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German Pages [64] Year 1969
HYPOMNEMATA HEFT 22
HYPOMNEMATA UNTERSUCHUNGEN UND
ZU I H R E M
ZUR
ANTIKE
NACHLEBEN
Herausgegeben von Albrecht Dihle / Hartmut Erbse Christian Habicht / Günther Patzig / Bruno Snell
H E F T 22
VANDENHOECK & R U P R E C H T IN
GÖTTINGEN
BRUNO
SNELL
Tyrtaios und die Sprache des Epos
VANDENHOECK & R U P R E C H T IN
GÖTTINGEN
© Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen 1969. — Printed in Germany. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, das Buch oder Teile daraus auf foto- oder akustomechanischem Wege zu vervielfältigen Gesamtherstellung: Hubert & Co., Göttingen
Inhalt Vorwort
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1. θ-υμός— ψυχή
9
2. ξυνόν έσθ-λόν
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3. Der Menschen Wege sind verschieden
27
4. Epische Formeln
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5. Das Eigene des Tyrtaios
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Schlußwort
59
Indices
60
Vorwort Sollte Humboldt recht haben, daß die Sprache der Völker ihr Geist und ihr Geist ihre Sprache sei, und sollte es ein besonderes Kennzeichen der alten Griechen sein, daß sie den Weg zum Rationalen, zu Philosophie und Wissenschaft gefunden haben, müßte sich das an der Entwicklung der Sprache aufweisen lassen, zumal natürlich bei der Bedeutung solcher Wörter, die das Geistige zu begreifen suchen, und bei der Ausbildung von Abstrakta. So wäre zunächst einmal an einzelnen isolierten Erscheinungen möglichst exakt festzulegen, an welchen Stellen Neues erscheint, wo also etwa an dem Wort σοφός mehr und mehr das Theoretische hervortritt oder in welchen Stufen der bestimmte Artikel geeignet wird, Abstraktionen zu bilden. Dieses „diachronische" Verfahren, notwendig wie es ist, um eine methodisch gesicherte Grundlage zu gewinnen, bleibt aber einseitig: es kann leicht den Eindruck erwecken, als walte hier ein Automatismus der „Entwicklung". Wie die Einzelnen, seien es Dichter oder Philosophen, persönlich an diesem Prozeß mitgewirkt haben in ihren gesamten Bestrebungen und Fähigkeiten, auf Grund der sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen, vor allem aber mit Hilfe der ihnen vorhandenen sprachlichen und literarischen Formen, all das läßt sich nur in einem „synchronischen" Verfahren begreifen. So, von den Menschen her, gewinnt auch die Geschichte erst die Fülle des Lebendigen. Außerdem verheißt dies Verfahren einen beträchtlichen methodischen Gewinn: wenn an verschiedenen Wortbedeutungen oder Formen oder Topoi jeweils neue Züge auftauchen, die auf eine individuelle Eigenart weisen, können sie sich gegenseitig bestätigen; die Resultate werden plausibler. Als Exempel solcher Betrachtung ist Tyrtaios besonders geeignet, da er zwar fest in der Tradition der epischen Sprache steht, aber doch mit seinen Versen auf anderes aus ist als etwa Homer oder Hesiod. In den verschiedenen Bezirken seines Denkens und Wollens zeigen sich Abwandlungen der ihm überkommenen Sprache; diese lassen sich als Äußerungen einer einheitlichen und einzigartigen Person verstehen.
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Vorwort
Daß so womöglich auch neues Licht auf vieldiskutierte Echtheitsund Datierungsfragen fallen kann, macht solche Betrachtungen vielleicht selbst dem schmackhafter, der sich sonst nicht gern darauf einläßt. Freilich, die Fragen, was und wann Tyrtaios gedichtet hat (und die damit eng zusammengehörenden Probleme der Messenischen Kriege), scheinen mir im wesentlichen gelöst zu sein, nicht zum mindesten durchWerner Jaegers Ausführungen Sitz. Ber. Berlin 1932 Heft 23. Er hat gründlich und überzeugend gezeigt, daß Tyrtaios' Elegien keine „Allerweltsprodukte" sind, „die man ohne Schwierigkeiten in allen Jahrhunderten vom 7. bis zum 4. v. Chr. herumschieben kann" (S. 3)1. Wohl aber kann man in diesem Bezirk manches bestätigen, was Jaeger gezeigt hat. 1 Daß dieser Gesichtspunkt in dem zwei Jahre später erschienenen 1. Band der „Paideia" nicht gleich deutlich hervortritt, liegt natürlich an dem Grundthema des Werkes. Um so größer war dann freilich die Gefahr, daß Tyrtaios dem damaligen Zeitgeist verfiel. Uns mutet heute manches recht fremdartig an, was damals über Tyrtaios gesagt ist, selbst in dem ergebnisreichen Aufsatz von einem so unangekränkelten Autor wie F. W. Otto (Tyrtaios und die Unsterblichkeit des Ruhms, Geistige Überlieferung 2, 1942, 66ff. = Die Gestalt und das Sein, 366ff.).
1. 8-υμός — ψυχή Da, wie gesagt, das Geschichtliche zunächst nur an Einzelmotiven aufweisbar ist, und ich schon früher auf Tyrtaios in solchen begrenzten Zusammenhängen zu sprechen gekommen bin, muß ich, so leid es mir tut, manches wiederholen; diese Einzelfäden gilt es zusammenzuknüpfen 1 . Ausgehen möchte ich von einer Beobachtung von M. Treu 2 : Tyrtaios fr. 6/7, 17 mahnt die jungen Leute: άλλά μέγαν ποιεΐσθε και αλκιμον έν φρεσί θυμόν. Hier benutzt er Homer und geht über ihn hinaus 3 . Von Achill sagt Aias I 629 άγριον έν στήθεσσι θέτο ( = fecit) μεγαλήτορα θυμόν, σχέτλιος . . . 636 σοι δ' άλληκτόν τε κακόν τε θυμό ν ένί στήθεσσι θεοί θέσαν . . . 639 σύ δ' ίλαον ενθεο θυμόν, αΐδεσσαι δέ μέλαθρον. Diese Aufforderung, seinen θυμόν zu ändern, zielt sozusagen auf das Gegenteil von dem, was Tyrtaios meint: Homer nimmt den Thymos als die „Regung", die, wie es bei ihm üblich ist, den Menschen zum Unbesonnenen hinreißen kann, die es daher zu zügeln und zurückzuhalten gilt (έρητύειν 635), zumal wenn man sie „wild gemacht hat" (629) oder die Götter sie „ruhlos und schlimm in der Brust gemacht haben", — wie denn Phoinix schon vorher zu Achill sagt (496): δάμασον θυμόν μέγαν und Odysseus ihn an das Wort seines Vaters Peleus erinnert (255): σύ δε μεγαλήτορα θυμόν ϊσχειν έν στήθεσσιν (vgl. auch v. 109). Ein moralischer Appell 1
Vgl. besonders Entd. 3 237ff., Dicht, u. Ges. 83ff.; zumal was dort in den Anmerkungen auf S. 84ff. zusammengepfercht ist, wird hier freier behandelt und ist damit überholt. 2 Von Homer zur Lyrik 265 ; Corolla Linguistica, Festschr. F. Sommer 226ff. ; Entretiens Hardt 10, 115. Die in Betracht kommenden Homerstellen hatte schon vorher W. Marg, Der Charakter in der Sprache der frühgriechischen Dichtung S. 48f., gut besprochen. •— Viel Material gibt E. Diehl in seiner Ausgabe, auch O. v. Weber, Die Beziehungen zwischen Homer und den älteren griechischen Lyrikern, Diss. Bonn 1955, der aber auf die hier behandelten Fragen nicht eingeht; vor allem ist jetzt zu verweisen auf die kommentierte Tyrtaios-Ausgabe von C. Prato, Rom 1968. Seine Ausführungen über die Abhängigkeit des Tyrtaios von Homer (S. 58*f.) möchte ich auf einem begrenzten Feld weiterführen. 3 Für einiges ist Kallinos eine Zwischenstufe s. u. S. 50.
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1. θυμός —ψυχή
lautet bei Homer etwa (E 529 = O 561): ώ φίλοι, άνέρες έ'στε και άλκιμον ήτορ Ιλεσθε (vgl. Π 209 ενθα τις άλκιμον ήτορ εχων . . . μαχέσθω), aber „Faß dir ein Herz!" ist noch nicht: „Stärke deinen Mut!" 1 Homer sagt, daß der Held μεγάθυμος sei, was der Aufforderung des Phoinix, den θυμός μέγας zu bezwingen, widerspricht. Es scheint, daß μεγάθυμος ein überkommenes Beiwort sei, bei dem man jedenfalls nicht daran denkt, daß ein Krieger seinen Thymos selbst groß machen kann 2 . Der „große Thymos" ist eher soziales Privileg als persönliche Qualität oder gar Leistung : θυμός δε μέγας έστι διοτρεφέων βασιλήων, τιμή δ' έκ Διός έ σ τ ι . . . (Β 196)3. In dem Satz : άλλά μέγαν ποιεϊσθε και άλκιμον έν φρεσί θυμόν kombiniert also Tyrtaios das Ideal des μεγάθυμος mit der Ermahnung zur Tapferkeit: άλκιμον ήτορ έλεσθε und mit dem Appell, die „Regung" zu ändern: ίλεον ενθεο θυμόν. Dies letztere „vergeistigt" er nun aber dadurch, daß er έν φρεσί hinzusetzt 4 , έν φρεσί θυμόν ist wieder homerisch, — aber wiederum in solchem Kontext unhomerisch 5 . I 462 erzählt Meleager, wie er zornig war, als sein Vater ihn verflucht hatte : ένθ' έμοί ούκέτι πάμπαν έρητύετ' έν φρεσί θυμός, was ungefähr heißen mag: All meine Vorstellungen waren so, daß jedenfalls meine Leidenschaft sich nicht mehr zurückhalten ließ. Wieder ist also der Thymos die schwer zu bändigende Leidenschaft, nur scheint er hier mehr als an den anderen Stellen das ganze Innere zu umgreifen. έν φρεσίν άλκιμον steht Ρ 111 : Menelaos muß sich infolge Hektors Drängen von der Leiche des Patroklos zurückziehen; immer wieder 1
Anders ist κ 460 άλλ' άγετ' έσθίετε βρώμην καΐ πίνετε οίνον, εις δ κεν αδτις θυμόν ένΐ στήθεσσι λάβητε, d. h. nach all euren Leiden. 2 Daran ändert nichts, daß Ψ 168 μεγάθυμος Άχιλλεύς das Wort statt des üblichen πόδας ώκύς steht, offenbar deswegen, weil der nächste Vers beginnt : ές πόδας έκ κεφαλής ; vgl. G. Beck, Die Stellung des 24. Buches der Ilias 40,2 und J. B. Hainsworth, The Flexibility of the Homeric Formula, 1968, 9. 3 Ρ 22 ist vom μέγιστος θυμός des Ebers die Rede. 4 έν φρεσί steht in einer Kampf-Mahnung Ν 121: άλλ' έν φρεσί θέσθε έκαστος αιδώ καΐ νέμεσιν, — da ist es natürlich, das bedeutet kaum mehr als Ζ 112 άνέρες έστε, φίλοι, μνήσασθε δέ θούριδος άλκής (so öfter, auch χάρμης Δ 222), vgl. Ν 835 ούδ' έλάθοντο άλκής u. ä. (s. auch u. S. 18,1). 5 Ein Beispiel dafür, wie die bedeutungsvollen Floskeln willkürlich vermischt werden, gibt Quint. Sm. 1,409, der Tisiphone sagen läßt: ώ φίλαι, άλκιμον ήτορ ένΐ στέρνοισι βαλοϋσαι άνδράσιν ήμετέροισιν όμοίιον . . . παρθέμεναι φρεσί θυμόν ϊσης μνησώμεθα χάρμης.
1. θυμός — ψυχή
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wandte er sich um wie ein Löwe, den Hunde und Männer vom Hof drängen mit Lanzen und Schreien, του δ' έν φρεσίν αλκιμον ήτορ παχνοΰται „ihm gefriert das wehrhafte Herz in den φρένες". Indem Tyrtaios ήτορ durch θυμός ersetzt, zielt auch diese Wendung mehr auf das „Geistige", — zugleich erhält aber der θυμός die unbestrittene moralische Qualität, die ήτορ bei Homer besitzt. Tyrtaios vereint also ein ganzes Bündel von homerischen Floskeln und bringt dadurch als Neues heraus, daß der Krieger sein Inneres so gestalten soll, daß er die „Regung" nicht nur vom Bedenklichen zurückhält, sondern sie zu einer guten, wertvollen Leistung mobilisiert 1 . Einen bedeutenden Schritt in dieser Richtung hatte allerdings schon Kallinos fr. 1, 1 getan mit der Frage κότ' άλκιμον εξετε θυμόν ; denn solch eine Frage mit der 2. Pers. Plur. des Futurums ist so gut wie ein Imperativ 2 : „Habt einen wehrhaften Thymos." Bereits Kallinos ersetzt also das άλκιμον ήτορ (s. etwa oben E 529) durch den άλκιμος θυμός, und daß er nicht (wie Homer) 1 Treu, Corolla 226ff. zieht auch Alk. fr. 61,11 L Ρ heran: ]τον τό νόημα φϋσαι, aber die Deutung bleibt unsicher. Zu vergleichen ist aber wohl χ 348 θεός δέ μοι έν φρεσίν οϊμας παντοίας ένέφυσεν. — Von den herangezogenen Archilochos-Versen gehört POx 2310 fr. 1,10 (ed. Treu p. 8) θυμόν Ζλαον τίθευ zu dem oben zitierten Vers I 639; POx 2313 fr. 3,5 (ed. Treu p. 60 v. 57) μ]έγαν S' Ιθεντο θυμόν ist in der Tat dem Tyrtaios-Vers verwandt, aber ganz sicher scheint es mir nicht, daß Archilochos die Priorität zukommt, s. u. S. 47 f. Verschieden dagegen ist, wenn Aias zu Beginn seiner oben angeführten Rede sagt (I 629) : άγριο ν έν στήθεσσι θέτο μεγαλήτορα θυμόν. Wenn er seinen Thymos „wild machte", so änderte er ihn zwar, aber dies „Machen" hat bei weitem nicht die Prägnanz wie in dem Satz des Tyrtaios: „macht euren Thymos groß". Denn diesem „Machen" fehlt das Ziel, auf das es den Thymos richtet. Die Wildheit ist eine Entfesselung des Thymos, keine Konzentration; Achill selbst beschreibt denn auch seinen Zustand mit den Worten (646): άλλά μοι οίδάνεται κραδίη χόλω. Keinesfalls hat Achill also seinen Thymos bewußt gelenkt, vollends nicht mit Anstrengung oder gar auf ein moralisches Ziel. Es steckt hinter diesem Satz kaum mehr als wenn wir sagen: Er „machte" eine unwillkürliche Bewegung, oder: er „machte" eine Dummheit. Auch ist daran zu erinnern, daß die Verben für „machen" und „tun" (zumal πράττειν und τεύχειν) im frühen Griechisch sehr viel weniger an persönlicher Aktivität enthalten, als wir anzunehmen geneigt sind (vgl. Die alten Griechen und wir, S. 47). 2 Ähnlich wie die entsprechenden Fragen mit ού, vgl. Kühner-Gerth, 1, 176f. ; gleiche Konstruktion nimmt Prato 10, 48 an. — Daß solche Frage mit où und der 2. Pers. Fut. als Befehl empfunden wird, zeigt sich schon darin, daß sie wie ein Imperativ mit μή negiert wird. Weiterer AkrobatenKunststücke, um diese Konstruktion zu erklären, bedarf es offenbar nicht.
1. θυμός — ψυχή
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den womöglich blind losfahrenden θυμός meint, zeigt sich darin, daß εχειν θυμόν nicht (wie etwa in der schon angeführten Wendung 1255 θυμόν ΐσχειν έν στήθεσσιν) heißt: „die Erregung anhalten", sondern „Mut haben", — analog zu Homers (Π 209) άλκιμον ήτορ εχων. So heißt es dann bei Tyrtaios 10: λέοντος έχων έν στή&εσι •9-υμόν und 4,2 : ταλασίφρονα θ-υμον έχοντες, — doch τλήμονα θ-υμόν έ'χων hat auch schon Homer (s. u. S. 13). Tyrtaios 6, 24 sagt, es sei schändlich, einen alten Mann in der vorderen Schlachtreihe liegen zu sehen: θυμον άποπνείοντ' άλκιμον έν κονίη. Wieder ist das Kombination von Überkommenem: von Δ 524 -9-υμόν άποπνείων1 (cf. 522. έν κονίη σιν, s . a . Ν 654) und von Kallinos' κότ' άλκιμον εξετε θυμόν2 ; — was seinerseits die erwähnte homerische Wendung άλκιμον ήτορ ελεσθε weiterbildet 3 . Tyrtaios will sagen, daß der Alte bis zum lezten Atemzug Mut gehabt h a t : dieses „Innere" „haucht er aus", das „moralisch gewertete" Innere, das wir bereits kennen aus 6, 17: άλλά μέγαν ποιεϊσθε και άλκιμον έν φρεσί θυμόν. Dies Letztere setzt Tyrtaios so fort: μηδέ φιλοψυχεΐτε. φιλοψ υ χει ν taucht hier zum ersten Mal auf. Tyrtaios gebraucht es ähnlich wie Homer das Wort φιλοκτέανος4. An sich ist es ein natürliches Streben, sich Gewinn zu verschaffen ; ein Name wie Philoklet (oder Polyktet) weist darauf, und die homerischen Helden scheuen sich nicht, κτήματα zu rauben. Aber in der Ilias A 122 beschimpft Achill den Agamemnon als φιλοκτεανώτατος. Genauso ist es natürlich, daß man das Leben liebt 5 , 1
θυμόν steht hier, wo wir eigentlich ψυχήν erwarten; zu solchen Schwankungen s. Entd. 3 28 f. 2 Vielleicht spielt auch mit hinein, daß schon Tyrtaios ίφθίμους ψυχάς (A 3) als άλκίμους θυμούς mißverstand. Zu dieser Fehlinterpretation s. R. Pfeiffer, History of Class. Scholarship 147,4. 3 Wobei die negative Wendung Π 355 άνάλκιδα θυμόν έχουσας, 656 άνάλκιδα θυμόν ένήκεν mitwirken mag. Daß Homer am Thymos eher das Fehlen als das Vorhandensein der Abwehrkraft notiert, läßt sich wohl verstehen. 4 Das wäre um so eher anzunehmen, wenn das Sprichwort ά φιλοχρηματία Σπάρταν όλεϊ, das Aristoteles (fr. 544) in seiner Lakonischen Verfassung anführt, einem alten Orakel entstammen sollte. Bergk wollte es Tyrtaios zuschreiben; dem widerspricht schon die Prosodie, vgl. Prato 54*, n. 214 und zu fr. Ib. 5 Vgl. X 58 φίλη αΐών, dazu Π 453 ψυχή τε και αΙών, ι 523 ; das legt es nahe, daß man die ψυχή als φίλη ansieht. Dagegen ist der Tod έχθρός : I 312 έχθρός γάρ μοι κείνος όμως Άίδαο πύλησιν, Γ 454 ίσον γάρ σφιν πασιν άπήχθετο Κηρί μελαίνη.
1. &υμός— ψυχή
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aber Tyrtaios sagt, φιλοψυχεϊν sei verwerflich für die Jungen, die kämpfen sollen: es ist „Egoismus". Das gleiche meint v. 14 θνήσκωμεν ψυχών μηκέτι φειδόμενοι, denn φείδεσθαί τίνος heißt: seinen Besitz schonend behandeln, ihn für sich behalten 2 . Den Gedanken, „das Leben nicht zu lieben", drückt noch drastischer 8,5 aus: έχθρήν μέν ψυχήν θέμενος, θανάτου δέ μέλαινας κήρας (όμως) αύγαΐς ήελίοιο φίλας — da wird die Psyche zum Feind und der Tod zum Freund, im Gegensatz dazu, wie man „das Licht der Sonne zu schauen" 2 sonst bewertet. In dem Gedicht 9 heißt es v. 18: der Tapfere denkt nicht an Flucht, ψυχήν και θυμόν τλήμονα παρθέμενος. Ähnlich wie bei schon besprochenen Beispielen sind hier verschiedene homerische Wendungen kombiniert, und dadurch springt ein ähnlicher neuer Sinn heraus wie an den anderen Stellen 3 . Ilias E 670 heißt Odysseus τλήμονα θυμόν έχων. Man könnte daran denken, daß das nicht hieß : „einen duldenden, standhaften Sinn habend", sondern: „seinen duldenden Thymos zurückhaltend" (s. o. zu I 255), denn es geht weiter: μαίμησε δέ οί φίλον ήτορ- μερμήριξε δ' έπειτα. . . Darauf könnte ebenfalls führen, daß Odysseus ε 222 sagt : τλήσομαι, έν στήθεσσιν έχων ταλαπένθεα θυμόν, so daß also τλήμονα oder ταλαπένθεα θυμόν effiziertes Objekt wäre. Jedoch Δ 309 sagt Nestor: „Kämpft! So haben auch die Früheren Städte und Mauern zerstört: τόνδε νόον και θυμόν ένί στήθεσσιν έχοντες, wo das Partizip sicher „habend" bedeutet. Beachtenswert ist aber 1. daß Thymos hier noch nicht „Mut" zu sein braucht, — „Regung" würde genügen, und 2. daß die Wendung nicht mit einem Imperativ verbunden ist, sondern in der Beschreibung von etwas Vergangenem steht 4 . Wichtiger ist etwas anderes: einen 1
E 202 ίππων, Ω 236 δέπαος. E 120 οψεσθαι λαμπρόν φάος ήελίοιο. 3 Wilamowitz, Gl. d. Hell. 1, 373, 2 führt den Vers mit anderen von Homer und Tyrtaios an, um die nachhomerische Bedeutimg von ψυχή = Leben zu belegen, nennt die 9. Elegie aber „viel jünger". Dazu Entd. 3 26. 4 Wieder anders ist Π 266 : Achill hat die Myrmidonen zum Kampf aufgerufen (210): ώς ειπών ώτρυνε μένος και θ-υμόν έκάστου, und daraufhin sind Patroklos und Automedon ένα θ-υμόν έχοντες . . . πολεμιζέμεν (219). Dann 2
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1. θυμός — ψυχή
θυμός τλήμων (oder ταλαπένθης) zu haben ist für Odysseus ein moralisches Lob nicht deswegen, weil der Thymos zu einem Handeln führt, sondern umgekehrt, zum Dulden. Tyrtaios spricht vorher von der Flucht, im folgenden ist aber nicht nur vom Ausharren, sondern vom Kampf die Rede, und daß Tyrtaios schon hier daran denkt, macht das Wort παρθέμενος deutlich, ψυχάς παρ&έμενοι sind die Seeräuber (γ 74 = ι 255), κακόν άλλοδάποισι φέροντες: sie „setzen ihr Leben aufs Spiel" 1 . Nur verwendet Tyrtaios die Wendung nicht, um verwegenen Eigennutz zu kennzeichnen, sondern den Mut des άνήρ άγαθ-ός . . . έν πολέμω. Und wenn etwa Achill I 322 von sich sagt : αίεν έμήν ψυχήν παραβαλλόμενος πολεμίζειν, so rechnet er sich das nicht zum Ruhm an, sondern eher als Torheit : ich hatte keinen Nutzen davon, sondern nur Leiden in meinem Thymos. In diesen homerischen Wendungen ist ψυχή das Leben, das man im Kampf und in der Gefahr einsetzt. Tyrtaios fügt aber και όν&υμ τλήμονα hinzu. Thymos und Psyche erscheinen freilich auch schon in der Ilias nebeneinander: Λ 334 θυμοϋ και ψυχής κεκαδών2 „ihn des Thymos und der Psyche beraubend". Das bedeutet: wenn jemand tot ist, kann er sich nicht mehr regen und der Lebensodem verläßt ihn. Das sind zwei verschiedene Aspekte, unter denen man das Sterben ansehen kann. Das ändert sich hier, wo die moralische Qualifikation des Thymos aus E 670 der Ilias hinzugesetzt ist, — das Moralische ist in diesem neuen Zusammenhang nicht nur das Dulden, sondern das aktive „Aufs-SpielSetzen" 3 . Homerisches ist also genauso abgewandelt wie bei den genannten Stellen, die vom άλκιμος θυμός sprechen. heißt es (217): Die Myrmidonen rückten vorwärts, und es folgt das Wespengleichnis; dies schließt mit den Worten (264): ot 8' (sc. die Wespen) άλκιμον ήτορ έχοντες πρόσσω πας πέτεται. . . των (der Wespen) τότε Μυρμιδόνες κραδίην καΐ -9-υμόν έχοντες πρόσσω πάς πέτεται. Dieser Zusammenhang zeigt, daß es voreilig wäre, v. 266 als Beleg dafür zu nehmen, θυμόν έχειν bedeute „Mut haben". (Zu der Dublette in diesem Text vgl. H. Fränkel, Horn. Gl. 72, der mit anderen, was auch mir plausibel scheint, 260—262 ausscheidet, was aber nicht bedeutet, daß sie „jung" sind. Sie können aus anderem Zusammenhang eingedrungen sein.) 1 β 237 von den Freiern : σφάς γαρ παρθέμενοι κεφαλάς κατέδουσι βιαίως οίκον Όδυσσηος. 2 φ 153 = 170 κεκαδήσει θυμοϋ και ψυχής. 3 Im folgenden spricht Tyrtaios vom θάρσος. — Gewiß tauchen auch bei Homer schon τλήμων und θαρσαλέος nebeneinander auf (etwa Φ 430) und
2. θυμός — ψυχή
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Ähnliches zeigt 4, 5 : Unsere Vorfahren έμάχοντο . . . νωμελέως calzi, ταλασίφρονα θυμόν έχοντες, νωλεμές αΐεί kämpften Griechen und Trojaner um die Leiche des Patroklos (P 385). Die alten Spartaner waren nicht nur „emsig", sondern hatten einen ταλασίφρονα θυμόν — das verknüpft und steigert zwei homerische Qualifikationen des Odysseus (τλήμονα θυμόν έχων s. ο. S. 12f. und ταλασίφρων Λ 466 U. ö.); außerdem wird das τληναι transponiert in die Aktivität des Kämpfens. fr. 10 αίθωνος δέ λέοντος έχων έν στήθεσι θυμόν verbindet das Bild von dem α'όθων λέων, der in die Herden einbricht (Λ 548), und die Beschreibung des Löwen und des Ebers, ου τε μέγιστος θυμός évi στήθεσσι πέρι σθένεϊ βλεμεαίνει (Ρ 21), mit dem, was Odysseus an der schon besprochenen Stelle ε 222 von sich selbst sagt : τλήσομαι έν στήθεσσιν έχων ταλαπενθέα θυμόν. Es ist anzunehmen, daß dies Fragment aus einer Paränese stammt, so daß der Löwen-Thymos dem Kämpfer empfohlen wird, wie an der vorher erwähnten Stelle der Thymos der Vorfahren wohl Vorbild sein soll. Tyrtaios kann auch einfach sagen: θυμω γης περί τησδε μαχώμεθα (6, 13), wobei Thymos der Mut ist. Die Aufforderung „laßt uns kämpfen" impliziert, daß die Krieger ihren Mut in Bewegung setzen sollen, daß sie sich mit einer „inneren" Disposition am Kampf beteiligen. Das ist wieder unhomerisch \ paßt aber zu dem, was sich sonst bei Tyrtaios findet. Wenn Heraklit sagt: θυμω μάχεσθαι χαλεπόν, meint er „gegen den Thymos kämpfen" (nicht „mit Mut kämpfen") und steigert das homerische „den Thymos zurückhalten". Um so deutlicher ist, wie Tyrtaios von dem Üblichen abweicht. Das Neue bei Heraklit ist dann freilich, daß er eine positive Kraft kennt, für die man gegen den Thymos streiten soll: das ist der Logos. E 670 (an der zitierten Stelle) heißt es von Odysseus: τλήμονα θυμόν έχων, μαίμησε δέ οί φίλον ήτορ (doch darüber s. u. S. 15). Aber es gibt, soviel ich sehe, bei Homer keine Stelle, wo wie bei Tyrtaios das τληναι „aktiviert" ist. 1 Sofern ich das nach meiner Kenntnis sagen kann. Eine genaue lexikographische Behandlung des Wortes bei Homer steht noch aus. Der von Prato zu 6, 13 angeführte „formelhafte Vers" ως ειπών ώτρυνε μένος καΐ θυμόν εκάστου hält sich jedenfalls im Rahmen des sonst bei Homer üblichen: die Mahnrede setzt den Elan und die innere Reaktion eines jeden in Gang (s. u. S. 53). Aber natürlich konnte hier schon in früher Zeit leicht Thymos als „Mut" verstanden werden.
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1. θυμός — ψυχή
Das Schluß-Distichon der 9. Elegie lautet: ταύτης νυν τις άνήρ άρετης εις άκρον ίκέσθαι πειράσθω θυμω μη μεθιείς πολέμου1. πειρασθαι im Sinn von „im Kampf (oder Wettkampf) erproben" oder „einen Angriff wagen a u f . . . " ist homerisch: M 301 vom Löwen, κέλεται δέ έ θυμός άγήνωρ μήλων πειρήσοντα και ές πυκινόν δόμον έλθεΐν (id. ζ 134, aber γαστήρ statt θυμός); auch in der Aufforderung kommt das vor: X 381 εί δ' άγετ' άμφι πόλιν σύν τεύχεσι πειρηθώμεν oder φ 180 = 268 τόξου πειρώμεσθα και έκτελέωμεν άεθλον. Da geht es immer um eine Sache, die man probiert oder an der man sich versucht, nicht aber darum, daß man (mit Anstrengung) versucht, etwas persönlich zu leisten. So wird auch Ψ 753 zu verstehen sein: ορνυσθ' οϊ και τούτου άέθλου πειρήσεσθε, obwohl hier die Umdeutung im Sinn des Tyrtaios naheliegt. Freilich gibt es schon das Verb mit dem Infinitiv: Thetis sagt zu Achill Τ 30 : τω (dem toten Patroklos) μέν έγώ πειρήσω άλαλκέμεν αγρία φυλά, μυίας, at pa τε φώτας άρηιφάτους κατέδουσιν. Aber da h a t das Verb ebenfalls nichts von einem Engagement des Willens. Das bringt erst Tyrtaios hinein, indem er den Imperativ gebraucht 2 und θυμω hinzusetzt, wie wir es schon an anderen Stellen bei ihm gefunden haben. Hinzu kommt noch, daß er offenbar mit άρετης εις άκρον ίκέσθαι auf Hes. op. 289ff. anspielt: της δ' άρετης ίδρωτα θεοί προπάροιθεν έ'θηκαν . . . έπήν δ' ές άκρον ίκηται . . ., nur daß Hesiod nichts von der Willensanstrengung spüren läßt. Er spricht lediglich vom Schweiß, von dem langen, steilen, schwierigen Weg, — der „geistige" Appell richtet sich nur an die „Einsicht" : σοι δ' έγώ έσθλά νοέων έρέω, μέγα νήπιε Πέρση . . . Statt der Einsicht, daß redliche Arbeit Erfolg bringt, fordert Tyrtaios die innere Anstrengung für den Kampf. Danach läßt sich auch fr. 11 verstehen: πριν άρετής πελάσαι τέρμασιν ή θανάτου. Dieser Vers wird ebenfalls aus einer Kampf1
Dieser Schluß greift wirksam auf die a m Anfang aufgezählten Tugenden zurück ; das Gedicht ist also vollständig erhalten. 2 Der Imperativ + Infinitiv erscheint bei Homer charakteristischerweise nur negiert: Θ 8 sagt Zeus: μήτε τις ouv θήλεια θεός τό γε μήτε τις άλλος πειράτω διακέρσαι έμόν Ιπος. Wie sonst öfter h a t das W o r t hier die Bedeutung des Süddeutschen: ich versuch es halt einmal.
1. θυμός — ψυχή
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mahnung stammen, etwa: (hört nicht auf, mutig zu sein,) bevor ihr zum Ziel der Arete oder des Todes gekommen seid1. Wieder sind hier homerische Fäden zu etwas Neuem zusammengeknüpft, τέρμασιν θανάτου nimmt das öfter vorkommende θανάτοιο τέλος auf. Aber dort ist τέλος nie (wie hier τέρμα) das Ziel eines Wettkampfes, nach dem man strebt, sondern das objektive Ende, das dem Menschen gesetzt ist (πεπρωμένον Γ 309) oder das ihn erreicht 2 . Es mögen Wendungen mit hineinspielen wie Γ 291, wo Agamemnon sagt μαχήσομαι . . . αδθι μένων, ήός κε τέλος πολέμοιο κιχείω. Wenn Tyrtaios mit dem Wort τέρματα die Vorstellung von einem Ziel beim Wettlauf (vgl. etwa Ψ 757) wachruft, das (wie der Gipfel in dem aus Hesiod entlehnten Bild) nur mit Anstrengung zu erreichen ist, so steht offenbar die gleiche Auffassung vom θυμός dahinter 3 . Im Gebrauch der homerischen Wörter θυμός und ψυχή verschiebt Tyrtaios ihre Bedeutung in eigentümlich gegensätzlicher Richtung. An der Psyche sieht er stärker das Vergänglich-Nichtige, am Thymos das, was ihn bedeutsam macht. Tyrtaios empfiehlt, die Psyche aufs Spiel zu setzen, besteht aber auf dem Engagement des Thymos. Wenn Tyrtaios so die geistige Energie des Menschen im Thymos konzentriert sieht, ist es natürlich, daß manche Wörter, die bei Homer in solchem Zusammenhang auftauchen, für ihn zurücktreten. σθένος und μένος sind für ihn nicht belegt. Das kann (wenn wir von dem immer möglichen Zufall der Überlieferung absehen) daran liegen, daß sie nicht wohl in einer Paränese am Platz sind. Jedenfalls werden σθένος und μένος bei Homer von der Gottheit gegeben, und man kann den Menschen nicht dazu auffordern, sie in sich wachzurufen 4 . Der Thymos dagegen wird bei Homer auch auf andere Weise erregt, und der Mensch ist selbst imstande, auf ihn einzuwirken, wiewohl nur in der negativen Form des Zurück1
W.Jaeger S. 13 sieht darin eine „Wahl" ; vielmehr handelt es sich um die objektive Alternative, entweder (überlebend) die volle Arete zu erreichen oder (vorzeitig) zu fallen. 2 E 553, I 416, Λ 451, Π 502, 855, Χ 361, oder, dem man auszuweichen sucht, ε 326. 3 Ähnliches gilt für die unhomerische Verwendung von όρέγοιτο 9, 12. 4 Weiteres darüber, warum beide Wörter bei Tyrtaios nicht vorkommen, s. u. S. 53f. 2
Snell (Hyp. 22)
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haltens und Bezwingens. Das machte die Vorstellung vom Thymos für Tyrtaios geeigneter, seine Ideen zu entwickeln. Einmal kommt άλκή bei Tyrtaios vor (9, 9, s. u. S. 45) : Keine Arete zählt πλην θούριδος άλκης. Zwar kann auch die άλκή, die „Abwehrkraft", bei Homer einem Menschen durch eine Gottheit zukommen (ζ. Β. Ρ 212 heißt es, als Hektor die Waffen des Achill anlegt: δΰ δέ μιν "Αρης . . . πλήσ&εν δ' αρα οί μέλε' εντός άλκης κοά σθένεος). άλκή sagt Homer aber auch in der Kriegermahnung, etwa Ζ 112, μνήσασθε δέ &ούριδος άλκής. Solche Stelle mit dem gleichen Adjektiv im gleichen Kasus schwebt Tyrtaios offenbar vor. Aber er gebraucht diese Wendung nicht in der Paränese. Bei Homer spielt der Gedanke, daß man sich an eine Tätigkeit erinnert und sie damit ins Werk setzt oder auch, daß man sie vergißt und damit unterläßt, eine große Rolle 1 . Dergleichen ist bei Tyrtaios kaum belegt 2 . Das wird kein Zufall sein. Es „trifft" offenbar nicht, was Tyrtaios sagen will, zielt nicht auf die Konzentration des Handelns, um die es ihm geht 8 . Ein Apell an die „Vorstellungen" fehlt denn überhaupt fast ganz bei Tyrtaios, — im Gegensatz etwa zu Solon oder Xenophanes, die sie in ihren Paränesen an wichtige Stellen rücken; geht es ihnen ja um Recht und Weisheit. Die einzigen Stellen, an denen Tyrtaios vom Wissen spricht, sind 8,7 und 11 : ΐστε γάρ . . ., εδ δ5 έδάητε . . . „ihr habt die eigene Erfahrung im Kampf", wo also das Praktische bedeutsam ist und das Wissen auf Vergangenes geht, — und 8, 27 : έ'ρδων δ' δβριμα έργα διδασκέσθω πολεμίζειν, wo es gefordert wird. Selbst wenn nicht erhaltene Verse vielleicht ein anderes Bild ergäben, ist solche Einseitigkeit typisch, zumal anzunehmen ist, 1
Vgl. bei άλκή etwa E 718 μεδώμεθα θούριδος άλκής, Λ 313 τί παθόντε λελάσμεθα θούριδος άλκής; Ο 527 έύ είδότα θούριδος άλκής. ·— Daß man bei der άλκή vor allem an die Abwehr denkt, gilt auch noch für die spätere Zeit. Die Angaben z.B. von Rumpel in seinem Lexicon Pindaricum sind unzureichend. Vgl. H. Frankel, Dicht, u. Phil. 2184, 7f. 2 9, 17 αισχρής δέ φυγής έπΐ πάγχυ λάθη τα t steht zwischen „tyrtaiischen" Wendungen, offenbar um den Ausdruck zu wechseln. 3 Andererseits verwendet Tyrtaios nicht das homerische ήτορ ελεσθε (s. o. S. 10), das das „Geistige" nicht so hervorkehrt wie Wendungen mit θυμός. Auch dies gilt natürlich mit dem Vorbehalt, daß uns nur Trümmer der Tyrtaiischen Gedichte erhalten sind. Immerhin gibt das Erhaltene ein einheitliches und, wie mir scheint, plausibles Bild.
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daß man besonders ausdrucksstarke und charakteristische Stücke von ihm zitierte. Das Wichtigste, das Tyrtaios an Neuem zu sagen hat, bezog sich auf den Thymos. Am Thymos hat Tyrtaios hervorgekehrt, was charakteristisch ist für eine „abstrakte" Vorstellung des Geistigen. Bei Heraklit, der den Geist konsequent abhebt von dem Körperlichen, erscheinen drei Merkmale, die einem leiblichen Organ nicht zukommen können 1 : Intensität („Tiefe"), Gemeinsamkeit (d.h. daß es verschiedenen Gegenständen oder Personen zukommen kann) und Spontaneität (d. h. daß es Ursprung von Gedanken, Gefühlen und Handlungen ist). Diese letztere bezeichnet Heraklit in fr. 115 so: ψυχής έστί λόγος έαυτόν αύξων. Solche Fähigkeit des Geistes, „sich zu mehren", klingt zum ersten Mal an, wenn Tyrtaios die Kämpfenden mahnt, ihren Thymos „groß" zu machen. Daß dieser Geist ein „gemeinsamer" ist, geht aus der Aufforderung hervor, die sich nicht an den Einzelnen, sondern an die Gruppe richtet 2 . Gleich werden wir noch deutlicher sehen, wie das „Gemeinsame" für Tyrtaios beim Begreifen der sozialen Werte wichtig wird. Auch die dritte Prädikation, die Heraklit dem Geistigen zuordnet, taucht in Spuren bei Tyrtaios auf: das Bewußtsein von Spannung und Intensität. Wieder hilft ein Vergleich mit Homer. Tyrtaios kennzeichnet zweimal die Konzentration, die „Verbissenheit" des Kriegers durch die Wendung χείλος όδοϋσι δακών (7,32 und 8,22). In der Odyssee (α 381 = σ 410 = υ 268) steht der Satz: ώς εφαθ', oí δ' άρα πάντες οδάξ έν χείλεσι φύντες Τηλέμαχον θαύμαζον. Die Freier schweigen „verbissen" im verhaltenen Zorn über die kühne Rede Telemachs 8 . 1
Siehe Entd. s 36ff. Deutlicher spricht Solon 8, 5 von „gemeinsamem Geist", allerdings in tadelndem Sinn: συμπασιν S' ύμΐν χαϋνος Ινεστι νόος. Dazu W. Marg, Charakter 44, 4. — Zu Heraklit Β 115 sei nur angemerkt, daß es für unsere Frage irrelevant ist, ob Heraklit (in dem uns unkenntlichen Zusammenhang) etwas sehr Spezielles im Auge gehabt hat, etwa, daß man auch ohne neue äußere Erfahrungen Erkenntnisse gewinnen kann. 3 J. Latacz, Glotta 46, 1968, 33 zeigt schön, wie Homer in den verschiedenen Formeln sehr differenziert und prägnant beschreibt, daß jemand die Worte eines anderen unbeantwortet läßt. Er gibt dabei keine psychologische Erklärung, sondern beschreibt die Gesten des Schweigens oder Verstummens. — Ob δδάξ etymologisch zu όδούς gehört, ist zwar umstritten (vgl. Frisk, Gr. etym. Lex. s. v.), aber die zitierten Odyssee-Stellen setzen es voraus. 2
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1 . θυμός — ψυχή
Hier ist das Lippenbeißen ein „erzwungenes Ansichhalten", wie Latacz es richtig formuliert. Tyrtaios macht daraus eine verbissene Konzentration und bringt die energische Spannung der persönlichen Aktion zum Ausdruck. Bei Homer ist es das έρύκειν des Thymos, bei Tyrtaios das μέγαν ποιεΐσθ-αι. Darüber ist später noch einiges zu sagen (S. 51 ff.) beim umfassenden Vergleich zwischen Homer und Tyrtaios.
2. ξυνόν έσθλόν Das wichtigste Wort, mit dem Tyrtaios die Krieger zu solch seelischer Anstrengung aufruft, steht in der 9. Elegie v. 15: ξυνόν δ' εσϋλόν τοϋτο πόληΐ τε παντί τε δήμω δστις άνήρ διαβάς έν προμάχοισι μένη . . . „Dieser Gedanke (des ξυνόν έσθλόν) taucht hier zum ersten Mal in der griechischen Geschichte a u f . " 1 Aber wieder spricht Tyrtaios in homerischen Formeln, wieder kontaminiert er zwei verschiedene Stellen. Daß es ein „gemeinsames" Wohl oder Wehe gibt, stammt aus dem Wespengleichnis Π 262 : wenn die törichten Knaben die Wespen reizen, so „machen sie ein gemeinsames Übel für viele", ξυνόν δε κακόν πολέεσσι τιθεΐσι. Das kehrt Tyrtaios u m : wenn die Toren gemeinsames Unheil anrichten, so dienen umgekehrt die, die richtig handeln (Tyrtaios spricht nicht von den Klugen oder Einsichtigen, s. u. S. 48), dem gemeinsamen Guten. Wie es die Regel ist, fällt bei Wertvorstellungen zunächst das Negative auf; das Falsche ist leichter aufzuweisen als das Richtige 2. Um zu sagen, wem dies Gute dienen soll, zieht Tyrtaios eine andere homerische Stelle heran: nicht beliebigen „Vielen", die gerade des Wegs kommen, sondern πόληΐ τε παντί τε δήμω. Das stammt aus Γ 50, wo Hektor den Paris tadelt, er hätte Helena entführt und sei dadurch πατρί τε σω μέγα πημα πόληΐ τε παντί τε δήμω. Auch hier spricht Homer nicht vom Positiven, dem Guten, sondern vom Negativen, nicht vom Staatswohl, um das man sich mühen soll, sondern 1
W. Jaeger, a.a.O. 17; vgl. Dicht, u. Ges. 87. Entd. 3 218ff. — Wohl gibt es bei Homer Land, das „gemeinsamer" Besitz ist, die έπίξυνος ¿ίρουρα M 422, den drei großen Göttern ist die γαία... ξυνή . . . καΐ μακρύς "Ολυμπος Ο 193, ξυνήΐα heißt das „Gemeingut", z.B. an erbeuteten, noch umverteilten Waffen (A 124) usw., aber über diesen konkreten Gebrauch geht Tyrtaios hinaus. — Alkman sagt von sich, daß er, wenn er den Erbsbrei liebt, τά κοινά ώσπερ ό δδμος ζατεύει, fr. 49,7 D. ; dazu vgl. V. Ehrenberg, Hermes 68, 1933, 288ff. — Hektor spricht Σ 309 vom ξυνός Ένυάλιος (καί τε κτανέοντα κατέκτα), und Aias mahnt O 509 die Kämpfenden „Hände und μένος zu mischen" (vgl. auch Β 381, Δ 447 und Archil, fr. 38) : all das zielt wahrlich nicht auf ein überlegtes, verpflichtendes κοινόν. 2
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2. ξυνόν έσθλόν
davon, daß es Schande ist, „dem Vater, der Stadt und dem ganzen Volk" Leid zu bringen. Leid zu bringen ist augenfälliger, als wenn man der Stadt und dem Volk Gutes erweist, ist feststellbar, ohne daß man sich Gedanken darüber macht, was denn „das Gute" für die Stadt sei. Da gilt das gleiche wie bei dem ξυνόν κακόν. Die Wendung „Stadt und Demos" klingt an Homer-Stellen an, die davon sprechen, worum man kämpft (und ähnliche Gedanken werden wir gleich bei Kallinos und Tyrtaios finden) : Π 448 πολλοί γάρ περί άστυ μέγα Πριάμοιο μάχονται υίέες αθανάτων sagt Hera, aber wenn viele Göttersöhne um Troja kämpfen, teils auf Seiten der Trojaner, teils bei den Griechen, so heißt das nicht wie bei Tyrtaios, „für die Vaterstadt" kämpfen. Σ 265 sagt Polydamos von Achill, άλλά περί πτόλιός τε μαχήσεται ήδέ γυναικών, also gerade nicht um seine Vaterstadt, sondern um die Stadt der Feinde. Ich will nicht ausführlich besprechen, „wofür" die homerischen Helden kämpfen: Θ 57 πρό τε παίδων και γυναικών (sc. die Troer), Δ 373 προ φίλων έτάρων (sc. die Griechen), Ρ 144 πόλιν και άστυ σαώσεις heißt es von Hektor. Für Hektor ist das die Vaterstadt. Worte Hektors sind denn auch das Vorbild, wenn Kallinos (1,7 γης πέρι) und Tyrtaios (6,2 περί f¡ πατρίδι) davon sprechen, worum der Kampf ihnen geht. Desto bedeutsamer sind aber die Unterschiede 1 . M 243 sagt Hektor : εις οιωνός άριστος, άμύνεσθ-αι περί πάτρης, und Ο 494ff.: „Wenn einer verwundet ist und Tod und Schicksal erreicht, soll er sterben", τεθνάτω . . . ου oí άεικές άμυνομένφ περί πάτρης τε·9·νάμεν. Kallinos 1, 6 meint: τιμήνέν τε γάρ έστι και άγλαόν άνδρί μάχεσθαι γης πέρι και παίδων κουριδίης τ' άλόχου, Tyrtaios 6,1 aber: τεθνάμεναι γάρ καλόν ένί προμάχοισι πεσόντα άνδρ' άγαθ-òv περί f¡ πατρίδι μαρνάμενον. Das erste ist, daß Homer nur davon spricht, daß man sich „für das Vaterland" verteidigt, Kallinos spricht vom „Kämpfen" (wobei er sich an die Homer-Stellen Θ 57 und Σ 265 anschließt, die sich aber nicht auf Vaterland oder Vaterstadt bezogen), Tyrtaios dagegen kombiniert die beiden Hektor-Worte : aus dem einen nimmt er das positive Werturteil (οιωνός άριστος ~ καλόν), läßt aber aus, daß Hektor von der Defensive spricht, aus dem anderen das Sterben, verbindet dies aber mit περί πάτρης, während es bei Homer offensichtlich zu άμυνομένω gehört. Vollends entfernt er sich von der Ilias, wenn er etwas für Hektor Wesentliches unterdrückt: „Wenn 1
Entd. 3 238 ff.
2. ξυνόν έσθλόν
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einer doch sterben muß" 1 , dann soll er es tun, dann ist es ούκ άεικές, bei der Verteidigung des Vaterlandes zu sterben, was wahrhaftig etwas anderes ist als καλόν: Für Homer ist der Tod ein κακόν, und es ist schmählich, besiegt und erschlagen zu werden. Demgegenüber sagt Hektor: es ist nicht schmählich, wenn man bei der Verteidigung des Vaterlandes fällt 2 . Wenn Tyrtaios die Worte Hektors steigert, indem er Einzelheiten daraus kombiniert, sagt er mehr, als er ehrlicherweise meinen kann. 8,13 mahnt er, unter den Vorkämpfern auszuharren, denn dort „sterben weniger, sie retten aber das Volk dahinter", —- wo also dann doch als das Selbstverständliche und Natürliche gilt, daß es auch für die Gemeinschaft das Schönere ist, wenn die jungen Leute überleben. Solche Inkonsequenz zeigt, daß für Tyrtaios die Leidenschaft, das zu erreichen, was er für wertvoll hält, stärker ist als die saubere Argumentation und die Wahrheit. Diese Gemeinschaft bezeichnet Tyrtaios nicht nur mit πατρίς, sondern in den schon vorher angeführten Worten 9,15 nach Homer mit πόληΐ τε παντί τε δήμω oder 6,13 und 9,34 mit γη καί παίδες3. Wenn er so umgrenzt, wofür jemand leben und sterben soll, bestimmt er damit auch, wer über Gut und Böse entscheidet. Tyrtaios lebt noch durchaus in den altüberkommenen Vorstellungen, daß die Reputation den Wert des Menschen bestimmt. Es ist müßig, Stellen zu häufen, an denen Tyrtaios mahnt, αιδώς, τιμή und κλέος zu berücksichtigen. So ist seine Paränese nahe verwandt mit zwei altertümlichen Formen frühgriechischer Lyrik, dem Preislied (μακαρισμός) und dem Rügegedicht (ψόγος), die dem Erhöhen oder dem Mindern des Ansehens dienen 4 , denn der Feige wird gescholten, der Tapfere 1
Diese Gedanken nimmt Kallinos 1, 8 und 12 auf. Ich gehe hier nicht darauf ein, daß Hektor sich aus den anderen Helden der Ilias heraushebt, wenn er „für das Vaterland" eintritt, und daß er sich am weitesten entfernt von den alten Recken und Räubern, die, wie es so oft in der Ilias heißt, um Beute und Weiber kämpfen (κτήματα und γυναίκες), was noch Odysseus in der Nekyia λ 401 ff. dem Agamemnon als selbstverständlich zutraut. 3 Kallinos 1, 18 spricht von λαω σύμπαντι., was über den homerischen Gebrauch hinausgeht, da σύμπας früher nicht im kollektiven Singular vorkommt. — πόλις kehrt wieder bei Tyrt. 2, 2. 4 Vgl. Marcel Detienne, Les maîtres de vérité dans la Grèce archaïque, Paris 1967. 2
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2. ξυνάν έσθλόν
gelobt (darüber Weiteres u. S. 33). Aber neu bei Tyrtaios ist, wie er über den Gewinn von Ehre und Ruhm hinaus dem Gefallenen noch Höheres in Aussicht stellt: 9, 28 τόνδ' όλοφύρονται μεν όμως νέοι ήδέ γέροντες άργαλέω τε πόθω πασα κέκηδε πόλις. Mit diesem Gebrauch von πόθος knüpft er an Homer und Kallinos an. Im Schiffskatalog heißt es (B 703 = 726, 709, 778) von den Mannen des Protesilaos, der gleich bei der Landung in Troja getötet ist, von denen des Philoktet, der krank im Schiff liegt, und denen des Achill, der sich vom Kampf fernhält, daß sie ihren Anführer πόθεον, — das ist aber kaum mehr als „sie vermißten ihn", wie es auch von Pferden heißen kann, wenn der Wagenlenker gefallen ist: ήνιόχους ποθέοντες άμύμονας (vgl. E 234). Wohl kann das Wort ποθέω bei Homer starken Gefühlston haben wie bei Tyrtaios. Ω 4ff. heißt es von Achill: κλαίε φίλου έτάρου μεμνημένος, ουδέ μ tv ύπνος $ρει πανδαμάτωρ, άλλ' έστρέφετ' ένθα καί ένθα Πατρόκλου ποθέων άνδροτητά τε καί μένος ήύ . . . 1 Aber bei Tyrtaios hat „die ganze Stadt" Sehnsucht nach dem Toten und klagt um ihn. Tyrtaios verbindet also die Vorstellung von dem πόθος der Mannen mit dem des klagenden Freundes. Eine Vorstufe findet sich freilich bei Kallinos : von dem Feigling heißt es 1,16: άλλ' ó μέν ούκ έμπης δήμω φίλος ουδέ ποθεινός, von dem Tapferen dagegen 1,18: λαω γάρ σύμπαντι πόθος κρατερόφρονος άνδρός θνήσκοντος2, ζώων δ' άξιος ήμιθέων. Hier ist vom πόθος des δήμος und des λαός σύμπας die Rede; schon das geht über Homer hinaus. Tyrtaios aber rückt in ganz anderem Maße das Emotionale in den Vordergrund ; warum er das tut, zeigen die Verse, mit denen er fortfährt: „Sein Grab und seine Kinder sind angesehen und die Kindeskinder und sein späteres Geschlecht. Sein Ruhm und sein Name geht nicht unter; wenn er auch im Grab ist, wird er unsterblich." All das, was vom homerischen Helden gelten mochte, gilt nun für den Bürger, der für das 1 Auch bei der Totenklage um Patroklos Ψ 15 f. heißt es δεύοντο δέ τεύχεα φωτών δάκρυσι" τοΐον γάρ πόθεον μήστωρα φόβοιο. Vgl. Prato zu 9, 28. 2 Das part, praes. scheint zu bedeuten: „der zu sterben bereit ist", vgl. Tyrt. 6,13f. περί παίδων θνήσκωμεν ψυχέων μηκέτι φειδόμενοι. Dagegen Kallin. 1, 5 καί τις αποθνήσκων ΰστατ' άκοντισάτω „der zu sterben im Begriff ist" (anders Verdenius Mnemos. IV 9, 1956, 234).
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Vaterland gefallen ist. Das Wichtigste aber sagt Tyrtaios kurz vorher (v. 24) : Er starb άστυ τε και λαούς και πατέρ' εύκλεΐσας, sein Tod bringt Ruhm der Stadt, der Bevölkerung und seinem Vater. Nicht das eigene Ansehen steht letztlich auf dem Spiel, sondern das der Gemeinschaft 1 . Wenn Tyrtaios es begründet, warum das Vaterland der höchste Wert sei und warum der Bürger im Krieg sein Leben dafür einsetzen soll, so bleibt er noch weit hinter Solon oder Xenophanes zurück, die zu erweisen suchen, warum vor allem die Gerechtigkeit oder die Weisheit nützlich seien für die Polis 2 . Tyrtaios verweist nur — wie übrigens schon Kallinos •— auf die Ahnen, die tapfer gekämpft haben. Er macht kein Hehl daraus, daß diese keinen Verteidigungskrieg geführt haben; sie sind von Erineos, also aus der Landschaft Doris, in den Peloponnes eingebrochen. Der Grund ist : „Kronion selbst, der Gemahl der schönbekränzten Hera, Zeus hat den Herakliden diese Stadt gegeben" (fr. 2) 3 . Das bedeutet, daß sie das Land beanspruchen, weil es einst den Herakliden gehört hat ; der Vater des Herakles, Zeus, unterstützt dies. Auch von dem früheren Messenischen Krieg heißt es nur: „Wir eroberten (είλομεν) Messene durch unseren König, den von den Göttern geliebten (θ-εοΐσι φίλω) Theopompos, ein Land gut zu pflügen und gut zu bepflanzen." 4 Von einer „Ideologie", wie man das heute nennen würde, von einem „abstrakten" Ideal ist keine Spur. Ein naives, religiös begründetes traditionelles Staatsinteresse fordert die Aufgabe des Persönlichen. Es zählt nur, daß der Demos Sieg und Macht gewinnt 5 . Dabei ist nicht zu übersehen, daß Tyrtaios wie auf der subjektiven Seite des persönlichen Engagements auch auf 1
Vgl. Jaeger a.a.O. 18, der von einer „Politisierung der Ruhmesidee" spricht. 2 Siehe u. S. 34 f. 3 Das resultative Perfekt δέδωκε, das in unseren Texten steht, ist anstößig, aber der wichtige Vaticanus schreibt, was jetzt Prato in seinem Apparat notiert, τηνδεδωκε, wo allerdings Lasserre ein übergeschriebenes δε gelesen hat, was Aly nicht angibt. — Auch Alkm. 1,25 sollte man das Perfekt δέδ]ωκε nicht in Betracht ziehen. — Auf einem noch unveröffentlichten Papyrus, dessen Kenntnis ich der Freundlichkeit von Eric Turner verdanke, steht άστυ δέδωκε τόδε statt τήνδε δέδωκε πόλιν. Ich weiß mir nicht anders zu helfen als mit dem remedium Heathianum: τήνδε (γ' 2)δωκε. 4 Vgl. W. Jaeger, Paideia 2 135. s 3 a, 9 δήμου τε πλήθει νίκην και κάρτος έπεσθαι.
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2. ξυνόν έσθλόν
der objektiven Seite des Staates wichtige Motive, die weiterhin bedeutsam werden sollten, zum ersten Mal äußert. Aus den in den Peloponnes eindringenden Horden war nun ein konsolidierter Staat geworden, für den man gegen Aufsässigkeit zu kämpfen hatte 1 . Wenn Tyrtaios nicht sagt: den man zu verteidigen hat, so wohl deswegen, weil man bei diesem Wort an auswärtige Feinde dachte. Andererseits hat Tyrtaios in beiden Bezirken die gegebenen Möglichkeiten eingeengt: in dem des Geistes läßt er nur den Mut gelten; die Gemeinschaft, die er anspricht, ist vornehmlich der Heeresverband. Beides ergab sich natürlich aus den dauernden Kriegen, die Sparta mit den Messeniern führte. Über die Art, wie er dabei die epische Sprache benutzt und weiterbildet, soll noch einiges Grundsätzliche gesagt werden; vorher aber möchte ich die erste Hälfte der 9. Elegie besprechen, die von der Verschiedenheit der Menschen und ihrer Leistungen handelt. 1 Vor allem wäre hier zu erwähnen, wie das Apollo-Orakel (fr. 3) die Kompetenzen v o n König, Geronten und Demoa festgelegt hat. — Daß die Könige θεοτίμητοι heißen (das Wort taucht hier zum ersten Mal auf), wird sich auf das Gottesgnadentum der Herakliden beziehen. Y 347 heißt Aeneas φίλος θεοΐς, κ 2 Aiolos. In Sparta heißt Lykurg ΖηνΙ φίλος oder θεοφιλής, vgl. Prato zu fr. 2,1.
3. Der Menschen Wege sind verschieden Man hat gemeint,die erste Hälfte der 9.Elegie ginge über das hinaus, was Tyrtaios sonst sagt. Daß in der zweiten Hälfte die Gedanken dem entsprechen, was Tyrtaios in den anderen Elegien vorträgt, hat W.Jaeger a . a . O . gezeigt1. Vor allem Hermann Frankel 2 glaubt, am Anfang spräche jemand über die wahre Arete, wie das erst zur Zeit des Xenophanes möglich sei. Es werden, in der Form der „Priamel", verschiedene Beispiele dafür aufgeführt, wie jemand in bestimmter Weise tüchtig sein kann, und dann wird erklärt, der einzige wirklich Gute sei der Krieger. Um diese Ausführungen geschichtlich einzuordnen, ist es nötig, etwas genauer zu betrachten, was die frühen Griechen über die verschiedenen Lebensformen gedacht und gesagt haben. Homer weiß, daß es unterschiedliche Tüchtigkeiten und Tauglichkeiten gibt, die dem Menschen Ansehen und Geltung verschaffen, und er sieht die Eigenart eines Helden darin, welche Quantitäten davon er in sich vereinigt 3 , etwa bei seinem Werk im Kampf oder seinem Wort im Rat, bei seiner Schönheit oder seinen Fähigkeiten in einer besonderen Kunst. Dem „schimpflichen" Menschen fehlen all diese Einzeltugenden, wie dem Thersites (B 213 ff.). An dieses Schema hält sich also Tyrtaios, wenn er voraussetzt, daß der Thymos größer oder kleiner sein kann. Bei Homer vermag ein Mensch sich dadurch zu ändern, daß etwa mit dem Alter Kraft, Einsicht oder Schönheit größer oder kleiner wird. Das entzieht sich einem Imperativ. Wohl aber kann man sich seiner Kraft „erinnern" oder sie „vergessen", vgl. o. S. 18; seinen Thymos kann man zurückhalten, man kann nachlassen im Zorn. Schließlich kann man etwas anderes νοεΐν, d. h. etwas anderes mit seinem inneren Auge sehen und so etwa Absicht oder Gesinnung, ändern, oder 1
Das ist durch das oben S. 16 u. 23 Gesagte vielleicht noch deutlicher geworden. 2 Dicht, u. Phil. 385 f. 3 W. Marg, Der Charakter in der Sprache der frühgriechischen Dichtung 43—79; S. 56: „Nicht auf individuelle charakterische Besonderheiten sieht das Epos, sondern auf das mehr oder minder, besser oder schlechter in den Bereichen." Vgl. auch Dicht, u. Ges. 30ff., 80f.
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3. Der Menschen Wege sind verschieden
etwas kann als der bessere Plan erscheinen, etwas kann „gewinnbringender", κέρδιον, dünken. Von außen kann jemand auf eine Person einwirken, zumal ein Gott kann ihn „bereden" oder „umbiegen" 1 . Die Einzeltüchtigkeiten verleiht ein Gott, je nach dem der einzelne dem einen oder dem anderen Gott nahesteht, Zeus oder Ares, Apoll oder Aphrodite, Athena oder Hephaistos. Solche persönliche Götternähe bestimmt weitgehend das, was wir den Charakter nennen würden 2 . Auch der Tiervergleich kann deutlich machen, wie jemand beschaffen ist oder wie er sich in einem bestimmten Augenblick bewährt, etwa ob er den Thymos eines Löwen oder Hirsches oder Hundes zeigt 3 . Dabei sind dann auch diese Tiere dadurch charakterisiert, welche Portion Mut, Klugheit, Scham sie besitzen. Die Spekulation darüber, wie diese verschiedenen Tüchtigkeiten gegeneinander abzuwägen seien, beginnen in der hohen Poesie damit, daß man verschiedene Helden ihrem Werte nach vergleicht. Das älteste Zeugnis dafür ist die Erzählung der „Kleinen Ilias" vom Streit um die Waffen des Achill, die nach dem Tod des größten Helden dem Zweitbesten zukommen sollen4. Erst allmählich entwickelt sich aus der Frage : Wer ist der Beste ? die andere : Was ist das Beste? und die weitere: Was ist das GuteÌ5 Hermann Fränkel hat nun freilich gemeint e , diese Verse könnten nicht von Tyrtaios sein, da sie über die wahre Arete sprächen, 1 Aber all dae ist weit entfernt davon, daß jemand sein Wesen ändert, wie etwa der ödipus des Sophokles. — Vgl. H. Fränkel, Dicht, u. Philos. 2 92; Bernhard M. W. Knox, Second Thoughts in Greek Tragedy : Greek, Rom. and Byz. Stud. 7, 1966, 213—232. 2 Marg, a.a.O. 60ff. 3 Wieweit ferner die Beschimpfung mit Tiernamen, wie die Tierfabel, wie der Tiervergleich etwa im Weiberjambus des Semonides der Charakterisierung dienen, bespricht W. Marg ausführlich. Die urtümlichen tiergestaltigen Götter oder die Totemtiere ermöglichen eine noch primitivere, starrere Charakterisierung. 4 Alk. 387 L - P Αϊαν τόν άριστον πεδ' 'Αχιλλέα. 5 Leben u. Meinungen der Sieben Weisen 3 42ff., 96f.; Die alten Griechen und wir 60f. — Ohne auf verschiedene Formen von Tüchtigkeiten zu reflektieren, fragt der Dichter Β 761 τις τ αρ των 6χ άριστος εην ; β A.a.O. 385f.
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wie das erst zur Zeit des Xenophanes möglich sei; er sagt, diese Distichen wendeten sich gegen eine falsche Theorie von der Arete 1 . Daß das überspitzt formuliert ist, zeigt sich, wenn man überblickt, wie die älteren Dichter in der Form der Priamel über die verschiedenen Wege der Menschen sprechen 2 . Ν 726 sagt Polydamas zu Hektor: „Du bist nicht imstande, dich bereden zu lassen (πιθέσ&αι). Weil dir ein Gott in besonderem Maße die πολεμήια εργα gegeben hat, bist du geneigt, auch durch βουλή mehr zu vermögen als andere. Aber du wirst nicht alles zugleich dir gewinnen können. Denn dem einen hat ein Gott die πολεμήια εργα gegeben 3 , dem anderen legt Zeus edlen νόος in die Brust, von dem viele Menschen Nutzen haben, und viele rettet er; er selbst erkennt es aber am ehesten." Dahinter steht der Gedanke, daß es gut wäre, alles zu haben, — das geben die Götter aber nicht. Man hört heraus, daß die Klugheit (immerhin in diesem Augenblick) nützlicher sei als die kriegerische Tüchtigkeit, und die Frage klingt an, die der Kampf um die Waffen des Achill stellt, ob Aias oder Odysseus der Beste sei (vgl. den schon zitierten Satz Β 761 τίς δχ' άριστος). Jedenfalls aber heißt es hier nicht grundsätzlich: Was ist das Beste unter den einzelnen Aretai, — das Beste ist offenbar, möglichst viele Göttergeschenke auf sich zu vereinen, um vielen nützlich zu sein und die Stadt zu retten. Daß es Priameln gegeben hat in Preisliedern, die gegen andere Personen (seien es mythische oder historische) eine als die beste ausspielten, zeigt das Spottgedicht des Timokreon auf Themistokles (PMG 727), das die Form des Makarismos benutzt : άλλ' εί τύ γε Παυσανίαν ή καί τύ γε Ξάνθιππον αινείς . . . εγώ δ' Άριστείδαν έποανέω . . . ενα λωστον . . . 4 . 1 S. 175, 9 formuliert er so: fr. 9, „das in strenger Analyse die einzelnen Komponenten eines komplexen Bildes auseinanderlegt und bewertet", könne nicht von Tyrtaios sein. 2 Das wichtigste Material bei Ulrich Schmid, Die Priamel im Griechischen von Homer bia Paulus, Wiesbaden 1964. 3 Hier folgt in einigen Hss. αλλω δ' όρχηστύν, έτέρω κίθαριν κ αϊ άοιδήν, offenbar von einem selbstbewußten Rhapsoden eingefügt. Hesiod fr. 203 M-W sagt: άλκήν μέν γάρ ίδωκεν 'Ολύμπιος Αίακίδησι, νουν δ' Άμυθαονίδαις, πλοϋτον 8' ίπορ' Άτρείδησι. Der Reichtum als Arete kehrt dann bei Tyrtaios und Theognis wieder, s. u. Anm. 4 u. S. 35. 4 Ironisch abgewandelt ist das Preislied mit Priamel auch Theogn. 699—718, wo mythische Personen genannt sind. Dafür, daß einfache
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Vielleicht das älteste Beispiel der Priamel im Preislied ist Alkmans großes Partheneion. v. 37 ist der Übergang zum Makarismos deutlich: δ δ' ολβιος, δστις ευφρων άμέραν διαπλέκει" εγώ δ' άείδω Άγιδώ το φως- δρω f ' ώτ' άλιον usw., wobei auch άείδω = rühmend besingen und der Vergleich typisch sind. Nun steht in dem arg zerstörten Anfang v. 2 ούκ έγών Λύκαι&ον έν καμοϋσιν άλέγω, und es folgen die Namen von Söhnen des Hippokoon. Das Scholion zu Pind. 0 . 11, 15 a zitiert diesen Vers 1 , um den Gebrauch von άλέγων an der Pindar-Stelle zu erläutern (Ζεφυρίων Λοκρών γενεάν άλέγων) und sagt άλέγων ύμνων. Man sollte das nicht mißachten 2 . Dann könnte der Zusammenhang gewesen sein: „Ich rühme nicht den Lykaithos, nicht die Hippokontiden, [die frevlerisch Unmögliches erstrebten]. Die wollen wir übergehen 3 . Poros und Aisa wehren sich dagegen ( ? ) 4 ; die Menschen sollen nicht zum Himmel fliegen, niemand soll versuchen, Aphrodite zu heiraten (v. 13-17), — sie erduldeten unvergeßliches Leid, da sie Böses sannen. Es gibt Götterrache. Selig aber i s t . . ." Und damit gewinnt Alkman den Übergang, um die Chorführerin zu preisen. Gewiß würde Pindar kaum so leichter Hand Gestalten des heimischen Mythos beiseite schieben, um Menschen, mit denen er zusammenlebt, höher zu preisen; aber dem leichteren Ton dieses frühen Liedes scheint mir das nicht unangemessen. Natürlich spielt bei der Frage nach dem besten Mann leicht die andere hinein, was das Beste sei, sobald man die Antwort bemythische Exempla im Preislied auftauchen, bedarf es keiner Belege. Eine Reihe verschiedener Beispiele stand in Bakchylides' Enkomion fr. 20 D, doch ist der Zusammenhang nicht sicher kenntlich. 1 Schreiben freilich 'Αλκαίος statt 'Αλκμάν, was trotz Scheidweiler, Rh. Mus. 93, 1950, 243 einzusetzen ist. 2 Richtig hat das B. Marzullo näher ausgeführt, Philol. 108, 1964, 177. 3 v. 12 ]παρήσομες ist, wie Marzullo gesehen hat, Formel der praeteritio, man darf also nicht ού] παρήσομες schreiben. Dann gehört aber diese παράλειψις offenbar zu dem Schema der Priamel. Der Sinn mag etwa gewesen sein : 11 "Αλκων]ά τε τώς άρίστως έν μέλει] παρήσομες. των θιών γ]άρ ΑΙσα πάντων καΐ Πόρος] γεραιτάτοι, ών ούκ ( ? ) άπ]έδιλος άλκά. Aber auf das schwierige Gedicht kann ich hier nicht näher eingehen. 1 άλκά v. 15 ist „Wehrkraft", nicht Männerkraft, die Übermenschliches erreichen möchte, vgl. o. S. 18,1.
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gründen will. Doch scheint die Frage nach dem höchsten Wert in einem anderen Zusammenhang aufgeworfen zu sein, — nicht wo es u m höchste Arete, höchstes Ansehen u n d größten Nutzen f ü r andere geht, sondern wo jemand erwägt, was ihm das Liebste, Verlockendste sei. I n einer Priamel sagt der Bettler Odysseus zu Eumaios bei seiner Lügengeschichte ξ 222 ff. : τοϊος εα έν πολέμω · έργον δέ μοι ού φίλον έ'σκεν ούδ' οίκωφελίη, ή τε τρέφει άγλαά τέκνα, άλλά μοι αΐεί νήες έπήρετμοι φίλαι ήσαν 225 καί πόλεμοι και άκοντες έύξεστοι καί όιστοί, λυγρά, τά τ' άλλοισίν γε καταρριγηλά πέλονται. αύτάρ έμοί τά φίλ' έ'σκε, τά που θεός έν φρεσί θ-ηκεν· 228 άλλος γάρ τ' άλλοισιν άνήρ έπιτέρπεται εργοις. Mit ähnlicher Priamel lehnt Achill I 378 die Geschenke Agamemnons a b : έχθρά δέ μοι του δώρα, auch wenn er mir zehn oder zwanzigmal soviel gäbe, als er selber besitzt, u n d dies u n d dies . . . I n diese Reihe gehört Archilochos' fr. 60 ού φιλέ ω μέγαν στρατηγόν . . . , wo nun freilich nicht das Wertvolle, sondern der Wertvolle zur Diskussion steht, wo aber (und das klang ja schon in den Homer-Stellen an, war aber nicht so ausdrücklich formuliert) die innere Qualität dessen, der καρδίης πλέως ist, zum ersten Mal als das Entscheidende hervorgehoben wird. Das ist nahe verwandt mit dem, was Tyrtaios über den Thymos sagt 1 . Die superlativische Wendung: das Wertvollste, finden wir zum ersten Mal in Sapphos Gedicht oi μέν ίππήων στρότον . . . (27 a D); für sie ist κάλλιστον, was einer liebt. Auch sie mißt also das Schönste nicht an den äußeren, anerkannten Maßstäben, sondern am Persönlich-Inneren 2 . Übersieht m a n diese frühgriechischen Priameln, 1
Vgl. auch die Worte des Baumeisters Charon bei Archil, fr. 22 : oö μοι τά Γύγεω τοϋ πολυχρύσου μέλει . . . μεγάλης δ' ούκ έρέω τυραννίδος. 2 Ferner Skol. 7 D ΰγιαίνειν μέν άριστον άνδρΐ θνάτω, δεύτερον δέ φυάν καλόν γενέσθαι, τό τρίτον δέ πλουτεΐν άδόλως καί τό τέταρτον ήβαν μετά των φίλων, wobei freilich zu bemerken ist, daß Schönheit und Reichtum auch als Aretai erscheinen (z.B. bei Tyrtaios). Die beiden Bezirke der Arete und des Verlockenden mischen sich auch in der Delischen Inschrift, Theogn. 255 κάλλιστον τό δικαιότατον, λφστον δ' ΰγιαίνειν, πράγμα δέ τερπνότατον, τοϋ τις έρ£ τό τυχεϊν, wobei das erste offenbar von Solon, das letzte von Sappho abhängt.
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so wird man nicht zweifeln, an welche Stelle der Anfang von Tyrtaios' 9. Elegie gehört : ούτ' αν μνησαίμην ούτ' έν λόγω ανδρα τιθείην οΰτε ποδών άρετης οΰτε παλοαμοσύνης ούδ' εί Κυκλώπων μεν εχοι μέγεθος τε βίην τε . . . 1 Das ist die Form eines Preisliedes, das dem Ruhm und der Erinnerung des Gelobten dient 1 . Darauf zielen dann auch die in der Manier der Priamel aufgeführten Personen Boreas, Tithonos usw., deren Aretai Tyrtaios nicht gelten läßt. Von all dem findet sich bei Xenophanes 2 D nichts. Zwar beginnt er (offenbar im Anschluß an Tyrtaios): άλλ' εί μεν ταχυτητι ποδών νίκην τις αροιτο ή πεντα&λεύων . . . , aber der Gedanke läuft weiter: „Wenn einer im Sport siegt, wird er geehrt. Doch er ist nicht soviel wert wie ich, denn meine Weisheit ist besser. Es ist nicht gerecht, Körperkraft höher zu schätzen als die gute Weisheit, denn kein Wettkämpfer erreicht, daß die Stadt in Eunomie lebt und reich wird." Zwar geht es auch Xenophanes um Ansehen und um den Nutzen für die Stadt (was bei Tyrtaios im 2. Teil der Elegie noch deutlicher hervortritt als in der Priamel), aber neu bei ihm ist, was dem Preislied stracks zuwiderläuft, daß er sich selbst als Muster empfiehlt. So kann er denn die mythischen Exempel nicht gebrauchen, sondern ersetzt sie durch die zeitlosen —zeitgenössischen Typen: der gefeierte Sieger im Wettlauf, im Boxkampf, beim Pferderennen usw. Daß schließlich bei ihm der Gegensatz von σοφία und ρώμη etwas anderes ist als der von νόος und πολεμήια έργα, worüber Polydamas bei Homer spricht, oder daß seine Weisheit etwas Moderneres ist als das „Persönlich-Innere", das Archilochos, Tyrtaios oder Sappho im Auge haben, bedarf keines weiteren Wortes. Was das Neue bei Tyrtaios ist, geht wieder aus der Verknüpfung verschiedener Motive hervor. Zu der Makarismos-Priamel mit 1 Mit έν λόγω τιθέναι umschreibt Tyrtaios vielleicht άλέγειν, das Alkman für ύμνεΐν benutzt. Jedenfalls gibt das Scholion Β zu Π 388 θεών δπιν ούκ άλέγοντες wieder mit τήν των θεών έπιστροφήν μή έχοντες έν λόγω. Dann wäre das eine sehr alte Homer-Erklärung. Ob diese Verbindung von άλέγω mit λέγω auch richtig ist, bleibt natürlich eine andere Frage.
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mythischen Figuren gehört das Gegenbild: ein Gegenwärtiger, der gepriesen wird als einer, der über die anderen Menschen hinausragt (v. 31); Tyrtaios sagt: ού δέ ποτε κλέος εσθ-λον άπόλλυται ούδ' δνομ' αύτοΰ, άλλ' ύπό γης περ έών γίγνεται αθάνατος. Diese Worte besagen aber mehr, als wenn ein Mensch ΐσό-9-εος, μακάριος, όλβιος heißt, wie es im Preislied üblich ist; sie sind homerisch, aber in unhomerischem Zusammenhang. Am ähnlichsten ist, was ω 93 f. Agamemnon zu Achill spricht (er beginnt übrigens v. 36 mit όλβιε Πηλέος υίέ . . .) : ως σύ μέν ούδε θ-ανών δνομ' ώλεσας, άλλά το ι αίεί πάντας έπ' άνθρώπους κλέος εσσεται έσθλόν, Άχιλλεϋ. Hier und an verwandten Stellen, die Prato zu 9, 31 anführt, geht es um Ruhm und Namen der größten Helden, Achill oder Hektor, — geht es also um das, wofür der epische Sänger zu sorgen hat: das Große der Erinnerung zu erhalten. Auf Ähnliches bereitet Tyrtaios schon mit v. 1 vor: οΰτ' άν μνησαίμην, wie er mit ούτ' έν λόγω τι&είην auf den Makarismos vorausweist. Den Lobpreis des „guten" Mannes und die Bewahrung des Ruhms rückt Tyrtaios nun aber in anderen Zusammenhang durch die Verse 15—19: wie in der Mahnung zum Kampf ist nun die Rede davon, für die Stadt und den Demos zu kämpfen, in der vordersten Reihe auszuharren, nicht an Flucht zu denken, das Leben einzusetzen, — was wir aus den anderen Elegien kennen, die an die Feldherrnreden der Ilias und an Kallinos anknüpfen. Aber hier erscheinen nicht wie dort die Imperative, sondern es heißt: „Wer bis zum Tode kämpft, ist ein guter Mann und gewinnt ewigen Ruhm." Sinn der Elegie bleibt natürlich die Paränese, das hat man auch nie verkannt, nur geht sie nicht auf eine einzelne konkrete Situation, sondern auf das Allgemeine (s. Prato 7*, 36). Tyrtaios erreicht das dadurch, daß er sie einschmilzt in das Heldenlob und gewinnt so das für ihn Wesentliche: In der Ilias ermahnt der Feldherr die gewöhnlichen Krieger (z.B. Agamemnon E 529, Aias 0 561) mit den Worten: „seid Männer", ανερες εστε. Tyrtaios zieht daraus die Vorstellung von dem, was ein „guter Mann" ist. Dieser neue Begriff erscheint zum ersten Mal in unserer Elegie v. 10 und 20: es ist nicht nur der Einzelne, mit Namen Benennbare, dessen Ruhm das Epos kündet 3 Snell (Hyp. 22)
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(oder den der Makarismos preist), sondern jeder, der sich bewährt 1 . Dies Hinausgehen über das Empirisch-Gegebene ist ein wichtiger Ansatz zum Philosophieren. Solch „guter Mann" kann nach Tyrtaios' Meinung ewigen Ruhm gewinnen wie Hektor oder Achill, also wie die größten Feldherrn; der Mahnende und der Gemahnte wachsen gleichsam zu einer Person zusammen. Ja, noch mehr kann erreichen, wer gefallen ist: „auch wenn er unter der Erde liegt, wird er unsterblich" (v. 32), d. h. er lebt als Heros weiter 1 . Solche Mythisierung und Heroisierung des Kriegers sind Homer und Kallinos fremd. Wie bei dem, was er vom Thymos und vom Wert des Vaterlandes sagt, erreicht Tyrtaios also auch bei seinen Gedanken über den Ruhm, Homer zu übersteigern, indem er verschiedene Motive Homers zusammenfügt. Daß Tyrtaios bei seinem Rühmen des „guten Mannes" auch auf die Arete zu sprechen kommt (v. 13 ήδ' άρετή, τόδ' άεθ-λον έν άνθρώποισιν άριστον), ist ein bedeutsamer Schritt hin zu der Argumentation des Xenophanes, der gegen landläufige Meinungen und Gebräuche disputiert. Schon Solon geht in dieser Richtung über Tyrtaios hinaus, da er in der 1. Elegie die verschiedenen Wege der Menschen unter dem Gesichtspunkt beschreibt, daß die Menschen streben, aber nicht wissen, ob sie an ihr Ziel kommen. Tyrtaios dagegen hält seine Priamel durchaus im Rahmen des Episch-Mythischen und dessen Exempla, — wenn er die geschichtlichen Figuren Midas und Kinyras nennt, so gehören diese zum mindesten in eine fremdere, östliche Welt. Seine Beispiele für bestimmte Aretai sind übrigens nicht gerade überzeugend, können nicht leicht jemanden verlocken. Für Körpergröße und Stärke (μέγεθος, βίη) nennt er die Kyklopen. Bei „Stärke" hört man „Gewalttätigkeit" mit, zumal wenn die Kyklopen sie verkörpern sollen. Bei Homer gilt jemand etwas, wenn er „groß und schön" ist, — demgegenüber wird die Arete der Kyklopen anrüchig. Für die Schnelligkeit nennt er nicht etwa den „fußschnellen" Achill, sondern den Thraker Boreas, den halben Bar1
Vgl. Prato zu 9, 10. Kallinos v. 19 ist auch hier Vorstufe: ζώων δ' άξιος ήμιθέων. Bei Homer kommt ein Beiwort wie θεοείκελος natürlich nicht einem gewöhnlichen Krieger zu. — Dazu, daß Tyrtaios in v. 36 αιχμής εύ/ος und ν. 38 πολλά... τερπνά παθών ebenfalls Homerisches fortbildet, vgl. Prato ad 1. 1
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baren, der, ein struppiger Gesell, wie ihn die Vasen zeigen, Oreithyia raubte. Tithonos ist ihm Muster der Schönheit, der als lächerlich zirpende Grille endete. Midas und Kinyras nennt er als reich; von diesem, dem Kyprier, wissen wir wenig1, um Midas stand es kläglich. Pelops als „Königlicher" stand den Peloponnesiern, an die Tyrtaios sich wendet (vgl. fr. la, 4), näher, aber wenn er hier „Tantalide" heißt, klingt Bedenkliches mit. Der letzte ist Adrast, der eine „süßtönende Zunge hatte". Man wüßte gern, welche Situation Tyrtaios im Auge hat, da Adrast so schön redete. Sollte er etwa an die ältere Version der Eriphyle-Sage denken und an den Adrast, der seine Schwester, die Frau des Amphiaraos, beredete, wo freilich der süßen Rede das goldene Halsband zu Hilfe kam 2 ? Warum nannte er nicht etwa Odysseus oder (wie Theogn. 714) Nestor? Alkman hatte in der Priamel seines Partheneions die einzelnen Hippokontiden aufgezählt, die elend für ihre Freveltaten büßen mußten, und hatte ihnen gegenüber die frommen, heiteren Mädchen gepriesen. Tyrtaios nennt Vertreter verschiedener „Tüchtigkeiten", die für ihn keine Geltung haben, — aber sie haben doch etwas von Hybristai an sich. Alles in allem scheint mir so viel gewiß : Tyrtaios will nicht argumentieren, sondern propagieren. Das Paränetische dringt ein in die überkommene Lob-Priamel 3 . Von Xenophanes ist das alles noch fern, soviele Keime Tyrtaios auch legt. Für die Literaturgeschichte ist aber bedeutsam, daß sich schon in den ältesten Zeugnissen der nicht-epischen Dichtung ein Prozeß anbahnt, der zur „reinen" Literatur führt. Tyrtaios verbindet in seinen Elegien die Paränese mit Motiven des epischen Rühmens und der lyrischen Seligpreisung, verschmilzt also Dichtgattungen miteinander, die an ganz konkrete soziale Situationen 1 Alkman fr. 2, 71 Ρ benennt anscheinend ein Parfüm nach ihm. — Vgl. auch das Skolion Gr. Dichterfr. d. Kaiserz. V I I 33 Heitsch: όλβιος ήν δ Μίδας, τρις δ' δλβιος ήν ó Κινύρας. 2 Platon Phaidr. 269Α nennt den μελίγηρυν "Αδραστον (was nach Hexameter-Ende klingt) neben Perikles als Redner. — Man hat auch andere Möglichkeiten erwogen, warum Adrast als guter Redner genannt sei, etwa weil er erreichte, daß die Leichen der vor Theben gefallenen Sieben ausgeliefert wurden. Die Frage ausführlicher zu behandeln, würde sich wohl lohnen. 3 Daß dabei die Distichen die Form abgeben für solche Verschmelzung weist in die Zukunft: dies kunstvolle und gleichsam lohnende Metrum gewann mehr und mehr Boden. 3*
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gebunden waren. So sehr sein eigenes Dichten bestimmt ist durch die aktuelle Situation des Messenischen Krieges, so ist es doch eine beachtliche Tat, in epischer Sprache nicht nur Mahnungen vorzutragen (worin ihm Hesiod in den „Werken und Tagen" vorangegangen war), sondern diese auch noch zu verschränken mit dem lyrischen Makarismos. Tyrtaios hatte also schon eine literarisch bedeutsame Dichtung dieser Art vor sich. Das bestätigt Alkmans Partheneion: Auch dies verknüpft offenbar zwei verschiedene poetische Formen: Ein Lied, das einer kultischen Feier dient, verschmilzt mit der Seligpreisung der Choreuten.
4. Epische Formeln Milman Parry hat durch seine Untersuchungen über „oral poetry" wieder in helles Licht gerückt, welche Bedeutung die festgeprägten Formeln für die Rhapsoden-Dichtung haben, nachdem entsprechende Beobachtungen von Heinrich Düntzer, Homerische Abhandlungen, Leipzig 1872, 508ff. und 517 ff. fast in Vergessenheit geraten waren 1 . Zweifellos haben die alten Sänger überkommene Prägungen fertigfabriziert übernommen, was den aus dem Gedächtnis schöpfenden mündlichen Vortrag und zumal das Handhaben des Hexameters erleichterte. Das konnte um so erfolgreicher sein, da in der Welt der alten Helden, die sie besangen, feste Konventionen herrschten. Eine Fülle sprachlicher Erscheinungen bei Homer sind nur von diesen Voraussetzungen aus erklärbar. So hat z.B. Miß D. H. F. Gray 2 witzig (wenn vielleicht auch etwas überspitzt) gesagt, der Unterschied der άσπίς πάντοσ' έίση von der άσπίς ομφαλόεσσα sei kein Problem der Archäologie, sondern des Deklinationssystems und der Adaption an das Metrum : άσπίδα πάντοσ' έίσην — ος ομφαλοέσσης — ι πάντος' έίση — ες όμφαλόεσσαι — ας όμφαλοέσσας. Das sind dann „leere" Formeln, und „Entleerung" droht all solchen Floskeln, wie es etwa Latacz innerhalb der Odyssee 1
Vgl. auch schon J. E. Ellendt, Drei homerische Abhandlungen, Leipzig 1864, und die Aufsätze von Kurt Witte, Glotta 1—5 (1909—1914). Die serbisch-kroatische Volksepik hat zuerst M. Murki zum Vergleich mit Homer herangezogen, vgl. H. Frankel, Dicht, u. Philos. 2 9. Gute Bemerkungen, die Parrys Beobachtungen teils einschränken, teils weiterführen, macht J. B. Hainsworth, The Flexibility of the Homeric Formula. Oxford 1968. Die Frage, wieweit der epische Dichter die Formelsprache für aktuelle Anlässe ändern kann, behandelt M. W. Edwards an Beispielen aus dem 19. Buch der Ilias Am. J. Philol. 89, 1968, 257—283. 2 Class. Qu. 61, 1947, 113 = Language and Background of Homer ed. G. S. Klink 1964, 59.
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für die oben S. 19 besprochene Wendung όδάξ έν χείλεσι φύντες gezeigt hat. Aber es ist eine verhängnisvolle Simplifikation, wenn man solche Formeln, zumal wenn sie in späterer Dichtung auftauchen, einfach als „überkommen", als „traditionell", als „oral poetry" abtut. Gewiß, wenn Aphrodite die φιλομμειδής 'Αφροδίτη heißt (E 375), auch wenn sie verwundet und „betrübt in ihrem Herzen" (v. 364) ist, oder wenn A 611 steht: καθεϋδε . . . χρυσόθ-ρονος Ή ρ η (ob man das Wort nun von θ-ρόνος oder θρόνα ableitet), oder wenn Nestor bei Tage die Hände hebt εις ουρανον άστερόεντα, so warnte schon Heinr. Düntzer 1 mit Recht, sich bei der Erklärung solcher Wendungen „zur Annahme vieler Feinheiten verleiten zu lassen", und zeigte (517ff.), wie metrische Bequemlichkeit hier am Werk ist. Immerhin sprechen die angeführten Beispiele von erhabenen Erscheinungen, und die „stehenden Beiwörter" weisen gleichsam auf ihr unwandelbares Wesen. Das nehmen auch wir noch ohne Sträuben an. Im allgemeinen gilt aber doch, daß „traditionelle Wendung" nichts anderes besagt als „schlechte Poesie". Trotzdem braucht eine konventionelle Phrase nicht anrüchig zu sein. I m Gegenteil: es gibt zwei Formen, in der sie zu größter Poesie werden kann : wenn sie neu „erfüllt" ist (im Gegensatz zu der „entleerten" Floskel) und wenn sie eine neue Bedeutung erhält. F ü r beides (wobei allerdings keine strenge Scheidung möglich ist) einige Beispiele: zu Sappho 1,10 περί γας μέλαινας genügt es nicht anzumerken: „purely conventional". Wenn Aphrodite „über die dunkle E r d e " fährt, so kommt sie „vom Himmel mitten durch den Äther", und das Adjektiv „dunkel" wird höchst lebendig. Gerade Sappho erweist sich immer wieder eben dadurch als große Dichterin, daß sie das anscheinend Triviale bedeutend macht 2 . Wer nur das Konventionelle darin sieht, haftet selbst am Konventionellen. 96, 5 sagt sie zu der scheidenden Freundin: ή μάν σ' άέκοισ' άπυλιμπάνω . . . χαίροοσ' ερχεο καμεθ-εν μέμναισ'· οίσθα γαρ ώς σε πεδήπομεν. Durch ή μάν und οϊσθα γάρ betont Sappho, daß ihr, was man bei solcher Gelegenheit sagt, ernst ist. Zu χαίροισ' ερχεο fügt sie nichts derart hinzu. Gewiß ist es richtig, sich dagegen zu 1 2
A.a.O. (s. S. 37) 508. Vgl. z.B. H. Akbar Khan, Latomus 27, 1968, 568,1.
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wehren 1 , χαίρειν bedeute hier „rejoice", — aber ist es darum „purely conventional"? Ist es nicht ernster? Hat es nicht etwas von dem ergreifenden „Lebt wohl", zu dem Thoas sich mit den letzten Worten von Goethes „Iphigenie" hindurchringt? Jedenfalls sprach eine große Schauspielerin die Worte: „Lebe wohl und gedenke mein" so, daß den Hörern die Tränen in die Augen traten. So versteht es auch Alkaios, „alles abgestandene W o r t . . . mit neuem Saft" zu füllen, wie Stefan George gelegentlich sagt. Alkaios' Gedicht auf die Dioskuren etwa besteht zum guten Teil aus homerischen Wortverbindungen. Trotzdem ist es kein „leeres" Gedicht; denn alles „sitzt". Wenn seine Kunst auch dem Trivialen Kraft geben kann, erreicht er durch das „Traditionelle" Größe und Würde. Freilich gibt es keine Regeln, um auszumachen, wieweit eine bestimmte Stelle hohl oder erfüllt ist. Da sind wir auf die vagen und doch allein relevanten Kriterien des Geschmacks, des künstlerischen Empfindens angewiesen. Die Düntzersche Warnung führt nur zu einer halben Wahrheit. Auch bei Tyrtaios braucht es kein Vorwurf zu sein, wenn man ihm überkommene epische Formeln nachweist. Freilich erreicht er seine Originalität nicht so sehr wie Sappho und Alkaios (die viel größere Dichter waren) dadurch, daß er Worten, die vielleicht glanzlos geworden sind, mit seinem Empfinden Licht leiht; er durchdringt die gegebene Sprache mit neuen Gedanken und gibt dadurch Wörtern und Wendungen eigenen Sinn. Solcher „Bedeutungswandel" ist für eine geistesgeschichtliche Betrachtung, um die es hier vor allem geht, grundlegend. Da sind wir, um feste Resultate zu erreichen, auch nicht auf unser unbestimmtes Empfinden angewiesen, sondern können verhältnismäßig exakt feststellen : an einer bestimmten Stelle ist für ein bestimmtes Wort zum ersten Mal eine bestimmte Bedeutung belegt. Freilich sind nicht alle Bedeutungsveränderungen, die sich bei Tyrtaios nachweisen lassen, gleich bedeutungsvoll. Wenn etwa die Wörter όρέγεσθαι, oder πόθος bei ihm mehr von einer inneren Aktivität spüren lassen als bei Homer (s. o. S. 17,3. 24), so fehlen uns die Mittel zu zeigen, wie es dazu kam, was wir etwa beim Gebrauch von θυμός erkennen können. (Darüber gleich.) Daß Tyrtaios unter πατρίς, πόλις, dem ξυνόν usw. etwas anderes versteht als Homer (s. o. S. 22), kann seinen Ursprung in ver1
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änderten politischen und sozialen Verhältnissen haben. Diese Wörter können schon in den alltäglichen aktuellen Diskussionen der Zeit prägnanter gebraucht sein als im alten Epos selbst an den Stellen, die auf eine solche Entwicklung hinweisen. Mehr läßt sich über den neuen Sinn des Wortes Thymos bei Tyrtaios ermitteln. In diesem Bezirk, wo vor allem sich die geistige Entwicklung aufhellen läßt und der uns hier besonders interessiert, erreicht Tyrtaios Eigenes und Neues durch Kombination verschiedener epischer Elemente. Aber um genau festzulegen, wieweit der Dichter hier persönlich etwas geleistet hat, ist es nötig, weiter auszuholen und zu klären, wie in solcher Poesie ein Bedeutungswandel zustandekommt, und ferner, was auf diesem Bedeutungsfeld in der homerischen Sprache überkommene tote Floskel und was lebendige, dem geistigen Stand entsprechende Formulierung ist, wovon sich dann abheben läßt, was Tyrtaios neu formuliert. Manu Leumann sagt in seinem Buch „Homerische Wörter" mit Recht, daß wir einen Bedeutungswandel nur dann verstehen, wenn wir den Satz kennen, in dem die Bedeutung umspringt, und das heißt gemeinhein, in dem der Hörer (oder Leser) das Wort anders verstand als der Sprecher (oder Schreiber) es gemeint hat 1 . Nur dadurch kommen wir los von der Vorstellung, daß der Bedeutungswandel ein geheimnisvoller Mechanismus sei. Leumann hat vor allem solche Fälle behandelt — und da er über homerische Wörter spricht, ist das in Ordnung —, wo in der künstlichen Sprache eine Wendung nicht geläufig und deswegen mißverständlich ist. Wenn ein Rhapsode ein ihm unbekanntes Wort falsch auffaßt und ihm in dem Kontext einen anderen Sinn beilegt, kann er es in dieser Bedeutung gebrauchen, die es vorher nie gehabt hat. Doch die Regel, man müsse einen Bedeutungswandel erklären aus einem Satzzusammenhang, in dem die Wortbedeutung überspringt, gilt nicht nur für solche Fälle, wo, wie Ernst Kapp es zu formulieren liebte, „ein Malheur passiert ist", so oft dies auch geschieht. Es kommt auch vor, daß jemand, um Neues zu sagen, diese Möglichkeiten des Sprechens nutzt, zumal mit Hilfe der Analogie2. 1 2
Vgl. Aufbau d. Spr. 3 159ff. mit einigen drastischen Beispielen. Vgl. oben, daß Tyrtaios den Thymos nach Analogie des ήτορ wertet.
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Wieweit dabei bewußte Leistung oder „fruchtbares MißVerständnis" vorliegt, wird sich nur in seltenen Einzelfällen entscheiden lassen. Doch selbst wenn dieses Subjektive ungeklärt bleibt, läßt sich das objektive Resultat (etwa in der Reihe HomerKallinos-Tyrtaios) exakt aufweisen, und schon damit wird man den Entdeckern von Neuem weitgehend gerecht werden. Freilich ist der Anspruch, auf diese Weise exakt zu verfahren, noch weiter einzuschränken. Präzis feststellbar ist nur, daß etwa eine bestimmte, genau beschreibbare neue Bedeutung von Thymos in der uns erhaltenen Literatur zum ersten Mal bei Tyrtaios belegt ist. Offen bleibt dabei, ob Tyrtaios solche Konzeption schon in der ihm vorliegenden, uns aber verlorenen Dichtung gefunden hat, etwa bei Kallinos. Für eine persönliche Leistung des Tyrtaios spricht hier, daß sich die gleiche neue Wertung des Thymos an verschiedenen Stellen bei ihm findet, während bei Kallinos nur eine Vorstufe dafür zu entdecken ist. Weiterhin bleibt unsicher, ob beim Gebrauch von Thymos Tyrtaios vielleicht etwas literarisch zum ersten Mal verwendet, das es schon irgendwie in der Alltagssprache, etwa in der politischen Diskussion der führenden Männer, gegeben hat, wie wir es für die Wörter πατρίς oder πόλις angenommen haben. Mir scheint, wir dürfen den Einfluß solcher außerliterarischen Formulierungen dort nicht hoch veranschlagen, wo Tyrtaios, wie eine ganze Reihe von Beispielen gezeigt hat, seine neuen Formulierungen dadurch erreicht, daß er verschiedene homerische Wendungen miteinander kombiniert. Da bewegt er sich derart im Bezirk der epischen Kunstsprache, daß kaum Raum bleibt für einen Einfluß der Prosa. Wie er die einmalige politische, soziale, militärische Situation beschreibt, hätte dann vielleicht andere sprachliche Voraussetzungen als die Art, wie er die innere Disposition der Menschen interpretiert, moralische Forderungen formuliert und dies ins wache Bewußtsein hebt. Dieser Bezirk vor allem ist relevant für die Geistesgeschichte; erst das präzise Formulierte kann hier in die Tradition eingehen und durch neue Präzisionen überwunden werden. Wie bei anderen Dichtern, über die ich gelegentlich gesprochen habe, ist also das Wichtigste, zunächst mit silbenstechender Pedanterie festzustellen, wo in der uns überlieferten Literatur und in welcher Form jeweils Neues auftaucht. Wichtig ist dann weiterhin, ob das über das Werk verstreute Neue sich zusammenschließt
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zu einer persönlichen geistigen Einheit, die alle Äußerungen bestimmt, und ob es gelingt, dieses System neuer Gedanken abzuheben gegen das, was dem Dichter in seiner Zeit als lebendige Interpretation der Welt und der Menschen gegenüberstand. Zunächst ist daher möglichst festzulegen, was in der dem Dichter vorliegenden Sprache lebendig und was traditionell, was noch erfüllt und was schon leer war. Wie aber wollen wir entscheiden, wo die epische Sprache Homers ernst zu nehmen ist, wo sie echte, wirklich vorhandene Gedanken zum Ausdruck bringt, oder wo sie längst verschollene Vorstellungen weiter kolportiert ? Fürwahr, ein prekäres Unterfangen, — vollends wenn man wie bei dem Wort Thymos in ein so dunkles Gebiet tappt und fragt, wie Homer das auffasst, was im Inneren des Menschen wirkt. Auf diesem Feld der inneren Kräfte verwendet Homer zweifellos mancherlei Formeln, die ihm nicht mehr lebendig sind, die er aus metrischer Bequemlichkeit der alten, mündlich weitergegebenen Epik entlehnt, wie er es auch in anderen Bezirken tut (s. o. S. 37). Man hat längst beobachtet, daß „Umschreibungen" eines Eigennamens wie ιερόν μένος Άλκινόοιο, ιερή ΐς Τηλεμάχοιο, σθένος Ίδομενηος, βίη Ήρακλεόη dazu dienen, Eigennamen an ihren erwünschten Platz am Ende des Hexameters zu setzen, wenn der Nominativ dort nicht unterzubringen ist. Solche Umschreibungen gehen zurück auf sehr altertümliche Vorstellungen von der magischen Kraft des Priester-Königs, von seinem „Orenda" (worauf vor allem das Adjektiv ιερός weist), die für die homerische Welt keine Bedeutung mehr haben 1 . In der Handlung der Ilias und Odyssee erklärt Homer niemals etwas dadurch, daß ein Herrscher solche Wirkung ausströmt; vielmehr ist es das „Natürliche", daß ein Gott jemandem für irgendeine bestimmte Leistung die dazu nötige Kraft einflößt. Was an solchen aktuellen Kräften wirksam werden kann, ist nun aber bei Homer sehr viel differenzierter als man nach den für die Eigennamen verwandten „Umschreibungen" (μένος, σθένος, ΐς, βίη) vermuten würde: diese Wörter sind durchaus nicht einfach Synonyma. 1 H. Düntzer, Horn. Abh. 533; Pfister, R E s.v. Kultus, 2117, 33; H.Fränkel, Dicht, u. Philos. 2 85f. m. Airm. 6; Entd. 3 41. Steinthal, Formen gottmenschlicher Steigerung b. Homer usw., Diss. Tübingen 1951, 173ff. — Spuren solcher altertümlicher Anschauungen finden sich auch sonst: ϊφι άνάσσειν, μεγάθυμος (? s . o . S. 10) usw.
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Homer kennt das Wort σώμα noch nicht in der Bedeutung „Körper", sondern spricht in bestimmten Zusammenhängen von „Gliedern", von γυΐα oder μέλη1. Nun ordnet er den γυΐα das μένος zu, den μέλη aber das σθένος. So lohnend es wäre, diese Frage ausführlich zu behandeln, muß ich mich hier auf das Gröbste beschränken und stelle nur einige Wendungen zusammen, bei denen Homer γυΐα, aber nicht μέλη, oder umgekehrt μέλη, aber nicht γυΐα sagt, und solche, bei denen er vom μένος, aber nicht vom σθένος, oder umgekehrt vom σθένος, aber nicht vom μένος spricht. Homer redet von den γυΐα ελαφρά, den „hurtigen" Gliedern, wobei er offenbar an deren Beweglichkeit denkt. Daß die γούνατα zu den γυΐα gehören, zeigt das Nebeneinander von γούνατ' ελυσεν und λϋσε δέ γυΐα. „Gelöst" werden die Glieder, insofern sie locker, schlaff, unkrontrollierbar werden, etwa beim Sterben. Es kann aber auch umgekehrt heißen, daß ein Gott jemandem πέδησε . . . φαίδιμα γυΐα (Ν 435); da sind die Glieder nicht mehr έλαφρά, sondern steif, man kann nicht mehr fliehen, sondern steht da „wie eine Stele oder ein Baum". λύντο δέ γυΐα heißt es nicht nur beim Tod, sondern auch bei Angst; da „lösen" sich die Glieder und „Zittern ergreift sie" (τρόμος ελλαβε γυΐα). Dieser Zustand der Schwäche kann wieder schwinden, wenn etwa Pallas Athene dem verwundeten Diomedes die γυΐα wieder έλαφρά macht (E 122) und ihm ein μένος άτρομον in die Brust legt (125) ; da hört also das Zittern auf, die Glieder werden wieder hurtig. Solches μένος „wirft" Zeus den Pferden des Achill „in die Knie und in den Thymos" (P 451), und flink (ρίμφα 458) tragen sie den Wagen in die Schlacht. Daß die γυΐα mit dem όρμασθαι zu tun haben, also mit der schnellen Bewegung (die oft durch das μένος veranlaßt wird) zeigt etwa Ν 512: ού γάρ έ'τ' έ'μπεδα γυΐα ποδών ήν όρμηθέντι ουτ' άρ' έπαϊξαι μεθ' έόν βέλος ουτ' άλέασθαι. Auch in der Odyssee sind diese Vorstellungen lebendig, σ 242 sitzt der Bettler Iros nach dem Boxkampf mit Odysseus am Hoftor, nickt mit dem Kopf wie ein Betrunkener und kann weder stehen noch gehen, έπεί φίλα γυΐα λέλυνται. γ 449 heißt es beim Opfer eines Stiers: πέλεκυς άπέκοψε τένοντας αύχενίους, λϋσεν δέ βοος 1 Ausführlicher handelt darüber F. Krafft, Vergleichende Untersuchungen zu Homer und Hesiod, Hypomnemata 6, 1963, 25ff.
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μένος. Das μένος wird „gelöst", wie sonst die γυΐα oder γούνατα: das Durchschneiden der Sehnen löst das μένος1. . Dies mag genügen, um zu zeigen, wie die γυΐα den Körper bezeichnen, insofern er durch seine Gelenke beweglich ist, und wie das μένος die Lebendigkeit ist, die diese γυϊα in Gang setzt. Das μένος spürt man, wenn es einem in den Fingern juckt, es ist der „Dribbel", wie man bei uns sagt 2 , der sich regt, wenn man etwas tun möchte, der itch, der élan. Demgegenüber sind die μέλη dem σθένος zugeordnet, μέλη nennt Homer den Körper, wenn er davon spricht, daß der Schweiß aus ihm ausbricht und nach allen Seiten herunterfließt (Π 110, vgl. Ψ 688, λ 599), den Athena schwellen läßt (μέλε' ήλδανε), um den in einen Greis verwandelten Odysseus wieder jugendlich zu machen (σ 67ff.): φαίνε δέ μηρούς καλούς τε μεγάλους τε, φάνεν δέ οί εύρέες ώμοι στήθ-εά τε στιβαροί τε βραχίονες, oder um Laertes zu verjüngen (ω 368ÍF.) : μείζονα δ' ήέ πάρος και πάσσονα θ-ήκεν ίδέσθ-αι. Als Athena vorher Odysseus zum Greis gemacht hat, heißt es (v 431): άμφί δέ δέρμα πάντεσσιν μελέεσσιν παλαιού θήκε γέροντος. Das einzige Mal, wo von der Bewegung der μέλη die Rede ist, bestätigt als Ausnahme die Regel (θ 298) : Unter dem Netz des Hephaistos konnten Ares und Aphrodite ihre μέλη nicht bewegen, ihre Muskelkraft konnte die Ketten nicht zerreißen. Von Iros heißt es σ 77 : σάρκες δέ περιτρομέοντο μέλεσσι. Die μέλη eines Tieres kommen nur einmal vor, es sind die eines Schweines (ξ 428), die zerlegt werden 3 . Bei den μέλη denkt man also an die muskulösen Teile des Körpers 4 . Nur einmal sagt Homer, welche Art von Kraft er sich in den μέλη vorstellt (P212): Als Hektor die Waffen des Achill anzieht, 1
In anderem Zusammenhang kann vom σθένος des Stiers gesprochen werden, wenn er etwa mit Anstrengung pflügt. 2 Vgl. J. Latacz, Zum Wortfeld „Freude" in der Sprache Homers, 1966, 22 f. 3 Zu der Wendimg ένί γναμπτοϊσι μέλεσσι, in denen '{ς oder ϊς und κϊκυς ist (Λ 669, λ 393, φ 282), auf denen sich aber auch die Haare sträuben (Ω 358; vgl. dagegen Hes. opp. 540 τρίχες... όρθαΐ φρίσσωσιν άειρόμεναι κατά σώμα) und an denen die Haut schrumpft (ν 430) vgl. Ges. Sehr. 63 f. — Darüber, daß der Thymos beim Tod aus den μέλη geht (wie auch aus den Knochen) vgl. Entd. 3 27. 1 Tyrtaios 8, 2Iff. nennt, um die Anstrengung des ganzen Körpers zu bezeichnen, πόδες, μηροί, κνήμαι, στέρνα, ώμοι, χείρες. Darüber, wie das aus Kombination homerischer Stellen gewonnen ist, s. u. S. 47.
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heißt es : δϋ δέ μ iν "Αρης . . . πλήσθεν δ' άρα οί μέλε' έντός αλκής και σθένεος. Aber manche Stellen, an denen σθένος vorkommt, lassen darauf schließen, daß diese Kraft eine besondere Nähe hat zu Körperteilen, die Homer als μέλη bezeichnet, θ- 136 sagt Laodamas von Odysseus: An Wuchs (φυή) ist er nicht schlecht; er zählt auf: μηρούς τε κνήμας τε και άμφω χείρας ΰπερθεν αύχένα τε στιβαρόν μέγα τε σθένος, ουδέ τι ήβης δεύεται. . . Das σθένος, das nach Ρ 212 „innen" von den μέλη sitzt, kann man also jemandem ansehen, wenn Ober- und Unterschenkel, Arme und Nacken so jugendlich wirken (vgl. oben σ 667). Auf das gleiche geht, wenn jemand „mit seinem σθένος prangt", βλεμεαίνει, wie Hektor (Θ 337, 1 237), ein Eber und ein Löwe (M42; vgl. Ρ 22 und 135) oder Hephaistos (T 36), was vom μένος nicht gesagt wird, — dies hingegen ορνυται oder wird sonstwie in Gang gebracht. Einzelheiten machen freilich manches etwas komplizierter : Die χείρες und πόδες, auch das στήθος, können sowohl μένος wie σθένος haben (der βραχίων aber nur σθένος), und άλκή kann in den γυΐα wie in den μέλη sein. Arme und Beine konnte man als Träger von Muskelkraft oder als Träger von Bewegungsdrang sehen, und die άλκή, das „Abwehrvermögen", war sowohl Stärke wie Behendigkeit. Darauf gehe ich jetzt nicht ein. Auch wäre das Verhältnis dieser Kräfte zum θυμός und zu den φρένες zu klären. Aus den angeführten Stellen geht immerhin die Affinität von μένος und γυΐα einerseits, von σθένος und μέλη andererseits hervor. Das führt zu den wichtigsten Fragen: entsprachen diese Vorstellungen von den Kräften in Ilias und Odyssee noch den lebendigen Anschauungen der Dichter? Und weiter: wenn Tyrtaios davon abwich, tat er dies selbständig oder unter fremden Einflüssen ? Wenn man hier, wie gesagt, auch keine exakten Resultate erwarten kann, lohnen sich doch einige Überlegungen dazu. Wenn Homer μένος und σθένος noch genau unterscheidet, so könnte er das kaum bei nur übernommenen, toten Vorstellungen. Im Gegensatz dazu unterscheiden sich bei den traditionellen, dem Hexameter-Ende zuliebe beibehaltenen Umschreibungen ΐς, σθένος, μένος, βίη (s. ο. S. 42), nicht dem Sinn, sondern nur dem Metrum nach. Der toten Formel ist der lebendige Sinn entschwunden. Es ist nicht einmal mehr zu ermitteln, welches Wort ursprünglich die magische Macht des Priester-Königs bezeichnete.
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Ebenso ist auf der Seite des Körperlichen die Unterscheidung von μέλη und γυΐα noch lebendig. Eine gelegentliche Konfusion in der Ilias zwischen μέλεα und ρέ-9-εα. beruht offenbar auf nachhomerischer Verderbnis 1 . Es ist eher ein Wunder, daß in einer mündlichen Tradition und später bei einer zunächst recht unkontrollierten schriftlichen Überlieferung sich der alte Wortlaut so gut erhalten hat, daß wir solche Wortunterscheidungen machen können. Denn wie leicht die Prägnanz alter Wörter verlorengeht, zeigt Pindar (Pyth. 1, 55; Nem. 7, 73), der χρώς und γυΐον anstelle des ihm für unpoetisch geltenden σώμα gebraucht 2 . Ein weiteres Argument dafür, daß wir hier die homerische Sprache ernst nehmen dürfen, ist die Tatsache, daß die geometrische Kunst den Menschen genauso darstellt wie Homer es tut, nämlich zusammengesetzt aus μέλη und γυΐα. Und die Vorstellungen von den Kräften entsprechen genau denen von diesen Körperteilen: das μένος, der „Dribbel" setzt die γυΐα in Gang; in den μέλη sitzt die strotzende Kraft, das σθένος. Es ist also nicht nur „Stil", den Menschen so darzustellen, sondern so ist er für jene Zeit 3 . Ein letzter Grund, Homer beim Wort zu nehmen, ist, daß Tyrtaios ihn offenbar noch richtig verstanden hat. MißVerständnisse, wie wir sie eben bei Pindar festgestellt haben, kommen bei ihm nicht vor. Das scheint zu zeigen, daß er dem homerischen Denken noch nahesteht. Aber der Abstand ist doch deutlich. Weder das Wort σώμα noch die Wörter μέλη oder γυΐα sind bei ihm belegt. 7,19 spricht er von den Älteren, ών ούκέτο γούνατ' ελαφρά. Hier übernimmt er aus der Ilias die Vorstellung von den γυΐα έλαφρά (vgl. Theogn. 977f. οφρα τ' ελαφρά γούνατα . . . προφέρω). Da aber bei Homer offensichtlich die Knie zu den γυΐα gehören (s. o. S. 43), ist das kein Mißbrauch epischen Vokabulars. 7, 27 sagt er χρόα γυμνω&έντα im Anschluß an Π 312 ( = 400) στέρνον γυμνωθέντα: das zielt auf den entblößten „Körper"; wieder benutzt er das homerische Wort noch „richtig", da χρώς die 1
Entd. 3 27 f. Siehe Entd. 3 22,2; vgl. Σ Hes. op. 198a χρόα' σώμα. An der zweiten Stelle umschreibt der Scholiast Ν. 7, 106 b das Wort γυΐον mit σώμα. — Weitere Beispiele bei R. Stark, Rhein. Mus. 98, 1955, 270f. 3 Zur Menschenauffassung in der geometrischen Kunst und bei Homer vgl. Entd. 3 2 ; W. Schadewaldt, Von Homers Welt 3 153; F.Matz, Gesch. d. gr. Kunst I 1950, 98fif. ; N. Himmelmann-Wildschütz, Bemerkungen zur geometrischen Plastik 1964, 13. 2
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Körperoberfläche bezeichnet, wenn seine Wendung bei Homer auch nicht belegt ist. Diese zwei Beispiele wecken den Eindruck, daß Tyrtaios die homerischen Vorstellungen von μέλη und γυΐα nicht mehr akzeptiert, aber er läßt sich nicht verführen, mit poetischen Floskeln etwas zu sagen, was seinen Auffassungen nicht entspricht. I n diesen Zusammenhang darf man vielleicht rücken, wie Tyrtaios 8, 3Iff. die Ilias benutzt. Daß die Verse echt sind und auf Ν 131 f. = Π 215 f. zurückgehen, scheint nun nach langen Diskussionen anerkannt zu sein 1 . Immerhin lohnt sich ein etwas genauerer Vergleich. Die Texte lauten: Tyrt. 8,3 Iff. και πόδα πάρ πόδι θείς και έπ' άσπίδος άσπίδ' έρείσας έν δέ λόφον τε λόφω και κυνέην κυνέη και στερνον στερνω πεπλημένος . . . Ν 131 f. = Π 215f. y
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ασπίς αρ ασπιδ ερεώε, κορυς κορυν, ανερα ò ανήρ· ψαϋον δ' ίππόκομοι κόρυθες . . . Homer schildert die dicht geschlossene Reihe der Achaier, Tyrtaios die einander bedrängenden Gegner. I n der Ilias sind die Waffen das Wichtigste: Schild an Schild, Helm an Helm, Helmbusch an Helmbusch, — dazwischen steht nur: Mann an Mann. Tyrtaios hat statt diesem „Mann an Mann": Fuß gegen Fuß und Brust gegen Brust, und er häuft die Partizipien, die die angestrengte Tätigkeit der Kämpfenden beschreiben (während bei Homer meist die Waffen Subjekt sind). Schon von v. 21 an beschreibt er die Krieger mit ihren kräftigen Gliedern, den Ober- und Unterschenkeln, Brust und Schultern, — auch da benutzt er die Ilias, aber nicht eine Kampfszene, sondern die Beschreibung Γ 330ff., wie Paris seine Waffen anlegt; wiederum bringt er dadurch eine größere Dynamik in die Schilderung und entwickelt ein einheitliches Bild. Auch hier führt er anscheinend etwas weiter, das ihm noch nahe ist. Zu den Versen 3Iff. sei noch eine Randbemerkung gestattet. Diehl und andere verweisen dazu auf Archilochos (fr. 72), der ein Liebespaar beschreibt: 1
Vgl. Prato ad 1. ; Jaeger 9.
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καί πεσεΐν δρήστην έπ' άσκόν κάπΐ γαστρί γαστέρα προσβαλεΐν μηρούς τε μηροΐσ' . . . Es scheint bisher nicht ausgesprochen zu sein, daß Tyrtaios und Archilochos in eben dem übereinstimmen, was Tyrtaios in die Homer-Verse hineingebracht hat, daß nämlich die Beteiligten einen Körperteil gegen den anderen drängen. Mit seiner erotischen Szene parodiert also Archilochos die Kampfsituation des Tyrtaios. Theoretisch besteht die Möglichkeit, daß Tyrtaios und Archilochos auf eine nachhomerische Zwischenquelle zurückgehen, etwa, um einen Namen zu nennen, auf Kallinos. Aber da Tyrtaios vorher (v. 21 ff.) im Anschluß an eine andere Homer-Stelle die kräftigen μέλη beschrieben hat, liegt es näher anzunehmen, daß Archilochos Tyrtaios benutzt 1 . Da beide etwa gleichzeitig dichteten, ist das nicht unmöglich 2 . Wie Tyrtaios sich den menschlichen Körper und seine Teile vorstellte, läßt sich nicht mehr erkennen; ob er hier wie in dem, was er über das Geistig-Seelische des Menschen dachte, einen wichtigen Schritt vorwärts getan hat, bleibt also unklar. Der Thymos umfaßt bei Tyrtaios sehr viel stärker als bei Homer das, was wir dem Willen zurechnen würden: man kann ihn auf ein Ziel lenken, man kann mahnen, ihn auf etwas zu konzentrieren. Es wäre denkbar, daß sich daraus im Griechischen eine Vorstellung vom Willen (nach Art der voluntas bei den Römern) entwickelt hätte. Das ist unterblieben, denn die Griechen haben (gottlob für Europa), um dies Phänomen ins Bewußtsein zu heben, gerade die Denkmodelle entwickelt, die Tyrtaios außer acht läßt 3 : z.B. die 1
Prioritäten sind in der Dichtung oft schwer auszumachen, wenn nur zwei Stellen für einen Vergleich zur Verfügung stehen. Viel besser ist es, es kommt eine dritte hinzu. Da läßt sich gelegentlich wie in unserem Fall eine Linie durch die drei Punkte ziehen, die eine Entwicklung aufweisen kann (vgl. Ges. Sehr. 196ff.). — Vgl. auch Tyrt. fr. 10,73 Pr. έπ' άλλήλοισι π ε σόντες ανδρών στήθεσιν in einer Schlachtbeschreibung. 2 Wie Tyrtaios in der 7. Elegie die Verse 2Iff. aus homerischen Stücken zusammensetzt, zeigt Prato S. 50*f. und weist auch nach, wie kleine Unstimmigkeiten dadurch entstehen, vor allem, aber, wie Tyrtaios die Szene ins Krasse, Aufreizende steigert. 3 H. Frankel, Dicht, u. Philos. 2 466: „Der ,Wille' als solcher fehlt in dem geistigen Horizont des frühen und klassischen Griechentums" usw. über βουλή, μένος, θυμός u. a.
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Erkenntnis (γνώμη)1, den Gegensatz von freiwillig und unfreiwillig2, von wissentlich und unwissentlich (είδώς — ούκ είδώς) usw. Solche Vorstellungen entwickelt Aischylos zu denen einer verantwortungsvollen Entscheidung, Aristoteles zu denen von der Prohairesis. Gewiß hat Tyrtaios den Thymos vergeistigt, doch er hat dies erkauft durch eine Verengung, durch Verlust bei den anderen geistigen Kräften. Das hing natürlich daran, daß er einseitig nur den Krieger als άνήρ άγαθός gelten ließ, und dies wieder war bedingt durch die Nöte des Messenischen Krieges. Diese spezielle Situation führt Tyrtaios dazu, auch über Staat und Gemeinschaft nachzudenken; da hilft ihm ebenfalls, wie wohl die politische Sprache des Alltags mehr Beistand leisten konnte, die epische Sprache zu eigenen und neuen Formulierungen. 1 2
Ausdr. f. d. Begr. d. Wissens 35. Dicht, u. Ges. 116.
4 Snell (Hyp. 22)
5. Das Eigene des Tyrtaios Das führt zu der Frage, auf die diese ganze Untersuchung hinausläuft, ob, was Tyrtaios an der homerischen Sprache ändert, sein geistiges Eigentum oder von anderen geborgt ist. Ein glücklicher Zufall hat uns etwa 25 Verse des Kallinos erhalten. Die Tyrtaios-Gedichte zeigen, daß Kallinos öfter über das bei Homer Belegte in einer Richtung hinausgeht, in der nach ihm Tyrtaios weiterschreitet 1 . Ich stelle einige solcher Wendungen aus der Krieger-Paränese des Kallinos zusammen und verweise auf die Seiten, wo sie oben ausführlicher besprochen sind. Dabei füge ich noch einmal entsprechende Stichworte aus Homer und die Tyrtaios-Stellen an, um die Beziehungen anzudeuten : v. 1 (s. o. S. 11) Ε 529 Tyrt. 6,17 ν. 6 (s. Ο. S. 22f.) Μ 243 Tyrt. 6,1 ν. 16ff. (s. Ο. S. 24f.)
κότ' άλκιμον εξετε θυμό ν ; άλκιμον ήτορ ελεσθε μέγαν ποιεϊσθε και αλκιμον . . . θυμόν τιμή εν . . . και άγλαον μάχεσθαι εις οιωνός άριστος άμύνεσθαι περί πάτρης τεθνάμεναι . . . καλόν . . . μαρνάμενον δήμω φίλος . . . ποθεινός . . . λαω σύμπαντι πόθος Β 703 die Mannen des Protesilaos πόθεον . . . άρχόν Tyrt. 9,29 άργαλέω . . . πόθω πασα κέκηδε πόλις ν. 19 (s. o. S. 34) άξιος ημιθέων (Α 131 usw. θεοείκελος ο. ά.) Tyrt. 9,32 αθάνατος Solche (und weitere) Stellen zeigen zur Genüge, daß Tyrtaios Ansätze zu seinen eigenen Gedanken in älteren Kriegsgedichten finden konnte,; desto deutlicher wird aber, wie bedeutungsvoll das Eigene bei Tyrtaios ist. Es sind vor allem vier Motive, die Tyrtaios in aller Prägnanz ausgebildet h a t : 1
Ich setze hier voraus, daß Kallinos älter ist als Tyrtaios und daß dieser ihn benutzt hat. Die andere Möglichkeit wäre, daß Kallinos ein wieder zurückgebildeter Tyrtaios wäre.
5. Das Eigene des Tyrtaios
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1. Der Thymos ist eine geistige Kraft im Menschen, auf die er selbst Einfluß gewinnen kann, die er konzentriert auf ein bestimmtes Ziel lenken kann. 2. Das Ziel, auf das der Krieger diese ganze Kraft richten soll, ist das „Gemeinsame Gute", die Stadt, der Staat, das Vaterland. 3. Für dieses höchste Ziel soll der Krieger den höchsten Altruismus beweisen : es ist schön, für das Vaterland zu sterben. 4. Der Lohn für dieses größte Opfer ist die unsterbliche Ehre, das Heroentum, der Ruhm der Stadt. Es ist evident, wie eng diese vier Thesen zusammengehören, daß sie geradezu ein einheitliches System bilden. Es spricht nichts dagegen, in ihnen die Leistung einer einzigen Persönlichkeit zu sehen, ja dies bestätigt sich, wenn wir noch genauer betrachten, wie Tyrtaios seine neue Konzeption vom Thymos entwickelt, und wie er die vorhandene Sprache ändert, wenn er epische Formeln kombiniert 1 . In seinem Satz (7,17): άλλά μέγαν ποιεΐσθε και άλκιμον έν φρεσί θυμόν, vereinigt er die Vorstellung vom μεγάθυμος mit den Imperativen άλκιμον ήτορ ελεσθε und σύ S' ϊλαον ενθεο θυμόν. Das für Homer ethisch eindeutige ήτορ ersetzt er durch θυμός, das moralisch fragwürdiger war, aber stärker das „Geistige" hervorhebt. Aber da μεγάθυμος ein altes lobendes Beiwort ist, kann er die Mahnung, den θυμός zu zähmen oder ihn sanft zu machen, umkehren zu der Forderung, ihn groß und tätig zu machen. Die so gewonnene neue Bedeutung von θυμός kann ihn dann dazu führen, θυμόν έχει ν zu sagen nicht mehr für „den Thymos zurückhalten", sondern für „Mut haben" 2 , und θυμω μάχεσθαι für „mit Mut kämpfen" und nicht wie Heraklit, der sich an die alten Vorstellungen hält, für „mit dem Thymos", d.h. „gegen die Leidenschaft kämpfen" ; nachdem er so eine Vorstellung von einem angespannten Inneren gewonnen hat, kann etwa „Verbissenheit" aus trotzigem Nichtstun zu intensivem Tätigsein werden. Wenn er hier und sonst auf diesem Bedeutungsfeld seine neuen Vorstellungen und Erkenntnisse aufbaut aus Bausteinen der vor1
Mit Kontamination verschiedener homerischer Formeln rechnet z.B. K. Witte, Glotta 1, 1909, 140ff. (im Anschluß an Wilamowitz) — allerdings nur solchen (140), bei denen „gewisse Bestandteile der neuen Formel jede Bedeutung verlieren, ohne daß das Ganze irgendwelchen Gedankenzuwachs erhält". Mir kommt es gerade auf die Fälle m i t Gedankenzuwachs an. 2 Siehe o. S. 12. 4·
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5. Das Eigene des Tyrtaios
liegenden epischen Sprache, heißt das, daß er sie nicht aus der Alltagssprache, auf der Agora, in den politischen Gesprächen von „Königen, Gerontenund Demoten" (Tyrt. 3,3ff.) gewinnt, sondern als Dichter aus Dichtung. Das gleiche zeigt eine Stelle bei Kallinos, der 1,10 sagt: „jeder soll vorwärts rücken, den Speer erhebend", ύπ' άσπίδος αλκιμον ήτορ ελσας. Das kombiniert Π 264 oí δ' αλκιμον ήτορ εχοντες πρόσσω πας πέτεται (gesagt von den Wespen im Gleichnis) 1 mit Ν 408 (Idomeneus) τη (sc. άσπίδι) υπο πας έάλη, το δ' ύπέρπτατο χάλκεον εγχος (vgl. Υ 278 Αινείας δ' έάλη καΐ άπό έθεν άσπίδ' άνέσχε δείσας). Wer sich unter dem Schild duckt, t u t es in der Ilias aus Vorsicht oder gar Angst; Kallinos sagt, „jeder soll sein wehrhaftes Herz unter dem Schild ducken" und macht, indem er das „moralische" ήτορ einfügt, daraus eine Geste des entschlossenen Willens 2 . Kallinos wendet damit nicht nur die Kombinationstechnik des Tyrtaios an, sondern erreicht auch im Sachlichen Ähnliches: die negative Reaktion wird positive Aktion. Die Prägnanz des Tyrtaios erreicht Kallinos freilich noch nicht. Aber wenn Tyrtaios seine Gedanken aus der Dichtersprache erwirbt, können wir sicher sein, daß er mit voller Absicht, in bewußter Reflexion das Neue proklamiert? Man könnte more Leumanniano sagen: Tyrtaios verstand den letzten Teil des Wortes μεγάθυμος so wie in der Imperativischen Wendung ϊλαον ενθεο θυμόν und nahm das Wort θυμός mehr oder weniger als Synonym für ήτορ. Dann hätte ein fruchtbares Mißverständnis unter der Hand, unbewußt zu dem Neuen geführt. Mir selber wäre nicht recht wohl bei diesem Ausweg, aber striktes Beweisen hört hier auf. Eins allerdings läßt sich noch deutlicher zeigen : der von Tyrtaios gewonnene Bedeutungswandel geht nicht ins Vage und Unverbindliche, sondern ist ein Prozeß konsequenter Abstraktion. Ein eingehenderer Vergleich mit Homer erweist das. Der Thymos kann bei Homer in doppelter Weise Regungen vermitteln, kann etwa nach Speise und Trank verlangen und so den Menschen zum Essen und Trinken bringen. E r ist aber auch Träger von „Regungen", wenn man etwa froh oder traurig in seinem Thymos ist. Thymos entspricht dann etwa dem, was wir 1
Über die Dubletten in dieser Partie s. o. S. 14,0. Yerdenius, Mnemos. IV 17, 1964, 394 sagt mit Recht, daß Kallinos durch diese Kombination eine „spiritualization" erreicht. 2
6. Das Eigene des Tyrtaios
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„Gemüt" nennen (wenn wir absehen, von dem „Gemütvollen", das das Wort für uns enthält), nur daß dies Gemüt nicht in seiner „Befindlichkeit" beharrt, sondern daß ihm ein kräftiges Element des Tätigseins beigemischt ist. Ja, wenn Homer fragt, was im Inneren des Menschen vor allem sein Handeln bestimmt, ist das der Thymos. Nur hat der Mensch seinen Thymos gewissermaßen nicht in eigener Hand (was erst bei Tyrtaios auftaucht) ; der Thymos wird von außen angelockt (etwa durch Speise und Trank) und kann dann ermuntern, treiben, befehlen (άνώγει, έποτρύνει, κελεύει), so daß der Mensch zum Objekt wird; er wird aufgerührt, wenn etwa μένος in die γυΐα gefüllt wird, oder er reagiert heftig auf Worte oder Geschehnisse: er ist nicht ein Organ der Intention, schafft nicht so sehr Aktion wie Reaktion. Darum lautet der moralische Appell an den Thymos : Halte ihn zurück, reagiere nicht zu heftig. Eine positive Intention weckt der Imperativ, — den Kriegern sagt man: μάχεσθε, denn solch einfaches Verbum des körperlichen Tuns impliziert die Intentionalität. Oder Homer benutzt eine Metapher: αλκιμον ήτορ ελεσ&ε „faßt ein wehrhaftes Herz", wie man auch sagen kann (N 294) ελευ οβριμον εγχος „fasse den starken Speer". Da gehört der Imperativ wieder zu einem echten „Tätigkeits"wort, aber um hinauszukommen über die bloß körperliche Aktion tritt ein „metaphorisches" Akkusativobjekt dazu: Das Objekt „Herz" statt „Speer" führt aus dem Bezirk des SachlichGegebenen auf ein „Inneres". Gewiß ist „Herz", ήτορ, eine Sache, aber gemeint ist eine Funktion des Herzens: Es ist Träger des Muts. Solch metaphorischer Gebrauch von Sachbezeichnungen ist eine wichtige Vorstufe für die Bildung von Abstrakta, und gerade die Namen von Organen können oft die Funktionen der Organe bezeichnen. Neben ήτορ ist da für Homer vor allem φρένες zu nennen. Der Thymos ist bei Homer nicht (vielleicht: nicht mehr) ein körperliches Organ wie Herz oder Zwerchfell, obwohl ein Mensch etwa zu seinem eigenen Thymos sprechen kann. Er ist abstrakter, unkörperlicher als ήτορ, aber rein „geistig" ist er auch noch nicht, wenn wir die Maßstäbe zugrunde legen, die uns Heraklit an die Hand gab (s. o. S. 19). Doch das soll uns hier nichts angehen 1 . Wenn Tyrtaios mit seiner Konzeption des Thymos so viel mehr geistige Intentionalität ausdrücken kann als Homer, bleibt ihm 1
Dicht, u. Ges. 35ff.
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5. Das Eigene des Tyrtaios
doch manches, das zu einem voll entwickelten Begriff des Willens gehört, noch unbemerkt. Das Feld des Thymos ist beschränkt auf den Kampf für das Vaterland, das Ziel ist durch die Tradition der Väter festgelegt, das Ingangsetzen des Thymos ist stark von Emotionen bestimmt, ist, um es kraß mit einem modernen Wort zu bezeichnen, weitgehend Stimmungsmache. Von einem „freien" Willen, von einem „vernünftigen" Willen bleibt er weit entfernt. Bezeichnend ist vor allem, daß man diesen Willen in einem anderen wachrufen möchte. Die Vorstellung von solchem Willen entspringt nicht der Selbstbetrachtung, sondern der Paränese. Was dem Mahnenden offenbar selbstverständlicher innerer Besitz ist, darauf soll der andere seinen „Willen" richten 1 . Eine Bestätigung dafür, daß wir dem Tyrtaios zutrauen dürfen, in dieser Weise Neues in die Welt gebracht zu haben, mag sein, daß sich zu gleicher Zeit in einem anderen Bezirk des Geistigen, nämlich in dem des νόος, ähnliche Entwicklungen anbahnen. Der νόος ist eine Art inneres Auge2, das Vorstellungen vermittelt, mit dem man etwas einsehen oder durchschauen kann. Wie aber den „Stimmungen" des Thymos auf natürlich-einfache Weise die zugehörigen Tätigkeiten beigeordnet sind, gesellt man auch den „Vorstellungen" die entsprechenden praktischen Bezüge hinzu, so daß νόος auch die Absicht, den Plan, die freundliche oder feindliche Gesinnung bezeichnen kann. Aber genau wie bei Thymos ist bei νόος dieses „begleitende" praktische Element etwas anderes als das intentionale Streben. Die Anstrengung, die in dem geistigen Vorgang des „Durchschauens" oder „Einsehens" liegen kann, sieht Homer nicht; νοεΐν ist bei ihm noch nicht das „Denken", das eine Wahrheit zu erforschen oder zu begründen sucht, νόος ist nicht der Verstand, der diesem Denken dient. Am einfachsten läßt sich, was hier vorliegt, an der Entwicklung des Wortes γιγνώσκειν aufweisen : γνώναι ist ein primär aoristisches Verb, zu dem erst sekundär ein Präsens durch Reduplikation des Stammes und durch das Suffix -σκω gebildet ist. Bei Verben mit sekundärem Präsens müssen wir, um ihre Bedeutung zu verstehen, Zum Mahngedicht gehört natürlich seit Hesiods Zeiten der überlegene Dichter, der den Beschränkteren anspricht. Hesiod wußte immerhin, daß die Musen ihm einiges verraten hatten. 2 Entd. 3 30ff. 1
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von dem primären Aorist ausgehen 1 . Bei θ-νήσκειν z.B. ist es sehr einfach anzugeben, was der Aorist &ανεΐν bei Homer bedeutet: es ist das punktuell eintretende Sterben. Das Durative, das in dem sekundären Präsens liegt, ist schwieriger festzulegen; es kann sein „im Begriff sein, zu sterben", „im Sterben liegen" oder bei pluralischem Subjekt „nacheinander dahinsterben". Ebenso ist der Aorist γνώναι leicht verständlich. A 199 heißt es von Achill: αύτίκα δ' εγνω Παλλάδ' Ά-9-ηναίην2. Dagegen meint das Präsens „ich bin in dem Zustand des Erkennens", d. h. „ich kann erkennen", so etwa mit Negation (Θ 140) ή ού γιγνώσκεις, 6 τοι έκ Διός ούχ επετ' άλκή; „kannst du nicht erkennen. . .?" oder mit der Einschränkung (N 222) δσσον εγωγε γιγνώσκω „soweit ich erkennen kann", oder aber im einfachen Präsens (E 815) γιγνώσκω σε, θεά . . . „ich kann dich erkennen", oder es ist iterativ: „er erkannte eine nach der anderen", γίγνωσκε δ' άρα φρεσί πάσας (χ 501). Uns geht vor allem eins an, daß bei Homer das Verbum für „erkennen" noch nicht die Bemühung um das Erkennen enthält. Der punktuelle Aorist γνώναι bezeichnet eigentlich keine „Tätigkeit". Wenn Achill die Göttin Athena „erkennt", ist das eher etwas, das ihm zustößt. Wir vollziehen das leicht nach: wenn man jemanden auf der Straße „erkennt", pflegt das zu passieren ohne ein Bemühen um Erkenntnis. Selbst γιγνώσκω = „ich kann erkennen" impliziert noch keine Anstrengung, ist mehr ein innerer Zustand. Freilich weisen einige Stellen bei Homer schon darüber hinaus. Im 6. Buch der Ilias erzählt Glaukos dem Diomedes von Bellerophon : Der König von Lykien sandte ihn auf Abenteuer, bei denen er umkommen sollte. Bellerophon aber bestand sie viermal. Endlich „erkannte" da der Lykier-König den Göttersohn (Z191): άλλ' δτε δή γίγνωσκε θεοΰ γόνον ήύν έόντα — da behielt er ihn bei sich und gab ihm seine Tochter zur Frau. „Es dämmerte ihm", „es ging ihm auf", „er merkte schließlich". So heißt es Π 362 von 1 Siehe Gerda Knebel, Untersuchungen zu den derivierten Präsentien bei Homer, Diss. Hamburg 1949 (ungedr.). 2 Bei der Behandlung des Verbums γιγνώσκω in meiner Dissertation (Ausdr. f. d. Begr. d. Wissens) habe ich zwei Dinge noch nicht berücksichtigt: daß m a n bei der Bedeutungsanalyse v o m Aorist auagehen muß, und daß der Gebrauch wie „ich erkenne etwas als einen Tisch" sekundär ist gegenüber einem Fall wie: „er erkannte jemanden (wieder)". Die Stellen, an denen der Präsens-Stamm vorkommt, interpretiert ausführlich G. Knebel a.a.O. 111—128.
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ß. Das Eigene des Tyrtaios
Aias, der „immer wieder" (v. 358) versucht hatte, Hektor mit der Lanze zu treffen: ή μεν δή γίγνωσκε μάχης έτεραλκέα νίκην, oder 0 241 von Hektor, der aus der Ohnmacht aufwacht: άμφί έ γιγνώσκων έτάρους „er erkannte sie allmählich", wobei also das Iterative hineinspielt : der Vorgang des Erkennens gewinnt Dauer, ist aber noch keine vom Ich gesteuerte Tätigkeit. Die Stelle, die bei Homer am ehesten etwas vom Bemühen um Erkenntnis spüren läßt, benutzt charakteristischerweise das Kompositum διαγιγνώσκειν (natürlich den Präsensstamm und nicht den Aorist — und nicht von ungefähr handelt es sich um eine Aufforderung). Nach der Verbrennung des Patroklos sagt Achill (Ψ239ί.): οστέα Πατρόκλοιο . . . λέγωμεν εδ διαγιγνώσκοντες, άριφραδέα δέ τέτυκται „wir wollen seine Knochen gut auseinanderkennen", denn sie sind leicht zu unterscheiden von denen der Menschen und Tiere, die mit ihm verbrannt sind. Zu ebenderselben Zeit, da Tyrtaios mit der Mahnung, den Thymos größer zu machen, den Mut der Krieger als eine geistige Kraft faßt, die der Mensch handhaben kann, taucht zum ersten Mal der Gedanke auf, daß auch das Erkennen eine eigene Tätigkeit des Menschen ist und zwar, wie bei Tyrtaios, in einem Imperativ. Archilochos (fr. 67 D) sagt: „Weder triumphiere im Sieg, noch jammere bei der Niederlage, sondern freu dich beim Erfreulichen und sei traurig beim Schlimmen nicht allzusehr. Erkenne, welcher Rhythmus 1 die Menschen hält." Diese Aufforderung, hinter den Erscheinungen ein nicht sofort Offenbares zu erkennen, fordert eine ganz andere geistige Anstrengung als das Unterscheiden von Gegenständen wie bei den Knochen auf dem Scheiterhaufen. Das Ziel ist entrückt. Solche Vorstellungen vom Erkennen, die Pindar weiterführt zu dem Gedanken, daß man die Weisheit „aufspüren" (έρευναν) muß 2, setzte die griechische Wissenschaft und Philosophie in Gang. Archilochos sagt nicht, wie er selbst zu seiner Erkenntnis gekommen ist, vermutlich ist sie ihm punktuell aufgegangen (έγνω). Aber in der Aufforderung gebraucht er den Imperativ des Präsens, weil die anderen nur durch eigene Anstrengung dahin gelangen können und das sich mühende Erkennen durativ ist. Wahrscheinlich 1
Was immer das ist. Dicht, u. Ges. 134. — Wichtig in diesem Zusammenhang ist Solon fr. 16: γνωμοσύνης άφανές χαλεπώτατόν έστι νοήσαι μέτρον 6 δή πάντων πείρατα μοΰνον έ'χει. 2
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hat Archilochos schon den Spruch des Delphischen Apoll gekannt : γνώθι σεαυτόν1. Dieser Imperativ impliziert noch nicht ein angestrengtes, dauerndes Erkennen, sondern bedeutet, wie man heute auch allgemein annimmt: „Erkenne, daß du ein Mensch bist", heißt also soviel wie: „Mach die Augen auf, dann siehst du den Unterschied zwischen dir und den Göttern." Wenn Sokrates in diesem „Erkenne dich selbst" die Aufforderung sieht, er solle sich um philosophische Selbsterkenntnis mühen, so ist das eine späte Umdeutung2. Der präsentische Imperativ γίγνωσκε bei Archilochos und die etwa gleichzeitige Mahnung des Tyrtaios μέγαν ποιεΐσθε θυμόν haben also als Gemeinsames den neuen Appell an geistige Aktivität. An Archilochos' Imperativ γίγνωσκε ist noch weiteres bemerkenswert: er richtet sich nicht an einen Menschen, sondern an den Thymos. Zwar ordnet Homer das Erkennen mehr dem νόος (oder der φρένες) zu, aber er kann auch sagen, daß man etwas in seinem Thymos weiß, — das ist dann eine Art instinktiven Wissens3, ist eine Emotion. Archilochos meint, daß das Erkennen die Emotionen beschwichtigen soll. Er redet den Thymos natürlich deswegen an, weil er ά μη χάνο ι σι κήδεσιν κυκώμενος ist, also erregt und aufgewühlt; wenn er dann auch „erkennen" soll, deutet sich eine Einheit des 1
Dies γνώθι σεαυτόν ist ein. Lieblingsbeispiel der Grammatiker f ü r den „gnomischen" Aorist. Dies E t i k e t t überklebt das Problem eher, als daß es etwas erklärt. Die Beispiele, die etwa Schwyzer, Gr. Gr. I I 284—286 gibt (dort auch reiche Literaturangaben), sind d a r a u f h i n zu untersuchen, wieweit die Verben in angemessener Weise „punktuell" gebraucht sind, — d a n n verlieren viele ihr Befremdliches, zumal wenn m a n berücksichtigt, daß das Punktuelle nicht als Gegenwart zu fassen ist, sondern nur als Vergangenheit oder als Zukunft. 2 Bei Archilochos ist auch der I m p e r a t i v γνώθι belegt in einem arg zerstörten Zusammenhang auf der von Kondoleon veröffentlichten parischen Inschrift, Arch. Ephim. 1952 E 2 1 = 8 1 L - B = 99 Tard. v. 17: γνώθι νϋν εί τοι[ (oder εϊ τοιΐ) — ρήμαθ1 δς μέλλε[. Man könnte daran denken, daß Archilochos hier seinen F r e u n d Erxies (der in v. 28 genannt wird) auffordert, zu erkennen, daß die Worte, die jemand gesagt h a t , ehrlich oder falsch gemeint seien, — jedenfalls ist das ein Motiv, das in der alten Lyrik seine Rolle spielt. Aber auch das braucht nicht mehr zu meinen als: sperr deine Augen auf. — Der Imperativ γνώτε steht einmal bei H o m e r (T 84) : σύνθεσθ', Άργέιοι, μϋθον τ' έύ γνώτε έκαστος, „versteht (und folgt) und erkennt wohl den Mythos, d. h. den Sinn, der in meiner Rede liegt" (vgl. Ausdr. f. d. Begr. d. Wissens 27, 3). 3 E n t d . 3 31.
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5. Das Eigene des Tyrtaios
Seelischen an, die es vorher noch nicht gab. Wir, die wir sie ohne weiteres voraussetzen, merken nicht gleich, daß da Neues auftaucht Daß es der Thymos ist, den Archilochos zu einer geistigen Leistung aufruft, macht die Nähe zu Tyrtaios vollends deutlich, obwohl Tyrtaios den Thymos nicht mit dem Erkennen verknüpft. Innerhalb des dritten Bezirkes der inneren „Organe" Homers, der Psyche, läßt sich nicht an frühen Zeugnissen zeigen, wie es dazu gekommen ist, daß etwa Piaton im Höhlengleichnis des „Staates" (7,518 Cff.) von einer Dynamis der Psyche spricht, die durch Gewöhnung und Übung entwickelt werde. Wir müßten mehr über die Spekulationen religiöser Zirkel (etwa der Orphiker?) wissen, um Exaktes über diesen Prozeß auszusagen. Bei Homer hat die Psyche jedenfalls nichts mit dem zu tun, was wir „Innenleben" nennen. Das spielt sich vielmehr im Thymos ab, in dessen Regungen und Reaktionen. Für eine neue Vorstellung von der Psyche hat Tyrtaios, wiewohl das nichts sonderlich Positives zu sein scheint und er sich auch nicht eigens darum bemüht hat, doch etwas Folgenreiches getan. Er ist der erste, der gemeint hat: „Das Leben ist der Güter höchstes nicht." Aber wenn Tyrtaios — man verzeih den absurden Gedanken -— den Schlußchor der „Braut von Messina" gedichtet hätte, so würde das letzte Wort des Dramas anders lauten, nicht: „Der Übel größtes aber ist die Schuld", sondern: „. . . ist die Schande" 2 . 1 Ähnlich sagt Medea bei Neophron 15 F 2 zu ihrem θυμός: βούλευσαι καλώς, was vielleicht nicht belanglos dafür ist, daß Medea bei Euripides von einem „Konflikt" zwischen ihrem θυμός und ihren βουλεύματα spricht. Darauf hoffe ich bei anderer Gelegenheit ausführlicher einzugehen. 2 Darüber, daß Tyrtaios noch in der 'shame-culture' steht und der 'guiltculture' fern ist, s. o. S. 23ff.
Schlußwort Homer kennt keine echte Aktivität des menschlichen Geistes, d.h., er sieht für das Denken, Fühlen und Wollen nicht den spontanen Ursprung im Inneren des Menschen. Dann ist es sehr natürlich, daß er, wenn ihm eine Reaktion nicht unmittelbar verständlich ist, er aber fragt, wieso sie zustande kam, die Antwort gibt: das muß eine Gottheit bewirkt haben. Tyrtaios hat (gewiß, auf einem beschränkten Gebiet und für eine sehr besondere Situation) versucht, bestimmte seelische Kräfte für ein menschliches Verhalten verantwortlich zu machen, das man früher gern auf göttlichen Eingriff zurückführte. Ähnliches erreichte Archilochos auf einem anderen Feld. Diese bedeutsamen Schritte von einer mythologischen zu einer psychologischen Interpretation waren erleichtert dadurch, daß sowohl die mythischen wie die psychologischen schon bei Homer große Klarheit gewonnen hatten. Ares etwa schafft Kampfgeist, Aphrodite Liebe, Athena Besonnenheit: diese Götter sind festumrissene, sehr „natürliche" Wesen. Diffuse, allgemeine Vorstellungen von Zaubermacht, Orenda, Mana leben nur in schwachen Spuren nach, die aber zeigen, daß wir dergleichen für die ältere Heldendichtung voraussetzen dürfen (ιερή ϊς usw.). Andererseits sind auch die Vorstellungen von den menschlichen Organen und deren Fähigkeiten wohl geordnet : die μέλη mit ihrem σθένος, die γυϊα mit μένος, der νους mit seiner Einsicht, der Thymos mit seinen Reaktionen, die Psyche als Sitz des Lebens. All das macht es verständlich, daß die Griechen es sehr schnell dazu brachten, ihre Welt noch klarer und noch einsichtsvoller zu machen. Die Freude daran, dies mit Erfolg tun zu können, steigerte das Selbstbewußtsein, gab den Mut, dem menschlichen Geist immer mehr zuzutrauen. Freilich ging dies notwendig damit zusammen, daß man die schöne und große Welt der olympischen Götter zerstörte, daß viel an Ehrfurcht und Bescheidenheit, an Tief- und Edelsinn verlorenging. Tatsächlich haben auch nur sehr wenige Griechen diesen Weg so weit geführt, daß sie glaubten, ganz ohne religiöse und mythische Interpretation auskommen zu können.
Indices 1. Eigennamen Adrast 35 Akbar K h a n , H . 38,2 Alkaios 39 Beck, G. 10,2 Détienne, M. 23,4 Diehl, E . 9 Düntzer, H . 37 ff. 42 Edwards, M. W . 37,1 Ehrenberg, V. 21,2 Ellendt, J . E . 37,1 Frankel, H . 14,0. 18,1. 27f. 37,1. 42,1. 48,3 Goethe 39 Gray, D. H . F . 37 Hainsworth, J . B. 10,2 Himmelmann-Wildschütz, Ν. 46,3 Humboldt, W . v. 7 Jaeger, W . 8. 17,1. 21,1. 25,1 u. 4. 27. 47,1 K a p p , E . 40 Kinyras 35,1 Knebel, G. 55,1 u. 2 Knox, M . W . 28,1 K r a f f t , F . 43,1 Latacz, J . 19,3. 37 f. 44
Leumann, M. 40 Marg, W . 9. 19,2. 27f. Marzullo, B. 30,2 u. 3 Matz, F . 46,3 Murki, M. 37,1 Otto, W . F . 8,1 Page, D. L. 38. 39,1 Parry, M. 37 Pfeiffer, R . 12 Pfister, F. 42,1 Prato, C. 9. 11,2. 12,4. 24,1. 33. 3 4 , l u . 2. 47,1. 48,4 Schadewaldt, W . 46,3 Schiller 58 Schmid, Ulr. 29,2 Solon 25. 34 Stark, R . 46,2 Steinthal 42,1 Treu, M. 9. 11,1 Verdenius, W . J . 24,2. 52,2 Weber, O. v. 9 Wilamowitz, U. v. 13,3 Witte, K . 37,1. 51,1 Xenophanes 25. 34
2. Stellen Alkaios 61,11 L — P : 11,1 387: 28,4 Alkman 1: 30 49,7: 21,2 Archil. 60: 31 67: 56 72: 47 f. 99,17 T a r d . : 57,2 Arist. fr. 544: 12,14 Herakl. fr. 115: 19,2 Hes. op. 289ff.: 16 fr. 203 M — W : 29,3
Homer A
3: 12 122: 12 124: 21,2 199: 55 611: 38 Β 196: 10 213ff.: 27 381: 21,2 703: 24 761: 28,5. 29 Γ 50: 23 291: 17 309: 17
Indices
Δ
E
Ζ Θ
I
Λ
Μ
Ν
0
Π
330fí .: 47 454: 12,5 309: 13 373: 22 447: 21,2 524: 12 120: 13,2 122u. 125: 43 202: 13,1 234: 24 3 6 4 u . 375: 38 529: 10. 53 670: 13. 14 718: 18,1 815: 55 112: 18 191: 55 8: 16,2 57: 22 140: 55 337: 45 237: 45 255: 9. 12 312: 12,5 322: 14 378: 31 462: 10 496: 9 629ÍF. : 9. 11,1 313: 18 334: 14 548: 15 42: 45 243: 22 301: 16 422: 21,2 121: 10,4 131: 47 222: 55 294: 53 408: 52 435: 43 512: 43 726: 29 193: 21,2 241: 56 494: 22 509: 21,2 527: 18,1 561: 10 110: 44 209: 10. 12
210ff. : 13,4 260—262: 14, 264: 52 266: 13,4 312: 46 355: 12,3 362: 55 448: 22 453: 12,5 656: 12,3 Ρ 21: 15 22: 10,3. 45 111: 10 135: 45 144: 22 212: 18. 45 385: 15 451: 43 Σ 265: 22 309: 21,2 Τ 30: 16 Υ 36: 45 278: 52 Φ 430: 14,3 Χ 58: 12,5 381: 16 Ψ 15: 24,1 168: 10,2 239f. : 56 688: 44 753: 16 Ü 4 f f : 24 236: 13,1 α 381: 19 β 237: 14,1 γ 74: 14 449: 43 ε 222: 13. 15 •9- 136: 45 298: 44 ι 523: 12,5 κ 460: 10,1 λ 401 ff.: 23,2 599: 44 ν 431: 44 ξ 222 ff. : 31 428: 44 σ 67ff.: 44 77: 44 242: 43 φ 153: 14,2 180: 16
62
Indices
χ 501: 55 ω 93: 33 368£f.: 44 Kallinos 1,1—19: 51 1: 11 5: 24,2 6: 22 7: 22 8: 23,1 10: 52 12: 23,1 16: 24 18: 23,3. 24 19: 34,1 Neophron 15 F 2: 58 Pind. P . 1. 55. N. 7,73: 46 Plat. Phaedr. 269A: 35,2 R e p . 7, 518C: 58 Quint. Smyrn. 1,409: 10,5 Sappho 1, 10: 38 27A: 31 9 6 , 5 : 38 Schol. Hes. op. 198a: 46,2 H o m . Π 388: 32,1 Pind. N. 7, 106b: 46,2 Scoi. A t t . 7: 31,2 Solon 1: 34 8 , 5 : 19,2 16: 56,2 Theogn. 255: 31,2 699 ff.: 29,4 Timokreon PMG 727: 29
Tyrtaios 2: 25 3a, 9: 25,5 4 , 2 : 12 5: 15 6, 1: 22 2: 22 13: 15. 23. 24,2 14: 13 17: 9. 12 24ff. : 12 7, 19: 46 21 ff.: 48,2 27: 46 32: 19 8, 5: 13 7 u. 11: 18 21 ff.: 44,4 22: 19 27: 18 31 ff.: 47 9, I f f . : 27ff. 32ff. 9: 18 15: 21. 23 17: 18,2 18: 13 24: 25 28: 24 34: 23 43 f. : 16 10: 12. 15 11: 16
Xenophanes 2: 32
3. Griechische Wörter άλέγω 30. 32,1 άλκή 18. 30,4. 45 άνήρ 10,4. 33 βίη 34. 45 βραχίων 45 γιγνώσκω 54ff. γνώθι σαυτόν 57 γνώμη 49 γυϊα 43 ff. γυϊον 46 διαγιγνώσκω 56 δίδωμι (perf.?) 25,3 είδώς — ούκ είδώς 49 έκών — άκων 49 έπίξυνος 21,3
έρευνάω 56 ήτορ lOff. 53 θεοτίμητος 26 θνί/σκω (praes.) 24. 55 θυμός passim ΐς 42. 44,3. 45 κΐκυς 44,3 κτήματα 23,2 μακαρισμός 23. 32ff. μεγάθυμος 10. 42,1 μιμνήσκω 18 νόος 54 ξυνός 21 όδάξ 19. 38 ορέγομαι 17,3
Indices ορμάω 43 παρατίθεμαι 14 πάτρα, πατρίς 22f. πειράομαι 16 πους 45 ποθέω, πόθος 24 πράττω 11,1 προαίρεσις 49 ρέθεα 46 σθένος 42 ff. σώμα 43
ταλαπένθης 13 ταλασίφρων 15 τέλος (τέρμα) θανάτου 17 τεύχω 11,1 τλήμων 13ff. φιλοκτέανος 12 φιλοψυχέω 12 χειρ 45 χρως 46 ψόγος 23 ψυχή 12 ff.
BRUNO SNELL / GESAMMELTE SCHRIFTEN
1966. 230 Seiten, Leinen 34,—DM Aus dem Inhalt: Das Bewußtsein von eigenen Entscheidungen im frühen Griechentum · Zwei Beiträge zu Homer · Beiträge zu frühgriechischer Lyrik (u. a. Alkman, Sappho, Alkaios, Pindar, Kallimachos) · Zu frühgriechischer Philosophie (Thaies, Heraklit, Parmenides) · Zur griechischen Tragödie (über Aischylos und Euripides) Beiträge zu Horaz, Vergil, Seneca, Apuleius · Philologie von heute und morgen · Die Arbeiten Hermann Fränkels · Rezensionen über Zucker (Syneidesis-conscientia) · Jaeger (Paideia) · Schuursma (zu Aischylos) — Nachrufe. die kleinen Schriften eines großen Graezisten . . ." Frankfurter Allgemeine Zeitung
BRUNO SNELL / GRIECHISCHE METRIK Studienhefte zur Altertumswissenschaft 1 · 3., erweiterte Auflage 1962. 65 Seiten, broscb. 5,20 DM In der neuen Auflage waren ein besonders wichtiges neues Alkman-Stück aus Band 24 der Oxyrhynchos-Papyri (2387) und eine Reihe neuer Untersuchungen zu berücksichtigen. Vor allem wurde versucht, die in der Zeit zwischen der zweiten und dritten Auflage aufgeworfenen Fragen zu klären. "This important book will help to consolidate the study among scholars." Gnomon
BRUNO SNELL / DIE ALTEN GRIECHEN UND WIR
Kleine Vandenhoeck-Reihe 138. 1962. 77 Seiten, engl, brosch. 2,80 DM Inhalt: Regel und Freiheit in der Sprache / Bemerkungen zu Theorien des Stils / Politischer Humanismus / Allgemeine Bildung und Naturwissenschaft / Entwicklung einer wissenschaftlichen Sprache in Griechenland / Fortschritt, Verfall, Tradition. "The book is not only opportune, but in the highest degree original." J. A. Davison / The Classical Review
BRUNO SNELL / NEUN TAGE LATEIN
Plaudereien. Kleine Vandenhoeck-Reihe 10. 5. Aufl., 1962. 70S.,engl. br. 2,80DM „Für den Leser bedeutet die Lektüre einen beglückenden Genuß. Catull, Vergil, Ovid und Cicero klingen auf in feinsinnigen Interpretationen, die hinter dem Plauderton die jahrzehntelange Vertrautheit mit dem entscheidenden Wesen römischer Literatur erkennen lassen." Gymnasium
LEXIKON DES FRÜHGRIECHISCHEN EPOS In Zusammenarbeit mit dem Thesaurus Linguae Graecae herausgegeben von Bruno Snell und Hartmut Erbse. Etwa 25 Lieferungen zu je 96 Seiten bzw. 192 Spalten. Fünf Lieferungen liegen vor.—Lieferung 1—4je30,—DM; Lieferung5 ( 1967) 40,— DM · Lieferung 6 wird vorbereitet. (Änderungen des Subskriptionspreises entsprechend den Kosten im graphischen Gewerbe vorbehalten) „Den Gegenstand des Lexikons bildet der Wortschatz der Ilias, der Odyssee und der Fragmente des alten Epos ; der sog. homerischen Hymnen, einschließlich der jüngeren; der epischen Fragmente aus den Vitae Homeri und dem Certamen; sowie Hesiods. Die Informationen über den Befund sind ungewöhnlich vielseitig und höchst nützlich. Auch wissenschafdiche Literatur wird in Auswahl zitiert. — Die Anlage der Artikel ist sorgsam durchdacht, und es ist viel dafür getan, dem Benutzer unnötige Mühe zu ersparen . . ." H. Frankel / Gnomon V A N D E N H O E C K & R U P R E C H T IN G Ö T T I N G E N U N D Z Ü R I C H