 • 257 258
S.18.
Zeh, S. 705. Abschlußbericht BTDS VII/5924, S. 55; vgl. auch Zwischenbericht BTDS VI/3829,
259 Alsberg, Empfiehlt sich eine Abänderung der Bestimmungen über parlamentarische Untersuchungsausschüsse, um den ungestörten Verlauf des Strafverfahrens und die Unabhängigkeit des Richtertums sicherzustellen, Gutachten in Verhandlungen des 34. DJT. Bd. 1, Berlin, Leipzig 1926, S. 332 ff., 376 f. 260 Maunz, in Maunz/Dürig, Art. 44, Rdnr. 54. 261 Müller-Boysen, S. 170; gleicher Ansicht: Versteyl, in v. Münch, Art. 44, Rdnr. 36. 262 Müller-Boysen, S. 154, 170; ähnlich Schleich, S. 43, 46. 263 Müller-Boysen, S. 154. 264 Müller-Boysen, S. 157, vgl. auch S. 159.
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III. Die Zulässigkeit privatgerichteter Enqueten
Nach den Ausführungen Müller-Boysens hätte die Anwendung von Zeugenregelungen auf den Betroffenen zur Folge, daß dieser weniger geschützt wäre als andere Auskunftspersonen. Er ist in der Regel über den Untersuchungskomplex am besten informiert und dürfte daher zu wesentlich mehr Sachfragen vernommen werden, als dies bei Zeugen der Fall ist. Durch eine umfangreichere Vernehmung steigt auch das Risiko, daß Angelegenheiten in die Öffentlichkeit gelangen, die dem Betroffenen schaden können265 . Auch Gollwitzer befürwortet eine Unterscheidung zwischen Zeugen und Betroffenen, wobei er der Ansicht ist, daß es einer sinngemäßen Anwendung der Strafprozeßvorschriften entsprechen würde, Personen, die im Mittelpunkt einer Enquete stehen, hinsichtlich ihrer Auskunftspflicht Angeklagten gleichzustellen. Parlamentarische Untersuchungsverfahren werden mit dem Ziel betrieben, objektives und subjektives Fehlverhalten bestimmter Personen aufzudecken. Diese können vor dem Ausschuß in Konfliktsituationen geraten, die der des Angklagten im Strafverfahren ähnlicher sind, als der des Zeugen. Die psychologische Zwangslage des Betroffenen im Untersuchungsverfahren ist mit der des Beschuldigten durchaus vergleichbar. Gerade darin ist aber ein Grund für Regelungen wie der des Auskunftsverweigerungsrechts nach § 136 StPO zu sehen 266 . Obwohl parlamentarische Enqueten bestimmte Verhaltensweisen allenfalls kritisieren, nicht aber sanktionieren können, ist es nicht zuletzt aufgrund der Öffentlichkeitswirksamkeit solcher Verfahren möglich, daß ihre Auswirkungen denen des Strafurteils gleichkommen oder sogar darüber hinausgehen 267 . Damkowski führt an, daß sich insbesondere Skandalenqueten häufig derart unmittelbar gegen bestimmte Personen richten, daß sie "faktisch in die Lage eines Beschuldigten geraten,,268. Schröder wendet sich dagegen, Auskunftspersonen parlamentarischer Untersuchungsausschüsse grundsätzlich wie "normale( )" Zeugen zu behandeln269 . Soweit die Vorschriften des Zeugenschutzes nicht ausreichen, um legitimen Schutzbedürfnissen Rechnung zu tragen, sind Sonderregelungen erforderlich. Einwände, die gegen die Betroffenenstellung vorgebracht werden, sollten lediglich bei ihrer Ausgestaltung Berücksichtigung finden 27o . Auch Bickel befürwortet eine Differenzie265 Müller-Boysen, S. ISS; Zeh, S. 706, nimmt zu dieser Argumentation den Gegenstandpunkt ein, indem er darauf verweist, daß durch die Zuerkennung umfangreicher Beschuldigtenrechte an Betroffene umfassende Aufklärung im Untersuchungsverfahren nur durch Randfiguren zu erwarten ist. 266 Gollwitzer, Der Betroffene im Verfahren der Untersuchungsausschüsse des Bayerisehen Landtags, BayVBl. 1982, S. 417 ff., 418. 267 Gollwitzer, S. 423. 268 Damkowski, Der aktuelle Regelungsbedarf im Recht der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse, Vortrag zur Seminartagung der Deutschen Vereinigung für Parlamentsfragen e.Y. und des Niedersächsischen Landtags am 20. u. 21. 11. 1987, in Thaysen/Schüttemeyer, S. 138 ff., 146. 269 Schröder, Gutachten zum 57. DIT, S. E 52. 270 Insofern ähnlich Schleich, S. 50.
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rung zwischen Auskunftspersonen, die lediglich als "Wissensvermittler" fungieren, und solchen, die von der Untersuchung persönlich berührt werden. Bei letzteren steht dem Aufklärungsinteresse parlamentarischer Enqueten die grundrechtlich geschützte Privatsphäre des Betroffenen als Gegeninteresse gegenüber271 . Redeker plädiert nicht nur für eine Unterscheidung zwischen Zeugen und Betroffenen, sondern er setzt sich darüber hinaus dafür ein, auch juristischen Personen die BetroffenensteIlung zuzubilligen 272 . Es kann nicht entscheidend darauf ankommen, ob Vorgänge in einer OHG ohne eigene Rechtspersönlichkeit untersucht werden, wodurch der Firmeninhaber automatisch selbst betroffen wäre, oder ob Geschehnisse bei einer juristischen Person, beispielsweise einer GmbH, zur Überprüfung gelangen.
ce) Untersuchungsausschußgesetze und Regelungsentwüife mit und ohne BetroJfenenstellung Einen Sonderstatus für Betroffene beinhalten neben dem IPA-Entwurf273 die Untersuchungsausschußgesetze Baden-Württembergs, Bayerns, des Saarlands, Thüringens und Sachsens. Die Empfehlungen der Konferenz der Präsidenten der Deutschen Länderparlamente aus dem Jahre 196t274 enthalten die BetroffenensteIlung genauso wie ein Musterentwurf der Landtagspräsidenten aus dem Jahre 1972275 und ein interfraktioneller Gesetzentwurf auf Bundesebene, der sog. "Schulte-Entwurf"276. Keine Sonderregelung für Personen, die im Mittelpunkt der Enquete stehen, gibt es in den Untersuchungsausschußgesetzen von Berlin, Bremen, Nordrhein-Westfalen und Brandenburg. Dies trifft auf Bundesebene auch für einen Gesetzentwurf der CDU/CSU-Fraktion aus dem Jahre 1977277 und für einen Entwurf der SPDFraktion von 1988 278 zu. Die ablehnende Haltung der "Enquete-Kommission Ver-
271 Bickel, Empfiehlt sich eine gesetzliche Neuordnung der Rechte und Pflichten parlamentarischer Untersuchungsausschüsse? Referat zum 57. DIT, in Verhandlungen des 57. DIT, Bd. 2, Teil M, München 1988, S. M 7 ff., 30 f. 272 Redeker, Podiumsbeitrag zur Seminartagung der Deutschen Vereinigung für Parlamentsfragen e.Y. und des Niedersächsischen Landtags am 20. u. 21. 11. 1987, in Thaysen/ Schüttemeyer, S. 178 ff., 181. 273 BTDS V/4209, § 18; siehe oben I.2.c). 274 In ROP S. 231 005; ZParl3 (1972), S. 433. 275 In Thaysen/Schüttemeyer, S. 300 ff. 276 Entwurf eines Gesetzes über Einsetzung und Verfahren von Untersuchungsausschüssen des Deutschen Bundestages v. 27. 11. 1986, BTDS X/6587 und v. 26. 2. 1988, BTDS XII 1896 (beide Entwürfe sind identisch). 277 Entwurf eines Gesetzes über das Untersuchungsverfahren des Deutschen Bundestages v. 14. 11. 1977, BTDS VIII/ll81. 278 Entwurf eines Gesetzes zur Regelung des Rechts der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse v. 18.3. 1988, BTDS XII2025.
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III. Die Zulässigkeit privatgerichteter Enqueten
fassungsrefonn" einer Sonderstellung Betroffener gegenüber wurde bereits erwähnt279 .
b) Wer ist von einer parlamentarischen Enquete betroffen? Auf die wichtigsten Betroffenendefinitionen wurde bereits eingegangen, um mit ihrer Hilfe zu bestimmen, wann eine Untersuchung "privatgerichtet" ist28o . Die obigen Ausführungen müssen daher im folgenden nur noch ergänzt werden. Der 45. DJT hat im Jahre 1964 eine von den bisher erwähnten Definitionen abweichende Bestimmung des Betroffenen beschlossen281 . Sie stellt darauf ab, ob sich die Untersuchung "offensichtlich gegen eine bestimmte Person" richtet und "im Untersuchungsauftrage Vorwürfe erhoben (werden), die dieser zur Unehre gereichen". Es wird ausdrücklich erwähnt, daß "die Pflicht der Regierungsvertreter, über ihre Amtsführung Rede und Antwort zu stehen", unberührt bleibt. Heinemann hatte zuvor in seinem Referat auf den Unterschied zwischen politischer Verantwortung und ehrenrührigen Vorwürfen verwiesen. Nur letztere rechtfertigen eine Sonderstellung des Betroffenen im Untersuchungsverfahren 282 . Die Beschränkung auf "Vorwürfe, die zur Unehre gereichen", begründet Partsch im Rahmen der Beschlußfassung des 45. DJT damit, daß im Mittelpunkt der Untersuchung stehenden Auskunftspersonen in Anlehnung an die ZPO ein besonderer Status zuerkannt werden soll. Er befürchtet, daß es ohne einen solchen Passus zu einer "uferlosen Ausdehnung" der Betroffenenstellung kommen könnte, was wiederum zur Folge hätte, "daß die Durchführung von Untersuchungen weitgehend illusorisch (würde),,283. Der Vorschlag, es für die Zuerkennung eines Sonderstatus ausreichen zu lassen, daß ehrenrührige Vorwürfe erst im Verlauf der Untersuchung erhoben werden, wurde abgelehnt 284 . In diesem Zusammenhang fand auch die Gefahr der Ausschaltung von Zeugen durch neue Vorwürfe Erwähnung. Partsch verweist u. a. auf das Recht des Beschuldigten, der Untersuchung von Anfang an beizuwohnen. Es ist nicht möglich, einem Betroffenen eine solche Befugnis nachträglich zuzuerkennen285 . Siehe oben III.5.a)aa). Siehe oben I.2.c). 281 Verhandlungen des 45. DIT, Bd. 2, Teil E, München und BerIin 1965, S. E 173. 282 Heinemann, Empfiehlt es sich, Funktion, Struktur und Verfahren der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse grundlegend zu ändern? Referat zum 45. DIT, Bd. 2, Teil E, München und BerIin 1965, S. E 53 ff., 59. 283 Partsch, in Verhandlungen des 45. DIT, Bd. 2, S. E 165, Punkt 8. 284 Verhandlungen des 45. DIT, S. E 165 f. 285 Partsch, in Verhandlungen des 45. DIT, Bd. 2, S. E 165. 279
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5. Die Diskussion um die BetroffenensteIlung
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Nach § 18 Abs. 1 Nr. 4 der IPA-Vorschriften 286 und § 20 Abs. 1 des Musterentwurfs der Präsidenten der Länderparlamente aus dem Jahre 1972287 ist es dagegen möglich, daß der Untersuchungsausschuß auch noch während des Verfahrens bestimmten Auskunftspersonen die Betroffenenstellung zubilligt. § 18 Abs. 4 der IPA-Vorschriften und § 20 Abs. 7 des Musterentwurfs bestimmen, daß die vor dieser Entscheidung liegenden Untersuchungshandlungen wirksam bleiben. Der Betroffene ist jedoch über die sich auf ihn beziehenden Untersuchungshandlungen und deren Ergebnisse zu unterrichten, und ihm ist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Partsch hatte sich in seinem Gutachten für den 45. DJT mit der Betroffenenproblematik auseinandergesetzt und aufgezeigt, wie schwer es ist, den Betroffenen einer parlamentarischen Untersuchung zu definieren 288 • Dies gilt selbst für personell bestimmte Enqueten, die nicht nur eingeleitet werden können, um jemanden zu belasten, sondern auch, um angegriffene Personen aus den eigenen Reihen zu entlasten, wobei gleichzeitig auf den politischen Gegner gezielt wird. Schwerer noch ist die Angriffsrichtung von Ausschüssen zu erkennen, deren Einsetzung lediglich damit begründet wird, daß bestimmte Vorgänge aufgeklärt werden sollen. Durch den Verfahrens verlauf kann es vorkommen, daß Auskunftspersonen, die zunächst ihr Verhalten rechtfertigen mußten, zu Angreifern werden oder daß Initiatoren des Untersuchungsverfahrens in die Lage kommen, sich selbst verteidigen zu müssen. Nur dem Ausschuß ist es möglich, die jeweilige Rollenverteilung zu erkennen289 • Bei der Erörterung der Frage, welchem Personenkreis ein Sonderstatus vor parlamentarischen Untersuchungsausschüssen zuzuerkennen ist, geht Partsch zunächst auf die Empfehlungen der Konferenz der Präsidenten der Deutschen Länderparlamente aus dem Jahre 1961 290 ein. Wie bereits erwähnt, kritisiert er, daß es danach für die Beantwortung der Frage, gegen wen sich die Enquete richtet, auf die Formulierung des Untersuchungsauftrags ankommt291 . Richtig sei vielmehr, daß der Ausschuß bei seiner Entscheidung "politische Vernunft und auch einigen Spürsinn" anwenden muß, um die Zielrichtung des Antrags, auf die es tatsächlich ankommt, zu erkennen. Die Untersuchung muß sich "ausschließlich oder überwiegend" gegen eine bestimmte Person richten, wobei das Übel, das ihr droht, auch im Verfahren selbst liegen kann292 . Die von Partsch zur Diskussion gestellte Definition des Betroffenen293 entspricht weitgehend der vom 45. DJT beschlossenen Forme1 294 . Partsch fordert 286 287 288 289
290 291 292 293
Siehe oben 1.1., Fn. 5. Siehe oben 1II.5.a)cc), Fn. 275. Pansch, Gutachten zum 45. DIT, S. 112 f. Pansch, Gutachten zum 45. DIT, S. 113. Siehe oben I.2.c) unter 1. Siehe oben I.2.c). Partsch, Gutachten zum 45. DIT, S. 210. Pansch, Gutachten zum 45. DIT, S. 211.
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III. Die Zulässigkeit privatgerichteter Enqueten
kommulativ, daß sich die Untersuchung offensichtlich gegen eine bestimmte Person richten muß und daß im Untersuchungsauftrag Vorwürfe erhoben werden, die ihre Ehre berühren. Erstaunlich ist, daß der Gutachter beim letztgenannten Punkt selbst entscheidend auf die Formulierung der Enquete abstellt, wo er dies doch für die Beantwortung der Frage, gegen wen sich die Untersuchung richtet, so vehement kritisiert295 . Auch ehrenrührige Beschuldigungen können zunächst zurückgehalten werden, um sie erst später in das Verfahren einzubringen. Damit kann die Anerkennung bestimmter Auskunftspersonen als Betroffene vom Formulierungsgeschick und von der Taktik der Antragsteller abhängen. Der Bayerische Gesetzgeber hat die Betroffenendefinition der Empfehlungen der Konferenz der Präsidenten der Deutschen Länderparlamente aus dem Jahre 1961 in Art. 13 seines Untersuchungsausschußgesetzes wörtlich übernommen 296 . Diese Vorschrift beinhaltet daher auch die von Partsch kritisierte Regelung 297, wonach eine Person nur von der Enquete betroffen ist, wenn aus dem Untersuchungsauftrag eindeutig hervorgeht, daß sich die Untersuchung ausschließlich oder ganz überwiegend gegen sie richtet. Es überrascht, daß Gollwitzer bei der Auslegung der bayerischen Norm eine Passage von Partsch zitiert, mit der dieser sich gegen die Voraussetzung des eindeutigen Untersuchungsauftrags in den Empfehlungen der Landtagspräsidenten (= gesetzliche Regelung in Bayern) wendet. Es handelt sich dabei um die Forderung, daß es ausreichen muß, wenn die personenbezogene Zielrichtung der Enquete "mit politischer Vernunft und einigem Spürsinn,,298 erkennbar ist. Eine solche Interpretation ist vom Wortlaut des Bayerischen Gesetzes nicht mehr gedeckt. Nawiasky/Schweiger/Knöpfle weisen ausdrücklich darauf hin, daß es eine unabdingbare Voraussetzung für die Anerkennung als Betroffener ist, daß die entsprechende Auskunftsperson "im Untersuchungsauftrag in der angegebenen Weise als Objekt der Untersuchung bezeichnet worden (ist)". Dies entspricht dem strafprozessualen Grundsatz, nach dem es für die Frage, wer Beschuldigter ist, allein auf die einer Person im Verfahren zugewiesene Rolle und nicht auf ihre materielle Beziehung zu einem Geschehen ankommt 299 . Um auf Auskunftspersonen parlamentarischer Untersuchungsausschüsse Beschuldigtenvorschriften des Strafverfahrens analog anzuwenden, hält es Gollwitzer für erforderlich, daß der innere Grund für eine derartige Sonderstellung gegeben ist. Dieser ist in dem Interessenkonflikt zwischen Wahrheitspflicht und Selbstverteidigungsrecht zu sehen. Die Enquete muß also schwerpunktmäßig die Aufklärung eines Fehlverhaltens bezwecken, das rechtliche Sanktionen gegenüber der
294 295
Siehe oben III.5.b). Siehe oben I.2.c).
298
Siehe oben I.2.c) unter 1. Siehe oben I.2.c) und III.5.b). Partsch, zitiert nach Gollwitzer, S. 419.
299
Schweiger, in Nawiasky/Schweiger/Knöpfle, Art. 25, Rdnr. 10.
296 297
5. Die Diskussion um die BetroffenensteIlung
123
Auskunftsperson nach sich ziehen kann. Dabei ist erforderlich, daß "sie durch den Auftrag in den Mittelpunkt des zu untersuchenden Sachverhalts gerückt wird,,3oo. Unter Berufung auf GellerlKleinrahm faßt Gollwitzer die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Betroffenenstellung eng. Die zu vernehmende Person muß entweder gleichzeitig Beschuldigte in einem Strafverfahren sein, oder der Untersuchungsauftrag muß den Vorwurf strafbarer oder anderer Handlungen enthalten, die zu einem gerichtlichen Verfahren gegen die betroffene Auskunftsperson führen können. Ausdrücklich erwähnt wird in diesem Zusammenhang auch die Ministeranklage 30I . Gollwitzer begründet seine Auffassung mit der Notwendigkeit der Kongruenz der Rechte des Betroffenen in allen staatlichen Verfahren, die mit gleicher Zielrichtung gegen ihn geführt werden. Er sieht den Sinn entsprechender Anwendung der Strafprozeßordnung u. a. darin, die Grenzen der Auskunftspflicht hinsichtlich eines mit staatlichen Sanktionen bedrohten Fehlverhaltens im Untersuchungsverfahren nicht anders zu ziehen, als im Strafprozeß oder bei anderen, vergleichbaren, von Amts wegen betriebenen staatlichen Verfahren 302 . Bickel faßt die Betroffenenstellung weiter als Gollwitzer. Die persönliche Berührung einer Auskunftsperson durch den aufzuklärenden Sachverhalt kann einen Sonderstatus sowohl im Falle eines parallel laufenden Strafverfahrens als auch bei einem sonstigen Fehlverhalten bis zum Vorwurf der Ehrenrührigkeit rechtfertigen 303 . Er verlangt weder, daß entsprechende Vorhaltungen im Untersuchungsauftrag enthalten sein müssen, noch, daß sich die Untersuchung als solche gegen diese Auskunftsperson richten muß. Dadurch unterscheiden sich die Vorstellungen Bikkels von denen Partschs und des 45. DIT. Die Entscheidung über das Vorliegen der Betroffeneneigenschaft soll beim Untersuchungsausschuß liegen 304 . Das Landtagsgesetz des Saarlandes stellt für die Zuerkennung eines Sonderstatus für Auskunftspersonen in § 54 Abs. 1 Nr. 1 darauf ab, ob die Enquete die Beoder Entlastung von Abgeordneten oder Regierungsmitgliedern zum Ziel hat. § 54 Abs. 1 Nr. 2 billigt die Betroffenenstellung weiterhin Personen zu, auf die sich die Untersuchung ganz oder überwiegend bezieht. Nach § 15 Abs. 1 des Thüringischen Untersuchungsausschußgesetzes sind Betroffene nicht nur natürliche, sondern auch juristische Personen, gegen die sich die Enquete nach dem Sinn des Untersuchungsauftrags richtet. Schieich305 unterscheidet zunächst zwischen sachbezogenen und personenbezogenen Enqueten. Letztere sind für die im Mittelpunkt des Verfahrens stehenden Gollwitzer, S. 419. GelierlKleinrahm, Die Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen, 3. Aufl., Göttingen 1982, Art. 41, Anm. 11 c) bb); Gollwitzer, S. 419 f. 302 Gollwitzer, S. 420. 303 Bickel, Referat zum 57. DIT, S. M 30 f. 304 Bickel, Referat zum 57. DIT, S. M 51, These Nr. 14. 305 Schleich, S. 46 f. 300 301
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III. Die Zulässigkeit privatgerichteter Enqueten
Auskunftspersonen mit harten persönlichen Belastungen verbunden, die eine Sonderstellung rechtfertigen. Die Wesensunterschiede zwischen Untersuchungs- und Strafverfahren haben zur Folge, daß es nicht möglich ist, den von einer parlamentarischen Enquete Betroffenen zunächst abstrakt zu definieren und ihm dann in allen Untersuchungsverfahren einheitlich anwendbare Beschuldigtenrechte zuzuweisen. Stattdessen ist je nach Schutzwürdigkeit der für eine Sonderstellung in Betracht kommenden Auskunftsperson zu differenzieren. Zu diesem Zweck untersucht Schleich zunächst die einzelnen Beschuldigtenschutzvorschriften und arbeitet im Zusarnrnenhang damit diejenigen Betroffenengruppen heraus, zu deren Gunsten bestimmte Regelungen zur Anwendung kommen sollen. Als personenbezogene Enqueten erkennt Schröder zunächst Untersuchungen an, die der Vorbereitung besonderer Anklageverfahren gegenüber Präsidenten, Ministern oder Abgeordneten dienen, soweit sie in der jeweiligen Verfassung vorgesehen sind. Vergleichbar damit sind Verfahren, die sich mit der Be- oder Entlastung eines Abgeordneten oder Regierungsmitglieds befassen. Bei allen anderen Enqueten hält er den personenbezogenen Charakter parlamentarischer Untersuchungen für problematisch 306 . Der Kreis der betroffenen Auskunftspersonen sollte bei diesen Enqueten nicht mit Hilfe des Kriteriums der Untersuchungs- oder Angriffsrichtung bestimmt werden. Letzterer Begriff stammt aus dem Strafrecht und paßt nur, wenn das Ziel des Verfahrens in der Feststellung persönlicher Verantwortlichkeit liegeo7 • Ähnlich wie Schleich verzichtet Schröder zunächst darauf, den Betroffenen einer parlamentarischen Enquete abstrakt zu definieren. Stattdessen sollen erst einmal durch die Zeugenstellung nicht abgedeckte Schutzbedürfnisse ennittelt werden. Danach ist es möglich, auf konkrete Problemlagen zugeschnittene Sonderregelungen zu formulieren 308 . Müller-Boysen verweist darauf, daß die Betroffenendefinition und die diesem Personenkreis zugeordneten Rechte erhebliche Auswirkungen auf die Wirksamkeit parlamentarischer Enqueten haben. Es gibt nur zwei Alternativen, wenn die Durchführung von Untersuchungen weiterhin sinnvoll sein soll. Entweder faßt man den Kreis der Betroffenen eng und billigt ihnen umfangreiche Rechte zu, oder einer größeren Gruppe von Auskunftspersonen werden weniger Befugnisse im Verfahren zugestanden 309 . Auch Müller-Boysen untersucht die Frage, welchem Personenkreis eine Sonderstellung zukommt in Verbindung mit der Erörterung anzuwendender Verfahrensrechte 310 .
306 307 308
309 310
Schröder, Gutachten zum 57. DIT, S. E 46. Schröder, Gutachten zum 57. DIT, S. E 52. Schröder, Gutachten zum 57. DIT, S. E 53. Müller-Boysen, S. 41. Müller-Boysen, S. 42 ff.
5. Die Diskussion um die BetroffenensteIlung
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c) Welche Rechte haben Betroffene parlamentarischer Untersuchungen?
aa) Die Regelungen in den vorhandenen Untersuchungsausschußgesetzen und Vorschläge zur Neukodifikation
Nach den Empfehlungen der Konferenz der Präsidenten der Deutschen Länderparlamente aus dem Jahre 1961 311 und dem Bayerischen Untersuchungsausschußgesetz 312 sind Betroffene einer parlamentarischen Enquete "nach Art eines Beschuldigten anzuhören". Aus den Erläuterungen der Vorschläge der Landtagspräsidenten ergibt sich, daß diesem Personenkreis sowohl das Recht zur Aussageverweigerung und auf Anhörung als auch die Befugnis, Fragen zu stellen und Beweiserhebungen anzuregen, zugestanden werden soll. Nach Nr. VII 5a der Empfehlungen dürfen lediglich Zeugen und Sachverständige vereidigt werden. Die IPA-Vorschriften313 beinhalten in § 18 Abs. 3 Regelungen über die Rechte Betroffener. Danach soll ihnen vor Vernehmung der Zeugen Gelegenheit zu einer zusammenhängenden Sachdarstellung gegeben werden. Die Aussagepflicht von der Untersuchung Betroffener entspricht der von Zeugen im Strafverfahren. Sie haben neben einem Beweisantrags- und Fragerecht die Befugnis zur Anwesenheit bei der Beweisaufnahme und bleiben unvereidigt. Ein Beistandsrecht wird den im Mittelpunkt des Verfahrens stehenden Auskunftspersonen nicht zugestanden. Der Ausschuß kann ihnen jedoch, wenn dies zum Schutz ihrer berechtigten Interessen erforderlich erscheint, die Zu ziehung eines Beistandes gestatten. Dieser hat jedoch kein Rederecht. Die Mitwirkungsrechte Betroffener nach § 20 des Mustergesetzentwurfs der Präsidenten der Deutschen Länderparlamente aus dem Jahre 1972314 entsprechen denen der IPA-Regelungen. In Anlehnung an § 384 Nr. 2 ZPO ist das Recht zur Aussageverweigerung weit gefaßt. Nach § 20 Abs. 4 kann das Zeugnis über Fragen verweigert werden, deren Beantwortung der betroffenen Auskunftsperson oder einem seiner in § 52 Abs. 1 StPO aufgeführten Angehörigen "zur Unehre gereichen oder schwerwiegende Nachteile bringen würde". Soweit die Zuziehung eines Beistandes erlaubt wird, kann diesem nach § 20 Abs. 5 durch den Vorsitzenden auch gestattet werden, "Fragen an die Zeugen und Sachverständigen zu richten und Beweisanträge zu stellen". Die SPD-Fraktion des Landtages von Sachsen-Anhalt hat in ihrem Entwurf eines Untersuchungsausschußgesetzes 315 die Regelungen des Musterentwurfs der Landtagspräsidenten weitgehend übernommen. Hinsichtlich
311
312 313 314 315
Nr. VII, 3b der Empfehlungen; siehe oben I.2.c), Fn. 35. Art. 13 des Gesetzes. Siehe oben LI., Fn. 5. Siehe oben III.5.a)cc), Fn. 275. Sachsen-Anhalt. Landtag, 1. Wahlperiode, Drucks. Nr. 230.
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III. Die Zulässigkeit privatgerichteter Enqueten
der Rechte Betroffener gibt es zwar einige Abweichungen in der Fonnulierung, aber keine wesentlichen inhaltlichen Änderungen 316 . Nach § 19 Abs. 5 des Baden-Württembergischen Untersuchungsausschußgesetzes steht dem Betroffenen ein Auskunftsverweigerungsrecht bei allen Fragen zu, deren Beantwortung ihn oder seine Angehörigen dem Vorwurf einer straf-, dienst-, berufs- oder standesrechtlichen Verfehlung aussetzen würde. Er hat das Recht zur zusammenhängenden Sachdarstellung zeitlich vor dem Zeugen und auf Anwesenheit (§ 19 Abs. 3). Von einer parlamentarischen Enquete Betroffene dürfen auch in Baden-Württemberg nicht vereidigt werden und haben nach § 19 Abs. 6 UAG das Recht, sich eines Beistandes zu bedienen. Ein Beweisantragsrecht steht betroffenen Auskunftspersonen nicht zu. Der Grund dafür könnte darin liegen, daß der Kreis dieser Personengruppe im Gesetz sehr weit gefaßt wird 317 . Die die Vereidigung und die Rechtsstellung Betroffener regelnden §§ 18 und 19 des Baden-Württembergischen UAG hat der Sächsische Gesetzgeber wörtlich übemommen 318 . Zusätzlich wird von einer parlamentarischen Enquete betroffenen Auskunftspersonen durch Art. 13 Abs. 2 Sächs. UAG das Beweisantragsrecht zugebilligt. Das Fragerecht wird diesem Personenkreis jedoch nicht, jedenfalls nicht ausdrücklich, zugestanden. Dies ist unverständlich, da das Recht, Fragen zu stellen, die Wirksamkeit einer Untersuchung nicht so stark beeinträchtigen kann, wie das Beweisantragsrecht. Es spricht einiges für eine Auslegung, nach der Betroffenen, wenn ihnen das Recht zusteht, Beweise zu beantragen, erst recht die Befugnis zugebilligt werden muß, Fragen an Zeugen und Sachverständige zu richten. Nach § 54 Abs. 1 Nr. 3 des Saarländischen Landtagsgesetzes soll dem Betroffenen Gelegenheit gegeben werden, zeitlich vor dem Zeugen eine zusammenhängende Sachdarstellung zu geben. Er hat ein Beweisantrags- und Fragerecht sowie die Befugnis zur Anwesenheit bei der Beweisaufnahme. Betroffene Auskunftspersonen sind grundsätzlich zur Aussage verpflichtet. TImen stehen die Aussageverweigerungsrechte von Zeugen im Strafverfahren zu, und sie bleiben unvereidigt. Ein Beistandsrecht steht diesem Personenkreis nicht zu. Auf Antrag kann der Ausschuß jedoch die Zuziehung eines Beistandes gestatten, wenn dies zum Schutz berechtigter Interessen erforderlich erscheint. Der Beigezogene hat kein Rederecht. Das Thüringische Untersuchungsausschußgesetz billigt Betroffenen in § 15 Abs. 3 das Fragerecht zu. Ein Beweisantragsrecht wird diesem Personenkreis nicht zugestanden. Auf ihr Verlangen ist es betroffenen Auskunftspersonen zu gestatten, vor Beendigung der Beweisaufnahme zu den sie belastenden Tatbeständen Stel316 Der erwähnte Passus in § 20 Abs. 4 des Musterentwurfs, nach dem Betroffene das Zeugnis verweigern können, sofern die Beantwortung von Fragen ihnen oder ihren Angehörigen "zur Unehre gereichen" würde, ist durch eine Regelung ersetzt worden, nach der ein entsprechendes Zeugnisverweigerungsrecht besteht, falls die betroffene Auskunftsperson durch ihre Aussage sich oder einen Angehörigen "bloßstellen" würde. 317 Vgl. Ausführungen zu Müller-Boysen, siehe oben III.5.b). 318 §§ 18 und 19 des Sächs. Untersuchungsausschußgesetzes.
5. Die Diskussion um die BetroffenensteIlung
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lung zu nehmen (§ 15 Abs. 5). Der Ausschuß kann die Hinzuziehung eines Rechtsbeistandes gestatten (§ 15 Abs. 4). Soweit dies zur Wahrnehmung ihrer Rechte erforderlich ist, können Betroffene auch an der nichtöffentlichen oder vertraulichen Beweisaufnahme teilnehmen (§ 15 Abs. 3). Nach § 16 Abs. 3 Thür. UAG stehen Zeugen die Aussageverweigerungsrechte der §§ 52, 53 und 53a StPO zu. Daneben können sie die Beantwortung von Fragen verweigern, wenn sie anderenfalls sich oder einen in § 52 Abs. 1 StPO bezeichneten Angehörigen der Gefahr aussetzen würden, wegen einer Straftat bzw. Ordnungswidrigkeit verfolgt oder durch eine Abgeordneten-, Minister- oder Richteranklage belastet zu werden. Zeugen können es ferner ablehnen, auszusagen, wenn sie ansonsten einer in § 52 Abs. 1 StPO genannten Person "sonstige schwerwiegende Nachteile" zufügen würden. Nach dem Wortlaut des Gesetzes steht Auskunftspersonen ein Zeugnisverweigerungsrecht jedoch nicht zu, wenn sie selbst derartige Beeinträchtigungen zu befürchten haben. Dieser Widersinn ist durch eine erweiternde Auslegung zu beseitigen. Betroffene werden nach § 15 Abs. 2 Thür. UAG als Zeugen vernommen, und ihnen stehen grundsätzlich dieselben Zeugnisverweigerungsrechte zu. Dies gilt nicht für Mitglieder der Landesregierung und für andere Amtsträger, soweit von ihnen Auskünfte über ihre Amtsführung verlangt werden. Auch Angehörige des öffentlichen Dienstes haben kein Aussageverweigerungsrecht hinsichtlich dienstlicher Vorgänge einschließlich ihrer eigenen Amtsführung. Nach dem Wortlaut dieses Gesetzes können Zeugen erstaunlicherweise in größerem Umfang die Aussage verweigern als Betroffene. Ist ein öffentlich Bediensteter als normaler Zeuge geladen, darf er nach § 16 Abs. 3 z. B. Fragen unbeantwortet lassen, sofern er sich anderenfalls straf- oder ordnungsrechtlicher Verfolgung aussetzen würde. Als betroffene Auskunftsperson müßte er eine Straftat zumindest dann offenbaren, wenn sie im Zusammenhang mit seiner Amtsführung steht. Auch nach dem Thür. UAG bleiben Betroffene unvereidigt (§ 20 Abs. 4 Nr. 4). Der sog. Schulte-Entwurf eines Untersuchungsausschußgesetzes auf Bundesebene 319 billigt Betroffenen in § 15 Abs. 3 das Recht zu, die Aussage zur Sache zu verweigern. Sie sind nach § 15 Abs. 4 befugt, an der Beweisaufnahme teilzunehmen und können sich nach § 15 Abs. 5 eines Rechtsbeistands bedienen sowie Zeugen und Sachverständige zu ihrer Entlastung benennen. Auskunftspersonen, die von einer parlamentarischen Enquete betroffen sind, haben das Recht, Fragen an Zeugen und Sachverständige zu richten. Sie können nach § 15 Abs. 6 verlangen, "vor Beendigung der Beweisaufnahme zusammenhängend zu den gegen sie gerichteten Vorwürfen Stellung zu nehmen". Der 57. DJT hat sich dafür ausgesprochen, die Rechtsstellung des Betroffenen gesetzlich zu regeln 32o . Ihm soll ein Zeugnisverweigerungsrecht, ein Anwesen319
320
Siehe oben III.5.a)cc), Fn. 276. Verhandlungen des 57. DJT, Bd. 2, Teil M, S. M 249 Nr. 20.
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III. Die Zulässigkeit privatgerichteter Enqueten
heitsrecht und das Recht auf Anhörung zu den für ihn wesentlichen Punkten der Beweisaufnahme zugestanden werden. Auch ein Recht auf anwaltlichen Beistand wurde befürwortet. Der 57. DJT hat es jedoch abgelehnt, betroffenen Auskunftspersonen ein generelles Schweigerecht und das Beweisantragsrecht zuzuerkennen. Sowohl für Zeugen als auch für Betroffene unter Berücksichtigung ihrer Rechtsstellung befürworten die Teilnehmer des Juristentages eine Verpflichtung, vor dem Ausschuß zu erscheinen und auszusagen. Das Zeugnisverweigerungsrecht der §§ 383, 384 ZPO soll über § 98 VwGO zur Anwendung gelangen. Nach § 384 Nr. 1 ZPO können Zeugen die Aussage zu Fragen verweigern, deren Beantwortung ihnen oder ihren Angehörigen einen unmittelbaren vermögensrechtlichen Schaden verursachen würde. Weiterhin berechtigt § 384 Nr. 2 ZPO zur Aussageverweigerung, falls die Beantwortung einer Frage dem Zeugen oder seinen Angehörigen "zur Unehre gereichen" würde. Auskunftspersonen sind nach § 384 Nr. 3 ZPO nicht zur Auskunftserteilung verpflichtet, wenn sie dabei ein Kunst- oder Gewerbegeheimnis offenbaren müßten. Voraussetzung für die Anwendung dieser Vorschriften wäre eine Änderung von Art. 44 Abs. 2 S. 1 GG. Wie bereits erwähnt, beinhaltet der Gesetzentwurf der CDU/CSU aus dem Jahre 1977 321 keine Sonderrege1ung für Betroffene. Er billigt jedoch Zeugen mehr Rechte zu als dies normalerweise der Fall ist. Nach § 15 des Entwurfs soll sich ihr Auskunftsverweigerungsrecht nach den Vorschriften der ZPO richten. § 17 Abs. 3 beinhaltet eine Regelung, nach der der Ausschußvorsitzende "auf Antrag von 2 Ausschußmitgliedern den Zeugen gestatten (kann), Beweisanträge und Fragen zu stellen und einen Beistand zuzuziehen". Eine Vereidigung von Zeugen ist nicht vorgesehen.
bb) Literaturmeinungen zu den Betroffenenrechten (1) Rechtliches Gehör und Mitwirkungsrechte einschließlich des Rechts auf Gegendarstellung Die Erörterungen zu diesem Punkt sollen mit der Darstellung der Position derjenigen Autoren beginnen, die auf eine abstrakte Betroffenendefinition verzichten und den Kreis der Inhaber bestimmter Sonderrechte jeweils im Zusammenhang mit diesen Rechten diskutieren 322 . Müller-Boysen leitet ein subjektives öffentliches Recht des Einzelnen auf rechtliches Gehör aus Art. 1 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3 LY.m. Art. 2 Abs. 1 GG her323 • Art. 1 Abs. 1 GG beinhaltet "das Postulat der Subjektstellung" des Menschen, da es seiner Würde nicht entspräche, lediglich Objekt· staatlicher Machtausübung zu 321 322 323
Siehe oben II1.5.a)cc), Fn. 277. Ausführungen zu Schleich, Schröder und Müller-Boysen, siehe oben II1.5.b). Müller-Boysen, S. 64.
5. Die Diskussion um die BetroffenensteIlung
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sein324 . Dazu gehört, daß dem Einzelnen Gelegenheit gegeben wird, dadurch Einfluß auf ein ihn betreffendes Gerichtsverfahren und die Meinungsbildung des Spruchkörpers zu nehmen, daß er sowohl seinen eigenen Standpunkt vortragen als auch Angriffs- und Verteidigungsmittel geltend machen kann. Art. 1 Abs. 1 GG ist Grundlage des Anspruchs auf rechtliches GehÖr325 . Art. 20 Abs. 3 GG konkretisiert das Prinzip der SubjektsteIlung des Menschen aus Art. 1 Abs. 1 GG. Die erstgenannte Vorschrift billigt dem Einzelnen rechtliches Gehör aus dem Grundsatz des fairen Verfahrens zu. Bei Art. 20 Abs. 3 GG handelt es sich jedoch genau wie bei Art. 1 Abs. 1 GG "zunächst einmal" um eine Norm des objektiven Rechts. Bei einem Verstoß gegen Art. 20 Abs. 3 GG liegt jedoch gleichzeitig immer ein Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 GG vor, dem subjektiv-rechtlicher Charakter zukommt326 . Durch die Herleitung des Anspruchs auf rechtliches Gehör aus Art. 1 Abs. 1 und 20 Abs. 3 GG gilt dieser grundsätzlich nicht nur im gerichtlichen, sondern auch im Verwaltungsverfahren. In ersterem ist er jedoch aufgrund der Spezialregelung des Art. 103 Abs. 1 GG wesentlich ausgeprägte2 27 . Auch im Untersuchungsverfahren besteht die Gefahr, daß der Einzelne zum Objekt staatlicher Gewalt wird, so daß auch hier der eigentliche Anwendungsgrund für den Gehörsanspruch gegeben ist. Es ist nicht sachgerecht, lediglich formal darauf abzustellen, ob das Verfahren mit einer Entscheidung endet, durch die unmittelbare rechtliche Nachteile drohen. Aufgrund des Würdegebots in Art. 1 Abs. 1 GG und der Garantie der SubjektsteIlung des Menschen ist auch derjenige schutzwürdig, dem durch parlamentarische Entscheidungen und deren Bekanntwerden Beeinträchtigungen drohen. Rechtliches Gehör ist daher auch im Untersuchungsverfahren zu gewähren 328 . MüllerBoysen untersucht die Betoffenendefinition der Empfehlungen der Konferenz der Präsidenten der Deutschen Länderparlamente 329 (= der des Bayerischen Untersuchungsausschußgesetzes), des IPA-Entwurfs 330 (= der des Musterentwurfs der Landtagspräsidenten) sowie des Baden-Württembergischen Untersuchungsausschußgesetzes 331 auf ihre Tauglichkeit zur Bestimmung des Personenkreises, dem rechtliches Gehör zu gewähren ist332 . Sie kommt dabei zu dem Ergebnis, daß ein solcher Anspruch zumindest demjenigen zugestanden werden muß, dem auch die BetroffenensteIlung zugebilligt wird333 . 324
325 326 327 328
329 330 331 332
333
Müller-Boysen, S. 54. Müller-Boysen, S. 61. Müller-Boysen, S. 63. Müller-Boysen, S. 67. Müller-Boysen, S. 69 f. Siehe oben, I.2.c) unter 1. Siehe oben, 1.2.c) unter 4. Siehe oben, I.2.c) unter 2. Müller-Boysen. S. 75 ff. Müller-Boysen. S. 77.
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1II. Die Zulässigkeit privatgerichteter Enqueten
Verfassungwidrig wäre es jedoch, rechtliches Gehör nur denen zu gewähren, die nach der Definition der Landtagspräsidentenkonferenz (= der des Bayerischen Untersuchungsausschußgesetzes) oder nach der des Baden-Württembergischen Gesetzes von einer parlamentarischen Enquete betroffen sind334 • Der Gehörsanspruch begründet sich aus der Gefahr, Objekt eines staatlichen Verfahrens zu werden. Es wäre daher nicht sachgerecht, auf das formale Kriterium, gegen wen sich die Enquete nach dem Untersuchungsauftrag richtet, abzustellen, wie es die Empfehlungen der Landtagspräsidentenkonferenz bei der Bestimmung der BetroffenensteIlung tun 335 . Die Baden-Württembergische Regelung, nach der diejenige Person von einer parlamentarischen Untersuchung betroffen ist, über die der Ausschuß im Bericht eine Äußerung abgeben will, ob eine persönliche Verfehlung vorliegt, umschreibt den Personenkreis, der zum Objekt staatlicher Gewalt zu werden droht, nicht hinreichend 336 . Keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen nach Müller-Boysen dagegen, den Kreis der Inhaber rechtlichen Gehörs mit Hilfe der Betroffenendefinition der IPA-Vorschriften zu bestimmen. Diese Regelung stellt darauf ab, ob sich aus dem Untersuchungsauftrag oder aus dem Verlauf der Untersuchung ergibt, daß sie sich gegen bestimmte Personen richtet. Durch diese Definition werden diejenigen erfaßt, denen die Gefahr droht, zum Objekt des Verfahrens zu werden 337 . Lediglich im letztgenannten Beispiel reicht die Betroffenendefinition aus, den Kreis der Inhaber rechtlichen Gehörs zu bestimmen. Wie bereits dargelegt, ist der Gehörsanspruch nach Ansicht Müller-Boysens jedoch verfassungsrechtlich garantiert und muß seinen Inhabern auch dort zugestanden werden, wo die BetroffenensteIlung sich auf einen enger umgrenzten Personenkreis bezieht, oder, wie im Untersuchungsausschußgesetz von Berlin, überhaupt nicht vorgesehen ist. Es kommt darauf an, zu erkennen, bei welchen Auskunftspersonen die Gefahr besteht, daß sie zum Objekt des Verfahrens werden. Müller-Boysen nennt diesen Personenkreis die "materiell Betroffenen,m8. Die Entscheidung darüber, wem rechtliches Gehör zu gewähren ist, muß jeweils im kontreten Einzelfall unter Heranziehung der Kriterien aus den verschiedenen Betroffenendefinitionen getroffen werden. Zu berücksichtigen sind der Untersuchungsauftrag, der Verlauf der Untersuchung und der Abschlußbericht des Ausschusses339 . Das rechtliche Gehör besteht für Müller-Boysen im wesentlichen aus zwei Komponenten. Dabei handelt es sich zum einen um das Recht, sich im Verfahren zu äußern, und zum anderen darum, daß das Geäußerte auch Berücksichtigung findet. Der materiell Betroffene kann sein Recht auf Äußerung jedoch nur wirksam wahr334 335 336 337
338 339
Müller-Boysen, Müller-Boysen, Müller-Boysen, Müller-Boysen, Müller-Boysen, Müller-Boysen,
S. 78. S. 77. S. 78. S. 77. S. 78. S. 79.
5. Die Diskussion um die BetroffenensteIlung
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nehmen, wenn er über die dazu erforderlichen Informationen verfügt. Aus dem rechtlichen Gehör leitet sich daher auch die Befugnis ab, sich hinsichtlich des verhandelten Sachverhalts orientieren zu können 34o . Der Untersuchungsausschuß muß den materiell Betroffenen über alle für das Verfahren erheblichen Tatsachen unterrichten. Dies gilt auch für wichtige rechtliche Erwägungen, mit denen der Inhaber des Anspruchs auf Gehör nicht zu rechnen braucht341 . Aus dem Gehörsanspruch läßt sich weiterhin ein Recht des materiell Betroffenen auf Anwesenheit bei der Beweisaufnahme ableiten. Hier kommt es auf den persönlichen Eindruck von Auskunftspersonen an, der nicht durch nachträgliche Informationen durch den Ausschuß vermittelt werden kann 342 . Abgesehen von dem Recht auf Orientierung besteht der Gehörsanspruch aus dem "sog. defensiven Gehör" und dem "sog. offensiven Gehör". Ersteres beinhaltet die Befugnis zur Stellungnahme zum bereits vorliegenden Prozeßstoff, während sich aus letzterem das Recht ergibt, selbst die Initiative zum Sachvortrag zu ergreifen und die erforderlichen Anträge zu stellen343 . Das Äußerungsrecht kann nur wirksam ausgeübt werden, wenn es auch das Beweisantragsrecht mit umfaßt344 • Auch die Befugnis, sich eines Rechtsbeistands zu bedienen, billigt Müller-Boysen dem materiell Betroffenen ZU 345 . Sofern seine persönliche Anwesenheit für die Durchführung des Verfahrens nicht erforderlich ist, soll sogar die Vertretung durch einen Anwalt möglich sein. Das Recht auf Zuziehung eines Rechtsbeistands leitet die Autorin ebenfalls aus dem Äußerungsrecht als Bestandteil des Gehörsanspruchs ab. Der materiell Betroffene muß die Möglichkeit zu einer sachgemäßen Stellungnahme haben. Ist er dazu allein nicht in der Lage, kann er sich eines Anwalts bedienen346 . Dies zu entscheiden, obliegt aufgrund der Wichtigkeit des Anspruchs auf rechtliches Gehör allein der materiell betroffenen Auskunftsperson347 . Der Anspruch auf rechtliches Gehör beinhaltet auch das Recht auf Berücksichtigung des Geäußerten 348 . Dies bedeutet, daß der Ausschuß verpflichtet ist, das Vorgebrachte zur Kenntnis zu nehmen und auf seine aktuelle Erheblichkeit zu überprüfen. Soweit diese zu bejahen ist, muß das Vorgetragene in die der Entscheidung vorangehenden Erwägungen mit einbezogen werden.
340 341 342 343 344
345 346
347 348
9*
Müller-Boysen, Müller-Boysen, Müller-Boysen. Müller-Boysen, Müller-Boysen. Müller-Boysen, Müller-Boysen, Müller-Boysen, Müller-Boysen,
S. 79
S. 80 ff. S. 83. S. 84 f. S. 85. S. 86 ff. S. 86. S. 87.
S. 88 f.
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III. Die Zulässigkeit privatgerichteter Enqueten
Schleich sieht wie Müller-Boysen das Recht auf rechtliches Gehör durch Art. 1 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 3 GG gewähr1eistet349 . Da ein Eingriff in dieses Recht zugleich einen Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 GG darstellt, kann der Betroffene dagegen mit einer Verfassungsbeschwerde vorgehen 35o. Den Personenkreis, der im Untersuchungsverfahren Anspruch auf rechtliches Gehör hat, bestimmt Schleich ähnlich wie Müller-Boysen. Auch für ihn ist entscheidend, daß die sich aus dem Gehörsanspruch ergebenden Mitwirkungsrechte all jenen zustehen, die Gefahr laufen, zU(Il bloßen Objekt des Verfahrens degradiert zu werden 351 . Dies ist immer dann der Fall, wenn sich Enqueten faktisch ganz überwiegend gegen Individuen oder Personengruppen wenden. Dabei kommt es nicht darauf an, ob sich eine solche Ausrichtung der Untersuchung bereits aus dem Auftrag erkennen läßt oder ob sie sich erst im Laufe des Verfahrens herausbildet352 . Der nach den Ausführungen Schleichs für den Gehörsanspruch relevante Personenkreis entspricht damit im wesentlichen der Betroffenendefinition in § 18 Abs. I Nr. 4 des IPA-Entwurfs. Über die Zuerkennung der Betroffenenstellung soll der Untersuchungsausschuß entscheiden353 . Hinsichtlich der Mitwirkungsrechte, die den Inhabern des Gehörsanspruchs zustehen, führt Schleich zunächst aus, daß Betroffene einer parlamentarischen Enquete nur in geringerem Umfang schutzwürdig sind als Beschuldigte im Strafverfahren. Im Gegensatz zu letzteren droht ersteren nicht eine unmittelbare Verschlechterung ihrer Rechtsstellung. Sie haben daher nur einen verfassungsrechtlichen Anspruch auf "die Gewährung eines Mindestmaßes an rechtlichem GehÖr,,354. Von Müller-Boysen unterscheidet sich Schleich im wesentlichen dadurch, daß er betroffenen Auskunftspersonen keine Beweisantragsrechte zugesteht. Auch er billigt diesem Personenkreis das Recht auf Information einschließlich des Anwesenheitsrechts bei der Beweisaufnahme, das Recht, jederzeit die Möglichkeit zur Stellungnahme zu haben und einen Rechtsbeistand hinzuzuziehen, sowie das Recht auf Berücksichtigung des Geäußerten ZU 355 . Schröder erkennt ein durch die Zeugenstellung nicht mehr abgedecktes Schutzbedürfnis von Auskunftspersonen an, die in Ermittlungs- und Strafverfahren verwickelt sind, welche mit dem Untersuchungsthema zusammenhängen. Sie haben ein Interesse daran, bei der Beweisaufnahme des Ausschusses mitzuwirken, einen Rechtsbeistand hinzuzuziehen sowie Beweisanträge zu stellen356 .
349
350 351
352 353 354 355 356
Schleich, S. 48 f. Schleich, S. 49 f. Schleich, S. 48 f. Schleich, S. 49. Schleich, S. 49. Schleich, S. 50. Schleich, S. 51 f. Schröder, Gutachten zum 57. DJT, S. E 53.
5. Die Diskussion um die BetroffenensteIlung
133
Der Autor erwähnt auch das immer aktueller werdende Bedürfnis von Unternehmen, die in parlamentarische Enqueten involviert sind, ihr Ansehen zu wahren. Auch sie sind daran interessiert, im Verfahren eine Position einzunehmen, die es ihnen ermöglicht, jederzeit Stellung zu nehmen, Fragen an die Zeugen zu richten und Beweisanträge zu stellen357 . Schröder regt an, die Verfahrensbeteiligung Betroffener durch Gesetz zu regeln 358 . Dabei ist das verfassungsmäßig garantierte Recht der Untersuchungsausschüsse zur Beweisaufnahme zu beachten359 . Im Gegensatz zu Müller-Boysen ist Schröder nicht der Ansicht, daß sich das Recht, jederzeit Stellung zu nehmen, das Fragerecht und das Beweisantragsrecht für bestimmte Auskunftspersonen bereits "aus dem rechtsstaatlichen Gebot der Anhörung deduzieren läßt,,36o. Die Feststellungen des Untersuchungsausschusses können Betroffene jedoch belasten oder sogar in ihren subjektiven Rechten verletzen. Schröder führt aus, daß die Ausschüsse an die Grundrechte gebunden sind und deshalb zu Maßnahmen zum Schutz Betroffener gezwungen sein können. Welche Schutzvorkehrungen zu treffen sind, richtet sich jeweils nach Maßgabe des Beeinträchtigungsrisikos. Die Möglichkeit, gehört zu werden und in diesem Zusammenhang entlastende Gesichtspunkte vortragen zu können, muß dabei nicht ausreichen 361. Schröder verweist auf die Gerichtsfreiheit der Berichte parlamentarischer Untersuchungsausschüsse nach Art. 44 Abs. 4 GG und folgert daraus, daß dem Schutz durch das Verfahrensrecht unter diesem Aspekt eine umso größere Bedeutung zukommt. Nach Bickel läßt sich der Grundsatz des rechtlichen Gehörs aus dem Rechtsstaatsprinzip und der Menschenwürde ableiten 362 . Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schließt ihn als verfassungsrechtlichen Mindeststandard mit ein. In der Ausformung dieses Grundrechtsschutzes durch eine verfassungskonforme Verfahrensgestaltung sieht der Referent des 57. DJT ein rechtsstaatliches Anliegen. Er fordert den Gesetzgeber unter Berufung auf Schröder363 auf, tätig zu werden. Eine gesetzliche Regelung sei aus Gründen der Rechtssicherheit erforderlich364 . Das Recht auf Gegendarstellung könnte nach Ansicht Bickels als Surrogat für die Gerichtsfreiheit der Abschlußberichte eingeführt werden 365 . Dieses presserechtliche Institut bezieht sich nur auf Tatsachenbehauptungen und ist grundsätz, Schröder, Gutachten zum 57. DJT, S. E 54. Schröder, Gutachten zum 57. DJT, S. E 54 J.; ebenso Linek, Untersuchungsausschüsse und Privatsphäre, S. 19. 359 Schröder, Gutachten zum 57. DJT; S. E 55 f. 360 Schröder, Gutachten zum 57. DJT, S. E 54. 361 Sehröder, Gutachten zum 57. DJT, S. E 55. 362 Biekel, Referat zum 57. DJT, S. M 31. 363 Er bezieht sich auf Schröders Ausführungen zum Beeinträchtigungsrisiko, Bickel, S. M 31. 364 Bickel, S. M 32. 365 Bickel, S. M 41 f. 357
358
134
III. Die Zulässigkeit privatgerichteter Enqueten
lieh geeignet, Persönlichkeitsschutz zu vermitteln. Der Referent verweist jedoch auch auf die Unterschiede der Aufgaben der Presse einerseits und von Untersuchungsausschüssen andererseits sowie auf daraus resultierende Übertragungsschwierigkeiten. Das Recht auf Gegendarstellung ist im Presserecht hinsichtlich seines Umfangs und seiner Grenzen auf periodisch erscheinende Druckerzeugnisse angelegt und kann daher nicht ohne Schwierigkeiten auf das Untersuchungsrecht angewandt werden. In diesem Zusammenhang erwähnt Bickel u. a., daß der Anspruch auf eine zeitnahe Gegendarstellung bei unangemessen großem Umfang entfällt. Er hält eine Sicherung des Individualschutzes durch die Regelung der Rechte der Beteiligten, insbesondere der Betroffenen, in einem Verfahrensgesetz letztlich für wirksamer als die Einführung eines Rechts auf Gegendarstellung. Schneider spricht sich dafür aus, jedem ein Recht auf Gegendarstellung zuzubilligen, der im Schlußbericht "mit einer Tatsachenbehauptung in Verbindung gebracht wird, die er glaubhaft für unwahr hält,,366. Der Anspruch auf eine als Anlage im Schlußbericht oder als selbständige Drucksache zu veröffentlichende Gegendarstellung sollte auf den Umfang der Vorwürfe begrenzt sein. Gollwitzer führt aus, daß die Intensität der Verfahrensverstrickung für Betroffene eine qualifizierte Verfahrensstellung erfordert, die auch die Möglichkeit zur eigenen Verteidigung beinhaltet. Diesem Personenkreis ist es nicht zuzumuten, lediglich Verfahrensobjekt zu sein. Der Autor verweist auf die faktischen Wirkungen parlamentarischer Untersuchungsverfahren sowie auf die Gerichtsfreiheit des Abschlußberichts und kommt wie Schleich zu dem Ergebnis, daß betroffenen Auskunftspersonen ein "Mindestmaß an rechtlichem Gehör" zu gewähren ist367 . Dazu gehört das Recht auf Information, zur Stellungnahme und auf Berücksichtigung des Geäußerten. Auch Gollwitzer lehnt das von Müller-Boysen befürwortete Beweisantragsrecht für Betroffene ab. Im Gegensatz zu Schleich billigt Gollwitzer Betroffenen jedoch nicht das Recht zur Anwesenheit bei der Beweisaufnahme zu. Zwar würde eine solche Befugnis das Recht auf Information über die Ergebnisse der Beweiserhebung am einfachsten gewährleisten, es ist jedoch für die Ausübung des Rechts auf Gehör ausreichend, wenn die betroffene Auskunftsperson auf andere Weise über die für sie wichtigen Verfahrensergebnisse unterrichtet wird 368 . Von einer parlamentarischen Enquete Betroffene dürfen zu ihrer Unterstützung einen Rechtsbeistand hinzuziehen. Selbstverständlich kann dieser keine weitergehenden Befugnisse haben als die Auskunftsperson, die er begleitet369 . Auch Geller/Kleinrahm lehnen wie Schleich und Gollwitzer ein Beweisantragsrecht für Betroffene ab. Hinsichtlich anderer Mitwirkungsrechte beziehen sie nicht eindeutig Position, sondern führen lediglich aus, daß es von einer Enquete betrof-
366 367 368 369
Schneider, Referat zum 57. DIT, S. M 85 f. Gollwitzer, S. 423. Gollwitzer, S. 423. Gollwitzer, S. 424.
5. Die Diskussion um die BetroffenensteIlung
135
fenen Auskunftspersonen "vernünftigerweise zugestanden" werden sollte, den Zeugen Fragen zu stellen und Beweiserhebungen anzuregen 370 . Partsch befaßt sich zunächst mit einer eingehenden Analyse der Behandlung von Personen, die im Mittelpunkt der Untersuchung stehen durch parlamentarische Enqueten im Bund und in den Ländern 371 • Insbesondere in Anlehnung an die Schleswig-Holsteinische Ausschußpraxis 372 befürwortet er es, betroffene Auskunftspersonen "nach Art eines Beschuldigten" (Anführungszeichen von ihm) anzuhören 373 . Ihnen sollte neben dem Fragerecht und dem Recht auf Anwesenheit bei der Beweisaufnahme die Befugnis zugestanden werden, vor den Zeugen eine zusammenhängende Darlegung der Angelegenheit aus ihrer Sicht zu geben374 • Partsch erkennt die Bedenken der parlamentarischen Praxis gegen die Zulassung von Anwälten im Untersuchungsausschußverfahren grundsätzlich an. Dadurch könnte "die Atmosphäre des Gerichtssaals ins Parlamente ) verpflanz(t)" werden375 • Der Gutachter schlägt daher vor, daß der Betroffene als Beistand nur einen Parlamentarier hinzuziehen kann. Er hätte dann die Möglichkeit, sich durch einen politischen Freund im parlamentarischen Stil unterstützen zu lassen. Darauf, daß jemand von einer Enquete betroffen sein könnte, der über keine derartigen Kontakte verfügt, geht Partsch nicht ein. Der Verfasser des Gutachtens für den 45. DJT spricht sich dafür aus, dem Betroffenen ein Recht zur Ablehnung von Ausschußmitgliedern zuzugestehen, wenn diese an den Handlungen unmittelbar beteiligt waren, die ihm vorgeworfen werden 376 . (2) Aussageverweigerungsrecht und Eidesverbot Alsberg forderte bereits 1926 in seinem Gutachten für den 34. DJT377 , daß der Betroffene378 einer parlamentarischen Enquete das Recht zur vollständigen oder teil weisen Auskunftsverweigerung haben muß. Nur bei den "eigentlichen Zeugen" sollte die Möglichkeit bestehen, sie zu vereidigen. Partsch ist der Ansicht, daß Betroffenen grundsätzlich ein allgemeines Schweigerecht zugestanden werden muß und daß sie nicht zu vereidigen sind379 . Etwas GelierlKleinrahm, Art. 41 Anm. 11 c) aa), S. 20. Partsch, Gutachten zum 45. DIT, S. 111 ff. 372 Partsch, Gutachten zum 45. DIT, S. 120 ff. 373 Partsch, Gutachten zum 45. DIT, S. 209. 374 Partsch, Gutachten zum 45. DIT, S. 209. 375 Partsch, Gutachten zum 45. DIT, S. 209. 376 Partsch, Gutachten zum 45. DIT, S. 209. 377 Alsberg, Gutachten zum 34. DIT, S. 377. 378 Den Begriff benutzte Alsberg nicht, er war damals noch nicht gebräuchlich, stattdessen bezeichnete Alsberg betroffene Auskunftspersonen als "Objekte ( ) der Untersuchung", "Verdächtige ( )" oder ,,Beschuldigte ( )", S. 376. 370 371
136
III. Die Zulässigkeit privatgerichteter Enqueten
anderes gilt für Regierungsmitglieder und andere Amtsträger, die dem Parlament für ihre Handlungen verantwortlich sind. Hinsichtlich der Überprüfung tatsächlicher Vorgänge kann ihnen jedenfalls nicht deshalb ein Aussageverweigerungsrecht zugestanden werden, weil sie daran beteiligt waren. Lediglich bei Vorwürfen, die die persönliche Ehre betreffen, sollte auch dieser Personenkreis nicht zur Aussage verpflichtet sein und unvereidigt bleiben380 . Auch Heinemann unterscheidet in seinem Referat danach, ob jemand politisch zur Verantwortung gezogen wird oder ob gegen ihn ehrenrührige Vorwürfe erhoben werden. In letzterem Fall sollten Betroffene nach den Regeln für Beschuldigte im Strafverfahren vernommen und vom Aussagezwang freigestellt werden 381 . Ehmke 382 lehnt es ab, Amtsträgern und Beamten, deren Amtsführung Gegenstand einer parlamentarischen Enquete ist, ein Zeugnisverweigerungsrecht zuzubilligen. Ihnen sollte durch eine gesetzliche Regelung lediglich ein Vereidigungsverbot zugestanden werden. Dasselbe soll für Auskunftspersonen gelten, die der Gefahr einer disziplinarrechtlichen Verfolgung, einer Minister- oder Abgeordnetenanklage oder eines Ausschlusses aus dem Parlament ausgesetzt sind. Müller-Boysen erörtert eingehend, inwieweit aus dem Nemo-Tenetur-Prinzip als Grundlage des dem Beschuldigten im Strafverfahren zustehenden Schweigerechts auch ein allgemeines Zeugnisverweigerungsrecht zugunsten betroffener Auskunftspersonen im Rahmen von Untersuchungsverfahren abgeleitet werden kann. Nach diesem Prinzip darf niemand gezwungen werden, Beweismittel gegen sich selbst zu sein 383 • Die Autorin kommt in ihrer Untersuchung zu dem Ergebnis, daß nach geltendem Verfassungsrecht ein Schweigerecht des Betroffenen einer parlamentarischen Enquete nur in sehr engen Grenzen aus Art. 2 Abs. 1 i. Y.m. Art. 1 Abs. 1 GG herzuleiten ist384 . Es besteht bei Aussagen, durch die die betroffene Auskunftsperson sich oder einen nahen Angehörigen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit bezichtigen würde. Der Zwang zur Se1bstbelastung hätte in derartigen Fällen die Überschreitung der psychologischen Grenzen zur Folge, die dem Menschen durch den Selbsterhaltungstrieb gesetzt sind385 • Darüber hinaus ergibt sich aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht ein Zeugnisverweigerungsrecht lediglich für Verfahrensbeteiligte, denen eine Abgeordneten-, Minister-, Richter- oder Präsidentenanklage drohe 86 . In allen anderen Fällen befindet sich der Betroffene nicht in einer KonPartseh, Gutachten zum 45. DIT, S. 209. Partsch, Gutachten zum 45. DJT, S. 211. 381 HeinelrUlnn, Referat zum 45. DIT, S. E 59. 382 Ehmke, Empfiehlt es sich, Funktion, Struktur und Verfahren der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse grundlegend zu ändern? Referat in Verhandlungen des 45. DIT, Bd. 2, Teil E, München, Berlin 1965, S. E 50 f., These 7 d und e. 383 Müller-Boysen, S. 90. 384 Müller-Boysen, S. lOS ff., insbes. S. 110 f., 116 f. 385 Müller-Boysen, S. 107. 379
380
5. Die Diskussion um die BetroffenensteIlung
137
fliktlage, die mit der des Beschuldigten im Strafverfahren gleichgesetzt werden kann 387 • Auskunftspersonen droht, auch wenn sie im Mittelpunkt einer Untersuchung stehen, kein möglicherweise belastendes Urteil wie Angeklagten im Strafprozeß. Die Nachteile, die durch das Bekanntwerden von Aussagen im Rahmen parlamentarischer Enqueten entstehen, sind lediglich "mittelbar" (Anführungszeichen von der Autorin) und stellen Reaktionen der Umwelt auf bestimmte Verhaltensweisen dar388 . Jedes Individuum muß jedoch als Mitglied der Gesellschaft damit rechnen, daß sein Handeln verfolgt und kritisiert wird. Dieser Bereich gehört nach Müller-Boysen weder zum unantastbaren Kembereich noch zum Schutzbereich des Persönlichkeitsrechts, welches seine Schranken am Interesse der Öffentlichkeit an den im Rahmen einer Enquete zu untersuchenden Vorgängen findee 89 . Hinsichtlich des Umfangs der Aussagepflicht besteht daher kein Unterschied zwischen betroffenen Auskunftspersonen und Zeugen. Soweit der Betroffene zur Aussage und damit zur Wahrheit verpflichtet ist, hat Müller-Boysen auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen seine Vereidigung 390 . Das Nemo-Tenetur-Prinzip beinhaltet für den Angeklagten im Strafverfahren nicht nur das Schweigerecht, sondern darüber hinaus das von Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 2 GG geschützte Recht, bei freiwillig gemachten Aussagen zu lügen 391 . Der Eid als Wahrheitsbeteuerung ist damit unvereinbar. Betroffene Auskunftspersonen sind demgegenüber grundsätzlich zur wahrheitsgemäßen Aussage verpflichtet. Eine Falschaussage ist strafbar, so daß die Beeidigung seiner Aussage für den Betroffenen lediglich eine Erhöhung der Strafandrohung eines ohnehin mit Strafe bedrohten Delikts darstellt 392 . Wenngleich sich nach den Ausführungen Müller-Boysens aus dem Grundgesetz nicht ergibt, daß einem bestimmten Personenkreis ein über das Zeugnisverweigerungsrecht des Zeugen hinausgehendes Schweigerecht zugestanden werden muß, hält sie dies dennoch rechtspolitisch für wünschenswert393 . Aufgrund der zentralen Stellung des Persönlichkeitsrechts im Grundgesetz sollte der Gesetzgeber seine Entscheidung auch dann zugunsten des Schutzes einzelner treffen, wenn dies durch die Verfassung nicht zwingend vorgeschrieben ist394 . Die Autorin befürwortet es daher, Betroffenen grundsätzlich ein generelles Schweigerecht und, damit verbunden, ein Vereidigungsverbot zuzubilligen 395 . Bestimmte Personen, insbesondere 386 387 388 389
390 391 392 393 394 395
Müller-Boysen, Müller-Boysen, Müller-Boysen, Müller-Boysen, Müller-Boysen, Müller-Boysen, Müller-Boysen, Müller-Boysen, Müller-Boysen, Müller-Boysen,
S. S. S. S. S. S. S. S. S. S.
108. 108 ff. 109. 1l0. 116. 115. 116. 118, 170. 158. 158, 170.
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III. Die Zu1ässigkeit privatgerichteter Enqueten
Abgeordnete und Regierungsmitglieder, stehen jedoch dergestalt im Lichte der Öffentlichkeit und sind ihr darüber hinaus noch in besonderem Maße verantwortlich, daß ihnen ein allgemeines Zeugnisverweigerungsrecht nicht zugestanden werden kann396 • Für diesen Personenkreis sollten die Vorschriften der ZPO über die Zeugenaussage zur Anwendung gelangen 397 . Betroffene Auskunftspersonen könnten danach das Zeugnis auch verweigern, wenn die Beantwortung einer Frage ihnen oder einem Angehörigen zur Unehre gereichen würde, wenn die Antwort für sie bzw. einen Angehörigen einen vermögensrechtlichen Schaden verursachen würde oder für den Fall, daß die Frage nicht ohne die Preisgabe eines Kunst- und Gewerbegeheimnisses beantwortet werden kann. Schleichs Ausführungen zum Umfang des Aussageverweigerungsrechts de lege lata 398 stimmen mit denen Müller-Boysens im wesentlichen überein. Er erörtert, inwieweit Betroffenen parlamentarischer Enqueten aufgrund des über Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3 GG Verfassungsrang genießenden Nemo-Tenetur-Prinzips das generelle Schweigerecht des Beschuldigten im Strafverfahren durch eine sinngemäße Anwendung von § 136 Abs. 1 S. 2 StPO zugestanden werden muß. Nach dem Ergebnis dieser Überlegungen reicht die sinngemäße Anwendung des Auskunftsververweigerungsrechts von Zeugen nach § 55 StPO in aller Regel aus, um den verfassungsrechtlichen Anforderungen an den Schutz betroffener Auskunftspersonen genüge zu tun. Ein darüber hinausgehendes allgemeines Zeugnisverweigerungsrecht muß Betroffenen dann zuerkannt werden, wenn sie bei jeder Antwort Gefahr liefen, gegen ihre Person ein Strafverfahren auszulösen oder sich in einem laufenden Verfahren zu belasten399 . Dies wäre bei Enqueten, die ein mögliches Fehlverhalten von Individuen oder Personengruppen thematisieren, das den Tatbestand einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit erfüllt, immer der Fall. Der Gefahr, sich selbst straf- oder ordnungsrechtlichen Sanktionen auszusetzen, ist es gleichzustellen, wenn sich eine Auskunftsperson durch ihre Aussage möglicherweise einer Richter- oder Präsidentenanklage aussetzen würde. Hinsichtlich solcher Fragen hat sie grundsätzlich ein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 55 StPO. Ist das Fehlverhalten einer Person, das die Voraussetzungen einer solchen Anklage beinhaltet, jedoch Gegenstand des Untersuchungsverfahrens, muß ihr ein allgemeines Schweigerecht zugestanden werden4OO • Die Vereidigung aller nach § 136 Abs. 1 S. 1 StPO zur Aussageverweigerung Berechtigten ist grundsätzlich unzulässig40I . Auch Di Fabio ist der Ansicht, daß sich ein generelles Aussageverweigerungsrecht für Betroffene aus Art. 2 Abs. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG nicht herleiten läßt402 . 396 397 398 399 400 401
Müller-Boysen, S. 159 f., 170. Müller-Boysen, S. 164 f., 170. Schleich, S. 52 ff. Schleich, S. 53. Schleich, S. 53. Schleich, S. 54.
5. Die Diskussion um die BetroffenensteIlung
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Unter Berufung auf Müller-Boysen und Schleich erkennt er ein Zeugnisverweigerungsrecht nur an, wenn der Auskunftsperson aufgrund ihrer Aussage ein Strafverfahren droht oder falls ein solches bereits anhängig ist403 • Die mögliche Verschlechterung der Position betroffener Zeugen hinsichtlich einer eventuellen Strafverfolgung erfordert die sinngemäße Anwendung der Beschuldigtenschutzvorschriften auch im Rahmen parlamentarischer Enqueten. Wie schon erwähnt404 , erkennt auch Schröder besondere Schutzbedürfnisse Betroffener parlamentarischer Enqueten hinsichtlich parallel laufender Ermittlungsund Strafverfahren an. Er nimmt dabei eine Unterscheidung zwischen bereits eingestellten und noch laufenden Verfahren vor405 • Bei ersteren besteht für betroffene Auskunftspersonen die Gefahr, daß die Ermittlungen aufgrund des Bekanntwerdens neuer Tatsachen wieder aufgenommen werden. Sie haben daher ein Interesse an Zeugnisverweigerungsrechten sowie daran, unvereidigt zu bleiben. Sind Betroffene in ein noch laufendes Ermittlungs- bzw. Strafverfahren verwickelt, sind sie daran interessiert, zur vollständigen Aussageverweigerung berechtigt zu sein. Andernfalls könnten ihnen als Beschuldigte im Strafverfahren Aussagen aus dem Untersuchungsverfahren entgegengehalten werden, zu deren Verweigerung sie gegenüber Staatsanwaltschaft und Strafgericht berechtigt wären. Ein generelles Schweigerecht läßt sich sowohl mit der sinngemäßen Anwendung von § 136 StPO als auch von § 55 StPO begründen, in letzterem Falle allerdings nur unter der engeren Voraussetzung, daß glaubhaft gemacht wird, die Aussage würde insgesamt belastend wirken406 . Im Rahmen eines von Schröder für notwendig gehaltenen Gesetzes für Untersuchungsausschußverfahren sollten insbesondere für den gewerblichen Bereich Zeugnisverweigerungsrechte auch den vermögensrechtlichen Nachteilen, die durch eine Aussage entstehen können, Rechnung tragen407. Nach Art. 13 Abs. 2 Bayerisches Untersuchungsausschußgesetz sind Personen, gegen die sich eine parlamentarische Enquete nach dem Untersuchungsauftrag ausschließlich oder ganz überwiegend richtet, "nach Art eines Beschuldigten anzuhören". Gollwitzer folgert daraus zurecht, daß es Betroffenen gegenüber bayerischen Ausschüssen freisteht, sich zur Sache zu äußern oder zu schweigen. Sofern sie aussagen, ist eine Vereidigung nicht möglich. Nach den Ausführungen des Autors war es in erster Linie Zweck dieser gesetzlichen Regelung, eine Differenzierung hinsichtlich der Aussagepflichten von Auskunftspersonen vorzunehmen408 . Ausgehend von einer engen, an der Möglichkeit strafrechtlicher Verfolgung orientierten Betroffenendefinition hält Gollwitzer es aber auch für ein Gebot der Verfahrens ge402 403 404
405 406
407 408
Di Fabio, S. 49. Di Fabio, S. 48 f. Siehe oben III.5.c)bb)(1). Schröder, Gutachten zum 57. DJT, S. E 53. Schröder, Gutachten zum 57. DJT, S. E 53. Schröder, Gutachten zum 57. DJT, S. E 55. Gollwitzer, S. 421.
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III. Die Zulässigkeit privatgerichteter Enqueten
rechtigkeit, diesem Personenkreis im selben Umfang ein Schweigerecht zuzubilligen, wie Beschuldigten im Strafverfahren. Es wäre nicht gerechtfertigt, wenn jemand im Rahmen einer parlamentarischen Enquete zur Aussage verpflichtet wäre, obwohl ihm in einem parallel oder später gegen ihn durchgeführten Straf-, Bußgeld- oder Disziplinarverfahren ein allgemeines Zeugnisverweigerungsrecht hinsichtlich desselben Themenkomplexes zustünde409 • Auch Geller/Kleinrahm 41o billigen Betroffenen ein generelles Aussageverweigerungsrecht zu, wenn sie gleichzeitig Beschuldigte in einem Strafverfahren sind oder der Untersuchungsauftrag Vorwürfe enthält, die zu einem gerichtlichen Verfahren, einschließlich der Ministeranklage, führen können. In diesen Fällen kann die rechtsstaatlich garantierte Verteidigungsposition des Beschuldigten gegenüber der Justiz nur gesichert werden, wenn sie bereits in das Untersuchungsverfahren vorverlagert wird. Demgegenüber sind keine vergleichbaren Gründe ersichtlich, die es erforderlich machen, betroffene Auskunftspersonen durch ein allgemeines Zeugnisverweigerungsrecht gegenüber Untersuchungsausschüssen vor anderen Konsequenzen im parlamentarisch-politischen Bereich zu schützen. Das Vereidigungsverbot des § 60 Nr. 2 StPO ist sinngemäß auf dieselben Personen anzuwenden, die auch zur Aussageverweigerung berechtigt sind. Sofern privatgerichtete Untersuchungen zulässig sind, spricht sich Meyer in der Diskussion des 57. DJr ll dafür aus, dem Betroffenen einer solchen Enquete Zeugnisverweigerungsrechte zuzuerkennen. Dies soll allerdings nicht für staatliche Funktionsträger gelten, die sich gegenüber dem Untersuchungsausschuß nicht auf Grundrechte berufen können. Dienstgeheimnisse sollen keine Rolle spielen. Auch Klinger befürwortet es, betroffenen Auskunftspersonen Zeugnisverweigerungsrechte bis hin zum allgemeinen Schweigerecht zuzugestehen. Er verlangt klare rechtliche Regelungen, auch zum Schutz öffentlich Bediensteter412 • Halstenberg unterscheidet hinsichtlich des Aussageverweigerungsrechts Betroffener zwischen besonders schützenswerten Privatpersonen und nur in geringerem Maß schützenswerten Amtspersonen 413 . Sofern Maßnahmen eines Amtsträgers Gegenstand einer parlamentarischen Enquete sind, kann diesem kein Zeugnisverweigerungsrecht gewährt werden.
Gollwitzer, S. 420. GelleriKleinrahm, Art. 41, Anm. 11 c) bb), S. 21. 411 Meyer, Diskussionsbeitrag in Verhandlungen des 57. DJT, Bd. 2, Teil M, München 1988, S. M 176. 412 Klingner, Diskussionsbeitrag in Verhandlungen des 57. DJT, Bd. 2, Teil M, München 1988, S. M 178 f. 413 Halstenberg, Diskussionsbeitrag in Verhandlungen des 57. DJT, Bd. 2, Teil M, München 1988, S. M 180. 409
410
IV. Die Behandlung privatgerichteter Untersuchungen in der Rechtsprechung Die Rechtsprechung hat sich bisher nur sehr punktuell und bruchstückhaft zu diesem Themenkomplex geäußert. Eine einheitliche Linie ist allenfalls in Teilbereichen zu erkennen. Nachfolgend soll schwerpunktmäßig auf Urteile der Verfassungsgerichtsbarkeit des Bundes und der Länder eingegangen werden, da in diesen Entscheidungen die meisten grundsätzlichen Ausführungen zur Problematik privatgerichteter Enqueten zu finden sind. Wie sich bereits aus den Ausführungen in Kapitel 11. 1 ergibt, wurden zur Zeit der Geltung der Weimarer Reichsverfassung privatgerichtete Untersuchungen weitgehend für unproblematisch gehalten. Fragen hinsichtlich des Schutzes der Privatsphäre und des privaten Unternehmensbereichs hatten einen geringeren Stellenwert, als dies heute der Fall ist. Dies spiegelt sich auch in den das parlamentarische Untersuchungsverfahren betreffenden Urteilen aus dieser Zeit wider. Die Problematik privatgerichteter Enqueten wird nicht direkt angesprochen. Rückschlüsse lassen sich nur aus allgemeinen Aussagen über den Anwendungsbereich des parlamentarischen Untersuchungsrechts ziehen. Auf die Rechtsprechung aus dieser Zeit wird daher nur kurz eingegangen.
1. Urteile aus der Zeit der Weimarer Republik Die Korollartheorie fand bereits in den ersten gerichtlichen Entscheidungen zum Untersuchungsrecht der neugegründeten Republik Anerkennung. Der vorläufige Staatsgerichtshof definierte in seinem Urteil vom 12. 7. 1921 das "sog. Enqueterecht( )" als "Recht der Volksvertretungen, über Fragen, die zu ihrer Kompetenz stehen, durch Ausschüsse Untersuchungen anzustellen,,2. Das Gericht erwähnt Aufgaben und Befugnisse, die die Rechtslehre Untersuchungsausschüssen zugebilligt hat3 , und macht sich die von der Lehre entwickelten Grundsätze zueigen4 • In diesem Zusammenhang wird angeführt, daß sich parlamentarische EnSiehe oben 11.2., 11.5. RGZ 102, Anhang S. 425 ff., 427. 3 RGZ 102, Anhang, S. 429. 4 RGZ 102, Anhang S. 430; Poetzsch kritisiert das Zurückgreifen auf vorrevolutionäres Staatsrecht durch den Staatsgerichtshof; Poetzsch, Aus der Praxis des Staatsrechts - zwei Urteile des Staatsgerichtshofes über Untersuchungsausschüsse, AöR 43, S. 210 ff., 231 f. I
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IV. Privatgerichtete Untersuchungen in der Rechtsprechung
queten nur mit Angelegenheiten befassen dürfen, für die das Parlament zuständig ist. Inhaltlich ging es hauptsächlich um die Entscheidung der Frage, ob die Bremer Bürgerschaft ohne Einhaltung der für Verfassungsänderungen notwendigen Förmlichkeiten Untersuchungsausschüssen durch Gesetz obrigkeitliche Befugnisse zubilligen konnte. Der vorläufige Staatsgerichtshof hat diese Frage verneintS und insbesondere darauf hingewiesen, daß die Bürgerschaft einem Ausschuß keine Rechte übertragen kann, die ihr selbst nicht zustehen 6 . Die Bremer Verfassung enthielt keine Regelung über parlamentarische Enqueten. Das Parlament der Hansestadt hatte ein "Gesetz, betreffend Untersuchungsausschüsse der Bürgerschaft"? beschlossen, in dem diesen Ausschüssen im wesentlichen dieselben Rechte zur Beweiserhebung zugebilligt wurden, die auf Reichsebene in Art. 34 WRV enthalten waren. In seinem Urteil vom 12. 1. 1922 erkennt der Staatsgerichtshof den Inhalt der Korollartheorie an, ohne diesen Begriff zu benutzen. Er bezeichnet parlamentarische Untersuchungsausschüsse als Hilfsorgane der Parlamente, deren Aufgabe es ist, Entscheidungen der Volksvertretung vorzubereiten 8 . Dieses Instrumentarium kann nur innerhalb der Zuständigkeit des Parlaments eingesetzt werden. Parlamentarische Enqueten sind nur zur Überprüfung von Tatsachen zulässig9 . Das Gericht hat entschieden, daß die Volksvertretung dem Antrag einer qualifizierten Minderheit auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses nur entsprechen muß, wenn darin die zu untersuchenden Tatsachen in erkennbarer Weise bezeichnet sind lO • Gegenstand und Umfang der Enquete müssen also hinreichend genau angegeben sein. Dies war nach dem Urteil des Staatsgerichtshofs bei dem zu überprüfenden Einsetzungsantrag nicht der Fall. Danach sollten ,,im Bereich der württembergischen Staatsverwaltung vom 9. 11. 1918 ab die Verwaltungs akte untersucht werden, die vermutlich verdienen, getadelt oder unterdrückt zu werden" 1 I. In einem weiteren Urteil des Staatsgerichtshofs vom 18.6. 1927 12 ging es hauptsächlich um die Problematik, inwiefern die Parlamentsmehrheit die Aufgabenste1lung eines auf Antrag einer qualifizierten parlamentarischen Minderheit eingesetzten Untersuchungsausschusses verändern oder ergänzen darf. Auch aus dieser Entscheidung ergibt sich, daß der Untersuchungsauftrag möglichst präzise zu fassen ist. So hält das Gericht die Mehrheit des Landtags für befugt, dem von der Minderheit zu bestimmenden Untersuchungsthema eine "genauere Fassung" zu geben l3 . RGZ 102, Anhang S. 430 f. RGZ 102, Anhang S. 431. 7 RGZ 102, Anhang S. 426. 8 RGZ 104, Anhang S. 423 ff., 430. 9 RGZ 104, Anhang S. 428. 10 RGZ 104, Anhang S. 431. II RGZ 104, Anhang S. 424. 12 RGZ 116, Anhang S. 45 ff. \3 RGZ 116, Anhang S. 52. 5
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2. Urteile und Beschlüsse von Gerichten
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2. Urteile und Beschlüsse von Gerichten der Bundesrepublik Deutschland a) Gerichtliche Entscheidungen hinsichtlich der Zulässigkeit privatgerichteter Enqueten
Dadurch, daß die Fassung des Rechts der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse im Bund und in den Ländern weitgehend den verfassungsrechtlichen Regelungen der Weimarer Republik entspricht, konnten die Gerichte nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland die Rechtsprechung der 20er Jahre bei ihren Entscheidungen berücksichtigen und daran anknüpfen. Das OVG Lüneburg bezieht sich in seinem Urteil vom 26. 4. 1954 14 ausdrücklich auf die Entscheidung des Staatsgerichtshofs vom 18. 6. 1927 15 • Es macht sich die Grundsätze der Korollartheorie zueigen, indem es darauf verweist, daß parlamentarische Enqueten dem Zweck dienen, "verfassungsmäßig zulässige Beschlüsse des Parlaments vorzubereiten, insbesondere dem Parlament die Beaufsichtigung der Verwaltung zu ermöglichen,d6. Durch die Tätigkeit eines Untersuchungsausschusses kann ein Parlamentsbeschluß darüber vorbereitet werden, ob Verwaltungsmaßnahmen verdienen, getadelt zu werden. Die Volksvertretung soll darüber hinaus Material erhalten, nach dem sie beurteilen kann, ob es sich empfiehlt, gesetzliche Maßnahmen zu treffen, um den Aufbau der Verwaltung zu ändern oder die Erledigung der Verwaltungsaufgaben nach rechtsstaatlichen Grundsätzen sicherzustellen. Der Hessische Staatsgerichtshof erkennt in seiner Entscheidung vom 24. 11. 1966 17 die Korollartheorie ausdrücklich an 18 • Das Gericht legt sie eng aus, indem es darauf verweist, daß parlamentarische Untersuchungen nur zulässig sind, um "mit Rechtsverbindlichkeit ausgestattete Hoheitsakte des Parlaments" vorzubereiten l9 . Die Enqueten müssen auf einen verfassungsmäßig zulässigen und gebotenen Beschluß der Volksvertretung abzielen und dürfen nicht zum Selbstzweck werden. Ein lediglich politisches Interesse rechtfertigt nicht die Durchführung einer Untersuchung mit weitgehenden Befugnissen im Rahmen des Beweiserhebungsverfahrens. Als rechtliche Grundlage für eine Enquete reicht die Kompetenz der Volksvertretung zur parlamentarischen Erörterung allein nicht aus. Das Gericht bezeichnet die Auffassung Kölbles, nach der Untersuchungsausschüsse im gesamten Bereich, der auch parlamentarischer Beratung zugänglich ist, eingesetzt werden können, als "extrem" und lehnt sie ab 2o . Der Hessische Staatsgerichtshof führt in 14
15
16
17 18 19
20
DVBI. 1954, S. 574 ff., 576 f. RGZ 116, Anhang S. 45 ff.; vgl. oben IV. 1. DVBI. 1954, S. 577. ESVGH 17, I =DÖV 1967, S. 52 ff. DÖV 1967, S. 54. DÖV 1967, S. 55. DÖV 1967, S. 55, mit Verweis auf Kölble, S. 701.
144
IV. Privatgerichtete Untersuchungen in der Rechtsprechung
seinem Urteil weiterhin aus, daß das Untersuchungsthema inhaltlich nicht hinreichend bestimmt ist, wenn die Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit des Untersuchungsauftrags dem Ausschuß überlassen bleibt und er danach den Umfang seiner Tätigkeit selbst bestimmen könnte 21 . Es ist Sache des Landtagsplenums, über die Vereinbarkeit des Gegenstands der Enquete mit der Verfassung zu entscheiden. In seinem Beschluß vom 9. 2. 1972 setzt sich der Hessische Staatsgerichtshof erneut mit der Problematik privatgerichteter Enqueten auseinander22 . Er hatte die Verfassungsmäßigkeit des Ausschusses "Frankfurter Bund für Volksbildung e.v.,m zu überprüfen. Nach Auffassung des Gerichts stellt die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses eine parlamentarische Maßnahme dar, die Rechte des Bürgers "in aller Regel" nicht berührt24 . Voraussetzung einer Grundrechtsverletzung wäre, daß der Einzelne durch die Konstituierung einer Enquete gegenwärtig und unmittelbar in seiner Grundrechtssphäre beeinträchtigt würde, ohne daß ein weiterer Vollziehungsakt hinzutreten müßte. Der Einsetzungsantrag als Grundlage jeder Untersuchung stellt ein Parlamentsinternum dar, wodurch Grundrechte Dritter nicht verletzt werden können 25 . Das Parlament kann nach Ansicht des Gerichts innerhalb der Grenzen seiner Kompetenz zu jedem beliebigen Beweisthema einen Untersuchungsausschuß einsetzen, sofern die zu klärende Angelegenheit von öffentlichem Interesse ist. Grundsätzlich können parlamentarische Enqueten auch "Vorgänge im öffentlichen Leben" untersuchen. Der Hessische Staatsgerichtshof verweist darauf, "daß auch einzelne Angelegenheiten, sogar solche, die prima facie als Privatangelegenheiten erscheinen mögen, unter besonderen Umständen in das Blickfeld des öffentlichen Interesses gerückt werden können,,26. Eine Konkretisierung dessen, was mit dem Begriff der "prima facie-Privatangelegenheit" gemeint ist, nimmt das Gericht jedoch nicht vor. Hinsichtlich des zu entscheidenden Falles wird in dem Beschluß angeführt, daß es Aufgabe des Parlaments ist, über die Vergabe von Zuschüssen an öffentliche Bildungseinrichtungen zu wachen, woran auch ein öffentliches Interesse besteht. Der Untersuchungsauftrag 27 stand allerdings nicht in direktem Zusammenhang mit der Mittelvergabe. Zusätzlich erwähnt der Hessische Staatsgerichtshof, daß die Untersuchungsthemen einen starken Widerhall in der Öffentlichkeit gefunden haben und diskutiert worden sind28 . Das Gericht führt also zwei Argumente für das
21 22 23 24 2S
26 27
28
DÖV 1967, S. 56 f. ESVGH 22,136 ff. = DÖV 1972, 568 ff. Vgl. oben II.4.g). ESVGH 22, 137. ESVGH 22, 138. ESVGH 22, 139. Einsetzungsantrag v. 27. 10. 1971, Drucks. VII/90I. ESVGH 22, 139.
2. Urteile und Beschlüsse von Gerichten
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Vorhandensein öffentlichen Interesses an. Mit dem Argument der Kompetenz zur Ausgabenüberwachung soll scheinbar ein nach objektiven Kriterien zu bestimmendes öffentliches Interesse bejaht werden, während die öffentliche Anteilnahme an dem Thema der Enquete für ein tatsächlich vorhandenes, sog. faktisches öffentliches Interesse spricht. In dem Beschluß wird die Ansicht vertreten, daß bei einer Grundrechtsklage die Frage, ob das Thema der Enquete "genau bestimmt" ist, keine Bedeutung erlangen kann 29 • Auch das OVG Berlin erkennt in seinem Urteil vom 30. 10. 1969 die Korollartheorie inhaltlich an 30 . Es führt aus, daß die Untersuchung des Verhaltens der studentischen Protestbewegung in Berlin und ihrer Gründe die Zuständigkeit des Parlaments nicht überschreitet und daher zulässig ist. Der Untersuchungsausschuß hat sich nach den Ausführungen des Gerichts bemüht, Mißstände im öffentlichen Bereich, insbesondere an der Hochschule, aufzudecken, die Anlaß zu Zwischenfällen und Unruhen gegeben haben 31 . Die Enquete diente daher der Vorbereitung von Gesetzesbeschlüssen und der Überprüfung von Verwaltungsmaßnahmen. Aufgabe des Ausschusses war nicht die Feststellung strafrechtlicher Verantwortlichkeit einzelner, sondern die Ursachen der studentischen Auseinandersetzungen sollten in einem umfassenden politischen Zusammenhang betrachtet werden. Es war nicht Zweck der Untersuchung lediglich die politischen Absichten bestimmter Auskunftspersonen vor der Öffentlichkeit wie vor einem Tribunal bloßzustellen und anzuprangern 32. Der Staatsgerichtshof für das Land Baden-Württemberg ergänzt in seinem Urteil vom 16.4. 197733 die bisherige Rechtsprechung zum Bestimmtheitsgebot für parlamentarische Untersuchungsausschüsse34 . Danach gilt dieses Gebot bei Mißstandsenqueten nicht erst für den Einsetzungsbeschluß, sondern bereits für den beschlußreifen Einsetzungsantrag, der nach der parlamentarischen Beratung letztendlich zur Abstimmung gestellt wird35 . Es besteht keine Verpflichtung der Landtagsmehrheit, einen nicht hinreichend bestimmten Minderheitsantrag dergestalt zu konkretisieren, daß darüber eine positive Beschlußfassung möglich wird36 • Die parlamentarische Minderheit kann demgegenüber verfassungsrechtliche Bedenken hinsichtlich ihres Antrags bis zur Beschlußfassung des Landtags dadurch ausräumen, daß sie ihn umformuliert oder abändert37 • 29 30 31 32 33
ESVGH 22, 140. OVGE 10, 163 ff., 166. OVGE 10, 166 f. OVGE 10, 167. ESVGH 27,1 ff.
Vgl. insofern die Ausführungen zu den Urteilen des Staatsgerichthofs vom 12. I. 1922 und 18. 6. 1927, siehe oben IV. 1., und die Erörterungen zum Urteil des Hess. Staatsgerichtshofs v. 24 11.l966. 35 ESVGH 27, 6 f. 36 ESVGH 27, S. 8. 34
10 Köhler
146
IV. Privatgerichtete Untersuchungen in der Rechtsprechung
Der Bayerische Verfassungs gerichtshof schloß sich dieser Rechtsprechung in seiner Entscheidung vom 27. 6. 1977 an 38 . Er hat es darüber hinaus für zulässig erachtet, daß der Landtag einem Minderheitsantrag unter bestimmten Voraussetzungen nur teilweise stattgibt und ihn im übrigen, soweit er verfassungswidrig ist, abweist39 . Das Gericht sieht die Tätigkeit parlamentarischer Untersuchungsausschüsse "inhaltlich auf die Zuständigkeit des Landtags" und "funktionsmäßig auf die bloße Vorbereitung künftiger Beschlüsse des Landtags" beschränkt4o . Die Aufklärung lange zurückliegender Tatsachen, für die kein "aktuelles Interesse" mehr besteht, liegt nicht im öffentlichen Interesse41 . Das gleiche gilt nach Auffassung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs für die Untersuchung von Sachverhalten, die ,,keine irgend wie geartete Tätigkeit" des Parlaments innerhalb seiner verfassungsmäßigen Zuständigkeiten bewirken könnte. Bei seiner Entscheidung hat der Landtag zu berücksichtigen, daß der Einsetzungsantrag der Minderheit "ein gewisses öffentliches Interesse indiziert,,42. Die Volksvertretung kann einen entsprechenden Antrag daher nur ablehnen, wenn triftige Gegengründe vorliegen. Die Ausführungen des Gerichts hinsichtlich des Fehlens öffentlichen Interesses bei lange zurückliegenden Tatsachen waren ein Novum in der bisherigen Rechtsprechung zur Bestimmung von Umfang und Grenzen des parlamentarischen Untersuchungsrechts. Der in diesem Zusammenhang benutzte Begriff des "aktuellen Interesses" ist nicht weniger auslegungs bedürftig und auslegungsfähig als der des "öffentlichen Interesses". Der Bayerische Verfassungsgerichtshof macht diese Darlegungen jedoch nur obiter dictum, so daß sie durch die rechtliche Beurteilung des zu entscheidenden Falles nicht weiter konkretisiert werden. Nach dem zu überprüfenden Einsetzungsantrag 43 sollten u. a. Vorwürfe gegen namentlich noch nicht benannte Mitarbeiter des Staatsministeriums für Wirtschaft und Verkehr untersucht werden, die in den sog. Memoiren des Herrn G. erhoben worden sind. Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hielt den Untersuchungsgegenstand insofern für nicht hinreichend bestimmt. Das Thema der Enquete muß im Antrag selbst konkretisiert sein. Eine bloße Verweisung auf außerhalb des Antrags liegende Unterlagen, die den Mitgliedern des Landtags möglicherweise nicht bekannt sind, ist grundsätzlich unzulässig. Andernfalls hätte der Ausschuß im Rahmen der Interpretation der Memoiren einen zu großen Bewertungsspielraum, der es ihm ermöglichen würde, den Untersuchungsgegenstand mehr oder weniger weit auszudehnen 44. ESVGH 27, S. 9. Bay. VerfGHE 30, 48 ff., 61. 39 Bay. VerfGHE 30, 63. 40 Bay. VerfGHE 30, 59. 41 Bay. VerfGHE 30, 64. 42 Bay. VerfGHE 30, 64. 43 Nr. 6 des Einsetzungsantrags der SPD-Fraktion des Bayerischen Landtags v. 2. 12. 1976, 8. Wahlperiode, Drucks. Nr. 3992, es handelte sich um den Glöggler-Untersuchungsausschuß, vgl. oben II.4.b). 37 38
2. Urteile und Beschlüsse von Gerichten
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Der Einsetzungsantrag enthielt ferner den Auftrag, die eventuelle Zahlung von Provisionen oder sonstigen Zuwendungen u. a. für "weitere Vermittlungstätigkeiten" an Ministerialrat Dr. D. "oder andere Beamte der Staatsregierung" zu überprufen45 . Die Erstreckung des Untersuchungsthemas auf einen nicht weiter konkretisierten Kreis von Staatsbeamten hielt der Bayerische Verfassungsgerichtshof in zeitlicher und personeller Hinsicht für zu unbestimmt46 . Während für die Urteile des OVG Lüneburg aus dem Jahre 195447 und des Hessischen Staatsgerichtshofs von 196648 noch eine enge Auslegung der Korollartheorie charakteristisch ist, legt der Bremer Staatsgerichtshof diese Theorie in seiner Entscheidung vom 13.3. 1978 weit aus49 • Das Gericht bezeichnet die Auffassung, nach der die Kompetenz des Parlaments im Zweifelsfalle nicht weiter reicht als seine Befugnis, rechtsverbindliche Beschlüsse zu fassen, als verfassungsrechtlich nicht haltbar5o . Die Volksvertretung ist in ihrer Zuständigkeit nicht auf die Mitwirkung bei der Gesetzgebung und die durch die Verfassung ausdriicklich vorgesehenen Mittel der Kontrolle von Regierung und Verwaltung beschränkt. So steht dem Parlament das Recht zu, mit Entschließungen auf die Exekutive einzuwirken, auch wenn diese Kompetenz nicht positiv-rechtlich normiert ist. Dariiber hinaus kann die Volksvertretung eine hinreichende Legitimation für verwaltungsmäßiges Handeln, z. B. im Bereich des Subventionsrechts, durch schlichte Parlaments beschlüsse begrunden51 . Soweit die Verfassung dem Parlament Aufgaben nicht ausdriicklich zugewiesen hat, ist jedoch zu unterscheiden zwischen dem "Befassungsrecht" und dem ,,zugriffsrecht". In ersterem ist die Befugnis zur parlamentarischen Erörterung zu sehen, während mit letzterem Maßnahmen gemeint sind, die rechtliche Wirkungen außerhalb der Volksvertretung auslösen sollen. Das Befassungsrecht der Volksvertretung ist umfassender als das Zugriffsrecht, das jedenfalls dann zu verneinen ist, wenn seine Inanspruchnahme nicht mit den Grundrechten zu vereinbaren ist oder zu sonstigen, verfassungsmäßig begrundeten Rechten im Widerspruch steht52 . Der Bayerische Verfassungs gerichtshof bezeichnet in seinem Urteil vom 19. 5. 1978 Untersuchungsausschüsse als Hilfsorgane des Parlaments, die Beschlüsse der Volksvertretung im Rahmen ihrer verfassungsmäßigen Zuständigkeit vorbereiten 53. Diese Ausführungen werden nicht weiter konkretisiert. In seiner 44 45 46 47 48
49 50 51 52 53
10*
Bay. VerfGHE 30, 65. Nr. 9 des Einsetzungsantrags, siehe Fn. 43. Bay. VerfGHE 3D, 66 f. Siehe oben IY.2.a). Siehe oben IV.2.a). Brem. StGHE 1977-79, S. 75 ff., S. 82 f. Brem. StGHE 1977-79, S. 83. Brem. StGHE 1977-79, S. 83. Brem. StGHE 1977-79, S. 84. Bay. VGH, BayVBI. 1981, S. 209 ff., 211.
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IV. Privatgerichtete Untersuchungen in der Rechtsprechung
Entscheidung vom 16. 12. 1983 vertritt der Bayerische Verfassungsgerichtshof die Auffassung, daß der Beschluß des Landtags, einen Untersuchungsausschuß einzusetzen, im allgemeinen noch keinen Eingriff in verfassungsmäßige Rechte von Bürgern bewirkt54 . Er schließt sich insofern der Rechtsprechung des Hessischen Staatsgerichtshofs an. Im Zusammenhang mit der Erörterung des Erfordernisses der Bestimmtheit für Einsetzungsanträge parlamentarischer Untersuchungsausschüsse führt der Bayerische Verfassungsgerichtshof in seinem Wackersdorf-Urteil insbesondere im Hinblick auf Mißstandsenqueten im öffentlichen Bereich aus, daß die Darlegung eines Anfangsverdachts kein Formerfordernis eines solchen Antrags ist. Die parlamentarische Kontrolle beschränkt sich nicht auf Verwaltungsvorgänge, die von vornherein das Vorliegen eines Mißstands als naheliegend erscheinen lassen. Demgegenüber kann die Untersuchung alltäglicher Routinevorgänge unter Umständen deshalb unzulässig sein, weil das öffentliche Interesse an einer solchen Enquete fehlt 55 . Nach Auffassung des Gerichts muß ein öffentliches Interesse nicht nur hinsichtlich des Untersuchungsgegenstands als solchem, sondern auch an seiner Aufklärung bestehen. Bei offenkundigen Sachverhalten wird ein derartiges Aufklärungsinteresse regelmäßig fehlen. Für die Beurteilung der Frage, ob zu überprüfende Tatsachen offenkundig sind, ist aus Gründen des Minderheitsschutzes ein strenger Maßstab anzulegen und im Zweifelsfalle zugunsten der Zulässigkeit der Untersuchung zu entscheiden56 . Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat in seiner Entscheidung ein öffentliches Interesse u. a. für die Überprüfung der Frage, ob die bayerischen Richtlinien zur Standortauswahl einer Wiederaufbereitungsanlage von den Bundesrichtlinien abweisen, verneint 57 • Er begründet dies damit, daß es sich dabei um einen offenkundigen Sachverhalt handelt, da sowohl die Kriterien des Bundes als auch die des Landes Bayern veröffentlicht und allgemein zugänglich sind. Jedermann kann sie nach Einarbeitung in die Materie vergleichen. Dies gilt nach den Ausführungen des Gerichts nicht für den zweiten Teil der Frage, der sich auf die Gründe für eventuelle Abweichungen bezieht58 . Insofern ist der zu untersuchende Sachverhalt nicht offenkundig. Es muß bezweifelt werden, ob es sinnvoll ist, bei der Überprüfung der verschiedenen Teile des Untersuchungsauftrags von einer so stark differenzierenden Betrachtungsweise auszugehen. Schließlich ist es zwingend erforderlich, zunächst festzustellen, in welchen Punkten die Regelungen des Landes Bayern von denen des Bundes abweichen, bevor die Gründe dafür erörtert werden können.
54 55
56 57 58
Bay. VerfGHE 1983,211 ff., 213. Bay. VerfGH, Wackersdorf-Urteil v. 27. 11. 1985, NVwZ 1986, S. 822 ff., 824. NVwZ 1986, S. 824. NVwZ 1986, S. 825. NVwZ 1986, S. 825.
2. Urteile und Beschlüsse von Gerichten
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Auch die Untersuchung der Frage, welche Entscheidungskriterien die DWK bewogen haben, dem Standort Wackersdorf den Vorzug zu geben, hielt der Bayerische Verfassungsgerichtshof für unzulässig59 . Bei der DWK handelt es sich um eine privatrechtlich organisierte GmbH mit Sitz in Hannover. Sie setzt sich zusammen aus deutschen Elektrizitätsversorgungsunternehmen, und zwar ganz überwiegend aus solchen der öffentlichen Hand. Die Frage, inwieweit letztere sich durch die Wahl privatrechtlicher Organisationsfonnen für bestimmte wirtschaftliche Betätigungen der parlamentarischen Kontrolle entziehen kann, hielt das Gericht deshalb nicht für entscheidungserheblich, weil die DWK jedenfalls kein Unternehmen war, das dem Bereich der bayerischen Verwaltung im weitesten Sinne zugerechnet werden konnte. Eine Untersuchung von Entscheidungskriterien der GmbH hätte allein den Willensbereich eines Unternehmens betroffen, das der Kontrolle durch den Landtag nicht unterworfen war. Die Enquete konnte daher in diesem Punkt zu keinem zulässigen Landtagsbeschluß führen. Aus diesen Gründen hielt das Gericht die Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Untersuchung dieser Frage für nicht gegeben 6o . Das Landgericht Bonn überprüft in seinem Beschluß vom 2. 10. 198661 die Rechtmäßigkeit der Anordnung von Beugehaft gegen den Vorstandsvorsitzenden der BGAG, Alfons Lappas, durch das Amtsgericht Bonn62 . Das Landgericht führt aus, daß es für die Beurteilung der Frage, ob der Zeuge die Aussage ohne gesetzlichen Grund schuldhaft verweigert hat, u. a. auch darauf ankommt, ob der Ausschuß mit zulässiger AufgabensteIlung konstituiert wurde. Neben Einschränkungen, die sich aus dem Bundesstaatsprinzip und dem Grundsatz der Gewaltenteilung ergeben, ist das Untersuchungsrecht auf die Überprüfung von Angelegenheiten des öffentlichen Interesses beschränkt. Ein Zusammenhang mit den Gesetzgebungsoder Kontrollaufgaben des Parlaments muß nicht bestehen. Die Volksvertretung darf jeden Gegenstand, den sie beraten und diskutieren kann, zum Thema einer Enquete machen, sofern er "von besonderem öffentlichen Interesse" ist63 . Wie der Hessische Staatsgerichtshof'4 verweist auch das Landgericht Bonn darauf, daß durchaus Angelegenheiten in das Blickfeld des öffentlichen Interesses gerückt werden können, die prima facie als Privatsache erscheinen. In diesem Fall ist den Grundrechten Betroffener besondere Bedeutung beizumessen. Hinsichtlich des Untersuchungsausschusses "Neue Heimat" stellt das Gericht darauf ab, daß eventuelle Unregelmäßigkeiten bei gemeinnützigen Unternehmen überprüft werden sollten, die steuerlich subventioniert und von staatlichen Stellen kontrolliert werden. Da "jedenfalls auch" Bundesrecht "tangiert" wird, ist ein Ein59
60 61
62 63 64
NVwZ 1986, S. 825. NVwZ 1986, S. 825. NJW 1987, S. 790 ff. Beschluß v. 19. 10. 1986 (50 Gs 1150/86); vgl. oben II.3.i). NJW 1987, S. 791. Beschluß v. 9. 2. 1972, siehe oben IV.2.a).
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IV. Privatgerichtete Untersuchungen in der Rechtsprechung
griff in die Länderkompetenz nicht gegeben65 . Das Parlament kann sich eines Untersuchungsausschusses, der bereits im Rahmen einer Gesetzgebungs-, Kontrollund Mißstandsenquete tätig ist, auch zur Erarbeitung von Empfehlungen bedienen. Das Landgericht Bonn hielt den Neue-Heimat-Untersuchungsausschuß des Deutschen Bundestages für zulässig. Im Rahmen der Überprüfung eines die Beschlagnahme von Aufsichtsratsprotokollen der BGAG betreffenden Beschlusses des Amtsgerichts Frankfurt begründet das Landgericht Frankfurt66 die Zulässigkeit des Bundestagsuntersuchungsausschusses "Neue Heimat" ähnlich wie das Landgericht Bonn. Zunächst führt es aus, daß Untersuchungsausschüsse gemäß Art. 1 Abs. 3 GG die Grundrechte zu beachten haben. Die Beschlagnahme von Unterlagen für eine parlamentarische Enquete stellt einen die Grundrechtssphäre berührenden Eingriff dar. Im Hinblick auf Art. 2 . Abs. 1 GG unterliegt der Beschlagnahmeantrag eines Untersuchungsausschusses auch hinsichtlich der Frage nach dem Vorliegen eines verfassungsmäßigen Untersuchungsauftrags der richterlichen N achprüfung 67 . Die Aufklärung von Mißständen in der Form von Verstößen gegen bundes gesetzliche Regelungen ist nach Auffassung des Gerichts das eigentliche Ziel des Untersuchungsthemas. Die Zulässigkeit derartiger Mißstands- oder Skandalenqueten hält das Gericht auch dann für gegeben, "wenn sie nicht den genuin staatlichen Bereich von Regierung und Verwaltung betreffen, aber durch "Staatsbezug" öffentliche Interessen berühren,,68. Das Landgericht Frankfurt verweist in diesem Zusammenhang darauf, daß das Parlament Repräsentant des Volkssouveräns und oberstes Organ staatlicher Willensbildung ist69 . Soweit die Untersuchung den gemeinnützigen Teil der Neuen Heimat betrifft, stellt das Gericht auf die erforderliche staatliche Anerkennung nach dem Gemeinnützigkeitsgesetz des Bundes, die gesetzliche Verpflichtung zum gemeinnützigen Handeln sowie auf damit verbundene Steuerprivilegien ab. Diese Faktoren begründen den staatlichen Bezug des Verhaltens eines solchen Unternehmens. Das private Wirtschaftsunternehmen Neue Heimat Städtebau wird in die Enquete lediglich als Annex zum primären Untersuchungsgegenstand, Neue Heimat Gemeinnützige Wohnungs- und Siedlungsgesellschaft mbH einbezogen. Die Bundeskompetenz für den Neue-Heimat-Untersuchungsausschuß ergibt sich aufgrund eines "gesamtstaatliche(n) Interesse(s)" (Anführungszeichen im Urteil) wegen der bundesweiten Tatigkeit des Konzerns aus der "Natur der Sache" (Anführungszeichen im Urteil) 70.
65 66 67
68 69 70
NJW 1987, S. 791. Beschluß v. 22. 10. 1986, NJW 1987, S. 787 ff. NJW 1987, S. 787 f. NJW 1987, S. 788. NJW 1987, S. 788, unter Berufung auf Bäckenfärde, S. 11 ff. NJW 1987, S. 788.
2. Urteile und Beschlüsse von Gerichten
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Im Rahmen der verfassungsrechtlichen Überprüfung gerichtlicher Entscheidungen, die die Beschlagnahme von Unterlagen zugunsten des Neue-Heimat-Untersuchungsausschusses betreffen71 , hat sich das BVerfG72 bisher am umfassendsten zur Frage der Zulässigkeit privatgerichteter Enqueten geäußert. Der Beschluß orientiert sich jedoch stark an Besonderheiten des Falles, die in der Gemeinnützigkeit des Wohnungsbauunternehmens begründet sind, und beinhaltet so kaum grundsätzliche Aussagen zum Umfang des parlamentarischen Untersuchungsrechts im nichtöffentlichen Bereich. Folgender Satz enthält die Kernaussage der Entscheidung hinsichtlich dieser Problematik: "Der Bundestag kann innerhalb seines Aufgabenbereichs Untersuchungsaufträge zur Aufklärung von Mißständen jedenfalls auch im Bereich solcher privater Unternehmen - einschließlich der mit ihnen eng, insbesondere konzernmäßig verbundenen - erteilen, die aufgrund "gemeinwirtschaftlicher" Zielsetzung ihrer Tätigkeit in erheblichem Umfang aus staatlichen Mitteln gefördert oder steuerlich begünstigt werden und besonderen rechtlichen Bindungen unterliegen; dies gilt jedenfalls insoweit, als hieran ein öffentliches Untersuchungsinteresse von hinreichendem Gewicht besteht,m. Das BVerfG führt aus, daß der Strafrichter im Rahmen der Prüfung der rechtlichen Voraussetzungen eines vom Untersuchungsausschuß gestellten Beschlagnahmeantrags befugt ist, auch die Zulässigkeit des Untersuchungsauftrags zu überprüfen 74 • Aus dem Gesamtzusarnmenhang des Grundgesetzes ergibt sich, daß Untersuchungsausschüsse nur innerhalb des Aufgabenbereichs des Bundestages eingesetzt werden dürfen. Das BVerfG erwähnt die bundesstaatlichen und organschaftlichen Grenzen der Zuständigkeit des Bundesparlaments75 . Die Einsetzung einer parlamentarischen Enquete muß nicht der Vorbereitung rechtsverbindlicher Beschlüsse der Volksvertretung im Rahmen der Gesetzgebung, der Regierungskontrolle oder der Wahrung des Ansehens des Bundestages dienen. Geschehnisse im öffentlichen Leben und im gesellschaftlichen Bereich können grundsätzlich in eine Untersuchung einbezogen werden, sofern ein öffentliches Interesse an ihrer Beratung und gegebenenfalls an einer Beschlußfassung besteht. Es kann insofern ausreichen, daß lediglich Empfehlungen politischer Art beabsichtigt werden 76 • Mit diesen Ausführungen hat sich das BVerfG einer weiten Auslegung der Korollartheorie angeschlossen. Damit ist die Frage, wie diese Theorie grundsätzlich zu interpretieren ist, geklärt. Demgegenüber weist das Gericht ausdrück71 Beschlüsse des LG Frankfurt a.M. v. 22. 10. 1986, NJW 1987, S. 787 ff., vgl. oben IY.2.a) und v. 31. 10. 1986, NJW 1987, S. 790, sowie der Beschluß des AG Frankfurt a.M. v. 29.09.1986-931 Gs 3417/86. 72 Urteil v. 1. 10. 1987, BVerfGE 77, 1 ff. =NJW 1988, S. 890 ff. =EuGRZ 1987, S. 531 ff. 73 BVerfGE 77,39, vgl. auch S. 43 f., 45. 74 BVerfGE 77, 39. 75 BVerfGE 77, 44. 76 BVerfGE 77, 44 f.
152
IV. Privatgerichtete Untersuchungen in der Rechtsprechung
lieh darauf hin, daß es anläßlich des vorliegenden Rechtsstreits keiner Entscheidung darüber bedurfte, inwiefern die Privatwirtschaft und die Lebensverhältnisse von Privatpersonen zum Thema einer parlamentarischen Untersuchung gemacht werden dürfen. Das BVerfG verweist insofern auf die bereits erwähnten, sich aus der Gemeinnützigkeit des Wohnungsbauunternehmens Neue Heimat ergebenden Besonderheiten des Falles, die es zur Grundlage seiner Entscheidung über die verfassungsrechtliche Zulässigkeit des Untersuchungsauftrags macht77 . Hinsichtlich des zu entscheidenden Falles führt das BVerfG aus, daß es keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Zulässigkeit des Neue-Heimat-Untersuchungsausschusses hat. Ziel der Enquete war die Aufklärung eines Skandals in der privaten Wirtschaft7s . Das Gericht erwähnt die volkswirtschaftliche Relevanz des unternehmerischen Verhaltens der Neuen Heimat und ihrer Konzerngesellschaften als größtem Wohnungsbauträger der Bundesrepublik Deutschland. Das Unternehmen wurde in erheblichem Umfang durch öffentliche Mittel gefördert. Ein öffentliches Interesse an der Überprüfung der ordnungsgemäßen Mittelverwendung besteht unabhängig davon, ob die Neue Heimat zweckgebundene Kredite bereits ganz oder teilweise zurückgezahlt hat. Das BVerfG verweist in diesem Zusammenhang auf die Schwere des gegen die Unternehmensgruppe bestehenden Verdachts, der sich insbesondere auch aus dem Abschlußbericht des Neue-HeimatUntersuchungsausschusses der Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg ergibe 9 . Auch die Einbeziehung der nicht gemeinnützigen Beteiligungsgesellschaft für Gemeinwirtschaft AG in die parlamentarische Enquete war zulässig, obwohl diese nicht Subventionsempfänger war. Das BVerfG begründet dies damit, daß nach den Feststellungen des Landgerichts zumindest ein Anfangsverdacht für die Beteiligung der BGAG an den aufzuklärenden Mißständen vorlagSo. Die Zulässigkeit des Neue-Heimat-Untersuchungsausschusses unter bundesstaatlichen Gesichtspunkten leitet das BVerfG aus der "Gesamtheit mehrerer Anknüpfungspunkte" ab. Danach ergab sich die Zuständigkeit des Bundestages zur Durchführung einer solchen Enquete daraus, daß es um Verstöße gegen Bundesrecht ging und Haushaltsmittel des Bundes in erheblichem Umfang betroffen waren. Weiterhin berührte die Geschäftstätigkeit des Wohnungsbauunternehmens zahlreiche Mieter und Arbeitnehmer im gesamten BundesgebietS!. Wie bereits erwähntS2 , kommt das Amtsgericht Bonn in seinem Beschluß vom 23. 9. 1988 zu dem Ergebnis, daß ein Untersuchungsausschuß des Bundes nicht 77 78 79
80 81 82
BVerfGE 77, 45. BVerfGE 77, 57 f. BVerfGE 77,58. BVerfGE 77, 58 f. BVerfGE 77, 59. Siehe oben II.3.j).
2. Urteile und Beschlüsse von Gerichten
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unmittelbar das Verhalten von Ministerpräsidenten der Länder und von Länderbehörden überprüfen darf. Ein entsprechender Untersuchungsauftrag verstößt gegen das Bundesstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG und ist somit verfassungswidrig 83 . Das Verwaltungs gericht Köln billigt dem Parlament hinsichtlich der Frage, ob an einer vorgesehenen Untersuchung, insbesondere im privatwirtschaftlichen Bereich, ein öffentliches Interesse von hinreichendem Gewicht besteht, einen Beurteilungsspielraum zu, der gerichtlich nur auf Willkürfreiheit überprüfbar ist84 . Hinsichtlich des Untersuchungsausschusses Transnuklearl Atomskandal 85 verweist das Gericht auf die große wirtschaftliche Bedeutung der Kernenergie und die erheblichen potentiellen Gefahren, die mit ihr verbunden sind. Dieser Wirtschaftszweig unterliegt strengen Kontroll- und Aufsichtsbefugnissen staatlicher und internationaler Behörden, die Atomwirtschaft erhält aber auch in erheblichem Umfang öffentliche Zuwendungen. Aufgrund der genannten Aspekte steht dieser Bereich der privaten Wirtschaft "berechtigter Weise von vornherein im besonderen Blickpunkt des öffentlichen Interesses,,86. Hinzu kamen Presseberichte, die zumindest einen Anfangsverdacht für umfangreiche Gesetzesverstöße von Privaten begründeten. Ein hinreichend gewichtiges öffentliches Interesse an einer Aufklärung dieser Vorgänge konnte daher willkürfrei angenommen werden.
b) Gerichtliche Entscheidungen über Umfang und Grenzen der Rechte parlamentarischer Untersuchungsausschüsse gegenüber Privaten im Untersuchungsverfahren
aa) Urteile und Beschlüsse, die das Recht parlamentarischer Untersuchungsausschüsse auf Vorlage von Akten privaten Inhalts gegenüber Behörden betreffen Der Staatsgerichtshof des Landes Bremen folgert in seiner Entscheidung vom 13. 3. 1978 aus der in Art. 105 Abs. 6 BremLVenthaltenen eigenständigen Regelung des Rechts von Untersuchungsausschüssen, die Aktenvorlage von Behörden zu verlangen, daß Rechtsvorschriften wie § 96 StPO und § 99 VwGO, wonach Behörden berechtigt sind, die Aktenvorlage ganz oder teilweise zu verweigern, nicht gelten, wenn Untersuchungsausschüsse die Akten anfordern 87 . Es würde dem Sinn und Zweck des parlamentarischen Enqueterechts widersprechen, Behörden in Fällen, in denen vornehmlich oder auch ihr Verhalten zu überprüfen ist, das "Gegenrecht" (Anführungszeichen in der Entscheidung) der Verweigerung der Aktenher83
84 85 86 87
NJW 1989, S. llOI f. VG Köln, Beschluß v. 19.6. 1989, 16 L 1798/88, S. 10. V gl. oben II.3.k). VG Köln, Beschluß v. 19.6.1989,16 L 1798/88, S. 11. Bremer StGHE 1977-1979, S. 75 ff., S. 94.
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IV. Privatgerichtete Untersuchungen in der Rechtsprechung
ausgabe, z. B. aus den in § 96 StPO genannten Gründen, zuzubilligen. Die Verfassung selbst enthält die Grenzen dieser umfassenden Aktenvorlagepflicht. So ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bei der Anforderung von Akten zu berücksichtigen und zu beachten, daß die Vorlage von Personalakten zu Kollisionen mit Grundrechten führen kann. Grundsätzliche Aussagen zum Beweiserhebungsrecht parlamentarischer Enqueten trifft das BVerfG in seinem sog. "Flick-Urteil" vom 17.7. 198488 . Danach ist das Recht von Untersuchungsausschüssen des Bundestages auf Vorlage von Akten der dem Parlament verantwortlichen Bundesregierung Bestandteil des parlamentarischen Kontrollrechts aus Art. 44 Abs. 1 S. 1 GG und nicht lediglich ein Teil des Rechts auf Amtshilfe nach Art. 44 Abs. 3 GG. Das Beweiserhebungsrecht parlamentarischer Enqueten erstreckt sich jedenfalls, soweit durch den Untersuchungsauftrag die Kontrolle der Regierung bezweckt wird, auch auf das Aktenvorlagerecht gegenüber der Exekutive. Lediglich bei Behörden, die nicht vom Bundestag, sondern vom zuständigen Landesparlament kontrolliert werden, mag das Anfordern von Akten als Amtshilfsersuchen zu werten sein89 . Der im Rahmen der Beweiserhebung parlamentarischer Untersuchungsverfahren sinngemäß zur Anwendung kommende § 96 StPO schließt auch die Berücksichtigung von § 30 AO ein. Dabei ist die Bedeutung der parlamentarischen Kontrollkompetenz zu beachten 9o . Nach § 96 StPO kann die Vorlage von Akten verweigert werden, wenn das Bekanntwerden ihres Inhalts dem Wohl des Bundes oder eines deutschen Landes Nachteile bereiten würde. Diese durch § 96 StPO geschützten öffentlichen Interessen sind im parlamentarischen System der Bundesrepublik Deutschland nicht der Regierung allein, sondern gemeinsam mit dem Parlament anvertraut. Unter Berufung auf das Wohl des Bundes kommt daher eine Weigerung der Bundesregierung, Akten an den Bundestag herauszugeben, in aller Regel dann nicht in Betracht, wenn gegen das Bekanntwerden von Dienstgeheimnissen von beiden Seiten wirksame Maßnahmen getroffen wurden91 • Aus der ihr anvertrauten Regierungsgewalt hat die Bundesregierung eine eigene Verantwortung für die Wahrung von Dienstgeheimnissen. Sie ist nicht verpflichtet, einem Untersuchungs ausschuß Verschlußsachen vorzulegen, die derartige Geheimnisse enthalten, wenn der Ausschuß den von der Regierung für erforderlich erachteten Geheimschutz nicht gewährleistet92 . Hinsichtlich des Verfahrens bei der Entscheidung über ein Aktenherausgabeverlangen führt das BVerfG aus, daß die Geheimschutzordnung des Deutschen Bundestages der Bundesregierung die Möglichkeit eröffnet, nach der Prüfung, ob sich überhaupt geheimzuhaltende Tatsachen in den betreffenden Akten befinden, dem von ihr festzulegenden Geheimhaltungsgrad 88 89 90 91 92
BVerfGE 67, 100 ff. BVerfGE 67, 127 ff. BVerfGE 67,133. BVerfGE 67,136. BVerfGE 67,137.
2. Urteile und Beschlüsse von Gerichten
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Rechnung zu tragen. Sofern die Regierung für sich das Recht in Anspruch nimmt, dem Untersuchungsausschuß geheimzuhaltende Tatsachen vorzuenthalten, muß sie diesen über die Gründe dafür detailliert und umfassend unterrichten. Dies kann gegebenenfalls in einer vertraulichen Sitzung geschehen. Besteht der Untersuchungsausschuß auf der Herausgabe der Akten, weil er Grund zu der Annahme hat, daß zurückgehaltene Informationen mit dem ihm erteilten Kontrollauftrag zu tun haben, muß die Regierung die dazu vom Ausschuß vorgetragenen Gründe erwägen. Bleibt die Regierung bei ihrem Standpunkt, hat sie zu prüfen, auf welchem Wege sie den Untersuchungsausschuß davon überzeugen kann, daß seine Vermutung nicht zutrifft. Das BVerfG erwähnt in diesem Zusammenhang die in der Vergangenheit bereits praktizierte Möglichkeit, dem Ausschußvorsitzenden und dessen Stellvertreter Akteneinsicht zu gewähren 93 . In Anbetracht dieser Verfassungslage und der aufgezeigten Verfahrensmöglichkeiten dürften sich nach Auffassung des Gerichts nur unter ganz besonderen Umständen Gründe finden lassen, die es rechtfertigen, einem Untersuchungsausschuß die Herausgabe von Akten unter Berufung auf das Wohl des Bundes oder eines Landes zu verweigern. So sind parlamentarische Enqueten z. B. nicht befugt, in den Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung einzugreifen94 . Das Steuergeheimnis des § 30 AO kann auch zu den öffentlichen Belangen von § 96 StPO gehören95 . Die Regelung des § 30 AO schützt nicht nur das private Ge-
heimhaltungsinteresse der Steuerpflichtigen, sondern soll darüber hinaus deren Bereitschaft zur Offenlegung steuerlich relevanter Sachverhalte dadurch fördern, daß das Vertrauen in die Amtsverschwiegenheit der Finanzbehörden gefördert wird. Dahinter steht die Absicht, eine vollständige Erfassung der Steuerquellen sowie eine gesetzmäßige und damit insbesondere auch gleichmäßige Besteuerung sicherzustellen. Es handelt sich hierbei um öffentliche Interessen, die im Rechtsstaatsprinzip und im Gleichbehandlungsgebot verankert sind und daher einen so hohen Rang haben, daß es gerechtfertigt ist, die Vorschrift des § 30 AO bei der Auslegung der Staatswohlklausel des § 96 StPO zu berücksichtigen. Dadurch soll ein Wertungswiderspruch zwischen den beiden Geheimhaltungsvorschriften vermieden werden. Gerade im politisch sensiblen Bereich des Subventionsrechts, in dem der Exekutive oft weitreichende Entscheidungsbefugnisse eingeräumt sind, gilt das Steuergeheimnis jedoch auch gegenüber Untersuchungsausschüssen nicht uneingeschränkt96 . Anderenfalls wäre gerade ein Gebiet von der parlamentarischen Kontrolle ausgeschlossen, das für Angriffe auf die Lauterkeit und Unbestechlichkeit von Regierung und Verwaltung besonders empfindlich ist. Dies wäre unvereinbar sowohl mit den Rechten des Parlaments gegenüber der Regierung als auch mit der 93 94 95 96
BVerfGE 67, 138 f. BVerfGE 67,139. BVerfGE 67, 139 f. BVerfGE 67, 141.
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IV. Privatgerichtete Untersuchungen in der Rechtsprechung
Verantwortung, die dem Bundestag als dem Organ, das das Volk unmittelbar repräsentiert, zukommt. Die Regelung des § 30 AO beinhaltet selbst Ausnahmetatbestände, die eine Weitergabe von Daten rechtfertigen, die grundsätzlich dem Steuergeheimnis unterliegen. Nach § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO ist eine Offenbarung derartiger Angaben zulässig, soweit dafür ein zwingendes öffentliches Interesse besteht. Dies ist nach § 30 Abs. 4 Nr. 5c AO namentlich dann der Fall, wenn zur Richtigstellung in der Öffentlichkeit verbreiteter unwahrer Tatsachen, die geeignet sind, das Vertrauen in die Verwaltung erheblich zu erschüttern, die Offenbarung von Steuergeheimnissen erforderlich ist. Nach Auffassung des BVerfG ist dieser Ausnahmetatbestand verfassungskonform so auszulegen, daß darunter auch das Aktenvorlageverlangen von Untersuchungsausschüssen fallt, mit dessen Hilfe der Bundestag Zweifeln an der Vertrauenswürdigkeit der Exekutive nachgeht, die in der Öffentlichkeit verbreitet sind und auch die Steuermoral der Bürger nachhaltig erschüttern könnten 97 . Parlamentarische Untersuchungsausschüsse üben öffentliche Gewalt aus und haben gemäß Art. lAbs. 3 GG die Grundrechte zu beachten. Dadurch können auch das Beweiserhebungsrecht und das Recht auf Aktenvorlage eingeschränkt werden. Das in § 30 AO normierte Steuergeheimnis ist "als solches" kein Grundrecht. Die Weitergabe von bestimmten steuerlichen Angaben und Verhältnissen in nicht anonymisierter Form kann jedoch gegen andere grundrechtliche Regelungen verstoßen. In diesem Zusammenhang verweist das BVerfG ausdrücklich auf Art. 2 Abs. 1 GG i.Y.m. Art. I Abs. I und Art. 14 GG, gegebenenfalls i.Y.m. Art. 19 Abs. 3 GG98 . Entsprechend dem Prinzip praktischer Konkordanz stehen sich das Beweiserhebungsrecht parlamentarischer Untersuchungsausschüsse und grundrechtlicher Datenschutz auf der Ebene des Verfassungsrechts gegenüber und müssen einander daher im konkreten Fall so zugeordnet werden, daß beide soweit wie möglich ihre Wirkungen entfalten 99 . Mit folgender Aussage ermöglicht das BVerfG jedoch weitgehend die Herausgabe von Akten an Ausschüsse nach Art. 44 GG, sofern ausreichende Maßnahmen für den Geheimnisschutz getroffen sind: "Die Bedeutung, die das Kontrollrecht des Parlaments sowohl für die parlamentarische Demokratie als auch für das Ansehen des Staates hat, gestattet in aller Regel dann keine Verkürzung des Aktenherausgabeanspruchs zugunsten des Schutzes des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und des Eigentumsschutzes, wenn Parlament und Regierung Vorkehrungen für den Geheimschutz getroffen haben, die das ungestörte Zusammenwirken bei der Verfassungsorgane auf diesem Gebiete gewährleisten, und wenn der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt ist"!oo.
BVerfGE 67, 140. BVerfGE 67, 142. 99 BVerfGE 67,143 f. !OO BVerfGE 67, 144. 97 98
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Dies gilt allerdings nicht für Informationen mit streng persönlichem Charakter, deren Weitergabe für den Betroffenen unzumutbar ist. In seinem Urteil vom 1l. 7. 1985 wandte das Finanzgericht Hamburg die vom BVerfG in seinem "Flick-Urteil" entwickelten Grundsätze an. Es ging dabei um die Klage ehemaliger Geschäftsführer einer gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaft gegen die Freie und Hansestadt Hamburg mit dem Ziel, dieser zu untersagen, die Kläger betreffende Steuerakten an einen parlamentarischen Untersuchungsausschuß herauszugeben. Nach Ansicht des Gerichts fehlte es in diesem Fall an einem wirksamen Geheimnisschutz lO1 . Im Anschluß an das "Flick-Urteil" des BVerfG kommt das Verwaltungsgericht Mainz in seinem Beschluß vom 19. 9. 1985 102 zu dem Ergebnis, daß einem parlamentarischen Untersuchungsausschuß die Akten eines Steuerstrafverfahrens nur vorzulegen sind, wenn der Ausschuß dafür ein zwingendes öffentliches Interesse im Sinne vom § 30 Abs. 4 Nr. 5c AO dargetan hat. Das Recht parlamentarischer Enqueten auf Aktenvorlage ist Bestandteil der Kontrollfunktion des Parlaments. Ein Anspruch auf Herausgabe von Unterlagen bestehe daher nur zu dem Zweck der Ausübung politischer Parlamentskontrolle gegenüber der verantwortlichen Regierung 103 . In seinem Beschluß vom 7. l. 1986 führt das OVG Koblenz aus, daß inländische juristische Personen U.U. einen Anspruch gegenüber dem Minister der Justiz auf Unterlassung der Herausgabe strafrechtlicher Ermittlungsakten wegen Steuerhinterziehung an einen parlamentarischen Untersuchungsausschuß haben. Dieser kann sich aus dem aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG folgendem Recht auf "informationelle Selbstbestimmung" (Anführungszeichen im Beschluß) oder aus dem durch Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG geschützten Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb ergeben. Beide Grundrechte sind gemäß Art. 19 Abs. 3 GG auf inländische juristische Personen anwendbar lO4 • Das Hamburger Verfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 26. 4. 1988 entschieden, daß der Untersuchungsausschuß Hafenstraße keinen Anspruch auf Herausgabe von Akten hat, die von der Staatsanwaltschaft erstellte Aufzeichnungen überwachter Telefongespräche enthalten lO5 • Es handelte sich dabei um Unterlagen aus Maßnahmen der Telefonüberwachung im Rahmen eines bereits eingestellten staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens wegen Verstoßes gegen § 129 StGB. Rechtsgrundlage für die Überwachung der Telefongegespräche war § 100 a StPO. Das Aktenherausgaberecht und das Beweiserhebungsrecht eines parlamentaFG Hamburg, NVwZ 1986, S. 598 ff., 599. NVwZ 1986, S. 589 ff., durch Beschluß des OVG Koblenz v. 7. 1. 1986, NVwZ 1986, S. 575 f. = DVBI. 1986, S. 480 f., aufgehoben. 103 NVwZ 1986, S. 590. 104 OVG Koblenz, NVwZ 1986, S. 575 = DVBI. 1986, S. 480. 105 NJW 1989, S. 1081 ff. 101
102
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rischen Untersuchungsausschusses wird durch die Regelung des Art. 25 Abs. 2 S. 2 Hamburger Verfassung begrenzt, wonach das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis unberührt bleiben. Ein Anspruch des Ausschusses auf Herausgabe der Akten ist auch nicht deshalb gegeben, weil der Eingriff in die Grundrechte der Teilnehmer der überwachten Telefongespräche bereits erfolgt ist. In das Grundrecht des Fernmeldegeheirnnisses wird nicht nur durch den Vorgang des Abhörens und Aufzeichnens von Telefongesprächen, sondern auch durch die Auswertung von Aufzeichnungen eingegriffen, denn von der grundrechtlichen Gewährleistung wird insbesondere der Inhalt der geführten Telefongespräche urnfaßt. In der Vorlage der Aufzeichnungen an den Untersuchungsausschuß sowie in der Verwertung dieser Unterlagen im Rahmen einer parlamentarischen Enquete wären deshalb neue Eingriffe in das grundrechtlich garantierte Fernmeldegeheirnnis zu sehen 106 •
bb) Die Rechtsprechung zur Anwendung von Zwangsmitteln im Rahmen einer parlamentarischen Enquete Nach der Entscheidung des Bremer Staatsgerichtshofs vom 17. 4. 1970 ergibt eine am Zweck der parlamentarischen Enquete orientierte Auslegung von Art. 105 Abs. 6 Brem. Verf., daß die Zwangsmittel der Beschlagnahme nach den §§ 94 bis 97 StPO und der Durchsuchung nach § 103 StPO im Untersuchungsverfahren zugelassen sind 107 . Dies gilt nicht für die Durchsuchung nach § 102 StPO, da diese Bestimmung ganz auf das Vorhandensein einer der Beteiligung an einer strafbaren Handlung verdächtigen Person abstellt. Die Vorschrift kann auf den Betroffenen einer parlamentarischen Untersuchung keine Anwendung finden. Untersuchungsausschüsse sind nicht befugt, Beschlagnahmen und Durchsuchungen nach § 103 StPO selbst anzuordnen. Sie können diese nur beim zuständigen Richter beantragen. Die Intensität ihrer Eingriffe in die Freiheitssphäre der Bürger macht es erforderlich, daß diese Zwangsmittel nur durch den unabhängigen und sachkundigen Richter angeordnet werden können. Dies bietet die beste Gewähr für die strikte Wahrung der Grenzen ihrer rechtlichen Zulässigkeit. Der Vorprüfungsausschuß des B VerfG führt in seinem Beschluß vom 22. 11. 1983 aus, daß jedenfalls für den zu entscheidenden Fall die Auslegung der Hamburger Verfassung durch die Instanzgerichte, wonach Art. 25 Hamb. Verf. eine Beschlagnahme von Akten zugunsten parlamentarischer Untersuchungsausschüsse ermöglicht, nicht gegen Bundesverfassungsrecht verstößt und insbesondere nicht willkürlich ist lO8 • Die allgemeine Frage, ob das Recht von Untersuchungsausschüssen, Beweise zu erheben, auch die Möglichkeit der Beschlagnahme urnfaßt, bedurfte \06 \07
108
NJW 1989, S. 1082. NJW 1970, S. 1309 ff., 1310 =DÖV 1970, S. 386 f., 387. NJW 1984, S. 1345.
2. Urteile und Beschlüsse von Gerichten
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nach Auffassung des Gerichts keiner abschließenden Entscheidung. Die Besonderheit des Falles lag darin, daß Unterlagen zu dem Zweck beschlagnahmt werden sollten, Unregelmäßigkeiten in einem gemeinnützigen Unternehmen und bei staatlichen Stellen aufzuzeigen. Es ging dabei um die Beschlagnahme von Akten eines Prüfungsverbandes, dem diese Unternehmen kraft Gesetzes angehören müssen. Das BVerfG trifft hier also hinsichtlich der Zulässigkeit von Beschlagnahmen bei Privaten auf Antrag parlamentarischer Untersuchungsausschüsse genau wie im "Neue-Heimat-Beschluß" für die Frage ob parlamentarische Untersuchungen im Privatbereich grundsätzlich zulässig sind 109, nur eine Entscheidung für den gemeinnützigen Wirtschaftsbereich. In seinem Beschluß vom 5. 6. 1984 kommt der Vorprüfungsausschuß des BVerfG zu dem Ergebnis, daß der Gesetzgeber durch das Grundgesetz nicht gehindert ist, Untersuchungsausschüssen das Recht auf Zwangsmittel bei der Beweiserhebung zuzugestehen 11 0. Wo eine solche ausdrückliche Regelung nicht vorhanden ist, können derartige Errnittlungsbefugnisse auch im Wege der Auslegung durch die Fachgerichte hergeleitet werden, "sofern nur eine tragfähige Rechtsgrundlage vorhanden iSt',lll. Die Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg enthält in Art. 25 Abs. 2 eine Regelung, nach der für Beweiserhebungen von Untersuchungsausschüssen die Vorschriften der StPO sinngemäß gelten. Die Gerichte des Ausgangsverfahrens sind im Wege der Interpretation dieser Regelung zu der Entscheidung gelangt, daß auf Antrag eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses richterliche Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüsse ergehen können. Sie haben dies mit einer entsprechenden Anwendung der §§ 94, 103 StPO begründet. Diese Auslegung, deren Richtigkeit im übrigen nicht der Überprüfung durch das BVerfG unterliegt, beinhaltet keine Verletzung von spezifischem Bundesverfassungsrecht. Sie ist nach Auffassung des BVerfG "offensichtlich vertretbar und frei von sachfremden oder gar willkürlichen Erwägungen"l12. Der für die Anordnung der Durchsuchung und Beschlagnahme zuständige Richter hat sicherzustellen, daß der Eingriff die Rechtsstellung des Betroffenen, insbesondere die Wirkkraft seiner Grundrechte, in ausreichendem Maße berücksichtigt. Den Geboten der Rechtsstaatlichkeit muß hinreichend Rechnung getragen werden. Es besteht eine richterliche Prüfungspflicht hinsichtlich der Frage, ob der Gegenstand der Untersuchung genau genug bestimmt ist. Weiterhin hat der Richter nachzuprüfen, ob die beantragten Zwangsmaßnahmen geeignet und erforderlich sind, zu der angestrebten Aufklärung beizutragen 113. 109 Vgl. die Ausführungen des BVerfG zur Frage der Zulässigkeit parlamentarischer Untersuchungen zur Aufdeckung von Mißständen im Bereich privater Unternehmen mit gemeinwirtschaftlicher Zielsetzung, siehe oben IY.2.a). 110 DÖV 1984, S. 759 f. 111 DÖV 1984, S. 760. ll2 DÖV 1984, S. 760. 113 DÖV 1984, S. 760.
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IV. Privatgerichtete Untersuchungen in der Rechtsprechung
Der Niedersächsische Staatsgerichtshof geht in seinem Urteil vom 16. 1. 1986 114 davon aus, daß das Beweiserhebungsrecht parlamentarischer Untersuchungsausschüsse erforderlichenfalls auch Maßnahmen des Zeugniszwanges einschließt. Die Verweisung auf die Vorschriften über den Strafprozeß in Art. 11 Abs. 4 S. 1 VorI. Nds. Verf. gesteht den Ausschüssen das Recht zu derartigen Zwangsmaßnahmen sowie zur Zeugenvereidigung zu. Sie haben allerdings bei der Wahrnehmung von Zwangsbefugnissen auch die dazugehörigen strafprozessualen Schutzbestimmungen anzuwenden 115 • Das Landgericht Bonn führt in seinem Beschluß vom 21. 10. 1986 aus, daß parlamentarischen Untersuchungsausschüssen aufgrund der sinngemäßen Anwendbarkeit der Vorschriften über den Strafprozeß das Recht des Zeugniszwangs zusteht. Dazu gehört die Befugnis zur Festsetzung von Ordnungsgeld sowie zur Beantragung von Beugehaft beim zuständigen Gericht. Anderenfalls wäre das Recht des Ausschusses zur Zeugeneinvernahme nicht durchsetzbar l16 . Das Beweiserzwingungsrecht hat Verfassungsrang und ist entsprechend dem Prinzip praktischer Konkordanz mit den Grundrechten Betroffener dergestalt in Abwägung zu bringen, daß beide so weit wie möglich ihre Wirkung entfalten können. In dem zu entscheidenden Fall kommt das Landgericht zu dem Ergebnis, daß der Schutz des allgemeinen Persönlichkeits- und Freiheitsrechts sowie der Eigentumsschutz gegenüber dem Beweiserhebungsrecht des Ausschusses zurücktreten müssen. Es verweist in diesem Zusammenhang nicht nur auf die Bedeutung des Untersuchungsthemas, sondern auch auf die Möglichkeit geeigneter Vorkehrungen für einen eventuell notwendigen Geheimschutz 117. In seinem Beschluß vom 22. 10. 1986 kommt das Landgericht Frankfurt zu dem Ergebnis, daß Untersuchungsausschüssen des Deutschen Bundestages grundsätzlich das Recht zusteht, die Beschlagnahme von Sachen über den zuständigen Richter (§ 98 Abs. 1 StPO) zu bewirken l18 . Das Gericht sieht darin ein unerläßliches Mittel der Sachverhaltserforschung. Der Entscheidung liegt die Auffassung zugrunde, daß bei der Bestimmung von Umfang und Grenzen des parlamentarischen Enqueterechts diejenige Auslegung zu wählen ist, die das Kontrollrecht der Volksvertretung "wirksam" (Anführungszeichen im Beschluß) werden läßt 1l9 . Aus diesem Grunde ist es erforderlich, die Beschlagnahme als zulässiges Zwangsmittel des Untersuchungsrechts innerhalb der durch das Prinzip der "Einheit der Verfassung" (Anführungszeichen im Beschluß) gezogenen Grenzen anzuerkennen. Eine
114 115 116
NVwZ 1986, S. 827 f. NVwZ 1986, S. 828. NJW 1987, S. 790 ff., 791.
117 NJW 1987, S. 792; vgl. die Ausführungen zum "Flick-Urteil" des BVerfG, siehe oben IV.2.b)aa). 118 NJW 1987, S. 787 ff., 788 f. 119 NJW 1987, S. 789 unter Bezugnahme auf BVerfG, NJW 1984, S. 2273 (Flick-Urteil).
2. Urteile und Beschlüsse von Gerichten
gesetzliche Regelung ist nicht erforderlich, da sich die maßnahme unmittelbar aus Art. 44 Abs. 2 GG ergibt. •
Zulässigk~it
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dieser Zwangs-
Durch die Untersuchung zu klärende Fragen hinsichtlich einer möglichen Haftung des von der Enquete betroffenen Unternehmens gegenüber dem Fiskus oder privaten Dritten rechtfertigen keine Anwendung des Beschlagnahmerechts. Es ist nicht Aufgabe von Ausschüssen nach Art. 44 GG, Beweismittel für zivilrechtliche Schadensersatzansprüche zwangsweise zu beschaffen 120. In seinem Beschluß vom 1. 10. 1987 (Neue-Heimat-Entscheidung) befaßt sich das BVerfG im Rahmen einer verfassungsrechtlichen Überprüfung von Entscheidungen der Instanzgerichte l2l mit der Problematik, ob die Beschlagnahme von Unterlagen zugunsten parlamentarischer Untersuchungsausschüsse zulässig ist. Es kommt dabei zu dem Ergebnis, daß das Recht zur Beweiserhebung nach Art. 44 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 GG die strafprozessualen Befugnisse zur zwangsweisen Beschaffung von Beweismitteln mit umfaßt. Dazu gehört auch das Beschlagnahmerecht l22 • Art. 44 GG ist so auszulegen, daß durch diese Vorschrift die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für eine wirksame parlamentarische Kontrolle geschaffen werden sollten. Dies entspricht dem Sinn und Zweck des Untersuchungsverfahrens. Die Wirksamkeit einer lediglich auf die freiwillige Mitwirkung aller Verfahrensbeteiligten angewiesenen parlamentarischen Enquete wäre demgegenüber nicht gewährleistet 123 • Eine solche Auslegung, wonach Beschlagnahmen im Rahmen einer parlamentarischen Enquete grundsätzlich zulässig sind, ist mit dem Wortlaut von Art. 44 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 GG vereinbar. Diese Regelung bezieht sich ohne Einschränkung auf die Beweiserhebung im Strafprozeß. Daraus ergibt sich, daß alle die strafprozessuale Sachverhaltsaufklärung regelnden Bestimmungen im Untersuchungsverfahren Berücksichtigung finden sollen. Dazu gehören auch die Vorschriften über die Beschaffung und Sicherung von BeweismitteIn 124. Die Verweisung auf die Vorschriften über den Strafprozeß setzt der Beweiserhebung durch parlamentarische Untersuchungsausschüsse jedoch auch Grenzen. So können Ausschüsse nach Art. 44 GG Beschlagnahmeanordnungen grundsätzlich nicht selbst treffen, sondern lediglich beim zuständigen Gericht beantragen. Insofern findet § 98 Abs. 1 StPO als Zuständigkeitsregelung für das Strafverfahren auch im Rahmen parlamentarischer Enqueten Anwendung 125 . NJW 1987, S. 789. Überprüft wird der Beschluß des LG Frankfurt a.M. v. 22. 10. 1986, vgl. oben IV.2.a), ein weiterer Beschluß des LG Frankfurt a.M. v. 31. 10. 1986, NJW 1987, S. 790 sowie der Beschluß des AG Frankfurt a.M. v. 29. 09. 1986-931 Gs 3417/86. 122 BVerfGE 77, 1 ff., 48. 123 BVerfGE 77, 48. 124 BVerfGE 77, 49. 125 BVerfGE 77,51 f. 120
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IV. Privatgerichtete Untersuchungen in der Rechtsprechung
Eingriffe in Grundrechte Privater durch·Beschlagnahmen zugunsten parlamentarischer Untersuchungsausschüsse sind entsprechend dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nur insoweit zulässig als sie durch die Bedeutung von Untersuchungszweck und Beweisthema gerechtfertigt sind l26 • Entscheidend für den zwangsweisen Zugriff auf Gegenstände im Strafverfahren nach § 94 Abs. 1 und Abs. 2 StPO ist ihre potentielle Bedeutung für das Verfahren. Es ist weder ausgeschlossen noch vermeidbar, daß im Rahmen von Ermittlungsverfahren, die auf einem Tatverdacht beruhen, auch Dinge beschlagnahmt werden, die im Strafverfahren letztlich keine Verwendung finden l27 • Als Ausgleich dafür bestehen weitgehende Vorkehrungen dafür, daß der Inhalt der Beschlagnahme unterliegender Unterlagen erst dann öffentlich bekannt wird, wenn er nach Einschätzung des zuständigen Richters für die Ermittlung des Sachverhalts von Bedeutung ist und Grundrechte der betroffenen Person einer Verwertung nicht entgegenstehen. Hier soll nur beispielsweise darauf hingeweisen werden, daß das staatsanwaltschaftliehe Ermittlungsverfahren nicht öffentlich ist, die daran beteiligten Personen einer straf- und disziplinarrechtlieh bewehrten Schweigepflicht unterliegen und öffentliche Anklage nach § 170 Abs. 1 StPO nur bei Vorliegen eines hinreichenden Tatverdachts erhoben wird. Die unmittelbare Aushändigung nach §§ 94 ff. StPO beschlagnahmter Gegenstände an die Strafverfolgungsbehörden ohne weitere richterliche Prüfung ist im Hinblick auf diese Schutzvorkehrungen verfassungsrechtlich unbedenklich 128 . Vergleichbare Sicherungen zum Schutz Betroffener gibt es im Verfahren der parlamentarischen Enquete, das sich im politischen Raum und den damit vorgegebenen Spannungsfeldem vollzieht, nicht. Die in Betracht kommenden Beweismittel werden in der Regel nach kurzer Zeit in öffentlicher Verhandlung erörtert. Dabei erfolgt regelmäßig keine förmliche Entscheidung über die Beweiserheblichkeit im einzelnen. Dasselbe gilt für die Frage der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Beweiserhebung im Hinblick auf die Rechtsstellung des Betroffenen. Rechtzeitiger und effektiver gerichtlicher Rechtsschutz im Sinne von Art. 19 Abs. 4 GG wird damit nicht ermöglicht. Der Ausschuß k a n n (im Urteil kursiv geschrieben) lediglich verschiedene Maßnahmen zu Zwecken des Geheimnisschutzes treffen l29 • Die aufgezeigten Unterschiede zwischen dem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren und dem Verfahren der parlamentarischen Enquete machen deutlich, daß letzteres Besonderheiten aufweist, die bezüglich der Grundrechte Betroffener von Gewicht sind. Zum Schutz dieses Personenkreises hält das BVerfG bereits im Stadium der Beschlagnahme von Unterlagen bestimmte Vorkehrungen für erforderlich: "Insoweit ist sicherzustellen, daß beschlagnahmte Unterlagen, die ersichtlich grundrechtlich bedeutsame Daten enthalten, erst dann im Ausschuß erörtert werden, wenn ihre 126 127 128
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BVerfGE 77,53. BVerfGE 77,53. BVerfGE 77, 54. BVerfGE 77, 54.
2. Urteile und Beschlüsse von Gerichten
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Beweiserheblichkeit im ein z ein e n (im Urteil kursiv geschrieben) und die Frage der Zulässigkeit der Beweiserhebung im Blick auf ausreichende Geheimschutzmaßnahmen geprüft wurden,,130.
Nur wenn aus grundrechtlicher Sicht' dagegen keine Bedenken bestehen, darf angeordnet werden, daß beschlagnahmte Gegenstände unmittelbar an den Untersuchungsausschuß herauszugeben sind. Dies ist regelmäßig der Fall, wenn die potentielle Beweiserheblichkeit der gesamten beschlagnahmten Unterlagen von vornherein feststeht und nach dem mutmaßlichen Inhalt der sichergestellten Akten Geheimschutzmaßnahmen entweder bereits in hinreichendem Umfang getroffen wurden oder nicht erforderlich sind 131. Die Beschlagnahme ist zunächst als vorläufige Maßnahme anzuordnen, wenn auf Unterlagen zurückgegriffen werden soll, die grundnichtlieh geschützte Daten enthalten, aber ersichtlich nur teilweise potentiell beweiserheblich sind, und dieser Umstand zunächst eine Sichtung des Materials erforderlich macht. In diesem Fall kann eine endgültige Entscheidung über den Umfang der Beschlagnahme erst nach einer Aktendurchsicht getroffen werden. Die Einzelprüfung der in Betracht kommenden Papiere auf ihre potentielle Beweiserheblichkeit hat am Maßstab des § 94 Abs. 1 StPO zu erfolgen. Zuständig für die Durchführung dieser Maßnahme ist in sinngemäßer Anwendung von § 98 Abs. 1 StPO das Gericht l32 . In Zweifelsfällen obliegt es dem Richter, den Ausschuß zur Ergänzung der Begründung des Beschlagnahmeantrags zu veranlassen, um auf diesem Wege erläuternde Stellungnahmen zu Punkten zu erhalten, die er für wesentlich erachtet. Unter Beachtung der Grundrechtspositionen Betroffener kann das Gericht zu diesem Zweck dem Untersuchungsausschuß "in dem nach Sachlage gebotenen Umfang auch Aufschluß über den Inhalt der beschlagnahmten Unterlagen geben,,133. Die Offenlegung muß auf eine kleine Anzahl von Ausschußmitgliedern, erforderlichenfalls auf den Vorsitzenden und dessen Stellvertreter, beschränkt werden, wenn der Schutz von Grundrechten dies gebietet. Über die im gerichtlichen Verfahren erlangten Kenntnisse sind diese Mitglieder des Untersuchungsausschusses auch gegenüber anderen Ausschußmitgliedern nach Maßgabe der Geheimschutzordnung des Deutschen Bundestages zur Geheimhaltung zu verpflichten. Der Einblick in die Unterlagen ist zu versagen, wenn der Ausschuß den Geheimschutz ablehnt 134 . Auch sofern beschlagnahmte Unterlagen, an deren Beweiserheblichkeit keine Bedenken bestehen, grundrechtlieh geschützte Daten enthalten, die bisher noch nicht getroffene Geheimschutzmaßnahmen erforderlich machen, ist zunächst deren Vorlage an das Gericht anzuordnen. Dieses hat die Herausgabe der beschlagnahm130 BVerfGE 77,55. 131 BVerfGE 77, 55. 132 BVerfGE 77,55. \33 BVerfGE 77,56. 134 BVerfGE 77, 56
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IV. Privatgerichtete Untersuchungen in der Rechtsprechung
ten Gegenstände davon abhängig zu machen, daß der Untersuchungsausschuß durch entsprechende Beschlüsse die vom Gericht im einzelnen für notwendig erachteten Maßnahmen zur Geheimhaltung trifft 135 • In einer weiteren Entscheidung vom 1. 10. 1987 kommt das BVerfG zu dem Ergebnis, daß parlamentarische Untersuchungsausschüsse berechtigt sind, gegen Zeugen, die grundlos das Zeugnis verweigern, Ordnungsgeld festzusetzen (§ 70 Abs. 1 StPO) und zur Erzwingung des Zeugnisses die Anordnung der Haft beim zuständigen Gericht zu beantragen (§ 70 Abs. 2 StPO). Diese Rechte werden durch die Befugnis zur Beweiserhebung in sinngemäßer Anwendung der Vorschriften über den Strafprozeß mit umfaßt. Die Grundrechte Betroffener, und insbesondere der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, sind dabei zu beachten 136 . Nach der bereits angeführten Entscheidung des Amtsgerichts Bonn vom 23. 9. 1988 137 darf ein Untersuchungsausschuß des Bundes nicht unmittelbar das Verhalten von Ministerpräsidenten der Länder und von Länderbehörden überprüfen. Ein entsprechender Untersuchungsauftrag kann daher nicht Grundlage einer vom Ausschuß beantragten Aktenbeschlagnahme sein 138 .
cc) Entscheidungen, die sich auf die Beweisaufnahme durch Zeugen bzw. Betroffene beziehen Der BGH führt in seiner Entscheidung vom 19.2. 1960 aus, daß es der Zeugeneigenschaft von Auskunftspersonen bayerischer Untersuchungsausschüsse nicht entgegensteht, wenn sie in Vorgänge, die der Untersuchungsausschuß überprüfen soll, verwickelt sind und ihnen möglicherweise eine Abgeordneten- oder Ministeranklage droht. Diese Personen stehen nicht als Beschuldigte vor dem Ausschuß 139 . Im Strafverfahren kommt es für die Entscheidung der Frage, ob jemand Zeuge oder Beschuldigter ist, nicht auf seine Beziehung zu einer bestimmten Tat an, sondern auf die Rolle, die ihm in dem Verfahren, in dem er vernommen wird, zugewiesen ist. In einem Untersuchungsverfahren, dessen Ziel die Klärung sachlicher Vorgänge und nicht die Prüfung der Frage ist, ob bestimmte Personen strafbare Handlungen begangen haben, können Auskunftspersonen nur als Zeugen vernommen werden l40 . Das OVG Berlin lehnt in seiner Entscheidung vom 30. 10. 1969 mit ähnlichen Argumenten den Anspruch einer Auskunftsperson auf Zuerkennung des allgemeinen Aussageverweigerungsrechts nach § 136 StPO ab 141 . Das Gericht führt zu135 136
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BVerfGE 77, 56 f. BVerfGE 76, 363 ff., 383. Siehe oben II.3.j), IV.2.a). NJW 1989, S. 1101 f. BGHSt 17,128 ff., 129. BGHSt 17, 130.
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nächst aus, daß es Ziel der betreffenden Untersuchung war, Sachverhalte festzustellen. Demgegenüber handelte es sich nicht um eine Enquete zur Ermittlung gegen bestimmte Personen. Das Untersuchungsverfahren hat die Auskunftsperson zwar in ihren politischen Ansichten berührt, sie aber nicht ,,konkret und subjektiv belastet oder rechtlich angegriffen". Dies wäre aber Voraussetzung für die Zuerkennung des allgemeinen Aussageverweigerungsrechts. In seinem Urteil vom 3. 10. 1978 hat sich der BGH grundsätzlich zum Umfang der Aussagepflicht von Zeugen vor parlamentarischen Untersuchungsausschüssen geäußert. Danach wird der Vernehmungsgegenstand, der die Reichweite der Verpflichtung zur Aussage bestimmt, nicht allein durch den jeweiligen Beweisbeschluß festgelegt, sondern umfaßt darüber hinaus Fragen und Vorhalte einzelner Ausschußmitglieder, die diese im Rahmen der sachlichen Zuständigkeit des Ausschusses und mit dessen Billigung stellen 142. Der Zeuge muß in diesem Zusammenhang alles vollständig angeben, was bei "vernunftgemäßer Auslegung im Sachzusammenhang" mit den erfragten Tatsachen steht und für den Ausschußbericht von Bedeutung sein kann l43 • Nach Auffassung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs ist die Entscheidung des Untersuchungsausschusses, bestimmte Auskunftspersonen als Zeugen und nicht als Verfahrensbeteiligte zu behandeln, kein Hoheitsakt, der gegenwärtig und unmittelbar in den Rechtskreis dieser Personen eingreift l44 • Es handelt sich dabei um einen noch kein Klagerecht auslösenden, allgemeinen verfahrensleitenden Beschluß des Ausschusses. In seiner Entscheidung vom 2.9. 1986 145 führt das OVG Münster aus, daß durch die Bezugnahme auf die sog. IPA-Regeln im Beschluß des Bundestages zur Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses keine subjektiv-öffentlichen Rechte Dritter auf Zuerkennung der in § 18 der IPA-Regelungen enthaltenen Betroffenenrechte begründet werden l46 • Die darin genannten Rechte auf Anwesenheit, Abgabe einer zusammenhängenden Sachdarstellung vor der Zeugenvernehmung, Befragung von Zeugen und zur Stellung von Beweisanträgen ergeben sich für den Betroffenen auch nicht unmittelbar aus dem Grundgesetz l47 . Das Gericht bezeichnet den Anspruch auf rechtliches Gehör als einen elementaren Grundsatz des Rechtsstaatsprinzips, der weiterer Konkretisierung durch den Gesetzgeber bedarf. Sofern derartige ausgestaltende gesetzliche Regelungen nicht vorhanden sind, verbürgt die Verfassung unmittelbar dem Betroffenen lediglich ein Minimum an rechtsstaatlichen Verfahrens garantien. Danach ist es ausreichend, wenn die betrof141 142 143 144 145 146 147
OVGE 10, 163 ff., 168; siehe auch oben IY.2.a). NJW 1979, S. 266 ff., 267. NJW 1979, S. 268. BayVerfGHE 1983,211 ff., 213 f. NVwZ 1987, S. 606 ff., 607. V gl. oben 1.1. NVwZ 1987, S. 607 f.
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IV. Privatgerichtete Untersuchungen in der Rechtsprechung
fene Auskunftsperson zur Äußerung über den entscheidungserheblichen Sachverhalt "insgesamt" hinreichend Gelegenheit hat und dadurch auf Gang und Ergebnis des Verfahrens Einfluß nehmen kann. Insofern genügt es, daß Betroffene parlamentarischer Enqueten vom Ergebnis der nicht öffentlichen Beweisaufnahme durch den Ausschußvorsitzenden unterrichtet werden. Aus dem verfassungsrechtlichen Anspruch auf rechtliches Gehör kann kein Zeitpunkt abgeleitet werden, zu dem der betroffenen Auskunftsperson Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben werden muß. Sie hat daher keinen Anspruch darauf, zeitlich vor den Zeugen gehört zu werden, sondern es reicht aus, wenn sie überhaupt in angemessenem Umfang die Möglichkeit erhält, sich zu äußern. Auch ein Fragerecht steht dem Betroffenen nicht zu. Er kann den Gang des Verfahrens durch Anregungen an den Ausschußvorsitzenden, seinerseits bestimmte Fragen an den jeweiligen Zeugen zu richten, in hinreichendem Maße beeinflussen. Aus vergleichbaren Gründen steht betroffenen Auskunftspersonen auch kein Beweisantragsrecht zu. Den Anforderungen einer rechtsstaatlichen Untersuchung wird bereits dadurch entsprochen, daß der Ausschuß Anregungen des Betroffenen zur Erhebung weiterer Beweise entgegennimmt, sie prüft und ihnen folgt, sofern er sie für berechtigt hält l48 • Das Verwaltungsgericht Hamburg sah in seinem Urteil vom 11. 11. 1987 149 das rechtsstaatliche Gebot eines fairen Verfahrens gegenüber dem Zeugen eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses dadurch verletzt, daß es ihm aufgrund der Kurzfristigkeit der Ladung zur Vernehmung nicht möglich war, sich durch einen Rechtsanwalt seines Vertrauens begleiten zu lassen. Dieses rechts staatliche Fairneßgebot steht nicht nur einem Beschuldigten, sondern auch einem Zeugen zu. In den Zeugnis-, Auskunfts- und Eidesverweigerungsrechten kommt zum Ausdruck, daß auch der Zeuge mit selbständigen, rechtlich geschützten Interessen am Gegenstand seiner Aussage beteiligt ist l50 . Das Verwaltungsgericht Hamburg beruft sich auf eine Entscheidung des BVerfG, wonach einem Zeugen grundsätzlich das Recht zusteht, einen Rechtsbeistand, der sein Vertrauen genießt, zur Vernehmung hinzuzuziehen, sofern er das für erforderlich erachtet, um von seinen prozessualen Befugnissen sachgerecht Gebrauch zu machen i51 . Das OLG Köln geht in seinem Beschluß vom 9. 10. 1987 davon aus, daß im Rahmen einer parlamentarischen Enquete mit "generell bestimmtem Ermittlungszweck" Auskunftspersonen eine beschuldigtenähnliche Stellung mangels "Verstrickung" (Anführungszeichen im Beschluß) regelmäßig nicht zuerkannt werden kann l52 . Etwas anderes gilt, wenn der Untersuchungsauftrag nur der äußeren Fonn nach sachbezogen ist, in Wirklichkeit aber personenbezogene Ermittlungen geführt werden sollen. Eine bestimmte Auskunftsperson kann sich in einer "beschuldigten148 149 150 151 152
NVwZ 1987, S. 608. NJW 1987, S. 1568 ff. NJW 1987, S. 1568. BVerfGE 38, 105 ff., 112 ff. NJW 1988, S. 2485 ff., 2487.
2. Urteile und Beschlüsse von Gerichten
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ähnlichen Situation" (Anführungszeichen im Beschluß) befinden, weil sie einer Straftat oder eines Dienstvergehens verdächtig ist und die Untersuchung ,,(auch)" mit dem Ziel geführt wird, diesen Sachverhalt aufzuklären l53 . In seinem Beschluß vom 27. 10. 1988 führt das OVG Münster aus, daß Untersuchungsausschüssen des Bundestages eine Einschätzungsprärogative hinsichtlich der Beantwortung der Frage zusteht, wo die Grenzen des Untersuchungsauftrags im einzelnen zu ziehen sind und ob zur Klärung des Untersuchungsgegenstands eine Beweisaufnahme geeignet ist l54 . Der Untersuchungsausschuß ist u. a. deshalb in besonderer Weise zur Auslegung des ihm vom Bundestag gestellten Auftrages berufen, weil er sich aus Mitgliedern dieses Parlaments zusammensetzt. Gerichtlich nachprüfbar ist lediglich, ob der Ausschuß die Grenzen der ihm zustehenden Einschätzungsprärogative überschritten hat. Der Untersuchungsausschuß "Transnuklear" hatte im Rahmen seiner Tätigkeit u. a. zu den Untersuchungsgegenständen geführte staatsanwaltschaftliche Ermittlungsakten beigezogen. Insbesondere in Band 1 der betreffenden Akten befanden sich Infonnationen über Geschäftsbeziehungen eines privaten Unternehmens der Atomindustrie sowie persönliche Angaben des Betriebsleiters, die nach Auffassung des Verwaltungsgerichts Köln den Schutz der Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 LV.m. Art. 1 Abs. 1 GG ("infonnationelle Freiheit") und Art. 14 Abs. 1 GG (eingerichteter und ausgeübter Gewerbebetrieb) i.V.m. Art. 19 Abs. 3 GG in erhöhtem Maße genießen. Das Gericht hielt den Ausschuß daher für verpflichtet, hinsichtlich dieses Teils der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten nach den einschlägigen Bestimmungen der Geheimschutzordnung des Bundestages gemäß dem Geheimhaltungsgrad "VS-Vertraulich" zu verfahren I55 . Das OVG für das Land Nordrhein-Westfalen macht in seinem Beschluß vom 5.3. 1990 interessante Ausführungen zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen i56 . Es legt dar, daß das Interesse an ihrer Geheimhaltung ausnahmsweise das Interesse des Parlaments an der für notwendig gehaltenen Aufklärung überwiegt, "wenn private Belange von solchem Gewicht auf dem Spiel stehen, daß dem Betroffenen ähnlich wie bei Infonnationen streng persönlichen Charakters - jedes Risiko einer unbefugten Weitergabe erspart werden muß". Dadurch darf das parlamentarische Untersuchungsrecht im Tatigkeitsbereich privater Unternehmen jedoch nicht leerlaufen. Als in diesem Sinne bevorzugt schutzwürdig erkennt das Gericht "allenfalls etwa" neuartige technische Entwicklungen von herausragender Bedeutung an, die gegen Nachahmung bislang noch nicht rechtlich geschützt sind. Auch insofern macht das Gericht noch eine Ausnahme für den Fall, daß gerade diese Entwicklungen von erheblichem Gewicht für den Gegenstand der Enquete sind. Dem Interesse NJW 1988, S. 2487. NJW 1989, S. 1103 ff., 1104; vgl. ferner VG Köln, Beschluß v. 19.6. 1989, 16 L 1798/ 88, S. 11 und OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluß v. 5. 3. 1990,5 B 2444/89, S. 6. 155 VG Köln, Beschluß v. 19.6. 1989, 16 L 1798/88, S. 13 ff. 156 OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluß v. 5. 3.1990,5 B 2444/89, S. 10 f. 153
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IV. Privatgerichtete Untersuchungen in der Rechtsprechung
an der Geheimhaltung von Geschäftsbeziehungen zu dritten oder firmeninternen Führungsstrukturen mißt das OVG weniger Bedeutung bei. Unabhängig davon, ob ihm im Einzelfall mehr oder weniger Gewicht zukommt, begründet dieses Interesse keinen Anspruch darauf, daß sich das Parlament mit derartigen Vorgängen von vornherein nicht befaßt. Geheimschutzmaßnahmen, wie die Beschränkung des Kreises der zur Einsicht in bestimmte Unterlagen Berechtigten i57 , schwächen den parlamentarischen Untersuchungsprozeß und namentlich das in Art. 44 Abs. 1 S. 1 GG garantierte Recht der qualifizierten Minderheit. Derartige Maßnahmen sind daher nach Auffassung des OVG auf Fälle zu beschränken, in denen das Geheimhaltungsinteresse des Betroffenen den Zugriff des Ausschusses auf geschützte Daten zwar nicht ausschließt, aber dennoch "einen Stellenwert hat, der weit über den Privatgeheimnissen im allgemeinen zukommenden Rang hinausgeht" 158.
c) Entscheidungen zur Frage der gerichtlichen Überprütbarkeit von Abschlußberichten parlamentarischer Untersuchungsausschüsse
Das Verwaltungsgericht Hamburg hat in seinem Beschluß vom 22. 5. 1986 entschieden, daß der Abschlußbericht als der bedeutsamste Beschluß parlamentarischer Untersuchungsausschüsse nach Art. 25 Abs. 6 S. 1 Hamburger Verfassung in jedem Fall der richterlichen Kontrolle entzogen ist l59 . Dies gilt grundsätzlich unabhängig davon, welcher Art der Rechtsverstoß ist, der geltend gemacht wird. Es kommt insofern nicht darauf an, ob der Abschlußbericht in Persönlichkeitsrechte einzelner eingreift oder ob der Ausschuß grundrechtsrelevante Verfahrensrechte mißachtet hat. Das Gericht führt jedoch aus, daß eine Überprüfung durch die Justiz verfassungsrechtlich ausnahmsweise geboten sein kann, wenn durch die Tätigkeit des Ausschusses und den Abschlußbericht derart intensiv und nachhaltig in Grundrechte eingegriffen wird, daß ein vollständiger Entzug dieser Rechte droht. In diesem Fall könnten der Unüberprüfbarkeit des Abschlußberichts durch andere verfassungsrechtliche Regelungen Grenzen gesetzt sein 160. Nach dem Beschluß des OVG Hamburg vom 27.5. 1986 kommt eine gerichtliche Kontrolle des Abschlußberichts parlamentarischer Untersuchungsausschüsse allenfalls dann in Betracht, wenn eine Grundrechtsverletzung gegenüber einem Betroffenen von solchem Gewicht vorliegt, "daß es dem Gewicht des parlamentarischen Kontrollrechts zumindest gleichkommt" 161. Bei einer Verletzung von Art. 1 157 Vgl. die Ausführungen zum "Neue-Heimat"-Beschluß des BVerfG v. 1. 10. 1987, siehe oben IV.2.b)bb). 158 OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluß v. 5. 3. 1990,5 B 2444/89, S. 13. 159 DVBI. 1986, S. 1017 ff., 1018 f. 160 DVBl. 1986, S. 1021. 161 NJW 1987, S. 610 ff., 611.
2. Urteile und Beschlüsse von Gerichten
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Abs. 1 GG durch die Nichtgewährung rechtlichen Gehörs und von Art. 2 Abs. 1 GG wegen rechtsstaatswidriger Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht einzelner, wäre Rechtsschutz in der Fonn des Hinausschiebens der Verbreitung des Abschlußberichts bis zur Heilung der Grundrechtsverletzung denkbar, ohne damit bereits eine inhaltliche Kontrolle des Berichts durch das Gericht zu verbinden. Das OVG Hamburg hielt in dem zu entscheidenden Fall die Anforderungen, die an die Gewährung rechtlichen Gehörs zu stellen sind, schon dadurch für erfüllt, daß die betreffende Person sich schriftlich an den Ausschuß gewandt hat und dieser ihre Ausführungen zur Kenntnis genommen und, "soweit zu sehen ist", bei der Abfassung des Berichts auch erwogen hat 162 . Allein aufgrund von Kritik an ihrem Verhalten im Abschlußbericht eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses werden Persönlichkeitsrechte Betroffener nicht verletzt. Etwas anderes gilt, wenn das vom Ausschuß gewonnene Ergebnis willkürlich ist 163 . Das Landgericht Kiel führt in seinem Urteil vom 17.2. 1988 aus, daß die Möglichkeit der gerichtlichen Überprüfung der Abschlußberichte parlamentarischer Untersuchungsausschüsse gemäß Art. 15 Abs. 3 S. 1 SchlHLS l64 nicht besteht 165 . Die Feststellungen und Wertungen des Ausschusses sind so hinzunehmen, wie sie beschlossen wurden, und zwar unabhängig davon, ob sie zutreffend sind. Die Regelung des Art. 15 Abs. 3 S. 1 SchIHLS, die mit der des Art. 44 Abs. 4 S. 1 GG wörtlich übereinstimmt, beinhaltet von Verfassungs wegen eine Ausnahme von der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG.
162 163
NJW 1987, S. 611. NJW 1987, S. 612.
164 Das Untersuchungsrecht ist heute in Art. 18 der Verfassung des Landes Schieswig-Holstein in der Fassung der Bekanntmachung v. 13.6. 1990 geregelt. 165 NJW 1989, S. 1094 f.
V. Schutzwürdige Belange bei privatgerichteten Enqueten 1. Der grundrechtIiche Persönlichkeitsschutz Das BVerfG leitet aus Art. 2 Abs. 1 i.Y.m. Art. 1 Abs. 1 GG ein durch das Grundgesetz geschütztes allgemeines Persönlichkeitsrecht ab. Es gewährleistet die engere persönliche Lebenssphäre und die Erhaltung ihrer Grundbedingungen i. Dieses in der Verfassung nicht ausdrücklich erwähnte Freiheitsrecht erlangt insbesondere unter dem Aspekt der Abschirmung der Privat- und Intimsphäre Bedeutung 2 . Das BVerfG leitet aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht u. a. den verfassungsrechtlichen Schutz der persönlichen Ehre 3 , das Recht am eigenen Wort4 , einen Anspruch darauf, daß niemandem Äußerungen untergeschoben werden, die er in Wahrheit nicht getan hat5 , den Schutz des Gegendarstellungsanspruchs gegenüber den Medien 6 und das Recht auf Resozialisierung 7 ab. In einer Reihe von Entscheidungen hat sich das BVerfG unter verschiedenen Gesichtspunkten mit dem Schutz der Privat-, Geheim- und Intimsphäre durch Art. 2 Abs. 1 LV.m. Art. 1 Abs. 1 GG auseinandergesetzt8 . Schließlich entwickelte das Gericht in seinem Volkszählungsurteil aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht das sog. Recht auf informationelle Selbstbestimmung9 . Dadurch wird der Einzelne "gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten" geschützt. Das BVerfG hat das allgemeine Persönlichkeitsrecht nicht abschließend definiert, damit bei seiner Ausgestaltung auch zukünftige Entwicklungen Berücksichtigung finden können lO • BVerfGE 54, 148 ff., 153 (Epp1er). Jarass, Das allgemeine Persönlichkeitsrecht im Grundgesetz, NJW 1989, S. 857 ff., 859. 3 BVerfGE 54, 208 ff., 217 (Böll). 4 BVerfGE 34, 238 ff., 246 (Heimliche Tonbandaufnahme). 5 BVerfGE 34, 269 ff., 282 f. (Soraya); BVerfGE 54, 148 ff., 155 f. (Eppler); BVerfGE 54, 208 ff., 217 (Böll). 6 BVerfGE 63, 131 ff., 142 f. (Gegendarstellung). 7 BVerfGE 35, 202 ff., 235 f. (Lebach). 8 BVerfGE 27, 1 ff., 6 (Mikrozensus); BVerfGE 27, 344 ff., 350 f. (Scheidungsakten); BVerfGE 32, 373 ff., 379 (Arztkartei); BVerfGE 47, 46 ff., 73 (Sexualkundeunterricht); BVerfGE 49,286,298 (Transsexuelle). 9 BVerfG, NJW 1984, S. 419 ff., 422 (Volkszählung). 10 Vgl. BVerfGE 54, 148 ff., 153 f. (Eppler). 1
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1. Der grundrechtliehe Persönlichkeitsschutz
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Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG gewährt das Grundgesetz dem einzelnen Bürger einen der Einwirkung der öffentlichen Gewalt entzogenen unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung ll . In seiner Mikrozensus-Entscheidung hebt das Gericht hervor, daß es mit der Würde des Menschen nicht zu vereinbaren ist, ihn zum bloßen Objekt im Staat zu machen. Um der freien und selbstverantwortlichen Entfaltung·seiner Persönlichkeit willen muß dem Individuum ein Innenraum verbleiben, zu dem die Umwelt keinen Zutritt hat. Der Einzelne, der ein Recht auf Einsarnkeit hat, muß sich darin zurückziehen können 12• Das durch Art. 2 Abs. 1 GG garantierte Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit beinhaltet das verfassungsmäßige Gebot der Achtung der individuellen Intimsphäre 13. Bei der Bestimmung von Inhalt und Umfang dieses Grundrechts ist Art. 1 Abs. 1 GG zu berücksichtigen, nach dem die menschliche Würde unantastbar ist 14 • Dem Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts liegt der Gedanke der Selbstbestimmung zugrunde. Jeder soll nicht nur -im Bereich seiner Privatsphäre grundsätzlich selbst darüber entscheiden können, wie er sich gegenüber Dritten oder in der Öffentlichkeit darstellen will und ob oder inwieweit Dritte über seine Persönlichkeit verfügen können 15 • Dazu gehört insbesondere die Entscheidung darüber, ob und wie der einzelne durch eine eigene Äußerung hervortreten will 16 . Im allgemeinen obliegt es jedem selbst und allein, darüber zu bestimmen, inwiefern andere sein Lebensbild ganz oder teilweise öffentlich darstellen dürfen 17 • Um nicht zum bloßen Objekt öffentlicher Erörterung herabgewürdigt zu werden, muß der von einer Darstellung in den Medien Betroffene die rechtlich gesicherte Möglichkeit zur Gegendarstellung haben 18 . In seinem Volkszählungsurteil geht das BVerfG darauf ein, daß das allgemeine Persönlichkeitsrecht gerade auch im Hinblick auf neue Gefährdungen der menschlichen Persönlichkeit, die mit modemen Entwicklungen verbunden sind, an Bedeutung gewinnen kann. Die automatische Datenverarbeitung ermöglicht die unbegrenzte Speicherung von Einzelangaben über bestimmte oder bestimmbare Personen, die ohne Rücksicht auf Entfernungen in Sekundenschnelle abrufbar sind. Durch die Kombination verschiedener Datensammlungen können weitgehend vollständige Persönlichkeitsbilder zusammengefügt werden, deren Richtigkeit und Verwendung der Betroffene nicht hinreichend kontrollieren kann 19 . Eine Gesellschafts- und Rechtsordnung, in der die Bürger nicht mehr wis11 BVerfGE 6,32 ff., 41 (EIfes); BVErfGE 27, 1 ff., 6 (Mikrozensus); BVerfGE 27,344 ff., 350 (Scheidungsakten); BVerfGE 32, 373 ff., 379 (Arztkartei); BVerfGE 34, 238 ff., 245 (Heiml. Tonbandaufn.). 12 BVerfGE 27, 1 ff., 6 (Mikrozensus). 13 BVerfGE 27, 344 ff., 350 f. (Scheidungsakten); BVerfGE 34, 238 ff., 245 (Heiml. Tonbandaufn.); BVerfGE 44, 353 ff., 372 (Suchtkrankenberatungsstelle). 14 BVerfGE 34, 238 ff., 245 (Heiml. Tonbandaufn.). 15 BVerfGE 54,148 ff., 155 (Eppler); BVerfGE 63, l31 ff., 142 (Gegendarstellung). 16 BVerfGE 54, 148 ff., 155 (Eppler). 17 BVerfGE 35, 202 ff., 220 (Lebach). 18 BVerfGE 63, l31 ff., 142 f. (Gegendarstellung).
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V. Schutzwürdige Belange bei privatgerichteten Enqueten
sen können, wer was und bei welcher Gelegenheit über sie weiß, wäre mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung nicht vereinbar. Das Grundrecht des Art. 2 Abs. 1 LY.m. Art. 1 Abs. 1 GG gewährleistet die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen 2o . Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und der Wesentlichkeitsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG beschränkbar. "Als gemeinschaftsbezogener und gemeinschaftsgebundener Bürger muß ( ... ) jedermann staatliche Maßnahmen hinnehmen, die im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit unter strikter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgebotes erfolgen, soweit sie nicht den unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung beeinträchtigen.,,21 Je mehr der Privatbereich berührt wird, desto stärker ist der Schutz des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1 LY.m. Art. 1 Abs. 1 GG. Ein Eingriff in den "innersten Lebensbereich,,22 ist in jedem Fall unverhältnismäßig. In seinem Volkszählungs-Urteil führt das BVerfG aus, daß der Einzelne Einschränkungen seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung im überwiegenden Allgemeininteresse grundsätzlich hinnehmen muß. Derartige Beschränkungen bedürfen nach Art. 2 Abs. 1 GG einer gesetzlichen Grundlage, die den verfassungsrechtlichen Anforderungen gerecht wird. Entsprechend dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenklarheit müssen sich die Voraussetzungen und der Umfang der Einwirkungen aus dem Gesetz klar und für den Bürger erkennbar ergeben. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung darf bei Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nur so weit eingeschränkt werden, wie dies "zum Schutz öffentlicher Interessen unerläßlich ist". In Anbetracht der Gefährdung der menschlichen Persönlichkeit durch die Nutzung der automatischen Datenverarbeitung ist der Gesetzgeber mehr als früher verpflichtet, organisatorische und verfahrensrechtliche Vorkehrungen zu treffen, um einer Verletzung von Persönlichkeitsrechten entgegenzuwirken 23 . Ein die zwangsweise Erhebung personenbezogener Daten rechtfertigendes überwiegendes Allgemeininteresse wird in der Regel überhaupt nur an Daten mit Sozialbezug bestehen. Unzumutbare intime Angaben und Selbstbezichtigungen dürfen nicht verlangt werden. Voraussetzung für den Zwang zur Offenlegung personenbezogener Daten ist, daß ihr Verwendungszweck durch den Gesetzgeber bereichs spezi fisch und präzise bestimmt ist und daß die geforderten Auskünfte zur Erreichung dieses Zwecks geeignet und erforderlich sind24 . BVerfG, NJW 1984, S. 419 ff., 421. NJW 1984, S. 422. 21 BVerfGE 27, 344 ff.,351 (Scheidungsakten); fast wortgleich BVerfGE 32, 373 ff., 379 (Arztkartei). 22 BVerfGE 35, 202 ff., 220 (Lebach). 23 BVerfG, NJW 1984, S. 419 ff.,422 (Volkszählung). 24 NJW 1984, S. 422. 19
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2. Der Datenschutz für Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse
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Das BVerfG knüpft in seinem Flick- und Neue-Heimat-Urteil an seine Rechtsprechung aus dem Volkszählungsurteil an25 . Es verweist darauf, daß das gegenwärtige gesetzliche Abgabenrecht den Einzelnen nur zum Zwecke der Besteuerung verpflichtet, bestimmte Angaben zu machen. Die Steuergesetze ermächtigen grundsätzlich nicht dazu, diese Daten für andere Zwecke zu nutzen. Das Gericht führt aus, daß der Schutz des informationellen Selbstbestimmungsrechts gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung oder Weitergabe individualisierter oder individualisierbarer Daten auch gegenüber den Befugnissen parlamentarischer Untersuchungsausschüsse besteht 26 . Es leitet daraus die Notwendigkeit von Geheimhaltungsvorkehrungen für die Weitergabe derartiger Daten an Untersuchungsausschüsse ab 27 •
2. Der Datenschutz für Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse a) Die verfassungsrechtliche Grundlage des Schutzes von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen Es wird allgemein anerkannt, daß auch der Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen grundrechtlieh gewährleistet ist28 . Hinsichtlich der verfassungsdogmatischen Begründung dieser Auffassung gibt es jedoch unterschiedliche Standpunkte. Eine früher verbreitete Auffassung, wonach geheime, auf das Unternehmen bezogene Informationen durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht geschützt werden29 , findet heute kaum noch Befürworter3o • Sie wird der dominierenden kommerziellen und vermögensrechtlichen Bedeutung der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse nicht gerecht. Als Normen des Grundgesetzes zum Schutz vom Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen kommen Art. 12 und Art. 14 GG in Betracht. Das BVerwG erörtert in seiner Entscheidung vom 19. 12. 1958 die Zulässigkeit einer Auskunftspflicht Gewerbetreibender über ihre wirtschaftlichen Verhältnisse als BerufsausübungsregeBVerfGE 67, 100 ff., 142 ff. (Flick); BVerfGE 77, 1 ff., 46 ff. (Neue Heimat). BVerfGE 67, 100 ff., 143 (Flick). 27 BVerfGE 67, 143 f.; BVerfGE 77, 1 ff., 46 ff. (Neue Heimat); vgl. oben IY.2.b)aa), IV.2.b)bb). 28 Vgl. TAEGER, Die Offenbarung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen, Baden-Baden 1988, S. 53; Breuer, Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen im Umweltrecht, NVwZ 1986, S. 171 ff.; Schröder, Der Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen im Umweltrecht, UPR 1985, S. 394 ff., 396 f.; Bullinger, Wettbewerbsgerechtigkeit bei präventiver Wirtschaftsaufsicht, NJW 1978, S. 2173 ff., 2176, 2178; Papier, Verfassungs- und verwaltungsrechtliche Probleme der Zweitanmeldung, NJW 1985, S. 12 ff., 13; jeweils m.w.N. 29 Kahler, Der unlautere Wettbewerb, Berlin und Leipzig, 1914, S. 245 ff.; Degen, Fabrikspionage und Geheimnisverrat, MuW 1927/28, S. 431 ff. 30 Taeger, S. 54 f. m.w.N. 25
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V. Schutzwürdige Belange bei privatgerichteten Enqueten
lung im Sinne von Art. 12 GG31 . In seiner sog. Transparenzlistenentscheidung vom 18. 4. 1985 knüpft das Gericht an diese Rechtsprechung an. Es sieht darin, daß ein Unternehmen gehalten ist, einer staatlichen Stelle bestimmte Tatsachen zu offenbaren, die üblicherweise Geschäftsgeheimnisse sind, eine Einschränkung der Freiheit der Berufsausübung, die einer gesetzlichen Grundlage bedarf32 . Es ist nicht zu bestreiten, daß bei bestimmten Fallkonstellationen die Verpflichtung zur Offenlegung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen für den einzelnen Unternehmer einen Eingriff in das Grundrecht der Berufsfreiheit beinhalten kann. Art. 12 GG vermittelt als umfassendes Freiheits- und Persönlichkeitsrecht des erwerbstätigen Menschen 33 personenbezogenen Grundrechtsschutz. Dadurch wird im Bereich der individuellen Leistung und Existenzerhaltung das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit konkretisiert34 . Den Schutzbereich des Art. 12 GG berührt eine an das Unternehmen gerichtete Auskunftspflicht nur, wenn dadurch zugleich der Firmeninhaber in seiner Berufszugangs- oder Berufsausübungsfreiheit beeinträchtigt wird. Dies kommt allenfalls bei Einzelunternehmern in Betracht, bei denen ein unmittelbarer persönlicher Bezug zu ihrem Unternehmen besteht, nicht aber bei Eigentümern eines Unternehmens, die das Eigentum nur gesellschaftsrechtlich vermittelt besitzen 35 . Grundsätzlich kann daher der Grundrechtsschutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen nicht aus Art. 12 Abs. 1 GG abgeleitet werden. Nach überwiegender Auffassung im Schrifttum werden Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützt36 . Aufgabe des Eigentumsschutzes ist es, dem Grundrechtsträger "einen Freiheitsraum im vermögensrechtlichen Bereich sicherzustellen und ihm damit eine eigenverantwortliche Gestaltung des Lebens zu ermöglichen,,37. Durch die Gewährleistung des Eigentums wird vor allem der durch eigene Arbeit und Leistung erworbene Bestand an vermögenswerten Gütern des Einzelnen anerkannt. Das BVerfG sieht darin eine "objektbezogene" Gewährleistungsfunktion des Art. 14 GG, die einem Rechtssubjekt bereits zustehende Rechtspositionen schützt 38 . Nicht vom Schutzbereich des Art. 14 GG. umfaßt werden jedoch bloße Chancen und Verdienstmöglichkeiten. Nach Auffassung des BVerfG ist das Urheberrecht als Nutzungsrecht Eigentum im Sinne von Art. 14 Abs. 1 GG. Das Gericht führt aus, daß ..... die grundSätzliche BVerwGE 8, 78 ff., 80. BVerwGE 71, 183 ff., 197 f. 33 Schneider, Art. 12 GG - Freiheit des Berufs und Grundrecht der Arbeit, in VVDStRL, Bd. 43, Berlin, New York 1985, S. 7 ff., 38. 34 BVerfGE 30, 292 ff., 334. 35 Taeger, S. 59 f. 36 Taeger, S. 60 ff.; Schröder, Der Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen, S. 397; Papier, S. 13; Hauck, Neuregelung des Nachanmelderproblems - ein rechtliches Gebot?, DB 1985, S. 1927 ff., 1930; Bullinger, S. 2178; Breuer, S. 174; Schleich, S. 36 f. 37 BVerfGE 30, 292 ff., 334. 38 BVerfGE 30, 334. 31
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2. Der Datenschutz für Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse
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Zuordnung des vermögenswerten Ergebnisses der schöpferischen Leistung an den Urheber im Wege privatrechtlicher Normierung und seine Freiheit, in eigener Verantwortung darüber verfügen zu können", den grundgesetzlich geschützten Kern des Urheberrechts ausmacht. Damit ist jedoch nicht jede nur denkbare Verwertungsmöglichkeit verfassungsrechtlich garantiert39 • Sofern nicht Gründe des Gemeinwohls Vorrang vor den Belangen des Urhebers haben, hat dieser grundsätzlich einen Anspruch darauf, daß ihm der wirtschaftliche Nutzen seiner Arbeit zugeordnet wird. Zu berücksichtigen ist dabei, daß es nicht um einen unverdienten Zuwachs des Vermögens, sondern um das Ergebnis der geistigen und persönlichen Leistung des Grundrechtsträgers geht4o . Im Rahmen der verfassungsrechtlichen Überprüfung geänderter Vorschriften über die Akteneinsicht im Patenterteilungsverfahren knüpft das BVerfG an seine Rechtsprechung zum Urheberrecht an41 • Es stellt zunächst fest, daß die Rechtsordnung "das Recht zur wirtschaftlichen Auswertung einer neuen Idee, die Technik und Wissenschaft fördert", schon vor der Patenterteilung schützt. Die der Person des Erfinders in dieser Weise zugeordnete Rechtsposition genießt den Schutz des Art. 14 Abs. 1 GG42 • Gegenüber Art. 12 Abs. 1 GG läßt sich Art. 14 Abs. 1 GG grundsätzlich dergestalt abgrenzen, daß ersterer den Erwerb, also die Betätigung selbst und letzterer das Erworbene schützt43 . Schneider erachtet diese Formel für nur wenig brauchbar, da es im konkreten Anwendungsfall zu mancherlei Überschneidungen kommt44 • Er hält für die Anwendung von Art. 14 GG den unmittelbaren Zugriff auf Vermögen oder vermögenswerte Rechte für maßgeblich. Entscheidend für die Anwendbarkeit von Art. 14 oder Art. 12 GG ist, ob der Eingriff einen stärkeren Sach- oder Personenbezug hat45 . Schröder ordnet Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse dem Schutzbereich von Art. 14 Abs. 1 GG zu. Er begründet dies damit, daß sie als Vermögenswert angesehen und ausgebeutet werden und ihnen der unmittelbare Persönlichkeitsbezug fehlt. Geheimnisschutz bedeutet in diesem Bereich das mehr oder weniger weitgehende Verbot des Gebrauchs oder der Verwertung vermögenswerter Güter ohne eine entsprechende Befugnis. Es geht um "die Innehabung und Verwendung vorhandener (kursiv im Text) Vermögens güter" und somit um Eigentum im Sinne von Art. 14 Abs. 1 GG46 . Auch nach Ansicht Breuers werden Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse, in denen er einen "geronnenen" (Anführungszeichen im Text) Ver39 40
41 42 43 44 45
46
BVerfGE 31, 229 ff., 240 f. BVerfGE 31, 243. BVerfGE 36, 281 ff., 290 f. BVerfGE 36, 290. BVerfGE 30, 292 ff., 335. Schneider, Art. 12 GG - Freiheit des Berufs, S. 39. Schneider, Art. 12 GG - Freiheit des Berufs, S. 39. Schröder, Der Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen, S. 397.
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mögenswert sieht, jedenfalls primär durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützt47 . Hauck sieht in wirtschaftlichen Geheimnissen zu selbständigen Gegenständen verobjektivierte Vermögensgüter, die eigentumsfähig sind48 . Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse sind auch nach Bullingers Auffassung dem Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG zuzurechnen. llmen ist zumindest als Bestandteil des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs verfassungsrechtlicher Eigentumsschutz zuzubilligen 49 . Papier sieht in Betriebsgeheimnissen einen wesentlichen Wertfaktor des Betriebes. Sie erstarken als Bestandteil des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs zu einem vermögenswerten Recht, das durch Art. 14 Abs. 1 GG als Eigentum geschützt wird5o . Bei dem Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb handelt es sich um ein im bürgerlichen Recht entwickeltes Rechtsinstitut, das nach der Rechtsprechung der Zivilgerichte als vermögenswertes Recht Eigentumsschutz nach Art. 14 Abs. 1 GG genießtSI. Nach Auffassung des BGH wird nicht nur der Bestand des Betriebes geschützt, sondern darüber hinaus "alles das, was in seiner Gesamtheit den wirtschaftlichen Wert des konkreten Gewerbebetriebes ausmacht". Dazu gehören auch die geschäftlichen Verbindungen, Beziehungen und der Kundenstamm des Unternehmens 52 . Die Frage, ob und inwiefern das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb verfassungsrechtlichen Schutz durch Art. 14 Abs. 1 GG genießt, ist jedoch umstritten. Eine gefestigte Rechtsprechung des BVerfG gibt es zu diesem Themenkomplex bisher nicht. In seinem Schornsteinfeger-Urteil hält das Gericht es grundsätzlich für berechtigt, die Sach- und Rechtsgesamtheit handwerklicher Betriebe dem reinen Sacheigentum gleichzustellen. Das BVerfG verweist insbesondere darauf, daß die Inhaber von Handwerksfirmen sich ihren Betrieb in aller Regel durch Arbeit, persönliche Fähigkeiten und vor allem auch durch den Einsatz ihres Kapitals geschaffen haben 53. Das Grundrecht erfährt dadurch eine sehr stark personalorientierte Auslegung S4 . In einigen weiteren Entscheidungen ließ das Gericht offen, ob das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb grundrechtlich geschützt wird55 . Es führt aus, daß Art. 14 GG grundsätzlich nur durch einen Eingriff in die Substanz des Betriebs als Sach- und Rechtsgesamtheit verletzt sein könnte56 • Wiederum in einer anderen Entscheidung äußert das BVerfG ZweiBreuer, S. 174. Hauck, S. 1930. 49 Bullinger, S. 2178. 50 Papier, S. 13. 5\ Bes. ausführlich in BGHZ 76, 387 ff., 392 ff., insbes. 394, hier macht das Gericht auch Ausführungen zum Umfang des Eigentumsschutzes nach Art. 14 Abs. I GG. 52 BGHZ 23, 157 ff., 162 f.; siehe auch BGHZ 76, 387 ff., 394. 53 BVerfGE 1,264 ff., 277. 54 Vgl. Taeger, S. 61. 55 BVerfGE 13,225 ff., 229; BVerfGE 17,232 ff., 247 f.; BVerfGE 66,116 ff., 145. 47 48
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fel daran, daß "der Gewerbebetrieb als solcher die konstituierenden Merkmale des verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriffs aufweist. Eigentumsrechtlich gesehen ist das Unternehmen die tatsächliche - nicht aber die rechtliche - Zusammenfassung der zu seinem Vermögen gehörenden Sachen und Rechte, die an sich schon vor verfassungswidrigen Eingriffen geschützt sind"s7. In seinem Naßauskiesungsbeschluß stellt das BVerfG fest, daß der Schutz des Gewerbebetriebs nicht weiter gehen kann "als der Schutz, den seine wirtschaftliche Grundlage genießt,,58. Im Ergebnis ist Taeger59 darin zuzustimmen, daß Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse Eigentumsschutz durch Art. 14 Abs. 1 GG unmittelbar und nicht lediglich vermittelt durch das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb genießen. Es handelt sich bei ihnen um betriebsbezogene vermögenswerte Rechte, die je nach Eigenart durch einen mehr oder weniger großen Aufwand von Kapital und Arbeit begründet worden sind. Sie haben als Vermögensgüter eine selbständige Bedeutung, so daß ein Eingriff in Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse im Sinne Schneiders in erster Linie als sach- und nicht als personenbezogen zu werten ist. Unabhängig davon, ob und inwiefern das Recht am eingerichtet~n und ausgeübten Gewerbebetrieb durch Art. 14 Abs. 1 GG Grundrechtsschutz erfährt, sollte auf diese "umstrittene lückenfüllende Funktion" jedenfalls dann nicht zurückgegriffen werden, wenn dem betroffenen Unternehmenselement unmittelbar grundrechtlicher Eigentumsschutz zugebilligt werden kann 6o . Diese Auffassung Taegers ist mit der neueren Rechtsprechung des BVerfG zum grundrechtlichen Eigentumsschutz des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb61 durchaus zu vereinbaren. Auch das Gericht hat auf den eigenständigen Grundrechtsschutz von Sachen und vermögenswerten Rechten, die zu einem Gewerbebetrieb gehören, hingewiesen. Breuer befürwortet es, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nicht nur auf personenbezogene Daten anzuwenden und es nicht ausschließlich dem Schutzbereich von Art. 2 Abs. 1 GG zuzuordnen62 . Vielmehr seien auch durch Art. 12 und Art. 14 GG geschützte wirtschaftliche Kommunikationsvorgänge der informationellen Selbstbestimmung zuzurechnen. Der Autor bezeichnet Betriebsund Geschäftsgeheimnisse als "Paradefall für die informationelle Selbstbestimmung des Unternehmens,,63. Breuer beruft sich dabei auf das BVerfG, das in seinem Flick-Urteil "einen Schutz gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung oder Weitergabe ... individualisierte(r) oder individualisierbare(r) Da56
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BVerfGE 13,225 ff., 229. BVerfGE 51,193 ff., 221 f. BVerfGE 58, 300 ff., 353. Taeger, S. 62. Taeger, S. 62. BVerfGE 51,193 ff., 221 f.; BVerfGE 58, 300 ff., 353. Breuer, S. 171. Breuer, S. 172.
Köhler
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V. Schutzwürdige Belange bei privatgerichteten Enqueten
ten,,64 nicht nur aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG, sondern auch aus Art. 14 GG ableitet 65 • Taeger weist jedoch zurecht darauf hin, daß es in dieser Entscheidung um personenbezogene Steuerdaten mit vennögensrechtlicher Bedeutung ging. Aus diesem Grunde könnte das Gericht Art. 14 GG in seine Ausführungen mit einbezogen haben. Das BVerfG hat in seiner bisherigen Rechtsprechung das aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht abgeleitete Recht auf infonnationelle Selbstbestimmung ausschließlich personenbezogen interpretiert66 • Es dient dem Schutz der persönlichen Daten jedes Einzelnen. Wollte das BVerfG von dieser Position grundsätzlich abrücken, hätte es dies klarer und eindeutiger zum Ausdruck gebracht. Aus dem Flick-Urteil läßt sich eine derartige Änderung der Auffassung des Gerichts jedenfalls nicht herleiten. Es besteht auch kein Anlaß, durch Art. 2 Abs. 1 i.Y.m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützte, die menschliche Person betreffende Daten und durch Art. 14 GG geschützte unternehmensbezogene Daten unter dem Begriff der infonnationellen Selbstbestimmung zusammenzufassen 67 • Schutzbereich und Schranken der genannten Grundrechte werden nach unterschiedlichen Gesichtspunkten bestimmt. Gemeinsamkeiten bestehen lediglich hinsichtlich des Interesses der Grundrechtsträger an der Geheimhaltung ihrer Daten. Die Gründe dafür weichen jedoch schon wieder voneinander ab. In einem Fall geht es um die individuelle Selbstbestimmung der Person, im anderen um wirtschaftliche und finanzielle Belange.
b) Die inhaltliche Bestimmung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen Nach den vorangegangenen verfassungsrechtlichen Erörterungen soll nun näher auf den Begriff der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse eingegangen werden. Betriebsgeheimnisse sind dem technischen Bereich des Unternehmens zuzurechnen, während Geschäftsgeheimnisse zum kaufmännischen Unternehmensbereich gehören. Wegen des gleichartigen rechtlichen Schutzes erübrigt sich eine Differenzierung jedoch68. Unter Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen werden gemeinhin im Zusammenhang mit einem Geschäftsbetrieb stehende Tatsachen verstanden, die nur einem begrenzten Personenkreis bekannt und somit nicht offenkundig sind und nach dem Vgl. die Ausführungen zum Volkszählungsurteil des BVerfG, siehe oben V.I. BVerfGE 67, 100 ff., 142 f. 66 Vgl. oben V.I. 67 Vgl. auch Taeger, S. 57 f., "Verfehlt wäre es hingegen, das informationelle Selbstbestimmungsrecht in jedes beliebige Grundrecht hineinzuinterpretieren ... ". 68 Breuer, S. 172; Schröder, Der Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen, S. 396, führt dazu aus, daß zwischen Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen weder differenziert werden kann noch muß. 64 65
2. Der Datenschutz für Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse
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Willen des Betriebsinhabers geheimgehalten werden sollen. An der Geheimhaltung muß weiterhin ein berechtigtes wirtschaftliches Interesse bestehen69 . Taeger verweist darauf, daß es sprachlich kürzer ist, von "unternehmensbezogenen Informationen" zu sprechen, statt auf Tatsachen abzustellen, "die im Zusammenhang mit dem Geschäftsbetrieb stehen,,7o. Der prägnanteren und weniger ausschweifenden Formulierung sollte in der Tat der Vorzug gegeben werden. Ferner könnte das Kriterium "nicht offenkundig" durch das Wort "geheim" ersetzt werden71. Wichtiger ist jedoch der Hinweis darauf, daß die geheimzuhaltende Information für das Unternehmen einen Vermögenswert haben muß72 . Schließlich genießen Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse verfassungsrechtlichen Eigentumsschutz aus Art. 14 Abs. 1 GG, da es sich bei ihnen um vermögenswerte Rechte hande1t 73 . "Einen Vermögenswert besitzen alle Informationen, die entweder im Augenblick ihrer Verfügbarkeit oder zu einem späteren Zeitpunkt vom Unternehmen wirtschaftlich genutzt werden können oder deren Offenbarung oder Verwertung durch Dritte für das Unternehmen wirtschaftlich nachteilig ist,,74. Dabei kann kaufmännisches Wissen genauso von ökonomischer Bedeutung für einen Geschäftsbetrieb sein wie technisches Know How. Informationen über geworbene und potentielle Kunden und ihr Verhalten sowie Kenntnisse über Marktentwicklungen und neue Absatzmärkte können in gleicher Weise einen Vermögenswert darstellen wie das Wissen um die optimale stoffliche Zusammensetzung eines Produkts 75 . Darüber hinaus besitzen Informationen einen Vermögenswert, deren Bekanntwerden oder deren Verwertung durch Dritte sich auf das Unternehmen in wirtschaftlicher Hinsicht negativ auswirken. So zieht der Imageverlust eines Produkts oder des ganzen Unternehmens Umsatzverluste nach sich. Die Veröffentlichung bestimmter Angaben über Inhaltsstoffe von Erzeugnissen oder über Abfallstoffe, die bei der Herstellung anfallen, führt zu einer Änderung des Konsumverhaltens 76 . An der Geheimhaltung von Informationen, die eine solche Prangerwirkung hervorrufen, haben Unternehmen ein wirtschaftliches Interesse. Geschäftsbetriebe können auch aus ökonomischen Gründen daran interessiert sein, daß Tatsachen geheim bleiben, die sich nachteilig auf ihren wirtschaftlichen Ruf auswirken 77.
69 Schröder, Der Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen, S. 396; ähnlich Breuer, S. 172 m.w.N.; vgl. auch iaeger, S. 80 m.w.N.; RGZ 149, 329; RGSt 42,394; BAGE 41,21. 70 Taeger, S. 80. 71 Taeger, S. 80. 12 Taeger, S. 80. 73 Siehe oben V.2.a). 74 Taeger, S. 65. 75 Taeger, S. 66. 76 Taeger, S. 66. 77 Taeger, S. 66 f.
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Sofern die genannten objektiven Kriterien für den grundrechtlichen Geheimnisschutz bestimmter Informationen vorliegen, ist der Geheimhaltungswille des Unternehmens in der Regel zu unterstellen. Er kann als "mutmaßlicher Geheimhaltungswille,,78 vorausgesetzt werden, wenn keine gegenteiligen eindeutigen Anhaltspunkte oder Erklärungen vorliegen 79. Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse betreffende gesetzliche Offenbarungspflichten gegenüber bestimmten Behörden lassen den Geheimnischarakter einer betrieblichen Information unberührt, sofern sie, was die Regel ist, mit einer Verschwiegenheitspflicht des Informationsempfängers verbunden sind. Dadurch wird sichergestellt, daß die weitergegebenen Geheimnisse nur zu der gesetzlichen AufgabensteIlung der empfangenden Stellen herangezogen werden dürfen 80 . Breuer bezeichnet die Beziehung zwischen der verfahrensleitenden Behörde und dem betroffenen Unternehmer als das "zentrale Rechtsverhältnis", zu dem eine Reihe weiterer Rechtsbeziehungen teils zu öffentlichen, teils zu privaten Drittbeteiligten hinzutreten. Für jedes dieser Rechtsverhältnisse müssen die jeweils gebotenen Modalitäten des Geheimnisschutzes gegenüber den Beteiligten gesondert festgestellt werden. Es bedarf der Klärung, ob, inwiefern und in welcher Form die verfahrensleitende Behörde ihr mitgeteilte Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse an Behörden und private Dritte weitergeben d~l. Fehlt eine gesetzliche Geheimhaltungsregelung hinsichtlich von Informationen, die aufgrund eines Gesetzes weiterzuleiten sind, bzw. zielen Offenbarungspflichten von vornherein gerade auf die Unterrichtung der Öffentlichkeit, besteht auch kein subjektives Recht auf Schutz dieser Informationen. Derartige Tatsachen werden aus dem Rechtsbegriff der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse und somit aus dem Schutzbereich von Art. 14 Abs. 1 GG ausgeklammert82 . Informationen, die sich auf die Tatsache eines im Unternehmen begangenen rechtswidrigen Verhaltens beziehen, genießen keinen Grundrechtsschutz aus Art. 14 Abs. 1 GG. Die gegenteilige Auffassung wäre mit dem Gebot einer am Gemeinwohl zu orientierenden Auslegung des Eigentumsschutzes nicht zu vereinbaren 83 . Tatsachen, die sich auf Rechtsverstöße beziehen, beinhalten keine schutzwürdigen Informationen 84 . An ihrer Geheimhaltung kann daher kein berechtigtes Interesse bestehen 85 . RG, JW 1912, S. 697. Taeger, S. 71 f. 80 Taeger, S. 73. 81 Breuer, S. 174. 82 Taeger, S. 73. 83 Taeger, S. 76. 84 Taeger, S. 78. 85 Taeger, S. 78 i.Y.m. S. 80, mit etwas abweichender Terminologie, Taeger spricht von begründetem Interesse. 78
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Bei der Feststellung eines berechtigten wirtschaftlichen Geheimhaltungsinteresses kommt es im übrigen allein auf die objektive Interessenlage des Unternehmens an. Maßgebend ist dabei die Wettbewerbsrelevanz des Geheimnisses 86 . Hinsichtlich des Neue-Heimat-Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages 87 war die Frage von Bedeutung, inwieweit Angaben über die finanzielle Situation des Unternehmens gegen öffentliches Bekanntwerden zu schützen sind. Beim HDW/IKL-Untersuchungsausschuß88 ging es vorwiegend um die Schutzwürdigkeit von Produktionsgeheimnissen, während beim Transnuklear-Untersuchungsausschuß 89 die Offenbarung von Geschäftsbeziehungen ein Problem war. Selbst wenn das Produktionsgeheimnis von seiner Wettbewerbsrelevanz her zunächst als das wichtigste unter den genannten Beispielsfällen erscheint90 , so läßt sich eine prinzipielle Rangfolge dennoch nicht aufstellen. Angaben über die nicht offenkundige wirtschaftliche und finanzielle Situation eines konkurrierenden Unternehmens oder über dessen Geschäftsbeziehungen können für einen Mitbewerber im Einzelfall mindestens genauso interessant sein. Durch die Kenntnis derartiger Unternehmensinterna eines Konkurrenten lassen sich Wettbewerbsvorteile erreichen 91 .
c) Umfang und Grenzen des verfassungsrechtlichen Schutzes von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen Kollidiert das durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Eigentumsrecht an Betriebsund Geschäftsgeheimnissen mit anderen Grundrechten, müssen durch eine dem Prinzip praktischer Konkordanz entsprechende Auslegung beide Grundrechte soweit wie möglich Wirksamkeit erlangen. Derartige grundrechtsimmanente Schranken können sich insbesondere aus dem durch Art. 5 Abs. 1 GG geschützten Recht auf Meinungsäußerungsfreiheit ergeben. In seiner Wallraff-Entscheidung hatte das BVerfG einen vom BGH im Rahmen der Anwendung zivilrechtlicher Normen aufgestellten Grundsatz zu überprüfen, wonach die nachteiligen Wirkungen der Veröffentlichung eines durch die Pressefreiheit geschützten Redaktionsgeheimnisses nur dann hingenommen werden können, wenn der Kritiker mit seinem Beitrag ein Anliegen verfolgt, das von seiner Bedeutung und Ernsthaftigkeit her die damit verbundenen Nachteile für den Betroffenen und für die Rechtsordnung in den Hintergrund drängt. Es muß sich dabei um einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit weBreuer, S. 172 f. m.w.N. V gl. oben 11.3.i). 88 V gl. oben 11.3.j). 89 Vgl. oben II.3.k). 90 Vgl. Ausführungen zum Beschluß des OVG Nordrhein-Westfalen v. 5. 3. 1990, siehe oben 1V.2.b)cc). 91 Vgl. Taeger, S. 116. 86
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sentlich berührenden Frage handeln. Das BVerfG hielt den vom BGH aufgestellten Grundsatz für verfassungskonform92 • Schranken für den Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen können sich jedoch nicht nur aus den Grundrechten, sondern auch aus anderen Verfassungsvorschriften ergeben. So beinhaltet auch das parlamentarische Untersuchungsrecht nach Art. 44 GG verfassungsimmanente Schranken für den grundrechtlichen Geheirnhaltungsschutz. Das BVerfG hat in seinem Flick-Urteil grundsätzliche Aussagen zum Geheimnisschutz gegenüber parlamentarischen Untersuchungsausschüssen gemacht93 . Schleich stellt hinsichtlich der Weitergabe von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen, die Finanzbeamten in der Form von Steuerauskünften bekanntgemacht werden, an parlamentarische Untersuchungsausschüsse darauf ab, ob das betreffende Geheimnis von solchem Gewicht ist, daß die Existenz eines Betriebes von seiner Wahrung abhängt. "Denn nur in einem solchen Fall würde unter Berücksichtigung des öffentlichen Interesses an der parlamentarischen Aufklärung, der Schweigepflicht der Untersuchungsausschußmitglieder und der Geheirnhaltungsmöglichkeiten des Ausschusses in einer Informierung des Untersuchungsausschusses ein Sonderopfer bzw. eine so schwere Belastung liegen, daß von einer Überschreitung der Grenze von Sozialbindung des Eigentums zu einem Eingriff mit enteignender Wirkung gesprochen werden könnte. ,,94 Bei dieser Auffassung wird jedoch übersehen, daß Zuordnungsobjekt des Eigentumsschutzes aus Art. 14 Abs. 1 GG das Betriebs- und Geschäftsgeheimnis selbst ist95 . Es wird nicht lediglich als Bestandteil des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs geschützt. Von daher ist es nicht sachgerecht, bei der Frage, ob die Weitergabe von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen an einen parlamentarischen Untersuchungsausschuß zulässig ist, lediglich auf die Bedeutung des Geheimnisses für die Existenz des Betriebes abzustellen. In diesem Abwägungsprozeß muß neben dem wirtschaftlichen Wert des Geheimnisses auch Berücksichtigung finden, welcher Stellenwert den geheimen Informationen im Untersuchungsverfahren überhaupt zukommt und ob Geheirnhaltungsvorkehrungen getroffen wurden. Schleich hält es unter Berufung auf ältere Urteile des BGH zum enteignungsgleichen Eingriff6 für möglich, daß in der Weitergabe von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen durch die Finanzbehörden an einen parlamentarischen Untersuchungsausschuß aufgrund eines gleitenden Übergangs von der Sozialbindung zu "einem Eingriff mit enteignender Wirkung" bereits eine entschädigungspflichtige BVerfGE 66, 116 ff., 140. Siehe oben IV.2.b)aa); vgl. ferner LG Bonn, Beschluß v. 21. 10. 1986, siehe oben IV.2.b)bb); VG Köln, Beschluß v. 19. 6. 1989, siehe oben IV.2.b)cc); OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluß v. 5. 3. 1990, siehe oben IY.2.b)cc). 94 Schleich, S. 37. 95 vgl. Schleich, S. 36. 96 Schleich, S. 37, Fn. 20. 92 93
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Enteignung liegen kann. Diese Ansicht ist seit dem Naßauskiesungsbeschluß des BVerfG nicht mehr vertretbar. Das Gericht führt in diesem Beschluß vom 15. 07. 1981 aus, daß die Auffassung, nach der eine Überschreitung der Sozialpflichtigkeit einen Anspruch auf Entschädigung auslöst, "mit dem Grundgesetz nicht in Einklang (steht),m. Eine den Inhalt des Eigentums bestimmende Vorschrift i.S. von Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG behält auch bei Verfassungswidrigkeit ihren Rechtscharakter als solche bei und wandelt sich nicht in eine Enteignungsnorm i.S. von Art. 14 Abs. 3 GG. In der Weitergabe von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen an einen parlamentarischen Untersuchungsausschuß durch eine Behörde kann daher, auch wenn sie rechtswidrig ist und sich für den Inhaber der Geheimnisse extrem negativ auswirkt, keine Enteignung gesehen werden. Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG beinhaltet die Möglichkeit, die sachliche Reichweite des verfassungsrechtlichen Schutzes von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen gegenüber parlamentarischen Untersuchungsausschüssen im Rahmen einer gesetzlichen Inhalts- und Schrankenbestimmung zu konkretisieren. Dabei muß auch der Gesetzgeber dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung tragen. Neben der uneingeschränkten Gewährleistung des Geheimnisschutzes und der umfassenden gesetzlichen Offenlegungspflicht besteht die Möglichkeit, eine eingeschränkte Informationspflicht vorzusehen. Aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip ergibt sich für den Gesetzgeber die Anforderung, eine solche eingeschränkte Verpflichtung zur Offenlegung von Informationen vorzusehen, wenn dies zur Erreichung des Gesetzeszwecks ausreichend ist. Danach dürfen Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse nur den Personen oder Stellen bekanntgemacht werden, die von diesen Informationen Kenntnis haben müssen, damit der Zweck des Gesetzes erfüllt werden kann. Die jeweiligen Informationspflichten sind mit Verschwiegenheitspflichten und Verwertungsverboten zu verbinden, um sicherzustellen, daß die Auskünfte nur zu dem gesetzlich vorgesehenen Zweck Verwendung finden. Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse werden also nur in der Form offenbart, daß der Kreis der Geheimnisträger erweitert wird98 .
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BVerfG 58, 300 ff., 320. Taeger, S. 89 f.
VI. Die Anwendung des parlamentarischen Untersuchungsrechts gegenüber Privaten im nichtöffentlichen Bereich In den vorangegangenen Kapiteln wurden die wichtigsten Auffassungen aus der Literatur zu den Themenkomplexen der Zulässigkeit privatgerichteter Untersuchungen und der Rechtsstellung Betroffener sowie die dazu vorhandene Rechtsprechung dargestellt. Ferner finden sich im fünften Kapitel allgemeine Ausftihrungen zum grundrechtlichen Schutz der Persönlichkeit und von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen. In elen folgenden zwei Kapiteln wird versucht, auf der Grundlage dieser Erkenntnisse grundsätzliche Aussagen zum gegenständlichen Anwendungsbereich der privatgerichteten Enquete und zur Rechtsstellung Betroffener zu entwickeln.
1. Müssen bei Enqueten im privaten Unternehmensbereich alle betroffenen Unternehmen im Einsetzungsantrag abschließend genannt werden? Zunächst soll auf eine Frage eingegangen werden, die sich auf die Formulierung des Einsetzungsantrags bezieht und im Laufe der Untersuchungsverfahren HDWI IKL und Transnuklearl Atomskandal thematisiert wurde. Es ging dabei um das Problem, ob und inwiefern von einer parlamentarischen Enquete betroffene Unternehmen abschließend im Einsetzungsantrag genannt werden müssen. Schneider hielt es in Bezug auf den HDW IIKL-Untersuchungsausschuß ftir geboten, die Firmen zu nennen 1, während Steinberger eine derartige Konkretisierung ftir den Untersuchungsausschuß Transnuklearl Atomskandal nicht für notwendig erachtete 2 . Steinberger ist zuzustimmen, daß je nach ·Verfahrensstadium unterschiedliche rechtsstaatliche Bestimmtheitsanforderungen bestehen. Es ist insofern zu unterscheiden zwischen: a) dem Untersuchungs auftrag b) den Beweisbeschlüssen des Ausschusses c) den Anträgen der Untersuchungsausschüsse an die Gerichte zum Zweck der zwangsweisen Durchsetzung ihrer Beweisbeschlüsse 1 2
BTDS XI11684, S. 3; vgl. oben II.3.j). Steinberger, S. 1203; vgl. oben III.4.
1. Müssen alle betroffenen Unternehmen im Einsetzungsantrag genannt werden?
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d) den daraufhin ergehenden Beschlüssen der zuständigen Gerichte 3 . Auch der Aussage, daß durch diese Mehrstufigkeit des Verfahrens die Rechtssicherheit Betroffener tendenziell erhöht wird und daß es deshalb gerechtfertigt ist, an den arn Beginn des Verfahrens stehenden Rechtsakt geringere Bestimmtheitsanforderungen zu stellen4 , kann grundsätzlich gefolgt werden. Das Problem ist, welche Folgerungen daraus im Einzelfall für die Frage, ob und inwieweit die betroffenen Unternehmen im Untersuchungsauftrag genannt werden müssen, zu ziehen sind. In bezug auf den Bundestagsuntersuchungsausschuß Transnuklearl Atomskandal kommt Steinberger zu dem Ergebnis, daß eine abschließende Aufzählung möglicherweise beteiligter Unternehmen im Untersuchungsauftrag nicht zu fordern ist5 . Er verweist in diesem Zusammenhang darauf, daß die an unter Umständen rechtswidrigen Vorgängen beteiligten Hanauer Nuklearbetriebe sowie weitere Unternehmen und Stellen im Entsorgungsbericht der Bundesregierung vom 13. 1. 1988 benannt sind. Durch die Enquete sollten Vorkommnisse bei einer unbestimmten und am Beginn der Untersuchung auch nicht bestimmbaren Anzahl von Unternehmen der Atomwirtschaft geklärt werden. Zumindest eine "abschließende" Aufzählung der möglicherweise beteiligten Unternehmen wäre daher im Einsetzungsantrag überhaupt nicht möglich gewesen. Aufgrund der erwähnten Mehrstufigkeit des Verfahrens war dies aus Bestimmtheitsgründen auch nicht erforderlich. Verallgemeinernd läßt sich feststellen, daß bei Enqueten im privaten Unternehmensbereich jedenfalls nicht "alle" betroffenen Unternehmen im Einsetzungsantrag "abschließend" aufgeführt sein müssen. Noch nicht geklärt ist damit jedoch, ob Konstellationen möglich sind, in denen von einer privatgerichteten Enquete6 betroffene Unternehmen aus Bestimmtheitsgründen zwingend im Einsetzungsantrag genannt werden müssen. Steht bereits bei Einsetzung einer parlamentarischen Enquete fest, daß ein oder mehrere Unternehmen Gegenstand der Untersuchung sind, ist kein vernünftiger Grund ersichtlich, warum dies im Einsetzungsantrag nicht klargestellt werden muß. Das parlamentarische Untersuchungsverfahren ermöglicht es, den im Laufe der Enquete gewonnenen Erkenntnissen dadurch gerecht zu werden, daß weitere Unternehmen in die Untersuchungen mit einbezogen werden können. Dies ist durch Beweisbeschlüsse zu konkretisieren. Auch die Mehrstufigkeit des parlamentarischen Untersuchungsverfahrens rechtfertigt es jedoch nicht, die Konkretisierung des Enquetethemas beliebig in das Beweiserhebungsverfahren zu verschieben. Sofern von Anfang an klar ist, daß bestimmte Unternehmen zu einem maßgeblichen Teil Gegenstand der Enquete sind, müssen diese auch im Einsetzungsantrag genannt werden. 3 4 5
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Steinberger, S. 1203; vgl. auch oben III.4. Steinberger, S. 1203. Steinberger, S. 1203; vgl. oben III.4. Vgl. oben I.2.c).
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VI. Die Anwendung des Untersuchungsrechts gegenüber Privaten
Es kann nicht immer verlangt werden, daß jedes einzelne im Untersuchungsauftrag zu erwähnende Unternehmen dort unter Nennung seiner konkreten Finnenbezeichnung aufgeführt wird. Werden mehrere Unternehmen, die Gegenstand einer parlamentarischen Enquete sind, unter einem Oberbegriff zusammengefaßt, der sie von anderen hinreichend abgrenzt, so ist dies ausreichend. Der Antrag der SPDFraktion des Deutschen Bundestages zur Einsetzung des Untersuchungsausschusses Atomskandal 7 erwähnt z. B. die "in Hanau ansässigen Nuklearbetriebe" und ist insofern hinreichend bestimmt. Auf jeden Fall muß eine Konkretisierung der Unternehmen, die Gegenstand der Enquete sind, im Einsetzungsantrag selbst erfolgen und darf sich nicht erst aus Unterlagen außerhalb des Untersuchungsauftrags ergeben, auf die lediglich Bezug genommen wird 8 . Steinbergers Verweis auf den Entsorgungsbericht der Bundesregierung vom 13. 1. 19889 überzeugt daher im Ergebnis nicht.
2. Der gegenständliche Anwendungsbereich der privatgerichteten Enquete Entsprechend einer weiten Auslegung der Korollartheorie lO gilt der Grundsatz, daß dem Parlament für alle Gegenstände, die es beraten und diskutieren kann, auch das Instrument der parlamentarischen Untersuchung zur Sachaufklärung zur Verfügung steht, auch im Bereich der privatgerichteten Enquete. Die Funktion und Bedeutung, die dem Parlament in unserem heutigen Verfassungssystem zukommt, rechtfertigt ohne einen ausdrücklichen Vorbehalt in der Verfassung grundsätzlich keine speziellen Einschränkungen bereits auf der Ebene des Anwendungsbereichs parlamentarischer Untersuchungen. Die Einsetzung einer Enquete beinhaltet jedoch nicht automatisch die Möglichkeit des Einsatzes strafprozessualer Zwangsmittei ll . Hieran sind bei Beachtung der Grundrechte im Rahmen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit hohe Anforderungen zu stellen. Um der Problematik der privatgerichteten Enquete gerecht zu werden, muß man sich im Sinne Steinbergers 12 von der in der Literatur verbreiteten Vorstellung 13 frei machen, daß das Instrument der parlamentarischen Untersuchung grundsätzlich 7 BTDS XII1683 (neu); der CDU/CSU- und F.D.P.-Antrag zum selben Themenkomplex, BTDS XII1680, führt unter 11.2. die Hanauer Nuklearbetriebe namentlich auf, siehe auch oben II.3.k). 8 Vgl. BayVerfGHE 30, 48 ff., 65; siehe dazu auch oben IY.2.a). 9 Steinberger, S. 1203. 10 Vgl. oben III.1.c). 11 V gl. Steinberger, S. 1193, 1197 f.; vgl. oben 1II.4. 12 Steinberger, S. 1193, 1197 f. 13 Bäckenfärde, S. 13; Schröder, Gutachten zum 57. DJT, S. E. 20, E 24 f.; Masing, S. 283; Meyer, Rechtsgutachten I, S. 66; Meyer, Rechtsgutachten 11, S. 18,20 f., 58.
2. Der Anwendungsbereich der privatgerichteten Enquete
187
die Möglichkeit eröffnet, im gesamten Spektrum möglicher Enqueten auch die Zwangsmittel der StPO einzusetzen. Die Anwendung derartiger Befugnisse bedarf einer gesonderten Zulässigkeitsprüfung. Zwangsmittel dürfen nur in noch zu erörternden engen Grenzen zur Anwendung gelangen. Die bloße Möglichkeit ihres Einsatzes in parlamentarischen Untersuchungsverfahren und die damit verbundenen Grundrechtseingriffe rechtfertigen keine restriktive Auslegung des Anwendungsbereichs parlamentarischer Enqueten. Im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit des Einsatzes von Zwangsmitteln sind die mit der Durchsuchung und Beschlagnahme oder sogar mit der Beugehaft verbundenen Grundrechtseingriffe mit der Bedeutung der parlamentarischen Untersuchung abzuwägen und entsprechend dem Prinzip praktischer Konkordanz zum Ausgleich zu bringen. Dabei ist insbesondere der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Es besteht jedoch kein Anlaß, die eventuelle Möglichkeit des Einsatzes von Zwangsbefugnissen bereits bei der Frage der Zulässigkeit einer Enquete mit zu berücksichtigen. Es sind auch keine anderen Gründe ersichtlich, die es rechtfertigen, das parlamentarische Untersuchungsrecht enger zu fassen als die Befassungskompetenz des Parlaments. Wie bereits erörtert 14 , läßt sich aus der Entstehungsgeschichte keine Beschränkung des Enqueterechts auf den öffentlichen Bereich herleiten. Dies entspricht der Verfassungspraxis, denn seit Einführung des Untersuchungsrechts in Art. 34 WRV hat es immer wieder privatgerichtete Ausschüsse gegeben 15 • Das Recht der parlamentarischen Untersuchung ist ein Instrument der Volksvertretung, mit dessen Hilfe diese sich Informationen im gesamten Bereich ihrer Funktionen verschaffen kann. Dies gilt für den Deutschen Bundestag auch insofern, als er in seiner Eigenschaft als parlamentarisches Forum der Nation tätig wird 16 . Es ist Sinn des Enqueterechts, dem Parlament im Rahmen seiner Organkompetenz zu ermöglichen, sich unabhängig von anderen Staatsorganen, insbesondere von der Exekutive, Informationen zur Wahrnehmung seiner sämtlichen Funktionen zu verschaffen 17 • Art. 44 Abs. 1 S. 1 GG kann nicht dahingehend interpretiert werden, daß die parlamentarische Untersuchung nur zur Vorbereitung rechtsverbindlicher Beschlüsse im Bereich der Gesetzgebung oder der Exekutivkontrolle zulässig ist. Wie bereits erörtert, ist eine derartige Auslegung der Korollartheorie abzulehnen 18 • Wenn Schröder bei Enqueten, die weder der Gesetzesvorbereitung noch der Kontrolle staatlichen Handeins dienen, die Proportionalität zwischen Eingriffswirkung und Untersuchungsziel nicht mehr gewahrt sieht 19 , so ist dies darauf zurückzuführen, daß er zwischen dem Anwendungsbereich des parlamentarischen Untersuchungsrechts und der Möglichkeit des Einsatzes von Zwangsmitteln nicht hinrei14 15 16 17
18 19
Vgl. oben II.l. Vgl. oben 11.2.-5. Vgl. oben 1II.l.c). Vgl. Partsch, Gutachten zum 45. DJT, S. 13; Steinberger, S. 119l. Vgl. oben 1II.l.c). Schröder, Gutachten zum 57. DJT, S. E 25; vgl. oben lIlA.
188
VI. Die Anwendung des Untersuchungsrechts gegenüber Privaten
chend differenziert. Dies gilt auch für Depenheuer/Winands, die das Enqueterecht als schärfstes aller parlamentarischen Informationsmittel nur zur Kontrolle bei Vorliegen eines Anfangsverdachts für zulässig erachten 2o • Wie bereits aufgezeigt, berufen sie sich im übrigen zu Unrecht auf die Entstehungsgeschichte von Art. 34 WRV 2 !. Steinberger verweist demgegenüber zu Recht darauf, daß es dem Parlament in weiten Bereichen, mit denen es sich befassen darf, verwehrt wäre, sich mit Hilfe des parlamentarischen Untersuchungsrechts sachkundig zu machen, wenn Voraussetzung für die Einsetzung einer Enquete - wie von Masing gefordert22 ein Staatsbezug in Form von vermuteten Mißständen bei der öffentlichen Hand wäre. Dies würde insbesondere Bereiche betreffen, die bisher nicht von Rechtsnormen geregelt sind, so daß keine Ausführungs- und Aufsichtspflichten bestehen, deren mangelhafte Erfüllung durch die Behörden einen Staatsbezug herstellen könnte 23 . Selbst wenn man parlamentarische Untersuchungen nur zur Vorbereitung von Gesetzgebungs- und Kontrollakten für zulässig erachten würde, wäre damit kein geeignetes Kriterium zum Schutz des Privatbereichs gefunden. Bei geschickter Formulierung läßt sich nahezu jedes Untersuchungsthema in bezug zu derartigen Vorhaben setzen. Dies gilt insbesondere im legislativen Bereich, denn im Rahmen einer Enquete gewonnene Erkenntnisse können grundsätzlich in allen Sachgebieten zur Schaffung neuer oder zur Änderung bestehender gesetzlicher Regelungen führen. Bei einer gerichtlichen Überprüfung der Zulässigkeit einer parlamentarischen Untersuchung kann kaum nachgewiesen werden, daß die Vorbereitung von Gesetzgebungs- oder Kontrollbeschlüssen des Parlaments tatsächlich gar nicht beabsichtigt bzw. nur vorgeschoben wird24 . Steinberger ist zuzustimmen, daß durch eine Beschränkung des Untersuchungsrechts auf die Vorbereitung von Gesetzgebungs- und Kontrollakten letztlich nicht wirksam verhindert werden kann, daß das Recht der parlamentarischen Enquete dazu mißbraucht wird, Unternehmen zu exponieren oder zu diskreditieren, obwohl keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß sie sich rechtswidrig verhalten haben 25 • Das Parlament ist grundsätzlich befugt, sich im gesamten Bereich seiner Gesetzgebungskompetenz, auch im Rahmen einer Sachstands- oder Perspektivenenquete, Informationen zu verschaffen. Der Deutsche Bundestag kann sich beispielsweise über die Wirkung und Beachtung von Bundesrecht sachkundig machen. Dies gilt auch für den nichtöffentlichen Bereich. Insbesondere auf Bundesebene bestehen daher umfangreiche Möglichkeiten zur Durchführung von Untersuchungen nach Art. 44 GG im Privatbereich, da der Bundestag über weitgehende Gesetzgebungs20 2! 22
23 24
25
DepenheuerlWinands, S. 262; vgl. oben III.4. Vgl. oben II1.4. Vgl. Ausführungen zu Masing, oben III.4. Steinberger, S. 1209. Vgl. Steinberger, S. 1197; vgl. ferner oben III.l.d). Steinberger, S. 1197.
2. Der Anwendungsbereich der privatgerichteten Enquete
189
kompetenzen auf dem Gebiet des gesellschaftlichen, familiären und wirtschaftlichen Lebens verfügt26 . Es liegt in der Kompetenz des Bundesparlaments, sich im Rahmen seiner Organzuständigkeit über ein bestimmtes, den Privatbereich betreffendes Sachgebiet Informationen zu verschaffen und anschließend zu entscheiden, ob politische Konzeptionen oder Rechtsnormen zu ändern sind oder ob kein Handlungsbedarf besteht 27 . Das parlamentarische Untersuchungsrecht kann auch dazu genutzt werden, Empfehlungen an die Regierung zu erarbeiten. Die Regelungskompetenz des Parlaments bezieht sich nicht nur auf das einfache Gesetzesrecht, sondern darüber hinaus auf die Änderung von Verfassungsvorschriften. Auch in diesem Bereich kann sich die Volksvertretung, unabhängig davon, ob tatsächlich eine Verfassungsänderung geplant ist, des Mittels der parlamentarischen Untersuchung zur Informationsgewinnung bedienen. Auf Bundesebene ist eine Neufassung von Regelungen des Grundgesetzes nur im Rahmen von Art. 79 Abs. 3 GG zulässig. Auch die darin enthaltenen weiten Grenzen einer möglichen Verfassungsänderung bilden jedoch keine absolute Schranke für die Befassungskompetenz des Parlaments und den Anwendungsbereich des parlamentarischen Untersuchungsrechts. So besteht die Möglichkeit, und unter Umständen sogar die Notwendigkeit, gesetzliche Bestimmungen zum Schutz unantastbarer Verfassungsgrundsätze zu schaffen. Demgegenüber dürfen in diesen durch Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Bereichen im Rahmen einer parlamentarischen Enquete keine Alternativen zu den bestehenden grundgesetzlichen Regelungen entwickelt werden. Eine Untersuchung, die darauf abzielt, ist von Anfang an unzulässig. Eine weitere Zulässigkeitsvoraussetzung für die Anwendung des parlamentarischen Untersuchungsrechts sieht Steinberger darin, daß am Thema der Enquete ein nach objektiven Kriterien zu bestimmendes öffentliches Interesse von hinreichendem Gewicht bestehen muß. Er hält dies für eine immanente sachliche Grenze des Rechts der parlamentarischen Untersuchung 28 . Gerichtlich kann das Vorliegen dieser Zulässigkeitsvoraussetzung daraufhin überprüft werden, ob das Parlament bei Erteilung des Untersuchungsauftrags seinen Beurteilungsspielraum offenkundig verletzt hat29 . In diesen Punkten kann Steinberger nicht zugestimmt werden. Wie bereits festgestellt, ist die Frage, ob die Durchführung einer Enquete im öffentlichen Interesse liegt, ausschließlich nach politischen Kriterien zu beantworten3o . Durch diesen Begriff wird lediglich die Untersuchungsaufgabe näher umschrieben. Die parlamentarische Entscheidung über das Vorliegen öffentlichen Interesses ist gerichtlich nicht überprüfbar31 . 26 27 28
29 30 31
Vgl. Steinberger, S. 1193; vgl. oben 1Il.4. Vgl. Steinberger, S. 1195. Steinberger, S. 1195. Steinberger, S. 1196. Siehe oben III.2. b) Siehe oben III.2.c).
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VI. Die Anwendung des Untersuchungsrechts gegenüber Privaten
Der durch das Grundgesetz garantierte Persönlichkeitsschutz sowie der Datenschutz für Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse wird grundsätzlich erst im Rahmen der Durchführung des Untersuchungsverfahrens und nicht bereits bei der Einsetzung der Enquete relevant. Dies gilt nicht, wenn die Untersuchung von Anfang an klar erkennbar darauf abzielt, in den unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung einzugreifen oder Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse um ihrer selbst willen zu ermitteln. Nur bei einem derart offensichtlichen Mißbrauch des Enqueterechts wird eine natürliche Person oder juristische Person des Privatrechts bzw. eine sonstige Personenmehrheit, die ganz oder zu einem maßgeblichen Teil Gegenstand der Untersuchung ist, schon durch die Konstituierung des Ausschusses gegenwärtig und unmittelbar in ihrer Grundrechtssphäre beeinträchtigt, ohne daß es dazu eines weiteren Vollziehungsakts bedarf. Ansonsten stellt die Einsetzung einer parlamentarischen Enquete jedoch ein Parlamentsintemum dar, durch das Grundrechte Dritter nicht berührt werden können 32 . In der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland hat es bisher weder im Bereich des Bundes noch auf Landesebene einen Mißbrauch des Untersuchungsrechts in der soeben beschriebenen Form gegeben. Auch die Wahrscheinlichkeit, daß es in Zukunft dazu kommen wird, ist gering. Dennoch soll die Unzulässigkeit derartiger parlamentarischer Enqueten nicht unerwähnt bleiben. Ein zukünftiger Bedeutungszuwachs extremer politischer Parteien in den Parlamenten ist leider nicht auszuschließen. Die Barmat-Untersuchungsausausschüsse haben gezeigt, daß insbesondere die Gefahr von Verletzungen des Persönlichkeitsrechts im Rahmen parlamentarischer Untersuchungen besonders groß ist, wenn links- oder rechtsextreme Parteien maßgeblichen Einfluß auf die Enquete haben und es schaffen, die demokratischen Kräfte in die Defensive zu drängen 33 . Auch die Barmat-Ausschüsse waren jedoch von der Formulierung des Untersuchungsauftrags her nicht von Anfang an erkennbar darauf gerichtet, in den nach heutigem Verständnis unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung einzugreifen oder Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse um ihrer selbst willen zu ermitteln34 .
Dadurch, daß der Deutsche Bundestag durch die Regelung des § 56 GeschOBT die Möglichkeit geschaffen hat, zur Vorbereitung von Entscheidungen über umfangreiche Sachkomplexe Enquetekommissionen einzusetzen, wird der Anwendungsbereich von Art. 44 GG nicht eingeschränkt. Die Auffassung, nach der zur Vorbereitung von Gesetzgebungsmaßnahmen nur noch das Verfahren nach § 56 GeschOBT, nicht jedoch das parlamentarische Untersuchungsverfahren angewandt werden darf35 , ist abzulehnen. Bestimmungen der Geschäftsordnung können durch die Verfassung zugewiesene Kompetenzen nicht verdrängen 36 . 32 HessStGH, ESVGH 22, 136 ff., 137 f.; vgl. oben IY.2.a); BayVerfGHE 1983, 211 ff., 213; vgl. oben IY.2.a). 33 Siehe oben II.2.c). 34 Siehe oben II.2.c) 35 Zeh, S. 709 f.; vgl. oben lIlA.
3. ßundesstaatliche Grenzen des Untersuchungsrechts im Privatbereich
191
3. Bundesstaatliche Grenzen des parlamentarischen Untersuchungsrechts im Privatbereich Auch aus bundesstaatlichen Gesichtspunkten sind dem parlamentarischen Untersuchungsrecht sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene keine engen Grenzen gesetzt. Meyer kommt zwar auf der Grundlage von Art. 30 GG zu dem Ergebnis, daß privates Verhalten nicht dem Enqueterecht des Deutschen Bundestages unterliegt37 • Seine Ausführungen beruhen jedoch im wesentlichen auf der Annahme, daß das Recht der Untersuchung nach Art. 44 GG stets mit der Befugnis zum Einsatz prozessualer Zwangsrechte verbunden ist. Von einem Funktionszuwachs im parlamentarischen Bereich könne daher nicht automatisch auf eine Erweiterung der Kompetenz zur Einsetzung parlamentarischer Enqueten geschlossen werden. Bei einer differenzierenden Betrachtungsweise, die zwischen dem Anwendungsbereich des Untersuchungsrechts und der Möglichkeit des Einsatzes von Zwangsmitteln unterscheidet, kann dieser Argumentation nicht gefolgt werden. Umfang und Grenzen des parlamentarischen Untersuchungsrechts im privaten Bereich sind auch unter bundesstaatlichen Gesichtspunkten auf der Grundlage einer weiten Auslegung der Korollartheorie zu bestimmen. Dem jeweiligen Parlament steht das Enqueterecht im selben Umfang zu, wie es über Kontroll-, Gesetzgebungs-, Vollzugs- oder Aufsichtskompetenzen verfügt. Der Bund oder das jeweilige Land kann ferner in dem Maße Justizenqueten einsetzen, wie ihm Rechtsprechungskompetenzen zustehen. Die umfangreichen Gesetzgebungskompetenzen des Bundes auf gesellschaftlichem, familiärem und wirtschaftlichem Gebiet eröffnen dem Bundesparlament nicht nur im Hinblick auf die Organzuständigkeit des Bundestages, sondern auch unter bundesstaatlichen Gesichtspunkten einen weiten Bereich, der einer parlamentarischen Untersuchung zugänglich ist. Durch Einsetzung einer Mißstandsenquete können Verstöße Privater gegen Bundesrecht aufgeklärt werden. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Länder für die Ausführung der Gesetze zuständig sind. Der Deutsche Bundestag hat aber auch die Möglichkeit, sich im Rahmen einer Sachstands- oder Perspektivenenquete Informationen über Bereiche zu verschaffen, für die ihm die Gesetzgebungskompetenz zusteht38 . Eine legislative Zielsetzung ist dafür nicht zu fordern. Auch in diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß der Deutsche Bundestag im Rahmen von Art. 79 Abs. 3 GG über die Kompetenz verfügt, die Zuständigkeitsverteilung zwischen Bund und Ländern zu ändern 39 • 36 Steinberger, S. 1195; vgl. oben III.4.; Meyer-Bohl, S. 62 m.w.N., plädiert dafür, daß nach Einführung des Verfahrens nach § 56 GeschOßT die Möglichkeit der Gesetzesenquete auf der Grundlage von Art. 44 GG durch die parlamentarische Praxis nicht verdrängt werden sollte. 37 Meyer, Rechtsgutachten II, S. 18 ff.; vgl. oben 111.4. 38 Steinberger, S. 1190 f.; vgl. oben III.4.
192
VI. Die Anwendung des Untersuchungsrechts gegenüber Privaten
Dem Bundesparlament steht gegenüber den Verwaltungen der Länder grundsätzlich kein unmittelbares Untersuchungsrecht zu. Da der Bundestag jedoch die parlamentarische Kontrolle gegenüber der Bundesregierung ausübt, ist er auch befugt, zu überprüfen, ob die Regierung ihren Aufsichtspflichten aus Art. 84 und 85 GG gegenüber den Bundesländern nachgekommen ist. Daraus ergibt sich als eine Art Reflex, daß dem Bundesparlament mittelbar auch in gewissem Umfang ein Untersuchungsrecht im Landesbereich zusteht. Nach dieser von der h.M. vertretenen Reflextheorie ist der Anwendungsbereich des parlamentarischen Untersuchungsrechts des Bundes beschränkt auf Art und Umfang der der Bundesregierung zustehenden Aufsichtsmiuel 40 . Kölble verweist zurecht darauf, daß die herrschende Reflextheorie insofern zu eng ist, als sie das Untersuchungsrecht des Deutschen Bundestages gegenüber den Länderexekutiven allein davon abhängig macht, in welchem Umfang der Bundesregierung das Recht zur Bundesaufsicht gegenüber den Ländern zusteht41 . Neben Art. 84 und 85 GG billigen auch andere Grundgesetzvorschriften der Bundesregierung Rechte und Pflichten im Landesbereich zu. Nach Art. 28 Abs. 3 GG hat der Bund sicherzustellen, daß die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesländer den Grundrechten und den Bestimmungen von Art. 28 Abs. 1 und 2 GG entspricht. Art. 37 GG begründet das Recht zum Bundeszwang, und nach Art. 91 Abs. 2 GG obliegen der Bundesregierung spezielle Weisungs- und Einsatzzuständigkeiten für den Fall, daß ein Land zur Abwehr eines inneren Notstandes nicht bereit oder in der Lage ist. Auch mit diesen grundgesetzlichen Rechten und Pflichten der Bundesregierung korrespondiert das parlamentarische Untersuchungsrecht des Deutschen Bundestages nach Art. 44 GG. Zu folgen ist Kölble auch darin, daß der Bundestag nicht nur mittelbar im Rahmen der Kontrolle der Bundesregierung, sondern bei bestimmten Konstellationen auch unmittelbar berechtigt sein kann, sich mit der hoheitlichen Verwaltung der Länder zu befassen. Zu diesem Zweck kann er sich auch des Mittels der parlamentarischen Untersuchung nach Art. 44 GG bedienen. Kölble verweist in diesem Zusammenhang auf die Kompetenz-Kompetenz des Bundesgesetzgebers sowie darauf, daß Art. 28 Abs. 3 GG den Bund und damit nicht nur die Bundesregierung, sondern auch den Bundestag berechtigt und verpflichtet, die strukturelle Homogenität zwischen dem Grundgesetz und der verfassungsmäßigen Ordnung der Länder zu gewährleisten42 • Vgl. Kölble, S. 702; vgl. oben m.3. Maunz, in Maunz-Dürig, Art. 44, Rdnr. 16; Böckenförde, S. 25; Lässig, Beschränkungen des Beweiserhebungsrechts parlamentarischer Untersuchungsausschüsse - insbesondere aufgrund des Bundesstaatsprinzips, DÖV 1976, S. 727 ff., 732; Hilf, Untersuchungsaussschüsse vor den Gerichten, NVwZ 1987, S. 537 ff., 539; Schmidt-Bleibtreu/Klein, Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 7. Aufl., Neuwied 1990, Art. 44, Rdnr. 5; vgl. ferner Meyer-Bohl, S. 151; Kölble, S. 704. 41 Kölble, S. 704. 42 Kölble, S. 704. 39
40
3. Bundesstaatliche Grenzen des Untersuchungsrechts im Privatbereich
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Besonders hebt Kölble hervor, daß auch die Funktion des Bundestages als parlamentarisches Forum der Nation ihm ein unmittelbares Untersuchungsrecht im Landesbereich eröffnet43 . Auch dieser Ansicht ist grundsätzlich zuzustimmen. Um das Untersuchungsrecht des Bundes im Länderbereich nicht zu sehr ausufern zu lassen, ist insofern jedoch eine restriktive Auslegung erforderlich. Der Deutsche Bundestag darf Angelegenheiten, die ansonsten ausschließlich in den Zuständigkeitsbereich der Länder fallen, aufgrund seiner Funktion als parlamentarisches Forum der Nation nur dann zum Anlaß der Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses nach Art. 44 GG nehmen, wenn das Thema der Enquete gesamtstaatliche Belange von erheblichem Gewicht berührt. Dies ist beispielsweise beim Vorliegen eines schwerwiegenden Korruptionsskandals, der mehrere Landesverwaltungen betrifft, der Fall. Aber auch die Untersuchung des Koordinationsbedarfs in der Bildungspolitik von Bund und Ländern mittels einer Sachstands- und Perspektivenenquete kann einen solchen Belang darstellen. Nicht ausreichend ist jedoch, daß eine Angelegenheit über die Landesgrenzen hinaus Aufsehen in der Öffentlichkeit erregt hat. Hinsichtlich der Frage, ob das Thema einer Enquete gesamtstaatliche Belange von erheblichem Gewicht betrifft, ist dem Bundestag ein Beurteilungsspielraum zuzugestehen. Ob das Parlament diesen bei seiner Entscheidung überschritten hat, kann gerichtlich überprüft werden. Es wird darauf hingewiesen, daß im Rahmen dieser Arbeit keine Aussagen darüber getroffen werden, inwiefern die Anwendung des parlamentarischen Untersuchungsrechts des Bundes nach Art. 44 GG im Länderbereich auch den Einsatz strafprozessualer Zwangsmittel gegenüber der Länderexekutive rechtfertigt. Nach den vorangegangenen Erörterungen ist der Umfang des parlamentarischen Untersuchungsrechts sowohl des Bundestages als auch der Landtage auf der Grundlage einer weiten Auslegung der Korollartheorie zu bestimmen. Es ist danach möglich, daß ein Sachverhalt - sei es zeitgleich oder zeitversetzt - sowohl von einem Untersuchungsausschuß des Bundestages als auch von einer oder mehreren parlamentarischen Enqueten auf Landesebene aufgeklärt wird. Die Barmatund Neue-Heimat-Untersuchungsausschüsse sind Beispiele derartiger Doppeluntersuchungen. Sie sind insbesondere für natürliche Personen oder juristische Personen des Privatrechts bzw. für sonstige Personenmehrheiten, die ganz oder zu einem maßgeblichen Teil Gegenstand der Enquete sind, mit erheblichem Aufwand verbunden. Die Möglichkeit von Doppeluntersuchungen ist eine Folge davon, daß sich die Aufgaben der Parlamente von Bund und Ländern nach dem Grundgesetz nicht trennscharf voneinander abgrenzen lassen. Der Umfang des parlamentarischen Untersuchungsrechts korrespondiert mit der Zuständigkeit des jeweiligen Parlaments. Liegen die erörterten rechtlichen Voraussetzungen für die Aufklärung eines Sachverhalts durch einen Untersuchungsausschuß sowohl beim Bund als auch bei einem oder mehreren Ländern vor, läßt sich das Recht, diese Angelegenheiten mit 43
Kölble, S. 704 f.; vgl. auch oben 1II.3.
13 Köhler
194
VI. Die Anwendung des Untersuchungsrechts gegenüber Privaten
Hilfe des parlamentarischen Enqueterechts zu untersuchen, nicht alternativ auf das Parlament des Bundes oder eines Landes übertragen, ohne in die Zuständigkeit eines oder mehrerer anderer Parlamente einzugreifen. Doppeluntersuchungen sind daher grundsätzlich zulässig44 . Sie müssen aber entsprechend dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit so durchgeführt werden, daß dadurch Private, die Gegenstand der Enquete sind, nicht unangemessen beeinträchtigt werden. Aus diesem Grund kann auch die Kooperation verschiedener Ausschüsse im Bund und in den Ländern erforderlich werden 45 •
4. Umfang und Grenzen des Beweiserhebungsrechts parlamentarischer Untersuchungsausschüsse a) Die Anwendbarkeit strafprozessualer Zwangsmittel
Nach Art. 44 Abs. I S. 1, Abs. 2 S. 1 GG gelten für die Beweiserhebung parlamentarischer Untersuchungsausschüsse die Vorschriften über den Strafprozeß sinngemäß. Diese Regelung bezieht sich damit grundsätzlich auf alle Bestimmungen, die die strafprozessuale Sachverhaltsaufklärung betreffen. Dazu gehören auch die Vorschriften über Zwangsbefugnisse46 . Deren Anwendung muß jedoch verhältnismäßig sein. An die Möglichkeit des Einsatzes von Zwangsmitteln sind daher hohe Anforderungen zu stellen. Bei der hier vorzunehmenden Abwägung zwischen der Bedeutung des parlamentarischen Untersuchungsrechts und der der Grundrechte ist letzteren ein ihrem Stellenwert entsprechend großes Gewicht beizumessen.
aa) Die Anwendbarkeit von Zwangsbefugnissen der StPO im Rahmen von Enqueten, die den Privatbereich lediglich als Annex zum öffentlichen Bereich in ihre Untersuchungen mit einbeziehen Die strafprozessualen Zwangsmittel der Durchsuchung und Beschlagnahme sowie des Zeugniszwanges sind zunächst im Rahmen von Kontroll- und Mißstandsenqueten, die den öffentlichen Bereich betreffen, anwendbar. Auch eine solche klassische, sich auf das Handeln der Exekutive beziehende parlamentarische Untersuchung kann Fragen aufwerfen, deren Aufklärung den Privatbereich berührt. Auf vielen Gebieten der öffentlichen Verwaltung ist das staatliche Handeln derart eng mit der Stellung von Anträgen oder anderen Handlungen seitens natürlicher Personen oder juristischer Personen des Privatrechts bzw. sonstiger Personenmehr44 Doppeluntersuchungen werden auch von Kölble, S. 705 und Schröder, Gutachten zum 57. DIT, S. E 32 für zulässig erachtet; a.A.: Schleich, S. 76; vgl. ferner Meyer-Bohl, S. 143 f. 45 Vgl. Kölble, S. 705; Schröder, Gutachten zum 57. DIT, S. E 32 f. 46 BVerfGE 77, I ff., 48 f.; BVerfGE 76,363 ff., 383; vgl. oben IY.2.b)bb).
4. Umfang und Grenzen des Beweiserhebungsrechts
195
heiten verzahnt, daß eine Kontrolle der öffentlichen Hand ohne Ermittlungen im Privatbereich nicht effektiv ist. Ungerechtfertigte Bevorzugungen einzelner privater Unternehmen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge, aber auch bei der Gewährung von Subventionen oder bei der Erteilung staatlicher Genehmigungen durch Behörden sind z. B. ohne eine Einbeziehung des Handeins Privater nicht hinreichend aufzuklären. Werden öffentlich Bedienstete oder Minister der Korruption bezichtigt, können derartige Vorwürfe nicht nur im Bereich der Verwaltung aufgeklärt werden, sondern sind auch Untersuchungen in bezug auf diejenigen anzustellen, die von den entsprechenden Verwaltungsentscheidungen profitiert haben. Beispiele parlamentarischer Enqueten, die in erster Linie den öffentlichen Bereich betrafen, den Privatbereich jedoch in vergleichbarer Weise als Annex berührten, hat es in der Vergangenheit genügend gegeben. Auf Bundesebene sind in diesem Zusammenhang der Untersuchungsausschuß "Überprüfung von Einfuhren,,47 sowie die Ausschüsse "Bonner Bauten,,48, "Flick,,49 und "HDW/IKL,,5o zu erwähnen. Grundsätzlich sind auch die Untersuchungsausschüsse ,,Fibag,,51, "Schützenpanzer HS 30,,52 und "Pan International,,53 dieser Kategorie parlamentarischer Enqueten zuzurechnen, wenngleich in diesen Fällen Art und Umfang der den Privatbereich betreffenden Ermittlungen es rechtfertigen, sie nicht ausschließlich als Annex zur Kontrolle des öffentlichen Bereichs anzusehen. Diese Untersuchungsausschüsse enthalten auch Elemente einer privatgerichteten Mißstandsenquete. Auf der Ebene der Bundesländer hat es vor allem Enqueten im Zusammenhang mit Bau- und Grundstücksgeschäften54 gegeben, deren Untersuchungen den Privatbereich als Annex zur Kontrolle der öffentlichen Verwaltung mit einbezogen haben. Soweit die Aufklärung von Sachverhalten im Privatbereich erforderlich ist, um die Kompetenz des Parlaments zur Exekutivkontrolle wirksam wahrnehmen zu können, ist auch im Rahmen eines parlamentarischen Untersuchungsverfahrens die Anwendung strafprozessualer Zwangsmittel grundsätzlich zulässig. Ihr Einsatz entspricht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, da er der Aufklärung von Sachverhalten und Verantwortlichkeiten im öffentlichen Bereich dient. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, daß die Exekutive dem Parlament gegenüber rechenschaftspflichtig ist55 . Im Rahmen einer parlamentarischen Untersuchung V gl. oben II.3.a). Vgl. oben II.3.c). 49 Vgl. oben II.3.h). 50 Vgl. oben II.3.j). 51 Vgl. oben II.3.e). 52 Vgl. oben II.3.f). 53 Vgl. oben II.3.g). 54 V gl. oben IIA.a). 55 Darauf verweist auch Studenroth, S. 142, allerdings im Zusammenhang mit der Erörterung der Frage, inwiefern mittelbare Untersuchungen privater Bereiche im Rahmen von staatsgerichteten Kontroll- und Mißstandsenqueten überhaupt zulässig sind. 47
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VI. Die Anwendung des Untersuchungsrechts gegenüber Privaten
können Zwangsmittel zur Exekutivkontrolle grundsätzlich eingesetzt werden. Dies gilt auch zur Erlangung von Infonnationen aus dem Privatbereich, sofern dieser mittelbar in die Enquete einbezogen ist, da das zu überprüfende staatliche Handeln nur unter Einbeziehung von Tatsachen aus dem Bereich natürlicher Personen oder juristischer Personen des Privatrechts bzw. sonstiger Personenmehrheiten aufzuklären ist. Soweit der Privatbereich als Annex zum öffentlichen Bereich Gegenstand der Enquete ist, besteht daher grundsätzlich auch die Möglichkeit des Einsatzes von Zwangsmitteln gegenüber Privaten. Im Rahmen einer parlamentarischen Untersuchung dürfen strafprozessuale Zwangsbefugnisse jedoch nicht angewandt werden, um Infonnationen zu erhalten, deren Weitergabe für den Betroffenen wegen ihres streng persönlichen Charakters unzumutbar ist56 . bb) Die Anwendbarkeit strafprozessualer Zwangsmittel im Rahmen von unmittelbar privatgerichteten Enqueten
Anders ist die Zulässigkeit des Einsatzes von Zwangsmitteln gegenüber Privaten bei Enqueten zu beurteilen, die den Privatbereich als solchen und nicht lediglich in Akzessorietät zum öffentlichen Bereich zum Gegenstand ihrer Untersuchungen machen. Bei derartigen privatgerichteten parlamentarischen Enqueten ist der Einsatz strafprozessualer Zwangsbefugnisse in Anlehnung an Steinberger nur dann verhältnismäßig, wenn ein tatsachenbezogener konkreter Anfangsverdacht vorliegt, der bei vernünftiger Betrachtungsweise zum Zeitpunkt der Fassung des Beweisbeschlusses den Schluß rechtfertigt, daß durch die Aufklärung des Sachverhalts Rechtsverstöße nicht unerheblicher Art aufgedeckt werden. Nicht zu folgen ist Steinberger jedoch darin, daß derartige vennutete Rechtsverletzungen nur im Rahmen einer Mißstandsenquete, "die - und insoweit als sie - auf die Aufklärung möglicher Rechtsverstöße gerichtet" ist, mit Hilfe des Einsatzes strafprozessualer Zwangsmittel aufgeklärt werden dürfen57 • Die bereits erörterten Einteilungsmöglichkeiten parlamentarischer Untersuchungen in Mißstands-, Sachstands-, Kontroll-, Gesetzgebungs- oder Kollegialenqueten 58 dienen zwar der näheren Umschreibung einer Enquete, haben jedoch darüber hinaus grundsätzlich keinerlei rechtliche Bedeutung. Es wurde auch bereits erwähnt, daß die verschiedenen Fonnen parlamentarischer Untersuchungen sich nicht gegenseitig ausschließen, sondern ergänzen59 . Eine Enquete, die zunächst als Sachstandsenquete eingesetzt wird, kann im Laufe der Ermittlungen sehr viele Unzulänglichkeiten zutage fördern, die es rechtfertigen, sie zumindest teilweise als Mißstandsenquete anzusehen. Dabei kann sich auch während des Verfahrens der 56 57 58 59
Vgl. BVerlGE 67, 100 ff., 144; vgl. oben IV.2.b)aa). Steinberger, S. 1211 ff., insbes. S. 1211 und S. 1213; vgl. oben IIIA. Vgl. oben I.2.a). Siehe oben I.2.a).
4. Umfang und Grenzen des Beweiserhebungsrechts
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Verdacht ergeben, daß es zu nicht unerheblichen Rechtsverletzungen gekommen ist. Es wäre daher nicht gerechtfertigt, die Anwendung strafprozessualer Zwangsmittel zur Aufklärung von Rechtsverstößen im Privatbereich bei einem bestehenden Anfangsverdacht auf Mißstandsenqueten zu beschränken, die von vornherein auf die Aufklärung von Rechtsverstößen gerichtet sind. Dies würde dem Charakter des parlamentarischen Untersuchungsrechts widersprechen. Spätestens dann, wenn sich im Rahmen einer Enquete ein Anfangsverdacht hinsichtlich des Vorliegens von Rechtsverletzungen ergibt, weist die parlamentarische Untersuchung auch Elemente einer Mißstandsenquete auf. In Anbetracht der bereits erwähnten Mehrstufigkeit des Untersuchungsverfahrens 60 ist es ausreichend, daß ein Anfangsverdacht in bezug auf das Vorliegen von Rechtsverstößen nicht unerheblicher Art durch den Beweisbeschluß eines Untersuchungsausschusses konkretisiert wird, um einen Sachverhalt, wenn erforderlich, auch durch den Einsatz strafprozessualer Zwangsmittel aufklären zu können. Die Anwendung strafprozessualer Zwangsbefugnisse stellt eine erhebliche Einschränkung der Grundrechte dar. Unser Rechtssystem sieht die Anwendbarkeit derartiger Maßnahmen daher nur zur Gewährleistung der Rechtsordnung vor. Lediglich zu diesem Zweck stellen die damit verbundenen Grundrechtsbeschränkungen verhältnismäßige Eingriffe in die Freiheitsgewährleistungen des Grundgesetzes dar. Da Zwangsrechte gegenüber Privaten auch in anderen Verfahren, die der Aufklärung von Rechtsverstößen dienen, anwendbar sind, ist Steinberger insoweit zuzustimmen, daß kein Grund besteht, warum für Untersuchungsverfahren nach Art. 44 GG bzw. den entsprechenden Regelungen der Landesverfassungen etwas anderes gelten S01l61. Wie bereits erwähnt, würde es jedoch dem Charakter des parlamentarischen Untersuchungsrechts widersprechen, zu fordern, daß die Enquete von Anfang an auf das Ziel ausgerichtet sein muß, Rechtsverstöße aufzuklären. Steinberger erachtet für den Einsatz strafprozessualer Zwangsmittel im Privatbereich ferner das Vorhandensein eines gewichtigen, über das Strafverfolgungsinteresse hinausgehenden öffentlichen Interesses für erforderlich62 . Darin ist jedoch kein greifbares Eingrenzungskriterium für die Anwendbarkeit der Zwangsmittel nach der StPO zu sehen. Der Begriff des öffentlichen Interesses ist in diesem Zusammenhang lediglich als eine nicht justiziabele nähere Beschreibung des Einsatzbereichs strafprozessualer Zwangsmittel zu werten 63 . Zu anderen Zwecken als zur Aufdeckung von Rechtsverstößen ist der Einsatz von Zwangsmitteln der StPO im Rahmen einer unmittelbar privatgerichteten parlamentarischen Enquete immer unverhältnismäßig. Steinberger verweist zurecht darauf, daß der Bürger dem Parlament keine Rechenschaft über seine Lebensführung 60 61
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Siehe oben VI. 1. Steinberger, S. 1211 ff., insbes. S. 1214; vgl. oben III.4. Steinberger, S. 1214; vgl. oben III.4. V gl. die Ausführungen oben unter III.2., insbes. unter c) und d).
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VI. Die Anwendung des Untersuchungsrechts gegenüber Privaten
schuldet, solange er sich an die Rechtsordnung hält64 . Weiterhin ist in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, daß es sich bei einem Untersuchungsverfahren nicht nur um ein politisches Verfahren handelt, sondern daß parlamentarische Enqueten darüber hinaus Instrumente des politischen Kampfes sind65 . Gegen die Verhältnismäßigkeit des Einsatzes von strafprozessualen Zwangsmitteln zu anderen Zwecken als zur Aufklärung von Rechtsverstößen spricht auch, daß sich Sachverhalte, die keine Rechtsverletzungen beinhalten in aller Regel auch ohne die Anwendung der Zwangsbefugnisse der StPO aufklären lassen. So verfügen auch die Enquete-Kommissionen nach § 56 GeschOBT nicht über die Möglichkeit des Einsatzes strafprozessualer Zwangsmittel. In Anbetracht des weiten Anwendungsbereichs des parlamentarischen Untersuchungsrechts im Privatbereich ist die Möglichkeit des Einsatzes strafprozessualer Zwangsmittel nur unter der engen Voraussetzung verhältnismäßig, daß er der Aufklärung von Rechtsverstößen dient, für die ein tatsachenbezogener konkreter Anfangsverdacht vorliegt. Wären die Zwangsbefugnisse der StPO zu Gesetzgebungszwecken oder aufgrund anderer Informationsbedürfnisse des Parlaments anwendbar, könnte letztlich der gesamte Bereich des gesellschaftlichen, privaten und privatwirtschaftlichen Lebens mit Hilfe von strafprozessualen Zwangsmitteln ausgeforscht werden. Daß dies im Hinblick auf den Stellenwert der Grundrechte in unserer Verfassung nicht mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu vereinbaren wäre, ist offensichtlich und braucht daher nicht näher erläutert zu werden. Steinberger verweist zurecht auf den kaum mehr zu übersehenden Umfang der Aussagepflichten von Zeugen im Rahmen von Gesetzgebungs- sowie Sachstandsund Perspektivenenqueten. Eine erzwungene Zeugenaussage, die nicht der Aufklärung konkreter Rechtsverstöße dient, wäre daher auch in Anbetracht der Strafandrohung der Aussagedelikte nicht mehr zumutbar66 . Im Rahmen parlamentarischer Enqueten, die den Privatbereich direkt und nicht nur als Annex zum öffentlichen Bereich betreffen, können Zwangsmittel gegenüber Privaten nur bei Bestehen eines Anfangsverdachts hinsichtlich des Vorliegens von nicht unerheblichen Rechtsverletzungen zum Einsatz gelangen. Darüber hinaus ist die Anwendung strafprozessualer Zwangsbefugnisse gegenüber natürlichen Personen oder juristischen Personen des Privatrechts bzw. sonstigen Personenmehrheiten aufgrund der Schutzwirkungen der Grundrechte immer unverhältnismäßig. Dies kann selbstverständlich in den Bereichen nicht gelten, in denen die Grundrechte keine Wirksamkeit erlangen. So stehen Trägern öffentlicher Gewalt, unabhängig davon, in welcher Rechtsform sie handeln, keine Grundrechte zu. Bedient sich die öffentliche Verwaltung zur Erfüllung ihrer Aufgaben der Formen des Privatrechts oder wird sie im rein privatrechtlichen, z. B. durch Gründung einer GmbH im privatwirtschaftlichen Bereich tätig, wird das Beweiserhebungsrecht 64
65
66
Steinberger, S. 1215 f.; vgl. oben 1Il.4. Steinberger, S. 1217; Vgl. oben III.4. Steinberger, S. 1217 f.; vgl. oben III.4.
4. Umfang und Grenzen des Beweiserhebungsrechts
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parlamentarischer Untersuchungsausschüsse insofern nicht durch die Schutzwirkung der Grundrechte eingeschränkt. Auch Angehörigen des öffentlichen Dienstes steht hinsichtlich ihres dienstlich erlangten Wissens gegenüber einer parlamentarischen Enquete kein Grundrechtsschutz zu. Für ihre Vernehmung durch den Ausschuß ist jedoch eine Aussagegenehmigung nach § 54 StPO erforderlich. Sofern das Beweiserhebungsrecht der Untersuchungsausschüsse nicht aus Verhältnismäßigkeitsgründen durch die Schutzwirkung der Grundrechte eingeschränkt wird, können strafprozessuale Zwangsmittel grundsätzlich unabhängig davon, ob ein Anfangsverdacht bezüglich des Vorliegens von Rechtsverletzungen besteht oder nicht, zur Anwendung gelangen 67 . ce) Die Anwendbarkeit strafprozessualer Zwangsmittel im Rahmen von Enqueten, die den durch öffentliche Mittel subventionierten Privatbereich betreffen
Die bisherigen Erörterungen bezogen sich auf die Anwendbarkeit strafprozessualer Zwangsbefugnisse im Rahmen von Enqueten, die den Privatbereich als Annex zum öffentlichen Bereich in ihre Untersuchungen mit einbeziehen und auf die Anwendbarkeit von Zwangsmitteln innerhalb parlamentarischer Untersuchungsausschüsse, die sich unmittelbar mit der Ermittlung von Sachverhalten im Bereich von natürlichen Personen oder juristischen Personen des Privatrechts bzw. sonstigen Personenmehrheiten befassen. Daneben bedarf es noch der Diskussion, welche Grundsätze für die Möglichkeit des Einsatzes der Zwangsmittel der StPO in den Sachgebieten gelten, wo sich Staat und Wirtschaft immer stärker verbinden. Sowohl der Bund als auch die Länder und, in besonders großem Maße, die Berliner Treuhandanstalt geben jährlich Milliardenbeträge aus, um durch Subventionen Einfluß auf die wirtschaftliche Entwicklung und damit auf die Wirtschaft zu nehmen. Die Förderung von Investitionen im ehemaligen Zonengrenzgebiet, im ehemaligen West-Berlin und in den neuen Bundesländern sowie die Subventionierung der Werften, von Kohle und Stahl, des Wohnungsbaus und der Landwirtschaft sind nur einige Beispiele dafür. In Anbetracht des Umfangs, in dem hier öffentliche Gelder ausgegeben werden, ist zu überlegen, ob im Rahmen einer parlamentarischen Enquete Zwangsmittel im Privatbereich angewandt werden dürfen, um Sachverhalte aufzuklären, die mit der Verwendung dieser Gelder im Zusammenhang stehen, auch wenn kein tatsachenbezogener konkreter Anfangsverdacht hinsichtlich des Vorliegens von Rechtsverstößen besteht. Eine aussagekräftige und gefestigte Rechtsprechung des BVerfG gibt es zu diesem Themenkomplex bisher nicht. Der Vorprüfungsausschuß des BVerfG hat in seinem Beschluß vom 22. ll. 1983 in der Beschlagnahme von Akten eines Prüfungsverbandes, dem gemeinnützige Unternehmen kraft Gesetzes angehören müs67
Steinberger, S. 1218; vgl. oben lIlA.
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VI. Die Anwendung des Untersuchungsrechts gegenüber Privaten
sen, keinen Verstoß gegen Bundesverfassungsrecht gesehen. Das Gericht begründet seine Entscheidung mit der Besonderheit des Falles, die darin lag, daß durch die Zwangsmaßnahme Unregelmäßigkeiten in einem gemeinnützigen Unternehmen und bei staatlichen Stellen aufgezeigt werden sollten68 . Diese Entscheidung stand im Zusammenhang mit dem Neue-Heimat-Untersuchungsausschuß der Hamburger Bürgerschaft, der den privaten Unternehmensbereich lediglich als Annex zur Kontrolle der Aufsichtstätigkeit der Behörden in seine Untersuchungen mit einbezog 69 . In seinem Beschluß vom 1. 10. 1987 hielt das BVerfG die gerichtlich angeordnete Beschlagnahme von Aufsichtsratsprotokollen der BGAG grundsätzlich für verfassungskonform7o . Diese Entscheidung betraf den Neue-Heimat-Untersuchungsausschuß auf Bundesebene, der sich mit Mißständen im Bereich von unmittelbar und mittelbar durch öffentliche Mittel geförderten Unternehmen befaßte. Es ging dabei um Unzulänglichkeiten bei der Anwendung von Subventionsbestimmungen innerhalb und außerhalb des Steuerrechts mit erheblicher volkswirtschaftlicher und haushaltsmäßiger Relevanz 71. Das Gericht weist darauf hin, daß Beschlagnahmen zugunsten parlamentarischer Enqueten Eingriffe in Grundrechte beinhalten und nur zulässig sind, wenn sie dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen 72 . Eine grundsätzliche Aussage des BVerfG zu der Frage, ob die Anwendung von Zwangsmitteln im Privatbereich zur Klärung von Sachverhalten, die mit der Vergabe staatlicher Subventionen zusammenhängen, in größerem Umfang möglich ist als zur Feststellung anderer Geschehnisse, gibt es bisher nicht. Interessant sind in diesem Kontext noch Ausführungen, die das BVerfG in seinem den Aktenherausgabeanspruch parlamentarischer Untersuchungsausschüsse betreffenden Flick-Urteil macht. Es erwähnt dort zunächst, daß der Umstand allein, daß ein Steuerpflichtiger Angaben macht, um eine nur auf Antrag zu gewährende steuerliche Vergünstigung zu erhalten, grundsätzlich zu keiner Abschwächung des grundrechtlich verbürgten Schutzes seiner Daten führt. Das BVerfG führt dann aus: " ... jedenfalls aber, wenn ein solches Begehren auf subventionsrechtliche Tatbestände der hier in Rede stehenden Art gestützt wird, verwehren es weder die Grundrechte noch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, einem Untersuchungsausschuß mit entsprechendem Untersuchungsgegenstand die hierauf bezogenen Daten zugänglich zu machen; Akten über solche Daten dürfen mithin dem Untersuchungsausschuß insoweit nicht vorenthalten werden,m.
68 69 70
71 72 73
NJW 1984, S. 1345; vgl. oben IV.2.b)bb). Vgl. oben ß.3.i). BVerfGE 77, 1 ff.; vgl. oben IY.2.b)bb). BVerfGE 77, 58. BVerfGE 77, 44, 46 f., 53. BVerfGE 67, 100 ff., 144.
4. Umfang und Grenzen des Beweiserhebungsrechts
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Beim Flick-Untersuchungsausschuß handelte es sich allerdings um eine Mißstandsenquete im öffentlichen Bereich, die den privaten Unternehmensbereich lediglich als Annex in ihre Untersuchungen mit einbezog74 . Die Anwendung strafprozessualer Zwangsmittel im Rahmen parlamentarischer Enqueten muß verhältnismäßig sein. Sofern durch den Einsatz von Zwangsbefugnissen der StPO Sachverhalte aufgeklärt werden sollen, die mit der Subventionierung natürlicher Personen oder juristischer Personen des Privatrechts bzw. sonstiger Personenmehrheiten zusammenhängen, ist auch dies bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu berücksichtigen. Fraglich ist, ob der Förderung der privaten wirtschaftlichen Tätigkeit durch öffentliche Mittel ein so großes Gewicht zuzumessen ist, daß zur Aufklärung damit im Zusammenhang stehender Sachverhalte der Einsatz strafprozessualer Zwangsmittel auch dann verhältnismäßig ist, wenn kein tatsachenbezogener konkreter Anfangsverdacht hinsichtlich des Vorliegens von Rechtsverletzungen besteht. Der Grund für die Förderung bestimmter privatwirtschaftlicher Tätigkeiten oder Unternehmen aus speziellen Wirtschaftszweigen oder Regionen ist darin zu sehen, daß dadurch ein politisch gewünschter Zweck erreicht werden soll. Aus diesem Grunde könnte es gerechtfertigt sein, Private in bezug auf Sachverhalte, die mit der Verwendung derartiger öffentlicher Mittel zusammenhängen, auch politisch für rechenschaftspflichtig zu erachten. Dies wäre wiederum ein Argument dafür, auch die Anwendung strafprozessualer Zwangsmittel gegenüber Privaten in diesem Bereich in größerem Umfang für zulässig zu halten als zur Aufklärung von Geschehnissen in anderen Sachgebieten. Eine dahingehende Argumentation greift jedoch letztlich nicht durch. Bund, Länder und Gemeinden subventionieren heute die privatwirtschaftliche Tätigkeit in einem sehr großen Umfang. Hinzu kommen Fördermaßnahmen durch die Europäische Gemeinschaft, insbesondere im Bereich der Landwirtschaft. Wie bereits erwähnt, wird mit der Förderung bestimmter Unternehmen, Wirtschaftszweige oder Regionen ein politischer Zweck verfolgt. Der föderale Staatsaufbau der Bundesrepublik Deutschland hat zur Folge, daß die Interessen und Ziele des Bundes nicht immer mit denen der einzelnen Länder übereinstimmen. Hinzu kommt, daß unterschiedliche politische Parteien im Bund und in den Ländern die Regierungen bilden, die dann wiederum voneinander abweichende politische Konzeptionen verfolgen. Bei der Subventionierung privatwirtschaftlicher Tätigkeit gibt es heute sehr viele Varianten. Zunächst ist zwischen direkten und indirekten Fördermaßnahmen zu unterscheiden. Subventionen können z. B. in der Form von steuerlichen Vergünstigungen, zinslosen oder zinsverbilligten Darlehen, staatlichen Bürgschaften, aber auch durch die direkte Zuweisung öffentlicher Mittel für bestimmte Objekte bewilligt werden. Dabei liegt es durchaus im Bereich des Möglichen, daß Fördermaßnahmen des Bundes und einzelner Länder nicht nur gegensätzliche Ziele verfolgen, sondern sich darüber hinaus in ihrer Wirkung gegenseitig aufheben. Auch Städte 74
V gl. oben II.3.h).
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VI. Die Anwendung des Untersuchungsrechts gegenüber Privaten
und Gemeinden befassen sich in zunehmendem Maße mit der Wirtschaftsförderung. Sie bemühen sich, Anreize für die Ansiedlung von Gewerbe- und Industriebetrieben auf ihrem Gebiet zu schaffen. Teilweise stellen die Kommunen den Unternehmen Bauland zu günstigen Konditionen zur Verfügung. Die soeben erörterte Situation hat zur Folge, daß heute nahezu jedes größere Unternehmen Subventionen erhält. Die Förderung durch öffentliche Mittel ist daher kein geeignetes Kriterium, um im Rahmen einer parlamentarischen Enquete Zwangsmittel gegenüber natürlichen Personen oder juristischen Personen des Privatrechts bzw. sonstigen Personenmehrheiten auch dann zur Anwendung zu bringen, wenn ein tatsachenbezogener konkreter Anfangsverdacht hinsichtlich des Vorliegens von Rechtsverletzungen nicht besteht. Es wäre unpraktikabel, den Einsatz strafprozessualer Zwangsbefugnisse vom Umfang öffentlicher Gelder, durch die ein Unternehmen gefördert wurde, abhängig zu machen. Abgesehen davon besteht auch kein Bedürfnis, parlamentarischen Untersuchungsausschüssen zur Aufklärung von Sachverhalten, die mit der Verwendung von Fördermittein durch Private zusammenhängen, in größerem Umfang den Einsatz von Zwangsmitteln der StPO zu ermöglichen als zur Ermittlung anderer Sachverhalte. Die Kontrolle darüber, daß staatliche Subventionen zweckentsprechend verwendet werden, obliegt der Exekutive. Diese wird wiederum durch das Parlament kontrolliert. Sofern zu dier sem Zweck ein Untersuchungsausschuß eingesetzt wird, können im Rahmen einer solchen Enquete grundsätzlich auch Sachverhalte aus dem Privatbereich mit Hilfe von Zwangsmitteln aufgeklärt werden, soweit dies erforderlich ist, um die Exekutivkontrolle wirksam wahrnehmen zu können 75. Meyer ist zuzustimmen, daß Subventionen aus einem privaten Unternehmen kein öffentliches machen, sondern es lediglich der Kontrolle der Verwaltung und eventuell des Rechnungshofes unterwerfen76 . dd) Modalitäten der Anwendung strafprozessualer Zwangsbefugnisse im Rahmen einer parlamentarischen Enquete
Der Rechtsprechung des BVerfG ist darin zu folgen, daß parlamentarische Untersuchungsausschüsse die Anordnung der Beugehaft und Beschlagnahmeanordnungen nicht selbst treffen, sondern lediglich beim zuständigen Gericht beantragen können. Die Intensität der damit verbundenen Grundrechtseingriffe macht es erforderlich, die Anordnung derartiger Maßnahmen nur durch einen unabhängigen Richter zu ermöglichen. Der Beweiserhebung durch die Untersuchungsausschüsse selbst werden durch die Verweisung auf die Vorschriften über den Strafprozeß insofern auch Grenzen gesetzt77 . Demgegenüber können parlamentarische Untersu75 76
77
Vgl. oben VI.4.a.)aa). Meyer, Rechtsgutachten II, S. 16. BVerfGE 77, 1 ff., 51 ff.; BVerfGE 76,363 ff., 383; vgl. oben IV.2.b)bb).
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chungsausschüsse als die die Ennittlungen führende Stelle gegen Zeugen, die grundlos das Zeugnis verweigern, Ordnungs geld in sinngemäßer Anwendung der §§ 70 Abs. 1, 161 a Abs. 2 StPO selbst festsetzen 78 • Hinsichtlich der Modalitäten der Herausgabe beschlagnahmter Unterlagen an parlamentarische Untersuchungsausschüsse hat das BVerfG in seinem Beschluß vom 1. 10. 1987 eine richtungs weisende Entscheidung getroffen79 • Danach hat das zuständige Gericht, dies ist in erster Instanz das Amtsgericht, sicherzustellen, daß beschlagnahmte Akten, die erkennbar grundrechtlich relevante Daten beinhalten, im Ausschuß erst erörtert werden, nachdem ihre Beweiserheblichkeit im einzelnen sowie die Problematik der Zulässigkeit der Beweiserhebung in bezug auf ausreichende Geheimschutzmaßnahmen geprüft wurden. Den vom BVerfG aufgestellten Grundsätzen, die die Vorgehensweise des zuständigen Gerichts zur Erreichung dieses Zwecks betreffen8o , ist grundsätzlich zu folgen. Die geforderten Vorkehrungen sind zum Schutz der Grundrechte der von der Beschlagnahme betroffenen natürlichen Personen oder juristischen Personen des Privatrechts bzw. sonstigen Personenmehrheiten erforderlich. Bedenken gegen die Praktikabilität des Verfahrens ergeben sich allerdings daraus, daß der zuständige Ennittlungsrichter mit der Einzelprüfung der in Betracht kommenden Unterlagen auf deren potentielle Beweiserheblichkeit sowie mit der Beurteilung der Zulässigkeit der Beweiserhebung im Hinblick auf ausreichende Geheimschutzmaßnahmen für ein Untersuchungsverfahren, das sich im politischen Raum vollzieht, meist überfordert sein dürfte. Es spricht daher vieles dafür, die Zuständigkeit für die Entscheidung über den Einsatz strafprozessualer Zwangsmittel im Rahmen einer parlamentarischen Enquete de lege ferenda einem anderen Gericht, möglicherweise sogar dem BVerfG, zu übertragen. Darauf soll jedoch in diesem Zusammenhang nicht näher eingegangen werden. Eine ausführliche Diskussion darüber, welche Gerichte für bestimmte Verfahren, die mit der Einsetzung und der Durchführung einer Enquete zusammenhängen, zuständig sind bzw. sein sollten, würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen und soll daher unterbleiben 81 .
b) Der Anspruch parlamentarischer Untersuchungsausschüsse auf Herausgabe von Behördenakten privaten Inhalts
Zum Themenkomplex des Aktenherausgabeanspruchs parlamentarischer Untersuchungsausschüsse hat das BVerfG in seinem Flick-Urtei1 82 umfassend Stellung bezogen. Der Entscheidung ist zunächst insofern zuzustimmen, als sie das Recht 78 79
80 81
82
BVerfGE 76,363 ff., 383, 385 f.; vgl. oben IY.2.b)bb). BVerfGE 77, 1 ff., 55 ff.; vgl. oben IV.2.b)bb). BVerfGE 77,55 ff.; vgl. oben IV.2.b)bb). Siehe zu diesem Themenkomplex Di Fabio; Richter, S. 120 ff. BVerfGE 67, 100 ff.; vgl. oben IV.2.b)aa).
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VI. Die Anwendung des Untersuchungsrechts gegenüber Privaten
des Bundestages auf Vorlage von Akten der ihm verantwortlichen Bundesregierung als Bestandteil des parlamentarischen Kontrollrechts aus Art. 44 Abs. 1 S. 1 GG ableitet und es nicht nur als Teil des Rechts auf Amtshilfe wertet. In das Recht der Untersuchungsausschüsse, die erforderlichen Beweise selbst zu erheben, ist auch die Befugnis eingeschlossen, die Vorlage von Akten der Regierung zu verlangen 83 . Das BVerfG billigt Enqueten nach Art. 44 GG allerdings einen sehr weitgehenden Anspruch auf Herausgabe von Behördenakten privaten Inhalts zu. Sofern es sich nicht um Informationen mit streng persönlichem Charakter handelt, deren Weitergabe für den Betroffenen unzumutbar ist, werden Geheimschutzmaßnahmen grundsätzlich für ausreichend erachtet, um die Privatsphäre bzw. den privaten Unternehmensbereich zu schützen 84. Die Entscheidung mißt damit dem grundrechtlichen Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und des Eigentums gegenüber dem parlamentarischen Errnittlungsinteresse zu wenig Bedeutung zu 8S . Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, daß es sich beim Flick-Untersuchungsausschuß des Deutschen Bundestages um eine den öffentlichen Bereich betreffende Mißstandsenquete handelte, die den privaten Unternehmensbereich lediglich als Annex in ihre Untersuchungen mit einbezog 86 . Steinberger, der hinsichtlich der Möglichkeit des Einsatzes strafprozessualer Zwangsmittel im Rahmen privatgerichteter Enqueten einen restriktiven Standpunkt vertritt 87 , stellt an den Anspruch parlamentarischer Untersuchungsausschüsse auf Herausgabe von Behördenakten privaten Inhalts geringere Anforderungen. Auch er billigt Geheimhaltungsvorkehrungen bei der Abwägung der Bedeutung des Untersuchungsrechts mit dem Grundrechtsschutz eine zentrale Funktion zu. Steinberger bezieht sich dabei nicht nur auf Mißstandsenqueten zur Aufklärung möglicher Rechtsverstöße, sondern ausdrücklich auch auf Sachstands- und Perspektivenenqueten 88 . Bei entsprechenden Geheimhaltungsmaßnahmen ist es Untersuchungsausschüssen danach grundsätzlich nicht verwehrt, sich durch die Vorlage der einschlägigen Behördenakten Informationen aus dem Bereich natürlicher Personen oder juristischer Personen des Privatrechts bzw. sonstiger Personenmehrheiten zu verschaffen, auch wenn zu deren Erlangung der unmittelbare Zugriff auf den Privatbereich durch den Einsatz strafprozessualer Zwangsmittel nicht zulässig wäre. Nach Steinberger kommt es für den grundrechtlichen Datenschutz gegenüber Untersuchungsausschüssen also darauf an, woher dieser seine Informationen bezieht. An den Einsatz von Zwangsbefugnissen der StPO im Privatbereich stellt er höhere
BVerfGE 67, 100 ff., 127 ff., insbes. 128; vgl. oben IY.2.b)aa). BVerfGE 67, 100 ff., 144; vgl. oben IY.2.b)aa); vgl. ferner BVerfGE 67, 136 und 139; vgl. oben Iy'2.b)aa). 85 Vgl. Badura, Anm. zu BVerfG, Beschluß v. 05. 06. 1984-2 BvR 611/84, DÖV 1984, S. 760 ff., 761. 86 Vgl. oben II.3.h). 87 V gl. oben IIIA. 88 Steinberger, S. 1219; vgl. oben lIlA. 83
84
4. Umfang und Grenzen des Beweiserhebungsrechts
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Anforderungen als an die Möglichkeit, dem grundrechtlichen Datenschutz unterliegende Fakten aus Behördenakten zu entnehmen. Eine derartige Differenzierung nach der Herkunft grundrechtlich geschützter Daten ist nicht sachgerecht. Bei der Entscheidung der Frage, ob bestimmte Informationen einem Untersuchungsausschuß zugänglich gemacht werden müssen, kann es nicht maßgeblich auf die Informationsquelle ankommen. Entscheidend ist vielmehr auch für den Aktenherausgabeanspruch parlamentarischer Untersuchungsausschüsse eine ausschließlich sachorientierte Abwägung der Bedeutung des parlamentarischen Untersuchungsrechts mit dem Gewicht des grundrechtlichen Datenschutzes nach Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten 89 . Was aus Privatakten nicht entnommen werden darf, entzieht sich somit auch einer Kenntnisnahme aus den einschlägigen Behördenakten. Parlamentarischen Untersuchungsausschüssen steht in bezug auf grundrechtlich geschützte Informationen aus dem Bereich natürlicher Personen oder juristischer Personen des Privatrechts bzw. sonstiger Personenmehrheiten ein Anspruch auf Herausgabe von Behördenakten im selben Umfang zu, wie zur Ermittlung der darin enthaltenen Angaben im Rahmen der jeweiligen Enquete auch der Einsatz strafprozessualer Zwangsmittel unmittelbar im Privatbereich zulässig wäre 90 . Stimmen die betroffenen Privaten einer Aktenherausgabe zu, rechtfertigt der grundrechtliche Datenschutz nicht die Verweigerung der Vorlage von Unterlagen durch die öffentliche Hand. Ist zu erwarten, daß sich bestimmte Angaben sowohl aus den einschlägigen Behördenakten als auch durch eine Beschlagnahme direkt im Privatbereich ermitteln lassen, ist aus Griinden der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs zunächst der Aktenherausgabeanspruch gegenüber der Exekutive geltend zu machen 91 . Das BVerfG hat in seinem Flick-Urteil aufgezeigt, wie bei der Entscheidung über das Aktenherausgabeverlangen eines Untersuchungsausschusses zu verfahren ist92 • Den in dieser Entscheidung aufgestellten Grundsätzen ist zu folgen. Ferner ist zu beriicksichtigen, daß parlamentarische Enqueten gemäß Art. 1 Abs. 3 GG an die Grundrechte gebunden sind. Lassen Behörden bei der Herausgabe von Schriftstücken die Belange des grundrechtlichen Datenschutzes dritter insofern außer Acht, daß sie nicht beweiserhebliche Akten herausgeben oder erweisen sich herausgegebene Akten im Nachhinein als nicht beweiserheblich 93 , ergibt sich aus der Grundrechtsbindung parlamentarischer Untersuchungsausschüsse ein Verwertungsverbot hinsichtlich derartiger Unterlagen. Stellt sich im Laufe des Untersuchungsverfahrens heraus, daß aus Griinden des grundrechtlichen Datenschutzes Geheimschutzmaßnahmen in größerem Umfang notwendig sind, als dies zum ZeitV gl. oben VI.4.a). Siehe insofern oben VIA.a)aa)-cc). 91 Vgl. oben II.3.j); vgl. ferner Schröder, Gutachten zum 57. DJT, S. E 23; vgl. oben IIIA. 92 BVerfGE 67, 100 ff., 138 f.; vgl. oben III.2.b)aa); vgl. ferner BVerfGE 77, 1 ff., 55 ff.; vgl. oben IV.2.b)bb) und VI.4.a)dd). 93 Vgl. BVerfGE 77,55 ff.; vgl. oben IY.2.b)bb). 89 90
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VI. Die Anwendung des Untersuchungsrechts gegenüber Privaten
punkt der Aktenherausgabe erkennbar war, hat der Ausschuß diesen Erfordernissen nachträglich Rechnung zu tragen. Verweigern Behörden rechtswidrig die Herausgabe ihrer Akten oder amtlich verwahrter Schriftstücke, ist die Beschlagnahme dieser Unterlagen möglich 94 . Dafür spricht zum einen die im Abschnitt "Beschlagnahme, Überwachung des Fernmeldeverkehrs und Durchsuchung" der StPO enthaltene Regelung des § 96 StPO, die der Exekutive die Möglichkeit einer Sperrerklärung für Akten und amtlich verwahrte Schriftstücke eröffnet und auf diese Weise ein strafprozessuales Beweiserhebungsverbot begründet. Darüber hinaus würde es dem Sinn und Zweck der Beschlagnahmevorschriften widersprechen, die Entscheidung über die Herausgabe beweiserheblicher Unterlagen ausschließlich in das Ermessen der Behörden zu stellen95 .
5. Die inhaltliche Bestimmtheit des Untersuchungsauftrags Unter VI.1. wurde bereits darauf eingegangen, ob und inwiefern bei Enqueten im privaten Unternehmensbereich die betroffenen Unternehmen im Einsetzungsantrag abschließend genannt werden müssen. Nach der Erörterung der Möglichkeiten des Einsatzes strafprozessualer Zwangsmittel im Rahmen privatgerichteter Untersuchungen sowie des Anspruchs parlamentarischer Untersuchungsausschüsse auf Herausgabe von Behördenakten privaten Inhalts, soll nun nochmals allgemein auf die an einen Untersuchungs auftrag als Grundlage derartiger Maßnahmen zu stellenden rechtsstaatlichen Bestimmtheitsanforderungen eingegangen werden. Untersuchungsaufträge parlamentarischer Enqueten bilden die Basis für Eingriffe in den Schutzbereich von Grundrechten, z. B. durch die Anwendung strafprozessualer Zwangsmittel im Privatbereich. Es entspricht rechtsstaatlichen Grundsätzen, daß in die grundrechtlichen Freiheitsverbürgungen des Grundgesetzes nur aufgrund einer hinreichend bestimmten Rechtsgrundlage eingegriffen wird. Behörden der Exekutive auf Bundes- und Landesebene müssen prüfen können, ob ein an sie gerichtetes Aktenvorlagebegehren oder der Wunsch nach Rechts- und Amtshilfe rechtmäßig ist. Dazu ist erforderlich, daß es ihnen möglich ist, zu kontrollieren, ob 94 So OLG Hamm, JMBlNW 1984, S. 232; LG Hannover, NJW 1959, S. 351 f.; LG Dannstadt, NJW 1978, S. 901; LG Marburg, NJW 1978, S. 2306; Walter, Zur Auskunftspflicht der Sozialbehörden und Arbeitsämter in Errnittlungs- und Strafverfahren, NJW 1978, S. 868, 871; Kramer, Die Beschlagnahmefähigkeit von Behördenakten im Strafverfahren, NJW 1984, S. 1502 ff., 1505; Karlsruher Kommentar, Kommentar zur StPO und zum GVG, 2. Aufl., München 1987, § 96, Rdnr. 3; Peters, Strafprozeß, 4. Aufl., Heidelberg 1985, S. 443; Steinberger, S. 1205; a.A.: LG Wuppertal, NJW 1978, S. 902; Kleinknecht/Meyer, Kommentar zur StPO, 40. Aufl., München 1991, § 96, Rdnr. 2; Schäfer, in Loewe-Rosenberg, Die StPO und das GVG, Großkommentar, Bd. 1,24. Aufl., Berlin, New York 1988, § 96, Rdnr. 2; Rudolphi, in Festschrift für Schaffstein, 1975, S. 438. 95 Steinberger, S. 1205
5. Die inhaltliche Bestimmtheit des Untersuchungsauftrags
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ein solches Begehren durch den Untersuchungsauftrag gedeckt ist. Gleiches gilt für die Gerichte bei der Entscheidung über die Anordnung von Zwangsmaßnahmen nach der StPO. Daß die Untersuchungsaufträge parlamentarischer Enqueten hinreichend bestimmt sein müssen, kann nicht ernsthaft bestritten werden. Weniger eindeutig ist jedoch, welche Bestimmtheitsanforderungen im einzelnen zu stellen sind. Steinberger unterscheidet insofern zwischen Mißstandsenqueten und allen anderen parlamentarischen Untersuchungen. Bei ersteren muß der Einsetzungsbeschluß seiner Ansicht nach auf tatsachenbezogenen Anhaltspunkten für das Vorliegen von Rechtsverletzungen oder eventuell auch anderer Unzulänglichkeiten beruhen96 • Für die übrigen Enqueten reicht es nach Steinbergers Auffassung unter Bestimmtheitsgesichtspunkten aus, daß der Untersuchungs auftrag einen Zielrahmen vorgibt, der das Untersuchungsziel von anderen möglichen Zielen abgrenzt97 . Eine derartige Differenzierung bei der Beurteilung der Bestimmtheit eines Untersuchungsauftrags ist abzulehnen. Es wurde bereits erwähnt, daß die Einteilung parlamentarischer Enqueten in Mißstands-, Sachstands, Kontroll-, Gesetzgebungsoder Kollegialenqueten lediglich der näheren Umschreibung der Untersuchungsaufgabe dient, darüber hinaus jedoch grundsätzlich keinerlei rechtliche Bedeutung hat98 . Da Steinbergers Ansicht, daß strafprozessuale Zwangsmittel im Rahmen privatgerichteter Enqueten nur dann zur Anwendung gelangen können, wenn es sich um Mißstandsenqueten handelt, die von Anfang an auf die Aufklärung möglicher Rechtsverstöße gerichtet sind, nicht zugestimmt werden kann99 , besteht auch kein Grund zu fordern, daß der Einsetzungsbeschluß von Mißstandsenqueten auf tatsachenbezogenen Anhaltspunkten hinsichtlich des Vorliegens von Rechtsverletzungen beruhen muß 100. In Anbetracht der Mehrstufigkeit des Untersuchungsverfahrens ist es auch aus Bestimmtheitsgesichtspunkten für die Anwendbarkeit von Zwangsbefugnissen der StPO ausreichend, daß ein Anfangsverdacht auf das Vorliegen von Rechtsverstößen durch den Beweisbeschluß des Untersuchungsausschusses konkretisiert wird. Der Untersuchungsauftrag einer parlamentarischen Enquete muß das Thema der Untersuchung so genau beschreiben, daß der Untersuchungsgegenstand von anderen Sachbereichen in erkennbarer Weise abgegrenzt wird. Es kommt dabei nicht in erster Linie darauf an, ob der zu ermittelnde Sachverhalt enger oder weiter gefaßt ist, sondern darauf, ob die Abgrenzung der zu untersuchenden Tatsachen gegenüber anderen Themenkomplexen eindeutig genug ist 101 . Dem Bayerischen VerfasSteinberger, S. 1201 f.; vgl. oben 1II.4. Steinberger, S. 1202 f.; vgl. oben 1II.4. 98 Siehe oben VI.4.a)bb). 99 Siehe oben VI.4.a)bb). 100 Vgl. BayVerfGH, Urteil v. 27.11. 1985, NVwZ 1986, S. 822 ff., 824; vgl. oben IY.2.a). 101 Vgl. Steinberger, S. 1203. 96 97
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VI. Die Anwendung des Untersuchungsrechts gegenüber Privaten
sungsgerichtshof ist darin zu folgen, daß das Thema der Enquete im Einsetzungsantrag selbst konkretisiert sein muß. Eine Verweisung auf außerhalb des Antrags liegende Unterlagen, die den Mitgliedern des Parlaments möglicherweise nicht bekannt sind, ist demgegenüber unzulässig 102 . Es ist Sache des Parlaments, das Thema der Enquete genau zu bestimmen. Dem Hessischen Staatsgerichtshof ist daher zuzustimmen, daß ein Untersuchungsthema nicht hinreichend bestimmt ist, wenn es dem Ausschuß überlassen bleibt, den Untersuchungsauftrag zunächst auf seine Verfassungsmäßigkeit zu überprüfen und er je nach Ergebnis dieser Prüfung, den Umfang seiner Tätigkeit dann selbst bestimmen könnte lO3 • Demgegenüber verfügt das Parlament grundsätzlich über die Möglichkeit, einem Minderheitsantrag auf Einsetzung einer parlamentarischen Enquete nur teilweise stattzugeben und ihn im übrigen, soweit er verfassungswidrig ist, zurückzuweisen 104. Natürliche Personen oder juristische Personen des Privatrechts bzw. sonstige Personenmehrheiten haben einen Anspruch darauf, daß durch Maßnahmen im Rahmen einer parlamentarischen Enquete nur dann in ihre Grundrechte eingegriffen wird, wenn der Untersuchungsauftrag verfassungsgemäß ist. Er muß daher auch die rechtsstaatlichen Bestimmtheitsanforderungen erfüllen 105. Der Ansicht des OVG Münster, wonach Untersuchungsausschüssen bei der Beantwortung der Frage, wo die Grenzen des Untersuchungsauftrags im einzelnen zu ziehen sind, eine Entscheidungsprärogative zusteht lO6 , kann nicht gefolgt werden. In Anbetracht dessen, daß Untersuchungsaufträge die Grundlage für Eingriffe in grundrechtliche Freiheitsverbürgungen des Grundgesetzes bilden können, widerspricht diese Auffassung den rechts staatlichen Bestimmtheitsanforderungen, die an eine parlamentarische Enquete zu stellen sind. Das für die Anordnung strafprozessualer Zwangsmaßnahmen zuständige Gericht bzw. die Behörde, von der die Herausgabe von Akten begehrt wird, muß aufgrund eigener Verantwortung für den Grundrechtsschutz Dritter anhand des Untersuchungsauftrags selbst überprüfen können, ob die vom Ausschuß begehrte Maßnahme vom Untersuchungsauftrag gedeckt ist.
102 103 104 105 106
BayVerfGHE 30, 48 ff., 65; vgl. oben IV.2.a). HessStGH,OÖV 1967, S. 51 ff., 56 f.; vgl. oben IY.2.a). BayVerfGHE 30, 48 ff., 63; vgl. oben IV.2.a). Vgl. BVerfG, Beschluß v. 5. 6. 1984, DÖV 1984, S. 759 f., 760; vgl. oben IV.2.b)bb). NJW 1989, S. 1103 ff., 1104; vgl. oben IY.2.b)cc).
VII. Die Rechtsstellung von Auskunftspersonen im Untersuchungsverfahren 1. Ist Betroffenen ein Sonderstatus zuzubilligen? Eine Sonderstellung Betroffener im Beweiserhebungsverfahren parlamentarischer Untersuchungsausschüsse ist abzulehnen. Auskunftspersonen, die im Mittelpunkt einer Enquete stehen, sind zwar nicht zuletzt aufgrund der Öffentlichkeitswirksamkeit des Verfahrens erheblichen Belastungen ausgesetzt und fühlen sich vielfach subjektiv in die Lage eines Beschuldigten versetzt; dies kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß die aus dem Strafprozeß stammende Unterscheidung zwischen Zeugen und Beschuldigten mit dem System und mit der Intention des parlamentarischen Untersuchungsverfahrens nicht zu vereinbaren ist. Während das durch das Legalitätsprinzip und den Amtsermittlungsgrundsatz geprägte Strafverfahren der Durchsetzung des materiellen Strafrechts dient, wird das Verfahren der parlamentarischen Enquete nach politischen Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten durchgeführt. Im Rahmen eines Untersuchungsverfahrens werden objektive Sachverhalte unter politischen Gesichtspunkten aufgeklärt. Es geht um die Feststellung politischer Verantwortlichkeit oder, bei Sachstands- und Perspektivenenqueten, um das Bemühen des Parlaments, sich über bestimmte Sachbereiche zu informieren, um auf der Basis dieser Erkenntnisse die für notwendig gehaltenen politischen Entscheidungen zu treffen 1• Gegen eine Unterscheidung zwischen Zeugen und Betroffenen spricht neben dem politischen Zweck, dem das Verfahren der Enquete nach Art. 44 GG dient, auch seine Einbindung in das parlamentarische System. Anlaß für die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses sind häufig aktuelle Ereignisse oder Themen, die aufgrund der Berichterstattung in den Medien gerade das Interesse der Öffentlichkeit auf sich ziehen. Soll das Instrument der parlamentarischen Untersuchung einen wesentlichen Beitrag zur Selbstreinigung in unserem demokratischen Staatswesen leisten, ist es erforderlich, daß die Aufklärung bestimmter Geschehnisse oder Sachverhalte zeitnah und zügig erfolgt. Dies ist auch deshalb notwendig, weil parlamentarische Enqueten dem Diskontinuitätsgrundsatz unterworfen sind und die Zeit für die Durchführung eines Untersuchungsverfahrens bei Ausschüssen, die in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode eingesetzt werden, ohnehin knapp beI Mit ähnlichen Argumenten lehnt die Enquete-Kommission "Verfassungsreform" eine Unterscheidung zwischen Zeugen und Betroffenen ab, BTDS VII/5924, S. 54 f.; vgl. oben III.5.a)aa).
14 Köhler
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VII. Rechtsstellung von Auskunftspersonen im Untersuchungsverfahren
messen ist. Würden den von einer parlamentarischen Untersuchung betroffenen Auskunftspersonen die individuellen Schutzrechte von Beschuldigten im Strafverfahren zuerkannt, wäre damit die Gefahr verbunden, daß die Durchführung des Verfahrens nicht unerheblich gehemmt wird. Dies gilt insbesondere für die Zuerkennung von Mitwirkungsrechten. Verfahrensverzögerungen ergeben sich dabei nicht nur durch die Geltendmachung von Frage- und Beweisantragsrechten, sondern vermutlich sogar in größerem Maße aufgrund von Schwierigkeiten, die mit der Entscheidung der Frage zusammenhängen, wem zu welchem Zeitpunkt der Betroffenenstatus zuzubilligen ist. Wenn man sich für eine Sonderstellung Betroffener entscheiden würde, wäre es nicht sachgerecht, bei der Abgrenzung dieses Personenkreises von anderen Auskunftspersonen ausschließlich rein formal auf die Formulierung des Untersuchungsauftrags abzustellen. Es müßte darüber hinaus auch der Verlauf der Untersuchung berücksichtigt werden 2 . Damit wird zwangsläufig ein großer Bewertungsspielraum bei der Zuerkennung von Betroffenenrechten eröffnet, der Streitigkeiten von Mehrheit und Minderheit im Untersuchungsausschuß vorprogrammiert 3 • Darüber hinaus müßte Auskunftspersonen, die für sich Betroffenenrechte beanspruchen, denen der Ausschuß diese Rechte jedoch nicht zubilligen will, ein Klagerecht zugestanden werden. Durch derartige Auseinandersetzungen wird der eigentliche Sinn einer parlamentarischen Enquete, die Aufklärung von Sachverhalten unter politischen Gesichtspunkten, in den Hintergrund gedrängt. Für weite Teile der Öffentlichkeit, zu deren Information und Aufklärung das Untersuchungsverfahren beitragen soll, wird dadurch der ohnehin schwer nachzuvollziehende Unterschied zwischen dem Verfahren einer parlamentarischen Enquete und einem Gerichtsverfahren weiter verwischt. Die Beschuldigtenrechte des Strafverfahrens sind zugeschnitten auf ein Verfahren, das der Ermittlung der persönlichen Schuld von Straftätern auf der Grundlage des materiellen Strafrechts dient. Sie können nicht in das politische Verfahren der parlamentarischen Enquete übernommen werden, ohne dessen Charakter dahingehend zu verändern, daß es sich um ein strafähnliches Verfahren handelt4 • Würde ein der Rechtsstellung Beschuldigter im Strafverfahren entsprechender Sonderstatus Auskunftspersonen parlamentarischer Enqueten nur unter der engen Voraussetzung zugestanden, daß gegen sie in einer mit dem Untersuchungsgegenstand zusammenhängenden Angelegenheit ein Strafverfahren anhängig ist5 , wäre damit die Gefahr verbunden, daß die Exekutive durch die Einleitung von Ermittlungsverfahren Zeugen "verbrennt". Schließlich ist nicht nur dem formalen Argument zuzustimmen, daß parlamentarische Entqueten lediglich der Ermittlung von Tatsachen durch das Parlament die2 Vgl. oben I.2.c); vgl. oben II1.5.b); vgl. Müller-Boysen, S. 77 f.; vgl. oben III.5.c)bb)aaa); vgl. Schleich, S. 49; vgl. oben II1.5.c)bb)(1). 3 Vgl. oben II1.5.a)aa). 4 Vgl. oben II1.5.a)aa). 5 Vgl. Gollwitzer, S. 419 f.; vgl. oben II1.5.b).
1. Ist Betroffenen ein Sonderstatus zuzubilligen?
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nen und sich nicht gegen bestimmte Personen richten, sondern es ist darüber hinaus der Auffassung Schneiders zu folgen, wonach niemand in dem Sinne Widerpart des Ausschusses ist, daß eine Verteidigung notwendig wäre 6 . Keine der Auskunftspersonen von Untersuchungsausschüssen, auch nicht diejenigen, die im Mittelpunkt der Enquete stehen, haben mit einer Bestrafung oder anderen unmittelbaren Rechtsfolgen durch den Untersuchungsausschuß zu rechnen. Zum Schutz vor den Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit widersprechenden Nachteilen in anderen Verfahren, insbesondere in Strafverfahren, reichen die strafprozessualen Zeugenschutzregelungen nicht nur aus, sondern sie sind gerade dafür konzipiert. Auch in der Hauptverhandlung eines Strafverfahrens kann sich der Verdacht ergeben, daß ein oder mehrere Zeugen an der verhandelten Straftat oder an anderen Straftaten beteiligt waren. Als Zeugen können diese Personen nach § 55 StPO die Auskunft auf solche Fragen verweigern, deren Beantwortung sie oder einen ihrer Angehörigen der Gefahr aussetzen würde, wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden. Die Anwendung dieser Vorschrift auf Auskunftspersonen parlamentarischer Enqueten ist unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten auch dann ausreichend und angemessen, wenn sie im Mittelpunkt der Untersuchung stehen. Ein allgemeines Aussageverweigerungsrecht ist grundsätzlich nicht zu fordern. Etwas anderes gilt allenfalls, wenn Auskunftspersonen sich durch jede Aussage der Gefahr strafrechtlicher Verfolgung aussetzen würden. Bei einer solchen Fallkonstellation wäre jedoch § 55 StPO dahingehend auszulegen, daß aus ihm ein allgemeines Schweigerecht für den in dieser Form betroffenen Zeugen folgt 7 • Der Gefahr straf- oder ordnungsrechtlicher Verfolgung im Sinne von § 55 Abs. 1 StPO ist es gleichzusetzen, wenn einem Zeugen oder einem seiner Angehörigen im Falle seiner Aussage eine Abgeordneten-, Minister-, Richter- oder Präsidentenanklage droht 8 . Da ein solches Anklageverfahren mit einem Verlust der Position und den damit verbundenen Nachteilen enden kann, befinden sich Zeugen, die sich oder einen Angehörigen durch ihre Aussage möglicherweise einem solchen Verfahren aussetzen würden, in einer vergleichbaren Konfliktsituation wie Auskunftspersonen, denen bei einer Aussage straf- oder ordnungsrechtliche Verfolgung droht. Weder die strafprozessualen Regelungen zum Schutz von Zeugen, noch die Beschuldigtenschutzvorschriften sind jedoch dafür konzipiert, im Mittelpunkt einer Enquete stehende Auskunftspersonen vor ungerechtfertigten politischen Nachteilen zu schützen. Sie vermögen dies auch nicht zu leisten. Es würde dem Sinn des der Aufklärung von Sachverhalten unter politischen Gesichtspunkten dienenden Untersuchungsverfahrens widersprechen, gerade diejenigen Auskunftspersonen, die über den Gegenstand der Enquete am besten informiert sind, mit Schweigeund Mitwirkungsrechten auszustatten. Zeh ist darin zu folgen, daß dadurch die Sachaufklärung im Rahmen des in erster Linie der Aufdeckung politischen und adSchneider, Referat zum 57. DJT, S. M 84; vgl. oben III.5.a)aa). BGHSt 10, 105; Dahs, in Loewe-Rosenberg, § 55, RdnrA m.w.N.; vgl. Schräder, Gutachten zum 57. DJT, S. E 53; vgl. oben III.5.c)bb)(2). B BGHSt 17,128 ff., 135 f.; Dahs, in Loewe-Rosenberg, § 55, Rdnr. 7 m.w.N. 6
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VII. Rechtsstellung von Auskunftspersonen im Untersuchungsverfahren
ministrativen Fehlverhaltens dienenden parlamentarischen Untersuchungsverfahrens weitgehend durch die Befragung von Randfiguren erfolgen müßte9 . In diesem Zusammenhang ist auch der Schutz, der im Zentrum der Enquete stehenden Auskunftspersonen de facto bereits dadurch zukommt, daß die Anwendung strafprozessualer Zwangsmittel im Privatbereich sowie die Herausgabe von Behördenakten privaten Inhalts nur unter engen Voraussetzungen zulässig sind lO , zu erwähnen. Diejenigen, die im Mittelpunkt der Enquete stehenden Auskunftspersonen aus rechtsstaatlichen Gesichtspunkten einen durch das Grundgesetz garantierten Anspruch auf rechtliches Gehör sowie Mitwirkungsrechte zubilligen 11, messen den zuvor aufgezeigten verfassungsrechtlichen Besonderheiten des Untersuchungsrechts zu wenig Bedeutung bei. Der immer wieder angeführte Vergleich mit anderen staatlichen Verfahren, die sich gegen bestimmte Personen richten, insbesondere mit Gerichtsverfahren, wird dem politischen Charakter des Verfahrens der parlamentarischen Enquete, deren Aufgabe es ist, der Selbstreinigung unseres Systems der parlamentarischen Demokratie zu dienen, nicht gerecht. Damit soll jedoch keinesfalls gesagt werden, daß Auskunftspersonen im Rahmen des Untersusuchungsverfahrens grundsätzlich nicht Gelegenheit zur Stellungnahme, zur Befragung anderer Zeugen oder zur Amegung von Beweisaufnahmen gegeben werden soll. Das Gegenteil ist der Fall. Wo dies ohne eine unangemessene Verfahrensverzögerung möglich ist, dient die Eimäumung derartiger Mitwirkungsmöglichkeiten der Wahrheitsfindung und Glaubwürdigkeit des Verfahrens. Ein Anspruch auf die Gewährung von Schweige- und Mitwirkungsrechten besteht jedoch nicht, da die Enquete durch die extensive Wahrnehmung dieser Befugnisse blockiert und unwirksam werden kann. Nach der Rechtsprechung des BVerfG steht einem Zeugen grundsätzlich das Recht zu, einen Rechtsbeistand seines Vertrauens zur Vernehmung hinzuzuziehen, sofern er dies für erforderlich hält, um von seinen prozessualen Befugnissen, wie der Geltendmachung von Auskunfts-, Zeugnis- und Eidesverweigerungsrechten, selbständig und seinen Interessen entsprechend sachgerecht Gebrauch zu machen l2 . Auch den Auskunftspersonen parlamentarischer Untersuchungsausschüsse ist zu diesem Zweck die Hinzuziehung eines Rechtsbeistands zu gestatten I3. Dies ergibt sich aus dem auch Zeugen zustehenden Recht auf ein faires Verfahren. Eine Anwendung der die Aussageverweigerung von Zeugen betreffenden Regelung des § 384 ZPO auf Auskunftspersonen parlamentarischer Untersuchungsausschüsse l4 , wofür eine Änderung von Art. 44 Abs. 2 S. 1 GG Voraussetzung wäre, ist aus rechtspolitischen Gründen abzulehnen. Dadurch würde Zeugen ein Recht Zeh, S. 706; vgl. oben II1.5.a)aa). Vgl. oben VIA. 11 Vgl. oben II1.5.c)bb)(I). 12 BVerfGE 38, 105 ff., 112 ff. 13 VG Hamburg, NJW 1987, S. 1568 ff.; vgl. oben IV.2.b)cc). 14 Vgl. oben II1.5.c)aa).
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1. Ist Betroffenen ein Sonderstatus zuzubilligen?
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zur Verweigerung der Aussage nicht nur dann eingeräumt, wenn sie sich oder einen Angehörigen durch die Beantwortung von Fragen der Gefahr aussetzen würden, wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden, sondern darüber hinaus auch in den Fällen, in denen die Beantwortung der Frage den Zeugen oder einem seiner Angehörigen zur Unehre gereichen würde, bei ihnen einen vermögensrechtlichen Schaden verursachen würde, oder wenn die Frage nicht ohne die Offenbarung eines Kunst- oder Gewerbegeheimnisses beantwortet werden kann. De lege lata finden nach Art. 44 Abs. 2 S. 1 GG auf Beweiserhebungen parlamentarischer Untersuchungsausschüsse die Vorschriften über den Strafprozeß sinngemäß Anwendung. Diese Regelung beinhaltet, daß Zeugen das Recht zur Auskunftsverweigerung nur unter den gegenüber § 384 ZPO engeren Voraussetzungen des § 55 StPO zusteht. Dadurch kommt zum Ausdruck, welches Gewicht das Grundgesetz der Aufklärung von Sachverhalten durch Untersuchungsausschüsse und der damit verbundenen Selbstreinigung des parlamentarischen Systems zumißt. Es wäre in einer Zeit, in der die Politikverdrossenheit der Bevölkerung durch immer wieder neue Skandale und Skandälchen, in die führende Politiker verstrickt sind, rapide zunimmt, ein falsches Signal, die Aufklärungsmöglichkeiten parlamentarischer Enqueten durch eine Erweiterung der Aussageverweigerungsrechte von Zeugen zu beschränken. Dies gilt insbesondere für die Zubilligung des Rechts zur AussageverWeigerung, wenn die Beantwortung einer Frage bei dem Zeugen oder einem seiner Angehörigen einen unmittelbaren vermögensrechtlichen Schaden verursachen oder den genannten Personen zur Unehre gereichen würde. Plausibler erscheint es demgegenüber zunächst, besonders im Hinblick darauf, daß Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse Eigentumsschutz aus Art. 14 Abs. 1 GG genießen 15 , Zeugen das Recht zur Auskunftsverweigerung zuzugestehen, wenn sie eine Frage nicht beantworten können, ohne ein Gewerbegeheimnis zu offenbaren. Auch ein solches Recht zur Verweigerung der Aussage ist für Auskunftspersonen parlamentarischer Enqueten jedoch abzulehnen. Dem Grundrechtsschutz der Betriebsund Geschäftsgeheimnisse steht auf der Ebene der Verfassung das Recht der parlamentarischen Untersuchung gegenüber. Sie müssen einander, entsprechend dem Prinzip praktischer Konkordanz, so zugeordnet werden, daß beide soweit wie möglich zur Anwendung gelangen. In Anbetracht der Vielfältigkeit von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen 16 , der Möglichkeit parlamentarischer Enqueten, die Öffentlichkeit auszuschließen, und der möglichen Anwendung weiterer Geheimschutzmaßnahmen erscheint es nicht sachgerecht, Zeugen parlamentarischer Untersuchungsausschüsse zum Schutz von Gewerbegeheimnissen ein Aussageverweigerungsrecht zuzubilligen.
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Vgl. oben Y.2.a). Vgl. oben Y.2.b).
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VII. Rechtsstellung von Auskunftspersonen im Untersuchungsverfahren
2. Das Recht auf Gegendarstellung Nach den vorangegangenen Erörterungen ist eine Unterscheidung zwischen Zeugen und Betroffenen parlamentarischer Enqueten abzulehnen. Wesentliche Argumente waren dabei, daß eine derartige Differenzierung dem System und der politischen Aufgabe von Untersuchungsverfahren widerspricht und ein Sonderstatus Betroffener mit erheblichen verfahrensmäßigen Verzögerungen verbunden wäre. Insbesondere durch die Öffentlichkeits wirksamkeit parlamentarischer Enqueten sehen sich Zeugen, die im Mittelpunkt der Untersuchung stehen, aber auch andere Auskunftspersonen häufig erheblichen Beeinträchtigungen ausgesetzt. Sie können im Rahmen der Untersuchung mit Korruptionsvorwürfen und anderen Mißständen in Verbindung gebracht werden. In diesem Zusammenhang erhobene Vorwürfe werden in der Regel durch eine umfassende Berichterstattung in den Medien verbreitet. In Anbetracht dieser Situation würde es dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit widersprechen, den Auskunftspersonen parlamentarischer Enqueten Rechte vorzuenthalten, die es ihnen ermöglichen, sich gegen Sachdarstellungen, die nach ihren Behauptungen falsch sind und gegen Beschuldigungen zu wehren, wenn dadurch das Untersuchungsverfahren nicht beeinträchtigt wird. Das Recht auf Gegendarstellung erfüllt diese Voraussetzungen. Für die Anwendung des Rechts auf Gegendarstellung ist es nicht erforderlich, zwischen Zeugen und Betroffenen zu unterscheiden. Wie bereits erwähnt, spricht sich Schneider dafür aus, dieses Recht jedem zuzubilligen, der im Schlußbericht "mit einer Tatsachenbehauptung in Verbindung gebracht wird, die er glaubhaft für unwahr hält,,17. Dieser Anregung Schneiders ist zu folgen. In diesem Zusammenhang kann die betreffende Person auch darauf eingehen, ob und inwieweit der Ausschuß eigenen Anregungen zur Beweisaufnahme gefolgt ist. Darüber hinaus ist das Gegendarstellungsrecht jedoch auch jedem zuzugestehen, dem der Ausschuß in seinem Abschlußbericht Verfehlungen rechtlicher, politischer, moralischer oder welcher Art auch immer vorwirft. Dabei kommt es nicht darauf an, ob im Bericht Tatsachenbehauptungen aufgestellt werden, die die betreffende Person für falsch hält. Das Recht auf Gegendarstellung kann auch dazu genutzt werden, die Situation, in der bestimmte Entscheidungen gefällt oder Handlungen begangen wurden, aus eigener Sicht darzustellen und zu rechtfertigen. Der Gegendarstellungsanspruch gegenüber den Abschlußberichten parlamentarischer Enqueten ist aufgrund des politischen Charakters des gesamten Untersuchungsverfahrens nicht wie im Presserecht ausschließlich auf Tatsachenbehauptungen zu beschränken. Hinsichtlich der Geltendmachung des Gegendarstellungsanspruchs sowie der Veröffentlichung der Gegendarstellung wird folgende, noch gesetzlich zu regelnde Vorgehensweise vorgeschlagen: Gegendarstellungen sind grundsätzlich als Anlage zum Abschlußbericht zu veröffentlichen, damit der unmittelbare Zusammenhang mit den darin enthaltenen 17
Schneider, Referat zum 57. DIT, S. M 85 f.; vgl. oben III.5.c)bb)(1).
2. Das Recht auf Gegendarstellung
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Tatsachenbehauptungen und Vorwürfen gewahrt bleibt. Um die Veröffentlichung des Berichts nicht unangemessen zu verzögern, kann Personen, die zur Gegendarstellung berechtigt sind, ein Anspruch auf Veröffentlichung mit dem Abschlußbericht jedoch nur zugebilligt werden, wenn sie innerhalb einer relativ kurzen Frist von 14 Tagen nach einer möglichen Kenntnisnahme des Berichts eine schriftliche Gegendarstellung vorlegen. Die rechtzeitige Geltendmachung des Anspruchs muß dadurch ermöglicht werden, daß der Abschlußbericht, sobald er erstellt ist, allen darin namentlich erwähnten oder in einer Weise beschriebenen Personen, die eine Identifizierung möglich macht, zur Kenntnis gebracht wird. Gegendarstellungen, die dem Ausschuß nach Ablauf von 14 Tagen seit der Möglichkeit der Kenntnisnahme zugehen, müssen in einer gesonderten Drucksache veröffentlicht werden. Ein Jahr nach Veröffentlichung des Abschlußberichts verjährt der Anspruch auf Gegendarstellung. Sofern der Ausschuß einen Zwischenbericht erstellt, muß für diesen dasselbe gelten, wie für den Abschlußbericht. Um eine ausufernde Wahrnehmung des Gegendarstellungsrechts zu verhindern, muß dessen Umfang inhaltlich begrenzt sein. Er sollte sich auf die Widerlegung der für falsch gehaltenen Tatsachenbehauptungen bzw. auf eine Stellungnahme zu den vom Ausschuß erhobenen Vorwürfen beschränken l8 . In diesem Zusammenhang muß allerdings auch Kritik an der Vorgehensweise des Ausschusses bei der Aufklärung dieser Angelegenheiten geübt werden können. Die Entscheidung über die Veröffentlichung einer Gegendarstellung kann nur beim Untersuchungsausschuß liegen. Lehnt der Ausschuß den Anspruch auf Gegendarstellung ab, sollte für seine Durchsetzung der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten gegeben sein. Allein die Möglichkeit der Klage kann jedoch den Interessen des Anspruchsinhabers aufgrund der Länge des Verfahrens nicht gerecht werden, da eine zeitlich wesentlich nach dem Ausschußbericht als Drucksache veröffentlichte Gegendarstellung kaum noch Aufsehen in der Öffentlichkeit erregt. Bei einer Konstellation, in der neben der Klage die Möglichkeit der Inanspruchnahme einstweiligen Rechtsschutzes bestünde, würde zumindest im Falle einer positiven Entscheidung im letztgenannten Verfahren die Entscheidung in der Hauptsache zwangsläufig vorweggenommen. Über das Bestehen eines Gegendarstellungsanspruchs sollte daher nach dem Vorbild der Landespressegesetze im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes abschließend entschieden werden l9 . Die gesetzliche Regelung des Rechts auf Gegendarstellung sollte in den Untersuchungsausschußgesetzen des Bundes und der Länder erfolgen. Auf Bundesebene ist ein solches Gesetz ohnehin überfällig. Eine sinngemäße Anwendung des presserechtlichen Gegendarstellungsanspruchs ist nicht zu empfehlen. Er ist zu stark auf periodisch erscheinende Druckerzeugnisse ausgerichtet und kann den Besonderheiten des Rechts der parlamentarischen Enquete nicht gerecht werden 2o . Vgl. Schneider, Referat zum 57. DIT, S. M 86. Mit Ausnahme von Bayern und Sachsen ist der Gegendarstellungsanspruch nach den Landespressegesetzen nur im Verfügungswege durchsetzbar. Der Gegendarstellungsanspruch ist geregelt in § 11 LPG, in Bayern, Hessen, Sachsen und Sachsen-Anhalt in § 10 LPG. 18
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VII. Rechtsstellung von Auskunftspersonen im Untersuchungsverfahren
Durch die Gewährung des Rechts auf Gegendarstellung wird nicht nur den im Abschlußbericht einer parlamentarischen Enquete erwähnten Personen unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit zur Stellungnahme gegeben, sondern darüber hinaus auch das Interesse des Ausschusses an einer in allen wesentlichen Punkten gründlichen und vollständigen Sachverhaltsermittlung gestärkt. Die Ausschußmitglieder dürften bestrebt sein, alle sachdienlichen Anregungen zur Beweisaufnahme zu berücksichtigen, um zu vermeiden, daß in den Gegendarstellungen neue, ernstzunehmende Fakten erscheinen, die in den Ermittlungen der Enquete nicht berücksichtigt wurden. Der Neue-Heimat-Untersuchungsausschuß des Deutschen Bundestages hat als Anlage zu seinem Abschlußbericht eine als "Memorandum" bezeichnete umfangreiche Stellungnahme des früheren CDU-Bundestagsabgeordneten und ehemaligen Angestellten der Neuen Heimat, Gerhard Orgaß, zu Vorwürfen, die der Neue-Heimat-Untersuchungsausschuß der Hamburger Bürgerschaft in seinem Abschlußbericht gegen ihn erhoben hat, veröffentlicht 21 • Der sog. Fall "Orgaß" ist eines der dunkelsten Kapitel in der Nachkriegsgeschichte parlamentarischer Untersuchungsausschüsse. Der Neue-Heimat-Ausschuß der Hamburger Bürgerschaft hat den ehemaligen Bundestagsabgeordneten und Neue-Heimat-Mitarbeiter beschuldigt, beim Bau seines Hamburger Eigenheims ungerechtfertigte Vorteile von der Neuen Heimat erhalten zu haben. Obwohl Orgaß dem Untersuchungsausschuß zu den bereits während des Verfahrens an die Öffentlichkeit gedrungenen Vorwürfen umfangreiches Material zum Beweis des Gegenteils anbot und vorlegte, über die Angelegenheit in den Medien berichtet wurde und Orgaß sich in jeder Weise kooperativ gezeigt hatte, wurde ihm weder Gelegenheit gegeben, sich zu den Beschuldigungen vor dem Untersuchungsausschuß zu äußern, noch wurden die gegen ihn erhobenen Vorwürfe fallengelassen. Seine schriftlichen Stellungnahmen sowie das von ihm vorgelegte Beweismaterial hat der Ausschuß offensichtlich ignoriert, anstatt es zur Grundlage sorgfältiger Recherchen zu machen. Der Neue-Heimat-Untersuchungsausschuß des Deutschen Bundestages war in keiner Weise verpflichtet, die als ,,Memorandum" bezeichnete Gegendarstellung Orgaß' am Ende seines Berichts zu veröffentlichen, denn sie bezog sich ja auf die Tatigkeit des Neue-Heimat-Ausschusses der Hamburger Bürgerschaft. Auch nimmt die einschließlich Anlagen über 40 Seiten umfassende Stellungnahme des ehemaligen Bundestagsabgeordneten und Neue-Heimat-Mitarbeiters einen Umfang ein, der Gegendarstellungen in der Regel nicht zugestanden werden kann. In diesem Fall hatte Orgaß jedoch ein berechtigtes Interesse daran, insbesondere auch die Vorgehensweise des Ausschusses in den ihn betreffenden Punkten ausführlich darzulegen. Es spricht einiges dafür, daß der Hamburger Neue-Heimat-Untersuchungsausschuß sich gegenüber dem ehemaligen Bundestagsabgeordneten und Neue-Heimat-Mitarbeiter korrekter verhalten hätte, wenn er von Anfang an damit 20 21
Vgl. Bicke!, Referat zum 57 DIT, S. M 41 f.; vgl. oben III.5.c)bb)(1). BTDS X/6779 Anlage 9 S. 438 ff.
2. Das Rec1J.t auf Gegendarstellung
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hätte rechnen müssen, daß Orgaß die Arroganz der Macht, mit der gegen ihn vorgegangen wurde, in dieser Weise in einer am Ende des Berichts der Hamburger Bürgerschaft zu veröffentlichenden Gegendarstellung dokumentiert. Demgegenüber erscheint es unwahrscheinlich, daß der Untersuchungsausschuß durch die bloße Verpflichtung zur Zubilligung von Frage- und Mitwirkungsrechten seine von Ignoranz geprägte Haltung gegenüber dem Vorbringen Orgaß' und zu seinen Gun. sten aussagenden Zeugen aufgegeben hätte 22 . Ein weiterer Grund, warum es dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit widersprechen würde, dem oben beschriebenen Personenkreis 23 das Recht auf Gegendarstellung vorzuenthalten, ist, daß Abschlußberichte parlamentarischer Untersuchungsausschüsse nach Art. 44 Abs. 4 S. 1 GG und den entsprechenden landesrechtlichen Regelungen einer gerichtlichen ,überprüfung nicht zugänglich sind. Das Gegendarstellungsrecht muß daher auch' als Surrogat für die Gerichtsfreiheit der Abschlußberichte parlamentarischer Enq~eten betrachtet werden 24 . Eine gerichtliche Kontrolle dieser Berichte ist demgegenüber auch in Ausnahmefällen bei besonders schweren Grundrechtsverletzungen abzulehnen 25 . Sie wäre mit dem eindeutigen Wortlaut der Regelung von Art. 44 Abs. 4 S. 1 GG, der eine Ausnahme von der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG beinhaltet26 , nicht zu vereinbaren. Durch diese im Grundgesetz und in den entsprechenden Vorschriften der Landesverfassungen enthaltene Konstruktion soll die in erster Linie nach politischen Gesichtspunkten handelnde parlamentarische Institution der Enquete nicht der Kritik der Gerichte ausgesetzt werden 27 .
Vgl. BTDS X/6779 Anlage 9 S. 448 ff. Vgl. oben VII.2. 24 Vgl. Bickel, Referat zum 57. DJT, S. M 41; vgl. oben III.5.c)bb)(1). 25 Das VG Hamburg, DVBI. 1986, S. 1017 ff., 1021 und das OVG Hamburg, NJW 1987, S. 610 ff., 611 , vgl. oben IY.2.c), tendieren dazu, bei besonders schweren Grundrechtsverletzungen eine gerichtliche Kontrolle der Abschlußberichte zuzulassen. 26 LG Kiel, NJW 1989, S. 1094 f., 1095; Maunz, in Maunz/Dürig, Art. 44, Rdnr. 65. 27 Vgl. Maunz, in MaunzlDürig, Art. 44, Rdnr. 65. 22 23
VIII. Vorschläge für Verfassungs- und Gesetzesänderungen Auf der Grundlage der in den beiden vorangegangenen Kapiteln dargestellten Ergebnisse der Arbeit werden nun einige Vorschläge für Verfassungs- und Gesetzesänderungen gemacht. Dabei soll in der Vergangenheit aufgetretenen Unsicherheiten und Widersprüchen bei der Rechtsanwendung durch eindeutigere Regelungen entgegengewirkt werden, ohne die Vorschriften des Grundgesetzes bzw. der Landesverfassungen mit Verfahrens- und Detailregelungen zu überfrachten. Die Ausarbeitung eines kompletten Untersuchungsausschußgesetzes würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Es werden lediglich einige Regelungen vorgeschlagen, die zentrale Punkte bezüglich der Frage nach Umfang und Grenzen des parlamentarischen Untersuchungsrechts gegenüber Privaten im' nichtöffentlichen Bereich betreffen.
1. Empfehlung für eine Änderung von Art. 44 GG und der entsprechenden landesverfassungsrechtlichen Regelungen 1 (1) Der Bundes-/Landtag hat das Recht und, auf Antrag eines Viertels seiner Mitglieder, die Pflicht, im gesamten Bereich seiner Zuständigkeiten einen Untersuchungsausschuß einzusetzen, der in öffentlicher Verhandlung die erforderlichen Beweise erhebt. Die Öffentlichkeit kann ausgeschlossen werden.
(2) Auf Beweiserhebungen finden die Vorschriften über den Strafprozeß sinngemäß Anwendung. Für Auskunftspersonen parlamentarischer Untersuchungsausschüsse gelten die strafprozessualen Regelungen über Zeugen entsprechend. Das Brief-, Post- und Femmeldegeheirnnis bleibt unberührt. (3) Gerichte und Verwaltungsbehörden sind zur Rechts- und Amtshilfe verpflichtet. (4) Die Beschlüsse der Untersuchungsausschüsse sind der richterlichen Erörterung entzogen. In der Würdigung und Beurteilung des der Untersuchung zugrunde liegenden Sachverhaltes sind die Gerichte frei. (5) Jeder, der im Abschlzif3- oder Zwischenbericht eines Untersuchungsausschusses mit einer Tatsachenbehauptung in Verbindung gebracht wird, die er glaubhaft 1 Die kursiven Passagen beinhalten Änderungen gegenüber der jetzigen Regelung in Art. 44GG.
2. Empfehlungen für gesetzliche Neuregelungen
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für unwahr hält, oder dem der Ausschuß in seinem Bericht Veifehlungen rechtlicher, politischer, moralischer oder sonstiger Art vorwirft, hat das Recht zur Gegendarstellung. (6) Das Nähere regelt ein Bundes-lLandesgesetz.
2. Empfehlungen für gesetzliche Regelungen in den Untersuchungsausschußgesetzen des Bundes und der Länder 1. Regelungsvorschlag: (Anwendbarkeit strafprozessualer Zwangsmittel) (1) Zur Aufklärung von Sachverhalten und Verantwortlichkeiten im öffentlichen Bereich ist der Einsatz strafprozessualer Zwangsmittel zulässig. (2) Zur Aufklärung von Sachverhalten und Verantwortlichkeiten im Bereich natürlicher Personen oder juristischer Personen des Privatrechts bzw. sonstiger Personenmehrheiten ist der Einsatz strafprozessualer Zwangsmittel nur zulässig, a) sofern die Aufklärung von Sachverhalten im Privatbereich als Annex erforderlich ist, um die Kompetenz des Parlaments zur Exekutivkontrolle wirksam wahrnehmen zu können, b) sofern eine parlamentarische Untersuchung sich unmittelbar auf den Privatbereich bezieht, wenn ein tatsachenbezogener konkreter Anfangsverdacht vorliegt, der bei vernünftiger Betrachtungsweise zum Zeitpunkt der Fassung des Beweisbeschlusses den Schluß rechtfertigt, daß durch die Aufklärung des Sachverhalts Rechtsverstöße nicht unerheblicher Art aufgedeckt werden. (3) Die Einschränkungen des Abs. 2 geIten nicht für Träger öffentlicher Gewalt, unabhängig davon, in welcher Rechtsform sie handeln, und für Angehörige des öffentlichen Dienstes bezüglich ihres dienstlich erlangten Wissens. (4) Die Beschlagnahme von Gegenständen und die Beugehaft dürfen nur durch den Richter angeordnet werden. Er hat sicherzustellen, daß beschlagnahmte Unterlagen, die ersichtlich grundrechtlich bedeutsame Daten enthalten, erst dann im Ausschuß erörtert werden, wenn ihre Beweiserheblichkeit im einzelnen und die Frage der Zulässigkeit der Beweiserhebung im Blick auf ausreichende Geheimschutzmaßnahmen geprüft wurden2 . (5) Strafprozessuale Zwangsmittel dürfen nicht angewandt werden, um Informationen zu erhalten, deren Weitergabe für den Betroffenen wegen ihres streng persönlichen Charakters unzumutbar ist.
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BVerfGE 77, I ff., 55; vgl. oben IV.2.b)bb).
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VIII. Vorschläge für Verfassungs- und Gesetzesänderungen
2. Regelungsvorschlag: (Aktenherausgabeanspruch) (1) Parlamentarische Untersuchungsausschüsse haben im selben Umfang einen Anspruch auf Herausgabe von Behördenakten, die grundrechtlich geschützte Informationen aus dem Bereich natürlicher Personen oder juristischer Personen des Privatrechts bzw. sonstiger Personenmehrheiten enthalten, wie zur Ermittlung dieser Angaben auch der Einsatz strafprozessualer Zwangsmittel unmittelbar im Privatbereich nach § (1. Regelungsvorschlag) zulässig wäre.
(2) Der grundrechtliche Datenschutz rechtfertigt eine Verweigerung der Aktenherausgabe durch die Behörden nicht, wenn die Betroffenen einer Vorlage der entsprechenden Akten an den Untersuchungsausschuß zugestimmt haben. (3) Lassen sich bestimmte Angaben sowohl aus Behördenakten entnehmen, als auch durch eine Beschlagnahme unmittelbar im Bereich natürlicher Personen oder juristischer Personen des Privatrechts bzw. sonstiger Personenmehrheiten ermitteln, ist zunächst der Aktenherausgabeanspruch gegenüber der Behörde geltend zu machen. (4) Akten, die grundrechtlich bedeutsame Daten enthalten, müssen an den Untersuchungsausschuß nur herausgegeben werden, wenn sie potentiell beweiserheblich sind und der erforderliche Geheimschutz gewährleistet ist.
3. Regelungsvorschlag: (Gegendarstellungsanspruch) (1) Das Recht auf Gegendarstellung steht zu: a) jeder natürlichen Person oder juristischen Person des Privatrechts bzw. sonstigen Personenmehrheit, die im Abschluß- oder Zwischenbericht eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses mit einer Tatsachenbehauptung in Verbindung gebracht wird, die sie glaubhaft für unwahr hält, b) jeder natürlichen Person oder juristischen Person des Privatrechts bzw. sonstigen Personenmehrheit, der der Untersuchungsausschuß in seinem Abschlußoder Zwischenbericht Verfehlungen rechtlicher, politischer, moralischer oder sonstiger Art vorwirft. (2) Das Recht auf Gegendarstellung ist inhaltlich begrenzt auf die Widerlegung der für falsch gehaltenen Tatsachenbehauptungen bzw. auf eine Stellungnahme zu den vom Ausschuß erhobenen Vorwürfen. Die Gegendarstellung bedarf der Schriftform, und sie darf keinen strafbaren Inhalt haben. Die Gegendarstellung muß ohne Einschaltungen und Weglassungen veröffentlicht werden. Sie muß von ihrem Umfang her angemessen sein. Die Gegendarstellung gilt als angemessen, wenn ihr Umfang den des Textes, auf den sie sich bezieht, nicht überschreitet. Zusätzlich ist dem zur Gegendarstellung Berechtigten Gelegenheit zu geben, in angemessenem Umfang Kritik an der Ermittlungstätigkeit des Ausschusses in den ihn
2. Empfehlungen für gesetzliche Neuregelungen
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betreffenden Punkten zu üben. Eine Gegendarstellung, die von ihrem Umfang her nicht angemessen ist, muß nicht veröffentlicht werden. (3) Nach Erstellung des Abschluß- bzw. Zwischenberichts ist er allen darin namentlich erwähnten oder in einer Weise beschriebenen natürlichen Personen oder juristischen Personen des Privatrechts bzw. sonstigen Personenmehrheiten, die eine Identifizierung ermöglicht, unverzüglich zuzustellen. Schriftliche Gegendarstellungen, die dem Ausschuß innerhalb von 14 Tagen seit der Möglichkeit der Kenntnisnahme durch den Berechtigten zugehen, sind als Anlage zum Abschlußbericht zu veröffentlichen. Später zugehende Gegendarstellungen sind in einer gesonderten BT/LT-Drucksache zu veröffentlichen. Der Anspruch auf Gegendarstellung verjährt ein Jahr nach Veröffentlichung des Abschluß- bzw. Zwischenberichts. (4) Ist der Gegendarstellungsanspruch vergeblich geltend gemacht worden, so ist für seine Durchsetzung der Verwaltungsrechtsweg gegeben. Auf Antrag des Betroffenen kann das Gericht anordnen, daß der Ausschuß eine Gegendarstellung veröffentlicht. Auf diese Verfahren sind § 123 VwGO und die über § 123 VwGO anwendbaren Vorschriften der ZPO entsprechend anzuwenden. Eine Gefährdung des Anspruchs braucht nicht glaubhaft gemacht zu werden. § 926 der ZPO ist nicht anzuwenden. (5) Die Absätze 1-4 gelten nicht für die wahrheitsgetreue Wiedergabe des Inhalts öffentlicher Sitzungen der gesetzgebenden oder beschließenden Organe des Bundes und der Länder, der Vertretungen der Gebietskörperschaften sowie der Gerichte im Abschluß- oder Zwischenbericht.
IX. Zusammenfassung Das Recht der parlamentarischen Untersuchung nach Art. 44 GG und den entsprechenden Regelungen der Landesverfassungen orientiert sich weitgehend an Art. 34 WRV. Als geistiger Vater des Untersuchungsrechts der Weimarer Verfassung gilt der Volkswirtschaftler und Soziologe Max Weber. Im Zentrum seiner Vorstellungen stand dabei die Kontrollfunktion des Enqueterechts gegenüber der Exekutive. Der sog. Preuß'sche Verfassungsentwurf vom 20. 2. 1919 enthält eine auf Weber zurückgehende Regelung des parlamentarischen Untersuchungsrechts, nach der Voraussetzung für die Einsetzung einer Enquete ist, daß "die Gesetzlichkeit oder Lauterkeit von Regierungs- oder Verwaltungsmaßnahmen des Reiches angezweifelt wird ... " 1• Die Verfassunggebende Deutsche Nationalversammlung entschied sich jedoch nach kurzer Debatte für ein parlamentarisches Untersuchungsrecht ohne diese Einschränkung und damit für ein weiter gefaßtes Enqueterecht. Privatgerichtete Untersuchungen hat es bereits unmittelbar nach Einführung des Untersuchungsrechts durch die Regelung des Art. 34 WRV bis in die heutige Zeit immer wieder gegeben. Aus der Entstehungsgeschichte läßt sich keine Beschränkung des Rechts der parlamentarischen Enquete auf den öffentlichen Bereich herleiten. Aufgrund der Mehrstufigkeit des Untersuchungsverfahrens ist es aus Bestimmtheitsgründen nicht erforderlich, daß alle von einer parlamentarischen Enquete betroffenen Unternehmen abschließend im Untersuchungs auftrag genannt werden. Die im Laufe des Verfahrens gewonnenen Erkenntnisse können Anlaß dafür sein, die Ermittlungen auf eine größere Anzahl von Unternehmen auszudehnen als ursprünglich geplant. Dies kann durch Beweisbeschlüsse konkretisiert werden. Steht jedoch von Anfang an fest, daß bestimmte Unternehmen zu einem maßgeblichen Teil Gegenstand der Enquete sind, müssen diese auch im Einsetzungsantrag genannt werden. Dabei können mehrere Unternehmen unter einem Oberbegriff zusammengefaßt werden, der sie hinreichend von anderen abgrenzt. Bei der Bestimmung von Umfang und Grenzen des parlamentarischen Untersuchungsrechts gegenüber Privaten im nichtöffentlichen Bereich ist zu differenzieren zwischen dem gegenständlichen Anwendungsbereich des Rechts der parlamentarischen Enquete und der Möglichkeit des Einsatzes von Zwangsmitteln im Privatbereich. Einer weiten Auslegung der Korollartheorie entsprechend, kann sich das Parlament mit Hilfe des Instruments der parlamentarischen Untersuchung Informa1 § 52 des Verfassungsentwurfs vom 20.2. 1919, veröffentlicht im Deutschen Reichsanzeiger, Nr. 15,20.1. 1919, 1. Beilage; vg1. oben II.1.
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tionen zur Wahrnehmung seiner sämtlichen Funktionen verschaffen. llim steht auch im Bereich natürlicher Personen oder juristischer Personen des Privatrechts bzw. sonstiger Personenmehrheiten für alle Gegenstände, die es beraten und diskutieren kann, das Enqueterecht zur Sachaufklärung zur Verfügung. Dies gilt nicht nur in bezug auf Untersuchungen, die der Vorbereitung rechtsverbindlicher Parlamentsbeschlüsse auf dem Gebiet der Gesetzgebung oder der Exekutivkontrolle dienen, sondern auch für Sachstands- und Perspektivenenqueten. Die Gesetzgebungskompetenzen des Bundes im Bereich des gesellschaftlichen, familiären und wirtschaftlichen Lebens eröffnen beispielsweise dem Deutschen Bundestag umfangreiche Möglichkeiten, sich im Rahmen einer parlamentarischen Enquete Informationen über ein bestimmtes, den Privatbereich betreffendes Sachgebiet zu verschaffen. Auch unter bundesstaatlichen Gesichtspunkten ist das Anwendungsgebiet des parlamentarischen Untersuchungsrechts im Bereich natürlicher Personen oder juristischer Personen des Privatrechts bzw. sonstiger Personenmehrheiten auf der Grundlage einer weiten Auslegung der Korollartheorie zu bestimmen. Das Enqueterecht steht dem jeweiligen Parlament im selben Umfang zu, wie es über Gesetzgebungs-, Kontroll-, Vollzugs- oder Aufsichtskompetenzen verfügt. Die Funktion des Deutschen Bundestages als parlamentarisches Forum der Nation eröffnet ihm ein unmittelbares Untersuchungsrecht für Angelegenheiten, die ansonsten ausschließlich in den Zuständigkeitsbereich der Länder fallen, wenn das Thema der Enquete gesamtstaatliche Belange von erheblichem Gewicht berührt. Keinen wirksamen Schutz des Privatbereichs stellt die Beschränkung des Untersuchungsrechts auf Angelegenheiten von öffentlichem Interesse dar. Ob dieses Kriterium erfüllt ist, kann nur nach politischen, nicht jedoch nach juristischen Gesichtspunkten entschieden werden. Schneider ist darin zuzustimmen, daß in dem Begriff des öffentlichen Interesses lediglich "eine nicht justiziabele nähere Umschreibung der Untersuchungsaufgabe" zu sehen ist. Ob dieses Kriterium erfüllt ist, unterliegt ausschließlich "dem gerichtlich nicht kontrollierbaren, politischen Einschätzungsermessen der Antragsteller,,2. Im Gegensatz zur Weite der Anwendungsmöglichkeit parlamentarischen Untersuchungsrechts im Privatbereich ist der Einsatz strafprozessualer Zwangsmittel im Bereich natürlicher Personen oder juristischer Personen des Privatrechts bzw. sonstiger Personenmehrheiten nur in engen Grenzen zulässig. Ihr Einsatz ist verhältnismäßig, sofern private Sachverhalte als Annex zum öffentlichen Bereich aufgeklärt werden müssen, um die Kompetenz des Parlaments zur Exekutivkontrolle wirksam wahrnehmen zu können. Im Rahmen einer unmittelbar privatgerichteten Enquete entspricht die Anwendung von Zwangsbefugnissen der StPO nur dann dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, wenn ein tatsachenbezogener konkreter Anfangsverdacht vorliegt, der bei vernünftiger Betrachtungsweise zum Zeitpunkt der Fassung des Beweisbeschlusses die Folgerung rechtfertigt, daß durch die Auf2
Schneider, in AK, Art. 44, Rdnr. 11; vgl. oben III.2.c).
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klärung des Sachverhalts Rechtsverstöße nicht unerheblicher Art aufgedeckt werden. Unabhängig davon dürfen strafprozessuale Zwangsmittel im Untersuchungsverfahren nicht angewandt werden, um Informationen zu erhalten, deren Weitergabe für den Betroffenen wegen ihres streng persönlichen Charakters unzumutbar ist3 . Über den aufgezeigten Anwendungsbereich der strafprozessualen Zwangsbefugnisse im Untersuchungsverfahren hinaus sind die mit ihrem Einsatz verbundenen Eingriffe in die Freiheitsgewährleistungen des Grundgesetzes stets unverhältnismäßig. Dies gilt allerdings nicht in den Bereichen, wo die Grundrechte keine Wirksamkeit erlangen. Trägem öffentlicher Verwaltung steht unabhängig davon, in welcher Rechtsform sie handeln, kein Grundrechtsschutz zu. Auch das dienstlich erlangte Wissen von Angehörigen des öffentlichen Dienstes ist gegenüber parlamentarischen Enqueten nicht grundrechtlich geschützt. Die Anwendung von Zwangsmitteln der StPO gegenüber natürlichen Personen oder juristischen Personen des Privatrechts bzw. sonstigen Personenmehrheiten ist zur Klärung von Sachverhalten, die mit der Vergabe staatlicher Subventionen zusammenhängen, nicht in größerem Umfang zulässig als zur Überprüfung anderer Geschehnisse. Die Förderung durch öffentliche Mittel ist kein geeignetes Kriterium zur Bestimmung von Umfang und Grenzen des Anwendungsbereichs strafprozessualer Zwangsbefugnisse im Rahmen einer parlamentarischen Enquete. Parlamentarische Untersuchungsausschüsse können Beschlagnahmeanordnungen und die Anordnung der Beugehaft nicht selbst treffen, sondern lediglich beim zuständigen Gericht beantragen. Dieser Rechtsprechung des BVerfG4 ist zu folgen, da die Intensität der mit der Anwendung von Zwangsmaßnahmen verbundenen Grundrechtseingriffe es erforderlich macht, ihre Anordnung nur durch einen unabhängigen Richter zu ermöglichen. Dieser hat sicherzustellen, daß beschlagnahmte Akten, die erkennbar grundrechtlich relevante Daten beinhalten, im Ausschuß erst erörtert werden, nachdem ihre Beweiserheblichkeit im einzelnen sowie die Problematik der Zulässigkeit der Beweiserhebung in bezug auf ausreichende Geheimschutzmaßnahmen geprüft wurden 5 . Parlamentarischen Untersuchungsausschüssen steht hinsichtlich grundrechtlich geschützter Informationen aus dem Bereich natürlicher Personen oder juristischer Personen des Privatrechts bzw. sonstiger Personenmehrheiten ein Anspruch auf Herausgabe von Behördenakten im selben Umfang zu, wie zur Ermittlung der darin enthaltenen Angaben im Rahmen der jeweiligen Enquete auch der Einsatz strafprozessualer Zwangsmittel unmittelbar im Privatbereich zulässig wäre. Eine Differenzierung nach der Herkunft grundrechtlich geschützter Daten wäre nicht sachgerecht. Entscheidend ist der Inhalt der Behördenakten. Der grundrechtliche Daten3 4
5
Vgl. BVerfGE 67,100 ff., 144; vgl. oben Iy'2.b)aa), VI.4.a)aa). BVerfGE 77,1 ff., 51 f.; 76, 363 ff., 383; vgl. oben IY.2.b)bb). BVerfGE 77, 1 ff., 55 ff.; vgl. oben IV.2.b)bb).
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schutz rechtfertigt die Verweigerung der Aktenherausgabe durch die öffentliche Hand nicht, wenn die betroffenen Privaten der Vorlage der Unterlagen zugestimmt haben. Lassen sich bestimmte Angaben voraussichtlich sowohl durch eine Beschlagnahme direkt im Privatbereich ermitteln als auch aus den einschlägigen Behördenakten entnehmen, ist aus Verhältnismäßigkeitsgründen zunächst der Aktenherausgabeanspruch gegenüber der Exekutive geltend zu machen. Untersuchungsaufträge parlamentarischer Enqueten bilden die Basis für Eingriffe in den Schutzbereich von Grundrechten. Auf ihrer Grundlage können strafprozessuale Zwangsmittel zur Anwendung gelangen und Ansprüche auf Herausgabe von Behördenakten privaten Inhalts geltend gemacht werden. Das bedeutet, daß der Untersuchungsauftrag das Thema der Enquete so genau beschreiben muß, daß der Untersuchungsgegenstand von anderen Sachbereichen in erkennbarer Weise abgegrenzt wird. Einer engeren oder weiteren Fassung des zu ermittelnden Sachverhalts ist dabei weniger Bedeutung zuzumessen als der Frage, ob die Abgrenzung der zu untersuchenden Tatsachen gegenüber anderen Themenkomplexen eindeutig genug ist 6 . Auf Auskunftspersonen parlamentarischer Untersuchungsausschüsse sind die strafprozessualen Regelungen über Zeugen sinngemäß anzuwenden. Ein Sonderstatus für Betroffene ist abzulehnen. Die Unterscheidung zwischen Zeugen und Beschuldigten stammt aus dem durch das Legalitätsprinzip und den Amtsermittlungsgrundsatz geprägten Strafverfahren. Sie kann nicht auf das einer politischen Aufgabe dienende Verfahren der parlamentarischen Enquete, das nach politischen Gesichtspunkten durchgeführt wird, übertragen werden ohne dessen Charakter dahingehend zu verändern, daß es sich um ein strafähnliches Verfahren handelt. Auskunftspersonen von Untersuchungsausschüssen haben weder mit einer Bestrafung noch mit anderen unmittelbaren Rechtsfolgen durch den Ausschuß zu rechnen. Zum Schutz vor den Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit widersprechenden Nachteilen in anderen Verfahren, insbesondere im Strafverfahren, reicht die Anwendung der Zeugenschutzrege1ungen des Strafprozesses aus. Jeder natürlichen Person oder juristischen Person des Privatrechts bzw. sonstigen Personenmehrheit, die im Abschluß- oder Zwischenbericht eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses mit einer Tatsachenbehauptung in Verbindung gebracht wird, die sie glaubhaft für unwahr hält oder der der Ausschuß in seinem Abschluß- oder Zwischenbericht Verfehlungen rechtlicher, politischer, moralischer oder sonstiger Art vorwirft, ist das Recht auf Gegendarstellung zuzubilligen.
6
Vgl. Steinberger, S. 1203; vgl. auch oben VI.5.
IS Köhler
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Sachwortregister Aktenvorlage 153, 154, 156, 157,204 allgemeines Persönlichkeitsrecht 170, 172,173 Anfangsverdacht 92, 94, 95, 110, 152, 198,201,202 Aussageverweigerungsrecht 116, 125, 127, 128, 135, 136, 138, 140, 164, 212
171, 153, 126, 165,
Befassungsrecht 147 Beschlagnahme 54, 108, 151, 158, 159, 160, 161,162,199,200,206,219,225 Beschuldigte 114, 116, 117, 137, 139, 140, 164,166,209,210,225 Bestimmtheit 206, 207, 208 Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse 47, 173, 175, 176, 177, 178, 179, 180, 182, 183, 184, 190,213 Betroffene 26, 27, 28, 29, 51, 102, 114, 115, 116, 117, 118, 119, 120, 121, 122, 123, 124, 130, 134, 135, 136, 137, 138, 139, 140, 162, 166, 168, 181, 184, 209, 210, 214,225 Beugehaft 48, 108 Beweisantragsrecht 116, 125, 126, 128, 132, 133, 134, 166 Diskontinuitätsgrundsatz 116 Durchsuchung 158, 159 Empfehlungsenquete 21, 57, 67, 79, 93, 101, 103, 104, 105 Enquetekommission 94, 96, 97, 107, 190, 198 Fragerecht 116, 125, 126, 127, 128, 133, 135 Geeignetheit 88, 93 Gegendarstellung 97, 133, 134, 170, 171, 214,215,216,217,219,220,221,225 Geheimschutzmaßnahmen 163, 164, 168
Gemeinden 23 Geschäftsgeheimnisse 167, 174 Gesetzgebungsenquete 21, 43, 50, 57, 79, 87,101,108,110,111,112,196,198,207 Gewerkschaften 24 Herrenchiemseer Verfassungskonvent 33 hinreichender Anlaß 92, 93 Hochschulen 24 Individualenquete 22, 44, 60, 68, 70 Integrationslehre 74, 91 Intimsphäre 89 IPA-Vorschriften 17,18,29 Kirchen 22, 23 Kollegialenquete 21, 68, 196,207 Kontrollenquete 21, 57, 75,80, 196 Korollartheorie 18, 72, 73, 74, 76, 77, 78, 79,80,85,86,88,90,91,92,97,98,141, 142, 143, 147, 151, 186, 187, 191, 193, 222,223 Minderheitsrecht 83 Mißstandsenquete 20, 43, 44, 45, 46, 48, 57, 60, 70, 71, 89, 107, 108, 111, 148, 191, 196,197,201,204,207 Mißtrauensvotum 77, 80, 87 Mitwirkungsrecht 116,212 Nemo-Tenetur-Prinzip 137,138 öffentliches Interesse 33, 80, 81, 82, 83, 84, 85,86,89,90,93,97, 111, 144, 145, 146, 148, 149, 150, 152, 153, 154, 189, 197, 223 parlamentarisches Forum der Nation 78, 91, 99,104,187,193,223 Parteien 25 Presse 25 Preußscher Verfassungsentwurf 31, 32, 222
232
Sachwortregister
Privatsphäre 89, 90
Weber, Max 31
rechtliches Gehör 128, 129, 130, 131, 132, 133, 165, 169,212
Zeugniszwang 160 Zugriffsrecht 147 Zwangsbefugnisse 86, 98, 107, 110, 112, 194,196,197,199,201,202,207,224 Zwangsmittel 85, 92, 93, 96, 97, 99, 102, 106, 109, 110, 111, 112, 158, 159, 186, 187, 191, 193, 194, 196, 197, 198, 199, 201, 202, 203, 206, 212, 219, 222, 223, 224,225 Zwangsrechte 78, 100, 191, 197
Sachstandsenquete 20, 42, 58, 107, 108, 110, 111, 112, 113, 138, 191, 196, 198, 204,207,209 Sozialsphäre 89 Unternehmensenquete 22, 44, 60 Vernehmungsgegenstand 112