Transzendentale Dialektik. Teil 4 Die Methodenlehre: Mit einem Nachwort und Register für alle vier Teile 9783110826951, 9783110033625


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German Pages 203 [212] Year 1971

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INHALT
Transzendentale Methodenlehre
Erstes Hauptstück: Die Disziplin der reinen Vernunft
Zweites Hauptstück: Der Kanon der reinen Vernunft
Drittes Hauptstück: Die Architektonik der reinen Vernunft
Viertes Hauptstück: Die Geschichte der reinen Vernunft
Nachwort
Namenregister
Sachregister
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Transzendentale Dialektik. Teil 4 Die Methodenlehre: Mit einem Nachwort und Register für alle vier Teile
 9783110826951, 9783110033625

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Heinz Heimsoeth • Transzendentale Dialektik

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G

Heinz Heimsoeth

Transzendentale Dialektik Ein Kommentar zu Kants Kritik der reinen Vernunft

Vierter Teil: Die Methodenlehre Mit einem Nachwort und Register für alle vier Teile

Walter de Gruyter · Berlin · New York 1971

ISBN 3 11 003362 0

© 1971 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J. Göschen'sehe Verlagshandlung — J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung — Georg Reimer — Karl J. Trübner — Veit & Comp., Berlin 30, Genthiner Str. 13 (Printed in Germany) Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. O h n e ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechani· schem Wege (Photokopie, Mikrokopie, Xerokopie) zu vervielfältigen. Satz und Druck: Paul Funk, Berlin 30

INHALT Transzendentale Methodenlehre

645

Erstes Hauptstück: Die Disziplin der reinen Vernunft

650

Erster Abschnitt: Die Disziplin der reinen Vernunft im dogmatischen Gebrauche

655

Zweiter Abschnitt: Die Disziplin der reinen Vernunft in Ansehung ihres polemischen Gebrauchs

688

Dritter Abschnitt: Die Disziplin der reinen Vernunft in Ansehung der Hypothesen

718

Vierter Abschnitt: Die Disziplin der reinen Vernunft in Ansehung ihrer Beweise

730

Zweites Hauptstück: Der Kanon der reinen Vernunft

743

Erster Abschnitt: Von dem letzten Zwecke des reinen Gebrauchs unserer Vernunft

746

Zweiter Abschnitt: Von dem Ideal des höchsten Guts als einem Bestimmungsgrunde des letzten Zwecks der reinen Vernunft

756

Dritter Abschnitt: Vom Meinen, Wissen und Glauben

776

Drittes Hauptstück: Die Architektonik der reinen Vernunft —

789

Viertes Hauptstück: Die Geschichte der reinen Vernunft

821

Nachwort

829

Namenregister

831

Sachregister

833

Transzendentale Methodenlehre Unter dem Titel: „Einteilung der Transzendentalphilosophie" — dieser von Kant in der „Idee" als neuer Weg entdeckten und für alle künftige Philosophie beanspruchten Wissenschaft — führt die erste Einleitung der Kritik zunächst eine Zweiteilung des Ganzen ein: in „Elementar-Lehre" und „Methoden-Lehre" (IV24 f. A 1 4 f.; 46 Β 29). Beide Titel folgen einander auch in Kants Einteilung der (formalen oder „allgemeinen") Logik: nach einer Einleitung, die von Logik und Philosophie überhaupt handelt, ist die Lehre von den Begriffen, Urteilen und Schlüssen unter den Titel: „Allgemeine Elementarlehre" gestellt, und dem folgt abschließend eine (nur ganz kurz gefaßte) „Allgemeine Methodenlehre": mit dem Auftrag, der „Beförderung der Vollkommenheit des Erkenntnisses" im Rahmen des Formalen in der Denkarbeit zu dienen1. Kants neue Wissenschaft könnte man auch als „transzendentale Logik" bezeichnen — in einem Sinne, der dann mit den „Elementen" des Verstandes auch die der Sinnlichkeit umgreift (für die ersteren gilt die auch schon in der Allgemeinen Logik vorgezeichnete Zweiteilung in Analytik und Dialektik). Das könnte die Analogie noch unterstreichen — freilich würde damit eine Kernlehre und -entdeckung Kants fälschlich überspielt: die von der fundamentalen Heterogeneität der „Sinnlichkeit" in ihren „Elementen" a priori (Raum und Zeit) gegenüber allen Elementarbegriffen des Verstandes und der „Vernunft" i. e. S. — Für die Vernunftkritik, welche als eine Art „Propädeutik zum System" der reinen Vernunft (dies wiederum analog zur PropädeutikFunktion der Logik für die Wissenschaften) sich vorstellt (43 Β 25), heißt das nun also: „Bestimmung der formalen Bedingungen eines vollständigen Systems der Vernunft" 2 . — Kant hat dann auch die 1

I X 140—150. Vgl. X X I V 7 9 4 / 5 : „Die Logik wird, w i e alle Wissenschaften, die a priori ihre Begriffe haben, geteilt in die logische Elementar- und Methodenlehre." D i e Elementarlehre, Analytik und Dialektik, ist Propädeutik. „Die Methodenlehre ist die Logik v o n der Form eines Systems der Erkenntnisse."

2

465 Β 735/6. „Formale" Bedingungen darf man hier nicht im Sinne unseres Sprachgebrauchs v o n formaler Logik verstehen; es geht um Formbedingungen

1 Heimsoeth, Transzendentale Methodenlehre

646

(S. 46S Β

735)

gleiche Zweiteilung sowohl für die Kritik der praktischen Vernunft wie für den zweiten, natur- und weltphilosophischen Teil der Kritik der Urteilskraft in Anspruch genommen3. In allen diesen Fällen kann das Vorausweisen auf den Aufbau des Systems der Wissenschaft erst dann erfolgen, wenn kritische Analytik und Dialektik alle „Elemente", in ihrer wahren und fruchtbringenden Zuordnung wie in ihren Schein und Irrtümer mit sich führenden Fehlverbindungen, aufgewiesen haben. So hier also für diese neue Wissenschaft: Transzendentalphilosophie. Zur Erläuterung des Titels muß auch noch die Tatsache erwähnt werden, daß Kant das ganze Werk in der konspektiven Vorrede zur zweiten Auflage als „Traktat von der Methode" bezeichnet hat — mit der Fortsetzung: „nicht ein System der Wissenschaft selbst", wobei jedoch deren Umriß, Gliederbau und Grenzverhältnisse schon hier verzeichnet seien (15 B X X I I / I I I ) . So kann es denn audi vorkommen, daß mitten im Text der Elementarlehre die analytische Erforschung als eines Prinzipiengefüges der Transzendentalphilosophie. In der Wiener Logik heißt es anschließend an die in unserer 1. Anmerkung zitierten Sätze: Man kann außer der allgemeinen auch „eine besondere Methodenlehre zu ein oder der anderen Wissenschaft entwerfen. Und dieses ist dann die technische Logik oder das Organon. Dieses Organon kann nur am Ende einer Wissenschaft vorkommen, weil idi dann erst die Natur der Wissenschaft kenne". X X I V 795; vgl. auch 682, 779. — In der Einleitung zur transzendentalen Logik heißt es von der Logik überhaupt, sie sei, obgleich immer als Propädeutik vorangeschickt, „nach dem Gange der menschlichen Vernunft das Späteste . . . , wozu sie allererst gelangt, wenn die Wissenschaft schon lange fertig ist, und nur die letzte Hand zu ihrer Berichtigung und Vollkommenheit bedarf. Denn man muß die Gegenstände schon in ziemlich hohem Grade kennen, wenn man die Regeln angeben will, wie sich eine Wissenschaft von ihnen zu Stande bringen lasse." 75/6 Β 76/7. Vgl. auch X X I V 610 mit dem Hinweis auf Bacons Novum Organon scientiarum: „Ein Organon findet auch nur dann statt, wenn eine Wissenschaft bereits erfunden und zu einer gewissen Höhe gebracht worden; so daß sie sich nun vervollkommne." ' „Methodenlehre der reinen praktischen Vernunft" V 149—163; „Methodenlehre der teleologischen Urteilskraft" V 416—485. Auch hier geht es um Vorweisung auf Bedingungen eines vollständigen Systems der Vernunft, über Transzendentalphilosophie im engeren Sinne hinaus. — Im Opus postumum heißt es: „Das Fortschreiten in einer Erkenntnis als Wissenschaft überhaupt . . . fängt davon an, die Elemente derselben aufzufinden und dann die Art, wie sie zusammengeordnet werden sollen (systematisch) zu verknüpfen, da dann die Einteilung dieses Geschäfts in Elementarlehre und Methodenlehre die oberste Einteilung ausmacht, wovon jene die Begriffe, diese die Anordnung derselben, um ein Ganzes der Wissenschaft zu begründen, vorstellig macht." X X I 386.

(S. 465 Β 735)

64 7

eine dem System der reinen Vernunft vorhergehende „Methodenlehre, die ich bearbeite" benannt wird (94/5 Β 108/9). Die Kritik, als kritische Durchleuchtung bisheriger Metaphysik aus reiner Vernunft im „Dogmatismus" ihres überlieferten Erkenntnisanspruchs, stellt sich ja vor als ein der Kopernikanisdien Umbildung in der Astronomie vergleichbarer „Versuch, das bisherige Verfahren (!) der Metaphysik umzuändern" und damit eben „eine gänzliche Revolution mit derselben" vorzunehmen. — Der Text beginnt mit kurzem Rückblick auf den I. Teil des Werkes, wo es um alle „Elemente" unserer Erkenntnis, um die „Erkenntnisquellen" a priori in Anschauung, Begriffen und Ideen ging4. Daß die menschliche Vernunft in ihrem „reinen und spekulativen" Vermögen (ganz abgesehen noch von allem, was den „praktischen" Vernunftgebraudi angeht) ein Sinngefüge ist, so daß die transzendentale Reflexion des Philosophen auf sie hin zu einem „System" (in irgendwelchen Graden der Vollständigkeit) führen muß, — das ist immer eine Grundvoraussetzung Kants. Um darauf hinzuweisen, bedient der Denker sich oft der Metapher eines Organismus, den er dann etwa einen „wahren Gliederbau" nennt, „worin alles Organ ist, nämlich alles um eines willen und ein jedes Einzelne um aller willen" — so, daß auch „jede noch so kleine Gebrechlichkeit, sie sei ein Fehler (Irrtum) oder Mangel, sich im Gebrauche unausbleiblich verraten muß". Das geht zusammen mit der anderen Metapher, der vom „Bau": „die menschliche Vernunft ist ihrer Natur nach architektonisch", ein Systema, das demgemäß dann auch alle Erkenntnisse „als zugehörig zu einem System" ansieht5. Von diesem Gebäude haben wir, sagt Kant 4

B

1*

Vgl. etwa 450/11 Β 530. Der Terminus: Elemente ist bei Kant ebensosehr von dem die Tradition einer Metaphysik aus reiner Vernuft immer sdion bestimmenden Vorbild des Wissensdiaftsgefüges von Euklid bestimmt, wie auch von neueren Wissenschaften her, insbesondere durch die Chemie. Vgl. V 163: Die „moralischurteilende Vernunft" bzw. die „moralischen Anlagen unserer Natur" gilt es, „in ihre Elementarbegriffe zu zergliedern, in Ermangelung der Mathematik aber ein der Chemie ähnliches Verfahren der Sd>eidun% des Empirischen vom Rationalen . . . vorzunehmen". Für die Erste Kritik ist zugleich mit der hier genannten „Scheidung", die bereits in den zwei ersten Absätzen des Werks mit der Erfahrungsanalyse (zwecks „Absonderung" des Nichtempirischen darin 27 Β 1/2) beginnt, grundlegend die in „Sinnlichkeit" und „Verstand", als zwei eigenständigen und in ihren Leistungen heterogenen „Stämmen" menschlicher Erkenntnis. 46 Β 29/30. Vorrede B: 22/3 Β X X X V I I / V I I I ; 15 Β X X I I I ; 329 Β 502. Eine durchgeführte Transzendentalphilosophie, wie Kant sie plant, und auch schon deren Umriß in

648

(S. 46S Β 735)

(entsprechend dem VII. Abschnitt der Einleitung zu unserem -Werke) jedenfalls „die Idee in uns"6. Die Methodenlehre gehört zum „kritischen Geschäft"; daher dient die Bau-Metapher in ihrem Eingang vor allem der Absetzung gegen den Dogmatismus überlieferter Metaphysik, deren immer wieder scheiterndes Plänemachen und Herumtappen die Vorrede Β so drastisch schildert, — mit Kontrastierung zu dem „sicheren Gang" der Logik, der Mathematik und der neuzeitlichen Wissenschaften von der Natur ( 1 1 B X I V / X V ) . Dem gescheiterten Unternehmen des babylonischen Turmbaus, für dessen Errichtung weder das „Bauzeug", der „Vorrat der Materialien", zureichen konnte, noch planvolle Zusammenarbeit und wirkliche Einhelligkeit der Sprachregelung zustande kam, wird jetzt eine durch kritische Reflexion ermöglichte Entwurf-„Idee" zu einem solchen Hause der Metaphysik entgegengestellt, das uns Menschen mit allen den in unserer Vernunft (als „Naturanlage") vorgegebenen Bedürfnissen in Richtung auf die höchsten Daseinsfragen als „fester Wohnsitz" dienen kann; — künftige Metaphysik soll und wird, wie es im Titel der Prolegomena heißt,, „als Wissenschaft auftreten können"7. der Kritik, soll, trotzdem sie es bloß mit dem „spekulativen", auf gegenständliche Erkenntnis ausgehenden Gebrauch unserer (weiterhin ja auf Lebensgestaltung angelegten und für sie verantwortlichen) Vernunft zu tun hat, eine „ganz abgesonderte, für sich bestehende Einheit" im Blick haben, damit aber audi schon „den ganzen Vorriß zu einem System der Metaphysik verzeichnen". Auf dieses Gesamt der Metaphysik (der Natur, der Sitten, und beider Zugänge zum Übersinnlichen) zielen die drei Methodenlehren der drei Kritiken. * 42/3 - 46 Β 24/5 - 30: „Idee und Einteilung einer besonderen Wissenschaft . . . " , die „für den Anfang" nicht schon als „Doktrin" auftritt, sondern noch „unter dem Namen einer Kritik der reinen Vernunft". — Bekannt ist, daß die Vorrede zur Dritten Kritik im letzten Abschnitt aussagt: „Hiemit endige ich also mein ganzes (!) kritisches Geschäft. Ich werde ungesäumt zum doktrinalen schreiten . . . " . Daß auch unsere Kritik, als „Ergründung der ersten Quellen unserer Erkenntnis", mit der Folge grundsätzlicher Grenzbestimmung unserer Vernunft und Aufweis der „Unwissenheit", Wissenschaft ist, betont der spätere Abschnitt: „Von der Unmöglichkeit einer skeptischen Befriedigung . . . " . 495 Β 786. 7 Vgl. die Kontrastierung zu Beginn der Prolegomena IV 255/6, 256/7; audi hier die „Turm"projekte der „baulustigen" Menschenvernunft. Ebenda (IV 373) die vielzitierte Anmerkung: „Hohe Türme und die ihnen ähnliche metaphysischgroße Männer, um welche beide gemeiniglich viel Wind ist, sind nicht f ü r mich. Mein Platz ist das fruchtbare Bathos der Erfahrung . . . " . — In Richtung auf die „eigentümliche Würde der Philosophie", nicht bloßes Wissen, sondern „Weisheit" zu erstreben, heißt es in der „Ideen"-Einleitung der Dialektik, es gelte

(S. 465/6 Β 736)

649

Der 2. Absatz dieser kurzen Einleitung führt vorgreifend die Titel der vier Hauptstücke dieses II. Teils der Kritik auf; die Termini werden von uns je an ihrem Ort erläutert werden. Dabei wird audi wieder die „transzendentale" Aufgabe dieser Methodenlehre zurückbezogen auf eine Absicht der „Allgemeinen Logik" (dieser Propädeutik aller Art von Wissenschaften) und davon abgesetzt. Die formallogische Methodenlehre, welche Kant auch in seinen Vorlesungen nur ganz kurz behandelt hat (während sie in den Werken zur Logik und Wissenschaftslehre im nachkantischen Jahrhundert sehr breit entfaltet wurde), traf Kant auch unter dem „Namen" einer „praktischen" Logik in den Lehrbüchern an; seine abschätzige Beurteilung ist primär bestimmt von der eigenen Aufgabenstellung: den Inbegriff „reiner", d. h. a priori als gültig aufweisbarer Begriffe und Prinzipien systematisch und vollständig zu entfalten, wozu eben die „transzendentale" Methodenlehre Wege weisen soll, — dann aber auch von seiner grundsätzlichen Einschränkung der „allgemeinen" Logik auf rein apriori einsichtige Formverhältnisse des Denkens (bzw. der Gedanken), was denn verbietet, sich auf Denkmethoden einzulassen, die etwa in „besonderen" Wissenschaften und Wissensarten führend sind; als Beispiel möchten wir die (in der nachkantischen Zeit erst so recht thematisch gewordene) Logik der Induktion nennen8. „den Boden zu jenen majestätischen sittlichen Gebäuden eben und baufest zu madien, in welchem sich allerlei Maulwurfsgänge einer vergeblich, aber mit guter Zuversicht auf Schätze grabenden Vernunft vorfinden und die jenes Bauwerk unsicher machen." 249 Β 375/6. Vgl. auch die Metapher von der „Insel" der Wahrheit als Boden, auf dem wir uns „anbauen" und zugleich „wider alle feindselige Ansprüche" dogmatisch alles Übersinnliche negierenden Vernunft (Materialismus, Atheismus, Fatalismus 21 Β X X X I V ) „gesichert halten können". 202 Β 294/5. 8

Induktion, Kant aus der Arbeit an den Wissenschaften und auch als philosophisches Methodenthema von Bacon her sehr wohl vertraut, wird in der Kritik zwar mehrfach erwähnt, aber immer nur, um apodiktisch sichere Erkenntnis a priori dagegen abzusetzen. 29 Β 3/4; 93 Β 106/7; 103 Β 124; 171 Β 241; 238 Β 356. Kants zu Lebzeiten noch gedruckte Logik spricht nur kurz davon in der Einleitung (Abschnitt X) unter dem Titel bloßer Wahrscheinlichkeitserkenntnis, zusammen mit dem Denkmittel der Hypothese, als welche eben „nur durch Induktion gewiß ist." Im § 84 werden Induktion und Analogie als „die beiden Sdilußarten der Urteilskraft" ganz kurz behandelt, wie ein Nachtrag zur klassischen Syllogistik. In einer erst neuerdings gedruckten Logiknachschrift heißt es: „Die Schlüsse aus Induktion und Analogie sind nur Krücken der menschlichen Vernunft", wobei aber als Beispiel der Schluß auf etwa weiter nodi zu entdeckende Planeten eingeführt wird, was ja für Kant naturwissenschaftlich hoch-

650

(S. 466 Β

736/7)

Erstes Hauptstück: Die Disziplin der reinen Vernunft

Das Erste Hauptstück, trägt den Titel: „Disziplin"; nach vier Hinsichten wird davon in den vier Abschnitten gehandelt. Der Terminus ist der ethisch-pädagogischen Sprache entnommen und greift bei Kant dann auch in die Philosophie der menschlichen „Kultur" über; das entsprechende deutsche Wort heißt: Zucht9. Die Kritik als ganze ist (noch) nicht „Doktrin", also Vernunftbelehrung im erweiterndaufbauenden Sinne, sondern sie soll nur zur Läuterung unserer Vernunft dienen und sie von Irrtümern frei halten" (43 Β 25). Insofern ist sie „nur negativ": Befreiung vom Despotismus unserer in sich maßlosen Wissensbegierden. In einer Reflexion heißt es: „was anfänglich (sc.: bisher) vor eine Doktrin der reinen Vernunft gehalten wurde, ist jetzt ihre Disziplin, d. i. ihre Zucht und Animadversion. Die Disziplin ist eine Einschränkung der Gemütskräfte oder Neigungen in ihre geziemenden Schranken . . . Der Geist muß nicht allein unterwiesen werden: Institution, sondern diszipliniert werden, d. i. seine Unarten ihm abgewöhnt werden." In einer anderen

9

bedeutsam ist. X X I V 777, audi 287. (Dies nur als Beispiel dafür, wie sehr Kants Begriff von „Methodenlehre" in der Logik sich von dem nachkantischer Lehrbücher der formalen Logik unterscheidet.) Zum Begriff: praktische Logik (oder auch, der „reinen" Logik gegenüber, einer „angewandten", so in der LogikEinleitung unter II, in der Kritik S. 76 f. Β 77 f.) vgl. noch X X I V 779 und 794 f. Vgl. etwa V 4 3 2 : „ . . . Kultur der Zudit (Disziplin)." Dieselbe „ist negativ und besteht in der Befreiung des Willens vom Despotism der Begierden . . . " . 433: „Was die Disziplin der Neigungen angeht . . . , so zeigt sich dodi auch . . . ein zweckmäßiges Bestreben der Natur zu einer Ausbildung, welche uns höherer Zwecke^ als die Natur selbst liefern kann, empfänglich macht." In deutlicher Anspielung auf Rousseau-Gedanken ist hier auch von „Luxus" in Wissenschaften die Rede: als von „einer Nahrung für die Eitelkeit, durch die unzubefriedigende Menge der dadurch erzeugten Neigungen . . . " ; Kant denkt seinerseits dabei vor allem an die Wissensansprüche und -begierden der metaphysisch „schwärmenden" und „träumenden" Vernunft. — Vgl. Kants Vorlesung zur Ethik (hrsg. P. Menzer 1924) S. 313 ff.: pädagogische Gegenüberstellung von Disziplin und (lehrender) Doktrin.

(S. 466 Β 737)

651

Notiz heißt es: „Daß die Vernunft einer Zucht bedürfe. Daß, wenn sie nicht gezogen wird, sondern wild ihre Zweige ausbreitet, sie Blüten ohne Früchte bringe . . . Daß sie ohne diese Zucht mit Religion und Sitten nicht zusammenstimme, das große Wort führe und, indem sie sich selbst nicht kennt, den gesunden und an Erfahrungen geübten Verstand verwirre."10 Im Dialektik-Teil der Elementarlehre heißt es ζ. B. von der Rationalen Psychologie mit ihren Substanzund Unsterblichkeitsbeweisen: in Wahrheit gebe es dergleichen nicht „als Doktrin, die uns einen Zusatz zu unserer Selbsterkenntnis verschaffte, sondern nur als Disziplin, welche der spekulativen Vernunft in diesem Felde unüberschreitbare Grenzen setzt, einerseits um sich nicht dem seelenlosen Materialism in den Schoß zu werfen, andererseits sich nicht in dem für uns im Leben grundlosen Spiritualism herumschwärmend zu verlieren..."; dies mit einem Vorhinweis auf Möglichkeiten, unsere Selbsterkenntnis „zum fruchtbaren praktischen Gebrauch" hinzuwenden (274/5 Β 421). Aufgabe der wahren Philosophie ist es nach Kant, bei aller Denkarbeit an ihren Sachanliegen sich immer auch auf sich selbst, auf die Möglichkeiten und die Grenzen menschlich-endlicher Vernunft zu besinnen. Die einleitenden sedis Absätze unseres Abschnitts, welche noch ganz allgemein unter dem „Disziplin"-Titel stehen, wollen wieder einmal, wie an vielen Einzelstellen der Elementarlehre, das Unternehmen der Vemunh-Kritik, als einer vor falschen Wissens- und Erweisansprüchen „warnenden Negativlehre" (6. Absatz) rechtfertigen und den Ernst, die Notwendigkeit solchen Vorgehens grundsätzlichphilosophischer Selbstprüfung hervorheben. Daß der „Nutzen" der Vernunftkritik „in Ansehung der Spekulation wirklich nur negativ sein, nicht zur Erweiterung, sondern nur zur Läuterung unserer Vernunft dienen" kann, das hatte schon der letzte Abschnitt der großen Einleitung im voraus betont (43 Β 25); die Vorrede Β fügt dem hinzu, dieser „erste" Nutzen werde „alsbald positiv", wenn durch w

X V I I I 71 (Nr. 504); dazu Nr. 5089: Disziplin mit Polemik gegen „intellektuelle" Kosmologie (ζ. B. des Leibnizsdien „Piatonismus"), die ebensowohl als die mystische ein ens rationis sei. „Die gewöhnliche scholastische (d. h. schulmäßige) und doktrinale Methode der Metaphysik macht dumm ; sie verenget den Verstand und macht ihn unfähig, Belehrung anzunehmen; sie ist nicht Philosophie. Dagegen Kritik erweitert die Begriffe und macht die Vernunft frei." — Vgl. X V I I 562/3 (Nr. 4468).

652

(S. 466 Β 737)

kritische Einschränkung oder Verengung unseres Vernunftgebrauches sich Aussicht auf den „schlechterdings notwendigen praktischen Gebrauch der reinen Vernunft (den moralischen)" eröffne und dieser wider die „Gegenwirkung" dogmatisch-negierender Doktrinen gesichert werde (16 Β X X I V f.) 11 · Wie sehr Kant Grund hatte, die „negativen Urteile" der Vernunftkritik (insbesondere ihrer „Dialektik"-Abteilung) gegen Verkennung abzuschirmen, mag durch den bloßen Hinweis auf die sehr bald im Zeitalter entstandene Wendung vom „Allzermalmer" Kant angedeutet werden. Die inhaltlich-negativen Urteile der Kritik (etwa: es kann keine spekulativen Unsterblichkeitsbeweise geben, denn „Seele" als für sich seiende und unauflöslich-einfache Substanz ist für unser auf Erscheinungen angewiesenes Erkennen bloß ein Noumenon im negativen Verstände) setzt Kant zunächst ab gegen den formallogischen Sinn und Gebrauch des „negativen Urteils". Jede bejahende Aussage kann durch eine solche in Verneinungsform ersetzt werden; der Denkleistung nach sind die nach ihrer „Qualität" zu unterscheidenden U r teilsarten gleichgeordnet. Dagegen haben alle die inhaltlichen Negativaussagen der Kritik, welche nun eben nicht einer eigentlichen Erweiterung unseres Wissens dienen, sondern auf Grenzbestimmung abzielen, eine ganz spezifische Funktion: Abwehr von falschen und doch immer wieder uns ganz natürlich scheinenden Ansprüchen der reinen Vernunft im Ausgreifen auf Ubersinnliches, — also eine U n terweisung, die ihrerseits Negativcharakter hat. Der „Anreiz", sich Gewißheit zu verschaffen über unser Selbst in seinem Ansichsein, über die Welt und über ihren Ursprung, ist groß; und unser „Hang", hier zu Entscheidungen zu kommen, ist ein ständiger: Metaphysik ist so „beständig", daß sich die „Nachfrage nach ihr . . . niemals ver-

11

Zum „Negativ"-Charakter des kritischen Unternehmens vgl. etwa, aus dem Abschnitt über die Urteilskraft, den Passus 132/3 Β 174; aus dem Abschnitt übePhaenomena und Noumena den Begriff einer „negativen Erweiterung", durch die Benennung der Dinge an sich als Noumena (im negativen Verstände) 212 Β 312; und in der Kritik aller Theologie aus spekulativen Vernunftprinzipien die Wendung, daß die transzendentale Theologie „von wichtigem negativem Gebrauch" bleibe: als „beständige Zensur unserer Vernunft . . . " , — dies ebenso im Ausblick auf die vom praktischen Gebrauch her sich ergebende „Voraussetzung" (Postulat!) als in der Gegenwehr gegen „alle entgegengesetzten Behauptungen . . . " . 425 Β 668.

(S. 467 Β 738)

653

lieren kann", wie es im Vorwort zu den Prolegomena heißt 12 . Jedes Talent (Naturgabe) des Menschen soll kultiviert, zur Fertigkeit ausgebildet werden; aber eine jede solche „Bildung" verlangt auch Disziplin: Zwang bzw. Selbstzwang gegenüber dem Hang, seinem Verlangen uneingeschränkt und ohne „gewisse Regeln" (etwa des Zusammenlebens oder von Einstimmigkeits-Interessen) zu beachten, nachzugeben. Das ist in aller Charakterbildung selbstverständliche Voraussetzung, gilt aber auch für die Ausbildung und Durchbildung unserer allgemeinen Erkenntnisanlagen. So etwa für „Einbildungskraft und Witz", die Kant (zugleich mit „Scharfsinn" und Originalität im Denken) immer vor allem als „Talente" im Erkenntnisvermögen, Talente der Wissenserweiterung im Sinne positiven Forschens und Fortschreitens auszeichnet13. Denn daß diese Kräfte leicht zu unkritischen, und allzuweit ausgreifenden oder auch spitzfindigen Behauptungen in Leben und Wissenschaft verführen, weiß man und fordert deshalb immer Besonnenheit und Selbstzucht. Das völlig Neue, was Kant mit seinem „kritischen Geschäft" und durch das noch zu erarbeitende „System" einer Transzendentalphilosophie in den Gesamtfortgang der Metaphysik (in die „Geschichte der reinen Vernunft", nach dem Titel des letzten Hauptstücks der Methodenlehre) einführen will, ist also: Selbstdisziplin unserer reinen Vernunft als solcher. Dessen bedarf es nicht bei der Vernunft „im empirischen Gebrauche", d. h. in der Naturerforschung, wie sie die Vorrede Β schildert: Befragung nach ihren Prinzipien in der einen Hand und mit einem Experiment in der anderen, um als „bestallter Richter" von ihr Zeugnis zu empfangen (10 Β XIII); da werden ihre (subjektiven) „Grundsätze", die Regulativprinzipien (426 ff. Β 670 ff.; vor allem 435/6 Β 685/6) ohnehin „einer kontinuierlichen Prüfung 13

13

IV 257. In der Vorrede B: Metaphysik ist älter als alle übrigen Wissenschaften und würde bleiben, „wenn gleich die übrigen insgesamt in dem Schlunde einer alles vertilgenden Barbarei gänzlich verschlungen werden sollten". 11 Β XIV. Metaphysik ist „in der Naturanlage der menschlichen Vernunft" gegeben und uns unentbehrlich 41 Β 21/2; Prolegomena §§ 57 und 60. Anthropologie § 54 ff. Vgl. in der Vorrede Β den Hinweis auf „psychologische" Kapitel von Erkenntniskräften, welche Neuere der alten Logiktradition beigefügt hätten: Einbildungskraft und Witz. 7/8 Β VIII. Dazu 430 Β 677: Einbildung, . . . Witz, Untersdieidungskraft . . . " und 433 Β 682: „Dieser Grundsatz (der Scharfsinnigkeit oder des Unterscheidungsvermögens) schränkt den Leichtsinn des ersteren (des Witzes) sehr ein . . . " .

654

(S. 467/8 Β 739)

unterworfen". Daß aber die Mathematik, eine Wissenschaft der reinen Vernunft wie die Metaphysik, nicht auch einer besonderen „Disziplin" unterworfen werden muß, um Irrtümer abzuhalten, liegt darin, daß hier aller Vernunftgebrauch auf „Konstruktion der Begriffe" in reiner Anschauung hinzielt (worüber bald Näheres); da bewegt Vernunft sich fort in einem sozusagen „sichtbaren" Geleise ohne mögliche Verfehlungen. Anders die auf metaphysische Anliegen ausgerichtete Vernunft; mit der „Naturanlage" dazu ist im menschlich-endlichen Vermögen der Hang verbunden, mit dem „Denken" der Ideen audi den Anspruch auf sicheres und beweiskräftiges, unser Welt- und Selbsterfahren erweiterndes „Erkennen" zu verbinden — sei es im Sinne der „Intellektualphilosophen" von Plato bis zu Leibnitz und Wolff („Piatonismus"), sei es im Sinne eines (zu Materialism, Fatalism, Atheism führenden) dogmatischen „Empirismus", welcher sich etwa den Epikur zum Kronzeugen wählt 11 . Die Kritik hat in den drei Hauptstücken ihres Dialektik-Teiles „ein ganzes System" von Täuschungen (vier Paralogismen der Seelenlehre, vier Antinomiearten, drei Arten von Beweisgründen, auf das Dasein eines höchsten Wesens zu schließen) aufgewiesen und die je verschiedenen Weisen des zu solchen Fehlgängen führenden „transzendentalen Scheins" (234 ff. Β 349/50 ff.) aufgezeigt, aufgeklärt und erklärt. Das dabei allen Fehlgängen „gemeinschaftliche Prinzip" war der (fälschlich angenommene) Grundsatz der reinen Vernunft: wenn das Bedingte gegeben sei, müsse auch das Unbedingte oder die „Totalität" aller Bedingungen gegeben sein (243 f. Β 364/5 f.). Für die spekulative Vernunft in philosophicis mußte und muß also eine „ganz eigene" Gesamt-„Zensur" 15 errichtet werden: eine disziplinierende „Gesetzge14

ls

327 ff. Β 499 ff. Vorrede Β : Kant mußte der spekulativen Vernunft ihre Anmaßung überschwänglicher Einsichten „benehmen", weil da Grundsätze der Empirie „auf das angewandt werden, was nicht ein Gegenstand der Erfahrung sein kann" — womit dann „alle praktische Erweiterung der reinen Vernunft für unmöglich" erklärt wird. „Ich mußte also das Wissen aufheben, um zum Glauben Platz zu bekommen". 18/19 Β X X X . Vgl. 425 f. Β 668 f.: „Die transzendentale Theologie bleibt . . . von wichtigem negativen Gebrauche und ist eine beständige Zensur unserer Vernunft, wenn sie bloß mit reinen Ideen zu tun hat, die eben darum kein anderes als transzendentales Richtmaß zulassen." Sie beweist ihre Unentbehrlichkeit ebenso durch Bestimmung ihres Begriffs wie durch „unaufhörliche Zensur einer durch Sinnlichkeit oft genug getäuschten und mit ihren eigenen Ideen nicht immer einstimmigen Vernunft."

(S. 468 Β 740)

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bung"; Transzendentalphilosophie, als „die ganze" Philosophie der reinen Vernunft, ist zum „vollständigen System" auszubilden. Der Philosoph muß zum „Gesetzgeber der menschlichen Vernunft" werden, wie es in einem späteren Hauptstück der Methodenlehre in Richtung audi auf Philosophie als Weisheitslehre heißt (543 Β 867; vgl. 292 Β 452: Analogie des Antinomie-Auf klärers mit „weisen Gesetzgebern"). — Der letzte Absatz, welcher zunächst die Aufgabe der auf Sysemausbau hinzielenden Methodenlehre den „Inhalts"-Aufweisungen der Elementarlehre (welche eben vom Bauzeug, vom Vorrat der Materialien, von unseren Vermögen des Erkennens zu handeln hatte) gegenüberstellt, weist mit der Anspielung auf Wesensunterschiede in den Weisen und Methoden reiner Erkenntnis a prori auf den nun folgenden ersten Abschnitt voraus. Daß in den Aufweisen der Elementarlehre Erkenntnisse von höchst positivem „Nutzen" herausgearbeitet sind, nämlich transzendentalphilosophische Grundlagen für die „metaphysischen Anfangsgründe der Naturwissenschaft" und damit für eine „Metaphysik der Natur", welche legitim zum spekulativen Gebrauche der reinen Vernunft gehört (544 Β 869), erwähnt Kant hier noch nicht; von den vier Fragen der Einleitung stehen in diesem Anfang der Methodenlehre nur die zwei letzten, Metaphysik betreffenden, im Blick, nicht auch die zwei ersten: „Wie ist reine Mathematik möglich? Wie ist reine Naturwissenschaft möglich?" (40 Β 20/1).

Des Ersten Hauptstücks Erster Abschnitt Die Disziplin der reinen Vernunft im dogmatischen Gebrauche „Dogmatisdier" Vernunftgebrauch hat zunächst nichts zu tun mit „Dogmatismus", wie ihn die Kritik bekämpft. Der Ausdruck bezeichnet nur: Arbeit an einem Lehrgebäude, sei es ein philosophisches, sei es etwa das der „Elemente" des Euklid. Es geht um die „Methoden" dieses Gebrauches, und zwar um grundsätzliche Unterscheidung und Abtrennung des (transzendental-)philosophischen Verfahrens von dem mathematischen — welches ja seinerseits auch zu lauter apodiktischen und ebenso synthetischen Urteilen a priori führt. Methoden und Erfolge der Mathematik standen von alters her den Philosophen als schlechthin vorbildlich vor Augen und verleiteten insbesondere die

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(S. 468 Β 74011)

Metaphysiker der Neuzeit (von Descartes ab) zu entsprechendem Anspruch und Nachahmung — die auch da walteten, wo nicht ganz ausdrücklich Metaphysik und Ethik more geometrico als Lehrgebäude aus reiner Vernunft errichtet wurden. Das Thema hat Kant, wie hier erwähnt werden darf — weil das Stück mit zur Kommentierung unseres Abschnitts dienen kann, obwohl es noch nicht auf der Höhe des „kritischen" (transzendental-idealistischen) Standpunktes steht — erstmalig beschäftigt in der Schrift von 1764: Untersuchung über die Deutlichkeit (d. h. Einsichtsweise) der Grundsätze der natürlichen Theologie und Moral 18 . Auch jetzt geht es um den „wesentlichen Unterschied dieser beiden Arten von Vernunfterkenntnis": Metaphysik und Mathematik, als Unterschied im Verfahren, also um spezifische Verschiedenheiten im „Gebrauch" von (theoretisch-wissensdiaftlicher) Vernunft. Daher enthält auch dieser Abschnitt zur Methodenlehre der Transzendentalphilosophie ein gut Stück von Kants Philosophie der Mathematik, von seiner Antwort auf die erste Frage der Einleitung: "Wie ist reine Mathematik möglich17? Die ersten Absätze zeigen an Beispielen, wie entscheidend der Unterschied ist zwischen diesen zwei Weisen des Vernunftgebrauchs (beiderseits „ohne Beihilfe der Erfahrung" und zugleich apodiktische Gewißheit beanspruchend). Die Wissenschaft der Mathematik ist, wie die Vorrede Β gleich zu Anfang sagt, „von den frühesten Zeiten her, wohin die Geschichte der menschlichen Vernunft r e i c h t . . . den sicheren Weg einer Wissenschaft gegangen"; Kant will vermuten, daß es „der glückliche Einfall eines einzigen Mannes" war, der ihren „königlichen W e g " anbahnte — womit der sichere Gang dieser Wissenschaft für le

17

Anlaß dazu war ein Preisausschreiben der Berliner Akademie der Wissenschaften: „Man will wissen: Ob die Metaphysischen Wahrheiten überhaupt und besonders die ersten Grundsätze der Theologia naturalis und der Moral eben der deutlichen Beweise fähig sind, als die geometrischen Wahrheiten . . V g l . II 2 7 3 — 3 0 1 und 492. 40 Β 2 0 ; vgl. Prolegomena I V 2 8 0 — 2 9 4 . Kants Philosophie der Mathematik muß man immer primär in unserem Zusammenhang (dem einer Abgrenzung gegen Metaphysik aus reiner Vernunft, diese sowohl im überlieferten, als in Kants eigenem Sinn und Anspruch verstanden) sehen; das schließt des Denkers Interesse an Grundlagenforschung (wie man heute sagen würde) der Mathematik mit ein. — Zum Terminus „reine" Mathematik darf noch erwähnt werden, daß in der Sprache von Kants Zeit und oft audi bei ihm selber Worte wie: Mathematik und Mathematiker (auch „Geometer") exakte Wissensdiaften wie theoretische Mechanik, Astronomie und Optik mitumgreifen.

(S. 469 Β 741)

65 7

alle Zeiten „und in unendlidie Weiten" (sc.: synthetisch-„erweiternder" Erkenntnis) eingeschlagen und vorgezeichnet war. Hier wurden und werden immerfort wahre Lehrgebäude errichtet; und so stellt sich uns die Frage, ob diese „Methode, zur apodiktischen Gewißheit zu gelangen", audi im Vernunftgebrauch der Philosophie ein Gleiches leisten, und also „dieselbe dogmatisch genannt werden" kann. Der 2. Absatz setzt ein mit der Grundthese: mathematische Erkenntnis ist immer „Konstruktion" der (geometrischen, arithmetischen, algebraischen) Begriffe und damit ein „intuitiver" Vernunftgebrauch, während philosophische Erkenntnis nach oder aus bloßen Begriffen ein „diskursiver" ist (vgl. 9. Absatz). Die Frage, wie reine Mathematik möglich ist (zugleich aber audi die, wie sie auf Gegenstände der Erfahrung in den exakten Wissenschaften präzis anwendbar sein kann), beantwortet Kant mit der Theorie seiner transzendentalen Ästhetik, wonach wir ein Vermögen „reiner" Anschauung vor und in aller Empirie haben: dadurch, daß Raum und Zeit die in uns selbst gelegenen Wesensformen der Rezeptivität sind18. Dieses Vermögen einer nichtempirischen Anschauung wurde zuerst im § 1 („reine Form der Sinnlichkeit") eingeführt, mit grundsätzlichem Absetzen gegen alle „Begriffe", welche a priori im Verstände liegen (die Kategorien); unsere Begriffe vom Raum und von der Zeit setzen immer schon jene „Anschauung" voraus. Wenn nun „Konstruieren" definiert wird als: die dem Begriff „korrespondierende Anschauung a priori darstellen", so muß man sich, in Richtung auf das andere Thema: Metaphysik, vergegenwärtigen, daß die Begriffe der Vernunft i. e. S., welche Kant „Ideen" nennt, ständig eben dadurch charakterisiert werden, daß ihnen, als Begriffen von Unbedingtem und von Totalität, niemals „korrespondierende Anschauung" gegeben werden kann 19 . Anschauung hat immer „ein einzelnes Objekt" vor sich; das gilt schon für die „formale Anschauung" (125a Β 160/la; 219 Β 324): Ein 18

Vgl. die ersten §§ der transzendentalen Ästhetik, vor allem die „transzendentale Erörterung des Begriffs vom Räume" und die entsprechende des Zeitbegriffs, — erstere auf die Wissenschaft der Geometrie, letztere auf die „allgemeine Bewegungslehre" bezogen. 54 Β 41; 59 Β 48/9.

18

„Idi verstehe unter der Idee einen notwendigen Vernunftbegriff, dem kein kongruierender Gegenstand in den Sinnen gegeben werden kann." 254 Β 383/4, vgl. 383 Β 595/6.

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(S. 469 Β 741/2)

Raum und Eine Zeit 20 . Ebenso gibt es f ü r jede einem mathematischen Begriffe korrespondierende Anschauung, mit der Möglichkeit, sie in der wissenschaftlichen Arbeit durch empirische Anschauung („hingezeichnete Figur" oder auch, wie in Arithmetik und Algebra, Zahlzeichen) „auszudrücken", unbeschadet der Allgemeinheit des betreffenden Begriffs. Der Urheber der Mathematik, so schildert Kant vermutend in der Vorrede B, „fand, daß er nicht dem, was er in der Figur sah, oder auch dem bloßen Begriffe derselben nachspüren und gleichsam davon ihre Eigenschaften ablernen, sondern durch das, was er nach (!) Begriffen selbst a priori hineindachte und darstellte (durch Konstruktin), hervorbringen m ü s s e . . . um sicher etwas a priori zu w i s s e n . . . " (9 Β X I / X I I ) . Der Gegenstand des Begriffs wird, wie es im 3. Absatz heißt, „allgemein bestimmt" gedacht, während bloße Begriffe eben, als allgemeine, un-bestimmt bleiben in Richtung auf Einzelgegenstände, welche unter sie zu subsumieren wären. Die Beispiele f ü r das spezifische Verhältnis von Begriff, Anschauung und Gegenstand in der reinen Mathematik entnimmt K a n t immer zunächst der Geometrie. In unserem Text f ü h r t er, wie in der soeben zitierten Stelle aus der Vorrede, die U r f o r m der Planimetrie, das Dreieck, an; danach tritt dann noch die „konische Gestalt" auf, von der aus sich gerade unserem Denker immer das große Thema der konstruktiven Leistung der Mathematik f ü r die neuzeitliche Naturforschung nahelegte (die „Kegelschnitte" als „Formen" der Allgemeinen Bewegungslehre, maßgebend in Astronomie und terrestrischer Mechanik). Die mathematische Konstruktion, Begriffsdarstellung in der Anschauung, geschieht in „Handlungen" der Einbildungskraft; durch sie wird die Figur entworfen als ein „Schema" a priori, ohne daß „das Muster dazu" irgendeiner Erfahrung entnommen wurde 21 . Das Schema hebt sich ab von jeder nur 20

31

Vgl. das dritte Raumargument in der „Metaphysischen Erörterung dieses Begriffs" und das vierte Argument in der „Erörterung des Begriffs der Zeit". 53 Β 39; 58 Β 47. Kants Lehre von der reinen Anschauung und der da waltenden produktiven Einbildungskraft steht in genauer Entsprechung zur Lehre von der Apriorität der „Elemente" von Verstand und Vernunft. Vgl. etwa 126 Β 163: Die Kategorien werden „nicht von der Natur abgeleitet" und richten sich nicht nach ihr „als ihrem Muster". Wie die Ideen der spekulativen Vernunft, so sind audi „die Begriffe der Tugend" „eigentümliche" Produkte unserer Vernunft; wer sie „aus

(S. 469170 Β 742)

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empirisch wahrgenommenen Figur; daß darin „abstrahiert" wird von Verschiedenheiten etwa der Seiten- und Winkelgröße, bedeutet nicht etwa, daß seine Allgemeinheit auf dem Wege einer Abstraktion aus Einzelgegebenheiten gewonnen worden wäre oder werden könnte22. Mathematische Erkenntnis aus reiner erfahrungsunabhängiger Vernunft unterscheidet sich also (4. Absatz) von der philosophischen nicht nur und nicht primär durch eine Grundverschiedenheit der Gegenstände, sondern durch die Art „den Gegenstand zu behandeln". Die Schultradition von Wolff her, unter deren Einwirkung auch Kant zunächst stand23, setzte die philosophische Erkenntnis als die von Qualitäten von der mathematischen als einer reinen Quantitätserforschung ab. Daß solche Charakterisierung auch inhaltlich nicht zureicht, wird im zweiten Teil unseres Absatzes angedeutet. Daß aber die Philosophie ihrerseits auch mit Größen zu tun hat, ergibt sich schon daraus, daß Raum und Zeit Quanta sind (nach Kantischer Lehre die „ursprünglichen Quanta aller unserer Anschauung" 284/5 Β 438) und im „Welt"-Thema der Metaphysik die „Quantitäts"problematik von endlicher oder unendlicher Extension heraufführen. Und wiederum: Die Mathematik unterscheidet Linien und Flächen als verschiedenartige Raumgebilde24; auch ist „Kontinuität" des

22

23

24

Erfahrung schöpfen wollte, wer das, was nur allenfalls als Beispiel . . . dienen kann, als Muster (!) zum Erkenntnisquell machen wollte . . . , der würde aus der Tugend ein nach Zeit und Umständen wandelbares . . . Unding machen." 247 Β 371. Vgl. etwa 135 Β 179: „Das Schema ist an sich selbst jederzeit nur ein Produkt der Einbildungskraft; aber indem die Synthesis der letzteren keine einzelne (sc.: empirische) Anschauung, sondern die Einheit in der Bestimmung der Sinnlichkeit allein zur Absicht hat, so ist das Schema doch vom Bilde zu unterscheiden" — etwa vom Bilde einer hingezeichneten Figur. „Diese Vorstellung nun von einem allgemeinen Verfahren (!) der Einbildungskraft, einem Begriff sein Bild zu verschaffen, nenne ich das Schema zu diesem Begriffe". Vgl. II 282: Die Größe madit den Gegenstand der Mathematik aus; dagegen sind es die „Qualitäten, die das eigentliche Objekt der Philosophie ausmachen . . A u c h der berühmte Brief an M. Herz vom 21. 2. 1772 stellt die Erkenntnis der Mathematik, als Größen-„Erzeugung", wo denn auch „ihre Grundsätze a priori können ausgemacht werden", dem ganz anderen „Verhältnisse der qualitaeten"-Erkenntnis gegenüber, wo „reale" Grundsätze, solche über die Möglichkeit von Sachen, also Einstimmung mit den Dingen selbst beansprucht werden. X 125/6. Vielleicht denkt Kant audi an die Unterschiede von geraden und gekrümmten Linien bzw. Flächen: „mein Begriff vom Geraden enthält nichts von Größe, sondern nur eine Qualität." 38 Β 16.

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(S. 470 Β 743)

(räumlich oder zeitlich) Ausgedehnten diejenige „Eigenschaft" der Größen, „nach welcher an ihnen kein Teil der kleinstmögliche (kein Teil einfach) ist" 25 . — Was aber zutrifft an jener Fixierung der mathematischen Erkenntnis auf Quantitätsverhältnisse, das muß als Folge („Wirkung") jenes „Form"-Charakters dieser Wissenschaft verstanden werden: nur die Größenbegriffe können in reiner Anschauung dargestellt werden, so daß der jeweilige Gegenstand „aus den allgemeinen Bedingungen der Konstruktion" eindeutig bestimmt werden kann2®. Dagegen bleibt alle philosophische „Betrachtung" aus reiner Vernunft angewiesen auf „bloße" Begriffe. Für die (in der Kategorientafel unter dem Titel der Qualität stehende) „Realität" ζ. B. kann rein a priori kein Beispiel in concreto angegeben werden (anders als für Quantitätskategorien!); nur Erfahrung kann uns zeigen, welche anschaulichen Qualitäten („Farbe eines Kegels") oder welche diese wiederum bestimmenden Ursachen und Kräfte es geben mag 27 . Die Absätze 5 bis 9 erläutern den Unterschied der mathematischen Erkenntnisweise gegenüber jeder philosophischen durch die Fiktion, ein „Philosoph", mit seiner Art rein diskursiven Nachdenkens, würde mit Gegenständen und Aufgaben der Geometrie befaßt. Er müßte anfangen mit der Definition seines Begriffs von dem Gegen28

154 Β 211; an Größen überhaupt erkennen wir a priori „nur eine einzige Qualität, nämlidi die Kontinuität". 158 Β 218.

26

Zu solchen allgemeinen „Konstruktions"-Bedingungen gehört ζ. B. die unendliche Teilbarkeit, welche für alle Gebilde der reinen Ansdiauung (und eben damit auch für alle empirischen Anschauungen) gilt. Vgl. 151 Β 206; vgl. auch 68 f. Β 65 und 187 Β 268 zur gegenständlichen Möglichkeit mathematischer Gebilde; diese verlangt mehr, als Widerspruchslosigkeit des bloßen Begriffs.

27

Dagegen kann, nach Kants Lehre von den synthetischen Grundsätzen, wohl a priori „antizipiert" werden, daß alle Empfindungsqualitäten und das Reale, welches ihnen am Gegenstande entspricht, „intensive Größe, d. i. einen Grad" haben; — aber das gilt eben nur für Gegenstände möglicher Erfahrung. „Es ist merkwürdig, daß wir an Größen überhaupt nur eine einzige Qualität, nämlich die Kontinuität, an aller Qualität aber (dem Realen der Erscheinungen) nichts weiter a priori, als die intensive Quantität derselben . . . erkennen können", — alles übrige bleibt der Erfahrung überlassen. 158 Β 218. — Daß unser Text hier gerade die realitates ins Spiel bringt, mag im Hinblick auf den höchsten Begriff (Idee) der Metaphysik aus reiner Vernunft geschehen sein, den eines ens realissimum, welches alle Realitäten in sidi enthält — von denen wir doch „keine einzige", bloß aus Vernunftursprüngen kennen.

(S. 470! 1Β 744)

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stände, den er behandeln will (hier des Dreiecks)28. Aus bloßer Analyse des Begriffes aber kann keine Erweiterung unseres Wissens kommen („nichts Neues", etwa eine Antwort auf die Frage nach der Winkelsumme). Dagegen findet der Mathematiker ständig Neues — eben weil seine „Erzeugnisse" von Erkenntnissen nicht auf „analytische Sätze" angewiesen ist. Er kann synthetische Urteile fällen über Eigenschaften, die in dem (zunächst bloß gleichsam erdachten) Begriff nidit liegen, aber doch „zu ihm" (bzw. zur Sache) gehören, also über den Begriff als solchen „hinausgehen". Bloßlogische" Operationen sind gewiß auch hier beteiligt ( „ . . . eine Kette von Schlüssen"); aber auch diese sind „immer von der Anschauung geleitet." Der Weg des Geometers wird begonnen „nach Anschauungen", und er wird ständig so weiter geführt, indem der Forschende Anschauliches „den Begriffen gemäß darstellt", und zwar a priori. Bloß empirische Anschauung und entsprechende Verallgemeinerung durch „Abstraktion" (im Sinne der Empiristen) würde immer nur komparative Allgemeinheit ergeben, nicht Einsicht von schlechthin allgemeiner Gültigkeit. Der geometrische Satz von der Winkelsumme des Triangels etwa gilt von diesem überhaupt; dem (zugleich konkreten und allgemeinen!) „Schema" des Dreiecks fügen sich im konstruierenden Vorgehen mannigfaltige Bestimmungen an — ähnlich gewissermaßen wie durch empirische Beobachtungen an einer Sache neue und neue Eigenschaften entdeckt werden 29 . 28

Vgl. aus der vorkritischen Untersuchung über die grundverschiedene A r t v o n „Deutlichkeit" in den mathematischen gegenüber den philosophischen Erkenntnissen die Eingangssätze: Mathematik bildet ihre Begriffe durch „willkürliche Verbindung"; „der Begriff, den ich erkläre, ist nicht vor der Definition gegeben, sondern er entspringt allererst durch dieselbe" (Beispiele: Trapez, Kegel; letzterer durch genetisch« Definition). „Mit den Definitionen der Weltweisheit ist es ganz anders bewandt. Es ist hier der Begriff v o n einem Dinge schon gegeben, aber verworren und nicht genugsam bestimmt. Ich muß ihn zergliedern, die abgesonderten Merkmale zusammen mit dem gegebenen Begriff . . . vergleichen und diesen abstrakten Gedanken ausführlich und bestimmt machen." (Beispiele: unser Begriff v o n der Zeit, später der v o n der Freiheit.) — In der Zweiten Betrachtung heißt es noch: „In der Mathematik fange idi mit der Erklärung meines Objektes, ζ. E. eines Triangels, Zirkels usw. an, in der Metaphysik muß ich niemals damit anfangen." D i e Definition ist hier vielmehr das letzte; niemand habe nodi bisher, seit Augustinus sich die Zeit als Problem vorstellig gemacht hat, eine „Realerklärung" (Realdefinition) derselben geben können. II 276/7 f., 283 f.

29

Vgl. den 1. Abschnitt im V. Kapitel der Einleitung in die Kritik („Mathematische Urteile sind insgesamt synthetisch"), w o nodi v o r der „reinen Geometrie" arith-

2 Heimsoeth, Transzendentale Methodenlehre

662

(S. 471 Β

745)

Der 6. Absatz bezieht auch die (in der Neuzeit so bedeutsam entwickelte, insbesondere dann für den Gebrauch mathematischer Erkenntnisse in den Naturwissenschaften so hervorragend wichtig gewordene) Algebra in diese Theorie vom Ansdiauungsbezug mit ein. Auch hier werden die Begriffe „konstruiert", freilich hier nicht auf die „ostensive" Art (d. h. direkt anzeigend wie der Gegenstand beschaffen ist, vgl. 443 Β 699), sondern „symbolisch" oder „charakteristisch" (vgl. 481 Β 762): allgemeine „Quantitäts"-Verhältnisse, wie sie schon Gegenstand der Arithmetik sind (11. Absatz), werden durch Zeichen oder „Charaktere" auf einen immer der anschaulichen Kontrolle und Kombination zugänglichen Weg gebracht. — Der 8. Absatz enthält noch einen, hier nur beiläufigen Hinweis auf die von Kant selbst (in der Analytik der Grundsätze) herausgestellte Möglichkeit für den „Philosophen", Vernunfterkenntnisse „aus Begriffen" nicht bloß in der Form analytischer Urteile zu gewinnen (mit angeblichen Einsichten auf Grund bloßer Definitionen), sondern: wahre synthetische Erkenntnisse a priori „aus lauter Begriffen" (etwa: denen der Ursache und der Wirkung) zu erzielen, mit gültigen Beweisgängen für die so gefaßten Grundsätze: diese dann aber eben nicht wie in der überlieferten Ontologie für „Dinge an sich und überhaupt" geltend, sondern für „ein Ding überhaupt", „sofern die Wahrnehmung davon zur möglichen Erfahrung gehören" kann. Solche „transzendentale Synthesis" gelingt wiederum nicht dem Mathematiker, sondern „allein dem Philosophen"; auch die von Kant selbst als „mathematische" Grundsätze (vorhergehend den „dynamischen") benannten metische Beispiele besprochen werden (36 ίί. Β 14 ff.); vgl. ferner aus den Prolegomena den entsprechenden Abschnitt IV 268 f.; und auch nodi die Gegenüberstellung der bloß analytischen zu den wirklich Erkenntniserweiterung leistenden synthetischen Urteilen zu Beginn der Lehre von den Grundsätzen (143 ff. Β 193 ff.), — wo es nun um Anwendung der Mathematik in den Naturwissenschaften geht, also um den Obergang von reiner Anschauung zur empirischen. In diesem Textstück steht die für Kants Abzielen auf „Metaphysik der Natur" und „Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft" audi schon bei der Frage nach den Gründen der Mathematik charakteristische Bemerkung, alle Erkenntnisarbeit im Bereich der geometrischen Gestalten, welche unsere produktive Einbildungskraft im Raum verzeichnet, würde nichts als „die Bediäftigung mit einem bloßen Hirngespinst sein, wäre der Raum nicht als Bedingung der Erscheinungen, welche den Stoff der äußeren Erfahrung ausmachen, anzusehen . . „mittelbar" beziehen sich danach die reinen Urteile der Mathematik immer „auf mögliche Erfahrung, oder vielmehr auf dieser ihre Möglichkeit selbst . . . " . 145 Β 196.

(S. 472 Β 747)

663

„Axiome der Anschauung" und „Antizipationen der Wahrnehmung" (148 ff. Β 202 ff. und 151/2 ff. Β 207 ff.) sind nicht Grundsätze der Mathematik selbst, sondern gehen auf mögliche „Existenz" in empirischer Realität. Alle Sätze der reinen Mathematik dagegen, so auch ihre Grundsätze und „Axiome" handeln nur „von den Eigenschaften der Gegenstände (sc. reiner Anschauung) an sich selbst" : so wie eben die Begriffe sie in der Konstruktion entwerfen — ganz absehend noch von aller Möglichkeit der Anwendung auf Realexistierendes. Der „Vernunftgebrauch" in der reinen Mathematik kann also als „intuitiver" bezeichnet werden, und er führt, ,wie sich längst gezeigt hat, zu ständig sich „erweiternden" Erkenntnissen. Ganz anders der „diskursive Vernunftgebrauch", bloß „nach Begriffen" — ohne jede Möglichkeit anschaulicher „Darstellung"! Es fragt sich also nun, ob und wie „die reine Vernunft im transzendentalen Gebrauche" der Philosophie ihrerseits Erkenntnisse von apodiktischer Gewißheit erreichen kann, und in welchem Sinne solche Erkenntnisse „dogmatisch genannt werden" können (Fragestellung des 1. Absatzes) und also einen echten Lehraufbau zu leisten fähig sind. Der 10. Absatz beginnt mit der Kernthese der Kantischen Lehre von der menschlichen Erkenntnis, wie sie gleich zu Anfang der transzendentalen Ästhetik (49 Β 33) aufgestellt wurde: „Auf welche Art und durch welche Mittel sich auch immer eine Erkenntnis auf Gegenstände beziehen mag, es ist doch diejenige, wodurch sie sich auf dieselbe unmittelbar bezieht, und worauf alles Denken als Mittel abzweckt, die Anschauung. Diese findet aber nur statt, sofern uns der Gegenstand gegeben wird; dieses aber ist wiederum uns Menschen wenigstens nur dadurch möglich, daß er das Gemüt auf gewisse Art affiziere"; und: „Alles Denken . . . muß sich, es sei geradezu (directe) oder im Umschweife (indirecte), vermittelst gewisser Merkmale, zuletzt auf Anschauungen, mithin bei uns auf Sinnlichkeit beziehen, weil uns auf andere Weise kein Gegenstand gegeben werden kann". Mathematische Begriffe a priori (reine Vernunftbegriffe im ganzallgemeinen Sinn des Wortes) enthalten immer schon „eine reine Anschauung in sich"; sie werden entworfen durch produktive Einbildungskraft, und dadurch wird ihr Gegenstand gegeben. Die philosophischen Begriffe aus reiner Vernunft, darauf schon unser 8. Absatz anspielte, enthalten aber nicht etwa, wie überlieferte Metaphysik 2*

664

(S. 473 Β 748)

und Erkenntnislehre meinte, schon in sich gegenständliche Wahrheit, als welche dann durch bloße „Erläuterung" herauszustellen wäre; andererseits sind aus ihnen nicht (wie es später im Text heißen wird (482/3 Β 764), „direkt synthetische" Sätze zu gewinnen. — Reine Begriffe als solche sind vielmehr „nichts als Funktionen der Synthesis" für „mögliche" empirische Anschauungen — nur indirekt gültig, also als notwendige Bedingungen der Erfahrung und damit aller etwa vorkommenden Gegenstände derselben (vgl. die Formel des Obersten Grundsatzes aller synthetischen Urteile 145 Β 197). Durch den reinen Vernunft- (bzw. in engerer Fassung: Verstandes-) Begriff von Kausalität und Dependenz etwa kann man in Wahrheit „synthetisch und a priori urteilen", wie das die zweite der „Analogien der Erfahrung" audi begründet; aber dies gilt eben nur für Gegenstände, welche, als einzeln-bestimmbare, uns immer erst gegeben werden müssen. Solche Synthesis möglicher Anschauungen ist „nichts weiter als die bloße Regel der Synthesis desjenigen, was die Wahrnehmung a posteriori geben mag" (11. Absatz). Und wiederum: Anschauung a priori enthalten nur die beiden „Form"-Begriffe unserer Sinnlichkeit; sie aber sind keine „diskursiven" Begriffe, sondern eben — intuitive 30 . Auf ihnen beruht alle reine Mathematik, diese Wissenschaft, welche „durch und durch apodiktische Gewißheit, d. i. absolute Notwendigkeit" bei sich führt, in einer ständigen Erweiterung, die noch „unbegrenzte Ausbreitung auf die Zukunft verspricht"; Mathematik ist ein „reines Produkt der Vernunft, überdem aber durch und durch s y n t h e t i s c h . . h e i ß t es im § 6 der Prolegomena (IV 280). Aller „Gehalt", alle „Materie" 31 des uns je gegenständlich und real Vorkommenden kann nur a posteriori „vorgestellt", nur wahrgenommen und erfahren werden, nie aber, wie die Gebilde reiner Mathematik, a priori konstruiert — wo es ja denn auch nicht um Existenz geht. Nur in Raum und Zeit, diesen Formen unserer Rezep30

31

53 Β 39. „Der Raum ist kein diskursiver . . . Begriff von Verhältnissen der Dinge überhaupt, sondern eine reine Anschauung". 58 Β 47: „Die Zeit ist kein diskursiver, oder wie man ihn nennt, allgemeiner Begriff, sondern eine reine Form der sinnlichen Anschauung"; — „Vorstellung, die nur durch einen einzigen Gegenstand gegeben werden kann . ..". Dieser Satz „ist synthetisch und kann aus Begriffen allein nicht entspringen." Ersteinführung der gnoseologischen Unterscheidung und Korrelation von „Form" und „Materie" im § 1 der transzendentalen Ästhetik. 50 Β 34.

(S. 473 Β 748)

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tivität, können uns wirklich „Dinge" (entia) gegeben werden. Ein einziger Begriff nur stellt den empirischen Gehalt der Erscheinung a priori vor, also schlechthin allgemein und notwendig: der Begriff des „Dinges" (oder: Gegenstandes!) möglicher Erfahrung. Dieser Begriff stellt, wie es im Analytik-Abschnitt vom System der Grundsätze heißt, einen „Kontext nadi Regeln eines durchgängig verknüpften (möglichen) Bewußtseins" dar, Formregeln a priori für Erfahrungen und alle Erfahrungsgegenstände überhaupt82. Synthetische Sätze, solche über geometrische Gestalten oder über Zahlen (bloße „Synthesis des gleichartig Mannigfaltigen"), wie etwa schon die Axiome, lassen sich in reiner Anschauung darstellen. Synthetische Grundsätze aber, welche auf „Dinge überhaupt" im Erfahrungsbereich gehen, auf Existenz (wie es im 8. Absatz hieß) der Gegenstände selbst33 oder ihrer „Eigenschaften" (in ihrer Ungleich82

33

144/5 Β 195/6. Wenn Kant in diesem 11. und dann wieder im 12. Absatz von „Dingen überhaupt" spricht, so klingt das zwar im Ausdruck an die überlieferte, von der Kritik verworfene Metaphysica generalis: Ontologie an, welche ja eben beanspruchte, aus bloßen Vernunftbegriffen Wesenszüge des Seienden als solchen zu entwickeln. Die „Regeln" aber, von denen Kant in unserem Text spricht, sind nur Grundsätze für Dinge (Gegenstände) der Erfahrung. Vgl. dazu 207 Β 303: „Die transzendentale Analytik hat demnach dieses wichtige Resultat: daß der Verstand a priori niemals mehr leisten könne, als die Form einer möglichen Erfahrung überhaupt zu antizipieren . . . Seine Grundsätze sind bloß Prinzipien der Exposition der Erscheinungen, und der stolze Name einer Ontologie, welche sich anmaßt, von Dingen überhaupt synthetische Erkenntnis a priori in einer systematischen Doktrin zu geben . . . , muß dem bescheidenen einer bloßen Analytik des reinen Verstandes Platz machen." — Im „Architektonik"-Hauptstück der Methodenlehre heißt es: die Transzendentalphilosophie „betrachtet nur den Verstand und die Vernunft selbst in einem System aller Begirffe und Grundsätze, die sich auf Gegenstände überhaupt beziehen, ohne (sc.: noch) Objekte anzunehmen, die gegeben wären" (mit diesen hat es dann erst „Metaphysik der Natur" zu tun). An dieser Stelle fügt Kant selber für jenen grundlegenden Teil der Transzendentalphilosophie den Titel: Ontologia in Parenthese ein. 546 Β 873. In den späten Metaphysik-Vorlesungen (Dohna) heißt es X X V I I I , 622 unter dem Titel: „Allgemeine Metaphysik (Transzendentalphilosophie) oder Ontologie": „das erste, was bei der Metaphysik betrachtet wird, ist das Wort Gegenstand, welchem hiernach alle anderen Begriffe untergeordnet sind. Es ist der allgemeine, der höchste Begriff in der Ontologie." Auf die „ontologischen Lehrbücher", von welchen aus Kant die neue transzendentalphilosophische Lehre von den Wesensformen aller Gegenstandserfahrung entwickelte, nimmt auch unser Werk gelegentlich Bezug: im Hinzielen auf den weiteren Ausbau eben der Transzendentalphilosophie. 94 Β 108. Der Ausdruck: Eigenschaften „der Gegenstände an sich selbst" darf hier keinesfalls im Sinne von „Dingen an sich" verstanden werden.

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(S. 47314 Β

749)

artigkeit), sind bloße Formprinzipien und in diesem Sinne nur „transzendental" (nicht aus sich allein heraus seinsbestimmend). Alle Gehalte, als „Materie" der gegenständlichen Erkenntnis, können nur in empirischer Anschauung angetroffen, müssen immer erst w a h r nehmend-beobachtend aufgesucht werden; so etwa die wirklich waltenden Kausalverhältnisse oder Sachheiten (Realitäten), wie die Farbe „dieses" Kegels (nach dem Beispiel des 4. Absatzes). Kein einziger der in transzendental-synthetischen Sätzen maßgebenden diskursiven Begriffe (Kategorien) k a n n als solcher auch „dargestellt" werden, weder der einer Realität, Substanz, K r a f t (Absatz 13), noch die wechselseitige Abhängigkeit mit anderen, noch Daseinsmöglichkeit, -Wirklichkeit oder -notwendigkeit samt deren Gegenbegriffen (Absatz 14). D e r 13. Absatz stellt noch einmal die verschiedenen A r t e n dar, wie wir aus Begriffen gültige Urteile gewinnen k ö n n e n . W e n n wir allein bei Begriffen bleiben (als bloß diskursiven, welchen Anschauung nicht innewohnt), so k a n n das Urteil n u r ein solches der Erläuterung des im Begriff Gedachten sein, „Erklärung" im Sinne bloßer (nominaler) Definition. Ausgesagt wird dann nur, was im „Gedanken" wirklich enthalten ist — ohne Bezug auf den Gegenstand und diejenigen Eigenschaften desselben, die in diesem Begriff nicht liegen (aber etwa „doch zu ihm gehören", wie es im Absatz 7 an einem mathematischen Beispiel hieß). Analytische Urteile leisten keine „Erweiterung", auch nicht P r ü f u n g und etwa K o r r e k t u r des vorgegebenen Begriffs. D a s gilt schließlich ja auch von empirischen Begriffen; was ich beim Worte: Gold wirklich denke, das k a n n ich, meinen Begriff zergliedern, „herzählen" und damit „logisch" verdeutlichen; aber dadurch w i r d keinerlei weitere Kenntnis erworben. Erweiternde Urteile über diese A r t Materie (dieses Metall) können n u r neue Wahrnehmungen und deren gleichsam „mechanische" 34 34

Wir deuten das hier auftretende Wort: mechanisch nach Analogie zu dem bei Gelegenheit der Einführung in die Kategoriensystematik gebrauchten Ausdrude eines (und von Kant da abgewiesenen) sammelnd-beobachtenden, „gleichsam mechanischen Verfahrens", eines Auffindens „nur so bei Gelegenheit". 84 Β 91/2. — Das Beispiel vom Golde, weldies bald wieder auftritt (beim Thema der D e finitionen) ist hier nur im Sinne von Bezeichnungen und Urteilen des Alltags eingeführt; wissenschaftliche Urteile (audi sie empirisch-synthetisch) über diese Materie setzen methodisch-systematische Erfahrung voraus, die ihrerseits unter transzendentalen Grundsätzen steht.

(S. 474

Β

7SO)

667

Aufsammlung geben, also zusätzliche empirisch-synthetische Urteile. Wirkliche Erkenntnis kann also aus einem Begriffe, von welcher Art er auch sei, nur dann gewonnen werden, wenn man zu der ihm korrespondierenden Anschauung, zur „Erwägung" in concreto übergeht. Das geschieht in der Mathematik eben durch Konstruktion (Erwägung etwa, weldie Winkelsumme einem Dreieck zugehört), — was dann „rationale" Erkenntnis ergibt, in lauter notwendigen und apodiktischen Sätzen und Satzsystemen. Eben diese Möglichkeit aber ist den nur diskursiven Begriffen der Vernunft im philosophischen Gebrauch, den „transzendentalen" Begriffen, versagt; sie „bezeichnen" (anders als die „Charaktere" der Buchstabenrechnung!) nichts Anschauliches, können also auch keinen ihren Gegenstand direkt „bestimmenden" Satz ergeben. Was sie aber wohl leisten können (nämlich in Verbindung mit den Anschauungsformen!), das sind solche Grundsätze, durch welche „alle synthetische Einheit der empirischen Erkenntnis allererst möglich" wird. Als Beispiele für die „transzendentalen Begriffe", um deren Gebrauch es geht, werden in diesem Absatz „Realität, Substanz, Kraft" genannt (Kraft gehört als „Prädikabile" zur Kausalität (94 Β 107/8); im nächsten wird auch auf Quantitätsfragen, auf Realität und Negation (hier als „Dasein" und „Mangel" formuliert), auf Wechselwirkung und alle drei Modalitätskategorien Bezug genommen. Die Anmerkung geht eigens auf den „Begriff der Ursache" ein, als leitend im synthetischen Grundsatz der Kausalität, welcher als ein Fundamentalgesetz der Natur (als Inbegriff aller Gegenstände äußerer wie innerer Erfahrung) in der Analytik bewiesen werden konnte (166/7 ff.; Β 232/3 ff.). Dieser Begriff, für sich genommen, besagt — wie es in der Vorrede zu den Prolegomena, im Zusammenhang der großen Frage nach der Möglichkeit einer Metaphysik aus reiner Vernunft heißt —, „ . . . daß etwas so beschaffen sein könne, daß, wenn es gesetzt ist, dadurch auch etwas anderes notwendig gesetzt werden müsse"35. Schon in dem Einleitungsabschnitt der Kritik, 35

IV 257. Nach Kants Selbstdarstellung in diesem Textstück war es zuerst David Hume, welcher von diesem „wichtigen Begriffe der Metaphysik" unwidersprechlich bewies, daß es „der Vernunft gänzlich unmöglich sei, a priori und aus Begriffen eine solche Verbindung zu denken, denn diese enthält Notwendigkeit; es ist aber gar nicht abzusehen, wie darum, weil Etwas ist, etwas anderes notwendigerweise auch sein müsse und wie sich also der Begriff von einer solchen Verknüpfung (!) a priori einführen lasse". Von hier aus sei ihm selber dann die

668

(S. 474b Β 750/1)

welcher den Unterschied analytischer und synthetischer Urteile erstmalig herausstellt, ist das Hauptbeispiel für diese letzteren der Satz: „Alles, was geschieht, hat seine Ursache" (35 Β 13); Geschehen aber ist, wie unsere Anmerkung sagt, der „empirische" Begriff von einer Begebenheit, setzt also Zeitbedingungen voraus. Der Ursachenbegriff ergibt, wenn er (wie das Hauptstück „Von dem Schematismus der reinen Verstandesbegriffe" gezeigt hat) mit Zeitbedingungen überhaupt verbunden wird, ganz allgemein und in abstracto die Notwendigkeits-„Regel", von Begebenheiten als Ursachen zu solchen als Wirkungen „herauszugehen": Anweisung auf empirische Synthesen. Konkrete Fälle für das Gesetz müssen immer erst durch Wahrnehmungen, in empirischer Anschauung real gegebener Vorgänge, „gefunden" werden. Den Begriff „einer Ursache überhaupt", hieß es in Absatz 4, „kann ich auf keine Weise in der Anschauung darstellen, als an einem Beispiel, das mir Erfahrung an die Hand gibt". In der Zusammenfassung des H.Absatzes liegt der gedankliche Akzent auf dem Gegensatz „bestimmter" Gegenstandserkenntnis in der Mathematik zum „unbestimmten" Begriff in den philosophischen Grundsätzen der Synthesis; diese können zu einer Gegenstandsbestimmung nur führen, sofern ein (zu bestimmendes) „Etwas" Aufgabe der „Deduktion" bezüglich aller jener Begriffe erwachsen, durch welche „der Verstand a priori sich Verknüpfungen der Dinge denkt", dieser Begriffe, auf denen gerade die Metaphysik „ganz und gar" beruhe. IV 260. — Es kann der Erläuterung der Problematik dienen, wenn man eine viel frühere Quelle mitheranzieht. Gegen Absdiluß der Schrift von 1763 über die „Negativen Größen" heißt es: „Ich verstehe sehr wohl, wie eine Folge durch einen Grund nach der Regel der Identität gesetzt werde, darum weil sie durch die Zergliederung der Begriffe in ihm enthalten befunden wird." „Wie aber etwas aus anderem, aber nicht nach der Regel der Identität fließe", wie im Falle des „Realgrundes", das kann nicht ebenso eingesehen werden; „ . . . wie soll ich es verstehen, daß, weil etwas ist, etwas anderes seif Als Beispiel folgt unmittelbar: „Der Wille Gottes enthält den Realgrund vom Dasein der Welt. Der göttliche Wille ist etwas. Die existierende Welt ist etwas ganz anderes". „Ihr möget nun den Begriff vom göttlichen Wollen zergliedern, soviel euch beliebt, so werdet ihr niemals eine existierende Welt darin antreffen, als wenn sie darin enthalten" sei. „Ich lasse mich auch durch die Wörter (!) Ursache und Wirkung, Kraft und Handlung nicht abspeisen. Denn wenn ich etwas schon als eine Ursache wovon ansehe, oder ihr den Begriff einer Kraft beilege, so habe ich in ihr schon die Beziehung des Realgrundes zu der Folge gedacht . . . " . Erst als ein zweites Beispiel tritt dann eine Bewegungswirkung auf: „Die Bewegung von A ist etwas, die von Β etwas anderes, und doch wird durch die eine die andere gesetzt." II 202 f.

(S. 475 Β 752)

669

durdi „Empfindungen" gegeben wird. Alles was in bloßen „Formen" der Anschauung gedacht wird, kann auch, eben sofern es sich als konstruierbar erweist, „völlig a priori erkannt und bestimmt werden"; denn hier „schaffen" wir die Gegenstände selbst „durch gleichförmige Synthesis", was eben heißt, daß wir sie (wie Raum und Zeit selbst) „bloß als Quanta betrachten". (Dagegen ist die Relation von Ursache und Wirkung Synthesis von Ungleichartigen.) — Zu Ende des Absatzes werden drei Hauptfelder solcher reinen Mathesis unterschieden: Wissenschaft von räumlichen Gestalten (also Geometrie im weitesten Sinne), Zeitteilung (Dauer)36 und Zahlwissenschaft, sei es in der Form der Arithmetik oder der „Buchstabenrechnung"37. Daß Zahl als solche aus der Synthesis des Zählens hervorgeht und damit Konstruktion von Begriffen in der Anschauungsform: Zeit ist, gehört als wesentliches Stück zu Kants Philosophie der Mathematik 38 . Und daß unser Text Zahl nicht 36

„Dauer" als solche ist bei Kant ein abgeleiteter Begriff des reinen Verstandes (Prädikabile). Denken können wir also auch eine duratio noumenon; aber das ist dann eben nur Noumenon „im negativen Verstände". Für uns gibt es, wie „keine Gegenwart" anders als „im Räume", so „keine Dauer als bloß in der Zeit" 502/3 Β 798/9. — Eine reine Zeitwissenschaft, welche für sich bestehen könnte, analog zur Geometrie als Wissenschaft von Raumgebilden rein als soldien, gibt es f ü r K a n t nicht. Wohl aber „apodiktische Grundsätze von den Verhältnissen der Zeit oder Axiomen von der Zeit überhaupt", wozu der Satz gehört, daß die Zeit „nur Eine Dimension " hat. 58 Β 47. Zeitmessung (Chronometrie) gibt es nur, wo reale Veränderungen und insbesondere „Bewegung (als Veränderung des Ortes" ist; das aber ist eben kein rein apriorischer Begriff (Anschauung) mehr, sondern setzt, Raum und Zeit vereinigend, „etwas Empirisches voraus". 64 Β 58; vgl. 121 a Β 155 a. Alle Veränderung und Bewegung ist „nur durch und in der Zeitvorstellung" möglich. „Also erklärt unser Zeitbegriff die Möglichkeit so vieler synthetischer Erkenntnis a priori, als die allgemeine Bewegungslehre, die nicht wenig fruchtbar ist, darlegt." 59 Β 48/9.

37

Zur Arithmetik vgl. 37 Β 15, auch Prolegomena § 10, I V 283; zur Algebra unseren Absatz 6. Beide haben zum Gegenstand „die bloße Größe (quantitatem)" und konstruieren also „bloß das Allgemeine der Synthesis von einem und demselben in der Zeit und im Räume", wie es in unserem Text jetzt heißt. — Vgl. noch Kants (im Zusammenhang der „transzendentalen Grundsätze der Mathematik der Erscheinungen" auftretende) These, daß es, anders als in der Geometrie, in Ansehung der „Größe (quantitas)" keine Axiome „im eigentlichen Sinne" gebe, obgleich verschiedene Sätze hier „synthetisch und unmittelbar gewiß (indemonstrabilia)" sind. 150 Β 204/5.

38

Vgl. etwa 91/2 Β 104; 137 Β 182: „Das reine Schema der Größe aber (quantitatis) als eines Begriffs des Verstandes ist die Zahl, welche eine Vorstellung ist, die die sukzessive Addition von Einem zu Einem (gleichartigen) zusammenbefaßt. Also ist die Zahl nichts anderes als die Einheit der Synthesis des Mannig-

670

(S. 47S Β

7η)

allein auf Zeit, sondern zugleich damit auf den Raum bezieht, entspricht der häufigen Verweisung Kants auf Darstellbarkeit von Zahlen durch Raumpunkte 39 . Der andere, der philosophische Vernunftgebraudi (auch er eine Art „Erzeugung" von synthetischer Erkenntnis!), welchen Kant als haltbar und auch sachnotwendig vor Augen hat, zielt auf anderes und mehr, als auf Eigenschaften selbstentworfener Gegenstände, „lediglich sofern diese mit dem Begriff derselben verbunden sind" (Abs. 8) — nämlich auf „Dinge", d. h. auf etwas, was „ein Dasein enthält" und auf dessen Eigenschaften. Dergleichen aber kann eben nicht rein erzeugt, sondern immer nur „angetroffen" werden: angetroffen im Raum und in der Zeit, sofern diese nicht bloß Felder reiner Anschauung für sich genommen sind („formale Anschauungen"), sondern Formen des Erscheinenden, wo also gegenständlich Existierendes erfaßt wird, „Physisches", das einer „Empfindung" korrespondiert 40 , — also „Materie" der Wahrnehmung und Erfahrung (s. Abs. 11). Erscheinungsgegenstände können ihrem „realen Gehalt" nach nur a posteriori auftreten. Um aber das in Empfindungen Gegebene zu „verstehen", um es „unter Begriffe zu bringen", bedarf es noch eines anderen Inbegriffs von Formen: nämlich allgemeinster und insofern „unbestimmter" Verstandesbegriffe der Synthesis „möglicher" Empfindungen. Ohne diese ursprünglichen Begriffe a priori könnten weder die äußern nodi die inneren Gegebenheiten „zur Einheit der Apperzeption" kommen, zu einem einheitlichen Bewußtsein von faltigen einer gleichartigen Anschauung überhaupt, dadurch daß ich die Zeit selbst in der Apprehension der Anschauung erzeuge." 39

2 . B. 37 Β 15: Man muß über die „bloßen Begriffe" 7 und 5, sowie darüber, daß idi ihre Vereinigung bloß „denke", hinausgehen „indem man die Anschauung zu Hülfe nimmt . . . , etwa seine fünf Finger oder (wie Segner in seiner Arithmetik) fünf Punkte . . . " . 205 Β 299: Der rein diskursive Begriff der Größe sucht in der Mathematik „seine Haltung und Sinn in der Zahl, diese aber an den Fingern, den Korallen des Rechenbretts, oder den Strichen und Punkten, die vor Augen gestellt werden". (Empirische Anschauung dient dazu, reine Anschauung „auszudrücken", vgl. unseren 2. Absatz.) 205 Β 300: „Den Begriff der Größe überhaupt kann niemand erklären (sc.: definieren), als etwa so: daß sie die Bestimmung eines Dinges sei, dadurch, wie vielmal Eines in ihm gesetzt ist, gedacht werden kann. Allein dieses Wievielmal gründet sich auf die sukzessive Wiederholung, mithin auf die Zeit und die Synthesis (des Gleichartigen) in derselben."

40

„Das Physische" bedeutet ganz allgemein „Natur"-Gegebenes, also ebensosehr Wahrnehmungsgehalte des innern Sinnes (Psychisches), als Räumlich-Materielles.

(S. 47516 Β 75213)

671

Gegenständen möglicher Erfahrung gehören41. In eben dieser durchgehenden Einheit des Ich-denke wurzeln jene Denkformen, die beim Erkennen sich mit den Form der Anschauung verbinden. — Vernunfterkenntnis „aus Begriffen" kann es nur geben in der Weise einer „Transzendentalphilosophie" von der Art, wie die Kritik sie eingeführt und begründet hat; sie gipfelt, ihrem positiven Aufbau nach, im „System der Grundsätze des reinen Verstandes" (143—202/2 und Β 193—294). Die „Erwägungs"-Begriffe, welche in unserem Text kurz aufgereiht werden, entsprechen der Ordnungsfolge der Kategorientafel und damit auch der Anordnung im System der Grundsätze, abschließend mit denen, wo es um Möglichkeit, Wirklichkeit und Notwendigkeit von Daseiendem, samt dem je Gegenteiligen geht. Die im 1. Absatz unseres Abschnitts gestellte Grundfrage ist damit ausführlich beantwortet: die zwei Weisen des Vorgehens sind durchaus nicht „einerlei", sondern „spezifisch unterschieden". Der 15. Absatz wiederholt, daß es wohl naheliegen kann und die Versuchung groß ist, die Anliegen der Metaphysik in Angleichung an die mathematische Methode zu behandeln und damit etwa auch die Philosophie auf so etwas wie eine „Heeresstraße" stetigen Fortschreitens in breiter Zusammenarbeit aller Forscher zu bringen. Die „Nachahmung" des großen Beispiels einer Wissenschaft, welche unter evidenten Prinzipien a priori steht und unabsehbar sich erweiternde Erkenntnis von ein für alle Mal erreichter apodiktischer Gewißheit leistet, liegt nahe genug. So haben sich denn auch, sagt Kant hier, in Polemik gegen philosophische System- und Schulbildungen seines Jahrhunderts, 41

Es ist das Resultat der transzendentalen Deduktion (§§ 15—27 der Analytik), auf welches Kant hier, in aller Kürze, anspielt. D e r „kurze Begriff dieser D e duktion" stellt die Kategorien (welche in unserem Absatz als Weisen des „Erwägens" von Bestimmtheiten der Dinge aufgeführt werden) dar „als Prinzipien der Möglichkeit der Erfahrung", wobei Erfahrung als „Bestimmung der Erscheinungen" in Raum und Zeit „aus dem Prinzip der ursprünglichen synthetischen Einheit der Apperzeption" begriffen wird. D e n ursprünglichen Formen der Sinnlichkeit, als des Vermögens der Rezeptivität, dadurch uns „Gegenstände gegeben werden", tritt damit zur Seite, ja voran, eine schlechthin „ursprüngliche" Form des Verstandes, als des Spontaneitätsvermögens, durch welches Gegenstände „gedacht werden" (zwei Stämme der menschlichen Erkenntnis 46 Β 29); diese Apperzeptionsform tritt „in Beziehung auf Raum und Zeit" durch die Kategorien. Vgl. 129 Β 168/9. U n d daraus erfolgen jene synthetischen Grundsätze der Transzendentalphilosophie, als den „Regeln" jeder möglichen empirischen Synthesis.

672

(S. 476 Β 7Í3)

viele schon als „Meister" empfunden in der „Kunst" (in Wahrheit scheinhafte Kunststücke!), die an sich rein diskursiven Begriffe der Philosophie (diejenigen der überlieferten Ontologie) auf „Anschauung" zu bringen und damit dann auch „Meister über die N a t u r " zu werden 42 . Was in Wahrheit ebensolchen, als „dogmatisch" abzuweisenden, Ansprüchen und Erwartungen fehlte, war zweierlei. Erstens: eine Philosophie der Mathematik. Aus der Erfahrung des eigenen Neueinsatzes fügt Kant den Ausruf bei: „ein schweres Geschäft!" Die Kritik hat es auf sich genommen und durchgeführt; sie hat zuerst die Frage gestellt, welche die Einleitung als eine erste der Zielfrage nach der Möglichkeit künftiger Metaphysik als Wissenschaft vorangehen ließ: „Wie ist reine Mathematik möglich?" 43 Zweitens dann die weiterführende, nicht minder schwierige Bemühung: die objektive Sachgültigkeit („Realität") der reinen Verstandesbegriffe zu erweisen, „beglaubigt" zu machen auf einem Wege, der in gewissem Sinne auch sie „a priori anschauend" macht. Eben das geschah durch das Unternehmen der „transzendentalen Deduktion" samt Ausbau im „Schematismus". Jene Philosophen eines „Dogmatismus" der reinen Vernunft, welche „ohne vorangehende Kritik ihres eigenen Vermögens" (vgl. 21 Β X X X V ) metaphysische Prinzipien und Lehrgefüge mit dem Anspruch auf apodiktische Gewißheit aufstellen, machen alle auf ihre Weise Regeln der „gemeinen Vernunft", wie sie schon in der 42

D i e Polemik K a n t s gilt ebensosehr der Wolff-Schule (ζ. B. falsche „Versinnlichung" des diskursiven Begriffs von dem, allem Zusammengesetzen gegenübergestellten, Einfachen zur „physischen" M o n a d e , vgl. 306 Β 470), wie dem G e g e n lager, das v o n Crusius bestimmt w a r , welcher den rein diskursiven Begriff der Existenz ontologisch mit Raumzeitbedingungen v e r b a n d und damit unabsehbare Schwierigkeiten in die „natürliche T h e o l o g i e " (72 Β 71) hineinbradite. — D i e im gleichen T h e m a des Wesensunterschiedes zwischen mathematischer und philosophischer Erkenntnis stehende vorkritische Schrift über die „Deutlichkeit der G r u n d s ä t z e der natürlichen Theologie und der M o r a l " enthält eine ausführliche Polemik gegen Crusius, bei aller Anerkennung v o n dessen T e n d e n z auf „ m a t e riale" (nidit bloß „logische") G r u n d s ä t z e der menschlichen V e r n u n f t . I I 293/4, 2 9 6 ; v g l . I I 7 6 : „ D e r berühmte Crusius rechnet das I r g e n d w o und I r g e n d w a n n z u den untrüglichen Bestimmungen des D a s e i n s . " — U n t e r dem T i t e l : „ E i n teilung der Philosophischen Schulen" treten in einer L o g i k - N o t i z zuerst Crusius und Wolff unter dem Stichwort: „ d o g m a t i s c h " auf X V I 60.

43

Prolegomena § 6, Teilbestand der Allgemeinen F r a g e n : „Wie ist Erkenntnis aus reiner Vernunft möglich?" und „Wie sind synthetische S ä t z e a priori möglich?" I V 275 ff.

(S. 476 Β 753)

673

Empirie des Alltags und dann in aller Art Naturforschung geläufig sind und gesichert scheinen, ohne weiteres zu obersten Grundsätzen der Philosophie, die in sich evident sein sollen — ähnlich den „Axiomen" der Mathematik. (Hauptbeispiel, welches Kant ständig, auch immer wieder in der Polemik seiner Spätzeit, vor dem Sinn steht, ist hier: die Ursach-Wirkungs-„Regel" des Alltags und der Wissenschaften von Veränderungen in Raum und Zeit wird, unter dem Namen des „Satzes vom Grunde", zum Prinzip einer Ontologie gemacht, welches für Dinge überhaupt zu gelten beansprucht. Oder, was ein anderes Hauptthema von Kants Polemik ist: die Regel, wonach alles uns als existent Begegnende einen Ort im Raum und seine Stelle im Zeitlauf hat, wird, wie bei Crusius, zu einem „unerweislichen" materialen Grundsatz gemacht, welcher für Seiendes überhaupt gelten soll.) Solche Philosophen haben dann auch jeweils beansprucht, die Begriffe von Raum und Zeit zu „erklären", was faktisch dann immer bloße Begriffs-„Erläuterung", in analytischen Urteilen ergab. Nie aber haben sie nach der Herkunft dieser „Begriffe" gefragt (aus Erfahrung, aus Vernunft oder wie sonst?). Sie haben nicht bemerkt, daß diese beiden „Quanta", auf welchen alle „Quantitäts "-Erkenntnis in mathematischen Wissenschaften beruht, von denen selbst aber, als von Fundamentalbegriffen — mit ihrem eigenartigen Charakter von Unendlichkeit — die Philosophie zu handeln hat (Abs. 4), die einzig „ursprünglichen" in ihrer Art sind: Grundformen unseres Anschauens und damit wesenhafte „Elemente" alles mit Anschauung verbundenen Begreifens. Auch die Elementarbegriffe des Verstandes, wie etwa jenen der Kausalität (des Realgrundes), haben diese Philosophen bei all ihren definitorischen „Erklärungen" nicht auf den Ursprung hin befragt — womit sich denn auch die Aufgabe der „Beglaubigung" und damit etwa der Begrenzung im „Umfang ihrer Gültigkeit" ergeben hätte. Solange diese Art von Philosophen sich der „reinen" Begriffe von Raum und Zeit, zugleich dann nodi der „transzendentalen" Begriffe des Verstandes bloß in Sachen der „Natur"-Philosophie bedient, im Feldbereich von Anschauung und Empirie — solange kann man sie gewähren lassen. Da aber, wo sie auf Noumena, auf das Feld des Übersinnlichen ausgreifen und auch dort ihre synthetischen Prinzipien anwenden wollen, geraten sie, ohne den Übergang als Absprung recht zu bemerken, auf höchst unsicheres Gelände:

674

(S. 47617 Β 754)

alle die „Schritte" der Metaphysiker bisher, Systementwürfe im „transzendentalen Gebrauche" der Vernunft, sind faktisch — verglichen mit dem Heeresweg der Mathematik und auch der neuen Wissenschaften von Gesetzen des Naturgeschehens — immer nur vorübergehend-„flüchtige" Versuche geblieben44. In solcher Situation und Uberschau erwächst dem Philosophen, eben im „transzendentalen Vernunftgebraudi", die Pflicht zur Reflexion, zur Selbstkritik der Vernunft; — „eine Pflicht, von der sich niemand lossagen kann, wenn er a priori etwas über Dinge urteilen will" (216 Β 319; 461 Β 731). Es gilt da vor allem, dem trotz aller immer wieder auftretenden Widerstände anhaltenden „Reiz", seine Erkenntnisse ins Übersinnliche zu erweitern, eine eigene Vernunft Wissenschaft entgegenzustellen, „welche die Möglichkeit, die Prinzipien und den Umfang aller Erkenntnisse a priori bestimme" — wie es im I I I . Abschnitt der Einleitung zu unserem Werke programmatisch heißt. Schon Piaton war durch die Wissenssicherheit der Mathematik verleitet worden, unbedenklich „in die reizenden Gegenden des Intellektuellen" 45 sich hinauszuwagen (31/2 Β 8 f.). Es hat sich aber nun gezeigt, daß die Anschauungswissenschaft von Größen (hier im Anschluß an den Terminus Geo-metrie und zugleich in Richtung auf alle Art von Anwendung mathematischer Erkenntnisse in den Naturwissenschaften „Meßkunst" genannt) einerseit und Philosophie andererseits schon ihrem „Form"-Charakter nach (4. Absatz), in den Methoden grundverschieden sind; „Befolgung" der mathematischen Methode in philosophicis kann schließlich nur die „Blößen", das Fehlen von Anschauung in den bloß diskur-

44

Vgl. die Kontrastierung von Mathematik und Metaphysik in der Vorrede B, wo audi das Bild der Heeresstraße („Heeresweg der Wissenschaft" 10 Β X I I ) auftritt. — Die in unserem Text aufklingende Metapher eines Moores, wo der Boden völlig unsicher wird, mag man mit Kants Bild von dem die „Insel" der Empirie-,.Wahrheit" umgebenden Ozean mit seinen Nebelbänken und wegschmelzenden Eisfeldern (202 Β 294/5) zusammennehmen.

45

Den „transzendentalen" Unterschied „der Sinnlichkeit vom Intellektuellen" herauszustellen, war schon Kernaufgabe der transzendentalen Ästhetik (66 Β 61/2); und die Analytik schließt ja ab mit dem Hauptstück: Von dem Grunde der Unterscheidung aller Gegenstände überhaupt in Phaenomena und Noumena". „Intellektualphilosophen" wie Plato nennt Kant wohl auch: „Noologisten". 550/1 Β 881/2.

(S. 477 Β 75415)

675

siven Vernunftbegriffen aufdecken46. — Daß aber andererseits auch wieder Philosophie und Meßkunst in Naturwissenschaften „einander die Hand bieten" (wie in Newtons Hauptwerk: Principia mathematica philosophiae naturalis), das steht auf einem ganz anderen Blatte! Denn hier handelt es sich eben um Anwendung der Mathematik auf Strukturen und Vorgänge in der empirischen Realität, Anwendung unter der Direktive und Garantie von Grundsätzen, welche als gültig zu erweisen die Aufgabe der Philosophie als Transzendentalphilosophie ist; — in der Kritik wird das geleistet im System der Grundsätze, insbesondere derjenigen, welche Kant unter den Titel der „mathematischen" gestellt hat: betreffend extensive wie intensive „Größen" und Größenmessungen in der raumzeitlichen Realität. Die Absätze 17—22 gehen nun noch ein auf bekannte, auch immer in den logischen Lehrbüchern behandelte Methodenbegriffe, und zwar solche, welche seit alters in der Mathematik eine hervorragende Rolle spielten, nun aber auch von Philosophen, denen die „Meßkunst" zum hohen Vorbild für „transzendentale" Vernunfterkenntnis wurde, unbedenklich für den eigenen Aufbau in Anspruch genommen werden — so, als wenn kein Wesensunterschied in der Erkenntnissituation bestünde. Die kritisch-scheidenden Überlegungen Kants sollen hier, zugleich mit der an Metaphysiker gerichteten Warnung, auch philosophierende „Mathematiker" davon überzeugen, daß sie mit den ihnen so selbstverständlich gewordenen Denkformen und -ansprüchen nichts wirklich Haltbares in philosophicis ausrichten können. Kant denkt dabei besonders an die „Partei" der „mathematischen Naturforscher" 47 in den Diskussionen, im polemischen Streit um 46

47

Vgl. den entsprechenden Gedanken in der genannten vorkritischen Schrift: »Wir haben namhafte und wesentliche Unterschiede gesehen, die zwischen der Erkenntnis in beiden Wissenschaften anzutreffen sind, und in Betracht dessen kann man . . . sagen: daß nichts der Philosophie schädlicher gewesen sei als die Mathematik, nämlich die Nachahmung derselben in der Methode zu denken, wo sie unmöglich kann gebraucht werden; denn was die Anwendung derselben in den Teilen der Weltweisheit (sc.: Naturphilosophie) anlangt, wo die Kenntnis der Größen vorkommt, so ist dieses etwas ganz anderes, und die Nutzbarkeit davon ist unermeßlich." II 283. Vgl. 63 Β 56; ihnen gegenüber stehen als „zweite Partei" gewisse „metaphysische Naturlehrer". — Wenn es um deren Position in dem großen Thema vom Wesen des Raumes und der Zeit geht, denkt Kant außer an N e w t o n (und Clarke) immer besonders an L. Euler (Réflexions sur l'espace et le temps. 1748).

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(S. 477 Β 7ÍÍJ

die „Begriffe" (bzw. den Seinscharakter) von Raum und Zeit — diesen Quanta, welche als „ursprüngliche" faktisch in den Aufgabenbereich und in die Kompetenz der Philosophie gehören. — In den ersten 3 Absätzen geht es um die Stellung und den Leistungssinn der Definition im Vernunftgebrauch der Philosophie; je ein Absatz handelt dann von den Axiomen und den Demonstrationen — hier mit der These, daß es dergleichen beim Philosophieren rein aus diskursiven Begriffen gar nicht geben könne. Das Definieren verzeichnet die Methodenlehre von Kants Logik (welche ja, als „allgemeine", Denkformen für alle Wissenschaften überhaupt herausstellt) als das erste von den „Mitteln" zur Beförderung der Vollkommenheit von Erkenntnissen; Definitionen zielen auf die „Deutlichkeit" der jeweils verwendeten Begriffe 48 . Im ersten Satze unseres Textes samt der erläuternden Anmerkung ist ebenso von Definition ganz allgemein-formal die Rede, wobei aber sogleich das die Leistungs„bedeutung" Einschränkende zu beachten ist. Die hier auftretende Charakterisierung (Definition der Definition) entspricht ganz der auch sonst in Texten zu Kants Logik auftretenden; sie muli hier wohl nidit eigens kommentiert werden 49 . Obgleich es jetzt, in der „transzendentalen" Methodenlehre, allein um die Rolle und Bedeutung von Definitionen in Wissenschaften aus reiner Vernunft geht, beginnt Kants Erörterung mit der Feststellung, was die Begriffs-„Erklärungen" (dies der damals, auch in Kants eigenen Schriften, geläufige deutsche Ausdruck) in der Empirie leisten oder bedeuten können: sie sind da bloße Unterscheidungs„bezeichnungen", die weder einem Anspruch auf „Zulänglichkeit der Merkmale" noch dem auf sichere Abgrenzung („Präzision") genügen können: das hatte, am Begriff vom Golde, schon der 13. Absatz dargetan. Man kann durch solche ausführlichere Herzählung einzelner Merkmale eine gewisse „logisdie Verbesserung", aber nicht Vermeh48

Vgl. Kants Logik (Jäsche) §§ 97 ff. I X 139/40 ff.

49

In den Logik-Vorlesungen aus verschiedenen Zeiten, welche jetzt in Band X X I V aus Nachschriften gedruckt vorliegen, handeln von den Definitionen vor allem die Partien 570 ff., 656 ff., 7 5 6 ff., 912 ff.; vgl. audi aus den Reflexionen zur Logik X V I 5 7 2 — 6 1 1 und den § 1 der vorkritischen Schrift über die „Deutlichkeit . . II 276 f. In allen diesen Texten spielen Überlegungen zur Bedeutung der Definitionen für Philosophie (Metaphysik und Moral) einerseits, für Mathematik andererseits eine beträditliche Rolle; dieses methodologische Thema hat Kant viel beschäftigt.

(S. 477 Β 75516)

677

rung an Kenntnissen erreichen; denn die ist nur durch Fortgang in Erfahrungen an der Sache, in den Wissenschaften etwa durch Versuche, zu gewinnen. Empirische Begriffe sind Prädikate von Erfahrungsurteilen; und die sind eben ihrem Grundcharakter nach synthetisch50. — Die „Erklärungen" von Wahrnehmungs- und Erfahrungsbegriffen, welche natürlich nützlich und oft genug erforderlich sind, sollten demnach sich nicht „Definitionen" nennen dürfen, sondern etwa „Explikationen" heißen: es werden Merkmale angegegeben, auch durch Vergleiche mit anderen Bezeichnungen vermehrt — dies aber ohne Anspruch auf Vollständigkeit und gar auf Ursprungsausweis. „Ursprünglich" sind alle die philosophischen Begriffe der reinen Vernunftt, mit deren Definition die Lehrsysteme jener Philosophen beginnen, welche sich die mathematischen Wissenschaften zum Vorbild genommen haben 51 . Diese Begriffe sind, als „a priori gegebene", in unserer Vernunft selbst gelegen und damit allgemein-notwendig — zum Unterschied von den a priori selbstgemachten, willkürlich erdachten, zugleich auf Anschaubares fixierten, wie es die mathematischen Begriffe sind. Aus unzähligen Anwendungen sind sie uns wohlvertraut, so wie etwa da, wo es sich um praktische Vernunft handelt, Begriffe wie „Recht" und „Billigkeit". Gewiß haben die Philosophen bei den a priori gegebenen noch besonderen Grund, dieselben in „deutlicher Vorstellung" zu entwickeln. Für Kategorien wie Ursache und Substanz ist das ja audi immer wieder (freilich mit 50

51

Auch w o es sich um so fundamentale Begriffe der Empirie, w i e den „eines Körpers überhaupt" handelt, kann dieser Begriff seinen Gegenstand immer nur „durch einen Teil desselben" bezeichnen, „zu welchem idi also noch andere Teile eben derselben Erfahrung . . . hinzufügen kann". Ein großes Beispiel dafür w a r Kant vorgegeben durch das Hinzukommen der „Schwere" (Gravitation) zu den in der Naturphilosophie sonst überlieferten Grundeigenschaften „der Ausdehnung, der Undurchdringlichkeit, der Gestalt usw.". Vgl. 34 Β 12. Von heute her wird man sogleich und vor allem an Spinozas Hauptwerk: Ethica more geometrico demonstrata denken: w o auf dem ersten Blatt acht hochmetaphysische Begriffsdefinitionen auftreten (denen dann sieben „Axiome" folgen). Auch liegt die Beziehung dieser Definitionsansprüche auf die Grundprobleme der Kantischen Transzendentalphilosophie v o n der Sache her nahe genug; unter jenen Definitionen befindet sich die bekannte, vielumstrittene, auch v o n Kant (vgl. etwa X V I I 724 N r . 4777) verworfene Substanzdefinition, welcher die einer Causa sui noch vorangeht. Audi „Freiheit" wird da sogleich zu Anfang definiert, von welchem Begriff Kant schon in seiner vorkritischen Kontrastierung des philosophischen Vernunftgebraudis in Metaphysik und Moral mit dem der

3 Heimsoeth, Transzendentale Methodenlehre

678

(S. 478 Β 75617)

wechselndem Erfolg) versucht worden. Bei der Aufstellung seiner Kategorientafel sagt Kant seinerseits: er möchte wohl „im Besitz" der entsprechenden Definitionen sein, wolle aber in der „Methodenlehre", welche er in diesem Werk bearbeite (Vernunftkritik als bloß „Traktat von der Methode", wo es nicht um „Vollständigkeit des Systems" geht), diese Begriffe nur „bis auf den Grad" zergliedern, welcher hier hinreichend sei (94 Β 108/109). Jetzt wird dazu noch grundsätzlich gesagt, daß die Zergliederung von Begriffen dieser Art nie einer durchgängigen „Klarheit" und wahren „Zulänglichkeit" gewiß sein kann — und zwar apodiktisch gewiß, wie das bei dem Charakter solcher Begriffe und dem Anspruch auf „transzendentalen" Vernunftgebrauch zu verlangen wäre (im Gegensatz zu allem Gebrauch bloß empirischer Begriffe). Ob der jeweilige Begriff dem Gegenstande „adäquat" ist, was für eine wahrhafte Sachdefinition (die also nicht bloß einen Wortgebrauch erklärt) erforderlich sein müßte, das kann man gerade bei Vernunftbegriffen nie sicher wissen. (Als Beispiel sei etwa „Kausalität", Wirksamkeit überhaupt genannt, von der ebenso in der Natur die Rede ist wie im Thema der Freiheit.) In der Kritik wird also jedenfalls nur Zergliederung bis zu gewissem Grad versucht; hier muß „Exposition" genügen (welchen Ausdruck die Kritik zuerst bei der Verdeutlichung der Begriffe Raum und Zeit einführte 52 ).

Mathematik sagt, daß die Weltweisen ihn „noch bis jetzt nicht haben verständlich machen können", während ein mathematisches Verhältnis wie das einer T r i l lion zur Einheit „ganz deutlich verstanden wird". I I 282. — K a n t selbst aber stehen primär andere Denker vor Augen, darunter Wolff, dessen Ontologie ζ. Β . gleidi mit einer Definition einsetzt (der zweite Paragraph sagt dann auch nodi: alles, was in der Ontologie vorgebracht werde, sei zu demonstrieren). 62

„Ich verstehe aber unter Erörterung (expositio) die deutliche (wenngleich nicht ausführliche) Vorstellung dessen, was zu einem Begriffe gehört . . . " . Auch hier handelt es sich j a um Begriffe, welche uns in uns „a priori gegeben" sind. 52 Β 38. — Während die Begriffe der überlieferten Ontologie auf apodiktisch gesicherte Definition Anspruch machten und von da zu Demonstrationen vorschritten, wollen Kants synthetische Grundsätze, in denen j a die Fundamentalbegriffe des Verstandes mit denen der Anschauung vereinigt sind, nur Prinzipien einer „Exposition" der Erscheinungen in fortschreitender Erfahrung sein 207 Β 3 0 3 ; auch der Weltbegriff („Idee") betrifft, nach der kritischen Entscheidung, „nichts anderes, als die Exposition der Erscheinungen". 287 Β 443. — D a ß wir „keine einzige" der Kategorien rein als solche „real definieren, d. i. die Möglichkeit ihres Objekts verständlch machen k ö n n e n " , wird ausführlich noch im AnalytikHauptstück über Phaenomena und Noumena dargelegt. 205-206¡7 Β 300-302/3.

(S. 478/9 Β 758)

679

Definition im eigentlichen Sinne, wo man ebenso der Zulänglichkeit der Merkmale gewiß sein wie auch Präzision erreichen kann, wird also für „gegebene" Begriffe (so oder so gegeben) niemals geleistet werden können. Ganz anders ist die Sachlage bei solchen Begriffen, die „vorsätzlich" (in diesem Sinne „willkürlich") gedacht werden. Die Raumgestalten der Geometrie, vom ersten Entwurf etwa des Begriffes „gleichschenklicher Triangel" an, die Zahlenordnungen der Arithmetik und die Gefüge der Algebra erdenkt der Mathematiker in reiner Spontaneität — indem er eben das so Erdachte zugleich durch Konstruktion gegenständlich „hervorbringt". Er weiß dann sicher, „daß e r . . . der Sache nichts beilegen müsse, als was aus dem notwendig folgte, was er seinem Begriffe gemäß selbst in sie gelegt hat" (9 Β X I / X I I ) . Mathematische Begriffe sind nicht „irgendwoher abgeleitet" (etwa empirisch aus Wahrnehmungen), sondern stellen, wie es in der Definitionsformel des ersten Satzes hieß, „den ausführ lidien B e g r i f f . . . ursprünglich" dar. Daher können die mathematischen Definitionen inhaltlich nicht irren, wenn sie auch in der Form ihrer „Einkleidung" der „Präzision" ermangeln können. (Kants Beispiel: Definition des Kreises ist ein Sonderthema, das ihn, auch in Polemik gegen Wolff, viel beschäftigt hat.) — Zwecks Überleitung zu den vorsätzlich gedachten Begriffen der Mathematik erwähnt Kant jetzt auch Begriffe technischen Entwerfens; auch hier findet ja eine Art von Konstruieren statt. Hier kann man den Begriff der geplanten Sache wohl durchgängig klarstellen, auch genau abgrenzen; ob aber dann auch der Gegenstand real möglich ist, bleibt offen. Und mit der Ausführung und Erprobung des Projektierten kommt dann wieder ein Gegebenheitsmoment in den Begriff hinein und damit wieder eine Unvollständigkeit in seinem Gegenstandsbezug. Für den Aufbau der Philosophie folgt daraus, daß hier nicht Definitionen der Fundamentalbegriffe den Beginn machen dürfen, so, als seien sie schon vorab gesichert und zureichend. In der Mathematik können grundlegende Definitionen am Anfang stehen — wie etwa in Euklids „Elementen". Hier sind eben die Erklärungen synthetische durch ihren Gegenstandsbezug in reiner Anschauung. Dagegen sind die Elementarbegriffe des transzendentalen Vernunftgebrauchs uns immer schon vorgegeben (wie schon die Elementarformen der Anschauung), sie liegen als ursprüngliche in der Natur unseres Erkenntnisvermögens und haben immer schon ihre Auswirkung in wirklichen 3*

680

(S. 480 Β 760/1)

Erkenntnissen. Also kann Erklärung hier bloß durch „Zergliederung" geleistet werden, in einer Art „Exposition", welche zwar nach Vollständigkeit und Präzision streben, dieser aber nie durchaus gewiß sein kann 53 . „Definitionen" sollten also in philosophischen Werken eher am Ende stehen; Aufgabe philosophisch-transzendentaler Analytik muß es sein, vorläufige und oft genug auch fehlerhafte Begriffserklärungen immer wieder zu verbessern und nach Möglichkeit zu ergänzen54. Der 21. Absatz geht von den transzendentalen Begriffen über zu den Grundsätzen, d. h. zu solchen Sätzen des reinen Vernunftgebrauchs, welche „die Gründe anderer Urteile in sich enthalten", ihrererseits aber nicht wieder „in höheren und allgemeineren Erkenntnissen gegründet sind" (140 Β 188). Wenn diese ihrerseits auf gegenständliche Wahrheit Anspruch machen sollen, dann müssen sie synthetische Sätze a priori sein; und wieder erhebt sich die Frage, ob diejenigen der Philosophie von der gleichen Art sein können wie die der Mathematik, d. h. jetzt: vom gleichen oder analogen Charakter der Einsichtigkeit. Diejenigen der Mathematik werden seit altersher als „Axiome" bezeichnet; sie sind aus sich allein heraus „evident". Es fragt sich, ob Grundsätze des philosophischen Vernunftgebrauchs auch diesen Titel, diese Geltungsart beanspruchen oder erwerben

53

Im § 1 der „Untersuchung über die Deutlichkeit . . . " wird die „willkürliche Verbindung" in den (auch da schon „synthetisch" genannten) Definitionen der Mathematik an den Beispielen des Trapez- und des Kegelbegriffs (hier als genetische Definition) illustriert; als Beispiel für Definitionen „der Weltweisheit" fungiert da der in uns allen „verworren oder nicht genugsam bestimmt" gegebene Begriff der Zeit; — später heißt es in derselben Schrift (mit Berufung auf Augustins Bewußtsein, nicht zu wissen, was Zeit sei), ihre „Realerklärung" sei niemals gegeben worden, obgleich man „viel Wahres und Scharfsinniges von der Zeit gesagt hat". II 276/7, 283/4. — Der in der Anmerkung unseres Textes, wie audi schon im vorangegangenen Abschnitt, als Beispiel herangezogene Begriff vom Redit (ähnlich im gleichen Denkzusammenhang in Logik-Vorlesungen: X X I V 758 und 917) kann, als Fundamentalbegriff der reinen (praktischen) Vernunft, von den „Juristen" nicht zureichend exponiert werden — so wenig wie die Begriffe des Raumes und der Zeit von „Mathematikern"; wie diese in den Bereich der Transzendentalphilosophie, so gehört jener in den der „Metaphysischen Anfangsgründe" der Reditslehre. Vgl. die §§ A — E von Kants „Einleitung in die Reditslehre" in der „Metaphysik der Sitten", VI 229—236.

54

In einer späten Logik-Vorlesung hat Kant gesagt: „alle Definitionen in der Philosophie müssen als tentamina zum Philosophieren angesehen werden". X X I V 759.

(S. 4801IB 761)

681

können — wie das praktisdi sowohl von Philosophen wie von philosophierenden Naturforschern vielfach gelehrt wird 5 5 . „Axiome" können nur solche Grundsätze heißen, welche „unmittelbar gewiß, „evident" sind. In der Mathematik (jedenfalls in der Geometrie 56 ) kann es dergleichen sehr wohl geben, denn hier lassen die Begriffe „direkt und unmittelbar" den Gegenstand erkennen, als welcher in der Anschauung nach ihnen dargestellt wird. Kant nennt das auch „intuitive" Grundsätze (Vgl. „intuitiver Vernunftgebrauch" in Absatz 9). Dem stehen die philosophischen Grundsätze aus reiner Vernunft (solche der Metaphysik oder auch der Moral, „metaphysische Anfangsgründe", sei es der Naturerkenntnis, sei es der Rechts- und Sittenlehre) als „diskursive" gegenüber, die solcher Anschauung und Evidenz ermangeln, also audi nicht der Beweise 55

50

Ein eindringlidies Beispiel für Kants Auseinandersetzung mit zeitgenössischem Philosophieren in dieser Frage der Prinzipien von Mathematik und Philosophie bieten die Briefe an und von J . H . Lambert um die Wende 1765/6. K a n t sieht „nach mancherlei Umkippungen, bei welchen ich jederzeit die Quellen des I r r tums oder der Einsicht in der Art des Verfahrens suchte", auf eine „eigentümliche Methode der Metaphysik und vermittelst derselben auch der gesamten P h i losophie hinaus" — in Absicht auf „metaphysische Anfangsgründe" der natürlichen und der praktischen Weltweisheit. (31. 12. 1765) Lambert seinerseits f o r dert über die logisdien Formprinzipien der Erkenntnis hinaus „Axiomata", die von der Materie hergenommen werden müssen und „Postulata, welche allgemeine und unbedingte Möglichkeiten der Zusammensetzung und Verbindung der einfachen Begriffe angeben". (13. 11. 1765) I n seinem zweiten Brief heißt es ausdrücklich, daß diese philosophischen Axiomata und Postulata „durchaus von gleicher Art sind wie die Euklidischen". D i e den philosophischen Grundsätzen beizufügenden „Beispiele" würden dabei „eben den Dienst (tun), den die F i guren in der Geometrie tun, weil auch diese eigentlich Beispiele oder spezielle Fälle sind". (3. 2. 1766). X 48 f., 52 f., 62 f. D a ß K a n t primär immer von der Geometrie ausgeht, kann man schon seinen Beispielen in den verschiedenen Stellen der Kritik entnehmen. E r sagt dann aber auch (150 Β 204/5), Axiome im eigentlichen Sinne gebe es nur in der „Mathematik der Ausdehnung" (samt deren Anwendung auf „äußere" Erscheinungen), nicht aber in den Wissenschaften von der „Größe (quantitas) überhaupt". Für unser Thema ist das insofern unerheblich, als auch in ihnen „verschiedene dieser Sätze synthetisch und unmittelbar gewiß (indemonstrabilia) sind"; und „evident" sind auch die einzelnen Sätze des Zahlenverhältnisses („Zahlformeln"). — I m übrigen spricht K a n t in der transzendentalen Ästhetik (58 Β 47) auch von „Axiomen von der Zeit überhaupt". — Zum falschen Anspruch der Philosophen auf axiomatische Grundsätze vgl. auch, im Abschnitt über die philosophischen Grundsätze der Modalität, welche K a n t unter den Begriffstitel von „Postulaten" gestellt hat, die Polemik gegen „einige neuere philosophische Verfasser", welche unter eben diesem Namen ihre Grundsätze für unmittelbar gewiß ausgeben, wie „wirkliche Axiome". 197 Β 285/6.

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(S. 481 Β 761)

unbedürftig sein können. Hier ist für wirkliche Synthesis ein „drittes, vermittelndes" Erkenntnismoment nötig. Das hat denn auch der Analytik-Abschnitt vom Obersten Grundsatz aller sythetischen Urteile ausführlich dargelegt (143/4 Β 194; vgl. 185 Β 264); und das Hauptstück über den Wesensunterschied der Noumena von allen Gegenständen der empirischen Realität hat das nodi einmal, vom falschen Anspruch der auf Dinge an sich zielenden Vernunft her, beleuchtet (214 Β 315). Philosophische Grundsätze bedürfen einer „Deduktion" in dem von Kant geprägten Sinne: Rechtfertigung des Wahrheitsanspruchs (§ 13 der Analytik, 99 f. Β 116/7) — einer „transzendentalen" Deduktion, weil es sich eben um Begriffe a priori handelt. Darin liegt, daß für jeden dieser Grundsätze audi ein eigener „Beweis" geliefert werden muß. Kant hat das ja denn auch im „System der Grundsätze" durchgeführt, u. a. für den in unserem Text als Beispiel angeführten Grundsatz der „Zeitfolge nach dem Gesetze der Kausalität" (166/7; Β 232/3 ff.). Das „Dritte" sind da immer die Anschauungsbedingungen und mit ihnen der Begriff einer möglichen Erfahrung. Apodiktischer Gewißheit von Verstandesgrundsätzen kann man sich nur auf diesem indirekten Weg versichern, nicht durch unmittelbare Einsicht. — Audi der den Terminus: Axiome im Titel enthaltende, den Quantitätskategorien zugeordnete erste Grundsatz in Kants „Systematischer Vorstellung" mußte durch „gründliche Deduktion" erwiesen werden als „transzendentaler Grundsatz der Mathematik der Erscheinungen".57 — Nur angemerkt sei noch, " 151 Β 206. Kants transzendentales „Prinzip" (Singular): „Axiome der Anschauung" (148 Β 202) wird zwar, zugleich mit den „Antizipationen der Wahrnehmung", unter den Titel von „mathematischen" Grundsätzen gestellt, weil sie in ihrer Verbindung der Kategorien mit den Anschauungsformen „einer intuitiven Gewißheit fähig sind" (was bei den „dynamisch" genannten Grundsätzen, wie etwa dem Kausalitätsprinzip, keineswegs der Fall ist). Aber darum sind jene dochnidit „Grundsätze der Mathematik" selber, also nicht ihrerseits Axiome! (148 Β 201/2) — Audi die Erkenntnisse der „reinen" Mathematik, vor aller etwaigen Anwendung auf Erfahrungsgegenstände, bedürfen nach Kant eines grundsätzlichen Erweises ihrer objektiven Realität (Sachhaltigkeit). Obgleich wir ζ. B. „vom Räume überhaupt (sc.: durch die „methaphysische Erörterung" der Transzendentalen Ästhetik) oder den Gestalten, welche die produktive Einbildungskraft in ihm verzeichnet, so vieles a priori in synthetischen Urteilen erkennen, so daß wir wirklich hiezu gar keiner Erfahrung bedürfen: so würde dieses Erkenntnis gar nichts (!), sondern die Beschäftigung mit einem bloßen Hirngespinst sein, wäre der Raum nicht als Bedingung der Erscheinungen . . . anzusehen; daher sidi jene reine synthetische Urteile, obzwar nur mittelbar, auf mögliche Erfah-

(S. 481 Β 761/2)

683

worauf Kant in diesem Text n i â t eigens anspielt, daß auch die von Vernunft„ideen" geleiteten Forschungsgrundsätze, weldie nun erst recht von jedem „Axiom"-Anspruch abgerückt werden müssen (vgl. 348/9 Β 536), einer Art von „Deduktion" bedürfen — Thema im Rahmen der Dialektik 58 . Philosophie kann nicht mit Grundsätzen aus bloß diskursiven Begriffen „gebieten", Philosophen im dogmatischen Vernunftgebraudi sind nicht „Meister über die Natur" (15. Absatz). In Wahrheit muß Natur befragt werden, in einer unabsehbaren Fortarbeit — an Hand von Vernunftprinzipien 59 . Alle Sätze der Mathematik, welche nicht als „Axiome" ausgezeichnet oder denn sonst „unmittelbar gewiß (indemonstrabilia)"60 sind, werden durch Demonstrationen ausgewiesen, die ihrerseits einsichtig sind. Die „Erfindung" geometrischer Demonstrationen gehörte gleich mit zur „Entdeckung" des großen Heeresweges dieser Art von Wissenschaft aus reiner Vernunft — zu dieser allerersten „Revolution der Denkart" 61 . Und dieses Verfahren haben sich nun die Philosophen wiederum zum Vorbild genommen für Erkenntnisse auf dem

58 59

60 61

rung, oder vielmehr auf dieser ihre Möglichkeit selbst beziehen . . . " . 145 Β 196. Vgl. in den Prolegomena § 12 f.: die „transzendentale Dekution der Begriffe im Raum und (in der) Zeit" erklärt „zugleich die Möglichkeit der reinen Mathematik"; erst die transzendentale Rechtfertigung versichert uns dessen, daß ζ. B. die Sätze der Geometrie oder auch die der reinen Mechanik „nicht etwa Bestimmungen eines bloßen Geschöpfes unserer dichtenden Phantasie sind . . . , sondern daß sie notwendigerweise vom Räume und d a r u m auch von allem, was im Raum angetroffen werden mag, gelten". IV 285, 287. Vgl. 255 Β 386; 259 Β 393; 439 Β 691/2, 442 f. Β 698 f. In aller Erforschung der empirischen Realität werden sowohl die Grundsätze des Verstandes vorausgesetzt, welcher — wie K a n t sagt — der N a t u r diese Gesetze „vorschreibt", wie auch die regulativen Prinzipien der Vernunft i. e. S., welche im „Anhang" zur Dialektik behandelt werden. — Als Beispiel f ü r den falschen „Axiom"-Anspruch von Grundsätzen aus bloß diskursiven Begriffen mag hier an die Thesis des Zweiten Widerstreits erinnert werden: wonach jede zusammengesetzte Substanz aus „einfachen" Teilen bestehen müsse — was f ü r die N a t u r philosophie dogmatische Voraussetzung physischer Monaden (eine Art „transzendentaler Atomistik" 306 Β 469/70) bedeutet. Kant stellt dagegen seinen „mathematischen", die Anschauungsbedingungen in sich tragenden Grundsatz („Axiome der Anschauung"), aus welchem sich ergibt, daß die Materie ins U n endliche teilbar ist. Vgl. noch den Lehrsatz I V der „Dynamik" in den Metaphysischen Anfangsgründen und die „Anmerkung" dazu: Polemik gegen eine „übel verstandene Monadologie", als welche „gar nicht zur Erklärung der N a t u r erscheinungen" gehöre. IV 503, 507/8. 1 50 Β 204/5. 9 Β X I / X I I . Vgl. die Schilderung in der Wiener Logik X X I V 894.

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(S. 481 Β 762)

Felde der Metaphysik: in der Erwartung, aus reinen und ursprünglichen Begriffen der Vernunft unser Wissen durch Schlußverfahren zu „erweitern". Philosophen der verschiedensten Art haben „demonstrative" Erkenntnis vor allem für die natürliche Theologie in Anspruch genommen62. Auch solche Denker, welche die Schwäche der überlieferten Beweisgänge begriffen, nähren die Hoffnung, „man werde dereinst noch evidente Demonstrationen" für die Kardinalsätze unserer reinen Vernunft „erfinden" 63 . Der Fehler liegt auch hier wieder im „Evidenzanspruch". Schon das Wort deutet ein anschauliches Aufzeigen an — Beweise der Metaphysik, sofern es solche gibt, dürfen nicht Demonstrationen „heißen" 64 . In der Geometrie wird, anders als bei bloß diskursiven Begriffen, der Sachverhalt „zugleich mit dem Beweise" hervorgebracht (der erste, welcher den gleichschenkligen Triangel „demonstrierte", hieß es in der Mathematikeinführung der Vorrede). Auch in der 82

es

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V o r Kants Rückblick und Umbilde stehen in dieser Sadie nicht nur die Vertreter des (heute so genannten) Rationalismus der Neuzeit, von Descartes bis zur Wolff-Schule, welche j a alle, je auf ihre Weise, Aufgaben und Leistungen metaphysischer Demonstrationen more geometrico vor sich sahen, sondern auch Vorkämpfer der Erfahrungsphilosophie wie ζ. B. J . Locke, der im I V . Buch seines Hauptwerkes ausdrücklich lehrte, demonstrative Erkenntnis sei nicht auf die Größenwissenschaft beschränkt, sondern verschaffe audi Gewißheit über die reale Existenz Gottes; audi seien die Sätze der Moral ebensosidier, wie irgendein Lehrsatz des Euklid. 486 Β 769/70. M a n kann daran erinnern, daß sdion Descartes, bei aller Abweisung der schulmäßigen Oberlieferung, in seinem ganz und gar am Vorbild der Mathematik orientierten Neubeginn schon durch den Titel des Hauptwerks den Anspruch anmeldete: Meditationes . . . in quibus Dei existentia et animae humanae a corpore distinetio demonstrantur. — K a n t spricht ja im übrigen auch aus eigener Denkerfahrung in der Zeit seiner vorkritischen Bemühungen. Nidit nur die Frühschrift über die Prinzipien der metaphysischen Erkenntnis (1755) enthält einen Gottesbeweis aus bloßen Begriffen, sondern audi das wichtigste Werk der 60er J a h r e , welches in so vielen Stücken die K r i t i k der spekulativen Theologie in ihren Hauptbeweisgängen vorwegnimmt, erhebt seinerseits den A n spruch auf neue noch zu leistende „Demonstration", für welche hier nur der („einzigmöglidie") Beweisgrund vorgegeben werde. D i e Abweisung auch schon des Terminus mit seinem Anklang an die mathematische Tradition ist für K a n t angesichts der aus bloßen Begriffen deduzierenden „rationalen" Psychologie und Theologie von Wichtigkeit; in anderem Zusammenhang verwendet er das W o r t unbedenklich. So wird die allgemeine Logik „eine demonstrierte D o k t r i n " genannt. 77 Β 78. Audi wird den als „mathematische" bezeichneten philosophischen Grundsätzen der Analytik in Unterscheidung von den „dynamischen" Evidenz- und Intuitivcharakter „audi der Demonstration" zugesprochen (161 Β 223). D i e Gültigkeitsbegründungen für alle Grundsätze heißen „Beweise".

(S. 482 Β 763)

685

Arithmetik, die in allen ihren Ableitungen auf der Zeitform gründet („sukzessive Synthesis des Gleichartigen"), kann man überdem „Bilder" räumlicher Anschauung heranziehen; Zahlendenken ist, allgemein gesprochen, „die Vorstellung einer Methode, einem gewissen Begriffe gemäß eine M e n g e . . . in einem Bilde vorzustellen""5. Aber auch das Verfahren der Algebra, wo alle „ostensive" Art von Konstruktion wegfällt (Absatz 6), bringt auf Wegen einer „symbolischen", „charakteristischen" Konstruktion jede Konstellation von Größen in ihren Gleichungen und alle Denkschritte bei deren „Reduktion" 6 6 durch Einzelbuchstaben und Gruppen den Sachverhalt zusamt mit dem Beweise hervor. Eben darauf beruht ja auch das „Heuristische" in dieser Art von Mathesis: ihre Leistung für Entdeckung neuer Quantitätsverhältnisse 67 . In der Mathematik wird daher jeder Fehltritt sogleich „sichtbar", während in der Philosophie, wo es ja auch schon von fehlerhaften Definitionen „wimmelt" (Absatz 19), alle Argumentationen in Richtung auf Noumena immer wieder als fehlerhaft oder unzureichend angefochten wurden — und auch, wie das der Dialektikteil der Kritik schließlich gezeigt hat, grundsätzlich angefochten werden müssen. Sie „demonstrieren" nicht; vielmehr waltet in jeder Art von ihnen ein „transzendentaler Schein", welcher der Vernunft selbst innewohnt. — Der Terminus: akroamatisch, welchen Kant hier zwecks Kontrastierung einsetzt (die alte Wortbedeutung: nur „zum Hören") will das Angewiesensein diskursiver Begriffsverbindungen in den Beweisgängen auf bloße Repräsentation durch Worte, statt der 65 68

67

37 Β 15/16; 135 Β 179. Der (aus der Logiktradition stammende) Terminus, wird, wie Kant einmal bemerkt, neuerdings audi bei Qualitäts-Auflösungen verwendet: bei den Chemikern 14a Β X X I / X X I I a . Auch hier ist solche „Auflösung" (wie bei den algebraischen Gleichungen) als Erenntnisvorgang ein synthetisches Erfassen von Sachverhalten, nur jetzt audi Empirie erfordernd. Hierzu vgl. die in Kants Reflexionen zur Mathematik ( X I V 3 ff.) enthaltenen Partien von Buchstabenrechnung, welche zur Auffindung von Lösungen für geometrische Probleme dienen sollen (wobei auch die Fluxionen Newtons anklingen!). Zur Algebra als Konstruktion durch Zeichen vgl. dort S. 5 8 ; wichtig für unser Thema ist da auch die zum Problem der Irrationalzahl (deren Bedeutung vom Geometrischen her anschaulich erweisbar ist) beigefügte Erwägung: wenn es diese Art Beweis a priori nicht gäbe, so müßte man „auf einen besonderen, im Zahlbegriffe (des Verstandes) nicht enthaltenen, mithin subjektiven Grund in einer unerforschten N a t u r der Einbildungskraft raten, deren Natur das hervorbrächte, dem der Verstand selbst im Denken nicht gleidi kommen kann".

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(S. 482 Β

76314)

konstruktiven Zeichensetzungen im „ostensiven" oder auch im „charakteristischen" Verfahren mathematischer Demonstrationen, unterstreichen68. Die Absätze 23 bis 26 ziehen die Konsequenz in Richtung auf den „dogmatischen Gebrauch" der anschauungsleeren, weil auf Noumena gerichteten Metaphysik. Sofern Vernunft mit Grundsätzen des Verstandes arbeitet, welche auf Sinnlichkeitsbedingungen eingeschränkt sind, kann von der Philosophie eine „schwesterliche Vereinigung" mit der Mathematik erreicht werden — in einer neu zu begründenden „Metaphysik der Natur". Dagegen muß eine „ganz isolierte Vernunfterkenntnis", welche „sich gänzlich über Erfahrungsbelehrung erhebt, und zwar durch bloße Begriffe" (11 Β XIV) ihren „Gang" ändern: sie muß ihre geradezu auf gegenständliche Ziele gerichteten „transzendentalen Versuche" rückgängig machen und auf sich selber reflektieren, auf die verwendeten Prämissen (Definitionen und Grundsätze) wie auf die Beweisgründe und Schlüsse. Dann wird sie die „Blendwerke" des transzendentalen Scheins entdecken. Aufgabe solcher Selbsterkenntnis und Selbstbegrenzung der spekulativen Vernunft ist dann, ihre eigenen Prinzipien „entweder mehr zu bestimmen" (nämlich sie durch Einfügung von Sinnlichkeitsbedingungen als Grundsätze möglicher Erfahrung auszuweisen) oder „ganz abzuändern" (nämlich die auf Unbedingtes und Totalität gerichteten Prinzipien als „Maximen" aufzufassen und umzuformulieren). Einen „direkt" aus bloßen Begriffen gebildeten synthetischen, also Erkenntnis wirklich erweiternden Satz kann es nicht geben; analytische Urteile aber erläutern nur Begriffe und können nichts vom Gegenstand aussagen. (Hauptbeispiel dafür: der Vernunftbegriff des „transzendentalen Ideals" und die „Hypostasierung" zum „Gegenstand einer transzendentalen Theologie" 390 Β 608.) Urteile und Schlüsse aus bloßen Vernunftbegriffen ergeben keine wirklichen Grundsätze und Lehrsätze, wie in den „Mathemata"; sie sind bloße Lehr„sprüche", welche sich fälschlich als apodiktisch gewisse Wahrheiten (die zugleich Glaubenssätze sind) ausgeben. Die transzendentale Dialektik hat gezeigt, daß aus „Ideen" der spekulativen Vernunft 68

Vgl. Entsprechendes in der Logik Pölitz X X I V 561; Polemik gegen die „Demonstriersucht" als in der Philosophie herrschende „Affektion". Gegenüber solchen Wissensbegehrlichkeiten und -ansprächen muß die spekulative Vernunft sich einer Selbstdisziplin unterziehen.

(S. 483 Β 764/5)

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direkt und geradezu gar keine Erkenntnisse gewonnen werden können; dagegen sind die auf indirektem Wege (über ein „Drittes") erwiesenen Grundsätze der Analytik, anders als die der „ganz isolierten" Vernunft, apodiktisch gewiß (und können daher, wie in Kants Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft, audh zu wirklichen „Lehrsätzen" führen). Aber sie sagen eben auch nichts aus über absolute Notwendigkeit von Seiendem an sich selbst, sondern bleiben bezogen auf etwas „ganz Zufälliges": Erscheinungen für uns, in denen immer nur Verhältnisse gegeben und erfaßbar sind69. Kant greift als Beispiel von Prinzipien der metaphysischen Erkenntnis den Kausalitätssatz heraus, der schon im II. Abschnitt der Einleitung in die Kritik gleich nach den Sätzen der Mathematik zur Sprache kam als weiterer Vernunft-„Besitz" von Erkenntnissen a priori; dort gleich auch in Polemik gegen Humes Theorie einer „bloß subjektiven" Notwendigkeit (29 Β 4/5). In der Form eines für „Dinge überhaupt" geltenden Prinzips, als Satz vom zureichenden Grunde war das zum „Dogma" der Metaphysiker geworden, Basis für eine Menge von „Demonstrationen". In Wahrheit ist eben dieser Satz nur „der Grund möglicher Erfahrung, nämlich der objektiven Erkenntnis der Erscheinungen in Ansehung des Verhältnisses derselben in Reihenfolge der Zeit" (174 Β 246). Nur in diesem Sinne wurde er denn auch in der Analytik ausführlich bewiesen (nicht „demonstriert"!): als eine von den für alle gegenständliche Erkenntnis notwendigen „Analogien der Erfahrung" 70 . Der Beweis aber war nicht von der Art ableitenden Schlußverfahrens, wie bei Demonstrationen von Lehrsätzen in der Mathematik; er war vielmehr bestimmt durch den Obersten Grundsatz aller synthetischen Urteile (145B197): Kausalität nach Naturgesetzen zeitlichen Geschehens macht Erfahrung (und damit Gegenstände der Erfahrung) „selbst zuerst möglich". Für die transzendentale Methodenlehre ergibt sich daraus, wie ·• Aller empirische Vernunftgebraudi, so heißt es in der Dialektik, „geht nach dem Prinzip der durchgängigen Zufälligkeit von empirischen Bedingungen zu höheren, die immer ebensowohl empirisch sind . . u n d dann: wenn wir uns einmal „die Erlaubnis genommen haben, außer dem Felde der gesamten Sinnlichkeit eine für sich bestehende Wirklichkeit anzunehmen", dann sind alle „Erscheinungen nur als zufällige Vorstellungsart intelligibler Gegenstände v o n solchen Wesen, die selbst Intelligenzen sind, anzunehmen . . . " . 380/1, 382 Β 592, 594. Vgl. die Allgemeine Anmerkung zum System der Grundsätze 198 ff. Β 288 ff. 70 166/7—180 Β 232/3—257.

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fS. 483/4 Β 76516)

schon in Absatz 23 vorbereitet, daß Vernunft in ihren „transzendentalen" Versuchen,, in der Metaphysik, nicht einfach von vorgegebenen Prämissen zu Schlüssen fortgehen kann, in „dogmatischer" Methode (nach welcher „Manier" auch immer). Vielmehr muß sie ihre „eigentliche Absicht" darauf richten, alle ihre Schritte durchsichtig zu machen: in einer auch den Schein und die Fehlgänge entdeckenden Transzendentalphilosophie. Deren Methode ist keine dogmatische; sie kann und muß aber auch ihrerseits „systematisch" sein. Denn das, was hier zum Thema steht, die menschliche Vernunft, ist „selbst ein System" — metaphorisch gesprochen ein wahrer Gliederbau, „worin alles Organ ist, nämlich alles um Eines willen und jedes Einzelne um aller willen" — so, daß denn auch „jede noch so kleine Gebrechlichkeit, sie sei ein Fehler (Irrtum) oder Mangel, sich im Gebrauche unausbleiblich verraten muß" (22/3 Β XXXVII/VIII). Als Erkenntnisvermögen ist unsere Vernunft ein systematisches Gefüge; nicht aber kann Vernunft, wie durch eine Konstruktion, aus ihren Begriffen allein heraus ein System der Metaphysik (Gott, Welt und Seele in ihrem Seinszusammenhang) entwickeln, so sehr audi die entsprechenden „Ideen" in der Vernunft selbst wurzeln und ihrerseits ein „System" bilden, wie im Dritten Abschnitt des ersten DialektikBuchs dargelegt. Der wahre und für Erweiterung unseres Wissens wirklich bedeutsame Sinn dieser reinen Vernunftbegriffe ist es (wie im Anhang zur Dialektik näher gezeigt wurde), die „Nachforschung" in Erfahrungen des Zusammenhangs zu leiten: in Richtung auf „ein nach notwendigen Gesetzen zusammenhängendes System"; und eben daraufhin muß ständig und überall Natur von uns „befragt" werden (428 Β 673/4). Erfahrung allein kann dazu Antworten geben — „Stoffe" und „Inhalte" zu solchen Systemordnungen nach formalen „Grundsätzen der Einheit".

Des Ersten Hauptstücks Zweiter Abschnitt Die Disziplin der reinen Vernunft in Ansehung ihres polemischen Gebrauchs Daß die Metaphysik in ihrem Geschichtsgang immer einen „Kampfplatz" miteinander streitender Positionen und Systeme war und sich für Kant auch in der eigenen Gegenwart so darstellt, das hatte die

(S. 488 Β 76617)

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Vorrede eindringlich dargelegt durch Gegenüberstellung mit der Logik, der Mathematik und dann noch mit den neuen Gesetzeswissenschaften von der Natur, wo die in der Metaphysik vermißte „Einhelligkeit" in stetigem Fortschreiten immer wieder erreicht wird. Das Bild des Kampfplatzes und der Streitgefechte trat dann besonders wieder im Dialektik-Abschnitt von der „Antithetik" der reinen Vernunft auf, wobei diese dann als Widerstreit von „dem Scheine nach dogmatischen Erkenntnissen (thesis cum antithesi)" erkannt wurde (290 Β 448). Die miteinander in gegensätzlichen Beweisgängen streitenden Behauptungen über die Welt ließen sich da noch, bei aller Verschiedenheit in der Thematik, verstehen als erfolgend aus der Sichtweise zweier Lager, welche Kant als „Piatonismus" und „Empirismus" (mit Epikur als Kronzeugen) benannte. Von der kritischtranszendentalen Überlegung her wurde dieser Widerstreit durch jeweiligen Nachvollzug des Ansatzes und der Argumente dargestellt, in einer Art von Neutralität, „ohne daß man einer (Behauptung) vor der anderen einen vorzüglichen Anspruch auf Beifall beilegt"71. 7J

290 Β 448. „Diese vernünftelnden Behauptungen eröffnen also einen dialektischen Kampfplatz, wo jeder Teil die Oberhand behält, der die Erlaubnis hat, den Angriff zu tun, und derjenige gewiß unterliegt, der bloß verteidigungsweise zu verfahren genötigt ist. Daher auch rüstige Ritter, sie mögen sich für die gute oder schlimme Sache verbürgen, sicher sind, den Siegerkranz davon zu tragen, wenn sie nur dafür sorgen, daß sie den letzten Angriff zu tun das Vorrecht haben . . . " . 291 Β 450. — Zum ganz allgemeinen, nicht wie im folgenden auf höchste Sätze der reinen Vernunft beschränkten Thema: Polemik in der Philosophie sei hier nur kurz angemerkt, daß Kant nicht bloß von ersten Anfängen an bis in die letzte Lebenszeit vor und in weit ausgreifenden Streitigkeiten stand, sondern sich immer auch bewußt in gegensätzliche Positionen hineindachte. Schon in einer frühen Vorlesungsankündigung (1758) sagt er ausdrücklich, er werde die (nach Handbüchern vorgetragenen) Sätze der Vernunftlehre und der Metaphysik noch eigens „polemisch betrachten, welches meiner Meinung nach eines der vorzüglichsten Mittel ist zu gründlichen Einsichten zu gelangen". II 25. Aus den Handbuch-Notizen zu den Metaphysik-Vorlesungen erwähne ich nur zwei als Methodenanweisung gefaßte Sätze in den Reflexionen 5036 und 5037 (XVIII 69): „Man muß eben die Sätze in allerlei Anwendungen erwägen und selbst von diesen einen besonderen Beweis entlehnen, das Gegenteil versuchen anzunehmen, und so lange Aufschub nehmen, bis die Wahrheit von allen Seiten einleuchtet"; und: „Ich versuchte es ganz ernstlich, Sätze zu beweisen und ihr Gegenteil, nicht um eine Zweifelslehre zu errichten, sondern weil ich eine Illusion des Verstandes vermutete, zu entdecken, worin sie stäcke." — Der Denker erfuhr Philosophie als Kampfplatz vor allem wieder in den großen zeitbewegenden Dokumenten des Briefwechsels zwischen Leibniz und Clarke, der Gegnerschaft von Crusius gegen Wolff und der Auseinandersetzung Leibnizens mit Locke in den Noveaus Essais. Kant seinerseits sah sich (schon von seinem astrokosmologischen Frühwerk an)

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(S. 484 Β 76617)

Auch jetzt handelt es sich um Widerstreit in der Metaphysik; um einen von „Sätzen", die als erwiesene „Dogmata" auftreten, je mit dem Anspruch auf apodiktische Gewißheit. Diese Sätze und Gegen-Sätze sind Urteile, in welchen reine Vernunftbegrifïe in „direkter" Verbindung auftreten. Jetzt steht es nun ganz anders um den „Anspruch auf Beifall", als bei jener Scheindialektik. Worum es geht, das wird gleich zu Beginn des 3. Absatzes formuliert: „Verteidigungs"-Kampf der Vernunft (Verteidigung ihres „Besitzes", heißt es später) gegen „dogmatische Verneinungen". Zwei verneinende Sätze treten auf (6. Absatz): „Es ist kein höchstes Wesen", dies Wesen verstanden im Sinne der theistischen Entscheidung im Rahmen der spekulativen, und zwar der „natürlichen" Theologie (vgl. 420 f. Β 659/60 f.) und: unsere Seele („alles was denkt") ist nicht „immaterielle Einheit", nicht wesensverschieden also von den „vergänglichen und materiellen" Einheiten der Körperwelt. Die erste Verneinung, antithetisch zum Theismus, kommt auf „Atheismus" heraus; die zweite auf einen „Materialismus". Es ist aber, nach der Vorrede B, eben dies eine Grundabsicht des ganzen kritischen Unternehmens: „durch gründliche Untersuchung der Rechte der spekulativen Vernunft einmal für allemal dem Skandal vorzubeugen, das über kurz oder lang selbst dem Volke aus den Streitigkeiten aufstoßen muß, in welche sich Metaphysiker . . . ohne Kritik unausbleiblich verwickeln . . . " ; so gilt es denn insbesondere, „dem Materialism, Fatalism, Atheism . . . " die „Wurzel" abzuschneiden72. im Ringen um die eigene Position zwischen den großen Lagern der „Naturalisten" (später: „Empirismus") und der theologisch-teleologischen Schultradition (später: „Piatonismus"). Wie stark der Neueinsatz seiner „Kopernikanischen" Wendung sich dann polemisch entwickelt und auch formuliert hat, braucht kaum erwähnt zu werden. Auch auf die Polemiken der Spätzeit (ζ. B. gegen Eberhard, gegen den „vornehmen Ton" der Anschauungs- und Glaubensphilosophie) mag noch hingewiesen werden. Wieviel „polemischen" Vernunftgebrauch die Kritik selbst (alle drei Kritiken)ausübt, und immer wieder nach zwei Fronten, ist ohne weiteres den Texten zu entnehmen. 71

21 Β X X X I V . Zur Verneinung des theistischen „Satzes" vgl. die Dialektik-Ausführung über den „wichtigen negativen Gebrauch" der transzendentalen Theologie, „aller ihrer Unzulänglichkeit ungeachtet" : mit der Widerlegung der Gottesbeweise kann zugleich „die Untauglichkeit einer jeden Gegenbehauptung" erwiesen werden. 425 Β 668/9. Und zur Verneinung des Satzes, daß die Seele (alle res cogitantes) immaterielle Einheit sei, vgl. in dem Paralogismen-Hauptstück die Bezeichnung der (durch Kritik als „Doktrin" abgewiesenen) rationalen Psychologie als „Disziplin, welche der spekulativen Vernunft in diesem Felde un-

(S. 484 Β 76617)

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Der erste Absatz weist alle Bekämpfung solcher im Namen der Vernunft auftretenden Verneinungslehren und gar auch „kritischer" Überlegung zu den Lehrpositionen der Metaphysik durch „Verbot" zurück — gemeint sind Verbote durch die Sachwalter des öffentlichen Wesens73. Wie die Methodenlehren der Logik sich als „praktische" (Praxis der Wissenschaften) verstanden, so nimmt Kants transzendentale Methodenlehre hier im Thema des „polemischen" Vernunftgebrauchs eine Wendung zur Praxis des gesellschaftlichen Lebens — im Sinne der für „Aufklärung" zu fordernden Freiheit denkerischer Äußerung und Diskussion 74 . Auf soldier Freiheit beruht die „Existenz" und mögliche Wirksamkeit der Vernunft in uns als „Bürgern" eines Daseinszusammenhangs in Wechselbezügen, wo es um „Einstimmung" aus Einsicht geht75. Jeder Denker muß seine „Bedenklichkei-

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überschreitbare Grenzen setzt, um sich nicht dem seelenlosen Materialism in den Schoß zu werfen". 274/5, 276 Β 421, 424. — Das Fatalismus-Thema wird im folgenden nur gestreift: Negation der (menschlichen) Freiheit zugleich mit der Unabhängigkeit der Seele von Gesetzen des Materiellen — im Beispiel von J.Priestley (11. Absatz) In der Vorrede Β heißt es, gleich nach dem Hinweis auf möglichen „Skandal" im Volksbewußtsein: „Wenn Regierungen sich ja mit Angelegenheiten der Gelehrten zu befassen gut finden, so würde es ihrer weisen Vorsorge für Wissenschaften sowohl als Menschen weit gemäßer sein, die Freiheit einer solchen Kritik zu begünstigen . . . , als den lächerlichen Despotism der Schulen zu unterstützen, welche über öffentliche Gefahr ein lautes Geschrei erheben, wenn man ihre Spinneweben zerreißt . . . " 21 Β X X X V . Vgl. die Abhandlung von 1784: „Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?" Da heißt es zur Aufgabe, daß „ein Publikum sich selbst aufkläre": dazu werde „nichts erfordert als Freiheit, und zwar die unschädlichste unter allem, was nur Freiheit heißen mag, nämlich die: von seiner Vernunft in allen Stücken öffentlichen Gebrauch zu machen"; was insbesondere sagen will, denjenigen, „den jemand als Gelehrter von ihr vor dem großen Publikum der Leserwelt macht". VIII 36/7 ff. Mit dem Wort „Bürger" klingt in solchen Zusammenhängen bei Kant immer die Zugehörigkeit jedes Menschen als Vernunftwesens zu einem „Reich der Zwecke" (im Sinn der Leitidee der reinen praktischen Vernunft) an. Vgl. etwa 277 Β 426. — In der vorkritischen Schrift über die „Träume" der Metaphysik (an deren Ende die definitorische Neufassung von Metaphysik als „Wissenschaft von den Grenzen der menschlichen Vernunft" auftritt) wird die von jedem Menschen empfundene „Abhängigkeit unserer eigenen Urteile vom allgemeinen menschlichen Verstände", als welche ein Mittel werden kann, „dem Ganzen denkender Wesen eine Art von Vernunfteinheit zu verschaffen", in engsten Zusammenhang gebracht mit der in den sittlichen Antrieben sich zeigenden Abhängigkeit „von der Regel des allgemeinen Willens", woraus „in der Welt aller denkenden Naturen eine moralische Einheit und systematische Verfassung nach bloß geistigen Gesetzen" entspringt: „Republik" der vernünftigen Wesen. II 334 f., 341.

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(S. 484 Β 767)

ten" 7 6 oder auch das „Veto" von der Art jener Verneinungssätze äußern können. In allen, auch den höchsten Unternehmungen, muß Vernunft unter Menschen sich der Kritik, einer prüfenden Durchmusterung der Sätze und Argumentationen, unterwerfen. In unserer Denksituation ist auch kein Grund, Kritik bei solchen Unternehmungen „zu scheuen" (2. Absatz); die polemische Auseinandersetzung kennt kein Ansehen der Person; und der Gerichtshof zur Entscheidung über Einsichtsansprüche der „Mitbürger" ist die gemeinsame menschliche Vernunft — nicht eine „höhere" über dem Menschen, vor der ohnehin alles „dogmatische Ansehen" abzulegen wäre. Zumal unsere auf höchste Daseinsfragen ausschauende, spekulative Vernunft angesichts einer solchen über allem Menschlichen stehenden „Zensur"-Instanz bemerken müßte, wie wenig sie im „dogmatischen" Gebrauche sich ihrer eigenen „obersten Gesetze" in ihrer wahren Ordnung und Sinnfunktion bewußt ist. W o nun in unserer wirklichen Denksituation solche Verneinungssätze auftreten, kann es bloß um „Verteidigung" (nicht um Beweis) der positiven Thesen gehen; Kant spridit von Verteidigung eines „Besitz"-Titels, welchen der die Bestreitung bekämpfende Denker für sich, seine Person, in Anspruch nimmt 77 . Von ihm ist nicht ein Wahrheits-Erweis zu verlangen, sondern das, was die Logik von altersher argumentatio ad hominem nennt. Die Polemik geht gegen den unreflektierten Erkenntnisanspruch des Verneinenden, welcher auf seine Art nicht minder „dogmatisch" ist als die so „despotisch" auftretenden Schuldenker der Metaphysik mit ihren Beweisansprüchen. Verteidigungspolemik erfordert keine Ergänzung und „Vermehrung der Beweisgründe" (vgl. 506 Β 804), sondern bloß AufdekAnspielung auch auf die bei aller „despotischen" Herrschaft „unter der Verwaltung der Dogmatiker" immer wieder auftretenden Skeptiker: als „einer Art N o maden, die allen beständigen Anbau des Bodens verabscheuen" und so „von Zeit zu Zeit die bürgerliche Vereinigung" zertrennten. Vorrede Α. IV 8 A I X . " „Besitz" ist hier nicht bloße Metapher. Kants Rechtslehre in der „Metaphysik der Sitten" unterscheidet ausdrücklich die possessio noumenon, welche jedem Vernunftwesen zugehört und „virtuell" ist ( X X I I I 212) — d. h. Besitz auch schon vor allem aktuellen Gebrauch — , vom „sinnlichen" oder „physischen" Besitz. Jener ist ein „inneres" Mein und Dein — so die Freiheit eines jeden, verstanden hier als „Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür". Vgl. V I 249 ff. und 237/8 f. Erst durch „Schematismus" (Versinnlidiung) dieses intelligiblen (idealischen) Besitzes kommt es zum Recht und zu dem Rechtsbegriff des „Besitzes" (etwa an Boden). Vgl. X X I I I 277. 78

(S. 48 S Β 768)

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kung der „Sdieineinsichten" des jeweiligen Gegners. Natürlich ist der „Besitz" des seine Position Verteidigenden kein „hinreichender" Rechtstitel im Sinne einer quid-juris-„Deduktion" (sehr anders als bei den Fundamental-Sätzen für mögliche Erfahrung); eben das hatte ja die Dialektik in ihrem ersten und dritten Hauptstück erwiesen — eben dadurch, daß hier die Vernunft sich ihrer obersten Gesetze bewußt wurde! Aber es kann hier dem Vernunftdenker, im rein spekulativen polemischen Gebrauch, der Erweis genügen, daß niemand die „Unrechtmäßigkeit" seines Besitzanspruchs je beweisen kann. Der 5. Absatz nennt das Gegenüber der „zwei Kardinalsätze" eine „Antithetik der Vernunft"; zu Beginn des 8. Absatzes wird es dann heißen, daß es dergleichen hier „eigentlich" nicht gibt: eben deshalb, weil auf diesem „Felde" spekulativer Aussagen über rein sinnliche Gegenstände der „Boden" überhaupt „nicht tragfähig ist" für Rüstung und Waffen der Streitenden im Sinne von Einsichtsund Beweischarakter, also für ein Erkennen dessen, was doch mit Notwendigkeit „gedacht" und uns Problem wird (als in der Vernunft selbst wurzelnde „Idee"). Was hier als Antithetik jedenfalls de facto auftritt, ist gewiß für uns „bekümmernd", „niederschlagend" — weil sich da zeigt, daß der spekulativen Vernunft „alles Fortkommen in diesem Felde des Ubersinnlichen" abgesprochen werden muß (14 Β X X I ) , daß die menschliche Vernunft sich Fragen stellt und stellen muß, die sie doch nie auf diesem Weg beantworten kann. Solche unsere höchsten Anliegen betreffende „Antithetik" demütigt den Stolz der Vernunft, indem sie dazu führt, Einsichtsansprüche als Anmaßungen zu entlarven und uns damit zum spekulativen Verzicht zu nötigen: zur Disziplinierung der so weit ausgreifenden Erkenntniswünsche und -begehrungen. Eine „eigentliche" Antithetik dagegen hatte sich beim Weltthema der Metaphysik aufgetan, im Verfolg des Vierer-„Systems der kosmologischen Ideen" (283 ff. Β 435/6 ff.). Aber da hatte sich dann eben die ganze Antimonie als „bloß scheinbare" herausstellt: beruhend auf einem „transzendentalen Schein", in dem wir alle immer schon befangen sind („dem gemeinen Vorurteile"), so daß wir unsere Welt in ihren Raum- und Zeitdimensionen wie ein an sich vorhandenes Ganzes ansehen und demgemäß „absolute Vollständigkeit" der Synthesis von Reihen voraussetzen, was faktisch unmöglich ist für eine 4

Heimsoeth, Transzendentale Methodenlehre

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(S. 48} Β 768/9)

endlich-diskursive Weise des Verstehens. Demgemäß gab es „damals" auch eine „Kritische Entscheidung" des Streites. Von den vier kosmologischen Ideen, welche dort sämtlich ihre „Auflösung" (Auflösung des „scheinbaren Widerspruchs der Vernunft mit ihr selbst") fanden, erwähnt Kant hier nur die im Ersten Widerstreit als erstes Stück genannte, den Weltanfang betreffend (womit aber, der Sache nach, auch das Grundthema des Dritten Widerstreits verbunden ist: „dynamischer" Anfang, Problem einer Ersten ursprunghaften Wirksamkeit). Was uns „erscheint", sind eben immer nur Verhältnisse, Bedingungen von Bedingungen, welchen unsere Erforschung, unabsehbare Zusammenhänge aufdeckend, immer weiter nachgeht. Welt als „Sache an sich selbst" kann wohl abstrakt „gedacht", nicht aber „erkannt" werden. Der Widerspruch liegt also hier in Wahrheit nidit in der Vernunft als solcher, sondern in der Scheinvorstellung — welche mit deren Selbstkritik durchschaut wird. Ganz anders jetzt. Der VernunftbegrifF („Idee") eines höchsten Wesens, im Transzendenz-Sinn des Theismus, und ebenso der einer „immateriellen" Seele („das in uns denkende Subjekt, als reine Intelligenz" gedacht, heißt es im nächsten Absatz) — beide sind allem „Fremdartigen" der Sinnlichkeitsbedingungen schon in der Intention enthoben; sie weist hinaus ins „Feld des Obersinnlichen" (14 Β X X I ) ; die ihr Dasein behauptenden Sätze wie die dagegen streitenden Verneinungen gehen auf „Sachen an sich selbst". Ein „wahrer" Widerstreit, „eigentliche" Antithetik der reinen Vernunft liegt nicht vor, obgleich Bejahung und Verneinung einander schlechterdings ausschließen (während beim Widerstreit im Kosmologischen, nach der kritischen Entscheidung, die gegensätzlichen Behauptungen beide falsch bzw. gar wohl vereinbar sind). Der „verneinenden Seite" muß eben dies klar gemacht werden, daß über Dinge an sich, rein aus Begriffen, nichts mit Begründung ausgesagt werden kann, auch nicht mit einem „Schein" von Einsicht oder von etwas, das ihr „nahekäme" 78 . Jene Verneinungssätze können sich also nicht auf „Vernunft" ,s

Die Formulierung könnte auf Wahrscheinlichkeits-Erwägungen deuten. Dergleichen läßt Kant für die Metaphysik nicht gelten — es geht um apodiktische Gewißheit durch reines Vernunftdenken im Feld des Übersinnlichen. Wahrscheinlichkeit (probabilitas) wird in Kants Logik (Einleitung X ) unterschieden (von bloßer Scheinbarkeit (verisimilitudo), als einem „Fürwahrhalten aus unzureichenden Gründen, in so fern dieselben größer sind als die Gründe des Gegenteils";

(S. 486 Β 770)

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berufen. Und was die positiven Sätze anlangt, so kann man sie der Überlegung (dem „Verstände") sehr wohl „einräumen", bei allem Verzicht auf „dogmatischen" Halt im Spekulativen; immerhin spricht für sie das „Interesse der Vernunft"79. Der 7. Absatz unterstreicht noch einmal, daß alle über bloße Begriffsanalysen hinausgehenden Aussagen der spekulativen Vernunft in diesem Felde des Ubersinnlichen ohne „Grund" sind, immer also einer wirklichen Begründung werden entbehren müssen. Ganz anders bei Gegenständen auf dem Boden der Erfahrung: hier liegen ja, wie im Gefolge der transzendentalen Deduktion gezeigt wurde, dem Erkennen „Grund"-Sätze voraus — darunter solche über MöglichkeitUnmöglichkeit und über Dasein und Nichtsein. Diese in ihrer Gültigkeit erwiesenen Prinzipien betreifen die „innere" Konstitution (Bedingungen der Möglichkeit) der Gegenstände überhaupt unter raumzeitlichen Bedingungen (erst auf Grund derselben können dann in den Erfahrungen die „äußeren" Bedingungen für Möglichkeit und Wirklichkeit von Dingen und Ereignissen gefunden werden). Dagegen ist es der menschlidien Vernunft versagt, auch die „innere" Möglichkeit noumenaler Gegenstände zu erweisen, — obgleich sie

und dann heißt es, „daß nur der Mathematiker das Verhältnis unzureichender Gründe zum zureichenden Grunde bestimmen kann; der Philosoph muß sich mit der Scheinbarkeit, einem bloß subjektivem und praktisch hinreichenden Fürwahrhalten begnügen. Denn im philosophischen Erkenntnisse läßt sich wegen der Ungleichartigkeit der Gründe die Wahrscheinlichkeit nicht schätzen; die Gewichte sind hier, so zu sagen, nicht alle gestempelt." I X 81 f. — Dem bejahenden Satz des Theismus kommt immerhin die physikotheologische Argumentation „nahe", wenn sie audi, als Beweisgrund verstanden, einem transzendentalen „Schein" erliegt. 79

4*

Vgl. die Darlegung in der Vorrede B, wo das „Interesse der Menschen" gegen das „Monopol der Schulen" gestellt wird, — im Vorblick auf den positiven „Nutzen" einer Vernunftkritik auch in ihren Einschränkungsresultaten. 19/20 f. Β X X X I I f. — Zum zweiten der „Kardinalsätze" heißt es schon im Paralogismen-Hauptstück: hier leiste die Kritik den nicht unwichtigen Dienst, das, wofür das „Interesse" der Vernunft spricht, auch „wider alle möglichen Behauptungen des Gegenteils in Sicherheit zu stellen", also auch jeden Gegner „dem Gesetze der Entsagung" (Disziplin!) aller Ansprüche auf dogmatische Behauptung zu unterwerfen. 276 Β 424. — Zum Thema des Vernunft-Interesses überhaupt wäre auch der dritte Abschnitt der Antinomie-Dialektik (322—330 Β 490—504) heranzuziehen, wo es sich aber um Verteilung von solchen Interessen (darunter auch „praktischen") auf beide Seiten des Widerstreits handelt — ganz anders also als jetzt, wo dem Gegner der Vernunftsätze solcher Rückhalt „notwendig fehlt".

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(S. 486 Β 770)

dieselben nicht nur widerspruchsfrei denken kann, sondern denken muß als in ihr selber wurzelnde Problemata 80 . Auf Beweisschlüsse im Sinne der Tradition und gar auf „evidente Demonstrationen" muß hier, audi für alle Zukunft, verzichtet werden. Aber das bedeutet keineswegs Preisgabe jener Kardinalsätze selber. Der kritische Denker wird sie jedenfalls soweit „annehmen" können 81 , als sie mit dem „Interesse" der Vernunft zusammenhängen: einmal und vorerst mit deren notwendiger und fruchtbarer Funktion in aller Realitätserforschung, dann aber mit dem erst in späterem Zusammenhang als Eigenthema zu behandelnden, aber auch schon im Dialektik—Abschnitt über das Interesse der Vernunft „beim" antinomischen Widerstreit zugunsten der Thesis in allen vier Idee-Hinsichten angesprochenen „praktischen Interesse aus reinen Prinzipien der Vernunft", — während die Antithesis des „Empirismus"-„Epikureismus" kein solches Interesse bei sich führt (32.4 f. Β 494, 496). Es wird sich zeigen, daß jene bejahenden Kardinalsätze „die einzigen Mittel" sind, beide so grundverschiedenen Wesensinteressen der Einen Menschenvernunft zu vereinigen82. Die Verneinungssätze sind, als Nichtseins-Aussagen bezüglich ihrer noumenalen Gegenstände, „synthetisch", so gut wie die bejahenden. Da das im Erfahrungsbereich gültige Kriterium des Daseins (oder der Wirklichkeit) hier ausfällt, könnte die Begründung nur darin bestehen, daß die Unmöglichkeit jener entia („Sachen" oder „Dinge" an sich) bewiesen würde — was aber natürlich bei diesen unter dem Anspruch des „Unbedingten" stehenden Gegenständen 80

Von den transzendentalen Ideen ist jede „ein reines und echtes Produkt oder Problem der reinen Vernunft". 258 Β 392.

81

Zu dem für Kants kritische Position wichtigen Terminus und Begriff des „Annehmens" vgl jetzt etwa 4 4 4 Β 7 0 1 : „Nun ist nicht das Mindeste, was uns hindert, diese Ideen auch als objektiv und hypostatisdi anzunehmen, außer allein die kosmologische, wo die Vernunft auf eine Antinomie stößt . . . (die psychologische und theologische enthalten dergleichen gar nicht)".

** Vgl. im folgenden den zweiten Abschnitt des zweiten Hauptstücks 522 ff. Β 832 ff. — Der III. Dialektik-Abschnitt in der Zweiten Kritik handelt, „Von dem Primat der reinen praktischen Vernunft in ihrer Verbindung mit dem spekulativen". V 191. Vgl. ferner die „Methodenlehre" der teleologischen Urteilskraft in ihrem Ubergang von der „Physikotheologie" (§ 85) zur „Ethikotheologie" (§ 86), V 436 ff. — Von den „subjektiven Maximen der Vernunft" im Sinne des spekulativen Interesses handelt ausführlicher der „Anhang" zum DialektikTeil unseres Werkes 426 ff. Β 670 ff.

(S. 487 Β 771)

69 7

heißen müßte: ihre „innere" Unmöglichkeit. Ein im bloß „Logischen" sich haltender Beweis fällt weg, da die entsprechenden Vernunftideen als Begriffe widerspruchslos, die Sätze aber synthetische sind. Für „reale" Unmöglichkeit haben wir eben, wie für reale Möglichkeit und Wirklichkeit, nur die Kriterien, welche Kant „Postulate des empirischen Denkens überhaupt" genannt hat. Dem dogmatisch Verneinenden, den man wohl unterscheiden muß vom „kritisch" das Gegeneinander Erwägenden, kann in der Verteidigungspolemik also immer das juristische non liquet entgegengehalten werden: Unklarheit der Sache, Ungeklärtheit des Rechtsanspruchs in den Aussagen. Sofern er dann dieselbe argumentatio ad hominem zurückwendet gegen den auf seinem Vernunft-„Besitz" bestehenden Denker, kann das diesen nicht anfechten, weil immerhin für seine Position, unabhängig von Beweisansprüchen, „die subjektive Maxime der Vernunft" spricht, — im spekulativen Bereich schon jene Grundregeln des Vernunftgebrauchs „zu Gunsten des Verstandes", welche auf Grund der kritischen Besinnung nicht auch gleich „für eine objektive Notwendigkeit der Bestimmung der Dinge an sich selbst gehalten" werden (236 Β 353/4). Die „Felder" der reinen rationalen Theologie und Psychologie bieten keinen „Boden" für den Streit zwischen apodiktisch bejahenden und verneinenden Aussagen. Nicht in sich selbst ist reine Vernunft zwiegeteilt in Thesen und Antithesen, vielmehr sind es „Irrungen" falscher Erkenntnisansprüche (geschehen aus Unkenntnis ihrer obersten Gesetze), die in den Streit verwickeln. Vernunft aber ist eben, als in sich einig, berufen, solche Irrungen abzutun und die wahre Einstimmigkeit ihrer differenten Funktionen einsichtig zu machen. Die Wucherungen der spekulativen Vernunft kann die Vernunft selber beschneiden und das Systemgefüge der Funktionen heilen. Es bedarf zur „gänzlichen Ablegung alles angemaßten dogmatischen Ansehens" nidit einer anderen, „höheren und richterlichen Vernunft", wie sie im 2. Absatz mit erwähnt war. Vielmehr gehört zu ihrer eigenen „Natur" die Aufgabe einer Selbstkritik und Selbstklärung, welche unter der Voraussetzung steht, daß alles, was „die Vorsehung" („die Natur selbst": in jenem universalen Sinne, auf welchen schon die Stoiker zielten) „anordnet", ähnlich wie in den Organismen, „zu irgendeiner Absicht gut" und nützlich ist (9. Absatz). Daß wir von Gegenständen, welche mit unserem eigenen „höchsten" Interesse

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(S. 487 Β 772)

zusammenhängen, keine Art von direkter „Kenntnis" haben, keine Wahr-nehmungen wie im Erscheinungsbereich, daß auch die Begriffe dort „undeutlich" bleiben (Ideen ohne Gegenstandserfüllung in concreto), daß unsere Wissensbegierden durch die „ausspähenden Blicke" reinen Vernunftdenkens zu Fragen gereizt, diese aber nicht durch Einsichtsantworten befriedigt werden, — muß demnach seine sinnreiche Bestimmung im Ganzen menschlich-vernunfthafter Daseinsbestimmung haben. Zu erwägen ist auch, ob spekulative „Deutlichkeit" (womöglich Evidenz und Demonstration, auch exakte Definition, wie im Mathematischen) in solchen Anliegen der Spekulation uns überhaupt förderlich oder aber „vielleicht gar schädlich" wäre 83 und ob nicht eben darum jene Erkenntnisansprüche (so wie Gifte, welche im Organismus selber sich erzeugen, Gegengifte als Heilmittel vom Arzt herausfordern) von dem auf das „Interesse des Menschen" (und auf „Weisheit") im Ganzen zielenden Philosophen nicht kritisch bekämpft werden müssen. Das aber fordert Freiheit der „prüfenden" Vernunft, auch wo es sich um Erforschung ihrer Grenzen handelt, ihrer Unzulänglichkeit zu sicheren Aussagen über die höchsten Daseinsanliegen. Für die Polemik gegen die Verneiner heißt das nicht nur: nicht Abwertung, gar Verbote, sondern Vernunftprüfung dessen, was da wie eine Antinomie-Antithetik auftritt; ausdrückliche „Betrachtung" nach zwei Seiten muß nicht nur geduldet, sondern um der Selbsterhellung der Vernunft willen „kultiviert" werden — was eben dann zur „Disziplin", zur Selbstbeschränkung und Entsagung führt. — Wiederum verweist Kant dabei auf den Rückhalt des praktischen Interesses bezüglich der im Spekulativen unangefochten bleibenden „guten Sache", und zugleich damit auf den Zusammenhang der Einschränkung des „Wissens" um des (Vernunft-)„Glaubens" willen, den schon die Vorrede programmatisch angedeutet hatte (19 Β XXX); auf eine eigene Weise von Begründung (Rechtfertigung des Wahrheitsanspruchs) im praktischen Felde wird auch vorausverwiesen. Der 12. Absatz nennt zum Thema von rein sachlich zu würdigender und für die Selbsterkenntnis der Vernunft förderlicher Polemik ss

Hier klingt ein Grundmotiv der kritischen Selbstbesinnung und Einschränkung der spekulativen Vernunft an, welches Kant zuerst am Ende der Schrift über die „Träume . . . der Metaphysik" ausformuliert hat. II 372 f.

(S. 488 Β

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zwei Denker des Jahrhunderts, mit deren Haltung und Lehren Kant sich auseinandergesetzt hat. Von David Hume sagt unser Werk (im „Ubergang" zur Deduktion reiner Verstandesbegrifïe), er habe sich in Konsequenz seines empirischen Ansatzes „gänzlich dem Skeptizismus" ergeben — nachdem „der berühmte Locke" so inkonsequent verfuhr, mit angeblich nur aus Erfahrung stammenden Begriffen Versuche zu Erkenntnissen zu wagen, „die weit über alle Erfahrungsgrenzen hinausreichen". Hume hat, so heißt es jetzt, „durch mühsam ergrübelte Bedenklichkeiten" (Anstoß für Kants in wiederholten Mühen durchgeführte Aufgabe der transzendentalen Deduktion!) die weithin waltende „Überredung" (nicht echte „Uberzeugung"! vgl. 531/2 Β 448) untergraben, wonach menschliche Vernunfteinsicht zur Behauptung des Daseins sowie zu einem bestimmten Begriff des höchsten Wesens zulange 84 . Die eigentliche Intention in dieser Art skeptischer Verneinung (Verneinung nicht der Sätze, sondern der Einsichtsmöglichkeit) sieht Kant ganz in der eigenen Zielrichtung: Selbstprüfung unserer menschlichen Vernunft, — zu welcher „Freiheit der Kritik" gehört (gegen den „Zwang" einer Zensur von außen wie gegen den „Despotism der Schulen"). — Danach nennt Kant den auch seinerseits Grundsätzen des empirischen Vernunftgebrauchs allein ergebenen „Priestley" 85 . Die Folge ist bei diesem Denker nicht, wie bei Hume, ein (faktisch dann audi alle wissenschaftliche Einsicht in 114

85

Humes Enquiry, woran sich Kant in seiner Auseinandersetzung mit dem empiristischen Ansatz hält (deutsche Übersetzung von 1755), schließt bekanntlich ab mit der Aufforderung, alle Bücher zur „Gotteslehre oder Schulmetaphysik", alle Werke, sofern sie nicht Gedankengänge über Größe und Zahl oder solche über Erfahrungstatsachen und -dasein enthalten, ins Feuer zu werfen; denn alles andere sei nichts als Blendwerk und Täuschung. — Kants Überzeugung, daß Hume wie Locke in ihrer Grundposition durch das „Faktum" der wissenschaftlichen Einsichten ebenso der reinen Mathematik wie der „allgemeinen Naturwissenschaft" unter mathematischen und dynamischen Prinzipien widerlegt werden, und daß insbesondere Humes Skeptizismus im Kausalitätsthema fehlging mit der vermeintlichen Entdeckung einer ganz allgemeinen Täuschung in unserem Objektivitätsanspruch, führte ihn zu dem eigenen kritischen „Versuch", ob man nicht die menschliche Vernunft zwischen den beiden Klippen einer zur „Schwärmerei" führenden Lehre von der Art Lockes und eines Skeptizismus Humescher Observanz „glücklich durchbringen, ihr bestimmte Grenzen setzen und dennoch das ganze (!) Feld ihrer zweckmäßigen Tätigkeit für sie geöffnet halten könnte". 105/6 Β 127/8. „Nach dem Priestley und Locke müssen alle Erkenntnisse empirisch sein und keine einzige synthetische kann wahre Notwendigkeit haben." X V I I I 63 Nr. 5021.

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(S. 488 Β 773)

Frage stellender) Skeptizismus, sondern: ein „Empirismus" im Sinne dogmatischer Verneinung alles nicht mit Mitteln der Erfahrungswissenschaft und als „Natur" im Sinne eines Inbegriffs empirischer Gegenstände zu Denkenden — so jedenfalls im Seelenthema. Es ist die Position, welche Kant in der Antithesis der dritten Antinomie auch „transzendentale Physiokratie, im Widerspiel mit der Lehre von der Freiheit", genannt und dann, im weiterführenden „Interesse"Abschnitt, dem Empirismus-Lager zugeordnet hat 86 . Ein Denker wie Priestley, bedeutend und erfolgreich auf dem „Felde der Naturlehre" (sc.: als Chemiker Entdecker des Sauerstoffs, Vorkämpfer einer das Psychische umgreifenden Physiologie), erkennt als mögliche Realität nur an, was wir „genau" kennen (durch Empfindung und Wahrnehmung) und exakt nach Gesetzen bestimmen können. Und faktisch sind, auch nach Kants Wissenschaftserfahrung, die Gesetze der „materiellen" Natur die einzigen, die wir in strenger Form erfassen und begründen können 87 . Damit ergab sich die für einen Geistlichen besonders „paradoxe" spekulative Verneinung des zweiten jener Kardinalsätze: in der Form eines „Materialismus" in der Seelenlehre, welcher zugleich den „Fatalismus" mit sich führte 88 . Mit 86

88

311 Β 477; in der Antithesis ergibt sich u. a., daß „unser Wille nicht frei und die Seele von gleicher Teilbarkeit und Verweslichkeit mit der Materie ist". Zum „spekulativen" Interesse auf seiten des „Empirismus" vgl. 325/6 Β 496. Wie nahe K a n t selbst solcher Argumentation steht, kann man seiner (vorkritischen) Polemik gegen die „Träume" einer Seelenmetaphysik unter Voraussetzung rein immaterieller „Geist"-Substanzen und deren Einwirkungen entnehmen. Da heißt es, daß „die Grundbegriffe der Dinge als Ursachen, die der K r ä f t e und Handlungen, wenn sie nicht aus der Erfahrung hergenommen sind, gänzlich willkürlich sind und weder bewiesen noch widerlegt werden können"; dagegen wird dann der Forschungsfortgang gestellt, welcher auf Wegen der Mathematik „die K r a f t der Anziehung an der Materie" offenbar gemacht hat. Kant war dabei keineswegs, was er von Priestley sagt, „aller transzendenten Spekulation abgeneigt", sondern sah audi in diesem Zusammenhang immer den großen Zweck der Metaphysik vor sich, „in welche ich das Schicksal habe, verliebt zu sein". I I 370 f., 367. — D a ß dann auch die auf der Basis der Kritik erarbeiteten „Metaphysischen Anfangsgründe . . d e n „Natur"-Bereich der äußeren Sinne, also die Gebilde und Wirkungsgesetze der Materie zum Thema haben und sie als Gegenstände eigentlicher „Wissenschaft" herausstellen, sei nur miterwähnt. Die Paralogismen-Kritik kämpft gegen zwei Extreme zugleich: den Materialismus und den Spiritualismus; wie jener „zur Erklärungsart meines Daseins untauglich", so ist dieser „zu derselben eben sowohl unzureichend". 274 Β 420. Jene Inkonsequenz des Empiristen Lodce im Anspruch auf demonstrative Erkenntnis von Übersinnlichem „öffnete der Schwärmerei Tür und T o r " , sagt Kant an jener Stelle (106 Β 128), wo er von Locke her auf Humes Skeptizismus hinauskommt;

(S. 489 Β

77i)

701

der naturalistischen Bestreitung der menschlichen Freiheit wurde so auch ein „Grundpfeiler" der Religion (bzw. der Metaphysik „als Schutzwehr derselben" 548/9 Β 877) eingerissen. — Hume wiederum, dessen skeptische Polemik der Grundintention nach gegen den falschen Anspruch einer rationalen Theologie auf "Wegen der Kausalerkenntnis gerichtet war, blieb allzusehr beim Thema der vom Erfahrungsgebrauch der Verstandesbegriffe „abgeschlossenen" Spekulation (und wurde so der „Wirklichkeit" anderer wissenschaftlicher Erkenntnisse a priori nicht gerecht 106 Β 128). So führte die Enge empiristischer Denkweise und Parteilichkeit bei beiden Denkern zu „Streit"-Sachen, die Metaphysik betreifend, welche die Absicht bestärken müssen, „die Vernunft in ihrer Selbsterkenntnis weiterzubringen" — was Kant auch dem Skeptiker Hume als das bestimmende Motiv in seinen „Bedenklichkeiten" zusprechen will. Wenn von der Vernunft „Aufklärung" erwartet wird, dann muß ihr auch Freiheit der kritischen Erwägung auf allen Wegen „tiefer und neuer" Nachforschung zugebilligt werden; und für eine nun als Aufgabe herangereifte Prüfung ihrer eigenen Möglichkeiten, ihrer „obersten Gesetze" nach dem in ihr angelegten Funktionszusammenhang, bedarf es geradezu jenes Streits; die „Dialektik" so radikal entgegengesetzter Positionen und Ansprüche muß durchgeprobt werden. In solch neuer Nachforschung geht es nicht um einseitige Polemik, sondern um eine von allem „Interesse" zunächst absehende, aber eben doch den Weg ins „Praktische" sidi offenhaltende Betrachtung der spekulativen Vernunft als solcher. Für Metaphysik, welche auf sie allein sich gründen will, bedeutet das: die „Verblendung" dogmatischer Entscheidungen aufzuzeigen — für beide Streit-Seiten. Die Absätze 14 und 15 ordnen die Streitdynamik der Dogmatiker und die in ihren Ansprüchen und polemischen Verhaltensweisen sich zeigende „Unlauterkeit" und mangelnde Selbsterkenntnis in eine Allgemeinbetrachtung des Menschseins in Gesellschaft und geschichtlicher Entwicklung ein. Es deutet sich da eine Sicht an, welche das wird auf Berkely gemünzt sein. Während der Seelen-Materialismus eines Priestley im neuen Interesse an physiologischen Gegebenheiten wurzelt, überhebt der „dogmatische Spiritualist" sich „aller Naturuntersuchung der Ursachen . . . unserer inneren Erscheinungen aus physischen Erklärungsgründen". 454 Β 718. — Zu Priestleys, des „Gottesgelehrten", konsequent durchgeführtem Fatalismus („Mechanism des Willens") vgl. noch V 98; VIII 12.

702

(S. 490 Β 776/7)

in Kants Anthropologie und in den geschichtsphilosophisdien Abhandlungen ausführlicher dargelegt ist. Dieselbe steht unter der Idee einer in allen Gegensätzen der menschlichen Interessen und audi in den unterschwelligen und sittlich fragwürdigen Verhaltungen verborgen waltenden Teleologie, welche im Ganzen des Geschehens zur Auflichtung und zu rechtlich-sittlicher Formung des Menschenlebens führt. Alles was im „Charakter" der Menschengattung als Anlage gelegen ist, nicht nur die Vernunft, sondern auch alle Neigungen mit ihren Antagonismen, bis zum bedenklichsten „Hang", muß schließlich doch „eine Anlage zu guten Zwecken enthalten" — weil es „von der Natur" kommt (Natur im Sinne einer kosmisch-geschichtlichen Vorsehungsmächtigkeit). Der Weg der Menschengattung geht „von der Rohigkeit" bloß selbstischen Verhaltens über Zivilisierung zu rechtlich-moralischen Lebensformen 89 . Die Anlage im Menschen, sich vor sich selber zu verstellen und nach außen hin dem, was er will und vertritt, einen vorteilhaften Schein und Anstrich zu geben, muß von daher verstanden werden als zugehörig zu den Mitteln und Vorsorgeweisen im Fortgang (gleichsam der Erziehung) der Gattung: in Richtung auf Daseins- und Gesellschaftsformung nach echten Grundsätzen der reinen praktischen Vernunft. Wenn also audi in den Äußerungen der „spekulativen" Denkungsart, im Streiten der Dogmatiker, weithin Verhehlung eigener Unsicherheiten und Verfälschung in den Argumentationen festzustellen ist, so muß auch das als Vorbereitung einer „ehrlichen" und im Selbstverständnis der Vernunft gesicherten Spekulation angesehen werden. Dazu bedarf es aber des vollen Austrags der Gedankenäußerungen, ohne „Verbote" und Zensur. Der Autor der Kritik ist davon überzeugt, daß der große Streit spekulativ-apodiktischer "" Vgl. den Abschnitt „Der Charakter der Gattung" in Kants Anthropologie VII 321—333; darin besonders das II. Stüde: „Die pragmatische Anlage der Zivilisierung durch Kultur, vornehmlich der Umgangseigenschaften und der natürliche H a n g seiner Art, im gesellschaftlichen Verhältnisse aus der Rohigkeit der bloßen Selbstgewalt herauszugehen und ein gesittetes (wenn gleich noch nicht sittliches), zur Eintracht bestimmtes Wesen zu werden . . . " . Im III. Stüde (»Die moralische Anlage") heißt es: „Der Mensch ist durch seine Vernunft bestimmt, in einer Gesellschaft mit Menschen zu sein und in ihr sich . . . zu kultivieren, zu zivilisieren und zu moralisieren." — Zum „Vorsehungs"prinzip in der „Erziehung des Menschengeschlechts im Ganzen" daselbst 328 f.; vgl. ferner aus der „Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht", den Dritten, Vierten und Siebten Satz. V I I I 19—28.

(S. 491 Β 778)

703

Sätze und Gegen-Sätze über die höchsten Daseinsfragen sich bald zu Ende bringen läßt — durch methodische Durchführung dessen, was in diesem Werke propädeutisch entworfen und begonnen wurde. — Auch hier tritt, zu Ende des 15. Absatzes, das Thema der Freiheit mit auf. Alle drei Ideen gehören ja, nach der zusammenfassendvorausweisenden Anmerkung zum ersten Dialektikbuch, zum „eigentlichen Zweck" der metaphysischen „Nachforschung"; alles andere, was sonst Metaphysik beschäftigt, „dient ihr bloß zum Mittel, um zu diesen Ideen und ihrer Realität zu gelangen« (260 a Β 394/5 a). Der Streit der Denker muß sich dadurch erledigen, daß man auf beiden Seiten ehrlich sich eingesteht, über die „Realität" der Vernunftideen, d. h. über Realmöglidikeit und Wirklichkeit des jeweiligen „Gegenstandes selbst", der „Sache", nichts apodiktisch ausmachen zu können. Unsere „Verstandesgesetze", welche synthetische Urteile über Möglichkeit und Wirklichkeit begründen, sind zwar als Kriterien („Dokumente der Wahrheit") ausgewiesen, aber eben nur für Sachen, welche zugleich unter Bedingungen der Anschauung stehen, nicht aber für Ubersinnliches, für Dinge an sich selbst. Hier nicht aus Vernunftbegriffen allein urteilen zu können, gehört zum „Schicksal", zur Gefügtheit unserer spekulativen Vernunft; und dadurch war denn das bisherige Schicksal der Metaphysik (Vorrede B) bestimmt. Das Zeitalter der Kritik, wie Kant sein Jahrhundert nennt, muß die Konsequenz aus dem reif gewordenen Wissen darum ziehen. Es gilt also, die „inneren Kriege" der Metaphysik „unter der Verwaltung der Dogmatiker" (Vorrede A) endlich zu Ende zu bringen dadurch, daß die Vernunft, im selbstkritischen Gebrauch, die „Rechtsame" ihrer Ansprüche grundsätzlich bestimmt: aus den Regeln ihrer ursprünglichen „Institution" (Einsetzung), d. h. in Aufdeckung der „Natur"- und Sinnbestimmung der Organe dieses „Gliederbaus" (22/3 Β XXXVII/VIII). Nicht vor dem „kritischen Auge" einer höheren richterlichen Vernunft und deren „Zensur" hat unsere Vernunft sich zu verantworten, ihrer obersten Gesetze sich bewußt zu werden; sondern sie selber kann und muß sich als den „wahren Gerichtshof" ansehen, weldier, im Sinne der quid juris-Frage der Deduktion, die Rechtsame bestimmt. Auch jetzt wieder spricht Kant zugleich in der Sprache seines Gesellschafts- und Geschichtsdenkens : vom „Stand der Natur" (nach Hobbes' Lehre ein Krieg aller gegen alle) muß der Weg über Zivilisierung, auch schon im „Tone" der

704

(S. 493/4 Β 784)

Polemik, zur Ruhe eines rechtlichen Zustandes gehen — mit dem Idealziel eines „ewigen Friedens" in der Metaphysik 90 . Gedankenfreiheit liegt auch schon im „ursprünglichen" Redite der allgemeinen Menschenvernunft. In den „bürgerlichen" Auseinandersetzungen der Denker hat jeder seine Stimme, die Verneiner mit ihren Angriffen nicht anders, als die auf ihrem Vernunft-„Besitz" Bestehenden. Von der Vernunft muß alle Besserung, „deren unserer Zustand fähig ist", herkommen; — also auch die in Sachen der Metaphysik. Für den kritischen Denker, welcher mit der Einsicht in den „ganzen Vorrat" der Vernunft auch die Grenzen ihres spekulativen Vermögens zu umreißen gelernt hat, sind die „Beweisgänge" im Negierungssinne noch von besonderem Interesse, weil sie ihm Anlaß zur Bestätigung, audi „Berichtigung", im grundsätzlich-transzendentalen Erforschen unserer Erkenntnissituation und damit dieser neuen Art von „Einsichten" geben können, — mehr als die schulmäßig sich wiederholenden „Beweise" der dogmatischen Verteidiger der „guten Sache"! Aufdeckung jeder Art von Dialektik in der spekulativen Vernunft und „Aufklärung" alles Scheinhaften durch gründliche Kritik der gegensätzlichen Wissensansprüche gehört nun auch, wie in den Absätzen 20—22 eigens dargelegt wird, zur akademischen Unterweisung 91 . Die daraus erwachsende Gewißheit über grundsätzliche Aussichtslosigkeit auf diesem „Felde" macht dann die positive Aussicht auf das praktische Vernunftfeld frei, wo Anbau-„Boden" für einen zugleich vernunfthaften und (gegenüber dem „Schädlichen", nach Andeutung im 9. Absatz) „heilsamen" Systembau zu erwarten ist92. "" Vgl. die späte Abhandlung: „Verkündigung des nahen Abschlusses eines Traktats zum ewigen Frieden in der Philosophie" (1796) V I I I 411—422; ihr war die Schrift: „Zum ewigen Frieden" unter Staaten vorangegangen (1795). — Zum Bild und Anspruch des „Gerichtshofs" vgl. etwa, außer der Vorrede A (IV 9 A 11/12), aus der Dialektik 345 Β 529, 442 Β 697, sowie den 5. Absatz unseres Abschnitts. „Sentenz" hat hier den Sinn v o n richterlicher Entscheidung. — Zum Thema des gesellschaftlichen „Naturzustandes" vgl. die ersten §§ des Staatsrechts in der „Metaphysik der Sitten" V I 312, 315.— 1,1 Man darf v o n hier aus erinnern an die in unserer Anmerkung 71 zitierte Vorlesungsanweisung aus Kants ersten Jahren als Dozent, w o es heißt, daß die abzuhandelnden Sätze immer wieder auch polemisch betrachtet werden sollen: „eines der vorzüglichsten" Mittel, zu gründlichen Einsichten zu gelangen. II 25. m In den Fragmenten zur Preisschrift über die „Fortschritte der Metaphysik . . . " spricht Kant v o n der „praktisch-dogmatischen Vollendung" des Weges der Metaphysik ( X X 281, 293 f., 305).

(S. 49S Β 786)

705

Mit dem 25. Absatz beginnt eine grundsätzliche Auseinandersetzung des kritischen Verfahrens mit dem „skeptischen Gebrauch" der Vernunft und der Polemikform, welche da — ganz anders als in der bei den Dogmatikern beider Seiten ausgeübten Methode — sich herausbildet. Worum es Kant am Ende geht, deutet die Überschrift an, welche gleich nach diesem Absatz auf alles spätere vorausweist: ein Skeptizismus, nach dem Beispiel etwa des solchen höchsten Vernunftansprüchen gegenüber „kaltblütigen" Hume (Absatz 11), kann keine „Befriedigung" der reinen Vernunft bezüglich der für sie „unvermeidlichen Aufgaben" (31 Β 7) leisten, keinen Frieden gegenüber dem Streit der Gegner und der in ihren Standpunkten „mit sich selbst veruneinigten" Menschenvernunft. Man kann daran erinnern, daß in der „Antinomie"-Dialektik vor die Abschnitte zur „Kritischen Entscheidung" und „Auflösung" ein Abschnitt: „Skeptische Vorstellung" der vier Ideenfragen eingefügt war. Mit der Abweisung eines Skeptizismus, als dem „Grundsatz einer kunstmäßigen und szientifischen Unwissenheit", verband sich da entschiedenes Eintreten für das, was Kant „die skeptische Methode nennen" will, als welche der Transzendentalphilosophie und nur ihr „wesentlich eigen" sei (292 Β 451/2). Dort hatte diese Methode, die befragte Sache (Welt) vorzustellen, die Funktion, zu einer ganz anderen Entscheidung und Fragenlösung überzuleiten, als die gegensätzlichen dogmatischen Lager, beide nodi ohne Selbstprüfung der Vernunft, sich träumen ließen. Jetzt geht es wieder darum, daß der bloß-skeptische Gebrauch der Vernunft „gleichsam als Abschluß" aller Streitigkeiten um die Kardinalsätze (und mit ihnen um die Freiheit des Menschen) als nicht „zulässig" erwiesen wird, bei aller Anerkennung der schon in jener ersten Hume-Erwähnung im Rahmen der Methodenlehre so positiv von Kant gewerteten „ergrübeltenBedenklichkeiten"; denn diese können auf die Absicht deuten, die Vernunft in ihrer Selbsterkenntnis weiterzubringen (488 Β 773). So sehr Kant ebenso in der AntinomieDialektik wie bei der Polemik in Sachen des Ubersinnlichen die Ruhe des Betrachters fordert, im Sinne einer alle Ansprüche erwägenden Gerichtsinstanz — so wenig kann er grundsätzliche „Neutralität" gegenüber diesen Streitanliegen billigen. Wenn von den Dogmatikern her sich die Gefahren einer falschen, „vielleicht schädlichen" Wissenssicherheit einerseits, die eines Atheismus, Fatalismus, Materialismus

706

(S. 495 Β 786)

anderseits ausbreiten, so führt die grundsätzliche Enthaltung, welche im Skeptizismus liegt, ihrerseits in die Richtung eines „Indifferentismus", dessen Vertreter faktisch dann „in metaphysische Behauptungen unvermeidlich zurückfallen" 93 . Skeptische Vorstellung aber kann gegenüber dem Verhalten der „Vernünftler" beider Seiten notwendig und fruchtbar sein, um grundsätzliche Kritik vorzubereiten. Die skeptische „Manier" wird im Fortgang der Aufklärung in Sachen der Metaphysik ebenso zu den „echten Grundsätzen" einer wirklichen Befriedigung der reinen Vernunft führen können, wie (nach Absatz 14) die Manier des Guten zur „Denkungsart" echter Gesittung. Jeder Skeptizismus arbeitet auf Bewußtwerden und Begreifen von Unwissenheit hin. Wo uns im Felde der Erfahrung Unwissenheit bewußt wird, da geschieht das aus „Beobachtung" ungeklärter, oft audi als unerklärbar beurteilter Phänomene; Unwissenheit von dieser Art ist „zufällige", weil nur bestimmt durch den jeweiligen Stand des Auffassens und Begreifens oder audi der Hilfsmittel. Solche Unwissenheit muß uns veranlassen, den „Sachen" (Gegenständen und Verhältnissen) weiter nadbzuforschen — in direkter Zuwendung (und insofern „dogmatisch"). Wo aber, wie in jenen Frageaufgaben der reinen Vernunft, welche ins Ubersinnliche zielen, das Ausbleiben haltbaren Wissens „schlechthin notwendig" ist, da muß unser Wissensbegehren auf grundsätzliche Bestimmung der Grenzen unseres Erkenntnisvermögens selber hindrängen, was dann Ergründung von dessen „ersten Quellen" verlangt — also eine neue Art metaphysischer Nachforschung, die ihrerseits wieder nur durch reine Vernunft geschehen kann. Die „Schranken" der jeweiligen Erkenntnis, von denen nie ganz auszumachen ist, wie und wieweit sie überstiegen werden können, muß der Philosoph unterscheiden lernen von den im Wesen unserer Daseinssituation gründenden „Grenzen" aller möglichen Erkenntnis 94 . Daß unsere Vernunft endlich-eingeschränkt ist, kann 83

1,4

Vorrede A, I V 8 A X . D a heißt es nodi, in Wahrheit sei es umsonst, „Gleichgültigkeit in Ansehung soldier Nachforschungen erkünsteln zu wollen, deren Gegenstand der menschlichen Natur nickt gleichgültig sein kann". Vgl die nähere Ausführung zur Unterscheidung v o n „Schranken" und „Grenzen" im § 57 der Prolegomena. D a wird gleich zu Beginn mit dem verstiegenen A n spruch der Spekulation auf Einsidit in Erfahrungstranszendentes auch die „noch größere Ungereimtheit" jedes dogmatischen Empirismus abgewiesen. Humes D i a loge über natürliche Religion, so heißt es dann, könnten als Beispiel dafür dienen, daß grundsätzliche Einschränkung des Vernunftgebrauchs auf mögliche Erfah-

(S. 496 Β

78718)

707

„audi" a posteriori bemerkt und eindringlich erfahren werden; gerade die großen Vorstöße und Fortschritte des Wissens können uns einen „Abgrund der Unwissenheit" aufdecken 95 . Aber alles Unwissenheitsbewußtsein von solcher Art bleibt immer ein „unbestimmtes"; bestimmt wissen wir nur, daß auf keinem Forschungsfelde solches Nichtwissen jemals „völlig" behoben werden kann. — Ganz anders steht es um ein Unwissenheitsbewußtsein, welches aus grundsätzlichem Erforschen und Begreifen der „Grenzen" unserer Vernunft sich ergibt: nur durch apodiktische „Wissenschaft" (Metaphysik, in welcher die Vernunft sich auf sich selbst zurückwendet) sind sie bestimmbar. Da ist dann aber auch genau bestimmte Grenzziehung möglich; und diese unterscheidet sich auch darin von jeder bloßen Schranken-„Wahrnehmung", daß die „Grenz"-Begriffe ihrerseits auf Gegenstände denkend weisen, die transzendent sind („Noumena im negativen Verstände"). Unser Denken erstreckt sich „problematisch" weiter, als unser auf Anschauungsbedingungen angewiesenes Erkennen (211 Β 310/1). Und eben darin liegt ein Forderungshinweis auf „Disziplinierung" der Vernunft im polemischen Gebrauche seitens der Metaphysik-Skeptiker von der Art Humes. Zur Erläuterung des Unterschieds beider Arten von Unwissenheit und Unwissenheitsbewußtsein bedient sich Kant eines anschaulichen Bildes, in dessen Rahmen Hume als „Geograph" der menschlichen Vernunft vorgestellt wird, mit dem Ausblick auf besser begründete Beschreibung und Bestimmung der Sachlage durch die Kritik. Dabei tritt der Bildbegriff „Horizont" auf. Vorübergehend wurde er bereits rung auch ihrerseits „transzendent" werden könne, indem „die Schranken unserer Vernunft für Schranken der Möglichkeit der Dinge selbst" ausgegeben werden, — wenn nicht „eine sorgfältige Kritik die Grenzen (!) unserer Vernunft auch in Ansehung ihres empirischen Gebrauchs bewachte und ihren Anmaßungen ihr Ziel setzte". IV 351. — In der Vorrede zu dieser Schrift heißt es, seit dem Entstehen der Metaphysik habe sich „keine Begebenheit zugetragen, die in Ansehung des (sc.: geschichtlichen) Schicksals dieser Wissenschaft hätte entscheidender sein können, als der Angriff, den David Hume auf dieselbe machte" — mit der Kritik am Anspruch des Kausalitätsprinzips. — Für den unvermeidlichen Rückfall der angeblichen „Indifferenz" skeptischer Positionen in metaphysische Behauptungen (Vorrede A) hatte Kant in Humes Enquiry ein eindrucksvolles Beispiel vor sich — die empiristisdie Skepsis lief (im 8. Abschnitt) faktisch auf dogmatische Bestreitung der Willensfreiheit heraus. "e 387a Β 603a. Vgl. dazu die Ausführungen in der Logik Busolt X X I V 624 f. „Je mehr wir erkennen, desto mehr sehen wir, daß wir unwissend sind . . . " .

708

(S. 496 Β 788)

verwendet im Anhang zur Dialektik: da wo es sich um den Vernunftgebrauch im Fortgang der empirischen Wissenschaft handelt, in der Richtung auf systematische Zusammenhänge, geleitet von Regulativprinzipien; von Horizonten der jeweiligen Begriffe war dort die Rede 96 . Von solchen relativen Horizonten unterscheidet Kant in seiner Logik den „absoluten und allgemeinen Horizont": als welcher von der Vernunftwissenschaft (Metaphysik von der Metaphysik) grundsätzlich und auch für alle künftige Zeit „zum voraus" zu bestimmen sei97. Wäre der Inbegriff möglicher Gegenstände, das All der Dinge, so etwas wie eine ebene Fläche, wo sich der Wissenshorizont des „jedesmal wirklichen" Verstehens im Weitergang verändern und zugleidi erweitern läßt — dann gäbe es für uns nur jenes Unwissenheitsbewußtsein in Richtung auf die „Sachen", etwa solcher, die sehr weit entlegen sind. Aber das ist nicht unsere Erkenntnissituation; wer sie so ansieht, unterliegt dem „transzendentalen Schein"; ohne von dem Unterschiede „aller Gegenstände überhaupt" in Phaenomena und Noumena zu wissen, verläßt er sich einfach auf Vernunft „im dogmatischen Gebrauche" — ohne Eingrenzung und Zucht des Wissensanspruchs. Eben diesem „Schein" (hier analogisch angedeutet durch den „sinnlichen Schein" jener längst überwundenen geographischen Vorstellung von der Erde als einer ebenen Fläche) unterliegt aber auch der Skeptizismus eines Hume. Er glaubt die großen Anliegen der Metaphysik schon „hinreichend" abgewiesen durch die Feststellung, daß unsere Begriffe (welche nach seiner Meinung allein M

436 Β 686.

91

I X 41, 43; „Die Kenntnis seiner Unwissenheit setzt also Wissenschaft voraus — macht zugleich bescheiden . . . So war Sokrates' Nichtwissen eine rühmliche U n wissenheit, eigentlich ein Wissen des Nichtwissens." 44/5. Näher wird dieser „rationale" Horizont definiert als „Kongruenz der menschlichen Erkenntnisse mit den Grenzen der gesamten menschlichen Vollkommenheit überhaupt", womit auch der „praktische Horizont" umgriffen ist. Es geht im ganzen um „Beurteilung und Bestimmung dessen, was der Mensch wissen kann, was er wissen darf und was er wissen soll." — Vgl. noch aus Logikvorlesungen: X X I V 521: „Kongruenz der Grenzen unserer Erkenntnis mit den Zwecken der Menschheit"; dieselbe kann nur „durch diese metaphysischen Untersuchungen bestimmt werden". (623) — Metaphysik ist, im Gegensatz zu den stetig fortschreitenden Naturwissenschaften, ein „uferloses Meer, in welchem der Fortschritt keine Spur hinterläßt und dessen Horizont kein sichtbares Ziel enthält, an dem, um wieviel man sich ihm genähert habe, wahrgenommen werden könnte." X X 259 (vgl. das Bild von der Insel im weiten und stürmischen Ozean zu Beginn des PhaenomenaNoumena-Hauptstücks. 202 Β 294/5).

(S. 497 Β 789)

709

aus Quellen der Sinneseindrücke und Wahrnehmungsgewohnheit stammen) bis soweithin nicht reichen, weder zu Urteilen nodi zu Demonstrationen. Humes Streiten gegen alle Wissensansprüche der Metaphysiker (ζ. B. gegen deren Behauptung einer notwendig vorauszusetzenden Ursache der Welt) ging aus von der „ganz richtigen" Feststellung, daß der Begriff einer bewirkenden Ursache „überhaupt" (so wie er neben anderen Elementarbegriffen in der überlieferten Ontologie auftritt) aus sich allein keine Gültigkeit für Gegenstände, (Gegenstände aller Art) verbürgt; und daß der dadurch bestimmte „Grundsatz" der Kausalität nicht aus direkter „Einsicht" (etwa Evidenz) seinen Wahrheitsanspruch nehmen kann — also schon gar nicht über den Horizont der uns gewohnten Empirie hinausreiche 98 . Aber durch „Bedenklichkeiten" von dieser Art wird unser Verstand oder unsere Vernunft (was da nicht unterschieden wird) eben nur „eingeschränkt"; so werden nicht „Grenzen" bestimmt, diejenigen Grenzen, welche das Land der (uns erreichbaren) Wahrheit abheben vom Ozean metaphysischer Erkundungsfahrten. Die Aufgabe einer Bestimmung des Umfangs und der Grenzen aller für uns Menschen möglichen Erkenntnis setzt eine andere Vorstellung von der Vernunft und ihren gegenständlichen Bezügen voraus: vergleichbar einer besser ausgewiesenen geographischen Vorstellung von der Erdfläche als einer sphärischen — wo sich ja denn die Frage nach Umfang und Grenzen aller „möglichen" Erdbeschreibung, über die Horizonte der jeweils „wirklichen" Erkundungen hinaus, genau beantworten läßt durdi rationale Berechnung, also „nach Prinzipien a priori". Daß man den „ganzen" Umfang der Gegenstände empirisch nicht erreichen kann, das muß dem Skeptiker natürlich zugestanden werden; die transzendentale Dialektik hat solchen „Inbegriff" (etwa den, welchen wir „Welt" nennen) als Idee abgehoben von allen Bereichsbegriffen wirklicher und immer sich erweiternder Erfahrungen; sie hat Gegenstände von soldier Art als „unbedingte Totalität" bezeichnet". Eben darin lag schon der Grund Vgl. Kants Ausführungen dazu in der Einleitung unseres Werkes 29 Β 5, 40 Β 19/20, sowie im Ubergang zur transzendentalen Deduktion 105/6 Β 127/8. "" „Die Benennung eines Vernunftbegriffs aber zeigt schon vorläufig: daß er sich nidit innerhalb der Erfahrung wolle beschränken lassen solche Begriffe, welche „das Unbedingte enthalten" („etwas worunter alle Erfahrung gehört, 88

5

Heimsoeth, Transzendentale Methodenlehre

710

(S. 497 Β 789/90)

für die kritische Einsicht, warum alle Versuche, solchen Inbegriff rein durch Vernunft zu bestimmen, vergeblich geblieben sind. Damit war, anders als in Humes Geographie der Vernunft, eine wahre Grenzlinie gezogen, mit begrifflicher Auszeichnung sowohl der „außerhalb" wie auch der „in" der Grenzlinie liegenden Problemanliegen. Das „Verfahren" jener Skepsis gegen Metaphysik überhaupt beschränkte sich immer darauf, die „Fakta" der Systeme bauenden Vernunft, die immer vergeblich gebliebenen Versuche der Dogmatiker durchzuprüfen, so wie das jetzt in den so sorgfältig „ergrübelten" Bedenklichkeiten Humes geschah — um dann aus solch geschichtlichsachlicher „Wahrnehmung" heraus alle weiteren Versuche abzuweisen. Mit dem berechtigten „Zweifel" gegenüber allem transzendenten Gebrauch von Grundsätzen, wie dem eines notwendigen Zusammenhangs von Ursache und Wirkung, sollte der Streit der Dogmatiker endgültig beigelegt sein, und eben damit die Vernunft auch ihren Ruhestand, den Frieden nach den Streitereien finden. Aber die Denkfragen der Metaphysik sind in der Vernunft selber angelegt und somit notwendige. Der Skeptiker darf daher (wie es am Ende unseres Abschnitts heißt) nur als „Zuchtmeister des dogmatischen Vernünftlers" angesehen werden: Vorform echter Disziplinierung der reinen Vernunft, bloße „Zensur" gleichsam, die weiterdrängt zu einer „gesunden" Selbstkritik der Vernunft, einer Erhellung, welche alle Organe dieses Gliederbaus in ihrer wirklichen Funktionsbestimmung klarstellt. — Die drei „Schritte", welche Kant hier an der „Wanderung" der Vernunft heraushebt, durch Termini, welche auch sonst das ganze Werk durchziehen, weisen voraus auf den Schlußabschnitt mit dem Thema: Die Geschichte der Vernunft, und zwar in ihrer „szientifischen" Methode (552 Β 884). Die reif gewordene Form einer „Geographie" der menschlichen Vernunft muß über bloße Einschränkung und skeptische Abweisung hinausgehen zur „Sphäre"-Abmessung auf Grund richtig differenzierender „Schätzung" des gesamten „Vorrats" in unserem Vermögen, zur kritischen Beurteilung nach Wert und Unwert (vgl. 44 Β 26/7). Solch unterscheidend-zusammenstimmendes Verfahren ist nicht von der Art wie das Erlauben und Verweiches selbst aber niemals ein Gegenstand der Erfahrung ist") werden gleich zu Beginn der Dialektik mit einem „neuen Namen" belegt: transzendentale Ideen. 244 f. Β 367 f.

(S. 498 Β

79011)

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bieten einer bloßen Zensurinstanz, sondern zielt auf gerechte Abwägung der Ansprüche durch einen Gerichtshof mit abschließender Urteilsentscheidung100. Das Prinzip der Entscheidung über die spekulativen Ansprüche hat unser Werk in einem Fundamentalthema transzendentaler Reflexion gefunden, das unter dem Titel „Synthetische Urteile a priori" gleich in der Einleitung auftritt. Die Untersuchung ihres Wesens, in Absetzung gegen alle als bloß „analytisch" bezeichneten Urteile, gibt den Prüfungsmaßstab, welcher eine sichere Umfangs- und Grenzbestimmung ermöglicht. Metaphysik besteht ihrer Absicht nach „aus lauter synthetischen Sätzen a priori" (39 Β 18); ihre Bemühung geht darauf, unser Wissen über alle Welt- und Daseinserfahrungen hinaus zu erweitern — in Aussagen über Existenz, Seinscharakter, Wirkensart von Gegenständen, die uns nie in empirischer Realität gegeben sind. Eine Metaphysik, die aus bloßen BegrifFsdefinitionen Wahrheit schöpfen will, verkennt, daß solches Vorgehen eben nur „Erläuterungen" unserer Begriffe selbst gibt (Grundbeispiel dafür: der ontologische Beweis beansprucht, aus der Idee bzw. dem „Ideal"-Begriff eines ens perfectissimum das Dasein eines solchen Wesens vor und über allen Weltrealitäten abzuleiten). Die transzendentale Deduktion der Kategorien, unter welchen auch der von Hume in Frage gestellte Begriff einer wirkenden Ursache seine Stelle hat, lief dann darauf hinaus, daß für Sachprinzipien (etwa den „Grundsatz der Kausalität") Wahrheitsgeltung nur erweisbar ist für den Bereich möglicher Erfahrungen. Und schließlich hat die „Ideen"-Lehre der Dialektik gezeigt, daß alle Behauptungen (Sätze wie Gegensätze), ja „selbst Fragen" von jener Art, wenn sie auf den Begriffen korrespondierende Gegenstände zielen, auf einem Sichmißverstehen unserer Vernunft (in ihrem spekulativen Gebrauch) beruhen. Der fruchtbare und echte Sinn unseres Denkens in Richtung auf das Unbedingte liegt, wie besonders nodi der zweite Teil des Dialektik-Anhangs über die „Endabsicht" dieser im Wesen der Vernunft gelegenen Spannung 100

5*

Vgl. 335 Β 514 über den „großen Nutzen, den die skeptische Art hat, die Fragen zu behandeln, welche reine Vernunft an reine Vernunft tut und wodurch man eines großen dogmatischen Wustes mit wenig Aufwand überhoben sein kann, um an dessen Statt eine nüchterne Kritik zu setzen . . . als ein wahres Kathartikon." Ähnlich X X I V 208, w o dann neben Hume auch Bayle als Skeptiker genannt wird (211).

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(S. 498 Β 79011)

gezeigt hat, in den Maximen: „subjektiven Prinzipien" einer über alle jeweiligen Schranken des Wissens ständig weiterführenden Erforschung der „Verhältnisse" in der empirischen Realität. Während der „Besitz"-Anspruch der Vernunft in ihren Kardinalsätzen strittig ist und als Problem über den spekulativen Gebrauch hinausweist, sind wir — wie in der Einleitung zur Kritik als Tatsache vorausgeschickt und in der Analytik der Grundsätze begründet — „wirklich im Besitze synthetischer Erkenntnisse a priori". Aber deren Prinzipien sind eben nicht solche einer isolierten Vernunft im Hinbezug auf Gegenstände überhaupt, sondern Grundsätze desjenigen Funktionsgefüges, welches Kant als ein Mit- und Ineinander von Verstandeskategorien und transzendentalen Formen der Rezeptivität unterschieden hat von allen Ideen und Grundsätzen, die unter den Titel der Transzendentalen Dialektik fallen. Jene Grundsätze der Anschauung, der Wahrnehmung, der Erfahrung „antizipieren" 101 wirkliche und ständig sich erweiternde Erkenntnisse — innerhalb der „Sphäre" und auf dem „Boden" der empirischen Realität. Hume hatte die Sachgeltung des Kausalitätsgrundsatzes nicht nur im Streit gegen die Argumentationen der Metaphysiker bezweifelt, sondern ihn gar für „nichtig" ausgegeben auch bei Erfahrungsaussagen; an Stelle der objektiven wollte er die „subjektive" Notwendigkeit von Assoziation und Gewohnheit setzen102. Die echte Wahrheitsgeltung konnte er, von seinem Ansatz aus, sich nicht begreiflich machen, noch gar durch einen Beweisgang rechtfertigen — dann aber natürlich audi nicht die für ständige und systematische Erkenntniserweiterung nach solchen Verstandesgrundsätzen uns Antrieb und „Richtschnur" gebende Funktion der Vernunftideen im regulativen Gebrauch. Die Streitmethodik der Skeptiker kann also nur insoweit als „wohlbegründet" angesehen werden, als mit diesem Untergraben 101

Iœ!

Dieser Terminus ist nicht auf Antizipationen „der Wahrnehmung" allein fixiert; vgl. etwa 207 Β 303 oder 185 Β 264/5: wo gerade auch vom Kausalitätsprinzip die Rede ist — in Absetzung gegen den ontologischen Satz vom zureichenden Grunde, für welchen „so oft, aber immer vergeblich, ein Beweis ist gesucht worden." Vom „Besitz" gewisser, dem Umkreis nach also noch näher zu bestimmender Erkenntnisse a priori handelt das II. Kapitel der Einleitung; von der „Wirklichkeit" ihres zuverlässigen Gebrauchs in den Wissenschaften das V. Kapitel. Vgl. 29 Β 5, 40 Β 19/20, 105/6 Β 127.

(S. 49819 Β 792)

713

faktisch vorliegender Behauptungen und Beweisgänge ein zweiter Schritt getan ist, welcher in den dritten einer nun in der Vernunft selbst gegründeten Kritik unseres spekulativen Vermögens übergehen muß. Diese „bessere Grundlegung" kann dann wahrhaft positiven „Fortgang" der Vernunft, Fortgang im systematischen wie im geschichtlichen Sinne „vorbereiten" und sichern (Kritik als Propädeutik 103 ); und da jene Ideen „Problemgedanken" der Vernunft selbst sind, nicht Produkte einer Erfahrungs- oder Denkzufälligkeit (vgl. Metaphysik „als Naturanlage" 41 Β 21/2), können sie nicht einfach abgewiesen werden, im Zuge bloßer Neutralitätshaltung gegenüber dem Streite der Behauptungen und Verneinungen. Die Aussage der Skepsis über unser Unvermögen bleibt solange bloßer „Vorwand" im Zusehen, als nicht im Gefolge einer Selbstkritik der Vernunft wirkliche Entscheidung über „Gültigkeit oder Nichtigkeit" der Kardinalsätze getroffen und der spezifische Sinn der da in Anspruch genommenen Begriffe unterscheidend fixiert ist. Erst solche transzendentale „Nachforschung" kann zu einer „Auflösung" der dialektischen Sätze führen: zur Unterscheidung dessen, was bloß „Schein" ist im Wissensanspruch über die Noumena und von welcher Art Gültigkeit das darauf zielende Denken aus reiner Vernunft sein kann — damit aber auch etwa Aussicht geben auf „besseren Erfolg" im Sinne einer künftigen Metaphysik, welche dann wirklich als Vernunftwissenschaft wird auftreten können. Mit dem nächsten Absatz (dem 32.) geht Kants Beurteilung des skeptischen Verfahrens in der Polemik gegen vorliegende Wissensbehauptungen der Dogmatiker noch einmal auf Hume im besonderen ein, mit neuem Vorbezug auf die im Programm und Verfahren der Kritik gestellten und systematisch durchzuführenden Aufgaben. Humes mit Sorgfalt und Mühe erarbeitete Bedenklichkeiten bedeuteten in Sonderheit darin einen Anfang „auf der Spur der Wahrheit", als er deutlich herausstellte, daß jedes Urteil, welches eine Sache auf eine andere als vorauszusetzende Ursache bezieht (sei es nun metaphysisch die Welt auf eine Weltursache oder physisch ein Bewegtes auf verursachende Bewegung oder Kraft 104 ), über „unseren Begriff" 103

Vorrede B: 25 Β XLIII; 43 Β 25.

104

Nodi einmal sei verwiesen auf Kants Erstformulierung dieser Problematik in vorkritischer Zeit: II 202, also nodi vor der Konzeption des transzendental-

714

(S. 499 Β 793)

vom Gegenstand hinausgeht, in der Intention auf Sachbeziehung zu dem als Grund oder Ursache Angesprochenen — so daß die Frage gestellt werden muß, wie sich uns denn solche Urteilsverbindung mit Anspruch auf Wahrheit eines objektiven Folgezusammenhangs von notwendiger Art herstellt. Für Kant war diese im Aufgreifen der skeptischen Betrachtungsart erfolgte Aufdeckung, nach seiner wiederholten Darstellung 105 , entscheidend gewesen als Anstoß zur eigenen Entdeckung (und terminologischen Fixierung) des Wesensunterschieds zwischen analytischen und synthetischen Urteilen, wie sie zuerst im IV. Kapitel der Einleitung unseres Werkes auftritt und von welcher der Denker im § 3 der Prolegomena dann gesagt hat, diese Einteilung sei unentbehrlich und verdiene in der Kritik unseres Vermögens klassisch zu sein. Synthetische Urteile, welche durch Verbindung von Wahrnehmungen über unsere vorhandenen und etwa auch analytisch durchgearbeiteten Begriffe hinausführen, Kenntnisse und Erkenntnis erweitern, geben für sich keinen Anlaß zu grundsätzlichen „Bedenklichkeiten". Dafür kann der „Begriff vom Golde" im ersten Disziplinabschnitt als Beispiel dienen106. Die Problematik liegt erst darin, daß in einem Begriff wie dem der Verursachung mehr beansprucht wird; schon der „gemeine Verstand" (Einleitung II) und deutlicher noch alle Forschungsarbeit in den Wissenschaften setzt da ganz allgemein einen Notwendigkeitsbezug voraus. Bei allem, was uns in der Erfahrung vorkommt, befragen und beurteilen wir Naturdinge auf Grund von Begriffen des „reinen" Verstandes, so eben der Relationskategorie: Ursache-Wirkung. Dann aber „versuchen" wir, auch in der Metaphysik, an Hand eben dieser Begriffe, von unerfahrbaren Dingen apodiktische Erkenntnis zu gewinnen und diese durch reine „Verphilosophisdien Gesamtthemas: „Synthetische Urteile a priori". In den Prolegomena wird, im Duktus des Rückbezugs auf Hume, der Ursachebegriff als dessen crux metaphysicorum bezeichnet. IV 312. 105 Die ausführlichsten Darlegungen sind enthalten in den Prolegomena; für unser Textstück sollte man sie mitheranziehen, besonders IV 257-260/1,277 und 310/1, 312 f, (§§ 27—29). Auch in den „Metaphysischen Anfangsgründen . . u n d wieder in der Kritik der praktischen Vernunft kommt der Denker auf den Vorgang und die Sadie zurück (IV 476a, V 50/1 ff.), ios 474 g 749/50, 477 Β 756. Vgl. aus der Einleitung den Ubergang vom analytisch definierten Begriff des Körpers als Ausgedehnt-Undurchdringlichem zur Synthesis des Prädikats: Schwere. 34/5 Β 12.

(S. 499/500

Β

793/4)

715

nunft" in Beweisgängen zu sichern. Dagegen vor allem wandte sich Hume — dessen skeptische „Schlüsse" und zugleich „Verirrungen" nun kritisch durchzuprüfen sind. Hume, welcher eine „Vermehrung" von Begriffen allein aus diesen selbst heraus mit Recht für unmöglich ansah und somit auf Unhaltbarkeit aller mit diesem Anspruch auftretenden metaphysischen Behauptungen schloß, erklärte auch gleich allen Ursprung ebenso von Verstandsbegriffen (so der Kausalität) wie von Vernunftbegriffen aus uns, aus unserem Denkvermögen selbst für unmöglich. An die Stelle allgemein vorausgesetzter Grundsätze mit dem Charakter strenger Allgemeinheit und Notwendigkeit wollte er Erfahrungsregelmäßigkeiten setzen, deren Grund zufällig und subjektiv ist: Assoziation von Wahrnehmungen in reproduzierender Einbildungskraft und Gewohnheit 107 . Daß diese, mit dem metaphysischen Gebrauch des Kausalprinzips auch alle objektive Gültigkeit in Erfahrungsfeststellungen aufhebenden „Schlüsse" Humes in Wahrheit „Verirrungen" sind, welche der Wirklichkeit unserer Wissenschaften nicht gerecht werden, das hat — nach den Einleitungskapiteln V und VI — die transzendentale Logik gezeigt: sie stellte, als Analytik, eine „Logik der Wahrheit" im Felde der Empirie der „Dialektik" als einer Logik des Scheins in Ansprüchen dogmatischer Metaphysik entgegen. Die Synthesis a priori, welche in dem als Natur,, gesetz" mit dem Charakter objektiver Notwendigkeit verstandenen Grundsatz der Kausalität liegt, setzt immer den Bezug auf mögliche Erfahrung voraus; das eben ist das „dritte", jenes „Medium", welches den bloßen Begriffen ihre objektive Realität zuteilt und sichert108. Erst wirkliche Erfahrung, auf dem Wege von Wahrnehmungen, gibt uns dann Möglichkeiten, konkrete Kausalverhältnisse zu „bestimmen" (durch „bestimmende" Urteilskraft; vgl. außer 131 f. Β 171/2 die Einleitung in die Kritik der Urteilskraft V 179/80). — Der Terminus einer transzendentalen „Affinität" war 107

108

Vgl. 29/30 Β 5, 105 Β 127 und die Abweisung im Rahmen der transzendentalen Deduktion 120 Β 152; IV 84/5, A 113. Vgl. 144 f. Β 194 f. Am Schluß des Abschnitts: „Von dem obersten Grundsatze aller synthetischen Urteile" heißt es: „Da also Erfahrung . . . in ihrer Möglichkeit die einzige Erkenntnisart ist, welche aller anderen Synthesis Realität gibt, so hat diese als Erkenntnis a priori auch nur dadurch Wahrheit (Einstimmung mit dem Objekt), daß sie nichts weiter enthält, als was zur synthetischen Einheit der Erfahrung überhaupt notwendig ist." 145 Β 196/7.

716

fS. 5001501 Β 795)

zuerst im Ubergang zur transzendentalen Deduktion aufgetreten; auch da als kritischer Gegenbegriff gegen Hume 109 . Von anderen Arten solcher Grundsätze, welche Hume nicht mitberücksichtigte und schon gar nicht „systematisch" überschaute (vgl. 40 Β 19/20), während Kant sich ebendies zur Aufgabe gemacht hat, nennt der Denker hier nur noch den von der Substanzkategorie bestimmten — auch dieser Begriff war ja, zugleich mit den Erfahrungsanwendungen, immer ein führender Gedanke der Metaphysik, ebenso in der Theologie wie in der Seelenlehre110. Auch hier läßt sich ein allgemeingültiges Prinzip für alle mögliche Erfahrung beweisen: der „Grundsatz der Beharrlichkeit" bei allem Wechsel der Erscheinungen (162 ff. Β 224/5 ff.). Das Zeitschema stellt auch hier die „restringierende Bedingung" dar; das bloße „Denken" auf Substanz hin bleibt darum doch, ebenso wie die Relation Kausalität-Dependenz, notwendig und sinnvoll in allen Fragen danach, was außerhalb des Horizontes unserer Erfahrung liegen mag, „oder allenfalls auch in seiner Grenzlinie" (Ende des 26. Absatzes), wie insbesondere das, was wir, auf uns selbst gerichtet, „Seele" nennen. Hume konnte mit seinen Mitteln keine Grenzlinie bestimmen; daher verwarf er mit dem Gebrauch des Grundsatzes in Sachen der Metaphysik auch dessen objektive Gültigkeit in der Erfahrung. Auch blieb Humes Polemik gegen die Dogmatiker immer auf vorgegebene Argumentationen bezogen; sein skeptisches Mißtrauen war nur ein unbestimmt-allgemeines und konnte nicht zu einer die Gegenstandsbereiche genau unterscheidenden Einschätzung unseres Erkenntnisvermögens überhaupt führen — also audi nicht zu einer für alle künftigen Beweisversuche zureichenden Einsicht in notwendige Grenzen unseres Wissens, mit der Folge grundsätzlicher „Entsagung" (Disziplin im dogmatischen Gebrauche).

io» JY 84 f A 113 f.; „Diesen objektiven Grund aller Assoziation der Erscheinungen nenne ich die Affinität derselben." IV 90 A 122. 110 Auch der § 27 der Prolegomena geht v o n Humes' Zweifel an der Vernunfteinsicht über Kausalität zum „Begriff der Subsistenz" über I V 310. Vgl. ebenda 273 und 358: das Urwesen denkt man sich „durch lauter ontologisdie Prädikate der Substanz, Ursache etc. . . . " . „Beharrlichkeit" im Wechsel ist duratio phaenomenon; das Vernunftproblem v o n „Fortdauer" der Seele über das Zeitliche hinaus geht auf duratio noumenon. Vgl. 118 Β 149. „Dauer" gehört als Prädikabile zu den reinen Verstandesbegriffen X X 272.

(S. 501 Β 796)

717

Hume richtete seine Angriffe zwar vor allem gegen die Beweisanmaßungen der Metaphysiker; aber seine Skepsis wollte audi die Grundsätze des Erfahrungs-„ Verstehens" nicht als a priori gegründet ansehen. Er unterschied nicht den „Verstand" von der Vernunft und wußte nichts von der allein in deren Wesen angelegten Dialektik, welche der tiefere Grund ist für jene vor seinem skeptischen Blick sich aufreihenden Fakten von miteinander streitenden Behauptungen und Verneinungen — einer „Dialektik", die in Wahrheit keine eigentliche, sondern Scheindialektik ist. Der skeptische Empirist sah nur Schranken unseres Wissens und verwies alles Nichterfahrbare aus unserem Horizont; daher seine allzu einfache Abkehr von der Metaphysik — ohne irgendwelche „Befriedigung der mit sich selbst veruneinigten reinen Vernunft". Zum „Eigentümlichen" der menschlichen Vernunft gehört eben gerade auch der „Schwung" des IdeenDenkens. Wenn Plato insofern Unrecht hatte, als er glaubte, „auf den Flügeln der Ideen" die Urbilder und den letzten Grund „der Dinge selbst" zu erreichen, so bleibt doch vorbildhaft sein Wissen darum, daß in unserer Erkenntniskraft ein „weitaus höheres Bedürfnis" angelegt ist, als das bloße Realitätserfahren, und daß unsere Vernunft sich „natürlicherweise" zu Aussichten „aufschwinge", die weit darüber hinaus gehen — in Begriffen, für welche kein kongruierender Gegenstand sich geben läßt, „die aber nichtsdestoweniger ihre Realität haben und keineswegs bloße Hirngespinste sind" 111 . Das „Feld" des Ubersinnlichen, wenn es für uns auch keinen „Boden" für Gebäude (von der Art der Mathematik und der Naturwissenschaften) hergibt, ist darum doch nicht ganz und gar für uns „verschlossen". Unsere Vernunft kann niemals von den metaphysischen „Versuchen" einfach abgebracht und abgeschnitten werden; Metaphysik, die älter ist als alle Wissenschaften sonst, wird bleiben, wenn jene „insgesamt in dem Schlunde einer alles vertilgenden Barbarei verschlungen werden sollten" ( I I B XIV). In der reinen Vernunft selbst wurzelt Metaphysik „als Naturanlage": Anlage zu Fragen und Aufgaben, an denen sie ihre „Bestimmung" erproben muß — mit dem nunmehr gereiften Bewußtsein, daß immer wieder auch der transzendentale Schein die 1,1

32 Β 8/9 und 246 Β 370/1. Dem Empirismus eines Hume („konsequente" Durchführung von Lockes Erfahrungsposition) steht in Kants Vernunftbesinnung immer der Noologismus im Gefolge Piatos („Haupt der Noologisten") gegenüber. Vgl. den Abschluß der Methodenlehre 551 Β 882.

718

(S. 501/2 Β 797)

Philosophen „zwacken" wird 112 . Wider die Angriffe globaler Skepsis rüstet Vernunftkritik (als Metaphysik von der Metaphysik) sich zur Gegenwehr: in Verteidigung ihres — allem Anspruch auf apodiktische Einsicht gegenüber freilich nur kleinen — Besitzes, in der Aussicht nämlich auf und in das „praktische Feld" und die von da her zu gewinnende „Uberzeugung" — enthoben diese allem bloßen „Überreden" durch Scheinargumente113. Eben dazu bedarf es sicherer Grenzabmessung der gesamten Sphäre unseres Wissens; und allerdings war und ist dafür das „skeptische Verfahren" (wie sidi ja auch schon bei der Dialektik im Weltthema zeigte!) vorübend: Erziehung in Richtung auf bestimmtere Disziplinierung, auf ein Sichbescheiden ohne Preisgabe des in der Vernunft wurzelnden Anspruchs auf „rechtmäßigen" Besitz im Sinne der zwei bzw. drei114 „Kardinalsätze".

Der ersten Hauptstücke Dritter Abschnitt Die Disziplin der reinen Vernunft in Ansehung der Hypothesen Nach der Abweisung des Anspruchs auf apodiktisches Wissen im „dogmatischen" Vernunftgebraudi und dann auch wieder der in bloßer Skipsis verharrenden Indifferenz legt sich der Methodenlehre die Frage nach der Rolle von Hypothesenbildungen und damit der Wahrscheinlichkeitserkenntnis auf dem Felde der Metaphysik nahe; dies auch schon vom Vordringen der neuen Methoden in der Naturphilosophie auf wissenschaftlicher Erfahrungsbasis her115. — Hypothesen sind Weisen des „Meinens", als einer Vorstufe des „Wissens"; 112

113 114

115

Vgl. 261 Β 397: Die Scheinschlüsse sind „Sophistikationen nicht der Mensdien, sondern der Vernunft selbst, von denen der Weiseste . . . sich nicht losmachen und vielleicht zwar nach vieler Bemühung den Irrtum verhüten, den Schein aber, der ihn unaufhörlich zwackt und äfft, niemals völlig loswerden kann". 484 Β 767/8; 494 Β 784, 487 Β 772/3. 20 Β Χ Χ Χ Ι Ι / Ι Ι Ι , 486 Β 769/70, 519 Β 827/8. Daß der durch die heilsame Vernunftkritik von „Vernunft" i.e.S. unterschiedene „Verstand" in Verbindung mit den Formen der Sinnlichkeit seinerseits einen begrenzten (durdi transzendentale Deduktion als rechtmäßig erwiesenen) „Besitz" hat, unterschieden von allem Bezug auf Ubersinnliches, „was ganz außerhalb demselben liegt", mag im letzten Absatz mitklingen: „Besitz gewisser Erkenntnisse a priori". Auch in Kants Logik-Einleitung folgt (im Abschnitt X über „Wahrscheinlichkeit") auf die Erörterung der dogmatischen und der skeptischen „Denkart oder Methode des Philosophierens" die Besprechung der Hypothesen als Gradannäherungen zur Gewißheit, mit dem Grundbeispiel des Kopernikanischen Systems.

(S. 502 Β 798)

719

mögliche Erklärungsgründe werden erdacht und „angenommen", wo direkte Einsicht in den Sachverhalt sich nicht erreichen läßt. Kants Terminus „dichten" weist zunächst nur allgemein auf produktive Tätigkeit im Vorentwerfen einer möglichen Erklärung. Es gibt legitime und bewährte Weisen solchen Dichtens, wenn es unter der „Aufsicht der Vernunft geschieht"; im Duktus der Erfahrensforschung hat produktive Einbildungskraft etwa, als „sinnliches Dichtungsvermögen der Verwandtschaft (Affinität)", eine unentbehrliche Funktion 116 . Für die „transzendentale" Methodenlehre stellt sich die Frage, ob diese Art des Vorgehens auch in Erkenntnissen aus reiner Vernunft statthaben kann. Daß hier Gefahr der „Schwärmerei" besteht, wird schon vorweg angedeutet 117 . Hypothesen sind, ganz allgemein betrachtet, brauchbar und erZum Abschluß heißt es d a : „Es gibt Wissenschaften, die keine Hypothesen erlauben, wie ζ. B. die Mathematik und die Metaphysik. Aber in der Naturlehre sind sie nützlich und unentbehrlich." I X 85/6. — Den eigenen Neueinsatz in der Vernunftphilosophie stellt K a n t bekanntlich in der Vorrede Β vor als eine „jener Hypothese analogische Umänderung der Denkart" und „ersten Versuch", — dies aber mit der Voraussage apodiktischen Erweises in der Durchführung. 14/15a Β X X I I a . In der Vorrede A sagt der Autor, „daß es in dieser Art von Betrachtungen auf keine Weise erlaubt sei zu meinen und daß alles, was darin einer H y pothese nur ähnlich sieht, verbotene Ware sei . . vielmehr soll „eine Bestimmung aller reinen Erkenntnisse a priori . . . das Richtmaß, mithin selbst das Beispiel aller apodiktischen (philosophischen) Gewißheit" sein. I V 11 A X V . — Von der Theorie der transzendentalen Ästhetik ζ. B. heißt es auch wieder in der Spätzeit, sie sei „nicht etwa bloß Hypothese, um die Möglichkeit der synthetischen Erkenntnis a priori erklären zu können, sondern demonstrierte Wahrheit . . . " . X X 268. 110

117

Vgl. den § 31 der Anthropologie, wo freilich das ästhetische Dichtungsvermögen im Vordergrund steht, — dodi dies im Zusammenhang des Buches „Vom E r kenntnisvermögen"; vorher geht da das Assoziationsgesetz — als für welches eine „physiologische Erklärung zu fordern" vergeblich sei: jede Hypothese dazu, wie etwa die Cartesianische, sei „selbst wiederum eine Dichtung." V I I 176 f. In dem Passus der Vorrede B, wo die Notwendigkeit einer gründlichen Untersuchung der Befugnisse rein spekulativer Vernunft, besonders angesichts der G e fahren des alles Ubersinnliche negierenden Dogmatismus, hervorgehoben wird, folgt auf die drei Titel „Materialism, Fatalism, Atheism" (samt deren Auswirkung in „freigeisterischem Unglauben") die „Schwärmerei"; und von da geht der Gedankengang weiter zum „Idealism" (im Sinne eines Spiritualismus von der Art Berkeleys) sowie zum Skeptizismus. 21 Β X X X I V . Von J . Locke heißt es in der auf den Skeptizismus Humes hinauslaufenden Stelle des Obergangs zur Transzendentalen Deduktion, er habe mit seiner Inkonsequenz (Anspruch eines Empiristen auf Erkenntnisse, die weit über alle Erfahrungsgrenzen hinausgehen) „der Schwärmerei T ü r und T o r " geöffnet (was zweifellos auf Berkeley zielt). D i e Kritik versuche nun die menschliche Vernunft zwischen den „beiden K l i p p e n " :

720

(S. 502/3 Β 798/9)

kenntnisfördernd nur, sofern der zwecks Erklärung angenommene Grund sich als „möglicher" Gegenstand ausweist. Dafür genügt es nicht, daß der Begriff davon widerspruchslos ist — was bloß „logische" Möglichkeit bedeuten würde. „Kriterium" einer Hypothese ist (nach § 12 der Analytik) zugleich mit der „Verständlichkeit" des Angesetzten dessen Einheit 118 . Für die Erklärung selber liegen im Verstände die Kategorien bereit, die beim Erfahrungsgebrauch zu den „dynamischen" Grundsätzen führen (zwei davon waren im vorigen Abschnitt herangezogen worden). Aber es war auch bereits im System der Grundsätze — beim „Postulat der Möglichkeit der Dinge" — gesagt worden, daß man von solchen Verknüpfungsweisen aus reinen Begriffen allein sich „nicht den mindesten Begriff machen" könne; nur im Zusammengehen mit den Bedingungen der Anschauung ist ja synthetisches „Verstehen" möglich (186 f. Β 267 f.). Nicht einen einzigen Gegenstand können wir uns bloß-begrifflich etwa als „Substanz" oder, nach der „Beschaffenheit", etwa als Wirkursache „ursprünglich" ausdenken; es bleibt da eben die Frage nach der Realmöglichkeit („objektive Realität") ganz offen. Die Beispiele, welche Kant zunächst (im Fortgang des 3. Absatzes) vorstellt, stammen, was hier erwähnt sei, aus der polemischen Begegnung des Denkers mit überlieferten und zeitgenössischen Spekulationen, die er eben als „Träume" der Metaphysik, als Erdichtungen einer („schwärmenden") Gedankenbildung ohne Realitätsausweis ansah119. Sie treten ähnlich auch bei der „Erläuterung" des

118

na

Skeptizismus und Schwärmerei glücklich durchzubringen und zugleich durch genaue und bestimmte Grenzanweisung „dennoch das ganze Feld ihrer zweckmäßigen Tätigkeit für sie geöffnet" zu erhalten. 106 Β 128. — Von „Erdichtung" und Schwärmerei der Einbildungskraft in den Bereichen der „auf Wesen außerhalb der Natur" ausgehenden Vernunft und eines in Naturerklärungen neue Kräfte erdenkenden Verstandes handelt der § 35 der Prolegomena. IV 317. 98 Β 115. Vgl. die empirisch-wissenschaftlichen Beispiele in der Logik I X 85. — Abschnitte über „Hypothesen" in Logik-Vorlesungen sonst: X X I V 558 ff., 647. Im Paralogismen-Hauptstück heißt es, die Schlüsse der rationalen Psychologie kämen schließlich hinaus auf einen „Pneumatismus", der „bei allem ihm günstigen (sc.: transzendentalen) Schein in der Feuerprobe der Kritik sich in lauter Dunst" auflöse 281/2 Β 433. Vgl. auch noch die Äußerungen zum Titelbegriff: Spiritualismus 274/5 Β 420/1; 454 Β 718. — Kants Schrift über Geisterseherei und Träume der Metaphysik (verfaßt lange vor der Erstkonzeption einer bloßen „Idealität" des Raumes und der Zeit) konfrontierte die in überlieferten

(S. 503 Β 799)

7 21

„Postulats" der Möglichkeit auf — dort eben als Kontrast zu legitimen Möglichkeitsentwürfen auf Erfahrungsboden. Schon aus der Konfrontation beider Textstellen ergibt sich: das „Erdichten" eines Verstandes, der „ohne Sinne" anzuschauen vermag, geht nicht etwa auf das Vernunftproblem eines urbildlichen intellectus intuitivus, sondern auf die Annahme einer „besonderen" Kraft im Menschen, Künftiges im voraus „anzuschauen, nicht etwa bloß zu folgern" (188 Β 270). Ferner: „Ausdehnungskraft ohne alle Berührung" — das zielt wohl auf (physische) „Monaden" als dynamische Elemente der Materie (vgl. 228 Β 340, auch etwa IV 507). Mit dem Erdenken „einer neuen Art von Substanzen", welche ohne Undurchdringlichkeit im Räume „gegenwärtig" wären, ist offenbar jenes Mittelding zwischen Materie und denkenden Wesen gemeint, welches „einige" Denker einführen wollten (188 Β 270). „Gemeinsdiaft" (Wechselwirkung) ohne die in dem Realitätserfahrungsbereich von uns immer vorausgesetzten dynamisch-materiellen Weisen der Vermittlung — das geht auf Annahme telepathischer Einwirkung (188 Β 270; vgl. II 320 ff., 333). — In diesen Beispielen rein begrifflich erdachter Möglichkeiten, die als Erklärungshypothesen auftraten, kommen übrigens außer den Kategorien (der Relation) noch von den „Prädikabilien" solche ins Spiel, welche auch noch rein im Verstände wurzeln, nach ihrer gedanklichen Intention also nicht an Raumzeitbedingungen gebunden sind, so „Kraft", „Gegenwart" und „Dauer" (vgl. zu diesen 94 Β 108 und X X 272). Im Gegensatz zu solchen von einzelnen Metaphysikern „neu eingeführten", ausgedachten Hypothesen sind transzendentale „Ideen" Denkgebilde, welche in der Vernuft selbst wurzeln, die daher denn audi von jeher als Themen der Metaphysik aufgetreten sind und auf bleibende Bedeutung Anspruch machen können. Und diese Produkte „ursprünglichen" reinen Denkens sind zugleich, wie der „Anhang" zur Dialektik ausführlich gezeigt hat, von fruchtbarer Bedeutung im „hypothetischen" Vernunftgebrauch: da, wo es um empirische Weltund Selbsterforschung geht. Erdichtungen, „Fiktionen" sind sie da nur insofern, als sie uns Anweisung geben, das jeweils Erfahrene, EntSeele- und „Geist"-Spekulatiònen auftretenden „Erdichtungen" von Substanzen und Kräften mit der sidi ständig bewährenden Realitätsersdiließung im Rahmen empirisdi-rationaler Naturphilosophie.

(S. 503 Β 799/800)

722

deckte oder Vermutete so anzusehen, „als ob" es aus einem übergreifend und noch un-bestimmt Vorgestellten ableitbar und bestimmbar wäre 120 . Dieser legitime Sinn einer auf weitere Erfahrungen vordrängenden Erwägung und „Beurteilung" sdilägt erst dann in Schein und Irrtum um, wenn für diese Vernunftbegriffe, aus ihnen allein heraus, korrespondierende Gegenstände „angenommen", sozusagen hin„gedichtet" werden. So ist die Idee: „Seele", verstanden als bloßer Gedanke einer „vollständigen" und in notwendigem Zusammenhang gefügten Einheit aller in uns erfahrenen und etwa weiter noch aufzudeckenden Gemütskräfte ein fruchtbares Prinzip, unter dessen Leitung wir zu wirklicher Erkenntnis vordringen können — so im Aufsuchen von übergreifenden „Grundkräften" 1 2 1 . Aber sobald dieses als Zielpunkt (focus imaginarius 428 Β 672) gedachte, immerfort zu weiteren Erfahrungen des inneren Sinnes und den entsprechenden Verstehenssynthesen vorantreibende Einfach-Einheitliche gegenständlich vorgestellt wird: als etwas möglicherweise Bestehendes, Bestandhaftes, daraus man dann direkt Erklärungen herleiten könnte (ζ. B. jene These oder Hypothese, daß es nur Eine Grundkraft gebe), ist man bereits dem transzendentalen Schein verfallen, nicht anders als beim „dogmatischen" Anspruch auf Einsicht und Beweis. Das im „Begriff" bloß Gedachte wird dann zum „Satz", der eine mögliche Existenz aussagen will. Daß solche Daseinsmöglichkeit nicht weiter „erweislich" ist, müßte allein nodi nicht zur Abkehr von dergleichen Wegen des Erklärens zwingen; denn das gilt auch von gewissen „physischen" Hypothesen (Kant denkt wohl besonders an die in der Physik seiner Zeit eine bedeutende Rolle spielende Voraussetzung „imponderabiler" Materien wie Wärmestoff, Lichtstoff — und insbesondere auch an die eigene, ihn von der Frühzeit bis ins Opus postumum beschäftigende Äthertheorie; vgl. etwa X X I 541: hypothesis originaria). Aber während bei allen Hypothesen dieser Art doch immer Raum und Zeit als formale Bedingungen der Daseinsmöglichkeit vorausgesetzt sind (ge120

121

Vgl. 411 Β 644/5, 439 Β 691. Auf solche Weise ist die Idee „heuristischer", nidit aber ein „ostentiver" Begriff; sie „zeigt Gegenstand beschaffen ist, sondern wie wir unter der Leitung schaffenheit und Verknüpfung der Gegenstände der Erfahrung sollen". 443 Β 698/9. Vgl. 444 Β 7 0 0 ; 430/1 Β 677 f.

eigentlich nur ein an, nicht wie ein desselben die Beüberhaupt suchen

(S. 503/4 Β 800)

7 23

maß dem ersten jener „Postulate des empirischen Denkens überhaupt") — ist die Annahme eines Einfach-Seienden schlechthin unvereinbar mit Erfahrungsbedingungen: in unserer (Erscheinungs-) Welt kann es dergleichen gar nicht geben, im inneren Sinn so wenig wie im äußeren (vgl. die Auflösung der Teilungsantinomie 357/8 f. Β 551/2 f.). „Einfache Substanz" insonderheit ist, wie im ersten Hauptstück der transzendentalen Dialektik erwiesen, ein „transzendenter" Begriff, durch welchen nichts erkannt werden kann; als Erklärungsgrund gebraucht, wird eine „transzendentale Hypothese" daraus, die unzulässig und wertlos ist, weil wir gar nichts wissen können über die „Möglichkeit" eines so Seienden (zugleich aber auch nichts über dessen Unmöglichkeit: das metaphysische Problem selbst bleibt offen). Der „hypothetische" Gebrauch der Vernunft im Regulativsinn (vgl. 429 ff. Β 675 ff.), Anweisung des Verstandes durch die Idee zu fortschreitendem Aufweis systematischer Zusammenhänge im Erfahrenen, leistet der Wissenschaft unschätzbare Dienste; sofern aber der bloße Gedanke der auf Einheit und Totalität ausgerichteten Vernunft selbst schon als Erklärungsgrund auftreten will, bleibt die Vernunft nur bei sich selbst — fühlt sich gar auch befriedigt, obgleich sie keine Einsicht, keine Sacherschließung geleistet hat. Das Gleiche gilt von der „Idee" eines göttlichen Urhebers, wenn es um Erklärung von Ordnung und Zweckmäßigkeiten in der Natur geht. Wenn Naturphilosophen aus dem „Ideal" der Seinsvollkommenheit, das wir nicht gegenständlich, nicht in concreto fassen können, das jeweils zu Erklärende (etwa die Ordnung der Planetenbewegungen oder die spezifische Zweckmäßigkeit in organischen Gefügen) hypothetisch herleiten, die Idee also „konstitutiv" gebrauchen, dann verfallen sie in den alle echte Untersuchung lähmenden Fehler der „faulen Vernunft" (vgl. 453/4 Β 717/8). Freilich kommt man im wahren, nämlich regulativen Gebrauch der Idee nie zu einer „absoluten Totalität des Erklärungsgrundes" — also zu einem ersten, das „Ganze" durchgehends zweckhaft anordnenden Beweger. Aber das ist kein Einwand, wenn es um die „Weltobjekte" geht, um Verständnis und Erklärung der spezifischen Realitätszusammenhänge. Es gehört eben zum Wesen „unserer" Welt als raumzeitlicher, daß sie in Erscheinungsreihen sich aufschließt, in Erscheinungsreihen, die unabsehbar-unvollendbar sind. Vollständige Erklärung, sei es auch weithin

724

(S. 504 Β 801/2)

nur in Hypothesen, ist für unser endlidi-diskursives, immer auf Anschauungsgegebenheiten angewiesenes Verstehen gar nicht möglich. Der Sprung ins Transzendente aber bedeutet nur ein ausweichendes Versagen. Darum bleibt doch der Problemgedanke eines höchsten zwecksetzend-anordnenden Wesens für sich selber offen 122 . Der ersten Bedingung für die Geltung von Hypothesen, welche die Daseinsmöglichkeit des angenommenen Erklärungsgrundes betraf (Kriterium der „Verständlichkeit" desselben 98 Β 115) fügt unser 7. Absatz, als eine zweite, die der „Zulänglichkeit" für die gewünschte Erklärung an; im soeben angeführten Passus des § 12 der Analytik heißt das: „Einheit (ohne Hülfshypothese)" 128 . An diesem Kriterium gemessen, muß die „Annahme" eines vollkommenen Urwesens zwecks Erklärung der uns begegnenden Ordnungen, der Zweckmäßigkeit „und Größe" der Natur (Welten über Welten) sich insofern als unzureichend erweisen, als doch unser Welterfahren uns, in Natur und Geschichte, neben bewunderungswürdigen Ordnungen auch unzählige „Abweichungen und Übel" zeigt (wir fügen in Kants Sinne hinzu: darunter auch das Böse, das malum morale). Sollen diese Realitätsgegebenheiten nicht als „Einwürfe" gelten, dann müssen eben „neue Hypothesen" eingeführt werden (wie etwa die überlieferter Theodizee-Versuche, welche die Übel nur als Privationen anzusehen lehrten, als bloße Schatten gleichsam in einem den ganzen Weltraum ™ Vgl. 381 Β 5 9 2 und 411 Β 644 f.; dazu im Dialektik-Anhang des zweiten Abschnitts (Von der Endabsicht . . . ) besonders 4 4 5 — 4 4 8 , 451/2 ff.; Β 7 0 3 — 7 0 7 , 713/4 ff. — Zu Kants Andeutung im 5. Absatz, daß „selbst die wildesten H y p o thesen, wenn sie nur physisch sind" erträglicher seien, als jede hyperphysische, kann auf die unsern Denker immer schon von Kepler her ( X V I 464) beschäftigende Erklärungsthese: Erde als großer Organismus hingewiesen werden. Diese „physische" Annahme ist gewiß nicht unzulässig, aber eben doch abzuweisen, weil die Möglichkeit dieser Voraussetzung ihrerseits nicht gewiß ist. In der Kritik der Urteilskraft nennt Kant diese Erklärungsvorstellung ein „gewagtes Abenteuer der Vernunft". V 419, 419a. 123

Vgl. I X 8 5 / 6 : In jeder Hypothese muß aber außer der „Möglichkeit der Voraussetzung selbst" noch gewiß sein, „daß sie nur Eine sei und keiner Hilfshypothesen zu ihrer Unterstützung bedürfe". „So reichte ζ. B. die Hypothese des Tycho de Brahe zur Erklärung vieler Erscheinungen nicht zu; er nahm daher zur Ergänzung mehrere neue Hypothesen an". „Dagegen ist das Kopernikanische System eine Hypothese, aus der sich Alles, was daraus erklärt werden soll, soweit es uns bis jetzt vorgesommen ist, erklären läßt. Wir brauchen hier keine Hilfshypothesen (hypotheses subsidiarias)."

(S. JOS Β

80213)

725

durchströmenden Sonnenlicht)124. — Analoges zeigt sich im Erklärungsansatz: „Seele" als einem einfach-selbständig Seienden. Daß dabei einem von uns im inneren Sinn erfahrenen „Dinge der Sinnenweit" ein intelligibles Wesen bzw. eine „bloß intelligible Eigenschaft" (das Einfachsein) zugedacht wird — das fiel schon unter das Kriterium der Verständlichkeit: denn von solcher Möglichkeit (oder Unmöglichkeit) haben wir eben „keinen Begriff", wie es am Ende des 4. Absatzes hieß. Aber auch dem Zulänglichkeitskriterium wird solcher Erklärungsansatz nicht gerecht: nach allen Erfahrungen sind mit dem Wachstum und der Abnahme unseres leiblichen Lebens auch Anstieg und Niedergang der seelischen Funktionen verbunden; das aber ist nicht ohne weiteres vereinbar mit der (wenn auch bloß als „Meinung") auftretenden Annahme, Seele sei in ihrem Eigenwesen unabhängig vom Körper und allen materiellen Veränderungen. Da müssen denn also wieder „neue Hypothesen" subsidiär herangezogen werden. Daß die im jetzigen Disziplin-Abschnitt auftretenden spekulativen Meinungen etwa auch abgesehen von der ihnen zugedachten Erklärungsfunktion Geltungscharakter haben könnten, davon ist jetzt nicht mehr die Rede; als „Dogmata" müßten jene die Empirie unter sich lassenden Aussagen eine den mathematischen Sätzen und Demonstrationen vergleichbare apodiktische Gewißheit haben; das aber war ja schon als unmöglich erkannt. Hypothesen stehen nicht unter diesem Anspruch, sondern unter dem Titel der Wahrscheinlichkeit, was bloße Annäherung zur Gewißheit bedeutet (vgl. dazu den Abschnitt X der Einleitung zu Kants Logik, IX 81 ff., 84/5). Wahrscheinlichkeitsaussagen haben ihren großen Wert im hypothetischen Vernunftgebrauch auf Feldern des 124

X X 302: alle „Negationen" sollen in solcher (dogmatisti oder hypothetisch angesetzten) Sicht „bloß wie Schranken" verstanden werden, so daß auch „das Böse sich bloß als das Formale der Dinge vom Guten in der Welt unterscheidet, w i e die Schatten in dem den ganzen Weltraum durchströmenden Sonnenlicht, und die Weltwesen sind darum nur böse, weil sie nur Teile, und nicht das Ganze ausmachen, sondern zum Teil real, zum Teil negativ sind . . . " — Vgl. im übrigen Kants späte Abhandlung: Über das Mißlingen aller philosophischen Versuche in der Theodizee. V I I 255 ff. — In einer frühen N o t i z Kants zu diesem Thema heißt es: ein Epikur würde der Voraussetzung einer vollkommen anordnenden Weisheit als Urheberin der Welt gegenüber das Eingeständnis fordern, daß letztere „mehr als der H ä l f t e nach Ungereimtheiten und widerwärtige Abweichungen in sich enthält". X V I I 238 (Nr. 3705).

6 Heimsoeth, Transzendentale Methodenlehre

726

(S. m l 6 Β

80314)

Erfahrbaren — dies ebenso im Ausgreifen auf jeweils höhere Erklärungsgründe wie in der Erwägung von Konsequenzen ins Speziellere hinein. Hier also hat diejenige Stufe des Fürwahrhaltens, welche nicht gesichertes „Wissen", sondern vorgreifendes Vermuten ist, ihren legitimen Ort (vgl. aus dem Anhang zur Dialektik etwa 430, 433; Β 677, 681). Von solchen Vorstufen und komparativen Graden der Gewißheit kann aber da nicht die Rede sein, wo die angenommenen Gründe überhaupt nidit unter Erfahrungsbedingungen stehen: weder nach ihrer eigenen Möglichkeit noch nach den Weisen der Verknüpfung mit dem Zuerklärenden. Was bloß durch Begriffe aus reiner Vernunft gedacht wird, dafür gibt es nur die Alternative: entweder Erweis (als „Dogma") oder „Enthaltung von allem Urteil"; und eben dies letztere ist notwendige Disziplin-Vorschrift. Bloße „Gedanken" können nicht nur kein Wissen über Gegenstände außerhalb des Erfahrbaren hergeben, sondern auch keine Wahrscheinlichkeitsannahmen; nur insofern könnte das „Meinen" etwas leisten für die Aufgaben der Metaphysik, als es mit dazu hilft, aus der durch Skepsis und Kritik erwachsenen Unsicherheit der Spekulation heraus den bessern Weg zur wahrhaften Befriedigung der Vernunft zu finden. In diesem Sinne sind nun, wie die Absätze 9 und 10 darlegen, im „polemischen" Gebrauche der Vernunft „transzendentale" Hypothesen zulässig: als KampfwafFen gegen Verneiner jenes VernunftBesitzes" (vgl. 484/5 ff. 767/8 ff.), auf welchen die „Kardinalsätze" hinaussehen. Zu Beginn des 10. Absatzes betont der Denker, daß der den Weg der Wahrheit Suchende den Gegner im Streit um die Rechtmäßigkeit des Vernunftbesitzes nicht immer nur in den dogmatischen Verneinungspositionen anderer, die da als Atheisten oder Materialisten auftreten, erwarten, sondern auch in sich selber suchen muß: der „Keim der Anfechtungen" liegt in der menschlichen Vernunft als solcher. Sofern sie in bloßer Spekulation ihr Ziel erreichen will und ihre Argumente wählt, sind die Behauptungen wie die Verneinungen von gleichem Wert bzw. Unwert; es ist das „Los" unserer Vernunft, daß — anders als bei den auf Anschauung sich gründenden Vernunftwissenschaften — hier Einsichten auf keine Weise möglich sind. Sofern man aber vom „praktischen" Interesse aus einen Weg und eine Weise der Besitz-Rechtfertigung sucht, wo denn Vernunft in ihrem praktischen Gebrauche etwas „anzunehmen" ein Recht haben könnte, können dann auch spekulativ-transzendentale Hypothesen,

(S. 50617 Β

805/6)

717

als Mittel der Verteidigung der „guten Sache" (vgl. 487 Β 772), mithelfen zur Bestätigung und Sicherung der Kardinalsätze als „praktisch notwendiger Voraussetzungen" 125 . Im Vorausblick auf solchen von Behauptungen und Verneinungen, Beweisen und Widerlegungen bloßer Spekulation unabhängigen Neuansatz fordert Kant jetzt geradezu die Ausarbeitung hypothetischer Streitargumente und möglicher Widerlegungen — ohne Anspruch, sie als eigene „Meinung" zu fixieren. Die Absätze 11 und 12 geben dafür Beispiele, das Thema der Seele und den Streit der Metaphysiker um deren Wesen und Natur betreifend. Die erste Argumentation knüpft an die im 7. Absatz schon gestreiften Bedenken an. Der auch schon vor und außer aller Spekulation (etwa vom praktischen Vernunftinteresse her) uns naheliegenden Voraussetzung einer Selbständigkeit und Unabhängigkeit der Seele allem Materiellen gegenüber steht die eindringliche Erfahrung vom Anstieg und Verfall der Seelenkräfte im Laufe unseres Lebens immer entgegen. Materialisten, etwa von der Art Priestleys, wollen darin einen „Beweis" dafür sehen, daß alles Psychische nichts sei als „Modifikation" organischer Funktionen. Daß dergleichen Behauptungen nur auf „Scheineinsicht" beruhen können („Dogmata" eines dogmatischen „Empirismus"), wurde in anderem Zusammenhang gezeigt. Aber eben im Kampf dagegen kann auch etwa die „Meinung" wertvoll sein, welche nun umgekehrt das Leiblich-Körperhafte anvisiert von der Reflexion auf das Erkenntnisvermögen aus. Das Materielle kann dann als bloßerscheinend angesehen werden, der Körper als die „Fundamentalerscheinung", auf welche sich unser seelisches Vermögen der Sinnlichkeit und damit auch der ganze Gebrauch des „intellektuellen" Vermögens, Verstandes- und Vernunftgebrauch, bezieht. So betrachtet, wäre dann die „Trennung" der Seele vom Körper nicht etwas wie das Auseinandergehen verschiedener Substanzen oder denn, materialistisch vorgestellt, das Hinfälligwerden einer bestimmten Modifikation von organischen Funktionen, sondern ein Außerkrafttreten unserer sinnlichen Vorstellungsart von der Welt und von uns selber. Solcher „Meinung" zufolge wäre dann das Leibliche nicht Basis, gar „Ursache" des Bewußtseins 120

6*

In dieser Formulierung werden die Weisen vernunfthafter Sicherung und Rechtfertigung vorentworfen, welche Kant dann in der Systematik der zweiten Kritik als „Postulate der reinen praktischen Vernunft" (V 132 ff.) ausgezeichnet hat.

728

(S. 507/8 Β 807)

(„Denkens"), sondern nur eine — gegenständlich vorgestellte — Einschränkung unseres „intellektuellen" Vermögens, die wirksam nur in einer vorübergehenden Phase unseres (in seinem Grunde und an sich „spirituellen") Lebens ist126. — Das zweite Beispiel für solche im Verteidigungskampf erlaubten und zweckdienlichen „transzendentalen Hypothesen" führt in die gleiche Richtung. Der Gegner des „von uns Geglaubten" führt gegen „ewige Fortdauer" jeder Einzelseele die „Zufälligkeit" der Zeugungen ins Feld, welche ja für die Individuen der Menschengesellschaft und -geschichte ganz ebenso zu konstatieren ist, wie bei den Lebewesen sonst in der Natur. Das hat bezüglich der Fortdauer der Menschengattung als solcher, so wie wir sie erfahren, keine Schwierigkeit; denn hier ist der „Zufall" im einzelnen immer einer „Regel im Ganzen" unterworfen (Anspielung auf statistische Erfahrung 127 ). Aber es geht ja um Fortdauer des Einzelnen „auf Ewigkeiten" hin; und das scheint unvereinbar mit dem Entstehen des Individuums aus Zufall und Willkür (Freiheit) der Zeugenden. — Solcher Einwurf kann entkräftet werden durch eine „Annahme" wie die, daß unser Leben „eigentlich" nicht „dieses" Leben ist, das unter Raum-Zeit-Bedingungen steht, sondern ein nach Bestand und Fortgang von Zeitveränderungen unbetroffenes Dasein. „Geburt" wäre danach kein eigentlicher Lebens-„Anfang" (was denn „Präexistenz" der Seele voraussetzt, von Kant in Vorlesungserwägungen auch so ausgesprochen)128, so wie der Tod kein eigentliches Ende. Unser zeitliches Leben könnte bloße Vorstellung in unserer „jetzigen" Erkenntnisart sein: „Bild" und Erscheinung bloß von einem ganz anderen, durch keine Weise von Anschauung, wie wir sie 128

127

128

Überlegungen von dieser Art wurden immer audi in Kants Vorlesungen dargelegt; vgl. jetzt vor allem die in X X V I I I abgedruckte Teilstücke zur Seelenlehre: 262/3—301 und 440/1—450. Kant hat den Körper (Leib) oft unter dem Bilde eines „Kerkers", einer „Höhle" (Plato?) gesehen, auch als „Karren", an welchen wir befestigt sind. Dem „Hindernis" des sinnlich Angeschauten steht dann die „andere Welt" ltibfreien Lebens als Welt in anderer Anschauung gegenüber. Vgl. etwa X X V I I I 284, 286/7, wo das als Hypothese der Vernunft vorgetragen wird, welche „dem Gegner kann entgegengesetzt werden". Vgl. aus früherer Schrift: „Die Erfahrung stimmt auch mit dieser Abhängigkeit sogar der freiesten Handlungen von einer großen natürlichen Regel überein. Denn so zufällig wie audi immer die Entscheidung zum Heiraten sein mag, so findet man doch in eben demselben Lande, daß das Verhältnis zu der Zahl der Lebenden ziemlich beständig sei, wenn man große Zahlen nimmt . . . " . II 111. Vgl. die Pölitz-Vorlesungen über Metaphysik (im 3. Abschnitt der rationalen Psychologie) und X X V I I I 283/4.

(S. 508 Β

808)

729

allein kennen, zu fassenden „intelligiblen" Leben. Audi die Gemeinschaft-Wechselwirkung, die uns in der empirischen Realität mit anderen Menschen und mit den Dingen der Natur verbindet und in die wir hineingeboren werden, ohne je andere Weisen des Zusammenhangs zu kennen, wäre nach solcher hypothetisch durchdachten Vorstellung nur Erscheinung für unsere „jetzige", also vorübergehende Erkenntnisart. Die „einzig wahre" Gemeinschaft, der wir zugehören, könnte sich danach erst zeigen, sofern wir uns und „die Sachen" (all das, was wir jetzt als Natur, als eine in unendliche Weiten sich erstreckende Welt erfahren) anschauen können, wie wir und wie sie an sich sind12*. Wie nahe Kant selbst, gemäß seiner grundsätzlichen Position 130 (in unserem Werk zunächst als „Hypothese" eingeführt, dann aber als erwiesene und durch das Experiment der Vernunft mit sich selbst bestätigte „Theorie" entfaltet), solchen Denkentwürfen und „Meinungen" steht, ist schon aus unserem Text zu spüren. (Eindringlicher noch aus entsprechenden Vorlesungspartien, wo denn auch ein positiver Rückbezug auf gewisse Swedenborg-Gedanken anzutreffen ist.131) Die beiden letzten Absätze betonen noch einmal, daß solche Art von Gedankenbildung keinesfalls den Anspruch erheben darf, Annahme mit Wahrscheinlichkeitsgeltung zu sein und insofern als, dem „Wissen" immerhin sich nähernde, „Meinung" aufzutreten. Derartig „problematische" Urteile dürfen auch nicht auf gleiche Ebene 128

130

181

Zum Ausdruck: einzig-,wahre" Gemeinschaft in einer Welt „geistiger" Naturen vgl. die Wendung in dem bekannten Beschluß der Zweiten Kritik, wonadi das moralische Gesetz in mir als „Intelligenz", als „unsichtbarem Selbst" midi darstellt in einer „Welt", die „wahre Unendlichkeit" hat. V 102. Auch die mit der Anspielung: unser jetziges Leben „wie ein Traum" verbundene Bezeichnung der Sinnenwelt als bloßes „Bild" erinnert an die Begriffsprache der Vernunftkritik; im Schematismus-Hauptstück heißt es bezüglich der Substanz in der Erscheinungswelt, sie sei nicht „absolute" Substanz, wie man das wohl von einem Dinge an sich selbst denken würde, sondern nur beharrliches „Bild" der Sinnlichkeit, „nichts als Anschauung". 359 Β 553/4. Pölitz-Vorlesungen über Metaphysik S. 152: „Der Gedanke des Swedenborg ist hierin sehr erhaben"; unsere Seelen stehen nach ihm als geistige Naturen miteinander in Verbindung und Gemeinschaft, „und zwar schon hier in dieser Welt; nur sehen wir uns nicht in dieser Gemeinschaft, weil wir noch eine sinnliche Anschauung haben . . . " . Ähnlich in X X V I I I 298/9. D i e Erwähnung des „Geistersehers" in der Metaphysik Volckmann (ebenda 447/8) zeigt aber auch wieder, daß alle kritischen Bedenken gegen dessen „Träume", welche für die Schrift von 1766 bestimmend waren, für Kant nadi wie vor gelten.

730

(S. 509 Β

809/10)

gestellt werden mit in der Vernunft selbst wurzelnden, also in sich notwendigen „Ideen", die im bloß spekulativen Vernunftgebrauch zwar nur problematische Begriffe sind, aber dodi eben nicht bloß »ausgedachte". Jene Erwägungen sind, wie es am Ende heißt, „reine Privatmeinungen", die freilich in der Auseinandersetzung mit Gegnern des „von uns Geglaubten" unentbehrlich sind (vgl. die Argumente ad hominem im polemischen Vernunftgebraudi 484 Β 767). Unentbehrlich sind sie aber auch gegen die in uns selbst aufkommenden „Skrupel" (d. h. die von begründeten Zweifeln noch verschiedenen Gegengründe eines Fürwahrhaltens von „bloß subjektiver Gültigkeit" IX 83). Problematische Urteile im Bereich der möglichen Erfahrung können — so die Hypothesen durch Experimente — zu „assertorischen" werden; wo aber reine Vernunft assertorisch urteilen will, muß das auch gleich apodiktische Gewißheit bedeuten. Niemals aber in diesen Anspruch der Spekulation zu verfallen, verlangt die „Disziplin". Nur „relativ auf" entgegengesetzte Meinungen, Annahmen, Anmaßungen haben Aussagen und Erwägungen von dieser subjektiv-„privaten" Art Vernunftsinn und bleibende Bedeutung, nicht aber, sofern sie „einige" (hypothetisch gefaßte) „absolute" Gültigkeit beanspruchen, also als „Meinung an sich selbst" auftreten möditen.

Des ersten Hauptstücks Vierter Abschnitt Die Disziplin der reinen Vernunft in Ansehung ihrer Beweise Daß Beweise im philosophischen Gebrauch reiner Vernunft, im Aufbau und zur Sicherung der Metaphysik, unter ganz anderen Bedingungen stehen, als die am Leitfaden reiner Anschauung fortgehenden, daher an jeder Stelle direkt kontrollierbaren „Demonstrationen" der mathematischen Wissenschaften, das war schon Teilresultat des ersten aller Disziplinabschnitte. Jetzt sollen Wesen und Möglichkeit der philosophischen Beweise selbst ins Auge gefaßt und unter Verfahrensregeln gestellt, und damit die schlüssigen und haltbaren Beweisarten von Fehlverfahren unterschieden werden. Im philosophischen Vernunftgebrauch sollen aus bloßen Begriffen a priori, für welche die korrespondierenden Gegenstände also weder

(S. HO Β 811)

731

durch Erfahrung gegeben werden können noch in der Anschauung a priori, synthetische Urteile gewonnen werden. Das bringt eine unerläßlidhe Verfahrens-„Regel" für jeden Erweis mit sich: es muß die Sachgeltung der Begriffe und dann auch die Möglichkeit eines Verknüpfungsübergangs von Begriff zu Begriff in Urteilen aufgezeigt werden. In den Begriffen selbst kann so etwas nicht liegen; analytische Urteile (wie etwa Definitionen) leisten nicht erweiternde Erkenntnis; — also muß ein „Leitfaden" außerhalb ihrer gefunden werden. Eine solche „Richtschnur" hat die Analytik wirklich entdeckt und für Beweisgänge von synthetischen „Grundsätzen", welche Wahrheitskriterien darstellen, auswerten können: es ist die Möglichkeit der Erfahrung, was hier „all unseren Erkenntnissen a priori objektive Realität gibt" (144 Β 195). Kant greift als Kernbeispiel wieder auf das Kausalitätsprinzip zurück. Vom bloßen Begriff dessen, daß etwas (zeitlich) „geschieht", gibt es einen als notwendig zu erweisenden „Obergang" zum Begriff eines Erwirkenden, der Geschehensursache; der Beweisgrund dafür liegt darin, daß in solcher Synthesis „Erfahrung selbst", ein Erfahren objektiv-realen Geschehens seitens eines apperzipierenden Subjekts, möglich wird — und damit eben „das Objekt der Erfahrung" (vgl. die Endformulierung des „Obersten G r u n d s a t z e s . . ( 1 4 5 Β 197). Ohne Voraussetzung dieses Vermittlungs- und Ubergangsgrundes wäre die Verknüpfung der Begriffe ein nicht zu rechtfertigender „Sprung"; durch ihn aber gewinnen wir Einsicht in eine „natürliche Affinität", die als sachlich-gegenständliche Zugehörigkeit sich eindeutig abhebt von solchen Beweisgängen notwendigen Erfolgens, welche faktisch, so etwa auch in der überlieferten dogmatischen Metaphysik, nur vom Hang „verborgener Assoziationen" bestimmt sein können (wie Hume mit Recht vermutet 132 ). — Ebendieser Leitfaden fehlte dem überlieferten Grundsatz der Ontologie, dem „Satz vom zureichenden Grunde" — als welcher aus bloßen Begriffen der Vernunft solchen notwendigen Zusammenhang für alles was da ist (und was geschieht) statuieren wollte. Alle Versuche, diesen Satz zu beweisen, sind nicht nur ge-

132 v g l . zu diesem Begriff von „Affinität" als Gegensatz zu subjektiver „Assoziation" Kants Polemik gegen Humes Theorie, sofern diese audi die objektive Geltung des Kausalitätsprinzips auf dem Erfahrungsboden außer Kraft setzen wollte. 500 Β 794/5.

732

(S. SlOll

Β 812)

scheitert, sondern mußten und werden scheitern, weil hier ein Medium der Vermittlung, des gültigen Uberganges eben fehlt 133 . Ursache und Wirkung sind (wie Grund und Folge) Begriffe des „Verstandes"; und die „Sätze" a priori, welche daraus sich ergeben und auch, in Einschränkung auf Gegenstände möglicher Erfahrung, beweisen lassen, sind Verstandesgrundsätze: Prinzipien des Verstehens von Erscheinungen. Nur so gilt die „Rechtfertigung" ihres Wahrheitsanspruchs. Neu aber und mit neuer Dringlichkeit stellt sich die Frage der „Beweiskraft" da, wo es (wie bei den „Kardinalsätzen") um Sätze geht, die von Begriffen der „Vernunft" im eigentlichen Sinne ausgehen: von „Ideen", die über alles Erfahrbare hinauszielen. So ist es ja doch etwa in den Beweisgängen der rationalen Psychologie 134 . Der „Paralogism der Simplizität" (IV 221/2—227 A 351—361/2) schließt von der in allem unserem Denken ursprünglich waltenden „Einheit" der Apperzeption, die ja eine „einfache Vorstellung" ist, 133

134

Vgl. 185 Β 264: „In Ermangelung dieser Methode" (der Beweisart, „deren wir uns bei diesen transzendentalen Naturgesetzen bedient haben") und „bei dem Wahne, synthetische Sätze, welche der Erfahrungsgebraudi des Verstandes als seine Prinzipien empfiehlt, dogmatisch beweisen zu wollen, ist es denn geschehen, daß von dem Satz des zureichenden Grundes so oft, aber immer vergeblich ein Beweis ist versucht worden". — Ausführlich hat Kant seine Kritik an solchen Versuchen, besonders an der erstrebten Herleitung aus dem Satz des Widerspruchs, vorgetragen in der Verteidigungspolemik gegen den hartnäckig auf der Leibniz-Wolfï-Tradition bestehenden Eberhard, VIII 193 ff. Da heißt es: wohl könne das „logische" Prinzip, wonach jedes Urteil („Satz") einen Grund haben müsse, als „unmittelbare Folgerung" aus dem Widersprudissatz verstanden werden. Was aber „vom Denken überhaupt gilt", bloß „logische" Bedeutung hat, kann nicht „die Realgründe (mithin den der Kausalität) unter sich befassen". Im Sinne unseres Disziplin-Themas heißt es dann: „Dieser Beweis, durch den sich der Philosoph für die Gründlichkeit nodi gefälliger bezeigen soll als selbst der Mathematiker, hat alle Eigenschaften, die ein Beweis haben soll, um in der Logik zum Beispiel zu dienen, — wie man nicht beweisen soll." Was dann nodi in vier Punkten dargelegt wird, deren letzter auf die offenbare Falschheit soldien Grundsatzes hinauskommt, wenn er „von Sadien gelten soll" (198). Vgl. dazu den entsprechenden Gedanken beim VIII. Lehrsatz der Sectio II in Kants Frühschrift über die Ersten Prinzipien der metaphysischen Erkenntnis, I 396. Audi in der von uns mitherangezogenen Streitschrift gegen Eberhard folgt auf die Kritik der Beweisversuche für die. „objektive Realität des Begriffs vom zureichenden Grunde" als nächstes die Kritik des von Eberhard audi wieder beanspruchten Beweises der „objektiven Realität des Begriffs vom Einfachen . . Dort ging es „wenigstens" nur um eine Kategorie; jetzt aber geht Eberhard „einen Schritt weiter und will selbst einem Begriffe von dem, was gegenständlich (sie!) gar nicht Gegenstand der Sinne sein kann, nämlich eines einfachen Wesens die objektive Realität sichern . . . " . VIII 198/9.

(S. 511 Β

812/3)

733

auf etwas, was weder in der inneren noch der äußeren Erfahrung vorkommen kann: auf Gegenständlich-Einfaches, auf die einfache „Natur" einer Substanz, die „Seele" genannt, wird; in dieser soll alles Denken „enthalten" sein, also Vielheit und Fülle „in" einer „absoluten" Einheit! Das ist kein „Ubergang" in echter Synthesis, sondern ein „Sprung" spekulativen Denkens. Das Sdieinhafte in diesem „Beweise" ist der transzendentale Schein; aus dem analytischen Satz vom denkenden Ich in uns wird ein synthetischer Satz über einfach-seiende Substanz (267 Β 407/8). Anders als sonst bei der so häufigen Erwägung und Erwähnung dieser Scheinargumentation erläutert Kant den Fehlgang hier noch durch Hinbezug auf unser Leib-Bewußtsein. Die Vorstellung „meiner" Fortbewegungskraft ist „für mich" durchaus einfach; ich könnte etwa einen vorhabenden Gang sehr wohl durch die Bewegung eines Punktes (des schlechthin Einfachen in bloßer Raumvorstellung) „ausdrücken". Und doch ist „mein Körper" als Objekt äußerer Anschauung ein vielfältiges Ganzes, von einer gewissen Größe des Rauminhaltes (insofern also zusammengesetzte Substanz, teilbar ins Unendliche!). Im Lebensbewußtsein „meines" möglichen Bewegungsvollzuges wird davon „abstrahiert" — so wie das Ich-Bewußtsein meines möglichen oder wirklichen Denkvollzuges für die Vorstellung den Charakter absoluter Einheit hat, — bei aller Fülle und Vielfachheit dessen, was mein Selbst faktisch umgreift. Der Begriff von „Seele" ist insofern höchst „komplex", als er unabsehbar viele psychische Vermögen, Funktionen, Modifikationen des Erlebens „unter sich" enthält. N u r dieses Teilstück aus der Kritik an den „Paralogismen" der Seelenlehre gibt Kant hier als Beispiel für Scheinbeweise einer metaphysischen Spekulation, welche auf Unerfahrbares ausgreift. Aus dem dann, noch in diesem 2. Absatz, folgenden Ubergang zu allgemeinen Prüfungsregeln für „transzendentale Beweise" überhaupt meint man herauslesen zu können, daß der Denker den Scheincharakter und das Fehlgehen aller Beweisgänge einer rationalen Psychologie „ahnte" und dann „entdeckt" hat, ehe er auf anderen Feldern angeblichen Erkennens und Beweisens aus reiner Vernunft Einblick in Fehlschlüsse und Scheingründe gewonnen hatte. Jedenfalls kann, auf Grund der in allen drei Dialektik-Hauptstücken erarbeiteten Widerlegung und Scheinaufklärung sowie der Gegenüberstellung zu den in der Analytik neugeschaffenen Beweisgängen für synthetische

734

(S. 511/2

Β

814)

Grundsätze des Verstandes, nun ein „immerwährendes" Kriterium aufgestellt werden, das die gültigen Beweise transzendentaler Sätze von solchen scheidet, welche ihr Ziel verfehlen müssen, einer kritisch gereinigten Vernunft also nicht mehr erlaubt sind. Die folgenden Absätze (3 bis 11) formulieren drei Disziplinregeln. Die erste schließt unmittelbar an das Vorherige an; sie spricht jetzt nur ganz allgemein aus, daß „Grundsätze des Verstandes" sehr wohl bewiesen werden können, doch nur in Geltung für Erfahrungsgegenstände. Keiner dieser Grundsätze kann zu (Gegenständen von) Ideen führen. Wiederum: „Grundsätze der Vernunft", welche immer auf Unbedingtes gehen, sind, sofern sie „objektiv" gelten wollen, keinesfalls zu rechtfertigen; sie sind „dialektisch" insofern, als jede Sachbestimmung des jeweils Gedachten, auf welchen Schlußwegen auch immer, nur scheinhaft sein kann; die wahre Bedeutung der Vernunftbegriffe und -grundsätze liegt einzig — soweit es sich um bloße Spekulation handelt — im Regulativen 135 . Die aus skeptischer Denkerfahrung in „gereifter" Urteilskraft (vgl. 497 Β 789) gewonnene Regel der „Behutsamkeit" ist für die kritische Vernunft ein bleibendes „Gesetz", das ein für allemal zu gelten hat. Die Absätze 4—6 geben die zweite dieser Disziplinanweisungen: Beschränkung auf einen einzigen Beweisgang bei einem jeden der transzendentalen Sätze 136 . So hat Kant selbst es ja gehalten in den jeweils unter dem Titel: „Beweis" stehenden Einzelstücken der „systematischen Vorstellung aller synthetischen Grundsätze des reinen Verstandes". Jetzt kommt er darauf zurück am Beispiel des dort besonders ausführlich dargelegten Beweisgangs, welcher die zweite Erfahrungsanalogie betrifft. Hier liegt der „einzige Beweisgrund" im Begriffe des „Geschehens" (von welchem ja auch schon der zu beweisende „transzendentale Satz" ausging137). Die Bestimmung einer Begebenheit in der Zeit erweist sich als nur dann möglich, wenn das 135

Vgl. etwa 243, 251 ff.; Β 365 f., 379.

136

Entsprechend wird in der erwähnten Streitschrift gegen Eberhard dessen Versuch, den Satz vom zureichenden Grunde zu beweisen, schon darum abgelehnt, weil dem Beweise „Einheit" fehle: auf den „bekannten Baumgartenschen Beweis" folge da ein weiterer. VIII 197.

137

In der Ersten Auflage der Kritik beginnt der „Grundsatz der Erzeugung" mit den Worten: „Alles was geschieht, anhebt zu sein . . . " . IV 128 A 189.

cS. S12

BSD)

735

Erfahren sich unter diese „dynamische Regel" stellt; nur sie ermöglicht uns, ein objektiv Geschehenes vom bloßen Flusse der Vorstellungen in uns abzuheben, veränderte „Wahrnehmung" als Erfahrung eines gegenständlichen Anderswerdens oder -gewordenseins zu fassen138. Der in der überlieferten Ontologie versuchte Beweis des Grundsatzes aus dem bloßen Begriff der „Zufälligkeit" (Kontingenz) ist deshalb unzureichend, weil der anschauungsleere Begriff von Etwas, dessen Nichtsein sich denken läßt, kein Kennzeichen dafür hergibt, welches Seiende als zufällig vorauszusetzen ist; nur im zeitlichen „Geschehen" ist Dasein als „zufälliges" aufweisbar 139 . — Auch der einzig mögliche Beweisgrund für die Einfachheit und also Unauflöslichkeit der Seele (faktisch ein Paralogismus; nicht einmal als Hypothese darf der Satz spekulativ angenommen werden 503 Β 799/800) kann nur im Ich-Begriff der Apperzeption als ursprüglicher Formbedingung alles „Mannigfaltigen des Denkens" gesucht werden, nicht aber in diesen oder jenen Denkinhalten. Ebenso kann ein rein transzendentaler Beweis vom Dasein Gottes nur „einen einzig möglichen" Beweisgrund haben („wofern überall nur ein spekulativer Beweis stattfindet" 416 Β 653): nämlich im Vernunftbegriff eines schlechthin notwendigen Wesens, sofern dieser Begriff zugleich und 138

„Also geschieht es immer in Rücksicht auf eine Regel, nach welcher die Erscheinungen in ihrer Folge, d. i. so wie sie geschehen, durch den vorigen Zustand bestimmt sind, daß ich meine subjektive Synthesis (der „Apprehension") objektiv mache, und nur lediglich unter dieser Voraussetzung allein ist selbst die Erfahrung von etwas, was geschieht, möglich." 171 Β 240, vgl. 172/3 Β 243.

139

Vgl. 199 Β 289/90: „Daß . . . der Satz, alles Zufällige müsse eine Ursache haben, doch jedermann aus bloßen Begriffen einleuchte, ist nicht zu leugnen; aber alsdann ist der Begriff des Zufälligen schon so gefaßt, daß er nicht die Kategorie der Modalität (als etwas, dessen Nichtsein sich denken läßt), sondern die der Relation (als etwas, das nur als Folge von einem anderen existieren kann) enthält und da ist es freilich ein identischer Satz: was nur als Folge existieren kann, hat seine Ursache. In der Tat, wenn wir Beispiele vom zufälligen Dasein geben sollen, berufen wir uns immer auf Veränderungen ..."·, Veränderung ist „die dem Begriffe der Kausalität korrespondierende Anschauung". 200 Β 291. — Vgl. 422 Β 663: Die Abhebung des Kausalitätsgrundsatzes als Prinzip der Naturerkenntnis, für welches der Beweis (im Sinne des Obersten Grundsatzes aller synthetischen Urteile) geleistet werden konnte, gegen einen entsprechenden Grundsatz der „spekulativen" Erkenntnis, wo man „vom Dasein der Dinge in der Welt" (nicht „ihrer Zustände, als empirisch zufällig . . . " ) auf ihre Ursache schließen will; der Begriff einer Ursache verliert „eben so wie der des Zufälligen in solchem bloß spekulativen Gebrauche alle Bedeutung, deren objektive Realität sich in concreto begreiflich machen lasse".

736

(S. 51314 Β 817)

in Einem — also umkehrbar (reziprok) — das Ens realissimum bezeichnet140. Die dritte Disziplinregel fordert für Beweise von transzendentalsynthetischen Sätzen völligen Verzicht auf die „apagogische" Beweisart. — Man kann vorab daran erinnern, daß die von Kant selbst in der Analytik erarbeiteten Beweise der Verstandesgrundsätze sämtlich „ostensive" sind, jeweils von einem Begriffe ausgehend, der anzeigt, wie ein Gegenstand (Gegenstand einer möglichen Erfahrung) beschaffen ist. Dagegen sind die in der Dialektik kritisierten „Beweise" der kosmologischen Thesen und Antithesen (mit einer Ausnahme141) apagogischen Charakters. Allgemeinlogisch (also für alle Art von Wissenschaften maßgebend) gilt, daß der direkte Beweis immer den Vorzug verdient, weil er das zu Erweisende aus seinen Sachgründen, den „Quellen" der "Wahrheit, hervorgehen läßt. So wird der Zusammenhang der vorangeschickten Gründe mit den daraus fließenden Folgen einsichtig gemacht, die 140

Vgl. 406/7 Β 636: „Wenn der Satz richtig ist: ein jedes schlechthin notwendiges Wesen ist zugleich das allerrealste Wesen", dann muß er sidi nicht nur, „wie alle bejahenden Urteile, wenigstens per accidens", sondern „auch schlechthin umkehren lassen . . . " ; dazu noch 394 Β 614/5 und 406/7 Β 636 und den entsprechenden Abschnitt über Transzendentale Theologie in der Preisschrift über die Fortschritte der Metaphysik X X 301—304 und 330/1 f. — Ergänzend mag erwähnt werden, daß diese zweite Regel ebenso für „Metaphysik der Sitten" gelten soll: auch hier muß der Beweis „aus einem einzigen Begriff bezogen sein". X V I I I 56 (Nr. 5000). „Für Eine Pflicht kann auch nur ein einziger Grund der Verpflichtung gefunden werden, und werden zwei oder mehrere Beweise darüber geführt, so ist es ein sicheres Kennzeichen, daß man entweder nodi gar keinen gültigen Beweis habe" (so war es ja, nach Kant, beim Satz vom zureichenden Grunde im Sinne der Ontologie), „oder es auch mehrere und verschiedene Pflichten sind, die man für Eine gehalten hat." VI 403. Auch da wird, wie in unserem Text, diese Regel einer „Vernunfterkenntnis aus Begriffen" abgesetzt gegen die Mathematik, wo deshalb Vielheit der Beweise eines und desselben Satzes statthaben kann, „weil in der Anschauung a priori es mehrere Bestimmungen der Beschaffenheit eines Objekts geben kann, die alle auf einen und denselben Grund zurückführen."

141

Die Ausnahme ist der Beweis zur Thesis des Vierten Widerstreits; deren Kerngedanke dient ja dann auch zum Übergang in den Bereich der (nicht mehr indirekt geführten) Beweise f ü r das Dasein Gottes. — Zur formallogischen Unterscheidung der beiden Beweisarten vgl. die Einleitung zu Kants Logik IX 71; die da anschließende Abweisung apagogischer Beweise dort, wo Sätze „bloß konträr", nicht aber „kontradiktorisch oder diametral" entgegengesetzt sind, kann unmittelbar auf Fehlgriffe in den „Beweisen" der Kosmologie bezogen werden.

(S. 514 Β 818)

737

Wahrheit des Ausgesagten also nicht nur (subjektiv) gewiß, sondern auch begreiflich142. Ebendas läßt der indirekte Beweis, als welcher ja nur die Unhaltbarkeit der gegensätzlichen Aussage aufzeigt, vermissen; insofern ist er auch nur ein Behelfsverfahren für die immer auf einsichtige Zusammenhänge ausgerichtete Vernunft. Er hat freilich auch einen Vorteil: die „Gewißheit" wird da auf eigene Weise eindringlich; denn die „Klarheit" im Ausweis von Widersprechendem hat etwas unmittelbar Einleuchtendes143. Bevor Kant zu näherer Begründung seiner Abweisung aller apagorischen Beweise in Sachen der Metaphysik im bisherigen Sinne144 übergeht, stellt er nodi die Frage nach deren Verwendung und Bedeutungsart in Wissenschaften sonst. Dabei bleibt hier die Mathematik, wo jene „ihren eigentlichen Platz" haben (Abs. 10), unberücksichtigt; die Überlegung geht auf Vernunftgebrauch und Schlußweisen in den Naturwissenschaften, w o sich „alles auf empirische Anschauungen", auf vergleichende Beobachtungen gründet (so etwa in der Astronomie). Da hier die Sachgründe (die rationes essendi; etwa die dynamischen Ursachen) „zu mannigfaltig sind" oder — jedenfalls zunächst — „zu tief verborgen liegen", versucht man sie 142

143

144

In Logik-Vorlesungen hat Kant den direkten Beweis audi den „genetischen" genannt: er „entdeckt nämlich nicht allein die Wahrheit, sondern auch zu gleicher Zeit die Erzeugungsquelle derselben"; bewiesen wird per rationes essendi. X X I V 233/4. Vgl. X X I V 233: „Der apagogische Beweis ist audi derjenige, welcher der Evidenz am allermeisten mehr nahekommt; er ist also auch weit leichter, als der direkte Beweis, da er das Gegenteil ad absurdum bringt, und es ist ausgemacht, daß die Absurdität allemal weit stärker in die Augen fällt, als alle und jede Wahrheit." — Kants Logiktext bringt ein Beispiel dazu aus Empirischem: um darzutun, „daß die Erde nicht platt sei, darf ich, ohne positive und direkte Gründe vorzubringen, apagogisch und indirekt nur so schließen: wäre die Erde platt, so müßte der Polarstern immer gleidi hoch sein; nun ist dieses aber nicht der Fall, folglich ist sie nidit platt". I X 52. D a ß Kant die indirekte Beweisart nicht überhaupt aus der Philosophie, audi nicht aus derjenigen des „reinen" Vernunftgebrauchs ausschließen will, zeigt seine eigene, „dem Naturforscher nachgeahmte Methode" in der Kritik: durdi ein Experiment der Vernunft mit sich selbst die Wahrheit seiner neuen Position zu erweisen (13a Β XVIIIa). — Aus der Antinomie kann der Philosoph „einen wahren, zwar nicht dogmatischen, aber doch kritischen und doktrinalen Nutzen ziehen: nämlich die transzendentale Idealität der Erscheinungen dadurch indirekt zu beweisen, wenn jemand etwa an dem direkten Beweise in der transzendentalen Ästhetik nicht genug hätte". 347/8 Β 534. Audi hier wird aber der apagogische Beweis als nur zusätzlich brauchbar verstanden.

738

(S. 514 Β 818)

nicht geradezu, sondern von den „Folgen" her, von gegebenen Erscheinungen aus zu erreichen. Auf dem direkten und bejahenden Wege (modus ponens) kann so kein wirklicher „Beweis" (für ein Naturgesetz etwa), keine demonstrierte Wahrheit erreicht werden: denn das würde voraussetzen, daß wir „alle möglichen Folgen" aus dem erschlossenen Grunde überschauen könnten 145 . N u r Hypothesen lassen sich auf diesem Wege als möglicherweise wahr und zureichend ausweisen; ein strenger Beweis kann auf dem Wege eines „Analogie"schlusses von noch so vielen Einzelbeobachtungen auf alle möglichen Folgen des zu erweisenden Satzes nicht herauskommen 146 . Dagegen beweist die apagogische Schlußart (modus tollens) eindeutig und sicher; man muß da nur eine einzige Folge im Gegenteil des zu beweisenden Satzes finden147. Die in der Mathematik von jeher zusätzlich verwendete und bewährte, auch in empirischen Wissenschaften gewisse Dienste leistende apagogische Beweisart darf aber, das ist nun Kants aus kritischer Prüfung und Erfahrung von überlieferten Lehren der Metaphysik erwachsene Forderung, überhaupt nicht zugelassen werden in der philosophischen Vernunftwissenschaft. Denn die Begriffe der reinen Vernunft unterliegen, ihrem Wesen nach, einer nicht aufzuhebenden Tendenz zur „Unterschiebung" — mit allen Folgen der „Erschleichung" des Wahrheitsanspruchs für daraus genommene 145

140

147

Vgl. I X 52: „Aus der Folge läßt sich also z w a r auf einen Grund schließen, aber ohne diesen Grund bestimmen zu können. N u r aus dem Inbegriffe aller Folgen allein kann man auf einen bestimmten Grund schließen, daß dieser der wahre sei." Bei der „positiven und direkten Sdilußart (modus ponens) tritt die Schwierigkeit ein, daß sich die Allheit der Folgen nicht apodiktisch erkennen läßt, und daß man daher durch die gedachte Schlußart nur zu einer wahrscheinlichen und hypothetisch-wzhten Erkenntnis (Hypothesen) geführt wird, nach der Voraussetzung: daß da, w o viele Folgen wahr sind, die übrigen auch alle wahr sein mögen." Vgl. das Prinzip der Schlüsse der (reflektierenden) Urteilskraft im § 83 der Logik: „daß Vieles nicht ohne einen gemeinschaftlichen Grund in Einem zusammenstimmen, sondern daß das, was Vielem auf diese Art zukommt, aus einem gemeinschaftlichen Grunde notwendig sein werde", und § 84: „Induktion und Analogie — die beiden Schlußarten der Urteilskraft." I X 52: D i e Schlußart, „nach welcher die Folge nur ein negativ und indirekt zureichendes Kriterium der Wahrheit eines Erkenntnisses sein kann, heißt in der Logik die apagogische (modus tollens)". Es folgt, nach Erwähnung des häufigen Gebrauchs dieser Schlußart in der Geometrie, das in Anm. 143 wiedergegebene Beispiel.

(S. 514b Β 819)

739

Sätze und Beweise. Menschliche Erkenntnis steht immer in der Gefahr, das „Subjektive" unserer Vorstellungen für etwas zu halten, was am Gegenstande „ist". In den Wissenschaften wird solcher Gefahr begegnet; die mathematischen sind ihr grundsätzlich enthoben, weil jeder Begriff da in der reinen Anschauung konstruiert und damit in seiner Gegenstandsbedeutung eindeutig ausgewiesen ist; und in den Erfahrungswissenschaften gibt es die Kontrollinstanz der immer weiteren Beobachtungen und Vergleiche. Für Begriffe der reinen Vernunft aber, Begriffe eines Unbedingten, die über aller Anschauung wie aller Erfahrung liegen, fehlt nicht nur jede Kontrollinstanz, sondern hier wird die Unterschiebung (Subreption) ständige und unausrottbar „herrschende" Gefahr. Alle transzendentalen „Versuche" der Spekulation bewegen sich eben im „Medium" des dialektischen Scheins: in den Prämissen der Vernunftschlüsse, welche Dasein und Eigenschaften von Übersinnlichem erweisen wollen, bietet sich Subjektives als objektiv Seiendes an. Kritische Prüfung kann das durch scharfe Unterscheidungen aufdecken; aber der „Schein" mit dem Sich-„Aufdrängen" desselben bleibt. (Beispiel dafür: Der Paralogismus der Simplizität, wo die Prämisse, an dem „Subjektiven" unserer transzendentalen Apperzeption und deren Einfachheit gewonnen, sogleich für eine Aussage über Objektdasein genommen wird: über „Seele" als einfaches Wesen oder „Ding".) Daß die direkten Beweise der Metaphysik nicht schlüssig sind, hat sich, vor allem im ersten und dritten Hauptstück der Dialektik, an großen Beispielen der Uberlieferung gezeigt — zugleich damit aber auch, daß die jeweilige Idee als Regulativprinzip ihren wahren und bleibenden Vernunftsinn hat und nur im Medium des transzendentalen Scheins als konstitutive Gegenstandsbestimmung sich versteht 148 . Sofern nun aber solche transzendental-synthetischen, auf bloßen Begriffen der Vernunft beruhenden Sätze auf indirekte Art bewiesen werden sollen, so also, daß der entgegengesetzte Satz auf einen klaren Widerspruch hinausführt, wird jenes „Schein"-Moment im 148

Vgl. das Ende des Abschnitts vom transzendentalen Schein 237 Β 354, das des Abschnitts über die transzendentalen Beweise vom Dasein eines notwendigen Wesens 413 Β 647/8, und das des Abschnitts vom transzendentalen Ideal 392 Β 610/11; dazu den Anfang des „Anhangs" zur Dialektik, der vom regulativen Gebrauch der Ideen handelt. 427 Β 671 („transzendentale Subreption" ist „Mangel der Urteilskraft", nicht eine in der Vernunft als solcher liegende Falschheit).

740

(S. SIS Β 820)

Geltungssinn des Begriffs besonders akut. Das zeigte sich beim Antinomie-Hauptstück der Dialektik. Da ergab sich denn auch, an den Ideen der Kosmologie und den im Sinne überlieferter Dogmatik (welche um den transzendentalen Schein nicht weiß) vorgeführten „Beweisen", die prinzipielle Zweiheit der Möglichkeiten, welche Kant jetzt (9. und 10. Absatz) unterscheidet. Sie stehen hier in umgekehrter Reihenfolge: was dort zuerst abgehandelt wurde (unter dem Titel „mathematisch-transzendentaler" Ideen und Beweisgänge (vgl. die Überschrift der „Schlußanmerkung" 360 Β 556), das steht in unserem Text an zweiter Stelle, während die dann folgenden und weiterführenden Vernunftbegriffe „dynamischen" Charakters samt zugehörigen apagogischen Beweisgängen Beispiele sind für die jetzt an erster Stelle genannte Unterschiebungs- und Verfehlungsmöglichkeit. "Was bei dieser letzteren sich zeigt, ist, daß bei Annahme der Gegen-„Meinung" zu dem zu erweisenden Vernunftsatz zwar wirklich ein Widerspruch sich klar aufzeigen läßt, aber nur ein solcher für unsere Art von „begreifendem", Gegenständliches erfassendem Denken — so daß der Gegenstand, auf weldien der zu erweisende Satz zielte, selbst und an sich vom Widerspruch unbetroffen bleibt (zugleich sich aber als für uns unerweisbar nach Dasein und Eigenschaften herausstellt). Kant gibt als Beispiel den Vernunftbegriff, welcher in der Kritik den Übergang von der Kosmologie zum Thema der Theologie bildet. Die Antithesis der Vierten Antinomie mit ihrem apagogischen Beweis (315 Β 481) läuft faktisch nicht auf Seinsunmöglichkeit eines absolut notwendigen Wesens heraus, sondern auf den Widerspruch, dergleichen unter Zeitbedingungen zu denken — welche doch für uns die notwendigen Voraussetzungen alles gegenständlichen Verstehens sind. Folglich muß jede Art (auch die ostensivdirekte) spekulativen Beweisens in Richtung auf ein solches Wesen sich als unmöglich für uns zeigen — wobei auch da wieder gilt, daß die Frage offen bleibt, ob und was der so gedadite Gegenstand selbst „ist" (Urwesen „an sich selbst"). Die andere Verfehlensart in apagogischen Beweisversuchen ist die, wo das von der Vernunft Gedachte (zufolge der Herrschaft des transzendentalen Scheins, welcher Erscheinungen für Dinge an sich hält) in sich selbst widersprüchlich ist. — Das hat zur Folge, daß Satz und Gegensatz, die einander widersprechen, beide falsch sind, daß

(S. 516 Β 821)

741

also in Wahrheit keiner von ihnen durch Annahme des Gegenteils und Aufweis eines Widerspruchs darin erwiesen werden kann. Kant gibt dafür in Absatz 10 das Beispiel, welches im Dialektik-Hauptstück den zweiten Teil des Ersten Widerstreits betrifft: „Welt" wurde da als weder endlich nodi unendlichseiend erwiesen, weil die Totalitätsvorstellung: Welt, unter Raumzeit-Bedingungen verstanden, ein „unmöglicher Begriff", ein non ens ist149· In beiden Fällen also erweisen sich der kritischen Durchleuchtung apagogische Beweise transzendental-synthetischer Sätze als „Blendwerk"; sie bewegen sich im „Medium" des transzendentalen Scheins — anders als die Grundsätze des reinen Verstandes, für welche „das Dritte, als das Medium aller synthetischen Urteile" der Inbegriff möglicher Erfahrung unter derZeitform ist (144 Β 134). Im Streit der Positionen und „Parteien" (des „Dogmatismus" auf der einen, des „Empirismus" auf der anderen Seite, vgl. 327/8 ff. Β 499 f.) ist zwar der jeweils Angreifende mit seinem Widerspruchsnachweis im Vorteil; aber für die Sache kann dabei nichts Haltbares herauskommen. Der „Zuschauer" aber gerät zwangsläufig — besonders im erstgenannten Falle — in die Gefahr, wegen der Unergiebigkeit solchen Streitens die Sache selbst, um die es geht, zu bezweifeln, wozu in Wahrheit keine apagogische Beweisführung Begründungs-Ursache sein kann. — So ist denn zu fordern, daß alle Beweisversuche einer Metaphysik aus reiner Vernunft den direkten Weg einschlagen; da läßt sich dann auch (wie in den Argumentationen des ersten und dritten Hauptstück des Dialektik-Teils der Kritik) der „dogmatische" Schein direkt entdecken. 149

7

Vgl. 346/7 Β 5 3 2 / 3 ; 355/6 Β 548 f. — S. audi die gleiche Unterscheidung der zwei Verfehlungsarten in dem von der Mißlichkeit apagogischer Beweise handelnden Abschnitt der Logik-Wundlacken X X I V 749. Als Beispiel für die audi da zuerst angeführten apagogischen Beweisversuche von der Art der „dynamischen" Antinomien wird der „lange Streit" zwischen Priestley und Price, „Fatalismus" und Freiheit betreffend, angeführt. „Jeder brachte den andern ad absurdum und doch kam nichts zu Ende." (Wir fügen an: mangels Unterscheidung der hier anvisierten „Gegenstände" in Phaenomena und Noumena: also des sinnlich-empirischen Charakters menschlicher Handlungen von ihrem noumenal„intelligiblen".) — Für die andere Art, wo der „angenommene Begriff selber Widerspruch enthält" und folglich beide Seiten Unrecht haben in Behauptung und Beweis, nennt Kant die Alternative, wonach die gegebene Menge aller Teile eines Körpers endlich oder unendlich sein müsse — also das Hauptstück des Zweiten Widerstreits — , mit der Entscheidung, daß die hier gedachte „Zusammennehmung aller Teile eine Contradictio in adjecto" ist. Heimsoeth, Transzendentale Methodenlehre

742

(S. S16 Β 822)

Sind aber einmal alle Einsidits- und Beweisansprüche im spekulativen Vernunftgebraudi als Irrweg und verstiegener Anspruch für ein endlicli-diskursives Erkenntnisvermögen erwiesen, dann kann unsere Vernunft sich neu darauf besinnen, daß bei den ihr „unvermeidlichen Aufgaben", welche bisher nur in „dogmatisch" verfahrender Metaphysik behandelt wurden (31 Β 7), immer dem spekulativen Verlangen auch ein „praktisches Interesse" beigeordnet ist, das seinerseits für den Vernunft„besitz" und gegen die Skeptiker und Verneiner spricht (vgl. 324 Β 494). Gerade der Streit muß zu erwägen geben, ob und wie weit hier, wo „der Boden der Erfahrung" (mit den dazugehörenden Verstandes-Grundsätzen) verlassen wird, reine Vernunft-„Grundsätze" des praktischen Gebrauchs (nämlich solche des Sollens) mit ihrer Art von „Notwendigkeit und Verknüpfung" 371 Β 575) einen unserer Vernunft als Eigentum („eigentümlichen") zugehörigen Boden150 darbieten für Bejahung und Sicherungsaufbau — etwa mit einem bescheideneren und begrenzteren „Erkenntnis"anspruch. 150

„Boden" hat bei Kant feste terminologische Bedeutung, abgehoben von »Feld" und „Gebiet". Zusammenfassend fixiert ist das in der Einleitung zur Dritten Kritik V 174.

(S. i 17 Β

823)

743

Zweites Hauptstück: Der Kanon der reinen Vernunft Daß das gesamte Unternehmen unseres Werkes: Kritik als „Propädeutik" und „Traktat von der Methode" der Metaphysik, in Umänderung bisherigen Verfahrens, schließlich auf einen „Kanon" abzielt, d. h. auf Grundsätze des „richtigen", jeder Kritik standhaltenden Vernunftgebrauchs — das ist schon in der Einleitung vorausfixiert: die Kritik ist „eine Vorbereitung womöglich zu einem Organon, und wenn dieses nicht gelingen sollte, wenigstens zu einem Kanon derselben, nach welchem allenfalls dereinst das vollständige System der Philosophie der reinen Vernunft, es mag nun in Erweiterung oder bloßer Begrenzung ihrer Erkenntnis bestehen . . . , dargestellt werden könnte" (44 Β 26). Den Titel-Terminus hat Kant, ebenso wie den beigeordneten des „Organon", der Logik des späteren Altertums entnommen151. (Die Logik wird ja auch, in der Vorrede B, als erstes Vorbild grundsätzlich gesicherter und stetig in der Geschichte sich durchhaltender Wissenschaft aufgeführt, zwecks Kontrastierung mit dem bisher ungesicherten, unstetigen „Schicksal" der Metaphysik.) Philosophie der reinen Vernunft, wie sie bisher als kritische „Transzendentalphilosophie" dargelegt wurde, diente — so vor allem im Dialektik-Teil der Elementarlehre und im Disziplin-Hauptstück der Methodenlehre — der „Begrenzung" unseres obersten Vermögens in seinem „spekulativen" Gebrauch; insofern war der Einsichtsgewinn ihrer Selbstreflexion „nur negativ". Die Frage, ob etwa unsere Vernunft auf einem anderen als dem bloß-spekulativen Wege sich als Werkzeug (Organon) der „Erweiterung" in Richtung auf die „Ideen"-Gegenstände der Metaphysik erweisen könnte, blieb offen. Daß aber ein solcher Weg in der Richtung ihres „praktischen Gebrauchs" zu suchen wäre, war schon mehrfach angedeutet worden, anschließend immer an jeweilige Abweisung der bloß-spekulativen 151

7*

Canonica Epicuri I X 13. Die Termini treten beide dann besonders bei der Gegenüberstellung von allgemeiner und transzendentaler Logik auf. 76 Β 77/8; 80/1 Β 85.

744

(S. 517 Β 823/4)

Ansprüche152. Daß es noch einen, bisher nicht genauer aufgewiesenen Quell „positiver" Erkenntnis in der reinen Vernunft selbst geben könnte und damit ein zugehöriges „Gebiet" 153 , wo ihre Begriffe gesetzgebende Kraft und Erweiterungsbefugnis haben — dafür spricht schon die in der gesamten kritisch-begrenzenden Reflexion sich zeigende Tatsache, daß unsere eigene endliche Vernunft selbst „Zensur" über sich ausüben kann: Selbstkritik, „wodurch nicht bloß Schranken, sondern die bestimmten Grenzen" ihres Vermögens aus Prinzipien bewiesen werden (497 Β 789). Eben diese Grenzbestimmung trifft ja, zugleich mit den Behauptungen, auch immer die Verneinungsansprüche der Gegner — was schon Sicherung bedeutet gegen alle dogmatische Bestreitung von positiven Aussichten und etwa „Quellen" dafür. Auch „ahndet" der aufs Regulative gestellte spekulative Vernunftgebraudi die übersinnlichen Gegenstände, um welche es vor allem geht: sofern diese eben doch Gegenstände „in der Idee" sind, unentbehrlich im Denkmodus des „als ob", Zielpunkte jeweils der Näherung bei gleichzeitigem Hinausrücken ins Unabsehbare 154 . Wenn Einsicht, apodiktische Gewißheit uns versagt ist im Felde des Übersinnlichen, aber die Gegenstände der Ideen doch als Schein in der Vernunft selbst liegen und da jedenfalls immer bestehen bleiben, so läßt sich vermuten, daß man für metaphysischen Gedankenaufbau festen Fuß fassen könnte auf dem sicheren „Boden" der in reiner Vernunft liegenden praktischen Grundsätze — daß also jene Gegenstände der Ideen neu anzugehen wären durch sie als eigene Werkzeuge der Erweiterung, in einem anderen Modus von gesichertem Fürwahrhalten. Der Inbegriff von Grundsätzen a priori eines „richtigen Gebrauchs" beider Erkenntnisvermögen: sowohl des Verstandes als der Vernunft, welchen die „allgemeine Logik" darbietet, kann ein 152

153

154

So vor allem im 7. Abschnitt des dritten Hauptstücks, w o die „möglichen Quellen" aller Versuche der Vernunft in der natürlichen Theologie erwogen werden: erster Hinweis auf eine „Moraltheologie", deren „Überzeugung" vom Dasein eines höchsten Wesens sich auf sittliche Gesetze gründet. 420/1 Β 660. Vgl. V 174: „Gebiet (ditio)" ist der „Teil des Bodens", worauf Begriffe a priori gesetzgebend sind. „Unser gesamtes Erkenntnisvermögen hat zwei Gebiete, das der Naturbegriffe und das des Freiheitsbegriffs; denn durch beide ist es a priori gesetzgebend." Vgl. den Abschnitt: Von der Endabsicht der natürlichen Dialektik menschlicher Vernunft im „Anhang" 442 ff. Β 697 ff.

(S. S17/8 Β 824/})

745

»Kanon" nur sein im Sinne von bloß formalen Kriterien; richtiges „Denken" ist immer nur conditio sine qua non für gegenständliches „Erkennen". Der Satz des Widerspruchs, welcher an der Spitze dieses Kanons steht155, ist, wie Kant in der Analytik dargetan hat, nur oberster Grundsatz für alle „analytischen" Urteile (141 Β 189/90); er kann nie inhaltliche Wahrheit, nie erweiternde Gegenstandsbestimmung garantieren. Wenn dieser Kanon als ein Organon zu wirklicher Hervorbringung von Erkenntnissen verstanden wird, dann können nur Blendwerke in unserem Verstandes- und Vernunftgebraudi entstehen (vgl. 80 f. Β 85 f.). Das Thema der „Wahrheit" (79 Β 82) kann erst die „transzendentale" Logik stellen; und in ihr ergab sich ja denn auch ein Inbegriff von Grundsätzen, welche Wahrheitskriterien und somit Werkzeuge der Wahrheitsfindung sind — dies aber nur für den „Verstand" und im Bereich der Gegenstände möglicher Erfahrung (gemäß dem Obersten Grundsatz aller synthetischen Urteile) 156 . Zugleich mit diesem Kanon-Ausweis in der Analytik und mit der ihm zugehörigen Restriktion des Kategoriengebrauchs auf Bedingungen der Anschauung war aber auch darüber entschieden, daß es für reine Vernunft im spekulativen Gebrauch keinen Kanon „konstitutiven" Gegenstandbestimmens geben kann 157 . Ebendas erwies sich dann auch in der ganzen Durchführung des Dialektik-Teils der transzendentalen Logik an den drei großen Themen der Metaphysik und führte dann in der Methodenlehre auf die entsprechende „Disziplin "-Forderung. Aber eben damit stellt sich für eine die „Philosophie der reinen Vernunft" ganz allgemein in den Blick fassende Methodenlehre jene des öfteren schon in der Kritik, zumal 150

Vgl. I X 51; die allgemeine Logik ist „weiter nichts als ein Kanon zur Dijudikation (der formalen Riditigkeit unseres Erkenntnisses)" 16.

156

„Verstand und Urteilskraft haben demnach ihren Kanon des objektiv gültigen, mithin wahren Gebrauchs . . . Allein Vernunft in ihren Versuchen, über Gegenstände etwas a priori auszumachen . . . ist ganz und gar dialektisch und ihre Scheinbehauptungen schicken sich durchaus nicht in einen Kanon . . . " 130/1 Β 170/1; 143 Β 193/4.

151

Wohl aber können Vernunftbegriffe, obgleich durch sie kein Objekt bestimmt werden kann, ständig, wenn audi „im Grunde und unbemerkt, dem Verstände zum Kanon seines ausgebreiteten und einhelligen Gebrauchs dienen . . 2 5 5 Β 385/6. Audi hier folgt schon der Vorhinweis auf einen möglichen „Ubergang" von den „Naturbegrifien" zu den praktischen Ideen und auf einen von da herzustellenden „Zusammenhang mit dem spekulativen Erkenntnisse" der Vernunft.

746

(S. 518 Β 825)

bei ihren Negativentscheidungen, gestreifte Frage nach der Bedeutung der Grundsätze des „praktischen" Vernunftgebrauchs für die Anliegen der Metaphysik. Audi er und seine eigensten Prinzipien gehören doch zur Welt- und Daseinssituation des Menschen. Jetzt muß die bisher hinausgeschobene Frage ins Zentrum der Überlegung gestellt werden, ob etwa im Inbegriff dieser anderen Art von Grundsätzen reiner Vernunft der richtige Zugang liegt zur positiven Sicherung des in den Kardinalsätzen sich formulierenden Vernunftbesitzes.

Des zweiten Hauptstücks Erster Abschnitt Von dem letzten Zwecke des reinen Gebrauchs unserer Vernunft Daß unsere Vernunft, schon als spekulative ein „wahrer Gliederbau", als Ganzes „durch die Endabsicht derselben im Praktischen" sich gegeben ist, spricht schon die Vorrede zu unserem Werke aus (22/3 Β XXXVIII). Auch dies, daß spekulative Vernunft unvermeidlich dem transzendentalen Schein ausgesetzt ist und dadurch in sich verunsichert wird, hat eine „Endabsicht", die über die Bereiche bloßen Wissens hinaustreibt (442 Β 697). Wenn Kant jetzt in der Aufreihung der Aufgaben, deren Auflösung den „letzten Zweck" aller Bestrebungen der Menschenvernunft ausmacht, beginnt mit dem Thema der „Freiheit des Willens", so zeigt sich schon darin, daß nunmehr das praktische „Interesse" leitend wird, welches in der Kritik bisher nur vorläufig-erwägend mit dem spekulativen konfrontiert wurde: im „schwankenden Zustande" des Sichvorfindens „skeptischen" Uberlegens zwischen entgegengesetzten dogmatischen Positionen (Dritter Abschnitt der Antinomie). Die Kritik der spekulativen Metaphysik war in ihren drei Hauptstücken hingeordnet auf eine Trias der Totalitätsbegriffe: auf Seele, Welt und Gott. In diesem Rahmen war Freiheit nur ein Teilthema in der Kosmologie, und die „praktische" Freiheit des Menschen auch davon nur ein Teilthema. Jetzt steht gerade sie voran; und ihr Begriff, zusammen mit den Begriffen „Seele" und „Gott", führt zu einer Trias von „Kardinalsätzen" (4. Absatz) — solchen, die uns „zum Wissen gar nicht nötig" sind und doch von der Vernunft nahegelegt werden: mit dem Bedeutungsakzent im Praktischen. Das bleibende Unternehmen der Metaphysik, sagt schon die Einleitung zu unserem Werk, liegt in den

(S. 519 Β 826)

747

Vernunftaufgaben: Gott, Freiheit und Unsterblichkeit; und die Anmerkung zum ersten Buch der Dialektik wiederholt das (31 Β 7; 260a Β 394/5a). Daß man mit einem die menschliche Willensfreiheit bejahenden Satze für das Realitätserkennen in concreto nichts gewinnt, weil solche Art von Wirksamkeit bloß-„intelligibel" ist (Noumenon „im negativen Verstände", nach der Formulierung des zentralen Abschnitts über Phaenomena und Noumena), das hat schon der „Erläuterungs"abschnitt zum dritten Widerstreit gezeigt, wo ja die Idee von Freiheit „in Verbindung mit der allgemeinen Naturnotwendigkeit" das Thema war; Vernunft selbst schreibt danadi unserem Verstehen aller menschlichen Handlungen, nicht anders als aller Begebenheiten in der Zeit sonst, die „Maxime" vor, nur nach Naturgesetzen zu bestimmen, also immer weiter nach empirischen Kausalverkettungen zu forschen158. Ebenso leistet der (spekulativ unerweisliche) Satz, daß unsere Seele in ihrem Eigenwesen von „geistiger", also allen Körperbedingungen enthobener Natur ist, nichts für Realerklärungen des Seelenlebens, wie wir es erfahren und verstehen möchten (wohl ist die „Idee" davon als regulatives Forschungsprinzip von Bedeutung für empirisches Erkennen, vgl. 449/50 f. Β 710 f.). Wie der Begriff einer „Kausalität aus Freiheit", so ist auch der Gegenstandsbegriff vom Eigensein der „Seele" bloß negativ; er gibt keinen Gehalt („Stoff") zu Bestimmungen und „Folgerungen" her — führt vielmehr allzuleicht zur „Erdichtung" einer Metaphysik von geistigen Naturen. — Und so kann nun auch der „Kardinalsatz" vom Dasein einer höchsten Intelligenz (als der Weltursache) keine Einsichten in concreto her158

Vgl. 370 Β 573/4: Der „intelligible Grund" von Handlungen „ficht gar nicht die empirischen Fragen an, sondern betrifft etwa bloß das Denken im reinen Verstände; und obgleich die Wirkungen dieses Denkens und Handelns des reinen Verstandes in den Erscheinungen angetroffen werden, so müssen diese doch nichts desto minder aus ihrer Ursache in der Erscheinung nach Naturgesetzen vollkommen erklärt werden können, indem man den bloß empirischen Charakter derselben als den obersten Erklärungsgrund befolgt und den intelligiblen Charakter, der die transzendentale Ursache von jenem ist, gänzlich als unbekannt vorbeigeht, außer so fern er nur durdi den empirischen als das sinnliche Zeichen desselben angegeben wird." Auf der folgenden Seite heißt es dann: daß die Vernunft in uns „Kausalität" habe, „wenigstens wir uns eine dergleichen an ihr vorstellen, ist aus den Imperativen klar, welche wir in allem Praktischen den ausübenden Kräften als Regeln aufgeben". Solches Sollen können „Naturgründe" nicht in uns hervorbringen.

748

(S. 519120 Β 827/8)

geben: das je „Besondere" der Ordnungen und der zweckmäßigen Gefüge (etwa der Organismen), wie wir es so eindringlich in seiner Mannigfaltigkeit erfahren, kann nicht aus jener Intelligenz-Ursache hergeleitet, als deren „Anordnung" erklärt werden; wer diesen Weg einschlägt, weicht faktisch aller echten Naturforschung aus (ignava ratio 453/4, 504; Β 717, 801). Es gilt also, absehend nunmehr von eigentlichen „Wissens"ansprüchen, in praktischen Grundsätzen aus reiner Vernunft einen Boden zu finden, welcher für die Errichtung eines Metaphysik-Gebäudes, gerade durch Kritik an den bloß-spekulativen Ansprüchen, geebnet und befestigt ist159. Hier kann auch erwartet werden, daß sich ein schlechthin einheitlicher Zielsinn zeigt für jene „Aufgaben"; ein einziger „letzter Zweck" 160 . Grundsätze des praktischen Vernunftgebrauchs sind, wie sich schon in früheren Andeutungen ergab, Sollensregeln: Imperative1®1, welche sich an eine Wahl- und Entscheidungsfähigkeit des Menschen richten — an „freie Willkür". Was mit dieser, sei es „als Grund" (Beweggrund) oder als „Folgerung" (Auswirkung in Handlungen), zusammenhängt, wird „praktisch" genannt (8. Absatz). Praktisch also ist alles, was überhaupt durch Freiheit möglich ist, nicht nur das eigentlich Moralische; alle Anweisungen der Vernunft in uns sind Sollens-„Gesetze des freien Verhaltens". Zwei Grundarten müssen da unterschieden und genau gegenein15» Vgl. hier wieder Kants Rückbeziehung auf Plato bei der Einführung des neuen „Ideen"-Begriffs. Der Gedankengang geht da v o n der „architektonischen" Verknüpfung der Weltordnung nach Zwecken, in philosophischer „Betrachtung" zu den Vernunftprinzipien „der Sittlichkeit, der Gesetzgebung und der Religion", w o die Ideen nun „Erfahrung selbst (des Guten) allererst möglich machen, durdi Gesetze über das, was ich tun soll." Hier soll die Arbeit des Philosophen einsetzen, „den Boden zu jenen majestätischen sittlichen Gebäuden eben und baufest zu madien." 249 Β 375/6. 160

161

D i e Hauptideen der theoretischen Vernunft bilden zwar audi ein „System", drei Schlußarten der Logik entsprechend (257 Β 390); aber die übergreifende Einheit liegt nur im Begriff des Unbedingten. W o es aber um Gefüge von Zwecken geht, m u ß sich zwangsläufig Ein- und Unterordnung ergeben, und der „höchste" Zweck kann nur ein einziger sein (vgl. im folgenden 543 Β 868). 371 Β 575: „ D a ß diese Vernunft nun Kausalität habe . . . " ist aus den Imperativen klar . . . D a s Sollen drückt eine Art v o n Notwendigkeit und Verknüpfung mit Gründen aus, die in der ganzen Natur sonst nicht vorkommt." „Dieses Sollen nun drückt eine mögliche Handlung aus, davon der Grund nichts anderes als ein bloßer Begriff ist . . . " .

(S. 520 Β 828)

749

ander abgehoben werden. Diese Unterscheidung, von fundamentaler Bedeutung für Kants Philosophie der praktischen Vernunft und in deren Rahmen für seine Neubegründung der Ethik („Metaphysik der Sitten", „reine Sittenlehre" 544 Β 869), wird hier unter das terminologische Gegenüber von „pragmatischen" zu „moralischen" Gesetzen gestellt162. Als Beispiel (Kernbeispiel) der erstgenannten Art werden genannt die Regeln „der Klugheit": in Richtung auf „Zusammenstimmung der Mittel", um zur Glückseligkeit zu gelangen. (Im 6. Absatz des Zweiten Kanonabschnitts heißt es dazu: Glückseligkeit ist „die Befriedigung aller unserer Neigungen", sowohl der Mannigfaltigkeit, als dem Grade und auch der Dauer nach; und: das praktische Gesetz aus dem Bewegungsgrunde der Glückseligkeit „nenne ich pragmatisch"). Das aber heißt dann, daß die „Bedingungen der Ausübung" praktischer Vernunft schon im Anspruch der Sollensregeln selbst, nicht erst im handelnden Ausführen, empirische sind; denn unsere „Neigungen" samt den Erfüllungszwecken, darauf sie hindrängen, sind uns nur durch Erfahrungen gegeben; auch kann uns nur Lebens- und Welterfahrung die „Mittel" an die Hand geben, durch welche Neigungen zu befriedigen und miteinander in Ubereinstimmung zu bringen sind. Hier hat die Wirksamkeit der Vernunft nur „regulativen" Charakter, in Richtung auf ein uns wie ein äußerstes und höchstes vorschwebendes Ziel. (Das steht in einiger Analogie zum Sichauswirken von Regulativideen des theoretischen 162

Der Terminus „pragmatisch" bezeichnet im Zusammenhang der Anthropologie ganz allgemein das, was der Mensch „als freihandelndes Wesen aus sich selber macht oder machen kann und soll" — zum Unterschied davon, was „die Natur aus dem Menschen macht". VII 119. In der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten heißen die Imperative der „Klugheit" pragmatisch; sie werden da als bloße „Ratschläge" (zur „Wohlfahrt") den objektiv notwendigen „Geboten (Gesetzen) der Sittlichkeit" gegenübergestellt. Ratschläge der Klugheit gehören zusammen mit „Regeln der Geschicklichkeit" zu den hypothetischen Imperativen; ihnen steht, als ein ganz Anderes, der kategorische Imperativ „der Sittlichkeit" gegenüber. IV 416 f. Vgl. etwa noch die Gegenüberstellung im Aufsatz über den nahen Abschluß „des ewigen Friedens in der Philosophie". VIII 420/1. — Erwähnt sei, daß diese Grundunterscheidung, gerichtet gegen tiefgreifende Unklarheiten in der überlieferten Ethik und Rechtsphilosophie („Wohlfahrts"-Begriff), bei Kant erstmalig auftritt in der vorkritischen Schrift über die „Deutlichkeit der Grundsätze . . .", im Abschlußparagraphen über die „ersten Gründe der Moral", als welche nach der gegenwärtigen Beschaffenheit noch nicht „aller erforderlichen Evidenz fähig" seien. II 298 ff.

750

(S. 520 Β

82819)

Gebrauchs in Richtung auf Zusammenstimmung von erkannten oder noch zu erkennenden Gesetzesrelationen.) Der Gegenstand des Vernunftanspruchs an unser Handeln ist insoweit, hieß es bei der Einführung des „Sollens"-Begriffs in jenem Erläuterungsabschnitt zur Dialektik von Natur und praktischer Freiheit, ein Gegenstand der „bloßen Sinnlichkeit"; also nicht wirklich „das Gute", sondern — „das Angenehme" (371/2 Β 576). — Ein Kanon des für die Kardinalsätze der reinen Vernunft „richtigen" Gebrauchs derselben kann nicht in solchen bloß pragmatischen Anweisungen an unser Handeln liegen163. Dagegen ist der Sollensanspruch wirklicher „Moral"gesetze völlig unabhängig von allen empirischen Bedingungen: sie (und nur sie) gebieten „schlechthin", ohne vorausgesetzte Ziele und ohne Erfahrung von den Mitteln, solche Zwecke zu erreichen. Der Eine Zweck, worauf sie hingeordnet sind (das „Gute", nach jener Vorandeutung), ist durch die Vernunft selbst, in ihr „gegeben". Das ist eine Gegebenheit von völlig anderer Art als alles, was in Realitätserfahrungen als „Materie" gegeben ist, als das in Neigungen uns sinnlich Vorgegebene des Begehrens. Der Zweck des Guten und die von ihm ausgehenden Sollensgesetze sind „Produkte" der reinen Vernunft — so wie im Spekulativen die „Ideen" „Erzeugnisse", das „Ideal" notwendiges „Produkt" der reinen Vernunft sind 164 . Von den so 103

Vgl. auch K a n t s späte Polemik gegen Schlossers Mißdeutung seiner Neufassung des Sittengesetzes: dieser „antikritische Philosoph" verkenne den „Inbegriff bloß formaler Prinzipien des Freiheitsbegriffs so gänzlich, d a ß er Kants G r u n d f o r m e l „völlig mißversteht und ihm eine Bedeutung gibt, welche ihn auf empirische Bedingungen einschränkt und so zu einem K a n o n der reinen moralisch-praktischen V e r n u n f t (dergleichen es doch einen geben muß) untauglich macht, wodurch er sich in ein ganz anderes Feld w i r f t , als wohin jener K a n o n ihn hinweiset . . V I I I 420. Auch hier w a r vorher die Rede von den drei „übersinnlichen Gegenständen" in ihrem notwendigen Bezug auf moralisch-praktische V e r n u n f t , so, d a ß sie „zusammen gleichsam in der Verkettung der drei Sätze eines zurechnenden Vernunftschlusses stehen". H i e r steht die Darlegung ganz unter dem erst in d e r Zweiten Kritik erarbeiteten Begriff und Terminus von „Postulaten" der moralisch-praktischen Vernunft. — Auf solchen „Schluß"-Zusammenhang deutet auch in unserem Werke jene Anmerkung zum Ersten Buch der Dialektik hin, welche die Ideen Gott, Freiheit und Unsterblichkeit als die eigentlichen Zwecke der metaphysischen Forschung bezeichnet. 260a Β 394/5a.

104 419 g 658; vgl. auch den Ersten Abschnitt im dritten Hauptstück der Dialektik: „Von dem Ideal überhaupt", w o es heißt, daß menschliche V e r n u n f t „nicht allein Ideen, sondern auch Ideale enthalte, die zwar nicht wie die Platonischen schöpfe-

(S. no Β 829)

751

un-bedingt fordernden Sollensgesetzen aus also muß der Weg zur Sicherung, zu einem „richtigen" Sinnverstehen und Fürwahrhalten jener Kardinalsätze eingeschlagen werden. Alle drei spekulativ nur „gedachten", aber notwendig gedachten Probleme, deren Gegenstände jeweils nur „in" der Idee sind, unerkennbar nach ihrem Ansichsein — werden vom praktischen Interesse aus bezogen auf das, was von uns „zu tun sei"; und das ist ein ganz neuer Weg im Felde der Alternative von Vernunftimmanenz und -transzendenz. Vom praktischen Interesse her geht der Gedanke über alle Zwecke eines „Wissens"verlangens hinaus auf die „entferntere" Absicht: unsere Aufgabe, das Menschenleben und die „Welt" des Menschen zu gestalten. Die sich in all ihren Ausübungsbereichen kritisch prüfende Vernunft läßt den Gedanken Platz greifen, daß eine „weislich uns versorgende Natur" („die Vorsehung" 487 Β 771/2) eben jene Gegenstände, die mit unserem höchsten Interesse zusammenhängen, der „Bestimmung" auf Wissenswegen entzogen und die „Einrichtung" unserer menschlichen Vernunft in ihren Gliedfunktionen letztlich und eigentlich aufs „Moralische" gestellt hat. Hier muß der Kanon gesucht, und von hier aus muß dann alles Interesse, alles Können und auch alle Grenzen und die Scheinversuchungen der menschlichen Vernunft begriffen werden. Der 7. Absatz will für alles nun Folgende vorandeuten, daß die Methodenlehre unseres Werkes, gemäß seiner vorbereitenden Grundanlage, nicht eine ausgearbeitete Philosophie der Praxis, des Moralischen insbesondere, geben kann. Es soll ja nur für das „System" der reinen Vernunftphilosophie im ganzen der neue richtige Weg gewiesen werden. Daher ist eine Mitte einzuhalten zwischen ausführlicher Ausbreitung der System teile (mit Einbeziehung auch „episodischer" Momente, wie sie sich von der faktischen Weltsituation des Menschen her nahelegen) und einem Zuwenig an Erklärung und Erweisen. Kant bezieht das zunächst und ganz besonders auf den anfangs als ersten in den Blick genommenen Vernunftbegriff: den der Freiheit. Freiheit und alles, was durch Freiheit möglich ist, alle „praktischen Begriffe" des Menschenlebens haben es, sagt die Anmerkung, mit Gegenrische, aber doch praktische Kraft (als regulative Prinzipien) haben und der Möglidikeit der Vollkommenheit gewisser Handlungen zum Grunde liegen". 384 Β 597.

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(S. 521 Β 829130)

ständen des „Wohlgefallens" und Mißfallens zu tun (ob es nun um das Gute und Böse geht oder um irgendeine niedere oder höhere Art des „Angenehmen", worauf unsere Neigungen hindrängen)1®5. Das bedeutet aber, daß diese Gegenstände immer audi soldie unseres „Gefühls" sind — wenn nicht direkt, wie beim Angenehmen, so dodi „wenigstens indirekt". Alles Gefühl aber gehört nicht zum Transzendentalen, sondern ist empirischen Ursprungs16®. Insofern gehört also die Wendung zum Praktischen, wo doch der verlangte Kanon liegen muß, nicht mehr in die (gleich zu Beginn unserer Kritik in der „Idee" entworfene) Transzendentalphilosophie hinein. Während im bisherigen Rahmen das Thema der Freiheit primär in der „transzendentalen Bedeutung" behandelt worden war, mit dem Ergebnis, daß dieser Vernunftbegrifï ein spekulativ unlösbares Problem darstellt, ohne Erklärungswert für raumzeitliche Erscheinungen (überhaupt), muß jetzt von der Freiheit im Zusammenhang „des Praktischen" ausgegangen werden (was, fügen wir hinzu, nichts an der grundsätzlichen Feststellung ändert, daß sich der praktische Begriff menschlicher Freiheit auf die „transzendentale Idee" derselben gründet — was „überaus merkwürdig" ist [363 Β 561/2]). Ähnlich wie in dem auf das Thema vom Widerstreit zwischen menschlichen Freiheitsansprüchen und der „allgemeinen" Naturnotwendigkeit hin165

1ββ

Im „Endabsichts"-Abschnitt des Dialektik-Anhangs heißt es aber audi, wir seien berechtigt, die Weltursadie „in der Idee . . . nach einem subtileren Anthropomorphism" als ein Wesen zu denken, „das Verstand, Wohlgefallen und Mißfallen, imgleichcn eine demselben gemäße Begierde und Willen hat . . . " — all dies in unendlicher Vollkommenheit. 459 Β 728. Sdion in der Einleitung unserer Kritik heißt es, die Grundsätze und -begriffe der Moralität gehörten, obgleich sie „Erkenntnisse a priori" sind, nicht in die Transzendentalphilosophie, weil sie „die Begriffe der Lust und Unlust, der Begierden und Neigungen etc., die insgesamt empirischen Ursprungs sind, zwar selbst nicht zum Grunde ihrer Vorschriften legen, aber doch im Begriffe der Pflidit als Hindernis, das überwunden, oder als Anreiz, der nicht zum Beweggrunde gemacht werden soll, notwendig in die Abfassung des System der reinen Sittlichkeit mit mit hineinziehen müssen." Denn alles Praktische, „so fern es Triebfedern enthält, bezieht sich auf Gefühle . . . . " . 45 Β 28/9. S. ferner 384 Β 597: „Moralische Begriffe sind nicht gänzlich reine Vernunftbegriffe, weil ihnen etwas Empirisches (Lust oder Unlust) zum Grunde liegt. Gleichwohl können sie in Ansehung des Prinzips, wodurch die Vernunft der an sich gesetzlosen Freiheit Schranken setzt . . . gar wohl zum Beispiel reiner Vernunftbegriffe dienen." — Zum „Gefühls"thema in Kants ausgearbeiteter Moralphilosophie vgl. das Dritte Hauptstück der zweiten Kritik, welches ganz neu „Von den Triebfedern der reinen praktischen Vernunft" handelt V 71 ff.

(S. 521Β 830)

753

arbeitenden „Auflösungs"abschnitt zur („kosmologischen") Dialektik wird Freiheit „im praktischen Verstände" (363 Β 561/2) jetzt wieder zunächst nur von der natürlichen Lebenserfahrung her beschrieben: zum Bewußtsein des Mensdien von sich selbst gehört das liberum arbitrium, welches sich abhebt von dem („tierischen", auch ins menschliche Verhalten hineinspielenden) arbitrium brutum — einer Willkür, wo einzig Naturantriebe — das „was reizt, d. i. die Sinne unmittelbar affiziert" — bestimmend sind. (Kant nennt das auch, mit einem heute nicht mehr verwendbaren Wortsinn: „pathologische" Willkürbestimmung187.) „Freie" Willkür bedeutet, daß auch solche „Bewegursachen" auf das Tun einwirken können, die „nur von der Vernunft vorgestellt" werden 168 . Was mit freier Willkür zusammenhängt, sei es „als Grund" (Bestimmungsgrund), sei es „als Folge" (Handlung), wird „praktisch" genannt. Praktische Freiheit, so heißt es an dieser Stelle anschließend, „kann durch Erfahrung bewiesen" werden — fällt also auch insofern aus dem ursprünglichen Programmtitel einer Transzendentalphilosophie heraus169. Daß diese Daseins-„Erfahrung" nicht die vom gänzlich unter dem Naturgesetz stehenden „empirischen Charakter" unseres Selbst sein kann, ist — nach jenem Erläuterungsabschnitt — ebenso klar, wie daß sie, als 167

168

168

Vgl. „pathologisch nezessitiert" 363 Β 562. Das allein Wirkende im arbitrium brutum sind die Anreize, also erleidet die „Willkür" die Bestimmung zu der jeweiligen Handlung. Dagegen kann der Bestimmungsgrund im liberium arbitrium eine Spontaneität der Vernunft sein — sei es um eine unter „pragmatischen" Regeln oder die unter „moralisdien Gesetzen" einwirkende. Daß Vernunft, „von allen empirischen Kräften unterschieden", Kausalität hat, „wenigstens wir uns eine dergleichen vorstellen", ist aus den Imperativen klar, welche wir „in allem Praktischen den ausübenden Kräften als Regeln aufgeben". 371 Β 575. Für Kenner von Kants Philosophie der praktischen Vernunft und ihrem Kernstück, der Moralphilosophie, wie er sie in den zwei Grundlegungsschriften von 1785 und 1788 entwickelt hat (die erste erschien vor der 2. Auflage unseres Werkes, f ü r welche Kant aber, was die Methodenlehre anlangt, nichts veränderte), ist diese Aussage über Freiheits-„Erfahrung" ein nicht leicht zu lösendes Auslegungsproblem. Schon hierfür gilt es, was audi für weitere Aussagen unseres „Kanon"-Hauptstücks zu bedenken ist, daß Kants Philosophie nicht ein von bestimmtem Zeitpunkt an fertiges Gebäude darstellt, sondern ein ständig vorgreifendes Entwerfen und Versuchen, das auch in der Reifezeit: in dem Jahrzehnt, wo der Ersten Kritik mit dem Namen einer Kritik der reinen Vernunft eine zunächst nicht vorgesehene Zweite Kritik folgte („Kritik" des praktischen Vernunftgebrauchs), nicht zur Ruhe, geschweige zum endgültigen Abschluß gekommen war.

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(S. 521 Β

830/1)

Erfahrung, nicht auf das Bloß-„ Intelligible" des tätigen Wesens Mensch (also auf „transzendentale" Freiheit) gehen kann! Gemeint kann hier nur sein: Erfahrung vom Sichvorfinden des Menschen in Entscheidungsmöglichkeiten zwischen Forderungen, die seiner Vernunft entstammen — und den bloß-sinnlichen Reizen und Antrieben. Vernünftige Überlegungen von dem, was mittelbar, im Hinblick auf später oder auf unseren „ganzen Zustand", unser Leben überhaupt, uns nutzen oder schaden kann, können bei uns die jeweils sich aufdrängenden Begehrensreize überwinden. Den so mannigfaltig und in so wechselnder Intensität auftretenden subjektiven Anreizen stellen sich „objekte" Gesetze gegenüber: Gesetze der (an sich „gesetzlosen") Freiheit. Als Forderungen, „Imperative", die im Namen der Vernunft sich an die Willkür der begehrend-tätigen Subjekte wenden, sind sie wesenhaft unterschieden von allen Geschehensregeln der Natur. Sollensgesetze, die sich an Freiheit wenden, sprechen immer nur von dem, was (in Handlungen) geschehen soll und sind eben darin unabhängig davon, was faktisch geschieht170. Im 9. Absatz betont Kant noch einmal, daß es jetzt, im Zusammenhang des Kanon von Vernunftgrundsätzen, allein um die Fassung des Praktischen in seiner Eigenstruktur geht: um unser „Tun und Lassen", und wie Vernunft in uns sich dazu stellt. Praktische Freiheit, so wie wir sie erfahren im Miteinander und in Kontrastierung zu bloß-sinnlichen Antrieben, insofern also, „als eine von den Naturursachen" — dieses Thema muß ganz selbständig behandelt werden. Eine „bloß spekulative" Frage, die uns hier „zunächst" nichts angeht, wäre die, ob nicht unsere („menschliche") Vernunft in ihrer gesetzgebenden, Imperativisch vorschreibenden Wirksamkeit ihrerseits „anderweitigen" Einflüssen unterliegt, und ob also das, was wir als eigene Spontaneität erfahren, gegenüber allem Bestimmtwerden durch 170

Vgl. 372 Β 576: Vernunft macht sich „mit völliger Spontaneität eine eigene Ordnung nach Ideen, in die sie die empirischen Bedingungen hineinpaßt, und nach denen sie sogar Handlungen für notwendig erklärt, die doch niât geschehen sind und vielleicht nicht geschehen werden", immer unter der Voraussetzung, daß Vernunft bezüglich ihrer Wirksamkeit haben könne; „denn ohne das würde sie nicht v o n ihren Ideen Wirkungen in der Erfahrung erwarten." — Als Grundbeispiele v o n „Ideen" dieser Art treten im Rahmen unseres Werkes auf: die Tugend („und mit ihr menschliche Weisheit in ihrer ganzen Reinigkeit") sowie, im Anschluß an Piatos „Republik", eine „Verfassung v o n der größten menschlichen Freiheit nach Gesetzen . . . (nicht v o n der größten Glückseligkeit, denn diese wird schon v o n selbst folgen)." 384 Β 597, 247 Β 373.

(S 52112 Β 831)

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sinnliche Antriebe, hinsichtlich höherer (höher als dieses Gegenüber!) „und entfernter wirkender" Ursachen nicht wiederum „Natur" sein möchte171. Was aber die Frage angeht, wie überhaupt in der Welt (in Menschen) Freiheit möglich und zu denken sei, Freiheit in dem strengen Sinne, daß menschliche Vernunft allein aus sich, unabhängig von allen durch Naturgesetze der Sinnenwelt bestimmten und unser Tun bestimmenden Ursachen, eine (zeitliche) „Reihe" von Wirkungen „anfangen" kann, so ist darüber im Antinomie-Hauptstück der Dialektik schon gehandelt worden — „zureichend" für die Kritik von bloß-spekulativen „Wissens"- und Beweisansprüchen. Freilich, auch nach dem Aufweis, daß Verbindung von Freiheitswirksamkeit in uns mit der allgemeinen Naturnotwendigkeit nur scheinbar unausdenkbar ist, bleibt „das Problem". Jetzt aber, wo Kant allein vom „praktischen Interesse" aus einen Vernunftkanon entwerfen will, kann es zurücktreten172. — Für den Kanon, so wie er hier entworfen wird, ergibt sich damit das Ausscheiden (bzw. Zurückstellen) des ersten von den drei Kardinalsätzen des 4. Absatzes; es bleiben die beiden Problem-,,Absichten" (6. Absatz): was zu tun sei, wenn ein Gott und eine künftige Welt „ist"173. 171

172

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Kants Geschiditsphilosophie stellt die Aufgabe, eine „Naturabsicht" im Gesamtgang menschlicher Dinge zu entdecken, welche den einzelnen Menschen, selbst ganzen Völkern im Verfolgen ihrer Absichten unbekannt bleibt. Vgl. VIII 17 ff. „Die Natur", welche dem Menschen Vernunft und darauf sich gründende Freiheit des Willens gab, wirkt darauf hin, daß auch der Antagonismus in der Menschengesellschaft „doch am Ende die Ursache einer gesetzmäßigen Ordnung derselben wird". (20). „Man kann die Geschichte der Menschengattung im Großen als die Vollziehung eines verborgenen Plans der Natur ansehen . . . " (27). Das Thema wird, wie gesagt, im Rahmen der Zweiten Kritik von Kant neu wieder aufgenommen. Gleich in der Vorrede heißt es, mit dem Aufweis, daß es rein praktische Vernunft gebe, stehe „auch die transzendentale Freiheit nunmehr fest"; ihre Realität wird durch ein apodiktisches Gesetz der praktischen Vernunft „bewiesen": „Schlußstein von dem ganzen Gebäude eines Systems der reinen, selbst der spekulativen Vernunft". V 3/4. — Im § 6 der „Analytik" dieses Werkes heißt es dann, man würde „niemals zu dem Wagstücke gekommen sein . . . , Freiheit in die Wissenschaft (!) einzuführen", hätte das Sittengesetz „uns diesen Begriff nicht aufgedrungen. Aber auch die Erfahrung bestätigt diese Ordnung der Begriffe in uns". V 30. Auch in der Zweiten Kritik, welche dann den Begriff des „Primats" der reinen praktischen Vernunft „in ihrer Verbindung mit der spekulativen" einführt (III. Abschnitt der Vernunft-Dialektik „in Bestimmung des Begriffs vom höchsten Gut") und von da den von „Postulaten" der reinen praktischen Vernunft, werden zunächst allein die Themen der Unsterblichkeit (IV. Abschnitt) und des Daseins Gottes (V. Abschnitt) behandelt, dann aber auch die Freiheit als Unabhän-

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(S. 522 Β 832)

Die zweiten Hauptstücks zweiter Abschnitt: Von dem Ideal des höchsten Guts als einem Bestimmungsgrunde des letzten Zwecks der reinen Vernunft Der Begriff des höchsten Gutes, welchen Kant aus der Tradition schöpfte und seinerseits immer in Rückgriffen auf die praktische Philosophie „der Alten" und zugleich auf die Moralsysteme neuerer Denker durchprüfte174, tritt in unserm Werk hier zuerst auf: unter dem Titel eines Vernunft-„Ideals" 17S . Vom „Ideal überhaupt" hatte ein Kurzabschnitt der Dialektik einführend gesagt, das sei „ein einzelnes durch die Idee allein bestimmbares oder gar bestimmtes" Ding (etwa „die Menschheit in ihrer ganzen Vollkommenheit", die „Idee des vollkommensten Menschen"); und da hieß es nodi, daß menschliche Vernunft auch Ideale enthalte, welche der „Möglichkeit der Vollkommenheit gewisser Handlungen zum Grunde liegen" — als Richtmaß für dieselben (383/4 Β 596/7). Audi jetzt bezeichnet „Ideal" ein Einzelnes: es geht um „den" letzten Zweck der gesamten reinen Vernunft, welcher die beiden „höchsten" Zwecke umgreift, die in jenen zwei Problemideen des Kanons noch wieder am Ende des Ersten Abschnitts angesprochen wurden. Die Philosophie der reinen Vernunft im Ganzen muß also den neuen „Versuch" machen, ob nicht unter

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gigkeit von der Sinnenwelt und Vermögen der Bestimmung des Willens „nach dem Gesetze einer intelligiblen Welt" dazu gerechnet (V 132 f.)· — Im Text unserer Methodenlehre wird später gleichfalls der Begriff einer intelligiblen Welt als eines „Systems der Freiheit" eingeführt 529 Β 843. Kants etwa gleichzeitig mit dem Erscheinen der Kritik anzusetzende „Vorlesung über Ethik" (hrsg. P. Menzer 1924) behandelt gleich nach dem Prooemium über Philosophia practica universalis „die moralischen Systemata der Alten" in der Frage, worin das summum bonum bestehe, insonderheit die „Ideal"begriffe der Kyniker, Epikureer und Stoiker — in Gegenstellung dann das (christliche) „Ideal der Heiligkeit" (S. 7—13). Vgl. auch die Erörterung des epikureischen und des stoischen Begriffs vom höchsten Gut zu Beginn der Dialektik der Kritik der praktischen Vernunft V 111 f. Entsprechende Bezüge in den Reflexionen zu Vorlesungen über Moralphilosophie X I X 104 (Nr. 6601), 106/7 (Nr. 6607), 108/9 f. (Nr. 6611), 116 (Nr. 6624). Der Terminus „Ideal" tritt zuerst auf im ersten Buch der Dialektik (262 Β 398); dort wird er auf den Vernunftschluß „auf ein Wesen aller Wesen" bezogen. Damit bezeichnet er aber audi da schon ein Thema menschlicher Vernunft „überhaupt". — Schon im Rahmen der Erstfassung seiner neuen Position (im § 9 der Inauguraldissertation) hatte Kant von der Perfectio noumenon, die sowohl theoretische wie praktische Begriffsbedeutung und Funktion hat, gesagt: das werde heutzutage (hodie) „Ideal" genannt. II 396.

(S. 523 Β 833)

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dem Gesichtspunkt des praktischen Interessses eine wirkliche Beantwortung der Kernfragen aller Metaphysik gefunden werden kann. Die Absätze 2—5 gliedern das Gesamtanliegen unserer sich als endliche verstehenden Vernunft in drei Fragen auf, welche die Bestimmung des Menschen angehen176; die sprachliche Fassung („ich") deutet auf die vom praktischen Interesse und Sollensanspruch her in Sicht gekommene personale (existentielle) Daseinsbedeutung der philosophischen Aufgaben. — Die erste Frage geht auf die Möglichkeiten und Grenzen menschlichen „Wissens"; sie hat unsere Kritik zum Hauptthema bisher gehabt, — mit Ansätzen jeweils zum Übergang ins Praktische, bei Fortbestand der höchsten Ideen als „Probleme" der Vernunft (Metaphysik als Naturanlage)177. Wie die erste Frage „bloß" spekulativ, so ist die zweite „bloß praktisch"; sie betrifft allein „die Moral" (von welcher Kant im 7. Absatz des vorigen Abschnitts sagte, sie sei der „transzendentalen Philosophie fremd", weil hier Wohlgefallen und Mißfallen zum Gegenstandsbezug gehören). Erst die dritte Frage führt nun zu den beiden Kardinalsätzen; im Rahmen des Kanon muß nunmehr die Überlegung dahin gehen, was zu „tun" sei, wenn Gott und eine künftige Welt „sind". Das Praktische soll seinerseits „Leitfaden" werden auf eine „theoretische" Position hin, welche bloß-„spekulativer" Einsicht sich entzieht178. Das verbindende Prinzip ist: Glückseligkeit. Wie alles 178

Im dritten Einleitungsabsdinitt der Logik wird Philosophie „nach dem Weltbegriff" definiert als Wissenschaft v o n den „letzten Zwecken" der menschlichen Vernunft; und das Feld der Philosophie in dieser „weltbürgerlichen Bedeutung" wird hier auf eine Vierzahl v o n Fragen gebracht: die vierte Frage, umgreifend die drei andern, heißt: „Was ist der Mensch?" I X 25. 177 Vgl. die Einleitung zur Logik, w o die Beantwortung der ersten Frage, Sache der „Metaphysik", auf die drei Themen der Quellen, des U m f a n g s und der Grenzen gebracht wird I X 25. 178 Zu den Termini: „spekulativ" und „theoretisch" vgl. 422 Β 662/3: „Eine theoretische Erkennnis ist spekulativ, wenn sie auf einen Gegenstand oder solche Begriffe von einem Gegenstande geht, w o z u man in keiner Erfahrung gelangen kann." — Zur Erläuterung des hier nur angedeuteten Zusammengehens des Praktischen mit dem Theoretisch-Spekulativen kann man wieder, vorausgreifend, die „Primat"-Lehre der zweiten Kritik heranziehen: „Gesetzt aber, sie (die praktische Vernunft) hätte für sich ursprüngliche Prinzipien a priori, mit denen gewisse theoretische Positionen unzertrennlich verbunden wären", so ist die Frage, „ob spekulative Vernunft, die nichts v o n allem dem weiß (!), was praktische Vernunft ihr anzunehmen darbietet, diese Sätze aufnehmen und sie, ob sie gleich für sie übersdiwenglich sind, mit ihrem Begriffe als einen fremden, auf sie übertragenen Besitz zu vereinigen suchen müsse". V 120. 8 Heimsoeth, Transzendentale Methodenlehre

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(S. i 23 Β

833/4)

theoretische Bestreben auf Wissen von dem hinaussieht, was ist und geschieht, dabei von den Naturordnungen aus eine „oberste Ursache" bedenkend, kommt alles Praktische und die Gesetzlichkeit dessen, was geschehen soll, auf die Voraussetzung („den Schluß") hinaus, daß es ein letztlich alle Zwecke und Sollensforderungen Bestimmendes gebe; — im „Hoffen" auf Glückseligkeit verbindet sich für uns das eine mit dem andern. Jeder von uns, in dessen Naturanlage außer der Vernunft eine Vielheit und Fülle von „Neigungen" lebt, deren jede auf Befriedigung drängt, hofft sinngemäß und notwendig auf Befriedigung aller, je im höchsten Intensitätsgrad und auf Dauer. Sofern nun aber der Beweggrund unseres Verhaltens in der Welt nur eben dies ist, Glückseligkeit allein also der letzte Zweck unserer „freien Willkür" — insofern können die Sollensregeln immer nur von der „pragmatischen" Art sein (5. Absatz): gegründet auf „empirische Prinzipien" der uns bestimmenden Neigungen sowie der vorgegebenen Zweck-MittelRelationen im Naturzusammenhang. „Klugheitsregeln" lehren etwa, Neigungen so aufeinander abzustimmen, daß sie im Miteinander sich befriedigen lassen. Das „Sittengesetz" aber, in welchem reine Vernunft sich an die Freiheit eines „vernünftigen Wesens überhaupt" und allein als solchen wendet, „abstrahiert" von allen bestehenden Neigungen und den „Natur"-Verhältnissen, welche die Mittel zum Erreichen der Neigungsziele hergeben können. Es gebietet unbedingt, schlechthin; und der „Bewegungsgrund" ist hier: „Würdigkeit", glücklidi zu sein179. Das so verstandene Sollensgesetz geht nur auf die Bedingungen, unter denen allein Freiheitswirksamkeit des Menschen mit einer möglichen „Austeilung" von Glückserfüllung „nach Prinzipien" zusammenstimmen würde. Daß es dergleichen Ordnung geben „kann", Gegenstand menschlicher Hoffnung vom Sittengesetz aus, ist nicht abzuweisen, sofern man nicht von Realitätserfahrungen, sondern von bloßen Ideen der Vernunft, von dem, was rein a priori 179

Der für Kants Philosophie der praktischen Vernunft in der Lehre vom Höchsten Gut so wichtige Begriff und Terminus: „Würdigkeit, glücklich zu sein" tritt hier zuerst auf; vgl. dazu spätere Darlegungen in der zweiten Kritik (V 130) sowie in der Religionssdirift (VI 44), auch etwa VIII 278 a: „Die Würdigkeit glücklich zu sein ist diejenige auf dem selbst eigenen Willen des Subjekts beruhende Qualität einer Person, in Gemäßheit mit welcher eine allgemeine (der Natur sowohl als dem freien Willen) gesetzgebende Vernunft zu allen Zwecken dieser Person zusammenstimmen würde."

(S. m Β 83415)

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in ihr selbst gelegen ist, ausgeht. „Wirklich" sind jedenfalls „moralische" Gesetze in uns, Imperative, die nicht wie die „pragmatischen" zuletzt durch empirische Beweggründe und Glücksbedürfnisse bestimmt sind, also „bloß hypothetisch" fordern, sondern eben „schlechterdings": mit einer Notwendigkeit, die für alles gilt, was immer wir tun und beabsichtigen. Kant setzt dieses Wirklichsein in Mensdienwesen (als Vernunftwesen „überhaupt", ohne Bezug auf spezifisch-anthropologische Anlagen und Bedürfnisse) hier jedenfalls voraus; — eine Philosophie der praktischen Vernunft erst kann sich „diesen Satz" zu einem eigenen Kernthema madien. Für jetzt soll die Berufung auf Unterscheidung schlechterdings fordernder Imperative von allen bloß „hypothetisch" gebietenden180 im sittlichen Urteil schon jedes Menschen, aber audi in Darlegungen „aufgeklärtester Moralisten" genügen. Moralische Gesetze (Imperative) sind, als an die Freiheit von Vernunftwesen ergehend und dies (anders als bei pragmatischen), ohne „andere empirische Zwecke" vorauszusetzen, nicht nur unabhängig von aller Erfahrung, geltend auch dann, wenn ihnen gemäße Handlungen nicht geschehen und „vielleicht nicht geschehen werden" (372 Β 576) — sondern sie sind, auf ihre besondere Weise, nun doch auch Prinzipien einer möglichen Erfahrung. Nicht der Erfahrungen von dem, was unabhängig von Willenshandlungen der Menschen in der Natur (und auch in ihnen selbst) mit Notwendigkeit „geschieht", sondern von dem, was etwa in der „Geschichte"181, in der Mensch180

Zum Begriff bloß „hypothetischer" Notwendigkeit im Thema der Sollensforderungen vgl. aus unserem Text nodi die Unterscheidung der „beliebigen und zufälligen" Zwecke von „schlechthin notwendigen" 533/4 Β 851. — In der Ausarbeitung einer neuen praktischen Philosophie als „Metaphysik der Sitten" tritt bekanntlich die Entgegensetzung von „kategorischen" Vernunftforderungen gegen alle Arten der bloß-hypothetischen ganz in die Mitte, zunächst in der „Grundlegung" IV 414 ff. Dazu gehört, was audi in unserem Text anklingt, daß das Sittengesetz in seiner „apodiktischen" Geltung nicht bloß „für Mensdien", unter den „zufälligen" Bedingungen der Sinnenwelt, gilt, sondern für „alle vernünftigen Wesen überhaupt". IV 408.

181

Die Realitätsdimension: Geschichte — Mensdiengeschichte, abgehoben von der „allgemeinen Naturgeschichte" — wird, im Rahmen unsres Werkes, hier zuerst redit eigentlich als Thema angesprochen: Geschichte „des" Mensdien (der „Menschengattung") unter dem Sollensgebot von Ideen der reinen praktischen Vernunft. (Kernbeispiel: die einer „Verfassung von der größten menschlichen Freiheit . . . " 247 Β 373). — Kants Geschiditsplilosophie ist in Abhandlungen ent-

8*

760

(S. 524/5 Β 835/6)

heitsgeschidite „anzutreffen" sein — „könnte" (sei es, so deuten wir, von sittlichen Handlungen, samt deren realer Auswirkung, in der Vergangenheit, sei es in der Gegenwart und auf Zukunft hin). — Da reine Vernunft in uns die Realisierung ihrer praktischen Ideen unbedingt gebietet, so müssen entsprechende Handlungen durch Menschen, in der Menschenwelt auch wirklich geschehen „können". Als Möglichkeitsbedingung dafür muß es — so sagt unsere Vernunft vom „praktischen Interesse" aus — eine „Art von systematischer Einheit" (harmonischer Zusammenstimmung) in der Welt geben, die anders ist als alle im Naturzusammenhang als solchem durch — immer bloß regulative — Prinzipien der spekulativen Vernunft in der Erfahrungsforschung je auffindbaren. Diese Einheitsverfassung, unter „moralischem" Aspekt gedacht, kann nicht „bewiesen" werden, so wenig wie eine die „gesamte" Natur durchstrukturierende materiale Einheitsverfassung a priori vorausgesetzt werden konnte. Reine Vernunft in uns, in den vernünftigen Wesen „überhaupt", schreibt uns Menschen Gesetze vor, aber nur als Sollensforderungen an Freiheit; nicht aber kann sie zugleich auch „Naturgesetze hervorbringen"; — das kann bloß der Verstand hinsichtlich der Erscheinungen, in allgemein-formalen Grundsätzen für je Erfahrbares. Reine Vernunftprinzipien haben „objektive Realität" nur im praktischen Gebrauche, nicht in spekulativer Sicht (als Wissens-Einsicht). Der Welt, wie wir sie, unter Naturgesetzen, erfahren und auf systematische Naturverfassung hin erforschen, hinzielend dabei — bloß regulativ — auf die Idee eines anordnenden Urhebers aller Dinge (456 Β 722), stellt das praktische Interesse die Idee einer „moralischen Welt" 1 8 2 gegenüber, deren Einrichtung den schlechterdings notwendigen Forderungen sittlicher Vernunft gemäß — „wäre". Diese Idee einer „intelligiblen" Weltverfassung hat nicht im theoretischen Sinne „objektive Realität"; — das würde ja eine entsprechende halten, deren erste in den Jahren nach Erscheinen unseres Werks (und der thematisch zugehörigen „Prolegomena") entstand: Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht 1784. 182

Der Terminus setzt sich von dem in der religiösen und theologischen Tradition geläufigen Ausdruck: Reich Gottes ab, der in entsprechenden Zusammenhängen audi von Kant verwendet wird (vgl. die Religionslehre). — Die „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten" führt dann ihrerseits den neuen Begriff und Terminus: „Reich der Zwecke" ein IV 433.

(S. S2S Β 836)

761

sinnlichkeitsfreie „Anschauung" voraussetzen, die wir nidit haben, ja „dergleichen" wir nicht einmal positiv denken können 183 . Aber sofern diese Weltidee „Einfluß" haben „kann" auf unser Verhalten und Erwirken in der Welt, darin wir leben als tätige, je ihres liberum arbitrium sich bewußte Subjekte, und eben auch Einfluß haben „soll"184 — insofern hat sie, für die Praxis, objekte Sachgeltung. Im Denken dieser Idee sieht reine Vernunft ganz ab von bedingten Lebenszwecken, ja auch von den mit unserer Menschennatur faktisch gegebenen „Hindernissen" der Moralität 185 . — Lebend und handelnd in der Sinnenwelt, wo Naturgesetze alles Geschehen zu bestimmen scheinen, denkt reine praktische Vernunft uns doch zugleich als zugehörig einem corpus mysticum in ihr186, wo eines jeden freie Willkür „sowohl mit sich selbst, als mit jedes anderen Freiheit" zusammenstimmt: unter Sollensgesetzen, die solche „systematische Einheit" schlechterdings fordern — ohne Voraussetzung von all solchen Bedürfnissen und Neigungen der Menschennatur, die für sich selbst und m

184

185

189

Vgl. 211 Β 310/1: wir haben einen „Verstand, der sich problematisch weiter erstreckt als jene" (die „Sphäre der Erscheinungen"), „aber . . . nidit einmal den Begriff von einer möglichen Anschauung, wodurch uns außer dem Felde der Sinnlichkeit Gegenstände gegeben" werden könnten. — Bei endlichen Wesen wäre das übrigens „nicht intellektuelle Anschauung", wie sie — problematisch — als dem Urwesen zukommend gedacht werden kann, sondern ein intuitus deriv a t i v e . 72/3 Β 72. Unsere sittlichen Handlungen sind als „Phänomene" der Äußerungen der „intelligiblen Ursache unseres Wollens" zu denken. Vgl. 519 Β 826. Das Intelligible in unserem Selbst ist „Ursadie jener Handlungen als Erscheinungen". 366/7 Β 567. Zum Thema: Unlauterkeit vgl. die Anknüpfung daran, als Macht in der Menschengeschichte, im „Disziplin"-Hauptstück 489 Β 775/6. — Als „Hindernisse" nennt die spätere Religionsphilosophie in „drei Stufen": die „Schwäche des Herzens", als „Gebrechlichkeit" der Menschennatur, den „Hang zur Vermischung unmoralischer (in Kants Sprachgebrauch heißt das: außermoralischer) Triebfedern mit den moralischen . . . d. i. die Unlauterkeit" — und endlich (erst hier explizite auftretend) „die Bösartigkeit . . . " (das „radikale" Böse, wie es sich in der geschichtlichen Erfahrung zeigt). VI 29. Der hier überraschend auftretende Begriff, aus religiös-theologischer Uberlieferungen, hat für Kant immer Platonischen Klang: dessen Idee vom höchsten Gut war, sagt er in der Vorlesung zur Ethik (S. 11), das „mystische Ideal", darin der Mensch sich in einer Gemeinschaft mit dem höchsten Wesen „sieht". Im Rahmen von Kants Philosophie der menschlichen Vernunft bezeichnet corpus mysticum eine bloße, aber praktisch-notwendige Idee von etwas, das durch keine Art von Wissen zu fassen ist, aber maßgebend sein soll für unser Handeln in der empirischen Realität: Geschichte. (Vgl. die Abwehr von Piatos „mystischer Deduktion" solcher Ideen 246 a Β 371 a).

(S. 525 Β 837)

762

unmittelbar drängen187.

auf

Befriedigung,

zuletzt

auf

Glückerfüllung

hin-

Die bisher im Grundzug bedeutete Idee eines „moralischen" Daseinszusammenhangs, als einer „intelligiblen" Gemeinschaft und Wechselbezüglichkeit, die völlig anders ist als alle raumzeitlichen Relationen, welche wir als unsere realen Lebensbedingungen erfahren, — gehört insoweit noch zur Vernunftlehre von dem, was wir tun' „sollen"; ein jeder von uns trägt diese Idee (unexpliziert) in sich, sofern er sein und anderer Verhalten nach Grundsätzen reiner praktischer Vernunft beurteilt. Von Lebenserfüllung im Sinne unseres Glücksverlangens ist insoweit noch gar nicht die Rede; — nur ist moralisches Verhalten insoweit auch auf Glück bezogen, als es „Würdigkeit" glücklich zu sein, bedeutet. Erst die dritte der Vernunftfragen an unsere Existenz und ihre Möglichkeiten (522/3 Β 833), die zweite der vom „praktischen Interesse" ausgehenden („Was darf ich hoffen?"), geht auf ein mögliches „teilhaflig"-Werden an Glückseligkeit, sofern ich — wie es nun in neuer Wendung der Hoffnungshaltung heißt — „nicht unwürdig" solcher Zuteilung midi verhalte. — Die „Hoffnungs"-Frage geht auf eine bisher nicht zum Thema gestellte Notwendigkeit: Vernunft-„Verknüpfung" (synthetisch a priori) von Glückswürdigkeit und Glückserfüllung. Dieser Zusammenhang kann durchaus nicht im bloßen „Wissen", als Weisheit reiner Theorie, erschlossen werden — etwa (so fügen wir, erläuternd in Kants Sinne, hinzu) als direktes Erfolgen der Eudämonie aus dargelebter „Tugend" 188 . Im Daseinssinn des praktischen Vernunft„interesses" liegt allein die „Annahme", daß die entworfene systematische Verfassung reiner Moralität mit einer „proportionierten" Austeilung von Glückseligkeit notwendig verbunden sei — im Ideal (nicht in erfahrbarer Realität!). Dergleichen Annahme ist keine — „hyper187

188

Bei Kants Ersteinführung der praktischen Idee einer Freiheitsverfassung nach sittlich-rechtlichen Sollensgesetzen im Rahmen unsres Werkes (247 Β 373) fügt der Denker sogleich, in Parenthese, hinzu: es gehe da nicht um „größte Glückseligkeit", „denn diese wird schon von selbst folgen". Man kann das als einen ersten Vorgriff auf die neue Lehre vom hödisten Gut verstehen. Vgl. etwa aus dem Abschnitt über „Die moralischen Systemata der Alten" in der (von uns mehrfach herangezogenen) Vorlesung über Ethik: „Zeno suchte auch beide Prinzipien (sc. das „physische" Gut und das moralische Gut) zu verbinden, und nach seiner Idee wäre die Sittlichkeit der Zweck . . . und die Glückseligkeit wäre nur eine Folge der Sittlichkeit." S. 10/11 (Kritik dazu S. 12).

(S. 52516 Β 838)

7bi

physische" — Hypothese bloßer Spekulation, sondern sie hält sich, als theoretische, immer in der Sicht praktischen Interesses von der moralischen „Welt"-Idee her. Die hier auftretende Synthesis a priori ist nicht eine Wissens-Verknüpfung, audi nicht die reiner praktischer Vernunft in Sittengesetzen, sondern eine solche vernunfthaften „Höffens". Die Hoffnung geht darauf, daß die Vernunftwesen selbst „Urheber" ebenso ihrer eigenen „dauerhaften Wohlfahrt" wie der der anderen — je nach Glückswürdigkeit — würden18*. Das so gedachte Weltsystem einer „sich selbst lohnenden" Moralität ist nur Idee für unser Tun und Lassen nach sittlichen Gesetzen. Für entsprechende Wirklichkeit („Ausführung") wäre vorauszusetzen, daß „jedermann" sich entsprechend verhalte: es müßten de facto alle Handlungen überhaupt so geschehen, „als ob" 190 sie aus einem einzigen „obersten" Willen hervorgingen, welcher, als schlechthin allgemein bestimmender, zugleich die Lebensinteressen jedes Einzelnen „in sich" befaßte oder sich einordnete. Das ist in unserer Welt, so wie wir sie erfahren, keineswegs der Fall; der unbedingte Sollensanspruch aber, der an jeden von uns ergeht, bleibt ganz unabhängig davon, ob andere sich ihm entziehen und nur von Privatinteressen sich bestimmen lassen. Wie sich sittliche Freiheitsbestimmungen und -Wirkungen der Einzelnen aufs Glück auswirken, das kann nicht durch Vernunft „erkannt" werden, weder „aus der Natur der Dinge der Welt", noch aus der inneren „Kausalität" des Verhaltens als solchen. (Beides, so fügen wir in Kants Sinne zur 188

160

Das Wort: Urheber gebraucht Kant, w o es um eine Ursadie im Sinne „ursprünglicher" Spontaneität geht, so insbesondere im theologischen Thema des Welturhebers (415/6, 420 Β 652, 660), aber auch ζ. B. für die erfahrungsgründende Spontaneität unseres Verstandes, welcher die allgemein-notwendigen Gesetze der Natur als der Erscheinungsrealität „vorschreibt". — Der Ausdruck „Wohlfahrt" stellt sich hier ein, weil es sich im Idealgedanken eines Zusammenbestehens und -wirkens der Freiheit eines Jeden mit der anderen ihrer samt „entsprechender Glückseligkeit" (247 Β 373) um ein auf Gesellschaftsbildung und rechtlich-staatliche Verfassungen zielendes Denken (unter der ebenso für Natur wie Freiheitswelt gültigen Verstandeskategorie: Gemeinschaft, Wechselwirkung zwischen Handelnden und Leidenden) handelt. Vgl. die Wendung „als ob" in der Erläuterung des regulativen Vernunftgebrauchs im Theoretischen, ζ. B. 411, 412/3, 443 f.; Β 644/5, 647, 688/9. — Übergreifend heißt es in den Prolegomena einmal: „Der unseren schwachen Begriffen angemessene Ausdruck wird sein: daß wir uns die Welt so denken, als ob sie von einer höchsten Vernunft ihrem Dasein und inneren Bestimmung (!) nach abstamme . . . " I V 359.

764

(S. 526 Β

838/9)

Erläuterung bei, wurde von der Stoa gelehrt.) Aber eine Hoffnung auf notwendige Verknüpfung jedes „unabhängigen Bestrebens" in Riditung auf das Gute (und also auf Glückswürdigkeit des strebend Handelnden) mit der entsprechenden Glückseligkeit liegt unabweisbar in der menschlichen Vernunft: als praktisch-theoretische Voraussetzung, daß es eine „höchste" Vernunft gebe, welche oberster Wille im Sinne sittlicher Freiheitsbestimmung und zugleich Ursache der Welt, der „Natur der Dinge", ist. Der 13. Absatz stellt nun eben diese Idee einer höchsten Intelligenz, welche als moralisch vollkommenster (und damit in sich selber seliger) Wille zugleich Ursache einer — alle Glückswürdigkeit mit Glückserfüllung „in genauem Verhältnisse" verbindenden — Daseinsund Weltverfassung ist, unter den alten Titel des Höchsten Gutes: dies aber nicht im Sinne eines irgendwie unserer Vernunft gegebenen, für sie erkennbaren Seins, sondern als dasjenige „Ideal" reiner Vernunft, welches vom praktischen Interesse unserer Existenz her auch das spekulative mitumgreift 191 . Jene Ursprungs-Intelligenz wird Ideal des höchsten „ursprünglichen" Gutes genannt, und die „moralische Welt" (im Sinne des 9. Absatzes und der folgenden) Ideal des „abgeleiteten", auf jenen „Grund" zurückverweisenden höchsten Gutes192. Unsere Welt, so wie wir sie erfahren, zeigt keinerlei notwendige Verknüpfung jener beiden Elemente der ideell gedachten „moralischen"; und doch müssen wir uns als zu einer so gearteten zugehörig „vorstellen" — was für unser sinnliches Verhaftetsein an Zeiterstreckung heißt, sie wird als „künftige" Welt in der Vernunft„Annahme" oder -„Voraussetzung" verstanden. Zum Kanon der reinen Vernunft gehören also jene beiden Kardinalsätze als Voraussetzungen der moralischen Verbindlichkeit. Sittlichkeit für sich allein genommen („an sich selbst"), madit ein System von Gesetzen aus 193 ; die Glückseligkeit aber (wir fügen erläuternd hinzu: welche in so vielen überlieferten Systemen der Moral191

192

193

Dieser zwiefache Sinn des in der reinen Vernunft selbst ursprünglich liegenden „Ideals" wird, wie früher schon von uns erwähnt, erstmals statuiert im § 9 der Schrift von 1770. II 396. Vgl. die entsprechenden Termini in der „Postulaten"-Lehre der Zweiten Kritik V 125. In diesem Sinne spricht auch die Grundlegung der Metaphysik der Sitten vom Sittengesetz als „Kanon" der moralischen Beurteilung. IV 424.

(S. 526/7 Β 839140)

765

philosophie wie ein leitendes Gesamtprinzip auftrat) ist nur als im Ideal zugehörig zur jeweiligen Moralität zu denken; und diese Zusammenordnung setzt, rein im Vernunftdenken, einen „weisen" 194 Urheber und Weltregierer voraus. Die moralischen Gesetze entstammen unserer eigenen Vernunft und sind für sie in ihrem Sinnzusammenhang, als „System" unbedingter Imperative, einsichtig. Anders steht es mit dem, was praktische Vernunft in „pragmatischen" Vorschriften zu regulieren sucht; hier, wo es um Befriedigung aller unserer Neigungen geht, so wie sie faktisch in Lebenserfahrung und Geschichte auftreten (unabsehbar in ihrer Mannigfaltigkeit und ihren Gegensätzlichkeiten) — hier gibt es keine durch Vernunft einsehbare systematische Verfassung. Erst in der Idee „genau angemessener" Zuordnung von Glückserfüllung zu sittlichem Verhalten sieht praktische Vernunft auf vollkommene Einstimmigkeit hinaus. Diese Idee ist „Ideal": sie begreift in sich eine einheitlich-einzige Welt, deren Ordnung in allem, was die vernünftigen Wesen angeht, unter moralischen Gesetzen steht, und deren einziger Urheber und „Regierer" eines jeden Freiheitsverhalten entsprechender Glückserfüllung zuordnet. Wir können uns diese „andere" Welt (anders als der erfahrbare Weltlauf!) nur als künftige — Hoffen in zeitlicher Dimension — vorstellen195. Ohne solche ideelle Voraussetzung, sagt Kant hier, müßten die sittlichen Forderungen selber, weil ohne „notwendigen" Erfolg in der Auswirkung, ohne „angemessene Folgen" gedacht werden; — dann aber wären sie, so unmittelbar wir sie als uns zugehörig und unabm

195

Λ Weisheit" wird im Abschnitt über die transzendentalen Ideen als „Idee von der notwendigen Einheit aller möglichen Zwecke" verstanden 254 Β 385. Die alle unsere Daseinszwecke umgreifende Endabsidit der „weislich uns versorgenden N a t u r bei der Einrichtung unserer Vernunft" ist aufs Moralische gestellt 520 Β 829. In Vorlesungen hat K a n t sich näher dahingehend ausgesprochen, daß die „andere" Welt nicht als eine unserm Leben zeitlich (und auch an anderem Orte) folgende gedadit werden muß, sondern als „intelligible", in der wir immer sind, doch ohne sie fassen, „anschauen" zu können. Vgl. z . B . X X V I I I 297/8: die Welt, in der wir uns vorfinden, „ist das commercium aller Gegenstände, so fern sie durch gegenwärtige sinnliche Anschauung angeschaut werden. Wenn sich aber die Seele vom Körper trennt, so wird sie . . . nicht die Welt anschauen, wie sie erscheint, sondern so wie sie ist". Hier wird das als „Meinung" vorgetragen, welche, wie eine „notwendige Hypothese der Vernunft", „den Gegnern kann entgegengesetzt werden".

766

(S. 527 Β 840)

weislich begreifen, „als leere Hirngespinste" anzusehen198. Audi hier, ähnlich wie im 7. Absatz, bezieht Kant die so statuierte Vernunftsicht auf allgemeinwaltende Uberzeugungen: hier auf die Auffassung der sittlichen Gesetze als „Gebote" (Gottes), — was zugleich bedeutet, daß „Verheißungen und Drohungen" dazugehören197. Im 16. Absatz sucht Kant den hier neu eingeführten „Ideal"begriff, welcher vom Praktischen her einen „Leitfaden" zum Spekulativen geben soll, noch zu verdeutlichen durch einen Rückbezug auf die Harmonie-Systematik von Leibniz. Schon die Regulatividee des Abschnitts: „Endabsicht der natürlichen Dialektik der menschlichen Vernunft" klang daran an („Idee" eines Wesens „als selbständige Vernunft, was durch Ideen der größten Harmonie und Einheit Ursache vom "Weltganzen i s t . . . " 447 Β 706). Dabei geht es jetzt nicht so sehr um die spekulative Dogmatik des „Intellektualphilosophen", von welcher unser Denker sich ja an so vielen Stellen der Kritik absetzt (des „berühmten Leibniz" Anspruch, „eines so erhabenen m

m

Vgl. Absatz 8, wo die Prinzipien der Sittlichkeit als ihrerseits audi wieder Grundsätze der „Möglichkeit der Erfahrung" bezeichnet werden, denen im Praktischen (unter Vorrang des Moralischen) „objektive Realität" zukommt. — Man kann daran erinnern, daß für Kant auf dem Felde theoretischer Einsichten a priori die mathematischen Urteile für sich allein genommen keine „Erkenntnis" sein würden; — erst durch ihre „mögliche Anwendung" auf Empirisches kommt ihnen der Erkenntnischarakter zu. 117 Β 147. Vgl. im § 13 der Prolegomena: die Sätze der reinen Geometrie haben „objektive Realität" nur, insofern sie zuverlässig auf „wirkliche Gegenstände" können bezogen werden — andernfalls könnten sie als „Bestimmungen eines bloßen Geschöpfs unserer dichtenden Phantasie" angesehen werden. Die gesamten Anschauungen von Raum und Zeit wären „bloße selbstgemachte Hirngespinste", wenn man nicht ihre adäquate Anwendung auf wirkliche Gegenstände sichern könnte, wie das eben die Lehre der transzendentalen Ästhetik leistet. IV 287, 292. Der Ausdruck: Gebot, der über den Vernunftbegriff von „Imperativen" als „objektiven Gesetzen der Freiheit" in uns hinausgeht, wird in der „Dialektik" der Zweiten Kritik Grundansatz für den philosophischen Begriff von Religion V 129. In der Vorlesung über Ethik (aus der Zeit unseres Werkes) heißt es, die moralischen Gesetze, welche in der Gesinnung eines jeden liegen, können „zugleich" als göttliche Gebote angesehen werden; — wobei Gott nicht als „pragmatischer" Gesetzgeber verstanden werden darf, sondern als „moralischer" zu denken ist. Es folgt da auch (S. 62—69) ein eigener Abschnitt: Von Belohnungen und Bestrafungen — schon vorgezeichnet durch die Anordnung im H a n d buch Baumgartens (Sectio V und VI). — Vgl. auch in X I X 51/2—60 Kants Randnotizen, sowie S. 181 (Nr. 6858): „ . . . ohne Religion würde die Moral keine Triebfedern haben . . . " . „Allein das Urteil über den Wert der Handlungen, so fern sie (des) Beifalls und der Glückseligkeit würdig sind, muß doch von aller Erkenntnis von Gott unabhängig sein."

(S. 527 Β 841)

767

idealisdien Wesens Möglichkeit a priori einsehen zu wollen", wird vor allem abgelehnt 403 Β 630), — als um die im Harmonierahmen getroffene terminologisch-begriffliche Unterscheidung zwischen einem „Reich der Gnaden" und dem „der Natur". Kant deutet (oder sieht) dabei die beiden Sphären ganz im Sinne der eigenen Lehre: Natur ist bloße „Sinnenweit", durchgängig bestimmt allein durch die Naturgesetze, wie wir sie erkennen; und die darin lebenden Freiheitswesen stehen zugleich unter „Sollensgesetzen", ohne im zeitlidien Weltlauf entsprechende Folgen jeweiligen moralischen Verhaltens erwarten zu können. Das andere „Reich" aber ist für uns nur eine „praktisch"notwendige Idee, Ausblick im Sinne der Vernunftfrage, was wir „hoffen" dürfen 198 . Wir als Vernunftwesen stehen in unserer Welt unter Sollensgesetzen, die als solche der Sittlichkeit objektiv notwendig sind; nach ihnen „beurteilen" wir unsere und aller anderen Handlungen samt deren Folgen. Gefordert ist, daß wir diese „objektiven Gesetze der Freiheit" (521 Β 830) nicht etwa bloß äußerlich befolgen, sondern — ein jeder in seinem Tun — zu „subjektiven" Grundsätzen unseres Lebenswandels machen: zu eigenen „Maximen". Solche Art Übernahme und Einordnung aber (heißt es nun im 17. Absatz) kann die „bloße Idee" unbedingter Sollensnotwendigkeit, können die „herrlichen" Ideen der Sittlichkeit allein nicht erwirken. Es bedarf zugehöriger „Triebfedern" — ebenso schon des subjektiven „Vorsatzes" wie der durchhaltenden Ausübung in Handlungen, welche dann Folgen in der empirischen Realität haben 199 . Diese Triebfedern aber setzen 188

199

Zu Kants Leibnizdeutung in dieser Sache vgl. folgenden Passus aus der Reflexion Nr. 5962: „Leibnizens prästabilierte Harmonie ist vielleicht nur die Idee einer intelligiblen Welt ohne Raum und Zeit, in welcher die göttliche allgemeine Gegenwart das Prinzip des realen Nexus ist, als einer intelligenten Ursache, wodurch die Verhältnisse, darin sich endliche Wesen anschauen (als der Form der Erscheinung) mit den Regeln einstimmig schon in der Schöpfung praestabiliert sind zur durchgängigen Harmonie mit der intelligiblen Welt, in der allein die unmittelbare Wahrheit ist." X V I I I 405. — Man kann von hier erinnern an Kants Ausspruch gelegentlich seines Plato-Rückgriffs: man könne durch die Vergleichung der Gedanken eines Autors „ihn sogar besser zu verstehen (lernen), als er sidi selbst verstand . . 2 4 6 Β 370. Vgl. 395 Β 617: „Denn setzet, es gebe Verbindlichkeiten, die in der Idee der Vernunft ganz richtig, aber ohne alle Realität der Anwendung auf uns selbst, d. i. ohne Triebfedern, sein würden, w o nicht ein höchstes Wesen vorausgesetzt würde, das den praktischen Gesetzen Wirkung und Nachdruck geben könnte: so

768

(S. 52718 Β

841)

nach der „Natur" unserer vernunfthaften Existenz den „ganzen" Zweck voraus; in welchem eben „beide Stücke wesentlich verbunden" sind. Glückseligkeit (der alte und auch in neueren Systemen praktischer Philosophie zentrale Zielbegriff) ist gewiß ein höchstes Gut für unser Wünschen und Bestreben, sofern eben in dieser (Totalitäts-)Idee die Befriedigung „aller" Neigungen gedacht wird. Aber das „vollständige" Gut kann sie nicht sein, „bei weitem" nicht. Denn menschliche Vernunft hat nicht nur die Fähigkeit, Neigungszwecke und Mittel dazu in irgendwelchen Maßen abzugleichen, in Einstimmung zu bringen, sondern sie steht eben, rein für sich selbst genommen, unter unbedingten Forderungen sittlichen Wohl„verhaltens"; und insofern sich der Handelnde diesen entzieht, kann die Vernunft in uns das Glücklichsein nicht „billigen"; — so sehr der Wunsch und das Verlangen bleibt, es wird die Würdigkeit dazu vermißt. Wiederum: Glückswürdigkeit allein kann nicht „der" Daseinszweck sein; zum vollständigen Gut gehört dem Sinne nach ein zugemessener Glücksanteil. Die „systematische Einheit" der Daseinszwecke von so unterschiedener und doch einander zuzuordnender Art muß, da von der „Natur der Dinge" in der Sinnenwelt nicht vorgegeben und nicht zu erwarten — erhofft werden können; so urteilt die Vernunft in jedem von uns. Und dies nicht etwa nur, sofern der Einzelne (was darf „ich" hoffen?) für sich denkt, sondern sofern er sich, über alle „Privatabsicht" hinaus, in ein ursprüngliches und seinerseits schlechthin unabhängiges („selbständiges") Vernunftwesen hineindenkt, wedies alle Glückseligkeit an Freiheitswesen auszuteilen hätte: in jener unbedingten Vorordnung der jeweiligen sittlichen „Gesinnung", die ihrerseits nicht schon die „Aussicht" auf Glückseligkeit voraussetzt (wie in Lehrsystemen „theologischer Moral" 421a Β 660a). — würden wir audi eine Verbindlichkeit haben, den Begriffen zu folgen, die, wenn sie gleich nicht objektiv zulänglich sein möchten, dodi nach dem Maße unserer Vernunft überwiegend sind . . . " . Vgl. auch aus Metaphysik-Vorlesungen zur Zeit des Erscheinens unsres Werkes X X V I I I 288 ff., besonders 294/5 f. — Ohne auf die Zusammenhänge und die Differenzen der „Kanon"-Lehre unseres Werkes zu späteren Ausführungen in neuem Rahmen einzugehen (was nicht zur gegenwärtigen Kommentierungsaufgabe gehört), sei darauf hingewiesen, daß die „Analytik" der Zweiten Kritik einen eigenen Abschnitt: „Von den Triebfedern der reinen praktischen Vernunft" enthält — und zwar vor Einführung des Themas vom höchsten Gut, als welches da zum „Dialektik"-Teil gehört.

(S. 528 Β

842)

769

„Moraltheologie" in diesem neuen Sinne tritt also der Theologie aus spekulativen Prinzipien entgegen; in der zusammenfassenden Kritik aller Versuche von der letztern Art war schon auf jene vorausgewiesen worden 200 . Entscheidend ist, daß erst und allein dieser Weg, Methode einer vom praktischen Interesse unseres Wesens ausgehenden Metaphysik, unsere Vernunft hinausführt auf den „Begriff" von einem einzigen Urwesen als einzig-möglichem Grund einer nun wirklich alles umgreifenden teleologischen Weltordnung — ebendamit aber auch zur „Überzeugung", daß es „ist". Der spekulative Weg kann, in der „transzendentalen" Sdilußweise, nur auf den Begriff: notwendiges Wesen „hinweisen" (nicht aus „objektiven" Gründen, sondern bloß heuristisch und regulativ 411 Β 644); in diesem Begriff liegt aber nicht, daß nur Ein Wesen von dieser Beschaffenheit sein könne. Und eine „natürliche" Theologie, sofern sie allein von Dingen und Verhältnissen „der Natur" ausgeht, kann zwar und muß in der Idee eine höchste, vor und über allen Naturursachen tätige Intelligenz annehmen („respektive auf den Weltgebraudi unserer Vernunft" 458 f. Β 726 f.); aber entscheidenden Grund, solche höchste Weisheit nicht nur als „Weltbaumeister" (417 Β 655) zu denken, sondern die Welt („Natur") als „in allen Stücken" von jener abhängig zu behaupten, kann keine Spekulation geben. Moraltheologie dagegen betrachtet die Welt von den „höchsten Zwecken der reinen Vernunft" (522 Β 832) aus: „sittliche Einheit" der Vernunftwesen ist ihrerseits ein „Weltgesetz" („moralische Welt" ist notwendige praktische Idee für uns als Freiheitswesen), welches verbindende Kraft „auch für uns" hat, die wir zugleich unter Naturzwecken leben und in naturgegebenen Zielrichtungen handeln. Dafür kann die Ursache nur ein einziges Urwesen als Vernunft-,,Wille" sein: ein zwecksetzender Wille (Kausalität durch Freiheit), der „alle IM

421 f. Β 661/2. Bemerkt sei, daß in diesem Vorhinweis für die neue „Schlußart" von praktischen Gesetzen aus auf ein „Dasein" (als Bedingung der Möglichkeit ihrer verbindenden Kraft) der Ausdruck „postulieren" („freilich nur praktisch postulieren" heißt es dann noch) gebraucht wird, welcher im Text unserer Methodenlehre nicht vorkommt, dann aber in der Zweiten Kritik zum führenden Terminus in der „Bestimmung des Begriffs vom höchsten Gut" geworden ist: „Postulate der reinen praktischen Vernunft" sind theoretische, als solche aber „nicht erweisliche" Sätze, sofern sie einem a priori unbedingt geltenden praktischen Gesetze „unzertrennlich anhängen". V 122 ff., 132 ff.

770

(S. 52819 Β 843)

diese Gesetze", sowohl dessen was ist oder geschieht wie dessen was sein und geschehen soll (vgl. 5. Absatz), in sich befaßt. Natureinheit kann oder könnte aus dem Ineinanderwirken mehrerer Urwesen zustande kommen (etwa: zwecksetzend-formende Intelligenz eines Ersten Bewegers und formbare Materie); aber „vollkommene" Einheit der Zwecke, d. h. durchgängig-totale Einstimmung der je verschiedenen Zielstrebigkeiten sowie Verhaltensweisen aller einzelnen Vernunftwesen mit den jeweiligen Naturbedingungen gemäßer Glückserfüllung — das kann nur gedacht werden als erfolgend aus einem einzigen vernünftigen Urwesen als anordnendem Willen: einem „obersten" ebenso über allen Freiheitswesen wie über allen Dingen und Verhältnissen sonst. Das „transzendentale" Prädikat der Allmacht (vgl. 426 Β 669/70) erhält hier die genauere Bedeutung von Allgewalt über beide Ordnungsdimensionen (wie sie ein Leibniz in seinen zwei „Reich"-Begriffen unterschied). „Allwissend" erhält hier, über allen Bezug auf Welt als Natur hinaus die Bedeutung eines Durdischauens aller Freiheitswesen bis ins „Innerste der Gesinnungen". Das transzendentale Prädikat: „Allgegenwart ohne Bedingungen des Raumes" (426 Β 669/70) bedeutet in der moraltheologischen Sicht das unmittelbare Nahesein, zugleich mit dem Wissen ums Innerste in allen Handelnden, zu deren Neigungen und Bedürfnissen — eben der Abstimmung wegen. Und endlich: „Ewigkeit ohne Bedingungen der Zeit" heißt jetzt, anders als in jener abstrakt-spekulativen Sicht in den „Abgrund" des ewigen Ansichseins unbedingter Notwendigkeit (409 Β 641), die Unbetroffenheit jenes Zuordnens von irgendwelchen Zeitverläufen (etwa solchen, die uns dem Ideal höchst zuwider zu geschehen scheinen)201. Der 21. Absatz greift von hier zurück auf die „zweckmäßige Einheit aller Dinge" im Sinne der physiko-theologischen Bestrebungen, deren „Verfahrens"-Bedeutung ja nicht durch Widerlegung des 201

Man kann v o n hier daran erinnern, daß schon die Ersteinführung der RaumZeitlehre in unserm Werk auf das Problemthema einer haltbaren philosophischen Theologie ausdrücklich bezogen wird. 72 Β 71. — „Ohne" Bedingungen des Raumes b z w . der Zeit bedeutet für uns: bloße N o u m e n a „im negativen VerStande". — „Gegenwart" ist, als Prädikabile (94 Β 108), ein reiner Verstandesbegriff, der v o n Sinnlichkeitsbedingungen unabhängig ist; göttliche Allgegenwart kann also in der Idee als bezogen auf den „intelligiblen Charakter" jedes menschlichen Verhaltens gedacht werden.

(S. 529 Β 84314)

771

„Beweis"anspruchs mitaufgehoben wird 202 . Jetzt wird „die Welt" neu als ein System der Zwecke gedadit: von jenen „höchsten" Zwecken her, welche in der reinen Vernunft selbst, unabhängig von aller „Natur" und Naturerfahrung, als sollensnotwendig uns vorgegeben und von uns zu erkennen sind und also eine im „Wesen der Freiheit" selbst gegründete „sittliche Ordnung" bedeuten — also nidit eine bloß von außen her uns auferlegte, für unsere menschliche Vernunft also „zufällige" Welt- und „Gebote"ordnung. Vom praktischen Daseinsinteresse aus muß „Welt" vorgestellt werden als zusammenstimmend in ihrer Seins- und Geschehensordnung mit demjenigen Gebrauch unserer Vernunft, der seiner Grundgesetzlichkeit nach nicht auf Ziele des Glücksverlangens eingestellt ist, nicht rein „pragmatisch" überlegt und fordert. In solcher Sicht geht es dann nicht mehr um äußere Verhältnisse, um jeweilige Ursachen und Wirkungen im Weltgefüge, sondern um „innere Möglichkeit" der Dinge in einer ursprünglich darin angelegten (oder vorgesehenen) Einstimmigkeit mit einer sittlichen Gesetzes- und Zweckeordnung von Subjekten, die Kausalität durch Freiheit sich zuschreiben müssen. Das führt über bloße „Natur"-Theologie hinaus auf eine „transzendentale": deren Gegenstand das Ideal der reinen Vernunft ist (390 Β 608); ihr Prinzip „systematischer Einheit" ist die eine und einzige „ A l l h e i t . . . aller möglichen Prädikate" als gedadite (aber rein spekulativ nidit als existent erweisbare!) höchste Realität — als Grund „der Möglichkeit aller Dinge" 203 . Moraltheologie und Welterforschung unter der 202

203

Vgl. 415/6 Β 652 sowie den Absdiluß des Abschnitts: Von der Endabsidit der natürlichen Dialektik der menschlichen Vernunft. 458 ff. Β 725/6 ff. Vgl. den der Kritik aller spekulativen Gottesbeweise (insbesondere und zuerst des sogenannten „ontologischen"!) vorangeschickten Abschnitt über das Prototypon transcendentale in der menschlichen Vernunft 385 ff. Β 599/600 ff., besonders 390 Β 608. Der in unserm Methoden-Text auftretende Ausdruck: „ontologische" Vollkommenheit will nur — gleichzielend mit dem Terminus „transzendentaler" Eigenschaften — unterstreichen, daß es hier um alle höchsten Sadiheiten (realitates) geht und zwar primär um die zu den Zweck-„Ideen" der Moralität gehörenden, anders als im bloß-spekulativen Ausgang von dem allein, was Welt und was in der Welt „ist". „Ontotheologie", die von aller Weherfahrung absieht (420 Β 660), wurde als „Erkenntnis"-( Wissens-) Anspruch abgewiesen, behält aber methodisch Gültigkeit im „Ideal"denken, welches nun hier, von der Praxis menschlichen Daseins und Auftrags aus, das „höchste Gut" im Blick hat. — „Ontologische" Denkbestimmung bloß spekulativer „Metaphysik" (im überlieferten, von „Moral" getrennten Sinne) führt zwangsläufig auf ein höchstes „metaphysisches" Gut: als welches auch Gut und Böse bloß wie Licht

772

(S. 529130 Β 8441S)

Idee einer höchsten Intelligenz als Urheber ergeben, vereinigt im „Ideal"-Denken reiner Vernunft, eine Theologie im Sinne des „Theisten", der auf einen „lebendigen Gott" hinausblickt (421 Β 661). Aller Gebrauch unseres Verstandes steht unter Zwecksetzungen; alles Erfahren und Erforschen hat zum Ziel ein Wissen von dem, was da „ist". Sofern wir aber darauf hinblicken, was Ziel und Zwecke unseres Tuns sind und sein können — zeigen sich uns diejenigen der Moralität (in „Gesinnung" und subjektiv persönlichen „Maximen" nach Vernunftgesetzen a priori) als die höchsten, welche uns also „Leitfaden" allen Bestrebens204 überhaupt bedeuten müssen. Was unsere „Wissens "-Möglichkeiten anlangt, so könnten wir auch da von unserer Naturkenntnis keinen „zweckmäßigen Gebrauch" in Richtung auf Erkenntnis (Erforschung von Gesetzen und Gesetzessystemen nach dem Leitfaden spekulativer Ideen) machen, sofern nicht die Natur „selbst" zweckmäßige Einheit „hingelegt" hat 205 . Ohnedem könnte unsere Vernunft, selbst ein Ordnungsgefüge in sich und von sich aus alle Erkenntnis „als gehörig zu einem möglichen System" (329 Β 502) betrachtend, nicht am Gegenständlichen lernend sich entfalten und nicht planvoll (in Wissenschaften) kultiviert werden. Das Gleiche gilt für „jene" zweckmäßige Einheitsordnung, welche im Sollen liegt: gründend nicht im Kennen und Wissen, sondern im Wesen der menschlichen, der freien „Willkür": nur eine zweckmäßige Einheit im Sinne des Ideals vom höchsten Gut kann die „Anwendung" der reinen Imperative in der Weltwirklichkeit (in concreto) ermöglichen. Transzendentale Theologie (und entsprechende Weltlehre) in diesem neuen Sinne geht nicht (wie die alte „Kosmo- und

204

205

und Schatten (Privation v o n Licht) verstehen will — und damit, „unerachtet aller Protestationen wider den Spinozism", auf einen nur „metaphysischen" Gott. X X 302. Dieser „Leitfaden" praktischer Vernunftideen und -gesetze wird zu- und vorgeordnet dem im „Endabsichts"-Abschmtt aufgezeigten Leitfaden theoretischer Erforschung, welchen uns die Vernunft bei Erfahrungen v o n Ordnungen der N a t u r — nach deren „inneren" Gesetzen — an die H a n d gibt, wobei wir „diese systematische Einheit der N a t u r in Beziehung auf die Idee einer höchsten Intelligenz ganz allgemein machen". 454/5 Β 719. „Natur selbst" muß verstanden werden als Natur in sich (nach ihren „inneren" Gesetzen, vgl. die vorige Anmerkung), Natur so wie sie sich unserem Eindringen in Zusammenhängen und Gesetzlichkeiten erschließt, die nicht wir — durch Grundsätze aller möglichen Erfahrung — in sie hineinlegen. Es deutet sich damit ein Thema an, welches in Kants Dritter Kritik Kernproblem geworden ist. Vgl. deren Einleitung unter I V — V I ; V 179—188.

(S. 530 Β 84516)

773

Ontotheologie" samt „theologischer Moral" 420 421a Β 660, 660a) von Gott aus als der vorgegebenen „Ursache" der sittlichen Gesetze, welche auf uns als „Gebote" wirken, sondern das Ideal des höchsten ursprünglichen Gutes ist für uns, in uns „Wirkung" jener Art von „praktischer" Zweckmäßigkeit, die sich im Selbstverständnis menschlicher Freiheit zum Guten ergibt. Wiederum wirft Kant von hier aus (23. Absatz), wie schon beim Thema der Zivilisierung als Vorstufe und Weg zur Moralisierung (489/90 Β 776), einen Rückblick auf das Menschheitswerden als „Geschichte" der Vernunft. Danach konnten die vorchristlichen Zeiten, in welchen allein Naturerkenntnis im Vordergrund stand und Vernunft nur in dazugehörigen Wissenschaften bis zu gewissem Grade kultiviert wurde („ansehnlich" geht wohl besonders auf mathematische Disziplinen), nur „rohe" Begriffe von der „Gottheit" (von Göttern und Göttlichem) hervorbringen (vgl. 396 Β 618: Vielgötterei mit Funken des Monotheismus) — sofern nicht überhaupt Gleichgültigkeit „in dieser Frage" herrschte (philosophisch dokumentiert für Kant im „Empirismus" Epikurs). Erst die christliche Religion und ihr „äußerst reines" Sittengesetz madite eine „größere" VernunftBearbeitung der sittlichen „Ideen" sowie der „systematischen Einheit der Zwecke" notwendig 206 . Nicht neue Naturerkenntnisse, erst recht nicht zuverlässige „Einsichten" aus reiner Vernunft („richtige" Grundsätze derselben, und ein Inbegriff von diesen — Kanon — waren immer zu vermissen) führten auf einen soldien „Begriff" vom göttlichen Wesen, den „wir jetzt" für den richtigen halten. (Wir deuten: jetzt in philosophischer Religionslehre — Religion „innerhalb der Grenzen" nur der Vernunft; vgl. die spätere Religionsschrift Kants.) Das praktische „Interesse" und der Ideal-Gedanke der Zusammenstimmung mit den in uns gelegenen sittlichen Gesetzen hat unsere Vernunft zur Überzeugung vom wahren einzigen Gott ge208

In der mehrfach v o n uns mitherangezogenen Vorlesung über Ethik heißt es zum Abschluß des Abschnitts „Von den moralischen Systemata der Alten": dieselben kannten „keine größere sittliche Vollkommenheit, als die aus der Natur des Menschen fließen konnte"; entsprechend waren „auch ihre moralischen Gesetze mangelhaft" und ihr System „inkomplet". Dagegen hat das „Ideal des Evangelii" die „größte Reinigkeit der Sitten und auch die größte Triebfeder . . Eine Vorlesung Kants über Ethik hrsg. P. Menzer 1924, S. 13.

9 Heimsoeth, Transzendentale Methodenlehre

774

(S. 53011Β 846)

bracht 207 . Nicht spekulative Theologie konnte und kann uns, aus „objektiven" Gründen, davon überzeugen (vgl. Absatz 20). Ein „demonstriertes Dogma" (482 Β 764) kann der Kardinalsatz reiner Vernunft: „es ist ein Gott", nie werden; alle dahingehenden Versuche unterliegen dem dialektischen Schein („wähnen" nur); und als spekulative „Hypothese" ist er nur zulässig im „polemischen Gebrauche" gegen den dogmatischen Verneiner (505 Β 803). Aber für reine Vernunft im Hinblick auf die „wesentlichen", die höchsten Zwecke unseres praktischen Verhaltens muß er uns als „schlechterdings notwendige" Voraussetzung gelten. Abschließend setzt Kant diese seine Moraltheologie noch einmal ab von der Methodik „theologischer Moral", welche die Imperative als „äußere Gebote" (21. Absatz) versteht, sie ableitend aus vorgeblich-vorgängigem Wissen um das Dasein eines einzigen Urwesens — einem Wissen, das unabhängig ist von allen empirischen Bedingungen. Der neue Aufstieg reiner Vernunft im praktischen Gebrauche gibt keinerlei „unmittelbare Kenntnis" von Gott und („anderer") Welt, als positiv-intelligibler Gegenstände rein für sich genommen. Sondern die „innere praktische Notwendigkeit" des sittlichen Sollens, wie es in unserer Vernunft selbst liegt, führt uns im Hinblick auf die empirischen Bedingungen seiner „Anwendung" — also mittelbar — auf möglichen „Effekt" der ideellen und in sich richtigen Forderung 208 zu dem Begriff des höchsten Guts im dargelegten Sinne. Soweit praktische Vernunft („bloße" Vernunft im Sinne des Titels der späteren Religionsschrift) „das Recht hat", uns zu führen, werden wir sittliche Handlungen, zu denen wir „innerlich" verpflichtet sind, darum auch „als göttliche Gebote ansehen" 209 . Die Aufgabe einer philo207

208

209

Vgl. dazu audi den in späterer Niederschrift skizzierten Weg, welchen die Philosophen vom Ersten Beweger des Anaxagoras und Piatos an durch die philosopierenden Römer zum „moralisch-bestimmten Monotheismus" gegangen sind. X X I I I 440. Vgl. 395 Β 617: „Denn setzet, es gebe Verbindlichkeiten, die in der Idee der Vernunft ganz richtig, aber ohne alle Realität der Anwendung auf uns selbst, das ist ohne Triebfedern sein würden, wo nicht ein höchstes Wesen vorausgesetzt würde, das den praktischen Gesetzen Wirkung und Nachdruck geben könnte „Religion", zu welcher das moralische Gesetz durch den Begriff des höchsten Guts, als das Objekt und den Endzweck der reinen praktischen Vernunft führt, ist nach der Zweiten Kritik „Erkenntnis aller Pflichten als göttlicher Gebote, nicht als Sanktionen, d. i. willkürliche, für sich selbst zufällige Verordnungen eines fremden Willens, sondern als wesentliche Gesetze eines jeden freien Willens für

(5. 531 Β 847)

775

sophischen „(natürlichen") Theologie in dem hier neu entworfenen Sinne ist, die Freiheit des Menschen als Vernunftwesens zu „studieren" auf die damit verbundenen Prinzipien hin. Das Sittengesetz, welches nicht erst als „Gebot Gottes" an uns herantritt, sondern das uns die eigene Vernunft lehrt, als zum Wesen („Natur") der uns möglichen Handlungen gehörig, sollen wir „heilig" halten210 und in seiner Befolgung, aus eigenen Maximen, „das Weltbeste", ebenso an uns wie an anderen, befördern — um so unsere „Bestimmung" zu erfüllen, die nicht im Theoretischen und Spekulativen liegt, sondern im praktischen Vernunftgebrauch. In der Erforschung dessen, was unsere Freiheit ist und erwirken soll, Erforschung unter dem Gesichtspunkt der Zusammenstimmung aller Zwecke unserer Vernunft, ist der neue Weg vorgezeichnet für jene wirkliche Befriedigung derselben in den großen alten und bleibenden Fragen der Metaphysik, für welche das dogmatische Verfahren irreleitend, das skeptische nur „vorübend", die differenzierende Kritik „des Verstandes und der Vernunft" aber notwendig war (501/2 Β 797). So wenig natürliche Theologie von der Erfahrungswelt aus den Sprung in „unmittelbare" Kenntnis (Anschauung nichtsinnlicher Art) tun konnte und beanspruchen darf, so wenig kann und darf das System aller Zwecke unmittelbar „an die Idee des höchsten Wesens angeknüpft" (von da abgeleitet) werden. Dort wie nun hier bedarf es des „Leitfadens" von Prinzipien möglicher Erfahrung: hier von Prinzipien möglicher Handlungen „in der Geschichte des Menschen" (524 Β 835). Auch Moraltheologie kann und darf keinen „transzendenten" Gebrauch unserer menschlich-endlichen Vernunft darstellen wollen; ihr Anspruch hat nur „immanenten" Charakter: wir sollen uns in das „System aller Zwecke", welches als „Ideal" uns in uns vorgezeichnet ist, nach Vorsatz und Ausübung hineinpassen.

210

fi*

sich selbst, die aber doch als Gebote des höchsten Wesens angesehen werden müssen . . . " . V 129. Danach heißt es dann (was zu Formulierungen in unserm Text, besonders in den Absätzen 14 und 17 in Spannung steht): „Auch hier bleibt daher alles uneigennützig und bloß auf Pflicht gegründet; ohne daß Furtht oder Hoffnung als Triebfedern zum Grunde gelegt werden dürften . . . " . — Vgl. nodi die Einteilung aller Religionen in die „der Gunstbewerbung (des bloßen Kultus) und die moralische d. i. die Religion des guten Lebenswandels* in der späteren Religionsschrift. VI 51. Heilig heißt, im Rahmen unsres Werkes, schon das „ursprüngliche Recht" der menschlichen Vernunft, „worin ein jeder seine Stimme hat". 492 Β 780.

(S. 531/2 Β 848)

776

Des zweiten Hauptstücks Dritter Abschnitt: Vom Meinen, Wissen und Glauben Daß der neue Weg zu der notwendigen „Voraussetzung" aus praktischer Vernunft nicht zu einem „Wissen" im eigentlichen und überlieferten Sinne führen kann, ist klar. So muß sich jetzt die Frage stellen, von welcher Art des für „wahr" Haltens die im Kanon dargelegte „Überzeugung" ist211. Der Gegenbegriff ist: „Überredung": Schein wird für Einsicht gehalten und ausgegeben — so in den „Beweisen" vom Dasein Gottes in der spekulativen Vernunfttheologie212. Jetzt geht die Fragestellung nicht aus von der menschlichen Vernunft als solcher, sondern — den drei Fragen gemäß, die im „Interesse" eines Jeden von uns liegen — vom „Subjekt", das da jeweils urteilt. Alles „Fürwahrhalten", als Begebenheit in uns angesehen, hat seine „Ursachen" im Gemüte des Urteilenden — etwa in seinen subjektiven Interessen. Sind diese nur in der „besonderen Beschaffenheit" dieses Subjekts begründet, so kann man nicht von „Uberzeugung", sondern nur von Überredung sprechen; Uberzeugung erfordert, daß aus „Gründen" geurteilt wird: solchen, die „für jedermann" gültig sind — sofern er nur seinerseits nach Vernunftgründen zu urteilen weiß. Ohne dies hat das Urteil (über das, was ich hoffen darf, wo ich nicht „weiß") nur „Privatgültigkeit"; und wenn diese für „objektiv" wahr gehalten wird, entsteht (im einzelnen Subjekt als solchen) „Schein" von Gewißheit. Da, wo die Ubereinstimmung des Urteils mit dem Objekt nicht durch Grundsätze des Verstandes, Kriterien der Gegenstands-Erfahrung gesichert 211

312

Daß »Überzeugung" von anderer Art sein kann als spekulative Gewißheit in schlüssigen Beweisen hat Kant zuerst im letzten Satz der wichtigsten vorkritischen Schrift zum Thema philosophischer Theologie ausgesprochen: „Es ist durchaus nötig, daß man sich vom Dasein Gottes überzeuge; es ist aber nicht eben so nötig, daß man es demonstriere." II 163. Vgl. aus der Vorrede unseres Werkes die Entgegenstellung: „Monopol der Schulen" und: „Interesse des Menschen" (Philosophie nach ihrem Weltbegriff). 20 Β X X X I I I . Vgl. etwa 460 Β 730: die sich selbst bezüglich ihrer wahren Bestimmung mißverstehende Vernunft bringt durch einen zwar glänzenden, aber trüglichen Schein „Überredung", „eingebildetes Wissen" und damit ewige Widersprüche und Streitigkeiten hervor. — Hier geht es, wie Kant zu Beginn der Dialektik sogleich sagte, um Sophistikationen „nicht der Menschen, sondern der reinen Vernunft selbst" — von dem freilich „selbst der Weiseste" sich nicht völlig lösen kann sofern der Schein auch bei erfolgter Einsicht in die Grenzen der Vernunft „unaufhörlich zwackt und äfft". 261 Β 397.

(S. i 32 Β 849)

777

werden kann, spekulative Erweise aber für Existenz und „Beschaffenheit" des durch Vernunft Gedachten nicht möglich sind, bleibt als „Probierstein" und „subjektives Mittel", bloß Privatgültiges in mir vom wirklich Uberzeugenden zu scheiden, also der „Versuch", ob die eigenen Gründe auch im Verstehen („Verstand") anderer überzeugend „wirken", ob also das eigene Fürwahrhalten sich anderen „mitteilen" läßt — bei aller Verschiedenheit der Subjekte in ihren Lebensinteressen. Zutreffendenfalls ergibt das „wenigstens eine Vermutung", daß der Grund des consentire („der Einstimmung aller Urteile") in dem uns durch Erkennen nicht zugänglichen Objekte der Vernunft liege, die Urteile also mit ihm als uni tertio übereinstimmen213. — So wie in der spekulativen Vernunft der „dialektische" Schein (als transzendental-allgemeiner) aufgedeckt und dann erklärt werden konnte, so gilt es nun hier, vom praktischen Interesse aus, in den „Begebenheiten" des Gemüts den „bloßen Schein" von objektiv Gültigem, das „trügliche Furwahrhalten" aufzuklären und aus subjektiven „Ursachen" in ihm zu „erklären" — zwecks Heraushebung des wahrhaft Uberzeugenden aus allem, was faktisch bloß subjektiv in uns gewirkt wird. Auch hier — wie beim „transzendentalen" Schein — wird die Scheinursache im Subjekt bleiben, weil sie seiner Natur „anhängt", mit zu ihr gehört. Aber auf Grund der selbstkritischen Scheidung dessen, was das Subjekt eben „bloß als Erscheinung seines eigenen Gemüts" vor Augen hat, von dem, was als „notwendig", also „für jedermann" gültig ausgesagt werden kann, eröffnet sich der Weg zu dem, was — in uns und in anderen — Uberzeugung wirkt: damit aber zu einem „Behaupten" als Antwort auf die praktische und zugleich theoretische (523 Β 833) Frage: Was darf ich hoffen? Drei Stufen des Fürwahrhaltens, Stufen des Aufstiegs von sub213

Das Thema der InterSubjektivität, in der Kritik bisher (wo es um Formen und Grundsätze menschlichen Erkennens, immer vom Theoretisch-Spekulativem her, ganz allgemein ging) kaum gestreift, dann in gewissem Maße aktuell geworden in der Methodenlehre der Äußerungs-Freiheit eines jeden (484, 492 Β 767, 780 f.), erhält eigene Bedeutung jetzt, wo nicht Ubereinstimmung des Urteils mit einer Sache, einem Objekt das erste ist (womit sich dann auch Übereinstimmung unter den Urteilenden ergibt), sondern zu einem theoretisch unerkennbaren Objekt hin ein Weg von praktischen Bezügen im Vernunftverständnis jedes Einzelnen („Was soll ich tun?") zum Allgemeingültigen eines Ideals, im Thema des höchsten Gutes, eingeschlagen wird. —

778

(S. 532/3 Β 850)

jektiver Gültigkeit zum allgemein und objektiv Gültigen werden nun, dem Abschnittstitel gemäß, im 6. Absatz unterschieden214. Eine Beziehung auf erstrebte Uberzeugung hat schon die unterste, das „Meinen" — sofern es nämlich (in „problematisches" Urteil gefaßt) ein „Bewußtsein" davon hat, daß die Urteilsgründe sowohl subjektiv als objektiv für ein Behaupten unzureichend sind — während eben das in der bloßen „Überredung" fehlt 215 . Die zweite Stufe, die eines nur subjektiv (im Sinne des „für mich") zureichenden Fürwahrhaltens, sofern es zugleich für „objektiv unzureichend" gehalten wird, heißt — in den gängigen Begriffen, die zunächst keiner Erläuterung bedürfen — „Glauben"216. Fürwahrhalten aus einem Grunde, der sowohl subjektiv wie objektiv zureichend ist, heißt „Wissen" (was im Felde reiner Vernunftwissenschaft apodiktische Gewißheit bedeutet 217 ). — Hinzugefügt werden noch die Begriffe: „Uberzeugung", 2X4 Ygj ¿¡ e entsprechende Darlegung in Kants Logik: Stufen der „logischen Vollkommenheit des Erkenntnisses der Modalität nach". I X 65—73. Aus LogikVorlesungen vgl. X X I V 637 ff.: Von den verschiedenen Arten des Fürwahrhaltens. 215

Vgl. I X 73: „Obgleich jede Überredung der Form nach (formaliter) falsch ist, sofern nämlich hierbei eine ungewisse Erkenntnis gewiß zu sein scheint: so kann sie doch der Materie nach (materialiter) wahr sein. U n d so unterscheidet sie sich denn auch von der Meinung, die eine ungewisse Erkenntnis ist, sofern sie für ungewisse gehalten wird." — Für „Meinen" als problematisches Urteilen wird in diesem Text als erstes Beispiel eine Art "Fürwahrhalten der Unsterblichkeit" genannt; danach dann audi hypothetische Annahmen in empirischen Wissenschaften: so ist „z. B. der Äther der neueren Physiker eine bloße Meinungssache . . . Mein Fürwahrhalten ist also hier objektiv sowohl als subjektiv unzureichend, obgleich es an sich betrachtet, vollständig werden kann" (nämlich im Fortgang empirischer Forschungen!). I X 66 f.

216

In der Logik (Einleitung I X ) , wo noch betont wird, daß es bei dieser Unterscheidung der drei Arten des Fürwahrhaltens nicht um besondere Erkenntnisquellen geht, dieselbe vielmehr „nur die Urteilskraft in Ansehung der subjektiven Kriterien der Subsumtion des Urteils unter objektive Regeln" betrifft, bezieht sich K a n t (von seinem eigenen Zielgedanken aus polemisch) audi auf den „sogenannten historischen Glauben": als einem Fürwahrhalten „auf ein Zeugnis" hin (auf das ich mich verlasse); derselbe kann als eine Art des „theoretischen oder logischen" Fürwahrhaltens selbst ein (mittelbares) Wissen sein. Vgl. I X 68/9, 72 a; audi X X I V 638. Auch in der Abhandlung: „Was heißt: Sich im Denken orientieren?" wird Kants neue Lehre vom Vernunftglauben gegen Beispiele „historisch"-empirischen Glaubens, „bloß auf Zeugnisse" hin, abgesetzt. V I I I 141. Beispiele aus dem Themenbereich des Kanon in der Logik: unser Fürwahrhalten der Unsterblichkeit wäre apodiktisch, sofern wir alle „wüßten, daß es ein anderes Leben nadi diesem gibt". I X 66.

217

(S. i 33 Β 8SO/1)

779

sofern sie ein „für mich selbst" zulängliches Fürwahrhalten ist, und „Gewißheit" als „objektiv" zulängliches — im Sinne des „für jedermann" Gültigen („sofern er nur Vernunft hat", hieß es in der ersten Kontrastierung von „Überzeugung" gegen „Überredung") 218 . „Meinen" kommt für Urteile aus reiner Vernunft, wie sie die Fragen der Metaphysik erfordern, nicht in Frage. Als „problematische" Urteile, bloß hypothetische Annahmen können Meinungen „Leitung auf Wahrheit" hin bedeuten, unvollständige Verknüpfung mit ihr — sofern sie „auf Erfahrungsgründe gestützt werden"; aber solche Art des Meinens (unterschieden von bloßen „Erdichtungen", wie es insbesondere „hyperphysische" Hypothesen im Sinne des dritten Disziplin-Abschnitts sind) setzen immer einen Ansatz voraus bei etwas, das wir wissen; und zudem muß da ein aus Erfahrung gewonnenes oder zu ihr gehöriges „Gesetz" objektiv gewiß sein. Aber in Urteilen, wie es die Kardinalsätze sind, kann die Leitung auf Wahrheit (auf „Behauptungen", die für jedermann „notwendig" gültig sind) nicht von solcher Art des Meinens und überhaupt kein bloßes Meinen sein. Wenn es hier ein „Prinzip der Verknüpfung" gibt, so muß dasselbe seinerseits Gewißheit für jedermann haben. Reine Vernunftwissenschaft schließt eo ipso alles Meinen aus — ebenso in der Mathematik wie in der Moral, deren Sollensgrundsätze freie Handlungen hervorbringen können und insofern „objektive Realität" haben (524 Β 835/6); in beiden Bereichen „wissen" wir216. Wissen aber kann der „transzendentale" Gebrauch der Vernunft in Anliegen, wie sie hier zum Thema stehen, nicht leisten; Vernunft in „bloß" spekulativer Absicht hat sich als dialektisch erwiesen. Und nur subjektive Gründe des Fürwahrhaltens können bei solchen Fragen (Gott und Seele betreffend) keine Uberzeugung wirken; denn hier ist immer empirische Beihilfe mit im Spiele („historischer Glaube", vgl. unsere Anmerkung 216: „auf Zeugnisse hin") und keine Sicherheit, daß die (Vernunft-)Gründe, die für uns gültig sind, „auf fremde Vernunft eben dieselbe Wirkung tun" (Absatz 3). sie Nur die spekulative Gewißheit ist apodiktische; von ihr ist die „moralische Gewißheit" unterschieden, weldie der praktischen Vernunft zugehört. X X I V 639. 219 Vgl. in der Logik: Es ist „an sich ungereimt, a priori zu meinen"; ebenso wie in der Mathematik gilt es „in der Metaphysik und Moral . . . : entweder zu wissen oder nicht zu wissen". „Man muß völlig gewiß sein: ob etwas recht oder unrecht, pflichtmäßig oder pflichtwidrig, erlaubt oder unerlaubt sei." I X 67, 69.

780

(S. 533 Β 851)

In der Vernunft Wissenschaft kann „Glauben" nur ein auf das praktische Interesse sich gründendes Fürwahrhalten 220 genannt werden. Vernunftregeln in praktischer Absicht treten bei uns in zwiefacher Form auf, als Regeln der „Geschicklichkeit" („pragmatische Gesetze des freien Verhaltens zur Erreichung der uns von den Sinnen empfohlenen Zwecke" [520 Β 828]) und: Grundsätze der Sittlichkeit, von denen wir, als solchen der reinen Vernunft in uns, Wissen haben. Während Sittlichkeit wesenhaft auf „schlechthin notwendige" Zwecke ausgerichtet ist („wo die Ideen die Erfahrung selbst — des Guten — allererst möglich machen" [249 Β 375]), geht es in der „Geschicklichkeits"-Absicht unserer Praxis um Daseinszwecke, die nach Verschiedenheit der Subjekte und Situationen wechseln, insofern um „beliebige und zufällige". Notwendig sind hier nur die „Bedingungen" des Erreichens („hypothetische" Notwendigkeit der Vernunftregeln); und diese Notwendigkeit ist „subjektiv ausreichend" und fällt insofern unter den „Glaubens"-Begriff im allgemeinen Sinne, aber — da es um Erfahrungs- und Erfahrensbedingungen im Verwirklichen geht, immer nur „komparativ" zureichend (wie alle Erfahrungsurteile, auch im bloß Theoretischen)221. Man „glaubt", es klug und richtig anzustellen, je nach Können und Kenntnis, wohl wissend, daß apodiktische Gewißheit hier nicht in Frage kommt; und man ist sidi bewußt, daß dieses Glauben „subjektiv" ist in dem Sinne, daß ein anderer „es vielleicht besser treffen" könnte. Kant prägt, im Rückbezug auf seine Unterscheidung praktischer Vernunftgesetze nach dem Bezug auf Zwecke (520, 523; Β 828, 834), hierfür den Begriff: „pragmatischer" Glaube. Er ist ein „zufälliger", nicht ein notwendiger Glaube; nur um diesen letzteren aber kann es im Thema reiner Vernunftphilosophie gehen; nur ein notwendig gültiges Urteil kann überzeugend sein und Überzeugung (bei mir und andern) wirken. Aller pragmatische Glaube hat seine „Grade" der Stärke oder Festigkeit, 220

221

Im Disziplinabschnitt über den polemischen Vernunftgebrauch hieß es, es müsse wohl erlaubt „und wohl gar rühmlich" sein, durch offene Kritik „unseren Ton zur Mäßigung einer bloß praktischen Überzeugung herabzustimmen" und sich zugleich „den Mangel der spekulativen und apodiktischen Gewißheit zu gestehen". 490 Β 777. Vgl. 29 Β 3: „Erfahrung gibt niemals ihren Urteilen wahre oder strenge, sondern nur angenommene und komparative Allgemeinheit (durdi Induktion), so daß es eigentlich heißen muß: so viel wir bisher wahrgenommen haben, findet sich von dieser oder jener Regel keine Ausnahme."

(S. 534 Β 852/3)

781

je nach der Art des praktischen Ziel-„Interesses" (entsprechend auch dem Komparativcharakter der jeweiligen Vorschau auf Mittel und Möglichkeiten des Erreithens). In der „gewöhnlichen" Lebenspraxis macht man sich das wohl klar in einem Gedankenexperiment: wie hohen Einsatz man wohl in einer „Wette", daß man recht habe und behalten werde, wagen würde. Wenn es um für uns sehr Gewichtiges geht, womöglich um „das Glück des ganzen Lebens" 2 2 2 , dann wird man leicht stutzig werden im eigenen Überzeugtsein und überlegt neu, ob nicht bloße Überredung, ohne Gründe und entstanden nur aus „Ursachen" im eigenen Gemüte, da im Spiel ist. Analoges gibt es auch in bloß theoretischen Erwägungen: bei rein gedanklichen „Unternehmungen", welche sich auf ein Objekt beziehen, das uns auf Wissenswegen nicht erreichbar ist. Man entwirft für sich eine Lehre (Doktrin), für die man subjektive Gründe zu haben „vermeint" — Überzeugungen für mich selbst — in dem Gedanken, es könnte Gewißheit für jedermann aus meinem Urteil werden, wenn es nur irgendwie ein Mittel gäbe, die Sachgewißheit auszumachen. Kant prägt dafür den Begriff des „doktrinalen Glaubens", der sich insoweit dem eines pragmatischen Glaubens an die Seite stellt. Das Beispiel nimmt er zunächst aus der Welt möglicher Erfahrung: Bewohnbarkeit von Planeten, Bewohner anderer „Welten" im raumzeitlichen Universum 2 2 3 . Auch solche Art von Für222

223

Man könnte in dieser Wendung außer dem Sachbezug auf Glückseligkeit im Sinne der Befriedigung all unserer Neigungen, auch der Lebensdauer nach (523 Β 834), einen direkten Bezug auf die so berühmt gewordene Wette-Überlegung in der philosophisch-religiösen Apologetik Pascals sehen, auf welche Kant freilich in seinen Schriften nie direkt hinweist. Der allgemeinere Grund liegt jedenfalls in Kants Tendenz, eine spezifisch moralische Art von (notwendigem) Fürwahrhalten aufzuzeigen und alle Verwechselung abzuwehren mit dem, was in der Sdiultradition „moralische Gewißheit" hieß (in Leibnizens Nouveaux essais: certitude morale „ou physique", gegenüber aller Notwendigkeitsgewißheit als „metaphysisch"-rationaler: Ende des VI. Kapitels im 4. Buch). In einer Logik-Vorlesung Kants heißt es: „Man mißbraucht den Begriff von moralischer Gewißheit, wenn man oft nichts weiter hat (ζ. B. bei Wetten) als einen praktisch hinreichenden Grund der Wahrheit . . . " ; wenn man etwas tut auf die Gefahr zu irren, so ist das nicht moralische Gewißheit— denn die „bezieht sich aufs Gewissen". X X I V 734. Es ist kein Zufall, daß Kant in unserem Zusammenhang dieses Beispiel vorträgt. In seiner Frühzeit war diese theoretische Frage noch eng bei ihm verbunden mit Unsterblichkeitserwägungen: Fortdauer unseres Lebens auf anderen Planeten; vgl. dazu den als „Anhang" bezeichneten Dritten Teil der allgemeinen Naturgeschichte und Theorie des Himmels: Von den Bewohnern der Gestirne, beson-

782

(S. 535 Β 854)

wahrhalten — in der Form: ich jedenfalls glaube, daß es das gibt — kann sich nach seinem Stärke-Grad ausdrücken in der Bereitschaft zum Verwetten von mehr oder weniger Gütern. Und nun stellt Kant (in Absatz 13) „die Lehre" (Doktrin) vom Dasein Gottes (dann auch die vom Fortleben der Seele) unter diesen Glaubens-Begriff. Daß hier kein „Wissen" (apodiktische Gewißheit) erreicht werden kann, daß solches zu beanspruchen oder zu erwarten „zu viel" wäre, müssen wir uns eingestehen. Im theoretischen Vernunftgebrauch können wir nicht, von der Weltkenntnis her, über so viel Gegebenheiten „verfügen", daß jenes überweltliche Dasein als notwendige Erklärungs-Voraussetzung gelten könnte. Theoretisches Erkennen ist ein Verstandes- und Vernunftgebrauch, für welchen alles in der Welt (auch die Handlungen der Menschen) „bloß" Natur ist 224 . „Theologie der Natur" aber ist nur als „Verfahren" zu bejahen, zu befördern — nicht aber im überlieferten Anspruch auf objektive Gewißheit 225 in einer bloßen Spekulation, die unabhängig sein will von anderweitiger („fremder") Unterstützung — durch ein anderes Daseinsinteresse als das der Weltkenntnis 225 . Der „Leitfaden", welcher im Naturerforschen, von Erfahrungen zweckmäßiger Gebilde und systematischer Ordnungen aus, zu der „Voraussetzung"226 des

224

225

228

ders den „Beschluß". I 366/7 f. — In Unsterblichkeitserwägungen späterer Metaphysik-Vorlesungen, wo nun das „andere" Leben, gemäß der neuen Lehre bloßer Idealität der „sinnlichen" Anschauungsformen, verstanden wird als Dasein in intelligiblem Zusammenhang, und wo die „Gegenwart" der Seele grundsätzlich als nichträumlich gefaßt wird, heißt es ausdrücklich: „Kommt man in eine andere Welt, so kommt man nicht in die Gemeinschaft anderer Dinge, etwa auf andere Planeten . . X X V I I I 298. — Die Frage, ob es „Einwohner im Monde geben könne", welche in unserem Werk im Zusammenhang der Wahrheits- und Erkenntnislehre nach Gesetzen der Erfahrung auftritt (339/40 Β 521), kommt in Logik-Vorlesungen zugleich unter dem Titel der „Meinungen" und unter dem des „sogenannten Glaubens" vor — mit dem Zusatz: Glauben gilt „eigentlich" nur von praktischen Erkenntnissen. X X I V 639, 733. Im bloß spekulativem Vernunftgebrauch, welcher als regulativer auf theoretische Grundsätze der Möglichkeit von Erfahrung angewiesen ist, könnten wir auch in der „Geschichte des Menschen", welche doch zur Welt gehört, keine Freiheitswirkungen im sittlichen Sinne „antreffen", sondern nur Geschehnisse nach Naturgesetzen. Vgl. 524 Β 835 und den Dialektikabschnitt zum Thema möglicher Vereinbarkeit menschlicher Freiheitskausalität mit dem allgemeinen Gesetze der Naturnotwendigkeit. 366 ff. Β 566 ff. Vgl. 416 Β 652/3: es gilt, die „dogmatische Sprache" der Vernünftler „auf den Ton der Mäßigung und Bescheidenheit eines . . . Glaubens herabzustimmen". Die Voraussetzung ist insoweit bloße suppositio relativa; hier wird auch nicht die "Möglichkeit eines Weltganzen selbst" angesprochen. 446/7 Β 705.

(S. 535 Β

85415)

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Daseins einer höchsten, alles als zusammenstimmend anordnenden Intelligenz führt, steht seinerseit in der Zwecksicht, eben damit wieder ein „Leitungs"prinzip zu haben für weiteres unabsehbares Aufsuchen solcher Ordnungsgefüge (audi im Menschenwesen). Die hier waltende „Absicht" ist — vom letzten Zweck der reinen Vernunft 227 aus gesehen — nur „zufällig". Aber sie ist „erheblich" genug, um nicht nur von einem „Meinen" zu sprechen; das hieße, „zu wenig" die Leistung jener Voraussetzung für unser „theoretisches Verhältnis" zur Welt und zu uns selbst zu würdigen. Im Meinen weiß der jeweils Urteilende, daß seine Gründe auch subjektiv unzureichend sind; der Weg einer „natürlichen" Theologie im angegebenen Sinne muß aber „allerwärts" überzeugen, muß „notwendig" Fürwahrhalten bewirken. Insofern ist es: Glauben — aber dies eben nur im „doktrinalen" Sinne: Festigkeit des Zutrauens im Duktus der subjektiven Absicht auf theoretisches Weltverständnis. — Im Hinblick auf solche Voraussetzung einer „alles" nach weisesten Zwecken einrichtenden höchsten Intelligenz kann dann auch, schon in rein theoretischen Erwägungen des Kontrastes zwischen der Fülle und Ordnung menschlicher „Natur"anlagen einerseits und andererseits der Kürze unseres Lebens, wie wir es in Raum und Zeit erfahren, ein subjektiv zulänglicher Grund (nicht bloße „Ursache" des Wunsches!) gelegen sein, an ein künftiges Leben lehrhaft, in theoretischem Fürwahrhalten, zu „glauben" 228 . Solche Art von Glauben (oder: „Zutrauen") darf nicht verwechselt werden mit dem Fürwahrhalten bzw. -vermuten in „Hypothesen". Denn deren Absicht ist immer eine „objektive": aus dem 227 228

Vgl. die Überschriften (und Inhalte) des zweiten Kanon-Abschnittes. Vgl. die Analogie-Spekulation gegen Ende des Paralogism-Hauptstücks 277 Β 425 f. Ähnliches in einer Metaphysik-Vorlesung X X V I I I 292 fi.; hier ist das Hauptbeispiel für die Naturanlagen, Talente und Antriebe des Menschen, welche in „diesem" Leben nicht ihre volle Auswirkung finden, das Erkenntnisvermögen und die Wißbcgier, so die in Wissenschaften waltende, insbesondere in Mathematik und Astronomie, aber auch in der Metaphysik. D a heißt es: die Kürze des Menschenlebens reiche nicht zu, „von alle den Wissenschaften und Erkenntnissen, die man sida erworben hat, Gebrauch zu machen. Das Leben ist zu kurz, um sein Talent völlig auszubilden. Wenn man es in den Wissenschaften am höchsten gebracht hat, und jetzt davon den besten Gebrauch machen könnte, dann stirbt man.". „Die Wissenschaften sind der Luxus des Verstandes, die uns den Vorschmack von dem geben, was wir im künftigen Leben sein werden." — Danach werden dann die „Kräfte des Willens" in die Betrachtung einbezogen, insbesondere die „Triebfeder zur Moralität und Rechtschaffenheit".

784

(S. 536 Β

8S5/6)

problematisch Vorausgesetzten Folgen zu bestimmen, welche ihrerseits bekannt, gegeben sind (vgl. 504/5 Β 802). Das Ziel ist hier ein Wissen. Und von dem, was da — zwecks Erklärung daraus — „angenommen" wird, muß man einen vorausbestimmten Begriff haben; was da noch unbestimmt und in der Schwebe bleibt, ist nur dies: ob es das gibt. Ebendas aber ist in unserem Themenbereich ganz anders: von den „Eigenschaften" einer schöpferischen Weltursache, von der „Beschaffenheit" einer leibunabhängigen Seele bzw. einer „anderen" Welt, darin sie fortbesteht und -lebt, haben wir keinen irgend zureichenden Begriff, um daraus das uns Bekannte und Gegebene von Welt und Dasein in ihr abzuleiten 229 . — „Glauben" dagegen bescheidet sich auf „subjektive" Absicht schon in diesem „doktrinalen" Fürwahrhalten: die Daseinsannahme ist für mich, den Suchenden und Forschenden, leitende Idee im Welt- und Selbstverständnis und wirkt in mir vermehrte und erweiterte Vernunftaktivität, die mich an jener festhält, mich immer wieder auch dahin zurückführt bei allen „Schwierigkeiten, die sich in der Spekulation vorfinden" 230 und immer wieder auch den „bloß" doktrinalen Glauben wankend machen können. Die subjektive Absicht desselben ist, als theoretische, eben doch zuletzt eine „zufällige"; immer ist er verhaftet an uns Vorgegebenes und etwa noch Erfahrbares. Erst vom Vernunftbereich der „praktischen" Urteile aus, und zwar vom Interesse daran, was ich tun „soll" her, zeigt sich ein solchen Schwankungen und allem für uns Zufälligen enthobenes, subjektiv-notwendiges Fürwahrhalten: der „moralische" Glaube. Die sittlichen Gesetze („objektive Gesetze der Freiheit" 521 Β 830/1) besagen, als „schlechterdings notwendig", daß etwas (im zeitlichen Weltlauf, innerhalb des faktischen Geschehens) durch Freiheitswirksamkeit geschehen soll („muß") — ganz unabhängig davon, was in den Notwendigkeitsverhältnissen des Geschehens liegt; und die Vernunft fordert von mir, wie von jedem anderen, Befolgung solcher Gesetze „in allen Stücken", allen Verhältnissen und Zielsetzungen. Anders als bei „zufälligen" Zwecken, welche der Einzelne sich sonst wohl vorsetzt in seinen Lebenswünschen, ist hier „der" Zweck des Daseins a priori und also 229 230

Vgl. 418 Β 656; 503/4 Β 800 f. V o n solchen Schwierigkeiten war im Disziplin-Abschnitt über den Verteidigungsgebrauch v o n Hypothesen betr. Unabhängigkeit der Seele und Weltursprung aus einem höchsten Wesen kurz die Rede 505 Β 802.

(S. S3617 Β 8Í7)

785

„unumgänglich" vorgegeben: in der Idee des „vollständigen" Gutes sind beide Stücke oder „Elemente" wesentlich verbunden: Glückswürdigkeit und der „notwendige Erfolg derselben", der „genau entsprechende" Ausgang231. Nach aller „meiner" Einsicht, ohne jeden Anspruch, „mehr" von der Beschaffenheit der Weltursache und einer anderen Welt zu begreifen, gibt es nur eine „einzige" Bedingung für diesen Zusammenhang, in welchem dann der höchste Zweck mit allen Zwecken sonst, zu denen ich hinneige, einstimmig werden kann: daß nämlich Wahrheit ist in der „Behauptung" beider Kardinalsätze — die einer „praktischen Gültigkeit". Das heißt aber (vgl. Absatz 10 unseres dritten Abschnitts), daß hier sich ein „notwendiger" Glaube einstellen muß, ein „subjektiv" gegründetes Fürwahrhalten, welches nicht bloß komparativ, sondern „schlechthin" gültig ist, und zwar: „für jedermann". Denn daß niemand sonst andere Bedingungen kennen kann, welche auf diese Einheit des gesamten Daseinszwecks in der Idee hinleiten, das freilich weiß ich auch gewiß. Das Sittengesetz verlangt Befolgung „nach Maximen" (527 Β 840), d. h. daß die objektive Vorschrift „zugleich" meine subjektive Absicht werde 232 ; also werde ich ebenso „unausbleiblich", wie mir der eine und einigende Daseinszweck vorgegeben ist, an Gott und an eine künftige Welt „glauben". Diese in praktischer Hinsicht („Absicht") sich einstellende Überzeugung hat ihrerseits Gewißheitscharakter, freilich nicht „apodiktischen". Die Glaubensgewißheit ist eben keine „logische", sondern praktische, und zwar „moralische" im strengen Sinn des Wortes: gegründet im freien Michverhalten zu sittlichen Gesetzen. Diese Glaubensgewißheit kann man nun nicht auf die Art „mitteilen", wie man Wissen weitergeben kann 233 , bei welchem dann immer auch — 231 232

233

Vgl. 526 f., 528/9; Β 839 f., 842. Vgl. die erste Formulierung des „Kategorischen" Imperativs in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde." IV 421. Vgl. I X 66: Wissen ist apodiktisches, das Glauben ein „assertorisches" Urteilen, so wenn wir glauben, daß wir unsterblich sind. S. 70: „Das Glauben gibt daher auch wegen der bloß subjektiven Gründe keine Überzeugung, die sich mitteilen läßt und allgemeine Beistimmung gebietet, wie die Uberzeugung, die aus dem Wissen kommt. Ich selbst kann nur v o n der Gültigkeit und Unveränderlichkeit meines praktischen Glaubens gewiß sein und mein Glaube an die Wahrheit eines Satzes oder die Wirklichkeit eines Dinges ist das, was in Beziehung auf mich nur die Stelle eines Erkenntnisses vertritt, ohne ein Erkenntnis zu sein."

786

(S. 537 Β 85718)

so im fälschlich versuchten Wissen „bloßer" Vernunftspekulation — die Erwartung liegt, „mehr" noch von der „Beschaffenheit" (14. Absatz) der Objekte zu begreifen. Moralische Gewißheit gründet sich auf sittliche „Gesinnung"234 im freien Mich-bzw. Sichverhalten, auf die „Maxime" des einzelnen (Willens-)Subjekts. Wer also an der Moralität kein „Interesse" hat, „gleichgültig" sich verhält in Ansehung der sittlichen Gesetze, weil nur interessiert im „pragmatischen" Sinne — für den fällt dieses Glauben weg. Die Frage, welche unsere Vernunft aufwirft, zugehörig zu jenen „unvermeidlichen" Aufgaben der Metaphysik, bezüglich derer eine gereifte Kultur der Vernunft nicht gleichgültig sein kann (31 Β 7, 530 Β 845), geht dann zurück an den bloß spekulativen Vernunftgebrauch — der aber ja durchaus nicht Gewißheit geben kann, sondern nur Vermutung mit „starken Gründen aus der Analogie" 228 , als welche doch der Skepsis immer ausgesetzt bleiben werden. Da aber andererseits „Gewißheit" auch für eine etwaige Negation der beiden Kardinalsätze für uns ausgeschlossen ist, so bleibt immer die Möglichkeit, daß Gott und künftiges Leben „ist". Dann aber liegt es immer noch im bloß „pragmatischen" Interesse (von welchem kein Mensch frei sein kann), daß man in der Lebenspraxis bei der „Meinungs"-Frage, was erlaubt sei und welche Handlungen man „wagen" darf (533 Β 851), ein Dasein Gottes und eine Zukunft nach dem Tode „fürchte". Ein solcher „negativer" (d. h. nicht positiv zureichender) Glaube kann freilich nicht echte „Gesinnungen" des Guten, nicht wirkliche „Moralität" bewirken, die ja grundsätzlich von allem bloß Pragmatischen verschieden ist, wohl aber ein „Analogon" derselben (im Sinne etwa der „Manier des Guten" [489/90 Β 776]), so daß jedenfalls der „Ausbruch" böser235 Gesinnungen in schlechten Handlungen bis zu hohem Maße zurückgehalten wird. 234

Der Ausdruck: Gesinnung tritt immer da auf, wo sittliches Verhalten gegen alle Rücksicht auf zu erwartenden „Nutzen oder Vorteil" abgehoben wird, in unserem Werk zuerst 277 Β 425/6; in der Methodenlehre: moralische Gesinnung als Bedingung des Anteils an Glückseligkeit und nicht umgekehrt . . . 528 Β 841. Vgl. auch die „echten Grundsätze", welche „einmal entwickelt und in die Denkungsart übergegangen", sich abheben von der Unlauterkeit in der bloßen „Manier" des Guten. 489/90 Β 776.

235

Der Wortausdruck „böse" als Realgegensatz zu „gut" kommt in unserem Werk nur einmal vor (wie übrigens auch „Laster" als Gegenbegriff zu Tugend). Böse Gesinnungen — vgl. Kants Beispiel für das hypothetische Urteil: » . . . wenn eine

(S. S 37 Β

85718)

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In der dem 18. Absatz noch beigefügten Anmerkung schreibt Kant das moralische Interesse „jedem" Vernunftwesen (also, wie es in den Grundlegungssdiriften zur Moralphilosophie dann heißt: vernünftigen Wesen „überhaupt") zu. Den Ausdruck: „wie ich glaube", muß man wohl im allgemeineren Sinne eines nur subjektiv-persönlichen, aber nicht notwendigen Fürwahrhaltens verstehen; der Denker läßt ja auch immer offen, wieweit es andere Vernunftwesen, mit etwa einer anderen „Anschauungs"-Art als der unseren, gibt („es mag sein, daß alles endliche denkende "Wesen hierin mit dem Menschen notwendig übereinkommen müsse" 72 Β 72). Jedenfalls hat das „menschliche Gemüt" dieses in der „Natur" seiner Vernunft gelegene („natürliche") Interesse; daß es hier „nicht ungeteilt" ist und auch nicht „praktisch überwiegend", das liegt eben an der zugleich „sinnlichen" Natur des Menschenwesens. — Die anschließende Forderung nach „Befestigung" dieses Interesses entspricht der früher gestreiften Aufgabe, vom bloßen Zivilisiertwerden zum „Moralisieren" — soweit es möglich ist — überzugehen (489 Β 776). — Jetzt geht es, mit dem Moralthema zugleich, um das eines „Glaubens", in dem neuen Sinne denkerischer Vereinigung des praktischen mit dem spekulativen Interesse — und damit um „Aufklärung", welche gegenüber der so tiefwurzelnden und so allgemeinen Unlauterkeit auf „aufrichtiges" Glauben hinwirken soll. Philosophie aus reiner Vernunft (Metaphysik im Sinne des durch die „mühsame Bestrebung" ihrer Selbstkritik eröffneten neuen Weges) kann also über die Grenzen des Erfahrbaren hinaus nur Glaubens„Aussichten" eröffnen — Aussichten im Sinne der dritten Frage: Was darf ich hoffen? Hier gibt es spezifisch „moralische" Gewißheit: für denjenigen, dessen sittliches Interesse hinreichend erweckt und befestigt ist. Auf den Einwand, daß man zu solchem Glauben nicht den Philosophen brauche, erwidert Kant, daß gerade die Vernunftkritik, indem sie den falschen Anspruch dogmatischer Beweisführung bei diesen hohen Anliegen unseres Gemüts beseitigte, „entdeckt" hat, daß die Vorsehung („die Natur") in Einrichtung unserer Vernunft den Kern des Interesses und des Ausblicks auf Ubersinnliches nicht vollkommene Gerechtigkeit da ist, so wird der beharrlich Böse bestraft" 89 Β 98 — sind zu unterscheiden von der „Bösartigkeit" eines „Naturells", aus „Quellen des empirischen Charakters". 375 Β 582.

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(S. 538 Β 859)

in das spekulative Vermögen gelegt hat, als welches nur in Wenigen voll ausgebildet werden kann, sondern ins praktisch-moralische, als weldies allen Menschen gleichermaßen eigen ist 236 . In der Lebenserfahrung des alle Menschen gleichermaßen angehenden Sollens und Vermögens reiner praktischer Vernunft wird der Freiheits-„Boden" sichtbar, darauf jene „majestätischen" sittlichen Gebäude zu errichten sind, welche die eigentliche „Würde" der Philosophie darstellen, beginnend mit „Prinzigen der Sittlichkeit, der Gesetzgebung und der Religion" (249 Β 375) 237 . 236

237

Ein vielzitierter Passus aus Kants Vorarbeiten zu einer geplanten Neuauflage der „Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen" (der zugleich ein Licht wirft auf den persönlichen Weg des Denkers vom Wissensverlangen zum moralischen Glauben im Unsterblichkeitsthema, vgl. unsere Anmerkung 131) lautet: „Ich bin selbst aus Neigung ein Forscher. Ich fühle den ganzen Durst nach Erkenntnis und die begierige Unruhe, darin weiter zu kommen . . . Es war eine Zeit, da ich glaubte, dieses allein könnte die Ehre der Menschheit machen und ich verachtete den Pöbel, der von nichts weiß. Rousseau hat mich zurecht gebracht. Dieser verblendende Vorzug verschwindet, ich lerne die Menschen ehren und ich würde mich unnützer finden wie den gemeinen Arbeiter, wenn ich nicht glaubte, daß diese Betrachtung allen übrigen einen Wert erteilen könne, die Rechte der Menschheit herzustellen." X X 44. Nach Kants geschichtlichem Rückblick auf Religionsformen hat sich auch der Monotheismus nicht durch „Nachdenken und tiefe Spekulation", sondern in einem „nach und nach verständlich gewordenen natürlichen Gang des gemeinen Verstandes" herausgebildet. 396 Β 618.

(S. 538 Β 860)

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Drittes Hauptstück: Die Architektonik der reinen Vernunft

Der Titel: Architektonik, für methodische (,,kunst"mäßige) Anweisung auf planmäßig entworfene und auf weitere Ausführung angelegte Wissenschaftsgefüge, war Kant schon immer (auch von Lambert her) geläufig. Unter den Metaphern, welche auf die „System"Absicht der vorerst nur als „Propädeutik" zu verstehenden Vernunft„kritik" hinweisen, spielt die des „Gebäudes" (auf nunmehr aufgeräumtem und befestigtem Boden) eine beherrschende Rolle 238 . Ganz allgemein gehört demnach Architektonik zur (Methoden-) „Lehre" des Szientifischen überhaupt; der Systemanspruch wird abgesetzt gegen alle bloße Anhäufung (coacervatio) von Kenntnissen, von deren „Aggregat" oder „Rhapsodie" 239 . Vorzüglich gilt das für die Wissenschaft von der Vernunft selbst, sowie für alles, was „unter der Regierung" der Vernunft steht240. 238

So zuerst in der Einleitung 44/5 Β 27/8; vgl. 244 Β 367. In der Methodenlehre der Allgemeinen Logik, wo es um die „Form einer Wissenschaft überhaupt" geht, heißt es im § 95 f.: Wissenschaft „ist ein Ganzes der Erkenntnis als System und nicht bloß Aggregat. Sie erfordert daher eine systematische, mithin nach überlegten Regeln abgefaßte Erkenntnis". IX 139. •>40 329 g 502 f. Aufgabe des Philosophen ist ja und bleibt es, „von der kopeilisdien Betrachtung des Physischen der Weltordnung (sc. nach allgemeinen Gesetzen) zu der architektonischen Verknüpfung derselben nach Zwecken, d. i. nach Ideen hinaufzusteigen . . . " . 249 Β 375. — Der Ausdruck: „unter der Regierung" deutet eine andere Grundmetapher Kants für Ordnungsgefüge an: rechtlich-staatliche Verfassung, Idee-Produkte politischer „Kunst"tätigkeit des Menschen. Eine dritte Hauptmetapher stellt der (hier gegen Ende des zweiten Absatzes auftretende) durch Ganzheitlichkeit und Wachstum ausgezeichnete Organismus mit seinem „inneren Gliederbau" dar. Vgl. 15 Β X X I I I , 22/3 Β X X X V I I / V I I I . 240 Die menschliche Vernunft selbst ist, nach Kants Aussage im zweiten Hauptstück der Dialektik, „ihrer Natur nach architektonisch"; daher setzt sie denn auch bei aller Forschungsarbeit in empirischen Verstandeswissenschaften ihr „architektonisches Interesse" ein, das auf Entdeckung von Systemzusammenhänen und -gliederungen in der Realität selbst drängt. 329 Β 502 f. — In der Ausarbeitung seiner Transzendentalphilosophie drängt Kant allenthalben zur Aufdeckung von Systemzusammenhängen. So in der Analytik, bei Aufstellung einer Kategorien„Tafel", welche sich vom bloßen „Aufraffen" solcher Grundbegriffe bei Aristoteles abheben soll (93/4 Β 106/7), und wieder in der „Systematischen Vorstellung" aller Verstandesgrundsätze, als welche zugleich die allgemeinsten Gesetze 239

10 Heimsoeth, Transzendentale Methodenlehre

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(S. 538/9 Β 860/1)

Schon die ganz „Allgemeine Aufgabe der reinen Vernunft" (Einleitung VI): wie überhaupt synthetische Urteile a priori möglich sind, zielt ab auf ein System: wo alle Grundarten solcher Urteile „nach ihren ursprünglichen Quellen, Abteilungen, Umfang und Grenze . . . vollständig und zu jedem Gebrauch hinreichend zu bestimmen" sind (IV 22 A 10). Jetzt, im Gefolge des Kanon-Hauptstücks, geht es um systematischen Aufweis von Erkenntnissen aus reiner Vernunft, sofern diese insgesamt die „wesentlichen Zwecke" derselben fördern können — was eben ja der „eigentliche" Forschungsgegenstand der Metaphysik ist241. Jedes Systemganze steht unter einer „Idee" — d. h. jezt, im Zusammenhang der Methodenlehre, unter einem „szientifischen" Vernunftbegriff: als welcher (wie beim Plan eines Gebäudes) die „Form" eines Ganzen mannigfaltiger Erkenntnisse (verschiedenen Ursprungs) nach Umfang und Gliederung a priori bestimmt 242 , so daß eben diese Ganzheitsform mit dem Zwecke der Wissenschaft „kongruiert" 243 . Das System der Metaphysik, auf welches unsere Methodenlehre hinaussieht, ist ein teleologisches Gefüge (wie das ja auch „Gebäude" sind oder Staatsverfassungen und, in besonderer Weise, Organismen) — und zwar ein solches, das unter der „Regierung", der gesetzgebenden Sinnbestimmung eines „letzten Zwecks" der reinen Vernunft steht: darin alles ihr Interesse, „das spekulative sowohl als das praktische", vereinigt ist (522 Β 832/3). Im Unter-

241

242

243

unserer Erscheinungswelt sind (140 ff. Β 197/8 ff.) Audi die als „Ideen" ausgezeichneten Fundamentalbegriffe der „Vernunft" i.e.S. treten, gleich zu Beginn der Dialektik, als ein nach logischem Prinzip entworfenes und durchgegliedertes „System" auf (257 ff. Β 390 ff.). Vgl. 260 a Β 394/5 a: „Alles womit sich diese Wissenschaft sonst beschäftigt, dient ihr bloß zum Mittel, um zu diesen Ideen (sc.Gott, Freiheit und Unsterblichkeit) und ihrer Realität zu gelangen." Vgl. die Vorausbestimmung der Aufgabe einer transzendentalen Analytik 83 Β 89 f.: die Vollständigkeit einer Wissenschaft ist „nur vermittelst einer Idee des Ganzen der Verstandeserkenntnis a priori und durch die daraus bestimmte Abteilung der Begriffe, welche sie ausmachen, mithin nur durch ihren Zusammenhang in einem System möglich"; und dieses „unter einer Idee" zu befassende, durch sie zu bestimmende System kann dann mit der „Vollständigkeit und Artikulation zugleich einen Probierstein der Richtigkeit und Echtheit aller hineinpassenden Erkenntnisstücke abgeben . . . " . Der Terminus läßt die Verwandtschaft der „Idee" in diesem methodologischen Sinne mit den auf Übersinnliches (Dinge an sich) hinzielenden „Ideen" anklingen: für welche ja ein „kongruierender" Gegenstand in der Erfahrung nicht aufgewiesen werden kann (vgl. etwa 246 Β 370 f., 254 Β 383/4, 437 Β 689). Jetzt ist der Gegenstand (wenn man so sagen darf) der Idee die Vernunft selbst.

(S. 539 Β

861)

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schied von allen bisher aufgefundenen und noch zu suchenden „Systemen" in der Empirie, wo wir doch immer auf weitere Unterteilungen und ebenso auf künftige Hinzusetzungen forschend hinausblicken, so daß die Vollständigkeit („Vollkommenheit") der Größe nach unbestimmt bleiben muß, sind für das Ganze aller Erkenntnis aus reiner Vernunft die Grenzen a priori — also ein für allemal — bestimmt. Hier kann es wohl künftiges Anwachsen im Sinne „inwendiger" (intus) Vermehrung geben244, nicht aber Ausweitung im Sinne äußerer Beifügung 245 . Die „Idee", der abstrakte Vernunftbegriff des fest umgrenzten und gegliederten Systems bedarf zur Ausführung (heißt es im 3. Absatz) eines „Schemas". Dieser Terminus, in der Elementarlehre erstmalig eingeführt (133/4 f. Β 176 f.), tritt dann wieder, in der Form eines „Analogon", auf bei der zu Systembildungen hindrängenden Regulatividee eines „Maximum der Abteilung und der Vereinigung der Verstandeserkenntnisse in einem Prinzip" (440 Β 693). Jetzt geht es nicht um konstitutive oder regulative Erfahrungserkenntnis, sondern um den abstrakten Vorentwurf eines in sich einsichtigen Gefüges. wo aus dem Prinzip des „Hauptzwecks" unserer menschlich-endlichen Vernunft alle „wesentlichen" Teilabsichten und -aufgaben unseres Vermögens bestimmt werden sollen. (Auch hier vergleicht Kant das Schema mit dem „monogramma": dem Meisterzeichen handwerklicher Gebilde; die entwerfende Bildungskraft will dadurch ein Vorbild auszeichnen246). Die Zwecke der Vernunft, vom Einen Hauptzweck regiert und von da her je in ihrem Teilsinn genau zu fixieren, heben sich eindeutig ab von allen empirisch-zufällig sich darbietenden Zielen 244

245

249

10*

Als erstes Teilbeispiel im Rahmen der Kritik kann wieder auf die Kategoriensystematik hingewiesen werden, w o ja die „Tafel" derselben Vollständigkeit und Gliederung von der Art beansprucht, daß audi die Teile untereinander ihre ganz bestimmte Beziehung haben, wobei aber dann auch auf künftig noch auszuführende Angliederung und jeweilige Zuordnung von „Prädikabilien" vorausgewiesen wird. 94 Β 107/8. Als Beispiel für unzulässige Ausweitung könnte man die Kants Kritik schon früh und nachhaltig beschäftigenden Versuche nennen, von einer (als gesichert angesehenen) Lehre der Unsterblidikeit „unserer" Seelen aus eine universale „Pneumatologie" zu errichten, mit Hypothesen einer besonderen Art von „Gegenwart" und „Gemeinschaft" geistiger Substanzen. Vgl. 502/3 Β 798/9 mit der vorkritischen Schrift über „Träume . . . der Metaphysik" II 319—328 (Erstes Hauptstück). Vgl. 136 Β 181: Produkt „und gleidisam ein Monogramm der reinen Einbildungskraft a priori", sowie 384/5 Β 598.

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(S. 539 Β 861/2)

und Absichten, sei es unseres theoretischen oder des praktischen Vermögens. „Menge" und Ordnung der letzteren kann natürlich nicht „zum voraus" (a priori) bestimmt werden, sondern ergibt sich unabsehbar mit der allmählichen und verschiedenartigen Entfaltung des Menschen- und des Menschheitslebens. Jener Entwurf dagegen kann und muß den Charakter streng „architektonischer" Einheit haben: „Ableitung" der Naturanlagen und Sinnbestrebungen unserer Vernunft von einem einzigen („einigen") obersten und „inneren", d. h. aus der Vernunft selbst ursprünglich quellenden Zweck her — und so, daß die Gliederung bestimmt ist durch die a priori einzusehende „Sachverwandtschaft" unter den wesentlichen Zwecken. Das steht als Anspruch und Aufgabe im klaren Gegensatz zu all solchen Systembildungen, wo bloß nach „Ähnlichkeit" des je „gegebenen" Mannigfaltigen geordnet wird; da kann sich immer nur „technische" Einheit und Gliederung ergeben 247 . Wenn Kant (im 4. Absatz) ganz allgemein sagt, niemand versuche, eine Wissenschaft zustande bringen, „ohne daß ihm eine Idee zum Grunde liege", so kann man das zunächst auf Wissenschaften überhaupt beziehen, sofern überhaupt in ihnen Grundsätze a priori walten. Der „glückliche Einfall eines einzigen Mannes" in den Anfängen der Mathematik und ebenso in denen der neuzeitlichen Physik und Chemie, woran Kant sich für die eigene „Revolution der Denkart" hielt (9 f. Β X I f.), ist jeweils als — noch „sehr eingewickelter" — Keim einer solchen Wisschenschafts„idee" anzusehen, für welche das entsprechende Schema, samt „sogar" der Definition, dann erst viel später gefunden werden konnte. In der „transzendentalen" Methodenlehre aber geht es ja um bloße, von aller Empirie und aller Anschauung abgelöste Vernunftwissenschaft: um Neugrün247

Man darf dafür in Kants Sinne an Beispiele naturwissenschaftlicher, etwa mineralogischer und botanischer Systembildung und Klassifikation erinnern, aber auch an den „zufälligen Gebraudi der Erkenntnis in concreto" in der Lebenspraxis, wo „allerlei beliebige", von außen her sich anbietende Daseinszwecke auf Realisierung drängen. — Der Ausdruck „technisch" deutet bei Kant ebenso auf Kenntnis und Erkenntnis des Zustandekommens komplizierter Naturgebilde und -Ordnungen sowie künstlicher Produkte von Menschenhand, deren „Medianismus" zweckmäßig funktioniert, wie auf die Zweck-Mittel-Relationen der Lebenspraxis: „technisch-praktische" Vernunft im Gegensatz zur reinen praktischen. Zum ersteren vgl. etwa den § 72 der Kritik der Urteilskraft V 390/1, oder auch X X 2 1 3 / 4 ff., 219 f., zum zweiten die Einleitung II der „Metaphysik der Sitten" V I 215/6, 217/8 oder auch X X 200.

(S. 539/40 Β 862)

793

dung einer Metaphysik „aus reiner Vernunft". In diesem Sinne hat Kant die Einleitung der Kritik (in der ersten Auflage) unter den Titel: „Idee der Transzendental-Philosophie" gestellt und am Schluß, zur „Einteilung" derselben, angefügt: hier solle der Plan „architektonisch" entworfen werden, „mit völliger Gewährleistung der Vollständigkeit und Sicherheit aller Stücke, die dieses Gebäude ausmachen" (IV 17, 24; A l , 13/14; vgl. 44 Β 27). Wenn Kant also jetzt, in unserem Absatz, sagt: Schema und Definition einer Wissenschaft seien „sehr selten" in der „Beschreibung" ihres Urhebers wirklich vorgegeben, so bezieht sich das zunächst auf Wissenschaften überhaupt, hat aber vor allem Systemkonzeptionen bisheriger Philosophie im Auge (ζ. B. das „Lehrgebäude Wolffs", welches im 6. Absatz noch erwähnt wird). Erst die „Revolution der Denkart" („Kopernikanischer" Neueinsatz in der Philosophie), welche einsetzt mit einer Selbstdurchleuchtung der menschlidiendlichen Vernunft, macht es nun möglich, Gliederung und Begrenzung eines vollständigen Systems, als „in der Vernunft selbst gegründet", schon im Entwürfe sicher zu umreißen — wobei das „Schema" nur die allgemeine Anweisung für künftige Ausführungen ist. Die früheren Systeme der Philosophie, untereinander verschieden und in immer nodi fortdauerndem Streite gegeneinander, scheinen, sagt Kant, durch „bloßen Zusammenfluß" (ohne feste Artikulation) von „aufgesammelten" (nicht aus der Natur unseres Vermögens abgeleiteten und damit zugleich in ihrem Geltungsanspruch „deduzierten"!) Begriffen entstanden zu sein — so etwa, wie sich manche Naturphilosophen das Entstehen niederer Organismen, dieser doch immer schon geformt-gegliederten Lebensgefüge, wie ein bloßes Aufeinandertreffen, Ineinanderfließen von anorganischen Materien vorstellen wollen 248 . Kant sieht den eigenen Neueinsatz und die daraus sich ergebende Systemaufgabe als entscheidendes Ereignis in der „Geschichte der 248

Der biologische Vergleich tritt auch in der Analytik auf, da w o es um die Herkunft der Kategorien (zugleich auch der reinen Anschauungsformen) geht: » . . . Behauptung eines empirischen Ursprungs wäre eine Art von generatio aequivoca". Die eigene Lehre vom rein transzendentalen Ursprung und „Erzeugen" gewisser Arten von Begriffen, Grundsätzen und Gesetzen nennt der Denker dort „gleichsam ein System der Epigenesis der reinen Vernunft". 128 Β 167.

794

(S. 540 Β 862/3)

Vernunft" an (von ihr wird noch der kurze Schlußabschnitt dieser Methodenlehre und damit unseres Werkes überhaupt handeln), — analog in gewissem Sinne, wie wir hinzufügen dürfen, zu dem schon in der Antike von Euklid entworfenen und ausgeführten Gefüge der Geometrie, oder auch zu dem von astronomischer Empirie ausgegangenen Gesetzessystem Keplers sowie zu dem Prinzipienwerk der Newtonischen „Naturphilosophie". Für die Metaphysik, als Wissenschaft von den höchsten Vernunftanliegen und -aufgaben des Menschen war es „schlimm", ein arges Schicksal ( I I B X I V ) , daß so lange Zeiten hindurch kein sicherer Weg, keine Straße gemeinsamen Fortschreitens gefunden werden konnte, sondern immer nur und immer wieder „rhapsodisch" Bauzeug gesammelt und „nur technisch zusammengesetzt" werden konnte. (Hauptbeispiel in Kants Rückblick: spekulative Dogmatik, Seele, Welt und Gott betreffend, einerseits und daneben dann — als ganz anderes Gebäude — Moralphilosophie, Philosophie der Praxis.) — Aber doch hat „die Idee", ein reiner Vernunftbegriff von der Form eines (artikulierten!) Ganzen der Vernunfterkenntnis, so lehrt jetzt Kant, faktisch immer schon „in uns", im Vernunftwesen Mensch, gelegen — nur eben versteckt, keimhaft, unausgewickelt. Sie mußte nur — so wie ζ. B. der wahre „Leitfaden" für die Gefügeordnung der Kategorien, oder der in unserer Vernunft immer gelegene und immer bleibende transzendentale Schein — „entdeckt" und aufgeklärt werden. Damit aber kann dann nicht nur jeder Teilbereich der Philosophie „für sich" systematisch gegliedert werden (etwa: Kategorienlehre, Prinzipien der Naturphilosophie, auch die Bereiche praktischer Philosophie), sondern „noch dazu" alle solche Bereiche miteinander begriffen werden als notwendige Glieder eines einzigen Gefüges: unsere Vernunft in ihrer Sinnbestimmung und Zweckmäßigkeit. Hierin also, in der Entwurfsarbeit zum künftigen System der Vernunft Wissenschaft: Metaphysik vollendet sich das Propädeutik„Geschäft" unseres Werkes. „Vernunft" bezeichnet jetzt, nach dem Aufweis und Programm des „Kanon", nicht allein das „obere" Vermögen theoretischer Erkenntnis 249 , sondern sämtliche in sich sowohl 249

Vgl. die „Einteilung der oberen Erkenntnisvermögen" in der Analytik, sofern sie mit dem Grundriß der allgemeinen Logik zusammentrifft: in Verstand, U r teilskraft und Vernunft. 130 Β 169. Zu den „gesamten Vermögen des Gemüts" gehört nach der späteren Obersicht im Rahmen der Einleitung zur Dritten Kritik

(S. 540/1

Β

863/4)

795

von Empirie wie von den Sinnlichkeitsbedingungen unabhängige Vermögen unseres Gemüts — umgreifend damit „alles ihr Interesse", wie es sich ausspricht in den drei großen Fragen unseres Menschseins (522/3 Β 832/3) und damit hindrängt auf jene „unvermeidlichen" Aufgaben, deren Auflösung Metaphysik immer wieder versucht hat (31 Β 7). Wenn Kant auch jetzt wieder auf die Fundamen talunterscheidung seiner kritischen Reflexion zurückgreift, auf die des (rein) Rationalen vom Empirischen (erste Einführung im I. Abschnitt der Einleitung 27 Β 1), zugleich damit auch auf den „Anfangs"punkt seiner neuen Lehre von „zwei Stämmen" aller menschlichen Erkenntnis (welche als aus einer allgemeinen Wurzel entspringend zu denken sind 46 Β 29/30), — so muß man auch das nunmehr in einem die verschiedenen Bereiche umgreifenden, also insbesondere auch für den praktischen Vernunftgebrauch maßgebenden Sinne verstehen. Der 6. Absatz greift von diesen Unterscheidungen, welche zugleich mit dem Ursprung der Formen, der Begriffe und der Sätze auch deren objektive Geltung angehen, zurück auf den überkommenen Terminus der „historischen" cognitio ex datis im Gegensatz zu jeder Art Erkenntnis ex principiis (die man auch: Erkennen a priori nannte). „Historische" Kenntnisnahme zielte und zielt auf jede Art von Erfahrungssammlung, darunter auch auf Belehrung durch Berichte und Erzählungen (historia); Kant gebraucht den Terminus jetzt, um eine „subjektive" Art von Rezeption philosophischer Lehren zu charakterisieren, die nun überwunden, überholt werden müsse: zugunsten eines Mit- und Nachvollzugs reiner Vernunftwissenschaft aus den in jedem von uns gleichermaßen liegenden „Quellen" und Keimen. Was Kant schon immer in seinen Vorlesungen betont hat: es gelte, nicht etwa „Philosophie" zu lernen, sondern: „philosophieren" 250 , das wird

250

das „Begehrungsvermögen" (dessen Prinzip a priori der „Endzweck" ist) mit dem Anwendungsbereich der Freiheit; hier ist reine Vernunft das „bestimmende" Erkenntnisvermögen. V 198. Vgl. den in der Kant-Literatur so viel zitierten Passus aus der VorlesungsAnzeige für das W.-S. 1765/6: die „der Weltweisheit eigene Natur" fordert eine ganz andere Lehrart, als die der Wissenschaften, die „man im eigentlichen Sinne lernen kann", vor allem der „historischen" — zu welcher Gattung „außer der eigentlichen Geschichte audi die Naturbeschreibung, Spradikunde, das positive Redit etc. etc." gehören. U m „auch Philosophie zu lernen, müßte allererst eine wirklich vorhanden sein„. II 306 f. Unsere Methodenlehre will auf eine Systemausführung vorausweisen, mit welcher dann wirklich, im Großen, eine Vernunftphilosophie „vorhanden" sein soll für die Zukunft.

796

(S. 541 Β

864/5)

jetzt, in der Methodenlehre und ihrem Rückblick auf das bisherige Schicksal der Metaphysik, zur grundsätzlichen Forderung: geschichtlich vorgegebene Lehrgebäude nicht, als schon gesichert und richtig geordnet, zu übernehmen (ex datis) oder auch etwa, bloß in Stücken und bloß „technisch" zu ergänzen oder nachzubessern, — sondern neu und unmittelbar aus den Prinzipien der Vernunft selbst schöpfend „das" System einheitlich zu entwerfen, immer in eigner Selbst- und Nachprüfung aus den spontanen Lebensquellen der Vernunft in jedem einzelnen Subjekt. Der 7. Absatz konfrontiert noch einmal, wie im ersten Hauptstück, die Aufgabe und das Wesen der philosophischen Vernunftlehre mit jener anderen Art rein „rationaler" Wissenschaft: der mathematischen — nun unter dem gegenwärtigen Gesichtspunkt der Übernahme von bisher Geschaffenem, also der Art des „Lernens". Obgleich mathematische Erkenntnis in keinem Stücke bloße „Kenntnis ex datis" ist, können hier dodi die jeweils gewonnenen Einsichten von jedem „Lehrling" übernommen werden, ohne daß dabei die bei philosophischen Begriffen aus reiner Vernunft immer bestehende und immer bleibende Gefahr von „Täuschung und Irrtum" (Folgen von „Subreption" 515 Β 819) auftritt oder mitübernommen wird. Denn im Mathematischen hat der Lernende die in den jeweiligen Begriffen gedachten Gegenstände immer zugleich in unmittelbarer Anschauung vor sich, — also in concreto trotz aller Unabhängigkeit von Empirie samt deren Unsicherheiten. Hier kann Wissen lernend übernommen werden in zugleich eigener, „subjektiv"-rationaler Einsicht; Lehrer und Lernende schöpfen direkt aus „wesentlichen und echten" Prinzipien a priori, welche nicht anderswoher („historisch") übernommen und von Niemand bestritten werden können, zufolge ihres Evidenzcharakters. So „sonderbar" es scheinen mag — Mathematik kann man „lernen". — Philosophie dagegen fordert von dem in der Tradition der Lehrgebäude stehenden „Lehrling" den Einstieg in die eigene Vernunft und deren freizumachende „allgemeine", allgemeingültige Quellen; alles Übernommene muß von da her kritisch geprüft werden 251 . 251

In jener Vorlesungs-Anzeige heißt es entsprechend: D a nun in dem, „was mathematisch ist, die Augenscheinlichkeit der Begriffe und die Unfehlbarkeit der D e monstration etwas ausmachen, was in der Tat gegeben und mithin vorrätig und gleichsam (!) nur aufzunehmen ist", so ist es hier möglich zu lehren, d. h. , i n

(S. 542 Β 865/6)

797

Philosophie als Wissenschaft ist ihrerseits systembildend; und zwar muß das System „alle" Erkenntnisse (von philosophischer, nichtmathematischer Art) aus reiner Vernunft umgreifen, ausgehend von den wesentlichen und wirklich echten Prinzipien dieser Wissensart252. Für das wahre, als Wissenschaft haltbare und sich bewährende „System aller philosophischen Erkenntnisse" kann aber eben nicht auf ein vorhandenes, geschichtlich vorgegebenes Lehrgefüge als das Muster oder „Urbild der Beurteilung" zurückgegriffen werden, wie in der Mathematik, welche schon in der Antike sich ihren „königlichen Weg" gebahnt und damit den „sicheren Gang" einer Wissenschaft für alle Zeiten und in unendliche Weiten eingeschlagen und vorgezeichnet hat (9 Β XI). Alle vorhandenen und wieder so vielfältig neu aufkommenden „Versuche", auf die rechte Art zu philosophieren, insbesondere die unvermeidbaren Vernunftaufgaben in Richtung auf die höchsten Zwecke unseres Daseins wirklich systematisch zu bewältigen, können nur an der in unserer eigenen Vernunft gelegenen, aus ihr ins Licht zu hebenden „Idee" jenes Systems gemessen werden. Die vielfältig-verschiedenen, immer anderen („veränderlichen") Systeme der Philosophie, welche uns vorgegeben sind, stellen — so sieht es nun Kant — jeweils nur Näherungsansätze dar und müssen es bleiben, so lange bis endlich der „einzige", bisher noch „sehr durch Sinnlidikeit verwachsene" Fußsteig „entdeckt" wird (bzw. ist) 253 ,

252

253

den Verstand dasjenige einzudrücken (!), was als eine schon fertige Disziplin uns vorgelegt werden kann". U m etwa einen „Satz der Größenlehre zu erläutern", kann man sidi „auf den Euklides" berufen. Anders in der Philosophie: das Buch des philosophischen Verfassers, etwa dasjenige, was der Lehrende seiner Unterweisung zum Grunde legt (sc. wie es K a n t selbst ja, nach der Übung und Vorschrift seiner Zeit, tat), darf „nicht wie das Urbild des Urteils, sondern nur als eine Veranlassung, selbst über ihn, ja sogar wider ihn zu urteilen, angesehen werden . . . " . II 307. Vgl. den „Begriff von der Philosophie überhaupt" in der Einleitung zu Kants Logik-Vorlesung, wo auch das Thema des vorigen (6.) Absatzes, sowie das im 7. und 8. Absatz unseres Textes Dargelegte zum Thema steht. I X 21/2—26. Dieser „Fußsteig", durchaus noch nicht ein „Heeresweg" der Wissenschaft, wie ihn die neuere Naturforschung gebahnt hat (10 Β X X I I ) , ist der Vernunftweg nach innen: kritische Selbstreflexion unseres Vermögens, a priori zu erkennen. „Entdeckt" wird auf diesem Wege insbesondere der Wesensunterschied zwischen den Formen der Sinnlichkeit und denen des Verstandes bzw. der Vernunft und damit die Notwendigkeit der Unterscheidung „aller Gegenstände überhaupt" in Phaenomena und Noumena. Vgl. den Passus in der Vorrede zur ersten Auflage unseres Werkes: diesen Weg einer Kritik, nicht der überkommenen „Bücher und Systeme, sondern . . . des Vernunftvermögens überhaupt . . . bin ich nun ein-

798

(S. 542 Β 866)

welcher es möglich macht, die bisher immer verfehlten „Nachbilder" jener Idee, als dem wahren „Urbilde", anzugleichen — soweit das dem Menschen von der Selbstdurchleuchtung seiner immer doch auch mit Sinnlichem und Scheinhaftem faktisch verbundenen Vernunft im neuen Systemaufbau nur irgend möglich ist. Die Unterscheidung, welche Kant im 9. Absatz für seinen Begriff von Philosophie einführt, die (vielzitierte) zwischen ihrem „Schulbegriff", welcher systematische Einheit nur auf Wegen der „logischen" Vollkommenheit sucht, und dem „Weltbegriff", darin der Denker nun das Kernziel einer Systematik „aller" Erkenntnisse aus reiner Vernunft vor sich sieht — spricht auf ihre Weise die Doppelstellung der Kritik nach ihrem „negativen Nutzen" (Aufhebung übersteigerter Ansprüche bloß-spekulativen Gebrauchs) und ihrem positiven, vom neuen Begriff des Kanons reiner Vernunft ausgehenden Systementwurf aus. Die Lehrgebäude der „Schule", so vor allem wieder im Gefolge Wolffs, legten alles Gewicht auf die Strenge von Definitionen und Beweiszusammenhängen reinen „Wissens"; es wurde immer nur eine den mathematischen Lehrgefügen vergleichbare Einsichtssystematik „als Wissenschaft gesucht". Aber schon der „Benennung" des Bestrebens durch das Wort: Philosophie254 lag immer doch ein viel weiter umgreifender Aufgabensinn zum Grunde: der letztlich und über allem das „Welt"-Verhalten des Menschen, die großen Aufgaben der Realitätsgestaltung („Wirkung in der Welt" durch Freiheit „im praktischen Verstände" 363/4 f. Β 562 ff.) im Blick hatte. Was sich besonders deutlich da aussprach, wo der Zielsinn im Weltbegriff philosophischen Bemühens „gleichsam personifiziert" wurde: im Ideal des „Weisen" als dem Urbild des Philosophen 255 . In dieser Absicht hat

354

"5

geschlagen und schmeichle mir, auf demselben die Abstellung aller Irrungen angetroffen zu haben, die bisher die Vernuft . . . mit sich selbst entzweiet hatten." I V 9 A X I I . — D i e Rede v o n Urbild und Nachbild k n ü p f t auch in diesem „Idee"-Zusammenhang an platonische Begriffe an, insbesondere aber auch an das Verhältnis des „Ideals" (prototypon) zu den „insgesamt mangelhaften Kopien (ectypa)". 389 Β 606. V 108: diesem „griechischen Ausdruck", welcher Liebe zur Weisheit bedeutet, worin auch der „Hauptzweck" der Bestrebungen liegt. Vgl. 384 Β 597: „ . . . der Weise (des Stoikers) ist ein Ideal, das ist ein Mensch, der bloß in Gedanken existiert, der aber mit der Idee der Weisheit völlig kongruiert." — Zur Gegenüberstellung v o n „Schulbegriff der Philosophie („scholastische Bedeutung des Worts") und „Weltbegriff (in sensu cosmico)", auch: Philosophie in „weltbürgerlicher Bedeutung" vgl. besonders noch die Einleitung zur Logik I X 24 f.

(S. 54213 Β 867)

7 99

Philosophie als Wissenschaft die menschliche Vernunft in ihrer inneren, ihr eigenen Teleologie zum Thema: Sinnbestimmung unseres ganzen oberen Vermögens durch die Erkenntnis aller ihm wesentlichen Zwecke in einer gliedernden Zusammen- und Ganzheitsordnung. Der „Philosoph" ist, so verstanden, nicht bloß „Vernunftkünstler" von analoger Art, wie es Mathematiker, Naturforscher oder Logiker sind256, sondern: „Lehrer im Ideal". Alle jene „Geschicklichkeiten" (Anm. zum 10. Absatz), welche jeweils bestimmten Sonderzwecken dienen, die nicht „für jedermann" notwendiges Daseinsinteresse haben und also insofern „beliebig" sind, benutzt er als Werkzeuge oder Mittel für die „wesentlichen" Zwecke unserer Vernunft. Nach Kants „Idee" eines vollständigen Lehrgebäudes der Philosophie, und im „Ideal" des Weisen ist der Philosoph „Gesetzgeber der menschlichen Vernunft". Die Idee einer „Gesetzgebung" von dieser Art (gegeschehend durch Aufklärung alles im Wesen unserer Vernunft ursprünglich Angelegten) liegt keimhaft überall und immer schon in jedem Menschen als Vernunftwesen. Kein einzelner Philosoph freilich kann dieser Idee und damit auch dem Ideal des Weisen und von Weisheit völlig gerecht werden 257 . Weisheit als Wissenschaft ist (oder wäre) „vollkommene" Wissenschaft von der Stufenordnung unter allen wesentlichen Zwecken, 256

257

Diese drei Wissenschaftsbereiche stehen nach der Vorrede Β als Muster erreichter Sicherheit und gesicherten Fortgangs vor Kants Entwurf des Neuansatzes einer Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können. 7—13 Β V I I — X I X . Der „hohe Begriff" einer „Wissenschaft von den letzten Zwecken der menschlichen Vernunft" gibt der Philosophie erst eigentliche „Würde", d. i. einen absoluten Wert"; und dieser „innere Wert" gibt seinerseits „allen anderen Erkenntnissen erst einen Wert . . . " . Der eigentliche Philosoph ist „Lehrer der Weisheit durch Lehre und Beispiel". I X 23/4. — Vgl. noch die Anfangsseiten der „Vorlesung über Philosophische Enzyklopädie" (hrsg. und eingeleitet von G. Lehmann, Akademie-Verlag Berlin 1961), Begriff und Wesen der Philosophie betr. Da heißt es u. a. S. 33/4: „Allein die Philosophie kann den hohen Grad, eine Gesetzgeberin der menschlichen Vernunft zu sein, erreichen. Als eine solche ist sie Lehre der Weisheit und hat den Rang über alle menschlichen Erkenntnisse. Existiert sie aber auch schon nach dieser Idee? So wenig als ein wahrer Christ wirklich existiert, ebensowenig hat auch ein Philosoph in diesem Sinne ein D a sein. Sie sind beide Urbilder." „Wolff war ein spekulativer, aber nicht ein architektonischer Philosoph. . . . Er war eigentlich gar kein Philosoph, sondern ein großer (Vernunft-)Künstler f ü r die Wißbegierde Einige Alte haben sich dem Urbilde eines wahren Philosophen genähert, Rousseau gleichfalls, allein sie haben es nicht erreicht." „Der Philosoph, als ein Führer der Vernunft leitet den Menschen zu seiner Bestimmung. Seine Erkenntnisse gehen also auf die Bestimmung des Menschen."

800

(S. 543 Β 868)

die in der „systematischen Einheit der Vernunft" selbst, als Ganzheitsform artikuliert sind (vgl. den Absatz 2 unseres Hauptstücks). Uber allen „subalternen" unter diesen wesentlichen Zwecken steht ein Endzweck („letzter Zweck des reinen Gebrauchs unserer Vernunft", nach dem Titel des ersten Kanon-Abschnitts), auf welchen hin die ganze „Bestimmung des Menschen" angelegt ist. Wenn Kant die philosophische Wissenschaft von der Bestimmung des Menschen mit dem überlieferten Audruck: „Moral" (oder: „Moralphilosophie") bezeichnet, so muß das jetzt, nach dem Kanon-Abschnitt, in dem umfassenden Sinne einer Lehre vom Ideal des höchsten Guts verstanden werden, in Übersteigung der herkömmlichen Trennung von „Metaphysik" und „Moral" 258 samt Vorrangstellung rein spekulativer Vernunfteinsichten. Solchem umfassenderen Sinn entspricht auch Kants Rückblick auf die Weisheitslehrer der Antike (hier als „Moralisten" bezeichnet259); von ihnen spricht Kant vor allem immer, wo es um philosophische Lehren vom höchsten Gut des Menschenlebens geht. Die Absätze 17 bis 23 skizzieren nun das „architektonisch" gliedernde Schema des Einheitssystems reiner Vernunftphilosophie, wie es dem Denker jetzt, beim Abschluß seines Werkes (der ersten, zunächst einzigen „Kritik") vor dem Sinn steht260. 258

253

260

Vgl. etwa Kants Schrift: „Untersuchung über die Deutlichkeit der Grundsätze der natürlichen Theologie und der Moral", welche entstanden war als „Beantwortung" der Akademie-Frage von 1763: „Ob die metaphysischen Wahrheiten überhaupt und besonders die ersten Grundsätze der natürlichen Theologie und die der Moral eben derselben deutlichen Beweise fähig sind, als die geometrischen Wahrheiten . . . " . II 273 ff., 492. Das ist Sprachgebrauch der Zeit vor und um Kant, welche für unseren Denker vor allem auf einen Philosophen wie Rousseau zutrifft, der, nach Kants bekannter Selbstschilderung (XX 44) ihn „zurecht gebracht" hatte, indem er den „verblendeten Vorzug" der spekulativen „Vernunftbewerbung" verschwinden ließ zugunsten einer Einsicht in die Aufgabe, „die Rechte der Menschheit" philosophisch herzustellen. Auf Rousseau vor allem spielt wohl auch die Berufung auf die „aufgeklärtesten Moralisten" im Abschnitt vom Ideal des höchsten Gutes an (524 Β 835). — Der antike „Moral"-Begriff von Autarkie als Selbstgenügsamkeit der Tugend zur Glückseligkeit ist, wie Kant hier nodi andeutet, spürbar noch im Alltagssprachgebrauch von einem „Philosophen", schon sofern nur „der äußere Schein" von Selbstbeherrschung durdi Vernunft auffällt. Diese gedrängt-vorläufige Darstellung, bei welcher Kant noch wieder besonders in der Schwierigkeit stand, nicht zu viel „auszuschweifen", aber auch nicht zu wenig von seinem Stoff zu sagen (520/1 Β 829), ist in der Kantauslegung, durch Vergleich mit anderen Aussagen, viel kritisiert worden. Für später Ausgereiftes verweisen wir hier nur auf den II. Einleitungsabsdinitt der Kritik der Urteilskraft: „Vom Gebiete der Philosophie überhaupt." V 174—176.

(S. 54314 Β 868/9)

801

Philosophie definiert Kant also, von der neuen Position aus, als „Gesetzgebung der menschlichen Vernunft". Diese Fassung hat, wie sogleich aus dem Hinweis auf „zwei Gegenstände" und damit audi auf erste Gliederung ersichtlich ist, zwiefachen Ursprung. Das erste, im Analytik-Teil unseres Werkes ganz zentral auftretende, Anliegen ist: philosophisches Verständnis für die in so großem Aufstieg begriffene Naturwissenschaft der Neuzeit als präzis und gesichert fortschreitender Erkenntnis von „Gesetzen" des Geschehens, insbesondere der Bewegungen („allgemeine Bewegungslehre" 59 Β 49). „Natur" heißt für Kant primär, von der Frage nach gültigen und für alle Forschung fruchtbaren Prinzipien unseres wissenschaftlichen Erkennens aus: „Zusammenhang nach allgemeinen Gesetzen sich einander notwendig bestimmender Erscheinungen"261. Und nach den im Sinne der „Kopernikanischen" Wendung — welche die Vorrede zunächst nur einführt als einen Versuch, „das bisherige Verfahren der Metaphysik umzuändern" (15 Β XXII) — errichteten, in eigenen Beweisgängen gesicherten Bestimmungen der Analytik ist es der menschliche Verstand, welcher der so begriffenen „Natur" ihre allgemeinsten und schlechthin notwendigen Grundgesetze „vorschreibt": in ihm liegen a priori die Formprinzipien aller „Gesetzgebung für die Natur" 2 6 2 . Audi die vom Verstand unterschiedene „Vernunft", im engeren und eigentlichen Sinne, hat im Felde der Naturerfahrung und -erforsdiung ihren „Gesetzgebungs"-Auftrag: nämlich den, nach Gefügen von Gesetzen und Zweckmäßigkeitsgebilden „allerwärts zu suchen" und sie zu vermuten (460 Β 728) — solche Gesetzes- und Gefügearten also, welche ihrerseits keineswegs von vornherein „in unserer Gewalt" sind. — Eine vollkommen andere Art von Gesetzgebung, und zwar der reinen Vernunft selbst und für sich allein, zeigt sich uns da, wo wir uns „völlig a priori in Ansehung unseres eigenen Daseins" als gesetzgebend und also „diese Existenz auch selbst bestimmend" verstehen und voraussetzen: wo wir denn also „eine Spontaneität entdecken, wodurch unsere Wirklichkeit bestimmbar wäre, ohne dazu der Bedingungen der empirischen Anschauung zu bedürfen"2®3. 261

262 283

3 1 3 Β 479, in Gegenstellung z u m Problemthema der Freiheit als „transzendentales Vermögen". Vgl. e t w a nodi 184 Β 263. 126 f. Β 163 f.; I V 9 2 / 3 A 126. 2 8 0 Β 430. V e r n u n f t selbst hat hier Wirksamkeit („Kausalität"), w a s aus den Imperativen klar wird, „welche w i r in allem Praktischen den ausübenden K r ä f -

802

(S. 543 Β 868/9)

Die menschliche Vernunft hat also zwei fundamental verschiedene und doch in unserem gesamten Welt- und Selbstverständnis eng verbundene „Gegenstände" (Bereiche), für welche sie aus sich heraus Gesetze gibt und über die sie insofern „Gewalt" hat: „Natur", verstanden jetzt als Inbegriff „aller Gegenstände möglicher Erfahrung" — und: „Freiheit", das menschliche Vermögen selbsteigener Daseinsgestaltung unter „moralischen" Gesetzen, welche rein a priori den praktischen Vernunftgebrauch bestimmen. Das alte Thema des Naturgesetzes (lex naturae) und das des Sittengesetzes (vgl. 523, 529 Β 833/4, 843/4) — sie beide gehören miteinander zu „einem einzigen philosophischen System". Diese Zusammengehörigkeit läßt sich in der Kritik erst „zuletzt" aufzeigen; „anfangs" müssen die zwei Gegenstandsbereiche und die Grundgesetzlichkeiten, welche dort wie hier für uns notwendig und allgemein gelten und aus eigenem Vermögen von uns zu bestimmen sind, besonders behandelt werden — je systematisch. Eine Philosophie „der Natur", dies Wort ganz allgemein genommen, geht auf alles, was da — auch ohne unser Einwirken — „ist"; Philosophie der „Sitten", umgreifend alles, was durch unsere Freiheit möglich ist und werden kann, geht grundsätzlich „nur" auf das, was Dasein haben und erhalten „soll"2®4.

264

ten als Regeln aufgeben. Das „Sollen" drückt eine Art von Notwendigkeit und Verknüpfung mit Gründen aus, die in der ganzen Natur sonst nicht vorkommt". 371 Β 575. Vgl. die Ersteinführung dieses Begriffsgegensatzes von Sein (als immer schon vorauszusetzenden und etwa durch gegenständliche Erkenntnis aufzuweisenden Da-Seins) und Sollen (Anspruch auf Realisierung durch menschliche Freiheit) in dem mit 368 Β 570 (vorige Anmerkung) beginnenden Passus zur Erläuterung der Idee einer Freiheit, wie es die Freiheit der menschlichen Praxis ist, nämlich „in Verbindung mit der allgemeinen Naturgesetzlichkeit". Diejenigen reinen Vernunftprinzipien, welche im praktischen Gebrauche uns selber a priori das Gesetz „vorschreiben", „objektive" Gesetze der Freiheit, „welche sagen, was geschehen soll", ob es vielleicht nie geschieht" (völlig unterschieden darin „von Naturgesetzen, die nur von dem handeln, was geschieht") — verbinden sich im Kanon der Methodenlehre und seines Vorausblicks auf ein künftiges System mit dem theoretischen Gebrauche der Vernunft. 525 Β 837. — Schon zu Beginn des Dialektik-Teils unserer Kritik wird unter dem Titel: Von der Vernunft überhaupt, die Aufgabe angesprochen, statt „der endlosen Mannigfaltigkeit der bürgerlichen Gesetze" deren „Prinzipien" aufzusuchen: was gänzlich „unser Werk ist, und wovon wir durch eben jene Begriffe selbst die Ursache sein können." 239 Β 358; vgl. 249 Β 375: „Prinzipien der Sittlichkeit, der Gesetzgebung und der Religion . . . , wo die Ideen die Erfahrung selbst (des Guten) allererst möglich machen."

(S. 54314 Β

86819)

803

Die im 16. Absatz angeführte Unterscheidung von Philosophie überhaupt in „reine" und „empirische" ist gleich in den ersten Einleitungspartien unseres Werkes angelegt — als neugefaßter und neupräzisierter Unterschied in den Prinzipien menschlicher Erkenntnis. Kants Feststellung, daß es „Begriffe und Grundsätze" a priori für unser Gegenstands- und Gesetzeserkennen in der Empirie gibt und dies nicht erst in der wissenschaftlichen Durchsicht und Übersicht, sondern selbst im „gemeinen Verstand", führte da zu dem großen Gesamtthema: Bestimmung der Möglichkeit und des Umfangs aller Erkenntnisse a priori. In der Elementarlehre des Werkes standen dann die „theoretischen" Anliegen, samt den besonderen Bedingungen und Gefahren des „spekulativen" Vernunftgebrauchs (damit aber die Kritik der überlieferten „Metaphysik") durchweg im Vordergrunde; doch wurde audi, jeweils ganz kurz, des öfteren auf die andere Thematik vorausgewiesen: auf die der „praktischen" Existenz- und Weltgestaltung, so insbesondere bei der Einführung des neuen „Idee"Begriffs im Anschluß an Plato: „Ideen . . . vorzüglich in allem, was praktisch ist, d. i. auf Freiheit beruht, welche ihrerseits unter Erkenntnissen steht, die ein eigentümliches Produkt der Vernunft sind" (246/7 Β 371). Erst in der Methodenlehre wurde dann ausdrücklich gesagt und vordeutend umrissen, daß die „ganze Zurüstung" der „reinen Philosophie" auf den „letzten Zweck" der Vernunft überhaupt hinaussieht (520 Β 828) — damit aber auch auf neuen Zugang zu den großen, Spekulation und Praxis übergreifenden Themen von Freiheit und höchstem Gut des Menschenlebens. Die so sich von aller Vernunfterkenntnis „aus empirischen Prinzipien" (betreffend etwa die „besonderen" Gesetze des Naturzusammenhangs oder dann die der Realitätsgestaltung durch menschliche Freiheit) absondernde reine Philosphie, welche nun wirklich als „Wissenschaft" auftreten soll, steht also nun vor der ganz neuen Aufgabe eines „Systems der reinen Vernunft". Und ebendies nennt Kant jetzt und von nun an: Metaphysik. Die „allgemeine Idee der Metaphysik", wie sie nun im Umriß vorzuzeichnen ist, wird also nicht, wie in der Uberlieferung der Schulen, primär bestimmt vom Ausblick auf bestimmte Gegenstände her (Natur und Freiheitswirksamkeit, Dasein und Seinsollen sind sehr verschiedene „Gegenstände"!), sondern von der Erkenntnisart! „Metaphysik" soll die „ganze Erkenntnis" durch Begriffe und Grundsätze reiner Vernunft umgreifen,

804

(S. 54314 Β 869)

und dies in einem einzigen, in sich notwendigen und notwendig sich gliedernden Gefüge. Dieses System schließt aber mit der wahren auch die (notwendig-)„scheinbare" Erkenntnis ein, weil eben doch der durch Kritik erstmalig entdeckte „transzendentale Schein" zum Wesen der Vernunft mitgehört: unsere menschliche Vernunft ist „schon durch die Richtung ihrer Natur dialektisch", wie es noch gegen Schluß heißt (548/9 Β 877). „Der Name": Metaphysik kann dann auch die in Vorrede und Einleitung mehrfach nur als „Propädeutik" bezeichnete und insofern dem „System" vorgeordnete265 „Kritik" mitbezeichnen und dem Systembau sachlich zuordnen. Denn diese ganze priifend-scheidende „Untersuchung" unseres Vermögens zu philosophisch-apriorischen Erkenntnissen von „aller Art" ist ja doch ihrerseits „Gesetzgebung", vor allem „negative": als welche zur „Disziplin"-Lehre und damit zur Abkehr von aller „gesetzlos" spekulierenden Vernunft führt 266 . Metaphysik, in diesem neuen Sinn verstanden, gliedert sich nun, gemäß jener Zweiteilung der „Gesetzgebung" (13. Absatz), in „Metaphysik der Natur" und „Metaphysik der Sitten" 267 . Die erstere, wo die Vernunft auf alles das geht, „was da ist", soll die reinen Vernunftprinzipien theoretischen Erkennens von „allen" Dingen enthalten — zunächst und vor allem die der „wahren" und in sich gesicherten Erkenntnis von den obersten Gesetzen der Erscheinungs265

264 267

8,25; Β I X , X L I I I ; 43 f. Β 25 f.: Kritik als „Vorbereitung wo möglich zu einem Organon, und wenn dieses nicht gelingen sollte, wenigstens zu einem Kanon" aller Erkenntnisse a priori, „nach welchen allenfalls dereinst das vollständige System der reinen Vernunft, es mag nun in Erweiterung oder bloßer Begrenzung ihrer Erkenntnis bestehen . . . dargestellt werden könnte". 15 Β X X I I I : „Vorriß zu einem System der Metaphysik", welche durch die Kritik „in den sicheren Gang einer Wissenschaft gebracht" werden soll. — Metaphysik (in diesem Sinne) ist „die eigentliche wahre Philosophie", heißt es in der Einleitung zur Logik. I X 32. 468 Β 739; 549 Β 877; 492 Β 780. Metaphysik der Natur war nadi der Vorrede zur ersten Auflage (IV 13/14 A X X I ) als „System der reinen (spekulativen) Vernunft" Kants nächstes Aufbauziel. Dazu gehören in der Folge zunächst einmal die „Metaphysischen Anfangsgründe der Naturwissenschaft" von 1786 (deren Vorrede auch wieder Hinweise auf Kants Begriff von Metaphysik und den Systemplan enthält). IV 467 ff. Die Prolegomena stellen das System der transzendental-synthetischen Grundsätze unter den Titel einer „physiologischen" Tafel. I V 294 ff., 303. — Die „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten" erschien noch vor jener Grundlegungsschrift zur Naturphilosophie.

('S. 544 Β 869170)

805

welt, aber dann auch die der „scheinbaren" von bloß spekulativen Begriffen und Grundsätzen der Vernunft in ihrer Ausrichtung auf Unbedingtes 268 . — „Metaphysik der Sitten" hat ihrerseits zum Gegenstande, was durch uns, durch Handlungen der Freiheit „da sein soll". Hier aber ist die „einzige" Gesetzmäßigkeit aus reiner Vernunft für unser Tun und Lassen die der „Moralität"; Metaphysik der Sitten im „eigentlichen" Sinne also: „reine Moral". Nur deren Sollens- und Zweckprinzipien sind (als schlechthin allgemeine und notwendige Imperative) völlig a priori, aus Vernunftquellen selbst „abzuleiten" — ohne irgendwelche empirische Bedingungen einzufügen, wie sie sich aus Kenntnissen von der spezifischen Verfassung des Menschen ergeben, wo ja Vernunftspontaneität mit „sinnlicher" Rezeptivität (im Sinne der „Anreize", überhaupt der „Neigungen") verbunden ist 209 . „Reine" Sittenlehre ist also, nach Kants Neufassung des Begriffs und nach der Methode seiner Vernunftphilosophie, der zweite Fundamentalbereich des geplanten Systemgefüges einer als „Wissenschaft" sich ausweisenden Metaphysik 270 . In der überlieferten Schulphilosophie stellten Metaphysik und „Moral", theoretische und praktische Philosophie getrennte Bereiche dar; „Metaphysik" wurde da also in einem thematisch 288

Alle Metaphysik der Natur geht aus von dem „Kanon" der richtigen Grundsätze des reinen „Verstandes" (130/1 Β 170/1); aber auch die „Ideen der Vernunft", obgleich nicht unmittelbar gesetzgebend, können „im Grunde und unbemerkt dem Verstände zum Kanon seines ausgebreiteten und einhelligen Gebrauchs dienen . . z u schweigen davon, „daß sie vielleicht von den Naturbegriffen zu den praktischen einen Übergang (!) möglich machen und den moralischen Ideen . . . Haltung und Zusammenhang mit den spekulativen Erkenntnissen der Vernunft verschaffen können". Darin klingt wieder Kants Aussicht auf das eine Gesamtsystem an. 255 Β 385/6. 289 vgl. etwa aus der Einleitung in die spätere „Metaphysik der Sitten" (deren Erster Teil die „Metaphysischen Anfangsgründe der Rechtslehre" enthält): „Das Gegenstück einer Métaphysik der Sitten, als das andere Glied der Einteilung der praktischen Philosophie überhaupt, würde die moralische Anthropologie sein, welche aber nur die . . . Bedingungen der Ausführung der Gesetze der ersteren in der menschlichen Natur" enthalten würde. Dieselbe kann zwar nicht entbehrt werden, muß „aber durchaus nicht vor jener vorausgeschickt, oder mit ihr vermischt werden . . . " , VI 217. 210 Vgl. den Titel der unserem Werke nach- und zugeordneten Schrift: Prolegomena zu einer künftigen Metaphysik,„die ali Wissenschaft wird auftreten können", sowie die ersten §§ derselben: Von den Quellen der Metaphysik und: „Von der Erkenntnisart, die allein metaphysisch heißen kann" bis zu der „Allgemeinen Frage: Ist überall Metaphysik möglich?" IV 265—275. 11 Heimsoeth, Transzendentale Methodenlehre

806

(S. i 44 Β 870)

engeren Sinne verstanden. Kant will nodi diese Wortbedeutung mitberücksichtigen, obgleich sie vom eigenen Systementwurf aus überholt ist; denn die gesamte philosophische Sittenlehre (umgreifend Rechtsphilosophie und Ethik) gehört in ihrem Grundlegungs- und Prinzipienteil zu dem „besonderen Stamme" jenes» ganzen" oberen Erkenntnisvermögens, welches unsere Vernunft als solche ist (540 Β 863). Wie bedeutsam diese neue Zuordnung und Benennung für das übergreifende Systemanliegen ist, hat sich bereits im Hauptstück vom „Kanon der reinen Vernunft" gezeigt. Der 16. Absatz hebt noch einmal die Bedeutung grundsätzlicher Unterscheidung von Erkenntnissen nach ihrem „Ursprung" für den Begriff und für das Vorgehen einer „Metaphysik" im neuen Sinne hervor. Bisherige Metaphysik unterschied, sofern sie sich als philosophische Wissenschaft „Von den ersten Prinzipien der menschlichen Erkenntnis" 271 verstand, solche „ersten" Grundsätze von den darauffolgenden bloß durch den „Rang" höherer Allgemeinheit; es sind nur „Grade" der Unterordnung, welche da die Abhängigkeit und die Begründungsart bestimmen. Aber damit fehlt jede scharfe Abgrenzung dessen, was ganz allein zur Metaphysik gehört, von den zahllosen Grund- und Lehrsätzen der Wissenschaften sonst. Kant verweist als Grundbeispiel auf den Bereich, welcher ihn selbst von ganz früh an bis in die letzte Alterszeit so eindringlich beschäftigte, und zwar in engstem Zusammenhang mit dem Aufstieg der neuen Naturwissenschaften: auf die „Körper"-Lehre (Grundthema: Begriff und Theorie der Materie). Meta-physik und Physik haben in den naturphilosophischen Werken bisher keine festbestimmten Grenzen gegeneinander. Demgegenüber sind die „ersten" Prinzipien („Anfangs"gründe) in der nunmehr auszubauenden Metaphysik der Natur die „transzendentalen", deren apodiktischer Gesetzescharakter bestimmt ist durch den „Ursprung" aus reinen Quellen a priori. Womit denn eben völlige „Ungleichartigkeit" gegenüber allen aus Empirie (Induktion) stammenden Prinzipien der Physik gegeben ist. — Darin liegt, 271

Auch Kants erste allgemein-philosophische Grundlegungssdirift stand unter dem Titel: Principiorum primorum cognitionis metaphysicae Nova dilucidatio. — Dieselbe schließt ab mit einem Folge- und Teilstück, das die Prinzipien der Sukzession und Koexistenz darlegt und „demonstriert": also mit Anfangsgründen der „Naturphilosophie" im überlieferten Sinne; — entsprechend ist auch Newtons gravitas universalis in dieser Prinzipienlehre noch mitangedeutet. I 385 £f., 410 ff.

(S. 54415 Β 87011)

807

was audi von altersher bemerkt wurde, eine gewisse Analogie der reinen VernunftWissenschaft: Metaphysik mit der „reinen", d. h. erfahrungsunabhängigen Mathematik — die aber ihrerseits wieder durch eine andere „Ungleichartigkeit" von der Metaphysik eindeutig abgehoben ist. Und das wiederum wurde bisher immer wieder (von Plato an) verkannt, während die „deutlichen Kriterien" dieser Unterschiedenheit nun einsichtig geworden sind durch die Untersuchungen der Kritik, insbesondere noch wieder im ersten „Disziplin"Abschnitt der Methodenlehre. Das alles steht, wie gleich zu Beginn des Absatzes betont wird, unter der Aufgabe, Erkenntnis-»Gattungen" und -„Ursprünge" durch eine neue Methodik des „Isolierens" gegeneinander abzuheben: qualitativ Ungleichartiges, das doch im Erkennen und Natur-Befragen oder auch -Gestalten zumeist eng miteinander verbunden und „vermischt" ist, in seiner Eigenbedeutung und nach dem spezifischen Beitrag zur Gesamtwirksamkeit menschlichen Erfassens und Tuns aufzuklären. Kant hat sein Vorgehen immer gern auf die „Scheidekunst" der neuzeitlichen Chemie als ein Hauptvorbild bezogen, dann auch auf die so exakten Unterscheidungen in mathematischen Wissenschaften272. Weil bisher in der Geschichte der Metaphysik (die älter ist als alle Wissenschaften sonst, zugleich unvergänglich in ihren Aufgaben I I B XIV) das, was allein durch Vernunft gedacht werden kann, immer mit „Fremdartigem" (Sinnlich-Empirischem) vermischt wurde, und dies nicht nur im „gemeinen Verstände", sondern selbst bei Denkern „von Gewerbe", welche den „Schulbegriff" des philo272

11*

Vgl. 14 a Β X X I / X X I I a ; Methode des Isolierens: 31 Β 36 („Sinnlichkeit" gegenüber allem Verstandes- und Vernunftursprung), 81 Β 87 (Isolierung des „Verstandes" und der „Elemente seiner Erkenntnisart)"; 241 Β 362: Isolieren der „Vernunft" und der ihr eigenen Prinzipien. — In der Methodenlehre der Zweiten Kritik heißt es (was nun in das Thema: Metaphysik der Sitten führt): es gelte, die moralisch urteilende Vernunft des Alltags „in ihre Elementarbegriffe zu zergliedern in Ermangelung der Mathematik aber (sc. wo Anschauungskonstruktion exakte Unterscheidung sichert) ein der Chemie ähnliches Verfahren der Scheidung des Empirischen vom Rationalen" vorzunehmen. V 163. Vgl etwa noch X X I I I 284: „Von der Analogie zwischen dem Lavoisierschen System der diemischen Zersetzung und Vereinigung mit dem moralisch-praktischen der gesetzlichen Formen und der Zwecke der praktischen Vernunft." Hierhin gehört auch die isolierende Unterscheidung des „spekulativen" vom „praktischen" Gebrauch der Einen Vernunft samt deren Behandlung in verschiedenen Werkbereidien, während deren „Vereinigung" in Richtung auf die höchsten Anliegen der Metaphysik im Kanon-Abschnitt der Methodenlehre vorgezeichnet ist.

808

(S. 546 Β 872/3)

sophisdien Systems ausgebildet haben273, kam es bisher nicht zur befriedigenden und befriedenden Konzeption einer „editen" Idee dieser Grund- und Hauptwissenschaft aller Philosophie. Zur Metaphysik im neuen Sinne gehört also jede Art von Erkenntnis, welche zu dem in einer transzendentalen Selbstdurchleuditung von allem Empirischen isolierbaren Vermögen der „reinen" Vernunft (diesem „besonderen Stamme", Absatz 15) gehört; und die so verstandene Wissenschaft läßt sich nunmehr, bei aller Verschiedenheit der Teilbereiche, in „systematischer" Einheit ausarbeiten. Bisher galt, wie erwähnt, nur ein Teil dieses Ganzen, der des spekulativen Bestrebens und Erweisens, als „Metaphysik"274. Dies Teilglied im neuen Ganzen will K,ant jetzt Metaphysik der Natur „nennen": wobei wieder, wie schon im 17. Absatz, betont wird, daß jetzt dieser Begriff: Natur sich auf alles erstreckt, „insofern es ist" (als seiend angesprochen wird in unserem Verlangen nach Erfassen und Begreifen). Was ist, wird damit abgehoben gegen alles, was erst geschaffen werden „soll"; dieser Gegenüberstellung soll hier audi die Formulierung: Inbegriff „gegebener" (nicht erst zu schaffender) Gegenstände dienen. Solcher reinen Vernunftlehre von der Natur, nach altem, damals noch geltenden Sprachgebraudi „Physio-logie" genannt275, soll nach der neuen Systemordnung die Wissenschaft: Tran273

274

275

Kant hat dabei vor allem immer Christian Wolfis Metaphysik und Moralphilosophie, zumal in ihren Schulauswirkungen, im Auge. Wolfis Moralphilosophie und die »von ihm so genannte allgemeine praktische Weltweisheit" verdient deshalb nidit den Namen einer Philosophie im strengen Sinne, weil sie reine Prinzipien unter die empirischen „misdit", so wie zumeist eben die „gemeine" Vernunfterkenntnis. Ebendarum gilt es, mit einer „Metaphysik der Sitten" ein „ganz neues Feld einzuschlagen". IV 390 f. — Zum „Fremdartigen" gegenüber dem rein Rationalen gehört für die höchsten Anliegen der Metaphysik alles „Sinnliche" überhaupt, also nicht etwa nur das Empirische gegebener Ersdieinungen; sondern auch die Formen a priori unserer Sinnlichkeit. Vgl. 485 Β 769 mit der Ersteinführung 72 Β 71. Eben daran setzt die Kritik schon an, wenn in der Vorrede Metaphysik als „eine ganz isolierte spekulative Vernunfterkenntnis" bezeichnet wird, ausgreifend über alle Erfahrungsbelehrung „und zwar durch bloße Begriffe"; worin Uberlieferung und eigener neuer Ansatz verbunden scheinen. I I B XIV. Vgl. die Worte: Physiko-Theologie, Physiokratie (311 Β 477), wo Natur (Physis) und „Welt", als Inbegriff vom Seiendem, zusammengedacht werden. — Die allgemeinen und notwendigen Gesetze der „Natur" als Inbegriff von Erscheinungen für uns nennt Kant in den Prolegomena „physiologische" Grundsätze, ihr Gefüge eine „reine physiologische Tafel allgemeiner Grundsätze der Naturwissenschaft", bezogen auf ein „physiologisches, das ist ein Natursystem". §§ 21 und 23: IV 304, 305/6.

(S. 546 Β 873)

809

szendentalphilosophie vorangehen; sie verbindet Kant hier mit dem überlieferten Namen der „Ontologie" (als welche ja in der überlieferten Metaphysik als „erste" Philosophie auftrat), obgleich sie doch dem Vorgehen und Anspruch nach durchaus davon verschieden ist276. Die „Idee" dieser neuen Wissenschaft hatte Kant schon am Ende der Einleitung in die Kritik vorläufig umrissen (43—46 Β 25—30). Diese neuartige Transzendentalphilosophie behandelt nun eben nicht unmittelbare Fundamentalbegriffe und -grundsätze dessen, „was ist", zielt nicht direkt auf das Seiende als solches, sondern analysiert „nur" den Verstand als solchen — ihn zuerst, daher jetzt audi im Druck hervorgehoben — und weiter dann auch Vernunft „selbst" und als solche mit den ihr eigenen Begriffen und Grundsätzen. Damit ergibt sich eine transzendentale Systematik „aller" ursprünglichen Begriffe und Grundsätze, die sich auf „Gegenstände" überhaupt denkend beziehen, ohne schon auf „Objekte" einzugehen, wie sie etwa auf irgendwelche Art unserer Subjektivität „gegeben wären" 277 . Spekulative „Metaphysik der Natur" (welche Kant hier also unter das zunächst ganz universal gefaßte Titelwort: Physiologie stellt) geht — gemäß der in Abs. 12 zuerst vorgestellten Fassung von „Natur" — auf alles, was als daseiend vorausgesetzt, gedacht, in Überlegung gezogen wird: auf „alles sofern es ist". Dazu gehören also auch die Gehalte der im Kanon-Hauptstück neu aufgegriffenen „Kardinalsätze" der reinen Vernunft. Der so weit ausgreifende 278

277

Im Rahmen der Elementarlehre wurde die Analytik des Verstandes, dessen Grundsätze in Wahrheit „bloß" als Prinzipien der Exposition „der Erscheinungen" Geltung haben und eben darin transzendentalphilosophisch neu verstanden werden müssen, dem „stolzen Namen einer Ontologie" gegenübergestellt, welche sich anmaßte, „von Dingen überhaupt synthetische Erkenntnisse a priori in einer systematischen Doktrin zu geben" — enthaltend als ein oberstes Prinzip den Satz vom Grunde, verstanden als schlechthin universal gültigen Grundsatz der Kausalität 207 Β 303. — Zum Bezug auf die „ontologisdien Lehrbücher" als Hilfsmittel für den Ausbau des transzendentalphilosophischen Systems s. 94 Β 108. — Vgl. aus späteren Schriften X X 281/2 (Abgrenzung gegen Wolffs Bearbeitung der Ontologie) und 286 (Abhebung von der Logik). Die alte Ontologia sive metaphysica generalis beanspruchte, ein Gesamt der Fundamentalbegriffe und -prinzipien für „Dinge, überhaupt" zu geben; Kants Transzendentalphilosophie führte dagegen, im Gefolge der transzendentalen D e duktion, die Unterscheidung „aller Gegenstände überhaupt" in Phaenomena und Noumena (unterschieden also nach der Art, wie sie denkenden Subjekten »gegeben wären") ein — was zugleich Abscheidung der Gegenstände möglicher Erfahrung von „Dingen an sich" für uns bedeutet.

810

(S. 346 Β 873/4)

Begriff von „Natur", welcher in späteren Werken und Entwürfen Kants öfter auftritt, klingt in unserem Werk besonders da auf, wo auf die Geschichte der Metaphysik bzw. menschlichen Weltverständnisses überhaupt zurückgeblickt und daran angeknüpft wird, aber auch, wo es um die Sinnbestimmung unserer Vernunft selbst („Naturanlage") geht 278 . — Wenn der Denker in unserem Absatz den „Betrachtungs"-gegenstand solcher Metaphysik der Natur auch: „Inbegriff gegebener Gegenstände" nennt, so muß das hier (neben der bereits erwähnten Absetzung von allem erst durdi Sollen uns Menschen Aufgegebenen, ins „da sein" noch zu Bringenden) als Gegensatz zur Thematik der vorangestellten Transzendentalphilosophie verstanden werden: wo es eben gar nicht um (vorgegebenvorhandene) „Gegenstände" geht, sondern um Selbsterkenntnis unseres reinen Spontaneitätsvermögens. Erst mit der angefügten Parenthese wird auf Möglichkeiten des Gegebenseins von Sachen („Gegenstände überhaupt") als „Objekten" für ein Subjekt hingewiesen — und dies ausdrücklich vor näherer Unterscheidung davon, in welcher „Art von Anschauung" Gegenstände sich zeigen könnten 279 . „Ratio278

2T9

S o heißt es gegen Ende des „Endabsidits"-Absdinitts im Anhang zur Dialektik, nach Darstellung der Vernunftaufgabe, Einrichtungen und Zweckmäßigkeiten, auf welche Naturforsdiung auftrifft, alle auf die Idee eines höchsten Wesens zu beziehen und „nach" soldier Idee abzuleiten: „Audi sdieint ein gewisses, obzwar unentwickeltes Bewußtsein des echten Gebrauchs dieses unserem Vernunftbegriffs die besdieidene und billige Sprache der Philosophen aller Zeiten veranlaßt zu haben, da sie von der Weisheit und Vorsorge der N a t u r und der göttlichen Weisheit als gleichbedeutenden Ausdrücken reden, j a den ersten Ausdruck, so lange es um bloß spekulative Vernunft zu tun ist, vorziehen . . . " . 4 6 0 Β 7 2 9 . Vgl. etwa nodi 459 Β 7 2 7 : Es muß von der Naturbetrachtung aus „völlig einerlei sein, zu sagen: G o t t hat es weislich so gewollt, oder die Natur hat es weislich zu geordnet". — Im Kanon-Hauptstück wird sogar die „Einrichtung" unserer Vernunft aufs Moralische als „letzte Absicht" der „weislich uns versorgenden N a t u r " bezeichnet. „Denken" ist, nach dem Grundansatz von Kants Erkenntnislehre, immer nur „Mittel" im Hinbezug und Ausgriff des Subjekts auf Gegenstände; und das, worauf alles Denken als Mittel „abzweckt", ist Anschauung, als welche unmittelbar den Gegenstand „gibt". Gleich bei der Ersteinführung dieser Scheidung und Zuordnung im § 1 der K r i t i k (49 Β 33) deutet K a n t auf die Möglichkeit von anderer Anschauungsart, als es die „sinnlich"-rezeptive, für „uns Menschen" allein maßgebende, ist. Dieselbe wird, als bloßer Grenzbegriff, für unseren Verstand bloß „Problema", vorwiegend nur negativ charakterisiert: „nichtsinnliche" Anschauung (ζ. B . 107 Β 130), entsprechend der Bezeichnung des in solcher A n schauung etwa „gegebenen O b j e k t s " als Noumenon „im negativen Verstände" (209/10 Β 307). Mehrfach tritt aber auch der Terminus: „intellektuelle Anschau-

(S. 54617 Β

874)

811

naie Physiologie" in diesem Sinne geht also, der Grundausrichtung und Problemstellung nach, ebensosehr auf Phaenomena wie auf Noumena. — Ebendieser, von der Kritik im Dritten Hauptstück der Analytik herausgestellte Unterschied im Erkenntnisbezug menschlichendlichen, auf sinnliche Anschauung angewiesenen Vermögens wird dann erst aktuell, wenn man auf den „Gebrauch" der Vernunft in spekulativen Bezügen sich besinnt, und so jetzt im Systementwurf. Dieser Gebrauch ist entweder „immanent" oder „transzendent" 280 ; d. h. er geht entweder auf Gegenstände der Erfahrung und deren Gesetzesverhältnisse, wobei auch die Begriffe und Grundsätze der „Vernunft" i. e. S. auf den Verstandesgebrauch „in concreto" einwirken — oder er stellt sich, von soldien Gegenständen und Zusammenhängen aus, die Aufgabe einer Weise von Verknüpfung, welche alle mögliche Erfahrung „übersteigt". (Zu dem mehr von den Sachen her genommenen Gegensatz: physisch-hyperphysisch vgl. aus der Anknüpfung der neuen Vernunft- und Ideenlehre an Plato die Aufgabe des Philosophen, von der „kopeilichen Betrachtung des Physischen der Weltordnung zu der architektonischen Verknüpfung derselben nach Zwecken, d.i. nach Ideen" „hinaufzusteigen" [249Β375].) Solche durch Ideen alle Erfahrung übersteigende Physio-logie gliedert sich nun in zwei große Bereiche. Der erste betrifft Natur als „Welt" (dieser Ausdruck stellt sich immer da ein, wo ein Bezug des Ganzen aller Dinge, in welchem sich der Mensch vorfindet, im Wissen wie im Handeln, auf einen „Grund" solchen Gesamtdaseins ins Spiel kommt). Und zwar geht es um deren „inneren" Zusammenhang, nicht um die äußeren Verhältnisse von Dingen und Ereignissen, wie sie unser Gesetzeserkennen in der auf unser Auffassen relativen ung" auf, so insbesondere beim Thema der Seele, verstanden als Objekt metaphysischen Erkennens und abgehoben von dem bloß-intellektuellen „Bewußtsein" der Ichspontaneität in jedem Subjekte des Erkennens (24 a Β X L a, 70 Β 68). In der Polemik gegen „Reflexionsbegriffe" der überlieferten Ontologie als Wissenschaft von Gegenständen oder Dingen „überhaupt", ohne die kritische Unterscheidung des uns Erscheinenden von Dingen an sich heißt es, das Intelligible würde „eine ganz besondere Anschauung, die wir nidit haben, erfordern . . . " . 226 Β 335/6. — Im Kanon-Hauptstück der Methodenlehre wird die hier auftretende „objektive Realität" der Idee einer moralischen Welt, als Gegenstand der reinen Vernunft in ihrem praktischen Gebrauche (Einwirkung auf die Sinnenwelt), abgesetzt gegen jede dogmatisch-spekulative Auffassung, wonadi diese Idee auf einen Gegenstand einer „intelligiblen" Anschauung ginge. 525 Β 836.

812

(S. 54617 Β 874)

raumzeitlichen Sinnenwelt versteht, sondern um Welt, um die „gesamte Natur" in dem ihr eigenen (sinnhaft-teleologischen) Ordnungsgefüge — rein „rational" betrachtet, in einer bloß- „transzendentalen" Sichtweise281 — welche des Uberstiegs über eigentliche Einsichtskriterien immanenten Vernunftgèbrauchs sich bewußt ist. — Der zweite Bereich betrifft dann „äußere" Verknüpfung der Natur als „Welt" mit einem Urwesen „über der Natur" (also in einem Ausgriff, welcher im eigentlichsten Sinne „hyperphysisch" ist): Thema transzendentaler Gotteserkenntnis im Sinne einer Kosmotheologie (vgl. 420 Β 660). — Es darf daran erinnert werden, daß Kants Planung eben diese spekulativen Vernunftausgriffe in einer alles DaSeiende umgreifenden „Metaphysik der Natur" ja auch das „Scheinbare" philosophischer Erkenntnisansprüche aus reiner Vernunft enthalten soll — zugleich mit der Wahrheit, die an den notwendigen Ideen ansetzt (543/4 Β 869). Die „immanente" Physiologie bearbeitet nun den engeren, auf „unsere" Anschauungsbedingungen eingeschränkten „Natur"-Bereidi, Nátur als „Inbegriff aller Gegenstände der Sinne"282. Dieses Teilglied S80

281

282

Ersteinführung der Termini zu Beginn der Dialektik 235/6 Β 352 f., vgl, 243, 253 Β 365, 383; „einheimisch" und „überfliegend" (hypophysischer Gebrauch der Ideen) 427 Β 671, vgl. 454 Β 718; die nach dem Kanon zum letzten Zwecke des reinen Gebrauchs unserer Vernunft gehörenden drei Kardinalsätze „bleiben für die (sc. bloß) spekulative Vernunft jederzeit transzendent und haben gar keinen immanenten, d. i. f ü r Gegenstände der Erfahrung zulässigen . . . Gebrauch". 519 Β 827. Vgl. z.B. 69/70 Β 67: die Gegenüberstellung der Erkenntnis von Erscheinungen (etwa des Materiellen), welche in allen „Gesetzes"verknüpfungen „bloße Verhältnisse" faßt, und damit audi auf Vorstellungen vom Verhältnis der Gegenstände auf unsere Subjektivität angewiesen ist — zu dem „Inneren, was dem Objekte an sich zukommt". Nadi dem Besdiluß des Endabsichts-Abschnitts im Dialektikanhang ist es die „eigentliche Bestimmung" unserer Vernunft im spekulativen Gebrauche, sidi aller ihrer Methoden und Grundsätze im regulativen Sinne zu bedienen, „um der Natur nach allen möglichen Prinzipien der Einheit, worunter die der Zwecke die vornehmste ist, bis in ihr Innerstes nachzugehen", dabei aber niemals ihre Grenze zu überfliegen. 461 Β 730. In Absetzung gegen das Thema der Freiheit (und den von da ausgehenden „Welt"-Begriff) heißt es 313 Β 479: „der Zusammenhang nach allgemeinen Gesetzen sich einander notwendig bestimmender Erscheinungen, den man Natur nennt . . . " . Vgl. 13 Β X V I I I / X I X : der Versuch der (mit dem ersten Gedanken des Kopernikus verwandten) veränderten Methode der Denkungsart gelingt nach Wunsch und verspricht „der Metaphysik in ihrem ersten Teile, da sie sich nämlich mit Begriffen a priori beschäftigt, davon die korrespondierenden Gegenstände in der Erfahrung jenen angemessen gegeben werden können", den sicheren Gang einer Wissenschaft.

(S. S47 Β 874)

813

wird hier also an zweiter Stelle genannt, während die Aufgabe in Kants architektonischer Gliederung unmittelbar auf die neue Art Ontologie (die Transzendentalphilosophie) folgt und allen „transzendenten" Aufgaben und Ausgriffen voraufliegt (Abs. 20). Daß es „nur" zweierlei Gegenstände für diesen Teilbereich der Physiologie aus reiner Vernunft gibt, ergibt sich für Kant nicht aus einer voraufgehenden Metaphysica generalis, etwa einer begrifflich-„ dogmatischen" Einteilung aller Sachen überhaupt in ausgedehnte und denkende Substanzen, sondern aus der auf Wegen der Transzendentalphilosophie aufgezeigten fundamentalen Zweiheit unserer (menschlichen) Anschaiiungsrichtungen: dem „äußeren Sinn", mit der Anschauungs„form" des Raumes, steht gegenüber der „innere" Sinn, „vermittelst dessen das Gemüt sich selbst oder seinen inneren Zustand anschaut" — was in „Verhältnissen der Zeit" vorgestellt wird283. Alle Gegenstände der äußeren Sinne gehören, als räumlich bestimmte, zur „körperlichen" Natur; „der" Gegenstand des inneren Sinnes (in unmittelbarer Gegenwärtigkeit jedem von uns in der „Apperzeption" gegeben) ist (heißt) „die Seele" oder — in Beschränkung auf die rein rationalen Grundbegriffe derselben „überhaupt" — die „denkende Natur" 2 8 4 . Die Metaphysik der „körperlichen" (oder „materiellen" [488 Β 773/4]) Natur, welche ganz allgemein als Wissenschaft „Physik" heißt, hat einen aller Empirie vorhergehenden „rationalen 283

Ersteinführung dieser Lehre von zwei und nur zwei Grundarten unseres „sinnlich"-rezeptiven Anschauungsvermögens 41/2 Β 37.

284

Zur Abhebung dieser transzendentalphilosophischen Zweiteilung von Kants immanenter „Metaphysik der Natur" gegenüber der überlieferten dogmatischen Metaphysik vgl. etwa IV 241 A 385: Körperliche Natur bzw. Materie „bedeutet also nicht eine von dem Gegenstande des inneren Sinnes (Seele) so ganz unterschiedene und heterogene Art von Substanzen, sondern nur die Ungleichartigkeit der Erscheinungen von Gegenständen (die uns an sich selbst unbekannt sind), deren Vorstellungen wir äußere nennen in Vergleichung mit denen, die wir zum inneren Sinn zählen . . . " . — Die Grundbegriffe von Seele „überhaupt" sind die am Ende des Paralogismen-Hauptstücks der Dialektik in einer Tafel vorgestellten — als erfolgend aus einem „analytischen" Verfahren, welches das „Ichdenke" in uns als gegeben nimmt, also von einer „Wirklichkeit" anfängt, dann aber alles, was dabei empirisch ist, absondert. 273/4 Β 419. Die Fehlgänge einer rationalen Psychologie im alten dogmatischen Sinne ergeben sich erst, wenn diese „Abstraktion von meiner empirisch bestimmten Existenz mit dem vermeinten Bewußtsein einer abgesondert möglichen Existenz meines denkenden Selbst" verwechselt wird. 278 Β 427.

814

(S. 547 Β 874/5)

Teil" 2 8 5 . Auch die „Metaphysik" vom Gegenstand des inneren Sinnes, der Seele also, soll (in diesem Rahmen „immanenter" Naturphilosophie!) das, was „uns" in ebendieser Anschauungsrichtung gegeben ist, nur soweit behandeln, als in „reinen" Begriffen vorgegeben ist 286 · Entsprechend wird das im folgenden (20.) Absatz auftretende Teilstück des „Systems der Metaphysik", welches unter dem Titel „rationale Physiologie" (im immanenten Sinne) steht, gegliedert in physica rationalis und psydiologia rationalis als eigene Abteilungen, wobei die Anmerkung betont, daß der Unterschied gegenüber früheren Weisen einer „Physica generalis" nicht nur darin besteht, daß an die Stelle bloßer Gradunterschiede von Allgemeinheit die grundsätzliche Ungleichartigkeit apriorischer und empirischer Erkenntnis tritt (was im 16. Absatz behandelt wurde), sondern darin, daß jetzt Prinzipien zum Thema stehen, welche sich von solchen der Mathematik grundsätzlich unterscheiden und daher ganz abgesondert von der Mathematik behandelt werden müssen. Insbesondere ist diese Abtrennung wichtig gegenüber der Art, wie überkommene Naturphilosophie, selbst bei Mathematikern (Kant denkt vor allem an Newton oder auch an Euler), „gewissen gemeinen, in der Tat doch metaphysischen Begriffen" anhängt und „Hypothesen" einbaut, welche 285

Vgl. 9 Β X : „Mathematik und Physik sind die beiden theoretischen Erkenntnisse der Vernunft, welche ihre Objekte a priori bestimmen sollen, die erstere ganz rein, die zweite wenigstens zum Teil rein, dann aber auch nach Maßgabe anderer Erkenntnisquellen als der der Vernunft"; die Anmerkung zu 40 Β 20/1 nennt einige Lehrsätze, welche „im Anfange" der eigentlichen (empirischen) Physik vorkommen", sich aber bei Durchprüfung unter dem Gesichtspunkt synthetischer Erkenntnisse a priori als Teilstücke einer eigenen Wissenschaft: Physica pura oder rationalis erweisen, als welche dem „ganzen Umfange nach abgesondert zu werden" verdient.

286

Zu dieser Vorausfixierung einer so verstandenen Metaphysik der Natur und ihrer Zweiteilung ist vor allem die Vorrede zu den „Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft" heranzuziehen. Metaphysik der Natur hat einen „transzendentalen Teil", welcher von den Gesetzen handelt, welche den Begriff einer Natur überhaupt möglich machen; sie gliedert sich dann in Bereiche, wo es um eine „besondere Natur" von Dingen geht, von denen „ein empirischer Begriff gegeben ist, doch so, daß außer dem, was in diesem Begriff liegt, kein anderes empirisches Prinzip zur Erkenntnis derselben gebraucht wird (ζ. B. sie legt den empirischen Begriff einer Materie, oder eines denkenden Wesens zum Grunde und sucht den Umfang der Erkenntnis, deren die Vernunft über diese Gegenstände a priori fähig ist) . . . " . Jene allgemein-transzendentalen Prinzipien werden also nun „auf die zwei Gattungen der Gegenstände unserer Sinne" angewandt. I V 469/70.

(S. 847 Β 874/5)

815

für eine Metaphysik der Natur auf dem Boden der kritischen Transzendentalphilosophie verschwinden müssen — ohne darum dem „unentbehrlichen" Gebrauch der Mathematik auf diesem (immanenten) Felde Abbruch zu tun 287 . Die im 20. Absatz vorskizzierte Einteilung des Gesamtsystems hebt sich von der schulmäßig überlieferten Gliederungsabfolge der Metaphysik, bei aller Angleichung der Titel, schon dadurch deutlich ab, daß nun eben die neue „immanente", kritisch-transzendental begründete Naturlehre voranzugehen hat von einer Vernunft-Kosmologie, welche auf den inneren Zusammenhang, die „architektonische" Gefügtheit der gesamten "Welt hinausblickt — und damit ebenso vor allem Ausgreifen solcher Weltlehre auf das Problemthema rationaler Theologie288. Das neue „Verfahren" der Metaphysik steigt, nach erfolg287

Man wird diese polemischen Andeutungen vor allem auf die „gemeine" Vorstellung von Raum und Zeit als von umgreifenden Formcharakteren aller Dinge (oder Gegenstände) überhaupt beziehen müssen, und damit auch auf die zwei „Parteien" von Naturphilosophen, welche in der transzendentalen Ästhetik zum Gegenstand und Anlaß der Kritik (Aufdeckung des „transzendentalen Scheins" im allgemeinsten, uns allen natürlichen und unaufhebbaren Sinne) genommen werden, vor allem auf die Partei der „mathematischen Naturforscher", welche — wie Newton und seine Anhänger — Raum und Zeit als „ewige und unendliche f ü r sich bestehende Undinge" annehmen (63 Β 56/7). Metaphysik der N a t u r auf der neuen Basis der Transzendentalphilosophie dagegen, welche Raum und Zeit zu f ü r uns notwendigen und a priori vorgegebenen Anschauungsformen erklärt, tut der N a t u r als Inbegriff der Gegenstände möglicher Erfahrung keinen „Abbruch", sondern begründet diesen redit eigentlich, — so insbesondere ja durch die unter den Titel: „Mathematische" Grundsätze gestellten Prinzipien, aber auch schon durch die transzendentale Begründung mathematischer Erkenntnis als solcher samt ihrer Anwendung.

288

Vgl. etwa den Abschluß der Kritik aller Theologie aus (bloß) spekulativen Prinzipien: der physiko-theologische Beweis, in seinem Eigenanspruch unhaltbar, könnte wohl „anderen Beweisen" (nämlich solchen, in denen man moralische Gesetze zum Grunde legt oder zum Leitfaden gebraucht) Nachdruck geben, indem er „Spekulation mit Anschauung v e r k n ü p f t " ; er, f ü r sich selbst, bereitet „den Verstand zur theologischen Erkenntnis vor und gibt ihm dazu eine gerade und natürliche Richtung ". 423 Β 665. — Entsprechend wird später, in der Methodenlehre der teleologischen Urteilskraft, der Weg vorgezeichnet: von der „Naturlehre" als der Körperlehre, der Seelenlehre „und allgemeinen Weltwissenschaft" zur „Gotteslehre" (von dem Urgründe der Welt als Inbegriff aller Gegenstände der Erfahrung); entsprechend handelt der § 85 des Werkes „Von der Physiko-Theologie" als dem „Versuche der Vernunft, aus den Zwecken der N a tur (die nur empirisch erkannt werden können) auf die oberste Ursache der N a tur und ihre Eigenschaften zu schließen" — worauf dann „Moraltheologie (Ethikotheologie)" folgt, mit welcher auch erst die Frage nach dem „Endzwecke der Schöpfung" auftritt. V 436 f.

816

(S. 54718 Β

875/6)

ter Unterscheidung aller Gegenstände überhaupt in Phaenomena und Noumena, von der „Sinnenwelt" auf zu den Ideen und Ideengegenständen — gegensätzlich zu allen Ansprüchen deduktiv-demonstrativer Metaphysik 289 . Die Systemgliederung in diese vier Hauptteile ist keine bloß „technische", wie bei allen empirischen Wissenschaften, wo wahrgenommene Verwandtschaften Zuordnungen bestimmen, die immer wieder verändert und verbessert werden müssen im Gegenund Miteinander der Vernunft-„Maximen" 2eo , sondern sie geht unmittelbar hervor aus der „Gesetzgebung", der Regierung der reinen Vernunft selbst, die ihrer Natur nach architektonisch ist (329 Β 502). Die bèiden nächsten Absätze klären „Bedenklichkeiten" auf, die sich bezüglich des neuen Anspruchs auf einen eigenen Wissenschaftsbereich von Prinzipien und deren systematischer Erkenntnis a priori für die beiden Erfahrungsfelder ergeben können: für Physik und Psychologie. Die Grundgesetze der „Natur" (als Sinnenwelt verstanden) konnten in einem System von Grundsätzen transzendentalphilosophisch (und also, für Sinnenwelt, ontologisch!) fixiert und streng bewiesen werden, weil es da um Wahrheit bezüglich der Erfahrbarkeit von Erscheinungen für uns in ihrer Objektivität ging. Physik und Psychologie dagegen handeln von besonderen Arten dieser Erscheinungsgegenstände, deren spezifische Grundcharaktere wir aus Weisen der Wahrnehmung und Erfahrung nehmen müssen. Wie kann es also eine „Metaphysik" dieser Gegenstände im neuen Sinne von Prinzipien a priori geben: „rationale" Physik einerseits, „rationale Psychologie" andererseits? — Kants Antwort ist für die Physik, 288

Über das Verhältnis von „Transzendentalphilosophie" zum „Namen" und Auftrag der Ontologie vgl. jetzt die Metaphysik-Vorlesungen in Nachschrift aus den Jahren 1784 und 85 in X X V I I I 390 ff.; zum „System" und der Gliederung der Metaphysik daselbst die „Prolegomena" zu deren Anfang, S. 355—367; dort auch die Gliederung der „Metaphysik der Natur" aufgrund der neuen transzendentalphilosophisdien Ontologie: auf die Philosophie der körperlichen und der denkenden Natur folgt das Thema der „Gesamten Natur" oder der „Welt" und endlich das von deren Ursprung oder oberstem Grunde: „Theologia rationalis sive transcendentalis" — auch hier wieder in Absetzung gegen Wolffs Einteilung. S. 365 f.

290

Vgl. über den „Einfluß der Vernunft auf die Einteilungen der Naturforscher", immer in Richtung auf ein „nadi notwendigen Gesetzen zusammenhängendes System", in Erfahrungswissensdiaften wie der Astronomie, der Chemie, der Biologie den Abschnitt über „regulativen Gebrauch der Ideen der reinen Vernunft" 428/9, 434 ff. Β 673/4 f., 684 ff.

(S. 547J8 Β 876)

817

daß nur Ein Objekt des äußeren Sinnes als durch Erfahrung „gegebenes" dieser reinen Naturwissenschaft zugrunde gelegt werden muß: „Materie", nach dem bloßen Begriffe eines undurchdringlich und leblos Ausgedehnten 291 . Für den zweiten Teil solcher „rationalen Physiologie" soll aus Erfahrung auch nur der einzige „Begriff" eines denkenden Wesens genommen werden — so wie er sich für uns mit der empirischen „inneren Vorstellung" ergibt, ohne noch andere Erfahrungen beizufügen. Im Gegensatz zur rationalen Psychologie der überlieferten Metaphysik darf diese neue „rationale Seelenlehre" (wie es gegen Ende der Kritik an den Paralogismen hieß) nicht mehr vom „Begriff" eines denkenden Wesens „überhaupt" ausgehen, sondern sie muß anfangen, „von einer Wirklichkeit", dem Ich-denke in uns, „und aus der Art, wie diese gedacht wird, nachdem alles, was dabei empirisch ist, abgesondert worden, das, was einem denkenden Wesen überhaupt zukommt", folgern (273 Β 418/9)2»2. 291

„Materie" in diesem gegenständlich-immanenten Sinne, als das Reale aller Erscheinungen des äußeren Sinnes, umgreifend alles Körperliche (also audi die „organischen" bzw. „organisierten" Körper, vgl. etwa 359 f. Β 554/5: deren Teilbarkeit bzw. Gegfledertheit ins Unendliche) ist nach der ersten Analogie der Erfahrung das Beharrliche im Raum, substantia phaenomenon, und Bewegung ist das dieser Subsistenz Inhaerierende (164 f. Β 228 f.) — ein Inbegriff von lauter Relationen als „Substanz im Räume" (217/8, 228; Β 321, 340). Undurchdringlichkeit ist im Gegensatz zu Ausdehnung und Gestalt, weldie zur reinen Anschauung gehören, Gegebenes der „empirischen Anschauung", sie setzt „Empfindung" voraus (50, 156, 193; Β 35, 215, 278). — „Leblos" ist die Materie im Gegensatz zu den besonderen Körpern der „belebten Natur", wozu audi der Mensch gehört, welcher — im Gegensatz zur „bloß tierisch" belebten Natur, die er mit der ganzen Natur sonst durdi Sinne kennt — sich seiner selbst und seines Lebens „auch durch bloße Apperzeption" bewußt ist, was über Rezeptivität der Sinnlichkeit hinausführt. 371 Β 574/5. — Vgl. zum Thema der Materie als einzigem Gegebenheitsbegriff für rationale Physik die Metaphysischen Anfangsgründe der Naturwissenschaft, wo der negative Begriff „leblos" durch den physikalischen Begriff „Trägheit" ersetzt wird (Materie bestimmt durch Bewegung, Erfüllung des Raums, Trägheit). IV 472. Der Satz der Trägheit (lex inertiae) besagt nur dies, daß „alle Materie als solche leblos" ist. „Leben" heißt dagegen: „das Vermögen einer Substanz, sich aus einem inneren Prinzip zum Handeln", zur Veränderung, zur Bewegung oder Ruhe zu bestimmen. IV 544.

292

Die Anmerkung zu diesem Abschluß betont nochmals, daß das: Ich denke eine empirische Aussage ist und mein Existieren — die Wirklichkeit also, von der anzufangen ist — in sich enthält; das Ich als solches aber ist darum doch „rein intellektuelle" Vorstellung, weil sie „zum Denken überhaupt" gehört (275/6 a Β 422/3 a). Das entspricht dem Thema der „Materie überhaupt" in der Physik. Vgl. aus Späterem X X 286: rationale Physik soll die Begriffe „vom vollen und leeren Raum, von Bewegung und bewegenden Kräften" auf ihre Prinzipien

818

(S. 548 Β 876/7)

Empirische Psychologie, neu anwachsende und sich immer weiter ausbreitende Wissenschaft, kann für Kants Systemgliederung insofern „Bedenklichkeiten" erregen, als sie nach dem Schulgebrauch der Metaphysik immer darin ihre Stelle hatte 293 . Aber eben dies war, ähnlich wie die Unbestimmtheit in der Abgrenzung MetaphysikPhysik, auch wieder Folge jener Unterscheidung bloß nach Graden der Unterordnung von Besonderem unter Allgemeineres, in Verkennung der „Ungleichartigkeit" des Ursprungs von Erkenntnissen (vgl. oben 545 Β 871/2). In der neuen Disposition stellt diese Art „Naturlehre" 294 den „Anwendungsbereich dar für jene Prinzipien a priori, die sich allein aus dem intellektuellen „Objekt"-begriff denkenden Wesens, den wir aus unsrer Innen-Empirie herausheben, ergeben. Das eigentliche Gegenstück zur empirischen Naturlehre vom Materiellen wird dann, in Durchführung des empirischen Ansatzes der Psychologen, „Anthropologie" werden 295 . a priori bringen, „indessen daß in der rationalen Psychologie nichts weiter als der Begriff der Immaterialität einer denkenden Substanz (sc.: so wie wir ihn dem inneren Sinn entnehmen), der Begriff ihrer Veränderung und der Identität der Person bei den Veränderungen", in Prinzipien a prfori vorzustellen ist, „alles übrige· aber empirische Psychologie, oder vielmehr nur Anthropologie ist . . . " . Vgl. daselbst auch die Bezüge auf das „doppelte Idi im Bewußtsein meiner selbst, nämlich das der innern sinnlichen Anschauung und das des denkenden Subjekts" zweierlei Bedeutung in einer Person, wodurch ich „mich von mir selbst unterscheiden" kann; — ein unbezweifelbares Faktum, das zu erklären schlechterdings unmöglich ist. X X 268 und 270. Aus der Anthropologie vgl. V I I 127, 134 a, 142, 161. 293

K a n t selbst hat im Rahmen seiner „Metaphysik"-Vorlesungen (immer anhand des vorgegebenen Lehrbuchs!) empirische Psychologie als eigenen Abschnitt vorgetragen, vorausgehend dem Abschnitt über „rationale" Seelenlehre. In der V o r lesungsanzeige für das W . S . 1765/6 nennt er jene nodi die „metaphysische" Erfahrungswissenschaft vom Menschen („was den Ausdruck der Seele betrifft, so ist es in dieser Abteilung noch nicht erlaubt, zu behaupten, daß er ein habe") I I 309. In den nach dem Erscheinen der K r i t i k gehaltenen Vorlesungen heißt es dann, entsprechend dem neuen Metaphysikbegriff und der Systemgliederung unseres Textes: „Die Psychologia empirica gehört . . . gar nicht in die Metaphysik, so wenig als Physica empirica." X X V I I I 367.

294

In der Vorrede zu den „metaphysischen" Anfangsgründen der Naturwissenschaft wird empirische „Naturlehre" unterschieden von eigentlich so zu nennender N a t u r w i s s e n s c h a f t " mit ihrer „rationalen" Prinzipienlehre. „Empirische Seelenlehre" wird dort dann noch mit zusätzlicher Begründung abgesetzt gegen die „eigentlich so zu nennende Naturwissenschaft". I V 469/70, 471.

295

Die von K a n t selbst in eigenen Vorlesungszyklen vorgetragene Anthropologie wurde in „pragmatischer Hinsidit" ausgearbeitet; in der Vorrede der Druck-

(S. 54819 Β

877/8)

819

Die drei letzten Absätze beleuchten nodi einmal, rückblickend auf das ganze Werk, den neuen Begriff von Metaphysik und die „allgemeine Idee" ihrer Systematik, welche eine ganz neu aufzubauende Metaphysik der Natur neben einer entsprechenden, ihr zuzuordnenden Metaphysik der Sitten enthält. (Die letztere kommt, wohl weil bereits im Kanon-Abschnitt mitentworfen, hier nicht noch eigens zur Sprache.) Hinzu gehört die jenen Aufbauten vorausgehende „scientifische" Selbsterkenntnis der Vernunft in der Transzendentalphilosophie. Solche Systematik ist Philosophie nach ihrem „Weltbegriff"; denn sie bezieht alles, was in der Vernunft liegt und ihr zugänglich ist, auf „Weisheit" der Lebensführung, auf die höchsten, die „notwendigen und wesentlichen Zwecke der Menschheit" (des Menschseins), wie sie erst in „Moral" und „Religion" zur Sprache kommen 296 . Metaphysik kann freilich nicht „Grundfeste" der Religion sein wollen, wie das in der Absicht der Dogmatiker der Schule (etwa in ihrer Physikotheologie [418 Β 656/7]) lag; aber als „Schutzwehr" derselben, als Sicherung gegen alle Einwürfe der Verneiner, wird sie bleibenden Bestand haben. Der durch kritische Selbsterkenntnis gebahnte neue Weg zu dieser Wissenschaft wird nicht mehr „verwachsen" durch Einmischung sinnlicher Vorstellungsweisen in die Vernunftbegriffe von noumenalen Gegenständen. Auch die anderen, ihrerseits in Prinzipien a priori gegründeten Wissenschaften, wie Mathematik und Naturwissenschaft (Kants Vorbilder für neuen Aufbau der Metaphysik) sind, unter dem jetzt leitenden Gesichtspunkt einer teleologia rationis humanae (542 Β 867), solcher „reinen" Philosophie zugeordnet: als „Mittel". Durch ihre Vermittlung werden Erkenntniszwecke, welche „größtenteils" in den Bereichen empirischen Forschens auftreten — so auch in der Anthropologie als empirischer

296

fassung wird das von einer rein spekulativ (theoretisch) dargelegten Menschenkenntnis als „physiologischer" abgehoben. VII 119. Vgl. I X 157: physiologisch betriebene Anthropologie untersucht „die Quellen der Phänomene" menschlichen Lebens und Verhaltens. — Als Gegenstück zu einer „Metaphysik" der Sitten sieht Kant immer auf eine speziell „moralische" Anthropologie hinaus, welche in der praktischen Philosophie durchaus nicht jener vorangestellt oder mit ihr vermischt werden darf; auch sie ist „angewandte" Philosophie auf Grund „reiner" Prinzipien. VI 216 f. Vgl. aus unserm Werk noch die Andeutung über geplante „synthetisch-systematische Vorstellung der Ideen, welche auf die höchsten Zwecke unseres Daseins ausgerichtet sind. 260 a Β 394/5 a.

820

(S. 549 Β $79)

„Kenntnis" des Menschen297 —, auf unsere eigentlichen, nur durch reine Vernunft erfaßbaren Daseinszwecke hinbezogen. — Die so ausgerichtete Vernunft muß, allen bisherigen Fehlgängen zum Trotz, restlos weiterarbeiten — ebenso in Richtung auf gründliche Einsichten zur „guten Sache" des Vernunft„besitzes" in den ihr eigenen Ideen (507 Β 806) wie durdi kritische (nidit bloß „skeptische") Zerstörung von Scheinerkenntnissen. Metaphysik als Wissenschaft gehört nicht nur mit anderem zu der „Kultur" unserer Vernunftbestrebungen überhaupt, sondern sie bedeutet, der innewohnenden Idee nach, deren „Vollendung" — ganz abgesehen noch von ihrem Einfluß — etwa als Wissenschaft von Redit und Sittlichkeit — auf unsere Lebensführung. Sie deckt die „Elemente" der Vernunft selbst auf, welche die Wissenschaften überhaupt ermöglichen. Ihre besondere „Würde" aber liegt in der Klarlegung und Zusammenordnung der Ideen (249 Β 375/6) und in dem „Zensoramt", das ihre Selbstdisziplin bestimmt (549 Β 879). Solches Vermögen wird, dem unablässigen Streit metaphysischer Positionen entgegen, allgemeine Eintracht im Fortgang bewirken, alles Wissen ausrichtend auf den „Hauptzweck" — der nun in diesem Abschluß, die genauere Fixierung des Kanon voraussetzend, einfadi die „allgemeine Glückseligkeit" genannt wird. 287

„Anthropologie" als empirische Wissenschaft kann zu der Frage „Was ist der Mensch?" (nach der Aufreihung in Kants Logik I X 25 gehört sie zusammen mit den drei in unserem Text genannten Fragen zur Philosophie in „weltbürgerlicher Bedeutung") nur unter dem Vorrang der metaphysischen Erkenntnisse ihren Teil beitragen. So etwa die „moralische" Anthropologie, welche davon handelt, was der Mensch „als freihandelndes Wesen aus sich selber macht, oder machen kann und soll" (VII 119 und VI 217): sie setzt die Prinzipien einer „Metaphysik der Sitten" notwendig voraus.

(S. SSO Β 880)

821

Viertes Hauptstück: Die Geschichte der reinen Vernunft

Zu Kants „System"entwurf von Metaphysik als Philosophie der reinen Vernunft in ihrem ganzen Umfang soll schließlich nun auch eine Geschichte der metaphysischen Bestrebungen und Versuche gehören; ihr wird eine eigene Stelle in der künftigen Ausführung angewiesen 298 . Kant stellt sie unter den Titel: Geschichte der reinen Vernunft, in der Überzeugung, daß alle begrifflich-abstrakten Nachforschungen über die höchsten Anliegen unseres Daseins mit einer inneren Notwendigkeit aus der „Natur der allgemeinen Menschenvernunft", aus einem dieser innewohnenden Grundbedürfnis heraus erwachsen sind299. Der „bloß transzendentale Gesichtspunkt", welcher nun auch auf diesem Felde zu walten hat, soll Hauptpositionen der bisherigen Lehrgebäude an Hand der nun durch die Kritik erreichten Einsichten in die Natur der menschlichen Vernunft als solcher unterscheiden und dann nach dem, was daran als einseitig und unhaltbar sich erweist, charakterisieren. 298

299

In Kants Metaphysik-Vorlesungen aus der Zeit nach Abfassung der Kritik folgt unmittelbar auf die unserem „Ardiitektonik"-Hauptstück entsprechenden System„Prolegomena" ein eigener Abschnitt über „Geschichte der Metaphysik". X X V I I I 367/8. Vgl. in unserem Werk vor allem die Fragen der Einleitung zur Metaphysik „als Naturanlage" und „als Wissenschaft". 41 Β 21/2. — Vgl. aus der Preisschrift über die Fortschritte der Metaphysik die Fragmente zum Thema: „Von einer philosophierenden Geschichte der Philosophie." Danach „entlehnt" eine selbst philosophierende Behandlung dieses geschichtlichen Vorgangs die jeweiligen philosophischen Lehren, als „Fakta der Vernunft", nicht von der „Geschichtserzählung, sondern sie zieht sie aus der Natur der menschlichen Vernunft als philosophische Archäologie". — Kant fragt sich da: „Ob sich ein Schema zu der Geschichte der Philosophie a priori entwerfen lasse, mit welchen die Epochen, die Meinungen der Philosophen aus den vorhandenen Nachrichten so zusammentreffen, als ob sie dieses Schema selbst vor Augen gehabt und danach in der Kenntnis derselben fortgeschritten wären?" und antwortet: „Ja! wenn nämlich die Idee einer Metaphysik der menschlichen Vernunft unvermeidlich aufstößt und diese ein Bedürfnis fühlt, sie zu entwickeln, diese Wissenschaft aber ganz in der Seele, obgleich nur embryonisch vorgezeichnet liegt". Es geht also nicht um eine „Geschichte der Meinungen, die zufällig hier und da aufsteigen, sondern der sich aus Begriffen entwickelnden Vernunft". X X 340/1—343.

12 Heimsoeth, Transzendentale Methodenlehre

822

(S. 550 Β 88011)

Die Philosophie der Frühzeit, zusammenhängend immer mit Religionsbegriffen, fing, wie Kant vorausschickt, nicht so an, wie es die eigene Systemdisposition vorzeichnet: vom immanenten Gebrauch in der Erfahrungsrealität, um dann erst aufzusteigen zu Totalitätsund Teleologiefragen der Kosmologie und Theologie. Sie wollte vielmehr sogleich die über alle Erfahrung hinausliegenden Gegenstände studieren 300 . Theologie und Moral waren und wurden immer wieder die Bezugspunkte, auf welche das Vernunftbedürfnis direkt hintrieb — und von da her hat sich dann allmählich die (nun im neuen Systemzusammenhang zu überwindende) Zweiteilung der Philosophie in „Metaphysik" als einer „bloß" spekulativen Vernunftforschung und Moralphilosophie als der „praktischen" herausgebildet. In Kants vorgreifender Skizzierung einer Geschichte der Vernunft steht jetzt Metaphysik in diesem engeren Sinne ganz im Vordergrunde; die praktischen Bezüge sind aber immer mitverstanden, wie sich aus sonstigen Erwähnungen der hier genannten Namen und Schulen ersehen läßt. Die drei Hinsichten, unter welchen der Denker die Positionen und den Streit der Metaphysiker, die Verschiedenheit in ihren Grundkonzeptionen und damit die bisherigen Veränderungen und Umwälzungen in der Geschichte dieser Vernunftwissenschaft beleuchten will, sind bestimmt durch den eigenen Neueinsatz und dessen Ergebnisse. Die erste Unterscheidung betrifft die Fassung des „Gegenstandes" in Vernunfterkenntnissen; maßgebend ist dafür besonders das die Analytik des Verstandes abschließende und zur Dialektik der Vernunftbegriffe überleitende Hauptstück: Von dem Grunde der Unterscheidung aller Gegenstände überhaupt inPhaenomena undNoumena. Erst durch die „subtilen" Nachforschungen der Kritik, dargelegt primär in der transzendentalen Ästhetik und von da weiter in der transzdentalen Deduktion, konnte dieser Unterschied klar herausgestellt werden; aber als Trennung der Positionen hat er „schon in den frühesten Zeiten" gewirkt — Anspielung auf die Eleaten, nach deren Lehre „in den Sinnen nichts als Schein ist" und nur der „Ver300

Vgl. X X V I I I 367/8: „So alt als die Vernunft sind auch die metaphysischen U n tersuchungen, und es ist besonders, daß die Menschen eher angefangen haben, über Dinge zu urteilen, die die Vernunft übersteigen, als über das was ihnen vor Augen lag. Die Welt hat ihnen zu nichts als zu Erfahrungsbegriffen gedient, über die Ursache derselben zu vernünfteln, so daß die Naturwissenschaft nur mit großer Gleichgültigkeit bearbeitet wurde . . . " .

(S. 5soll Β 881)

823

stand" (Nus, intellectus) das „Wahre" erkennt 301 . Von daher kam es dann zur Ausbildung gegensätzlicher Systeme; das äußerste Extrem zu jener Ausschließung aller Gegenstände der Sinne bildet die Position der „bloß" Sensualphilosophen zu nennenden Denker, als deren vornehmsten Kant hier (und auch sonst immer) Epikur nennt. Alles über erfahrbare Wirklichkeit, über Gegenstände „der Sinne" Hinausliegende — alles „Ubersinnliche" also, worauf doch Metaphysik vor allem zielt — ist danach „bloße Einbildung" 302 . — Für die dagegen auf Noumena als die einzig wahren Gegenstände ausgerichteten „Intellektualphilosophen" nennt Kant vorzüglich Plato, und die entsprechenden Positionen im Fortgang der Metaphysikgeschichte „Piatonismus" 303 . Daß jene Sensualphilosophen den Verstandesbegriffen zwar nicht „Realität" absprechen wollten, ihnen aber nur „logischen Gebrauch"304 zugestanden, besagt: nur für denkendabstrahierende Behandlung sinnlich vorgegebener Sachen und Zusammenhänge wollten sie dieselben gelten lassen. — Die Intellektualphilosophen wiederum, zu denen Kant in der Neuzeit vor allem Leibniz rechnet (vgl. 218/9 Β 323), „verlangten", dogmatisch statuierend, daß die wahren Gegenstände, abzuheben von allem Erschei501

802

Vgl. X X V I I I 370: In den „alten Zeiten des Parmenides, als die eleatische Schule entstand", waren „schon philosophische Systeme herrschend . . . , worin man die Gegenständer der Sinne und des bloßen Verstandes unterschied, . . . und nun teilten sie sidi in Sekten, worin die Eleatische behauptete: nihil in sensibus verum est". — Vgl. auch X V I I 555/6 (Nr. 4449—4451), X V I 59 f. Im Dialektik-Abschnitt: „Von dem Interesse der Vernunft an diesem Widerstreit" wird der Epikureismus als dogmatischer „Empirismus" dem „Platonismus" entgegengesetzt. 327 Β 499. Die „Epikureische Schule" sah die erfahrbare „ N a t u r " als alleinbestehend und „allvermögend" an („transzendentale Physiokratie") und stellte sich damit gegen alle die, welche im Altertum zur Erklärung der Weltvorgänge und -Ordnungen einen „ersten Beweger" anzunehmen sidi gedrungen sahen. 311 Β 477; vgl. noch V 120, 141 und X V I I 603. (Zu Epikur als „Philosoph der Sinnlichkeit" im Sinne einer Position der praktischen Philosophie vgl. V 24, 40, 331 u.ö.).

303

Vgl. dazu auch Kants Anknüpfung seiner eigenen „Vernunft"- und Ideenlehre an Plato, wo gerade audi die praktischen Ideen eine bedeutende Rolle spielen 246/7 Β 371, sowie die Anknüpfung seiner „Ideal"-Lehre an Piatos „Idee des göttlichen Verstandes" 383/4 Β 596.

304

In dieser Formulierung klingt die in Kants Erstkonzeption seiner Unterscheidung aller Gegenstände überhaupt in Erscheinungen (mundus sensibilis) und N o u mena (mundus intelligibilis) auftretende Trennung zwischen dem usus logicus und einem usus realis des Verstandes an. II 393, 411. In der Kritik ist der „transzendentalMogisdie Gebrauch zugleich „realer" f ü r Erfahrungsgegenstände.

12*

824

(S. 551 Β 882)

nend-Scheinhaften, „bloß intelligibel" sind: erfaßbar im bloßen „Verstände" (Nus). Das aber hieß, daß sie das Uber-Sinnliche als uns in seinem Eigensein einsichtig erfaßbar ansahen — als Gegenstände also, die zwar eben nicht in „sinnlicher", durch Raum und Zeit bestimmter Anschauung „gegeben" sein können, aber in einer anderen, von allem Sinnlichen absehenden und losgelösten Anschauung des Verstandes selbst. Das besagte in der ursprünglichen Fassung des Platonismus: „mystische" Realbedeutung der reinen Verstandes- (oder denn „Vernunft")-Begriffe 305 ; in späteren Ausprägungen — Kant hat besonders Leibniz und seine Nachfolger im Auge — behaupteten sie (dogmatisch) auch wieder ein Anschauen von Dingen an sich selbst durch den reinen, von allem Sinnlichen gelösten, nur im Phänomenbereich „verwirrten" (bloß verworren vorstellenden) Verstand. Die zweite Hinsicht geht auf den „Ursprung" reiner Vernunfterkenntnisse: Grundthema der Kritik seit dem ersten Abschnitt der Einleitung, mit seiner Unterscheidung zwischen „Anfängen" alles Erkennens mit der Erfahrung und dem „Entspringen" etwa aus unserem eigenen Vermögen — audi das eine „subtile" Unterscheidung. Die „Empiristen"30® lehren, alle Erkenntnisse (so die Begriffe und Grundsätze ebenso des Verstandes wie der Vernunft i. e. S.) seien aus Erfahrungen „abgeleitet". Kant nennt dafür als Sdiul-„Haupt" in der Philosophie „der Alten": Aristoteles, für die neueren Zeiten: John Locke307. Die Denker des Gegenlagers nennt Kant: Noologisten (als deren Haupt er wieder Plato anführt); sie nehmen für die Begriffe und Grundsätze eigentlichen Erkennens einen eigenen Ursprung im Verstände (bzw. in der Vernunft) selbst an, je auf ihre Weise. — 305

306

307

Vgl. in unserem Werk: Piatos „mystische" Deduktion der von ihm „gleichsam hypostasierten" Ideen. 246 a Β 371 a. Dazu aus den Metaphysikvorlesungen von 1784/5: X X V I I I 371 ff. — In Kants Inauguraldissertation wird für „mystischen" Piatonismus in der Neuzeit Malebranches Lehre: nos omnia intueri in D e o angeführt. § 22 Scholion, II 410. Dieser Terminus hat jetzt den erkenntnistheoretischen Sinn, wie er uns heute geläufig, historisch vor allem mit dem Namen J. Lockes verbunden ist; anders ist der Gebrauch des Wortes in Kants Kosmologie-Kritik (Epikurs „Empirismus" im Weltbegrifî s. o.). Aristoteles, an dessen Kategorienlehre Kant in seiner Systematik der Verstandesbegriffe ausdrücklich anknüpft, wird in unserem Werke sonst nur als Begründer der Logik erwähnt; in erkenntnistheoretischer Hinsicht hat ihn der Denker immer bloß von Locke her gesehen. Vgl. etwa X X V I I I 372, audi X I 40, X V 94.

(S. 551 Β 882/3)

825

Der Streit dieser Lager hat sich in neueren Zeiten besonders in der Auseinandersetzung Leibnizens mit Locke dokumentiert; auch hier bemerkt Kant, daß der erstere sich von dem „mystischen System" Piatos genugsam entfernt habe 308 . Der Streit brachte immer noch „keine Entscheidung", insbesondere bezüglich der Möglichkeit von Erkenntnis übersinnlicher Gegenstände, wie sie das eigentliche Ziel der Metaphysik ist. Deren Kardinalsätze (in Kants Lehre solche der „reinen Vernunft") sollten nach der Lehre Lockes, des Empiristen, „evident" zu beweisen sein, so wie alle Lehrsätze der reinen Mathematik 309 . Audi das System des Aristoteles enthält ja eine Gotteslehre (sc.: obgleich nach ihm nichts „im Intellekt" sein sollte, was nicht vorher in den Sinnen gewesen war). Da war das „Sensualsystem"310 eines Epikur (wonach alle Begriffe aus „sinnlicher" Anschauung und Erfahrung stammen) konsequenter: es versagte sich alle „Schlüsse" in Richtung auf Gegenstände, die über Erfahrung hinausliegen. Die dritte der hier so kurz skizzierten Streit-Hinsichten in Sachen der Metaphysik betrifft zunächst nicht, wie die beiden andern, Entwürfe der großen Denker und Schulen im Gesamtgang der Geschichte der Vernunft „seit ältesten Zeiten", sondern eine Gegensätzlichkeit des Vorgehens und der Argumentation, welche der Denker im eigenen Jahrhundert unmittelbar vor sich sah, und die er hier grundsätzlich formulieren will — wobei aber der wahre Weg nun nicht in einem überhöhenden Ausgleich, sondern in Weiterbildung der einen Art gesehen wird. Mit dem Ausdruck „Naturalist" der reinen Vernunft (der Terminus geht hier nicht auf die Inhalte) zielt Kant primär auf Denker der (heute allgemein so genannten) „schottischen Schule", ihm besonders bekannt und gegnerisch geworden durch deren 308

309

810

Vgl. Ausführungen dazu in den Metaphysikvorlesungen 1784/5 X X V I I I 372 ff.; in seiner Lehre von „angeborenen" Begriffen ließ Leibniz „das Mystische des Plato" weg. — Zum Gegensatz Leibniz-Locke im „Ursprungs"-Thema vgl. noch 221 Β 327 und den Riickbezug von Hume her im Vorwort der Prolegomena. IV 257. „Locke verfuhr dodi so inkonsequent, daß er (sc. obgleidi Empirist in der Ursprungslehre) damit Versuche zu Erkenntnissen wagte, die weit über alle Erfahrungsgrenze hinausgehen". 105 f. Β 127. Vgl. XVIII, 14, 22 und X X V I I I 375, 466; Epikurs Konsequenz war dagegen: „gar keine Metaphysik" 375/6; vgl. auch V 120, 141. Epikurs Erkenntnislehre wird in unserem Werke nur einmal gestreift: Erwähnung des Begriffs „Prolepsis" bei der Einführung von „Antizipationen der Wahrnehmung". 152 Β 208.

826

(S. 551/2 Β 883)

Polemik gegen Humes so gründlich und verdienstlich erarbeitete „Bedenklichkeiten" 311 — von der Basis bloßer Beharrung und Berufung auf die „gemeine", angeblich immer heile und keiner Kunstmittel spekulativen Denkens bedürfende Vernunft aus. So etwa in dem so schwierigen, für die Problematik metaphysischen Erkennens so bedeutsamen Thema der Geltung des Satzes vom Grunde bzw. des Kausalprinzips. (Gegen diese Denkart hatte sich ja schon der „Disziplin"-Abschnitt „in Ansehung der Beweise" gewandt: als gegen eine bloße „Zuflucht", die „jederzeit beweiset, daß die Sache der Vernunft verzweifelt ist" [510 Β 811/2]). Dagegen führte und führt Kants eigener Weg nun gerade in einem fortgesetzten Durcharbeiten jener „mühsam ergrübelten" skeptischen Argumentationen zu dem überaus schwierigen, aber dann auch Entscheidung bringenden Unternehmen und Kriterium der Transzendentalen Deduktion und überhaupt zu „schulgerechter Prüfung" unseres Vermögens: zu einer dem Wesen der Vernunft angemesenen, also wirklich „gesunden" Kritik, von der aus dann der Skeptiker als ein notwendiger „Zuchtmeister" dogmatischen Vernünfteins gewürdigt werden konnte (501 Β 797). Metaphysik muß, wenn sie endlich, wie die Wissenschaften sonst, einen sicheren Gang auf breitem Wege („Heeresstraße") der Zusammenarbeit in Ubereinstimmung einschlagen soll, auch ihrerseits „Methode" haben. Ein Vorgehen nach dem „Grundsatze", sich auf die Aussagen der „gemeinen", wissenschaftlich nicht durchgearbeiteten Vernunft zu verlassen, verkennt die außerordentlichen Schwierigkeiten, welche gerade mit den „erhabensten Fragen" unseres Weltund Selbstverständnisses verbunden sind; der Dialektikteil der Kritik erst hat dieselben so recht herausgestellt und ihre Wurzel in dem merkwürdigen Phänomen eines transzendentalen Scheins entdeckt — wovon „Naturalisten" der Vernunft nichts ahnen und nichts wissen können. Nur durch Kritik geleitete „Spekulation" (das Wort hier allgemein genommen, umgreifend auch die neue „Kanon"-Lehre) konnte und kann hier fruchtbar und wegweisend werden. In der Geschichte der Vernunft sind ebenso die Logik wie die Mathematik 511

488 Β 773. Vgl. die scharfe Polemik Kants gegen Hume-Gegner wie Reid, Oswald, Beattie mit ihrer den Ernst der Problematik völlig verkennenden „Berufung auf den gemeinen Menschenverstand" im Vorwort der Prolegomena. IV 258 f.

(S. SS 1/2 Β

883/4)

827

und, in neueren Zeiten, audi Naturphilosophie durch ein Verfahren und Systemverfassen nach ausgewiesenen Grundsätzen a priori zu vorbildhaften Weisen wahren Wissens geworden; gerade im „Fache der Naturforschung" hat sich „szientifische Methode" durchgesetzt gegen alle bloße Schätzung durch den nicht wissenschaftlich geschulten Menschenverstand und dessen hartnäckige Anmaßungen (Kant gibt ein Spott-Beispiel). In Wahrheit ist solcher Naturalismus des Wissensanspruchs keine „eigentliche Methode" für erweiternd-fortsdireitende Erkenntnis, sondern Verkennung und Verachtung von Vernunft und Wissenschaft — „Misologie"812. Szientifisch war ebenso das Vorgehen Wolffs (dessen „strenge Methode" vorbildlich sein soll für die Ausführung „des Plans, den die Kritik vorschreibt, d. i. im künftigen System der Metaphysik" [22 Β XXXVI]), wie das in eine so gegensätzliche Position führende des D. Hume 313 . Der erstere Name kann für „dogmatisches" Verfahren überhaupt, der zweite für das „skeptische" eintreten; beide wollten auf ihre Weise ein „System" — metaphysischen „Wissens" dort, der „Unwissenheit" hier — ausbilden: gegensätzliche Positionen auf Grund szientifischer Methoden. Aber beide Wege konnten und können nicht zum Ziel führen, weil alle beide der transzendentalen Selbstbesinnung und Einsicht in das innere Gefüge unserer Vernunft ermangelten, der systematischen Übersicht über „alle Arten" (500 Β 795) von Synthesis a priori. Eben das aber ist nun die neue Leistung und Aufgabe geworden auf dem „kritischen Weg". Er allein ist „noch offen" 314 : in der szientifischen Methode, welche die so not312 313

314

Vgl. I X 26 (Einleitung zur Logik). Bezeichnenderweise ist es der Dialektik-Passus über die „skeptische Methode" kritischer Erforschung, in welchem der Terminus „szientifischer" Bearbeitung der metaphysischen Probleme zuerst auftritt. Das neue Vorgehen Kants steht im Gefolge von Humes „Skeptizismus": „einem Grundsatze einer kunstmäßigen und szientifischen Unwissenheit" und setzt sich eben davon wieder kritisch ab. 292 Β 451. Entsprechend wird in der späten Preisschrift über „die Fortschritte der Metaphysik seit Leibnizens und Wolffs Zeiten" die Vernunftkritik als dritter und neuester Schritt, welchen sie, entscheidend für weiteren und gesicherten Ausbau, nunmehr getan hat, abgehoben einerseits gegen den „Gang der Dogmatiker, von noch älterer Zeit als der des Plato und Aristoteles" an, und dann von dem „zweiten, beinahe ebenso alten" der Skeptiker. Das ergibt eine Lehre von „drei Stadien", welche die Philosophie, „zum Behufe der Metaphysik durchzugehen hatte" — als eine „Zeitordnung", welche ihrerseits gegründet ist in der Natur unseres Vermögens. X X 262/3 ff., 281 ff., 286 ff. — Das dritte Stadium wird

828

(S. S52 Β 884)

wendige Disziplinierung menschlicher Vernunftansprüche mit der Voraussicht auf umgreifend-ausgleichende Architektonik verbindet, ist für eine künftige Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können, Ausbau und Einstimmung nach „richtigen Grundsätzen" gesichert. hier dann, im Sinne unseres „Kanon"-Entwurfs (sowie der von da weitergehenden „Postulaten"lehre der zweiten Kritik samt entsprechenden Stücken aus der Methodenlehre der dritten) als „Praktisch-dogmatischer Überschritt zum Übersinnlichen" bezeichnet. X X 293 ff. und Abschlußfragment 309/10 f.

Nachwort Dem in drei Teile gegliederten Kommentar der Vernunftkritik aus der Sicht der Transzendentalen Dialektik und von ihren Textabschnitten her ist als vierter Teil eine entsprechende Auslegung und Begriffsdurchleuchtung der das ganze Buch abschließenden Methodenlehre zugefügt worden. Dieser Werkteil, von Kant als Gegenstück und Folge der Ästhetik, Analytik und Dialektik umgreifenden „Elementarlehre" vorgestellt, früh schon entworfen und vielleicht zuerst verfaßt, ist in den Darstellungen und Interpretationen der Ersten Kritik und selbst in ausführlichen Kommentaren derselben durchweg im Schatten bisher gestanden, auch wohl abschätzig beurteilt worden; sehr oft kann man sich fragen, ob das Studium des Buches, mit allen seinen Problem- und Intentionsverflechtungen, bis zu diesem Endteil vorgedrungen ist. Für ein Kantverständnis, welches den in seinem Grundanliegen auf Schicksal und Möglichkeiten von Metaphysik sich konzentrierenden „Problemdenker" in einem ständigen Suchen und Werden sieht in — immer auch rückschauendem und rückbezogenem — Vorgreifen auf umfassendere Systematik und Daseinserhellung, hat dieser vier Hauptstücke umfassende Werkteil seine ganz eigene Bedeutung, noch über die im Titel ausgedrückte Intention hinaus; und für die Sinndeutung des ganzen Buches ist er mit seinen vielen Verweisungen auf das Vorangegangene, zusammengenommen insbesondere mit den Vorweisungen der beiden Vorreden samt der großen Einleitung, unentbehrlich. Daß die (auch in der zweiten Auflage wortwörtlich beibehaltene) Textfassung dieser Methodenlehre in einigen der vorausgreifenden Bestimmungen — vor allem des „Kanon"-Hauptstücks — in nicht leicht aufklärbarer Spannung steht zu späteren Positionen der Kantischen Vernunftreflexion, kann für uns heute das Verstehensinteresse nur vermehren. Wie in den vorangehenden drei Teilen sucht unser viertes Kommentarstück des Denkers Aussagen und Begriffsprägungen in fortlaufender (auch für sich lesbarer) Darstellung zu durchleuchten und terminologisch-vergleichend zu klären, immer mit Rück- und Vorausweisungen

830

Nachwort

auf das Gesamtgefüge der Kritik und ihrer jeweiligen Intentionen; in den ständig begleitenden Anmerkungen wird dabei vielfältig auch Bezug genommen auf Ersteinsätze und -formulierungen in früheren Schriften, soweit deren Denkerfahrungen deutlich in die Textfassung mit hineinspielen (so etwa, im ersten Hauptstück, beim Thema: Philosophie der Mathematik). Das zum Abschluß dieses vierten Teiles angefügte Register soll für die Benutzung des Kommentars in seinen — durchlaufend paginierten — Teilen dienlich sein. Ein irgendwie Vollständigkeit erstrebendes Verzeichnis der in den entsprechenden Textteilen der Kritik, oder gar im Werk überhaupt anzutreffenden und hervorzuhebenden Termini war nicht beabsichtigt; dafür muß auf die mehrfach vorliegenden Personen- und Sachregister zum Kanttext selbst verwiesen werden. Köln, im Juni 1971

H. Heimsoeth

Namenregister Anaxagoras 242, 252a, 336a, 422, 422a, 459a, 464a, 535a, 774a. Anselm von Canterbury 458, 473. Archimedes 562a. Aristoteles (aristotelisch) 3, 7, 31, 32, 46a, 74, 79, 124a, 242, 335, 422a, 506, 626a, 824, 825. Augustinus 37a, 97a, 416a. Averroismus 104a. Bacon, Francis 581a. Baumgarten 734a, 766a. Bayle 711a. Berkeley 32a, 90a, 130a, 180a, 288, 289, 290, 309, 719a. Blumenbach 598 a, 600a. Boethius 121a. Bonnet, Charles de 600a. Buffon 624a. Collier, Arthur 127a, 130a, 131a, 139a. Crusius 12/3, 344a, 435a, 510a, 535a, 672a, 673, 689a. Cudworth 302a. Cusanus 16a. Demokrit 124a, 506. Descartes (Cartesius, Cartesianer) 5, 32a, 45, 63, 64a, 72, 74a, 80, 83a, 85, 87a, 88, 91a, 93, 97a, 98a, 100a, 104a, 115, 116, 119a, 122, 125, 126, 127 f., 137a, 142, 146/7a, 178, 184, 195, 288, 301a, 312a, 316a, 335, 344a, 455, 460, 468, 475, 486, 487a, 522/3, 570a, 603a, 617, 684. Eberhard 490a, 690a, 739a. Eleaten 822/3, 823a. Epikur (Epikureismus) 224, 242, 244a, 245, 266, 268, 272, 399, 506, 517/8, 661a, 689, 725a, 773, 823, 823a, 824a, 825, 825a. Euklid 20, 21, 679, 794. Euler 262a, 327a, 675a.

Fichte 45a, 81a, 90a, 165a. Galilei 21a, 107, 560a, 566a, 568a, 683a. Hamann 29a. Hegel 3, 27a, 45, 50/la, 76, 119a. Heraklit 124a. Herder 29a. Herz, Marcus 18a, 35. Hume 262, 332a, 432, 667/8a, 677, 699, 699a, 700a, 705,706/7a, 707 ff., 719a, 731, 731a, 825a, 826, 827, 827a. Huygens 31a. Kepler 21a, 516a, 525a, 566, 568a, 588, 590, 591, 592/3a, 628a, 733a, 794. Kopernikus 6, 549 f., 559/60a, 567a, 588, 733a. Lambert 281a, 327a, 681a, 789. Lavoisier 562, 562a, 807a. Leibniz (Leibnizianer, L.-Wolff) 12, 24, 37a, 43a, 46a, 47a, 52a, 63, 77a, 78, 98a, 100a, 104a, 110a, 115, 121a, 124a, 125a, 131a, 151, 226, 229a, 230, 231a, 234a, 244a, 271a, 299a, 303a, 308a, 327, 352, 356a, 424a, 430a, 431, 447, 455, 458a, 466a, 473a, 478, 485, 486, 487a, 514a, 540, 541/2a, 554a, 586a, 600, 679, 766, 767a, 770, 781a, 823, 824, 825. Linné, Karl von 558a. Locke 137a, 265, 305, 316a, 332a, 603a, 684a, 689a, 699, 699a, 700a, 717a, 719a, 824, 824a, 825. Lukrez 232a, 242a, 244a, 266. Mairan, von 258a. Malebranche 139a, 151, 301a, 824a. Manichäer 422a, 444a, 523. Mendelssohn 106, 108a, 124a, 149a, 171 f., 172a, 428a. Nieuwentyts 512a.

832

Namenregister

Nemesios 97. Newton (Newtonianer) 21a, 28, 114, 225, 235a, 262a, 303a, 315, 440, 448a, 518a, 525a, 560a, 562a, 575, 591, 594a, 675, 675a, 685a, 794. Paracelsus 561/2. Parmenides 823a. Pascal 781a. Philo 37a. Plato (Piatonismus) IIa, 17, 32 ff., 33a, 55, 67, 78, 101a, 117, 127a, 146, 171/2, 242, 252a, 263, 271a, 302a, 336a, 361, 365, 412/3, 416, 420, 444a, 458/9a, 446a, 473, 506, 512/3, 527, 530, 534, 537, 633a, 661a, 674, 717, 748a, 761a, 774a, 803, 807. Plotin (Neuplatonismus) 97a, 422, 458/9a, 533a. Pomponazzi 104a. Porphyrios 97a. Priestley 150a, 176, 201, 617, 691a, 699, 699a, 700, 700a, 701a. Pythagoras 263. Rousseau 799a, 800a.

Schelling 45a, 81a, 346/7a. Schlosser 750a. Schopenhauer 346a. Sokrates 708a. Spinoza (Spinozismus) 12, 25, 45, 45a, 63, 77a, 98a, 100a, 104a, 312a, 344a, 393a, 421, 422a, 435, 448a, 458a, 461a, 464a, 472a, 511a, 677a, 771/2a. Stahl 561/2, 563. S toa 252a, 344a, 421, 458a, 506, 526a, 533a, 626a, 639a, 756a, 762a, 764. Swedenborg 170a, 729, 729a. Thomas von Aquino 121a. Tycho de Brahe 724a. Wolff (Wolffianer) 12, 76/7a, 83a, 109a, 127/8a, 172a, 344a, 352, 427a, 455, 457a, 473a, 484a, 487a, 572a, 672a, 678a, 679, 684a, 689a, 793, 798, 799a, 808a, 823, 824/5, 824a, 825, 827. Zeno, der Eleate 105, 106/7, 139a, 225a, 230a, 301a, 302 ff. Zeno, der Stoiker 762a.

Sachregister Abkürzungen: V. =

Vernunft; tranz. =

transzendental

Abgrund

für die V. 501 f., 517a, 518; A. der Unwissenheit 707.

absolut

48 f., 50/1.

Affinität

431, 431a; A. der Erscheinungen 731, 731a; A. der Arten 579, 584; Dichtungsvermögen der A. 719.

Allheit unbedingte (Totalität)

44; A. und Allgemeinheit 429.

als ob

in spekulativen Bezügen 182, 505, 609, 609/10, 623/4, 721/2 („Fiktion"), 744, 763a; in praktischen Bezügen 763; in Beurteilung von Handlungen 387, 619.

Analogie (-denken)

im spekulativen V.gebrauch 396, 524 f., 526, 533, 544/5, 612 f., 634/5, 635a, 639, 783a, 786.

Annahme

im regulativen V.gebraudi 611, 613, 617, 619/20.

Annehmen (Voraussetzen)

in metaphysischem Ausgriff 696a, 726/7.

Anschauung

sinnliche A. Bedingung s y n t h e t i s i e r Erkenntnis 663 f., 673; nichtsinnliche A. 760/1, 761a, 818/9a, 824.

Anthropologie

597/8 ff.; A. und empirische Psychologie 86a; moralische A. 805a, 820a.

Antinomie

76, 199, 692/3; Weise des transz. Scheins, V.-Phänomen 6/7, 200a, 201, 258/9, 261; A. und hypothetische Schlußart 23, 200, 215; Widerstreit (vierfacher) im Weltbegrifi 87, 205/6, 209/10, 262, 285/6; zwei Klassen von A.n 212/3, 331 f., 342, 389, 740, 791a; vierte A. und kosmologischer Gottesbeweis 486 f., 495/6; Auflösung der A.-Aufgaben 278, 280 f., 296/7 ff.; A. und dogmatischer Schlummer 201; A. als indirekter Beweis des transz. Idealismus 308/9, 737a.

Antithetik (der r. V.)

200 f., 313 ff., 275/6, 300, 689, 692; uneigentlidie A. 692, 694.

Antizipation (antizipieren)

712a, 731.

834

Sachregister

Apperzeption, transz.

Einheit „im" Denken 183, bestimmendes Selbst 165/6, nur „logisch" einfach 161/2; A. etwas Reales 179, 185/6, „das Wesen selbst" 196; empirische Α., bestimmbares Selbst 127a, 166, 184/5, 185/6a, 196/7. — A. und Seele 65, 80 ff., 80/la, 83a, 92 f., 93/4, 96, 103/4, 110a, 113 f., 113/4a, 120, 158/9, 165/6, 178/9, 732/3, 739; A. und Personifizierung 532a.

Architektonik (architektonisch)

der r. V. 789 ff., 816; menschliche V. ist a. 647/8, 789a; a.es Interesse der V. 275; a.e Weltordnung 40 f., 815.

Atheismus

485, 544, 690.

Atom, Atomistik

231, 232a.

Aufgabe, aufgegeben

54, 54a, 298 f., 298a, 312.

außer uns (äußere Verhältnisse)

zweideutig 129/30, 135, 139/40, 147, 169a, 231a.

Axiome

Grundsätze der Mathematik 663, 680/1 f., 681a, 682a; „A. der Anschauung; 682/3, 683a.

Beweger, erster (der Alten)

246, 463a, 464, 491a, 506, 506a, 515, 723.

Beweis

von Grundsätzen des Verstandes 682, 684a, 692, 731; B.grund 461a; B.e im philosophischen V.gebrauch 730 ff., 733/4, 734/5, 735/6; apagogische B.e 216, 220a, 736, 736a, 737, 737a.

Bewußtsein (Selbstbew.)

82a, 83, 83a; Grade des B.s 173/4.

Boden (für Aufbau von Erkenntnis)

B. der Erfahrung 463/4, 464a, 742; B. der praktischen V. 470/1, 742; B. und Gebiet 744, 744a.

Charakter

148/9a, 346, 346a, 349, 356a, 367, 371a, 399; C. als Denkungsart 371, 384/5; intelligibler C. 346/7, 350; beharrliche Bedingung 375, 384, 403/4, 405/6; intelligibler C. und Imputation 379, 379/80a; Entsprechung von empirischem und intelligiblem C. 350/1, 356, 366/7 ff., 372, 385, 426; empirischer C. das Schema des i. C.'s 374/5, 376 ff., 379, 384, 406. — C.e (C.istik) in der Algebra 662, 667, 685, 685a.

Dasein (Existenz)

keine „Realität" (innere Bestimmung) 476 f., 480 f., 481a, 483, 484; D. und objektive Realität 480, 483, 484/5; D. „setzen" in der Praxis 537/8.

Dauer

als reines Prädikabile 669, 716a.

Deduktion, logische

der V.-Ideen 43/4; transz. D. derselben Problemthema 18 f., 27/8, 67, 603 f., 603/4a, 607, 682/3, 699.

Definition (Begriffs„Erklärung")

676, 676a; in der Mathematik 661, 661a, 679; in der Philosophie 680, 680a, 711; in der Empirie 676/7; bei V.begriffen 678, 678a.

Sachregister

835

Deismus (Deist)

532/3a, 544.

Demonstration (demonstrativ)

682, 730.

Dialektik (dialektisch)

2/3, D. und Analytik 2, 2a, 25, 642/3, 645 f.; logische D. 3/4, 4a; transz. D. als Kritik der Metaphysik 1/2 f.; als Logik und Kritik des transz. Scheins 4, 6/7, 25; Endabsicht der D. 546/7, 547a, 602 ff., 746. — d.e Opposition 306/7. — D. im Gegeneinander von Kardinalsätzen (Antithetik) 701 ; Scheind. des skeptischen Empiristen 717.

Dichtungsvermögen (dichten in Hypothesen)

719, 720/1, 721a, 722.

Ding(e) an sich (Sache, Objekt an sich selbst)

19, 24, 60, 87a; als Substrat von Erscheinungen 118, 348a; D. a. s. und Affektion 117, 135; D. a. .s und Noumenon 118, 118a; „Ideal"begriff eines D.es an sich selbst 442; Dinge (entia) überhaupt 76/7, 100/1, 396/7, 664, 665a, 666, 670.

Disziplin (der V.)

181/2, 650, 650a, 653/4, 698; D. und Doktrin 651, 651a.

dogmatisch (Dogmatismus)

d.er V.gebrauch 655/6 ff., 663; d.e Methode 687, 688, 827; d.e Verneinungen 690; D. in der Kosmologie 266, 266a, 271, 273, 672/3, 741; Schule der Dogmatiker 827a; praktisch-d. V.gebrauch 828a.

Dualismus, transz.er

115, 118 f., 133, 147 f., 151 f., 152a, 617a.

einfach

das E.e gegenüber dem Zusammengesetzten 61a, 105, 107, 110, 207; das E.e als qualitativ absolute Einheit 75, 87/8, 105, 108/9; E.es in keiner Erfahrung 120, Idee des E.en 109, 233/4; e.e Vorstellung: Ich 92/3, e.es Ding: Natur der Seele 87/8, 105, 108/9, 732/3, 732a; das E.e als kosmologisches Thema 161a, 162a, 163a, 168a, 204, 207/8.

Einteilung (in ForschungsSystemen) Elemente (Elementarlehre) Empirismus

556a, 563; logisches und transz. E.sprinzip 575/6 ff., 582 f., 601a.

Ens realissimum (Maximum perfectionis)

645, 648, 648a, 655, 673. kosmologischer 265/6, 266a, 269 ff., 271/2, 273 f., 655, 689, 702, 727, 741; erkenntniskritischer 824, 825. 47, 51/2, 77 f., 430/1, 465, 466/7, 472; E. r. durch V.schluß disjunktiver Synthesis 46/7, 412, 429/30; als gegenständlich-kollektive Einheit Illusion der r. V. 457; personifiziert 458; Läuterung dieses V.begriffs 433/4 f., 436 f., 438 f., 520; nicht Aggregat 451 f., 465; vom Notwendigen Wesen (kosmologisch) zum E. r. 466, 467/8 ff., 497/8, 498a; E. r. als extramundan 390, 463, 505/6, 515, 519, 531, 771/2.

836 Erscheinung(en)

Sachregister zwei Bedeutungen von E. 8a; E. im allgemeinen Sprachsinn 75a, 132; E. und Sdiein 8, 8a; E. und „Phänomena" 33a, 118, 132; E.-Charakter alles empirisch Realen 116, 292 f., 297a; E. nichts als Verhältnisse 103a, 258/9a, 293a; E. und Ding(e) an sich 136, 137a, 291/2, 295a; E. und Affektion 117, 135, 293a; zwei heterogene Bereiche 83, 95, 116 f., 133, 147.

Existenz (s. Dasein)

als durchgängig bestimmt 427, 490/1.

Exposition

675, 675a, 680.

Ewigkeit

E. der Welt 220/1, 322, 322a; E. des Urwesens 220a, 501/2, 501a, 770.

Fatalismus

4, 12, 89a, 262, 690, 697a, 700, 741a.

Freiheit

F. (Kausalität aus F.) als transz. Idee 39a, 121, 212 f., 238 f., 243 f., 268/9, 386/7, 752; F. durch Erfahrung 753/4; F. als absolute Spontaneität 398; kosmologisch (Erster Beweger) 241 f., 522/3, 525/6, 525a; Seele und F. 89a, 122, 197/8, 240 f., 341/2; F. und Apperzeption 359; F. und Gesetzlosigkeit 243/4, 244a, 247; Gesetze der F. 244a, 349, 754, 767; praktischer Begriff von F. 338 ff., 339/40a, 746, 752; F. und N a t u r 802, 802a; F. und intelligibler Charakter 379a, 747, 747a; F.'s-Verfassung 468, 754a, 763a; F. denkerischer Äußerung 691 f., 698, 699, 701, 702/3.

Fürwahrhalten

drei Stufen des F.s 778a, 779.

Gebot(e)

göttliche G. 766, 766a, 773, 774/5.

Gefühl

702, 752a.

Gegenwart

„G." als Prädikabile 149a.

Geist (G.wesen, G.erwelt)

77, 77a, 108a, 543, 617/8.

Geschichte

G. der Menschheit 701/2 f., 703/4, 759/60a, 773; G. der V. 710, 773, 793/4, 821 ff.

Gesetz(e)

besondere (spezifische) G. und die allgemeinen N a turg. 557, 565.

Gesinnung

786, 786a.

Gewißheit

„moralische" G. 781a, 787.

Glauben

520, 535a, 778, 780; pragmatischer G. 780; doktrinaler G. 781/2, 783, 784; „historischer" G. 778a, 779; moralischer G. 782, 782a, 784/5, 785 ff., 785 a, 785/6.

Glückseligkeit

749; Hoffen auf G. 758, 762, 764/5, 768.

Sachregister

837

Glückswürdigkeit (Würdigkeit, glücklich zu sein)

755, 755a, 762, 768.

Gott (Gottesidee)

47; Möglichkeitsgrund f ü r „Dinge überhaupt" 416, 423 (s. Ens reatissimum) ; transz. Prädikate 545; „lebendiger" G. 458 f., 533, 534/5; Anthropomorphismus im G.-Denken 636 f., 638/9 f.; G. und „Weltbaumeister" 526 ff., 529/30, 769; G. Urheber und Regierer (oberster Wille) 469/70, 765, 770.

Gottesbeweise

459 ff. (Kritik der G.), 460/1; drei Arten spekulativer G. 461, 472/3; ontologischer G. („Cartesianisdier") 473 ff.; einzig möglicher „Beweisgrund" 521, 521a; kosmologischer G. 473, 486/7, 521, Verhältnis zur kosmologischen (4.) Antinomie 486 f., 491a, 502; physikotheologischer G. 473, 511/2, 521 f., 541 f. (s. auch: Theologie).

Grund

Satz vom G.e und Kausalität (s. d.) 12, 22/3, 24, 489/90, 490a, 540.

Grundkraft

29, 245/6; G. als Idee, Problem 572 ff., 572a, 722; komparative G. 575.

Grundsätze

des Verstandes 662/3, 665/6, 670/671, 671a, 682, 712; der V. (Prinzipien) 18; objektive und subjektive (Maximen) 14; Grundsatz der Bestimmbarkeit 425 ff.; G. der praktischen V. 219, 277/8 (s. Sollen).

gut (das Gute)

364, 750 (höchstens G. s. Ideal).

Handlung (actio)

106; H.en des Ich 107/8; H.en der Willkür 338/9 f.

heuristisch

504a, 544, 594a, 606.

historisch

h.e Erkenntnis 795.

Homogeneität

Maxime der H . (Gleichartigkeit) 580, 597, 599, 600 f., 606.

Horizont

H . im Erkennen 707/8, 708a, 709, 716.

hypostasieren (hypostatisch)

453, 453a, 454 f., 457/8a, 460.

Hypothese(n)

H.n, Annahmen, Versuche 566/7, 718/9, 718a; Geltungsbedingungen f ü r H . 724, 724a; H . und Analogieschlüsse 566a, 737/8, 738a; H . in der Metaphysik (hyperphysische H.) 114 f., 119a, 605a, 718 ff., 719a, 723; H . im polemischen V.gebrauch 726, 774, 784a; von H . zu Theorie im Fortgang der Kritik 729; transz. H . und praktische Voraussetzungen 726/7.

hypothetisch

h.e Schlußart 46, 66, 75, 489; h.er V.gebrauch (regulativ) 566, 721/2, 723, 725/6; h.e Notwendigkeit im praktischen V.gebrauch 759, 759a, 780.

13 Heimsoeth, Transzendentale Methodenlehre

Sachregister

838

Idi (Idi =

denke)

Ideal

I. als Gegenstand des inneren Sinnes 116, 184/5; Idi-denke als Zirkel 93, fehlerhaft im Paralogismus 103/4, 183; I. als handelndes Subjekt der Gedanken 98 f., 101, 113,236, 359/60, 360a; I. als „Intelligenz" 459, 729a; als individuelle Einheit 122; I. und andere Subjekte 111/2, 116/7, 123. 47, 415/6, 416/7, 418a, 756, 756a; das I. der r. V. (s. Ens reatissimum) 78, 410, 419/20, 441/2, 441a, 446; Urbegriff 433, 436, 443; fehlerfreies I. der r. V. 459/60, 451 ff.; als Ding an sich vorgestellt Illusion der r. V. 442/3, 457, 502/3, 509; drei Stufen des Hypostasierens 458, 458/9a ; I. als Gegenstand in der Idee 604/5, 605a. — Das I. des höchsten Guts 756 ff., 764.

Idealismus

I. im Sinne der Schulspradie 127, 127/8a, 131, 172, 177a, 180a; dogmatischer (empirischer, materialer) I. 132, 288, 289, 719a; Widerlegung des I. 79, 86a, 104a, 124/5, 177a; Lehrbegriff des transz. I. 8a, 32a, 36a, 128/9, 131/2, 133/4, 134a, 140, 152 f., 287 f., 287a, 290 f., 332/3, 435, 452, 510/1, 729; indirekter Beweis des transz. I. 308/9.

Idealität

I. des Raumes und der Zeit 116, 127a, 131, 137, 435, 462a; I. der Erscheinungen 140. — Paralogismus der I. 126/7ff.; sinnliche I. und das transz. Ideal 448, 448a, 462a.

Idee(n)

V.begriffe, N o t i o n e n 31 f., 42 f., 42a, 72; ohne korrespondierende Anschauung 657; System der I. 68/9, 411/2; I. idealisdi Gedichtetes, Selbstgesdiöpfe der V. 462; I. als Urbilder 34, 412/3; als Aufgaben, Richtpunkte der Forschung 47/8, 73, 553/4 f., 722a; I.en und Zwecke 513, höchste I.n 757; Gegenstand in der I. 604 ff., 744, 751; praktische I.n 35 f., 38 f., 48, 268/9, 361/2, 365, 415, 534a, 536, 677, 754a. — I. einer Wissenschaft 556, 559, 790, 790a, 792; I. der Philosophie 794, 797.

Immaterialität (immateriell)

I. der Seele 89/90, 115, 120a; i.es Prinzip des Lebens 119a.

Imperative

s. Sollen.

Imputation (Imputabilität)

240, 372, 379a, 381 f., 398.

Induktion

650a, 738a.

Intellektualphilosophen

654, 684a, 823; das Intellektuelle 684, 684a.

Intelligenz(en)

90, 90a, 99, 112, 190/la, 288, 532a, 694; höchste I. 522/3, 527, 747/8; I.n und vernünftige Wesen überhaupt 543.

intelligibel

i.e Weltverfassung 760/1; i. Eigenschaft 725; s. auch i. Charakter.

Sachregister

839

Interesse

I. der V. 259/60, 504/5a, 643, 695, 695a; spekulatives I. 187 f., 263; praktisches I. 264/5, 267, 270/1, 643a, 726/7, 742, 751; formales I. im Erforschen 509, entgegengesetzte Richtpunkte desselben 580/1 ff., 599/600.

Intersubjektivität

777a.

Kanon

58a, 743; K. der Verstandesgrundsätze 745, 745a; K. der r. V. 750a, 743 fi., 764/5.

Kardinalsätze (der r. V.)

Kategorie(n)

690 ff., 693, 718, 746/7, 747/8, 755, 757; entsprechende Verneinungssätze 696/7, 700/1; Beweiskraft derselben 732. 31, K. und objektive Realität 540/1; reine (bloße) K. ohne Bedeutung 100; K.n und Ideen, kosmologisch 205/6 ff., theologisch 613, 635; Gebrauch und Mißbrauch der K.en 10, 12, 100, 100a, 102.

kategorisch

k.e Schlußart im Seelen-Thema 45, 65, 74/5, 87.

Kausalität

Begriff der Ursadie, 667/8, 667/8a; zwei Grundarten 237, 335 ff., 678; Naturk. und K. aus Freiheit 12, 46, 59, 237/8, 337 f., 747; Vereinbarkeit beider 297, 342/3 ff., 345/6 ff., 348, 351, 747. K.sgrundsatz und Satz vom Grunde 12, 22/3, 239a, 352/3, 489/90, 540 f., 673, 692, 712a, 731/2, 826; Dogma der Metaphysiker 692, Beweisversuche 732a, 735; Beweis als Verstandesgrundsatz 731, 734/5.

kollektiv

k.e Einheit gegenüber distributiver 457a, 552/3 f., 555, 587/8.

Konstruktion (konstruieren)

K. der Begriffe in aller Mathematik 658, 662; ostensive und symbolische K. 662; technische K. 679.

Kontinuität

mathematische K. 659/60; K. der Formen 515a, 584, 585/6, 586/7, 592.

Kosmologie (kosmologisch)

empirische und rationale K. 84, 302/3, 311/2; hypothetische Schlußart der rationalen K. 297 f., 300; k.e. Ideen 203 ff., Vierertafel 209/10; k.e. Reihen 66, 205, 206/7; k.er Widerstreit s. Antinomie.

Kraft

K. und Gesetz 8 f., K. und Kausalität 667; N a t u r k.e als Erscheinungen 499/500, 507/8, 570/1, 571a; s. auch Grundkraft.

Kritik (kritisch)

K. als Propädeutik zum System 42, 69, 547, 645/6, 646a, 804; K. und Doktrin 2, 25, 648a; k. Reflexion der V. auf sich selbst 674, 686; K. als Scheidekunst, isolierend 807, 807a; K. als Methodenlehre 678; negativer Nutzen der K. 651/2 f., 652a, 695a, 743.

13a Heimsoeth, Transzendentale Methodenlehre

840

Sachregister

Logik

allgemeine L. 3, 3a, 645, 649, 649/50a; transz. L. umgreift L. der Wahrheit (Analytik) und L. (Kritik) des Scheins (Dialektik) 3 f., 9a, 646.

Materialismus

M. der Seelenlehre 150, 176, 182, 617, 690, 700, 700a, 727; Widerlegung des M. 115 f., 144/5 f., 144a, 180, 201.

Materie

Begriff der M. 234, 817a; M. Substanz im Raum 507, unendliche Teilbarkeit der M. 233/4 f., 235a; M. als Erscheinung 152/3, 507 f. :— M. der Möglichkeit (Realitäten) 544/5; M. und Form in der Kosmologie 506 f., 526/7, 527a; M. und Form der Erkenntnis 664, 664a, 665/6, 670.

Materien

561, 561a, 562a, 666/7.

Mathematik

M. als reine V.wissenschaft 280/1; Philosophie der M. 656 ff., 662; m.e und philosophische V.erkenntnis 475 f., 655/6 f., 664; intuitiver V.gèbrauch (s. auch: Konstruktion) 657, 661 ff., 670a, 674/5, 678/9, 682/3, 681; drei Felder der r. M. 669; Lernen in M. 796; M. und empirische Realität 34/5a, 662a, 675, 682/3a, 766a; „mathematische" Grundsätze des Verstandes 665, 682/3, 682a; m.es Verfahren in der Philosophie 665 f., 667, 667a.

Maxime(n)

13/4, 20, 22/3, 73, 596a; M.en des spekulativen V.gebrauchs 597, 607, 686, 697, 711/2, 816; M.en des Handelns 767, 772, 786.

Mechanismus (mechanisch)

563a, m.e Aufsammlung 666a; m. und teleologisch 620, 628.

Meinen (Meinungen)

778, 778a, 779; hyperphysische Hypothesen M.en 727 ff., 778a; Privatm.en 730, 776/7.

Metaphysik

Methodenlehre

als

Erkenntniserweiterung ins Feld des Übersinnlichen 10, 30/1, 69; drei Hauptthemen 1, 7, IIa, 45 f., 59, 66/7, 71, 157, 409; M. als Wissenschaft aus r. V. 1, 7/8; M. bisher 4/5, 808, 808a, 822; Kardinalsätze der M. 115, 690 f., 693; M. und Daseinszwecke 69, 790; M. als das System der r. V. 633 f., 790, 803; Zweiteilung: a) M. der N a t u r 61, 103, 142, 686, 804/5, 805a, 806/7, 808, 817; in zwei Teilen 813/4, 813a, 814a; M. der N a t u r und Physik 813/4, 814a, 816/7, 817/8a; b) M. der Sitten 18/9, 21/2a, 35/6, 38/9, 749, 802, 805, 805a. — Geschichte der M. 688/9, 821 ff., 821a; der neue Weg 827/8. M. nach „Elementarlehre" 2, 70, 645, 646/7, 649; die Kritik als M. 678.

Sachregister

841

Möglichkeit

logische und reale M. 51, 77, 424/5, 426/7, 478/9, 496; Materie zur M. 484; Affinität der M.en 431 f., 431a; „innere" M. 695/6, 771.

Monaden (Monadisten)

43a, 48/9, 98/9a, 110a, 115, 117, 231, 234/5, 234a, 324, 324/5a, 721.

Monotheismus

242, 242a, 458/9a, 463a, 464a, 472, 488, 498a, 773, 774a, 788a.

moralisch

m. gegenüber „pragmatisch" 749, 749a; m.e Welt 760/1, 760a, 765, 767, 769, 811a. 800, 800a, 805; theologische Moral 535, 774; M. System moralischer Gesetze 765. s. Sollen.

Moralphilosophie Moraltheologie

s. Theologie.

mystisch

32a, 33, 37, 38a, 67, 619/20a, 761, 761a, 824.

Natur

N. als Gesamt aller Erscheinungen 801, 817, als dynamisches Ganzes (im WeltbegrifT) 213; N . (N.gesetz) und Freiheit (Sittengesetz) 802; N. alles, was „ist" 802, 802a, 808; N.ursache und N.notwendigkeit im transzendenten Sinne 213/4, 490a, 533a, 754/5. — N. (N.absicht) umgreifend unsere V. (N.anlage) 5, 8/9, 14/5a, 48a, 463, 463a, 525, 697/8, 702, 751, 755a, 787/8, 818; N . im Analogiedenken 638, 639/40, 772, 772a, 817a.

Naturalisten

N . der V. 825/6; kosmologische N.en s. Empirismus.

Neigung(en)

749, N.en „Materie" des Willens 750, 755, 761/2.

Notwendigkeit

logische und reale 476; absolute (innere) und relative (hypothetische) 214, 250/1; N . und Zufälligkeit (Kontingenz) 247/8, 248a, 387 f., 391/2 f., 463 f., 464a, 465/6, 472, 474/5, 487/8, 489/90, 495/6. notwendiges Wesen s. Wesen.

Noumena (intelligibilia)

33, 118; Zweideutigkeit der Benennung 33/4a, 347a; N . im negativen Verstände (Grenzbegriff) 109, 474, 652a; in positiver Bedeutung 460; Geistwesen als N . 77a, 170a; Subjekt des Handelns als N . 351.

Ontologie (ontologisch)

überlieferte O. 1, 61a, 105, 105a, 110a, 153, 210a, 256/7, 257a, 665a, 678a, 731, 735, 809a, 811a; o. und transz. 531a; O. im System der r. V. 800, 813, 816a. o.e Vollkommenheit 771a; o.s Argument 28a, 51/2, 52a, 63, 711; s. Gottesbeweise.

Ontotheologie

s. Theologie.

Organismen (organisch)

Gliederung der O. ins Unendliche 327 f., 329a; o. Ordnungen 512/3, 518; Arten und Stufen der O. 597 ff.; o. Körper und teleologische Beurteilung 622.

842

Sachregister

Pantheismus

411/2.

Paralogismus

P. der Seelenlehre 74/5; logischer und transz.er P. 79, 79a, 161/2; P.-Kritik in Viererordnung 86/7, 89a, 141, 161 f., 165 ff., 176/7.

Person (Personalität)

90, 120/1, 121/2a, 125, 458; P. und Beharrlichkeit des Selbst 122 f., numerische Identität, einzeln 88, 121/2 f.; transz. P.begriff und praktischer V.gebrauch 121, 126, 126a.

Philosoph

Ideal des Weisen, Lehrer im Ideal 416/7, 798/9, 799a.

Philosophie

reine und empirische P. 883; Systeme und System der P. 797/8; Schulbegriff und Weltbegriff der P. 798, 798a, 807/8, 819; Geschichte der P. 821a; Würde der P. 42, 788, 799a, 820; P. der r. V. 745/6, 793, 797; P. als Gesetzgebung der menschlichen V. 218, 799a, 801.

Physiologie (physiologisch)

808/9, 809/10; rationale P. 814.

Physiokratie

245a, 523, 700.

Piatonismus

271, 272 f., 823.

Pneumatismus (Spiritualismus)

77a, 90, 95 f., 108a, 124a, 201, 234a, 543, 617, 720/1 a, 791a.

Polemik (polemisch)

688/9 ff., 699/700a; Verteidigungskampf der V. 699, 701/2.

Polytheismus

523, 773.

Postulieren

536/7, 537/8a, 544, 558, 558a, 769a.

Prädikabilien

43a, 96a, 97, 102a, 106, 303a, 667, 721, 770a.

Pragmatisch

749, 749a, 758, 765, 780.

Praktisch

415, 748, 751/2; pr. Begriffe 751/2. s. Vernunft.

Psychologie (Seelenlehre)

66, 66a; rationale P. 79, 86, 626/7; rationale P. und transz. Schein 155/6, 158 f., 164, 175/6; Disziplin durch Kritik 181/2; rationale P. im System der r. V. 813a, 814, 817; empirische P. und Anthropologie 86a, 817/8a, 818; P. und Körperwissenschaft 141/2 ff.

Raum

als absolut seiend gedacht (natürlicher) Schein, U n ding 509/10, 511.

Realismus

R. in transz. Bedeutung 288/9, 289a; empirischer R. 132.

Realität

transz. R. 454, 454a, 558, 480; R.sbedeutung der Ideen 703.

Realitäten

52a, 132a, 515, 660a.

Sachregister

843

Reflexion (reflektiert)

27, 27a.

regulativ

r. gegenüber „konstitutiv" 504, 508/9, 553, 567, 594/5, 631/2; r. und „als ob; 505, 508 f.; Ideen und r. V.gebraudi 20 f., 48, 53, 310 ff., 310/la, 318/9 ff., 546, 548, 551/2, 553, 734; r.es Prinzip menschlicher Selbsterkenntnis 360/1, 369/70, 381 f., 616, 739; r.es Prinzip der Welterforschung 290/1 f., 411; r.es Prinzip der Allheit der (realen) Möglichkeiten 432/3, 508/9; drei r. Grundsätze der Philosophen 577 ff., 584, 588/9, 593 ff. r. V.gebraudi und „beurteilen" 582a, 767; r. V.gebraudi im Praktischen 415 f., 749/50.

Reihe(n)

23/4, 30, 46, 62, 66a, 75, 210/1 f., 495/6.

Religion

774/5a; R. und Philosophie 819.

Restriktion

R. der V.begriffe 625, 625a.

Sdiein (Illusion)

empirischer und transz. S. 4 f., 6a, 156/7, 552a; transz. Schein und „Idealität" 462a, 509/10; transz. (dialektischer) S. „Phänomen" der menschlichen V. 455 f., 456a; „Hang" unserer V. 550 f.; transz. S. zu erklären, doch unaufhebbar 5, 13, 80, 456, 548/9 f., 554/5, 602; S. im Seelenthema 93, 100/1, 103/4, 105/6, 107, 143; S. im Weltthema (Antinomie) 6/7, 199, 215; S. im Gottesthema 455/6, 502/3, 509; Endabsidit des transz. S.s 602, 746.

Schema

659a, 661, 791; S. der V. 596; S. des regulativen Prinzips 378a, 605 f., 613, 617; S. des intelligiblen Charakters 374/5, 376 f., 379, 384, 406; S. des V.Systems 791.

Schwärmerei

719, 719/20a, 720.

Seele

als absolutes S. 45/6, 49, 87, 113a; beharrliches Wesen an sich (Substanz) 97 ff., 97a, 99, 120, 120a, 166/7, 170/1, 747; Einheit und Fülle der S. 733; Gegenstand des inneren Sinnes 84, 124, 143, 180/1, 608/9a; S. und Freiheit, Personalität 89a, 90, 120/1 ff., 168, 194 f., 747; S. und Animalität, Prinzipium des Lebens 91, 91a, 119a; S.-Leib-Zusammenhang 146 ff., Leibbewußtsein 733; S. und Dasein anderer Dinge 88/9, 126/7 ff., 169, 177; S.nFortdauer 101 f., 146 ff., 189/90 f., 728, 781/2a, 782a; Inkorruptibilität und Mendelssohns „Beweis" 92, 171/2 f.; Präexistenz 101/2a, 125a, 154; S. im Weltthema 230a, 232 f.; Streit der Metaphysiker im S.nthema 727 ff. ; S. Gegenstand in der Idee 607/8 f., 616; S. als Leitprinzip 722. S.nlehre s. Psychologie.

Selbstbewußtsein

Zirkel des S.s 93, 126; s. Apperzeption.

Sachregister

844 Sensualphilosophen

823, 825.

Simplizität (der Seele)

49, 105 ff., 113/4; s. einfach.

Skeptiker (Schule der)

827a.

skeptisch

s.e Methode 207a, 216/7, 219, 219a, 284, 309, 705, 718, 827; s.e Einwürfe 130, s.e Vorstellung 284 ff., 705; s.e Verneinung 699; s.e „Bedenklichkeiten" (Humes) 701, 707.

Skeptizismus

701, 707, 708, 719a.

Sollen (Sollensgesetze)

340/1, 361 f., 363, 366, 469, 469a, 538/9, 748, 754, 802a; moralische S.gesetze als Prinzipien möglicher Erfahrung 759/60.

spekulativ (Spekulation)

39/40a; s. und theoretisch 757, 757a; s.er V.gebrauch 460a, 461/2, 543/4; s. gegenüber praktisch 218/9; s. umgreifend 826/7.

Spezifikation

Prinzip der S. 580/1 f., 583.

Spiritualismus

4, 139, 151, 180, 180a, 181 f., 290, 626/7, 700a, 709a, 710/la; s. Idealismus, dogmatischer.

Spiritualität

5. der Seele 90/1, 90a.

Spontaneität

S. des Verstandes, der V. 560a; absolute S. 49.

Subjekt

denkendes S. 65, 74/5, 98 f.; S. der Spontaneität 113/4; logisches und reales S. 104, 113; S. der Prädikation 100/1; S. und Substanz 229a; absolutes (erstes) S. 98 f., 100, 102a; S. an sich (transz. S.) 92/3, 104, 113/4a, 441/2a, 458a.

subjektiv

73a.

Subreption (Unterschiebung)

12/3 f., 14, 111, 151a, 161, 314a, 457, 457/8a, 461, 482, 485, 496, 509, 552a, 553a, 738/9, 739a.

Substanz

S. und (Urteils-) Subjekt 97/8, 98a; S. und Subjekt des Denkens 45, 65, 97/8, 98a; S. und Beharrlichkeit 99, 102/3, 104a, 124/5, 717; S. in der (empirischen) Realität 104, 125, 194a; einfache und zusammengesetzte S. 107 f., 227/8 f.

Supposition (supponieren)

537, 537a; s. absoluta und s. relativa 619, 630a.

System (systematisch)

S. und Aggregat 545, 556a, 789; S. einer Wissenschaft 556, das S.atische der Erkenntnis 555 f., 557a, 558, 563/4, 568, 580, 587, 688; s.e Einheit als teleologisch 620, 629; S. der Grundsätze (Kanon des Verstandes) 63, 556/7; S. der Ideen 44 f., 63 ff., 605/6; V. selbst S. 688.

szientifisch

s.e Methode 819, 827.

technisch

t.e Gliederung 792, 792a, 796, 816.

Sachregister

845

Teleologie (Ordnung nach Zwecken)

40/1, 355/6, 393/4, 620 f., 624/5, 629, 632/3; T. der menschlichen V. 819/20.

Theist

533, 771/2.

Theodizee

724/5, 725a.

Theologie, rationale

10, 49, 66/7, 409ff., 410a, 531, 772/3; natürliche T. 511a, 532, 533/4, 539/40; Ontot. 492a, 499, 501, 533, 771a; Kosmot. 533; Physikot. 515/6f., 516a, 517a, 519 f., 533/4, 614, 620/1, 626, 627/8, 629/30 f.; deren Methode gegenüber „Beweis; 520/1, 526, 529/30, 770/1, 815a; Moralt. 460/la, 469/70 f., 478a, 511a, 520/1, 534 f., 539, 541, 764, 774, 775, 815a; dogmatische T. und regulatives Prinzip 630/1. s. Gottesbeweise.

Totalität, absolute

44, 54, 63, 65, 75/6, 77, 262/3.

Totum

T. und Kompositum 229 f., 328.

transzendent

t. und immanent 11, IIa, 13a, 14a, 53/4, 811, 812a; t.e Weltideen 214, 253a.

transzendental

11, IIa, 13a; alt-ontologische und die neue Bedeutung des Terminus 67; t. und transzendent 11 f., 12, 13a, 318a, 454; t.er und empirischer Gebrauch der Kategorien 12, 318/9; t.e Überlegung, T.philosophie 10, 11, 61, 84/5, 278, 646, 647/8a, 655, 671, 674, 809, 809a, 819, 827.

Triebfedern

471, 471a, 752a, 767/8, 768a.

Überzeugung

189, 489a, 535, 718, 776, 776a.

unbedingt

das U.e (Totalität der Bedingungen) 23, 24, 28/9, 44 f., 44a, 63, 68. s. absolut.

Unendlichkeit

U. im Weltthema 222/3, 304 f., 465, 516a, 517, 528 f.; U. als transz. Prädikat (Gottes) 465a.

Unterschiebung

s. Subreption.

Urteilskraft

U. und Subreption, Schein und Irrtum 9, 14, 21a; teleologische U. 40; bestimmende U. 715.

Urwesen

U. und (einziger) „Urheber" 520, 528/9 (Urbegriff), 531, 533, 763a; s. Gott (Gottesidee).

Verbindlichkeit

469/70a; s. Sollen.

Vernunft

unsere V., als das ganze obere Erkenntnisvermögen 15a, N a t u r der allgemeinen Menschenv. 821; „höchste" (göttliche) V. 633a, 764; N a t u r und Bestimmung unserer V. 14/5a, zweckmäßig gefügt 5, 64, 275, 275a, 524, 524a, 550/1, 623a, 647/8; „Grenzen" der V. und „Schranken" 10/lla, 155/6; unsere V. selbst Gerichtshof (Selbsterkenntnis der V.)

846

Sachregister 643a, 692, 703, 819; V. und vernünfteln 73/4; V. im engeren, vom „Verstand" unterschiedenen Sinne 15/6, 109/10, 642, 801 (s. auch Dialektik-Analytik); logischer und realer V.gebraudi 17; V.schlüsse 21, 40, 44/5, 60 f., 71/2, 73, 74/5, 468, 497; V.begriffe „geschlossene" 28; Tafel, Deduktion derselben 16/7 f., 64/5; Produkte der r. V. 750/1; Grundsätze der V. (als Vermögen der Prinzipien) 17/8, 73, 734; apodiktischer und problematischer (empirisch-hypothetisdier) V.gebrauch 21 f., 54, 58/9, 72/3, 499, 551 (s. auch: regulativ); reine V.wissenschaft: zwei Arten 656 ff., 796 (s. audi: Mathematik); faule V. (ignava ratio) 626, 718, 723; gemeine V. 826; praktischer V.gebrauch 41/2, 55/6, 56a, 59, 188 f., 197/8, 469, 651/2, 742, 743/4, 745/6, 748; V.-„Besitz; 692, 692a, 718, 726, 742, 820; Endabsicht der V. 746, 748.

Verstand

V. im (überliefert-) umgreifenden Sinne (intellectus) 9a, 33, 33a, 57, 80a, 354/5, 456a, 460a, 543, 822/3, 823/4; höchster (intuitiver) V. 16, 16a, 459; V.eswesen (Noumena) 16a, 33/4a; V. in Unterscheidung von Vernunft 15, 109/10; 642, (s. Grundsätze des V.es), Verstehen und Begreifen 29, 29a; V. und Sinnlichkeit (zwei Stämme 9, 9a); Anleitung des V.es durch Vernunft 552 (s. regulativ).

Vorstellung (Vorstellungskraft)

83a.

Wahrscheinlichkeit

524, 524a, 573a, 578, 694/5a, 725/6.

Weisheit

Idee der W. 55/6, 765a, 798/9; W.slehre 56a, 85; höchste W. 527, 765.

Welt

W.thema, W.idee 24, 28 f., 30/1, 42/3, 46, 75/6; W.begriffe (kosmologisdie Ideen) durdi „erweiterte" Kategorien 202 ff., 218 f.; Sinnenw. und „intelligible" W. 229a, 234/5, 249; Sinnenw. (raumzeitlich) als „Sache an sich selbst" ein ens rationis 301, 307, 694, 741; W.begriff und Ersdieinungsreihen 202/3, 211, 285, 723/4; W. und Raum 221 f., 224/5 f., 229; W.anfang, zeitlich und „dynamisch" 238/9; Kontingenz der W. 209, 247/8 f., 253, 254/5; W.grund 19, 24, 27, 204, 256; W.seele 422, 505, 508, 526a; W.baumeister 520 ff., 632, 636; „andere" W., „künftige" W. 514a, 764 f., 765a; W.begriff als Ideal des abgeleiteten höchsten Guts 764; intelligible W.verfassung 760/1, 762, 767, 769 (s. moralisch).

Sachregister

847

Wesen

92a, 99, 99a, 248a, 349a; einfache W. 228; organisierte W. 283, denkende W. 98 f., 545a; W. aller W. (höchstes W.) 66/7a, 99a, 252a, 409; notwendiges W. (kosmologisch) 248 f., 255a, 449.

Widerstreit

W. und Widerspruch 52a, 304, 305; dialektische („synthetische") Opposition 305a, 306/7 (s. Antinomie); realer W. (Realopposition) in der Erfahrung 436/7, 438a, 575a.

Willkür (arbitrium)

338/9 f., 747, 753; „pathologische" Bestimmung der W. und freie W. 753, 753a.

Witz (ingenium)

581, 581a, 653, 653a.

Zensur (der V. selbst)

543/4, 654/5, 692, 744; Zensoramt der Philosophie 820.

Zufall (casus)

517/8, 518a.

zufällig (kontingent)

248a, 249 f., 254/5, 495, 540/1 (z.es Dasein) 735, 735a; Erscheinungen als Z.es 395, das unendlich Z.e der Ordnungen 518, 522, 527/8.

Zweck

Ideen und Z.e 40; Verknüpfung nach Z.en 40/1, 413, 620 ff., System der Z.e 56a, 790/1; wesentliche Z.e (der V.) 790, Hauptzweck 791, 800, 803, 820.